Kunst wird Macht: Gabriele D'Annunzio und Richard Wagner 3515122311, 9783515122313

Der italienische Schriftsteller Gabriele D'Annunzio (1863–1938) und der deutsche Komponist Richard Wagner (1813–188

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German Pages 156 [162] Year 2020

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Table of contents :
Inhalt
Grußwort
Vorwort
Die Fragen der Tagung
Intellektuelle und Kommunikation
Stars, Intellektuelle und ‚Propheten ohne Absender‘ Haben Künstler Einfluss auf die Politik?
Die Medialitäten der (Gesamt-)Kunst Richard Wagner und Gabriele DʼAnnunzio
Italien und Frankreich: Im Bann von und in Rivalität zu Wagner
Kultur und Macht des Schönen D’Annunzio, Wagner und Frankreich
„Teatro di Festa“ und „Théâtre de Fête“ Das Festspieltheater nach den Entwürfen DʼAnnunzios
Eleonora Duse und Gabriele D’Annunzio Bayreuth – Inspirationsquelle und konkrete Pläne
Le martyre de Saint Sébastien – ein lateinischer Parsifal? D’Annunzio und Débussy
Rienzi – Identifikationsfigur in zwei Versionen Cola di Rienzo, genannt Rienzi
D’Annunzio und Deutschland
D’Annunzio und die deutsche Kultur Musik, Hitler und Walter Benjamin
Henry Thode und die erste nationalistische Kunstkritik In der Villa Cargnacco (Vittoriale): Wagner – Dürer – Thoma
‚… seinerzeit zu stark antideutsch hervorgetreten‘ D’Annunzio und die deutsche Politik
Verzeichnis der Abbildungen
Kurzbiographien
Recommend Papers

Kunst wird Macht: Gabriele D'Annunzio und Richard Wagner
 3515122311, 9783515122313

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Kunst wird Macht Gabriele D‘Annunzio und Richard Wagner Herausgegeben von Immacolata Amodeo und Bettina Vogel-Walter BA N D 15

CENTRO ITALO-TEDESCO PER L‘ECCELLENZ A EUROPEA DEUTSCH-ITALIENISCHES ZENTRUM FÜR EUROPÄISCHE EXZELLENZ

Impulse – Villa Vigoni im Gespräch Band 15 Herausgegeben von CHRISTIANE LIERMANN TRANIELLO

Kunst wird Macht Gabriele D‘Annunzio und Richard Wagner

Herausgegeben von Immacolata Amodeo und Bettina Vogel-Walter

Franz Steiner Verlag

Mit freundlicher Unterstützung der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Rom.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2020 Einbandgestaltung: deblik, Berlin Druck: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-515-12231-3 (Print) ISBN 978-3-515-12252-8 (E-Book)

Inhalt

Inhalt

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GIORDANO BRUNO GUERRI Grußwort

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IMMACOLATA AMODEO Vorwort

11

B E T T I N A V O G E L- W A L T E R Die Fragen der Tagung

Intellektuelle und Kommunikation 25

B E T T I N A V O G E L- W A L T E R Stars, Intellektuelle und ‚Propheten ohne Absender‘. Haben Künstler Einfluss auf die Politik?

33

JAN CLAAS VAN TREECK Die Medialitäten der (Gesamt-)Kunst. Richard Wagner und Gabriele DʼAnnunzio

Italien und Frankreich: Im Bann von und in Rivalität zu Wagner 43

BERNARD DIETERLE Kultur und Macht des Schönen. D’Annunzio, Wagner und Frankreich

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ADRIANA GUARNIERI CORAZZOL „Teatro di Festa“ und „Théâtre de Fête“. Das Festspieltheater nach den Entwürfen DʼAnnunzios

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MARIA IDA BIGGI Eleonora Duse und Gabriele D’Annunzio. Bayreuth – Inspirationsquelle und konkrete Pläne

83

RENZO CRESTI Le martyre de Saint Sébastien – ein lateinischer Parsifal? D’Annunzio und Débussy

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ARNOLD JACOBSHAGEN Zwischen Wagner und D’Annunzio. Ästhetische Positionierungen bei Giacomo Puccini

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GABRIELLA ROVAGNATI Rienzi – Identifikationsfigur in zwei Versionen. Cola di Rienzo, genannt Rienzi

D’Annunzio und Deutschland 115

PAOLA SORGE D’Annunzio und die deutsche Kultur. Musik, Hitler und Walter Benjamin

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SILVIA GARINEI Henry Thode und die erste nationalistische Kunstkritik. In der Villa Cargnacco (Vittoriale): Wagner – Dürer – Thoma

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TOBIAS REICHARD ‚… seinerzeit zu stark antideutsch hervorgetreten‘. D’Annunzio und die deutsche Politik

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Verzeichnis der Abbildungen

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Kurzbiographien

GIORDANO BRUNO GUERRI

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Grußwort

Grußwort

Il primo stadio della mia creazione è uno stato musicale, una specie di musicale ansietà (Meine Kreativität ist im ersten Stadium ein musikalischer Zustand, eine Art musikalische Unruhe) Gabriele D’Annunzio, Appunto autografo Ich habe hier am Gardasee eine alte Villa aus dem Besitz des verstorbenen Herrn Dr. Thode gefunden. Sie ist voller schöner Bücher, schrieb D’Annunzio an seine Ehefrau, einen Tag, nachdem er das Anwesen in Besitz genommen hatte und daraus das Vittoriale degli Italiani wurde. Gerade der respektable Reichtum der Bibliothek des Gelehrten, dazu das warme Licht und die zum See abfallenden Gärten, überzeugten den Comandate – der darauf versessen war, nach dem ganzen Lärm Ruhe zu finden und Frieden nach dem langen Krieg –, an den Ufern des Gardasees den Anker zu werfen, um dort die Erinnerungen seines unvergleichlichen Lebens zu sammeln. In Gedanken male ich mir aus, wie der Dichter im gedämmten Licht der Prioria [Wohnhaus] umhergeht und mit einem Blick liebevoll die Erinnerungsstücke an Liszt und Wagner betrachtet, die sich in der Camerata di Gasparo [Zimmer der Instrumente] oder am Eingang der Sala del Mappamondo [Bibliothek] befinden; ich erinnere mich daran, dass er anlässlich des Todes von Wagner Stelio Effrena, den Protagonisten im Roman Das Feuer, in Venedig ausrufen lässt: Il mondo parve diminuito di valore, die Welt erscheint im Wert verarmt. Ende des 19. Jahrhunderts war D’Annunzio ausschlaggebend dafür, dass Richard Wagner innerhalb der italienischen kulturellen Debatte bekannt wurde, nicht so sehr in den engeren kulturellen Zirkeln – darin lag nämlich die große Bedeutung D’Annunzios: seine unglaubliche Fähigkeit zur Kommunikation –, sondern als Massenphänomen. D’Annunzio war in der Lage, im Alleingang den Autor des Tristan und des Ring der Nibelungen zu einem wahren Protagonisten des musikalischen Imaginären zu machen, und zwar nicht nur für seine Zeit. Das Vittoriale degli Italiani freut sich über diese italienisch-deutsche Initiative: Die Tagung in der Villa Vigoni 2017 und die Veröffentlichung der Tagungsakten würdigen diese beiden Giganten der europäischen Kultur, die dazu beitrugen, das

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Bild des modernen Künstlers zu revolutionieren und dessen Rolle als Führer, Prophet oder vate neu zu erfinden. Giordano Bruno Guerri Presidente Fondazione Il Vittoriale degli Italiani

Vorwort

Richard Wagner und Gabriele D’Annunzio sind sich im Leben nie begegnet. Mit der Tagung „Bayreuth italiana. Richard Wagner und Gabriele D’Annunzio“, 22.–24. September 2017, in der Villa Vigoni am Comer See, und mit dem daraus hervorgegangenen, hier vorliegenden Tagungsband wurde der Versuch unternommen, die gegenseitigen Verbindungen, Einflüsse, aber auch die Kontraste der beiden schillernden und nicht unumstrittenen Persönlichkeiten zu rekonstruieren. Der „deutscheste“ aller Opernkomponisten, der keine Opern, sondern Musikdramen komponieren und verfassen wollte, und der Dichterfürst Italiens, der sich für Heeresordnungen ebenso interessierte wie für Parfums. Was haben sie miteinander zu tun? Als Frau Dr. Bettina Vogel-Walter an mich herantrat mit dem Ansinnen, diese Tagung in der Villa Vigoni auszurichten, habe ich sofort mit Neugierde und Begeisterung darauf reagiert, weil mir die Verbindung D’Annunzio – Wagner im deutschitalienischen Kontext aus vergleichender Perspektive besonders ertragreich erschien, und zwar sowohl in typologischer Hinsicht als auch, was eine genetische Betrachtungsweise betrifft. So trafen sich deutsche, italienische und Schweizer Wagner- und D’AnnunzioExperten im Deutsch-Italienischen Zentrum für Europäische Exzellenz Villa Vigoni und stellten sich erstmals der interdisziplinären Diskussion über Zusammenhänge zwischen Leben, Werk und Wirken von Wagner und D’Annnunzio. Aus den Rekonstruktionen dieser Zusammenhänge, die von den Beiträgerinnen und Beiträgern zu diesem Band geleistet werden, ist schließlich eine Art Als-Ob einer persönlichen Begegnung entstanden. Dieses Als-Ob lässt auch erahnen, warum gerade Richard Wagner und Gabriele D’Annunzio über ihre eigenen nationalen bzw. nationalistischen Interessen hinaus für die jeweilige nationale Geschichtsschreibung und für die nationale Mythen-Konstruktion grandiose Projektionsflächen angeboten haben und auch als solche benutzt wurden. Es bleibt zu hoffen, dass gerade an diesem Punkt die weiterführende Forschung ansetzen wird. Ich danke Frau Dr. Bettina Vogel-Walter für die gute und besonders angenehme Zusammenarbeit in allen Phasen des Projektes von der Drittmitteleinwerbung über die Ausrichtung der Tagung bis zur Herausgabe des Bandes. Frau Dr. Christiane Liermann Traniello, meiner Nachfolgerin im Amt als Generalsekretärin der Villa Vigoni, sei für die Aufnahme dieses Bandes in die Reihe „Impulse“ der Villa Vigoni beim Franz Steiner Verlag gedankt. Der Band konnte erfreulicherweise mit einem Druckkostenzuschuss der Villa Vigoni realisiert werden. Auch hierfür ein großes „Grazie“. Ludwigshafen am Rhein, im September 2019

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Vorwort

IMMACOLATA AMODEO

Die Fragen der Tagung

Die Tagung „Bayreuth italiana – Richard Wagner und Gabriele D’Annunzio“ vom 22.–24. September 2017 in der Villa Vigoni war eine Initiative, die zwei national geprägte Forschungsstränge auf europäischer Ebene miteinander ins Gespräch bringen und Vernetzungen offenlegen wollte. Gabriele D’Annunzio ist fünfzig Jahre jünger als Wagner. 2013 war ein rundes Jubiläumsjahr: 150 Jahre D’Annunzio, 200 Jahre Wagner. Die Gedenktage zeigten, dass in einer europäischen, postnationalen Zeit – sofern wir davon reden können – beide Künstler bis heute als Nationaleigentum gehandelt werden,1 selbst wenn sie in einen europäischen Kontext eingebettet werden. Das war nicht immer so. Die Rezeptionen dieser beiden vielseitigen und politisch aktiven Künstler gleichen einem Steinbruch und spiegeln eine hochproblematische Wirkungsgeschichte, die durch ihre Bedeutung im Faschismus und Nationalsozialismus überschattet ist. Eine Suche nach Parallelen und Verbindungslinien ihrer Werke ist unmöglich, ohne den Blick auf die Form des Umgangs mit ihren Werken in dieser Zeit zu werfen, wie es in beiden Ländern in den letzten Jahrzehnten auch intensiv passiert,2 ein breites Thema auf der Tagung. Aus epochengeschichtlicher Perspektive ist Wagner ein Mann des 19. Jahrhunderts, ein Romantiker. D’Annunzio hingegen reicht weit ins 20. Jahrhundert hinein und wird künstlerisch zu Symbolismus und später zur Avantgarde gerechnet. Historisch fällt ihr Einfluss in die Zeit der Nationalstaatsgründungen in Deutschland und Italien, des Ersten Weltkriegs, des Faschismus und Nationalsozialismus und womöglich auch darüber hinaus. Das Thema stellte sich facettenreich dar und warf weitere Fragen auf. Musik-, Kunst- und Literaturwissenschaft haben sich bisher am intensivsten mit der Thematik befasst. Jedoch können einzelne Forschungsdisziplinen die vernetzten Einflüsse nicht allein beschreiben. Dank an alle Referenten, die über Länder- und Fachgrenzen hinweg interessante Diskussionen und einen interdisziplinären und transnationalen Austausch ermöglichten, als wissenschaftliche Grundlage, um den diffusen Einfluss dieser Intellektuellen zu greifen, bevor sie ins politische System und die offizielle Propaganda integriert wurden. Denn „atmosphärisch“3 entziehen sie sich dem wissenschaftlichen Zugriff und verbergen ihren wachsenden Einfluss auf die Politik. Die Germanistin Anke Finger hat für diesen kaum nachkonstruierbaren Einfluss das Bild des „Zerstäubens der Pixel in der Atmosphäre“ geprägt. Und Peter Sloterdijk beschreibt das Phänomen als luftige Schaumgeburten einer sich individualisierenden Welt.4 Zeigt das Thema der Tagung vielleicht, dass Geschichte mit Beginn der Hochmoderne nur interdisziplinär geschrieben werden kann?

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Die Fragen der Tagung

B E T T I N A V O G E L- W A L T E R

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Abb. 1: Flugzeug des Fluges über Wien (9.8.1918) in der Aula des Vittoriale

„Brüder im Multimedia-Geist des Gesamtkunstwerks“ bezeichnet Jan van Treeck (Berlin) Wagner und D’Annunzio. Als Medienwissenschaftler liegt sein Fokus auf der Form der Vermittlung. Camouflage ist ein zentraler Begriff seiner Thesen, und er greift dabei auf Heidegger und Kittler zurück. Ein Medium, das vermittle, dürfe nicht wahrgenommen werden, damit allein die Botschaft ins Auge falle. Bayreuth habe den Effekt eines Protokinosaals – die Dunkelheit, das versenkte Orchester, die Laterna Magica. Der Zuschauer wisse nicht, wo die Musik und die Lichteffekte herkommen. Bei D’Annunzio wird das Gesamtkunstwerk Teil der Realität und auch er selbst Bestandteil der Inszenierung. Das sei radikaler, als die ReadymadeKunst, die Echtheit nur simuliere, so van Treeck. D’Annunzios Flug über Wien dagegen ist real. Die neue Botschaft: er selbst, als Erzeuger einer poetischen Welt. – Medienwissenschaftliche Betrachtungen waren auf der Tagung für viele Teilnehmer neu, und die Frage, welche Vorteile diese Form der Betrachtung habe, wurde mit Interesse diskutiert. Dass Wagner ursprünglich ein europäisches transnationales Phänomen ist, zeigt die Rezeptionsgeschichte. D’Annunzio sprach kein Deutsch, in welcher Form hat er sich mit Wagner auseinandergesetzt? Adriana Guarnieri (Venedig) leistet hier Grundlagenarbeit und zeichnet die Auseinandersetzung mit den Begriffen Wagners nach. Die Rezeption der theoretischen Texte erfolgte über Frankreich und französische Übersetzungen. Bei den Bezeichnungen teatro di festa und théâtre de fête lässt sich der Ursprung u. a. auf Wagners Vorwort des Rings der Nibelungen zurückführen und auf seinen Begriff des Theaterfestes. Inhaltlich orientiert sich D’Annunzio am mittelalterlichen Festbegriff, ein kollektives und sakrales Ereignis, ein frühes Gesamtkunstwerk, wie Guarnieri durch Quellenstudien im Vittoriale nachweisen konnte.

Die Fragen der Tagung

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Abb. 2: Gedenktafel am Palazzo Vendramin-Calergi (Venedig), in dem Wagner 1883 starb

Auch Bernard Dieterle (Basel, Mulhouse) thematisiert diesen Bezug zu Frankreich. Ein erster Höhepunkt von D’Annunzios Wagnerrezeption ist die neapolitanische Zeit D’Annunzios (Sept. 1891 – Dez. 1893) und der Roman Trionfo della Morte, in dem das Tristan-Motiv eine zentrale Rolle spielt. D’Annunzio bevorzugte das französische Libretto des Tristan, obwohl es eine italienische Übersetzung gab. Als Komparatist zieht Dieterle auch Parallelen zur Tristan-Novelle von Thomas Mann. Ein wichtiger Punkt von Dieterle ist der Hinweis auf die apolitische Haltung der französischen Symbolisten aus dem Umkreis der französischen Wagnerrezeption, was Chamberlains Kritik erregte. Ähnlich wie bei D’Annunzio führt die Orientierung an Wagner zu eigenen Projekten, und das Freilichttheater Orange gilt als „le Bayreuth francais“. Der politikferne Ansatz der französischen Wagnerrezeption wird noch von Mallarmé verteidigt. Ausgehend vom Begriff der Schönheit vertritt Dieterle die Ansicht, D’Annunzio wende sich aus patriotischen Gründen vom internationalen Einfluss ab. Die deutlichste Auseinandersetzung D’Annunzios mit Wagner erfolgt in dem international höchst einflussreichen Roman Das Feuer. Er beschreibt ein neues Lebensgefühl und widmet den Roman Richard Wagner. Ort der Handlung ist Venedig, wo Wagner die letzten Wochen seines Lebens verbringt. Der Protagonist Stelio Éffrena (Alter Ego D’Annunzios) debattiert u. a. mit Principe Hoditz (Fritz Hohenlohe5) über Richard Wagner und Bayreuth.6 D’Annunzio stellt sein lateinisches Gegenprojekt vor, auch wenn die Glut, an der sich neues Leben in der Stadt mit zu viel Vergangenheit entzünden sollte, von Richard Wagner stammt. Adriana Guarnieri beleuchtet das Streitgespräch und zeigt die Rivalität des lateinischen Theaterprojektes zu Bayreuth. Die realen Theaterpläne D’Annunzios für ein Freilichttheater in Albano und ab 1910 für ein Theater in Paris bestehen schon seit

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Abb. 3: Der Text der Gedenktafel stammt von G. D’Annunzio: „In questo Palagio / l’ultimo spiro di Riccardo Wagner / odono le anime / perpetuarsi come la marea / o le lambe i marmi“

1897. Das Pariser Theater sollte aus Eisen und flexibel aufzubauen sein. Guarnieri legt auch dar, wie die Wortwahl der Pressekampagne im Vorfeld im Roman übernommen wird und sich Poesie und Realität vermischen. D’Annunzio präsentiere sich als lateinische Alternative zu Wagner, als ein mediterraner Wagner, so Guarnieri. Eng mit der Theaterreform D’Annunzios verbunden ist seine Beziehung zu Eleonora Duse. Maria Ida Biggi, Präsidentin der Fondazione Giorgio Cini in Venedig, in der sich auch das Duse-Archiv befindet, hat die Beziehung nach dem neuesten Forschungsstand beleuchtet. Sie plädiert dafür, endlich nicht mehr zu moralischen Urteilen zu greifen, sondern die fruchtbare künstlerische Zusammenarbeit des Dichters und der Schauspielerin zu untersuchen, von der beide profitierten – eine Forderung, die auch Annamaria Andreoli stellt. An Wagner faszinierte die Duse genau wie D’Annunzio seine quasireligiöse Erlösung des Menschen durch die Kunst. Sie war bereits 1891 bei den Festspielen in Bayreuth und stand in Kontakt zu ehemaligen Freunden Richard Wagners, wie dem Maler Wolkoff. Über Giuseppe Primoli trat sie in direkten Kontakt zu Cosima Wagner und deren Familie. Biggi beleuchtet die internationale Atmosphäre in den Salons, die D’Annunzio und die Duse frequentierten, Aspekte, die weiter vertieft werden sollten. Der Parsifal trägt selbst eine Art italienische DNA in sich. In die Villa D’Angri in Neapel hatte sich Wagner zum Komponieren zurückgezogen. Er beendete das Werk 1882 in Palermo, im Hotel des Pâlmes. Der große italienische Wagnerfoscher Renzo Cresti (Lucca) findet7, man höre dem Parsifal seine süditalienische Herkunft

Die Fragen der Tagung

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Abb. 4: Terrasse Villa D’Angri mit Blick auf den Golf von Neapel

an. Er geht der Frage nach, ob das Musikdrama, das Mysterium D’Annunzios Le martyre de Saint Sébastien, ein lateinischer Parsifal sei, denn D’Annunzio fragte im Dezember 1910 Débussy, ob er mit ihm einen lateinischen Parsifal komponieren wolle. Es entstand ein Musikstück wagnerscher Länge, als Gesamtkunstwerk konzipiert, eine Zusammenarbeit von D’Annunzio, Débussy und den avantgardistischen Ballets Russes. Die androgyne Ida Rubinstein übernahm die Rolle des Heiligen. Der Erzbischof von Paris drohte nach der Premiere jedem Besucher des Martyre des Saint Sébastien mit Exkommunikation, und es drängt sich die Frage auf, was aus Parsifal in dieser Zeit ohne das Aufführungsverbot außerhalb des Grünen Hügels im protestantischen Bayreuth geworden wäre. Cresti weist darauf hin, dass Wagner nicht nur mit dem Parsifal die religiöse Thematik anschneidet, sondern Religion vielmehr ein zentrales Thema ist. Wie wichtig D’Annunzio die an Bayreuth orientierten Reformpläne waren – das Gesamtkunstwerk und der Theaterbau – beleuchtet der Musiktheaterforscher Arnold Jacobshagen (Köln), denn trotz zahlreicher Anläufe scheiterte daran die Zusammenarbeit mit Puccini, für den ganz klassisch die Musik im Vordergrund stand. Jacobshagen zeigt die unterschiedlichen Phasen der italienischen Wagnerrezeption, stellt D’Annunzios Zusammenarbeit mit Komponisten (neben Puccini auch Mascagni, Zandonai und Franchetti) in einen größeren Zusammenhang und zeigt, wie erfolgsorientiert gearbeitet wurde, wobei eine nationale Argumentation keine Rolle spielte, an Puccini interessierte D’Annunzio gerade die internationale Ausrichtung. Ein wichtiges Thema der Tagung war der Konstruktionscharakter des Nationalen. Ebenso wurde deutlich, dass die Verortung von Wagner oder D’Annunzio als nationale Künstler oder transnational vernetzte Künstler abhängig war vom Blickwinkel der Zeit. Den Konstruktionscharakter des Nationalen zeigt ausgerechnet der völkisch-nationale Aspekt. Deutschland war für Richard Wagner ein Begriff mit Fragezeichen:

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Ich bin der deutscheste Mensch, ich bin der deutsche Geist. Fragt den unvergleichlichen Zauber meiner Werke, haltet sie mit allem Übrigen zusammen: Ihr könnt für jetzt nichts anderes sagen, als  – es ist deutsch. Aber was ist dieses Deutsche? […] Sollte ich mein Volk finden können! Welch herrliches Volk müsste das werden?8

Ein Kommentar in dem kritischen Wagnerbuch Wagner oder die Entzauberten (1913) von Emil Ludwig weist auf diesen Aspekt hin: Die angeblich germanischen Mythen Wagners würde niemand kennen, sie seien neu konstruiert. Sogar die Namen wurden abgeändert – Siegfried statt Sigurd, Notung statt Balmung – und keiner würde es merken. Dabei stünde auch nicht das Deutsche im Mittelpunkt, sondern das Rein-Menschliche, was sich darin bestätige, dass sich hauptsächlich Ausländer dafür begeisterten, wie Liszt, Baudelaire oder Chamberlain.9 Die Ahnengalerie deutscher Genies dagegen, denen Richard Wagner als höchstes Mitglied diente, wurde von dem Kunstwissenschaftler Henry Thode (1857–1920) konstruiert. Diesen – im Vergleich zu Chamberlain10 – bisher wenig wahrgenommenen Gelehrten, stellt Silvia Garinei (Kunsthistorisches Institut in Florenz) vor.

Abb. 5: Gästebuch von Daniela von Bülow und Henry Thode in der Villa Cargnacco, heute Vittoriale degli Italiani (Nationalarchiv Richard Wagner Museum Bayreuth)

Abb. 6: Wagnerporträt von Cäsar Willich 1862, im Auftrag von Otto Wesendonck (Fondazione Il Vittoriale degli Italiani, Gardone)

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Die Fragen der Tagung

Thode, führendes Mitglied im Bayreuther Kreis und mit Richard Wagner über dessen Stieftochter Daniela von Bülow verschwägert, wollte Wagner von jedem ausländischen Einfluss befreien und als rein deutsches Phänomen inszenieren. Auch bei Albrecht Dürer verneint er den Einfluss der italienischen Renaissance. Grundlage von Thodes Interpretation ist das unterschiedliche religiöse Empfinden im von Luther geprägten Deutschland und im katholischen Italien. Garinei arbeitet diesen Aspekt an neuem Quellenmaterial aus. Henry Thode ist gleichzeitig eines der Bindeglieder zwischen Wagner und D’Annunzio. Zusammen mit Daniela von Bülow besaß er ein Haus am Gardasee: die Villa Cargnacco. Nach dem Ersten Weltkrieg kaufte D’Annunzio das Anwesen, mitsamt Inventar, Flügel von Liszt, zahlreichen Bildern, u. a. dem Gemälde Cosimas von Hans Thoma, Bibliothek und privaten Fotos. Just diese Villa am Gardasee baute D’Annunzio zu einem Symbol Italiens um, einem italienischen Nationalmonument: dem Vittoriale degli Italiani – in Anlehnung an das römische Vittoriano oder als Gegenkonzept? Hier entstand die Santa Fabbrica, das Arbeitszimmer hieß Officina, Werkstatt.11 Es lässt sich spekulieren, was D’Annunzio damit bezweckte, denn es gibt weit repräsentativere Häuser am Gardasee, und ein Symbolist wie D’Annunzio überließ nichts dem Zufall. Diese Zeit im Vittoriale (1922–1938) steht im Zentrum von Tobias Reichards (Thurnau) Referat, der die Forschungslücke der deutschen D’Annunziorezeption zwischen 1933–1945 schließt, dank zahlreicher Archivstudien. D’Annunzio war bis zum Ersten Weltkrieg in Deutschland ein beliebter Autor, seine Werke wurden übersetzt und erschienen teilweise in vielen Auflagen. Die aktive dannunzianische Kriegspropaganda gegen Deutschland setzte dem ein jähes Ende, das negative Bild hat sich seitdem nie wieder relativiert. Wie aber stand der Nationalsozialismus zu D’Annunzio? Wenig hilfreich war, dass die nationalsozialistische Ideologie aufgrund diplomatischer Rücksicht gegenüber Italien nach 1936, die Besetzung der Stadt Fiume faschistisch vereinnahmte, bei gleichzeitiger Distanz zu D’Annunzio. Hatte Außenminister Ribbentrop etwa eine Spionin im Haus von D’Annunzio? Das Thema löste eine der heißen Diskussionen der Tagung aus. Besonders die Journalistin Paola Sorge (Rom, La Repubblica), eine der besten D’Annunzio-Kennerinnen Italiens, zweifelte die schriftliche Quellenlage an und vermittelte mit ihrem Einsatz, vielleicht vielen Deutschen das erste Mal, die Bedeutung D’Annunzios in Italien. Sie weist in ihrem Beitrag – wie auch Reichard – darauf hin, dass es gerade die antifaschistischen Exildeutschen waren, die ein Comeback D’Annunzios in Deutschland anstrebten. Sorge beleuchtet hier Walter Benjamin, aber auch Bert Brecht gehört zu diesem Kreis. Auch sehen wir in dem Artikel, dass D’Annunzio bis heute „Vate“, Prophet, genannt wird. Der Vate ist D’Annunzio, bis heute. Literaturwissenschaftliche Grundlagenarbeit leistet Gabriella Rovagnati (Mailand) im Hinblick auf das Rienzi-Motiv, einer Figur, an der sich Hitler, aber auch Mussolini orientierten. Sie vergleicht nicht nur das Libretto Rienzi, der Letzte der Tribunen von Wagner mit der Biographie La vita di Cola di Rienzo von D’Annunzio, sondern macht auch das Spannungsfeld zu dem Roman und Bestseller Rienzi, the Last of the Roman Tribunes von Edward Bulwer-Lytton und dessen historischen

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Abb. 7: Vittoriano, Nationalmonument Rom, L’apoteosi del milite ignoto, 4.11.1921

Abb. 8: Vittoriale degli Italiani, Nationalmonument Gardone

Danke an Immacolata Amodeo, zum Zeitpunkt der Tagung Generalsekretärin der Villa Vigoni, Loveno di Menaggio. Die Villa Vigoni am Comer See war ein wunderbarer Tagungsort. Ein Highlight das abendliche Konzert von Rossella Spinosa im Rahmen des von ihr geleiteten Festival di Bellagio e del Lago di Como, die zu dem Stummfilm La Nave von D’Annunzio Filmmusik komponiert hat und diese live am Flügel der Villa Vigoni vortrug. Die kleinen Lebkuchen von Leupoldt aus Weissenstadt, die passenderweise Venedig hießen, und einige Porzellangeschenke von Rosenthal aus Selb repräsentierten die Beziehung zu Oberfranken. Silvia Segala kam als Vertreterin der Bayreuther Partnerstadt La Spezia. Besonderer Dank gilt in der Villa Vigoni Simona della Torre und Federica Barili, deren Freundlichkeit aufkeimende Probleme in Luft auflöste. Eine Ehre war die Schirmherrschaft und die finanzielle Unterstützung der Deutschen Botschaft in Rom. Wir danken der damaligen Botschafterin Dr. Susanne Wasum-Rainer und dem damaligen Leiter der Kulturabteilung der deutschen Botschaft in Rom, Generalkonsul Stefan Schneider. Unser Dank gilt ebenfalls Giordano Bruno Guerri, Präsident des Vittoriale degli Italiani, für die Gewährung der Schirmherrschaft. Viele Gespräche wurden im Vorfeld der Tagung geführt. Danke an Paolo Bosisio, dem signore del teatro milanese, der mit Giorgio Strehler und Luchino Visconti gearbeitet hat, für seine Hilfe und seine Wertschätzung D’Annunzios. Und Dank an Francesco Perfetti, dem ehemaligen Präsidenten des Vittoriale, für sein Interesse, ebenso wie Sven Friedrich, dem Direktor des Richard Wagner Museums in Bayreuth, für informative Gespräche. Danke an Maurizio Serra, italienischer UNO-Botschafter in Genf und versierter D’Annunzio-Experte, für seine Ausführungen. Gottfried Wagner, der Sohn von Wolfgang Wagner, wohnhaft in der Nähe von Como, hat mich durch die Stadt geführt und das Geburtshaus sowie den Taufstein von Cosima gezeigt. Federico D’Annunzio hat mich netterweise vor der Tagung angerufen. Danke auch für das positive Interesse der Festspielleitung Bayreuth. Das Italienische Kulturinstitut in München, der Richard-Wagner-Verband International und das Istituto di Cultura Italo-Tedesco in Padua, sowie die AG Internationale Geschichte des Deutschen Historikerverbandes nahmen uns ins Programm bzw. ihren Newsletter auf. Kostenlos wurden uns Fotos zur Verfügung gestellt von der Fondazione Vittoriale degli Italiani, der Fondazione Giorgio Cini, dem Kunsthistorischen Institut in Florenz, der Fondazione Simonetta Puccini und dem Hotel des

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Die Fragen der Tagung

Quellentexten sichtbar. Die Hauptfigur, die ursprünglich nicht unumstritten ist, erlebt bei Wagner und D’Annunzio eine entscheidende Wandlung. Wagner ersetzt die ursprüngliche Liebesgeschichte Cola di Rienzos durch die politische Braut Rom. D’Annunzio deutet den Volkstribun als Alter Ego, eine außergewöhnliche Persönlichkeit, über die man – wie auch in seiner Rezension „Il caso Wagner“ über Friedrich Nietzsches Der Fall Wagner (1888), in der er Richard Wagner verteidigt – kein moralisches Urteil fällen dürfe. Offensichtlich war D’Annunzio die moralische Ambivalenz der Figur Rienzis bewusst, er charakterisierte sie dennoch als nietzscheanischen Übermenschen.

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Palmes – herzlichen Dank. Viele weitere Gespräche wurden im Vorfeld geführt, die letztlich nicht in die Tagung einflossen, aber zeigen, dass hier ein komplexes Thema angeschnitten wurde; die Tagung und der daraus hervorgegangene Band12 werden sich hoffentlich als Impuls für weitere Forschungen erweisen können.

Anmerkungen 1

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In Deutschland war Wagner auf zahlreichen Titelseiten von Zeitungen und Zeitschriften, und neben den Feierlichkeiten gab es eine Flut von Veröffentlichungen, D’Annunzio blieb eine Randnotiz. In Italien erreichte D’Annunzio im Jahr 2013 den ersten Platz im Google-Ranking zur Personensuche, während zu Wagner nur eine einzige Monographie erschienen ist (jene von Renzo Cresti). Zur Schreibweise des Namens: D’Annunzio / d’Annunzio – beide Schreibweisen sind üblich. In den Beiträgen diesen Bandes wurde auf „D’Annunzio“ vereinheitlicht, in den zitierten Quellen blieb die Schreibweise im Original. Vgl. Renzo de Felice, Pietro Gibellini (Hgg.), D’Annunzio politico, Atti del Convegno, Il Vittoriale, 9–10 ott. 1985, Mailand, Garzanti 1987 (Quaderni Dannunziani, Nuova serie; 1/2); Vito Salierno, La censura occulta e palese nei confronti di D’Annunzio, Lanciano, Rocco Carabba 2011; Antonella Ercolani, La fondazione del fascio di combattimento a Fiume tra Mussolini e D’Annunzio, Rom, Bonacci 1996; Bettina Vogel-Walter, D’Annunzio – Abenteurer und charismatischer Führer, Frankfurt, Peter Lang 2004; Saul Friedländer, Jörn Rüsen (Hgg.), Wagner im Dritten Reich, München, Beck 2000; Hans Rudolf Vaget, ‚Wehvolles Erbe‘: Richard Wagner in Deutschland. Hitler, Knappertsbusch, Mann, Frankfurt, S. Fischer 2017. Anke Finger, „Gesamtkunstwerk atmosphärisch: Vom Zerstäuben der Pixel in der Intermedialität“, in: Christiane Heibach (Hrsg.), Atmosphären. Dimensionen eines diffusen Phänomens, München, Wilhelm Fink 2012, S. 305–325. Peter Sloterdijk, Sphären III: Schäume, Frankfurt, Suhrkamp 2004: S. 26 „Das heitere Denkbild Schaum dient uns dazu, den vormetaphysischen Pluralismus der Welterfindungen nachmetaphysisch wiederzugewinnen […] Die Kugel ist implodiert, nun gut – die Schäume leben.“ Corbusier formulierte, das Innere bestimme die Form des Außen, und die Seifenblasen Sloterdijks, diese „bösen Luftperlen“, gären, beben, platzen, durchdringen als leichtes Element die Materie und verflüssigen sie. Fritz Hohenlohe-Waldenburg besaß in Venedig ein Haus am Canal Grande, die Casetta Rossa. Seine Frau Zina war die Schwester von Marie von Thurn und Taxis. Diese unterhielt in ihrem Schloss Duino den berühmten Künstlertreff, in dem nicht nur Rilke, sondern auch D’Annunzio mit der Duse zu Gast waren. Fritz war ein enger Freund D’Annunzios und vertraute ihm im Ersten Weltkrieg sein Haus in Venedig an, um dessen staatliche Konfiszierung 1915 zu vermeiden. Gabriele D’Annunzio, Das Feuer, München, Matthes & Seitz 1988, S. 142 und 226 ff. (Erstausgabe: Gabriele D’Annunzio, Il Fuoco, Mailand, Fratelli Treves 1900). Das Feuermotiv sollte aus der „toten Reliquienkammer“ Venedig neues Leben schmieden. Zentrale Handlung ist die Beziehung Stelios zur älteren Foscarina, in der unschwer Eleonora Duse zu erkennen ist. Die komplexe Auseinandersetzung mit dem Werk Wagners wurde davon überlagert. – Im Palazzo Vendramin-Calergi befindet sich in den ehemaligen Räumen Wagners seit 1995 ein Wagner-Museum. Der Text der Gedenktafel für Wagner an der Mauer des Palastes stammt von D’Annunzio. Renzo Cresti, Richard Wagner. La poetica del puro umano, Lucca, Libreria Musicale Italiana 2013, 2. Aufl. 2016. Richard Wagner, Das Braune Buch, hrsg. von Joachim Bergfeld, Zürich, Piper 1975, S. 86.

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Die Fragen der Tagung

9 Emil Ludwig, Wagner oder die Entzauberten, Charlottenburg, Felix Lehmann Verlag 1919 (4. Aufl.), S. 195. 10 Houston Stewart Chamberlain, Richard Wagner, München, Bruckmann 1919 (6. Aufl.), S. 138 ff. Noch Chamberlain verortet das Genie international und stellt Wagner neben Leonardo da Vinci. – Wie sehr sich die Umformung Wagners zur völkischen Ideologie auf Chamberlain fokussiert, zeigt die Oper Wahnfried, Uraufführung Staatstheater Karlsruhe, 28.1.2017, Musik Avner Dormann, Libretto Lutz Hübner, Sarah Nemitz, vgl. Badisches Staatstheater Karlsruhe 2016/17, Programmheft Nr. 360. 11 Giordano Bruno Guerri, Il Vittoriale degli Italiani. Führer zur Besichtigung, Mailand, Silvana Ed. 2016. 12 Verantwortlich für den Inhalt der einzelnen Beiträge sind die jeweiligen Autorinnen und Autoren.

Intellektuelle und Kommunikation

Stars, Intellektuelle und ‚Propheten ohne Absender‘ Haben Künstler Einfluss auf die Politik?

Es sind Genies, Intellektuelle, später Stars, die das Lebensgefühl im modernen, technischen und pluralistischen Zeitalter verkörpern. Die Verbindung von Kunst und Leben war ein romantisches Konzept, das sich ästhetisch bis in den Bereich der Politik ausdehnte. Künstler erlangten die Interpretationshoheit über die Symbole im gesellschaftlichen Zusammenleben. Der neue Typus schuf ohne Zwiesprache mit Gott seine Regeln selbst, so wie Nietzsches Übermensch. Auch der Begriff Prophet wurde zunächst verwandt. Wenn aber ursprünglich der Prophet im Namen des Herrn sprach, woher hatte dieser neue Prophet seine Legitimation? Die verwendeten Begriffe bauen auf Kierkegaards Geniebegriff auf. „Apostel sind nur als Botschafter Gottes möglich – Genies sind Medien ihrer selbst,“1 so Peter Sloterdijk in Anlehnung an Kierkegaards Auseinandersetzung mit den Begriffen Apostel und Genie. Und er prägt selbst die Begriffe „Gesandter ohne Absender“ oder „religiöses Genie“.2 Wagner versprach Erlösung und wird noch heute von seinen Anhängern der Prophet der Deutschen oder Meister 3 genannt, D’Annunzio ist der Vate – der Begriff bedeutet Prophet, Weissager, Dichterfürst – ein Titel, der bis heute mit ihm verbunden bleibt.4 Die beiden säkularen Propheten Wagner und D’Annunzio, wenn wir sie so nennen wollen, verstehen sich als Sprachrohre der Gesellschaft, deren vorherrschende Stimmungen sie ausdrücken möchten. Sie waren Charismatiker, nach Max Weber5 stets Vorboten einer revolutionären Atmosphäre in der Spannung zwischen offizieller Politik und Gesellschaft (Italia reale / Italia legale und das offizielle / heimliche Deutschland). Die Künstlerpropheten spiegelten Unstimmigkeiten und gesellschaftliche Umbrüche stellvertretend in ihren persönlichen Gefühlen, fanden Worte für sie und boten sich damit als Identifikationsfiguren an. Um Spielraum in einer immer noch von den Kirchen stark geprägten Moral zu gewinnen, griffen sie auf die Natur zurück, mit der sie sich empathisch verbunden fühlten (Pantheismus). Diesen Aspekt in Bezug auf Wagner sprach auch Silvia Garinei auf der Tagung an, Udo Bermbachs neueste Publikation greift das Thema auf,6 und Bernard Dieterle weist in seinem Beitrag auf das Motiv für D’Annunzio hin. Der italienische Künstler (in der Figur des Alter Ego Stelio Éffrena) tankt im Roman Das Feuer neue Energie in der Wahlverwandtschaft mit einem Granatapfelbaum; es fehlt nicht der Hinweis auf die Wurzeln und die Erdverbundenheit.7 Nicht ganz unbegründet hatte die katholische Kirche Bedenken gegenüber der Moderne, aufgelistet in den 80 Irrtümern des Liberalismus (1864), bis hin zum Antimodernisteneid 1910 – aber leider keine eigene Antwort auf die neuen Entwicklungen. Die Soziologen beschrieben

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B E T T I N A V O G E L- W A L T E R

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Abb. 9: Skulptur von Jacques Villeglé in Hommage an D’Annunzio, Garten des Vittoriale 2014

das Phänomen mit Entzauberung (Max Weber), Ernüchterung (Karl Marx), Auraverlust (Benjamin), Verlust der Gewißheit (Hannah Arendt). Eva Illouz stellt die gefühlte Entkleidung des Menschen, das Bewusstsein von Nacktheit, ins Zentrum ihrer Überlegungen: Wie die Macht verfällt, so werden auch unsere Illusionen verblassen, und diese neue Nacktheit wird uns ungemein verletzlich machen (…). Anders gesagt: Die unermüdlichen Bemühungen der Vernunft, die Trugschlüsse unserer Überzeugungen aufzuspüren und zu entlarven, werden uns frierend in der Kälte zurücklassen, denn nur erbauliche Geschichten mögen uns zu trösten (…). Wissen und Vernunft haben einen Preis, nämlich die Entheiligung dessen, was wir einst verehrten.8

An wen halten sich die Menschen, wenn die Autoritäten ungewiss werden? Der moderne Künstlertypus des Intellektuellen wächst in die Rolle der schwindenden Autoritäten.9 Richard Wagner hatte die neue Rolle des Künstlers reflektiert und verfasste für einen Komponisten und Dichter das bis dahin umfangreichste Werk politischer Selbstreflexion.10 Begeistert hatte er auf Schopenhauer zurückgegriffen und dessen Werk praxistauglich bearbeitet. Besonders im Hinblick auf die Musik erwies sich Schopenhauers Denken als anschlussfähig für Wagner. Auch das viel beschworene Griechenland wurde zum Gegenentwurf einer Herrschaft von Monarchie und Kirche. Ein Amphitheater hatte keine Königsloge, denn es nivellierte und demokratisierte die Zuschauer, indem der Blick allein auf die Bühne ausgerichtet ist. Die nackten antiken Statuen zeugten von einem unverkrampften Umgang des Menschen mit sich selbst, und die entdeckten Ruinen und Reste ließen vor allem viel Platz für eigene Interpretationen. Griechenland mit seinen vielen Göttern machte die Ziele der Zukunft zu einer Vergangenheit, die neu entdeckt werden konnte. Die Orientierung an Griechenland teilen Wagner und D’Annunzio. Einflussreich war in

Abb. 10: Grand Hotel Excelsior Vittoria, Sorrent – hier wohnte Richard Wagner 1876

Abb. 11: Hotel und Pizzeria Villa Rubinacci, Sorrent – hier wohnte Friedrich Nietzsche 1876

diesem Zusammenhang Wagners Austausch mit Friedrich Nietzsche, den er gerne als persönlichen Hausphilosophen gesehen hätte. Der Bruch mit Nietzsche legt die unterschiedlichen Interpretationen der Rolle eines modernen Intellektuellen, dieses Apostels ohne Absender, offen. Der wachsende Dissens zeigte sich bereits bei den ersten Bayreuther Festspielen 1876, als Nietzsche Verrat an der demokratischen Idee witterte, da Wagner sich in der Präsenz einer adligen Elite sonnte. Der anschließende Urlaub in Sorrent an der amalfitanischen Küste zeigt allein in der Hotelwahl die unterschiedliche Positionierung: Cosima und Richard logierten im Grand Hotel Excelsior Vittoria, bis heute einem der Leading Hotels of the World, während Friedrich Nietzsche in der Villa Rubinacci abstieg, einem kleinen Hotel, heute mit Pizzeria, am Stadtrand. Zwei grundlegende Definitionen über die gesellschaftliche Aufgabe des Künstlers stehen sich gegenüber und lassen die Frage offen, ob diese nicht bis heute vorhanden sind.11 Nietzsche wandte moralische Kriterien auf Wagner an. Er fragte nach der Wirkung Wagners und erwartete vom Künstler kritisch-philosophische Distanz zur Gesellschaft und damit eine abgeklärte Außenseiterposition wie Zarathustra. Ganz deutlich stellte sich D’Annunzio angesichts der öffentlichen Abrechnung Nietzsches (Der Fall Wagner, 1888) auf die Seite von Wagner und verteidigte ihn in einer Rezension: Der Künstler sei nicht verantwortlich für seine Zeit, er solle sich stattdessen in sie einfühlen und sie interpretieren. Wagner verkörpere die metaphysischen Bedürfnisse, ein völliges Aufgehen und Verschmelzen mit der eigenen Zeit, das Ideal einer gesellschaftlichen Einheit mit möglichst wenig internen Differenzen, eine Diktatur des Zeitgeistes im Gegensatz zu Nietzsches unzeitgemäßen Betrachtungen.12 Beide Positionen bleiben außerstrukturell. Der Künstler entscheidet selbst über seine Position und ist nicht weisungsgebunden. Wagner und D’Annunzio und nicht nur Nietzsche sind bereit, sich gegen offizielle Machtverhältnisse zu stellen: Zarathustra fernab im Gebirge und Wagner bzw. D’Annunzio als empathische Dichter und Sprachrohre der „Volksseele“.13 D’Annunzio wollte nie ein „literarischer Pantoffelheld“ sein (Laus Vitae) – eine klare Absage an den Typus des weltfremden Gelehrten –,

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sondern ein Prometheus, ein Siegfried, der seine eigene Fabel im Leben schmiedet; in dieser Hinsicht durchaus Richard Wagner ähnlich, der sich, nicht untypisch für die Künstlergeneration nach Napoleon, aktiv in die Politik einmischte, um demokratische Rechte einzufordern. Politisch einflussreich wurden die neuen Künstler, die sich zu nationalen Propheten aufschwangen, in zwei Etappen: Zunächst während der Gründung der neuen Nationalstaaten im 19. Jahrhundert und später im Ersten Weltkrieg. Der neue Intellektuelle, der Künstler, der sich politisch engagierte und seine Kunst für die Gesellschaft einsetzte, agierte nach den Nationalstaatsgründungen in Italien (1860–1870) und Deutschland (1871) als inoffizielles Sprachrohr des Volkes, als Nationaldichter. Offizielle Kommunikationsstrukturen der Politik gab es zu dieser Zeit nicht, und es lässt sich vermuten, dass die fundamentale Bedeutung des Wortes für die Macht von den verantwortlichen Entscheidungsträgern vollkommen unterschätzt wurde. Nationaldichter erfüllten eine inoffizielle Rolle in einem staatlichen Vakuum. Außerdem wollten die neuen Nationen nicht nur politisch, sondern auch kulturell mit Großbritannien und Frankreich gleichziehen. Eine bis heute regional geprägte Kultur in Italien und Deutschland sah in einer homogenen nationalen Identität ein Zeichen für Größe. Richard Wagner gründete 1876 das Festspielhaus in Bayreuth, als Impuls für eine Integration Deutschlands mithilfe eines gemeinsamen Mythos. Bayreuth wurde zum Synonym einer neuen Weltanschauung und der Konstruktion eines neuen Menschen.14 Liefen die Fäden einer ästhetischen Einigung bei Wagner in der oberfränkischen Provinz, mitten in Deutschland zusammen, erlebte D’Annunzio in den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts in Rom den vibrierenden Wunsch einer kulturellen Einheit des Landes in Vatikannähe und in der damaligen Auseinandersetzung der katholischen Kirche mit dem neuen Nationalstaat, gerade auf dem Feld der Kultur. Die Kirche hatte 1870 nicht nur politische Macht verloren. Zunehmend ging der Einfluss einer Vorbildfunktion von Heiligen und Kirche verloren. Das magische Band schien brüchig zu werden ebenso wie die Gewissheiten und das Vertrauen. Die Kirche begann, Seelen zu verlieren, unmerklich, erst deutlich sichtbar in den Wirren des Ersten Weltkriegs, als die monarchisch-großbürgerliche Welt in den Kriegstraumata verschüttet wurde.15 Dieser Aspekt führt in den Kern des Themas: Richard Wagner und Gabriele D’Annunzio gehören zu den großen Seelen(ver)führern, ob sie das jemals angestrebt haben oder nicht. Die Feuertaufe erlebte der neue Künstlertypus im Ersten Weltkrieg, der Zeitenwende zwischen bürgerlicher Kultur und Massendemokratie. Der Krieg war Katalysator auf vielen Gebieten, auch im politischen Stil und der Kommunikation, wobei sich der Einfluss der Intellektuellen deutlich erhöhte.16 Deutschland wollte seinen Platz an der Sonne. Italien führte den vierten Unabhängigkeitskrieg für die innere Einheit des Landes. Diese ursprünglichen Kriegsziele blieben in Erinnerung im öffentlichen Gedankengut. Obwohl Italien Kriegsgewinner war (D’Annunzio: Vittoria nostra, non sarai mutilata! – Unser Sieg, wir lassen dich nicht verstümmeln! – diese Formel lancierte D’Annunzio kurz nach dem Krieg, und sie erhielt eine ähnliche Symbolkraft wie die Dolchstoßlegende in Deutschland), erfüllten

Abb. 12: D’Annunzios Rede in Fiume, Il Comandante parla al popolo di Fiume (La marcia di Ronchi XII settembre MCMXIX, La Fionda, Rom [2.9.1920], S. IX)

sich die italienischen Kriegsziele ebenso wenig wie die der Deutschen. Dabei war die seelische Bilanz des Ersten Weltkrieges so desaströs wie die politische und wirtschaftliche. Nur vor diesem Hintergrund ist der politische Aufstieg der säkularen Propheten und damit der modernen Intellektuellen nachvollziehbar. Der Krieg hinterließ unzählige Tote, Verstümmelte und posttraumatisierte Menschen, die eine Antwort haben wollten. In dieser moralischen Stille meldete sich in Italien D’Annunzio zu Wort.17 Die rationalen Argumente der Liberalen wie des Ministerpräsidenten Nitti (seine Analysen sind aus heutiger Sicht sehr nachvollziehbar) ignorierten die traumatischen Erfahrungen und die Trauer und setzten sich auch nicht mit ihr auseinander.18 Politik aber wurde nicht mehr im kleinen Kreis der Geheimdiplomatie ausgehandelt, sondern musste vom Wahlvolk demokratisch legitimiert werden. Daran sollte der Liberalismus scheitern, dem es nie gelang, seine Methodik zu ändern. Wie aber sollte Politik die demokratische Gesellschaft erreichen? Die äußere Form, die Mittel, um Gemeinschaft herzustellen, stammten aus dem Repertoire von Theater und katholischer Liturgie, jetzt von Künstlern neu bearbeitet und in einem neuen Kontext mit neuem Sinn versehen, wie wir es im Parsifal und Saint Sébastien sehen, wobei hier die Vorbilder für den neuen politischen Stil entstehen. Im Ersten Weltkrieg wurden zahlreiche Künstler dann selbst politisch aktiv. Die vorläufige Krönung des selbstständig politisch eingreifenden Künstlers aber lieferte Gabriele D’Annunzio, als er die Pariser Friedensverhandlungen torpedierte, unter den Beifallsstürmen der internationalen Künstler am 12. September 1919 in Fiume einmarschierte und die Stadt besetzte. Kurz sei darauf hingewiesen, dass er die Eroberung nach dem Drehbuch von Napoleons Rückkehr aus Elba und der Begegnung mit Marschall Ney schrieb – und zwar mit Erfolg, denn das Militär, das ihm begegnete, lief tatsächlich über. Die Dadaisten versicherten ihre Bewunderung. Marinetti, Vater des Futurismus und damit der Avantgarde, reiste sofort nach Fiume, ebenso der belgische Dichter Kochnitzky, der Dirigent Arturo Toscanini, der Fliegerheld und Futurist Guido Keller, ein Vorläufer der Hippies.19 Fiume unter D’Annunzio war eine große Party nach dem Krieg, einzig florierende Wirtschaftszweige waren die Scheidungsindustrie und die Piraterie. D’Annunzios Reden in Fiume wurden stilprägend für die künftige politische Kommunikation. Und wenn der spätere Faschismus von D’Annunzio etwas übernahm, dann waren

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es die hippen Accessoires, die coolen Schlagworte wie „me ne frego“ (dt. ist mir scheißegal) und die Erkenntnis, dass Demokratie nicht rational steuerbar ist. Die bedrohliche Rolle, in welche damit die Künstler und Intellektuellen rutschten, war ihre Verantwortlichkeit für die Einkleidung – wirklich bis hin zur Mode – des neuen Menschen in der Moderne. Weniger die äußere Ästhetik war das Problem als vielmehr die Neuvermessung des inneren Menschen, ebenfalls mit den Mitteln der Ästhetik und flankiert von der Avantgarde. Der neue Mensch unter den alten Gewändern und Talaren war der nackte Adam, und Wagner webte wie seine Nornen am Fuß der Weltenesche, am Weisheitsquell, ein neues Gewand.20 Wagner und D’Annunzio stellten zeitgemäße Identifikationsfiguren zur Verfügung und personifizierten sie auch selbst, ein Aspekt auf den Van Treeck in seinem Beitrag in diesem Band hinweist. Stars, echte und virtuelle, ersetzen die Vorbildfunktion des vormodernen Heiligen. Deutlich wird diese Form der individuellen Rezeption poetischer Figuren im Film Maciste (1915) von D’Annunzio, einem optischen Vorbild für Mussolini, oder in dem von Gabriella Rovagnati vorgestellten Sujet des Rienzi, an dem sich Adolf Hitler orientierte. Die Personifikation einer politischen Idee in der Öffentlichkeit wird typisch für die Moderne. Eine Figur wird ästhetisches Medium für politische Vorstellungen, wie z. B. in der heutigen Zeit George Clooney,21 dessen Charisma in der Lage ist, sogar die Politik zu beeinflussen. Angelina Jolie wird mit der virtuellen Figur Lara Croft identifiziert,22 die Filmfigur Gordon Gekko (Wall Street, 1987) avanciert zur Identifikationsfigur zahlreicher Investmentbanker. Die Frage bleibt, wie romantisch-poetische Geschichten ins Monströse wachsen und sich politisch negativ ausschlachten lassen. „Was in einem früheren Zeitalter durch Glaube, persönliche Gefolgschaft und charismatische Helden geregelt wurde, wird zu einer Frage von Wissen, Kontrolle und Kalkulierbarkeit“, analysiert Eva Illouz23 und verweist damit das Problem an die Kopisten der Charismatiker und die erfolgreiche staatliche Strukturierung der Kommunikation.

Anmerkungen 1

Vgl. Peter Sloterdijk, „Der mystische Imperativ. Bemerkungen zum Formenwandel des Religiösen in der Neuzeit“, in: Peter Sloterdijk (Hrsg.), Mystische Zeugnisse aller Zeiten und Völker, gesammelt von Martin Buber, München, Diederichs 1993, S. 13. „Daher gibt es kein mittelalterliches ‚Genie‘ – wenn Genie haben heißt, sich aus einem anderen Grund als dem evangelischen äußern“, S. 10. Vgl. auch Sören Kierkegaard, „Über den Unterschied zwischen einem Genie und einem Apostel“, 1849, zitiert nach Sloterdijk, „Der mystische Imperativ“, a. a. O., S. 9. 2 Sloterdijk, „Der mystische Imperativ“, a. a. O., S. 17. 3 Joh 13,13: „Ihr heißet mich Meister und Herr“. 4 Vgl. Francesco Perfetti, „D’Annunzio ovvero la politica come poesia“, in: Francesco Perfetti (Hrsg.), D’Annunzio e il suo tempo. Un bilancio critico, Atti del convegno di Studi Genova 19.–23.9.1989, Rapallo, Sagep 1989, S. 369 ff., und Sven Friedrich, „Der Prophet seines Volkes“, in: Laurenz Lütteken (Hrsg.), Der Wagnermythos um 1900. ‚Musik und Mythos – Mythos Musik um 1900‘ (Zürcher Festspiel-Symposium 2008), Kassel, Bärenreiter 2009, S. 14–71. Moderne interpretiert als manipulative Erlösungsreligion, vgl. Ivan Illich, In den Flüssen nördlich der Zukunft, München, Beck 2006.

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Der Begriff des charismatischen Führers entstammt der Herrschaftssoziologie von Max Weber und kennzeichnet eine kurzlebige, außeralltägliche Herrschaftsform im Vergleich zu legaler und traditionaler Herrschaft. Der Charismatiker agiert durch seine persönliche Überzeugungskraft. Wenn der Begriff des Meisters, der dem religiösen Bereich entstammt, auf Wagner angewandt wird, so liegt das daran, dass Wagner nicht in dem Maße in die Politik eingriff, wie das D’Annunzio tat. Aber auch der Begriff des Charismatikers entstammt der religiösen Sphäre und D’Annunzio selbst nennt sich vate/Prophet oder wird mago/Magier genannt. Wagners Charisma blieb zunächst auf die Kunst beschränkt – wenn auch mit politischer Absicht. Udo Bermbach, Richard Wagners Weg zur Lebensreform, Würzburg, Königshausen & Neumann 2018. Gabriele D’Annunzio, Das Feuer, übers. von Maria Gagliardi und Gianni Selvani, München, Matthes & Seitz 1988, S. 85 ff. Eva Illouz, Warum Liebe weh tut. Eine soziologische Erklärung, Berlin, Suhrkamp 2016, S. 354 ff. Sloterdijk, „Der mystische Imperativ“, a. a. O., S. 16: „Unter dem Druck der skeptischen Außenbeobachtung durch Philologen, Mythenforscher, Psychologen und Soziologen wird die christliche Religion regelrecht skelettiert. Zwei Jahrhunderte Modernität, sprich kühle Außenbeschreibungen des Christentums plus Neuzulassung alternativer Begeisterungen, vor allem im Namen der Künste und der Humanität, haben genügt, um aus einer zweitausendjährigen allgegenwärtigen Macht eine Restgröße zu machen […], die gut beraten ist, sich als ‚Subsystem‘ […] in einer funktionalen Nische der modernen Gesellschaft einzurichten.“ Ulrich Konrad, „(K)ein ‚Schriftsteller im eigentlichen Sinn des Wortes‘“, in: Katharina Wagner, Holger von Berg, Marie Luise Maintz (Hgg.), Sündenfall der Künste? (Diskurs Bayreuth 1), Kassel, Bärenreiter 2018, S. 34–42. Zur Aktualität des Themas Intellektuelle vgl. Christian Marty, „Die freien Geister danken ab, die Besserwisser übernehmen. Gibt es keine Public Intellectuals mehr?“, in: Neue Züricher Zeitung, 30.6.2018, S. 24. Paola Sorge, Il caso Wagner, Roma/Bari, Laterza 1996. Die Bereitschaft zur Konfrontation mit der Macht und dem Verlust der eigenen Position zeigt sich bei Wagner, als er in Dresden 1849 zusammen mit Bakunin und Gottfried Semper die Revolution unterstützte, obwohl er in der Position des Hofkapellmeisters war und nach dem Scheitern des Aufstandes in die Schweiz fliehen musste. – D’Annunzio wird erst nach dem Krieg 1918 revolutionär. Neben dem Aufruf zur Fahnenflucht September 1919 gründete er im Frühjahr 1920 in Fiume den alternativen Völkerbund Lega di Fiume, der Völker wie die Kurden, die Inder, Katalanen, Israelis, Armenier oder die Kroaten in ihrem Kampf gegen die offiziellen Machtverhältnisse unterstützte. Zu Lega di Fiume vgl. Bettina Vogel-Walter, D’Annunzio – Abenteurer und charismatischer Führer, Frankfurt, Peter Lang 2004, S. 333–335. Richard Wagner lieferte mit den Regenerationsschriften und der Gründung der Bayreuther Blätter 1878 einen Impuls. Die Konstruktion von Bayreuth als Weltanschauung erfolgte nach Bermbach durch Houston S. Chamberlain, der Begriff stammt von Nietzsche. Vgl. Udo Bermbach, Richard Wagner in Deutschland. Rezeption und Verfälschungen, Stuttgart, Metzler 2011, S. 179 ff., und Houston Stewart Chamberlain, Richard Wagner, München, Bruckmann 1919 (6. Aufl.), S. 461 ff. Bettina Vogel-Walter, D’Annunzio, a. a. O., S. 63 ff. (Krieg und Propaganda) und 85 ff. (Frontreden als postmoderne Religion?). Die Gottesdienstbesuche gingen zwischen 1916 und 1917 von 80–95 % zurück auf 4 % (nach Piero Melograni, Storia politica della Grande Guerra 1915–1918, Roma/Bari, Laterza 1969, S. 384 f.). Ebd., S. 63 ff. Theatralisch inszeniert wurde das Thema in der Operncollage Luftbeben 100_14 von Wolf Widder und Robert Eikmeyer, Theater Pforzheim 2014.

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17 Gabriele D’Annunzio, „Preghiera di Sernaglia“, in: Corriere della Sera, 24.10.1918. https://it.wikisource. org/wiki/Canti_della_guerra_latina/La_preghiera_di_Sernaglia [28.9.2018]. Der Artikel war D’Annunzios erster Alarmruf nach dem Krieg. 18 Francesco Saverio Nitti, Europa am Abgrund, Frankfurt, Societäts-Verlag 1923. 19 Bettina Vogel, „Guido Keller – Mystiker des Futurismus“, in: Hans Ulrich Gumbrecht, Friedrich Kittler, Bernhard Siegert (Hgg.), Der Dichter als Kommandant: D’Annunzio erobert Fiume, München, Wilhelm Fink 1996, S. 117–132. 20 Eva Illouz, Die Errettung der modernen Seele, Frankfurt, Suhrkamp 2009, S. 67–78: Charisma allein erklärt nicht die Durchsetzung der neuen Erlösungsgeschichten, der Charismatiker ist die Reaktion auf eine bestehende Kultur. Illouz weist das für den Erfolg der Psychoanalyse Freuds nach. Hier werden „neue Wege der narrativen Modellierung des Selbst“ aufgezeigt und mit älteren Erzählungen wie den griechischen Mythen verbunden. Illouz verweist auf Stephan Fuchs, Against Essentialism, Cambridge/Massachusetts, Harvard University Press 2005, S. 189. 21 Vgl. Alex Perry, In Afrika: Reise in die Zukunft, Frankfurt, Fischer 2019, „Der Südsudan“, S. 105: „Warum drängte der Südsudan auf Unabhängigkeit, wenn ein Scheitern so wahrscheinlich war? Und warum half die Welt dabei? Eine Antwort, soweit ich überhaupt eine finden konnte, lautete: George Clooney.“ 22 Wolfgang Ullrich, Sabine Schirdewahn (Hgg.), Stars, Annäherungen an ein Phänomen, Frankfurt, Fischer 2002, insbes. Juliane Vogel, „Himmelskörper und Schaumgeburt: Der Star erscheint“, S. 11–39; Astrid Deuber-Mankowsky, „Der virtuelle Star“, S. 105–120, und Wolfgang Ullrich, „Starkult als Verdopplung: Doubles“, S. 121–150. 23 Illouz, Warum Liebe, a. a. O., S. 357.

Die Medialitäten der (Gesamt-)Kunst Richard Wagner und Gabriele DʼAnnunzio

Das Symbolische ist an das Reale, nach einem Wort von Lacan, nur angeleimt.1 Leim – das weiß man aus praktischer Erfahrung – kann trocken werden, seine adhäsiven Kräfte verlieren. Was angeleimt ist, kann unter Umständen auch wieder abgelöst werden. Aber diese Metapher für die Verbindung von Realem und Symbolischem führt noch nicht weit genug. Man muss sie weitertreiben, befragen; denn bei genauerer Betrachtung ist das Symbolische an zweierlei Realitäten geleimt, zum einen an die Realitäten, auf die verwiesen werden soll, also das Signifikat des symbolisierenden Aktes, und zum anderen an die Realität des Mediums, das den Akt des Symbolischen trägt. Der Leim zwischen Symbol und Signifikat ist bereits seit langem und nicht erst seit Saussure brüchig. Das, was Richard Wagner und Gabriele D’Annunzio verbindet, ist unter anderem, dass beide als Antworten auf diese Brüchigkeiten von Symbol und Signifikat gelesen werden können. Aber daneben gibt es eben jene andere Leimstelle, die um einiges fester sitzt – die Verbindung von Symbolischem und seinem medialen Träger. Als 1983 eine ambitionierte und in ihrer Folge berühmt gewordene Ausstellung unter dem Titel „Der Hang zum Gesamtkunstwerk“ durch Zürich, Düsseldorf und Wien zog, da wurden unter dem von Wagner popularisierten Terminus neben Wagner selbst auch Duchamp, Rudolf Steiner, Piet Mondrian, das Bauhaus, das Dritte Reich, John Cage, Joseph Beuys und eben auch Gabriele D’Annunzio präsentiert. Man konstatierte dabei, dass der Begriff Gesamtkunstwerk „theoretisch nie definiert“ wurde und „zu einer beliebig verwendbaren Begriffshülse“ geworden sei.2 1983 sah man das Gesamtkunstwerk als vielschichtige Antwort auf den geistigen „Verlust der Mitte“ (was auch immer das heißen mag) – dementsprechend fand man „Gesamtkunstwerke, wo man hingeht und hinguckt“3, was die Breite der gesammelt präsentierten Positionen erklärt. Wagner und D’Annunzio – unsere Protagonisten jedenfalls – sind so etwas wie logische Beispiele im Katalog von 1983; zu offensichtlich ist ihre geistige Verwandtschaft im gemeinsamen Geiste des Gesamtkunstwerks. Das Projekt von Ausstellung und Katalog im Jahr 1983 war ein im weitesten Sinne kulturwissenschaftliches, kunstwissenschaftliches, das versuchte, die gesamtkünstlerischen Projekte in ihrer Symbolizität, ihrer Kunstlogik zu befragen, eine Kunstlogik, die durch die Brüchigkeit der besagten ersten Leimstelle wohl erst ermöglicht wird. Aber was passiert, wenn man nach den medialen, mithin medientechnischen Bedingungen all dieser Zeichenspiele, also jener anderen Leimstelle, fragt? Dann stellen wir eine medienwissenschaftliche Frage.

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Die Medialitäten der (Gesamt-)Kunst

JAN CLAAS VAN TREECK

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1. Wagner – die Camouflage der Medien Berühmterweise hat das Gesamtkunstwerk Wagners einen prominenten Platz innerhalb der deutschen Medienwissenschaft, vor allem, weil sich der Gründervater dieser akademischen Disziplin in Deutschland – Friedrich Kittler – so fulminant an Wagner abgearbeitet hat. Sein Aufsatz „Weltatem. Über Wagners Medientechnologie“4 von 1986 hat jedenfalls auch in der Musikwissenschaft genügend Aufsehen erregt, um zu einem wichtigen Paar „other eyes“ zu werden, um es mit David Levin und seinem Sammelband Opera Through Other Eyes von 1993 zu sagen.5 Und wohl auch, weil die medienmaterialistische „Kittlerschule“ derzeit in der anglophonen Musikwissenschaft (unter anderem vertreten durch Alexander Rehding, David Trippett, Gundula Kreuzer, Peter McMurray) eine produktive Aufnahme findet, ist Kittlers Aufsatz immer noch Zentralpunkt von aktuellen Konferenzen, wie etwa „Imagining Wagnerian Bodies: from Nietzsche to Kittler“ die Ende August 2017 in Cambridge stattfand. Kittlers Blick auf Wagners Gesamtkunstwerk ist 1987 medienwissenschaftlich radikal, wenn er mit der Frage nach den Zeichen erstmal ordentlich aufräumt: Künste unterhalten nur symbolische Beziehungen zu den Sinnesfeldern, die sie voraussetzen. Medien dagegen haben im Realen selber einen Bezug zur Materialität, mit der sie arbeiten. […] Dieser Unterschied zwischen Künsten und Medien war Wagner klar.6

Wagner wird für Kittler zum Produzenten einer Kunst, die eher auf der Seite der Signale als auf der Seite der Symbole steht, ein Körper- und Signaltheater, welches das Sprechen und Schreiben, das symbolische Encodieren und Decodieren weit hinter sich lässt und damit auch die in alten Logiken der in der symbolischen Analyse verhafteten geisteswissenschaftlichen Disziplinen: Ein Vergleich des Mediums Musikdrama mit traditionellem Drama und traditioneller Oper reicht schon hin. Nur besteht kein Anlaß, diese drei Kunstgattungen nach Form, Gehalt und Bedeutung, also mit Mitteln philosophischer Reflexion zu unterscheiden. Sie sind einfach als Medien anzusehen.7

In diesem Blick auf das Mediale des Wagnerschen Gesamtkunstwerkes wird das Bayreuther Projekt zum „ersten Massenmedium im modernen Wortsinn“, denn „seine Gleichzeitigkeit mit unseren Sinnen entspringt seiner Technologie“.8 Diese Sinnlichkeit wird dabei zum springenden Punkt, weil sie technisch erzeugt, aber vom Rezipienten völlig untechnisch erfahren werden kann. In der Immersionsmaschine des Bayreuther Festspielhauses werden die Kanäle der Zuschauer direkt, nervlich, bespielt, weshalb sich Kittlers Einschätzung zu Wagner hier – in der Leiblichkeit der Erfahrung – auch mit dem guten alten Nietzsche im „Fall Wagner“ die Hand gibt. Die revolutionäre Finsternis des Wagnerschen Festspielhauses sei nämlich, so Kittler, der Urahn aller Kinosäle und zentralisiert damit die Kommunikationsrichtung im Theater. Garantierten etwa die Theater vor dem Festspielhaus vor allem den Herrschern repräsentative Sichtbarkeit durch die Königsloge als Herrscher-

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bühne – in Konkurrenz zur Bühne der Sänger und Schauspieler – so fällt diese im Bayreuther Festspielhaus schlichtweg weg. Die Medientechnik dahinter ist natürlich eine architektonische. Die Ränge des Wagnerschen Festspielhauses sind demokratisch bestuhlt, keine Herrscherloge tritt in Konkurrenz zum Bühnenraum, das Orchester ist verschwunden im Orchestergraben, jener Wagnerschen Zentralerfindung – nichts versperrt den Blick in die eine Sichtachse, die dem Zuschauer aufgezwungen wird. Es ist diese Architektur, die die Verschaltung der Medien zur echten Multimedialität des Gesamtkunstwerkes erlaubt. Das totale mediale Gewebe aus verbaler und gesungener Information, der Musik des im Orchestergraben versenkten Soundkörpers und der visuellen Information, erzeugt auf der Bühne durch Techniken des (Sänger-)Schauspiels, der Bühnengestaltung und der projizierten Bilder, dem das Publikum nicht entgehen kann, wenn der Sound den Raum des Festspielhauses füllt und der Blick durch den Protokinosaaleffekt der Verdunkelung gelenkt ist. Lenken wir nun den prüfenden Blick auf die Techniken dieses multimedialen Konglomerats und bleiben wir dabei bei der Verdunkelung, die wir zum Zentralpunkt aller Techniken des Wagnerschen Projekts machen können, denn die Technik der Technik ist hierbei zu einem großen Teil die Verdunkelung selbst. Medien führen ein seltsames Eigenleben in ihrem Zusammenspiel mit menschlichen Akteuren. Um sie effektiv einsetzen zu können, müssen sie sich selbst und ihre Operationen, ihr Medien-Sein verbergen, um ihren Aufgaben, also der Speicherung, der Übertragung und dem Prozessieren, für den Menschen effektiv gerecht zu werden. Den Mechanismus der produktiven Verbergung kennen wir aus Heideggers Zeuganalyse: Je weniger sich das Ding/Werkzeug/Medium „zeigt“, je weniger es distanziert betrachtend „begafft“ wird, wie es Heidegger nennt, je mehr es handgreiflich benutzt wird für einen Zweck ein „Um-zu“, desto „zeughafter“ wird es, desto einfacher, nahtloser inkorporieren wir es in unsere Handlungen, nutzen es als simples Medium – es ist damit heideggersch „zuhanden“.9 Funktioniert das Medium allerdings nicht, weil es etwa inoperabel ist oder es in seiner Operativität zu stark nach vorne tritt, dann wechselt es in den Status des „Vorhandenen“ und wird so für den Mediengebrauch potentiell unbrauchbar, aber eben in seinem „Sein“, seiner Medialität potenziell erkennbar. Angewendet auf Wagners Gesamtkunstwerk bedeutet dies vor allem, dass möglichst viel von der Medialität des Gesamtkunstwerkes, seine Gemachtheit, verschwinden muss, um das Immersionsspektakel qua Multimedia zum Gelingen zu bringen. Das prominenteste Beispiel dafür ist die berühmte Versenkung des Orchestergrabens. Der Sound wird so quellenlos, die Erzeuger des Wagnerschen Soundbombastes, die musikalische Operativität, wird so verborgen, „unbegaffbar“ gemacht. Ähnliches gilt für die Lenkung des Blicks durch den abgedunkelten Zuschauerraum, der den Ort des Theaters, seine Theaterhaftigkeit camoufliert, durch die Schwärze abdeckt. In Wagners Bayreuth soll der Zuschauer auf seine Rolle als reiner Zuschauer reduziert werden. Visuelle Interaktionen mit allem anderen als dem Bühnengeschehen werden so unterbunden. Das schlagendste Beispiel allerdings sind die Projektionen mit Hilfe der Laterna

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Magica, die Wagner bereits 1876 bei der Ringpremiere einsetzt, um die neun Walküren auf ihren Pferden, so magisch wie eben die gleichnamige Laterne, auf der Bühne erscheinen zu lassen. Die Herkunft der Projektion bleibt für den Zuschauer unklar. Kittlers These, dass Wagner mit seiner Bühnentechnik hier das Kino vorwegnimmt, ist also vorbehaltlos zuzustimmen.

2. DʼAnnunzio – die Verdunkelung des Alltäglichen D’Annunzio ist ein Bruder im Multimedia-Geiste des Gesamtkunstwerkes von Wagner. Aber Brüder sind eben nicht unbedingt Zwillinge, ihre DNA ist nur in Teilen die gleiche. Deshalb lohnt es sich, wie so oft, Unterschiede zu benennen. Wagners Gesamtkunstwerk hat einen Ort – im besten Falle eben Bayreuth – und ist in der Tat immer noch ein räumlich und zeitlich abgrenzbares Werk. Bei Gabriele D’Annunzio ist das allerdings anders, denn: Gabriele D’Annunzio verstand es wie kein anderer, Dichtung und Leben miteinander zu verflechten und das eine immer auch für das andere zu setzen.10

Leben und Kunst sind bei D’Annunzio so etwas wie eins – die Gesamtkunstwerkkonzeption Wagners wird bei D’Annunzio noch weiter entgrenzt, das Gesamtkunstwerk also einfach noch gesamter. Das hat natürlich eine Tradition, eine Tradition, die die Literaturwissenschaft, nach einem Satz von Jakob van Hoddis, „Selbstpoetik“11 nennt. Sie tritt nach etwa 1770 als ästhetisches Programm auf und wird möglich, eben weil der Leim zwischen Symbol und Signifikat brüchig wurde. Ein literaturwissenschaftlicher Sammelband von 2001 zu dieser „Selbstpoetik“ vermerkt, dass: allgemein die Perspektive zugrunde[liegt], dass sich der Einzelne aus einem Zeichenreservoir bedienen kann, das gesellschaftliche Institutionen ihm zur Verfügung stellen oder gar aufnötigen.12

Denn, was abgelöst wurde, kann in einem künstlerischen Akt einfach neu und anders zusammengeleimt werden, von der neuen Zentralinstanz des Künstlers. Bei D’Annunzio klingt das dann so: Das ist es: Ich bin nicht eingeschlossen in den kosmischen Traum, noch bin ich dessen Mittelpunkt. Der kosmische Traum ist vielmehr die totale Darstellung meines Gehirns. Alles wird von mir magnetisch angezogen und löst sich in mir auf. Ich erschaffe, verwandle, erfinde. Ich nehme nichts Äußeres an. Ich kann nichts Fremdes mehr dulden. Ich glaube auch nicht, daß mich irgendwelche Geschöpfe oder Gegenstände noch bereichern könnten, denn alles, was sich meinen Sinnen nähert, löst sich in mir auf und verschmilzt in mir.13

Man bemerke die Verschiebung. Laut dem Literaturwissenschaftler Ralph Köhnen wird bei der Selbstpoetik nur ausgewählt, Zeichen werden recycelt, während

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Die Medialitäten der (Gesamt-)Kunst

D’Annunzio sich selbst als der Erzeuger seiner ästhetischen Welt sieht, der alles aufsaugt und dann genuin neu erzeugt. Am Ende bleiben beide wohl lediglich unterschiedliche Bewertungen desselben Mechanismus. Und wagen wir hier einen Rückblick auf Wagner, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu D’Annunzio zu sehen: Das Zeichenreservoir Wagners sind mythologische Stoffe, die er mit hochtechnischen Mitteln zu so etwas wie einem neuen Mythos auf der Bühne zusammensynthetisiert. Die medialen Mittel dazu müssen, wie bereits erwähnt, bestmöglich camoufliert werden, um die Oberflächenkohärenz zu erzeugen und zu bewahren. D’Annunzios Projekt bezieht sein Zeichenrepertoire aus seiner eigenen Jetztzeit, es ist bevölkert von Flugzeugen, Autos, Gewehren, dem mechanisierten Krieg und vor allem von D’Annunzio selbst in Flugzeugen, Autos und im mechanisierten Krieg. Der große Unterschied zu Wagner ist aber die In-Eins-Setzung von Leben und Literatur, Tat und Kunst, und dazu braucht es eine andere technomediale Gemengelage und einen anderen Umgang mit ihr. Wie wir bei Wagner gesehen haben, dient die Camouflage der medialen Materialität der Erzeugung einer kunstfähigen Oberfläche, die das Werk ausmacht. Bei D’Annunzio tritt sie dagegen offen zutage. Während bei Wagner die Medienmaterialität der Sounderzeugung – zum Beispiel das Orchester – im Graben verschwindet, ist D’Annunzios Ansaldo SVA, das Flugzeug seines berüchtigten Fluges nach und über Wien, wichtiger Ko-Akteur – so wichtig, dass die Tat auf ihm verewigt wird und es wie ein Kamerad mit auf die vielen Fotos muss, auf denen D’Annunzio seinen heroischen Flug im Nachgang inszeniert. Das Medium Flugzeug ist also bei D’Annunzio integraler Teil der Selbstinszenierung – der Botschaft – womit die überlieferten Kommunikationsverhältnisse, nach denen das Medium hinter die Botschaft zurücktritt, auf das Modernste modifiziert werden. Die vermeintliche Botschaft, der textliche Inhalt, der über Wien von D’Annunzio abgeworfenen Flugblätter ist nebensächlich, was zählt, ist das Foto des Abwurfes selbst. Nicht die vermeintliche Botschaft zählt, sondern der Akt der Übertragung im zweifachen Sinne: Die Übertragung der Botschaft, der Abwurf, wird photographisch gespeichert, nur um diesen Akt der Übertragung direkt nach der Landung über die Zeitungen Italiens wieder auf ein Neues zu übertragen. Wenn wir aber für Wagner festgestellt haben, dass sich das Medium verbergen muss, steht die Frage im Falle D’Annunzios im Raum, wie mit seinen Medien umzugehen ist. Auch hier hilft der Rückgriff auf Heideggers Zeug. Während nämlich Wagner sein mediales Zeug aktiv verbirgt, verbirgt sich D’Annunzios Flug-„Zeug“ selbst, weil es längst zu einer Umwelt geworden ist. Denn jedes Medium muss Umwelt werden, um effektiv zu sein: Erst wenn wir nicht mehr darüber nachdenken, wie wir den Stift für den Akt des Schreibens in der Hand halten müssen, können wir schreiben. Erst wenn wir nicht mehr über das Spiel mit Kupplung, Gas und Bremse nachdenken müssen, können wir mit dem Auto fahren.

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Medien sind nämlich nicht nur nach dem berühmten Diktum von Marshall McLuhan die Botschaft, die „Message“, sondern vor allem die „Massage“.14 Medien massieren sich in uns hinein, inskribieren sich in unseren Körper und Geist, unser muskuläres und kulturelles Gedächtnis, bis zu dem Punkt, wo sie für uns nicht mehr vorhanden sind. Wir sehen sozusagen den Wald vor lauter Bäumen nicht, das Medium nicht vor lauter Mediennutzung. Medien werden zu unserer selbstverständlichen Umwelt, die wir deswegen nicht einmal mehr wahrnehmen können, oder um wieder Marshall McLuhan zu bemühen: „Media effects are new environments as imperceptible as water to a fish, subliminal for the most part.“15 Im zunehmenden Gebrauch ver-umweltisiert sich also jedes Medium. Je mehr es „zuhanden“ ist, um wieder auf Heidegger zurückzugreifen, desto weniger „vorhanden“, also betrachtbar in seiner Medialität, seiner Technizität, seiner reinen Operativität ist es und funktioniert erst damit als Medium effizient. Wenn der Schock des Erstkontaktes überwunden und das Novum verschwunden ist, kann das Medium seiner Rolle nachkommen und uns vormachen, es ginge nur um die Inhalte. Aber was bedeutet das für die Kunst, in unserem Fall das Gesamtkunstwerk? Auch darauf ein Hinweis von Marshall McLuhan: The content of environment gets changed into art form. Environment is always regarded as degrading. Bricks put indoor become art. Food-gathering, when environed by neolithic specialism, becomes art form. Hunting and all things of the chase become snobbish ornaments of the upper crust in the new society. In our time, all mechanical forms are tending to become snobbish art forms, just as a little earlier, all the arts and crafts had become ‚arty-crafty‘.16

Ein Mechanismus, den wir kennen: Medien, Techniken und Dinge, die vormals eine echte Funktion hatten, werden zu Dekorations- und Kunstobjekten umgedeutet. Aber, ist nicht D’Annunzio ein Beispiel dafür, dass es nicht mal diese Historisierung braucht? Betrachten wir wieder die Ansaldo SVA – ein Aufklärungsflugzeug, jenes mit dem D’Annunzio im Staffelverband nach Wien fliegt. Flugzeuge sind 1918 beileibe keine Novität mehr. Die Medialität, das Fliegen, der pure Akt der Steuerung und Bedienung, ja die Existenz dieses technischen Gebildes und seine Möglichkeiten sind bereits Allgemeingut des Wissens, epistemologische Medienumwelt geworden. Damit hat sich die Medialität des Flugzeugs längst selbst verborgen. Und so steht es für D’Annunzio für eine neue symbolische Umwertung zur Verfügung, eine Neuverleimung des Symbolischen an die Medienrealität Flugzeug, das jetzt ein Teil des Gesamtkunstwerkes „D’Annunzio“ wird. Ähnlich verhält es sich mit den berühmten Briefmarken aus Fiume, die D’Annunzio mit seinem Konterfei verziert drucken und ausgeben lässt. Weil die Funktionsweise der Post trivial ist, zuhanden, sich im Gebrauch des Mediums längst selbst verborgen hat, leimt D’Annunzio die neue symbolische, künstlerische Botschaft auf das auch real zu klebende Medium – die neue Botschaft ist, wie bei D’Annunzio so oft, hier ganz offensichtlich: er selbst.

Die Medialitäten der (Gesamt-)Kunst

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Abb. 13: Briefmarke Fiume D’Annunzio 1920

D’Annunzios radikaler Akt besteht also darin, dass er das Medium noch im aktiven operativen Gebrauch mit neuem künstlerischen Symbolcode versieht. Das kann er, weil das Medium ihm dafür zur Verfügung steht, weil sich die Medialität selbst im Gebrauch verschleiert und weil in der Moderne das Spiel zwischen Signifikant und Signifikat medientechnisch neu eröffnet wurde. Das könnte man ReadymadeKunst nennen, und man könnte an Warhol erinnern, es ist aber radikaler. Während Warhols Brillo Boxes Fälschungen sind, also echte Brillo-Boxes nur in der Galerie darstellen, simulieren, sind die Elemente von D’Annunzios Kunst echt, sie operieren, fliegen, schießen, fahren usw. tatsächlich. Und als Beweis dieser Verankerung im Realen, jener harten Verleimung, sei daran erinnert, dass D’Annunzio ganz unsymbolisch sein Auge bei einer harten Landung verlor. Denn wer real fliegt, kann auch real abstürzen. Für D’Annunzio, den Neo-Wotan, ist die Augenklappe nach dem Augenverlust dann natürlich wieder kunstfähiges Material, welches die Selbstinszenierung noch dramatischer macht. Den projizierten Walküren von Wagner hingegen, hätte nur das magische Licht ausgehen können.

Anmerkungen Jacques Lacan, „Psychoanalyse und Kybernetik oder von der Natur der Sprache“, in: Ders., Das Seminar von Jacques Lacan, Buch II (1954–1955), Berlin, Quadriga Verlag 1991, S. 373–390, hier S. 381. 2 Harald Szeemann, „Vorbereitungen“ in: Der Hang zum Gesamtkunstwerk, Ausstellungskatalog, Kunsthaus Zürich, Sauerländer 1983, S. 16. 3 Ebda. 1

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4 Zuerst erschienen in: Friedrich Kittler, „Weltatem. Über Wagners Medientechnologie“, in: Friedrich Kittler, Manfred Schneider, Samuel Weber (Hgg.), Diskursanalysen 1, Opladen, Westdeutscher Verlag 1986, S. 94–107. 5 David Levin (Hrsg.), Opera Through Other Eyes, Stanford, Stanford University Press 1994. 6 Kittler, „Weltatem“, a. a. O., S. 160. 7 Ebd., S. 162. 8 Ebd., S. 160. 9 Vgl. dazu Martin Heidegger, „§ 15“ aus Sein und Zeit (Martin Heidegger, Sein und Zeit, Berlin, De Gruyter 2006). 10 Kathrin Maier, „Gabriele D’Annunzio“, in: Hang zum Gesamtkunstwerk, a. a. O., S. 235. 11 Ralph Köhnen (Hrsg.), Selbstpoetik 1800–2000. Ich-Identität als literarisches Zeichenrecycling, Frankfurt am Main, Peter Lang 2001. 12 Köhnen, „Selbstpoetik 1800/1900/2000. Ich-Identität als literarisches Zeichenrecycling“, in: Köhnen (Hrsg.), Selbstpoetik, a. a. O., S. 7–16, hier S. 9. 13 D’Annunzio in Libro Segeto, PdRi II, 867/7, übers. von Kathrin Maier, in: Hang zum Gesamtkunstwerk, a. a. O., S. 238. 14 Marshall McLuhan, Quentin Fiore, The Medium is the Massage, New York City, Penguin 1967. 15 Marshall McLuhan, Counterblast, London, Rapp & Whiting 1970, S. 22. 16 Ebd., S. 16.

Italien und Frankreich: Im Bann von und in Rivalität zu Wagner

Kultur und Macht des Schönen D’Annunzio, Wagner und Frankreich

D’Annunzio, Wagner und Frankreich: Das Feld ist recht breit, und deswegen will ich die Fragestellung gleich spezifizieren. Eine erste Einengung wird durch das Stichwort Bayreuth nahegelegt; deshalb steht hier weniger Wagner als Komponist als dessen Konzeption des Kunstwerks der Zukunft und des Gesamtkunstwerks sowie die Frage nach dem Festspielhaus und also nach der Institutionalisierung einer Aufführungspraxis, ja genereller nach Zelebrierung oder Selbstzelebrierung der Kultur, im Zentrum der Überlegungen. Eine weitere Fokussierung nehme ich vor, indem ich die sattsam erforschte Frage der Beziehung zwischen D’Annunzio und Frankreich etwas umbiege. Viele Arbeiten – und allen voran diejenigen Guy Tosis1 – widmen sich diesem Aspekt in einer quellengeschichtlichen oder biographischen Optik. Ich möchte jedoch auf einen anders gelagerten Vergleich hinsteuern, nämlich auf die Frage nach den Hauptunterschieden zwischen D’Annunzios Auseinandersetzung mit Wagner einerseits und der französischen Wagner-Rezeption zur Zeit des Symbolismus, wie sie insbesondere in der Revue Wagnérienne zum Ausdruck kommt, anderseits.

1. Wagner im Roman Trionfo della morte (1894) Teodor de Wyzewa (1862–1917), ein wichtiger Kulturvermittler, Publizist und Mitarbeiter der dreijährigen Revue Wagnérienne (1885–1888), d. h. dem von Houston Stewart Chamberlain angeregten und von Edouard Dujardin begründeten und mitherausgegebenen Hauptorgan der französischen Wagnerrezeption zur Zeit des Symbolismus, veröffentlichte in der Ausgabe vom Mai 1886 dieser Zeitschrift einen Aufsatz mit dem Titel „Littérature wagnérienne“. Er erblickt deren französisches Paradigma in der Sprache und im Stil des Wagner-Anhängers Villier de l’Isle-l’Adam (der Ende der sechziger Jahre viele Tage zusammen mit Wagner in Tribschen verbrachte und Opernaufführungen in Bayreuth und München besuchte) und insbesondere in dessen Axël. Es handelt sich um ein Lesedrama aus den Jahren 1885–86, das Wyzeva als dialogisierten Roman bezeichnet.2 Die Liebenden begehen darin am Ende Selbstmord, um die ideale Schönheit ihrer Traumwelt nicht zu gefährden. Wyzewa versucht dabei, die wichtigsten Bedingungen für eine neue Form des Romans zu bestimmen. Entscheidend ist die Konzentration: Konzentration auf eine einzelne Gestalt, auf das Bewusstsein einer einzelnen Figur und auch Konzentration auf eine kurze Zeitspanne, damit die Seelenstände in enger Verbindung zueinander

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Kultur und Macht des Schönen

BERNARD DIETERLE

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Abb. 14: Neapel, Erinnerungstafel in der Villa D’Angri

zur Geltung kommen. Edouard Dujardin wird eine derartig ‚wagnerische‘ Prosa bekanntlich 1887 mit dem inneren Monolog von Les lauriers sont coupés umsetzen, aber auch Gabriele D’Annunzios Roman Trionfo della morte von 1894 gehört eindeutig in diese Strömung. D’Annunzios ausschlaggebende Begegnung mit Wagners Werk fand in Neapel 1893 mit Tristan und Isolde unter spezifischen Umständen, nämlich einer Mischung aus Hören und Lesen, statt. Der Komponist Niccolò van Westerhout spielte den Klavierauszug, während D’Annunzio gleichzeitig die Handlung anhand des Librettos verfolgte, wohl in der geläufigen französischen Prosaübersetzung von Challemel-Lacour. Nietzsche schrieb in Ecce homo: „Von dem Augenblick an, wo es einen Klavierauszug des Tristan gab – mein Compliment, Herr von Bülow! – war ich Wagnerianer.“3 Dieser heutzutage, da man beinahe jegliches Musikstück über das Internet hören kann, kaum noch vorstellbare Vorgang war im 19. Jh. äußerst verbreitet, man kam in Berührung mit Musik in ganz unterschiedlichen, oft stark reduzierten oder vermittelten Formen. Nietzsche lernte Tristan durch den besagten, 1860 erschienenen Bülowschen Klavierauszug kennen; ebenso geschah es mit D’Annunzio, der sich für Wagner insgesamt und Tristan insbesondere begeisterte, ohne seine Werke wirklich gehört zu haben; er bat in Neapel oft Niccolò van Westerhout, ihm ganze Opern auf dem Klavier vorzuspielen, während er das französische Libretto verfolgte, und diese doppelte Vermittlung findet ihren Niederschlag im Trionfo della morte.4 In diesem Roman nimmt Wagner eine entscheidende Rolle ein, da die Liebhaber, Giorgio und Ippolita, gegen Ende der Geschichte, gleichsam als Vorspiel zu ihrem Untergang, sich zusammen in Tristan und Isolde vertiefen. Ippolita spielt mehrmals den Tristan auf dem Klavier vor, während Giorgio zwar nicht das Libretto liest, sich aber die Geschichte beim Zuhören intensiv vergegenwärtigt, was in der Form einer Handlungsschilderung erfolgt, für die D’Annunzio auf die bereits erwähnte Prosaübersetzung von Challemel-Lacour rekurriert.5 Er hätte auf die französische Versübertragung von Victor Wilder (1886) oder auf die italienische Fassung von Arrigo Boito und Angelo Zanardini (die bei der italienischen Uraufführung in Bologna 1888 zur Geltung kam) zurückgreifen können, doch schmiegt sich die Prosa viel besser an die inneren, in Giorgios Geist ablaufenden Vorgänge, sie klingt viel mehr als „prose wagnérienne“, als eine Übertragung in gebundener Sprache. Freilich wird die französische Vorlage im Roman nicht erwähnt, doch die Herausgeberin der Mondadori-Ausgabe belegt, wie sehr

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Abb. 15: Amphitheater im Vittoriale, Gardone Alto

D’Annunzios Text mit Entlehnungen daraus sowie aus einer Tristan–Monographie des Wagnerianers Nerthal gespickt ist.6 Der Protagonist Giorgio, der im Gegensatz zum damaligen D’Annunzio nach Bayreuth zum „Teatro Ideale“ gepilgert ist und also Wagner in seinem Festspielhaus gehört hat (Trionfo, S. 974), ist in der Lage, Tristan als intimes ästhetisches Ereignis zu vergegenwärtigen, indem er aufgrund des Klaviervortrags Ippolitas die Geschichte regelrecht durchlebt. Um diese Form des Erlebnisses wiederzugeben, ist die Handlung und musikalischen Kommentar verwebende Prosa die genuine, sich zur Bewusstseinsprosa steigernde Form. Man hat somit etwas, was durchaus der „littérature artistique“ oder eben „wagnérienne“ von Wyzewa entspricht (RW II, S. 171). Das Musikdrama läuft gleichsam innerhalb einer umfangreichen, gut dreizehnseitigen Schilderung im personalen Erzählstil ab. Die aktuelle Situation – das pianistische Vorspiel durch Ippolita – gerät dabei ganz in den Hintergrund, während Giorgio und der Leser in den Sog des Geschehens geraten. Erst im zweiten Absatz des Kapitels erfährt man, dass die Liebenden tagelang in dieser Klangwelt eingetaucht sind, diese Stimmung auskosten, sich ihr ausliefern und dabei eine Potenzierung ihrer Gefühle erleben (Trionfo, S. 987), wobei allein Giorgio den dadurch eingegebenen Todesgedanken bis in seiner letzten, mörderischen Konsequenz verfolgt. Dieselbe Konfiguration findet man wieder mit Detleff Spinell und Gabriele Klöterjahn in Thomas Manns Novelle Tristan (1903), wo allerdings alles ironisch-pointiert erfolgt und keine „Wagner’sche“ Prosa intendiert ist. (Der Name Gabriele Klöterjahn könnte übrigens durchaus eine etwas obszöne Anspielung auf D’Annunzio sein.) Es ist schwer zu sagen, übrigens genauso wie mit der Nietzsche-Rezeption, die im Roman ebenfalls eine Rolle spielt, was hier einer eigenen, unmittelbaren Auseinandersetzung D’Annunzios mit Wagner entspringt und was aus zweiter Hand ist. Rezeptionsvorgänge sind immer vielschichtig und verschlungen, und ganz beson-

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ders, wenn es um fremdsprachige und musikalische Werke geht, die weitgehend durch spärliche Übersetzungen, Zusammenfassungen, Aufführungsrezensionen, Klavierauszüge, Vorspielen von orchestralen Teilen usw. vermittelt werden. Für die oft des Deutschen nicht mächtigen Italiener erfolgt die Rezeption Nietzsches und Wagners im Wesentlichen über Frankreich. Bei D’Annunzio, der in seiner Bemühung, den Anschluss an die europäische Literatur herzustellen, ein besonders scharfer Beobachter der kulturellen Entwicklung in den benachbarten Ländern und zudem ein exzellenter Kenner der französischen Sprache und Literatur ist, kommt das besonders zum Tragen und führt zu einer intensiven, keineswegs reproduktiven Anverwandlung der zeitgenössischen Strömungen. Das ist in Trionfo della Morte bereits im an den Maler und Freund Francesco Paolo Michetti gerichteten Vorwort deutlich, denn die Wendung, in der D’Annunzio sein „ideal libro di prosa moderno“ (Trionfo, S. 639) umschreibt, lässt an diesbezügliche Äußerungen von Teodor de Wyzewa über die „prose wagnérienne“ und auf die besondere Suggestionskraft der Wagner’schen Musik denken. „Moderne Prosa“ versteht also D’Annunzio eindeutig im wagnerisch-symbolistischen Sinn.

2. Wagner im Roman Il Fuoco (1900) Eine nächste und entscheidende Stufe in D’Annunzios Auseinandersetzung mit Wagner ist der Roman Il Fuoco, in dem Wagner selber als Gestalt vorhanden ist und sein Tod in Venedig die Handlung mitbestimmt. Da ich dies an anderer Stelle bereits kommentiert habe, beschränke ich mich auf wenige Bemerkungen.7 Hier geht es nicht mehr um Wagnerismus oder um die Pflege einer „littérature wagnérienne“ (wiewohl der Roman durch seine ausgiebigen seelisch-landschaftlichen Schilderungen dazu gehört), sondern um Bayreuth und das Festspieltheater. Stelio Effrena, der junge, typisch dannunzianische Held der Geschichte, verfolgt bei aller Bewunderung für Wagner das italienische Gegenprojekt eines von der Antike inspirierten Theaters in der jungen politischen Hauptstadt. Das geschieht gegen die ‚nordische‘ Kultur im Sinne der mediterranen „renaissance latine“. Was hier allgemein auf dem Spiel steht, ist nicht allein ein Vorhaben, das auf ästhetisch-ideologischer Ebene die Latinität gegen das Germanische ausspielt, sondern ein Interesse für Literatur als Grand Opéra mit entsprechenden historischen Themen und unter nietzscheanischen Vorzeichen. Hierfür stehen exemplarisch Momente des grandiosen Zelebrierens wie z. B. im ersten Teil vom Roman Il Fuoco die feierliche Apotheose Venetias im Dogenpalast oder in D’Annunzios dramatischem Schaffen ein Stück wie La Gloria (1899). Damit rückt er vom französischen Wagnerismus ab, ja dreht Positionen des Symbolismus den Rücken zu, auch wenn er teilweise durchaus noch gewisse symbolistische Erzählverfahren pflegt. Und dass D’Annunzio später selber zum militärisch-politischen Helden wurde, ist möglicherweise die letzte Konsequenz dieser Einstellung, in der Nietzscheanismus, Renaissancismus, Militarismus und Nationalismus (und wohl noch weitere Ismen) zusammenfließen.

Wagner als Schöpfer von Tristan und Isolde, Wagner als Repräsentant der deutschen Kultur, Erneuerer der Oper und Begründer der Bayreuther Festspiele sind Themen, die sich bei D’Annunzio anhand der beiden genannten Romane verfolgen lassen. Man könnte ferner seiner Rivalität mit Wagner etwa in der Tragödie Francesca da Rimini (1902), die 1914 durch Riccardo Zandonai zur Oper gemacht wurde, oder in dem Drama Le Martyre de Saint Sébastien von 1911 nachgehen, doch will ich nun einen Positionsvergleich jenseits von in Texten nachweisbaren direkten Konfrontationen vornehmen, was ich folgendermaßen zuspitze: Worin unterscheidet sich grundsätzlich D’Annunzios Position von dem französischen Wagnerismus? Die französische Wagner-Rezeption, die mit dem Eklat um die Tannhäuser-Aufführung in Paris 1861 erstmals an Brisanz gewinnt, findet ihren Höhepunkt in der monatlich erscheinenden Revue Wagnérienne. Diese Zeitschrift existiert von 1885 bis 1888 und ist ganz eng verbunden mit dem Symbolismus, also mit einer französischen und europäischen Bewegung in Literatur und Bildender Kunst, die antinaturalistisch ausgerichtet ist, dem Innenleben und dem Geistigen oder der Vergeistigung den Vorzug vor der Beschäftigung mit der sozialen Frage gibt, überhaupt soziale Themen als kunstfern ablehnt, das Ideal gegen das Reale setzt und in der Folge der l’art pour l’art-Auffassung die Schönheit als zentrale Kategorie für die literarische und künstlerische Tätigkeit aufrecht erhält, was zumeist über die Aufdeckung von Analogien, suggestive Verfahren und hermetische, ja gelegentlich kultisch-sakrale Tendenzen erfolgt. Man verbleibt stets im Bereich der Sprache und der Ästhetik, die ganze Aufmerksamkeit richtet sich auf die Herstellung schöner, sinniger Werke; anthropologische Grundfragen (Leben, Tod, Liebe, die Zeit usw.) spielen immer auch eine Rolle, aber zeitliche Fragen der Macht, der Geschichte, der Nation, der sozialen Gerechtigkeit sind außerhalb des Repertoires; der Deutsch-Französische Krieg, die Kommune von Paris, Gewerkschaftsbewegungen, die Dreyfuss-Affäre tangieren sie als Künstler nicht; während Wagner selber noch als Revolutionär ins Exil gehen musste, sind die Autoren im Umkreis der Symbolisten apolitisch, und zwar auch – was uns hier interessiert – im Bereich der Kulturpolitik.

4. Kulturpolitik Ein zusätzlicher Grund für die gesellschaftliche, kulturpolitische Abstinenz der Symbolisten ist ihr Tätigkeitsfeld, denn in der Regel handelt es sich um Literaten, vorwiegend Lyriker, oder Maler. Theater und Oper, die immer auch eine institutionelle Dimension aufweisen, tauchen nur am Rande ihres Horizontes auf, und H. S. Chamberlain hat dieses literarische Übergewicht in der letzten Ausgabe der Revue wagnérienne kritisiert (allein Maeterlinck ist ein Mensch der Bühne, aber bezeichnenderweise vorwiegend der intimen Bühne des Pariser Théâtre de l’Œuvre). Wie stehen die französischen Wagnerianer (die „wagnéristes“) zur Frage der Kul-

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3. Wagnérisme

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Abb. 16: Theater von Orange, das „Bayreuth français“

turpolitik und zu Bayreuth? Ist das Festspieltheater ein Modell, das in Frankreich nachgeahmt werden soll oder mit dem man konkurrieren will? Beides ist zu verneinen. Hinsichtlich des musikalischen Lebens genießt Paris eine Vormachtstellung in Europa, so dass keine weitere Institution vonnöten erscheint. Man darf nicht vergessen, dass sowohl Deutschland als auch Italien neue Nationen sind, die junge Hauptstädte haben, und somit mit dem zentralistischen Frankreich nicht rivalisieren können. Italien und Deutschland haben eine Vielfalt von Aufführungsstätten, von denen keine im Einzelnen an die Bedeutung von Paris herankommt. Und da Wagner – seiner Intention entsprechend – als zutiefst germanische Erscheinung rezipiert wird, unterstützt man zwar die Bemühung, ihn in Frankreich (und Belgien) zur Aufführung zu bringen, wünscht sich jedoch keine hierfür spezielle Stätte. Bayreuth ist nur in Deutschland denkbar, und die Pilgerfahrt dahin gehört genuin zum Wagnerismus. Was die Aufführungspraxis selber betrifft, war man sich indessen keineswegs einig und die Revue wagnérienne ging ja gerade an dem Streit (um die Aufführung von Lohengrin) zwischen Dujardin und dem sich ebenfalls als Wagnerianer verstehenden Dirigenten und Konzertleiter Charles Lamoureux zugrunde. Lamoureux, der ab 1881 die Nouveaux Concerts ins Leben gerufen hatte, ließ z. B. 1884 den ersten Akt des Tristan in französischer Sprache uraufführen oder spielte in Ermangelung einer genuinen Bühne im Stil von Bayreuth (wo er mehrmals war) Auszüge in konzertanten Fassungen; 1887 kam es trotz massiven Widerstands der Nationalisten und Revanchisten zur konzertanten Aufführung von Lohengrin. Was den Festspiel-Gedanken betrifft, gibt es allerdings eine als Vergleich interessante Erscheinung, nämlich die Spielstätte Orange, wo seit 1860 das noch keineswegs fertig restaurierte römische Theater bespielt wurde und 1869 erstmals eine

la perpétuation de la vie sur une antique souche, dans un cadre classique aimanté de gloire et de légende […] Terre d’éducation où notre théâtre romain était destiné à l’illustre fonction de présider à la renaissance du Goût, selon le tradition de la Race.11

Man hat hier also ein frühes Modell der antiken Freilichtbühne mit nationalem Einschlag, wie denn auch Stelio Effrena (Il Fuoco) bzw. D’Annunzio selber, der mit der Konzeption seines Freilichttheaters nach antikem Modell vermutlich auch Anregungen aus Orange übernahm. Aber bei den stark auf Paris konzentrierten Symbolisten spielt Orange keine Rolle.

5. Stéphane Mallarmé Wagner kommt in mehreren der in Paris zahlreichen Zeitschriften zur Sprache, so etwa in der kurzlebigen wagnerfreundlichen La Renaissance musicale (1881–1883) oder in der Revue Indépendante (1884–1895). Doch allein die Revue Wagnérienne widmet sich einzig und allein dem Meister, setzt sich zwei Jahre nach Wagners Tod aber auch 15 Jahre nach der Niederlage von Sedan und 14 Jahre nach der Gründung des Deutschen Reiches, also in einer von Ressentiments geprägten Situation ausschließlich für den deutschen Komponisten ein, indem sie über sein Werk und all das, was mit und um ihn in Bayreuth und anderswo in der Welt geschieht, akribisch informiert. Sie widmet sich der Verbreitung des Wagner’schen Oeuvres, propagiert indessen keineswegs seine unmittelbare Nachahmung in Frankreich. „Richard Wagner est essentiellement de sa terre et de sa race“, schreibt Louis de Fourcauld in einem programmatischen Beitrag der ersten Nummer der Revue wagnérienne.12 Es gehe deshalb nicht darum, ihn im Detail nachzuahmen, sondern seine musikästhetische Auffassung, die die Vereinigung von Drama und Musik in den Vordergrund

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Fête Romaine stattfand, was dann über mehrere Etappen 1934 zu den Chorégies führte, wobei man bis zum Zweiten Weltkrieg mit Hilfe von Sängern, Musikern und Schauspielern der Pariser Oper und der Comédie Française einem historischen, vorzugsweise französischen Repertoire huldigte. Erst ab 1971 nahmen die Chorégies die jetzige, rein opernmäßige Dimension an. Durch den Deutsch-Französischen Krieg unterbrochen, nahm das Festival 1874 einen zweiten, 1886 einen dritten Anlauf und feierte 1888 mit König Ödipus einen großen Erfolg unter der Leitung des provenzalischen Dichters Paul Mariéton, der aus Orange „le Bayreuth du grand art dramatique français“ machen wollte.8 Den Ausdruck „Bayreuth français“ fand ich auch in einem Zeitschriftenbeitrag von 1899, wo er als anscheinend durchaus geläufige Redewendung verwendet wird.9 Mariéton war Mitglied der Félibrige, einer 1854 entstandenen, noch heute existierenden Bewegung zur Verteidigung der „langue d’Oc“ insbesondere und der provenzalischen Kultur insgesamt, allerdings auch mit nationalem Akzent. Es ging in Orange lange darum, vor allem französische Werke mit antiken Stoffen zur Aufführung zu bringen, und zwar sowohl aus dem Theater- wie aus dem Opernrepertoire.10 Die „Félibres“ wollten:

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und die in der Legende zum Tragen kommende menschliche Wahrheit über das Artifizielle der Konventionen stelle, kurzum darum allgemeine Kunstprinzipien, „applicables à l’art de tous les peuples et dont nous poursuivons, assidûment, chez nous, le salutaire triomphe!“ zu verteidigen.13 1886 bat Dujardin seinen Freund Mallarmé um einen Beitrag. Der 1842 geborene Dichter war damals von den Altersgenossen Verlaine und Huysmanns, ferner von der jungen Dichtergeneration (und auch von Stephan George) als Meister anerkannt, man traf sich seit 1877 am Dienstag bei ihm in der Rue de Rome. Anders als Baudelaire, der Wagner-Anhänger vor allem aufgrund von Konzerten und der Lohengrin-Aufführung von 1861 war, hat Mallarmé einen vorwiegend intellektuellen Zugang zum Komponisten über die Prosaübersetzung der Quatre poèmes d’opéra von Challemmel-Lacourt, der Übersetzung der Schriften, vielleicht über Aufsätze und sicherlich über die damalige, in Zeitschriften und privaten Kreisen stattfindende Diskussion. Sein Beitrag Richard Wagner, rêveries d’un poète français fällt recht sperrig und stark verklausuliert aus, doch er erlaubt uns der topologischen Differenz zwischen D’Annunzio und den französischen Symbolisten im Hinblick auf Wagner näher zu kommen. Mallarmé zeigt sich in mehreren Punkten der Wagner’schen Konzeption gegenüber zurückhaltend. Hinsichtlich der Funktion des Theaters zieht er die griechische Vorstellung einer im Dienst der polis und des Staates stehenden Veranstaltung der Wagner’schen Ausrichtung auf Volk und Nation vor. Er, der den Tanz als luftige Körperschrift schätzt, möchte auch die Verbindung von Tanz und Musik nicht vermissen. Ferner scheint er auch Wagner eine traditionelle Position als Theaterpraktiker vorzuwerfen, da dieser (speziell mit der Bayreuther Bühne) das Theater als fiktionsproduzierende, also immersionsfördernde Maschine bestehen lässt (was Nietzsche seinerseits mit dem Gegensatz von Schwimmen und Tanzen kritisiert). Seine Musik, und vor allem die leitmotivische Technik, betrachtet er als zu sehr mimetisch-illustrativ, während ihm der Rekurs auf die Legende (oder den Mythos) als sinnstiftende Erzählung auch nicht behagt, da dies – und hier argumentiert er als Rationalist – zu einer historisch überwundenen Vorstellung zurückkehre. Wagner scheint ihm also als Dramatiker zu viele Kompromisse eingegangen zu sein. Prinzipiell stellt sich – auch kulturpolitisch – die Frage nach der führenden Kunst, nach der führenden Gattung, und Mallarmés Einsatz gilt eindeutig der Literatur, der Poesie, dem Buch. In Jules Hurets Enquête sur l’évolution littéraire von 1891 fällt als berühmte Schlusspointe der Unterhaltung der Satz: „le monde est fait pour aboutir à un beau livre“ – und eben nicht ‚à un beau drame‘.14 Und in einem Brief an Vittorio Pia vom 27. November 1886 äußert er: Je crois que la Littérature, reprise à sa source qui est l’Art et la Science, nous fournira un Théâtre, dont les représentations seront le vrai culte moderne; un Livre, explication de l’homme suffisante à nos plus beaux rêves.15

Jedes Wort ist hier Wagner-fern: Die in Kunst und Wissen gegründete Literatur (und nicht etwa der Mythos) wird ein modernes kultisches Schauspiel zeitigen, wel-

6. D’Annunzio D’Annunzios Stellung ist komplex. Er teilt mit den Symbolisten den Schönheitskult und die Hochschätzung der Poesie, aber liebt auch die konkrete Macht der Rede und geht gern auf Zeitfragen ein, setzt sich – wie Wagner in Deutschland und später z. B. Maurice Barrès in Frankreich – immer wieder mit der Frage der eigenen Nation auseinander. Dieses nationale, später ins nationalistische kippende Moment findet man auch in seiner lyrischen Produktion, bereits in den durch einen nietzscheanischen Vitalismus legitimierten Odi Navali von 1893 mit einem im Motto vorkommenden Lieblingsbegriff D’Annunzios: „O mare, o gloria, forza d’Italia!“16 Das Stichwort Glorie (oder Apotheose) ist kennzeichnend für einen Autor, der Schönheit tendenziell mit Herrschaft und Macht zusammendenkt (und später eine halbe Kriegsfregatte in seinem Garten aufstellen lassen wird, auf der gelegentlich musiziert wird). Das Zelebrieren, der hymnische Tonfall gehören genuin zur Dichtung seit der Antike, doch im Zusammenhang mit der italienischen Flotte bekommt es einen zeitlich-pragmatischen Zug, der nicht mehr antikischen Zuschnitts und jedenfalls bei den Symbolisten und überhaupt in der modernen Lyrik völlig undenkbar ist. D’Annunzio vermag es dagegen, die Literatur in den Dienst einer ganz unreinen, weil zweckgebundenen patriotischen Gefühlslage zu setzten. Die Laudi del cielo del mare della terra e degli eroi sind, wenn man so will, ‚engagierte‘ Hymnen und in Merope, dem vierten Teil des Bandes, sind offen propagandistische Texte vorhanden, was bereits im dritten Band der Laudi, in Alkyone angelegt ist. Dieser 1903 erschienene Band ist insofern symbolistischen Zuschnitts, als er die Natur als durch mythologische Gestalten und Kräfte belebte schildert, Mensch und Natur aufeinander bezieht und vitale Prinzipien zelebriert, indem er das symbolistische Verfahren der Vergeistigung durch Analogie anwendet. Doch sind gleichzeitig zwei Momente antimodern in diesem Zyklus spürbar: Er widerspricht einer Grundausrichtung der modernen Lyrik, nämlich ihres seit Baudelaire urbanen Charakters, denn D’Annunzio erhebt einzig und allein die Natur zur Offenbarungsquelle der Lebenskraft, und das in einem durchaus ‚patriotischen‘ Sinn, da er im Wesentlichen die toskanische Landschaft zelebriert (er lebte mehrere Jahre in der Nähe von Flo-

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Kultur und Macht des Schönen

ches eigentlich die Gestalt eines potenzierten, den Menschen ergründenden Buchs (der Welt?) annehmen wird. Der französische Symbolismus, der nicht zufällig seine höchste Ausprägung im Bereich der Lyrik erfuhr, ist vorerst eine Sache des Wortes, eine sprachliche, ja sprachmagische Schöpfung in konzentrierter Form, der Versuch, Abwesendes zu evozieren, die Idee mit einer sinnlichen Form zu bekleiden oder auch der Schönheit eine geistige Form zu verleihen. Er setzt sich sowohl von den Naturalisten wie auch von der übermächtigen Gestalt des im Mai 1885 verstorbenen Victor Hugo ab, und der wagner’sche Wunsch nach Bildung eines Volkes oder einer Nation und der Dramatisierung eines nationalen Schicksals ist ihm zutiefst fremd.

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renz in unmittelbarer Nachbarschaft zu Eleonora Duse). Er setzt sich ganz offen in eine italienisch-latinische Tradition mit einem nationalen Gestus, den man weder in Frankreich noch in Deutschland in der zeitgenössischen Lyrik findet. Die Wahl des Grundtons ist ebenfalls untypisch: In den Laudi geht es (in den unterschiedlichsten, meist sprachgewaltigen Formen) um Lob- und Preisgedichte des Himmels, des Meeres, der Erde und der Helden, doch das Zelebrieren und Glorifizieren wird mit kulturell-patriotischen Momenten versetzt. So kommen im zweiten Band (Elettra, 1904) Heroen vor, doch mit der Ausnahme von Victor Hugo und Nietzsche handelt es sich nur um Italiener. Der von den Symbolisten nicht übermäßig geschätzte, hier mit Pan gleichgesetzte Hugo stellt als Sohn Galliens das einzige Dokument von D’Annunzios Frankreich-Liebe dar, während der nur indirekt als „Zerstörer“, „Asket“ und „ungeheuerlicher Barbar“ evozierte Nietzsche nicht als Exponent der deutschen Kultur, sondern des Übermenschen und des „schönen Lebens“, des Willens und des Sieges vorhanden ist und expressis verbis als zu Italien bzw. zur antiken-latinischen Sphäre gehörende Erscheinung besungen wird. Wagner freilich kann in einem solchen Kontext, wo überdies Verdi wegen seiner „Melodía suprema della Patria“ gelobt wird, nicht vorkommen.17 Während das Vorhaben der Revue wagnérienne von der Überzeugung lebt, das französische Musiktheater durch die intensive Beschäftigung mit Wagner zu erneuern, setzt sich D’Annunzio nach einer ersten Phase der Begeisterung für den deutschen Komponisten ab der Jahrhundertwende für eine Renaissance der italienische Poesie und Kultur durch die systematische Besinnung auf die – freilich äußerst reiche – klassische Tradition des Landes ein. Seine Auseinandersetzung mit Wagner erfährt im Vergleich zum französischen, vom Symbolismus affizierten Wagnerismus aus patriotisch-ideologischen Gründen eine nationale Einengung des Schönen auf eine schwer bestimmbare, das Mediterrane umfassende ‚latinische‘ Tradition, auf Stoffe von der Antike bis zur neueren italienischen Geschichte. Was bei den „Félibriges“ in einem ganz bestimmten Kontext als Rückbesinnung auf die bedrohte Sprache und Kultur Südfrankreichs legitim erscheint, wird bei einem kosmopolitischen Schriftsteller, der die Anbindung der italienischen Literatur an die europäische Entwicklung anstrebt, problematisch, gerade wenn man ihn an den Maßstäben der von ihm stets hochgeschätzten französischen Kultur misst.

Anmerkungen Vgl. vor allem: Guy Tosi, D’Annunzio e la cultura francese. Saggi e studi (1942–1987), 2 Bde., hrsg. v. Maddalena Rasera. Lanciano, Rocco Carabba 2013. 2 Revue Wagnérienne, hrsg. von Edouard Dujardin, Genf, Slatkine Reprints 1993, Bd. II, S. 168. In der Folge abgekürzt RW. 3 Friedrich Nietzsche, KSA 6, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Berlin, De Gruyter 1988, S. 289. 4 Il Trionfo della morte, in: Gabriele D’Annunzio, Prose di romanzi, Bd. I., hrsg. v. Annamaria Andreoli, Niva Lorenzini, Ezio Raimondi, Mailand, Mondadori 1988 (abgekürzt Trionfo). 1

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Richard Wagner, Quatre Poèmes d’opéras, anonym übers. v. Paul-Armand Challemel-Lacour, Paris, Librairie nouvelle 1861. Nerthal, Tristan et Yseult. La Passion dans un drame Wagnérien, Paris, Firmin-Didot et Cie 1893 (vgl. Trionfo, S. 1340 ff.). Vgl. Bernard Dieterle, Die versunkene Stadt. Sechs Kapitel zum literarischen Venedig-Mythos. Bern u. a., Peter Lang 1993 sowie ders., „Nationaler Gestus – Grenzenloser Anspruch. Verstreute Gedanken zu Gabriele D’Annunzios herbstlicher Apologie der venezianischen Biennale“, in: Heike C. Spickermann (Hrsg.): Weltliteratur interkulturell. Heidelberg, Universitätsverlag Winter 2015, S. 61–74. Vgl. Julie Verlaine, „Les Chorégies d’Orange“, Histoire par l’image. URL : http://www.histoireimage.org/etudes/choregies-orange (11.08.17). „Aux fêtes d’Orange“, in: Le Temps, 20.08.1899, S. 3. Der Ausdruck „Bayreuth français“ fiel schon in Felix Digonnet, Jules Goudareau, Le théâtre antique d’Orange, Avignon, François Seguin 1897, S. 34, allerdings im Sinne eines gegen Paris gerichteten Wunsches nach Dezentralisierung! Paul Mariéton, Le Théâtre Antique D’Orange et ses Chorégies, Suivi d’une Chronologie Complête des spectacles depuis l’origine. Paris, Éditions de la Provence 1908. Mariéton, vgl. Anm. 10, S. 6. RW I, S. 6. RW I, S. 8. Jules Huret, Enquête sur l’évolution littéraire, Paris, Bibliothèque Charpentiuer 1891, S. 65. Stéphane Mallarmé, Œuvres complètes, Bd. II., Paris, Gallimard 2003, S. 657. Gabriele D’Annunzio, Versi d’amore e di gloria, Bd I, Mailand, Mondadori 1982, S. 704. Das Motto ist ein Selbstzitat aus dem Gedicht Canto del sole von 1881 (ebd., S. 138). Gabriele D’Annunzio, Versi d’amore e di gloria, Bd. II, Mailand, Mondadori 1984 (Hugo S. 334–343, Nietzsche S. 344–356, Verdi S. 322–326; hier S. 323.)

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Kultur und Macht des Schönen

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„Teatro di Festa“ und „Théâtre de Fête“ Das Festspieltheater nach den Entwürfen DʼAnnunzios

Das hier behandelte Thema ist ein Vorschlag zur Vertiefung und weiteren Ausarbeitung bisher erfolgter Untersuchungen über das von D’Annunzio geplante Festspieltheater am Albaner See („Teatro di Festa“) und das folgende in Paris („Théâtre de Fête“),1 wobei beide Konzepte leider in der Vorbereitungsphase steckenblieben. Das erste ist ein weitestgehend erforschtes Projekt, von D’Annunzio 1897 propagiert und im selben Jahr mit der offiziellen Verpflichtung zur Abfassung von Theaterstücken von ihm bestätigt, während das zweite eine Wiederaufnahme des Projektes ist, das er 1910 in Frankreich ankündigte. Die Thematik wird hier zunächst auf der begrifflichen Ebene angeschnitten, indem die Beziehung „Teatro di Festa“ und „Théâtre de Fête“ zu dem Wagnerterminus „Festspiel“ behandelt wird, um einige spezifische Aspekte der Beziehung WagnerD’Annunzio herauszuarbeiten. Im Anschluss daran dehnt sich die Untersuchung auf die historisch-anthropologischen Grundlagen dieser beiden Projekte aus, die von dem Dichter mit der Absicht verfolgt wurden, sich durch ein Engagement im Bereich des Theaters als mediterraner Erbe und Alternative zu Wagner zu präsentieren, das seit der Begegnung mit Eleonora Duse2 Schwerpunkt seines Denkens geworden war. Diese Ziele werden jedoch, wie wir wissen, erst zu einem späteren Zeitpunkt erreicht: mit der Verwirklichung eines „teatro totale“ (Wagners Gesamtkunstwerk), das aber erst mit dem Martyre de Saint Sébastien 1911 im Anschluss an die Begegnung mit Ida Rubinstein tatsächlich verwirklicht wurde.3 Für die vorliegende Untersuchung ist es daher notwendig, ausgehend von den Erklärungen und Definitionen D’Annunzios, einen Vergleich mit den Schriften Wagners zu ziehen (vermittelt in seinem Fall durch französische Studien und Übersetzungen). Es wird der Versuch unternommen, die vorliegende Untersuchung mit einer Analyse der dannunzianischen Quellen zur Geschichte und Anthropologie des Festspiels zu vervollständigen, vor dem Hintergrund von D’Annunzios Auseinandersetzung mit der Dramaturgie Wagners, soweit er sie kannte und reformulierte. Betrachten wir zunächst die Bezeichnung „Teatro di Festa“, von D’Annunzio 1897 entwickelt, mit Blick auf sein Projekt, ein Freilichttheater in der Nähe Roms zu errichten: ein Theater mit der Absicht, in regelmäßigen Abständen Theaterstücke des Dichters und anderer junger Autoren aufzuführen, und zwar in dem Zeitraum, in dem der Frühling in voller Blüte steht, entsprechend in Szene gesetzt in einem natürlichen und mediterranen bühnenbildnerischen Rahmen. Der Ausdruck „Teatro di Festa“ scheint eindeutig ein Ableger der Wagnerschen Festspielidee zu sein, aber aus den dannunzianischen Erläuterungen von damals

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„Teatro di Festa“ und „Théâtre de Fête“

ADRIANA GUARNIERI CORAZZOL

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ergibt sich auch, dass der Begriff ebenso auf das Gebäude (Festspielhaus) des zukünftigen Theaters bezogen ist: er bezeichnet unterschiedslos die Form und den Inhalt. In allen Interviews, die aus diesem Anlass gegeben wurden, richtet sich die Idee des Dichters auf den äußeren Rahmen, mit dem Ziel einen kollektiven artistischen Kult zu errichten, der sich in vielerlei Hinsicht am „Modell Bayreuth“ inspiriert. Wenn wir ganz allgemein die Präsenz des italienischen Terminus „Festa“ (oder „Festa musicale“) in der Theatergeschichte betrachten, sehen wir, dass es sich dabei um eine antike Praxis handelt, die, sofern sie „totales“ oder öffentliches Schauspiel ist, auf die griechisch-römische und später auf die mittelalterliche Welt verweist. In den Kommentaren zu mittelalterlichen Volksfesten sprachen einige Experten sogar von Gesamtkunstwerk (in Kombination mit den Künsten) und hoben deren anthropologische Dimension hervor: den kollektiven Charakter des Ausdrucks einer Gemeinschaft.4 Bei diesen theatralischen Manifestationen ist die religiöse Komponente stark präsent. Die Rückbesinnung auf die griechische Tragödie und auf eine „universale“ Sakralität spielen auf der anderen Seite ebenfalls eine zentrale Rolle in den dramatischen Ideen des jungen Wagners, und die Dimension des Heiligen dominiert bei Parsifal, Krönung seiner Karriere: ein Drama, welches die besondere Bezeichnung Bühnenweihfestspiel erhält, ein Begriff der in verschiedenen Varianten ins Italienische übersetzt wurde, als „sagra scenica sacra“, „festa scenica sacra“ oder „sacra rappresentazione“.5 Im Wesentlichen ein musikalisches Drama, in dem die Rolle des Ritus fundamental erscheint.6 Sehen wir im Folgenden, in welcher Funktion sich die rituelle sakrale Komponente bei D’Annunzio zeigt, und betrachten wir für einen Moment punktuell die von ihm gebrauchte Terminologie, um das Projekt von Albano zu veranschaulichen, das chronologisch mit dem Zeitpunkt übereinstimmt, in dem der Dichter zum ersten Mal entschlossen und nachdrücklich in die Komposition von Theaterstücken eintaucht. Aus dieser Arbeit geht, wie wir wissen, ein „teatro di poesia“ hervor, mit dem Ziel, bereits im veröffentlichten Text alle Künste zu vereinen, auch die Ideen zur Gestaltung der Bühne und der Regie in den typischen, äußerst langen Regieanweisungen für die einzelnen Szenen und die Handlung, ergänzend zu dem in der Szene enthaltenen Text, wie sie im Druck all seine Dramen charakterisieren. Alle Biographen D’Annunzios weisen darauf hin, wie ihn der jüngste Erfolg des Theaters von Orange (einem römischen Freilichttheater) nachhaltig beeindruckte: von dieser Erfahrung scheint das „Teatro di Festa“ seinen Ursprung zu nehmen, aber mit eigenständigen Merkmalen, wie wir sehen werden. Die Umsetzung des Projekts in die Realität zog eine beträchtliche ökonomische Anstrengung nach sich, Eleonora Duse schließt sich aktiv an, indem sie für ein internationales Unterstützungsnetzwerk wirbt, und zwar in Form eines geplanten Patronatsvereins, ein Umstand, der an die Anfänge der Bayreuther Festspiele erinnert. D’Annunzio, für seinen Teil, bringt eine Pressekampagne voran, angefüllt mit einer Reihe von Interviews, die in den großen Tageszeitungen veröffentlicht werden. Wir können so die genauen Ausdrücke von D’Annunzio analysieren, angefangen von jenen, die er im Gespräch mit Mario Morasso verwendete, veröffentlicht im Oktober 1897. D’Annunzio erklärt

„Teatro di Festa“ und „Théâtre de Fête“

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Abb. 17: Theater von Orange. Römisches Theater, 1. Jh. n. Chr., seit 1869 wieder bespielt nach umfangreicher Renovierung

darin konkret, an den Ufern des Albaner Sees, ein „teatro insigne“ [hervorragendes Theater] errichten zu wollen, in dem man die Theaterstücke „in ihren festlichen und ursprünglichen Formen“ darstellen könne, Kern des Entwurfs einer „lateinischen Wiedergeburt“.7 Der Artikel enthält im weiteren Verlauf einen großen Teil seiner Vorstellungen: Noi edificheremo in questo luogo solenne e solitario un teatro di festa che rimarrà aperto nei due più dolci mesi della primavera romana. Vi si rappresenteranno soltanto le opere di quei nuovi artisti, i quali considerano il dramma come una rivelazione di bellezza comunicata alla moltitudine […]. Edificando questo teatro isolato, noi abbiamo la speranza di cooperare al rinascimento della tragedia. Noi vorremmo restituire alla rappresentazione del dramma il suo carattere antico di cerimonia […] indizio di un atteso risveglio dello spirito latino […]. La presenza vivente in cui si incarna il verbo di un rivelatore, la presenza di una folla intenta e muta – ecco i due elementi essenziali di un culto, di una cerimonia, di un mistero. […] Noi vorremmo così richiamare l’origine rurale e dionisiaca del dramma, la natività della tragedia dal ditirambo.8

Es sind Sätze und Worte, welche die Leser drei Jahre später im Roman Das Feuer wiederfinden, den D’Annunzio genau zu diesem Zeitpunkt verfasste. In einem anderen Interview mit dem befreundeten Angiolo Orvieto, veröffentlicht im Dezember dieses Jahres 1897, gibt der Dichter bekannt, das Projekt werde schon von „erhebli-

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Abb. 18: Amphitheater im Vittoriale, das Parlaggio, gebaut nach den Ideen von D’Annunzio 1927, aber erst 1952 fertiggestellt

chen Summen aus dem Ausland“ unterstützt, und er präzisiert den Charakter der inter artes und der ästhetischen Orientierung seines „Teatro di Festa“: Bei der Darstellung der Tragödien werde Musik und Tanz viel Raum gegeben („mit Vorspielen und Intermezzi“); die Einladung zu neuen Texten sei außerdem an „jeden [gerichtet], der eine geniale Idee hat und sich lateinisch ausdrücken kann“.9 Schon zu diesem Zeitpunkt klingt das nietzscheanisch-antiwagnerianische Thema an, das der Romancier D’Annunzio dann auch in Das Feuer ausformulieren wird. In einem Interview des folgenden Jahres, in Anwesenheit von Angelo Conti (dem starken Inspirator und unermüdlichen Ansprechpartner dieses Konzeptentwurfs, porträtiert im Roman unter dem Namen Daniele Glauro)10, verkündet D’Annunzio die bevorstehende Veröffentlichung des Romans Das Feuer, der „einen Dialog von Stelio Effrena und Richard Wagner in Venedig“11 enthalten werde; er kündigte außerdem an, dass die Aktivität des Theaters von Albano, bisher als undurchführbar befunden, im folgenden Frühjahr beginnen werde.12 Die vollständige Planung hatte in der Zwischenzeit auch in französischen Zeitungen Aufmerksamkeit und Platz erhalten.13 Angesichts der Möglichkeit, das Projekt mit der Öffentlichkeitsarbeit anzukurbeln (weiterhin unterstützt von Eleonora Duse), verbreitet D’Annunzio die Thematik noch einmal 1903 in einem Interview mit Diego Angeli, wo er von einer „festa dell’arte“ spricht, in D’Annunzios Beschreibung eine Kontinuität des Theaters der Griechen und Römer, malerisch in die Natur eingetaucht: „Das Theater muss in der Lage sein, sich so zu öffnen, dass der See und die Hügel, die es umgeben, eine

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herrliche natürliche Bühne formen. Auf seiner Bühne wird es besondere Theaterstücke geben unter Beteiligung von Musik und Tanz, wie es in Griechenland üblich war […]“. Das Theater wird daher die äußere Form eines festlichen Ritus sein, der jedes Frühjahr stattfindet: es wird „ein teatro di festa, in dem ein heiliger und ritueller Moment in einer volkstümlichen und primitiven Zeremonie gefeiert wird.“14 Ein ausführlicher Artikel von Lucio D’Ambra lässt die Nachricht sofort nach Frankreich hinüberschwappen.15 In all diesen Interviews zeigt sich deutlich die Inspiration durch Wagner, angefangen von den Ideen, die der Komponist in Das Kunstwerk der Zukunft (1849) ausgegeben hatte, als er von dem „natürlichen“ Menschen (von seinem Bedürfnis nach Kunst) und von der ursprünglichen Vereinigung aller Künste (die „drei Schwestern“: Dicht-, Ton- und Tanzkunst) sprach.16 Im Hinblick auf den Wortschatz muss hervorgehoben werden, dass D’Annunzio die Schriften Wagners nicht im Original las (da er kein Deutsch konnte); trotzdem erkennen wir in den Erklärungen des Dichters einen Gleichklang bestimmter Begriffe und der zugrunde liegenden Vorstellungen mit Wagner: denken wir zum Beispiel an die Schrift Ein Theater in Zürich (1851),17 wo er das Theater in eine „öffentliche Feier“ umwandeln wollte. In der italienischen Übersetzung heißt es „festival pubblico – di una manifestazione annuale ricorrente“. Analog findet sich die exakte Entsprechung der Idee eines Bühnenfestspiels18 , von einem reifen Wagner dargelegt im Vorwort zur Herausgabe der Dichtung des Bühnenfestspieles „Der Ring des Nibelungen“ (1862), wieder in D’Annunzios Formulierung „Festa teatrale“ oder „Festa scenica“. Es charakterisiert die theoretischen Schriften Wagners, großen Wert auf die Frage der Terminologie zu legen. In Über die Benennung Musikdrama (1872)19 erklärt er, auf die Bezeichnung Oper zugunsten des Begriffs Bühnenfestspiel (mit Blick auf Bayreuth) verzichtet zu haben, der Begriff kulminiert im Theaterfest, einem rein provisorischen Ausdruck für Wagner, der bei D’Annunzio eine endgültige Form annimmt (Teatro di Festa): wörtlich und gleichzeitig umfassend.20 Der Sinn von „ambiente teatrale“ wird beispielsweise dort deutlich, wo der Dichter mit Bezug auf das Theater von Albano von einem „orchestra invisibile“ (unsichtbaren Orchester) spricht und von einem Raum, der „differenze di posti“ (Preisunterschiede der Plätze) vorsieht. Hier zeigt sich letztendlich deutlich sowohl die Herleitung von Wagner (sehen wir, in welcher Weise sie übermittelt wurde) als auch die zugrunde liegende Position einer oppositionellen Haltung, einer grundsätzlichen Rivalität, die sich deutlich im Konzept eines Gesamtkunstwerks zeigt, außerhalb des geschlossenen Raumes, eines Gebäudes aus Ziegeln.21 Wenn wir zum Roman „Das Feuer“ zurückkehren, sehen wir, dass diese Haltung und diese Begrifflichkeit in besonderer Form in der Szene des „cenacolo“ auftaucht, die der Zeremonie in der Sala del Maggior Consiglio [dem Hauptsaal des Dogenpalasts in Venedig] folgt.22 Eingeladen von der Schauspielerin Foscarina, essen sie zusammen mit dem Protagonisten Stelio Effrena [Alter Ego D’Annunzios] zu Mittag, verschiedene andere Begleiter erinnern an bestehende Freundschaften und gesellschaftliche Beziehungen D’Annunzios, unter ihnen besonders Daniele Glauro

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Abb. 19: Blick von der Casetta Rossa in Venedig auf den Canal Grande, Haus von Fritz Hohenlohe, im Ersten Weltkrieg ab 1915 an D’Annunzio vermietet

[Angelo Conti]. Im Lauf des Gesprächs greift er auf genau jene Begriffe zurück, die wir schon in den Interviews gelesen haben („rito“ und „messaggio“, der „Rivelatore“ und die „moltitudine muta“):23 Worte, die im Roman eine allgemeine Diskussion über das Thema Wagner initiieren. Zwei Gäste sind Stammgäste der Bayreuther Festspiele, von denen sie gerade heimkehren und preisen die Vorzüge, aber ihnen wird die Vision eines Theaters auf dem Gianicolo (Rom) gegenübergestellt.24 Davon stammt ein Schlagabtausch zwischen zwei alternativen Opernkulturen. Der Protagonist spielt den Süden Europas gegen den Norden aus, den er künstlerisch „confuso“ nennt, und erinnert dagegen an die Camerata de’ Bardi mit ihrem „spettacolo di festa“.25 In diesem Zusammenhang wird auch die Figur von Claudio Monteverdi heraufbeschworen, der ersten prominenten Persönlichkeit in der italienischen Musik. Man zitiert erneut Wagner, aber kontert mit Palestrina; Parsifal wird genannt, und Stelio erklärt, er fühle sich „oppresso“, unterdrückt von diesem Wagner, der „il tempio del suo culto nella collina bávara“, den Tempel seines Kultes auf einem bayrischen Hügel, habe.26 Daniele Glauro fordert dazu auf, Wagner und sein „Teatro di Festa“ zu ehren, Ántimo della Bella kontert noch einmal mit dem geplanten Teatro d’Apollo auf dem Gianicolo. Die Episode schließt symbolisch mit dem Bild eines kranken Wagners, der sich in der Stadt aufhält („– Er ist – sagte Fürst Hoditz [Fritz Hohenlohe] – sehr müde und entkräftet. Darum haben wir ihn nicht im Dogenpalast gesehen. Er ist herzeleidend […].“).27 Aus diesem Zwischenfall steigt in Stelio sofort die Vision eigener neuer Arbeiten auf.

Im weiteren Verlauf der Erzählung treffen Stelio und der brüderliche Freund Daniele auf Richard Wagner, Cosima und Liszt, wobei Wagner Opfer eines Schwächeanfalls wird: […] beide schraken zusammen, als sie den über die Brüstung geneigten Greis mit der Gebärde eines, der im Dunkeln ertrinkt, sich plötzlich umwenden und sich krampfhaft an seine laut aufschreiende Gefährtin anklammern sahen. Sie stürzten hinzu […]. Sein Gesicht auf die Knie der Frau gebettet, blieb regungslos. Zwei tiefe Furchen liefen längs der Wangen nach dem halb geöffneten Mund und vertieften sich noch bei den Flügeln der kühnen Adlernase. […] Von den Schläfen tropfte zäher Schweiß, und einer der herabhängenden Füße wurde von einem leichten Zittern bewegt.29

Der Roman schließt mit der gleichermaßen symbolischen Szene des Transports von Wagners Bahre, getragen auf den Schultern des Protagonisten und seiner Freunde bis zum Zug, der den Leichnam nach Bayreuth zurückbringen wird („Die Welt schien verarmt. […] Und sie fuhren zu dem bayrischen Hügel, der noch verschlafen in winterlichem Frost lag […].“30). Beide Episoden (der Schwächeanfall auf offener Straße und die Beerdigung) zeichnen im Wesentlichen einen Protagonisten, der sich für einen Kunsttraum begeistert, der sich in einem Machtwechsel spiegelt: ein künstlerisches Erbe, geographisch verlagert aus dem nebligen Norden ins Licht des Südens. Erkennen wir in diesem Entwurf den Einfluss eines großen Bewunderers und dann Gegners von Wagner: die Phantasie Stelios entstand offensichtlich aus dem Geist des Dichters, im Kielwasser des Erfolgs eines Nietzsche, der mittlerweile Gegner Wagners geworden war: „Il faut méditerranéiser l’esprit humain; le vrai progrès n’est que là“).31 Und so können wir beobachten, indem wir die Perspektive erweitern, zeigt D’Annunzio doch mit seinem Teatro di Festa, dass er den Weg Wagners, die ‚via wagneriana‘, nachzeichnet, angefangen bei Nietzsche: einen Pfad, der (in seinem Fall) vom anfänglichen Enthusiasmus seiner Zeit in Neapel (1892–1893) seit 1895 in einer Distanznahme zur Kunst Wagners endet, die tatsächlich eine südländische „meridionale“ Ablösung wird, ein Umsturz. Es ist, als ob der Dichter in den zahlreichen Interviews genauso wie in Das Feuer sagen würde: „Col mio teatro sarò il Wagner mediterraneo, il creatore di un Festival di Bayreuth latino.“32 An dieser Stelle ist es notwendig, die Frage zu beantworten: Wenn D’Annunzio Wagner nicht in der Originalsprache gelesen hat, auf welche Quellen hat er sich bezogen in den Jahren seiner enthusiastischen Wagnerbegeisterung (jene des Trionfo

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Eine einzige, riesengroße, gestaltlose Woge ballte jetzt all das Sehnen und Bangen dieser rasenden Phantasien zusammen, drehte sich in einem Strudel herum, hob sich in einem Wirbelwind empor, schien sich zu verdichten, das Wesen der plastischen Materie anzunehmen und der gleichen unerschöpften Kraft zu gehorchen, die die Wesen und die Dinge unter der Sonne gestaltet. Eine wunderbar schöne und reine Formel erstand aus dieser Mühe, lebte und leuchtete in einem kaum zu ertragenden Glück.28

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della morte; ein uneingeschränkt von Wagner inspirierter Roman, veröffentlicht 1894) und welche Autoren veranlassten den Dichter dazu, in der italienischen Presse und Literatur das Konzept eines mediterranen, konkurrenzfähigen Teatro di Festa zu verankern? In Bezug auf die Terminologie ist die sicherlich meist genutzte Quelle von D’Annunzio die vollständige Sammlung der Revue Wagnérienne, von ihm in jenen neapolitanischen Jahren (1892–1893) gelesen, parallel zum Studium von Nietzsche. Es handelt sich um drei Jahrgänge (Februar 1885 – Januar 1888) einer umfangreichen Monatszeitschrift, des offiziellen Organs der französischen Wagnerbewegung: eine Publikation angefüllt mit Originalschriften, Übersetzungen von Abhandlungen, poetischer Hommage von Wagnerianern, phantastischen Erzählungen, Rezensionen von Wagnerstudien und von Wagner inspirierter Salonmalerei sowie Übersetzungen der theoretischen Schriften des Komponisten. Der Ertrag der lexikalischen Quellen D’Annunzios zeigt sich in dieser Hinsicht erfreulich reichhaltig und auch, wenn wir die Indices der verschiedenen Jahrgänge durchlaufen, treffen wir auf unsere „Festa“: Die Rezensionen über die Festspiele in Bayreuth heißen Les fêtes de Bayreuth, und eine einzige breitere Untersuchung dürfte ausreichen, um die Frage der lexikalischen Quellen zu veranschaulichen. Erschienen in drei Folgen im ersten Jahrgang der Zeitschrift aus der Feder des Gründers und Direktors der Revue Wagnérienne Édouard Dujardin unter dem Titel Bayreuth, enthält dieser lange Beitrag die Geschichte der Entstehung des WagnerProjektes. Wenn man ihn durchblättert, scheint die Entwicklung geradezu vor dem inneren Auge abzulaufen, von der ersten Folge bis zum Ursprung des Begriffs Teatro di Festa in Albano, aufgrund einiger Besonderheiten im Folgenden fett gedruckt: En 1852, dans une Communication à mes amis, préface à une édition des premiers poèmes, Richard Wagner déclara qu’il n’écrivait plus de „pièces de répertoire“, et qu’il ne voulait voir représenter ses oeuvres „qu’à un endroit fixe, et en des conditions spéciales“. En 1862, dans la Préface a l’Anneau du Nibelung, il exposa son projet d’une institution de Fêtes théâtrales, et réclama, pour elle, le concours des particuliers […] il disait, nettement, son intention de construire un théâtre nouveau […], un théâtre différent des théâtres actuels. […] En 1864 […] Tristan fut monté, au théâtre de Munich: en 1865, Tristan fut représenté […]. C’est après ces représentations que fut décidé l’établissement d’un Théâtre de Fête. […] il émit une souscription publique de mille actions […] pour la construction d’un Théâtre de Fête à Bayreuth, et la représentation, en ce Théâtre, de l’Anneau du Nibelung, pièce de fête scénique pour trois journées et une veille. Le Théâtre est à quelque distance de la ville, sur une petite colline, au milieu d’un parc: […] L’orchestre est invisible à la salle […].33

Hinsichtlich des Vokabulars lässt der Begriff keine Zweifel: dieses „Théâtre de Fête“ ist unser Theater von Albano. Im Text von Dujardin finden wir auch den Ausdruck

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„pièce de fête scénique“ (für Bühnenweihspiel) bezogen auf den Ring der Nibelungen. Wir finden den Hinweis auf eine „partecipazione dei privati“ und dann auf eine öffentliche Ausschreibung (beide vorhanden im dannunzianischen Projekt), genauso wie auf ein unsichtbares Orchester. Es fehlt schließlich auch nicht die Angabe des locus amoenus (der Hügel), der sich bei D’Annunzio jedoch, nach einem ersten Theaterentwurf auf dem Gianicolo, offenkundig mit der „lateinischen“ Erfahrung des Theaters von Orange verbindet und so dem Entwurf eines Freilichttheaters einen Ort gibt. Was das Repertoire anbelangt, stützt sich der mediterrane Umsturz durch D’Annunzio, sein „rovesciamento“, auf die Grundlagen eines vertieften Studiums des mittelalterlichen italienischen und französischen Theaters (mit einigen Bezügen auch auf das griechisch-römische Theater). Die Praxis und die Struktur dieser dannunzianischen Forschungen sind jüngst in einer Einführung zur Neuausgabe der Dramen D’Annunzios von Annamaria Andreoli hervorgehoben worden, die besonders Anthropologie und Foklore als Untersuchungsfelder des Theaters von D’Annunzio betont: in den philologischen, historischen und anthropologischen Arbeiten von Graf, Comparetti, De Gubernatis, Villari, D’Ancona und Monaci über das Thema des Festes.34 Im Archiv des Vittoriale sind viele dieser Texte aufbewahrt; es wird hier versucht, dem Rechnung zu tragen, selbstverständlich besonders im Blick auf jene Bände, die Hinweise auf die Lektüre D’Annunzios bzw. autographische Notizen enthalten. Wir beschränken die Untersuchung auf die Bücher, die eine direkte Beziehung zu unserem Thema zeigen, und behalten dabei im Auge, dass auch in anderen Texten sich ein deutliches Interesse des Dichters (in philologischer, dramaturgischer, literarischer, anthropologischer Hinsicht) für das lateinische und speziell das italienische Mittelalter zeigt.35 In Miti, Leggende e Superstizioni del Medio Evo von Arturo Graf (einem Werk in zwei Bänden, veröffentlicht jeweils 1892 und 1893) begegnet uns zum Beispiel der Verweis auf den Heiligen Gral (mit Hinweis auf den Parzival von Wolfram von Eschenbach) und zu einem späteren Zeitpunkt auf einen „Chevalier au Cygne“ [Schwanenritter].36 Und deutliche Zeichen der Lektüre zeigen sich in Passagen eines Sammelbandes, gedruckt in Mailand 1895 in 3. Auflage, wo es vom Carroccio [mittelalterlicher Triumphwagen der Städte] heißt, er sei „emblema di superstizione, di fede, di poesia popolare“, ein „carattere italico“ und „riscatto dalle razze teutoniche“, Befreiung von den teutonischen Rassen, in Bezug auf die Epoche der Stadtstaaten.37 Im Epilog von Ernesto Masi wird auch von D’Annunzio folgender Satz über Venedig berichtet: „mai vassalla né d’Impero né di Chiesa […] nessun Imperatore Germanico oserà chiederle giuramento di fedeltà […]“, nie war Venedig Untertan, weder der Kirche noch eines deutschen Kaisers.38 Für ein komplexeres Bild eines italischen Mittelalters, besonders im Hinblick auf die folkloristischen, literarischen, malerischen und musikalischen kleinen Details des Alltags, scheint es natürlich grundlegend, im Rahmen der dannunzianischen Forschungsarbeit und Studien, die zwei Bände von D’Ancona über die Ursprünge

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des italienischen Theaters einzubeziehen, in denen das Wort „Festa“ in mehreren Fällen aufgegriffen wird: als Ebenbild der Sacra Rappresentazione. Aus dieser im Zuschnitt eindeutig gelehrten Arbeit geht der ursprüngliche Charakter des mittelalterlichen italienischen Theaters deutlich hervor, der heilig und festlich zugleich ist und in dem der Begriff „Festa“ genau der Bedeutung einer pièce entspricht, einer szenischen Handlung. Darauf beziehen sich die zwei Zitate aus Originaltexten, auf die D’Ancona auf einer Seite im zweiten Band hinweist: „E questo è il tema della Festa nostra“; „Fate silenzio e noi farem la Festa“.39 Im alphabetischen Index erweist sich das Wort „Festa“ außerdem gleichbedeutend mit „Sacra Rappresentazione“. Wundern wir uns daher nicht, in den Archiven des Vittoriale auch eine Ausgabe von D’Ancona und drei Bände zu finden, über die Sacre Rappresentazioni des XIV., XV., XVI. Jahrhunderts und jene der Rappresentazione di Santa Uliva, die wir ohne Zweifel als Beispiel einer organischen Durchdringung der Künste identifizieren können, mit Versen, die rezitiert oder gesungen werden sowie Regieanweisungen für die Beiträge des Orchesters und Handlungsanweisungen (auch breiter dargestellt).40 So wundert es uns auch nicht, wenn wir unter den Büchern D’Annunzios ein Heftchen finden, das mit sehr vielen Anmerkungen versehen ist, fast verschlissen vom Gebrauch, über die Crestomazia italiana, eine Anthologie von Ernesto Monaci.41 Dieses ganze Material stellt eindeutig die Grundlage für die Umsetzung von D’Annunzios Theater in Paris dar: dieses Gesamtkunstwerk42 aus Versen, Musik, Theater, Szenen und Regie, das endlich im Théatre du Chatelet realisiert und aufgeführt wurde, in – sehr moderner Form – von D’Annunzio Experten anvertraut, aber von ihm selbst vollständig geplant und in der szenischen Realisierung begleitet (Martyre de Saint Sébastien, La Pisanelle). Unser Thema möchte nicht die Diskussion über die Theaterstücke abschließen (über die mittlerweile zahlreiche Arbeiten vorliegen),43 sondern über ihre Vorgeschichte, das Pariser Projekt des „Théâtre de Fête“ von 1910: das zweite große gescheiterte Projekt D’Annunzios, das hauptsächlich eine Neuauflage des Theaters von Albano für Frankreich ist.44 Nach den Initiatoren sollte es sich um einen größeren Raum handeln, ausgestattet mit Beleuchtungstechnik, so dass der Eindruck eines Freilichttheaters entsteht: nach dem Vorbild antiker Theater, aber mit modernster Technik realisiert, dank dem Ingenieur Mariano Fortuny.45 Es ist ein Projekt der Zusammenarbeit und für Letztgenannten eine Fortsetzung seiner avantgardistischen Bühnenarbeit, die vorher im privaten Theater der Gräfin Martine de Béarn zu Gast war (sie taucht schon bei den Förderern des Projekts von Albano auf): dasselbe kleine Theater, in dem schon Appia, bei seiner ersten konkreten Realisierung einer Regie, die Ideen der Avantgarde für das Theater umsetzen konnte sowie höchst innovative Wagnerinszenierungen.46 Wie das Teatro di Festa von Albano, aber mit der Variante der Reproduktion und somit einer Standortverlagerung, versteht sich das Théâtre de Fête von D’Annunzio und Fortuny als Theater für die breite Öffenltichkeit in der Form eines antiken Theaters, verbessert durch die neue Technologie, auf der Basis der Lichttechnik; nicht fest, sondern abbaubar und daher mit der Möglichkeit, in Zukunft überall einge-

[…] il grande progetto che sta ora per diventare realtà e per il quale D’Annunzio ha speso in questi ultimi tempi tesori di energia e di attività è il Théâtre de fête. Oggi coll’intervento di Gabriele D’Annunzio, di Mariano Fortuny e dell’architetto Lucien Hesse è stata costituita una società per il modello grande e per i piani di costruzione del nuovo teatro, che avrà carattere provvisorio e sarà eretto in un hangar di ferro del tipo degli hangars per i dirigibili che si vedono a Issy-les-Moulineaux.49

Und hinsichtlich der Spielstätte wird präzisiert: Per una ingeniosissima invenzione del Fortuny questo nuovo teatro dà tutti gli effetti del teatro all’aria aperta: grazie a una illusione ottica prodigiosa la stessa atmosfera sembra avvolgere l’uditorio e la scena. […] Il teatro sarà formato di una armatura di ferro, che all’esterno darà l’illusione della pietra grigia. Esso è già studiato in tutti i suoi dettagli e in tutte le sue linee esterne ed interne. L’anfiteatro sarà senza posti laterali, come nel teatro wagneriano di Bayreuth, e tutta la scena entrerà nel raggio visivo di ogni spettatore. Una specie di ballatoio correrà tutt’intorno al teatro ed è di là che tutta quella sinfonia di luce inonderà il velario, che sarà levigato come la porcellana e avrà una trasparenza aerea, con tale potenza di illusione che anche gli spettatori dei posti più alti, a qualche metro dal velario, non potranno sfuggire all’incanto.50

Dies in Bezug auf die Patronatsgesellschaft [Original: Societá], die Lichttechnik und die Prinzipien der Ästhetik („come nel teatro wagneriano“). Vervollständigen wir die anderen Angaben, die wir aus den französischen Zeitungen beziehen; Le Temps beispielsweise, die in der Ausgabe vom 28. Juli 1910 vor dem Hintergrund des romanischen Projekts darauf hinweist: La scène semblera recevoir la lumière naturelle avec ses ombres; l’horizon y gardera ses perspectives et l’on aura l’impression de regarder un spectacle en plein air. M. d’An-

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setzt werden zu können (in „lateinischen“ Ländern).47 Hinsichtlich des Repertoires (gleichermaßen offen für alle „poeti latini“) sollte es sich um ein „totales“ Theater [Gesamtkunstwerk] handeln, mit Versen, Tanz, Chören, Paraden und einem Orchester aus 120 Musikern. Auch dem Théâtre de Fête von 1910 liegt die Idee Wagners einer Vereinigung der Künste zugrunde, aber alternativ (lateinisch, mediterran), auch hier verbunden mit der Gründung einer privaten Gesellschaft.48 Die Analogie der beiden Entwürfe beschränkt sich nicht auf die alternativen Ideale Wagners oder auf das Schicksal des Scheiterns. Auch dieses zweite Beispiel wird begleitet von einer Pressekampagne in den Zeitungen, angefangen von Interviews des Dichters oder des künftigen Regisseurs. Und da es sich um ein französisches Projekt handelt, wird es interessant für uns, auf der Ebene der Begriffe einige Ausschnitte aus französischen Zeitungen dieser Zeit zu betrachten und mit Ausschnitten des Interviews aus dem in Italien veröffentlichten Artikel zu vergleichen (Corriere della Sera, 21.07.1910), der in diesem Zusammenhang immer zitiert wird. Im italienischen Artikel klingt die Ankündigung folgendermaßen:

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nunzio se passionne pour la réalisation de ce théâtre. On sait que rien ne lui plaît tant que les projets de bâtir une scène. Qui ne se souvient de l’idée qu’il avait eue d’édifier à Nemi [ad Albano] un théâtre antique? Cette idée a glissé dans le lac. Le théâtre de fête, qui sera démontable et s’élèvera, dit-on, sur l’esplanade des Invalides, n’a pas un aussi dangereux voisinage.51

Im Figaro vom 11. August 1910 erscheint eine lange Erklärung des Unternehmers Shurmann, die später von verschiedenen Journalisten ausführlich zitiert wird. Wir gewinnen daraus wertvolle Details: Le Théâtre de Fête sera tout en fer. Il faudra sept jours pour le monter complètement. Il contiendra 4.500 places distribuées en forme d’amphithéâtre antique, parsemé de corbeilles fleuries avec des baldaquins en velours qui formeront des loges. La scène sera émisphérique (un balon coupé en deux). L’ouverture aura lieu vers le 20 avril 1911, soit à l’esplanade des Invalides, soit au Champ-de-Mars, où nous demandons un emplacement provisoire comme on donne aux baraques foraines pour la fête des Invalides. La pièce d’ouverture sera une grande féerie poétique de Gabriele d’Annunzio, avec danses, chœurs, cortèges et chant. Il y aura un orchestre de 120 musiciens. Plus de 700 personnes évolueront sur scène. On compte pouvoir donner trois mois de représentations à Paris, après quoi on visitera successivement toutes les grandes capitales. Si l’expérience réussit et le succès répond à notre attente, alors on formera à Paris, ensuite dans les autres villes, des Sociétés pour ériger des théâtres stables faits selon les principes de notre Théâtre de Fête, lequel par son caractère provisoire servira partout comme propagande. Ce sera le bouleversement complet de la conception actuelle de toutes les salles de spectacle. Au mois d’octobre, on ouvrira la souscription pour les actions et parts du Théâtre de Fête dont les deux tiers sont déjà souscrits par des amis et admirateurs de Gabriele d’Annunzio. Le capital est de deux millions.52

Wir können dieses Panorama mit einem kurzen Passus eines Artikels abschließen, in dem u. a. erneut auf das künftige Theater von Albano hingewiesen wird (vom Mondo artistico, einer Mailänder Zeitschrift): Mais le grand projet de d’Annunzio, une entreprise qui ressemble comme deux gouttes d’eaux à celle de ce fameux théâtre d’Albanie [sic], est un mirifique théâtre de fête pour lequel le poète prodigua ces derniers temps des trésors d’énergie et d’activité.53

Im Prinzip konnte sich der Dichter tatsächlich als Wagner des Südens verstehen, auch wenn er das Projekt eines Festival latino mit Theaterstücken aus Musik, Bühne und Tanz bis Sommer 1910 noch nicht praktisch verwirklicht hatte, sondern nur in den Texten, mit dem Mittel seiner Worte: in der Verwirklichung von Tragödien als gedruckte „totale“ Bühnenstücke, Gesamtkunstwerke [spettacoli „totali“ di natura

Übersetzung aus dem Italienischen: Bettina Vogel-Walter

Anmerkungen 1

In einigen Dokumenten und Artikeln findet man, wie wir sehen werden, auch die Form „Théâtre de Fêtes“. 2 Die Begegnung ereignete sich 1895. Die Beziehung hielt, mit einer Unterbrechung von September 1896 bis März 1898, bis zur endgültigen Trennung 1904. 3 Für eine erste detaillierte biographische Orientierung über diese zwei Perioden und die beiden entscheidenden Begegnungen s. Guglielmo Gatti, Vita di Gabriele D’Annunzio, Florenz, Sansoni 1956, Kap. V (S. 147–205) und VII (S. 237–284). Für einen ersten umfassenderen Ausblick auf die Theaterproduktion D’Annunzios siehe besonders Anna Barsotti Frattali, „D’Annunzio e il teatro di poesia“, in: Mario Verdone (Hrsg.), Teatro contemporaneo, Bd. I (Auszug), Rom, Lucarini 1986. 4 Zu den Charakteristika des Festes in der Musikgeschichte vgl. Fabrizio Della Seta, Stichwort „Feste musicali“, in: Alberto Basso (Hrsg.), Dizionario enciclopedico universale della musica e dei musicisti (Il lessico, Bd. II), Turin, UTET 1983, S. 209 Zeile 1–215. 5 Für die italienische Übersetzung der verschiedenen Termini siehe z. B. folgende Schrift des Autors: Richard Wagner, „Una sacra rappresentazione a Bayreuth“, in: Parsifal. Sagra scenica sacra in 3 atti di Richard Wagner, programma di sala, hrsg. von Ufficio stampa del Teatro alla Scala, Mailand, Teatro alla Scala 1991, S. 59–64. Ein schönes Zeugnis darüber bietet auch Stefan Zweig (ein Freund von Romain Rolland), dargelegt in einem Kommentar zu einem amerikanischen Parsifal und eine der musikalisch interessantesten „Quellen“ über D’Annunzio: eine schlechte Leistung in einer

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cartacea, espressi in testi], verfasst in äußerst musikalisch klingenden Texten und vervollständigt mit Angaben für die Gestaltung von Bühne und Regie.54 Die Durchführung der beiden Projekte verwirklichte sich, wie wir bereits erwähnt haben, schließlich ohne einen Beitrag von Fortuny, in einem traditionellem Theaterbetrieb mit Unterstützung der Ballets Russes und der Teilnahme von Ida Rubinstein in der Hauptrolle und erntete einen phantastischen Erfolg und Anerkennung.55 Im Hinblick auf die späteren Martyre (1911) und La Pisanelle (1913) können wir D’Annunzio auch den Verdienst zugestehen, nicht nur zwei Gesamtkunstwerke realisiert zu haben, sondern auch – wenn wir die These von Jean-Jacque Nattiez teilen56 – ein weiteres fundamentales Element der Dramaturgie Wagners: Das Androgyne, verkörpert in der Figur des Protagonisten. Im Hinblick auf die Begrifflichkeit können wir die Untersuchung der Quellen mit der Feststellung abschließen, dass wahrscheinlich gerade das Fehlen des Wortes festival – in Italien ist der Begriff erst für die folgende Zeit nachweisbar (wobei er aus dem Englischen übernommen wurde, das ihn seinerseits aus dem Französischen entlehnte)57 – D’Annunzio angespornt hatte, eine Verbindung zwischen den mittelalterlichen Festen und seinem eigenen modernen Projekt eines Festes herzustellen, als eine Einheit von Dichtung, Musik, Theater, Tanz: ein Konzept, das von Wagner vermittelt wurde, sowohl hinsichtlich seiner kulturellen Begründung als auch, was die Herkunft des Modells betrifft, jetzt aber im Zeichen einer mediterranen Ablösung wiederbelebt wird.

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trostlosen Theaterumgebung, aber von dem anwesenden deutschen Publikum im Saal zum Anlass als „Fest“ erlebt, durch die Heiligkeit eines Dramas als Symbol des Vaterlandes. Parsifal a New York, in Stefan Zweig, Il ritorno di Gustav Mahler e altri scritti musicali, Florenz, Passigli 2017, S. 41–46. Zur mysthischen Komponente des Parsifal siehe besonders für den italienischen Kontext Quirino Principe, Il teatro d’opera tedesco II, 1830/1918, Palermo, L’Epos 2004, S. 435–439. „Nelle sue forme solenni e originali“, „rinascenza latina“, vgl. Mario Morasso „Un colloquio con Gabriele D’Annunzio“ in: Gianni Oliva, Maria Paolucci (Hgg.) Interviste a D’Annunzio (1895–1938), Lanciano, Rocco Carabba 2002, S. 57–64: 57 (La Gazzetta di Venezia, 18.10.1897). Ebd., S. 57–58. Zu diesem Argument und der verwendeten Terminologie siehe auch den bekannten Artikel von D’Annunzio, „La Rinascenza della Tragedia“, erschienen in Tribuna am 02.08.1897 und im Journal des Débats vom 06.08.1897. Zu den „neuen Künstlern“ rechnet D’Annunzio offensichtlich auch sich selbst, seit er massiv für das Theater schreibt. „Forti somme straniere“, „con proemi e intermezzi“, „a chiunque abbia un’idea geniale e sappia esprimerla latinamente“, vgl. Angelo Orvieto, „Il teatro di festa. Colloquio con Gabriele D’Annunzio“, in: Interviste a D’Annunzio, S. 62–64: 62 (Il Marzocco, 12.12.1897). Angelo Conti war begeisterter Wagnerianer. Zu diesem Thema und seiner Beziehung zu D’Annunzio siehe Ricciarda Ricorda, Dalla parte di Ariele. Angelo Conti nella cultura di fine secolo, Rom, Bulzoni 1993, Kap. I, S. 9–39: 12–13 und 21, und Kap. IV, S. 93–147: 100–103. Zur Wagnerleidenschaft von Conti siehe auch Giorgio Zanetti, „Un interprete wagneriano del Petrarca“, in: Mappe e letture. Studi in onore di Ezio Raimondi, hrsg. v. Andrea Battistini, Bologna, Il Mulino 1994, S. 333–350. In Beata riva, mit einem Vorwort von D’Annunzio, im gleichen Jahr erschienen wie Das Feuer, von dem sich der Dichter zu großen Teilen hat inspirieren lassen, formulierte der Freund doch deutlich das Thema der Einheit der Künste. S. Angelo Conti, La beata riva. Trattato dell’oblio (1900), hrsg. von Pietro Gibellini, Venedig, Marsilio 2000. Die gleichen Themen erschienen schon in einer Schrift von Angelo Conti von 1894, in der Giorgione als „un po’ wagneriano“ definiert wurde, insofern als er „turbato dalla passione“ war; in einem anderen Kapitel findet sich diese Erklärung: „[…] la pittura […] può aver la forza di mettere a nudo il nostro cuore, di svelarci a noi stessi, come farebbe la musica di Wagner“; Angelo Conti, Giorgione, hrsg. von Ricciarda Ricorda, Novi Ligure, Città del silenzio 2007, S. 96 und 98. Antonio Cippico, „Visita a Gabriele D’Annunzio“, in: Interviste a d’Annunzio, S. 65–68, („Minerva“, November 1898). Mit dem Ensemble Duse-Zacconi, um u. a. La gioconda und La città morta auf die Bühne zu bringen. Siehe z. B. den Artikel von Nicolet mit dem Titel „Le Théâtre de Fête“, erschienen in Le Gaulois (26.12.1903), S. 4, unter der Überschrift „Province et étranger“. Diego Angeli, „Quando e come sorgerà il Teatro di Albano. Gabriele D’Annunzio e il suo ideale d’arte“, in: Interviste a D’Annunzio, S. 95–98: 95 und 97 (Il Giornale d’Italia, 23.01.1903). Vgl. Lucio D’Ambra, „Le théâtre d’Albano et M. D’Annunzio“, Gil Blas (26.01.1903), S. 1. Riccardo Wagner, L’opera d’arte dell’avvenire, in das Italienische übersetzt von Alfio Cozzi, Mailand, Rizzoli 1963. Zur Geschichte der Festspielidee, mit einer Betrachtung seiner Entstehung anhand der Schriften und in allen seinen Bestandteilen analysiert mit Quellenmaterial (Ort, Finanzierung, künstlerisches Programm, Publikum) vgl. besonders Lore Lukas, Die Festpiel-Idee Richard Wagners, Regensburg, Bosse 1973. Vgl. „Theater in Zürich“, in: Wagners gesammelten Schriften, Bd. 12, hrsg. von Julius Kapp. Leipzig, Hesse & Becker 1920, S. 186. [In der deutschen Übersetzung wird eine öffentliche Feier beschrieben, die von einer Künstlergenossenschaft organisiert wird, ähnlich wie bei Turnwettspielen oder den jährlichen Trachtenfestzügen; Anm. d. Übers.].

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18 Auf Italienisch „festa scenica teatrale“ oder „rappresentazione scenica rituale“. Zur Diskussion über die (in der Vergangenheit auch fehlerhaften) italienischen Übersetzungen der Wagnerterminologie s. Maurizio Giani, „Introduzione“ in: Richard Wagner, Scritti teorici e polemici, hrsg. von ders., Turin, EDT 2016, S. VII–XXVI: IX. Der Band enthält in einer sorgfältig edierten Ausgabe acht theoretische Schriften der ausgereiften Periode (außer der ersten), vgl. die italienische Ausgabe von Francesco Gallia, Eine Mittheilung an meine Freunde, Über das Dirigieren, Über die Bestimmung der Oper, Brief über das Schauspielerwesen an einen Schauspieler, Über die Benennung „Musikdrama“, Über das Dichten und Komponieren, Über das Opern-Dichten und Komponieren im Besonderem, Über die Anwendung der Musik auf das Drama. 19 Siehe die italienische Ausgabe Richard Wagner, „Sulla denominazione Musikdrama“, in ders., Musikdrama. Scritti teorici sulla musica, hrsg. von Francesco Gallia, Pordenone, Studio Tesi 1988, S. 51–59. 20 Zur eigentlichen Problematik des Begriffs „Festspiel“ in Wagner siehe z. B. Jean-Yves Pidoux, „Le Festspiel, ou l’art de la prétérition“, in: Balz Engler, Georg Kreis (Hgg.), Das Festspiel: Formen, Funktionen, Perspektiven, Willisau, Theaterkultur-Verlag 1988, S. 254–269. Über Wagners Ideen zur Gestaltung der Bühne, insbesondere im Hinblick auf die Ringvorstellung von 1876, vgl. Jürgen Maehder, „L’Utopia del dramma musicale wagneriano: dal mito attraverso la scenotecnica verso il sogno di un teatro invisibile“, in: The staging of Verdi & Wagner Operas, hrsg. von Naomi Matsumoto, Turnhout, Brepols 2015, S. 114–144; sowie Kii Ming Long, „‚Im Dunkel du, im Lichte ich‘ – Jean-Pierre Ponnelles Bayreuther Inszenierung von Tristan und Isolde“, in: Staging Verdi and Wagner, hrsg. von Naomi Matsumoto, Turnhout, Brepols 2015. 21 Zu diesem Aspekt, auch hinsichtlich des Wagnerthemas, s. insbesonders Giovanni Isgrò, D’Annunzio e la mise en scène, Palermo, Palumbo 1993, Kap. II („Il ‚sogno‘ di Albano e le utopie della rinascita teatrale“), S. 35–41. 22 Gabriele D’Annunzio, Il Fuoco, in: Prose di romanzi, hrsg. von Annamaria Andreoli und Niva Lorenzini, Mailand, Mondadori 1989, Bd. II, S. 281–302. Deutsch: Das Feuer, München, Matthes & Seitz 1988, S. 181 ff. 23 Il Fuoco, a. a. O., S. 286 (Es spricht Daniele Glàuro, d. h. Angelo Conti). Das Feuer, a. a. O., S. 182. 24 Das Theater von Albano, das in der ursprünglichen Idee von D’Annunzio auf einem der römischen Hügel errichtet werden sollte. 25 Il Fuoco, a. a. O., S. 288, bzw. Das Feuer, a. a. O., S. 189 f. Die Camerata de’ Bardi war eine Künstlerund Intellektuellengruppe der Spätrenaissance in Florenz. 26 Il Fuoco, a. a. O., S. 294, bzw. Das Feuer, a. a. O., S. 200. 27 Il Fuoco, S. 301, bzw. Das Feuer, S. 209. Die Handlung des Romans spielt während Wagners letztem Aufenthalt in Venedig (16. September 1882–13. Februar 1883), der in seinem Ableben gipfelt. Zu seinem Schwächeanfall „malore“ vgl. S. 352 f. Einen Kommentar zu diesem Zwischenfall gibt Ricciarda Ricorda, Dalla parte di Ariele. Angelo Conti nella cultura di fine secolo, Rom, Bulzoni 1993, S. 71 f. 28 Il Fuoco, a. a. O., S. 302, bzw. Das Feuer, a. a. O., S. 210. 29 Il Fuoco, a. a. O., S. 351, bzw. Das Feuer, a. a. O., S. 276. 30 Il Fuoco, a. a. O., S. 515, 518, bzw. Das Feuer, a. a. O., S. 499, 503. Am 16. Februar 1883 gab es tatsächlich eine Eskorte, und die Bahre wurde auf den Schultern von acht Bekannten und venezianischen Freunden aus dem Haus getragen (in Abwesenheit von Liszt, der sich aus beruflichen Gründen im ungarischen Pest – einem Stadtteil von Budapest – aufhielt: so erzählt es zumindest die Augenzeugin Henry Pearl [Pseud. Henriette Perle] in ihrem Buch Richard Wagner a Venezia. Tessere di mosaico dai suoi ultimi giorni di vita, ed. italiana e tedesca / italienische und deutsche Ausgabe, hrsg. von Quirino Principe, Venedig, Marsilio 2000, S. 83–87. Zu großen Teilen reine Phantasie stellt die Chronik doch ein Zeugnis der letzten Tage im Leben Wagners dar. Im Hinblick auf Einzelheiten zu dem Transport der Bahre am 16. Februar 1883 vgl. Mario Panizzardi, „La fine“, in: Richard Wagner, Diario Veneziano, hrsg. von Giuseppe Pugliese, Venedig, Corbo e Fiore 1983, S. 334–339. Nach Angaben von Tom Antongini (Vita segreta di Gabriele D’Annunzio, Mailand,

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Mondadori 1943, Kap. IX, S. 192–225, 281 [Deutsche Übersetzung: Der unbekannte D’Annunzio, Leipzig, Paul List 1939, S. 210]) befand sich der zwanzigjährige D’Annunzio in diesen Tagen tatsächlich in Venedig, berichtete aber nichts von den im Roman erzählten Begegnungen. Die Formulierung wird z. B. zitiert in der Korrespondenz zwischen Arrigo Boito und Camille Bellaigue in einem Brief von 1894. Die Quelle ist Der Fall Wagner (1888). Ausführlicher wird das Argument behandelt in: Adriana Guarnieri Corazzol, Musica e letteratura in Italia tra Ottocento e Novecento, Mailand, R. C. S. – Sansoni 2000, Kap. V („Mito mediterraneo e mito nordico“), S. 131– 166 (Zitat, S. 144, Fußnote 27), und Adriana Guarnieri Corazzol, „Pizzetti, D’Annunzio e il ‚dramma musicale latino‘“, in: Gian Paolo Minardi (Hrsg.), Pizzetti oggi, Atti del convegno (Parma, 21–22 dicembre 2002), Parma, Contrappunti – Fondazione Teatro Regio 2006, S. 69–86. Unter den jüngsten Studien siehe Timothée Picard, Âge d’or, décadence, régénération: un model fondateur pour l’imaginaire musical européen, Paris, Garnier 2013, S. 67–73, 302–306 und 493–520. Nietzsche war auch präsent in den Schriften von Angelo Conti; man vergleiche das Profil eines kämpferischen Klassikers (in diesem Fall eines antidannunzianischen): „devoto di Schopenhauer, di Wagner e di Pater“ (Mario Praz, „La carne, la morte e il diavolo nella letteratura romantica“, La Cultura, Mailand/Rom 1930, S. 251). Zur zentralen Stellung von Wagner in Das Feuer und die parallele Bedeutung eines gleichermaßen vom Dichter 1892 „entdeckten“ Nietzsche vgl. einen weiteren Klassiker: Luigi Bianconi, D’Annunzio critico, Firenze, Sansoni 1940, S. 61 („nel Fuoco domina su tutti [gli esempi e gli insegnamenti] la suggestione ossessiva ed enfatica della creazione e della figura di Riccardo Wagner“) und S. 158 („[…] il Fuoco e quasi tutto il suo teatro – oltre, s’intende – la fantastica idea del famoso Teatro d’Albano […] come non vedere un’affinità, quasi un rapporto di filiazione [con] un atteggiamento, anzi un intero mondo come quello wagneriano?“); über Nietzsche im Besonderen dort S. 143. Allgemeiner, im Detail über die Rolle von Venedig im Roman und über alle Fragen, die hier behandelt werden, siehe Emilio Mariano (Hrsg.), D’Annunzio e Venezia, Atti del convegno (Venedig 28.– 30.10.1988), Rom, Lucarini 1991. Édouard Dujardin, „Bayreuth“, Revue Wagnérienne, Jahrgang I, Nr. 5, (8 Juni 1885), S. 136–142: 136–7, 138, 140. Die beiden anschließenden Folgen finden sich in den Nr. 6 (8. Juli) und 7 (8. August) der Zeitschrift (gleicher Jahrgang). Im Generalverzeichnis dieses ersten Jahrgangs, auf S. VI, erscheint der Titel vollständig: „Bayreuth (histoire du théâtre de Richard Wagner à Bayreuth)“, par Édouard Dujardin, avec la vue intérieure du théâtre de Bayreuth (mit Hinweis auf ein Bild vom Innenraum des Theaters, das für den Artikel gefertigt wurde). Zuerst verwies Dujardin daher auf das Schreiben „Eine Mittheilung an meine Freunde“ (italienische Übersetzung: „Comunicazione ai miei amici“, in: Wagner, Scritti teorici e polemici, a. a. O., S. 3–93) und auf das schon zitierte „Vorwort“ zur Herausgabe der Dichtung des Bühnenfestspieles Der Ring der Nibelungen). Für einen vollständigen Überblick der in Frankreich präsenten Übersetzungen von Wagners Schriften in der Revue wagnérienne und auch allgemeiner zur starken Verbreitung des „Phänomens Wagner“ in Frankreich und England, mit Bezug auf Autoren, die auch von D’Annunzio gelesen wurden, siehe Tymothée Picard, Une question européenne. Contribution à une étude du wagnérisme (1860–2004), Rennes, Presses Universitaires de Rennes 2006. Vgl. Annamaria Andreoli, „Il poeta, la folla e l’attrice divina“, in: Gabriele D’Annunzio, Tragedie, sogni e misteri, hrsg. von Annamaria Andreoli und Giorgio Zanetti, Bd. I, Mailand, Mondadori 2013, S. XI–LXXIX: XVII–XVIII. Mein Dank gilt der Fondazione del Vittoriale, besonders in der Person von Dr. Alessandro Tonacci, für die wertvolle Hilfe, die mir bei der Durchführung der vorliegenden Ausarbeitung im Archiv der Fondazione zuteilwurde. Arturo Graf, Miti, Leggende e Superstizioni del Medio Evo, 2 Bde., Torino, Loescher 1892 und 1893, S. 147, Fußnote 92 und 93 [Vittoriale: Giglio, XCIX, 46/c].

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„Teatro di Festa“ und „Théâtre de Fête“

37 Romualdo Bonfadini, „Le origini del Comune di Milano“, in: Olindo Guerrini u. a., Gli albori della vita italiana. Conferenze tenute a Firenze nel 1890 [dreizehn Autoren], Mailand, Treves 18953, S. 77–104: 97 und 102 [Vittoriale: Giglio, IV, 10/A]. 38 Ernesto Masi, Epilogo, a. a. O., S. 371–398: 381. 39 Alessandro D’Ancona, Origini del teatro italiano / libri tre / con due appendici […] / seconda edizione rivista e accresciuta, Torino, Loescher 1891, Bd. I, Kap. I, S. 372 [Archivi del Vittoriale: Giglio, XCIX, 20/C]. Anderenorts wird das Fest des Esels in Frankreich zitiert (Buch I, Kap. V, S. 55) oder das der Verrückten (Buch I, Kap. XVI, S. 206 Fußnote); D’Ancona verweist auch auf ein Fest für den König der Verrückten, zitiert nach einer Novelle von Cantù nach der alten florentinischen Tradition der Maifeste (siehe jeweils Bd. II, Buch III, Kap. IV, S. 228; Anhang, S. 246–247). 40 Vgl. Alessandro D’Ancona (Hrsg.), Sacre Rappresentazioni / dei secoli XIV, XV e XVI / raccolte e illustrate, Firenze, Successori Le Monnier 1872, 3 Bde.; La rappresentazione / di / Santa Uliva / riprodotta / sulle antiche stampe, Pisa, Fratelli Nistri 1863 [Vittoriale: Giglio, CV, 6D-7D-8D]. 41 Crestomazia / italiana / dei primi secoli / con / prospetto delle flessioni grammaticali / e glossario / per / Ernesto Monaci, fascicolo I, Città di Castello, S. Lapi 1889 [Vittoriale: Zambracca, cassapanca, 8/c]. 42 Ein Begriff, der immer mit „opera d’arte totale“ ins Italienische übersetzt wird. Zur Ergänzung siehe die vertiefenden Betrachtungen über das Konzept des Gesamtkunstwerks von Timothée Picard, L’Art total: grandeur et misère d’une utopie (autour de Wagner), Rennes, Presses Universitaires de Rennes 2006; Paolo Bolpagni, „Il concetto di ‚opera d’arte totale‘ nel XIX secolo. Wagner, e non solo“, Musica/Realtà 107, (Juli 2015), S. 129–149. 43 Zu den Themen, die hier besprochen werden, siehe insbesondere: Carlo Santoli, Le théâtre français de Gabriele D’Annunzio et l’art décoratif de Léon Bakst, Paris, PUPS (Presses de l’Université ParisSorbonne) 2009; Emilio Sala, „Alla ricerca di un nuovo mélodrame: intorno alla Pisanelle di Gabriele d’Annunzio, Ida Rubinstein et Ildebrando Pizzetti“, in: Suoni di scena da Shakespeare a D’Annunzio, „Quaderni delle Notti Malatestiane“, Rimini, Raffaelli 2003, S. 54–62; Silvana Sinisi, L’interprete totale. Ida Rubinštein tra teatro e danza, Torino – Novara, Utet Universitaria / De Agostini 2011; außerdem die Dokumente von Ida Rubinstein und von Ermanno Amicucci, Gastautoren in Scenario, April 1938 (Sonderausgabe über D’Annunzio und das Theater), S. 94 und 221– 225. 44 Das Thema wurde grundlegend behandelt in: Giovanni Isgrò, D’Annunzio e la mise en scène, Kap. XI, S. 156–159: 154–155; Aspekte, die in einem nachfolgenden Band aufgegriffen werden, in dem das Projekt in seinen Beweggründen (auch Alternativen zu Wagner) und in seinen technischen Details dargestellt ist: Ders., Sviluppi delle risorse sceniche in Italia. Da D’Annunzio agli anni Trenta, Rom, Bulzoni 2009, Kap. I („Gabriele D’Annunzio sperimentatore“, S. 17–57: 50–53). 45 Zu Person und Werk von Fortuny vgl. Marzia Maino, Con gli occhi della luce. Fonti di formazione, teoria e prassi nella poetica teatrale di Mariano Fortuny, Padova, Cleup 2014. Weitere Details in dies., „Fonti di formazione, teoria e prassi nella poetica teatrale di Mariano Fortuny“, in: Maria Ida Biggi, Claudio Franzini, Cristina Grazioli, Marzia Maino (Hgg.), La scena di Mariano Fortuny, Atti del convegno (Padua-Venedig, 21–23.11.2013), Rom, Bulzoni 2016, S. 69–87; auf S. 71 liest man: „l’artista pone all’apice del suo pensiero l’idea wagneriana di Gesamtkunstwerk“. Hinsichtlich einer komplexeren Darstellung des Wagnerismus von Fortuny vgl. Paolo Bolpagni (Hrsg.), Fortuny e Wagner. Il wagnerismo nelle arti visive in Italia, Ausstellungskatalog (Venedig, Museo di Palazzo Fortuny, Dezember 2012 – April 2013), Genf/Mailand, Skira 2012; aus dem Band geht ganz klar die zentrale Bedeutung der Idee des Gesamtkunstwerks im kreativen Verständnis des Künstlers hervor. 46 Zu diesem Thema vgl. insbesondere Adolphe Appia, Oeuvres complètes, hrsg. von Marie L. BabletHahn, Bd. II (1895–1905), Boustetten, Société Suisse du Théâtre – L’âge d’homme 1986, S. 152 („[Wagner] a cherché une patrie pour l’enfant de ses entrailles (Nietzsche). Ne le trouvant nulle part sur la terre, il se l’est fièrement édifié lui-même.“) und S. 153–173, 165–166, 360–378.

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47 Zur Illustration des Projekts vgl. Giovanni Isgrò, „La mancata collaborazione D’Annunzio-Fortuny“, in: La scena di Mariano Fortuny, a. a. O., S. 179–196. 48 Unter dem Vorsitz von D’Annunzio, von Fortuny und dem Architekten Hesse. Seine Gründungsurkunde in Form eines Vertragsentwurfs sollte um den 20.07.1910 unterzeichnet werden; die Unterschriften der drei Verantwortlichen wurden nie geleistet. Vgl. dazu Maria Rosa Giacon, D’Annunzio e Fortuny. Lettere veneziane (1901–1930), Lanciano, Carabba 2017: insbesondere auch den Brief von D’Annunzio an Fortuny, wiedergegeben auf den Seiten 102–106. 49 „L’opera parigina di Gabriele D’Annunzio. Il martirio di S. Sebastiano – Le meraviglie del teatro di festa“ (Servizio particolare del „Corriere della Sera“), 21.07.1911, S. 1. 50 Ebd. 51 Le Temps, (28.07.1910), S. 1 (Artikel ohne Autorennamen, Titel „Fin de saison“). Über die Absicht von Fortuny, (auf der technischen Ebene) über Wagner hinaus zu gehen – „superare Wagner“ – durch persönliche Bühneneffekte, schrieb er anläßlich der Vorbereitung des Tristan in der Scala 1899 Giovanni Isgrò: „La mancata collaborazione D’Annunzio/Fortuny“, in: La scena di Mariano Fortuny, S. 179–196. 52 J. Schurmann, [ohne Titel, aber mit einem redaktionellen Vorspann zur Einleitung], Le Figaro, (11.08.1910), S. 4–5. Zur Aufnahme dieses Interviews in anderen Zeitungen vgl. Henri Heugel, Rubrik „Paris et Départements“, Le Ménestrel (20.08.1910), S. 271; Emile Marsy, „Théâtre de Fête“, Le XIXe Siècle (13.08.1910), S. 4. 53 Gabriel Grovlez, Rubrik „Vaudeville“, Comoedia, (25.08.1910), S. 2. 54 Zum Vorrang der Rede (periodo „lungo“ e punteggiatura „ritmica“) im Stil von D’Annunzio vgl. besonders Gian Luigi Beccaria, L’autonomia del significante. Figure del ritmo e della sintassi. Dante, Pascoli, D’Annunzio, Turin, Einaudi 1975, Kap. VI, bes. S. 285–286. 55 Das Martyre erscheint wiederholt in den genannten französischen Artikeln als Eröffnungsstück des Pariser Théâtre de Fête. 56 Vgl. Jean-Jacques Nattiez, Wagner androgine. Essai sur l’interprétation, Paris, Bourgois 1990; ital. Ausgabe Wagner androgino. Saggio sull’interpretazione, Turin, Einaudi 1997. Zur Diskussion des Themas Androgynität vgl. auch Timothée Picard, Une question européenne, Teil II, Kap. 3 („De la femme à l’androgine wagnériens: une crise de l’identité“), S. 187–203. 57 Vgl. den Eintrag „Festival“ im Grande dizionario della lingua italiana, hrsg. von der Accademia della Crusca, S. 887.

Eleonora Duse und Gabriele D’Annunzio Bayreuth – Inspirationsquelle und konkrete Pläne

Die Beziehung zwischen Eleonora Duse und Gabriele D’Annunzio beginnt 1894 mit einer Bekanntschaft, die sich später in Liebe verwandelt und etwa zehn Jahre anhält, bis nach der Aufführung der Figlia di Iorio 1904 der Bruch nicht mehr zu heilen ist. In der Tat scheint D’Annunzio mit diesem Stück endlich den großen Triumph im Theater erreicht zu haben, den er vorher niemals erhalten hatte, und es gelingt ihm der lang ersehnte Erfolg beim Publikum und auch in der Kritik. Diese stand bis dahin jenen Theaterstücken feindlich gegenüber, die er für Eleonora geschrieben hatte und die von ihr auf die Bühne gebracht worden waren. Zwischen beiden besteht, das ist sicher, eine große Freundschaft, eine starke Liebe und vor allem eine künstlerische Nähe und Affinität, die vielleicht alle drei Bestandteile umfasst. Unter anderem planten sie gemeinsam ein modernes, nationales und populäres Theater,1 entwickelten utopische, aber auch realisierbare Pläne, die dann in anderen Nationen und unter anderen Umständen außerhalb Italiens verwirklicht wurden, in Paris, in Deutschland und in den Vereinigten Staaten von Amerika. Einige interessante kürzlich erschienene Studien haben die Interpretation dieser Beziehung und deren oft falsche Überlieferung auf den Kopf gestellt. Zwar wird in den Studien2 die Schauspielerin zumeist als Opfer des Dichters gezeigt, der sie sowohl im künstlerischen, als auch im persönlichen Bereich ausnutzte: Eleonora wird meist beschrieben als überwältigt und verwandelt durch die große Leidenschaftlichkeit ihrer Liebe und ihre unkontrollierte Eifersucht, er dagegen wird dargestellt als grausamer Don Giovanni und vor allem als großer Nutznießer ihrer künstlerischen Fähigkeiten und auch ihres Reichtums. Demgegenüber spiegelt ein neuer Lektüreschlüssel der Briefe der Schauspielerin an D’Annunzio, die vollständig von Franca Minucci publiziert wurden,3 ein anderes Bild der Beziehung. Besonders die neue Arbeit von Annamaria Andreoli, Più che l’amore, plädiert, von der Lektüre der oben genannten Briefe ausgehend, dafür, die gängige Lesart völlig in Frage zu stellen und stattdessen die Duse als Profiteurin zu betrachten und ihn als Opfer.4 Beide Interpretationen bleiben jedoch Überzeichnungen der Deutung einer Beziehung, die sicher ihre Höhen und Tiefen hatte, Momente in denen sich einer von beiden stärker durchsetzte, einer Beziehung mit eigener Dynamik und Gelegenheiten zum persönlichen Eigennutz. Daher sollte sie meines Erachtens nicht moralisch bewertet, sondern aufmerksam erforscht werden, indem die Dokumente vorurteilsfrei analysiert werden, besonders im Hinblick auf die Frage, inwieweit die Beziehung sich fruchtbar für die künstlerische Arbeit beider auswirkte.

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Eleonora Duse und Gabriele D’Annunzio

MARIA IDA BIGGI

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Abb. 20: Duse fotografiert D’Annunzio, Capponcina (Florenz), ca. 1899 (Fondazione Giorgio Cini, Venedig)

Wie bereits erwähnt, begegneten sich die zwei Protagonisten im September 1894 in Venedig und lernten sich näher kennen,5 aber es verging über ein Jahr, bevor zwischen ihnen eine echte Beziehung begann, wie auch der Briefwechsel bezeugt.6 Eleonora Duse verfügte damals bereits über einen Wohnsitz in Venedig, eine Dachwohnung mit Blick auf den Canal Grande und über die Dächer der Stadt, im prächtigen Palazzo Barbaro a San Gregorio. Der gesamte Palast gehörte dem russischen Künstler, Alexandre Wolkoff Muronzof, Roussoff genannt, ein Pseudonym, mit dem er seine Bilder signierte.7 Durch Freunde in Venedig lernte die Duse den russischen Maler Wolkoff Muronzof kennen und freundete sich mit ihm an. Es handelte sich um eine langjährige Verbindung, um eine enge, fast familiäre Beziehung, so dass sie das oberste Stockwerk seines großen Palastes anmieten konnte. Selbst Musiker und Freund von Richard Wagner, war Wolkoff oft Gast von Richard und Cosima in deren venezianischem Haus und besuchte auch nach dem Tod des Komponisten in Venedig Februar 1883 die Familie weiterhin. Wolkoff empfahl der Duse, die Briefe Wagners an Liszt zu lesen,8 was die Lieblingslektüre auch von Matilde Acton, Witwe eines österreichischen Generals und venezianische Freundin der Diva, war.9 Als Zeugnis für die Vertrautheit mit dem deutschen Umfeld und dessen Kultur ist wissenswert, dass im August 1891 die Duse mit ihrer Tochter Enrichetta, einem jungen Mädchen, tatsächlich war sie kaum neun Jahre alt, im Kurort Tegernsee in Bayern die Ferien verbrachte, an den Ufern des gleichnamigen Sees, zusammen mit einer zweiten Mutter der Tochter, der Gräfin Sofie Drechsel, deren Aufgabe es war,

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Abb. 21: D’Annunzio fotografiert die Duse, Capponcina (Florenz), ca. 1899 (Fondazione Giorgio Cini, Venedig)

sich um eine Schule für das Kind in Deutschland zu kümmern. Gleich im Anschluss wollte Eleonora Duse weiter nach Bayreuth, wo sich ihr die Möglichkeit bot, die Festspiele zu besuchen und Tannhäuser und Parsifal zu sehen. Diese Informationen können wir dem ausgedehnten Briefwechsel zwischen Eleonora Duse und Arrigo Boito entnehmen10: in der Tat schreibt sie aus München am 30. Juli 1891: Vado con lei, domani, una giornata intera a Tegernsee. Non avrò l’alloggio a Bayreuth che da sabato in poi. Non desidero che una giornata di verde e di riposo. Sentir parlare intorno a me, e non parlar più! La Drechsel propone Monaco per Enrichetta. Dopo aver parlato con la Wolkenstein […] deciderò per dove volare […].11

Arrigo Boito12 hat, wie wir wissen, starken Einfluss auf Persönlichkeit und intellektuelle Bildung Eleonoras und ist selbst ein großer und passionierte Verehrer Wagners. Von Bayreuth schreibt Eleonora am 2. August des gleichen Jahres noch: Arrigo, arrivata ieri. Esito a scriverti perché ci vorrebbero delle pagine e pagine per intenderci […] e ancora! […] Qua, non so dirti la cortesia e l’effusione trovata. Ci vorrebbero pagine e pagine […] Intanto, attenderò i dispacci, oggi alle 4, Parsifal.13

Eine weitere Persönlichkeit von Bedeutung aus diesem engen Beziehungsnetz befand sich in Bayreuth, Giuseppe Primoli14, römischer Adliger und feinsinniger Intellektueller, der gern Wagner hörte und Eleonora vergötterte. In Rom besuchten sich Primoli, freundschaftlich Gegé genannt, und Eleonora, und ihr intensiver

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Briefwechsel, großenteils immer noch unveröffentlicht, ist Zeugnis großer Nähe und intellektueller und privater Interessen. Primoli ist überdies Sammler bizarrer Objekte; in der Tat war es zu dieser Zeit sehr extravagant, Kakemonos zu sammeln,15 japanische Handwerkskunst, die sich aufrollen lässt und einen malerischen Dekor enthält, aufgetragen auf Leinwand oder Papier. Es handelt sich um Objekte, die den ausgesuchten Geschmack des adligen Primoli für japanische Exotik zeigen, der ständig zwischen Paris und Italien pendelt, und sind Zeugnisse einer internationalen Kultur, welche den römischen Kreis kennzeichnet, zu dem die Duse und D’Annunzio gehören. In diesem Fall werden sie zu Aufbewahrungsorten von Autogrammsignaturen, die mit großer Unbefangenheit auf Leinwand oder Papier aufgetragen werden, als Erinnerung an ein besonderes Ereignis und an die Anwesenheit der daran Beteiligten, womit sie zu einem Spiegel der Geschichte werden. In seiner umfangreichen und wertvollen Sammlung16 befindet sich ein Kakemono, der die Reise von Giuseppe Primoli und Eleonora Duse im August 1891 nach Bayreuth dokumentiert, aus Anlass der Premiere des Tannhäuser bei den Festspielen, bei denen auch Parsifal und Tristan und Isolde aufgeführt wurden, beides Stücke, die Eleonora Duse sieht und schätzt. Die Reise gestaltet sich vorwiegend als mondänes Treffen, auf dem Primoli, untrennbar von seiner Kamera, das soziale Umfeld und die Eleganz der Damen festhält, darüber hinaus auch die Bühnenbilder des Parsifal in seinen berühmten Fotografien aufnimmt. Auch dass er eine Kakemono-Rolle mitnimmt, um die Unterschriften der Freunde zu sammeln, von denen er weiß, dass er sie antrifft, ist ein weiteres Zeugnis. Daraus stechen die Unterschriften von Elisabeth Caraman Chimay hervor, Gräfin von Greffulhe, Grande Dame der Pariser High Society, Modell der Guermantes von Proust; der Schwester Ghislaine und der Marquise Henriette d’Eyragues: alle drei Nichten des französischen Dichters Robert de Montesquiou. Ebenfalls auf dem Bayreuther Kakemono befinden sich die Unterschriften des französischen Schriftstellers und Kritikers Abel Hermant17 neben der Unterschrift von Eleonora Duse. Diskreter, aber sehr aussagekräftig, um das Umfeld zu klären, in dem sich die Duse neben Primoli bewegte, sind die Unterschriften der Familie Wagner, die untereinander stehen: die der Tochter von Cosima Liszt und ihres ersten Ehemanns Hans von Bülow, Blandine (1863–1941, 1882 heiratet sie den Grafen Biagio Gravina), und die der Wagnerkinder Siegfried (1869–1930), Dirigent, Regisseur und Organisator der Festspiele, sowie von Isolde (1850–1897). Die Bekanntschaft der Familie Primoli mit den Wagners geht auf 1898 zurück, als Cosima und die Kinder in Rom Gast im Haus von Gegé waren und zu einem Mittagessen kamen. Eine undatierte Zeitung erstellte damals eine Chronik des Ereignisses, das als eindrucksvolles Stimmungsbild beschrieben wird, mit einem großen gedeckten Tisch, an dem vornehmlich die Familienmitglieder hervorgehoben werden: […] dove tutte le forme più belle dell’arte si davano la mano! […] Gli ospiti sono l’Illustre Cosima Wagner, la vedova del grande Riccardo, coi figlioli Siegfried ed Eva; la grande amica Eleonora Duse, l’ambasciatore di Russia e madame Nelidow, la baro-

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Abb. 22: Kakemono, der Reise nach Bayreuth gewidmet (Sammlung Primoli, Rom)

Abb. 23: Detail des Kakemono mit Unterschriften (Sammlung Primoli, Rom)

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nessa James de Rothschild, sorella della duchessa di Grammont e della principessa di Wagram, la contessa De la Tour, l’ambasciatore Nigra, don Raffaele Caetani, il brillante scolaro di Liszt […].18

Folglich, wie es offensichtlich erscheint, war Giuseppe Primoli eine wichtige Figur in der persönlichen Beziehung zwischen Eleonora Duse und Giuseppe Primoli. Oder mehr noch, es war Eleonora, die D’Annunzio Gegé vorstellte, entstand aus diesem Treffen doch eine intensive Freundschaft, reich an kulturellen Aspekten. Die Schauspielerin lernt den adligen Primoli 1883 während dessen erstem Romaufenthalt kennen und bringt ihn in Kontakt mit den bedeutendsten italienischen Schriftstellern, es reicht, an Matilde Serao19 zu erinnern, die schon seit der Zeit in Neapel in den 1880er Jahren eine Freundin Primolis wurde, an Giovanni Verga und Giuseppe Giacosa, mit dem die Diva seit der Zeit in der Kompagnie von Cesare Rossi in Turin eine vertraute Beziehung pflegte, bis zu D’Annunzio, mit dem sich Primoli anfreundete und der ihm Mitteilungen schickte, über seinen ehrgeizigen Wunsch, eine literarische Akademie zu gründen: „Un immortale dell’Accademia della Primola“ 1909 oder „Arcades ambo“. In einem der Kakemonos20 aus der Sammlung, dem undatierten, dem einzigen, den Primoli einer einzelnen Person widmet, nämlich Eleonora Duse, schreibt u. a. D’Annunzio „Protesto contro l’insidia“. In diesem Kreis scheint die Duse für eine gewisse Zeit der Mittelpunkt zu sein, um den sich die bedeutendsten literarischen Freundschaften Primolis drehen. Aus den Seiten seines Journal Diario und dem dichten und lebhaften intellektuellen Briefwechsel zwischen dem Grafen Conte und seinen Freunden wird die Rolle von Primoli deutlich im intellektuellen Austausch zwischen Italien und Frankreich. Worauf wir schon hingewiesen haben: Primoli ist beständig in der Nähe der Duse, mit der er in tiefer Beziehung verbunden blieb. Noch 1897 engagierte er sie für sein Pariser Debut 21, bis sie die Rolle im Théâtre de la Renaissance erhielt, dem Tempel Sarah Bernhardts, und trug beachtlich zu ihrem Erfolg bei. Aus diesem Anlass präsentiert die Duse das erste Mal den Sogno di un mattino di primavera, der eigens für sie von D’Annunzio geschrieben worden war. Primoli war die Abfassung dieses Textes nicht fremd, da der Dichter ihm selbst daraus vorgelesen hatte. In den Pagine inedite seines Tagebuchs schreibt Primoli, dass D’Annunzio ihn auf dem Rückweg von Albano besuchte, wohin er sich zurückgezogen hatte, um ungestört an seinem Wahnsinnsdrama zu arbeiten: Ich wurde regelrecht erobert, vereinnahmt, ohne zu sehr auf die Details seines Projekts zu hören, die er mir darlegte. Ich sah vor seinen Augen die Träume, die sich formten, den Takt, der sich herausbildete, […] beim Klang seiner magischen Worte. Der wundervolle Ablauf entwickelte sich vor meinen faszinierten Augen […].

Anlässlich des Pariser Debuts des Sogno, bereitet Primoli einen langen Artikel vor, den er der Duse widmet und der zusammen mit der Übersetzung des Sogno von Georges Hérelle in La Revue de Paris veröffentlicht wird und mit Begeisterung in den intellektuellen Pariser Zirkeln aufgenommen wird.22

Gestern habe ich nach Gräfin Wolkenstein suchen lassen – sie ist nicht in Paris. Ich wollte sie sprechen. Erneut mit ihr sprechen, wie damals, im Haus in Venedig, als sie zu mir sagte: venez à Bayreuth – und hören Sie sich wieder Ihren „schönen Glauben“ an Wagner an.25

Als weiteres Zeugnis für Eleonoras Interesse am Thema Wagner möchte ich hier auf ihren Brief an Gabriele am 13. September aus Zürich hinweisen, in dem sie erzählt, die Neffen Symons, Rhoda und Arthur26 getroffen zu haben, wobei letzterer ihr vorgeschlagen habe, Tristan und Isolde vom Neapolitaner Vittorio Pica übersetzen zu lassen, damit sie es lesen könne. Schließlich schreibt Symons ein Buch, das er Eleonora Duse widmet, wobei er einige ihrer Worte aus dem Gedächtnis einfügt, mit denen er an die Ideen der Schauspielerin erinnert, an die Farbe ihrer Lebensvorstellungen und ihrer Kunst. Er lässt sie sagen: I have known Wagner in Venice. I have been in Bayreuth, and I saw in Wagner what I feel in his music, a touch of something a little conscious in his supremacy. Wagner said to himself: „I will do what I want to do, I will force the world to accept me“; and he succeeded, but not in making us forget his intention. The music, after all, never quite abandons itself, is never quite without self-consciousness, it is a tremendous

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Berühmt in der ganzen Welt, war die Duse das überkommene Theaterreservoir satt, das ihr zur Verfügung stand, und brennend auf der Suche nach ungewohnten Formen des Theaters und frischen Texten, die ihre Ausdrucksformen erweiterten, es war ihr ein idealistisches Anliegen, das Theater, das sie nur noch aus wirtschaftlichen Aspekten praktizierte, auf die Kunst und nicht auf den Kommerz in der gängigen bürgerlichen Form auszurichten. Das Kunsttheater wurde ihr zur Religion, sie glaubte an seine Möglichkeiten einer Rettung des menschlichen Geistes, eine Gemeinsamkeit mit D’Annunzio und möglicherweise eines der zentralen Motive für diese starke Beziehung. Der Einfluss von Wagners Gedankenwelt bleibt bei ihr nicht ohne Folgen, sondern prägt viele ihrer Meinungen, Ideen und ihr theoretisches Weltbild, das sie oft unverblümt und deutlich zum Ausdruck brachte. Die Leidenschaft Eleonoras für Wagner, die D’Annunzio teilte, zeigt sich in dem Brief, den sie ihm am 21. April 1902 aus Berlin schickt: nachdem sie erfahren hat, der Dichter plane ein neues Theaterstück mit dem Titel Parisina zu verfassen, mit einem Part für die Duse, schreibt sie: „Ich möchte so gern am 3. zu Hause sein, und wenn ich da bin, wärst du bereit, mich zum Tristan mitzunehmen?“ Tatsächlich haben Eleonora und Gabriele am 20. Mai 1902 in Ravenna Tristan und Isolde von Richard Wagner besucht, dirigiert von Vittorio Maria Vanzo, wie wir aus einem Brief an Gabriele erfahren.23 Begeistert von der Aufführung schreibt D’Annunzio an Emilio Treves: „Alles war offen für diese mitreißende Schönheit“, und die Musik von Wagner „ließ mein Lebensgefühl ungeahnt steigen“.24 Am 6. Oktober 1902 schreibt Eleonora Duse aus Paris an D’Annunzio und erinnert an ihre Gespräche über Bayreuth:

sensuality, not the unconsciousness of passion. When Beethoven writes music he forgets both himself and the world, is conscious only of joy, or sorrow, or the mood which has taken him for its voice.27

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Übersetzung aus dem Italienischen: Bettina Vogel-Walter

Anmerkungen 1 2

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Vgl. den Beitrag von Adriana Guarnieri Corazzol, „Teatro di Festa“ und „Théâtre de Fête“. Das Festspieltheater nach den Entwürfen D’Annunzios, in diesem Band. Gabriele D’Annunzio, Taccuini, hrsg. von E. Bianchetti, Mailand, Mondadori 1965, und Altri taccuini, hrsg. von E. Bianchetti, Mailand, Mondadori 1976; Gino Damerini, D’Annunzio a Venezia, Mailand, Mondadori 1943, nachgedruckt in Venedig, Marsilio 1992; Olga Resnevic-Signorelli, La Duse, Rom, Angelo Signorelli 1938 (deutsch: Olga Resnevic-Signorelli, Eleonora Duse. Werden, Leiden, Vollenden, Zürich, Erlenbach Rentsch 1947); Gerardo Guerrieri, Mostra Eleonora Duse, La Biennale di Venezia, Zinchi 1969, und Eleonora Duse e il suo tempo (1858–1924), Treviso, Canova 1974; Cesare Molinari, L’attrice divina. Eleonora Duse nel teatro italiano fra i due secoli, Rom, Bulzoni 1985; Emilio Mariano, „Eleonora Duse e Gabriele D’Annunzio a Venezia“, in: Emilio Mariano (Hrsg.), D’Annunzio a Venezia, Tagungsakten Venedig 28.–30.10.1988, Rom, Lucarini 1991; Mirella Schino, Il teatro di Eleonora Duse, Rom, Bulzoni 2008; Valentina Valentini, La tragedia moderna mediterranea. Sul teatro di Gabriele D’Annunzio, Mailand, Franco Angeli 1992; William Weaver, Eleonora Duse, Mailand, Bompiani 1985 (Originalausgabe: William Weaver, Duse: A Biography. Boston, Mariner Books 1985); Helen Sheehy, Eleonora Duse, La donna, le passioni, la leggenda, Mailand, Mondadori 2005 (Originalausgabe: Helen Sheehy, Eleonora Duse: A Biography, o. O., Knopf Doubleday Publishing Group 2003); Maria Ida Biggi, Paolo Puppa (Hgg.), Voci e anime, corpi e scritture, Rom, Bulzoni 2009. Eleonora Duse, Gabriele D’Annunzio, Come il mare io ti parlo. Lettere 1894–1923, hrsg. von Franca Minucci und Annamaria Andreoli, Mailand, Bompiani 2014. Annamaria Andreoli, Più che l’amore, Eleonora Duse e Gabriele d’Annunzio, Marsilio, Venedig 2017. Vgl. Resnevic-Signorelli, Eleonora Duse a. a. O.; Weaver, Duse, a. a. O.; Sheehy, Eleonora Duse, a. a. O. (s. Fußnote 2). Duse/D’Annunzio, Come il mare io ti parlo, a. a. O., S. 25–28. Memoirs of Alexandre Wolkoff-Mourmtzoff (A. N. Roussoff) by Himself, übers. von Huth Jackson (geb. Annabel Grant Duff), London, John Murray 1928; Matteo Bertelè, „Alexandre WolkoffMourmtzoff un pittore e scienziato russo in laguna“, in: Personaggi stravaganti a Venezia tra ‘800 e ‘900, hrsg. von Francesca Bisutti und Maria Celotti, Venedig, Antiga Edizioni 2010, S. 21–41. Epistolario Wagner Liszt, hrsg. von Massimo Bogianckino, ital. Übers. von A. Cavalieri Sanguinetti, Florenz, Passigli 1983. Baronessa Matilde Acton, geborene Gablenz (1859–1889), lebt getrennt vom Ehemann in Venedig, wo sie Eleonora Duse trifft und zusammen mit Sophie Drechsel ihre Freundin wird. Matilde ist sehr liebenswert und hatte eine Passion für Malerei, war Gast im Hause Wolkoff, der Malerei lehrte. Matilde beging am Tegernsee Selbstmord, sie hatte ein Boot gemietet und füllte es mit Steinen. Eleonora Duse, Arrigo Boito, Lettere d’amore, hrsg. von Raul Radice, Mailand, Il Saggiatore 1979. Duse/Boito, Lettere d’amore, a. a. O., S. 799–800. „Morgen fahre ich einen ganzen Tag mit ihr an den Tegernsee. Erst ab Samstag habe ich eine Unterkunft in Bayreuth. Ich wünsche mir nichts weiter als einen Tag im Grünen und Erholung. Hören, daß um mich herum gesprochen wird, und

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Eleonora Duse und Gabriele D’Annunzio

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selbst nichts sagen! Die Drechsel schlägt München für Enrichetta vor. Wenn ich mit der Wolkenstein gesprochen habe […], entscheide ich, wohin es geht …“. Piero Nardi, Vita di Arrigo Boito, Mailand, Mondadori 1942; Arrigo Boito, hrsg. von Giovanni Morelli, Florenz, Olschki 1994; Emanuele d’Angelo, Arrigo Boito drammaturgo per musica. Idee, visioni, forma e battaglie, Venedig, Marsilio 2010. Duse/Boito, Lettere d’amore, a. a. O., S. 799–800. „Arrigo, gestern bin ich angekommen. Ich zögere, dir zu schreiben, denn es bräuchte Seiten und Seiten, um mich begreiflich zu machen … und noch mehr! … Ich kann dir gar nicht sagen, welche Höflichkeit und innere Bewegung ich hier finde. Es bräuchte Seiten und Seiten … Inzwischen warte ich auf die Nachrichten, heute um 4, Parsifal.“ Giuseppe Napoleone Primoli (1851–1927): Joseph-Napoléon Primoli, Pages inédites, hrsg. von Marcello Spaziani, Rom, Edizioni di Storia e letteratura 1959; Marcello Spaziani, Con Gégé Primoli nella Roma bizantina, Rom, Edizioni di Storia e letteratura 1962; Lamberto Vitali, Un fotografo fin de siècle il conte Primoli, Turin, Einaudi 1968 und 1981; Enrico Ghidetti, Roma Bizantina, Mailand, Longanesi 1979; Scene di vita quotidiana a Roma dalla fotografie di Giusepe Primoli, hrsg. von Francesco Carlo Crispolti, Rom 1980; Roma tra storia e cronaca dalle fotografie di Giuseppe Primoli, hrsg. von Piero Becchetti und Carlo Pietrangeli, Rom 1981. Der Kakemono (掛物 wörtlich „hängende Sache“) oder Kakejiku (掛軸), ist ein Gemälde oder eine japanische Kalligraphie auf Seide, Baumwolle oder Papier, in Form eines Rollbildes, und dafür bestimmt, vertikal als Dekoration im Haus aufgehängt zu werden. Auch in Japan ist er mit besonderen Anlässen verbunden und wird nur für einen kurzen Zeitraum ausgestellt, anschließend wieder weggeräumt, zusammengerollt, in speziellen Schachteln. Einige japanische Familien haben hunderte Kakemonos, jeweils für verschiedene Anlässe. Sein Ursprung ist sehr alt und verbunden mit der Entwicklung der buddhistischen Schrift und den illustrierten Kommentaren. Maria Elisa Tittoni Monti (Hrsg.), Frammenti di un salotto. Giuseppe Primoli, i suoi Kakemono e altro, Rom, Marsilio 1983. Der Kakemono für die Reise nach Bayreuth hat die Einordnung FP13: „Bayreuth Aout 91. Marie; Loulia; Ida; Caraman Chimay Greffulhe Elisabeth; Montesquiou Fezensac Eyragues; Ghislaine de Caraman Chimay; E. Kahn; Eleonora Duse; Giovanni …; Dr. Moulalion / bayreuth / 6 Aout 1891, Habel Hermant; Siegfried Wagner Bayreuth / 6 aout 1891; Blandine Gravina; Isolde v. Bülow; Biagio Gravina“. Abel Hermant, geboren in Paris 1862 und gestorben in Chantilly 1950, Schriftsteller und Dichter sowie Dramaturg. Maria Elisa Tittoni Monti, „L’incomparabile causerie!“, in: Frammenti di un salotto, S. 13–19. Matilde Serao, Schriftstellerin und Journalistin, geboren in Patrasso, Griechenland 1856, und gestorben in Neapel 1927, war langjährige Freundin und Vertraute von Eleonora Duse. Matilde Serao, Eleonora Duse, Lettere, hrsg. von Matilde Tortora, Benevento, Granus 2004. Kakemono FP 10, Duse gewidmet: „Lontano, lontano, lontano, lontano […] Lontano, lontano […] Arrigo Boito; Innamorato della Duse Marco Praga; (Protesto contro l’insidia) Gabriele d’Annunzio, A chi? E. D.; Noi siamo tre romei / Madonna fa che si diventi 6 / Scesi dall’alpi algenti / Ove dan morte turbinando i 20 / Qui ne venimmo dove / Preghiam dal viso tuo dolcezze 9 / Fa che tu ne promette / Sul bel colle lontan dall’empie 7 / Tanto coll’occhio bruno / Che sembri dire: intorno a me vi ad 1 / E ne farai felici / Se l’assenso richiesto a voi 12 / Che se rivolgi ad altre / Terranie cose le pupille scal 3 / Vi sentiremo il fiotto / Stagnar del core e piangere dir 8 / esaudi i tre romei / se buona, se gentil, 66 / Giuseppe Giacosa / Arrigo Boito / Luigi Gualdo; Il quarto Romeo / è quello che fa testo / G. Verga: Modestamente si sottoscrive / quaggiù il quinto Romeo memore / della gita alpestre di Brosso / G. Pecori Giraldi; Le Giuliette fanno i Romei / Dina Galli“. Joseph Primoli, „La Duse“, in: La Revue de Paris (Juni 1897), S. 486–532. Ebd.: „Sono stato conquistato, sono stato assorbito senza troppo ascoltare i dettagli del suo progetto che mi esponeva. Io vedevo passare davanti suoi occhi i sogni che si formavano, i cicli che si com-

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ponevano […] al suono delle sue parole magiche. Il ciclo meraviglioso si sviluppava davanti ai miei occhi affascinati …“. Gabriele D’Annunzio, Lettere ai Treves, hrsg. von Gianni Oliva, Mailand, Garzanti 1999, S. 234, zitiert nach Duse/D’Annunzio, Come il mare io ti parlo, a. a. O., S. 756: „Vorrei tanto essere a casa il 3 e se ci sono acconsentiresti portarmi con te al Tristano?“ D’Annunzio, Lettere ai Treves, a. a. O. S. 234: „Tutto era favorevole per accogliere quell’infiammata bellezza“ und die Musik von Wagner „moltiplicava indefinitamente la mia potenza di vivere“. In Duse/D’Annunzio, Come il mare io ti parlo, a. a. O., S. 764–765: „Ho fatto cercare, ieri della Contessa Wolkenstein – non è a Parigi. Volevo parlarle. Riparlarle, come allora, alla casa di Venezia, quando essa mi diceva: venez à Bayreuth – e riudire la sua ‚bella fede‘ per Wagner“. Arthur Symons (1865–1945), Dichter, Journalist, Übersetzer und Literaturkritiker für englische Bühnenkunst. Er übersetzte auch Werke D’Annunzios: The child of pleasure, 1889; The dead city, 1900; La Gioconda, 1901; Francesca da Rimini, 1902. Vgl. Arthur Symons, Eleonora Duse, London, Elkin Mathews 1926. Vgl. Symons, Eleonora Duse, a. a. O., S. 4. Zitiert nach Sheehy, Eleonora Duse, La donna, le passioni, a. a. O., S. 245.

Le martyre de Saint Sébastien – ein lateinischer Parsifal? D’Annunzio und Débussy

Le martyre de Saint-Sébastien, Mysterienspiel von Gabriele D’Annunzio mit Musik von Claude Débussy, besteht aus fünf Akten und einem Prolog; die einzelnen Akte werden vetrate, Glasfenster, genannt, denn von den Glasfenstern in Kirchen (und auch der christlich mittelalterlichen Darstellung im Allgemeinen) haben sie die statische Form der Erzählung, die von den Qualen des Heiligen berichtet, einer Mischung aus Religiösem und Profanem. Das dramatische Geschehen entwickelt sich langsam, jede Figur erscheint einzeln, um sich in die Handlung einzufügen und dabei ein lebendiges Gruppenbild zu arrangieren, einen tableau vivant. Die ganze Entwicklung der Geschichte ist regelrecht gespickt mit Momenten der Künstlichkeit in Pose und Ausdrucksweise und entspricht damit dem Typus der dekadenten Oper. Darüber hinaus ist jede Szene des Martyre für sich eigenständig und kann auch in Abwesenheit der nachfolgenden bestehen. D’Annunzio besaß in seinem französischen Haus verschiedene Bilder des Heiligen Sebastian, um zu zeigen, welch besondere Bedeutung der Stoff für ihn hatte, nicht aufgrund seiner religiösen Frömmigkeit, sondern wegen des potentiellen erotischen Untertons; die Ikonographie des Heiligen Sebastians wird auch später im Vittoriale degli Italiani präsent sein. Die Erotik ist zweifellos ein Aspekt, der diese Arbeit D’Annunzios mit dem Parsifal verbindet, ein starker erotischer Impuls, der beiden Künstlern eigen ist, deren Biographien dominiert werden von erotisch motivierten Situationen in denen Eros und Thanatos sich umarmen (sublimes Thema des Tristan) und in der die religiöse Passion in erregten Gefühlen mündet, die den Menschen in einen zärtlichen, sinnlich und spirituellen Reiz verwickeln, wie es auch im Barock verbreitet war. Das asketische Ideal und gleichzeitig der Wunsch nach Sinnlichkeit, bereits im Tannhäuser thematisiert, schufen instabile, teils trügerische Gleichgewichte, denn sowohl das religiöse Moment als auch das erotische verbergen dunkle und hintergründige Seiten, beide können morbide Zustände hervorrufen, einen Mangel an Vitalität (deliquium) oder auch einen Zustand der Jungfräulichkeit, Aspekte, die im Parsifal und im Saint Sébastien gut sichtbar werden. Das Wort „Mysterium“ ist bezeichnend für jenen typischen Aspekt des Heiligen, in dem die Vernunft pausiert, um sich dem Glauben anzuvertrauen. Für einen Heiligen ist das Mysterium wesentlicher Bestandteil des eigenen Seins, so auch im Parsifal, nicht nur in Bezug auf den Gral und die weißen Ritter des heiligen Grals, sondern auch hinsichtlich der schwarzen Ritter von Klingsor und Kundry/Magdalena; der gleiche Parsifal ist ein Rätsel für sich selbst und für die anderen (der

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Abb. 24: Dom von Siena, Vorlage für den Gralstempel im Parsifal

reine Tor, „nichts weißt du“). Geheimnisvoll sind ebenfalls Titurel, Amfortas und der Montsalvat, der heilige See, das Salböl, alle Persönlichkeiten, Orte und Dinge, die an esoterische Zeichen und Erscheinungsbilder gebunden sind, bekannt und erkennbar nur für den Eingeweihten. Verwunderung und Erstaunen bestimmen die Wahrnehmung bei der Bewegungslosigkeit einer Ekstase, einem verzückten Leuchten einer unzugänglichen Wahrheit, wie dem Geist der Heiligkeit von Sebastian, in einer unsagbaren unbeschreibbaren Schönheit, wie einem Kuss oder einer Verletzung, wie einem Speer oder einem Pfeil. Die Erregung betrifft beides: Seele und Körper. Wagner beschreibt die erotischen Erfahrungen der Ritter mit den Blumenmädchen, wenn er zeigt, wie diese Mädchen versuchen, Parsifal zu verführen, dagegen erzählt er nichts über das sinnliche Abenteuer von Amfortas, der seine Jungfräulichkeit verliert; das Konzept der Unschuld bietet einen Reiz und ruft immer auch dessen Gegenteil hervor, die Verdorbenheit. Dem ist sich D’Annunzio bewusst, der in seinem Heiligen Sebastian, auf der Bühne dargestellt von der hermaphroditen Ida Rubinstein, Keuschheit und Luxus gleichermaßen sieht. Wagner hatte sich sogar dem Christusthema in Jesus von Nazareth gestellt, es aufgemischt mit dem Einfluss des Mythos, mit den Nibelungen, mit der epischen Figur Barbarossas, mit der heroischen Karls des Großen, mit der sagenumwobenen von Achill, mit politischen und revolutionären Themen, in einer unglaublichen Synthese von Ideen [Synkretismus], Grenzen eines fiebernden Geistes, vergleich-

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bar auch mit Das Liebesmahl der Apostel oder Luthers Hochzeit und allem, was Wagner noch an religiösen Themen schrieb (darunter auch dem Aufsatz Religion und Kunst). Als ob das nicht ausreichte, versuchte der eklektische Geist Wagners, sich auch dem Buddhismus anzunähern, mit Die Sieger durchknetet er eine bunte Mischung aus Gedanken und Figuren, Religionen und Kulturen, heterogen soweit, um unter die Klassifikation „Dekadenz“ zu fallen, die von Nietzsche an mit den späten Opern Wagners verbunden wird, vor allem aber mit Parsifal. Nicht anders ist es im Fall des Le martyre de Saint-Sébastien, in dem das religiöse Thema, in Angriff genommen von einer Persönlichkeit wie D’Annunzio, nicht anders konnte, als sich in eine heterogene Mischung von Trieben zu verwandeln, heidnisch und letztlich gotteslästerlich in den Augen derer, die die Prinzipien des christlichen Glaubens bewahrten. Das Mysterium des eigenen Seins und Daseins zu erforschen ist das zentrale Thema und, um ein solches Mysterium zu ergründen, ist Sinnlichkeit genauso wichtig wie Frömmigkeit. Der Schmerz gilt als Quelle des Bewusstseins, aber auch der Lust: Dass Leid auch süß sein kann, hatten uns schon Tristan und Isolde gelehrt, wo das Leiden und die Verzweiflung die erotische Passion nähren. Die Pfeile des Heiligen Sebastian schaffen einen heftigen Schmerz, eine sinnliche Marter und eine wollüstige Lust am Sadismus, besonders im dritten Akt, in der Beharrlichkeit mit der Sebastian das Martyrium erfleht und als Heiliger Objekt eines ästhetischen Fanatismus des Kaisers wird. Auch die Figur des jungen Bogenschützen ist Ausdruck einer Art erotischer Ikonographie. Le martyre de Saint Sébastien wurde am 22. Mai 1911 am Théâtre du Châtelet (Paris) uraufgeführt.1 D’Annunzio hatte Débussy am 25. November 1910 geschrieben: „Diesen Sommer, während ich ein Mysterium schrieb, über das ich schon lange nachgedacht habe, hatte eine Freundin die Angewohnheit, mir Eure Lieder vorzusingen; mein entstehendes Werk erbebte davon. Aber ich wagte nicht auf Euch zu hoffen“; Débussy antwortete fünf Tage später: „Beim Gedanken mit Euch zu arbeiten, fing ich an zu fiebern“.2 Der Text, den D’Annunzio erarbeitete, ist in archaischem Französisch, ausgedrückt in ottonari, achtsilbigen Versen. Débussy schrieb die Musik in wenigen Wochen, aber die Premiere wurde ein Fiasko, auch aufgrund des Erzbischofs von Paris, Amette, der die Oper zensierte; D’Annunzio fühlte sich verletzt und nörgelte herum, denn er schickte sich gerade an, das Imprimatur [Druckgenehmigung durch den Bischof] anzufragen, da er doch das erste christliche Schauspiel komponiert habe! Die Zensur brachte den Schriftsteller Maurice Barrès in Verlegenheit, obgleich er „de l’honneur et de l’amitié“ gedankt hatte, schrieb er dazu dem Autor: „Lei ha saputo esprimere bene il piacere e male lo slancio del cuore. L’opera è pagana“.3 Der Heilige wurde von der Ballerina Ida Rubinstein dargestellt; wie fast alle dannunzianischen Opern, dreht sich auch das Martyre um eine weibliche Figur, in diesem Fall um eine ganz dünne, bleiche Figur, die ein hermaphrodites Ideal verkörpert. Wie um den Eklektizismus und die Sinnlichkeit noch zu unterstreichen, ist in der Arbeit D’Annunzios auch noch Tanz dabei.

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Abb. 25: Die Stanza del Lebbroso (Zimmer des Aussätzigen) von D’Annunzio im Vittoriale degli Italiani, ein Rückzugsort zur Meditation, das Bett nach eigenen Plänen halb Wiege und halb Sarg, wo er auch nach seinem Tod aufgebahrt wurde (Fondazione Il Vittoriale degli Italiani, Gardone)

Abb. 26: Detail – Statue des Heiligen Sebastian in der Stanza del Lebbroso (Fondazione Il Vittoriale degli Italiani, Gardone)

D’Annunzio hatte seit langem die Schwärmerei für Wagner zunächst in sich aufgesaugt und dann überwunden, schon während der Abfassung von Il Fuoco: Richard Wagners Werk – erwiderte er – ist auf germanischem Geist begründet und entspringt nordischem Wesen. Seine Reform gleicht in gewissem Sinne der von Luther angestrebten. […] Ich bin stolz darauf, ein Lateiner zu sein […] – ich erkenne in jedem Menschen von fremdem Blut einen Barbaren.4

D’Annunzio nimmt das Konzept wieder auf, das doch immer Basis der italienischen Ästhetik war, d. h. Klassik, Klarheit, Einfachheit, immer gepaart mit volkstümlichem Charakter, worauf D’Annunzio 1901 hinwies, als er an Verdi erinnerte und die „populäre Musik der Figlia di Iorio“ hervorhob.5 Die Anspielungen an die christliche Religion sind hier ausgesprochen deutlich, im Vergleich zu Parsifal, „O schöner Jesu, was wäre die Welt, befreit von all eurer Liebe!“, aber der Synkretismus (Vermischung von Religionen) ist der gleiche: „Peana [Choral zu Ehren Apolls]! O Apoll!“. Einige Symbole mit antiker esoterisch und geheimnisvoller Tradition, die christianisiert wurden, ebenso wie der Gral, der ursprünglich als Stein der Weisen gedeutet oder wie in der archaischen keltischen

Abb. 27: Hotel des Palmes, Palermo. Hier beendete Wagner im Januar 1882 die Komposition des Parsifal (Hotel des Palmes, Palermo)

Kultur als Gefäß für magische Heilkräuter verstanden wurde, der sich dann in den Kelch verwandelte, der das Blut Christi auffing. Eine Symbolik mit vager, mehrdeutiger Bedeutung betrifft sowohl im Parsifal als auch im Le martyre de Saint-Sébastien das Licht, das Blut, die Gnade und den Ruhm, die Jungfräulichkeit und den Eros. Beide nähern sich der Form der Rede an: die Zeit ist (ek)statisch, das Wort langsam, die Handlung wird erzählt, die Atmosphäre sanft und dekadent, oft erscheint sie gekünstelt. Erinnern wir uns, dass Parsifal als Bühnenweihspiel definiert wurde oder als szenisches Festival, eine Art heiliger Raum, mehr Symbol als Körper, vergleichbar einem liturgischen Ritus, der von Schuld erlöst. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet im Parsifal die Formulierung der Grundmotive unbestimmter wird, so wie ein harmonischer Stoff, der sich zwischen das Diatonische und das Chromatische legt, alles gut verknüpft und umhüllt von einer stolzen kaleidoskopischen Orchestrierung, die manchmal geradezu durchsichtig wird. Débussy schätzte sehr diese Unbestimmtheit, die dann in die Form des sogenannten Impressionismus hinüberleitet. Parsifal hatte den dekadenten Synkretismus ins Leben gerufen, aber jetzt sind wir am Beginn des 20. Jahrhunderts, und die dannunzianischen Anspielungen gehen über Wagner hinaus, obgleich nicht vergessen werden sollte, dass der große Meister seine Ideen gerade in Italien gefunden hatte, in Sizilien, an der amalfitanischen Küste, in Siena; das mediterrane Licht lässt ihn den Geist des Grals atmen, die Anspielungen an die lateinische Antike vereinen sich mit denen der nordischen Mythologie: „Der Speer von Siegfried und von Achill […], Elena und Isolde“6, eine kulturelle und stilistische Vielfalt, die vom späten 19. Jahrhundert in das folgende Jahrhundert eindringt, aus diesem Grund sind die nächsten Referenzen für das Mysterium des Heiligen Sebastian die von Algernon Swinburne und Oscar Wilde (der nicht umsonst Wagner bewunderte). So oder so läuft ein verborgener Faden zwischen beiden Opern, der sie miteinander verbindet, offensichtlich nicht in stilistischer Hinsicht, aber im Hinblick auf die Symbolik und die Gesinnung, so dass wir uns fragen können, ob Le martyre de Saint-Sébastien nicht doch ein lateinischer Parsifal sei. Übersetzung aus dem Italienischen: Bettina Vogel-Walter

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Anmerkungen 1

Die Komposition findet wenig Beachtung in den Kritiken über Débussy. In einigen Monographien, wie der von Edward Lockspeiser, Debussy, his life and mind, Cambridge University Press, Bentley House, London 1978, übersetzt ins Italienische von Domenico De Paoli für Rusconi, Mailand 1983, werden das Martyre und D’Annunzio nicht einmal zitiert. 2 Correspondance Debussy et D’Annunzio, hrsg. von Guy Tosi, Paris, Les éditions Denoël 1948, ital. Übers. Marie José Manzini, in: Bollettino Centro Musicale Fiorentino, Florenz 1978. 3 Rossella Palmieri in: https://amedit.me/2011/06/23/%c2%able-martyre-de-saint-sebastie%c2%bbdi-gabriele-d%e2%80%99annunzio (2017). Gabriele D’Annunzio. Le Martyre de Saint Sébastien. Testo originale a fronte. Introduzione, testo e note di Rossella Palmieri, Bari, Palomar 2010: „Sie konnten gut die Lust des Bösen ausdrücken und schlecht das Feuer der Seele. Die Oper ist heidnisch“. 4 Gabriele D’Annunzio, Das Feuer, übers. von Maria Gagliardi, Gianni Selvani, München, Matthes & Seitz 1988, S. 188 f. 5 La figlia di Iorio wird 1904 zum Libretto verkürzt für die Musik von Pizzetti; D’Annunzio nähert sich immer stärker der italienischen Musik an, sowohl an die Opernkomponisten seiner Zeit, wie Zandonai, Mascagni, Franchetti, als auch an die sogenannte antike Musik; in der Tat akzeptiert er 1917 die Leitung der Redaktion der Reihe I Classici della Musica Italiana. 6 Giosue Carducci, Presso l’urna di Percy Bisshe Shelley, aus Odi Barbare, Bologna, Zanichelli 1902.

Zwischen Wagner und D’Annunzio Ästhetische Positionierungen bei Giacomo Puccini

Als der meistgespielte italienische Bühnenautor des 20. Jahrhunderts nimmt Giacomo Puccini im Kulturleben der Gegenwart jene Rolle ein, für die man einst Gabriele D’Annunzio prädestiniert sah. Gemeinsam sind beiden die engen Verbindungslinien zur Theaterästhetik Richard Wagners und ihrer Rezeption im Wagnerismus der Jahrhundertwende. Der folgende Beitrag soll versuchen, die Beziehungen zwischen D’Annunzio und Puccini auf der Basis des gegenwärtigen Forschungsstandes zusammenzufassen und mit weiteren italienischen D’Annunzio-Opern sowie dem italienischen Wagnerismus in Beziehung zu setzen. Bereits 1986 hat Marco Beghelli in einem grundlegenden Beitrag die einzelnen Stationen der Beziehungen zwischen Puccini und D’Annunzio dokumentiert, und unter den Puccini-Biographen haben sich Mosco Carner, Michele Girardi und Dieter Schickling ausführlich mit dem Thema beschäftigt.1 Die wichtigste Quellengrundlage für den folgenden Beitrag stellt der 2009 von Aldo Simeone herausgegebene Briefwechsel zwischen Puccini und D’Annunzio dar, der darüber hinaus auch zahlreiche weitere Briefe mit anderen Zeitgenossen enthält, die direkt oder indirekt auf die Zusammenarbeit beider Künstler Bezug nehmen.2 Vor allem aber hat Simeone in seiner umfassenden Einleitung das Thema so gründlich untersucht wie kein anderer vor ihm, so dass es hier seitens der Quellenforschung wohl kaum noch etwas zu ergänzen gibt.3 Simeone revidiert grundsätzlich bisherige Positionen, die davon ausgingen, dass zwischen D’Annunzio und Puccini nur eine relativ oberflächliche Beziehung bestanden habe und die künstlerischen Gegensätze so groß gewesen seien, dass an eine ernsthafte Zusammenarbeit gar nicht zu denken war.4 Demgegenüber weist Simeone nachdrücklich darauf hin, dass sich die Beziehung über einen Zeitraum von immerhin 28 Jahren (1894–1922) erstreckt und keineswegs so einseitig gewesen ist, wie oft unterstellt wurde. Simeones Edition umfasst insgesamt fast 200 Briefe, darunter 96 zwischen D’Annunzio und Puccini und weitere 98 an dritte Personen. Zwar sind weitaus mehr Briefe von Puccini an D’Annunzio erhalten als umgekehrt. Dies ist jedoch primär der lückenhaften Überlieferung geschuldet, wie Simeone aus der Korrespondenz im Umfeld beider Künstler erschließt. Tatsächlich scheint das Interesse an einer Zusammenarbeit auf Seiten des Vate sogar noch größer gewesen zu sein als dasjenige Puccinis – wenngleich hierfür das Ziel, an den gewaltigen finanziellen Einkünften des erfolgreichsten Musikdramatikers der Epoche zu partizipieren, eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben dürfte. Die wesentliche Parallele zwischen D’Annunzio und Puccini sieht Simeone in der konsequent internationalen Ausrichtung ihres künstlerischen Schaffens: „D’Annunzio,

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che aveva portato l’Europa in Italia e l’Italia in Europa, aveva questo in commune con Puccini: sapeva ascoltare e assimilare le voci d’oltralpe.“5

1. Wagner, Puccini und die giovane scuola Die verspätete und ausschnitthafte, dafür aber außerordentlich intensive Rezeption der Werke Richard Wagners im Italien des Fin de siècle ist von der Forschung in ihren historischen Grundlagen und ästhetischen Voraussetzungen detailliert dargestellt worden – auch von einigen der hier versammelten Kolleginnen und Kollegen, insbesondere Adriana Guarnieri Corazzol.6 Einige wenige Aspekte seien hier rekapituliert, die für unser Thema von besonderem Interesse sind. Zunächst ist die chronologische Diskrepanz der unterschiedlichen medialen Phasen der WagnerAneignung zu berücksichtigen, d. h. zwischen der italienischen Rezeption von Wagners Schriften, die bereits in den 1850er Jahren einsetzte, den ersten Wagner-Aufführungen auf italienischen Bühnen ab 1871, die sich anfangs vor allem auf Bologna beschränkten, der Verbreitung seiner Opern in Form von Klavierauszügen und erst zuletzt auch in Form von gedruckten Partituren, die ein genaues Studium seiner Orchestertechnik und Instrumentation ermöglichten. Insofern ist grundsätzlich zwischen einer literarischen und einer musikalischen Wagner-Rezeption zu unterscheiden, wobei gerade für Italien von einem Primat der ersteren auszugehen ist. Waren diese besonderen Voraussetzungen des Wagnerismus in Italien für die Generation der sogenannten „giovane scuola italiana“ grundsätzlich in gleicher Weise prägend, so haben ihre einzelnen Vertreter in durchaus unterschiedlicher Weise auf die künstlerische Begegnung mit Wagner reagiert. Ich möchte hier nur kurz auf das Beispiel Ruggero Leoncavallos hinweisen, der im Unterschied zu Mascagni, Franchetti, Zandonai, Pizzetti oder Montemezzi – von denen noch die Rede sein wird – selbst nicht mit D’Annunzio zusammengearbeitet hat. Leoncavallos Biographie bietet zahlreiche, jedoch mitunter fragwürdige Anhaltspunkte für eine Spielart des Wagnerismus, die sich deutlich von derjenigen Puccinis unterscheiden lässt.7 So veröffentlichte der befreundete Journalist Francesco Tonolla Ende 1893 in der Mailänder Zeitung La Sera anlässlich der Premiere der Oper I Medici – des ersten Teils der in Anlehnung an die Nibelungen-Tetralogie geplanten Trilogie Crepusculum – einen Kurzbericht über den bisherigen Werdegang des Komponisten und seine leidenschaftliche Wagner-Begeisterung, den Leoncavallo später in seiner Autobiographie wörtlich übernommen hat. Demnach habe sich Leoncavallo sofort nach Abschluss seines Studiums am Konservatorium von Neapel in die italienische Wagner-Hochburg Bologna begeben und unter dem Einfluss des „colosso di Bayreuth“ eine „Reform“ der italienischen Oper in Angriff genommen, „ohne dabei – im Gegensatz zu den Epigonen – die große Tradition der italienischen Musik zu verlassen.“8 Dass sich in den autobiographischen Zeugnissen über Leoncavallos WagnerBegeisterung Wirklichkeit und Fiktion in einer für den Künstler bezeichnenden

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Abb. 28: Premiere Lohengrin 1871 in Italien. Original Teatro Comunale, Bologna (Karl Ipser, Richard Wagner in Italien, Salzburg, berglandsalzburg 1951)

Weise mischen, haben bereits Untersuchungen von Julian Budden und anderen deutlich gemacht.9 Die zahlreichen immanenten Widersprüche lassen sich kaum durch Gedächtnislücken erklären, sondern sind als bewusste Selbststilisierungen des Komponisten zu bezeichnen, zu denen eine erfundene Pilgerfahrt nach Bayreuth, die Fälschung des Geburtsdatums sowie die Anmaßung eines Doktortitels der Literatur gehören. Gleichwohl: Leoncavallos Projekt einer Medici-Trilogie erinnert freilich nicht nur an Wagner, sondern weist gewissermaßen auch auf D’Annunzios Malatesta-Zyklus voraus. Puccinis Wagner-Rezeption unterscheidet sich gegenüber anderen Vertretern der giovane scuola wie etwa Leoncavallo in mehrfacher Hinsicht. Zum einen betraf die Rezeption der musikalischen Sprache Wagners bei ihm nicht nur dramaturgische und inhaltliche Aspekte sowie eher allgemeine und zeittypische Dimensionen des Tonsatzes wie beispielsweise die Verwendung von charakteristischen Motiven und eine Erweiterung des Orchesterapparats, sondern zeigt sich spätestens ab Manon Lescaut in der von Wagners Tristan und Isolde hergeleiteten Komplexität der harmonischen Sprache, in der Gestaltung gleichsam „unendlicher“ melodischer Prozesse, in der ausdifferenzierten, auf die Schaffung individueller Klangfarben ausgerichtete Instrumentation sowie einer strukturellen Integration der voll entwickelten Leitmotivtechnik. Puccini war zu der Zeit, als er Manon Lescaut schrieb, von Ricordi auch mit der Bearbeitung von Wagners Meistersingern für die Mailänder Erstaufführung betraut

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und zu diesem Zweck eigens zu den Bayreuther Festspielen geschickt worden. Seine Bayreuth-Erfahrungen waren wesentlich für seine ebenfalls an Wagner orientierte Theaterpraxis im Einsatz dieser spezifischen musikalischen Mittel im Hinblick auf die Erzielung unmittelbarer szenischer Wirkungen. Durch die Verwendung und Weiterentwicklung dieser an Wagner orientierten kompositionstechnischen Mittel gelang Puccini zugleich eine Distanzierung von der Tradition des verismo, als welche traditionell die einer „realistischen“ Ästhetik verpflichtete Hauptströmung der italienischen Oper am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird.10 Aus dem musikalischen Produktionssystem der Zeit heraus lässt sich eine solche Demarkation leicht begründen, denn „verismo“ war das zentrale Markenzeichen des Verlags Sonzogno, der die Werke Pietro Mascagnis, Ruggero Leoncavallos, Umberto Giordanos und Francesco Cileas im Programm hatte. Ein besonders grundsätzlicher Kritikpunkt am musikalischen verismo betrifft den Widerspruch zwischen den Realitätsansprüchen von Literatur und Musik. Eine in ihren Wirkungsmitteln so realitätsferne Kunstgattung wie die Oper könne die Wirklichkeit nicht abbilden, so lautet der gängige Vorwurf. Konsequenterweise hat daher Ferruccio Busoni in seinem Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst (1907) gefordert, dass „die Oper des Übernatürlichen oder des Unnatürlichen als der allein ihr natürlich zufallenden Region der Erscheinungen und der Empfindungen, sich bemächtigen und dergestalt eine Scheinwelt schaffen“ solle, „die das Leben entweder in einem Zauberspiegel oder in einem Lachspiegel reflektiert“.11 Ebenso unvereinbar erschienen den Zeitgenossen die auf den Grundlagen des Belcanto beruhende Kunstgesangstradition der italienischen Oper mit der Forderung nach einem realistischen Ausdruck der menschlichen Stimme. Die Anwendung realitätsnaher vokaler Mittel (wie beispielsweise Schreien, Schluchzen oder Heulen) zur Darstellung emotionaler Extremsituationen schien die akademisch geschulten Stimmentechniken zwangsläufig zu korrumpieren. So wurde der musikalische verismo nicht zuletzt aufgrund der mit seinen ästhetischen Postulaten verbundenen Gesangspraxis für viele Kritiker zum Inbegriff schlechten Geschmacks. In eine ähnliche Richtung zielt auch D’Annunzios Verismo-Kritik, wie er sie 1892 in seinem zweiteiligen Artikel Il capobanda in der neapolitanischen Zeitung Il Mattino im Hinblick auf Pietro Mascagnis Cavalleria rusticana klar zum Ausdruck gebracht hat. Unstrittig wurde mit Cavalleria rusticana die Geburt des musikalischen verismo identifiziert, ein Etikett, dem sich bald auch andere Sonzogno-Komponisten verpflichtet fühlen sollten – mitunter auch durch sanften Druck des Verlegers. Ganz anders positionierte sich dagegen der ökonomisch weit besser aufgestellte Ricordi-Verlag: Er orientierte sein Marketingkonzept nicht auf eine bestimmte Stilrichtung, sondern mit seinem Zugpferd Puccini ganz auf eine einzige Person. Die ökonomische Konkurrenz der rivalisierenden Verlage ging fast zwangsläufig mit einer ästhetischen Distanz einher, die auch persönlich plausibel zu begründen ist: Weder konnte sich Puccini mit der holzschnittartigen Dramaturgie des veristischen Einakters nach dem Modell der Cavalleria rusticana anfreunden, noch wollte er sich auf die literarischen Vorlagen der veristischen Autoren einlassen. Die Chronik der

Der szenisch wie inhaltlich realisierte Regionalismus, das bäuerliche Ambiente, die auf einem gleichsam reduzierten Dialog beruhende Sprachhaltung der Figuren, die Radikalität des Themas und die auf jede idealistische Überhöhung des Dargestellten verzichtende Handlung und schließlich die Eindimensionalität der Figurenkonzeption widersprachen der Bühnenästhetik Puccinis und waren für ihn nicht zu komponieren.12

Endgültig verabschiedete sich Puccini im Sommer 1894 von La lupa – zu jenem Zeitpunkt, als er bereits die Komposition von La bohème in Angriff genommen hatte. Die Entscheidung für die Pariser Künstleroper und gegen den veristischen Schocker sollte sich als entscheidende Weichenstellung für Puccinis ästhetische Positionierung erweisen.

2. Der Briefwechsel D’Annunzio – Puccini Diese Bewusstwerdung dürfte Puccini in seinem Interesse für D’Annunzio wesentlich bestärkt haben, und in dieselbe Zeit – im Sommer 1894 – fällt auch die erste Initiative für eine Zusammenarbeit mit D’Annunzio. Der Vorschlag kam von Puccinis Freund Carlo Clausetti, der die Niederlassung des Ricordi-Verlages in Neapel leitete.13 Zu diesem Zeitpunkt zeigen jedoch weder Puccini noch D’Annunzio hierzu eine größere Bereitschaft – letzterer vor allem deshalb nicht, weil Ricordi nicht bereit war, seine maßlosen Gagenforderungen zu erfüllen.14 Sodann kommt D’Annunzio erst wieder 1899 ins Spiel, als sich Puccini nach der Vollendung der Tosca und vor deren Uraufführung im Januar 1900 intensiv Gedanken über die nächsten Opernprojekte macht. Allerdings ist D’Annunzios La città morta nur eines unter zahlreichen Gedankenspielen. Neben Dostojewskis Aus einem Totenhaus, für das Illica bereits einen vieraktigen Opernentwurf skizziert, liebäugelt Puccini wie immer vor allem mit Stoffen aus der französischen Literatur, darunter Alexandre Dumas’ La tour de Nesle, Maurice Maeterlincks Pelléas et Mélisande, Honoré de Balzacs Le dernier des Chouans, Alphonse Daudets Tartarin, Emile Zolas Abbé Mouret und Pierre Louys’ Aphrodite.15 Nach dem großen Uraufführungserfolg von Tosca bemüht sich Puccini um eine Konkretisierung dieser Vorhaben. Im Februar 1900 kommt es in Puccinis Villa in Torre del Lago zur ersten persönlichen Begegnung zwischen Puccini und D’Annunzio, der ein Opernprojekt über Ugolino della Gherardesca nach Dantes Divina comedia vorschlägt.16 Im April schreibt er an Illica, dass er mit D’Annunzio „nicht für alles Gold der Welt“ zusammenarbeiten wolle.17 Zugleich verzögert sich das Vorwärtskommen seiner Opernpläne in dieser Zeit auch durch das berüchtigte

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Nichtvertonung von Giovanni Vergas Novelle La lupa – ein letztlich gescheitertes Opernprojekt, für dessen Vorbereitung Puccini 1894 sogar eine Studienreise nach Sizilien zur Erkundung des dortigen lokalen Milieus unternahm – bietet hierfür ein bemerkenswertes Beispiel, wie Hans-Joachim Wagner ausgeführt hat:

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Abb. 29: Museum Villa Puccini in Torre del Lago, nahe Lucca (Fondazione Simonetta Puccini, Torre del Lago)

Liebesabenteuer mit der sogenannten „Corinna“, der Helmut Krausser 2008 den Roman Die kleinen Gärten des Maestro Puccini sowie den Begleitband Die Jagd nach Corinna gewidmet hat, in welchem seine Recherchen über die Identität der geheimnisvollen Geliebten dokumentiert werden.18 Dass D’Annunzio und Eleonora Duse am 3. September 1900 der Tosca-Premiere in Puccinis Heimatstadt Lucca beiwohnen, deutet auf die zwischenzeitliche Intensivierung der Beziehungen hin.19 Offenbar haben sich D’Annunzio und Puccini zu diesem Zeitpunkt bereits auf ein Opernprojekt über den mittelalterlichen Astrologen Francesco Stabili mit dem Arbeitstitel Cecco d’Ascoli geeinigt, das Puccini in einem Brief an Giulio Ricordi vom 20. November 190020 sowie noch zwei Jahre später im September 1902 in einem Interview mit Carlo Paladini erwähnt.21 Danach scheint der Kontakt zwischen beiden Künstlern längere Zeit unterbrochen gewesen zu sein. Erst Anfang 1905 kommt es zu einer Wiederaufnahme der Beziehungen, die sich nun aber wesentlich intensiver als jemals zuvor oder danach gestalten. Am 10. Februar 1905 kommt es in Florenz zu einer ersten Begegnung zwischen Puccini und D’Annunzio. Die Gespräche scheinen sich um Parisina zu drehen, daneben aber auch um Finanzfragen, die für D’Annunzio von geradezu existentieller Bedeutung sind. Am 16. April kommt es zu einem Vertragsabschluss zwischen Puccini, D’Annunzio und Ricordi, wonach der Dichter bis zum 31. Mai einen Librettoentwurf und sodann innerhalb von sechs Monaten ein mindestens dreiaktiges Libretto liefern werde. Von einem konkreten Titel ist jedoch nicht die Rede. Der Vertrag sichert D’Annunzio einen Vorschuss von 20.000 Lire, Tantiemen in Höhe von 20 % der Operneinnah-

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Abb. 30: Villa Puccini (Fondazione Simonetta Puccini, Torre del Lago)

men sowie darüber hinaus von 15 % aus dem Verkauf der Librettodrucke zu, was eine außerordentlich großzügige Regelung darstellt.22 Dessen ungeachtet liefert D’Annunzio allerdings keinen Entwurf, geschweige denn ein vollständiges Libretto. Die nächste Begegnung findet erst wieder am 6. August 1906 in Pietrasanta statt, wobei inzwischen nicht mehr über Parisina, sondern La rosa di Cipro verhandelt wird. Eine Woche später teilt Puccini definitiv mit, das zypriotische Sujet nicht zu komponieren, bittet jedoch zugleich D’Annunzio um weitere Vorschläge.23 Es tritt mehr als deutlich zutage, dass D’Annunzio primär aus finanziellen Interessen auch weiterhin an einer Zusammenarbeit mit Puccini interessiert ist. Anstelle einer D’Annunzio-Oper unterzeichnet Puccini dann schließlich am 1. Oktober 1906 den Vertrag für Conchita, ein Werk, das er bekanntlich ebenfalls nicht vertont, sondern das fünf Jahre später mit der Musik von Riccardo Zandonai uraufgeführt werden wird.24 Im September 1909 kommt es zu einer wohl zufälligen Begegnung zwischen D’Annunzio und Puccini auf der Kunstflugschau in Brescia, auf der übrigens auch Franz Kafka zugegen ist.25 Auch die Begegnung beider Künstler Ende Mai 1912 in Paris ist offenbar nicht auf eine konkrete Zusammenarbeit hin ausgerichtet. Ein weiteres Treffen findet im November 1912 in D’Annunzios damaligem Wohnort Arcachon statt, wohin Puccini von einem seiner regelmäßigen Paris-Aufenthalte reist. D’Annunzio schlägt nun La crociata degli innocenti vor und wendet sich sogleich auch an Ricordi, um einen lukrativen Vertrag auszuhandeln. Im Januar 1913 liefert D’Annunzio tatsächlich einen Entwurf für den ersten Akt von La crociata degli innocenti, wovon Puccini allerdings wenig begeistert ist. Als dann wenig

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später sehr summarische Andeutungen über die übrigen Akte folgen, verstärken sich Puccinis Zweifel. Kurz darauf wendet er sich dem Schauerdrama La Houppelande zu, das er unter dem Titel Il tabarro sodann tatsächlich komponieren wird. Damit sind Puccinis Hoffnungen auf eine Zusammenarbeit mit D’Annunzio freilich noch immer nicht erledigt. Im Gegenteil verspricht er sich nun von ihm einen Einakter, der den gewünschten starken stilistischen Kontrast zu Il tabarro liefern und als Zentralstück des Triptychons dienen könnte. Hierzu sollte es ebenso wenig kommen wie zu weiteren Bemühungen um eine Zusammenarbeit.26 Zur Zeit des Kriegsendes im November 1918 ist dann noch einmal von D’Annunzio in einem Brief an Clausetti die Rede, wobei Puccini sich gegen jeden Gedanken einer weiteren Zusammenarbeit ausdrücklich verwahrt.27

3. Italienische D’Annunzio-Opern und Puccini Der Traum einer gemeinsamen Oper von Puccini und D’Annunzio wurde nicht nur von beiden Künstlern immer wieder, wenngleich mit unterschiedlicher Konsequenz verfolgt, sondern war nicht zuletzt auch eine Wunschvorstellung des Verlegers Ricordi – verständlicherweise, denn die Premiere einer solchen Gemeinschaftsarbeit – möglichst mit Enrico Caruso in der Hauptrolle und unter der Leitung von Arturo Toscanini – hätte einige der berühmtesten italienischen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens jener Zeit zusammengebracht und wäre in jedem Fall ein Medienereignis ersten Ranges geworden. Um Puccinis Ausgangssituation besser zu verstehen, mag es von Interesse sein, sich die Situation seiner Komponistenkollegen der giovane scuola zu vergegenwärtigen – darunter insbesondere jenen, die auch mit D’Annunzio zusammengearbeitet haben oder von diesem beeinflusst worden sind. Die erste italienische D’Annunzio-Oper war La figlia di Iorio (1906) mit der Musik von Alberto Franchetti. D’Annunzio hat die für die Transformation in ein Libretto erforderliche Bearbeitung und Kürzung des Dramentextes selbst vorgenommen, wobei er neben dem Gesamtumfang des Stückes auch die Anzahl der auftretenden Personen von 17 auf 13 reduzierte.28 Durch die von Olaf Roth aufgezeigte „Vernachlässigung der naturalistischen Komponente des Schauspiels“ sowie die „Streichung zahlreicher Verse im Libretto, die sich mit Konkretem, mit Dingen des Alltags befassen“, kommt es zudem auch zu einer „Anhebung des Stilniveaus“.29 Trotz des überwältigenden Erfolgs von D’Annunzios berühmtestem Theaterstück vermochte sich La figlia di Iorio in der Opernfassung nicht durchzusetzen, wenngleich Arturo Toscanini das Werk ein Jahr nach der Uraufführung auch in Buenos Aires dirigiert hatte. Wie Richard Erkens in seiner grundlegenden Dissertation über Franchetti gezeigt hat, verlief der Kontakt des Komponisten mit D’Annunzio bereits kurz nach der Fertigstellung der Oper im Sande.30 Der Misserfolg von Franchettis La figlia di Iorio war auch von Puccini aufmerksam registriert worden, zumal die Umgestaltung eines besonders erfolgreichen Sprechdramas in ein Opernlibretto dem Verfahren

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entsprach, das Puccini selbst bevorzugte und zuletzt mit Tosca und Madama Butterfly mit großem Erfolg angewandt hatte. Wesentliche Impulse gingen auch in diesen Fällen zumeist nicht von den Komponisten, sondern von den Verlegern aus und verfolgten ökonomische bzw. Marketinginteressen. So war es Renzo Sonzogno, der nach einem Besuch der Aufführung von Debussys Le Martyre de Saint-Sébastien in Paris 1911 den Plan fasste, Mascagni mit D’Annunzio in Verbindung zu bringen und diese Verbindung medienwirksam zu inszenieren. Tatsächlich wurden wesentliche Stationen der Werkgenese von Parisina ausgiebig in der Presse kommentiert. Nachdem D’Annunzios Tragödie am 22. März 1912 im Verlag eingetroffen war und Mascagni vier Wochen später den Vertrag unterschrieben hatte, trafen sich Dichter und Komponist erstmals Anfang Mai in Paris. Sodann stürzte sich Mascagni in die Komposition, die er nach 134 Tagen beendet hatte, wie er am 8. Dezember 1912 seinem Freund Vittorio Gianfranceschi vermeldete.31 Sodann benötigte er allerdings noch etwa ein halbes Jahr von Mai bis Oktober 1913 für die Instrumentation, ehe die lang erwartete Premiere am 15. Dezember unter der Leitung das Komponisten und in Anwesenheit fast aller seiner prominenten italienischen Kollegen an der Mailänder Scala stattfinden konnte. Während es sich bei den anderen D’Annunzio-Opern jeweils um Transformationen von Sprechdramen in Libretti handelt, die teils von D’Annunzio selbst, teils von anderen Autoren vorgenommen wurden, liegt bei Parisina der umgekehrte Fall vor: Das einzige Originallibretto D’Annunzios wurde ab 1921 ohne ihre Originalvertonung auch als gesprochene Tragödie zur Aufführung gebracht. Umso höher erscheinen auch die Anforderungen, die D’Annunzio an den Komponisten dieser Oper stellte, „la quale è una vera tragedia, concepita musicalmente, con larghe parti corali, con opposizioni potentissime di colore, e con un fondo patriotico che richiederà – nel compositore – il dono divino dell’ispirazione – e una scienza non meno alta dell’ispirazione.“32 Jürgen Maehder hat in seiner Untersuchung der italienischen „Literaturoper“ indes darauf hingewiesen, dass Parisina sich strukturell nicht grundsätzlich von Francesca da Rimini unterscheidet und der Dichter insofern auch keine Vorkehrungen hinsichtlich der Komponierbarkeit getroffen habe.33 Diese formale Analogie beider Werke ergänzt die inhaltlichen Parallelen zwischen Parisina und Francesca da Rimini, die sich wiederum beide auf die Legende von Tristan und Isolde und somit auch auf Wagners Oper beziehen und eine analoge dramatische Struktur aufweisen. Unter allen D’Annunzio-Opern war der 1914 in Turin uraufgeführten Francesca da Rimini von Riccardo Zandonai der größte Erfolg beschieden. Bei der Transformation der Prosatragödie in ein versifiziertes Opernlibretto, für welches neben D’Annunzio selbst in erster Linie der Verleger Tito Ricordi verantwortlich zeichnete, machte man sich die Erfahrungen der bisherigen Aufführungsgeschichte von D’Annunzios Tragödie und ihrer originalen Bühnenmusik zunutze. Nur ein Jahr nach Francesca da Rimini kam an der Mailänder Scala bereits die nächste D’Annunzio-Oper auf die Bühne, Fedra in der Vertonung von Ildebrando Pizzetti, dem es gelang, ein besonders enges künstlerisches und persönliches Ver-

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hältnis zum Vate aufzubauen.34 Zwei Jahre vor seinem Tod übertrug D’Annunzio dem Komponisten 1936 die Aufgabe, La figlia di Iorio erneut zu vertonen, ein Projekt, das Pizzetti erst 1954 zum Abschluss bringen sollte. Die letzte Opernpremiere zu Lebzeiten D’Annunzios nach einem seiner Dramen war diejenige von La nave in der Vertonung von Italo Montemezzi an der Mailänder Scala am 3. November 1918, unmittelbar vor dem Ende des Ersten Weltkriegs.35 Die Unmöglichkeit einer D’Annunzio-Oper von Puccini lässt sich nicht zuletzt am unterschiedlichen Verhältnis beider Künstler zu Wagner erkennen. D’Annunzios Wagner-Rezeption konzentrierte sich auf ganz andere Aspekte als diejenige Puccinis. Wohl an erster Stelle stand dabei das Bestreben einer grundlegenden Reform des italienischen Theaterwesens – ein Anspruch mithin, der Puccini nicht im mindesten interessiert haben dürfte, nicht einmal bezogen auf die Oper. Genauso wenig interessierte Puccini daher auch die für D’Annunzio essentielle Orientierung am Wagnerschen Festspielgedanken und an der Schaffung eines idealen Aufführungsortes hierfür, dem Bayreuther Festspielhaus. Ganz auf dieser Linie stand D’Annunzios Bestreben einer Wiedergeburt der mediterranen Tragödie, die das korrumpierte bürgerliche Bühnensystem ablösen sollte und eines besonderen Festspielortes bzw. eines „teatro di festa“ bedurfte. Auch diese Bestrebungen D’Annunzios liefen Puccinis Interessen diametral entgegen, denn er verdankte seinen Welterfolg dem von D’Annunzio bekämpften bürgerlichen Theater und gründete nicht zuletzt seinen außergewöhnlichen materiellen Reichtum auf die Omnipräsenz seiner Werke an den Opernbühnen der ganzen Welt. Das Scheitern der Zusammenarbeit ist zugleich symptomatisch für Puccinis generelle Schwierigkeiten einer klaren ästhetischen Positionierung, die sich womöglich weniger leicht in der Zugehörigkeit zu bestimmten künstlerischen Strömungen als vielmehr in Abgrenzung zu diesen fassen lässt. Ähnlich wie Wagner diente ihm dabei auch D’Annunzio gleichsam als Katalysator seiner ästhetischen Entscheidungsprozesse. Andererseits vertrat Puccini mit größter Bestimmtheit die alte opernästhetische Position des „Prima la musica, poi le parole“. In diesem Sinne hat er sich 1914 in einem Interview klar geäußert: Sul teatro non ci vogliono parole. Ci vogliono fatti. Il padrone deve essere sempre il musicista. Così ho sempre voluto io. E me ne sono trovato bene. La mia collaborazione ideale rimarrà quella avuta con lllica, con Giacosa, con Giulio Ricordi. Le nostre sedute a quattro intercalate da liti furiose, da questioni tremende, si risolvevano poi in un accordo perfetto. Sapevamo quello che ci voleva.36

Genauso verhielt es sich. Auf seine bevorzugten Librettisten Luigi Illica und Giuseppe Giacosa konnte sich Puccini ebenso bedingungslos verlassen wie auf seinen Verleger Giulio Ricordi und später dessen Sohn Tito. Eine ähnliche Übereinstimmung hat es trotz aller gegenseitigen Wertschätzung und der erstaunlichen Kontinuität ihrer Beziehungen zwischen D’Annunzio und Puccini niemals gegeben.

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Marco Beghelli, „Quel ‚Lago di Massaciuccoli tanto … povero d’ispirazione!‘. D’Annunzio-Puccini, lettere di un accordo mai nato“, Nuova rivista musicale italiana, XX (1986), S. 605–625. Aldo Simeone (Hrsg.), Gabriele D’Annunzio – Giacomo Puccini. Il carteggio recuperato (1894–1922), Lanciano, Carabba 2009. Ebd., S. 13–98. Diese Auffassung hat etwa Michele Girardi besonders pointiert vertreten: „A chi conosca anche poco l’opera del poeta [D’Annunzio] la collaborazione con Puccini non potrebbe che sembrare assurda.“ Vgl. Michele Girardi, Puccini. La vita e l’opera, Rom, Newton Compton 1989, S. 94. Beghelli, „Quel ‚Lago di Massaciuccoli tanto … povero d’ispirazione!‘“, a. a. O., S. 625. Vgl. Agostino Ziino, Antologia della critica wagneriana in Italia, Messina, Peloritana Ed. 1970; Ute Jung, Die Rezeption der Kunst Richard Wagners in Italien, Regensburg, Bosse Verlag 1973; Giancarlo Rostirolla (Hrsg.), Wagner in Italia, Turin, ERI 1982; Marion S. Miller, „Wagnerism, Wagnerians and Italian Identity“, in: David C. Large, William Weber (Hgg.), Wagnerism in European Culture and Politics, Ithaca/London, Cornell University Press 1984, S. 167–197; Adriana Guarnieri Corazzol, Tristano, mio Tristano. Gli scrittori italiani e il caso Wagner, Bologna, Il Mulino 1988; Jürgen Maehder, „Die italienische Oper des Fin de siècle als Spiegel politischer Strömungen im umbertinischen Italien“, in: Udo Bermbach, Wulf Konold (Hgg.), Der schöne Abglanz. Stationen der Operngeschichte (= Hamburger Beiträge zur öffentlichen Wissenschaft 9), Berlin, Reimer 1992, S. 181–210; Jürgen Maehder, „Szenische Imagination und Stoffwahl in der italienischen Oper des Fin de siècle“, in: Jürgen Maehder, Jürg Stenzl (Hgg.), Zwischen Opera buffa und Melodramma, (= Perspektiven der Opernforschung 1), Bern/Frankfurt, Peter Lang 1994, S. 187–248; Jürgen Maehder, „Erscheinungsformen des Wagnérisme in der italienischen Musik des Fin de siècle“, in: Annegret Fauser, Manuela Schwartz (Hgg.), Von Wagner zum Wagnérisme. Musik, Literatur, Kunst, Politik, Leipzig, Leipziger Universitätsverlag 1999, S. 575–621. Siehe auch Konrad Dryden, Leoncavallo. Life and Works, Bamberg, Sancis 2005. Daneben ist als einzige weitere Leoncavallo-Biographie jene von Daniele Rubboli zu nennen: Ridi Pagliaccio. Ruggero Leoncavallo: un musicista raccontato per la prima volta, Lucca, MP Fazzi 1985. „Ruggero Leoncavallo, appena uscito del conservatorio musicale di Napoli diciasette anni fa, si recò a Bologna, attrattovi dalla fama essenzialmente musicale che la fosca turrita città si era, allora meritatamente, guadagnata. Egli era un fervente seguace dell’idea wagneriana e sognava già, appena ventenne, il dramma musicale, rinnovato secondo gli alti intendimenti del colosso di Bayreuth, ma senza abbandonare – come fecero gli imitatori pedissequi – le caratteristiche e le antiche gloriose tradizioni della musica italiana.“ Ruggero Leoncavallo, Appunti varie delle [sic] autobiografici di R. Leoncavallo, Locarno, Biblioteca Cantonale, S. 28. Vgl. Julian Budden, „Primi rapporti fra Leoncavallo e la casa Ricordi: dieci missive finora sconosciute“, in: Jürgen Maehder, Lorenza Guiot (Hgg.), Ruggero Leoncavallo nel suo tempo. Atti del I° Convegno Internazionale su Leoncavallo a Locarno 1991, Mailand, Sonzogno 1993, S. 49–60. Die Definition des verismo ist in der Forschung ebenso umstritten wie die Frage, welche Rolle Puccini in diesem Zusammenhang zuerkannt wird. Gewöhnlich wird Puccinis Verhältnis zum verismo zwiespältig gesehen, und nicht wenige Autoren haben einige Mühe darauf verwandt, in dieser Hinsicht eine klare Abgrenzung zwischen Puccini und den Opern einiger seiner italienischen Zeitgenossen vorzunehmen. Vgl. u. a. Andreas Giger, „Verismo: origin, corruption, and redemption of an operatic term“, Journal of the American Musicological Society 60 (2007), 271–316; Adriana Guarnieri Corazzol, „Opera and verismo: ‚Regressive points of view and the artifice of alienation‘“, Cambridge Opera Journal, 5/1 (1993), 39–53; Josef Horst Lederer, Verismo auf der deutschsprachigen Opernbühne, Wien, Böhlau 1992; Matteo Sansone, Verismo: from Literature to Opera, Diss., Uni-

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versity of Edinburgh 1987; Stefano Scardovi, L’opera dei bassifondi. Il melodramma ‚plebeo‘ nel verismo musicale italiano, Lucca, Libreria Musicale Italiana 1994; Isolde Schmid-Reiter (Hrsg.), Stichwort: Verismo, Wien, Böhlau 2003; Egon Voss, „Verismo in der Oper“, Die Musikforschung 31 (1978), S. 303–13; Hans-Joachim Wagner, Fremde Welten. Die Oper des italienischen Verismo, Stuttgart/Weimar, J. B. Metzler 1999. Ferruccio Busoni, Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst (1907), Berlin, Insel Verlag 1922, S. 190. Busoni, Entwurf einer neuen Ästhetik a. a. O., S. 325 f. Vgl. Dieter Schickling, Puccini. Biografie, Stuttgart, Carus Verlag 2007, S. 118 f. „Tre giorni fa mi fu chiesto un libretto per Giacomo Puccini. La richiesta era molto urgente e calorosa. Era aspettatissima la mia risposta telegrafica. Ho risposto domandando quarantamila lire. Bum! E credo che la casa Ricordi si guarderà bene dal tornare alla carica. Del resto, scrivere un libretto oggi è difficilissimo. La fatica sarebbe stata per me troppo grave. E un romanzo mi rende oggi appunto quella somma.“ D’Annunzio an Tosti, 20.7.1894. Vgl. Simeone, D’Annunzio – Puccini, a. a. O., S. 38 sowie S. 155–157. Schickling, Puccini, a. a. O., S. 147. Simeone, D’Annunzio – Puccini, a. a. O., S. 158. Ebd., S. 159. Helmut Krausser, Die Jagd nach Corinna. Eine Puccini-Recherche, München, Belleville 2007; Krausser, Die kleinen Gärten des Maestro Puccini, Köln, Du Mont 2008. Simeone, D’Annunzio – Puccini, a. a. O., S. 162. „Si figuri che ho scritto ieri a D’Annunzio per sapere di questo Cecco d’ Ascoli (L’Alchimista) di cui tanto mi parlò, e mi promise di mandarmene una traccia!“ Puccini an Giulio Ricordi, 20.11.1900. Vgl. Simeone, D’Annunzio – Puccini, a. a. O., S. 158 f. „Oh meraviglia delle meraviglie! D’Annunzio mio librettista! Ma neanche per tutto l’oro del mondo. Troppa distillazione ubriaca ed io voglio restare in gamba.“ Puccini an Illica, 15.5.1900. Vgl. Schickling, S. 163 und 170. Simeone, D’Annunzio – Puccini, a. a. O., S. 172 f. Ebd., S. 209. Ebd., S. 210. Ebd., S. 235. Michele Girardi hat darauf hingewiesen, dass der Dichter Prunier in La rondine parodistische Züge D’Annunzios trägt. Vgl. Michele Girardi, Puccini. His International Art, Chicago, University of Chicago Press 2000, S. 342. Schickling, Puccini, a. a. O., S. 298. Vgl. Olaf Roth, Die Opernlibretti nach Dramen Gabriele D’Annunzios, Frankfurt am Main, Peter Lang 1999, S. 36. Ebd., S. 63. Richard Erkens, Alberto Franchetti. Werkstudien zur italienischen Oper der langen Jahrhundertwende, Frankfurt/Main, Peter Lang 2011, S. 35–37. Zur Genese des Werkes vgl. Rein A. Zodergeld, „Ornament und Emphase. Illica, d’Annunzio und der Symbolismus“, in: Jens Malte Fischer (Hrsg.), Oper und Operntext, Heidelberg, Winter 1985, S. 160–162. Brief an Olga Ferraguti vom 26. März 1912, zitiert nach Olaf Roth, Die Opernlibretti nach Dramen Gabriele D’Annunzios, Frankfurt/Main u. a., Peter Lang 1999, S. 96. „Although it may seem strange to include in this study a text explicitly written to be set to music, the complicated history of its creation as well as the structure of D’Annunzio’s drama, which was also performed from 1921 on as a play, confirm the fact that the poet did not take the musicability of his work into consideration. Neither in dramatic structure nor in poetic language does Parisina

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differ significantly from Francesca da Rimini.“ Vgl. Jürgen Maehder, „The Origins of Italian ‚Literaturoper‘: Guglielmo Ratcliff, La figlia di Iorio, Parisina and Francesca da Rimini“, in: Arthur Groos, Roger Parker (Hgg.), Reading opera, Princeton, Princeton University Press 1988, S. 192–228. 34 Zu Fedra siehe die grundlegende Arbeit von Vincenzo Borghetti und Riccardo Pecci, Il bacio della Sfinge. D’Annunzio, Pizzetti e ‚Fedra‘, Turin, EDT 1998. 35 Vgl. Raffaele Mellace, „Prolegomeni a una lettura della Nave. Una collaborazione tra d’Annunzio, Montemezzi e Tito Ricordi“, in: Adriana Guarnieri, Fiamma Nicolodi, Cesare Orselli (Hgg.), D’Annunzio musico imaginifico, Florenz, Olschki 2008, S. 417–453; David Chandler (Hrsg.), Essays on the Montemezzi-D’Annunzio Nave, Norwich, Durrant Publishing 2012. 36 Il Secolo (25.12.1914), zit. nach Simeone, D’Annunzio – Puccini, a. a. O., S. 15.

Rienzi – Identifikationsfigur in zwei Versionen Cola di Rienzo, genannt Rienzi

Die beiden Werke, mit denen ich mich hier auseinandersetze, nämlich Rienzi1, der vierten Oper Richard Wagners, auf der einen und der Vita di Cola di Rienzo2 Gabriele D’Annunzios auf der anderen Seite, sind sehr komplex: und das unter verschiedenen Gesichtspunkten, nicht nur in ästhetischer Hinsicht. Auf sie erstreckt sich der Schatten des Faschismus3. Denn Wagners Rienzi begeisterte, wie wir wissen, Hitler4, und die politischen Stellungnahmen und kriegerischen Unternehmungen D’Annunzios genossen, wenn auch nicht die ausgesprochene Unterstützung, so doch die Zustimmung von Mussolinis Regime.5 Außerdem nehmen diese Werke je eine Sonderstellung im Schaffen ihrer Urheber, des deutschen Komponisten bzw. des italienischen Schriftstellers, ein. Betrachten wir in chronologischer Reihenfolge zuerst das Werk Wagners für das Musiktheater. Der Komponist selbst nennt in seiner Autobiographie die Quelle, aus der er für seinen Rienzi schöpfte: Während der kümmerlichen Tage meines letzten Zusammenseins mit Minna in Blasewitz hatte ich den Bulwerschen Roman von Cola Rienzi gelesen; während ich nun im tröstlichen Umgang mit meiner Familie mich erholte, arbeitete ich den Plan zu einer großen Oper aus, zu welchem mich jenes Sujet begeisternd angeregt hatte.6

Nach einer finanziell extrem schwierigen Phase hatte Wagner endlich eine Anstellung in Riga gefunden. In der Zeit, in der er seinen Umzug in die deutsch-baltische Stadt vorbereitete, verließ Wagner das Haus der Schwiegereltern, in dem er bis dahin mit seiner Frau, Minna Planer, gewohnt hatte, und zwischen Juni und Juli 1837 verbrachte er einige Wochen in einer Pension in Blasewitz, das damals noch ein Vorort von Dresden war. Hier las er den Rienzi-Roman des Engländers Edward Bulwer-Lytton, eines Politikers, der auch Prosawerke mit historischem Hintergrund schrieb. Diese hatten damals großen Erfolg. Bulwers Roman Rienzi. The Last of the Roman Tribunes war 1835 in London veröffentlicht worden und schon im Jahr darauf auf Deutsch in der Übersetzung Georg Nicolaus Bärmanns in Zwickau unter dem Titel Rienzi, der letzte der Tribunen erschienen. In Riga angekommen, begann Wagner im Juni 1838, das Libretto seiner Oper niederzuschreiben, und komponierte dann auch gleich die Partitur bis zum Ende des zweiten Aktes. Um seinen Gläubigern zu entfliehen, war er aber gezwungen, bald auch Riga heimlich wieder zu verlassen. Er schiffte sich nach Paris ein, und während dieser Reise wurde sein Schiff von einem wilden Sturm erfasst, vor dem der Kapitän in einem norwegischen Fjord Rettung suchte. Dieses gefährliche Abenteuer

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GABRIELLA ROVAGNATI

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war der Auslöser für die Komposition der späteren Oper Der fliegende Holländer, mit der Wagner zu seinem persönlichen Stil fand. Während der Überfahrt hielt sich Wagner auch kurz in London auf, wo er ohne Erfolg versuchte, mit Edward Bulwer-Lytton persönlichen Kontakt aufzunehmen, um das Sujet des Romans mit ihm zu besprechen, der ihn so begeistert hatte. Als er in Paris ankam, nahm er jedoch die Arbeit am Rienzi nicht sofort wieder auf, da er zuerst durch kleinere Gelegenheitsarbeiten versuchen wollte, im Kreis der französischen Komponisten und Musiker Beachtung zu finden. Da seine finanzielle Lage nach wie vor sehr schwierig war, bemühte er sich, durch Freunde und Mäzene das zum Überleben nötige Geld zu erhalten, hatte aber eine harte Zeit. Nicht zufällig nannte er im Nachhinein diese Phase seines Lebens seine „Pariser Hungerjahre“. Um über die Runden zu kommen, schrieb er für verschiedene Zeitungen und dachte auch an eine Beethoven-Biographie, für die jedoch kein Verlag Interesse zeigte. Trotz der ständigen Geldnot führte er nun aber auch seine Arbeit am Rienzi bis zum Ende des fünften Aktes fort. Dann komponierte er die Ouvertüre, die nach allgemeinem Urteil der Teil des Werkes ist, in dem die Merkmale der späteren Produktion des Komponisten schon zu verspüren sind. Die Ouvertüre beginnt mit einem langen Trompetenstoß, der in den einzelnen Akten wiederkehrt und die Aufritte Rienzis kennzeichnet. Am 19. November 1840 war Rienzi abgeschlossen, ein Werk, das im Stil der klassischen Grand Opéra des 19. Jahrhunderts abgefasst war. Schon der frühe Entwurf zu der dem römischen Tribun gewidmeten Oper war sehr anspruchsvoll und im Zeichen der „Grandeur“ geplant, wie Wagner selbst bemerkt: Die Komposition meines bereits im Anfang des Rigaer Aufenthaltes beendigten Textes der Oper „Rienzi“ sollte mir die Brücke zu der von mir ersehnten großartigen Welt bauen.

Die Hoffnung, dieses Werk in Paris aufführen zu können, erwies sich aber bald als unrealistisch. Wagner, der u. a. für die Dresdner Abend-Zeitung schrieb, hatte derweil dem Leiter der Dresdner Semper-Oper seinen Rienzi zugeschickt. Auch dank der Vermittlung Giacomo Meyerbeers, der sich damals als Meister des pompösen Genres, das auf den Musikbühnen des 19. Jahrhunderts große Beliebtheit genoss, einen Namen gemacht hatte, wurde der Rienzi zur Premiere in Dresden angenommen. Diese Zusage gab Wagner Mut, intensiv weiterzuarbeiten, so dass er noch in Paris auch den Fliegenden Holländer fertigstellte. Auf der Reise von Paris nach Dresden überquerte Wagner zum ersten Mal in seinem Leben den Rhein, ein Erlebnis, das bekanntlich für sein künstlerisches Schaffen nicht ohne Folgen blieb, und zum ersten Mal sah er auch über Eisenach die Wartburg liegen, die ihn zu seinem Tannhäuser inspirierte, der Oper über den Minnesänger, von dem er schon in Paris gehört hatte. Am 20. Oktober 1842 wurde die Premiere des Rienzi in Dresden trotz der Länge und Sperrigkeit zu einem großen Erfolg. Rienzi war zwar nicht Wagners Erstlingswerk. Aber Die Hochzeit, an der er als noch nicht Zwanzigjähriger gearbeitet hatte, gelangte über das Stadium des Fragments nicht hinaus, Die Feen blieben unbekannt

Nothing could be more contrasted than the loves of Rienzi and Nina, and those of Adrian and Irene: in the latter, all were the dreams, the phantasies, the extravagance,

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Rienzi – Identifikationsfigur in zwei Versionen

und wurden erst postum 1888 in München uraufgeführt, und Das Liebesverbot war zwar schon in Magdeburg inszeniert worden, aber nur einmal aufgeführt, denn gleich darauf hatte das Theater Konkurs gemacht. Rienzi war ein regelrechter Triumph. Nach Ansicht der meisten Kritiker erklärt sich eine dermaßen positive Resonanz dadurch, dass diese Oper noch nicht so „wagnerisch“ ist. Die meisten erkennen trotzdem, dass manche ihrer musikalischen Partien hochwertig sind. Unterzieht man das Werk einer gründlicheren Analyse, so erscheint es uneinheitlich und zugleich gerade wegen seines stilistischen Eklektizismus faszinierend.7 Die Oper ist jedoch nicht nur unter einem stilistischen Gesichtspunkt ein Mosaik. Ist doch, wenn von Wagners Rienzi die Rede ist, die erste Frage, die gestellt werden muss, diejenige, welche Partitur und welche Version des Librettos man jeweils in Betracht zieht.8 Wagner überarbeitete nämlich seinen Rienzi immer wieder, strich Text- und Musikpassagen oder fügte neue hinzu. Die kontinuierliche Veränderung von Libretto und Partitur führte natürlich zu immer wieder neuen inhaltlichen wie musikalischen Sinnverschiebungen, die dem Drama insgesamt sehr unterschiedliche Bedeutungsnuancen verleihen.9 Es ist hier nicht der Ort, dieser komplexen Frage im Detail nachzugehen, die sich übrigens, zugespitzt, auch mit jeder neuen Inszenierung und jedem neuen Dirigat stellt. Jedenfalls ist dieses problematische Werk Wagners erst 2013 in Bayreuth aufgeführt worden und auch da nur in der Oberfrankenhalle. Im Festspielhaus wird die Oper bis heute nicht gespielt, nachdem der Komponist das Werk aus seiner reiferen Produktion ausgeschlossen hatte, weil es den theoretischen Kriterien nicht entsprach, die er seit Der fliegende Holländer angewandt hatte. Im Allgemeinen ist Wagners Rienzi eine freie Interpretation des politischen Abenteuers des Plebejers Cola di Rienzo (1313–1354), dem es zweimal gelang, die Macht in einem Rom zu übernehmen, das vom korrupten Adel beherrscht wurde. Der Ewigen Stadt wollte der Tribun die Gerechtigkeit und den Glanz wiedergeben, die sie in der Antike besessen hatte. Die fünf Akte der Oper entsprechen, wenn auch in immer wieder neu bearbeiteter Form, den fünf Tagen, auf die Wagner die Handlung konzentriert, um seinen Helden zu verklären. Nachdem er zweimal den Höhepunkt seiner Macht erreicht hat, fällt Rienzi dem Volk zum Opfer, das ihn zuvor bejubelt und zum Herrscher gemacht hatte. Auch wenn es sich um eine lange Oper handelt, musste Wagner den Stoff des umfangreichen Romans von Bulwer-Lytton in seinem Libretto auf das Straffste verdichten. Das auffälligste Element, das Wagner im Vergleich zu Bulwer-Lytton streicht, ist die Liebesgeschichte zwischen Rienzi und Nina di Raselli. Diejenige Irenes dagegen, der Schwester des Protagonisten, mit Adriano Colonna behält er bei. Der Roman schildert zwei Fälle sozialer Mesalliance, wo Geschwister niederer Abstammung in zwei Adlige verliebt sind. Doch sind die beiden Beziehungen bei Bulwer-Lytton Beispiele ganz unterschiedlich gearteter verhinderter Liebe:

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of youth; they never talked of the future; they mingled no other aspirations with those of love. Ambition, glory, the world’s high objects, were nothing to them when together; their love had swallowed up the world, and left nothing visible beneath the sun, save itself. But the passion of Nina and her lover was that of more complicated natures and more mature years: it was made up of a thousand feelings, each naturally severed from each, but compelled into one focus by the mighty concentration of love; their talk was of the world; it was from the world that they drew the aliment which sustained it; it was of the future they spoke and thought; of its dreams and imagined glories they made themselves a home and altar; their love had in it more of the Intellectual than that of Adrian and Irene; it was more fitted for this hard earth; it had in it, also, more of the leaven of the later and iron days, and less of poetry and the first golden age.10

Wie man schon diesem kurzen Passus entnehmen kann, neigt der englische Romancier zu Details und Abschweifungen. Er erfindet diese zwei Liebesgeschichten, obwohl sein Werk auch auf soliden historischen Recherchen basiert, auf Studien wie Edward Gibbons The History of the Decline and Fall of the Roman Empire oder Jean-Charles-Léonard Sismond de Sismondis History of the Italian Republics in the Middle Ages. Bulwer-Lytton bedient sich aber auch vieler italienischer Quellen, nicht zuletzt der sogenannten Cronica di Anonimo romano11. Es handelt sich dabei um die Beschreibung der Vita Rienzis durch einen Zeitgenossen des Tribuns, ein Werk, das mehrmals bearbeitet wurde und erst seit kurzem nicht mehr nur als wesentliche Quelle zum Leben Colas, sondern auch als großartige literarische Leistung gilt.12 Bulwer-Lytton kannte nicht das Original im alten römischen Dialekt, sondern seine „toskanisierte“ Version, die Zeflirino Re, ein Gelehrter aus Cesena, angefertigt und 1828 in Forlì veröffentlicht hatte. Das bestätigen die über den Text verstreuten Zitate sowie die vom Autor aufgelisteten bibliographischen Angaben im Anhang. Von den zwei Liebesgeschichten behält Wagner also nur das Verhältnis Irenes mit Adriano Colonna bei, dessen Rolle einer Altstimme, einer Frau also, zugewiesen wird, die en travestie singt. Das entsprach der Mode, die sich im 19. Jahrhundert verbreitet hatte, nachdem die Kastraten von den Bühnen verschwunden waren. Was Wagner an Rienzi faszinierte, war nämlich nicht seine Treue und seine Huld einer geliebten Frau gegenüber, sondern sein Engagement für die Freiheit und sein Kampf gegen die Korruption des Adels. In Wirklichkeit war Rienzi ein durchaus umstrittener Held, nicht ganz frei von Schattenseiten. Auch die alte Chronik beschreibt ihn am Schluss als einen Feigling, der versucht, sich der Wut der Masse zu entziehen. Wagner hingegen idealisierte ihn und machte aus ihm einen leidenschaftlichen Verteidiger der Rechte des Volkes. Deswegen ersetzte er auch die von dem Tribunen geliebte Frau durch die Ewige Stadt. Die Bedeutung Roms als Braut spricht er seiner Schwester gegenüber im fünften Akt der Oper aus, als er vor der Niederlage und dem Tod steht:

In Bulwers Roman spielt Nina, Rienzis Braut, bis zum Ende eine wichtige Rolle und weigert sich, ihren Bräutigam zu verlassen, als Adrian kommt, um den Tribunen, sie selbst und Colas Schwester zu retten. Rienzi folgt ihm nicht und liefert sich mit Würde und Stolz – „neither fear, nor anger, nor menace“ zeigend, schreibt Bulwer – der Menge aus, die ihn nun als Verräter töten will. Erst als er verwundet ist und versteht, dass er besiegt ist, verkleidet sich Rienzi und versucht zu fliehen. Er wird aber erkannt und von denselben Menschen ermordet, die ihn früher als Volkstribunen gepriesen hatten. Rienzi stirbt wie ein Löwe, büßt seine Majestät überhaupt nicht ein, und bis zum Ende steht ihm Nina zur Seite, während Adriano sich selbst und seine in Ohnmacht gefallene Braut Irene rettet, indem er den Kahn erreicht, den ihm seine Treuen am Ufer des Tibers bereit gestellt haben. Der Schluss von Wagners Oper ist viel weniger sentimental. Den fünften Akt eröffnet das Gebet Rienzis (musikalisch bereits in der Ouvertüre zu hören), der auf Knien Gott anfleht, ihm zu helfen, dass seine Taten nicht zunichte werden mögen. Ihn erreicht seine Schwester Irene, welche, im Gegensatz zu dem, was im Roman geschieht, von seinem Fanatismus angesteckt, bereit ist, zusammen mit ihm zu sterben. Als Adriano sie retten kommt, nimmt sie dessen Angebot nicht an und stirbt zusammen mit ihrem Bruder und ihrem Geliebten unter den Trümmern des Turms, der unter dem Feuer zusammenbricht. Wagner streicht also jede menschliche Schwäche Rienzis, die sowohl in der Cronica wie in dem englischen Roman – obgleich in variierter Form – zur Erscheinung des Helden gehört. Kein Wunder, dass die Figur Rienzis auch das Interesse Gabriele D’Annunzios erregte, der ein großer Bewunderer Wagners war und den Roman Bulwers ebenfalls kannte, der auf Italienisch bereits 1836 im Verlag Stella zu Mailand in der Überset-

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Wohl liebt’ auch ich! – O Irene, kennst du nicht mehr meine Liebe? Ich liebte glühend meine hohe Braut, seit ich zum Denken, zum Fühlen erwacht, seit mir, was einstens ihre Größe war, erzählte der alten Ruinen Pracht. Ich liebte schmerzlich meine hohe Braut, da ich sie tief erniedrigt sah, schmählich mißhandelt, grau’nvoll entstellt, geschmäht, entehret, geschändet und verhöhnt! Ha, wie ihr Anblick meine Wut entflammte! Ach, wie ihr Jammer Macht gab meiner Liebe! Mein Leben weihte ich einzig nur ihr, ihr meine Jugend, meine Manneskraft; denn sehen wollt’ ich sie, die hohe Braut, gekrönet als Königin der Welt – denn wisse: Roma heißt meine Braut!13

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zung von S. M. Maggioni (mit Berichtigungen von Gaetano Barbieri) erschienen war. Dieser Ausgabe waren im Laufe des 18. Jahrhunderts noch viele andere gefolgt. Ins Italienische übersetzt hatte Wagners Rienzi-Libretto Arrigo Boito, der damals mit Eleonora Duse liiert war. In Boitos Übertragung – die in Mailand zuerst Francesco Lucca, später Ricordi14 veröffentlichten – war die Oper 1874 im Teatro la Fenice in Venedig, im Herbst 1876, in Anwesenheit Wagners, im Teatro Comunale in Bologna, 1880 im Teatro Politeama in Rom und 1884 im Teatro Dal Verme in Mailand aufgeführt worden.15 D’Annunzio kannte diese Oper also sehr gut. Sie handelt von einer Persönlichkeit, die ihn anzog und mit der er sich irgendwie identifizierte. Rienzi war nicht die erste Arbeit Wagners, mit der sich D’Annuzio befasste. In den drei Rezensionen, die er 1893 in der Zeitschrift Tribuna veröffentlicht hatte und die später unter dem Titel „Il caso Wagner“ noch einmal vereinigt herauskamen, verteidigte D’Annunzio den Komponisten gegen die kritischen Attacken Nietzsches, der dem Musiker vorwarf, ihrer beider anfänglich geteilte Vorstellung von der Erschaffung eines „neuen Menschen“ verraten zu haben. D’Annunzios Romane Trionfo della Morte (1894) und Il Fuoco (1900) zeigen mehr als vage Wagner-Spuren; während ersterer reichlich aus Tristan und Isolde schöpft, besteht letzterer – eine literarische Umsetzung der Liebe des Dichters für die Duse – zum großen Teil aus einer Auseinandersetzung mit der von Wagner vorgeschlagenen Theaterreform. Nicht vergessen darf man, dass D’Annunzio, nach seiner Griechenlandreise 1895 und in der Leidenschaft seiner Beziehung mit der „divina“, der „göttlichen“ Schauspielerin, die ein Jahr davor begonnen hatte, die Auffassung eines neuen Theaters entworfen hatte: es sollte in Albano, in der Nähe von Rom, errichtet werden und die griechisch-römische Tradition wiederbeleben, und zwar als Gegenstück und als Ergänzung zur Verherrlichung der germanischen Mythologie in Bayreuth.16 Die neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts waren für D’Annunzio eine stürmische Zeit – sowohl, was seine literarische Arbeit angeht, als auch in privater Hinsicht. Gleich mehrfach wurde er wegen Plagiaten angezeigt; seine schwankende und egozentrische Liebe für Eleonora Duse nahm nachgerade Formen der Raserei an; in seinem politischen Engagement erklärte er sich für jenseits von links und rechts („al di là della destra e della sinistra“17), im Grunde ‚jenseits von Gut und Böse‘ und kandidierte zuerst als „neuer Tribun“ im Kollegium von Ortona, wobei er diese Gelegenheit vor allem dazu nutzte, für seine eigenen Bücher zu werben. Auch sein politisches Abenteuer war jedoch sehr unstet. Als er 1900 in Florenz zu seiner großen Schmach die Wahl verlor, zog sich der Dichter ins Privatleben zurück. Im März 1898 hatte D’Annunzio eine Villa aus dem 14. Jahrhundert in der Via della Capponcina 32, in Settignano bei Florenz gemietet, die sich ganz in der Nähe der sogenannten „Porziuncola“18 befindet, wo – in derselben Straße, Hausnummer 75 – die Duse logierte. Hier verlebte der Dichter eine Phase außergewöhnlicher Schaffenskraft, aus der, abgesehen von einer Reihe erfolgsloser Theaterstücke, der Roman Il Fuoco und die Gedichte der Laudi hervorgingen. Aber seine fruchtbarste Schaffensperiode schlechthin hatte D’Annunzio in den ersten Jahren des 20. Jahr-

Per ciò fra lo storico e il biografo è grande il divario, come tra il frescante e il ritrattista, il primo non considerando gli uomini se non nel più vasto movimento dei fatti complessi e nelle più efficaci attinenze con la vita publica, il secondo non rappresentandoli se non nei più saglienti rilievi della sua persona singolare.24

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hunderts, in denen vor allem seine Lyrik einen Höhepunkt erreichte. Damals entstand auch seine Arbeit über Cola di Rienzo, den „letzten der römischen Tribunen“. Wie wir aus einer Bemerkung Silvio Bencos aus dem Mai 1902 wissen19, hatte D’Annunzio anfänglich vor, eine Tragödie über Cola di Rienzo zu verfassen, in dessen Schaffen er den Versuch einer „rinascita della romanità antica in onore nostalgico e insofferente di ogni barbarie“ [Wiederbelebung des antiken Römertums zu nostalgischer Ehre und unduldsam gegen jede Barbarei] sah. Die Arbeit verwandelte sich aber bei der Verwirklichung des Projekts in eine Biographie des römischen Tribuns, die D’Annunzio zuerst in drei Fortsetzungen in der von ihm gerade gegründeten20 und von Tom Antongini herausgegebenen Zeitschrift Il Rinascimento veröffentlichte, und zwar am 1. und 5. Dezember 1905 und am 5. Januar 1906. Die Arbeit wurde schnell niedergeschrieben und dem Verlag übergeben, da sich D’Annunzio in großer Geldnot befand. Es war die Zeit seiner ungestümen Leidenschaft für die Marquise Alessandra Starabba di Rudinì, die seine Begeisterung für Pferde und Fuchsjagd teilte und, vom Dichter bedeutungsvoll Nike genannt, 1904 mit einer enormen Ausstattung an unnötigen Dingen und Personal in die Capponcina übergesiedelt war.21 Die Liaison währte jedoch nicht lange, auch weil Alessandra, die krebskrank war, immer mehr von Morphin abhängig wurde. Das Verhältnis mit D’Annunzio, der sich derweil auch anderen Abenteuern hingab, zog sich bis Ende 1906 hin, als Alessandra Settignano verließ. 1911 trat sie in ein Kloster ein und wurde Nonne. Sie starb 1931 im Alter 55 Jahren in einer Genfer Klinik. Erst 1913, während seines Pariser Aufenthaltes kurz vor Ausbruch des Krieges, als er sich zusammen mit den Irredentisti für die territoriale Einheit Italiens engagierte, veröffentliche D’Annunzio den kompletten Text zur Vita Rienzis im Verlag der Brüder Treves in Mailand.22 Wie dem Buchdeckel zu entnehmen ist, war La Vita di Cola di Rienzo als erste einer Reihe von Biographien mit dem Gesamttitel Vite di uomini illustri e di uomini oscuri gedacht, die D’Annunzio zu schreiben plante. Es blieb freilich bei der Vita des römischen Tribuns. Der Text des Buches zeigt kaum Veränderungen gegenüber dem, was in der Zeitschrift Il Rinascimento erschienen war. D’Annunzio hing aber am Schluss ein paar erfundene „approvazioni“ [Zustimmungen] an – von den Zensoren der Accademia della Crusca und vom Vikar des heiligen Amts zu Florenz –, die im Grunde nichts anderes sein wollten als eine „monelleria“ [ein Kinderstreich]. Er erweiterte das Proemio23 bis zum Umfang eines eigentlich selbstständigen Essays. In der Erstfassung bestand dieses Vorwort aus wenigen Abschnitten in dritter Person über den Unterschied zwischen Biographie und Historiographie, in denen D’Annunzio seine Arbeitsmethode darlegte:

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An Cola di Rienzo, den er als eine Art Alter Ego betrachtete, interessierte D’Annunzio sein Eigentümliches als Individuum, seine außergewöhnliche Persönlichkeit und nicht die historische Dimension seines Handelns. Das methodische Vorhaben änderte sich nicht in der langen „digressione memoriale“, die der Autor der Vita di Cola di Rienzo im 1913 erschienenen Buch vorausschickte, die in erster Person verfasst und dem Freund Annibale Tenneroni gewidmet ist. Hier lobt D’Annunzio die Schönheit der toskanischen Landschaft und besingt die Freude am Reiten, aber er breitet sich auch über die Kunst der Biographie aus, wobei er eine Reihe von Beispielen nennt, die ihm als Muster gedient haben. Das Spektrum reicht von Petrarcas De viris illustribus bis zur französischen Version von Plutarchs Parallelbiographien, die der Humanist Jaques Amyot angefertigt hatte, und vor allem bis zu den Vite di uomini illustri von Filippo Villani. Im Allgemeinen wirkt der Essay, der in vierzig kleine Abschnitte eingeteilt ist, weitschweifig und unangemessen lang. Von großer Wichtigkeit war für D’Annunzio bei der Niederschrift der Vita di Cola di Rienzo auch die Lektüre der Cronica aus dem 14. Jahrhundert. Er las jedoch nicht das Original in altem römischen Dialekt, sondern – wie Bulwer-Lytton – die „toskanisierte“ Fassung des Werks, d. h. die „ridotta a migliore lezione ed illustrata con note ed osservazioni storico critiche da Zeflirino Re cesenate“ [„zur besseren Lektüre und durch historisch-kritische Anmerkungen und Erörterungen von Zeflirino Re aus Cesena“] angefertigte. D’Annunzio bediente sich der zweiten, erweiterten Ausgabe dieser Cronica, die 185425 veröffentlicht (und 1891 neugedruckt) worden war, und machte daraus eine „fantasiosa parafrasi“ [phantasievolle Paraphrase].26 Rienzi ist für D’Annunzio ein außergewöhnlicher Mensch, in dem Ideal und Tat wie im Übermenschen vereinigt sind, obwohl er am Ende gerade wegen seiner überspannten Menschlichkeit sein eigenes heroisches Vorhaben verrät. Anders als bei Wagner steht zwar in D’Annunzios Biographie Cola eine Frau zur Seite, aber beider Liebesgeschichte ist völlig marginal. Der Tribun bildet mit seinen Licht- und Schattenseiten die Achse des ganzen Geschehens. Wie er es schon in Il caso Wagner gemacht hatte, verteidigt hier D’Annunzio sein eigenes Künstlerrecht, kein moralisches Urteil über seinen Protagonisten fällen zu müssen. Mit La vita di Cola di Rienzo drückte D’Annunzio jedoch nicht nur seine Begeisterung für seinen Helden und dessen Taten aus, sondern verfolgte auch ein bestimmtes ästhetisches Projekt, das auf die Wiederherstellung einer höheren Sprache zielte. Mit dieser Arbeit wollte der Dichter eine lateinische Renaissance fördern, und zwar gegen die sich immer mehr ausbreitende Sprachbarbarei, die seines Erachtens sogar bei Schriftstellern wahrzunehmen war. Das Buch wurde daher bewusst zu einer Art nationalistischen Manifests der Großartigkeit der italienischen Literatursprache. Mit diesem Werk wollte D’Annunzio ein Porträt Rienzis anbieten, das weit entfernt von einem beschreibenden Naturalismus stehen sollte, denn „la realtà esatta è straniera all’arte eroica“ [die exakte Wirklichkeit ist der heroischen Kunst fremd]; er wollte die Rille weiterpflügen, die der von ihm so bewunderte Giosuè Carducci schon durchfurcht hatte, gegen die Korruption des Italienischen und gegen die veristische Poetik eines Alessandro Manzoni und eines Giovanni Verga.

Anmerkungen 1

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Richard Wagner, Rienzi, der Letzte der Tribunen, Uraufführung: Dresden, 20.10.1842; Richard Wagner, „Rienzi“, in: Wagners gesammelte Schriften, hrsg. von Julius Kapp, Leipzig, Hesse & Becker, o. J., Bd. 3, S. 57–105. Gabriele D’Annunzio, La vita di Cola di Rienzo, Mailand, Treves 1913. Vgl. Ronald F. Musto, Apocalypse in Rome: Cola di Rienzo and the Politics of the New Age, Berkeley, University of California Press 2003. Die Verwandtschaft zwischen dem Los Rienzis und demjenigen Hitlers ist bei der Aufführung an der Deutschen Oper Berlin 2010 unter der Regie von Philipp Stölzl hervorgehoben worden. Vgl. Christine Lemke-Matey, „Wagners ‚Rienzi‘: Der Diktator und sein Double“, Tagesspiegel, 26.01.2010. Nicht zufällig stellt Luigi Barzini in seinem den Italienern gewidmeten Buch Cola di Rienzo neben Mussolini (Luigi Barzini, The Italians, New York, Touchstone 1964). Zur Affinität Rienzis mit Mussolini vgl. auch Ronald F. Musto (Anm. 3). Richard Wagner, Mein Leben (Autobiographie 1813–64), Berlin, Contumax 2015, S. 178. Vgl. Anselm Gerhard, „Neben der ‚Spontini’schen Richtung‘ auch die Bellini’sche. Zur eklektizistischen Vielfalt von Wagners Rienzi“, wagnerspectrum 2 (2015), Würzburg, Königshausen & Neumann, S. 71–83. Vgl. Tobias Janz, „Rienzi-Philologie II. Zur diskontinuierlichen Biographie eines Hauptwerks“, wagnerspectrum 2 (2015), a. a. O., S. 35–61. Vgl. die Rezension über die von Philippe Jordan ausgewählten Varianten anlässlich der Aufführung der Oper bei den Salzburger Festspielen 2014: Peter Pachl, „Mit ungewöhnlichen musikalischen Varianten: Umjubelte ‚Rienzi‘-Premiere unter Philippe Jordan bei den Salzburger Festspielen“, nmz online, 12.08.2013 (https://www.nmz.de/online/mit-ungewoehnlichen-musikalischen-variantenumjubelte-rienzi-premiere-unter-philippe-jordan-b) [Mai 2018]. Edward Lytton Bulwer, Rienzi, The Last of the Tribunes, University of Virginia, Lippincott, S. 72.

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Solche Intention macht natürlich die Lektüre dieser Biographie besonders mühsam, und die Mehrheit der kritischen Stimmen verriss das Buch. Renato Serra sprach von einer „vecchia esercitazione stilistica“ [veralteten Stilübung], Giuseppe Antonio Borgese fand, die Vita sei „paludata di solenne retorica“ [vom schweren Gewand einer feierlichen Rhetorik umhüllt], Gianfranco Contini meinte, sie sei ein „infelice rifacimento […] che descrive in tono grottesco sardonico un caso clinico di megalomania“ [eine misslungene Umabreitung, die in grotesk-sardonischem Ton einen klinischen Fall von Größenwahn beschreibt]. Mit zunehmendem zeitlichem Abstand hat aber mancher seine Meinung geändert. Darunter ist Pietro Gibellini zu nennen, nach dem La vita di Cola di Rienzo im Schaffen D’Annunzios einen besonderen Wert einnimmt, denn sie sei „una tappa importante nella carriera intellettuale di D’Annunzio: una prova del suo utopico programma linguistico e delle sue discutibili idee politiche, ma anche un segno dell’intuitivo talento critico di un lettore-scrittore e delle sue singolari capacità di sperimentazione stilistica“ [eine wichtige Etappe in der intellektuellen Laufbahn D’Annunzios, eine Kostprobe seines utopischen Sprachprogramms und seiner umstrittenen politischen Meinungen, aber auch Zeichen des intuitiven kritischen Talents eines Lesers und Schriftstellers und seiner ungemeinen Fähigkeit des stilistischen Experimentierens].

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11 Anonimo romano, Cronica, hrsg. von Giuseppe Porta, Mailand, Adelphi 1979. Heute gilt als Autor Bartolomeo di Iacovo aus Valmontone, da in dieser Ortschaft, die 30 km von Rom entfernt liegt, das fragmentarische Manuskript zur Biographie Cola di Rienzis aufgefunden wurde (http://www. medioevo.roma.it/html/letteratura/cronica1.htm) [Mai 2018]. 12 Vgl. Pietro Gibellini, „Il Cola di Gabriele d’Annunzio“, in: Gabriele Scalessa (Hrsg.), Cola di Rienzo. Dalla storia al mito, Centro Studi G. G. Belli, Il cubo, Rom 2009, S. 79–100, insbes. Abschnitt. 4: Il cronista e gli scrittori: https://www.academia.edu/28616026/P. [Mai 2018]. 13 Richard Wagner, Rienzi, Stuttgart, Reclam 1983: S. 59 f. Nr. 14 Duo, Rienzi Irene. 14 Edward Bulwer Lytton, Rienzi. L’ultimo dei tribuni, übers. von S. M. Maggioni, Mailand, Ant. Fort. Stella e Figli 1836. Deutsche Ausgabe: Edward Bulwer Lytton, Rienzi. Der Letzte der Tribunen. Historischer Roman, übers. von Georg Nicolaus Bärmann, Zwickau, Verlag der Gebr. Schumann 1836. 15 Rienzi, l’ultimo dei tribuni; grande opera tragica in 5 atti, poesia e musica di Riccardo Wagner. Übers. von Arrigo Boito. Mailand, Francesco Lucca 1865; Mailand, Ricordi 1889. 16 Vgl. Bettina Vogel-Walter, „D’Annunzios Wagner“, wagnerspectrum 1 (2010), Würzburg, Königshausen & Neumann, S. 195–221. 17 Vgl. Giordano Bruno Guerri, D’Annunzio. L’amante guerriero, Mailand, Mondadori 2008, S. 110. 18 Eigentlich ist die Porziuncola eine Kapelle in der Basilica di Santa Maria degli Angeli bei Assisi. 19 Vgl. Gibellini, „Il Cola di Gabriele d’Annunzio“, a. a. O., S. 6. (Vgl. Fn. 12). 20 Das erste Heft erschien am 15. November 1905, aber die Zeitschrift war so kurzlebig, wie auch die Libreria editrice lombarda, der von Antongini zusammen mit Arnaldo De Mohr in Mailand gegründete Verlag. 21 Vgl. Guerri, D’Annunzio, a. a. O., S. 146. 22 Erstausgabe: Gabriele D’Annunzio, La vita di Cola di Rienzo, Vite di uomini illustri e di uomini oscuri, Mailand, Treves 1913. 23 Gabriele D’Annunzio, La vita di Cola di Rienzo. Vite di uomini illustri e di uomini oscuri, Gardone, Vittoriale degli Italiani 1939: Proemio dell’autore, S. XI–LXXIX. Zur Rekonstruktion der Veröffentlichungsgeschichte bei Treves sei auf den bereits zitierten ausführlichen Essay Pietro Gibelllinis verwiesen. 24 D’Annunzio, Cola di Rienzo, a. a. O., Proemio, S. XIV: „Es besteht also zwischen dem Historiker und dem Biographen ein großer Unterschied, wie zwischen dem Fresken- und dem Porträtmaler, da ersterer die Menschen im breiteren Kontext der zusammenhängenden Begebenheiten und in den wirkungsvollen Beziehungen zu dem öffentlichen Leben sieht, während letzterer sie nur in Bezug auf die auffälligsten Züge ihrer einmaligen Persönlichkeit darstellt.“ 25 Zeflirino Re, La vita di Cola di Rienzo, tribuno del popolo romano, scritta da incerto autore nel secolo XIV, ridotta a migliore lezione, Florenz, Le Monnier 1854. 26 So der hintere Buchdeckel des in Fußnote 11 zitierten Bandes: Anonimo romano, Cronica. Edizione critica, hrsg. von Giuseppe Porta.

D’Annunzio und Deutschland

D’Annunzio und die deutsche Kultur Musik, Hitler und Walter Benjamin

Auch eine knappe Untersuchung der Beziehung Gabriele D’Annunzios zu Deutschland zeigt alle bekannten und weniger bekannten Aspekte eines außergewöhnlichen Mannes, der mit seinen Werken, seinen erotischen und heldenhaften Unternehmungen, einer Mentalität, mit der er häufig gegen den Strom schwamm, fünfzig Jahre lang die literarische und politische Szene seiner Zeit dominierte. Aber es offenbart sich auch das tiefe, niemals seichte Interesse von einigen der herausragendsten deutschen Dichter und Musiker an dem italienischen Dichter.1 Zu den weniger bekannten Seiten des Vate zählen seine Ironie und sein sarkastischer, teils grotesker Humor, wie er sich in seinen häufig polemischen Artikeln, den Briefen und seinen persönlichen Notizen zeigt. Plakatives Beispiel ist seine Schmähschrift auf Hitler, in der er den Führer einen Anstreicher nennt, einen „boshaften Possenreisser“ mit einer „verlängerten Haarsträhne bis zur Wurzel seiner Nazinase.“2 Diese Notiz schrieb D’Annunzio 1934 an den Rand einer Seite der Divina Commedia, die posthum Jahre nach dem Tod des Dichters gefunden wurde. Ich möchte auch nicht weiter auf die Wahlverwandtschaft des Dichters mit Nietzsche eingehen, die zu D’Annunzios superomismo führte, da sie zu bekannt ist.3 Dafür möchte ich an dieser Stelle betonen, dass D’Annunzio in Richard Wagner nie seinen Meister gesehen hat, wenn überhaupt einen Kollegen, einen Bruder. Er nannte ihn „einen aristokratischen Revolutionär“; in der Ode per la morte di un distruttore, später eingefügt in die Elettra [1903], bezeichnete er ihn als einen „Sohn der Helenen.“4 Dennoch lernte er von Richard Wagner, dessen Lebensmodell ihn prägte und dem D’Annunzio sein Leben lang in den Träumen von Größe nachjagte. Er spürte die ganze verführerische Faszination von Wagners Musik, als dieser herausragende Komponist von den meisten Musikwissenschaftlern in Italien noch mit gemischten Gefühlen zwischen Neugier und Misstrauen betrachtet wurde. Dabei hörte er mehrmals in Neapel mit großer innerer Bewegung die Klavierversion von Tristan und Isolde, welche ihm Nicola van Westerhout vorspielte und versuchte, in einem kühnen Vorgriff auf die Avantgarde, die Wirkung der Leitmotive im Schlussteil seines Romans Il trionfo della Morte [1894] in Prosaform nachzubilden. D’Annunzio verfasste seine Stücke, besonders den Le Martyre de Saint Sébastien [1911], im Gegenlicht des Gesamtkunstwerks. Er träumte von einem großen Theater für seine Theaterstücke, das er Bayreuth entgegenstellen wollte. Überhaupt empörte er sich angesichts der berüchtigten und unsäglichen Vorwürfe, die Nietzsche gegen Wagner in Der Fall Wagner vorbrachte, und warf sich zur Verteidigung

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D’Annunzio und die deutsche Kultur

PAOLA SORGE

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Abb. 31: Gabriele D’Annunzio (Fondazione Giorgio Cini, Venedig)

des Komponisten in die Bresche mit drei Artikeln, die in der Tribuna im Sommer 1893 unter dem Titel Il Caso Wagner erschienen.5 Inspirationsquellen des Dichters, des Erzählers und Dramaturgen waren, öfter als man denkt, die Kompositionen der bekanntesten deutschen Musiker, von Beethoven bis Bach, Schumann und Brahms, die eine wichtige Rolle im Leben und Werk D’Annunzios spielen.6 Es genügt an Beethoven zu erinnern, der von ihm „l’Arcangelo combattente“ genannt wird, der kämpfende Erzengel: ihn beeindruckte nicht nur seine Musik, sondern auch seine gewaltige physische Erscheinung, die er mehrfach beschrieb; er bewunderte ihn für seinen starken Charakter, für seinen eisernen Willen, weiter zu komponieren und das Gehörleiden zu überwinden, das ihn plagte. Seine Sonaten bestimmen den Takt von Versen, Reden und Taten des Vate; sie sind Begleitmusik in fast allen dannunzianischen Romanen; im Notturno und im Libro Segreto werden sie heraufbeschworen. Im Hinblick auf den Krieg und den Hass, angeschürt vom Vate gegen die deutschen Invasoren, lohnt es sich, ein Missverständnis aufzuklären, das zahlreiche Kritiker und Biographen dazu veranlasste, ihn als „Kriegstreiber“ zu bezeichnen. Immer noch findet sich die Ansicht, welche die Existenz von starken nationalistischen Strömungen in unserem Land ignoriert, die tatsächlich zur Intervention im

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Abb. 32: Detail aus dem Gästebuch Thode / von Bülow Villa Cagnacco, später Vittoriale, Blick auf Gardone alto (Nationalarchiv Richard Wagner Museum Bayreuth)

Weltkrieg führte. D’Annunzio war daran nicht beteiligt, weil er den Krieg liebte, sondern weil er die „nazione sorella“, das heißt Frankreich nach der Invasion von Österreich und Deutschland, schnellstmöglich unterstützen wollte. Als er die Rede von Quarto [5. Mai 1915, gilt als Kriegsfanal Italiens, Anm. d. Übers.] hielt, hatte die italienische Regierung längst den Londoner Vertrag (26. April 1915) unterzeichnet, der Italien zur Teilnahme am Konflikt verpflichtete; sie nutzte den Dichter daher lediglich als Resonanzboden, als Werkzeug, um die Bevölkerung mitzureißen und für den Krieg zu gewinnen. Dass er dann an die vorderste Front ging und ein Kriegsheld wurde, war nicht vorgesehen, es lief außer Programm. Der fünfzigjährige Dichter betrank sich an seiner eigenen Rhetorik, nahm an der Beffa di Buccari teil [10./11. Februar 1918, eine Flaschenpost an den Kriegsgegner, Anm. d. Übers.], entwarf den Flug über Wien [über Wien abgeworfene Flugblätter, 9. August 1918] und bezahlte seine verrückten Unternehmungen mit dem Verlust eines Auges. Schließlich schloss er sich in einen goldenen Käfig ein, den er Il Vittoriale nannte, ehemaliger Wohnsitz von Heinrich Thode, einem prominenten deutschen Historiker und Kunstkritiker, ein Ort voller Bücher und Andenken, den der italienische Staat nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges [mit dem italienischen Kriegseintritt 23. Mai 1915] konfisziert hatte. Das frühe Interesse der Deutschen für das Leben und das Werk von Gabriele D’Annunzio ist sicherlich zu berücksichtigen. In den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts war der Vate auf dem Höhepunkt seiner Popularität in Deutschland; eine

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Popularität, die lange andauerte, wenn man bedenkt, dass sein Roman Das Feuer 1928 bereits die 34. Auflage erreichte. 1893 übersetzte und veröffentlichte Stefan George fünf Gedichte von D’Annunzio in seinen Blättern für die Kunst. Im gleichen Jahr am 9. August erschien in der Frankfurter Zeitung ein langer Bericht Hugo von Hofmannsthals mit einer Eloge auf den abruzzesischen Dichter, die später in einer Sonderausgabe der neapolitanischen Zeitschrift La Tavola Rotonda übersetzt und publiziert wurde. Der Vate tat einmal wieder etwas Unmögliches, osó l’inosabile. Bevor die Übersetzung in den Druck ging, änderte er sie einfach zu seinen Gunsten: er tauschte Definitionen aus, die ihm nicht gefielen, eliminierte für ihn unangenehme Sätze, hob die Lobhymnen hervor und erweiterte den Text mit Zitaten von Hofmannsthal, die vorher nicht enthalten waren. Nicht einmal der narzisstischste Schriftsteller würde sich das heute herausnehmen. Aber ein Kritiker und deutscher Denker, gegenwärtig äußerst geschätzt, kannte nicht nur unsere Sprache und das poetische Werk D’Annunzios, sondern machte dem Dichter aus Pescara auch eine unerwartete Hommage. Unerwartet, denn es handelt sich um eine Persönlichkeit, die mehr denn je entfernt scheint von der dannunzianischen Weltanschauung: Walter Benjamin. Während seines magischen Sommers in Capri 1924 übersetzte Benjamin ein Gedicht mit dem Titel Innanzi l’alba aus den Laudi und zwei Jahre später ein Lied mit der Widmung Alla divina Eleonora, das in der Ausgabe der Francesca da Rimini veröffentlicht wurde. Dieses letzte Gedicht, das lang, komplex und eher rhetorisch ist, wurde von ihm aufgrund der Nachfrage des Direktors der Avantgardezeitschrift Der Querschnitt übersetzt, der damit wahrscheinlich stärker die große Schauspielerin feiern wollte, die 1924 verstorben war, als D’Annunzio. Wir erleben hier ein Wunder: Die Verse des Dichters verlieren in der Version von Benjamin ihre rhetorische Kälte, gewinnen an Wärme und bereichern sich mit Gefühlen. Der feierliche Ton ist geschickt gedämpft, und neue Bilder ersetzen die ursprünglichen. Die Übersetzung von Innanzi Alba7, einem der schönsten Gedichte aus der Sammlung der Laudi, Alcyone, wurde noch nie publiziert; das Manuskript entstammt einem Frankfurter Archiv. Aus diesem Grund lohnt es sich, sie hier zutage zu fördern. Sie ist wortwörtlich und behält den Zauber der dannunzianischen Verse bei. Aber da ist eine traurige Note, die im Original fehlt und die auf eine auffällige Veränderung zurückgeht: Benjamin wechselt von der zweiten in die erste Person. In der deutschen Version wendet sich der Dichter nicht an die Geliebte, sondern spaziert allein am Meeresufer entlang; er allein pflückt die maritimen Narzissen, er allein spürt aus den Augen der Nacht den Tau regnen. Innanzi l’alba Coglierai sul nudo lito, / infinito / di notturna melodia, / il maritimo narciso / per le tue nuove corone, / tramontando nell’abisso / le Vergilie, / le sorelle oceanine / che ancor piangono per Hyas / lacerato dal leone.

Forse volgerò la faccia / in dietro talvolta io solo / per vedere la tua traccia / luminosa, / e starem muti in ascolto, / tramontando in tema e in duolo / le Vergilie, / le sorelle oceanine / a cui l’Alba asciuga il volto / col suo bianco vel di sposa. Vor Sonnenaufgang Sammeln will ich am verlassnen Strand / dem unendlichen / nächtlicher Melodien / die Narcisse des Meers / für deine erneuerten Kränze, / indessen zur Tiefe versinken / die Plejaden / die oceanischen Schwestern / die immer noch Klage um Hyas führen / der von dem Löwen zerrissen wurde. Ich werde am schweigsamen Ufer entlang gehen / Ich werde spüren wie Tau / sanft und rein  / von schweren Augen herabrinnt  / der sterbenden Nacht  / indessen im Frühschein versinken / die Plejaden / die oceanischen Schwestern / die bedroht sind vom Speere / des wilden Jägers. Vielleicht werde ich meinen Blick / rückwärts bisweilen kehren, allein, / um deine Spur zu sehen / die leuchtende / in dessen in Kummer und Not versinken / die Plejaden / die oceanischen Schwestern / denen Morgenrot ihr Antlitz trocknet / mit seinem weissen Brautschleier.

Übersetzung aus dem Italienischen: Bettina Vogel-Walter

Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Centro nazionale di studi dannunziani (Hrsg.), D’Annunzio e la cultura germanica, Pescara, Ediars-Oggi e domani 1984. Vito Salierno, La censura occulta e palese nei confronti di D’Annunzio, Rocco Carabba, Lanciano 2011, S. 93–118. Paola Sorge, Vita di un superuomo, Rom, Castelvecchi 2013; dies., Motti dannunziani, Lanciano, Carabba 2010. Die hier zitierten Werke von Gabriele D’Annunzio stammen aus der in Rom 1995 erschienen Ausgabe Opera Omnia im Verlag Newton Compton Editori. Gabriele D’Annunzio, Il caso Wagner, hrsg. von Paola Sorge, Rom, Elliot 2013. Paola Sorge, Musica e musicisti nell’opera di Gabriele d’Annunzio, Lanciano, Carabba 2018. Die Übersetzung von Innanzi l’alba findet sich in: Nuovi Quaderni del Vittoriale, n. 1, Mailand, Electa 1993.

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D’Annunzio und die deutsche Kultur

Andrem pel lito silenti; / sentiremo la rugiada / lene e pura / piovere dagli occhi lenti / della notte moritura, / tramontando nel pallore / le Vergilie, / le sorelle oceanine / minacciate dalla spada / del feroce cacciatore.

Henry Thode und die erste nationalistische Kunstkritik In der Villa Cargnacco (Vittoriale): Wagner – Dürer – Thoma

Zunächst dachte ich, es wäre möglich, Henry (Heinrich) Thode (1857–1920) allein als einen Kunsttheoretiker vorzustellen, der in einem besonderen historischen Kontext lebte und dessen eigene Position ein Reflex, eine dialektische Reaktion, auf die nationalistische Kunst in Deutschland und Italien war. Ich wollte Thodes Rolle als unermüdlichen Verfechter der deutschen Kunst einfach beschreiben, der alten, später der modernen Kunst, als einer Komponente der Identität seines Volkes, dazu noch seinen enthusiastischen Einsatz für die Verbreitung des Werkes von Richard Wagner, alles gleichzeitig durchgeführte Aktivitäten, die teils eine toxische gegenseitige Wechselwirkung entfalteten. Thode war, wie wir wissen, nicht der erste, aber sicherlich einer der rührigsten Vertreter seiner Generation, der das Werk Wagners in die Kunstkritik einführte, darunter auch jene Werke, die stärker an das wechselvolle Schicksal des großen Komponisten und Interpreten der deutschen Mythen und Legenden gebunden waren. Auch der Wohnort Thodes in Italien erlangte Berühmtheit. Thode war der Vorgänger in jener Villa, die später Gabriele D’Annunzio in das Vittoriale verwandelte, Zufluchtsstätte des Gelehrten und Dichters, einen Ort der Reflexion und Selbstzelebration, an dem D’Annunzio als Prophet des Vaterlandes (vate) auf den Spuren Thodes und seiner humanistischen Vision wandelte und sich mit einer Kunstsammlung umgab, die jeden Tag stärker zu einem Fetisch seiner selbst wurde. Beide – Thode und D’Annunzio – schätzten den nietzscheanischen Kult des Individuums, wenn auch in einem unterschiedlichen Sinn. Diese Fragen werden ausführlich in einer neueren Studie aufgegriffen: Costruire nazioni: questioni identitarie nell’arte e nella critica tra Germania e Italia (1895–1915)1. Hier geht es auch um den Einfluss von D’Annunzio auf die entstehende Gattung der italienischen Kunstkritik von Angelo Conti, Vittorio Pica bis Ugo Ojetti, in denen sich der Keim des Nationalismus verspätet und verdünnt zeigt. Es bleibt aber D’Annunzios wesentlicher Verdienst, Italien, das internationale Aufmerksamkeit suchte, zu einer Auseinandersetzung mit anderen Ländern zu bewegen. Kürzlich stieß ich auf einige unveröffentlichte und sehr interessante Quellen, die das Thema der Tagung von 2017 in der Villa Vigoni noch konkreter vermitteln. Es handelt sich um einen kleinen Teil des Nachlasses, den Henry Thode dem Kunsthistorischen Institut in Florenz, heute Max-Planck-Institut, in dem ich arbeite, schenken wollte. Thode war in diesem Institut selbst auch sehr aktiv. Vor allem entstand dort die wichtige Freundschaft mit Adolfo Venturi, dem Vater der italienischen Kunstgeschichte. Im Nachlass finden sich eine Handvoll Karteikarten, die

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SILVIA GARINEI

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Abb. 33: Foto von Henry Thode am Eingang der Villa Cargnacco, später Vittoriale (Fondazione Il Vittoriale degli Italiani, Gardone)

offensichtlich nicht Teil des ursprünglichen Erbes waren. Im Wesentlichen bestehen sie aus bibliographischen Karteikarten und Anmerkungen, die auf Thodes venezianische Studien zurückgehen, welche die Sammlung der Werke und Kunstobjekte aus seinem Besitz und dem seiner Frau, Daniela Senta von Bülow, betreffen. Möglicherweise wurden sie bis 1898 in der Villa von Cargnacco (später Vittoriale) aufbewahrt – zumindest nach dem Archivverzeichnis. Wie Silvia Urbini schreibt 2, die das Material 2014 sichtete, gibt es auch eine zweite Liste über das Inventar der Villa, verfasst von dem Professor und Superintendenten Giuseppe Fiocco, und zwar als D’Annunzio die im Ersten Weltkrieg vom Staat beschlagnahmte Villa ankaufte, eine Liste, die nicht der entspricht, mit der wir uns hier beschäftigen.3 Die Karteikarten enthalten eine Handvoll Schriften, die Inhalte und Bezüge der Werke zu Kultur und Werten des Deutschtums herausstellen sowie Informationen, Anekdoten und deren Deutung einer echten „Wagnerisierung“ unterwerfen. Einige davon erweisen sich als besonders hilfreich für die Fragen der Tagung. Es sind drei Heliographien, Pläne welche die berühmten Meisterstiche von Albrecht Dürer reproduzieren und Gemälde und Stiche von Hans Thoma, wobei ich beschloss, ihre nähere Beziehung zu Wagner und der nationalistischen Kultur seiner Zeit zu behandeln in Anlehnung an die Studie von Lydia Goehr aus dem Jahr 2011 „– wie ihn uns Meister Dürer gemalt!“: Contest, Myth, and Prophecy in Wagner’s Die Meistersinger von Nürnberg.4 Dieser Aufsatz ist ein exegetischer Ansatz über die Beziehung Wagner – Dürer – Hans Sachs, dargestellt in den Meistersingern von Nürnberg. Die Karteikarten erlauben eine visuelle Rekonstruktion der Montage der

Abb. 34: Villa Cargnacco in der Zeit von Thode / von Bülow

Wartburg in Bildern und schriftlichen Quellen, und machen Daniela von Bülow als Verfasserin sichtbar. Bei einer ersten Untersuchung sind die Originale nicht wieder aufgetaucht, aber ich kann nicht ausschließen, dass sie sich, auch gut sichtbar, in einigen der zuständigen Museen befinden.5 In ihnen wird versucht, eine virtuelle Rekonstruktion auf der Basis von präzisen Daten zu erstellen, nicht nur in Hinsicht auf den Inhalt, Resultat dieser historischen Quellenzusammenstellung, sondern auch in visueller und ästhetischer Form. Der von Goehr überlieferte Ausruf – wie ihn uns Meister Dürer gemalt! – wird von Eva im Dialog mit Magdalena im ersten Akt der Meistersinger verkündet, eine Anspielung auf das Bild von David „cosí come l’ha dipinto a noi il Maestro Dürer“, einer Darstellung, die nie von Dürer realisiert wurde, aber die Rolle eines virtuellen Simulacrum seiner gesamten Malerei übernahm, in welcher der Inhalt der Traditionen und der modernen Ansprüche des Landes neu gesetzt wurden. In Die Geburt der Tragödie von Nietzsche – ebenfalls passionierter Kenner von Dürer – finden wir den anderen ebenso bekannten Passus, der den Schüler Arthur Schopenhauer mit dem Ritter in Der Ritter mit Tod und Teufel 6 vergleicht. Der Protagonist der Wagneroper, der Schuster und Meistersinger Sachs, ist inspiriert von dem realen Meistersinger Hans Sachs, der in Literatur, Dichtung und Liedgut traditionell seit Generationen neben Dürer gestellt wurde.7 Sachs und Dürer haben beide, zusätzlich zur gemeinsamen Herkunft aus Nürnberg – zu dieser Zeit neben Berlin geistige Hauptstadt im Reich, Wiege von Kunst und Forschung in zahlreichen Gebieten – das gleiche Lebensziel, nämlich die Botschaft Luthers zu verbreiten und zu interpretieren, die gleiche Vorstellung über die menschliche Mission ihrer Kunst, wie die Erzeugung einer populären Phantasie, die den Alltag des Volkes mit den unveränderlichen Werten verbindet, die dem deutschen Volk ei-

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gentümlich wären. Sachs selbst hatte Dürer als Autor zahlreicher Texte über die Kunst gefeiert, und beanspruchte für ihn die gleiche künstlerische Anerkennung wie für die klassischen italienischen Humanisten. In der Oper schmiedet Wagner den Menschen im Licht der gleichen ethischen und moralischen Werte aus Geschichte und Kunst des frühen 16. Jahrhunderts in Deutschland – die Meistersinger verkörpern die Tugenden Gerechtigkeit und Großmut, an denen sich das Volk inspirieren sollte – und geht auf die Gründe für die Entstehung des lutherischen Christentums ein und seiner Bedeutung für die nationale Unabhängigkeit. Dabei bringt er die am häufigsten für diesen Zweck verwendeten Themen in Zusammenhang: die Bedeutung moderner Kunst und Religion sowie die Unabhängigkeit des Landes als ewige Themen, angereichert mit mystischen Anspielungen, die Wagner aktualisierte, indem er die Gegenwart aus dem Blickwinkel der Antike las, im Namen der Idee einer vollständigen Wiedergeburt der modernen Welt. Es ist nicht meine Aufgabe, und ich könnte auch gar nicht über den Sinn des Werkes in Bezug auf das Schicksal Deutschlands und das große Versprechen einer sozialen und ästhetischen Revolution der Menschheit referieren, das Wagner zumindest in der Abhandlung Kunst und Revolution von 1849 anstrebte, noch wie dies später interpretiert wurde. Dürers Engagement passt jedoch perfekt in den Aufbau einer Genealogie des deutschen Nationalismus, an der man seit einem Jahrhundert arbeitete – und das wurde immer deutlicher –, in der Wagner neben seinem Freund Nietzsche einen Platz fand.8 Dürer wurde von Richard Wagner verehrt, der ihn für eine der prägenden Persönlichkeiten des Gesamtkunstwerks hielt, und von Cosima, die ihn ihrerseits neben Bach und Beethoven stellte – und dabei von unserem deutschen Wesen sprach. Auch der junge Philosoph Nietzsche würdigte Dürer, nicht zuletzt durch die offenkundige Nähe der Einfachheit seiner Darstellungen und der moralischen Inbrunst, die auch Wagners Werke charaktierisieren, und sah in beiden Künstlern Schlüsselfiguren für die Prägung eines deutschen Charakters.9 Zwei der Werke, die in den Karteikarten beschrieben werden, sind Heliographien – schreibt Thode. Sie reproduzieren die Stiche Melencolia I und Ritter, Tod und Teufel von Dürer, die auf jene Gegenstände verweisen, die Nietzsche und Cosima zu Weihnachten 1870 Wagner schenkten. Wir wissen jedoch nicht, welcher Art von Reproduktion die geschenkten Objekte waren, und daher können wir nicht sicher bestätigen, dass es sich tatsächlich um dieselben handelte. Nietzsche besaß seit längerer Zeit bereits Kopien von Dürer und fünf Jahre später schreibt er sogar, er sei im Besitz des originalen Meisterstichs Ritter, Tod und Teufel.10 Die Stiche wurden von Thode als „In Rahmen mit Inschriften, welche Daniela ausgesucht hat. 1890“ beschrieben. Diese Inschriften wurden unter den Namen der Autoren niedergeschrieben, aber es gibt keinen Hinweis auf die Originaltexte wahrscheinlich, weil es sehr bekannte Titel waren. Beginnen wir mit Melencolia I, der von einem Scherz aus dem Munde von Sachs im III. Aufzug der Meistersinger begleitet wird, „Glaubt mir, des Menschen wahrster Wahn wird ihm im Traume aufgethan“ (Meistersinger, 3. Aufzug, Z. 2003 f.). Hier wird die Illusion des Traums –

Abb. 35: Signatur/Bildlegende: KHI – THO, U1, u1c, u1c3 (Archiv Kunsthistorisches Institut in Florenz – Max-Planck-Institut)

ein immer mit der Melancholie verbundener Aspekt, schläfrig dargestellte intellektuelle Erregung – als authentisch betrachtet, eine unbewusste Dimension der inneren Gedankenwelt, die im Seelenzustand des Träumenden wohnt, wenn wir ihn im Lichte der kurze Zeit später entstandenen Freudschen Theorien interpretieren, wie es oft passiert ist. Die Rolle des Traums spielt in großen Teilen des wagnerschen Werks eine zentrale Rolle,11 besonders aber in den Meistersingern von Nürnberg, denn der Traum liefert den Schlüssel, um den Konflikt zwischen Alt und Neu zu lösen, den Bruch zwischen dem Geist der Tradition und der Geburt des Kunstwerks der Zukunft zu heilen, wo der Meistergesang die Bedeutung von „alt“ und „alter Musik“ hat. Aber es handelt sich hier ebensowenig um eine Kritik an den Überlegungen des realen Hans Sachs: tatsächlich ist die poetische „Norm“ und die soziale „Herrschaft“ der Bourgeoisie der eigentliche Motor der Oper und damit der tatsächliche Gegenstand der Diskussion. Alles, was in den Dialogen erwähnt wird, wird zwischen dem Alten und dem Neuen aufgeteilt, und die Meistersinger repräsentieren das Ideal einer unbeweglichen und starren, selbstreferentiellen Kunst. Obgleich er nicht die Regeln des Zusammenlebens und den Sinn der Tradition direkt hinterfragt, beginnt Wagner den ersten Akt mit einer ästhetischen Diskussion rund um das Alte und das Neue, das Verhältnis von Künstler und Publikum, Kunst und Popularität. In Sachs Schreibstube wird die Synthese von Altem und Neuem durch den Traum verwirklicht: Stolzing erzählt seinen, dessen Festhalten mit Gewissheit und Entschiedenheit einzig mit dem Instrument der Intuition eingefangen wurde, mit dem Unbewussten, mit dem er die alte Form der Kunst wiederentdeckt und dabei

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gleichzeitig erneuert. Duch die Führung von Sachs erreicht das Publikum die Versöhnung von Traum und Kunst, von Intuition und Tradition. Der Traum ermöglicht den Zugang zu den elementaren Kräften der Natur, die den Bewusstseinshorizont des einzelnen Menschen überschreiten. Es ist eine Art Vorhang, der uns erlaubt, auf das Sichtbare zu schauen und die Symbolik der Natur, die Manifestation Gottes, zu erkennen12, und den Traum, dem der Status einer kreativen Tat zugestanden wird – dank der Macht, sich durch die Bildsprache auszudrücken –, auch Herrschaft über die Ereignisse der Zukunft zu verleihen, die ihn zum Überbringer einer neuen und unmittelbaren Wahrheit macht, in die Zukunft verweist und gleichzeitig die Gültigkeit der bestehenden Regeln bestätigt.13 Der Traum wird unter den Auspizien des Hellsehens das ästhetische Kriterium, um Bilder aus dem eigenen Inneren visuell wahrzunehmen, so die These. Nicht selten können daran auch Personen aus dem Jenseits beteiligt sein – übermittelt von einem Auge, das ins Innere schaut und sich dabei an die Bilder, die es sieht, erinnert und sie festhält.14 Der Meistersinger, Schuster und Dichter, ist daher in der Lage, das Wesen der Dinge zu erkennen und unbehelligt von Unruhe und Chaos der Welt selbst rein zu bleiben, da er Ehrlichkeit, Rechtschaffenheit, innere Stärke und Unabhängigkeit erkennt. Genauso machte es Dürer, dessen Figuren von Goethe charakterisiert werden: „Aber die Welt soll vor dir stehen / Wie Albrecht Dürer sie gesehen, / Ihr festes Leben und Männlichkeit, / Ihre innere Kraft und Ständigkeit. / Goethe.“ Dieses Zitat schrieb Cosima neben den Stich Ritter, Tod und Teufel. Das Zitat stammt aus der Dichtung Erklärung eines alten Holzschnittes vorstellend Hans Sachsens poetische Sendung 15 (1776) und zeigt Dürer als jemanden, der sich Attributen falscher Weltdarstellung entgegenstellt, den lebensfremden Regeln, die ein Eigenleben führten und zu oft nur noch lächerlich oder von Unfähigkeit verdorben wirkten. Der rechtschaffene Mensch sollte die Welt durch die Bilder von Dürer sehen, mit dessen Augen, erfüllt von Ehrlichkeit, Großzügigkeit und Gerechtigkeit. Wenn im Gedicht von Goethe die weibliche Allegorie vor Sachs den Vers zitiert, öffnet sie das Fenster und zeigt auf das vielfarbige Zusammenspiel der Außenwelt. In diesem Moment nimmt Sachs die Straßen, die Häuser und spitzen Dächer seiner Stadt wahr, überragt von der Burg des Kaisers, genau jene Landschaft, die im Hintergrund der Kupferstiche Dürers gut zu erkennen ist.16 Nach der Komposition Goethes gilt Wagners Meistersinger als eine der Hauptquellen, in denen Sachs’ Verhältnis zu seiner Stadt überzeugend dargestellt wurde. Nürnberg, das im Libretto ein wesentliches Element für die Entwicklung der Geschichte darstellt, ist genau die Stadt, in welcher der Adlige Walther von Stolzig aus Sachsen unbedingt Bürger werden möchte, eine Stadt, die Kunst anerkennt und die Meister ehrt. Sachs verwendet in seinen Opern die in der Stadt gebräuchlichen Ausdrücke und erneuert damit die traditonelle künstlerische Aufgabe. Auf der Karteikarte, in der Thode über die beiden Stiche berichtet (Abb. 35), findet man auch eine Beschreibung von Der heilige Hieronymus im Gehäus, dem dritten Meisterstich Dürers17, begleitet von dem Passus „[Da] fand ich auch in der

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Abb. 36: Meisterstich von Albrecht Dürer, Hieronymus im Gehäus, 1514

Meng / Psalmen und andre Kirchensänge. […] So viel mir ausweist die Memori / Zu Gottes Preis, Lob, Ruhm und Glory. Hans Sachs“, entnommen aus Summa aller meiner Gedichte vom 1514. Jahr an bis ins 1567. Jahr, 1. Januar 1567, von Hans Sachs. Im Gedicht erzählt Sachs sein Leben seit der Geburt, er erwähnt die Lehre als Schuster, sein Umherschweifen in den großen Städten Süddeutschlands, die Ankunft in Nürnberg und auch die Hinwendung zur Poesie, das Studium christlicher Bücher und Psalmen und den Gesangsunterricht. Im vollständigen Originaltext geht dem Zitat eine lange Passage über die Vielfalt der Inspiration seiner Poesie und seiner Inszenierung voraus, die ihn zur Veröffentlichung zahlreicher Bücher verschiedener Genres veranlasste: Dichtung, Prosa und Reden, Verse und Aphorismen (Spruchbücher), geistliche Lieder und Psalmen, alles dank der Güte und unter der Führung des Herrn – wie er schreibt. Die Bücher und das Tintenfaß als Attribute, die wir in der Zelle des Hieronymus sehen, finden wir wieder im Inhalt einer Korrespondenz, unter anderem bei Ludwig Ritter, und mit weniger Details mit Lukas Kilian, wiederaufgenommen später bei Johann Jakob Leberer.18 Sie werden von Sachs häufig verwendet, was kein Zufall sein kann. Die Stiche von Hieronymus und Sachs zeigen in der gleichen Weise die Summe von Handlung und Meditation, intellektueller Arbeit des Menschen, der

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unter der Führung göttlicher Offenbarung ruhig handelt und reflektiert, wie die letzten Worte des Verses von Sachs erläutern. Mit dem Porträt von Leberer taucht sowohl die Frage nach der Beziehung Sachs-Dürer auf als auch nach Traum und Vorahnung, während sich das Porträt von Richter auf eine größere Zahl von spezifischen Einzelheiten bezieht: Beide werden dargestellt, während sie in ihren Zellen schreiben und Foliobände dichten. Statt des Schädels und des Stundenglases finden sich bei Sachs Werkzeuge des Handels und Schuhprodukte, profane Objekte, die auf gewisse Weise die Heiligkeit des Stundenglases und des Presbyterhutes von Hieronymus annehmen. Mit dem Sachs von Richter setzt sich die Sakralisierung und Stilbildung des Meistergesangs durch, mit großem Potential für die zukünftige Rezeption des deutschen Mittelalters19, dessen graphische Produktion sein Ausdrucksmittel ist. Im Hinblick auf die besonderen Merkmale der mittelalterlichen deutschen Zeichnungen und Illustrationen möchte ich auf Wilhelm Worringer verweisen. Er erklärte 1912 die Illustration zu einem Ausdrucksmittel, das dem spirituellen, „unsinnlichen“ Charakter der deutschen Kunst am besten entspräche, einem Prinzip der „Ausdruckskunst“ im Gegensatz zur „Darstellungskunst“ in Klassik und Renaissance, einem Topos, in dem sein Wert und seine Eigenarten liegen würden.20 Es waren die Maler Memling, van Eyck, Dürer, Holbein, Fischer und Schluter, die unwiderruflich den Weg der deutschen Kunst, ihren unübertrefflichen Charakter der Beherrschung der Form und des idealen Inhalts aufzeigten.21 Angesichts der reichhaltigen Literatur zu Dürer und speziell zu Melencolia und Ritter, Tod und Teufel wäre es hier unmöglich, das Panorama möglicher Verbindungen zwischen Dürer und den Theorien des Nationalismus der Jahrhundertwende zu ziehen, wobei dies wahrscheinlich schon längst erfolgt ist. Im Folgenden werde ich die Stiche anhand der Arbeiten des Verfassers der Karteikarten, Henry Thode, betrachten, der einer der hartnäckigsten Theoretiker nationalistischer Grundsätze in der Kunst der Antike und der Moderne war, in gewisser Weise eine von den wichtigen Kreisen der deutschen Kunsthistoriker unabhängige Gestalt in den großen Universitätszentren, mit denen er im Laufe seiner Karriere mehrmals im Konflikt stand. Durch die chronologische Auseinandersetzung mit seinen Schriften versuchen wir, uns auf die Inhalte zu konzentrieren, die den Montagen Daniela von Bülows zugrunde liegen könnten. In Dresden 1857 geboren, war Thode Schüler von Hermann Grimm in Wien, hielt sich aber selbst für einen Autodidakten und schloss seine Studien mit einer Dissertation über die antiken Modelle der Stiche von Marcantonio Raimondi, Agostino Veneziano und Marco Dente (1880)22 ab. Sein Werk ist von Anfang an durch die Einnahme einer sehr klaren und stark nationalistischen Haltung bestimmt, zur Vorbereitung eines granitenen Systems aus Werten und Emblemen für eine ethnische, unveränderbare Identität, während seiner etwa dreißig Jahre andauernden Propagandatätigkeit. In der Frage des französischen Primats in der gotischen Kunst leugnet Thode jeglichen französischen Einfluss auf die Entwicklung der deutschen Gotik 23; er verpflichtete sich dann auch vorbehaltlos, dem Vormarsch des fran-

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zösischen Naturalismus in Deutschland entgegenzutreten,24 und war dabei unter den Kunstkritikern patriotischen Geistes vielleicht der rührigste an der Front der zeitgenössischen Kunst. Was den Einfluss der italienischen Tradition anbelangt, kam seine Position einer völligen Negierung gleich, zumindest im Hinblick auf die deutsche Kunst. Unter seinen ersten Artikeln waren vier, die Dürer betrafen, für die er von Kollegen und sogar seinem eigenen Professor angefeindet wurde und in denen er den Maler vollständig vom Einfluss italienischer Kultur befreite, die er zwar bewundern würde, aber die zu verschieden sei vom deutschen Geist, um für eine aussagekräftige Forschung nützlich zu sein.25 Zunächst ging es bei der Diskussion vor allem um die Beziehung zwischen Dürer und Jacopo dei Barbari und deren Interpretation der antiken Vorlage, wobei ersterer genau das Modell wiedergeben wollte, und der zweite stattdessen Variationen einführte und so mit der traditionellen Hochachtung und dem Respekt gegenüber den Künstlern der Renaissance brach. Die Diskussion, ob Dürer in der Schuld gegenüber der klassischen Kunst stehen würde, war damals von konstanter Aktualität mit Beteiligung zahlreicher Kunsthistoriker. Die Autonomie des größten Künstlers der deutschen Renaissance gegenüber der klassischen mediterranen Tradition, deren großen Einfluss auf sich selbst Dürer immer betonte, war ein fundamentaler Streitpunkt im Nord-Süd Gegensatz, der seit den Tagen von Winckelmann und Herder auf der Basis der Kunsttheorien geführt wurde, auf deren Entwicklung nicht nur Thodes Gedanken beruhten, sondern die einer ganzen Generation von Grimm, Schmarsow, Wölfflin und so weiter, bis zu dem fortschrittlichen Julius Meier-Graefe. Parallel zu Thode widmete auch Heinrich Wölfflin sein Lebenswerk der Neusichtung der künstlerischen und kulturellen Beziehungen zwischen Italien und Deutschland und ihrer beidseitigen Positionen.26 Für Wölfflin war das Volk selbst verantwortlich für seinen Stil, der „Wille zur Form“ oder die „formale Phantasie“ vollzogen sich ausschließlich auf Basis der Begriffe Volk und Rasse.27 Zwischen 1903 und 1904 kehrte er ein zweites Mal nach Italien zurück mit der Absicht, die Interpretation des Werks von Goethe zu aktualisieren, sich von „der giftigen Verführung Italiens“28 zu befreien, die Idee der Italienreise zu verwandeln, und zwar von einer Reise innerhalb der „Geschichte des deutschen Italianismus“ in ein einfaches, sachliches Zeugnis.29 Das Resultat der Reise war das Werk Die Kunst Albrecht Dürers (1902–1905), mit dem ausdrücklichen Hinweis auf den Gegensatz von nordischer und italienischer Kunst, auf die enge Beziehung, die jeden Künstler mit dem eigenen Land verbindet, und so könnte es tatsächlich die Antwort von Wölfflin auf die Erfahrungen Goethes darstellen. Kehren wir zu Thode zurück. Im zweiten Artikel über Dürer von 188830 bekräftigte er die Immunität Dürers gegenüber der italienischen Renaissance, da er „germanisch konditioniert“ gewesen sei, und stellte stattdessen eine Interpretationslinie in den Mittelpunkt, flankiert von Ideen und Inhalten einer Kunst, die von einem gefühlsmäßig nordischem Christentum geprägt war, im Gegensatz zu einer formal katholischen Kunst. Thode stellte das religiöse Gefühl an die Basis des unterschied-

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lichen Empfindes beider Völker und, wie es im Lauf der Geschichte schon passiert war, verband er die Größe Dürers mit der von Luther. Nur ein weiterer deutscher Künstler sei in der Lage, das gleiche zu tun und im Kunstwerk eine harmonische Synthese von Form und Idee herzustellen, nämlich Richard Wagner, dessen brillante Leistung mit der Sonne verglichen wurde, mit ihrer wertvollen und heilsamen Kraft, die die Fähigkeit besitze, den Impuls des Lebens und die Leuchtkraft der Farben zu enthüllen.31 An dieser Stelle möchte ich auf einen Passus im Tagebuch Cosimas verweisen, der schon von Goehr hervorgehoben wurde. Es handelt sich um eine Diskussion mit Wagner 1869 über die Kunst Dürers, die ihn veranlasste, darüber nachzudenken, ein Theaterstück über Luther zu schreiben.32 Das Bayreuther Kunstwerk war Titel einer Vorlesung, die Thode an der Universität Bonn hielt, im Wintersemester 1887. Sie stellte sich aufgrund der stark hervorgehobenen nationalistischen Akzente als nicht willkommen heraus. Thode riskierte damit, beinahe seinen Posten zu verlieren. Nach anderen mittelmäßigen Ergebnissen seiner Arbeit konzentrierte er sich 1891 vor allem auf zwei Themen: ein unveröffentlichtes Altarbild der Stadt Meißen, das er glaubte, Dürer zuschreiben zu können, und das Werk des Künstlers und Freundes Hans Thoma. In Albrecht Dürer. Deutsche Kunst und deutsche Reformation, veröffentlicht 1901, schlug Thode erneut – aber diesmal ausführlicher formuliert – vor, den Nord-SüdGegensatz über das Verhältnis der Kunst (in Deutschland) zur Religion zu lesen. Die mystische Religiosität von Luthers Lehre, zusammen mit der Vorstellung, dass Gottes Gunst nicht aus eigener Leistung zu erlangen sei, sondern der Gläubige das Heil allein durch Gnade (sola gratia) empfange, sei Ausdruck einer neuen Kultur, die endlich auch in der Lage sein würde, das deutsche Volk zu vereinen. Bis zu Dürer sei die Kunst nichts anderes gewesen als ein Vorspiel zu den Ideen der Reformation. Mit ihm und Luther hätte das religiöse Leben in der bürgerlichen Kunst Botschafter gefunden, und die Kunst sei dabei das natürliche Kind des Glaubens. Es seien verschiedene Verkörperungen der gleichen Idee, als tiefer spiritueller Ausdruck des Individuums. Ab dem folgenden Jahr begann Thode, eine Reihe von Vorträgen zu halten, die in Ostdeutschland reges Interesse fanden, und zwar über die drei Künstler, die für ihn am stärksten die deutsche kulturelle Identität repräsentierten: neben Albrecht Dürer der schon erwähnte Hans Thoma und Arnold Böcklin. Das geschah parallel zu seinen Verpflichtungen als Vortragsredner an der Seite von Cosima auf den verschiedenen Wagnerfeierlichkeiten, besonders anlässlich der Gedenkfeiern zum 20. Todestag, und den Vorlesungen über Wagner, die er in etwa sieben Städten des Landes hielt. Der Diskurs über Nationalismus in der Kunst wird von Thode systematisch behandelt in Die deutsche bildende Kunst (1898; 1902).33 Dieses Werk ist sicherlich eine der umfangreichsten Neufassungen in der Kunstgeschichte jener Jahre, hartnäckig tendenziös in allen Bereichen. In ihm soll gezeigt werden, wie Wesen und Veranlagung das künstlerische Vermögen eines Volkes determinieren.34 Die

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Gestaltung eines Ausdrucks, der zwischen Realismus und Idealismus vermittelt, auf welche Künstler jeder Epoche ihre eigene Antwort geben, hat für Thode einen einzigen Zweck, nämlich den, direkter Ausdruck nordischen Idealismus zu sein. Es handelt sich um eine liebevolle und phantasievolle Reproduktion der Realität, einen Naturalismus der deutschen Kunst, dank ihrer physisch-psychologischen Neigungen, dem Einfluss Langbehns, Wundt scheint in dem Zusammenhang sogar unterbewertet. Der deutsche Naturalismus war damit Ausfluss eines hohen Idealismus, der alltägliches Leben als Ort und Zeit betrachtet, in dem das Volk seine Ideale ausbildet. Durchgängiges Ziel von Thode war es, die Eigenarten der Malerei und der deutschen Bildhauerei herauszuarbeiten, jenseits einer stilistischen Katalogisierung und vor allem jenseits einer Unterwerfung unter Italien. Diese Intention belegte er mit einer Theorie über den Charakter des deutschen Individualismus, wie es schon in den literarischen Arbeiten der Zeit herausgearbeitet wurde. Die Werte, die der Einzelne verfolge, seien allein Ausdruck seines Volkes, denn sie ergeben sich aus dem gemeinsamen Lebensgefühl. Dennoch brauche es jemanden, der dies zum Ausdruck bringe. Nur ein Genie könne sich zum Träger der öffentlichen Werte machen, und zwar durch sein persönliches Gefühl, seine Originalität und seine angeborenen Fähigkeiten. Damit erinnert uns Thode direkt an Schopenhauer (Die Welt als Wille und Vorstellung) und widmet sich ausgiebig der Darstellung der Genialität Dürers.35 Nach dem vermeintlichen Mangel solcher Genies in den folgenden Jahrhunderten kommt Thode schnell zur eigenen Epoche und erläutert Menzel, Leibl, Uhde und Hildebrand, er feiert Arnold Böcklin und vor allem Hans Thoma, denn all diese Künstler drückten mit Originalität die Gefühle, Phantasie und Wünsche des Volkes aus. Beide (Böcklin und Thoma) klären, so Thode, die Beziehung von Mensch und Natur, dargestellt ohne jede Hierarchie der Geschlechter, aber mit der Andeutung von neuen und tiefen Übereinstimmungen zwischen den Geschlechtern, die ohne kulturelle Konventionen möglich seien. Ihre Szenen changieren zwischen Ideal und Realität, wo wir keine wahren Mythen finden, sondern nur Menschen oder mythologische Halbgötter.36 Dieses Thema befindet sich auch im Zentrum des folgenden Beitrags von 1902 über Böcklin, aber dieses Mal stellt Thode den Maler Böcklin neben ein anderes Genie seiner Zeit, nämlich Richard Wagner, und zwar wegen deren gemeinsamer Neigung, Mensch und Natur als Einheit zu sehen: in den Themen, die sowohl der Maler als auch der Komponist auswählen, verschmelzen griechische und deutsche Mythologie, erdacht von einem poetischen Geist, der die eigenen Spuren in der mäandernden Geschichte verliert.37 Aus dem Jahr 1905 sind acht Vorträge bekannt, Böcklin und Thoma: Acht Vorträge über neudeutsche Malerei gehalten für ein Gesamtpublikum an der Universität Heidelberg im Sommer 1905, in denen sich Thode Themen über die Zugehörigkeit zur Nation stellt: Was ist deutsch? und Der schwache Zustand der Kunst im 19. Jahrhundert sind die Titel des zweiten und dritten Beitrags. Die letzten beiden Vorträge sind vollständig Arnold Böcklin und immer wieder Hans Thoma gewidmet und können als eine gewissenhafte Widerlegung der Theorien über die Suprematie der jüngst in Deutschland verbreiteten französischen Kunst gelesen werden.38

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Abb. 37: Hans Thoma, Gemälde von Cosima Wagner (Fondazione Il Vittoriale degli Italiani, Gardone)

Der Grad an Modernität, den Thode in deutschen Malern fand, konkurrierte mit einer akzentuierten Verinnerlichung der realistischen Lehre – aber in Böcklin gibt es nie einen Prozess über Entfaltung oder Auflösung einer Handlung noch die Wahrnehmung des Vergehens der Zeit. Dies basiert auf einem individuellen mnemonischen Prozess, durch den in der Erinnerung die realen und die von der alten Kunst erhaltenen Eindrücke gesammelt werden, nicht um den Menschen in einem idealen Kontext darzustellen oder seine Größe und Vollkommenheit an die Oberfläche zu bringen, sondern um seine persönliche Vision mit Klarheit und Vollständigkeit wiederzugeben. Beim Aufspüren einer Mythologie des Volkes in der Natur, in der Symbiose Mensch-Natur, widmet besonders Hans Thoma seine schöpferische Phantasie der Darstellung des Körpers in der ganzen Fülle des Lebens bis zur Wiedergeburt des Menschen in der Landschaft. Die Arbeit wird so das Ergebnis des Versuchs, Ideen und Vorstellungen in die Wirklichkeit zu bringen, und in seinem Wesen entspricht das einer Konkretisierung des poetischen Aktes. Böcklin und Thoma sind also weit entfernt von einem modern verstandenen Realismus genauso wie vom Klassizismus der antiken Kunst; in Hans Thoma und seine Kunst von 189939 sind religiöses Denken, Freiheit und Intimität beim Blick auf die Natur in ihre individuellen Formen bei ihm genauso vorherrschend wie bei Dürer und enthüllen ein Gefühl hingebungsvoller Frömmigkeit, eine Wiedergeburt der Natur in seiner Phantasie, das neue Erkennen einer inneren Beziehung mit der Welt. Dasselbe verwirklicht sich in seinen Darstellungen der Werke Wagners, in denen er die Protagonisten der deutschen Geschichte nach-

Übersetzung aus dem Italienischen: Bettina Vogel-Walter

Anmerkungen Silvia Garinei, Costruire nazioni. Questioni identitarie nell’arte e nella critica italiana e tedesca 1895–1915 Rom, Campisano Editore, 2019. 2 Silvia Urbini, Somni explanatio. Novelle sull’arte italiana di Henry Thode, Rom, Viella 2014, S. 38. 3 Die Liste von 1898 wird zusammen mit dem Henry-Thode-Nachlass im Archiv des Kunsthistorischen Instituts Florenz aufbewahrt; die zweite Liste ist ein Gutachten, das 1921 auf der Ministerkommission von Giuseppe Fiocco erstellt wurde. 1

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bildet und personalisiert, mit den Mitteln seiner Arbeit und seiner persönlichen Berufung, bis dahin, dass er Wotan sein eigenes Gesicht gab. Parallel zur schamlosesten Propaganda veröffentlichte Thode einige grundlegende Monographien über die italienische Kunst, darunter die berühmte und mehrfach wiederaufgelegte Edition Franz von Assisi und die Anfänge der Kunst der Renaissance in Italien, die auch auf italienische Studenten großen Einfluß ausübte, nicht zuletzt aufgrund seiner unermüdlichen Besuche in Florenz. Hier sehen wir, dass Thode den einzig wirklichen Austausch, den einzigen Einfluss italienischer Kunst auf die deutsche Kunst nicht durch die klassische Renaissance, sondern ausschließlich durch die mittelalterliche Malerei anerkannte, die mit dem Erscheinen des Heiligen Franziskus einsetzen würde. Dieser könnte mit seinen Ideen als ein Vorläufer Luthers angesehen werden. Die religiöse Konzeption der Franziskaner, die auf dem Einvernehmen zwischen Mensch und Natur basiere, hätte in der Tat einen wichtigen sozio-kulturellen Effekt gehabt, indem sie im italienischen Volk tiefe moralische Werte verbreitete, die mit denen der Deutschen übereinstimmten: beide seien in diesem Moment kein Selbstzweck, wie später die italienische Kunst, sondern strebten danach, das Innenleben des Volkes zu füttern, so Thode.40 Diese Werte hätten vor allem in der Toskana Fuß gefasst, wo die ausgeprägte Sensibilität des künstlerischen Ausdrucks die Durchsetzung des Franziskanismus ermöglichte41 und damit die Aufgabe der Kunst realisierte, einen spirituellen Inhalt durch eine einfache und abgeschlossene Form auszudrücken. Das Jahr 1912, als der dritte und entscheidende Band des umfangreichen Werks Michelangelo und das Ende der Renaissance42 erschien, hielt Thode den Vortrag Die italienische und die deutsche Kunst: Vergleich ihres Wesens43 aus Anlass des ersten Congresso Internazionale degli Storici dell’Arte, der in Rom stattfand. Die Veranstaltung, an deren Organisation Adolfo Venturi und Roberto Papini beteiligt waren und bei der neben Aby Warburg und anderen auch der Standpunkt Thodes ein starkes Gewicht hatte, erhielt den Titel L’Italia e l’arte straniera (Italien und die ausländische Kunst) – das bestärkte Italien in der dringenden Notwendigkeit für die Geschichts- und Kunstwissenschaft, sich mit dem „Anderen“ auseinanderzusetzen und auch selbst die eigenen Merkmale einer nationalen Kunst in Vergangenheit und Gegenwart festzulegen.44

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4 Lydia Goehr, „‚– wie ihn uns Meister Dürer gemalt!‘ in: Contest, Myth, and Prophecy in Wagner’s Die Meistersinger von Nürnberg“, Journal of the American Musicological Society 64, I, (2011), S. 51–118. 5 Persönlich habe ich nicht überprüft, wo sich die Werke befinden, die ich für diesen Anlass ausgewählt habe, möglicherweise haben sie mit der Scheidung von Thode und seiner Frau Daniela von Bülow den Weg nach Deutschland gefunden und befinden sich im Richard-Wagner Museum in Bayreuth. [Die Nachfrage in Bayreuth ergab, dass große Teile aus dem Besitz Thode / Daniela von Bülow im Vittoriale nicht in Bayreuth liegen, sondern verstreut in unterschiedlichen Museen. Anm. Bettina Vogel-Walter.] 6 Anspielung auf einen Absatz über Dürer in Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik, in der Nietzsche schreibt: „[…] den Ritter, mit Tod und Teufel wie Dürer uns gezeichnet hat“. Vgl. Jochen Schmidt, Kommentar zu Nietzsches ‚Die Geburt der Tragödie‘, Berlin, de Gruyter 2012, S. 372. 7 Great Men and Famous Women: A series of pen and pencil sketches, hrsg. von Charles F. Horne u. a., New York, S. Hess 1894; Friedrich Ahlfeld, Ernst Luthardt, Hans Sachs und Albrecht Dürer: Lebensbilder aus Nürnberg, Zwei Vorträge, Leipzig, Buchhandlung des Vereinshauses 1875. Siehe Karl Goedeke, Edmund Goetze (Hgg.), Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung, B. II, viertes Buch (Dresden 1866), Berlin, de Gruyter 2011, S. 411. 8 Zur Beziehung Wagner-Dürer und Nietzsche-Dürer-Wagner verweise ich auf das Schwerpunktthema „Wagner und die Bildende Kunst“, Wagnerspectrum X Heft 2 (2014); Matthias Schmidt, Arne Stollberg (Hgg.), Das Bildliche und das Unbildliche. Nietzsche, Wagner und das Musikdrama, Paderborn, Wilhelm Fink 2015, sowie die folgende Fußnote. 9 Siehe dazu Caroline Joan Picart, Thomas Mann and Friedrich Nietzsche: Eroticism, Death, Music and Laughter, Amsterdam/Atlanta, Rodopi 1999, S. 2 ff. 10 Vgl. Schmid, Kommentar, a. a. O., S. 372; Christian Behne, Claus Zittel, Nietzsche und die Lyrik: Ein Kompedium, Stuttgart, Metzler 2017, S. 60, und Curt Paul Janz, Vita di Nietzsche, Bd. I, Rom/ Bari, Laterza 1980, S. 365 und S. 570. Der beschriebene Stich im Original wurde Hochzeitsgeschenk für die Schwester Nietzsches, Ernst Bertram, Nietzsche. Per una mitologia, Bologna, Il Mulino 1988, S. 92. 11 Nach Arne Stollberg stammt die Wertschätzung Wagners für den Traum möglicherweise aus seiner Kenntnis von Die Symbolik des Traumes (1814) des Anthropologen der Romantik Gotthilf Heinrich von Schubert, einem Text, der ganze Generationen in Deutschland beeinflusste, inklusiv Freud. Arne Stollberg, „‚Der widerwärtige Anblick des Sängers‘. Nietzsches und Wagners Traum-Theater“, in: Schmidt/Stollberg (Hgg.), Das Bildliche und das Unbildliche, a. a. O., S. 60. 12 Stollberg, ‚Der widerwärtige Anblick‘, a. a. O., S. 60. 13 Rita Fischer, „Hans Sachs und die Meistersinger in der Oper des. 19. Jahrhunderts“, in: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg (Hrsg.), Die Meistersinger und Richard Wagner, Ausstellungskatalog 10. Juli – 11. Oktober 1981, Nürnberg 1981, S. 71–73. 14 Stollberg, ‚Der widerwärtige Anblick‘, a. a. O., S. 65. 15 Joachim Scharloth, Sprachnormen und Mentalitäten: Sprachbewusstseinsgeschichte in Deutschland, Tübingen, de Gruyter 2005, S. 477. 16 Norbert Götz, „Aspekte der Hans Sachs- und Nürnbergrezeption des ausgehenden 18. und 19. Jahrhunderts“, in: Gerhard Bott (Hrsg.), Die Meistersinger und Richard Wagner. Die Rezeptionsgeschichte einer Oper von 1868 bis heute. Eine Ausstellung des Germanischen Museums in Nürnberg, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum 1981, S. 79–85. 17 Die drei Kupferstiche Dürers werden von Friedrich Lippmann (1893) als in der klassischen Kultur wurzelnde Trias aus Tugend, Moral, Intellektualität und Theologie in der literarischen und philosophischen Tradition betrachtet, die von christlichen Werten durchdrungen sind, wie Dürer sie über die Margarita philosophica von Gregor Reisch kennengelernt hatte in dem Druck von 1503. Reisch war der Beichtvater von Maximilian I. und Freund von Erasmus von Rotterdam, und in ihm verflochten sich die Gedanken von Aristoteles und des Hl. Augustinus.

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18 Johann Jacob Leberer, Gespräch im Reiche der Todten zwischen Hans Sachs, Grübel und Albrecht Dürer, über die alte und neue Zeit, Ein Traumgedicht welches mir am Albrecht Dürer Fest in Hans Sachsens Haus und Zimmer wo er studierte, geträumt hat. Nürnberg 1828, vier Blätter. 19 Annette Kreutziger-Herr, Ein Traum vom Mittelalter: Die Wiederentdeckung mittelalterlicher Musik in der Neuzeit, Köln, Böhlau 2003, S. 63–64. 20 Wilhelm Worringer, Die altdeutsche Buchillustration, München/Leipzig, Piper 1912, S. 6. 21 Ebd., S. 27. 22 Anna Maria Szylin, Henry Thode (1857–1920). Leben und Werk, Frankfurt, Lang 1993, S. 26. 23 Henry Thode, „Das deutsche Volkstum in der bildenden Kunst“, in: Hans Meyer (Hrsg.), Das deutsche Volkstum, Leipzig/Wien, Bibliographisches Institut 1899, S. 77–136, später erschienen als Die deutsche bildende Kunst, Leipzig/Wien, Bibliographisches Institut 1902, S. 47. 24 Henry Thode, „Max Liebermann und der Impressionismus“, Frankfurter Zeitung L (7. Juli 1905), 184, 7; Henry Thode, „Das deutsche Volkstum“, a. a. O., S. 144. 25 Szylin, Henry Thode, a. a. O., S. 51 und 67. 26 Wilhelm Schlinck, „Ein Volk, eine Zeit, eine Kunst. Heinrich Wölfflin und das nationale Formgefühl“, in: Sabine Frommel, Antonio Brucculeri (Hgg.), L’idée du style dans l’historiographie artistique, Rom, Campisano Ed. 2012, S. 172. 27 Schlink, Ein Volk, a. a. O., S. 165. 28 Ebd., Rom, 24. November 1903. 29 Heinrich Wölfflin, Autobiographie, Tagebücher und Briefe: 1864–1945, hrsg. von Joseph Gantner, Basel, Schwabe Verlag 1984, zitiert nach Andreas Ay, Nachts: Göthe gelesen. Heinrich Wölfflin und seine Goethe-Rezeption, Göttingen, V&R unipress 2010, S. 289, 293, 295–99. Vgl. Wölfflin, L’arte, a. a. O., S. 81. 30 Henry Thode, „Albrecht Dürer“, Bayreuther Blätter XI (1888), 7–8, S. 201–51. 31 Szylin, Henry Thode, a. a. O., S. 249. 32 Cosima Wagner, Die Tagebücher, hrsg. von Martin Gregor Dellin, Dietrich Mack, München, Piper 1976, Bd.1: 54, bereits zitiert in: Goehr, -wie ihn uns, a. a. O., S. 108. 33 Szylin, Henry Thode, a. a. O., S. 93. 34 Szylin, Henry Thode, a. a. O., S. 94. 35 Henry Thode, Die deutsche, a. a. O., S. 508–14. 36 Ebd., S. 521–22. 37 Henry Thode, „Arnold Böcklin“, Bayreuther Blätter, XXIV (1901), Jahrbuch, S. 93–104 zitiert nach: Szylin, Henry Thode, a. a. O., S. 115–17. Thode hält 1903 einen Vortrag in der Berliner Philharmonie mit dem Titel „Wie ist Richard Wagner vom deutschen Volk zu feiern?“ 38 Szylin, Henry Thode, a. a. O., S. 153. 39 Vortrag gehalten zum sechzigsten Geburtstage des Meisters am 2. Oktober 1899 im Saalbau zu Frankfurt am Main von Henry Thode. 40 Thode, Die deutsche, a. a. O., S. 504. Vgl. auch die Rede mit dem Titel Kunst, Religion und Kultur, gehalten im November 1900 vor den Studenten der Universität Heidelberg, thematisiert in Szylin, Henry Thode, a. a. O., S. 112 ff. 41 Ebd., S. 39–40. 42 Henry Thode, Michelangelo und das Ende der Renaissance, 3 Bde., Der Künstler und seine Werke, Berlin, G. Grote’sche 1912. Die vorherigen Bände haben folgende Titel: Das Genie und die Welt (1902) und Der Dichter und die Idee der Renaissance (1903). 43 Henry Thode, „Die italienische und die deutsche Kunst: Vergleich ihres Wesens“, in: L’Italia e l’arte straniera, Akten des X. Internationalen Kongresses in Rom 1912, Rom, Maglione und Strini 1917, S. 45–49. 44 Garinei, Costruire nazioni, a. a. O., vgl. den Abschnitt über Thode am Ende von Kapitel I.

‚… seinerzeit zu stark antideutsch hervorgetreten‘ D’Annunzio und die deutsche Politik

Als Gabriele D’Annunzio am 1. März 1938 in seiner Villa am Gardasee starb, notierte der deutsche Minister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels beinahe erleichtert: „d’Annunzio gestorben. Große Trauer in Italien. Wir haben wenig Anlaß zur Trauer. Denn d’Annunzio war doch immer gegen uns. Und ein Poseur und Sprüchemacher.“1 Als Goebbels wenige Tage später, offenbar unter dem Eindruck des Todes des Dichters, noch einmal zur D’Annunzio-Lektüre griff, änderte sich seine Meinung kaum zum Besseren: „D’Annunzio ist für uns heute ziemlich ungenießbar geworden. Ein taktloser, eitler, aufgeblasener Schwätzer!“2 Offiziell übte sich der Propagandaminister allerdings in diplomatischer Zurückhaltung gegenüber dem faschistischen „Achsenpartner“. Auf seiner täglichen Ministerkonferenz, bei der er der Presse die Tagesparolen diktierte, erteilte er die Weisung, dass zum Tode D’Annunzios „nur freundliche kurze Würdigungen erwünscht“ seien, und stellte ausdrücklich klar: „Auf seine deutschfeindlichen Aeusserungen aus früherer Zeit soll nicht eingegangen werden.“3 Der Nationalsozialismus tat sich somit erkennbar schwer mit dem Dichter aus Pescara, dessen Renommee im deutschsprachigen Ausland stets ambivalent gewesen war. Seit seinem ersten Auftreten in Deutschland schwankte D’Annunzios Ruf zwischen der Anerkennung seiner künstlerischen Bedeutung und der Ablehnung seines politischen und militärischen Engagements, die durch seine vehement deutschfeindliche Haltung zusätzlich befeuert wurde. Während diese Grundmuster der deutschsprachigen D’Annunzio-Rezeption für die ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts bereits ausführlich beschrieben worden sind, sind sie für den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 nach wie vor nur wenig erforscht.4 Die „Deutschfeindlichkeit“ D’Annunzios zu Zeiten des Ersten Weltkriegs, die auch Goebbels als eines seiner Hauptmerkmale nannte, schien die Rezeption im Nationalsozialismus von vornherein auszuschließen. Tatsächlich war D’Annunzio während der NS-Herrschaft keineswegs abgeschrieben, weswegen sich die Frage stellt: Welchen Stellenwert hatte D’Annunzio für die deutsche Politik zwischen 1933 und 1945?

1. „Dionysier“ Die deutschsprachige D’Annunzio-Rezeption begann genau 40 Jahre vor der nationalsozialistischen Machtübernahme mit der Übersetzung der Gedichtsammlung Rime Nuove durch Stefan George im Jahr 1893.5 Seitdem war D’Annunzio, auch

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dank seines engagierten Verlegers Samuel Fischer in Berlin und später dem Insel Verlag, im deutschen Sprachraum außerordentlich präsent. Viele seiner Gedichte wurden übersetzt, seine dramatischen Werke erlebten zahlreiche Aufführungen auf deutschen Bühnen, und insbesondere die Romane erreichten hohe Auflagen.6 Zu keiner anderen Zeit war D’Annunzio im deutschsprachigen Raum populärer als zu Beginn des 20. Jahrhunderts, weswegen Hans Hinterhäuser von der „goldenen Zeit“ der deutschsprachigen D’Annunzio-Rezeption spricht.7 Nach dem Ersten Weltkrieg erschienen dagegen nur wenige neue Werke nördlich der Alpen, was einerseits daran lag, dass D’Annunzio kaum Neues produzierte und sich stattdessen auf die Überarbeitung seiner älteren Werke konzentrierte. Andererseits legte er trotz mehrfacher Anfragen anscheinend keinen großen Wert mehr auf deutsche Übertragungen.8 Dessen ungeachtet erschien 1922 in Wien zunächst Notturno (in einer vom Autor nicht genehmigten Fassung) und wurde 1923 in dritter, 1925 in fünfter Auflage veröffentlicht.9 Vor allem die Romane wurden nach wie vor vertrieben und erreichten hohe Auflagezahlen. Il Fuoco, mit Abstand das meistgelesene Werk, erfuhr 1938 bereits die 34. Auflage.10 Dieser Trend hielt bis 1945 nahezu ungebrochen an: Sein letztes ins Deutsche übersetzte Werk, Solus ad solam (deutscher Titel: Amaranta), erschien 1942 und 1944 in zweiter Edition.11 Ebenfalls 1942 sollte mit Genehmigung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda die Oper Fedra mit Musik von Ildebrando Pizzetti ins Deutsche übertragen und zusammen mit La figlia di Iorio während der offiziellen deutsch-italienischen Theaterwoche in Berlin aufgeführt werden.12 Die Veröffentlichungs- und Aufführungszahlen belegen zwar, dass D’Annunzios Werke in Deutschland bis 1945 durchwegs auf Interesse stießen. Hingegen verdecken sie, dass die Meinungen über seine schriftstellerischen Qualitäten gespalten waren. Der bereits erwähnte Joseph Goebbels ist hierfür ein gutes Beispiel: Im Mai 1924 notierte der damals knapp siebenundzwanzigjährige, der wenig zuvor in Literaturwissenschaft promoviert worden war und sich zu diesem Zeitpunkt noch nach einer Karriere als Schriftsteller sehnte,13 über seine Lektüre von Triumph des Todes in sein Tagebuch, der Roman sei ihm „an manchen Stellen wie aus der Seele geschrieben“.14 Wenige Tage später war er dagegen zurückhaltender: „Lektüre: D’Annunzio ‚Triumph des Todes‘. Mit Gefühlen für und wider.“15 Diese Ambivalenz war durchaus typisch für die deutsche Wahrnehmung der Werke und der Person D’Annunzios. Auf der einen Seite standen die Kritiker, die in D’Annunzio nur einen „Dekorateur mit Worten“ sahen und die „Künstlichkeit“ seiner Figuren sowie den „leeren Ästhetizismus“ seiner Darstellungen ablehnten.16 D’Annunzio sei ein „Luxusliterat übertriebenster Fasson“, dessen „Schönrednerei“ schlicht „ungenießbar“ sei, schrieb Alfred Polgar 1915.17 Und einer seiner vehementesten Kritiker, Thomas Mann, nannte ihn bereits 1902 einen „falschen Dionysos“.18 Seine frühen Fürsprecher, die überwiegend aus dem Wiener Umfeld stammten – etwa Hugo von Hofmannsthal –, schätzten dagegen die sprachlichen Fähigkeiten. Bereits seine Worte besäßen die Kraft, „das Gräßliche in Schönheit zu verwandeln“, wie der Theaterkritiker Hermann Bahr formulierte.19 Arthur Moeller van den Bruck lobte an D’Annunzios Dramen dessen

2. „Rattenfänger“ D’Annunzio machte in Deutschland nicht nur mit seinen Werken von sich Reden. Auch seine schillernde Persönlichkeit vermochte schon frühzeitig das Interesse des deutschsprachigen Auslands auf sich zu ziehen. Deutlich wird dies während seiner kurzzeitigen Ausflüge in die Politik Ende der 1890er Jahre, als D’Annunzio sich als Abgeordneter zur Parlamentswahl stellte. Als selbsterklärter „Kandidat der Schönheit“, der seine politischen Loyalitäten „jenseits von links und rechts“ verortete, verschreckte er nicht nur das politische Establishment.23 Mit seiner charismatischen Selbstinszenierung auf der Bühne der Politik, der er nach gewonnener Wahl jedoch weitgehend fernblieb, stieß er auch auf Bewunderung – etwa bei Hugo von Hofmannsthal, der einer Wahlrede D’Annunzios von 1897 höchste Anerkennung zollte. Dennoch dominierten die Gegenstimmen. Der Dichter Richard Dehmel etwa kritisierte in einem offenen Brief nicht zu Unrecht und stellvertretend für viele andere die „dichterische Verfälschung der politischen und gesellschaftlichen Fakten zugunsten bornierter Privatinteressen“.24 Die Zeit um den Beginn des Ersten Weltkriegs markierte einen deutlichen Bruch in der öffentlichen Wahrnehmung D’Annunzios. Aufgrund seiner Aufrufe zur italienischen Intervention auf Seiten der Entente-Mächte und seiner militärisch zwar bedeutungslosen, propagandistisch jedoch außerordentlich wirkungsvollen Aktionen im Weltkrieg, wie dem Flugzettelabwurf über Wien oder der „Beffa di Buccari“, wurde er im deutschsprachigen Ausland zum italienischen Feindbild schlechthin.25 Typisch für den aggressiven Ton dieser Jahre ist das Gedicht Voraussage, das der Komponist Hans Pfitzner bereits im Dezember nach Kriegsbeginn veröffentlichte

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Fähigkeit, „das moderne Leben wieder in der Schönheit einer modernen Katharsis ausbrechen zu lassen“. Er sei daher nicht der dekadente Snob, als der er seinen Gegnern galt, sondern verleihe der Entwicklung des Dramas neue Impulse.20 Am deutlichsten kommt die Bewunderung der Sprache als dem wesentlichen Ausdrucksmerkmal der Ästhetik D’Annunzios sicherlich bei der Schriftstellerin Alberta von Puttkamer zum Ausdruck. Sie betont das wortschöpferische Talent D’Annunzios, das eine nahezu rauschartige Wirkung zu entfalten vermochte. D’Annunzio sei ein „Dionysier“, der „die Welt durch das Medium einer schönheitstrunkenen Subjektivität wahrnehmen und […] gestalten“ wollte.21 In der deutschsprachigen Rezeption der Werke D’Annunzios vor dem Ersten Weltkrieg – so könnte man das bisher Gesagte zusammenfassen – war es vor allem seine Sprache, das geschriebene Wort, das den größten Reiz ausübte. Je nach Geschmack der Leser wurde dies entweder positiv wahrgenommen oder aber als Symptom einer künstlerisch-artifiziellen Oberflächlichkeit bemängelt. In Anlehnung an ein von Friedrich Nietzsche popularisiertes Gegensatzpaar galt D’Annunzio in Deutschland um die Jahrhundertwende als Dionysier, dem der apollinische Tiefgang fehlte.22

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Abb. 38: Hans Pfitzner, „Voraussage“, Straßburger Post, 18. Dezember 1914, nachgedruckt in: „1914. Geist und Ungeist“, Nationalsozialistische Briefe, 15. August 1928

(s. Abb. 38). „D’Annunzio“, so konstatierte die Neckar-Zeitung im November 1915 treffend, „ist jetzt wohl eines der marktgängigsten Schimpfworte“.26 War D’Annunzios politisches Engagement um die Jahrhundertwende noch ein randständiges Phänomen in der deutschsprachigen Wahrnehmung des Dichters gewesen, so wurde es zum bestimmenden Merkmal während des Ersten Weltkriegs. Zunehmend argwöhnisch wurde der neuartige Stil registriert, den D’Annunzio in dieser Zeit prägte. Politische und künstlerische Selbstinszenierungen griffen stets Hand in Hand, wenn D’Annunzio als „Dichterprophet“ (poeta vate) die glorreiche Zukunft der italienischen Nation beschwor oder später als „Dichtersoldat“ (poeta soldato) – wenn auch ohne nennenswerte militärische Erfolge – auf dem Schlachtfeld für den Ruhm der Nation kämpfte. Den Gipfelpunkt erreichte diese Inszenierungsstrategie während der Eroberung der Stadt Fiume durch eine Gruppe von Freischärlern unter der Führung D’Annunzios und dessen charismatischer Herrschaft zwischen 1919 und 1920.27 Zurecht hat die Forschung gerade die theatralen Qualitäten dieser Ereignisse betont, schienen sie doch die Grundlage für den politischen Stil der faschistischen Herrschaft Mussolinis um einige Jahre vorweggenommen zu haben.28 Auch seine zeitgenössischen Kritiker kamen nicht umhin, die große „Massenwirkung“ der Rhetorik D’Annunzios und die Effektivität seiner künstlerischen Produktionstechniken im politischen Kontext anzuerkennen. Doch die meisten seiner früheren Bewunderer hatten sich unter dem Eindruck seiner politischen Agitation längst von ihm abgewandt. Es sei nicht einzusehen, kommentierte Alfred Polgar, dass „ein Dichter, ein Kulturmensch, ein Geistesaristokrat für den Krieg predige“. Wie ein „Rattenfänger“, so Polgar, habe D’Annunzio durch seine Worte sein eige-

D’Annunzio ist es, der stets dabei sein wird, wenn Luzifer zum Kampfe ausholt gegen unsere mühsam errungene Haltung in Parzivals Tafelrunde, D’Annunzio ist es, der uns in Klingsors Zaubergarten lockt.31

Damit hatte sich der Künstler D’Annunzio im deutschsprachigen Ausland durch seine politische Tätigkeit diskreditiert, die in den Augen der deutschen Kommentatoren dem tiefverwurzelten Grundsatz der Kunstautonomie widersprach, wonach Kunst und Politik zwei getrennte Bereiche zu sein hatten. Bestimmend in der deutschsprachigen D’Annunzio-Wahrnehmung in der Folge des Ersten Weltkriegs, so könnte man überspitzt zusammenfassen, war nicht mehr das geschriebene Wort, das noch vor dem Ersten Weltkrieg auch seinen Kritikern bisweilen Bewunderung abgenötigt hatte. Vielmehr war es das gesprochene Wort, das selbst bei seinen früheren Fürsprechern nahezu durchgängig auf Ablehnung stieß.32 Auch nach dem Ersten Weltkrieg machte D’Annunzio im deutschsprachigen Raum nur noch Negativschlagzeilen. In heftiger Polemik wurde etwa über den kontrovers verlaufenen Erwerb der Villa del Cargnacco am Gardasee im Jahre 1921 berichtet, die D’Annunzio nachfolgend als „Vittoriale degli Italiani“ massiv umbauen ließ.33 Die Debatte entzündete sich an der Tatsache, dass die Villa zuvor der Familie des deutschen Kunsthistorikers Henry Thode gehört hatte und vom italienischen Staat nach dem Ersten Weltkrieg beschlagnahmt worden war.34 Aus dieser Zeit stammt auch der Vorwurf, D’Annunzio sei Jude, wie etwa Adolf Dresler in der ersten deutschsprachigen Mussolini-Biographie von 1924 behauptete.35 Der Vorwurf hielt sich fortan derart hartnäckig in Deutschland, dass die italienische Botschaft in Berlin sich noch 1942 darum bemühen musste, derartige Gerüchte über D’Annunzios Abstammung zu zerstreuen.36 Es wäre jedoch falsch, hinter derartigen Anschuldigungen auf eine bestimmte politische Haltung der Kritiker zu schließen. D’Annunzio diente vielmehr lagerübergreifend als Projektionsfläche für nationale Stereotype und Ressentiments gegenüber Italien. Bezeichnend für diese politisch nicht eindeutig zuzuordnende Ablehnung D’Annunzios in Deutschland ist der Umstand, dass zwei politisch so unterschiedliche Zeitungen wie der sozialdemokratische Vorwärts und die nationalkonservativen und extrem antisozialdemokratischen Hamburger Nachrichten

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nes Volk in den Krieg gestürzt und „ins Grab geflötet“.29 Noch weiter ging Peter Altenberg, der D’Annunzio den Rang des Künstlers gleich völlig absprach: „Wer die unglückselig-stupide Menge […] aufwiegelt, irreführt, mit ‚blechernen Worten‘ hypnotisiert, ist ein feiger Schandbube, kein Dichter!“30 Das Bild des Verführers, das sich zuvor eher aus D’Annunzios ausschweifendem Privatleben gespeist hatte, wurde nun auf sein politisches Engagement übertragen. Der Vorwurf, Frauen und Volk dienten ihm gleichermaßen als Mittel zur eigenen Selbstberauschung, wurde seither in immer neuen Varianten wiederholt. Ein bemerkenswertes Beispiel hierfür ist ein Kommentar von Arthur Binz aus dem Jahr 1930, der ähnlich wie Pfitzner „deutschen Geist“ gegen lateinische Oberflächlichkeit auszuspielen versuchte:

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Ende der 20er Jahre in derselben Abfälligkeit und Häme über die jeweils neuesten Eskapaden des „Comandante“ berichteten.37

3. ‚Genie der Tat‘ Nach 1933 wandelte sich das Bild schrittweise, nicht zuletzt, da Nationalsozialismus und Faschismus sich zunehmend politisch annäherten. Nationalistischen Stereotypen wurde damit zumindest vordergründig der Boden entzogen. Dies hatte auch Folgen für die Wahrnehmung D’Annunzios in Deutschland. Zwar liegen für die ersten Jahre der NS-Herrschaft nur sehr spärliche Zeugnisse vor. Spätestens ab Mitte der 30er Jahre lässt sich jedoch ein gesteigertes Interesse an D’Annunzio nicht mehr von der Hand weisen. Besonders deutlich wird dies im März 1938, als der Dichter in seiner Villa am Gardasee starb. Mit der Entscheidung, der Presse jegliche Polemik gegen D’Annunzio zu verbieten, war Goebbels sichtlich um eine Normalisierung des Verhältnisses Deutschlands zu D’Annunzio bemüht. Anstatt seine antideutschen Äußerungen vergangener Zeiten zu kritisieren, ging es nun darum, Anschlussmöglichkeiten zu finden, die der unbestreitbaren Bedeutung des Dichters für den „Achsenpartner“ gerecht werden konnten. Im Zeichen dieser demonstrativen Verbrüderungsgesten, die spätestens seit der Ausrufung der „Achse Berlin-Rom“ durch Mussolini im November 1936 die offizielle Selbstdarstellung beider Regime prägte, war es nur konsequent, dass Hitler Mussolini ein Kondolenzschreiben zum Tod des Dichters übermittelte (s. Abb. 39). Die Aufwertung der Person D’Annunzios war dadurch eindeutig vollzogen. In Bezug auf seine Werke blieb die Frage nach deren Eignung für die deutschen Bühnen aber nach wie vor ungeklärt. Gerade weil die Machthaber sich öffentlich nur zu seiner Person, nicht aber zu seinem Werk äußerten, blieb es der NS-Bürokratie überlassen, hier eine Entscheidung zu fällen. Aus diesem Grund erhielten die Abteilungen Ausland und Schrifttum im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda am 15. Juli 1941 ein internes Schreiben der Theaterabteilung. Der Absender war Dr. Rainer Schlösser, Reichsdramaturg und Leiter der Theaterabteilung, und als solcher zuständig für die praktische Umsetzung der nationalsozialistischen Theaterpolitik. Aufgrund wiederholter Anfragen, so Schlösser, scheine es ihm wichtig, „daß alle in Frage kommenden Stellen des Hauses die heutige notwendige Einstellung Deutschlands zu d’Annunzio klären und in gleicher Richtung reagieren“ mögen, und bat um Stellungnahmen der Abteilungen.38 Die Abteilung Schrifttum im Propagandaministerium überreichte daraufhin ein Gutachten des Werbe- und Beratungsamtes, einer untergeordneten Dienststelle der Abteilung, die für die Bewertung ausländischer Literatur zuständig war. Dem Gutachten kommt daher als offizielle Stellungnahme des NS-Regimes besonderes Gewicht zu.39 In Bezug auf D’Annunzios künstlerische Bedeutung wiederholte das Gutachten lang bestehende Allgemeinplätze. D’Annunzio sei „als Mensch für deutsche Begriffe unangenehm eitel, als Künstler geziert und unnatürlich und einem leeren Aesthe-

Abb. 39: Deutsches Nachrichtenbüro, Abendausgabe, 2. März 1938

tentum verfallen“. In seinen Werken herrsche „oft eine dekadente Atmosphäre, die erfüllt ist von starker Erotik und Selbstmordgedanken, die jedoch bei d’Annunzio nur eine Pose“ seien. Seine schriftstellerischen Qualitäten und sein Verdienst für die italienische Sprache werden dagegen hervorgehoben. Er sei „zweifellos hochbegabt“ und habe „bis vor wenigen Jahren alle führenden italienischen Schriftsteller und Dichter zumindest eine Zeit lang beeinflusst“. Auch auf seine politischen Aktivitäten wird verwiesen und sein Engagement als einer der „wildesten Deutschenhasser“ nicht verschwiegen. Es sei allerdings nicht möglich, „in seinen Werken deutschfeindliche Stellen nachzuweisen, da dies eine Prüfung der Gesamtwerke voraussetzen würde.“ Dieser Hinweis ist deswegen aufschlussreich, da die heute bekannten Äußerungen D’Annunzios über Hitler und den Nationalsozialismus auf deutscher Seite offenbar nicht ohne weiteres als bekannt vorausgesetzt werden können. Das gilt gleichermaßen für die zahlreichen privat geäußerten Stellungnahmen – etwa in seinen Briefen an Mussolini40 –, aber auch für seine Werke wie die erst posthum veröffentlichte Pasquinata, ein Spottgedicht, in dem er Hitler einen „Pöbeldespoten“ („despoto plebeo“) und, in Anspielung auf Hitlers gescheiterte Künstlerkarriere, einen „Anstreicher“ („imbianchino“) nannte.41 Insgesamt, so das Gutachten weiter, sei „seine politische Haltung genügend bekannt, um sagen zu können, dass d’Annunzio seinerzeit zu stark antideutsch hervorgetreten“ sei, „als dass es politisch notwendig erschiene, seine Arbeiten nunmehr ins Deutsche zu übertragen.“ Anstelle einer offiziellen Förderung, und damit schließt das Gutachten, würde es genügen, „wenn wir aus Freundschaftsgründen den faschistischen Einsatz d’Annunzios in Fiume gelten lassen“. Hier war die entscheidende Anschlussstelle für D’Annunzio im nationalsozialistischen Deutschland gegeben, die in Goebbels’ Presseanweisung zumindest impli-

‚… seinerzeit zu stark antideutsch hervorgetreten‘

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zit mitschwang. Hieraus erklärt sich, auf welche Weise der lange Jahre als „Deutschenhasser“ verschriene Poet gerade im Nationalsozialismus wieder an Aktualität gewinnen konnte: Als Dichter hatte sich D’Annunzio über das reine Künstlertum erhoben, indem er es nicht beim geschriebenen oder gesprochenen Wort belassen hatte, sondern auf seine Worte Taten folgen ließ. Das Attribut des „poeta soldato“, das er sich in diesen Monaten erworben hatte, bringt diese Doppelfunktion zum Ausdruck. Durch seine äußerst öffentlichkeitswirksame Kriegsbeteiligung und die Besetzung der Stadt Fiume hatte er Fakten geschaffen, denen ein weitaus größerer Wert zugeschrieben wurde als deren dichterischer Verbalisierung. Es war daher konsequent, wenn in den deutschen und italienischen Nachrufen auf D’Annunzio zwar an den Wien-Flug, nicht aber an den Wortlaut der abgeworfenen Flugzettel, oder an die „Beffa di Buccari“, nicht aber an die Botschaften der dort hinterlassenen Flaschenpost erinnert wurde.42 Es waren die Taten, die D’Annunzios Botschaften erst beglaubigten. Ohne sie wäre er für NS-Deutschland und vermutlich auch für das faschistische Italien nichts weiter geblieben als der „politisierende Ästhet“, als den ihn Thomas Mann bezeichnet hatte.43 Stattdessen entsprach er in den 30er Jahren einem Typus, der auch in Hitler verehrt wurde und den man als ‚Genie der Tat‘ bezeichnet hat.44 Dessen Betätigungsfeld war nicht mehr die Kunst sondern die Politik und das Schlachtfeld. In der Form des ‚Genies der Tat‘, das sich bereits durch den bloßen soldatischen Wagemut und nicht erst den militärischen Erfolg auszeichnete, war D’Annunzio auch für NS-Diskurse anschlussfähig. Und so konnte sein gescheitertes Fiume-Unternehmen auch als „faschistisch“ bezeichnet werden, obwohl die Faschisten bekanntlich ursprünglich nicht daran beteiligt waren. Im selben Maße, wie Politik als Kunst bzw. der Politiker als Künstler aufgewertet wurde, verloren aber auch die Künstler als Politiker an Bedeutung. Mit dem Auftreten Mussolinis und Hitlers auf der Bühne der Politik hatten die Dichterpropheten von einst ausgedient. Von nun an galt es nur noch, ihr Andenken zu verwalten, aber nicht mehr, ihren Rufen zu folgen.

4. „Le vie dei servizi segreti“ Mit dem Sieg der Alliierten über das NS-Regime ist die Geschichte der deutschsprachigen D’Annunzio-Rezeption im Nationalsozialismus jedoch noch nicht zu Ende. Der Tod des Dichters im März 1938 eröffnete stattdessen eine weitere Rezeptionslinie, die erst viele Jahre später voll zum Tragen kam und bis heute zahlreiche prominente Fürsprecher in der D’Annunzio-Biographik findet. Ihre Betrachtung ist deswegen aufschlussreich, da sie den Kern der Frage nach der Bedeutung D’Annunzios für die deutsche Politik berührt. Genau dreißig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erschien im Corriere della Sera ein Artikel des Journalisten Alfredo Todisco mit dem Titel „C’è stata una donna nella morte di D’Annunzio“.45 Darin rollte er unter Berufung auf namentlich nicht genannte Zeugen den Fall der Südtirolerin Emy Heufler auf, die

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als Haushaltshilfe im Vittoriale angestellt war. Heufler hatte den Recherchen Todiscos zufolge im Oktober 1932 erstmals D’Annunzios Villa betreten. Nach einer vorübergehenden Entlassung kehrte sie einige Zeit später in die persönlichen Dienste des Dichters zurück, wo sie laut Todisco zu dessen „intimer Leibgarde“ (guardia del corpo) wurde. Heufler, die mit D’Annunzio oft Stunden und Tage hinter verschlossenen Türen verbracht hatte, habe sich vor allem deshalb verdächtig gemacht, da sie unmittelbar nach dem Tode D’Annunzios nach Deutschland reiste, wo sie in die Dienste keines geringeren als des deutschen Außenministers, Joachim von Ribbentrop, eintrat. Hieraus folgerte Todisco, Heufler sei als Informantin für den Nationalsozialismus tätig gewesen, der in den wiederholten antideutschen Ausfällen D’Annunzios eine Gefahr für die deutsch-italienische Annäherung erkannt habe. Diese Ereignisse könnten als eine weitere des an Legenden gewiss nicht armen Lebens D’Annunzios gewertet werden. Und dennoch ist es gerade diese Episode – und nicht etwa die zuvor beschriebene Normalisierung –, die die Einschätzung der Bedeutung D’Annunzios für den Nationalsozialismus heute am nachhaltigsten prägt. Nahezu jede D’Annunzio-Biographie seit Erscheinen des Artikels im Corriere della Sera weist auf die zweifelhafte Rolle Emy Heuflers und die Interessen des deutschen Geheimdienstes an D’Annunzio hin, ohne dass seitdem nähere Details bekannt geworden wären.46 Einige Anmerkungen scheinen angebracht. Die drei Kernthesen des Zeitungsartikels – D’Annunzio stand einer deutsch-italienischen Annäherung im Wege, Emy Heufler wurde Angestellte bei Ribbentrop, der deutsche Geheimdienst spionierte gegen D’Annunzio – sollen daher in der gebotenen Kürze auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüft werden. Erstens. Die gegen Deutschland gerichteten Invektiven D’Annunzios aus den 1910er und 20er Jahren waren in NS-Deutschland noch in lebhafter Erinnerung, wie das Gutachten bzw. die Tagebücher Goebbels’ zweifelsohne belegen. Zudem hatte er seine vehemente Ablehnung einer deutsch-italienischen Annäherung Mussolini gegenüber in seinen Briefen in aller Offenheit, wenn auch nicht öffentlich, mitgeteilt. Noch während des letzten Aufeinandertreffens zwischen D’Annunzio und Mussolini im Herbst 1937, als der Diktator von seiner triumphalen Deutschlandreise wieder nach Italien zurückgekehrt war, soll D’Annunzio seine antideutsche Haltung wiederholt zum Ausdruck gebracht haben. Auch wenn die Inhalte der kurzen Unterhaltung auf dem Bahnsteig von Verona nicht zweifelsfrei bekannt sind und die einzelnen Berichte sich widersprechen, so scheint eine erneute Warnung D’Annunzios vor einer deutsch-italienischen Annäherung jedenfalls plausibel.47 Andererseits war D’Annunzio zu diesem Zeitpunkt bereits seit Jahren in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwunden, so dass von ihm eine Gefahr für die deutsch-italienische Annäherung kaum mehr auszugehen schien. Diese hatte wesentliche Entwicklungsschritte bereits hinter sich gebracht und mit der Ausrufung der „Achse Rom-Berlin“ durch Mussolini am 1. November 1936 auch eine schlagkräftige Parole erhalten. Dem außenpolitischen Kurs Mussolinis entsprach innenpolitisch die Ersetzung deutschlandkritischer Personalien im Regierungsapparat mit deutschfreundlicheren Funktionären.48 Ein politisch unbedeutender

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D’Annunzio, der zudem mit seiner massiv antideutschen Haltung bei Mussolini längst auf verlorenem Posten stand, hätte eine Annäherung kaum noch verhindern können und stellte demnach auch für Deutschland kein Hindernis dar. Zweitens. Der Umstand, dass Emy Heufler direkt nach dem Tod D’Annunzios Angestellte im Haushalt Ribbentrops wurde, war überhaupt der Ursprung der Mutmaßungen über eine deutsche Bespitzelung. Aufschlussreich ist daher ein Blick in den persönlichen Nachlass Ribbentrops, der heute im Bundesarchiv Koblenz verwahrt wird. Darin befinden sind umfangreiche Unterlagen zur Haushaltsführung der privaten Anwesen der Familie Ribbentrop. An keiner Stelle in den Akten, die für den relevanten Zeitraum umfangreich erhalten sind, findet sich ein Hinweis auf die Personalie Emy Heufler, auch nicht in einer einschlägigen Auflistung der weiblichen Hausangestellten für das Jahr 1938, die sich im Anhang einer Steuererklärung Ribbentrops befindet.49 Damit bleibt die zentrale Annahme Todiscos nach derzeitigem Kenntnisstand weiterhin ohne jeden Beleg. Drittens. Da um die Person Emy Heufler dennoch viele Aspekte ungeklärt bleiben, etwa wohin sie nach dem Tod D’Annunzios ging, ließe sich schließlich grundsätzlich fragen, wie wahrscheinlich überhaupt eine Bespitzelung D’Annunzios durch die deutschen Behörden war. Immerhin war seine deutschfeindliche Haltung bekannt und auch, wenn er selbst über keinen politischen Einfluss mehr besaß, so verfügte er dennoch über Beziehungen zu einflussreichen Personen in der italienischen Regierung, allen voran Mussolini. Hierfür ist ein kurzer Blick auf die Funktionsweise des deutschen Geheimdiensts notwendig.50 Das Auswärtige Amt scheidet als Akteur aus, da es außerhalb der diplomatischen Vertretungen keine Informationsbeschaffung betrieb. Auch die Gestapo, die Todisco in seinem Artikel nennt, war als reiner Inlandsgeheimdienst nicht im Ausland tätig. Die einzige Stelle, die vor dem Zweiten Weltkrieg in größerem Umfang Auslandsspionage betrieb, war der 1931 gegründete Sicherheitsdienst (SD). Das zuständige SD-Amt III war seit etwa Mitte der 30er Jahre damit beschäftigt, im Ausland ein Informantennetzwerk aufzubauen. Bei der Rekrutierung der im Ausland lebenden Deutschen oder zumindest erwiesenermaßen prodeutschen Ausländer als Informanten war ein Kriterium für den Nachrichtendienst, der der SS und damit der Partei unterstand, unabdingbar: ideologische Zuverlässigkeit. Als Mindestkriterium wurde hierfür die Zugehörigkeit zur NSDAP angesehen, die bei Emy Heufler nach Durchsicht der im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde annähernd vollständig überlieferten NSDAP-Mitgliederkartei mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Was eine nachrichtendienstliche Aktivität deutscher Behörden in Italien darüber hinaus fraglich macht, ist ein vor Kriegsbeginn ausgesprochenes allgemeines Spionageverbot im Land des „Achsenpartners“, wie ein Dokument des Reichssicherheitshauptamts vom Januar 1940 belegt.51 Darin wird das mangelhaft ausgebaute Nachrichtennetz vor Ort beklagt, das „eine Folge des durch den SS-Gruppenführer [Reinhard Heydrich, T. R.] ausgesprochenen Verbotes der nachrichtendienstlichen Tätigkeit in Italien“ darstelle. Eine Bespitzelung D’Annunzios erscheint daher doppelt unwahrscheinlich: Erstens hätte sie kaum zu wertvollen Informationen über

5. Kunst – Macht – Politik Aufgrund seiner herausragenden Persönlichkeit und Präsenz war Gabriele D’Annunzio bereits zu Lebzeiten und darüber hinaus stets eine Projektionsfläche – ob als Nationalheld oder als Feindbild. An seiner Person lassen sich besonders gut zeitgenössische Diskurse und Denkfiguren ablesen. Dies gilt insbesondere für die deutschsprachige D’Annunzio-Rezeption, in der D’Annunzio verschiedene Rollen einnahm: als „Dionysier“, als „Rattenfänger“ oder als „Genie der Tat“. Sowohl die Zeitgenossen als auch die Nachwelt traute es dem charismatischen Künstler D’Annunzio zu, maßgeblich auf politische Entwicklungen Einfluss nehmen zu können und allein kraft seiner Worte politische Annäherungsprozesse beeinflussen oder gar Kriege entfachen zu können.53 Als Prototyp des „poeta vate“ und „poeta soldato“ hatte D’Annunzio zudem die Wahrnehmung von Künstlern als politische Akteure maßgeblich geprägt und dazu beigetragen, dass der künstlerischen Aufwertung von Politik fortan mit Argwohn begegnet wurde. Die Kritik an einem solchen politischen Stil, den Mussolini und Hitler gleichermaßen praktizierten, brachte später Walter Benjamin auf die berühmte Formel der „Ästhetisierung des politischen Lebens“.54 Und obwohl sich D’Annunzio der Erfindung dieses Stils zumindest verdächtig gemacht hatte, waren es gerade die Exilschriftsteller wie Stefan Zweig, Bertolt Brecht, Franz Werfel oder eben Walter Benjamin, die nach ihrer Flucht vor dem Nationalsozialismus die politische Tätigkeit D’Annunzios hinter dem Werkschaffen möglichst verschwinden lassen wollten und stattdessen sein künstlerisches Vermächtnis würdigten. So bezeichnete Franz Werfel ihn 1938 als „großen Dichter“, Bertolt Brecht übersetzte weiterhin seine Gedichte und schrieb 1942: „[E]r war ein Charlatan, aber dieser Charlatan schrieb Hirtengedichte, die kaum vergehen werden.“55 Längerfristig wird man allerdings sagen müssen, dass sich in Deutschland die nationalsozialistische Sichtweise auf D’Annunzio als „Genie der Tat“ durchgesetzt hat. Mit der Anerkennung des „faschistischen Einsatzes“ in Fiume wurde vermutlich der Grundstein gelegt für eine Wahrnehmung, nach der D’Annunzio auch heute noch als Faschist gilt, während gleichzeitig die umfassende Würdigung seines

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die italienische Politik geführt und stattdessen, zweitens, bei Aufdeckung durch die italienischen Behörden die gegenseitige Annäherung zwischen Faschismus und Nationalsozialismus eher behindert als begünstigt. So plausibel die deutsche Spionage bei D’Annunzio zunächst scheint, so unwahrscheinlich wird sie bei näherer Betrachtung. Vielmehr mochte diese Annahme dem Zeitgeist der 70er Jahre entsprungen sein, worauf Todisco selbst in seinem Artikel hinwies.52 Die unzähligen „Wege der Geheimdienste“ waren auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges keineswegs nur Fiktion, sondern weitgehend Realität – eine Realität, die jedoch nicht derjenigen D’Annunzios entsprach.

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künstlerischen Œuvres aussteht. Eine klare Antwort auf die Frage, welche Bedeutung D’Annunzio heute in Deutschland besitzt, ist einstweilen jedenfalls nicht in Sicht.

Anmerkungen 1

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Tagebucheintrag vom 3. März 1938, in: Joseph Goebbels, Die Tagebücher von Joseph Goebbels, im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und mit Unterstützung des Staatlichen Archivdienstes Rußlands hrsg. von Elke Fröhlich, Teil I: Aufzeichnungen 1923–1941, Band 5: Dezember 1937 – Juli 1938, bearb. von Elke Fröhlich, München, Saur Verlag 2000, S. 184–186. Tagebucheintrag vom 5. Mai 1941, in: ebd., Band 9: Dezember 1940 – Juli 1941, S. 291–293. Hans Bohrmann, Gabriele Toepser-Ziegert (Hgg.), NS-Presseanweisungen der Vorkriegszeit. Edition und Dokumentation, Bd. 6/1, Quellentexte Januar bis April 1938, bearb. von Karen Peter, München, Saur Verlag 1999, S. 219. Die Studien zur deutschsprachigen D’Annunzio-Rezeption klammern diesen Zeitraum in der Regel aus: Käthe Scherpe, Gabriele D’Annunzios Romane und Dramen in der zeitgenössischen deutschen Kritik, Inauguraldissertation, Breslau 1943; Annemarie Anderhub, Gabriele D’Annunzio in der deutschen Literatur, Inauguraldissertation, Bern, Stämpfli & Cie 1948; Hans Hinterhäuser, „D’Annunzio und die deutsche Literatur“, Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 201 (1965), S. 241–261; Katharina Maier-Troxler, „Ricezione delle opere di D’Annunzio nei paesi tedeschi“, in: Centro Nazionale di Studi Dannunziani e della Cultura in Abbruzzo (Hrsg.), D’Annunzio e la cultura germanica, Pescara 1985, S. 267–275; Anne Kupka, Der ungeliebte D’Annunzio. D’Annunzio in der zeitgenössischen und der gegenwärtigen deutschsprachigen Literatur (Europäische Hochschulschriften Bd. 1), Frankfurt a. M., Peter Lang 1992; Adriana Vignazia, Die deutschen D’Annunzio-Übersetzungen. Entstehungsgeschichte und Übersetzungsprobleme (Wiener Beiträge zu Komparatistik und Romanistik), Frankfurt a. M., Peter Lang 1995; Ivanos Ciani, „Gabriele D’Annunzio e la Mitteleuropa di lingua tedesca“, in: Centro Nazionale di Studi Dannunziani e della Cultura in Abbruzzo, Istituto Italiano di Cultura in Praga (Hgg.), D’Annunzio nella Mitteleuropa, XIX Convegno Internazionale Praga – Pescara, 24 Giugno – 5 Dicembre 1996, Pescara, Ediars 1997, S. 7–17. Hinterhäuser, „D’Annunzio“, a. a. O., S. 248. Für die Geschichte der Veröffentlichungen s. Ciani, „Gabriele D’Annunzio“, a. a. O., S. 13. Hinterhäuser, „D’Annunzio“, a. a. O., S. 248. Vignazia, Die deutschen D’Annunzio-Übersetzungen, a. a. O., S. 287 f. Ebd., S. 126. Von einem „Editionsstop“ kann demnach keine Rede sein, so aber Kupka, Der ungeliebte D’Annunzio, a. a. O., S. 20. Ciani, „Gabriele D’Annunzio“, a. a. O., S. 8. Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP), Theaterabteilung (Dr. Lang) an Ildebrando Pizzetti, Berlin, 8.08.1942, in: Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BArchB) R 55/20208a, Bl. 399; „Aufzeichnung über eine Besprechung im Ministero Cultura Popolare, Direzione Generale Teatro e Musica am 9. Juli 1941“, Rom, 10.07.1941, in: Politisches Archiv des Auswärtigen Amts RAV Rom (Quirinal) Nr. 1409 Kult 12 Nr. 2 Bd. 1. Ralf Georg Reuth, Goebbels. Eine Biographie, München, Piper 2012, S. 70–82. Tagebucheintrag vom 30.05.1924, in: Joseph Goebbels, Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Band 1/1: Oktober 1923 – November 1925, München, Saur Verlag 2004, S. 143. Tagebucheintrag vom 6.06.1924, in: ebd., S. 145–146. Beispiele bei Hinterhäuser, „D’Annunzio“, a. a. O., S. 250.

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17 Alfred Polgar, „D’Annunzio“, in: ders. (Hrsg.): Kleine Schriften, Bd. I: Musterung, Reinbek bei Hamburg, Rowohlt 1982, S. 6–10, zit. nach Kupka, Der ungeliebte D’Annunzio, a. a. O., S. 42. 18 Hans Bürgin, Hans-Otto Mayer (Hgg.), Die Briefe Thomas Manns. Regesten und Register, Bd. I, Die Briefe von 1889–1933, Frankfurt a. M., S. Fischer 1976, S. 42, zit. nach Kupka, Der ungeliebte D’Annunzio, a. a. O., S. 46. 19 Hermann Bahr, Rezensionen. Wiener Theater 1901–1903, Berlin, S. Fischer 1903, zit. nach Hinterhäuser, „D’Annunzio“, a. a. O., S. 250. 20 Arthur Moeller van den Bruck, Die Zeitgenossen. Die Geister – Die Menschen, Minden, Bruns 1906, S. 307. 21 Alberta von Puttkamer, D’Annunzio (Die Dichtung XV), Berlin, Schuster & Loeffler 1905; zit. nach Scherpe, Gabriele D’Annunzios Romane und Dramen, a. a. O., S. 102. 22 Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, Leipzig, Fritzsch 1872. 23 M. F. N. Giglioli, „‚Il deputato della bellezza‘. Gabriele D’Annunzio’s aesthetic politics in the finde-siècle crisis“, Journal of Modern Italian Studies 18, Nr. 4 (2013), S. 500–520. 24 Zit. nach Hinterhäuser, „D’Annunzio“, a. a. O., S. 253; zur politischen Betätigung s. Giordano Bruno Guerri, D’Annunzio. L’amante guerriero, Mailand, Mondadori 2008, S. 110–114. 25 Arturo Larcati, „Die Reaktionen österreichischer Schriftsteller auf den Kriegseintritt Italiens am Beispiel der D’Annunzio-Rezeption“, ZGB 25 (2016), S. 195–214. 26 Kupka, Der ungeliebte D’Annunzio, a. a. O., S. 41 f. 27 Zur charismatischen Herrschaft D’Annunzios in Fiume vgl. Bettina Vogel-Walter, D’Annunzio – Abenteurer und charismatischer Führer. Propaganda und religiöser Nationalismus in Italien von 1914 bis 1921 (Beiträge zur Kirchen- und Kulturgeschichte Bd. 15), Frankfurt a. M., Peter Lang 2004, S. 291–359. 28 Roger Griffin, „Staging the Nation’s Rebirth: The Politics and Aesthetics of Performance in the Context of Fascist Studies“, in: Günter Berghaus (Hrsg.), Fascism and Theatre: Comparative Studies of Performance in Europe, 1925–1945, Oxford, Berghahn Books 1996, S. 11–29; Hans Ulrich Gumbrecht, Friedrich Kittler, Bernhard Siegert (Hgg.), Der Dichter als Kommandant. D’Annunzio erobert Fiume, München, Wilhelm Fink Verlag 1996. 29 Alfred Polgar, „D’Annunzio“, a. a. O., S. 6–10. 30 Peter Altenberg, Nachfechsung, Berlin, S. Fischer 1916, S. 19 f. 31 Arthur Friedrich Binz, „D’Annunzio“, Hochland. Monatsschrift für alle Gebiete des Wissens, der Literatur und Kunst 28, Heft 4 (1930/31), S. 379–382; vgl. Scherpe, Gabriele D’Annunzios Romane und Dramen, a. a. O., S. 114. 32 Stefan Andres, „Die Tode eines Ungeliebten. Eine Annäherung an Gabriele D’Annunzio, den ‚Johannes der Täufer des Faschismus‘“, Kritische Ausgabe 2 (2004), S. 19–24. 33 Lucia Re, „Gabriele D’Annunzio’s Theatres of Memory: Il Vittoriale degli Italiani“, The Journal of Decorative and Propaganda Arts 3 (1987), S. 6–51. 34 Mario Bernardi, „Storia del Vittoriale: Come D’Annunzio comprò la villa di Cargnacco“, Quaderni del Vittoriale 50 (1980), S. 5–18. 35 Adolf Dresler, Mussolini, Leipzig, Hammer 1924, S. 51. 36 Renzo De Felice, D’Annunzio politico, 1918–1938, Roma, Laterza 1978, S. 220. 37 „Erzengel Gabriel D’Annunzio. Was heutzutage italienmöglich ist“, Vorwärts Nr. 143 (24.03.1928); „Gabriele, der Seeräuber“, Hamburger Nachrichten Nr. 264 (10.06.1929); „D’Annunziana“, Hamburger Nachrichten Nr. 36 (21.01.1928). Eine Sammlung mit Zeitungsausschnitten in BArchB NS 5-VI/27787. 38 RMVP, Theaterabteilung (Dr. Rainer Schlösser) an RMVP, Abteilungen Ausland und Schrifttum, Berlin, 15. Juli 1941, in: BArchB R 55/20208a, Bl. 381.

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39 „GABRIELE D’ANNUNZIO. Gesamtbeurteilung.“, Gutachten des Werbe- und Beratungsamts in der Abteilung Schrifttum des RMVP (Dr. Ursula Carl-Ratzlaff), September 1941, in: BArchB R 55/ 20208a, Bl. 385–387. 40 Renzo De Felice, Emilio Mariano (Hgg.), Carteggio D’Annunzio-Mussolini (1919–1938), Mailand, Mondadori 1971. 41 Dazu mit weiteren Beispielen Pietro Gibellini, Logos e mythos. Studi su Gabriele D’Annunzio (Saggi di „Lettere Italiane“ Bd. XXXIV), Florenz, Olschki Ed. 1985, S. 251–259. 42 Vgl. G. Piovene, „La morte di Gabriele d’Annunzio“, Corriere della Sera, (2.03.1938). 43 Thomas Mann, Betrachtungen eines Unpolitischen (Thomas Mann, Gesammelte Werke in Einzelbänden), Frankfurt a. M., S. Fischer 1983, S. 578 ff. 44 Zum Diskurs um das ‚Genie der Tat‘ im Nationalsozialismus vgl. Wolfram Pyta, Hitler. Der Künstler als Politiker und Feldherr. Eine Herrschaftsanalyse, München, Siedler Verlag 2015, S. 241–260. 45 Alfredo Todisco, „C’è stata una donna nella morte di D’Annunzio“, Corriere della Sera, (15.06.1975). 46 John Woodhouse, Gabriele D’Annunzio. Defiant archangel, Oxford, Oxford University Press 1998, S. 397 f.; Guerri, D’Annunzio, a. a. O., S. 298–300; Lucy Hughes-Hallett, The pike. Gabriele d’Annunzio. Poet, seducer and preacher of war, London, Harper Collins Publ. UK 2013, S. 638. 47 Zur Bewertung dieser Begegnung s. De Felice, D’Annunzio politico, a. a. O., S. 202–223. 48 Renzo De Felice, Mussolini il duce. II. Lo Stato totalitario (1936–1940), Turin, Einaudi 2008, S. 338– 342. 49 „Aufstellung über Hausgehilfinnen im Hause Ribbentrop, Dahlem im Jahre 1938“, Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Ribbentrop N 1163/20. 50 Folgend nach Katrin Paehler, The Third Reich’s Intelligence Services. The Career of Walter Schellenberg, Cambridge, Cambridge University Press 2017, S. 181–217. 51 „Stand der Nachrichtenverbindungen nach und über Italien – Pläne zum Ausbau der ND-Verbindungen“, Vermerk des Reichssicherheitshauptamts, Abteilung VI C 1, 24. Januar 1940, BArchB R 58/9481; dazu Paehler, The Third Reich’s Intelligence Services, S. 182–184. 52 „Le vie dei servizi segreti sono infinite, come ci insegna oggi più che mai l’esperienza quotidiana […]“, Todisco, „C’è stata una donna“, a. a. O. 53 „In fin dei conti il Comandante non era forse l’uomo che con la sua parola incendiaria aveva trascinato l’Italia nella guerra contro i tedeschi?“, ebd. 54 Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt a. M., Suhrkamp 1977, S. 42. 55 Zit. nach Larcati, „Die Reaktionen österreichischer Schriftsteller“, a. a. O., S. 211 f.

Verzeichnis der Abbildungen

Vogel-Walter 2: Abb. 9: Skulptur von Jacques Villeglé in Hommage an D’Annunzio, Garten des Vittoriale 2014 (Vogel-Walter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 10: Grand Hotel Excelsior Vittoria, Sorrent – hier wohnte Richard Wagner 1876 (Vogel-Walter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 11: Hotel und Pizzeria Villa Rubinacci, Sorrent – hier wohnte Friedrich Nietzsche 1876 (Vogel-Walter). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 12: D’Annunzio Rede in Fiume, Il Comandante parla al popolo di Fiume (La marcia di Ronchi XII settembre MCMXIX, La Fionda, Rom (2.9.1920), S. IX) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Van Treeck: Abb. 13: Briefmarke Fiume D’Annunzio 1920 (Van Treeck) . . . . . . . . . . . . . . . 39 Dieterle: Abb. 14: Neapel, Erinnerungstafel in der Villa D’Angri (Vogel-Walter) . . . . . . 44 Abb. 15: Amphitheater im Vittoriale, Gardone Alto (Vogel-Walter) . . . . . . . . 45 Abb. 16: Theater von Orange, das „Bayreuth français“ (Dieterle) . . . . . . . . . . . 48

Verzeichnis der Abbildungen

Vogel-Walter 1: Abb. 1: Flugzeug des Fluges über Wien (9.8.1918) in der Aula des Vittoriale (Vogel-Walter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 2: Gedenktafel am Palazzo Vendramin-Calergi (Venedig), in dem Wagner 1883 starb (Vogel-Walter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 3: Der Text der Gedenktafel stammt von G. D’Annunzio: „In questo Palagio / l’ultimo spiro di Riccardo Wagner / odono le anime / perpetuarsi come la marea / o le lambe i marmi“ (Vogel-Walter) . . . Abb. 4: Terrasse Villa D’Angri mit Blick auf den Golf von Neapel (Vogel-Walter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 5: Gästebuch von Daniela von Bülow und Henry Thode in der Villa Cargnacco, heute Vittoriale degli Italiani (Nationalarchiv Richard Wagner Museum Bayreuth) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 6: Wagnerporträt von Cäsar Willich 1862, im Auftrag von Otto Wesendonck (Fondazione Il Vittoriale degli Italiani, Gardone) . . . . Abb. 7: Vittoriano, Nationalmonument Rom, L’apoteosi del milite ignoto, 4.11.1921 (Guido Tabet, La Battaglia di Vittorio Veneto, Genua, Bozzo & Coccarello 1921) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 8: Vittoriale degli Italiani, Nationalmonument Gardone (Vogel-Walter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Guarnieri: Abb. 17: Theater von Orange. Römisches Theater 1. Jh. n. Chr., seit 1869 wieder bespielt nach umfangreicher Renovierung (Dieterle) . . . . . . . 57 Abb. 18: Amphitheater im Vittoriale, das Parlaggio, gebaut nach den Ideen von D’Annunzio 1927, aber erst 1952 fertiggestellt (Vogel-Walter) . . . 58 Abb. 19: Blick von Casetta Rossa in Venedig auf den Canal Grande, Haus von Fritz Hohenlohe, im Ersten Weltkrieg ab 1915 vermietet an D’Annunzio (Vogel-Walter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Biggi: Abb. 20: Duse fotografiert D’Annunzio, Capponcina (Florenz), ca. 1899 (Fondazione Giorgio Cini, Venedig) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 21: D’Annunzio fotografiert die Duse, Capponcina (Florenz), ca. 1899 (Fondazione Giorgio Cini, Venedig) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 22: Kakemono, der Reise nach Bayreuth gewidmet (Kollektion Primoli, Rom) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 23: Detail des Kakemono mit Unterschriften (Kollektion Primoli, Rom) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cresti: Abb. 24: Dom von Siena, Vorlage für den Gralstempel im Parsifal (Vogel-Walter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 25: Die Stanza del Lebbroso (Zimmer des Aussätzigen) von D’Annunzio im Vittoriale degli Italiani, ein Rückzugsort zur Meditation, das Bett nach eigenen Plänen halb Wiege und halb Sarg, wo er auch nach seinem Tod aufgebahrt wurde (Fondazione Il Vittoriale degli Italiani, Gardone) . . . . . . . . . . Abb. 26: Detail: Statue des Heiligen Sebastian in der Stanza del Lebbroso (Fondazione Il Vittoriale degli Italiani, Gardone) . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 27: Hotel des Palmes, Palermo. Hier beendete Wagner im Januar 1882 die Komposition des Parsifal (Hotel des Palmes, Palermo) . . . . . . . .

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Jacobshagen: Abb. 28: Premiere Lohengrin 1871 in Italien. Original Teatro Comunale, Bologna (Karl Ipser, Richard Wagner in Italien, Salzburg, berglandsalzburg 1951) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Abb. 29: Museum Villa Puccini in Torre del Lago, nahe Lucca (Fondazione Simonetta Puccini, Torre del Lago) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Abb. 30: Villa Puccini (Fondazione Simonetta Puccini, Torre del Lago) . . . . . 95

Garinei: Abb. 33: Foto von Henry Thode am Eingang der Villa Cargnacco, später Vittoriale (Fondazione Il Vittoriale degli Italiani, Gardone) . . . . . . . Abb. 34: Villa Cargnacco in der Zeit von Thode / von Bülow (Fondazione Il Vittoriale degli Italiani, Gardone) . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 35: Signatur/Bildlegende: KHI – THO, U1, u1c, u1c3 (Archiv Kunsthistorisches Institut in Florenz – Max-Planck-Institut) . . . . . . . . . . . Abb. 36: Meisterstich von Albrecht Dürer, Hieronymus im Gehäus, 1514 (Garinei) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 37: Hans Thoma, Gemälde von Cosima Wagner (Fondazione Il Vittoriale degli Italiani, Gardone) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Reichard: Abb. 38: Hans Pfitzner, „Voraussage“, Straßburger Post, 18. Dezember 1914, nachgedruckt in: „1914. Geist und Ungeist“, Nationalsozialistische Briefe, 15. August 1928 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Abb. 39: Deutsches Nachrichtenbüro, Abendausgabe, 2. März 1938 . . . . . . . . . 143

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Verzeichnis der Abbildungen

Sorge: Abb. 31: Gabriele D’Annunzio (Fondazione Giorgio Cini, Venedig) . . . . . . . . 116 Abb. 32: Detail aus dem Gästebuch Thode / von Bülow Villa Cagnacco, später Vittoriale, Blick auf Gardone alto (Nationalarchiv Richard Wagner Museum Bayreuth) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

Immacolata Amodeo, seit 2018 Direktorin des Ernst-Bloch-Zentrums der Stadt Ludwigshafen am Rhein; Honorarprofessur am Gutenberg-Institut für Weltliteratur und schriftorientierende Medien der Johannes Gutenberg-Universität Mainz; war während der Tagung Generalsekretärin des Deutsch-Italienischen Zentrums für Europäische Exzellenz Villa Vigoni in Loveno di Menaggio. Maria Ida Biggi lehrt Theatergeschichte und Theaterarchitektur an der Università Cà Foscari in Venedig und ist Direktorin des Centro Studi per la Ricerca Documentale sul Teatro e il Melodramma Europeo der Fondazione Giorgio Cini in Venedig. Renzo Cresti, im März 2020 von Classic Rock Italia zum einflussreichsten italienischen Influencer im Musikbereich gewählt. Dozent, zeitweise Direktor des Konservatoriums von Lucca, Ehrenmitglied SIMC (Società Internazionale della musica contemporanea), Premio Asolpao (UNESCO, ital. Kulturinstitute), Monographie über Richard Wagner 2013, erschien zeitgleich in Englisch, 2. Auflage 2016. Bernard Dieterle, Promotion und Habilitation in Berlin, seit 2000 Professor für Deutsche und Vergleichende Literaturwissenschaft in Frankreich. Forschungsschwerpunkte: Bild-Text-Beziehungen, Venedig-Literatur, Kulturgeschichte des Traums. Silvia Garinei, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kunsthistorischen Institut Florenz, Kuratorin, Stipendien aus Deutschland, Österreich, Schweiz. Schwerpunkte: Kulturaustausch Deutschland-Italien, Zusammenhang Nationalismus und Kunst der Moderne. Adriana Guarnieri Corazzol lehrt Musikgeschichte an den Universitäten in Florenz und Venedig. Mitherausgeberin von Zeitschriften und Editionsreihen. Schwerpunkte sind die Beziehung von Musik und Literatur in Italien und Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert. Giordano Bruno Guerri, seit 2008 Präsident Fondazione Vittoriale degli Italiani, seit 2015 Generaldirektor der GardaMusei; war Direktor des Verlags Mondadori und der Zeitschrift L’ Indipendente. Autor, Journalist, Historiker mit Schwerpunkt Faschismus, Italien und Vatikan. Arnold Jacobshagen, Professor für Historische Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik und Tanz Köln, im Vorstand etlicher Musikinstitute, Mitherausgeber verschiedener Zeitschriften. Buchveröffentlichungen u. a. zu Händel, Berlioz, Meyerbeer, Rossini.

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Kurzbiographien

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Tobias Reichard, Musikwissenschaftler, Stipendien in Rom und Venedig, Mitarbeit DFG-Projekt Deutsch-italienische Musikbeziehungen unter Hitler und Mussolini vor 1943 in Hamburg, derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für Musiktheater (fimt) Thurnau, Universität Bayreuth. Gabriella Rovagnati, Germanistin und literarische Übersetzerin (u. a. Goethe, Hofmannsthal, Freud, Wittgenstein), lehrte Literatur und Theatergeschichte an der Universität Mailand, Verdienstorden aus Deutschland und Österreich. Paola Sorge, Autorin, Übersetzerin und Journalistin in Rom, arbeitet für RAI, La Repubblica, L’Espresso und Viaggi. Der Künstlerkreis um D’Annunzio und Michetti war Gast ihrer Familie (Villa Sorge nördlich von Pescara), zahlreiche Publikationen zu D’Annunzio. Jan Claas van Treeck, Medien- und Techniktheoretiker, Studium der Germanistik, Medienwissenschaft und Theaterwissenschaft in Bochum und Yale, derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Medientheorien an der HumboldtUniversität Berlin. Bettina Vogel-Walter, Autorin und Kulturmanagerin, Dissertation in Düsseldorf und Dottore di Ricerca in Scienze Storiche, Internationale Universitá di Studi San Marino, Schwerpunkte D’Annunzio, Richard Wagner, Avantgarde, intellektueller Einfluss im modernen Staat.

Immacolata Amodeo / Christiane Liermann Traniello / Matteo Scotto (ed.)

60 anni di Unione politica 60 Jahre politische Union Prospettive italo-tedesche Deutsch-italienische Perspektiven impulse. Villa Vigoni im gespräch – Vol. 12 2019. 94 pagine 978-3-515-12331-0 brossura 978-3-515-12334-1 e-book

Il Centro Italo-Tedesco per l’Eccellenza Europea Villa Vigoni reputa suo compito prioritario partecipare alle discussioni attuali sul futuro dell’integrazione europea. Su iniziativa di Villa Vigoni sono stati raccolti i saggi di questo volume, a partire dalle riflessioni emerse nell’Unione europea durante il 60° anniversario dei Trattati di Roma. Villa Vigoni ha così voluto stimolare un dibattito in molteplici forme e da varie prospettive disciplinari – politica, storia, diritto, arte, musica – che si interroghi sulle strade percorse e su quelle che ancora rimangono da seguire in Europa. Das Deutsch-Italienische Zentrum für Europäische Exzellenz Villa Vigoni versteht es als eine seiner vornehmsten Aufgaben, an den Debatten über die Zukunft der europäischen

Integration teilzunehmen. Auf die Initiative der Villa Vigoni gehen die Beiträge dieses Bandes zurück, die anlässlich des 60. Jahrestages der Römischen Verträge entstanden sind. Mit ihren unterschiedlichen Ansätzen und Perspektiven, die Politik, Geschichte, Kunst, Musik und Recht einschließen, bieten die Beiträge einen Querschnitt der Diskussionen, der Rückblicke und Ausblicke auf Europa, die die Villa Vigoni angeregt hat. contributori Giorgio Napolitano, Sergio Fabbrini, Lia Quartapelle Procopio, Wolfgang Ischinger, Antonio Padoa-Schioppa, Elmar Brok, Giuliano Amato, Marco Piantini, Tilman Mayer, Michele Valensise, Julian Stefenelli, Matteo Scotto, Ubaldo Villani-Lubelli

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Tommaso Padoa-Schioppa / Paolo Gentiloni

Warum sich Europa lohnt Plädoyers für politische Vernunft Herausgegeben von Christiane Liermann Traniello und Matteo Scotto impulse. Villa Vigoni im gespräch – band 13 2019. 94 Seiten 978-3-515-12339-6 gebunden

Tommaso Padoa-Schioppa (1940–2010) war ein prominenter italienischer Ökonom, Politiker, Universitätslehrer und Intellektueller – zugleich war er italienischer Patriot, leidenschaftlicher Europäer und überzeugter Vertreter des Gedankens der Einen Welt, in der Frieden, Gerechtigkeit und Wohlstand nicht länger exklusive Güter einzelner Nationen oder Kontinente sein können und sein dürfen. Der in diesem Band zum ersten Mal in deutscher Sprache veröffentlichte Essay hat seinen Ursprung im terroristischen Angriff auf das World Trade Center 2001, geht aber als Plädoyer für eine Politik des Augenmaßes und der Vernunft programmatisch darüber hinaus: Padoa-Schioppa zeigt, dass es im Politischen keine einfachen Lösungen gibt, auch wenn zahlreiche politische Formationen mit gegenteiligen Versprechen Anhänger gewinnen. Der zweite Beitrag, die Rede des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni, vertieft diese Perspektive und nimmt die aktuellen nationalpopulisti-

schen Tendenzen in Europa in den Blick. Die von den Populisten angebotenen Heilmittel für Enttäuschungen und Erwartungen, die sie selbst zum Teil schüren, sind älter als die EU und erscheinen vielen attraktiv. Diesen Kreislauf gilt es zu durchbrechen. die herausgeber Christiane Liermann Traniello hat in Bonn, Siena, Karlsruhe und Zürich Geschichte, Philosophie und Romanistik (Italienisch) studiert. Von 1995 bis 2019 war sie wissenschaftliche Referentin bei der Villa Vigoni und seit 2019 ist sie Generalsekretärin des deutsch-italienischen Zentrums. Matteo Scotto hat einen Masterabschluss in European Governance and Regulation vom Zentrum für Europäische Integrationsforschung (ZEI) in Bonn. Aktuell ist er wissenschaftlicher Referent am deutsch-italienischen Zentrum für europäische Exzellenz der Villa Vigoni.

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Heinz Georg Held / Donatella Mazza / Laura Strack (Hg.)

Akustische Masken auf dem Theater Maschere acustiche in teatro Text – Sprache – Performanz Testo – Lingua – Performance iMpulse. villa vigoni iM gespräch – Band 14 2020. 270 Seiten mit 3 s/w-Abildungen 978-3-515-12485-0 kartoniert 978-3-515-12494-2 e-Book

Welchen Status und welche Funktion hat die Sprache in gegenwärtigen und historischen performativen Kunstpraktiken? Dieser Frage sind die Autorinnen und Autoren in vergleichender deutsch-italienischer Perspektive nachgegangen. Neben sprachwissenschaftlichen und philologischen Aspekten stehen theaterpraktische Reflexionen und aktuelle Inszenierungsformen ebenso wie theoretische Überlegungen und neue Forschungsimpulse zur Diskussion. I molteplici interessi scientifici e professionali – teatrologici, storici, linguistici, derivanti dall’attuale prassi attoriale e registica – che sono alla base di questi saggi offrono un quadro sfaccettato e complesso delle riflessioni sul discorso della comunicazione teatrale nei due paesi, le cui peculiarità, più che le

somiglianze, spiccando nel confronto, gettano una luce incrociata particolarmente interessante. Il filo rosso che si intreccia alla trama di questi contributi è senz’altro il complesso rapporto che lega la parola del testo teatrale con quella che si realizza sulla scena, ovverosia ciò che in realtà si può definire lo specifico dell’evento teatrale in sé, il quale si realizza sul doppio piano di testo e performance. Mit Beiträgen von Fabrizio Fiaschini, Heinz Georg Held, Donatella Mazza, Ulrike Hass, Michaela Reinhardt, Stefano Locatelli, Donatella Orecchia, Anne Betten, Inge Arteel, Sabine Heymann, Laura Strack, Monika Woitas, Judith Schäfer, Sven Lindholm, Edoardo Erba, Angela Malfitano, Elena Di Gioia, Elfriede Jelinek

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Stefan Immerfall / R. Rossella Pugliese (Hg.)

Integration vor Ort L’integrazione sul posto Die Praxis der Asylpolitik im deutschitalienischen Vergleich Asilo politico e il processo di integrazione nel confronto italo-tedesco impulse. villa vigoni im gespräch – band 16 2020. 233 Seiten mit 14 s/w-Abbildungen und 8 Tabellen 978-3-515-12693-9 kartoniert 978-3-515-12697-7 e-book

Deutschland und Italien sind auf unterschiedliche Weise Einwanderungsländer geworden. Ebenso gehören beide – wiederum auf unterschiedliche Weise – zu den von der „Flüchtlingskrise“ am stärksten betroffenen EU-Ländern. Vergleichsweise wenig wissen wir aber über die Praxis der Integrationsarbeit vor Ort, vor allem nicht in vergleichender Perspektive. Wie gehen Deutschland und Italien mit fluchtbedingten Herausforderungen alltagspraktisch um? Was können die beiden Länder voneinander lernen? Die Autorinnen und Autoren behandeln die gesetzlichen und institutionellen Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel das Gemeinsame Europäische Asylsystem, die kommunale Migrations- und Integrationspolitik und die Sprachenpolitik. Auch die Integrationspolitik und die Integration in Schule, Hochschule, Verwaltung und Zivilgesellschaft werden in den Blick genommen. Zudem werden die sozialen Inklusionsund Exklusionsprozesse in ihren räumlichen Dimensionen analysiert. Die Beitragenden

bieten so eine vielschichtige, deutsch-italienische Perspektive auf eine zentrale Herausforderung unserer Zeit. mit beiträgen von Stefan Immerfall, Jörg Bogumil & Jonas Hafner, Susanne Worbs, Mario Caterini, R. Rossella Pugliese, Nazli Hodaie, Sara Mazzei & Luise Schimmel & Miriam Stock & Valentina Zecca, Petra Deger & Monika Gonser & Martin Lange & Friedhelm Pfeiffer, Fiorella De Rosa, Anne-Katrin Schührer, Rosalbino Turco & Arianna Jennifer Turco, Birgit Glorius & Miriam Bürer & Hanne Schneider die herausgeber Stefan Immerfall ist Professor für Soziologie an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. R. Rossella Pugliese ist Professorin für Deutsche Sprache und Übersetzung am Dipartimento di Lingue e Scienze dell‘Educazione der Università della Calabria.

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Der italienische Schriftsteller Gabriele D’Annunzio (1863–1938) und der deutsche Komponist Richard Wagner (1813–1883) waren bereits zu Lebzeiten höchst umstrittene und stark verehrte Persönlichkeiten. Ohne Zweifel heraus­ ragende Künstler, gelang ihnen auch der Einbruch in die politische Sphäre. Die Autorinnen und Autoren leisten – aus vergleichender deutsch­italienischer Perspektive – Grundlagenarbeit und untersuchen die Schnittstellen zwischen Kunst, Politik und Gesellschaft, an denen sich D’Annunzio und Wagner

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mit ihren Interventionen, besonders aber auch mit ihren Werken bewegten. Die Bayreuther Festspiele erweisen sich als europäischer Kristallisationspunkt, Modell für Frankreich und Italien. Beleuchtet wird auch das Vittoriale degli Italiani in Gardone als ein Ort, an dem deutsche und italienische Traditionen sich begegnen. So zeigt sich, dass sich die Moderne weitgehend über die Ästhetik definiert und weniger über die Inhalte, was auch zu einer signifikanten Um­ deutung der Rolle der Künstler innerhalb des Staates führt.