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German Pages [556] Year 1973
INTITULATIO II
MITTEILUNGEN DES INSTITUTS FÜR ÖSTERREICHISCHE GESCHICHTSFORSCHUNG E R G Ä N Z U N G S B A N D XXIV
INTITULATIO Ii.
Lateinische Herrscher- und Fürstentitel im neunten und zehnten Jahrhundert Beiträge von Karl Brunner, Heinrich Fichtenau, Elisabeth Garms-Cornides und Herwig Wolfram
Herausgegeben von H E R W I G WOLFRAM
1973
HERMANN
B Ö H L A U S N A C H F . W I E N - K Ö L N - GRAZ
Gedruckt mit Unterstützung des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung
ISBN 3-205-08411-X Copyright © 1973 by Hermann Böhlaus Nachf. Gesellschaft m. b. H. Graz Alle Rechte vorbehalten In der Borgia Modern Extended gedruckt bei R. Spies & Co., 1050 Wien
INHALT Einleitung. Von Herwig Wolfram
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I. Lateinische Herrschertitel im neunten und zehnten Jahrhundert. Von Herwig Wolfram
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II. Die fränkischen Für sten titel im neunten und zehnten Jahrhundert. Von Karl B r u n n e r 179 III. Die langobardischen Garms-Cornides
Fürstentitel
(774—1077).
Von
Elisabeth
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IV. „Politische" Datierungen des frühen Mittelalters. Von Heinrich Fichtenau 453 Schlußwort. Von Herwig Wolfram Die Register sind den einzelnen Beiträgen zugeordnet.
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Einleitung Die Kritik nahm zwar Intitulatio I (MIÖG Erg.-Bd. 21, 1967) sehr rasch zustimmend auf 1 ), die Auseinandersetzung mit den Ergebnissen des ersten Bandes hat jedoch erst seit kurzem eingesetzt. Auch scheint es, als habe es nicht zuletzt der Vermittlung Helmut Beumanns und Karl Haucks bedurft, um diesen Prozeß in Gang zu bringen2). Eine Studie nach Jahren der Unterbrechung wiederaufzunehmen, ist weder leicht noch angenehm. Andrerseits bietet sich eine Gelegenheit, auf die in der Zwischenzeit erhobenen Einwände zu antworten. Im Falle von Intitulatio I sind davon hauptsächlich die folgenden fünf Punkte betroffen: Erstens bemängelt man das Fehlen einer Zusammenfassung am Ende des ersten Bandes. Zweitens steht die Wertung der Ereignisse von 754 in Hinblick auf *) Albert B r u c k n e r , Schrifttum zur Diplomatik und Paläographie. Schweizer Zeitschrift für Geschichte 18 (1968) 300 f. Carlrichard B r ü h l , ZRG Germ. Abt. 85 (1968) 261—265. Robert F o l z , Erasmus 20 (1968) 57—60. Frantisek G r a u s , Öeskoslovensky Casopis Historicky 15 (1967) 885 f. Heinrich K o l l e r , Mitteilungen des österreichischen Staatsarchivs 24 (1971) 508 f. Jean-Yves M a r i o t t e , Bibliothèque de l'Ecole des Chartes 75 (1967) 469—471. Franz P a g i t z , Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 107 (1967) 297 f. G. R a u c h , HZ 209 (1969) 649 f. K u r t R e i n d e l , DA 24 (1968) 269. Percy Ernst S c h r a m m , Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 8 (1968) 513. Wilhelm S t ö r m e r , Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 31 (1968) 833—835. Herbert Z i e l i n s k i hat f ü r die Göttingischen Gelehrten Anzeigen eine Besprechung vorbereitet, wovon er mir im Sommer 1972 freundlicherweise einen Durchschlag sandte. Leider traf der Text erst zu einem Zeitpunkt ein, da Intitulatio I I bereits gesetzt war, so daß auf Zielinskis Einwände hier nicht mehr eingegangen werden kann. Ich halte sie weitgehend für das Ergebnis von Mißverständnissen sowie der Mißrepräsentation meiner Intentionen. Zu Zielinskis eigener Arbeit (wie Anm. 13) siehe die Rezension von Elisabeth Garms in MIÖG 81 (1973). 2 ) Karl H a u c k bei Franz I r s i g l e r , Hauptprobleme der Siedlung, Sprache und Kultur des Frankenreiches. Rheinische Vierteljahrsblätter 35 (1971) 98. D e r s . , Goldbrakteaten aus Sievern (Münstersche Mittelalter-Schriften 1, 1970) 469. Hingegen zeigt das Zitat aus Müller-Mertens, Regnum Teutonicum 11 Anm. 18, daß der Autor Intitulatio I nie gesehen hat. Dies ist umso bedauerlicher, als sein Ansatz und der meine zwar zeitlich verschieden sind, methodisch aber sehr nahe liegen. Zu einer schöpferischen Auseinandersetzung mit den in Intitulatio I entwickelten Fragestellungen und Methoden kam es bis jetzt vor allem durch Ernst J e r g , Vir venerabilis. Untersuchungen zur Titulatur der Bischöfe in den außerkirchlichen Texten der Spätantike als Beitrag zur Deutung ihrer öffentlichen Stellung (Wiener Beiträge zur Theologie 26, 1970) bes. 74 ff. Vgl. Friedrich L o t t e r , Zu den Anredeformen und ehrenden Epitheta der Bischöfe in Spätantike und frühem Mittelalter. DA 27 (1971) 514 ff., und W o l f r a m , MIÖG 81 (1973)
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den karolingischen Titel „patricius Romanorum" zur Diskussion. Drittens wurden in der Zwischenzeit die Grundlagen für die Darstellung der langobardischen Königs- und Herzogstitel verbessert. Viertens fragte man nach der Gültigkeit des Begriffes „Selbstaussage", den ich für den Titel eines Urkundenausstellers einführte. Fünftens mehren sich die Anzeichen dafür, daß die möglichen Vorstufen der karolingischen Legitimationsformel im fränkischen wie nichtfränkischen Raum neu zu bewerten sind. Eine Arbeit, die vornehmlich von diplomatischen Formeln handelt, ist grundsätzlich nur willkürlich zu begrenzen, sofern die Tradition nicht infolge eines äußeren Ereignisses völlig abbricht. Eine Zusammenfassung, die diesen Umstand nicht berücksichtigt, müßte einen falschen Eindruck erwecken. Der Abschluß von Intitulatio I im Jahre 800 durfte daher nicht als historischer Wendepunkt im Titelwesen ausgebaut werden, obwohl damals der erste abendländische Kaisertitel entstand. Wenn der vorliegende Band — grob gesprochen — mit der Jahrtausendwende endet, so kehrt zwar dieselbe Problematik wieder. Da ich aber in nächster Zeit nicht daran denken kann, die Titeluntersuchungen fortzusetzen, habe ich ein entsprechendes Schlußwort zu sagen. Dieses soll einen Überblick geben, in dem Einsichten und Erwartungen, gelöste und offene Fragen einander die Waage halten. Die Bedeutungs- und die Formengeschichte eines Titels erlaubt nur dann allgemeine Überlegungen, wenn die herrscherliche Selbstaussage einen bestimmten historischen Ablauf repräsentiert. In diesem Fall ist es gleichgültig, ob jener auch aus anderen theoretisch-politischen Quellen belegt werden kann oder ob die Urkundenformel allein darüber berichtet. So ist der PromissioTitel Ludwigs des Stammlers im theoretischen Schrifttum Hinkmars von Reims verankert, während sich die „pränationale Formierung" des fränkischen Europa fast nur in den Titeln tatsächlich ausgestellter Urkunden und ihnen nahestehender Urkundenmuster widerspiegelt. Was aber die einzelnen Abschnitte dieses und des vorhergehenden Bandes betrifft, so wurden ihre Ergebnisse dort zusammengefaßt, wo dies nötig und möglich schien. Nicht wenige Formeln stellten eine in sich geschlossene Einheit dar, so daß ihre Untersuchung nichts erbrachte, was man einem allgemeinen Überblick hätte einordnen können. Ebenfalls muß noch einmal erwähnt werden, daß die Einleitungen der einzelnen Abschnitte wie die Einführung am Beginn des ersten Bandes Überlegungen vorwegnahmen, die man sonst vielleicht in Zusammenfassungen sucht. Die theoretische wie die allgemeinhistorische Grundlegung mußte nämlich oft an die Spitze der Titeluntersuchung gestellt werden. Schließlich ist nicht zu vergessen, daß beide Bände keineswegs als Handbücher gedacht sind. Sie stehen hoffentlich am Beginn fremder wie eigener Fragestellungen; die letzteren wurden schon aus praktischen Gründen beschränkt, um eine Studie über die „politische" Formel Intitulatio nicht allzusehr durch Exkurse zu belasten 3 ). a
) In diesem Zusammenhang möchte ich die beiden Untersuchungen nennen, die aus meiner amerikanischen Lehr- und Vortragstätigkeit hervorgingen und die möglicherweise fortgesetzt werden: The Shaping of the Early Medieval Kingdom. Viator 1 (1970)
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Seit dem Erscheinen von Intitulatio I veröffentlichte Josef Deer seine Untersuchung über den „auswärtigen Patriziat", der von den byzantinischen Kaisern verliehen wurde. Deers Ausgangspunkt ist Benevent, was der Arbeit von Elisabeth Garms-Cornides zugute kam 4 ). Abschließend greift der Autor nochmals das Thema der Titulatur „patricius Romanorum" auf, die Stephan II. 754 auf Pippin und seine Söhne übertragen hatte 5 ). Deer vertritt weiterhin den Standpunkt, der Papst habe im Auftrag des Kaisers gehandelt — von der Überreichung eines kaiserlichen Kodizills ist allerdings nicht mehr die Rede — und dabei in „patricius Romanorum" einen Begriff gebraucht, der weder „nichtrömisch" noch „barbarisch" (Peter Classen) war 6 ). Leider geht Deer nicht auf meinen Erklärungsversuch ein, sondern erwähnt nur einen einzigen Satz aus Intitulatio I, der überdies sachlich in einem anderen Zusammenhang stand und daher in der Darstellung des Autors mißverständlich wirkt 7 ). Dies ist um so bedauerlicher, als er gewichtige Hinweise dafür bringt, daß die „päpstliche Form (patricius Romanorum) italisch und vulgär", aber nicht „unbyzantinisch" war 8 ). Dazu würde man gerne noch die Meinung eines Byzantinisten hören. An sich kann man Deer sonst durchaus zustimmen, wenn man von der etwas unglücklichen Bezeichnung „vulgär" für die italische Verfassungswirklichkeit des achten Jahrhunderts absieht. Die Schlußfolgerungen des Autors liegen hingegen weitgehend auf meiner Linie, da ich schon 1967 schrieb: „Ich möchte daher doch annehmen, daß die Initiative für den Tag von St. Denis, was die Königssalbung und die Verleihung des Patriziats betrifft, allein vom Papst und von seinen Römern ausging. Seine Reise vollzog sich aber unter den Augen und wohl mit stillschweigender Billigung der Byzantiner — schließlich hat Konstantin V. drei J ahre später mit Pippin einen, Freundschaf tsvertrag' abgeschlossen, der auch die Aktion des Papstes sanktioniert haben muß." 9 ) Dieser Vertrag hat jedenfalls die politischen Voraussetzungen dafür geschaffen, daß Hadrian in einem Brief an Eirene und Konstantin VI. am 26. Oktober 785 Karl den Großen als „rex Francorum et Longobardorum ac patricius Romanorum" titulieren konnte, wie es dem offiziellen fränkischen Königstitel der Zeit entsprach 10 ). Frantisek Graus würdigte die Darstellung der langobardischen Königsund Herzogstitel als „Pionierleistung" 11 ). Hingegen kann es nicht überraschen, daß der zukünftige Herausgeber der langobardischen Diplome, dessen
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) ') e ) 10 ) ")
1 ff., gekürzt als: Das frühmittelalterliche Königtum in der Nachfolge römischer Staatlichkeit. Beiträge zur Historischen Sozialkunde 1 (1971) 5 ff. The Shaping of the Early Medieval Principality as a Type of Non-Royal Rulership. Viator 2 (1971) 33 ff. Josef Deör, Zur Praxis der Verleihung des auswärtigen Patriziats durch den byzantinischen Kaiser. Archivum Historiae Pontificiae 8 (1970) 7 ff. Vgl. ders., Zum PatriciusRomanorum-Titel Karls des Großen. Archivum Historiae Pontificiae 3 (1965) 31 ff. Neuestens: Zum Kaisertum Karls des Großen. Wege der Forschung 38 (1972) 240 ff. Intitulatio I. 231 mit Anm. 35. De6r 18 ff. ') A. a. O. 25 Anm. 94. A. a. O. 24. ») Intitulatio I. 232. Deer 22 Anm. 78. Mansi, Concilia 12, col. 1075. JE. 2448. Das richtige Tagesdatum ist 26. Oktober (VII Kalendas Novembris) 785. Graus (wie Anm. 1) 886.
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Untersuchung der langobardisehen Königsurkunden in der Zwischenzeit erschien, Kritik an manchen meiner Voraussetzungen übte12). Ich halte diese Kritik für berechtigt. Hätte ich Carlrichard Brühls Forschungen und die Arbeit von Herbert Zielinski schon benützen können, dann hätten nicht die Studien von Anton Chroust meine einzige Stütze sein müssen. Eine fehlende Edition und Spezialdiplomatik wollte und vor allem konnte ich nicht hefern. Im vorliegenden Band besteht übrigens dasselbe Dilemma in Hinblick auf die Urkunden Ludwigs des Frommen, einiger westfränkischer Könige und besonders der fränkischen Fürsten. Hingegen möchte ich auf ein terminologisches Mißverständnis Brühls hinweisen, das allgemeiner und grundsätzlicherer Natur ist, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Wie in der Einleitung zu Intitulatio I entwickelt, gehen unsere Titelstudien von der Formel in diplomatischen und nichtdiplomatischen „Akten" aus, die in der mitteleuropäischen Diplomatik heute allgemein Intitulatio heißt. Eine positive Aussage über ihren Wortlaut kann man daher nicht mit anderen Formeln anderer, ja nicht einmal derselben Urkunde widerlegen. So ist die Feststellung, nur ein einziger Titel, eine einzige Intitulatio, sei bekannt, in der sich ein Langobardenkönig „pius" nennt, nicht deshalb falsch, weil das Pietätsprädikat zur üblichen königlichen Titulatur in langobardisehen Privaturkunden zählt13). Über die Gleichsetzung von Intitulatio und Titel als " ) Brühl (wie Anm. 1) 263 ff. D e r s . , Studien zu den langobardisehen Königsurkunden (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 33,1970). Zuletzt siehe d e r s . , Chronologie und Urkunden der Herzöge von Spoleto im 8. Jahrhundert. Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 51 (1972) l f f . Diese allgemein sehr wichtige Arbeit unterzieht die Ergebnisse von Anton Chroust zum ersten Mal wieder einer kritischen Würdigung. Allerdings schießen manche Einwände Brühls gegen meine Darstellung des spoletinischen Herzogstitels ein wenig über das Ziel hinaus. Wenn etwa a. a. 0 . 37 Anm. 211 behauptet wird, Intitulatio I. 203 mit Anm. 10 berücksichtige nicht „den besonderen Charakter von D 8 als Mandat", so stand das an sich seit Chroust bekannte Problem f ü r mich an dieser Stelle überhaupt nicht zur Debatte. Man kann sich Brühls Kritik nur dann erklären, wenn man mit ihm in „ D u m ego domnus Lupo gloriosus dux perrexissem etc." keine „formelle" Intitulatio sieht. Abgesehen davon, daß Brühls Unterscheidung und daher auch Kritik mein Bezugssystem nicht betreffen (vgl. die anschließende Diskussion des Begriffes „Selbstaussage"), wäre die — sicher auch von ihm unerwünschte — Konsequenz, daß man der beneventanischen Herzogs- und späteren Fürstenurkunde die Intitulatio absprechen müßte, da hier die Formel ebenfalls dem Kontext angehört. Man kann jedoch — bei der Definition der Intitulatio als Selbstaussage — daran festhalten, daß die Formel in Benevent das Subjekt des dispositiven Hauptsatzes bildete, wie im spoletinischen D. 8 damit das Subjekt der Narratio eines Mandats geformt wurde. Solche Möglichkeiten erwuchsen aus der Formengeschichte der genannten Urkunden, die sich trotz ihres Ranges als Herrscherurkunden gemeinsam aus der „privaten" Carta entwickelt hatten. Auch Brühl a. a. 0 . 29 mit Anm. 160 und 26 Anm. 150 bzw. 37 Anm. 212 konstruiert Gegensätze zu Intitulatio I . 203 f., f ü r die er, wenigstens in der vorgetragenen Form, keine Begründung gibt. 13 ) Brühl (wie Anm. 1) 264 Anm. 20 übersieht, daß ich nicht behauptete, das P i e t ä t s p r ä d i k a t sei nicht als Titulatur des Langobardenkönigs vorgekommen, sondern daß ich den P i e t ä t s t i t e l „pius" nur in einem einzigen Präzept gefunden habe. Vgl. Intitulatio I. 65 Anm. 54: „... piissimus ist um diese Zeit singulär (als Titel), das gleichlautende Prädikat hingegen keine Seltenheit (etwa in der Datierung von Privaturkun-
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subjektive Herrscherbezeichnungen im Gegensatz zur Titulatur als Oberbegriff aller objektiven Nennungen des Titelträgers wurde ebenfalls in der Einleitung zu Intitulatio I ausführlich gesprochen. Selbstverständlich handelt es sich dabei um eine positive Differenzierung, die jedoch sinnlos wäre, wenn sie nicht auf einer sachlichen Grundlage beruhte. Eingehende Kontrolluntersuchungen vor Beginn der Arbeit ergaben, daß tatsächlich eine formen- wie bedeutungsgeschichtliche Differenz zwischen den Herrscherbezeichungen, die vornehmlich von der Intitulatio repräsentiert werden, und denjenigen Nennungen besteht, die formal „ein anderer" gebraucht. Freilich kann man beide Bereiche nicht voneinander trennen, weshalb Heinrich Fichtenau seine „Politischen Datierungen" dem vorliegenden Band zur Verfügung stellte, um die Spannung zwischen dem, was wir Titel nennen, und dem, was Titulatur heißen soll, zu veranschaulichen. So wäre etwa auch der Kaisertitel Karls des Großen ohne die Kenntnis der spätantik-frühmittelalterlichen Kaisertitulatur nicht geklärt worden. Wenn man diese Differenzierung zwischen Titel und Titulatur nicht vorgenommen hätte, wäre die Herkunftsgeschichte der Intitulatio des ersten abendländischen Kaisers nicht zu schreiben gewesen. Aufgrund der Quellen wurde das Modell „Intitulatio-Titel" erstellt. Diese Gleichsetzung ließ jedoch einen Rest. Ausgehend von der Intitulatio konnte man argumentieren, daß ein Titel immer dann vorliegt, wenn die Formel grammatisch oder sinngemäß im Nominativ der ersten Person der Einoder Mehrzahl steht. Auf diese Weise trat zur Intitulatio noch eine kleine Gruppe von Formeln, die ebenfalls Titel-Struktur besaßen. Als Oberbegriff, der alle Titelformen, die Intitulatio wie ihr gleichwertige Formeln, vereinen sollte, schlug ich Selbstaussage vor. Diese Namengebung hatte selbstverständlich nicht bloß formale Bedeutung, sondern sollte auch meine Vorstellungen vom Wesen eines Titels vermitteln. Die Kritik von Titel und Intitulatio als „herrscherliche Selbstaussage" trifft daher die eigentliche theoretische Voraussetzung der Studie. Mit dem Zitat nach loh. 1, 19—22 wollte ich am Beginn der Arbeit das Gemeinte veranschaulichen. Dieses Beispiel wirkte jedoch offensichtlich nicht explizit genug, da der Begriff Selbstaussage von einigen Rezensenten — Albert Bruckner macht davon eine rühmliche Ausnahme — bloß als individuelle Mitteilung des Urkundenausstellers mißverstanden wurde. Auf dieser Ebene der Argumentation muß notwendig der Einwand der Diplomatiker erfolgen, daß die Intitulatio eine Urkundenformel ist und vom jeweiligen Diktator des Stückes verfaßt wird. Das Modell „Selbstaussage" habe ich aber bewußt als solches konzipiert, um damit die Überlieferung zu erfassen, ohne ihr Gewalt anzutun. In formaler Hinsicht erkannte bereits Theodor Sickel die Differenz zwischen dem „selbstredenden Titel", worunter man heute eben die Intitulatio versteht, und allen übrigen Bezeichnungen eines Urkundenausstellers in den)". Siehe jetzt Herbert Zielinski, Studien zu den Spoletinischen „Privaturkunden" des 8. Jahrhunderts und ihrer Überlieferung im Regestum Farfense (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 39, 1972) 153.
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diplomatischen wie nichtdiplomatischen Quellen14). Meine Überlegung bestand nun darin, daß dieses Modell auch eine inhaltliche, das heißt historische Bedeutung haben müsse. Darin wurde ich durch die Tatsache bestärkt, daß alle bisherigen Versuche scheiterten, die sich nicht um jene Differenz zwischen Titel und Titulatur sowie deren entsprechendes Ordnungsprinzip bemühten. Selbstverständlich ging es nicht nur um das quantitative Moment der vernünftigsten Bewältigung des Stoffes, sondern vor allem um die qualitative Dimension der historischen Erkenntnisse. Steht nämlich der Formel der Selbstaussage eine solche der Fremdaussage gegenüber und kann die verschiedene Struktur der beiden erwiesen werden, dann ist damit ein neues Mittel der historischen Quellenkritik gewonnen. Besonders der Beitrag von Heinrich Fichtenau bestätigt die Fruchtbarkeit dieses Ansatzes, wenn er die Herrschertitulatur in der Datumzeile erforscht. Dort, wo die Kanzleiorganisation noch in den Anfängen steckt, geben vor allem die Titulaturen, das heißt die Fremdaussagen, Aufschluß über die Herkunftsgeschichte eines Titels. Was in Intitulatio I für Bayern versucht wurde 15 ), war für Karl Brunner die methodische Grundlage, die fränkischen Fürstentitel des 9. und beginnenden 10. Jahrhunderts zu erforschen. Hingegen konnte Elisabeth Gar ms in Benevent weiterhin mit einer Kanzlei rechnen 16 ), deren Traditionen denen der fränkischen Herrscherkanzleien kaum oder gar nicht nachstanden. Mit der Formalisierung und Institutionalisierung der Kanzlei und ihrer Arbeitsweise entsteht die Voraussetzung dafür, daß man bestimmte Schreiber und Diktatoren als Verfasser bestimmter Titel feststellen kann. Wenn man sich mit dieser Erkenntnis begnügt, dann wird man allerdings mit der älteren Diplomatik erklären, daß der „persönliche Geschmack" (Paul Kehr) eines Notars über den Einsatz eines Titels entschied. Wer derartig „hausverständisch" psychologisiert und argumentiert, weiß allerdings als Historiker nicht, wovon er spricht. Wenn die Geschichtlichkeit des Handelns auf den persönlichen „Geschmack" des Handelnden reduziert wird, dann verliert man den Gegenstand Geschichte an das Chaos des Willkürlichen. Eine solche Aussage kümmert sich nicht um die Probleme der Repräsentanz und Manifestation der Herrschaft oder des Staates 17 ). Aber sie verleugnet auch die Möglichkeit, nach der Ereignisbezogenheit eines bestimmten Titels zu fragen, den etwa nur ein einziger Notar unter mehreren verwendete. Unternimmt man hingegen diesen Versuch, so stellt sich regelmäßig heraus, daß ein solcher Sondertitel, der formal bloß wie das Produkt einer Schreiberpersönlichkeit wirkt, historisch zu begründen ist. Dies ist nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, daß dem Historiker auch eine bestimmte Schreiberpersönlichkeit in erster Linie historisch bedingt erscheinen müßte. In diesem Fall gilt ausnahmslos das System der Beziehungen, das im „quid dicis de teipso?" durch loh. 1, 19-—22 ausgedrückt wurde. 15 ») Intitulatio I. 24 Anm. 7 ff. ) A. a. 0 . 156 ff., bes. 161 ff. ") Vgl. a. a. O. 194 ff. ") Herwig Wolfram, Mittelalterliche Politik und adelige Staatssprache. MIÖG 76 (1968) 5 ff.
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Ich gebrauchte das Bibelzitat, um zu zeigen, daß die Legitimierung eines Anspruches, den ein Prophet wie ein König in ihrem Auftreten erheben, formal der Tradition und dem Motivationshorizont einer Zeit entsprechen muß. Johannes der Täufer wurde nicht gefragt, ob er Johannes heiße, sondern ob er Christus, Elias oder der Prophet sei. Niemand interessierte sich also für seinen Individualnamen, sondern es wurden ihm alternative Modelle angeboten, in denen er seinen Anspruch zu manifestieren und zu repräsentieren hatte. Dabei handelte es sich im Grunde um gleichwertige, jedenfalls aber traditionelle Formeln. Dasselbe Verhältnis von Tradition und Freiheit besteht auch für die Herrscher- und Fürstentitel, deren einzelner Träger vor allem die transpersonale Dimension seiner Wirklichkeit darzustellen hatte. Selbst Titelneuerungen operierten ausnahmslos mit traditionellen Formeln. Ein großer Teil davon war das Ergebnis der Theorie, daß jeder Urkundenaussteller die Titel seiner Vorgänger jederzeit als seine eigenen verwenden konnte, was allein schon dadurch zustande kam, daß Vorurkunden zu bestätigen waren. Zwei Beispiele: Vor der Teilung Benevents entschied sich ein Notar dafür, im langobardischen Fürstentitel die territorialen Bereichsbezeichnungen einzusetzen, während ein anderer die vorher und nachher übliche ethnische Bereichsbezeichnung verwendete. War die letztere ohnehin Kanzleibrauch, so entsprach die erstere der Verfassungswirklichkeit, die Titulaturen und Fremdaussagen schon lange anerkannten. Nach der Teilung des Fürstentums um die Mitte des 9. Jahrhunderts verschwand die territoriale Bereichsbezeichnung wieder, und zwar trotz oder gerade wegen der fortschreitenden Territorialisierung des Raumes, weil die alte Formel den umfassenderen und daher ranghöheren Anspruch verkündete. Man kann sich kaum vorstellen, daß diese Entscheidung bloß auf „Beamtenebene" gefallen und den Fürsten gleichgültig geblieben sei, die die beneventanische Staatlichkeit zu repräsentieren hatten. In Pavia hielt sich die Tradition, den auswärtigen Herrscher nach dem Beispiel Karls des Großen als „rex Francorum et Langobardorum (ac patricius Romanorum)" zu bezeichnen. Diplome, die hier ausgestellt wurden, bringen diese Formel nicht selten als Intitulatio. Damit wird erstens belegt, daß der Titel Karls des Großen auch der seiner Nachfolger sein konnte. Betrachtet man hingegen den Zeitpunkt der Ausstellung derartiger Herrscherurkünden, so erkennt man zweitens die Ereignisbezogenheit des Titels. Dieser wurde nämlich dann eingesetzt, wenn es um die Anerkennung des Herrschers als lombardisch-italischer König ging. Abschließend seien die Kritiker der Selbstaussage auf zwei Widersprüche verwiesen. Die Titel Karls des Großen und Ottos III. wurden in der Forschung nie anders denn als Selbstaussagen gewertet. Die zahlreichen Titeländerungen, die während ihrer Herrschaft auftraten, leitete man von der unmittelbaren Einflußnahme der beiden auf ihr Titelwesen ab. Bei genauer Betrachtung sieht man jedoch, daß die Akklamation, also eine formale Fremdbestimmung, eine große Bedeutung für die Titel Karls des Großen hatte, während die ausdrucksstarken Titel Ottos III. erst aus der Zusammenarbeit zwischen ihm und seinen Beratern verständlich werden. Im Grunde aber besteht
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diese Relation zwischen Urkundenaussteller, Urkundenverfasser und Adressaten auch bei der überwiegenden Mehrzahl der Fälle, in denen „bloß" traditionelle Formeln vorkamen. Jede Herrscher- und Fürstenurkunde hatte die Aufgabe, unmittelbar oder wenigstens mittelbar „the king's spiritual body" (Kantorowicz) zu repräsentieren. Wo die Person des Herrschers für den transpersonalen Staat steht, muß die dafür repräsentative Formel die Einheit von königlichem Bann und Vollbort der Großen, von Königswort und Zustimmung des Populus, darstellen können. Das heißt, der Titel hat die gemeinsame Herrschaftstheorie seines Trägers wie des davon angesprochenen Populus zu repräsentieren. Wenn man dieses Beziehungssystem — und das ist der zweite Widerspruch — bloß als Fiktion ansieht und den Titel als Produkt einer bestimmten Schreiberpersönlichkeit anspricht, dann verwechselt man Fiktion mit Abstraktion und läßt die historische Dimension verkümmern. Werden wie Existenz des Staates sind jedoch nicht ohne Abstraktionen möglich. Gegenwärtig sprechen wir noch vom „Willen des Gesetzgebers"; für den Bereich der persönlich benennbaren, aber zugleich notwendig abstrakten Herrschaft kann man den Begriff Repräsentanz verwenden. Vielleicht veranschaulicht das Gemeinte eine Anleihe bei der kunsthistorischen Terminologie. Hier wird die Selbstdarstellung einer Stifterfigur in einer Weise bestimmt, die unserer Auffassung des Titels als Selbstaussage sehr nahekommt. Niemand wird annehmen, daß damit ein Selbstporträt des Stifters gemeint ist, sondern es handelt sich dabei um die repräsentative Wiedergabe einer traditionellen Haltung, mit der sich der Dargestellte wie der davon Angesprochene identifizieren können. Die Problematik des Titels als Selbstaussage ist daher eine Frage von Repräsentanz und Identifikation. Wer sich zum Beispiel „rex Francorum" nennt, der repräsentiert eine bestimmte Politik, mit der er sich selbst und der Populus der Franken identifizieren. Wird an dieser Formel eine Änderung vorgenommen, dann haben Repräsentierender wie Repräsentierte zuzustimmen, sofern die Neuschöpfung die traditionellen Möglichkeiten übersteigt. Es sei zwar zugegeben, daß die Substanz der Selbstaussage dort schwinden kann, wo die Zunahme der Geschäfte mangelnde Reflexion und zunehmende Routine bewirkt, wo die Gewohnheit die Tradition auflöst, wo es mit einem Wort „nicht drauf ankommt". Trotzdem verliert die Intitulatio nie die Fähigkeit, bei gegebenem Anlaß sofort wieder geschichtlich zu werden, ein bestimmtes Ereignis, ein Motiv der Politik zu erfassen und zu repräsentieren. Wenn ein Schreiber Barbarossas den fränkisch-langobardischen Königstitel Karls des Großen für seinen Herrn verwendet, so erfindet er keine willkürliche Formel, sondern gebraucht eine Intitulatio, auf die Friedrich I. kraft seines lombardischen Königtums Anspruch besitzt. Karl Heinrich Krüger und Reinhard Schneider haben erst jüngst wieder die Echtheit der Krone Agilulfs (590—616) diskutiert. Dieser Langobardenkönig soll auf der heute verlorenen Weihekrone für Monza die Formel „gratia Dei" verwendet haben. Reinhard Elze bestritt 1955 die Echtheit des Herrschaftszeichens und nahm an, es sei möglicherweise nicht vor dem 12. Jahrhundert entstanden. Schneider, der Schüler Elzes, kündigt nun eine neue Studie
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seines Lehrers zur „Agilulf-Krone und zur Deutung ihrer Inschrift" an. Da Schneider wie auch Krüger für die Echtheit des Kleinods einzutreten scheinen, dürfte Elze wohl einer Revision seines früheren Urteils zuneigen. Im Falle, daß die Authentizität der Krone erwiesen wird, müßte man allerdings die Inschrift als ältestes bekanntes Zeugnis für eine weltliche Gratia-Dei-Formel bedenken, obwohl es sich dabei um keine Urkundenformel handelt. In diesem Zusammenhang erwähnt jedoch Schneider noch eine Formel, für die der Einwand der nichturkundlichen Herkunft ohnehin nicht gilt, nämlich Childericus rex Francorum, Emnechildis et Bilichildis gratia Dei reginae. Im Jahre 670 urkundete Childerich II. zusammen mit seiner Schwiegermutter und Gemahlin für Stablo-Malmedy. Die kopiale Überlieferung weist jene Intitulatio auf, die bis jetzt, wie Schneider mit Recht erklärt, wenn überhaupt, so nur ohne eingehende Beweisführung als interpoliert bezeichnet wurde. Auch hier sind neuerliche Untersuchungen nötig; können sie die Echtheit dieses einmaligen Titels, den eine analoge Titulatur in der Signum-Zeile stützt, erweisen, dann sind daraus die Konsequenzen zu ziehen. Eine davon wird wohl die Absicherung der These sein, die karolingische Gratia-Dei-Formel habe die im merowingischen „rex Francorum"-Titel enthaltene Legitimierung ersetzen müssen. Wenn merowingische Königinnen, die darüber offensichtlich ebensowenig wie die Karolinger verfügten, mit dem König gleichrangig urkunden wollten, dann verlieh ihnen nur die Gnade Gottes eine dem „getauften" Charisma des Königs gleichwertige Legitimierung. Um aber tatsächlich die Brücke zum karolingischen Titeltypus I I schlagen zu können — eine Möglichkeit, die Schneider mit Recht nur sehr vorsichtig erwägt —, wäre eine bessere Kenntnis dessen nötig, was die angelsächsischen Formeln bedeuten. Diese scheinen formal ein so wunderbares „missing link" zu bilden und sind doch inhaltlich so unbestimmbar, daß man, bis Offa das fränkische Beispiel für seinen Sohn übernimmt, nicht einmal sagen kann, ob sie Devotionsformeln oder Legitimationsformeln sind 18 ). Schließlich soll noch auf Versuche aufmerksam gemacht werden, die den alten Fehler von Karl Schmitz wiederholen und Invocatio und Legitimationsformel gleichsetzen. Daß Gott die Herrschaft verleiht, wußte schon Hunerich, ohne deshalb davon in seinem Titel zu sprechen. Die Anrufung Gottes, seines Namens und seiner Hilfe ist jedoch für jede menschliche Handlung und nicht nur für die Ausstellung von „Akten" möglich. Ebenso kann sich jedermann persönlich Gott anvertrauen. Diese Haltung manifestiert sich in den Urkunden dadurch, daß die Invocatio dem Namen des Titelträgers vorangestellt wird, ls
) Karl Heinrich Krüger, Königsgrabkirchen der Franken, Angelsachsen und Langobarden bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts (Münstersche Mittelalter-Schriften 4, 1971) 348, 350, 354. Reinhard Schneider, Königswahl und Königserhebung im Frühmittelalter (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 3, 1972) 32 ff. mit Anm. 148 und 228 f. Intitulatio I. 97 Anm. 53, 215 Anm. 10 und 228 Anm. 23 zu den Vorstufen der karolingischen Legitimationsformel wie zu deren Abgrenzung gegenüber der Invocatio. Zu angelsächsischen Formeln siehe zuletzt Hanna V o l l r a t h - R e i c h e l t , Königsgedanke und Königtum bei den Angelsachsen (Kölner Historische Abhandlungen 19, 1971) 28 ff., 226 ff.
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sei diese nun eine Formel oder ein Zeichen gewesen. Die Legitimationsformel bezieht sich hingegen auf die Funktion eines Ausstellers. Gott vertraut dem Titelträger die Herrschaft an, macht deren Ausübung nur sich allein verantwortlich und setzt damit eine Legitimierung, die nicht mehr relativierbar ist. Daher ordnet die gute Tradition diese Formel auch ausnahmslos vor dem Funktionstitel an. Niemand kann bestreiten, daß Invocatio und Legitimationsformel einander formal sehr nahe kommen können. Auch bedingt die Gliederung des Protokolls mitunter die Aufeinanderfolge, ja die Verschmelzung der beiden Formeln. Diese Ausnahmen sowie die formale Analogie des Wortlauts dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß Legitimationsformel und Invocatio gegengleich gerichtet sind und verschiedene Aufgaben erfüllen, nämlich einmal die Anrufung Gottes und dann dessen Eingreifen in die Geschichte. Dieses geschah zweifellos bei der Salbung der Karolinger zum König der Franken. Als der Tod Pippins I. diese Theorie auf die Probe stellte, schien es notwendig, das Sakramentale der Salbung als Begründung des karolingischen Gottesgnadentums zu manifestieren. Dies führte dazu, daß zum ersten Mal eine urkundliche Legitimationsformel institutionalisiert wurde. Daran ändert auch die Einsicht Reinhard Schneiders nichts, daß es fränkische wie nichtfränkische Vorstufen der karolingischen Salbung gab und daß selbst die Formel „gratia Dei" an sich keineswegs eine Erfindung der karolingischen Königspolitik darstellte. Die legitimierende Bedeutung des Gottesgnadentums wurde vom werdenden fränkisch-langobardischen Fürstentum sehr rasch erkannt. Allerdings blieben Unabhängigkeit und Unmittelbarkeit dieser Gruppe von Herrschaftsträgern stets bedroht, weshalb auch ihre Legitimationsformeln an Vielfältigkeit und Ausdrucksstärke selbst die königlichen Gegenstücke übertreffen. Brunner und Garms-Cornides bringen dafür genügend Beispiele. Am besten mag das Gesagte ein langobardischer Fürstentitel illustrieren, dessen Träger auch den Rang eines kaiserlichen Patricius einnahm: im Namen Gottes war er „patricius imperialis", für seinen Prinzipat über die „gens Langobardorum" beanspruchte er Gottesgnadentum. (Garms-Cornides 408.) Was nun den vorliegenden Band betrifft, so kann sich die Einleitung auf wenige allgemeine Bemerkungen beschränken. Methode und Terminologie blieben im wesentlichen die von Intitulatio I 19 ). Was die einzelnen Mitarbeiter darüber hinaus an Begriffen prägten, leitete sich davon ab oder ist aus sich selbst verständlich. Intitulatio I hatte den Schwerpunkt in den frühmittelalterlichen Königstiteln. Daher war zunächst die Frage zu stellen und zu beantworten „Was ist ein König?" 20 ). Dieselbe Problematik, die Herkunft und allgemeine Bedeutung eines Funktionstitels zu ergründen, stellte sich für Karl Brunner bei der Untersuchung des fränkischen Fürstentitels. Darum teilte der Autor seine Darstellung auch in einen systematischen und in einen analytischen Abschnitt. Im letzteren muß sich Brunner eingehend mit der Ereignisgeschichte vor allem des neunten und zehnten Jahrhunderts beschäftigen. In dieser Zeit entsteht das fränkische Fürstentum und stellt sich in seinen Titeln dar. Da ") Intitulatio I. 21 ff.
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) A. a. O. 32 ff.
Wolfram, Einleitung
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diese vielfach noch keinem festen System folgen, ist ihre Ereignisbezogenheit sehr groß. Es entspricht jedoch dem Modell-Charakter einer Intitulatio, daß ihre Erörterung nicht alle damit verbundenen historischen Probleme, nicht einmal der politischen Geschichte, erfassen kann. So stellte sich Brunner im besonderen die Frage nach Verlauf und Struktur des Phänomens der scheinbar monoton wiederkehrenden und ebenso monoton erfolglosen adeligen oder fürstlichen „Rebellionen". Um die vorliegenden Untersuchungen nicht zu belasten, wird diesem Thema allerdings eine eigene Studie gewidmet werden. Elisabeth Garms schloß zwar an Intitulatio I an, begann jedoch mit der Umwandlung des beneventanischen Dukats in einen Prinzipat. Dabei entstand die Formel „princeps gentis Langobardorum", deren Träger der königsgleiche Nachfolger der unabhängigen Langobardenherrscher war. Die Titelbedeutung war klar zu erfassen und bot keine Schwierigkeiten. Innerhalb der etwa dreihundertjährigen Geschichte dieser Intitulatio gab es überdies nur verhältnismäßig wenige Formeländerungen. Selbstverständlich hat Garms ihre Untersuchung nicht mit dem Jahr 1000 unvermittelt abgebrochen, sondern bis zum Untergang der langobardischen Fürstentümer im Jahre 1077 fortgeführt. Im Gegensatz zum relativ konstanten Kern des langobardischen Fürstentitels stand die zunehmende Territorialisierung des Bereichs seiner Gültigkeit. Die Spannung zwischen Verfassungstheorie und Verfassungswirklichkeit, zwischen „gens Langobardorum" und „patria, terra, provincia", wurde daher eine wichtige Frage im Rahmen der Bedeutungsgeschichte des Titels. Brunner wie Garms hatten im Laufe ihrer Untersuchung so viel Neuland zu betreten und schwer zugängliches Material zu bearbeiten, daß der Apparat ihrer Beiträge verhältnismäßig umfangreich wurde und es vertretbar schien, ihn nicht zu kürzen. Wie erwähnt, fragte Heinrich Fichtenau nach den Titulaturen der Datumzeilen und Datierungen, um dabei grundsätzliche Vorgangsweisen festzustellen, nicht zuletzt aber die Spiegelung des offiziellen Titels in der „Volksmeinung" zu erfassen. Sein Beitrag reicht von der Spätantike bis in die Karolingerzeit, umspannt also ungefähr den gleichen Zeitraum, dem Intitulatio I und I I gewidmet sind. Ich selbst habe schließlich die Herrschertitel des 9. und 10. Jahrhunderts untersucht. Nicht eingehalten wurde diese zeitliche Begrenzung bezüglich der Burgunderdiplome, die ich dank dem großen Entgegenkommen von Theodor Schieffer und Hans-Eberhard Mayer bereits im Umbruch benützen konnte. Der zeitlichen Abgrenzung folgt auch eine räumliche Beschränkung. Die angelsächsischen und „spanischen" Herrschertitel wurden nicht behandelt; der einzige bekannte bretonische Königstitel fiel in die Kompetenz Brunners. Ursprünglich war geplant, daß die Königstitel des 9. und 10. Jahrhunderts durch eine Dissertation dargestellt werden. Während jedoch Karl Brunner und Elisabeth Garms ihre Aufgaben selbständig erfüllten, war dies dem dritten Bearbeiter nicht möglich21). Ich mußte meine Arbeit unabhängig davon „ab ovo" beginnen. 21
) Peter D u s e k , Die Intitulatio der fränkischen Könige im 9. und 10. Jahrhundert (Masch, phil. Dias., Wien 1968).
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Wolfram, Einleitung
Die vier Beiträge des vorliegenden Bandes sind selbständige Einheiten, die verschiedene Forscherpersönlichkeiten für ein gemeinsames Unternehmen beisteuerten. Die Redaktion hatte sich daher auf formale Vereinheitlichungen zu beschränken, die auch aus praktischen Gründen sehr behutsam vorgenommen werden mußten. Das Team hat nicht immer gleichzeitig gearbeitet, so daß Formalien wie die Zitierweise nicht im letzten zu standardisieren waren. Wir haben uns von verschiedenen Seiten der Problematik politischer Formeln genähert. Diese fruchtbare Differenz war vielleicht das schönste Ergebnis unserer Zusammenarbeit, von der wir hoffen, daß sie nach außen dieselben Anregungen vermitteln kann, die sie uns selbst bot. Dann wäre allerdings ein Zeichen gesetzt, das den festlichen Anlässen dieses Jahres im besten Sinne entspräche. Wien, im Herbst 1972
Herwig
Wolfram
Lateinische Herrschertitel im neunten und zehnten Jahrhundert Von Herwig W o l f r a m I n h a l t : I. Die Kaisertitel Karls des Großen. — 1. Der Urkundentitel S. 19. •— 2. Die nichturkundlichen Titel Karls des Großen S. 53. II. Die Legitimationsformel von Ludwig dem Frommen bis zum Ende des 10. Jahrhunderts S. 59. III. Der westliche Kaisertitel von Ludwig dem Frommen bis Otto II. — 1. Der Urkundentitel S. 78. — 2. Die urkundlichen Sondertitel S. 83. — 3. Die nichturkundlichen Titel S. 96. IV. Die Königstitel von Ludwig dem Frommen bis Otto II. — 1. Der Urkundentitel S. 103. — 2. Die urkundlichen Sondertitel S. 140. — 3. Die nichturkundlichen Titel S. 151. V. Die Titel Ottos III. S. 153. Abkürzungen S. 163. Verfasser- und Quellenregister S. 166. Register der behandelten Titel S. 170. Personen, Wörter, Sachen S. 175.
I. D I E K A I S E R T I T E L K A R L S D E S G R O S S E N 1. Der Urkündentitel Die nach diplomatischen und nichtdiplomatischen „Akten" getrennte Behandlung der karolingischen Königstitel hat sich als methodisches Modell bewährt 1 ). Der Unterscheidung lag die Einsicht zugrunde, daß die urkundlichen Titel von der „Kanzlei" in bestimmten Formen und für bestimmte Zeiträume angewendet wurden, während die nichturkundlichen Titel entsprechend den Quellen, in denen sie vorkamen, eine zumeist ad hoc gebildete Gestalt annahmen. Untersucht man nun Karls Kaisertitel, so kann man die getroffene Differenzierung durchaus beibehalten; es gibt weiterhin Urkunden, Mandate, Briefe, Kapitularien und „ihnen gleichgestellte Dokumente"2). Andrerseits Herwig Wolfram, Intitulatio I. Lateinische Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrhunderts (MIÖG Erg.-Bd. 21, 1967) 208 und 236. Die Arbeit wird nur als Intitulatio I. zitiert. 2) Zum letzten Ausdruck siehe François Louis Ganshof, Was waren die Kapitularien? (1961) 25 ff.
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ist Karls kaiserliche Intitulatio als Selbstaussage eine so eindrucksvolle und komplizierte Neuschöpfung gewesen, daß einige ihrer Varianten, die auf den ersten Blick keine Urkundentitel darstellen, dennoch zu deren Erklärung unmittelbar herangezogen werden müssen. Auch ist nicht zu übersehen, daß der Anteil der „Kanzlei" an der Produktion von nichtdiplomatischen „Akten", die mit einer Intitulatio überliefert sind, gegenüber der Zeit vor 800 ungewöhnlich stark angestiegen ist. Wenn auch jener Anteil im einzelnen nicht genau festgelegt werden kann 3 ), so fällt doch auf, daß unter dreizehn überlieferten Protokollen nichturkundlicher Dokumente nur zwei Formeln vorkommen, die auf gar keinen Fall „kanzleimäßig" sein können 4 ). Aus den genannten Gründen scheint es daher zweckmäßig, alle Titel, die nachweisbar oder möglicherweise aus der Kanzlei hervorgegangen sind, gemeinsam zu untersuchen. Außer zehn nichturkundlichen „Akten" 5 ) überliefern zweiundzwanzig Diplome, von denen das erste (D. Kar. I. 197) mit 29. Mai 801 und das letzte (D. Kar. I. 218) mit 9. Mai 813 datiert sind, die berühmte Intitulatio Karolus serenissimus augustus a Deo coronatus magnus pacificus imperator Romanum gubernans imperium, qui et per misericordiam Dei rex Francorum et (atque) Langobardorum. Während die nichtdiplomatischen Dokumente nur in Abschriften vorliegen, sind die beiden genannten Urkunden Originale und zeigen, daß sich Karls diplomatischer Kaisertitel (Titeltypus VI) von seinem ersten bis zu seinem letzten Auftreten nur in dem inhaltlich unwesentlichen, wenn auch formal nicht ganz bedeutungslosen Detail der Konjunktion zwischen „Francorum" und „Langobardorum" geändert hat. Eine Änderung übrigens, die bereits mit der nächsten erhaltenen Kaiserurkunde (D. Kar. I. 198) durch ein weiteres Original belegt und institutionalisiert erscheint. Damit hatte Genesius, der Schreiber des ersten karolingischen Kaisertitels, noch selbst die ursprüngliche Formel modifiziert6). In den acht originalen Kaiserurkunden kommt nur eine einzige Intitulatio vor, die die Schreibung „Carolus" nach Art der Königstitel beibehält. Allerdings überwiegt diese Form auch in der kopialen Tradition der Kaiserzeit, während die Originale die Schreibung des Herrschernamens mit „Karolus" festlegen. ) Ders., 71 ff. ) MGH Capit. 1, 126 n. 45, 168 n. 75, 211 n. 103, 241 n. 122, 245 n. 124, 246 n. 125. MGH Capit. 1,169 n. 76 ist identisch mit D. Kar. I. 217 und wurde daher nicht mitgezählt. Alcuini epistolae (ed. Ernst Dümmler, MGH Epistolae 4,1895) 399 n. 247. Caroli Magni epistolae a. a. O. 552 n. 35, 555 n. 37. Amalarii epistolae (ed. Ernst Dümmler, MGH Epistolae 5,1899,242 n. 1, 244 n. 3). Hingegen weisen nur MGH Capit. 1,170 n. 77, und 204 n. 98 ein kanzleifremdes Protokoll (Invocatio und Intitulatio) auf. Bekannt ist ferner auch, daß die Divisio regnorum (MGH Capit. 1, 126 n. 45) in zwei Fassungen vorliegt, von denen die eine die Urkundentitel verwendete, während die andere die Intitulatio der Konstantmischen Schenkung nachbildete. 5 ) Siehe die Anm. 4 genannten Dokumente, die nachweisbar oder möglicherweise aus der Kanzlei hervorgegangen sind, mit Ausnahme von Caroli epist. 555 n. 37. MGH Capit. 1, 245 n. 124 überliefert nur einen verkürzten Urkundentitel, dessen Gestalt jedoch das Ergebnis eines Abschreibfehlers sein dürfte. Vgl. etwa Alcuini ep. 399 n. 247. •) DD. Kar. 1.197—218. D. Kar. I. 217 = MGH Capit. 1, 169 n. 66. Vgl. Ganshof, Kapitularien 75 mit Anm. 175, und oben Anm. 4.
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Äußere Merkmale
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Damit wurde die diplomatische Namensform der immer schon im Monogramm Karls gebrauchten Schreibweise angeglichen, wofür ebenfalls noch Ercanbald und Genesius, die beiden Repräsentanten der karolingischen „Kanzlei" um die Jahrhundertwende, verantwortlich waren 7 ). Gleichzeitig mit dem Kaisertitel tritt in den erwähnten zweiunddreißig Dokumenten auch die Verbalinvokation „In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti" auf; von nun an gehört diese oder eine inhaltlich ähnliche Invocatio zum festen Formelbestand der karolingischen Diplome und ihrer Nachfolger. Die Kanzlei Karls gebrauchte freilich nur eine trinitarische Invocatio. In genau der Hälfte der Originaldiplome Karls bilden Invocatio und Intitulatio zusammen die erste Urkundenzeile, die stets in verlängerter Schrift dargestellt wird. I n der anderen Hälfte bringt entweder die zweite Zeile diejenigen Titelteile in gewöhnlicher Kontextschrift, die in der ersten keinen Platz mehr fanden, oder der Kontext beginnt bereits in der ersten Zeile (D. Kar. I. 218). Auf den ersten Blick scheint daher die Kaiserkrönung für die verlängerte Schrift keine grundsätzliche Wende, eher die Beschleunigung einer Entwicklung bedeutet zu haben, die zu einer repräsentativeren Ausgestaltung der Diplome im allgemeinen und der Auszeichnungsschrift im besonderen führte. Dieser Eindruck ist sicher gerechtfertigt, wenn man den paläographischen Befund der originalen Protokolle als Einheit sieht. Hingegen haben wohl der Leiter der „Kanzlei" Ercanbald, ganz sicher aber der Notar Genesius die Kaisererhebung ihres Herrn bewußt zum Anlaß genommen, dessen neuer Stellung im Rahmen des Möglichen und Verständlichen formal gerecht zu werden. Eine der aufwertenden Neuerungen betraf auch die Gestalt des Protokolls und damit der Intitulatio. In den von Genesius verfaßten Originalen (DD. Kar. 1.197 f.) füllen die Invocatio und der Kaisertitel die ganze erste Zeile. Karls Name wird über das Übliche hinaus vergrößert. „Zum ersten Mal kann wirklich von einer ,plakatmäßigen' Wirkung gesprochen werden, da die Schrift nicht so wie früher gegen Zeilenende an Größe verliert. Der regelmäßige Zuschnitt des Pergaments und die betonte Verlängerung der Buchstaben steigern noch diesen Eindruck." Nicht alle Nachfolger des Genesius waren begabt und interessiert genug, die Höhe seiner Gestaltungskraft zu halten. Eine bloß statistische Betrachtung der original überlieferten Kaisertitel wird daher seiner Leistung nicht gerecht und vermittelt nur den Eindruck einer allgemeinen Aufwärtsentwicklung in der Ausgestaltung der Diplome 8 ), die gegen Ende der Regie') Die Originale sind DD. Kar. I. 197,198, 206,208, 210,214, 216,218. Nur D. Kar. I. 213 schreibt „Carolus"; vgl. D. Kar. I. S. 77. Heinrich F i c h t e n a u , Genesius, Notar Karls des Großen (797—803). Folia Diplomatica 1 (1971) 85 Anm. 45; a. a. 0. 86 ff. zu Ercanbald und Genesius. 8 ) Fichtenau, Genesius 86 f. mit Anm. 50 f. Otto K r e s t e n , Diplomatische Auszeichnungsschriften in Spätantike und Frühmittelalter. MIÖG 74 (1966) 44 ff. Vgl. Jochen Götze, Die Litterae Elongatae. Ein Beitrag zur Formengeschichte und Herkunft der mittelalterlichen Urkundenschrift. Archiv für Diplomatik 11/12 (1965/66) 34 ff. Zur Einführung der trinitarischen Invokation siehe Fichtenau, Genesius 85. Leo S a n t i f a l l e r , Über die Verbal-Invokation in den älteren Papsturkunden. Römische Historische Mitteilungen 3 (1960) 62 ff., bes. 67 ff.
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Wolfram, Herrschertitel 1 1
rungszeit Karls wieder deutlich absinkt (D. Kar. I. 218). Man weiß nicht, ob Karl jemals gemeinsam mit Ludwig geurkundet hat. Daher kann auch nichts über eine diesbezügliche Intitulatio ausgesagt werden 9 ). Unter den frühmittelalterlichen Herrschern ist Karl der Große zweifellos derjenige mit den meisten kanzleimäßigen Titeländerungen gewesen. Bedeutende politische Ereignisse fanden sehr rasch ihren Niederschlag in der Form der Intitulatio. Ob er als alter und kranker Mann noch ebenso beweglich war wie früher, ist eine Frage, die der Historiker nicht beantworten kann und daher auch nicht stellen soll10). Ein Vergleich mit der Haltung Ludwigs des Frommen in der gleichen Situation zeigt, daß Lothars I. Mitkaisertum erst nach rund fünf Jahren zur ersten selbständigen Aufgabe führte, als er 822 nach Italien ging, eine eigene Kanzlei bekam und eine eigene Intitulatio entwickelte 11 ). Hingegen vergingen noch drei weitere Jahre, bis Lothar tatsächlich an der Herrschaft beteiligt und sein Name auch in die Intitulatio der Urkunden, die er gemeinsam mit dem Vater ausstellte, aufgenommen wurde 12 ). Diese Gegenüberstellung erscheint durchaus sinnvoll, da die Kaisererhebung Lothars ausdrücklich mit der Ludwigs zu Lebzeiten Karls des Großen verglichen wird 13 ). Man darf daher annehmen, daß es niemals eine Intitulatio Karls des Großen gab, die auf das Mitkaisertum Ludwigs des Frommen Bezug nahm. Allerdings ist damit die Frage nach der Form einer möglichen allerletzten Intitulatio Karls weder gestellt noch beantwortet. Im Sommer 812 wurde Karl zu Aachen durch byzantinische Gesandte in griechischer Sprache als Basileus akklamiert und somit von Byzanz als solcher anerkannt. Karl fertigte die Gegengesandtschaft zu Frühjahrsbeginn 813 ab und gab ihr ein Schreiben mit, dessen Intitulatio Karolus divina largiente gratia imperator et augustus idemque rex Francorum et Langobardorum lautete. Der damit überschriebene Brief sollte in erster Linie der Friedenswahrung „inter Orientale atque occidentale imperium" dienen. Daher unterblieb jede Erwähnung des Römernamens, was auch der Tatsache entsprach, daß Karl im Sommer 812 von den byzantinischen Gesandten als Basileus ohne jeden Zusatz anerkannt worden war. Diese Formel stand zwar im Einklang mit der spätantikbyzantinischen Tradition, hatte jedoch gerade damals an aktueller Bedeutung dadurch eingebüßt, daß man in Byzanz den eigenen Kaisertitel mit dem Römernamen verband 14 ). Die im Brief Karls an Michael I. verwendete Intitulatio hielt sich getreulich an die Abmachungen vom Vorjahr. Sie ist jedoch keine Augenblicksbil8
) BM2 479 ab. Zum Problem des karolingischen Mitkaisertums siehe Delogu 47 ff., bes. 68 ff. 10 ) Sigurd. Graf P f e i l , Der Augustus-Titel der Karolinger. Die Welt als Geschichte 19 (1959) 199 Anm. 40, meint, es wäre der Denkungsart Karls gemäßer gewesen, daß er den einmal geführten Titel beibehielt. ") BM2 649 a. DD. Lo. I. 1 ff. und S. 3 ff. 12 ) DD. Lo. I. S. 4. BM2 816. Siehe auch unten 59 f. und 87. 13 ) BM2 649 a: „. . . . sicut Karolus pater eius fecerat ipsum". ") Peter Classen, Karl der Große, das Papsttum und Byzanz. Karl der Große 1 (1965) 587.
Karls Brieftitel von 812
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dung geblieben, sondern steht am Beginn einer Titel-Tradition, die bis an das Ende des zehnten Jahrhunderts reicht. Auch hat es den Anschein, als ob der ganze Brief auf Kanzleidiktat beruhte. Der Eindruck einer Kanzleiausfertigung stützt sich auf mehrere Beobachtungen. Zunächst kommt hier die kanzleimäßige Invocatio vor. Die Intitulatio und ihre Teile sind aus den Urkunden der nächsten Karolingergenerationen nicht wegzudenken. Die Legitimationsformel „divina largiente gratia", die im Brief zum ersten Mal auftrat, wurde durch die Kapelle Ludwigs des Frommen als Kanzleistil auf die von ihr eingerichtete „Unterkapelle" Ludwigs des Deutschen übertragen. Die um den doppelten Königstitel verkürzte und mit einer strukturgleichen, wenn auch nicht wortgleichen Legitimationsformel versehene Intitulatio bildete seit 814 den kanzleimäßigen Normaltypus. Das Kernstück „imperator augustus" entsprach der offiziösen Titulatur, die Einhard, die Reichsannalen und eine lange Reihe von repräsentativen Quellen überliefern. Allerdings stimmte mit der dort üblichen Form „imperator et augustus", also unter Einschluß der seit Ludwig dem Frommen fehlenden Konjunktion „et", nur der Brieftitel Karls des Großen aufs Wort genau überein 15 ). Hier steht noch nicht zur Diskussion, wieso Karls Königstitel von seinem Sohn und dessen kaiserlichen Nachfolgern aufgegeben wurden. Hingegen wird man sich fragen, ob der karolingische Titeltypus VII schon als Urkundentitel Karls des Großen möglich war. Die letzte Urkunde Karls des Großen (D. Kar. I. 218) stammt vom 9. Mai 813. Nach den Reichsannalen ging die fränkische Gesandtschaft bei Frühlingsbeginn desselben Jahres nach Byzanz. Man hat deshalb die letzte Kaiserurkunde Karls zumeist nach dessen Brief an Michael eingereiht 16 ). Da aber jene Urkunde den üblichen Kaisertitel führt, nimmt man allgemein an, die Form des Brieftitels sei niemals zu Lebzeiten Karls dessen diplomatische Selbstaussage geworden 17 ). Es scheinen jedoch einige Anzeichen dafür zu sprechen, daß mit der Anerkennung Karls durch Byzanz eine Zeit des Übergangs und des Experiments auf dem Gebiet der herrschaftlichen Manifestation begann. Wichtige Änderungen, die man im allgemeinen Ludwig dem Frommen zuschrieb, dürften bereits in den letzten Lebensjahren des Vaters erdacht und erprobt worden sein. So hat die Ansicht einiges für sich, die berühmte Bullenumschrift „renovatio regni Francorum", die von Ludwig dem Frommen und dessen Nachfolgern gebraucht wurde, sei bereits unter Karl dem 16
) Caroli Magni ep. 556 n. 37. Classen, Karl der Große 603. Arno B o r s t , Kaisertum und Namentheorie im Jahre 800. Festschrift Percy Ernst Schramm 1 (1964) 38. Neuestens: Zum Kaisertum Karls des Großen. Wege der Forschung 38 (1972) 218 ff. Zur Trinitätsformel I „In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti" siehe Santifaller, Verbal-Invokation 67. Zur Tradition der Legitimationsformel „divina largiente gratia" siehe unten 65 mit Anm. 32 und 35 f. «) BM2 476 f., 477. 17 ) Werner Ohnsorge, „Renovatio regni Francorum". Abendland und Byzanz. Gesammelte Aufsätze zur Geschichte der byzantinisch-abendländischen Beziehungen und des Kaisertums (1958) 128 ( = Festschrift zur 200-Jahr-Feier des Haus-, Hof- und Staatsarchivs 2, 1952, 311 f.), nimmt hingegen den Brieftitel vom Frühjahr 813 apodiktisch als urkundliche Intitulatio spätestens seit Frühherbst 813 an.
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Großen entstanden und habe dessen ursprüngliche Devise „renovatio Romani imperii" verdrängt. Schließlich ist durchaus denkbar, daß die Auseinandersetzung mit und die Anerkennung durch Byzanz sowohl eine Selbstbesinnung auf die Grundlagen der eigenen Herrschaft als auch — in Analogie zum Osten — die formale Vereinfachung der Intitulatio bewirkt hätten 1 8 ). Die hinter beiden Formeln stehende politische Theorie besaß freilich eine starke traditionsbildende Kraft. Für die Devise „renovatio regni Francorum" kann man ihren Ursprung unter Karl dem Großen bestenfalls erschließen, während jener Ursprung der Intitulatio nachweisbar ist. Aus dem nur brieflich überlieferten Titeltypus VII mußte bloß der Königstitel ausgeschieden werden, um die von nun an gültige Form der kaiserlichen Intitulatio in Urkunden zu erhalten (Titeltypus VII a). Ob Karl selbst noch ein Diplom als „Karolus divina largiente gratia imperator et augustus idemque rex Francorum et Langobardorum" ausstellte, kann nicht gesagt werden und scheint eher unwahrscheinlich. Vielmehr erinnert dieser traditionsbildende Vorläufer an ein Mandat Pippins I., in dem zum ersten Mal der Titeltypus I I vorkommt. Dieses Schriftstück ging ebenfalls aus der „Kanzlei" hervor und beweist, daß die mit dem Tode Pippins einsetzende Änderung des Karolingertitels auf politische Theorien und Motivationen zurückgeht, die Pippin und seine Umgebung während seiner letzten Regierungsjahre entwickelten 19 ). Bei der Aufnahme des diplomatischen Befundes, der in keiner kritischen Edition vorliegt, fällt ein quantitatives Moment auf. Aus den ersten beiden Regierungsjähren Ludwigs des Frommen sind fast viermal so viele Urkunden erhalten wie aus Karls gesamter Kaiserzeit. Allgemein bestand der Wunsch, vor allem kirchlicher Institutionen, ihre Privilegien vom jeweils neuen Herrscher bestätigt zu erhalten. Im besonderen Fall bedingte der Garniturwechsel eine höhere Schriftlichkeit der Verwaltung und traf sich mit dem ausgesprochenen Programm Ludwigs, Ordnung zu schaffen 20 ). Nimmt man jedoch die dreizehn Kaiserjahre Karls und vergleicht man die Zahl der ausgestellten Diplome mit der Zahl der Urkunden aus Karls letzten dreizehn Königsjahren, so erkennt man eine durch nichts unterbrochene lineare Abnahme der Ausstellungstätigkeit, wie sie zu Ende einer langen Regierungszeit üblich ist. Selbst die von 806 an vermutete und ab 811 bekannte Krankheit Karls hatte keine auffallende Verringerung des Urkundenbestandes bewirkt. Den erwähnten 18
) Ders. 126 ff. Percy Ernst Schramm, Kaiser, Könige und Päpste. Gesammelte Aufsätze zur Geschichte des Mittelalters 1 (1968) 273 ff., bes. 295 mit Anm. 89. Classen, Karl der Große 608 mit Anm. 363. Walter Schlesinger, Kaisertum und Reichsteilung. Zur Divisio regnorum von 806. Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters 1 (1963) 230 mit Anm. 180 ( = Festschrift Fritz Härtung 1958). Neuestens: Zum Kaisertum Karls des Großen. Wege der Forschung 38 (1972) 170. Im besonderen möchte ich mich der Haltung Schlesingers anschließen, der zwischen den bemerkenswerten Einsichten Ohnsorges und dessen mitunter höchst phantasievollen Überlegungen genau differenziert. 19 ) Intitulatio I. 213. 20 ) Bernhard Simson, Jahrbücher des fränkischen Reichs unter Ludwig dem Frommen 1 (1874) 23 ff., bes. 27 mit Anm. 3. Thegan, Vita Hludovici imperatoris cc. 10, 13, 19 (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 2, 1829, 593; 595).
Formale Bedeutung des Kaisertitels
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zweiundzwanzig Kaiserurkunden stehen mehr als eineinhalb Mal so viele Königsurkunden aus den Jahren 788 bis einschließlich 800 gegenüber 21 ). Das kaiserliche Diplom war demnach nicht begehrter und bot offensichtlich keine größere Rechtssicherheit als die Urkunde des königlichen Ausstellers. Der Kaisertitel Karls erhöhte nicht den Wert der Urkunden, noch veränderte er in den Augen der Empfänger deren Charakter. Diese Tatsache deckt sich mit der Einschätzung, die Privaturkunden und Briefe dem Kaisertitel Karls entgegenbrachten, den manche erst wortreich in handfeste Titulaturen auf der Ebene des dreigeteilten Königtums zerlegen mußten, um ihn glaubhaft vermitteln zu können 22 ). Hingegen nahm die Ausstellung von Kapitularien mit dem Jahre 802 gewaltig zu und erreichte in den wenigen Jahren bis zum Tode des Kaisers ein Vielfaches von dessen bisheriger Tätigkeit auf dem Gebiet der Gesetzgebung und Verwaltung 23 ). Die Frage nach dem hier verwendeten Kaisertitel besäße daher schon rein quantitativen Wert, wenn nicht die meisten derartigen „Akten" ohne Intitulatio überliefert wären und außerdem das Verhältnis zwischen Diplom und Kapitulare so wenig genau bestimmbar bliebe. Die systematische Unterscheidung wird noch dadurch erschwert, daß der Anteil der „Kanzlei" an der Ausfertigung von Kapitularien und „ihnen gleichgestellten Dokumenten" zunimmt, während die unter die Diplome aufgenommenen, den Kapitularien aber nahestehenden Gerichtsurkunden oftmals nicht vom eigentlichen Personal der „Kanzlei" verfaßt wurden 24 ). Entsprechend den oben angegeben Kriterien wird daher der Großteil der „Akten", deren Protokoll „Kanzleimäßigkeit" erschließen läßt, in diesem Abschnitt gemeinsam behandelt. Für die Erforschung der Intitulatio wurde eingangs eine dreistufige Vorgangsweise festgelegt: Es sollte der Formenbestand gesichert, die Herkunft der Formel und ihre aktuelle Bedeutung erklärt werden 25 ). Die Einsicht, daß Karls Kaisertitel „mit den Mitteln der Kunstprosa wohlklingend gegliedert" war 26 ), legt nun die Frage nahe, worin denn dieser „Wohlklang" bestanden haben könnte. Spricht man von Kunstprosa, so setzt man die Kenntnis und den 21
) DD. Kar. I. 160—192, 194, 195. Während D. 193 nicht mehr dem besprochenen Zeitraum angehören dürfte, gehört D. 194 mit größter Wahrscheinlichkeit hierher. 22 ) Mit der stärkeren Differenzierung von Königtum und Kaisertum steigt auch das Interesse an Kaiserurkunden, wie Kurt-Ulrich J ä s c h k e , Königskanzlei und imperiales Königtum im 10. Jahrhundert. Historisches Jahrbuch 84 (1964) 311 mit Anm. 121, richtig sieht. Der Autor beruft sich dabei auf D. Kl. III. 91 und DD. 0 . 1 . 209. 225. 233 (vgl. Jäschke 310 mit Anm. 112). Zu den Datierungen in „Privaturkunden" siehe Fichtenau unten 501—522. Amalarii ep. 273 n. 14. Theodor Sickel, Acta Karolinorum. Lehre von den Urkunden der ersten Karolinger 1 (1867) 263 Anm. 3. 23 ) Vgl. die Aufstellung bei Ganshof, Kapitularien 147 ff. 24 ) Ders. 70 ff., 94 f. Reinhard Schneider, Kapitularien (Historische Texte. Mittelalter 5, 1968) 279 f. Siehe oben Anm. 4. Sickel, Acta Karolinorum 1, 356 ff. Harry B r e s s l a u , Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien 1 (3. Aufl., 1958) 380 f. Intitulatio I. 121 mit Anm. 47. 26 ) Intitulatio I. 22. 26 ) Schramm, Kaiser, Könige und Päpste 1, 269.
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Einsatz von rhetorischen Mitteln, wie etwa Prosarhythmus und Reimprosa, voraus, was tatsächlich für die karolingische „Kanzlei" des achten Jahrhunderts möglich ist. Pippins Kanzleivorsteher Baddilo hatte im Prolog des Concilium Vernense vom 11. Juli 755 mit Reimprosa experimentiert 27 ). Andrerseits haben jüngste Forschungen wahrscheinlich gemacht, „daß die rhythmische Prosa der Spätantike vom 7. bis zum 11. Jahrhundert nicht vergessen gewesen" ist, wie man bisher vielfach angenommen hat. Dem angewandten methodischen Modell gemäß, gehört das bisher nicht behandelte Problem der möglichen Gliederung einer Intitulatio nach den Regeln der Kunstprosa zur Frage nach der Herkunft eines Titels. Die „rezitativische Prosa gebundener Art war besonders für Exordien geeignet", zu denen die Intitulatio, aber auch das gesamte Protokoll zählten 28 ). Man kann vielleicht schon in Carolus gratia Dei rex Francorum (et) Langobardorum atque patricius Romanorum drei in der Abfolge 3 - 3 - 3 gegliederte Kola erkennen, bei denen eine gewisse „Tendenz zur Gleichhebigkeit" besteht 29 ), die ein allerdings sehr einfaches Homoioptaton aufweisen und schließlich in einem „cursus velox" enden 30 ). Die Kolometrie des zitierten Titels folgt aus der Tatsache, daß die „mittelalterliche grammatische Theorie nahezu akzentlose Worte" kannte. Einsilbige Konjunktionen und Präpositionen fallen bei der Zählung der Hebungen aus 31 ). Was die Silbenzahl der eben bedachten Kola betrifft, so stellt man die leicht aufsteigende Tendenz 8.10.10. fest 32 ). Der karolingische Titeltypus IV bildete mit „patricius Romanorum" den bisher umfangreichsten zusammengesetzten Titel eines frühmittelalterlichen Königs. Aber auch diese Intitulatio war weniger das Produkt einer ausgewogennen Konstruktion als vielmehr die lineare Übersetzung historischer Gegebenheiten, deren theoretisch-politische Interpretation kaum Alternativen in der Formulierung gestattete. Die Ausnützung des geringen vorhandenen Spiel") Karl August E c k h a r d t , Lex Salica. 100 Titel-Text (1953) 52 ff. Karl H a u c k , Von einer spätantiken Randkultur zum karolingischen Europa. Frühmittelalterliche Studien 1 (1967) 91 mit Anm. 296. 28 ) Gudrun L i n d h o l m , Studien zum mittellateinischen Prosarhythmus (Acta Universitatis Stockholmiensis. Studia Latina Stockholmiensia 10,1963) 7—12. Wilhelm E r b e n , Die Kaiser- und Königsurkunden des Mittelalters in Deutschland, Frankreich und Italien (1907) 291 mit Anm. 4. Heinrich F i c h t e n a u , Bemerkungen zur rezitativischen Prosa des Hochmittelalters. Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft 12 (1966) 27 mit Anm. 45. Vgl. Adolf P r i m m e r , Cicero numerosus (österr. Ak. d. Wiss., Sb. d. Phil.-histor. Kl. 257, 1968) 291 ff. 29 ) Fichtenau (wie Anm. 28) 26 f., bes. mit Anm. 41. A. a. O. wird erklärt, warum die Bindewörter eingeklammert sind. 30 ) Zu „cursus velox" siehe Primmer (wie Anm. 28) 154. ") Fichtenau (wie Anm. 28) 26 mit Anm. 41. 32 ) Ders. 26 mit Anm. 39. Vgl. Heinz Q u i r i n , Einführung in das Studium der mittelalterlichen Geschichte (21961) 175 f.
Rhetorische Ordnungsprinzipien
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raums muß daher um so mehr auffallen. Die angegebene Titelform konnte sich nämlich nicht halten; die betonte Konjunktion „atque" wurde durch das unbetonte Bindewort ,,ac" ersetzt 33 ). In gleicher Weise schrieb Genesius im Mai 801 ,,. . . atque Langobardorum" (D. Kar. I. 197), schwächte aber schon wieder im folgenden Diplom auf et Langobardorum" ab. Ein genauer Grund kann für diese Änderung natürlich nicht genannt werden. Möglicherweise sollte das jeweils letzte Titelelement nicht eigens betont werden, was im Kaisertitel die Hervorhebung der gentilen Bereichsbezeichnung „Langobardorum", im Titeltypus IV jedoch die besondere Bezugnahme auf die Römer bedeutet hätte. Sowohl dem möglicherweise romanischen Gallier Genesius34) als auch dem Baddilo-Schüler Hitherius wird man das Verständnis für die Bedeutung jener formalen Änderung zutrauen müssen. Allerdings waren Karls Titeländerungen nicht immer nur Erweiterungen. Die beiden auf Italien bezüglichen Titelelemente verdrängten den alten fränkischen Rangtitel „vir inluster" aus der königlichen Intitulatio. Seine formale Rückständigkeit mußte bei der Konfrontation mit dem weiterentwickelten spätantiken Rangsystem südlich der Alpen bewußt geworden sein. Es wäre aber auch denkbar, daß den Erwägungen für das Abstoßen des Rangtitels ein besonderer formaler Grund zu Hilfe gekommen ist. Obwohl die entsprechenden Forschungen diesbezüglich keineswegs ein eindeutiges Urteil erlauben 38 ), darf man vielleicht doch die Kenntnis der Tradition voraussetzen. Schon in der Antike war es nicht elegant, in der gehobenen Sprechweise — und die Intitulatio gehört dazu — an einen „cursus velox"noch „irgend etwas anzuhängen". In „patricius Romanörum" liegt ein solcher „cursus" vor und damit eine absolut positive Klausel, die der ohnehin als obsolet empfundene Rangtitel doppelt stören mußte. Tatsächlich wird in der Übergangszeit von Titeltypus I I I auf IV der Illustrat auch ungleich weniger nach dem patricius-Titel als nach „Langobardorum" gebraucht 36 ). Diese Bemerkungen sollen die Bedeutung der Klangform für die Abfassung eines Titels und einer karolingischen Intitulatio im besonderen keineswegs als grundlegend und ausschlaggebend darstellen. Hingegen soll damit nur auf ein weiteres mögliches Motiv für gewisse Titelbildungen aufmerksam gemacht werden. Die Frage nach den rhythmischen Konstruktionsprinzipien des Kaisertitels stellt sich aber dann um so sinnvoller, als diese Intitulatio zweifellos eine durchdachte Auswahl aus den sicher vorgegebenen Möglichkeiten darstellte. Unter diesen befanden sich Elemente aus den schon in der Königszeit Karls gebrauchten Laudes und der Akklamation von 800. Sie gehörten als Titulaturen dem Bereich der Fremdaussagen an und standen wegen ihrer Herkunft und Funktion dem Prosarezitativ nahe.
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) Intitulatio I. 225 mit Anm. 1. ) Zur Herkunft des Genesius siehe Fichtenau, Genesius 76 f. Zur Tradition des spätantiken Cursus im frühmittelalterlichen Gallien siehe Lindholm, Prosarhythmus 11. 3ä ) Primmer, Cicero numerosus 32 ff. 3 «) Primmer 154. Intitulatio I. 225 ff. 34
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Bei der Beurteilung der Kolometrie einer Intitulatio darf selbstverständlich auch nicht auf den Namen des Titelträgers verzichtet werden, da dieser zur Formel gehört. Die Intitulatio Karolus serenissimus augustus (a) Deo coronatus magnus pacificus imperator Romanum gubernans Imperium qui (et per) misericordiam Dei rex Francorum (et) Langobardorum zeichnet sich nun tatsächlich durch eine auffallende Gleichhebigkeit der Glieder aus. Gemessen nach der mittelalterlichen Theorie, lautet die Abfolge der Hebungen 3 - 2 - 3 - 3 - 3 - 3 , wobei die Asymmetrie von ,,(a) Deo coronatus" noch die Bedeutung dieser Wortgruppe unterstreichen und das letzte Kolon mit zwei möglichen Hebungen in „Langobardorum" zu einer Viergliederung drängen könnten. Damit würde die verlängerte „periodus" die Feierlichkeit des Abschlusses besser ausdrücken und dem Gesetz der wachsenden Glieder folgen 37 ). Der Versuch, in den Zeilenschlüssen bestimmte Klauseln festzustellen, kommt zu keinem überzeugenden Ergebnis. Zählt man die Neben- und Hauptakzente mit und vernachlässigt man weitgehend die Wortenden, so kommt man zwar ungefähr zur Gliederung: zweimal „cursus trispondaicus", einmal „cursus velox", einmal „cursus tardus", zweimal „cursus planus", doch ist eigentlich nur „pacificus imperator" eine wirklich gute Klausel. Möglicherweise sollte damit der Höhepunkt des Titels gesetzt werden. Wie die Ereignisse von Weihnachten 800 verhältnismäßig gut überliefert sind 38 ), so kann auch die Herkunft der einzelnen Elemente des Kaisertitels entweder unmittelbar nachgewiesen oder doch mit großer Sicherheit erschlossen werden. Karls neue Intitulatio ist dreigliedrig: Sie besteht aus dem zur Selbstaussage umgeformten Akklamationstext, aus der spätantik-byzantinischen „Romanum gubernans imperium"-Formel und dem fränkisch-langobardischen Königstitel. Die Analyse des Titels hat daher mit der seit Karl Brandi bekannten, aber in ihren Konsequenzen nicht immer genügend beachteten Tatsache zu beginnen, daß Karl die kaiserlichen Elemente seiner Intitulatio nicht einem aktuellen oder traditionellen Kaisertitel entlehnte, sondern aus Titulaturen zusammensetzte, die in Italien seit langem üblich waren. Nicht irgendeine kaiserliche Selbstaussage bildete daher das Vorbild für Karls Kaisertitel, sondern zwei in Rom und Reichsitalien gebräuchliche Fremdaussagen wurden subjektiviert und als Titelelemente verwendet. Die in Intitulatio I entwickelte Differenzierung zwischen Selbstaussage-Titel und FremdaussageTitulatur war als methodisches Modell gedacht. Es hat sich bisher bei der Untersuchung der Königstitel und ihrer fürstlichen Imitationen bewährt. Seine volle Bestätigung findet das Modell bei der Erforschung dieser so komplex »') Fichtenau (wie Anm. 28) 27. » ) Classen, Karl der Große 577.
Titel und Titulaturen
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gestalteten Intitulatio Karls. Denn nur dann, wenn man hier die Elemente einer Selbstaussage von denen einer objektiven Bezeichnung unterscheiden kann, gewinnt man aus dem scheinbar so gründlich durchforschten und bis zum Überdruß beschriebenen Problem des Kaisertitels neue Einsichten. So wurde klar, wieso Sigurd Graf Pfeils Versuch, die Bedeutung des karolingischen Augustus-Titels zu erfassen, scheitern mußte und warum Percy Ernst Schramms darauf beruhenden Ausführungen zum Thema so wenig befriedigen können 39 ). Man hat daher mit der Analyse der italischen Kaisertitulaturen zu beginnen. Schon in den Jahren 783—92 und 789—800 wurde daraus die Wortfolge „a Deo coronatus magnus pacificus" für zwei Fassungen fränkischer Königslaudes entlehnt 40 ). Weiters besteht kein Zweifel, daß das Gedicht „Karolus magnus et Leo papa" für die Frage einige Bedeutung besitzt, ob 799 im sommerlichen Paderborn zwischen Papst und Frankenkönig auch dessen Erhebung zum Kaiser besprochen wurde. Die zweimalige Benennung Karls mit „augustus", einmal adjektivisch, das andere Mal substantivisch 41 ), ist jedoch keine Vorstufe zur Intitulatio vom Frühjahr 801. Die unmittelbare Vorlage für das wichtige erste Drittel der Formel findet man im Akklamationstext vom Weihnachtstag 800, der nach dem Liber Pontificalis „Karolo piissimo augusto a Deo coronato magno et pacifico imperatore vita et victoria!" lautete 42 ). Als Titulatur war diese Formel zwar freier und flexibler als eine Intitulatio, wenn auch bei weitem nicht so willkürlich anwendbar, wie einst Theodor Sickel meinte 43 ), da es sich dabei um eine offizielle Anrede handelte. Dieser Text war das Ergebnis eines historischen Prozesses, bei dem gewisse Regeln vorgegeben waren und auch tatsächlich beobachtet wurden. Im achten Jahrhundert verwendeten päpstliche und andere reichsitalische Dokumente fast durchwegs die Datierung „imperante dom(i)no piissimo augusto N. a Deo coronato magno (et pacifico) imperatore" 44 ). In dieser Formel ist leicht der Akklamationstext ") Karl Brandl, Der byzantinische Kaiserbrief aus Saint Denis. Ausgewählte Aufsätze (1938) 111 Anm. 30 ( = Archiv für Urkundenforschung 1, 1908, 32 Anm. 1). Schramm, Kaiser, Könige und Päpste 1, 271 f. Ders., 2 (1968) 76 ff. Pfeil, Augustus-Titel 197 ff. 40 ) Classen, Karl der Große 583. Erich Caspar, Das Papsttum unter fränkischer Herrschaft (1956) 174 ( = Zeitschrift für Kirchengeschichte 54, 1935, 262). Josef Deör, Die Vorrechte des Kaisers in Rom. Schweizer Beiträge zur allgemeinen Geschichte 15 (1957) 47 ff., bes. 49. Neuestens: Zum Kaisertum Karls des Großen. Wege der Forschung 38 (1972) 83 ff., bes. 86. Ernst Hartwig K a n t o r o w i c z , Laudes Regiae: Study in Liturgical Acclamations and Medieval Ruler Worship (1946, unveränderter Neudruck 1958) 84. Helmut B e u m a n n , Karolus Magnus et Leo Papa. Ein Paderborner Epos vom Jahre 799 (Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte 8, 1966) 18 mit Anm. 73. Neuestens: Zum Kaisertum Karls des Großen. Wege der Forschung 38 (1972) 332 f. Garms 377 zeigt, daß Karls offizielle Königstitulatur in Benevent schon vor 800 „magnus" enthielt. 41 ) Beumann, Karolus Magnus 16 mit Anm. 66. 42 ) Classen und Caspar (wie Anm. 40). ") Sickel, Acta Karolinorum 1, 210; vgl. Intitulatio I. 24. ") A. Menzer, Die Jahresmerkmale in den Datierungen der Papsturkunden bis zum Ausgang des 11. Jahrhunderts. Römische Quartalschrift 40 (1932) 46 f. mit Anm. 22 f.
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wiederzuerkennen, der mit der Datumformel sogar bezüglich des unpassenden Ablativs „imperatore" übereinstimmte und nur in der interpretierender! und glättenden, ja unvollständigen Überlieferung der Reichsannalen zu einem Dativ „verbessert" wurde 45 ). Die Unterschiede zwischen den beiden Formeln sind gering: Der Akklamationstext verlor folgerichtig die Wörter „imperante domino", wofür der Eigenname des Akklamierten an die Spitze treten konnte. Sowohl Datumformel als auch Akklamation zeigen jedoch eine gegenüber dem römischen Kaisertitel auffallende Umstellung der beiden wichtigsten Kaiserbezeichnungen. In der Titulatur führt „augustus" die Wortfolge an, das im Titel stets zuerst genannte Wort „imperator" schließt jene ab. Die Inversion der Titelelemente in der objektiven Fassung einer Fremdaussage entspricht den immer wieder zu beobachtenden Regeln der offiziellen Kaisertitulatur. So findet man dieselbe Reihenfolge in dem Erlaß Justinians von 537, wonach alle im Römischen Reich ausgestellten Tabellionen-Urkunden die kaiserlichen Regierungsjahre, und zwar an der Spitze der Datumformel, zu nennen hatten. Der Kaiser schrieb damals die Datierung „Imperii illius sacratissimi augusti et imperatoris anno toto" vor 46 ). Wie in diesem Band noch gezeigt wird, wurde der kaiserliche Befehl keineswegs immer wörtlich befolgt. Besonders „sacratissimus" dürfte Anstoß erregt haben und wurde deshalb häufig in „piissimus" umgewandelt, mitunter auch in das ebenso kaiserliche Prädikatspaar „piissimus et serenissimus" oder ähnliche Verbindungen aufgelöst 47 ). Aber die Umstellung von „augustus" und „imperator" wurde angenommen und tradiert. Ein Grund dafür dürfte in dem Wunsch gelegen sein, die Figura etymologica „imperii (imperante) imperatoris (imperatore) N . . . anno" zu vermeiden, die ja durch die justinianische Formel zumindest stark gemildert und durch spätere Ausgestaltungen schon wegen ihrer Länge praktisch aufgehoben wurde. Eine solche Überlegung stützen Kurzdatierungen wie „imperatoris Mauricii anno etc.", wo „imperator" wieder die gewohnte Spitzenstellung einnimmt 48 ). Allerdings dürfte diese Erklärung nicht das ganze Phänomen erfassen. Die etwa in den Epistolae Austrasicae überlieferten Briefe fränkischer Könige und Königinnen an den Kaiser in Byzanz besitzen die Adresse „Domino . . . (semper augusto). . . N. imperatore" 49 ). Auch ist bekannt, daß Leo III. in 45
) Classen, Karl der Große 588. Vgl. aber auch Epistolae Austrasicae (ed. Wilhelm Gundlach, MGH Epistolae 3,1892,139 n. 26), wo in der Adresse des fränkischen Königsbriefes an den Kaiser ebenfalls „imperatore" vorkommt. Siehe auch Intitulatio I. 129 Anm. 8 ff. *•) Heinrich F i c h t e n a u , „Politische" Datierungen des frühen Mittelalters. Siehe unten 470. Menzer, Jahresmerkmale 29 mit Anm. 6 und 43. Justinian, Novellae 47. Corpus Iuris Civilis 3 (ed. Rudolf Schoell und Wilhelm Kroll, 1928, 284). *7) Siehe Fichtenau, Datierungen. Zum Wort „sacratissimus" siehe Fritz Taeger, Charisma. Studien zur Geschichte des antiken Herrscherkultes 2 (1960) 715. Georg W a i t z , Deutsche Verfassungsgeschichte 3 (21883) 245 f. Anm. 2. Bezüglich des Wortpaares „piissimus et serenissimus" siehe schon Gregorii I. Registrum Epistolarum V 57a (ed. Paul Ewald und Ludwig M. Hartmann, MGH Epist. 1, 1891, 362). ") Menzer, Jahresmerkmale 46. ") Ep. Austras. 139 n. 26. Intitulatio I. 129 Anm. 8 ff.
Titulare Vorstufen des Kaisertitels
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den Adressen seiner Briefe an Karl den Großen niemals die Funktion „imperator" erwähnte, sondern dem von ihm selbst gekrönten Kaiser als „Domino piissimo et serenissimo victori ac triumphatori filio amatori Dei et Domini nostri Iesu Christi Karolo augusto" schrieb 50 ). Gemäß seiner Auffassung des karolingischen Augustus-Titels sieht Sigurd Graf Pfeil darin den Versuch des Papstes, Karls Kaisertum abzuwerten oder gar darüber sein Mißvergnügen auszudrücken 51 ). Nun entsprach aber gerade diese Adresse wörtlich der im Liber Diurnus der römischen Kirche tradierten „Superscriptio ad principem", die längst schon vor Karl dem Großen die offizielle päpstliche Anrede des Kaisers gebildet hatte 52 ). Analog zu der Tatsache, daß die Titulatur in den reichsitalischen Datumformeln mit 800 nicht geändert wurde 53 ), behielt die päpstliche Kanzlei auch die gewohnte kaiserliche Briefadresse bei. Dies konnte um so leichter geschehen, als ja Karl selbst eine in Rom übliche Titulatur zu seinem Titel gemacht hatte. Es ist daher nicht zu fragen, wieso Leo III. in den Briefadressen Karl nicht „imperator" titulierte, sondern warum dieses Funktionsprädikat überhaupt aus einer offiziellen Titulatur herausfallen konnte. Dafür dürfte das im kaiserlichen Bereich nur titular verwendete Wort „dom(i)nus "verantwortlich sein54). Die eben zitierten Adressen der Briefe, die fränkische Könige des sechsten Jahrhunderts an den Kaiser schrieben, zeigen, daß die Inversion von „augustus" und „imperator", ja das zeitweise Ausfallen des letzteren durch die einleitende Anrede „domino" bedingt werden 55 ). Noch deutlicher wird diese Ordnung aus einem Schreiben mehrerer Bischöfe an Kaiser Maurikios, wo die Herren-Anrede in der Adresse zweimal vorkommt, einmal einleitend als „domino", dann wiederholend als „domno", und sowohl „augustus" als auch „imperator" verdrängen konnte. Dieses Dokument ist im Register Gregors des Großen erhalten geblieben, dessen eigene Briefe an den Kaiser nur unvollständige Superscriptiones enthalten, die keine Diktatuntersuchungen gestatten 56 ). Daß diese radikale Ausbreitung von „dominus" nicht die Regel war, lehren die ebenfalls schon erwähnten Titulaturen der päpstlichen Datumformeln, wo alle drei Kaiserbezeichnungen nebeneinander vorkommen 57 ). Allerdings tritt hier das Moment der direkten Anrede des Kaisers zurück. Doch läßt sich aus dem Vergleich der bisher untersuchten Kaisertitulaturen wahrscheinlich machen, daß jene drei Prädikate nicht unbedingt alle nötig waren, um eine vollwertige, offizielle Anrede des Kaisers zu garantieren. Die drei Kaiserbezeichnungen 5
°) Epistolae Leonis III. papae nn. 1 ff. (ed. Karl Hampe, MGH Epistolae 5, 1899, 87 ff.). Epistolae selectae pontificum Romanorum n. 8 (ed. a. a. O., 66). 61 ) Pfeil, Augustus-Titel 200 Anm. 46. Vgl. hingegen die weitaus vorsichtigere Beurteilung durch Schramm, Kaiser, Könige und Päpste i, 271 f. ") Liber diurnus Romanorum pontificum I 1 (ed. Theodor Sickel, 1889, 1). ") Menzer, Jahresmerkmale 48 ff. ") Intitulatio I. 131 und 196 ff. ") Siehe oben Anm. 49. 56 ) Reg. Greg. I 16 a; 1, 17. Zu den eigenen Briefen Gregors an den Kaiser siehe a. a. O. 2, 487 sub voce „Focas" und 498 sub voce „Mauricius". *') Siehe oben Anm. 44.
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„dominus, imperator, augustus" sind entwicklungsgeschichtlich voneinander zu unterscheiden. Der Sinngehalt von Dominus kommt dem der „Souveränität nach außen" nahe. Der Imperator bezeichnet den obersten militärischen Befehlshaber, weshalb die Könige des Westens, die für ihren Bereich denselben Anspruch erhoben, jenen Ausdruck am ehesten unterdrückten. In Augustus mischt sich schließlich die Bedeutung des Erhabenen mit demjenigen, der „rem publicam amplificando" wieArfe58). Zumindest zeitnahe, wenn nicht zeitgenössische Quellen belegen die Annahme, daß die karolingische Bedeutung von „augustus" vorwiegend das Substantiv „Kaiser" bildete, was selbstverständlich das Adjektiv „kaiserlich" nicht ausschloß. Statistische Überlegungen können nämlich die Gleichwertigkeit von „augustus" und „imperator" in der karolingischen Überlieferung nicht widerlegen, da die übliche lateinische Kaiserbezeichnung auch in der Antike „imperator" und nicht „augustus" war. Niemand wird aber behaupten, daß der Ausdruck allerhöchster Erhabenheit damals unter „imperator" stand. Es war daher gute alte Tradition, daß die reichsitalischen Datumformeln des achten Jahrhunderts, die Karls Kaisertitel unmittelbar vorausgingen, mit „augustus" in erster Linie den Hauptkaiser bezeichneten, während für den Caesar meistens „imperator" allein geschrieben wurde 59 ). Weiters übersetzten die althochdeutschen Glossen „augustus" hauptwörtlich präzise mit „cheisar", während als Adjektiv „keiserlich" überwiegt 60 ). Drittens ist nicht zu übersehen, daß Karl noch im Frühjahr 801 eine, wenn auch nichtdiplomatische, Intitulatio führte, in der „augustus" den Platz eines kaiserlichen Funktionstitels einnahm. In Karolus divino nutu coronatus Romanum regens imperium serenissimus augustus schließt das Wortpaar „serenissimus augustus" die Intitulatio ab. Diese Erscheinungsform dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, daß die Intitulatio des Capitulare Italicum den schon ausgebildeten Urkundentitel voraussetzt. Die Legitimationsformel stellt eine Paraphrase des entsprechenden Teiles der Akklamation dar, während die Verwendung des Hoheitstitels „serenissimus" anstelle von „piissimus" bereits den Urkunden folgt. In den Urkunden war allerdings noch die Wortfolge des Akklamationstextes beobachtet worden, während der Kaisertitel des Capitulare bereits darüber hinausgeht und frei über den traditionellen Wortbestand verfügt. Aus diesen Gründen würde ich entgegen der Ansicht Erich Caspars das Capitulare nach dem Auftreten des ersten Urkundentitels datieren 61 ). 6S
) Isidor von Sevilla, Etymologiarum sive originum libri IX 3 (ed. Wallace Martin Lindsay 1, 1911) 16. Arthur B o s e n b e r g , Imperator. Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft 17 (1914) 1139 ff. „Cyprianus", De XII abusivis saeculi (ed. Wilhelm Härtel, CSEL 3, 3, 1817, und Siegmund Hellmann, Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur 3, 4, 1910) n. 6: „Dominus sine virtute". ") Menzer, Jahresmerkmale 47 f. ,0 ) Elias Steinmeyer-Eduard Sievers, Die althochdeutschen Glossen 3 (1879/98) 20 f. 41 ) MGH Capit. 1, 204 n. 98. Classen, Karl der Große 588 mit Anm. 268 a und 607 Anm. 362. Ders., Romanum gubernans Imperium. DA 9 (1952) 119 mit Anm. 75. Neuestens:
Serenissimus augustus
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Abgesehen von den Datierungsproblemen im einzelnen dürfte jedoch dieses Stück die Ansicht widerlegen, der karolingische Augustus-Titel sei eine Art Verlegenheit mit schwindender Aussagekraft gewesen62). Schließlich stand es sowohl für Einhard wie die Reichsannalen fest, daß man Kaiser wird, indem man entweder das „nomen imperatoris et augusti" von sich aus annimmt oder dann, wenn man dazu aufgefordert wird63). Faßt man die Überlegungen zu „augustus" zusammen, so kann man sagen: Der vorwiegend substantivisch verstandene Hoheitstitel kam im Rahmen einer ausgebildeten Titulatur in die urkundliche Intitulatio Karls und folgte darin den für eine Fremdaussage geltenden Regeln. Zusammen mit dem ihm zugeordneten „serenissimus" leitete das Wort daher den Kaisertitel ein. Vergleiche mit der nichtdiplomatischen Überlieferung des achten und beginnenden neunten Jahrhunderts legen den Schluß nahe, daß dieses Titelwort allein dem Kaiser zukam, wobei es anfänglich sogar als richtiger Funktionstitel an die Stelle von „imperator" treten konnte. Der erste Teil der Intitulatio ist also, sieht man vom Casus obliquus der Bezeichnungen und dem Pietätsprädikat ,,piissimus" ab, mit der Akklamation wortgleich, die Karls Kaisertum auf modifizierte byzantinische Weise konstituierte64). Sogar die Schreibweise des Kaisernamens ist mit der von Genesius eingeführten Form identisch65). Was die Herkunft dieser Titelgruppe betrifft, bleibt nur die Frage, wieso der Hoheitstitel „serenissimus" das Prädikat „piissimus" verdrängte. Beide Epitheta sind altes kaiserliches Formelgut, wenn auch keineswegs kaiserliches Reservat geblieben. Der Positiv ,,pius" war Teil des spätantiken Kaisertitels bis zur Reform des Herakleios66). Die „Super scriptio ad principem" des Liber Diurnus beginnt mit den Worten „Domino piissimo et serenissimo"; dieser Text wurde von Leo III. in der Adresse aller seiner an Kaiser Karl gesandten Briefe verwendet. Auf fränkischer Seite enthalten die fast gleichzeitigen Briefformulare von Bourges eine sehr ähnliche Briefadresse67). Schließlich kommt in der ersten erhaltenen Signumzeile eines Kaiserdiploms, das übrigens noch von Genesius geschrieben wurde, ebenfalls „piissimus ac serenissimus imperator" vor; mehrere spätere Stücke übernehmen die Formel68). Diese Beispiele dokumentieren die Gleichwertigkeit der beiden kaiserlichen Epitheta sowohl für die päpstliche als auch für die karolingische Politik. Beide Prädikate gehörten auch schon lange vor 800 zur frän-
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) ) ") 66 ) 66 ) 63
67
)
•8)
Zum Kaisertum Karls des Großen. Wege der Forschung 38 (1972) 23. Caspar, Das Papsttum 174. Fichtenau, Karl der Große 329. Schramm, Kaiser, Könige und Päpste 1, 271 f. Pfeil, Augustus-Titel 200 ff. Siehe Borst, Kaisertum 38. Classen, Karl der Große 582. Siehe oben Anm. 7. Franz Dölger, Byzantinische Diplomatik (1956) 132 f. mit Anm. 12. Auch die Langobardenkönige hatten Anspruch auf das Pietätsprädikat : Intitulatio I. 65 Anm. 54. Siehe oben Anm. 52. Formulae Bituricenses 14 (ed. Karl Zeumer, MGH Formulae, 1886, 174): „Püssimo ac serenissimo domino meo Carolo, excellentissimo agusto". DD. Kar. I. 198; vgl. 202. 208. 203 (serenissimus). 207. 209 (piissimus).
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kischen Staatssprache 69 ), wobei „serenitas" in den Formulae Marculfi bereits wie selbstverständlich verwendet wurde 70 ). Überdies ist „serenissimus" ausdrücklich als Hoheitsprädikat in der Anrede Karls überliefert, die Leo I I I . am 23. Dezember 800 in seinem Reinigungseid gebrauchte. Hier t r i t t das Wort zusammen mit „clementissimus" auf, was möglicherweise die staatspolitische Bedeutung des kaiserlichen Richteramtes betonen sollte 71 ). Wie dieser Überblick zeigt, kann Karls Entscheidung zugunsten des Hoheitstitels „serenissimus" kaum formal aus der Tradition erklärt werden. Wenn man das Problem überhaupt heute noch lösen kann, so nur durch die gemeinsame Behandlung von Herkunft und Bedeutung der Sinneinheit serenissimus augustus. Bei beiden Wörtern handelt es sich um Hoheitstitel, wie die griechische Formel dtsicreßaoTcx; auyouCTTO? lehrt. Augustus ist seiner Geschichte nach auch als Namenstitel zu verstehen 72 ), wozu Isidor von Sevilla erklärt: „Solet enim fieri u t primi regis nomen etiam reliqui possideant, sicut apud Albanos ex Silvii nomine omnes reges Albanorum Silvii appellati sunt; sicut apud Persas Arsacidae; apud Aegyptios Ptolomei, apud Athenienses Cecropidae. Augustus ideo apud Romanos nomen imperii est." 73 ) Die noch vordiokletianische Verbindung „Semper augustus" betont jedoch früh schon die Elemente des Hoheitstitels 74 ), was wieder eine Definition Isidors stützt: „Pharao nomen est non hominis, sed honoris, sicut et apud nos Augusti appellantur reges, cum propriis nominibus censeantur." 7 5 ) I n „serenissimus augustus" bestimmt der erste Hoheitstitel den zweiten und betont dessen charismatisch-politische Aussage. Die Herkunft von Augustus als Bezeichnung des Römischen Kaisers ist hinlänglich bekannt: Octavianus wurde damit vom Senat in Form einer „appellatio" geehrt, und zwar drei Tage nachdem er am 13. J a n u a r 27 v. Chr. die ihm übertragene außerordentliche Gewalt niedergelegt hatte. Augustus, Seßacrxo^, „der Erhabene" beschreibt die hoheitliche Sphäre der Götter und ausgezeichneten Menschen. In diesem Sinne und sogleich auch als Name des Augustus wurde daraus ein konstitutiver Teil des Römischen Kaisertitels, der freilich seiner Theorie nach nur der Name des Princeps sein durfte und daher den Regeln der römi•9) Sigurd Graf Pfeil, Die Titel der fränkischen Könige und Kaiser bis 911 (Masch. Diss., Göttingen 1958) 74 ff., bes. 75 mit Anm. 2 und Anm. 6. Siehe auch die Briefe Alcuins aus 799 (wie Anm. 4) 289 ff. und Eugen Ewig, Zum christlichen Königsgedanken im Frühmittelalter. Vorträge und Forschungen 3 (1956) 60 ff., bes. 64 Anm. 261. 70 ) MGH Formulae (wie Anm. 67) 775 sub voce „serenissimus, serenitas". 71 ) Luitpold Wallach, The Genuine and the Forged Oath of Pope Leo III. Traditio 11 (1955) 37 ff., bes. 41 und 45 f., bezeichnet die große Fassung des Reinigungseides als Fälschung, wogegen jedoch Heinz Löwe, Helmut Beumann und Peter Classen begründete Einwände erhoben: Classen, Karl der Große 578 mit Anm. 200. ") Intitulatio I. 29 f. ™) Isidor, Etymologiae IX 3, 14 ff. 71 ) Taeger, Charisma 2, 463. Willy Liebenam, Fasti consulares imperii Romani (Kleine Texte für theologische und philologische Vorlesungen und Übungen 41/43,1909) 101 ff. Theodor Mommsen, Römisches Staatsrecht (Nachdruck 2,2,31952) 746 ff., 771 ff., 847. '«) Isidor, Etymologiae VII 6, 43.
Serenissimus augustus
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sehen Namengebung folgte76). Der Kern dieses Namens lautete „Imperator Caesar Augustus", weshalb Suet. Iul. 76 auch von „praenomen imperatoris" spricht und Augustus als Cognomen aufgefaßt wurde"). Dieser Name hatte früh schon die Tendenz, an das Ende der Cognomina zu treten, wobei „augustus" zunächst noch vor, in der Spätantike jedoch nach den Triumphaltiteln angeordnet wurde 78 ). Als Herakleios I. seine Regierung antrat, da führte er zunächst auch noch einen Titel, den „Imperator" oder auTOXpaTwp eröffnete und „augustus" oder xüyouaTo^ abschloß. Erst seit der Titelreform von 629 trat anstelle des überkommenen Kaisernamens mit ßaaiXeix; zum ersten Mal ein kaiserlicher Funktionstitel 79 ). In Italien überlebte eine Form der offiziellen kaiserlichen Titulatur das Jahr 629. Diese Titulatur folgte der alten kaiserlichen Intitulatio, übernahm daraus die Traiectio zwischen „imperator" und „augustus", invertierte jedoch die Reihenfolge der Titelwörter entsprechend den oben entwickelten Regeln einer Fremdaussage, die als Datumformel entstanden war 80 ). Mit „augustus" bildete der vorangestellte Hoheitstitel „Serenissimus" eine Sinneinheit, die auch dann nicht zerrissen wurde, als „augustus" — wie im Frühjahr 801 — die Bedeutung eines Funktionstitels annahm. Allerdings war Karl am Weihnachtstag 800 als „piissimus" akklamiert worden. Man fragt nun nach dem Grund für diese Änderung, den man in der Bedeutung des Hoheitstitels vermutet. Das Hoheitsprädikat „serenissimus" und sein Synonym „tranquillimus" wurden von der christlichen Spätantike an titular gebraucht. Sie bezeichneten sowohl die Kraft des Kaisers als Garant von Ruhe und Frieden als auch die „zeremoniöse Stille, von der sein Auftreten in der Öffentlichkeit begleitet war" 8 1 ). Die heidnische Bedeutung von „serenus", die Eigenschaft Jupiters als heiterer Himmel, hatte schon Diokletian dazu bewogen, das Wort der kaiserlichen Staatssprache einzugliedern 82 ). Daran konnte der augustinische Friedensgedanke anknüpfen und die vorchristliche Tradition mit neuen Inhalten erfüllen. Gegenüber den westgotischen Königen dürften die Merowinger mit deutlicher Verspätung in jene Sphäre des Kaiserlichen eingedrungen sein. Ähnliches gilt für „tranquillimus", das häufig mit „serenissimus" gemeinsam vorkommt 83 ). Allerdings hatte schon Yenantius »•) Mommsen, Staatsrecht 2, 2, 765 ff. ") Mommsen, Staatsrecht 2, 2, 767—774. ,8 ) A. a. O. 774 mit Anm. 2. Vgl. jedoch den spätantiken Kaisertitel bei Louis Bréhier, L'origine des titres impériaux à Byzance. Byzantinische Zeitschrift 15 (1906) 173 Anm. 1. '•) Bréhier (wie Anm. 78). Intitulatio I. 58 mit Anm. 14. 80 ) Siehe oben Anm. 44 ff. 81 ) Heinrich F i c h t e n a u , Arenga. Spätantike und Mittelalter im Spiegel von Urkundenformeln (MIÖG Erg.-Bd. 18, 1957) 69. 82 ) Hanns Hubert Hof mann, Serenissimus. Historisches Jahrbuch 80 (1961) 241. Herwig Wolfram, Splendor Imperii (MIÖG Erg.-Bd. 20, 3, 1963) 120 f. Anm. 29. 83 ) Taeger, Charisma 2, 404, 443, 463, 473, Anm. 610. Ewig, Königsgedanken 64 mit Anm. 259. Fichtenau, Arenga 69 mit Anm. 38 f. : Im Jahre 767 wird einmal in Ravenna „anno prineipatus eiusdem (sc. Caroli) tranquillitatis" datiert, und Paulinus von Aquileia tituliert 794 zweimal Karl in ähnlicher Weise.
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Wolfram, Herrschertitel I 1
Fortunatas die charismatisch-politische Bedeutung, die „serenus-issimus" in der antiken Tradition besaß, mit dem vergleichbar strukturierten Heil des lateinischen Königs verbunden, wenn er sang: „Nubila nulla gravant populo sub rege sereno" und auch „tranquillus-imus" in diesem Sinn einsetzte 84 ). Die Karls Zeit und nicht zuletzt Alkuin beeinflussende Herrschaftstheorie der XII abusiones saeculi ist in bezug auf das dort vertretene Königsbild durchaus charismatisch ausgerichtet und kaum verkirchlicht 85 ). Der gute König erscheint als ,,pax populorum . . . gaudium hominum, temperies aeris, serenitas maris, terrae fecunditas etc." 8 6 ). Vergleicht man die althochdeutschen Glossen zu „pius", „pietas" und „serenus", „serenitas", so hat man den Eindruck, die Hoheitsbezeichnung habe ungleich mehr politische Bedeutung besessen als die Pietätsbezeichnung 87 ). Nicht zuletzt wird die Bevorzugung von „serenissimus" wohl damit zusammenhängen, daß dieses Wort und seine Ableitungen in großer Nähe sowohl zu ,,pax" als auch ,Felicitas" stehen. Der „serenissimus augustus" ist im Sinne des politischen Augustinismus das Gegenstück zum „pacificus imperator" am Ende des Kaisertitels, was „piissimus augustus" niemals völlig abdecken könnte. Schließlich ist nicht zu übersehen, daß der fränkische Sprachgebrauch des neunten und zehnten Jahrhunderts „serenissimus" in der karolingischen Familie der Kaiser und Könige nahezu monopolisierte. I n seinem Brief vom Frühjahr 813 läßt zwar Karl den Bezug auf Rom und seine römische Herrschaft fort, tituliert jedoch den byzantinischen Kaiser Michael I. nur als „gloriosus", während zahlreiche nichtkaiserliche Frankenherrscher der nächsten Generationen den Hoheitstitel „serenissimus" führten 8 8 ). Man könnte daher vielleicht folgende Hypothese aufstellen: Karl fand das Wortpaar „piissimus et serenissimus" vorgegeben, als er die offizielle 84
) Hofmann, Serenissimus 241. ) Hans Hubert Anton, Fürstenspiegel und Herrscherethos in der Karolingerzeit (Bonner Historisehe Forschungen 32, 1968) 69 ff.: Der Autor beurteilt den Einfluß der XII abusiva saeculi auf Alcuin vorsichtig, kann jenen aber feststellen. 86 ) „Cyprianus", De XII abusivis saeculi c. 9; S. 167. Herbert Hunger, Prooimion (Wiener Byzantinistische Studien 1, 1964) 86 f. Anm. 133. Vgl. hingegen Isidor von Sevilla, Differentiarum sive de proprietate sermonum libri duo 1536 (Migne PL 83, 64): „Inter serenum et tranquillum. Serenum enim ad caelum referri potest, ad mare non potest. Serenum enim caelum dicimus, tranquillum mare." •') Siehe Steinmeyer-Sievers, Glossen 1, 68,1.1,229,13.1,4,13. (pius). 2,128,33 f. 2,135,6 (serenitas). S8 ) MGH Epist. 4, 556 n. 37. Vgl. die von Pfeil, Augustus-Titel 204, angegebenen, jedoch zumeist mißverstandenen Quellenstellen. Zum Hoheitstitel „serenissimus" in anderen Königs- und Kaisertiteln siehe unten 84 und 140. ••) Diesen Eindruck gewinnt man bei der Durchsicht der Karteiblätter des Mittellateinischen Wörterbuchs in München: z. B. Ruotger, Vita Brunonis c. 3 (ed. Irene Ott, MGH Script, rerum German., KS., 1951, 4). Wipo, Gesta Chuonradi imperatoris c. 38 (ed. Harry Bresslau, MGH Script, rerum German., 31915, 58). Otto von Freising, Gesta Friderici I imperatoris I prol. (ed. Bernhard von Simson, MGH Script, rerum German., 3 1912, 9). I 34; S. 53. II 45; S. 153. Vgl. Hrab. carm. IV 1 ff. Sedul. carm. 2, 41, 49. Für die Erlaubnis zur Benützung der Karteiblätter habe ich vor allem der Leiterin des Wörterbuchs, Frau Dr. Therese Payr, herzlichst zu danken. 86
Imperator
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kaiserliche Titulatur in seine Intitulatio umformen ließ. Die jüngsten fränkischen Königslaudes vor 800, aber auch der Text der Akklamation vom Weihnachtstag des Jahres hatten nur „piissimus" gebraucht. Die zeitgenössische Interpretation der augustinischen Herrschaftstheorie sowie die mögliche charismatisch-politische Bedeutung von „serenissimus" hätten jedoch Karl dazu bestimmt, den Hoheitstitel aus dem Epitheta-Paar auszuwählen. Schon Leo III. hatte am 23. Dezember 800 auf die „dementia" und die „serenitas" des zukünftigen Kaisers angespielt. Karls Rechtgläubigkeit war ohnehin sowohl durch die kaiserliche ,,a Deo coronatus"-Formel wie die fränkisch-königliche Legitimation abgedeckt. Ein „serenissimus augustus — pacificus imperator" war hingegen formal besser ausgewogen und besaß inhaltlich eine stärkere Aussagekraft über Karls „augustinisches" Kaisertum als der sicher auch „politische" Pietätstitel 89 ). Den ersten Teil von Karls dreigliedriger Intitulatio schließt der Funktionstitel Imperator ab. Er steht an der ihm von der titularen Wortfolge der Akklamation zugewiesenen Stelle, leitet aber zugleich auch zum Objekt seiner Funktion „Romanum gubernans imperium" über. Als Karl zum „imperator" akklamiert wurde, bedeutete dieses Wort längst schon den Herrscher, „qui super totum mundum aut qui precellit in eo" 90 ). Allerdings hatte auToxparcop, die griechische Übersetzung von „imperator", die dadurch repräsentierte Verfassungswirklichkeit stets als Monarchie interpretiert, obwohl die römische Theorie dieser Auffassung entgegenstand 91 ). Die Differenz zwischen tatsächlichem Herrschertitel und theoretisch kaiserlichem Namen geht auf eine positiv faßbare Entscheidung des präsumptiven Titelträgers zurück, übrigens die einzige, die innerhalb des behandelten Zeitraums eine ausgesprochene Selbstaussage motivierte. Augustus hatte „imperator" als Namen seines Adoptivvaters Caesar geerbt und wollte keinen Titel tragen, der mit einer bestimmten oder gar ererbten Kompetenz eines Herrschaftsauftrages in Zusammenhang stand 92 ). Alle diese Überlegungen hatten zur Zeit Karls des Großen ihre Relevanz verloren; dennoch war „imperator" zweifellos der hervorragendste kaiserliche Funktionstitel geblieben. Seine Verbindung mit Heer und Heerkaisertum, mit militärischer Befehlsgewalt und darauf beruhendem Herrschaftsauftrag hatten nichts von ihrer Bedeutung verloren, wenn sie auch inhaltlich keine ausschließlich kaiserliche Domäne mehr waren 93 ). Zum Unterschied von den frühmittelalterlichen Königstiteln hatte der Kaisertitel eine bestimmte, auf die Gubernatio des Römerreiches bezogene Funktion, die seinen Titelträger eben zum Kaiser und nicht zu einem gentilen Großkönig hegemonialer Bedeutung machte 94 ). Diese Differenzierung geht selbstverständlich von der politi90
) Franz B e y e r l e , Das frühmittelalterliche Schulheft vom Ämterwesen. ZRG Germ. Abt. 69 (1952) 7. 91 ) Herwig Wolfram, The Shaping of the Early Medieval Kingdom. Viator 1 (1970) 9 f. 92 ) Rosenberg, Imperator 1146. M ) Edmund Ernst S t e n g e l , Der Heerkaiser. Abhandlungen und Untersuchungen zur Geschichte des Kaisergedankens im Mittelalter (1965) 6 ff. 94 ) Edmund Ernst S t e n g e l , Kaisertitel und Souveränitätsidee (a. a. O.) 243 ff., undders., Imperator und Imperium bei den Angelsachsen (a. a. O.) 287 ff.
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Wolfram, Herrschertitel I 1
sehen Theorie aus, die hinter der Kaiserkrönung des Weihnachtstages 800 steht. Sie besitzt nur so lange Berechtigung, als man nicht übersieht, daß die fränkische Politik das Kaisertum sehr bald auch wieder als Vielvölkerherrschaft auflösen und interpretieren konnte 9 5 ). Die Herkunft des Titelelements „Romanum gubernans imperium" h a t Peter Classen nachgewiesen. Es handelt sich dabei ebenso wie bei der Akklamationsformel um einen Bestandteil der politischen Terminologie Reichsitaliens. Classen lokalisierte die Formel zunächst in Ravenna 9 6 ); er modifizierte seine erste Aussage darüber aber jüngst dahingehend, daß die Formel sowohl lateinische wie griechische Vorläufer in spätantik-byzantinischen Kaisertitulaturen besitzt. Diese gebrauchte man vorwiegend in Italien seit dem sechsten Jahrhundert 9 7 ). Zweifellos sieht Classen richtig, daß Justinian den „Ausdruck des Regierens im höheren-göttlichen Auftrag" durch das Wort „gubernare" verdeutlichte, worauf die karolingische Theorie wohl eine ähnliche Auffassung vertrat. Gleichzeitig überzeugt die Annahme, die Bezugnahme auf das Römerreich habe die Überwindung jedes gentilen Partikularismus und jeder territorialen Einschränkung versucht 9 8 ). Es gehört zu den angenehmsten „Pflichten" dieser Untersuchung, die Frage nach der Bedeutung des Kaisertitels und im besonderen der Formel „imperator Romanum gubernans imperium" nicht mit der gesamten Problematik des Kaisertums Karls des Großen zu belasten. Differenzierungen wie der Gegensatz von „Romkaisertum" und „Aachener Reichsidee" oder „romfreies" Kaisertum, ja selbst die mitunter zweifellos relevante „Namentheorie", gehören eher zum Motivationshorizont der modernen Mediävisten, als daß sie tatsächlich schon den Gegenstand zeitgenössischer Theorien und politischer Gedanken Karls und seiner Berater bildeten. Auch die durchaus berechtigte Frage nach einem Kaiserplan Hadrians I. zwischen 778 und 781 hat hier nicht zu interessieren, da das Projekt nicht verwirklicht wurde 99 ). Die kritische und umfassende Behandlung der Problematik rund um Karls Kaisertum wird ,5
) Zu „imperator plurimarum nationum" siehe Notker der Stammler, Gesta Karoli Magni imperatoris I 26 (ed. Hans F. Haefele, MGH SS rer. Germ. NS. 12, 1959, 35). Vgl. Stengel, Kaisertitel und Souveränitätsidee 249 Anm. 45. Es ist allerdings nicht zu übersehen, daß das nichtkanzleimäßige Protokoll der Divisio regnorum von 806 den Begriff des „Romanum Imperium" sowohl universal, als auch gentil interpretiert: Schlesinger, Kaisertum und Reichsteilung 204. 96 ) Peter Classen, Romanum gubernans imperium 107 ff. ") Ders., Karl der Große 598 mit Anm. 269 und Nachträge. 98 ) Ders., Romanum gubernans imperium 120 f. ") Borst, Kaisertum und Namentheorie 36 ff. Helmut Beumann, Nomen imperatoris. HZ 185 (1958) 515 ff. Neuestens: Zum Kaisertum Karls des Großen. Wege der Forschung 38 (1972) 174 ff. Heinrich F i c h t e n a u , Karl der Große und das Kaisertum. MIÖG 61 (1953) und Libelli 320 (1971) 257 ff., bes. 327 ff. Eine recht brauchbare Würdigung der modernen Erklärungsversuche findet man bei Siegfried Epperlein, Über das romfreie Kaisertum im frühen Mittelalter. Jahrbuch für Geschichte 2 (1967) 307 ff. Der Verfasser tritt für die vorsichtige Beibehaltung des Ausdrucks „romfrei" ein. Zur Frage des möglichen Kaiserplans Hadrians I. siehe Beumann, Karolus Magnus und Leo papa 47 ff.
Inhaltliche Bedeutung des Kaisertitels
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Peter Classen verdankt. Diese Arbeit und die Einleitung Heinrich Fichtenaus zum Wiederabdruck seines Aufsatzes „Karl der Große und das Kaisertum" entheben einen ohnehin jener Aufgabe, würde man sie hier im vollen Umfang für nötig halten 100 ). Die kaiserliche Intitulatio Karls war zweifellos Gegenstand zeitgenössischer oder zumindest zeitnaher Überlegungen 101 ). Sowohl die Vita Leonis III. im Liber Pontificalis wie die fränkischen Reichsannalen überliefern den Text der konstitutiven Akklamation, die einen Gutteil der Intitulatio in titularer Form vorwegnahm. Dazu geben die Verfasser beider Quellen kurze Interpretationen des historischen Ereignisses. Eine besonders ausführliche Motivation bieten die von Fichtenau in ihrer Bedeutung erkannten Annales Laureshamenses 102 ). Vom Standpunkt der Intitulatio als Selbstaussage würde freilich das Karlswort bei Einhard den größten Wert besitzen, wäre die Stellungnahme nicht in einer den modernen Denkmodellen so fremden und dunklen „Verpackung" präsentiert. Der Biograph wußte von seinem Helden persönlich, daß er in Rom das „nomen imperatoris et augusti" angenommen hatte, diesem jedoch anfänglich so abgeneigt war, daß er versicherte, er wäre an diesem Tag trotz des hohen Festes nicht in die Kirche gegangen, wenn er die Absicht des Papstes hätte ahnen können 103 ). Einhard schrieb wenigstens dreißig Jahre nach Karls Kaiserkrönung in einer geänderten Welt. Seine ganze Darstellungsweise zeigt, daß er das „königlich-fränkische" Fundament dieser Welt beschwört. Die offizielle Politik hatte aber diese Grundlage in Richtung auf einen ebenso radikalen wie unbestimmten „kaiserlich-christlichen" Universalismus verlassen, worauf die unvermeidlichen Rückschläge eintraten und nun eine Situation der Verwirrung, ja der Selbstaufgabe herrschte 104 ). Allerdings ändert das nichts an Classens Bemerkung: „Einhart mutet seinem Leser nicht wenig zu. Wer nicht weiß, worum es geht, erfährt weder, was die Annahme des Kaisernamens mit einem Kirchenfest zu tun hatte, noch, welche Rolle dabei der Papst spielte. Die nächsten Sätze verknüpfen politische Konsequenz und moralische Bewährung. Das ,nomen imperatoris' ruft bei den Römischen Kaisern Mißgunst hervor, die Karl mit Geduld und hohem Sinn überwindet. ,Patientia' und ,magnanimitas' lenken nun zum Thema der Herrschertugenden zurück, die Einhart bei der ,liberalitas' verlassen hatte" 1 0 5 ). Damit reihte Einhard das Thema des Kaisertums nicht unter die Taten,
10
°) Classen, Karl der Große 537 ff. Fichtenau (wie Anm. 99) S. V ff. des Nachdrucks in den Libelli. Vgl. Eugen Ewig, in: Handbuch der Kirchengeschichte, hrg. Hubert J e d i n III 1 (1966) 109 Anm. 7. 101 ) Intitulatio I. 207 Anm. 5—7. 102 ) Fichtenau (wie Anm. 99) 287 ff. Beumarm (wie Anm. 99) 525 ff. 103 ) Classen, Karl der Große 589 f. mit Anm. 270: Zum Verständnis der Einhard-Stelle haben am meisten beigetragen Hellmann, Fichtenau, Beumann und nun die Zusammenfassung von Classen selbst. 104 ) W a t t e n b a c h - L e v i s o n - L ö w e , Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger (1952/53) 274 f. 106 ) Classen, Karl der Große 590.
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Wolfram, Herrschertitel 1 1
sondern unter die zwar politisch nicht weniger bedeutsamen, jedoch der literarischen Tradition und herrscherlichen Typik ungleich offeneren „mores" Karls. Daraus ergeben sich die Kriterien der Stoffgestaltung. Einhard wollte offensichtlich keine Reportage des Geschehens vom Weihnachtstag 800 geben, sondern das Bild des Helden im Anschluß an die von den Kaiserbiographien Suetons vorgegebene Tradition vermitteln. Er zeigte in der Einleitung zur Vita Karoli jedoch ganz deutlich, daß er sich seiner Selbständigkeit und „Neuheit" bewußt war. Fichtenau gibt eine gute Stellenübersicht, um Einhards Thema „Der gute Kaiser lehnt die Würde a b " aus Sueton zu belegen 106 ). Die Anekdote Karls 107 ) enthält aber sicher mehr als nur diesen, wenn auch wichtigen literarischen Topos. Man hat bereits mehrmals darauf hingewiesen, daß die Wortgruppe „nomen imperatoris (et augusti)" in Verbindung mit der Annahme des Kaisertitels steht, sehr häufig in karolingischen Quellen für die Kaisererhebungen des neunten Jahrhunderts vorkommt und wohl auf eine „höfische Sprachregelung" 108 ), wenn nicht gar auf ein beispielgebendes Protokoll von 800 109 ) zurückgeht. Einhard macht davon keine Ausnahme, zumal er die Dialektik von Zurückweisung und Annahme des Kaisertums in seiner Vorlage vorgebildet und mit „Nomen"-Konstruktionen verbunden fand. Von den mehreren Möglichkeiten kommen der Einhard-Stelle am nächsten: „Postea Gai Caesaris et deinde Augusti cognomen assumpsit", wobei Augustus dem ebenfalls erwogenen Gründernamen Romulus als „amplius cognomen" vorgezogen wird (Suet. Aug. 7, 2), und „Praenomen quoque imperatoris . . . recusavit; ac ne Augusti quidem nomen quamquam hereditarium nullis nisi ad reges ac dynastas epistulis addidit" (Suet. Tib. 26, 2) u o ). Theorie und Praxis der fränkischen Politik hatten sicher etwas mit der „Nomen-Potestas-Ordo"-Konzeption zu tun 111 ). Eine Theorie, die sich jedoch darauf stützte, mußte Karls Kaisernamen und seine diplomatische Intitulatio als eine Einheit verstehen, in der Macht und Namen zugleich genannt waren 112 ). Deswegen schlage ich vor, die Nomen-imperatoris-Stellen bei Einhard und seinen Nachfolgern einfach mit „Kaisertitel" zu übersetzen, darunter aber den Vollsinn des Begriffes zu verstehen 113 ). Differenzierungen zwischen „nomen" und „potestas" sind angesichts realer Macht stets problematisch. Obwohl es während des römischen Prinzipats theoretisch keinen Herrschertitel gab, war die Verfassungswirklichkeit von Imperatorbezeichnung und Augustusnamen
106
) Fichtenau, Kaisertum 264 ff. Classen, Karl der Große 590 Anm. 277. ) Fichtenau a. a. O. 270 mit Anm. 61 zur Frage des Anekdotischen bei Einhard. 108 ) Borst, Namentheorie 38. Jedoch besitzt diese „Sprachregelung" ein längeres Nachwirken, als es Borst untersucht: siehe Annales Fuldenses (wie Anm. 123). 109 ) Fichtenau, Kaisertum 317 ff. Vgl. hingegen Beumann, Nomen imperatoris 527. 110 ) Fichtenau, Kaisertum 264 ff. m ) Classen, Karl der Große 587 ff., bes. 588. Borst, Namentheorie 37 ff. 112 ) Eine derartig interpretierte Intitulatio kann nicht als bloßer Titel verstanden werden; Fichtenau, Kaisertum 260. 113 ) Einhard, Vita Karoli Magni cc. 28 f., 30, 32 f. (ed. Oswald Holder-Egger MGH SS rerum German., 6. Aufl., 1911, 32 ff., 34 f., 36 f.). 10T
Inhaltliche Bedeutung des Kaisertitels
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dennoch so eindeutig, daß man darin nur „notdürftig verhüllte" 114 ) Titel zu sehen hat. Ebenso könnte die Formel „Nomen imperatoris (et augusti) accepit" niemals die urkundliche Intitulatio Karls des Großen abdecken, wenn man in diesem Fall eine Trennung von „nomen" und „res" erwägt oder mit Percy Ernst Schramm meint, am Weihnachtstag 800 habe der fränkische Großkönig den bloßen Titel eines Kaisers angenommen 115 ). Eine solche Überlegung hebt sich schon dadurch auf, daß Einhard die umfangreiche Gesetzes- und Reformtätigkeit Karls sowie die Nachfolgeordnung 813 mit „post susceptum imperiale nomen" motivierte 116 ). Allerdings kann man Karls Ablehnung des Kaisertitels nicht gänzlich in literarischer Tradition und Herrschertypik auflösen. Typik und Exempla können ein bestimmtes Ereignis, eine individuelle Haltung oder Motivation zwar verfremden, aber nicht völlig aufheben. Woran hat also Karl im Zusammenhang mit seiner Kaisererhebung Anstoß genommen ? Die moderne Forschung hat immer wieder Motivenkataloge für Karls Verärgerung aufgestellt, nicht zuletzt, um damit anzudeuten, daß der einzige Grund dafür heute nicht mehr mit Sicherheit rekonstruiert werden könne 117 ). Ohne nun sagen zu wollen, daß ich diesen Grund gefunden habe, scheint mir die modifizierte These Helmut Beumanns die wahrscheinlichste Lösung zu enthalten, wobei die daran von Peter Classen angebrachten Korrekturen den Ausgangspunkt weiteren Nachdenkens bilden sollen 118 ). Übereinstimmung besteht derzeit darüber, daß die Bemerkung „nesciente domno Carolo" der Annales Maximiniani bereits eine Interpretation der Kaiserkrönung darstellt, die die Einhard-Stelle voraussetzt 119 ). Gegen Beumann muß man Classen in der Wertung der Akklamationsformeln folgen, wie sie sowohl vom Liber Pontificalis als auch in modifizierter Form von den ßeichsannalen überliefert werden 120 ). Die päpstliche Quelle gibt den verfassungsgeschichtlich korrekten Wortlaut wieder und interpretiert dann den konstitutiven Akt mit der Bemerkung, Karl sei zum „imperator Romanorum" eingesetzt worden 121 ). Der fränkische Berichterstatter läßt das wichtige Prädikat „piissimo" aus und erweitert bereits die Kaiserbezeichnung der Akklamation auf „imperator Romanorum" 122 ). Beide Quellen bezeichnen die Akklamierenden als Römer. Beumann 114
) Anton P r e m e r s t e i n , Vom Werden und Wesen des Prinzipats (Abh. d. Bayer. Ak. d. Wiss., phil.-hist. Abt., NF. 15, 1937) 257 f. Fichtenau, Kaisertum 264 Anm. 45. Beumann, Nomen imperatoris 529 ff. 115 ) Deer, Vorrechte 46 mit Anm. 170 a, und Fichtenau, Kaisertum 260 ff., gegen Schramm, Kaiser, Könige und Päpste 1, 254 f. "•) Einhard cc. 29 f.; S. 33 f. Vgl. Ganshof, Kapitularien 149 ff. mit Anm. 394 und 396. "') Zuletzt Classen, Karl der Große 590 f. 118 ) Classen, Karl der Große 587 f. mit Anmerkungen und Nachträgen, und zwar besonders zu den beiden Aufsätzen B e u m a n n s , Rom, Kaiser und fränkisches Reichsvolk. Festschrift Edmund Ernst Stengel (1952) 157 ff., bes. 167 ff., 175 ff., und ders., Nomen imperatoris 522 ff. 119 ) Fichtenau, Kaisertum 275 f. 12 °) Classen, Karl der Große 588. m ) Liber pontificalis 2 (ed. Louis Duchesne, Paris 1892) 7. Annales regni Francorum a. 801 (ed. Friedrich Kurze, MGH SS rerum German., 1895, 113). 122 ) Classen, Karl der Große 588.
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nahm nun die Formel der Reichsannalen als den eigentlichen Text und bezog Karls Verärgerung auf dessen Ablehnung, sein Kaisertum dem „cunctus Romanorum populus" zu verdanken. Classen zeigte hingegen die staatsrechtliche Unmöglichkeit einer Erhebung zum „imperator Romanorum" und unterschied überzeugend zwischen „Bericht und Zitat". Damit besitzen wir eine Differenz zwischen dem Ereignis der Akklamation und ihrer Interpretation; einen Unterschied, den der Autor der Vita Leonis beobachtete, der fränkische Verfasser jedoch bereits vernachlässigte. Schließlich ist auch der zweite Teil des Satzes Interpretation, der in den Reichsannalen unmittelbar auf die Wiedergabe der Akklamationsformel folgt. Mit „ablato patricii nomine imperator et augustus est appellatus" sind weder der aufgegebene Titel, der „patricius Romanorum" hieß, noch die neue Intitulatio korrekt wiedergegeben. Dabei ist eine Kurzformel entstanden, die sicherlich offiziellen Charakter angenommen hat und schließlich noch dem Fuldaer Annalisten zur Darstellung der Kaisererhebung Karls des Kahlen diente 123 ). Peter Classen erkannte also die Differenz zwischen dem Geschehen, das die Grundlage des offiziellen Titels bildete, und der Interpretation des Ereignisses in einer repräsentativen fränkischen Quelle. Daher schied Classen den Kernsatz der These Beumanns aus seinem Motivenkatalog aus. Beumann ging aber nicht von Karls Akklamation als Kaiser der Römer aus, was staatsrechtlich sicher unmöglich war, sondern meinte vor allem Karls Akklamation als Kaiser durch die Römer, wobei die Franken gar nicht oder zu wenig in Erscheinung traten. Ein solches Vorgehen konnte dann allerdings sehr leicht als Karls Erhebung zum „imperator Romanorum" gelten. Die Vieldeutigkeit von „Romani" ließ überdies noch die fatale Einschränkung auf den römischen Stadtadel zu. Fichtenau stellte eine Parallele dazu in St. Gallener Urkundenformeln fest, wo man Karl zum „patricius Alamannorum" machte, um nicht einen wichtigen „Namen" den Römern (churrätischen Romanen) allein zu überlassen. Das fränkische „Mißverständnis" der Kaiserkrönung scheinen auch die Reichsannalen widerzuspiegeln. Im Satz „ablato patricii nomine imperator et augustus est appellatus" stellt der fränkische Autor eine klare Beziehung zwischen Karls Patriziat, der tatsächlich vor allem den Dukat von Rom meinte, und seinem römischen Kaisertum her. Selbstverständlich verdrängte der „imperator"-Titel das Titelelement „patricius Romanorum" aus Karls Intitulatio. Aber der ethnisch bestimmte Herrschaftsauftrag über die Römer wurde nicht linear in ein Kaisertum umgewandelt, wie der Bericht der Reichsannalen vermuten läßt. Ähnlich wie die Reichsannalen ging auch Einhard in seinem berühmten Kapitel 28 vor. Er war sicher kein Römerfreund; aber in diesem Abschnitt zeigt er seine Kenntnis der wahren kaiserlichen Terminologie. Obwohl dies in negativer Abhebung geschieht, wird doch deutlich, wie man auf fränkischer 123
) A. a. O. Zur Formel „ablato patricii nomine imperator et augustus est appellatus" siehe Borst, Namentheorie 37 f., aber auch noch Annales Fuldenses a. 876 (ed. Friedrich Kurze, MGH SS rerum German., 1891, 86): „... ablato regis nomine se imperatorem et augustum ... appellare praecepit".
Romanum gubernans imperium
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Seite zu einem römischen Kaisertum stand. Einhard benennt die „Romani imperatores" Konstantinopels mit dem staatsrechtlich allein korrekten Namen und hebt deren Würde deutlich von Karls Kaisertum ab 124 ). Man kannte also in der Umgebung Karls die Staatssprache sehr genau, wenn es darum ging, Karls Kaisertum von einem zu speziell römischen zu differenzieren. Karls anfängliche Abneigung gegen das „nomen imperatoris et augusti" dürfte daher gegen dessen Konstituierung gerichtet gewesen sein, die die Mißdeutung Karls als Kaiser der Stadtrömer oder Reichsitaliens nahelegte. Der Titel „imperator Romanorum" wäre dann formal ein Barbarismus und inhaltlich nichts weiter als die gewaltige Aufwertung des gentilen „patricius Romanorum" gewesen. Verbunden mit dem kaiserlichen Namen hätte „Romanor u m " notwendig an die Spitze der gentilen Bereichsbezeichnungen rücken müssen und damit die überragende Bedeutung des Frankennamens zurückgedrängt. Welche Änderung Karl im äußersten Falle noch dulden wollte, zeigt der bisher umstrittene Königstitel vom 4. März 801, dessen Echtheit Fichtenau mit großer Wahrscheinlichkeit retten konnte. In ,,Carolus gratia Dei rex Francorum et Romanorum atque Langobardorum" findet zwar sicher in erster Linie eine lokalpolitische Tradition ihren Niederschlag, die vielleicht aber auch Karls letzter Versuch war, den römischen Herrschaftsauftrag gentil abzudekken. Ein mögliches Titelvakuum dürfte jenes Experiment allerdings erst erlaubt haben 125 ). Die Formel „Romanum gubernans imperium" legte jedenfalls Kaisertum und Königtum auf zwei verschiedene, wenn einander auch nicht aufhebende Ebenen fest. Dabei wurde zum ersten Mal in einem fränkischen Titel der römische Herrschaftsbereich universal bestimmt, während sich der fränkischlangobardische weiterhin als gentiles Königtum darstellte. So hatte die Spitze der fränkischen Reichspolitik ihr „römisches", aber „stadtromfreies" Kaisertum gewonnen, und Karl die „anfängliche Abneigung" überwunden. Trotz oder gerade wegen dieser Sprachregelung versuchten privaturkundliche Titulaturen, den gentilen Herrschaftsauftrag Karls auch für die Römer zu erhalten, indem man ihn entweder „rex Romanorum" oder weiterhin „patricius Romanorum" nannte. Der in „Romanum gubernans imperium" begriffene universale Anspruch sagte zweifellos nur wenigen etwas und war ebenfalls nicht von sehr vielen mit „imperium Christianum" aufzufüllen 126 ). Akklamationstext und „gubernans"-Formel wurden schließlich im Jahre 813 der Anerkennung durch Byzanz geopfert und auch von den Nachfolgern Karls nur in besonderen Fällen wiederaufgenommen. Damit verschwanden in der Regel diejenigen Titelteile, die auf eine lateinische Kaisertitulatur zurückgingen. Dazu gehörte a u c h die W o r t f o l g e a Deo coronatus magnus
pacificus.
Der Hoheitstitel „serenissimus" und die ,,coronatus"-Formel folgen bezüglich ihrer Bedeutungsgeschichte einer vergleichbaren Verlaufsstruktur. Die 1M
) Classen, Karl der Große 591. Zu „patricius Alamannorum" siehe Fichtenau 504 f. ) Fichtenau 510 ff.; vgl. Intitulatio I. 208 und 235. 1M ) Vgl. Fichtenau, Kaisertum 328. Haselbach (wie Anm. 137) 180 f., bes. 132 mit Anm. 2. 125
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Wolfram, Herrschertitel I 1
coronatio-Bekränzung durch die Hand eines Gottes vermittelte schon in vorchristlicher Zeit das Motiv der Auszeichnung des Kaisers und seine übermenschliche Legitimation. Hier bot sich ein früher und wirkungsvoller Ansatz zur Verkirchlichung des Kaisertums der Spätantike. Nach Ausweis der Ikonographie erfuhr schon Konstantin der Große dieses Zeichen der Gottesunmittelbarkeit aus der Hand des christlichen Gottes. Die Teilnahme des hohen Klerus an einer derart verstandenen „coronatio" des Kaisers ist demgegenüber sekundär und nicht vor der Mitte des fünften Jahrhunderts bezeugt 127 ). Die „a Deo coronatus"-Formel war vor 800 nie Teil einer kaiserlichen Intitulatio gewesen, gehörte aber wie ihre griechischen Entsprechungen S-sootettto? und S-eocrTStpir^ zur offiziellen Titulatur des Kaisers. Deshalb wurde sie auch in die Datierungen und Akklamationen eingeführt, um die das Kaisertum konstituierenden Größen — Einsetzung und Krönung durch Gott — auszusprechen und zu manifestieren. Mit den dazugehörigen Hoheitsprädikaten „magnus (et pacificus)" bildete die spezifisch kaiserliche Legitimationsformel die ersten Teile einer Titulatur, die schon vor 800 in Briefen und Königslaudes auf Karl angewendet wurden 128 ). Möglicherweise trägt der nichtdiplomatische Kaisertitel vom Frühjahr 801 auch zum Verständnis der coronatio-Formel bei. Karl bezeichnete sich dort als „divino nutu coronatus", wodurch die von jedem Mittler freie Verbindung zwischen Gott und dem Kaiser noch um das Moment der spontanen Willensentscheidung Gottes vermehrt und verstärkt wurde 129 ). Der Hinweis auf eine bei Karl immerhin mögliche Kaisersalbung entfällt, da die aus dem spätrömisch-byzantinischen Bereich überlieferte Terminologie dafür formal wie materiell keinen Raum bot 130 ). Die restlichen kaiserlichen Hoheitstitel magnus (et) pacificus dienen der kultischen Überhöhung der Person des Imperators mit allen damit verbundenen Hoffnungen und Erwartungen für die Menschheit 131 ). Pompeius hatte einst den Beinamen Magnus ausdrücklich in der Nachfolge des großen Alexander angenommen, und sein Sohn Sextus Pompeius dürfte als „Magnus 12
') Deer, Vorrechte 48 f. Otto T r e i t i n g e r , Die oströmische Kaiser- und, Reichsidee nach ihrer Gestaltung im höfischen Zeremoniell (2., unveränd. Aufl. 1956) 27 Anm. 80 und 37 f. mit Anm. 30. Andreas A l f ö l d i , Insignien und Tracht der Römischen Kaiser. Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Römische Abteilung 50 (1935) 55 f. Neuestens: Die monarchische Repräsentation im römischen Kaiserreiche (1970) 173 f. 128 ) Caspar, Papsttum 174—176. Beumann, Karolus Magnus et Leo Papa 18 Anm. 73. Classen, Karl der Große 583. Carlrichard B r ü h l , Studien zu den langobardischen Königsurkunden (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 33, 1970) 136 ff., macht auf die interessante Parallelformel „a Deo conservatus" in langobardischen Königstitulaturen des 8. Jahrhunderts aufmerksam. Vgl. oben 33 Anm. 66 zur Parallele des ursprünglich kaiserlichen Pietätsprädikats, das in den langobardischen „Privaturkunden", aber nicht nur dort, zur üblichen Titulatur des Königs gehört. 12B ) MGH Capit. 1, 204 n. 98. Vgl. Classen, Karl der Große 588 mit Anm. 268 a und 607 Anm. 362. Ders., Romanum gubemans Imperium 119 mit Anm. 75. Caspar, Papsttum 174—176. 13 °) Classen, Karl der Große 584 f. lsl ) Treitinger, Oströmische Kaiseridee 230 ff.
a Deo coronatus magnus pacificus
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Pompeius Magni filius" sogar Oktavians Caesar-Namen das Vorbild geliefert haben 132 ). Aber erst unter Gallien und Aurelian wurde dieses Wort in den Kaisernamen aufgenommen. Beide Herrscher des dritten Jahrhunderts schufen damit eine Theorie, die im Dominat ausgebildet wurde, als man den Kaiser dann regelmäßig als „maximus" (p-sytaTOt;) feierte 133 ). Noch Herakleios I. nannte sich in seiner traditionellen Intitulatio sowohl [liyiazo^ als auch eipyjvLxoi;134). Eine Variante des zweiten Hoheitstitels ist eip7)vo7roi6) Vgl. S. 255 ff. " ) I n Fortsetzung zu dem in Anm. 35 zitierten heißt es: „cuius etsi aetas idonea ad reprimendum barbarorum saevitiam minus sufficere videretur, tarnen nobilium principum istius regni, quorum non parvus est numerus, consilio et fortitudine Deo iuvante comprimerentur; maxime inclytissimi Richardi ducis eximüque principis . . . " . **) Vgl. S. 187. Allein das Epitheton hebt das singularisohe „princeps" vom allgemeiner gebrauchten Plural ab. »•) Liudprand von Cremona I I I 12 (ed. Joseph Becker, MGH SS rer. Germ., 1915) 79; H u g o von Vienne (Flodoard, Annales a. 924), auch „von Arles" ( | 947), „Regent" in Burgund, 926 König von Italien, in Vienne seit 903, Vater Teutbald, dieser verh. mit Berta, Tochter Lothars II. mit Waltrada, Bruder Boso, Sohn Lothar, Mitkönig in Italien, nach Hugos Rückkehr in die Provence dort allein. Vgl. Chaume und Poupardin, Schramm, Beiträge 270, Vollmer, Etichonen 168 und 183. « ) Ca. 924, H F 9, 689. 41 ) 1) Vielleicht schon genannt in einem Signum unter einer Gerichtsurkunde der Königin Irmgard, Varenne 890, D. Provence 49 n. 28: „Ugo comes firmavit". Hlawitschka, Lotharingien 95, gibt keine Belege f ü r seine Identifizierungen. — 2) 901—920, D. Provence 106 n. 58: „Hugo comes et marchio". — 3) 912 April 4, ebenda 99 n. 53: „Ugo dux et gloriosus comes necnon et Boso, frater suus". — 4) 912—926 Juli 9, ebenda 117 n. 65: „inclyti ducis ac marchionis nostri Hugonis, videlicet propinqui nostri". — 5) Dagegen Boso, der Bruder Hugos, nur, wie 918 Aug. 18, ebenda 102 n. 55: „Boso, venerabilis comes nosterque propinquus", oder — 6) 920 Mai 14, ebenda 103 n. 56: „Boso, inclytus comes nosterque fidelis et propinquus". — 7) 920, ebenda 104 n. 57: „Hugo, inclytus comes et marchio, nosterque fidelis et propinquus". — 8) 921 Dez. 24, ebenda 109 n. 60: „Hugo, inclytus comes et marchio, nosterque carissimus fidelis et consanguineus''.
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wandtschaft mit den Karolingern als auch auf eine intensive kirchliche Unterstützung berufen können. Nach der Wahl seines Sohnes Ludwig auf Grund seiner karolingischen Abstammung waren scheinbar die traditionellen Verhältnisse wiederhergestellt. Dennoch ist es bezeichnend, daß gerade bei dieser Wahl zum ersten Mal offiziös das „Amt" eines Fürsten — die Garantie von Friede und Ordnung im Regnum — deutlich umschrieben wird, dieser auch fürstlich tituliert wird und daß gerade der „Regent" Ludwigs des Blinden in der Provence, Hugo von Vienne, selbst wiederum nach königlichen Ehren strebte. So nahe waren sich königsgleiches Fürstentum und karolingisch motiviertes Königtum bereits gekommen.
4. Der westfränkische Zentralraum a) Das Regnum Burgund Der westfränkische Zentralraum setzt sich im wesentlichen aus drei Regna zusammen. Neustrien und Franzien werden noch eingehend zu behandeln sein1). Das dritte Regnum, der „duché de Bourgogne", ist jener Teil des alten merowingischen Teilreiches Burgund, der von den späteren Teilungen, die den östlichen Bereich mehrmals zerstückelten, unbehelligt geblieben war2). Daher ist Richard der Richter3) nur sehr bedingt als „Begründer des Herzogtums Burgund"4) anzusprechen. Sein Herrschaftsanspruch ging nie über die Grenzen des alten Reichsteiles hinaus5). Das Problem „Burgund" ist noch lange nicht erschöpft. Auch in der unge!) Vgl. unten S. 260 ff. ) Zu den Teilungen vgl. René P o u p a r d i n , Le Royaume de Bourgogne (888—1038) (Paris 1907) 3 f. und Chaume, Bourgogne 131—194 (mit Karten), d e r s . , Le sentiment national bourguignon de Gondebaud à Charles le Téméraire. Mémoires de l'Académie des Sciences de Dijon (Dijon 1922). Den Bezug zum fränkischen Teilreich Burgund stellt schon Poupardin, Bourgogne 2, fest. Zu Burgund vgl. auch immer noch Hofmeister, Deutschland und Burgund. s ) R i c h a r d der Richter (le Justizier, f 921), verh. mit der Weifin Adelheid, Bruder Bosos von Vienne, Vater Hugos des Schwarzen, 875 mit Boso nach Italien (Schramm, Beiträge 2, 252), 876 als Graf, wohl von Sens (Kienast, Herzogstitel 85), 880 Graf von Autun, macht sich verdient um die Normannenabwehr, 911 großer Sieg; vgl. noch Poupardin, Bourgogne und ders., Provence, Chaume, Bourgogne; zur Verbindung mit den Weifen Josef F l e c k e n s t e i n , Über die Herkunft der Weifen und ihre Anfänge in Süddeutschland. Studien und Vorarbeiten zur Geschichte des großfränkischen und frühdeutschen Adels (Hrsg. Gerd Tellenbach, Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte 4, 1957) 110, natürlich auch Dhondt, Naissance. *) Kienast, Herzogstitel 85. Zunächst existierte nicht einmal ein Herzogtum im Sinne des späteren „duché de Bourgogne". Richard war, nach seinem Titel von 918, der erste „ d u x in regno", der erste Fürst des Regnum Burgund. Das aber hat mit einer „Begründung des Herzogtums" nur wenig zu tun. 6 ) Chaume, Bourgogne 386, Anm. 6: „II est très remarquable que Richard n'ait jamais tenté aucune entreprise territoriale au delà des frontières du Regnum Burgundiae, et particulièrement dans ces pays Lorrains auxquels t a n t de liens le rattachaient." 2
Das Regnum Burgund
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druckten Habilitationsschrift Karl Ferdinand Werners wird ausführlich darüber gehandelt. Es ist zu erwarten, daß Werner in seinem seit einiger Zeit angekündigten Werk diese Frage einer Lösung näher bringen wird. Seit der Mitte des achten Jahrhunderts bezieht sich der Begriff der „gens Burgundionum" auf die gesamte Bevölkerung des ehemaligen merowingischen Teilreiches von Orléans-Burgund6). Doch führen weder eine ethnische noch eine territoriale Betrachtungsweise wirklich weiter. Classen nahm an, daß „Provincia" und „Burgundia" im neunten Jahrhundert reine Landesnamen seien und der Name für die „Burgundiones" im neunten Jahrhundert von diesen Landesnamen abgeleitet worden wäre. Doch müßte man dann an ein Regnum im territorialen Sinn denken. Umgekehrt wird man mit „urtümlich gentilizischen Vorstellungen" wenig anfangen können, die Kienast im „historischen Selbstbewußtsein des Volkes" festgestellt haben will 7 ). Dieses Selbstbewußtsein als Motiv der Politik ist wohl selbst zu sehr Produkt zahlreicher verschiedener Faktoren, von denen in Burgund der gentile am wenigsten wirksam gewesen sein konnte. Hingegen ist immer wieder festzustellen, daß der Name Burgund zur Verfügung stand, um politische Neu- oder Umbildungen an die Tradition anzuschließen, wie es ja auch beim Staat der Weifen geschah. Der Begriff einer „Bourgogne en général", mit dem Poupardin die ,,regnum"-Nennungen in Beziehung setzt, findet jedenfalls nach 800 historisch keine Deckung. Die Laufbahn Richards des Richters war, soweit sie sich am Titel und an den Titulaturen ablesen läßt, die gleiche wie die der anderen Fürsten seiner Zeit. Dabei entwickelten sich Elemente der „ersten Generation" — also „comes"-Titulatur mit Rangprädikaten — bis zum Fürstentitel der Selbstaussage von 918 Ricardus comes et dux Burgundiae8). Wie im Osten die Zeit Ludwigs des Kindes machte im Westen die Herrschaft Karls des Einfältigen den Weg zur vollen fürstlichen Intitulatio frei. Der Titel Richards des Richters trägt noch alle Elemente seiner Entwicklung in sich. Das „comes et dux" entspricht dem „comes et marchio" der offiziellen Titulatur. Der Dukat stammt formal aus der Fremdaussage, die beim Anlaß der Wahl Ludwigs des Blinden 890 offiziösen Charakter angenommen hatte. Nur die territoriale Bereichsbezeichnung, im Titel nicht bloß Herkunfts®) Eugen E w i g , Volkstum und Volksbewußtsein im Frankenreich des 7. Jahrhunderts. Caratteri del secolo V I I in Occidente. Settimane di Studio del Centro Italiano 5 (Spoleto 1958) 627 f. Zur Habilitationsschrift Werners vgl. oben S. 180. ') Peter Classen, Die Verträge von Verdun und von Coulaines 843. HZ 196 (1963) 4; Kienast, Studien 27 f. ; Poupardin, Provence 287, Anm. 9. 8 ) 918 Mai 18, für die Kanoniker von Langres, Chartes inédites de I X e et X e siècles appartenant aux Archives de la Haute-Marne (851—973) (ed. Alphonse Roserot, Bulletin de la Société des Sciences historiques et naturelles de l'Yonne 51, Auxerre 1897) 184 f. : „Ricardus comes et dux Burgondiae, omnibus sanctae Dei ecclesiae fidelibus et nostris notum fieri volumus"; Intervenient ist, unter anderen „fideles", jener Manasse, der sich 911 in einem Brief an Richard (René M e r l e t , Les comtes de Chartres, de Châteaudun et de Blois au I X e et X e siècles. Mém. de la Soc. arch. d'Eure-et-Loire 12, Chartres 1901, 80 n. 1, Flach, Origines 4, 332 n. 2, Kienast, Herzogstitel 88) „dux" nennt! Dieser rein militärische Dukat wird im Titel Richards überhöht.
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angabe wie in manchen Premdaussagen9), definiert diesen Dukat als vollen Fürstentitel. Der Herrschaftsanspruch Richards wird auch in der königlichen Publicatio „ecclesiae fidelibus et nostris" deutlich. Die offizielle Titulatur für Richard bleibt nach der Aufnahme des Marchionats schwankend10); „marchio" allein kommt nicht vor, „comes" allein dagegen noch lange und häufig. Die Rangprädikate der comes-Titulatur bleiben im üblichen Rahmen. Das „gloriosus" in einer Subskription von 890 steht vielleicht unter geistlichem, eventuell päpstlichem Einfluß und hängt sicherlich mit dem „gloriosus" für Richards Bruder Boso zusammen; „inclytus" wird bei den Robertinern noch öfters begegnen. Darüber wird dort mehr zu sagen sein, ebenso wie über die Adjektiva „reverentissimus" (n. 6) und „venerandus" (bei einigen n.9 zitierten Erwähnungen), die mit dem „comes et abbas", der Funktion als Laienabt, in Verbindung zu bringen sind11) Von seiner Gattin Adelheid gibt es mehr Selbstaussagen als von Richard selbst. Zum Teil wird Richard dabei erwähnt12). Sie verwendet die Legitima•) Vgl. dazu unten Anm. 10 nn. 10 f. ; außerdem S. 253, Anm. 37 und unten Anm. 10 n. 4; dazu S. 224 Anm. 61 und unten Anm. 18. 10 ) 1) 876 Sept. 4, Quierzy, Schenkung Karls des Kahlen an seinen Verwandten, Graf Konrad von Auxerre, im S R : „Hildoinus abbas et Richardus comes ambasciaverunt". Vgl. Poupardin, Provence 81, Anm. 1, Chaume, Bourgogne 272 und Kienast, Herzogstitel 93 (dort, wenn nicht anders vermerkt, auch eine Zusammenstellung der übrigen offiziellen Nennungen). — 2) 880 Nov. 30, Restitution entfremdeten Bischofsgutes durch Karlmann, Sohn Karls des Kahlen, H . F. 9, 418: „ad deprecationem Richardi comitis Augustodunensis" ; zur Herkunftsbezeichnung vgl. S. 180. I m Juli des gleichen Jahres hatte man Boso auch aus dem Mâconnais verdrängt, das Bernhard Plantevelue erhielt (Ann. Bert. 153). — 3) Die Urkunde von 885 J u n i 12, D. K D 120, wo es heißt „ u t nullus Burgundiae dux . . . " , dürfte an dieser Stelle interpoliert sein. — 4) 890, Ende August, MGH Capit. 2, 377 n. 289, vgl. S. 253 Anm. 37: „maxime inclytissimi Richardi ducis eximiique principis"; Kienast, Herzogstitel 87. — 5) 890, D. Provence 51 n. 28: „Ricardus gloriosus comes firmavit". —6) 891 J u n i 16, Odo f ü r Sens, H. F. 9,457, Quantin Cart. Yonne 1, 129 n. 65: „consentiente reverentissimo comité et abbate Richardo". — 7) 897 Oktober, Chartes bourguignonnes inédites de I X e , X e et X I e siècles (ed. Joseph Garnier, Mémoires présentés â l'Académie royale des Inscriptions et BellesLettres, Paris 1849) 134 n. 116: „Richardus illustris dilectusque nobis comes humiliter petiit" ; vgl. Favre, Eudes 161. — 8) 900, vor Okt. 11, D. Provence 69 n. 37, BernardBruel, RC Cluny 79 n. 70: „inclitus comes nomine Hugo, filius Ricardi comitis"; vgl. Kienast, Herzogstitel 87. — 9) in Diplomen Karls des Einfältigen erscheint Richard als comes, nach Kienast, Herzogstitel 93, u. a. in den Jahren 900 (n. 31), 902 (n. 43), 907 (n. 55) und 915 (n. 82). — 10) 900 J u n i 26, D. Charles I I I , 68 n. 32: „per Richaldi illustris comitis et dilecti markionis deprecationem". — 11) 900 J u n i 30, ebenda 70 n. 33: „Richardus comes illuster et marchio". — 12) 901, Cartulaire de l'église d'Autun 1 (ed. A. Charmasse, Paris 1865) 35: „nobilissimus marchio"; vgl. die Beispiele bei Chaume, Bourgogne 385 Anm. 1. — 13) 901 April 22, D. Charles I I I , 81 n. 38: „comes set et fidelis noster necnon et abbas". — 14) 902 Juli 25, Schenkung an den „fidelis noster nomine Manasse", ebenda 93 n. 43: „per deprecationem illustris comitis Richardi". — 15) 908 August 8, ebenda 127 n. 59 : „Richardus comes et illustris marchio". " ) Vgl. S. 201. 12 ) 1) (921—929), Archives de Saône-et-Loire. Documents originaux antérieurs à l'an mil (ed. Léonce Lex, Chalon-sur-Saône 1888) 19 n. 13 (sub 938) : zum Seelenheil „senioris . . . amantissimi ducis et marchionis Richardi" urkundet Adelheid als „Ego Adeleydis . . . condam comitissa, nunc autem . . . celestis imperatoris f a m u l a " ; vgl. Chaume,
Der „princeps", „comes et d u x " Richard der Richter
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tionsformeln „dono Dei comitissa" und „superna disponente pietate quondam comitissa". Diese bilden einen Hinweis dafür, daß diese Formeln nicht unmittelbar, wie oft behauptet wird13), aus der Bischofsurkunde stammen dürften. Das bischöfliche Urkundenwesen fällt in dieser Zeit nicht sehr ins Gewicht; hingegen spielen in der Epoche der Laienäbte die Kanzleigewohnheiten der Klöster eine bedeutende Rolle14). Richard der Richter wird in den Urkunden seiner Gattin „princeps" und „dux et marchio" genannt, was der üblichen postumen Aufwertung der Titulatur entspricht. Er signiert regelmäßig als „comes" ; 877 wird er in der SignumZeile auch „missus imperialis" genannt, sicherlich im Zusammenhang mit den Ereignissen um die Italienreise Karls des Kahlen, an der er wie sein Bruder Boso teilnahm16). Eine Urkunde von 885—887 nennt ihn „comes vel abbas", ein Gerichtsprotokoll von 896 oder 901 „illuster" und „inclytus comes". 916 erscheint er in einer Urkunde, die Richards Sohn Rudolf — „filius praedicti principis" — im Auftrag seines Vaters signiert, als „nobilissimus marchio". Bedürfte es noch einer Bestätigung, daß der Marchionat fürstlichen Charakter hatte, läge sie hier. Erst 918, nach der erwähnten Selbstaussage, nennt Bischof Walo von Autun Richard „excellentissimus dux" und „piissimus"; diese Titulatur gebraucht auch Bischof Heriveus 92018). Flodoard nennt ihn „princeps Burgundiae" und „marchio de Burgundia". In einem Brief Roberts (I.) und des „dux" Manasse, der Parteigänger oder Vasall Richards war, wird er 911 einfach als „comes" angesprochen17).
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Bourgogne 553 und Kienast, Herzogstitel 87 f. und 89. — 2) 922 April 24, Charmasse, Cart. Autun 16 n. 10: „Ego Adeleth superna disponente pietate quondam comitissa" — „Rudolfus (ihr Sohn) comes subscripsi. Hugo comes subscripsi". — 3) 928—929 J u n i 14, Bernard-Bruel, RC Cluny 1,359 n. 379, H . F. 9,694: „ego Adeleydis dono Dei comitissa . . . pie memorie principis Richardi . . . S. Ugonis inclyti comitis". Kienast zitiert, Herzogstitel 356, Anm. 19a, nur Bischofsurkunden, im übrigen erst ab 915, dafür aber bis ins 11. J a h r h u n d e r t ! Vgl. zur Legitimationsformel S. 203 ff. 1) 876 J a n . 31, Kaiserwahl Karls des Kahlen in Pavia, MGH Capit. 2, 99 n. 220. — 2) (877 März) Testament der Angilberga, Witwe Ludwigs II., Codice diplomatico Parmese 1 (ed. Umberto Benassi, P a r m a 1910) 155 n. 22: „S. manus Richardi comitis et missi imperialis". — 3) 896 oder 901 Dezember 21, Plazitum in Courtenot, neben Manasse und Wibert; vgl. dazu Kienast, Herzogstitel 87, d e r s . , Comes Francorum und Pfalzgraf von Frankreich. Festgabe f ü r Paul Kirn (Berlin 1961) 85 und Hlawitschka, Lotharingien 151, Anm. 123. 1) (885—887) Oktober, Recueil des actes du prieuré de S.-Symphorien d'Autun de 696 à 1300 (ed. André Déléage, Autun 1936) 13 n. 3: „ u b i . . . R . comes vel abbas praeesse videtur"; vgl. Kienast, Herzogstitel 87 (auch zu folgenden). — 2) Wie Anm. 15 n. 3. — 3) 916 Sept. 5 f ü r S.-Nazaire in Autun, Charmasse, Cart. Autun 35 n. 22 (mit 901): „residente dorn. Richardo nobilissimo marchione"; — 4) 918, nach Sept. 24, Bischof Walo v. Autun f. sein Kapitel, H . F. 9,716, Charmasse, Cart. Autun 37 n. 23: „domni Richardi excellentissimi ducis . . . piissimi ducis . . . principis d o m n i . . ."; — 5) 920 Okt. 31, Bischof Herveus von Autun, H .F. 9, 718, Charmasse, Cart. Autun 43 n. 26: „interventu domni Richardi piissimi ducis". Flodoard, Hist. Rem. eccl. IV c. 12, 576; Annal, a. 921, 5. — 911, Merlet, Chartres 80 n. 1, Flach, Origines 4, 332, Anm. 2 und 338, Kienast, Herzogstitel 88, Anm. 20. Zu Manasse vgl. Dhondt, Naissance 160.
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Die erzählenden Quellen nennen ihn, weitgehend ohne Regel, „comes", „dux" und „princeps", auch mit ethnischer oder territorialer Bereichsbezeichnung, was aber nicht mit einer regulären Fürstentitulatur gleichzusetzen ist : „dux Burgundionum" wird Richard zunächst vor allem wegen seiner militärischen Leistungen als Führer des Heeres aus dem Regnum Burgund gegen die Normannen genannt. Eine genaue Analyse der Nennungen in erzählenden Quellen kann und braucht nicht geboten werden18). Es sei hier nur daran erinnert, daß auch Dhondt die Neigung der Chronisten zur dux-Titulatur mit deren Abneigung gegen den Neologismus „marchio" motiviert19). Vor einer Zusammenfassung soll noch kurz die Weiterentwicklung des Titelwesens skizziert werden. Der Dukat in Titel und Titulatur bleibt zunächst eine Einzelerscheinung, jeweils aus der Quelle, der Zeit und den Umständen des Gebrauchs zu rechtfertigen. Die komplexe Zusammensetzung der Selbstaussage Richards des Richters zeigt allein schon, daß so etwas wie ein gentiler Herzogstitel als Fürstentitel par excellance nicht selbstverständlich war. Dagegen ist die Tradition des Marchionats, der der offiziellen Interpretation der Verfassungswirklichkeit eher entsprach und die Hervorhebung des Titelträgers vor seinen Parteigängern und Vasallen ausreichend ermöglichte, im französischen Bereich sehr stark. Aber auch dieser ist nicht unbedingt nötig, wo die Macht des Fürsten außer Zweifel steht. So urkundet Hugo nur ein einziges Mal als „comes et marchio", verstärkt durch ein „humilis"20). Ansonsten " ) 1) Gesta ep. Autissiodorensium 42, zitiert nach Chaume, Bourgogne 363, Anm. 4: „Richardi magni et florentissimi principis". — 2) Series abb. Flavissiacensium (ed. Wilhelm Wattenbach, MGH SS 8, 1848) 502: „Richardus dux et . . .". — 3) Chronique de l'abbaye de S. Bénigne de Dijon (ed. E. Bougaud und Joseph Garnier, Dijon 1875) ca. a. 890,114: „quibus (den Normannen) occurrens dux Richardus"; vgl. Chaume, Bourgogne 349. — 4) Annales S. Columbae Senonensis (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 1, 1826) 104: „Richardus princeps Burgundiae recepit Sennis contra Gualterium episcopum et Guarinum comitem VI id. iun"; zum gleichen Ereignis — 5) Chron. S. Petri Vivi Senonensis, H.F. 9, 33: „a Richardo duce Burgundionum"; dazu Hlawitschka, Lotharingien 139, Anm. 89. — 6) Historia Francorum Senonensis (ed. Georg Waitz, MGH SS 9, 1851) a. 898, 365: „venerunt Normanni in Burgundiam . . . occurrit autem illis Richardus dux Burgundiae". — 7) Annales Vedastini a. 898, 80: gegen die Normannen zieht „Richardus comes"; ähnlich — 8) Annales S. Benigni Divionensis (ed. Georg Waitz, MGH SS 5, 1854) a. 899, 40: „Richardus comes Burgundiae"; vgl. Chaume, Bourgogne 352 Anm. 2. — 9) ad 924 J u n i 20, Translation des sei. Maxentius, Besly, Poictou 217, Cartulaire de l'abbaye de Redon en Bretagne (ed. Aurélien de Courson, Paris 1863) 229 n. 283: „cum adiutorio Ricardi comitis"; vgl. Kienast, Herzogstitel 88. — Selbstverständlich handelt es sich auch bei dieser Aufzählung nur um eine Auswahl. ») Dhondt, Marquis 407 ff. 20 ) H u g o der Schwarze (f 952), Sohn Richards des Richters; vgl. zuletzt Kienast, Herzogstitel 91 ff. und Chaume, Poupardin und Dhondt. Die Diskussion, ob und wieweit das „Herzogtum" schon bei der Thronbesteigung Rudolfs oder erst nach dessen Tod auf Hugo übergegangen wäre (Kienast, Herzogtum 90, Anm. 24, Chaume, Bourgogne cap. 16, bes. 406 ff. und Poupardin, Bourgogne 206), geht von einem falschen Ansatzp u n k t aus: Ein „Herzogtum" gab es nicht; „marchio" und „princeps" im Regnum wird er wohl schon vor 936 gewesen sein, wie einige Nennungen (Anm. 21 n. 1 und Anm. 22 nn. 2, 3) zeigen. Vielleicht war die theoretisch immer vorauszusetzende Königshoheit in dieser Zeit ausgeprägter.
Hugo der Schwarze
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nennt er sieh „comes", zweimal mit der Legitimationsformel „gratia Dei"; einmal heißt er „Dei nutu comes domini nostri Jesu Christi", wobei formal die doppelte Legitimation wieder sichtbar wird. Sie ist jedoch nur auf Gott bezogen, der allein auch als Lehensherr anerkannt wird. Ein anderes Mal wird auf jedes Beiwerk verzichtet21). Mag sein, daß in diesen Urkunden Hugo in seiner Funktion als „comes" auftreten wollte, sicher ist jedenfalls, daß jedermann wußte, wer dieser „comes" Hugo war. In Notizen und Urkunden fremder Aussteller beleidigte man ihn zwar durchaus nicht, wenn man ihn „comes" nannte, aber man hatte offensichtlich das Bedürfnis, ihn durch auszeichnende Titulaturen hervorzuheben22). Schon 927 wird Hugo im Protokoll zur Wahl des Bischofs von Lausanne als „marchio" bezeichnet. 932/33 versuchte eine Urkunde des Bischofs Berno von Mäcon eine Rangabstufung festzulegen: nach seinem königlichen Bruder kommt Hugo als „pacificus princeps" vor einen „comes inclitus". Später erscheint er wie sein Vater auch als „piissimus princeps". „Comes" und „marchio" bleiben aber doch die Regel. Ein einziges Mal wird Hugo 946/47 als „dux" bezeichnet. Graf Leotald von Mäcon, der sich selbst großartig „ceterorum comes nobilissimus" nennt, sieht sich genötigt, seinen „senior" wenigstens als „archicomes" zu titulieren, um den Rangunterschied nicht ganz zu nivellieren. Bei den offiziellen Titulaturen23) ergibt sich ganz ähnlich das Bild einer Übergangsphase, in der man erst nach einem adäquaten Ausdruck der Ver21
) 1) 936 September i, Déléage, RA S.-Symphorien d'Autun22 n. 7: „Hugo humilia comes et marchio"; vgl. Kienast, Herzogstitel 91 und zur „Devotionsformel" 357. — 2) 936—952, Cartulaire de S.-Vincent de Mäcon (ed. M.-C. Ragut, Mäcon 1864) 61 n. 73: „Ego Hugo comes". — 4) 942 April 21, Bernard-Bruel, RC Cluny 1, 528 n. 544: „Ego Hugo Dei nutu comes domini nostri Jesu Christi et servus". — 5) 948 Nov. 22, ebenda 684 n. 728: „Ego Hugo gratia Dei comes"; Kienast, Herzogstitel 91, Anm. 26 n. 8 schlägt, ohne Kommentar, das Datum 942 Nov. 23 vor. " ) 1) 926 Jan. 18, Gerichtsurkunde Rudolfs II. von .Burgund', Bernard-Bruel, RC Cluny 1, 248 n. 256: „Ugo comes, filius Richardi". — 2) (927) Cartulaire du Chapitre de Notre Dame de Lausanne 1 (ed. Charles Roth. Mémoires et documents publiés par la Société d'histoire de la Suisse Romande 3. sér., 3, Lausanne 1948) 51 n. 17: „Hugo marchio similiter consensit". — 3) 932—933, Bernard-Bruel, RC Cluny 1, 394 n. 408: „consentiente scilicet fratre suo (König Rudolfs) Hugone, pacifico principe, et Alberico inclito comité". — 4) 936—952, Ragut, Cart. Mâcon 168 n. 282: „comes Hugo". — 5) 936—952 ebenda 58 n. 70: „Hugo piissimus princeps" und im Text auch „comes". — 6) 936—952, ebenda 107 n. 156: „ante praesentiam domini Hugonis comitis". — 7) 943 April 23, König Konrad von „Burgund", D. Weifen 27 u. 28, RC Cluny 1, 548 f. nn. 627 und 628 : „Hugo comes consanguineus noster". — 8) 944 März 28, Cluny 610 n. 656: „ante praesentiam domini Hugonis gloriosissimi marchionis". — 9) 846—847 Juli, ebenda 649 n. 694: „ex iusione donni Hugonis ducis". — 10) 948—955, Papst Agapet II. an B. Mainbod von Mäcon, Ragut, Cart. Mäcon 56 n. 69, J L 3657 : „consentientibus Hugone marchione . . .". — 11) 949 April 17, Bernard-Bruel, RC Cluny 1, 694 n. 738: „potentissimi comités Ugo et Gislebertus". •— 12) 949 oder 950, Ragut, Cart. Mäcon 79 n. 103, Gallia Christiana 4, 277 n. 19: „Hugonem marchionem" und „comes". — 13) 951, Baluze, Auvergne 2, pr. 7: „Ego Leotaldus ceterorum comitum nobilissimus . . . senioris mei Hugonis inclyti archicomitis" ; vgl. Chaume, Bourgogne 416, Anm. 1. M ) 1) 914 Juni 21, D. Charles III, 177 n. 79: „Hugo, venerandus comes". — 2) 939 Juni 20, D. Louis IV, 31 n. 10: „Hugo, filius Richardi, vir illustrissimus et marchio". — 3)
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fassungswirklichkeit sucht. „Comes" ist Hugo der Schwarze schon zu Lebzeiten seines Vaters. I n zwei Urkunden Ludwigs IV. f ü r Cluny wird Hugo neben seinem Namensvetter, dem „dux Francorum", als „dux Burgundionum" eingef ü h r t . Es liegt nahe, daran zu denken, daß Hugo der Schwarze hier einfach nicht hinter Hugo Magnus zurückstehen sollte. Man darf jedoch nicht vergessen, daß Cluny im zehnten J a h r h u n d e r t bei der Gestaltung der dieses Kloster betreffenden Diplome mehrmals eine wichtige Rolle spielte 24 ). Man nahm jede Gelegenheit wahr, den Schenkenden wie die Petenten zugunsten der eigenen Rechtssicherheit und des eigenen Ansehens soweit wie möglich aufzuwerten. Dazu benützte man den modernsten Ausdruck der zeitgenössischen politischen Theorie, in unserem Fall die ethnische Bereichsbezeichnung. Hugo der Schwarze ist zwei J a h r e später offiziell wieder „marchio nobilissimus", aber auch „princeps"; im darauffolgenden J a h r , 949, heißt er „praecelsus marchio". J e t z t ist auch die feudale Stufenfolge ausgebildet: die beiden „Hugo" sind die „principes regni"; die Großen Burgunds, zumeist Vasallen oder Parteigänger der Fürsten, werden „proceres regni Burgundiae" genannt. Hugos des Schwarzen Nachfolger, der Sohn Manasses Giselbert, wurde Vasall Hugos des Älteren 25 ). Der Sohn Giselberts starb, ohne urkundliche Spuren zu hinterlassen 26 ). Nach diesem Intermezzo wählten die „proceres regni" Ottos Bruder Heinrich, der „mit einer einzigen Ausnahme immer als dux, dux Burgundionum oder dux Burgundiae" auftritt 2 7 ). Damit h a t die Verfassungswirklichkeit ihren adäquaten Ausdruck gefunden, das Fürstentum h a t sich institutionalisiert. Allerdings wesentlich später als anderswo. Die Tatsache, daß Burgund eines der „tria regna" der westfränkischen Königslandschaft war, wirkte sich, wie auch an den Titeln zu sehen war, f ü r die Entwicklung des Fürstentums in zweifacher Richtung aus: Eine starke Persönlichkeit wie Richard der Richter konnte zu größter Bedeutung kommen, seine Nachfolger hatten aber alle mit dem Einfluß des Königs oder seiner Umgebung zu rechnen. b) Neustrien, Franzien und der bretonische Prinzipat Die Diskussion um die politisch-geographische Terminologie im Franken940 Feb. 14, ebenda 36 n. 12: „inclitus comes Ugo". — 4) 946 Juli 1 für Cluny, ebenda 66, n. 27: „adierunt regni nostri principes, Hugo videlicet dux Francorum et alter Hugo dux scilicet Burgundionum" ; ebenda 69 n. 28 : „illustrissimi principes regni nostri Hugo videlicet dux Francorum et alter dux Burgundionum nomine Hugo"; ebenda 71 n. 29: „inclitissimi principes regni nostri Hugo videlicet dux Francorum et alter Hugo dux Burgundionum"; vgl. Kienast, Herzogstitel 63 und 95. — 5) 948 Okt. 28, ebenda 75 n. 31 : „ad deprecationem . . . marchionis Hugonis nobilissimi. . . Hugone principe annuente". — 6) 949 Nov. 10, ebenda 78 n. 33 : „Hugo, praecelsus marchio, filius Richardi, fidelis noster" im Text dann weiter über „proceres regni Burgundiae". ") Vgl. Wolfram S. 142 f. M ) Giselbert (f 956), Sohn des Manasse (Flodoard, Ann. a. 931, 48), heiratet Irmgard, vielleicht Tochter, jedenfalls aber Erbin Hugos des Schwarzen (Dhondt, Naissance 165), „princeps Burgundionum" (Annal. S.-Colombe bei Sens, ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 1, 1826, 105 a. 955); vgl. zuletzt Kienast, Herzogstitel 93. 2 ") Kienast, Herzogstitel 95. »') Kienast, Herzogstitel 96.
Zur politisch-geographischen Terminologie
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reich des 9. Jahrhunderts ist längst noch nicht abgeschlossen1), auch wenn die Beobachtungen Ewigs für unsere Fragestellung sehr wesentlich zur Klärung der Begriffe beigetragen haben2). Gerade das geographische Verständnis der Verfasser jener Urkunden und Berichte, aus denen wir unsere politischen Rückschlüsse ziehen, könnte noch eingehender untersucht werden3). Die Reichsteilung von 806 bringt zum erstenmal die Francia als „Reichsmitte", später auch „Francia media" genannt, ins Spiel, flankiert von den Reichsteilen Neustrien zwischen Seine und Loire und Austrien östlich des Rheins um den Main4). Obwohl sich schon früher eine gewisse Differenzierung des Landes südlich der Seine von der Neustria im alten Sinne feststellen läßt, ist doch vor allem die Verleihung des „regnum . . . ultra Segona" 790 an Karl den Jüngeren von entscheidender Bedeutung5). Dieser „ducatus Cinomannicus", wie es in den Metzer Annalen zum gleichen Jahr heißt 6 ), wird dann später explizit Neustrien genannt, wie etwa 837, als Karl der Kahle dasselbe Gebiet bekommt7). Hier, im Regnum „ultra Sequanam"8), erfolgte der Aufstieg des „comes" Robert des Tapferen, der den „ducatus inter Sequanam et Ligerim adversus Brittones" erhielt9). Dieses Mandat ist bei einer Untersuchung des fränkischen Zentralraumes nicht zu übersehen. Die Auseinandersetzung mit den angeblich „halbwilden"10) Bretonen und die Genesis des bretonischen Prinzipats spielen eine wesentliche Rolle in der Entwicklung der Herrschaftsverhältnisse des westfränkischen Zentralraumes. Leider lassen uns hier wie in kaum einem anderen Bereich die Vorarbeiten im Stich11). 1
) MGH Capit. 1., 127 n. 13. Literaturüberblick in der eingehenden Arbeit von Margret L u g g e , „Gallia" und „Francia" im Mittelalter (i960) und bei Kienast, Herzogstitel, Einleitung und erstes Kapitel; dort auch weitere Quellenbelege, allerdings hauptsächlich eine spätere Zeit betreffend. 2 ) Eugen E w i g , Beobachtungen zur politisch-geographischen Terminologie des fränkischen Großreiches und der Teilreiche des 9. Jahrhunderts. Spiegel der Geschichte. Festgabe für Max Braubach (1964) 99—140. 3 ) Die Arbeit von Hermann H e n z e , Zur kartographischen Darstellung der Westgrenze des Deutschen Reiches in Karolingischer Zeit. Rheinische Vierteljahrsblätter 9 (1939) 207—254 mit dem Stand von 1920 verfolgt eher praktische Ziele. 4 ) Ewig, Terminologie 100f. mit Anm. 6. Vgl. auch Auguste L o n g n o n , Atlas historique de la France (Paris 1885) Karten 4, 5 und 6. 5 ) Annal. S. Amandi a. 789 (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 1,1826) 12; vgl. BM2 303 c, Gustav E i t e n , Das Unterkönigtum im Reiche der Merowinger und Karolinger (Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte 18, 1907) 46 ff., Carlrichard B r ü h l , Fränkischer Krönungsbrauch und das Problem der „Festkrönungen". HZ 194 (1962) 308 und 312, Werner, Adelsfamilien 443, Wolfram, Intitulatio I., 206, Anm. 2. ") Annal. Mettenses Priores (ed. Bernhard Simson, MGH SS rer. Germ., 1905) a. 790, 78. ') Astronomus c. 59, 643 f. (837): „Ubi domnus imperator filium suum Karolum . . . partem que regni quam homonimus eius Karolus habuit, id est Neustriam, [ei] attribuit". 9 ) Annal. Bertiniani a. 866, 81; vgl. Werner, Untersuchungen 2, 146 f. 10 ») Regino a. 861, 79. ) Kienast, Studien 117. n ) Leider ist die lange angekündigte Habilitationsschrift K. F. Werners noch nicht erschienen. Es sei hier ausdrücklich festgestellt, daß gerade dieses Kapitel der freundlich
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Die definitive Einrichtung des Teilreiches Neustrien zwischen Seine und Loire war offenbar Teil der umfassenden Reichsorganisation, deren Spuren wir in den achtziger Jahren in Aquitanien12) und Bayern schon begegnet sind und in Italien noch begegnen werden13). Neustrien war zugleich Grenzraum gegenüber den Bretonen und eines der „tria regna", die 806 die Grundlage für das Teilreich des ältesten Sohnes Karls des Großen, Karl, bildeten. Daneben verweisen die Bildungen „tota Francia" und „tota Neustria" noch einige Zeit auf die ältere, weitere Bedeutung der Begriffe14), deren Einschränkung 831 und später mehrmals durch die Ergänzung „media Francia" definiert wird15). Der Frankenname bezeichnet also zunächst ein territorial begrenztes Regnum, das sich kaum von anderen Regna unterscheidet, und kann einen regionalen Konsolidierungsprozeß im westfränkischen Kernraum begleiten, ohne dadurch aber die Kraft zu verlieren, im zehnten Jahrhundert einem inhaltlich neu bestimmbaren Königtum die Form zu verleihen16). Er war in seiner Bedeutung immer mehrschichtig und blieb es nicht nur im Westen bis weit herauf in der Geschichte17). Aus diesem hier allerdings vorerst nur sehr allgemein umschriebenen Ambiente ist auch der ,,dux Francorum" zu verstehen. Kienast wollte in ihm den „einzigen wirklichen Herzog, den es in Frankreich gab", sehen18). Die Hinweise K. F. Werners führen allerdings weiter19). Es ist kaum nötig, sich mit Kienasts eigentümlichem Wirklichkeitsbegriff näher auseinanderzusetzen.
12
) ") 14 ) ") ") 17 ) 18 ) 19 )
gewährten Einsicht in das Manuskript sehr viel verdankt; manche der dort niedergelegten Ergebnisse erfuhren hier von einem anderen Ansatzpunkt eine Bestätigung, für die Diskussion divergierender Interpretationen wird sich wohl noch Gelegenheit finden. Allerdings wäre vor allem die Stellungnahme französischer Fachleute zu den Thesen Werners interessant. An Literatur vgl. vor allem die Gesamtdarstellungen von Arthur de la B o r d e r i e , Histoire de Bretagne (6 Bde. Paris 1896—1914), E. D u r t e i l e de S a i n t - S a u v e u r , Histoire de Bretagne (2 Bde., 3. Aufl. 1946), H. W a q u e t , Histoire de la Bretagne (2. Aufl. Paris 1947), A. R é b i l l o n , Histoire de Bretagne (Paris 1957), und Auguste D u p u y , Histoire de Bretagne (Paris 1931); ausführlich befaßt sieh Flach in Origines 4, 173—257, mit dem bretonischen Prinzipat, ebenso Dhondt, Naissance 82 ff. und 318 ff., der sich besonders mit der bretonischen Mark beschäftigt. Kurze Übersichten findet man bei Robert H o l t z m a n n , Französische Verfassungsgeschichte von der Mitte des 9. Jahrhunderts bis zur Revolution (1910) 75—79, und Erich Z ö l l n e r Die politische Stellung der Völker im Frankenreich (1950) 178—185. Besonders wichtig sind aber die Untersuchungen von Ferdinand L o t , Mélanges d'histoire bretonne (VI e — X I e siècle) (Paris 1907), Robert L a t o u c h e , Mélanges d'histoire de Cornouaille (Paris 1911) und d e r s . , L'abbaye de Landevenec et la Cornouaille au I X e et X e siècle. Moyen Age 65 (1959) 1—26, und besonders Marcel P l a n i o l , Histoire des institutions de la Bretagne (Droit public et droit privé) 1 und 2 (Rennes 1953/54). Vgl. S. 215 Anm. 7. Vgl. S. 235 Anm. 5 und S. 319 ff. Lugge, Gallia, besonders 76 ff. und Kienast, Herzogstitel 73, Anm. 94 u. 95. MGH Capit. 2, 24; Lugge, Gallia 36. Vgl. S. 116 ff. Dazu Intitulatio I., 15, Kienast, Herzogstitel 55. Werner, Untersuchungen und die bereits mehrfach genannte ungedruckte Habilitationsschrift.
Die „Präfekten" der bretonischen Mark
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Es zeigt sich nämlich, daß ein solches „wirkliches Herzogtum" auch im Osten nur Fiktion ist: eine Fiktion von Historikern, die sich von hochmittelalterlichen Verfassungsbegriffen und einem neuzeitlichen Rechtsdenken nicht lösen können und das dann zurückprojizieren. Hingegen läßt sich zeigen, daß im Rahmen der westfränkischen Verfassungswirklichkeit gerade das Fürstentum in Neustrien und Franzien am allerwenigsten eine Ausnahme bildet. Im Jahre 778 fällt auf dem Rückzug aus Spanien der berühmte Roland de Bretagne. Er ist nach Einhard „Brittannici limitis praefectus"20). Im Jahre 799 erobert ein „Wido comes, qui in marcam Brittaniae praesidebat, una cum sociis comitibus" die Bretagne21). Alkuin nennt diesen Wido „missus"22). Ein Jahr später wird Karl, der König des Reiches zwischen Seine und Loire, gemeinsam mit dem Vater in Rom gesalbt und gekrönt23). Er ist der Inhaber des „ducatus Cinomannicus", in dem bereits Pippin der Jüngere 748 seinem Halbbruder Grifo zwölf Comitate verliehen hatte 24 ). Mit diesen Daten ist geradezu ein Katalog der Grundlagen für ein dauerhaftes Fürstentum in Neustrien gegeben: ein militärisches Mandat zur Sicherung der Grenze, zugleich mit einem politischen Mandat innerhalb eines Regnum, als Zweiter nach einem Karolingerkönig. Der Terminus „ducatus" kommt vermutlich wegen der besonderen militärischen Bedeutung dieses Gebietes ins Spiel, er wird immer wieder verwendet25). Ansonsten aber haben wir hinreichend Indizien, an eine ähnliche innere Organisation wie in Aquitanien und Bayern zu denken: Der „comes" und „missus" Wido führt eine Gruppe von „socii comites"an, der berühmte Roland ist „Präfekt", beide haben also ein besonderes Mandat in Vertretung des Königs wahrzunehmen26), wie es auch die Aufgabe Wilhelms des Heiligen in Aquitanien und Gerolds in Bayern, dem „ducatus Baioariae ex regno nostro Francorum"27) war. Wido hat sicher nicht nur in der sogenannten bretonischen Mark, sondern allgemein im Regnum Karls des Jüngeren eine Rolle gespielt. Beide Söhne Widos haben in den ersten Jahrzehnten des neunten Jahrhunderts maßgeblichen Anteil an der Politik dieses Raumes: Der gleichnamige Wido als Graf von Vannes und vermutlich auch von Maine, Lambert möglicherweise in der direkten Nachfolge seines Vaters als „Präfekt". An den Aktionen unter Ludwig dem Frommen gegen den bretonisch „dux", ja „rex" Mormannus28) « ) Einhart c. 9, 12; vgl. S. 194 ff. 21 ) Annal. regni Franc, a. 799, 107; vgl. Bernhard Simson — Sigurd Abel, Jahrbücher des fränkischen Reiches unter Karl dem Großen 2 (2. Aufl. 1883) 201, Anm. 1. " ) Alkuin an Karl den Großen, 801 oder 802 (MGH Epist. 4) 402 n. 249. 2S) Vgl. oben Anm. 5; Liber pontificalis, Vita Leonis III, c. 24 (ed. Louis Duchesne II, Paris 1892, 7): „. . . pontifex unxit oleo sancto Karolo, excellentissimo filio eius, rege in ipso die natalis . . ." (800); dazu Eiten, Unterkönigtum 48, Georg W a i t z , Deutsche Verfassungsgeschichte 3 (4. Aufl., 1953) 191 Anm. 1; Alkuin 360 n. 217: „Audiviper domnum apostolicum regium nomen, domno excellentissimo David consentiente, cum Corona regiae dignitatis vobis impositum". " ) Vgl. oben Anm. 7, Ewig, Terminologie 101, Anm. 6. 25 ) Vgl. etwa S. 267 Anm. 56. 26 ) Vgl. oben S. 218 und S. 239. " ) Astronomus c. 5, 609; D. Kar. 162, dazu Intitulatio I., 158. 28 ) Annal. regni Franc, a. 818, S. 148, Astron. 623, Thegan 596.
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818 und gegen den bretonisehen Großen Wihomarcus mit seinen „homines" 825 war Lambert wesentlich beteiligt. Interessant ist in diesem Zusammenhang die weitgehende Hilflosigkeit der fränkischen Quellen der bretonischen Verfassungsstruktur gegenüber, die sich in den Bezeichnungen der jeweiligen Gegner ausdrückt. Lambert ist 834 auf Seiten Lothars zu finden und stirbt 837 in Italien im Exil 29 ). Seit dem Beginn der dreißiger Jahre ist jedoch bereits ein anderer Mann in die maßgebliche Position der bretonischen Mark getreten : Nominoé, selbst ein Bretone30), der seine Legitimation zunächst als „missus imperatoris Hlodovici" gewann31). Diesem sollte es durch eine geschickte Verbindung fränkischer und bretonischer Traditionen gelingen, das erste königsgleiche Fürstentum aufzubauen. Grundlagen seiner Tätigkeit sind Missat und Comitat, allerdings (850) „in tota Britania''32). Weitaus häufiger jedoch nennt man ihn, ,dux in Brittanniam'', was sich immer noch aus seinem militärischen Mandat ableiten läßt33). Wenn man einmal die gentile Form „dux Brittonum" wählt, so bleibt das ein Einzelfall ohne Konsequenzen34). Der Höhepunkt der Machtentfaltung Nominoés findet seinen Ausdruck im Prinzipat : Mehrmals, unter anderem in einer Zeugennennung und in einer Signum-Zeile, wird er als „princeps Brittanniae" vorgestellt35). Für die letzten Jahre seines Lebens gebraucht eine um 872 entstandene Chronik abwechselnd die Titulaturen „dux" und „tyrannus"36). " ) Hlawitsehka, Franken, Alemannen 55. 90 ) N o m i n o é (f 851), Ende der Zwanziger]ahre (kurzzeitig?) Graf von Vannes, vor 834 Missus Ludwigs des Frommen (Anm. 31), Reginos Bericht zu 837, 74, ist im zeitlichen Ansatz zu korrigieren, die Bezeichnung „ducatus" entspricht dem Sprachgebrauch, die Ernennung durch Ludwig wurde zunächst auch von Nominoé betont; vgl. auch Ferdinand L o t , Nominoé, Erispoé et l'empereur Lothaire. Annal, de Bretagne 22 (1907), Ferdinand L o t — Louis H a l p h e n , Le règne de Charles le Chauve 840—877, 1, 840 — 851 (Bibliothèque de l'école des Hautes Études 175, Paris 1909). Pocquet, Nominoé. Mémoires de la Société d'histoire et d'archéologie de Bretagne 25 (1945) 1—25, Léon L e v i l l a i n , La Marche de Bretagne. Annal, de Bretagne (1951) und d e r s . , Les réformes ecclésiastiques de Noménoé. Moyen Age 15 (1902). 31 ) 834 Juni 18 für Redon, Cartulaire de l'abbaye de Redon en Bretagne (ed. Aurélien de Courson, Paris 1863) 2 n. 2: „Ego in Dei nomine missus imperatoris Lodovici". S2 ) 1) 840—847, Cart. Redon 215 n. 265: „in causa comitis" in bezug auf Nominoé. — 2) 850 Okt. 5, ebenda 201 n. 249: „Numinoe commes in tota Britannia". M ) Cart. Redon Anh. n. 5 (833), n. 194 (840), Anh. n. 12 (nicht näher datiert, aus der Zeit Kaiser Ludwigs), Anh. n. 17 (842), Anh. n. 21 (845), Anh. n. 25 (847), n. 164 (840/847), 34 n. 251 (849). ) Cart. Redon n. 41 (845). *6) 842 Feb. 9, Cart. Redon 74 n. 97 : „Nominoe principe tocius Britanniae ibi praesentialiter adstante . . . Numinoe princeps Brittannie"; obwohl keine Selbstaussage im strengen Sinn, zeigt diese Urkunde Nominoé immerhin selbst die Schenkung bestätigend, was für eine sorgsamere Auswahl der Titulatur sprechen kann. Ferner findet sich der Prinzipat bei Nominoé in: Cart. Redon n. 180 (840/846), n. 108 (ca. 847) und Anh. 27 (850, in der Datierung, gemeinsam mit „Lothario imperatore"). M ) Chron. Fontanell. a. 849, S. 303: „Nomenius, tyrannus Brittonum". Ad a. 851 wird Nominoé „dux Brittonum" genannt, ebenso schon zu 850 gemeinsam mit „Lantbertus tyrannus in Nannetis". Dazu vgl. Lupus von Ferrières 2, 60 und Lot-Halphen, Charles le Chauve 166 f. : Schon 846 war dem Lambert Nantes auf Wunsch Nominoés entzogen worden, er wurde anderswo versorgt.
Nomino6: Vom „duz in Brittanniam" zum „princeps Brittanniae"
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Betrachtet man die Umschreibung seiner Funktion in den Datierungen, so überraschen die ausdrucksvollen Partizipia „dominante" 37 ), „gubernante" 38 ), „possidente" 39 ) und „tenente" 40 ). Allerdings bleibt „regnante" im wesentlichen den Karolingern vorbehalten. Wenn es schon — ganz selten — für Nominoe verwendet wird, so nie gleichzeitig mit einem Karolinger 41 ). Hierher gehört die relativ späte Nachricht der Chronik von Nantes, Nominoe habe in Rom bei Papst Leo IV. „de regno Britanniae renovando" anfragen lassen. Unter den Geschenken, die die Gesandten überbrachten, sei ein wunderbar geformtes Gefäß gewesen42), oder, nach der Vita Conwoionis, eine goldene Krone 43 ). Nach der den Bretonen nicht gewogenen Chronik habe der Papst das Ansinnen Nominoes natürlich zurückgewiesen und die Abhängigkeit von den Franken betont. Gestattet wurde ihm hingegen, „ut dux super populum Britanniae fieret, et circulum aureum, sicut alii duces, in festis diebus deferret" 44 ). Dieser an sich schon nicht ganz verläßliche Bericht wird noch durch eine Legende überhöht, die Lot für ein Machwerk des 10. Jahrhunderts hält 45 ): Nominoe habe den Auftrag gegeben, ein Bildnis seiner selbst anzufertigen und in einem Kloster aufstellen zu lassen. Gegen diesen beispiellosen Affront reagierte Karl der Kahle ähnlich kompromißlos wie sein Großvater gegenüber dem Langobardenfürsten Arichis: Er läßt das Bildnis Nominoes durch sein eigenes ersetzen. Noch bestanden Erinnerungen an das Bildnisrecht des Herrschers 46 ). Nominoe soll dann deswegen das Kloster zur Strafe niedergebrannt haben. Manches wird an diesen Geschichten erst klar, wenn man die weitere Entwicklung des bretonischen Prinzipats betrachtet. Es wurde versucht, in Richwin, dem Grafen von Nantes, einen unmittelbaren Nachfolger für die Funktion Lamberts nachzuweisen 47 ). Dennoch muß immer bedacht werden, daß Neustrien der Ausgangspunkt der Karriere Nominoes war und die politische Entwicklung in der Bretagne und in Neustrien immer korrespondierte. In zeitlicher »') 3S ) »>) 40 ) 41 ) ") ") ") 46 ) 4
")
")
Z. B. Cart. Redon nn. Anh. 15, 136, 117, 220 u. a. Ebenda nn. 123, 181, 178, 187, Anh. 10, 113. Ebenda nn. 171, 141, Anh. 16, 111, 112, Anh. 11, 160, 265. Ebenda nn. 53, 121, 64. Ebenda n. 199 (829 oder 835) und n. 195 (840/841). Chron. v. Nantes 34. Vita S. Conwoionis, abbatis Rotonensis (ed. Jean Mabillon, AA SS Ord. S. Ben. 4, 2) c. 2, wenn möglich zitiert nach den Auszügen von L. von Heinemann (MGH SS 15, 1, 1826, 458). Chron. v. Nantes 36, zur „Herzogskrone" vgl. S. 249 Anm. 20 und unten S. 268 f. Ferdinand Lot, Mélanges d'histoire bretonne VI: Nominoé et la monastère de SaintFlorent-le-Vieil. Ann de Bretagne 22 (1906/07), 247 ff. Vgl. Garms-Cornides S. 361. Zum Bildnisrecht Percy Ernst Schramm, Die deutschen Kaiser und Könige in Bildern ihrer Zeit (1928) 61. Auf derartiges hinweisen würde eine Urkunde von 840/41, Cart. Redon n. 195: „Regnante Nominoe in Brittania, Susanno episcopo in Venedia, Rechouuino commite in Namnetica", darauf. Richwin starb 841 in der Schlacht bei Fontenoy. Werner, Habilitationsschrift 276, plädiert in diesem Zusammenhang für eine Trennung von Bretagne und Mark.
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Verkürzung sagt der Autor der Vita Conwoionis: „primum ex iussione Ludovici imperatoris, postea vero suo arbitrio omnem provinciam invaserat" 48 ). Als „comes", „missus" und „dux" unterscheidet sich Nominoé in nichts von den übrigen königlichen Mandatsträgern auf dem Weg zum Fürstentum. Der Dukat ist durch den Akkusativ ,,in Brittanniam" eindeutig intentional bestimmt. Nun war aber Nominoé selbst Angehöriger jenes Volkes, das trotz immer wiederkehrender „Siegesmeldungen" in fränkischen Quellen nie auf Dauer bezwungen wurde. Als Träger des bretonischen Widerstandes erscheinen ,,duces", „primores" oder „capitanei", mitunter sogar, wie im Falle Mormanns, ein „rex". Später werden diese Teilfürsten, vor allem in den Urkunden von Redon, „principes" genannt. Der Terminus kommt auch singularisch in gleicher Bedeutung vor ; er bleibt nach Nominoé die vornehmste Bezeichnung für die „Herzöge" oder „Könige" der Bretagne. Für diese „principes" ist der keltische Ausdruck „machtiern" überliefert. In den lateinischen Quellen tritt dafür die Volksetymologie „tyrannus" auf; auch „tyrannissa" kommt vor. Die beiden Worte werden eindeutig synonym verwendet 49 ), in der Formulierung „Alfritum tyrannum et vere tyrannum" 5 0 ) ist nur die zweite Verwendung des Wortes pejorativ, die erste gibt den keltischen Titel wieder. Die Etymologie von „-tiern" ist eindeutig : *tigernos > *tigarnos > tiarn = Lord, dominus, rex, Fürst 81 ). Für den ersten Teil des Wortes bietet sich den meisten Linguisten die Interpretation zu „macc" = Sohn, Kind (belegt ist macc tigirn, son of a Lord) an. Die keltische Eigenart, mit Hilfe von Altersverhältnissen soziale Rangordnungen auszudrücken, stimmt damit überein 52 ). Als Übersetzung ergäbe sich dann also etwa „Junker". Eine weitergehende Auskunft über Grundbedeutung und Herkunft des Terminus ist von philologischer Seite nicht zu erwarten. Hier sind zwei Dinge von Bedeutung: Am Beginn des 9.Jahrhunderts zählt die princeps-Titulatur zu den Reservaten des karolingischen Hauses. Trotzdem konnte Nominoé dieses Reservat durchbrechen, indem er sich — allerdings nur innerhalb der Bretagne — als „princeps" titulieren ließ. So fügte er sich zugleich in die lokale Machtstruktur ein. Seine Sonderstellung drückte Nominoé jedoch durch die territoriale Bereichsbezeichnung aus: er ist nicht irgendein Großer, sondern „princeps totius Britanniae", also eigentlich nicht „mach-tiern" sondern „tiern", Fürst schlechthin. Darauf scheint auch eine ") «) s0 ) el )
C. 1, 455. Vgl. etwa Cart. Redon 216 n. 267, „tyrannissa" in Cart. Redon 208 n. 257. Cart. Redon 198 n. 247. Die hier nötigen Fachinformationen verdanke ich der freundlichen Hilfe von Professor Dr. Helmut Birkhan, Wien. Zur Etymologie vgl. etwa Kenneth J a c k s o n , Language and History in Early Britain (Edinbourgh 1956) § 76, 446 ff., oder ders., A Historical Phonology of Breton (Dublin 1967) § 151, 97. ") So etwa Whitly Stokes, in: Zeitschrift für celtische Philologie 3 (1901) 214 f., bes. 215 Anm. 1 ; Jackson, Phonology § 793, 555 interpretiert ebenfalls in die gleiche Richtung. Alfred Holder, Altkeltischer Sprachschatz 2 (1904) 1841 belegt für Ogan von Giga: „Ogma maqui tigerni" = Ogan Sohn des Königs. Léon F l e u r i o t , Dictionaire des Glossea en vieux breton (Collection linguistique 62, Paris 1964) sub voce „mach" übersetzt mit „gage", was allerdings in diesem Zusammenhang überhaupt keinen Sinn ergibt.
,Tiern" Nominoé — Erispoé „rex"
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Nennung als „tyrannus" am Ende seines Lebens anzuspielen, für die sich als lateinisch-fränkische Entsprechung der Dukat einstellt. Innerhalb der Bretagne war Nominoe bemüht, eine Art bretonischer Landeskirche aufzubauen. Außerdem spricht man von der Einführung einer GrafschaftsVerfassung, als deren Träger jedoch eben jene eingesessenen Adeligen auftreten, die als Mitglieder der Gruppe der Machtiern bekannt sind 53 ). I n keinem Bereich seines politischen Handelns bricht Nominoe offen mit der Tradition. Für die fränkische Politik hat das unter anderem zur Folge, daß ungeachtet der Schwierigkeiten, die die Einordnung des bretonischen Prinzipats in die fränkische Verfassungswirklichkeit macht, die Fürsten der Bretagne keineswegs als Häupter eines wilden Keltenstammes auftreten: sie sind gleichberechtigte Mitspieler im Konzert der fränkischen Großen, gestützt auf ihre bedeutende Stellung im Regnum Neustrien. Nominoe starb im Frühjahr oder Sommer 851. Noch im gleichen J a h r übergab Karl der Kahle dem Sohn Nominoes, Erispoe, „regalia indumenta" und empfing von diesem dafür die Kommendation für die „ditio paternae potestatis" und die Grafschaften Redon, Nantes und Retz (Ratense) — im Prinzip also die bretonische „Mark" 54 ). Von einer „Krönung" im fränkischen Sinne ist hier ebensowenig wie bei Nominoe die Rede. Fünf Jahre später wird der Versuch wiederholt, das Verhältnis zwischen dem bretonischen Prinzipat und dem fränkischen König lehensrechtlich festzulegen. Karl der Kahle präzisiert seine Auffassung von dem Staatsakt von 856 so: Er habe „marcam sive comitatum Nanneticum beneficiario iure habendum et secundum nostram fidelitatem tenendum" an Erispoe gegeben, der zum Schwiegervater seines Sohnes Ludwig ausersehen war 55 ). Auf der anderen Seite erhielt eben dieser Ludwig der Stammler bei der Gelegenheit den „ducatus Cenomannicus" 56 ), oder, nach einer anderen Quelle, „Neustriae regnum". Und zwar nicht etwa aus den Händen seines Vaters Karl, sondern von seinem künftigen Schwiegervater Erispoe, nachdem dieser sich mit fränkischen Großen beraten hatte 57 ). 6>
) Vgl. die Anm. 11 zitierte Literatur, bes. Planiol, Institutions 2, 83—129, insbes. 66, und Levillain, Réformes ecolésiastiques. M ) Ann. Bert. a. 851, 41 : „Respogius, filius Nomenogii, ad Karolum veniens, in urbe Andegavorum datis manibus suscipitur et tarn regalibus indumentis quam paternae potestatis ditione donatur, additis insuper ei Redonibus, Namnetis et Ratense". Die Chronik von Nantes nennt ihn S. 42 „pseudorex" und spricht von einer „corona regia", die Karl der Kahle Erispoé „concessit habere". Von einer „Krönung", wie Kienast, Studien 119 f. meint, ist hier allerdings ebensowenig wie bei Nominoé die Rede. Um so deutlicher wird in der Stelle der Annalen von St-Bertin neben der lehensrechtlichen Abhängigkeit der Grafschaften der „Mark" auch die der Bretagne selbst betont. 56 ") D. Charles II 1, 482 n. 181. ) Annal. Bert. a. 856, 46. ") Transl. S. Ragnoberti, D. Charles II, 1, 484 n. 182: „venit ad eum (sc. Carolum regem) ibi Britonum Hilispogius princeps cum filio praefati nobilissimi regis, Ludovico nomine : ibique Hilispogius Consilio cum Francorum nobilissimis habito Ludovico regis filio Neustriae regnum dedit, et in hac regni parte eum regnare constituit". Zu dieser Translatio vgl. Léon L e v i l l a i n , La translation des reliques de Saint Austremoine. Moyen Age 17 (1904) 294—303, der Gleichzeitigkeit der Abfassung annimmt, und Lot-Halphen, Charles le Chauve 174, Anm. 1.
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Im Zusammenhang mit diesen Ereignissen wurde von Erispo668) und Karl dem Kahlen69) für den gleichen Empfänger, die Kirche von Nantes, zur selben Sache je eine im Kontext fast gleichlautende Urkunde ausgestellt. Das königliche Diplom vermeidet mit der Formel „dilectus fidelis et compater noster" für Erispoe eigentlich jede Titulatur. Die Urkunde des Bretonen ist die einzige in der Blütezeit des bretonischen Prinzipats, die offen den Königstitel verwendet: In nomine sanctae et individuae divinitatisque unicae Herispogius gentis Britannicae rex. Bezeichnenderweise bestätigt keine dieser Urkunden die andere, sie konnten getrennt präsentiert werden, und es scheint, daß man sich damit eine Art Rückversicherung verschaffen wollte. „Rex" wird auch in der Fremdaussage nicht beibehalten. Nur einmal, in einer Notiz über eine 854 „in solario episcopi" verhandelten Angelegenheit, wird Erispoe als „totius Britanniae rex" tituliert 60 ). Er selbst nennt sich 852 „princeps Britanniae provinciae et usque ad Medanum fluvium", gegen 857 lautet sein Titel „gratia Dei provinciae Britanniae princeps"61). In der Fremdaussage überwiegt ansonsten, neben vereinzeltem „dux", das Wort „princeps". Erispoes Vetter, Mörder und Nachfolger, Salomon62), erhält 868, offiziell für die Unterstützung in der Normannenabwehr, eine „Corona auro et gemmis ornata" und königliche Gewänder63). Die entsprechende Nachricht der Vita Conwoionis belegt nun keineswegs eindeutig Tellenbachs Ansicht, „daß Zirkel und Purpur nur Königen zukommen", sondern differenziert recht deutlich. Salomon habe zwar königliche Insignien getragen, und manche hätten ihn auch König genannt, aber eigentlich sei er kein „rex" gewesen64). Erst die Chronik von Nantes des 11. Jahrhunderts spricht von einer Krönung, allerdings auch nicht ganz im Sinne Kienasts65). Alle übrigen, weitaus verläßlicheren Quellen sprechen nur von der abermaligen Übertragung der Herrschaftszeichen. Wenn man sagt, „die bretonischen Herzöge . . . legten sich den Königstitel zu und ••) 856 Feb. 10, Arthur Giry, Sur la date de deux diplomes. Ann. Bretagne 13 (1897/98) 504; Chron. Nantes 44. «•) D. Charles II, 1, 482 n. 181. ,0 ) 854 März 11, Courson, Cart. Redon 369 Anh. n. 40; im Text noch mehrmals „rex", Erispoe und Salomon ohne Titel als Zeugen. ,l ) 1) 852 Aug. 23, Courson, Cart. Redon 367 Anh. n. 34: „Ego Erispoe princeps Britanniae provinciae et usque ad Medanum fluvium"; vgl. Lobineau, Hist. Britann. 2, 55. — 2) gegen 857, ebenda 365 Anh. n. 31: Trinitätsinvokation, „Erispoius gratia Dei provinciae Britanniae princeps"; zu beachten ist die Diplomform. Wieder überrascht, wie bei den Herrschaftszeichen, die Parallelität der Entwicklung zum „Beneventanae provinciae princeps" Garms-Cornides S. 375 ff. 62 ) 857 Nov.—874 Juni. 8S ) Ann. Bert. a. 868, S. 97: „Ad quem (Salomonem Brittonum ducem) idem rex praemittens Engelramnum camerarium et hostiariorum magistrum atque a secretis consiliarium suum cum Corona auro et gemmis ornata, sed et cum omni paramento regio cultu exculto, Karlomannum, filum suum, diaconum et abbatem, cum scara e vestigio, sicut Salomon ei mandaverat, misit". M ) Tellenbach, Herzogskronen 68; Vita Conwoionis (Mabillon, AA SS Ben. IV, 2) 201: „Salomon rex appellatur, quod non re vera esset; sed quia circulo aureo purpura concessione Caroli Augusti utebatur, idcirco hoc nomine censebatur". •5) Kienast, Studien 120.
Das „Lehenskönigtum" Salomons
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trugen eine Krone" 66 ), macht man es sich auf jeden Fall zu leicht. Die Bretagne wird 877 in Quierzy definiert als „regnum, quod necessitate Brittonibus quondam confirmatum fuerat", ähnlich wie Aquitanien, Bayern etc. 67 ). In diesem Regnum waren Nominoe, Erispoe und Salomon „principes", was allerdings in fränkischen Augen zu dieser Zeit einer königsgleichen Stellung nahekam. Salomon verwendet den Königstitel nie. In den Fremdaussagen kommt er nur selten vor, vor 868 überhaupt nicht 68 ). Die Chronik von Nantes überliefert als angebliche päpstliche Titulatur zu 866 „Salomon rex Brittonum". Die Formel ist aber zu unrealistisch, als daß man sie in irgendeiner Weise als repräsentativ ansehen könnte 69 ). Im Briefwechsel mit Papst Hadrian II. nennt sich Salomon 871 „Brittonum dux" und wird von Hadrian mit „Brittanniae dux" angesprochen. I n diesem Briefwechsel kommt ein Motiv vor, das die Chronik von Nantes auf Nominoe übertragen hat: Als Ersatz für ein nicht einlösbares Gelübde, nach Rom zu reisen, sendet Salomon unter anderen Geschenken eine goldene Statue „nostrae magnitudinis tarn in altitudine quam in latitudine" und eine goldene Krone 70 ). Unter den Titeln Salomons ist jener der Urkunde für Prüm von 860 am aufschlußreichsten. Die Urkunde wurde zu einem Zeitpunkt ausgestellt, als sich Salomon gemeinsam mit Robert dem Tapferen in offenem Aufruhr gegen Karl den Kahlen befand. Nach ihrer Intitulatio herrscht der Bretone „beneficio Dei", ein deutlicher Versuch, die Lehensabhängigkeit vom fränkischen König abzuleugnen. Salomon nennt sich „dux et princeps Brittonum" 71 ). Ohne Zweifel sind dieser Dukat und die ethnische Bereichsbezeichnung direkte Übertragungen des bretonischen Prinzipats für das Verständnis fränkischer Empfänger. Datiert wird nach Jahren „regni nostri". Zum Jahre 866 heißt es schlicht „ego in Dei nomine Salomon", siginiert wird mit „princeps", datiert mit „regnante" und „principatus". 868 übernimmt man die königliche Trinitätsinvokation, der Titel führt wie bei Erispoe die „provincia Brittannica" an; ein J a h r später nennt sich Salomon „totius Britanniae magneque partis Galliarum princeps", meldet also seinen Anspruch auf das Regnum Neustrien an 72 ). ••) Hartmut H o f f m a n n , Französische Fürstenweihe des Hochmittelalters. DA 18 (1962) 110; das gleiche, fast wörtlich, ohne zu zitieren, bei Percy Ernst Schramm, Herrschaftszeichen — Belege. Nachrichten der Akademie zu Göttingen 5 (1957) 169. •') MGH Capit. 2, 360. 68 ) 868 Aug. 29, Courson, Cart. Redon 188, im Signum, ferner ebenda nn. 21, 225, 247, 257. Königliche Attribute in der Urkunde von 869, ebenda n. 241. 6< ) Chron. Nantes 58. Vgl. dagegen Cart. Redon 68 n. 90, von JE 2950, wahrscheinlich unrichtig als Fälschung bezeichnet, a. 871: „Salomoni Brittannie duci". 70 ) Cart. Redon nn. 89, 90. ") 860 Oktober 7 für Prüm, Urkundenbuch zur Geschichte der jetzt die preußischen Regierungsbezirke Coblenz und Trier bildenden mittelrheinischen Territorien (zitiert als Mittelrheinisches Urkundenbuch, ed. Heinrich Beyer, 1, 1860) 99 n. 95; Datierung: „regni nostri". Vgl. Dümmler 21, 449, Anm. 4. '•) 1) Wie Anm. 71. — 2) 866 Aug. 12, Cart. Redon 41 n. 52: Nach einer kurzen Arenga „idcirco ego in Dei nomine Salomon"; im Signum „princeps", in der Datierung „regnante" und „principatus". — 3) 868 Aug. 29, ebenda 187 n. 240: „In nomine sanctae et individue trinitatis Salomon gratia Dei Britannice provinciae princesp [sie!]"; im
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Damit ist fürs erste die Reihe der glanzvollen Fürsten der Bretagne zu Ende: Salomon wird 874 von seinem Nachfolger Pasquiten ermordet, der nie die Bedeutung seiner Vorgänger erreicht. Schon seit den späten fünfziger Jahren haben die Robertiner mit ihrem Anhang begonnen, ihre Position im Dukat von Maine auszubauen, zunächst oftmals in politischer Interessensgemeinschaft mit den Bretonen. Die Bretagne selbst wird dann mehrmals geteilt, Normannensiege können nur einen Aufschub bringen, bis dann 919/921 durch den Normannensturm die Katastrophe über einen Herrschaftsbereich hereinbricht, der inzwischen in seiner Bedeutung auf die Halbinsel beschränkt war und es nach der Wiedereroberung auch blieb 73 ). Mag es auch Zufall sein, Salomon ist wie im Alten Testament der „Dritte" in einer Reihe von Herrschern, die es meisterhaft verstanden haben, zum Aufbau ihrer Position alle Hilfsmittel der zeitgenössischen Politik auszuschöpfen. Was hier, gefördert durch innerbretonische Strukturen, zutage tritt, ist nicht ein Ausnahmefall, der die Regel bestätigt, sondern eine virtuelle Möglichkeit, die in der „Regel" selbst angelegt ist. Mußte doch vieles, was sich innerhalb der bretonischen Verfassungswirklichkeit als politische Notwendigkeit selbstverständlich ergab, in den Augen fränkischer Großer nicht anders denn als Fortsetzung der eigenen Politik mit größeren Mitteln erscheinen. Die Stufen der Karriere Nominoes stellen in ihrer fränkischen Terminologie das früheste und beste Beispiel des sich anderswo über mehrere Generationen hinziehenden Aufstiegs vom „comes" und „missus" über den bevollmächtigten „dux" zum königsgleichen Fürsten über ein „Regnum" dar. Dieser Weg wurde denn auch, ohne daß man eine Vorbildhaftigkeit annehmen könnte, von den fränkischen Fürsten beschritten. Daß es zu früh war, die Stellung eines Mannes wie Nominoe als „normal" zu empfinden, zeigt die Tatsache, daß offensichtlich beide Seiten fieberhaft versuchten, den bretonischen Prinzipat in das zeitgenössische Verfassungsbild störungsfrei einzubauen. Dabei waren die Probleme von bretonischer Seite vergleichsweise gering. Es ist zu vermuten, daß den Festlandkelten wie den Iren und Schotten „mehrere Rangklassen von Königen, die im Verhältnis der Über- und Unterordnung zueinander stehen", vertraut waren. Wenskus sieht darin „das Ergebnis hegemonial strukturierter Machtkomplexe, die sich zu Rangsystemen verfestigten und auch als solche bestehen blieben, wenn die tatsächliche Macht des Oberkönigs sich wieder der der Unterkönige anglich" 74 ). Diese Interpretation stimmt auch in unserem Bereich, rechnet man die „Störung" des Erscheinungsbildes durch Franken und Normannen mit ein. Es dürfte schon vor Nominoe Große gegeben haben, die als „Oberkönige" eine Führerrolle über eine Anzahl von Kleinfürsten beanspruchen konnten. Man denke nur an die Berichte über Signum „rex", Siegelankündigung. — 4) 869 April 17, ebenda 189 n. 241: „Salomon gratia Dei totius Britanniae magneque partis Galliarum princeps, notum sit. . . totoque clero etiam eomitibus ceterisque nobilissimis ducibus fortissimisque militibus". ,s ) Vgl. auch Kienast, Herzogstitel 145 ff. ,4 ) Reinhard Wenskus, Stammesbildung und Verfassung (1961) 320 f.
Bretonischer Prinzipat — Fränkisches Lehenskönigtum
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Einfälle ins Frankenreich unter dem „rex" Mormann und anderen 75 ). Da aber die keltische Herrschaftsstruktur in der Regel sogar dreigliedrig ist, mag auch die Lehensabhängigkeit des bretonischen „princeps" seinem Ansehen kaum geschadet haben 76 ). Die in den Quellen immer wieder strikte durchgeführte Differenzierung Zwischen fränkischem und bretonischem König, wenn man will, zwischen rex und tiem, wird nur ein einziges Mal aufgehoben. Erispoe war jedoch 856, als er zum ersten und letzten Mal in dieser Periode den Königstitel führte, Herr über Neustrien und als Schwiegervater Ludwigs des Stammlers Mitglied der Familie der „reges" 77 ). Es wurde schon darauf verwiesen, welche politischen Gründe hinter der damals erfolgten Ausstellung von zwei getrennten Urkunden dieser beiden „reges" für Nantes zu suchen sein könnten. Man muß jedenfalls damit rechnen, daß die Rolle Karls des Kahlen bei dieser Gelegenheit nicht so sehr hervorstach und die Intitulatio unter dem ersten Eindruck der Insignienübergabe gebildet wurde, während die Kommendation auch im ganzen Zeremoniell nicht so in den Vordergrund getreten sein dürfte, wie es den fränkischen Quellen nach den Anschein hat. In der Form eines Lehenskönigtums, wie es hier vorgeprägt wurde, ergab sich auch für spätere Zeiten immer wieder eine Möglichkeit, durch eine personelle Bindung realpolitisch fast Gleichgestellter komplexe „internationale" Situationen zu lösen, ohne daß die politische Theorie des fränkischen Königtums zerstört worden wäre 78 ). Mit der Übergabe der Herrschaftszeichen wurde wohl ein bretonisches Königtum anerkannt. Darunter ist jedoch kein fränkisches Vollkönigtum zu verstehen; das betonen die feudalen Bindungen, die den bretonischen König dem fränkischen „rex" unterordnen. Überall sonst werden denn auch die bretonischen Herrschaftsstrukturen mit jener Terminologie in die fränkische Staatssprache übersetzit, die auch für das jüngere Fürstentum üblich ist. Dabei muß allerdings offenbleiben, wieweit den Nachrichten der Chronik von Nantes Glauben zu schenken sei. Nach ihr soll bereits Nominoe versucht haben, die einzige Instanz, die neben dem Kaisertum einen König zu legitimieren imstande war, den Papst, zur Angleichung seiner Stellung an die des fränkischen „rex" zu bewegen 79 ). Die ganze spätere Entwicklung spricht gegen eine solche Vorgangsweise, es sei denn, die bretonischen Principes wären durch Erfahrung klug geworden. Möglicherweise haben wir es aber hier nur — in ausgeschmückter Form — mit dem gleichen Topos zu tun, der jedesmal auftaucht, wenn ein Fürst in seinem Anspruch dem eines Königs allzu nahe kommt: Oft und oft begegnet man dem Vorwurf, ein Großer habe sich wie ein König betragen. Dazu kommt, daß die eigentümliche Stellung Nominoes innerhalb der Bretagne von außen her wirklich schwer verständlich gewesen sein kann. Wie dem auch immer sei, mehr als eine Episode kann diese Anfrage an den Papst, die auch an '«) Vgl. oben S. 263 f.. ") Otto Schräder — Alfons N e h r i n g , Reallexikon der indogermanischen Altertumskunde 1 (1917) 617. ") Vgl. oben S. 267 Anm. 57. "») Vgl. auch S. 181 ff. '») Vgl. oben S. 265.
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jene Pippins fast ein Jahrhundert zuvor erinnert, im Rahmen der Ausgestaltung des bretonischen Prinzipats nicht gewesen sein. Die allgemeinen Erkenntnisse, die sich aus der Untersuchung des bretonischen Prinzipats ergeben, bieten auch wichtige Einsichten in die weitere Entwicklung Neustriens : Im Jahre 866 erhielt der, ,comes' ' Robert der Tapfere 80) die Abtei St. Martin von Tours. Er setzte durch, daß seine Gefolgschaft, seine „complices"81), mit „honores, qui ultra Sequanam erant", begabt wurden82). An der Spitze dieser „societas" standen die Robertiner Robert und Odo, ein gewisser Magenardus war prominentes Mitglied der Gruppe. Der letztere wurde bereits 850 offiziell „illuster vir" genannt, 859 erwähnt ihn eine Privaturkunde als „vir illustri prosapia ortus"83). Robert selbst ist (865) in einer objektiv gefaßten Tauschurkunde „illuster vir comes", das Signum lautet ebenfalls „cornes"84). Alles das erinnert stark an die „socii comités" unter Wido 799. Nach Regino übergab Karl der Kahle 861 „Rodberto comiti ducatum inter Sequanam et Ligerim adversus Brittones", also Neustrien. Im Bericht über seinen Tod in der Normannenschlacht von 866, in der auch Ramnulf von Poitou fiel, heißt es: Robert „tenebat marcam". Seinen „ducatus" bekommt nach ihm Hugo der Abt, da Roberts Söhne Odo und Robert minderjährig sind85). Hier muß man daran erinnern : 856 war Erispoé die bretonische Mark bestätigt worden, alles deutet darauf hin, daß der größte Teil Neustriens in seiner Hand war. Um 860 befanden sich Erispoe, gegen den ein Jahr später angeblich Roberts Dukat gerichtet sein sollte, und Robert selbst im gemeinsamen Aufstand gegen Karl den Kahlen. Zwei Jahre nach dem Tod Roberts erhält der „princeps magnae ,0
) R o b e r t der Tapfere (le Fort, f 866), Laienabt von St. Martin in Tours, „comes", „missus" und „marchio" (gegen die Bretonen), Vater Odos von Paris; Teilenbach, Königtum und Stämme 50 n. 26 a, Karl v. K a l c k s t e i n , Robert der Tapfere, Markgraf von Anjou, der Stammvater des capetingischen Hauses (1871), zuletzt und besonders wichtig Karl Ferdinand W e r n e r , Zur Arbeitsweise des Regino von Prüm. Welt als Geschichte 19 (1959) 113—115, und Untersuchungen 2, 146 ff.; von Werner sind diesbezüglich noch weitere Arbeiten, auch diplomatischer Art, zu erwarten. Zur Herkunft der Robertiner (Rupertiner) vgl. Wolfgang M e t z , Babenberger und Rupertiner in Ostfranken. Jahrbuch für fränkische Landesforschung 18 (1958) 295—304. sl ) Ann. Bert. a. 866, S. 81; die Ausdrucksweise könnte durch die politische Gegnerschaft Hincmars inspiriert sein, wie Werner, Untersuchungen 2, 146 f. nahelegt. 82 ) 859 Juni, Mansi 15, 535—537, H. F. 7, 584 f. n. 6, vgl. Werner, Untersuchungen 2, 151: „Universalis synodus . . . bonis filiis Rotberto, Odoni, Heriveo, Truando, Ingelbodo, Frotmundo, item Heriveo, Magenardo, Cadiloni, et ceteris in vestra societate coniunctis". 85 ) M a g e n a r d u s (Maganardus, Mainardus, Meginhard) Vasall Roberts des Tapferen, gest. vor 859; vgl. Werner, Untersuchungen 2, 177. 1) 850 Mai 27, D. Charles II, 345 n. 131 (interpoliert): „quendam illustrem virum nomine Mainardum"; vgl. Werner, Untersuchungen 2, 151 u. 177. — 2) 859 Mai 19, zitiert nach Werner, Untersuchungen 2, 151, der ebenda 177 ein falsches Zitat gibt: „vir inlustri prosapia ortus Mainardus". M ) Er „nennt sich" nie, wie Kienast, Herzogstitel 55, meint. Der Gütertausch zwischen Robert dem Tapferen und Bischof Actard von Nantes, 865 März, Kalckstein, Robert 155 n. 1, Kienast, Herzogstitel 55, Werner, Untersuchungen 2, 147 f., Anm. la, ist ja in unpersönlicher Form gehalten; Signa sind kaum je Selbstaussagen. 86 ) Regino a. 861, 79 und a. 867, 92.
Der Aufstieg der Robertiner in Neustrien
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partis Galliarum", also Neustriens, wie sich Salomon damals nannte, für die Normannenabwehr vom Frankenkönig eine goldene Krone. Robert wird hingegen bereits zu 853 als „missus" in Le Mans, Angers, Tours und zwei kleineren, an Le Mans anschließenden Gebieten genannt 86 ), also im südwestlichen Teil der Neustria. Graf von Angers nennen ihn auch die Annalen von St. Bertin, sie sprechen ihm dazu noch die burgundischen Grafschaften Nevers und Auxerre zu 87 ). Die bereits erwähnte Tauschurkunde von 865 weist Robert als Graf von Blois aus 88 ). Im Osten Neustriens wird der Machtkomplex der Robertiner durch die Grafschaften Chäteaudun und Troyes ergänzt, die Roberts Verwandter Odo innehatte 89 ). Roberts Herkunft aus den Mittelrheingebieten, wo er um 836 als „Rudpertus filius Rutperti comitis" begegnet, ist gesichert 90 ). Diese Hinweise ergänzen die Nachrichten über die Ausgangsbasis Robertinischer Macht und bestätigen, was schon nach den Berichten Reginos und der Annalen von St. Bertin zu vermuten war: Wieder ist es das Regnum Karls des Jüngeren, wieder ist es der militärisch-politische Auftrag in bezug auf die Bretagne und gegen die Normannen, wieder ist ein Graf „missus" und als „dux" Leiter von militärischen Unternehmungen mit der Basis des Dukats von Le Mans. Nur daß der robertinische Schwerpunkt zunächst weiter im Osten zu suchen ist, neben den burgundischen Grafschaften Roberts des Tapferen auch für den genannten Odo von Chäteaudun und Troyes, der nach 861, als beide von Karl dem Kahlen wieder in Gnaden aufgenommen waren, wichtige „Ämt e r " in Burgund bekleidete 91 ). Aber nach und nach entzieht der Auftrag der Robertiner dem bretonischen Prinzipat, trotz des manchmal sehr guten Verhältnisses zu diesem, eine wesentliche Grundlage seiner Stellung. Nach dem Tod Roberts, als seine Söhne noch zu jung waren und Neustrien in den Händen Hugos des Abtes lag, kann sich Salomon noch einmal als auch fränkischer Fürst aufspielen, muß man noch einmal die Konstruktion des Lehenskönigtums heranziehen, um den Bretonen in irgendeiner Form dem Reichsverband einzugliedern. Doch dann zerfällt die bretonische Macht in der Form, wie wir sie kennengelernt haben und überlebt nur mehr in ihrer regionalen Bedeutung. Mit Hugo dem Abt 92 ) scheint das neustrische Fürstentum noch einmal disponibel geworden zu sein. Er ist Weife, also von vornherein Angehöriger ••) MGH Capit. 2, 276 n. 260: „Dodo episcopus (von Angers), Hrodbertus et Osbertus missi in . . .". 87 ) Annal. Bert. a. 865, S. 79. 88 ) Wie Anm. 84. 88 ) Vgl. Werner, Untersuchungen 2, 153. 80 ) Vgl. Karl Glöckner, Lorsch und Lothringen, Robertiner und Capetinger. Zeitschr. f. Gesch. d. Oberrh. 50 (1937) 301 ff., Stammtafel 346. 81 ) Werner, Untersuchungen 2, 154. ,2 ) H u g o der Abt (f 886), Sohn Konrads d. Ä., des Bruders der Kaiserin Judith; zusammenfassend Dhondt, Naissance 97 f., zur Nachfolge Roberts Ann. Bert. a. 866, 84 und Regino Chron. a. 867, 93, älter E. B o u r g e o i s , Hugues l'abbé, margrave de Neustrie et archichapelain de France à la fin du IX e siècle. Annal, de la Faculté des Lettres du Caen 1 (1885) 97—130, vgl. auch Fleckenstein, Weifen (Studien und Vorarbeiten) 121 f.
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der Gegenpartei. Papst Johann VIII. nennt ihn 878 „strenuus, nobilis, regali prosapia editus atque excellentissimus abbas" 93 ). „Excellentissimus" ist ein königliches Beiwort. Hugo ist Sohn des Weifen Konrad, des Bruders der Judith. Er selbst nennt sich „venerabilis basilicae et rerum omnium incliti confessoris Christi beati Martini abbas", Karlmann bezeichnet ihn ebenfalls als „venerabilis abbas", und zwar an der Spitze der „totius r e g n i . . . proceres" 94 ). 866 schickt ihn Karl der Kahle „in Neustriam loco Rotberti", um dessen „ducatus" zu übernehmen 95 ). Nach dem Tode Ludwigs des Stammlers, dessen Söhne unmündig waren, steht Hugo der Abt am Gipfel seiner Macht. Sosehr Dhondt auch davor warnt, Hugos Funktionen als Marchio mit seiner vizeköniglichen Stellung zu vermengen 96 ), müssen wir doch festhalten, daß tatsächlich kein prinzipieller Unterschied besteht: 883 nennt Karlmann Hugo „tutor noster ac regni nostri maximus defensor" 97 ). Hält man sich vor Augen, daß sich das „Regnum" des fränkischen Königs mehr und mehr den übrigen Regna angeglichen hat, erscheint die Differenz von „defensor regni" zum „defensor limitis" nicht mehr sehr groß. Die Definition der Stellung Hugos durch den Zeitgenossen Adalhard von Fleury hebt ihn allerdings in antikisierender Manier hervor: „strenue rem publicam gubernans", wobei das Verbum „gubernans" durch die karolingische Tradition hohen Wert erhält 98 ). Exakt wirkt die Umschreibung der Annalen von St-Colombe in Sens, obwohl sie nicht wenig Mißverständnisse hervorrief: „monarchiam clericatus in palatio optinens, ducatum etiam regni post regem nobiliter administrabat" 9 9 ). Der Dukat ist die übliche literarische Ausdrucksform für ein besonderes, zumeist allerdings militärisches Mandat und entspricht weder einem besonderen Amt noch einem Titel. Regnum ist zunächst ein Reichsteil, im weiteren Sinne aber auch der Herrschaftsbereich des Königs. Der „ducatus regni" wird durch die beiden folgenden Worte eindeutig bestimmt: „post regem.. .administrabat", das ist die bekannte Definition des Fürsten als Zweiter nach dem König, aber Erster aller übrigen. Dazu kommt noch, daß er diese fürstliche Rolle im Palast, daß heißt in der engeren Umgebung des Königs, wahrgenommen hat 100 ). Die letzten Jahre Hugos des Abtes unter Karl I I I . dürfte Dhondt richtig beurteilt haben: Nicht in der Lage, den Weifen einfach abzusetzen, gibt Karl der Dicke zwei Kommandos aus, die auf dem Dukat von Le Mans bzw. auf dem ") MGH Epiât. 7, 98 n. 105. •4) 884, Émile Mabille, Les invasions normandes dans la Loire et les pérégrinations du corps de Saint-Martin. Bibliothèque de l'École des Chartes 30 (1869) 430: Arenga, „Nos igitur in Dei nomme Hugo . . ." ; 883, H. F. 9,431 : ,,una cum consulta venerabilis Hugonis abbatis, totiusque regni nostri utriusque ordinis procerum . . .". ,s ) Annal. Bert. a. 866, 84 und Regino a. 867, 93. •«) Dhondt, Naissance 98. ") H. F. 9, 431. Vgl. oben S. 193 f. »•) Adalhard von Fleury (ed. Oswald Holder-Egger, MGH SS 15, 1888) 499. ") Annales S. Columbae Senonensis (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 1, 18 26) 104 = Chron. Senon. S. Col. (H. F. 9) 40; vgl. Favre, Eudes 227, Anm. 1, Kienast, Herzogstitel 72. 10 °) Vgl. oben S. 185 ff.
Hugo der Abt — Odo von Paris
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Marchionat für Neustrien und Franzien basierten. Bereits anläßlich eines mäßig erfolgreichen Normannenfeldzuges von 885 wird von einem Fußleiden Hugos berichtet, das allerdings auch eine diplomatische Krankheit gewesen sein könnte. Bei diesem Feldzug fällt ein „Ragnoldus dux Cinomannicus"101). Ein späterer Chronist nennt ihn gar „princeps totius Franciae", was nicht unbedingt ungenau sein muß, denn die „tota Francia" kann, zum Unterschied von „Francia" allein, Neustrien mit meinen102). Ein Jahr später fällt gegen die Normannen vor Paris der thüringische Poppone Heinrich als „marchensis Francorum, qui in id tempus Niustriam tenuit"; er wird auch „dux Austrasiorum" genannt103), daß heißt, er ist eine Art militärischer Oberbefehlshaber gegen die Normannen in Neustrien, Franzien und Lothringen. Im gleichen Jahr 886 stirbt auch Hugo der Abt. „Ducatus, quem tenuerat et strenue rexerat, Odoni filio Rotberti ab imperatore traditur, qui ea tempestate Parisiorum comes erat", berichtet Regino104). Odo wird offiziell „comes" und „abbas" genannt. In einem Titel von 886 findet sich dieselbe ethnische Bereichsbezeichnung wie bei Regino. Die hier verwendete Legitimationsformel verweist deutlich auf den formalen Ursprung dieser Intitulatio: „Parisiorum pagi humillimus comes" ist dem „Parisiorum humilis episcopus", das durch eine Formularsammlung überliefert ist, nachgebildet. Ansonsten nennt sich Odo immer nur „comes", variiert aber die Legitimationsformeln sehr stark105). Man gewinnt daraus einen recht guten Einblick in die politische Situation. Es war vollkommen klar, daß die herkömmlichen Titelformen für die Bezeichnung der Stellung Odos nicht mehr ausreichten, ein neuer war jedoch noch nicht gefun101
) Ann. Vedast. a. 885, 56 f. ) Vgl. oben S. 261 f. und Kienast, Herzogstitel 14. ) Ann. Fuld. a. 886, 114 und Ann. Vedast. a. 886, 59; vgl. Dümmler 3, 169, Dhondt, Naissance 98 und unten S. 305. Schon Georg W a i t z , Kleine Beiträge zur fränkischen Geschichte. Forschungen zur deutschen Geschichte 3 (1863) 159 denkt angesichts des „dux Austrasiorum" der Annal. Vedastini nur an einen Oberbefehl gegen die Normannen. Neuerdings behauptete noch einmal Hans P a t z e , Die Entstehung der Landesherrschaft in Thüringen 1 (Mitteldeutsche Forschungen 22, 1962) 64, wohl nicht ohne Kenntnis von Klebel, Herzogtümer und Marken 87, der Heinrich als Herzog von Ostfranken sah, dieser wäre Nachfolger Bruns, des Sohnes Liudolfs vor Otto dem Erlauchten in Ostsachsen gewesen. Trotz der unbestrittenen engen familiären Verbindungen zwischen Popponen bzw. Babenbergern und Liudolfingern besteht für eine solche Vermutung allerdings kaum ein Anhaltspunkt. 1M ) Regino a. 887, 126; Werner, Untersuchungen 2, 183. 106 ) 1) vor 886 Feb. (zum Datum vgl. Kienast, Herzogstitel 280), Lasteyrie, Cart. gén. de Paris 1,70 n. 52 : Arenga, „Ego in Dei nomine Odo Parisiorum pagi humillimus comes", signiert durch Robert und Odo als comités; zur „Devotionsformel" Kienast, Herzogstitel 357. Vgl. aber MGH Formulae 2, 639 f. — 2) 887 April, Mabille, Invasions Norm. 434 n. 5: „In nomine summi Salvatoris Dei, Ego Odo misericordia Dei comes et pietate Dei abbas congregationis Sancti Martini.. .Ego Odo comes et abba...".—3) 887 Dez. ( ?), Pierre L é v ê q u e , Trois actes faux ou interpolés des comtes Eudes et Robert et du roi Raoul en faveur de l'abbaye de Marmoutier (887, 912, 931). Bibliothèque de l'École des Chartes 64 (1903) 290 : „Ego humilis miles Christi Odo per largitiones domni Karoli imperatoris comes, necnon et rector abbatiae". Es wäre anzunehmen, daß, wie üblich, eine spätere Interpolation den Titel gebessert hätte; vollkommen verläßlich ist der Titel allerdings nicht. 102 103
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den. Der Weg der Entwicklung aber war vorgezeichnet; er mußte über die ethnische Bereichsbezeichnung gehen, die man einstweilen samt der Legitimation der Bischofsurkunde entlehnte. Das hatte den Vorteil, einen der Kirchenorganisation ähnlichen konkreten Herrschaftsanspruch und eine unmittelbare geistliche Legitimation auszudrücken. Der Marchionat wurde als Titel nicht akzeptiert. Er betraf zu deutlich ein königliches Mandat. Auch der spätere König Robert (I.), der nach 888 die „honores" seines Bruders übernahm, nennt sich nie anders als „comes" und „abbas"106), obwohl er offiziell sowohl von seinem Bruder als auch von Karl dem Einfältigen „marchio" genannt wird107). Zwischen 911 und 917 kommen eigentümliche Sonderformen der Titulatur Roberts (I.) vor. Viermal wird er von Karl dem Einfältigen ,,demarc(h)us" genannt108), zweimal nennen ihn voneinander unabhängig Privaturkunden „trimarchio"109). Diese Sonderformen haben nur ganz wenige anderweitige 106
) 1) 893 Juli, Robert f ü r Marmoutier, ungedr., vgl. Werner Untersuchungen 2, 191 und Kienast, Herzogstitel 55, Anm. 2: „Ego . . . Robertus comes et abba ex monasterio Sancti Martini". — 2) 894 Aug. 30, Mabille, Inv. Norm. 434 n. 6: „ I n nomine summi salvatoris Dci. Ego Robertus gratia Dei inclitae congregationis . . . abbas". — 3) 897 März 27, H. F. 9, 707 f. : „Ego Robertus comes et abbas Sancti Martini" ; vgl. Werner, Untersuchungen 2, 191. — 4) 899 Mai 22, Mabille, Inv. Norm. 440 n. 8: „ I n nomine sanctae et individuae trinitatis. Nos siquidem Rotbertus, gratia eiusdem omnipotentis Dei gregis Sancti Martini abbas sed et comes". — 5) 900 Sept. 13, ebenda 442 n. 9 : „ I n nomine . . . trinitatis. Nos quidem Rotbertus gratia omnipotentis Dei gregis incliti eonfessoris . . . abba necnon et comes"; im Signum wird er „gloriosissimus a b b a s " genannt. — 6) 900 Sept. 14, Pierre G a s n a u l t , Les actes privés de l'abbaye de St.-Martin de Tours du V I I I e au X I I e siècle. Bibliothèque de l'École des Chartes 112 (1954) 55: „Nos igitur in nomine summipotentis Dei Rotbertus rerum basilicae incliti confessoria Christi . . . abbas sed et comes". 10 ') 1) 891 J u n i 16 f ü r S. Colombe in Sens, H . F. 9,457 n. 19, Quantin, Cart. Yonne 1, 128 n. 65: „Robertus venerabilis comes". — 2) 892/3 f ü r S. Nazaire, Autun, H . F. 9, 457 n. 18, Charmasse, Cart. Autun 40 n. 24: „Roberti illustrissimi marchionis". — 3) 893 Mai 28 für S. Paul, Cormery, H . F. 9, 461 n. 23 : „ R o b e r t u s . . . illuster comes et marchio". — 4) 893 Okt. 15 f ü r seinen fidelis Ebolus, H. F. 9,462 n. 24 : „ R o b e r t i . . . comitis et marchionis". — 5) 894 f ü r S. Hilaire, Poitiers, H . F. 9, 465 n. 29: „fidelesnostriac marchiones dilecti Hrodbertus scilicet atque Adamarus". — 6) 896 J u n i 2 f ü r S. Martin, Tours, Mabille, Inv. Norm. 436 n. 7 : „germanus Rotbertus inclitus abba". — Zu I)—6) vgl. Kienast, Herzogstitel 61, Anm. 25. — 7) 905 Feb. 9, D. Charles I I I , 1, 110 n. 50: „Robertus . . . comes et marchisus". — 8) 907 J a n . (gefälscht oder interpoliert, vgl. Lévêque, Actes 291), ebenda 292 n. 124: „sublimissimus principum nostrorum Rotbertus, pro suae fidelitatis honestate et claritudinis nobilitate immense nobis acceptus". — 9) 911 Aug. 3, ebenda 149 n. 66: „Rotbertus noster dilectus fidelis ac demarchus". — 10) 911/915, ebenda 146 n. 65: „Rotbertus comes et demarcus". — I I ) 911/932, ebenda 14 n. 9: „Robertus marchyo . . . Roberti demarchi". — 12) 914 J u n i 19, ebenda 173 n. 77: „Robertus, dilectissimus nobis marchio . . . Robertus nostrae fidelitatis comes et marchio". — 13) 914 J u n i 19, ebenda n. 78 ebenso. — 14) 917 Mai 28, ebenda 201 n. 89: „demarcus carissimus ac fidelissimus noster Rotbertus". — 15) 918 März 14, ebenda 211 n. 92: „venerabilis marchio". — 16) 918 Dez. 1, ebenda 226 n. 98: „comes et markyo noster venerabilis R.". — 17) 920 J a n . 20, ebenda 250 n. 105: „comes venerabilis pariterque markio". 108 ) Anm. 107 nn. 9, 10, 11, 14. 1M ) 1) 912 Nov. 11, nicht ganz unverdächtig, Bestätigungsnotiz f ü r Marmoutier, Mabille, Inv. Norm. 451 f. n. 12, Lévêque, Actes 299 n. 5: „domnus Rotbertus . . . abba necnon
Robert (I.) — „demarchus"
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Parallelen. So übernahm erst 942 Hugo der Große den „demarcus" in den Titel; in der Datumzeile derselben Urkunde steht die Form „tramarcus" 110 ). Ein paar Jahre früher, 936/37, experimentierte Raimund Pontius von Aquitanien auf ähnliche Weise mit dem Marchionat. Zweimal nannte er sich „primarchio" 111 ). Sonst gibt es keine Belege für derartige Sonderformen 112 ). Es ist schwer, hinter diesen Variationen einen Sinn zu finden. Schon die Herkunft ist unklar. Der griechische 8Y)[xapxo) ")
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riorum"; vgl. Kienast, Herzogstitel 324. — 6) 936 Aug. 8, D. 0 . I. 466: „rogatu Gisalberti dilecti ducis nostri". Die in wesentlichen Punkten immer noch bahnbrechende Arbeit S p r o e m b e r g s aus dem J a h r e 1941, Die lothringische Politik Ottos des Großen (hier nach der Erstausgabe in den Rhein. Vierteljahrblättern 11, 1—101 zitiert, da der Abdruck in den Beiträgen zur belgisch-niederländischen Geschichte, 1959, 111—214, mit Ausnahme des Nachwortes, das getrennt zitiert wird, unverändert ist), wird zwar immer wieder zitiert, kaum widersprochen, ist aber in ihren Konsequenzen immer noch nicht apperzipiert. Letztlich sind immer noch die schon mehrmals zitierten Werke von Parisot, Royaume de Lorraine und H a u t e Lorraine, und Lot, Demiers Carolingiens heranzuziehen, während Robert H o l t z m a n n , Geschichte der sächsischen Kaiserzeit (900—1024) (21943) in diesem Falle unbrauchbar ist, da er auf Anmerkungen verzichtet. Dazu kommen natürlich noch die Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Otto I I . und Otto I I I . von Karl und Mathilde U h l i r z (1902 und 1954). Vgl. Wolfram S. 109. Plodoard, Ann. a. 939, 72: „Lotharienses iterum veniunt ad regem Ludowicum et proceres ipsius regni, Gislebertus scilicet dux, et Otho, Isaac atque Theodericus comites eidem se regi committunt"; vgl. D. Louis IV, 40 f., Parisot, Royaume de Lorraine 674 und Sproemberg, Lothringische Politik 31 f. Contin. Reginonis a. 940, 161 f.: „Heinrico fratri Lothariensis ducatus committitur, qui mox eodem anno a Lothariensibus expellitur". Vgl. Plodoard 77 f.: „Otho rex Heinrico fratri suo regnum Lothariense committit." Vgl. D. Louis I V 62, Sproemberg, Lothringische Politik 34. O t t o , Herzog 940/941—944, vorher unter den „Aufständischen"; vgl. Cont. Regin. a. 940,162 und Widukind I I 26, 89; D. Louis 62, der die Ernennung Ottos als Konzession an Ludwig betrachtet; dagegen Sproemberg a. a. 0 . 34, Anm. 139; vgl. Kienast, Herzogstitel 324. Z. B. Plodoard a. 942, 85. Vermittlung Ottos. 942 Nov. 7, D. 0 . I. 52: „per interventum fidelis nostri Ottonis ducis". Widukind I I 33, 94 zu 944.
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Giselberts, der allerdings noch vor Otto von Lothringen gestorben sein dürfte 83 ). Außerdem war noch mit der Sippe Reginars zu rechnen, die weiterhin eine bedeutende Rolle spielte 84). Das Fürstentum wird von zwei Seiten her angegriffen: Der König betont die feudale Abhängigkeit, der Hochadel die prinzipielle Gleichheit im Rang. Nach dem Lothringer Otto soll der nichtlothringische Salier Konrad der Rote, der Schwiegersohn Ottos I. 85 ), das Regnum Lothringen an den Osten binden. Er erhält 944 den „ducatus regionis". Die Tradition karolingischer Familienpolitik ist immer noch lebendig, sogar dort, wo sie scheitert. Trotz ständiger „Aufstände" wird nach gutem altem Brauch ein Sproß des Königshauses in den Vordergrund geschoben. Konrad selbst nennt sich „dux"; seine offizielle Titulatur richtet sich nach dem überkommenen Beispiel. Vereinzelte Bereichsbezeichnungen sind literarische Sonderformen, die Zuschreibung einer comes-Titulatur von 947 ist nicht ganz gesichert, aber prinzipiell nicht unmöglich 86 ). Er interveniert sehr häufig gemeinsam mit den Brüdern Ottos I., zuletzt in der Regel mit Brun, der also die lothringischen Belange schon früh betreute. In dem Augenblick aber, in dem Konrad den Rückhalt durch den König in der gemeinsamen Erhebung mit Liudolf 953 verlor, konnte er sich auch in Lothringen nicht mehr halten. Reginar II. vertrat gegen ihn das lothringische Element. Konrad durfte auch, nachdem er die königliche Gnade wiedererlangt hatte, nicht mehr nach Lothringen zurück 87 ). Für die darauffolgenden Ereignisse finden ältere Forschungen Sproembergs durch unsere Ergebnisse starke Bestätigung 88 ), so daß ausnahmsweise auch gegen scheinbar gesichertes Handbuchwissen angegangen werden muß 89 ). Unter Otto dem Großen findet die ottonisch-karolingische Renovatio ganz besonders in Lothringen ihren Ausdruck. Alte Formen werden unter voller 83
) Widukind II 26, 89; vgl. Dümmler, Otto 96 und 131 und Sproemberg, Lothringische Politik 34. ) Vgl. etwa Sproemberg 34 ff. 86 ) Konrad (der Rote, Salier, 944—953) heiratet 947 Liutgard, Tochter Ottos I.; vgl. zuletzt Kienast, Herzogstitel 324 und 418; zu seiner Einsetzung auch Widukind 94. 88 ) Als einzige Selbstaussage: 946 März 13 für die Domkirche zu Speyer, Urkunden zur Geschichte der Stadt Speyer (ed. Alfred Hilgard, 1885) 3 n. 4: „ego Chuonradus dux, Wernharii comitis filius... regnante Otdone anno XII, sub comite et duce Chuonrado"; vgl. zusammenfassend Kienast, Herzogstitel 418. — Zur offiziellen Titulatur, meist in der Form „dilectus noster dux", vgl. die Zusammenstellung bei Kienast, Herzogstitel, 324 f., Anm. 87a—89. Ausnahmen sind: 1) 944 Sept. 19, D. 0.1.60: „et Cuoradi comitis", was nicht unbedingt einen Terminus post für die Einsetzung liefern muß. — 2) 945 Juli 13, D. 0.1. 70: „per interventum Cuoradi Lodariensis ducis", die typische Herkunftsbezeichnung ohne besonderen Gehalt. — 3) 947 Feb. 14, D. 0.1.87 (Original); „per interventum Cuonradi nostri dilecti comitis". — 4) 949 Mai 15 D. O. I. 110: „et frater noster Brun et Conradus Luthariensis regni dux"; man beachte die „dux regni"Formulierung. — Vgl. auch die Nennungen Stablo-Malmedy n. 68 und 69. 87 ) Ernst Dümmler, Kaiser Otto der Große (Jahrbücher der deutschen Geschichte, 1876) 214 ff.; vgl. Annal. S. Nazarii (ed. Ludwig Bethmam, MGH SS 17, 1861, 33) a. 952: „civile bellum inter Chuonradum et Raginerium" und Flodoard, Ann. a. 953, 135: „rex igitur Chonradum a ducatu Lothariensium removet". 88 ) Vgl. Anm. 75 und etwa Kienast, Herzogstitel, vor allem 325. 8 ») So noch Fritz Ernst in: Bruno Gebhardt, Handb. d. dt. Gesch. (81954) 183 Anm. 9. 84
Das lothringische Unterkönigtum Bruns Köln
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Berücksichtigung der zeitgenössischen Erfordernisse wieder mit Inhalt erfüllt. Der Bericht Ruotgers über die Einsetzung Bruns in Lothringen spricht deutlich genug: „fratrem suum Brunonem occidenti tutorem et provisorem, et, ut ita dicam, archiducem . . . misit". Die „principes regni", Bischöfe, Äbte, Grafen „totiusque regni primores", wurden in Aachen versammelt, um Anweisungen zu empfangen 9 0 ). Eine spätere Quelle reflektiert die zeitgenössische Auffassung, Brun habe „tunc temporis monarchiam regni sub fratre" innegehabt 91 ). Schon Lot sah die Konsequenzen. Im Zusammenhang mit Bruns Tätigkeit in der Westpolitik erklärt er : « Pendant neuf ans (959—65), Brunon fut presque autant régent de la France que duc, ou plutôt vice-roi de la Lorraine. »92) Das ist die zeitgemäße Form des karolingischen Unterkönigtums. Die Quellen brauchen dafür keinen anderen Namen als den des Dukats, da dieser längst königsgleich geworden war. Dieses ottonisch-karolingische Unterkönigtum basierte allerdings auf dem besonderen Auftrag des ottonischen Vollkönigs. So betrachtet, gewinnen auch die übrigen Ereignisse Gestalt 93 ). In der Auseinandersetzung mit Reginar II. und seinen Parteigängern gelang die vorläufige Eliminierung eines wichtigen einheimischen Exponenten des lothringischen Hochadels 94 ). Ruotger berichtet über den Hoftag zu Köln von 958, wo nach °°) Ruotger, Lebensbeschreibung des Erzbischofs Bruno von Köln (ed. Irene Ott, MGH SS N. S. 10, 1951) c. 20, 19 und c. 21, 21; Rather (MGH SS 4, 262, Anm. 11 und Migne, PL 136, 367); vgl. zusammenfassend Dümmler, Otto 225 f. Auch die Contin. Reginonis a. 953, 167 spricht vom „totius regni ducatum et regimen". Eine Urkunde Theoderichs von Metz erwähnt ca. 965 Brun als „archiepiscopus, in quo regni tunc procuratio incumbebat" (Gallia Christiana 13, pr. 392). Die, wie Ruotger selbst betont, ad hoc gebildete Wortform „archidux" muß sich im gegebenen Zusammenhang nicht auf eine Teilung Lothringens oder eine im Sinne einer Amtshierarchie aufzufassenden Stellung Bruns beziehen, sondern ist der untechnische Versuch (in diesem Sinne ähnlich dem „praefectus", vgl. oben S. 194 ff.), mit Hilfe eines aus klar überschaubaren Verhältnissen entlehnten Begriffes die ansonsten schwer in Worten faßbare Stellung Bruns zu umschreiben. Der Begriff steht in deutlichem Zusammenhang zur Bezeichnung als „occidenti tutor et provisor", womit zu dieser Zeit noch eine tatsächliche Einflußnahme auf den westfränkischen Bereich begriffen wird, von dem Lothringen noch gar nicht klar zu trennen ist. Vgl. auch Sproemberg, Lothringische Politik 53 und unten, Anm. 91 und 93. In diesem Zusammenhang verdient erwähnt zu werden, daß der Anspruch der Kölner Erzbischöfe später wiederauflebte. Vgl. dazu Eugen Ewig, Zum lothringischen Dukat der Kölner Erzbischöfe (Festschrift Steinbach, 1960) 210—246. Wibald schreibt noch 1152 in ganz ähnlicher Formulierung wie Ruotger in der Vita Brunonis „quod regnum Lotharingiae vestrum est et per vestram provisionem et operationem cuncta disponere intendit" (Wibaldi ep. 512 n. 381, ed. Philippus Jaffée, Monumenta Corbeiensia, Bibliotheca rerum Germanicarum 1, 1864). 91 ) Gesta ep. Cameracensium 1 (ed. Ludwig Bethmann MGH SS 7 1846) 431. ,2 83 ) Lot, Derniers Carolingiens 19. ) Vgl. die Anm. 75 zitierte Literatur. M ) Flodoard, Ann. a. 957, 144: „Bellorum tumultus agitantur inter Brunonem, ex praesule ducem, et Ragenarium comitem ceterosque Lotharienses". Ruotger c. 36, 38: „Nec defuit ibidem severa in improbos et inportunos cives regni censura iudicii"; gemeint ist der Hoftag in Köln 958. Schon Dümmler, Otto 296, brachte diese Stelle mit den Auseinandersetzungen des Vorjahres mit der Reginar-Partei in Zusammenhang. Vgl. auch ebenda 293 f., Lot, Derniers Carolingiens 22, Sproemberg, Lothringische Politik 56 f.
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übereinstimmender Ansicht Dümmlers und Sproembergs die Angelegenheiten des letzten Reginar-Aufstandes behandelt wurden: „Nec fuit ibidem severa in improbos et inportunos cives regni censura iudicii,... De statu regni... provisum est." Damit ist noch einmal der Aktionsraum für den „archidux" Brun eindeutig als „regnum" im Sinne der karolingischen Tradition bestimmt 95 ). Dort setzt der „Unterkönig" Brun nach einem großen Adelsaufstand „vice sua" den Herzog Friedrich I. als „secundus a rege" ein 96 ). Friedrich verfügte in Oberlothringen über eine nicht unbeträchtliche Hausmacht, die seine Stellung als „dux in regno" festigte. Die Existenz eines zweiten „dux", Gottfried, in Lothringen darf in diesem Zusammenhang nicht beirren. Dieser übernahm weite Teile des Besitztums Reginars II. und war enger Vertrauter Bruns 97 ). Offiziell ist er 958 „comes", erst nach seinem Tod wird er in einer kanzleifremden Urkunde „bong memoria dux noster" genannt 98 ). Zwei Nennungen in lothringischen Urkunden sind fragwürdig. Eine auf 953 datierte Urkunde aus Stablo nennt ihn in der Datierung „dux", wobei die zeitliche Fixierung zweifelhaft und der Ausstellungsort unverläßlich ist. Die zweite Nennung befindet sich in der Signumzeile einer Urkunde für Prüm und wird auf 964 datiert 99 ). Zu diesem Zeitpunkt war Gottfried tatsächlich „dux", wenn auch nicht in Lothringen. Wie sonst sollte man einen Mann nennen, der Otto I. „auxiliares copias non levam armaturam de Lothariorum populo" zuführte? „His prefuit Godefridus dux", und er heißt bei seinem Tod 964 in Italien „dux Lothariensis", lothringischer Herzog 100 ), nicht aber Herzog von Lothringen. Das war allein Friedrich I., über dessen Einsetzung und Tätigkeit wir recht gut informiert sind. Drei Urkunden tragen seinen Titel 101 ). Der erste, „gratia 95
) ) ") ,8 )
Ruotger c. 36, 38. Flodoard, Ann. a. 959, 147. Sproemberg, Lothringische Politik 62 f. Sproemberg a. a. O. 63. Ruotger c. 41, 43: „quem ipse nutrivit" (Brun). 1) 958 Juni 11, D. 0 . 1 . 194: „rogatu dilectissimi fratris nostri Brunonis archiepiscopi et Godefridi comitis". — 2) 958 Juni 13, D. 0 . 1 . 1 9 5 : „in comitatu Godefridi". — 3) 965 Juni 2, D. O. I. 291: „Godefridus bonç memoriç dux noster". »») 1) „953 Okt. 3", Halkin-Roland, RC Stavelot-Malmédy 171 n. 74: in der Datierung „Gedofrido duce". — 2) 964 Juni, Beyer, Mittelrhein. Urkundenbuch 278 n. 219: „S. Godefridi ducis". — Vgl. zu beiden Sproemberg, Lothringische Politik 63 f. und Kienast, Herzogstitel 388, Anm. 164 u. 165. 10 °) Ruotger c. 41, 43 zu 964; Cont. Reginonis a. 964, 174. 101 ) 1) 959 (August 8 — Dezember 31)?, Cartulaire de l'abbaye de Gorze (ed. Armand d'Herbomez, Mettensia 2, Paris 1898) 198 f. n. 108: Ungewöhnliche Arenga, dann „Idcirco ego Fridericus gratia Dei et electione Francorum dux", in der Publicatio „omnium nobilium parentibus", sicherlich ein Mißverständnis, vermutlich statt „omnibus nobis fidelibus" : das „nostram . . . adiit maiestatem" weist auf westlichen Einfluß ; nach der Narratio noch eine weitere arengenartige Stelle. Vgl. zu dieser Urkunde die Zusammenstellung der Literatur bei Kienast, Herzogstitel 418, der nicht Stellung nimmt. — 2) 962 September 8, Chronique et chartes de l'abbaye de S.-Mihiel (ed. André Lesort, Mettensia 6, Paris 1909/12) 120 n. 27: „Ego Fridericus, Dei miserante gratia dux Lothariensium et senior monachorum . . ."; vgl. auch Parisot, Haute Lorraine 138. — 3) 966, Auguste C a l m e t , Histoire ecclésiastique et civile de Lorraine 1 (1728) pr. 377 : „Fredericus divina comitante gratia Lothariensium dux". Arenga.
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Herzog Friedrich I. — „dux" Gottfried
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Dei et electione Francorum dux", wirft einige Probleme auf, wenn man ihn mit der ganzen Urkunde nicht überhaupt als Fälschung abtun will. Gerade die im ersten Augenblick verdächtigste Formel spricht aber dagegen: Wie sollte ein späterer Fälscher wissen, daß sich gerade in dieser Zeit die Bereichsbezeichnung „Francorum" regelmäßig auf Lothringen bezieht und im ottonischen Titel Parallelen besitzt 102 )? Schwieriger ist der Bezug auf eine „electio" zu erklären. Möglicherweise sollte, nach zwei fehlgeschlagenen Versuchen, ein Mitglied des Königshauses in Lothringen einzusetzen, davon abgelenkt werden, daß dieser Friedrich, obwohl wenigstens ein Lothringer, von allen bisherigen Fürsten am stärksten vom ottonischen „archidux" Brun abhing 103 ). Auch die ethnische Bereichsbezeichnung „Lothariensium", die in den beiden anderen Intitulationes verwendet wird, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß es Otto I. mit Hilfe Bruns in Lothringen zum ersten Mal gelungen war, Amt (Mandat) und Herzogtum auf einen Nenner zu bringen. Der Anspruchstitel ist jedenfalls ein Zeichen sorgsam verborgener Schwäche. Mit dem Tode Friedrichs I. von Lothringen beginnt abermals eine schwierige Situation, die die neuere Literatur zu so mancher Hypothese verführte; einige davon gewannen geradezu Eigenleben und wurden über Generationen von Zitaten hinweg nicht wieder an den Quellen überprüft. Über das Todesdatum Friedrichs gibt es mindestens zehn verschiedene Meinungen, von denen die wenigsten durch etwas anderes begründet sind, als daß sie zum Konzept des Autors passen 104 ). Es dürfte jedoch feststehen, daß Friedrich 984 bereits tot war 105 ) und während der Ereignisse von 977/78, als ein Karolinger das Herzogtum bekam und Lothar und Otto II. in Gegensatz gerieten, keine Rolle mehr spielte 106 ). Dieser Karolinger, Karl von Lothringen 107 ), von dessen Einsetzung nur zwei Quellen des 11. Jahrhunderts berichten, stützte sich auf den Machtkomplex der Reginarsippe in Niederlothringen. Eine Bezeichnung als Herzog von Niederlothringen kann daraus nicht abgeleitet werden 108 ). Das in der Bischofsge102
) Wolfram, S. 133 ff.; vgl. Kienast, Herzogstitel 325. Im Kontext „Fridericoduce". ) Vgl. S. 295. 104 ) Zusammenfassung der Literatur in: Die Briefsammlung Gerberts von Reims (ed. Fritz Weigle, MGH, Die Briefe der deutschen Kaiserzeit 2, 1966) 106, Anm. 1. Letztlich geht die eine Gruppe der Meinungen, die das Todesjahr um 983/84 ansetzt, auf die Anmerkung in der Edition bei Jules Havet (Paris 1889) 70, Anm. 4 und 71, Anm. 1—4 zurück, der zunächst lediglich einen Terminus ante quem bestimmen konnte; die zweite, wahrscheinlichere, auf Robert P a r i s o t , Les Origines de la Haute Lorraine et sa première Maison ducale (959—1033) (Paris 1909) 319 ff. ,os ) Vgl. D.O. III. 2 und Weigle, Gerbert 54 n. 31 und 57 n. 32. 106 ) Parisot, Haute Lorraine 319 ff. 10 ') K a r l (von Lothringen, ca. 977—991, f zw. 992 und 1001, dazu Lot, Derniers Carolingiens 277 ff.), Sohn Ludwigs V.; vgl. zuletzt auch Walter Mohr, Die lothringische Frage unter Otto II. und Lothar. Révue belge de Philologie et Histoire 35 (1967) 705—725. 108 ) Gesta ep. Camerac, 1, 101 : „Karolum ducem regis Lotharii fratrem quem Otto imperator multis beneficiis conductum ut fraternis motibus secum fortior resisterei citeriori Lotharingiae sub se prefeceret". Sigebert, Chronica (ed. Ludwig Bethmann, MGH SS 103
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schichte von Cambrais gebrauchte „citerior Lotharingia" ist als Beleg dafür zu dürftig. Geographische Wortverbindungen dieser Art, etwa mit „trans", begegnen auch bei Flodoard häufig, bezogen sich aber zunächst immer auf den Rhein 109 ). Der Dukat Karls wird in der Regel sonst überhaupt nicht näher definiert 110 ). Damit ist natürlich nichts über die Herrschaftsschwerpunkte in Lothringen ausgesagt, die später wesentlich zu einer landschaftlichen Differenzierung beitrugen, aber als solche keinen Dukat konstituieren konnten. Bezeichnend dafür ist eine Wendung in einem Brief Bischof Dietrichs von Metz an Karl von Lothringen — „tu Lothariensium regni angulo latitans". Damit ist die erbärmliche Lage Karls in Lothringen gemeint, das selbst als unversehrtes Regnum angesehen wird 111 ). Soweit die Quellenangabe es gestattet, ist gerade in dieser politischen Umschichtung zur Zeit des letzten Karolingers die Nahtstelle zwischen schwindender traditioneller Form, zeitgemäßem Inhalt und der Ausbildung einer neuen lothringischen Verfassungswirklichkeit festzustellen. Dabei spiegelt die Entwicklung im Mittelreich auch allgemeine Tendenzen wider. Walter Mohr versuchte, den Einfall Lothars nach Lothringen 978, ja schon die Einsetzung Karls 977 und schließlich den Rachezug Ottos II. als Elemente einer politischen Aktion zu deuten, die Karl als westfränkischen Gegenkönig unterstützen bzw. bekämpfen sollte 112 ). Das könnte etwas zur Klärung der Zusammenhänge beitragen. Der lothringische Dukat, dessen Regnum-Charakter noch nicht vergessen war 113 ), könnte vakant gewesen sein, nimmt man das frühestmögliche Todesdatum Herzog Friedrichs an. Er wäre keinesfalls das schlechteste Sprungbrett zu einem Königtum in der Franzia gewesen. Dann aber traten plötzlich zwei Faktoren zugleich in Erscheinung: Das Manöver mit Karl scheiterte, und zwar nicht zuletzt am unerwarteten Widerstand Hugo Capets, der diesmal zu Lothar stand. Gleichzeitig gelang es Beatrix, der Witwe des Herzogs Friedrich I., sich mit ihrem unmündigen Sohn Dietrich
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6, 1844) a. 977, 352: „Ducatus Lotharingiae datur Karolo fratri Lotharii regis Francorum, multis insuper conducto beneficiis ut et ipse ab insolentiis desistat et fratris sui Lotharii motibus obsistat." Zur Sache Lot, Derniers Carolingiens, 91, der „citerior" mit „Nieder-Lothringen" übersetzen möchte (vgl. Anm. 109); dagegen Sproemberg, Lothringische Politik 84, Anm. 391: „der Ausdruck ,citerioris' hat keine staatsrechtliche Bedeutung, die Quelle ist erst nach 1050 geschrieben". Vgl. auch Uhlirz, Otto II. 87 f. und zuletzt Mohr, Lothringische Frage 707. yg] (j a z u besonders Walter Mohr, Von der „Francia orientalis" zum „regnum Teutonicum". Archivum latinitatis medii aevi 27 (1957) 35 und 39. Damit ist nichts über die Schwerpunkte der Herrschaftsbereiche ausgesagt, die natürlich in der Folge wesentlich zur Trennung beitrugen, aber als solche allein keinen Dukat konstituieren können. Auf die politische Lage bezieht sich auch die Wendung im Brief Dietrichs von Metz an Karl, Weigle, Gerbert 56 n. 31: „tu Lothariensium regni angulo latitans", die noch einmal deutlich zeigt, daß das Regnum Lothringen in den Augen der Zeitgenossen noch durchaus mehr war als das Gebiet, das Karl und seine Anhänger, vor allem die Reginarsippe, tatsächlich beherrschten. Urkundliche Spuren sind weder von Karl noch von seinem Sohn erhalten, vgl. Kienast, Herzogstitel 389. In den Gerbert-Briefen ist er einfach „dux", vgl. Weigle, Gerbert nn. 58 und 59. 113 Wie Anm. 107. ) Vgl. Anm. 104.
Die lothringischen Karolinger und die „Teilung"
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(I.) im oberen Lothringen zu halten, wobei derselbe Hugo Capet als ihr Bruder eine nicht unwesentliche Rolle spielte 114 ). Auseinandersetzungen zwischen Beatrix, die als „dux" tituliert wird, und Karl sind durch Gerbert bezeugt 116 ). Die Verständigung Ottos II. mit Lothar verfestigte 980 den Status quo, der um so erträglicher war, als Karl in Lothringen selbst keine sehr bedeutende Rolle gespielt haben dürfte und sein Ziel wohl stets im Königtum sah 118 ). Außerdem haben sich in Ober- und Niederlothringen längst getrennte Herrschaftsschwerpunkte entwickelt. Am Unterrhein ging das Hand in Hand mit der militärischen Bedeutung des Gebietes und den Resten der Besitzungen der Reginare. Auf dieser Basis konnten sich die Grafen Gottfried und Arnulf etablieren 117 ), die zu 976 in einem Additamentum zu Flodoard „Lotharienses comités" genannt werden und bereits 981 in der berühmten Aufgebotsordnung Ottos II. offiziell „marchiones" sind 118 ). Obwohl weiterhin mit Widerständen der Reginarsippe und ihrer Anhänger zu rechnen ist, gelingt es schließlich dem gleichnamigen Sohn des Grafen Gottfried von Verdun, nachdem sich der Dukat des Sohnes Karls von Lothringen, Otto, aufgelöst hatte 119 ), als dessen Nachfolger anerkannt zu werden 120 ). Damit ist in Niederlothringen in der unmittelbaren Sukzession nach einem Karolinger ein neuer Traditionskern entstanden, während in Oberlothringen der alte noch bestand. Der Sohn Gottfrieds I. (von Niederlothringen) war zwar noch einmal Herr über das gesamte Regnum, dann aber trennen sich die Wege der beiden „Reichshälften". Dietrich, der Sohn Friedrichs I. und der Beatrix, der sich in Oberlothringen halten konnte, wird von Richer zu 985 „Belgicae d u x " genannt. Das wäre immerhin ein Hinweis, daß man, ohne über eine geeignete Terminologie zu verfügen, zu differenzieren begann 121 ). In einer Datierung von 1006 ist er aber traditionsgemäß 114
) Vgl. vor allem Parisot, Haute Lorraine 322 ff., Lot, Derniers Carolingiens, sub voce, 423. us) Vgl. Kienast, Herzogstitel 342 und 348, Parisot, Royaume de Lorraine 325. Offiziell: 1) 983 Juni 15, D. O. II. 308: „illustris dux Beatrix nostris consobrina". — 2) 984, D. O. III. 2: „ductrix". Vgl. zu beiden Kienast, Herzogstitel 325. — 3) 1015, D. H. II. 340: „dono Ricuvarae ductricis". — Bei Gerbert regelmäßig „dux". — Zu den Auseinandersetzungen vgl. Weigle, Gerbert nn. 30 und 31. 118 ) Darauf verweist schon der geringe urkundliche Niederschlag, auf den man durch das völlige Ausbleiben einer Überlieferung wohl schließen darf. Vgl. auch den Spott Dietrichs von Metz, Weigle, Gerbert 56 n. 31. 117 ) Vgl. Sproemberg, Lothringische Politik 67 ff., Hildegard Franz, Die Marken Valenciennes, Eename und Antwerpen im Rahmen der kaiserlichen Grenzsicherungspolitik an der Scheide im 10. bis 11. Jahrhundert. Rheinische Vierteljahrsblätter 10 (1940) 229—276, G. R o t t h o f f , Studien zur Geschichte des Reichsgutes in Niederlothringen und Priesland. Rheinisches Archiv44 (1953) 37 ff., im Überblick auch Eugen E w i g , Zum lothringischen Dukat der Kölner Erzbischöfe, in: Festschrift Franz Steinbach (1960) 211 ff., allerdings mit allen aus der Literatur übernommenen Unscharfen für die nicht selbst untersuchte Frühzeit. 118 ) Flodoard (additam.) Ann. a. 976, 162: „et Godefridum atque Arnulfum, Lotharienses comités"; natürlich nur Herkunftsbezeichnung, aber auffällig, weil sie nicht näher definiert. — Uhlirz, Otto II. 248. 119 ) Kienast, Herzogstitel 389. 12 °) Vgl. die Listen bei Kienast, Herzogstitel 417 ff. m ) Richer, Hist. III, c. 103, 124.
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„Lothariensis regni dux" 122 ), wie denn überhaupt der lothringische Herzogstitel nie besonders reagierte. Theoretisch gibt es das ganze Mittelalter hindurch nur Herzöge von Lothringen, die eben in Ober- oder Niederlothringen regieren, was man in der Titulatur, vor allem wenn beide zugleich auftraten, manchmal ausdrücken mußte. Trotz aller Änderungen der politischen und verfassungsrechtlichen Realität haben wir damit gerade in Lothringen eine sehr strenge Kontinuität vor Augen, die zugleich auch Zeugnis für die Entwicklung der Herrschaftstheorien beiderseits des Rheins ablegen kann. 6. Das Reich Ludwigs des Jüngeren Die Zusammenfassung der Länder Franken, Thüringen und Sachsen ergab sich im Verlauf der Untersuchungen zunächst als pragmatische Notwendigkeit. Angesichts der engen Verflochenheit der jeweiligen Herrschaftsstrukturen erwies es sich als unmöglich, Gebiet für Gebiet einzeln zu behandeln. So war zunächst der Herrschaftsbereich Ludwigs des Jüngeren die engste mögliche Umschreibung des Schauplatzes der Entwicklungen des Fürstentums und Förstentitels in diesem Bereich. Darüber hinaus verstärkte sich der Eindruck, dem man noch nachgehen müßte, daß sich hier rechts des Rheins, gefestigt und neu orientiert durch das Königtum der Sachsenfürsten, etwas ganz Ähnliches wie im zentralfranzösischen Franzien herausbildete, die in sich differenzierte Königslandschaft eines „rex Francorum orientalium" 1 ). Die zahllosen Beziehungen der führenden Familien dieses Raumes zu Lothringen fügen sich gut in dieses Bild. Gleichsam als Ausgleich für die Schwierigkeiten einer territorialen Gliederung bietet sich ein anderes Ordnungsprinzip an. Drei „Stammesherzogtümer" wird man vergeblich suchen, aber es sind drei Geschlechter der Reichsaristokratie, die bei der Entwicklung des jüngeren Fürstentums in Austrasien eine maßgebliche Rolle spielen. In der Spannung zwischen den Interessen dieser drei Geschlechter liegen die Besonderheiten von Herrschaftsausbau und Landesbildung. Gerade darum aber ist auch hier unmöglich, eines um das andere durchzugehen, sondern es muß versucht werden, die gemeinsame Entwicklung in den Griff zu bekommen. Betrachten wir einmal in kurzem Überblick die Länder, um die es nun geht. Uber den Begriff „Franken" in Austrasien ist nicht mehr sehr viel zu sagen. Vieles von dem, was im Zusammenhang mit Burgund und Franzien zur Sprache kam, kann hier vorausgesetzt werden 2 ). Stengel verwies bereits 1940 die „herrschende Lehre" von einem fränkischen Herzogtum bzw. Stammesherzogtum in das Reich der Legende 3 ). In Bosls Strukturanalyse der „Königsprovinz", die m
) Lesort, Cart. S.-Mihiel 137 n. 32: „Teuderico Lothariensis regni duce". Die Zahl der Beispiele ließe sich natürlich noch vermehren, doch liegt es nicht im Sinn dieser Arbeit, für die spätere Zeit vollständige Belege zu bieten. Es soll hier nur der Versuch eines Ausblickes geboten werden. 2 MGH Const. 1, 1 n. 1. ) Vgl. oben S. 254 f. und 264 f. 3 ) Edmund Ernst S t e n g e l , Der Stamm der Hessen und das „Herzogtum" Franken. Festschrift für E. Heymann 1 (1940) 145 ( = Abhandlungen und Untersuchungen zur hessischen Geschichte, 1960, 370).
Franken — Thüringen — Sachsen
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den Namen der „Francia orientalis" an sich zog4), findet dieser negative Befund eine willkommene positive Ergänzung. Ansonsten sei nochmals auf Lugge und Ewig 5 ), aber auch auf wichtige Ansätze bei Klebel verwiesen 6 ). Fleckenstein spricht im „Gebhardt" allerdings noch immer vom „Stamm" der Franken 7 ). Der Stamm der Thüringer wurde durch die Niederlage des Jahres 531 an der Unstrut für lange Zeit als politische Größe ausgeschaltet 8 ). Zu einer Eigenständigkeit als Regnum hat es Thüringen im Frankenreich denn auch nie gebracht. Dennoch ergaben sich auf Grund von kirchlicher und adeliger Besitzkonstellationen immer wieder relativ überschaubare Herrschaftseinheiten. Am weitesten zu einer „Landesbildung" kamen die „Popponen". Die Tatsache, daß Thüringen als „Mark" galt, trug das Ihre dazu bei, eigenständige politische Entwicklungen zu begünstigen. Trotzdem zeigen der starke Einfluß der Liudolfinger im thüringischen Raum und das Engagement der Popponen in Franken, das in der berühmten „Babenbergerfehde" gipfelte, die engen Verbindungen innerhalb dieser Francia orientalis. Was Sachsen betrifft, so erlauben die Ergebnisse von Reinhard Wenskus endlich, die unfruchtbare Alternative, „ob dieser Stammesverband durch Bündnis oder Eroberung zu denken sei", aufzuheben. Der Prozeß der Stammesund Verfassungsbildung kann nicht auf die Völkerwanderung beschränkt werden. Die „Eingliederung der Sachsen in das Frankenreich" fand weder in Verden noch an einem anderen Punkt der fränkisch-sächsischen Beziehungen ihren Abschluß. Auch der Terminus „Frankenreich" gibt in seiner gängigen Bedeutung keine zureichende zeitliche oder verfassungsmäßige Bestimmung 9 ). Erst Widukind von Korvey gestaltete eine Art Kanon der sächsischen Geschichte mit dem Traditionskern des liudolfingischen Hauses. Der Aufstieg der Billunger stellt dann um die Mitte des zehnten Jahrhunderts noch einmal eine neue Herrschaftsbildung in traditionellem Verlauf dar. Der Schlüsselsatz für die karolingische Reichsorganisation in den achtziger Jahren des achten Jahrhunderts findet sich auch in diesen Räumen: „et constit u i t . . . comites". Allerdings wurden in Sachsen zunächst vor allem Mitglieder des heimischen Adels herangezogen. Die frankenfreundliche Schicht erwies sich aber, anders als in Bayern und Aquitanien, als zu schwach. Diese politische Schwäche fand ihre blutige Korrektur in Verden 10 ). Wie Schlesinger annimmt, waren zur 4
) Karl B o s l , Franken um 800 (1959, erweiterte Neuauflage 1969) 156. ) Lugge, Gallia, besonders 151 ; Ewig, Terminologie. 6 ) Klebel, Herzogtümer und Marken 40 (79), vgl. Bosl, Franken 10 f. mit weiterer Literatur. ') Josef F l e c k e n s t e i n , Das Reich der Ottonen im 10. Jahrhundert. Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte (9. Aufl. hrsg. v. Herbert Grundmann, 1970) 219 f. ') Patze, Landesherrschaft 43. 9 ) Die Eingliederung der Sachsen in das Frankenreich (ed. Walther Lammers, Wege der Forschung 185, 1970) Vorwort des Herausgebers IX, vgl. Wenskus, Stammesbildung und Verfassung 541 und d e r s . , Sachsen-—Angelsachsen — Thüringer. Entstehung und Verfassung des Sachsenstammes (Wege der Forschung 50, 1967) 482 ff. ") Annales Laureshamenses a. 782 (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 1, 1826, 32); vgl. Kienast, Studien 53, Schlesinger, Landeshoheit 141, zuletzt Sabine K r ü g e r , Stu6
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gleichen Zeit auch für Thüringen ähnliche Organisationsbemühungen im Gange, die gleichfalls zunächst wenig erfolgreich blieben. Ein Aufstand, den „quidam comites.. .in partibus Austrie" unter der Führung eines Hardrad 785/86 unternahmen, dürfte damit zusammenhängen 11 ). „Ein das ganze Gebiet gleichmäßig überziehendes, der heutigen Einteilung in Kreise vergleichbares Netz von Grafschaften entstand dabei anscheinend nicht", betonte Schlesinger mit Recht 18 ). Andeutungen darüber, was dabei wirklich entstand, haben wir für die Zeit nach 80013). Unter den Zeugen für eine Schenkung an Hersfeld findet man den bayerischen „Präfekten" Werner. Wie dieser Werner und sein Kollege Audulf erhielt 805 der Mattone Madalgaud die Aufsicht über den Slawenhandel, mit dem Zentrum in Erfurt. Im sächsischen Raum dürfte die Entwicklung in ein ähnliches System gemündet haben. Das kann man aus einigen erzählenden Quellen schließen. Sie geben zwar im einzelnen ein vielleicht verwirrendes Bild, sind aber allgemein recht anschaulich, worauf bereits Klebel hingewiesen hat 14 ). Ekbert, der Stammvater der Ekbertiner 15 ), wird in einer Quelle aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts „clarissimus comes et dux" genannt. Nach der Vita der hl. Ida aus dem späten 10. Jahrhundert, die aber, wenigstens was die Titulatur betrifft, ältere Vorbilder gehabt haben muß, war er „praefectus" und „illuster vir" und allen Sachsen zwischen Rhein und Weser als „dux" vorgesetzt 16 ). Ein gewisser Wala, enger Verwandter der Karolinger, wurde nach einer bald nach 840 entstandenen Translatio 814 „omni provincia Saxonica praelatus" 17 ). Der sogenannte Astronom berichtet von der Auslieferung des „Scalomirus Abotritorum rex a ducibus Saxonum" 18 ). Weitere Hinweise gewinnt man aus dem Bereich der Dichtung. Das nach
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dien zur sächsischen Grafschaftsverfassung im 9. Jahrhundert (Studien und Vorarbeiten zum Historischen Atlas von Niedersachsen 19, 1950) 10. Schlesinger, Landeshoheit 50 f. Zu H a r d r a d vgl. Annal. Lauresh. a. 786, 32, Fleckenstein, Weifen 105, Dienemann-Dietrich. Der fränkische Adel in Alemannien im 8. Jahrhundert. Schlesinger, Landesherrschaft, Vorbemerkung zum Neudruck 1964 (31969) XII. Schlesinger, Landeshoheit 52, Urkundenbuch der Reichsabtei Hersfeld 1 (ed. Hans Weirich, Veröff. d. hist. Komm. f. Hessen und Waldeck 19, 1, 1936) n. 21 von 802 März 3, Otto D o b e n e c k e r , Regesta diplomatica necnon et epistolaria historiae Turingiae 1 (1896) 23 n. 73, Mitterauer, Markgrafen 65, MGH Capit. 1, 123, Bosl, Franken 67 zu den Mattonen. Klebel, Herzogtümer und Marken 41 (80). Zu den Ekbertinern vgl. Heinrich B ü t t n e r — Irmgard D i e t r i c h , Weserland und Hessen im Kräftespiel der karolingischen und frühen ottonischen Politik. Westfalen 30 (19 52) 138 f., Karl J o r d a n , Herzogtum und Stamm in Sachsen während des hohen Mittelalters. Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 30 (1958) 5, Krüger, Grafschaftsverfassung 71 ff., A. K. H o m b e r g , Geschichte der Comitate des Werler Grafenhauses. Westfälische Zeitschrift 100 (1950) 9 ff. Translatio S. Pusinnae (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 2, 1829) 681 f., Vita S. Ida« (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 2, 1829) 570 ff. Transl. S. Viti (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 2,1829) c. 7, 578, vgl. Klebel, Herzogtümer und Marken 41 (80), Tellenbach, Königtum und Stämme 13. Astronomus c. 31, 624.
Die Terminologie des Heliand-Epos
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Ansicht der Germanisten noch zur Zeit Ludwigs des Frommen entstandene ,,Heliand"-Epos bildet bekanntlich auch eine wichtige verfassungsgeschichtliche Quelle19). Voraussetzung dafür ist die sprachliche Beurteilung der Dichtung. De Boor verweist auf Thesen von H. Collitz und W. Mitzka, daß der Heliand-Dichter keine reine altsächsische Mundart verwendet hat 20 ). Während schon Collitz „eine durch Mischung entstandene, der bestimmten örtlichen Färbung entbehrende Dichtersprache" zu erkennen glaubte, denkt der letzte Herausgeber des „Heliand" an eine „fränkisch angenäherte großlandschaftliche Umgangs- und Geschäftssprache". De Boor hält diese Frage „angesichts dessen, was wir heute über die Buchsprachen hochdeutscher Zentren wissen, neuer Beachtung und Untersuchung wert". Das heißt also, wir haben es hier um eine vom Fränkischen beeinflußte Sprachbildung zu tun, die parallel zur lateinischen Staatssprache zu sehen wäre 21 ), und daher um so besser geeignet ist, über die Herrschaftsstrukturen Auskunft zu geben. Anregungen zu einem solchen Verfahren gehen auf Klebel zurück 22 ). Es ist die Bezeichnung der Person des Pilatus im „Heliand", die in unserem Zusammenhang besonderes Interesse verdient. Er ist „iro hêrron bodo fan Rûmuburg" und „bodo kêsures" 23 ), also, wie schon Klebel interpretierte, kaiserlicher „missus"; ansonsten wird er zumeist als „heritogo" angesprochen 24 ), und dieser Begriff „zielt deutlich auf eine befristete Amtsgewalt, auf Statthalterschaft, auf eine Gewalt jetzt allerdings friedlicher Art" 25 ), oder, unserer Terminologie entsprechend, auf einen königlichen Mandatsträger, dem später die offiziöse Titulatur eines „marchio" zukam, da der Dukat aus politischen Gründen offiziell tabu bleiben mußte. Eine solche Titulatur findet sich denn auch bald explizit in den Quellen : Die Reichsannalen berichten von einer Zusammenkunft der „comités simul cum markionibus" im Grenzgebiet gegenüber den Normannen im Jahre 828, wobei der Plural „marchiones" auffällt 26 ). Der Hattone Banzleib, Graf von Le Mans, wird von Ludwig dem Frommen schließlich 838 offiziell „comes et Saxoniae patriae marchio noster" genannt, 840 ist er in einer Urkunde Ludwigs des Deutschen wieder nur „comes" 27 ). 19
) Zum Heliand vgl. Helmut de Boor, Geschichte der deutschen Literatur 1 (51963) 58 ff., Wolfgang Stammler — Karl Langosch, Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 2 (1936), und das Vorwort zur Ausgabe von Walther Mitzka. t0 ) H. Collitz, Publication of the Modern Language Association of America 16 (1901) 123, Walther Mitzka, Die Sprache des Heliand und die altsächsische Stammesverfassung. Niederdeutsches Jahrbuch 71/73 (1948/49) 32. 21 ) Vgl. Wolfram, Staatssprache. 22 j Klebel, Herzogtümer und Marken 12 f. (52 f.) und 80 (41). 23 24 ) Heliand v. 5125 f. und 5175. ) Heliand v. 5125 und andere. 25 ) Schlesinger, Heerkönigtum (Vorträge und Forschungen 3) 128 (Beiträge 75). 26 ) Annal, regni Franc, a. 828, 175. 2 ') 838 März 22, H. F. 6, 617, vgl. BM2 972; 840 Dezember 14, D. LD. 29 für Korvei. Zu B a n z l e i b vgl. Büttner-Dietrich, Weserland und Hessen 138 (mit falschem Zitat), Krüger, Grafschaftsverfassung 52 ff., und der Kuriosität halber K. R ü b e l , Die Franken, ihr Eroberungs- und Siedlungssystem (1904) 181: Banzleib sei „Markensetzer", weil kein Grenzgraf.
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Brunner, Fränkische Pürstentitel III 6
Damit wäre für den sächsischen Raum die Basis für den Aufstieg des liudolfingischen Hauses erarbeitet. Ehe wir jedoch hier fortsetzen, kurz zurück zu Thüringen. Wenn auf der einen Seite die klassische Konzeption der Grafschaftsverfassung nicht mehr akzeptiert wird, müssen allerdings auf der anderen Seite Formulierungen, wie wir sie für das Wirken Graf Poppos I. überliefert haben 28 ), erneut überdacht werden. Als Folge davon haben die Inhaltsbestimmungen von „conventus publicus" und „totus comitatus eius" ihre Selbstverständlichkeit verloren 29 ). Eine Selbstaussage aus dem Jahre 826 lautet „ego Poppo comes". In zwei Briefen Einhards erhält Poppo die formelle Anrede, die einem Grafen, mit dem man nicht persönlich bekannt ist, gebührt: „Magnifico et honorabili atque inlustri viro Popponi glorioso (gratioso) comiti E(inhartus) sempiternam in Domino salutem." 30 ) Ein schwacher Anhaltspunkt scheint sich aus den Annalen von St. Bertin zu ergeben, für die zu 839 Sachsen ein Regnum, Thüringen aber ein Dukat ist. Wenn diese Differenz überhaupt mehr als eine stilistische Variation ist, erscheint Thüringen also von vornherein nicht als eigener Reichsteil, sondern nur als besonderes Mandatsgebiet. Beide Bereiche werden jedoch „cum marchis suis" zugeteilt, was kaum auf größere inhaltliche Unterschiede schließen läßt 31 ). Spätere Quellen bestätigen diesen Eindruck. Um die Jahrhundertmitte ist ein Thachulf als Grenzgraf — „comes et dux Sorabici limitis" — genannt 32 ). Derselbe wird später in einer Urkunde als „comes de Boemia" bezeichnet 33 ). Über seinen Nachfolger Ratulf ist außer dieser Nachfolge überhaupt nichts Näheres bekannt 34 ). Immerhin läßt die Wortwahl des Berichtes der Fuldaer Annalen über eine Reichsversammlung in Erfurt, wo ja bereits der „Präfekt" Madalgaud saß, mit den Termini „praefectus" und „praefectura" an eine kon28
) P o p p o (I.), 819—839 als Graf im Grabfeld und Saalegau, seine Söhne sind der „dux" Heinrich und Poppo II., „Herzog" von Thüringen; vgl. Wolfgang M e t z , Das Problem der Babenberger in landesgeschichtlicher Sicht. Blätter für deutsche Landeskunde 99 (1963) 59—81, ders., Babenberger und Rupertiner 295 ff., Bosl, Franken 101, Anm. 246, Karl L e c h n e r , Beiträge zur Genealogie der älteren österreichischen Markgrafen. MIÖG 71 (1963) 246—280, Friedrich G e l d n e r , Zum Babenberger Problem. Historisches Jahrbuch 81 (1962) 1—21, Friedrich S t e i n , Geschichte Frankens 1 (1885) 69 bzw. 269. 2 ») 825, Codex diplomaticus Fuldensis (ed. E. F. J. Dronke, 1850) 201 n. 456: „Anno . . . factus est publicus conventus Popponis comitis et totius comitatus eius . . .", vgl. Dobenecker, Reg. Turingiae n. 138. (827), Dronke, Cod. dipl. Fuld. 207 n. 471: „Anno . . . factus est conventus publicus in loco . . . et Poppo comes et maiores natu de comitatu eius . . .", Dobenecker n. 146. 30 ) Einhard ep. 477 n. 55, vgl. oben S. 199. 31 ) Annal. Bertiniani a. 839, 21, dazu Schlesinger, Landeshoheit 53. 32 ) T h a c h u l f , 847/55, Dobenecker, Reg. Turingiae, n. 214, Brief an Papst Leo, überliefert durch die Magdeburger Centuriatoren: „per Thacholfum Thuringorum ducem"; Ann. Fuld. a. 849, 38: „erat quippe dux Sorabici limitis"; genannt Ann. Fuld. 858, 49. Vgl. Schlesinger, Landeshoheit 53 f., Stein, Franken 74 und 275. 33 ) Dronke, Cod. dipl. Fuld. 260 n. 578, Dobenecker, Reg. Turingiae n. 85, ca. 861, verunechtet, vgl. Dobenecker n. 628 (1012). 31 ) Annal. Fuld. a. 873 und 874, 81.
Die Popponen-Babenberger in Thüringen
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tinuierliche Entwicklung parallel zu jener in Bayern denken 35 ), innerhalb welcher allerdings die Popponen eine besondere Rolle spielten. Bereits 866 ist Heinrich, der Sohn Poppos I., „princeps militiae" Ludwigs des Jüngeren, der sich im Aufstand gegen seinen Vater befindet 36 ). Erst 873 stirbt Thachulf 37 ). Im Todesjahr Ludwigs des Deutschen führt Ludwig der Jüngere 876 ein Heer gegen Karl den Kahlen, das nach den verschiedenen Quellen aus Sachsen und Thüringern (Hinkmar), Sachsen, Thüringern und Ostfranken (Regino) oder aus Sachsen und Ostfranken (Folcwin) besteht 38 ). Man erkennt deutlich die Zusammengehörigkeit und Ambivalenz der Begriffe. Ab dem Jahre 880 konzentriert sich endlich die Entwicklung: Poppo II. wird als „comes et dux Sorabici limitis" genannt, Macht und Mandat sind in einer Hand 39 ). Poppos Bruder Heinrich befand sich bei jenen Truppen, die die Niederwerfung Hugos, des Sohnes Lothars II., zur Aufgabe hatten 40 ). Allerdings gelang es Poppo zunächst nicht, sich außerhalb seines eigentlichen Machtbereiches durchzusetzen. Das scheint wenigstens die Nachricht anzudeuten, daß er 882/83 gegen einen Grafen Egino den kürzeren zog. Sie werden bei dieser Gelegenheit „comites et duces" genannt. Man mag Schlesinger und Teilenbach folgen, die darauf verweisen, daß „dux" mitunter nur die Zugehörigkeit zur Reichsaristokratie bedeute, man mag daran denken, daß mit „comes" Egino, mit „dux" Poppo selbst gemeint sei, allzu bedeutsam ist diese Titulatur nicht 41 ). Die Rolle des Popponen Heinrich wurde oben bereits besprochen. Sein Mandat als oberster Feldherr gegen die Normannen im zentralfränkischen Raum hat sich anscheinend kaum zum Vorteil seiner Familie ausgewirkt. Im Gegenteil: Seine Söhne, ihm wohl an Anspruch, nicht aber an Macht gleich, fanden in der Fehde gegen die Konradiner ihren tragischen Untergang 42 ). Die poetisch verbrämte Grabinschrift Heinrichs, die ihn als „Saxonibus, Francis, Fresonibus ille triarchos" in Erinnerung halten will, führt, nimmt man sie wörtlich als Aussage über seine politische Stellung, nur in die Irre. Es gibt keine Hinweise dafür, daß er über sein umfassendes militärisches Mandat hinaus politische Vollmachten besessen hätte. Sachsen, Friesland und die Küste der „tota Francia" beiderseits des Rheins waren eben Schauplatz seiner oft sehr erfolgreichen Kämpfe. Auf der Basis „marchio" beruhende Variationen sind uns, ganz ähnlich wie dieses „triarchos", bereits mehrmals begegnet, ohne daß wir sie je direkt mit bestimmten Herrschaftsstrukturen identifizieren konnten. Drei ist eine volle Zahl. Es gibt nicht einmal Nachrichten dafür, daß Heinrich seine militärische Stellung zur Machtposition 35
) ) ") 38 ) 36
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Annal. Fuld. a. 852, 43, vgl. oben S. 236 f. Annal. Fuld. a. 866, 64, vgl. Büttner-Dietrich, Weserland und Hessen 141. Vgl. Anm. 34. Ernst D ü m m l e r , Geschichte des ostfränkischen Reiches 3 (Jahrbücher der Deutschen Geschichte 21888) 34, Anm. 1. Annal. Fuld. a. 800, 95, vgl. Schlesinger, Landeshoheit 54 und Dümmler, Ostfrk. Reich 32, 137, ebenso Büttner-Dietrich, Weserland und Hessen 140. Dümmler, Ostfrk. Reich 32, 145 f. Annal. Fuld. a. 883, 100, vgl. Altaicher Fortsetzung a. 882, 109, dazu Schlesinger, Landeshoheit 54, Teilenbach, Königtum und Stämme 58 f. Vgl. Anm. 28.
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eines „secundus a rege" auszubauen versuchte. Daß zwischen den liudolfingischen Brüdern Brun und Otto für einen Zeitraum von etwa fünf Jahren eine Überlieferungslücke besteht, während welcher Zeit Heinrich die Hauptlast der Verteidigung Sachsens trug, berechtigt nicht dazu, eine Herrschaft des Popponen in Sachsen anzunehmen. Er war ja auch nicht Graf von Paris oder Fürst von Neustrien, und fiel doch 866 im Kampf gegen die Normannen vor Paris. Gerade darin scheint ja die Schwäche der frühen Babenberger bestanden zu haben: Der überregnalen Tätigkeit des „princeps militiae" Heinrich stand als Basis nur die wohl intensiv ausgebaute, aber doch kleinräumige Machtposition im Grabfeld gegenüber. Thüringen war kein Regnum, daher konnten die Großen Thüringens nie zu vollem fürstlichen Rang aufsteigen, der nur im Regnum vorstellbar ist43). Die Popponen waren daher gezwungen, sich im größeren politischen Räume Austrasiens, der rechtsrheinischen Zentrallandschaft, durchzusetzen. Diesem politischen Anspruch waren sie aber nicht gewachsen. Am Höhepunkt der babenbergischen Macht kommt es zu einem Zusammenstoß mit König Arnulf. Der Mann, den Regino zu 889 bei der einvernehmlich mit dem König geregelten Besetzung des Erzbistums Mainz „Turingorum dux" genannt hat und der 891 noch offiziell als „marchio noster" erscheint, wird ein Jahr später sang- und klanglos fallengelassen 44 ). Unter liudolfingischem Druck kann sich zwar Konrad der Ältere im thüringischen Raum nicht halten 45 ), die Verbindung der Popponen mit den Liudolfingern reicht jedoch bei weitem nicht aus, deren Stellung wiederherzustellen. Dabei bleibt die Frage offen, ob Otto der „Erlauchte" daran überhaupt interessiert war. Das thüringische Mandat übernahm anscheinend Graf Burchard 46 ). Poppo erhielt sein Eigen wieder zurück, sein „Amt" jedoch nicht 47 ). Mit dem Tod der Söhne Heinrichs 902 ist das erste Kapitel der Geschichte der Babenberger zu Ende 48 ). Wieweit Burchards Mandat wirklich über jenes eines Grafen hinaus**) Vgl. S. 189 f. Zuletzt, der in dieser Form doch kaum mehr aufrecht zu erhaltenden „herrschenden Lehre" Dümmlers, Ostfrk. Reich 169 f., und Klebels, Herzogtümer und Marken 48 (87), folgend Patze, Landesherrschaft 64, und Büttner-Dietrich, Weserland und Hessen 141. Vgl. Regino 126. ") 1) Regino 134, a. 889 : „Boppone Turingorum duce et Arnulfo rege annuente" wird der Erzbischof von Mainz eingesetzt; vgl. Patze, Landesherrschaft 63. — 2) 891 Jänner 12, D. A. 83: „Popbonis marchionis nostri"; dazu Schlesinger, Landeshoheit 54, Stein, Franken 84. — 3) Annal. Fuld., Altaicher Forts, a. 892, 122: „Poppo dux Thuringorum honoribus privatus est". — 4) Regino a. 892, 140: „Boppo dux Thuringorum dignitatibus expoliatur ; ducatus, quem tenuerat, Cuorado commendatur : quem pauco tempore tenuit et sua sponte reddidit. Deinde Burchardo corniti. . .". 45 ) Regino 140; Patze, Landesherrschaft 65. ") B u r c h a r d , „Herzog" ca. 892/97—3. August 908, fällt gegen die Ungarn (Dümmler 3 2 551 ff.), Graf im Osten Thüringens, 908 im Grabfeld bezeugt, Söhne Bardo (D. K. 1.8) und Burchard II. Vgl. Patze, Landesherrschaft 71, Irmgard D i e t r i c h , Die Konradiner im fränkisch-sächsischen Grenzraum von Thüringen und Hessen. Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 3 (1953) 71, Otto P o s s e , Die Wettiner. Genealogie des Gesamthauses Wettin (1897) 37, Holtzmann, Kaiserzeit 36, Schlesinger, Landeshoheit 169, Stein, Franken 85. «) D. A. 174. ") Regino a. 902, 149; Stein, Franken 284.
Der „dux" Burchard
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ging, bleibt sehr lange Zeit undeutlich. Von der Titulatur her ergibt sich die erste Spur in der schon mehrmals genannten Urkunde Ludwigs des Kindes von 903. Ihre Terminologie entsprach zwar der Verfassungswirklichkeit, nicht aber der Verfassungstheorie oder der allgemeinen Entwicklung im Titelwesen. Von Ernust A wird Burchard „marchio Thuringionum" genannt. Sonst kommt er aber immer nur als „comes" vor, bis dann das Diplom Ludwigs des Kindes die Lesung „Purchardi egregii d(ucis)" nahelegt, obwohl das Stück gerade an dieser Stelle verstümmelt ist. Dort, wo Burchard in dieser Urkunde gemeinsam mit Konrad dem Jüngeren als Intervenient genannt ist, ist dieser „fidelis ministerialis", der Thüringer „venerabilis comes". Im Kontext jedoch ist kaum eine andere Konjektur als die erwähnte möglich 49 ). Worin mag nun dieser „ducatus, quem Boppo dux Thuringorum tenuerat" und den zu Reginos Zeiten Burchard „strenue gubernat" 50 ) wirklich bestanden haben? Burchard dürfte wesentlich von seiner Stellung zwischen den im ostfränkischen Raum übermächtigen Konradinern und den Liudolfingern profitiert haben. Basis für sein Mandat in Thüringen bildeten, wie schon bei den Babenbergern und zuvor, Grafschaft, Königsgut und Marchionat. Daß einem Träger solcher Funktionen offiziell die dux-Titulatur zugebilligt wird, ist selbst unter Ludwig dem Kind ungewöhnlich, handelt es sich doch nicht einmal um den Fürsten eines Regnum. Es wird eher nach einer formalen Ursache zu suchen sein. Die betreffende Stelle handelt vom „capellanus" des „egregius d u x " Burchard 61 ). Als Intervenient ist Burchard „comes". Es kann sein, daß er vor dem „ministerialis" Konrad nicht zu stark hervorgehoben werden sollte. Aber auch ein anderer Grund läßt sich denken. Kapläne findet man in den Urkunden Ludwigs des Kindes kaum, solche eines weltlichen Großen sind zu dieser Zeit äußerst selten. Das mag rückwirkend assoziativ zur „Besserung" der Titulatur Burchards beigetragen haben, legt doch ein Kaplan, der noch dazu mit Königsgut bedacht wird, fürstliche Hofhaltung nahe. Diese Überlegung gewinnt an Wahrscheinlichkeit, stellt man sie in den Zusammenhang mit der These Stengels, es habe nie ein „Herzogtum im staatsrechtlichen Sinn" in Franken gegeben. Thüringen kann aber nicht Ansatzpunkt für einen Dukat bilden. Es hilft weiter, betrachtet man zum Vergleich die Titulaturen Konrads, des späteren Königs, die Stengel sehr einleuchtend interpretierte 62 ). Die Regel ist „comes", es gibt nur zwei Ausnahmen. Die
«) 1) 902 Februar 5, D. LK. 13 als „comes". — 2) ebenso 902 August 7, D. LK. 15. — 3) 903 Juni 24, D. LK. 20: „Purchart marchio Thuringionum"; vgl. Reindel, Luitpoldinger 41 und43f., Kienast, Herzogstitel 314n. 2, Hlawitschka, Lotharingien 190, Teilenbach, Königtum und Stämme 18, Bosl, Stammesherzogtum 162, Mitterauer, Markgrafen 89, Patze, Landesherrschaft 66. — 4) 903 Juli 9, D. LK. 23, wieder, unter anderen, als „comes". — 5) ebenso 906 Mai 8, D. LK. 44. — 6) 908 Juli 9, Or. Hauptstaatsarchiv München, D. LK. 61: „Purchardi egregii d(ucis)", nachdem er kurz zuvor im gleichen Diplom als „comes" tituliert worden war. 6 °) Regino a. 892, 140. 51 ) Anm. 49 n. 6, wohl mit nur einem -p-. ") Stengel, Hessen 142 f.
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eine ist eindeutig begründbar : Konrad sieht sich als König selbst rückblickend als „dux", obwohl die Vorurkunde „comes" enthält 53 ). Außerdem wird Konrad als Intervenient in einer von dem schon erwähnten Ernust B verfaßten und geschriebenen Urkunde Ludwigs des Kindes von 910 wie früher Burchard „egregius dux" genannt. Dafür bietet sich wieder eine formale Erklärung an, die deutlich macht, wie in dieser Zeit umgangssprachliche Nennungen in den offiziellen Bereich eindringen können. In dem betreffenden Diplom sollte Konrad der Jüngere wohl vor dem minder bedeutenden Grafen Konrad „Kurzpold" vom Niederlahngau, dem Empfänger, hervorgehoben werden. Bezeichnenderweise wird Konrads Bruder Eberhard, obwohl von Liutprand als „comes potentissimus in Francia" bezeichnet 54 ), nie offiziell „dux" genannt. Nur Widukind greift im Bericht über die Salbung Konrads den traditionsreichen Namen „dux Francorum" wieder auf und hält so an der Kontinuität fest 55 ). In Sachsen werden die Verhältnisse deutlicher. Nur aus der Zeit Liudolfs sind die Quellen wenig ergiebig. Die Titulaturen der erzählenden Quellen für Liudolf sind ebenso vielfältig wie unverläßlich, da fast immer der spätere Aufstieg des Hauses auf sie einwirkte 56 ). Ohne daß es expressis verbis ausgesprochen würde, ergibt sich aus ihnen folgendes Bild: Liudolf ist „comes et marchio" mit einer machtpolitischen Basis im östlichen Sachsen und einem militärischen Mandat gegen die Normannen und gehört zur Reichsaristokratie. Überraschend exakt entsprechen die Aussagen Hrotsviths von Gandersheim diesem Befund. Sie spricht in diesem Zusammenhang nur von einem „comitatus . . . gentis Saxonum" und charakterisiert Liudolfs Stellung prägnant mit „principibus . . . par,ducibussednec . . . impar". Für Liudolfs Sohn Agius, der Mönch in Corvey war, ist er in der um 875 verfaßten Vita Hathumodae, ,dux orientalium Saxonum", also noch nicht „dux" im ganzen Regnum. Den verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Babenbergern 57 ) entspricht der Versuch, die Verbindung mit dem thüringischen Raum herzustellen. Diese Tendenz wird auch ") D. K. 1.15, 913 Februar 18, bezugnehmend auf die Vorurkunde D. LK. 63,908 Oktober 5. M ) E b e r h a r d offiziell in D. LK. 77 (911) als „comes", in D. K. I. 5 und 17 nur „germanus frater", D. K. 1.23 „marchio" (vgl. dazu Stengel, Hessen 143, der den Marchionat auf Thüringen bezieht, weil er an eine „Beschränkung des Wortes auf Grenzgrafschaften des Reiches" glaubt), D. H. 1.2 ist er (920) wieder unter den „comités", ebenso wie in D. H. I. 19 und 23 (930), zuletzt „egregius". Für Liutprand, Antapod. 1. II 18, 45 ist er „comes potentissimus". ") Widukind I 16, 27. 66 ) L i u d o l f (f 866), verh. m. Oda, Tochter eines Billung, sein Bruder Otto ist verheiratet mit der Schwester Zwentibolds, seine Tochter Liutgard mit Ludwig dem Jüngeren, seine Söhne sind Bruno, Otto und Agius (Ecbert), Mönch in Corvey. Vgl. Karl August E c k h a r d t , Quellen zur Rechtsgeschichte von Witzenhausen (1954) X X I V f., Patze, Landesherrschaft 68, Stein, Franken 70 und 270, Gebhardt9 1, 224, Büttner-Dietrich, Weserland und Hessen 139 f., Wolfgang M e t z , Die Abstammung König Heinrichs I. Historisches Jahrbuch 84 (1964). Nach Homberg, Comitate, 120 ff., enge Beziehungen zu Konradinern und Gerolden, Nachkommen der Ekbertiner. Belege zusammengestellt bei Krüger, GrafschaftsVerfassung 67. S7 ) Patze, Landesherrschaft 69, Büttner-Dietrich, Weserland und Hessen 140 vor allem Anm. 53.
Die Liudolfinger in Sachsen
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in einer Königsschenkung von 877 an die „fidelis comités" Brun und Otto, die Söhne Liudolfs, in Südthüringen deutlich58). Widukind betont, Brun habe bereits den „ducatus totius Saxoniae"59) verwaltet, was zunächst nur für eine Erweiterung des Mandats gegenüber seinem Vater sprechen würde. Daher hat es auch wenig Sinn, darüber Spekulationen anzustellen, ob die etwa fünf Jahre nach dem Tod Brunos erkennbare sächsische Aktivität des Babenbergers Heinrich einer Verwaltung des „Herzogtums" gleichgekommen wäre, das in dieser Form sicherlich noch gar nicht existierte. Die Bezeichnung auf der Grabinschrift Heinrichs als „triarchos" ist nicht nur nicht „bezeichnend", eine „literarischere" Ausdrucksweise hätte ihr Verfasser kaum finden können60). Im Schatten des bedeutenden Babenbergers Poppo II. dürfte Otto nicht ganz untätig gewesen sein. Für Widukind ist er natürlich von vornherein „magnus dux"61). Aber auch im Rahmen der offiziellen Titulatur ist eine deutliche Entwicklung zu beobachten: Unter Arnulf ist er zunächst (889) „comes", dann „dilectus comes noster" und „illustris comes noster", bis er schließlich 897 „fidelis marchio noster" genannt wird. Unter Zwentibold und Ludwig dem Kind ist er wieder nur „comes", in einer Nebenform „vir venerabilis et abba". Konrad I. nennt ihn 913 postum „venerandus dux"62). In einem Zehentverzeichnis aus Hersfeld scheint er als „dux" auf; das könnte auch zur Datierung dieses Verzeichnisses beitragen. Die Titulatur entstand vermutlich zu Arnulfs Zeiten, und, da im gleichen Zusammenhang ein ,,c§sar" genannt wird, vermutlich erst nach 89663). Für Liutprand ist Otto, im Gegensatz zum Konra68
) B r u n ( o ) , „Herzog" v. Sachsen fällt 880 gegen die Dänen (Annal. Fuld. 94), „ducatum administrasset totius Saxoniae" (Widukind I 16, 26), vgl. Anm. 56 und die dort angegebene Literatur, dazu Jordan, Herzogtum und Stamm 6. Vgl. auch Hrotsvith von Gandersheim (ed. Paulus von Winterfeld, MGH SS rer. Germ., 1902) v. 361. Als „fidelis comes" gemeinsam mit seinem Bruder Otto genannt in D.LJ. 4 (877 Jänner 26 für Gandersheim). 6 ») Widukind I 16, 26. 60 ) Büttner-Dietrich, Weserland und Hessen 141. 81 ) Wie Anm. 59. O t t o (der Erlauchte, 880—912), verh. mit Hathui, Tochter des „dux" Heinrich, nach Patze, Landesherrschaft 64, erst nach diesem Heinrich, also nach 885, an der Herrschaft, Laienabt von Hersfeld (vgl. BM2 2054), Sohn Heinrich (I.), Tochter Oda verh. mit Zwentibold, in zweiter Ehe mit Gerhard von Lothringen, vgl. Anm. 56 und 58 und die dort angegebene Literatur, dazu Kienast, Herzogstitel 315 ff. und 326, Dümmler 32 136f., zur Rolle Ottos bei der Erhebung Konrads I. zuletzt Martin L i n t z e l , Berichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, phil.-hist. Kl. 200 H. 2 (1953) 14 f. 62 ) 1) 888, D. A. 28: „comes". —2) 889 Juni 20, D.A. 51: „dilectus comes noster".—3) 889 Juli 9, D. A. 56 : „illuster comes noster". — 4) 897 Jänner 28, D.A. 149: „Ottonis fidelis marchionis nostri" ; nach Kienast, Herzogstitel 316 n. 8 von Eberhard von Fulda verunechtet. — 5) 898 Juni 4, D. Z. 22 : „venerabilis comes" ; das „Venerabilis", das zur Bildung des Beinamens beitrug, dürfte von Ottos Stellung als Laienabt in Hersfeld herrühren. — 6) 902 August 7, D. LK. 15 : „comes". — 7) 904 August 3, D. LK. 35 : „in comitatibus Ottonis e t . . .". — 8) 906 Mai 8, D. LK. 44: „comes"; vgl. Kienast, Herzogstitel 316 n. 10. — 9) 908 Oktober 5, D. LK. 63: „Otto vir venerabilis et abba". — 10) 913 Eebruar 18, D. K. I. 15: „Ottonis venerandi ducis". 63 ) 880/99, Weirich, Urkundenbuch Hersfeld 67 n. 37 (Zehentverzeichnis): „Haec loca sancti Wigberti sunt in potestate duci Otdonis".
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diner Eberhard, „Saxonum potentissimus dux" 64 ). Die nächste Generation brachte dem eben aufgestiegenen Fürstengeschlecht, nun eindeutig als „duces in regno" ausgewiesen, das Königtum. Alles weitere kann nur mehr als exemplarischer Ausblick dienen. Unter dem Terminus eines „jüngeren fränkischen" Fürstentums läßt sich der Aufstieg der Billunger nicht mehr fassen. Dennoch läßt sich relativ rasch zeigen, daß immer noch eine Reihe von Grundbedingungen wirksam waren, die zu einem solchen Aufstieg verhalfen. Die Tradition war keineswegs gebrochen, noch dazu, wenn man bedenkt, daß Hermann Billung etwa 953 in einer Situation die „procuratio" Sachsens übernahm, die frappierend jener der späten Karolingerzeit ähnelte. Der Aufstand des Königssohnes Liudolf und seiner Anhänger war abzuwehren. Es gelang den Ottonen bekanntlich erst nach einer Reihe solcher Aufstände, eine neue Reichsordnung durchzusetzen, in der die Fürsten einen wesentlich anderen Platz innehatten als früher. Einzelheiten brauchen hier nicht zu interessieren; sie wurden außerdem bereits vorbildlich zusammengestellt 65 ). Widukind erwähnt die Krönung Ottos I. und berichtet über Sigfried von Merseburg, daß dieser als „Saxonum optimus et a rege secundus" die Aufgabe hatte, ,,ne qua hostium interim irruptio accidisset" 66 ). Gleichzeitig „placuit igitur novo regi novum principem (sc. Hermanum) militiae constituere" 67 ). Die hier vorgeführten Zitate zeigen deutlich die exakte und uns mittlerweile wohlvertraute Terminologie des Autors. Weiter südlich hatte Gero als Markgraf ein militärisches Mandat 68 ). Offiziell wird er 941 „dilectissimus marchio noster", später „dilectus" oder „fidelis" „marchio" genannt, nur in zwei Empfängerausfertigungen erscheint er 946 und 948 als „dux et marchio". Sein Herrschaftsbereich ist der „comitatus" und nicht, wie eine Fälschung zu 951 meint, eine „marchia" 69 ). Nur Ottos Vorfahren waren „duces Saxonum" 70 ). Hermann gelingt es aber ebenfalls, das zeitlich und regional begrenzte Mandat M
) Liudprand, Ant. 24, 21; vgl. Schlesinger, Landeshoheit 143. ) Hans-Joachim F r e y t a g , Die Herrschaft der Billunger in Sachsen (Studien und Vorarbeiten zum historischen Atlas von Niedersachsen 20, 1951) 8 ff. Zu Freytag vgl. die Rezension von J. Prinz, Westfälische Forschungen 6 (1953). 66 ) S i e g f r i e d , Graf von Merseburg (f 937), entfernt verschwägert mit Heinrich I., vgl. Patze, Landesherrschaft 96 f., Widukind II 2, 67. ") Widukind II 4, 70; Freytag, Billunger 9, Jordan, Herzogtum und Stamm 7. 68 ) Vgl. Kienast, Herzogstitel 327 f. 69 ) 1) 941 Juni 7, D. O. I. 40. — 2) 944 Februar 29, D. O. I. 56: „noster dilectus marchio nomine Gero". — 3) 945 Mai 4, D. O. I. 65: „dilectus ac fidelis noster marchio". — 4) 946 Mai 9, D. O. I. 76, nach Kienast, Herzogstitel 327 f. kanzleifremd, Magdeburger Diktat: „Geronis dilecti ducis et marchionis nostri". — 5) Aber ebenso im Original 948 Oktober 1, D . O . I. 105. — 6) 950 Dezember 6, D . O . I. 130: „dilectus marchio noster", aber: „in comitatu praedicti marchionis". — 7) 951 Juli 27, D. O. I. 133, Fälschung, vgl. Bresslau, in: NA 23, 121 ff.: „dilectissimi marchionis nostri Geronis . . . in marchia predicti marchionis Geronis"; allein das Wort „marchia" ist ungewöhnlich. — 8) 951 Juli 28, D. O. I. 134: „noster marchio". — 9) 961 (?), D. O. I. 304: „marchio", und wieder „in comitatu predicti Geronis fidelicet marchionis". — 10) 961 (?), D. O. I. 306: „marchio". — 11) Ebenso wie in D. 0 . 1 . 2 9 3 . — 12) und D. 0 . 1 . 2 9 8 (965 Juli 8). ">) D. O. I. 180. 86
Von der „procuratio" zum Herzogtum der BiHunger
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zu erweitern. Die offizielle Titulatur ist 956 „marchio", 965 „dilectus comes". In einer ausschließlich durch ihn überlieferten Urkunde dürfte Widukind für die Besserung zu „dux" verantwortlich sein71). Erst Bernhard I. erscheint immer als „dux" 72 ). Von 1004 ist eine Selbstaussage des „Bernhardus Dei gratia dux Saxoniae" erhalten, der in der gleichen Urkunde seinen Vater Hermann selbstverständlich ebenfalls „dux" nennt, was seine eigene Stellung legitimieren kann 73). „Die Billunger sind nicht Herzöge von Sachsen, sondern Herzöge in Sachsen." 74 ) Es gelingt ihnen ebensowenig wie den übrigen sächsischen Amtsträgern, den fürstlichen Anspruch des „secundus a rege" zu reaktivieren. Das heißt, den Ottonen war es möglich, eine Entwicklung, die ähnlich wie jene einsetzte und verlief, die ihnen selbst und anderen Großen fürstlichen Rang gebracht hat, im Griff zu behalten. Die Herzöge blieben Mandatsträger und wurden nicht königsgleiche Fürsten im Regnum. So war etwa die Einsetzung von Markgrafen und Grafen in Sachsen, anders als in Bayern, der Verfügungsgewalt des Herzogs entzogen. Die Voraussetzungen dazu lagen in einem Prozeß, der sich, wenn auch auf längere Sicht weniger erfolgreich, doch ähnlich wie links des Rheins in Franzien vollzog. Die Einheit Thüringens, Frankens und Lothringens als zentrale Königslandschaft beruhte auf karolingischer Tradition. Von diesen drei Bereichen war nur Lothringen im vollen Sinne Regnum, es hatte daher auch im „archidux" Brun einen Herren im Sinne der karolingischen Unterkönige. Thüringen erlangte nie eine regnale Selbständigkeit ; es mußte daher auch die führende Familie, die Popponen-Babenberger, wollte sie ihren fürstlichen Rang durchsetzen, in das Machtgefüge des eigentlichen Zentralraumes, Frankens, einzugreifen versuchen, was aber keinen Erfolg hatte. Die Sachsen fühlten sich, bestärkt durch das Königtum der Ottonen, in der Art einer pseudologischen Ansippung als ,,una gens ex Christiana fide", ja eigentlich als bessere Franken 75 ). Dadurch konnten sie auch als neues Reichsvolk deren Tradition theoretisch aufnehmen und weiterführen. 7. Alemannien Obwohl in Detailfragen auf ausgezeichnete Vorarbeiten aus jüngerer Zeit zurückgegriffen werden konnte 1 ), erwiesen sich die Untersuchungen zu diesem ") Vgl. Kienast, Herzogstitel 327, Anm. 106 ff. ") Vgl. Kienast, Herzogstitel 328. 7a ) Lüneburger Urkundenbuch. 7. Abteilung: Archiv des Klosters St. Michaelis zu Lüneburg (ed. Wilhelm von Hodenberg, 1861) n. 7; vgl. Kienast, Herzogstitel 416. 71 ) Jordan, Herzogtum und Stamm 9. 75 ) Widukind I 15, 25. Vor allem sind die Arbeiten in Grundfragen der alemannischen Geschichte. Vorträge und Forschungen 1 (1952) zu erwähnen. Darunter waren besonders nützlich: Irmgard D i e n e m a n n - D i e t r i c h , Der fränkische Adel in Alemannien im 8. Jahrhundert, a. a. 0 . 194—192, Ernst K l e b e l , Bayern und der fränkische Adel im 8. und 9. Jahrhundert, a. a. O. 193—208, und Hans J ä n i c h e n , Baar und Huntari, a. a. O. 83—148 von
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Kapitel als äußerst schwierig. Man muß sehr tief in die Quellen eindringen, um wenigstens andeutungsweise die Zusammenhänge zu begreifen, die mit den Namen Alemannien und Schwaben verbunden sind. Nach neuesten Forschungen wird vermutet, „daß ein in kriegerischen Unternehmungen neu entstandener Stamm sich deshalb .Alemannen' nannte (oder so genannt wurde), weil er die alten Stammesbildungen sprengte und jedem, der teilnehmen wollte, offen stand" 2 ). Das gilt mehr oder weniger für alle „gentes" der Völkerwanderung, ganz besonders aber auch für die Franken. Im Gegensatz zu diesen haben die Alemannen aber „die selbständige politische Form" 3 ) nie für längere Zeit erreicht 4 ). Den ersten Bruch in der Entwicklung brachte der Alemannensieg Chlodwigs mit sich. Die Franken drängten die Alemannen zunächst in den an Burgund angrenzenden Gebieten, im Dukat um Besançon, im Elsaß 5 ) und im Bereich der Alpenübergänge zurück 8 ). Innerhalb Alemanniens unterschied Klewitz drei weitere Zentralräume 7 ) : das Bodenseegebiet in enger Verbindung mit Rätien, das Gebiet des Oberrheins und den sogenannten inneralemannischen Raum an der oberen Donau und am oberen Neckar. Sowohl zur Merowingerzeit 8 ) wie auch unter den Karolingern war Rätien mit seiner römischen Tradition wichtigste Herrschaftsbasis des Fürstentums 9 ). In diesem Raum befand sich auch das Hausgut Herzog Gotfrids, der um 700 einer jener Großen war, „denen der Griff nach dem Königtum in ihrem Amtsbereich nachgesagt wurde" 10 ). Sein Herzogtum wurde wie jenes im Elsaß im Rahmen der fränkischen Staatssprache benannt. Das Urkundenbuch von St. Gallen beginnt mit einer Urkunde des „Godafridus dux vir inluster", der Titel des elsässischen Liutfrid folgt dem gleichen Typ 11 ). Wie ernst die großem Wert. Immer noch wesentlich ist Heinrich B ü t t n e r , Geschichte des Elsaß 1 (Neue deutsche Forschungen 242, 1939). Weniger brauchbar für wissenschaftliche Zwecke erwies sich Otto Feg er, Geschichte des Bodenseeraums 1. Anfänge und frühe Größe (Bodenseebibliothek 2, 1956); vgl. auch ders., Zur Geschichte des alemannischen Herzogtums. Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 16 (1957) 41 ff. Hingegen ist die Untersuchung von Elisabeth Meyer-Marthaler, Rätien im frühen Mittelalter (Beihefte zur Zeitschrift für schweizerische Geschichte 7, 1948) sehr interessant. Hinzuweisen ist zuletzt noch auf Rolf Sprandel, Das Kloster St. Gallen in der Verfassung des karolingischen Reiches (Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte 7, 1958). 2 ) H. Steuer, Alemannen. Reallexikon der germanischen Altertumskunde (Begr. v. Johannes Hoops, hrsg. v. Heinrich Beck — Herbert Jankuhn — Hans Kuhn — Kurt Ranke — Reinhard Wenskus, 1 fasz. 1 (1968) 138. 3 ) Hans-Walter K l e w i t z , Das alemannische Herzogtum. Friedrich Maurer, Oberrheiner, Schwaben, Südalemannen (1942) 79. *) Vgl. auch die Auseinandersetzungen zwischen dem Habsburger Rudolf IV. und dem Luxemburger Karl IV. im Spätmittelalter um die Neubildung eines schwäbischen Herzogtums. 5 ) Büttner, Elsaß 51 und 61. 6 ) Feger, Herzogtum 55, Steuer, Alemannen 141. 7 ) Klewitz, Herzogtum 91. ®) Feger, Herzogtum 93. >) Intitulatio I. 142. 10 ) Intitulatio I. 143; Wartmann, Urkundenbuch von St. Gallen 1, 1 n. 1. ") Intitulatio I. 143.
Die Herrschaftsstruktur Alemanniens
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legitimistische Begründung dafür zu nehmen ist, daß Gotfrid wie andere sich den Arnolfingern nicht unterordnen wollte, ,,eo quod non potuerint regibus Meroveis servire, sicut antea soliti erant" 12 ), wird durch zahlreiche Beispiele der Zeit illustriert. Irmgard Dietrich machte nun wahrscheinlich, daß, von der durch Herzogsgut gegebenen Tradition abgesehen, zur Zeit des „comes de Alamannia" Ruthard 1 3 ) am Untersee neuerlich römisches und gotisches Fiskalland durch den fränkischen König beansprucht worden sein könnte 14 ). Das weist auf eine sehr starke Kontinuität im rätischen Raum hin. Während der Kämpfe Pippins und Karlmanns um Alemannien erlosch das elsässische Herzogtum, das auch schon Büttner nicht als „Stammesherzogtum" gesehen hatte 15 ). Das Elsaß ist jedoch nach wie vor Sprungbrett der fränkischen Politik. Von dorther erfolgte ein erster Vorstoß auf kirchlichem Gebiet 16 ), dorther kam auch der eben genannte Ruthart. Er hat gemeinsam mit dem „comes" Warin — vielleicht ebenfalls aus dem Elsaß und vielleicht ein Widone 17 ) — „tunc tempore totius Alamanniae curam" verwaltet 18 ). Vor Warin war schon der Rupertiner Chancor, vermutlich mit der gleichen Aufgabe, eine Zeitlang in diesem Gebiet tätig gewesen 19 ). Das sind die Spuren derselben la)
Erchanberti breviarium regum Francorum (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 2, 1829) 328; vgl. Taeger, Herzogtum 59. 13) R u t h a r t , fränkischer Graf aus dem Elsaß, bekommt konfiszierte Güter, auch im Bodenseeraum, und am Mittelrhein begütert, Vater Hartrad, verh. mit Irminswind, der Schwester eines Grafen Leitrad. Vgl. Philippe André G r a n d i d i e r , Histoire ecclésiastique, militaire, civile et littéraire de la province d'Alsace 2 (Strasbourg 1787) 96 n. 56; Theodor M a y e r , Grundlagen und Grundfragen. Vorträge und Forschungen 1 (1962) 29, Dienemann-Dietrich, Fränkischer Adel 154 f., Bosl, Franken 118, Hans J ä n i c h e n , Warin, Rudhard und Sorot. Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 14 (1955) 372—384, Fleckenstein, Weifen 71—136. Die Belege folgen nicht systematisch geordnet: 1) Vita S. Galli (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 4, 1902) 322: „comités vero quidam Warinus et Ruadhartus, qui totius tunc Alamanniae curam administrabant. . .". — 2) 750/79, Urkundenbuch des Klosters Fulda 1 (ed. Edmund Ernst Stengel, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck 10,1, 1956/58) 195 n. 138: „Ruthardus comes de Alamannia". — 3) 749 September 27, Schoepflin, Alsatia diplomatica 1, 17 n. 16: „Vir inluster Rothardus"; vgl. Bruckner, reg. Als. 97 n. 166. — 4) D. K. III. 192, Fälschung, auf einer Urkunde basierend: „ a quondam Ruthardo duce . . . viro liberali manu". " ) Dienemann-Dietrich, Fränkischer Adel 165. 16) Büttner, Elsaß 112 und 98. 16) Heinrich B ü t t n e r , Franken und Alemannen in Breisgau und Ortenau. Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins N. F. 52 (1932) 323—359, ders., Christentum und fränkischer Staat in Alemannien und Rätien während des 8. Jahrhunderts. Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte 43 (1949) 1—27 und 132—150. " ) W a r i n , fränkischer Graf, 754—774 genannt, verh. mit Hadelinde, Sohn Isanbard, folgt auf Chancor im Thurgau; vgl. Mayer, Grundlagen und Grundfragen 29, Dienemann-Dietrich, Fränkischer Adel 170 ff., Bosl, Franken 118. 18) Vita S. Otmari (ed. Ildephonsus von Arx, MGH SS 2, 1829) 43; vgl. Anm. 13 n. 1. " ) C(h)ancor, Rupertiner, 745 genannt, geht 754 ins fränkische Gebiet zurück, Sohn Heinrich. Vgl. zuletzt Herwig W o l f r a m , Der heilige Rupert und die antikarolingische Adelsopposition. MIÖG 80 (1972) 4ff. und Michael Gockel, Karolingische Königs-
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Reichsorganisation, der wir unter dem Stichwort „ordinavit . . . comités" 20 ) im letzten Viertel des achten Jahrhunderts in fast allen Regna begegneten. Gerold der Ältere, der Vater des bayerischen Präfekten gleichen Namens, leitet den dritten und endgültigen Vorstoß der fränkischen Reichsorganisation ein 21 ). Noch sind alle diese „Reichsaristokraten" und ihr jeweiliges Mandat verfügbar, auch wenn sie immer wieder Erbgut aus Fiskalgut erwarben und obwohl sich dieser Adel, wie im Falle Gerolds, mit dem eingesessenen Stammesadel verband. Wir haben es aber mit einer dreifachen ,,tota Alemannia" 22 ) zu tun: Das Gebiet um den Oberrhein und den Bodensee stand in enger Verbindung mit dem mittelrheinischen Raum, der „Wiege" der karolingischen „Reichsaristokratie". Das Alpenland südlich des Bodensees war Rückzugsgebiet für den letzten alemannischen Herzog Theutbald 23 ). Das erste politische Mandat in Alemannien klammerte zunächst den dritten Raum zwischen Neckar und Donau sorgfältig aus. Hierhin und darüber hinaus ging erst das Mandat Gerolds. Vom Sohne dieses Gerold ist uns die erste Selbstaussage erhalten. Die traditionelle Intitulatio „ego in Dei nomine N. comes" wird wohl für alle hier genannten Großen Gültigkeit haben, sofern sie selbst Urkunden ausstellten 24 ). Selbstverständlich stand ihnen der Illustrât zu25). Die Besonderheit ihrer Stellung versuchte man später in Fulda mit dem Zusatz „comes de Alemannia" zu treffen, eine noch spätere Fälschung bringt gar die dux-Titulatur auf 26 ). Die Mehrteiligkeit Alemanniens blieb also weiterhin aufrecht. 829 sollte Karl der Kahle als „dux" über das „regnum Alisacinsç et Coriae et partem Burgundiae" oder, wie es anderswo heißt, „super Alisatiam, Alamanniam et Riciam" gesetzt werden 27 ). 806 war Alemannien noch geteilt worden. Pippin erhielt „de Alamannia partem quae in australi ripa Danubii fluminis est . . . una cum ducatu Curiensi et pago Durgowe", Ludwig den Rest 28 ). Daher wird
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höfe am Mittelrhein (Veröff. des Max-Planck-Instituts für Geschichte 31, 1970) 233 ff. und 298 ff. Vgl. S. 218, 235, 301. G e r o l d der Ältere (f ca. 784), Graf im Wald- und Nagoldgau, verh. mit Imma, möglicherweise eine Nachkommm des alemannischen Fürsten Hnabi, Sohn der Präfekt Gerold I., weitere Söhne Udalrich, Uto, Megingoz (Mitterauer, Markgrafen 16), Tochter Hildegard verh. mit Karl dem Großen; vgl. Mitterauer, Markgrafen 9 f., Stammtafel ebenda 25, vor allem aber Dienemann-Dietrich, Fränkischer Adel 182 ff. Dienemann-Dietrich, Fränkischer Adel 180 und 182. Dienemann-Dietrich, Fränkischer Adel 179. 786 Mai 3, Wartmann, Urkundenbuch von St. Gallen 1, 101 n. 108: „igitur ego in Dei nomine Ceroldus comes". Vgl. Anm. 13 n. 3 und 829/30, Tauschurkunde, Bruckner, reg. Als. 305 n. 481: „inter venerabiles viros Geroldum videlicet una cum Bebone filio suo atque cum Sigimaro abbate . . . dedit igitur vir illustris Geroldus . . . Signum Geroldi comitis . . .". Vgl. Anm. 13 n. 4. Annal. Weissenburgenses a. 829, 111: „Karolus ordinatus est dux super Alisatiam, Alamanniam et Riciam"; Annal. Xantenses a. 829, 7: „et ibi tradidit imperator Karolo filio suo regnum Alisacins? et Coriae et partem Burgundiae". MGH Capit. 1, 127.
Die alemannischen „comités". — Die Bertholde
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809 in St. Gallen auch nach Karls Kaiserjahren und den „anni regni quoque Pippini in Alemannia" datiert 29 ). Ludwig der Deutsche ernennt dann seinen Sohn Karl (III.) zum „Alemanniae, Rhaeticae maiori et etiam Curiensi rector" 30 ). Das „(Carolus) rex in Alamannia constitutus est" stellt eine etwas ungenaue Beschreibung des Vorgangs durch die Fuldaer Annalen dar 31 ). Hingegen erscheint Karl im Breisgau regelmäßig als „princeps" 32 ) oder „rector pagi" 33 ). In einem Brief Ludwigs des Deutschen von 873 an „Karolo dilecto filio nostro et omnibus comitibus . . . qui in Alamannia consistunt" fehlt jede nähere Funktionsangabe 34 ). Als „rex Alamannorum et Pejowariorum" galt in einer St. Gallener Urkunde von 851 Ludwig der Deutsche. 862 vermählte sich Karl mit einer elsässischen Grafentochter 35 ). Der Breisgau scheint eine Art Sprungbrett für das große Schachspiel um den Ehehandel Lothars II. gewesen zu sein. Den „ducatus Elisatium" bekommt jedoch 867 einvernehmlich Hugo, der Sohn der Waltrada 36 ). „Alemannien" erscheint als solches in den Quellen also gar nicht so oft und dann zumeist als Oberbegriff und politische Abstraktion. Wenn eine exakte Definition des Mandates des „dux", „princeps" bzw. „rector" nötig ist, wird genau differenziert: Das Elsaß und Churrätien sind „regna"; Alemannien als Ganzes wird hingegen lange Zeit nur „ducatus" benannt 37 ). Das bedeutet aber, daß man dieses Alemannien, wenn es überhaupt politisch relevant wurde, als über die normalen Strukturen der Reichsorganisation hinausgehendes Mandatsgebiet ansah 38 ). Es ist dementsprechend schwierig, konkrete Ereignisse oder Namen als Wurzeln des späteren alemannischen Fürstentums zu nennen. Die Hinweise, die sich aus den Titeln und Titulaturen ergeben, sind spärlich. Von den Bertholden, einem Geschlecht aus dem Baarengebiet 39 ), gibt es erstaunlich zahlreiche Selbstaussagen. Bereits 802 urkundet ein Berthold mit „ego in Dei nomine comis" 40 ). Die darauffolgenden Generationen entwickeln recht eigenartige Legitimationsformeln, zumeist Umbildungen der dreigliedrigen königlichen
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Wartmaim, Urkundenbuch von St. Gallen 190 n. 199. Erchanbert 329; vgl. BM2 1459 a. Annal. Fuld. a. 887, 105. Vgl. Wartmann, Urkundenbuch von St. Gallen 2, 147 n. 534, Klewitz, Herzogtum 101. Wartmann, Urkundenbuch von St. Gallen 2, 166 n. 551, vgl. auch Jänichen, Baar 87. Wartmann, Urkundenbuch von St. Gallen 2, 183 n. 570. Büttner, Elsaß 148 f. Annal. Bertiniani a. 867, 87; vgl. S. 286. Werner, Fürstentum 419. Thegan 590 erinnert an das ältere Herzogtum Alemanniens, um die vornehme Abkunft der Hildegard zu illustrieren; es gelang jedoch nie, ähnlich wie in Bayern voll an diese Tradition anzuschließen. 39 ) Jänichen, Baar 83 ff., Zusammenfassung 142, Stammbaum 150; vgl. Rolf S p r a n d e l , Das Kloster St. Gallen in der Verfassung des karolingischen Reiches. Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte 7 (1958) 43 und 54. 40 ) Wartmann, Urkundenbuch von St. Gallen 1, 160 n. 170, weitere Belege bei Jänichen, Baar 94 f. 30
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Vorbilder41). Daraus darf man wohl die Vorherrschaft der Bertholde im inneralemannischen Raum ableiten. Von dieser Basis ausgehend, beanspruchten sie ihren Platz im fränkischen Hochadel. Eine bedeutende Rolle spielen aber auch von Anfang an die Nachkommen des „Reciarum comes" Hunfrid42). Dieser war einer der wichtigsten Mandatsträger Karls des Großen und seines Sohnes. Nach einem vorübergehenden Auftrag in Istrien wurde er mit dem Schutz der rätischen Alpenübergänge betraut und bewährte sich gegen den aufständischen Bernhard von Italien. Er war mehrmals Gesandter im Dienste des Königs und führte in Rätien die eigentliche fürstliche Tradition weiter. Selbstverständlich gebührt ihm der Illustrat. In einem Papstbrief wird er „gloriosus comes" genannt, Thegan bezeichnet ihn als „dux super Redicam". Hunfrids Nachkommen gelang es, dieses rätische Mandat zur Herrschaft auszubauen, ja, sie kamen über die Donau an die schwäbische Alb und sind als Scherra-Grafen nachweisbar43). Um die Mitte des Jahrhunderts wird aus Titulaturen die dritte bestimmende Kraft im alamannischen Raum greifbar: Der Weife Konrad I., Bruder der Judith, erscheint als „comes inluster" im Linzgau, ja sogar als „dux nobilissimus"44). Der Aufstieg der Hunfridinger wird gegen Ende des 9. Jahrhunderts deutlich. Rudolf (I.), ein Enkel Hunfrids, wird 890 „dux Raetianorum" genannt45). Rudolfs Neffe Burchard, wie sein Vater Adalbert in der Westbaar als ScherraGraf nachweisbar46), ist 890 „comes, filius Adalberti illustris" und in der schon 41
) 817 November 17, Wartmann, Urkundenbuch von St. Gallen 1, 220 n. 228; 826 August 2, ebenda 249 n. 302. 42 ) H u n f r i d , 8 0 6 — 8 2 3 , I s t r i e n , R ä t i e n , sperrt 817 dem Bernhard das Rheintal, 808 und 823 als Gesandter nachweisbar, Sohn Adalbert, Verwandter Rudolf, bei Thegan 597 als „dux super Redicam". Vgl. Teilenbach, Königtum und Stämme 51 n. 29, Klebel, Herzogtümer und Marken 79, Feger, Bodensee 140 ff., Meyer-Marthaler, Rätien 73 und 75 ff., dort 76 auch ein Stammbaum, zuletzt Fichtenau, Urkundenwesen 39 f. " ) Meyer-Marthaler, Rätien 76, Jänichen, Baar 91. " ) K o n r a d I., von Auxerre, Weife, verh. mit Adelheid, Tochter von Hugo von Tours, Bruder Rudolf, Schwester J u d i t h , Söhne Konrad und Hugo der Abt, vgl. auch Poupardin, Provence 513, Tellenbach, Königtum und Stämme 53 n. 33b. 1) 851 Oktober 8, Wartmann, Urkundenbuch von St. Gallen 2, 37 n. 417 : I n der Datierung „sub Honrato duce nobilissimo". — 2) 861 April 1, D. LD. 103: „quidam comis inluster nomine Chuonratus". 45 ) 890, Wartmann, Urkundenbuch von St. Gallen 2, 284 n. 681 : In der Datierung „sub Ruadolfo duce Raetianorum"; man beachte die gentile Bereichsbezeichnung. Vgl. Klebel, Herzogtümer und Marken 79. 46 ) B u r c h a r d der Ältere, Graf in der Baar und in Rätien, Hunfridinger, Vater Adalbert, Bruder Adalbert, Graf in Thurgau, Sohn Burchard der Jüngere, 911 November 22/23 ermordet. 1) 890, Wartmann, Urkundenbuch von St. Gallen 2, 275 n. 673: „Coram Burghardo comité, filio Adalberti illustris", vgl. Meyer-Marthaler, Rätien 73, Anm. 190. — 2) 903 J u n i 24, D. LK. 20: „Purchart marchio Curiensis Raetiae"; — 3) 903 Juli 9, D. LK. 23, unter den „comités". — 4) I m gleichen Jahr, Dezember 13, W a r t m a n n Urkundenbuch von St. Gallen 2, 332 n. 729, signiert er als „comes". — 5) 905 Februar 6, D. LK. 38: „in Retiae Curiensis partibus consentiente videlicet atque perdonante Burchardo illustri marchione". —6) 906 Mai 31, D. LK. 45: „rogatu Purucharii dilecti
Hunfridinger — Weifen — Burcharde
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mehrmals erwähnten Urkunde Ludwigs des Kindes von 903 sehr korrekt „marchio Curiensis Raetiae". Zumeist wird er aber weiterhin „comes" genannt, erst 905 wieder offiziell „illuster marchio". Im Jahre 909 bezeichnet ihn Bischof Salomon von Konstanz als „dux earundem parcium". Für die Annales Alamannici ist Burchard „comes et princeps Alamannorum", seine Ermordung wird betont als abscheuliches Verbrechen hingestellt. Uber die Hintergründe dieser Tat ist kaum etwas auszumachen. Es ist aber als am wahrscheinlichsten, anzunehmen, daß sich eine starke Opposition gegen die Übermacht der Hunfridinger gebildet hatte 47 ). Dabei werden die Burkharde niemals ausdrücklich erwähnt, es liegt aber nahe, sie auf Seiten dieser Opposition zu suchen. Es ging doch wohl um den Versuch der Hunfridinger, die Herrschaft über den rätischen Raum hinaus auszudehnen, die Gegnerschaft dürfte also „alemannisch" gewesen sein. Dazu kommt allerdings, daß wir genug Zeugnisse dafür kennen, daß die erste fürstliche Generation auf jeden Fall mit starken Widerständen in den Reihen des Adels zu rechnen hatte, die sich in der Regel die Könige zunutze machten. Um so mehr überrascht, daß sich der „Aufstand" rasch und eindeutig gegen den fremden Fürsten und „König" Konrad I. richtete, als dieser sein Königtum durchsetzen wollte. Plötzlich finden wir Burchard den Jüngeren gemeinsam mit den Bertholden im gleichen Lager gegen Konrad und Salomon von Konstanz 48 ). Das scheint ein Widerspruch zu den bisherigen Vermutungen zu sein. Aber es ging offensichtlich um die Frage, ob man sich in Alemannien überhaupt irgendeiner Zentralgewalt beugen sollte, sei es einer fürstlichen oder einer, die sich auf sehr schwachen Grundlagen königlich nannte. Aus dem bayerischen „Fragmentum de Arnulfo duce" wissen wir, daß Konrad als Herrscher eines fremden Regnum angesehen wurde, der durch nichts legitimiert war, im Regnum Bayern — oder eben Alemannien — gegen königsgleiche Fürsten oder lokale Große aufzutreten 49 ). Dem versuchte Salomon mit einer komplizierten Herrschaftstheorie zu begegnen: Um 912 geriet der Titel „Karolus ex Dei constitutione et antiquorum regum propagatione rex Alemanniae" in die nach ihm benannte Formularsammlung 50 ). Man konnte also einen Anspruch auf ein Regnum trotz aller Berufung auf altes Recht und Herkommen nur mehr mit Hilfe einer Bereichsbezeichnung artikulieren. Gerade diese aber hatten sich um diese Zeit auch die Fürsten zu eigen gemacht. Der Druck von außen hatte weitere Machtkonzentrationen im Inneren zur
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comitis nostri". — 7) 909 Jänner 7, D. LK. 65: „comes". — 8) 909 Dezember 28, Wartmann, Urkundenbuch von St. Gallen 2,362 n. 761: „Burchardo earundem parcium duce consentiente". — 9) Bei Liutprand, Antap. 1 II, 18, 45 als „potentissimus princeps". —10) Annal. Alamann. a. 911,55: „Purghart comes et princeps Alammanorum". Meyer-Marthaler, Rätien 87 f. Burchard der Jüngere (II.), als Herzog I., 919 von Heinrich I. anerkannt, starb 926 in Italien, seine Tochter Berta verh. mit Rudolf II. von „Hochburgund"; vgl. Klewitz, Herzogtum 80 ff. Zu den Bertholden vgl. Meyer-Marthaler, Rätien 89, Anm. 225. Vgl. oben S. 244, Anm. 69. MGH Formulae 397.
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Folge. 915 wurde Erchanger „dux" seiner Partei, nicht aber Alemanniens 51 ). Sein Vater hatte 892 als „comes palacii" signiert 52 ), er selbst erlangte diese Bezeichnung einmal 912 von König Konrad, ansonsten aber sind die Bertholde nur „comités" 53 ). Die Hinrichtung Erchangers und seines Bruders machte den Weg für die Hunfridinger frei. Die Quellen sind inhaltlich erstaunlich karg 54 ). Aber die Tatsache, daß Heinrich I. während seiner ganzen Regierung kein einziges Diplom für eine alemannische Kirche oder für Chur ausstellte, spricht für sich. Hingegen berichtet man, ähnlich wie im Bayern Arnulfs des „Bösen", von Eingriffen des Fürsten in Kirchengut 55 ). Am meisten läßt sich immer noch aus Titel und Titulaturen schließen. Die erzählenden Quellen nennen Burchard „dux" 56 ), Heinrich tituliert ihn auch nach 920 nur „venerabilis comes" 5 '). Für Flodoard ist er „Alamannorum princeps" 58 ). Er selbst nennt sich nach dem Vorbild Arnulfs von Bayern In nomine sanctae et individuae trinitatis Purchardus divina annuente gratia dux Alamannorum,59). Das ist der voll ausgebildete Fürstentitel dieser Zeit. Dieser und die damit verbundene fürstliche Stellung in Alemannien wurde vermutlich gerade durch das möglich, was Widukind gerne als „Unterwerfung" Burchards sehen wollte, als er zu 919 schrieb: „tradidit semetipsum ei (sc. Heinrici) cum universis urbibus et populo suo" 60 ). Vermutlich ist bei dieser Gelegenheit nichts anderes geschehen als zwischen den bretonischen Fürsten und Karl dem Kahlen und bei der Anerkennung der „Oberhoheit" König Arnulfs durch Ludwig den Blinden und Odo: eine vertragliche Regelung zwischen nahezu gleichrangigen Herrschern mit Hilfe der Terminologie des Lehenswesens, die den „rex" an der Spitze beließ, ohne daß dieser damit die Möglichkeit bekam, dem „princeps" in seinem „regnum" irgend etwas zu befehlen 61 ). Nur weil beim Tode Burchards ein nachfolgefähiges Glied der Hunfridingersippe fehlte, gelang es, den neu erstandenen Dukat Alemanniens relativ rasch dem Reichsgefüge unterzuordnen 62 ), ja, ihn dem König wieder verfügbar zu machen. Der Übergang wurde durch die Heirat des Konradiners Hermann
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) Annal. Alamann. a. 915,56: „Chuonradus castellum Tviel obsedit, et Einricho Saxonum duce Franoiam invadente regreditur. Erchanger de exilio reversus, cum Burchardo et Perahtoldo cum ceteris patriotis suis pugnavit, et eum apud Wallawis vieit, et dux eorum effectus est". 62 ) 892 März 17, Wartmann, Urkundenbuch von St. Gallen 2, 286 n. 684. 53 ) DD.K. I. 2, 9, 10 und 11. 54 ) Zusammenstellung bei Meyer-Marthaler, Rätien 90, Anm. 229. 56 ) Vgl. Meyer-Marthaler, Rätien 92, Anm. 231. 55 ) Vgl. etwa Annal. Alamann. a. 919, 78 und Widukind I 27, 429. ") D.H. I. 2. 58 ) Flodoard a. 926 (aber zu 922) 35. 69 ) Urkundenbuch der Stadt und Landschaft Zürich (ed. J. Escher und Paul Schweizer 1, 1888) 79 n. 188, Bündner Urkundenbuch (ed. Elisabeth Meyer-Marthaler und Franz Perret 1, 1955) 80 n. 98. 60 ) Widukind I 27, 429. 61 ) Vgl. S. 267. •2) Meyer-Marthaler, Rätien 93 f.
Der jüngere alemannische Dukat. — Italien
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mit der Witwe Burchards, Reginlind, erleichtert 63 ). Ist Hermann noch 937 „dilectus comes noster", kann er doch schon drei Jahre später, allerdings in kanzleifremdem Diktat, offiziell als „fidelis noster Herimannus dux Alamannorum" genannt werden. Der gentile Herzogstitel hebt den Träger nicht mehr an die Seite des Königs, östlich des Rheins hat sich der bloße Königstitel durchgesetzt, fürstliche Anspruchstitel werden nach diesem Beispiel gebildet. Der gleiche Schreiber formuliert im gleichen Jahr „honorandus dux Suevorum", die Bereichsbezeichnung ist also nicht einmal fixiert. 943 und 947 wird Hermann auch in der Kanzlei als „dux" angesprochen, ein Magdeburger Diktator schreibt 947 wieder „dux Suevorum". Dieser „dux" hat seinen „comitatus", und der ist immer noch Rätien. Das gleiche gilt für mehrere seiner Nachfolger 64 ). Burchard II. begegnet noch 958 als Graf im Thurgau 65 ). Selbst in diesen kurzen Andeutungen zum Abschluß unserer Erörterungen wird noch einmal deutlich, wo die eigentliche alemannische Kontinuität liegt: die Tradition der politischen Identität liegt in den kleinen Räumen wie Rätien und Inneralemannien; alles, was darüber hinausgeht, entstand unter politischem Druck von außen und bleibt relativ kurzlebig. 8. Italien Den Abschluß der Untersuchungen bildet die Behandlung der lateinischen Fürstentitel im karolingischen Italien. Sie muß eine Skizze bleiben. Seit Hofmeister ist anerkannt, daß mit „einer gewissen Ubereinstimmung" der Verhältnisse beiderseits der Alpen zu rechnen ist 1 ). Diese Übereinstimmung •3) H e r m a n n , 926—949, fränkischer Graf, alemannischer Herzog, sein Vater Gerhard ist Geschwistersohn Konrads I. und Herzog Eberhards von Pranken, verh. mit Reginlind, der Witwe Burchards des Jüngeren. Zu seinen Münzen vgl. R. G a e t t e n s , Mittelaltermünzen als Quelle der Geschichte. Welt als Geschichte 14 (1954) 101, Anm. 26.—1) Deperditum Herzog Hermanns von Schwaben, erwähnt in einer Urkunde Heinrichs V., Quellenwerk zur Entstehung der schweizerischen Eidgenossenschaft. Abt. 1: Urkunden 1 (ed. Traugott Schieß, 1933) 49 n. 104: „cartas . . . Herimanni Alemannorum ducis incliti. . .". — 2) 937 Mai 23, D. 0.1. 8: „dilecti comitis nostri Herimanni"; vgl. Wilhelm Schwarz, Die Ottonen und die Schwaben. Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 15 (1956) 283 gegenüber Decker-Hauff, Ottonen 263 f. — 3) 940 April 7, D. O. I. 25: „per interventum fidelis nostri Herimanni ducis Alamannorum". — 4) April 8, D. 0 . 1 . 2 6 : „interventu Herimanni honorandi ducis Suevorum". — 5) 943 Jänner 18, D. O.I. 5 4: „dux". — 6) 947 Juni 12, D. 0.1.90: „fidelis noster dux Suevorum". — 7) 947 August 4, D. 0.1.93: „dilectus dux". — 8) Im gleichen Jahr, D. O. I. 94: „dux". — 9) 948 April 7, D. 0 . 1 . 99: „in comitatu Herimanni ducis Rehzia". Weitere Belege vgl. Kienast, Herzogstitel 318. 64 ) Klewitz, Herzogtum 92, Anm. 31. 65 ) D.O. I. 189. ') Adolf H o f m e i s t e r , Markgrafen und Markgrafschaften im Italienischen Königreich in der Zeit von Karl dem Großen bis auf Otto den Großen (774—962) (MIÖG Erg.-Bd. 7, 1907) 216 und 224. Vgl. Hlawitschka, Franken, Alemannen, Bayern und Burgunder in Oberitalien 12.
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Brunner, Fränkische Fürstentitel III 8
erweist sich ganz besonders bei den in der fränkischen Staatssprache formulierten Titeln und Titulaturen. Wo sich Unterschiede zur Entwicklung im Frankenreich zeigen, wurzeln diese dennoch fast immer in der fränkisch-karolingischen Verfassungstheorie und können nicht aus der italienisch-langobardischen Verfassungswirklichkeit oder der Eigenart der italienischen Privaturkunde allein interpretiert werden 2 ). Dieser Uberblick stützt sich im wesentlichen auf die immer noch maßgebliche Monographie Adolf Hofmeisters über Markgrafen und Markgrafschaften im italischen Königreich und das durch Eduard Hlawitschkas Dissertation zugänglich gemachte Material 3 ). Obwohl in entlegenen Editionen oder in italienischen Archiven vermutlich noch manche Belege zu unserer Fragestellung gefunden werden könnten, reichen die bereits erschlossenen Unterlagen zu einer vergleichenden Analyse aus. Die Ausgangsbasis der „ordinatio" Italiens nach der Unterwerfung ist prinzipiell die gleiche wie in allen übrigen karolingischen Teilreichen 4 ). In den für die siebziger Jahre des achten Jahrhunderts zuverlässigen Annales Petaviani findet sich wieder die schon bekannte Grundformel: „missis comitibus per omnem Italiam" 5 ). Zur neuerlichen Reichsordnung, die nach den Aufständen des Jahres 776 notwendig geworden war, heißt es, sie sei „per Francos" bzw. durch „Francorum comités" erfolgt 6 ). Nun war bereits zu beobachten, daß solche Quellenaussagen jedenfalls in zwei Richtungen nicht interpretiert werden dürfen: Es ist nicht mit einer „Einführung der Grafschaftsverfassung" zu rechnen, sondern diese „comités" übernehmen die vorgefundene Verwaltungsstruktur als Instrument ihrer Herrschaftsausübung. Zweitens kann in dieses karolingische Organisationssystem ohne Schwierigkeiten der loyale einheimische Hochadel eingefügt werden. Die Umformung erfolgte schrittweise und in deutlicher Phasenverschiebung von Norden nach Süden. Hildeprand bleibt etwa „gloriosus et summus dux ducatus Spoletani" wie seine Vorgänger 7 ), für Karl ist er „dux fidelis 2
) ) 4 ) 5 )
Vgl. dazu Wolfram, Titelregister, und Garms-Cornides. Wie Anm. 1. Annal, regni Francorum a. 774, 39. Annal. Petaviani a. 774 (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 1, 1826, 16). Vgl. zur Quelle Wattenbach-Levison-Löwe II 186 f. 6 ) Annal, regni Franc, a. 776, 44. Annal, qui dicuntur Einhardi a. 776 (ed. Friedrich Kurze, MGH SS rer. Germ., 1930, 45). ') Zu Hildeprand vgl. Hofmeister, Markgrafen 299 ff., dort auch eine Zusammenstellung der Fremdaussagen, und Hlawitschka, Franken, Alemannen 23—55. 1) 774, II regesto di Farfa 2,85 n. 91 (ed. I Giorgi u. U. Balzani, Rom 1879) : „Ego in Dei nomine Hildeprandus gloriosus dux"; datiert nach Hadrian I.—2) 778, Reg. di Farfa 2,94n. 104: „Ego in Dei nomine Hildeprand gloriosus dux ducatus Spoletani". — 3) 778, Muratori, SS I 2, 373 : „Ego in Dei nomine Hildeprandus gloriosus et summus dux ducatus Spoletino". — 4) 787, Reg. di Farfa 2, 121 n. 144: „Ego in Dei omnipotentis nomine Hildeprandus gloriosus et summus dux ducatus Spoletani". — Vgl. auch die Selbstaussagen in den Placita 776 ff., I placiti dei „Regnum Italiae" (ed. Cesare Manaresi, Fonti per la storia d'Italia 92, 1955) 1, 3 n. 2 und 6 n. 3: „Dum nos Hildeprand gloriosus dux (ducatus Spoletani) resedissemus". Fremdaussagen z. B. Manaresi, Placiti 1, 1 n. 1, 11 n. 5, 13 n. 6 (vor den Bischöfen unterschrieben) und andere. — Vorbilder Intitulatio I., 204 f. 3
Vom „dux" zum „comes civitatis"
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noster" 8 ). Eine Reihe anderer langobardischer Großer wird nicht nur in Gnaden aufgenommen, sondern behält auch Titel und Titulatur langobardischer „Amtsherzöge" 9 ). In den achtziger Jahren ist bereits offiziell von „Langobardisci comites" die Rede. Die „Privaturkunden" gehen jedoch erst allmählich und mit gleitenden Übergängen vom „dux civitatis" zum „comes civitatis" über 10 ). Der Spoletiner Dukat bleibt am längsten lebendig: Der Franke Winigis wird noch 789 „vir gloriosus" und „summus dux ducatus Spoletani" genannt. Für fränkische Quellen ist er selbstverständlich „comes" 11 ). Am längsten hält sich „dux" und „ducatus" in den Datierungen der „Privaturkunden" 1 2 ). Ohne nähere Bestimmung kommt dieser Dukat aber noch 872 bei Suppo II. von Spoleto in einer Carta vor. Die etwas eigenwillige Form 13 ) läßt aber Zweifel zu, ob man es überhaupt mit einer Selbstaussage im vollen Sinn zu tun h a t ; wie dem auch immer sei, die starke Spoletiner Tradition — von der Fremdaussage jedenfalls beeinflußt —• ist deutlich bemerkbar. Sie wirkt sich auch bei den päpstlichen Titulaturen Lamberts im gleichen Jahrzehnt aus: Johann VIII. nennt Lambert in der Adresse und auch sonst in der Regel „illuster" oder „gloriosus comes", einmal „marchio". Zweimal aber heißt er „dux": das erste Mal, um gegenüber Benevent in — vorgetäuschter — Einigkeit mit dem „karissimus filius Lambertus gloriosus dux" stärker auftreten zu können, das zweite Mal im Fluch über den „Lambertus Spolitanus perfidus dux" 14 ). Noch deutlicher wird die Lebendigkeit des Spoletiner Dukats durch die Tatsache unterstrichen, daß Paldulf, der Fürst von Capua, als er für seine Verdienste um Otto I. Spoleto und Camarino erhielt, immerhin den zweiteiligen Funktionstitel „divina ordinante Providentia Langobardorum gentis princeps et marchio" für nötig hielt 15 ). Diese Selbstaussage wird geradezu interpretiert durch die additive Aufzählung, die die Kanzlei Papst Johanns XIII. verwendete: sie nannte den Petenten Paldulf 8
) DD. Kar. I 111, 146, 160. ) Vgl. nochmals Intitulatio I., 204. Langobarden waren etwa: A l l o in Lucca, Hlawitschka, Franken 25, MGH Epistolae 3, 570 n. 50 (774) und a. a. O. 585 n. 59 (776), Manaresi 1, 14 n. 6; G u d i b r a n d in Florenz, Hlawitschka, Franken 23—25, Hofmeister, Markgrafen 281, Anm. 2, MGH Epist. 3, 623 n. 87 „dux civitatis Florentinae" ; A i o im Gebiet von Friaul, Vicenza und Verona, „comes" D. Kar. 1209, Prosopographie Hlawitschka 113. 10 ) MGH Capit. 1, 191 n. 91 c. 7; Hofmeister, Markgrafen 226. Als Beispiel für den gleitenden Übergang und die Synonymität d i e s e s „dux" mit „comes" vgl. z. B. Reg. di Farfa 2, 168 n. 224 (814), dazu Hofmeister 225 und Hlawitschka, Franken, Alemannen 25. n ) Als „comes" mehrmals in den Beichsannalen, etwa Annal. regni Franc, a. 802, 117, in langobardischer „Amtstitulatur" Reg. di Farfa 2, 123 n. 147 (789). ls ) In der Formel „temporibus N. ducis anno ducat useius", wobei allenfalls das „dux" durch „comes", kaum aber das „ducatus" ersetzt wird. la ) Muratori SS II 2, 935: „Constat me Suppo dux . . ."; zur Subscriptio „Ego Suppo dux in hac chartula a me facta manu mea subscripsi" vgl. Heinrich F i c h t e n a u , Das Urkundenwesen in Österreich vom 8. bis zum frühen 13. Jahrhundert (MIÖG Erg.-Bd. 23, 1971) 69 mit Anm. 54. ») MGH Epist. 7, nn. 23, 63, 73, 78, 82, 83 „comes", n. 89 (878) „marchio", nn. 46 und 88 „dux". 15 ) Vgl. Garms-Cornides S. 412 Anm. 69, dazu D. O. I. 336: „presente Capuano principe qui et marchio Camerini et Spoletini ducatus". 9
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Brunner, Fränkische Fürstentitel III 8
„Beneventanae et Capuanae urbium princeps, seu Spoletini et Camarini ducatus marchio et dux" 16 ). Der italische Dukat wurde immer im Sinne eines langobardischen „Amtsdukats" gesehen und kam nie zu der Bedeutung eines fränkischen „dux in regno". Zu seiner Bezeichnung wurde regelmäßig synonym die fränkische Terminologie verwendet: diese lautete „comes" oder „marchio". Regnum war nur das einstige langobardische Italien. Die früh bemerkbare und teilweise auf antike Traditionen zurückgehende regionale Differenzierung nach den drei großen Marchionaten Spoleto, Tuszien und Friaul, etwas weniger deutlich die Lombardei, führte nicht zu einer Einteilung Italiens in mehrere „regna". Innerhalb dieser Herrschaftsbereiche ist also die Zwischenstufe des königsgleichen Fürsten nicht denkbar. Der einzige fürstliche „dux et missus Italiae" war Boso von Vienne, als solcher mit einer Herzogskrone ausgestattet und vom Papst adoptiert 17 ). Der Ehrgeiz der italienischen Großen richtete sich daher von vornherein auf das Königtum selbst. Daher konnte sich auch kein echter Fürstentitel entwickeln; „privaturkundliche" Formen gingen direkt in die Königsurkunden ein 18 ). Dementsprechend hat bereits Hofmeister die territoriale Zuordnung der in den Quellen genannten „comites" und „marchiones" sowie deren rangmäßige Differenzierung mit äußerster Vorsicht behandelt. Er lehnte es ab, im neunten Jahrhundert bereits „Markgrafen" oder „Herzöge" im Sinne des zehnten anzunehmen 19 ). Dem müssen wir vorbehaltlos zustimmen, glauben aber, auf Grund unseres Vergleichsmaterials einem solchen Modell eine weniger anachronistische Vorstellung der ersten Stufe der karolingischen Reichsorganisation gegenüberstellen zu können. Der Alemanne Chadaloh, ein Mitglied der führenden inneralemannischen Sippe der Bertholde, wird zu 817 als „comes et marcae Foroiuliensis praefectus" genannt 20 ). Diese Titulatur hat ihre Wurzel vor allem im Grenzauftrag gegen die Slowenen, der schon am Ende des 8. Jahrhunderts einem „Aerius comes" die Bezeichnung als „dux" einbrachte 21 ) und noch für Chadalohs Nachfolger, dem „praefectus" und „dux" Balderich, galt. Nach dessen Amtsenthebung wurde die Mark unter vier,, comites'' aufgeteilt 22 ). Ein anderes Beispiel: Bonif az I. 16
) JL 3738. ") Siehe oben S. 249 ") Vgl. Wolfram S. 73 ff. ") Hofmeister, Markgrafen 336. 20 ) Zu den Bertholden vgl. oben S. 315, Anm. 39—41. Ann. regni Franc, a. 818, 149. Zu „praefectus" vgl. obenS. 194 ff. Eine ähnliche Stellung dürfte H u n f r i d aus Rätien, vgl. oben S. 316 und dazu noch Fichtenau, Urkundenwesen 39 f., in Istrien gehabt haben, Hofmeister, Markgrafen 279. Auch ein J o h a n n e s , D. Kar. I. 179 „fidelis noster", wird Manaresi, Placiti 48 n. 17 und MGH Epist. 4, 528 als „dux de Histria" genannt, Hlawitschka, Franken, Alemannen 211 f. 21 ) E r i c h von Friaul, ein Alemanne, gest. 799, Hofmeister, Markgrafen 266 ff. und Hlawitschka, Franken, Alemannen 176 f., auch in Conversio c. 6 erwähnt und von Alkuin, Epist. 4, 142 f. „venerandus vir Ericus dux" genannt. S2 ) B a l d e r i c h , 819—828, Annal. regni Franc, a. 819, 151—a. 820, 152; a. 826, 170 „praefectus"; a. 828, 174 Absetzung; bereits a. 815, 142 als „legatus imperatoris" genannt.
Vom langobardischen Amtsdukat zum fränkischen Marchionat
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von Lucca wird bereits regelmäßig als „comes" bezeichnet, es findet sich jedoch noch 812 für ihn die traditionelle langobardische Titulatur „dux" 2 3 ). Sein gleichnamiger Sohn und Nachfolger war und blieb treuer Gefolgsmann Ludwigs des Frommen, weshalb ihn Lothar später aus Italien vertrieb. E r taucht 838 in Septimanien als „missus" wieder auf 24 ). Diesem Bonifaz II. war nach den Reichsannalen die „tutela Corsicae" aufgetragen, wozu er eine Reihe von „anderen Grafen von Tuszien" heranzuziehen vermochte 25 ). Sein Sohn Adalbert I., der die Herrschaft in Tuszien schließlich wiedererlangte, erhielt damit auch das Mandat eines „tutor Corsicanae insulae". Er ist „marchio" bzw. „marchensis" 26 ). Aus der Zeit dieses Adalberts I. von Tuszien kennt man einen Grafen Hildebrand, der mit ihm gemeinsam in Lucca genannt wird, wo er Verwandte hatte. Hofmeister lehnt es entschieden ab, in Hildebrand einen „Untergebenen" Adalberts zu sehen 27 ). Will man die Zuständigkeit dieses tuszischen Grafen nicht überhaupt offenlassen, wie es Hofmeister tat, ist nach einer Möglichkeit zu suchen, den einen „comes" dem anderen zuzuordnen, ohne daß die prinzipielle Gleichrangigkeit ihrer Funktion aufgehoben würde. Ob dies nun im Falle Hildebrands zutrifft oder nicht — in Friaul war es der Grenzschutz gegen die Slawen, in Tuszien unter anderem der Schutzauftrag über die Insel Korsika, die beide von der Sache her den Befehl eines „comes" über den anderen erforderten 2 8 ). Parallel zu den Verhältnissen nördlich der Alpen setzt sich erst im letzten Viertel des neunten Jahrhunderts „marchio" gegenüber dem „comes" in breiterem Maße durch, ohne ihn als Funktionstitel je völlig verdrängen zu können. „Marchio" wird, was ebenfalls dem allgemeinen Befund entspricht, nur ganz selten in der Selbstaussage verwendet 29 ). Die wenigen überlieferten Titel haben selten eine Legitimationsformel. Hingegen wird die Normalform Ego in Dei nomine - Name - Funktionstitel (Herkunftsbezeichnung) einige Male so umgestellt, daß die Invokation zwischen Name und Funktionstitel zu stehen k o m m t : auf diese Weise vermag sie die
23
) Bonifaz I., ein Bayer, Hofmeister, Markgrafen 285 ff., vgl. Manaresi, Placiti nn. 25, 26 und Memorie e documenti per servire all'istoria del ducato di Lucca IV 2 (Lucca 1818) app. 35 n. 25 zur Herkunft. M ) Astronomus c. 59, 644 (838). 25 ) Annal. regni Frane, a. 828, 176; vgl. Astronomus c. 42, 632. 26 ) Zu Adalbert (I.) von Tuszien ausführlich Hofmeister, Markgrafen 333 ff., urkundliche Fremdaussagen zusammengestellt a. a. 0. 336, Anm. 2. Vita Sergii II. c. 44, Liber pontificalis 2, 99: „marcensis et tutor Corsicanae insulae". Vgl. etwa MGH Epist. 7, 85 n. 89 und Manaresi, Placiti 199 n. 57 (853). 2 ') Hofmeister, Markgrafen 337 ff; vgl. Manaresi, Placiti 222 n. 61 (857) und 258 n. 71 (871). 28 ) Insofern geht es doch um eine rechtliche Bindung und nicht nur um tatsächliche Macht, gegenüber Hofmeister, Markgrafen 232. 2 ") Allgemein vgl. oben S. 207 ff. Ausnahmen sind unten Anm. 30 n. 8, n. 10 und n. 11, von denen die beiden ersteren westfränkischen Einfluß verraten: N. 8 übernimmt den zu dieser Zeit nur in Aquitanien bekannten Doppeltitel „comes et marchio", n. 10 die Legitimationsformel „gratia Dei".
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Brunner, Fränkische Fürstentitel III 8
Rolle der Legitimationsformel weitgehend zu übernehmen 30 ). Oft genügen dem Aussteller jedoch Name und Funktionstitel als Selbstaussage 31 ). Ein Überblick über die offiziellen Titulaturen unterstreicht nur den bisherigen Befund. Karolingische und nichtkarolingische Könige sind in der Regel bemüht, die italienischen Petenten so zuvorkommend wie möglich zu behandeln. Da nun zwischen „dux" und „comes civitatis" kaum eine wesentliche Differenz gesehen wurde, kann Lothar I. fallweise — neben ,,comes"-Titulaturen — mit Bezug auf den Spoletiner Dukat, wie sein Sohn Ludwig, Eberhard von Friaul, der sich selbst noch im Testament nur „Everardus comes" nannte, mit der Titulatur eines „dilectissimus dux et familiaris noster" auszeichnen 32 ). In der Tradition des langobardischen „Amtsdukats" bestand ja die Gefahr der Entwicklung eines königsgleichen Fürstentums nicht, die außerdem einem Kaiser weniger gefährlich scheinen mußte als dem karolingischen „rex" eines Teilreiches. Karl III. titulierte Berengar von Friaul im April 881 — also nach der Kaiserkrönung — als „dux"; im folgenden Jahr verwendet er die Doppeltitulatur „comes et marchio" 33 ). Seit Karl III. ist der Marchionat die Regel in der offiziellen Titulatur der italienischen Großen. Der Dukat verschwindet, der Comitat tritt wenigstens zurück. Diese Regel gilt nicht nur für die Fürsten der vier großen Regionen, Spoleto, Tuszien, Friaul und Lombardei, sondern auch, wie zumindest in zwei Fällen unter Berengar nachweisbar, für führende Mandatsträger aus der engeren Umgebung des Königs 34 ). Bis in die Mitte des zehnten Jahrhunderts blieb „marchio", allenfalls mit verschiedenen Rangtiteln ergänzt, die höchste Titulatur für italienische Große, auf die auch der „dilectissimus frater et gloriosissimus marchio" Boso35), der Bruder König Hugos, und Hugos illegitimer Sohn Hubert beschränkt waren, obwohl letzterer über zwei Herrschaftsbereiche, Tuszien und Spoleto, verfügte 36 ). 30
) Als Beispiele seien hier zitiert: 1) 862 Okt. 9, Memorie e documenti di Lucca IV 2, 48 n. 36: „Manifestus sum ego Hildeprandus in Dei nomine comes". — Ebenso 2) a. a. O. V 2, 508 n. 835 (873) und 3) a. a. O. V 2, 543 n. 888 (879). — 4) 863 März 29, a. a. O V 2, 457 n. 761: „Ego Hildeprandus filio . . .". — 5) 863/4, Spicilegium sive collectio veterum aliquot scriptorum 2 (ed. Lucas d'Achery, Paris 1723) 876—878, Testament Eberhards von Friaul: „Evrardus comes . . . decrevi" und „Ego in Dei nomine Evrardus comes". — 6) 867 Februar, Muratori, Ant. 5, 513: „Ego in Dei nomine Winigis comes Senense". — 7) Vgl. oben Anm. 13. — 8) 884 Mai 27, Hofmeister Markgrafen 345, Anm. 3: „Ego Adalbertus in Dei nomine comes et marchio"; vgl. Anm. 29. — 9) 884 Juli 18, Manaresi, Placiti 340 n. 94: „Dum in Dei nomine nos Adalbertus comes". — 10) 916/17, Memorie e documenti di Lucca V 3, 93 n. 1673: Lange Arenga, dann „unde ego in Dei nomine Adelbertus gratia Dei marchio"; vgl. Anm. 29. — 11) Subjektive Fassung eines Pactum, 933 März 12, FRA 12, 12 n. 11: „Nos Uuinither us marchio" im Text. 31 ) Vgl. etwa Anm. 30 n. 4 ganz ohne Funktionstitel, n. 5 und n. 11. 32 ) D. Lothar I. 51 und 67. MGH Capit. 2, 137 n. 235, dazu Anm. 30 n. 5. 33 ) D. Karl III. 37. 34 ) Als Beispiel führt Hofmeister, Markgrafen 376 ff., die „marchiones" Odelrich und Grimald an. Dort auch die Zusammenstellung der Belege. 35 ) D. Ugo e Lotario 86 n. 28. 36 ) D. Ugo e Lotario 39, 54 und 55. Zu Hubert vgl. Hofmeister, Markgrafen 407 und 421.
Vom Marchionat zum ottonischen Amtsdukat
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Die Verhältnisse änderten sich erst wieder unter den Ottonen: nach der Kaiserkrönung von 962 war es möglich, einen Bonifaz von Spoleto oder einen Hugo von Tuszien offiziell „dux" zu nennen 37 ). Aber zu diesem Zeitpunkt hatte Otto I. auch nördlich der Alpen bereits die entscheidenden Schritte zur Eindämmung der Macht der königsgleichen Herzöge getan. Der im Entstehen begriffene Stand der „ottonischen Amtsherzöge" entsprach wenigstens der Theorie nach wieder dem, was sich im Marchionat von der Tradition des langobardischen „Amtsherzogtums" erhalten hatte. Der Marchionat hatte aber eine viel zu lange Tradition, um wieder aufgegeben zu werden. ") Als Beispiele D. O. I. 249 und D. O. III. 263.
SCHLUSSWORT Eine detaillierte Zusammenfassung am Schluß dieser Arbeit erübrigt sich, da diese ja im systematischen Teil erfolgte. Kürzere Formeln für die Probleme und Ergebnisse finden zu wollen wäre angesichts der Forschungslage vermessen. Es wird noch langer und intensiver Arbeit bedürfen, bis die komplexen Hintergründe von Entstehung und Wesen des Fürstentums im karolingischen Europa einer für unsere Zeit gültigen Antwort zugeführt sind. Der Stellenwert, den diese Thematik im Rahmen der Historie besitzt, steht außer Zweifel. Es geht um einen wesentlichen Beitrag der Historiker zur Frage der Eliteforschung, und es geht darum, an einem bedeutsamen Beispiel das Verhältnis von überregionalen Strukturen und legitimen Interessen des überschaubaren Raumes zu untersuchen. Unsere Fragestellung sollte in diesem Rahmen helfen, der Fülle des Materials dadurch beizukommen, daß an einem methodisch streng konzipierten Modell vergleichende Verfassungsgeschichte des gesamten in Frage stehenden Raumes ermöglicht wurde. Indem die Frage nach dem Fürstentitel auf die Frage nach seiner Herkunft erweitert wurde, gelang es auch, jene Entwicklungen in den Griff zu bekommen, die sich nur schwer mit Begriffen der politischen Theorie umschreiben lassen. Hinweise auf eine systematische Reichsorganisation, beginnend in den achtziger Jahren des achten Jahrhunderts, müssen noch weiterverfolgt werden. Dennoch war auch an den bisherigen Ergebnissen deutlich zu zeigen, wie sich unter den theoretisch gleichrangigen königlichen Mandatsträgern, den „comités", bereits in der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts Persönlichkeiten profilierten, die in den Regna, zunächst an der Seite eines Karolingers, als Zweite nach dem König die eigentlich Herrschaft ausübten. Ein Glücksfall war es, im Erziehungstraktat der aquitanischen Fürstin Dhuoda Hinweise auf die politische Theorie dieses jüngeren fränkischen Fürstentums zu finden. Diese Fürsten erlangten erst zu Beginn des zehnten Jahrhunderts einen adäquaten Titel. „Marchio" war dafür eigentlich nicht geeignet, denn dieser Terminus kam aus der offiziellen Titulatur und benannte ein Mandat, das über jenes der „comités" und „missi" hinausging, ohne je den Charakter als unmittelbarer und wenigstens theoretisch sachlich und zeitlich beschränkter königlicher Auftrag zu verlieren. Dieses Wort wurde nur vorübergehend im Fürstentitel verwendet. Nur in Italien bezeichnete es die Fürsten der Regionen, da nur das einstige langobardische Italien Regnum war; ein „dux in regno" war also nur für ganz Italien denkbar: Wer dieses beherrschte, war aber König. Zu Beginn des zehnten Jahrhunderts war im gesamten Frankenreich die Entwicklung des Fürstentums an einem Höhepunkt angelangt. Innerhalb einer
Schlußwort
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Generation griffen Große von Aquitanien bis Bayern den Herzogstitel mit Bereichsbezeichnung wieder auf, um die volle königsgleiche Stellung zu demonstrieren. östlich des Rheins wurde diese Bereichsbezeichnung wieder abgeworfen, da das Königtum, an dem man sich orientierte, ebenfalls den bloßen „rex"Titel führte. Im Westen blieb sie hingegen als Pendant zum pränationalen ,,rex Francorum" des zehnten Jahrhunderts. Wieweit und auf welche Weise dieses königsgleiche Fürstentum dann jeweils wieder einem Reichsverband eingegliedert wurde, konnte nur mehr an einzelnen Beispielen angedeutet werden. Immerhin zeigte sich deutlich, daß die politische Kontinuität von der Karolingerzeit bis über das zehnte Jahrhundert hinaus verfolgbar ist. Manche der Ergebnisse unserer Arbeit werden Korrekturen erfahren, in manchen Bereichen, wo nur Vermutungen geäußert wurden, müssen noch eingehende Forschungen einsetzen. Dennoch hat das methodische Modell, das dieser Untersuchung wie den anderen Teilen der „Intitulatio" zugrunde liegt, seine Tragfähigkeit einmal mehr erwiesen.
ABKÜRZUNGEN AA SS BM2
B. N. Cart. CSEL DA D. A. D. Berengar D. Charles I I D. Charles I I I D. H. I. D. K. I. D. Kar. I. D. Karl III. D. Konrad I. D. LD.
D. LK. D. Lothaire et Louis V D. Lothar I. D. Lothar II. D. Louis IV. D. Odo D. O. I. D. O. II. D. O. III. D. Pippin I./II.
Acta Sanctorum Johann Friedrich Böhmer, Regesta Imperii I (751—918). Neu bearbeitet von Engelbert Mühlbacher, vollendet v. Johann Lechner (2. Aufl. 1908). Bibliothèque Nationale (de Paris) Cartulaire Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum Deutsches Archiv MGH. Diplomata regum Germaniae ex stirpe Karolinorum 3. Die Urkunden Arnolfs (ed. Paul Kehr, 1940). I diplomi di Berengario I. (ed. Luigi Schiaparelli, Fonti per la storia d'Italia 35, Rom 1903). Recueil des actes de Charles I I le Chauve, roi de France (ed. Georges Tessier, 1—3, Paris 1943—55). Recueil des actes de Charles I I I le Simple, roi de France (893—923) (ed. Philippe Lauer, Paris 1949). MGH. Diplomata regum et imperatorum Germaniae 1. Die Urkunden Konrad I., Heinrich I. und Otto I. (ed. Theodor Sickel, 1879—1884). D. Konrads I. MGH. Diplomata Karolinorum 1. Die Urkunden Pippins, Karlmanns und Karls des Großen (ed. Engelbert Mühlbacher, 1906). MGH. Diplomata regum Germaniae ex stirpe Karolinorum 2 (ed. Paul Kehr, 1. Teil 1936, 2. Teil 1937). vgl. D. H. I. MGH. Diplomata regum Germaniae ex stirpe Karolinorum 1. Die Urkunden Ludwigs des Deutschen, Karlmanns und Ludwigs des Jüngeren (ed. Paul Kehr, 1934). MGH. Diplomata regum Germaniae ex stirpe Karolinorum 4. Die Urkunden Zwentibolds und Ludwigs des Kindes (ed. Theodor Schieffer, 1960). Recueil des actes de Lothaire et Louis V, rois de France (954—987) (ed. Louis Halphen und Ferdinand Lot, Paris 1908). MGH. Diplomata Karolinorum 3. Die Urkunden Lothars I. und Lothars II. (ed. Theodor Schieffer, 1966). Wie D. Lothar I. Recueil des actes de Louis IV, roi de France (936—954) (ed. Philippe Lauer, Paris 1914). Recueil des actes d'Eudes, roi de France (888—898) (ed. Robert-Henri Bautier, Paris 1967). Vgl. D. H. I. MGH. Diplomata regum et imperatorum Germaniae. Die Urkunden Otto des II. (ed. Theodor Sickel, 1888). MGH. Diplomata regum et imperatorum Germaniae. Die Urkunden Otto des III. (ed. Theodor Sickel, 1893). Recueil des actes de Pépin I e r et Pépin I I rois d'Aquitaine (814—848) (ed. Léon Levillain, Paris 1926).
Abkürzungen D. Provence D. Ugo e Lotario D. Weifen D. Z. FRA H. F. 8 und 9 HZ JE, JL
Mansi MGH Capit. Conc. Epist. Formula® SS SS rer. Germ. Migne PL MIÖG Muratori, Ant. Muratori, SS NA PL RA RC UB ZRG
329
Recueil des actes des rois de Provence (855—928) (ed. René Poupardin, Paris 1920). I diplomi di Ugo e di Lotario, di Berengario I I e di Adalberto (ed. Luigi Schiaparelli, Fonti per la storia d'Italia 38, Rom 1924). MGH. Diplomata. Die Urkunden der burgundischen Rudolfinger (888—1023) (ed. Theodor Schieffer, im Druck). Vgl. D. LK. Fontes rerum Austriacarum Recueil des Historiens des Gaules et de la France (ed. Léopold Delisle, Paris 1871 und 1874). = Bouquet. Historische Zeitschrift Philipp Jaffé, Regesta pontificum Romanorum ad. a p . Ch. n. MCXCVIII (2. Aufl., 2 Bde. besorgt von S. Löwenfeld, F. Kaltenbrunner u. P. Ewald, 1881—88). J . D. Mansi, Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio (Neudr. u. Forts. Paris 1899—1927). Monumenta Germaniae Historica MGH. Capitularia regum Francorum 1 (ed. Alfred Boretius, 1883); 2 (ed. A. Boretius und V. Krause, 1897). MGH. Concilia aevi Karolini (ed. A. Werminghoff, 1906—1908). MGH. Epistolae Karolini aevi (ed. Ernst Duemmler, 1895—1939). MGH. Formulae Merovingici et Karolini Aevi (ed. Karl Zeumer, 1882). Scriptores Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum seperatim editi. J . P. Migne, Patrologiae cursus completus . . . patres . . . ecclesiae latinae (Paris 1844—1864). Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung. Ludovico Antonio Muratori, Antiquitates Italicae medii aevi (Mailand 1738-42). Ludovico Antonio Muratori, Scriptores rerum Italicarum (Band II, 2, Mailand 1726) Neues Archiv Siehe Migne Recueil des actes . . . Recueil des chartes . . . Urkundenbuch Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte
VERFASSER- UND QUELLENREGISTER Das Verfasser- und Quellenregister dient der Auffindung ausführlicher Zitate im Textteil, gibt aber kein Verzeichnis aller Nennungen des betreffenden Autors. Die Diplome, Kapitularien und Konzilstexte sind im Abkürzungsverzeichnis nachzuschlagen. Abadal i de Vinyals, Ramon d', Comtes Catalans 227 Anm. 83 — Pallars 222 Anm. 54 — Preceptes 223 Anm. 55 Abbo, De bellis Paris, urbis 286 Anm. 16 Abel Sigurd — Simson Bernhard, Jahrbücher 263 Anm. 21 d'Achery Lucas, Spicilegium 324 Anm. 30 Adalhard v. Fleury 274 Anm. 98 Adémar 222 Anm. 47 Alsatia dipl. 238 Anm. 32 Anasthasius Bibliothecarius 278 Anm. 116 Annales Alamannici 284 Anm. 25 Annales Anglosax. 284 Anm. 20 Annales Bertiniani 209 Anm. 19 Annales qui dicuntur Einhardi 320 Anm. 6 Annales Fuldenses 195 Anm. 37 Annales Iuvavenses 238 Anm. 33 Annales Laureshamenses 301 Anm. 10 Annales Lobienses 195 Anm. 33 Annales Mettenses 261 Anm. 6 Annales Petaviani 320 Anm. 5 Annales regni Francorum 193 Anm. 15 Annales S. Amandi 261 Anm. 5 Annales S. Benigni 258 Anm. 18 Annales S. Colombe 258 Anm. 18 Annales S. Nacarii 294 Anm. 87 Annales Vedastini 228 Anm. 85 Annales Weissenburgenses 212 Anm. 11 Annales Xantenses 212 Anm. 11 Archives de Saône et Loire, s. Lex Léonce, 256 Anm. 12 „Astronomus", Vita Hludovici 190 Anm. 61 Auctarium Garstense 239 Anm. 38 Auzias Léonce, Aquitaine 218 Anm. 9 — Bernard le Veau 225 Anm. 65 — Personel comtal 225 Anm. 65 Baluze Stephan, Anm. 100
Hist.
d'Auvergne
230
Barraclough Geoffrey, Medieval Germany 190 Anm. 62 Baudot Anne-Marie et Marcel, s. Cart. Brioude, 222 Anm. 49 Bauerreiss, Kirchengeschichte 1, 222 Anm. 69 Benassi Umberto, Cod. dipl. Parmense 257 Anm. 15 Besly Jean, Comtes de Poictou 228 Anm. 90 Bischoff Bernhard, St. Emmeram 244 Anm. 69 Birkhan Helmut, Germanen und Kelten 206 Anm. 41 Bitterauf, Freising, s. Traditionen, 235 Anm. 7 Bliquy Bernard, Bourgogne 247 Anm. 5 Bouquet s. Abkürzungsverz. (HF) de Boor Helmut, Literaturgeschichte 303 Anm. 19 Bornscheuer Lothar, Miseriae Regum 205 Anm. 27 Bosl Karl, Franken 301 Anm. 4 Bourgeois E., Hugues l'abbee 273 Anm. 92 Bresslau Harry, Jahrbücher Konrads I I . 245 Anm. 72 — Urkundenlehre 203 Anm. 2 Breves Notitiae 193 Anm. 17 Bruckner Albert, Reg. Alsatiae 238 Anm. 32 Brühl Carlrichard, Krönungsbrauch 261 Anm. 5 Bruel Alexandre, RC Cluny 229 Anm. 96 Büttner Heinrich, Christentum und fränkischer Staat 313 Anm. 16 — Franken und Alemannen 313 Anm. 16 — Elsaß 312 Anm. 1 — Heinrich I. 290 Anm. 61 Büttner Heinrich — Dietrich Irmgard, Weserland und Hessen 302 Anm. 15
Verfasser- und Quellenregister Calmet Auguste, Hist. Lorraine 296 Anm. 101 Calmette Joseph, Bernard 219 Anm. 18 — Fredeion 222 Anm. 51 Cart. Autun, s. Charmasse, 256 Anm. 10 Cart. Beaulieu, s. Deloche, 229 Anm. 91 Cart. Brioude, s. Doniol, 219 Anm. 23 Cart. Brioude (Grande), s. Baudot, 222 Anm. 49 Cart. Chartres, s. Lépinois, 279 Anm. 123 Cart. Conques, s. Desjardins, 226 Anm. 75 Cart. Gorze, s. d'Herbomez, 296 Anm. 101 Cart. Lausanne, s. Roth, 259 Anm. 22 Cart. Mâcon, s. Ragut, 259 Anm. 21 Cart. Paris (général de), s. Lasteyrie, 204 Anm. 10 Cart. Redon, s. Courson, 264 Anm. 31 Cart. Sauxillanges, s. Doniol, 230 Anm. 100 Cart. S. Bertin, s. Guérarde, 204 Anm. 14 Cart. Yonne, s. Quantin, 248 Anm. 8 Charmasse A. de, Cart. Autun 256 Anm. 10 Chartes inédites bourguignonnes, s. Garnier, 256 Anm. 10 Chartes inédites . . . Haute Marne, s. Roserot, 255 Anm. 8 Chaume Maurice, Bourgogne 218 Anm. 11 — Sentiment national 254 Anm. 2 Chronicon Aquitanicum 219 Anm. 20 Chron. Fontanell. 221 Anm. 43 Chron. Moissacense 237 Anm. 20 Chron. v. Nantes 249 Anm. 20 Chron. S. Benigne 258 Anm. 18 Chronique et chartes de S. Mihiel, s. Lesort, 296 Anm. 101 Classen Peter, Verträge 255 Anm. 7 Cod. dipl. Fuldense, s. Dronke, 304 Anm. 29 Cod. dipl. Parmense, s. Benassi, 257 Anm. 15 Cod. Laureshamensis, s. Glöckner, 236 Anm. 9 Collitz H., Heliand 303 Anm. 20 Conrad Hermann, Deutsche Rechtsgeschichte 192 Anm. 1 Conversio 236 Anm. 11 Corpus Glossariorum lat., s. Goetz, 208 Anm. 15 Courson Aurélien, Cart. Redon 264 Anm. 31 Decker-Hauff Hansmartin, Ottonen und Schwaben 247 Anm. 4 Degert A., Évêché de Gascogne 234 Anm. 120 Déléage André, RA S. Symphorien d'Autun 257 Anm. 16
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Deloche Maximin, Cart. Beaulieu 229 Anm. 91 Desjardins Gustave, Cart. Conques 226 Anm. 75 — Rodez 224 Anm. 59 Devic-Vaissete, Hist. de Languedoc 184 Anm. 17 Dhuoda 182 Anm. 1 Dhont Jean, Marquis 185 Anm. 30 — Naissance 189 Anm. 51 Diepolder Gertrud, „in pago"-Nennungen 238 Anm. 22 Dienemann-Dietrich Irmgard, Adel 189 Anm. 52 Dietrich Irmgard, Konradiner 306 Anm. 46 Dietrich Irmgard — Büttner Heinrich, Weserland und Hessen 302 Anm. 15 Dobenecker Otto, Reg. Turingiae 302 Anm. 13 Documents pour . . . S. Hilaire de Poitiers, s. Redet, 228 Anm. 89 Doniol Henry, Cart. Brioude 219 Anm. 23 — Cart. Sauxillanges 230 Anm. 100 Dronke Gert F., Cod. dipl. Fuld. 304 Anm. 29 Dümmler Ernst, Ostfränkisches Reich 305 Anm. 38 — Otto I. 294 Anm. 87 Dupuy Auguste, Hist. de Bretagne 262 Anm. 11 Durtelle de Saint-Sauveus E., Hist. de Bretagne 262 Anm. 11 Eckhardt Karl August, Witzenhausen 308 Anm. 56 Eigil, Vita Sturmi 209 Anm. 17 Eingliederung der Sachsen 301 Anm. 9 Einhard 195 Anm. 35 — ep. 199 Anm. 12 Eiten Gustav, Unterkönigtum 261 Anm. 5 Erchanberti breviarium 313 Anm. 12 Escher J . — Schweizer P., UB Zürich 318 Anm. 59 Ewig Eugen, Lothr. Dukat 299 Anm. 117 — Terminologie 261 Anm. 2 — Volkstum 255 Anm. Anm. 6 Fauroux Marie, RA Normandie 225 Anm. 64 Favre iSdouard, Eudes 228 Anm. 88 Feger Otto, Bodenseeraum 312 Anm. 1 — Herzogtum 312 Anm. 1 Fichtenau Heinrich, Urkundenwesen 321 Anm. 13 Flach Jacques, Origines 232 Anm. 112
332
Brunner, Fränkische Fürstentitel
Fleckenstein Josef, Weifen 254 Anm. 3 Fleuriot Léon, Dict. Breton 266 Anm. 52 Flodoard, Annales 222 Anm. 52 — Hist. Rem. eccl. 248 Anm. 12 Folcuin, Gesta abb. Lobiensium 283 Anm. 11
Formulae Marculfi 230 Anm. 100 Fragmentum de Arnulfo duce 244 Anm. 69 Franz Hildegard, Marken 299 Anm. 117 Freytag Hans-Joachim, Billunger 310 Anm. 65 Fritze Wolfgang, Schwurfreundschaft 186 Anm. 34 Gaettens R., Mittelaltermünzen 319 Anm. 63 Gallia Christiana 231 Anm. 107 Garnier Joseph, Chartes inéd. bourguignionnes 256 Anm. 10 Gasnault Pierre, Actes 276 Anm. 106 Gebhardt 301 Anm. 7 Gebhardt/Bosl 192 Anm. 1 Gebhardt/Ernst 294 Anm. 89 Geldner Friedrich, Babenbergerproblem 304 Anm. 28 Gerbert, Briefe, s. Weigle, 297 Anm. 104 Gesta ep. Autissiodurium 258 Anm. 18 Gesta ep. Cameracensium 295 Anm. 91 Giry Arthur, Manuel de diplomatique 203 Anm. 5 Glöckner Karl, Cod. Lauresh. 236 Anm. 9 — Lorsch und Lothringen 273 Anm. 90 Goetz Georg — Gustav Löwe, Corpus Glossariorum lat. 208 Anm. 15 Grimm Jacob, Rechtsaltertümer 209 Anm. 16 Guérarde M., Cart. S. Bertin 204 Anm. 14 Halkin Joseph — Roland C. G., RC Stavelot-Malmedy 288 Anm. 41 Halphen Louis — Lot Ferdinand, D. Lothaire et Louis V, s. Abkürzungsverzeichnis Hauthaler Willibald, UB Salzburg 238 Anm. 33 Heliand 194 Anm. 33 Henze Hermann, Kartograph. Darstellung 261 Anm. 3 d'Herbomez A., Cart. Gorze 296 Anm. 101 Heuwieser Max, Passau, s. Traditionen, 236 Anm. 10 Hilgard Alfred, ÜB Speyer 294 Anm. 86 Hirschfeld Otto, Rangtitel 199 Anm. 10 Hist. Fraiic. Senonensis 258 Anm. 18
Hlawitschka Eduard, Franken, Alemannen 251 Anm. 30 — Lotharingien 247 Anm. 3 Hodenberg Wilhelm, UB Lüneburg 311 Anm. 73 Höfler Otto, Sakralkönigtum 187 Anm. 42 Hoffmann Hartmut, Fürstenweihen 269 Anm. 66 Hofmeister Adolf, Deutschland und Burgund 247 Anm. 6 — Markgrafen und Markgrafschaften 319 Anm. 1 Holder Alfred, Altkelt. Sprachschatz 266 Anm. 52 Holtzmann Robert, Sachs. Kaiserzeit 293 Anm. 75 — Franz. Verfassungsgeschichte 262 Anm. 11
Homberg A. K., 302 Anm. 15 Hrotsvit 309 Anm. 58 Huter Franz, UB Tirol 245 Anm. 72 Imbart de la Tour, Coutumes 234 Anm. 120 Irsigler Franz, Frühfränkischer Adel 183 Anm. 8 Jackson Kenneth, Language 266 Anm. 51 — Phonology 266 Anm. 51 Jänichen Hans, Baar 311 Anm. 1 — Warin, Rudhart und Gerold 313 Anm. 13 Johannes VIII., Register 228 Anm. 84 Jordan Karl, Herzogtum und Stamm 302 Anm. 15 Jusselin Maurice, Acte 280 Anm. 126 Kalckstein Karl von, Königtum 276 Anm. 120 — Robert der Tapfere 272 Anm. 80 Kantorowicz Ernst Hartwig, The King's Two Bodies 187 Anm. 2 Kehr Paul, Kanzlei Ludwigs des Kindes 242 Anm. 56 Kern Fritz, Ausdehnungspolitik 282 Anm. 2 Kienast Walther, Comes Francorum 257 Anm. 15 — Herzogstitel 180 Anm. 3 — Magnus 201 Anm. 26 — Studien 190 Anm. 62 — Wirkungsbereich 215 Anm. 3 Klebel Ernst, Adel 311 Anm. 1 — Herzogtümer und Marken 188 Anm. 50 Klewitz Hans-Walter, Herzogtum 312 Anm. 3
Verfasser- und Quellenregister Krüger Sabine, Grafschaftsverfassung 301 Anm. 10 la Borderie Arthur de, Hist. de Bretagne 262 Anm. 11 Langosch Karl — Wolfgang Stammler, Verfasserlexikon 303 Anm. 19 Lasteyrie Robert de, Cart. Paris 204 Anm. 10 — Charte . . . 811 203 Anm. 8 Latouche Robert, Cornouaille 262 Anm. 11 — Landevenec 262 Anm. 11 Lauer Philippe, D. Louis IV, s. Abkürzungsverzeichnis — D. Charles III, s. Abkürzungsverzeichnis Lechner Karl, Markgrafschaft 304 Anm. 28 Lepinois E. — Merlet Lucien, Cart. Chartres 279 Anm. 123 Lesort André, Chronique et chartes de S. Mihiel 296 Anm. 101 Lex Alamannorum 209 Anm. 17 Lex Léonce, Archives de Saône et Loire 256 Anm. 12 Lexikon für Theologie und Kirche 218 Anm. 11 Lévéque Pierre, Actes 275 Anm. 105 Levillain Léonce, Bernard 226 Anm. 74 — Dates 229 Anm. 96 — D. Pippin I./II., s. Abkürzungsverzeichnis — Girart 247 Anm. 4 — Marche de Bretagne 264 Anm. 30 — Nibelungen 222 Anm. 51 — Reformes de Noménoé 264 Anm. 30 — Sacre 278 Anm. 120 — Translation de S. Autremoine 267 Anm. 57 Liber pontificalis 263 Anm. 23 Lintzel Martin 309 Anm. 61 Linzer Regesten 236 Anm. 10 Liutprand 253 Anm. 39 Löwe Gustav — Georg Goetz, Corpus Glossariorum lat. 208 Anm. 5 Lot Ferdinand, Auvergne 219 Anm. 18 — Derniers Carolingiens 198 Anm. 2 — Études 225 Anm. 65 — Fidèles 225 Anm. 62 — Hist. Bretonne 262 Anm. 11 — Mélanges 265 Anm. 45 — Nominoé, Erispoé 264 Anm. 30 Lot Ferdinand — Halphen Louis, Charles le Chauve 264 Anm. 30 — D. Lothaire et Louis V., s. Abkürzungsverzeichnis Lot Ferdinand — Pfister Christian — Gans-
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hof François Louis, Histoire du Moyen Age 189 Anm. 51 Lognon Auguste, Atlas historique 261 Anm. 4 Louis René, Girart dans les chansons 247 Anm. 4 — De l'histoire à la legende 247 Anm. 4 Lugge Margret, Gallia 261 Anm. 1 Lupus v. Ferrières 221 Anm. 40 Mabille Émile, Einleitung 277 Anm. 109 — Invasions Normandes 274 Anm. 94 — Pancarte, s. Pancarte, 228 Anm. 90 Manaresi Cesare, Placiti, s. Placiti, 320 Anm. 7 Manitius Max, Lat. Literatur 277 Anm. 115 Mayer Theodor, Grundlagen 313 Anm. 13 Memorie e documenti di Lucca 323 Anm. 23 Merlet Lucien — Lépinois E., Cart. Chartres 279 Anm. 123 Merlet René, Chartres 255 Anm. 8 Metz Wolfgang, Abstammung Heinrichs I. 308 Anm. 56 — Babenberger 304 Anm. 28 — Babenberger und Rupertiner 272 Anm. 80 Meyer-Marthaler Elisabeth, Rätien 312 Anm. 1 Meyer-Marthaler Elisabeth — Perret Franz, Bündner UB 318 Anm. 59 Mitterauer Michael, Markgrafen 189 Anm. 52 Mitzka Walther, Sprache des Heliand 303 Anm. 20 Mohr Walter, „Francia orientalis" 298 Anm. 109 — Lothringische Frage 297 Anm. 107 Mühlbacher Engelbert, Eine Urk. Karls von Burgund 185 Anm. 27 Musée des Archives 224 Anm. 59 Nithard 185 Anm. 32 Nehring A. — Schräder 0., Reallexikon 271 Anm. 76 Novum Glossarium 209 Anm. 16 Ostrogorsky Georg, Byzanz 278 Anm. 116 Otfrid 194 Anm. 32 Pancarte, s. Mabille, 228 Anm. 90 Paradisi Bruno, „amicitia" 186 Anm. 34 Parisot Robert, Haute Lorraine 297 Anm. 104 — Royaume de Lorraine 282 Anm. 3
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Brunner, Fränkische Fürstentitel
Patze Hans, Landesherrschaft 275 Anm. 103 Paulus Diaconus 252 Anm. 32 Pauly-Wissowa 277 Anm. 113 Perret Franz — Meyer-Marthaler Elisabeth, Bündner U B 318 Anm. 59 Pissier A., Vézelay 247 Anm. 8 Placiti, s. Manaresi, 320 Anm. 7 Planiol Marcel, Institutions 262 Anm. 11 Plank C., Pitten 238 Anm. 33 — Rapotonen 238 Anm. 33 Pocquet, Nominoé 264 Anm. 30 Posse Otto, Wettiner 306 Anm. 46 Poupardin René, Bourgogne 254 Anm. 2 — Une charte inédite 212 Anm. 9 — D. Provence, s. Abkürzungsverzeichnis •— Provence 195 Anm. 36 Prinz Friedrich, Rezension 192 Anm. 2 Puckert W., Aniane u. Gellone 203 Anm. 6 Quantin Maximilien, Cart. Yonne 248 Anm. 8 Quellen zur karolingischen Geschichte, s. Rau, 195 Anm. 35 Quellenwerk zur eidg. Geschichte, s. Schieß, 319 Anm. 35 RA Normandie, s. Fauroux, 225 Anm. 64 RA S. Symphorien d'Autun, s. Deleage, 257 Anm. 16 Ragut M. C., Cart. Mäcon 259 Anm. 21 Rall Hans, Herzogurkunde 245 Anm. 72 Rather 295 Anm. 90 Rau Reinhold, Quellen 195 Anm. 35 RC Cluny, s. Bruel, 229 Anm. 96 RC Stavelot-Malmedy, s. Halkin-Roland, 288 Anm. 41 Reallexikon der indogermanischen Altertumskunde, s. Schrader-Nehring 271 Anm. 76 Rebillon A., Hist. de Bretagne 262 Anm. 11 Redet, Documents pour . . . S. Hilaire 228 Anm. 89 Redlich Oswald, Privaturkunden 245 Anm. 72 — Trad. Brixen, s. Traditionen, 245 Anm. 75 Regesta Turingiae, s. Dobenecker, 302 Anm. 13 Regesta Alsatiae, s. Bruckner, 238 Anm. 32 Regesto di Farfa 320 Anm. 7 Regino 228 Anm. 87 Reindel Kurt, Liutpoldinger 196 Anm. 41
Richer 290 Anm. 62 Richard Alfred, Hist. des comtes de Poitou 229 Anm. 96 Riezler Siegmund, Geschichte Baiems 236 Anm. 18 Roland C. G. — Halkin Joseph, RC Stavelot-Malmedy 228 Anm. 41 Roserot Alphonse, Chartes inédites . . . Haute Marne 255 Anm. 8 Roth Charles, Cart. Lausanne 259 Anm. 22 Rotthoff G., Reichsgut 299 Anm. 117 Rübel K., Franken 303 Anm. 27 Ruotger 295 Anm. 90 Saxo Grammaticus 188 Anm. 46 Schieß Traugott, Quellenwerk 319 Anm. 63 Schlesinger Walter, Heerkönigtum 194 Anm. 31 — Landesherrschaft 193 Anm. 9 Schöpflin Jhs. Daniel, Als. Dipl. 238 Anm. 32 Schräder 0 . — Nehring A., Reallexikon der indogermanischen Altertumskunde 271 Anm. 76 Schramm Percy Ernst, Beiträge 247 Anm. 3 — Bilder 265 Anm. 46 — Herrschaftszeichen, Belege 269 Anm. 66 Schwarz Wilhelm, Ottonen 319 Anm. 63 Schweizer P. — Escher J . , U B Zürich 318 Anm. 59 Senckenberg Heinrich Christian, Sei. iuris 245 Anm. 72 Series abb. Flavissiacensium 258 Anm. 18 Sickel Theodor, Regesten 218 Anm. 15 Sigebert, Chronica 297 Anm. 108 Sigehardi miracula S. Maximini 287 Anm. 35 Simson Bernhard, Jahrbücher Karls des Großen 263 Anm. 21 Sprandel Rolf, St. Gallen 315 Anm. 39 Sproemberg Heinrich, Beiträge 291 Anm. 69 — Flandern 204 Anm. 14 — Lothringische Politik 284 Anm. 2 Staerk Willy, Gottesgnadentum 203 Anm. 1 Stammler Wolfgang — Langosch Karl, Verfasserlexikon 303 Anm. 19 Stein Friedrich, Franken 304 Anm. 28 Stengel Edmund Ernst, Hessen 300 Anm. 3 — U B Fulda 313 Anm. 13 Steuer H., Alemannen 312 Anm. 2 Stokes Whitely, „macc" 266 Anm. 52
Verfasser- und Quellenregister Tellenbach Gerd, Großfränkischer Adel 251 Anm. 30 — Herzogskronen 249 Anm. 19 — Königtum und Stämme 189 Anm. 52 — Studien und Vorarbeiten 251 Anm. 30 Tessier Georges, Actes Toulousains 203 Anm. 3 — D. Charles II, s. Abkürzungsverzeichnis Thegan 190 Anm. 59 Theophanes 278 Anm. 116 Traditionen Brixen, s. Redlich, 245 Anm. 75 Traditionen Freising, s. Bitterauf, 235 Anm. 7 Traditionen Passau, s. Heuwieser, 236 Anm. 10 Traditionen Regensburg, s. Widemann, 238 Anm. 23 Translatio S. Bausile 227 Anm. 83 Translatio S. Pusinnae 302 Anm. 16 Translatio S. Ragnoberti 267 Anm. 57 Translatio Viti 302 Anm. 17 Traube Ludwig, Rezension 277 Anm. 115
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Verfasserlexikon, s. Stammler-Langosch, 303 Anm. 19 Vita Conwoionis 265 Anm. 43 Vita S. Galli 313 Anm. 13 Vita S. Idae 302 Anm. 16 Vita S. Otmari 313 Anm. 18 Volkmann Hans, Der Zweite 182 Anm. 4 Vollmer Franz, Etichonen 247 Anm. 4 Waitz Georg, Beiträge 275 Anm. 103 — Verfassungsgeschichte 263 Anm. 23 Waquet H., Hist. de la Bretagne 262 Anm. 11
UB Bünden, s. Meyer-Marthaler — Perret, 318 Anm. 59 UB Fulda, s. Stengel, 313 Anm. 13 ÜB Hersfeld, s. Weirich, 302 Anm. 13 UB Lüneburg, s. Hodenberg, 311 Anm. 73 UB Salzburg (SUB), s. Hauthaler, 238 Anm. 48 UB Speyer, s. Hilgard, 294 Anm. 86 UB St. Gallen, s. Wartmann, 236 Anm. 10 UB Tirol, s. Huter, 245 Anm. 72 UB Zürich, s. Escher — Schweizer, 318 Anm. 59 Uffelmann Uwe, Baiern 189 Anm. 54 Uhlirz Karl u. Mathilde, Jahrbücher 293 Anm. 75
Wartmann Hermann, UB St. Gallen 236 Anm. 10 Wattenbach-Levison-Löwe 195 Anm. 34 Wehlen Wolfgang, Geschichtsschreibung 187 Anm. 44 Weigle Fritz, Briefe Gerberts 297 Anm. 104 Weirich Hans, UB Hersfeld 302 Anm. 13 Wenskus Reinhard, Sachsen 301 Anm. 9 — Stammesbildung 270 Anm. 74 Werle Hans, Titelherzogtum 245 Anm. 74 Werner Karl Ferdinand, Bed. Adelsfamilien 189 Anm. 53 — Fürstentum 180 Anm. 4 — Regino 272 Anm. 80 — Untersuchungen 183 Anm. 9 Wibald 295 Anm. 90 Widemann Josef, Trad. Regensburg 238 Anm. 23 Widukind 186 Anm. 41 Wolff Philippe, Aquitaine 215 Anm. 2 Wolfhardi Haserensis Miracula S. Waldburgis 242 Anm. 59 Wolfram Herwig, Intitulatio I. 179 Anm. 1 — Kingdom 183 Anm. 13 — Principality 211 Anm. 2 — Rezension Irsigler 183 Anm. 8 — Staatssprache 182 Anm. 5
Valls-Taberner Fernando, Pallars 222 Anm. 54 Vanderkindere Léon, Diplôme d'Arnulf le Vieux 204 Anm. 14
Zimmermann Harald, Lütticher Bischofsstreit 291 Anm. 67 Zöllner Erich, Agilolfinger 189 Anm. 52 — Völker im Frankenreich 262 Anm. 11
P E R S O N E N , WÖRTER, SACHEN Dieses Verzeichnis dient zusammen mit dem Inhaltsverzeichnis und den Kolumnentiteln der genaueren Erschließung des Buchinhalts. K o m m t ein Stichwort sowohl im Text wie in den Fußnoten derselben Seite vor, wird nur die Seitenzahl angegeben. Bei Titelwörtern wird nicht jede Erwähnung, sondern nur jene Stelle ausgewiesen, an der sie ausdrücklich untersucht werden. Personen, die nur einmal in den Fußnoten erwähnt, im Text aber nicht besprochen werden, wurden nicht aufgenommen. Die Angaben zur Person dienen nur der leichteren Identifizierung und sind nicht vollständig. Kursive Zahlen verweisen auf jene Seiten, auf denen das Stichwort besonders behandelt wird. Als Siglen wurden gebraucht: A. Anfang, E. Ende, Eb. Erzbischof, F. Fürst, Gem. Gemahlin, gen. genannt, Gf. Graf, Hl. Heilige(r), Hzg. Herzog, K . Kaiser, Kg. König, M. Mitte, Mgf. Markgraf, S. Sohn, Sw. Schwester. Sonstige Abkürzungen sind an sich verständlich. Acfred (Effroi), F. in Aquitanien (+927) 232
f.
Adal(h)ard, lothr. Gf. (M. 9. Jh.) 200, 285 f. Adalbert I., Gf. in Tuszien (846—886) 323 Adalbert I., Gf. im Thurgau (836—858) 316 Adelheid, Gem. Richards d. Richters 256 Aerius, Gf. u. dux gg. Slawen in Italien 322 Agius, S. Liudolfs v. Sachsen 308 Aio, dux in Friaul (f n. 816) 321 Anm. 9 Allo, dux in Lucca ( j v. 800) 321 Anm. 9 Anastasius Bibliothecarius 276 f. Arbo, Mgf. in Bayern (f n. 909) 196, 241 ArichisII., Hzg. u. F. v. Benevent (758/ 774—787) 198, 265 Arnulf v. Kärnten, ostfr. Kg. u. K. (887/ 896—899) 196,202, 240 f., 284, 286,306, 309, 318 Arnulf „der Böse", Bayemhzg. (907—937) 206, 235, 243 f f . , 291 f. Arnulf „der Alte", Mgf. v. Flandern (t 965) 204, 208 Arnulf, Gf. u. Mgf. in Niederlothr. (E. 10. Jh.) 299 Audulf, „ P r ä f e k t " in Bayern ( | 818) 236 f., 302 Autbert, Graf von Avallon 221 Ava, Äbtissin, Sw. Wilhelms d. Frommen 230 Siehe auch unter P Balderich, Gf. u. „ P r ä f e k t " in Friaul (819 bis 828) 322
Balduin II. von Flandern 204 Anm. 14, 208 Banzleib, Gf. v. Le Mans, Mgf. in Sachsen (1. H. 9. Jh.) 207, 303 Beatrix, Gem. Friedrichs I. v. Lothr. 298 f. Bera II. von Razes 203, 221 Berengar I., Mgf. v. Friaul (874/875), Kg. v. Italien (888), K. (915—924) 324 Berengar, Gf. v. Toulouse, (f 835) 219 Bernardus comes, gen. 811, 219 Bernhard, Kg. v. Italien (t 818) 316 Bernhard I., Hzg. v. Sachsen (f 1011) 311 Bernhard v. Septimanien (f 844) 181 f., 197, 207, 220 f f . , 238, 247 Bernhard v. Poitou, (f 844) 219 Bernhard v. Auvergne, d. „Alte" (Vieux) (t 868?) 198, 205, 222, 227 Bernhard I. v. Toulouse, „Vitellus" (le Veau) (f 872) 208, 212, 225 f., 229 Bernhard v. Gotien, F. in Septimanien (f n. 879) 227 f . Bernhard Plantevelue (Plantopilosa), F. in Aquitanien (f 885) 181, 198 f., 208, 211 ff., 222, 225, 226 f f . , 229, 283 Berno, B. v. Mäcon (864—873) 259 Berta, Gem. Gerhards v. Roussillon 248 Berteiz, Gem. Raimunds I. von Toulouse 225 Berthold, Gf. in Alamannien (802—817) 315 Bertmund, „ P r ä f e k t " v. Lyon 195 Bertold, Hzg. in Bayern (Karantanien) (938—947) 245 Bonifaz, Mgf. v. Spoleto (f 953) 325
Personen, Wörter, Sachen
337
Bonifaz I., Gf. in Lucca (gen. 812/13) 322 f. Erispoe, F. (Kg.) d. Bretagne (851/856 bis Bonifaz II., Gf. in Lucca ( j 884) 323 857) 205, 267—272 Boso, Gf. in Vienne, „dux" in Italien, Kg. Ernst, „dux" in Bayern (f 865) 186, 212, d. Provence (870/876/879—887) 184, 239, 242 186, 194, 199 f., 202, 205, 212, 214, 226, Ernust A, Notar Ludwigs IV. d. K. 242, 246—254, 256, 3 2 2 289, 307 Boso, Br. Kg. Hugos v. It. 324 excellentissimus 198 Brun, Eb. v. Köln, „archidux" v. Lothr. (953—965) 186, 213, 294—297 fidelis, fidelissimus 202 Brun, „Hzg." in Sachsen (f 880) 306, 309 Formosus, Papst (891—896) 287 Brun, „secundus" Haralds 188 Fredelo, Gf. in Toulouse etc., (849—852) Burchard, „Hzg." v. Thüringen (892/897 204, 207, 222 ff. bis 908) 200, 208, 306 ff. Friedrich I., Hzg. v. Lothr. (959 — ca. 978) Burchard d. Ä., Gf. in d. Baar u. in Rätien 186, 206, 213, 296 ff. Fürstenkronen 249, 265, 268 (t 911) 316 f. furisto 188 Burchard d. J., Hzg. v. Schwaben (f 926) 205, 208, 213, 317 Gauzelin (Gauzhelm, Gauzselm), (f 834) Burchard II., Hzg. v. Schwaben (954—973) 207, 219 319 Gebhart, Hzg. in Lothr. (t 910) 288, 289 Chadaloh, Gf. u. „Präfekt" in Italien Gerhard von Auvergne ( | 841) 221 Gerhard (Girart) v. Roussillon, F. in d. (t 817/819) 322 Provence (855—863, 1877) 186, 200, C(h)ancor, Gf., Rupertiner (bis 754 in Ala205, 247 ff. mannien) 192, 313 Gerhard, lothr. Gf., Matfridinger (906 abcarus, carissimus 202 ges.) 287 Chlodwig I., Frankenkg. (481—511) 312 Gero, sächs. Mgf. (f 965) 208, 310 Chorso 193, 218 Gerold d. Ä., Gf. in Alamannien (t ca. 784) clarissimus 200 192, 236, 314 Daniel 182, 185 Gerold, „Präfekt" Bayerns (t 799) 194, 200, demarc(h)us 208 Anm. 9, 210, 234, 276 ff., 236, 314 Anm. 24 280, 290 Gerold II., „Präfekt" in Bayern (811—832) Dhuoda, Gem. Bernhards v. Sept. 181—185, 238 188, 220 f., 326 Giselbert d. Ä. (f ca. 884) 288 Dietrich, B. v. Metz (964—984) 298 Giselbert, Hzg. v. Lothr. (t 939) 200, 208, Dietrich, Hzg. v. „Ober"-Lothr. (978 bis 213, 288, 290 ff. 1026/027) 298 f. Giselbert, Hzg. in Burgund (f 956) 260 dilectus, dilectissimus 202 gloriosus, gloriosissimus 198 f. Gotfrid, dux in Alamannien (um 700) Ebal Manzer, Gf. v. Poitou (t 934 od. 935) 312 204, 206, 229 Gottfried I., lothr. „dux" (f 964) 296 Eberhard, Gf. u. Mgf. d. Friaul (828—864/ Gottfried v. Verdun, Gf. u. Mgf. in Nieder866) 324 a h r . (f 991) 299 Eberhard, Br. Konrads I., Gf., Mgf. (918 bis Gottfried II., Hzg. in Niederlothr. (1012? 939) 309 f. bis 1023) 299 Egino, Gf. 305 Grifo, S. Karl Martells (t 753) 263 egregius 200 Grimald, Mgf. unter Berengar I., 324 Anm. Ekbert, Gf. in Sachsen (A. 9. Jh.) 302 34 Engelschalk I., Traungaugf. (t 871) 238 Gudibrand, dux in Florenz (bis 790/800) Engelschalk II., Mgf., Traungaugf. (893 ge321 Anm. 9 blendet) 241 Gundaker 196 Engildeo, Mgf. in Bayern (895 abges.) 241 Erchanger siehe Konrad I. v. Schwaben Hadrian II., Papst (867—872) 269 Erich, Gf. in Friaul, dux gg. Slawen (f 799) Harald, Dänenkönig, 188 322 Hardrad 193, 302
338
Brunner, Fränkische Pürstentitel
Heinrich I., Kg. (919—936) 200, 206, 214, 291, 318 Heinrich, Poppone, „ d u x " gg. Normannen (886) 275, 286, 288 f . , 309 Heinrich, Hzg. v. Burgund (965—1002) 260 heritogo 194, 303 Heriveus, B. v. Autun (920—929) 257 herizoho 194 Hermann, Hzg. v. Schwaben (926—949) 318 f. Hermann Billung, Prokurator Sachsens (t 973) 310 f. hgrron bodo 194, 303 Hildebrand, Gf. in Lucca (n. 857) 323) Hildeprand, dux in Spoleto (773 bis n. 788) 320 f. Hinkmar, Eb. von Reims (845—882) 222, 246, 249 Holophernes 182, 185 honor 194 Hubert, S. Kg. Hugos, Mgf. in Tuszien (t 967) 324 Hugbert, Gf. in Transjuranien ( | 864) 282 f., 287 Hugo v. Vienne, Mgf. u. Regent d. Provence, Kg. v. Italien (926—947) 199, 202, 253, 324 Hugo, S. Lothars II., „ d u x " im Elsaß (f n. 895) 286, 305, 315 Hugo „der Abt", F. in Neustrien (886) 186, 198, 272, 273 f f . , 283 Hugo Capet, F. in Franzien, Kg. (987—996) 197, 199, 206, 208, 210, 281, 298 f. Hugo „magnus", d. Ä. (d. Gr.), F. in Franzien (923—956) 186, 197 f., 208, 213, 260, 279 f f . , 292 Hugo „der Schwarze", Hzg. v. Burgund (f 951) 199, 201, 206, 208, 258 f f . Hugo, Mgf. v. Tuszien (f 1001) 325 Humfred 203, 221 Hunfried, Gf. (806—823) 199, 212, 316 inclitus, inclitissimus 200 f. Johann VIII., Papst (872—882) 198 f., 227, 256, 274, 321 Johann X I I I . , Papst (965—972) 321 Joseph 182, 185 f. Judith, Gem. Karls d. Kahlen, 247 Karl der Große, K. u. Kg. (768/800—814) 186, 188, 192 ff., 261, 315 Karl d. J., S. Karls d. Gr., Kg. (f 811) 262 f. Karl II., d. Kahle, westfr. Kg., K. (840/875 bis 877) 185, 201 f., 207, 212, 221, 223,
225, 247, 249, 252, 257, 261, 265, 267—278, 283, 305, 314, 317 f. Karl III., d. Dicke, ostfr. Kg., K., westfr. Kg. (876/881/885—887, f 888) 205, 274, 283, 288, 315, 324 Karl III., d. Einfältige, westfr. Kg. (893 bis 923, f 929) 201, 233, 255, 276, 289 Karl, S. Lothars I., Kg. d. Provence (855 bis 863) 185, 200, 246 ff. Karl v. Lothr., S. Ludwigs IV. d. Übers. (f 991) 297 ff. Karlmann, Hausmeier (741—747) 313 Karlmann, S. Ludwigs d. Dt., ostfr. Kg. (876—880) 239 Karlmann, S. Ludwigs d. Stammlers, Kg. (879—884) 274 Keyla, Gem. Audulfs v. Bayern, 237 Anm. 20 n. 4 Konrad I., Kg. (911—918) 200, 214, 243, 290 f., 307 ff., 317 Konrad I., Hzg. v. Schwaben (Erchanger) (t 917) 318 Konrad d. Ä., Gf., „Hzg." in Thüringen (f 906) 306 Konrad „der Rote", Hzg. v. Lothr. (944 bis 953) 294 Konrad I., Gf. v. Auxerre (f ca. 862 274, 316
Konrad II., Gf. v. Auxerre u. in Transjuranien (t ca. 866) 283 Konrad „Kurzpold", Gf. im Niederlahngau 308 Lambert, F. in Spoleto (ca. 860 bis ca. 879) 321 Lambert, „ P r ä f e k t " d. breton Mark (f 837) 263, 265 Langobardus cancellarius 222 Lehenskönigtum 267 ff., 273 Leo III., Papst (795—816) 199 Leo IV., Papst (847—855) 265 Leo VII., Papst (936—939) 199, 280 Leotald, Gf. v. Macon, 259 Liudolf, Gf. u. Mgf. in Sachsen (f 866) 308 f . Liudolf, S. Ottos I. (t 957) 294, 310 Liutfrid, dux im Elsaß (722 bis ca. 742) 312 Liutpold, Mgf. in Bayern (893—907) 202, 2 0 8 , 241—244,
289
Lothar I., K. (840—855) 246, 282, 285, 288, 324 Lothar II., Kg. (855—869) 200, 249, 282 bis 286, 305, 315 Lothar, westfr. Kg. (954—986) 198,280,298 Ludwig I., d. Fr., K . (813—840) 185, 189, 192 ff., 200 f., 220, 238, 263, 314
Personen, Wörter, Sachen Ludwig d. Dt., ostfr. Kg. (830/840—876) 195, 237 ff., 305, 315 Ludwig II., Kg. v. Italien, K . (844/850 bis 875) 282, 324 Ludwig III., d. J „ ostfr. Kg. (876—882) 300, 305 Ludwig IV., d. Kind, ostfr. Kg. (876—882) 200, 202, 213 f., 242, 255, 289, 307, 309, 317 Ludwig II., d. Stammler, westfr. Kg. (877 bis 879) 205, 252, 267, 271, 274 Ludwig III., d. Blinde, Kg. d. Provence (890—928), Kg. Italiens (900—905), K. (seit 901) 184 f., 202, 230, 252 ff., 255, 318 Ludwig IV. „d'outremer", der Überseeische, westfr. Kg. (936—954) 184, 201, 234, 260, 279 f.
Otto v. Niederlothr., S. Karls (f 1006?) 299 Otto, Hzg. v. Burgund (956—965) 260, 281 Siehe auch unter B Paldulf, F. von Capua u. Benevent (f 981) 321 f. Pasquiten,F.d.Bretagne (874—876/77) 270 Pilatus 194 Pippin III., d. J., Hausmeier (741—751) Kg. (751—768) 189, 313 Pippin, Kg. v. Italien ( | 810) 189, 314 f. Pippin I., Kg. v. Aquitanien (817—838) 205, 219 Pippin II., Kg. v. Aquitanien (838—848, t n. 864) 221, 223 Plautus 277 Poppo I., Gf. in Thüringen (819—839) 286, 304
machtiern 266 Madalgaud, „ P r ä f e k t " in Thüringen (gen. 805) 302 Magenardus (Meginhard), Vasall Roberts d. T. (t 859) 272 maiores natu 181 Manasse 257, 260 mar(a)h 209 mar(h)a 208 f. Matfriedinger, lothr. Gf. (E. 9., A. 10. Jh.) 200, 286—291 Meingaud (Megingoz), Gf. v. Mayenfeldgau (t 892) 287 Missat 194, 235, 257, 264, 289 f., 303 Modoin, Bischof von Autun 221 Mormannus, breton. F. (gen. 818) 263 Nikolaus I., Papst (858—867) 184, 200, 248 nobilissimus 199 Nominoé, F. d. Bretagne (f 851) 194, 221, 264—267 Odelrich, Mgf. unter Berengar I. 324 Anm. 34 Odin 188 Odo, Gf. v. Paris, Kg. (888—898) 186, 197, 201, 204 f., 229, 232, 275, 318 Odo, Gf. v. Troyes, Br. Roberts d. T. ( | 870) 273 Odo, Gf. v. Toulouse (f 918/19) 229 Otto I., Kg. u. K . (936/962—973) 186, 214, 293 ff., 310, 325 Otto II., Kg. u. K. (961/967—983) 299 Otto „venerabilis" (der „Erlauchte") (880 bis 912) 208, 306, 309 Otto, Hzg. v. Lothr. (941—944) 293
339
f.
Poppo II., Gf. u. „Hzg." in Thüringen (839 bis 892, t 895/910) 208, 286, 305 ff., 309 praeexcellentissimus 198 Präfekt 194 ff., 236 f., 263, 322 primarchio 208 Anm. 9, 210, 234, 277 f. Ragnold, „ d u x " in Neustrien (885) 275 Raimund I., Gf. v. Toulouse (852—863/868) 207, 223, 224 f. Raimund II., Gf. v. Toulouse (t 924) 229 Raimund I I I . „Pontius", F. in Aquitanien (t ca. 950) 184, 198, 208, 210, 213, 229, 233 f., 277 Reinald, Gf. v. Herbauge u. Poitou 221 Ramnulf I., Gf. v. Poitou (f 866) 272 Ramnulf I I . F. u. Gf. v. Poitou ( | 893) 201, 229 Ratchis, Langobardenkg. (774—779) 198 R a t p o t , „ P r ä f e k t " in Bayern (833—854) 238
f.
Ratulf, Grenzgf. in Thüringen (2. H. 9. Jh.) 304 Reginar I., „Langhals", F. in Lothr. u. Westfr. (t 915) 194, 200 f., 208, 286, 288
ff.
Reginar II., S. Reginars I. 294 Reginlind, Gem. Burchards u. Hermanns v. Schwaben 319 Richard der Richter, F. in Burgund (t 921) 194, 197 ff., 201, 208,210, 213, 253, 254
ff.
Robert I., westfr. Kg. (922—923) 197, 202, 208, 210, 276, 278 f., 290 Robert d. „Tapfere", F. in Neustrien (t 866) 261, 269, 272 ff. Roland de Bretagne 195, 263
340
Brunner, Fränkische Fürstentitel
Rudolf I., Kg. v. „Hochburgund" (888 bis 912) 208, 282 ff. Rudolf I., Hzg. in Burgund, westfr. Kg. (921/923—936) 233, 257 Ruodpert, Mgf. in Karantanien (ca. 887 bis 893) 241 Ruthard, Gf. in Alamannien (M. 8. Jh.) 292, 313
Salomon I I I . , B. v. Konstanz (890—919) 317 Salomon, F. (Kg.) d. Bretagne (857—874) 205, 212,
268—273
Samuel 181, 187 Saul 181, 183 secundus a Deo 187 secundus a rege 182, 187 f., 252, 274, 280, 295 f., 310 serenissimus 199 Sigfried v. Merseburg, „Prokurator" Sachsens 186, 310 Stefan von Paris 203 f. Stephan, lothr. Gf. (gen. 882) 286 Sunifred, Gf. u. Mgf. (f 849) 204, 207, 220 f. Suppo II., Gf. bzw. dux v. Spoleto (871 bis 875) 321 Tassilo III., Bayernhzg. (748—788) 235, 239, 244 Thachulf, Grenzgf. in Thüringen (+873) 304 Theophanes 48 Theutbald, alamann. Hzg. (f 744) 314 Theutberga, Gem. Lothars I I . 282 Thietbald, S. Hugberts (880 besiegt) 287 tiern 266 Titelherzogtum 245 trimarchio (tramarcus) 208 Anm. 9, 234, 276, 278, 280 tyrannus 220, 252, 264 ff.
Udalrich, Gf. v. Narbonne 207 venerabilis, venerandus 201 Wala, „ P r ä f e k t " in Sachsen (n. 814) 302 Walo, B. v. Autun 257 Waltrada, „Friedel" Lothars I I . 283, 315 Warin, fr. Gf. in Alamannien (754—774 gen.) 192, 313 Warin, Gf. d. Auvergne (gen. 819—834) 205, 219 Warin, gen. in d. Auvergne 868/69, 227 Werner, „ P r ä f e k t " in Bayern (f 806) 237, 302 Wibert, Erzieher Hugos, des S. Lothars II., 286 Wido, Gf., „ P r ä f e k t " d. breton. Mark, 193, 263 Wido, Gf. v. Vannes, 263 Wigo, Gf., 219 Wihomarcus, breton. F. (gen. 825) 264 Wilhelm d. Hl., F. u. Gf. in Aquitanien (t 812) 185 f., 193, 200, 203, 218 f., 221, 263 Wilhelm, S. Bernhard v. Sept. (f 850) 182, 185, 221 f. Wilhelm d. Fromme, F. in Aquitanien (t 918) 199, 201, 208, 213, 230 ff., 243 Wilhelm III., d. J., F. in Aquitanien (t 926) 208, 232 f. Wilhelm I., Gf. im Traungau (f n. 853) 238 Wilhelm II., Gf. im Traungau (f 871) 238 Winigis, dux in Spoleto (bis 822) 321 Wintherius, Mgf. in Istrien/Friaul (gen. 933) 324 Anm. 30 Zwentibold, lothr. Kg. (895—900) 284, 288, 309
Die langobar(tischen Fürstentitel (774—1077) Von Elisabeth G a r m s - C o r n i d e s
I n h a l t : Einleitung S. 341. — Die urkundlichen Quellen und ihre Erschließung S. 342. — Diplomatische Arbeiten zum Urkundenwesen der süditalienischen Fürsten S. 344. — Diplomatisches zur langobardischen Pürstenurkunde S. 347. I. Vom Dux zum Princeps — Arichis II. S. 354. II. Princeps gentis — Princeps provinciae. Von Grimoald III. bis zur Teilung des Prinzipats S. 375. III. Die Intitulatio der langobardischen Fürsten von Benevent, Capua und Salerno. Von der Mitte des 9. Jahrhunderts bis zum Untergang der Fürstentümer S. 402. Exkurs: Provincia — terra — patria S. 422. — Provincia S. 425. — Terra S. 432. Patria S. 436. Verfasser- und Quellenregister S. 444. Personen, Wörter, Sachen S. 447.
EINLEITUNG Die vorliegende Studie, die im Sommer 1969 abgeschlossen werden mußte und seither nur geringfügige Ergänzungen erfahren konnte, ist in drei große Abschnitte gegliedert: zunächst wird die Entstehung des beneventanischen Prinzipats unter dem Herzog und ersten Fürsten Arichis II. behandelt, der als Grundlage für die gesamte weitere Entwicklung die wichtigste Stellung zukommt. In der Zeit seiner ersten Nachfolger schwankt die Intitulatio zwischen zwei offensichtlich gleichwertigen Formen, in deren einer sich das alte gentile Prinzip, in der anderen das „moderne" territoriale Denken ausdrückt. Dem princeps gentis, der auch princeps provinciae ist, gelten daher die Überlegungen des zweiten Kapitels. Ab der Mitte des 9. Jahrhunderts bis zur normannischen Herrschaft im 11. Jahrhundert bleibt der Titel der langobardischen Fürsten Süditaliens —die in den zwei, bald drei Fürstentümern, Benevent, Capua und Salerno, herrschen — konstant. Im dritten Abschnitt sollen überblicksweise neben dieser traditionellen Titelform vor allem die Ausnahmen von der Regel behandelt werden. Der Exkurs über die Begriffe „provincia-terra-patria" ist deshalb aus dem eigentlichen Rahmen der Arbeit herausgenommen, weil in ihm die Intitulatio nur eine Nebenrolle spielt. Es geht hier um die Frage, inwieweit der
342
Garms-Comides, Langobardische Fürstentitel
offizielle und der nichtoffizielle Sprachgebrauch dem Prozeß der Territorialisierung Rechnung tragen. Vor kurzem hat G. Köhler dieses Problem anhand der Begriffe „Land" und ,,Landrecht" für den Raum nördlich der Alpen untersucht. Unsere Ausführungen können Köbler für einen von ihm nicht behandelten Raum ergänzen 1 ). Wir werden sehen, daß in dem vorgeführten Zeitabschnitt in den süditalienisch-langobardischen ebenso wie in den von Köbler betrachteten Gebieten trotz gewisser Ansätze die territoriale Zugehörigkeit noch kein „juristisch konstitutives Tatbestandselement" darstellt, wohl aber immer noch die Eingliederung in einen personellen Verband 2 ). Das langobardische Recht und der das Recht setzende „princeps gentis Langobardorum" erhalten innerhalb der „provincia", „terra", „patria" das ethnische und personale Prinzip in einer Zeit zunehmender Territorialisierung. In diesem Sinn schließt sich die Fragestellung des Exkurses eng an das Hauptthema an. Die urkundlichen Quellen und ihre Erschließung Die Präzepte der Fürsten der Longobardia minore — wie der italienische Terminus für die süditalienischen Fürstentümer nach 774 lautet — sind, soweit bekannt, fast alle im Druck zugänglich. Die Qualität dieser Drucke macht allerdings — mit einigen Ausnahmen — eine kritisch-diplomatische Beschäftigung mit den Urkunden fast unmöglich. Die bisher verfaßten Untersuchungen zur Diplomatik der langobardischen Fürstenpräzepte stützten sich zwar auf die Originale bzw. die kopiale Überlieferung, mußten sich aber sonst mit den ungünstigen Publikationsverhältnissen abfinden: Die seit Jahrzehnten angekündigte Edition des sogenannten Chronicon Beneventani monasterii S. Sophiae, eines Chartulars des beneventanischen Sophienklosters aus dem 12. Jahrhundert, durch O. Bertolini ist noch nicht erfolgt. So muß sich der Benutzer mit den unzuverlässigen, ja geradezu falschen Drucken bei Ughelli begnügen 3 ). Die Bestände von Monte Cassino wurden im 18. Jahrhundert zu großen Teilen in der Historia abbatiae Cassinensis des Benediktiners Gattola verarbeitet. Seine Abdrucke, die an Genauigkeit die Ughellis weit überbieten, sind die einzige Möglichkeit, die reichen Bestände des Klosters im vollen Text auszuwerten, vor allem solange die Edition des Registers des Petrus Diaconus noch nicht erfolgt ist 4 ). „Intitulatio I I " war bereits im Druck, als H. HoffGerhard K ö b l e r , Land und Landrecht im Frühmittelalter. ZRG germ. Abt. 86 (1969)
1^10. 2
) Köbler, Land und Landrecht 40. 3 ) Ferdinando U g h e l l i , Italia sacra VIII und X (Venedig 21721—1722). Zu einer bevorstehenden Neuausgabe s. Anm. 68 zum I. Kapitel. 4 ) Erasmo G a t t o l a , Historia abbatiae Cassinensis per saeculorum Seriem distributa 1—2 (Venedig 1733). Ders., Ad historiam abbatiae Cassinensis accessiones 1—2 (Venedig 1734). Die Vorarbeiten des Benediktiners D. Mauro Inguanez wurden durch Bomben im 2. Weltkrieg vernichtet. Vgl. Ambrogio M a n c o n e , II Registrum Petri Diaconi. Bullettino dell'Archivio paleografico italiano n. s. 2—3 (1956—1957) 89—126, bes. 91. Wertvoll sind auch die Regesten der in Monte Cassino erhaltenen Originalurkunden: I regesti dell'Archivio dell'abbazia di Monte Cassino (ed. Tommaso Leccisotti. Pubblicazioni degli Archivi di Stato 54 und 56, Rom 1964—1965).
Einleitung : Die urkundlichen Quellen und ihre Erschließung
343
mann, der beste Kenner der Monte Cassineser Urkundentradition, seine Studie über dieses Register veröffentlichte. Dies ist um so bedauerlicher, als sich Fehler und Ungenauigkeiten, die auf die schwierigen Quellen- und Publikationsverhältnisse zurückgehen, mit Hilfe dieser nunmehr grundlegenden Arbeit hätten korrigieren lassen 4a ). Etwas jünger sind die Urkundendrucke in den Bänden der Regii Neapolitani Archivi Monumenta, im Code» diplomaticus Cajetanus und im umfänglichen Codex diplomaticus Cavensis, der das überreiche Material des Klosters S. Trinità in La Cava bei Salerno aber auch nur zum Teil erfaßt. Neueren Datums sind die Ausgaben des Codice diplomatico Amalfitano und des Chronicon Vulturnense5). Das Chronicon Vulturnense ist eine Chronik des großen St. Vinzenz-Klosters am Volturno, in der hauptsächlich den Besitz des Klosters betreffende Urkunden eingetragen sind und die im großen und ganzen aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts stammt. Die Ausgabe von Federici erforderte — schon allein der zahlreichen, meist plumpen Fälschungen willen — eingehende Untersuchungen. Der Editor versprach zwar, das kritisch-diplomatische Material gesondert zu veröffentlichen, kam aber leider wieder davon ab 5a ). Von Franco Bartoloni stammt die Ausgabe des Urkundenbestandes des beneventanischen Klosters San Modesto, aus der aber für unsere Zeit nur einige Privaturkunden herangezogen werden können6). Ebenso verhält es sich auch mit I. Mazzolenis „Pergamene di Capua"7). Der reiche Bestand der Kapitelbibliothek von Benevent wird gegenwärtig von Vincenzo de Donato, einem Schüler Pratesis, bearbeitet8). Pratesi selbst hat die Faksimileausgabe der 4a
) H a r t m u t H o f f m a n n , Chronik und Urkunde in Monte Cassino. Quellen und Forschungen aus ital. Bibliotheken und Archiven 51 (1971) 93—206. 6 ) Regii Neapolitani Archivi Monumenta 1—4 (ed. Antonio Spinelli - Antonio de Aprea Michele Baffi, Neapel 1845—1854). Codex diplomaticus Cajetanus (ed. cura et studio monach. S. Ben. archicoen. Monte Cass., Monte Cassino 1887). Codex diplomaticus Cavensis 1—8 (ed. Michele Morcaldi - Mauro Schiani - Silvano de Stefano, Neapel 1873 bis 1893). Codice diplomatico Amalfitano (ed. Riccardo Filangieri di Candida. 1. Band : Le pergamene di Amalfi esistenti nell'Archivio di Stato di Napoli dall'anno 907 al 1200, Neapel 1917. 2. B a n d : Appendice, Neapel 1951). Chronicon Vulturnense del monaco Giovanni 1—3 (ed. Vincenzo Federici, Fonti per la storia d'Italia 58—60, Rom 1925—1938). 5a ) Vincenzo F e d e r i c i , Un frammento della „Cronaca" del Volturno anteriore a quella del monaco Giovanni. Bullettino dell'Istituto storico italiano 57 (1941) 88—103. D e r s . , Ricerche per l'edizione del Chronicon Vulturnense del monaco Giovanni. Bull. Ist. stor. ital. 55 (1939) 147—236; 57 (1941) 71—114; 61 (1949) 67—124, 173—180. Diese Veröffentlichungen betreffen die handschriftliche Überlieferung, die Abtlisten und die Bibliothek des Klosters. Zuletzt (Bull. Ist. stor. ital. 61, 1949, 180) verweist Federici auf den kritischen Apparat der Edition zurück, wo sich aber in den meisten Fällen der Hinweis „Cf. le mie ricerche" findet! •) Le più antiche carte dell'abbazia di San Modesto in Benevento sec. V i l i — X I I I . A cura di Franco Bartoloni. Regesta Chartarum Italiae 33 (Rom 1950). ') Le Pergamene di Capua (ed. Iole Mazzoleni. 1. Band, 972—1265, Neapel 1957). 8 ) Vgl. Dieter G i r g e n s o h n , Documenti beneventani inediti del secolo X I I . Samnium 40 (1967) 263. Zu den Beständen s. Franco B a r t o l o n i , Relazione all'Istituto storico italiano per il Medioevo sulla missione di studio compiuta dal 14 al 19 giugno 1948 nella
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Garms-Cornides, Langobardische Fürstentitel
salernitanischen Fürstenurkunden im Archivio paleografico italiano besorgt, zu der es kurze Erläuterungen Pratesis als Beilagen zu den Tafeln und die Transkriptionen de Donatos gibt 9 ). Intensive Archivstudien, begleitet von etwas Finderglück, könnten auch heute noch den bekannten Urkundenbestand beträchtlich erweitern. So tauchte vor kurzem in dem in das Vatikanische Archiv transferierten Archiv Boncompagni-Ludovisi ein Urkundenfonds des Klosters S. Maria in Elee bei Conza auf, der neben zahlreichen Papstprivilegien und normannischen Königsurkunden auch einige Präzepte langobardischer Fürsten enthielt. Sie wurden v o n R. Volpini kritisch gesichtet und ediert 1 0 ). Diplomatische Arbeiten zum Urkundenwesen der süditalienischen Fürsten Unter der mangelhaften Erschließung der urkundlichen Quellen leidet deren Behandlung v o m kritisch-diplomatischen Standpunkt. Nahezu gleichzeitig haben sich vor nunmehr fast 70 Jahren Karl Voigt und René Poupardin mit der Diplomatik der süditalienischen Fürstenurkunden befaßt, wobei die Arbeit Voigts wesentlich gewissenhafter durchgeführt ist, sich aber sehr schwer benützen läßt 1 1 ). Poupardin hat daneben in seiner Arbeit „Les institutions des principautés lombardes de l'Italie méridionale" ein Verzeichnis der FürstenurBiblioteca Capitolare di Benevento. Bull. Ist. stor. ital. 61 (1949) XVII—XXIV und d e r s., Relazione . . . sulla missione di recognizione negli archivi beneventani dal 6 allo 8 e dal 10 al 12 gennaio 1949. Ebd. XXIV—XXVI. Transkriptionen des Bestands der Kapitelbibliothek bietet die maschinschriftliche Dissertation von Liliana Vis cai è, Le carte della Biblioteca capitolare di Benevento 658—1100 (Tesi di laurea. Facoltà di lettere e filosofia, Università di Roma, anno accademico 1948/49). Für die Erlaubnis zur Einsicht in diese Arbeit sowie in das reiche fotografische Material des Istituto di Paleografia der Universität Rom bin ich Prof. A. P r a t e s i sehr zu Dank verpflichtet. Unveröffentlichtes Material aus Benevent bringt auch Elio G a l a s s o , Caratteri paleografici e diplomatici dell'atto privato a Capua e a Benevento prima del secolo XI. Il contributo dell'archidiocesi di Capua alla vita religiosa e culturale del Meridione. Atti del Convegno Nazionale di studi storici promosso dalla Società Patria di Terra di Lavoro (Collana di studi sulla storia del Mezzogiorno 1, Rom 1967) 291—317. •) Archivio paleografico italiano vol. XV, fase. 62, tav. 1—15; fase. 63, tav. 16—27. Vittorio de D o n a t o , Trascrizioni delle tavole 1—15 del vol. XV dell'Archivio paleografico italiano. Bull. Arch. pal. n. s. 4—5 (1958—1959) 117—127. Ders., Trascrizioni delle tavole 16—27 del vol. XV . . . Bull. Arch. pal. ser. III, 2—3 (1963—1964) 166—179. 10 ) Raffaello V o l p i n i , Diplomi sconosciuti dei principi longobardi di Salerno e dei re normanni di Sicilia. Raccolta di studi in memoria di Giovanni Soranzo (Mailand 1968) 481—544. 11 ) Karl V o i g t , Beiträge zur Diplomatik der langobardischen Fürsten von Benevent, Capua und Salerno seit 774 (1902). René P o u p a r d i n , Etude sur la diplomatique dea princes lombards de Bénévent, de Capoue et de Salerne. Mélanges d'archéologie et d'histoire des Ecoles Françaises d'Athènes et de Rome 21 (1901) 117—180. Leider verzichtet Voigt fast ganz darauf anzumerken, welche Stücke er bespricht. Varianten werden meist generell abgetan („in einigen Stücken..."), ohne daß man erfährt, um welche Urkunden es sich handelt. Nach der von ihm erstellten Liste der Präzepte wird in Zukunft mit „Voigt n." zitiert.
Einleitung: Diplomatische Arbeiten zur Longobardia minore
345
künden mit Regesten geliefert, wobei allerdings die salernitanischen Stücke fehlen12). Als Frucht seiner Beschäftigung mit den Monte Cassineser Beständen hat Alfonso Gallo eine Studie „I diplomi dei principi longobardi di Benevento, di Capua e di Salerno nella tradizione cassinese" herausgegeben, die vor allem Konkordanzen zwischen den einzelnen alten Drucken und dem Register des Petrus Diaconus sowie den in Monte Cassino erhaltenen Originalen bietet13). In der vorliegenden Arbeit wird zu den einzelnen Präzepten neben dem Druckort die Numerierung bei Voigt — als maßgebliche Arbeit — und bei Poupardin — wegen der Regesten, die allerdings oft fehlerhaft sind — angegeben werden. Eine großangelegte Konkordanz mit einer neuen Numerierung könnte erst dann sinnvoll sein, wenn durch bessere diplomatische Untersuchungen die Eehtheitskriterien eindeutig feststehen, damit nicht als Fälschungen erkannte Stücke weiter „mitgeschleppt" werden. Angeregt durch seine Beschäftigung mit den salernitanischen Fürstenurkunden, hat A. Pratesi einige Gesichtspunkte über die Diplomatik der Salernitaner Präzepte in einem Vortrag herausgestellt, wobei, wie auch in den Kommentaren zu den Tafeln des Archivio paleografico, der Fortschritt gegenüber Voigt vor allem in der Entlarvung von Fälschungen besteht14). Unentbehrlich für Richtigstellungen des Ughellischen Drucks ist nach wie vor W. Smidt, während wenigstens die Datierungen der einzelnen Präzepte nach der Handschrift der Vatikanischen Bibliothek von 0 . Bertolini veröffentlicht wurden15). Die Arbeiten, die aufbauend auf Caspar sich mit der Kritik des Registers des Petrus Diaconus und auch der Chronik des Leo Marsicanus befassen16), sind 12
) René P o u p a r d i n , Lea institutions politiques et administratives des principautés lombardes de l'Italie meridionale, suivi d'un catalogue des aetes des Prinees de Bénévent et de Capoue (Paris 1907). Nach diesem „catalogue" wird künftig mit „Poupardin n." zitiert. Die von Poupardin edierten „Pièces justificatives" werden nach der Seitenzahl und Nummer im Anhang der „Institutions" zitiert, z. B. Institutions 141 n. 6. 13 ) Alfonso G a l l o , I diplomi dei principi longobardi di Benevento, di Capua e di Salerno nella tradizione cassinese. Bull. Ist. stor. ital. 52 (1937) 1—79. Vgl. ders., L'Archivio di Monte Cassino. Ebd. 52 (1937) 117—158 und ders., Il più antico documento originale dell'Archivio di Monte Cassino. Ebd. 45 (1929) 159—164. " ) Alessandro P r a t e s i , La diplomatica dei principi longobardi di Salerno. Pubblicazioni dell'Archivio di Stato di Salerno 5 (Salerno 1958) 41—55. I5 ) Wilhelm S m i d t , Das Chronicon Beneventani monasterii S. Sophiae. Eine quellenkritische Untersuchung (1910). Ottorino B e r t o l i n i , I documenti trascritti nel „Liber praeceptorum Beneventani monasterii S. Sophiae". Studi di storia napoletana in onore di Michelangelo Schipa (Neapel 1926) 11—48. le ) Erich C a s p a r , Petrus Diaconus und die Monte Cassineser Fälschungen. Beitrag zur Geschichte des italienischen Geisteslebens im Mittelalter (1909). Mancone, Registrum P. Diac. s. o. Anm. 4. Hans Walter K l e w i t z , Petrus Diaconus und die Monte Cassineser Klosterchronik des Leo von Ostia. Archiv für Urkundenforschung 14 (1936) 414—453. Zuletzt zahlreiche Arbeiten von Hartmut H o f f m a n n , wie: Der Kalender des Leo Marsicanus. DA 21 (1965) 82—149; Das Chronicon Vulturnense und die Chronik von Monte Cassino. DA 22 (1966) 179—196; Die älteren Abtslisten von Monte Cassino. Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 47 (1967) 224—354.
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Garms-Cornides, Langobardische Fürstentitel
zwar keine Spezialdiplomatiken, aber für die Erfassung des Bestehenden ebenso wichtig wie auch ältere Zusammenstellungen, etwa die Schipas über alle das Fürstentum Salerno betreffenden Urkunden 17 ). Für die Erschließung vor allem des privaturkundlichen Materials unentbehrlich ist P. Bertolinis Studie über die Chronologie der langobardischen Fürsten von Benevent, die noch weiter fortgesetzt werden soll18). Man kann hoffen, daß auf diese Weise Teile des riesigen, von 0 . Bertolini zusammengestellten chronologisch-topographischen Apparats zugänglich gemacht werden. Eine kurze Spezialuntersuchung über eine Formel des fürstlich-beneventanischen Präzepts hat kürzlich W. Deeters gebracht. Die von ihm behandelte „salvatio gentis"-Formel spielt naturgemäß auch in unserer Arbeit eine große Rolle. So bedauerlich solche Überschneidungen sind, so erfreulich ist es andrerseits, die eigene Interpretation durch eine davon unabhängige Studie bestätigt zu wissen 19 ). Die diplomatischen Arbeiten von Voigt, Poupardin und Pratesi verwenden, wie nicht anders zu erwarten, nur sehr wenig Platz auf die fürstliche Intitulatio. Man wird nicht umhin können, ihnen darin zum Teil recht zu geben, denn auf den ersten Blick sind die Selbstaussagen der süditalienisch-langobardischen Fürsten von monumentaler Eintönigkeit. Mit wenigen Ausnahmen lauten sie von 774 an dreihundert Jahre hindurch „princeps gentis Langobardorum". Wie schon aus der Gliederung der vorliegenden Arbeit hervorgeht, wäre aus einer reinen Interpretation dieses Titels wenig herauszuholen, wenn man nicht über den Bereich der unmittelbaren urkundlichen Selbstaussagen hinausgeht: bei Arichis II. werden wir daher z. B. die neue Intitulatio „princeps gentis Langobardorum" in den Rahmen seiner übrigen fürstlichen „Manifestationen" hineinzustellen haben. Es wurde bereits eine Variante der Intitulatio erwähnt, die uns ausführlich beschäftigen wird: „princeps Beneventanae provinciae" ist in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts eine häufige, wenn auch nicht durchwegs vorkommende Selbstaussage. Danach herrscht wieder die traditionelle, von Arichis II. geschaffene Intitulatio „princeps gentis Langobardorum" vor. Byzantinische Amtstitel können, je nach der politischen Lage, zum langobardischen Fürstentitel dazutreten oder diesen verdrängen. Sonst aber bleibt die Intitulatio von den politischen Ereignissen unberührt, sofern wir einzig die feierliche Fürstenurkunde im Auge haben. Anders liegen die Verhältnisse in der fürstlichen „chartula", der vom Fürsten „als Privatmann" rogierten Privaturkunde. Um diese wesent") Michelangelo S c h i p a , Storia del principato longobardo di Salerno (Neapel 1887) 193—219. 18 ) Paolo B e r t o l i n i , Studi per la cronologia dei principi longobardi di Benevento. I: Da Grimoaldo I a Sicardo (787—839). Bull. Ist. stor. ital. 80 (1968) 25—136. Vgl. dazu die Rez. von Hartmut H o f f m a n n in QuF 50 (1971) 629—630. ") Walter D e e t e r s , Pro Salvatione Gentis Nostrae. Ein Beitrag zur Geschichte der langobardischen Fürsten von Benevent. QuF 49 (1969) 387—394. Meine Arbeit wurde bereits im Mai 1968 als Hausarbeit für die Staatsprüfung am Institut für österreichische Geschichtsforschung vorgelegt. Vgl. MIÖG 76 (1968) 496.
Einleitung: Zur langobardischen Fürstenurkunde
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liehe Unterscheidung zu erläutern, soll ein kurzer diplomatischer Abschnitt folgen. Zwei Punkte werden uns darin hauptsächlich beschäftigen: das Problem der Fürstenurkunde und der fürstlichen „Privaturkunde"; äußere und innere Merkmale der Fürstenurkunde, die diese als solche ausweisen, das heißt, um es schlagworthaft auszudrücken, die Fürstenurkunde als „Herrschaftszeichen". Diplomatisches zur langobardischen Fürstenurkunde Wir müssen grundsätzlich zwei Arten von Urkunden unterscheiden, die von den süditalienischen langobardischen Fürsten ausgestellt werden konnten und denen auch zwei Typen der Intitulatio entsprachen. Genau wie ihre Vorgänger, die Herzöge von Benevent, ließen die Fürsten von Benevent, Salerno und Capua feierliche Urkunden ausfertigen, für die Chroust den Terminus „praecepta" durchgesetzt hat. Dadurch hob er sie als nichtkönigliche Herrscherurkunde von der Privaturkunde im engeren Sinn ab 20 ). Wir werden den Terminus Präzept, der in den Urkunden vorkommt, hier beibehalten, aber auch einfach „Urkunde" sagen. Gemeint ist damit eine Urkunde, die mit einer verbalen Invokation beginnt, deren Aussteller sich in der ersten Person nennt und an deren Ende der Schreiber, meist ein Notar der fürstlichen Kanzlei, in der Schreiberformel seinen Namen angibt. Diese Formel beginnt mit „quod vero praeeeptum . . . " oder ähnlichen Worten und enthält Ort und Zeit der Ausstellung als Schlußdatierung. In den Präzepten weist sich der Fürst durch seine Intitulatio, durch die Legitimationsformel, durch den Beurkundungsbefehl, durch eine dem „exorarePassus" der fränkischen und langobardischen Königsurkunde verwandte Formel 21 ) und anderes mehr als Herrscher aus. Erst jüngst hat Carlrichard Brühl wieder die Herauslösung der Fürstenurkunde aus der zu allgemeinen Gruppe der Privaturkunden gefordert 22 ). Äußerlich unterscheidet sich das Präzept in Benevent bis zum Ende des 9. Jahrhunderts, in Salerno noch länger, weder im Schriftcharakter noch im allgemeinen Eindruck von einer beliebigen Privaturkunde, mit Ausnahme der Auszeichnung von Monats- und Indiktionsangabe in größerer, auffallender Schrift 23 ). Voigt und Poupardin sahen natürlich das Phänomen, konnten aber nicht viel damit anfangen. Chroust hielt es für möglich, daß die Datumsangabe 20
) Anton C h r o u s t , Untersuchungen über die langobardische Herzogs- und Königsurkunde (1898) 9. Vgl. dazu die DD. der burgundisohen Weifen: DD. Weifen S. 36 ff. und Wolfram 149 f. 21 ) Carlrichard B r ü h l , Studien zu den langobardischen Königsurkunden (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 33, 1970) 74—75. 22 ) Brühl, Studien 9, Anm. 40: „Wenigstens diese Urkundengruppe sollte auf jeden Fall aus dem Verlegenheitsbegriff ,Privaturkunde' herausgelöst werden." 23 ) So in dem ersten erhaltenen Original einer beneventanischen Fürstenurkunde, dem Präzept Grimoalds III. für Monte Cassino vom August 810. Abbildung bei Leccisotti, Regesti 2, Tafel 3. Weitere Abbildungen: Cod. Cav. 1, Tafel nach S. 20 (Radelchis I. 840 Juni) und Franco B a r t o l o n i , Intorno a un diploma principesco beneventano del secolo IX. Scritti di paleografia e diplomatica in onore di Vincenzo Federici (Florenz 1944) 48—58, Tafel 1 (Radelchis II. 898 Juni).
348
Garms-Comides, Langobardische Fürstentitel
eine Art Signierung durch den Fürsten oder durch einen Rekognoszenten darstelle 24 ), doch spricht der paläographische Befund gegen eine derartige Annahme einer zweiten Hand. Poupardin wollte sich daher auch nicht auf einen Handwechsel festlegen 25 ). Das Phänomen dieser Auszeichnung des Datums, die in ähnlichen Schriftformen erfolgt, wie etwa die hervorgehobenen Notarsunterschriften auf Privaturkunden und Placita 26 ), bleibt erhalten, als das äußere Bild der Fürstenurkunde nach dem Vorbild der Kaiserurkunde umgestaltet wird: Dies geschieht am Ende des 9. Jahrhunderts in Benevent-Capua und im 11. Jahrhundert in Salerno, wo schon vorher nicht mehr nur das Datum, sondern auch die Invokation in Kapitale hervorgehoben wurde 27 ). In allen Entwicklungsphasen der äußeren Merkmale, auf die wir noch zu sprechen kommen werden, bleibt die Tendenz zur Auszeichnung des Datums bestehen; allerdings in Formen, die dem neuen Schriftbild angepaßt sind, etwa in der gleichen Zierschrift wie Superscriptio und Signumzeile28). Der Antwort auf die Frage nach Herkunft und Bedeutung des hervorgehobenen Datums kommt die byzantinische Diplomatik zu Hilfe, die die gleiche Erscheinung als „Menologem" kennt: sie findet sich im kaiserlichen Prostagma seit dem Ende des 7. Jahrhunderts und ist als eigenhändige Unterfertigungsform erstmalig in einem Brief Kaiser Konstantins IV. an den Papst von 681 belegt 29 ). Später sind Menologeme auch aus Beamtenurkunden bekannt 30 ). Es ist daher naheliegend, in der byzantinischen Kaiserurkunde das Vorbild für das fürstlich-langobardische Menologem zu sehen, das schon das erste erhaltene Original von 810 belegt. Da es sich dabei um ein diplomatisches „Herrschaftszeichen" handelt, könnte man zur Diskussion stellen, ob das Menologem nicht von Arichis angenommen wurde. Ein solches Vorgehen würde sich vortrefflich in das Bild einfügen, das man von jenem ersten beneventanischen „princeps" zeichnen kann. Nach dem Vorbild der östlichen Kaiserurkunde scheinen es sich die langobardischen Fürsten manchmal erlaubt zu haben, ihren Präzepten durch Purpurfärbung besonderen Anspruch und Feierlichkeit zu verleihen. Schlechter Erhaltungszustand und das Fehlen literarischer Zeugnisse machen allerdings eine exakte Beweisführung unmöglich 31 ). 24
) Chroust, Untersuchungen 108. Voigt, Beiträge 73. In den älteren Stücken ist auch die Apprecatio „feliciter" auffallender geschrieben. 25 ) Poupardin, Etüde 135. 2 ®) Vgl. z. B. eine Notariatsurkunde aus Gaeta von 839 bei Oderisio P i s c i c e l l i - T a e g g i , Paleografia artistica di Monte Cassino (Monte Cassino 1876—1887) n. 3. Placita des 10. Jahrhunderts in Arch. pal. ital. vol. X, n. 1 und 3. ") Z. B. in einem Präzept Gisolfs I. von 953 Oktober. Arch. pal. ital. 62, 1, 5—6. 2e ) Vgl. Voigt, Beiträge 13—14. 29 ) Franz D ö l g e r — Johannes K a r a y a n n o p u l o s , Byzantinische Urkundenlehre I. Die Kaiserurkunden (Handbuch der Altertumswissenschaft XII/3, 1, 1, 1968) 53, 56. 30 ) Das erste Beispiel ist nach Dölger-Karayannopulos, Urkundenlehre 53 eine Urkunde des Protospathars Gregor für Monte Cassino von 885. Sie ist aber in Trani von einem Notar Landolf geschrieben, also kein einwandfreies Beispiel. Für den Hinweis auf diese notwendige Einschränkung danke ich Fräulein V. v. Falkenhausen. 31 ) Pratesi, Diplomatica 48 zu dem oben Anm. 27 genannten Präzept Gisolfs I.
Einleitung: Äußere und innere Merkmale Fürstenurkunde
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Wir sprachen bereits davon, daß sich am Ende des 9. Jahrhunderts äußere und innere Merkmale der beneventanischen Fürstenurkunde wandeln. Sie sind nunmehr durch die Nachahmung kaiserurkundlicher Formen charakterisiert. Verlängerte Schrift in der ersten und in der Signumzeile ersetzen das bis dahin einheitliche Schriftbild, in dem nur das Menologem aufgefallen war 32 ). Nach dem Muster der Kaiserurkunde wird das Monogramm in der Signumzeile eingeführt. Die Arenga trennt Intitulatio und Kontext deutlich voneinander, während bisher durch das verbum dispositivum auch die Intitulatio in den Kontext hineingezogen (Concedimus nos . . .) und die Arenga oder die Motivangabe (pro animae remedio etc.) in dem dispositiven Satz mit enthalten war. Jetzt folgt auf die Intitulatio die ziemlich feststehende Arenga „Cum principalis excellentia petitione dilectorum suorum iuste petenti clementer favet, non solum eos, quibus haec impendit, devotiores obsequiis reddit, verum etiam divinam maiestatem sibi propensius parare creditur adiutricem." 33 ) Diese lange Arenga wurde aber nur selten ganz ausgeschrieben, sondern im allgemeinen daraus der cum-Satz angeführt 34 ). Eine solche Ellipse war dann für jede Empfängergruppe gleich passend. An die Arenga schließt sich eine Publicatio nach Art der Kaiserurkunde an: „Quapropter noverit omnium fidelium nostrorum presentium scilicet et futurorum sollertia .. ," 35 ). Das Eschatokoll bringt die Ankündigung der eigenhändigen Unterschrift und der Besiegelung, die Signumzeile mit dem Monogramm, den Schreibervermerk sowie Datum und Actum 36 ). Da uns keine Urkunden der Grafen von Capua aus dem 9. Jahrhundert überliefert sind, läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen, ob die kaiserurkundlichen Formen schon vor der Vereinigung Capuas mit Benevent und dem Aufstieg Atenolfs zum princeps in Capua zur Anwendung kamen. Es könnte bereits vor 899 eine feste Kanzlei in Capua existiert haben, da nach der Übernahme des beneventanischen Prinzipats ein ganz neues, aber keineswegs ungeschultes Personal in der Kanzlei von Capua wirkt. Diese capuanische Kanzlei könnte im Laufe des 9. Jahrhunderts, vielleicht nach der Zusammenkunft Landolfs mit Ludwig II. in Veroli (872), die gräfliche Urkunde mit den Merkmalen des kaiserlichen Diploms ausgestattet haben. Die Stellung Landolfs, wie sie von Erchempert formuliert wird, „tertium in regno suo constituit (sc. Ludovicus Landolfum)" 37 ), läßt eine fürstliche Stellung schon vor der Vereinigung Bene32
) Voigt, Beiträge 13—14. ) So in einer Urkunde Atenolfs I. für S. Maria in Cingla von 902 Juni 9: Orig. Monte Cassino. Gattola, Hist. 1, 28. Voigt n. 123, Poupardin n. 74. Bei Voigt, Beiträge 34—35 sind andere Arengen zusammengestellt. 34 ) Bin Orig. von 901 zeigt, daß die Abkürzung nicht etwa auf die abschriftliche Überlieferung zurückgeht. Orig. Monte Cassino. Voigt n. 121, Poupardin n. 72 und Institutions 141 n. 6. Zwischen Capua und Benevent variieren die Abkürzungen und der Wortlaut der Arenga etwas. 35 ) Voigt n. 121 s. vorige Anm. 38 ) Vgl. dazu Voigt, Beiträge 13, 17—19, 4 0 ^ 4 , 45, 47, 49. Poupardin, Etüde 138—166. 37 ) Erchemperti Historia Langobardorum Beneventanorum cap. 36 (ed. Ludwig Bethmann-Georg Waitz, MGH SS rer. Langob., 1878, 248). M
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vents mit Capua vermuten. Diese fürstliche Stellung wollte Landolf auch durch Erhebung Capuas zum Erzbistum stärken 38 ). Die selbständige Münzprägung und Ausstellung von „herrscherlichen" Urkunden im eigenen Namen durch die Grafen von Capua könnte auch indirekt durch eine Bemerkung Erchemperts belegt werden, Pandonolf habe sich dem Papst untergeordnet: ,,se subdiderat papae, in cuius vocamine et cartae exaratae et nummi figurati sunt" 39 ). Zu den kaiserlichen Merkmalen in den fürstlichen beneventanisch-capuanischen Urkunden gehört es weiterhin, wenn die Präzepte als „apices" bezeichnet 40 ) oder wenn die Schenkungen von Kaisern, Königen, Herzögen und Fürsten bestätigt werden 41 ). Auf die Intitulatio allerdings hat das neue Formular keinerlei Einfluß ausgeübt, wenn man davon absieht, daß verschiedene neue Legitimationsformeln aufkommen 42 ). Durch die Einführung der Signumzeile entsteht eine kanzleimäßige und „offizielle" Titulatur. Sie erstreckt sich auf die Nennung des betreffenden Fürsten in der Datierung, was bisher in dieser Form nicht üblich war 43 ). Wir werden auf die Titulaturen noch zurückkommen, können allerdings vorausnehmen, daß kein festes Schema geltend war 44 ). Seit den Söhnen Atenolfs ist die gemeinsame Ausstellung von Urkunden in Benevent-Capua belegt, in Salerno tritt sie ungefähr zur selben Zeit bei Waimar I. und seinem gleichnamigen Sohn auf 45 ). In Capua war sie vermutlich schon seit der Mitregentschaft Landolfs I. mit seinem Vater Atenolf I. üblich 46 ). Auch eine dreigliedrige Intitulatio konnte vorkommen 47 ). Die gemeinsame Ausstellung war aber nur formelhaft: da von zwei Koregenten meist der eine in Benevent, der andere in Capua residierte, erfolgte die Ausstellung der Präzepte jeweils in der eigenen Kanzlei. Diese voneinander unabhängigen Kanz3S
) Erchempert ebd. Zur Geschichte der capuanischen Dynastie vgl. Nicola C i l e n t o , Le origini della signoria capuana nella Longobardia minore (Neapel 1966), sowie den Kommentar Cilentos zu der Chronik von Capua : La Cronaca dei conti e principi longobardi di Capua dei codici Cassinese 175 e Cavense 4 (815—1000). Bull. Ist. stor. ital. 69 (1957) 1—65 mit einer genealogischen Tafel. 39 ) Erchempert 254—255 cap. 47. Durchführung vgl. Corpus nummorum Italicorum 18, Italia meridionale continentale (Rom 1939) 239 n. 1. *°) Z. B. in einem undatierten Präzept Landolfs I. und Atenolfs II. für Monte Cassino. Orig. Monte Cassino. Voigt n. 35, Poupardin n. 86 und Institutions 144, n. 8. Vgl. Otto K r e s t e n , Diplomatische Auszeichnungsschriften in Spätantike und Frühmittelalter (Hausarbeit am Institut für österreichische Geschichtsforschung, 1965) 2, 279 ff. (in dem nicht in die Druckfassung der Arbeit übernommenen Exkurs über „apices"). 41 ) So schon 902 Mai: Gattola, Acc. 1, 44—45. Voigt n. 122, Poupardin n. 73 oder ausdrücklich 916 Juli 10: „praecepta antecessorum nostrorum, videlicet Karoli, Ludovici et Lotharis, ducum et principum...". Chron. Vult. 2, 37—39 n. 86. Voigt n. 126, Poupardin n. 77. «) S. 403. 43 ) In Benevent war bisher nur die Jahreszählung üblich gewesen: „Actum Beneventi . . . anno, mense . . . indictione . . . ". ") S. 418. «) S. 407 f. ") Zur Mitregentschaft s. Cilento, Cron. Cap. 27, d 1 . Vgl. ebd. 99. ") Z. B. 943 Jan. 30 in einer Urkunde Landolfs I., Atenolfs III. und Landolfs II. Orig. Monte Cassino. Gattola, Hist. 1, 52. Voigt n. 137, Poupardin n. 90.
Einleitung: Fürstenurkunde und fürstliehe „Privaturkunde"
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leien bildeten bald Eigenheiten heraus; so kam in Benevent die alte „salvatio patriae "-Formel wieder auf, während sie in Capua nie angewendet wurde 48 ). Die Intitulatio war so sehr ein formelhafter Bestand, daß man es für notwendig befand, den jeweilig tatsächlichen Aussteller noch einmal zu nennen 49 ). J e nachdem erfolgt auch die Signierung mit dem Monogramm ; bei Anwesenheit beider Fürsten — oder vielleicht auch stellvertretend — finden sich die Monogramme beider Herrscher im Eschatokoll 50 ). Neben den Präzepten, die mit den Merkmalen der Kaiserurkunde ausgestattet sind, stehen die „einfachen", die sich durch schlichte äußere Ausstattung, durch das Fehlen einer Arenga, der Signumzeile und durch eine einfache Datierung von den feierlichen Urkunden abheben 51 ). In der Intitulatio unterscheiden sie sich aber nicht von diesen, da sie ja — im Gegensatz zu den fürstlichen chartulae — kanzleigemäße Herrscherurkunden sind. Seit dem 9. Jahrhundert sind Beispiele nachweisbar, daß Fürsten vor einem Notar, der nicht der Kanzlei angehören mußte, eine Schenkung, einen Kauf oder eine Familienabmachung beurkunden ließen. Diese Stücke haben eine Anfangsdatierung wie alle anderen vor öffentlichen Notaren ausgestellten Privaturkunden; es folgt die Nennung des Ausstellers als „princeps" in der ersten Person, und zwar in der typisch süditalienischen Formel „Memoratorium factum a me . . ." oder ähnlich 52 ). Das Eschatokoll enthält dann die subjektiv formulierte Bitte des Ausstellers an den Notar um Ausfertigung der Urkunde. Einer Reihe von Belegen können wir entnehmen, daß in der von uns behandelten Zeit zwischen dem „praeceptum" und der „chartula" des Fürsten unterschieden wird53). Wir stehen daher mit unserer Terminologie „Fürstenurkunde" und „fürstliche Privaturkunde" durchaus in Einklang mit dem Verständnis der Zeit, ja wir müssen festhalten, daß die Existenz einer „fürstlichen Privaturkunde" die Heraushebung der Fürstenurkunde aus der Masse der Privaturkunden geradezu erfordert. ") Zur kanzleigemäßen Verwendung der Formel „pro salvatione gentis et patriae" s. 438 und Deeters, Salvatio gentis 393. ") S. 417. 60 ) Vgl. dazu Voigt, Beiträge 19—22. ") Ebd. 18—19; Poupardin, Etüde 141—142. 62 ) Zum Memoratorium s. Oswald R e d l i c h , Die Privaturkunden des Mittelalters (Neudruck 1967) 27. ") In einer Reihe von Präzepten Arichis' II. für S. Sophia von 774 wird erwähnt, daß das geschenkte Stück Land vorher durch Kauf vom Fürsten erworben wurde „secundum testum cartulae" (z. B. Ughelli X 2 , 431) — ein allerdings nicht völlig eindeutiges Zeugnis, da der Fürst als Käufer sowohl als Aussteller wie als Empfänger einer Kaufurkunde in Frage kommt, eher aber letzteres der Fall ist. S. auch das Judikat von 966, in dem solche Kaufurkunden Arichis' vorgewiesen werden bei Galasso, Caratteri 312 bis 313 n. 5. Siconolf bezeichnet eine von ihm rogierte „Privaturkunde" als „chartula" (Chron. Vult. 1, 316 n. 66), Ademar als „scriptum" (ebd. 321 n. 68), ebenso Waimar II. (Cod. Cav. 1, 148 n. 117). Für die spätere Zeit ließen sich zahlreiche Belege bringen: erwähnt sei ein Judikat von 984, in dem eine „cartula" Gisolfs I. vorgewiesen wird (Cod. Cav. 2, 212 n. 368). Abschließend sei ein Notariatsinstrument des 12. Jahrhunderts genannt, das genau zwischen den beiden Urkundenarten unterscheidet. Zitiert bei Poupardin, Etüde 167, Anm. 1.
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Dabei muß davor gewarnt werden, in Hinblick auf die Ausstellung einer solchen „chartula" den Unterschied zwischen Kanzleischreiber und öffentlichem Notar zu stark herauszustellen. Bis weit ins 11. Jahrhundert sind diese nicht voneinander trennbar54). Zunächst wäre wohl vom Inhalt her zu scheiden, welche Rechtsgeschäfte des Fürsten „privat" waren, welche aber einer herrscherlichen Beurkundung bedurften. Bereits genannt wurden Kauf, Teilung von fürstlichen „Privat"-, nicht „Staats"-Domänen, Familienabmachungen. Uns können hier nur die formalen Gesichtspunkte interessieren: das Fehlen eines Beurkundungsbefehls in der Form, wie sie das Präzept kennt55). Es fehlt die Invokation, die die fürstliche Urkunde feierlich einleitet; die Intitulatio ist auf das Wesentliche der fürstlichen Selbstaussage beschränkt: Prinzipat und in den meisten Fällen eine vereinfachte Legitimitätsformel, letztere überwiegend, wenn auch nicht obligat56). Sie wird um den Herkunftstitel vermehrt, ein Element, das das Präzept nur in Ausnahmefällen kennt57). Die Formel ist daher hier als grundsätzlich „privat" zu verstehen, weist sich doch jedermann vor dem Notar als Sohn des X aus. Das Fehlen der ethnischen Bereichsbezeichnung bedeutet keine Einschränkung des Prinzipats. Der „princeps gentis", Nachfolger des „rex gentis", ist im Verband seiner „gens" der Erste vor dem Notar. Zu scharf dürfen die Grenzen zwischen den einzelnen Urkundengruppen " ) Pratesi, Diplomatica 45—48. Schon früher Carlo Antonio G a r u f i , Sullo strumento notarile nel Salernitano nello scorcio del secolo X I . Studi storico-diplomatici (Florenz 1910) passim. 5t ) Einschränkend muß gesagt werden, daß die „rogatio" an den Notar oft von einer „iussio" („praecepimus") verdrängt wird, die aber in Hinsicht auf die Stellung im Formular nicht mit dem Beurkundungsbefehl gleichgesetzt werden kann. 56 ) Keine Legitimationsformel h a t die erste unverdächtig überlieferte fürstliche „Privaturkunde" (Ademar von Salerno, 858 Mai, s. 415) sowie der Eid, den Laidolf von Capua an den Abt von Monte Cassino leistet (s. 416 Anm. 94). " ) S. 404. Häufig treten Verwandtschaftstitel bei gleichem Namen auf. So die beiden Vettern („fratres") Paldolf I I . und Paldolf IV. in vier Urkunden von 1017: 1017 März (Orig. Monte Cassino. Voigt n. 213, Poupardin n. 172 und Institutions 164—165 n. 20), 1017 Mai 5 (Orig. Monte Cassino. Gattola, Acc. 1, 107—108. Voigt n. 214, Poupardin n. 173), 1017 Mai 9 (Orig. Monte Cassino. Gattola, Acc. 1, 106—107. Voigt n. 215, Poupardin n. 174) und 1017 Mai 10 (Orig. Monte Cassino. Gattola, Hist. 1, 125. Voigt n. 216, Poupardin n. 175). Diese vier Urkunden haben auch die sonst ungewöhnliche trinitarische Invokation gemeinsam, die aber keine Eigenart des Schreibers Adeodatus sein kann, da dieser auch die „salvator"-Invokation schreibt. — Vater und Sohn nennen sich mit Verwandtschaftstitel Paldolf („VI", vgl. Cilento, Cron. Cap., Stammtafel) und Johannes: 1022 Sept. 2 (Bartolomeo C a p a s s o , Monumenta ad Neapolitani ducatus historiam pertinentia, Neapel 1881 — 1892, 2, 1, 9—11), 1023 J u n i 2 (Orig. Monte Cassino. Gattola, Acc. 1, 129—130. Voigt n. 218, Poupardin n. 177), 1024 Juli 13 (Orig. Monte Cassino. Gattola, Hist. 1, 38—39. Voigt n. 219, Poupardin n. 178), 1032 April 12 (Gattola, Hist. 1, 205. Voigt n. 221, Poupardin n. 179). Beim zweiten und dritten genannten Stück heißt es zusätzlich „filius eiusdem gloriosi (gloriosissimi) principis" in Anlehnung an die in der Signum- und Datumzeile gebräuchliche Titulatur. Paldolf IV. und Paldolf V. bezeichnen sich auch als „pater et filius" : 1032 April 12 (Orig. Monte Cassino. Gattola, Acc. 1, 131. Voigt n. 220, Poupardin n. 180), 1034 März 12 (Camillo P e l l e g r i n i , Historia principum Langobardorum, Neapel 1744—1754, 3, 238. Voigt n. 222, Poupardin n. 181.
Einleitung: Fürstenurkunde und fürstliche „Privaturkunde"
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nicht gezogen werden, will man nicht der Gefahr einer Schematisierung erliegen. Für unsere Fragestellung nach der Intitulatio müssen wir aber Präzept einerseits, fürstliche „chartula" andrerseits trennen. Wir werden sehen, daß in der vom „princeps gentis Langobardorum" rogierten Privaturkunde territoriale Bereichsbezeichnungen auftreten können 58 ). So verdient diese Privaturkunde unsere besondere Aufmerksamkeit, weil sie — mehr als das traditionsgebundene Präzept — das neue Denken in territorialen Begriffen und dessen sprachlichen Niederschlag widerspiegelt. ») S. 416.
I. VOM D U X ZUM P R I N C E P S — A R I C H I S I I . Daß die Intitulatio eines Herrschers von der „konkreten historischen Aktualität" 1 ) nicht gelöst werden kann, ist selbstverständlich. Der Titel des „princeps gentis Langobardorum" tritt in einer Zeit zum ersten Mal auf, deren Ereignisse im Zusammenhang mit der Eroberung des Langobardenreiches durch Karl den Großen von Peter Classen und Ottorino Bertolini2) zusammenfassend dargestellt worden sind. Vor dem Hintergrund einer nicht ganz klaren politischen Situation vollzog sich die Entwicklung des langobardischen Dukats von Benevent zum Prinzipat 3 ). Das Bemerkenswerte daran ist die Tatsache, daß es sich um eine schon seit den sechziger Jahren des 8. Jahrhunderts andauernde kontinuierliche Entwicklung handelt und nicht um eine Wende, die sich schlagartig aus dem Fall von Pavia ergeben hätte. Darauf hat schon Belting in seiner Arbeit über den beneventanischen Fürstenhof mit Recht hingewiesen4). So geht die Gründung von Santa Sofia in Benevent, die uns so überaus charakteristisch erscheint, auf die sechziger Jahre zurück5). Sollte doch diese Pfalzkapelle durch
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Herwig W o l f r a m , Intitulatio I. Lateinische Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrhunderts (MIÖG Erg.-Bd. 21, 1967) 14. Peter C l a s s e n , Karl der Große, das P a p s t t u m und Byzanz. Karl der Große 1 (1965) 537—608; Ottorino B e r t o l i n i , Carlomagno e Benevento. Karl der Große 1 (1965) 609—671 und zuletzt d e r s . , Roma e i Langobardi. R o m 1972. Noch immer offen ist z. B. die Frage, was man sich unter der „fides" vorzustellen hat, die Arichis und „die Beneventaner" Karl dem Großen in den Jahren zwischen 774 und 787 schuldig gewesen sein sollen. Ihren Mangel beklagt Papst Hadrian in Codex Carolinus (ed. Wilhelm Gundlach, MGH Epist. 3, 1892) 591—592 n. 64. Vgl. Bertolini, Carlomagno e Benevento 622—623. Die profränkische Partei unter den Mönchen von S. Vincenzo al Volturno kann einen Prozeß gegen ihren Abt Poto erwirken, der es an der nötigen „fides" gegen Karl habe fehlen lassen: er sei dem liturgischen Gebet für den König ferngeblieben und habe wenig freundliche Bemerkungen über diesen gemacht (Cod. Carolinus 595 n. 67). I n dem Prozeß, der mit einem Reinigungseid des Angeklagten endet, f ü h r t als königlicher Missus Bischof Possessor den Vorsitz. E r h a t schon 775 mit Arichis verhandelt und seine Wiederverwendung im Poto-Prozeß erscheint daher im Zusammenhang mit der Frage nach Bestehen einer „fidelitas" sehr bemerkenswert. Zum Prozeß vgl. auch Mario d e l T r e p p o , Longobardi, Franchi e P a p a t o in due secoli di storia vulturnese. Archivio storico per le provincie napoletane n. s. 34 (1955) 50. Hans B e l t i n g , Studien zum beneventanischen Hof im 8. Jahrhundert. Dumbarton Oaks Papers 16 (1962) 141—193. Belting, Benev. Hof 160—164. Die Präzepte Herzog Gisolfs I I . f ü r „S. Sophia in Benevent" (Chroust n. 21, 22, 23) sind f ü r das Kloster S. Sofia in Ponticello bei Benevent bestimmt. Vgl. Smidt, Chron. S. Sophiae 9, Anm. 1. Eine Parallele stellt auch der Bau des Salzburger Doms als „Krönungskirche" unter Tassilo I I I . dar: Herwig W o l f -
Fürstliche Manifestation Herzogs Arichis I I .
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Namen und Architektur mit der justinianischen Hagia Sophia wetteifern6) und sie war als kirchlicher Mittelpunkt des Herzogtums geplant. Tatsächlich begann das Bistum Benevent erst im 9. Jahrhundert wieder eine Rolle zu spielen7). So wird man in der von Arichis II. vollzogenen Entwicklung „vom Dukat zum Prinzipat" mit Belting zwei Phasen unterscheiden: zunächst von 759 (seiner Einsetzung) bis 774 die „konstituierende Frühzeit"8). Vom Vorbild des Hofes zu Pavia bestimmt, von seiner Gemahlin Adelperga, einer Tochter des Desiderius, sicherlich unterstützt, baut Arichis einen „fürstlichen" Hof auf, den Paulus Diaconus dichterisch verherrlicht9). In den gleichen Jahren, in denen die „Historia Romanorum" entsteht, die Paulus der Herzogin Adelperga widmete, wird die Sophienkirche von Arichis zu einem geistig-religiösen Zentrum ausgebaut. Hierher werden 760 die Reliquien der zwölf heiligen Märtyrer10), 763 die des heiligen Helian11), 768 die des heiligen Merkurios übertragen12). Dabei ist nicht zu übersehen, daß diese unteritalienischen bzw. sogar byzantinischen Heiligen — wie Merkurios, der ein byzantinischer Militärheiliger war, oder Helian — nun mit der ,,national"-langobardischen Vergangenheit in Zusammenhang gebracht und zu „patriae patroni"13) erhoben werden. Bandmann spricht in diesem Zusammenhang von der „mater gentis et patriae", zu der Arichis die Sophienkirche nach dem Vorbild der Hagia Sophia, der „mater Urbis", machen wollte14). In dieser „Langobardisierung" der Heiligen
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r a m , Das Fürstentum Tassilos III., Herzogs der Bayern. Mitt. der Salzburger Gesellschaft f ü r Landeskunde 108 (1968) 166. Das wurde wohl offen verkündet und propagiert. Vgl. Translatio duodecim m a r t y r u m (ed. Ludwig Bethmann — Georg Waitz, MGH Script, rer. Langob., 1878) 575. Belting, Benev. Hof 160. Auch die Stellung der Geistlichen in dieser Hofkapelle folgt byzantinischem Vorbild. Vgl. Günther B a n d m a n n , Die Vorbilder der Aachener Pfalzkapelle. Karl der Große 3 (1965) 436. Belting, Benev. Hof 144. Man vergleiche dazu vor allem die Gedichte, die Paulus Diaconus während seines Aufenthalts in Benevent in den sechziger Jahren verfaßte: in einem 763 datierten Gedicht an Adelperga wird Arichis als „ductor principatum (sie) Beneventi" bezeichnet. Gedichte des Paulus Diaconus (ed. Karl Neff, Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters 3/4,1908) 10 n. 2. I n einem Brief an Adelperga bezeichnet Paulus die Tochter des Desiderius als „domna A. eximia summaque duetrix" und tituliert Arichis als „excellentissimus", „ . . . qui nostra aetate solus paene prineipum palmam tenet" und spricht Adelperga als „excellentia t u a " an. Neff, Gedichte 12—14 n. 3. Dieser Brief stammt aus der Zeit zwischen 766 und 769. Translatio duodecim mart. 574—576. Die Translatio ist wohl zur Zeit des Arichis oder Grimoalds I I I . geschrieben (vgl. ebd. 573). Arichis wird als „dux et prineeps", einmal als „ d u x " , meist aber als „prineeps" bezeichnet. Translatio S. Heliani. MGH SS rer. Langob. 581—582. Translatio S. Mercurii. MGH SS rer. Langob. 576—581. So die Translatio duodecim mart. 575, v. 52. Leo von Ostia schreibt, die Reliquien seien „ad tutelam et honorem patriae" herbeigeholt worden. Leo Ostiensis (Marsicanus), Chronica Cassinensis monasterii (ed. Wilhelm Wattenbach, MGH SS 7, 1846) 586. Bandmann, Vorbilder 438. S. auch: Corpus della scultura altomedioevale 5. La diocesi di Benevento (a cura di Mario Rotiii, Spoleto 1966) 29—31. Ebd. 56 spricht Rotiii von einer „riviviscenza di cultura bizantineggiante" unter Arichis, die teils durch Vermitt-
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Garms-Cornides, Langobardische Pürstentitel I
können wir eine Vorstufe derjenigen Haltung sehen, die Bertolini für die Zeit nach 774 als „longobardesimo nostalgico" bezeichnet hat15). Die von Arichis durch eigene Heilige ausgezeichnete „patria" war nicht nur ein rhetorisches Element, womit der Verfasser die Translatio ausschmückte. Die Vorstellung muß vielmehr im Denken des Herzogs und späteren Fürsten von Benevent einen besonderen Platz besessen haben, wie eine Beobachtung am fürstlichen Präzept zeigt. An die Stelle der einfachen „Lohnarengen"16) der königlichen und beneventanisch-herzoglichen Präzepte „pro animae remedio" — zu der in der Königsurkunde noch „et pro gentis stabilitatem" kommen konnte17) — tritt seit 774 im Formular des Schreibers Lopoald die charakteristische Arenga: „Divino praemonitus nutu . . . offero . . . pro redemptione animae nostrae et pro salvatione gentis nostrae et patriae . . ,"18). Dafür gab es allerdings schon in den Gesetzesprologen Liutprands ein Vorbild — wenn es im 16. Jahr heißt: „Ea adiungere curavimus, quae pro salute animae et gentis nostrae salvatione esse prospeximus."19) Der Begriff „patria" fehlte aber damals noch. Wir werden seine Geschichte noch genauer zu untersuchen haben. Hier muß die Bedeutung dieser Klimax in der Arenga festgehalten werden: von der Erlösung der eigenen Seele des „princeps" zum Heil — im Sinne der Heilung — der „gens" und des Landes. Das gilt als Beweggrund des Handelns des „princeps gentis", der zugleich „princeps patriae", ja „pater patriae" ist20). Und wieder muß der Verdacht rein rhetorischer Formeln zurücktreten,
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lung römischer Steinmetzen, teils durch direkte Kontakte Arichis' mit Byzanz zustandegekommen sei. Ottorino B e r t o l i n i , Longobardi e Bizantini nell'Italia meridionale. La politica dei principi longobardi fra occidente e oriente dai prodromi della „Renovatio" dell'Impero in occidente con Carlomagno alla sua crisi con Carlo I I I il Grasso (774—888). Scritti scelti di storia medievale (a cura di Ottavio Banti. Pubblicazioni dell'Istituto di Storia della Facoltà di lettere dell'Università di Pisa, Livorno 1968) 1, 173—194. Heinrich F i c h t e n a u , Arenga. Spätantike und Mittelalter im Spiegel von Urkundenformeln (MIÖG Erg.-Bd. 18, 1957) 143—144. Chroust, Untersuchungen 65—66, 114. Vgl. zum sogen. „Exorare-Passus" der langobardischen Königsurkunde Brühl, Studien 74—75. Ughelli X 2 , 429—432. Gattola, Acc. 1, 19. Franz B e y e r l e , Die Gesetze der Langobarden (1947) 260. Vgl. auch ebd. 216 (12. Jahr) : „Ergo si pro gentis nostrae salvatione et pauperum fatigatione aliquid possumus edicere . . . ". „Princeps patriae" in den „Kapitularien" des Arichis: Leges Langobardorum (ed. Friedrich Bluhme, MGH L L 4,1868) 208. Hier ist der Anklang an den „princeps terrae" bei Liutprand (Beyerle, Gesetze 190) unüberhörbar. „ P a t e r patriae" kommt in den erhaltenen salernitanischen „tituli" des Paulus Diaconus vor. Neff, Gedichte 16 n. 4. Vgl. Nicola A c o c e l l a , Le origini della Salerno medievale negli scritti di Paolo Diacono. Rivista di studi salernitani 1 (1968) 43 ff. Zur Interpretation der „salvatio gentis et patriae" kann auch die Liste der Aufgaben eines Königs herangezogen werden, die aus Pseudocyprian, De duodecim abusivis saeculi cap. 8—9 stammend, weitere Verbreitung finden sollte: wenn der König ein guter König ist, so findet man in der Welt „ p a x populorum . . . t u t a m e n t u m patriae, immunitas plebis, munimentum gentis . . . " (ed. Wilhelm Härtel, CSEL I I I , 3, 1871, 166—167). Das Land ist es, dem der König Heil oder Unheil bringt; in diesem Sinn wird im gleichen Passus Eccles. 10, 16 zitiert: „Vae enimterrae, cuius rex est puer et cuius principes mane comedunt. " Vgl. Walter U11 m a n n , The Carolingian Renaissance and the Idea of Kingship (London 1969) 51.
Selbstdarstellung des Fürsten Arichis
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denn wir werden noch sehen, daß nach einem alten Zeugnis Arichis selbst auf das Urkundenwesen einen bestimmenden Einfluß genommen hat. Wie bereits erwähnt wurde, hat vor kurzem W. Deeters sich mit der Formel „pro salvatione gentis et patriae" befaßt. Seine Ergebnisse decken sich weitgehend mit den unseren. Auch er stellt das Aufkommen dieser Formel in den Gesamtzusammenhang der fürstlichen, königsgleichen Manifestation des Arichis 20a ). Zur Erhöhung des beneventanischen Hofes, wie sie die Errichtung einer Pfalzkapelle und deren Ausstattung mit Reliquien bedeutet, kommt nach 774, in der „Blütezeit" 21 ), die Vermehrung des Splendor durch Krone, Ornat, Zeremoniell, bildliche Darstellung in Kirchen, wenn wir von Titel und Münzprägung zunächst absehen wollen. Alle fürstlichen Manifestationen des Arichis sind in ihrer Art erstmalig, aber nicht einmalig, was ihre Aussagekraft aber in keiner Weise schmälert. Ganz im Gegenteil. Der Vergleich mit den „Selbstaufwertungen" anderer „principes" zeigt, daß an zwei voneinander weit entfernten Orten offensichtlich bis ins kleinste Detail die gleichen Vorstellungen darüber bestanden, wie man den neugewonnenen Prinzipat nach außen hin zu zeigen habe. Dem Arichis folgte als zeitlich nächster der „princeps Brittanniae Nominoe" nach dem Tod Ludwigs des Frommen 22 ). Von einem Markgrafen der Gothia wird es im 9. Jahrhundert heißen, „ut rex ibat" 23 ). In beiden Fällen kann man eine Abhängigkeit von den beneventanischen Ereignissen wohl kaum annehmen. Ein Fürst übernahm also königliche Rechte, die er als nichtköniglicher Herr über Land und Leute 24 ) innerhalb seiner „patria", seiner „provincia", ja, wie man bald sagen wird, seiner „terra" 25 ) anstelle eines „rex gentis" ausübt. Ein solcher Fürst herrscht nicht mehr „ex iussione" des Kaisers oder Königs, sondern „suo arbitrio" 26 ). Wenn wir die Schilderung der Art, wie Arichis sein politisches Programm nach außen hin sichtbar machte, an die Spitze unserer Untersuchung stellen, so geschieht dies deshalb, weil der Titel zwar innerhalb der umfassenden Selbstaussage eine wesentliche Stelle einnimmt, aber doch im Rahmen des Ganzen gesehen werden muß. Wir stehen hier wohl vor der frühesten und einheitlichsten Manifestation einer „Staatsidee", früher noch als die „Aachener Kaiseridee", wobei noch zu untersuchen wäre, inwieweit Karl der Große Anregungen aus Benevent empfing 27 ). Titel, Ornat, Krone, Änderung des Kanzleibrauchs, höfisches Zere20
*) Deeters, Salvatio gentis 388—392. ) Belting, Benev. Hof 144. 22 23 ) S. o. Brunner 264 ff. ) S. o. Brunner 227. 24 ) Intitulatio I, 136. 26 ) Zu „patria" s. o. Anm. 20. „Provincia" unter Arichis s. 431. „Provincia" in der Bretagne Brunner 264 ff. „Terra" erstmalig in Benevent schon unter Gisolf II., 747 Mai: „in terra nostra Beneventana". Carlo Troya, Codice diplomatico longobardo (Neapel 1852—1855) 4, 250 n. 604. 26 ) Gesta Conwoionis lib 1, cap. 2 (ed. L. von Heinemann, MGH SS 15, 1, 1887, 455). ") Vgl. Belting, Benev. Hof 151, Anm. 56. Die Frage wird auch von Classen, Karl d. Gr., Papsttum und Byzanz 554, Anm. 63 berührt. Zu den architektonischen Vorbildern für die Aachener Pfalzkapelle, die Karl im langobardischen Italien, darunter auch in Benevent, vorfand, s. Bandmann, Vorbilder 435—439. 21
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Garms-Cornides, Langobardische Fürstentitel I
monieil, die Gründung einer Pfalzkapelle, all das sind Wandlungen, die schon im Mittelalter Beachtung fanden. Deutlich hat sich nicht nur späteren Betrachtern, wie Leo von Ostia oder dem Verfasser der Marginalie zu Erchempert 28 ), sondern auch den Zeitgenossen die Veränderung eingeprägt: „Domnus Arichis dux et primus princeps constituitur in Beneventum" berichten die Annales Beneventani zum Jahr 75829), und der Catalogus Beneventanus vermerkt „Arichis dux et primus princeps sedit an. XXX" 3 0 ). Wenn zwei Jahrhunderte später beim Anonymus von Salerno eine Legende auftaucht, die diesen Wandel „ad oculos" demonstrieren soll, so sehen wir, daß auch der volkstümliche Bereich die Tragweite dessen abschätzte, was geschehen war. Als der junge Arichis einmal in der Kirche weilte, so berichtet die Chronik, da schlug beim Erklingen des Psalms „spiritu principali confirma me" (Ps. 50, 14) das Schwert des Arichis kräftig an die Scheide. Ein Anwesender erklärt das Vorzeichen: Arichis werde zur „principalis dignitas" emporsteigen 31 ). Diese „principalis dignitas" wird am deutlichsten durch die Krone manifestiert. An der Existenz einer Arichis-Krone können wir nicht zweifeln32). Sie war der sichtbare Ausdruck für die Unabhängigkeit vom fränkischen „regnum Langobardorum", die er in seinem Dukat-Prinzipat zu erhalten gedachte: „solus dux Arichis Beneventi iussa eius (sc. Karoli) contempnens, pro eo quod in capite suo preciosam deportaret coronam", formuliert das Chronicon Salernitanum in holprigem Latein 33 ). Dies wird ergänzt durch die Nachricht, Karl der Große habe von Arichis die Herausgabe der Krone gefordert 34 ). Unsere Zeugnisse erweisen auch, daß dieses Insigne nichts mit dem Plan einer Erhebung Arichis' zum Patricius zu tun hat, somit kein patrizischer Kronreif war 35 ). 28
) Leo von Ostia 586: „Hio Arichis primus Beneventi principem se appellari iussit; cum usque ad istum, qui Benevento praefuerant, duces appellerentur. Nam et ab episcopis ungi se fecit, et coronam sibi imposuit, atque in suis cartis scriptum in sacratissimo palatio in finem scribi iussit." Diesen Absatz will Leo aus Erchempert übernommen haben, wo er sich aber nicht findet. Aus eigenem fügt Leo Marsicanus noch hinzu: „Hic intra moenia Beneventi templum Domini opulentissimum atque deoentissimum condidit, quod Graeco vocabulo ATO AN Cil®H AN, id est Sanctam Sophiamnominavit." Der Bericht von der Änderung des Titels gehört zu jenen höchst seltenen Fällen, in denen im früheren Mittelalter von der Annahme einer Intitulatio berichtet wird. Vgl. Intitulatio I, 19. Hartmut H o f f m a n n , Französische Fürstenweihen des Hochmittelalters. DA 18 (1962) 94 zieht die Möglichkeit in Betracht, daß die ganze Stelle bei Leo von Ostia erst nachträglich von Petrus Diaconus in die Chronik eingefügt worden sein könnte. 28 ) Ottorino B e r t o l i n i , Gli Annales Beneventani. Bullettino dell'Istituto storico Italiano 42 (1923) 111 (Fassung „A s "). 30 ) Catalogus Beneventanus, Annal. Benev. 160. 31 ) Chronicon Salernitanum (ed. Ulla Westerbergh, Studia Latina Stockholmensia 3, Lund 1956) 23, cap. 19. 32 ) Vgl. Belting, Benev. Hof 155. Wieder hören wir von einer Krone unter dem dritten Nachfolger des Arichis, Sico, dessen Sohn Siconolf den Schatz des Klosters Monte Cassino plünderte und dabei die von seinem Vater offensichtlich gestiftete Krone mitgehen ließ. Leo von Ostia 599. 33 31 ) Chron. Salern. 11, cap. 9. ) Leo von Ostia 589. 35 ) Percy Ernst S c h r a m m , Kaiser, Rom und Renovatio (21957) 2, 103. Auch 1, 59—60.
Krone und Selbstkrönung
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Wie im übrigen die Krone des Arichis ausgesehen haben mag, entzieht sich unserer Kenntnis. Die Vermutung liegt nahe, daß der „princeps gentis Langobardorum" eine Krone trug, die der des „rex gentis Langobardorum" nachgebildet war, also einen Kronreif. Wir werden noch hören, daß unter Arichis ein wichtiger Wandel in der Münzprägung eintrat. Das Münzbild, das bisher den byzantinischen Kaiser darstellen sollte, wurde nun durch die Änderung der Umschrift als das des Fürsten ausgegeben. Der Typus — und damit auch die Krone, eine Bügelkrone mit Pendilien — bleibt dabei gleich36), doch wird man daraus keinen sicheren Rückschluß auf das Aussehen der Arichis-Krone ziehen dürfen. Ebensowenig wird man der Darstellung im Codex Cavensis des Edictus Langobardorum 37 ), die dem frühen 11. Jahrhundert entstammt, mehr entnehmen können, als daß vielleicht zu dieser Zeit die Kronen der Capuaner, Beneventaner und Salernitaner Fürsten so oder ähnlich aussahen — bedeutsam genug, denn es handelt sich auch hier um einen kaiserlichen Kronentypus. Nun hat Belting vermutet, daß Arichis schon zur Zeit der Regierung des Desiderius eine Krone getragen habe 38 ). Er stützt sich dabei auf den Bericht der Translatio Mercurii, Arichis habe anläßlich der Übertragung der Reliquien (768) „principali ornatu deposito" das Grab des Heiligen verehrt 39 ). Zwar kann der Sprachgebrauch „ornatus" für den Gesamtornat, also inklusive Krone, nachgewiesen werden, doch meist in der Verbindung „ornatus regius" 40 ). Das Adjektiv „regius" impliziert nun selbstverständlich die Krone, was für „principalis" frühestens ab 774 zutreffen kann. Eine „Corona ducalis" ist überhaupt erst ab 876 belegt, als Boso von Karl dem Kahlen zum „dux" von Italien gekrönt wird 41 ). Man wird doch eher annehmen, der Verfasser der Translatio habe spätere Verhältnisse auf die Feiern von 768 zurückprojiziert. Dafür spricht nicht nur der oben angeführte Antagonismus Karl - Arichis hinsichtlich der Krone, nicht nur die Parallele zu dem schon früher genannten Nominoe und zu seinen Nachfolgern Erispoe und Salomon 42 ), sondern auch das Zeugnis Leos von Ostia. In seiner Fassung der schon erwähnten „Marginalie zu Erchempert" setzt er drei, ja vier Ereignisse als zusammengehörig an: Die erstmalige Selbstaussage „princeps" (Hic Arechis primus Beneventi principem se appellari iussit); als Voraussetzung dazu (nam et!) die Salbung durch die Bischöfe und die Selbstkrönung (nam et ab episcopis ungi se fecit et coronam sibi imposuit); als Konsequenz eine Änderung des bisher bestehenden Kanzleibrauches (atque in his cartis scriptum in sacratissimo palatio in finem scribi iussit)43). 36
) ) ) 39 ) ) MGH Epistolae 3, 476; Capitularía 1, 53 Nr. 22. Deér a. a. 0 . 80 f. M ) Stephani B a l u z i i Miscellanea ed. Johannes Dominicus M a n s i 3 (Lucca 1762) 3. Deér, Vorrechte (oben Anm. 86) 9. 8ä ) Italia pontificia ed. Paul K e h r 5 (1911) 103 Nr. 5. Johannes Benedictus M i t a r e l l i , Anseimus C o s t a d o n i , Annales Camaldulenses 1 (Venedig 1755) Anh. 12 Nr. 3. " ) So Kehr a. a. O. ; scriniarii (Druck), vgl. Bresslau UL l 2 209 Anm. 2.
Papsttum (781—798)
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Der Abschreiber des Privilegs für St. Denis verlas wohl „sede" in „sub die", wie er wohl schon das Wort „infinita" zu „immortalia" hatte werden lassen. Da später die subjektive Form der Datierung nie mehr begegnet, ist wahrscheinlich vor „nostri" das Wort „domini" ausgefallen. So kann man vermuten, daß auch der Name des Datars einst vorhanden war — das Privileg würde damit dem „Formular" voll entsprechen, das auch nach Hadrian beibehalten wurde, und der Anschein der Unfertigkeit dieses „Formulars" wäre damit nicht mehr gegeben. Es bleibt also wohl dabei, daß sich irgendwann zwischen 772 und 781 der Wandel vollzogen hat, für den schon am Beginn dieses Zeitraums eine gewisse Notwendigkeit bestand. Daß er im vorliegenden Material erst 781 bzw. 787 zum Ausdruck kommt, ist kaum ein Grund dafür, ihn erst spät anzusetzen. Geht man von der politischen Geschichte aus, kann man sowohl das Jahr 77497) als auch 78198) als Zeitpunkt vermuten. Größere Klarheit könnte erst neues „privaturkundliches" Material erbringen. Aus der Zeit Leos III. sind erst ab 798 urkundliche Datierungen erhalten, und zwar als „große" ebensowohl wie als „kleine" Datierung: Palliumverleihung an Arn von Salzburg, 798 April 20, J.-E. 2 4 9 8 " ) : Scriptum per manum Eustachii notarii in mense Aprili, indictione VI. Bene vale. D a t a epistola X I I kal. Mai. per manum Pascalii primicerii sanotae sedis apostolica, regnante domino nostro Iesu Christo cum deo patre omnipotente et spiritu sancto per infinita secula, amen; deo propitio pontificatus domno nostro in apostolica sacratissima beati Petri sgde tertio atque domni Caroli excellentissimi regia Francorum et Langobardorum et patricii Romanorum, a quo coepit Italiam anno XXV, indictione VT.
9
') Deér, Vorrechte 10 und derselbe, Patricius 82 denkt an das Schenkungsversprechen Karls aus diesem J a h r e als Anlaß zur Neugestaltung der päpstlichen Datumzeile. 98 ) Classen in Karl d. Gr. 1, 559 = Sonderausg. 23 sieht in der Verlobung der Karlstochter Rotrud mit Konstantin VI. die Anerkennung der tatsächlichen Herrschaftsverhältnisse in Italien durch Byzanz; „vielleicht ist eben dies der Moment gewesen, in dem Hadrian durch Urkundendatierung und Münzprägung seine eigene Unabhängigkeit von Byzanz öffentlich proklamierte". Einen päpstlichen Kaiserplan nimmt f ü r dieses J a h r Helmut B e u m a n n an. Das Paderborner Epos und die Kaiseridee Karls des Großen. I n : Karolus Magnus et Leo papa (1966) 47 ff., bes. 51 mit Anm. 196. Wiederabdruck in: Zum Kaisertum Karls d. Gr. (Wege d. Forschung 38, 1972) 370 ff., bes. 376 mit Anm. 196. Vgl. dazu Classen, Sonderausg. 74 f. ••) Salzburger Urkundenbuch 2 ed. W. H a u t h a l e r u. F. M a r t i n (1916) 4 Nr. 2a. Das von Menzer a. a. O. 48 Anm. 32 genannte Schreiben Leos J.-E. Reg. 2495 ist nicht datiert überliefert, Salzburger UB. a. a. O. 5 Nr. 2c. I n der an Fälschungen und Verfälschungen reichen Schrift De antiquitate Glastoniensis ecclesiae des Wilhelm von Malmesbury, Migne P L 179, 1710, ist das bei J.-E. Reg. 2497 nicht angezweifelte Privileg Leos für einen König Kinelm überliefert, angeblich eine Rückübersetzung Wilhelms aus dem Angelsächsischen, sicherlich die freie Bearbeitung einer echten Privilegiendatierung: „ D a t a per manus Eustachii primicerii notariorum mense Martio, indictione I I I , octava die Martii. Confirmata per manus Paschalis senioris et consiliarii apostolice sedis, regnante domino nostro Iesu Christo cum deo patre per infinita saecula, tertio anno per misericordiam dei papatus domini nostri Leonis in sancta et apostolica sede sancti Petri, et etiam per licentiam domini Caroli Francorum regis et Langobardorum et patricii Romanorum, anno regni eius X X V . " Beachtlich ist die „Erlaubnis" Karls zur Ausstellung der Urkunde.
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Fichtenau, „Politische" Datierungen I I
Mahnschreiben an den bayrischen Klerus, 800 April 11, J.-E. 2503 100 ): D a t a I I I id. April, deo propitio pontificatus dömni nostri in apostolica sede quinto atque domni Caroli excellentissimi regis Francorum et Langobardorum atque patricii Romanorum, ä quo coepit Italiam anno X X V I I , indictione V I I I .
Neuartig ist die ergänzende Zählung nach „italienischen" Jahren Karls des Großen, gemäß der langobardischen „Privaturkunde"; erst seit dem Jahre 801 findet sie ihre Parallele in Karls Diplomen, die von „anno . . . regni nostri . . . in Italia" sprechen101). Nun ist der Begriff „Italia" mehrdeutig, er umfaßt in der Vita Hadriani einen weiteren Bereich als bei den Langobarden102). Aber die Form „a quo coepit Italiam" verweist sowohl ihrer Herkunft als ihrem Sinn nach auf die Eroberung des Langobardenlandes, nicht auf den friedlichen Einzug in Rom und dem Patrimonium. Daß der Papst „in der Datierung an die erste irdische Stelle gerückt ist", während Karl an zweiter steht, ähnlich wie in einer103) inschriftlichen Datierung des Jahres 731 der Exarch-Patricius, wird man gewiß nicht übersehen dürfen104). Angesichts der staatsrechtlichen Lage im allgemeinen und der bedrängten Situation Leos III. im besonderen ist jedoch nicht daran zu denken, daß es sich hier um eine Demonstration päpstlicher Oberherrschaft gegenüber dem König-Patricius handelt. Eher sollte die Tatsache kenntlich bleiben, daß Rom und das Patrimonium auch jetzt nicht dem Langobardenreich eingegliedert waren. Wenn man in Rom die für Rom geltenden Regierungsjähre an die Spitze der Datierungen setzte, konnte es sich um die Jahre von Karls römischem Patriziat handeln — was völlig neuartig gewesen wäre —, oder um jene des 10
°) Hauthaler-Martin, SaUB 2, 10 Nr. 2d. I n dem angeblichen Privileg f ü r St. Denis J.-E. Reg. 2499 (Jean Paul M i g n e , Patrologia latina 129, col. 968 Nr. 1) folgt auf Text und „Bene valete" eine „kleine" Datierung: „ D a t a VI kal. Iunii anno in sacratissima beati Petri sede I I I , seu domno Carolo excellentissimo rege Francorum et Langobardorum atque patricio Romanorum, a quo capta fuit Italia, anno vicesimo quinto, indictione sexta." 101 ) D. Kar. 1197. Schramm, Anerkennung (oben 487 Anm. 78) 456 und auch im Wiederabdruck dieser Studie 456 schrieb: „Entsprechend ließ sich Karl ja von 774 an in seinen italienischen Urkunden seine J a h r e seit der Zerstörung des Langobardenreiches zählen: ,anno x, a quo coepit Italiam' bzw. ,a quo capta est I t a l i a ' . " Das ist ein Irrtum, es handelt sich um päpstliche Datierungen. Die Karlskanzlei verwendete — nicht nur in italienischen Urkunden — die Form „anno X et X regni nostri"; nach der Kaisererhebung traten die beiden Ländernamen hinzu. 102 ) Über die verschiedenen „Italia"-Begriffe vgl. unten 506 f. Hier wird an die bei den Langobarden übliche Gleichung „ I t a l i a = L a n g o b a r d i a " zu denken sein; anders die Vita Hadriani, Liber pontificalis ed. Leopold D u c h e s n e 1 (1886) 488: „ . . . n i t e b a t u r ipse Desiderius . . . Romanam urbem atque cuncta Italia sub sui regni Langobardorum potestate subiugare." Wenn Heldmann aus Hadrians Datierungen „Felonie am (byzantinischen) Kaisertum" herausliest, a. a. O. 86 Anm. 5, geht das natürlich zu weit. Zu den Datierungen vgl. auch Classen a. a. O. 5 6 9 = 3 3 . 103 ) Classen a. a. O. 5 5 4 = 1 8 Anm. 62, gegen Deer, Vorrechte 13. 104 ) Deer a. a. O. I n Inschriften war man überhaupt freier, man h a t z. B. im kaiserlichen Terracina „tempore Georgii consulis et ducis" (von Neapel, wohl 730—740)datiert, ohne des Kaisers zu gedenken. Gay (oben 489 Anm. 81) 489. Über ähnliche Freiheiten in gotischer Zeit siehe oben 462.
Leo III. und Karl der Große
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päpstlichen Pontifikats, gemäß der Tradition. Ohne die seit Hadrian geltende Datierungsformel auf den Kopf zu stellen, schloß man an sie die Erwähnung Karls in einer Zeit, in der man mehr als im Jahre 781 auf den Schutzherrn Roms angewiesen war. D a s geschah in einer Form, die möglichst vermied, damit Aufsehen zu erregen. Sie findet sich übrigens auch in der Privaturkunde nachgebildet : Prando (aus dem Stadtbezirk von Soana) für Kloster Montamiata, 800 April, elogiano; Brunetti, CD Toscano I I 1 (1833) 319 Nr. 50: In nomine domini nostri Iesum Christi. Anno deo propicio pontificato domni nostri Leoni summo pontifici et unibersali pape in sagratissima beati Petri sede anno quineto et regnante domino nostro Carolo excellentissim(um) regem Francorum et Langobardorum adque patricium Romanorum, cot accepit Italia anno bicesimo octabo, mense Aprilis, indictione octaba, feliciter. Normalerweise datierte man Schenkungen für das Kloster nur nach Karl und dem Unterkönig Pippin. U m so mehr muß es überraschen, daß dieses „Formular" erst in Karls Kaiserzeit — mit den durch seine neue Position bedingten Änderungen — zu blühen begann, als die Papsturkunde nur mehr nach dem Kaiser und nicht nach Pontifikatsjahren datiert wurde : Iordanis (aus dem Stadtbezirk von Soana) für Kloster Montamiata, 806 April 11, Soana, Brunetti a. a. O. 356 Nr. 69 (vgl. Nr. 64f., 71, 74 usw.): In nomine domini nostris Iesu Christi. Imperante dominus noster piissimus perpetu(o ?) augusto Carolo a deo coronatus magnus imperator, anno deo propitio imperii eius sexto, adque dominus noster Leoni summo puntifici et unibersali pape in sagratissima beati Petri principi hapostulorum sede anno undeeimo, mense Haprile per indictione quarta decima, feliciter. Gulfar für Kloster Farfa, 801 Juni, Viterbo, Giorgi-Balzani, Regesto di Farfa 2 (1879) 140 Nr. 169 (185): In nomine domini. Regnante domno nostro piissimo perpetuo et a deo coronato Karulo magno imperatore, anno imperii eius primo, seu et domno nostro Leone summo pontifice et universali papa in sacratissima beati Petri apostolorum principis sede anno VI 0 , mense Iunii, indictione V i l l i . Gualfred, Agipert und Perto verkaufen dem Donno, Propst von S. Valentin, ihren Besitz im Bezirk von Viterbo, 802 Februar, Viterbo. Reg. di Farfa a. a. O. 147 Nr. 179 (196), vgl. Nr. 170 (186), 177 (194), 178 (195) usw.: In nomine domini. Imperante domno nostro piissimo perpetuo a deo coronato Karolo magno imperatore, anno imperii eius 11°, seu domno nostro Leone summo pontifice et universali papa in sacratissima beati Petri apostolorum principis sede VII", mense Februarii, indictione X. Diese Titulatur Karls geht nicht auf seine Diplome zurück — deren erstes mit dem kaiserlichen Titel erst 801 Mai 29 ausgestellt wurde (DKarol. I 197), also bald nach der zitierten Urkunde für Montamiata —, sondern sie steht der Akklamation v o m Weihnachtstag des Jahres 800 am nächsten, so wie sie im Liber Pontificalis zitiert wurde. Ihr entspricht im wesentlichen der Gebrauch der Kanzlei Leos III. nach 800, der allerdings nur in einem einzigen Falle einigermaßen unverderbt überliefert erscheint : Leo III. für den Patriarchen Fortunatus von Grado, 803 März 21, J.-E. 2512: Scriptum per manum Benedicti notarli et scriniarii S.R.E. in mense Martio, indictione X I I I I . Bene valete. Datum XII kal. April, per manum Eustachii primicerii sanetae sedis apostolicae, imperante nostro domino Carolo piissimo augusto a deo coronato magno et pacifico imperatore anno tertio, indictione XI. Was hier fehlt, ist die Bezeichnung des Herrschers als ,,perpetuus (augustus)", die Karl in seine kaiserliche Bulle aufgenommen hat. I n früherer Zeit
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Fichtenau, „Politische" Datierungen II
hatten päpstliche Datierungen entweder das Beiwort „piissimus" oder „perpetuus" hinter den Namen des oströmischen Kaisers gesetzt und mit „augustus" verbunden; unter Stephan IV. (817 Januar 23. J.-E. 2544), Paschal I. und fernerhin schrieb man „imperante domno N. piissimo perpetuo augusto". 105 ) Da muß man doch fragen, ob die Privaturkunden der Zeit Leos vielleicht den „amtlichen" Gebrauch besser wiedergeben als die Abschrift des Privilegs für Grado. Wichtiger ist, daß kurz vor der Zeit, da die Pontifikatsjahre der Papsturkunde verschwinden, in der Privaturkunde eine neue Titulatur als „summus pontifex et universalis papa" auftaucht, zusätzlich zu dem früheren Hinweis auf den Stuhl Petri und seine Heiligkeit. Nach allem, was wir bisher gesehen haben, wird auch hier das „Formular" nicht zufällig entstanden sein, sondern es hatte im Lateran seinen Ursprung. Unser erstes urkundliches Beispiel stammt aus dem April 800, doch findet sich dieselbe Titulatur in einer späten Überlieferung der Eingangsworte römischer Synodalakten über den Adoptianismus, deren Datierung zum Oktober 798 nunmehr durch Wilhelm Heil 106 ) gesichert ist. Auch hier ist ein gewisses Gleichgewicht zwischen dem Titel Karls des Großen und den Worten gegeben, mit denen Leo III. eingeführt wird: Synodalakten von 798 nach Theodor Bischof von Feltre und Treviso, De primatu et cardinalatu (1464—1466) I c. 8, MGHConciliaII/1 (Karol. 1,1906) 202 Nr. 23: Anno deo propicio domini Karoli regis Francorum et Langobardorum atque patricü Romanorum, a quo cepit Italiam, vicesimo sexto . . . presidente ter beatissimo et coangelico Leone, summo pontifice sancte Romane ecclesie et universalis tertio papa . . . Vgl. den besser überlieferten Teil dieser Synodalakten a. a. O. 203: Leo sanctissimus ac ter beatissimus sanctae catholicae et apostolicae Romane ecclesiae et universalis papa dixit: . . .
Es handelt sich um keine Erfindung des Jahres 798, sondern um den Rückgriff auf jene Synode von 769, die als erste die Kaiserdatierung aufgab und auch aus sonstigen Gründen — Absetzung des Invasors Konstantin, Bestätigung Stephans III., Stellungnahme gegen den Kaiser in der Frage der Bilderverehrung — einer Erhöhung des päpstlichen Prestiges bedurfte. Das Wort „coangelicus" wird im Liber Pontificalis übrigens erstmalig für Stephan II. verwendet (c. 25). Nach dem Muster von 769 richtete sich, mit einigen Kürzungen, eine Urkunde des eben durch Hadrian I. bestellten Herzogs von Spoleto, von der bereits gesprochen wurde. Lateransynode Stephans III. 769, Mansi, Concilia 12 (1960) 713 f.: . . . praesidente ter beatissimo et coangelico Stephano summo pontifice huius Romanae urbis ecclesiae et universaliter tertio papa . . . Herzog Hildebrand von Spoleto für Kloster Farfa (773/775), oben 490: Temporibus ter beatisaimi et coangelici domni Adriani pontificis et universalis papae. 106
) Menzer a. a. O. 46, 51. ) Wilhelm Heil, Alkuinstudien 1 (1970) 18—20. Heil macht darauf aufmerksam, daß die Kanzlei Karls die „anni regni (in Italia)" mit der Eroberung Pavias 774 beginnen ließ, während die Papsturkunden und das Synodalprotokoll unter Leo III. eine Rechnung nach dem Frühjahr 773 erkennen lassen. Merkwürdig ist, daß gerade die päpstliche Kanzlei die militärische Eroberung (a quo cepit Italiam) betont.
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Leo III. und Karl der Große
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Zweimal, in zwei verschiedenen Generationen, hat die „Privaturkunde" Formen der Papsttitulatur aufzuweisen, die mit römischen Synodalakten übereinstimmen, nicht aber mit der Papsturkunde dieser Zeit: Die Wendung „summus pontifex et universalis papa" wird erst seit dem letzten Viertel des 9. Jahrhunderts in der Papsturkunde herrschend 107 ). Es ist sehr wahrscheinlich, daß man die Urkundenaussteller im päpstlichen Einflußbereich gerne beriet, welche Titulatur sie wählen sollten. Dasselbe wird man annehmen dürfen, als die Kaisererhebung Karls eine neue Lage schuf, die Änderungen bedingte. Was das Papsttum selbst betraf, so hatte es großes Interesse, gewissenhaft alle Gebräuche zu befolgen, die die Legitimität des neuen Kaisertums unterstreichen konnten. Das galt auch für das alte kaiserliche Datierungsrecht : Es wurde jetzt notwendig, nach den Kaiser- und nicht mehr nach Pontifikatsjähren zu rechnen; notwendig für die Papsturkunde selbst, nicht aber für die „Privaturkunde" im päpstlichen Einflußbereich. Hier hätte im Gegenteil derartiges als Verzicht auf bisher mühsam Erreichtes aufgefaßt werden können, als direkte Unterstellung jener Gebiete unter Karl den Großen. Die einzige Lösung des Problems lag darin, zuerst die Kaiserjahre als Symbol der Oberherrschaft, dann die Pontifikatsjähre als Zeichen der Herrschaft anzuführen. Wir haben schon Beispiele dafür zitiert, daß dies tatsächlich der Brauch wurde. So scheint die Tatsache ausreichend erklärt, daß in Karls Kaiserzeit jene Form der Datierung von „Privaturkunden" weiterlebte, die keine Stütze an der Papsturkunde hatte. Wenn man auf päpstlicher Seite bestrebt war, alle Formalien zu erfüllen, die dazugehörten, Karls Kaisertum der „Weltöffentlichkeit" legitim erscheinen zu lassen, dann fragt es sich, ob man darauf aus war, das kaiserliche Datierungsvorrecht nur seinem Inhalt oder auch dem Wortlaut nach zu wahren. Zu diesem gehörte jedenfalls die Zählung nach Jahren des Postkonsulats; diese ist jedoch nicht schon für Leo III., sondern erst für die päpstliche Kanzlei unter Stephan IV. (816/817) in einwandfreier Form bezeugt. Der Postkonsulat fiel bei Alleinregierung eines byzantinischen Herrschers mit seinen Kaiserjahren zusammen; es handelte sich um eine Formel ohne staatsrechtliche Bedeutung, die nur deshalb mitgeschleppt wurde, um der Vorschrift Justinians zu genügen 108 ). In der oben angeführten Datierung Leos III. aus dem Jahre 803 findet sich nichts Derartiges; für den Pontifikat Leos seit 800 gibt es ein einziges 107
) Menzer a. a. O. 71. In einer Urkunde des Bisohofs von Tivoli für das Kloster S. Erasmo am Monte Celio, erhalten als Bruchstück im Register von Subiaco (11. Jahrhundert), wird nach den Kaisern (Romanorum gubernatores) und dem Papst Paul (I.) datiert, „temporibus... apostolici domni Pauli summi pontifici» et universalis pape", Regesto Sublacense ed. L. A l l o d i - G . L e v i (Rom 1885) 157 Nr. 111. Die Formel würde also schon um 757 auftauchen, wenn man die Echtheit des Stückes annimmt. Sie findet sich im Reg. Sublac. auch in der falschen Papsturkunde J.-E. Reg. 1421, 254 Nr. 216. Vgl. auch Peter C l a s s e n , Romanum gubernans imperium. DA 9 (1952) 110. Wiederabdruck in: Zum Kaisertum Karls d. Gr. (Wege d. Forschung 38, 1972) 12. Brühl, Chronologie 73 Anm. 427 (Vorkommen der Formel im Liber Diumus). 108 ) Franz D ö l g e r , Byzantinische Diplomatik (1956) 105 = Byzantinische Zeitschrift 36 (1936) 126.
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Fichtenau, „Politische" Datierungen II
Vergleichsstück, überliefert bei dem phantasievollen Wilhelm von Malmesbury: Leo III. für Erzbischof Athelard von Canterbury, 802 Januar 18, J.-E. 2510, Gesta pontificum Anglorum I 37, ed. N. E. H a m i l t o n in Rerum Britann. m. e. SS. 52 (1858, 1964) 59: Ad cuius firmitatem manibus nostris subscripsimus, illudque nomine nostro signari mandavimus. Quam (sc. paginam) etiam a Sergio scriniario nostro scribi praecepimus, mense Ianuario. Data XV kalendas Pebruarii per manum Eustachii primicerii sanctae sedis apostolicae, imperante domino Karolo piissimo consule augusto a deo coronato magno pacificoque imperatore, anno secundo post consulatum eiusdem domini, indictione X".
Dieses Diktat steht der Kanzlei fern. Leos Schreiber Eustachius (J.-E. 2498) tritt als Datar und „primicerius notariorum" auch in dem bei Wilhelm überlieferten zweifelhaften Privileg für König Kinelm auf 109 ), und der Name Sergius ist sonst nicht bei Leo, doch mehrfach unter dem Kanzleipersonal des 9. Jahrhunderts zu finden. Seit Stephan IV. gab es genug Papsturkunden mit Datierung nach Postkonsulatsjähren; eine von ihnen konnte das Muster für jene des eben zitierten Privilegs sein, das dem Erzbischof von Canterbury den Primat in ganz England sicherte. Die Sache könnte als erledigt gelten, gäbe es nicht die Datierung eines Capitulare Karls für Italien aus dem Jahre 801, wo es heißt: ,,. . . anno veroregni nostri in Frantia X X X I I I , in Italia XXVIII, consulatus autem nostri primo." 110 ) Seit 801 zählten die Diplome Karls des Großen nach Kaiserjahren, nirgends ist hier der Postkonsulat zu finden. In der langobardischen Toskana rechnete man entweder weiter nach Königsjahren oder nach Kaiserjahren, einmal in der ungeschickten Form „anno imperii eius postquam Italia ingressus es (sie) anno primo" 111 ). Daneben gibt es, wie wir gesehen haben, Stücke unter dem Einfluß der päpstlichen Kanzlei; hätte es bei ihr nach der Kaisererhebung ein Schwanken gegeben, ob man die „anni imperii" als „anni post consulatum" bezeichnen sollte, wäre dies wohl in der Privaturkunde zum Ausdruck gekommen. Die Gleichsetzung beider Jahre in Karls Capitulare von 801 scheint dem gelehrten Wissen eines Mannes entsprungen zu sein, der weder der päpstlichen noch der kaiserlichen Kanzlei nahestand. Erst zur Zeit Ludwigs des Frommen taucht der Postkonsulat auf, unter Stephan IV. und vielleicht schon in der letzten Zeit Leos III., und zwar mit reinlicher Scheidung der beiden Begriffe. Von Stephan IV. ist ein einziges Privileg im Wortlaut erhalten, jenes für Farfa von 817; aber schon zwei Jahre früher, also noch unter Leo III., enthält die Eingangsdatierung einer privaten Schenkungsurkunde an das Kloster Kaiser- und Postkonsulats jähre: Ragifred für Paria, 815 März, „Avenula", Giorgi-Balzani, Regesto di Farfa 2 (1879) 174 Nr. 215 (232): Imperante domno nostro piissimo perpetuo augusto Ludoguico a deo coronato magno et pacifico imperatore anno 11°, et post consulatum eiusdem in dei 109
) J.-E. Reg. 2497, oben 493 Anm. 99. ) MGH Capitularia 1, 204 Nr. 98. m ) Brunetti 327 Nr. 54 (801). 110
Papsttum. Postkonsulat
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nomine anno II 0 , seu domno nostro Leone summo pontifice et universali papa in sacratissima beati Petri apostolorum principis sede XX°, mense Martii, indictione VIII. Stephan IV. für Farfa. 817 Januar 23, J.-E. 2544, a. a. O. 186 Nr. 224 (242): Scriptum per manus Christophori acriniarii in mense Ianuarii, indictione X. Bene valete. Datum X kalendas Februarii per manus Theodorii nomenculatoris sanctae sedis apostolicae, imperante domno Hludouico piissimo perpetuo augusto a deo coronato magno pacifico imperatore anno III», et post consulatum eius anno III 0 , indictione decima.
Daß es sich um einen Zusatz des Abschreibers im Regestum Farfense handelt, ist wenig wahrscheinlich deshalb, weil hier spätere Stücke unter Leo III. (816), Stephan IV. (816) und Paschal I. (817) nach dem Postkonsulat datiert sind 112 ), Vorbild jedoch erst Stephans Privileg von 817 gewesen sein könnte. Einfluß der Privaturkunde auf das Papstprivileg ist hier ausgeschlossen, und so können wir vermuten, daß die Kanzlei Leos III. in dessen letzter Zeit auf Zählung der Postkonsulatsjähre überging und diesen Gebrauch der Privaturkunde vermittelte. Über die Gründe für diese Entscheidung sind wir nicht unterrichtet. Anscheinend handelte es sich um eine Situation, in der man auf päpstlicher Seite besonders darauf bedacht sein mußte, jene Formalien zu wahren, die dazu dienen konnten, das Kaisertum als vollgültig und dem byzantinischen ebenbürtig erscheinen zu lassen. Eine solche Lage war weniger nach dem Ausgleich zwischen den Reichen im Jahre 812 gegeben als am Beginn der Regierung Ludwigs des Frommen, da Byzanz die Zustimmung zur Führung des Kaisertitels nach Dölger113) nur Karl dem Großen persönlich und nicht seinem Sohne erteilt hatte. Sinnvoll wäre die Neuerung dann gewesen, wenn Ludwigs Kanzlei sie übernommen hätte. Das war aber nicht der Fall, und es paßt zu der Linie, die römischen Bezüge ebenso wie die fränkischen hinter den allgemein christlichen zurücktreten zu lassen. Während des ganzen 9. Jahrhunderts hat die päpstliche Kanzlei nach dem Postkonsulat datiert, ein Zeichen für das Beharrungsvermögen der am Beginn des Jahrhunderts geschaffenen Einrichtungen. Wenn es keinen Kaiser gab, entfiel die Datierung nach seinen Jahren, und hier setzten wieder die Pontifikatsjahre als Ersatz ein. Die erste Urkunde, die sie neuerlich gebrauchte, stammt von Johann VIII. (J.-E. 3020), und in ihr ersetzt nun wirklich die Regnante-Formel die Datierung nach dem Kaiser, mit der charakteristischen Wendung: ,,. . .regnante i m p e r a t o r e d o m n o Iesu Christo, annopontificatus domni Iohannis summi pontificis et universalis pape . . ." 114 ). Alles kommt jetzt ins Fließen, man datiert einmal nach dem Kaiser allein, das nächstemal nur nach dem Papst, man setzt manchmal die Pontifikatsjahre den Kaiser jähren voraus 115 ) — wie dies übrigens aus den Privaturkunden der 112
) 178 Nr. 219 (237), 181 Nr. 222 (240), 189 Nr. 228 (246). Eine Datierung nach Postkonsulat von 821 August 21, Garmarita (Toscanella?) gibt Brunetti, CD Toscano 1 (1806) 48. 113 ) Franz Dölger, Byzanz und die europäische Staatenwelt (1953) 309 = Der Vertrag von Verdun (1943) 223. m ) Menzer63f., Julius (Pflugk-) H a r t t u n g , Diplomatisch-historische Forschungen (1879) 380 f. 115 ) Bresslau, Handbuch a. a. 0. 420.
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Fichtenau, „Politische" Datierungen II
Gegend von Ravenna schon unter Ludwig dem Frommen bekannt ist 116 ). Man wird bei alledem nicht generalisierend von bloßer Willkür sprechen oder hinter allem einen tieferen politischen Sinn sehen dürfen. Wenigstens hin und wieder scheint ein solcher Sinn durchaus gegeben: Wenn Papst Marinus I. vor seinem Zusammentreffen mit Karl dem Kahlen nach Pontifikatsjahren datiert, nachher nach Kaiserjahren allein; wenn Papst Formosus, der so sehr von den „Kaisern" Wido und Lambert, dann von Arnulf abhing, nicht nach Pontifikatsjahren rechnete, usw. 117 ) Sollte einmal die Geschichte der Päpste dieses Zeitraumes neu geschrieben werden, könnten derartige kleine Indizien eine willkommene Vermehrung des Materials für die Bewertung eines Pontifikats darstellen. 116
) Marco F a n t u z z i , Monumenti ravennati 2 (1802) 5 Nr. 2, 8 Nr. 3 usw. ) Marinus I.: Ph. J a f f e - S. L ö w e n f e l d , Regesta pontificum Romanorum l 2 , Reg. 3388, 3389. Formosus: J.-L. Reg. S. 435. Vgl. Bresslau a. a. O. 420.
1IT
I I I . DAS R E I C H K A R L S D E S GROSSEN IM S P I E G E L D E R „ P R I V A T U R K U N D E " Die Datierungen der Papsturkunde und der mit ihr verbundenen „Privaturkunde" wurden für die Zeit Karls des Großen ausführlicher untersucht, um ergänzendes Material für einen Komplex- von Fragen zu bieten, der seit zwei Jahrzehnten wiederum sehr stark die Forschung beschäftigt. Ein ähnliches Vorgehen empfiehlt sich für die „Privaturkunden" von Karls unmittelbarem Herrschaftsbereich, und es muß verwundern, daß sie bisher kaum als Quelle von Aussagen über Königtum, Patriziat und Kaisertum Karls herangezogen wurden. Natürlich dürfen wir nicht erwarten, aus privaturkundlichen Datierungen nach dem Herrscher zusätzliche Aufschlüsse über die verfassungsrechtliche Wirklichkeit seiner Epoche zu erlangen. Interessant genug ist es aber zu sehen, wie sich diese Wirklichkeit im Denken breiterer Kreise der Urkundenschreiber spiegelt, was rezipiert, was weggelassen oder auch umgebildet wird. Die Frage, wie weit der komplexe Aufbau von Karls Herrschaft vom „Volk" beachtet und verstanden wurde, wird damit nicht beantwortet. Wer über genug lateinische Bildung verfügte, um Urkunden zu diktieren, gehörte zu den „Intellektuellen" dieser Zeit. Es handelt sich um eine Mittelschicht, die immerhin dem „Volk" näher als die Großen stand, und ihre Funktion sollte es sein, auch mittels der urkundlichen Titulaturen Kenntnisse über das Staatswesen nach „unten" weiterzugeben. Wem dieser Gedanke allzu modern erscheint, der sei daran erinnert, daß Justinians „Staatspropaganda" derartiges verordnet und nach anfänglichen Schwierigkeiten auch durchgesetzt hat. Wenn diese Möglichkeiten im Frankenreich nur selten und unvollkommen wahrgenommen wurden, dann liegt der Unterschied zu Byzanz weniger in dem Grad einer staatlichen Erfassung des Schreibertums als in der Tatsache, daß Karl sicherlich keine Verfügungen über die Titulaturen der „Privaturkunde" getroffen hat. Die Möglichkeit, eine solche Verfügung im Frankenreich durchzusetzen, hätte wohl bestanden; wir werden sehen, daß im kleineren Bereich einer Landschaft, nämlich der Toskana, etwas Derartiges wirklich geschehen sein muß. Im Folgenden soll nicht das gesamte privaturkundliche Material für die Untersuchung herangezogen werden, was auch wegen ungeklärter Überlieferungsfragen zu Fehlern Anlaß geben könnte, sondern es handelt sich darum, dort anzusetzen, wo große Zahlen von Urkunden vorliegen: So können die Zufälle individueller Stilisierung, nachträglicher Kürzung der Datumangaben bei der Abschrift und ähnliche Fehlerquellen auf ein erträgliches Maß herab-
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Fichtenau, „Politische" Datierungen III
gedrückt werden. Innerhalb dieses Rahmens sei der Weg von Nord nach Süd beschritten, von dem östlichen Frankenland über Bayern und Alemannien nach Oberitalien. Als erste Station bietet sich Fulda an, das nur durch Lorsch in dem Reichtum erhaltener Urkunden texte fränkischer Zeit übertroffen wird — leider wurden im Codex Laureshamensis die Datierungen vielfach überarbeitet, so daß wir diesen Abschriften des 12. Jahrhunderts die zeitnäheren Sammlungen seit dem 9. Jahrhundert in Fulda vorziehen müssen. Vorerst handelt es sich um die Königszeit Karls, ein zweiter Abschnitt soll den Vergleich der Urkundengruppen für die Jahre nach 800 bieten. Im Kloster Fulda folgte man einem Brauch, der weithin im „regnum Francorum" verbreitet war: So wie sein Vater Pippin wurde auch Karl der Große einfach als König bezeichnet oder als König der Franken 1 ), wobei vom langobardischen Königtum und dem Patriziat nicht die Rede ist; die Jahre, nach denen man zählte, sind die fränkischen. Es ist klar, daß die Verfasser der Urkunden des Klosters über den korrekten Titel Karls Bescheid wußten, besaß man doch in Fulda mehrere Diplome des Herrschers. Doch blieb er für die Franken der Frankenkönig, und das sollte sich — wie wir noch sehen werden — in die kaiserliche Zeit hinein fortsetzen. Einer der Fuldaer Diktatoren, der Priester Asger, der etwa vierzig Diktate lieferte 2 ), verzeichnet zweimal (785?, 786) den vollen Titel des Herrschers, wobei er nur die fränkischen, nicht die langobardischen Jahre Karls angibt 3 ). Sein Vorgehen hat 788 der Klosterschüler Einhard nachgeahmt, in dem ersten Diktat, das von Karls späterem Biographen erhalten ist 4 ). Und damit ist alles aufgezählt, was von der üblichen Linie abweicht. Erwähnt sei noch, daß in Fulda ebenso wie bei allen anderen untersuchten Urkundengruppen die Jahresdatierung und damit der Verweis auf den Herrscher völlig fehlen kann. Auch in Bayern gewöhnte man sich bald daran, Karl als König zu bezeichnen und die fränkischen Regierungsjähre zu zählen. In Freising brachte die erste Tradition aus Karls Zeit den korrekten Gesamttitel, dann wird er bloß als ,,rex" bezeichnet, bis endlich 793 wieder der volle Titel erscheint 5 ). Wir 1
) Vgl. Edmund, E . S t e n g e l , Urkundenbuch des Klosters Fulda 1 (Veröff. d. hist. Kommission f. Hessen u. Waldeck X/l, 1958). Auch bei den Münzen Karls, die nördlich der Alpen geprägt wurden, spielen das langobardische Königtum und der Patriziat über die Römer keine Rolle. Philipp Grierson, Money and Coinage under Charlemagne. In: Karl d. Große 1 (1965) 506 ff. «) Stengel a. a. O. Einl. LX. 3 ) A. a. 0. 255 Nr. 167, 259 Nr. 172. Es handelt sich um Schenkungen des Erzbischofs Lullus von Mainz und des Bischofs Willibald von Eichstätt an das Kloster, um „besonders reiches und sprachlich gehobenes Diktat des Schreibers Asger" (Stengel a. a. 0. 258) und — was immerhin mitspielen könnte — um zwei Nichtfranken aus Wessex, in deren Namen Asger schreibt. Für diesen vermutet Stengel a. a. O. LXII alemannische oder bairische Herkunft. 4 ) A. a. 0. 269 Nr. 175, vgl. Einl. LXIII f. 6 ) Bitterauf, Traditionen 1 (Quellen u. Erörterungen N. F. 4) 132 Nr. 120, 163 Nr. 166a. Freiheit herrschte im Gebrauch von Beiwörtern: Schon in Nr. 120 wird Karl als „magni-
Königstitulaturen in Franken und Bayern
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begegnen ihm nur noch einmal (Nr. 172) und hätten somit dasselbe Bild wie in Fulda vor uns, müßte nicht das Fehlen der Bereichsbezeichnung „Francorum" auffallen. Man wird es kaum im Sinne einer Ablehnung der neuen Herrschaft interpretieren dürfen; im Gegenteil, der Frankenkönig ist hier zum „rex noster" geworden (Nr. 157) bzw. zum „domnus noster" (Nr. 177, und später in der Kaiserzeit). Beide Bezeichnungen finden sich auch in Passau 6 ). Einen Schritt weiter ging man mit dem Versuch, nach bayrischen Regierungsjahren Karls zu zählen. Man war ja gewohnt, die Herzogsjahre Tassilos zur Grundlage der Jahresangaben zu machen, und es konnte sein, daß man das eine oder andere Mal gedankenlos eine altgewohnte Datierungsform mitschleppte 7 ). Andere Fälle lassen sich nicht so erklären: Die Notitia Arnonis in Salzburg legt Wert darauf, daß die in ihr angegebenen Tatsachen ,,una cum consensu et licentia domni Karoli piissimi regis eodem anno, quo Baioariam regionem ad opus suum recepit" 8 ) durch Arn erhoben wurden, was natürlich keine Datierung im strengen Sinne ist. Als solche erscheint das bayrische Regierungsjahr anstelle des fränkischen in Passau, wenn man für mehrere Urkunden hier folgende Form wählte: „Acta est haec carta regnante domno Charlo rege Franchorum atque Langupartorum et patricio Romanorum in primo anno quando adquesivit gentem Baiuuuariorum" 9 ). Später datierte man hier nach den fränkischen Königsjahren; nur noch einmal, am Beginn der Kaiserzeit, tauchen bayrische auf, und zwar in Freising, wobei es sich um eine Verlesung des Abschreibers handeln könnte 10 ). Als Lothar I. 815 Unterkönig in Bayern wurde, hat man sich der neuen Datierungsmöglichkeit gerne bedient 11 ). Schließlich bleibt zu erwähnen, daß auch in anderer Weise die fränkischen Regierungsjähre Karls nicht allein standen: In Mondsee treten einmal neben ihnen die langobardischen auf, in der Art eines „Formulars", so daß wohl mehrere
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ficus atque gloriosus" bezeichnet, anderswo als „famosissimus" (Nr. 153), „felicissimus (Nr. 170), „magnus" (Nr. 176). Auch das korrekte „gloriosissimus" findet sich hier, in Nachfolge von Tassilos und Karls Rangprädikat. Eine systematische Aufnahme der Beiwörter würde wahrscheinlich ergeben, daß man in den eroberten Ländern mehr von der Möglichkeit Gebrauch machte, in dieser Art den Herrscher zu preisen, als in der Francia (im engeren Sinne). Heuwieser, Traditionen (Quellen u. Erörterungen N. F. 6) 25 Nr. 29 f., 39 Nr. 44 b. König Karl als „domnus noster" tritt auch in Mondsee auf. Urkundenbuch des Landes ob d. Enns 1 (1852) 5 Nr. 7, 7 Nr. 10. Vgl. Heuwieser, Trad. Passau 22 Nr. 27 die Anfangsdatierung „Temporibus gloriosissimi rex( !) Caroli, anno ducatui ( !) eius nominato, indictione" (ohne Zahl). Salzburger UB 1, 16. Heuwieser a. a. O. 17 Nr. 18, 18 Nr. 20,28 Nr. 32; mit der Variante „in primo anno quo inquisivit gentem Baiuuariorum et est patricius Romanorum" 17 f. Nr. 19. Bitterauf a. a. O. 179 Nr. 186 : „Actum ... regnante et imperante domno Karolo magno imperatore anno XXXV et in Baiouuaria II, indictione X." Da es sich um das Jahr 802 handelt, könnte man „in Baiouuaria" zu „inp(erii)" emendieren, was freilich gewagt wäre. Bitterauf a. a. O. 285 Nr. 333 : „ . . . et anno primo Hlodharii regis in Baioaria..." ; 286 Nr. 335 : „ . . . et anno primo, ex quo rex Hlodharius Baioaria feliciter intravit... ", usw.
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Fichtenau, „Politische" Datierungen I I I
derartige Stücke existierten, deren Datierungen vielleicht vom Abschreiber weggelassen wurden12). Wenn wir uns den Urkunden aus dem Kloster St. Gallen zuwenden, so zeigt sich ein teilweise anderes Bild als in Bayern. Vor allem fällt auf, daß der „rex Francorum" gegenüber dem bloßen ,,rex" Karl weitaus den Vorzug genießt, und weiter, daß die lokalen Herrschaftsträger für Datierungen stark herangezogen werden, was schon vor Karls Zeit üblich war: In mehr als dreißig Fällen wird auf den amtierenden Grafen mit der Wendung ,,. . . (et) sub N. comite" Bezug genommen, zweimal in gleicher Form auf den Bischof von Konstanz. Wie in Fulda trifft man 785/786 erstmals eine vollere Titulatur des Königs 13 ); erst ab 797 ist die korrekte Form mehrmals zu finden. Dazwischen, im Jahre 791, begegnet eine höchst ungewöhnliche Variante: „Notavi die sabbato XI kalendas Novembris (die sabbato), anno XXXIIII regnante domno nostro Car(o)lo rege Franchorum ac patricio Romanorum et A l a m a n n o r u m , et sub Rothario comite."14) Was soll das? Man wäre versucht, an einen Unfug des Schreibers zu denken, wäre nicht Aussteller der beiden Stücke ein Graf Bertold, also immerhin eine Amtsperson, und außerdem ein Nachkomme — in männlicher Linie — des alten alemannischen Herzogshauses15). Zur Interpretation des Falles können nur Vermutungen geboten werden, die allerdings nicht abenteuerlicher sind als die Sache selbst: Es scheint, als habe man den „patricius Romanorum" als jenen Schutzherrn der Rätoromanen aufgefaßt, der Karl seit etwa 773 wirklich war16). Von dieser Anschauung her konnte man eine Parallele zwischen Karls 12
) OÖUB 1, 60 Nr. 99: „Actum ibi in pridia nonas Iulii, et vigesima quinta regni eius in Francia, X et VIII in Italia, indictione IIII a , in dei nomine feliciter." Der Ort der Schenkung bleibt unklar, und von Karl, auf den sich das „eius" bezieht, ist in dem Stück nicht die Rede. Von der Pönformel an folgt es dem Mondseer „Formular I I I " , das Z a t s c h e k nachgewiesen hat: Die Benutzung der FormulaeMarculfi..., MIÖG 42 (1927) 228. Für ein Formular spricht auch die Wendung „auri libras tantas, argento pondua tanta"; dazu zuletzt Heinrich F i c h t e n a u , Das Urkundenwesen in Österreich (MIÖG Erg.-Bd. 23, 1971) 32. 13 ) Grafen in Datierungen: Hermann W a r t m a n n , UB d. Abtei St. Gallen 1 (1863) 127 Nr. 135 (793), 167 Nr. 176 (797 ?, vgl. Bruckner-Marichal, Chartae lat. ant. 2,1956, 77 Nr. 146). Über die „sub comite-Formel" handelt ausführlich Rolf S p r a n d e l , Das Kloster St. Gallen in d. Verfassung d. karol. Reiches (Forschungen zur oberrhein. Landesgesch. 7, 1958) 102 ff. Vollere Titulaturen: Wartmann 96 Nr. 102 (785) als Franken- und Langobardenkönig, 98 f. Nr. 104 f. auch als patricius Romanorum. u ) Wartmann 161 Nr. 170 und 162 Anm. dazu. Abb. bei Bruckner-Marichal a. a. O. 2 (1956) 91 Nr. 153, 123 Nr. 170. Es handelt sich um zwei Ausfertigungen derselben Sache, zum gleichen Datum. Bruckner-Marichal Nr. 153 soll nach Wartmann und Bruckner a. a. O. 90, 122 das Regierungsjahr X X I I I I (statt XXXIIII) tragen, vgl. aber das Faksimile. ls ) Georg C a r o , Studien zu den älteren St. Galler Urkunden. Jahrbuch f. Schweizerische Geschichte 26 (1901) 207 f. l6 ) D. K a r . I 78. ZumDatum und zur Sache vgl.UlrichStutz,Karls des Großen divisio von Bistum u. Grafschaft Chur, in Historische Aufsätze (Festgabe Karl Zeumer, 1910) 127 f. und Elisabeth M e y e r - M a r t h a l e r , Rätien im frühen Mittelalter (Beiheft 7 d. Zeitschr. f. Schweiz. Gesch., 1948) 56 ff.
Königstitulaturen: St. Gallen, Weißenburg, Toskana
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Beziehung zu den Romanen und jener zu dem Alemamienvolk herstellen: Was für jene gut war, mußte für dieses billig sein. Daß man den Sinn der Wendung „patricius Romanorum" nicht verstand, verwundert weniger, wenn wir bedenken, daß sie z. B. im elsässischen Kloster Weißenburg niemals gebraucht wurde; hier erscheint nur einmal das Wort „patricius", vielleicht als Bezeichnung für den Hausmeier Karl Martell 17 ). Ein einziges Mal tritt hier Karl als Langobardenkönig auf 18 ), ansonsten ist er „dominus noster", „rex (noster)", ,,rex Francorum", auch mit dem Beiwort „gloriosissimus". Im Gegensatz zu Fulda, St. Gallen und den angeführten bayrischen Traditionen fehlt in Weißenburg der „amtliche" Gebrauch völlig, und es ist zweifelhaft, ob man ihn überhaupt kannte, wenn einmal zu lesen steht: ,,. . . anno X X I I I , regnante domno Carolo rege Francorum ac multarum gentium." 19 ) Mit dem Problem des zusammengesetzten Titels Karls des Großen ist man also nördlich der Alpen in den Datierungen schon vor dem Jahre 800 nur selten fertig geworden. Man mochte ihn kennen, aber populär wurde er niemals. Karl blieb den Franken ein Frankenkönig; den Bayern wurde er zum Regenten ihres eigenen Landes, und dies war es, was zählte, als eine Art Ersatz des eigenen und eigenständigen Herrschertums. Was die Alemannen betrifft, ergibt sich vorerst kein klarer Befund, nur das starke Hervortreten lokaler Kräfte muß auffallen. Die Sphäre der eigenen Existenz stand allen vor Augen, während der Gesamtstaat schattenhaft blieb. Wenn wir uns nunmehr Italien zuwenden, so wird die Toskana im Vordergrund der Betrachtung stehen, sind doch aus den übrigen Teilen des Langobardenstaates nur Trümmer privaturkundlicher Quellen erhalten. Hier müssen wir von der Tatsache ausgehen, daß der „rex Langobardorum" eine Neueinführung war, hatten sich doch die Langobardenkönige für gewöhnlich in ihren Urkunden nur „(Flavius) rex" genannt. So finden wir Karl entweder als „rex" oder „rex Francorum et Langobardorum" bezeichnet. Hier ist anzumerken, daß man — umgekehrt wie nördlich der Alpen — nach Jahren der langobardischen Herrschaft rechnete, nicht der fränkischen oder beider; es ist eine Ausnahme, wenn am Beginn der neuen Regierung beide Jahre verzeichnet wurden 20 ). Das langobardische Jahr Karls konnte seine Herrschaft über den Stammesverband oder über das Land b e t o n e n : , , . . . anno regni eius in gente Lango-
") Traditiones possessionesque Wizenburgenses 239 Nr. 247 : „regna(n)ti domino nostro Thedericus regis et Carolo patrieio maiorem domus palatio regis". Zu dieser fränkischen patricius-Titulatur vgl. Deér, Patricius (oben487 Anm. 75) 43 mit Anm. 41 und Wolfram in MIÖG76 (1968) 215, einer Rezension von Heidrich, Titulatur (oben 481 Anm. 50): Eine Verschreibung von „patrieio" statt „principe" ist unmöglich. ") Trad. Wiz. 58 Nr. 54 (774) ; Regesta Alsatiae 1 (1949) ed. Albert Bruckner 147 Nr. 237. ") Trad. Wizenburg. 144 Nr. 154 (791), Reg. Alsatiae 1, 219 Nr. 343. 20 ) Memorie e documenti per servire all'istoria del Ducato di Lucca IV 1 (Lucca 1818) Anh. 130 Nr. 80: „In dei nomine. Regnante domno Carulo rege, anno regni eius sexto et primo ... ".
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Fichtenau, „Politische" Datierungen I I I
bardorum"21) oder ,,. . . quo coepit Langubardiam"22), ,,quod in Langubardia ingressus est"23), „quae (postquam) in Etalia Papia civitate ingressus est"24) usw. Derlei bewegte sich im Rahmen langobardischer Tradition; von der „gens" und Italien war schon in der Datierung des Edikts des Königs Rothari gesprochen worden25), und einige Königsurkunden bezeichneten den Herrscher als „rex in Italia"26). Die Begriffe „Langubardia" und „Etalia" werden in den Urkunden nicht unterschieden27): So wie für die Byzantiner „Reichsitalien" das eigentliche Italien war, scheint den Langobarden ihr eigenes Herrschaftsgebiet „Italien" gewesen zu sein; eine Bezeichnung, die nach Leicht28) von der „Italia annonaria" und im besonderen von ihrem Mittelpunkt Mailand ausgegangen sein dürfte. Wenn seit 801 die Urkunden Karls des Großen dazu übergehen, Regierungsjahre „in Francia" und „in Italia" zu zählen, so entspricht dies dem Titel eines „rex Francorum et Langobardorum", und ist es in der italienischen Privaturkunde schon längst vorbereitet. Personaler und territorialer Begriff, „rex Langobardorum" und Herrscher über die „Langobardia" oder „Italia", standen nicht im Widerspruch zueinander. Es scheint auch ungenau, wenn Walter Goetz sagt 29 ): „In der Karolingerzeit ist das ,Regnum Italiae' im wesentlichen doch nur das Reich der Langobarden, lediglich vermehrt um das römische Gebiet": Von Pippin, dem Unterkönig Karls, sind keine Regierungshandlungen im Dukat von Rom bezeugt. Ein „rex Langobardorum" mit dem Sitz in Pavia hatte hier nichts zu suchen, auch wenn er jetzt ein Franke war, gesalbt und gekrönt in Rom. Das Papsttum hatte an einem größeren, weder auf 21
) Mein, e doc. IV 1 (Text) 414 Anm. 385; V 2 (1837) 93 Nr. 162; Mitarelli-Costadoni (oben Anm. 95) 1, Anh. 6 Nr. 2; Brunetti, CD Toscano I I 1, 238 Nr. 13, usw. 22 ) Mem e doc. IV 1, Anh. 131 Nr. 81 und die folgenden Nummern. Brunetti a. a. 0 . 230 Nr. 9, usw. 23 ) Brunetti a. a. O. 232 Nr. 10 usw. ») A. a. O. Nr. 6, 11 usw. 25 ) Oben 474 Anm. 10, auch über die Zerstörung der einstigen Hauptstadt Mailand als Ausgangspunkt der Zählung. 26 ) Aufgezählt bei Brühl, Königsurkunden (oben 473 Anm. 1) 136 Anm. 727. ") Trotz Mem. e doc. IV 1 Anh. Nr. 89 mit Nr. 90 sowie Nr. 99 (Karl und Pippin): „anno regni eorum in dei nomine quod Langubardia cepit in Ethalia", was eine bloße Kontamination, nicht die Unterordnung der Langobardia unter den größeren Begriff Italien darstellt. Karl der Große gab 806 seinem Sohn Pippin „Itah'am ... quae et Langobardia dicitur", MGH Capitularia 1, 127 Nr. 45 c. 2, und J . F. Böhmer-Engelbert Mühib a e h e r , Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern (J. F. Böhmer, Regesta imperii 1, ergänzte 2. Aufl. 1966) Nr. 508 f. Michelangelo S c h i p a , Le „Italie" del medio evo. Archivio storico per le prov. Napoletane 20 (1895) 409 f. will für die Langobarden ohne gute Gründe einen umfassenden Begriff „Italien" annehmen. Dagegen ist eine Konstanz der Begriffsbedeutung im Sinne der Gleichung Italia = Langobardia durch Pier Silverio L e i c h t betont worden, Dal „regnum Langobardorum" al „regnum Italiae". In: Scritti vari di storia del diritto italiano 1 (1943) 221 ff. (vorher in der Rivista di storia del diritto italiano 3 [1930] 3 ff.) 29 ) A. a. O. 232, vgl. 231 den Hinweis, daß in Treviso und der Gegend von Piacenza in langobardischer Zeit der Begriff „Italien" verwendet wurde. Brühl a. a. O. 136 Anm. 727 zählt die dortigen „Privaturkunden" auf, die von dem „rex in Italia" sprechen. 29 ) Italien im Mittelalter 1 (1942) 71.
Begriff „Italien". Karls Patriziat
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die „Langobardia" noch auf Reichsitalien beschränkten Begriff der „Italia" festgehalten 30 ) und mußte die Unterordnung des Patrimonium unter eine der territorialen Gewalten weiterhin scheuen. Daß man im fränkischen Reich einen Begriff brauchte, der dem des langobardischen Italien gleichkam, ergab sich aus der Eroberung des Langobardenreiches von selbst; ebenso mußte die Zahl der Fälle ansteigen, in denen „Francia" nicht mehr bloß das eigentliche Gebiet des Frankenvolkes bedeutete, sondern den Großteil der fränkischen Herrschaftsgebiete nördlich der Alpen. Die karolingischen Gelehrten hatten dafür die Benennung „Galliae" und „Germania" vorgeschlagen 31 ), doch konnte diese Reminiszenz eben nur Gelehrten verständlich sein. In den Urkunden Karls hat man es lange vermieden, die Begriffe „Francia" und „Italia" zur näheren Kennzeichnung der angeführten Regierungsjähre zu gebrauchen. Nicht die Annahme des Kaisertums selbst, wohl aber die Neuordnung des Titelwesens, die damit verbunden war, hat 801 zu dieser näheren Kennzeichnung geführt. Sie konnte auf dem aufbauen, was in Italien schon Brauch gewesen war, auch in der Papsturkunde 32 ). Der Typus „anno (Zahl) et (Zahl) regni nostri" hätte, mit Voransetzung des Kaiserjahres, gleichbleiben können; jetzt hieß es „anno (Zahl) Christo propitio imperii nostri et (Zahl) regni nostri in Francia atque (Zahl) in Italia". Auf Karls Würde eines „patricius Romanorum" hat man im Langobardenreich lange Zeit kaum Rücksicht genommen. In der Toskana, dem einzigen Gebiet mit reichlich erhaltener Überlieferung, nennen in den Jahren 774—793 ganze drei Urkunden diesen Titel, während ihn 116 andere nicht kennen. Das Jahr 794 bringt eine Wende: Zehnmal soviel Nennungen mit dem „patricius" als solche ohne ihn begegnen in der Zeit von da an bis zum Jahre 800; das Verhältnis beträgt 51:5. Was hat dies zu bedeuten? Um einen Reflex der Frankfurter Synode, bei der Bischöfe aus Italien sehr zahlreich vertreten waren, kann es sich nicht handeln; die ,,patricius"-Datierungen von 794 beginnen nicht erst, als diese Bischöfe in die Heimat zurückkamen, sondern schon in den ersten Monaten des Jahres. Da ein Zufall kaum möglich ist, wird man am ehesten annehmen können, daß eine Weisung „von oben" erfolgte. Dabei muß es sich nicht um ein Gebot Karls oder Pippins handeln. Viele der Urkunden stammen aus dem Territorium von Lucca; hier regierte der „dux" Allo, wohl ein 3
») Siehe oben 494 Anm. 102. ) Vgl. (auch schon zu „Francia") Eugen Ewig, Beobachtungen zur politisch-geographischen Terminologie des fränkischen Großreiches und der Teilreiche des 9. Jahrhunderts. Spiegel der Geschichte, Pestgabe Max Braubach (1964) 99 ff.; 109 ff. über die Renaissance der antikisierenden Termini seit 791, zuerst in den Libri Carolini ed. H. B a s t g e n MGH Concilia suppl. 2 (1924), 1 (Überschrift): „Caroli... regis Prancorum, Gallias, Germaniam Italiamque sive harum finitimas provintias domino opitulante regentis...". Unter „finitimae regiones" werden für Italien die nicht zum „regnum Langobardorum" gerechneten Gebiete von Karls Herrschaft zu verstehen sein. In einem Alchvine nahestehenden Formular („tractoria", Geleitbrief für einen Rompilger; MGH Formulae 440, Formulae Salzburgenses Nr. 2) heißt es „in partibus Italiae atque Romaniae". Zum Ganzen vgl. auch Ewig, Descriptio Franciae. In: Karl d. Gr. 1, 143 mit Anm. 1. 32 ) Oben 493 f. 31
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Fichtenau, „Politische" Datierungen III
Langobarde, und vor dem Jahre 797 folgte ihm der Franke Wicheram, leider zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt 33 ). Es könnte sein, daß die stärkere „Frankisierung" durch einen solchen Funktionär veranlaßt wurde und der dem Langobardentum alten Stils wenig sympathische oder auch unbekannte „patricius Romanorum" dabei in die Urkunden einzog. Der Unterkönig Pippin wird stets mit Karl zusammen genannt, wobei zumeist Karl als Franken- und Langobardenkönig, Pippin bloß als „rex (noster)" bezeichnet ist. Doch gibt es auch Fälle, in denen beiden die Würde von Franken* und Langobardenkönigen zugeteilt wird34). An das Doppelkönigtum — zuletzt Desiderius und Adelchis — war man ebenso gewöhnt wie daran, daß es dabei keine Unterschiede des Herrschaftsbereichs gab. Die Bereichsbezeichnung war früher unüblich gewesen, und so ließ man sie wenigstens für Pippin beiseite; ganz selten tritt er in „Privaturkunden" Italiens als „rex Langobardorum" auf, während ein dortiges Kapitulare vom „rex gentis Langobardorum" spricht 35 ). Fassen wir all diese Beobachtungen zusammen, so können wir sagen, daß die „Privaturkunden" der „Langobardia" in ihrer Mehrzahl eine größere Nähe zur offiziellen Titelgebung zeigen als jene der Länder nördlich der Alpen. Hätte Karl das Langobardenreich aufgelöst, wäre er hier vielleicht einfach König, ohne Bereichsbezeichnung, genannt worden, wie dies oftmals in Bayern geschah. So fremdartig der Zusatz „Langobardorum" auch war, bedeutete er doch die Garantie einer bloßen Personalunion, und zu ihm bzw. zu ihr gehörte die Nennung des „rex Francorum". Ob man dabei nur an die Franken der „Francia" im weiteren Sinn oder auch an die Franken, Bayern, Alemannen im eigenen Lande dachte, bleibt ungewiß, dies ist aber nicht ausgeschlossen. Unpopulär war der „patricius Romanorum", wenigstens bis zu seiner Einführung in der Toskana im Jahre 794. J e näher wir dem eigentlichen Gebiet von Karls Wirken als Patricius der Römer kommen, um so eher können wir einen korrekten Gebrauch des Wortlautes des zusammengesetzten Titels finden. In den Urkunden für das Kloster Farfa scheint das Jahr 781 die zeitliche Grenze zu sein: Vorher wird Karl nur einmal mit dem Wortlaut des Gesamttitels bezeichnet 36 ), seither fast stets, 3S
) Eduard H l a w i t s c h k a , Franken, Alemannen, Bayern u. Burgunder in Oberitalien (Forschungen zur oberrhein. Landesgesch. 8, 1960) 25, nach Adolf H o f m e i s t e r , Markgrafschaften u. Markgrafen im italischen Königreich, MIÖG Erg.-Bd. 7 (1907) 282 ff. Wicheram tritt zuerst in einer Notitia von 797 Januar 5 auf, Mem. e doc. V 2, 151 Nr. 269. 34 ) Brunetti II 1, 245 Nr. 15 (782 April 27, Pistoia): „.. .regnante domini nostri Carulo et Pippino filio eius regibus Francorum et Langubardorum et patricio Romanorum in Etalia quod in Papia civitate ingressus anno octavo,etsecondo...". Mem. e doc. IV1, 144 Nr. 90 (782, Volterra): „Regnantes domnis nostris Carulo et Pipino filio eius venerabilibus excellentissimis reges Francorum seu Langobardorum, anno regni eius in Eitalia octabo, et primo ...". 35 ) Urkunden: Mem. e doc. V2, 159 Nr. 270 (798). Brunetti 302 Nr. 41, 304 Nr. 43 (794, 796). Über das Kapitulare (MGH Capitularia 1, 191 Nr. 91) vgl. Wolfram, Intitulatio I, 220 f. 39 ) Giorgi-Balzani Reg. a. a. O. 98 Nr. 111 (124) aus dem Jahre 776.
Titulaturen Karls und Pippins in Italien
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wobei die doppelte Datierung nach Karl und Pippin bald zu einer Kontamination führte: Aus ,,. . . et patricio Romanorum" wurde ,,. . . et patriciis Romanorum", man gab also auch Pippin die Würde des Patricius der Römer. Von hier war es nur ein Schritt zu der — singulären — Anfangsdatierung im Traditionsbuch von Farfa, die lautet 37 ): „Domni Karoli et Pipini filii eius patriciorum Romanorum anno X X I et XV, et temporibus domni Guinigisi ducis anno V . . .". Es mag offenbleiben, ob hier wirklich ein Versuch vorliegt, nach Patricius-Jahren zu datieren. Auch wenn man bloß um der Kürze willen Franken- und Langobardenkönig wegließ, zeigt sich, daß sie hier weniger wichtig als der Patriziat schienen. Der Bestand von Urkunden für Farfa führt wenigstens in die unmittelbare Nähe des Wortlautes des Gesamttitels — ohne Irrtümer und Verkürzungen ist es selbst hier nicht abgegangen, wo alle Titelelemente Realitäten des politischen Lebens waren und wo man Privilegien Karls besaß, aus denen man den korrekten Text jederzeit feststellen konnte, wenn schon nicht für Pippin, so doch für Karl den Großen.— Ein Wort bleibt noch über die Münzen Karls zu sagen. Hier wird der Zug zur Verkürzung natürlich noch stärker als in den Urkunden zu finden sein, wenn auch die technischen Möglichkeiten durchaus gegeben waren, den zusammengesetzten Titel in seiner Dreiheit wiederzugeben: Eine — nur eine einzige — Münzform gibt es, in der er korrekt angeführt wird 38 ). Im übrigen ist Karl „rex" oder „rex Francorum", und dies — abweichend vom urkundlichen Gebrauch — auch im „regnum Langobardorum". Vom Patricius findet man generell keine Spur. Es scheint, als sei das starre und harte Metall nicht den feineren Schwingungen zugänglich, die das Schreibinstrument auf dem Pergament wiedergab. Da wir uns nun Karls Kaiserherrschaft nähern, die den Aufbau des Titels neuerlich komplizierte, können wir von vornherein dessen gewiß sein, daß es in der Sphäre der gebildeten Mittelschichten verschiedenartige Deutungen und Vereinfachungen gab. Wenn wir etwa hören werden, daß der Kaisertitel oftmals ignoriert wurde, oft als Titulatur „imperator Romanorum" auftaucht, so wäre es durchaus falsch, aus solchen Tatbeständen auf die Intentionen Karls bzw. seines Hofes zu schließen, oder zu glauben, daß die Reichsregierung auf derlei Rücksicht nehmen mußte. Selbst ein demokratisches Staatswesen mo37
) Liber largitorius ... monasterii Pharphensis ed. Giuseppe Z u e c h e t t i 1 (Regesta chartarum Italiae 11, 1913) 31 Nr. 3 (793 September). 88 ) Grierson (oben 502 Anm. 1) 517: + CARLVSREXFR und + ETLANGACPATROM, auf Avers und Revers jeweils als Umschrift eines Monogramms: Karlsmonogramm und (nach Griersons früherer Deutung) Monogramm von Ravenna; zustimmend Percy E. S c h r a m m , Herrschaftszeichen und Staatssymbolik 1 (1954) 294 ff., dort auch Abb. 31 (T. 24) e-f. Grierson a. a. O. bezeichnet jetzt Münzort und Zweck des zweiten Monogramms als mysteriös; „the use of the patricius Romanorum title suggests that the coin may have been minted in the Papal States", was sehr gut zu unseren Darlegungen passen würde. Hans Hermann V ö l c k e r s , Karolingische Münzfunde der Frühzeit (751—800), Abhandlungen d. Akademie d. Wiss. Göttingen, phil.-hLät. Kl. 3. F. 61 (1965) 185 f. findet in dem Monogramm die Buchstaben R, A, V, A. Völckers bringt auch Beispiele für den rex Francorum-Titel an langobardischen Münzstätten (Pavia, Mailand), a, a. 0 . 165, 184, 187 f.
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Fichtenau, „Politische" Datierungen I I I
derner Prägung wird nicht dadurch verändert, daß die Staatsbürger über seinen Aufbau nur oberflächlich Bescheid sagen können. Höchstens daran könnte man denken, daß die mangelnde Popularität des zusammengesetzten Titels mit einer der Gründe gewesen sein mag, die Ludwig den Frommen bestimmten, ihn aufzugeben. In den letzten Jahrzehnten wurde wiederholt darauf hingewiesen, daß der neue kaiserliche Titel erst mit einiger Verspätung in den uns bekannten Diplomen Karls erscheint, und zwar zuerst am 29. Mai des Jahres 801 auf Karls Rückweg, im Gebiet von Bologna. Ob dies so zu deuten ist, daß bis dahin Unsicherheit über den offiziellen Titel der Urkunden bestand, oder als bloßer Zufall der Überlieferung, hängt davon ab, wieweit man den abschriftlich erhaltenen Text des einzigen Diploms ernst nimmt, das zwischen der Kaisererhebung und dem genannten Zeitpunkt datiert ist, nämlich D. Kar. 1196 für Arezzo vom 4. März 801, noch in Rom ausgestellt. Diesem Stück mit seiner singulären Intitulatio hat man in den letzten Jahrzehnten zumeist Glaubwürdigkeit zuerkannt, während es Classen nicht zu den „unanfechtbaren Urkunden" rechnet und darauf hinweist, daß es „in der Überlieferung umstritten" ist39). Einer Abschrift des 9. Jahrhunderts kann man gewiß nicht völlig trauen, wenn sie allein es ist, die Karl zu einem „König der Römer" werden läßt, ohne Hinweis auf das eben erworbene Kaisertum: „Carolus gratia dei rex Francorum et Romanorum adque Langobardorum." Man hat jedoch in der Diskussion um dieses Stück übersehen, daß Kopfdatierungen tuszischer Privaturkunden fast den gleichen Wortlaut zeigen: Teufrid verkauft dem Prandulo einen Weinberg in Pontiano. 802 März 29, Prato. Brunetti, CD Toscano I I 1 (1833) 336 Nr. 60: In nomine domini. Quarto kal. Aprili, regnante domino nostro Carulo rege Francorum et Romanorum adque Langubardorum in Etalia, postquam Papia civi(tate) ingressus est anno vicesimo octavo et domno Pippino filio eius rege Langubardorum anno vicensimo primo, per indictione decima, feliciter. Der Priester Dardano aus Pistoia verpachtet einem Martin, Sohn des Johannes, Besitz der Kirche S. Peter in Pistoia. 804 Dezember 16, Pistoia. Brunetti a. a. O. 351 Nr. 67 (mit Teilabbildung des Or.): Regnante d(omi)n(o) n(ostro) Carolus vir excell(entissimo) rege Francorum et Romanorum adque Langobardorum, annus regni eius in dei nom(ine) in Etalia postquam Papia civi(tate) ingressus est trigesimo primo, et filius eius dominus noster Pippinus gratia dei rex Langobardorum, annus regni eius vigesimo quarto per indictione tertia decima, feliciter.
Wie man sieht, handelt es sich um das gleiche „Formular". In der ersten Urkunde tritt ein Priester Gauspert als Zeuge auf, die zweite ist von einem " ) Karl d. Große (oben 488 Anm. 81) 588 = 52 mit Anm. 268a, vgl. Schramm, Anerkennung 498 = Kaiser, Könige . . . 1, 266. Weniger kritisch Classen in DA 9, 118, dort Anm. 68 Hinweise auf die frühere Literatur dazu. Vgl. auch Wolfram, Intitulatio I, 235. E s handelt sich um eine teilweise Nachzeichnung, die anscheinend früher ein Siegel trug. Paul K e h r , Neues Archiv 49 (1932) 703 h a t die Schrift als nicht gleichzeitig bezeichnet, „und jedenfalls h a t das Stück mit der Kanzlei Karls des Großen nichts zu t u n " . Abgesehen von der Intitulatio ist der Text durchaus kanzleigemäß und sachlich unanfechtbar; die Rekognition bezeichnet als Schreiber den Notar Genesiua, wofür auch die Form des Chrismon und anderes in der Nachzeichnung spricht. Über Genesius vgl. Heinrich F i c h t e n a u , Genesius, Notar Karls des Großen (797—803). I n : Folia diplomatica 1 (Brünn 1971) 75 ff.
Karl als „rex Romanorum"
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„Notar" gleichen Namens geschrieben. Daß der Rechtsinhalt mit verschiedenen Worten wiedergegeben wird, ergibt sich aus der verschiedenen Natur der beiden Transaktionen. Der Ort der ersten Handlung ist Prato, nach Brunetti der Ort gleichen Namens im Val di Chiana südlich Arezzo — für Arezzo ist D. Kar. I 196 ausgestellt. Näher zu Pistoia wäre freilich das andere Prato, auf der Strecke nach Florenz gelegen; das zu entscheiden bleibe der Lokalforschung überlassen. Wichtig ist im Zusammenhang unserer Untersuchung nur die Tatsache, daß die Intitulatio des Karlsprivilegs ihre Spiegelung in der Privaturkunde desselben Raumes erfahren hat. Damit sind gewiß nicht alle Rätsel gelöst. Das Diplom zeigt Kanzleidiktat, hat aber anscheinend auch Worte einer Bittschrift des Bischofs Aribert von Arezzo in sich aufgenommen. Weiters heißt es, Karl habe den Streit zwischen Arezzo und Siena dem Papst Leo III. zur Entscheidung übergeben, der ein „iudicatum et preceptum auctoritatis sue . . .emisit"; wieweit der Text dieser sicherlich urkundlichen Entscheidung jenen ihrer Bestätigung durch Karl beeinflußt hat, muß unsicher bleiben. So ergeben sich verschiedene Möglichkeiten für das Zustandekommen der Intitulatio von D. 196: Am wenigsten wahrscheinlich ist es, daß der Mann, der später das Karlsdiplom für Arezzo kopierte, wobei der Text und sogar ein Teil der äußeren Merkmale unangetastet blieb, ausgerechnet die Intitulatio nach dem Muster früherer „Privaturkunden" zurechtgebogen hätte. Weiters könnte man daran denken, daß der ungewöhnliche Titel in der Umgebung Karls des Großen geschaffen wurde und dann — also schon in der Kaiserzeit Karls — in die „Privaturkunde" der Toskana eindrang; oder daß umgekehrt diese vorausging und D. 196 diesen Lokalbrauch übernahm, mit oder ohne Billigung durch den Herrscher. Und schließlich bleibt die wenigstens theoretische Möglichkeit, daß der römische Klerus (Leo III. „una cum suis consacerdotibus") dabei seine Hand im Spiele hatte. Am wahrscheinlichsten dürfte sein, daß die „Privaturkunde" voranging, und zwar schon in Karls Königszeit; daß Karls Schreiber Genesius den Kaisertitel noch vermeiden wollte, den „patricius Romanorum" als überholt empfand und sich von toskanischen Klerikern beraten ließ. Kaum wußte man damals, daß schon viel früher einmal „rex" und „patricius" promiscue gebraucht worden war 40 ). Wenn man jedoch die Langobarden als „Staatsvolk" neben den Franken anerkannt hatte, mochte es naheliegen, dasselbe für die „Römer" anzunehmen, und in die gleiche Richtung ist später vielleicht wirklich das Denken gegangen: Karl Heldmann verwies auf die Fortsetzung der Chronik Ados von Vienne 41 ), wo von einem „regnum Roma40
) Wolfram a. a. O. 219 Anm. 10. Hier sei angemerkt, daß Heidrich (oben 481 Anm. 50) 96 im „(patricius) Romanorum" eine Analogiebildung zu „(rex) Franeorum" sieht. 41 ) Kaisertum Karls d. Gr. 396 f. Anm. 3, 413 Anm. 3. MGH SS 2, 324: Lothar I. „accepit regnum Romanorum et totam Italiam (wohl = Langobardiam) et partem Franciae orientalem, totamque Provinciam". Freilich werden vorher Alemannien, Sachsen und sogar das Hunnenland als „regnum" bezeichnet, das Wort bedeutet also „Herrschaftsbezirk", nicht „Königreich". Im populären Denken war der Weg von „regnum" zu „rex" jedoch gewiß weniger weit als bei den „Fachleuten".
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Fichtenau, „Politische" Datierungen III
norum" gesprochen wird, ebenso wie dies Diplome Karls III. tun 42 ). Schon vor der Kaisererhebung Karls des Großen, zwischen 774 und 791, entstanden in Murbach im Elsaß Urkundenformulare, deren eines eine Supplik an den König „der Franken, Langobarden und Römer" darstellt 43 ). Dieses anscheinende Gleichgewicht der drei „Völker" wurde durch das Erlöschen der Funktion des „patricius Romanorum" in Karls Kaiserzeit gestört, und so kann es nicht verwundern, daß unabhängig voneinander an verschiedenen Orten der Versuch gemacht wurde, die „Romani" in die Titulatur einzuführen. Das geschah, wie wir sehen werden, ebenso in der Toskana wie in St. Gallen; und schon der überlieferte Wortlaut der Akklamation des Weihnachtstages 800 kennt einerseits den bloßen „imperator", andererseits den „imperator Romanorum". Das ist alles, was den Quellen direkt zu entnehmen ist; in der Diskussion um Karls Kaisertum kam man durch Kombination und Interpretation der Quellenaussagen zu weitergehenden Schlüssen. Hier sei nur kurz darauf verwiesen, daß Helmut Beumann 44 ) dafür plädiert, daß Karl zum „imperator Romanorum" ausgerufen wurde und sich sein Unwille darauf bezog, daß damit die Römer zum „Reichsvolk" geworden wären; weiters, daß Peter Classen45) eine Akklamation zum „imperator" ohne Beiwort annimmt und darauf hinweist, daß eine Ausrufung zum „imperator Romanorum" nicht versucht werden konnte, „weil es diesen Titel amtlich gar nicht und im populären Sprachgebrauch nur sehr selten gab". Der Text der Akklamation ist in Laudes aus Karls Königszeit vorgebildet, und in Datierungen der päpstlichen Kanzlei; wenn auch wohl beide Komponenten nebeneinander wirkten, würde doch die zweite genügen, um daraus die Kaiserakklamation abzuleiten: Liber Pontificalis46): Karolo piissimo Augusto a deo coronato magno et pacifico imperatore vita et victoria! Papst Zacharias für Bonifatius, 748 (?) Mai 1, Jaffe-Ewald Reg. 2286, MGH Epistolae 3 (1892) 361 Nr. 80: Data kalendis Maii, imperante domno piissimo Augusto Constantino 42
) D. Karl III. 49 ff. von 882 Februar 14 bzw. 15: „per totius nostri imperii fines in toto regno Romanorum et Langobardorum et ducatus Italiae...". Hier kann es sich um eine Nachwirkung von D. Kar. I 196 handeln, was Heldmann nicht bemerkt hat; laut D. Karl III. 31 hatte man für Arezzo im Streit mit Siena das Königsgericht angerufen, und auf dem Rückmarsch von der Kaiserkrönung in Rom — eine seltsame Parallele — wurde die Sache geschlichtet. D. Karl III. 50 für Arezzo steht in der Edition im Kleindruck, weil D. 49 für Verona einen Tag früher ausgestellt ist. Die Diplome 49—51 wurden in Ravenna wohl gleichzeitig stilisiert, und zwar von Inquirinus B, einem Alemannen. 4S ) MGH Formulae 331 Nr. 5, Classen DA 9, 118 Anm. 68. Die Reihung entspricht also dem üblichen Titel Karls, so daß man an Auslassung des Wortes „patricius" denken könnte, Wolfram a. a. O. 235. Dabei müßte „ac... Romanorum" zu „Romanorumque" geworden sein. Vgl. die Fortsetzung der Annales Nazariani (zu 786, sie endet mit 790) MGH SS 1, 43, Karl sei nach Rom gezogen „optime regens regnum Francorum atque Langobardorum Romanorumque". ") Besonders in: Nomen imperatoris, Histor. Zeitschrift 185 (1958) 523 f. Wiederabdruck in: Zum Kaisertum Karls d. Gr. (Wege d. Forschung 38, 1972) 184 f. «) Karl d. Gr. 587 = 51. Vgl. Wolfram, Intitulatio II 41 f. «•) Bd. 2 ed. Duchesne (1892) 7. Classen, Karl d. Gr. 583 = 47.
Karls Kaisertitel. Jahresanfang
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a deo coronato magno (et Hs. 2) pacifico imperatore anno vicésimo nono, post consulatum eius anno séptimo, indictione prima. Kaiserlicher Titel Karls d. Gr.: Karolus serenissimus Augustus a deo coronatus magnus pacificus imperator Romanum gubernans imperium, qui et per misericordiam dei rex Francorum atque Langobardorum. Münzen: (Dominus noster) Kar(o)lus imperator augustus (rex Francorum et Langobardorum, dieser Zusatz auf italienischen Prägungen nach Grierson, in: Karl d. Gr., oben 502 Anm. 1, 523).
Neu ist in dem Titel das Wort „serenissimus", das an die Stelle von „piissimus" tritt und nicht aus päpstlichen Datierungen abgeleitet werden kann 47 ). Man wird es auch in „Privaturkunden" der Königszeit vergeblich suchen, dagegen hatte man das Wort im Briefwechsel merowingischer Könige mit dem Osten für den Kaiser gebraucht 48 ). Hier beginnt die Arbeit von Karls Helfern, die sich weiter in der Wendung „Romanum gubernans imperium" und in dem gleichfalls vorwiegend byzantinischen 49 ) „per misericordiam dei" zeigt. Damit war die längste und gelehrteste Intitulatio geschaffen, die es geben konnte, ohne Rücksicht auf den praktischen Gebrauch, für den daneben ein offizieller „kleiner" Titel am Platze gewesen wäre. Man denke daran, wie Datierungen aussehen mußten, die auch noch einen Unterkönig zu nennen hatten. Bevor wir einen Blick auf die praktische Anwendung des damit gegebenen Musters werfen, ist es jedoch notwendig, auf die Bedeutung der Kaisererhebung für die Festsetzung des Jahresanfanges einzugehen. So wie jene hat auch diese eine Vorgeschichte. Im März 798 erhielt Alchvine von Karl dem Großen ein Schreiben, das anscheinend sein Gutachten zu einem chronologischen Problem erbat. Aichvi nes Antwort läßt erkennen, daß die jungen Gelehrten des Karlshofes — Alchvine nennt sie „pueri" — der Meinung waren, das Jahr habe mit dem Monat September zu beginnen, so wie in Ägypten. Alchvine polemisiert heftig gegen diese Ansicht: Lateiner habe er in der Pfalz zurückgelassen und nicht gewußt, daß jetzt im Palaste Davids sich eine „Aegyptiaca scola" eingenistet habe. Er bekennt sich zur „Romana consuetudo", „annum cum nato Christo et crescente luce initiare secundum Latinos volens" 50 ). Es wird nicht gesagt, ob der Anstoß zur Behandlung der Frage von Karl selbst ausging; jedenfalls fand sie sein Interesse, und man kann in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß er die Monatsnamen umtaufte, was Einhard unter Karls kaiserlichen Werken aufzählt, in Anlehnung an Suetons Biographie 4
') Es fehlt wenigstens in der Übersicht bei Menzer, Jahresmerkmale 45 ff. Wolfram a. a. O. 31 ff. weist darauf hin, daß beide Prädikate gemeinsam in der üblichen Briefadresse an den Kaiser stehen. 48 ) Eugen E w i g , Zum christlichen Königsgedanken im Frühmittelalter. In: Das Königtum (Vorträge u. Forschungen, herausg. v. Th. Mayer 3, 1956) 17 f. Danach Hans Hubert H o f f m a n n , Serenissimus. Historisches Jahrbuch 80 (1961) 242. ") Classen, DA 9, 103. 5 °) MGH Epistolae 4 (1895) 231 Nr. 145. Eine Arbeit über den Briefwechsel kündigt Wilhelm Heil an, Alkuinstudien 1 (1970) 33 Anm. 164.
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des Augustus 51 ). Eine größere praktische Bedeutung kann das Problem des Jahresanfangs nicht besessen haben — für die Datierungen der Urkunden schaltete es überhaupt aus —, denn sonst hätte man sich schon früher mit ihm beschäftigen müssen. Wie auf anderen Gebieten ist auch hier der Wille zu einer „reichseinheitlichen" Ordnung zu spüren, also wohl der Wille des Herrschers selbst. Nach germanischem Brauch begann das Jahr mit der Wintersonnenwende, nach römischem mit dem 1. Januar; das christliche Denken beschäftigte sich im gleichen Zusammenhang 52 ) mit Empfängnis (25. März) und Passion oder Auferstehung des Herrn, während der Osten am 1. September festhielt, als Beginn der Indiktion und der byzantinischen Weltära. Wir haben gesehen, daß man auch im Westen die Indiktionenrechnung kannte; sie ist als Steuertermin in Teilen Italiens lebendig geblieben53). Die Inkarnationsjahre, deren Bedeutung vorerst noch gering, aber immerhin im Steigen war, verwiesen auf den 25. März oder auf Weihnachten als Ausgangspunkt. Karls „pueri" hatten sich für den 1. September entschieden, und damit die Einheit zwischen Ost und West in einer für das Karlsreich durchaus akzeptablen und praktikablen Weise betont. Alchvines Argumentation spielte das Lateinertum gegen den Osten aus, den „populus electus" gegen die Ägypter. Daß diese im Herbst das Jahr hatten beginnen lassen, wußte er aus Bedas Schrift „de temporum ratione" 54 ). Sicherlich war er auch nicht darüber im Zweifel, daß der römische Jahresanfang keineswegs dem Christtag gleichzusetzen ist, und es geschah im Interesse der rhetorischen Antithese, daß er diesen Unterschied von sieben Tagen verwischte. Was gemeint ist, wird deutlich genug: Christi Geburt, der Beginn des „wachsenden Lichtes". Falls Alchvine über die Sitten seines Volkes in heidnischer Zeit nicht mehr Bescheid wußte, konnte er sich aus der eben genannten Schrift Bedas belehren lassen, daß die Angelsachsen das Jahr mit der „Nacht der Mütter", der Weihnachtsnacht, begonnen hatten 55 ). Wenigstens seit dem letzten Viertel des 9. Jahrhunderts, sagt Reginald L. Poole56), war der Jahresbeginn mit Weihnachten bei den karolingischen Herrschern üblich; "it was specifical the Imperial reckoning, and it prevailed wherever the Emperors held rule or exerted influence". Die Zeugnisse für den Nativitätsstil in der karolingischen Kanzlei sind freilich spärlich, denn sie hängen mit der Verwendung des Inkarnationsjahres zusammen, das erst im letzten Viertel des Jahrhunderts stärker in Gebrauch kam. Die Frage, ob schon Karl ") Heinrich F i c h t e n a u , Karl der Große und das Kaisertum. MIÖG 61 (1953) 273, Sonderausgabe 1971 (Reihe „Libelli", 320) 17. S2 ) Ginzel, Chronologie 3 (1914, 1958) 164. 6S ) Noch 977 tritt im Gebiet von Ravenna die Indiktion als Steuertermin auf. Fantuzzi (oben 500 Anm. 116) 5 (1802) 250 Nr. 28. M ) MGH Epp. a. a. O. Anm. 9. 65 ) Migne PL 90, 356. Im gleichen Zusammenhang wird von den angelsächsischen Monatsnamen gesprochen, darunter dem von Karl später mit dem gleichen Wort bezeichneten Ostermonat. 5e ) Studie» in Chronology and History (Oxford 1934) 10. Vgl. Tessier, Diplomatique 100.
Jahresanfang: Übergang zum Nativitätsstil
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der Große — nach Alehvines Wunsch — zum Weihnachtsstil übergegangen ist, kann überhaupt nur auf Grund nichturkundlicher Zeugnisse untersucht werden. Wir können uns dabei auf eine Vorarbeit aus der Schule Ernst Bernheims stützen 57 ), werden deren Ergebnissen allerdings nicht immer folgen. Der erste Teil der Reichsannalen kennt die stereotype Wendung „Eodem anno celebravit natalem domini in N. et pascha in N. (et pascha similiter). Et mutavit se numerus annorum in (Jahreszahl)" 58 ). Für fast vierzig Jahre gibt es dabei nur sechs Ausnahmen; zumeist handelt es sich um die Erzählung von Kriegszügen, die vor Ostern begannen und nachher fortgeführt wurden, so daß ein Abbrechen mit dem Osterdatum den Fluß der Erzählung gehemmt hätte. Zum Jahre 800 wird der Aufbruch Karls im März zur Sorge für die Küstenverteidigung geschildert, die Osterfeier in Centula, der neuerliche Zug an die Küste. Mit der Weihnachtsfeier in Rom „inmutatus est annorum numerus in DCCCI", worauf die Erzählung von der Kaisererhebung folgt. Und ebenso, wie früher die Osterfeier am Schluß stand, ist es seither das Weihnachtsfest; in den Jahren 807 und 808 steht die Oster- und Weihnachtsfeier in Aachen am Ende des Jahresberichtes. Der dritte Teil der Annalen gibt die Verzeichnung der Feiern fast gänzlich auf, er greift zeitlich vor und zurück, doch kann es keinem Zweifel unterliegen, daß der Nativitätsstil die Grundlage der Erzählung bietet. „Seit 800 scheint sowohl in den Reichsannalen als auch in der Bearbeitung, die in diesem Abschnitt nur unbedeutend abweicht, der Weihnachtsanfang zu herrschen." 59 ) Die Lorscher Annalen (Annales Laureshamenses) werden erst ab 791 gesprächiger 60 ). Da heißt es nach der Jahreszahl: „Sic fuit rex Carlus in Wormacia, et ibi celebravit pascha. E t v e r t e n t e a n n o , eo tempore quo solent reges ad bella procedere, movit exercitum suum . . .". Mit der Erwähnung der Osterfeier beginnen die Jahre 792, 794, 795, 799, während 793 auf Geschehnisse des Winters zurückgreift. Daß Karl den Winter 799/800 in Aachen verbrachte, wird zweimal erzählt, am Schluß des Jahres 799 und — nach Tintenwechsel in der Wiener Handschrift — zum Beginn des Jahres 800. Es folgt Karls Reise zur Fastenzeit zu den „corpora sanctorum", ihr schließt sich nach Ostern der Ritt zum heiligen Martin nach Tours an. Mit dem Winter hat hier das Jahr begonnen, mit den Verhandlungen vom Dezember in der Peterskirche schließt es. Das folgende bringt die Kaisererhebung, Ostern in Rom und die Heimkehr nach Aachen. Kein Zweifel: Sowohl in den Reichsannalen als in den Lorscher ist ein Übergang zum Nativitätsstil festzustellen, und nur das eine bleibt fraglich, ob ") Paul Molkenteller, Die Datierung in der Geschichtsschreibung der Karolingerzeit (Diss. Greifswald 1916). 68 ) Annales regni Francorum, MGH SS rerum German. (1895), zu 759—766, 768—774, 776—779, 781—783, 785, 787—792, 794—798 (schon zum zweiten Teil gehörig). Molkenteller a. a. O. 3. '") Molkenteller a. a. O. 11. «») MGH SS 1 (1826) 34. Nicht von Molkenteller behandelt. Vgl. auch Franz Unterkirchers Faksimileausgabe, Codices selecti phototypice expressi 15 (1967).
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Fichtenau, „Politische" Datierungen III
er schon mit 799/800 oder erst mit dem Datum der Kaisererhebung begonnen hat. Schade ist es, daß sich aus sonstigen frühen Annalen für diese Sache wenig gewinnen läßt; daß in späteren Werken der Weihnachtsstil vorherrscht, hat Molkenteller festgestellt. Sehen wir diese Tatsachen mit Karls Anfrage bei Alchvine zusammen — wozu gewiß Grund genug gegeben ist —, drängt sich der Schluß auf, daß diese Umstellung ihre Ursache in einer Entscheidung des Herrschers hatte. Fraglich bleibt, ob das Datum der Kaisererhebung den Anlaß zu dem neuen Stil bildete oder ob jenes Datum im Sinne dieses Stils festgesetzt wurde. Schließlich hätte man für den feierlichen Akt das Fest der Epiphanie wählen können, das so reich an Beziehungen zum das Herrschertum ist, oder den Tag der Circumcisio, und damit der alten „consuetudo Romana" und den Konsulndatierungen entsprochen. Im 29. Kapitel der Karlsvita, „post susceptum imperiale nomen", hat Einhard unter den kaiserlichen Werken auch die Festsetzung der Monatsnamen durch Karl vermerkt. Wenn es dabei einen „Ostermonat" gibt, wird dieses Fest als Jahresgrenze schon ausgespielt haben, als die Benennung geschaffen wurde. Von einer Anordnung Karls über den Jahresanfang meldet Einhard nichts. Ein Versehen kommt kaum in Frage bei der Sorgfalt, mit der das kleine Werk gearbeitet ist; eher könnte man daran denken, daß hier keine Vorlage bei Sueton zu finden war und Einhard der Sache darum weniger Bedeutung beimaß. Oder war sie ihm nicht sympathisch? Es ist müßig, sich in Vermutungen über dieses ,Testimonium ex silentio" zu ergehen. So tritt zu den zahlreichen christlichen Bezügen von Karls Kaiserherrschaft, die bisher festgestellt wurden, ein weiterer: Der Beginn dieser Herrschaft und der Jahresbeginn mit Christus fielen zusammen. Nahe lag es, nun auch die Jahreszählung nach Jahren von Christi Geburt an zu rechnen; wir können vermuten, daß die urkundlichen Datierungen deshalb darauf verzichteten, weil dies der alten kaiserlichen Sitte einer Zählung nach Herrscherjahren widersprochen hätte. Jenseits der Urkunden hat man sich gelegentlich der Inkarnations jähre bedient: In den Kapitularien von 789, 797, 80161) wurden diese Jahre den Regierungsjähren Karls vorangesetzt, und der feierliche Vorspruch des Codex Carolinus (791) verknüpft die ,,Regnante"-Formel mit der Jahreszählung nach Christi Geburt 62 ). Das Vorkommen einer solchen Zählung in D. Kar. 1199 von 803 für Farfa, und zwar im Kontext, scheint dagegen ein Zusatz der Abschriften zu sein63). In der „Privaturkunde" gingen die Versuche weiter, die Inkarnationsjahre einzuführen, so wie dies gelegentlich schon im 8. Jahrhundert der Fall «) MGH Capit. 1, 62, 71, 204 Nr. 23, 27, 98. ) MGH Epistolae 3 (1892) 476 r „Regnante in perpetuum domino et salvatore nostro Iesu Christo, anno incarnationis eiusdem domini nostri DCCXCI. Carolus excellentissimus et a deo electus rex ...". Vgl. auch oben 492. *3) Es handelt sich um zwei ungeschickte Einfügungen in das Kanzleidiktat, die beide mit „moderno tempore, id est ..."beginnend Inkarnations- und Kaiserjahr geben, während letzteres doch in der Datumzeile zu finden ist. Seit 804 verwendete man in Farfa dauernd das Inkarnationsjahr für Datierungen. Bresslau-Klewitz, UL II 22, 427 Anm. 4 ist daher wohl zu berichtigen. ,2
Nativitätsstil. Inkarnationsjahre
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war; damit erweiterte sich die Kluft zwischen dem Abendland und Byzanz, wo man seit dem 8. Jahrhundert mehr und mehr die Ära nach Erschaffung der Welt gebrauchte. Die Reihe der Inkarnationsjähre in „Privaturkunden" führt von Freising 758, Mondsee 759, Fulda 783/8464) zu einem oftmaligen, formularmäßigen Gebrauch in Farfa seit 804 und Regensburg seit 810, während Mondsee (seit 823), Passau (834) und Weißenburg (837) später nachfolgen 65 ). Wenn die Kanzleien Karls III. und Ludwigs des Jüngeren seit 876 das Inkarnationsjahr offiziell in die Datierungen einführten 66 ), waren also genug urkundliche Vorbilder zur Stelle. Die Kaiserkrönung Karls des Kahlen vom 25. Dezember 875 kann für den Wechsel nicht maßgebend gewesen sein, da Karls Kanzlei weiterhin nur nach Regierungsjähren datierte. An der Tradition, das Jahr mit Christi Geburt zu beginnen, hat man in den Diplomen der späten Karolinger festgehalten; zu untersuchen wäre noch, ob es sich bei der seit 823 begegnenden „Neujahrsindiktion" für die Kanzlei Ludwigs des Frommen nicht um einen Übergang vom 1. September zum 25. Dezember gehandelt hat 67 ). Auf manchen Umwegen und erst in der dritten Generation nach Karl dem Großen hat also Alchvines These, daß das Jahr mit Christi Geburt zu beginnen sei, ihren Niederschlag in den Diplomen gefunden. Die Verfechter des Septemberanfanges scheinen trotz des offiziellen Umschaltens der Annalistik auf den Weihnachtsstil und der nach diesem Stil berechneten Kaiserjahre Karls eine kleine Genugtuung erhalten zu haben: Die Rechnung nach Indiktionen wurde jetzt in die Datierungen eingeführt. Dies geschah anscheinend nicht sofort nach der Kaisererhebung, sondern erst nach Karls Rückkehr ins Frankenreich 68 ). Eine weitere Änderung in den Datierungszeilen der Diplome erfolgte noch auf dem Rückweg nach dem Norden; während D. Kar. I. 196 für Arezzo nur die der Königszeit Karls vertraute Apprecatio „in dei nomine feliciter" zeigt, heißt es seit D. Kar. 1197 von 801 Mai 29 für Nonantula daneben, eingebaut in die Nennung des Kaiserjahres, „Christo propitio". Wir erinnern uns, daß schon bei langobardischen Königsurkunden die Verdrängung der einstmals heidnischen „felicitas" aus den Zeitangaben und ihre Ersetzung durch rein Christliches, etwa „deo propitio", begonnen hatte 69 ). Letztere Wendung war charakteristisch für die Papstdatierungen und jene der „Privaturkunde" unter päpst") Freising: Oben 487 Anm. 76. Mondsee: Urkundenbuch d. Landes ob d. Enns 1,41 Nr. 70. Stengel, UB v. Fulda 1, 229 Nr. 154. •6) Reg. di Farfa 2, 145 Nr. 175 (192) f., 148 Nr. 181 (198) f. usw., vgl. Liber largitorius mon. Pharphensis 1, 32 Nr. 4. Trad. Regensburg 10 Nr. 11, 14 Nr. 14 usw. Mondsee: OÖUB 1, 6 Nr. 8 und öfter. Passauer Trad. 25 Nr. 28 d. Trad. Wizenburg. 155 Nr. 166. e6 ) Siehe unten 537 f. mit Anm. 79. 67 ) Dafür wird die Edition der Diplome Ludwigs abzuwarten sein. Eine Bemerkung Sickels, Acta Karolinorum 1 (1867) 273, scheint in diese Richtung zu deuten. Derartigen Untersuchungen, bei denen es sich um eine Differenz von wenigen Tagen handelt, stehen natürlich große Schwierigkeiten entgegen. Aus ähnlichen Gründen nimmt Tessier, Diplomatique 100, den Weihnachtsstil der spätkarolingischen Diplome nur als „sehr wahrscheinlich" an. «8) Seit D. Kar. I 198, 802 September 15. «•) Oben 475.
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Fichtenau, „Politische" Datierungen III
lichem Einfluß 70 ). Hinter der Umformung zu „Christo propitio" steht wohl auch der stilistische Grund, die Wiederholung des Wortes „deus" (deo propitio . . . in dei nomine) zu vermeiden. Schließlich sei die bereits erwähnte 71 ) Neuerung nochmals angeführt, die Ländernamen zu den Regierungsjähren zu setzen (seit D. Kar. I 197). Der Aufbau der Datierung entsprach mit der Reihung Kaiserjahr — Jahr „in Francia" — Jahr „in Italia" der Intitulatio, die gleichzeitig in die Diplome eingeführt wurde.— Wie spiegelte sich die neue Lage in den „Privaturkunden" der Zeit nach 800? Auch jetzt war es Sache lokaler Kräfte, zu entscheiden, wie man datierte. Um wieder mit Fulda zu beginnen: Vorerst hat sich hier nichts geändert, oder doch wenig; im Mai 802 ersetzte man einmal die Wendung „regnante . . . rege" durch „regnante . . . imperatore", jedoch mit Angabe des fränkischen Königsjahres 72 ). Im folgenden Jahr schloß man einmal an die gewohnte königliche Datierung die Erwähnung des Kaiserjahres, und dieser Gebrauch begegnet noch mehrmals, neben nur-königlichen Datierungen 73 ). Das Kaiserjähr hat sich nicht durchgesetzt; bis auf Ausnahmefälle 74 ) herrscht das fränkische Königsjahr. Im Einzugsbereich des Klosters Fulda ist Karl der Große weiterhin der Frankenkönig, oder Imperator — ohne Beifügung — mit fränkischen Regierungsj ahr en. Auch in Bayern ist Karl „der Kaiser" ohne Bezeichnung des Herrschaftsbereiches, aber er ist nicht mehr „der König": Hier geht man mit der Zeit, wohl geleitet durch bedeutende Persönlichkeiten wie Arn von Salzburg und Hildebald von Köln, der Mondsee regierte. In Regensburg kennt man schon 791, vorerst als adjektivisches Prädikat, Karl als „augustus" 75 ), was auf Nähe zum Hofkreis deutet; in Freising schreibt man 802 „anno X X X I I I et secundo regnante et imperante domino nostro Karolo serenissimo augusto" 76 ), und weiterhin begegnet Karl als „augustus", „imperator" und „augustus" oder auch „imperator" allein. Königsjahre gibt es in Freising nur in Verbindung mit den Kaiserjahren, und seit 804 datiert man nur mehr nach diesen, wozu sehr häufig die Indiktion tritt. Beiworte sind „serenissimus", „gloriosissimus" und häufig auch „magnus" 77 ), ein Epitheton der Hofsprache und der Kaiser*>) Oben 492. ») Oben 506 f. Stenge], U B v. Fulda 412 Nr. 283. Die beiden zeitlich anschließenden Stücke Nr. 284 f. sind nach dem König Karl datiert. ") CD Fuldensis ed. Ernst D r o n k e (1850) 100 Nr. 177 („...impeiii vero eius tertio"), vgl. aber Nr. 178 f., 207 f.; 111 Nr. 209 („...anno ex quo imperator creatus est III"), 112 Nr. 211, vgl. aber die Königsdatierungen in Nr. 212, 214 f. und später. 74 ) A. a. O. 112 Nr. 210 = 1 1 7 Nr. 223 („anno tertio quo Caesar ordinatus est"), 119 Nr. 225 („anno V imperii"). 75 ) Widemann, Trad. v. Regensburg 5 Nr. 6 („regnante augusto Karolo"), vgl. 9 Nr. 10; beide von „Thaugolf presbyter" geschrieben, also wohl kein späterer Zusatz. Sigurd Graf P f e i l , Der Augustus-Titel der Karolinger. Die Welt als Geschichte 19 (1959) geht auf die Privaturkunden nicht ein. ">) Bitterauf, Trad. Freising 1, 174 Nr. 183 = 177 Nr. 184 b. ") A. a. O. 178 f. Nr. 186 (auch im Kontext; geschrieben auf Befehl Arns von Salzburg 802), 182 Nr. 192 („Karolo magno augusto", 803) usw. Vgl. Paul L e h m a n n , Mittel-
Kaisertitulaturen in Franken, Bayern, Alemannien
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titulatur. Die wenigen Passauer Stücke folgen dem Beispiel Freisings; die doppelte Zählung nach Königs- und Kaiserjahren weicht 804 einer nur-kaiserlichen Datierung 78 ). Uber eine Streitsache zwischen dem Bischof von Freising und dem Abt von Chiemsee entschied 804 ein Königsgericht unter Vorsitz Arns von Salzburg, und die Notitia hierüber nähert ihre Datierung noch mehr dem Gebrauch der Diplome an: Die eine Fassung gibt Kaiser-, Franken- und italienisches Jahr Karls, Indiktion und Apprekation ,,in dei nomine feliciter, amen" 79 ). Die dreifache Jahresdatierung ist in Mondsee gebräuchlich, wo Karl auch meistens „augustus" genannt wird, Apprekation und „Christo propitio" nebeneinander vorkommen können. Es handelt sich um ein „Formular", das schon am Beginn den „sanctus ac venerabilis Hiltibaldus archiepiscopus et sacri palatii capellanus" nennt und mit dessen Person verbunden ist 80 ). Hildebald, der Hofbischof und mächtige Berater Karls, weilte gewiß nur selten in Mondsee, doch scheint er eine Anweisung hinterlassen zu haben, wie Urkunden auszustellen und zu datieren seien. Die Nähe zur „Kanzlei" war durch ihn gewährleistet, und so ist man in Mondsee den Datierungen der Diplome am nächsten gekommen. In Weißenburg, am Rande von „Francia" und „Alemannia", herrschten dagegen Zustände, die sich mit Fulda vergleichen lassen. Hier hat man die „reinen" Königsdatierungen weitergeführt, manchmal ergänzt um das Kaiserjahr, oder auch dieses allein verwendet; einmal findet sich auch die dreifache Jahresdatierung 81 ). Dasselbe gilt für St. Gallen. Der Gesichtskreis umfaßt die (fränkische) Königsherrschaft Karls, allein oder zusammen mit dem Kaisertum, das dann fast immer an zweiter Stelle steht, und auch das Kaisertum allein mit dem Kaiserjahr. Neben diesen Normalfällen gibt es jedoch recht interessante Ausnahmen: Sieht man von der Möglichkeit einer Weiterführung des patricius-Titels ab, die vielleicht nur auf einen Irrtum der Jahreszählung zurückzuführen ist 82 ), muß vor allem eine Dreigliederung der Titulatur in Frankenkönig, Langobardenkönig und Kaiser „der Römer" erwähnt werden 83 ).
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alterliche Beinamen u. Ehrentitel. Erforschung des Mittelalters 1 (1941) 130 ff., bes. 133. Zu den von Lehmann gegebenen Belegstellen kämen noch: MGH Poetae lat. 1, 94 Z. 13 (780), 376 Z. 406 (Gedicht Karolus magnus et Leo papa) ; „Karolus magnus" in Benevent schon vor dem Jahre 800, Garms-Cornides, oben 377. Vgl. auch Schramm, Kaiser, Könige . . . 1, 341 Anm. 89 und Wolfram, oben 29. Heu wieser, Passauer Trad. 51 Nr. 59. In den meisten Stücken fehlt eine Jahresdatierung. Freisinger Trad. 1, 184 Nr. 193a. OÖUB 1, 8 Nr. 11, 43 Nr. 72 (hier auch mit Inkarnationsjahr; beide 803), 14 Nr. 21, 10 Nr. 14, 62 Nr. 101, 31 Nr. 51 f., 63 Nr. 103 usw. Auf das „Formular", jedoch unter Außerachtlassung der Datierungen, geht Zatschek in MIÖG 42 (1927) 227 f. ein. Gleichartige Datierungen jenseits des „Formulars" finden sich in Nr. 2, 32, 48 usw. Beispiele: Trad. Wizenburgenses 162 Nr. 174, 229 Nr. 238, 192 Nr. 201. Wartmann, ÜB v. St. Gallen 1, 186 Nr. 196. A. a. O. 184 Nr. 193: „anno XLV i l l i regnante domno nostro Carolo regi Franchorum et Langobardorum et imperatori Romanorum". Vgl. 155 Nr. 164 (802 Mai 15), 195 Nr. 205. Als literarische Parallele kann die Visio Wettini (nach 824) angeführt werden
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Fichtenau, „Politische" Datierungen III
Schon diese Reihung gibt zu denken, entspricht sie doch der früheren Stellung des „patricius Romanorum" am Schluß des Titels. Sind die „Römer" hier zum „dritten Reichsvolk" geworden? Wir werden einen ähnlichen Gebrauch in Italien begegnen. Die Wendung wird in St. Gallen einmal erweitert zu „imperator et gubernator Romanorum" 84 ), was an Karls Kaisertitel anklingt, und ein andermal heißt es gar: ,,. . . anno secundo domno nostro Carolo imperatore et X X X I I I rege Frangorum et Langobardorum et gubernator Romanorum et inluminacio Saxanorum" 85 ). Wenn dieser Schreiber den Imperator vom „gubernator" trennte, sah er wohl in letzterem etwas wie einen „Leiter und Lenker" der Römer (oder Romanen), einen Ehrentitel, den man in Parallele zu Karl als „Sachsenbekehrer" stellen konnte. Nichts könnte die Schwierigkeiten angesichts von Karls kompliziertem Kaisertitel besser beleuchten als dieser merkwürdige Einfall. Aus Norditalien sind uns nur Trümmer einer gewiß ansehnlichen Produktion der Jahre nach 800 erhalten. Es scheint, als habe dieses Jahr für die „Privaturkunde" der Lombardei keine Bedeutung besessen: Man datierte weiterhin nach den Königen Karl und Pippin, und es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß dies auf einen bloßen Konservativismus des „Formulars" zurückzuführen ist 86 ). Anders verhält es sich in der Toskana: Neben Stücken, die Karl und Pippin als Könige nennen 87 ), steht eine weitaus überwiegende Anzahl von anderen, die Karls Kaisertitel fast korrekt wiedergeben. Ein Beispiel für viele mag zugleich bezeugen, wie lang und kompliziert damit die Datierungen wurden: Carolus serenissimus augustus a deo coronatus magnus et pacificus, Romanum gubernans imperium, qui et per misericordia (!) dei rex Francorum et Langobardorum, anno regni eius quo Langubardiam coepit XXVIII, et filio eius domno Pipino rege, anno regni eius vigisimo primo, mense Octubris, inditione X 88 ).
Zu Ende September 801 war hier schon die Umstellung erfolgt; im April hatte man Karl als „imperator augustus" bezeichnet, unter Weglassung aller anderen Bezeichnungen, aber schon mit dem Kaiserjahr 89 ). Damals, am Ende
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(c. 11), wo Karl als Herrscher genannt wird, „qui Italiae et populi Romani sceptra quondam rexerat", MGH Poetae latini 2 (1884) 271; vgl. Walafried Strabos Versifizierung a. a. O. 318 v. 446 ff.: „...qui regna tenebat et altae Romanae gentis..." (826/ 827). Wartmann, ÜB v. St. Gallen 1, 192 Nr. 201 (809). A. a. O. 154 Nr. 163 (802). Vgl. die Stücke im CD Langobardiae (HPM 13, 1873) 146—166, mit Ausnahme der gerichtlichen Notitia des Königsboten Adalhard, 164 Nr. 188. Weiters V. F a i n e l l i , CD Veronese (Mon. storici n. s. 1, 1940) 84 Nr. 70, 87 Nr. 71. F. G a b o t t o , Carte del l'Archivio Cap. d'Asti (Bibl. stor. subalp. 28, 1904) 5 Nr. 4. Mem. e doc. di Lucca IV 2,12 Nr. 8 (Notitia, 806) und die oben 510 zitierten Urkunden, in denen Karl als König auch der Römer aufscheint. Mem. e doc. V 2, 175 Nr. 297 (801) und über achtzig weitere Urkunden. Ebenso Brunetti CD Toscano II 1, 330 Nr. 56 (801 September 26, mit der Erweiterung „...a deo coronatus magnus et pacificus imperator ..."), 57, 59. Brunetti a. a. O. 327 Nr. 54 (Pisa 801 April 30): „Regnante domno nostro Karolus imperator augustus, anno imperii eius postquam Italia ingressus es ( !) anno primo...".
Kaisertitulaturen in Italien
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des römischen Aufenthaltes, war der neue Titel noch nicht gefunden bzw. noch nicht in Gebrauch. Es scheint, als habe der Abt des Klosters von Montamiata noch im August diesen Titel nicht gekannt und sich daher an den Königstitel gehalten, mit vorgesetztem „Imperante" 9 0 ). Man hat den Eindruck, daß Karl nach Hause zog, ohne Weisungen über den Gebrauch der Titulatur zu hinterlassen ; daß aber dann sehr bald für die Toskana ein solches Regulativ aufgestellt wurde, wohl von einem der hohen Funktionäre dieses Gebietes. Hier wäre eine Parallele zur Einführung der „patricius"-Titulatur im Jahre 794 gegeben 91 ). Nun hatten die Urkundenschreiber etwas zu kopieren, das sie nicht alle verstanden. In ihrer Erinnerung begannen sich die Dinge zu verschieben: Harolus serenissimus augustus et a deo coronatus magnus et pacificus guvernans imperium R o m a n o r u m , protegente Christo anno imperii sui tertio et per misericordiam dei rex Francorum et Langubardorum, et Pipino filio eius regibus, anno regni eorum in Etalia trigesimo primo et vicesimo tertio . . . e2 ). Karolus serenissimus augustus, a deo electus et coronatus magnificus et pacificus imperator Romanum gubernans imperium, qui et per misericordiam dei rex Francorum et Langobardorum ac p a t r i c i o Romanorum in Etalia, postquam Papia civitate ingressus est, anno trigesimo tertio, et filio eius Pipino regem Langobardorum anno regni eius vigesimo sexto . . .*3).
Man konnte sich nur schwer vorstellen, daß dem Patriziat über die Römer keine ähnlich konkrete Herrschaftsbezeichnung nachfolgen sollte. Wenn das Kaisertum diesen Patriziat abgelöst hatte, dann mußte es ein Kaisertum über die „Römer" sein. Karl ist „(augustus) gubernans imperium Romanorum" 9 4 ). Und dies in Nachbarschaft der päpstlichen Datierungen, die sich stets hüteten, dem „imperator" das Beiwort zu geben 96 ). Das allgemeine, nicht speziell auf die „Römer" bezogene Kaisertum wäre den Zeitgenossen verständlicher gewesen, hätte es weiterhin den „patricius Romanorum" geben dürfen, oder jenen „rex Romanorum" jemals gegeben, von dem einige Urkunden träumten. Noch bleiben einige Worte von Farfa zu sagen, wo man — jenseits der schon besprochenen Datierungen nach Kaiser und Papst -— bis zum Jahre 803 Karl und Pippin nur als Könige bezeichnete; dann erhielt das Kloster ein Diplom des Kaisers (D. Kar. 1199), und seitherbemühte man sich um korrekte Wiedergabe des neuen Titels, fallweise unter Weglassung der Stammesbezeich-
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Brunetti a. a. O. 328 Nr. 55: „Imperante domino nostro Carolo excellentissimo rege Francorum et Langobardorum adque patricius Romanorum, quod accepit Italia anno bicensimo octabo mense Augusto indictione octaba." Oben 507. Brunetti a. a. O. 339 f. Nr. 62, wo es „guvern. nr." heißt, was wohl eine Verlesung darstellt. Es bedürfte archivalischer Studien, um derartige Fehlerquellen auszuschalten, auch bei den recht schematiäch abgeschriebenen und teilweise gekürzten Drucken der Memorie e documenti. Cesare Manaresi, I placiti dei Regnum Italiae (Fonti per la storia d'Italia) 60 Nr. 19 (Abschrift des 11. Jahrhunderts). Brunetti 368 Nr. 73, 381 Nr. 80, 385 Nr. 82, 392 Nr. 85, 399 Nr. 88, 403 Nr. 90 (hier mit der Variante „imperator Romanorum gubernans impeiium", die schon in Nr. 79 auftritt; hier wie dort handelt es sich jedoch um Abschriften). In Nr. 63 (ebenfalls Abschrift) heißt es „imperatore Romano gubernante imperio". Oben 495, 499.
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Fichtenau, „Politische" Datierungen III
nungen, für die hier die Königsjahre „in Francia" und „in Hitalia" (gemäß der Schreibung in dem genannten Diplom) eintraten. So ergibt sich, im ganzen gesehen, ein recht uneinheitliches Bild. Man würde erwarten, der Gedanke an das Kaisertum und die offizielle kaiserliche Titulatur seien von Aachen und der „Francia" ausgegangen und hätten sich in den ferneren Ländern des Reiches in abnehmender Intensität durchgesetzt. Anstelle dessen ist Karls Kaisertitel nördlich des Apennins kaum populär geworden, und vom Kaisertum nahm man am meisten in Bayern Notiz, während der Gebrauch anderswo schwankte, die Lombardei anscheinend ganz abseits blieb. Derlei wird man nicht mit Opposition gegenüber den neu geschaffenen Tatsachen verwechseln dürfen und auch nicht einfach als Provinzialismus abtun. Das Königtum der Franken und der Langobarden trug weiterhin den Gesamtstaat, der König oder Unterkönig war den Mittelschichten eine vertraute Gestalt. Daß der König jetzt Kaiser hieß, mochte man zur Kenntnis nehmen, und doch nach den Königsjahren weiterzählen. Daß etwas wirklich Neues begonnen hatte, davon waren wohl die meisten Angehörigen der Oberschicht überzeugt; es hätte ihres Beispiels und ihrer Anordnungen bedurft, um diese Überzeugung all den urkundlichen Datierungen zu vermitteln. Doch blieb der Spielraum für den einzelnen groß. Wir können den Mangel eines Bürokratismus justinianischer Prägung bedauern, wenn wir auf die Uneinheitlichkeit der Ergebnisse sehen, wir können in diesem Mangel andererseits eine Stärke erblicken, die für ein Mitdenken und Umdenken im Sinne historischer Entwicklungen Platz ließ. Am Beginn des 9. Jahrhunderts war alles im Fluß; das einheitliche Staatswesen überdeckte eine Vielfalt, von der noch weiter zu sprechen sein wird.
IV. D I E S P Ä T E R E
KAROLINGERZEIT
Wohl das Hauptproblem fränkischer Geschichte im 9. Jahrhundert ist der Antagonismus von Zentralismus und Regionalismus, oder wie immer man die Polarität von monarchischer Gewalt und politischer Länderstruktur bezeichnen will. Eine Fülle politischer Aktionen belegt diese Tatsache, und so scheint es, als müßten wir hier nicht auf die Datierungen zurückgreifen, kleine und eher nebensächliche Indizien; immerhin bestätigen sie unser Bild der „großen" Geschichte, und mehr noch: Sie können es im einzelnen konkretisieren, das Denken königlicher Schreiber und namenloser Mittelschichten widerspiegeln, und schließlich eine Kontinuität vom 8. Jahrhundert her aufzeigen. Vorerst haben wir mit den Regentenjahren der Herrscherurkunde zu tun, einem gut durchgearbeiteten Stoffgebiet. Da die Dinge zumeist rein referierend an verschiedenen Stellen niedergelegt wurden, kann ein kurzer Überblick nützlich sein. Am Beginn steht wie erwähnt der neue Stil der Kanzlei Karls des Großen, nach der Kaisererhebung sowie den Regierungsjahren „in Francia" und „in Italia" zu zählen 1 ). Das entspricht dem zusammengesetzten Titel der Jahre nach 800, doch ist das „regnum Francorum" zur „Francia", das „regnum Langobardorum" zur „Italia" geworden: Abbreviaturen, hinter denen man kein Umdenken vom personalrechtlichen zum territorialen Prinzip sehen sollte. Es ist klar, daß Ludwig der Fromme, der alles andere der Idee des christlichen Kaisertums zu opfern bereit war, nicht nur im Titel, sondern auch in den Datierungen nur dieses nannte. So weltfremd diese Reform im Grunde war, konnte sie doch eines für sich buchen: daß an die Stelle eines unpopulären zusammengesetzten Titels ein einfacher trat. Vielleicht ergab sich dazu auch jetzt erst eine verfassungsrechtliche Möglichkeit. Man nimmt an, Karl der Große habe den langobardischen Großen Zusagen über den Fortbestand des Reiches gemacht; er war und blieb der „rex Langobardorum". Die Versprechungen werden — wie allgemein üblich — nur den Herrscher selbst, nicht aber seine Nachfolger betroffen haben, und diese waren nicht an den alten Titel gebunden. In der „divisio regnorum" von 806 wurde bestimmt, daß im Falle von Pippins Tod Italien zwischen den überlebenden Brüdern Karl und Ludwig geteilt werden sollte2), und damit mußte das alte „regnum" ebenso wie seine Bezeichnung verschwinden. Von den Langobarden als der einstigen Herrenschicht zu reden mochte schon Karl und seinen Helfern keine Freude bereiten, und an weniger offizieller Stelle — etwa in den ») Oben 506 f., 518. ) Böhmer-Mühlbacher Reg.2 Nr. 416. Leicht (oben 506 Anm. 27) 223 Anm. 11, 231 Anm. 30.
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Fichtenau, „Politische" Datierungen IV
Datierungen der Kaiserzeit, aber schon in den Libri Carolini und anderswo — sprach man lieber von der „Italia". Doch hat sich Karl anscheinend noch in seiner letzten Zeit dazu bereit gefunden, Bernhard — wenn man den Zeugnissen der „Privaturkunden" trauen darf — zum „rex Langobardorum" zu bestellen 3 ). Ludwig der Fromme war von solcher Rücksichtnahme frei und konnte es umso eher sein, als es in Oberitalien anscheinend Kreise gab, die glaubten, jetzt habe die Abhängigkeit von Aachen ein Ende. Obwohl man wußte, daß Ludwig die Regierung angetreten hatte, datierte man nach Bernhard allein 4 ); der junge König fand sich nicht freiwillig bei Hofe ein, er mußte erst gerufen werden. Aber auch bei unterwürfiger Haltung von Beginn an hätte ein „langobardisches" Königtum kaum Chancen gehabt,anerkannt zu werden: Es fügte sich keinesfalls in das kaiserliche Konzept. So wie es um das Jahr 817 Agobard von Lyon ausdrückte, sollten alle „unum corpus Christi, immo unus Christus" sein, „ubi non est gentilis et Iudeus . . . Aquitanus et Langobardus, Burgundio et Alamannus . . ," 5 ). Dazu paßten auch nicht die „anni in Francia"bzw. „in Italia", sondern das christliche Kaisertum konnte nur einen einzigen Beginn haben. Lothar war dagegen Italien besonders verbunden, das sein Regierungsbezirk war, und wohl deshalb hat er 833 und dann wieder 840 die doppelte Zählung der Kaiserjahre 6 ) wieder aufgenommen. Als „rex Langobardorum" oder „rex Italiae" ist Lothar weder vor noch nach der Krönung zum Mitkaiser bezeichnet worden. Er sollte „der Kaisersohn" oder „Kaiser" sein; nur von seinem „regnum in Hitalia" durfte offiziell gesprochen werden, die Jahre wie jene eines Unterkönigs zählend 7 ). Wenn man daran festhielt, daß das „regnum Langobardorum" nicht existierte, so mußte der dauernde Aufenthalt des Kaisersohnes bzw. Mitkaisers in Italien teilweisen Ersatz dafür bieten und die imperiale Würde eine Art landschaftlicher Tönung erhalten. Wenn Kehr schreibt: „Die Idee eines ,imperium in I t a l i a ' . . . hatte sich unter Kaiser Ludwig II. ausgebildet" 8 ), so ist dies nicht haltbar. In Soissons 833 nach der Entthronung des Vaters bekannte sich Lothar bzw. sein Personal zu einem „annus . . . imperii . . . in Italia" (D. 13)9). Wenn auch sowohl „regnum" als „imperium" einfach „Herrschaft", „Regierung" bedeuten können, werden wir doch hier einen spezifischen Gebrauch des Wortes annehmen dürfen. Als sich Lothar nach dem Scheitern der Aufstände nach Italien zurückzog, sollten seine 3
) Engelbert Mühlbacher, Zur Geschichte Bernhards von Italien. MIÖG 2 (1881) 297 und bestimmter in B.-M. Reg.2 S. 232 Nr. 515 b: „Bernhard führt den Titel Rex Langobardorum." Ein offizieller Titel ist nicht überliefert. *) Mühlbacher, Zur Gesch. Bernhards 298 f. Vgl. etwa Mem. e doc. Lucca IV 1, 12 Nr. 8 (814 April): „Regnante domno Bernardo gratia dei rex Langubardorum in dei nomine anno regni eius secundo . . . " . Leider sind keine Urkunden erhalten, die von Bernhard selbst ausgestellt wurden. 5 ) MGH Epistolae 5 (Karol. 3, 1899) 159 Z. 10 ff. o) MGH DD. Lo. I. 13—22, 47 ff. ') D. Lo. I. 1 ff. 8 ) MGH DD. Karl III., Vorrede XLI Anm. 4. ») Theodor S c h i e f f e r in der Einleitung zu MGH DD. Lo. I., S. 45.
Regentenjahre in der Herrscherurkunde Italiens
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Kaiserjähre die italienischen sein. Daß ihre Zählung in Verwirrung geriet, kann nicht verwundern, denn die Lage bot dazu allen Anlaß. Vor allem konnte bisher die Forschung mit einer Zählung der Jahre ab 820 nichts anfangen, die aus der „Privaturkunde" in die Diplome eingedrungen war 10 ): Bernhards Tod fällt in das Jahr 818, Lothars Entsendung nach Italien erfolgte 822. Einer Vermutung und nicht mehr soll es dienen, wenn wir darauf aufmerksam machen, daß auf einer Reichsversammlung des Jahres 820 die ,,ordinatio imperii" durch die anwesenden Großen beschworen wurde 11 ). Im Jahre 817 hatten dies nur die „Franken" getan, während südlich der Alpen die Verschwörung begann. Es könnte sein, daß jetzt Große aus Italien das Versäumnis nachholten und dafür das Versprechen erhielten, Lothar nach Italien zu senden 12 ). Im Normalfall pflegte man die Jahre des Königs vom Eintreffen in Italien an zu zählen. Wenn man davon jetzt abwich, dann geschah dies wohl im Interesse einer stärkeren Betonung der Kontinuität des dortigen Herrschertums. Zwischen den Jahren 818 und 820 klaffte nicht jene zeitliche Lücke, die man nach der Absetzung Bernhards hätte erwarten können. Mühlbacher hat darauf hingewiesen, daß „diese Zählung für die Placita von Königsboten auch an Orten, wo eine andre Epoche in Geltung ist, verwendet wird" und daraus geschlossen, daß „ihr gleichmäßiges und weitverzweigtes Auftreten . . . auf höhere Veranlassung hinweisen "dürfte 13 ). Da wir aus früheren Zeiten wissen, wie wenig „privaturkundliche" Datierungen Italiens Weisungen der Zentralregierung zu gehorchen pflegten, dürfte es sich nur um Absprachen der Großen des Landes gehandelt haben bzw. um eine Übereinkunft innerhalb jener rudimentären Verwaltungsorganisation, die von Pavia aus auch in Zeiten des Interregnums wirksam war. Eine Restitution des alten Königstitels brachte dann das Jahr 844, als Ludwig II. zum „rex Langobardorum" erhoben wurde 14 ). Vorher und nachher, also in der Spätzeit Lothars I. und Ludwigs II., konnte man sich dabei beruhigen, daß Italien das Hauptland des Kaisers bildete, und daß man hier einen Regenten hatte, der nicht der väterlichen Gewalt unterstellt war. In gewissem Sinne gilt dies auch bereits für die Jahre 850—855: Zwar wurde Ludwig offiziell zusammen mit dem Vater als „imperatoris . . . filius" genannt, doch hörten Lothars Beurkundungen für Italien nahezu völlig auf; nur mehr seine Jahre „in Italia" erinnern an den Bereich seiner Herrschaft. Dafür urkundete Ludwig nun selbständig; seine Kaiserjähre traten jetzt hinter jene des Vaters, und man konnte meinen, Lothars Jahre seien auf die Francia, jene Ludwigs auf Italien bezogen. 10
) Engelbert Mühlbacher, Die Datierung der Urkunden Lothar I. Sitzungsberichte d. phil.-hist. Cl. d. kais. Akademie d. Wies. 85 (1877) 469 ff. Schieffer a. a. 0. 46. ") B.-M. Reg.2 734 c. 12 ) MGH Capitularía 1, 273 c. 17: „Regnum vero Italiae eo modo praedicto filio nostro, si deus voluerit et successor noster existat, per omnia subiectum sit, sicut et patri nostro fuit et nobis deo volente praesenti tempore subiectum manet." 13 ) Mühlbacher (oben Anm. 10) 468 f. 14 ) B.-M. Reg.2 1115 a, 1177 d. Urkunden Ludwigs mit diesem Titel sind nicht erhalten.
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Fichtenau, „Politische" Datierungen IV
„Italien" blieb der Bezugspunkt, ob es sich um ein Königtum oder ein mehr oder weniger territorialisiertes Kaisertum handelte — die „langobardischen" Zeiten waren vorbei und der Titel von 844 nichts als eine historische Rückerinnerung. Nach dem Tode Ludwigs II. wurde Karlmann zum „rex" ohne Bereichsbezeichnung, doch kennen ihn Datierungen seiner Diplome gelegentlich als „rex Bauuariorum" und „rex Italiae" 15 ). Das eine war ein Personenverband, das andere ein Land; da man die Diskrepanz der beiden Begriffe dort empfand, wo sie in den Datierungen nebeneinander standen 16 ), und eine Rückkehr zum ethnischen Prinzip für Italien aus den bekannten Gründen bedenklich sein mußte, blieb nichts anderes übrig, als das Land Bayern zum territorialen Bereich der Titulatur zu erklären: „Data . . . anno Christo propitio I I I domni Karlomanni piissimi regis in Bauuaria et I in Italia" (D. 14 usw.). Eine staatsrechtliche Bedeutung wird man dem Wörtchen „in" gewiß nicht unterstellen dürfen, im Gegensatz zum späteren „König in Preußen". Man erinnerte sich an den früheren Gebrauch („in Francia", „in Italia") und an jene Diplome Karlmanns, die „in Italia" (allein) schrieben. Immerhin wurde „Bayern" — wenigstens vorübergehend — in gleicher Art verwendet wie die weitaus bedeutenderen Bereiche „Francien" und „Italien", Karolingerreich nördlich und südlich der Alpen. Karlmanns Nachfolger in Italien wurde Karl III., ein „rex" ohne nähere Bezeichnung, obwohl er Alemannien — und ein Stück Lotharingien — innehatte. Hier zählte man nicht nach Jahren „in Alemannia", sondern „in Francia" und „in Italia"; Schwaben war viel weniger als politische Größe anerkannt als Bayern, das immerhin schon 814 einen eigenen Unterkönig in der Person Lothars I. erhalten hatte 17 ). Nach der Kaiserkrönung hat Karls Kanzlei nicht den Brauch seines Urgroßvaters, sondern jenen des Großvaters Ludwig d. Fr. neu aufgenommen: Man versuchte, allein nach „anni imperii" zu datieren, alles beiseite schiebend, was den Gedanken an die Reichseinheit stören konnte. Dabei kam es zu bezeichnenden Versehen, wie der Wendung „anno vero imperii domni Karoli in I t a l i a secundo" 18 ). Auf die Dauer hat man die universale Attitüde nicht durchgehalten: Als Karl III. nach dem Tode Ludwigs des Jüngeren Herrscher im gesamten Ostfrankenreich war, empfand man diese Tatsache als so bedeutsam, daß sie eigener Erwähnung bedurfte. Hier mußte das Wörtchen „in" eine korrekte Lösung schwierig machen: Schon 876 war Karl König „in Francia", d. h. Alemannien, und jetzt hätte man höchstens die Kaiserjahre von den „anni regni Franciae (orientalis)" trennen können, jenen der ostfränkischen Gesamtherrschaft. Allzumeist ging 16
) MGH DD. Karlmann 1, 2, 7, 9, 12. ) Vgl. D. 13: „Data . . . anno Christo propitio I I domni Karlomanni regis Bauuariorum et in Italia I." Doch konnte man in Bayern nach bairischen, in Italien nach italienischen Jahren allein datieren. 17 ) In Privaturkunden wurde nicht nach der 814 beschlossenen Delegierung Lothars nach Bayern, sondern nach seiner Ankunft dort datiert, B.-M. Reg. 2 528. Lothar hatte nicht das Recht eigener Urkundenausstellung. ls ) D. Karl III. 56 für die Kaiserin Angilberga. le
Kaisertum in Italien. Begriff „Francia"
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man den leichteren, durch die Tradition vorgezeichneten Weg, der freilich nicht ganz korrekt war: Man zählte die „anni imperii in Italia" und „in Francia", damit einer Territorialisierung des universalen Begriffes den Boden bereireitend 19 ). Noch unter Karl III. wurde sie einen Schritt weiter getrieben. Als er das westfränkische Reich erworben hatte, veränderte sich nichts in der „kaiserlichen" Sphäre, Karl war und blieb der Imperator schlechthin. Doch suchte man die Tatsache aufzuwerten, daß jetzt dieses bedeutsame Stück des alten Karlsreiches gewonnen war, und so wurde sie in die kaiserlichen Datierungen übertragen. Um West- und Ostfrankenreich zu scheiden, wählte man nicht die Bezeichnung „Francia occidentalis" und das in Urkunden tatsächlich gebrauchte „Francia orientalis", sondern „Francia" sollte weiterhin für das Ostreich gelten; dazu kam jetzt die „Gallia": „anno regni Karoli piissimi imperatoris VIII, imperatoriae vero dignitatis in Italia V, in Francia I U I , in Gallia I " . „Die Formel in D. 127", schreibt dazu Paul Kehr, „mit allen zur Strecke gebrachten Reichen . . . klingt wie ein diplomatisches Halali." 20 ) Nicht uninteressant ist die Reaktion westfränkischer Schreiber auf diese Formel, die das Frankentum nach Deutschland verlegte. Als Karl 885 nach Paris zog, um die Stadt von den Normannen zu befreien, zeigen die Diplome nur zum Teil Datierungen nach dem dreifachen Kaisertum, z. T. mit der Änderung „in orientali Francia". Andere rechneten nur von der Kaisererhebung an, wieder andere erwähnten nur die „gallischen" Jahre, ja schließlich wurden diese ohne nähere Bezeichnung als Kaiserjahre verwendet 21 ). Unter Karl dem Kahlen hatte „Francia" das Westfrankenreich bedeutet, zu dem dann „in successione Lotharii" ein zweites Regierungsjahr und schließlich als drittes das „imperium" — ohne nähere Bezeichnung — gefügt wurde 22 ). In der späteren Zeit Karls II. blieb das Datierungsmerkmal nach dem Erwerb Lotharingiens weg, „Francia" und „imperium" rückten zusammen. Mit Karl III. wurde eine Entwicklung unterbrochen, die dann im Hochmittelalter wenigstens im populä-
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) Paul Kehr, Die Kanzlei Karls III. Abhandlungen d. Preußischen Akademie phil.-hist. Kl. 1936 Nr. 8, S. 21 f., weist darauf hin, daß es sich um den persönlichen Stil eines Kanzleibeamten (Inquirinus) handelt, den sein Kollege Waldo nicht mitmachte. Die korrekte Lösung findet sich bei einem anderen Kanzlisten, Segoin: „anno vero regni domni Karoli Augusti VIII (gezählt ab 876), imperii (autem) IUI", D. 94 usw., Kehr a. a. O. 27. Segoin war Waldos Nachfolger und arbeitete bis 884 in der Kanzlei. — Richtig erkannte Kehr, daß die verschiedenen Formeln „eine sehr verschiedene Einstellung zu dem staatsrechtlichen Problem des Gesamtreichs und der einzelnen Teilreiche bedeuten, das damals in der Tat .aktuell' war", a. a. O. 22, vgl. Kehr in der Einleitung zu den DD. Karl III. p. XL I; a. a. O. XLII sieht Kehr wegen seiner Datierungen in Waldo „im Gegensatz zu Inquirin den Vertreter des imperialen Einheitsgedankens". Waldo war in St. Gallen erzogen worden, und Notker, der Verfasser der „Gesta Karoli", schrieb ihm einen Brief mit moralischen Belehrungen. Josef F l e c k e n s t e i n , Die HofkapeHe der deutschen Könige 1 (Schriften der MGH 16/1, 1959) 193. 2 °) Kehr, Ein], a. a. 0. XLIV. 21 ) Kehr a. a. 0. 22 ) Georges Tessier, Recueil des actes de Charles II le Chauve 3 (1955) 189.
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Fichtenau, „Politische" Datierungen IV
ren Bereich zu finden war: Die Annäherung, ja Gleichsetzung von „Francia" und „imperium", Kaiser und „Kaiser der Franzosen". 23 ) Einen vorübergehenden Aufschwung nahmen die Datierungen nach „italienischen" Jahren unter den einander bekämpfenden und mit einander paktierenden Großen, die sich mit dem Herrschertitel schmückten. Dies gilt für Wido und Lambert, die natürlich nicht zu „Königen Italiens" erhoben wurden 24 ), sondern ihren Titel nach fränkischer Art ohne Bereichsangabe trugen; in den Datierungen findet sich die Jahresangabe mit „in Italia" neben jener ohne Bereichsbezeichnung 25 ). Unter Berengar I., dem Gegner Widos und Lamberts, vermied man diese Dinge. Sie finden sich wieder bei Ludwig I I I . von der Provence und Rudolf II. von Hochburgund während ihrer italienischen Abenteuer 26 ), was den Gedanken nahelegt, daß gerade Ausländer als Regenten „in Italia" bezeichnet wurden. Zählte man auch die Widonen, als Herzoge von Spoleto, zu dieser Gruppe, während der Markgraf von Friaul dem „regnum (Italiae)" zugerechnet wurde? Am Ende der Entwicklung stand die ottonische Herrschaft über Italien, das damit aufhörte, als eigene politische Größe in den Datierungen zu erscheinen. Nur vorübergehend hatte sich, den politischen Notwendigkeiten des ersten Italienzuges gehorchend, die Kanzlei Ottos des Großen zu einer Zählung nach italienischen Jahren neben den deutschen oder sogar ohne sie bereit finden lassen; in zwei Diplomen ging man sogar so weit, die Intitulatio zu einem Lockmittel für lombardische Große umzugestalten: „Otto dei gratia rex Francorum et Langobardorum" 27 ). Hier konnte es sich nicht um die Laune eines einheimischen Schreibers handeln, sondern um ein bewußtes Heraufholen der Vergangenheit. Es wiederholte sich, als Heinrich II. 1004 italienischen Boden betrat: Auch hier wurde er zum „rex Langobardorum", auch hier zählte man nach italienischen Jahren, ohne der deutschen zu gedenken 28 ). Schon drei Tage später konnte man diese Vorsicht außer acht lassen, der Doppeltitel blieb weg, und die deutschen Königsjahre wurden wieder angeführt. Nur noch zweimal unter Konrad II. (1027) gab es italienische Regierungsjahre, als Kaiserjahre „(hic) in Italia" 29 ). Dabei handelte es sich nicht um eine politische Demonstration, sondern einheimische Schreiber durften ihrer „nostalgie du M
) Gaston Z e l l e r , Les rois de France candidata à l'Empire. Revue historique 173 (1934) 275. 24 ) Diese Bezeichnung, deren sich vorwiegend die italienische Geschichtsschreibung bedient, ist immerhin sachlich richtiger alä der Ausdruck „Nationalkönige", der in deutschen Arbeiten zu finden ist. ") So z. B. „anno domno Yuidone rege in Italia regnante primo", „regnante domno Vuidone in Italia anno regni eius I U I , imperii primo", „imperante vero domno et serenissimo Lamberto imperatore in Italia anno quarto". Luigi S c h i a p a r e l l i , I diplomi di Guido e di Lamberto (1906) 5 Nr. 1, 34 Nr. 12, 73 Nr. 1. M ) Vgl. die oben Anm. 24 genannte Edition. ") D. 0 . 1 . 138, vgl. 139. Italienische Jahre: DD. 137—145. Nach der Rückkehr über die Alpen verschwindet der Gebrauch. Vgl. Wolfram, oben 138 mit Anm. 141. 28 ) D. H. II. 70 usw., Wolfram 138 f. mit Anm. 146. »•) DD. K. II. 92, 95. Bresslau-Klewitz, UL. II 2 2 418.
Datierungen in Italien. „Regna Francorum"
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passé" freien Lauf lassen. Seither hat man keinerlei Sonderzählung mehr erlaubt, bis unter Karl IV. die böhmischen Jahre zusammen mit denen des römisch-deutschen Königtums notiert wurden 30 ). So gehen die Datierungen der karolingischen Herrscherurkunden teils mit der jeweiligen Intitulatio zusammen, teils sind sie freier und damit der Wirklichkeit etwas näher, als es der offizielle Titel sein konnte. Sie stellen eine Art Mittelglied zwischen diesem und der „Volksmeinung" dar, wie man arg verkürzend die Aussagen der „Privaturkunden" bezeichnen könnte. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß das Urkundenwesen damals nicht „im Volk", sondern in seinen Oberschichten zu Hause war, immerhin jedoch in einem weiteren Kreis als in der Hofgesellschaft. Die bedeutenden Funktionäre des Reiches und die gelehrten „Akademiker" haben kaum regelnd und normierend eingegriffen, wenn territorial oder individuell verschiedene Ansichten über die Struktur des Staatswesens in „Privaturkunden" auftauchten. Wir erfahren so von politischen Meinungen und lernen Bestrebungen kennen, die zu erfassen gewiß nicht unwichtig ist. Wenn wir uns nunmehr dem Bereich der „Privaturkunde" nach 800 zuwenden, so ergeben sich hier starke Kontrastwirkungen zur offiziellen Staatsauffassung. Ludwig der Fromme etwa — der nur „imperator" und nichts sonst sein wollte — ging im Kloster Fulda, in Weißenburg und anderswo als ,,rex Francorum" in die Datierungen ein. Natürlich wußte man, daß Ludwig Kaiser war, aber sein Frankentum schien das Wichtige; er herrschte als „res vel imperator", als „imperator super regna Francorum" 31 ), womit die vielheitliche Struktur des Reiches und seine Beherrschung durch das „Reichsvolk" zum Ausdruck kam. In der Spätzeit Ludwigs konnte dieser als „princeps Gallie" erscheinen 32 ), als Herrscher des Westreiches wie später sein Sohn Karl II. Dabei handelte es sich um Einzelfälle, während der „rex Francorum" durchaus nicht ungewöhnlich war. Aus Fulda sind für die Jahre 814—817 nur fünf datierte Cartae mit „imperator", dagegen zwanzig mit der Erwähnung des fränkischen Königtums erhalten 33 ). In Italien konnte es noch 816 geschehen, daß man Ludwigs Intitulatio 30
) Bresslau a. a. 0., der darauf hinweist, daß die Angabe von Regierungsjahren für Sizilien und das Königreich Jerusalem Länder betrifft, die nicht Teile des Reiches waren. 31 ) Beispiele für Fulda bei Heinz Z a t s c h e k , Die Erwähnungen Ludwigs des Deutschen als Imperator, DA 6 (1943) 378; für Lothar I. und Kloster Werden a. a. O. mit dem Beisatz: „Hier handelt es sich doch um die Arbeit von Geistlichen, denen es gar nicht so sehr darauf ankam, den Titel genau festzuhalten." Trad. Wizenburgenses 40 Nr. 38: „anno XII regnante Hludouuico rege Francorum"; unter demselben Abt Ratfried wird a. a. 0 . 52 Nr. 51 und anderswo Ludwig „imperator" genannt. Trad. Wizenburg. 204 Nr. 212: „anno V regni domni nostri Hludouuici regi vel inperatore"; a. a. O. 75 Nr. 69: „anno VII regnante domno Ludouuico inperatore super regna Francorum feliciter." Die Urkunde trug u. a. Einhards „signum", ausgestellt wurde sie in der Pfalz von Kiersy. 32 ) „sub tempore principis Gallie Hludouuici imperatoris anno XXIIII", a. a. O. 155 Nr. 166. 33 ) Nach der Ausgabe von Dronke (oben 518 Anm. 73).
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Fichtenau, „Politische" Datierungen IV
negierte und für ihn eine Titulatur gab, die unter Karl dem Großen bekanntgeworden war; dazu kamen Bernhards Jahre, mit ,,domno nostro", während der Kaiser nur als, ,domnus" eingeführt wurde 34 ). Nach dem Sturz Bernhards sind es nur noch wenige „Privaturkunden" Italiens, die „imperante domno nostro" schreiben 35 ). Diese „Neuerung tritt so plötzlich ein", daß man meinte, „sie gehe auf einen Befehl der Kaiser zurück" 36 ). Dem widerspricht die Tatsache, daß gerade die „placita" der Königsboten in Italien weiterhin häufig den „domnus noster" nennen, von dem sie ihren Auftrag erhielten 37 ). Es dürfte sich vielmehr um ein Abrücken von jenem Verhältnis innerer Nähe zum Herrscher Italiens handeln, das bis dahin bestanden hatte. Man wird sich durch die antike Herkunft des „dominus noster" nicht täuschen lassen; mit „regnante domno nostro N. (domnis nostris N. et N.)" hatten durchwegs die langobardischen „Privaturkunden" des 8. Jahrhunderts begonnen. Eine Parallele, staatsrechtlich bedeutsamer, findet sich wenig später als in der „Privaturkunde" der „terra ferma" bei jener Venedigs, wo man an die Stelle des byzantinischen „dominus noster" nur mehr den „dominus" in der Datierung nannte 38 ). Während Ludwigs Regierung für Italien den Versuch einer Auflösung des „regnum Langobardorum" brachte, hat man 814 Bayern einen Unterkönig bewilligt. Man wird dabei im Lande selbst weniger das Gefühl gehabt haben, eine „Rangerhöhung" zu erleben als eine Fortsetzung des alten Rechtszustandes nach Zeiten seiner Negierung durch Karl den Großen. Ein Unterkönig in Bayern oder Aquitanien nahm sicherlich den Rang des einstigen Herzogs ein 39 ). Den Befugnissen nach war er diesem unterlegen wenigstens so lange, als er keine Verfügungen kraft eigenen Rechtes treffen und Urkunden ausstellen konnte. Das galt sowohl für Lothar I. als auch für seinen Nachfolger Ludwig den Deutschen in den Jahren seit 817; erst die Empörung gegen den Vater (830) brachte eine solche volle Regierungsgewalt. Man konnte sich bis dahin in bayrischen Cartae immerhin auf einen eigenen Regenten „in Baioaria" beziehen; unter Lothar geschah dies sporadisch, während Ludwig der Deutsche 817 und dann wieder 826, „primo anno quo . . . Hludouuicus rex in Baiouuaria venit" 40 ), in den Freisinger Traditionen erscheint. Man hat also von den gegebenen Möglichkeiten wenig Gebrauch gemacht, das Unterkönigtum scheint anfangs keinen großen Eindruck hinterlassen zu haben. Im Frühjahr 830, wohl im Zusammenhang mit der Empörung der Kaisersöhne, wird Ludwig der 34
) Memorie e documenti . . . Lucca IV 1, 34 Nr. 25. ) Dies bemerkte schon Adolf F a n t a , Die Verträge der Kaiser mit Venedig bis zum Jahre 983. MIÖG Erg.-Bd. 1 (1885) 96. 36 ) Fanta a. a. O. Anm. 1. 37 ) Manaresi, I placiti del regnum Italiae 1 (passim). 38 ) Heinrich Kretschmayr, Geschichte von Venedig 1 (1905) 94 mit der Bemerkung „ohne daß . . . solchen Formalismen eine allzu große Bedeutung zuzumessen wäre". Doch handle es sich um „Beseitigung von äußeren Zeichen fremder Oberherrlichkeit". *•) Anders Kurt R e i n d e l , Bayern im Karolingerreich. In: Karl d. Große 1 (1965 ff.) 235. ") Bitterauf, Traditionen des Hochstifts Freising 1, 455 ff. Nr. 532 ff. Vgl. Nr. 553 ff. (828) und 501 Nr. 585: „in secundo anno quo filius eius Hludouuicus rex potestatem Baiouuariorum accepit". 35
„Privaturkunden" unter Ludwig dem Frommen und Ludwig dem Deutschen
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Deutsehe in Freising ,,rex noster" genannt, doch noch immer zusammen mit dem Vater 41 ); auch die Diplome, die der König jetzt ausstellen durfte, wurden nach beiden Herrschern datiert. In den Freisinger „Privaturkunden" hat Ludwig der Deutsche seither seinen ständigen Platz als „rex noster" oder „rex Baiuuariorum", also das ethnische Prinzip betonend. Freilich sollte dieses „Stammeskönigtum" nicht lange dauern, da Ludwig Bayern nur als Basis für die Durchsetzung des Anspruches auf die gesamte „Francia orientalis" betrachtete. Seine Intitulatio „rex Baioariorum" macht schon im Herbst 833 dem absoluten Königstitel (rex) Platz; das bedeutet auch eine Umstellung der privaturkundlichen Datierungen: Ludwig wird nicht mehr als König „der Baiern", sondern als „rex noster in Baiouuaria (regnum gubernans)" oder bloß als „rex noster" bezeichnet. Was Ludwig den Frommen betrifft, so hat man ihn in Freising mit fortschreitendem Verfall der Zentralgewalt weniger regelmäßig in Datierungen genannt 42 ). Wir erkennen hier einen recht empfindlichen Anzeiger kleinerer Verschiebungen der politischen Lage. Daß dieser andererseits maßvoll reagierte, zeigte sich während der Aufstände gegen Ludwig den Frommen. Anders war es in St. Gallen, als Ludwig der Deutsche 834 Herr Ostfrankens und Alemanniens geworden war: Man datierte „regnante rege Alomannorum anno I" 43 ) oder ähnlich und vergaß dabei zweierlei: daß immer noch Ludwig der Fromme eine Oberherrschaft im Reich innehatte und daß ein „regnum Alamannorum" während des 9. Jahrhunderts niemals existierte. Andere St. Galler Schreiber machten Ludwig den Deutschen zum „rex in Alemannia" 44 ), was dem Wortlaut nach korrekter ist, damals jedoch kaum als großer Unterschied zur erstgenannten Formulierung empfunden wurde. Die „amtliche" Bezeichnung „rex in orientali Francia", fast entsprechend den Datierungen von Ludwigs Diplomen, tritt ein einziges Mal auf 45 ) — es ist klar, daß man sie kannte, doch scheint sie den Vorstellungen nicht entsprochen zu haben, die sich mit der Person des jungen Herrschers verbanden. Erst 843 kam man in „Privaturkunden" auf die oben zitierte Form zurück, veränderte sie jedoch zu einem „rex orientalium Franchorum" 46 ). Hier, in rätischer Nachbarschaft, hatte sich das Stammesdenken sehr stark lebendig erhalten und reklamierte man einen „Stammeskönig", wie er etwa den Baiern in Nachfolge ihres Herzogtums konzediert worden war. Wir erinnern uns, daß schon unter Karl dem Großen ähnliche Wünsche laut geworden waren 47 ). Noch interessanter ist es, daß neben den — wenn man so 41
) A. a. 0 . 508 f. Nr. 593 f. «) A. a. 0. 519 Nr. 606, 521 Nr. 608, 523 Nr. 609, 524 Nr. 612 usw.; mehr und mehr pflegte man daneben nur nach Inkarnationsjähren zu datieren. Über diese vgl. unten 536 ff. ") Wartmaim, UB v. St. Gallen 1, 323 Nr. 347, vgl. 322 Nr. 346, 326 Nr. 351, zusammen mit Ludwig d. Fr. 333 Nr. 358, 337 ff. Nr. 362 ff. 45 ") A. a. O. 324—326 Nr. 348—350. ) A. a. 0. 321 Nr. 345. ") Wartmann UB v. St. Gallen 2, 8 Nr. 387. A. a. 0. 20 Nr. 398 wird Ostfranken in der Datierung mit „Austria" übersetzt. 47 ) Nach einem „patricius Romanorum et Alamannorum", oben 504 mit Anm. 14. Später (851) ist Ludwig „rex Alamannorum atque Pejowariorum", Wartmann a. a. O. 37 Nr. 417.
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sagen darf — „alemannischen Nationalisten" im Kloster St. Gallen anscheinend „Kaisertreue" zu finden waren, die nur nach Ludwig dem Frommen datierten, selbst in seinen letzten Jahren 4 8 ). Eine solche Kluft zwischen Universalismus und Partikularismus tat sich später nicht mehr auf; das Imperium vertrug sich mit dem Stammesdenken auch in St. Gallen, wo der universale Gedanke unter Karl III. lebhaften Ausdruck fand. Der aus Italien zurückgekehrte Kaiser wurde hier mit Gedichten gefeiert und ließ sich den Inhalt der „Gesta Karoli Magni imperatoris" durch Notker erzählen, ihn zur Niederschrift ermunternd 48 ). Im zweiten Buch des Werkes wird der Herrschaftsbereich Ludwigs des Deutschen in recht unorthodoxer Weise beschrieben: Er ist „rex v e l i m p e r a t o r totius Germania, R h e t i a r u m q u e et antiqu^ Francis nec non Saxonia, Turingi§, Norici, Pannoniarum atque omnium septentrionalium n a t i o n u m " 6 0 ) . Wenn wir vorerst vom „Kaisertum" Ludwigs des Deutschen absehen, so finden wir ihn als Herrscher von Germanien, worunter doch wohl die nachher genannten Stammesbereiche zu verstehen sind: der ostfränkische, der bairische — mit antikisierender Bezeichnung —, der schwäbische samt dem rätischen, der sächsische; dazu kommen die Randgebiete im Osten und Norden. Ähnlich lauten Urkundenformulare, die Notker zugeschrieben werden 51 ) und wo es z. B. heißt: „Signum K. serenissimi augusti, rectoris Francorum, S u e v o r u m , Baioariorum, Turingorum, Saxonum domitorisque barbarum (!) nationum", oder Karl heißt in der „Intitulatio" des Formulars „ex dei constitutione et antiquorum regum propagatione rex Alemanniae" 52 ). Wenn es neben dem fränkischen „regnum" nicht nur ein bayrisches, sondern auch ein alemannisches usw. gab, dann ließ sich diese Vielfalt nicht korrekt durch eine königliche Gesamtherrschaft des „rex Germaniae" begreifen. Alle die Phantasietitel dienten letztlich dem Zweck, die Vorherrschaft des fränkischen „Reichsvolkes" zu leugnen und den „rex Francorum orientalium" zu einem Herrn über gleichrangige „regna" der Stämme zu machen. Letzte Konsequenz dieser Haltung mußte es sein, den König mehrerer Reiche zum Imperator zu stempeln; der Ausweg, den man oft genug gegangen war, den ") Ü B v. St. Gallen 1, 327 Nr. 352 (834), 335 Nr. 360 (837), „regnante domno nostro Hludowico imperatore anno X X V I " 336 Nr. 361; 341 Nr. 366 (837) usw. Die Bezeichnung wird, allerdings selten, auch für Ludwig den Deutschen verwendet: „regnante domno nostro Ludowico rege in Alamannia" 346 Nr. 371 (838). *•) Notker der Stammler, Taten Kaiser Karls des Großen herausg. v. Hans F. H a e f e l e . MGH SS rerum German, n. s. 12 (1959) Einl. XIII. 60 ) A. a. O. 67 c. 11, vgl. die Erklärungen in den Fußnoten. 61 ) Wolfram von den S t e i n e n , Notker der Dichter (1948) 1, 492 Nr. 2, 494 Nr. 10. D e r s e l b e , Notkers des Dichters Formelbuch. Zs. f. Schweizerische Geschichte 24 (1945) 454. 62 ) MGH Formulae (Collectio Sangallensis) 397 Nr. 2, 399 Nr. 5. Die Notker zugeschriebenen Urkunden für St. Gallen zeigen keine Besonderheiten der Datierung. Ein Verzeichnis bei Steinen a. a. O. 500 ff. Ähnliche Formulierungen, wie sie Notker gebrauchte, zeigt eine annalistische Quelle: Continuatio Erchanberti, MGH SS 2, 329, die Steinen ebenfalls Notker zuweist. Hier heißt es „Alamanniam sive Rhaetiam", als Teil der „Germania", und Ludwig der Deutsche ist „rex Germaniae".
„Privaturkunden" im Ostfrankenreich
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Titel „rex" ohne Bereichsbezeichnung zu wählen — womit jeder Expansion innerhalb des Gesamtreiches eine Chance offengehalten war —, verbot sich deshalb, weil auch hier der fränkische Anspruch die Grundlage der Herrschaft war. Daß man in St. Gallen der imperialen Tradition zugetan blieb und daß man eine Kaiserkrönung Ludwigs des Deutschen begrüßt hätte, braucht nicht näher dargetan zu werden. So läßt sich die Tatsache erklären, daß dieser Herrscher mehrfach, und zwar schon in früher Zeit, mit „kaiserlichen" Regierungsjähren in „Privaturkunden" auftritt; daneben wird er in Annalen „imperator" genannt 53 ). Daß Notker schreiben konnte: „rex vel imperator", daß Ludwig der Fromme als „rex Francorum" gelten konnte54), zeigt beides die fortschreitende Annäherung zwischen Kaisertum und Königsherrschaft. Man wird kaum eine scharfe Trennungslinie zwischen der „rein hegemonialen" Kaisertitulatur in St. Gallen und der „römischen" Ludwigs II. ziehen können55) — das „römische" Kaisertum war grundsätzlich universal, während es neben Ludwig, dem Imperator ,,in Italia", einen solchen „in Germania" hätte geben können. Was sich hier ankündigt, ist das „Reich ohne Reichsvolk", ein Bund der Stammesvölker, deren eines den Regenten stellt. In einem größeren Zusammenhang gesehen, sind die Aussagen privaturkundlicher Datierungen häufig ein Element der Konstanz innerhalb des Wandels, den das karolingische Großreich herbeiführte oder herbeiführen wollte; sie verbinden gleichsam das 8. mit dem 10. Jahrhundert. Es ist richtig, allzu gewagten „ideengeschichtlichen" Deutungen eine gesunde Skepsis entgegenzusetzen, aber man wird doch den Schreibern solcher Datierungen den Vorwurf ersparen, sie hätten sich ihre Formulierungen nicht überlegt 56 ). Ob es möglich ist, diesen „populären" Aussagen Fingerzeige über die Gestaltung des Verhältnisses zwischen „Deutschen" und „Franzosen" zu entnehmen, muß dahingestellt bleiben. Den Herrschern des Westreiches war ihr Frankentum so selbstverständlich, daß sie es nicht zu betonen brauchten. Im Osten dagegen legte man offiziellen Wert auf die Bezeichnung „orientalis F r a n c i a " , wie dies die Datierungen der meisten Diplome Ludwigs des Deutschen zeigen. Das war eine Landes- und keine Stammesbezeichnung, korrekt gegenüber dem Westen und gegenüber der Mehrzahl der Stammesvölker im eigenen Herrschaftsbereich. Anders war es, wenn man — etwa in Fulda — von einem „rex orientalium Francorum" zu sprechen beliebte57). Meinte man damit den ostfränkischen Stamm, in Parallele zu den „regna" der Baiern und ) Edmund E. S t e n g e l , Abhandlungen u. Untersuchungen zur Geschichte des Kaisergedankens im Mittelalter (1965) 282 ff. Exkurs: Über den Kaisertitel Ludwigs des Deutschen. Zatschek (oben 529 Anm. 31) 374 ff. 64 ) Oben 529 Anm. 3 1 , wobei es beachtlich ist, daß die Wendung „rex vel imperator" auch in Weißenburg auftritt. " ) Stengel a. a. 0 . 284. 6e ) So richtig Siegfried E p p e r l e i n , Über das romfreie Kaisertum im frühen Mittelalter. Jahrbuch für Geschichte 2 (1967) 321 (gegen Zatschek). " ) Dronke, CD Fuldensis 243 Nr. 545 f. usw., vgl. „rege Francorum" (ohne Zusatz) 252 Nr. 561 usw. 53
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Fichtenau, „Politische" Datierungen IV
Alemannen, oder faßte man damit die Bewohner der „Germania" zu einem Personenverband zusammen ? Es scheint, als müßten hier vorerst beide Möglichkeiten der Interpretation offenbleiben. Wir haben uns bisher vor allem mit Datierungen nach dem Herrscher befaßt. Sie stehen im Zentrum der Betrachtung, doch nimmt ihre Bedeutung während der Karolingerzeit aus verschiedenen Gründen ab. Schwierigkeiten ergaben sich dann, wenn kein Herrscher zur Stelle war oder zwei Prätendenten miteinander um das Land kämpften. Wir haben gesehen, wie man nach dem Tode des Merowingers Theuderich IV. mit Hilfe des Inkarnationsjahres das Problem zu meistern suchte 58 ), und daß auch sonst die Zählung nach den Jahren seit Christi Geburt manche Vorteile bieten konnte. In der Spätzeit des neunten Jahrhunderts hat man von ihnen trotzdem nicht solchen Gebrauch gemacht, wie man annehmen könnte, da diese Art der Datierung immerhin eine gewisse gelehrte Schulung voraussetzte. Die Inkarnationsjahre richtig anzuwenden war damals schwieriger, als nach Herrscherjahren zu zählen, und auch diese kannte man bei häufigem Wechsel der Regenten nicht immer 59 ). Das konnte zu einer argen Vernachlässigung der Datierungen überhaupt führen. Eine gewisse Entwertung des Herrscherjahres ergab sich, wenn neben ihm, ja an seiner Stelle ein lokaler Machthaber angeführt wurde. Am Beginn der Entwicklung steht die zusätzliche Nennung etwa des Grafen, in dessen Bezirk das Rechtsgeschäft vor sich ging (sub . . . comite), ein in St. Gallen durchaus gebräuchlicher Fall. In demselben Kloster hat man vereinzelt schon unter Ludwig dem Deutschen den mit Schwaben so sehr verbundenen Karl (III.) als „princeps" in Datierungen aufgenommen 60 ). Der Königssohn, dem ein Stammesgebiet als Erbe zugewiesen war, hatte noch nicht das Recht eigener Jahreszählung. Eigene „Prinzipatsjahre" gab es damals nicht in St. Gallen, sondern nach Durchsetzung eines einheimischen Regententums in der Bretagne, wobei der König als bloßer Statist figurierte 61 ). Eine Generation früher hatte «) Oben 481 mit Anm. 50. 59 ) Einige Beispiele aus Alexandre Bruel, Recueil des ehartes de l'abbaye de Cluny 1 (1876): 29 Nr. 24 „in anno secundo Bosoni, rege de Borgundia, et in primo anno quando Ludovicus et Karlamannus Borgundia possidere venerunt" (881); 36 Nr. 30 „anno primo post obitum Bosone, et regnante Karolo imperatore" (dessen Regierungsjahr nicht angegeben wird, 887); 44 Nr. 36 „anno secondo post obitum Karoli ultimo imperatori" (889); 71 Nr. 61 „anno X post obitum Carlo rege imperatore", usw. Im 10. Jahrhundert hat man in Burgund häufig die Herrscherjahre durch „temporibus" oder ähnlich ersetzt, vgl. a. a. O. 650 Nr. 695 usw. In St. Gallen gibt es schon unter Ludwig dem Deutschen derartige Fälle, etwa Wartmann UB 2, 9 Nr. 388. 60 ) A. a. 0. 147 Nr. 534 „anno XXVII regni Hludowici in orientali Francia, sub Karolo principe, eiusdem Hludowici regis filio" (868); 166 Nr. 551 (870), 167 Nr. 553 (870), 187 ff. Nr. 574 f., 192 Nr. 579. Die besondere Beziehung zum alemannischen Bereich wird öfter hervorgehoben, einmal (198 Nr. 585) in Parallele zum „rex noster", wo Karl als „princeps noster" erscheint. 61 ) Aurelien de Courson, Cartulaire de l'abbaye de Redon (1863) 42 Nr. 52: „regnante Karolo rege, regnante supradicto Salomone Brittanniam, in anno nono sui principatus, Electramno episcopo in Rodonis civitate" (866).
Ergänzungen der Regentenjahre
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dort die Nennung einheimischer Funktionäre, nach der korrekten Wiedergabe der Kaiserjahre, noch recht harmlos ausgesehen 62 ). Durfte man nur nach Herrscherjahren allein, nicht in Verbindung mit den Regierungsjähren irgendwelcher Funktionäre, datieren und hatte somit jedes andere Vorgehen einen politisch bedenklichen Charakter ? Für weltliche Große wird man die Frage wahrscheinlich bejahen, für Geistliche kann man sie verneinen. Die Zählung der bischöflichen Pontifikatsjahre hat es schon in früher Zeit vereinzelt gegeben63) und man scheint keinen Eingriff in die Datierungsrechte der Herrscher darin erblickt zu haben, sie — etwa in Freising — hinter das Inkarnations- und das Herrscherjahr zu setzen 64 ). Derlei trug natürlich zur Abwertung des Regentenjahres als Datierungsmerkmal bei; ein Auflösungszeichen bedeutete es, wenn etwa der Bischof von Maeon im Jahre 887 das Inkarnationsjahr nannte, dann mit „imperante" Karl III. — ohne Kaiserjahr — anführte und schließlich sein eigenes Pontifikatsjahr hinzusetzte 65 ). Im Jahre 961 schrieben die Bischöfe der Provence an ihre Amtsbrüder im Westfrankenreich, wobei sie den burgundischen König Konrad nicht nannten, den König von Frankreich aber an die letzte Stelle nach Christus, dem byzantinischen Kaiser und dem Papst setzten. Die eigentliche Datierung erfolgte nach den Jahren Christi; man verzichtete auf die Angabe der Herrscher- bzw. Pontif ikatsj ahre 66 ). Daß die päpstlichen Jahre neben den königlichen Karls des Großen stehen konnten und daß sich die Beziehungen zwischen den beiden obersten Gewalten in Datierungen des 9. Jahrhunderts spiegelten, wurde schon oben 67 ) erwähnt. Wir haben auch bereits einiges über das Inkarnationsjähr und seinen ursprünglich gelehrten Charakter erfahren; hinzuzufügen wäre, daß es sich um eine typisch abendländische Erscheinung handelt, mit der man in Byzanz wenig anfangen konnte. Für den geistigen Horizont der westlichen Christenheit mochte es genügen, Christus an den Beginn zu stellen — nicht in die Mitte der Zeiten, da es eine Zählung nach rückwärts (,,v. Chr.") erst viel später gab —, während Byzanz die politische Kontinuität des Römerreiches, auch des heid*2) A. a. 0. 8 Nr. 7 „regnante domno imperatore Hlodouico, anno XX regni eius, Regenario episcopo, Rethuualart mactierno, Nominoe magistro in Britanniam" (833). Eine Mittelstellung nimmt die Urkunde a. a. O. 19 Nr. 22 (854) ein, die den König ohne Jahresangabe nennt, dann folgt „Erispoe principe in Brittanniam" und hinter diesem der Bischof. Am Ende der Entwicklung steht die alleinige Datierung nach Prinzipatsjahren, a. a. 0. 17 Nr. 19 (860). Über den bretonischen „princeps" siehe Karl Brunner, oben 264—272. 63 ) Etwa bei Beda Venerabiiis, oben 482 Anm. 54. Für den westgotischen Bereich (Sisebut, 614) vgl. oben 467 Anm. 81. M ) Bitterauf, Traditionen des Hochstifts Preising 1, 445 Nr. 520. Zu ergänzen ist die Feststellung Bresslaus UL II 2* 421 f., daß in Deutschland bischöfliche Pontifikatsjahre in der Bischofsurkunde des 10. Jahrhunderts und „wenig später" auch in Urkunden den Bischöfen untergebener Geistlicher auftreten. 66 ) Bruel, Chartes de Cluny 1, 38 Nr. 31. Freilich scheint die Echtheit der Urkunde nicht völlig gesichert. ••) André D é l é a g e , Recueil des actes de S. Symphorien d'Autun (1936) 27 Nr. 9. ") S. 498 ff.
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nischen, mit dem eigenen Staatswesen besonders hervorheben mußte. Daher und auch, um die Fortdauer des jüdisch-christlichen Gottesvolkes in den Rhomäern darzutun, hat man im Osten die Ära nach Erschaffung der Welt bevorzugt. Auf sie soll hier nicht näher eingegangen werden 68 ). Es sei bloß angemerkt, daß die Ära, die im 7. Jahrhundert aufkam und sich im folgenden stark verbreitete, schon bald ihren Weg nach Rom fand 69 ). Daß man sie auch bei den Karolingern kannte, ist sicher; niemals haben sie den Versuch gemacht, der Verbreitung dieser Zeitrechnung die Wege zu ebnen. Sie war und blieb spezifisch byzantinisch, und wo später ihr Gebrauch zu finden ist, handelt es sich um byzantinische Einflüsse auf Urkunden Unteritaliens und Siziliens. Bis zum Ende des Reiches hat man in Konstantinopel an der Weltära festgehalten, und nur für Verträge mit der westlichen Staatenwelt das Inkarnationsjähr verwendet 70 ). Die griechische Kirche datierte in der Neuzeit ebenso wie die russische nach der Weltära, und im Zuge der abendländischen Aufklärung hat man angeregt, diesen Ausgangspunkt wieder an die Stelle des christlichen treten zu lassen : Für Edward Gibbon war die Geschichte eine Einheit des Aufstieges aus Unwissenheit und Finsternis, und darum sollte man alle 7300 Jahre dieses Zeitraums nach Art der Byzantiner zusammenrechnen71). Von den Anfängen der Datierung nach dem Inkarnationsjahr wurde bereits gesprochen: Die Jahre 525 (Dionysius Exiguus), 731 (Beda Venerabiiis), 742 (743) und 747 (Concilium Germanicum, Synode von Clovesho) sind hier erste bedeutende Stationen 72 ). Was die Urkunden betrifft, so wurde auf zwei Freisinger Cartae verwiesen, die unter dem Einfluß Arbeos zustande kamen (758, 765) 73 ), und auf den späteren Gebrauch in anderen Gegenden des Reiches 74 ). In der Kaiserurkunde erscheint das Inkarnationsjähr zuerst unter Ludwig dem Frommen, jedoch nicht in der Datierung, sondern im Kontext einer der Formulae imperiales (zu 828) 75 ). Hier wird vorausgesetzt, daß die Funktionäre des Reiches mit der Zählung nach Jahren Christi vertraut waren. Der Konservativismus der „Reichskanzlei" ließ trotzdem nicht zu, daß diese Art der Datierung neben jene nach Kaiserjahren trat. Anders war es bei der „ordinatio imperii" von 817, die eine Anfangsdatierung mit Inkarnations- und Regierungs•*) Am ausführlichsten unterrichten über die byzantinische Weltära ältere Werke: Franz Rühl, Chronologie des Mittelalters u. d. Neuzeit (1897) 194 ff., mit Ergänzungen bei Ginzel (oben458 Anm. 21) 3 (1914) 292 ff. Sehr kurz wird die Sache bei Franz Dölger Johannes K a r a y a n n o p u l o s , Byzantinische Urkundenlehre (Byzantinisches Handbuch 3. Abt. I 1, 1968) 54 erwähnt. ••) Vgl. oben 490 Anm. 89. , 0 ) Dölger-Karayannopulos a. a. O. 54 Anm. 4. 71 ) Näheres bei Ludwig Ideler, Handbuch der mathematischen und technischen Chronologie 2 (1826) 464 f. ™) Oben 481 ff. '») Oben 487 mit Anm. 76. " ) Oben 517. " ) Form. Imp. 37, MGH Formulae 314, ein Präzept für Kaufleute. François L. Ganshof, Note sur le „praeceptum negotiatorum" de Louis le Pieux. Studi in onore di Armando Sapori (Mailand-Varese 1957) 103 ff.
Weltära. Inkarnationsjähre
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jähr aufweist 76 ). Das paßt zu dem geistlich „inspirierten" Charakter des Dokuments, das Entscheidungen wiedergibt, die nach dreitägigem Fasten und Beten „nutu omnipotentis dei, ut credimus" zustande kamen. Eine solche Voranstellung des Inkarnationsjahres mochte vorerst auch dazu dienen, die Würde christlichen Herrschertums zu steigern; in der Spätzeit Ludwigs des Frommen konnte der Gedanke, daß Christus der eigentliche und höchste Regent sei, dem Klerus Trost geben, der Synodaldekrete und ähnliches mit einer Inkarnationsdatierung versah 77 ). Unter Ludwig dem Frommen nimmt auch die Zahl privaturkundlicher Datierungen nach Christi Geburt stark zu; nach dem Tode des Kaisers ging man so weit, in einigen Fällen das Herrscherjahr ganz zugunsten der Inkarnationsdatierung aufzugeben 78 ). So war von verschiedenen Seiten der Boden für eine Aufnahme der neuen Datierungen in die karolingischen Herrscherurkunden vorbereitet worden. Sie geschah wohl gleichzeitig in den „Kanzleien" der neu mit dem Beurkundungsrecht ausgestatteten Teilherrscher Karl III. und Ludwig d. J . nach dem Tode Ludwigs des Deutschen 79 ). Vorher hatte Karl, noch als Graf des Breisgaues, als Partner an einem Tauschvertrag mit dem Kloster Rheinau mitgewirkt, der nur in dem Rheinauer Cartular des 12. Jahrhunderts überliefert und hier ebenfalls nach dem Inkarnationsjähr datiert ist 80 ). Dessen Angabe war in Rheinauer Urkunden nicht üblich, und so bleibt die Möglichkeit offen, daß sich schon hier in der Urkunde des Königssohnes anmeldete, was nach seinem und seines Bruders Regierungsantritt verwirklicht wurde. Handelte es sich dabei um die Andeutung eines politischen Programms ? Es muß auffallen, daß zwar die beiden jüngeren Brüder das Inkarnationsjahr einführten, nicht aber der Älteste, Karlmann. Dieser mußte als der nächste Anwärter auf den kaiserlichen Titel gelten, wenn Karl der Kahle starb, ja Karlmann soll schon 872 durch Ludwig II. zum Nachfolger im Kaisertum bestimmt worden sein 81 ). Seit die kaiserliche Würde unter Lothar I. und seinen Nachfolgern in die Ferne gerückt und früherer Inhalte beraubt worden war,
") MGH Capitularía Í, 270 Nr. 136. ") Schuldbekenntnis des Erzbischofs Ebo von Reims 835, MGH Conc. II 2, 702 Nr. 55 B. Aachener Synode 836, a. a. O. 705 Nr. 56. Synode von Toul 838, a. a. O. 783 Nr. 58 usw. Das Aussehen solcher Synodalakten, mit einer Anfangsdatierung in Kapitalbuchstaben, gibt ein Faksimile der Urkunde über Beschlüsse der Synode von Pistes (864) wieder. Maximilien Quantin, Cartulaire général de l'Yonne 1 (1854) zu S. 86. '») Dronke, CD Puldensis 239 Nr. 535 (841), 253 Nr. 562 (852), 260 Nr. 576 (859). ") Engelbert Mühlbacher, Die Urkunden Karls III. Sitzungsberichte d. kais. Akademie d. Wiss. phil.-hist. Cl. 92 (1878) 367 f. Paul Kehr, Die Kanzleien Karlmanns und Ludwigs des Jüngeren. Abhandlungen der Preußischen Akademie d. Wiss. 1933, phil.hist. Kl. 1, 40 f. Derselbe, Kanzlei Karls III. (oben 527 Anm. 19) 12. MGH DD. LJ. 1 (876 November 11) ff., DD. Karl III. 2 (877 April 15) ff., vgl. aber D. 1 und die nächste Anm. 8 °) D. 1 (876 August), B.-M. Reg.2 1577. Mühlbacher, Urkunden Karls III. a. a. 0. 466 f. Anm. 8: „Wie sonst im Rheinauer Chartular sind auch hier die Papstjahre, . . . vielleicht sogar das Incarnationsjahr interpolirt." ") B.-M. Reg. 2 1254 a, vgl. 1275 a, 1512 a.
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Fichtenau, „Politische" Datierungen IV
datierte man im Ostfrankenreich nicht mehr nach Kaiserjahren; doch mag es sein, daß Karl III. und Ludwig d. J . Tendenzen ihres älteren Bruders fürchteten, von dem ihnen so nahen Bayern aus alte kaiserliche Rechte, darunter jenes der Datierung, zu erneuern. Wüßten wir, daß es sich so verhielt, läge die Erklärung für das Aufkommen der Inkarnationsjähre in den Diplomen der beiden Brüdernahe: Man folgte dann „privaturkundlichen" Beispielen mit dem Zweck, von der Datierung nach Kaiserjahren endgültig wegzukommen, indem man sie durch Zählung der Jahre des himmlischen Kaisers ersetzte. Unabhängig davon, ob sich die Dinge so verhalten oder nicht, wird man die nahezu gleichzeitige Aufnahme der neuen Datierungsform in den „Kanzleien" Ludwigs und Karls III. kaum als Zufall betrachten können. Für diese vermutet Kehr den Kanzler Liutward, für jene den Erzkapellan Liutbert als verantwortliche Persönlichkeiten 82 ). Liutward, später Bischof von Vercelli, hatte auf der Reichenau seine Erziehung erhalten, und Liutbert war ebendort Mönch gewesen, bevor er 863 zum Erzbischof von Mainz erhoben wurde 83 ). Daß beide Männer einander persönlich kannten, ist sicher, und der gleichartige Wortlaut der Datierungen in den ersten Diplomen beider „Kanzleien" wird am besten daraus erklärbar, daß man ihn gemeinsam festgelegt hatte. Eine Möglichkeit dazu konnte die Zusammenkunft der Brüder im bayrischen Ries im November 876 bieten, wo die Teilung des Reiches beschlossen wurde 84 ). Liutbert von Mainz war nach dem Sturz des allmächtigen Günstlings Liutward Erzkanzler Karls I I I . ; als er unter Arnulf abtreten mußte, wurde eigentlicher Kanzleileiter Aspert, „ein Schwabe wohl aus der Reichenau". „Neben und unter ihm waren zwei Notare tätig, Ernust und Engilpero, beide wohl Schwaben", von denen der erste wahrscheinlich ebenfalls der Reichenau entstammte. Aspert und Engilpero hatten schon unter Karl III. gedient 85 ). Kein Wunder, daß in diesen Zeiten das Inkarnationsjähr als Datierungsmerkmal zur festen Tradition der ostfränkischen Diplome wurde. Im Westreich, zu dem nicht immer freundliche Beziehungen herrschten, genügten die Diplome Karls III. nicht, die neue Datierung durchzusetzen. Es war gerade der erste Nichtkarolinger auf dem französischen Thron, Odo (888—898), dessen Kanzler Throannus die Inkarnationsjähre einführte, „certainement ä l'imitation de la chancellerie de Charles le Gros" 86 ) — eine politische Entscheidung, da Odo den Ausgleich mit Arnulf suchte. Deutlich ist der politische Zweck auch, wenn wir erfahren, daß zuerst unter Otto dem Großen das Papsttum Inkarnations jähre 82
) Kehr in der Einleitung zu den DD. LJ. XLVIII und in jener zu den DD. Karls III. X X X V I I : „Liutwards erste Neuerung war die Einführung der Ärenjahre mit ,incarnationis domini nostri Iesu Christi', die allerdings gleichzeitig, wenn auch nur vorübergehend, in den ersten Diplomen Ludwigs des Jüngeren (DD. LJ. 2, 4) auftauchten; doch besteht da schwerlich ein Zusammenhang." Was Kehr als vorübergehend bezeichnet, ist der Wortlaut des Diktats, nicht die Tatsache der Inkarnationsdatierung. 83 ) Fleckenstein, Hofkapelle 1, 176 f., 190 f. 84 ) B.-M.2 1520a. 85 ) Kehr in der Einleitung zu den DD. Arnulfs XVI. 86 ) Robert-Henri B a u t i e r , Recueil des actes d'Eudes, roi de France (1967) Introd. 111.
Inkarnationsjahre. Jahresbeginn
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für die Datierung von Urkunden verwendet hat 87 ). Seit 962 kam auch, nach langer Pause, die Datierung nach dem Kaiser wieder zur Geltung 88 ). Neben Pontifikats- und Kaiserjahren sowie der Indiktion waren die Jahre nach Christi Geburt eigentlich überflüssig, und sie sind auch nur in einem Teil der Papsturkunden zu finden. Das änderte sich, als sich die römische Kirche von dem Einfluß der Salier zu lösen begann und die Kaiserjahre in den päpstlichen Datierungen selten, die Inkarnationsjähre häufig wurden, „so daß man fast sagen könnte, sie treten an ihre Stelle" 89 ). Ein Nebeneinander von Inkarnations- und Regierungsjähren kennzeichnete weiterhin die „großen" Datierungen der bedeutenden Kanzleien Europas. Damit wird das Thema, dem unsere Studie gewidmet ist, zwar nicht uninteressant, aber es verschiebt seine Akzente von der Jahresdatierung auf die verschiedenen Arten des Jahresbeginns. Hier herrschte jene Freiheit, die man dazu gebrauchen konnte, sich von den Nachbarn zu unterscheiden und ein politisches Konzept in größeren Zusammenhängen zu demonstrieren. Wenn wir am Beginn unserer Untersuchung den Satz zitierten, ein eigener Kalender sei „ein fast unentbehrliches Requisit für den griechischen Partikularisten aus der Zeit vor wie nach Alexander" gewesen 90 ), so gilt dies auch für die italienischen Stadtrepubliken des Mittelalters, und nicht nur für sie allein. Man denke an den „calculus Pisanus", der erst 1749 aufgehoben wurde, und seinen Gegensatz, den „calculus Florentinus": Zwar begannen beide Jahreszählungen mit dem 25. März, aber Pisa war den Florentinern um ein ganzes Jahr voraus — was die Pisaner freuen und ihren Feinden in Florenz Ärger bereiten mochte. Der Jahresanfang mit Christi Geburt scheint noch am Ende des 13. Jahrhunderts ein Zeichen kaiserlicher Herrschaft gewesen zu sein, doch gewann seit Wilhelm von Holland der alte Jahresbeginn mit 1. Januar an Boden 91). Es bedürfte ausführlicher und schwieriger Untersuchungen, die chronologischen Eigenheiten ihrem Bestand nach festzustellen und ihren Sinn zu erforschen; vielleicht würde 8?
) Da es sich um abschriftlich überlieferte Stücke handelt, ist nicht ganz sicher, welches das erste war. Gering ist die Möglichkeit einer Nachtragung bei dem in Abschrift des 10. Jahrhunderts überlieferten Palliumprivileg Johanns XII. für Trier, J.-L. Reg. 3682, Harald Z i m m e r m a n n , Papstregesten 911—1024 (J. F. B ö h m e r , Regesta Imperii II 5,1969) Reg. 275, Menzer (oben 471 Anm. 94) 89. Auf einer echten Vorlage beruht nach Hauthaler-Martin, SaUB 2, 89 Nr. 50 die angebliche Urkunde Leos VIII. J.-L. Reg. 3700 für Salzburg, Böhmer-Zimmermann Reg. 337, vgl. Albert B r a c k m a n n , Die Kurie u. die Salzburger Kirchenprovinz (Studien u. Vorarbeiten zur Germania pontificia 1,1912) 106 ff. und (für die Datierung) Harry B r e s s l a u , Internationale Beziehungen im Urkundenwesen des MA. Archiv f. Urkundenforschung 6 (1918) 31 Anm. 5. Die echte Vorlage dürfte J.-L. Reg. 3702 für Kloster Montmajour beeinflußt haben, ebenfalls mit Jahresdatierung; vgl. das Regest und Bresslau a. a. 0 . Es folgt die Inkarnationsdatierung eines ansonsten verlorenen Privilegs Johanns XIII. für Bischof Petrus von Pesto, Zimmermann Reg. 428 (mit später Überlieferung), die Bestätigung durch denselben Papst für St. Maximin in Trier J.-L. Reg. 3722, Zimmermann Reg. 436 („Die Urkunde ist die erste der Papstkanzlei, in der nach Inkarnationsjahren datiert wird") und die Palliumverleihung an Magdeburg J.-L. Reg. 3728, Zimmermann Reg. 450. Man sieht, daß deutsche Empfänger im Vordergrund stehen. ss ) Menzer a. a. O. 54. ") A. a. O. 91. >0 91 ) Oben 455 mit Anm. 8. ) Poole, Studies 25 f.
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Fichtenau, „Politische" Datierungen IV
sich die Mühe nicht immer lohnen oder doch weniger als für Zeiten, die so quellenarm sind wie das frühe Mittelalter. Das Thema der Zeitrechnung ist in allen Frühzeiten den Menschen höchst bedeutsam erschienen, es stand in der Nähe des Kultischen. Später wurde daraus ein rationales Spiel des Geistes, bei dem schließlich Erwägungen der Nützlichkeit den Ausschlag gaben. Die Vereinfachung der Zeitrechnungsarten hatte ihre große Zeit in der Aufklärung, doch gab es derartige Tendenzen schon lange auch dort, wo man sie nicht erwarten möchte. Ein Beispiel: Im alexandrmischen Mönchtum der Spätantike hatte man auf Grund biblischer und profaner Zeugnisse die Überzeugung, die Welt sei im Jahre 5493 v. Chr. erschaffen worden. Die Byzantiner fügten dazu 16 Jahre, um die Rechnung mit dem ersten Zyklus der Indiktion beginnen und jedes vierte Jahr der Weltära als julianisches Schaltjahr führen zu können. Zugleich wurden Sonnen- und Mondzyklus anders angesetzt, um auch für sie einen gemeinsamen Fixpunkt zu erhalten 92 ). Eine geniale Vereinfachung also, ohne Scheu vor dem, was man für die Wirklichkeit der Weltentstehung halten mußte. Dem Westen war während des Mittelalters jene großzügige „Programmierung" von Datierungen fremd, die auch in Justinians Verordnung zum Ausdruck kommt. Bei aller Ehrfurcht vor der Tradition und den kultischen Bezügen chronologischer Angaben hat man aber doch Änderungen kleinerer Art vorgenommen, die den eigenen Standpunkt betonten. Wo starre Vorschriften fehlten, konnte sich Freiheit in der Deutung — und Umdeutung — der politischen Wirklichkeit entfalten. Hier lassen die urkundlichen Quellen so manches erkennen, was in den erzählenden ungesagt blieb. So ist die Herrscherdatierung des Frühmittelalters für den Historiker nicht unwichtig, obwohl solche Datierungen schon lange vorher und noch in viel späteren Zeiten zu finden sind. Regentenjahre wurden bereits in den vorexilischen Schriften des Alten Testaments vermerkt 83 ), und von hier spannt sich über Antike und Mittelalter hinweg ein großer Bogen bis in unsere eigene Epoche. Das alte Europa, oft totgesagt, lebt weiter in manchen Kleinigkeiten des Alltags und in viel Feiertäglichem, auf das keineswegs alle Menschen verzichten wollen. Als kleines Beispiel dafür sei eine Zeremonie gewählt, die sich am 29. November 1967 an der Universität Cambridge abspielte. Hier wurde eine Urkunde besiegelt, durch die der Kanzler der Universität von seiner Wahl verständigt und in seine Befugnisse eingesetzt wurde 94 ). Ihr Schluß lautet : „In cuius rei testimonium has litteras nostras patentes fieri et sigillum commune Universitatis praedictae iisdem apponi fecimus nono et vicésimo die mensis Novembris, anno regni serenissimae reginae ac dominae nostrae Elizabethae dei gratia Britanniarum reginae, fidei defensoris, quintodecimo, annoque domini millesimo nongentésimo sexagésimo séptimo." S2
) Rühl, Chronologie 194 f. ) So etwa 4 Reg. 18, 10: „nono anno Osee regia Israel capta est Samaría". •4) Ich verdanke den Text (aus dem Cambridge University Reporter) der Güte von Walter U l l m a n n (Cambridge).
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VERFASSERREGISTER Das Verfasserregister dient dem Auffinden ausführlicher Zitate. E s enthält n i c h t sämtliche Nennungen des betreffenden Autors oder Editors. Für die mittelalterlichen Autoren vgl. das nächste Register. Aicher 455 Anm. 6 Allodi-Levi 497 Anm. 107 Baluzius-Mansi 492 Anm. 94 Balzani siehe Giorgi Bascapö siehe Paoli Bastgen 507 Anm. 31 Bautier 538 Anm. 86 Bertolini, Carlomagno 490 Anm. 87 Bertolini, Roma 489 Anm. 81 Beumann, Epos 493 Anm. 98 Beumann, Nomen 512 Anm. 44 Beyerle 474 Anm. 10 Bitterauf 477 Anm. 23 Blatt, Pormules=Features 454 Anm. 5 Blondellus 485 Anm. 70 Böhmer-Mühlbacher 506 Anm. 27 Böhmer-Zimmermann 539 Anm. 87 de Boüard 480 Anm. 45 Brackmann 539 Anm. 87 Bresslau, Beziehungen 539 Anm. 87 Bresslau-Klewitz, Handbuch 454 Anm. 4 Bruckner, Regesta 505 Anm. 18 Bruckner-Marichal 483 Anm. 56 Brühl, Chronologie 473 Anm. 4 Brühl, Studien 473 Anm. 1 Bruel 534 Anm. 59 Brunetti 488 Anm. 79 H . Brunner, Zur RG 477 Anm. 26 K . Brunner 535 Anm. 62 Bureth 469 Anm. 90 Caro 504 Anm. 15 Chaplais 482 Anm. 55 Chroust 473 Anm. 2 Classen, Kaiserreskript 459 Anm. 30 Classen, Karl d. Große 488 Anm. 81 Classen, Rom. gub. imp. 497 Anm. 107 Claude 466 Anm. 75 Colgrave-Mynors 482 Anm. 54 Costadoni siehe Mitarelli
Courson 534 Anm. 61 Courtois siehe Tablettes Courtois, Vandales 456 Anm. 10 Deér, Patricius 487 Anm. 75 Deér, Vorrechte 490 Anm. 86 Déléage 535 Anm. 66 Dölger, Diplomatik 497 Anm. 108 Dölger, Staatenwelt 499 Anm. 113 Dölger, Verdun 499 Anm. 113 Dölger-Karayannopulos 536 Anm. 68 Drögereit 484 Anm. 66 Dronke 518 Anm. 73 Duchesne 488 Anm. 81 Enßlin 460 Anm. 38 Epperlein 533 Anm. 56 Espérandieu 460 Anm. 36 Ewig, Abwendung 481 Anm. 47 Ewig, Descriptio 507 Anm. 31 Ewig, Königsgedanke 513 Anm. 48 Fainelli 520 Anm. 86 Fanta 530 Anm. 35 Fantuzzi 500 Anm. 116 Fichtenau, Arenga 453 Anm. 2 Fichtenau, Datierung 454 Anm. 3 Fichtenau, Genesius 510 Anm. 39 Fichtenau, Herrschertum 454 Anm. 3 Fichtenau, Kaisertum 514 Anm. 51 Fichtenau, Situation actuelle 453 Anm. 1 Fichtenau, Tassilo 476 Anm. 22 Fichtenau, Urkundenwesen 504 Anm. 12 Fiebiger-Schmidt 462 Anm. 47 Fleckenstein 527 Anm. 19 Gabotto 520 Anm. 86 Ganshof 536 Anm. 75 Garms-Cornides 475 Anm. 11 Gay 489 Anm. 81 Ginzel 458 Anm. 21
Fichtenau, „Politische" Datierungen
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Giorgi-Balzani 473 Anm. 3 Grierson 502 Anm. 1 Haddan-Stubbs 483 Anm. 60 Haefele 532 Anm. 49 Hamilton 498 Harttung 499 Anm. 114 Hauthaler, Mondsee 487 Anm. 77 Hauthaler, SaUBl 477 Anm. 26 Hauthaler u. Martin, SaUB2 493 Anm. 99 Heidrich, Inschriften 462 Anm. 49 Heidrich, Titulatur 481 Anm. 50 Heil 496 Anm. 106 Heldmann 489 Anm. 85 Heuberger 456 Anm. 12 Heuwieser 477 Anm. 26 Hlawitschka 508 Anm. 33 H . H. Hoffmann 513 Anm. 48 S. Hofmann 486 Anm. 72 Hofmeister 508 Anm. 33 Hübner 459 Anm. 27 Hunger 453 Anm. 2 Ideler 536
Anm. 71
Jaffé-Ewald (Löwenfeld) I I J o h n 474 Anm. 7
Anm. 84
Kanoldt 480 Anm. 43 Kantorowicz, Bodies 485 Anm. 70 Kantorowicz, Laudes 476 Anm. 21 Karayannopulos siehe Dölger Kehr, Italia 492 Anm. 95 Kehr, Kzl. Karlmanns 537 Anm. 79 Kehr, Kzl. Karls 537 Anm. 19 Kehr, NA 49 510 Anm. 39 Klewitz siehe Bresslau-Klewitz Koller 478 Anm. 29 Kraus 462 Anm. 49 Kretschmayr 530 Anm. 38 Krüger siehe Mommsen-Krüger Krusch, Chronologia 481 Anm. 51 Krusch, Lehrbuch 484 Anm. 6 5 Krusch, Studien 463 Anm. 59 Kubitschek, Ära 456 Anm. 11 Kubitschek, Zeitrechnung 455 Anm. 8 Lauer-Samaran, Diplômes 480 Anm. 45 Le Blant, Inscriptions 479 A. 33 Le Blant, Nouveau Recueil 479 Anm. 33 Leclercq 457 Anm. 16 Lehmann 518 A. 77 Leicht 506 Anm. 27 Levi siehe Allodi Levison, Akten 483 Anm. 60
Levison, Bede Essays 482 Anm. 53 Levison, England 481 Anm. 49 Levison, Frühzeit 480 Anm. 42 Lightfoot 485 Anm. 70 Löwe, Bonifatius 481 Anm. 47 Löwe, Reichsgründung 477 Anm. 24 Löwe, Theoderich 485 Anm. 69 Loyen 465 Anm. 69 Manaresi 521 A. 93 Mansi 465 Anm. 71 Mansi siehe Baluzius Marichal siehe Bruckner Marini 468 Anm. 84 Martin siehe Hauthaler Massmann 471 Anm. 99 Menzer 471 Anm. 94 Meyer-Marthaler 504 Anm. 16 Migne 494 Anm. 100 Miles 466 Anm. 77 Mitarelli-Costadoni 492 Anm. 95 Molkenteller 515 Anm. 57 Mommsen, Cassiodor 464 Anm. 60 Mommsen, Herrscherjahr 455 Anm. 9 Mommsen, Ostgoth. Studien 455 Anm. 9 Mommsen, Staatsrecht 469 Anm. 89 Mommsen-Krüger, Theod. libri 465 Anm. 72 Mühlbacher, Bernhard 524 Anm. 3 Mühlbacher, Datierung 525 Anm. 10 Mühlbacher, Karl I I I . 537 Anm. 79 Mühlbacher siehe Böhmer Mynors siehe Colgrave Nagl 468
Anm. 84
Paoli-Bascapè 487 Anm. 78 Pardessus 479 Anm. 42 Pfeil 518 Anm. 75 Pflugk-Harttung siehe Harttung Poole 514 Anm. 56 Prinz, Herrschaftsstruktur 477 Anm. 24 Prinz, Herzog u. Adel 476 Anm. 22 Quantin 537
Anm. 77
Rall 486 Anm. 72 Redlich 477 Anm. 25 Reindel 530 Anm. 39 de Rossi 460 Anm. 34 Rubin 469 Anm. 88 Rühl 536 Anm. 68 Ruggiero 490 Anm. 88 Samaran siehe Lauer Santifaller 453 Anm. 2
Verfasserregister Schiaparelli, Cod. 473 Anm. 1 Schiaparelli, Diplomi 528 Anm. 25 Schiaparelli, Note 474 Anm. 7 Schieffer, Angelsachsen 480 Anm. 47 Schieffer, DD. Lo. I. 524 Anm. 9 Schieffer, Winfrid 481 Anm. 47 Schipa 506 Anm. 27 Schmidt, Ostgermanen 457 Anm. 15 Schmidt siehe Fiebiger-Schmidt Schramm, Anerkennung 487 Anm. 78 Schramm, Herrschaftszeichen 509 Anm. 38 Schramm, Kaiser, Könige . . . 487 Anm. 78 Seeck 463 Anm. 57 Sickel 517 Anm. 67 Sprandel 504 Anm. 13 Stein 468 Anm. 83 von den Steinen, Formelbuch 532 Anm. 51 von den Steinen, Notker 532 Anm. 51 Stengel, Abhandlungen 533 Anm. 53 Stengel, Abhandlungen 533 Anm. 53 Stengel, Urkundenbuch 502 Anm. 1 Strack 455 Anm. 8 Stubbs siehe Haddan Studtmann, Pönformel 453 Anm. 2 Stutz 504 Anm. 16
Tablettes Albertini 459 Taeger 476 Anm. 15
Anm. 29
Tangl, Studien 484 Anm. 64 Tessier, Diplomatique 480 Anm. 45 Tessier, Recueil 527 Anm. 22 Thompson 482 Anm. 53 Tjäder 463 Anm. 58 Treiter 483 Anm. 55 Troya 466 Anm. 76 Unterkircher 515 Anm. 60 Vives, Concilios 466 Anm. 75 Vives, Inscripciones 456 Anm. 11 Völckers 509 Anm. 38 Wampach 480 Anm. 42 Wartmann 504 Anm. 13 Wenger 465 Anm. 72 Wenskus 461 Anm. 46 Widemann 486 Anm. 72 Wolf 487 Anm. 75 Wolfram, Fortuna 476 Anm. 17 Wolfram, Intitulatio 453 Anm. 2 Wolfram, Rez. Heidrich 505 Anm. 17 Wroth 457 Anm. 17 Zatschek, Erwähnungen 529 Anm. 31 Zatschek, Marculf 504 Anm. 12 Zeller 528 Anm. 23 Zeumer 461 Anm. 42 Zielinski 473 Anm. 3 Zimmermann siehe Böhmer Zucchetti 509 Anm. 37
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PERSONEN,WÖRTER,SACHEN Adalgisel-Grimo 480 Anm. 42 Adalhard, Königsbote 520 Anm. 86 Adelchis, König der Langobarden 508 Ado, Erzbischof von Vienne 511 Ära 465, 468 — Alexandrien 458 — der Eroberung Karthagos 457 — (Kleinasien) 458 — langobardische 474 — mauretanische 456 — spanische 456 Anm. 11, 464 f. — (Syrien) 458 siehe auch: Weltära, byzantinische Aethelbald, König von Mercia 485 Agapitus, Konsul (519) 460 Agipert 495 Agobard, Erzbischof von Lyon 524 Aistulf, König der Langobarden 475 Alarich II., König der Westgoten 465 f. Alboin, König der Langobarden 458 Alio, Dux 507 Alchvine 507 Anm. 31, 513—517 Amalaswintha 466 Anm. 75 Ambrosius, Primicerius 490 Anm. 89 Anastasius, Secundicerius 492 Anfangsdatierung 469, 473—475, 477, 479, 490, 509 f., 536, 537 Anm. 77 Angilberga, Kaiserin 526 Anm. 18 Arbeo, Bischof von Freising 477, 486 f., 536 Aredius 479 Anm. 42 Aribert, Bischof von Arezzo 511 Arn, Erzbischof von Salzburg 477 Anm. 26, 493, 503, 518 f. Arnulf, Kaiser 500, 538 Artabasdos, Gegenkaiser 489 Anm. 82 Asger, Priester 502 Aspert, Kanzleibeamter K. Arnulfs 538 Astion, Mönch 485 Anm. 71 Athalarich, König der Ostgoten 461 Anm. 44, 462, 467 Athelard, Erzbischof von Canterbury 498 Augustus (Octavianus), Kaiser 458, 469 Anm. 89, 470, 476, 514 Avitus, Bischof von Vienne 460 Anm. 39
Basilius d. J., Konsul (541) 461, 471 ter beatissimus 490, 492, 496 Beda Venerabiiis 482,484 f., 514,535 Anm. 63, 536 Beiisar, Feldherr 467 f., 470 Benedictus, päpstlicher Notar 495 Berengar I., Kaiser 528 Bernhard, Unterkönig von Italien 524 f., 530 Bertichramn(us), Bischof von Le Mans 479 Amn. 42 Bertold, alemannischer Graf 504 Bonifatius (hl.) 481, 484, 512 Boso, König von Niederburgund 534 Amn. 59 Brunechildis, Königin 479 Anm. 41 Burgundofara 480 Anm. 42 Caesarius, Bischof von Arles 465 f. Caligula (Gaius), Kaiser 456 Cassiodorus Senator 459 Anm. 33, 462 bis 464, 466 Anm. 75, 467 Cassius Dio 458 Childebert I., König der Franken 479 Childebert III., König der Franken 480 Childerich III., König der Franken 481 Chlodwig I., König der Franken 479 Chlothar I., König der Franken 479 Christopherus, Scriniarius 499 clementissimus 466 Anm. 75 coangelicus 490, 496 Dagobert I., König der Franken 480 Dardano, Priester 510 Desiderius, König der Langobarden 494 Anm. 102, 508 Deusdedit, öffentlicher Schreiber 471 „Devotionsformel" 475 die consule 477 f. die proconsule 477 Anm. 26 Diokletian, Kaiser 463, 482, 485 Anm. 71 Dionysius Exiguus 463 Anm. 59, 482, 536 dom(i)nus noster 458, 462 f., 465, 472, 475 Anm. 11, 477 Anm. 23, 479, 485 f., 488 Anm. 79, 491 Anm. 92, 493, 495,
Personen, Wörter, Sachen 503—505, 508 Anm. 34, 510, 513, 516 Anm. 62, 518, 519 Anm. 83, 520 Anm. 89, 521 Anm. 90, 530, 540 (domina nostra) Donno, Propst von S. Valentin (Viterbo) 495 Drusus d. J. 469 Anm. 89 Eanwulf, Abt 483 Anm. 57 Ebo, Erzbischof von Reims 537 Anm. 77 Ecbert, Erzbischof von York 483 Anm. 57 Effektivjahr 458, 469 f. Einhard 502, 513, 516, 529 Anm. 31 Electramn(us), Bischof von Rennes 534 Anm. 61 Elisabeth II., Königin von England 540 Engilpero, Notar 538 Epictetus, Presbyter 485 Anm. 71 Erispoe, Fürst der Bretagne 535 Anm. 62 Ernust, Notar 538 Eurich, König der Westgoten 464 Eustachius, Primicerius 493, 495, 498 Eutharich, Konsul (519) 460 excellentissimus 475, 493 f., 508 Anm. 34, 510,516 Anm. 62, 521 Anm. 90 famosissimus 503 Anm. 5 Faroald, Herzog von Spoleto 473 Faustus, Konsul (438) 456 Anm. 12, 469 Anm. 91 felicia dicere 476 Anm. 21 felicitas 475 f., 517 feliciter 463, 466 f., 475 f., 480, 488 Anm. 80, 489 Anm. 82, 492, 495, 503 Anm. 11, 504 Anm. 12, 510, 517, 519, 529 Anm. 31 Felithanc 472 Felix, Konsul (511) 459 Anm. 33 felix (felicissimus) 463, 466, 467 Anm. 77, 475 f., 503 Anm. 5 Festdatierung 454 Formosus, Papst 500 mit Anm. 117 Fortunatus, Patriarch von Grado 495 Gaidoald 492 Gairo 492 Gauspert, Priester 510 Geiserich, König der Vandalen und Alanen 456—459, 461 f., 469 f. Genesius, Notar Karls d. Großen 510 Anm. 39, 511 Georgius, Konsul und Dux 494 Anm. 104 Georgius, Seidenhändler 471 Gesta municipalia 468—471, 474 Gibbon, Edward 536
545
gloria nostra, vestra 466 mit Anm. 75 gloriosus (gloriosissimus) 466, 473, 480, 490, 503 Anm. 5, 505, 518 Gregor I., Papst 485 Grimo siehe Adalgisel-Grimo Gualfred 495 gubernator Romanorum 520 Gulfar 495 Guntram, königlicher Notar 474 Anm. 6 Hadoind, Bischof von Le Mans 480 Anm. 42 Hadrian I., Papst 487, 4 8 9 - 4 9 6 Heden, Herzog der Thüringer 480 Heinrich II., Kaiser 528 Heres siehe Arbeo Hermenegild, König der Westgoten 467 Herrschaftspropaganda 467, 469, 501 Hildebald, Erzbischof von Köln 518 f. Hildebrand, Herzog von Spoleto 490 f., 496 Honoratus, Bischof von Bourges 479 Honorius, Kaiser 457 Hosea, König von Israel 540 Anm. 93 Hunerich, König der Vandalen und Alanen 457 Anm. 17, 459 Hunrich, Abt von Mondsee 477 Anm. 26
imperator Romanorum (Karl d. Gr.) 509, 512, 520 imperium Romanorum 521 in dei nomine 475, 480, 490, 504 Anm. 12, 505 Anm. 20, 506 Anm. 27, 510, 517 bis 519, 524 Anm. 4 Indiktion 455, 463 Anm. 59, 468 f., 476 bis 479, 482 f., 485—487, 489 Anm. 82, 491 f., 495,498 f., 503 Anm. 7 u. 10,504 Anm. 12, 510, 513 f., 517, 519 f., 521 Anm. 90, 539 — (Burgund, Gallien, Spanien) 464 — (Italien) 463, 472—475 Inkarnationsjahr 478, 481 f., 484 f., 487, 514, 516, 531 Anm. 42, 534—539 „Inquirinus B", Kanzleibeamter Kaiser Karls III. 512 Anm. 42, 527 Anm. 19 Inschriften 456, 458, 463, 465, 467, 469, 471 Anm. 95, 473 f., 479, 490, 491 Anm. 92, 494 Anm. 104 Intitulatio 510 Anm. 39, 511, 518, 528 f., 532 Invokation 475, 483 f. Iordanis 495 Irmina, Äbtissin von ören 480 Anm. 42 Italia-Begriff 494, 506, 511 Anm. 41, 523
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Fichtenau, „Politische" Datierungen
Jahresanfang 514—517, 539 Johannes VIII., Papst 499 Johannes XII., Papst 539 Anm. 87 Johannes XIII., Papst 539 Anm. 87 Johannes der Kappadokier, Prätorianerpräfekt 468, 472 Johannes, Elekt von Pistoia 474 Anm. 6 Johannes, Scriniarius 492 Justinian I., Kaiser 457 f., 461, 463 Anm. 59, 466 Anm. 75, 467 f., 470—472, 480, 501, 540 Justinus I., Kaiser 460 Anm. 36, 462 Justinus II., Kaiser 460 Anm. 36, 472 Kalender, römischer 454 Karl der Große, Kaiser 455, 483 Anm. 57, 488 f., 491—499, 501—524, 530 f., 535 Karl II. (der Kahle), Kaiser 500, 517, 527, 529, 534 Anm. 61, 537 Karl III. (der Dicke), Kaiser 512, 517, 526 f., 532, 534 f., 537 f. Karl IV., Kaiser 529 Karl Martell, fränk. Hausmeier 486 Anm. 72, 505 Karl, Sohn Karls des Großen 523 Karlmann, fränk. Hausmeier 480, 486 Anm. 72 — König 526, 534 Anm. 59, 537 Kerhelm, Priester 486 Anm. 72 Kindila, König der Westgoten 467 Anm. 81 Kinelm, ags. König 493 Anm. 99, 498 Konrad II., Kaiser 528 Konrad, König von Hochburgund 535 Konstantin (II.), Gegenpapst 487, 496 Konstantin V., Kaiser 489 Anm. 82, 512 Konstantin VI., Kaiser 493 Anm. 98 Konsulardatierung 455 f., 459,461 f., 464 f., 467 bis 469,472 Anm. 103,479,498, 516 Kyrill(os) von Alexandria 482 Lambert von Spoleto, Kaiser 500, 528 Latronianus, Dux 485 Anm. 71 Leo III., Papst 493—499, 511 Leo VIII., Papst 539 Anm. 87 Leowigild, König der Westgoten 467 Liutbert, Erzbischof von Mainz 538 Liutprand, König der Langobarden 475 Anm. 11, 489 Liutward, Bischof von Vercelli 538 Lothar I., Kaiser 503, 511 Anm. 41, 524 bis 526, 530 Lothar II., König 527 Ludwig der Fromme, Kaiser 498 f., 517, 523 f., 526, 529—533, 536 f. Ludwig II., Kaiser 524—526, 533, 537
Ludwig III. (der Blinde), Kaiser 528 Ludwig der Deutsche, König 530—534, 537 Ludwig d. J., König 517, 526, 537 f. Lullus, Erzbischof von Mainz 483 Anm. 57, 502 Anm. 3 Machelm, Graf 486 Anm. 72 magnificus 502 Anm. 5, 521 magnus 495, 498 f., 503 Anm. 5 u. 10, 512 f., 518, 520 f. Marinus I., Papst 500 mit Anm. 117 Markulf 480 mit Anm. 44, 486 Martin, Sohn des Johannes 510 Maurikios, Kaiser 485 Messala, Konsul (505) 465 Münzen 457, 462, 472 Anm. 103, 493 Anm. 98, 502 Anm. 1, 509, 513 Narses, Feldherr 471, 472 Anm. 102 Nominoe, Fürst der Bretagne 535 Anm. 62 Notker der Stammler 527 Anm. 19, 532 f. Odilo, Herzog der Baiern 482 Odo, König 538 Odowakar 459, 462 Anm. 49 Offa, König von Mercia 484 Anm. 67 Otto I., der Große, Kaiser 528, 538 pacificus 495, 498 f., 512 f., 520 f. Pascalius siehe Paschalis, Primicerius Paschalis I., Papst 496, 499 Paschalis, Primicerius 493 patricius 491, 494, 505, 507, 509, 512 Anm. 43, 519, 521 patricius Alamannorum 504, 531 Anm. 47 patricius Romanorum 493—496, 501, 503 ff., 507 f., 509 mit Anm. 38, 511 f., 520 f., 531 Anm. 47 Patriziatsjahre 494 Paul I., Papst 490 Anm. 89, 497 Anm. 107 Paulinus, Konsul (534) 461, 467 Paulus Diaconus 474 Anm. 10 Pelagia 479 Anm. 42 Pelagius I., Papst 471 Pern, Priester 478 Anm. 32 perpetuus augustus 472 Anm. 102 u. 103, 495 f., 498 f. Perto 495 Petrus, Bischof von Pesto 539 Anm. 87 pietas 475 f. piissimus 466 Anm. 75,472 Anm. 102,483, 495 f., 498 f., 503, 512 f., 526 f. Pippin (d. J.), König der Franken 477, 481, 486 f., 502
Personen, Wörter, Sachen Pippin, Unterkönig von Italien 495, 506 bis 510, 520 f., 523 Pippin (d. Mittlere), fränk. Hausmeier 480 Plectrud 480 Pontifikatsjahre 4 8 7 ^ 9 7 , 499 f., 535, 537 Anm. 80, 539 Postkonsulat 460 f., 463 Anm. 59, 468, 470 f., 473, 478 f., 4 9 7 ^ 9 9 , 513 Prando 495 Prandulo 510 princeps 480, 481 Anm. 50, 492, 495, 499, 505 Anm. 17, 529 mit Anm. 32, 534 Prokop (von Caesarea) 462 Prosper Tiro 457 Anm. 15 Ragifred 498 Ranilo 471 Ratfried, Abt von Weißenburg 529 Anm. 31 Regenar(ius), Bischof von Rennes 535 Anm. 62 Regino von Prüm 478 Anm. 30 regnante-Formel 484—488, 491 ff., 495, 499, 504, 505 mit Anm. 20, 508 Anm. 34, 510, 516, 518, 519 Anm. 83, 520 Anm. 89, 524 Anm. 4, 528 Anm. 25, 529 Anm. 31, 530 f., 534 Anm. 61, 535 Anm. 62 Rekkared I., König der Westgoten 466 mit Anm. 75, 467 Anm. 81 Rekkeswinth, König der Westgoten 466 Anm. 75 Rethwalart, Mactiernus 535 Anm. 62 rex noster 477 rex Romanorum (Karl der Gr.) 510—512, 521 Rothari, König der Langobarden 474, 506 Rothari, alemannischer Graf 504 Rotrud 493 Anm. 98 Rudolf II., König von Hoohburgund 528 Salomo, Fürst der Bretagne 534 Anm. 61 Segoin, Kanzleibeamter K. Karls I I I . 527 Anm. 19 serenissimus 466 Anm. 75, 513, 518, 520 f., 528 Anm. 25, 532, 540 serenitas 466 Anm. 75 Sergius I., Papst 491 Anm. 92 Sergius, Scriniarius 498 Sigismund, König der Burgunder 460 M. Silanus, Senator 469 Anm. 89 Sisebut, König der Westgoten 467 Anm. 81, 535 Anm. 63
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Stephan II., Papst 496 Stephan III., Papst 489, 490 Anm. 89, 496 Stephan IV., Papst 496—499 Stephan, Bischof von Cördoba 491 Anm. 92 Sueton 513, 516 summus pontifex et universalis papa 496 f., 499 Syndolf, Gastalde 473 Tabellionatsurkunden 468, 470 tablettes Albertini 459 Tacitus 469 Anm. 89 Tassilo III., Herzog der Baiern 477, 486 Anm. 72, 487, 503 tempore (temporibus) 473, 485, 490 f., 494 Anm. 104, 496, 503 Anm. 7, 509, 529 Anm. 32, 534 Anm. 59 Teufrid 510 Thaugolf, Presbyter 518 Anm. 75 Theodahad, König der Ostgoten 462 Theoderich, König der Ostgoten 459—462, 467 Theoderich II., König der Westgoten 465 Theodor, Bischof von Feltre und Treviso 496 — Erzbischof von Canterbury 483 mit Anm. 57, 484 — Nomenclátor 499 — päpstlicher Notar 492 Theodosius II., Kaiser 456 Anm. 12, 459 Anm. 32, 469 Anm. 91 Theodosius, Sohn des Maurikios 485 Theodotus, Dux 490 Anm. 89 Theuderich IV., König der Franken 481, 505 Anm. 17, 534 Theudis, König der Westgoten 463, 466 Thorismund, König der Westgoten 465 Throannus, Kanzler K. Odos 538 Tiberius, Kaiser 469 Anm. 89 Tiberius, Sohn des Maurikios 485 Totila (Badwila), König der Ostgoten 461 Trasamund, König der Vandalen und Alanen 458 Anm. 24 triumphalis 472 Anm. 102 Ursicinus, Bischof von Turin 474 Valentinian I I I . , Kaiser 457 Venantius, Konsul (507) 462 Victor, Bischof von Vita 459 Vigilius, Papst 471
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Vitalian(us), Heermeister 471 Vitalianus, Konsul (520) 460 Walafried Strabo 520 Anm. 83 Waldo, Kanzleibeamter K. Karls III. 527 Anm. 19 Weltära, byzantinische 490 Anm. 89, 514, 536, 540 Wicheram, Dux 508
Wido von Spoleto, Kaiser 500, 528 Wilfried, Bischof von York 483 Wilhelm von Holland, König 539 Wilhelm von Malmesbury 493 Anm. 99, 498 Willibald, Bischof von Eichstätt 502 Anm. 3 Zacharias, Papst 512
Schlußwort Die bisherigen Untersuchungsergebnisse, gewonnen an einzelnen Titeln oder an ganzen Titelgruppen, wurden bereits den Zusammenfassungen der entsprechenden Abschnitte in Intitulatio I und I I zugeordnet. Die Darstellung der allgemein-geschichtlichen Einsichten bemühte sich vor allem um den Stellenwert einer bestimmten Intitulatio. Inhaltliche wie formale Kriterien wurden dabei in gleicher Weise berücksichtigt. Im Vordergrund meiner eigenen Fragestellung stand mehr und mehr die Intitulatio der königlichen und kaiserlichen „Akten". Die „Politik" dieser Formel war — von der Spätantike bis zur Jahrtausendwende — Gegenstand der Betrachtung. Brunner und Garms-Cornides bearbeiteten das weite Feld der fränkisch-langobardischen Fürstentitel. Sie schlössen dabei chronologisch an die Geschichte des gentilen Fürstentitels an, der für das 8. Jahrhundert noch in Intitulatio I untersucht wurde. Hingegen reicht der Beitrag der beiden Autoren unterschiedlich weit. Während Garms-Cornides die langobardischen Fürstentitel bis zur Eroberung der beneventanischen Nachfolgestaaten durch die Normannen erfaßt, schließt Brunner seine Behandlung des fränkischen Fürstentitels dort, wo die gemeinsame Grundlage der fränkischen Staatlichkeit von den neuen regionalen, ja „pränationalen" Einheiten verlassen wird. In örtlich-zeitlicher Verschiedenheit vollzieht sich dieser Prozeß in der Mitte des 10. Jahrhunderts. Vom Standpunkt der Bedeutungsgeschichte wie der Formengeschichte besitzt der Königstitel die Stellung einer „Leitformel". Dies erklärt sich aus der Entstehung der lateinischen Königstitel im Verlauf der Völkerwanderung, da sie den Platz der Intitulatio eines hohen römischen Magistrats, in gewissen Schriftstücken sogar den des Kaisernamens eingenommen hatten. Obwohl die formalen Vorbilder der Formel aus so disparaten Bereichen, wie dem Kaisernamen und dem Titel römischer Gentilfunktionäre, stammen konnten, verfestigte sich die Terminologie doch sehr rasch. Die Großkönige rückten an den ersten Platz nach dem Kaiser und erhielten so einen Rang, den sie nur mit den allerhöchsten Beamten teilen mußten. Mit Ausnahme des Regnum Francorum verloren alle lateinischen Königreiche des Kontinents ihre Selbständigkeit. Der fränkische Königstitel — erweitert um den Herrschaftsauftrag über Langobarden und Römer — war daher der einzige, der die Konfrontation mit dem ersten abendländischen Kaisertitel erlebte. Dieser verkörperte zunächst tatsächlich spätantike Traditionen; nach dem Ausgleich mit Byzanz verzichtet Karl der Große selbst noch auf den,, echten'' Kaisertitel. Seit 814 liegt die Formel „Name-Legitimationsformel-Funk-
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tionstitel" der kaiserlichen wie der königlichen Intitulatio zugrunde. Diesen Aufbau, der an die Entwicklung des Königstitels des 8. Jahrhunderts anschließt, gibt nur Otto I I I . kurzfristig in seinen Sondertiteln auf. Formengeschichtlich prägte also der Königstitel die Normalformel der kaiserlichen Intitulatio. Mit Ausnahme des Funktionstitels selbst kommt kein Titelelement vor, das nicht auch in den Königstitel aufgenommen werden könnte. Andrerseits bildet die königliche Intitulatio auch die Leitformel für die Fürstentitel. Die aus der Carta stammende „Fürstenurkunde" kannte ursprünglich nur die Invocatio; nun imitiert sie die königliche Legitimationsformel als Zeichen der Herrschaft aus eigenem Recht. Das gentile Prinzip vertraten vor 800 sowohl der Königstitel wie der Fürstentitel. Zwischen 833/48 und 911 gaben die Karolinger die ethnische Bereichsbezeichnung auf, da sich darin die Beschränkung auf ein regionales Regnum ausdrückte. Auf fürstlicher Seite wurde diese „Beschränkung" positiv interpretiert; im regionalen Regnum vollzog sich die Ausbildung fürstlicher Herrschaft. J e größerer Selbständigkeit sich diese erfreute, um so früher erreichte sie Königsgleichheit. Ein solcher Status konnte, wie in der Bretagne, sogar durch einen gentilen Königstitel manifestiert werden. Am Beginn des 10. Jahrhunderts zeigte es sich, daß die fürstliche Politik der Durchdringung des kleinen Raumes vor allem westlich des Rheins erfolgreich war. Das regionale, ethnisch bestimmte und bestimmbare Regnum verlangte seine Repräsentation in den entsprechenden Formeln. Zuerst in Bayern und Aquitanien, dann in der Francia media zwischen Seine und Rhein und schließlich überall im fränkischen „Commonwealth" treten Herrscher- und Fürstentitel auf, die die ethnische Bereichsbezeichnung wieder beleben. Dort allerdings, wo wie in Mitteleuropa die multiregnale Großräumigkeit aufrechterhalten wurde, verschwanden sehr rasch die Titel wieder, die ein Ethnikon repräsentierten. Hier dauerte es bis zum Investiturstreit, bis der gentile Königstitel eingeführt werden konnte, und dann entsprach ein Rex Romanorum nicht unmittelbar dem Regnum Teutonicorum. Hingegen nahm der Kaisertitel die vom westlichen Königstitel Rex Francorum vermittelte Wiederbelebung des ethnischen Prinzips auf, wobei die Auseinandersetzung mit Byzanz den Prozeß beschleunigte, der zur Formel „Romanorum imperator augustus" führte. Überblickt man die Formengeschichte der in Intitulatio I und I I untersuchten Titel, so erkennt man die gemeinsamen Voraussetzungen und Strukturen. Die Konturen des Phänomens, das die Intitulatio darstellte, gewannen noch an Deutlichkeit und Schärfe aus der Kontrastwirkung, die von Fichtenaus „Politischen Datierungen" ausging. Die Datumformeln enthielten objektiv formulierte Fremdaussagen, die zur herrscherlichen Selbstaussage in einem bestimmten Verhältnis standen. Dabei hat man zu differenzieren zwischen den Datumzeilen der Herrscherurkunden, deren Titulaturen sich mit den offiziellen Herrscheranreden entweder decken oder ihnen doch sehr nahe kommen, und den Datumzeilen der „kanzleifernen" Urkunden, in denen sich die Transformation sowohl der Intitulatio wie der offiziellen Titulatur vollzieht. Das Ergebnis davon ist eine Formel, die primär nicht das enthielt, was man zu dem Herrscher sagte, sondern das, was man über ihn sagte. Solche Datum-
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Titulaturen stellen die Interpretation der offiziellen Formeln durch die Vertreter eines bestimmten Motivationshorizontes dar. Wenn man etwa in Bayern nach König Pippin datiert, dann wird dem Franken die traditionelle bayerische Herzogstitulatur zusammen mit der Funktionsbezeichnung „ r e s " zugeteilt. Hingegen orientierte sich die kaiserliche Intitulatio Karls des Großen an der Akklamation vom Weihnachtstag 800, die ihrerseits mit den traditionellen Kaisertitulaturen Reichsitaliens identisch war. Hier handelt es sich zum Unterschied von der bayerischen Transformation des fränkischen Königstitels um eine offizielle Titulatur, die auch durch die Formulare des Liber Diurnus sowie durch echte Briefe belegt wird. Man kann also zusammenfassend sagen, daß die „kanzleiferne" Datum-Titulatur nicht nur die Intitulatio, sondern auch die offizielle Fremdaussage transformiert, wofür die Formel „patricius Romanorum et Alamannorum" aus St. Gallen das anschaulichste Beispiel liefert. Selbstaussage und offizielle Fremdaussage stehen erwartungsgemäß in einem besonderen Nahverhältnis zueinander. Dieses stellt sich formal in der Inversion dar, wie die Vorgeschichte zu Karls Kaisertitel lehrt. Auch fiel früher schon auf, daß „vir inluster" Titelwert erhielt, während die Anrede „inluster vir" lautete. Infolge von Justinians Festlegung der offiziellen Datierungsweise kam es zur typischen Umstellung „Augustus . . . imperator", die noch Karls Intitulatio von 801 zugrunde hegt. Gegenstücke dazu finden sich in den Adressen der Briefe an den Kaiser. Die Inversion betonte das umgestellte Titelelement oder konnte damit rhetorische Postúlate erfüllen, wie ebenfalls am Titel Karls des Großen zu zeigen war. Ähnliche Bedeutung hatte die Inversion auch innerhalb der Intitulatio, wie die Umstellung der ethnischen Bereichsbezeichnung seit dem 9. Jahrhundert lehrt. Die formengeschichtlichen Aspekte abschließend, soll noch darauf hingewiesen werden, daß Neuerungen fast ausschließlich von der Fremdaussage in die Selbstaussage eindringen. Experimente werden zuerst in den Titulaturen, vor allem der Signum- und Datumzeile erprobt, bevor sie die Intitulatio annimmt. Nach der Formengeschichte ist nun die Bedeutungsgeschichte zu bedenken. Intitulatio I handelte von den Königs- und Fürstentiteln in der Zeit vor der Kaiserkrönung Karls des Großen. Während der Völkerwanderung entstanden die ersten lateinischen Königstitel im Bereich des westlichen Imperium Romanum. Sie wurden in Dokumenten formuliert, die an die Verwaltungspraxis der höchsten Provinzial- und Diözesanbürokratie anschlössen, hatten aber für den regionalen Raum die tatsächliche Bedeutung des kaiserlichen Namens. Nur der italische „Flavius rex" versuchte auch der Theorie nach in die Außenbezirke der kaiserlichen Sphäre einzudringen. Sein Titel fand in Spanien und besonders bei den Langobarden eine eher formale Nachahmung. Davon völlig unberührt blieb der merowingische Königstitel, dessen Form die einfachste und bescheidenste der zeitgenössischen Königstitel bildete. Dieser Umstand hing mit dem ursprünglichen Rang der fränkischen Könige zusammen. Der große politische Erfolg des merowingischen „kuning" verlieh jedoch
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der Formel Rex Francorum ein stark zunehmendes Prestige. Dieser Titel repräsentierte das gentile Prinzip am reinsten und wurde als einziger der Königstitel der „ersten Generation" auch traditionsbildend. Das heißt, der fränkische Titel bildete den Gegenstand der Reflexion und Imitation immer dann, wenn man sich bewußt um die Kontinuität und Legitimität bemühte. Der merowingische Königstitel wurde so nicht der Konkurrent der frühmittelalterlichen Gentilitas, sondern deren Vorbild. Rex Francorum repräsentierte ein Regnum, das zusammen mit Imperium Romanum in die Theorie der Renovatio einging, wie die Abfolge von „Renovatio Romani imperii" und „Renovatio regni Francorum" beweist. Die Karolinger verdrängten die Merowinger von der Königsherrschaft im Zeichen der Restauration des Frankenreichs. Dabei schlössen sie an die merowingisch-römische Tradition an, die sie selbstverständlich in den Motivationshorizont der Mitte des 8. Jahrhunderts übersetzen mußten. Ausgehend von Schramm wurde dieser notwendige Prozeß als Emendatio und Correctio verstanden. Der Vorgang wiederholte sich aber auch gegenüber einer nichtfränkischen Politik, als Karl der Große das Langobardenreich und damit die Schutzherrschaft über Reichsitalien gewann. Nun war einerseits die langobardischrömische Tradition und andrerseits die der Römer zu integrieren. Dieses Ereignis wich jedoch von der überkommenen und erwarteten Verlaufsgestalt ab. Zum ersten Mal seit dem Ende des Weströmischen Reichs, ja zum ersten Mal in der Geschichte lateinischer Staatlichkeit überhaupt löschte der Eroberer die Formen der politischen Repräsentanz der Eroberten nicht völlig aus. Wie die Karolinger den Titel eines Rex Francorum erobert und zugleich übersetzt hatten, so gewannen sie auch die Erfahrungen der italischen Politik. Das Ergebnis war ein karolingisch-fränkischer Königstitel, der den dreifachen Herrschaftsauftrag über Franken, Langobarden und Römer verkündete. Die geschichtliche Bedeutung Karls des Großen bewirkte, daß diese Dreiheit gleichsam die „kanonischen" Staatsvölker des lateinischen Europa wurden. In der Sicht der Nachfolger, die von Karls Kaisertitel ausgingen, lautete die Reihenfolge, die zugleich eine Rangfolge bildete, meistens Römer, Franken-Sachsen (Deutsche), Langobarden-Italiker (Lombarden). Intitulatio II begann mit dem Kaisertitel Karls des Großen, der in einer Zeit entstanden ist, da auf dem Kontinent kein lateinischer König neben Karl existierte. In dessen Intitulatio lag also die Voraussetzung für jede weitere Differenzierung, der die Herrschertitel innerhalb der nächsten beiden Jahrhunderte unterworfen waren. In diesem Modell blieben die angelsächsischen Königstitel ebenso ausgeschlossen wie das spanische Material. Dies soll nicht heißen, daß der Wert jener Überlieferungen gering wäre. Was jedoch die Angelsachsen betrifft, so müßte man zunächst einmal wissen, was ihre Königsurkunden waren1). Die lateinischen Königstitel der Pyrenäenhalbinsel kann Vgl. Intitulatio I. 18 f. Allerdings hat es den Anschein, als ob Pierre Chaplais auf dem richtigen Weg zu einer erschöpfenden Antwort auf diese Frage wäre. In mehreren Arbeiten, die von bestimmten Beständen des immer noch weit verstreuten Materials ausgingen, behandelte er die Problematik der angelsächsischen Königsurkunde stets
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man hingegen sinnvoll nur im Zusammenhang der Geschichte der folgenden Jahrhunderte behandeln. Für den Bereich der karolingisch-fränkischen Tradition scheint aber die Jahrtausendwende tatsächlich eine sinnvolle Zäsur zu bieten. Damals verloren die Karolinger endgültig die Königsherrschaft, Burgund büßte seine Selbständigkeit ein, und in Otto III. starb eine der für das Titelwesen wichtigsten Herrschergestalten. Wie jede Periodisierung muß man freilich auch diese großzügig handhaben und Auslassungen wie Überschneidungen in Kauf nehmen. Ob und durch wen die Grenze der erforschten Intitulationes weiter vorgeschoben werden kann, ist derzeit noch nicht zu sagen2). Mit der Annahme des Kaisertitels hatte Karl der Große als erster frühmittelalterlicher Herrscher das Vorbild der römischen Imperatoren in vollem Umfang heranziehen können. Dazu dienten ebenso spätantike, in Italien noch lebende Formeln wie das konstantinische Exemplum, das er im Sondertitel der Divisio regnorum ad hoc aktualisierte. Von den Titelexperimenten Ottos III. abgesehen, war Karl der Große der einzige, der einen unverwechselbaren, von keinem König erreichten Kaisertitel führte. Trotzdem zeigen gerade die kaiserlichsten seiner Titelformeln, daß ihr Träger zugleich auch gentiler König blieb, der die „Renovatio Romani imperii" wie die „Renovatio regni Francorum" den vornehmsten Ethnika des „populus catholicus" aufgetragen hatte. Aus dem Ausgleich mit Byzanz folgte der Verzicht Karls und seiner Nachfolger bis auf Otto II., den Römernamen im Titel zu führen. Dafür erkannte der Osten das westliche Kaisertum als supragentile Einheit an. Gleichzeitig kehrte Karl der Große wieder zu den Grundformen des fränkischen Königstitels zurück, indem er die Intitulatio Name Legitimationsformel Funktionstitel konzipierte. Damit war jedoch noch der fränkisch-langobardische Königstitel verbunden, der unter Ludwig dem Frommen wegfiel. Aber auch diese Regelung geht auf die Initiative zurück, die Karl bei der Kaisererhebung seines Sohnes entwickelte. In die neue kaiserliche Intitulatio konnte man nun je nach Rechtslage „imperator augustus" oder ,,rex" einsetzen. Es schien, als ob der außenpolitische Druck von Byzanz den grundsätzlich kaiserlichen Titel Karls des Großen auf den „reinen einfachen Satz" der fränkischen Tradition reduziert hätte. Allerdings könnte der Umstand, daß jene Intitulatio dem populären Verständnis immer fremd geblieben war, diesen Rückzug gefördert und erleichtert haben. Gleichzeitig wirkte man jedoch der byzantinischen Interpretation, wonach das karolingische Imperium nur ein fränkisch-langobardisches Sonderkaisertum wäre, dadurch entgegen, daß man den Gentiiismus überwand und die ethnische Bereichsbezeichnung unterdrückte. Karl dürfte zwar selbst zeit seines Lebens dazu verpflichtet gewesen sein, sich als König der Franken und Langobarden zu bezeichnen. Bei Ludwigs Kaisererhebung fragte er jedoch die fränkische Gentilitas bloß um ihre Zustimmung, ob er den auch vom Standpunkt der Methode und der Verallgemeinerung. Siehe etwa ders., Some Early Anglo-Saxon Diplomas on Single Sheets: Originals or Copies? Journal of The Society of Archivists 3 (1968) 315 ff. l ) Vgl. Intitulatio I. 16.
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Sohn als „imperator augustus" einsetzen solle. Durch ihr J a identifizierte sich die gentile Repräsentanz mit dem Imperium, so daß Ludwig der Fromme der erste Karolingerkaiser sein konnte, der den absoluten Kaisertitel führte. Gerade darum blieb die Formel eine fränkische Intitulatio, die auch den Königen der karolingischen Tradition offenstand. Dieser scheinbare Widerspruch erklärt sich aus der Notwendigkeit, der jede Form des Herrschertums während des neunten und vielfach auch der folgenden Jahrhunderte unterworfen war. Schon der gotische „Flavius rex" suchte die zentrifugalen Kräfte eines polyethnischen Regnum zu überwinden. Die charismatische Überhöhung des merowingischen Rex Francorum verhinderte die völlige Auflösung des Frankenreichs. Während die Karolinger dessen theoretische wie praktische Wiederherstellung betrieben, verdrängte ihr Gottesgnadentum das merowingische Charisma, und die regionalen Ethnika wurden als Grundlage der Staatlichkeit anerkannt. Diejenigen Völkerschaften, die in die „Renovatio regni Francorum" von außen eintraten und mehr oder weniger vertraglich damit verbunden wurden, bekamen als Langobarden und Römer ihren Platz im fränkischen Königstitel zugewiesen. Gleichzeitig wurden aber auch Unterkönigreiche der Aquitanier und später der Bayern, also innerhalb der traditionellen fränkischen Gentilitas, errichtet. Damit verlor der Frankenname seine einstige supragentile Bedeutung, wobei sich der schon lange angelaufene Prozeß seiner Territorialisierung verstärkte und die theoretische „Entfrankung" der nichtfränkisch bewohnten Reichsgebiete Fortschritte machte. Dafür hatten die Karolinger im Kaisertum die politische Plattform gefunden, die niemals auf die Dauer partikularistisch repräsentiert werden konnte. Die Gesetzgebung wie der Einsatz der Institutionen, die Erweiterung der ökonomischen Basis wie die Öffnung des politischen Horizonts der Oberschicht und nicht zuletzt die Konfrontation mit dem Papsttum und Byzanz sicherten den Status einer Herrschaft, die alle Ethnika und selbst das der Franken überragte. Dieser Vorteil wurde aber auch von den Königen der Zeit erkannt. Die fähigsten Vertreter der ersten Generation karolingischer Könige, die nach 833 herrschten, nämlich Ludwig der Deutsche und Karl der Kahle, führten bereits einen Titel, der wie die kaiserliche Intitulatio des Vaters und des Bruders auf die ethnische Bereichsbezeichnung verzichtete. Der dahinterstehenden Theorie gehörte denn auch die Zukunft, bis am Beginn des 10. Jahrhunderts eine neue Welle der fränkischen Restauration einsetzte, die allerdings nur mehr kleinräumig wirksam wurde. Im rechtsrheinischen Regnum wie im weltischen Burgund und in Italien fand diese Bewegung nur vereinzelten Widerhall. Die Francia media zwischen Seine und Rhein brachte hingegen ein Königtum hervor, das die Intitulatio des frühkarolingischen Rex Francorum wiederbelebte, weil sie diese territorial interpretierte. Als die Francia media wieder auseinanderbrach, diente die Formel zur begrifflichen Fassung der pränationalen, das heißt monoethnischen Wirklichkeit der westlichen Francia. Das ottonische Kaisertum scheint nicht zuletzt das Ergebnis ähnlicher Bemühungen gewesen zu sein, die schon dem karolingischen Imperium zugrunde
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lagen. Eine supragentile Einheit sollte die polyethnische Staatlichkeit gestalten und womöglich verändern helfen. Dazu wurde das Vorbild Karls des Großen ebenso herangezogen wie im werdenden Frankreich. Mitunter wirken ottonische Kaisertitel wie eine Antwort auf die Herausforderung, die ein tatsächlich ungleich machtloser Rex Francorum theoretisch darstellte. In beiden Fällen wurde von der Möglichkeit ausgiebig Gebrauch gemacht, daß ein Herrscher den Titel desjenigen jederzeit führen kann, als dessen Nachfolger er sich weiß. Wie die Karolinger so waren auch die Ottonen sehr flexibel in der Anerkennung regionaler Traditionen. Allerdings war die Bandbreite der ottonischen Sondertitel weit stärker als die ihrer Vorgänger, deren differenziertes Vorbild sie übernahmen. Unter Otto II. zog das westliche Kaisertum mit dem des Ostens gleich. Der Gemahl einer Byzantinerin nahm als erobernder Heerkaiser den Titel eines „Romanorum imperator augustus" an. Der Kaisertitel wurde seit langer Zeit nun wieder außenpolitisch wirksam. Diese Möglichkeiten übersteigerte Otto III. während seiner letzten Lebensjahre ins schier Grenzenlose : Der Kaiser als persönlich wirkender Apostel und Aposteldiener bildete eine Theorie, die zunächst noch kein König erreichte. Der politische Gehalt der davon zeugenden Titel Ottos ist unverkennbar und vielfältig. Am wichtigsten scheint die Differenz, daß selbst ein Otto III. in Italien und Rom geringeren Rang besitzt als außerhalb, und zwar auch dann, wenn er derselben Aufgabe, nämlich der Glaubensverbreitung, dient. Von allen behandelten Intitulationes waren Karls Titel in der Divisio regnorum und die Servus-Intitulationes Ottos III. am stärksten ereignisbezogen. Die Forschung konnte sie daher bisher schon zureichend aus sich selbst erklären. Wer die Tradition besser überblickt, wird die Ereignisbezogenheit auch anderer Titel erkennen, sei es, daß ein bestimmter Personenkreis besonders adressiert werden sollte, sei es. daß man dies an einem besonderen Ort für nötig hielt. So urkundeten die Ottonen, Heinrich II. und selbst noch Friedrich I. in Pavia nicht selten als Könige der Franken und Langobarden sowie auch als Patrizier der Römer. Im stets gefährdeten Lothringen bezeichnete sich Otto I. als Kaiser der Römer und Franken, und die Könige Robert und Ludwig IV. traten mitunter im französischen Süden als augustale Könige auf, um dem Empfänger von dem Prestige mitzuteilen, das auch in der Welt der „nationalités particulières" nur ein supragentiler Herrscher besaß. Diese Ereignisbezogenheit konnte ebenfalls die Legitimationsformel entwickeln. Nach Karls Tod differenzierte sie sich in vielfältiger Weise aus der frühkarolingischen Gottesgnadenformel. Westfränkische, ostfränkische und italische Typen entstanden, die aber nur den Rahmen für weitere Möglichkeiten abgaben. Die Übernahme der Legitimationsformel eines Herrschers durch einen anderen kann die formale Abhängigkeit von Vorurkunden übersteigen und politische Ansprüche erheben. Am Ende der Berichtszeit reduzierte eine bestimmte Quellengattung den Formelreichtum wieder auf das ursprüngliche „gratia Dei — Dei gratia", wie es später, vor allem in Übersetzungen, allgemein wurde. Auch aus diesem Grund sollte man die semantische Bedeutung der Einzelformel nicht überschätzen.
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Fragt man nach dem Titel oder der Titelgruppe, die eine besonders wichtige geschichtliche Entwicklung widerspiegelt, so mag man vielleicht in erster Linie an den imperialen Rang der karolingischen Staatsvölker Römer, Franken und Langobarden denken und die Folgen für das Titelwesen betrachten. Nach 814 versuchten die karolingischen Herrscher das Problem dadurch zu lösen, daß man überhaupt keine ethnische Bereichsbezeichnung formulierte. Als jedoch die regionalen Ethnika zu Völkern wurden, die nach einer politischen Repräsentanz verlangten, da besaßen nur Römer, Franken und Langobarden die nötige karolingische Tradition, die sie ausgewiesen hätte. Die Bezeichnungen entsprachen jedoch kaum der Verfassungswirklichkeit. Umdeutungen der Franken als Sachsen und der Langobarden als Italiker, wie es vereinzelt Otto III. versuchte, offenbarten eher die Schwächen der Konzeption, als daß sie Ansätze für neue verbindliche Vorstellungen bereitet hätten. Das werdende deutsche Reich war weder durch den Sachsennamen noch die Verbindung aus fränkischer und sächsischer Tradition allein abzudecken. Andrerseits besaß der Begriff Regnum Teutonicorum noch keine staatsrechtlich relevante Bedeutung. Aber selbst dann, als das Papsttum die gewohnte Folge „rex — imperator futurus" blockierte und die Differenzierung von Regnum und Imperium durchsetzte, nannte sich der mitteleuropäische König nicht Rex Teutonicorum et Italicorum, sondern König der Römer. Hingegen gelang dem französischen Königtum, den monoethnischen, schließlich auf die westliche Francia festgelegten Titel eines Rex Francorum schon zu einer Zeit zu aktivieren, da das ottonische Imperium noch nicht einmal bestand. Der zunehmende Vorsprung der französischen Staatlichkeit des Hochmittelalters scheint sich mir in der Fähigkeit widerzuspiegeln, den merowingisch-karolingischen Titel bruchlos fortzusetzen. Ob als König der Franken oder als König der Franzosen, der Titel Rex Francorum repräsentierte eine Wirklichkeit, die den kleinen Raum erfüllte und dennoch attraktiv nach außen wirkte, da ihr die ehrwürdige karolingische Tradition auf die Dauer auch dann die Gleichberechtigung sicherte, wenn der Osten das karolingische Imperium erneuerte. Der daraus resultierende Dualismus bildet heute noch eine beachtliche Grundlage der europäischen Geschichte.