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German Pages [587] Year 2019
Stephanie Mühlenfeld
Konzepte der ›exotischen‹ Tierwelt im Mittelalter
Mit 136 Abbildungen
V& R unipress Mainz University Press
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verçffentlichungen der Mainz University Press erscheinen im Verlag V& R unipress GmbH. Gedruckt mit freundlicher Unterstþtzung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung fþr Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein. 2019, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Papageien-Miniatur: Universita¨ tsbibliothek Heidelberg, Konrad von Megenberg: Das Buch der Natur (Cod. Pal. germ. 300), fol. 161v. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-7370-0878-5
Inhalt
Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Tiere als »komplexe Projektionsfläche« für kulturelle Einschreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Diskursanalytische Zugänge zu Konzepten vom ›exotischen‹ Tier . 1.1.1 Foucault: Kulturelle Codes, wissenschaftliche Theorien, episteme und Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Literaturwissenschaft im Anschluss an Foucault: Interdiskurstheorie und Historische Diskursanalyse . . . . . 1.1.2.1 Die Interdiskurstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2.2 Die Historische Diskursanalyse . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Udo Friedrich: Wissensordnungen und Mensch-Tier-Grenzziehung im Mittelalter . . . . . . . . . . 1.2 Der Konzept-Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Florian Kragl: Theorien der Wahrnehmung . . . . . . . . . 1.2.2 Friedrich G. Wallner : »Konstruktiver Realismus« . . . . . . 1.2.3 Eleanor Rosch: Merkmalanalyse und Prototypentheorie . . . 1.2.4 Dietrich Busse: Der Konzept-Begriff der Frame-Semantik . . 1.3 Was bedeutet ›exotisch‹ im Kontext dieser Arbeit? . . . . . . . . . 1.3.1 Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Das Eigene und das Fremde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Staunen über das ›exotische‹ Tier . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.4 Die ›mirabilia des Ostens‹ und der weitgefasste Begriff vom ›exotischen‹ Tier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.5 Mögliche Beschreibungsverfahren des ›Exotischen‹ . . . . . 1.4 Korpus, Terminologie und Prämissen der Textanalyse . . . . . . . 1.4.1 Das Textkorpus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23 23 24 28 29 35 41 48 49 52 58 71 81 81 85 90 96 105 109 109
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Inhalt
1.4.2 Differente Konzepte von ›exotischen‹ Tieren in verschiedenen Textgattungen? . . . . . . . . . . . . . . . . .
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115 115
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284 287 311 312 324 362 398 436 466
3. Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere – Universalität, Spezifität und Tradierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Ausblick: ›Exotische‹ Tiere in synchroner und diachroner Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Glossar zu den untersuchten Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bildquellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung . 2.1 Panther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Forschungsstand zum Panther-Konzept in Antike und Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Das antike Panther-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Das mittelalterliche Panther-Konzept . . . . . . . . . . . 2.1.3.1 Der naturkundliche Diskurs . . . . . . . . . . . . 2.1.3.2 Der religiös-heilsgeschichtliche Diskurs . . . . . . 2.1.3.3 Der Liebesdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3.4 Der literarische Diskurs . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3.5 Der kommerzielle Diskurs . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Die ›Exotik‹ des Panthers im Mittelalter . . . . . . . . . . 2.2 Papagei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Forschungsstand zum Papageien-Konzept in Antike und Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Das antike Papageien-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Das mittelalterliche Papageien-Konzept . . . . . . . . . . 2.2.3.1 Der naturkundliche Diskurs . . . . . . . . . . . . 2.2.3.2 Der religiös-heilsgeschichtliche Diskurs . . . . . . 2.2.3.3 Der Liebesdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.4 Der literarische Diskurs . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.5 Der kommerzielle Diskurs . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Die ›Exotik‹ des Papageis im Mittelalter . . . . . . . . . .
Dank
Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich 05 Philologie und Philosophie der Johannes Gutenberg-Universita¨ t Mainz im Jahr 2017 als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen. Mein größter Dank gebührt Prof. Dr. Sabine Obermaier, der Erstbetreuerin meiner Arbeit. Durch ihre wundervollen Seminare und Vorlesungen ist es ihr gelungen, mich für das Thema »Tiere im Mittelalter« so sehr zu begeistern, dass ich stets mit großer Freude an meinem Forschungsprojekt gearbeitet habe. Während meiner gesamten Promotionszeit und weit darüber hinaus begleitete sie mich mit wertvollen Ratschlägen und unermüdlichem Engagement. Sie war eine Betreuerin, wie man sie sich als Doktorandin nur wünschen kann. Prof. Dr. Tanja Pommerening, der Zweitbetreuerin meiner Arbeit und Sprecherin des Graduiertenkollegs 1876 »Frühe Konzepte von Mensch und Natur – Universalität, Spezifität, Tradierung«, möchte ich ganz herzlich dafür danken, dass sie mir – wie auch der ganzen Kollegiat*innengruppe – Wege eröffnet hat, Netzwerke zu bilden. Ihre Beratung innerhalb des Graduiertenkollegs hat bewirkt, dass sich mein Blick interdisziplinär enorm geweitet hat. Juniorprofessorin Dr. Claudia Lauer, Prof. Dr. Jochen Althoff und Prof. Dr. Jochen Geilfuß-Wolfgang danke ich für die Unterstützung im Promotionsverfahren. Für die konstruktive Zusammenarbeit und den interdisziplinären Austausch danke ich allen Beteiligten des DFG-Graduiertenkollegs 1876 »Frühe Konzepte von Mensch und Natur – Universalität, Spezifität, Tradierung«. Besonders hervorzuheben ist hier die Unterstützung, die ich von Katharina Hillenbrand, Dr. Dominik Berrens und Dominic Bärsch – meinen Kolleg*innen aus dem Bereich Altphilologie – bekommen habe, sowie der Dialog mit Imke Fleuren, die das ägyptologische Tandem-Projekt zu meiner Dissertation bearbeitete.
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Dank
Prof. Dr. Stephan Jolie möchte ich ganz herzlich dafür danken, dass er durch seine vielen spannenden Lehrprojekte während meines Studiums meine Begeisterung für mittelalterliche Literatur überhaupt erst geweckt hat. Für die langjährige finanzielle Förderung danke ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft und für die großzügige Unterstützung bei der Drucklegung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften. Den Freunden der Universität Mainz e.V. gilt großer Dank dafür, dass sie meine Arbeit mit dem Forschungsförderpreis 2018 ausgezeichnet haben. Meinen Eltern und Großeltern danke ich für die Finanzierung meines Studiums; dafür, dass sie mein Interesse an Papageien seit meiner frühesten Kindheit gefördert haben, und für ihre Liebe und Unterstützung, auf die ich mich zu jedem Zeitpunkt verlassen kann. Stephanie Mühlenfeld
Einleitung
Welchen Stellenwert hat die ›exotische‹ Tierwelt innerhalb des Weltbilds des europäischen Mittelalters? Was trägt die Analyse der Wahrnehmung und Ordnung der Tierwelt zu unserem Verständnis des mittelalterlichen Weltbilds bei? Zur Beantwortung dieser Fragen möchte ich mit der vorliegenden Untersuchung einen Beitrag leisten. Den Untersuchungsgegenstand bilden fiktionale narrative und lyrische Texte des 12. bis 16. Jahrhunderts sowie Reiseberichte des 14., 15. und frühen 16. Jahrhunderts. Darüber hinaus werden auch bildhafte Darstellungen von ›exotischen‹ Tieren – wie etwa die auf der Ebstorfer Weltkarte – in die Betrachtung mit einbezogen.1 Es wird zu überprüfen sein, inwieweit sich in hoch- und spätmittelalterlichen Texten Wahrnehmungs-, Verstehens- und Deutungsmuster ›exotischer‹ Tiere erkennen lassen, die auf eine kultur- und epochenübergreifende Tradition zurückgehen. Mittels eines diachronen Forschungsansatzes, der Historische Diskursanalyse, Interdiskursanalyse und Frame-Semantik zusammenführt, wird – ausgehend von der literarischen Tradition des Alexanderromans und fiktionaler Erzähltexte – zu überlegen sein, ob es Bestandteile der Tier-Konzepte gibt, die in die spätmittelalterlichen Reiseberichte gewandert sind. Besonders zu beachten sind hierbei die Traditionen dieser Texte hinsichtlich der Beschreibung der ›exotischen‹ Fauna. Die verschiedenen Versionen des Alexanderromans beispielsweise gehen auch wiederum auf Reiseberichte zurück. Um die Tradierung der Konzeptbestandteile aufzeigen zu können, ist es daher zudem notwendig, die mittelalterlichen Enzyklopädien in die Betrachtung miteinzubeziehen. Weiter ist zu fragen, welche Funktionen und Bedeutungen dem jeweiligen Tier in der antiken abendländischen sowie in der mittelalterlichen Kultur zugedacht werden und welche in den mittelalterlichen Texten zum Tragen kommen. Dies bedeutet zugleich, dass sich die Analyse nicht auf ›exotische‹ Tiere nur 1 Auf die Auswahl der Quellen werde ich in Kapitel 1.4.2 Differente Konzeptbestandteile von ›exotischen‹ Tieren in verschiedenen Textgattungen? noch näher eingehen.
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Einleitung
einer Kultur und nur einer bestimmten Textgattung beschränkt, sondern Tierdarstellungen verschiedener Diskurskulturen, Textgattungen und Bildzeugnisse mit einschließt. Prämisse dieses interdisziplinären Untersuchungsansatzes ist die Annahme, dass Tiere als »komplexe Projektionsfläche« für kulturelle Einschreibungen angesehen werden können und Aufschluss darüber zulassen, wie die fremde Kultur ihr Welt- und Selbstbild konstruiert.2 Bereits Plinius der Ältere beschreibt den Papagei in der Naturalis historia (NH 10, 117) als einen Vogel, der aus Indien stamme und anhand seines grünen Federkleides mit rotem Halsband zu erkennen sei. Darüber hinaus könne dem Tier die menschliche Sprache beigebracht werden, es grüße seinen Herrn und wiederhole die Worte, welche man an es richte. Des Weiteren – so Plinius – zeichneten sich Schnabel und Kopf des Tiers durch besondere Härte aus und um ihm tatsächlich mit Erfolg die menschliche Sprache beizubringen, sei es notwendig, ihm mittels einer kleinen Eisenstange gezielte Schläge auf den Kopf zu verabreichen. Diese Bestandteile eines antiken Papageien-Konzepts werden ins Mittelalter tradiert. Sie finden beispielsweise auch bei Isidor von Sevilla und Konrad von Megenberg Erwähnung (Isid., orig. 12, 7:24; Konrad von Megenberg, Das Buch der Natur 3, 63). Die Beschreibung des äußeren Erscheinungsbildes fällt bei den beiden mittelalterlichen Autoren exakt gleich aus, wobei jedoch ergänzend hinzugefügt wird, der Vogel besitze eine überdurchschnittlich große Zunge und sei in der Lage, sich so vortrefflich zu artikulieren, dass man – sofern man ihn beim Sprechen nicht beobachte – denke, es sei ein Mensch, der die jeweiligen Worte gerade von sich gebe (Isid., orig. 12, 7:24; Konrad von Megenberg, BdN 3, 63). Auch bei der Information, die die Zunge des Vogels betrifft, handelt es sich um einen tradierten Konzeptbestandteil, denn die Papageien-Zunge wird bereits in Aristoteles’ Historia animalium (HA 8,12 597b 27–29) angesprochen und in Apuleius’ Florida findet ihre besondere Breite Erwähnung (Florida 2, 12). Darüber hinaus erklärt Isidor von Sevilla – der an dieser Stelle Martials Epigramm XIV, 73 rezipiert – das Tier grüße alle Menschen mit der Grußformel »Ave«, worauf auch der folgende Satz zurückzuführen sei: »Als Papagei will ich von euch die Namen der anderen lernen; dies habe ich aus mir selbst gelernt: ›Ave Cäsar!‹« (Isid., orig. 12, 7:24). Betrachtet man nun mittelalterliche, bildhafte Papageiendarstellungen – etwa in den Bestiarien – so fällt auf, dass die meisten Papageien mit grünem Gefieder abgebildet sind und in zahlreichen Fällen einen roten Ring um den Hals aufweisen (siehe Abbildung 1 und 2).
2 Friedrich, Menschentier und Tiermensch, S. 14. Zu dem Begriff des Weltbilds sei zudem verwiesen auf: Bachorski/Röcke, Weltbilder – Ornungen des Wissens und Strukturen der literarischen Sinnbildung, S. 69–76.
Einleitung
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Abb. 1: Bodleian Library, MS. Douce 151, Folio Abb. 2: Kongelige Bibliotek, Gl. kgl. S. 1633 48, 52v.3 Entstehung: 13.–14. Jh.4 Folio 33v.5 Entstehung: 15. Jh.6
Bereits anhand dieser wenigen Beispiele wird ersichtlich, dass es durchaus epochenübergreifende Konzeptbestandteile zu geben scheint, was das äußere Erscheinungsbild des Tiers sowie dessen Geschicklichkeit und Sprachgewandtheit anbelangt. Die Darstellungen des Vogels lassen darauf schließen, dass man die Spezies des Halsbandsittichs (Psittacus krameri) als prototypischen Papagei wahrnahm.7 Darüber hinaus haben auch die immer wieder beschriebenen PapageienEigenschaften der Genussfreude und der Zuneigung zu schönen jungen Damen (Konrad von Megenberg, BdN 3, 63) als Bestandteile des Konzepts mehrere Jahrhunderte überdauert und sie eigneten sich hervorragend für eine epische Funktionalisierung. Ein Konzeptbestandteil, der erst im Mittelalter hinzugetreten zu sein scheint, und damit als epochenspezifisch mittelalterlich angesehen werden kann, ist die religiös-heilsgeschichtliche Auslegung des Tiers.8 In den Concordantiae caritatis 3 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Parrot‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/beasts/ beastgallery235.htm#. Zugriff am 15. 03. 2017 um 12:18 Uhr. 4 Badge, Medieval Bestiary, Bodleian Library, MS. Douce 151. Auf: http://bestiary.ca/manu scripts/manu1187.htm. Zugriff am 15. 03. 2017 um 12:21 Uhr. 5 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Parrot‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/beasts/ beastgallery235.htm#. Zugriff am 15. 03. 2017 um 12:24 Uhr. 6 Badge, Medieval Bestiary, Kongelige Bibliotek, Gl. kgl. S. 1633 48 (Bestiarius – Bestiary of Ann Walsh). Auf: http://bestiary.ca/manuscripts/manu94.htm. Zugriff am 15. 03. 2017 um 12:36 Uhr. 7 Auf diesen Aspekt sowie auf das linguistische Prototypen-Modell werde ich in den Kapiteln 1.2 Der Konzept-Begriff und 2. Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung ausführlich eingehen. 8 Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass der Papagei erst in der dritten griechischen
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Einleitung
Ulrichs von Lilienfeld wird der Papagei sogar als ›Tier-gewordener‹ Sohn Gottes identifiziert: Jacobus, Solinus et Ysidorus dicunt, quod psitacus naturaliter scit hominem obuiantem salutare dicens: »Chere« uel »Aue«, quod idem est. Hic psitacus est Dominus Ihesus Christus, qui obuium hominem salutauit, quando paraliticum adductum sua misericordia sanauit penituset curauit. Ita nos homunciones peccatis paralitici si uolumus curari, huic psitaco pietate et gracia pulcherrimo per contriti cordis exhibicionem oportet, ut occurramus nec a uia penitenciali, qua citissime reperitur, declinemus, ut forte si nos in peccatorum dimissione ac tocius nostre anime curacione cum paralitico salutauerit, ipsum per debitam gratiarum accionem ac tocius nostre antique conuersacionis in melius mutacionem humiliter cottidie resalutemus.9
Ein ganz anderer Konzeptbestandteil zeigt sich bei Konrad von Grünemberg, der den Papagei in seinem Pilgerreisebericht (1486) unter die haidnisch[en] fogel subsumiert.10 Hier beginnt sich bereits abzuzeichnen, dass Tierdarstellungen von dem jeweiligen Diskurs abhängig sind, innerhalb dessen sie in Erscheinung treten. Ein und dasselbe Tier kann sowohl Jesus Christus bedeuten als auch ein Bestandteil der »heidnischen« – also der ›fremden‹, ›andersgläubigen‹ – Welt sein, wenn die beiden Darstellungen durch verschiedene Diskurse determiniert sind. Eine eingehende Untersuchung jener Diskurse, die den Darstellungen ›exotischer‹ Tiere zugrunde liegen, ist insbesondere im Hinblick auf die methodische Vorgehensweise ein schwieriges Unterfangen, da sich Michel Foucault – dessen Theorien Grundlage der kulturwissenschaftlich ausgerichteten Literaturwissenschaft sind – über konkret anzuwendende Arbeitsschritte der Diskursanalyse
Redaktion des Physiologus auftaucht. Diese Redaktion geht auf den sog. »Pseudo-Basilius« zurück und ist wahrscheinlich um 1100 entstanden. Vgl.: Treu, Physiologus – Frühchristliche Tiersymbolik, S. 143f. 9 Douteil (Hrsg.), Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld, Band I, S. 304, (fol. 149r [e]). Übersetzung Herbert Douteils (Hrsg.), Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld (S. 305): ›Jacobus, Solinus und Isidor sagen: Der Papagei weiß von Natur aus den Menschen, der ihm begegnet, mit den Worten »Chere« oder »Ave«, was dasselbe bedeutet, zu begrüßen. Dieser Papagei ist der Herr Jesus Christus; er grüßte den Menschen, der ihm entgegenkam, als er den herbeigetragenen Gichtbrüchigen mit seiner Barmherzigkeit vollständig heil und gesund machte. Wenn wir, die wir durch unsere Sünden Gichtbrüchige sind – wenn wir Menschlein also geheilt werden wollen, müssen wir unbedingt diesem durch Güte und Gnade wunderschönen Papagei mit dem Erweis eines reuevollen Herzens entgegenlaufen und dürfen nicht vom Weg der Buße, auf dem er sehr schnell gefunden wird, abweichen, damit wir ihn durch geschuldeten Dank und die Änderung unseres ganzen alten Wandels zum Besseren hin täglich demütig wieder grüßen, wenn er uns in der Vergebung unserer Sünden und in der völligen Heilung unserer Seele mit dem Gichtbrüchigen gegrüßt hat.‹ 10 Konrad von Grünemberg, Pilgerreise ins heilige Land, S. 465.
Einleitung
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stets in Schweigen hüllte.11 Dennoch ist der Versuch sich dieser Problematik zu stellen, zweifellos lohnenswert und verspricht einen kulturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Foucault zitiert in der Einleitung zu Die Ordnung der Dinge Jorge Luis Borges, der von einer chinesischen Enzyklopädie berichtet, die er wohl in Wahrheit frei erfunden hat.12 Diese »gewiss[e] chinesische Enzyklopädie« so Foucault, ordne alle Tiere den folgenden Gruppen zu: a) Tiere, die dem Kaiser gehören, b) einbalsamierte Tiere, c) gezähmte, d) Milchschweine, e) Sirenen, f) Fabeltiere, g) herrenlose Hunde, h) in diese Gruppierung gehörende, i) die sich wie Tolle gebärden, j) die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind, k) und so weiter, l) die den Wasserkrug zerbrochen haben, m) die von Weitem wie Fliegen aussehen.13
Dass diese Ordnung erhebliches Potential birgt, einen jeden Leser zum Lachen zu bringen, erklärt Foucault damit, dass sie »alle Vertrautheit unseres Denkens aufrüttelt«, da für uns einfach nicht die Möglichkeit bestünde »das zu denken«.14 Diese Erkenntnis veranlasst den Philosophen, darüber zu reflektieren, worin genau jene Unmöglichkeit besteht.15 Sie auszumachen und zu benennen erscheint äußerst komplex, denn für sich alleine genommen kann man sich ein jedes Element der oben genannten Aufzählung vorstellen.16 Sowohl bei der Nennung von »Fabelwesen« und »Sirenen«, als auch bei derjenigen von real existierenden Lebewesen, wie etwa »herrenlose[n] Hunde[n]«, stellt sich bei den meisten Menschen ein imaginäres Bild ein.17 Unter der Voraussetzung einer Betrachtung, welche jede der genannten Kategorien separiert von allen anderen in den Fokus rückt, entsteht hier demnach keine Denkunmöglichkeit.18 Daneben ist es der menschlichen Vorstellung auch durchaus möglich, beim Lesen fiktiver Texte eine Koexistenz von real existierenden Tieren und Fabelwesen zu imaginieren.19 Was ist es also, das die oben genannte Aufzählung so unmöglich macht und dazu führt, dass Foucault sie als »Heterotopie«, als »Struktur eines raumlosen Denkens mit obdachlosen Wörtern« wertet?20 Laut Foucault ist es die 11 Nünning/Nünning, Methoden der literatur- und kulturwissenschaftlichen Textanalyse, S. 177. 12 Foucault, Die Ordnung der Dinge, S. 17. 13 Borges, Jorge Luis, Die analytische Sprache John Wilkins’. In: Ders., Das Eine und die Vielen. Essays zur Literatur, München 1966, S. 212. Zitiert nach: Foucault, Die Ordnung der Dinge, S. 17. 14 Ebenda; Vgl. dazu auch: Sarasin, Ordnungsstrukturen, S. 121. 15 Ebenda. 16 Ebenda. 17 Foucault, Die Ordnung der Dinge, S. 17. 18 Sarasin, Ordnungsstrukturen, S. 121. 19 Ebenda. 20 Foucault, Die Ordnung der Dinge, S. 20f.
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Einleitung
alphabetische Ordnungsstruktur, unter deren Einhaltung die Tiere – die für den westeuropäischen Rezipienten des 21. Jahrhunderts scheinbar willkürlich und beliebig zusammengewürfelt erscheinen – aufgezählt werden.21 Was an dieser Stelle wie ein dem Zufall überlassenes Konglomerat wirkt, könnte jedoch auch ein Indiz dafür sein, dass hier eine kulturspezifische Wissensordnung zugrunde liegt, die einer derart fremden Kultur und einem so grundlegend anderen Denken entstammt, dass sie zunächst für den oben beschriebenen Rezipienten nicht offensichtlich oder auch nur im Ansatz erkennbar ist.22 Gelingt es jedoch, derartige Ordnungsstrukturen Stück für Stück freizulegen und zu begreifen, so können sie einen Beitrag zu der Beantwortung der Frage leisten, wie die fremde Kultur Bestandteile ihres Wissens in Kategorien oder Gruppen einteilt, in welcher Reihenfolge eine Aneinanderreihung jener Bestandteile stattfindet und wie sie zueinander in Relation gesetzt werden – so die Hoffnung, die sich an Foucault anschließt.23 Entscheidend im Hinblick auf den Wissensbegriff, wie er bei Foucault Anwendung findet, ist die Differenzierung zweier Wissensebenen.24 Zum einen existieren seiner Ansicht nach die »fundamentalen Codes einer Kultur, die ihre Sprache, ihre Wahrnehmungsschemata, ihren Austausch, ihre Techniken, ihre Werte [und] die Hierarchie ihrer Praktiken« bestimmen.25 Zum anderen nennt er die Ebene der »wissenschaftliche[n] Theorien« und der philosophischen Erklärungen.26 Zwischen diesen beiden Ebenen gibt es allerdings noch eine dritte, welche von Foucault auch »die episteme« einer Epoche genannt wird.27 Sie liegt als »Mittelgebiet« »zwischen dem bereits kodierten Blick und der reflektierten Erkenntnis« und sie ist es, die »die Ordnung in ihrem Sein selbst befreit«.28 Dies bedeutet, dass auf jener, letztgenannten Ebene zumindest teilweise eine Befreiung von den a priori gegebenen »linguistischen, perzeptiven und praktischen Rastern« erfolgen kann.29 Auf dem solchermaßen ›befreiten Gebiet‹ können daraufhin die wissenschaftlichen Theorien bezüglich der Ordnung der Dinge – sowie die Interpretationen jener Ordnung – an Raum gewinnen.30 Um es vereinfacht auszudrücken, wird auf der Ebene der episteme ausgehandelt, welche Aussagen getätigt werden können und welche ausgeschlossen sind; zugleich wird auf dieser Ebene festgelegt, »wie Wissen sich im Raum organisiert, wie 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
Sarasin, Ordnungsstrukturen, S. 121. Vgl.: Ebenda. Ebenda. Ebenda. Foucault, Die Ordnung der Dinge, S. 22. Ebenda, S. 22f. Ebenda, S. 24. Ebenda, S. 23; Sarasin, Ordnungsstrukturen, S. 122. Foucault, Die Ordnung der Dinge, S. 23. Ebenda.
Einleitung
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Räume strategisch von Wissen besetzt werden [und] wie Wissen strukturiert und räumlich gegliedert wird«.31 Für die Thematik »Konzepte der ›exotischen‹ Tierwelt« sind diese Wissensordnungen von immenser Wichtigkeit, denn sie bestimmen, welche Tiere »zu welcher Zeit in welcher Weise wahrgenommen werden und wie über sie gedacht und gesprochen wird« oder anders ausgedrückt: sie bestimmen die Konzepte.32 Wie ist es aber nun methodisch möglich, sich diesen Wissensordnungen anzunähern und sie im Rahmen einer literatur- und kulturwissenschaftlichen Analyse zu untersuchen? Foucaults Diskursanalyse verfolgt das Ziel, herauszuarbeiten, nach welchen Regeln »bestimmte Aussagen generiert und andere ausgeschlossen werden können«.33 Dass Foucault seine Gedanken bezüglich der Diskursanalyse nicht zu einer vollständig ausformulierten Analysemethode weiterentwickelt hat, ist für die Literatur- und Kulturwissenschaft natürlich bedauerlich; gleichwohl eröffnet dieser Hiatus aber auch die Möglichkeit, ein neues, individuelles, interdisziplinäres Analyseverfahren zu entwickeln und zur Anwendung zu bringen.34 Fragt man sich nun nach den Prämissen eines solchen Verfahrens, so scheint sicher, dass über die Anordnung der Tiere, die in einem Diskurs vorkommen, reflektiert werden muss. Zu untersuchen sind also die Begriffe, die in dem Diskurs auftreten, sowie die »Theorien oder Strategien, die ihn prägen […]«.35 Im Anschluss an Jürgen Links Interdiskurstheorie verstehe ich Literatur dabei als »denjenigen Diskurs, der in der Lage ist, alle anderen Diskurse in sich aufzunehmen«.36 Laut Link ist es der Literatur darüber hinaus möglich, dass sie – nachdem sie verschiedenste andere Diskurse inkorporiert hat – einen eigenen, spezifisch literarischen hervorbringt.37 Begreift man Literatur auf diese Weise, als Interdiskurs, als Knotenpunkt und »Schnittstelle«, so bietet es sich an,
31 Sarasin, Ordnungsstrukturen, S. 125. 32 Becker, Literatur- und Kulturwissenschaften, S. 149; Darauf, wie ich den Begriff »Konzept« in der vorliegenden Arbeit verstehe und welche verschiedenen Arten von »Konzepten« darüber hinaus prinzipiell denkbar sind, werde ich in 1.2 Der Konzept-Begriff genauer eingehen. 33 Sarasin, Ordnungsstrukturen, S. 123. 34 Dafür, dass diese Vorgehensweise ganz im Sinne Foucaults gewesen wäre, spricht sein Angebot, die von ihm entwickelten Theoreme doch als eine Art »Werkzeugkiste« zu betrachten, aus der man sich mit der notwendigen Ausrüstung versorgen könne, um eine »Demontage von Machtsystemen« zu bewerkstelligen. Kammler, Historische Diskursanalyse – Foucault und die Folgen, S. 633. Machtsysteme werden im Rahmen der vorliegenden Arbeit natürlich auch eine Rolle spielen, jedoch ist ihre »Demontage« nicht das Ziel dieser Untersuchung. 35 Becker, Literatur- und Kulturwissenschaften, S. 150; Link/Link-Heer, Diskurs/Interdiskurs und Literaturanalyse, S. 97. 36 Ebenda. 37 Ebenda.
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Einleitung
nach den ästhetischen Formen der Integration von Wissen aus anderen Disziplinen zu fragen, etwa in Verbindung mit der Analyse literarischer Figuren, nach den narratologischen Konzepten, nach Symbolen […], nach der Symbolsprache, nach der Struktur und dem Aufbau literarischer Texte.38
Zugleich ist es im Rahmen einer solchen diskursanalytischen Untersuchung notwendig, literarische Texte als »beliebige Texte unter anderen« zu behandeln, wodurch Gattungs- und Qualitätsmerkmale in den Hintergrund treten.39 Literatur ist hierbei demnach nicht mehr primär als Kunst, »sondern als eine Formation des Wissens« zu begreifen, und auch andere – beispielsweise bildhafte Quellen – treten als Untersuchungsgegenstände hinzu.40 Unter Annahme dieser Prämissen wird sich mein methodisches Vorgehen innerhalb dieser Arbeit wie folgt gestalten: Im theoretischen Teil werde ich zunächst auf Foucaults Diskursbegriff eingehen und mit Jürgen Links Interdiskurstheorie sowie der Historischen Diskursanalyse zwei literaturwissenschaftliche Anwendungspraktiken der Foucault’schen Diskursanalyse aufzeigen, die für den analytischen Teil dieser Arbeit besonders nützlich erscheinen.41 Im Anschluss daran werde ich erläutern, wie Udo Friedrich diese Theoreme aufgreift und im Hinblick auf das Thema »Tiere im Mittelalter« spezifiziert. Daraufhin wird ein – rein am Thema dieser Dissertation orientierter – Vorschlag für eine Definition des Begriffs ›Konzept‹ erarbeitet. Hierbei werden insbesondere konstruktivistische Ansätze angesprochen (Radikaler Konstruktivismus, Konstruktiver Realismus) und linguistische Überlegungen zur Prototypensemantik thematisiert. In einem weiteren Schritt wird gefragt, inwiefern die theoretischen Ansätze der Frame-Semantik – wie Dietrich Busse und Lawrence B. Barsalou sie vertreten – für diese Arbeit nutzbar gemacht werden können, da es mit ihrer Hilfe möglich erscheint, verschiedene Arten von Konzepten zu unterscheiden und das verstehensrelevante, inhärente Wissen eines jeden Textes »in seinen Strukturen, Ebenen und Elementen« zu beschreiben.42 Busse schlägt in diesem Zusammenhang vor, sprachliche Zeichen als »Zeiger« und »Hinweise« auf Elemente und Struktureinheiten des Wissens zu betrachten, worin er mit Edmund Husserl übereinstimmt.43 An dieser Stelle sei ein kurzes Zitat Busses angeführt, welches den Grundgedanken einer auf diese Weise verstandenen Frame-Semantik sehr anschaulich und pointiert verdeutlicht: 38 39 40 41 42 43
Becker, Literatur- und Kulturwissenschaften, S. 158. Ebenda, S. 152. Ebenda, S. 159. Ebenda, S. 157. Busse, Frame-Semantik, S. 535. Ebenda, S. 537.
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Die ausdrucksseitig realistischen sprachlichen Zeichen […] [sind] – wie es der Philosoph Edmund Husserl einmal ausgedrückt hat – als Indiz dafür [zu sehen], dass derjenige, der diese Zeichen als ›tertium‹ (zwischen seinem Geist und dem Geist der Rezipienten), als ›Medium‹ der Kommunikation eingesetzt hat, eben bestimmte Wissensstrukturen kognitiv aktiviert hat (von denen er möchte, dass auch die Rezipienten sie ihrerseits kognitiv aktivieren). Eben dies ist die eigentliche Funktion sprachlicher Zeichen und macht sie allererst zu eben genau dem – zu Zeichen.44
Was hier bereits anklingt, ist die Vermutung, dass es sowohl so etwas wie ›individuelle Strukturen des Wissens‹ gibt als auch überindividuelle, die eine Art ›soziales Wissen‹ darstellen. Problematisch erscheint, dass individuelle Wissensinhalte nur sprachlich vermittelt zum Ausdruck gebracht werden können und Sprache eben Bestandteil des ›sozialen Wissens‹ ist.45 Auch über diese Problematik – über die sich die meisten Frame-Theoretiker ausschweigen – wird im theoretischen Teil der Arbeit nachzudenken sein und es erscheint notwendig, diesbezüglich einen konkret am Thema der Untersuchung orientierten Lösungsansatz zu entwickeln. Im Anschluss an diese Einbeziehung frame-semantischer Aspekte, werde ich eine – ebenso rein am Thema meiner Arbeit orientierte – Definition des Begriffs ›exotisch‹ entwickeln. Hierbei erscheint es unerlässlich, sich genauer mit den »mirabilia des Ostens« zu beschäftigen, die auch Hybridwesen wie beispielsweise die Hundsköpfigen mit einschließen. Der Fokus der Betrachtung soll hierbei auf der Fragestellung liegen, welche Beschreibungsverfahren des ›Exotischen‹ in mittelalterlichen Texten prinzipiell denkbar sind. Den Abschluss des theoretischen Teils bilden einige Erläuterungen zum Textkorpus, der Terminologie und den Prämissen für die Textanalyse. Im Rahmen dieser Ausführungen wird hinterfragt, inwieweit man die ›Reiseliteratur‹ als heterogene ›Gattung‹ behandeln darf. Ebenso muss darüber nachgedacht werden, ob innerhalb fiktionaler Erzähltexte möglicherweise andere Konzeptbestandteile aktualisiert werden als in Pilgerberichten oder in Berichten von Handelsreisenden und falls ja, worauf dieses Phänomen zurückzuführen sein könnte. Die im theoretischen Teil entwickelte Untersuchungsmethode zur »Freilegung des verstehensrelevanten, [textinhärenten] Wissens« gelangt im darauffolgenden analytischen Teil bei der Untersuchung der Quellen zur Anwendung.46 Im Hinblick auf die fiktionalen Erzähltexte wird hierbei zunächst eine Auswahl aus den mittelhochdeutschen und frühneuhochdeutschen Alexanderromanen untersucht. Es handelt sich dabei um den Straßburger- und den Basler Alexander 44 Ebenda. 45 Vgl.: Ebenda. 46 Ebenda, S. 535.
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sowie die Fassung Johann Hartliebs. Da in den jüngeren Bearbeitungen Rudolfs von Ems, Ulrichs von Etzenbach, Seifrits und Wichwolts sowie im Großen – oder Wernigeroder Alexander keine ›Geschenke-Kataloge‹ enthalten sind, in denen die Tier-Präsente der Candacis aufgezählt werden, scheiden diese Bearbeitungen als Quellen aus. Des Weiteren subsumiere ich unter die erste zu analysierende Textgruppe den späthöfischen Roman Apollonius von Tyrland Heinrichs von Neustadt sowie zwei nachklassische Artusromane: den Wigalois Wirnts von Grafenberg sowie den Daniel von dem blühenden Tal des Strickers. Darüber hinaus werden noch zahlreiche weitere fiktionale Erzähltexte in die Untersuchung mit einbezogen. Zwei Tabellen, die jeweils am Beginn der beiden analytischen Kapitel 2.1.3 Das mittelalterliche Panther-Konzept und 2.2.3 Das mittelalterliche Papageien-Konzept stehen, geben Auskunft darüber, welche Textund Bildquellen außer den bereits genannten noch Berücksichtigung finden und welchem Diskurs sie zugeordnet werden können.47 Einige kurze, analyserelevante Informationen zur Entstehung der Text- und Bildquellen werden im Anhang der Arbeit, in einem Glossar, bereitgestellt. Diese ›Kontextanalyse‹ kann nur kursorisch ausfallen. Weiterführende Literatur zu Texttradition und Überlieferung findet sich in den Anmerkungen. Die zweite Textgruppe des Korpus bilden die Itinerare Hans Tuchers, Sebald Rieters, Konrads von Grünemberg, Bernhard von Breydenbachs, Felix Fabris, Arnolds von Harff, Marco Polos, Jean de Mandevilles, Konrad Steckels (Übersetzung des Reiseberichts von Odorico Pordenone), Hans Schiltbergers sowie der Niederrheinische Orientbericht. Die Methode, die bei der Untersuchung zum Einsatz kommt, stellt eine Kombination von Literatur- und Kulturwissenschaft dar. Die analytische Fragestellung, die hier aus literaturwissenschaftlicher Perspektive zugrunde gelegt wird, lautet: An welchen Stellen im Text werden durch den Einsatz welcher sprachlichen Mittel bestimmte Konzepte – oder Konzeptbestanteile – vom ›exotischen‹ Tier aktualisiert oder generiert? Wie wird beispielsweise ein nie zuvor gesehenes Tier benannt und einem Rezipientenkreis beschrieben, der dieses Tier ebenso wenig kennt? Lassen sich Strategien und sprachliche Muster erkennen und beschreiben, die dazu dienen, dieses ›exotische‹ Tier vertrauter zu machen; es also in die eigene Kultur ›hinein zu holen‹? Oder führt die Verwendung bestimmter Epitheta dazu, dass die ›Exotik‹ bestimmter Tiere noch gesteigert wird? Ebenso denkbar wäre aber auch, dass einheimischen, vertrauten Tieren eine ›Aura der Exotik‹ verliehen wird. Zugleich wird der kulturwissenschaftlichen Fragestellung nachgegangen, inwiefern die sich abzeichnenden Konzeptbestandteile – und ihre jeweiligen sprachlichen und bildhaften Ausgestaltungen – epochenspezifisch mittelalter47 Vgl. dazu S. 148f. und S. 311f. der vorliegenden Arbeit.
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lich und diskursspezifisch sind oder ob sich epochen- und diskursübergreifende Konzeptbestandteile erkennen lassen. Im analytischen Teil der Untersuchung werden die textübergreifenden Konzepte zweier exemplarisch ausgewählter Tiere herausgearbeitet. Anhand antiker Text- und Bildquellen wird dabei zunächst eine Rekonstruktion der beiden antiken abendländischen Konzepte von Panther und Papagei vorgenommen (Kap. 2.1.2 Das antike Panther-Konzept und 2.2.2 Das antike Papageien-Konzept). Die wichtigsten Konzeptbestandteile werden am Ende der beiden Kapitel mittels eines Frames veranschaulicht (Epochen-Frame Antike). Daraufhin werden die mittelalterlichen Konzepte von Panther und Papagei rekonstruiert. Ein epistemischer Epochen-Frame, der die Rekonstruktion des mittelalterlichen Konzepts abbildet, steht jeweils zu Beginn der Kapitel 2.1.3 Das mittelalterliche Panther-Konzept und 2.2.3 Das mittelalterliche Papageien-Konzept und ermöglicht auf diese Weise den direkten Vergleich zwischen antikem und mittelalterlichem Konzept. Die Rekonstruktion der mittelalterlichen Konzepte, auf der der Fokus der Betrachtung liegt, ist im Hinblick auf die Analyse bereits differenzierter und komplexer angelegt. Sie erfolgt mit dem Blick auf fünf verschiedene Diskurse: dem naturkundlichen, dem religiös-heilsgeschichtlichen, dem Liebesdiskurs, sowie dem literarischen und dem kommerziellen Diskurs. Dementsprechend sind die beiden analytischen Kapitel nach den genannten Diskursen gegliedert. Am Ende eines jeden Unterkapitels steht ein epistemischer Diskurs-Frame, der veranschaulicht, welche Konzeptbestandteile innerhalb des jeweiligen Diskurses aktualisiert werden. Bezüglich des Forschungsstands lässt sich festhalten, dass eine detaillierte, textgattungen- und epochenübergreifende Untersuchung, die sich auf Konzepte ›exotischer‹ Tiere in deutschen Texten des hohen und späten Mittelalters konzentriert und dabei einen interdisziplinären Ansatz verfolgt, bisher noch aussteht. Derzeit entstehen die Dissertation von Theresa Kölczer, welche die TierMensch-Beziehungen im mittelhochdeutschen Physiologus und Konrads von Megenberg Buch der Natur analysiert, sowie die Habilitation Susanne Schuls, bei der der Fokus des Interesses auf »ästhetischen Tier-Mensch-Relationierungen« liegt.48 Weiterhin sind die Arbeiten Udo Friedrichs relevant für meine Dissertation, da sie die Grenzziehung zwischen Mensch und Tier im Antikenroman behandeln und damit einen Anknüpfungspunkt für meine Untersuchungen bieten.49 Auch im Rahmen der Thematik »Wahrnehmung des Eigenen und 48 http://www.mediaevum.de/forschen/forschen3.php. Zugriff am 16. 03. 2017 um 12:26 Uhr. 49 Friedrich, Udo: Überwindung der Natur. Zum Verhältnis von Natur und Kultur im Strassburger Alexander, in: Fremdes wahrnehmen – fremdes Wahrnehmen. Studien zur Geschichte der Wahrnehmung und zur Begegnung von Kulturen in Mittelalter und früher Neuzeit. Hrsg. von Wolfgang Harms, Stephen Jaeger und Alexandra Stein. Stuttgart u. a.
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Fremden« werden ›exotische‹ Tiere als ein Teilgegenstand untersucht.50 Daneben finden sie meist innerhalb von Monographien, die sich mit einem bestimmten Aspekt der Reiseliteratur oder einem ausgewählten Reisebericht beschäftigen, kurz Erwähnung.51 Des Weiteren existiert eine Reihe an Untersuchungen, welche den Fokus der Betrachtung auf der Symbolik eines bestimmten Tiers haben.52 1997, S. 119–136; Ders.: Menschentier und Tiermensch. Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter (Historische Semantik, Bd. 5). Göttingen 2008. 50 Lüth, Christoph (Hrsg.): Der Umgang mit dem Fremden in der Vormoderne. Studien zur Akkulturation in bildungshistorischer Sicht (Beiträge zur historischen Bildungsforschung, Band 17). Köln u. a. 1997; Wolfgang Harms/Stephen Jaeger/Alexandra Stein (Hrsg.): Fremdes wahrnehmen – fremdes Wahrnehmen. Studien zur Geschichte der Wahrnehmung und zur Begegnung von Kulturen in Mittelalter und früher Neuzeit. Stuttgart u. a. 1997; Münkler, Marina: Erfahrung des Fremden. Die Beschreibung Ostasiens in den Augenzeugenberichten des 13. und 14. Jahrhunderts. Berlin 2000. Kragl, Florian: Die Weisheit des Fremden. Studien zur mittelalterlichen Alexandertradition; mit einem allgemeinen Teil zur Fremdheitswahrnehmung. Bern 2005; Rubiés, Joan-Pau (Hrsg): Medieval Ethnographies. European Perceptions of the World beyond (The Expansion of Latin Europe, Band 9). Farnham u. a. 2009. 51 Zrenner, Claudia: Die Berichte europäischer Jerusalem-Pilger (1475–1500). Ein literarischer Vergleich im historischen Kontext. Frankfurt u. a. 1981; Ganz-Blättler, Ursula: Andacht und Abenteuer. Berichte europäischer Jerusalem- und Satiago-Pilger (1320–1520). Tübingen 1990; Jandesek, Reinhold: Das fremde China. Berichte europäischer Reisender des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit (Weltbilder und Kulturbegegnungen, Band 3). Pfaffenweiler 1992; Jahn, Bernhard: Raumkonzepte in der Frühen Neuzeit. Zur Konstruktion von Wirklichkeit in Pilgerberichten, Amerikareisebeschreibungen und Prosaerzählungen. (Mikrokosmos, Band 34). Frankfurt a. M. u. a. 1993; Betschart, Andres: Zwischen zwei Welten: Illustrationen in Berichten westeuropäischer Jerusalemreisender des 15. und 16. Jahrhunderts. Würzburg 1996; Timm, Frederike: Der Palästina-Bericht des Bernhard von Breidenbach und die Holzschnitte Erhard Reuwichs. Die Peregrinatio in terram sanctam (1486) als Propagandabericht im Mantel der gelehrten Pilgerschrift. Stuttgart 2006; Schröder, Stefan: Zwischen Christentum und Islam. Kulturelle Grenzen in den spätmittelalterlichen Pilgerberichten des Felix Fabri (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters, Bd. 11). Berlin 2009; Steidl, Nicole: Marco Polos ›Heydnische Chronik‹. Die mitteldeutsche Bearbeitung des »Divisament dou monde« nach der Adamonter Handschrift Cod. 504. (Berichte aus der Literaturwissenschaft). Aachen 2010; Klußmann, Andreas: In Gottes Namen fahren wir. Die spätmittelalterlichen Pilgerberichte von Felix Fabri, Bernhard von Breydenbach und Konrad Grünemberg im Vergleich. Saarbrücken 2012. 52 Zum Beispiel: Druce, George-Claridge: The Symbolism of the Crocodile in the Middle Ages. In: Archaeological Journal 66, S. 311–338; Janson, Horst Woldemar : Apes and Ape Lore in the Middle Ages and in the Renaissance (Studies of the Warburg Institute, Bd. 20). London 1952; Harris, Nigel: ›gar süezen smac daz pantir h.t‹. Der Panther und sein Atem in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters. In: Natur und Kultur in der deutschen Literatur des Mittelalters. Colloquium Exeter 1997. Hrsg. von Allen Robertshaw und Gerhard Wolf. Tübingen 1999, S. 65–75; Ders.: The Camel. Perspectives and Meanings in Medieval Literature. In: Fauna and Flora in the Middle Ages. Studies of the Medieval Environment and its Impact on the Human Mind. Papers Delivered at the International Medieval Congress. Hg. von Sieglinde Hartmann. Leeds 2000, 2001 und 2002. Frankfurt a. M. 2007, S. 53–65; Buquet, Thierry : La girafe, belle inconnue des bibles m8di8vales. Camelopardalis : un animal philologique. In: Anthropozoologica 43/2, S. 47–68; Ders.: La belle captive: la girafe dans les m8nageries princiHres au Moyen ffge. In: La bÞte captive au Moyen ffge et / l’8poque
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Bezüglich der bildhaften Tierdarstellungen auf der Ebstorfer Weltkarte sei auf die Untersuchungen Uwe Rubergs und Hartmut Kuglers verwiesen.53 Auf den Forschungsstand zu den antiken und mittelalterlichen Konzepten von Panther und Papagei wird in den Kapiteln 2.1.1 und 2.2.1 noch genauer eingegangen.
moderne (Actes des deuxiHmes rencontres internationales »Des bÞtes et des hommes« Valenciennes, 8–9 novembre 2007). Hrsg. von Corinne Beck und Fabrice Guizard-Duchamp. Amiens, Encrage (Encrage universit8. Coll. G8n8rale) 2012, S. 65–90; Obermaier, Sabine: Alexander und die Elefanten. Antike Zoologie und christliches Herrscherideal im deutschsprachigen Alexanderroman. In: Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption. Hrsg. von Jochen Althoff, Sabine Föllinger und Georg Wöhrle. Trier 2008, Bd. 18, S. 77–100; Dies.: Antike Irrtümer und ihre mittelalterlichen Folgen: Das Flusspferd. In: Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption. Hrsg. von Jochen Althoff, Sabine Föllinger und Georg Wöhrle. Trier 2011, Bd. 21, S. 135–179; Dies.: Macht und Wut, Treue und Mut. Das Bild des Löwen im Mittelalter und seine antiken und christlichen Traditionen. In: Animali. Tiere und Fabelwesen von der Antike bis zur Neuzeit. 01. März 2013 bis 14. Juli 2013. Eine Ausstellung des Schweizerischen Nationalmuseums im Landesmuseum Zürich. Hrsg. von Luca Tori und Aline Steinbrecher. Zürich 2012, S. 129–141; Trachsler, Richard: Die Schlange – heilig, klug und des Teufels. In: Animali. Tiere und Fabelwesen von der Antike bis zur Neuzeit. 01. März 2013 bis 14. Juli 2013. Eine Ausstellung des Schweizerischen Nationalmuseums im Landesmuseum Zürich. Hg. von Luca Tori und Aline Steinbrecher. Zürich 2012, S. 183–191. 53 Ruberg, Uwe: Die Tierwelt auf der Ebstorfer Weltkarte im Kontext mittelalterlicher Enzyklopädik. In: Ein Weltbild vor Columbus. Die Ebstorfer Weltkarte. (Interdisziplinäres Kolloquium 1988). Hrsg. von Hartmut Kugler in Zusammenarbeit mit Eckhard Michael. Weinheim 1991, S. 319–346; Kugler, Hartmut: Die Ebstorfer Weltkarte. Kommentierte Neuausgabe in zwei Bänden. Berlin 2007.
1.
Tiere als »komplexe Projektionsfläche« für kulturelle Einschreibungen
1.1
Diskursanalytische Zugänge zu Konzepten vom ›exotischen‹ Tier
Wenn es um diskursanalytische Zugänge zu einem Thema geht und um die Frage, ob Tiere als »komplexe Projektionsfläche«54 für kulturelle Einschreibungen betrachtet werden können, scheint es unerlässlich, auf Foucaults Diskursbegriff zu sprechen zu kommen.55 Selbstverständlich kann es jedoch nicht Ziel der folgenden Ausführungen dieses Kapitels sein, den Diskursbegriff in all seiner Komplexität zu erschließen – gerade wenn man bedenkt, dass Foucaults Œuvre an zahlreichen Stellen Inkohärenzen aufzuweisen scheint.56 Vielmehr soll anhand einiger grundlegender Annahmen skizziert werden, welche Theoreme Foucaults für eine literatur- und kulturwissenschaftliche Untersuchung von besonderer Bedeutung sind. Im Anschluss daran werde ich auf die Interdiskurstheorie und die Historische Diskursanalyse eingehen und am Beispiel von Udo Friedrichs Untersuchungen zur ›Mensch-Tier-Grenzziehung im Mittelalter‹ eine Verfahrensweise aufzeigen, wie in der aktuellen mediävistischen Forschung mit diskursanalytischen Theorien umgegangen wird. Daraufhin wird in einem Zwischenergebnis erläutert, inwieweit die vorgestellten theoretischen Annahmen und Analysemethoden im Rahmen meiner Untersuchung zur Anwendung kommen.
54 Die bereits in der Überschrift zu Kapitel 1. verwendete Terminologie (Tiere als »komplexe Projektionsfläche«) übernehme ich hier und im Folgenden von Udo Friedrich, Menschentier und Tiermensch, S. 14. 55 Vgl. dazu: Geisenhanslüke, Gegendiskurse, S. 64. 56 Ebenda.
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Tiere als »komplexe Projektionsfläche« für kulturelle Einschreibungen
1.1.1 Foucault: Kulturelle Codes, wissenschaftliche Theorien, episteme und Diskurs Wie bereits einleitend erwähnt, unterscheidet Michel Foucault in seinem Werk Die Ordnung der Dinge (1966) noch zwischen zwei diametral entgegengesetzten Wissensebenen – nämlich den »fundamentalen Codes einer Kultur« einerseits und den »wissenschaftliche[n] Theorien« sowie den »philosophischen Erklärungen« andererseits.57 Auf der dritten, der »intermediären« Ebene der episteme, wird ausgehandelt, welche Aussagen getätigt werden können und dürfen.58 In seinem 1969 erschienenen Werk Archäologie des Wissens hat Foucault den Begriff der episteme in weiten Teilen durch das Konzept des »Diskurses« substituiert.59 Allerdings fand nicht alleine im Hinblick auf die Verwendung der Terminologie eine Zäsur zwischen diesen beiden Schriften Foucaults statt.60 Was sich ebenso verändert zu haben scheint, ist der Status, den der Philosoph der Literatur im Rahmen seiner Überlegungen einräumt.61 Während sie in Wahnsinn und Gesellschaft (1961) sowie in Die Ordnung der Dinge noch eine zentrale Rolle zu spielen schien, ist Foucault ab Erscheinen der Archäologie des Wissens nicht mehr bereit, ihr diesen Status zuzugestehen.62 Die folgende Aussage, die er 1975 in einem Interview machte, ist bezeichnend für jene veränderte Rolle, die literarischen Texten fortan in seinem Werk zukommt:63 In Wahnsinn und Gesellschaft, in Die Ordnung der Dinge, habe ich nur auf sie [die literarischen Texte] verwiesen, habe sie flüchtig angezeigt, ich war wie ein Spaziergänger, der sagt: »Und nun sehen Sie hier, hier kann man gar nicht nicht von Le Neveu de Rameau sprechen.« Sie spielten für mich jedoch innerhalb der Ordnung des Prozesses keine Rolle.64
Nach Foucaults eigenem Verständnis – sowie nach einem Großteil der Forschungsmeinung – liefert die Archäologie des Wissens »so etwas wie einen nachträglichen ›Discours de la m8thode‹«, wie es Bernhard Waldenfels ausgedrückt hat.65 Die Einführung des Diskurs-Begriffs kann demnach als Bestrebung Foucaults gewertet werden, einen methodischen Ansatz zu generieren, der sich 57 58 59 60 61 62 63 64 65
Foucault, Die Ordnung der Dinge, S. 22f. Ebenda, S. 23f.; Sarasin, Ordnungsstrukturen, S. 122. Ebenda; Kremer, Die Grenzen der Diskurstheorie, S. 100. Geisenhanslüke, Gegendiskurse, S. 63; Foucault selbst tendiert jedoch dazu, diese Zäsur zu leugnen. Vgl. dazu: Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Foucault, Funktionen der Literatur, S. 63. Waldenfels, Phänomenologie in Frankreich, S. 516; vgl. dazu auch: Kremer, Die Grenzen der Diskurstheorie, S. 98f.
Diskursanalytische Zugänge zu Konzepten vom ›exotischen‹ Tier
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durch dezidierte Kritik an den etablierten hermeneutischen Verfahren auszeichnet und ein weiteres Feld an Perspektiven und Ideen für die Philosophie eröffnet.66 Dass dieser neue methodische Ansatz auch innovative Impulse für die Literaturwissenschaft geben könnte, war für Foucault damit keineswegs ausgeschlossen, aber Literatur stellte für ihn eben nur einen Diskurs neben vielen dar.67 Doch was kennzeichnet nun diesen in der Archäologie des Wissens so zentralen Diskurs-Begriff ? Vereinfacht gesagt, werden mit ihm drei zentrale Aspekte, nämlich ›Wissen‹, ›Macht‹ und ›Subjekt‹ in eine Relation zueinander gesetzt.68 Was die Thematik ›Wissen‹ betrifft, so sieht Foucault »einen Zusammenhang von Aussagen, der das Wissen innerhalb eines räumlich und zeitlich begrenzten Kulturraums bedingt« als ›Diskurs‹ an.69 Von immenser Wichtigkeit im Hinblick auf die nachfolgende Untersuchung der fiktionalen narrativen Texte sowie der (Pilger-)Reiseberichte ist Foucaults Ansicht, der Diskurs gebe kulturelle Phänomene nicht bloß abbildhaft wider, sondern führe zu einer »Erkenntnis über sie, die grundsätzlich sprachlich-diskursiv vermittelt« sei.70 Wird diese sprachlich-diskursiv vermittelte Erkenntnis dann zum Erzählgegenstand eines literarischen Textes, so unterliegt sie außerdem noch weiteren spezifischen Auswahl- und Stilisierungsprinzipien.71 Darüber hinaus erachtet Foucault den Diskurs jedoch auch »als eine Redeordnung auf der Ebene der Existenzbedingungen von Aussagen«.72 Damit tritt zugleich die Auffassung zutage, Diskurse seien »nicht mehr […] als Gesamtheit von Zeichen (von bedeutungstragenden Elementen, die auf Inhalte und Repräsentationen verweisen), sondern als Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen«.73 Hinsichtlich der Darstellung ›exotischer‹ Tiere in mittelalterlichen Texten kann beispielsweise das Konstruktionsverfahren des ›Vergleichspuzzles‹ – d. h. die ›Zerlegung des Tieres in seine Einzelteile‹ und der daran anschließende Vergleich mit vertrauten Tieren – als eine solche Praktik angesehen werden.74 66 67 68 69 70 71 72 73 74
Geisenhanslüke, Gegendiskurse, S. 64. Vgl.: Ebenda, S. 63. Kremer, Die Grenzen der Diskurstheorie, S. 98. Klawitter/Ostheimer, Literaturtheorie, S. 163. Ebenda. Vgl.: Müller, Die hovezuht und ihr Preis, S. 205. Klawitter/Ostheimer, Literaturtheorie, S. 162. Foucault, Archäologie des Wissens, S. 74. Die äußerst Treffende Bezeichnung ›Vergleichspuzzle‹ übernehme ich von Marina Münkler. Vgl.: Münkler, Erfahrung des Fremden, S. 156; Schröder, Zwischen Christentum und Islam, S. 349; Hartog, The Mirror of Herodotus, S. 249ff.; Kästner, Nilfahrt mit Pyra-
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Tiere als »komplexe Projektionsfläche« für kulturelle Einschreibungen
Dieses Beschreibungsverfahren ist selbstreferentiell, denn es bildet systematisch das, wovon es spricht: die Fremdheit und Exotik des Tiers. Aus diesem Grund lassen sich aus derlei Praktiken auch Aufschlüsse darüber gewinnen, wie die uns fremdgewordene Kultur neue – weil niemals zuvor gesehene – Tiere beschreibt und in ihr Weltbild integriert. Foucaults Auffassung, ein Diskurs sei eine »Redeordnung auf der Ebene der Existenzbedingungen von Aussagen« sagt bereits implizit aus, dass Diskurse und Texte – seinem Verständnis nach – auf zwei verschiedenen Ebenen zu verorten sind.75 Die Diskurse sind es, die die Texte überhaupt erst zu signifikanten Zeicheneinheiten avancieren lassen.76 Daher können Texte als Erscheinungsformen diskursiver Praktiken betrachtet werden.77 Für alle faktisch formulierten Diskurse, die in einer bestimmten Epoche in Erscheinung treten, hat Foucault den Begriff des »Archivs« geprägt.78 Weiterhin erklärt er die Existenz bestimmter Ausschlussmechanismen – hierzu zählen insbesondere Verbote, Grenzziehungen, Kommentare, Methoden, Theorien, Rituale und Doktrinen – die bestimmen, was Diskurs sein darf und damit unter das »Archiv der Epoche« subsummiert werden kann.79 Auf jene »äußeren Mechanismen der Diskurskontrolle« und die damit verbundenen Machtgefüge konzentrierte sich Foucault in seinen späteren Schriften, die auf die Archäologie des Wissens folgten.80 Gerhard Plumpe und Clemens Kammler sind der Meinung, in Die Ordnung des Diskurses (1971) sowie in Überwachen und Strafen (1975) sei erkennbar, dass Foucaults »Discours de la m8thode« – der in der Archäologie des Wissens aufleuchte – eher als eine Art »Intermezzo« zwischen den genealogischen und den späteren, machtanalytischen Betrachtungen zu begreifen sei.81 Es gelinge damit nicht, den theoretischen Ansatz des gesamten Foucault’schen Werks »auf den […] Begriff des Diskurses zu verpflichten«.82 Ich schließe mich diesbezüglich der Gegenmeinung an, die von Philipp Sarasin vertreten wird.83 Dieser erachtet die aufgezeigte chronologische Entwicklung für zu stark vereinfacht und ist der Ansicht, Foucault habe bereits 1961 über genealogische und machtanalytische Argumente
75 76 77 78 79 80 81 82 83
midenblick, S. 313; Niehr, Wahrnehmung und Darstellung des Fremden, S. 287; Buquet, Describing and naming exotic beasts, S. 31. Klawitter/Ostheimer, Literaturtheorie, S. 162f. Ebenda, S. 163. Ebenda. Ebenda, S. 164. Ebenda. Geisenhanslüke, Gegendiskurse, S. 64. Ebenda; Plumpe/Kammler, Wissen ist Macht, S. 208. Geisenhanslüke, Gegendiskurse, S. 64. Sarasin, Ordnungsstrukturen, S. 124f.
Diskursanalytische Zugänge zu Konzepten vom ›exotischen‹ Tier
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nachgedacht, ohne jedoch die erst später dafür entwickelte Terminologie zu verwenden.84 Auch dieser Aspekt der Machtbeziehungen darf im Rahmen der nachfolgenden Analyse nicht vernachlässigt werden. Es muss beispielsweise hinterfragt werden, inwieweit die Verfasser der Reiseberichte in Machtstrukturen eingebunden gewesen sein könnten und welche Auswirkungen dies auf die jeweiligen Beschreibungen der ›exotischen‹ Tiere gehabt haben könnte. Gibt es spezifische Eigenschaften ›exotischer‹ Tiere, die in den Berichten nicht angesprochen werden, weil »Ausschlussmechanismen« wirkten?85 Oder aber solche, die besonders betont werden, weil Einschließungsprozesse stattgefunden haben?86 Laut Foucault gibt es keine unabhängigen, selbstbestimmten Identitäten, da diese – seiner Meinung nach – stets aus Machtdiskursen hervorgehen.87 Anders ausgedrückt heißt dies: Das Individuum kommt durch diskursive Ordnungen überhaupt erst zur Emergenz.88 Bezogen auf die vorliegende Arbeit würde dies bedeuten, dass die ›reisenden Subjekte‹, die über ›exotische‹ Tiere berichten, bloße Manifestationen diskursiver Ordnungen sind. Die einzelnen Diskurse, die zusammengenommen zur Konstituierung des Subjekts führen, sind dabei nur sehr schwer herauszuarbeiten, da sie meist in verschleierter Form vorliegen.89 Ein auf die beschriebene Weise konstituiertes ›Subjekt‹ wird – gemäß Foucault – von seinem Inneren beherrscht und unterliegt
84 Ebenda; Sarasin sieht »die Verbindung zwischen Foucaults Diskursanalyse und seiner Analytik der Macht […] in der Frage danach, wie Wissen sich im Raum organisiert, wie Räume strategisch von Wissen besetzt werden, wie Wissen strukturiert und räumlich gegliedert wird«. Weiterhin erklärt er, die Ordnungsstrukturen, die ein Diskurs aufweise, seien »den architektonischen Strukturen einer Disziplinarinstitution streng analog«; Foucault selbst hat darauf hingewiesen, dass es bei beidem um das »Anordnen von Gegenständen, das Anlegen von Tabellen und die Organisation von Bereichen« geht. Vgl.: Ebenda, S. 126; Foucault, Schriften, Bd. 3, S. 46; das verbindende Element ist demnach in der von Foucault so häufig verwendeten Raummetaphorik zu sehen. 85 Jürgen Link macht diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass derartige Ausschlussmechanismen keineswegs als »manipulative Intentionen irgendeines Subjekts oder auch Intersubjekts missgedeutet werden dürfen«. Vgl.: Link/Link-Heer, Diskurs/Interdiskurs und Literaturanalyse, S. 90. Das bedeutet in Bezug auf die zu untersuchenden Reiseberichte: Keiner der Reisenden erwähnte beim Verfassen seines Berichts absichtsvoll ein bestimmtes Tier in einem bestimmten Kontext nicht, um dadurch einen Spezialdiskurs aus dem »historisch-spezifischen diskursintegrativen Spiel« auszuschließen. Vgl.: Ebenda, S. 95. Auf die Ausdifferenzierung in »Spezial- und Interdiskurse« werde ich in 1.2 Literaturwissenschaft im Anschluss an Foucault: Interdiskurs und Historische Diskursanalyse noch näher eingehen. 86 Vgl. dazu: Nünning/Nünning, Methoden der literatur- und kulturwissenschaftlichen Textanalyse, S. 181f. 87 Schößler, Einführung in die Gender Studies, S. 93. 88 Ebenda. 89 Ebenda.
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einer Selbstkontrolle, die durch sein Verantwortungsbewusstsein sowie durch seine ethischen und moralischen Maßstäbe entsteht.90 Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass es durchaus einige Inkohärenzen in Foucaults Gesamtwerk gibt, was die Verwendung des DiskursBegriffs anbelangt. Für die vorliegende Untersuchung sind sowohl der epistemologische Aspekt der Wissensordnungen, als auch der damit aufs Engste verbundene machtanalytische Aspekt von Bedeutung. Foucault nennt diese beiden Aspekte, die für die Diskursanalyse zentral sind, die »genealogische« und die »kritische« Komponente.91
1.1.2 Literaturwissenschaft im Anschluss an Foucault: Interdiskurstheorie und Historische Diskursanalyse Im Anschluss an Foucault hat sich seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre eine ganze Reihe literatur- und kulturwissenschaftlicher Theorien und Methoden herausgebildet.92 Keiner dieser Ansätze scheint jedoch vollkommen unumstritten zu sein.93 Da Foucault die Diskursanalyse weder als Interpretationsmethode literarischer Texte erfunden hat, noch jemals eine »exemplarische Diskursanalyse der Literatur« veröffentlichte, kann lediglich darüber gemutmaßt werden, inwieweit er mit all diesen Analyseverfahren einverstanden gewesen wäre und bei welchen Ansätzen seine Aussagen möglicherweise in einer von ihm nicht beabsichtigten Weise instrumentalisiert werden.94 Siegfried Jäger kommt daher im Hinblick auf die Realisation von Diskursanalysen zu dem – meiner Meinung nach sehr treffenden – Schluss: »einen Königsweg gibt es nicht«.95 Dennoch existieren natürlich einige grundlegende Prämissen, die in Bezug auf eine »Diskursanalyse der Literatur im Anschluss an Foucault« un90 Ebenda, S. 93f. 91 Nünning/Nünning, Methoden der literatur- und kulturwissenschaftlichen Textanalyse, S. 178; auf diesen Aspekt werde ich unter 1.3 Literaturwissenschaft im Anschluss an Foucault: Interdiskurs und Historische Diskursanalyse noch näher eingehen. 92 Ebenda, S. 177; Link/Link-Heer, Diskurs/Interdiskurs und Literaturanalyse, S. 88. 93 Winko, Diskursanalyse und Diskursgeschichte, S. 476. 94 Nünning/Nünning, Methoden der literatur- und kulturwissenschaftlichen Textanalyse, S. 177; vgl. auch: Kammler, Historische Diskursanalyse (Michel Foucault), S. 31; Winko, Diskursanalyse, S. 468f.; Kammler, Historische Diskursanalyse (Michel Foucault), S. 32; Kittler, Ein Erdbeben in Chili und Preußen, S. 24; Dennoch existieren insbesondere in den früheren Schriften Foucaults zahlreiche Stellen, an denen er sich explizit zur Literatur äußert. Meist beziehen sich diese Aussagen Foucaults jedoch auf die Literatur der Moderne und nicht auf die des Mittelalters. So thematisiert er in seinen Aufsätzen der 1960er Jahre beispielsweise Werke Stephane Mallarm8s und George Batailles. Vgl.: Nünning/Nünning, Methoden der literatur- und kulturwissenschaftlichen Textanalyse, S. 177. 95 Jäger, Einen Königsweg gibt es nicht, S. 136–147.
Diskursanalytische Zugänge zu Konzepten vom ›exotischen‹ Tier
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abdingbar erscheinen und die so zu sagen einen ›Minimalkonsens‹ darstellen.96 Diese Prämissen sind insbesondere darin zu sehen, dass den folgenden vier Aspekten Rechnung getragen werden muss: dem »transdisziplinären Charakter jeden Wissens«, den »Transformationen auf dem Feld des Wissens«, der »Verflechtung des Wissens mit Machtmechanismen« und der »Partizipation der Literatur an diesen Konstruktionen wie Transformationen von Wissen«.97 Im Folgenden seien zwei der kontrovers diskutierten theoretischen Ansätze im Anschluss an Foucault vorgestellt, die die genannten Prämissen erfüllen und die – zumindest partiell – für die Untersuchung der Konzepte ›exotischer‹ Tiere besonders fruchtbar erscheinen: Jürgen Links Interdiskurstheorie und die Historische Diskursanalyse.
1.1.2.1 Die Interdiskurstheorie Der von Jürgen Link und Ursula Link-Heer 1990 entwickelte Ansatz der Interdiskursanalyse zielt zum einen darauf ab, »die Entstehungen literarischer Texte aus einem je historisch-spezifischen diskursintegrativen Spiel« herauszuarbeiten.98 Zum anderen steht bei diesem Analysemodell die »besondere Subjektivierung des Integral-Wissens« im Zentrum des Erkenntnisinteresses.99 Hierbei wird die Frage gestellt, wie Wissen – das ein Netz aus verschiedensten Diskursen darstellt – in einem literarischen Diskurs in Form von »Figuren, Subjekt-Situationen, Argumentations- und Narrations-Schemata, Symbolen, Deskriptionen usw.« derart geformt wird, dass es für die Rezipienten des Textes ein gewisses Identifikationspotential entfaltet und erlebbar wird.100 Die Interdiskursanalyse bietet sich daher insbesondere als Grundlage für Interpretationen an, die »die Wechselbeziehungen zwischen Literatur und Wissenschaft« in den Fokus ihrer Betrachtung stellen und zugleich an den »Konstruktionsbedingungen eines gesamtkulturellen Wissens« interessiert sind.101 Kennzeichnend für diesen theoretischen Ansatz ist die Differenzierung aller Diskurse in Spezial- und Interdiskurse.102 Unter »Spezialdiskurs« verstehen Link
96 Vg.: Nünning/Nünning, Methoden der literatur- und kulturwissenschaftlichen Textanalyse, S. 182. 97 Ebenda. 98 Link/Link-Heer, Diskurs/Interdiskurs und Literaturanalyse, S. 95. 99 Ebenda. 100 Ebenda. 101 Nünning/Nünning, Methoden der literatur- und kulturwissenschaftlichen Textanalyse, S. 184. 102 Ebenda.
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und Link-Heer »jede historisch-spezifische diskursive Formation«.103 Unter den Begriff des »Interdiskurses« werden hingegen »alle interferierenden, koppelnden, integrierenden usw. Quer-Beziehungen zwischen mehreren Spezialdiskursen« subsummiert.104 Die Grundannahme, die hinter dieser Differenzierung steht ist, dass »ein und dasselbe Individuum […] in verschiedenen Diskursen mitspielen [kann], ohne dass der Zwang zur Konstruktion einer ›Einheit in der Tiefe‹« gegeben sei.105 Des Weiteren sei es nicht nur möglich, dass im Rahmen eines einzigen Textes »Brüche, Widersprüche und harte […] Montagen [als] selbstverständlich« angesehen würden.106 Sie könnten zudem »als weitgehend kontingente Diskurskollisionen ohne subjektive Intentionalität« gewertet werden.107 Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass verschiedene Diskurse innerhalb eines Textes aufeinandertreffen können, ohne dass dies von dem jeweiligen Verfasser beabsichtigt war. Laut Link gibt es zwei verschiedene Entwicklungen, welche die Diskurse durchlaufen können.108 Einerseits tendierten diskursive Formationen »zu immanenter Spezialisierung, zur spezifischen und irreduktibel besonderen Konstituierung ihrer Gegenstände, zu eigenem ›Lexikon‹ und eigener ›Grammatik‹«.109 Andererseits sei jedoch auch die Tendenz »zu einem gewissen Maß an Reintegration, Kopplung mit anderen diskursiven Formationen [und] kultureller Verzahnung« vorhanden.110 Diese Bemerkungen Links sind für die nachfolgende Textanalyse von essentieller Bedeutung, denn beispielsweise bei den Pilgerreisenden – bei denen es sich in den meisten Fällen um Geistliche handelte – war der religiöse Diskurs, 103 Link/Link-Heer, Diskurs/Interdiskurs und Literaturanalyse, S. 92; den Terminus der »diskursiven Formation« übernehmen sie dabei von Foucault. 104 Ebenda; Ein Beispiel für eine solche Verbindung von zwei Spezialdiskursen sehen Link und Link-Heer in der »›Übertragung‹ der Darwinschen Evolutions-Mechanismen auf andere Bereiche«. 105 Link, Literaturanalyse als Interdiskursanalyse, S. 284; Als Beispiel für ein solches Individuum nennt Link Gottfried Benn, der als Arzt und Lyriker sowohl dem medizinischen als auch dem lyrischen Diskurs verhaftet war. 106 Ebenda. 107 Ebenda. 108 Ebenda, S. 285. 109 Ebenda. 110 Ebenda; zu den interdiskursiven Verfahren vgl. auch: Link/Parr, Semiotik und Interdiskursanalyse, S. 123f.; Link, Jürgen: Elementare Literatur und generative Diskursanalyse. Mit einem Beitrag von Jochen Hörisch und Hans-Georg Pott. München 1983; Ders.: Über ein Modell synchroner Systeme von Kollektivsymbolen sowie seine Rolle bei der DiskursKonstitution. In: Link/Wülfing/Wulf (Hrsg.): Bewegung und Stillstand in Metaphern und Mythen. Fallstudien zum Verhältnis von elementarem Wissen und Literatur. Stuttgart 1984, S. 64–92; Ders.: Die Revolution im System der Kollektivsymbolik. Elemente einer Grammatik interdiskursiver Ereignisse. In: Aufklärung. Interdisziplinäre Halbjahresschrift zur Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte, H. 2, 1. Jg. 1986, S. 5–23.
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der ihre Betrachtung bestimmte, bereits durch ihren Berufsstand vorgegeben. Dennoch traten zu dem jeweiligen religiösen Diskurs in ihren Reiseberichten meist noch weitere ›Spezialdiskurse‹ – wie etwa ökonomische, politische oder medizinische – hinzu.111 Indem jene verschiedenen Diskurse miteinander verbunden und verwoben wurden, entstand ein literarischer Interdiskurs. Aus diesem konnten dann wiederum einzelne Diskurse besonders betont und herausgestellt werden, was die Herausbildung neuer Spezialdiskurse bedeutete. Darin scheint also eine Art Zirkulationsbewegung diskursiver Elemente erkennbar. Links These ist, dass sich Foucault in seinen späteren Werken Überwachen und Strafen sowie Sexualität und Wahrheit auf den interdiskursiven Aspekt konzentriert.112 Weiterhin seien in den »Machtdispositiven« Foucaults »interdiskursive Netzwerke« zu sehen, »durch die auf selektive Weise das Wissen bzw. die Verfahren und institutionellen Rituale verschiedener Spezialdiskurse […] gekoppelt und gebündelt zum Einsatz gebracht« würden.113 Den literarischen Diskurs betrachtet Link dabei als »Elaboration interdiskursiver Elemente« und führt dies genauer aus: In Bezug auf literarische Texte sei zu erkennen, dass diese nicht nur an der Oberfläche – bedingt durch ihr Thema – sondern auch in der Tiefe ihrer Struktur mit ›interdiskursiven Dispositiven‹ in einer Verbindung stünden.114 Das wohl prominenteste Beispiel für ein solches »interdiskursives Dispositiv« stellt bei Foucault die Sexualität dar, die Gegenstand verschiedenster Diskurse ist.115 Wird sie zum Thema eines literarischen Textes, so stellt sie eine Art ›Einfallstor‹ für all jene Diskurse dar, die mit ihr verbunden sind.116 Diese Diskurse können nun innerhalb des Textes wirken und die Textstruktur sowie den Handlungsverlauf beeinflussen.117 Angesichts dieser Aussage ergeben sich jedoch die folgenden Fragen: Wie findet literarische Diskursintegration statt? Und gibt es ›interdiskursive Dispositive‹, die bevorzugt in literarischen Texten auftreten und auf die im Rahmen literatur- und kulturwissenschaftlicher Textanalysen besonders zu achten ist? Laut Link existieren zwei Möglichkeiten der literarischen Diskursintegration. Zum einen nennt er die »extensive« Variante, die »durch enzyklopädische Rei111 Zahlreiche Beispiele hierfür lassen sich insbesondere in den Reiseberichten Felix Fabris und Bernhard Breydenbachs finden, auf die im analytischen Teil dieser Arbeit noch genauer eingegangen wird. 112 Link, Literaturanalyse als Interdiskursanalyse, S. 285. 113 Ebenda, S. 286. 114 Ebenda. Den Begriff des »interdiskursiven Dispositivs« übernimmt Link von Foucault. Vgl.: Parr, Interdiskursive As-Sociation, S. 12. 115 Parr, Interdiskursive As-Sociation, S. 12. 116 Vgl.: Ebenda, S. 12f. 117 Vgl.: Ebenda, S. 13.
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hung und durch Akkumulation von Wissen verschiedener Spezial- und Interdiskurse« stattfindet.118 Die zweite Option einer literarischen Diskursintegration ist in der »intensiven« Variante zu sehen, die »durch polysemische Konzentration« stattfindet.119 Kennzeichnend für diese Variante sind insbesondere Symbole, durch die gleich mehrere Spezialdiskurse – und somit auch Wissensordnungen – in das »diskursintegrative Spiel« mit eingebracht und folglich auch mitgedacht werden müssen.120 Sie nehmen einen Platz im kollektiven Bewusstsein ein und wirken Struktur gebend auf den herrschenden Diskurs.121 Doch wie müssen diese Symbole, die von Link auch als »elementar-literarische Formen« oder »interdiskursives Ensemble« bezeichnet werden, konstituiert sein, damit eine solche Diskursintegration gelingen kann? Diesbezüglich geht Link davon aus, dass »Literatur nicht beliebige und nicht alle interdiskursiven Elemente, Verfahren [und] Teilstrukturen aufnimmt und verarbeitet«.122 Zu denjenigen, die weniger oder gar nicht in literarischen Texten anzutreffen sind, zählt er »operativ-interdiskursive Elemente wie mathematische Formalisierung, Klassifikationsschemata, Messverfahren usw.«.123 Häufiger hingegen ließen sich interdiskursive Dispositive in Form von »imaginären Elementen« erkennen.124 Unter der Bezeichnung »imaginäre Elemente« versteht Link dabei die »bildlichen Analogien, Metaphern und Symbole […]« sowie »Figurationen menschlicher Subjekte usw.«, die in einem Text auftreten können.125 Auf einen Teilbereich des »interdiskursiven Ensembles«, der diese »imaginären Elemente« mit einschließt und der die Literatur seiner Meinung nach in besonderem Maße beeinflusst, geht Link näher ein – auf die Kollektivsymbolik.126 Diese definiert er wie folgt: Unter Kollektivsymbolik wird die Gesamtheit der ›bildlichen‹ Redeelemente (Symbole, Allegorien, Embleme usw., Metaphern, Synekdochen, Bilder) verstanden. Es kann gezeigt werden, wie all diese Elemente vorliterarisch (z. B. als »Metaphern«, »Analogien«, »Beispiele« usw. in nichtliterarischen, etwa wissenschaftlichen oder populärwissenschaftlichen, juristischen oder politischen Diskursen) durch das Spiel der Diskursinterferenzen und -integrationen generiert werden. Der literarische Diskurs 118 119 120 121 122 123 124 125 126
Link/Link-Heer, Diskurs/Interdiskurs und Literaturanalyse, S. 96. Ebenda. Ebenda, S. 95f. Klawitter/Ostheimer, Literaturtheorie, S. 169. Link, Literaturanalyse als Interdiskursanalyse, S. 286. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Link/Link-Heer, Diskurs/Interdiskurs und Literaturanalyse, S. 96f.; Link führt auch ein etwas ausführlicheres Beispiel in Form einer Analyse der Kollektivsymbolik des BallonSymbols an. Siehe dazu: Link, Literaturanalyse als Interdiskursanalyse, S. 286–305.
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kristallisiert sich dann häufig um solche Kollektivsymbole herum, wobei er sie ›weiterverarbeitet‹, häufig auch ›verfremdet‹ und gegen ihren vorliterarischen Sinn zu wenden versucht.127
Neben der Kollektivsymbolik zählen für Link auch »stereotype Figuren (z. B. Charaktere) und Narrationsschemata (z. B. Mythen)« sowie »Themen, Probleme und Argumente« zu den »interdiskursiven Elementen«.128 Was im letzten Satz des oben angeführten Zitats anklingt, ist die an Foucault anschließende Vorstellung einer ›Literatur als Gegendiskurs‹, die der Philosoph in seinen frühen Schriften – und vor allem in Bezug auf die Literatur der Moderne – zum Ausdruck brachte.129 In der nachfolgenden Textanalyse wird dieser Aspekt mit besonderer Vorsicht zu behandeln sein und es muss überprüft werden, inwieweit diese Annahme auch für mittelalterliche Literatur Geltung beanspruchen kann. Wichtig erscheint darüber hinaus Links Annahme, innerhalb des »diskursiven Ensembles« zeichneten sich »divergierende soziale Perspektiven als verschiedene Wertungen« ab.130 Dies bedeutet, dass ein Kollektivsymbol sowohl positiv als auch negativ konnotiert sein kann.131 Derlei Wertungsperspektiven können auch als »diskursive Positionen« bezeichnet werden.132 Die Möglichkeit der beschriebenen Ambivalenz bezüglich diskursiver Positionen ist stets gegeben und laut Link »besitzt jedes Kollektivsymbol zu jedem Zeitpunkt eine genau bestimmbare historisch-konkrete Ambivalenz, die sich aus der konnotativen Einschreibung ganz bestimmter widersprüchlicher diskursiver Positionen ergibt«.133 Diese Aussage bringt implizit zum Ausdruck, dass Kollektivsymbole meist vielfach semantisch aufgeladen sind.134 127 128 129 130 131
Link/Link-Heer, Diskurs/Interdiskurs und Literaturanalyse, S. 96. Klawitter/Ostheimer, Literaturtheorie, S. 169. Vgl.: Kammler, Historische Diskursanalyse, S. 40. Link/Link-Heer, Diskurs/Interdiskurs und Literaturanalyse, S. 97. Link, Literaturanalyse als Interdiskursanalyse, S. 300; Link/Link-Heer, Diskurs/Interdiskurs und Literaturanalyse, S. 97; Link erläutert dies anhand des Gegensatzes zwischen Maschine und Organismus. Während die Maschine im Rahmen einer modernistischen Wertungsperspektive als etwas Positives gewertet würde, könne die Wertung innerhalb einer modernismuskritischen Äußerung genau entgegengesetzt ausfallen. 132 Ebenda; ich übernehme an dieser Stelle die von Link vorgegebene Kursivierung zur Hervorhebung der Terminologie; in einer Analyse jener diskursiven Positionen sieht Link einen Anschluss an die Kultur- und Literatursoziologie bzw. an die Sozialgeschichte der Literatur verwirklicht. 133 Link, Literaturanalyse als Interdiskursanalyse, S. 300; Link nennt derartige Bildbrüche, die innerhalb eines Kollektivsymbols auftreten auch »Katachresenmäander« und betrachtet sie als »diskursiven Normaltyp«. Sie seien darauf zurückzuführen, dass sich aus den Kollektivsymbolen ein synchrones System ergäbe, »zwischen dessen Elementen partielle, zur Paradigmenbildung führende Äquivalenzbeziehungen« existierten. Vgl.: Link/Parr, Semiotik und Interdiskursanalyse, S. 125. 134 Vgl. Link, Literaturanalyse als Interdiskursanalyse, S. 287; Aspekte der semantischen Aufladung – wie etwa verschiedene Konnotationsebenen – thematisieren Link und Parr im
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Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf die Interdiskurstheorie festhalten, dass der durch sie erzielbare Erkenntnisgewinn laut Links Ausführungen darin besteht, die Gesamtheit der interdiskursiven Formen und Elemente einer gegebenen Kultur und Epoche als eine Art vernetztes Ensemble zu rekonstruieren, das sich als wesentliche Bedingung (und zwar sowohl in materialer wie in formaler Hinsicht) für die Produktion von Literatur erweist.135
Auf scharfe Kritik stößt diese Analysemethode zum einen bei Hörisch und Pott, die die »szientistische[n] Entwürfe«136 Links bemängeln, ihm »systematische[…] Verleugnung rätselhafter Strukturen«137 innerhalb der Poetik vorwerfen und ihm den Wunsch unterstellen, eine »Interpretationsmaschine«138 zu generieren. In ihrer Antwort an Jürgen Link entfalten die beiden Kritiker ein Plädoyer für die Hermeneutik, die sie durch Links Ansatz in Gefahr gebracht sehen.139 Sie äußern mit den Worten Habermas’ die Ansicht, im Rahmen einer hermeneutischen Untersuchung sei es möglich, dass »jede Position […] mit den übrigen Positionen, denen sie in der Gegenwart gegenübersteht, gerade in der Parteilichkeit für ein künftig zu realisierendes Allgemeines« einen Konsens finde.140 Diese Aussage muss wohl zugleich als Versuch angesehen werden, Foucaults Kritik am »Kommentar« und an der »Mystifizierung des Subjekts« zu entkräften.141 Auch Klawitter und Ostheimer üben Kritik am Link’schen Ansatz.142 Sie räumen zwar ein, seine Unterscheidung zwischen Spezial- und Interdiskursen ermögliche es, »den Spielraum für formalisierbare (wissenschaftliche) Aussagen einerseits und ideologische Aussagen andererseits genauer einzugrenzen«, jedoch sei nicht sicher, inwieweit dies auch bezogen auf den Gegenstandsbereich der Literatur zur Anwendung gelangen könne.143 Link sei in erster Linie an der Klassifizierung von Bedeutungsweisen interessiert, welche aber keinen Nutzen im Hinblick auf die Beschreibung diskursiver Regeln habe und ebenso wenig bei
135 136 137 138 139 140 141 142 143
Rahmen ihrer Ausführungen zur Semiotik. Vgl. dazu: Link/Parr, Semiotik und Interdiskursanalyse, insbesondere S. 114–123. Link/Link-Heer, Diskurs/Interdiskurs und Literaturanalyse, S. 97. Hörisch/Pott, Antwort an Jürgen Link, S. 175. Ebenda, S. 179. Ebenda, S. 178. Ebenda, S. 175–185. Ebenda, S. 183. Ich übernehme an dieser Stelle die kursiven Hervorhebungen Hörischs und Potts. Zu Foucaults Kritik am »Kommentar« und der »Mystifizierung des Subjekts« vgl.: Kammler, Historische Diskursanalyse (Michel Foucault), S. 32f. Klawitter/Ostheimer, Literaturtheorien, S. 170. Ebenda.
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einer Untersuchung der Bedingungen von Signifikation weiterhelfen könne.144 Seine Aussage, mit der Interdiskursanalyse »eine Streuung interdiskursiver Aussagen, Diskurskomplexe, Modelle [und] Themen in den Blick nehmen zu können« sei lediglich eine Behauptung; ein Zugriff auf der Ebene der Existenzbedingungen einer diskursiven Ordnung finde jedoch nicht statt.145 Diese Kritik an Links Ansatz fällt nach meinem Dafürhalten etwas zu heftig aus. Die Unterscheidung in Spezial- und Interdiskurs erscheint in jedem Fall ein richtiger Schritt, um sich darüber bewusst zu werden, inwieweit ein Text durch verschiedene Arten von Diskursen determiniert ist. Auch die Feststellung, dass es eine Art »interdiskursives Ensemble« gibt, zu dem unter anderem die Kollektivsymbolik zählt, wirkt überzeugend. Allerdings sollte die Konsequenz aus der Annahme eines »interdiskursiven Ensembles« die Bestrebung sein, dieses auf systematische Weise zu erschließen – d. h. konkrete, aufeinander folgende Arbeitsschritte zu formulieren und diese nach und nach für jeden Text des Korpus durchzuführen. Eine derartige Methode würde allerdings – wenn sie tatsächlich darauf ausgerichtet ist, die Aussagebedingungen für »stereotype Figuren […] Narrationsschemata […] Themen, Probleme und Argumente«146 herauszuarbeiten – zunächst auf das hermeneutische Verfahren einer textimmanenten Untersuchung der einzelnen Texte zurückgreifen müssen. 1.1.2.2 Die Historische Diskursanalyse Im Folgenden werde ich auf die wichtigsten Merkmale der Historischen Diskursanalyse eingehen. Dazu wird zunächst kurz skizziert, wie diese Untersuchungsmethode – aufgrund einer Ablehnung hermeneutischer Verfahren – entstanden ist, welche verschiedenen Varianten der Methode existieren und wo sie eine Angriffsfläche für Kritik bietet. Die Diskussion um das ›richtige‹ Vorgehen bei einer Textanalyse basiert darauf, dass sich die beiden gegensätzlichen Pole der Hermeneutik einerseits und der diskursanalytischen Verfahren andererseits gegenüberstehen. Meiner Meinung nach erscheint es vielversprechend und erstrebenswert, die beiden Positionen zu einer ›kombinierten Methode‹ zusammenzuführen. Wie im Rahmen der oben angeführten Kritik an Jürgen Links Interdiskursanalyse von Seiten Hörischs und Potts bereits angeklungen ist, wurde die Hermeneutik bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts als »Königsweg« und als »systematische Grundlage jeglichen Textverstehens« angesehen.147 Als jedoch 144 Ebenda. 145 Ebenda. 146 Klawitter/Ostheimer, Literaturtheorien, S. 169. Darauf, wie eine derartige Methode aussehen könnte, wird innerhalb des Zwischenergebnisses zu Kapitel 1.1 eingegangen. 147 Bogdal Historische Diskursanalyse der Literatur, S. 11.
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Foucaults diskursanalytische Thesen ihre Wirkungsmacht zu entfalten begannen, kam zeitgleich zunehmend Kritik an den theoretischen Prämissen und Zielen der Hermeneutik auf.148 Ins Kreuzfeuer der Kritik geriet insbesondere die hermeneutische Grundannahme des subjektzentrierten Erkenntnisbegriffs, die sich vor allem in dem Untersuchungsaspekt der Autorintension widerspiegelte.149 Darüber hinaus wurde auch die Annahme einer »Horizontverschmelzung« von einigen Literaturwissenschaftlern als obsolet und nicht mehr haltbar erachtet.150 Ebenso wenig für gut befunden wurden aber auch die methodischen Ansätze derjenigen Gegenposition, die strukturalistische und linguistische Analyseverfahren aufgriff.151 Ihren Vertretern wurde – genau wie Jürgen Link – der Vorwurf des Szientismus gemacht.152 Was die Kritik sowohl an der Hermeneutik als auch an den strukturalistischen, linguistischen Verfahren kennzeichnet, ist die Ablehnung einer »Literaturwissenschaft, die Texte nur als Träger von etwas vermeintlich Wichtigerem« begreift, »der es nicht eigentlich um die literarischen Texte gehe, sondern um das, was sie bedeuten«.153 Diskursanalytiker betrachten eine auf diese Weise verstandene Literaturwissenschaft als Negativfolie und opponieren gegen die hermeneutische Bestrebung »durch bestimmte interpretative Operationen zu einem adäquaten Sinnverstehen des Textes zu gelangen«.154 Joachim Landwehr beschreibt die Historische Diskursanalyse als Methode um »Wahrnehmungen von Wirklichkeit« und »den Wandel sozialer Realitätsauffassungen« zu untersuchen.155 Anders ausgedrückt diene sie der Analyse von »Sachverhalte[n], die zu einer bestimmten Zeit in ihrer zeichenhaften und gesellschaftlichen Vermittlung […] als gegeben anerkannt« würden.156 Kennzeichnend für sie ist zum einen, dass nicht mehr das triadische Kommunikationsmodell angenommen wird, bei dem von einem Dreiecksverhältnis in der Kommunikation zwischen Autor, Text und Leser ausgegangen wird.157 148 Winko, Diskursanalyse, Diskursgeschichte, S. 471. 149 Ebenda, Köppe/Winko, Neuere Literatutheorien, S. 98; vgl. Bogdal, Historische Diskursanalyse der Literatur, S. 11f. 150 Ebenda; Köppe/Winko, Neuere Literaturtheorien, S. 98. 151 Ebenda, S. 98f. 152 Ebenda. 153 Winko, Diskursanalyse, Diskursgeschichte, S. 471. 154 Ebenda. 155 Landwehr, Historische Diskursanalyse, S. 96. 156 Ebenda; vgl. dazu auch: Köppe/Winko, Neuere Literaturtheorien, S. 105. 157 Winko, Diskursanalyse, Diskursgeschichte, S. 471f.; zu dem triadischen Kommunikationsmodell und den verschiedenen Versionen und Ausgestaltungen dieses Modells vgl. auch: Köppe, Tilmann: Literatur und Wissen: Zur Strukturierung des Forschungsfeldes und seiner Kontroversen. Berlin/New York 2011, S. 2–5; Fricke, Harald: Textanalyse und Textinterpretation. Erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Grundlagen. In: Thomas
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Stattdessen wird der »Schreiber literarischer Texte« als »bestimmt von der vorgängigen symbolischen Ordnung« und »abhängig von Diskursformationen« begriffen.158 Seine Position wird »im Schnittpunkt verschiedener Diskurse« gesehen.159 Weiterhin zeichnet sich ab, dass die Historische Diskursanalyse meist nicht als »Verfahren zur Einzeltextanalyse« angewandt wird, sondern vornehmlich zur Untersuchung umfangreicherer Korpora herangezogen wird.160 Neben diesen beiden grundlegenden Gemeinsamkeiten diskursanalytischer Verfahren gibt es noch eine Reihe weiterer Kennzeichen, die innerhalb verschiedener Varianten der Historischen Diskursanalyse zutage treten. Zu diesen ›Varianten‹ werden einerseits die historisch-psychoanalytische – sowie die historisch-philologische – und andererseits die semiotische – gezählt.161 »Semiotische Variante« stellt dabei allerdings nur eine andere Bezeichnung für den bereits vorgestellten theoretischen Ansatz Jürgen Links dar ; also für die Interdiskurstheorie und die Annahme von Kollektivsymbolen. Die wichtigsten Merkmale der beiden anderen Varianten seien im Folgenden kurz angesprochen.162 Ein distinktives Merkmal der historisch-psychoanalytischen Variante stellt die »enge Kopplung Foucault’scher Grundannahmen mit Konzepten der Psychoanalyse und der Linguistik« dar.163 Vertreter dieser Methode gehen davon aus, dass »Rede, Begehren und Macht unlöslich ineinandergreifen«. Ihr Anliegen ist es, sowohl Restriktionen – die das Sprechen determinieren – aufzudecken, als auch »Mythen« – welche diese Restriktionen verschleiern – herauszuarbeiten. Um dieses Ziel zu erreichen, wird sich in den Untersuchungen, die der historisch-psychoanalytischen Variante zuzurechnen sind, insbesondere auf die folgenden drei Arbeitsgebiete konzentriert: »die Regeln, nach denen Literatur jeweils bestimmt und abgegrenzt worden ist« sowie »die Funktionen […], die dem Autor jeweils zugeschrieben worden sind« und »literarische ›Oberflächenphänomene‹, [wie] etwa Themen und Motive«. Darüber hinaus ist ein charakteristisches Kennzeichen dieser Variante darin zu sehen, dass Relationen zwischen literarischen Texten und beispielsweise Texten aus der Medizin, der
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Anz (Hrsg.), Handbuch Literaturwissenschaft, Bd. 2, Theorien und Methoden. Stuttgart/ Weimar 2007, S. 41–54. Köppe/Winko, Neuere Literaturtheorien, S. 106. Ebenda. Winko, Diskursanalyse, Diskursgeschichte, S. 472. Ebenda, S. 473–475. Auch zu diesen beiden Varianten gäbe es noch weitaus mehr zu sagen. Ich beschränke mich an dieser Stelle jedoch auf die Aspekte, die für den analytischen Teil der vorliegenden Arbeit von Relevanz sind. Winko, Diskursanalyse, Diskursgeschichte, S. 473. Winko zitiert an dieser Stelle: Kittler/ Turk, Urszenen, S. 20. Die Ausführungen dieses und des folgenden Abschnitts entnehme ich ebenfalls Winko, Diskursanalyse, Diskursgeschichte, S. 473f.
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Pädagogik, etc. geschaffen werden, von denen angenommen wird, dass sie demselben Diskurs verhaftet sind. Dabei wird innerhalb all dieser verschiedenen Texte ein verbindendes Element angenommen, das »in einem gemeinsamen Thema, einem Denkmuster oder einer Schreibtechnik« verwirklicht sein kann.164 Besonders wichtig erscheint außerdem der Aspekt, dass im Rahmen der Untersuchungen auch ein Bezug zwischen fiktionalen und nicht-fiktionalen Textelementen geschaffen wird, dass es also möglich wird, historische Geschehnisse aus literaturwissenschaftlicher Perspektive zu analysieren und sie als Zeichen zu verstehen. Im Rahmen der historisch-philologischen Variante hingegen kommen derartige ›Textualisierungen‹ historischer Geschehnisse so gut wie nicht zum Einsatz. Sie zeichnet sich stärker durch einen historisierenden Zugang aus, während dem psychoanalytischen Aspekt weitaus weniger Beachtung geschenkt wird. Wie der Name dieser Analysevariante bereits erahnen lässt, legt sie den Fokus auf »die philologische Konzentration auf die Schrift und nicht auf einen ›dahinterliegenden‹ metaphysischen Sinn«. Ein weiteres Charakteristikum ist darin zu sehen, dass die Vertreter dieser Variante bestrebt sind, literarhistorische Klassifikationen zu untersuchen, zu kritisieren und sie – falls ihnen dies notwendig erscheint – zu revidieren. In diesem Zusammenhang werden auch Epochenbegriffe nicht mehr bloß als ›gegeben‹ hingenommen; vielmehr liegt das Erkenntnisinteresse nun auf den verschiedenen Diskursen, die sich innerhalb des bis dato als »Epoche« begriffenen Zeitraums ausmachen lassen. Zudem wird den Fragen nachgegangen, in welchen Relationen diese Diskurse zueinander stehen und ob sich diskursive Abgrenzungsstrategien benennen lassen. Bevor nun eine kombinierte Methode aus Hermeneutik und Historischer Diskursanalyse im Detail entwickelt werden kann, ist darüber nachzudenken, welche Vorzüge und welche methodischen Probleme die Historische Diskursanalyse mit sich bringt. Als positiver Effekt werden stets die durch sie ins Leben gerufenen Theorieund Methodendebatten betont.165 Einen weiteren vorteilhaften Gesichtspunkt stellt der Einbezug »neuer Kontexte und Fragestellungen« dar.166 So hat sie beispielsweise die Entstehung von Untersuchungen zu unterschiedlichen Formen von Alltagswissen, aber auch zu Mustern kultureller Wahrnehmung und zu Themen wie »Mode, […] Essgewohnheiten […] und Körperlichkeit« begüns-
164 Die Annahme eines solchen verbindenden Elements stellt eine Gemeinsamkeit mit der von Link erläuterten Existenz einer »Kollektivsymbolik« dar. 165 Nünning/Nünning, Methoden der literatur- und kulturwissenschaftlichen Textanalyse, S. 198; Köppe/Winko, Neuere Literaturtheorien, S. 110f. 166 Ebenda, S. 111.
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tigt.167 Darüber hinaus fand eine stärkere Einbeziehung von Aspekten der »Materialität und Medialität von Literatur« weiten Zuspruch.168 Dagegen steht ein weites Feld der Kritik, welche sich zum Teil nicht alleine gegen die Historische Diskursanalyse richtet, sondern vielmehr gegen alle kulturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden.169 Eines der Hauptargumente, die in diesem Kontext angeführt werden, ist, diese Untersuchungsmethoden führten zu einem Abhandenkommen des »eigentlichen Gegenstandes der Literaturwissenschaft«.170 Stellt man sich daraufhin jedoch die Frage, was denn der »eigentliche Gegenstand der Literaturwissenschaft« ist, so ist die Antwort vom jeweiligen Erkenntnisziel abhängig.171 Jemand, der sich das hermeneutische Erkenntnisziel gesetzt hat, den literarischen Text »als Ganzes« zu interpretieren, wird es tendenziell eher als »wenig erkenntnisfördernd« erachten, den Fokus seiner Betrachtung auf Diskurse oder diskursive Praktiken zu richten.172 Wenn also angeführt wird, die Historische Diskursanalyse führe zum »Verlust des eigentlichen Gegenstandes der Literatur«, so impliziert dies, dass das Erkenntnisinteresse, welches ihr zugrunde liegt, nicht anerkannt wird.173 Daneben – so wird stets argumentiert – maßten sich Vertreter der Historischen Diskursanalyse umfassende Kompetenz in allen Disziplinen an, die für ihre Untersuchung von Relevanz seien.174 Ein weiteres Problem bestehe darin, dass diskursanalytische Arbeiten oftmals theoretische Voraussetzungen, Vorgehensweisen und Termini als allgemein bekannt annähmen und davon ausgingen, diese seien bereits ausnahmslos konventionalisiert.175 Daher würden jene – für das Verstehen aber absolut notwendigen – Aspekte nicht eingehender thematisiert, was in vielen Fällen eine besondere Hürde für den Rezipienten darstelle.176 Diese Kritik mag zutreffend sein im Hinblick auf einige ›frühe‹ Arbeiten, die den Beginn der Öffnung einzelner wissenschaftlicher Disziplinen hin zu einer übergreifenden, interdisziplinären historischen Kulturwissenschaft markieren. Meines Erachtens sind in den letzten Jahren aber verstärkt Bemühungen zu erkennen, mit dem Gebrauch gemeinsamer Termini und klar definierter Vor167 Ebenda. 168 Ebenda. 169 Nünning/Nünning, Methoden der literatur- und kulturwissenschaftlichen Textanalyse, S. 198. 170 Ebenda. 171 Köppe/Winko, Neuere Literaturtheorien, S. 111. 172 Ebenda. 173 Ebenda. 174 Ebenda. 175 Ebenda. 176 Ebenda; um dieser Tendenz zur ›nicht näher erläuterten Vorgehensweise‹ entgegenzuwirken, werde ich im vorliegenden theoretischen Teil meiner Arbeit – in einem Zwischenergebnis zu Kapitel 1.1 Diskursanalytische Zugänge zu Konzepten vom ›exotischen‹ Tier – detailliert die von mir geplanten Arbeitsschritte erläutern.
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gehensweisen Brücken zwischen den einzelnen Fachdisziplinen zu schlagen. Dies wird nicht zuletzt anhand der Gründung interdisziplinärer, kulturwissenschaftlicher Arbeitskreise ersichtlich sowie an der großen Anzahl an Neuerscheinungen auf dem Sektor der einführenden Literatur zu Kulturtheorien.177 Die gravierendsten Probleme, die die Historische Diskursanalyse meiner Meinung nach jedoch aufwirft, sind in den beiden folgenden Aspekten zu sehen: Zum einen erwecken diskursanalytische Untersuchungen sehr oft den Anschein, als handle es sich bei einem Diskurs um ein »determinierendes Aussagesystem«, in dessen Rahmen unter gar keinen Umständen andere Möglichkeiten existierten.178 Dem ist jedoch nicht so, denn in wissenschaftlichen wie auch in literarischen Texten können textuelle Dynamiken wirken, die elementare Bestandteile eines Diskurses außer Kraft setzen.179 Ein berechtigter Einwand scheint mir zudem die These, dass auch die Betrachtung eines jeden Diskursanalytikers bereits durch das theoretische Feld, auf dem sich dieser bewegt, vorgeprägt ist.180 Dieser Aspekt darf im analytischen Teil der vorliegenden Arbeit keinesfalls unbeachtet bleiben. Einen möglichen Lösungsansatz für diese Problematik könnte die von Friedrich G. Wallner vorgeschlagene »verfremdende Interdisziplinarität« darstellen, auf die in Kapitel 1.2.2 noch näher eingegangen wird. Darüber hinaus erscheint es erkenntnisfördernd, auch Elemente der historisch-psychoanalytischen Variante der Historischen Diskursanalyse mit aufzunehmen. Gerade im Hinblick auf die erforderliche Definition des Konzeptbegriffs sollten Aspekte der kognitiven Linguistik nicht außer Acht gelassen werden.181 Des Weiteren ist es sinnvoll – ebenso wie die Vertreter der historischpsychoanalytischen Variante – Relationen zwischen den literarischen Texten und anderen Texten aufzuzeigen, woraus sich allerdings die Schwierigkeit ergibt, zu definieren, was eigentlich »literarisch« bedeutet.182 177 Als Beispiele hierfür können etwa die Werke Nünnings und Nünnings, Benthiens und Veltens sowie Böhmes, Matusseks und Müllers angesehen werden. Vgl.: Nünning/Nünning, Methoden der literatur- und kulturwissenschaftlichen Textanalyse; Benthien/ Velten (Hg.), Germanistik als Kulturwissenschaft; Böhme/Matussek/Müller, Orientierung Kulturwissenschaft. 178 Nünning/Nünning, Methoden der literatur- und kulturwissenschaftlichen Textanalyse, S. 199. 179 Ebenda; vgl. dazu auch: Alt, Beobachtungen dritter Ordnung, S. 194. 180 Vgl.: Bogdal, Historische Diskursanalyse der Literatur, S. 44. 181 Ich denke hier insbesondere an die Einbeziehung der Prototypentheorie und der FrameSemantik. 182 An dieser Stelle eine trennscharfe Definition der Begriffe ›literarisch‹ oder ›Literatur‹ aufzustellen, erscheint nicht sinnvoll und würde den Rahmen dieser Arbeit überschreiten. Im Folgenden werde ich daher mit einem äußerst weitgefassten Literatur-Begriff arbeiten. Dies gilt insbesondere dann, wenn im analytischen Teil der Arbeit von dem »literarischen Diskurs« die Rede sein wird. Als ›literarisch‹ verstehe ich dabei im weitesten Sinn dieje-
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All diese Untersuchungsaspekte zu berücksichtigen und daraus einen klar definierten ›Leitfaden konkret anzuwendender Arbeitsschritte‹ zu entwickeln, stellt eine große Herausforderung dar. Jedoch ist auch eine solche ›kombinierte Methode‹ kein unbegehbarer Weg, wie die 2009 von Udo Friedrich vorgelegte Monographie Menschentier und Tiermensch – Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter unter Beweis stellt. Im Folgenden werde ich anhand dieses Beispiels aufzeigen, wie in der Mediävistik mit den vorgestellten diskursanalytischen Methoden umgegangen wird.
1.1.3 Udo Friedrich: Wissensordnungen und Mensch-Tier-Grenzziehung im Mittelalter Auch in der Mediävistik erfreuen sich kulturwissenschaftliche Untersuchungen – in deren Rahmen Foucaults Theorien auf unterschiedlichste Weise Anwendung finden – großer Beliebtheit.183 Die Anforderungen an derartige Untersuchungen sieht Udo Friedrich insbesondere darin, »das Verhältnis von expliziten und impliziten Ordnungen des Wissens zu beschreiben und disziplinäre, textuelle, soziale und symbolische Ebenen aufeinander abzustimmen«.184 Darauf, wie Friedrich selbst diese Anforderungen in seiner 2009 erschienenen Monographie Menschentier und Tiermensch – Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter erfüllt, werde ich im Folgenden eingehen. Friedrich erläutert zunächst, dass seine Arbeit – da sie »in der Nähe kulturgeschichtlicher Ansätze« anzusiedeln sei – eine methodische Kontrolle erforderlich mache, um »Überdimensionierungen und Projektionen« zu verhindern.185 Indem er hier von »Projektionen« spricht, zeigt sich eine gedankliche Schnittmenge mit Klaus-Michael Bogdal, der von der Existenz und der Einflussnahme des durch wissenschaftliche Diskurse bestimmten Diskursanalytinigen Texte, bei denen die delectare-Funktion besonders deutlich im Vordergrund zu stehen scheint. 183 Vgl.: Friedrich, Ordnungen des Wissens, S. 98; Friedrich, Konkurrenz der symbolischen Ordnungen, S. 566; Friedrich nennt hier exemplarisch einige der innerhalb der letzten 30 Jahre entstandenen kulturwissenschaftlich orientierten Arbeiten: Waldmann, BERNHARD: Natur und Kultur im höfischen Roman um 1200. Überlegung zu politischen, ethischen, und ästhetischen Fragen epischer Literatur des Hochmittelalters. Erlangen, 1983; Matejovski, Dirk: Das Motiv des Wahnsinns in der mittelalterlichen Dichtung. Frankfurt a. M. 1996; Müller, Jan-Dirk: Spielregeln für den Untergang. Die Welt des Nibelungenliedes. Tübingen 1998, S. 6–24; Waltenberger, Michael: Das große Herz der Erzählung. Studien zu Narration und Interdiskursivität im Prosalancelot. Frankfurt a. M. 1999 (Mikrokosmos 51). 184 Ebenda, S. 99. 185 Friedrich, Menschentier und Tiermensch, S. 20.
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kers ausgeht.186 Mit den Worten Max Webers definiert Friedrich den Menschen als »Wesen, das in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist«, wobei die Kultur dieses Gewebe darstellt.187 Diese Metaphorik aufgreifend, sieht Friedrich sein Untersuchungsziel darin, »ein[en] Faden […] im kulturellen Gewebe (textum) des 12. und 13. Jahrhunderts […], der quer durch soziale Felder, Disziplinen und Texte verläuft« herauszuarbeiten: die Mesch-TierGrenzziehung.188 Was in dieser Aussage bereits zum Ausdruck kommt, ist, dass in Friedrichs Monographie nicht nur ein Text eingehend untersucht wird, sondern dass ein ganzes Textkorpus herangezogen wird, welches unter anderem aus dem Straßburger Alexander, dem Wolfdietrich A, dem Eckenlied, dem Nibelungenlied, dem Iwein und Partonopier und Meliur besteht. In der Zusammenstellung des Korpus zeigt sich damit, dass die Texte zum einen gattungsübergreifend ausgewählt wurden – so entscheidet sich Friedrich beispielsweise für einen Antikeroman, heldenepische Texte und höfische Romane – zum anderen liegen die Entstehungszeiträume dieser Texte so weit auseinander, dass man sie verschiedenen Epochenabschnitten vom Früh- bis hin zum Hoch und Spätmittelalter zuordnen kann. Darüber hinaus werden aber auch Texte aus anderen Disziplinen, wie etwa »theologische Schriften, politische Theorie« sowie »Historio- und Etnographie«, in die Untersuchung mit eingebunden.189 Insofern erfüllt Friedrichs Textkorpus die Anforderungen, die von den meisten Vertretern der Historischen Diskursanalyse erhoben werden. Die Hauptthese der Untersuchung lautet, das Tier stelle »mehr als ein Motiv, mehr auch als ein Sinnbild« dar.190 Es sei als »leitendes Prinzip kultureller Selbstreflexion« zu verstehen.191 Das Mensch-Tier-Verhältnis als Diskurs zu untersuchen, heißt dabei für Friedrich die verschiedenen diskursiven, praktischen und institutionellen Orte aufzuspüren, an denen das Tier als Kategorie sozialer Ordnung und Unordnung funktionalisiert wird, und diese auf ihre gemeinsame Strategie zu befragen.192
Denkt man nun an Jürgen Links ›Interdiskursives Ensemble‹ zurück, so zeigen sich auch hier viele Gemeinsamkeiten mit Friedrichs These, denn dieser begreift das Tier in seiner Arbeit ebenso als eine Art ›Kollektivsymbol‹, welches verschiedenste Diskurse miteinander verbindet – auch wenn er nicht explizit den 186 187 188 189 190 191 192
Vgl. Bogdal, Historische Diskursanalyse der Literatur, S. 44. Friedrich, Menschentier und Tiermensch, S. 22. Ebenda, S. 23. Ebenda, S. 30. Ebenda, S. 23. Ebenda. Ebenda.
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Terminus ›Kollektivsymbol‹ verwendet. Auch er wählt eine semiotische Herangehensweise, in deren Rahmen »Kultur als symbolische Ordnung« verstanden wird.193 Die Definition, die Friedrich für den Terminus ›Symbol‹ anführt, lautet dabei wie folgt: Symbol wird hier nicht mehr im Sinne literaturwissenschaftlicher Terminologie als textbezogenes »Sinnbild«, oder als »Abstraktion durch eine Figur« begriffen, vielmehr wird die symbolische Ordnung entweder als ein Haushalt von sinn- und prestigeträchtigen Statuszeichen […] konzipiert, die ein zweckrational handelndes Subjekt zielgerichtet einsetzt, oder aber im strukturalistischen Sinn als nicht durchschaute Sinn-, Sprach- und Machtstruktur, innerhalb deren Subjekte agieren.194
Umstritten bleibe jedoch – so Friedrich – welche Position dabei symbolische Repräsentationen einnähmen, bei denen es weder möglich sei, sie als Sinnbild zu bezeichnen, noch sie darauf zu beschränken, »einfache Symbolisierung im Sinne von Versprachlichung« zu sein.195 Des Weiteren dürfe die Annahme von der Existenz eines homogenen Symbolsystems nicht unhinterfragt bleiben.196 Vielmehr sei von einer Vielzahl an symbolischen Ordnungen auszugehen, da diese stets auf mehreren Ebenen – wie beispielsweise auf familiärer, beruflicher oder institutioneller – vorzufinden seien.197 Genau wie Link geht auch Friedrich davon aus, dass ein Individuum an mehreren dieser symbolischen Ordnungen teilhaben kann.198 Friedrichs Analyse jener symbolischen Ordnungen zielt dabei jedoch nicht darauf ab, realgeschichtliche Fakten zu rekonstruieren und aufzuzeigen.199 Es geht ihm stattdessen darum, »die mentalen Muster, die zeitgenössischen Ordnungsstrategien, die letztlich das Gewebe synchroner Bedingungen von Schriftproduktion und Handlungen darstellen«, herauszuarbeiten.200 Als zentrale Prämisse einer solchen kultursemiotischen Untersuchung sieht Friedrich, »dass die klassische Basis der literaturwissenschaftlichen Arbeit, der Text, an übergeordnete – sprachliche, soziale, politische usw. – Instanzen anbindbar und in seiner
193 194 195 196 197 198
Ebenda, S. 23–29. Friedrich, Menschentier und Tiermensch, S. 25. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 26. Ebenda; als Beispiele nennt Friedrich an dieser Stelle den adeligen und ›kriegerischen‹ Zisterzienser Bernhard von Clairvaux sowie den adeligen Zisterzienser und Bischof Otto von Freising. Beide gehörten zum einen der Ordnung des Adels an, aber auch der religiösen Ordensordnung; zu der Position des Subjekts in der Interdiskurstheorie vergl.: Link, Literaturanalyse als Interdiskursanalyse, S. 284. 199 Friedrich, Menschentier und Tiermensch, S. 27. 200 Ebenda; anders ausgedrückt, könnte man an dieser Stelle wohl sagen: es geht Friedrich um die Konzepte, die hinter den symbolischen Ordnungsstrukturen stehen.
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komplexen Verflechtung (textum) erkennbar wird«.201 Um dies zu erreichen, schlägt er vor, zum einen literaturimmanent Narrations- und Gattungsmuster zu untersuchen; zum anderen müssten aber auch die über den Text hinausreichenden paradigmatischen Strukturen analysiert werden.202
Erstes Zwischenergebnis Nachdem nun verschiedene kulturwissenschaftliche und diskursanalytische Methoden im Anschluss an Foucault vorgestellt wurden, bleibt zu überlegen, in welchen konkreten Arbeitsschritten einzelne Gesichtspunkte dieser Methoden im analytischen Teil der vorliegenden Arbeit zur Anwendung gelangen können. Zunächst erscheint es wichtig, dass der Verfasser eines Textes nicht mehr als »autonomes Schöpfersubjekt« begriffen wird, sondern als ein »von Diskursen geprägtes […] Subjekt«.203 Diese Annahme führt direkt zum ersten Arbeitsschritt, denn wenn das Subjekt tatsächlich »von Diskursen geprägt«204 ist, dann müssen im weitesten Sinne die ›Produktionsbedingungen‹ bzw. Machtverhältnisse, unter denen die einzelnen Texte entstanden sein könnten, in die Betrachtung mit einbezogen werden.205 Diese Produktionsbedingungen – soweit sie rekonstruierbar sind oder sich begründete Vermutungen darüber anstellen lassen – finden im Anhang der Arbeit in Form eines handbuchartigen Überblicks, im Glossar zu den untersuchten Quellen, Beachtung. Dabei werde ich mich an der von Achim Landwehr vorgeschlagenen Kontextanalyse orientieren.206 Landwehr spricht sich für die Berücksichtigung vier verschiedener Ebenen aus: der situativen, der medialen, der institutionellen sowie der historischen.207 Dabei scheint die situative Ebene – gerade im Hinblick auf mittelalterliche Texte – die am schwierigsten zu erschließende zu sein, da hier insbesondere überlegt werden muss, wer den Text in welcher Situation verfasst hat und wie der Verfasser gesellschaftlich positioniert war (Faktoren wie beispielsweise die soziale- und geographische Herkunft, aber auch das Alter können hierbei eine Rolle spielen). Des Weiteren muss überlegt werden, wie die ›Aufführungssi201 Ebenda, S. 28. 202 Ebenda, S. 29. 203 Winko, Diskursanalyse, Diskursgeschichte, S. 472; Diese Annahme schließt meinem Verständnis nach jedoch nicht aus, dass es innerhalb eines literarischen Textes textuelle Dynamiken geben kann, die elementare Bestandteile eines Diskurses außer Kraft setzen. 204 Ebenda. 205 Vgl. dazu auch: Landwehr, Historische Diskursanalyse, S. 105–110. 206 Ebenda. 207 Ebenda. Die nachfolgenden Ausführungen zu den vier Ebenen der Kontextanalyse entnehme ich ebenfalls Landwehr, Historische Diskursanalyse, S. 107–110.
Erstes Zwischenergebnis
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tuation‹ ausgesehen haben könnte; sofern die Texte überhaupt öffentlich vorgetragen wurden. Abschließend ist auf situativer Ebene ebenso die Frage nach dem potentiellen Rezipientenkreis zu stellen. Auf der medialen Ebene ist zu thematisieren, ob die einzelnen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Manuskripte des Korpus Einzug ins Druckzeitalter gehalten haben und falls ja, ob sich – im Hinblick auf die Tierthematik – Differenzen zwischen Handschrift und Druck zeigen. Im Rahmen der Untersuchung des institutionellen Kontextes ist zu hinterfragen, ob der Verfasser unter dem Einfluss einer Institution stand und inwieweit Gönner Einfluss auf die Entstehung der Texte hatten. Auf historischer Ebene schließlich ist die »politische, gesellschaftliche, ökonomische und kulturelle Gesamtsituation« zu betrachten.208 Diese Kontextualisierungsebene verfolgt dabei ausschließlich das Ziel, die Tierthematik in adäquatem Umfang historisch einzuordnen; ein universalgeschichtlicher Überblick wird dabei keineswegs angestrebt. In Kapitel 2. Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung werden zwei ›exotische‹ Tiere exemplarisch herausgegriffen: Panther und Papagei. Um Konzeptbestandteile zu erschließen, die das Mittelalter aus der Antike tradiert, findet zunächst eine Betrachtung antiker Text- und Bildquellen zu den beiden Tieren statt (Kapitel 2.1.2 Das antike Panther-Konzept und 2.2.2 Das antike Papageien-Konzept). In diesem Arbeitsschritt werden insbesondere Aristoteles’ Historia animalium und Plinius’ Naturalis Historia aber auch verschiedene weitere antike Werke unterschiedlicher Gattungen in die Untersuchung miteinzubezogen. Die Prinzipien, die die Darstellung der beiden ›exotischen‹ Tiere kennzeichnen, werden dabei zunächst text- und bildimmanent untersucht. Der Fokus der Betrachtung soll auf den besonderen argumentativen, stilistischen und rhetorischen Gesichtspunkten liegen.209 Um die Terminologie der angeführten TheorieDebatten aufzugreifen, könnte man an dieser Stelle davon sprechen, dass eine hermeneutische Herangehensweise gewählt wird – nur eben mit der Besonderheit, dass nicht mehr von einem Autor »als freie[m] Subjekt« ausgegangen wird und der literarische Text (oder auch die Bildquelle) nicht mehr ›als Ganzes‹ Gegenstand der Interpretation ist.210 Dieses an die Hermeneutik angelehnte Verfahren lässt sich m. E. analog auch auf bildhafte Darstellungen anwenden, denn diese transportieren ebenfalls bestimmte Aussagen, können durch Diskurse bestimmt werden und zur Entste-
208 Ebenda, S. 108. 209 Vgl.: Ebenda, S. 117. 210 Vgl.: Köppe/Winko, Neuere Literaturtheorien, S. 102; S. 111.
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hung neuer Diskurse führen.211 Daher erscheint es sinnvoll, auch hier zunächst auf die Art und Weise der Darstellung zu schauen. Fragen wie etwa die nach den verwendeten Materialien, nach der Raumaufteilung innerhalb des Bildes, nach der Größe und Bedeutung, die dem ›exotischen‹ Tier zugestanden werden etc. sind innerhalb dieses Arbeitsschritts zu berücksichtigen.212 Den Abschluss der Kapitel zu den antiken Konzepten von Panther und Papagei bildet jeweils ein epistemischer Epochen-Frame, der die Rekonstruktion des antiken Konzepts visualisiert.213 Das bedeutet, die Eigenschaften und Merkmale der beiden Tiere, die zuvor aus den Quellen herausgearbeitet wurden, werden nun innerhalb des Frames in eine Relation zueinander gesetzt. Ein jeder Epochen-Frame bildet ab, von welchen Konzeptbestandteilen ein äußerst gebildeter Mensch in der Antike Kenntnis gehabt haben könnte. Zugleich erteilt der Frame Auskunft darüber, welche antiken Konzeptbestandteile die Epochenschwelle überschreiten, d. h. von mittelalterlichen Autoren aufgegriffenund tradiert werden. Daraufhin erfolgt die Erschließung der mittelalterlichen Konzepte von Panther und Papagei (Kapitel 2.1.3 Das mittelalterliche Panther-Konzept und 2.2.3 Das mittelalterliche Papageien-Konzept). Die epistemischen Epochen-Frames stehen hier direkt am Anfang der beiden Großkapitel, um einen direkten Vergleich zwischen den rekonstruierten antiken und mittelalterlichen Konzepten zu ermöglichen. Die Herleitung der beiden Mittelalter-Epochen-Frames erfolgt im Prinzip auf die gleiche Weise, jedoch differenzierter als die der Antike-Epochen-Frames. Auch hier gelangt die an die Hermeneutik angelehnte Analysemethode zur Anwendung. Die Untersuchung findet nun allerdings mit dem Blick auf fünf verschiedene Diskurse statt (naturkundlicher, religiös-heilsgeschichtlicher, Liebesdiskurs, literarischer und kommerzieller Diskurs). Diese Auswahl erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, jedoch erscheint es mir unabdingbar, sich auf einige – sehr häufig auftretende – Diskurse zu konzentrieren, um die Untersuchung operationalisierbar zu machen. Diese Fokussierung erfolgt jedoch in dem steten Bewusstsein, dass die Grenzen der genannten Diskurse bis zu einem gewissen Grad durchlässig sind und dass in einigen Fällen durchaus auch eine andere Diskurs-Zuordnung der einzelnen Quellen denkbar gewesen wäre. Um die fünf genannten Diskurse aus den Texten des Korpus herauszuarbeiten, gilt es (nach Landwehrs System) vor allem, den folgenden Fragen nachzugehen: »Welche Merkmale stehen im Mittelpunkt [der Aussagen, die über Tiere 211 Vgl. dazu auch: Landwehr, Historische Diskursanalyse, S. 124. 212 Vgl. Ebenda. 213 Auf die Unterscheidung zwischen gemischten, epistemischen und sprachlichen Frames sowie auf meine konkrete Vorgehensweise bei der Erstellung der Frames werde ich in 1.2.4 Dietrich Busse: Der Konzept-Begriff der Frame-Semantik noch genauer eingehen.
Erstes Zwischenergebnis
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gemacht werden], welche Worte, Argumente, Abgrenzungen tauchen immer wieder auf, halten den Diskurs zusammen und sind Kernpunkte von Auseinandersetzungen?«214 Ebenso ist aber auch zu hinterfragen, was in den Texten des Korpus gerade nicht thematisiert wird, was jedoch eigentlich Bestandteil des Diskurses wäre.215 Um jene Differenzen aufzudecken, ist es notwendig – genau wie die Vertreter der historisch-psychoanalytischen Variante der Historischen Diskursanalyse – auch andere Texte in die Betrachtung mit einzubeziehen. Gedacht sei hier insbesondere an die naturkundlichen Schriften von Albertus Magnus, Isidors von Sevilla sowie an die Bestiarien und enzyklopädischen Schriften, die zeitnah zu den Reiseberichten und den fiktionalen narrativen Texten des Korpus entstanden sind. Im Rahmen dieses Untersuchungsschritts werden also die Fragen gestellt, die – um die Terminologie Jürgen Links aufzugreifen – zum Erkennen des »interdiskursiven Ensembles« und der »Kollektivsymbolik« führen sollen.216 Daraufhin ist aufzuzeigen, welche diskursiven Vernetzungen durch das »interdiskursive Ensemble« hergestellt werden, welche neuen Spezialdiskurse entstehen und ob ein spezifisch literarischer Diskurs zu erkennen ist. Ebenso muss überprüft werden, welche Wertungsperspektiven oder »diskursiven Positionen« sich abzeichnen. Zugleich erscheint es wichtig, die im Rahmen der Analyse zutage geförderten mittelalterlichen Konzepte mit den antiken zu vergleichen, um mögliche Abhängigkeiten der Texte sowie Tradierungswege zu ermitteln. Am Ende eines jeden Diskurs-Kapitels wird der Frage nachgegangen, als wie ›exotisch‹ das Tier innerhalb des jeweiligen Diskurses dargestellt wird. In Form eines epistemischen Diskurs-Frames wird zusammenfassend dargestellt, welche Konzeptbestandteile innerhalb des betreffenden Diskurses aktualisiert werden. Auf den analytischen Teil der Arbeit folgt ein methodischer Schluss (Kapitel 3. Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere zwischen Universalität und Spezifität), in dem aufgezeigt wird, inwiefern sich epochen- und diskursspezifische – oder auch universelle – Konzeptbestandteile erkennen lassen. Um die in Kapitel 2. erarbeiteten Analyseergebnisse noch einmal – fokussiert auf die Aspekte Universalität, Spezifität und Tradierung – zu veranschaulichen, werden dabei Ausschnitte aus den epistemischen Frames in einen direkten Vergleich zu einander gesetzt.
214 Landwehr, Historische Diskursanalyse, S. 115. 215 Vgl. dazu auch: Bogdal, Historische Diskursanalyse der Literatur, S. 44. 216 Vgl.: Link/Link-Heer, Diskurs/Interdiskurs und Literaturanalyse, S. 96f.
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1.2
Tiere als »komplexe Projektionsfläche« für kulturelle Einschreibungen
Der Konzept-Begriff
Um eine Definition des Konzept-Begriffs zu entwickeln, werde ich im Folgenden verschiedene theoretische Ansätze und Herangehensweisen aus unterschiedlichen Forschungsgebieten vorstellen, die alle in Relation zu »Konzepten« stehen. Bei einigen dieser Ansätze – wie etwa bei den Überlegungen Florian Kragls zur ›Fremdheitswahrnehmung‹ – wird zwar nicht explizit mit dem Terminus »Konzept« operiert; dennoch erscheinen insbesondere seine Ausführungen zu neueren konstruktivistischen Theorien wichtig, da das damit angesprochene Themenfeld »Kognition und Wahrnehmung« den größeren thematischen Rahmen bildet, innerhalb dessen der Konzeptbegriff zu verorten ist.217 Einer jener von Kragl angesprochenen, konstruktivistischen Ansätze ist Friedrich G. Wallners Konstruktiver Realismus.218 Wie bereits zuvor Foucault, unterscheidet auch Wallner zwischen zwei Wissensbereichen, die er mit »the technical level and the level of knowledge« bezeichnet.219 Auch sein Ziel liegt darin, zwischen diesen beiden Bereichen zu vermitteln und auf diese Weise die »Realität« (die sich terminologisch von der »Wirklichkeit« unterscheidet) herauszuarbeiten.220 Eigens dazu hat Wallner ein ganzes Instrumentarium an Begriffen entwickelt, das ebenfalls für die Definition des Konzept-Begriffs nützlich sein kann.221 Schließlich werde ich noch einen Blick darauf werfen, wie der Konzept-Begriff in der kognitiven Linguistik Anwendung findet. Hier wird er sogar explizit gebraucht und es sind bereits einige Definitionsvorschläge existent.222 Der Einbezug der Merkmalanalyse, der Prototypentheorie sowie der Frame-Semantik erscheint daher ebenfalls sinnvoll im Hinblick auf die Frage, wie sich Konzepte beschreiben lassen, wie sie graphisch darzustellen sind und wie ihre diachrone Entwicklung analysiert werden kann.223
217 218 219 220
Vgl.: Kragl, Die Weisheit des Fremden, S. 27f. Ebenda, S. 34–39. Ebenda, S. 35; Wallner, Constructive Realism, S. 11. Kragl, Die Weisheit des Fremden, S. 35. Auf die terminologische Unterscheidung zwischen »Realität« und »Wirklichkeit« werde ich in Kapitel 1.2.2 Friedrich G. Wallner : »Konstruktiver Realismus« noch näher eingehen. 221 Vgl.: Kragl, Die Weisheit des Fremden, S. 35; Wallner, Wörterbuch des konstruktiven Realismus. 222 Schwarz, Einführung in die Kognitive Linguistik, S. 108–115; Schwarz-Friesel/Chur, Semantik. Ein Arbeitsbuch, S. 27–30. 223 Vgl. dazu auch: Schultz-Baluff, Synergetisierung von Frame-Semantik und mediävistischer Literaturwissenschaft, S. 385.
Der Konzept-Begriff
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1.2.1 Florian Kragl: Theorien der Wahrnehmung In der Einleitung seiner Diplomarbeit Die Weisheit des Fremden. Studien zur mittelalterlichen Alexandertradition. Mit einem allgemeinen Teil zur Fremdheitswahrnehmung gibt Florian Kragl zunächst einen Überblick über den Forschungsstand zur »Kulturwissenschaftliche[n] Xenologie«.224 Darin verdeutlicht er, dass im Rahmen dieser Thematik seit den 1970er Jahren eine enorme Anzahl an Arbeiten endstanden ist und verweist unter anderem auf die umfangreicheren Werke Alois Wierlachers und Bernhard Waldenfels’.225 Kragl erläutert, dass insbesondere bei den Untersuchungen, die in den 1990er Jahren entstanden seien, eine Tendenz dazu erkennbar sei, den Fokus der Betrachtung nicht mehr auf ein »spezielles Fremdes«, sondern vielmehr auf »die Fremdheit als abstrakte Kategorie« zu legen.226 Angesichts dieses Forschungsstands wirft Kragl die Frage auf, ob ein weiteres Kapitel zur ›Fremdheitswahrnehmung‹ tatsächlich sinnvoll ist.227 Er entscheidet sich schließlich dafür, um einerseits »grundlegende Möglichkeiten der Beschreibung von Fremdheitswahrnehmung in allgemeiner Sicht in Form einer konsistenten Theorie zu umreißen« und andererseits »die Fremdheitswahrnehmung im Mittelalter« in den Mittelpunkt seiner Untersuchung zu stellen.228 Im Hinblick auf seine beiden Zielsetzungen – so Kragl – habe es sich am aufschlussreichsten erwiesen, sich unter Einbeziehung konstruktivistischer Ansätze mit dem Thema ›Wahrnehmung‹ auseinander zu setzen.229 Da sich aus diesen Auseinandersetzungen auch weiterführende Erkenntnisse in Bezug auf den Konzept-Begriff gewinnen lassen, seien zwei der von Kragl angesprochenen konstruktivistischen Theorien im Folgenden kurz vorgestellt: der Radikale Konstruktivismus Ernst von Glasersfelds und der konstruktive Realismus Friedrich G. Wallners.230
224 Kragl, Die Weisheit des Fremden, S. 17–26. 225 Ebenda, S. 17; Kragel verweist an dieser Stelle auf: Wierlacher, Alois: Kulturwissenschaftliche Xenologie. Ausgangslage, Leitbegriffe und Problemfelder. In: Kulturthema Fremdheit. Leitbegriffe und Problemfelder kulturwissenschaftlicher Fremdheitsforschung. Mit einer Forschungsbibliographie von C. Albrecht [u. a.]. Hrsg. v. A. Wierlacher (Kulturthemen. Beiträge zur Kulturthemenforschung interkultureller Germanistik 1). München 1993; Waldenfels, Bernhard: Studien zur Phänomenologie des Fremden. (Bd. 1: Topographie des Fremden; Bd. 2: Grenzen der Normalisierung; Bd. 3: Sinnesschwellen; Bd. 4: Vielstimmigkeit der Rede). Frankfurt a. M. 1997ff. 226 Kragl, Die Weisheit des Fremden, S. 25f. 227 Ebenda, S. 26. 228 Ebenda, S. 43. 229 Ebenda, S. 27. 230 Vgl. Ebenda, S. 34–39; Auf den konstruktiven Realismus werde ich dabei gesondert, in Kapitel 1.2.2 Friedrich G. Wallner : »Konstruktiver Realismus«, eingehen, da mir diese Variante des Konstruktivismus im Hinblick auf meine Thematik am vielversprechendsten
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Die Grundannahme, auf der alle konstruktivistischen Theorien aufbauen ist, dass die Wirklichkeit von uns Menschen anders wahrgenommen wird, als sie tatsächlich ist – sofern man überhaupt die Existenz einer Wirklichkeit annimmt.231 Diese Überlegungen wurden seit den 1950er Jahren verstärkt von Vertretern der Kognitionsforschung, Neurophysiologie, Wahrnehmungspsychologie und Kybernetik aufgegriffen.232 Unter ›Konstruktivismus‹ ist daher ein ganzes Netz aus verschiedensten theoretischen Ansätzen zu verstehen, welche allesamt den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen entstammen.233 Gemeinsam haben diese Ansätze jedoch alle die These, dass Lebewesen als »autonome Systeme« anzusehen sind, die »obgleich sie von außen zu Operationen angeregt werden, in ihrer operationalen Struktur von dem Außen unbeeinflusst sind«.234 Der Radikale Konstruktivismus negiert »einen direkten Zugang zu einer Welt an sich«.235 Auf die Frage, wie wir dennoch – trotz dieses Fehlens eines Zugangs zu den ontologischen Gegebenheiten – über »eine relativ konstante Lebenswelt« verfügen, antwortet Ernst von Glasersfeld, dass »die Welt, die wir erleben, gerade deshalb […] relativ stabil« wirke, »weil sie von uns selber konstruiert wird«.236 Die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten des Radikalen Konstruktivismus sieht Glasersfeld daher in den folgenden beiden Annahmen: 1. »Wissen wird vom denkenden Subjekt nicht passiv aufgenommen, sondern aktiv aufgebaut.«237 2. »Die Funktion der Kognition ist adaptiv und dient der Organisation der Erfahrungswelt, nicht der Entdeckung der ontologischen Realität.«238
Damit ist der Radikale Konstruktivismus zwar als »erkenntnistheoretischer Anti-Realismus« zu begreifen, jedoch nicht als Solipsismus, denn von Glasersfeld geht davon aus, dass es zwar eine ontische Realität gibt, dass die Menschen
231 232 233 234 235 236 237 238
erscheint und ich die theoretischen Annahmen Wallners mit einigen leichten Modifikationen übernehmen möchte. Kragl, Die Weisheit des Fremden, S. 27. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 29. Schulz, Radikaler Konstruktivismus und Konstruktiver Realismus, S. 264; Schulz bezieht sich an dieser Stelle auf: Glasersfeld, Konstruktivismus statt Erkenntnistheorie, S. 21. Schulz, Radikaler Konstruktivismus und Konstruktiver Realismus, S. 264; Glasersfeld, Einführung in den radikalen Konstruktivismus, S. 26ff; Glasersfeld, Über Grenzen des Begreifens, S. 21. Schulz, Radikaler Konstruktivismus und Konstruktiver Realismus, S. 264; Schulz zitiert an dieser Stelle Glasersfeld, Radikaler Konstruktivismus. Ideen, Ergebnisse, Probleme, S. 48. Ebenda.
Der Konzept-Begriff
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sie aber niemals erreichen können.239 Fragt man sich nun, was den Radikalen Konstruktivismus überhaupt erst radikal macht, so lautet von Glasersfelds Antwort: Der radikale Konstruktivismus ist […] vor allem deswegen radikal, weil er mit der Konvention bricht und eine Erkenntnistheorie entwickelt, in der die Erkenntnis nicht mehr eine ›objektive‹, ontologische Wirklichkeit betrifft, sondern ausschließlich die Ordnung und Organisation von Erfahrungen in der Welt unseres Erlebens.240
Wie in diesem Zitat bereits anklingt, gibt es laut dem Radikalen Konstruktivismus also zwei Welten: zum einen die von den Menschen konstruierte, die als »Wirklichkeit« bezeichnet wird; zum anderen die vorausgesetzte »Welt an sich«, deren Vorhandensein zwar angenommen wird, zu der die Menschen jedoch niemals Zugang haben werden.241 Sie wird in diesem Kontext auch als »Realität« bezeichnet oder als »die Welt der objektiven Hindernisse«.242 Was die erstgenannte Welt, die »Wirklichkeit« anbelangt, so wird allerdings nicht angenommen, dass Menschen sich diese frei und ganz nach ihrem Belieben konstruieren können.243 Auch diese Konstruktionen unterliegen einem bestimmten Regelwerk, weshalb die Wirklichkeit nicht zwangsläufig immer so ausfällt, wie die Menschen sie gerne hätten.244 Allerdings würde niemals ein Mensch auf die Idee kommen, dass die Unannehmlichkeiten oder Schwierigkeiten, welche sich ihm in seiner »Wirklichkeit« entgegenstellen, von ihm selbst intentional konstruiert sind.245 Weiterhin sind die Vertreter des Radikalen Konstruktivismus davon überzeugt, dass die Annahme einer Realität notwendig sei, um Koexistenz, Gesellschaft und Zusammenarbeit mit anderen Subjekten zu ermöglichen.246 In Anbetracht dieser Annahmen des Radikalen Konstruktivismus stellt sich die Frage, was der Mensch tatsächlich wissen kann.247 Hier lautet die Antwort, dass menschliches Wissen niemals »Wissen von der Realität an sich« sein kann.248 Immer wird es reines ›Wirklichkeitswissen‹ – also konstruiertes Wissen – sein, das dazu dienen muss, mit den Hindernissen der »Realität« fertig zu werden.249 239 Schulz, Radikaler Konstruktivismus und Konstruktiver Realismus, S. 268. 240 Glasersfeld, Einführung in den Radikalen Konstruktivismus, S. 23. Zitiert nach: Schulz, Radikaler Konstruktivismus und Konstruktiver Realismus, S. 265. 241 Schulz, Radikaler Konstruktivismus und konstruktiver Realismus, S. 269. 242 Glasersfeld, Konstruktion der Wirklichkeit und des Begriffs der Objektivität, S. 19. Zitiert nach: Schulz, Radikaler Konstruktivismus und konstruktiver Realismus, S. 269. 243 Ebenda, S. 268f. 244 Ebenda. 245 Ebenda, S. 269. 246 Ebenda. 247 Vgl. Ebenda, S. 271. 248 Ebenda. 249 Ebenda.
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Würde man nun annehmen, auch »Konzepte« seien der konstruierten Welt oder – um die Terminologie Glasersfelds aufzugreifen – der »Wirklichkeit« zuzurechnen, bestünde das Problem, wie diese konstruierte Welt der mittelalterlichen Menschen erschlossen werden kann. Obwohl Glasersfeld seine Annahmen als »Wissenstheorie« bezeichnet, gibt er so gut wie keine Auskunft darüber, wie seine Theorie in der Wissenschaft Anwendung finden soll.250 Des Weiteren kritisiert Andreas Schulz an der Theorie, Glasersfeld verwende zur Bezeichnung der konstruierten Welt, also der »Wirklichkeit«, eine ganze Reihe verschiedener Termini, wobei keine genauere Differenzierung stattfinde.251 So seien die Bezeichnungen »Wirklichkeit«, »Lebenswelt«, »Erfahrungswelt« und »Erlebenswelt« in seinen Schriften scheinbar austauschbar, was Schulz’ Ansicht nach das Verständnis erschwert.252 Ein anderes Bild, was die Aspekte ›reflektierter Terminologie-Gebrauch‹ sowie ›methodologische Erläuterungen‹ anbelangt, bietet sich bei einer Betrachtung der von Friedrich G. Wallner entwickelten Thesen zum Konstruktiven Realismus.253 Wallner macht explizit deutlich, welche Bezeichnung innerhalb seiner theoretischen Annahmen für welche Wirklichkeitsebene steht.254 Darüber hinaus gibt er der Wissenschaft mit seiner Methode der ›Verfremdung‹ eine konkrete Anleitung an die Hand, wie seine Überlegungen auch praktisch als »Wissenschaftstheorie« anwendbar sind.255 Da der Wallner’sche Ansatz im Hinblick auf mein Untersuchungsvorhaben am vielversprechendsten erscheint, werde ich im Folgenden gesondert auf ihn eingehen und überlegen, wo innerhalb dieser konstruktivistischen Theorie »Konzepte« ihren Platz haben.
1.2.2 Friedrich G. Wallner: »Konstruktiver Realismus« Zunächst erscheint es wichtig, einige terminologische Inkongruenzen zwischen Radikalem Konstruktivismus und Konstruktivem Realismus zu erläutern, um Missverständnissen vorzubeugen. Das was im Rahmen der Theorien des Radikalen Konstruktivismus als »Realität« bezeichnet wird, benennt Wallner nämlich mit »Wirklichkeit« und für
250 251 252 253 254 255
Ebenda, S. 267. Ebenda, S. 279. Ebenda. Ebenda, S. 268. Vgl. dazu: Ebenda, S. 271f. Ebenda, S. 268; Kragl, Die Weisheit des Fremden, S. 34f.
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die »Wirklichkeit« des Radikalen Konstruktivismus verwendet er den Terminus »Realität«.256 Beim Konstruktiven Realismus handelt es sich um eine Wissenschaftstheorie, welche nicht mehr von »einer direkten, unmittelbaren Erkenntnis der Wirklichkeit« ausgeht.257 Im Gegensatz zu den Vertretern des Radikalen Konstruktivismus sind die Anhänger dieser Variante aber bemüht, an dem »klassischeuropäischen Erkenntnisbegriff« festzuhalten – wenn auch in veränderter Weise.258 Worin genau diese Veränderungen bestehen, sei im Folgenden kurz umrissen. Zwar gehen die Vertreter des Konstruktiven Realismus nicht mehr von der Möglichkeit einer objektiven Erkenntnis aus, wenden sich aber ebenso gegen die diametral entgegengesetzte Auffassung.259 Diese besagt, Erkenntnis sei stets Illusion, sie könne niemals erreicht werden und daher sei ein jeglicher Versuch, sie zu erlangen, zum Scheitern verurteilt.260 Anstatt sich einer dieser ›extremen‹ Positionen anzuschließen, nehmen die Vertreter des Konstruktiven Realismus vielmehr an, dass es zwar keine Begründung für Erkenntnis gibt, dass sie aber dennoch auszumachen ist und dass eine Differenzierung zwischen ihr und der Nicht-Erkenntnis, »also […] anderen Phänomenen des geistigen Lebens (von anderen Konstruktionen)«, möglich ist.261 Als die wichtigsten Merkmale des Konstruktiven Realismus formuliert Wallner die folgenden drei Aspekte:262 1. Der Konstruktive Realismus ist »weder normativ noch deskriptiv, sondern kooperativ ; die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftstheorie und beforschter Wissenschaft bzw. betroffenem Wissenschaftler ist für den Konstruktiven Realismus unverzichtbar.«263 2. Der Konstruktive Realismus wendet den von ihm vorausgesetzten Wissenschaftsbegriff auf sich selbst an.264
256 Wallner, Acht Vorlesungen über den Konstruktiven Realismus, S. 46–48; Schulz, Radikaler Konstruktivismus und Konstruktiver Realismus, S. 271. 257 Ebenda, S. 265. 258 Ebenda, S. 265f; Dieser »klassisch-europäische Erkenntnisbegriff« geht zurück auf Platon. Vgl.: Wallner, Acht Vorlesungen über den Konstruktiven Realismus, S. 73f; Dazu wie Wallner ihn im Rahmen seiner Theorien versteht, vgl. auch: Wallner, Wörterbuch des Konstruktiven Realismus, S. 14–16. 259 Schulz, Radikaler Konstruktivismus und Konstruktiver Realismus, S. 266. 260 Ebenda, S. 266; Schulz verweist an dieser Stelle auf: Pietschmann, Gespräche über den Konstruktiven Realismus, S. 40; Wallner, Die Verwandlung der Wissenschaft, S. 175f. 261 Schulz, Radikaler Konstruktivismus und konstruktiver Realismus, S. 266. 262 Wallner, Grenzziehungen zum Konstruktiven Realismus, S. 22f. Zitiert nach: Schulz, Radikaler Konstruktivismus und Konstruktiver Realismus, S. 267. 263 Ebenda. 264 Ebenda.
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3. Allgemeine Verfahren und formale Methoden sind nur sekundäre Hilfen bzw. vorläufige Ergebnisse.265
Wie anhand der ersten beiden Aspekte ersichtlich wird, versteht Wallner den Konstruktiven Realismus als eine Art »Serviceleistung an die Wissenschaft«, die darin besteht, Wissenschaftlern eine Anleitung zur »(Selbst)reflexion und Kommunikation« zu reichen.266 Dabei behalten die Unterscheidung zwischen »Realität« und »Wirklichkeit« sowie die damit verbundenen Annahmen zur Erkenntnis auch innerhalb dieses wissenschaftlichen Rahmens ihre Gültigkeit.267 Sie beziehen sich demnach nicht ausschließlich auf ›alltägliches Wissen‹. Wallner möchte mit seinem konstruktivistischen Ansatz Wissenschaftlern eine Möglichkeit aufzeigen, wie sie durch die »Konstruktion einer Mikrowelt« auf die Wirklichkeit zugreifen können.268 Unter dem Terminus »Mikrowelt« versteht er dabei eine »logisch strukturierte Datensammlung«, die »nach einem bestimmten, abstrahierbaren Schema, einer formalen Sprache, gedacht ist«.269 Konstruiert ein Wissenschaftler also eine solche Mikrowelt, so generiert er einen »Teil der Realität«, der »Aspekte der Wirklichkeit« substituiert.270 Daraus folgt, dass alle Mikrowelten zusammengenommen die »Realität« ergeben.271 Jede dieser Mikrowelten unterliegt einem spezifischen Regelwerk und kann verschiedene Funktionen erfüllen – sofern diese mit den Gesetzmäßigkeiten der Mikrowelt im Einklang sind.272 In Bezug auf diese Gesetzmäßigkeiten erklärt Wallner : Wenn wir im Anschluss an den Konstruktiven Realismus wissenschaftliche Theorien als frei erfundene Mikrowelten verstehen, so erfordern diese Mikrowelten eine Form der Einheit, welche logisch charakterisiert ist. Dabei muss allerdings die angewandte Logik durchaus nicht aristotelisch sein, sie muss aber dem ontologischen Status der Mikrowelten entsprechen. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, dass sich bestimmte Relationen im Hinblick auf eine bestimmte Datenmenge immer wieder herstellen, das heißt, inhaltlich erfüllen.273
265 266 267 268 269 270 271 272 273
Ebenda. Pellert, Der Konstruktive Realismus als Organisationstheorie, S. 83. Ebenda, S. 84. Kragl, Die Weisheit des Fremden, S. 35. Ebenda; Zu einer detaillierteren Definition des Begriffs »Mikrowelt« siehe: Wallner, Wörterbuch des Konstruktiven Realismus, S. 64–67. Schulz, Radikaler Konstruktivismus und Konstruktiver Realismus, S. 276; Wallner, Die Verwandlung der Wissenschaft, S. 207f. Kragl, Die Weisheit des Fremden, S. 35. Ebenda. Wallner, Die Multikulturalität als Bedingung des Konstruktiven Realismus, S. 142.
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Die Bedeutung dieser Mikrowelten erschließt sich laut Wallner jedoch nicht von alleine und in ihrer bloßen Existenz sei noch kein Erkenntnisgewinn zu sehen.274 Um diesen zu erzielen, sei es weiterhin notwendig, die Methode der »Verfremdung« anzuwenden, bei der die Mikrowelten »in einen anderen Kontext übersetzt« würden.275 Was Wallner damit meint, hat Florian Kragl sehr treffend auf den Punkt gebracht: »Es geht darum, die formale Sprache, also die Konstruktion der Mikrowelt, bewusst zu machen, da sie ebenso zur Einheit einer Mikrowelt rechnet wie deren Daten. Erst dann kann von einem ›Verstehen‹ die Rede sein«.276 Zuerst muss demnach der »technical level« erschlossen werden, um dann Erkenntnis über den »level of knowledge« zu gewinnen.277 Doch wie können diese theoretischen Annahmen und die Methode der »Verfremdung« nun innerhalb der vorliegenden Arbeit nutzbar gemacht werden und wie können sie zur Definition des Konzeptbegriffs beitragen? Hier gilt es zunächst zwei verschiedene Ebenen zu unterscheiden, auf die Wallners Theorie anwendbar ist. Zum einen könnte man bereits für die Menschen im Mittelalter die »Zwei-Welten-Ontologie« von »Realität« und »Wirklichkeit« annehmen. Zum anderen hat Wallners Theorie auch Auswirkungen auf das wissenschaftliche Selbstverständnis sowie auf die Zielsetzung und Methode einer Untersuchung, wenn die Wissenschaftlerin oder der Wissenschaftler davon ausgeht, niemals einen unmittelbaren Zugang zur Wirklichkeit erreichen zu können. Diese beiden Anwendungsbereiche und -ebenen seien im Folgenden näher erläutert. Die Wallner’sche »Zwei-Welten-Ontologie« bereits für das Mittelalter anzunehmen, bedeutet, davon auszugehen, dass die Verfasser der Texte niemals einen Zugang zu den ›exotischen‹ Tieren der »Wirklichkeit« hatten, sondern sich stets ihre eigenen Mikrowelten von dem jeweiligen Tier konstruierten. Diese Mikrowelten waren für sie ein Teil ihrer »Realität« und substituierten Aspekte der »Wirklichkeit«, welche per Definition nicht erreicht werden kann. Im Hinblick auf die Konzept-Definition erscheint mir der Wallner’sche Begriff der »Mikrowelt« sehr nützlich. Wie bereits angesprochen, versteht Wallner darunter Folgendes:
274 Ebenda; Kragl, Die Weisheit des Fremden, S. 35. 275 Wallner, Die Multikulturalität als Bedingung des Konstruktiven Realismus, S. 142. 276 Kragl, Die Weisheit des Fremden, S. 35; Kragl bezieht sich an dieser Stelle auf: Wallner, Acht Vorlesungen über den Konstruktiven Realismus, S. 24, 41. 277 Wallner, Constructive Realism, S. 11; Kragl, Die Weisheit des Fremden, S. 35; Folgt man Kragl und seinen Modifikationsvorschlägen der Wallner’schen Theorie, so muss an dieser Stelle angenommen werden, dass zeitgleich zur Erschließung dieses »level of knowledge« eine neue Mikrowelt entsteht – nämlich die des Wissenschaftlers.
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Eine Mikrowelt ist eine strukturierte Menge von Daten, die bestimmte Eigenschaften aufweist – Eigenschaften, wie auch die Welt Eigenschaften hat. Im Unterschied zur Welt hat diese Mikrowelt eine eingeschränkte Anzahl an Eigenschaften, deshalb nennen wir sie Mikrowelt. Mikrowelten sind künstliche Weltgebilde mit einigen wenigen Eigenschaften. Diese können beispielsweise anschaulich oder rein formal sein.278
Wirft man nun einen Blick darauf, was im Duden zu der Bedeutung des Begriffs ›Konzept‹ angegeben ist, so zeichnen sich eindeutige Parallelen ab.279 Hier wird ›Konzept‹ nämlich unter anderem als eine »aus der Wahrnehmung abstrahierte Vorstellung« verstanden.280 Weiterhin gibt der Duden auch über die Etymologie des Wortes Auskunft: der Begriff ist von dem lateinischen Wort conceptus abgeleitet, was so viel bedeutet wie »das Zusammenfassen«.281 Auch Wallners »strukturierte Menge von Daten, die bestimmte Eigenschaften aufweist« stellt ›etwas Zusammengefasstes‹ dar, nur eben dass dieses ›Zusammengefasste‹ noch näher bestimmt wird.282 Es ist »nach einem bestimmten, abstrahierbaren Schema, einer formalen Sprache, gedacht«.283 Dies könnte man auch für den Terminus ›Konzept‹ annehmen. Die Aufgabe in meiner Arbeit würde folglich darin bestehen, das zugrundeliegende »Schema« oder »die formale Sprache«, nach denen die Konzepte aufgebaut sind, herauszuarbeiten.284 Doch kann man nun auch sagen, dass Wallners Vorstellung von einer »Mikrowelt« deckungsgleich ist mit einem ›Konzept‹? Meines Erachtens nach ist das in weiten Teilen so. Allerdings erscheint es notwendig, Wallners Ausführungen um einen sehr wichtigen Aspekt zu ergänzen, nämlich die Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Konzepten. Zu denken ist hier vor allem an eine Unterscheidung zwischen Kategorien- und Partikularkonzepten.285 Auf diese Unterscheidung werde ich im Zusammenhang mit dem ›Konzept‹-Verständnis in der kognitiven Linguistik noch genauer eingehen.286 Versucht man nun, die Theorien des Konstruktiven Realismus auf der zweiten Ebene – der Ebene, die den Wissenschaftler selbst betrifft – anzuwenden, so ist auch hier zu beachten, dass kein Zugriff auf die »Wirklichkeit« stattfinden kann.287 Um Erkenntnis über die konstruierten Mikrowelten – und damit zu278 279 280 281 282 283 284 285 286 287
Wallner, Wörterbuch des Konstruktiven Realismus, S. 66. http://www.duden.de/rechtschreibung/Konzept. Zugriff am 29. 03. 2017 um 12:39 Uhr. Ebenda. Zugriff am 29. 03. 2017 um 12:40 Uhr. Ebenda. Zugriff am 29. 03. 2017 um 12:40 Uhr. Wallner, Wörterbuch des Konstruktiven Realismus, S. 66; http://www.duden.de/recht schreibung/Konzept. Zugriff am 29. 03. 2017 um 12:51 Uhr. Kragl, Die Weisheit des Fremden, S. 35. Vgl.: Ebenda. Vgl. dazu: Schwarz-Friesel/Chur, Semantik. Ein Arbeitsbuch, S. 27f. Siehe dazu Kapitel 1.2.3 der vorliegenden Arbeit. Vgl.: Schulz, Radikaler Konstruktivismus und Konstruktiver Realismus, S. 273.
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gleich über einen Teil der »Realität« der mittelalterlichen Autoren – zu gewinnen, scheint die von Wallner postulierte »Verfremdung« notwendig zu sein.288 Doch wie lässt sich solch eine Mikrowelt nun verfremden? Einen Lösungsansatz dafür sieht Wallner in der verfremdenden Interdisziplinarität, die er in seiner Monographie Acht Vorlesungen zum Konstruktiven Realismus wie folgt erklärt: Ich biete für einen Themenbereich, für den ganz bestimmte Methoden üblich sind, ein anderes Methodeninventar an, und ermutige den einzelnen Wissenschaftler, seinen Themenbereich einmal mit diesem anderen zu strukturieren, und danach zu seinen üblichen Methoden zurückzukehren, um zu sehen, ob sich in seiner Beurteilung der Methodenauswahl und Bewertung der Fragestellungen etwas geändert hat.289
Die verfremdende Interdisziplinarität möchte ich in der vorliegenden Arbeit umsetzen, indem ich zum einen eine kombinierte Methode aus Historischer Diskursanalyse und Interdiskursanalyse anwende und zum anderen linguistische, insbesondere frame-semantische Herangehensweisen mit einbeziehe. Um die formale Sprache der konstruierten, wissenschaftlichen Mikrowelt sichtbar zu machen, scheinen die sog. »Frames« – die man auch als »abbildende Wissensrahmen« bezeichnen könnte – ein geeignetes Mittel zu sein.290 Ist man gewillt, Wallner in seinen Theorien zu folgen, so erscheint es allerdings notwendig, diese in Bezug auf die Literaturwissenschaft leicht zu modifizieren, da Wallner sie zunächst mit einem Fokus auf die Naturwissenschaften entwickelt hat.291 Florian Kragl schlägt diesbezüglich vor, die »chronologische Folge«, welche Wallner für »formale Sprache, Mikrowelt und Verfremdung« vorsieht aufzugeben, da sich besonders anhand jüngerer literaturwissenschaftlicher Arbeiten gezeigt habe, dass eine Methodenreflexion stets schon vor oder während der Analyse stattgefunden habe.292 In diesem Punkt möchte ich mich Kragl anschließen, denn wie er richtig bemerkt, hat ein Literaturwissenschaftler, der sich dazu entschließt, einen bestimmten Gesichtspunkt zu untersuchen, meist bereits einen Plan bezüglich seines Vorgehens entwickelt.293 Bei Kragls zweitem Modifikationsvorschlag wird die »Starrheit« der Wallner’schen Theorie – in Bezug auf das Muster »formale Sprache – Mikrowelt – Verfremdung« – ins Blickfeld genommen.294 Hier merkt Kragl an, dass bei der Durchführung einer »Verfremdung« zugleich eine neue Mikrowelt entstünde, nämlich die des Wis288 Vgl. Wallner, Acht Vorlesungen zum Konstruktiven Realsimus, S. 27f. 289 Ebenda, S. 29. 290 Schultz-Balluff, Synergetisierung von Frame-Semantik und mediävistischer Literaturwissenschaft, S. 376. 291 Kragl, Die Weisheit des Fremden, S. 36. 292 Ebenda. 293 Ebenda, S. 36f. 294 Ebenda, S. 37.
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senschaftlers.295 Weiterhin wird erläutert, dass die »Verfremdung« einer Mikrowelt aus literaturwissenschaftlicher Sicht bereits dann gegeben sei, wenn die rhetorischen Mittel eines Textes genauer analysiert würden oder wenn beispielsweise »politische, sozialgeschichtliche, literarische, mentalitätsgeschichtliche oder kulturwissenschaftliche Fragestellungen« an die Texte herangetragen würden.296 Daraus ergebe sich, dass jede Mikrowelt bereits eine Verfremdung darstelle und jede Verfremdung zugleich die Emergenz einer neuen Mikrowelt bewirke.297 Diese beiden Modifikationen möchte ich in meiner Arbeit übernehmen und gehe daher ebenso wie Florian Kragl davon aus, dass meine Untersuchungsergebnisse, die durch Operationen der »Verfremdung« entstehen, allenfalls dazu beitragen können, eine in sich schlüssige Mikrowelt – und damit einen Teil wissenschaftlicher »Realität« – zu konstruieren.
1.2.3 Eleanor Rosch: Merkmalanalyse und Prototypentheorie Versucht man nun, sich den Konzepten anzunähern oder – um die Terminologie Wallners aufzugreifen – die formale Struktur von Mikrowelten herauszuarbeiten, so scheint es insbesondere wichtig zu sein, zu hinterfragen, wie Menschen die Dinge, die sie in ihrer Umwelt wahrnehmen, in Kategorien oder Gruppen einteilen. Diese Einteilung setzt nach Ansicht der Kognitionsforschung voraus, »dass die im Gedächtnis gespeicherten kognitiven Strukturen die äußere Welt mental repräsentieren«.298 Die »elementaren Einheiten« der strukturellen Kognition werden dabei auch als ›Konzepte‹ oder genauer gesagt als ›Kategorienkonzepte‹ bezeichnet.299
295 296 297 298 299
Ebenda. Ebenda. Ebenda. Schwarz, Einführung in die Kognitive Linguistik, S. 108. Ebenda; Schwarz-Friesel/Chur, Semantik. Ein Arbeitsbuch, S. 27. Zu diesem KonzeptVerständnis in der Kognitionsforschung sei auch verwiesen auf: Keil, F. C.: Semantik and Conceptual Development, Cambridge 1979; Sigel, I. E.: Is the Concept of the Concept Still Elusive or What Do we Know About Concept Development? In: Scholnick. Hrsg. v. E. K., 1983, S. 239–272; Snodgrass, J. G.: Concepts and their Surface Representations. Journal of Verbal Learning and Verbal Behviour 23, S. 3–11; Richardson, K./K. K. Bhavani: How a Concept is Formed. Prototype or Contingency Abstraction? The British Journal of Psychology 75, 1984, S. 507–519; Engelkamp J. / T. Pechmann: Kritische Anmerkungen zum Begriff der mentalen Repräsentation. Sprache und Kognition 7, 188, S. 1–10; Murphy, G. L.: The big book of concepts. Cambridge 2002. Allerdings wird innerhalb der kognitiven Linguistik nicht alleine von diesen Kategorien- oder Type-konzepten ausgegangen, sondern auch von Partikular- oder Tokenkonzepten. Vgl. dazu: Schwarz-Friesel/Chur, Semantik.
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Irving E. Sigel definiert den Konzept-Begriff in seinem Aufsatz Is the Concept of the Concept Still Elusive or What Do we Know About Concept Development? wie folgt: »Essentially, a concept is an organizer of instances, and therein lies its structure. Concepts provide an efficient way of organizing diversity under a single rubric«.300 Um es vereinfacht auszudrücken, handelt es sich bei Konzepten also um »mentale Organisationseinheiten«, die zur Speicherung von Weltwissen dienen.301 Diese Speicherung erfolgt nach bestimmten Prinzipien der ›Speicherplatz-Ökonomie‹ und die Konzepte gewährleisten die »Verarbeitung subjektiver Erfahrungseinheiten« durch die Kategorisierung oder Einteilung in Gruppen.302 Da die Informationsmenge, die täglich auf den Menschen einströmt, so enorm groß ist, sind besondere konzeptuelle Struktureinheiten nötig, um ein sinnvolles, zweckmäßiges Handeln und Verstehen zu gewährleisten.303 Darüber hinaus ist es für die Orientierung des Menschen unerlässlich, »dass die diffuse Reizmenge in einzelne invariante Objekte eingeteilt wird und diese wiederum in Klassen äquivalenter Teilmengen zusammengefasst werden«.304 Identität und Äquivalenz sind daher als die beiden Grundannahmen zur »Kategorisierung der Welt und des Wissens von der Welt« zu begreifen.305 Das Prinzip der Identität ermöglicht eine zeit- und raumunabhängige Wiedererkennung von Objekten »als ein und dieselbe Entität«.306 Aus diesem Grund ist es beispielsweise möglich, dass ein entlaufener Hund, der zwei Wochen lang verschwunden war und dann in einem entlegenen Waldstück wiedergefunden wird, von seinem Besitzer als eben genau dieses Haustier wiedererkannt wird.307 Die Grundannahme der Äquivalenz hingegen besteht darin, dass zwei verschiedene Objekte als zwei Entitäten eingestuft werden, wobei aber eine Subsumption beider Vertreter unter dieselbe Klasse stattfindet.308 Ein Beispiel hierfür wäre darin zu sehen, dass die Tulpe im Garten und die Rose im Park beide als Vertreter der Gegenstandsklasse ›Blume‹ erkannt werden.309 Jene kognitive Leistung – die Unterscheidung zwischen identischen und äquivalenten Objekten – verdankt der Mensch den Konzepten, welche in seinem
300 301 302 303 304 305 306 307 308 309
Ein Arbeitsbuch, S. 27; Busse, Frame-Semantik, S. 540–542. Auf die Differenzierung verschiedener Arten von Konzepten werde ich aber im Folgenden noch genauer eingehen. Sigel, Is the Concept of the Concept Still Elusive, S. 242f. Schwarz, Einführung in die Kognitive Linguistik, S. 108. Ebenda. Ebenda, S. 108f. Ebenda, S. 109. Ebenda. Ebenda; vgl. dazu auch: Murphy, The Big Book of Concepts, S. 1. Vgl.: Schwarz, Einführung in die Kognitive Linguistik, S. 109. Ebenda. Vgl.: Ebenda.
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Langzeitgedächtnis abgelegt sind.310 Dabei gilt es, zwischen zwei verschiedenen Arten von Konzepten zu unterscheiden: Zum einen existieren Kategorienkonzepte, die in der Linguistik auch ›Typekonzepte‹ genannt werden.311 Durch sie wird die Speicherung von »Informationen über ganze Klassen von Objekten« gewährleistet.312 Zum anderen verfügt der Mensch aber auch über Konzepte, die als ›Individual-‹ oder ›Tokenkonzepte‹ bezeichnet werden und deren Funktion in der Repräsentation von einzelnen Gegenständen zu sehen ist.313 Diese beiden Konzept-Arten liegen jedoch nicht vollständig getrennt voneinander vor.314 Sie sind eher als zwei Gedächtnissysteme anzusehen, zwischen denen ein permanenter Austausch stattfindet: »Allgemeines Wissen wird benutzt, um partikulares Wissen zu verstehen, partikulares Wissen wird benutzt, um allgemeines Wissen zu vervollständigen und eventuell zu modifizieren.«.315 Doch wie entstehen solche Konzepte?316 Wichtig erscheint hier insbesondere die kognitionswissenschaftliche Erkenntnis, dass ein Konzept nicht dadurch zu Stande kommt, dass man schlicht die Summe aus den Merkmalen aller Vertreter einer Klasse bildet.317 Vielmehr scheint es mentale Operationen zu geben, die eine Art ›Filterung‹ darstellen; »die von den individuellen Objektexemplaren abstrahieren und nur deren gemeinsame Merkmale extrahieren«. Monika Schwarz exemplifiziert diesen Vorgang anhand des Konzepts für ›Hund‹. Aufgrund der Kenntnis von Hunden und der Erlebnisse mit unterschiedlichen Hunden bildet sich das Hund-Konzept heraus, dessen essentielle Bestanteile Schwarz wie folgt benennt: Der Hund »IST EIN TIER, HAT VIER BEINE, HAT EINEN SCHWANZ, KANN BELLEN«. Jenes Konzept sei als ein ›Gesetz‹ zur Klassifikation eines jeden Hundes zu begreifen, denn anhand der aufgezählten Merkmale lasse sich für alle Vertreter der Klasse ›Hund‹ klären, ob es sich um Mitglieder oder Nicht-Mitglieder des Hund-Konzepts handle. Die Anzahl der Merkmale reglementiere dabei den Inhalt des Konzepts und dieser wiederum determiniere seinerseits die Anzahl der Instanzen, welche unter das betreffende Konzept subsummiert werden könnten. Die Frage, wie derlei Konzepte erworben werden, wurde in der Vergangenheit sehr kontrovers diskutiert und eine 310 311 312 313 314 315 316
Ebenda. Schwarz-Friesel/Chur, Semantik. Ein Arbeitsbuch, S. 27. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 27f. Ebenda. Siehe dazu auch: Pommerening, Tanja und Walter Bisang: Classification and Categorization through Time. In: Classification from Antiquity to Modern Times. Sources, Methods, and Theories from an interdisciplinary Perspective. Hrsg. v. Tanja Pommerening und Walter Bisang. Berlin/Boston 2017, S. 1–17. 317 Die nachfolgenden Ausführungen dieses Abschnitts entnehme ich Schwarz, Einführung in die Kognitive Linguistik, S. 109f.
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Antwort darauf kann aufgrund der derzeitigen Forschungslage nur recht vage und spekulativ ausfallen. Kognitions- und Entwicklungspsychologen sprechen sich diesbezüglich für die Existenz und das Wirken des Kompositionalitätsprinzips aus. Dieses besagt, dass sich höher entwickelte, vielschichtigere und beziehungsreichere Konzepte aus basaleren Konzepten heraus entwickeln. Die Gegenmeinung der Kognitionswissenschaft besagt, der Mensch verfüge bereits von Geburt an über alle wichtigen und entscheidenden Konzeptstrukturen. Monika Schwarz äußert diesbezüglich die sehr plausible Vermutung, dass beide Annahmen eine gewisse Gültigkeit haben könnten. Zum einen sei vorstellbar, dass fundamentale Grundlagen der Konzeptualisierung dem Menschen bereits von Geburt an gegeben seien. Zum anderen sei aber auch eine weitere Erforderlichkeit von Umwelterfahrungen denkbar, durch die eine Spezifizierung der mentalen Konzeptraster erfolge. Besonders die letztgenannte These scheint im Hinblick auf die vorliegende Arbeit sehr interessant zu sein, denn wenn die Menschen im Mittelalter innerhalb ihrer Kultur spezifische Erfahrungen gemacht haben, so könnten diese gemäß der Annahmen der Kognitionspsychologen eine weitere Spezialisierung der mentalen Konzeptraster zur Folge gehabt haben. In Bezug auf die mittelalterlichen Reisenden wäre beispielsweise vorstellbar, dass sie bereits vor Antritt ihrer Reise über basale Konzepte von ›exotischen‹ Tieren verfügten, dass aber mit den Wahrnehmungen und Beobachtungen während der Reise sowie aufgrund der Lektüre einschlägiger Literatur erst eine Spezialisierung der mentalen Repräsentation erfolgte. Doch wie sind die Inhalte der Konzepte strukturiert? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, wurden in der Linguistik immer wieder insbesondere zwei theoretische Ansätze herangezogen: Die Merkmalanalyse und die Prototypentheorie.318 Die prinzipielle Annahme, welche beiden Theorien zugrunde liegt, ist, dass wir stets, wenn wir Dinge wahrnehmen, diese in Kategorien einteilen.319 Lange Zeit ging man davon aus, dass diese Kategorisierung aufgrund von Eigenschaften erfolge, die dem jeweiligen Objekt inhärent seien, und dass diese Einteilung exakt widergebe, wie die Objekte in der Welt beschaffen seien.320 Dies sagt implizit aus, dass man annahm, mentale Repräsentationen seien ein Abbild der ›Welt an sich‹ oder dessen, was im Rahmen des Konstruktiven Realismus als »Wirklichkeit« bezeichnet wird.321 Aus diesen Annahmen zur Konzeptualisierung und Kategorisierung ergaben 318 319 320 321
Lakoff, Women, Fire, and Dangerous Things, S. 5. Ebenda. Schwarz-Friesel/Chur, Semantik. Ein Arbeitsbuch, S. 44f. Vgl. Wallner, Wörterbuch des Konstruktiven Realismus, S. 118–125.
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sich in der Zeitspanne von Aristoteles’ Lebzeiten bis hin zum Spätwerk Wittgensteins keine Schwierigkeiten, denn man war überzeugt davon, dass Dinge – sofern sie besondere Eigenschaften teilten – dieselbe Kategorienzugehörigkeit hätten.322 Jene gemeinsamen Eigenschaften dienten wiederum dazu, eine Definition der Kategorie zu entwickeln.323 All diese Überlegungen wurden in früherer Zeit aber weniger als tatsächliche »Theorie« wahrgenommen.324 In seiner 1987 erschienenen Monographie Women, Fire, and Dangerous Things. What Categories Reveal about the Mind erläutert George Lakoff, dass sich dies in der jüngsten Vergangenheit geändert habe und dass das Thema »Kategorisierung« nun mehr ins Zentrum des Interesses verschiedenster wissenschaftlicher Disziplinen gerückt sei.325 Die beschriebene Annahme – nämlich dass notwendige und hinreichende Merkmale der Objekte die entsprechende Kategorie bestimmen – wurde fortan unter dem Namen Merkmalanalyse326 geführt und im Englischen als classical theory of categories327 oder classical model of conceptual categories328 bezeichnet. Eine Problematik, die die Merkmalanalyse aufweist, ist darin zu sehen, dass der Definition des Kategorien-Begriffs ein Zirkelschluss zugrunde liegt: nur wenn es möglich ist, die notwendigen Objektmerkmale der Mitglieder einer Kategorie zu benennen, kann man sagen, was die Kategorie ausmacht und die Kategorie scheint vorzugeben, welche notwendigen Eigenschaften ihre Mitglieder mitbringen müssen.329 Aber wie kann man beispielsweise das ›Apfelige‹ eines Apfels bestimmen?330 Und ist es möglich, die Bedeutung von ›Mann‹ auf eine andere Art und Weise zu beschreiben als [+MÄNNLICH]?331 Diese schwierigen Fragen sind jedoch nicht die einzige Problematik, mit der die Merkmalanalyse behaftet zu sein scheint.332 Ein weiterer Kritikpunkt ergibt 322 Lakoff, Women, Fire, and Dangerous Things, S. 6; Lakoff schreibt an dieser Stelle: »From the time of Aristotle to the later work of Wittgenstein, categories were thought be well understood and unproblematic. They were assumed to be abstract containers, with things either inside or outside the category«. Vgl. dazu auch: Murphy, The Big Book of Concepts, S. 1f. 323 Lakoff, Women, Fire, and Dangerous Things, S. 6. 324 Ebenda. 325 Ebenda, S. 7. 326 Schwarz-Friesel/Chur, Semantik. Ein Arbeitsbuch, S. 46. 327 Lakoff, Women, Fire, and Dangerous Things, S. 8. 328 Croft/Cruse, Cognitive Linguistics, S. 76. 329 Vgl.: Croft/Cruse, Cognitive Linguistics, S. 76; Lakoff, Women, Fire and Dangerous Things, S. 6. Lakoff beschreibt dieses Phänomen wie folgt: »Things were assumed to be in the same category if and only if they had certain properties in common. And the properties they had in common were taken as defining the category«. 330 Linke/Nussbaumer/Portmann, Studienbuch Linguistik, S. 175. 331 Ebenda. 332 Ebenda; Vgl. dazu auch: Schwarz-Friesel/Chur, Semantik. Ein Arbeitsbuch, S. 41–49.
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sich daraus, dass Merkmale – in der historischen Semantik wird meist der spezifischere Terminus ›semantische Merkmale‹ verwendet – binär angelegt sind.333 Das bedeutet, man kann ihr Vorhandensein entweder nur bejahen oder verneinen.334 In Bezug auf Konzepte erscheint dieser Gesichtspunkt sehr problematisch, denn »Konzepte zeigen keine eindeutigen oder festen Strukturen, sie sind geprägt von Vagheit und Variabilität; Übergänge können fließend sein und die Hierarchisierung von Kategorien erfolgt je nach Blickrichtung unterschiedlich«.335 Besonders deutlich werden jene ›fließenden Übergänge‹ in der Alltagssprache, wenn sog. Heckenausdrücke – im Englischen als hedges bezeichnet – angewandt werden.336 Heckenausdrücke lassen erkennen, dass sich die jeweilige Sprecherin oder der Sprecher bei der Benennung verschiedener Dinge unsicher ist und sich deshalb nicht zu 100 % festlegen möchte.337 Als Beispiele hierfür können etwa Aussagen wie »Das hat eine rötliche Farbe. Das ist eigentlich ein Vogel. Das ist eine Art Werkzeug. Das hat irgendwie einen scheppernden Klang« angesehen werden.338 Diesen Aspekten der Vagheit und Variabilität versuchte man im Rahmen der Prototypentheorie Rechnung zu tragen.339 Allerdings sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass es so etwas wie die eine Prototypentheorie nicht gibt.340 Vielmehr ist im Laufe der letzten vierzig Jahre ein sehr umfangreiches Konglomerat an theoretischen Ansätzen entstanden, welche die Idee von der Existenz einer Prototypikalität aufgreifen und sie auf verschiedenste Weise weiterdenken.341 333 Ebenda, S. 42. 334 Ebenda. 335 Schultz-Balluff, Synergetisierung von Frame-Semantik und mediävistischer Literaturwissenschaft, S. 382; Schulz-Baluff bezieht sich an dieser Stelle auf die Ausführungen Monika Schwarz’ zur Vagheit von Konzepten. Vgl.: Schwarz, Einführung in die Kognitive Linguistik, S. 110. 336 Linke/Nussbaumer/Portmann, Studienbuch Linguistik, S. 175. 337 Ebenda. 338 Ebenda. Ich übernehme an dieser Stelle die Kursivierungen von Linke/Nussbaumer/ Portmann. 339 Zu den bekanntesten linguistischen Versuchen im Hinblick auf die beschriebenen Aspekte der Vagheit, Variabilität und Typikalität zählt William Labovs Tassen-Experiment. Vgl. dazu: Schwarz, Einführung in die Kognitive Linguistik, S. 111f. Labov konfrontierte die Probanden seines Experiments mit verschiedensten Trinkgefäßen, die alle mehr oder weniger der Vorstellung von einer Tasse entsprachen. Es zeigte sich, dass die Probanden Gefäße mit Henkel, in einem Höhe-zu-Breite-Verhältnis von 1:1, aus denen man trinken konnte, eher als ›Tasse‹ bezeichneten als solche, die all diese Merkmale nicht aufwiesen. Daher ist anzunehmen, dass die prototypische Tasse auf diese Weise beschaffen sein muss. Vgl. dazu auch: Schwarz-Friesel/Chur, Semantik. Ein Arbeitsbuch, S. 52f.; Schmid, Zum kognitiven Kern der Prototypentheorie, S. 10; Taylor, Linguistic categorization, S. 40. 340 Schmid, Methodik der Prototypentheorie, S. 33. 341 Ebenda.
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Die weitreichendsten Veränderungen, auf die ich im Folgenden eingehen werde, sind dabei vor allem den Arbeiten Eleanor Roschs zu verdanken.342 Darüber hinaus erscheinen mir die Überlegungen Hans-Jörg Schmids und George Lakoffs – im Hinblick auf die Anwendung der Prototypentheorie innerhalb meiner Arbeit – sehr vielversprechend.343 Der Gedanke, der Rosch zu Beginn ihrer Arbeit beschäftigte, war, dass man – sofern man von den Prinzipien der Merkmalanalyse ausginge – auch annehmen müsse, dass alle Mitglieder einer Kategorie gleich seien und keines eine Sonderrolle einnehme.344 Durch verschiedene Experimente mit Farb-Kategorien fand die Linguistin jedoch heraus, dass sich innerhalb der Kategorien auch Asymmetrien unter den einzelnen Mitgliedern aufweisen ließen.345 Am deutlichsten wird dieses Phänomen anhand des viel zitierten Beispiels zur Kategorie ›Vogel‹, das Rosch innerhalb ihrer empirischen Studien herausarbeitete.346 Im Rahmen von Befragungen stellte sich heraus, dass für die meisten Probanden das Rotkehlchen und der Spatz typischere Vertreter der Kategorie ›Vogel‹ darstellten als der Fasan oder die Eule.347 Als noch ›untypischer‹ wurden der Strauß, die Ente und der Pinguin eingestuft.348 Dies brachte Rosch zu der Überzeugung, dass die Mitgliedschaft in einer Kategorie graduell gestaffelt sein kann, mit ›besseren‹ und ›schlechteren‹ Vertretern.349 Jene graduelle Staffelung, also die Strukturierung der Kategorie, begriff Rosch folglich als ein Element des Konzepts für ›Vogel‹350 und vermutete in der zweiten Phase ihrer Forschungen (Anfang bis Mitte der 1970er Jahre), dass die goodness-of-example ratings ihrer Probanden möglicherweise einen direkten Aufschluss über die »interne Struktur der Kategorie innerhalb der mentalen Repräsentation« zuließen.351 Demnach könnte die Kategorie ›Vogel‹ innerhalb der mentalen Repräsentation wie in Abb. 3 strukturiert sein. 342 Lakoff, Women, Fire, and Dangerous Things, S. 7; Croft/Cruse: Cognitive Linguistics, S. 77. 343 Schmid, Zum kognitiven Kern der Prototypentheorie; Ders., Methodik der Prototypentheorie; Lakoff, Women, Fire, and Dangerous Things. 344 Lakoff, Women, Fire, and Dangerous Things, S. 40. 345 Ebenda; Rosch knüpfte hier an die Berlin-Kay-Forschung zu den sog. focal colors an. Vgl. dazu: Ebenda, S. 26–38. 346 Ebenda, S. 44f.; Vgl.: Linke/Nussbaumer/Portmann, Studienbuch Linguistik, S. 176. 347 Ebenda; Tafreschi, Zur Benennung und Kategorisierung alltäglicher Gegenstände, S. 18. 348 Linke/Nussbaumer/Portmann, Studienbuch Linguistik, S. 176; Lakoff, Women, Fire and Dangerous Things, S. 44. 349 Ebenda, S. 45; Im Englischen wird hierfür der Terminus des goodness-of-example-ratings verwendet; Tafreschi, Zur Benennung und Kategorisierung alltäglicher Gegenstände, S. 18. 350 Lakoff, Women, Fire, and Dangerous Things, S. 45. 351 Ebenda, S. 43. Das hier angeführte direkte Zitat habe ich aus dem Englischen übersetzt. Lakoff schreibt an dieser Stelle: »the goodness-of-example ratings might directly reflect the
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Abb. 3: Das Rotkehlchen als der prototypische Vogel.352
Der beste – weil typischste – Vertreter einer Kategorie wird als ›Prototyp‹ bezeichnet.353 Um ihn herum sind all die Vertreter angeordnet, die als ›weniger typisch‹ wahrgenommen werden.354 Wichtig – auch im Hinblick auf die Fragestellung nach prototypischen ›exotischen‹ Tieren in mittelalterlichen Texten – erscheint die Feststellung, dass Typikalität und Prototypikalität sowohl kulturspezifisch als auch kontextabhängig sind.355 Jene im Vorangegangenen beschriebenen Annahmen – die wohl die zentralen Aussagen der Prototypentheorie darstellen – fasst Hans-Jörg Schmid in seinem Aufsatz Methodik der Prototypentheorie folgendermaßen sehr prägnant zusammen:
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internal structure oft he category in mental representation«. Von diesem Gedanken distanzierte sich Rosch allerdings in der dritten Phase ihrer Forschungen. Vgl.: Ebenda, S. 43. Bildquelle: Aitchison, Words in the mind. An introduction to the mental lexicon. S. 54. Schwarz-Friesel/Chur, Semantik. Ein Arbeitsbuch, S. 54. Vgl.: Ebenda. Schmid, Methodik der Prototypentheorie, S. 35; So liegt beispielsweise die Vermutung nahe, dass das Konzept für VOGEL eines Menschen im Mittelalter insbesondere den Falken als sehr prominenten Vertreter beinhaltete, während im Ägypten der Pharaonenzeit höchstwahrscheinlich die Ente der prototypische Vogel war. Vgl. dazu: Goldwasser, A Comparison between Classifier Languages and Classifier Script, S. 23.
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1. Prototypikalität: Kognitive Kategorien enthalten Mitglieder oder Gruppen von Mitgliedern, denen der Status von Prototypen zugeschrieben wird. Obwohl darüber, was diesen Status ausmacht, keine Einigkeit herrscht, können Prototypen vortheoretisch als besonders typische, gute und hervorstechende Vertreter einer Kategorie aufgefasst werden. 2. Typikalität: Die Mitglieder kognitiver Kategorien lassen eine graduelle Abstufung im Hinblick darauf zu, wie typisch und repräsentativ sie für die jeweiligen Kategorien sind. Die Typikalitätsskala reicht von den Prototypen über gute, weniger gute und schlechte Vertreter zu peripheren oder sogar fraglichen Mitgliedern. 3. Unschärfe: Die Grenzen von Kategorien sind nicht klar und eindeutig, sondern unscharf. Zwischen ähnlichen, ›benachbarten‹ Kategorien existieren fließende Übergänge.356
Neben diesen wichtigen Aspekten entwickelte Eleanor Rosch noch einen weiteren theoretischen Ansatz, nämlich den der Basisebene.357 Gegenstand dieser Theorie sind die Relationen zwischen differenten Konzepten, die ein unterschiedliches Maß an Abstraktion aufweisen.358 Ein Beispiel hierfür stellen etwa die Konzepte für TIER, VOGEL und MEISE dar, welche unterschiedlich spezifisch sind.359 Die Frage, die sich aus der Existenz dieser Ebenen ergibt, ist, welches Maß an Abstraktion das menschliche Gehirn bei der Organisation des Weltwissens erkennen lässt.360 Gemäß Rosch lässt sich zwischen den genannten Kategorienkonzepten eine prominente Ebene ausmachen, der eine besondere Rolle zukommt, nämlich die der Basisebene.361 Bezogen auf das oben angeführte Beispiel wäre das Kategorienkonzept VOGEL als eine solche Basisebene anzusehen, denn die Basisebene liegt laut Rosch stets »in der Mitte der taxonomischen Hierarchien«.362 Doch wie lässt sich diese Basisebene bestimmen?
356 Schmid, Methodik der Prototypentheorie, S. 33. Ich übernehme in diesem Zitat die Kursivierungen Hans-Jörg Schmids. 357 Rosch, Basic objects in natural categories, S. 382–439; Tafreschi, Zur Benennung und Kategorisierung alltäglicher Gegenstände, S. 21–28; Croft/Cruse, Cognitive Linguistics, S. 83–87. 358 Tafreschi, Zur Benennung und Kategorisierung alltäglicher Gegenstände, S. 21. 359 Ebenda. 360 Ebenda. 361 Lakoff, Women, Fire and Dangerous Things, S. 46–48; Linke/Nussbaumer/Portmann sprechen in diesem Zusammenhang – im Anschluss an Hoffmann – auch von »Primärbegriffen«. Vgl. dazu: Linke/Nussbaumer/Portmann, Studienbuch Linguistik, S. 395– 398; Hoffmann, Die Welt der Begriffe, S. 72. 362 Lakoff, Women, Fire and Dangerous Things, S. 46; vgl. dazu auch: Linke/Nussbaumer/ Portmann, Studienbuch Linguistik, S. 396.
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Laut Rosch zeichnet sie sich insbesondere durch die folgenden Eigenschaften aus:363 – Sie ist die höchste Ebene, auf der die Vertreter einer Kategorie ähnlich wahrgenommene, übergreifende Formen aufweisen. – die höchste Ebene, auf der ein einziges mentales Bild eine ganze Kategorie widerspiegeln kann. – die höchste Ebene, auf der ein Mensch gleichartige motorische Bewegungen ausführt, um mit einem Kategorienmitglied zu interagieren. – die Ebene, auf der Kategorienmitglieder am schnellsten als solche identifiziert werden können. – die Ebene mit den am häufigsten verwendeten und verbreitetsten Bezeichnungen für Kategorienmitglieder. – die Ebene, die von Kindern zuerst benannt und verstanden wird. – die Ebene, die zuerst in das Lexikon einer Sprache Einzug hält. – die Ebene, auf der die ersten Lexeme eines Lexemverbands am kürzesten sind. – die Ebene, auf der Begriffe in einem neutralen Kontext verwendet werden. Der Satz Ein Hund ist auf der Veranda kann beispielsweise in einem neutralen Kontext verwendet werden, während die Sätze Ein Säugetier ist auf der Veranda oder Ein Foxterrier ist auf der Veranda eines speziellen Kontexts bedürfen. – die Ebene, auf welcher der größte Teil unseres Wissens organisiert ist.
Die Frage, die sich aus diesen Ausführungen ergibt, ist, warum die Organisation beinahe unseres gesamten Wissens auf dieser einen Ebene stattfinden soll und warum menschliches Wissen nicht auch auf anderen Ebenen strukturiert verwaltet werden kann.364 Die Antwort darauf liegt höchstwahrscheinlich in einer kognitiven Ökonomie begründet, denn mit den Begriffen, die auf der Basisebene gespeichert sind, verfügt der Mensch über »kognitiv besonders sparsame (d. h. schnelle) und effiziente Mittel der Objektbenennung«.365 Der Aspekt des Abstraktionsgrades gibt damit die vertikale Dimension einer Kategorie vor, während die einzelnen Mitglieder der Kategorie in ihrer Relation zueinander innerhalb der horizontalen Kategorie zu denken sind.366 Etwas anschaulicher wird diese These auch anhand der folgenden Tabelle, in der Angelika Linke et al. in ihrem Studienbuch Linguistik neben dem Vogel-Exempel noch weitere Beispiele anführen:367
363 Den nachfolgenden Merkmalkatalog zur Basisebene entnehme ich Lakoff, Women, Fire and Dangerous Things, S. 46 und übersetze ihn möglichst textnah ins Deutsche. 364 Lakoff, Women, Fire and Dangerous Things, S. 47. 365 Linke/Nussbaumer/Portmann, Studienbuch Linguistik, S. 397f. 366 Schwarz, Einführung in die Kognitive Linguistik, S. 112f. 367 Linke/Nussbaumer/Portmann, Studienbuch Linguistik, S. 396.
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Pflanze BAUM Eiche
Tier VOGEL Meise
Fahrzeug AUTO Jeep
Pflanze PILZ Steinpilz
Waffe
Frucht
REVOLVER
BANANE
Auffällig ist hier, dass die Kategorien ›Waffe‹ und ›Frucht‹ jeweils nur zwei verschiedene Ebenen aufweisen. An dieser Stelle muss bedacht werden, dass Primärbegriffe – die auf der Basisebene angesiedelt sind und in dieser Tabelle in kapitalen Lettern stehen – stets »die relativ umfangreichsten Objektmengen durch die relativ kleinste Menge anschaulicher Merkmale, vor allem durch gemeinsame Formeigenschaften« auf den Punkt bringen.368 Greift man nun die Kategorie ›Waffe‹ heraus, so fallen darunter Objekte verschiedenster Form: Messer, Säbel, Speer, Morgenstern, Knüppel, Maschinengewehr etc.. Es stellt sich demnach kognitiv kein Bild ein, das die Umrisse oder die äußere Form all dieser Waffen verkörpern würde.369 Auf der Basisebene, auf der der Primärbegriff REVOLVER angesiedelt ist, gestaltet sich dies anders: auch Revolver unterscheiden sich beispielsweise in ihrer Marke, dem Kaliber oder der Visierung; jedoch weisen alle Kategorienmitglieder auf dieser Ebene derart viele gemeinsame Merkmale auf, dass ein mentales Bild entsteht, sodass jeder Mensch zumindest schemenhaft einen Revolver zeichnen könnte.370 Dies bedeutet für die Ebene der Primärbegriffe, dass alle weiter oben angesiedelten Begriffe abstrakt – und daher kategorial determiniert – sind.371 Die Subsumtion eines Objekts unter diejenigen Begriffe, die in der Hierarchie weiter unten stehen, kann hingegen lediglich »durch den Vergleich der kategorialen Merkmale erfolgen«.372 Die von Rosch entwickelte Annahme von der Existenz einer Basisebene erscheint für die Thematik der vorliegenden Arbeit insbesondere im Hinblick auf die Benennung der Tiere interessant zu sein, da diese Basisebene im Mittelalter bei einigen Tieren eine andere gewesen sein könnte. Ein Beispiel dafür könnte man in der Benennung verschiedener Raubkatzen sehen, da Tiger oder Panther häufig noch mit dem Klassifizierer –thyer versehen werden, sodass ihre Bezeichnungen thygerthyer und pantherthyer lauten.373 Dies könnte daher rühren, dass TIGER und PANTHER für den Verfasser der Texte auf der Basisebene 368 369 370 371 372 373
Ebenda, S. 397; Linke et al. zitieren an dieser Stelle Hoffmann, Die Welt der Begriffe, S. 73. Vgl. Schmid, Methodik der Prototypentheorie, S. 39. Vgl. Ebenda. Linke / Nussbaumer / Portmann, Studienbuch Linguistik, S. 398. Ebenda. Die Schreibweisen des tigerthyers können dabei variieren. Vgl. beispielsweise Konrad von Megenberg, Das Buch der Natur, 3, 66: Von dem tyger tyer ; Das gleiche Benennungsprinzip aber eine andere Schreibweise zeigt sich in Johann Hartliebs Alexander Z. 5895–5897. Dort wird erklärt, dass die thygerthyer scharfe Klauen haben und damit den Rittern ihre Gewänder und ihre Brustpanzerung herunterreißen. Ab Z. 5899f. wird daraufhin ein erbitterter Kampf zwischen Alexanders Männern und den pantherthyren geschildert.
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angesiedelt waren. Dieser musste jedoch befürchten, dass sein Rezipientenkreis jene Bezeichnungen möglicherweise nicht kennen würde. Um Missverständnisse zu vermeiden, bildete er sicherheitshalber ein Kompositum aus Tiger und der Bezeichnung auf der nächst höheren Abstraktionsstufe, nämlich dem -thyer. Hier könnte man beispielsweise annehmen, dass sich die mittelalterliche Klassifizierung insofern von derjenigen der Moderne unterscheidet, als dass wir heute vermutlich noch eine Zwischenebene zur Klassifizierung heranziehen würden, nämlich die der Raubkatze. Im Hinblick auf die Anwendung von Roschs Theorien in der vorliegenden Arbeit erscheint es wichtig, auch über die Kritik, die an ihren Ansätzen geäußert wurde, nachzudenken. Insbesondere während ihrer dritten Schaffensphase, in den späten 1970er Jahren, übte Rosch selbst weitreichende Kritik an ihren eigenen Theorien zur Prototypikalität und verwarf diese schließlich.374 Die Argumentation, die sie anführte, lautete, die von ihr postulierte und experimentell erprobte Prototypikalität bilde die Komplexität mentaler Repräsentationen nicht in ausreichendem Maße ab.375 Ihre früheren Annahmen seien daher als eine »stark verengte Sichtweise« auf die »informationsverarbeitende Psychologie« zu werten.376 Effekte von Prototypikalität – wie sie anhand des Vogelbeispiels erkennbar wurden – seien eine Möglichkeit, wie mentale Repräsentationen strukturiert sein könnten, wie sie jedoch nicht strukturiert sein müssten.377 Eine »1:1-Entsprechung zwischen den Effekten und den mentalen Repräsentationen« sei daher nicht anzunehmen.378 Sicherlich hätten diese Effekte auch irgendwo einen Ursprung; die Möglichkeit der Bestimmung jenes Ausgangspunktes sei jedoch nicht gegeben.379 Meiner Ansicht nach geht Rosch an dieser Stelle etwas zu hart mit ihrer eigenen Theorie ins Gericht. Sicherlich macht die Annahme der Existenz von Prototypikalität nicht in allen Kontexten und völlig uneingeschränkt Sinn.380 So zeigt Hans-Jörg Schmid in seinem Aufsatz Zum kognitiven Kern der Prototypentheorie etwa, dass die Prototypentheorie gegenwärtig in der Linguistik zwar zur Analyse der unterschiedlichsten phonologischen, morphologischen und 374 Lakoff, Women, Fire and Dangerous Things, S. 43. 375 Ebenda. 376 Ebenda. Das direkte Zitat an dieser Stelle ist eine etwas freie Übersetzung aus dem Englischen. Lakoff schreibt hier – Roschs Argumentation referierend: Such interpretations were artifacts of an overly narrow view of information-processing psychology. 377 Ebenda. 378 Ebenda. Lakoff schreibt hier : The effects constrained the possibilities for what representations might be, but there was no one-to-one correspondence between the effects and mental represantations. 379 Ebenda; Lakoff schreibt an dieser Stelle: The effects had »sources«, but one could not determine the sources given the effects. 380 Vgl. dazu: Schmid, Zum kognitiven Kern der Prototypentheorie, S. 23.
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syntaktischen Phänomene herangezogen wird, dass es innerhalb jener Untersuchungskontexte aber sinnvoller wäre, von einer ›Typikalität‹ zu sprechen.381 Dabei definiert er jene Typikalität – in Abgrenzung zur Prototypikalität – wie folgt: Das allgemeinere Prinzip der Typikalität dagegen spiegelt lediglich die Erkenntnis wider, dass die Mitglieder kognitiver Kategorien im Hinblick auf ihre Repräsentativität für die Kategorie gradierbar sind. Es erklärt, dass trotz der Diversität der Mitglieder ein gewisses Maß an Kohärenz innerhalb der Kategorie besteht. […] Typikalität trägt dazu bei, dass auch verschieden- und neuartige Phänomene in kognitive Kategorien eingeordnet werden können. Sie gewährleistet die Flexibilität von Kategorien und ermöglicht, dass mit einem geringen kognitiven Aufwand ein hohes Maß an Informationen verarbeitet werden kann.382
Schmid hält also prinzipiell daran fest, dass Prototypen »maßgeblich an der kognitiven Verarbeitung von Kategorien beteiligt« seien.383 Allerdings sei diese Annahme im Hinblick auf bestimmte Kategorien – wie etwa metasprachliche oder abstrakte – nicht sinnvoll, da »für sie keine auf kognitiven Prinzipien beruhenden Prototypen« auszumachen seien.384 Für sie könne aber dennoch das Prinzip der Typikalität angenommen werden.385 Als aufschlussreich und anwendbar erachtet Schmid die Prototypen-Theorie hingegen im Hinblick auf die Bereiche der »Farben, Formen und Geschmacksempfindungen«, da der Mensch allem Anschein nach über spezifische Rezeptoren verfüge, welche eine physiologische Präferenz dieser Bereiche zur Folge habe.386 Darüber hinaus sei die Prototypen-Theorie – unter der Prämisse des basic level, also der Basisebene – auch für »Kategorien von Lebewesen und Gegenständen auf einer mittleren Ebene der Inklusivität« anzunehmen.387 Ähnliche Bemühungen, Roschs Prototypentheorie zu rehabilitieren, gingen von George Lakoff aus.388 Lakoff verwirft allerdings den Gedanken, Prototypen könnten einen direkten Einfluss auf die kognitive Verarbeitung von Kategorien haben und plädiert stattdessen dafür, Prototypeneffekte als ›Nebenprodukte‹ 381 Ebenda, S. 25. 382 Ebenda, S. 11f; Schmid verweist an dieser Stelle auch auf Rosch, Human categorization, S. 37; Geeraerts, Where does prototypicality come from?, S. 223. 383 Schmid, Zum kognitiven Kern der Prototypentheorie, S. 23. 384 Ebenda. 385 Ebenda, S. 25. 386 Ebenda, S. 23. 387 Ebenda; Schmid verweist an dieser Stelle auch auf Rosch et al., Basic objects in natural categories; Lakoff, Women, Fire and Dangerous Things, S. 46; Schmid, Basic level categories as basic cognitive and linguistic building blocks; Ungerer/Schmid, An Introduction to Cognitive Linguistics, S. 60–113. 388 Schmid, Zum kognitiven Kern der Prototypentheorie, S. 16; Lakoff, Women, Fire and Dangerous Things, S. 40–67.
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einer Organisationsstruktur in idealized cognitive models (ICMs) zu begreifen.389 Als solche stellten sie eine Art ›Sonderform‹ der hierarchisch strukturierten Typikalität dar, auf deren Lakoffs Augenmerk im Besonderen liegt.390 Die idealisierten kognitiven Modelle bilden dabei den »Hintergrund«, vor dem die kognitive Leistung der Kategorisierung vollbracht wird.391 Trotz der angesprochenen Kritik an den Rosch’schen Theorien möchte ich die Annahmen zur Prototypentheorie und zur Basisebene – in modifizierter Form – in meiner Arbeit aufgreifen. Sehr überzeugend erscheint mir die Argumentation Schmids, dass Prototypen eine wichtige Rolle bei der kognitiven Verarbeitung von Kategorien zukommt. Darüber hinaus halte ich es ebenso für notwendig, zwischen Prototypikalität und Typikalität zu unterscheiden und eine Anwendbarkeit der Prototypentheorie auf abstrakte und metasprachliche Aspekte zu verneinen. Diese beiden Überlegungen Schmids werde ich daher der nachfolgenden Analyse zugrunde legen.
1.2.4 Dietrich Busse: Der Konzept-Begriff der Frame-Semantik Nachdem im Vorangegangenen einige theoretische Ansätze vorgestellt wurden, die sich mit der Emergenz sowie mit der Strukturierung und Organisation von Konzepten beschäftigen, wird im Folgenden eine Möglichkeit aufgezeigt, wie man jene Konzepte in Form von Frames einer detaillierten Analyse unterziehen und sie graphisch darstellen kann. Dazu werde ich zunächst kurz auf die verschiedenen Positionen der framesemantischen Forschung eingehen und erläutern, wie ich den ›Frame‹-Begriff innerhalb meiner Arbeit verstehe. Daraufhin wird anhand von Simone SchultzBalluffs Aufsatz Synergetisierung von Frame-Semantik und mediävistischer Literaturwissenschaft – Theoretische und methodische Überlegungen am Beispiel von Treue-Konzeptionen in mittelhochdeutschen Texten eruiert, wie Frames bisher in der mediävistischen Literaturwissenschaft zum Einsatz kamen und inwiefern diese Herangehensweisen auch im Hinblick auf die vorliegende Arbeit von Sinn getragen sind. Auch wenn man zum heutigen Zeitpunkt – aufgrund der neurobiologischen Forschungslage – nur Vermutungen darüber anstellen kann, wie die Speicherung von Konzepten im menschlichen Gedächtnis genau funktioniert, erscheint 389 Ebenda, S. 68. Lakoff schreibt an dieser Stelle: The main thesis of this book is that we organize our knowledge by means of structures called idealized cognitive models, or ICMs, and that category structures and prototype effects are by-products of that organization. 390 Ebenda; vgl.: Schmid, Zum kognitiven Kern der Prototypensemantik, S. 16. 391 Schmid, Zum kognitiven Kern der Prototypensemantik, S. 16.
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es doch sehr wahrscheinlich, dass dies innerhalb »größerer Einheiten« geschieht.392 Diesbezüglich schreibt Hans-Jörg Schmid: Egal wie man sich die Art der Speicherung von Konzepten oder kognitiven Kategorien im Detail vorstellt, ob als analoges mentales Bild, als Gruppe von Merkmalen, als abstrakte Proposition oder als Gruppe feuernder Neuronen, es besteht weitgehende Einhelligkeit unter den Forschern verschiedener kognitiver Wissenschaften darüber, dass kognitive Kategorien nicht in Isolation, sondern im Rahmen größerer Einheiten wie kognitiver Domänen oder Modelle, ICMs, frames, Scripts, Schemas, scenarios o. a. gespeichert und aktiviert werden.393
Die Frame-Analyse stellt demnach nur eine von zahlreichen verschiedenen Möglichkeiten dar, um das in größeren Einheiten gespeicherte Wissen abzubilden. Dabei ist sie – ebenso wie die anderen genannten theoretischen Ansätze – nicht unumstritten.394 Immer wieder wurde die Kritik geäußert, es existiere keine zufriedenstellende Definition des Frame-Begriffs und ebenso wenig könne man auf eine Frame-Theorie zurückgreifen. Dietrich Busse erachtet diese Kritik insbesondere für die frame-semantischen Ansätze seit den 1990er Jahren für unzutreffend und erläutert, die Voraussetzungen für eine umfangreiche FrameTheorie seien bereits gegeben. Nunmehr sei es lediglich notwendig, diese »mit einigen zusätzlichen Reflexionen und begrifflichen Klärungen in systematischer Weise« zu verbinden. Von immenser Wichtigkeit ist in diesem Zusammenhang die Bemerkung des Linguisten, dass die Lösung für das Problem der »Differenzen zwischen scheinbar unterschiedlichen Frame-Konzeptionen« in der »Klärung verschiedener Ebenen und Aspekte des ›Frame‹-Phänomens« liege.395 Busses Anliegen ist es, ein Arbeits-Modell zu formulieren, welches die zentralen Forschungsaspekte und Fragestellungen berücksichtigt, die in der Frame-Forschung der letzten vier Jahrzehnte von Bedeutung waren. Dazu sei es insbesondere wichtig, die folgenden Aspekte in die Überlegung mit einzubeziehen: die innere Struktur und die Komponenten von Frames; die wichtigsten Eigenschaften und Merkmale von Frames und ihrer Komponenten; die Struktur von Frame-Systemen und die Typen von Relationen innerhalb und zwischen Frames und Frame-Elementen; die Frage der Aktivierung von Frames und der Rolle sprachlicher Zeichen und Zei392 Schmid, Zum kognitiven Kern der Prototypentheorie, S. 20. 393 Ebenda; ich übernehme innerhalb dieses Zitats den von Schmid verwendeten Fett-Druck und die Kursivierungen. Schmid verweist an dieser Stelle auf Beaugrande/Dressler, Einführung in die Textlinguistik, S. 94f; Ungerer/Schmid, An Introduction to Cognitive Linguistics, S. 45, S. 205f. 394 Die nachfolgenden Ausführungen dieses Abschnitts entnehme ich Busse, Frame-Semantik, S. 533. 395 Diese unterschiedlichen Frame-Konzeptionen sind zum einen in sprachlichen und zum anderen in kognitiven Frames zu sehen. Auf diese Unterscheidung – die auch SchultzBalluff im Rahmen ihrer Untersuchung der Treue-Konzeptionen vornimmt – werde ich im Folgenden noch detaillierter eingehen.
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chenketten dabei; Überlegungen zu einer Typologie von Frames und Frame-Ebenen; sowie Aspekte der praktischen Frame-Darstellung in linguistisch-semantischen Untersuchungen unterschiedlichster Zielsetzung.396
Um zu verstehen, wie es überhaupt erst zu der oben angeführten Kritik an der Frame-Semantik kommen konnte, erscheint es notwendig, einige grundlegende Aspekte und Positionen dieses Forschungsfeldes kurz anzusprechen. Vereinfacht ausgedrückt gab es seit Anbeginn der frame-semantischen Forschung zwei verschiedene Antworten auf die Fragen, wie Frames zu realisieren seien, was zu einem Frame gehöre und auf welcher Ebene Frames anzusiedeln seien. Während Linguisten wie Fillmore sich ausschließlich auf sprachliche Frames konzentrierten, arbeiteten Kognitionswissenschaftler wie Minsky mit Frames, die »auf der Basis einer allgemeinen Theorie kognitiver Schemata« basierten.397 Busse erläutert, da diese Ansätze in der Linguistik meist nicht vollumfänglich rezipiert worden seien, habe man vorschnell den Schluss gezogen, die Framesemantik sei von »Schmalspurigkeit« geprägt.398 Jedoch seien spätestens seit dem Erscheinen von Lawrence B. Barsalous Aufsatz Frames, Concepts, and Conceptual Fields, im Jahr 1992, die Bedingungen für ein umfassendes Framemodell erfüllt.399 Der erste Eindruck, der sich angesichts der beiden unterschiedlichen Ansätze Fillmores und Minskys einstellt, ist, dass man sich bereits im Vorfeld einer frame-semantischen Untersuchung entscheiden muss, ob der Fokus der Analyse auf »sprachlichen« oder auf »kognitiven Frames« liegen soll.400 Diese Thematik entpuppt sich bei genauerem Hinsehen jedoch als noch weitaus vielschichtiger und komplexer, sodass eine Vorabentscheidung für eine der beiden Positionen nicht von Sinn getragen zu sein scheint.401 Um die dahinterstehende Problematik zu begreifen, ist es zunächst unerlässlich zu klären, was die beiden unterschiedlichen Frame-Begriffe beinhalten.402 396 Busse, Frame-Semantik., S. 533. 397 Ebenda. Busse verweist an dieser Stzelle auf: Fillmore, Charles J.: The Case for Case. In: Universals in Linguistic Theory. Hrsg. v. Emmon Bach und Robert T. Harms. New York 1968, S. 1–88; Minsky, Marvin: A Framework for Representing Knowledge. In: Artificial Intelligence Memo No. 306, M.I.T. Artificial Intelligence Laboratory. [Abgedruckt in: The Psychology of Computer Vision. Hrsg. v. Patrick H. Winston. New York 1975, S. 211–277.]; Bartlett, Frederick C.: Remembering: A Study in Experimental and Social Psychology. Cambridge 1932. 398 Busse, Frame-Semantik, S. 534. 399 Ebenda; Auf die Überlegungen Barsalous und die sog. »Barsalou-Frames« werde ich im Folgenden noch genauer eingehen. 400 Ebenda. 401 Ebenda. 402 Ebenda.
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Fillmore sieht Frames in seinem Frühwerk »als [die] spezifisch sprachlichen (rein linguistisch zu beschreibenden) Strukturen, die sich insbesondere in den Strukturen sprachlicher Ausdrucksketten (»Sätzen« oder Satzreihen oder auch Satzteilen) niederschlagen«.403 In seinen späteren Schriften nähert er sich allerdings der kognitiv-epistemischen Position an und spricht sich beispielsweise für die Existenz von »null-instantiierten« Frame-Elementen aus, worunter die »sprachlich nicht ausgedrückten« Komponenten eines Frames zu verstehen seien.404 Busse charakterisiert den Fillmore’schen Ansatz daher wie folgt: »Der Fokus einer solchen Betrachtung liegt auf dem ausdrucksseitigen sprachlichen Niederschlag kognitiv-epistemischer Frames«.405 Im Hinblick auf die vorliegende Arbeit erscheint Fillmores Ansatz insofern wichtig, als dass die ausdrucksseitige Komponente bei einer Textanalyse natürlich den Ausgangspunkt bildet. Die Fragen »Wie wird etwas von ›exotischen‹ Tieren« erzählt?«, »Welche sprachlichen Mittel kommen zum Einsatz?« und »Lassen sich bei der Beschreibung ›exotischer‹ Tiere spezifische Satzstrukturen erkennen?« sind immens wichtig für diese Arbeit und stellen die Grundlage dar, auf der weitere kulturwissenschaftliche Überlegungen erfolgen sollen. Ob sich die Spezifika der Beschreibungsmuster dabei tatsächlich auf Satzebene oder vielmehr auf Wortebene erkennen lassen, wird im Rahmen der Text-Analyse zutage treten. Daher halte ich es für sinnvoll, Frames, die Satzstrukturen abbilden, zumindest nicht von vornherein auszuschließen. Darüber hinaus erscheinen mir auch Fillmores Überlegungen zu den »null-instantiierten« FrameElementen vielversprechend und erkenntnisfördernd. In diesem Zusammenhang muss beispielsweise darüber nachgedacht werden, welche Eigenschaften und Merkmale gerade nicht versprachlicht wurden, obwohl sie zu dem Konzept vom Tier dazugehörten (Aufschluss über derartige Aspekte liefern zum einen Textvergleiche und zum anderen die Miteinbeziehung bildhafter Darstellungen). Durch diese Überlegungen möchte ich dem Gedanken Rechnung tragen, dass eine Semantik eigentlich überhaupt erst als ›Semantik‹ anzusehen ist, »wenn sie als ›semantische Epistemologie‹, d. h. als eine Aufklärung der Strukturen und des Umfangs des gesamten verstehensrelevanten Wissens mit Bezug auf ein Zeichen oder eine Zeichenkette verstanden wird«.406 Die zweite genannte Frame-Auffassung nach Minsky betont noch stärker den Aspekt, dass »Frames als Strukturen im Wissen« anzusehen seien.407 Zur Be403 Ebenda; Busse verweist an dieser Stelle auf Fillmore, Charles J.: The Case for Case. In: Universals in Linguistic Theory. Hrsg. v. E. Bach und R. T. Harms. London 1968, S. 1–25 (part two). 404 Busse, Frame-Semantik, S. 534. 405 Ebenda. 406 Ebenda, S. 535. 407 Ebenda. Ich übernehme an dieser Stelle die Kursivierungen Busses.
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nennung dieser Frames sind zwei verschiedene Bezeichnungen existent: zum einen werden sie häufig »kognitive Frames« genannt, zum anderen »epistemische Frames«.408 Busse spricht sich in diesem Zusammenhang für die letztgenannte Bezeichnung aus, da der Ausdruck »kognitiv« noch weitere Gesichtspunkte beinhalte, die im Rahmen seines Frame-Modells nicht so stark im Fokus der Betrachtung lägen; wie etwa den Prozessen der Verarbeitung von Wissen und der Wissensabrufung.409 Zentrale Aspekte für diese Art von Frames seien nämlich vielmehr »das verstehensrelevante Wissen in seinen Strukturen, Ebenen und Elementen«.410 Diese Benennungspraxis Busses wie auch die Fokussierung auf die ›inhaltlichen Elemente‹ der epistemischen Frames möchte ich für den analytischen Teil meiner Arbeit übernehmen. Aufgrund der im Vorangegangenen beschriebenen differenten Frame-Auffassungen, schlägt Busse für die Analyse ein zweistufiges Vorgehen vor.411 Im ersten Schritt sei nach den »Strukturkonstituenten des verstehensrelevanten Wissens« zu fragen, welche in Form von epistemischen Frames abgebildet werden könnten. Im darauffolgenden, zweiten Arbeitsschritt gehe es darum, mittels sprachlicher Frames darzustellen, wie »Wissensrahmen oder Teile von ihnen in Strukturen sprachlicher Zeichenketten« zum Ausdruck gebracht würden. Diese Vorgehensweise erscheint plausibel, zu beachten ist allerdings, dass das Wissen, welches innerhalb der epistemischen Frames dargestellt wird, auch immer schon durch die Verwendung sprachlicher Zeichen »mit-strukturiert und konstruiert worden ist«. Zur ›Lösung‹ dieser Problematik schlägt Busse vor, sprachliche Zeichen als »Zeiger« oder »Hinweise« auf Bestandteile und Struktureinheiten von Wissen zu erachten. Nimmt man Busses Vorschlag der zweistufigen Vorgehensweise an, so ergibt sich daraufhin die Frage, ob man sich innerhalb der Untersuchung auf »instantiierte« oder auf »lexikalische« Frames konzentrieren möchte. »Instantiiert« und »lexikalisch« sind dabei andere Bezeichnungen für »individuelle Strukturen des Wissens« und »überindividuelle Strukturen im ›sozialen Wissen‹«. Diesem wichtigen Differenzierungsaspekt sei in der Vergangenheit von den meisten Frame-Semantikern keine Aufmerksamkeit entgegengebracht worden. Auch im Hinblick auf die Problematik »instantiiert versus lekikalisch« spricht sich Busse für ein Vorgehen in mehreren aufeinanderfolgenden Arbeitsschritten aus. Zunächst könne man versuchen, einen instantiierten Frame zu konstruieren. Die Betonung liege an dieser Stelle allerdings ganz stark darauf, dass es sich 408 409 410 411
Ebenda. Ebenda, S. 535f. Ebenda, S. 535. Die nachfolgenden Erläuterungen zu der Vorgehensweise bei einer Frame-Analyse entnehme ich Busse, Frame-Semantik, S. 536–539.
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um etwas ›[Re-]konstruiertes‹ handle, das in jedem Fall interpretationsabhängig sei, denn auf die »epistemische[…] Aktualisierung im Geist eines Sprachteilhabers« könne kein Wissenschaftler zugreifen. Allerdings sei es möglich, derlei Rekonstruktionen basierend auf »sprachlichen, ko-textuellen, kontextuellen und situativen Daten sowie ›Hintergrundwissen‹« vorzunehmen. In einem zweiten Schritt ginge es dann darum, »allgemeine Musterframes« zu erstellen, welche die Inhalte des überindividuellen Wissens verdeutlichten. Im dritten Schritt sei in Form sprachlicher Frames darzustellen, welche sprachlichen Zeichen zum Ausdruck des überindividuellen Wissens eingesetzt würden. Für die Frame-Analyse innerhalb meiner Arbeit scheint es notwendig, die von Busse vorgeschlagene Vorgehensweise leicht zu modifizieren. Zwar wird es auch um die Frage gehen, ob sich innerhalb der Texte »individuelle Strukturen des Wissens« ausmachen lassen, doch im Hinblick auf die Schwerpunktsetzung meiner Arbeit erachte ich es als sinnvoller, diese – stellenweise vielleicht doch sehr hypothetischen – Erkenntnisse nicht alle in Frames abzubilden. Natürlich muss hinterfragt werden, ob sich bei einem bestimmten Autor inhaltliche Wissenselemente zeigen, die so bei keinem anderen zu finden sind, und ist diese Prämisse erfüllt, liegt häufig die Vermutung nahe, es handle sich tatsächlich um so etwas wie »individuelles Wissen«. Dieses Wissen könnte jedoch auch einer Quelle entnommen sein, die nicht dem Korpus angehört, die sich der Kenntnis der Wissenschaftlerin entzieht oder die schlichtweg verloren gegangen ist. Darüber hinaus müsste Wissen, welches wirklich den Namen »individuelles Wissen« verdient, auch in Form einer individuellen Verwendungsweise sprachlicher Zeichen realisiert sein. Spätestens an diesem Punkt dürfte es schwer werden, etwas mit Sicherheit und völlig zweifelsfrei als »individuelles Wissen« zu identifizieren. Jedoch soll der eigentlichen Textanalyse an dieser Stelle nicht zu weit vorausgegriffen werden. Es bleibt lediglich festzuhalten, dass die Aspekte, über welche Busse in seinem ersten Arbeitsschritt Aufschluss erlangen möchte, innerhalb meiner Arbeit zwar mit reflektiert werden, aber nicht in einzelnen Frames aufgezeigt werden. Den darauffolgenden Arbeitsschritt möchte ich in Kapitel 2. Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung umsetzen. Diesbezüglich bietet es sich an, epistemische, lexikalische Frames zu erstellen, die »überindividuelle Strukturen im sozialen Wissen« über Panther und Papagei abbilden. Busses Vorschlag, in einem dritten Arbeitsschritt sprachliche Frames zu generieren, halte ich zwar für äußerst interessant – im Hinblick auf das Textkorpus, das der vorliegenden Arbeit zugrundeliegt, allerdings nicht für besonders gut praktikabel. Grundsätzlich erscheint es mir am vielversprechendsten, die Frage nach der Darstellungsweise von dem jeweiligen zur Verfügung stehenden Datenmaterial und dem primären Erkenntnisinteresse der Untersuchung abhängig zu machen. Da das Korpus dieser Arbeit sowohl mittelhochdeutsche und
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frühneuhochdeutsche als auch altgriechische, lateinische, altfranzösische und altokzitanische Texte enthält, entstünde hierbei ein Frame, der derart multilingual – und damit überdimensional breit angelegt – wäre, dass fraglich ist, ob eine graphische Umsetzung überhaupt noch möglich wäre. Darüber hinaus wäre es m. E. bei der Erstellung eines solchen Frames notwendig, eine größere Anzahl an Belegstellen in die Analyse mit einzubeziehen, um validere Ergebnisse bezüglich der sprachlichen Realisierungen zu erzielen.412 Im Folgenden gilt es nun, die wichtigsten Merkmale und den Aufbau der Frames ganz kurz zu umreißen.413 Hierzu beziehe ich mich auf die Ausführungen Simone Schultz-Balluffs, die in Anlehnung an Barsalou mit Konzept-Frames arbeitet.414 Die Untersuchungen der Altgermanistin stellen dabei in gewisser Weise eine ›Pionierarbeit‹ dar, denn mit Barsalous und Busses Ansätzen war zwar der Grundstein für eine kulturwissenschaftlich ausgerichtete Frame-Semantik gelegt, jedoch kamen diese Überlegungen niemals zuvor innerhalb einer historisch-germanistischen Arbeit zur Anwendung.415 Folgt man Barsalou und Schultz-Balluff, so sind bei der Erstellung eines Frames drei Strukturkonstituenten von Relevanz: »Leerstelle slot, konkreter Füllwert filler und Standardwert default value«.416 Was unter diesen drei Strukturkonstituenten zu verstehen ist, erklärt die Mediävistin anhand des folgenden Beispiel-Frames (Abb. 4), der Barsalous Aufsatz Frames, Concepts, and Conceptual Fields entnommen ist.417 Dabei wird zugleich auf Busses Überlegungen – das frame-semantische Arbeitsmodell betreffend – Bezug genommen.418 412 Simone Schultz-Balluff erstellt ihre Frames zum mhd. Begriff triuwe beispielsweise basierend auf einem Textkorpus von 512 Belegstellen. Vgl. dazu: Schultz-Balluff, Synergetisierung von Frame-Semantik und mediävistischer Literaturwissenschaft, S. 402. 413 Dies kann im Rahmen dieser Arbeit zwangsläufig nur kursorisch geschehen, hier sei aber noch einmal verwiesen auf Busse, Frame-Semantik, insbesondere S. 553–595; Barsalou, Frames, Concepts, and Conceptual Fields; Schultz-Balluff, Synergetisierung von Frame-Semantik und mediävistischer Literaturwissenschaft; Schultz-Balluff verweist zudem auf Konerding, Frames und lexikalisches Bedeutungswissen; Holly, ›Frame‹ als Werkzeug historisch-semantischer Textanalyse; Lönnecker, Building concept frames based on text corpoa; Dies., Semantic Frame Elements in Annotated Concept Frames; Fraas, Schlüssel-Konzepte als Zugang zum kollektiven Gedächtnis; Busse, Historische Diskursanalyse in der Sprachgermanistik; Ders., Text – Sprache – Wissen. Perspektiven einer linguistischen Epistemologie als Beitrag zur Historischen Semantik; Ders., Linguistische Epistemologie. Zur Konvergenz von kognitiver und kulturwissenschaftlicher Semantik am Beispiel von Begriffsgeschichte, Diskursanalyse und Frame-Semantik. 414 Vgl.: Barsalou, Frames, Concepts, and Conceptual Fields. 415 Schultz-Balluff, Synergetisierung von Frame-Semantik und mediävistischer Literaturwissenschaft, S. 388. 416 Ebenda, S. 386. 417 Barsalou, Frames, Concepts and Conceptual Fields, S. 30. 418 Vgl. Busse, Frame-Semantik, S. 554–565.
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Abb. 4: Konzept-Frame Barsalous.419
Die drei Strukturkonstituenten definiert Schultz-Balluff wie folgt: – Leerstellen / Anschlussstellen (slots) zeigen einen Abstraktionsgrad, der wiederum Ausfüllungsbedürftigkeit bedingt; es handelt sich um eine Stelle in einem Frame, an die etwas angeschlossen werden muss (Verbindungsstellen); diese Stellen definieren Wertebereiche, die wiederum konkrete Füllwerte umfassen. – Bei Barsalous attributes (›Attribute‹), im Beispiel-Frame fuel, engine, transmission und wheels (als effizierte Objekte) sowie driver (Agens) als abstrakte Größe. – Füllungen / Werte / Zuschreibungen (fillers) legen den Wertebereich fest, sind selber Konzepte und können daher eigene Frames haben; die abgeschlossenen Werte werden von den Werten der Anschlussstellen (den Marken) verlangt. – Bei Barsalou values (›Werte‹), im Beispiel-Frame die Spezifikatoren gasoline, diesel, gasohol zur Anschlussstelle fuel. – ›Attribut-Werte-Set‹ / ›Slot-Filler-Beziehung‹: die einzelnen Elemente stehen in einem Verhältnis zu einander und bilden so eine Einheit; sie können voneinander abhängig sein oder sich gegenseitig bedingen. – Im Beispiel-Frame bildet die Einheit von driver (Anschlussstelle / ›Attribut‹) und Liz bzw. Phil (›Werte‹) ein Set.420 419 Barsalou, Frames, Concepts and Conceptual Fields, S. 30. 420 Schultz-Balluff, Synergetisierung von Frame-Semantik und mediävistischer Literaturwissenschaft, S. 386f.; Schultz-Balluff bezieht sich an dieser Stelle auf Busse, Frame-
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Abschließend bleibt noch einmal festzuhalten, was Frames leisten können und inwiefern sie einen Beitrag zur mediävistischen Literaturwissenschaft leisten können. Gemäß Barsalou können mit ihrer Hilfe sieben verschiedene Aspekte veranschaulicht werden. Sie dienen seinem Verständnis nach der Darstellung von (1) Beispielen / Modellen und Absicht / Ziel, (2) Prototypen und Zugehörigkeiten, (3) Unterkategorisierung und Klassifikation, (4) Kombinationen mehrerer Konzepte, (5) Abfolgen und Abläufe, (6) Regeln und Regelmechanismen und (7) Planungen.421
Darüber hinaus nehmen sowohl Barsalou als auch Schultz-Balluff an, dass sich mit Hilfe der Frames diachrone Entwicklungen abbilden lassen, was bisher zwar noch nicht unternommen wurde, im Rahmen meiner Untersuchung aber sehr wichtig ist.422 Insbesondere im Hinblick auf die epistemischen Frames, die ich für die zwei ausgewählten Beispieltiere erstellen möchte, wird zu überlegen sein, ob es Attribute oder slots gibt, die in der Antike das Konzept des Tieres bestimmten und die dann im Mittelalter verschwanden, oder ob neue slots hinzukamen. Eine weitere interessante Möglichkeit besteht außerdem darin, Aspekte wie die Verfasser-Perspektive, die Textsorte und den jeweiligen Kontext bei der Erstellung eines Frames mit einzubeziehen.423 Auch diese Aspekte werden in meiner Arbeit mit reflektiert, können jedoch nicht in Form von Frames analysiert werden, da dies den Rahmen der vorliegenden Arbeit überschreiten würde. Ganz klar muss zudem betont werden, dass alle Frames, die im Rahmen dieser Arbeit erstellt werden, sich ausschließlich auf die von mir untersuchten Texte und materiellen Zeugnisse beziehen. Ziel dieser Untersuchung kann es gerade nicht sein, eine allgemeingültige, konsistente Vorstellung vom ›exotischen‹ Tier zu rekonstruieren, die in der Antike und möglicherweise noch während des gesamten Mittelalters in allen Teilen Europas und darüber hinaus Bestand hatte und sich durch alle gesellschaftlichen Schichten zog.
Semantik, S. 554–565.; vgl. dazu auch: Barsalou, Frames, Concepts, and Conceptual Fields, S. 29–38. 421 Schutz-Balluff, Synergetisierung von Frame-Semantik und mediävistischer Literaturwissenschaft, S. 387; Barsalou, Frames, Concepts, and Conceptual Fields, S. 44–61. 422 Schultz-Balluff, Synergetisierung von Frame-Semantik und mediävistischer Literaturwissenschaft, S. 388; Schultz-Balluff verweist an dieser Stelle auf Barsalou, Frames, Concepts, and Conceptual Fields, S. 67. Barsalou schreibt hier: »frames can also represent change over much longer time periods, as in the physical growth of a person over their life span, change in cultural convention over history, or change in a species over evolution.« 423 Vgl. dazu: Schultz-Balluff, Synergetisierung von Frame-Semantik und mediävistischer Literaturwissenschaft, S. 408.
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Zweites Zwischenergebnis Die philosophische Annäherung an den Konzept-Begriff hat ergeben, dass der theoretische Ansatz des Konstruktiven Realismus im Hinblick auf die vorliegende Arbeit am vielversprechendsten erscheint. Wallner geht davon aus, dass Menschen sich ihre eigenen »Mikrowelten« generieren, die einen »Teil der Realität« bilden und »Aspekte der Wirklichkeit« substituieren.424 Daraus folgt, dass alle Mikrowelten zusammengenommen die »Realität« ergeben.425 Wallners Definition einer Mikrowelt kommt dabei meinem Verständnis von »Konzept« sehr nahe. Würde man in seinen theoretischen Überlegungen den Begriff der Mikrowelt durch den des Konzepts ersetzen, so käme man zu folgender Definition: [Ein Konzept] ist eine strukturierte Menge von Daten, die bestimmte Eigenschaften aufweist – Eigenschaften, wie auch die Welt Eigenschaften hat. Im Unterschied zur Welt hat [dieses Konzept] eine eingeschränkte Anzahl an Eigenschaften, deshalb nennen wir [es Konzept]. [Konzepte] sind künstliche Weltgebilde mit einigen wenigen Eigenschaften. Diese können beispielsweise anschaulich oder rein formal sein.426
Allerdings halte ich es für notwendig, zwischen verschiedenen Arten von Konzepten zu unterscheiden. Überlegungen dazu, wie eine solche Unterscheidung aussehen kann, liefern theoretische Ansätze aus der Linguistik. Auch in der Sprachwissenschaft werden Konzepte als »mentale Organisationseinheiten« verstanden, die zur Speicherung von Weltwissen dienen.427 Jene Speicherung erfolgt nach bestimmten Prinzipien der ›Speicherplatz-Ökonomie‹; und die Konzepte gewährleisten die »Verarbeitung subjektiver Erfahrungseinheiten« durch die Kategorisierung.428 Dabei gehen Linguisten davon aus, dass Menschen zum einen über Kategorien- und zum anderen über Partikularkonzepte verfügen.429 Anhand der Studien Eleanor Roschs (insbesondere aus ihrem Frühwerk) zeigte sich, dass Prototypikalität, Typikalität und die Basisebene eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, wie Konzepte strukturiert sind. Diese – nicht unumstrittenen – Annahmen möchte ich meiner Arbeit zugrunde legen, aber zugleich betonen, dass ich eine Unterscheidung zwischen Prototypikalität und Typikalität – wie Hans-Jörg Schmid sie vorschlägt – für unerlässlich halte und 424 Schulz, Radikaler Konstruktivismus und Konstruktiver Realismus, S. 276; Wallner, Die Verwandlung der Wissenschaft, S. 207f. 425 Kragl, Die Weisheit des Fremden, S. 35. 426 Wallner, Wörterbuch des Konstruktiven Realismus, S. 66. 427 Schwarz, Einführung in die Kognitive Linguistik, S. 108. 428 Ebenda. 429 Ebenda, S. 109.
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nicht versuchen werde, die Prototypentheorie im engeren Sinne auf abstrakte und metasprachliche Aspekte anzuwenden.430 Eine Verabsolutierung auf dieser Ebene, auf beispielsweise die eine prototypische Beschreibung, würde hier meines Erachtens zu weit führen. Damit ist allerdings nicht die Typikalität oder die Tendenz zu bestimmten Beschreibungsmustern ausgeschlossen. Ein Einblick in die neuesten sprachwissenschaftlichen Arbeiten zur FrameSemantik hat schließlich gezeigt, dass mittels epistemischer Frames verschiedenste Aspekte eines Konzepts, dessen diachrone Entwicklung oder auch die Relationen zwischen einzelnen Konzept-Bestandteilen herausgearbeitet werden können. In meiner Arbeit möchte ich epistemische lexikalische Frames zum einen dazu nutzen, die Ergebnisse meiner vorangegangenen Textanalyse noch einmal strukturiert und pointiert zu verdeutlichen. Zum anderen sehe ich in der Verquickung von mediävistischer Literaturwissenschaft und Frame-Semantik eine Möglichkeit, der von Friedrich G. Wallner postulierten verfremdenden Interdisziplinarität Rechnung zu tragen.
1.3
Was bedeutet ›exotisch‹ im Kontext dieser Arbeit?
1.3.1 Vorüberlegungen Im Hinblick auf die Definition des Begriffes ›exotisch‹ gilt es zunächst festzuhalten, dass es nicht sinnvoll erscheint, eine Vorabentscheidung darüber zu treffen, was im Mittelalter als ›exotisch‹ wahrgenommen wurde. Mit einem ›Exotik‹-Verständnis des 21. Jahrhunderts an die Texte heranzutreten, würde meines Erachtens einen unsachgemäßen Anachronismus darstellen und nicht dem mittelalterlichen Konzept vom ›Exotischen‹ gerecht werden. Was jeweils als ›exotisch‹ wahrgenommen wird, ist kulturabhängig und natürlich spielen diesbezüglich auch geographische Aspekte eine entscheidende Rolle. So wird beispielsweise jemand, der im Mittelalter nördlich der Alpen beheimatet war, andere Tiere als ›exotisch‹ wahrgenommen haben als jemand, der südlich der Alpen – in einer italienischen Hafenstadt wie Palermo – lebte. Durch die Nähe Siziliens zum afrikanischen Kontinent und die weitreichenden Handelsbeziehungen sowie aufgrund der Tatsache, dass die Insel in der Antike römische Provinz war, gelangten konkrete Vorstellungen von nichtheimischen Tieren vergleichsweise früh in diese Region. Als Beleg dafür können die Mosaiken der Villa Romana del Casale angesehen werden, die bereits im 4. Jh. 430 Schmid, Zum kognitiven Kern der Prototypentheorie, S. 23.
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n. Chr. entstanden und die Tiere – welche nördlich der Alpen unbekannt gewesen sein dürften – sehr naturgetreu abbilden. So etwa das Nashorn (siehe Abbildung 5).431
Abb. 5: Mosaik: Fang eines Nashorns. Teildarstellung einer großen Jagdszene. Villa Romana del Casale in Piazza Armerina / Sizilien.432
Im Mittelalter dürfte außerdem die Menagerie Kaiser Friedrichs II. einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet haben, dass Tiere, die nicht in Europa beheimatet waren, zwar bereits im 13. Jahrhundert auf die italienische Insel gelangten, nur sehr selten jedoch – als ›königliches Geschenk‹ – in die nordalpinen Gebiete.433 Diese Aspekte gilt es bei der Annäherung an das mittelalterliche Exotik-Konzept besonders zu beachten. 431 Ragnar Kinzelbach erläutert, das erste indische Panzernashorn sei bereits im Jahre 20 oder 19 v. Chr. nach Rom gebracht worden. In den 1500 darauffolgenden Jahren sei kein weiteres Exemplar nach Europa gelangt. Das Mosaik der Villa Romana del Casale bilde jenes Panzernashorn ab. Vgl.: Kinzelbach, »Augusta« – Das erste Panzernashorn in Europa, S. 5; 62f. Wie wenig jedoch die Verfasser der mittelalterlichen Reiseberichte mit dem Rhinozeros vertraut waren – da sie alle nördlich der Alpen lebten – werde ich im Folgenden unter 1.3.3 Staunen über das ›exotische‹ Tier anhand eines Textbeispiels zeigen. 432 Bildquelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Villa_Romana_del_Casale#/media/File:Villa_Del_ Casale_Grande_Chasse-2.jpg. Zugriff am 03. 04. 2017 um 15:59 Uhr. 433 Giese, Die Tierhaltung am Hof Kaiser Friedrichs II., S. 124f.. Giese nennt folgende Tierarten, die wahrscheinlich in Friedrichs Menagerie vertreten waren: Elefant, Giraffe, Kamele
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Die einzige Möglichkeit, eine anachronistische Sichtweise zu verhindern, besteht darin, innerhalb der symptomalen Primärtext-Lektüre zu schauen, welche Beschreibungsverfahren ersichtlich werden, die Rückschlüsse auf das mittelalterliche Exotik-Konzept zulassen. Im Anschluss an die Auswertung jener Analyseergebnisse kann dann ein Definitionsvorschlag generiert werden. Dies bedeutet zugleich, dass Friedrich G. Wallners Vorschlag einer Differenzierung der beiden Ebenen – der wissenschaftlichen Realität einerseits und der Realität der mittelalterlichen Menschen andererseits – umgesetzt wird. Auf der erstgenannten Ebene werde ich versuchen, die wichtigsten Bestandteile des mittelalterlichen ›Exotik‹-Konzepts herauszuarbeiten. Dazu erscheint es zunächst hilfreich, sich darüber bewusst zu werden, was wir heute, im 21. Jahrhundert, gemeinhin unter ›exotisch‹ verstehen und wie der Begriff verwendet wird. Aus diesem Grund sei im Folgenden ein kurzer Blick auf dessen Etymologie und Semantik geworfen: Der neuhochdeutsche Ausdruck ›exotisch‹ geht auf das lateinische Lehnwort exoticus zurück, das im 18. – und vereinzelt auch bereits im 17. Jahrhundert – ins Deutsche gelangte.434 Das lateinische exoticus wiederum leitet sich von dem altgriechischen Wort 1nytij|r her, was ›ausländisch‹ und ›fremd‹ bedeutete.435 Jedoch ist die heutige Semantik des Begriffs im Neuhochdeutschen sehr viel weiter. So gibt etwa der Duden die folgenden beiden Definitionen an: a. fernen (besonders überseeischen, tropischen) Ländern, Völkern eigentümlich, ihnen zugehörend, entstammend; [der Art, dem Aussehen, Eindruck nach] fremdländisch, fremdartig und dabei einen gewissen Zauber ausstrahlend436 b. ausgefallen, ungewöhnlich437
›Exotisch‹ ist demnach zum einen ein relativer Begriff, denn bestimmte Entitäten können als ausgefallener und ungewöhnlicher wahrgenommen werden als andere. Zum anderen zeigt sich anhand der ersten Definition ganz deutlich eine Verbindung zu den Themengebieten des »Eigenen und Fremden« sowie zu dem Phänomen des Staunens. Weiterhin ist dem Duden zu entnehmen, dass das Adjektiv häufig in Kollokation mit den Nomen Frucht, Tier, Pflanze, Gewürz, Vogel, Gewächs, Kulisse und Reiseziel sowie mit den Vollverben klingen, wirken,
434 435 436 437
(speziell Dromedare), Pferde, Maulesel/Maultiere, Bären, Hunde, Affen, Löwen, Leoparden/ Panther, Geparden, Luchse, Ziervögel (wie beispielsweise der Papagei) und Raubvögel. Zum Thema »exotische Tiere als Geschenk« vgl.: Ebenda, S. 137f. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Lemma ›exotisch‹. Auf: https:// www.degruyter.com/view/Kluge/kluge.2790?rskey=9nIuy6& result=1& dbq_0=exotisch& d bf_0=kluge-fulltext& dbt_0=fulltext& o_0=AND. Zugriff am 04. 04. 2017 um 11:05 Uhr. Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, S. 310. http://www.duden.de/rechtschreibung/exotisch. Zugriff am 04. 04. 2017 um 11:08 Uhr. Ebenda. Zugriff am 04. 04. 2017 um 11:09 Uhr.
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finden, sehen und den Adjektiven fremd, einheimisch, heimisch, selten, siamesisch, bunt, fern und teuer auftritt.438 Versucht man nun, sich dem mittelalterlichen Konzept von ›exotisch‹ anzunähern, so liegt die Vermutung nahe, dass eine Betrachtung der beiden Themengebiete des »Eigenen und Fremden« sowie des »Staunens« auch hier aufschlussreich sein könnte. Diese Vermutung begründet sich daraus, dass ein mittelhochdeutsches Wort, von dem man sagen könnte, dass es in jeder Hinsicht synonym zum heutigen ›exotisch‹ gebraucht wurde, zumindest bis zum heutigen Tag noch nicht entdeckt wurde.439 Was jedoch überliefert ist, sind mittelhochdeutsche Adjektive, die einzelne Aspekte des ›Exotik‹-Begriffs zum Ausdruck bringen. Diesbezüglich fielen im Rahmen einer ersten Sichtung der Primärtexte insbesondere die Adjektive gemlich, wunderleich oder wunderl%ch, selczam und frombd ins Auge, wobei das Letztgenannte wohl am deutlichsten darauf verweist, dass es semantische Elemente gibt, die sowohl dem mittelalterlichen Fremdheitskonzept als auch unserem heutigen Konzept von ›exotisch‹ eigen sind. Im Folgenden werde ich daher kurz auf einige wichtige Aspekte der Themenbereiche des »Eigenen und Fremden« sowie des »Staunens« eingehen. Der Fokus der Betrachtung wird dabei auf Marina Münklers Untersuchung Erfahrung des Fremden – Die Beschreibung Ostasiens in den Augenzeugenberichten des 13. und 14. Jahrhunderts und auf Mireille Schnyders Überlegungen zu einer Poetik des Staunens liegen. Daraufhin werde ich mich mit Wunderberichten und den mirabilia des Ostens beschäftigen und erläutern, inwiefern es sinnvoll erscheint, den Begriff des ›exotischen‹ Tiers weit zu fassen, das heißt gegebenenfalls auch Mischwesen aus Mensch und Tier sowie aus verschiedenen Tieren in die Betrachtung mit einzubeziehen. Abschließend wird noch einmal auf die Etymologie und Semantik der bereits gesichteten, oben genannten mittelhochdeutschen Adjektive eingegangen, bei denen der Eindruck entstanden ist, sie könnten in einer Relation zu dem mittelalterlichen ›Exotik‹-Konzept stehen.
438 Ebenda. Zugriff am 04. 04. 2017 um 11:19 Uhr. Dieses Ergebnis ist computergeneriert und basiert auf dem Dudenkorpus. Dieses Korpus ist nach Angaben des Herausgebers »eine digitale Volltextsammlung mit über zwei Milliarden Wortformen aus Texten der letzten zehn Jahre, die eine Vielzahl unterschiedlicher Textsorten (Romane, Sachbücher, Zeitungsund Zeitschriftenjahrgänge u. a.) repräsentieren«. Vgl.: http://www.duden.de/hilfe/typische -verbindungen. Zugriff am 04. 04. 2017 um 11:20 Uhr. 439 Die Existenz eines solchen mittelhochdeutschen Wortes hätte auch die Entlehnung aus dem Lateinischen, die im 17. und 18. Jahrhundert stattfand, überflüssig gemacht.
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1.3.2 Das Eigene und das Fremde In ihrer Dissertation Erfahrung des Fremden – Die Beschreibung Ostasiens in den Augenzeugenberichten des 13. und 14. Jahrhunderts geht Marina Münkler davon aus, mittelalterliche Beschreibungen der Fremde seien maßgeblich durch Kulturkontaktsysteme beeinflusst und determiniert worden.440 Diesbezüglich sei beispielsweise anzunehmen, dass ein Kontaktsystem der Gesandten, eines der Kaufleute und eines der Mission existiert habe.441 Für die Gesandten sei die Reise in die Fremde notwendig gewesen, um Aufschluss über die Position fremder Völker »innerhalb der eschatologisch gedachten Geschichte« zu erlangen. Zugleich habe man sich als Gesandter, durch das Erkunden der Fremde, Erkenntnisse bezüglich der eigenen Zukunft erhofft. Die Handelsreisenden hingegen hätten keinerlei Bestrebungen an den Tag gelegt, den Status fremder Völker innerhalb ihres eigenen Weltbildes festzumachen. Das kaufmännische Interesse sei ausschließlich pekuniärer Natur gewesen und die Fremde habe nur insofern eine Rolle gespielt, als dass mit ihr Hoffnungen auf Gewinnerzielung und -maximierung verbunden gewesen seien. Das Kontaktsystem der Mission schließlich habe sich mit fremden Gebieten und Menschen auseinandergesetzt, die bereits kurze Zeit zuvor von den Gesandten ausgekundschaftet worden seien. Nachdem die Gesandten solchermaßen bereits die Prämissen einer heilsgeschichtlichen Einordnung der Fremde erfüllt hätten, seien die Missionare dazu übergegangen, »die Fremden in eine funktionale Beziehung zu sich selbst zu setzen«. Das Anliegen der Mission sei es zum einen gewesen, eine Eingliederung und Bekehrung der Fremden zum christlichen Glauben zu erzielen. Zum anderen habe man die Fremdheit aber weiterhin aufrechterhalten, um anhand der fremden Menschen vor Augen zu führen, wie überzeugend die christliche Lehre sei. Die Missionare hätten damit einen Raum des Fremden geschaffen, dessen Andersartigkeit die Wichtigkeit missionarischer Arbeit vor Augen geführt habe. In der darauffolgenden Zeit, in der keine Bedrohung von Seiten der Mongolen mehr ausgegangen sei, habe die Fremde zu einem »Raum der Repräsentativität« avancieren können und das 440 Münkler, Erfahrung des Fremden, S. 147f. In dieser Aussage zeigt sich eine gewisse Konsonanz mit den bereits angesprochenen Thesen Udo Friedrichs. Vgl.: Friedrich, Menschentier und Tiermensch, S. 26; Kapitel 1.1.3 dieser Arbeit (Udo Friedrich: Wissensordnungen und Mensch-Tier-Grenzziehung im Mittelalter), S. 42. Während Friedrich annimmt, dass bestimmte gesellschaftliche Gruppen Einfluss auf die Herausbildung und Festigung von Diskursen nahmen, hinterfragt Münkler, wie sich jene ›Einflussnahme‹ der »Kontaktsysteme« innerhalb mittelalterlicher Ostasienreiseberichte konkret bemerkbar macht und wodurch sie motiviert war. Münkler erläutert diese Einflussnahme anhand der drei »Kontaktsysteme« der Gesandten, der Kaufleute und der Mission. 441 Ebenda. Die nachfolgenden Ausführungen zu den drei »Kontaktsystemen« entnehme ich ebenfalls Münkler, Erfahrung des Fremden, S. 147.
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Wissen über sie habe sich zum Kennzeichen besonderer Exklusivität entwickelt.442 Das Fremde sei grundsätzlich offen gewesen für verschiedene Arten der Zuschreibung.443 In Abgrenzung zu den Überlegungen Paul Zumthors vertritt die Germanistin aber die Ansicht, das Fremde und das Andere wiesen zwar eine strukturelle Nähe auf, diese sei allerdings nicht als Deckungsgleichheit zu verstehen.444 Um das Fremde darzustellen, sei es sowohl notwendig, dass »die Grenze zwischen eigen und fremd errichtet als auch durch die Beschreibung überschritten« würde.445 Jenes »Überschreiten« sei jedoch nicht dahingehend misszuverstehen, dass eine Beseitigung der Grenze stattfinde.446 Vielmehr ginge es darum, eine Repräsentation des »Jenseits« der Grenze zu erschaffen.447 Die »andere Welt«, von der die mittelalterlichen Autoren berichteten, sei zwar »außerhalb des christlichen ordo des Abendlandes« zu imaginieren, nicht jedoch außerhalb »des göttlichen ordo der geschöpflichen Welt«.448 Wichtig erscheint mir zudem Münklers Feststellung, dass es nicht möglich sei, eine Definition des Fremden an sich aufzustellen, da es sich um einen relationalen Begriff handle, dessen Bedeutung sich erst daraus ergebe, dass man verschiedene Entitäten in eine Beziehung zueinander setze.449 Im Anschluss an Ortfried Schäffter geht die Mediävistin davon aus, jenes In-Beziehungsetzen könne in Form vierer unterschiedlicher Modi realisiert sein.450 Zum einen sei zu bemerken, dass »Fremdheit als Resonanzboden des Eigenen« eine Rolle spiele.451 Daneben könne sie jedoch auch als »Gegenbild«, »Ergänzung« und »Komplementarität« in Erscheinung treten.452 Jene vier Modi werden laut Münkler in den mittelalterlichen Reiseberichten nicht getrennt voneinander realisiert.453 Vielmehr seien alle vier »mehrfach und quer durch die Texte hindurch« zu bemerken.454 Meines Erachtens lassen sich die angesprochenen Thesen Münklers auch auf die Darstellung ›exotischer‹ Tiere beziehen, was ich im Folgenden kurz anhand 442 Ebenda, S. 148. 443 Ebenda. 444 Ebenda; Münkler grenzt sich an dieser Stelle ab von Zumthor, La Mesure du monde, S. 259. 445 Münkler, Erfahrung des Fremden, S. 149. 446 Ebenda. 447 Ebenda. 448 Ebenda. 449 Ebenda, S. 152f. 450 Ebenda, S. 153; Münkler bezieht sich an dieser Stelle auf: Schäffter, Modi des Fremderlebens, S. 13. 451 Münkler, Erfahrung des Fremden, S. 153. 452 Ebenda. 453 Ebenda, S. 154. 454 Ebenda.
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eines Beispiels aus dem Niederrheinischen Orientbericht verdeutlichen möchte. In seinem um 1345 verfassten Bericht, leitet der anonyme Autor einen umfangreichen Abschnitt über die wilden und zahmen Tiere over mer folgendermaßen ein:455 Darna dat vur gesprochen ind geschreven is van den luden, die in deme lande van over mer, van eren seden ind van eren deden, nu voulget herna van den deren. Ind man sall wissen, dat alle diere wilde ind zam over mer sint, as hie in disme lande, ind sint vil schonre ind groiszer dan hie, da sint lewen, lebart, eynhorn, panther, onager, salomander, ind so wat herna geschreven steit, wie sy sint gestalt ind yre namen.456
Zunächst wäre hier darüber nachzudenken, ob die geographische Spezifizierung over mer, die sowohl für das Land selbst als auch für dessen Einwohner und Tiere verwendet wird, gleichgesetzt werden darf mit ›fremd‹. Diesbezüglich erscheint Jürgen Osterhammels Verständnis von Fremde sehr interessant.457 Osterhammel vertritt die Ansicht, die Fremde sei insbesondere durch Distanz gekennzeichnet.458 Jene Distanz könne sowohl räumlicher als auch zeitlicher oder sozialer Natur sein.459 Stimmt man Osterhammel zu, so kommt mit over mer tatsächlich eine räumliche Distanz und damit zugleich die Fremde zum Ausdruck. Im darauffolgenden Satz des Textbeispiels zeigt sich, dass der Verfasser bemüht ist, für seine Rezipienten eine Vergleichsbasis zu schaffen, die es ihnen ermöglichen soll, in ihrer Vorstellung ein imaginäres Bild von den Tieren over mer entstehen zu lassen. So sagt er explizit, alle fremden Tiere seien genau wie die Tiere in der Heimat (dat alle diere wilde ind zam over mer sint, as hie in disme lande).460 Hier bestätigt sich Münklers These, das Fremde sei grundsätzlich für 455 Wolf, Deutschsprachige Reiseberichte des 14. und 15. Jahrhunderts, S. 17. Weitere Informationen zur Entstehung und Verbreitung des Niederrheinischen Orientberichts finden sich auch im Glossar der vorliegenden Arbeit. 456 Röhricht/Meisner (Hrsgg.), Niederrheinischer Orientbericht, S. 70; die Kursiv-Setzungen und Hervorhebungen in Fett-Druck habe ich vorgenommen. Eigene Übersetzung: ›Nachdem nun über die Leute in dem Land jenseits des Meeres gesprochen und geschrieben wurde, von ihren Sitten und ihren Taten, folgt jetzt ein Bericht über die Tiere. Man muss wissen, dass alle wilden und zahmen Tiere in dem Land jenseits des Meeres genauso sind wie in diesem Land. Nur sind sie viel schöner und größer als hier. Dort gibt es Löwen, Leoparden, Einhörner, Panther, Waldesel und Salamander. Im Folgenden wird ihr Aussehen beschrieben und Auskunft über ihre Benennung gegeben.‹ 457 Vgl. dazu: Münkler, Erfahrung des Fremden, S. 150; Münkler bezieht sich an dieser Stelle auf: Osterhammel, Distanzerfahrung. Darstellungsweisen des Fremden im 18. Jahrhundert. 458 Münkler, Erfahrung des Fremden, S. 150. 459 Ebenda. 460 Auf dieselbe Weise werden auch die Abschnitte über die jaigt over mer und die vogell over mer eingeleitet. Der Autor gibt außerdem zu verstehen, je höhergelegen das Land sei, desto schöner und größer seien die Vögel. Vgl.: Röhricht/Meisner (Hrsgg.), Niederrheinischer Orientbericht, S. 77f.
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verschiedene Arten der Zuschreibung offen gewesen.461 In diesem Fall wird die Fremde nämlich in die eigene Kultur hineingeholt und man gewinnt auf den ersten Blick den Eindruck, in diesem Bericht würde die Grenze zwischen dem Eigenen und dem Fremden nivelliert – ganz im Sinne des Gedankens, sowohl einheimische als auch fremde Tiere seien »innerhalb des göttlichen ordo der geschöpflichen Welt« zu verorten und daher alle gleich.462 Nachdem jedoch vom Autor die Vergleichsebene geschaffen wurde, wird die Grenze zum Anderen wieder aufgezeigt: Auch wenn die Tiere hier und dort gleich sind, verhält es sich dennoch so, dass die fremden Tiere vil schonre und groiszer sind als die in der Heimat. Daran wird deutlich, dass die Fremde durchaus zuweilen mit positiven Attributen belegt wird und dass ihr infolge auch die Rolle eines positiven »Gegenbildes« zukommen konnte.463 Zugleich bedeutet dieses Schöner- und Größer-Sein der fremden Tiere auch eine Andersheit. Durch die Erläuterungen des Autors wirken die Tiere over mer nun also nicht mehr fremd, aber dennoch anders. Hierin zeigt sich, was Münkler meint, wenn sie von einer »strukturellen Nähe« zwischen dem Fremden und dem Anderen spricht, die keineswegs als Deckungsgleichheit missverstanden werden darf, denn »nicht alles, was anders ist, ist fremd, und nicht alles, was fremd ist, ist anders«.464 Doch wie lassen sich diese Beobachtungen nun mit der mittelalterlichen Vorstellung von ›Exotik‹ verbinden? Um diese Frage zu klären erscheint es hilfreich, einen weiteren Blick in den Niederrheinischen Orientbericht zu werfen und sich einige Aspekte der einzelnen Tierbeschreibungen anzuschauen. Die Aussage, die der Autor zu Beginn seines Erzählabschnitts über die fremden Tiere gemacht hat – nämlich dass diese alle genauso seien wie die in der Heimat – relativiert er im weiteren Verlauf seines Berichts zunehmend, da er es dennoch für notwendig erachtet, über Größe und Gestalt eines jeden Tieres noch einmal gesondert zu informieren (was überflüssig wäre, wenn tatsächlich alle gleich wären). Was zudem auffällt ist, dass der Verfasser einige Tiere over mer – wie beispielsweise die Giraffe, den Löwen und den Tiger – als edel oder edell einstuft und auch über den Panther zu berichten weiß, dieser ernähre sich ausschließlich von edel kruyt, also von ›auserlesenen Kräutern‹.465 Mit dieser Vorstellung vom edlen und kostbaren Tier over mer geht gerade beim Panther oder dem ominösen schuphant[en] – den Röhricht und Meisner für eine Giraffe halten – die Assoziation zu Fürsten- und Königshöfen einher.466 So wird etwa 461 462 463 464 465 466
Münkler, Erfahrung des Fremden, S. 148. Ebenda, S. 149. Vgl. Ebenda, S. 153. Ebenda, S. 148. Röhricht/Meisner (Hrsgg.), Niederrheinischer Orientbericht, S. 71. Ebenda, S. 73. Röhricht und Meisner vertreten die These, dass das Wort schuphant aus der
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berichtet, Fürsten hätten gerne die Felle getöteter Panther in der Nähe ihrer Betten, da diese so gut dufteten und dadurch alles Böse gebannt würde (ind wan id doit is, so haint die vursten ind hern yre vell gerne by yren bedden, ind die roch is gut wider alle quoide dinck).467 Über den schuphant[en] erfährt der Rezipient, dieser sei an Königshöfen anzutreffen und werde zur Beleuchtung von Sälen eingesetzt, indem man ihm Kerzen auf Körper und Hörner setze (ind sint gerne in der konincge hove, so wan man da ist zu sale, so sticht man kertzen up syn lyf ind in die horner, so lucht id dan over all den sall).468 Auffällig sowohl an dem Panther- als auch an dem schuphant[en]-Beispiel erscheint mir, dass der Gegensatz zwischen Natur und Kultur in beiden Fällen aufgelöst wird. Sowohl das Pantherfell als Interieur-Bestandteil fürstlicher Gemächer als auch der schuphant in seiner Aufgabe als lebendiger Kerzenleuchter stellen Requisiten einer aufwendigen, luxuriösen und kostspieligen Hofhaltung dar. Auch wenn der Wert der Tiere in diesem Reisebericht nicht in Form der Nennung eines konkreten Geldpreises ausgedrückt ist – wie dies beispielsweise in den Berichten Tuchers oder Fabris der Fall ist – so wird dennoch sehr deutlich, dass es nicht nur um Tiere aus fernen Ländern geht, die auf irgendeine Art »anders« sein können. Es geht hier vor allem auch um Luxus und Exklusivität, die mir ebenso feste Bestandteile des mittelalterlichen Konzepts von ›Exotik‹ zu sein scheinen. Die Aspekte fremd, mehr oder weniger anders und kostbar bilden damit offensichtlich einen assoziativen Konnex und sollten aus diesem Grund nicht getrennt voneinander – als Einzelbestandteile des ›Exotik‹-Konzepts – betrachtet werden. Doch ebenso wie die Haltung ›exotischer‹ Tiere ein Signum höfischer Kultiviertheit darstellen kann, besteht auch die Möglichkeit, dass sie mit der entgegengesetzten Bedeutung aufgeladen wird. In bestimmten Kontexten können ›exotische‹ Tiere – oder aus ihnen gefertigte Gebrauchsgegenstände – nämlich auf das niedrige zivilisatorische Niveau einer Gesellschaft verweisen und die Natur als den Urzustand des Menschen zurück ins Bewusstsein rufen. Dies wird beispielsweise anhand der nachfolgenden Textstelle aus Johann Hartliebs Alexander (Z. 6255–6262) deutlich. Als Alexander und sein Heer nach Indien gelangen, stoßen sie zunächst auf einige außergewöhnlich gut sprechende Schlangen und danach auf die einheimische Bevölkerung, die nur mit Tigerfellen bekleidet ist: Ee sy auch zu dem tempel komen, da funden sy gar vil schlanngenn, di kunden guett indisch sprach reden. Sy tryben solleich hoch rede von geystleichen vnd naturleichen Annäherung der Bezeichnung Surafa (Giraffe) an das Wort Elefant entstanden sein könnte. Vgl.: Ebenda (Anm. 3). Zu den realhistorischen Bedingungen der Haltung ›exotischer‹ Tiere an mittelalterlichen Königshöfen, die jene literarische Inszenierung der Tiere inspiriert haben dürfte, vgl.: Giese, Die Tierhaltung am Hof Kaiser Friedrichs II., S. 135f. 467 Röhricht/Meisner (Hrsgg.), Niederrheinischer Orientbericht, S. 71. 468 Ebenda, S. 73.
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dingenn, daz ich dier dauon nichtt schreiben gethar. Da wier nu schier ko˘men zu dem ende, da wier nun hetten willen hin, da sahen wier gar vil lewtt, frawn vnd mann, die kain ander gewandt an in hetten, dann daz sy mitt tygerßhawtten vmbhangen vnd beklaydett waren. Wir fragtten, was volcks sy waren. Sy sprachen: ›Wier sindt inden‹. Sy kunden die sprach auch gar wol. (Z. 6255–6262)469
Auffällig ist zunächst, wie kultiviert die Schlangen wirken. Sie sprechen nicht einfach nur, sondern äußern sich im Rahmen einer hoch rede, was wohl die Einhaltung des genus sublime meint. Darüber hinaus wird von ihnen berichtet, sie seien sowohl auf dem Gebiet der geistlichen Angelegenheiten als auch auf dem der weltlichen sehr bewandert. Ihr Wissen ist sogar so weitreichend, dass der Erzähler den etwas hyperbolisch wirkenden Einsatz des Unsagbarkeitstopos am Ende der Schlangenbeschreibung für angemessen hält (daz ich dier dauon nichtt schreiben gethar). Angesichts der Kultiviertheit der Schlangen gewinnt der Rezipient schnell den Eindruck, die einheimischen Menschen seien auf einer niedrigeren und primitiveren Zivilisationsstufe zu verorten, denn sie haben kain ander gewandt an als tygerßhawtte. Ein Staunen über die Kostbarkeit der ›exotischen‹ Bekleidung oder über den damit assoziierten Luxus bleibt aus. Auch dieses Textbeispiel könnte man – im Sinne Schäffters und Münklers – als die Darstellung einer ›Gegenwelt‹ in der Fremde begreifen. In der Fremde können Tiere zuweilen kultivierter wirken als Menschen; obgleich den mit tygerßhawtten bekleideten inden am Schluss der Beschreibung immerhin zugestanden wird, sie beherrschten ebenfalls gut die indische Sprache.
1.3.3 Staunen über das ›exotische‹ Tier In ihrem Aufsatz Überlegungen zu einer Poetik des Staunens im Mittelalter untersucht Mireille Schnyder zum einen, welche Funktionen den »StaunensMomenten« innerhalb eines Textes zukommen können.470 Zum anderen stellt die Mediävistin die Frage »nach einem Staunen vor dem Text, einem durch Textphänomene auf der Ebene des Narrativs wie der Rhetorik erzeugten Staunen der Rezipienten«.471 Die grundlegende Annahme, auf der Schnyder aufbaut, lautet, das Phänomen des Staunens stelle ein »Grenzphänomen« dar, welches auf eine epistemische Grenze hindeute.472 Jene epistemische Grenze könne sowohl den Rand logisch-reflektierten Wissens markieren als auch den des Wahrnehmungs- und Erfahrungswissens.473 469 470 471 472 473
Pawis (Hrsg.), Johann Hartliebs ›Alexander‹, S. 293. Schnyder, Überlegungen zu einer Poetik des Staunens, S. 95. Ebenda. Ebenda. Ebenda.
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Im philosophischen Diskurs der Antike habe das Phänomen des Staunens »die Grenze zum Unwissen« festgelegt und zudem die Verunsicherung vor Augen geführt, aus der heraus ein Wunsch nach Wissen resultieren könne.474 Das Staunen sei aber auch »Ausdruck einer grundlegenden Verunsicherung und semantischen Leere vor dem Fremden«, welches gegenüber dem Erfahrungswissen eine Privation zeige.475 Auch innerhalb der antiken Rhetorik sei erkennbar, dass die sprachliche Inszenierung von Grenzen darauf abgezielt habe, Staunen hervorzurufen.476 Es handle sich dabei um ein Staunen, mit dem das Auditorium von etwas überzeugt werden sollte.477 Als sprachliche Mittel, die innerhalb einer derartigen Inszenierung angewandt worden seien, nennt Schnyder »auf der Textebene das fremde Wort oder gar das Fremdwort, die fremdartige Metapher, im Narrativ […] der plötzliche Wechsel des Geschehens, die abrupte Wende oder das fremdartige Personal«.478 Innerhalb jenes Rhetorik-Diskurses, habe das Staunen – in seiner Eigenschaft als »Kunstprodukt« – sowohl dazu eingesetzt werden können, wahre Inhalte auszudrücken als auch erlogene.479 In der Poetik trete zu jener rhetorischen Wirkungsästhetik noch eine Ästhetik der Überwältigung hinzu.480 Diese sei durch ein »stillstellendes, verzückendes, erschütterndes Staunen« gekennzeichnet, das aus dem Wirken einer »rational nicht kategorisierbaren Gewalt« resultiere.481 Diese beiden antiken Staunensdiskurse – der philosophische einerseits und der rhetorisch-poetologische andererseits – seien zu Bestandteilen der christlichen Theologie geworden.482 Innerhalb des theologischen Kontextes markiere das Staunen den »Anfang von Gotteserkenntnis durch Selbstreflexion«.483 Diese und einige weitere wichtige Thesen Schnyders möchte ich im Folgenden anhand eines Beispiels aus dem Reisebericht Felix Fabris verifizieren.484 Als Felix Fabri sich um die Mittagszeit des 20. Septembers 1483 zusammen mit seiner Reisegruppe in der Wüste befindet, wird er auf ein sehr erstaunliches Tier aufmerksam:
474 475 476 477 478 479 480 481 482 483 484
Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 96. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 97. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 98. Ebenda, S. 99. Vgl. zu diesem Beispiel aus dem Evagatorium auch: Meyers, Le »rhinoc8ros« de FrHre F8lix Fabri.
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Circa meridiem vidimus in montis cujusdam cacumine bestiam stare, quae contra nos deorsum respiciebat. Nos vero hanc videntes aestimavimus esse camelum et mirabamur, quomodo camelus in solitudine viveret et, verbum inter nos ortum est, an etiam cameli silvestres reperirentur? Calinus autem ad nos accessit, bestiam illam rhinocerotem vel unicornu esse asseruit, demonstrans nobis unicum ejus cornu de fronte ejus procedens. Cum magna diligentia hanc nobilissimam bestiam respeximus et vehementer dolebamus, quod non proximior nobis fuit, ut magis determinate eam inspexissemus. Est enim bestia haec singularissima in multis conditionibus: in primis dicitur, quod sit bestia saevissima et unum cornu quator pedum habet in medio frontis ita acutum et validum, ut quidquid pitierit aut ventilet, aut perforet idque ad saxa limat, et est mirifici splendoris et ossa de illo cornu cum gemmis pretiosissimis computantur et auro ac argento includuntur. […] Tam fortis est, ut Scriptura sacra Num. 23 Dei fortitudinem ei comparet ; et ita indomabilis, ut Job 39. Dicatur : nunquam alligabitur ad arandum rhinocerontem loro tuo etc. […] Longam ergo moram fecimus sub monte, in quo bestia stabat, et videbatur nobis, quod sicut ejus aspectus fuit nobis delectabilis, sic et aspectus noster sibi, fixa enim stabat bestia. Nec fugit nisi nobis recedentibus.485
Die Fragen, die sich angesichts der Schilderung dieses Rhinozeros- bzw. Einhorn-Erlebnisses stellen sind: Wer staunt hier aus welchem Grund? Die Reisegruppe? Der Fremdenführer? Das Einhorn selbst? Oder aber soll das Staunen über die Textgrenzen hinausgehen – sollen also Fabris Rezipienten zum Staunen gebracht werden? Und wenn ja, an welchen erzählerischen Mitteln lässt sich dies ablesen? Was direkt auffällt, ist die Unsicherheit, die hinsichtlich der Klassifizierung des Tieres besteht. In einem weitgefassten Sinn könnte man das staunenerre485 Fabri, Evagatorium (Edition Hassler, Band II), S. 441f.; die Hervorhebungen durch Fettdruck habe ich vorgenommen. Eigene Übersetzung: ›Gegen Mittag bemerkten wir ein Tier, das still hielt auf dem Gipfel eines der Berge und nach unten schaute, in unsere Richtung. Als wir es sahen, glaubten wir, es sei ein Kamel und fragten uns erstaunt, wie ein Kamel in der Wüste leben könnte, was unter uns die Diskussion auslöste, ob es wildlebende Kamele gäbe oder nicht. Aber der Führer kam zu uns und versicherte, dass dieses Tier ein Rhinozeros oder Einhorn sei und wies uns auf das einzelne Horn hin, das auf der Stirn des Tieres aufragte. Wir schauten dieses edle Tier mit großer Vorsicht an und bedauerten sehr, dass es nicht näher an uns herankam, damit wir es mehr im Detail untersuchen hätten können. Dieses Tier ist in der Tat ganz einzigartig hinsichtlich zahlreicher Aspekte. Man sagte ursprünglich, es sei ein enorm wildes Tier, das in der Mitte ein einzelnes Horn habe, vier Füße, das Horn so spitz und fest, dass es alles, was es trifft, zu Fall bringt oder durchsticht. Es schärft das Horn an den Felsen; es ist von anbetungswürdigem Glanz und man handelt es zu dem Preis der edlen Steine aufgrund dieses Horns, das man einfasst in Gold und Silber. […] Das Tier ist so stark, dass die Heilige Schrift, Num. 23, seine Stärke mit der Kraft Gottes vergleicht. Es ist unbezähmbar im Hinblick auf den Aspekt, der in Hiob 39 genannt wird: Niemals wird man ein Rhinozeros mit deinem Seil festbinden, um es zu studieren etc. […] Wir machten eine lange Marschpause am Fuße des Berges, auf dem sich das Tier aufhielt und es schien uns, dass es genauso viel Freude daran hatte uns anzuschauen, wie wir daran hatten, es zu betrachten, da es unbewegt blieb und nicht die Flucht ergriff, als wir uns entfernten.‹
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gende Wesen daher unter die von Schnyder aufgestellte Kategorie »fremdartiges Personal« subsummieren. Die Reisenden scheinen in dieser Situation entweder über nicht genügend Wahrnehmungs- oder Erfahrungswissen zu verfügen, um das Tier zweifelsfrei als Kamel, Rhinozeros oder auch ein ganz anderes Lebewesen identifizieren zu können. Dieser Zweifel, der laut Schnyder ein Indiz für eine epistemische Grenze darstellen kann, kommt auch anhand des Verbs mirabamur zum Ausdruck, das mit ›wir wunderten uns‹ oder ›wir staunten‹ ins Deutsche übersetzt werden kann.486 Diskussionsbedarf unter den Reisenden besteht ebenfalls dahingehend, ob es tatsächlich wildlebende Kamele gibt. Spätestens ab der Erwähnung jener Diskussion ist klar, dass Fabris Beschreibung sich tatsächlich auf der »Grenze zum Unwissen« bewegt, woraus das Staunen zu resultieren scheint. Aber auch der Fremdenführer kann dieses Unwissen nicht in korrektes Wissen überführen. Er stiftet mit den beiden zur alternativen Benennung angegeben Bezeichnungen rhinoceros und unicornis zwar innerhalb des Textes keine weitere Verunsicherung, denn alle Reisenden sehen das Horn auf der Stirn des Tieres und gehen offenbar davon aus, die beiden Termini könnten synonym zu einander verwendet werden. Verunsicherung wird jedoch über die Textgrenze hinaus geschaffen, nämlich auf der Rezipientenebene. Zumindest für den Rezipienten des 21. Jahrhunderts ergibt sich an dieser Stelle – abgesehen von allen Fiktionalitätsdiskussionen – die Frage, was Felix Fabri nun tatsächlich gesehen haben will: ein Einhorn oder ein Rhinozeros? Es ist jedoch sehr gut möglich, dass sich jene Frage für mittelalterliche Rezipienten nicht derart stellte, da sich die meisten weder über die Existenz eines Unterschieds zwischen dem Fabeltier Einhorn und dem real existierenden Tier Rhinozeros noch über die Unterschiede in der Semantik der Begriffe bewusst gewesen sein dürften.487 Hier zeigt sich der Aspekt, den Schnyder meint, wenn sie von einer »semantischen Leere vor dem Fremden« spricht.488 Im weiteren Verlauf der Schilderung informiert Fabri darüber, dass das Tier sehr edel sei, was er mit der Formulierung nobilissimam bestiam zum Ausdruck bringt. Darin zeigt sich bereits eine Parallele zu den in Kapitel »1.3.4 Das Eigene und das Fremde« angeführten Textbeispielen aus dem Niederrheinischen Orientbericht, in denen ›exotische‹ Tiere ebenfalls des Öfteren mit dem Attribut edel 486 Vgl.: Schnyder, Überlegungen zu einer Poetik des Staunens, S. 95. 487 Aber auch dies hing von der jeweiligen sozialen Schicht und gesellschaftlichen Gruppe ab, der ein mittelalterlicher Mensch angehörte sowie von der geographischen Lage seiner Heimat. Das bereits erwähnte Nashornmosaik in der Villa Romana Casale zeigt zumindest, dass die Vorstellung von der Gestalt eines Rhinozeros bereits nach Italien gelangt war. Allerdings bleibt unsicher, ob ein Mensch im Mittelalter das Tier in dieser Abbildung als rhinoceros oder unicornis bezeichnet hätte. 488 Vgl.: Schnyder, Überlegungen zu einer Poetik des Staunens, S. 95.
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oder edell versehen wurden. Verstärkt wird dieser Eindruck der Kostbarkeit dadurch, dass Fabri im darauffolgenden Satz erklärt, man handle das Tier zum Preis der edelsten Steine und fasse sein Horn in Gold und Silber ein (ossa de illo cornu cum gemmis pretiosissimis computantur et auro ac argento includuntur). Anhand der Aussage vehementer dolebamus, quod non proximior nobis fuit, ut magis determinate eam inspexissemus wird daraufhin deutlich, warum das Staunen der Reisenden bis zum Ende der Begegnung anhält: sie kommen nämlich nicht näher an das Tier heran, um es einer eingehenderen, detaillierteren Untersuchung zu unterziehen. Folglich ergibt sich für Fabri und seine Gefährten nicht die Möglichkeit, die »Verunsicherung« gegenüber dem Fremden zu überwinden, obgleich das von Schnyder vorausgesetzte »Begehren nach Wissen« bei den Staunenden durchaus vorhanden ist.489 Auch wenn das Tier nicht aus der Nähe betrachtet werden kann, werden im weiteren Verlauf der Erzählung dennoch Angaben zu seiner äußeren Erscheinung gemacht.490 Hierbei ist insbesondere der wundersame und anbetungswürdige Glanz zu nennen, der von ihm ausgeht. Mit mirifici splendoris wird bereits auf das Wunderbare und Mirakulöse verwiesen, das von Gott kommt.491 Möglicherweise beginnt an dieser Stelle das, was Schnyder als den »Anfang von Gotteserkenntnis durch Selbstreflexion [des Staunenden]« bezeichnet.492 Laut Schnyder ist jene Gotteserkenntnis darin zu sehen, dass ein »metonymische[s] Zusammenfallen von staunendem Subjekt und bestauntem Objekt« stattfinde, das »den nach außen gewendeten Blick in die Welt auf sich selber zurück« führe.493 Auch dieser Aspekt kommt innerhalb des Einhorn-Beispiels sehr anschaulich zum Tragen; nämlich wenn Fabri berichtet, das Einhorn habe ebenfalls stillgestanden und voller Freude die staunenden Blicke der Reisenden erwidert (bestia stabat, et videbatur nobis, quod sicut ejus aspectus fuit nobis delectabilis, sic et aspectus noster sibi, fixa enim stabat bestia). Zugleich entstehe – so Schnyder – aus dem Staunen heraus ein Bewusstsein dafür, dass ein grundlegender Unterschied zwischen dem Lebewesen und Gott bestehe.494 Dieses Bewusstsein wiederum begründe das »Begehren« nach Gott.495 489 Vgl.: Ebenda. 490 Meyers erläutert die verschiedenen Quellen Fabris, aus denen sich diese Einhorn-Beschreibung speist. Fabris Hauptquelle ist laut Meyers das Speculum naturale XIX, 104 Vincents de Beauvais, dessen Quellen wiederum Plinius, Solinus und Isidor von Sevilla sind. Vgl. dazu: Meyers, Le »rhinoc8ros« de FrHre F8lix Fabri, S. 8f. 491 Auf den Aspekt des Wunderbaren – oder mhd. wunderl%chen – werde ich unter 1.3.4 Mögliche Beschreibungsverfahren des ›Exotischen‹ noch genauer eingehen. 492 Schnyder, Überlegungen zu einer Poetik des Staunens, S. 99. 493 Ebenda, S. 98f. 494 Ebenda, S. 99, Anm. 11. 495 Ebenda. Schnyder führt an dieser Stelle das folgende, aufschlussreiche Augustinus-Zitat an: »Ubi est Deus tuus?«: »Quærens ergo Deum meum in rebusvisibilibus et corporalibus, et non
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Innerhalb des Einhorn-Beispiels zeigt sich, dass Fabri einige proprietates des Einhorns anspricht, die er – unter Berufung auf einschlägige Bibelstellen – mit göttlichen Eigenschaften in Verbindung bringt. So heißt es etwa von der Stärke des Tieres: Tam fortis est, ut Scriptura sacra Num. 23. Dei fortitudinem ei comparet. Es ist also die Heilige Schrift, die diese Information liefert und nicht Fabri selbst (Biblia Sacra Vulgata, 4. Mose 23, 22: Deus eduxit eum de Aegypto cuius fortitudo similis est rinocerotis). Der Ulmer Dominikanermönch beruft sich an dieser Stelle lediglich auf die über jeden Zweifel erhabene Quelle. Zudem findet innerhalb seiner Ausführungen gerade keine Gleichsetzung zwischen Einhorn und Gott statt, da nur von compare – also von einem Vergleichen – die Rede ist. Viel interessanter erscheint jedoch das Hiob-Zitat (Biblia Sacra Vulgata, Hiob 39, 10: numquid alligabis rinocerota ad arandum loro tuo aut confringet glebas vallium post te), das Fabri im darauffolgenden Satz anführt (nunquam alligabitur ad arandum rhinocerontem loro tuo). Ebenso wie es nicht möglich ist, das Einhorn festzubinden – und sich auf diese Weise ein konkretes Bild von dem Tier zu verschaffen – kann und darf sich der Mensch auch kein Bild von Gott machen. Das zweite der Zehn Gebote wird hier zwar nicht explizit genannt, scheint jedoch den assoziativen Kontext zu bilden, den Fabri bei seinen Rezipienten wachrufen möchte. Göttliche Eigenschaften werden anhand des Tieres zwar erläutert, das Tier und Gott werden jedoch nicht in eins gesetzt. Ein weiterer von Schnyder angesprochener Aspekt ist die Problematik, die sich für die Menschen des Mittelalters aus einem Staunen ergeben habe, welches als sprachlich geschaffenes »Kunstprodukt« erkennbar gewesen sei.496 Mit dem Versuch einer derartigen »Repräsentation der Wunder der Welt« sei auch stets die Gefahr einer »Täuschung« einhergegangen.497 Die Unterscheidung zwischen dem künstlich geschaffenem Staunen einerseits und dem Staunen vor dem Werk Gottes andererseits gehe auf Augustinus zurück, der die Ansicht vertreten habe, nur das letztgenannte Staunen könne zur »Erkenntnis von Wahrheit« führen.498 »Literatur als (Re-)Präsentation von Welt« habe daher stets unter dem Verdacht der Lüge gestanden.499 Die einzige Ausnahme dazu hätten diejenigen Texte ge-
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inveniens; qærens ejus substantiam in meipso, quasi sit aliquid qualis ego sum, neque hov inveniens […].« Augustinus, Enarratio in Psalmum XLI, Sp. 469. (»Ich suche meinen Gott in jedem irdischen Körper, im irdischen wie im himmlischen, und finde ihn nicht; ich suche seine Wesenheit in meiner Seele und finde sie nicht. Doch ersann ich ein Suchen meines Gottes und im Wunsche durch das, was erschaffen wurde, das Unsichtbare an meinem Gott zu erkennen und zu schauen, erhob sich meine Seele über mich hinaus, und nun bleibt mir nichts mehr zu berühren außer meinem Gott.« Augustinus, Auslegung der Psalmen, S. 85f.). Schnyder, Zu einer Poetik des Staunens, S. 99. Ebenda. Ebenda, S. 100. Ebenda.
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bildet, in denen »Heilsgeschehen in einem Narrativ nachvollzogen« worden sei.500 Auch diese These Schnyders lässt sich anhand des Einhorn-Textbeispiels verifizieren. Um nicht den Verdacht zu erwecken, der curiositas anheimgefallen zu sein und lediglich reißerische, erstaunliche – aber auch erlogene – Geschichten zu erzählen, beruft sich Fabri gegen Ende seiner Einhorn Beschreibung gleich zweimal auf die Heilige Schrift. Dies kann als der Versuch gewertet werden, die Schilderung in einen heilsgeschichtlichen Kontext zu rücken – also »Heilsgeschehen in einem Narrativ« nachzuvollziehen – und das künstlich geschaffene Staunen zu einem »Staunen vor dem Schöpfungswerk« zu erheben.501
1.3.4 Die ›mirabilia des Ostens‹ und der weitgefasste Begriff vom ›exotischen‹ Tier Innerhalb der vorangegangenen beiden Kapitel-Abschnitte wurde bereits deutlich, dass verschiedenste Zuschreibungen ein ›exotisches‹ Tier einmal mehr und einmal weniger fremd, kostbar und wunderbar erscheinen lassen. Daher steht ebenfalls fest, dass ›exotische‹ Tiere in mittelalterlichen Texten nicht zwangsläufig als Bestandteil eines »negativ besetzte[n] Gegenbild[es] zum christlichen ordo« in Szene gesetzt werden müssen.502 Als zwei Inszenierungsmöglichkeiten, in deren Rahmen das Auftreten des ›exotischen‹ Tieres überwiegend positiv konnotiert ist – oder bei denen es zumindest meist zu einem positiven Ausgang des Geschehens kommt – können die Beschreibungen von Wundern (miracula) oder vom Wunderbaren (mirabilia) genannt werden.503 Diese beiden Möglichkeiten gilt es nach Ansicht Marina Münklers strikt voneinander abzugrenzen.504 Unter die Kategorie miraculum sei 500 Ebenda. 501 Vgl. Ebenda. 502 Münkler, Erfahrung des Fremden, S. 151. Münkler bezieht dies nicht alleine auf ›exotische‹ Tiere, sondern auf alle Fremdzuschreibungen. Sie vertritt die Meinung, es sei nicht möglich »die unterschiedlichen Fremdzuschreibungen allesamt als negativ besetztes Gegenbild zum christlichen ordo zu beschreiben«. Vgl.: Ebenda. 503 Münkler, Erfahrung des Fremden, S. 151. 504 Ebenda; Diese Unterscheidung ist bereits im 12. Jh. bei Gervasius von Tilbury vorzufinden. Vgl. dazu: Reichert, Das Bild der Welt im Mittelalter, S. 43f. Gervasius schreibt diesbezüglich: ›Weil der Mensch seiner Natur nach immer darauf erpicht ist, Neues zu hören und zu erfahren, muss auch das Älteste zu etwas Neuem, das Selbstverständliche zu etwas Wunderbarem und das, was für die meisten ganz gewöhnlich ist, zu etwas Außergewöhnlichem umgedeutet werden. Unserer Meinung nach gibt es vier Kriterien, um etwas als neu bewerten zu können: entweder es ist eben entstanden, erst jüngst geschehen, selten oder außergewöhnlich. So erfreut alles, was neu geschaffen wird, schon von Natur aus. Was sich gerade erst ereignet hat, erregt Staunen – weniger wenn es häufig, mehr, wenn es selten
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der direkte »Eingriff Gottes in die Natur als kurzfristig-punktuelle Außerkraftsetzung der Naturgesetze« zu subsummieren.505 Mirabilia hingegen seien diejenigen »Gegenstände, die sich dem unmittelbaren Nachvollzug durch den menschlichen Verstand entziehen«.506 Während also das miraculum als Beweis für »die unmittelbare Anwesenheit Gottes« zu verstehen sei, führe das mirabile »die Undurchdringlichkeit seines Schöpfungsplanes« und »die Begrenztheit des eigenen Wissens« vor Augen.507 Unter die Kategorie mirabilia könnten daher »Naturerscheinungen, Pflanzen, Tiere, von Menschenhand gemachte Gegenstände, Verhaltensweisen und Ereignisse« subsummiert werden, sofern sie über das Vertraute hinausgingen.508 Es scheint, dass ›exotische‹ Tiere in den mittelalterlichen Reiseberichten als beides thematisiert werden können: sowohl als ›mirabilia des Ostens‹ als auch innerhalb von Wunder-Berichten. Während das in Abschnitt 1.3.3 angeführte Einhorn-Textbeispiel als Darstellung des Mirabilen zu verstehen ist (da Gott nicht direkt anwesend ist oder eingreift), können die folgenden Ausführungen Fabris als Schilderung gleich zweier miracula angesehen werden: Im Rahmen seiner Beschreibung des Nildeltas informiert der Ulmer Dominikanermönch erstaunlich ausführlich über Aussehen, Gewohnheiten und Bedeutung der in Ägypten beheimateten Krokodile. Die Mirakel-Schilderung setzt an einem Punkt ein, an dem Fabri über zwei verschiedenartige Begegnungen zwischen Mensch und Krokodil zu berichten beginnt. Die erste Begegnung stellt das folgende Zusammentreffen zwischen einer Gruppe von Mönchen und Krokodilen dar :
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geschieht. Und wenn wir von etwas Außergewöhnlichem hören, dann stürzen wir uns darauf: einmal, weil es uns in Erstaunen versetzt, wenn ein natürlicher Ablauf verkehrt wird; sodann, weil wir die Ursache nicht kennen deren Wirken für uns unergründlich ist; schließlich auch, weil etwas von unserer gewohnten Wahrnehmung abweicht, ohne dass wir eine plausible Erklärung dafür hätten. Daraus erwächst zweierlei: Wunder [miracula] und Wunderbares [mirabilia], beides aber ruft Verwunderung [admiratio] hervor. Als Wunder bezeichnen wir gewöhnlich Vorgänge, die wir als übernatürlich der göttlichen Allmacht zuschreiben: Wenn zum Beispiel die Jungfrau gebiert, wenn Lazarus wiederaufersteht oder sieche Körperteile wieder heil werden. Wunderbar aber nennen wir das, was unser Fassungsvermögen übersteigt, auch wenn es natürlich ist; wunderbar wird etwas auch durch unser Unvermögen zu erklären, warum etwas so ist, wie es ist.‹ Gervase of Tilbury, Otia imperialia. Recreation for an Emperor. Hrsg. v. S. E. Banks und J. W. Binns, Oxford 2002, S. 558f. (zitiert nach Reichert, Das Bild der Welt im Mittelalter, S. 59); Gervasius von Tilbury, Kaiserliche Mußestunden – Otia imperialia. Eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Heinz Erich Stiene. Stuttgart 2009, S. 308f. (zitiert nach Reichert, Das Bild der Welt im Mittelalter, S. 59). Münkler, Erfahrung des Fremden, S. 151f. Ebenda, S. 152. Ebenda. Ebenda.
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De his belluis saepe mentio fit in Vitis Patrum. Legimus enim, dum quidam monachi irent in Vitriam, Aegypti pagum, et ad locumquendam venissent, in quo erat grandis fovea, aqua plena, quae in eam decurrerat tempore exundantiae Nili, viderunt super margines stagni multos jacere cocodrillos et magnos, qui dormiebant ad solem, monachi vero aestimabant eos mortuos, sed dum accederent propius ad videndum immanes bestias, continuo, ut sonitum pedum senserunt, excitati sunt cocodrilli et contra monachos illos insurrexerunt et, nisi divinum auxilium adfuisset terrens cocodrillos ut redirent in stagnum, omnes illi monachi perditi fuissent.509
Um seine Ausführungen glaubhaft erscheinen zu lassen und den Eindruck von Reliabilität zu erwecken, beruft sich Fabri zunächst auf das Väterbuch, innerhalb dessen Krokodile des Öfteren erwähnt würden.510 Auch im weiteren Verlauf seiner Schilderung hält er daran fest, Buchwissen widerzugeben (Legimus enim). Höchstwahrscheinlich erachtete er diese Berufung auf christliche ›Autoritäten‹ als umso notwendiger, da die darauffolgenden Inhalte seiner Schilderung derart unerhört und unglaublich sind, dass sie den Rezipienten ein hohes Maß an Vertrauen abverlangt haben dürften – Vertrauen, das man offensichtlich eher in Bücher hatte als in das Erfahrungswissen eines wiedergekehrten Reisenden. Daraufhin erzählt Fabri von Mönchen, die in Vitrie reichlich unvorsichtig eine Annäherung an scheinbar tote – jedoch in Wirklichkeit nur schlafende – Krokodile gewagt hätten.511 Aus dieser lebensbedrohlichen Situation habe sie alleine Gottes Hilfe (divinum auxilium) retten können. Hier wird das direkte Eingreifen Gottes in die Natur deutlich, das laut Münkler gegeben sein muss, um überhaupt von einem ›Wunder‹ oder miraculum sprechen zu können.512 Explizit wird gesagt, dass die Krokodile durch das göttliche Eingreifen verängstigt geflüchtet seien und dass die Mönche ohne jene Einflussnahme verloren gewesen wären (omnes illi monachi perditi fuissent). Doch diese spektakuläre Krokodil-Mirakel-Schilderung genügte dem Ulmer Dominikanermönch offenbar noch nicht, denn der darauffolgende Textab509 Fabri, Evagatorium (Edition Hassler, Band III), S. 134f. (fol. 121 a); die Hervorhebungen in Fettdruck habe ich vorgenommen. Eigene Übersetzung: ›Diese Tiere finden in den Büchern der Väter oftmals Erwähnung. Man liest tatsächlich, dass Mönche sich nach Vitrie, einem Dorf in Ägypten begaben und dass sie einen Ort erreichten, wo sich ein großes Loch voller Wasser befand. Dieses Wasser spülte – wie sie bemerkten – zu jener Zeit des Nilhochwassers mehrere riesige Krokodile an, die in der Sonne schliefen. Die Mönche glaubten sie tot, aber als sie sich ihnen näherten, hörten die Krokodile die Geräusche ihrer Schritte, erwachten plötzlich und stürzten sich auf die Mönche. Wenn nicht eine göttliche Hilfe eingetreten wäre, die die Krokodile ängstigte und sie zwang, das Wasserloch wieder zu erreichen, so wären alle Mönche verloren gewesen.‹ 510 Fabri entnimmt dieses Wissen höchstwahrscheinlich dem Väterbuch, V. 9069–9190. Vgl.: Reissenberger (Hrsg.), Das Väterbuch, S. 131–133. 511 Jacques Masson geht davon aus, dass an dieser Stelle Nitrie gemeint ist. Vgl.: Masson (Hrsg.), Le Voyage en Pgypte, S. 638, Anm. 914. 512 Münkler, Erfahrung des Fremden, S. 151f.
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schnitt wirkt wie eine Steigerung des gerade stattgefundenen Wunders. Sie ist mithin als Beleg dafür anzusehen, dass göttliche miracula noch weitaus beeindruckender ausfallen können: Aliud legitur : quidam sanctus Aegypti monachus, dictus Helenus, de eremo venit in monasterium multorum monachorum, quod juxta Nilum erat, ut illo die, quia dominica erat, missam audiret, sed non erat sacerdos, qui celebraret, in monasterio. Qui dum de hoc miraretur et causam quaereret, dixerunt, quod sacerdos eorum haberet habitationem trans flumen nec venire posset propter metum magni et saevi cocodrilli, qui super littus Nili discurrit et omnibus nocere contendit, sed et non paucos occidit. Hoc audiens Helenus ad Nilum ivit, ut sacerdotem advocaret et ecce bestia quasi latro de fruticetis prodiens furiosa occurit Heleno, quam ut homo Dei vidit, oravit et fiducia accepta ad bestiam intrepide accessit et super dorsum ejus insiliit et in aquam duxit, qui magistrum habere se sentiens cum tranquillitate eum ad aliam partem fluminis duxit. Adiit ergo Helenus ad domum presbyteri et hortatus eum rogare coepit, ut veniret ad dicendum missam dominicalem. Cum causaretur sacerdos de bestia et de naviculae carentia, dixit Helenus: nil verearis pater, sed veni securus et Deus providebit nobis de vehiculo. Sequebatur ergo sacerdos fratrem et dum ad aquam venissent, exclamavit voce magna Helenus, cocodrille veni. Qui ad hanc vocem festinus accurrit et dorsum placide praebuit. Prior ergo Helenus adscendit, invitavit presbyterum a longe stantem, ut consenderet sibi in dorso bestiae, sed ille a bestia territus et miraculo consternatus appropinquare nulla ratione ausus fuit. Sanctus autem Helenus, sicut venerat in tergo bestiae, sic rediit. Sed ubi descendit, secum pariter in siccum bestiam eduxit dicens ei: melius est tibi mori, quam tot scelerum, tot homicidiorum involvi reatu. Ad haec verba protinus corruit et exspiravit. Multa talia in Vitis Patrum legimus.513 513 Fabri, Evagatorium (Ed. Hassler, Band III), S. 135 (fol. 121a). Eigene Übersetzung: ›An anderer Stelle liest man, dass ein heiliger Mönch aus Ägypten, der Helenus genannt wurde, aus seiner Einsiedelei in ein Kloster kam, das eine große Anzahl an Mönchen beherbergte und das sich in der Nähe des Nils befand. An jenem Tag – der ein Sonntag war – wollte er dort die Messe hören. Nun gab es allerdings keinen Priester im Kloster, um sie zu feiern. Er war sehr erstaunt darüber und fragte nach dem Grund dafür. Sie sagten ihm, dass ihr Priester seinen Wohnsitz auf der anderen Seite des Flusses habe und dass er nicht kommen könne aufgrund der Furcht vor einem großen und wilden Krokodil, das den Fluss durchstreife. Dieses Krokodil schnappe sich jedermann und habe bereits eine Vielzahl an Leuten getötet. Dies hörend ging Helenus bis an den Nil, um den Priester zu rufen. Nun stürzte das Krokodil – ein solcher Wegelagerer – zornig aus dem Schilfdickicht und lief dazu auch noch auf Helenus zu. Der Mann Gottes sah es, sprach ein kurzes Gebet und als er daraus Vertrauen geschöpft hatte, bot er der Bestie unerschrocken die Stirn. Er stieg ihr auf den Rücken und steuerte sie zum Wasser. Ihren Herren spürend, brachte sie ihn ruhig bis ans andere Ufer des Flusses. Helenos ging also bis ans Haus des Priesters und nachdem er ihn ermutigt hatte, bat er ihn zu kommen, um die Sonntagsmesse zu halten. Der Priester führte dagegen die Anwesenheit des Monsters und das Fehlen eines Bootes an. Helenos erklärte: »Fürchtet nichts Vater, ich bin gesund und wahlbehalten hierhergekommen und Gott hat ein Transportmittel vorgesehen.« Der Priester folgte also dem Bruder und als sie ans Wasser kamen, rief Helenos mit kräftiger Stimme: »Komm Krokodil!« Dieses kam auf das Rufen hin herbeigeeilt und bot ruhig seinen Rücken an. Helenos stieg zuerst darauf und
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Nachdem die Sonntagsmesse in dem ägyptischen Mönchskloster scheinbar ausfallen muss, da der dafür zuständige Priester am gegenüberliegenden Ufer des Nils wohnt und sich aufgrund eines großen und wilden Krokodils nicht hinüber wagt (magni et saevi cocodrilli), entscheidet sich der heilige Helenus, etwas gegen diesen Zustand zu unternehmen. Er begibt sich ans Flussufer und prompt stürzt das aggressive Tier voller Zorn auf ihn zu (furiosa). Doch Helenus beginnt zu beten und Gott erhört ihn, denn nun gelingt es dem Tapferen völlig problemlos, auf den Rücken der Bestie zu steigen und sie zum Wasser zu steuern (super dorsum ejus insiliit et in aquam duxit). Ausdrücklich wird an dieser Stelle gesagt, das Tier habe seinen Herrn gespürt (magistrum habere se sentiens) und den gottesfürchtigen Mann deshalb so ruhig ans andere Ufer gebracht. Hier könnte man natürlich zunächst denken, dass mit magistrum der heilige Helenus gemeint ist und dass das Krokodil ihn gespürt hat, weil er direkt auf dessen Rücken stand. Viel plausibler erscheint mir jedoch, dass magistrum für Gott selbst steht. Das zuvor so wilde Krokodil wird von seinem Herrn und Schöpfer zu einem gerade entgegengesetzten Verhalten gebracht; der zuvor herrschende Zorn (furiosa) wird in absolute Ruhe (cum tranquillitate) überführt. Durch das direkte Eingreifen Gottes findet eine Art ›Umpolung‹ des Tieres statt, worin ein Teil des Mirakels zu sehen ist. Es ist also nicht das Krokodil selbst, das als Mirakel inszeniert wird, sondern die Handlung, die mit ihm verbunden ist – die Errettung von – bzw. die Zähmung des Tieres. Über den Willen Gottes erfährt der Rezipient jedoch auch noch an anderer Stelle, denn als Helenus bei dem Priester angelangt ist und dieser die Bedenken äußert, mangels eines Bootes nicht ans andere Ufer zu kommen, beruhigt Helenus: »Deus providebit nobis vehiculo«. Das vormals so negativ konnotierte Krokodil wird nun also umcodiert in etwas Positives, sehr Praktisches. Gott hat es extra als Transportmittel für die beiden Männer vorgesehen und es genügt daher, dass Helenus einmal »cocodrille veni« ruft, damit es herbeigeeilt kommt und zur Verfügung steht. Angesichts dieses Wunders, das in dem artfremden Verhalten des Tieres zu sehen ist – und das auch im Text selbst als miraculum bezeichnet wird – ist der Priester fassungslos (miraculo consternatus) und der Heilige muss die Rückfahrt auf dem Tier alleine antreten. Am anderen Ufer angelangt, entscheidet Helenus dann, dass das Tier sterben muss. Es ist jedoch nicht notwendig, dass er es unter Einsatz von Waffengewalt oder mit großer lud den Priester – der zunächst auf Distanz blieb – ein, ihn auf dem Rücken des Tiers zu begleiten. Aber dieser, verängstigt durch die Bestie und geschlagen von der Fassungslosigkeit über dieses Wunder, hätte es um nichts in der Welt gewagt, sich zu nähern. Der heilige Helenos kehrte auf dem Rücken des Krokodils genauso zurück, wie er gekommen war. Aber als er abgestiegen war, brachte er das Tier dazu, mit ihm ins Trockene zu kommen und sagte ihm: »Es ist besser, du stirbst, als dass du dich noch einmal in solch verabscheuungswürdige Taten verwickeln lässt«. Bei diesen Worten brach es zusammen und hauchte sein Leben aus. Man kann viele ähnliche Dinge in den Viten der Väter lesen.‹
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Mühe zur Strecke bringt. Ein performativer Sprechakt reicht an dieser Stelle vollkommen aus. Indem Helenus sagt »melius est tibi mori, quam tot scelerum, tot homicidiorum involvi reatu« spricht er etwas aus, das noch im selben Moment durch den Willen Gottes Wirklichkeit wird: das Tier stirbt (Ad haec verba protinus corruit et exspiravit). Auch hier ist ein direktes Eingreifen Gottes anzunehmen und das Aus-der-Welt-Scheiden des Krokodils kann als weiterer Bestandteil des Mirakels gewertet werden. Den Abschluss des Mirakelberichts bildet eine erneute Nennung der schriftlichen Quelle, aus der Fabri – eigenen Angaben zufolge – sein Wissen bezieht.514 Nachdem anhand der beiden Krokodilbeispiele deutlich wurde, wie ›exotische‹ Tiere innerhalb von Mirakelschilderungen auftreten können und was den Unterschied zwischen miracula und mirabilia ausmacht, bleibt festzuhalten, dass man insbesondere die Heimat der mirabilia »häufig an den fernen Rändern der Erde« verortete.515 Dies wird beispielsweise anhand der Ebstorfer Weltkarte deutlich. Sie bildet die Wundervölker – die ebenso wie »exotische« Tiere zu den mirabilia zählen – ganz am Rand der Welt ab (Abb. 6). Aufgrund dieser räumlichen Entfernung kam der mittelalterliche Mensch nur äußerst selten mit mirabilia in Berührung und das Wissen über sie konnte folglich kein Bestandteil des Erfahrungswissens sein.516 Gleichwohl glaubte man offenbar an die Möglichkeit – so Folker Reichert – »dass eines fernen Tages die Erkenntnis sich einstellt und die anstaunende Verwunderung dem banalen Verständnis weicht«.517 Man ging davon aus, dass die Mirabilien-Dichte im hohen Norden, den westlichen Randgebieten Europas (Island und Irland) sowie in Indien und den afrikanischen Gebieten südlich der Sahara am größten sei.518 Allerdings wurden zur Bezeichnung dieser Gebiete meist keine genauen geographischen Termini verwendet, da man nicht auf die Eingrenzung eines bestimmten Gebietes abzielte, sondern darauf, »einen möglichst offenen Raum für die Wunder zu reservieren«.519
514 Fabri nennt an dieser Stelle nur das Väterbuch als Quelle. Es ist jedoch auch möglich, dass die Mirakel-Schilderung durch die Krokodil-Informationen in Plinius’ NH 8, 92–95 beeinflusst wurde. 515 Reichert, Das Bild der Welt im Mittelalter, S. 44. 516 Reichert, Das Bild der Welt im Mittelalter, S. 44. 517 Ebenda. 518 Ebenda, S. 48. 519 Ebenda, S. 49; Vgl. auch: Ganeshan, Indienbegegnung deutscher Schriftsteller, S. 167; Simek, Erde und Kosmos im Mittelalter, S. 80.
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Abb. 6: Wundervölker am südlichen Rand der Ebstorfer Weltkarte,520 entstanden im 13. Jh., zerstört 1944.521 Linke Seite, von oben nach unten (identifiziert anhand der Inschriften der Karte): Wesen, von dem Hartmut Kugler annimmt, es sei ein Schimpanse; Satyr oder Faun (gehörnter und bocksfüßiger Walddämon); Callithrix (eine Affenart); Garamantes (Volk im Innern Afrikas); Sphinges (Schimpansen); Psylli (Volk an der Großen Syrte); Ibis (Vogel am Nil, der sich reinigt, indem er mit dem Schnabel Wasser in den After einführt). Rechte Seite, von oben nach unten: Volk ohne Zunge, das sich nur mit Gebärden verständigt; äthiopische Syrbotae, die bis zu 12 Fuß groß sind; äthiopische Psambares (Sesambri) haben keine Ohren und auch alle ihre Vierbeiner haben keine; äthiopische Mauritani (Maritimi) haben vier Augen und sind deshalb zielsicher im Bogenschießen; Menschen mit zusammengewachsenen Mündern, deren Lippen so groß sind, dass sie sich damit gegen die Sonne schützen können; Troglodyten (sind so schnell, dass sie das Jagdwild im Lauf einholen können).522
Für die Vorstellung, die man von den mirabilia in Indien hatte, war insbesondere der Brief des Priesterkönigs Johannes ausschlaggebend, der erstmals 1165 in Europa auftauchte und an Kaiser Friedrich Barbarossa ging.523 Als Absender galt über einen langen Zeitraum hinweg der angeblich in Indien herrschende Pres520 Bildquelle: http://www.uni-lueneburg.de/hyperimage/EbsKart/start.html. Zugriff am 05.04. 2017 um 13:00 Uhr. 521 Vgl.: Simek, Monster im Mittelalter, S. 21. 522 Vgl.: http://www.uni-lueneburg.de/hyperimage/EbsKart/start.html. Zugriff am 06. 04. 2017 um 15:26 Uhr. 523 Simek, Erde und Kosmos im Mittelalter, S. 90. Die nachfolgenden Ausführungen dieser Seite, den Brief des Priesterkönigs Johannes betreffend, entnehme ich ebenfalls Simek, Erde und Kosmos im Mittelalter, S. 90f.
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byter Johannes, von dem berichtet wurde, 70 Könige seien seine Vasallen. Den Hauptinhalt des Briefes bildete eine Aufzählung aller mirabilia, die man im Mittelalter in Indien zuhause glaubte: Edelsteine und Kräuter mit wunderbaren Eigenschaften, exotische und fabelhafte Tiere (Phönix, Einhorn, Salamander), den Pfefferwald, Wundervölker wie Amazonen, Pygmäen, Kentauren und Cynocephalen, die riesigen indischen Flüsse und ein sandiges Meer.524
Jener Brief war zwar in Wirklichkeit eine Fälschung, dies wurde jedoch von den Menschen im Mittelalter nicht bemerkt. Man glaubte sowohl an die Existenz des Absenders als auch an alle mirabilia, die in dem Schriftstück Erwähnung fanden. Dies erscheint auch nicht weiter verwunderlich; wurde in dem Brief doch lediglich das thematisiert, was man ohnehin schon seit jeher – seit der Antike und den Reiseberichten Herodots – über Indien dachte und was natürlich auch schon in mittelalterlichen Enzyklopädien seinen Niederschlag gefunden hatte. Doch was bedeutet dieses Indien-Bild für das Verständnis der Mensch-Tier-Grenze im Mittelalter? Und wie kann in der vorliegenden Arbeit auf sinnvolle Weise damit umgegangen werden? In Indien sind die meisten mirabilia zu finden – sowohl ›exotische‹ Tiere als auch Wundervölker. Anhand deren Darstellungen zeigt sich, dass die MenschTier-Grenze keineswegs so klar definiert war, wie dies heute der Fall ist.525 Die mittelalterliche Vorstellung ging vielmehr dahin, dass besonders in weit entfernten Gebieten die Möglichkeit einer Verwischung jener Grenze gegeben sei. Dies belegt nicht alleine das in Kapitel 1.3.2 vorgestellte Textbeispiel aus Johann Hartliebs Alexander, in dem die indischen Schlangen vermenschlicht werden und eine hoch rede halten.526 Auch der umgekehrte Fall – nämlich dass Menschen innerhalb der Darstellungen animalische, monströse Züge aufweisen – ist keine Seltenheit, wie die links abgebildeten Illustrationen aus Hartmann Schedels Weltchronik (Abb. 7) zeigen. Es scheint, dass das mittelalterliche Konzept vom ›exotischen‹ Tier und das vom ›exotischen‹ Menschen nicht trennscharf voneinander abzugrenzen sind.
524 Ebenda, S. 91. 525 Vgl. dazu auch: Friedrich, Menschentier und Tiermensch, S. 9–13. 526 Vgl. S. 89f. der vorliegenden Arbeit.
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Abb. 7: Wundervölker in Hartmann Schedels Weltchronik (Weltchronik, Nürnberg 1493).527 Linke Seite, von oben nach unten: Hundsköpfige, Einäugige, Kopflose, Rückwärtsfüßler, Hermaphroditen, Skiapoden, Astomen.528 Rechte Seite, von oben nach unten: Nasenlose (Arhines), Großlippler (Amycterae), Großohren (Panotii), Satyrn, Tragotidi, Pferdefüßler, Pygmäen als Feinde der Greifen.529 527 Bildquelle: Bayerische Staatsbibliothek Rar 287, fol. 12. Auf: http://daten.digitale-sammlun gen.de/~db/0003/bsb00034024/images/index.html?id=00034024& groesser=& fip=193.17 4.98.30& no=& seite=94. Zugriff am 05. 04. 2017 um 13:53 Uhr.
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In Anbetracht jener Überlegungen, halte ich es für sinnvoll, der vorliegenden Arbeit einen weitgefassten Begriff vom ›exotischen‹ Tier zugrunde zu legen. Dieser soll gegebenenfalls auch Fabelwesen (wie etwa Felix Fabris Einhorn) und Mischwesen aus Mensch und Tier (wie etwa die Hundsköpfigen) mit einschließen.
1.3.5 Mögliche Beschreibungsverfahren des ›Exotischen‹ Wie bereits im ersten Abschnitt dieses Kapitels erwähnt, fallen im Rahmen einer ersten Primärtextlektüre ganz besonders die Adjektive wunderleich oder wunderl%ch, selczam, frombder und gemlich ins Auge, auf die ich im Folgenden näher eingehen werde. Wunderl%ch kann im Mittelhochdeutschen sowohl als Adjektiv als auch als Adverb auftreten.530 Als Adjektiv kann es im Sinne von ›wunderbar ; außergewöhnlich; unbegreiflich; rätselhaft; seltsam; sonderbar ; merkwürdig; herrlich, bewundernswert; Wunder wirkend; verwundert‹ und ›erstaunt‹ gebraucht werden.531 Als Adverb tritt es entsprechend in den Bedeutungen ›auf wunderbare / unbegreifliche / wundersame Weise; sehr ; überaus, und außerordentlich‹ auf.532 Bemerkenswert ist, dass es zum einen – wie scheinbar alle Begriffe mit dem Wortstamm wunder- – eine transzendente, heilsgeschichtliche Komponente zu besitzen scheint. Besonders anhand der adjektivischen Verwendung mit der Bedeutung ›Wunder wirkend‹ kommt dies zum Ausdruck, denn der einzige, der unmittelbar Wunder bewirken kann, ist Gott selbst. Zum anderen scheint das Wort aber auch zur Beschreibung profaner Dinge eingesetzt worden zu sein, denn Bedeutungen wie ›rätselhaft; seltsam; sonderbar‹ und ›merkwürdig‹ müssen nicht zwangsläufig als Indizien für einen religiös-heilsgeschichtlichen Kontext gewertet werden. Was durch sie aber sehr deutlich zum Ausdruck kommt, ist die von Mireille Schnyder beschriebene »epistemische Grenze«, die Wissensgrenze, die sich in Form eines Staunens vor dem Unbekannten manifestiert und ein »Begehren nach Wissen« entstehen lassen kann.533 Interessant erscheint hier auch ein Blick auf die Semantik des entsprechenden 528 Vgl.: Reichert, Das Bild der Welt im Mittelalter, S. 49. 529 Vgl.: Simek, Monster im Mittelalter, S. 209, 241, 261, 266, 269; Schupp, Zu Hartmann Schedels Weltchronik, S. 56f. 530 Hennig, Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch, S. 477f. 531 Ebenda. 532 Ebenda. 533 Schnyder, Überlegungen zu einer Poetik des Staunens im Mittelalter, S. 95.
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Nomens wunder.534 Neben den Verwendungsweisen im Sinne von ›Wunder ; Wundertat; Neuigkeit; Merkwürdigkeit; Heldentat‹ und ›Ungeheuerlichkeit‹, die man – nachdem man sich die adjektivischen Bedeutungen bereits angeschaut hat – wohl erwartet hätte, kann das Nomen nämlich auch für ›Ungeheuer ; Monstrum‹ und ›Fabelwesen‹ stehen.535 Anhand des zweiten Krokodil-Textbeispiels aus Felix Fabris Evagatorium wurde bereits deutlich, dass gefährliche ›exotische‹ Tiere wie das Krokodil – das zu Beginn des Berichts wie eine monströse Bestie beschrieben wurde – auf einmal ganz sanft und ›lammfromm‹ erscheinen können. Der umgekehrte Fall wäre aber ebenso denkbar. Insofern erscheint es interessant, dass das mittelhochdeutsche Wort wunder bereits die Bedeutung ›Monstrum‹ in sich trägt. Im analytischen Teil der Arbeit wird daher darauf zu achten sein, ob sich innerhalb von Textpassagen in denen Begriffe wie wunderl%ch oder wunder auftauchen, auch eine Monstrifizierung des ›exotischen‹ Tiers bemerken lässt. Das Adjektiv selczam tritt in sehr vielen verschiedenen schriftlichen Realisationen auf, wie etwa die Schreibweisen seltaen, -s.n, -sæm, -s.m, -sein, -seim, -z.m, -zÞn, selzÞn, selzÞm, selzehen, seltÞn zeigen.536 Es kann im Sinne von ›seltsam; fremd; fremdartig; merkwürdig; sonderbar ; wunderbar ; selten‹ oder ›schwer‹ gebraucht werden.537 Wichtig erscheint mir an dieser Stelle, dass sowohl das mittelhochdeutsche/frühneuhochdeutsche selczam als auch das mittelhochdeutsche selten eine gemeinsame althochdeutsche Wurzel haben, nämlich selts.ni.538 Die Etymologie zeigt, dass die assoziative Verbindung zwischen etwas Seltenem und etwas Seltsamem im Früh- und Hochmittelalter viel enger gewesen sein dürfte. Für Menschen des 21. Jahrhunderts ist klar : Nicht alles, was selten ist, ist deswegen auch gleich seltsam. Nur weil wir wahrscheinlich vergleichsweise selten ein Nashorn zu Gesicht bekommen, ist es für uns noch lange kein seltsames Tier. Für das Mittelalter sieht dies offenbar anders aus: Rarität macht die Tiere zu etwas Merkwürdigem und bildet damit einen wichtigen Bestandteil des mittelalterlichen »Exotik«-Konzepts. Das Adjektiv frombde (mhd. Grundform auch vremde), das auch in den Schreibweisen ›vremede, vromde‹ und ›vröm(e)de‹ auftreten kann, bedeutet je nach Kontext ›fremd; fern; unerreichbar ; unbekannt; unkundig; wunderbar ; selten; fremdartig; seltsam, merkwürdig‹ oder ›zurückhaltend‹.539 Damit zeigt Henning, Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch, S. 477. Ebenda. Henning, Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch, S. 289. Ebenda. Vgl. Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm; Lemmata selten und seltsam auf: http://woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle=DWB& mode=Vernetzung& lemid= GS26455#XGS26455. Zugriff am 06. 04. 2017 um 16:34 Uhr. 539 Hennig, Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch, S. 438.
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Drittes Zwischenergebnis
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sich zum einen eine semantische Schnittmenge zu den beiden im Vorangegangenen angesprochenen Begriffen. Zum anderen wird anhand dieses Lemmas ein weiteres Mal Münklers These deutlich, dass es sich beim Fremden um einen relationalen Begriff handelt, der seine volle Semantik erst innerhalb des jeweiligen Kontextes entfalten kann.540 Ein weiteres in den Reiseberichten sehr häufig auftretendes Adjektiv ist gemlich.541 Auch hier lassen sich alternative Schreibweisen wie beispielsweise gemel%ch finden. Als die im Mittelhochdeutschen herrschende Bedeutung für dieses Adjektiv gibt das Deutsche Wörterbuch Jacob und Wilhelm Grimms ›ergötzlich, lustig‹ und ›spaßig‹ an. Je nach Kontext kann es auch mit ›fröhlich‹ und ›ausgelassen‹ übersetzt werden. Es scheint zudem, dass im Verlauf des Mittelalters eine Ausdehnung der Semantik von gemlich stattgefunden hat. Die älteren Belege zeigen, dass das Adjektiv auch in Verbindung mit dem wunderl%chen – im Sinne des ›Mirabilen‹ – auftreten kann und damit in bestimmten Kontexten heilsgeschichtlich konnotiert ist. In diesen Kollokationen mit dem wunderl%chen oder dem wunder, könnte gemlich als eine Art verstärkendes Adjektiv eingesetzt worden sein. Wenn der Begriff wunder dem Autor also zu schwach erschien, wäre eine Option gewesen, nicht nur von einem wunder, sondern von einem wunder gemlich zu sprechen. In jüngeren Belegen jedoch, zu denen auch die Reiseberichte des zu untersuchenden Textkorpus zählen, wird es sehr oft im Sinne von ›närrisch, verrückt‹ oder ›von den Spaßmachern ausgehend‹ gebraucht. Signifikant ist beispielsweise, dass es in den frühneuhochdeutschen Schwänken um Till Eulenspiegel häufiger auftritt, um Tills Narrenstreiche zu beschreiben. Dabei kommt auch das Nomen gämlichkeit zum Einsatz. Bei einem Auftreten des Wortes gemlich ist also stets darüber nachzudenken, ob eher die ältere Verwendungsweise im heilsgeschichtlichen Sinne zum Tragen kommt oder die jüngere, die ganz dem profanen Bereich zuzuordnen ist.
Drittes Zwischenergebnis Zum einen wurde anhand des Textbeispiels aus dem Niederrheinischen Orientbericht deutlich, dass das ›Exotische‹ in mittelalterlichen Texten als das Fremde und Andere auftreten kann, aber nicht muss. Räumliche Distanz – die innerhalb des Beispiels mit over mer ausgedrückt wurde – kann dabei als ein Indikator für Fremdheit gewertet werden. 540 Münkler, Erfahrung des Fremden, S. 148. 541 Die nachfolgenden Ausführungen zu dem Adjektiv gemlich entnehme ich dem Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm; Lemma gämlich auf: http://woerter buchnetz.de/DWB/?sigle=DWB& mode=Vernetzung& lemid=GG00634#XGG00634. Zugriff am 06. 04. 2017 um 16:45 Uhr.
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Tiere als »komplexe Projektionsfläche« für kulturelle Einschreibungen
Oftmals lässt sich aus den Beschreibungen von Tieren, die nicht in Europa beheimatet waren, besondere Seltenheit und eine dadurch bedingte ›Exklusivität‹ herauslesen. Dies gibt Anlass zu der Vermutung, dass das mittelalterliche ›Exotik‹-Konzept auch sehr stark durch die Vorstellung von etwas Edlem, Teurem und Kostbarem bestimmt war. Darüber hinaus kann die Wahrnehmung von ›Exotik‹ zu einer Inszenierung der Tiere als ›mirabilia des Ostens‹ führen. Diese mirabilia sollten die Unergründbarkeit des göttlichen Schöpfungsplans und »die Begrenztheit des eigenen Wissens« verdeutlichen, was insbesondere anhand des Einhorn-Beispiels aus Felix Fabris Evagatorium ersichtlich wurde. Jene »Begrenztheit« – oder wie Mireille Schnyder es ausdrückt: »epistemische Grenze« – hat oftmals eine Verunsicherung des Betrachters und ein Staunen über das ›exotische‹ Tier zur Folge.542 Des Weiteren zeigte sich anhand der beiden Krokodilbeispiele, dass ›exotische‹ Tiere auch in Mirakelberichten auftreten können, in denen die Macht Gottes vor Augen geführt werden sollte. Dies impliziert zugleich, dass die ›Exotik‹ der Tiere keineswegs dazu führte, dass diese nicht mehr als »innerhalb des göttlichen ordo der geschöpflichen Welt« wahrgenommen wurden.543 ›Exotische‹ Tiere werden assoziativ meist in geographisch weit entfernten Gebieten, in Indien und an den Rändern der Welt verortet. Dieses Merkmal teilen sie mit monströsen Wundervölkern und Mischwesen aus Mensch und Tier, die den Erdrand besiedeln. Daher ist es nicht sinnvoll, eine scharfe Trennlinie zwischen diesen und den ›exotischen‹ Tieren zu ziehen. Die Übergänge sind hier vielmehr fließend und kontextabhängig, worin aber gerade einer der interessantesten Untersuchungsaspekte dieser Arbeit zu sehen ist. Zusammenfassend möchte ich daher als Definition meines wissenschaftlichen Konzepts vom mittelalterlichen ›Exotik‹-Konzept festhalten: ›Exotisch‹ konnte für die Menschen im Mittelalter ›fremd‹ und ›anders‹ bedeuten, musste es aber nicht. Zudem war es möglich, dass mit dem ›Exotischen‹ auf eine geographische Distanz verwiesen werden sollte, denn das ›Exotische‹ verortete man vornehmlich in weit entfernten Gebieten – insbesondere in Indien und an den Rändern der Welt. In bestimmten Kontexten implizierte ›Exotik‹ auch Exklusivität und Kostbarkeit, in anderen wiederum deutete sie auf ein niedriges zivilisatorisches Niveau hin. Das ›Exotische‹ tritt verstärkt als miraculum oder als das mirabile in Erscheinung und veranlasste die Menschen zum Staunen. Manchmal wurde es aber auch als so merkwürdig und spaßig empfunden, dass man darüber schmunzeln konnte.
542 Ebenda; Schnyder, Überlegungen zu einer Poetik des Staunens, S. 95. 543 Münkler, Erfahrung des Fremden, S. 149.
Korpus, Terminologie und Prämissen der Textanalyse
1.4
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Korpus, Terminologie und Prämissen der Textanalyse
1.4.1 Das Textkorpus Im Folgenden wird zunächst auf die Überlegungen, die der Textauswahl zugrunde liegen, eingegangen. Zugleich wird dabei erläutert, wie die Einteilung der Texte in die beiden Textgruppen fiktionale, narrative und lyrische Texte des 12.–16. Jahrhunderts und Reiseberichte des 14., 15. und frühen 16. Jahrhunderts zu verstehen ist. Die Informationen zur Entstehung und Überlieferung der mittelalkterlichen Quellen des ›Kernkorpus‹ sind jeweils dem Glossar im Anhang der Arbeit zu entnehmen. Bei den Quellen, die über diesen ›Kernbestand des Korpus‹ hinaus gehen, d. h. bei den mittelalterlichen Enzyklopädien und Bestiarien, erfolgt eine kurze Kontextualisierung – sofern dies erforderlich erscheint – innerhalb des analytischen Teils. Zur erstgenannten Gruppe der fiktionalen narrativen und lyrischen Texte des 12.–16. Jahrhunderts zähle ich dabei folgende Quellen: – Bestiaire d’amour (Richard de Fournival) – Dit de la panthHre d’amour (Nicole de Margival) – Frauenlobs Lied 4 – Straßburger Alexander – Basler Alexander – Johann Hartliebs Alexander – Apollonius von Tyrland (Heinrich von Neustadt) – Wigalois (Wirnt von Grafenberg) – Prosa Lancelot – Concordantiae caritatis (Ulrich von Lilienfeld) – Die goldene Schmiede (Konrad von Würzburg) – Defensorium inviolatae virginitates Mariae (Franz von Retz) – Decameron (Boccaccio) – Tristan (Gottfried von Straßburg) – Lied VI a: West ich, ob ez versw%get möhte s%n (Heinrich von Morungen) – Angerlied (Kristan von Hamle) – Papageiennovelle (Arnaut de Carcass8s) – Le conte de la dame et des trois papegaux – Frayre de Joy et Sor de Plaser – Chevalier au Papegau – Daniel von dem blühenden Tal (Stricker) – Trojanerkrieg (Konrad von Würzburg) – Helmbrecht (Wernher der Gartenære) – Genealogia Deorum (Boccacio)
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Tiere als »komplexe Projektionsfläche« für kulturelle Einschreibungen
– Der Renner (Hugo von Trimberg) – Speke Parrot (John Skelton) Unter die zweitgenannte Quellengruppe der Reiseberichte des 14., 15. und frühen 16. Jahrhunderts subsummiere ich die Itinerare folgender Autoren: – Berhard von Breydenbach – Felix Fabri – Hans Tucher – Arnold von Harff – Sebald Rieter – Konrad von Grünemberg – Hans Schiltberger – Mandeville – Marco Polo – Ludovico de Varthema – Niederrheinischer Orientbericht (anonymer Autor) Neben den Miniaturen, die die Texte der beiden oben genannten Quellengruppen ergänzen, werden folgende Bildquellen herangezogen: – Madonna des Kanonikus Joris van der Paele (Jan van Eyck) – Liebeszauber (Niederrheinischer Meister) – Madonna mit Papagei (Martin Schongauer)
1.4.2 Differente Konzepte von ›exotischen‹ Tieren in verschiedenen Textgattungen? Geht man der Frage nach, ob sich in verschiedenen mittelalterlichen Textgattungen differente Konzepte vom ›exotischen‹ Tier zeigen, so scheint es unerlässlich, sich zunächst mit der Tradierung der Texte sowie mit Gattungsgrenzen und Gattungs-Hybridisierungen spätmittelalterlichen Erzählens auseinander zu setzen. Die ›Gattung spätmittelalterlicher Reisebericht‹ – sofern man hier überhaupt von einer Gattung sprechen möchte – ist von großer Heterogenität gekennzeichnet.544 Ihr Ursprung ist in den lateinischen Itinerarien zu sehen und ihre Rezipienten waren zunächst ausschließlich Adelige, Beamten und Kleriker.545 Eine Veränderung des Rezipientenkreises setzte laut Gerhard Wolf ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ein, »als literarisch gestaltete Reiseberichte 544 Wolf, Deutschsprachige Reiseberichte des 14. und 15. Jahrhunderts, S. 21. 545 Ebenda.
Korpus, Terminologie und Prämissen der Textanalyse
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entstanden, die vielfach kopiert und zunehmend auch ins Deutsche übersetzt, dann nur noch auf Deutsch verfasst wurden«.546 Den Anstoß zu diesen weitreichenden Veränderungen gab in erster Linie die stetig voranschreitende Literarisierung des Bürgertums.547 Aus literaturhistorischer Sicht sind die Reiseberichte insofern interessant, als dass sie »bedeutende Rezeptionszeugnisse literarischer Mythen« darstellen.548 Dies ist dahingehend zu verstehen, dass Bestandteile antiker Weltbilder in die mittelalterlichen Reiseberichte mit aufgenommen wurden und somit stets präsent blieben.549 Der Rekurs auf jene antiken Vorstellungen verlieh den Reiseberichten Glaubwürdigkeit und vermittelte mittelalterlichen Rezipienten den Eindruck, es würden faktische Gegebenheiten wiedergegeben.550 In besonderem Maße prägend wirkte sich auf die ›Gattung Reisebericht‹ zudem aus, dass im 14. Jahrhundert neue Abschriften der Alexanderliteratur und der sog. ›Spielmannsepen‹ angefertigt wurden, die in der Folgezeit verstärkt als Quellen für das vermeintlich im Orient ›Erlebte‹ herangezogen werden konnten.551 Wie stark der Einfluss dieser literarischen Traditionen war, tritt wohl am offensichtlichsten anhand von Mandevilles Voyages zutage, einer Kompilation aller zur Verfügung stehenden Kenntnisse über das Heilige Land und Ostasien.552 Wichtig erscheint darüber hinaus Gerhard Wolfs Aussage, neben anderen Einflussfaktoren seien es insbesondere die Reiseberichte gewesen, die dafür gesorgt hätten, »dass die von der Kirche bekämpfte Sünde der curiositas literatur- und hoffähig« geworden sei.553 Mit dem Prädikat »hoffähig« wird den Berichten ein gewisser Unterhaltungswert zugesprochen und eine kurzweilige Lektüre impliziert, die bis in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts eher für andere Texte – wie beispielsweise höfische Romane – angenommen wurde. Doch was bedeutet dies für das Korpus dieser Arbeit? Vor dem Hintergrund der erläuterten Tradierungswege erscheint es sinnvoll, zum einen fiktionale narrative und lyrische Texte zu untersuchen, die Bestandteile antiker Weltbilder beinhalten und zugleich als Quellen für die spätmittelalterlichen Reiseberichte fungiert haben könnten. Diese unter der ersten Textgruppe zusammengefassten Texte bilden ein äußerst heterogenes Konglomerat. So beinhaltet diese Textgruppe beispielsweise Antikeromane (die ihrerseits zum Teil auch wieder auf Reiseberichten basieren), einen Abenteuerroman, 546 547 548 549 550 551 552 553
Ebenda. Ebenda, S. 21f. Ebenda, S. 22. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda.
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altfranzösische und altokzitanische Fabliaux, höfische Romane sowie Sangsprüche. Eine der Überlegungen, die hinter dieser Einteilung steht ist, dass das Gattungsbewusstsein im Selbstverständnis der Dichtenden nicht so ausgeprägt war, wie es die Literaturgeschichten suggerieren.554 Gerade die späte höfische Literatur zehrt aus vielen Textsorten und –traditionen. Daher ist spätmittelalterliches Erzählen durch Hybridisierung gekennzeichnet.555 Da altfranzösische Dichtung oftmals als Vorlage zu mittelalterlichen deutschen Werken herangezogen wurde und ein immens reger Kulturtransfer zwischen den beiden benachbarten Reichen stattfand, erscheint es besonders interessant, altfranzösische und altokzitanische Quellen in die Untersuchung mit einzubeziehen. Auch die Antikeromane, die stets das Anliegen der translatio – und damit der Wissensweitergabe – haben, schöpfen ihren Stoff aus einer Vielzahl antiker und mittelalterlicher Quellen. Das Erzählprinzip der Abenteuerromane ist es, durch ›Exotisches‹ und Staunenswertes zu faszinieren und zu unterhalten. Auch innerhalb dieser Textgruppe kommt es zur Vermischung verschiedener Traditionen, denn die Dichter suchten sich den jeweiligen Stoff, den sie für ihren Abenteuerroman brauchten, aus den unterschiedlichsten Vorlagen zusammen. Diese Hybridisierung spätmittelalterlichen Erzählens rechtfertigt die Zusammenschau der verschiedenen Textsorten innerhalb des Korpus der vorliegenden Arbeit.556 Hinzu kommt, dass fiktionale narrative Texte, Pilgerberichte und Berichte China- und Indienreisender oftmals gemeinsam in einer Sammelhandschrift überliefert sind, sodass sich – um es mit den Worten Ernst Brenners auszudrücken – eine Art »Kollektionstyp ›Reiseliteratur‹« bemerken lässt.557 Außerdem besteht ein Anliegen der vorliegenden Arbeit gerade darin, gattungsübergreifende, universelle Konzepte herauszuarbeiten, die innerhalb einer bestimmten Zeitspanne oder auch epochenübergreifend vorherrschten. Dies wirft natürlich die Frage auf, warum das Korpus dennoch zwei Textgruppen aufweist, wenn sich doch ohnehin keine trennscharfen Gattungsgrenzen formulieren lassen. Diese Einteilung orientiert sich zum einen am Entstehungszeitraum der Texte, denn die Korpusbestandteile der zweiten Gruppe sind überwiegend jünger als die fiktionalen, narrativen und lyrischen Texte. Das Hauptunterscheidungskriterium ist jedoch darin zu sehen, dass die Reise – ganz gleich ob selbst durchgeführt oder in der Phantasie entworfen und durch 554 555 556 557
Vgl. dazu auch: Wolf, Die deutschsprachigen Reiseberichte des Spätmittelalters, S. 82. Zu dieser Hybridisierung vgl.: Fuchs-Jolie, Hybride Helden, S. 394–403. Vgl. Ebenda. Bremer, Spätmittelalterliche Reiseliteratur – ein Genre?, S. 349.
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Kompilation generiert – in den Texten der zweiten Gruppe den alleinigen Erzählgegenstand bildet. In Textgruppe 1 hingegen stellen Reiseschilderungen und .ventiuren in fernen Ländern lediglich einen von mehreren möglichen Themenkreisen dar.
2.
Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
2.1
Panther
Versucht man, sich ein wissenschaftliches Konzept vom mittelalterlichen Panther-Konzept zu erarbeiten, so gilt es zunächst zu beachten, dass nicht in allen Darstellungen eine scharfe Trennlinie zwischen Panther, Leopard, Löwe und dem sog. Parder (einem Fabeltier, von dem man annahm, es sei eine Kreuzung aus verschiedenen Raubkatzenarten) gezogen wird. Dies ist darauf zurückzuführen, dass eine derartige Unterscheidung auch in der Antike nicht stattfindet.558 Allerdings lassen sich anhand der mittelalterlichen Quellen gewisse Tendenzen dazu erkennen, zwischen Panther und Leopard zu differenzieren, was sich zum einen anhand der unterschiedlichen Benennung (panther(-thyer) und liebart) festmachen lässt und zum anderen anhand zweier proprietates. Während in Bezug auf den Panther in den meisten Quellen dessen besonderer Atem eine wichtige Rolle spielt, so ist es in Bezug auf den Leoparden dessen Blutdurst. Zu beachten ist aber auch die Kategorisierung, die von Zoologen der heutigen Zeit vorgenommen wird. Die Naturwissenschaftler zählen den Schwarzen Panther und den Leoparden nämlich zu ein und derselben Tierart, die den lateinischen Namen Panthera pardus trägt.559 Schwarze Leoparden – also schwarze Panther – treten im gesamten Lebensraum ihrer gefleckten Artgenossen auf.560 Das bedeutet, sie sind sowohl in den afrikanischen Gebieten südlich der Sahara als auch in ganz Südasien beheimatet.561 Besonders stark vertreten sind die schwarzen Raubkatzen auf der Halbinsel Malakka (Malaysia), wo man beinahe keine normalfarbigen Exemplare mehr findet.562 Die Schwarzfärbung ist auf 558 Denruyter, Tierisches Leben im Wigalois, S. 123. Vgl. dazu auch: Walter, Der Philosoph im Pantherfell, S. 188f. 559 Petzsch, Urania Tierreich, S. 351. 560 Ebenda. 561 Ebenda. 562 Ebenda.
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einen Melanismus zurückzuführen, der ebenso bei Jaguaren (Panthera Onca) auftritt.563 In Bezug auf das Paarungsverhalten der Tiere kann festgehalten werden, dass sich alle Vertreter der schwarzen Variante (sowohl Leoparden als auch Jaguare) mit ihren gefleckten Artgenossen fortpflanzen.564 Das Gen, das die Schwarzfärbung verursacht, wird dabei rezessiv vererbt.565 Das bedeutet zum einen, dass ein normalfarbiges Leopardenpaar schwarze Junge bekommen kann und umgekehrt.566 Zum anderen ist es möglich, dass ein gemischter Wurf zur Welt kommt.567
Abb. 8: Zwei Leoparden-Brüder aus ein und demselben Wurf. Während der linke Baby-Leopard die normale Färbung aufweist, ist bei dem rechten der beschriebene Melanismus zu sehen.568
Gelegentlich kann man bei den Vertretern der schwarzen Variante aber auch noch in Ansätzen eine gefleckte Färbung erkennen (siehe Abb. 9):
563 http://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/WWF-Arten-Portraet-Jaguar. pdf. Zugriff am 08. 11. 2015 um 17:55 Uhr. 564 Petzsch, Urania Tierreich, S. 351. 565 Prinz, Die Genetik des »Schwarzen Panthers«. Auf: http://hallimasch-und-mollymauk.de/ die-genetik-des-schwarzen-panthers/. Zugriff am 10. 04. 2017 um 13:33 Uhr. 566 Petzsch, Urania Tierreich, S. 351. 567 Ebenda. 568 Bildquelle: picture alliance/Sergei Malgavko/TASS/dpa.
Panther
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Abb. 9: Schwarze Jaguar-Mutter und ihr vier Monate altes, normalfarbiges Junges (Zoo Salzburg, August 2009). Die Rosetten im Fell des Jaguarweibchens sind durch den günstigen Lichteinfall deutlich zu erkennen.569
Diese Informationen zur Fellfarbe der real-existierenden Tiere sind insofern wichtig, als dass der Panther in keiner einzigen bisher gesichteten mittelalterlichen Text- oder Bildquelle schwarz dargestellt ist. Auf diesen Farb-Aspekt, der für das mittelalterliche Panther-Konzept von enormer Bedeutung ist, wird im Folgenden noch näher einzugehen sein. Es erscheint jedoch sinnvoll, nachdem nun ein kurzer Einblick in die zoologischen Zusammenhänge gegeben wurde, auf den aktuellen Forschungsstand zum Panther einzugehen. Daraufhin werden antike Bestandteile des PantherKonzepts aufgezeigt. In einem weiteren Schritt werde ich mich den mittelalterlichen Text- und Bildquellen zuwenden. Der Fokus der Untersuchung soll dabei auf denjenigen Darstellungen liegen, innerhalb derer es entweder explizit um panther(-thyer) geht, oder aber um Tiere, die zumindest die typischen panther(-thyer)-Eigenschaften aufweisen (wie dies beispielsweise bei dem Milgot im Apollonius von Tyrland Heinrichs von Neustadt der Fall ist). Auf den liebart kann im Rahmen dieser Arbeit nur ein kursorischer Seitenblick geworfen werden, indem drei naturkundliche Quellen zu diesem Tier in die Untersuchung 569 Bildquelle: »Panthera onca zoo Salzburg 2009 13« von User : MatthiasKabel – Eigenes Werk. Lizenziert unter GFDL über Wikimedia Commons – https://commons.wikimedia.org/wiki/ File:Panthera_onca_zoo_Salzburg_2009_13.jpg#/media/File:Panthera_onca_zoo_Salzburg _2009_13.jpg. Zugriff am 08. 11. 2015 um 19:50 Uhr.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
miteinbezogen werden und eine Analyse der liepart-Darstellungen im ProsaLancelot, im Niederrheinischen Orientbericht sowie in den Reiseberichten Hans Tuchers, Bernhard von Breydenbachs, Felix Fabris und Arnolds von Harff stattfindet. Die zutage geförderten Analyseergebnisse werden in epistemischen Frames zum antiken und zum mittelalterlichen Panther-Konzept veranschaulicht. Abschließend wird überlegt, als wie ›exotisch‹ der Panther im Mittelalter tatsächlich wahrgenommen wurde.
2.1.1 Forschungsstand zum Panther-Konzept in Antike und Mittelalter Im Hinblick auf den Forschungsstand ist zu sagen, dass Dietrich Schmidtke dem Panther in seiner 1968 veröffentlichten Dissertation Geistliche Tierinterpretationen in der Deutschsprachigen Literatur des Mittelalters (1100–1500) drei Seiten widmet.570 Schmidtke konzentriert sich in seiner Arbeit auf die heilsgeschichtliche Exegese verschiedenster Tiere und bezieht die eher profanen Aspekte – wie beispielsweise die Verarbeitung des Pantherfells – nicht mit ein. Der Panther stellt dabei nur eines der vielen Tiere dar, die der Verfasser in seinem »Katalog der Tierbedeutungen« untersucht.571 Daran, dass Schmidtke keine detaillierte, philologische Arbeit an den mittelhochdeutschen Texten vornimmt und keine außertextuellen Quellen als Untersuchungsgegenstände mit einbezieht, zeigt sich eine Ausrichtung seiner Arbeit, die sich methodisch stark von der der vorliegenden Dissertation unterscheidet. Allerdings erachte ich Schmidtkes ›Katalog der Tierbedeutungen‹ als ein hilfreiches Instrument zur ersten Orientierung bezüglich weiterer Textquellen. Neben Schmidtkes Dissertation ist im Jahr 1977 A.-J. FestugiHres Aufsatz Le bienheureux suse et la panthHre erschienen, in dem sich der Autor mit dem Phänomen des süßen Pantheratems auseinandersetzt.572 Da FestugiHre in seiner Untersuchung auch auf die antiken Pantherdarstellungen in den Werken Aristoteles’, Plinius’ und Theokrits eingeht, erscheint sie für die vorliegende Arbeit besonders hilfreich im Hinblick auf die Erarbeitung des antiken Panther-Konzepts.573 Im Unterschied zu FestugiHre möchte ich allerdings auch antike bildhafte Darstellungen in die Analyse mit einbeziehen. Eine weitere Arbeit, die sich unter anderem den »Pantherkatzen« zuwendet, 570 571 572 573
Schmidtke, Geistliche Tierinterpretationen, S. 363–366. Ebenda. Festugière, Le bienheureux suse et la panthHre, S. 81–84. Ebenda, S. 81f.
Panther
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ist Rudolf Schendas 1995 erschienene Monographie Das ABC der Tiere: Märchen, Mythen und Geschichten.574 Dieses etwas populärwissenschaftlich anmutende Werk befasst sich mit einer ganzen Reihe an Tieren, denen in alphabetischer Reihenfolge jeweils ein meist drei- bis fünf-seitiger Abschnitt gewidmet ist. Populärwissenschaftlich erscheint Das ABC der Tiere deshalb, weil Schendra gänzlich ohne Fußnoten auskommt, was die Nachprüfbarkeit seiner Informationen zum Teil erheblich erschwert. Dennoch lassen sich in seiner Arbeit nützliche Hinweise auf die Bedeutung des jeweiligen Tiers in mittelalterlichen Fabeln sowie in Werken wie beispielsweise dem Kalilah wa Dimna finden, die unter europäischen Rezipienten eher weniger bekannt sein dürften. Der Autor konzentriert sich in seiner Monographie nicht ausschließlich auf das Mittelalter, sondern nimmt auch Bezug auf antike und moderne Texte. Darüber hinaus informiert er über zeitgeschichtliche Geschehnisse, in denen das jeweilige Tier eine Rolle gespielt hat. Für die vorliegende Dissertation ist Das ABC der Tiere nur insofern nützlich, als dass es einige Anregungen bietet, welche Texte eventuell noch zusätzlich in die Analyse mit einbezogen werden könnten. Eine Arbeit, die den Panther innerhalb eines anderen Kulturkreises zum Untersuchungsgegenstand hat, ist M. Nicholas’ 1999 erschienener Aufsatz A conundrum of cats: pards and their relatives in Byzantium.575 Nicholas überlegt, inwiefern man in Byzanz eine Vorstellung von der Kategorie ›Großkatze‹ hatte. Für die vorliegende Dissertation ist seine Arbeit nur am Rande von Interesse, da der Fokus darauf liegen soll, welche Tiere im Westeuropa des Mittelalters als ›exotisch‹ wahrgenommen wurden. Neben den bisher angeführten Arbeiten ist der 1999 veröffentlichte Aufsatz gar süezen smac daz pantir h.t – Der Panther und sein Atem in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters von Nigel Harris zu nennen. In seinem Aufsatz formuliert der britische Germanist einige sehr wichtige Beobachtungen zu den unterschiedlichen mittelalterlichen Darstellungsweisen und Exegesemöglichkeiten der Panther-proprietates.576 Dabei informiert Harris zunächst über das Panther-Kapitel im Physiologus und stellt fest, in allen vollständigen Physiologus-Fassungen würden dieselben Eigenschaften des Tiers thematisiert.577 Im Anschluss daran findet eine in drei Teile gegliederte Reflexion über die Rezeptions- und Entwicklungsgeschichte der Physiologus-Panther-Passage statt.578 Im ersten Teil der Untersuchung geht Harris auf Texte ein, die einen engen Bezug zu dem PhysiologusKapitel aufweisen.579 Daraufhin konzentriert er sich im zweiten Teil auf diejenigen 574 575 576 577 578 579
Schenda, Das ABC der Tiere, S. 247–251. Nicholas, A conundrum of cats, S. 253–298. Harris, Der Panther und sein Atem, S. 65–75. Ebenda, S. 65. Ebenda, S. 66–75. Ebenda, S. 67.
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Texte, in denen die »naturkundliche proprietas des Panthers auf die Motive des Wohlgeruchs und der Anziehungskraft seines Atems reduziert wird«.580 Im dritten Teil schließlich untersucht Harris Texte, in denen keine religiös-heilsgeschichtliche Deutung der Panther-Eigenschaften stattfindet.581 Ein lucider Aufbau, eine gut verständliche Argumentation sowie präzise Textarbeit zeichnen Harris’ verdienstvolle Arbeit aus, die laut Verfasser keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, was im Rahmen eines 10-seitigen Aufsatzes auch nicht zu leisten wäre.582 Besonders einleuchtend erscheint mir die Thematisierung des Physiologus-Kapitels zu Beginn der Untersuchung, da dieses Kapitel – neben den antiken Quellen, auf die Harris mit Ausnahme von Plinius nicht namentlich eingeht – die Wissensbasis der mittelalterlichen Autoren darstellt.583 Die von Harris bisher zutage geförderten Erkenntnisse möchte ich innerhalb meiner Arbeit auf folgende Weise ergänzen: zum einen wird es nötig sein, sich etwas genauer mit den antiken Quellen auseinander zu setzen und anhand dieser Konzeptbestandteile herauszuarbeiten, die bis ins Mittelalter tradiert werden. Der Kernbestand meines Textkorpus enthält zudem mittelalterliche Quellen zum Panther, auf die Harris in seinem Aufsatz nicht eingeht, wie beispielsweise den Niederrheinischen Orientbericht. Darüber hinaus wird meine Untersuchung im Gegensatz zu der Harris’ in weiten Teilen Bildquellen zum Untersuchungsgegenstand haben. Auch in Bezug auf die Textarbeit möchte ich insbesondere bei zwei Textquellen, die Harris’ recht knapp abhandelt, etwas mehr ins Detail gehen. Bei den beiden betreffenden Texten handelt es sich zum einen um Mandevilles Voyages und zum anderen um den Apollonius von Tyrland. Der erstgenannte Text bietet Informationen über Beschaffenheit und Nutzung des Pantherleders – Informationen, die im Lichte der anderen Korpusbestandteile untersucht werden sollten. Bei dem zweitgenannten Text gilt es meiner Ansicht nach, mit der Analyse nicht erst bei der Pantherepisode einzusetzen, sondern auch Apollonius’ Erlebnisse mit dem Panther-ähnlichen Tier namens Milgot in die Überlegungen mit einzubeziehen. Darüber hinaus werde ich die von Harris formulierten Ergebnisse insofern ergänzen, als dass ich sie um den framesemantischen Ansatz erweitern werde. Indem Harris sich auf die verschiedenen Darstellungsweisen des Panthers in mittelalterlichen Texten konzentriert, wird das Thema ›Wissen vom Panther‹ zwar implizit mit thematisiert, es erscheint jedoch möglich, auch hier – mittels der Frames – etwas mehr ins Detail zu gehen und nach der Organisation dieses Wissens zu fragen. 580 581 582 583
Ebenda, S. 69–71. Ebenda, S. 71–75. Ebenda, S. 66. Vgl.: Ebenda, S. 70.
Panther
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Eine weitere Arbeit, die ein Panther-ähnliches Tier zum Untersuchungsgegenstand erhebt, ist Hans Denruyters 1999 erschienener Aufsatz Tierisches Leben im Wigalois Wirnts von Gravenberg – Das »schöne Tier«: Identifizierung und Deutungsansätze. Denruyter vertritt – entgegen der gängigen Forschungsmeinung – die Ansicht, dass es sich bei dem Zaubertier im Wigalois nicht um einen Hirsch, sondern um einen Panther handle.584 Unter Einbeziehung »außertextueller bzw. intertextueller Elemente«585 – wie beispielsweise Aspekten der Ikonographie und der Heraldik – gelangt Denruyter zu dem plausiblen Ergebnis, das Zaubertier sei ein Panther.586 Die Argumentation, mit der der Verfasser zu diesem Ergebnis gelangt, bietet jedoch an einigen Stellen Freiraum für Ergänzungen. Dies betrifft insbesondere die Thematik der mittelalterlichen Wissensorganisation. Auf Denruyters Aufsatz wird in Kapitel 2.1.3.4 Der literarische Diskurs noch näher einzugehen sein. Neben den bisher genannten Untersuchungen sind noch zwei Arbeiten zu nennen, die sich mit Nicole de Margivals Dit de la panthHre beschäftigen, einem relativ wenig erforschten altfranzösischen Text, der gegen Ende des 13. Jahrhunderts entstanden ist:587 Zum einen ist 1999 Walburga Hülks Monographie Schrift-Spuren von Subjektivität – Lektüren literarischer Texte des französischen Mittelalters erschienen, in der die Verfasserin insbesondere poetologische Überlegungen zum Dit de la panthHre entfaltet. Der Panther (oder präziser übersetzt ›die Pantherin‹) stellt in dem altfranzösischen Text einerseits eine Allegorie der Minnedame dar.588 Andererseits – so Hülk – könne das Tier aber auch für die »allegorische, wundersame Dichtung selbst« stehen.589 Neben Walburga Hülk hat sich auch Douglas Kelly in seinem 2002 erschienenen Aufsatz MatiHre, sens et compilacion dans le Dit de la panthHre mit dem altfranzösischen Text auseinandergesetzt.590 Wie der Titel der Arbeit bereits verrät, stehen bei Kelly nicht die poetologischen Funktionen der Pantherin im Fokus der Betrachtung, sondern vielmehr die Stoffgeschichte und die literarischen Quellen, aus denen der mittelalterliche Autor Nicole de Margival schöpft. Eine weitere Arbeit, in der es um den Panther geht, ist Thierry Buquets 2012 erschienener Aufsatz Les panthHres de Timoth8e de Gaza dans l’encyclop8die zoologique de Constantin VII. In diesem Aufsatz setzt sich Buquet mit den fragmentarisch überlieferten zoologischen Schriften des Timoth8us von Gaza 584 585 586 587 588 589 590
Denruyter, Tierisches Leben im Wigalois, S. 138. Ebenda, S. 119. Ebenda, S. 138. Hülk, Schrift-Spuren von Subjektivität, S. 120–122. Ebenda, S. 124. Ebenda, S. 128. Kelly, MatiHre, sens et compilation, S. 125–134.
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auseinander, eines Gelehrten, der im fünften und sechsten Jahrhundert n. Chr. lebte und dessen Werk heute weitgehend unbekannt ist.591 Der Autograph dieser zoologischen Schriften ist nicht erhalten, jedoch gilt als erwiesen, dass Timoth8us’ Werk sowohl in Byzanz als auch in der arabischen Welt rezipiert wurde und dass seine Ideen durch spätere Kompilationen in Manuskripte dieser beiden Kulturkreise Einzug gehalten hat.592 Da der von Buquet erforschte Text nicht zum Kernbestand des Korpus dieser Arbeit zählt und die Rekonstruktion derjenigen Passagen, die tatsächlich auf Timoth8us zurückgehen könnten, äußerst schwierig und voraussetzungsreich erscheint, wird Buquets Aufsatz für die nachfolgenden analytischen Betrachtungen nicht von Relevanz sein. Eine weitere Untersuchung, die unter anderem einen wichtigen Beitrag zur Erschließung des antiken Panther-Konzepts leistet, ist Jochen Walters 2015 veröffentlichter Aufsatz Der Philosoph im Pantherfell. Aelian, Natura animalium 5,54 vor dem Hintergrund antiker Prätexte und moderner Tierethologie.593 Wie dieser aussagekräftige Titel bereits verrät, wählt Walter die Panther-Textstelle aus Aelians Natura animalium zum Ausgangspunkt seiner Untersuchung.594 In dieser Textstelle wird beschrieben, wie die »Pantherkatze« sich verhält, wenn sie Jagd auf Affen macht.595 Zunächst ist in dem Aelian-Zitat über die Affen zu lesen, diese flüchteten sich vor der Pantherkatze auf die Bäume.596 Die Pantherkatze sei jedoch listenreicher als die Affen, nähere sich den Bäumen an, lege sich darunter und stelle sich tot. Die Affen schickten daraufhin einen aus ihren Reihen herunter zu dem Raubtier, um in Erfahrung zu bringen, ob dieses wirklich tot sei. Der jeweilige Affe prüfe innerhalb dieses Vorgangs insbesondere, ob von der Pantherkatze noch Hauch und Atem ausgingen. Diese bleibe jedoch – unter einem hohen Maß an Selbstbeherrschung – bewegungslos liegen, bis die Affen die Bäume verließen, um eine Art Spott-Tanz auf ihr und um sie herum aufzuführen. In dem Moment, in dem die Affen von ihrem ausgelassenen Herumtollen müde seien, springe die Pantherkatze auf und zerreiße ihre Peiniger. Die Textstelle endet mit dem Appell »Halte doch aus, Herz!« und der Eröffnung eines Vergleichs zwischen dem Raubtier und dem Laertessohn Odysseus, denn ab591 592 593 594 595
Buquet, Les panthHres, S. 2. Ebenda. Walter, Der Philosoph im Pantherfell, S. 173–202. Ebenda, S. 173f. Ebenda. Walter macht darauf aufmerksam, dass im Griechischen zur Bezeichnung des Panthers das generische Femininum verwendet wird, was er innerhalb seiner AelianÜbersetzung berücksichtigt, indem er an den betreffenden Stellen jeweils »die Pantherkatze« schreibt. Vgl.: Ebenda, S. 174, Anm. 3. Um diesem Aspekt Rechnung zu tragen, werde ich innerhalb der nachfolgenden Ausführungen zu Walters Aufsatz die Bezeichnung ›Pantherkatze‹ beibehalten. 596 Die folgenden Ausführungen, die den Aelian-Text betreffen, entnehme ich ebenfalls Walter, Der Philosoph im Panterfell, S. 173f.
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schließend heißt es: »Der Sohn des Laertes jedoch hätte sich fast vor dem richtigen Zeitpunkt enttarnt, wenn er die aus dem Verhalten der Mägde resultierende Beleidigung nicht ertragen hätte.« Die von Walter untersuchte Textstelle ist insofern interessant für die vorliegende Arbeit, als dass in ihr bereits dem Atem des Panthers eine immens wichtige Rolle zukommt. Mit der beschriebenen Hauch-und-Atem-Probe teste der Affe, ob der Panther vielleicht doch noch am Leben sei. Von der heilsgeschichtlichen Bedeutung, mit der der süße Panther-Atem dann später im Mittelalter aufgeladen ist, lässt sich hier freilich noch nichts erkennen. Besonders hilfreich im Hinblick auf das Untersuchungsziel der vorliegenden Arbeit erscheint der siebte Abschnitt in Walters Aufsatz, der den Titel Der Panther in der Antike trägt.597 Im Folgenden werden daher Walters Ergebnisse dieses Abschnitts kurz vorgestellt, was zugleich den Auftakt zur Erschließung der wichtigsten Aspekte des antiken Panther-Konzepts bilden soll.598
2.1.2 Das antike Panther-Konzept In seinem Aufsatz Der Philosoph im Pantherfell. Aelian, Natura animalium 5,54 vor dem Hintergrund antiker Prätexte und moderner Tierethologie erläutert Jochen Walter, der Panther sei für die Menschen der Antike ein ambivalent besetztes Tier gewesen. So sei er einerseits als Raubtier wahrgenommen worden, von dem eine nicht zu unterschätzende Gefahr ausgegangen sei. Andererseits habe »bei der Jagd und bei den Tierhetzen im Amphitheater« für ihn selbst größte Gefahr bestanden.599 Es handle sich demnach um ein Tier, das den Menschen »als Täter und gleichzeitiges Opfer« präsent gewesen sei.600 Die massenhaften Panther-Tötungen in den Amphitheatern hätten dabei zum einen auf die Unterhaltung der Zuschauer abgezielt und zum anderen auf die »Inszenierung des römischen Imperiums und seiner Machtansprüche«.601 Eine weitere Gefahr für den Panther habe darin bestanden, dass sein Fell als ›Luxusgut aus dem Orient‹ sehr gefragt gewesen sei. Die große Beliebtheit des Fells habe jedoch nicht verhindert, dass der Schönheit des Tiers zuweilen eine negative Ausdeutung widerfahren sei. So sei sie beispielsweise rein auf das Äußere reduziert worden und die Flecken in der Fellzeichnung der Raubkatze – die nicht nur für den Leoparden angenommen wurden – habe man »zu körperlichen oder 597 Ebenda, S. 188–191. 598 Die Ausführungen des nachfolgenden Abschnitts entnehme ich Walter, Der Philosoph im Pantherfell, S. 188–191. 599 Ebenda, S. 189. 600 Ebenda. 601 Ebenda, S. 190.
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gar ethischen Makeln umgedeutet«.602 Diese negative Ausdeutung des Tiers zeichne sich insbesondere in den Bereichen der Traumdeutung und der Physiognomik ab. Andererseits habe dies aber nicht verhindert, dass lebendige Panther oftmals zu Repräsentationszwecken unter Herrschern verschenkt worden seien. Darüber hinaus seien die Tiere innerhalb von Festumzügen eingesetzt worden, um die Bevölkerung in staunen zu versetzen. Nicht zu unterschätzen sei außerdem die Bedeutung der Gender-Dimension, da das weibliche Tier als tapferer eingestuft worden sei als das männliche, worin sich eine Verkehrung der herkömmlichen Zuschreibungen zeige. Abschließend geht Walter auch auf religiöse Aspekte ein und erläutert, der Panther sei insbesondere mit dem Gott Dionysos in Verbindung gebracht worden. Diese Zuordnung sei innerhalb der bildhaften Überlieferung in verschiedenen Ausgestaltungen zu finden. So könne der Panther »im Gefolge dieses Gottes als Begleiter, Zug- oder Reittier« in Erscheinung treten.603 Die Verbindung zwischen Raubtier und Gottheit habe man damit begründet, dass die Mysten nach übermäßigem Genuss von Wein eine Neigung zu Wildheit und Gewalt an den Tag gelegt hätten, die man als ›pantherartig‹ empfunden habe. Umgekehrt habe man aber auch in der Vorstellung gelebt, der Panther benehme sich wie die Mysten und trinke vor allem ebenso viel Wein. Dionysos sei jedoch nicht der einzige Gott, der in einen Assoziationszusammenhang mit dem Panther gebracht worden sei. So ließen sich etwa auch Bezüge zu Kybele, Aphrodite und Artemis finden.604 Es scheint, dass eine ganze Reihe der von Walter erläuterten Bestandteile des antiken Panther-Konzepts tradiert werden und das mittelalterliche PantherKonzept in weiten Teilen prägen. So lassen sich insbesondere für die vier erstgenannten Aspekte auch mittelalterliche Text- und Bildzeugnisse finden: das Oszillieren zwischen Jäger und Gejagtem zeichnet sich beispielsweise auch innerhalb des Milgot-Abenteuers im Appolonius von Tyrland ab. Dass Pantherfelle als Luxusgüter gehandelt werden, wird anhand des Niederrheinischen Orientberichts und Mandevilles Voyages deutlich. Als Geschenk fungiert das Raubtier in einem Großteil der Alexanderromane und der Aspekt der Negativ-Konnotation innerhalb der Traumdeutung scheint im Prosalancelot verwirklicht (auch wenn es sich innerhalb dieser Textstelle streng genommen um einen Leoparden handelt; aber trennscharfe Grenzen dürfen hier – wie eingangs bereits erläutert – nicht gezogen werden). Auf diese Textstellen wird bei der Erarbeitung des 602 Ebenda. 603 Ebenda, S. 191. 604 Walter verweist an dieser Stelle auf Weckwerth, A.: Panther. In: Reallexikon für Antike und Christentum. Sachwörterbuch zur Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt. Hrsg. v. Theodor Klausner u.a.. Stuttgart 1950ff; hier: Band 26 (2014), Sp. 905f.
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wissenschaftlichen Konzepts vom mittelalterlichen Panther-Konzept noch im Detail einzugehen sein. Doch zunächst zurück zu Walters Ergebnissen. Der Gender-Aspekt, der laut Walter ein wichtiger Bestandteil des antiken Panther-Konzepts ist, wird offenbar gelegentlich auch innerhalb antiker bildhafter Darstellungen berücksichtigt. Dies wird beispielsweise anhand des Mosaik-Ausschnitts in Abb. 10 deutlich.
Abb. 10: Ausschnitt aus einem römischen Mosaik (um 300 n. Chr.), das in Lod (Israel) gefunden wurde. Standort: The Metropolitan Museum of Art, New York.605
Die beiden abgebildeten Pantherinnen besitzen an der Unterseite ihres Bauches ganz eindeutig Zitzen, was ihre Weiblichkeit hervorhebt und in Szene setzt. Beide Pantherinnen krallen sich an ein goldenes Trinkgefäß, was wiederum eine assoziative Verbindung zum Weingenuss und damit zu Dionysos wachruft. In den mittelalterlichen Texten des Korpus spielt der Gender-Aspekt ebenfalls eine wichtige Rolle. Sowohl in Frauenlobs Lied 4 als auch im Bestiaire d’amour und im Dit de la panthHre kann der Panther bzw. die Pantherin als eine Allegorie der Minnedame gedeutet werden kann.606 Auf diese Texte wird daher in Kap. 2.1.3.3 noch genauer einzugehen sein. Der nächste Aspekt, den Walter thematisiert, ist der religiöse. Der Altphilologe konstatiert, es habe eine Verbindung zwischen Dionysos und dem Panther gege605 Bildquelle: http ://www.metmuseum.org/about-the-museum/now-at-the-met/Features/ 2010/The-Roman-Mosaic-from-Lod-Israel. Zugriff am 08. 11. 2015 um 20:05 Uhr. 606 Vgl. dazu auch: Hülk, Schrift-Spuren von Subjektivität, S. 134.
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ben. Zur Verifizierung dieser Feststellung ließe sich hier – neben dem Mosaik in Abb. 10 – noch eine immense Fülle an Bildzeugnissen anführen. Im Folgenden kann nur eine kleine, repräsentative Auswahl an verschiedenen Dionysos-PantherDarstellungen an die Hand gegeben werden, um Walters Aussagen zu veranschaulichen und an den Objekten zu zeigen, wie der Panther bildhaft in Szene gesetzt wird. Diese Ausführungen zum Verhältnis zwischen Dionysos und dem Panther sind für die vorliegende Arbeit insofern relevant, als dass sie einen spezifisch antiken Bestandteil des Panther-Konzepts beleuchten, der nicht ins Mittelalter tradiert wird. Auf diese Weise leisten die nachfolgenden Informationen also einen Beitrag zur Beantwortung der Frage nach Universalität, Spezifität und Tradierung. Zum einen wird Dionysos – laut Walter – gemeinsam mit lebenden Panthern dargestellt. Als Beispiele hierfür können die Abbildungen 11 und 12 angesehen werden.
Abb. 11: Ausschnitt aus dem Deckenmosaik einer römischen Villa in Halicarnassus (4. Jh. n. Chr.). Standort: The British Museum.607
Die Abbildung zeigt Dionysos tanzend. Sein Haupt ist bekränzt von einem graugrünen Gebinde, das vermutlich aus Weinreben besteht und er trägt ein rotes Tuch, welches um seinen rechten Arm drapiert ist und das von seiner linken Hand festgehalten wird. Das Tuch scheint in Bewegung zu sein und unterstreicht dadurch die Dynamik der Tanzszene. Zur zweifelsfreien Identifizierung der 607 Bildquelle: http://www.britishmuseum.org/join_in/using_digital_images/using_digital_ images.aspx?asset_id=308152001& objectId=451619& partId=1. Zugriff am 17. 10. 2018 um 17:04 Uhr.
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abgebildeten Gottheit, trägt das Mosaik im rechten oberen Viertel in griechischen Buchstaben die Inschrift ›Dionysos‹. Der Panther, der in den Fellfarben eines Leoparden dargestellt ist, läuft neben dem Gott her. Seine hintere Körperhälfte wird zum Teil durch Dionysos’ Beine verdeckt. Besonders interessant ist die Inszenierung der vorderen Körperhälfte des Tiers: Der Panther, der mit seiner vorderen Körperhälfte bereits an dem Gott vorübergezogen ist, wendet seinen Kopf nach hinten, um zu sehen, was Dionysos tut. Das Tier hat seinen linken Vorderlauf angehoben, während Dionysos’ rechtes Bein leicht erhöht dargestellt ist. Bedeutet dies nun, dass Gottheit und Tier synchron spiegelbildliche Bewegungen vollführen? Dass sich der Panther gar eine Choreographie von Dionysos abschaut? Sicher ist jedenfalls, dass das Tier genauso wild, dynamisch und ausgelassen wirkt, wie die Gottheit, der es zur Seite gestellt ist. Das genaue Gegenteil zu dieser Dynamik ist in der Komposition des nächsten Kunstwerks (Abb. 12) zu erkennen. Es handelt sich dabei um ein Bodenmosaik aus dem 2. Jh. n. Chr., das in einem römischen Landhaus gefunden wurde, welches dem Kloster- Garten- und Häuserkomplex Le Domus dell’Ortaglia angehört.608
Abb. 12: Dionysos mit Panther beim Weintrinken (2. Jh. n. Chr.). Standort: Museo di Santa Giulia, Brescia.609 608 The database of ancient art, Dionysus. Auf: http://ancientrome.ru/art/artworken/img. htm?id=4010. Zugriff am 05. 11. 2015 um 14:49 Uhr. 609 Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Domus_Ortaglia_brescia_by_Stef ano_Bolognini20.JPG#file. Zugriff am 15. 10. 2018 um 14:08 Uhr.
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Zu sehen ist darauf erneut Dionysos, der eine halb liegende Haltung eingenommen hat. Über seinem Haupt ist eine Girlande aus grünem Blattwerk zu erkennen, die höchstwahrscheinlich – ebenso wie der Kopfschmuck des Gottes – aus Weinreben besteht und der Identifizierbarkeit der Gottheit dient. In seiner linken Hand hält Dionysos einen goldenen Stab und in der rechten ein Trinkgefäß, welches die Form eines kleinen Füllhorns hat. Im linken, unteren Viertel des Mosaiks ist unterhalb des Trinkgefäßes der Panther abgebildet. Auch er wird in liegender Position gezeigt und sein Kopf ist – entgegen der Liegerichtung seines Körpers – der Gottheit zugewandt. Das Tier und der Gott scheinen einen Blickkontakt zueinander aufrecht zu erhalten, worin zum Ausdruck kommt, dass der Panther an diesem Symposium teilnimmt. Dadurch, dass beide Teilnehmer dieses weinseligen Treffens liegend abgebildet sind – sowie durch Position und Verlauf der Weinreben-Girlande – ist das Mosaik von horizontalen Linienverläufen geprägt. Diese sind kausal für die – im Vergleich zu Abb. 11 – relativ statische Wirkung der abgebildeten Situation. Hier kommen vielmehr Ruhe und Entspannung, aber auch Sinnen- und Genussfreude zum Ausdruck. Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf die beiden Mosaiken festhalten, dass jeweils eine sehr große Nähe und Vertrautheit zwischen Tier und Gottheit dargestellt ist. Der zahme Panther nimmt an den für Dionysos typischen Handlungen teil: am Tanz und am geselligen Weingenuss. Da diese beiden Handlungen feste Bestandteile der antiken Kultur darstellen, wurde der Panther also dem Naturraum entrückt und in den Kulturraum integriert. Seine ›Exotik‹ spielt dabei insofern eine Rolle, als dass sie ihn zu einem besonders wertvollen Tier erhebt, das als ›der Gesellschaft eines Gottes würdig‹ erachtet wurde. Zugleich kommen innerhalb der beiden Darstellungen Wildheit und Zügellosigkeit (Abb. 11) sowie Sinnen- und Genussfreude (Abb. 12) zum Ausdruck – Eigenschaften, die sowohl Dionysos als auch dem Panther zugeschrieben wurden.610 Bemerkenswert ist außerdem die – im Vergleich zu mittelalterlichen Pantherabbildungen – naturgetreu wirkende Darstellungsweise. Sieht man einmal von der nichtvorhandenen Unterscheidung zwischen Leopard und Panther ab, so sind sowohl Fellfarbe als auch Größe und Körperform des Tiers sehr naturnahe wiedergegeben, was wiederum belegt, dass man als antiker Künstler über genügend Anschauungsmaterial verfügte, an dem man sich orientieren konnte. Ein ganz anderer Kontext, in dem das wilde Tier in den Kulturraum überführt wurde, war die Verwendung seines Fells in der Funktion eines exklusiven Kleidungsstücks. Auch dieser Aspekt wurde von Walter bereits angesprochen. Im Folgenden sei noch ein Beispiel für die bildhafte Umsetzung dieses Motivs aufgezeigt (siehe Abb. 13).
610 Vgl.: Walter, Der Philosoph im Pantherfell, S. 191.
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Abb. 13: Attische rotfigurige Vasenmalerei des Kleophrades-Malers, der von 510–470 v. Chr. lebte.611
Dionysos trägt das gefleckte Pantherfell mitsamt den Tatzen des Tieres – gleichsam einem ›Umhang‹ – um den Hals. An dieser Darstellung lässt sich ablesen, dass der Panther für Dionysos trotz der offensichtlichen Nähe-Beziehung – die in den Abbildungen 11 und 12 zum Ausdruck kommt – ein Nutztier bleibt. Dieses Nutztier hat natürlich insofern einen Sonderstatus, als dass es durch seine weit entlegene Herkunft besonders edel und kostbar ist. Dennoch geht die Beziehung zwischen der Gottheit und diesem besonderen Tier nicht soweit, dass es vor dem Tod verschont bliebe, denn sein Fell wird als Kleidungsstück genutzt. Eine weitere Funktion, die dem Panther innerhalb der antiken DionysosDarstellungen zukommt und die Walter in seinem Aufsatz nennt, ist die des Reittiers (siehe Abb. 14): 611 Spitzamphora Inv. SH 2344. Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München, fotografiert von Renate Kühling.
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Abb. 14: Römischer Marmor-Sarkophag, der den Triumphzug des Bacchus und die vier Jahreszeiten zeigt. 260–270 n. Chr. Standort: The Metropolitan Museum of Art, New York.612
Die Darstellung zeigt den Gott auf seinem Triumphzug, nachdem er Asien unterworfen hat. Dieser Mythos vom Asienfeldzug des Dionysos ist auch in der antiken Literatur vielfach bearbeitet worden. So wird etwa in den Werken des Dionysios Perihegetes (Orbis descriptio, V. 620–1165)613 und des Nonnos (Dionysiak#, B. 13–40)614 davon berichtet. Da diese Schriftsteller ihre Werke nach dem Indienfeldzug Alexanders des Großen verfassten, liegt die Vermutung nahe, dass Alexanders Vita hier als Vorlage diente und man seine Erlebnisse dem Gott Dionysos andichtete.615 Gerade vor diesem Hintergrund scheint der Panther auf dem römischen Marmor-Sarkophag in Abb. 14 ein besonders passendes Reittier zu sein, da Asien als Herkunftskontinent dieser exotischen Raubkatze galt und die meisten in Europa zu sehenden Exemplare höchstwahrscheinlich tatsächlich aus Asien importiert wurden.616 Darüber hinaus muss der in diesen Darstellungen zum Ausdruck gelangende Macht-Aspekt mit bedacht werden: Der Panther kann hier als eine Art pars pro toto für den gesamten asiatischen Kontinent verstanden werden; und indem Dionysos ihn reitet, übt er Macht auf das Tier aus, welches er gezähmt und unterworfen hat. Das sehr häufig auftretende Motiv dieses Triumphzuges konnte jedoch auch auf andere Weise umgesetzt werden. Wie Walter in seinem Aufsatz bereits bemerkt hat, wurde der Panther in bildhaften Darstellungen auch oftmals 612 Bildquelle: http ://ancientrome.ru/art/artworken/img.htm ?id=5555. Zugriff am 09. 11. 2015 um 13:32 Uhr. 613 Dionysios von Alexandria: Das Lied von der Welt. Griechisch und Deutsch. Hrsg. v. Kai Brodersen. Olms, Hildesheim 1994. 614 Nonnos von Panopolis: Les Dionysiaques, 19 Bde. Hrsg. v. Francis Vian. Paris 1976–2006. 615 Karttunen, Der Neue Pauly, Bd. 5, Lemma ›India‹, Sp. 968; vgl. dazu auch: Pfister, Der Reliquienkult im Altertum, S. 170f. 616 Aristoteles beispielsweise hält in seiner Historia Animalium, VII, 606 b, 16 das Auftreten von Leoparden ›in Asien und nicht in Europa‹ fest.
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als Zugtier vor dem Streitwagen des Dionysos in Szene gesetzt.617 Dabei konnte der Streitwagen entweder ausschließlich von Panthern gezogen werden (Abb. 15) oder von mehreren Tieren unterschiedlicher Art (Abb. 16).
Abb. 15: Der Triumph des Dionysos. Mosaik-Ausschnitt aus dem Haus des Dionysos. Spätes 2. Jh. n. Chr. Archäologischer Park Paphos (Zypern).618
Abb. 16: Streitwagen des Dionysos. Der Wagen wird von einem Bullen einem Greif und einem Panther gezogen. Attische, rotfigurige Keramik des Pasithea-Malers. Entstehung: ca. 400–390 v. Chr. Mus8e du Louvre, Paris.619
617 Vgl.: Walter, Der Philosoph im Pantherfell, S. 191. 618 Bildquelle: http ://ancientrome.ru/art/artworken/img.htm ?id=2620. Zugriff am 12. 11. 2015 um 14:23 Uhr. 619 Mus8e du Louvre. Catalogue No. Louvre NMB 1036, Beazley Archive No. 230398. Bildrechte: bpk / RMN – Grand Palais / Herv8 Lewandowski.
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Interessant ist zudem, dass in Abb. 15 erneut der bereits angesprochene GenderAspekt zum Tragen kommt, denn an der Bauchunterseite der vorderen Pantherin sind vier Zitzen zu erkennen. Darüber hinaus scheint auch eine Betrachtung der Figuren, die Dionysos’ Gefolge darstellen, aufschlussreich. Der Satyr620, der hinter dem Streitwagen zu sehen ist, trägt einen Lendenschurz aus Pantherfell, was möglicherweise darauf abzielt, seine Zugehörigkeit zu Dionysos, dem ›Gott mit dem Panther‹, zu unterstreichen. Der in der rechten Bildhälfte halb-kniend abgebildete Mann scheint ein Dompteur zu sein, der die Tiere abgerichtet hat.621 Er ist von erkennbar dunklerer Hautfarbe als die anderen dargestellten Figuren, weswegen die Vermutung nahe liegt, es könnte sich bei ihm um einen Inder handeln, den Dionysos – ebenso wie die beiden Panther – aus Indien mitgebracht hat. Dasznewski und Michaelidis erheben dagegen jedoch den Einwand, die Inder, welche innerhalb der Darstellungen in Paphos zu sehen seien, wiesen eine wiederum andere Hautfarbe auf.622 Doch auch wenn anhand dieses Mosaiks keine eindeutige Feststellung der Herkunft des Raubtierbändigers möglich ist, so erscheint es – realgeschichtlich betrachtet – zumindest gut vorstellbar, dass wohlhabende Griechen, die sich den Import eines Panthers nach Europa leisten konnten, auch gleich ›fachkundiges Personal‹ zur Erziehung und Betreuung dieses Tiers mit einführten. Es liegt auf der Hand, dass sich für diese Aufgabe Menschen aus dem Herkunftsland der Raubkatze besser eigneten, da sie eher mit den Eigenschaften, Gewohnheiten und Bedürfnissen des Tiers vertraut gewesen sein dürften und die Gefahr, die von ihm ausging, besser einschätzen konnten. Derartige Importe von exotischen Tieren und entsprechendem Personal könnten als Vorlage für die abgebildete Dionysos-Szene gedient haben. Nachdem nun anhand der antiken Bildquellen die Funktionen des Panthers als dem ›Dionysos zugeordneten Tier‹ aufgezeigt wurden, soll im Folgenden auf die wichtigsten antiken Textquellen zum Panther eingegangen werden. Aristoteles berichtet in seiner Historia Animalium IX, 6 612a 14 über das Tier, es sei sich der Anziehungskraft, die sein Duft auf andere Tiere ausübe, bewusst. Daher verstecke es sich, um die anderen Tiere zu jagen. Diese kämen ganz nahe an es heran und auf diese Weise erlege es sogar den Hirsch. Die beschriebene Jagdstrategie des Panthers ist auch bei Pseudo-Aristoteles XIII, 9, 4, 907 b 35 sowie in Theophrasts De causis plantarum VI, 5, 2 zu finden. Pseudo-Aristoteles verleiht dem Pantherduft zudem den Status eines Alleinstellungsmerkmals, denn er erläutert, dort wo der Panther herkomme, dufte 620 Daszewski/Michaelidis, Guide to the Paphos Mosaics, S. 24–26. Auf: http://ancientro me.ru/art/artworken/img.htm?id=2620. Zugriff am 12. 11. 2015 um 15:06 Uhr. 621 Ebenda. 622 Ebenda.
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kein anderes Tier so gut – einzig und alleine der Panther. Darüber hinaus wird der ergötzliche Pantherduft auch von Plinius dem Älteren in der Historia Naturalis VIII, 23 genannt, und auch Plutarch erklärt, die meisten Tiere – insbesondere der Affe – näherten sich dem Panther aufgrund von dessen Duft (De sollertia animalium 24, 976 D). Hierin ist zum Teil eine Übereinstimmung mit der von Walter analysierten Aelian-Textstelle (De natura Animalium V, 54) zu erkennen, denn auch dort sind – neben der Pantherkatze – Affen die Handlungsträger. Setzt man mit der Aelian-Lektüre bereits in De natura Animalium V, 40 ein, so erhält man auch hier nähere Informationen zum Pantherduft, die noch um ein interessantes Detail – einen Vergleich – erweitert sind, der bei Aristoteles und Plinius nicht zum Einsatz kommt.623 Aelian schreibt an dieser Stelle nämlich: Wenn die Pantherkatze Nahrung benötigt, versteckt sie sich in einem Gestrüpp, am Boden von – oder unter dichtem Laub. Man kann sie nicht entdecken; sie beschränkt sich darauf zu atmen. Nun werden Hirschkälber, Gazellen, Wildziegen und solcherlei Tierarten von dem guten Duft angezogen wie von einer Art Iynx und sie nähern sich. Dann springt die Pantherkatze aus ihrem Versteck auf und fasst ihre Beute.624
Durch diesen Vergleich wird das Tier in einen assoziativen Zusammenhang mit dem Liebesdiskurs gebracht. Da dem Panther auch im Mittelalter eine wichtige Rolle innerhalb des Liebesdiskurses zukommt (beispielsweise im Straßburger Alexander, im Bestiaire d’amour und im Dit de la panthHre), erscheint es interessant, etwas genauer auf die im Zitat erwähnte Iynx einzugehen. Es handelt sich bei diesem Instrument um eine meist aus Metall bestehende Scheibe, die in der Mitte zwei Löcher aufweist, durch die eine Schnur gespannt wurde, wie dies in Abb. 17 zu sehen ist.625
623 Vgl.: Festugière, Le bienheureux suse et la panthHre, S. 82. 624 Ailianos, Tierleben. Liber V,40. Hrsg. v. Kai Brodersen (Sammlung Tusculum). Eigene Übersetzung. In Brodersens Übersetzung findet die Iynx keine explizite Erwähnung. Er übersetzt diese Stelle wie folgt: »Da werden nun die Hirschkälber, die Gazellen, die wilden Ziegen und andere solche Tiere durch den Wohlgeruch wie durch einen Zauber herbeigezogen und in die Nähe gebracht. Der Leopard springt dann hervor und packt die Beute«. Ein etwas anderer Fokus zeigt sich anhand der Übersetzung Festugieres. Vgl.: Festugière, Le bienheureux suse et la panthHre, S. 82. Festugiere übersetzt den betreffenden Textabschnitt wie folgt: »Alors les faons, les gazelles, les chHvres sauvages et ces sortes d’animaux sont attir8s par cette bonne odeur comme par une sorte d’iynx et ils s’approchent. La panthHre alors bondit hors de sa cachette et se saisit de sa proie«. Bei meiner Übersetzung habe ich mich stärker an FestugiHres Übersetzungsvorschlag orientiert, da dieser hier etwas näher am Ausgangstext zu sein scheint. 625 Festugière, Le bienheureux suse et la panthHre, S. 82.
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Abb. 17: Frau, die eine Iynx dreht, um damit ihren Geliebten zurück zu gewinnen.626
Versetzt man diese Scheibe in eine Drehbewegung, so ist eine Art dröhnendes Geräusch zu vernehmen.627 Das Drehen und das damit verbundene Geräusch sind Bestandteile eines Liebesrituals, das von Frauen im antiken Griechenland dazu eingesetzt wurde, um den Geliebten zu sich zurück zu holen.628 Die Verwendung der Iynx ist sowohl ein Darstellungsgegenstand der Literatur als auch der Vasenmalerei des 5. und 4. Jahrhunderts.629 Eine vergleichsweise bekannte Umsetzung des Iynx-Motivs ist in der zweiten Idylle der Pharmakeutriai des Theokrit zu finden, wo das gesamte Liebeszauberritual – einschließlich der Verbrennung verschiedener Kräuter – beschrieben wird.630 Interessant erscheint der Vergleich des Pantherdufts mit der Anziehungskraft der Iynx zum einen, weil die Eigenschaft des Tiers damit in den Bereich des Unerklärlichen, des Magischen entrückt wird. Zum anderen findet an dieser Stelle offenbar eine Vermischung zweier verschiedener Sinnesebenen statt: Während die Beutetiere der Pantherkatze den guten Duft mittels ihres Ge626 627 628 629 630
Bildquelle: http://www.gebr-grimm.de/cucke/seite1.htm. Zugriff am 16.11. 2015 um 10:55 Uhr. Festugière, Le bienheureux suse et la panthHre, S. 82. Nilsson, Geschichte der griechischen Religion (Bd. 2), S. 220. Ebenda, S. 220, Anm. 5. Graf, Gottesnähe und Schadenzauber, S. 159f.; Festugiere, Le bienheureux suse et la panthHre, S. 82.
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ruchssinns wahrnehmen, ist ein Charakteristikum der Iynx das dröhnende Geräusch, welches mit dem Hörsinn wahrgenommen wurde. In diesem Vergleich und der damit einhergehenden assoziativen Vermischung der beiden Sinneswahrnehmungen könnte man den Grund dafür vermuten, dass der Stimme des Panthers in späteren, mittelalterlichen Darstellungen mehr Bedeutung beigemessen wird. Auf die Beschreibung der Stimmeigenschaften des Panthers und die Relation zwischen Stimme und Duft wird daher bei der Analyse der mittelalterlichen Texte besonders zu achten sein. Allerdings liegt die Anziehungskraft der Iynx für die Menschen im antiken Griechenland nicht allein in dem beschriebenen Geräusch begründet. Auch die drehende Bewegung und vor allem die richtige Drehrichtung der Scheibe sind – nach antiker Vorstellung – Prämissen dafür, dass der Zauber gelingt.631 Ein weiterer Gesichtspunkt, der in Aelians Vergleich implizit zum Ausdruck kommt, ist der bereits vielfach angesprochene Gender-Aspekt. Macht man sich bewusst, dass die Iynx-Scheiben – zumindest in literarischen und bildhaften Darstellungen – vornehmlich von Frauen bedient wurden, erscheint das tertium comparationis viel eher gegeben, wenn es sich auch bei dem Tier um eine Pantherin handelt: In beiden Fällen ist es nämlich ein weibliches Wesen, von dem die Anziehung ausgelöst wird. Doch nun zurück zu Aristoteles, der noch weitere Angaben zum Panther macht. In der Historia Animalium VIII, 608a 34 wird der Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Leoparden (und analog dazu wohl auch zwischen weiblichen und männlichen Panthern) wie folgt beschrieben: Alle weiblichen Tiere sind weniger temperamentvoll als die männlichen, mit Ausnahme des Bären und des Leoparden: bei diesen beiden Arten wird das Weibchen für tapferer gehalten. Aber für alle anderen Tierarten gilt, dass die weiblichen Tiere sanfter, lasterhafter, weniger arglos, ungestümer und aufmerksamer im Hinblick auf die Fütterung der Jungtiere sind, wohingegen die männlichen temperamentvoller, wilder, argloser und weniger durchtrieben sind.632
Darüber hinaus gibt Aristoteles auch Auskunft über die Eigenschaften sowie die maximale Größe eines Pantherwurfs (HA VI, 580a 25). Laut seinen Angaben kommt der Panthernachwuchs – ebenso wie die Jungtiere des Wolfs – blind zur Welt und ein Wurf besteht aus höchstens vier Pantherjungen. Die Informationen, die Aristoteles an dieser Stelle gibt, decken sich beinahe mit den biologischen Erkenntnissen der heutigen Zeit, denn weibliche Panther bringen tatsächlich nach einer Tragzeit von ca. 90–105 Tagen ein bis sechs Jungtiere zur Welt (meist jedoch zwei bis vier), deren Augen nach der Geburt zunächst noch 631 Vgl.: Huller, Griechisches Theater in Deutschland, S. 280. 632 Aristoteles: Tierkunde. Hrsg., übertr. und erl. von Paul Gohlke. Übersetzung Dominik Berrens.
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geschlossen sind.633 Entsprechend der Maximalanzahl an Jungtieren innerhalb eines Wurfs, besitzt ein weiblicher Panther (bzw. Leopard) laut Aristoteles an seinem Bauch vier Zitzen (HA II, 500a 28). Weiterhin berichtet der antike Naturgelehrte von einer Pflanze, die – wenn sie von dem Tier gefressen würde – wie eine Droge auf es wirke und die dafür sorge, dass der Panther sich auf die Suche nach menschlichen Exkrementen begebe, da diese seinem Leiden Linderung verschafften (HAVIII, 612a 7). Diese Pflanze sei auch für Löwen tödlich. Jäger machten sich diesen Umstand zunutze, indem sie die Exkremente in einem Behältnis an einem Baum aufhängten, damit sich das Tier nicht von dieser Stelle fort begebe. Während der Panther – in der Hoffnung an das Behältnis zu gelangen – an dem Baum hochspringe, ereile ihn der Tod. Hierbei stellt sich zunächst die Frage, um welche Pflanzenart es sich handeln könnte, die Aristoteles innerhalb dieses Abschnitts erwähnt. Dioskurides nennt eine Pflanze mit dem Namen akjniton, die – laut seinen Angaben – auch mit pardalianches bezeichnet würde.634 Pardalianches heißt dabei wörtlich übersetzt so viel wie ›Pantherwürger‹.635 Bei der von Dioskurides gemeinten Pflanze handelt es sich um den Eisenhut (Abb. 18), ein hochgiftiges Gewächs, das – in entsprechender Dosis – wohl tatsächlich zum Tod eines Panthers führen könnte.636
Abb. 18: Blauer Eisenhut. Der Eisenhut könnte die Pflanze sein, die Aristoteles in der HA meint.637 Grzimek, Grzimeks Tierleben XII, Bd. 3: Säugetiere, S. 343. Sauerhoff, Pflanzennamen im Vergleich, S. 108. Ebenda. Vgl.: Meyer, Heilpflanze als Mordinstrument missbraucht. Auf: http://ptaforum.pharma zeutische-zeitung.de/index.php?id=686. Zugriff am 11. 04. 2017 um 13:05 Uhr. 637 Bildquelle: »Monkshood« von Schnobby – Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons – https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Monkshood.jpg#/ media/File:Monkshood.jpg. Zugriff am 19. 11. 2015 um 10:57 Uhr.
633 634 635 636
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Die Wirkungsweise des Eisenhuts gestaltet sich jedoch sehr anders, als Aristoteles dies in der HA beschreibt.638 Gesetzt den Fall, ein Panther würde tatsächlich die Blüten der Pflanze fressen, käme es bei dem Tier vermutlich zu Herzversagen und Atemstillstand; Auswirkungen des Gifts, gegen welches es kein Gegenmittel gibt und natürlich könnte auch der Verzehr menschlicher Exkremente das Tier nicht vor dem sicheren Tod bewahren. Eine gewisse Verwechslungsgefahr bezüglich der in Frage kommenden Pflanzen und ihrer Benennungen ist darin zu sehen, dass im Frühneuhochdeutschen im Jahr 1574 die Bezeichnung Löpardwürger zur Benennung einer Pflanzenart auftaucht, die später bei Carl von Linn8 unter dem lateinischen Namen Doronicum pardalianches (übersetzt ›pantherwürgende Gemswurz‹) zu finden ist (Abb. 19).639 Diese Pflanze dürfte wohl nicht die von Aristoteles gemeinte sein, da sie nicht giftig ist.640 Dennoch trägt sie im Englischen heute noch den Namen Leopards bane.641
Abb. 19: ›Pantherwürgende Gemswurz‹.642
638 639 640 641 642
Vgl.: Sauerhoff, Pflanzennamen im Vergleich, S. 108. Ebenda. Billerbeck, Flora classica, S. 217f. Sauerhoff, Pflanzennamen im Vergleich, S. 108. Bildquelle: »Doronicum orientalis ’Little Leo’« von Wezy aus nl. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons – https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Doronicum_ orientalis_%27Little_Leo%27.JPG#/media/File:Doronicum_orientalis_%27Little_Leo%27. JPG. Zugriff am 17. 11. 2015 um 14:30 Uhr.
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Weiterhin informiert Aristoteles auch über das Gebiss des Panthers (bzw. Leopards), dieses bestehe – ebenso wie das der Löwen und der Hunde – aus gezackten Zähnen (HA II, 501a 17). Auch über die Pfoten der Tiere gibt der Naturgelehrte Auskunft. Diese seien mehrfach gespalten, weswegen der Panther (Leopard) wie auch der Löwe und der Hund mehrere Zehen besitze (HA II, 499b 8). Bezüglich der Herkunft des Panthers klärt Aristoteles darüber auf, das Tier trete in Asien auf, jedoch nicht in Europa (HA VII, 606b 16). Darüber hinaus liefert die HA aber auch Informationen über das Temperament des Tieres, denn in HA I, 488a 28 wird gesagt, einige Tiere seien zahm und andere wiederum wild. Zu denjenigen, die immer wild sind, zählt Aristoteles den Panther und den Wolf. Zusammenfassend lässt sich im Hinblick auf die Konzeptbestandteile, die in der HA angesprochen werden also festhalten: Aristoteles unternimmt eine Unterscheidung zwischen den Eigenschaften des männlichen und des weiblichen Tiers, behandelt das Thema Fortpflanzung und Jungtiere und beleuchtet Gefahren, die für den Panther bestehen. Darüber hinaus wird auf die Beschaffenheit einiger Körperteile (Pfoten und Zähne) gesondert eingegangen und die Wildheit des Tiers betont. Ein weiteres Werk, das für die Erschließung des antiken Panther-Konzepts ganz maßgebliche Informationen liefert, ist die Naturalis histora Plinius’ d. Ä.. Plinius’ Informationen zum Panther finden sich in der NH 8, 21. Dort bezieht sich der Autor zunächst auf ein Erlebnis eines Naturkundigen namens Demetrios (gemeint sein könnte an dieser Stelle Demetrios von Phaleron), der mit einem weiblichen Panther in Kontakt gekommen sei: iacentem in media via hominis desiderio repente apparuisse patri cuiusdam Philini, adsectatoris sapientiae; illum pavore coepisse regredi, feram vero circumvolutari non dubie blandientem seseque conflictantem maerore, qui etiam in panthera intellegi posset. feta erat, catulis procul in foveam delapsis. primum ergo miserationis fuit non expavescere, proximum et curam intendere. secutusque qua trahebat vestem unguium levi iniectu; ut causam doloris intellexit simulque salutis suae mercedem, exemit catulos. ea cum his prosequente usque extra solitudines deductus laeta atque gestiente, ut facile appareret gratiam referre et nihil in vicem inputare, quod etiam in homine rarum est.643 643 Übersetzung König/Winkler (Sammlung Tusculum): ›der [der Panther] lag mitten auf dem Wege und wartete auf einen Menschen, als ihn plötzlich der Vater eines gewissen Philinos, eines Freundes der Wissenschaften, erblickte; erschrocken begann dieser zurückzuweichen, allein das Tier kroch zweifellos schmeichelnd und hart mitgenommen in seiner Betrübnis, die man auch am Panther wahrnehmen kann, um ihn herum. Es war ein Weibchen, dessen Junge weit entfernt in eine Grube gefallen waren. Die erste Wirkung des Mitleids war, sich nicht mehr zu fürchten, die nächste, nach Abhilfe zu suchen. Er folgte ihm, wohin es ihn an seinem Kleid zog, das es leicht mit seinen Krallen erfasst hatte; als er die Ursache des Kummers und zugleich den Preis für die Schonung seines Lebens sah, zog er
Panther
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Auf diesen Abschnitt folgt – in Form eines kurzen Einschubs – eine andere Rettungsgeschichte, die davon berichtet, wie das Eingreifen einer Schlange einen Menschen vor Räubern rettete. Daraufhin setzt Plinius in der NH 8, 23 erneut mit Panther-Informationen ein: Panthera et tigris macularum varietate prope solae bestiarum spectantur ; ceteris unus ac suus cuique generi color est; leonum tantum in Syria niger. pantheris in candido breves macularum oculi. ferunt odore earum mire sollicitari quadripedescunctas, sed capitis torvitate terreri; quam ob rem occultato eo reliqua dulcedine invitatas corripiunt. sunt qui tradant in armo his similem lunae esse maculam crescentem in orbem et curvantem pari modo. nunc varias et pardos, qua mares sunt, appellant in eo omni genere, creberrimo in Africa Syriaque. quidam ab his pantheras candore solo discernunt, nec adhuc aliam differentiam inveni.644
Anhand des ersten angeführten Zitats (NH 8, 21) wird deutlich, dass auch Plinius zwischen männlichen und weiblichen Panther-Exemplaren unterscheidet, denn hier ist ausdrücklich von einem Muttertier die Rede (feta erat). Plinius gibt an dieser Stelle indirektes, vermitteltes Wissen wieder, denn er berichtet von einem Ereignis, das ihm zugetragen wurde, dem er aber nicht selbst als Augenzeuge beiwohnte. Um dem Bericht zu größerer Glaubwürdigkeit zu verhelfen, wird zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei Philinos, der die Begegnung mit der Pantherin hatte, um einen Freund der Wissenschaften (adsectatoris sapientiae) handle. Die Panthereigenschaften, die innerhalb des Berichts zutage treten, sind insbesondere die Fürsorglichkeit des Pantherweibchens seinen Jungen gegenüber und die Klugheit, die darin zu erkennen ist, dass das Tier sich in einer schwierigen Situation – aus der es alleine keinen Ausweg findet – Hilfe holt. Das Verhalten des Tieres wirkt in höchstem Maße anthropomorph, denn die natürlichen, triebhaften Reaktionen die man von ihm bei einem derartigen Zusammentreffen mit einem Menschen erwarten würde, bleiben aus. Weder die Jungen heraus. Mit diesen folgte ihm das Tier und geleitete ihn bis weit über die Wüste hinaus mit freudiger Gebärde, sodass leicht erkennbar wurde, dass es sich ohne alle Gegenrechnung dankbar zeigen wollte, was auch beim Menschen selten vorkommt.‹ 644 Übersetzung König/Winkler (Sammlung Tusculum): ›Der Panther und der Tiger fallen fast als einzige verschieden gefleckte Tiere auf, die übrigen haben nur eine einzige ihrer Art eigene Farbe; nur in Syrien gibt es schwarze Löwen. Die Panther haben auf weißem Grund kleine augenähnliche Flecken. Durch den Geruch der Panther sollen alle Vierfüßler auf merkwürdige Weise angezogen, durch die Wildheit des Kopfes aber abgestoßen werden; deshalb verbergen die Panther diesen und fangen die Tiere, die sie durch das andere Reizmittel angelockt haben. Einige erzählen, sie hätten auf dem Vorderbug einen mondähnlichen Flecken, der zu einer Scheibe anwachse und sich auf gleiche Weise – zu Hörnern – krümme. Heute nennt man gefleckte Panther auch Parder, sofern sie männlich sind, in dieser ganzen Tierart, die sich am häufigsten in Afrika und Syrien findet. Manche unterscheiden von diesen die Panther nur durch die helle Farbe, und bisher habe ich noch keinen anderen Unterschied gefunden.‹
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
flüchtet die Pantherin bei Philinos’ Herannahen, noch geht sie zum Angriff über. Stattdessen legt sie totale Triebsublimierung an den Tag, bemüht sich, das Mitleid des Menschen zu erregen und ihn zu umschmeicheln (non dubie blandientem). Es wird deutlich, dass das Tier zu tiefer gehenden Emotionen fähig ist, denn zum einen ist von seiner Betrübnis (maerore) die Rede und später – nach der Rettung der Jungtiere – von freudigen Gebärden (gestiente) und Dankbarkeit (appareret gratiam). Eine weitere Formulierung, die den Eindruck der Triebsublimierung des Tiers verstärkt, ist trahebat vestem unguium levi iniectu. Das Tier hat Philinos’ Kleid nur leicht (levi) mit seiner Kralle erfasst. Es lässt also äußerste Vorsicht walten, um den potentiellen Retter seiner Jungen nicht zu verschrecken. Entscheidend für die mittelalterliche Rezeption dieses Plinius-Zitats erscheint mir der letzte Satz. Das Tier begleitet den Retter seiner Jungen noch lange Zeit, bis beide die Wüste hinter sich gelassen haben und erwartet dafür keinerlei Gegenleistung. Dieses Verhalten wird von Plinius in einen direkten Vergleich zu menschlichem Verhalten gesetzt, mit dem Ergebnis, dass ein solches Betragen bei Menschen selten zu finden sei (quod etiam in homine rarum est). Genau dieser Gedanke wird im 14. Jahrhundert von Heinrich von Neustadt in der Milgot-Szene des Apollonius von Tyrland wieder aufgegriffen und narrativ entfaltet. Auf diese ganz evidenten Zusammenhänge wird im Rahmen der Analyse des mittelalterlichen Textes noch näher einzugehen sein. Zuvor muss jedoch noch eine genauere Betrachtung des zweiten angeführten Plinius-Zitats (NH 8, 23) erfolgen. Plinius konstatiert hier zunächst ein äußeres Merkmal, das Panther und Tiger gemeinsam sei: sie seien beide ›unterschiedlich gefleckt‹ (maculum varietate). Hier stellt sich zunächst die Frage, ob Plinius nicht wusste, dass das Fell eines Tigers nicht gefleckt, sondern gestreift ist. Da man Tiger ebenfalls – gleichsam den Leoparden und Panthern – nach Rom importierte und sie später sogar in Gebiete nördlich der Alpen brachte, scheint dies beinahe ausgeschlossen.645 Davon, wie sehr man zumindest in einigen Teilen des Imperium Romanum mit den Tieren vertraut war, zeugen die beiden Mosaik-Ausschnitte in den Abbildungen 20 und 21.
645 Vgl.: Wille, Eintrag ›Tiger – B.1 Antike Zoologie‹. Auf: http://www.animaliter.uni-mainz. de/2011/02/23/tiger-b-1-antike-zoologie/. Zugriff am 20. 11. 2015 um 17:31 Uhr.
Panther
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Abb. 20: Tiger, der einen Esel tötet.646 Deutlich zu erkennen ist das gestreifte Fell des Raubtiers. Römische Villa Nennig. Entstehung: um 230–240 n. Chr.647
Abb. 21: Tiger, bei dem ebenfalls die Streifen zu erkennen sind.648 Mosaik aus Lod (Israel). Entstehung: 2./3. Jh. n. Chr.; Standort: The Metropolitan Museum of Art, New York.649
646 Bildrechte: Tiger und Wildesel, Detail aus dem Römischen Mosaikfußboden Nennig, TStiftung Saarländischer Kulturbesitz. 647 http://www.amphi-theatrum.de/1410.html. Zugriff am 11. 04. 2017 um 14:37 Uhr. 648 Bildquelle: http://www.metmuseum.org/about-the-museum/now-at-the-met/features/ 2010/the-roman-mosaic-from-lod-israel. Zugriff am 20. 11. 2015 um 17:12 Uhr. 649 Ebenda. Zugriff am 11. 04. 2017 um 14:45 Uhr.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Auch wenn diese beiden Mosaiken ca. 200 Jahre nach Plinius’ Lebzeiten entstanden sein dürften, ist dennoch davon auszugehen, dass auch er Tiger kannte, denn der erste Tiger-Import nach Italien fand bereits im Jahr 19 v. Chr. statt.650 Es besteht daher zum einen die Möglichkeit, dass die Art der Fellmusterung für Plinius kein distinktives Merkmal zur Klassifizierung des Tigers darstellte und deswegen die Frage »gefleckt oder gestreift?« für ihn nicht von so großer Bedeutung war, wie sie es für unser heutiges Konzept vom Tiger ist. Zum anderen könnte es sein, dass dieses Phänomen der ›Nichtunterscheidung‹ wiederum auf einer noch älteren – nicht mehr genau rekonstruierbaren – Tradition beruht, die Plinius an dieser Stelle aufgreift und die sich auch später, beispielsweise im Tiger-Abschnitt der Etymologien Isidors von Sevilla fortsetzt (Etymologiae, XII, 2, 7).651 Auf die Erläuterung der Fellfarbe folgen in dem Plinius-Zitat die bereits angesprochenen Ausführungen zu dem guten Geruch des Tiers. Anders als die bisher genannten antiken Autoren nennt Plinius aber nicht nur diese besonders anziehende Panther-Eigenschaft, sondern auch eine, die auf andere Tiere abstoßend wirkt: die »Wildheit seines Kopfes« (capitis torvitate). Dieser Konzeptbestandteil des ›wilden Kopfes‹ ist wichtig, da er offenbar bis ins Mittelalter tradiert wird.652 Auf die Nennung der Eigenschaft des ›wilden Kopfes‹ folgt bei Plinius die Thematisierung des mondähnlichen Flecks auf der Schulter des Panthers (similem lunae esse maculam). Dieser Fleck wachse zu einer Scheibe heran und krümme sich auf diese Weise zu Hörnern (crescentem in orbem et curvantem pari modo). Auch dieses Merkmal taucht in einigen mittelalterlichen Beschreibungen wieder auf. Was den Autor zur Annahme dieser Panthereigenschaft veranlasste, bleibt fraglich. Den Abschluss der Beschreibung bildet Plinius’ Versuch, Licht in das Dunkel um die Frage nach der Verbindung zwischen Panther und Parder zu bringen. So informiert der antike Naturgelehrte, männliche, gefleckte Panther würden auch als ›Parder‹ bezeichnet und lebten am häufigsten in Afrika und Syrien. Der Unterschied, der von einigen angenommen würde, bestehe darin, dass Panther heller seien. Darüber hinaus habe er (Plinius) aber bislang keine weiteren Unterschiede feststellen können. Besonders aus dem letzten Satz dieses Zitats klingt große Unsicherheit her650 Wille, Eintrag ›Tiger – B.1 Antike Zoologie‹ auf: http://www.animaliter.uni-mainz.de/ 2011/02/23/tiger-b-1-antike-zoologie/. Zugriff am 20. 11. 2015 um 17:31 Uhr. 651 Ebenda. 652 Bartholomaeus Anglicus beispielsweise berichtet in seinem Werk De proprietatibus rerum davon und in Jacobs van Maerlants Der Naturen Bloeme ist der ›wilde Kopf‹ bildhaft in Szene gesetzt. Auf beides wird im Folgenden – im Rahmen der Auswertung der mittelalterlichen Quellen – noch eingegangen.
Panther
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aus, die sich daran festmachen lässt, dass der Autor sich hier auf »einige« (quidam) beruft. Er erläutert demnach keine allgemeingültige Annahme zur Unterscheidung der Raubkatzen und ist sich dessen bewusst. Zugleich könnte man anhand des letzten Satzes aber auch so etwas wie ›Empirie‹ vermuten, denn dass Plinius noch keinen weiteren Unterschied »gefunden« hat, setzt zunächst einmal voraus, dass er danach gesucht hat. Diese Suche dürfte jedoch eher eine Suche nach weiterführendem Buchwissen gewesen sein als dass sich Plinius tatsächlich eigenen empirischen Untersuchungen widmete. Mit seiner Aussage, bislang noch keine weiteren Unterschiede gefunden zu haben, relativiert Plinius seine Angaben ein Stück weit und lässt die Möglichkeit offen, dass es dennoch Unterschiede gibt, die jenseits seines Wissenshorizonts liegen. Dass ihm keine weiteren Unterschiede auffielen, erscheint wenig überraschend, da es sich beim Panther, dem Leoparden und dem Parder um ein und dieselbe Tierart handelt. Das Missverständnis, das Plinius’ Annahmen zugrundeliegt, resultiert daraus, »dass es im Lateinischen zwei Bezeichnungen für den Leoparden gab: panthera und pardus.«653 Ein drittes Mal erwähnt Plinius den Panther in NH 8, 100. Dort berichtet auch er von der Pantherfalle, die bereits von Aristoteles in der HA VIII, 612a 7 beschrieben wurde. Plinius erläutert noch etwas genauer die Wirkungsweise des Giftes, indem er sagt, das Atonikum verursache augenblicklich ein Würgen des Panthers, woraus er auch die Bezeichnung Pardalianches etymologisch herleitet. Panther seien aber so zäh, dass sie den Eintritt ihres Todes – selbst, wenn ihnen bereits die Gedärme entfernt worden seien – noch lange hinauszögerten. Des Weiteren geht der Autor in der NH 28, 93 auf die Feindschaft zwischen Panther und Hyäne ein. Der Panther fürchte dieses Tier so sehr, dass einem Pantherfell, das gegenüber einem Hyänenfell aufgehängt würde, alle Haare ausfielen. Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf Plinius’ Ausführungen festhalten, dass für ihn – ebenso wie für Aristoteles – die Unterscheidung zwischen männlichem und weiblichem Tier eine Rolle spielt. Innerhalb des ersten angeführten Zitats wurde ein uneingeschränkt positives Bild von der klugen und dankbaren Panther-Mutter entworfen, das diese ethisch und moralisch sogar höher als den Menschen stellte. Im zweiten Zitat ging es um distinktive Merkmale und die äußere Erscheinung des Tiers. Hier wurden das bunte, gemusterte Fell, der gute Duft und der wilde Kopf, der mondähnliche Fleck auf der Schulter des Tiers sowie die Unterscheidungsmerkmale zwischen Panther und Parder thematisiert. Neben Aristoteles’ HA und Plinius’ NH bietet auch Solinus’ Werk De mira653 White, The Book of Beasts, S. 13. Eigene Übersetzung. White schreibt an dieser Stelle: »The explanation is that there were two latin names for leopard: panthera and pardus.«
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
bilibus mundi Informationen über den Panther.654 In De mirabilibus mundi XVII, 8 erklärt der Autor, Panther seien in großer Zahl in Hyrkanien – einem Gebiet im heutigen Nordost-Iran – zu finden. An ihrer Oberseite seien sie von kleinen Kringeln gezeichnet. Man könne daher auf ihrem Rücken eine Verzierung in Form von gelbbraunen, himmelblauen und weißen, augenähnlichen Kreisen ausmachen. Daraufhin berichtet Solinus, Großvieh (armenta) fühle sich durch den Geruch und das Aussehen des Panthers angezogen. Alleine die Wildheit des Panthermauls löse bei den Tieren eine Reaktion des Erschreckens aus. Während in Plinius’ NH noch der gesamte Kopf des Panthers als Ursache des Erschreckens galt (capitis torvitate), ist es im Werk Solinus’ also lediglich das Maul, das erschreckt (oris torvitate). Um die Tiere nicht zu erschrecken, verberge der Panther daher seinen Kopf, was zur Folge habe, dass sich die unverständigen Viehherden in Sicherheit wähnten. Dies wiederum mache sich der Panther zunutze: Er richte in den Herden Verwüstung an und dünne sie aus. In Hyrkanien jage man Panther und bringe sie häufiger mit Gift als mit Eisen zur Strecke. Dazu würden mit Aconitum präparierte Fleischbrocken ausgestreut. Da die Pflanze bewirke, dass sich der Rachen des Tieres verenge bis er verstopft sei, nenne man die Pflanze auch Pardalianches. Von einer Pflanze, die wie eine Droge auf Panther wirkt, war bereits bei Aristoteles und Plinius die Rede. Panther wüssten jedoch ein Gegenmittel gegen diese Giftfalle. In ihrer Klugheit verschafften sie sich durch das Verschlingen menschlicher Exkremente Abhilfe von ihrem Leiden. Ebenso wie Plinius beschreibt auch Solinus die Zähigkeit des Panthers, der seinen Tod selbst dann noch lange hinauszögere, wenn ihm bereits die Gedärme entfernt worden seien. Versucht man nun, die Ergebnisse der ausgewerteten Bild- und Textquellen zu einem wissenschaftlichen Konzept vom antiken Panther-Konzept zusammen zu fassen, so lässt sich folgendes festhalten: Insbesondere anhand der Bildquellen wird deutlich, dass die Vorstellung vom Äußeren des Panthers sehr derjenigen gleicht, die wir heute von einem Leoparden haben. In Bezug auf das Temperament des Panthers zeigt sich, dass er in einigen Kontexten zahm erscheint (wenn er beispielsweise als Reittier des Dionysos inszeniert wird); zum anderen wird jedoch auch die Wildheit des Tiers angesprochen. Als besondere Merkmale werden der mondförmige Fleck auf der Schulter des Tiers, der gute Duft sowie der wilde Kopf bzw. das wilde Maul genannt. Deutlich wird zudem, dass weibliche Tiere sowohl in den Text- als auch in den Bildquellen stärker vertreten sind, da sie als tapferer und intelligenter gelten. Darüber hinaus wird über die Gebärfähigkeit sowie über die Anatomie 654 Solinus, Wunder der Welt. Eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Kai Brodersen, S. 152–154.
Panther
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des Körpers der Pantherin berichtet. Als Herkunftsländer des Panthers werden Indien, Afrika, Syrien und Hyrkanien entweder explizit genannt oder aber bildhaft in Szene gesetzt. Im Hinblick auf die Beziehungen des Panthers zu anderen Tieren und Menschen wird ersichtlich, dass Menschen und Götter sowohl Freunde als auch Feinde des Tiers sein können. Tierische Feinde, die Erwähnung finden, sind Hyänen und Affen. Letztere maltraitieren den Panther, wofür sie aber von dem Raubtier mit dem Tod bestraft werden. Bezüglich der Nutzung wird ersichtlich, dass das Fell eine wichtige Rolle spielt, da es zu Kleidungsstücken verarbeitet werden kann. Der gesellschaftliche Status des Panthers ist dadurch bestimmt, dass er ein gejagtes Tier darstellt, das als orientalisches Luxusgut gehandelt wird und für die Traumdeutung von Bedeutung ist. Beschäftigt man sich nun mit der Frage, als wie ›exotisch‹ der Panther von Menschen in der Antike wargenommen wird, so lässt sich folgendes festhalten: Der Panther wird sicherlich als ein Tier wahrgenommen, das aus fernen und fremden Ländern stammt. Dennoch hat man im Gegensatz zu den Menschen im Mittelalter eine relativ naturnahe Vorstellung vom Aussehen des Tiers. Was sich bereits bei dem antiken Panther-Konzept abzuzeichnen beginnt und dann – bei der Betrachtung des mittelalterlichen Konzepts – noch stärker zutage tritt ist, dass die ›Exotik‹ des Tiers als eine Art ›Katalysator‹ für diskursive Einschreibungen betrachtet werden kann. Dies ist dahingehend zu verstehen, dass prinzipiell jedes Tier solchen diskursiven Einschreibungen unterliegen kann; ein ›exotisches‹ Tier aber scheint eine besondere Disposition dafür mitzubringen. Betrachtet man beispielsweise die Rolle des Panthers als dem Begleittier des Dionysos, so erscheint es sicherlich reizvoller und faszinierender, einer Gottheit dieses ›exotische‹ Tier zur Seite zu stellen, als beispielsweise ein Pferd, mit dem die Menschen in der Antike wesentlich besser vertraut sind. Etwas, womit man nicht so gut vertraut ist, bedeutet stets mehr oder minder große Leerstellen im Wissensbestand. Diese Leerstellen können dann zu Einfallstoren für alle möglichen diskursiven Einschreibungen werden. Im oben angeführten Beispiel etwa sind es die Einschreibungen des pagan-mythischen Diskurses, die bewirken, dass der Panther als sinnenfreudiges Tier dargestellt wird, das sich gerne dem Tanz und dem Weingenuss hingibt. Zur Rekonstruktion des antiken Panther-Konzepts werden im Folgenden die Auswertungsergebnisse der antiken Quellen noch einmal pointiert in Form eines epistemischen Frames dargestellt. Da die Aspekte ÄUSSERES, TEMPERAMENT, BESONDERE MERKMALE, GESCHLECHT, HERKUNFT, BEZIEHUNG ZU ANDEREN TIEREN, NUTZUNG und GESELLSCHAFTLICHER STATUS in den untersuchten Quellen immer wieder Gegenstand der Ausführungen waren, werden sie als filler des Epochen-Frames begriffen. Eine solche Vielzahl an fillern könnte sich allerdings negativ auf die Übersichtlichkeit der
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
P Panther
Temperament
Äußeres
Form
naturnah (wie Leopard) ›wilder Kopf ‹
naturnah (wie Leopard)
gefleckt; naturnah (wie Leopard)
wild
Blutdurst
Duft
lockt Beutetiere an
Weingenuss Begleittier des Dionysos
weiblich
männlich
stößt andere Tiere ab zahm
Geschlecht
wilder Kopf
mondf örmiger Fleck an Schulter
Farbe
Größe
besondere Merkmale
Jäger
tapfer intelligent
gebiert bis zu 4 Jungtiere in einem Wurf
4 Zitzen am Bauch f ürsorgliches Muttertier
Dankbarkeit
Gesellschaft leistendes Tier Felllieferant
Zugtier v or Streitwagen Reittier
Abb. 22: Epistemischer Epochen-Frame, der die wissenschaftlich rekonstruierten Bestandteile des antiken Panther-Konzepts abbildet.
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Panther
Herkunft
Beziehungen zu anderen Tieren
gesellschaftlicher Status
Nutzung
Af rika Indien
Fell
Syrien
Hyrkanien
›Freunde‹
bedeutsam f ür Traumdeutung
Feinde
Götter und
gejagtes Tier
Reittier
Menschen
Af f en
orientalisches Luxusgut
Kleidungsstück
Handelsware wertv olles Geschenk
Hyäne ›eines Gottes würdig‹ Dionysos
Aphrodite Kybele Artemis
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Graphik auswirken. Daher erscheint es sinnvoll, die unterschiedlichen Konzeptbestandteile in verschiedenen Farben abzubilden. Die farbig unterlegten Konzeptbestandteile finden sich in mittelalterlichen Quellen wieder. Die Differenzierung zwischen ›farbig unterlegt / nicht unterlegt‹ gibt also Auskunft darüber, welche Konzeptbestandteile tradiert werden und welche hingegen als epochenspezifisch für die griechisch-römische Antike gelten können. Der Konzeptbestandteil ›Blutdurst‹ ist farbig und gemustert unterlegt, da er zwar tradiert wird, in mittelalterlichen Quellen aber ausschließlich in Bezug auf den Leoparden – nicht auf den Panther – explizit genannt wird (Abb. 22).
2.1.3 Das mittelalterliche Panther-Konzept Nachdem nun das wissenschaftliche Konzept vom antiken Panther-Konzept erarbeitet wurde, soll im Folgenden auf die mittelalterlichen Text- und Bildquellen eingegangen werden. Die unterschiedlichen Quellen werden dabei nach einer ersten Sichtung fünf verschiedenen Diskursen zugeordnet, um innerhalb der Analyse ein strukturriertes Vorgehen zu ermöglichen und trotz der großen Fülle an Untersuchungsmaterial Übersichtlichkeit zu gewährleisten. Diskurs
Text- und Bildquellen
3.5.3.1) Naturkundlich
– – – – – – – – – – – – –
Isidor von Sevilla Rabanus Maurus Hildegard von Bingen Alexander Neckam Vinzenz von Beauvais Bartholomaeus Anglicus Albertus Magnus Thomas von Cantipr8 Konrad von Megenberg Bibel Physiologus lat., frz. und mnd. Bestiarien Concordantiae caritatis (U. von Lilienfeld)
– – – – – – – – –
Bestiaire d’amour (Richard de Fournival) Dit de la panthHre d’amour (N. de Margival) Frauenlob Lied 4 Straßburger Alexander Basler Alexander Johann Hartliebs Alexander Apollonius von Tyrland (Heinrich von Neustadt) Wigalois (Wirnt von Grafenberg) Prosa Lancelot
3.5.3.2) Religiösheilsgeschichtlich 3.5.3.3) Liebesdiskurs 3.5.3.4) Literarischer Diskurs
149
Panther
(Fortsetzung) Diskurs
Text- und Bildquellen
3.5.3.5) Kommerzieller Diskurs
– – – – – –
Mandeville (Übersetzung Velser) Niederrheinischer Orientbericht Hans Tucher Berhard von Breydenbach Felix Fabri Arnold von Harff
Dabei ist jedoch stets zu bedenken, dass keiner der Diskurse so klar von allen anderen abgegrenzt werden kann, wie dies die oben angeführte Tabelle auf den ersten Blick suggerieren mag. Vielmehr kommt es natürlich innerhalb der Textund Bildquellen zu verschiedensten Diskursmischungen, oder präziser formuliert: zu den von Link und Link-Heer postulierten Spezial- und Interdiskursen.655 Diese Tabelle muss daher als ein erster Schritt, als eine holzschnittartige ›Grobeinteilung‹ verstanden werden. Berücksichtigung fanden bei dieser Grobeinteilung lediglich die Diskurse, die sofort augenfällig wurden. Auf alle weiteren Diskursinterferenzen möchte ich innerhalb der einzelnen Kapitelabschnitte genauer eingehen und damit sozusagen die ›Feineinstellung‹ nachliefern. Die gestrichelten Trennlinien der Tabelle sollen die Durchlässigkeit für Diskurselemente anzeigen. Um einen direkten Vergleich zwischen den beiden epistemischen Frames des antiken und des mittelalterlichen Panther-Konzepts zu ermöglichen, wird der mittelalterliche Frame im Folgenden der Textanalyse vorangestellt. Bei diesem Frame wird ebenfalls eine Unterscheidung zwischen farbig unterlegten und nicht unterlegten Konzeptbestandteilen vorgenommen, die verdeutlichen soll, welche Elemente aus der Antike tradiert sind (farbig unterlegt) und welche als spezifisch mittelalterliche hinzutreten (nicht unterlegt). Außerdem findet eine Differenzierung zwischen klassifikatorischen und metaphorischen Relationen der Konzeptbestandteile statt. Im Falle, dass Konzeptbestandteile in den Quellen als Metapher für etwas stehen, wird dies innerhalb der Frames mittels unterbrochener Pfeil-Linien gekennzeichnet. In allen anderen Fällen wird von klassifikatorischen Relationen ausgegangen, zu deren Visualisierung durchgezogene Pfeile verwendet werden. Nach den einzelnen Kapitel-Abschnitten folgt dann jeweils ein Frame, der die Konzept-Aktualisierungen anzeigt, die innerhalb des jeweiligen Diskurses zutage getreten sind. Dieses Vorgehen ist insofern sinnvoll, als dass auf diese Weise transparent wird, wie der epistemische Frame generiert wurde und welche Wissensbestandteile innerhalb welcher Diskurse eine Rolle spielen. Die jeweils aktualisierten Wissensbestandteile werden innerhalb dieser Diskurs-Frames farbig markiert, die nicht aktualisierten sind grau gehalten. 655 Vgl. dazu Kapitel 1.1.2.1 Die Interdiskurstheorie.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
P Panther
Temperament
Äußeres
Größe
Form
besondere Merkmale
mondförmiger Fleck an Schulter
Farbe
alles ist möglich
wilder Kopf
gefleckt wild
bunt
männlich
stößt andere Tiere ab
zahm
edle Kräuter
tapfer Krone
v iele Tugenden
zerfleischt andere Tiere
intelligent f ürsorgliches Muttertier
Dankbarkeit Christus
Hilf sbereitschaft
Minnedame
Duft
lockt Beutetiere an
Atem
Großzügigkeit Das Wort Gottes Salbungsöl das ›Nährende‹ beim Abendmahl
Schwierigkeiten beim Gebären
gebiert nur einmal
4 Zitzen am Bauch
Duldsamkeit Christi bei der Kreuzigung
gif tig
andere Tiere
weiblich
Schönheit
alles ist möglich
Nahrung
Geschlecht
Fell
Bettvorleger Luf terfrischer
Kraftquelle Medizin zur Behandlung kranker Tiere
Medizin gegen Liebeskummer Worte des Minneritters / der Minnedame
Verführungskraft der Minnedame
Abb. 23: Epistemischer Epochen-Frame, der die wissenschaftlich rekonstruierten Bestandteile des mittelalterlichen Panther-Konzepts abbildet.
151
Panther
Herkunft
Beziehungen zu anderen Tieren
Af rika Afrika Indien
eher kein medizinischer Nutzen
Syrien Hyrkanien
Feinde
›Freunde‹
gesellschaftlicher Status
Nutzung
Sinnbild Christi
Reich des Großkhans
Menschen
bedeutsam f ür Traumdeutung
Drache Hirsch
orientalisches Luxusgut
gejagtes Tier
Hyäne Atem
Handelsware
Fell
wertvolles Geschenk Reittier Medizin zur Behandlung kranker Tiere
Medizin gegen Liebeskummer
künstliche Nachbildung in Form von Automaten
Feuerlöscher
Lufterfrischer Bettvorleger
Relationen der Konzeptbestandteile = metaphorische Relation = klassifikatorische Relation farbig unterlegt = tradiert aus der Antike
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Um innerhalb des Kapitelabschnitts 2.1.3.1 Der naturkundliche Diskurs Redundanzen zu vermeiden, erfolgt hier eine Analyse, die nicht nach den einzelnen Quellen gegliedert ist, sondern sich an den am häufigsten genannten Panthermerkmalen orientiert. Dies soll gewährleisten, dass die einzelnen Naturenzyklopädien im Hinblick auf das Panther-Kapitel ein eigenes Profil erhalten. Die Untersuchung innerhalb der Kapitelabschnitte 2.1.3.2 bis 2.1.3.5 erfolgt dann jedoch wieder unter Einhaltung der in der Tabelle angeführten QuellenReihenfolge (Abb. 23).
2.1.3.1 Der naturkundliche Diskurs Im Hinblick auf das Äußere des Panthers kann festgehalten werden, dass die Vorstellungen von Körperform und -größe sehr unterschiedlich ausfallen. Von einem hundähnlichen Tier, das im Codex Paris BNF, D8partement des Manuscrits FranÅais 216, fol. 283 (Abb. 24) zu sehen ist, bis hin zu dem Mischwesen aus Stier, Pferd und Greifvogel im Buch der Natur Konrads von Megenberg (Abb. 25), scheint alles möglich zu sein.
Abb. 24: Bartholomaeus Anglicus, De proprietatibus rerum. Entstehung: 14.–15. Jahrhundert. Die Tiertafel zeigt (von links nach rechts und von oben nach unten): Löwe, Bär, Wildschwein, Hirsch, Panther, Pferd, Einhorn, Kamel und Bock. Paris BNF, D8partement des Manuscrits FranÅais 216, fol. 283.656
656 Bildquelle: http://expositions.bnf.fr/bestiaire/grand/e_17.htm. Zugriff am 28. 12. 2015 um 20:01 Uhr.
Panther
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Abb. 25: Cod. Pal. germ. 300, f. 111r. Konrad von Megenberg, Das Buch der Natur – Hagenau – Werkstatt Diebold Lauber, um 1442–1448.657
657 Bildquelle: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg300/0239. Zugriff am 04. 01. 2016 um 10:40 Uhr.
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Bemerkenswert an der zweiten bildhaften Darstellung (Abb. 25) ist, dass sie nicht auch nur annähernd mit der Panther-Beschreibung Konrads von Megenberg übereinstimmt, denn der Autor erwähnt an keiner Stelle eine Ähnlichkeit zu Pferd, Stier oder Greifvogel. Diese Nicht-Kongruenz zwischen Text- und Bildinhalten ist allerdings eine Tendenz, die sich anhand mehrerer Handschriften erkennen lässt, die in der Werkstatt Diebold Laubers angefertigt wurden. Dies könnte zwei Gründe haben. Zum einen erscheint es möglich, dass es dem Illustrator nicht darum ging, die Textinhalte 1:1 in seinen Abbildungen wiederzugeben. Zum anderen ist denkbar, dass er illiterat – und aus diesem Grund nicht dazu in der Lage war, Konrads Informationen in seine Darstellung miteinfließen zu lassen. Auffällig ist zudem, dass hier auf bildhafter Ebene das ›Vergleichspuzzle‹ umgesetzt wird, was als ›Exotik‹-Indiz gewertet werden kann.658 Ähnlichkeiten der Miniatur mit den bildhaften Panther-Darstellungen in den Bestiarien lassen sich nicht erkennen.659 In Bezug auf die Merkmale ›Farbe‹ und ›Fellmusterung‹ wird in beinahe allen Quellen gesagt, der Panther sei bunt und weise kleine, augenähnliche Flecken in unterschiedlichen Farben auf.660 Meist werden schwarz, weiß, rot und gelb als Farben der Flecken genannt. Einzig Hildegard von Bingen äußert sich nicht zu diesen Merkmalen des Tiers. Die Fellmusterung stellt damit einen Konzeptbestandteil dar, der dem antiken Pantherkonzept entnommen wird und unverändert weitertradiert wird. Bezüglich des Temperaments des Panthers lassen sich unterschiedliche Aussagen finden. Oftmals wird er als wildes Tier dargestellt, von dem erhebliche Gefahr für andere Tiere ausgehe oder es wird sogar explizit gesagt, dass er sie zerfleische [Alexander Neckam, De naturis rerum II, 133 (= AN); Bartholomaeus Anglicus, De proprietatibus rerum XVIII, 80 (= BA); Thomas von Cantimpr8, Liber de natura rerum 4,87,I ff. (= TC); Konrad von Megenberg, Buch der Natur III, 58 (= KM)]. Isidor von Sevilla entwickelt jedoch die Pseudoetymologie, die Bezeichnung ›Panther‹ sei darin begründet, dass der Panther allen Tieren – außer dem Drachen – ein Freund sei [Isidor von Sevilla, Etymologien XII, 8–9 (= IS)]. Diese Pseudoethymologie bzw. die Aussage über die Freundschaft zu den anderen Tieren wird von zahlreichen Quellen – mehr oder weniger nahe an Isidors Wortlaut – übernommen [Rabanus Maurus, De rerum naturis VIII, 1 (= RM); Hildegard von Bingen, Physica VII, 7 (= HB); Vinzenz von 658 Zu dem Beschreibungsverfahren des Vergleichpuzzles siehe auch S. 25f. der vorliegenden Arbeit. 659 Auf die bildhaften Darstellungen in den Bestiarien wird im Folgenden in Kapitel 2.1.3.2 Der religiös-heilsgeschichtliche Diskurs noch näher eingegangen. 660 Eine Ausnahme stellt hier die Physica Hildegards von Bingen dar, denn Hildegard geht nicht auf die Farbe und Fellmusterung des Panthers ein. Vgl.: Hildegard von Bingen, Physica VII, 7 (= HB).
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Beauvais, Speculum naturale 19,99 (=VB); BA; TC; KM)]. Findet zudem eine Plinius-Rezeption statt, so wird die Geschichte von der dankbaren Panthermutter angeführt, die Philinos gegenüber ganz zahm war (VB; BA). Die besonderen Merkmale des Tiers, die innerhalb der antiken Quellen angesprochen werden (der mondförmige Fleck auf der Schulter, der gute Duft sowie der wilde, furchteinflößende Kopf), werden innerhalb der mittelalterlichen Quellen ebenfalls thematisiert (Nennung des wilden Kopfes bei AN; BA; TC; KM; Nennung des mondförmigen Flecks bei VB; Albertus Magnus, De animalibus XXII, 90 (=AM); TC; KM). Darüber hinaus wird der Panther als schön beschrieben (BA). Etwas genauer muss auf Alexander Neckams Informationen zum Kopf-Verstecken eingegangen werden, da er das Verhalten des Tiers heilsgeschichtlich ausgelegt. Neckam schreibt, der Panther bedeute das Leben im Inklusorium, das durch das zehnfach verschiedene Studium geistlicher Angelegenheiten gekennzeichnet sei (panthera figuret vitam claustralium, quæ decenti varietate studiorum spiritualium insignita est). Die führenden, wahren Institutionen sparten die höchste Weihe für später auf, um die Novizen nicht durch strenge Disziplinierungsmaßnahmen von all zu großer Härte zu verschrecken (Principales vero institutiones maxime in initio reservant in posterum, ne disciplinæ severioris austeritas novitios exterreat). Die Allegorie, die an dieser Stelle entworfen wird, scheint jedoch nicht ganz ohne logische Brüche zu sein. Denn wenn die Novizen implizit mit den Tieren verglichen werden, die vom Panther angelockt werden, so würde dies – wenn man die Allegorie weiterdenkt – bedeuten, dass sie am Ende zu Tode kommen müssen. Es ist jedoch möglich, dass mittelalterliche Rezipienten an dieser Allegoriebildung, die im Detail nicht ganz zu Ende gedacht erscheint, keinen Anstoß genommen haben. Das besondere Merkmal des guten Dufts dient überwiegend – ebenso wie in den antiken Quellen – als Köder, um Beutetiere anzulocken (AN; VB; BA; TC; KM). Es wird meist im Zusammenhang mit den Informationen, die der Physiologus über das Tier bietet, erwähnt (dreitägige Verweildauer in der Höhle, lautstarkes Rufen, Tiere versammeln sich um den Panther herum, um dem duftenden Atem zu folgen). Eine heilsgeschichtliche Exegese des süßen Atems findet innerhalb der naturkundlichen Quellen allerdings nicht statt. Entgegengesetzte Informationen zum Pantheratem liefert Albertus Magnus, der die Ansicht vertritt, außer dem Menschen könne sich kein Tier an Duft erfreuen oder durch ihn traurig werden. Hildegard von Bingen erweitert das Wissen über den Pantherduft insofern, als dass sie ihre Rezipienten über die Giftigkeit des Atems in Kenntnis setzt. Von einer Anziehungskraft des Atems auf andere Tiere ist bei ihr nicht die Rede. Hildegard und Albertus Magnus vertreten also ganz dezidiert den Gegendiskurs. Bei Isidor von Sevilla und Rabanus Maurus findet der Panther-Atem erstaunlicherweise keinerlei Erwähnung. Ein spezifisch mittelalterliches Merkmal, das innerhalb der antiken Quellen
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nicht zu finden ist, stellt die Krone des Panthers dar (vgl. Abb. 24 und – in einem etwas größeren Bildausschnitt aus der Tiertafel – Abb. 26).
Abb. 26: Der Panther als Symbol Christi? Ausschnitt aus: Paris BNF, D8partement des Manuscrits FranÅais 216, fol. 283.661
Dieses Merkmal wird auch im literarischen Diskurs noch einmal eine entscheidende Rolle spielen. Es wurde offenbar sowohl auf der Text- als auch auf der Bildebene tradiert, wie im weiteren Verlauf der Analyse noch zu sehen sein wird. Wichtig erscheint auch die zentrale Position, die der Panther innerhalb der Tiertafel (Abb. 24) einnimmt. Macht der als König dargestellte Panther hier möglicherweise dem Löwen dessen Machtposition streitig, die dieser seit jeher in den Fabeln innehatte? Wohl nicht ganz, denn auch der Löwe nimmt noch einen relativ prominenten Platz innerhalb der Tiertafel ein. Er ist in Leserichtung das erste Tier, das der Betrachter zu sehen bekommt. Mit großer Sicherheit kann angenommen werden, dass der Künstler, der diese Miniatur anfertigte, auch die religiös-heilsgeschichtliche Bedeutung des Panthers als einem Symbol Christi im Hinterkopf hatte. Mit dieser Assoziation zu Christus als dem ›mächtigsten König‹ erscheint zumindest die Krone auf dem Haupt des Panthers erklärbar. Bemerkenswert ist zudem, dass Panther und Hirsch innerhalb der Tiertafel benachbarte Plätze einnehmen. Auch auf die Gemeinsamkeiten zwischen Panther und Hirsch wird im Folgenden – insbesondere innerhalb der Kapitelabschnitte 3.5.3.2 und 3.5.3.4 – noch näher einzugehen sein. Der Genderaspekt, der einen wichtigen Bestandteil des antiken PantherKonzepts darstellt, spielt innerhalb der mittelalterlichen, naturkundlichen 661 Bildquelle: http://expositions.bnf.fr/bestiaire/grand/e_17.htm. Zugriff am 13. 04. 2017 um 18:31 Uhr.
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Quellen ebenfalls eine Rolle. Der Fokus liegt hierbei allerdings stets auf der nur einmaligen Gebärfähigkeit der Pantherin (IS; RM; AN; VB; BA; TC; KM). Die Informationen dazu entnehmen die mittelalterlichen Naturkundigen – wie sie oftmals explizit zum Ausdruck bringen – Plinius’ Pantherbeschreibung. Dabei unterliegen sie jedoch einem Irrtum, da Plinius diese Informationen in der NH 8, 43 nämlich auf die Löwin und deren Jungtiere bezieht – nicht aber auf die Pantherin. Auch hier weichen Albertus Magnus und Hildegard von Bingen von allen anderen betrachteten mittelalterlichen Quellen ab. Albertus Magnus berichtet lediglich über ein seltenes und mit Schwierigkeiten verbundenes Gebären, nicht aber von einer nur einmaligen Gebärfähigkeit. Hildegard äußert sich nicht zu diesem Thema. Bei Vinzenz von Beauvais finden die vier Zitzen am Bauch der Pantherin Erwähnung, über die Aristoteles bereits in der HA informierte. Bezüglich der Nahrung des Panthers kommt in einigen Quellen zum Ausdruck, der Panther ernähre sich von den Beutetieren, die er erjage (BA; TC; KM). In Hildegards Physica ist zudem die Rede davon, er nehme nicht durchgängig reine Nahrung zu sich. Es erscheint möglich, dass Hildegard dies erwähnt, da sie von dem Fress-Verhalten des Panthers gelesen hat, das dieser angeblich an den Tag lege, wenn man ihm vergiftete Köder auslege. Diese ›Pantherfalle‹, die laut Alexander Neckam und Vinzenz von Beauvais vor allem von den Hyrkaniern angewandt wird, ist in ganz ähnlicher Weise in antiken Quellen (Aristoteles’ HA und Solinus’ De mirabilibus mundi) zu finden. Albertus Magnus nennt diese Falle innerhalb seiner Beschreibung des Leoparden (De animalibus XXII, 59), nicht aber innerhalb der des Panthers. Als Herkunftsländer und -regionen des Tiers werden Afrika (VB), Syrien (VB) und Hyrkanien (AN; VB) angegeben. Im Hinblick auf die Beziehungen des Tiers zum Menschen und zu anderen Tieren kann festgehalten werden, dass der Mensch dem Panther sowohl Freund als auch Feind sein kann. In der Rolle des Freundes tritt der Mensch beispielsweise auf, wenn er der in Not geratetenen Panthermutter Hilfe leistet. Als Feind des Panthers ist er jedoch anzushen, wenn er dem Tier vergiftete Köder auslegt oder versucht, es auf andere Weise zur Strecke zu bringen (AN; VB). Das Verhalten des Panthers – nachdem dieser mit den vergifteten Ködern in Kontakt gekommen ist – wird allein von Alexander Neckam heilsgeschichtlich ausgelegt. Neckam schreibt diesbezüglich: Ebenso wie der Panther sich durch das Fressen menschlicher Exkremente Abhilfe von seinen Qualen verschaffe, zeichneten sich niedere Hilfsmittel gegenüber dem Inklusorium als Schutz gegen Hinterhalte unsichtbarer Feinde aus (Sic et remedia humilitatis patrocinium præstant claustralibus contra insidias hostium invisibilium). Neben dem Menschen hat der Panther laut der mittelalterlichen Quellen einen Hauptfeind: den Drachen (IS; RM; VB; BA; AM; TC; KM). Vinzenz von Beauvais
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berichtet außerdem von der Feindschaft zwischen Hyäne und Panther, die bereits bei Solinus Erwähnung findet. Über die Nutzung des Tiers ist den mittelalterlichen, naturkundlichen Quellen beinahe nichts zu entnehmen. Allein Hildegard von Bingen äußert sich diesbezüglich und macht die Negativ-Aussage, der Panther eigne sich eben gerade nicht zur Herstellung von Arzneimitteln. Dass sie ihn dennoch in ihre Physica mitaufnimmt, könnte darauf hindeuten, dass sie den Anspruch hat, ihre Kosmologie vollständig abzubilden, wozu der Panther offenbar dazuzählt, auch wenn man aus ihm keine Arzneien herstellen kann. Auch über den Status des Tiers in der Gesellschaft werden innerhalb der Quellen, die dem naturkundlichen Diskurs zugerechnet werden, keinerlei Angaben gemacht. Nachdem nun alle aus den Quellen hervorgegangenen Merkmale des Panthers dargestellt wurden, wird im Folgenden – innerhalb dieses Abschnitts – noch ein kurzer Seitenblick auf den Leoparden geworfen. Bereits im Werk Isidors von Sevilla wird eine explizite Unterscheidung zwischen Panther und Leopard vorgenommen. In Bezug auf den Leoparden konstatiert Isidor, das Tier zeichne sich durch seine Schnelligkeit im Sprung sowie seinen Blutdurst aus. Diese Informationen werden weitertradiert, da sie auch in Albertus Magnus’ De animalibus XXII, 59 zu finden sind. Neben den proprietates ›Zorn‹, ›Wildheit‹ und ›Bludurst‹ klingt in Albertus’ Magnus Leopardenkapitel außerdem indirekt die Vorstellung von der Pantherfalle an. Es wird zwar nicht beschrieben, wie der Leopard mittels vergifteter Köder gefangen wird, jedoch heißt es im Text: Est autem animal fortis irae, et cum aegrotat, sanguine capreae silvestis pasci quaerit et stercus hominis quaerit in medicinam (De animalibus XXII, 59). In Bezug auf die Gefangennahme des Tiers durch den Menschen wird gesagt, der Leopard liebe so sehr den Wein, dass er – wenn er berauscht sei – leicht gefangen werden könne (Leopardus diligit vinum ita quod inebriatus capitur). An dieser Stelle zeigt sich, dass Bestandteile des antiken Pantherkonzepts – welches noch keine Unterscheidung zwischen Panther und Leopard kannte – im Mittelalter auf den Leoparden ›ausgelagert‹ werden. Im Übrigen geht Albertus Magnus relativ ausführlich auf die medizinische Verwendung der Körperteile des Tiers ein.662 Schließlich differenziert auch Konrad von Megenberg zwischen Panther, Parder und Leopard und widmet den beiden letztgenannten ebenfalls einen eigenen Abschnitt. (Buch der Natur III, 57 und III, 38). Inhaltlich ist Konrads Leoparden-Kapitel sehr nahe an dem von Albertus Magnus, wobei im Buch der Natur allerdings keine Informationen zur medizinischen Nutzung des Tiers an die Hand gegeben werden. 662 Albertus Magnus erklärt beispielsweise, Leopardenfleisch und -fett könnten eingesetzt werden, um einen Menschen zu paralysieren. Gebratenes Leopardenfleisch helfe gegen Herzprobleme. Das Fett des Tiers – vermischt mit Lorbeeröl – sei ein wirkungsvolles Mittel gegen Krätze und durch den Verzehr des rechten Leoparden-Hodens könnten Frauen die Häufigkeit ihrer Menstruation beeinflussen (De animalibus XXII, 59).
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Eine Frage, die nach der Auswertung aller Quellen beantwortet werden muss, ist, wie ›exotisch‹ der Panther innerhalb des naturkundlichen Diskurses dargestellt wird und welche Rolle der ›Exotik‹ dabei möglicherweise zukommt. Hierzu lässt sich sagen, dass die Heimat des Panthers zwar in fernen Ländern lokalisiert wird (Afrika, Syrien, Hyrkanien) und er somit ein nichtheimisches, fremdes Tier darstellt. Allerdings werden Indien oder das Reich des Großkhans – Gebiete die im Mittelalter als besonders wunderbar und ›exotisch‹ galten – hier nicht als Herkunftsländer angegeben.663 Insofern wird der Panther innerhalb des naturkundlichen Diskurses also eher nicht als ›mirabilium des Ostens‹ in Szene gesetzt. Allein innerhalb der Miniatur aus Konrads von Megenberg Buch der Natur wurde das Vergleichspuzzle auf bildhafter Ebene angewandt, was man eventuell als einen ›Exotik-Indikator‹ werten könnte. Schließlich bleibt zu überlegen, ob sich innerhalb der Texte Anhaltspunkte darauf finden lassen, dass das Tier Staunen evozierte.664 Die einzigen Textstellen, die Ansätze eines Staunens zeigen, werden innerhalb der Pantherbeschreibung Vinzenz’ von Beauvais ersichtlich. Vinzenz findet es zum einen erstaunlich, dass Panther – ebenso wie Löwen – über ausfahrbare Krallen verfügen (Mirum vero pantheras & leones ac similia (ut dictum est supra) condito in vaginas corporis unguium mucrone, ne refringantur & hebetentur incedere, aversisque falculis currere, nec nisi in appetendo protendere.) Zum anderen staunt er darüber, dass über den Duft des Panthrs gesagt werde, er wirke anziehend auf andere Tiere (Tradunt earum odore & cont8platione armenta mirH affici). Erstaunlich ist für ihn zudem, dass ein Pantherfell, das man gegenüber einem Hyänenfell aufhängt, alle Haare verliert (Mirum que dictu, si pelles utriusque contra sese dep8deant pantheræpili decident). Da dieses Staunen in den anderen untersuchten naturkundlichen Quellen jedoch nicht so stark zum Ausdruck kommt, sind Vinzenz’ Staunensmomente nur bedingt als ›Exotik-Indikatoren‹ zu werten. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Panther innerhalb des naturkundlichen Diskurses mehr ›fremd‹ als ›exotisch‹ dargestellt wird. Daher kommt der Exotik hier auch keine besondere Funktion zu. Die zutage geförderten Ergebnisse – besonders im Hinblick auf die Frage, welche Konzept-Bestandteile innerhalb des naturkundlichen Diskurses aktualisiert werden – lassen sich wie folgt in einem Frame auf den Punkt bringen (Abb. 27).
663 Zum mittelalterlichen Indien-Bild und der Vorstellung von den mirabilia des Ostens vgl. Kapitel 1.3.4 Die »mirabilia des Ostens« und der weitgefasste Begriff vom ›exotischen‹ Tier. 664 Zu dem ›Exotik-Indikator‹ des Staunens vgl. Kapitel 1.3.3 Staunen über das ›exotische‹ Tier.
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P Panther
Temperament
Äußeres
mondf örmiger Fleck an Schulter
Farbe
Größe
Form
besondere Merkmale
alles ist möglich
wilder Kopf
gef leckt bunt
wild
männlich
stößt andere Tiere ab
edle Kräuter
tapfer
zahm Krone
zerfleischt andere Tiere
v iele Tugenden
intelligent
f ürsorgliches Muttertier
Dankbarkeit Christus
Hilf sbereitschaft
Minnedame
Duft
lockt Beutetiere an
Schwierigkeiten beim Gebären
gebiert nur einmal
4 Zitzen am Bauch
Duldsamkeit Christi bei der Kreuzigung
gif tig
andere Tiere
weiblich
Schönheit
alles ist möglich
Nahrung
Geschlecht
Atem
Großzügigkeit
Das Wort Gottes Salbungsöl das ›Nährende‹ beim Abendmahl
Fell
Bettvorleger Lufterfrischer
Kraftquelle Medizin zur Behandlung kranker Tiere
Medizin gegen Liebeskummer Worte des Minneritters / der Minnedame
Verführungskraf t der Minnedame
Abb. 27: Epistemischer Diskurs-Frame, der die rekonstruierten Bestandteile des mittelalterlichen Panther-Konzepts hervorhebt, die innerhalb des naturkundlichen Diskurses aktualisiert werden.
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Panther
Herkunft
Beziehungen zu anderen Tieren
Afrika Indien
eher kein medizinischer Nutzen
Syrien Hyrkanien
›Freunde‹
gesellschaftlicher Status
Nutzung
Feinde
Sinnbild Christi
Reich des Großkhans
Menschen
bedeutsam f ür Traumdeutung
Drache Hirsch
orientalisches Luxusgut
gejagtes Tier
Hyäne Atem
Handelsware
Fell
wertvolles Geschenk Reittier Medizin zur Behandlung kranker Tiere
Medizin gegen Liebeskummer
künstliche Nachbildung in Form von Automaten
Feuerlöscher
Lufterfrischer Bettvorleger
Relationen der Konzeptbestandteile = metaphorische Relation = klassifikatorische Relation = aktualisiert = nicht aktualisiert
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
2.1.3.2 Der religiös-heilsgeschichtliche Diskurs Im Rahmen der Betrachtung des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses muss zunächst ein Blick auf die Informationen geworfen werden, die die Bibel über das Tier liefert. Im Anschluss daran erfolgt eine Untersuchung der wohl wichtigsten, weil wirkungsmächtigsten Quelle – des Physiologus, obgleich der Physiologus natürlich nicht als originär mittelalterliche Quelle zu betrachten ist und in seinen ersten Versionen bereits im 2. Jh. n. Chr. entstanden ist. Ein Problem, mit dem man bei der Suche nach Bibelstellen zum Panther konfrontiert wird, ist, dass keine einheitliche deutsche Übersetzung des hebräischen Wortes LBúD) na¯mer existiert.665 Es kann sowohl mit ›Panther‹ als auch mit ›Leopard‹ übersetzt werden. Insofern liegt hier zumindest auf der sprachlichen Ebene dieselbe Nicht-Unterscheidung vor, die bereits bei der Betrachtung des antiken Pantherkonzepts augenfällig wurde. In Jer. 13,23 tritt das Tier innerhalb eines Sprichwortes in Erscheinung, denn dort heißt es: »Kann ein Leopard seine Flecken ändern?«. Die Fellmusterung steht dabei also als eine Art pars pro toto für das gesamte Naturell und die Wesensart des Panthers. Dass sie überhaupt zu dieser pars pro toto avancieren kann, verdeutlicht, dass es sich bei ihr um ein ganz charakteristisches Merkmal des Tieres handelt; eben eines, ohne das der Leopard/Panther aufhören würde, ein solcher zu sein. Semantisch ähnlich ist auch die heute in der Umgangssprache noch häufig verwedete Redewendung »nicht aus seiner Haut können«. Neben dieser sprichwörtlichen Verwendung bietet die Bibel aber auch Informationen über den Lebensraum und die carnivore Ernährung des Tiers. So wird im Hhld 4,8 erläutert, es sei in den Bergregionen zuhause und in Jer 5,6 sowie in Hos 13,7 findet es als Raubtier Erwähnung. Bei der Jagd zeichne es sich durch Gewandtheit und Schnelligkeit aus (Jer 5,6). In Hab 1,8 wird die Gefahr, die von einem Pantherangriff ausgeht, verglichen mit der des neubabylonischen Reiches.666 Eine Veränderung dieses biblischen Bildes vom gefährlichen Panther setzt laut Peter Riede erst bei der Thematisierung der künftigen Heilszeit ein. Als Beleg dafür kann Jes. 11,6 betrachtet werden, eine Stelle, die schildert, wie der Panther friedlich mit Herdentieren zusammenlebt, die man – zumindest aus heutiger Perspektive – normalerweise zu seinen Beutetieren zählen würde. In Dan. 7,6 taucht darüber hinaus ein leopardenähnliches Mischwesen auf, welches Flügel und vier Köpfe besitzt und laut einer Vermutung Riedes als Metapher »für das persische Reich und seine umfassenden Expansionsbestrebungen« gelesen werden kann. In der 665 Diese, sowie die nachfolgenden Informationen dieses Abschnitts zum Panther in der Bibel entnehme ich alle: Riede, Leopard. Auf: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/248 35/. Zugriff am 15. 03. 2016 um 10:17 Uhr. 666 Riede merkt hierbei allerdings an, dass es sich an dieser Stelle auch um einen Jagdgeparden handeln könnte.
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Apk 13,2 tritt ein ähnliches Mischwesen in Erscheinung, welches das erstgenannte im Hinblick auf seine Monstrosität noch übertrifft, da es Bärenfüße, den Rachen eines Löwen, sieben Köpfe sowie zehn Hörner aufweist. Riedes Ansicht nach steht dieses Wesen für »die im Kaiserkult des römischen Weltreichs manifest werdende widergöttliche Macht«. Nachdem nun die einschlägigen Bibelstellen zum Panther angesprochen wurden, sollen im Folgenden die Informationen, die der Physiologus über das Tier bietet, im Fokus der Betrachtung stehen. Der Millstätter Reimphysiologus, dessen Panther-Beschreibung zunächst herangezogen wird, beruht auf der sog. Dicta-Version, der wiederum die lateinische Fassung b als Quelle zugrunde liegt.667 Der Millstätter Reimphysiologus berichtet über den Panther : 10
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Dar nach heizzet ein tier Panthere, mit mislicher varwe. scone ist ez genuoch, dar zuo listich unde gefuoch. von dem tiere man liset, dem Drachen ist ez vient, swa ez in sihet. So daz selbe tier sich sciere sich hat gesattet von den tieren, die ez chan vahen wol, so leget ez sich in sin hol. dri tage ez slæffet: so ez danne uf stet, so rohot iz starche, von im chumet solich smache, daz niht im gelichis in der werlde suozze ist. So danne diu tier dei alumbe sint, sine stimme gehorint, so samenent si sich dar nach, ze dem suozzem smache ist in gach. dem tiere si volgint, swa ez hin oder her ferit. Der Trache, so er sine stimme gehoret, in sinem loche er sich birget, daz er niht vernemen mege sine stimme an dem wege, die andiriu tier so minnot: so liget er, sam er si tot. Also tet der heilige Christ, der er wariu Panthera ist, do er gesach daz mennisclich chunne mit dem tievel bedwungen, von himil fuor er gereite mit siner mennischeite. er lost uns mit sinem suozzem smach unde zuht uns uz des tievels sach. von diu volgen wir dem lambe hie unde allenthalben, swa wir in dem lande varen, also lerent uns die vorsagen: »dem Panthera ich gelich bin und dem hiwisc Effraim. Gelich bin ich da dem hiwisce Juda.« Damit bezeichnot er, do Effraim dienot den apgotern, daz buozzot got an im, als er verdient he tumbe in. Mit wistuom erscinet guot, wan er ist durneht unde vruot, einfaltich unde mitwære, genadich, veste unde gewære. David sprichet dar, daz er si vrambar in siner scone vor anderen chindonen.
667 Henkel, Studien zum Physiologus im Mittelalter, S. 83–92.
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Daz daz Panthera mammunde ist, daz bezeichent den heiligen Christ, daz er mitewær was in den noten, do in die Juden marteroten. Fur guot er allez daz hete, daz si im getaten. dar nach vuor er ze helle unde beroubet den tievil mit alle. Daz ez des dritten tages erwachet unde so suozzen stanch lazzet, daz bezeichent abir got: wand er erwachot, also der entslaffen ist von wine, sus rief er den sinen: »gehabet iuch wol mine holden, die werlde han ich ubirwunden. ich won mit iu gerne biz an daz ende der werlde.« Waz ist suozzir ode erlichir dem smache unsires trohtines des haltenden Christes? Die mit dem gelouben im bisint unde rehte wirchent, die sint siniu chint: die abir verre sint durh ir brode, so si sine stimme horent, so werdent si ervullet unde gelabet von dem suozzen smache, den si von got [habent. Wir sculen in suochen, volgen unde anruoffen, also der vorsage sprichet Davit: »trohtin, diniu wort sint suozzir in minem munde danne honich undeflade deheinestunde.« Ouch sculen wir in den buochen, die da heizzent Cantica canticorum suochen: »nach dem stanche diner gesalbete louffen wir dir nach allenthalben. wande die jungen genote dich minnoten.« da nach ist gescriben abere: »ein chunich legite mich in sine kamere. nu menden unde wesen vor mit ime.« Nu gezimet uns wol, nu wir mit der heiligen touffe gejunget unde geniwet birn, ze louffen mit reinen gedanchen nach dem suozzen stanche unde in gote nach dem geselbede siner gebote, daz er uns leite ze siner phalzen in die himiliscen Jerusalem, daz wir da sin mendende immir an ende.668
In Strophe 10 erhält der Physiologus-Rezipient zunächst die wichtigsten Informationen über Aussehen, Eigenschaften und den Kontrahenten des Panthers. Die Farbe des Tiers wird als mislich beschrieben (V. 1), was mit ›verschieden‹, ›verschiedenartig‹ und ›mannigfach‹ übersetzt werden kann.669 Gemeint ist damit, dass das Pantherfell viele verschiedene Farben aufweist. Diese Farbgebung wurde auch innerhalb der Panther-Darstellungen in den Bestiarien umgesetzt, wie beispielsweise anhand der Abbildung aus dem Bestiarium der Ann Welsh (Abb. 28) deutlich wird.
668 Maurer (Hrsg.), Der altdeutsche Physiologus, S. 7–11. 669 Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Lemma ›mislich‹. Auf: http://woerterbuch netz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=Lexer& mode=Vernetzung& hitlist=& pattern list=& lemid=LM02204#XLM02204. Zugriff am 26. 11. 2015 um 11:37 Uhr.
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Abb. 28: Rot-blau-violett-weiß-gefärbter Panther mit seinem Feind, dem Drachen. Der Drache unternimmt gerade den Versuch, sich vor seinem Widersacher in einem Erdloch zu verstecken. Kongelige Bibliotek, Gl. kgl. S. 1633 48 (Bestiarium der Ann Welsh).670 Entstanden in England, 15. Jh.671
670 Bildquelle: Badge, The Medieval Bestiary, Eintrag ›Panther‹, Gallery. Auf: http://bestiary. ca/beasts/beastgallery79.htm#. Zugriff am 26. 11. 2015 um 12:03 Uhr. 671 Badge, The Medieval Bestiary, Manuscript: Kongelige Bibliotek, Gl. kgl. S. 1633 48 Auf: http://bestiary.ca/manuscripts/manu94.htm. Zugriff am 26. 11. 2015 um 12:03 Uhr.
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Neben der Tatsache, dass der Panther bunt ist, erfährt der Physiologus-Leser, das Tier sei scone […] genuoch (V. 2), also sehr schön. Bedenkt man den im Mittelalter weit verbreiteten Gedanken der Kalokagathia, so lässt sich bereits an dieser Stelle erahnen, dass dem Tier im Folgenden wohl eine Allegorese ad bonam partem widerfahren wird, denn wenn es scone ist, muss es auch gut sein. Im nächsten Halbvers wird gesagt, der Panther sei listich unde gefuoch, was man mit ›klug‹ und ›geschickt genug, um angemessen zu handeln‹ übersetzen könnte.672 Im dritten Vers wird darauf hingewiesen, dass es sich bei den nachfolgenden Informationen um Buchwissen handle (von dem tiere man liset), was dazu dient, den Eindruck größerer Vertrauenswürdigkeit zu evozieren. Dieses Buchwissen besteht darin, dass der Panther ein Feind des Drachen ist (dem Drachen […] vient), wo auch immer er ihn sieht (swa ez in sihet). In Strophe 11 erfährt der Physiolus-Rezipient, dass der Panther sich in seine Höhle lege, sobald er durch die Beutetiere – welche er gut fangen könne – gesättigt sei. Wichtig ist, dass der Panther hier noch als guter Jäger dargestellt wird (chan vahen wol), der sich von dem Fleisch anderer Tiere ernährt. Dieser Aspekt zeigt sich nicht in allen mittelalterlichen Texten. Im Niederrheinischen Orientbericht etwa, auf den noch genauer einzugehen sein wird, ist die Rede davon, dass der Panther nichts anderes fressen wolle als edel kruyt.673 Weiterhin berichtet der Physiologus in Strophe 11, nachdem der Panther sich in seine Höhle zurückgezogen habe, schlafe er dort drei Tage lang. Wenn er dann wieder aufstehe, so rufe er lautstark (so rohot iz starche) und von ihm gehe ein solch süßer Duft (smache) aus, dass es auf der Welt nichts gleich Süßes gäbe (daz niht im gelichis in der werlde suozze ist). Bemerkenswert ist, dass nicht explizit gesagt wird, der Duft gehe von dem Atem des Tiers aus. Auch im Mittelhochdeutschen gab es bereits den Begriff .tem, den man an dieser Stelle statt smache hätte verwenden können.674 Da aber laut Physiologus eine Koinzidenz des Maulöffnens (zum Gebrüll) und des Duftverströmens gegeben ist, war offenbar für mittelalterliche Rezipienten klar, dass es sich um den Atem des Tieres handeln musste, der für den süßen Duft ursächlich war. Wie in Strophe 12 berichtet wird, ist es auch nicht der wunderbar süße Duft, auf den die Tiere in der Umgebung des Panthers zuerst aufmerksam werden. Erst 672 Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Lemma ›gevuoc‹. Auf: http://woerterbuch netz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=Lexer& mode=Vernetzung& lemid=LG03866# XLG03866. Zugriff am 26. 11. 2015 um 12:35 Uhr. 673 Röhricht/Meisner (Hrsgg.), Niederrheinischer Orientbericht, S. 71. 674 Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Lemma ›.tem‹. Auf: http://woerterbuch netz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=Lexer& mode=Vernetzung& lemid=LA02216# XLA02216. Zugriff am 26. 11. 2015 um 15:18 Uhr.
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wenn sie sine stimme gehorint (V. 1), versammeln sie sich, um zu dem süßen Duft zu eilen (ze dem suozzen smache ist in gach). Ins Auge fällt hier vor allem das Wort gach, das meist mit ›es eilig haben‹ übersetzt werden kann.675 Den Tieren kann es also gar nicht schnell genug gehen, endlich in den Wirkungsbereich – oder präziser gesagt in den ›Duftbereich‹ – des Panthers zu gelangen. Ein Tier ist davon jedoch ausgenommen: der Drache. Nachdem bereits in Str. 10,3 die Feindschaft zwischen Panther und Drache angesprochen wurde, wird in Str. 13 genauer erläutert, wie der Drache reagiert, wenn der Panther sich ihm nähert. Um die Stimme des Panthers – die andere Tiere so sehr lieben – nicht hören zu müssen, versteckt er sich in seinem Erdloch und stellt sich tot (so liget er, sam er si tot). Genau diese Informationen der ersten vier Physiologus-Panther-Strophen, wurden auch von einem Großteil der Bestiarien übernommen.676 Die Übernahme erfolgte dabei nicht ausschließlich auf textueller Ebene, sondern beeinflusste auch die bildhaften Darstellungen innerhalb der Bestiarien, wie beispielsweise anhand der Abbildungen 29 und 30 ersichtlich wird.677
Abb. 29: Bodleian Library, MS. Bodley 764, Folio 7v.678 Entstanden in England um 1225–1250.679
675 Benecke/Müller/Zarncke, Mittelhochdeutsches Wörterbuch, Lemma ›g.ch‹. Auf: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=BMZ& mode=Vernetzung& lemid=BG00009#XBG00009. Zugriff am 26. 11. 2015 um 17:09 Uhr. 676 McCulloch, Medieval Latin and French Bestiaries, S. 148f. 677 Vgl. Ebenda, S. 150. 678 Bildquelle: https://iiif.bodleian.ox.ac.uk/iiif/viewer/e6ad6426-6ff5-4c33-a078-ca518b36ca 49#?c=0& m=0& s=0& cv=29& r=0& xywh=-3789%2C0%2C13361%2C8923. Zugriff am 15. 10. 2018 um 14:58 Uhr. 679 Badge, Medieval Bestiary, Manuscript Bodleian Library, MS. Bodley 764. Auf: http://besti ary.ca/manuscripts/manu1085.htm. Zugriff am 14. 04. 2017 um 16:56 Uhr.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Abb. 30: British Library, Royal MS 12 F. xiii, Folio 7r. (Rochester Bestiarium).680 Entstanden in England um 1230.681
Beide Bildquellen zeigen einen bunten Panther, wobei zu sehen ist, dass die Bunt-Färbung des Fells sehr unterschiedlich – mislich eben – umgesetzt werden konnte. Während der Panther in Abb. 30 bunt gestreift und zusätzlich gepunktet ist, weist das Exemplar in Abb. 29 eher bunte Felder auf, auf denen wiederum schwarze (bzw. blaue) Flecken zu sehen sind, die weiß umkreist sind. Weiterhin interessant erscheint, dass etwas weißlich Gefärbtes aus dem Maul des Panthers entweicht. Dabei könnte es sich zum einen um das Panthergebrüll handeln; ein akkustisch wahrnehmbarer Reiz also, den der Künstler sichtbar machen wollte. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass das Weiße, das aus dem Maul des Tieres kommt, den Duft abbilden soll. Dem Aspekt der Anziehungskraft auf andere Tiere wird innerhalb der beiden Miniaturen ebenfalls Rechnung getragen. Während von der Tierschar im Rochester Bestiarium (Abb. 30) nur ein Hirsch und ein Kamel zu sehen sind, zeigt 680 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Panther‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/be asts/beastgallery79.htm#. Zugriff am 14. 04. 2017 um 17:01 Uhr. 681 Badge, Medieval Bestiary, Manuscript British Library, Royal MS 12 F. xiii (Rochester Bestiary). Auf: http://bestiary.ca/manuscripts/manu979.htm. Zugriff am 14. 04. 2017 um 17:03 Uhr.
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die Darstellung im Codex MS. Bodley 764 neben einem Hirsch auch Ziegen, einen Löwen und ein Einhorn. Auch die Feindschaft zum Drachen wird bildhaft in Szene gesetzt, denn innerhalb beider Darstellungen ist deutlich zu erkennen, wie der Drache den Versuch unternimmt, sich vor dem Panther in ein Erdloch zu flüchten. Während der vierfüßige Drache in Abb. 30 sich offenbar bereits in Sicherheit gebracht hat (da er zumindest mit der vorderen Körperhälfte unter der Erdoberfläche steckt), befindet sich der schlangenartige Drache in Abb. 29 noch vor dem rettenden Erdloch. Doch nun zurück zum Physiologus. Nachdem innerhalb der Strophen 10–13 die wichtigsten proprietates des Panthers genannt wurden, erfolgt ab Strophe 14,1 die Exegese dieser Eigenschaften. Christus, der der wahre Panther sei, habe genauso gehandelt wie das Tier (Also tet der heilige Christ, der er wariu Panthera ist). Auch Christus habe die Menschen mit seinem suozzem smach angezogen (14,4) und sie damit uz des tiuvels sach – also aus den Angelegenheiten des Teufels – befreit. In den Strophen 15 bis 17 folgen weitere Ausführungen zu biblischen Figuren wie Effraim und David und es wird von der Sanftmütigkeit und Gnade Gottes berichtet. Ab Strophe 18 findet dann eine erneute Bezugnahme auf die Eigenschaften des Panthers statt. Der Panther wird hier als mammunde bezeichnet, was mit ›zahm‹oder ›sanftmütig‹ übersetzt werden kann.682 Diese Panther-Eigenschaft des mammunde-Seins wird ebenfalls im Rahmen der heilsgeschichtlichen Exegese ausgelegt. Sie stehe dafür, dass Christus sanftmütig (mitwær) gewesen sei, als die Juden ihn seinem Martyrium ausgesetzt hätten.683 In Strophe 20 findet daraufhin eine heilsgeschichtliche Auslegung der dreitägigen Ruhe des Panthers sowie des süßen Duftes (stanch) statt. Sie stehe dafür, dass Jesus – nachdem er seinen Freunden entschlafen sei – am dritten Tage wieder auferstanden sei. Der süße Duft steht in dieser Allegorie für die Worte Christi, die in den Versen 4 und 5 in wörtlicher Rede wiedergegeben werden und übersetzt soviel bedeuten wie ›Gehabt euch wohl meine Freunde. Die Welt habe ich überwunden. Ich werde gerne bei Euch bleiben bis an das Ende der Welt‹. Gemeint ist damit, dass Christus die irdische Welt überwunden hat und fortan seinen Jüngern zur Seite stehen wird bis zum Anbruch des himmlischen Jerusalem, das in der Offenbarung des Johannes beschrieben wird. 682 Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Lemma ›mammende, mamende‹. Auf: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=Lexer& mode=Vernetzung & lemid=LM00249#XLM00249. Zugriff am 30. 11. 2015 um 13:38 Uhr. Lexer erklärt, das Wort leite sich vom althochdeutschen mammuti her. 683 Vgl.: Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Lemma ›mitewære, mitew.re‹. Auf: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=Lexer& mode=Vernetzung & lemid=LM02473#XLM02473. Zugriff am 01. 12. 2015 um 11:25 Uhr. Lexer schlägt eine Übersetzung mit ›freundlich‹ oder ›sanftmütig‹ vor.
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Im Sinne dieser Allegorese folgt daraufhin in Strophe 21 die rhetorische Frage, was süßer und ehrenvoller sein könne als der smach Christi. Trotz der Tatsache, dass in der vorangegangenen Strophe bereits die Allegorese stattgefunden hat, dass der smach für die Worte Christi steht, wird weiterhin die Bezeichnung smach beibehalten. Die übertragene, allegorische Ebene wird also nicht verlassen. In Strophe 22 wird noch einmal auf das Merkmal stimme eingegangen. Es wird allerdings nicht mehr explizit auf die Stimme des Panthers Bezug genommen, denn nun ist es die Stimme Gottes, die zum Gegenstand der Erläuterungen wird. Dabei wird das allegorische Bild vom Panther jedoch durch die erneute Nennung des süßen Dufts (V. 3) präsent gehalten. Der Physiologus erklärt, diejenigen Kinder Gottes, die durch ihre Schwäche fern vom Glauben seien, würden durch die Stimme Gottes mit suozzem smache erfüllt und gelabt. Die Rolle, welche auf der Significans-Ebene den vom Panthergebrüll aufmerksam gemachten Tieren zukam, wird nun – auf der Ebene des Significatums – von den glaubensfernen Menschen eingenommen. Das tertium comparationis besteht hier aus einer dreigliedrigen Abfolge von Geschehnissen: 1.) stimme hören 2.) der stimme folgen 3.) von suozzem smach / stanch erfüllt werden. Dabei ruft besonders der dritte Schritt in dieser Abfolge, der mit ervullet unde gelabet von dem suozzen smache (V. 3) beschrieben wird, durch den Aspekt des Nährens Assoziationen zur Eucharistie wach. Diese Assoziationen werden durch die Verse 3 und 4 der Strophe 23 noch verstärkt, denn dort wird gesagt, in der Prophezeihung Davids heiße es: ›Herr, deine Worte sind süßer in meinem Mund als Honig und Kuchen es jemals sein könnten‹ (trohtin, diniu wort sint suozzir in minem munde danne honich unde flade deheine stunde). In Strophe 24 wird auf das Canticum Canticorum verwiesen, in dem geschrieben stehe: ›Dem Duft deiner Salbung laufen wir von allen Seiten kommend nach, denn die Jungen, Eifrigen lieben Dich‹ (V. 2f.). Interessant ist, dass der stanch nun nicht mehr im rein allegorischen Sinn für die Worte Christi gebraucht wird, sondern auf die Salbung bezogen wird. Hier zeichnet sich also zum einen eine Verschiebung ab und zum anderen ein Oszillieren zwischen allegorischer und nicht-allegorischer Ebene, denn da in der römisch-katholischen Kirche stets ein Salböl bestehend aus Olivenöl und beigemischten duftenden Balsamen verwendet wurde, kann stanch hier durchaus im wörtlichen Sinn verstanden werden. In den Versen 4 und 5 erklärt der Physiologus, auf die Salbungs-Stelle im Canticum Canticorum folgten die beiden Sätze ›Ein König legte mich in seine Kammer. Nun freut euch und werdet froh mit ihm.‹ Diese beiden Sätze beziehen sich wohl erneut auf das Grab Christi, die Felsenhöhle, die hier als kamere bezeichnet wird. Mit chunich dürfte Gott gemeint sein und vro sollen die
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Menschen sein, weil ihnen die Auferstehung beschieden ist. Diese beiden zunächst etwas kryptisch wirkenden Sätze sind insofern wichtig, als dass sie die Pantherbeschreibung im Niederrheinischen Orientbericht maßgeblich beeinflusst haben. Darauf, wie diese Physiologus-Stelle rezipiert und dabei diskursiv überformt wurde, wird im Folgenden – bei der Betrachtung des Niederrheinischen Orientberichts – noch näher einzugehen sein. Strophe 25, die den Abschluss des Physiologus-Panther-Abschnitts bildet, ist als eine konkrete Handlungsanweisung an den Rezipienten zu verstehen, denn die Verse 1 und 2 lassen sich übersetzen mit ›Nun – da wir durch die heilige Taufe verjüngt und erneuert sind – steht es uns wohl an, mit reinen Gedanken dem suozzem stanche zu folgen.‹ Angesichts der bisherigen Ergebnisse der Textanalyse erscheint es falsch, den suozzen stanch hier mit ›Wohlgeruch‹ zu übersetzen.684 Meiner Ansicht nach verbietet es sich, den suozzen stanch an dieser Stelle überhaupt ins Neuhochdeutsche zu übersetzen und ihn damit auf eine einzige Bedeutung zu verengen. Die vorangegangenen Überlegungen haben gezeigt, dass der stanch sich aus mindestens vier verschiedenen Bedeutungskomponenten konstituiert: Stanch ist der herrliche Duft, den der Panther verströmt, sobald er sein Maul öffnet. Ebenso ist stanch aber auch das erlösende Wort Gottes und das Erfüllende und Nährende, das gläubige Christen im Rahmen der Eucharistiefeier aufnehmen. Schließlich kann stanch auch der Duft der Salbung sein, der – durch die Beimischung von Balsamen in das Salbungsöl – tatsächlich mit dem Geruchssinn wahrnehmbar ist. Es scheint, dass der stanch – der offenbar synonym zu smach verwendet wird – einen äußerst wichtigen Bestandteil des mittelalterlichen Panther-Konzepts darstellt. Da er in besonderem Maße semantisch aufgeladen und diskursiv überformt wird, ließe sich überlegen, ob es sich bei ihm um eines der von Jürgen Link beschriebenen ›Kollektivsymbole‹ handelt.685 Neben dem Mistätter Reimphysiologus existieren noch drei weitere deutschsprachige Physiologus-Fassungen, die auf die sog. Dicta-Version zurückgehen.686 Es handelt sich dabei um den Althochdeutschen Physiologus, den Wiener Prosa-Physiologus sowie das Schäftlarner Fragment.687 Alle genannten 684 Diese Übersetzung schlägt Matthias Lexer vor. Vgl.: Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Lemma ›stanc‹. Auf: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py? sigle=Lexer& mode=Vernetzung& lemid=LS06926#XLS06926. Zugriff am 03. 12. 2015 um 12:42 Uhr. 685 Zu dieser Terminologie Jürgen Links vgl. S. 24 der vorliegenden Arbeit. Auf die Frage, ob es sich bei dem stanch um ein Kollektivsymbol handelt, werde ich in Kap. 3. Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere zwischen Universalität und Spezifität noch näher eingehen. 686 Henkel, Studien zum Physiologus im Mittelalter, S. 59–96. 687 Ebenda.
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deutschen Physiologus-Übersetzungen sind im 11. und 12. Jahrhundert entstanden.688 Darüber hinaus existieren noch drei weitere Übersetzungen, die im 15. Jahrhundert entstanden sind und auf den Physiologus Theobaldi zurückgehen, der wiederum auf der lateinischen Fassung b basiert.689 Dies sind der Physiologus Theobaldi deutsch, der Idersdorfer Physiologus sowie der Physiologus Theobaldi in Reimpaaren.690 Um sowohl eine Quelle, die auf der sog. Dicta-Version (11./12. Jh.) basiert in Augenschein genommen zu haben als auch eine, die auf der Physiologus Theobaldi-Tradition (15. Jh.) beruht, möchte ich im Folgenden noch einen Blick in das Panther-Kapitel des Physiologus Theobaldi deutsch werfen.691 Der Panther wird hier im zwölften von insgesamt zwölf Kapiteln thematisiert und bildet damit den Abschluss des Werks. Die Beschreibung des Tiers lautet wie folgt: Von dem panterthier. Daz XII. capitel e Daz pantertier ist vierfußet vnd ist der hüschest über alle andere thier, sein farbe ist schwarcz, vermischt mit weissen sprenggenlichen, vnd hat dy¨e natur an jm: So das panther tier mit manigfeltigen würczen vnd kreütern gespeist vnd ersattet wirt, so geet o es hin vnnd legt sich in sein hol an sein rue vnd schlafft do selb by¨ß an den dry¨ tten tage. Vnnd nach dem dry¨ tten tage so steet es auff vnnd vacht an fast zeschreien. So geet dann e o so ein susser gutter vnd wolriechender geschmack auß seinem halß, der do mit seiner o kraffte übertry¨fft alle wolriechende kreüter vnd salben. Dann komment czehand czujm e alle andre thierlin, die seiner stymm befindent vnd horent, vnd volgent dem panterthier e nach, das do vol ist des sussen geschmackes. Vnd also komment alle thierlein, so das panthertier schreit, allein außgenommen die tracken vnnd schlangen. So aber das e e pantertier schreiet, so fliehant sy¨ oder werden sunst mud vnd trag vnnd verbergen sich e 692 in ire locher vnd komment die selbent czeit nicht herfür. […] 688 689 690 691
Ebenda, S. 59. Ebenda, S. 110–114. Ebenda. Die nachfolgende Stelle aus dem Physiologus Theobaldi deutsch ist auch insofern interessant, als dass die Information, der Panther ernähre sich von edlen Kräutern, in den Quellen, die auf die Dicta-Version zurückgehen, nicht genannt wird. Vgl. dazu: Henkel, Studien zum Physiologus, S. 167, Anm. 64. Im Althochdeutschen Physiologus (der auf die DictaVersion zurückgeht) wird lediglich gesagt: Tes sito ist so gelegin, so ez sat ist misselihes, so legit iz sih in sin hol unde slafæt tri tage [zitiert nach: Maurer (Hrsg.), Der altdeutsche Physiologus, S. 91]. Übersetzen lässt sich dies wohl am ehesten mit ›Dessen [des Panthers] Angewohnheit ist es, sich – sobald er sehr satt ist – in eine Höhle zu legen und drei Tage zu schlafen‹. Angaben darüber, welche Nahrung den Panther sättigt, werden nicht gemacht. Im Wiener Prosa-Physiologus hingegen ernährt sich der Panther – ebenso wie im Millstätter Reimphysiologus – von den Tieren, die er erlegt hat: So daz selbe tier sich gisatet von den manichfaltin tieren, dei iz vahit, so legit iz sich in sin hol unt slafit dri tage [zitiert nach: Maurer (Hrsg.), Der altdeutsche Physiologus, S. 6]. 692 Schmidtke (Hrsg.), Physiologus Theobaldi Deutsch, S. 300f.
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Der erste Unterschied, der sich innerhalb dieses Zitats im Vergleich zum Milstätter Reimphysiologus zeigt, ist in der Benennung des Tiers zu sehen. Während im Milstätter Reimphysiologus lediglich von dem Panthere bzw. Panthera die Rede war, wird in der Physiologus Theobaldi-Version noch der Classifier -thier an das Nomen angehängt, um dem Rezipienten zu verdeutlichen, um welche Art Lebewesen es in dem Text gehen soll. Vermutlich wird -thier hier in Entsprechung zu lat. bestia gebraucht, womit ausgedrückt werden soll, dass es sich um ein vierbeiniges, an Land lebendes Tier handelt. Darüber hinaus ist das Kompositum panthertier auch insofern bemerkenswert, als dass es eine ganz eigene Wortschöpfung darstellt, die in anderen mittelhochdeutschen Texten nicht zu finden ist.693 Im Mittelhochdeutschen existiert laut Benecke/Müller/Zarncke nämlich neben den Bezeichnungen pantera, panter und pantel nur pantier.694 Der Classifier -thier ist jedoch nicht das einzige Merkmal, das die dem Text zugrundeliegende Kategorisierung durchscheinen lässt. Gleich im ersten Satz wird erläutert, das Tier habe vier Beine und sei schöner als alle anderen Tiere. ›Anzahl der Beine‹ und ›Grad der Schönheit‹ stellen also gemäß dem Verständnis des Autors wichtige, distinktive Merkmale dar, um den Panther innerhalb des mittelalterlichen Weltbildes zu verorten.695 Durch die Information über die Anzahl der Beine verdichtet sich zudem der Eindruck, der bereits durch die Verwendung des Classifiers -thier entstanden ist: Offenbar ging der Verfasser davon aus, seinen Rezipienten würde nicht von vornherein klar sein, dass es sich beim Panther um ein Tier handelt und dass dieses Tier vier Beine besitzt. Insofern erscheint der Panther innerhalb dieser Beschreibung etwas ›fremder‹ als in der des Milstätter Reimphysiologus. Ein weiterer Unterschied zeigt sich in den Beschreibungen der Fellfarbe. Während der Milstätter Reimphysiologus von mislicher varwe berichtet (Str. 10,1), ist der Panther im Physiologus Theobaldi deutsch nun schwarcz vermischt mit weissen sprenggenlichen, also schwarz mit weißen Einsprengseln. Der signifikanteste Unterschied lässt sich jedoch im Hinblick auf die Nahrung des Panthers konstatieren. Ging der Panther im Milstätter Reimphysiologus noch erfolgreich auf die Jagd (Str. 11,2: chan vahen wol) und stillte seinen Hunger durch den Verzehr der erlegten Beutetiere (Str. 11,1 gesattet von den tieren), so wird er im Physiologus Theobaldi als ›Vegetarier‹ in Szene gesetzt, der sich von manigfeltigen würczen vnd kreütern ernährt. Kräuter finden in dieser Pantherbeschreibung gleich zweimal Erwähnung: zum einen sind sie Nahrungs693 Benecke/Müller/Zarncke, Mittelhochdeutsches Wörterbuch, Lemma ›Pantera‹. Auf: http://woerterbuchnetz.de/BMZ/?sigle=BMZ& mode=Vernetzung& lemid=BP00045#XB P00045. Zugriff am 17. 04. 2017 um 12:27 Uhr. 694 Ebenda. Zugriff am 17. 04. 2017 um 12:27 Uhr. 695 Allerdings ist der Physiologus Theobaldi deutsch die erste bisher gesichtete Quelle, in der die Anzahl der Beine explizit erwähnt wird.
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bestandteil, zum anderen duftet der Panther-Atem so gut, dass er alle wohlriechenden Kräuter und Salben übertrifft. Der Grund für diese veränderten Ernährungsgewohnheiten des Tiers liegt auf der Hand: Denkt man sich den Panther tatsächlich im allegorischen Sinn als Konfiguration Christi – und die Tiere als Verkörperungen der frommen Christen, die seinem Wort folgen – so würde ein carnivorer Panther bedeuten, dass Christus seinen Anhängern den Tod bringt. Die tatsächlichen, realen Ernährungsgewohnheiten des Panthers passen damit folglich nicht in das christlichheilsgeschichtliche Weltbild und müssen aus diesem Grund diskursiv überformt werden. Zugleich entsteht ein spezifisch mittelalterlicher ›wissenschaftlicher‹ Erklärungsansatz für den süßen stanch: vermutlich ging man davon aus, gerade durch den Verzehr edler Kräuter dufte der Panther-Atem so vorzüglich. Im Anschluss an das oben angeführte Zitat folgt im Physiologus Theobaldi die Auslegung des panterthiers, die inhaltlich mit der des Milstätter Reimphysiologus übereinstimmt. Nachdem nun eine Betrachtung der Panther-Beschreibungen in den verschiedenen Physiologus-Versionen stattgefunden hat, erscheint es sinnvoll, auf die Panther-Traditionen in den Bestiarien einzugehen. Der Panther ist in den Bestiarien der zweiten Bestiarien-Familie zu finden.696 Diese Bestiarien-Familie, zu der 20 bebilderte Handschriften zählen, übernimmt die inhaltliche Gliederung, die Isidor von Sevilla in Buch XII seiner Etymologien vornimmt.697 Darüberhinaus sind in die Bestiarien dieser Familie auch Informationen aus den Werken Solinus’, Ambrosius’, Rabanus Maurus’ und Peters von Cornwall eingegangen.698 Wichtig im Hinblick auf die nachfolgende Untersuchung der Panther-Darstellungen erscheint zudem die Beobachtung Florence McCullochs, dass die Bestiarien dieser Familie in zwei verschiedenen Gruppen eingeteilt werden können.699 Zum einen existiert die Gruppe der ikonographisch-verwandten Codices und zum anderen die der ikonographischnicht-verwandten.700 696 McCulloch, Medieval Latin and French Bestiaries, S. 37. 697 Ebenda, S. 35; McCulloch erläutert, dass die Anzahl von 20 Bestiarien der zweiten Familie von James angenommen wird und verweist auf James, Bestiary, S. 14. Problematisch erscheint mir, dass McCulloch direkt im Anschluss (S. 36f.) eine Auflistung der Codices der zweiten Familie anführt, die 26 Manuskripte umfasst. Dies zeigt, dass die Anzahl der Manuskripte, die tatsächlich der zweiten Familie angehören, variieren kann, je nachdem welche Kriterien man zur Einteilung heranzieht. 698 Ebenda, S. 35. 699 Ebenda, S. 36f. 700 Ebenda. Zu den ikonographisch-verwandten zählt McCulloch die folgenden Codices: B.M., Add. 11283, f.1–41. Frühes 12. Jahrhundert. (McCulloch erläutert, dies sei die älteste ihr bekannte Handschrift, die der zweiten Bestiarienfamilie angehöre); Brussels, Bibl. Roy. 8340, f. 183–215. Vierzehntes Jahrhundert; Aberdeen Univ. 24, f. 1–103. Spätes 12. Jahrhundert; Bodl.,
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In Bezug auf den Textinhalt folgen die Bestiarien weitestgehend der lateinischen Physiologus-Fassung b.701 McCulloch erläutert zudem, in keiner der französischen Versionen würde auf die Gebärfähigkeit der Pantherin eingegangen, wie dies in der Panther-Beschreibung Isidors von Sevilla der Fall war.702 Auch hinsichtlich der Panther-Miniaturen gelangt McCulloch zu einem sehr interessanten und richtigen Ergebnis, wenn sie schreibt: The miniatures oft the panther are always recognizable, not because oft the appaearance of the principal animal, which varies from that of a dog to a horse, but because of the variety of animals clustered about it, and the serpent’s tail disappearing into a hole.703
Was innerhalb dieses Zitats anklingt, ist, dass es eine prototypische Darstellungsweise des Panthers innerhalb der Bestiarien-Miniaturen gibt. Allerdings können diese Beobachtungen McCullochs noch ergänzt werden. In den meisten Fällen befindet sich nämlich unter den Tieren, die dem Panther folgen, ein Hirsch.704 McCulloch trägt diesem Hirsch-Aspekt indirekt Rechnung, indem sie schreibt, der Panther werde innerhalb der Bestiarien auch als love cervere – also als Hirsch-Liebhaber – bezeichnet.705 Der Hirsch als nachfolgendes und ›befreundetes‹ Tier scheint daher zu der prototypischen Pantherdarstellung dazu zu gehören. Dies könnte daher rühren, dass es zwischen den Eigenschaften des Panthers und denen des Hirschs eine Schnittmenge gibt, die direkt auffällt, wenn man die beiden Physiologus-Kapitel miteinander vergleicht.706 Die erste Ge-
701 702 703 704 705 706
Ashmole 1511, f. 1–104. Spätes 12. Jahrhundert; Bodl., Douce 151, f. 1–90. Vierzehntes Jahrhundert; Oxford, Univ. Lib. 120, f. 1–70. Dreizehntes bis vierzehntes Jahrhundert; B. M., Harl. 4751, f. 1–74v. Spätes 12. Jahrhundert; Bodl. 764, f. 1–137. Spätes 12. Jahrhundert; Camb., Univ. Lib. Ii.4.26, f. 1–74. Zwölftes Jahrhundert; Oxford, St. John’s Coll. 61, f. 1–103. Dreizehntes Jahrhundert; B.M., Harl. 3244, f. 36–71v. Frühes 13. Jahrhundert; Camb., Gonv. and Caius Coll. 109, f. 110–133. Dreizehntes Jahrhundert und B.N., lat. 3630, f. 75–96. Vierzehntes Jahrhundert. Zu den ikonographisch-nicht-verwandten rechnet McCulloch die folgenden Handschriften: B.M., Royal 12 F. xiii, f. 1–141. Zwölftes bis dreizehntes Jahrhundert; B.M., Sloane 3544, f. 1–44. Dreizehntes Jahrhundert; Camb., Gonv. and Caius Coll. 384, f. 167–199. Dreizehntes Jahrhundert; Camb., Gonv. and Caius Coll. 372, f. 1–64. Dreizehntes Jahrhundert; B.N., lat. 11207, f. 1–40. Dreizehntes Jahrhundert; Bodl., 533, f. 1–29v. Dreizehntes Jahrhundert; Oxford, St. John’s Coll. 178, f. 157–220. Spätes 13. Jh.; Douai, Bibl. Mun. 711, f. 1–60v. Spätes 13. Jh.; Bodl., Douce 88 A, f. 5–29. Spätes 13. Jh.; Canterbury, Cath. Lib. Lit. D 10. Dreizehntes bis vierzehntes Jahrhundert; Camb., Corpus Christi Coll. 53, f. 189–210. Frühes 14. Jahrhundert; New York, Morgan 890, f. 1–18. Vierzehntes Jahrhundert; Copenhagen, Gl. Kgl. 1633 48, f. 1–76v. Vierzehntes Jahrhundert. Vgl.: Henkel, Studien zum Physiologus im Mittelalter, S. 27; McCulloch, Medieval Latin and French Bestiaries, S. 148f. McCulloch, Medieval Latin and French Bestiaries, S. 149. Ebenda, S. 150. Vgl.: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Panther‹. Auf: http://bestiary.ca/beasts/beast79.htm. Zugriff am 14. 12. 2015 um 15:02 Uhr. Badge schreibt bezüglich des Hirsch-Aspekts: »The animals gathered around vary from manuscript to manuscript, but usually include a stag.« McCulloch, Medieval Latin and French Bestiaries, S. 148. Vgl.: Maurer (Hrsg.), Der altdeutsche Physiologus, S. 38f.
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meinsamkeit der Tiere besteht darin, dass sie beide den Drachen zum Feind haben, wie beispielsweise anhand der Miniatur ersichtlich wird, die als Schmuckelement Folio 12r. des Alphonso Psalters ziert (Abb. 31).
Abb. 31: Kampf zwischen Hirsch und Drache. Alphonso Psalter. Add MS 24686, f. 12r.707 Entstanden: 1284–1316.708
Darüber hinaus spielt auch beim Hirsch der Atem eine wichtige Rolle, denn ihn setzt das Tier ein, um den Drachen aus dessen Höhle hervorzuholen. Dieses Vorgehen wird im Millstätter Reimphysiologus folgendermaßen beschrieben: 96
[…] so der Hirz den Slangen sihet, in dem hol, da er ligit, so blæset er dar in unde tribet her zu den Slangen, uf den hals trittet er im danne. er verslindet in sciere, so ilet er zu dem luterem wazzere und spiet daz eitir gar, da verwirfet er horn unde har.709
Nachdem der Hirsch also den Drachen verschlungen hat, muss er schnell zu einem reinen Wasser laufen, um das brennende Gift, das er mit dem Drachen aufgenommen hat, wieder los zu werden. Eine weitere Option, die der Hirsch laut Millstätter Reimphysiologus hat, um sich von diesem Gift zu reinigen, besteht in dem Weiden auf Bergwiesen ([…] swa er den Slangen vindet, / da slehet er in unde get uf die berge sa, unde weidenot er da).710 Beide Verhaltensmuster des Tiers werden im Physiologus als eine Abkehr vom Teufel und als ein Schutzsuchen bei Christus, dem scirmær (Str. 99) ausgelegt.711 Gemeinsamkeiten zwischen Panther und Hirsch zeigen sich gelegentlich auch im Hinblick auf das äußere Erscheinungsbild, wie anhand der Abbildungen 32 und 33 zu sehen ist: 707 Bildquelle: http://www.bl.uk/manuscripts/Viewer.aspx?ref=add_ms_24686_f005r. Zugriff am 16. 03. 2016 um 17:38 Uhr. 708 Ebenda. Zugriff am 21. 04. 2017 um 12:21 Uhr. 709 Maurer (Hrsg.), Der altdeutsche Physiologus, S. 39. 710 Ebenda. 711 Ebenda.
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Abb. 32: Blauer Panther mit weißen Punkten und Hörnern. BibliothHque Nationale de France, lat. 3630, Folio 76r.712 Entstanden in England, zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts.
Abb. 33: Blauer Hirsch mit weißen Punkten. Luttrell Psalter, British Library, Add 42130, fol. 296r.713 Entstanden ca. 1325–1340.714
712 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Panther‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/be asts/beastgallery79.htm#. Zugriff am 16. 03. 2016 um 18:26 Uhr. 713 Bildquelle: http://www.bl.uk/manuscripts/Viewer.aspx?ref=add_ms_42130_fs001ar. Zugriff am 16. 03. 2016 um 18:25 Uhr. 714 Ebenda. Zugriff am 17. 04. 2017 um 14:32 Uhr.
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Doch nun – nach diesem kleinen Exkurs zur ›Panther-Hirsch-Freundschaft‹ bzw. zu den Gemeinsamkeiten der beiden Tiere – zurück zu den bildhaften Panther-Darstellungen in den Bestiarien. Der Darstellungsaspekt ›Drache, der in einer Höhle verschwindet‹ kann auf verschiedene Arten umgesetzt sein: Zum einen besteht die Möglichkeit, dass tatsächlich nur noch der Schwanz des Tiers zu sehen ist, zum anderen existiert aber auch eine ganze Reihe an Miniaturen, auf denen der gesamte Drache zu sehen ist, der sich bereits ganz in sein Erdloch geflüchtet hat. Angesichts dieser Varianz erscheint es daher etwas angemessener, in Bezug auf die bildhafte Umsetzung des Drachen-Aspekts von einer ›Typikalität‹ an Stelle von einer ›Prototypikalität‹ zu sprechen. Mit den beiden Miniaturen aus den Handschriften Bodleian Library, MS. Bodley 764, Folio 7v und British Library, Royal MS 12 F. xiii, Folio 7r (Abb. 29 und 30) wurden bereits zwei Beispiele angeführt, die die von McCulloch formulierten Aspekte berücksichtigen und daher als prototypische Bestiarien-Panther-Darstellungen begriffen werden können. Darüber hinaus sind noch zwei Darstellungen zu nennen, die das Merkmal des mondförmigen Flecks auf der Schulter des Tiers abbilden. Es handelt sich dabei um die Panther-Miniaturen in den Codices Aberdeen University Library, Univ Lib. MS 24 (Abb. 34) und Bodleian Library, MS. Ashmole 1511 (Abb. 35).
Abb. 34: Aberdeen University Library, Univ. Lib. MS 24, Folio 9r.715 Entstehung: spätes 12. Jahrhundert.716 Auf der rechten Schulter dieses Panthers ist eindeutig ein größerer weißer Fleck zu erkennen, was darauf hindeutet, dass der Illustrator Plinius’ Panther-Beschreibung gekannt haben könnte.
715 Bildquelle: http://www.abdn.ac.uk/bestiary/ms24/f9r. Zugriff am 17. 12. 2015 um 12:05 Uhr. 716 McCulloch, Medieval Latin and French Bestiaries, S. 36.
Panther
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Abb. 35: Bodleian Library, MS. Ashmole 1511, Folio 13r.717 Entstehung: spätes 12. Jahrhundert.718 Panther mit einem weißen Mal auf der Schulter.
Was sich zudem anhand dieser beiden Darstellungen gut vor Augen führen lässt, ist die ikonographische Verwandtschaft, auf die von McCulloch bereits hingewiesen wurde.719 Sowohl die beiden Panther-Darstellungen als auch die des Drachen gleichen sich im Hinblick auf Form, Farbgebung und Körperhaltung der Tiere. Der einzig erkennbare Unterschied zeigt sich innerhalb des Inventars an nachfolgenden Tieren. Während die Miniatur im Aberdeen-Bestiarium (Abb. 34) unter anderem drei Geweih-tragende Tiere und ein Dromedar zeigt, sind in der des Ashmole-Bestiariums (Abb. 35) ein Ziegenbock, ein Pferd und zwei nicht genauer definierbare Tiere zu erkennen. Würde man nun versuchen, die beiden Miniaturen – dem Grad ihrer Typikalität entsprechend – in eine graphische Prototypen-Kreis-Darstellung aufzunehmen, wie Eleanor Rosch dies anhand des Beispiels vom prototypischen ›Vogel‹ gezeigt hat, so würde der Miniatur aus dem Aberdeen-Bestiarium eine zentralere Position zukommen als der aus dem Ashmole-Bestiarium, da die letztgenannte keinen Hirsch im Gefolge des Panthers zeigt.720 Neben den Abbildungen 29 und 30 sowie 34 und 35, die als prototypische Darstellungen gewertet werden können oder zumindest sehr nahe an die prototypische Bestiarien-Panther-Miniatur heranreichen, existieren auch Abbildungen, die signifikant von den Merkmalen, die McCulloch formuliert hat, abweichen. Als ein Beispiel für derlei ›Ausreißer‹ oder ›Ausnahmen von der Regel‹, kann die Miniatur in Abb. 36 angesehen werden.
717 Bildquelle: https://digital.bodleian.ox.ac.uk/inquire/Discover/Search/#/?p=c+0,t+,rsrs+ 0,rsps+10,fa+,so+ox%3Asort%5Easc,scids+,pid+faeff7fb-f8a7-44b5-95ed-cff9a9ffd198, vi+7e0d73a1-09d8-418d-a0b0-426ada4970e3. Zugriff am 15. 10. 2018 um 15:02 Uhr. 718 McCulloch, Medieval Latin and French Bestiaries, S. 36. 719 Ebenda. 720 Zu der graphischen Darstellbarkeit von Prototypen vgl. auch S. 65 der vorliegenden Arbeit.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Abb. 36: Panther mit sehr auffälligem, Wildschwein-ähnlichem Kopf und ohne Tiere, die ihm folgen. Koninklijke Bibliotheek, KB, KA 16, Folio 67r.721 Entstehung: ca. 1350.722
Die Miniatur in Abb. 36 greift zwar die Merkmale ›bunt‹ und ›augenförmige Kreise‹ auf, jedoch weicht die Darstellung im Hinblick auf Form und Farbe des Kopfes stark von allen bisher gesichteten Bildquellen ab. Der hier gezeigte Kopf ruft vielmehr Assoziationen mit dem eines Wildschweins wach, obgleich Wildschweine in den Bestiarien meist mit ihren Hauern abgebildet wurden, wie beispielsweise der Miniatur in Abb. 37 zu entnehmen ist, die aus demselben Bestiarium stammt.
Abb. 37: Koninklijke Bibliotheek, KB, KA 16, Folio 45v.723 Der Kopf des Wildschweins weist zwar Hauer auf und ist von anderer Farbe als der Pantherkopf in Abb. 36, betrachtet man jedoch alleine die Kopfform, so ist diese in beiden Abbildungen beinahe deckungsgleich. 721 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary. Eintrag ›Panther‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/be asts/beastgallery79.htm#. Zugriff am 17. 12. 2015 um 14:02 Uhr. 722 Badge, Medieval Bestiary, Manuscript Koninklijke Bibliotheek, KB, KA 16 (Der Naturen Bloeme). Auf: http://bestiary.ca/manuscripts/manu2007.htm. Zugriff am 17. 04. 2017 um 15:30 Uhr. 723 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Boar‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/be asts/beastgallery197.htm#. Zugriff am 20. 12. 2014 um 14:44 Uhr.
Panther
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Eine Erklärung für diesen ›Wildschweinkopf‹ könnte sein, dass der Illustrator mit Plinius’ Panther-Beschreibung vertraut war und versucht hat, das Merkmal des ›wilden Kopfes‹, das der antike Autor in der Naturalis historia nennt, bildhaft in Szene zu setzten. Dies erscheint zum einen schlüssig, da es wohl kaum ein Tier gab, das seit der Antike und das gesamte Mittelalter hindurch stärker die Eigenschaft der Wildheit verkörperte als das wilde [bersw%n.724 Zum anderen wird der Panther – dessen Äußeres den Menschen im Mittelalter allenfalls durch Buchwissen bekannt war – mittels dieses Wildschweinkopfes in die eigene Kultur hineingeholt. Die ›Exotik‹ wird damit ein Stück weit nivelliert (sofern innerhalb des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses überhaupt von ›Exotik‹ die Rede sein kann), da zumindest der Kopf des fremden Tiers dem eines einheimischen ähnelt. Eine weitere Miniatur, die von der prototypischen Bestiarien-Panther-Darstellung abweicht, findet sich in einem lat. Bestiarium des 15. Jahrhunderts (Abb. 38).725
Abb. 38: Museum Meermanno, MMW, 10 B 25, Folio 3r.726 Entstehung: ca. 1450.727 Unter den Tieren, die dem Panther folgen, befindet sich seltsamerweise auch der Drache.
724 Zu den Belegen dieses mittelhochdeutschen Wortes siehe: Benecke/Müller/Zarncke, Mittelhochdeutsches Wörterbuch, Lemma ›[bersw%n‹. Auf: http://woerterbuchnetz.de/cgibin/WBNetz/wbgui_py?mode=Vernetzung& hitlist=& patternlist=& lemid=BS07851& si gle=BMZ. Zugriff am 17. 12. 2015 um 15:23 Uhr. 725 Badge, Medieval Bestiary, Manuscript Museum Meermanno, MMW, 10 B 25. Auf: http:// bestiary.ca/manuscripts/manu2002.htm. Zugriff am 20. 12. 2015 um 14:54 Uhr. 726 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Panther‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/be asts/beastgallery79.htm#. Zugriff am 17. 12. 2015 um 14:27 Uhr.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Entgegen der Darstellungen in allen anderen bisher gesichteten Quellen, wird der Drache hier nicht als Feind des Panthers gezeigt.728 Er befindet sich stattdessen unter den Tieren, die dem Panther folgen.729 Eine Erklärung hierfür wäre, dass dem Illustrator – der meist nicht der Schreiber des Bestiariums war – ein ›Fehler‹ unterlaufen ist, da er vielleicht nicht vollständig oder gar nicht literat war. Eine andere Überlegung wäre, dass es dem Illustrator nicht darauf ankam, die Informationen, die der Text des Bestiariums bietet, 1:1 in seiner Miniatur wiederzugeben.730 Neben den Bestiarien können im Rahmen der Untersuchung des religiösheilsgeschichtlichen Diskurses auch die Concordantiae caritatis Ulrichs von Lilienfeld als Text- und Bildquelle herangezogen werden. Der Panther wird in Ulrichs Werk innerhalb dreier Textstellen genannt (fol. 117 rd; 192 re; 251 r).731 Zunächst gibt Ulrich die Panther-Informationen wieder, die im Physiologus und den Bestiarien zu finden sind, beruft sich dabei jedoch nicht ausschließlich auf den Physiologus, sondern auch auf Solinus (fol. 117 rd).732 Ähnlichkeit zu den Panther-Darstellungen in den Bestiarien weist auch eine Miniatur aus Ulrichs Werk auf (Abb. 39). Bemerkenswert an dieser Miniatur ist, dass der Panther gerade nicht bunt oder mit Flecken abgebildet wird, wie er in den Concordantiae caritatis beschrieben wird, sondern weiß bzw. farblos. Möglicherweise steht hinter dieser Abbildung die Vorstellung, das Tier weise derart viele Farben auf, dass seine Buntheit nicht mehr abbildbar sei. Angesichts dieser Aporie könnte der Künstler sich dazu entschieden haben, dem Panther gerade keine Farbe zu verleihen. Gegen diese These spricht allerdings, dass das Tier in einer weiteren Miniatur derselben Handschrift bunt abgebildet ist (Abb. 40).
727 Badge, Medieval Bestiary, Manuscript Museum Meermanno, MMW, 10 B 25. Auf: http:// bestiary.ca/manuscripts/manu2002.htm. Zugriff am 20. 12. 2015 um 15:06 Uhr. 728 Vgl.: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Panther‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/beasts/be astgallery79.htm#. Zugriff am 20. 12. 2015 um 15:35 Uhr. 729 Ebenda. Zugriff am 18. 04. 2017 um 14:41 Uhr. 730 Dieses Phänomen der Nichtkongruenz zwischen Bild und Text, zeigt sich beispielsweise auch des öfteren in den Parzival-Handschriften, die in der Werkstatt Diebold Laubers entstanden sind. 731 Ulrich von Lilienfeld, Concordantiae caritatis, (Hrsg. v. Herbert Douteil), Band I, S. 237 [fol. 117 rd]; S. 403 [fol. 192 re]; Band II, S. 673 [fol. 251 r]. 732 Ebenda, Band I, S. 236 [fol. 117 rd].
Panther
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Abb. 39: Tiere scharen sich um den Panther, um in den Genuss des süßen Dufts zu kommen. Der Drache versteckt sich furchtsam in einem Erdloch. Concordantiae caritatis, fol. 116v.733
Abb. 40: Die Freigebigkeit kommt auf einem bunten Panther angeritten. Concordantiae caritatis, fol. 251r.734
Neben den Informationen, die inhaltlich weitestgehend dem Pantherabschnitt im Millstätter Reimphysiologus entsprechen, führt Ulrich den Panther auch noch als Allegorie auf die selige Jungfrau Margareta an (fol. 192 re):
733 Bildquelle: Ebenda, Band II, S. 538 [fol. 116 v]. 734 Bildquelle: Ebenda, Band II, S. 673 .
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Dicit Plinius, quod panthera bestia coloribus pulcherrima beneficium sibi inpensum cum potest, non dimittit irreconpensatum. Hec panthera est beatissima virgo Margareta, que fuit pulcherrima diversarum virtutum coloribus decorata, cui Dominus sui et vere fidei congnicionem liberaliter inpendit, cum eam ab ydolorum cultibus misericorditer revocavit. Sed illa beata beneficium huiusmodi fortiter reconpensavit, quando se ipsam totam Domino in omnibus conmendavit, se virginem conservavit, pro fide Christi cum Olibrio dimicavit, de dyabolo triumphavit, gladium et mortem pro Domino superavit, ideoque eam Christus velut sponsam dilectam in celestibus decoravit.735
Der Autor beruft sich hier explizit auf Plinius, und die tradierten Konzeptbestandteile der Dankbarkeit und Freigebigkeit bilden den Ausgangspunkt für seine Ausführungen. Dabei zeigt sich, dass diesen Konzeptbestandteilen eine semantische Anreicherung widerfährt, die als spezifisch mittelalterlich zu betrachten ist: Die Freigebigkeit und Dankbarkeit des Panthers werden in eine metaphorische Relation zu der Freigebigkeit Gottes und der Dankbarkeit der Heiligen Margareta gesetzt. Ein weiterer wichtiger Konzeptbestandteil, der innerhalb des oben angeführten Zitats aktualisiert wird, ist die Buntheit des Tiers. Sie kommt zwar nicht explizit zum Ausdruck, wird aber in Bezug auf die Heilige Margareta genannt (que fuit pulcherrima diversarum virtutum coloribus decorata). Die Buntheit stellt also ein weiteres tertium comparationis zwischen dem Panther und der Heiligen dar, wobei jede der viele Farben für eine Tungend steht. Ulrichs dritte Nennung des Panthers erfolgt innerhalb einer Allegorie: Der Panther wird als Reittier in Szene gesetzt, auf dessen Rücken die personifizierte Freigebigkeit angeritten kommt (fol. 251 r.): Largitas Adversus avariciam venit largitas sedens super pantheram, cuius odorem, id est largitatem per elemosinam secuntur animalia. Super galeam caput monachi ducit abrasum, quia ab omnibus sensibus curam proicit temporalium. In scuto araneam in telo pingit, quia ad suam custodiam velut largus se exenterans telam glorie conficit. Tunicam plaveam ducit, quia celicoloream inmortalitatis vestem largum Dominus induit. 735 Ulrich von Lilienfeld, Concordantiae caritatis, Band 1, S. 402. Übersetzung Herbert Douteils (Hrsg.), Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld, Band 1 (S. 403): ›Plinius sagt: Wenn es dem Panther, der durch seine Farben ein wunderschönes Tier ist, irgendwie möglich ist, lässt er keine ihm erwiesene Wohltat unvergolten. Dieser Panther ist die seligste Jungfrau Margareta; sie war wunderschön geschmückt durch die Farben der verschiedenen Tugenden; ihr schenkte der Herr in seiner Freigebigkeit, ihn und den wahren Glauben zu erkennen, als er sie voll Erbarmen von den Götzenkulten zurückrief. Jene Selige aber vergalt tapfer eine solche Wohltat, als sie sich selbst in jeder Beziehung dem Herrn ganz anempfahl, sich als Jungfrau weihte, für den Glauben Christi mit Olibrius kämpfte, über den Teufel triumphierte, Schwert und Tod für den Herrn überwand, und darum schmückte sie der Herr im Himmel als geliebte Braut.‹
Panther
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Baculum simplicem manu gestat, quia largus multos pauperes operibus misericordie sustentat.736
Interessant ist, dass dem wichtigsten Bestandteil des mittelalterlichen PantherKonzepts, dem süßen Duft, hier eine weitere metaphorische Bedeutungszuschreibung widerfährt. Der Duft bedeutet die Freigebigkeit, die sich in Form des Almosengebens zeige. Mindestens ebenso aufschlussreich wie der Text scheint an dieser Stelle die Miniatur zu sein, die die beschriebene Allegorie abbildet (Abb. 40). Neben der bereits angesprochenen Buntheit des Tiers sind insbesondere die Klauen äußerst auffällig, denn sie erinnern an die eines Greifs.737 Im Hinblick auf Klauen und Größe erinnert der hier abgebildete Panther auch an das Exemplar, das in der Diebold Lauber-Handschrift des Buch der Natur Konrads von Megenberg zu finden ist (Abb. 25). Zusammenfassend lässt sich über den Panther innerhalb des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses Folgendes festhalten: In Bezug auf das Äußere des Tiers spielen vor allem Fellfarbe und -musterung eine wichtige Rolle. Während in der Bibel von den Flecken des Panthers die Rede ist, die dieser sprichwörtlich »nicht ablegen kann«, so ist innerhalb der verschiedenen Physiologus-Versionen die Buntheit von großer Bedeutung. Die vielen Farben können nämlich als die zahllosen Tugenden Christi gelesen werden.738 Andere äußere Merkmale – wie etwa die Körperform oder die Größe des Tiers – scheinen für die Menschen im Mittelalter eher nebensächlich gewesen zu sein, wenn es darum ging, das Tier heilsgeschichtlich zu deuten. Der Panther
736 Ulrich von Lilienfeld, Cocncordantiae caritatis, Band II, S. 673. Übersetzung Herbert Douteils (Hrsg.), Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld, Band I (S. 519): ›Die Freigebigkeit. Gegen die Habsucht kommt die Freigebigkeit auf einem Panther geritten; dessen Duft; d. h. dessen Freigebigkeit aufgrund seines Almosengebens, folgen die Tiere. Auf dem Helm führt sie als Zier den Kopf eines geschorenen Mönches, weil sie von allen Sinnen die Sorge um weltliche Dinge abwirft. Auf dem Schild malt sie eine Spinne im Netz, weil der Freigebige sich zu seinem Schutz gleichsam entleert und so das Netz der Herrlichkeit vollendet. Sie trägt ein blaues Obergewand, weil der Herr den Freigebigen mit einem himmelfarbenen Gewand der Unsterblichkeit bekleidet. Einen einfachen Stab hält sie in der Hand, weil der Freigebige viele Arme mit Werken des Erbarmens unterstützt.‹ 737 Derartige Klauen zeigt auch eine Panther-Miniatur im Apollonius von Tyrland Heinrichs von Neustadt, Hs C (ÖNB Cod. Vind. 2886), fol. 62r.. Vgl. dazu S. 237 (Abb. 47) der vorliegenden Arbeit. 738 Vgl. dazu auch: Heimerl, Religiöse Wissensspeicher, S. 140. Heimerl zitiert hier den griechischen Physiologus (ed. Schönberger, 2001, S. 31), in dem die folgende Auslegung der Buntheit zu finden ist: »Ganz bunt ist Christus, er, der selbst die Jungfräulichkeit ist, Enthaltsamkeit, Mitleid, Glaube, Tugend, Eintracht, Friede, Hochherzigkeit [Gal. 5,22] […]«; Meier/Suntrup, Lexikon der Farbenbedeutungen im Mittelalter, Eintrag ›varius‹, S. 774–791.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
musste vor allem scone sein, da er solchermaßen besser als Christus-Allegorie funktionalisiert werden konnte. Hinsichtlich des Temperaments wurde deutlich, dass die Wildheit zwar noch vereinzelt unterschwellig anklingt (wenn etwa im Millstätter Reimphysiologus die Rede davon ist, der Panther könne vahen wol), dass jedoch eine Tendez dazu besteht, das Tier eher mammunde – also ›zahm‹ und ›sanftmütig‹ – zu zeichnen. Dies wiederum ermöglicht es, ihm Eigenschaften wie Dankbarkeit und Hilfsbereitschaft zuzuschreiben und ihm eine Duldsamkeit zu attestieren, die den Vergleich mit der Duldsamkeit Christi bei der Kreuzigung zulässt. Die besonderen Merkmale des wilden Kopfes und des mondförmigen Flecks auf der Schulter werden in den Texten nicht – wie innerhalb des naturkundlichen Diskurses – explizit erwähnt, allerdings finden sie zum Teil in den BestiarienMiniaturen bildhaft Niederschlag, wie dies beispielsweise anhand der Abbildungen 34 und 35 (Fleck auf der Schulter) sowie 36 (wilder Kopf) zu sehen ist. Das mit Abstand wichtigste Merkmal des Panthers ist jedoch dessen guter Duft, der von seinem Atem ausgeht. Dieser Atem kann das erlösende Wort Gottes bedeuten, mit dem Salbungsöl in Verbindung gebracht werden, für das ›Nährende‹ beim Abendmahl oder für die Großzügigkeit stehen. Anders als innerhalb des naturkundlichen Diskurses ist das Geschlecht des Tiers hier nicht von Relevanz. In Bezug auf die Nahrung hat sich gezeigt, dass der Panther nicht in allen Texten als carnivores Lebewesen dargestellt wird. Im Physiologus Theobaldi deutsch etwa ist die Information zu finden, er ernähre sich nur von erlesenen Kräutern. Auch hierbei lässt sich vermuten, dass diese Veränderung in der Beschreibung der Ernährungsweise dazu diente, die Eigenschaften des Tiers im Hinblick auf die christliche Heilsgeschichte ›allegoresekompatibel‹ zu machen. Allerdings kann angenommen werden, dass die Menschen im Mittelalter jene ›Anpassung an das christlich-heilsgeschichtliche Weltbild‹ nicht als solche wahrnahmen. Vielmehr dürften klerikal geprägte Denkmuster bewirkt haben, dass man den Panther ganz wie selbstverständlich als Kräuter fressendes Tier wahrnahm und der festen Überzeugung war, anhand der Ernährungsgewohnheiten des Tiers Aufschluss über den göttlichen Willen gewinnen zu können.739 Bemerkenswert ist, dass der Herkunft des Tiers nicht die geringste Beachtung geschenkt wird. Im Hinblick auf die Beziehungen zu anderen Tieren bzw. zu Menschen wird deutlich, dass der Panther einen Erzrivalen besitzt: den Drachen. Sein anderer Feind, die Hyäne, die in den naturkundlichen Quellen immer wieder Erwähnung findet, wird innerhalb des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses nicht genannt. Eine Art ›Freundschaft‹ verbindet den Panther offen739 Zu diesen klerikal geprägten Denkmustern vgl. auch: Mühlenfeld, Die ›jungfräuliche‹ Barnikelgans, S. 542–554.
Panther
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bar mit dem Hirsch. Dieses positive Verhältnis der beiden Tiere zueinander könnte daher rühren, dass beide den Drachen als gemeinsamen Feind haben und auf ähnliche Weise gegen ihn vorgehen. Schließlich bleibt die Frage, wie die Beziehung zwischen Panther und Mensch dargestellt ist. Die Beantwortung dieser Frage ist nicht ganz einfach, da sich innerhalb der Physiologus-Pantherbeschreibungen die verschiedenen Sinnebenen oftmals so sehr vermischen, dass man sich an einigen Stellen fragen kann, ob nun gerade vom Panther oder von Christus die Rede ist. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich diese Frage mittelalterlichen Rezipienten nicht stellte. Für sie dürfte klar gewesen sein, dass der Panther ebenso Christus ist wie das Brot beim Abendmahl der Leib des Herrn ist. Bedenkt man dieses In-Eins-Setzen von Christus mit dem Panther, so kann man über die Beziehung zwischen Panther und Mensch sagen, dass der Panther den gottesfürchtigen Menschen ein Freund ist, denn er zeigt ihnen den Weg ins Himmelreich. Denjenigen aber, die sich vom Drachen – also dem Teufel – verführen lassen, ist er ein Feind. Als Reittier, auf dem die personifizierte Freigebigkeit angeritten kommt, wird der Panther ausschließlich in den Concordantiae caritatis dargestellt. In allen anderen untersuchten Quellen des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses werden keine Angaben zur Nutzung des Tiers gemacht. Dies verwundert wenig; bedenkt man, dass das Thema ›Nutzung‹ den Panther wieder in einen eher profanen Kontext gerückt hätte, was man innerhalb dieses Diskurses vermieden werden sollte. Man könnte an dieser Stelle natürlich so weit gehen zu sagen, die Tiere ›nutzten‹ den Atem des Panthers, um ihm zu folgen und im übertragenen Sinn ›nutzten‹ die Christen das Wort Gottes, um den Weg ins Himmelreich zu finden. Diese Vorstellung von ›Nutzen‹ und ›Zweck‹ scheint jedoch im Hinblick auf das Wort Gottes unangemessen, denn gemäß der christlichen Glaubenslehre obliegt es letztlich der Gnade Gottes, wem er das erlösende Wort zuteilwerden lässt. Bezüglich des gesellschaftlichen Status des Panthers wurde anhand aller untersuchten Quellen deutlich, dass das Tier den Menschen im Mittelalter als Sinnbild und Verkörperung Christi präsent war. Abschließend stellt sich die Frage, als wie ›exotisch‹ der Panther innerhalb des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses dargestellt wird. In den ausgewerteten Quellen haben sich beinahe keine Anzeichen auf Exotik festmachen lassen. Es wurde beispielsweise nichts über die Herkunft des Panthers gesagt. Er wurde also nicht in fernen Ländern – und schon gar nicht im ›exotischen‹ Indien verortet, wo – mittelalterlichen Vorstellungen zufolge – die Mirabiliendichte am höchsten war. Als die beiden einzigen Indizien für Fremdheit (aber nicht zwangsläufig für Exotik!) können die Bennenung des Tiers im Physiologus Theobaldi deutsch sowie die dortigen Angaben zur Anzahl der Beine angeführt werden. Da die Nutzung des Tiers ausschließlich in den Concordantiae caritatis im Rahmen einer Allegorie anklingt, kommen auch Aspekte wie ›Exklusivität‹
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
P Panther
Temperament
Äußeres
Größe
Form
besondere Merkmale
mondf örmiger Fleck an Schulter
Farbe
alles ist möglich
wilder Kopf
gefleckt wild
bunt
männlich
stößt andere Tiere ab
edle Kräuter
tapfer
zahm Krone
v iele Tugenden
zerfleischt andere Tiere
fürsorgliches Muttertier
Hilf sbereitschaft
Minnedame
Duft
lockt Beutetiere an
gebiert nur einmal
4 Zitzen am Bauch
Duldsamkeit Christi bei der Kreuzigung
gif tig
Schwierigkeiten beim Gebären
intelligent
Dankbarkeit Christus
andere Tiere
weiblich
Schönheit
alles ist möglich
Nahrung
Geschlecht
Atem
Großzügigkeit Das Wort Gottes Salbungsöl das ›Nährende‹ beim Abendmahl
Fell
Bettvorleger Lufterfrischer
Kraftquelle Medizin zur Behandlung kranker Tiere
Medizin gegen Liebeskummer Worte des Minneritters / der Minnedame
Verführungskraf t der Minnedame
Abb. 41: Epistemischer Diskurs-Frame, der die rekonstruierten Bestandteile des mittelalterlichen Panther-Konzepts hervorhebt, die innerhalb des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses aktualisiert werden.
189
Panther
Herkunft
Beziehungen zu anderen Tieren
Afrika Indien
eher kein medizinischer Nutzen
Syrien Hyrkanien
Feinde
›Freunde‹
gesellschaftlicher Status
Nutzung
Sinnbild Christi
Reich des Großkhans
Menschen
bedeutsam f ür Traumdeutung
Drache Hirsch
orientalisches Luxusgut
gejagtes Tier
Hyäne Atem
Handelsware
Fell
wertvolles Geschenk Reittier Medizin zur Behandlung kranker Tiere
Medizin gegen Liebeskummer
künstliche Nachbildung in Form v on Automaten
Feuerlöscher
Lufterfrischer Bettvorleger
Relationen der Konzeptbestandteile = metaphorische Relation = klassifikatorische Relation = aktualisiert = nicht aktualisiert
190
Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
und ›Kostbarkeit‹ nicht gesondert zum Ausdruck. Genauso wenig lassen sich ein Staunen über das Tier oder Hinweise darauf, dass es als merkwürdig empfunden wurde, konstatieren. Vielmehr wird anhand der Bestiarien-Miniaturen deutlich, dass der Panther wie selbstverständlich neben einheimischen Tieren abgebildet wird. Lediglich in den Abbildungen 30 und 34 befinden sich – als nichtheimische Tiere – ein Kamel und ein Dromedar unter seinem Gefolge.740 Insofern kann man zu dem Ergebnis gelangen, dass der Panther innerhalb des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses nicht ›exotisch‹ dargestellt wird. Was innerhalb dieses Diskurses zählt, ist die Allegoresekompatibilität des Tiers. Da die ›Exotik‹ die Auslegbarkeit des Panthers im Hinblick auf den göttlichen Willen und Heilsplan nicht in signifikanter Weise erleichtert oder verbessert hätte, kann sie entfallen. Diese Ergebnisse lassen sich in einem Frame noch einmal auf den Punkt bringen (Abb. 41). 2.1.3.3 Der Liebesdiskurs Nachdem im vorangegangenen Kapitelabschnitt bereits ein Blick auf mögliche ›Abweichungen‹ von der (proto-)typischen, bildhaften Bestiarien-Pantherdarstellung geworfen wurde, erscheint es notwendig, nun auf ein Bestiarium einzugehen, das sich von allen anderen bisher erwähnten unterscheidet, da es offenbar eine völlig andere Wirkungsabsicht verfolgt – der Bestiaire d’amour Richards de Fournival (1201–1260).741 Was den Bestiare d’amour bereits auf den ersten Blick von allen anderen Bestiarien unterscheidet, ist, dass keine heilsgeschichtliche Auslegung der Tiere stattfindet und die Tierbeschreibungen folglich nicht mehr den Gesetzen des religiösen Diskurses unterliegen. Vielmehr werden Tiere im Werk Richards zur »Projektionsfläche«742 für einen ganz anderen Diskurs: den Liebesdiskurs. Innerhalb dieses Diskurses können Tiere und ihre proprietates nun herangezogen werden, um ›amouröse Fallstricke‹ allegorisch zu erläutern. Ralph Dutli fasst dieses Phänomen mit den folgenden Worten äußerst prägnant zusammen: Sein [Richards de Fournival] Liebesbestiarium bedeutete eine kleine literarische Revolution. Es war ein Akt inspirierender Verweltlichung eines bislang religiös geprägten Genres. Ein findiger Kleriker beraubt den christlichen Gott eines bisher ihm gehörenden Teils, da die Tierbücher tausend Jahre lang exklusiv zum Ruhm seiner 740 In Abb. 38 ist auch ein Löwe zu sehen. Allerdings war der Löwe – unter anderem durch seine weite Verbreitung in der Heraldik – so bekannt, dass man ihn als einheimisches Tier wahrgenommen haben dürfte. 741 Dutli, Nachwort zu ›Das Liebesbestiarium‹, S. 143; S. 155. 742 Den Begriff der ›Projektionsfläche‹ übernehme ich von Udo Friedrich. Vgl.: Friedrich, Die Ordnung der Natur, S. 70.
191
Panther
Schöpfung geschrieben wurden. Religiös bestimmte Wörter gibt es auch bei ihm, aber sie stehen in einem radikal profanen Kontext.743
Zum Aufbau des Bestiaire ist zu sagen, dass der Dichter einen Ich-Erzähler gewählt hat, der den Rezipienten durch das Werk führt und eine Art ›Liebeskasuistik‹ entfaltet.744 Dieses »Ich« – das höchstwahrscheinlich männlich ist, da es eine Dame begehrt – leidet an Liebeskummer und informiert über mögliche Probleme, mit denen sich ein Ritter konfrontiert sehen kann, wenn er das Herz seiner Auserwählten gewinnen möchte.745 Zugleich wird unter Bezugnahme auf verschiedenste Tiere und deren Eigenschaften versucht, bei der Minnedame Überzeugungsarbeit zu leisten, indem »verführerische Bilder« entworfen werden, die darauf abzielen, der Adressatin im Gedächtnis zu bleiben.746 In den Handschriften A, B, H und V folgt daraufhin – im zweiten Teil des Bestiariums – die Antwort der Minnedame.747 Auch die Dame geht auf die zuvor angeführten Tierallegorien ein, wobei allerdings eine Umcodierung der proprietates des Tiers erfolgen kann. Wie dieses Prinzip der Werbung und der darauffolgenden – oftmals sehr zurückweisenden und moralisierenden – Antwort der Angebeteten funktioniert, sei im Folgenden anhand der beiden Panther-Textstellen aufgezeigt. Im ersten Teil des Bestiariums geht der Ich-Erzähler auf die fünf Sinne des Menschen ein und erläutert, wie man durch Wahrnehmungen des Gehörs und des Geruchssinns von der Dame ›verzaubert‹ werden könne. In Abschnitt 16 wird dabei auch ein Vergleich zum süßen Atem der Pantherin angestellt: [16]
5
743 744 745 746
Ensi fui je pris a l’o"r et au veoir : dont ne fu che mie merveille se je perdimon sens et memoire, car o"rs et veoirs sont les deus portes de memoire, si comme il a est8 devant dit, et si sont ore doi des plus nobles sens de l’home. Car li hom a. v. sens: veoir, o"r, flairier, gouster et touchier. Et par le flairier meisme fui je pris, aussi que les bestes qui duques a le mort sievent le pantiere pour le douchour de l’alaine qui de li ist, et aussi con li unicorne qui se dort au douc flair de le virginit8 a le demoiselle.748
Dutli, Nachwort zu ›Das Liebesbestiarium‹, S. 155. Vgl. Ebenda. Ebenda. Bianciotto, Einleitung zu Le Bestiare d’amour, S. 30. Gabriel Bianciotto formuliert dies wie folgt: »L’oœuvre de Richard est pr8sent8e en effet d’embl8e comme un propos illustr8 de peintures afin de gagner la m8moire de la dame par les deux voies d’une parole forte et d’images s8duisantes.« 747 Ebenda, S. 96. 748 Richard de Fournival, Le Bestiare d’amour, (Hrsg. v. Gabriel Bianciotto), S. 200–202. Übersetzung Ralph Dutlis, Liebesbestiarium, S. 25f.: ›Ich kann also sagen, dass ich sowohl durch den Gehörsinn als auch durch den Sehsinn gefangen wurde, und dass es nicht
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
[…] 27 Por cho di jou ke je fui pris au flarier ; et encore ad8s m’a ele puis tenu au flairier, et ai ma volent8 laissie pour la soie sivir, aussi comme les bestes, ke puis k’eles ont une fois senti au flair la pantele, ja puis ne le lairont, ains le sivent dusqu’a la mort pour la douce alainne ki de lui ist.749
Die Antwort, die die Dame darauf gibt, lautet wie folgt: [64]
5
[65]
5
Voire, maistres, se je estoie tele que m’i ahersisse, je aroie bien mestier de le vraie pantiere; car il me sanle que je ne me porroie aherdre a vous en quel maniere que che fust que que je ne fusse blechie. Et je me doute mout que la pantiere ne me fust mout estrange, qui est de tel nature que quant aucune bestevient a li qui est blechie ou malade, li pantiere le garist de se douche alaine. Par Dieu! Chi a souveraine medechine, et bien fait tel beste a amer. Car je sai vraiement qu’il n’est beste qui tant fache a douter comme douche parole qui vient en dechevant. Et si cuic bien que contre il se puet on peu warder, nient plus quon fait de l’unicorne.750
verwunderlich ist, wenn ich deshalb meinen Verstand und mein Gedächtnis eingebüßt habe. Denn Hören und Sehen sind die zwei Türen zum Gedächtnis, wie ich schon sagte. Es sind die beiden vornehmsten Sinne des Menschen. Denn der Mensch hat fünf Sinne: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten. Und ich wurde ebenso durch den Geruchssinn gefangen, genau wie jene Tiere, die bis zu ihrem Tod dem Pantherweibchen folgen wegen der Süße des Atems, den es verströmt, und genau wie das Einhorn vom süßen Duft der Jungfräulichkeit eingeschläfert wird.‹ 749 Richard de Fournival, Le Bestiare d’amour, (Hrsg. v. Gabriel Bianciotto), S. 204. Übersetzung Ralph Dutlis, Liebesbestiarium, S. 27: ›Deshalb sage ich, dass ich durch den Geruchssinn gefangen wurde. Und sie hielt mich auch weiterhin fest durch ihren Duft. So habe ich meinen Willen aufgegeben, um nur dem ihren zu gehorchen. Ich war genau wie jene Tiere, die einmal den Duft des Pantherweibchens gespürt haben, es dann nie wieder loslassen können und ihm immerzu folgen bis in den Tod, und zwar wegen des süßen Atems, der von ihm ausströmt.‹ 750 Richard de Fournival, Le Bestiare d’amour, (Hrsg. v. Gabriel Bianciotto), S. 298. Übersetzung Ralph Dutlis, Liebesbestiarium, S. 70f.: ›Wäre ich eine Frau, die sich von solchen Worten verführen ließe, bräuchte ich, oh Meister, tatsächlich den Beistand des wahren Pantherweibchens! Denn mir scheint, ich könnte mich nie – auf welche Art auch immer – mit Euch verbinden, ohne eine Verwundung davonzutragen. Aber ich fürchte sehr, dass das Pantherweibchen mich unwillig empfangen würde, dessen Natur es doch ist, ein verletztes oder krankes Tier, das zu ihm kommt, mit seinem süßen Atem zu heilen. Bei Gott! Das ist wirklich eine wunderbare Medizin, und ein solches Tier verdient es, geliebt zu werden. Aber ich weiß auch, dass es kein Tier gibt, das man so sehr fürchten müsste, wie die süßen Worte,
Panther
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Im ersten angeführten Zitat kommt zum Ausdruck, der Ich-Erzähler sei durch seinen Geruchssinn von der Minnedame ebenso verführt worden, wie die Tiere von dem süßen Atem der Pantherin. Das tertium comparationis ist an dieser Stelle also der süße Duft, dem bereits innerhalb des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses eine immens wichtige Rolle zukam.751 Im Bestiaire d’amour steht dieser Duft nun allerdings nicht mehr im allegorischen Sinn für das erlösende Wort Gottes, wie dies im Physiologus der Fall war. Le douchour de l’alaine – die ›Süße des Atems‹ – wird stattdessen umfunktionalisiert, um etwas ganz Weltliches zum Ausdruck zu bringen: die erotische Anziehungskraft der Minnedame. Der Antwort der Angebeteten mangelt es indes nicht an Schroffheit und Abweisung.752Auch wenn sie dem Ich-Erzähler zunächst – dem Anschein nach – mit großem Respekt begegnet, da sie ihn mit maistres anredet, unterstellt sie ihm doch äußerst unverhohlen, dass er sie – im Falle, dass sie seinem Werben nachgeben sollte – verletzen würde.753 In dieser Situation – so die Dame – wäre sie auf die Hilfe der ›wahren Pantherin‹, der vraie pantiere, angewiesen. Sie befürchte jedoch, dass dieses Tier, welches anderen verwundeten Tieren mittels seines süßen Atems zur Genesung verhelfe, sie nur unwillig empfangen würde. Interessant ist an dieser Stelle die Bedeutungsverschiebung, die dem Pantheratem zwischen dem ersten und dem zweiten Zitat widerfährt. Während Le douchour de l’alaine innerhalb der Rede des Ich-Erzählers noch als Sinnbild für die erotische Anziehungskraft der Dame gelesen werden konnte, wird der Pantheratem innerhalb des zweiten Zitats zur souveraine medechine gegen Verletzungen und Krankheiten erklärt. Dabei umfasst das Anwendungs-Spektrum dieser Medizin offensichtlich auch solche Blessuren, die dem Pantienten oder der Pantientin durch die ›Fallstricke der Liebe‹ beigebracht wurden. Dieser Medizin-Aspekt, der in keiner anderen der bisher gesichteten Quellen zum Tragen gekommen ist, scheint ein spezifisches Charakteristikum des Liebesdiskurses zu sein. Auch im Dit de la panthHre d’amour – auf den im Anschluss noch kurz eingegangen wird – ist in Bezug auf den Atem der Pantherin von ›Medizin‹ die Rede. Doch die angesprochene Bedeutungsverschiebung von der erotischen Anziehungskraft der Dame hin zur Medizin, ist nicht die einzige ›Verschiebung‹ oder ›Umcodierung‹, die sich innerhalb des zweiten Zitats bemerkbar macht. Das Attribut douche, das sowohl im ersten als auch im zweiten angeführten Zitat zunächst zur genaueren Spezifizierung des Nomens alaine zum Einsatz kam, die einen nur täuschen wollen. Und ich bin überzeugt, dass es dagegen keinen Schutz gibt, genauso wenig wie gegen das Einhorn.‹ 751 Vgl. dazu S. 170–172 der vorliegenden Arbeit. 752 Vgl. Dutli, Liebesbestiarium, S. 167f. 753 Ebenda.
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wird nun – in Abschnitt 65, 3 auf parole – bezogen. Es ist also nun nicht mehr der Pantheratem, der süß ist, sondern es sind die Worte des werbenden Ich-Erzählers. Zugleich findet eine Umcodierung der ›Süße‹ statt: Während sie zuvor als etwas Verführerisches oder Heilsames ad bonam partem ausgelegt wurde, findet im letzten Abschnitt des zweiten Zitats eine Auslegung ad malam partem statt: Die süßen Worte des Werbers sind – laut der Minnedame – nur Fassade, wollen nur täuschen. Daher müsse man sie mehr fürchten als jedes Tier. Es scheint, dass Richard de Fournival auch dieses Bild der süßen Worte dem religiös-heilsgeschichtlichen Diskurs entlehnt und umcodiert hat. Aus den süßen, erlösenden Worten Gottes werden damit die süßen und vermeintlich trügerischen Worte eines um Minne Werbenden. Abschließend ist in Bezug auf die Pantherin im Bestiaire d’amour noch zu erwähnen, dass Handschrift H eine Panther-Miniatur enthält (Abb. 42).
Abb. 42: PanthHre im Bestiaire d’amour. 14. Jahrhundert. Dijon, BM, ms. 526, f. 24v.754
Auch diese Miniatur reicht nahe an die von McCulloch postulierte (proto-) typische Bestiarien-Panther-Darstellung heran, denn sie zeigt einen bunten Panther, in dessen Gefolge sich ein Hirsch, ein Esel und noch ein weiteres, nicht identifizierbares Tier befinden. Lediglich der Erzfeind des Panthers – der Drache – fehlt innerhalb dieser Darstellung. Außerdem wird der besondere Atem nicht visualisiert, denn das Maul des Panthers ist geschlossen. Auch im bereits mehrfach erwähnten Dit de la panthHre d’amour Nicoles de Margival geht es um die Anziehungskraft der Pantherin. Die Handlung des Texts fasst Ralph Dutli wie folgt zusammen: Am Vorabend von Mariä Himmelfahrt schläft der Dichter in seinem Bett ein und hat einen merkwürdigen Traum. Von Vögeln wird er weggetragen in eine Gegend voller Tiere. Er bemerkt ein besonders auffälliges Tier mit buntem Fell, das durch seine 754 Bildquelle: BM Dijon, Ms.526, fol. 24v. (Bestiaire d’amour).
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Schönheit die Bewunderung der anderen Tiere genießt, aber auch durch die Heilkraft seines Atems. Das fremde Lebewesen entschwindet, der träumende Dichter aber hört sanfte Musik und melodiöse Stimmen. Er folgt ihnen und gelangt an den Hof des Liebesgottes, der ihm auf seine Bitten hin die »Bedeutung« seines Tiertraums enthüllt. […] Das vielbegehrte Tier sei eine Pantherin und bedeute die geliebte Dame […]. Nach diversen Wechselfällen tritt der schüchterne Dichter der »Pantherin« endlich gegenüber. Doch er bringt zunächst kein Wort hervor. Der Liebesgott und Venus ermuntern ihn, kühner zu sein und seine Schüchternheit abzulegen. Nach weiteren Abenteuern und einem Traum im Traum erlangt der zaghafte Bittsteller die Liebe der Pantherin. Da erklingt aber schon der Weckruf des Wächters mit seinem Horn – es war nur ein Traum! Doch der Dichter schwört, seiner »Pantherin« die Treue zu halten.755
Für die vorliegende Untersuchung ist vor allem von Interesse, wie der Liebesgott die Panther-Eigenschaften der bunten Farbe und des süßen Atems auslegt. In Bezug auf die vielen Farben der Pantherin erläutert er : Des couleurs qui es bestes erent Et qui en la panthere apperent Te dirai la signifiance: Ce senefient l’abondance Des vertus qui en li demeurent, Qui moult l’amendent et honeurent; Car por voir toutes graces bonnes Qui en toutes autres persones Sont communement espandues A en son corps seul retenues […]. (V. 471–480)756
Anhand dieser Stelle wird zum einen deutlich, dass die zahlreichen, bunten Farben der Pantherin für die vielen unterschiedlichen Tugenden stehen, die das Tier in sich vereint. Ebenso wie die Pantherin ist – gemäß den Ausführungen des Liebesgottes – auch die Minnedame im Besitz all dieser hervorragenden Eigenschaften. Neben den Informationen zur Bedeutung der Panther-Farben liefert der Liebesgott in V. 471 auch bereits einen ersten Hinweis auf die Herkunft dieser Farben: Die Pantherin bezieht sie offenbar von den Fellen aller anderen Tiere, denn – so heißt es im Text – die Farben, die an den anderen Tieren waren, erscheinen an der Pantherin. 755 Dutli, Liebesbestiarium, S. 173. 756 De Margival, Dit de la panthHre d’amour. In: Dutli, Liebesbestiarium, S. 120–122. Übersetzung Ralph Dutlis, Liebesbestiarium, S. 121–123: ›Die Farben, die die Tiere schmückten / und auf dem Pantherfell entzückten, / will ich dir gerne jetzt enthüllen:/ Ja, sie bedeuten Überfülle / an Tugenden, die in ihr wohnen / und sie verschönen und belohnen. / Anmut und Liebreiz, die in allen / anderen Menschen dir gefallen, / hat sie allein in sich vereint.‹
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Wie diese Farbübernahme konkret vonstattengeht, erklärt der Liebesgott in den darauffolgenden Versen: Si veil que li samblans t’apere, Car aussi com une panthere A en li de chascune beste La colour, sans faire moleste, Ta dame en tel maniHre tient Les graces, quant son corps retient Sans ce que nul domage face Aus autres, car por ce de grace Ne de vertu n’ont mie mains; […] (V. 481–489)757
Die Pantherin kann also als eine Art ›Farb-Magnet‹ betrachtet werden, der die Farben aller anderen Tiere anzieht und in sich vereint, ohne dass eines der anderen Tiere dadurch etwas weggenommen bekäme (sans faire moleste). Ebenso wie der Panther ein ›Farb-Magnet‹ ist, ist die Minnedame ein ›TugendenMagnet‹, der die positiven Eigenschaften aller anderen Damen in sich zusammenbringt. Während Nicoles de Margival Beschreibung der Pantherin und deren Eigenschaften im Übrigen sehr nahe an Richards de Fournival Bestiaire d’amour ist, stellt die Auslegung der Farbvielfalt einen Aspekt dar, bei dem der Autor seine Informationen aus einer anderen Quelle geschöpft haben muss. Vermutlich konnte er auf eine der Physiologus-Versionen zurückgreifen, in der die Panther-Farben als die vielen verschiedenen, positiven Eigenschaften Christi gedeutet werden. Bei der darauffolgenden Thematisierung des Panther-Atems folgt Nicole de Margival dann wieder der Auslegung, die im Bestiare d’amour – innerhalb der Antwort der Minnedame – zu finden ist. Auch im Dit de la panthHre d’amour wird der Atem mit folgenden Worten zur Medizin erklärt: L’alaine qui est douce et bonne, Qui aus malades sant8 donne Por coy les bestes la suivoient Qui la grant douÅor en sentoient, De cele qui de vrai cuer aimmes Et por qui ton seignor me claimmes, Ce senefient les paroles, Qui ne sont ne nices ne foles, 757 De Margival, Dit de la panthHre d‹amour, S. 122. Übersetzung Ralph Dutlis, Liebesbestiarium, S. 123: ›Das Panther-Ebenbild, es meint: / Genau wie auf das Tier von vielen / anderen Fellen Farben zielen, / ohne dem andern je zu schaden / und sich ein Unrecht aufzuladen, / so hat die Dame, niemals arm, / von tausend andern ihren Charme, / ohne jemand was wegzunehmen / an schöner Tugend, angenehmen / Reizen – sie gehen nicht verloren.‹
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Mais sages et bien atemprees, Et de raison bien gouvernees ; Et il y pert bien, et sans doute Chascuns volentiers yescoute ; Car la samblance n’est pas vaine, Car parole si est alaine. (V. 495–508)758
Besonders anhand des letzten Verses wird deutlich, wie nahe diese Auslegung des Atems auch an der des Physiologus ist. Während der Panther-Atem im Physiologus allegorisch für das erlösende Wort Gottes steht, bezeichnet er nun die Worte der Minnedame, die ebenso heilsam wirken und Erlösung bringen können. In V. 514 wird sogar explizit gesagt, die Worte der Dame könnten vor der Hölle bewahren (Tout ainsi guerist les enfers).759 Auch die Feindschaft zwischen der Pantherin und dem Drachen findet in den Versen 523–540 Erwähnung.760 Der Drache steht hier allerdings nicht für den Teufel, sondern für die Neider, die von Wut erfüllt sind, wenn jemand Gutes vollbringt.761 Im Anschluss an die Thematisierung der Feindschaft zum Drachen wird betont, wie genügsam die Pantherin sei, da sie mit nur sehr geringen Mengen an Nahrung auskomme (V. 541–554).762 Diese Genügsamkeit sei die Offenbarung und diejenige, die bescheiden sei, verdiene es, geliebt zu werden (V. 553f.: En toute riens estre atempree / Veult, s’en doit estre miex amee).763 Auch innerhalb dieses Abschnitts findet ein fließender thematischer Übergang von den Ernährungsgewohnheiten der Pantherin zu den Liebesgewohnheiten – oder genauer gesagt zum ›Maßhalten‹ – der Minnedame statt. Auch im deutschsprachigen Minnesang wird die Dame einmal mit dem Panther in Verbindung gebracht. In Frauenlobs Lied 4, das ebenfalls in der zweiten Hälfte des 13. oder der ersten des 14. Jahrhunderts entstanden sein dürfte, heißt es in Strophe 18 über die Herrin: [18]
Sie tut mir als daz pantel bei den tieren: Dem volgens durch süzen smac in bitterliche not.
758 De Margival, Dit de la panthHre d’amour, S. 122–124. Übersetzung Ralph Dutlis, Liebesbestiarium, S. 123–125: ›Der Tieratem ist süß und gut, / weil er den Kranken stets guttut, / weshalb die Tiere ihn gern spüren, / wenn süße Spuren zu ihm führen, / von jener aber, die du liebst, / der reinen Herzens alles gibst / wie mir, dem Gott – sind das die Worte: / nicht töricht, irr, nicht Wahnsinnspforte, / nein weise, voller Mäßigung / und auch Vernunft und rechtem Schwung, / dass jeder gerne ihr stets lauscht / ganz ohne Zweifel wie berauscht. / Und der Vergleich ist nicht verwegen, / denn Worte sind – Atem und Segen.‹ 759 Ebenda, S. 124. 760 Ebenda, S. 126. 761 Vgl. Ebenda. 762 Ebenda, S. 126–128. 763 Ebenda, S. 128; Übersetzung Ralph Dutlis, Liebesbestiarium, S. 129: ›Voll Maß in allem hier auf Erden / verdient sie stark geliebt zu werden.‹
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Ir spilndez angesichte [] kan sie zieren, der schöne freuwe ich mich, die freude treit den tot.764
Während zu Beginn des Lieds, in Strophe 16, noch ausschließlich die positiven Eigenschaften der Angebeteten genannt werden – so wird sie beispielsweise als anger miner ougen (16,1) bezeichnet – findet innerhalb von Strophe 17 eine Erweiterung des Fokus auf die leidbringende Komponente der Dame statt (17,4: so kann sie beide liebe und leide mir ouch geben). Die Thematisierung dieser leidbringenden und gefährlichen Eigenschaften erfährt innerhalb der oben zitierten 18. Strophe eine Steigerung und Veranschaulichung, denn nun wird unter Bezugnahme auf Tiere – die mit Ausnahme des Schwans alle im Physiologus Erwähnung finden – genauer erläutert, worin das Leid besteht und wie es zustande kommt. Mit der Bezugnahme auf den Panther wird also eine ganze Reihe an Tiervergleichen eingeleitet (im Anschluss folgen Adler, Schwan, Phönix und Löwe). In Strophe 18,1 fällt auf, dass das grammatische Geschlecht des Tiers hier – anders als in den beiden altfranzösischen Texten – ein Neutrum ist, denn daz pantel wird zum Gegenstand der Rede. Ein weiterer Unterschied ist darin zu erkennen, dass Frauenlob als das pantel schreibt, also ›wie der Panther‹. Es handelt sich demnach um einen Vergleich – nicht um eine Metapher. Im Hinblick auf semiotische Gesichtspunkte bedeutet dies, dass Signifikant und Signifikat nicht in eins fallen, wie dies im Dit de la panthHre d’amour an mehreren Stellen zu bemerken ist. Das lyrische Ich nimmt innerhalb des Vergleichs die Rolle der Tiere ein, die durch süzen smac in den Tod gelockt werden. Hier werden Wissensbestandteile des naturkundlichen Diskurses aufgerufen, denn dass der Panther seinen süßen Duft als Köder einsetzt, wird in den meisten naturkundlichen Quellen erwähnt. Vers 18,3 wirkt unter Einbeziehung naturkundlicher Wissensbestandteile besonders interessant, denn hier heißt es: Ir spilndez angesichte [] kan sie zieren. Das Adjektiv spilndez ließe sich an dieser Stelle wohl am ehesten mit ›vergnügt‹ übersetzen.765 Die Minnedame kann also ›ihr vergnügtes Antlitz schmücken‹. Denkt man nun an die Pantherbeschreibungen innerhalb des naturkundlichen Diskurses, so wird in Bezug auf das Antlitz recht bald die Assoziation zum ›wilden Kopfes‹ des Tieres wach. Von diesem berichtet beispielsweise Bartholomaeus Anglicus, der Panther verberge ihn, um seine Beutetiere nicht zu verschrecken (De proprietatibus rerum 18, 80). Möglicherweise zielen Frauenlobs Verse 18,3f. – nicht ganz ohne Ironie – darauf ab, auch das angesichte der Dame als ›wild‹ zu entlarfen. Das lyrische Ich, das innerhalb 764 Frauenlob, Leichs, Sangsprüche, Lieder. (Hrsg. v. Karl Stackmann), S. 567. 765 Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Lemma ›spiln , spilen‹. Auf: http://woerter buchnetz.de/Lexer/?sigle=Lexer& mode=Vernetzung& lemid=LS06370#XLS06370. Zugriff am 02. 08. 2016 um 9:58 Uhr.
Panther
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des Vergleichs die Rolle des Beutetiers einnimmt, erfreut sich zunächst an der Schönheit der Dame. Diese Schönheit ist aber extrem gefährlich, denn sie führt in den Tod. Dass die Dame dabei auch noch ›vergnügt‹ ist, lässt sie besonders grausam und perfide wirken. Aber eben diese Grausamkeit lässt sich auch im Jagdverhalten des Panthers entdecken. Schließlich wird auch sein Körper von den Beutetieren als besonders ›schön‹ wahrgenommen, solange sie den wilden Kopf nicht sehen. In dem Moment, in dem sie dann in sein Angesicht blicken, ist es um sie geschehen, denn dann frisst der Panther etliche von ihnen, wie Konrad von Megenberg zu berichten weiß (Buch der Natur III, 58). Dieser Konzeptbestandteil wird von Frauenlob diskursiv überformt, d. h. ins Gegenteil verkehrt, denn hier erscheint das Antlitz der Dame schön – solange man ihr nicht nahekommt. Zusammenfassend lässt sich über den Panther innerhalb des Liebesdiskurses festhalten, dass seine Buntheit eine wichtige Rolle spielt. Die vielen Farben, die innerhalb des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses die zahllosen Tugenden Christi bedeuten, stehen hier für die Tugenden der Minnedame. Aber auch die Geflecktheit des Tiers kommt zum Ausdruck (vgl. etwa Abb. 42). Im Hinblick auf das Temperament des Panthers zeigt sich anhand des Bestiaire d’amour, dass das Tier sowohl wild als auch zahm dargestellt werden kann. Im Anschluss daran findet entweder eine Auslegung ad malam oder ad bonam partem statt. So wird es etwa von dem männlichen Ich-Erzähler als Allegorie auf die verführerische – aber zugleich grausame und todbringende – Minnedame herangezogen. Äußert sich hingegen die Dame über die Pantherin, so wird ein überaus positives Bild des Tiers entworfen, innerhalb dessen die Hilfsbereitshaft im Vordergrund steht. Bezüglich der besonderen Merkmale wird deutlich, dass der mondförmige Fleck auf der Schulter des Tiers sowie die Krone keine Erwähnung finden. Alleine der abstoßende, wilde Kopf wird in Frauenlobs Lied 4 aufgegriffen und diskursiv überformt. Das wichtigste Merkmal ist jedoch der süße Atem. Dieser stellt einerseits den Köder dar, mit dessen Hilfe die Pantherin ihre Beutetiere anlockt und andererseits das Verführungsinstrument der Minnedame. Darüber hinaus wird er als Medizin inszeniert. Auf der Ebene des significans hilft diese Medizin kranken und verwundeten Tieren, die mit ihren Blessuren zu der Pantherin kommen. Auf der Ebene des significatums wirken die Worte der Dame auf den Liebeskranken wie eine Medizin. Hinsichtlich des Aspekts ›Geschlecht‹ kann festgehalten werden, dass sowohl im Bestiare d’amour als auch im Dit de la panthHre d’amour stets von einem weiblichen Tier die Rede ist. Die im Bestiaire d’amour enthaltene Aussage, andere Tiere folgten der Pantherin bis in den Tod, lässt vermuten, dass hier auf das Jagdverhalten des Pantherweibchens angespielt wird, das innerhalb der naturkundlichen Quellen mehrfach zum Ausdruck kommt. Insofern wird hier – auch
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
P Panther
Temperament
Äußeres
Größe
Form
besondere Merkmale
mondf örmiger Fleck an Schulter
Farbe
alles ist möglich
wilder Kopf
gefleckt wild
bunt
männlich
stößt andere Tiere ab
edle Kräuter
tapfer
zahm Krone
v iele Tugenden
zerfleischt andere Tiere
intelligent fürsorgliches Muttertier
Dankbarkeit Christus
Hilf sbereitschaft
Duft
gif tig lockt Beutetiere an
Schwierigkeiten beim Gebären
gebiert nur einmal
4 Zitzen am Bauch
Duldsamkeit Christi bei der Kreuzigung
Minnedame
andere Tiere
weiblich
Schönheit
alles ist möglich
Nahrung
Geschlecht
Atem
Großzügigkeit Das Wort Gottes Salbungsöl das ›Nährende‹ beim Abendmahl
Fell
Bettvorleger Luf terf rischer
Kraftquelle Medizin zur Behandlung kranker Tiere
Medizin gegen Liebeskummer Worte des Minneritters / der Minnedame
Verführungskraf t der Minnedame
Abb. 43: Epistemischer Diskurs-Frame, der die rekonstruierten Bestandteile des mittelalterlichen Panther-Konzepts hervorhebt, die innerhalb des Liebesdiskurses aktualisiert werden.
201
Panther
Herkunft
Beziehungen zu anderen Tieren
Afrika Indien
eher kein medizinischer Nutzen
Syrien Hyrkanien
Feinde
›Freunde‹
gesellschaftlicher Status
Nutzung
Sinnbild Christi
Reich des Großkhans
Menschen
bedeutsam f ür Traumdeutung
Drache Hirsch
orientalisches Luxusgut
gejagtes Tier
Hyäne Atem
Handelsware
Fell
wertvolles Geschenk Reittier
Medizin zur Behandlung kranker Tiere
Medizin gegen Liebeskummer
künstliche Nachbildung in Form von Automaten
Feuerlöscher
Lufterfrischer Bettvorleger
Relationen der Konzeptbestandteile = metaphorische Relation = klassifikatorische Relation
= aktualisiert = nicht aktualisiert
202
Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
wenn nicht explizit von einem ›Zerfleischen‹ und ›Fressen‹ der Tiere die Rede ist – eine carnivore Ernährung der Pantherin angedeutet. In Bezug auf das Thema Nahrung ist erstaunlich, dass die Pantherin im Dit de la panthHre d’amour als ein so überaus genügsames Tier gepriesen wird. Diese Eigenschaft der Bescheidenheit findet in keinem der anderen untersuchten Texte Erwähnung. Über die Herkunft des Tiers geben die Quellen keine Auskunft. In Bezug auf die Beziehungen zu anderen Tieren sowie zu Menschen wird deutlich, dass auch hier der Drache als Hauptfeind in Erscheinung tritt. Menschen können sowohl Freunde als auch Feinde der Pantherin sein, da das Tier einerseits helfend in Szene gesetzt wird, andererseits aber auch in den Tod lockt. Als nutzbar zeigt sich der Atem des Tiers, der zur Behandlung kranker Tiere genauso eingesetzt werden kann wie zur Bekämpfung von Liebeskummer. Bezüglich des gesellschaftlichen Status wird deutlich, dass die Pantherin für die Traumdeutung bedeutsam ist. Damit werden antike Traditionen fortgeführt, denn das Tier ist in diesem Kontext bereits früher in Erscheinung getreten.766 Abschließend ist noch zu hinterfragen, wie ›exotisch‹ die Pantherin innerhalb des Liebesdiskurses dargestellt wird. Hierzu lässt sich ein ganz ähnliches Ergebnis formulieren wie für den religiös-heilsgeschichtlichen Diskurs: ›Exotik‹ kommt auch innerhalb dieses Diskurses nicht wirklich zum Ausdruck, denn die Herkunft des Tiers wird nicht angesprochen und an keiner Stelle wird die Pantherin als fremd, seltsam oder merkwürdig beschrieben. Ein Staunen über das Tier lässt sich allenfalls in Bezug auf seine Schönheit konstatieren. Aspekte wie ›Exklusivität‹ und ›Kostbarkeit‹ spielen in pekuniärer Hinsicht keine Rolle; aber natürlich muss die Pantherin mit all ihren Tugenden ›kostbar‹ sein, da sie andernfalls nicht als Allegorie auf die edle Minnedame in Frage käme. Die Ergebnisse dieses Kapitelabschnitts lassen sich in einem Frame zusammenfassen (Abb. 43). 2.1.3.4 Der literarische Diskurs Geht man der Frage nach, welche Rollen und Funktionen dem Panther innerhalb der mittelalterlichen Alexanderromane zukommen, so lassen sich drei verschiedene Situationen erkennen, in denen Alexander mit den Tieren in Kontakt kommt und durch deren Schilderung der Rezipient folglich etwas über Panther erfahren kann. Zum einen muss Alexander – nachdem er König Darius besiegt hat und bevor er nach Indien gelangt – gegen verschiedenste wilde Tiere kämpfen. Unter diesen zahlreichen Tieren befinden sich in Johann Hartliebs Alexander auch Panther. 766 Vgl. dazu S. 146f. der vorliegenden Arbeit.
Panther
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Zum anderen tauchen sie im Straßburger und Basler sowie in Johann Hartliebs Alexander innerhalb eines ›Geschenke-Katalogs‹ auf, der Auskunft darüber erteilt, welche Präsente Königin Candacis Alexander zukommen lässt. Die dritte Textstelle, innerhalb der der Panther Erwähnung findet, ist die Beschreibung des Hirschautomaten im Straßburger Alexander. Diesen Hirschautomaten – eine Kuriosität im Palast der Candacis – beschreibt Alexander in seinem Brief an Olympias und Aristoteles. Zunächst sei ein Blick auf die Schilderungen der Kampfhandlung zwischen Alexander und den Panthern in Johann Hartliebs Prosafassung geworfen. Da sich Alexander nicht nur gegen Panther, sondern gegen eine ganze Reihe an Tieren zur Wehr setzen muss, erscheint es notwendig, mit der Analyse bereits einige Verse zuvor einzusetzen, um die Pantherbegegnung nicht aus ihrem Kontext herauszureißen und den Raum der Gefahr, der über einen längeren Textabschnitt sukzessive generiert wird, nachzuzeichnen. Das Kampfgeschehen wirft bereits ab Z. 5720 seine Schatten voraus, denn hier wird berichtet, wie Alexanders Männer sehr durstig in der Wüste unterwegs sind, nachdem der einzige Fluss, den sie gefunden hatten, nur bitteres Wasser führte. Alexander erlaubt ihnen trotz all dieser Beschwerlichkeiten und Entbehrungen nicht, vorübergehend die Rüstung abzulegen. Dieses Verhalten begründet er in seinem Brief an Olympias und Aristoteles folgendermaßen: Ich thet es aber darumb, wann ich west wol, daz vnnser weg vns layttett vnd kerett zu v den pozzen, vergifften wuermenn vnd schlangen, auch zu manigem frayßamen thyer. (Z. 5738–5740). Er hat also bereits die Vorahnung, dass frayßame thyer ihn angreifen werden. Diese Vorahnung findet in den darauffolgenden vier Kapiteln ihre Erfüllung. Zunächst trifft er auf die furchteinflößenden yppodani (Flusspferde), die er zu den merros zählt und die größer seien als Elefanten.767 Diese Tiere, die laut Alexanders Beschreibung höchst aggressiv sind, ertränken viele seiner Gefolgsleute, aber auch die hinterhältigen Wegführer, die das Heer überhaupt erst an das bittere Wasser – und somit in Bedrängnis – gebracht hatten. Alexander erkennt, dass es notwendig ist weiterzuziehen, um die Nacht nicht in der Nähe der yppodani verbringen zu müssen (Z. 5778–5781). Als ein Nachtlager an einem Süßwassersee gefunden ist, greifen direkt bei Einbruch der Nacht weitere Tiere an: Daselbst hueb sich erst an gross nott vnd arbaitt, wann in der ersten stundt der nachtt, da kamen vnczalpär menig von lewenn und peren, von leoparden vnd von thygerthyeren, mitt den muesten wier da lanng vnd hertt streytt thuenn. (Z. 5799–5802)
767 Vgl. hierzu auch: Obermaier, Antike Irrtümer und ihre mittelalterlichen Folgen: Das Flusspferd. In: Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption 21 (2011), 135–179.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Bereits anhand dieses Zitats wird deutlich, dass hier offenbar eine Unterscheidung zwischen Leoparden und den erst später angreifenden Panthern vorgenommen wird. Auffällig ist zudem die Tiger-Benennung, die – im Gegensatz zu der der Löwen, Bären und Leoparden – den Classifier -thyere aufweist. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass man mit den anderen Tieren vertrauter war als mit Tigern. Diese Theorie erscheint allerdings nicht besonders überzeugend – bedenkt man, dass Tiger aufgrund ihrer Bestiarien-Tradition eigentlich ebenso bekannt gewesen sein müssten wie Leoparden. Möglicherweise sollte durch die Verwendung des Classifiers sichergestellt werden, dass die Rezipienten die Tiger der Kategorie WILDE TIERE bzw. bestiae zuordnen können. Nach den konkret benannten Tieren kommen in der Nacht aber auch noch frombder thyer (Z. 5814f.), die nicht genauer spezifiziert oder identifiziert werden. Der Kampf gegen die Panther folgt erst in Kapitel CCLVII, das den vielsagenden Titel trägt Wie Alexander sein hör bewardt und wie vil gar wunderlicher o tyer zu dem see komen, da von Allexander gar vnsäglich angst vnd not led vnd schaden nam (Z. 5817f.). Wurde bereits zuvor eine lebensfeindliche Umgebung heraufbeschworen – die sowohl von natürlichen Gefahren wie etwa Wasserarmut, yppodani und thygerthyeren gekennzeichnet war als auch von heimtückischen Fremdenführern – so wird dieser Eindruck der permanenten Gefahr nun noch weiter intensiviert, indem von vnsäglich angst vnd not die Rede ist. Beides wird Alexander durch wunderliche Tiere beigebracht, die ihm sehr zusetzen. Insofern ist davon auszugehen, dass das Adjektiv wunderlich hier nicht in seiner religiös-heilsgeschichtlichen Bedeutungskomponente steht, sondern eher mit ›rätselhaft‹; ›seltsam‹; ›sonderbar‹ oder ›merkwürdig‹ übersetzt werden kann.768 Es handelt sich demnach um Tiere, die für Alexander einen gewissen Grad an Fremdheit aufweisen und vor denen er seine Tiere – wie er schreibt – in Sicherheit bringen muss: Ich thett pald alles vnnser viech, helffanntt, kamel, dromedari, ross, mäwler, ochßen, kchwe, esel vnnd schwein alle in die mitte des heeres beschließen, wann ich besorgt, wann die wilden thyer an syee kamen, sy machtten daz viech schellig vnd daz sy in v ungestuemigkaitt ihres lawffes vnd stozzens vns großenn schaden thatten. Darumb besacztt ich alles vnnßer weytt vnd prayttes heer zu ring um mit guetten, vnuerczagtten v rittern, der ich auch die selben nachtt gar vil verlos. (Z. 5819–5825)769
Dieses Zitat scheint insofern sehr aufschlussreich, als dass es verrät, wie Alexander hier als intradiegetischer Erzähler die Tiere zwei verschiedenen Gruppen zuordnet.770 768 Vgl. hierzu auch Kap. 1.3.5 Mögliche Beschreibungsverfahren des ›Exotischen‹. 769 Hartlieb, Alexander. (Hrsg. v. Reinhard Pawis), S. 279f. 770 Als intradiegetischen Erzähler kann man ihn an dieser Stelle betrachten, da die Schilderung
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Zum einen existieren für ihn »seine« Tiere, worunter er Elefanten, Kamele, Dromedare, Pferde, Maultiere, Ochsen, Kühe, Esel und Schweine subsummiert. Sie alle dienen Alexander und seinem Heer als Nutztiere und sind ihm daher vertraut, auch wenn Kamele, Dromedare und Elefanten nicht in Makedonien, seiner Heimat, zuhause sind. Bemerkenswert ist zudem, dass eine Differenzierung zwischen Kamelen und Dromedaren stattfindet, was innerhalb eines mittelalterlichen Textes keineswegs selbstverständlich ist – aber ganz typisch für den gelehrten Verfasser Johann Hartlieb. Zum anderen spricht Alexander von den wilden thyer[en], auf denen innerhalb dieser Untersuchung das Hauptaugenmerk liegen muss, da sie ›exotisch‹ sein könnten. Die erste Information, die der Text über sie liefert ist, sie seien ungestüm und könnten daher die Nutztiere aufscheuchen. Jedoch stellen sie auch für Menschen eine tödliche Gefahr dar, wie anhand des Verlusts vieler mutiger Ritter zutage tritt. Auf die nahende Bedrohung durch die wilden thyer reagiert Alexander mit zweierlei Maßnahmen. Zunächst errichtet er um die Nutztiere herum eine Art menschlichen Schutzwall, bestehend aus seinem Heer. Im Anschluss daran, lässt er um sein Heer herum zahlreiche Feuer entzünden, um die aus der Dunkelheit herrannahenden Tiere schneller und besser sehen zu können (Z. 5825f. Ich schueff auch zumachen gar vil fewr vmb daz heer awßwendig, daz wier mochtten gesechenn, wann vns die thyer anlyeffenn). Die letztgenannte Maßnahme verdeutlicht noch einmal, dass die immense Gefahr, die ohnehin schon von den wilden Tieren ausgeht, noch um ein Vielfaches potenziert ist, da ihr Auftauchen nicht so schnell bemerkt werden kann wie bei Tageslicht. Was hier vom intradiegetischen Erzähler sorgfältig vorbereitet wird, ist das Unheimliche, wie Sigmund Freud es versteht.771 Freud definiert das Unheimliche nämlich als »jene Art des Schreckhaften, welche auf das Altbekannte, Längstvertraute zurückgeht«.772 Daher könne das Unheimliche unter anderem als die Angst vor dem Verdrängten in Erscheinung treten.773 Versucht man nun, diese Überlegungen mit der thyerEpisode in Hartliebs Alexander in Einklang zu bringen, so könnte die Interpretation lauten, dass Alexander nicht nur gegen wilde thyer kämpft, sondern auch einen Kampf gegen das Animalische in sich führt.774 Das Animalische im
771 772 773 774
des Geschehens innerhalb des Briefes an seine Mutter und seinen Lehrer zu finden ist. Der Brief stellt damit die metadiegetische Erzählung dar. Freud, Das Unheimliche (1919). In: Psychologische Schriften. Hrsg. v. Alexander Mitscherlich et al. (Studienausgabe Band IV). Frankfurt a.M. 1970, S. 241–274. Freud, Das Unheimliche, S. 244. Groth, Freud und das Unheimliche. Auf: http://www.in-output.de/AKE/akeFreud.html. Zugriff am 30. 03. 2016 um 10:59 Uhr. Darauf wieviel ›Animalisches‹ Alexander tatsächlich an und in sich trägt, verweist bereits die Beschreibung seines Äußeren in den Zeilen 464–470, denn dort heißt es bei Hartlieb: […] er hett gar ain gämleichew gestaltt: sein har auf seinem hawbtt was ain dicker schopf,
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Menschen wäre damit etwas, das ihm zwar vertraut ist, das er jedoch aufgrund des Zivilisationsprozesses und seiner hövescheit verdrängt hat. Nun, fernab des Hofes, in der Wildnis und der Fremde, holt ihn die verdrängte Komponente seines Ichs ein, weswegen das Zusammentreffen mit den Tieren für ihn derart angsbesetzt ist und das ›Unheimliche‹ auch auf erzählerischer Ebene transportiert wird. Zu dieser Deutung würde auch passen, dass der Protagonist im Straßburger Alexander – anders als in Hartliebs Fassung – nicht nur gegen Tiere kämpfen muss, sondern auch gegen monstrifizierte menschliche Lebewesen (V. 4555/5005–4564/5014). Auch Alexanders Begegnung mit dem wilden Mann, die im Straßburger Alexander auf die Blumenmädchen-Episode folgt, könnte man als eine Begegnung mit dem ›Unheimlichen‹ verstehen.775 Doch nun zurück zu den wilden thyeren und der Reihenfolge, in der sie von Alexander genannt werden. Zunächst werden der Makedonenkönig und sein Heer von kampfbereiten Skorpionen angegriffen. Daraufhin folgen gehörnte, böse Schlangen in allen möglichen Farben; Schlangen mit zwei und mit drei Köpfen; Krebse, die wie Krokodile kriechen; weiße Löwen, die größer sind als Ochsen und riesige Wildschweine, unter denen sich erneut zahlreiche thygerthyer befinden. Nach den thygerthyeren folgen eine Heimsuchung durch Leoparden und Luchse und schließlich der Kampf gegen die pantherthyer. v Letztere werden von Alexander wie folgt beschrieben: Darnach komen vil pantherthyer ; mitt den hetten wier gar ain hertten streytt. Der wildenn, vngestuemen thyer wuerden souil erschlagen, daz es nyemandt volsagen mag (Z. 5899–5901). Hier erfährt der Rezipient also vor allem etwas über das Temperament des Panthers: Es handelt sich bei ihm um ein wildes und ungestümes Tier, dessen Bezeichnung sicherheitshalber – ebenso wie die des Tigers – mit dem Classifier -thyer versehen wird. Nach den Panthern kommen dann noch Fledermäuse, die so groß sind wie Tauben, an die Wasserstelle sowie ein Tier, das einen pferdeähnlichen Kopf besitzt und von Indern als ›gehörnter Tyrann‹ bezeichnet wird. Damit endet die sich kaskadenartig ergießende Beschreibung der Tierangriffe und ein neuer Tag bricht an. Zum einen wird anhand dieser Beschreibung deutlich, dass Tiere verschiedenster Lebensräume, die sich auf unterschiedlichste Art und Weise fortbewegen, Alexander heimsuchen. Als wasserverbundene Lebewesen werden beispielsweise die Krebse genannt; als Landlebewesen Panther, Tiger und Luchse recht als aines leben. Seinew augen waren gar vneleich, wann daz ain was gancz schwarcz vnd daz ander was gancz weyss vnd stuendt vbersich hoch vmb drey vinger. Sein czenndt waren gar scharpff als aines eberschweins vnd sein angesichtt was grawssamleich als aines leben. Er beczwewgtt wol an seiner gestaltt, was nun er in kchunfftiger czeitt wunders begeen wuerdt. Zur Beschreibung von Alexanders äußerer Gestalt (und der seines Pferdes) im Straßburger Alexander vgl. auch: Friedrich, Menschentier und Tiermensch, S. 306f. 775 Zur Bedeutung dieser Begegnung vgl. auch: Friedrich, Menschentier und Tiermensch, S. 315f.
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und schließlich – als in der Luft verortete Tiere – Fledermäuse. Alexander muss also im wahrsten Sinne des Wortes gegen alles kämpfen, was ›kreucht und fleucht‹, worin man die erzählerische Bestrebung sehen kann, eine ›Gesamtheit der Tiere‹ im Sinne der mittelalterlichen Kosmologie zu repräsentieren.776 Die pantherthyer stellen dabei nur einen Bestandteil dieser Ganzheit dar. Dies wiederum macht sie zu einem gewissen Grad austauschbar gegen andere poße, fraydige und frayssame Tiere, was daran ersichtlich wird, dass sich allein in Hartliebs Prosafassung Panther unter den angreifenden Tieren am Süßwassersee befinden. Allerdings wird auch deutlich, dass beinahe alle angreifenden Tiere auf eine besondere Art und Weise attribuiert werden, um noch angsteinflößender und unheimlicher zu wirken. So handelt es sich bei den Schlangen etwa nicht einfach nur um Schlangen, denn sie besitzen so harte Schuppen, dass sogar Pfeile an ihnen abprallen und die Löwen erscheinen insofern außergewöhlich, als dass sie weiß und größer als Ochsen sind. Die Panther werden lediglich mit den Attributen ›wild‹ und ›ungestüm‹ versehen, was darauf hindeuten könnte, dass sie auch ohne eine solche Attribuierung, unheimlich und phantastisch genug sind.777 Bedenkt man, dass sich gemäß Freud das Phantastische auf sprachlicher Ebene dann zeigt, wenn eine Annäherung zwischen dem ›Heimlichen‹ und dem ›Unheimlichen‹ stattfindet, so könnte man im Hinblick auf die Panther in Johann Hartliebs Alexander zu folgender Deutung gelangen: in ihrer Kategorie als thyer sind sie zwar ›heimlich‹, in ihrer Art als panther- aber ›unheimlich‹. Damit wäre eine Annäherung bzw. sogar ein In-Eins-Fallen des Heimlichen mit dem Unheimlichen gegeben, sodass das Phantastische auf sprachlicher Ebene in Erscheinung tritt. Dies würde dann folglich auch für die thygerthyer gelten. Nachdem nun die Kampfhandlungen zwischen Alexander und den Panthern beleuchtet wurden, gilt es, die ›Geschenke-Kataloge‹ im Straßburger- und Basler Alexander sowie in Johann Hartliebs Prosafassung in den Fokus der Betrachtung zu rücken. Im Straßburger Alexander lässt Candacis dem Protagonisten folgende Präsente zukommen (V. 5095/5543–5145/5593): 100 Götterbilder aus Gold (hundrit guld%ne gote); 150 dunkelhäutige Menschen mit langen Ohren, die alle noch im 776 Diesem Kampf gegen die ›Gesamtheit der Tiere‹ könnte die Versuchung des Heiligen Antonius als Muster zugrunde liegen. 777 Die Meinungen darüber, was für das Mittelalter als ›phantastisch‹ gelten kann, gehen auseinander. Freud geht davon aus, dass das Phantastische auf sprachlicher Ebene in Erscheinung tritt, wenn eine Annäherung der Heimlichkeit an das Unheimliche stattfindet. Das Unheimliche steht für ihn dabei jedoch in einer sehr engen Verbindung mit Begriffen wie »peur« und »terreur«. Francis Dubosts hingegen spricht in seiner Studie Aspects fantastiques de la litt8ratur narrative m8di8vale (XIIHme–XIIIHme siHcles) lediglich von einer »Poetik des Unsicheren«. Vgl. dazu auch: Keller, Fantastische Wunderketten, S. 227. Ich verwende den Begriff hier im Sinne Freuds.
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Kindesalter sind (andirhalp hundrit mire, / di h.ten lange iren / und w.ren alle kinder); 30 kostbare Goldgefäße (dr%zic g0te goltfaz); 90 Elefanten und mehr (n0nzich elfande […] unde baz); 60 Panther und mehr (Si sante mir pantÞre, seszich unde mÞre); 100 Leoparden, die schnell laufen (hundrit liebarte, / di d. loufint harte); 500 Vöglein, Papageien und Sphingen, die sprechen und singen (funf hundrit fugel%n, / sitige unde spingen, / di sprechent unde singen); 100 Ebenholzbalken (hundrit balkin vein); eine Krone für den Gott Ammon, die mit edlen Steinen und 10 Goldketten geschmückt ist (Amone m%nen gote / eine crine wol gezieret / unde harte wol gewieret / mit edelen gesteine, / griz unde cleine, alsiz di frowe wolde. / Zehen ketenen von golde / waren dar ane gehangen […]) und ein Einhorn (Monosceros ist iz genant). In Bezug auf diesen ›GeschenkeKatalog‹ bemerkt Jutta Eming sehr richtig: Diese Geschenke spiegeln nicht nur den Exotismus des Orients, seine Pracht und seinen Luxus. Sie sind vielmehr über verschiedene Zeichenrelationen organisiert, die eingehender zu dechiffrieren sich – an erster Stelle auf der intradiegetischen Ebene, also für Alexander selbst – lohnen würde.778
Im Anschluss an diese Feststellung liefert Eming zum Teil selbst die von ihr eingeforderte Dechiffrierung der Zeichenrelationen. So schlägt sie etwa vor, die 100 Götterbilder aus Gold symbolhaft für »die falsche Religion« zu lesen.779 Diese Offerte könne möglicherweise »den Versuch einer Verführung zum Aberglauben« darstellen.780 Auch in Bezug auf das Einhorn wurden in der Forschung immer wieder Deutungen angestellt, wobei man meist davon ausging, dass dieses Geschenk Alexanders »eigene Situation im Reich der Candacis präfiguriert«.781 Diese Interpretationen der Geschenke erscheinen mir äußerst einleuchtend. Leider stellt Eming keinerlei Überlegungen zu der Dechiffrierung der seszich unde mÞre pantÞre an, obwohl diese gewiss auch auf intradiegetischer Ebene eine Rolle spielen. Hier erscheint es sinnvoll, die Ergebnisse, die die Analyse innerhalb von Kapitel 2.1.3.3 Der Liebesdiskurs ergeben hat, in die Betrachtung mit einzubeziehen. Da der Panther – oder genauer gesagt die Pantherin – je nach Kontext auch als Konfiguration der verführerischen Minnedame gelesen werden kann, ist zu überlegen, ob diese Bedeutung hier – unterhalb der Textoberfläche – angesprochen wird. Damit wäre innerhalb dieser Textstelle das verwirklicht, was Link und Link-Heer als literarischen Interdiskurs verstehen: Elemente aus verschiedensten anderen Diskursen werden innerhalb des literarischen Diskurses miteinander verbunden, verwoben und aneinander gekoppelt. 778 779 780 781
Eming, Luxurierung und Auratisierung, S. 71. Ebenda, S. 71f. Ebenda, S. 72. Ebenda. Eming verweist an dieser Stelle auch auf Friedrich, Menschentier und Tiermensch, S. 133f.
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Dagegen einzuwenden wäre eventuell, dass die drei Texte, die in Kapitel 2.1.3.3 die Quellen zur Erschließung des Liebesdiskurses darstellen (Bestiaire d’amour, Dit de la panthHre d’amour, Frauenlobs Lied 4), erst ca. 100 bzw. 150 Jahre nach dem Straßburger Alexander entstanden sein dürften. Dies belegt jedoch meiner Ansicht nach lediglich, dass jene Konzeptbestandteile erst zu diesem Zeitpunkt verschriftlicht wurden, nicht aber, dass sie erst ab Mitte des 13. Jahrhunderts existent waren. Denkbar ist, dass es die Vorstellung von der verführerischen Pantherin bereits wesentlich früher gab und dass diese mündlich tradiert wurde. Hinzu kommt, dass es – wie in Kapitel 2.1.2 Das antike Panther-Konzept bereits erwähnt – schon in Aelians De natura animalium V, 40 Anzeichen dafür gibt, dass der Panther mit dem Liebesdiskurs in Verbindung gebracht wurde.782 Auf intradiegetischer Ebene würde dies bedeuten, dass Candacis Alexander die Panther nicht nur deshalb zukommen lässt, weil sie ein wertvolles Geschenk sind, sondern weil sie ausgezeichnete Verführungsinstrumente darstellen, die Alexander anlocken sollen. Zugleich sind sie Referenten, die auf Candacis’ eigene Verführungskraft verweisen und damit – dem Einhorn-Geschenk vergleichbar – das weitere Geschehen sowie die Beziehung zwischen Alexander und der Königin präfigurieren. Zudem wird anhand des ›Geschenke-Katalogs‹ deutlich, dass auch hier eine Unterscheidung zwischen Panthern und Leoparden stattfindet. Allerdings werden die Leoparden innerhalb der Aufzählung direkt im Anschluss an die Panther genannt, was für eine konzeptuelle Nähe zwischen den beiden sprechen könnte. Hinzu kommt, dass hier genau die Reihenfolge eingehalten wird, die sich in den Bestriarien zeigt.783 Dort folgen nämlich auf die Ausführungen zum Panther ebenfalls – direkt im Anschluss – die zum Leoparden.784 Denruyter wertet diese Reihenfolge als »Verunsicherung und Verwechslung« und geht davon aus, »dass Laien die Bezeichnungen als beliebig austauschbare Begriffe behandelten«.785 Diese These Denruyters mag in einigen Fällen durchaus zutreffend sein, allerdings erscheint es meiner Meinung nach erforderlich, diesbezüglich eine differenziertere Betrachtung vorzunehmen, d. h. im Einzelfall und anhand jeder Textstelle neu zu entscheiden, ob eine konzeptuelle Trennung zwischen Panther und Leopard zu erkennen ist. Besondere Beachtung wird dieser Frage im Folgenden noch bei der Untersuchung der Leoparden-Textstelle im Prosalancelot zukommen. Doch zunächst zurück zu den Alexanderromanen. Auch im Basler Alexander tauchen innerhalb des ›Geschenke-Katalogs‹ die 60 Panther auf. Die Textstelle ist 782 783 784 785
Vgl. dazu S. 133f. dieser Arbeit. Denruyter, Tierisches Leben im Wigalois, S. 123. Ebenda. Ebenda.
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beinahe deckungsgleich mit der im Straßburger Alexander, nur dass die Tiere nicht mit pantÞre benannt werden, sondern mit banttier (V. 3616), wodurch die Zugehörigkeit zu der Kategorie WILDES TIER noch stärker verdeutlicht wird. Die Leoparden finden auch hier direkt im Anschluss an die Panther Erwähnung. Im Gegensatz zum Straßburger Alexander gibt der Basler Alexander allerdings keine Auskunft über die Schnelligkeit der Tiere. Der ›Geschenke-Katalog‹ in Johann Hartliebs Prosafassung unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von den beiden zuletzt betrachteten. Der wohl augenfälligste Unterschied besteht darin, dass die Geschenke nicht mehr von Alexander als dem intradiegetischen Erzähler aufgezählt werden, sondern von Candacis selbst, die einen Brief an den Makedonenkönig verfasst. Die Perspektive ist nun also die der Schenkenden und nicht mehr die des Beschenkten, was dazu führt, dass der Rezipient in einer Art Introspektion Aufschluss über Candacis’ Motivation erhält. Sie schenkt nämlich, da sie den anfangk solleicher frewndtschafft machen will (Z. 3784). Aber nicht nur die Perspektive, aus der der ›Geschenke-Katalog‹ beschrieben wird, ist eine andere; auch im Hinblick auf Reihenfolge, Anzahl und Beschaffenheit der Geschenke lassen sich Unterschiede zu der Beschreibung im Straßburger und Basler Alexander festmachen. So befinden sich unter den Präsenten nun beispielsweise keine andirhalp hundrit mire im Kindesalter mehr, sondern funffczigk iunckfrawen von morenlanndt, die allerhanndt symphoney vnd sayttenspil kchunnen (Z. 3785f.). Insgesamt erhält Alexander innerhalb Hartliebs Prosafassung mehr Geschenke, denn auch sein Heer wird bedacht und Accessoires für die festliche Hofhaltung werden von Candacis mitgeschickt. Da die kchostleichen presentt (Z. 3808f.) insgesamt zahlreicher ausfallen, gilt dies auch für die Tier-Geschenke. Bekam Alexander in der Straßburger- und Basler Fassung noch 90 Elefanten so sind es hier gleich vierhundertt helffantt, die all wol zu streytt gelerett sindt (Z. 3795f.). Bereits an dieser Stelle wird deutlich, dass der ›Geschenke-Katalog‹ sich nicht ausschließlich in der Nennung der jeweiligen Gabe erschöpft, sondern dass nahezu jedes Geschenk mit einem näher erläuternden Attribut versehen wird, das es noch kostbarer erscheinen lässt. Dies wird auch in Bezug auf die Panther ersichtlich, denn über sie schreibt Candacis: Wier sendtenn ewch mer funff hundertt pannther thyer, die aller fraydigisten vnd pesten, soman sy vinden mag (Z. 3796f.). Die Tiere sind hier also gleich mit zwei Superlativen ausgestattet, die zum einen Alexander zum Staunen bringen sollen und zum anderen den Rezipienten. Obgleich das Adjektiv fraydig im eigentlichen Sinn negativ konnotiert ist, da es so viel wie ›wild und übermütig‹ meint, scheint es in Bezug auf die Panther positiv besetzt zu sein, denn andernfalls würde die Schenkerin es in ihrem Brief nicht zur Aufwertung des Präsents
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verwenden.786 Offenbar zeichnet sich ein besonders guter Panther dadurch aus, dass er so fraydig wie möglich ist oder – anders ausgedrückt – fraydigkeit ist ein Qualitätsmerkmal des Panthers.787 Leoparden bekommt Alexander in Hartliebs Fassung nicht geschenkt; dafür aber 200 Jagdhunde, die direkt nach den Panthern genannt werden und mit denen man – so Candacis – sowohl auf Tiere als auch auf Menschen Jagd machen könne. Insofern übernehmen hier die Hunde die Funktion, die zum Teil Leoparden zukam, wenn sie bei Hofe gehalten wurden.788 Anhand dieses ›Geschenke-Katalogs‹ – und insbesondere anhand der Pantherbeschreibung – wird auf der Mikroebene etwas ersichtlich, was auf der Makroebene wohl für Hartliebs gesamte Prosafassung festgehalten werden kann und vermutlich nicht unerheblich zu der enormen Beliebtheit des Werkes beigetragen haben dürfte. Hartlieb geht wesentlich mehr auf Details ein, was für ihn natürlich leichter ist, da er nicht an ein Versmaß gebunden ist. Außerdem findet eine Überbietung des Straßburger- und des Basler Alexander im Hinblick auf Staunenerregendes statt, denn über die 500 ›wildesten‹ und ›besten‹ Panther dürften die meisten Rezipienten mehr gestaunt haben als über ›nur‹ 60, die nicht näher bestimmt werden. Mit dieser Überbietung – und der damit einhergehenden Luxurierung – erfüllt Hartliebs Fassung offensichtlich noch besser die Erwartungen, die mittelalterliche Rezipienten an eine Indien- und Orient-Erzählung hatten. Auffällig ist allerdings, dass Alexander in Hartliebs Fassung kein Einhorn geschenkt bekommt, das ebenfalls zum Staunen der Rezipienten hätte beitragen können. Dies liegt möglicherweise daran, dass die Beziehung – und vor allem die Machtverhältnisse – zwischen Candacis und Alexander hier offenbar etwas anders gestaltet sind. Darauf deutet vor allem der letzte – äußerst devot eingeleitete – Satz im Brief der Königin hin (Z. 3801: Wier flechen vnd pitten ewch, daz ir vns wyderumb verkchundett, ob ir die ganczen werltt habtt vndertänigkleichen zu sein beczwungen). Candacis wird hier weniger als die 786 Baufeld, Kleines frühneuhochdeutsches Wörterbuch, Lemma ›freidig‹, S. 95. 787 Das Adjektiv fraydig, das mit freislich etymologisch verwandt zu sein scheint, könnte zudem ein Heldenattribut bzw. ein Attribut für den Kämpfer darstellen. Das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm nennt als Belegstelle für freislich die Nibelungenlied-Strophe 98, 4, in der über Sigfried gesagt wird: di was d[s hordes h[rre S%frit d[r vreisl%che man. Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Lemma ›freislich‹. Auf: http://woerterbuchnetz.de/DWB/?lemid=GF08568. Zugriff am 27. 06. 2016 um 12:36 Uhr. 788 Bezüglich der Raubtierhaltung (zu Jagdzwecken) an mittelalterlichen Höfen sei weiterhin verwiesen auf: Buquet, Les animaux exotiques dans les m8nageries m8di8vales, S. 105– 108. Es handelte sich bei den Tieren wahrscheinlich um Geparden. Allerdings darf auch hier keine trennscharfe Grenze zwischen Leoparden und Geparden angenommen werden. Vgl. dazu auch: Buquet, Le gu8pard m8di8val, ou comment reconna%tre un animal sans nom. Auf: https://halshs.archives-ouvertes.fr/halshs-00655131/document. Zugriff am 27. 06. 2016 um 13:14 Uhr.
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›Verführerin und Bezwingerin‹ Alexanders inszeniert, weswegen wohl auch die Einhorn-Allegorie entfällt. Nachdem die Panther nun in ihrer Rolle als Kampfgegner und wertvolle Geschenke betrachtet wurden, muss noch eine weitere Panther-Textstelle erwähnt werden, die ausschließlich im Straßburger Alexander zu finden ist. Es handelt sich dabei um die Darstellung des Hirschautomaten im Palast der Candacis. Die ekphrastische Beschreibung dieser Kuriosität lautet wie folgt:789 Mitten in ir palas, ein scine tier geworht was, daz was alliz golt rit, alse siz selbe gebit. Daz tier was vil hÞrl%ch, eineme hirze gel%ch. An s%n houbit vorne hattiz d0sint horne. 4f allir horne gel%ch stunt ein fugil hÞrl%ch. 4f dem tiere saz ein man, scine unde wol get.n, der f0rte zwÞne hunde unde ein horn ze s%nen munde. Nidene an dem gewelbe l.gen viere und zwÞnzich bl.sebelge. Zaller belge gel%ch gingen zwelif man creftich. Si si di belge drungen, di fugele scine sungen an deme tiere vorn, si blies ouh der man s%n horn, si galpeden ouh di hunde. Ouh l0tte an der stunden daz hÞrl%che tier mit der stimmen alsein pantier, dem gÞt under stunde ein .dem 0z dem munde, s0zer den w%rouch. (V. 5553–5581)790
Der Automat hat also die Form einer Jagdgruppe und wird von 24 Blasebälgen pneumatisch angetrieben. Die Jagdgruppe besteht aus einem großen Tier, das einem Hirsch gleicht (V. 5558 eineme hirze gel%ch) und auf dessen überdimen789 Zur Ekphrasis in der mittelalterlichen Literatur sei verwiesen auf: Wandhoff, Haiko: Ekphrasis. Kunstbeschreibungen und virtuelle Räume in der Literatur des Mittelalters (Trends in Medieval Philology 3). Berlin / New York 2003. 790 Straßburger Alexander. Hrsg. v. Elisabeth Lienert. Stuttgart 2007, S. 478.
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sionalem Geweih zahlreiche, wunderschöne Vögel sitzen. Auf dem Hirsch thront ein Jäger, der ein Horn zu seinem Mund führt und der zwei Hunde bei sich hat. Um den Automaten in Gang zu setzten, bedarf es zwölf starker Männer, die die 24 Blasebälge bedienen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so erzeugt der Apparat verschiedene Laute: die Vögel singen, das Horn des Jägers erklingt, die Hunde bellen und auch der Hirsch selbst ruft – mit der Stimme eines Panthers. Abschließend wird der Rezipient über den süßen Duft des Panthers informiert, dem in allen bisher betrachteten Diskursen eine wichtige Rolle zukommt. Die Forschung ist mit verschiedensten Fragestellungen an diesen Hirschautomaten herangetreten und oftmals wird auf ihn Rekurs genommen, um ganz unterschiedliche Überlegungen zu exemplifizieren. So beschäftigen sich etwa Simone Finkele und Burkhardt Krause in ihrem 2009 veröffentlichten Aufsatz Automaten (und ihre Konstruktion) in hochmittelalterlicher Dichtung zunächst mit hochmittelalterlichen Technikdiskursen und gehen dabei insbesondere der Frage nach, wie man den Begriff ›Automat‹ definieren könnte. Candacis’ Hirschautomat wird dabei allerdings nur als ein Beispiel genannt und nicht genauer untersucht, da die beiden Autoren eine exemplarische Analyse anhand von drei anderen mittelalterlichen Automatenbeschreibungen vornehmen.791 Abschließend formulieren sie an Stelle eines Ergebnisses den Ausblick, dass die bislang von der (nicht nur germanistischen) Forschung versuchte und geleistete, diachrone und nach extratextuellen Funktionsweisen, Zwecken und Phänotypen ordnende Systematisierung der automatischen Objekte erweitert werden sollte um die Berücksichtigung des interkulturellen Austauschs von Wissen zwischen Ost und West, aber auch des Blicks auf elaborierte narrative, transtextuelle und transmediale Leistungen, die die Objekte bei weitem mehr als nur beschreiben.792
Besonders zur Schließung der letztgenannten Forschungslücke möchte ich mit meinen Überlegungen zum Hirschautomaten einen kleinen Beitrag leisten. Zuvor bleibt aber noch zu erwähnen, dass auch Udo Friedrich sich in seiner 2009 erschienenen Monographie Menschentier und Tiermensch – Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter mit der technischen Kuriosität auseinandersetzt. Friedrich gelangt diesbezüglich zu der folgenden – sehr zutreffenden – Interpretation: Der Automat dokumentiert nicht nur den Domestizierungsanspruch gegenüber der Natur, er verbildlicht auch eine technische Herrschaft über die natürlichen Vorbilder. Die Natur ist zu einem Kunstwerk geworden, das seinerseits aber wieder verlebendigt 791 Finkele/Krause, Automaten (und ihre Konstruktion), S. 25. Die Analyse der beiden Autoren konzentriert sich auf die Wundersäule in Wolframs Parzival, den Bogen in B8rols Tristan sowie die brüllende Kampfmaschine in Strickers Daniel von dem Blühenden Tal. 792 Finkele/Krause, Automaten (und ihre Konstruktion), S. 46.
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wird. Die technisch reproduzierten Lebewesen […] werden durch ein System von Blasebalgen zum ›Leben‹ erweckt und produzieren Klänge und Düfte.793
Im Anschluss daran schlägt Friedrich vor, jene artifiziell geschaffene höfische Welt als einen Gegenentwurf zu der vorher geschilderten Blumenmädchenepisode zu verstehen.794 Ein dritter wichtiger Forschungsansatz, der noch etwas ausführlicher auf den Automaten eingeht, ist Jutta Emings 2015 erschienener Aufsatz Luxurierung und Auratisierung von Wissen im »Straßburger Alexander«. An ihn möchte ich in einigen Punkten gerne anknüpfen. Die Fragen, denen Eming in ihrer Untersuchung nachgeht, lauten: Wie verhalten sich Technik- und Literaturgeschichte mit Blick auf die Relationierung von Literatur und Wissen zueinander? Inwiefern lassen sich an mittelalterlichen Automaten-Beschreibungen Ansätze zu einer Theorie des Kunstschönen erkennen? Welche Rolle spielt die außereuropäische Herkunft der Automaten? Schließlich: Wie hängt all dies mit der Konstruktion von Aura zusammen?795
Eming nimmt zunächst eine Annäherung an den ›Aura‹-Begriff vor, indem sie sich mit einem Zitat Walter Benjamins aus dessen Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit auseinandersetzt.796 Benjamin definiert Aura als »einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag«.797 Erläuternd fügt die Literaturwissenschaftlerin hinzu, ebenso »wie das räumlich Nahe das Gegenteil des räumlich oder geographisch Fernen« sei, stelle »das wesentlich Ferne das Unnahbare« dar.798 Jene Unnahbarkeit würde in der mediävistischen Forschung, die sich an Benjamins Aura-Definition orientiere, meist »als Unverfügbarkeit der Gottesinstanz« aufgefasst.799 In Abgrenzung zu dieser Forschungsmeinung sei es ihr Ziel, zwei Textbeispiele zu besprechen (die Beschreibungen des Hirschautomaten und des Elefantenbetts im Straßburger Alexander), in denen »Technik selbst ›auratisiert‹« werde, »ohne dass dabei eine religiöse Dimension virulent« werde.800 Dieser Ansicht kann ich mich nur teilweise anschließen. Sehr überzeugend sind für mich die Erläuterungen, wie die ›Aura des Hirschautomaten‹ sukzessive erzählerisch generiert wird. Auf diese Ausführungen wird im Einzelnen noch einzugehen sein. Nicht anschließen kann ich mich hingegen der Überzeugung, 793 794 795 796 797 798 799 800
Friedrich, Menschentier und Tiermensch, S. 319. Ebenda. Eming, Luxurierung und Auratisierung, S. 69. Ebenda, S. 64f. Ebenda, Eming verweist hier auf: Benjamin, Kunstwerk, S. 142. Eming, Luxurierung und Auratisierung, S. 65. Ebenda. Ebenda.
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bei der Beschreibung des Automaten sei keine religiöse Dimension zu erkennen. Es erscheint jedoch sinnvoller, die Begründung für diese Gegenmeinung an späterer Stelle nachzuliefern, wenn die Details der Hirschautomaten-Ekphrasis thematisiert werden. Zuvor möchte ich noch einige wichtige Informationen aus Emings Aufsatz referieren, da diese das Verständnis der Textstelle erleichtern und die Relevanz, die der Hirschautomat für das Gesamtwerk besitzt, etwas deutlicher aufscheinen lassen. Zunächst ist es wichtig festzuhalten, dass der Hirschautomat nichts gänzlich frei Erfundenes ist, sondern auf realhistorischen Vorbildern fußt; obgleich in ihm natürlich keine literarische 1:1-Abbildung dieser technischen Errungenschaften gesehen werden darf.801 Seine realhistorischen Vorbilder galten als »Zeugnisse einer überlegenen Ingenieurskunst«, deren Entstehung für das Mittelalter im arabischen und byzantinischen Raum lokalisiert werden kann und von der man »spätestens seit dem 13. Jahrhundert« im westlichen Europa Kenntnis erlangte.802 Allerdings existierten bereits in der Antike Erfindungen, die man als ›Automaten‹ oder zumindest als ›automaten-ähnlich‹ bezeichnen kann.803 Insofern stellen die mittelalterlichen Automaten (und ihre literarischen Überformungen) kein Novum dieser Epoche dar, sondern geben vielmehr ein weiteres Beispiel dafür ab, wie antikes Wissen tradiert wird und auf welchen Wegen es im Mittelalter in die westlichen Regionen nördlich der Alpen gelangt.804 Weiterhin erklärt Eming, man habe den Bau von Automaten im Mittelalter unter die artes mechanicae subsummiert, weswegen die »technischen Wunderwerke«805 als eine Ausformung »der ›wissenschaftlichen‹ Magie« betrachtet worden seien.806 Mit der Konstruktion von Automaten habe man das Ziel verfolgt, Herrschaft performativ in Szene zu setzen, ein Staunen zu evozieren »und in einer Form von Überwältigungsästhetik Macht [zu] demonstrieren«.807 Interessant erscheint die Frage, als wie ›exotisch‹ der Hirschautomat im Straßburger Alexander von mittelalterlichen Rezipienten höchstwahrscheinlich 801 Ebenda, S. 74f. 802 Ebenda, S. 66. 803 Ebenda. Eming verweist an dieser Stelle auf: Hammerstein, Reinhold: Macht und Klang. Tönende Automaten als Realität und Fiktion in der alten und mittelalterlichen Welt. Bern 1986. 804 Eming, Luxurierung und Auratisierung, S. 66. 805 Ebenda, S. 67. An dieser Stelle greift Eming eine Terminologie Ulrich Ernsts auf, der die Automaten als »technische Wunderwerke« bezeichnete und den Ausdruck des »TechnischWunderbaren« schuf. Eming bezieht sich hier auf: Ernst, Ulrich: Mirabilia mechanica. Technische Phantasmen im Antiken- und im Artusroman des mittelalters. In: das Wunderbare in der arthurischen Literatur. Probleme und Perspektiven. Hrsg. v. Friedrich Wolfzettel. Tübingen 2003, S. 45–77, hier S. 47 u. S. 72. 806 Eming, Luxurierung und Auratisierung, S. 66f. 807 Ebenda, S. 67. Eming folgt an dieser Stelle Hammerstein, Macht und Klang, S. 57f.
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eingestuft wurde – denn beim Hirsch handelt es sich ja eigentlich um ein wohlbekanntes Tier. Im Hinblick auf diese Frage sind die folgenden Aussagen Emings zu den realhistorischen Vorbildern des Automaten von immenser Bedeutung: Zu den Traditionen des Wissens, welche Automaten repräsentieren und transformieren, gehören schließlich Fremdheitserfahrungen. Diese tragen zu ihrer auratischen Überformung bei. Automaten sind in einer zeitlichen oder geographischen Ferne, wie in Antike oder Orient angesiedelt. Damit sind sie nicht jedermann zugänglich, sondern in ›anderen Welten‹ und Sonderräumen situiert, wie abgegrenzten Höhlen und Kemenaten. Mitunter befinden sie sich in anderen Ländern und zeugen zugleich von anderen Zeiten.808
Was innerhalb dieses Zitats anklingt, ist, dass Automaten für die Menschen im Mittelalter an sich schon etwas sehr ›Exotisches‹ darstellten. Zu überlegen wäre nun, ob sich diese ›Exotik‹ möglicherweise potenziert, wenn das »technische Wunderwerk« auch noch dazu in der Lage ist, die Eigenschaften eines ›exotischen‹ Tiers zu immitieren.809 Um eine Antwort auf diese Frage zu finden und zugleich die narratologischen Funktionen des Hirschautomaten aufzudecken, sei der Blick nochmals auf die wichtigsten Details der ekphrastischen Beschreibung gerichtet. Laut Eming unterliegt sie den Gesetzmäßigkeiten einer Überwältigungsästhetik, welche – im Gegensatz zu der der realhistorischen Automaten – nicht auf oberflächliche Machtdemonstration abziele.810 Vielmehr zeige sich anhand der Dynamik der Beschreibung »ein Experiment mit Blickrichtung und Wahrnehmungsmodus des intradiegetischen Betrachters, Alexanders, und in eins damit des extradiegetischen Rezipienten«.811 Weiterhin sei zu bemerken, dass der Hirschautomat – innerhalb eines performativen Aktes – sprachlich Stück für Stück »aufgebaut« werde, bis er riesige Dimensionen aufweise.812 Dies betreffe zunächst das Geweih, welches in der Vorstellung des Rezipienten enorme Ausmaße annehme, da es Sitzplatz für tausend Vögel bietet.813 Aber auch die daraufhin genannte Anzahl der Männer und der Blasebälge, die notwendig sind um den Automaten in Betrieb zu nehmen, gebe Aufschluss über die immense Größe des »technischen Wunderwerks«.814 In Bezug auf die Panther-Attribute, die am Ende der Hirschautomaten-Beschreibung stehen, schreibt Eming: 808 Eming, Luxurierung und Auratisierung, S. 68. 809 Ich übernehme an dieser Stelle die von Eming aufgegriffene Terminologie Ernsts. Vgl. Ebenda, Anm. 20. 810 Eming, Luxurierung und Auratisierung, S. 76. 811 Ebenda. 812 Ebenda. 813 Ebenda. 814 Ebenda.
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Das anschließend erwähnte Fauchen des Panthers könnte den Hirschautomaten bedrohlich wirken lassen. Gemeinsam mit den vielen Vögeln, die auf einmal loszwitschern, müsste das Panthergebrüll einen nicht unbedingt angenehmen, ohrenbetäubenden Lärm erzeugen. Aber davon ist nicht die Rede. Stattdessen überwiegen positive Charakterisierungen: s0z, hÞrl%ch, scine. Die Künstlichkeit des Hirschautomaten ist also in den Dienst einer multimedialen Stimulierung der Sinne und einer Entgrenzung des Raums gestellt, welche als überaus angenehm empfunden wird.815
Eming übersieht hier meines Erachtens, dass an dieser Stelle Wissenselemente des Physiologus und der Bestiarien in die Beschreibung miteingebracht werden, wodurch der religiös-heilsgeschichtliche Diskurs zumindest unterhalb der Textoberfläche aufgerufen wird. Auch im Millstätter Reimphysiologus ist die Rede davon, dass der Panther lautstark rufe, woraufhin ein süßer Duft von ihm ausgehe (Str.11, 4f.: so rohot iz starche, von im chumet solich smache, / daz niht im gelichis in der werlde suozze ist). Insofern folgt die Beschreibung des Hirschautomaten genau der im Physiologus genannten Reihenfolge. Aber auch der explizite Vergleich des Pantheratems mit w%rouch (V. 5581) erinnert zum einen an den Millstätter Reimphysiologus, in dem der Pantheratem mit dem Salbungsöl in Verbindung gebracht wird (Str. 24, 2: nach dem stanche diner gesalbete louffen wir dir nach allenthalben) und zum anderen an den Physiologus Theobaldi deutsch, der im selben Zusammenhang wolriechende kreüter erwähnt. Des Weiteren muss bedacht werden, dass der Panther innerhalb der Bestiarien auch als ›HirschLiebhaber‹ bezeichnet wird.816 Dieser Konzeptbestandteil der ›Panther-HirschFreundschaft‹ könnte im Straßburger Alexander literarisch derart stark überformt worden sein, dass beide Tiere zu einem einzigen verschmolzen wurden und im Anschluss daran in ein technisches Kunstobjekt – den Hirschautomaten – transformiert wurden. Geht man solchermaßen davon aus, dass die Wissensbestandteile des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses hier in den literarischen Diskurs mit eingeflossen sind, erscheint es keineswegs verwunderlich, dass die »positive[n] Charakterisierungen«817 überwiegen. An einen »nicht unbedingt angenehmen, ohrenbetäubenden Lärm«818 wird wohl keiner der mittelalterlichen Rezipienten gedacht haben, da den meisten bekannt gewesen sein dürfte, dass das Rufen des Panthers in anderen Kontexten als eine Allegorie auf das Wort Gottes zu finden ist. Bezieht man nun Links Interdiskurstheorie noch etwas stärker in die Betrachtung mit ein, so könnte man überlegen, ob an dieser Stelle ausschließlich der technische und der religiös-heilsgeschichtliche Diskurs in den literarischen inkorporiert werden oder ob vielleicht auch der Liebesdiskurs unterhalb der Textoberfläche angesprochen wird. Hier gäbe es ebenfalls gute Gründe, diese 815 816 817 818
Ebenda, S. 76f. McCulloch, Medieval Latin and French Bestiaries, S. 148. Eming, Luxurierung und Auratisierung, S. 76. Ebenda.
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Annahme zu bejahen. Der Hirschautomat würde in diesem Fall ein weiteres Element aus dem ›Verführungsmittelarsenal‹ der Candacis darstellen. Man könnte überlegen, ob die Panther-Geschenke, die sie Alexander zuvor zukommen ließ, bereits die erste Phase dieser Verführung einläuteten. Der Hirschautomat, der den süßen Pantherduft verströmt, wäre dann als zweite Phase der Verführung zu begreifen, innerhalb der nun alle Sinne Alexanders angesprochen werden sollen. Plausibel erscheint diese Deutung auch, da Automaten im Mittelalter – wie bereits erwähnt – als eine Ausformung »der ›wissenschaftlichen‹ Magie« verstanden werden.819 Candacis nutzt demnach dieses ›magische‹ Mittel, um Alexander zu verzaubern. Noch interessanter erscheint diese These, wenn man einen Blick über die Textgrenze des Straßburger Alexander hinaus wagt und die Kemenatenszene des Basler Alexander in die Betrachtung miteinbezieht. Dort wird nämlich gesagt, dass ein süßer Duft – das typische Panthermerkmal – von Candacis’ Bett ausgeht (V. 3890: von irem bette ein süsser gesmak gen mir brach). Bejaht man nun also die These, dass der Panther-Liebesdiskurs in der Hirschautomaten-Episode in den literarischen mit eingeflossen ist, so könnte man in einem weiteren Schritt darüber nachdenken, ob die Panther-Nennungen innerhalb des Werks möglicherweise auch eine mnemotechnische Funktion besitzen, wie dies in der Forschung beispielsweise von den Pferdegeschenken im Erec Hartmanns von Aue angenommen wird.820 Dies würde zum einen bedeuten, dass mittelalterliche Rezipienten sich beim Lesen bzw. Hören der Hirschautomaten-Textstelle daran erinnerten, dass Alexander zuvor bereits Panther-Geschenke von Candacis erhalten hat, was zu einem kohärenten Textverständnis beigetragen haben könnte. Dies ist dahingehend zu verstehen, dass die erneute Erwähnung des Panthers dazu beiträgt, den Eindruck des wunderbaren, staunenerregenden Raumes – der angefüllt ist vom Luxus und den Kostbarkeiten der fremden Welt – aufrecht zu erhalten. Es geht dabei nicht ausschließlich um die geographische Verortung der Geschehnisse, sondern um die Aufrechterhaltung des Imaginationsraums ›exotisches Indien‹. Zum anderen könnte man darüber nachdenken, inwieweit ein Tier, das an mehreren Stellen des Werkes Erwähnung findet, auch für den Vortragenden eine gewisse Hilfestellung – in Form einer Gedächtnisstütze – bedeutet, sofern man von einer mündlichen Aufführungspraxis des Antikenromans ausgeht. Es liegt wohl in der Natur aller Analyseergebnisse, die unter Einbeziehung der Link’schen Interdiskursanalyse entstehen, dass sie zunächst recht assoziativ klingen. Dies liegt zum einen daran, dass es um Wissensbestandteile geht, die unterhalb der Textoberfläche liegen und für deren Verständnis ein bestimmtes 819 Ebenda, S. 67. 820 Vgl. Wandhoff, Haiko: Das geordnete Welt-Bild im Text. Enites Pferd und die Funktionen der Ekphrasis im Erec Hartmanns von Aue. In: Ordnung und Unordnung in der Literatur des Mittelalters. Hrsg. v. Wolfgang Harms et al. Stuttgart 2003, S. 45–60.
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kultur- und literaturgeschichtliches Kontextwissen erforderlich ist. Zum anderen muss natürlich daran gedacht werden, dass nicht alle mittelalterlichen Rezipienten genau dasselbe Wissen teilten und das Werk folglich nicht auf ein- und derselben Ebene rezipierten. Die oben angesprochenen Konzeptbestandteile sind vielmehr dahingehend zu verstehen, dass ein äußerst belesener und gebildeter mittelalterlicher Rezipient sie potentiell beim Lesen der Hirschautomaten-Episode aktualisiert haben könnte. Als ein sichereres Ergebnis, das näher an den Aussagen der Textoberfläche ist, kann Emings These festgehalten werden, dass innerhalb der HirschautomatenEkphrasis mittelalterliches Technik-Wissen literarisch überformt wird.821 Da diese Wissensbestandteile aus Byzanz stammen, werden sie in ihrer literarischen Darstellung in östliche Gebiete »rückprojiziert«, was der Auratisierung zuträglich ist.822 Durch diese Rückprojektion widerfahren dem technischen Wissen eine Veränderung und eine semantische Erweiterung »um Assoziationen einer sagenhaften, exotischen, luxuriösen anderen Welt«.823 Der Hirschautomat im Straßburger Alexander ist also an sich bereits etwas sehr ›Exotisches‹ und der Panther-Atem, den er verströmt, dürfte diese ›Exotik‹-Assoziationen noch unterstrichen haben. Eine weitere Quelle, in der sich zwei Textstellen zum Panther bzw. zu einem Panther-ähnlichen Tier finden lassen, ist der Apollonius von Tyrland Heinrichs von Neustadt. Auch hier gelangt man unter Einbeziehung der Link’schen Interdiskurstheorie zu interessanten Ergebnissen, da sich innerhalb dieser Textstellen gleich mehrere Hinweise auf Intertextualität und Interdiskursivität festmachen lassen. Zunächst sei ein Blick auf Apollonius’ Begegnung mit dem Panther-ähnlichen Milgot geworfen, die im Rahmen einer Robinsonade stattfindet. Auch hier ist es sinnvoll, mit der Textanalyse einige Verse vor der eigentlichen Begegnung einzusetzten, da sowohl die örtlichen Gegebenheiten als auch die kurz zuvor stattfindenden Ereignisse metonymisch mit dem wundersamen Milgot verknüpft zu sein scheinen.824 Auf einer seiner Orient-.ventiuren legt Apollonius mit seinem Gefolge an einer Insel an. Dort wird er auf einen außergewöhnlich bunten, wunderbar singenden Vogel aufmerksam, dem er unbedingt folgen möchte. In der Zwischenzeit bricht jedoch ein starker Seesturm aus, der den Steuermann des Schiffes dazu zwingt, ohne seinen Herren abzulegen. Alleine auf der Insel zurückgelassen, wähnt sich Apollonius bereits verloren und hält seinen baldigen Tod für unausweichlich: 821 822 823 824
Eming, Luxurierung und Auratisierung, S. 81f. Ebenda, S. 82. Ebenda. Schulz, Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive, S. 342.
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Nu en kann ich nicht pedeutten Wie sich enden sull mein nott, Es tu dan der grymme tod, Der hunger oder wilde tier. Das sy es nue wolten enden schier! (V. 6558)825
Als mögliche Todesursachen zieht er Verhungern oder das Gefressenwerden von wilden Tieren in Betracht. Bereits an dieser Stelle wird der Rezipient in die Erwartungshaltung versetzt, dass in naher Zukunft wilde Tiere in Erscheinung treten könnten. Der Erzähler erläutert weiterhin, aus Gründen der brevitas schreibe er lieber nicht von all den Klagen, die der König in dieser Situation aneinandergereiht habe. Schließlich erblickt der Protagonist in seiner Nähe einen hohen Berg, zu dem er sich begibt. Dort fließt ein Gewässer, das mit derart positiven Attributen versehen ist, dass hier bereits Assoziationen zu einem locus amoenus wach werden (V. 6604f.: Ain schones wasser da floß, / Das was suss und gut). Diese positive Beschreibung des Raumes lässt den Rezipienten vorausahnen, dass Apollonius gerade nicht im nächsten Moment von wilden Tieren gefressen wird, wie er selbst dies befürchtet hatte. In dem Gewässer befinden sich Edelsteine, die von Apollonius bemerkt und im Schoß seines Hemdes eingesammelt werden. Dieses Einsammeln erfolgt, da Apollonius hofft, eines Tages wieder mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen und dann die Möglichkeit zu erhalten, die Edelsteine in seine Krone einsetzen zu lassen. Die Edelsteine verleihen ihm auf wundersame Weise Kraft. Armin Schulz führt diese Textstelle in seiner Monographie Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive als typisches Beispiel für eine metonymische Handlungsverknüpfung an und begründet dies folgendermaßen: Die einzelnen Handlungen werden […] ad hoc durch Kausalitäten miteinander verbunden, doch das eigentliche Prinzip der narrativen Kohärenzerzeugung scheint hier die Rekurrenz von Eigenschaften zu sein, die metonymisch mit den Agierenden verbunden sind: Die Farbenpracht verbindet den Vogel, der Apollonius von den Seinen weglockt, und den Milgot, der durch seine eigene Unterwerfung den Helden als irdischen Beherrscher aller Kreaturen auszeichnet; die Krone, die eng mit dem Thema der Herrschaft verknüpft ist, ist Teil der Pläne des Apollonius und Teil des Körpers des wundersamen Tiers; die Kraft, die Apollonius durch die Edelsteine bekommt, korrespondiert mit der Macht, die ihm der Milgot gleich im Anschluss übergibt; Schönheit bzw. Reinheit sind Eigenschaften des Vogels, des Wassers, der Edelsteine und des Milgot.826
Dieses äußerst plausible Ergebnis kann insofern noch ergänzt werden, als dass die Verknüpfung nicht nur innerhalb der Textgrenzen stattfindet, sondern auch daüber hinausreicht, wie anhand der Beschreibung des Milgot und dessen 825 Heinrich von Neustadt, Apollonius von Tyrland. Hrsg. v. S. Singer. Dublin/Zürich 1967, S. 107. 826 Ebenda.
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Verhalten deutlich wird. Auf ihn trifft Apollonius, nachdem er die Edelsteine eingesammelt hat. Die Begegnung zwischen dem König von Tyrus und dem König der Tiere wird wie folgt beschrieben: Doch sach er das gegen im gie Ain tier, das was herleich: Sein varbe di was wunderleich. Senft leich was sein gangk. Es was wol ains speres langk. Sein haut was grun als der chle, Sein pauch weiß als der schne. Stumpfat was im der munt Und murrat als ain vogelhunt. Mer dan tausent lay var Was das tier her und dar. Sein haupt trug es schon enpar, Auff seinem hirne da vor Ain krone von ir selber art: So schone nie gemachet ward Von goltschmides henden. Do gadauchte den ellenden So schone creature War nicht ungehewre. (V. 6618–6636)
Eine konkrete Benennung des Lebewesens, auf das Apollonius trifft, erfolgt also an dieser Stelle noch nicht.827 Die einzige Information, die der Rezipient erhält, ist, dass es sich bei der Kreatur um ein Tier handelt. Im weiteren Verlauf der Beschreibung wird sukzessive ein Bild dieses Tiers aufgebaut, das Staunen erwecken soll. Das erste Adjektiv, das zur Beschreibung des Milgot herangezogen wird, rückt ihn bereits in ein äußerst positives Licht, denn es wird gesagt, er sei herleich (V. 6619). Es handelt sich also um ein ›vornehmes‹ Tier, das durch seine ›sonderbare‹ Farbgebung auffällt (V. 6620: Sein varbe di was wunderleich). Auf diese außergewöhnliche Farbgebung geht der Erzähler drei Verse später sogar noch genauer 827 Fraglich bleibt, ob es sich bei der Bezeichnung ›Milgot‹, die später im Text eingeführt wird, um einen Eigennamen oder die Bezeichnung einer Tierart handelt. Vgl. dazu: Obermaier, Zur Bedeutung der Tiereigennamen in der deutschen Literatur des Mittelalters, S. 444. Obermaier schreibt diesbezüglich: »Die Herleitung des Namens von einem Tier mirag, einem gelben Hasen mit schwarzem Horn auf der Stirn (belegt in Borcharts Hierozoicon), wird von Bockhoff-Singer mit Skepsis betrachtet. Erwogen wird stattdessen eine Ableitung von hebr. melek ›König‹, weil das Tier eine Krone hat. Einmal verwendet Heinrich den Namen wie einen Eigennamen (6973), ansonsten ließe sich auch an eine Bezeichnung der Tierart denken«. Obermaier bezieht sich an dieser Stelle auf Bockhoff, Albrecht/ Singer, Samuel: Heinrichs von Neustadt Apollonius von Tyrland und seine Quellen. Ein Beitrag zur mittelhochdeutschen und byzantinischen Literaturgeschichte. (Sprache und Dichtung 11). Tübingen 1911, S. 45.
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ein: Die Haut des Milgot ist grün wie Klee, sein Bauch so weiß wie Schnee; aber eigentlich lassen sich an dem Tier mehr als tausend verschiedene Farben erkennen (V. 6627f.: Mer dan tausent lay var / Was das tier her und dar). Die Buntheit des Tiers ruft zum einen Assoziationen zum Panther wach, dessen Farbvielfalt innerhalb aller bisher untersuchten Diskurse eine wichtige Rolle spielt. Zum anderen erinnert sie an die Fellfärbung Petitcreius im Tristan Gottfrieds von Straßburg, denn über Petitcreiu, das Feenhündchen aus Avalon, wird im Werk Gottfrieds gesagt: s%n varwe was in ein getragen mit alsi vremedem liste, daz nieman rehte wiste, von welher varwe ez waere. ez was si missehaere, als man ez gegen der bruste an sach, daz nieman anders niht enjach, ezn waere w%zer danne snÞ, zen lanken grüener danne clÞ, […] (V. 15818–15826)
Auch wenn Gottfried hier den Komparativ ›weißer bzw. grüner als‹ verwendet und die beiden Farbadjektive bei Heinrich von Neustadt im Positiv stehen, fällt dennoch direkt ins Auge, dass die Bestandteile der Natur, die zum Vergleich herangezogen werden, dieselben sind – nämlich Klee und Schnee. Natürlich ließe sich an dieser Stelle nun vermuten, dass die Ähnlichkeiten in den Beschreibungen alleine dem Reim geschuldet sind, dass es aus diesem Grund mehr oder weniger zufällig zu den Übereinstimmungen im Wortlaut kommt und dass Heinrich die Gestalt des Milgot unabhängig von Gottfried entworfen hat. Wahrscheinlicher scheint mir jedoch, dass Heinrich mit Gottfrieds Tristan vertraut war, da er über eine weitreichende Bildung verfügte und Zugang zu den literarischen Werken seiner Zeit gehabt haben muss. Innerhalb des Textes lassen sich aber auch noch weitere Milgot-Merkmale ausmachen, die Assoziationen zu Petitcreiu wecken. So erfährt der Rezipient etwa, der Milgot habe eine stumpfe Schnauze, wodurch er einem Vogelhund ähnlich sehe. Auch Petitcreiu ist zumindest ein hundeähnliches Wesen, auch wenn er nicht bellt (Tr. 15886) und keine Nahrung zu sich nimmt (Tr. 15889), wie man es von einem Hund erwarten würde. Schließlich zeigt sich noch ein dritter Petitcreiu-Anklang, der darin zu sehen ist, dass das Herz des Milgots – wenn es von einem Menschen gegessen wird – starck und gesundt / Und wolgemut zu aller stundt (V. 7017) macht. Darin ähnelt es Petitcreius Glöckchen, das den Besitzer des Hündchens ebenfalls glücklich zu machen vermag (Tr. 15847–15855) – auch wenn die vergleichbare Wirkung auf gänzlich verschiedene Weise hervorgerufen wird. Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Tiere besteht darin, dass Petitcreiu sich – von einer Seite betrachtet – einer genauen Farbbestimmung entzieht; ebenso dürfte auch die Farbvielfalt des Milgot den Betrachter überfordern.
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Es scheint, dass Heinrich von Neustadt die Eigenschaften, die seit jeher mit dem Panther in Verbindung gebracht wurden, aufgreift und sie mit den Eigenschaften Petitcreius vermischt; sie also literarisch und intertextuell überformt. Denkt man an Links Interdiskurstheorie, so könnte man an dieser Stelle sagen, dass Elemente des naturkundlichen Diskurses und des literarhistorischen Diskurses in den literarischen Diskurs inkorporiert und überformt werden. Allerdings zeigen sich dabei auch Bestandteile des religiösen Diskurses, die ebenfalls mit aufgenommen werden, wie noch zu sehen sein wird. Doch zunächst zurück zu der Milgot-Beschreibung, innerhalb der noch weitere Panther-Merkmale zu finden sind. So ist beispielsweise die Rede davon, dass das Tier eine wunderbare Krone trage, wie nie zuvor eine schönere von einem Goldschmied angefertigt worden sei. Das Panther-Merkmal der Krone taucht innerhalb des naturkundlichen Diskurses bereits in der Miniatur aus Bartholomaeus Anglicus’ De proprietatibus rerum (Codex Paris BNF, D8partement des Manuscrits FranÅais 216, fol. 283; Abb. 24) auf. Auch die Miniatur aus Hs B (Chartaceus 689 der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha), die das Werk Heinrichs von Neustadt an dieser Stelle ergänzt, zeigt den gekrönten Milgot (Abb. 44).
Abb. 44: Apollonius trifft auf den gekrönten Milgot und die Tiere, die seine Untertanen sind. Hs B; Chartaceus 689 der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha, 53 rb (Position auf den Mikrofiches).828
828 Bildquelle: Heinrich von Neustadt: Apollonius von Tyrland. Hs B; Chartaceus 689 der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha, folio 53 r.
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Dieses Panther-Merkmal der Krone wird offenbar bis in die frühe Neuzeit hinein tradiert, denn auch im Tudor Pattern Book (MS. Ashmole 1504), das in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden ist, wird der Panther bunt und gekrönt neben einem Rentier abgebildet (Abb. 45).
Abb. 45: Bunter, gekrönter Panther im Tudor Pattern Book, MS. Ashmole 1504, fol. 040v.829 Entstanden ca. 1520–1530.830
Neben den Panther-Merkmalen der Buntheit und der Krone weist der Milgot aber auch große Schönheit auf, weswegen Apollonius recht bald vermutet, von dem Tier könne keine Gefahr ausgehen (Do gadauchte den ellenden / So schone creature / War nicht ungehewre V. 6634ff.). Hierin zeigt sich zum einen der Kalokagathia-Gedanke und zum anderen wird deutlich, dass Heinrich ein typisches Panther-Attribut aufgreift, das auch im Milstätter Reimphysiologus und im Physiologus Theobaldi deutsch genannt wird: die Schönheit des Panthers. Sie stellt zwar noch kein Alleinstellungsmerkmal dar – denn auch andere Tiere können schön sein – im Physiologus Theobaldi deutsch wird in diesem Kontext aber sogar der Superlativ verwendet (der hüschest über alle andere thier).831 829 Bildquelle: http://bodley30.bodley.ox.ac.uk:8180/luna/servlet/detail/ODLodl~1~1~3106 3~107665 :%E2%80%98The-Tudor-Pattern-Book%E2%80%99. Zugriff am 28. 04. 2016 um 12:02 Uhr. 830 Ebenda. Zugriff am 28. 04. 2016 um 12:02 Uhr. 831 Schmidtke (Hrsg.), Physiologus Theobaldi, S. 300.
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Obwohl Apollonius diese Schönheit erkennt, plagen ihn letzte Zweifel, ob das Tier ihm nicht dennoch etwas zuleide tun könnte (Doch vorcht er es ain tail V. 6637). Seine Besorgnis rührt insbesondere daher, dass er sich nicht ausreichend gewappnet wähnt, da er an Stelle seines Schwertes nur ein kleines Messer bei sich trägt. Das Gefühl des Unbehagens ist derart stark, dass er lieber alleine gegen ein ganzes Heer anreiten würde, als sich auf einen Kampf mit dem Milgot einzulassen (V. 6642–6644). Wie sich jedoch kurze Zeit später zeigt, ist Apollonius’ Besorgnis völlig unbegründet, da der Milgot sich ihm gegenüber als überaus freundlich und friedliebend erweist. Gleich zweimal wird gesagt, das Tier verhalte sich, als ob es ein frewnt sei. Zuerst gibt der Erzähler diese Information (Es hett all solche gepär / als es frewnt war V. 6653f.) und dann erfährt der Rezipient es nochmals aus Apollonius’ eigenem Mund, denn der Held ruft zunächst Gott an und sinniert dann innerhalb eines Monologes über das seltsame Verhalten des Tiers (›Herre Got, was mag ditz sein?‹ / Sprach der helt. ›es get hie pey / Recht als es frewnt sey V. 6658–6660). Erneut findet hier eine Vermischung der typischen Panther-Eigenschaften mit intertextuellen Verweisen statt. Zum einen klingt an dieser Stelle bereits die Sanftmütigkeit des Milgot an, die im weiteren Verlauf der Erzählung immer deutlichere Züge annimmt. Sanftmütigkeit wird im Milstätter Reimphysiologus auch dem Panther attestiert, wenn er als mammunde bezeichnet wird (Str. 18,1 des Milstätter Reimphysiologus). Zum anderen erinnert das Verhalten des Milgot natürlich an das des Löwen im Iwein Hartmanns von Aue bzw. an die Cr8tien’sche Vorlage. Dies gilt insbesondere für die Körperhaltung des Tiers beim ersten Zusammentreffen. Hier wird berichtet, der Milgot krieche zu Apollonius hin, habe den Bauch also am Boden. Anschließend legt er seinen Kopf auf die Füße des Protagonisten. Diese zahmen Gesten der Unterwerfung und des Umschmeichelns lassen sich in beinahe derselben Weise in den Löwen-Beschreibungen Chr8tiens und Hartmanns finden. Bei Hartmann etwa heißt es: sich bit der lewe 0f s%nen vuoz / und zeict im unsprechende gruoz / mit gebærde und mit stimme (Iw. 3869–3871). Der Eindruck von Intertextualität verstärkt sich indes noch, wenn man bedenkt, dass Apollonius zu Beginn befürchtet hatte, der Milgot könne ihm feindlich gesinnt sein. Auch Chr8tiens Yvain und Hartmanns Iwein stellen – im Angesicht des Löwen – derartige Überlegungen an (Yv. 3369f.: Se li lions apr8s l’assaut, / De la bataille ne li faut; Iw. 3866f.: di heter zw%vel genuoc / daz in der lewe wolde best.n). Gemeinsam ist den drei Texten außerdem, dass das Tier stets für den Menschen auf die Jagd geht, sich fürsorglich um ihn kümmert und ihn versorgt. Während sich an Iwein jedoch eine Verwilderung bemerkbar macht – da er beispielsweise rohes Fleisch verzehrt – trifft dies auf Apollonius nicht zu. Gleich zweimal wird explizit gesagt, er brate alle erjagten Tiere vor dem Verzehr (V. 6763: Er schoß vogelein, die er priet; V. 6767–6769: Da vieng er visch inne genug / (Er was zu solcher weyse klug), / Di aß er gepraten). Außerdem bleibt Apollonius
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dem Kulturraum insofern verhaftet, als dass er verschiedene Kulturtechniken an den Tag legt. So schnitzt er sich beispielsweise Pfeil und Bogen für die Jagd sowie Reusen für den Fischfang. Doch nun zurück zu den Panthereigenschaften des Milgot. Eine wichtige Eigenschaft, die das sonderbare Wesen wohl am stärksten in die konzeptuelle Nähe eines Panthers rückt, ist der süße Duft, der von ihm ausgeht und der dem Protagonisten neue Kraft verleiht (V. 6666f.: Sein gesmach was so susse / Das er da von ain kraft gewan). Auch wenn an dieser Stelle nicht explizit gesagt wird, der süße Duft gehe vom Atem des Tieres aus, kann dennoch angenommen werden, dass der religiöse Diskurs hier unterhalb der Textoberfläche aufgerufen wird. Als einen Hinweis darauf könnte man die drei direkt darauffolgenden Verse werten, in denen Apollonius Gedanken über den Willen Gottes anstellt (V. 6668–6670: Do gedachte der werde man / ›Leichte will sich Got erparmen / Uber mich vil armen‹). Stehen der süße Milgot-Duft und das Nachdenken über den Willen Gottes also in einem Kausalzusammenhang? Oder konkreter formuliert: Initiiert der Duft das Nachdenken? Diese Frage muss angesichts der Informationen, die der Text liefert, offen bleiben. Ein mittelalterlicher Rezipient, der mit dem Millstätter Reimphysiologus vertraut war, könnte sich hier aber möglicherweise an die letzte Strophe des Physiologus-Panther-Abschnitts erinnert gefühlt haben, in der es heißt Nu gezimet uns wol […] / ze louffen mit reinen gedanchen nach dem suozzen stanche (Str. 25, 1f.). Die Handlungsanweisung, die im Millstätter Reimphysiologus gegeben wird – nämlich dem süßen Duft zu folgen – verwirklicht Apollonius im weiteren Verlauf der Erzählung dann auch. Allerdings findet zuvor noch eine nonverbale Kommunikation zwischen ihm und dem Milgot statt, innerhalb der das wundersame Tier ihn mit einer Geste zum Folgen auffordert (V. 6672–6674 Das dier vor im enweg gieng / Und det im mit dem haupte kunt / Das er im volgte an der stund). Nachdem es Apollonius eilig auf den Berg geführt hat, beginnt es, lautstark zu rufen (V. 6679f. Es schre sein stymme, di was gros, / Das es in dem walde doß). Auch dieses Rufen erinnert an das Verhalten des Panthers, das in den naturkundlichen Quellen sowie in den untersuchten Physiologus-Fassungen und Bestiarien beschrieben wird. Bemerkenswert ist zudem die Anzahl der Rufe, die der Milgot von sich gibt. Es wird nämlich gesagt, er rufe dreimal (V. 6681 den ruff det es dreystund). Diese Anzahl spielt auch im Panther-Abschnitt des Milstätter Reimphysiologus eine Rolle, denn dort heißt es, der Panther verweile – nachdem er gefressen habe – drei Tage in seiner Höhle. Ebenso wie nach dem Rufen des Panthers scharen sich auch nach dem Rufen des Milgot verschiedenste Tiere um den Milgot selbst und um Apollonius herum:
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Pey ainer weyle kam ain schar Von maniger hande wilde Zu im auff das gevilde: Liebarten, leuwen, panthier, Ain hüren, wissen komen schir. Wilde peren und eberschwein, Helffan und kamelein Drungen alle sampt zu. (V. 6684–6691)
Zwei Einwände, die man angesichts des oben angeführten Zitats gegen die Pantherähnlichkeit des Milgot erheben könnte, sind sicherlich darin zu sehen, dass unter den Tieren, die zu ihm hinlaufen, auch wiederum panthier sind und dass an keiner Stelle des Textes explizit gesagt wird, der Milgot ähnele einem Panther. Es scheint, dass Heinrich von Neustadt hier auf eine viel sublimere Weise auf das antike und mittelalterliche Wissen vom Panther Bezug nimmt und dieses literarisch überformt. Daher wäre es m. E. verfehlt, den Milgot eindeutig als Panther zu klassifizieren, jedoch scheint er immens viele Bestandteile des mittelalterlichen Panther-Konzepts in sich zu vereinen. Dieser Eindruck wird auch im weiteren Verlauf der Erzählung aufrechterhalten. Alle Tiere gehorchen dem Milgot und sind Apollonius freundlich zugetan. Der Migot selbst versorgt Apollonius nicht nur mit verschiedenen erjagten Tieren, sondern bringt ihm auch wundersame Wurzeln, durch die der Held neue Kraft gewinnt (V. 6725– 6727 Uber ain weyle, di was kurtz, / Prachte das schone tier ain wurtz / Getragen in seinem munde). Auch dies erinnert an die Ernährungsweise des Panthers, die im Physiologus Theobaldi deutsch beschrieben wird, denn dort wird gesagt, der Panther ernähre sich von manigfeltigen würczen vnd kreütern.832 Die Zauberwurzel, die der Milgot Apollonius bringt, könnte daher ebenso als eine literarische Überformung der im Physiologus Theobaldi deutsch beschriebenen vegetabilen Ernährung des Panthers betrachtet werden. Interessant erscheint darüber hinaus auch die Schilderung der Begegenung des Weissagers Albedacus mit dem Milgot. Als Apollonius’ Schiff und ein Teil der Besatzung wieder zu der Insel zurückkommen, berichtet der Protagonist zunächst von seinen Erlebnissen mit den Tieren. Als der Held auf den Milgot zu sprechen kommt, weiß Albedacus direkt, um welche Art von Tier es sich bei ihm handelt: Der weissage Albedacus Gedacht in seinem hertzen suß: 832 An dieser Stelle ließe sich natürlich einwenden, dass der Physiologus Theobaldi deutsch erst im 15. Jahrhundert entstanden ist und Heinrich von Neustadt seinen Apollonius von Tyrland bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts verfasste. Allerdings muss hier die lateinische Physiologus-Tradition – die bereits wesentlich früher greifbar ist – in die Betrachtung mit einbezogen werden.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
›Ain tier haisset Milgot: Di tyr laistent sein gepot, Sy sein klain oder groß. Kain tyer ward nie sein genoß. Hiette ich des tyeres hertzen, So verchte ich kainen smertzen.‹ (V. 6953–6960)
An dieser Stelle wird zum ersten Mal der Name des Tieres verkündet und über die Wirkkraft seines Herzens informiert. Auch hier lässt sich eine assoziative Verbindung zum Pantherkonzept erkennen, wenn man bedenkt, dass der Panther bereits seit der Antike in der Traumdeutung eine wichtige Rolle spielte und dass es sich bei Albedacus um einen Weissager handelt. Er kann den Milgot direkt identifizieren, da er über ein Spezialwissen verfügt, das wohl auch die Traumdeutung miteinschließen dürfte. Direkt nachdem Albedacus von dem Tier vernommen hat, bricht er in den Wald auf mit der Absicht, es zu suchen, zu töten und ihm anschließend das Herz herauszuschneiden. Hierin zeigt sich eine besondere Grausamkeit des Traumdeuters. Während der Milgot sich auf rührende Weise, mitleidvoll und verständig um Apollonius kümmerte – sodass man diesbezüglich beinahe von ›anthropomorphen Zügen‹ des Tiers sprechen könnte – legt Albedacus ein Verhalten an den Tag, das jeder Menschlichkeit entbehrt. Er will das Tier schlachten, das zuvor seinem König das Leben gerettet hat. Als er tatsächlich fündig wird, wendet er eine äußerst ›unkonventionelle‹ Methode an, um den Milgot still zu stellen: Er bindet ihm einen Zauberbrief um den Hals, der bewirkt, dass das Tier all seiner Kraft beraubt ist und sich nicht mehr bewegen kann: Ain prieff schraib er do, Den pandt er im umb das haupt. Da mit das tyr was peraupt, Milgot, aller seiner kraft. (V. 6970–6973)
Auch hier könnte man überlegen, ob in diesem Brief ein intertextueller Verweis auf das brackenseil in Wolframs Titurel zu sehen ist. In beiden Werken geht es um einen Brief, der um den Hals eines Tieres gebunden wird, um dieses zu fixieren. Für das Vorliegen von Intertextualität könnte auch Albedacus’ spätere Antwort sprechen, die er Apollonius gibt, als dieser ihn fragt, was den Milgot seiner Kraft beraube (V. 7023f.: ›Herre, das ist diese geschrifft, Di uberwindet alle gift). Die Schrift ist es also, die fixiert. Bei Wolfram wird diese Annahme jedoch ins genaue Gegenteil verkehrt, da der Träger der Inschrift in die wilde entflieht – ebenso wie auf poetologischer Ebene immer wieder die Signifikanten zu ent-
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fliehen scheinen und sich das Signifikat nicht festmachen lässt, da es die eine Bedeutung nicht gibt.833 Durch den Bannbrief bewegungsunfähig gemacht und somit größter Gefahr ausgesetzt, weiß der kluge Milgot dennoch, was zu tun ist und wer ihn aus dieser Situation retten kann. Auf seine ganz eigene Weise bittet er Apollonius um Hilfe (V. 7041 Das tier sach den kunig an, / Sam es spräch ›werder man, Löse mir des todes pandt!‹). Apollonius bewahrt den Milgot vor dem sicheren Tod durch Albedacus’ großes Messer und will kurze Zeit später von dem Tier Abschied nehmen, da er plant, die Insel wieder zu verlassen. Innerhalb dieser Abschiedsszene lässt das Tier ein weiteres typisches Panthermerkmal erkennen: Die große Dankbarkeit, die bereits in Plinius’ Erzählung von der Panthermutter anklingt (NH 8, 21). Diese Dankbarkeit des Milgot – die auch als ein weiterer intertextueller Verweis auf Iweins Löwen gelesen werden kann – wird im Text wie folgt beschrieben: Mit henden und mit fussen Da winkt es dem vil sussen Das er ain weyle pelib da. Das tier lieff von dem heren sa. Es prachte im der wurtzen gnug, Das er sy von dannen kam getrug. Es gie mit im untz an das mer. (V. 7059–7065)
Durch die Gesten des Tieres, die hier beschrieben werden, stellt sich der Eindruck einer Anthropomorphisierung ein. Dem Tier ist bewusst, dass Apollonius die Insel verlassen möchte, weshalb es sich um ein Abschiedsgeschenk – eine riesige Menge an Zauberwurzeln – bemüht. Dieses Abschiedsgeschenk ist für den weiteren Verlauf der Erzählung von großer Bedeutung, da durch die Wurzeln erneut metonymische Verbindungen zu weiteren .ventiuren geschaffen werden.834 Darüber hinaus könnte man überlegen, inwieweit durch dieses Abschiedsgeschenk zum Ausdruck gebracht werden soll, dass der Milgot Apollonius freiwillig mit dem versorgt, was sich Albedacus gewaltsam aneignen wollte. Es geht in dieser Abschiedsszene zwar nicht mehr um das Herz des Wundertiers, jedoch scheinen Herz und Wurzel eine ganz ähnliche Wirkung zu haben. Auch die Information, dass der Milgot Apollonius untz an das mer begleitet, erscheint wichtig, denn dieses Begleiten ist – ebenso wie die Gesten und das Abschiedsgeschenk – als ein Ausdruck von Verbundenheit zu begreifen. Wäh833 Vgl. Fuchs-Jolie, Einführung zu Wolframs Titurel, S. 24. 834 Als Apollonius beispielsweise gegen einen Riesenkrebs antreten muss und im Anschluss an diesen Kampf äußerst geschwächt ist, greift er zu einer der Zauberwurzeln und kommt auf der Stelle wieder zu Kräften (V. 10088f.: Er aß aber seiner wurtzen, / Do det di kranckhait wider sturtzen).
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rend sich die Dankbarkeit der Panthermutter in Plinius’ Erzählung darin zeigt, dass sie den Retter ihrer Jungtiere bis weit über die Grenzen der Wüste hinaus begleitet, bringt der Migot Apollonius bis an dessen Schiff. Zusammenfassend kann in Bezug auf das wunderliche Tier festgehalten werden, dass es zwar an keiner Stelle des Textes explizit als panther oder panthertyer bezeichnet wird, dass es aber beinahe alle Wissensbestandteile des mittelalterlichen Panther-Konzepts in sich vereint. Präziser gesagt, kann der Milgot als interdiskursives Dispositiv betrachtet werden, durch das Wissensbestandteile des naturkundlichen-, des religiösen und des literarhistorischen Diskurses in den literarischen Diskurs inkorporiert werden, sodass er – um es in den Worten Jürgen Links auszudrücken – zum Interdiskurs wird. Als ›exotisch‹ ist der Milgot wohl bereits insofern zu betrachten, als dass er auf einer Insel lebt, die man als eine Art Anderwelt begreifen könnte. Daneben zeigt er aber auch Aspekte die ihn als wunderbar kennzeichnen. Dazu zählt möglicherweise auch die Tatsache, dass gerade keine explizite Kategorisierung oder Klassifizierung dieses Wesens stattfindet. Der Rezipient bleibt im Ungewissen darüber, um welche Art von Tier es sich handelt. Ein gebildeter mittelalterlicher Rezipient, der zumindest mit dem Physiologus vertraut war – oder womöglich sogar mit einigen der naturkundlichen Quellen – dürfte jedoch die Panther-Ähnlichkeit des Tiers bemerkt haben und den Text daher auf einer anderen Ebene rezipiert haben, als ein Rezipient, der keine Kenntnis dieser Quellen besaß. Dies gilt auch für die intertextuellen Bezüge, die sich innerhalb des Milgot-Abenteuers erkennen lassen. Anhand der Beschreibung des äußeren Erscheinungsbildes wie auch des Verhaltens lässt sich deutlich erkennen, dass der Milgot Staunen evozieren soll. Durch seine zuweilen äußerst anthropomorph wirkenden Züge – die ihn beispielsweise menschlicher wirken lassen als Albedacus – spiegelt er einmal mehr die ausgesprochen große mittelalterliche Experimentierfreude mit der MenschTier-Grenze wieder. Eine Begegnung mit einem Tier, das tatsächlich auch als panthier bezeichnet wird, hat Apollonius mehr als 3000 Verse später, nachdem er einen fürchterlichen Riesenkrebs zur Strecke gebracht hat und ein begehbares Schneckenhaus entdeckt hat. Bereits diese beiden .ventiuren zeigen, dass der Held sich in einer Welt der wundersamen Begebenheiten bewegt, die voll von wilden, gefährlichen Tieren zu sein scheint. Das begehbare Schneckenhaus befindet sich nahe einer Wasserstelle, zu der Tiere verschiedenster Art gelaufen kommen: Deß wildes kam dort ain her ; Do satzt er sich zu starcker wer : Lewparten, lewen, wilde swein, Obentin und kamelein, Ainhuren und rinoceros,
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Wisinttier und frosch, Puffel, hirsen und hinden, Der per mit seinen kinden, Merkatzen, wolff und der lüx, Der kolkodris und der füx, Tigris und das helffant, Vipernateren er da vant, Der tracken und basiliscus, Panthier und trumidarius, Di tier komen mit grosses schar Zu dem Wasser trincken dar. (V. 10136–10151)
Auch an dieser Stelle könnte man überlegen, ob Heinrich von Neustadt hier einen intertextuellen Verweis auf den Alexanderroman – genauer gesagt auf Alexanders Begegnung mit den Tieren am Süßwassersee – beabsichtigte. Besonders auffällig treten innerhalb dieser Tier-Aufzählung die Obentin und der per hervor. Die Obentin gibt insofern Rätsel auf, als dass die mhd. Bezeichnung olbente gewöhnlich mit ›Kamel‹ übersetzt werden kann.835 Im vorliegenden Fall würde dies allerdings keinen Sinn ergeben, da es zu der Dopplung ›Kamel und Kamele‹ führen würde.836 Auch die Möglichkeit, dass mit Obente Dromedare gemeint sein könnten, ist mehr als unwahrscheinlich, da Dromedare unter der Bezeichnung trumidarius gesondert angeführt werden (V. 10149).837 Man könnte daher vermuten, dass Heinrich von Neustadt keine konkrete Vorstellung davon hatte, welches Tier mit Obente gemeint ist und dass ihm aus diesem Grund die Dopplung innerhalb seiner Aufzählung nicht bewusst war. Dies erscheint allerdings insofern verwunderlich, als dass der Text an anderer Stelle wiederum ein – wahrscheinlich doch recht profundes – naturkundliches Buchwissen durchscheinen lässt. Dass der per das einzige Tier innerhalb dieser Aufzählung ist, das mit seinen Jungtieren zum Wasser eilt, ist nämlich weder dem Zufall noch der reinen Willkür geschuldet. Diese Information gibt vielmehr Aufschluss darüber, dass Heinrich mit den naturkundlichen Vorstellungen, die man seit der Antike von dem Tier hatte, vertraut war, denn bereits Plinius schreibt in seiner NH 8, 54 über den Bären, die Jungtiere kämen ungeformt zur Welt und müssten von dem Muttertier zunächst in Form geleckt werden. Die Panther tauchen in Heinrichs Aufzählung direkt nach dem Drachen und dem Basilisken auf. Dies könnte man bereits als eine Überleitung zu dem darauffolgenden Geschehen betrachten, denn nachdem alle Tiere ihren Durst ge-
835 Vgl. dazu auch: Birkhan, Leben und Abenteuer des großen Königs Apollonius von Tyrus, S. 349, Anm. 211. 836 Ebenda. 837 Ebenda.
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stillt haben, beginnen sie, sich gegenseitig zu bekämpfen, wobei der Kampfgegner des Panthers der Drache ist: Do drang her das edel panthyr Wann sein geschmack ist also güt Das es den tieren sanffte düt. Do sach er ain dracken Sich zu dem panthier machen. Di tier fluhen alle gar. Der tracke was schwartz var. Er ließ fewr auß dem giel, Das es auff das tier viel. Das panthyr schre mit grymme Ain clagliche stymme, Das es in den walt schal. Das wilt floch uber al. Es hette sich vil nahent übergeben, Wan es gieng im an das leben. (V. 10163–10178)
Ebenso wie in den untersuchten Physiologus-Fassungen wird der Panther hier als edles Tier beschrieben, von dem ein derart vorzüglicher Duft ausgeht, dass alle anderen Tiere ihm folgen. Dann jedoch zeigt sich eine Diskrepanz zwischen dem, was im Physiologus und den Bestiarien über das Tier nachzulesen ist und dem literarisch überformten Pantherbild, das Heinrich von Neustadt entwirft. Zwar wird auch in dem Minne- und ffventiureroman die Feindschaft zwischen Panther und Drache zum Erzählgegenstand, jedoch flüchtet sich der Drache hier nicht furchtsam in seine Höhle, wie dies beispielsweise im Milstätter Reimphysiologus beschrieben wird. Vielmehr stellt er sich dem Kampf und zu Beginn der Auseinandersetzung stehen seine Chancen, als Sieger aus dieser Auseinandersetzung hervorzugehen, sehr gut, denn es wird gesagt, der Panther habe sich schon beinahe aufgegeben (V. 10177: Es hette sich vil nahent übergeben). Auch das typische Rufen des Panthers, das im religiös-heilsgeschichtlichen Diskurs stets dazu dient, die Tiere in der Umgebung des Panthers herbeizulocken, wird von Heinrich in einen anderen Kontext gerückt. Hier ist von einer clagliche[n] stymme (V. 10174) die Rede. Der Panther verdeutlicht mit diesen Lauten also, wie verzweifelt er ist und wie ausweglos ihm seine Situation erscheint. Schließlich entfaltet dieses Rufen auch noch die genau entgegengesetzte Wirkung von derjenigen, die im Milstätter Reimphysiologus geschildert wird: Die anderen Tiere scharen sich nicht um den Panther herum, sondern suchen das Weite (V. 10176: Das wilt floch uber al). Der schwarze, feuerspeiende Drache tritt hier als eine Art ›Ausgeburt der Hölle‹ in Erscheinung und Heinrich von Neustadt räumt ihm innerhalb seines Erzähltextes wesentlich mehr Macht und Stärke ein, als ihm innerhalb der
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Physiologus- und Bestiarientradition zugeschrieben wird. Alleine kann der Panther dieses angsteinflößende Wesen nämlich nicht besiegen. Er benötigt Apollonius’ Hilfe, um sich aus der lebensbedrohlichen Lage zu befreien. Der Protagonist zögert nicht lange und eilt dem Panther zur Rettung. Nur einmal fragt er sich innerhalb eines kurzen Monologs, der an die Milgot-Stelle und Iweins Begegnung mit dem Löwen erinnert, ›Sol ich nu verderben lan / Das edel tier wolgeta]? […]‹. Diese Frage scheint jedoch eher rhetorischer Natur zu sein. Hinsichtlich seiner Handlungsentschlossenheit unterscheidet sich Apollonius hier also von Hartmanns Iwein, der zunächst ins Grübeln gerät, ob er dem Löwen Hilfe leisten soll. Iwein befürchtet nämlich, der Löwe könne ihm selbst zur Gefahr werden. Doch auch Apollonius hat große Mühe, gegen das ungehewre (V.10194) von Drache anzukommen, denn dieses greift mit gestanck und mit fewre (V. 10193) an. Besonders die erstgenannte Waffe des Drachen, der gestanck, erscheint hier besonders wichtig, denn er verdeutlicht einmal mehr den Antagonismus zwischen Panther und Drache, von dem in allen bislang untersuchten mittelalterlichen naturkundlichen und religiös-heilsgeschichtlichen Quellen die Rede war. Während das charakteristische Merkmal des Panthers dessen guter Duft ist, kommt aus dem Maul des Drachen das genaue Gegenteil: übler Gestank. Die Schilderung des Kampfgeschehens erinnert wiederum stark an den Drachenkampf in Gottfrieds Tristan (Tr. 8963–9055), denn auch Apollonius verliert – nachdem er dem Drachen anfangs schwer zusetzen kann (V. 10189f.: Das schwert schnaid des trackens haut / Recht als ain gesottens kraut) – sein Pferd. Seine übrige ritterliche Ausstattung wird ebenfalls arg in Mitleidenschaft gezogen (V. 10195–10198). Schließlich ist die Feuersbrunst des Drachen derart übermächtig, dass sie für den Protagonisten lebensgefährliche Ausmaße annimmt (V. 10199f.). Doch in diesem Moment hat der Panther seinen großen Auftritt und wird als rettender ›Feuerlöscher‹ in Szene gesetzt: Do lieff das edel panthier Zu dem weg es kam schier : Es nam wasser in den munt; Da von der ritter wart gesunt: Es pliess das wasser auff in dar ; Da von erlasch das fewr gar. Der ritter gewan ain newe kraft, Er ward aber manhaft. (V. 10201–10208)
Interessant erscheint diese Textstelle vor allem, wenn man bedenkt, was der Millstätter Reimphysiologus über das Verhalten des Hirschs berichtet, das dieser bei Konfrontationen mit einer Schlange bzw. mit einem Drachen an den Tag
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lege.838 Der Hirsch müsse – nachdem er den Drachen verschlungen habe – schnellstmöglich zu einem reinen Wasser laufen, um sich dem aufgenommenen Drachengift wieder zu entledigen.839 In diesem Kontext werden natürlich auch Assoziationen zum Weihwasser – das seine Wirkung gegen den Teufel entfaltet – wachgerufen. Da sich Hirsch und Panther im Hinblick auf ihre Feindschaft zum Drachen äußerst ähnlich sind, könnte man vermuten, dass ein mittelalterliches Publikum diese Wissensbestandteile auch bei der Rezeption der oben angeführten ›Feuerlöscher-Episode‹ aktualisierte. Bemerkenswert ist außerdem, dass Apollonius durch das Verhalten des Panthers gesunt wird (V. 10203). Das mhd. Adjektiv gesunt kann mit ›gesund‹, ›unversehrt‹, ›unverletzt‹, ›geheilt‹ ›lebendig‹ oder ›am Leben‹ übersetzt werden.840 Es scheint daher, dass Apollonius’ Verletzungen schlagartig davon heilen, dass der Panther das Wasser ins Maul nimmt. Dies spricht ebenfalls für ein besonderes Wasser, das Weihwasser-Assoziationen zulässt. Insofern liegt auch an dieser Stelle ein literarischer ›Interdiskurs‹ im Sinne Jürgen Links vor, denn Elemente des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses werden überformt und fließen in den literarischen Diskurs mit ein. Auffällig ist weiterhin, dass der Panther innerhalb dieses Textabschnitts bereits zum dritten Mal mit dem Epitheton edel versehen wird, nachdem von ihm schon in den Versen 10163 und 10182 gesagt wurde, er sei edel bzw. ein edel tier. Auch hierin zeigt sich eine Parallele zu Iweins Löwen, denn dieser wird ebenfalls als edel bezeichnet (Iw. 3849). Alle übrigen Merkmale – mit Ausnahme des guten Duftes – werden erst über 60 Verse später genannt, als Apollonius den Drachenkampf überstanden hat und Gelegenheit dazu findet, sich den Panther genauer anzuschauen. Dieses erzählerische Vorgehen legt offen, dass die äußeren Merkmale des Tieres sekundär sind, solange sich der Protagonist – und auch die Rezipienten – gewiss sein können, dass das Tier edel ist. Alle anderen Merkmale treten erst in den Fokus des Interesses, als es um die Nutzung des Tiers geht. Als Remineszenz an Apollonius’ Milgot-Abenteuer könnte man werten, dass der Held durch die Hilfe des Panthers newe kraft (V. 10207) gewinnt und wieder manhaft (V.10208) wird. Was der Milgot mit seinen Zauberwurzeln bewerkstelligte, erreicht der Panther hier mit seiner Lösch-Aktion. Als der Drache besiegt ist, tritt dem Protagonisten auf schmerzlichste Weise der Verlust seines Pferdes ins Bewusstsein und er bricht in einen klagenden Monolog aus, in dem er sich immer wieder selbst Vorwürfe macht, falsch gehandelt zu haben. Seine Klagen gipfeln schließlich in dem verzweifelten Ausruf 838 Vgl. dazu S. 176 der vorliegenden Arbeit. 839 Millstätter Reimphysiologus, Str. 96. In: Maurer (Hrsg.), Der altdeutsche Physiologus, S. 39. 840 Henning, Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch, Lemma ›gesunt‹, S. 121.
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Das ich nie wär geporen! / Es war pesser sammer gott; / Wann ich pin der götter spott (V. 10253–10255). Apollonius befürchtet also, mit dem Verlust seines Pferdes auch zeitgleich sein Ansehen, seine Würde – ja seine Daseinsberechtigung als ›Pferdemann‹, d. h. als Ritter, eingebüßt zu haben und nun nur noch den Status einer Witzfigur zu besitzen.841 In dieser scheinbar hoffnungslosen Lage kommt dem Helden erneut der Panther zur Hilfe. Er bietet sich ihm – ganz zahm – als Reittier an: Das panthier er pey im sach. Es legte sich auff di erden Und winckte dem vil werden Das er auff es sässe. Zam was sein gelässe. Es kroch auff allen seinen vieren dar. (V. 10257–10262)
Bemerkenswert ist hier zum einen das auffordernde Winken des Panthers, das einer Art Performance gleichkommt und verdeutlicht, dass das Tier zu einer sinnvollen, nonverbalen Kommunikation in der Lage ist. Die Fähigkeit sich zu verständigen lässt den Panther anthropomorph erscheinen, wie dies bereits bei dem pantherähnlichen Milgot der Fall war. Was zum anderen ins Auge fällt, ist die gebückte Körperhaltung des Tiers (V. 10262), die Apollonius das Aufsitzen erleichtern soll. In den darauffolgenden Versen – in denen das Aussehen des Tiers näher beschrieben wird – tritt die Erforderlichkeit dieser gebückten Haltung noch deutlicher zutage, denn der Panther wird als hoch beschrieben (V. 10264). Apollonius selbst nimmt das Tier folgendermaßen wahr : ›Das tier ist hoch und groß, An lauffe ains orses genoß. Sein haupt ist krumpp, sein har gra, Es hatt als ain greyffe cla.‹ (V. 10264–10267)
Wie bereits zuvor im Rahmen des Milgot-Abenteuers, wird auch hier eine Innensicht in Apollonius’ Gedanken- und Wahrnehmungswelt gewährt. Dadurch entsteht in der Vorstellung des Rezipienten sukzessive ein sprachlich generiertes Bild des Panthers. Die innerhalb des Zitats angesprochene Größe und Höhe des Tiers wird darüber hinaus auch anhand der beiden Miniaturen in den Abbildungen 46 und 47 ersichtlich.
841 Zum Bild des Ritters als ›Pferdemann‹ vgl.: Peschel, Dietmar : Pferdemänner : Sieben Essays über Sozialisation und ihre Wirkungen in mittelalterlicher Literatur. Erlangen 1998.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Abb. 46: Hs C (ÖNB Cod. Vind. 2886), fol. 61r. Der Panther (links) und Apollonius kämpfen gegen den Drachen.842
Deutlich zu erkennen ist, dass der Panther nur geringfügig kleiner als der Drache abgebildet wird und annähernd die Umrisse eines Pferdes besitzt. Neben der Größe wird im Text an gleich drei Stellen die Schnelligkeit des Panthers betont, hinsichtlich der er einem Pferd in nichts nachstehe (V. 10265: An lauffe ains orses genoß; V. 10279: Unmassen schnell was sein lauf; V. 10291: Ainem schnellen roß geleich). Interessant im Hinblick auf die Frage nach möglicherweise tradierten Konzeptbestandteilen innerhalb von Heinrichs Panther-Beschreibung, erscheint die Aussage Sein haupt ist krumpp (V. 10266). Helmut Birkhan übersetzt diese Information mit ›Sein Haupt ist rund‹843, was meines Erachtens nicht treffend ist. Das Adjektiv krumpp bzw. krump kann laut dem Mittelhochdeutschen Handwörterbuch Matthias Lexers mit ›krumm‹, ›gekrümmt‹, ›verdreht‹ oder ›schief‹, übersetzt werden und als Anthonym zu ›eben‹ auftreten.844 Darüber hinaus schlägt Beate Henning noch weitaus negativer konnotierte nhd. Adjektive – wie beispielsweise ›verkrüppelt‹, ›schwach‹ und ›schlecht‹ – zur Übersetzung von krump vor.845 Hat der Panther also einen ›verkrüppelten‹ Kopf ? 842 Bildquelle: Hs C (ÖNB Cod. Vind. 2886), fol. 61r. 843 Birkhan (Hrsg.), Leben und Abenteuer des großen Königs Apollonius von Tyrus, S. 170. 844 Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Lemma ›krump‹. Auf: http://woerterbuch netz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?mode=Vernetzung& hitlist=& patternlist=& lemid= LK03597& sigle=Lexer. Zugriff am 16. 05. 2016 um 16:49 Uhr. 845 Henning, Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch, Lemma ›krump‹, S. 192.
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Auch diese Übersetzung dürfte nicht ganz den Sinngehalt erfassen, den Heinrich von Neustadt höchstwahrscheinlich beim Verfassen seiner Verse transportieren wollte. Meine Vermutung ist, dass er hier beabsichtigte, den Konzeptbestandteil zu benennen, der bereits in Plinius’ NH 8, 23 unter der Bezeichnung capitis torvitate zu finden ist. Es geht also hier um das Merkmal des ›wilden‹, ›furchteinflößenden‹ Kopfes, der alle anderen Tiere binnen kürzester Zeit in die Flucht zu schlagen vermag. Zu dieser Übersetzung würde auch die Miniatur in Abb. 47 passen, die den Panther zeigt, wie er vorsichtshalber seinen krumpp[en] Kopf inmitten eines Laubwaldes versteckt.
Abb. 47: Hs C (ÖNB Cod. Vind. 2886), fol. 62r.846 Apollonius kommt nach Ninive, der Kopf des Panthers verschwindet im Wald.
Laut Text macht sich der Panther zwar – nachdem er Apollonius vor Ninive abgesetzt hat – gänzlich auf den Weg in den Wald (V. 10303: Zu dem walde was sein lauff), innerhalb der Miniatur könnte aber dennoch der tradierte Konzeptbestandteil des wilden Kopfes, der im Laub verborgen werden muss, umgesetzt sein. Dies würde bedeuten, dass auf der Bildebene ein aus der Antike 846 Bildquelle: Hs C (ÖNB Cod. Vind. 2886), fol. 62r.
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tradierter Wissensbestandteil transportiert wird, der auf der Textebene literarisch so weit überformt ist, dass er dort nicht mehr als solcher erkennbar scheint. Beachtung muss darüber hinaus aber auch den – bereits in V. 10267 genannten – Greifenklauen des Panthers zukommen. Sie wirken innerhalb der Miniatur (Abb. 47) – vor allem an den Hinterläufen des Tiers – ausgesprochen auffällig und rücken die Darstellung in die Nähe der Panther-Miniatur aus der Werkstatt Diebold Laubers (Abb. 25). Auch Laubers Panther besitzt in etwa die Größe eines Pferdes und weist zwei Greifenklauen auf. Diese befinden sich allerdings an den Vorderläufen des Tiers, während die Hinterläufe eher denen eines Pferdes gleichen. Dennoch lässt sich eine wesentlich größere Ähnlichkeit des ›Apollonius-Panthers‹ zum ›Lauber-Panther‹ konstatieren als beispielsweise zu einer der bildhaften Darstellungen innerhalb der Bestiarien. Des Weiteren erinnert die bildhafte Darstellung in Abb. 47 natürlich an das Beschreibungsverfahren des Vergleichspuzzles. Besonders erstaunlich erscheint auch die Fellfarbe, die Apollonius an dem Tier wahrnimmt. Im Gegensatz zu den Informationen aller anderen bislang ausgewerteten Quellen, wird der Panther nicht bunt, sondern gra (V. 10266) beschrieben, was ihn wiederum etwas vom religiös-heilsgeschichtlichen Diskurs distanziert. Daran zeigt sich, dass innerhalb ein und desselben Textes der religiös-heilsgeschichtliche Diskurs aufgerufen und zugleich – wie hier – vermieden werden kann. Dabei ist jedoch stets zu bedenken, dass er gerade in solchen Vermeidungspraktiken präsent gehalten wird. Nachdem Apollonius das Angebot des Panthers angenommen hat, ist er äußerst erfreut über die Qualitäten, die er an seinem neuen Reittier entdeckt. Dieses erweist sich nämlich nicht nur als besonders schnell, sondern kann sich auch bestens im Wasser fortbewegen und zeichnet sich durch große Ausdauer aus, denn es trägt den Helden vier Tage lang auf seinem Rücken. Lediglich nachts, wenn Apollonius schläft, nimmt das panthier Nahrung zu sich (V. 10293f.). Bemerkenswert ist auch, wie sich der Panther von Apollonius verabschiedet, als Ninive in Sichtweite kommt. Es scheint, dass das Tier diesen Kulturraum nicht betreten möchte, weswegen es den Protagonisten wie folgt um urlaub (V. 10301) – also um ›die Erlaubnis gehen zu dürfen‹– bittet: Das panthier legt sich auff di knie, Als es spräch ›ich muß hie Von dir schaiden, werder man: Du solt mich urlaub haben lan.‹ Er saß ab im. Es stund auff. Zu dem walde was sein lauff. (V. 10298–10303)
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Innerhalb dieses Textabschnitts wirkt der Panther erneut anthropomorphisiert – ein Eindruck, der insbesondere dadurch entsteht, dass der Erzähler die Gesten des Tieres übersetzt bzw. überhaupt erst verbalisiert. Die Worte des Erzählers werden sozusagen dem Panther ins Maul gelegt. Dies geschieht allerdings im Modus des ›als ob‹, wodurch die Anthropomorphisierung wieder ein Stück weit zurückgenommen wird. Diese anthropomorphen Züge des Panthers dürften – ebenso wie sein wunderliches Äußeres mitsamt den Greifenklauen – darauf abzielen, den Rezipienten in Staunen zu versetzen. Im Rahmen der Reittier-Episode zeigt sich ein weiteres Mal, dass der Panther dazu in der Lage ist, große Dankbarkeit zu empfinden und diesem Gefühl auch in Form von Taten Ausdruck zu verleihen. Insofern setzt Heinrich von Neustadt hier mit der erzählerischen Ausgestaltung dieser Dankbarkeit eine antike Tradition fort. Daneben ist aber auch die Vorstellung von der Nutzung des Panthers als Reittier kein Novum oder etwas genuin Mittelalterliches, denn bereits in der Antike wurde der Panther oftmals als Reittier des Dionysos abgebildet. Zu bedenken ist allerdings, wie der Panther in die ritterliche Welt integriert wird, in der das Reittier das Statussymbol schlechthin darstellt, welches für das Ansehen des Reiters unentbehrlich ist. Analog zu Dietmar Peschels These, bei Rittern handle es sich um ›Pferdemänner‹, könnte man Apollonius also innerhalb der oben analysierten Episode als ›Panthermann‹ bezeichnen, woraus seinem Ansehen keinerlei Schaden erwachsen würde, denn der Panther erweist sich als ainem schnellen roß gleich (V. 10291). In einem weiteren Schritt wäre dann nach den Qualitäten zu fragen, die Apollonius als ›Panthermann‹ bekommt. An dieser Stelle erscheint es sinnvoll, erneut die Ergebnisse, die im Rahmen der Analyse des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses gewonnen wurden, mit einzubeziehen. Wenn der Panther als ›Wegführer‹ ins himmlische Jerusalem gedacht wird – wie dies beispielsweise im Millstätter Reimphysiologus der Fall ist – dann ist davon auszugehen, dass Apollonius als ›Panthermann‹ gottgefällig handelt und ebendiesen Weg finden wird. Abschließend bleibt zu überlegen, als wie ›exotisch‹ der Panther innerhalb der untersuchten Textstelle dargestellt wird. Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass das Äußere des Tieres Anzeichen von ›Exotik‹ aufweist, denn durch die Greifenklauen und die Schnelligkeit, die mit der eines Pferdes verglichen wird, erscheint zumindest ansatzweise das Beschreibungsverfahren des Vergleichspuzzles realisiert zu sein. In Bezug auf die Herkunft lässt sich sagen, dass Apollonius dem Panther auf einer seiner .ventiuren in der Ferne begegnet, wodurch ebenfalls eine gewisse ›Exotik‹ indiziert wird, auch wenn diese möglicherweise etwas weniger stark ausgeprägt ist als innerhalb der Beschreibung des Milgot, der auf einer entlegenen Insel beheimatet ist und herrscht. Was beide Tiere verbindet und sie zu Objekten des Staunens avancieren lässt, ist die An-
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thropomorphisierung, die in beiden Fällen besonders stark dadurch zum Ausdruck kommt, dass der Erzähler den Tieren seine Worte im ›Als ob‹-Modus ›ins Maul legt‹. Insofern können sowohl der Panther als auch der pantherähnliche Milgot als ›exotisch‹ bezeichnet werden, wobei letztgenannter möglicherweise als noch ›exotischer‹ wahrgenommen wurde, da er durch seine besonderen Accessoires (edle, kunstvoll gefertigte Krone und Zauberwurzeln, die neue Kraft verleihen) eventuell noch mehr Staunen evozierte. Andererseits ließe sich die Überlegung anstellen, ob die Anthropomorphisierung die Tiere nicht ›vertrauter‹ – weil näher am Menschen – erscheinen lässt. Diesbezüglich eine Entscheidung zu treffen erscheint problematisch. Allerdings geht die Antropomorphisierung in beiden Fällen nicht so weit, dass der Panther und der Milgot ihre Entität als Tiere verlieren würden und durch eben diese Tier-Entität, der menschliche Attribute angedichtet werden, wirken sie meiner Ansicht nach wunderl%ch. Eine weitere interessante Textquelle, die zur Erschließung der innerhalb des literarischen Diskurses realisierten Konzept-Bestandteile herangezogen werden kann, ist die Beschreibung des ›schönen Tiers‹ im Wigalois Wirnts von Grafenberg (V. 3853–55; 3908–15). Da sich Hans Denruyter in seinem Aufsatz Tierisches Leben im Wigalois Wirnts von Gravenberg – Das »schöne Tier«: Identifizierung und Deutungsansätze bereits eingehend mit dem pantherähnlichen Wesen im Wigalois auseinandergesetzt hat, möchte ich seine äußerst plausiblen Überlegungen nur an einigen wenigen Stellen ergänzen. Laut Denruyter wurde in Bezug auf das ›schöne Tier‹ in der Forschung meist angenommen, es handle sich um einen Hirsch.847 Diese Identifizierung ergebe sich jedoch nicht derart eindeutig aus dem Text, wie es innerhalb der Forschungsliteratur zunächst den Anschein habe.848 Aus diesem Grund plädiert Denruyter für eine erneute kritsiche Überprüfung der einschlägigen Textstellen, die er im Anschluss an sein Plädoyer auch leistet.849 Im Folgenden sei nochmals ein kurzer Blick auf diese Stellen geworfen, um die Merkmale des ›schönen Tiers‹ mit den bisher erarbeiteten Bestandteilen des mittelalterlichen Panther-Konzepts abzugleichen. Als Wigalois auf der Suche nach .ventiure ist, berichtet ihm die Botin Nereja, 847 Denruyter, Tierisches Leben, S. 119f.; Denruyter bezieht sich hierbei auf folgende Arbeiten: Trachsler, Ernst: Der Weg im mittelhochdeutschen Roman. Bonn 1979, S. 127; Gottzmann, Carola L.: Wirnts von Gravenberc Wigalois. Zur Klassifizierung sogenannter epigonaler Artusdichtung. In: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 14 (1979), S. 87–136. Erwähnung des Hirsches auf S. 105–6; Lohbeck, Gisela: Wigalois. Struktur der bezeichenunge. Frankfurt a. M. / Bern 1991 [Information und Interpretation 6], S. 268. 848 Denruyter, Tierisches Leben, S. 120. 849 Ebenda.
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Panther
ein schönes Tier könne ihn in das besetzte Reich Korntin führen. Korntin wird bereits seit geraumer Zeit von dem Heiden Roaz von Glois beherrscht und alle Hoffnung gilt daher nun Wigalois, der die Befreiung herbeiführen soll. Das Tier, welches den Helden zu seinem Einsatzort führen soll, wird von Nereja folgendermaßen beschrieben:
3855
3860
3865
nimmer wirt dehein tac man sehe vür daz h0s g.n ein tier, daz ist si wol get.n, und will ich im der w.rheit jehen, daz ich niht schœners h.n gesehen; ich sagiu wiez geschaffen ist: ez h.t unser herre Krist s%nen vl%z dar an geleit. daz tier 0f s%nem houbet treit eine guld%ne krine; diu ist bewahsen schine mit zwein swarzen hornen; mit beiden orten vornen ist si si bewunden daz wir niht enkunden mit deheinen unsern sinnen si d. von gewinnen, ob ez uns s%n gunde. (V. 3851–3868)850
Die erste Gemeinsamkeit mit den bisher erarbeiteten Bestandteilen des mittelalterlichen Panther-Konzepts ist also darin zu erkennen, dass das Tier von größter Schönheit ist. Dieses Attribut wird noch verstärkt durch die Aussage, Gott habe sich bei der Erschaffung des Tiers besonders viel Mühe gegeben (V. 3857f.). Daraufhin folgt die Information, das Tier trage eine goldene Krone auf seinem Haupt. Das Panther-Merkmal der Krone wurde innerhalb der bisher untersuchten Quellen sowohl in der Miniatur zu Bartholomaeus Anglicus’ De proprietatibus rerum im Codex Paris BNF, D8partement des Manuscrits FranÅais 216, fol. 283 (Abb. 24) als auch beim Milgot im Apollonius von Tyrland (Abb. 44) und im Tudor Pattern Book, MS. Ashmole 1504, fol. 040v. (Abb. 45) ersichtlich. Insofern rückt es das ›schöne Tier‹ im Wigalois ein Stück weit näher an die Vorstellung vom Äußeren des Panthers heran. Allerdings lässt sich bei Wirnt von Grafenberg dasselbe Verfahren erkennen, das auch im Minne- und ffventiureroman Heinrichs von Neustadt zur Anwendung gelangt: Bestandteile des Pan850 Wirnt von Grafenberg, Wigalois. Text der Ausgabe von J.M.N. Kapteyn. Übersetzt, erläutert und mit einem Nachwort versehen von Sabine Seelbach und Ulrich Seelbach. Berlin/Boston 2014, S. 91f.
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ther-Konzepts werden aufgegriffen und literarisch überformt. Diese literarische Überformung lässt sich anhand der Krone äußerst anschaulich exemplifizieren: Die erste Modifikation, die Wirnt an ihr vornimmt ist, dass sie mit den Hörnern des Tiers fest verwachsen ist (V. 3862–3868).851 Ein Element, das dem Kulturraum entstammt, wird hier also in eine untrennbare Verbindung mit einem Bestandteil des Naturraums überführt. Darüber hinaus hat die Krone aber auch noch eine Funktion innerhalb des weiteren Handlungsverlaufs: sie ziert ebenfalls das Haupt des verstorbenen Königs Lar, der in das Tier verwandelt wurde. Bei der Rückverwandlung dient die Krone als Erkennungszeichen, anhand dessen dem Rezipienten sofort bewusst wird, dass es sich bei dem Tier und dem König um ein und dasselbe Wesen handelt. Die Hörner des Tiers, die für das Gelingen der untrennbaren Verbindung mit der Krone notwendig sind, können ebenfalls als Indiz für die Panther-Ähnlichkeit des ›schönen Tiers‹ gewertet werden, denn dass auch der Panther innerhalb mittelalterlicher Darstellungen Hörner haben kann, wird anhand der Miniatur aus der Werkstatt Diebold Laubers (Abb. 25) ersichtlich. Darüber hinaus macht Denruyter auch darauf aufmerksam, dass der Panther innerhalb der mittelalterlichen Heraldik oftmals mit gehörntem Kopf abgebildet wird.852 Nachdem Nereja Wigalois über die Krone des ›schönen Tiers‹ informiert hat, setzt sie ihn über weitere Merkmale des wundersamen Wesens in Kenntnis: 3870
ez h.t in s%nem munde die hitze als ichz h.n vernomen, daz niemen mac dar zuo komen der im iht schaden wil; vrumer r%ter h.t ez vil mit im geleitet in den tit.
851 Man könnte überlegen, ob dies auch für die Krone des Milgot im Apollonius von Tyrland gilt. Der Text macht dazu jedoch keine expliziten Angaben. 852 Denruyter, Tierisches Leben, S. 122. Denruyter verweist an dieser Stelle auf: Seyler, Gustav Adalbert: Geschichte der Heraldik (Wappenwesen, Wappenkunst, Wappenwissenschaft). Neustadt an der Aisch 1970 [Nachdruck J. Siebermacher’s großes Wappenbuch A. Nürnberg 1885–89], S. 153; Vgl. dazu au: Filip, ›Panther‹. In: Lexikon des Mittelalters (Bd. 6), Sp. 1659; bezüglich der Panther-Darstellungstraditionen in der Heraldik schreibt Filip: »[Der] Panther […] erscheint in der Heraldik erstmals in der 2. Hälfte des 12. Jh. auf den Reitersiegeln des Mgf.en v. Steiermark und des Hzg.s v. Kärnten. In herald. Darstellungen wird er als ein Wesen gezeichnet, das aus Körperteilen von mehreren Tieren zusammengesetzt ist, z. B. mit langem, manchmal gehörntem Kopf mit spitzen Ohren, der einem Drachen-, Stier- oder Pferdekopf ähnelt, mit Adlerklauen als Vorderbeinen und Löwenpranken als Hinterbeinen sowie einem Schweif, der entsprechend dem Kopf wie ein Drachen-, Stier- oder Pferdeschwanz aussieht. Eindeutiges Kennzeichen sind Flammen, die aus allen Körperöffnungen schlagen. In der engl. Heraldik ist er mit bunten, runden Flecken besät, in der it. Trägt er einen hasenähnl. Kopf und den Namen ›Dolce‹.«
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Panther
3875
3880
welt ir bestÞn die selben nit, si merket rehte war ez var. von s%nem houbet ist ez gar geschaffen als ein lÞbart. ez h.t erkorn im eine vart, diu ist niemen mÞ bekannt: einen st%c in daz lant, durch den walt, zuo Kornt%n; d. sult ir im volgen %n. (V. 3869–3883)
Dem Maul des Tiers entweicht also eine Glut. Denruyter bringt diese Glut mit der Pantherbeschreibung in der Physica VII, 7 Hildegards von Bingen in Verbindung, in der über den Panther berichtet wird, er sei »seiner Natur nach sehr heiß« (valde calida est in natura sua).853 Diese Verbindung zu ziehen liegt natürlich nahe. Allerdings ist zu bedenken, dass die Physica die einizige – innerhalb dieser Arbeit untersuchte – naturkundliche Quelle darstellt, die diese Information enthält. Denruyter selbst spricht die Möglichkeit an, Hildegard könnte – beeinflusst durch den ikonographischen Bereich – zu der Vorstellung von der Hitze in der Natur des Panthers gelangt sein.854 Diese Überlegung Denruyters wie auch seine Vermutung, die bildhaften Darstellungen in den Bestiarien und der Heraldik könnten in die Beschreibung des ›schönen Tiers‹ mit eingeflossen sein, sind überzeugend. Wie die Betrachtung der Miniaturen aus dem Codex MS. Bodley 764 und dem Rochester Bestiarium (Abb. 29 und 30) bereits gezeigt hat, wird der Panther tatsächlich oftmals mit Strahlen, die aus seinem Maul herauskommen abgebildet.855 Im Wigalois wird die Hitze des schönen Tiers funktionalisieret: sie dient dem wundersamen Wesen dazu, seine Feinde abzuwehren und sie in den Tod zu führen (V. 3871–3874). Interessant erscheint hier insbesondere die Formulierung geleitet in den tit (V. 3874), da sie einen offensichtlichen Gegensatz zu dem darstellt, was im Physiologus über den Panther berichtet wird. Während der Panther die Menschen ins Himmelreich führt, geleitet das ›schöne Tier‹ sie in den Tod. Nun könnte man an dieser Stelle natürlich einwänden, dass das ›schöne Tier‹ dieses Verhalten ausschließlich bei seinen Feinden an den Tag legt und dass der Physiologus – außer dem Drachen – keinerlei Feinde des Panthers kennt. In jedem Fall wird hier jedoch einmal mehr deutlich, wie Informationen, die dem 853 Denruyter, Tierisches Leben, S. 122; Denruyter übernimmt dieses Zitat Hildegards von Bingen von Tobler, Eva: Diabolus est vitam vorans cetus. Zur mittelalterlichen Auslegung von Apokalypse 12 und 13. In: Tiersymbolik. Hrsg. v. P. Michel. Bern/Berlin 1991 [Schriften zur Symbolforschung 7], S. 133–170; Zitat S. 154. 854 Denruyter, Tierisches Leben, S. 122. 855 Vgl. S. 167f. der vorliegenden Arbeit.
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religiös-heilsgeschichtlichen Diskurs entstammen, literarisch überformt werden. Trotz der immensen Gefahr, legt Nereja Wigalois ans Herz, dem Wunderwesen auf einem geheimen Pfad – den allein das Tier kennt – in das Land Korntin zu folgen (V. 3875–3883). Die letzte Information, die der Protagonist über das Äußere des Tiers erhält, ist, es besitze einen Kopf geschaffen als ein lÞbart (V. 3878), was wiederum den Eindruck einer Pantherähnlichkeit erhärtet, da eine Differenzierung zwischen Panther und Leopard im Mittelalter zwar auf der Ebene der Bezeichnung oftmals gegeben ist, auf konzeptueller Ebene jedoch nicht in jedem Fall realisiert zu sein scheint.856 Nachdem der Held in Korntin angelangt und die Burg Roimunt bereits in Sichtnähe ist, erblickt er einen vornehm ausgestatteten Ritter – den Truchsess Roimunts – auf dessen Schild das ›schöne Tier‹ abgebildet ist:
3910
3915
einen niuwen schilt vuort er ; d. was daz tier gem.let an, als ich iu gesaget h.n, daz in d. leiten solde; von laz0re und von golde was ez harte r%che gevüllet meisterl%che; daz was ir w.fen ze Roimunt. (V. 3908–3915)
Das Tier ziert also auch das Wappen der Burg Roimunt, die sich im unbesetzten Teil Korntins befindet.857 Denruyter erläutert, die gängige Meinung, es handle sich bei dem Tier um einen Hirsch, ergebe sich insbesondere aus dem oben angeführten Zitat, das in der Forschung meist in eine Relation zu den Versen 3893–3896 gesetzt werde.858 Dort wird nämlich über den w.fenroc des Truchsessen gesagt: dar 0f was ein rÞchboc / gesniten von sam%te (V. 3894f.). Laut Denruyter gehen die meisten bisherigen Untersuchungen davon aus, auf Waffenrock und Schild müsse dasselbe Tier zu sehen sein.859 Gegen diese Auffassung 856 Vgl. dazu auch: Denruyter, Tierisches Leben, S. 123. Denruyter erklärt, die beiden Lemmata ›Panther‹ und ›Leopard‹ folgten innerhalb der Bestiarien direkt aufeinander, was zu Unsicherheiten und zur Verwechslung der beiden Tiere beigetragen haben könnte. Diese Überlegung Denruyters erscheint auch sehr interessant im Hinblick auf die Reihenfolge der Tier-Geschenke, die innerhalb der verschiedenen Alexanderromane realisiert ist. Im Straßburger und Basler Alexander werden innerhalb des Geschenke-Katalogs nach den Panthern Leoparden genannt. 857 Denruyter vertritt an dieser Stelle die Ansicht, das Wappen könne entweder für das Reich Korntin oder für den nicht besetzten Teil Korntins, die Burg Roimunt, stehen. Im Text wird allerdings nur gesagt daz was ir w.fen ze Roimunt (V. 3915). Vgl.: Denruyter, Tierisches Leben, S. 119. 858 Ebenda, S. 120. 859 Ebenda.
Panther
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bringt Denruyter zwei Einwände vor.860 Zum einen werde im Text nicht explizit gesagt, bei dem Tier auf dem Schild und dem auf dem Waffenrock handle es sich um ein und dasselbe.861 Zum anderen sei die Farbgebung in die Überlegung mit einzubeziehen: Während der Waffenrock grün sei (V. 3893), weise der Schild die Farben Lasurblau und Gold auf.862 Aus diesen beiden Gründen spricht sich Denruyter dafür aus, zwei voneinander verschiedene Tiere auf Waffenrock und Schild anzunehmen.863 Diese Überlegungen scheinen äußerst überzeugend, allerdings bleibt die Frage, ob rÞchboc nicht vielmehr einen ›Rehbock‹ als einen ›Hirsch‹ bezeichnet. Zumindest auf sprachlicher Ebene ist hier bereits für das Mittelalter eine Trennung zwischen beiden Tierarten anzunehmen.864 Allerdings erscheint es gut vorstellbar, dass auf konzeptioneller Ebene keine trennscharfe Grenzziehung zwischen Rehbock und Hirsch stattfand, da beide – abgesehen von Körper- und Geweihgröße – äußere Ähnlichkeit aufweisen. Geht man solchermaßen davon aus, dass auf konzeptioneller Ebene keine Unterscheidung stattfand, so stellt sich weiterhin die Frage, warum die Wahl des Waffenrock-Tiers gerade auf den Rehbock / Hirsch gefallen ist und ob hinter dieser Wahl möglicherweise die konzeptuelle Nähe zum Panther stehen könnte, die bereits an zahlreichen Stellen der bisherigen Untersuchung zutage getreten ist. Am augenfälligsten und effektvollsten ist die Verbindung beider Tiere sicherlich innerhalb der Beschreibung des Hirschautomaten im Straßburger Alexander realisiert, bei der Hirsch und Panther zu einem einzigen künstlichen ›exotischen‹ Tier verschmolzen werden.865 Jedoch lässt sich die konzeptuelle Nähe auch bei einem Blick auf die Ebstorfer Weltkarte erkennen, die den Panther direkt oberhalb (also östlich) von einem geweihtragenden Tier abbildet.866 Laut dem erläuternden Text der Karte handelt es sich bei diesem geweihtragenden Tier zwar nicht um einen Hirsch, sondern um ein Rentier,867 jedoch wäre auch hier zu überlegen, inwieweit man für das Mittelalter überhaupt eine scharfe Grenzziehung zwischen Hirsch und Rentier annehmen darf.
860 861 862 863 864
Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Lexer gibt für rÞchboc lat. caper ›(Ziegen)Bock‹ und capreolus ›Rehbock, wilder Ziegenbock‹ als Bedeutung an – nicht aber Hirsch. Vgl.: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch von Matthias Lexer, Lemma ›rÞchboc‹. Auf: http://woerterbuchnetz.de/Lexer/?sigle=Lexer & mode=Vernetzung& lemid=LR00368#XLR00368. Zugriff am 30. 06. 2017 um 12:08 Uhr. 865 Vgl. dazu S. 212–219 der vorliegenden Arbeit. 866 http://www.uni-lueneburg.de/hyperimage/EbsKart/start.html. Zugriff am 21. 09. 2015 um 15:41 Uhr. 867 Ebenda.
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Abb. 48: Ebstorfer Weltkarte, 13. Jh., zerstört 1944.868 Oben: Der Panther, aus dessen Maul der süße Atem entweicht. Die darüber stehende lateinische Inschrift bedeutet übersetzt: ›Hier gibt es den Panther und viele andere sehr große Wildtiere‹.869Links unten: Giraffe (›Camelopardalis‹ genannt).870 Rechts unten: Rentier. Der darüber stehende, mittig angeordnete Text informiert: ›In Äthiopien lebt ein Wildtier namens Tarandrum (Rentier); es ist so groß wie ein Rind und paarhufig, hat ein mehrendiges Geweih, einen hirschartigen Kopf, Färbung und Dichte des Fells sind wie bei einem Bären.‹871
Doch nun zurück zum ›schönen Tier‹ im Wigalois. Als der Held auf das von Nereja zuvor beschriebene Wunderwesen trifft, verhält dieses sich in ganz ähnlicher Weise wie der Milgot im Apollonius von Tyrland, denn es zeigt sich äußerst zutraulich: 4495
4500
als er im si n.hen kam daz ez s%n rehte war genam, di spiltez gegen im als ein hunt; mit s%nem spil tet ez im kunt daz er im willekomen was; ez legt sich vür in 0f daz gras und gn.te im s%ner künfte dar. Des wart er an im wol gewar, wand ez vil güetl%che tet. (V. 4495–4503)
868 Bildquelle: Ebenda. Zugriff am 26. 07. 2017 um 12:19 Uhr. 869 Ebenda. Der lateinische Wortlaut der Inschrift ist: Hic est pantera et alie multe immanes bestie. 870 Ebenda. 871 Ebenda. Der lateinische Wortlaut der Inschrift ist: Ethyopia nutrit bestiam parandrum nomine, boum magnitudine, ibico vestigio, ramosis cornibus, capite cervino, ursi colore et pariter villo profundo.
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Ebenso wie der Milgot Apollonius hundeähnlich umspielt, so zeigt sich auch das ›schöne Tier‹ Wigalois gegenüber verspielt als ein hunt (V. 4497). Darüber hinaus wird explizit gesagt, es danke dem Helden für dessen Ankunft (V. 4501). Dass auch der Panther meist als ein zutiefst dankbares Tier dargestellt wird, hat die bisherige Untersuchung an zahlreichen Stellen gezeigt.872 Insofern rücken diese Information – wie auch die Aussage, das ›schöne Tier‹ verhalte sich vil güetl%che (V. 4503) – das Wunderwesen noch etwas stärker in die konzeptuelle Nähe des Panthers. Das Tier führt Wigalois zur prachtvollen Burg von Korntin, vor deren Tor sich ein Anger mit einem unglaublich schönen Baum befindet. Interessant im Hinblick auf die Anklänge an das Pantherkonzept erscheint hier, dass von der Blüte des Baumes ein süßer Wohlgeruch ausgeht, der auf wundersame Weise zu neuer Stärke und Zuversicht verhilft (V. 4616–4618: von s%nem süezen bluote gie / ein smac reine unde guot; / der gap kraft und guoten muot). Direkt im Anschluss wird gesagt, das schöne Tier laufe jeden Tag zur gleichen Stunde zu dem wohlriechenden Baum, mit dessen Duft es wohl vertraut sei (V. 4622–464624). Daher könnte man an dieser Stelle vermuten, dass das Panthermerkmal des süßen Duftes ausgelagert wurde auf die Blüte des herrlichen Baumes. Auffällig ist zudem, dass der Duft Kraft spendet, was im Apollonius von Tyrland auch von der Zauberwurzel des Milgot berichtet wird. Auf dem Anger verwandelt sich das Tier zurück in den verstorbenen König Lar, den früheren Herrscher Korntins. Er erscheint als eine Reinheit verkörpernde Lichtgestalt, die die besondere Krone des Tiers trägt. Wigalois versucht zu ihm zu gelangen, was ihm jedoch nicht glückt, da der Anger durch das Geheimnis Gottes für den Protagonisten unzugänglich ist (V. 4644f.). Dennoch ist es Wigalois möglich, sich mit seinem Gegenüber zu unterhalten. Er fordert den König dazu auf, zu sagen, ob er an Christus glaube und was es mit seiner Existenz auf sich habe (V. 4651–4653). Interessant im Hinblick auf Wgalois’ Verständnis von dem Dasein als Tier bzw. als Mensch sind die vier darauffolgenden Verse, in denen der Held sich wie folgt äußert: dir ist n0 wol, Þ was dir wÞ. als ich mich versinnen kan, got h.t wunder an dir get.n: Þ wærd ein tier, n0 bist ein man. (V. 4654–4657)
Hier kommt deutlich zum Ausdruck, dass das Dasein als Tier für Wigalois etwas Negativeres darstellt als das Dasein als Mensch. In dieser Annahme wird er durch den König bestätigt, denn dieser teilt dem Protagonisten mit, er dürfe einmal täglich, immer zur selben Tageszeit das Fegefeuer verlassen und auf 872 Vgl. S. 138–140; S. 229f. und S. 238f. der vorliegenden Arbeit.
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diesen Anger kommen, um sich zu erholen. Die Existenz als ›schönes Tier‹ wird damit also als ›Regenerationsphase‹ innerhalb einer göttlichen Strafe dekuvriert. Nachdem König Lar den Helden über seine Doppelgestalt als Tier und Mensch in Kenntnis gesetzt hat, berichtet er ihm auch noch von dem schrecklichen Drachen, der bereits seit zehn Jahren das ganze Land verwüste. Wigalois erklärt sich bereit, gegen das Untier anzutreten, bittet den König aber noch um einen Ratschlag, wie er sich vor des wurmes stanke schützen könne (V. 4736– 4739). Da ein bœser smac (V. 4745) durch einen smac reine und guot (V. 4617) unschädlich gemacht werden kann, gibt Lar dem Helden eine lieblich duftende Blüte von dem auf dem Anger stehenden Baum mit auf den Weg (V. 4842–4746). In Anbetracht dieser Textstelle scheint sich der Verdacht, dass der süße Duft des Panthers hier auf die Blüte des Baumes ausgelagert ist, zu erhärten. Natürlich macht der Held auf seinem Weg zum Drachen auch von dieser Wunder-Blüte Gebrauch, denn als er ängstlich durch den Wald reitet, wird von ihm berichtet: di nam er 0z der taschen s%n daz brit und daz blüemel%n; des süeze gap im guoten muot: vür übeln smac was ez guot. (V. 4991–4994)
Ein weiteres Mal wird auf die Eigenschaft und Funktion des blüemel%n[s] hingewiesen, was darauf schließen lässt, dass Wirnt von Grafenberg unter keinen Umständen wollte, dass den Rezipienten diese Information entgeht. Eine weitere Überlegung ist, ob hier mit der literarischen Überformung des Konzeptbestandteils süezer smac nicht auch eine gewisse Ironie einhergeht, da ein duftendes blüemel%n – man beachte das Diminutiv –unter normalen Umständen sicherlich kein probates Mittel im Kampf gegen eine Bestie darstellt. Innerhalb der fiktionalen Erzählwelt sind diese Gesetze aber außer Kraft gesetzt und – je nach Wissenshorizont – dürfte zumindest ein Großteil der mittelalterlichen Rezipienten eine assoziative Verbindung zwischen dem süßen Blütenduft, dem Pantheratem und dem Wort Gottes hergestellt haben. Bedenkt man diese Aspekte, erscheint das blüemel%n den Helden bereits etwas weniger zu karrikieren. Abschließend sei noch auf die folgende These Denruyters hingewiesen, über die ich noch etwas hinausgehen würde: »Eine schöne Parallele zeigt sich […] zwischen einerseits dem Hass zwischen Panther und Drachen in der zoologischen Bildungstradition und andererseits zwischen Zaubertier und Drachen im Wigalois«.873 Meines Erachtens handelt es sich nicht nur um eine »Parallele«, denn wie sich innerhalb der vorangegangenen Untersuchung mehrfach gezeigt hat, werden Bestandteile der zoologischen Bildungstradition überformt und in
873 Denruyter, Tierisches Leben, S. 125.
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den literarischen Diskurs inkorporiert. Es handelt sich also vielmehr um ›Überformung‹ und ›Aufnahme‹ als um ›Parallelführung‹. In Bezug auf die Frage danach, wie ›exotisch‹ das ›schöne Tier‹ ist, lässt sich festhalten, dass Wigalois ihm zwar auf einer seiner .ventiuren, fernab der Heimat, im Land Korntin begegnet, dass dieses Land aber nicht derart exzeptionell und ›exotisch‹ erscheint wie beispielsweise die Insel im Apollonius von Tyrland. Auch im Hinblick auf den Aspekt ›Farbgebung‹ weist das Tier keine ›Exotik‹ auf, denn anders als in den bisher betrachteten Quellen zum Panther, wird von ihm nicht berichtet, es sei bunt. Dass das schöne Tier Staunen erregen sollte, erscheint jedoch ziemlich sicher, wenn man beispielsweise die Beschreibung der Krone bedenkt und insbesondere die Verwandlung in einen verstorbenen Menschen. Dabei wird nicht nur die Trennung zwischen Mensch und Tier literarisch reflektiert, sondern auch die Grenze zwischen Leben und Tod, zwischen Paradies und Fegefeuer, zwischen Gut und Böse. Ein weiterer ›Exotik-Indikator‹, der vorzuliegen scheint, ist das Vergleichspuzzle, denn das schöne Tier hat einen Kopf als ein lÞbart (V. 3878), zwei Hörner und sein Verhalten erinnert – zumindest zeitweilig – an das eines Hundes. Den Abschluss dieses Kapitels soll ein kurzer Seitenblick auf ein Tier bilden, das im Prosa-Lancelot zwar explizit als ›Leopard‹ (lebart) bezeichnet wird, das jedoch im Kontext von Traum und Traumdeutung in Erscheinung tritt – einem Kontext, der bereits in der Antike für das Konzept von Panther / Leopard von Bedeutung war. Innerhalb der bislang untersuchten mittelalterlichen Textquellen zeigte sich dieser Aspekt allenfalls ›schemenhaft‹ im Apollonius von Tyrland anhand der Figur des Weissagers Albedacus, da Weissagung und Traumdeutung in enger Relation zu einander stehen bzw. das Eine das Andere mit einschließt. Galahot, Lancelots engster Vertrauter und Freund, hat in zwei aufeinanderfolgenden Nächten zwen freischlich treum (LuG II, 10, 24), also zwei ›schreckliche‹, ›furchteinflößende‹ Träume. Diese Träume – in denen jeweils Tiere vorkommen – lassen den Rezipienten und auch Galahot selbst dessen baldigen Tod vorausahnen. Jene Vorausahnung wird im weiteren Verlauf der Erzählung noch betsärkt durch die Allegorese der beiden Träume, die der Traumdeuter Meister Helies vornimmt. Im ersten Traum befindet sich Galahot in zahlreicher Gesellschaft im Palas des Königs, als er eine riesige gekrönte Schlange aus dem Schlafgemach der Königin kommen sieht (LuG II, 10, 10–13: und er sah wo ein freischlicher serpant uß der konigin kamern gefarn qwam und het ein guldin cron off sym heubt). Die Schlange speiht Galahot Flammen entgegen, sodass er meint, den Tod durch Verbrennung erleiden zu müssen (LuG II, 10, 14f.). Im zweiten Traum erblickt er seinen eigenen, am Boden liegenden, aufgerissenen Körper, in dem er sogar die Eingeweide erkennen kann. Dabei hat er den Eindruck, zwei gleichgroße Herzen von gleicher Beschaffenheit zu sehen.
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Das eine der beiden springt aus Galahots Körper, vergrößert sich bis auf die Größe eines Leoparden und läuft schließlich in den Wald zu den anderen Tieren. Dadurch erleidet Galahot den Verlust dieses Herzens (LuG II, 10, 19–21: Das ein sprang ußer sim buch und wart wol als groß als ein lebart, es lieff zuhant zu walde zu andern tiern, und verlose es also). Das andere der beiden Herzen verbleibt in seinem Körper, verdorrt und führt im Anschluss zu Galahots Tod. Bemerkenswert ist, dass das erste beschriebene Herz hier zwar die Größe eines Leoparden annimmt – wenn man sich ausschließlich am Wortlaut orientiert – offenbar jedoch nicht dessen Gestalt. Es läuft also in seiner bisherigen Entität, die lediglich um ein Vielfaches vergrößert ist, in den Wald. Die Tatsache, dass es sich zu den anderen Tieren gesellt, lässt es aber wiederum etwas animalischer erscheinen und erinnert insofern an das Panther-Konzept, als dass der Panther als ›Freund aller Tiere‹ – mit Ausnahme des Drachen – gilt. Mehr Aufschluss über die Bedeutung dieser sonderbaren Träume erhält Galahot – und damit zugleich der Rezipient – durch die Traumdeutung Meister Helies’. Dieser erklärt Galahot: Uch traumpt, saget ir uns, das ir zwey hercz in uwerm buch sehent und das das ein ein lepart wart. Wir finden in Merlins prophecien, das von dem konig der von ruwen starb ein freischlich lepart sol komen, der sol so stolcz und so here werden ob allen diern im großen lande von Abentfflren. Bekennent ir dißen ritter, das sin vatter ein konig was und starb von ruwen, so mfflgent ir wol wißen das es der ritter ist von dem die prophecie gesaget ist. (LuG II, 64, 35–66,7)
Auffällig ist hier, dass nun von dem Herz gesagt wird, es habe sich gänzlich in einen Leoparden verwandelt, während es in der ersten Traumbeschrbeibung lediglich hieß wart wol als groß als ein lebart (LuG II, 10, 20). Angesichts der weiteren Ausführungen Meister Helies’ ist jedoch anzunehmen, dass innerhalb des Traumes eine Verwandlung des Herzens zum Tier stattfindet. Dadurch, dass Meister Helies Merlin als Autorität benennt und dessen prophecien als Quelle zurate zieht, wird seine Allegorese noch stärker im Bereich des Magischen verortet. Anhand der weiteren Informationen wird deutlich, dass die Allegorie des Leoparden für Lancelot steht, was Galahot zunächst erstaunt, da er den Leoparden sofort als niedrigerrangiges Tier – das innerhalb der Hierarchie unterhalb des Löwen stehe – kategorisiert. Nach welchen Maßstäben sich diese Hierarchie bemisst – bzw. welche Ordnungsprinzipien ihr zugrunde liegen – wird von Galahot zunächst nicht gesagt. Die darauffolgende Antwort Meister Helies erscheint diesbezüglich jedoch aufschlussreich, denn diese lautet: Ir hant mir fast wol geantwurt […] er [ Merlin] hett yn lewe genant, wann eine sache: es soll ein ritter in kurczen ziten geborn werden, der viel beßer ritter sin sol dann dißer, der sol der lewe sin, anders were er lewe geheißen. (LuG II, 66, 17–21)
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Die Hierarchie ist also danach aufgebaut, welches Tier am edelsten und besten ist und welches weniger gut. Explizit erklärt der Meister kurz darauf noch einmal, der Löwe sei edler und werder und beßer […] dann der lepart (LuG II, 68, 10f.). Die Dichotomie, die an dieser Stelle aufscheint, ist also eine zwischen Leopard und Löwe und nicht zwischen Leopard und Panther. Typische Bestandteile des mittelalterlichen Leoparden-Konzepts wie etwa Zorn, Wildheit und Blutdurst – die beispielsweise von Albertus Magnus in De animalibus XXII, 59 genannt werden – sind für das Bild des Leoparden, das im Prosa-Lancelot entworfen wird, offenbar nicht von Relevanz. Dies erscheint insofern wenig verwunderlich, da diese Merkmale zu einer Katarchese – einem Bildbruch der Allegorie – führen würden, da Lancelot, für den der Leopard steht, nicht von Zorn und Wildheit gekennzeichnet ist. Diese Leoparden-Merkmale in die Allegorie mitaufzunehmen würde folglich bedeuten, das significans zu negativ zu zeichnen, so dass es dem significatum nicht mehr gerecht wird. Dennoch spielen negativ konnotierte Merkmale des Leoparden natürlich eine Rolle, wenn es um die Frage geht, wie treffend die Leoparden-Allegorie gewählt ist bzw. was das tertium comparationis zwischen dem Leoparden und Lancelot darstellt. Hier ist zum einen die mindere Qualität zu nennen. Der Leopard wird im Vergleich zum Löwen als minderwertig dargestellt, während Lancelot im ›Güte-Vergleich‹ zu seinem Sohn Galaad unterliegt, da er ein Verhältnis mit der Königin eingegangen ist. Diese ›Sünde‹ Lancelots führt dazu, dass er nicht mehr keusch und rein ist, sondern befleckt. Auch der Leopard ist von Flecken in seiner Fellmusterung gekennzeichnet, worin man ebenso einen Bestandteil des Tertium comparationis sehen könnte. Allerdings nimmt Meister Helies auf die Geflecktheit des Leoparden nicht explizit Bezug. Als Galahot ihm die Frage stellt, woher er wisse, dass Lancelot nicht mehr jungfräulich sei, verweigert der Meister ihm die Antwort und entgegnet ihm lediglich: Ichn wils uch nu sagen nit (LuG II, 68, 28f.). Möglicherweise leitet der Meister seine Erkenntnis über Lancelots Verfehlung aber genau von dieser Geflecktheit des Leopardenfells ab. Da die Flecken des Tiers – je nach Diuskurs – bereits seit der Antike mit Sünden in Verbindung gebracht wurden, dürfte es mittelalterlichen Rezipienten nicht schwergefallen sein, dieses tertium comparationis zu erkennen – auch wenn Meister Helies hier die Antwort verweigert. Interessant im Hinblick auf die Frage nach der ›Exotik‹ ist, dass der Leopard innerhalb der Allegorese des Traumdeuters weniger ›exotisch‹ wirkt als der Löwe, da sich innerhalb der Beschreibung des Löwen zumindest ansatzweise das Beschreibungsverfahren des Vergleichspuzzles erkennen lässt. Das Tier, das – laut den Angaben des Meisters – den Kopf eines Löwen trägt, hat nämlich die Stimme einer Jungfrau, während seine Schultern und der Rücken in Bezug auf Größe und Stärke denen eines Kamels gleichen (LuG II, 66, 33–68, 7). Interessant erscheint hier die Formulierung, die Meister Helies wählt, um Galahot den Kamel-Vergleich nahe zu bringen, denn er sagt explizit: Ir wißent auch wol das
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
der olbent stercker ist dann der lepart (LuG II, 68,11f.). Es scheint also eine Art Allgemeinwissen zu sein, dass die Schultern und der Rücken eines Kamels größer und stärker sind als die eines Leoparden. Von den entsprechenden Körperteilen des Löwen scheint Galahot jedoch keine Vorstellung zu haben, denn von ihnen muss Meister Helies zunächst erklären, dass sie denen eines Kamels gleichen. Interessant erscheint darüber hinaus auch die Prophezeiung über Galahot, die der Meister in Merlins Schriften findet. Diese Prophezeiung beinhaltet eine weitere Allegorie, die diesmal die drei Tiere Drache, Leopard und Schlange in eine Relation zueinander setzt. Wie sehr schnell deutlich wird, stehen die drei Tiere innerhalb der Allegorie für Galahot, Lancelot und Ginover, denn Meister Helies berichtet von der großen fruntschafft (LuG II, 70, 11), die Drache und Leopard miteinander verbinde. Dann komme jedoch die gekrönte Schlange hinzu, die den Leoparden noch mehr liebe als der Drache. Bemerkenswert ist hier zum einen, dass eine klare Trennung zwischen Drache (trach) und Schlange (serpant) vorgenommen wird. Zum anderen fällt auf, dass von dem Antagonismus zwischen Panther und Drache, der in den naturkundlichen Quellen immer wieder thematisiert wird, nichts in den Prosa-Lancelot mit eingeflossen zu sein scheint. Dies könnte zum einen daran liegen, dass bei dem Verfasser des Prosa-Lancelot eine konzeptuelle Trennung zwischen Panther und Leopard vorlag, sodass der Antagonismus zwischen Panther und Drache für eine Allegorie, innerhalb der ein Leopard auftaucht, keine Rolle mehr spielt. Eine andere Möglichkeit wäre, dass in der Vorstellung des Verfassers keine klare konzeptuelle Trennung zwischen Panther und Leopard vorlag. In diesem Fall wäre mit der Freundschaft zwischen Leopard und Drache, die innerhalb der Allegorie beschrieben wird, der Gegendiskurs zu allen naturkundlichen mittelalterlichen Quellen zum Panther realisiert. Plausibler aber erscheint mir die Möglichkeit der konzeptuellen Trennung, denn sie ergibt zugleich Sinn im Hinblick auf die negative Konnotation des Leoparden, als dem gefleckten- beziehungsweise – auf der Ebene des Signikats – ›dem mit Sünden befleckten‹ Tier. Läge hier keine konzeptuelle Trennung zwischen Leopard und Panther vor, würde die Allegorie der Beflecktheit nicht aufgehen, denn die Flecken des Panthers werden in keiner der bislang untersuchten mittelalterlichen Quellen ad malam partem ausgelegt. Zusammenfassend kann in Bezug auf den Leoparden im Prosa-Lancelot also festgehalten werden, dass das Tier konzeptuell getrennt von der mittelalterlichen Panther-Vorstellung in Erscheinung tritt. Die Leoparden-typischen Merkmale, die in anderen mittelalterlichen Quellen genannt werden – wie etwa Wut, Zorn oder Blutdurst – spielen innerhalb der Traum-Allegorien im Prosa-Lancelot keine Rolle. ›Exotik‹-Indikatoren lassen sich in Bezug auf den Leoparden nicht erkennen, denn es ist vielmehr die Beschreibung des Löwen, die Ähnlichkeiten
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mit dem Darstellungsverfahren des Vergleichspuzzles aufweist. Über die Herkunft des Leoparden wird in Merlins Prophezeiungen gesagt, er sei under velswaßern aufgewachsen, was sicherlich eine sehr außergewöhnliche Umgebung für einen heranwachsenden Leoparden darstellt, aber nicht unbedingt als ›exotisch‹ zu werten ist. Abschließend kann über die Darstellung des Panthers innerhalb des literarischen Diskurses Folgendes gesagt werden: Bezüglich seines Äußeren hat sich gezeigt, dass von der Körperform und -größe eines Hundes bis hin zu der eines Pferdes nahezu alles möglich ist. Im Hinblick auf die Fellfärbung wird deutlich, dass er meist als bunt beschrieben wird, wobei seine Flecken, die in den bislang untersuchten Quellen oftmals angesprochen wurden, innerhalb des literarischen Diskurses nicht thematisiert werden. Die Geflecktheit spielt ausschließlich bei dem Leoparden im ProsaLancelot eine Rolle, wo sie jedoch nicht explizit thematisiert wird, sondern unterhalb der Textoberfläche auf die ›Sündenbeflecktheit‹ Lancelots anspielt. Wie die Untersuchung der Panther-Textstellen innerhalb der Alexanderromane gezeigt hat, kann der Panther als wildes, ungestümes und gefährliches Tier beschrieben werden, gegen das sich der Protagonist zur Wehr setzen muss. Ebensogut kann er jedoch als äußerst zahm in Szene gesetzt werden, wie anhand der beiden Textstellen im Apollonius von Tyrland deutlich wird. Allerdings handelt es sich hierbei um die Zahmheit des wilden Tieres, die die eigentliche Wildheit des Tieres eher bestätigt, um die Außergewöhnlichkeit des Protagonisten – in Analogie zu einem Heiligen – zu betonen. Sowohl der pantherähnliche Milgot als auch das tatsächlich mit ›Panther‹ bezeichnete Tier zeigen sich äußerst dankbar und hilfsbereit. Als besondere Merkmale treten meist die unvergleichliche Schönheit des Tiers, seine Krone, der gute Duft sowie der wilde Kopf in Erscheinung. Dabei wird nicht in jedem Fall gesagt, ob der Duft vom Atem oder vom Fell ausgeht. Eine Textstelle, in der explizit der süße Duft des Atems thematisiert wird, ist die Beschreibung des Hirschautomaten im Straßburger Alexander. Innerhalb des Milgot-Abenteuers im Apollonius von Tyrland scheint durch die offensichtliche Inkorporation von Konzept-Bestandteilen, die dem religiös-heilsgeschlichtlichen Diskurs entstammen, ebenso klar zu sein, dass der gute Duft vom Atem des Tiers ausgeht. Hier gewinnt der Held durch den süßen Atem und durch die Zauberwurzel, mit der ihn das Tier versorgt, neue Kraft. Der wilde Kopf des Panthers wird zwar nicht explizit in den Texten erwähnt, jedoch gibt die Miniatur im Apollonius von Tyrland (Abb. 47: Hs C = ÖNB Cod. Vind. 2886, fol. 62r.) Anlass zu der Vermutung, dass der Kopf des Tiers hier von Bäumen und Sträuchern verdeckt ist, da er ›wild‹ ist. Das Geschlecht des Tiers spielt in keiner der Quellen, die dem literarischen Diskurs zugerechnet werden, eine Rolle. In Bezug auf die Nahrung des Tiers werden keine expliziten Angaben gemacht. Allerdings könnte man überlegen, ob
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
P Panther
Temperament
Äußeres
Form
mondf örmiger Fleck an Schulter
Farbe
Größe
besondere Merkmale
alles ist möglich
wilder Kopf
gefleckt wild
bunt
männlich
stößt andere Tiere ab
zahm
edle Kräuter
tapfer Krone
v iele Tugenden
zerfleischt andere Tiere
intelligent fürsorgliches Muttertier
Dankbarkeit Christus
Hilf sbereitschaft
Minnedame
Duft
lockt Beutetiere an
Schwierigkeiten beim Gebären
gebiert nur einmal
4 Zitzen am Bauch
Duldsamkeit Christi bei der Kreuzigung
gif tig
andere Tiere
weiblich
Schönheit
alles ist möglich
Nahrung
Geschlecht
Atem
Großzügigkeit Das Wort Gottes Salbungsöl das ›Nährende‹ beim Abendmahl
Fell
Bettvorleger Lufterfrischer
Kraftquelle Medizin zur Behandlung kranker Tiere
Medizin gegen Liebeskummer Worte des Minneritters / der Minnedame
Verführungskraf t der Minnedame
Abb. 49: Epistemischer Diskurs-Frame, der die rekonstruierten Bestandteile des mittelalterlichen Panther-Konzepts hervorhebt, die innerhalb des literarischen Diskurses aktualisiert werden.
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Panther
Herkunft
Beziehungen zu anderen Tieren
Afrika Indien
eher kein medizinischer Nutzen
Syrien Hyrkanien ›Freunde‹
gesellschaftlicher Status
Nutzung
Feinde
Sinnbild Christi
Reich des Großkhans
Menschen
bedeutsam f ür Traumdeutung
Drache Hirsch
orientalisches Luxusgut
gejagtes Tier
Hyäne Atem
Handelsware
Fell
wertvolles Geschenk Reittier Medizin zur Behandlung kranker Tiere
Medizin gegen Liebeskummer
künstliche Nachbildung in Form von Automaten
Feuerlöscher
Lufterfrischer Bettvorleger
Relationen der Konzeptbestandteile = metaphorische Relation = klassifikatorische Relation = aktualisiert = nicht aktualisiert
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
die kraftbringende Zauberwurzel des Milgot eine Reminiszenz an die Informationen des Physiologus Theobaldi deutsch ist, da in dieser Physiologus-Fassung gesagt wird, der Panther ernähre sich von edlen Kräutern. Als Herkunftsgebiet ist Indien zu nennen oder zumindest Gebiete, die an Indien angrenzen, da der Protagonist in Johann Hartliebs Alexander auf seinem Feldzug nach Indien mit Panthern in Kontakt kommt. Hinsichtlich der Beziehungen zu anderen Tieren zeigt sich anhand der Hirschautomaten-Ekphrasis im Straßburger Alexander ein weiteres Mal die enge konzeptuelle Verbindung zwischen Panther und Hirsch. Der Mensch kann sowohl als Freund des Panthers auftreten – wie dies anhand der beiden Textstellen aus dem Apollonius von Tyrland ersichtlich wird – oder aber als Feind – was sich in Johann Hartliebs Alexander zeigt. Als weiterer Feind tritt sowohl im Werk Heinrichs von Neustadt als auch im Wigalois Wirnts von Gravenberg der Drache in Erscheinung. Bezüglich der Nutzung kann festgehalten werden, dass der Panther als Reittier und als ›Feuerlöscher‹ zum Einsatz kommt. Im Hinblick auf den gesellschaftlichen Status des Panthers hat sich anhand von Johann Hartliebs Alexander und dem Milgot-Abenteuer im Apollonius von Tyrland gezeigt, dass es sich bei ihm um ein gejagtes Tier handelt. Durch die Figur des Weissagers Albedacus im Werk Heinrichs von Neustadt wird zudem eine assoziative Verbindung des Tiers mit der Traumdeutung hergestellt. Als orientalisches Luxusgut wird das Tier zum einen in den ›Geschenke-Katalogen‹ der Alexanderromane in Szene gesetzt und zum anderen innerhalb der Hirschautomaten-Ekphrasis im Straßburger Alexander. Nun bleibt zu überlegen, wieviel ›Exotik‹ die Panther-Darstellungen innerhalb des literarischen Diskurses aufweisen. Hierzu lässt sich sagen, dass die meisten der untersuchten Panther-Textstellen darauf abzielen, Staunen zu erwecken. Dies geschieht, indem die wunderliche Farbgebung des Panthers betont wird oder durch die Beschreibung magischer Elemente, wie der Zauberwurzel. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass oftmals eine Anthropomorphiserung des Tiers stattfindet, die ebenfalls von der Intention getragen sein dürfte, die Rezipienten zum Staunen zu bringen. Meist entsteht der Eindruck, dass es sich beim Panther um ein fremdes Tier handelt, da die äußeren Merkmale explizit benannt und beschrieben werden, was bei einem vertrauten, einheimischen Tier nicht notwendig wäre. Auch die Herkunft des Panthers kann als ›Exotik‹-Indikator betrachtet werden. Auf sprachlicher Ebene deutet die Verwendung von Adjektiven wie wunderleich, herleich oder fraydig auf die Exzeptionalität, Gefährlichkeit und ›Exotik‹ des Tiers hin (Abb. 49).
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2.1.3.5 Der kommerzielle Diskurs Innerhalb des Textkorpus lassen sich zwei Quellen ausmachen, die den Panther im kommerziellen Diskurs thematisieren: Der Reisebericht Jean de Mandevilles und der Niederrheinische Orientbericht. Alle anderen Reiseberichte enthalten keinerlei Informationen über das Tier, was daran liegen könnte, dass in ihnen der Leopard Erwähnung findet, der innerhalb des kommerziellen Diskurses wesentlich prominenter zu sein scheint. Angesichts dieser Quellenlage und der Vermutung, dass sich die konzeptuelle Trennung zwischen Panther und Leopard innerhalb dieses Diskurses am deutlichsten abzeichnet, möchte ich bei der Analyse wie folgt vorgehen: Zunächst werden die beiden Quellen, die sich explizit mit dem Panther auseinandersetzen, näher betrachtet. Daraufhin soll ein Seitenblick auf die Leopardenbeschreibungen im Niederrheinischen Orientbericht sowie in den Reiseberichten Hans Tuchers, Berhard von Breydenbachs, Felix Fabris und Arnolds von Harff geworfen werden. Dabei ist auch zu überlegen, welche Vorteile die Beschreibung des Leoparden – aus Sicht der mittelalterlichen Autoren – gegenüber der Thematisierung des Panthers gehabt haben könnte. In Jean de Mandevilles Reisebericht finden sich – innerhalb der Beschreibung des Großkhan-Palasts – folgende Informationen über Pantherleder : Item in dem palast ist ain sal, der statt uff vier und zwaintzig sffllen, die sind vin guldin, und die muran sind alle bedecket mit rotem leder von ainem wilden tier, das haissent sie phinchions; die hfflt sind grosses schatz wert, wann sie schmeckent als wol als kain e ding getu˚n mag, und von dem gu˚tten schmack mag kain bosser lufft nit kummen in den e palast. Das leder ist als rott, wenn die sunn dar an schynnet, das man es nit mocht wol an gesehenn. Und man fint vil lfflt inn dem land die die selben tier an bettend von des gu˚tten smackes wegen, und die hfflt sind tfflrer wann gold.874
Nachdem der Rezipient also erfahren hat, dass der exklusive Palast des Großkhans über einen Saal verfügt, der auf vierundzwanzig Säulen aus reinstem Gold ruht, kommt der Erzähler auf die kostbaren Wandbehänge zu sprechen, die dort zu bestaunen seien. Die Wände seien nämlich mit dem roten Leder eines Tiers bedeckt, das von den Einheimischen phinchions genannt werde. Hier fallen gleich drei Informationen ins Auge, die in keiner der bislang betrachteten Quellen Erwähnung finden. Erstens: Pantherleder wird als Wandbehang genutzt; zweitens: die Farbe dieses Leders ist – sobald es von der Sonne beschienen wird – rot und drittens: Panther werden phinchions genannt (Provenienz und Etymologie dieser Bezeichnung bleiben im Dunkeln). Christina Henss erklärt, das Tier, das in der Velser-Handschrift phinchions genannt wird, werde in den anderen deutschsprachigen Versionen von Mandevilles Reisen auch mit phan874 Morrall (Hrsg.), Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, S. 130.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
terus, pachis oder pinchieuls bezeichnet.875 Mandeville übernehme diesen Teil der Palast-Beschreibung aus dem Reisebericht Odoricos de Pordenone.876 In Odoricos Itinerar sei allerdings lediglich von »rotem Leder« die Rede und nicht explizit von Pantherleder.877 Insofern lässt sich vermuten, dass Mandeville das rote Leder noch etwas exzeptioneller erscheinen lassen wollte und daher Auskunft über dessen besondere Provenienz erteilt.878 Hinzu kommt der Duft-Aspekt, der alleine von Mandeville angesprochen wird, nicht aber von Odorico oder Konrad Steckel.879 Bereits zu Beginn des oben angeführten Zitats stellt sich also der Eindruck ein, dass das Tier in Mandevilles Beschreibung in einem eher profanen Kontext beleuchtet wird. Dieser Eindruck erhärtet sich noch durch den Hauptsatz die hfflt sind grosses schatz wert. Im Mittelpunkt stehen also die Nutzung und der aus der Nutzbarkeit resultierende Wert des Tiers. Der Blick, den Mandeville auf den Panther freigibt, ist in erster Linie ein Blick auf das tote Tier, das ausschließlich in seiner Funktion als Lieferant des kostbaren roten Leders von Interesse ist. Religiöse Aspekte im Sinne der christlichen Heilsgeschichte spielen in dieser Beschreibung keine Rolle mehr. Sie sind zwar noch unterhalb der Textoberfläche vorhanden, denn dem Panther – oder präziser gesagt seinem Leder – wird auch hier ein hervorragender Duft nachgesagt (sie [die hfflt] schmeckent als wol als kain ding getu˚n mag), dieser Duft besizt jedoch keine Verweisfunktion mehr.880 Er ist nicht mehr Signifikant, sondern Signifikat und steht als solches in keinerlei Verbindung mehr zum erlösenden Wort Gottes.881 Allerdings wird gesagt, die Felle dienten dazu, schlechte Luft aus dem Palast fern zu halten (von dem gu˚tten e schmack mag kain bosser lufft nit kummen in den palast). Christina Henss wertet diese Information als Hinweis auf einen »scheinbar magisch wirkende[n] Schutz 875 Henss, Die wunderbaren Reichtümer des Ostens, S. 94. Da zumindest phanterus sehr an die Bezeichnung ›Panther‹ erinnert, kann wohl davon ausgegangen werden, dass tatsächlich diese Tierart gemeint ist. 876 Ebenda, S. 92. 877 Ebenda, S. 92. Henss erklärt, Odoricos Beschreibung laute an dieser Stelle: Omnes muri eius choperti sunt pellibus rubeis, de quibus dicitur quod nobiliores pelles sunt que hodie sint in mundo. Henss zitiert Odorico nach: Strasmann (Hrsg.), Odorico und Steckel, S. 100; Reichert (Hrsg.), Die Reise des seligen Oderich von Pordenone nach Indien und China (1314/18–1330). Übers., eingel. und erl. v. Folker Reichert. Heidelberg 1987, S. 97. Übersetzung Folker Reicherts: ›Die Wände sind sämtlich mit rotem Leder bedeckt, das das feinste sein soll, das man in der Welt findet‹. Auch in der deutschen Übersetzung von Odoricos Reisebericht durch Konrad Steckel ist lediglich von blutroten Fellen die Rede, ´ r ist allez gedekcht mit nicht aber von Pantherleder. Steckel schreibt hier : Vnd daß gemew ´ ten. Si sprechnt, daß ez die pestn hew ´ t sein, die in der welt indert sind oder plfflt ratn hew mfflgn gesein, vnd sind albeg plfflt rjtt [Strasmann (Hrsg.), Odorico und Steckel, S. 101]. 878 Vgl.: Henss, Die wunderbaren Reichtümer des Ostens, S. 92–94. 879 Ebenda. 880 Vgl.: Ebenda, S. 95. 881 Ebenda.
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vor schlechter Luft«, der »die Pantherfelle in ihrer Deutung für magisch-religiöse Zuschreibungen durchlässig« mache.882 Zugleich räumt die Literaturwissenschaftlerin jedoch sehr richtig ein, dass jene »magisch-religiösen Zuschreibungen« in der oben zitierten Textstelle »nicht explizit werden«.883 Abschließend wird darauf hingewiesen, die Menschen im Lande des Großkhans beteten Panther an (vil lfflt inn dem land die die selben tier an bettend). Dieser Anbetung wird jedoch im selben Atemzug etwas von ihrer Transzendenz genommen, indem als Grund für die Anbetung alleine der gute Duft genannt wird (des gu˚tten smackes wegen), der auf keine göttliche Instanz mehr verweist. Im letzten mit und angeschlossenen Hauptsatz wird daufhin noch einmal erklärt, Pantherleder sei wertvoller als Gold (und die hfflt sind tfflrer wann gold), woran erneut ersichtlich wird, wie stark kommerzielle Interessen die Beschreibung bestimmen. Als ›exotisch‹ kann der Panther in Mandevilles Beschreibung zum einen angesehen werden, da das außergewöhnliche rote Leder an den Wänden des Palasts Staunen evozieren soll. Es dient – ebenso wie die 24 goldenen Säulen – dazu, den Reichtum und die Macht des Khans performativ in Szene zu setzen. Auch der Ort, an dem Mandeville die edlen Wandbehänge gesehen haben will, impliziert seinerseits ein hohes Maß an ›Exotik‹, denn das ostasiatische Reich des Großkhans dürfte bei mittelalterlichen Rezipienten ganz ähnliche Assoziationen wachgerufen haben wie Indien, das Reich des Priesterkönigs Johannes. Auch der Niederrheinische Orientbericht rückt die Nutzung des Pantherfells in den Fokus der Betrachtung. Die betreffende Textstelle, die bereits in Kapitel 1.3.2 Das Eigene und das Fremde kurz angesprochen wurde, sei im Folgenden noch einmal in Gänze wiedergegeben, um herauszuarbeiten, welche Wissensbestandteile aktiviert werden und welche Überschneidungen zu anderen Diskursen in Erscheinung treten: Eyn panther is eyn cleyn dier, ind iz zomale suverlich van hairen, ind is van aller varwen as eyn raynboige, ind ruycht wael, ind wan id doit is, so haint die vursten ind hern yre vell gerne by yren bedden, ind die roch is gut wider alle quoide dinck, int sint anders nirgent dan in India, ind willent ouch niet essen dan edel kruyt, also up dat al diere na syme adem eme volgent. Ind wan id zornich wirt, so verderft id wale lude ind diere van groiszer hitzden des cruytz, die eme uys syme adem koempt, ind wa dit panther hin geit, da vlient alle dier vur eme ind boese wurme.884 882 Ebenda, S. 97. 883 Ebenda; Henss sieht hierin einen Unterschied zu den anderen deutschsprachigen Versionen von Mandevilles Reisen. Sie erklärt diesbezüglich: »In den Drucken dagegen wird die Anbetung explizit gemacht und dadurch auch der mit dem Leder ausgekleidete Thronsaal deutlicher als ein Sakralraum markiert, welcher wiederrumden den Großkhan mit einer Aura des Sakralen umgibt«. 884 Röhricht/Meisner (Hrsgg.), Niederrheinischer Orientbericht, S. 71.
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Zunächst kommt innerhalb dieses Zitats zum Ausdruck, beim Panther handle es sich um ein kleines Tier mit einem reinlichen Fell (suverlich van hairen). Besonders bemerkenswert ist auch die Beschreibung der Buntheit des Panthers (van aller varwen as eyn raynboige). Sie spielt zwar in beinahe allen bislang analysierten Quellen eine Rolle, in keinem anderen Text wird sie aber mit einem Regenbogen – dem Inbegriff von Buntheit und dem Vorkommen aller Spektralfarben – in Verbindung gebracht. Die darauffolgenden Informationen stellen eine ganz erstaunliche Überformung dessen dar, was in Strophe 24,4f. des Panther-Kapitels im Millstätter Reimphysiologus nachzulesen ist. Dort wird Bezug genommen auf eine Textstelle im Canticum Canticorum: »ein chunich legite mich in sine kamere. nu menden unde wesen vor mit ime.«
Diese beiden Sätze, die mit ›Ein König legte mich in seine Kammer. Nun freut euch und werdet froh mit ihm‹ übersetzt werden können, beziehen sich natürlich auf Gott selbst, auf das Grab Christi und auf die Menschen, die vro sein können, weil Hoffnung auf Auferstehung existiert. Im Niederrheinischen Orientbericht wird diese Textstelle nicht mehr als Allegorie verstanden, sondern in profanem Sinn ganz wörtlich aufgefasst und auserzählt. Die Rolle des Akteurs wird dabei modifiziert. Es geht nun nicht mehr um den chunich, sondern um die vursten. Diese verweisen nicht mehr als Referenten auf Gott sondern sind selbst Bestandteil des Signifikats der Aussage. Die im Millstätter Reimphysiologus genannte kamere wird im Niederrheinischen Orientbericht im Rahmen einer Metonymie durch by yren bedden ersetzt. Auch hier entfällt die Referenz auf etwas anderes, denn bedden bedeutet hier tatsächlich ›Betten‹. Schließlich ist auch der tote Panther nicht mehr als Allegorie auf Christus zu lesen, sondern bezeichnet lediglich einen hervorragenden Bettvorleger, der durch seinen Duft alle bösen und üblen Dinge (alle quoide dinck) abzuwehren vermag.885 Nicht zu übersehen ist hier, dass das Pantherfell als Luxusgegenstand inszeniert wird, denn es kommt nur in den Gemächern Adeliger zum Einsatz. Insofern stellt es bereits etwas Rares und Kostbares dar. Dieser Eindruck wird innerhalb des darauffolgenden, mit int angeschlossenen Hauptsatzes noch verstärkt, denn der Rezipient erfährt, Panther seien nirgendwo anders als in Indien zu finden (nirgent dan in India). Die Knappheit der ›Ressource Pantherfell‹ wird auf diese Weise betont, um implizit über den Wert der Ware Auskunft zu erteilen. 885 Röhricht und Meisner erklären hier innerhalb einer Anmerkung, das Adjektiv quoide könne als eine Variante von qu.de verstanden werden und schlagen eine Übersetzung mit ›böse‹ oder ›übel‹ vor. Siehe Röhricht/Meisner (Hrsgg.), Niederrheinischer Orientbericht, S. 71, Anm. 2.
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Auch die Information, der Panther wolle nichts anderes fressen als edle Kräuter, steigert den Wert des Tieres, denn anhand dieser Aussage wird erneut deutlich, dass der Lebensraum des Tiers auf diejenigen Gebiete beschränkt ist, in denen edel kruyt gedeiht. Darüber hinaus lässt sich aufgrund dieser Information erahnen, dass eine Pantherhaltung – die möglicherweise der Fellgewinnung vorausgeht – äußerst aufwändig ist. Im Anschluss daran wird erneut auf den Panther-Atem Bezug genommen, der so gut sei, dass alle Tiere ihm folgten. Interessant ist, dass hier durch die Verwendung von also erstmals explizit ein Kausalzusammenhang hergestellt wird zwischen der Ernährungsweise des Panthers und dem guten Atem. In keiner der bislang analysierten Quellen kommt dies derart deutlich zum Ausdruck. Abgesehen von dieser Präzisierung folgt die Beschreibung des Panther-Atems bis ans Ende des vorletzten Satzes allen Physiologus-Versionen und den Bestiarien. Innerhalb des letzten Satzes wird daraufhin ein Wissensbestandteil genannt, der nicht in der Physiologus-Tradition steht: es wird über den Zorn des Tieres berichtet. Dieser äußere sich darin, dass das Tier allen Leuten und Tieren – durch die Hitze in seinem Atem – ›Schaden zufüge‹ bzw. sie ›töte‹.886 Diese große Hitze wird auch in der Physica Hildegards von Bingen beschrieben. Möglicherweise konnten Hildegard und der Verfasser des Niederrheinischen Orientberichts auf Quellen zurückgreifen, die in ein- und derselben Tradition stehen, die aber heute nicht mehr namentlich benannt werden können. Eine weitere Möglichkeit, die im Rahmen der Deutung des schönen Tiers im Wigalois bereits angesprochen wurde, ist Denruyters These, die Aussagen über die Hitze im Atem des Panthers könnten auf Beobachtungen der Ikonographie basieren, da der Panther oftmals mit Flammen – die aus seinem Maul kommen – abgebildet wird.887 Der Niederrheinische Orientbericht informiert jedoch nicht nur über den Panther ; auch der Leopard wird thematisiert – und das gleich zweimal. Die erste Nennung folgt nach den Informationen zum Löwen und vor dem Eintrag zum Einhorn. Insofern liegt es nahe, hier eine konzeptuelle Trennung zwischen Panther und Leopard anzunehmen, da die beiden Eintragungen – anders als etwa in den Bestiarien – nicht aufeinander folgen und auch ansonsten keine Gemeinsamkeiten erkennen lassen. Innerhalb der ersten Nennung heißt es über den Leoparden:
886 Das in diesem Kontext verwendete Verb verderfen stellt eine Variante von verderben dar, was mit ›zu Schaden bringen‹, ›zunichte machen‹, ›zugrunde gehn lassen‹, ›zugrunde richten‹ oder ›töten‹ übersetzt werden kann. Vgl. dazu: Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Lemma ›verd[rben‹. Auf: http://woerterbuchnetz.de/Lexer/?sigle=Lexer & mode=Vernetzung& lemid=LV01116#XLV01116. Zugriff am 16. 06. 2016 um 12:38 Uhr. 887 Denruyter, Tierisches Leben, S. 122.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Eyn liebart is eyn reyn dier, ind ist anders nyet dan virs vleisch, ind is zam, ind ryth gerne hinder eynen minschen, ind is ouch gerne schoin verdeckt as eyn valke, ind man mois id reynlich halden, ind is gesellich, ind hait sulche nature, wanne syn meister slieft, so en liest id neman by synen meister gaen.888
Der Leopard wird hier also als ein ›reines Tier‹ beschrieben, das sich ausschließlich von frischem Fleisch (virs vleisch) ernährt. Darin kann ein diametraler Gegensatz zu der Ernährungsweise des Panthers gesehen werden, denn dieser nimmt laut Niederrheinischem Orientbericht ausschließlich vegetabile Kost (edel kruyt) zu sich. Dass die Reinheit des Tieres als Merkmal genannt wird und auch an derart prominenter Stelle steht (direkt am Anfang der Beschreibung), erstaunt insofern, als dass hier gerade nicht die antike Tradition aufgegriffen wird, innerhalb der oftmals auf die Geflecktheit bzw. Befleckung des Tiers abgehoben und somit allegorisch auf die Sündhaftigkeit verwiesen wird.889 Mit der Information, beim Leopard handle es sich um ein zahmes Tier, das dem Menschen gerne hinterherlaufe, greift der Verfasser aber auf eine andere antike Tradition zurück, denn dass der Leopard bzw. Panther als zahm dargestellt werden kann, wird anhand der Beziehung zwischen Dionysos und dem Tier deutlich.890 Indem diese antike Tradition aufgegriffen wird, findet zugleich eine Abgrenzung von derjenigen Traditionslinie statt, die mittelalterliche Werke wie etwa Bartholomaeus Anglicus’ De proprietatibus rerum und Albertus Magnus’ De animalibus bestimmt, denn dort werden als Attribute des Leoparden dessen Wildheit, Zorn und Blutdurst genannt (De proprietatibus rerum XVIII, 65; De animalibus XXII, 59). Weiterhin informiert der Niederrheinische Orientbericht, der Leopard folge gerne dem Menschen und sei gerne ›schön verdeckt‹ wie ein Falke. Es scheint, dass der Verfasser mit dieser ›Verdeckung‹ die Falkenhaube meint, die man bei der Beizjagd verwendete. Dass Leoparden eine derartige Haube getragen haben könnten, erscheint unwahrscheinlich – dass sie sie bereitwillig oder gerne getragen haben, ausgeschlossen. Höchstwahrscheinlich war sich der Verfasser des Niederrheinischen Orientberichts äußerst unsicher, um welche Art von Tier es sich beim Leoparden handelt. Ein Indiz hierfür stellt die doppelte Nennung des liebarts innerhalb des Tierkatalogs dar ; ein weiteres ist in den unterschiedlichen Temperamenten zu erkennen, die dem Tier zugeschrieben werden. Aus dieser Unsicherheit heraus erklärt sich wohl auch die Information über die Verdeckung: höchstwahrscheinlich war der Verfasser im Bilde darüber, dass Leoparden (eigentlich Geparden) gelegentlich bei der Jagd zum Einsatz gebracht wurden und bildete aus diesem Grund Analogien zu anderen Jagdtieren. Während es an dieser Stelle die Falken sind, auf die Bezug genommen 888 Röhricht/Meisner (Hrsgg.), Niederrheinischer Orientbericht, S. 71. 889 Vgl. dazu S. 123f. der vorliegenden Arbeit. 890 Vgl. S. 125–132 der vorliegenden Arbeit.
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wird, so sind es bei der zweiten Leopardennennung – auf die noch näher einzugehen sein wird – die Jagdhunde. Genau wie bereits in seinen Ausführungen zum Panther, ist der Verfasser auch hier stets bemüht, den Nutzen, den der Mensch aus der Haltung dieses Tiers ziehen kann, herauszustellen. Während der Panther sich wunderbar als Bettvorleger nutzen lässt, scheint der Leopard für die Rollen des Jagdgehilfen, des Gesellschafters (is gesellich) und des ›Wachhundersatzes‹ (wanne syn meister slieft, so en liest id neman by synen meister gaen) prädestiniert zu sein. Bereits diese vielfältigen Einsatzmöglichkeiten lassen das Tier äußerst wertvoll erscheinen. Darüber hinaus wird die aufwändige Haltung betont, bei der auf Reinlichkeit zu achten sei (ind man mois id reynlich halden). Diese Informationen zur aufwändigen Haltung können ebenfalls als Hinweis darauf verstanden werden, dass der Leopard als preziöses Tier gehandelt wurde; auch wenn hier – anders als beispielsweise in den Reiseberichten Arnolds von Harff und Bernhard von Breydenbachs – kein konkreter Geldwert in Dukaten angegeben wird. Die zweite Nennung des libart (alternierende Schreibweise liebard) erfolgt 18 Tiereinträge später, in einem Abschnitt, der – wie der Verfasser betont – der Jagd over mer gewidmet sein soll (Nu is gesprochen van vill dieren, nu will ich sagen van der jaigt, die over mer is).891 In diesem Abschnitt wird detailliert das Vorgehen der Herrschaften beschrieben, wenn sie auf die Jagd gehen: ind wan die hern willent jagen, so nement sy allit hondert of tzwey gebure uys den dorpern, ind besetzen eynen busch mit honden, ind die honde van vernes mit liebart, ind in den busch gaint dan die honde mit den geburen ind kloppent ind royffent, ind so louft dat wilt dan uys den buschen, ind so vangen dan die honde dat diere, want die honde sint zo male snell, ind wat wiltz den honden intloifft, dat koempt vur die liebarde, dat sy dan vancgen. Ind eyn libart is van sulcher naturen, so dat he springt III spruncge, ind so wat he dan nyet en vengt, dat liest he vort vairen, ja dat id ouch by yem stonde of lege, ind geit her ind dar, ind is zo male gromich, ind so volget eme sin meister na, mer he en dar eme niet neken, bis als lange dat id selver widerumb kere.892
Zunächst werden also alle hundert Bauern aus den Dörfern versammelt. Etwas kryptisch erscheint hier die Formulierung hondert of tzwey gebure. Röhricht und Meisner schlagen vor, diese Angabe lediglich als hondert zu lesen und das of tzwey bei der Übersetzung nicht zu berücksichtigen.893 Meines Erachtens erscheint es jedoch auch möglich, dass das of tzwey vom Verfasser intendiert ist und mit einer Information in Zusammenhang steht, die 9 Zeilen zuvor – zu Beginn des Abschnitts über die jagehonde – gegeben wird. Dort heißt es nämlich tzwene hunde
891 Röhricht/Meisner (Hrsgg.), Niederrheinischer Orientbericht, S. 77. 892 Ebenda. 893 Ebenda, Anm. 10.
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haint eynen kneecht.894 Insofern könnte man vermuten, dass hundert Bauern – von denen jeder zwei Hunde mitbringt – zur Jagd zusammenkommen. In einem weiteren Schritt wird ein Busch mit eben diesen Jagdhunden besetzt und in einiger Entfernung zu ihnen werden die Leoparden platziert. Daraufhin veranstalten die Bauern und die Hunde im Unterholz ein tumultartiges Getöse (kloppent ind royffent), um das Wild aufzuscheuchen. Hochgeschreckt von diesem Lärm, läuft das Wild aus den Büschen und die schnellen Hunde können es fangen. Die Tiere, die den Jagdhunden entfliehen, werden von den Leoparden ergriffen (wat wiltz den honden intloifft, dat koempt vur die liebarde, dat sy dan vancgen). Hier wird also eine direkte Überleitung geschaffen von den Jagdhunden zu den Leoparden und ein weiteres Mal wird der Nutzen, den der Mensch aus der Haltung des Leoparden zieht, in den Vordergrund gestellt: Leoparden harmonieren und interagieren bei der Jagd perfekt mit den Hunden, ergänzen deren Arbeit und vergrößern somit den Erfolg der Jagd. Allerdings ist auch an dieser Stelle fraglich, ob der Verfasser tatsächlich ›Leoparden‹ meint oder vielmehr ›Geparden‹.895 Vertreter beider Tierarten wurden bei Hofe gehalten; zur Jagd wurden aber wohl nur Geparden eingesetzt.896 Allerdings gestaltet sich eine Differenzierung zwischen beiden Tierarten sowohl in Text- als auch in Bildquellen zuweilen äußerst schwierig, wie Thierry Buquet in seinem Aufsatz Le gu8pard m8di8val, ou comment reconna%tre un animal sans nom unter anderem anhand eines Ausschnitts aus dem Fresco der Cappela Medici (Abb. 50) erläutert.897 Zu sehen ist hier der junge Giuliano de Medici, der einen Gepard auf seinem Pferd mit sich führt.898 Während dieses domestizierte Raubtier anhand des von Buquet aufgestellten Merkmalkatalogs relativ problemlos als Gepard identifiziert werden kann, ergeben sich – laut dem Mediävisten – bei der Kategorisierung der in der rechten, unteren Bildhälfte dargestellten Raubkatze Schwierigkeiten.899 Sie ist nämlich von grauer Farbe und weist die spezifische Fellmusterung eines Leoparden auf.900 Der Kopf aber hat dieselbe Geparden-typische Form wie bei dem Tier, das auf dem Pferd mitreitet.901 894 Ebenda, S. 77. 895 Vgl. dazu: Buquet, Le gu8pard m8di8val, (Figure 14). Auf: https://halshs.archives-ouver tes.fr/halshs-00655131/document. Zugriff am 19. 07. 2016 um 10:50 Uhr. 896 Ebenda; Buquet schreibt diesbezüglich: Contexte cyn8g8tique: la panthHre n’8tant pas utilis8e comme auxiliaire de chasse, on ne doit rencontrer que des gu8pards. Auch wenn Buquet hier von la panthHre spricht, ist davon auszugehen, dass der Begriff in diesem Fall Leoparden mit einschließt. 897 Ebenda. 898 Cavallaro, Synesthesia and the Arts, S. 131. 899 Buquet, Le gu8pard m8di8val. Auf: https://halshs.archives-ouvertes.fr/halshs-00655131/ document. Zugriff am 30. 04. 2017 um 15:25 Uhr. 900 Ebenda.
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Abb. 50: Giuliano de’ Medici. Fresco von Benozzo Gozzoli in der »Cappella dei Magi«, Palazzo Medici Riccardi in Florenz, Italien.902 Entstanden 1459.903
Doch nun – nach diesem kurzen Exkurs zu den Schwierigkeiten der Unterscheidung – zurück zum Niederrheinischen Orientbericht. Nachdem der Verfasser über die jaigt, die over mer is informiert hat, folgen erneute Ausführungen zum Temperament des liebart. Wurde er innerhalb der ersten Nennung noch als zam beschrieben, so erfährt der Rezipient nun, dass das Tier auch gromich – also ›zornig‹ – sein kann.904 Darüber hinaus wird auch eine typische Situation geschildert, in der der Leopard gromich wird; nämlich dann, wenn er sein Beutetier nicht mit drei Sprüngen erjagen kann. In diesem Fall lässt er es entkommen – selbst wenn es direkt neben ihm steht (ja dat id ouch by yem stonde of lege).905 901 Ebenda. 902 Bildquelle: Giuliano de’ Medici. Fresco von B. Gozzoli, Palazzo Medici Riccardi in Florenz. Auf: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/af/Cappella_dei_magi%2C_giu liano_de%27_medici.jpg. Zugriff am 15. 10. 2018 um 15:54 Uhr. 903 Buquet, Le gu8pard m8di8val, (Figure 14). Auf: https://halshs.archives-ouvertes.fr/halshs00655131/document. Zugriff am 19. 07. 2016 um 10:50 Uhr. 904 Röhricht und Meisner schlagen an dieser Stelle für die Übersetzung von gromich ›zornig‹ vor, was in diesem Kontext äußerst treffend zu sein scheint. Siehe Röhricht/Meisner (Hrsgg.), Niederrheinischer Orientbericht, S. 77, Anm. 13. 905 Röhricht und Meisner schlagen an dieser Stelle für die Übersetzung von ja dat id ouch by yem stonde of lege ›selbst wenn es sogar bei (neben) ihm stünde‹ vor, was die Bedeutung
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Mit dem gromich-sein geht offenbar eine gewisse Unruhe einher, denn es wird geschildert, der Leopard laufe hin und her (ind geit her ind dar). In dieser gromich[en] Phase wird das Tier sogar für seinen meister zur Gefahr, denn es wird erläutert, dieser dürfe ihm nur unter Einhaltung eines Sicherheitsabstandes folgen (mer he en dar eme niet neken), bis der Leopard von sich aus wieder in die Nähe seines meisters komme (bis als lange dat id selver widerumb kere). Diese Schilderungen des Jagdverhaltens basieren nicht auf einer Erfindung – geschweige denn auf einer eigenen Beobachtung – des Verfassers. Sie finden sich vielmehr auch in mittelalterlichen naturkundlichen Quellen, wie etwa Bartholomaeus Anglicus’ De proprietatibus rerum XVIII, 65 wieder. Insofern zeigt sich auch hier eine Diskursmischung. Ein weiteres Mal werden Leoparden in dem Reisebericht Hans Tuchers des Älteren erwähnt. Im Rahmen seiner Beschreibung der Besonderheiten, die in Alexandria zu sehen seien, geht Tucher auf den Fang weißer Drosseln sowie auf den Handel mit Straußen(-eiern) und Leoparden ein.906 Über den Handel mit letztgenannter ›Ware‹ schreibt er : Item man vindt auch do leoparden, do die arben die jungen fohen vnd verkauffen.907 Im Vergleich zu den Informationen, die dem Rezipienten in Mandevilles Bericht oder im Niederrheinischen Orientbericht an die Hand gegeben werden, fällt die Leoparden-Passage bei Tucher äußerst minimalistisch aus. Über das Aussehen der Tiere, deren Temperament und alle übrigen proprietates verliert der Nürnberger Patrizier kein Wort. Dies legt die Vermutung nahe, dass er davon ausging, alle seine Rezipienten müssten bereits wissen, um welche Art von Tier es sich bei einem Leoparden handelt. Tucher beschränkt sich auf die Informationen, die für seine Rezipienten neu sein könnten und die ihm offenbar am wichtigsten sind: Araber fangen Leoparden und verkaufen sie. Auch hier geht es also nicht darum, das Tier exegetisch auszudeuten und an seiner Existenz oder seinem Verhalten einen transzendentalen Sinn abzulesen. Vielmehr sind es kommerzielle Interessen, die Tucher antreiben und die dazu führen, dass er sich den meisten Tieren nähert, um zu eruieren, inwiefern sie eine gewinnbringende Handelsware abgeben könnten.908 Da Tuchers Information über den Leoparden derart knapp ausfällt, weist sie auch kaum ›Exotik‹-Indikatoren auf. Das einzige, was den Leoparden hier eventuell in ein etwas ›etxotischeres‹ Licht rückt, ist die Aussage, die Tiere würden von Arabern – also von der Bevölkerung eines fremden Landes – gefangen. Anzeichen für ein Staunen oder dafür, dass Tucher das Tier in irgendeiner Weise als seltsam oder außergewöhnlich wahrnahm, lassen sich nicht m. E. sehr gut trifft. Siehe Röhricht/Meisner (Hrsgg.), Niederrheinischer Orientbericht, S. 77, Anm. 12. 906 Tucher, Reise ins gelobte Land, S. 589. 907 Ebenda. 908 Vgl. dazu: Jahn, Raumkonzepte, S. 133f.
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festmachen. Bernhard Jahn hat für dieses Nicht-Vorhandensein bzw. die äußerst schwache Ausprägung von Fremdheit (und damit auch von ›Exotik‹) einen interessanten Erklärungsansatz entwickelt, der zwar im Hinblick auf den Reisebericht Hans Tuchers überzeugend wirkt, der aber keinesfalls ohne eingehende vorherige Prüfung auf andere Reiseberichte analog Anwendung finden sollte.909 Jahn schreibt diesbezüglich: »Die Verwandlung der Natur in kaufbare Ware hat begonnen. Dies ist der Grund, warum es bei Tucher keine prinzipiell fremden Phänomene geben kann: Mithilfe des Geldes kann alles heimisch gemacht werden, am Maßstab des Geldes ist alles messbar«.910 Diesen Erklärungsansatz entwickelt Jahn anhand von zwei anderen Tier-Textstellen aus dem Tucher’schen Reisebericht, nämlich anhand der Beschreibungen der Schlange ›Tyrus‹ und des Krokodils. Doch auch in Bezug auf den Abschnitt über den Leopard scheint seine These Gültigkeit zu besitzen. Zwei weitere Reisende, die über das Tier informieren, sind Bernhard von Breydenbach und Felix Fabri. Da beide gemeinsam reisten, erscheint es besonders interessant, wie unterschiedlich sie über dasselbe Tier berichten. Breydenbachs Leoparden-Nennung fällt ähnlich knapp aus wie die Tuchers, weist aber einen entscheidenden Unterschied auf: Breydenbach nennt einen konkreten Preis, zu dem man einen jungen Leoparden erstehen kann. Der Kontext der Leopardenbegegnung ist auch hier der Besuch Alexandrias. Nachdem der Reisende über die Besonderheiten der Flora am Nilufer sowie über die dortigen Häuser und Gartenanlagen berichtet hat, kommt er auch auf die Fauna zu sprechen. Diesbezüglich schreibt er : Jtem do _elbet vahet man vil _eltzam vogel be_under wyß dru_chlen vnnd vil ander _eltzam gewild mitt na¯men leopardi derren man eyn jungen vmb eyn ducaten mag kauffen.911
Ebenso wie Tucher erwähnt auch Breydenbach zunächst die weißen Drosseln, bevor er auf den Leoparden zu sprechen kommt. Dass beide Beschreibungen im Hinblick auf die Reihenfolge der genannten Tiere und auf ihre Kürze einander derart ähnlich sind, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass Breydenbach beim Abfassen seiner Peregrinatio in Terram Sanctam auf Teile aus dem 1482 gedruckten Reisebericht Tuchers zurückgreifen konnte.912 Dennoch sind beide Nennungen des Tiers nicht bis auf den Wortlaut deckungsgleich. Interessant für die Frage wie ›exotisch‹ der Leopard bei Breydenbach dargestellt wird, ist die Verwendung des Adjektivs _eltzam. Dieses Adjektiv, das von Isolde Mozer 909 910 911 912
Ebenda, S. 134. Ebenda. Breydenbach, Peregrinatio, S. 612 [fol. 155r.]. Büttner, Bernhard von Breydenbach: Peregrinatio in terram sanctam. Auf: http://www.se hepunkte.de/2012/02/21056.html. Zugriff am 26. 07. 2016 um 18:57 Uhr.
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treffend mit ›fremdartig‹ übersetzt wird, ist als ein eindeutiger ›Exotik‹-Indikator zu werten.913 Doch obwohl der Leopard solchermaßen als ›fremdartig‹ kategorisiert wird, hält auch Breydenbach es nicht für notwendig, seinen Rezipienten mehr Informationen über Aussehen und Temperament dieser ›Handelsware‹ zur Verfügung zu stellen, was wiederum vermuten lässt, dass auch er bei seinem Publikum ein bereits vorhandenes Wissen über den Leoparden voraussetzt. Die Tatsache, dass Breydenbach – und nicht Tucher – den konkreten Kaufpreis eines Jungtieres auf eyn ducaten beziffert, ist verwunderlich, da sich in der Gesamtschau der beiden Reiseberichte abzeichnet, dass Tucher weitaus stärker am Handel interessiert gewesen zu sein scheint als Breydenbach.914 Auch Felix Fabri, der gemeinsam mit Breydenbach reiste, berichtet über Leoparden. Im Gegensatz zu seinem Reisegefährten und Hans Tucher, geht Fabri jedoch relativ ausführlich auf das Tier ein. Der Ulmer Dominikanermönch schreibt diesbezüglich: Post hoc egressi sumus in curiam et ibi vidimus unum saevissimum leopardum, catena alligatum, ad quemsuus magister solus accedere ausus fuit, cum baculo tamen, cum minis et clamoribus. Est enim leopardus bestia saevissima, de leonis et pardi adulterio nata, colorem habens varium ut pardus et caput, cauda vero et pedibus leoni assimilatur; est alias praeceps, sitiens sanguinem et bestia fera, quae quidem aliquando domesticatur, sed numquam ad plenum, ut suae crudelitatis obliviscatur. Domesticatur autem ad venationem. Itaque cum ad praedam in venatione ducitur et relaxatur, tunc saltando, non currendo, praedam insequitur, quam si quatro vel quinto saltu capere nequivverit, ferociter iratus subsistit et nisi statim venator furenti bestiam aliquam obtulerit, cujus sanguine placetur, mox in ipsum venatorem vel in quoslibet obvios irruit, nec potest placari nisi sanguine. Ideo venatores semper secum ducunt agnum, quem in hoc casu irato lacerandum tradunt, ut placetur. Ungues habet acutissimos, venenosos, similiter et dentes diabolicos habet et non tantum periculum est in laesione et vulneratione, quantum est in intoxicatione veneni ejus, habet enim dentes venenatos et hoc, quod mordet, praeter vulnus intoxicat. Hae bestiae capiuntur juxta Cahirum et Alexandriam et datur unus juvenis pro uno ducato. Capiuntur autem cum humanis stercoribus; habet enim quasdam naturales infirmitates, quibus dum se gravatum sentit, stercus humanumquaerit, comedit et convalescit. Suspendunt ergo venatores vas cum stercoribus in altam arborem, quam dum bestia ascendit, illico a venatoribus capitur. Recitatur in Chronica martyr. sub Heinrico tertio. Dum leopardus hominem vulnerat, tunc infinita multitudo murium accurrit, et super ipsum mingunt, donec moriatur, nec potest protegi a muribus. Dolosus est leopardus, ita, ut etiam leonem dolo vincat: fodit enim sibi specum in terram cum duobus foraminibus, ita quod per unum foramen intrat et per alterum exit, et ista foramina lata et patentia facit, in medio autem ipsum specum strictum facit. Dum autem leo ipsum insequitur, currit in spe913 Vgl. Mozers Übersetzung in: Breydenbach, Peregrinatio, S. 613; Zu diesem ›Exotik‹-Indikator vgl. auch S. 106 der vorliegenden Arbeit. 914 Vgl. dazu: Jahn, Raumkonzepte, S. 135.
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cum, quem leo sequitur, etiam intromittit se et, dum in medium venerit, per strictum ire non potest, sed captus tenetur et leopardus, qui prius per foramen evasit, reingreditur per aliud, sequens leonem in stricto laborantem et ipsum a tergo laniat, mordet, lacerat et occidit.915
Auffällig ist, dass Fabri seine Ausführungen über Leoparden mit Beobachtungen einleitet, die er selbst – anhand eines ganz bestimnten Exemplars – in Kairo gemacht habe. Erst nach der Schilderung dieser ›eigenen Eindrücke‹ von dem einzelnen, ganz bestimmten Tier (die in Wahrheit auch größtenteils Fabris Buchwissen entstammen könnten), beginnt der Verfasser im zweiten Satz, von Leoparden im Allgemeinen zu berichten. Insofern präsentiert er zu Beginn Informationen, die als Bestandteile eines Token-Konzepts betrachtet werden 915 Fabri, Evagatorium (Ed. Hassler, Band III), S. 26f. Eigene Übersetzung: ›Wir traten hinaus in den Hof und sahen dort einen fürchterlichen Leoparden, angebunden an eine Kette. Alleine sein Meister wagte es, sich ihm zu nähern, mit einem Stock bewaffnet und mit Drohungen und mit Schreien. Der Leopard ist in der Tat ein furchteinflößendes Tier. Er ist das Resultat der Paarung des Löwen mit dem Parder. Er ist von bunter Farbe und hat den Kopf eines Parders, während er am Schwanz und an den Pfoten dem Löwen gleicht. Obwohl er schnell, grausam und blutdurstig ist, schafft man es manchmal, ihn zu zähmen; aber niemals vollständig – in dem Maße, dass seine Grausamkeit verschwinden würde. Man domestiziert ihn für die Jagd. Wenn man ihn auf die Jagd mitnimmt und ihn auf das Wild loslässt, verfolgt er dieses Wild nicht indem er läuft, sondern in Sprüngen und wenn es ihm nicht gelingt, es (das Beutetier) in vier oder fünf Sprüngen zu ergreifen, hält er zornig irritiert an. Wenn der Jäger seinem Zorn nicht augenblicklich ein Tier darreicht, dessen Blut ihn besänftigt, stürzt er sich auf den Jäger selbst oder auf all diejenigen, die ihm begegnen, denn nur Blut kann ihn beruhigen. Das ist der Grund, warum Jäger immer ein Lamm mitnehmen, das sie ihm zum Zerreißen geben, um ihn – im Fall, dass er irritiert sein sollte – zu beruhigen. Er hat sehr scharfe und vergiftete Krallen. Er besitzt auch teuflische Zähne, deren Gefährlichkeit nicht so sehr vom Biss oder der Verletzung ausgeht wie von der Vergiftung. Er hat tatsächlich vergiftete Zähne und vergiftet, was er tötet. Man fängt diese Tiere bei Kairo und Alexandria und man gibt einen Dukaten für ein Jungtier. Man fängt sie mit menschlichen Exkrementen. Das Tier hat nämlich natürliche Krankheiten und wenn es befallen ist, macht es sich auf die Suche nach menschlichen Exkrementen, die es frisst und es wird wieder gesund. Die Jäger befestigen daher einen Behälter – gefüllt mit menschlichen Exkrementen – auf einem hohen Baum und wenn das Tier dort hinaufklettert, übermannen es die Jäger sogleich. Die Chronik eines Märtyrers unter Heinrich III. erwähnt, dass wenn ein Mensch von einem Leoparden verletzt wird, eine unendliche Vielzahl an Ratten zusammenströmt und auf ihn uriniert bis er stirbt, ohne dass es ihm möglich wäre, sich vor den Ratten zu schützen. Der Leopard ist so hinterlistig, dass er es sogar schafft, den Löwen zu besiegen – durch Schläue. Er gräbt sich ein Loch unter der Erde mit zwei Ausgängen, in der Weise, dass zu der einen Seite hineingelangt werden kann und zur anderen wieder hinaus. Er macht diese Eingänge groß und sehr gut sichtbar; dann lässt er den Gang (dazwischen) schmal. Wenn ein Löwe ihm folgt, läuft er zu seinem Erdloch. Der Löwe folgt ihm dorthin, verschafft sich dort auch Zugang und wenn er in die Mitte kommt, kann er dort – wo der Gang so eng ist – nicht weiter voranschreiten und ist eingeklemmt. Der Leopard, der bereits aus dem anderen Ausgang herausgelangt ist, schlüpft von Neuem in den ersten (Eingang) hinein; auf der Verfolgung des Löwen, der in dem Engpass seine Mühe hat und zerschneidet ihn von hinten, beißt, zerreißt und tötet ihn.‹
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können und schwenkt dann im zweiten Satz über zu den Wissensbestandteilen des überindividuellen Type-Konzepts – eine Vorgehensweise, die sich oftmals innerhalb seines Reiseberichts bemerken lässt und die ebenso bei seinen Erläuterungen zum Papagei zutage tritt, auf die in Kapitel 2.2.3.5 noch näher einzugehen sein wird. Fabri entwirft zunächst ein sehr furchteinflößendes Bild von dem Leoparden, den er in Kairo gesehen haben will. Sowohl dieses spezielle Tier – das seiner Agressivität wegen an eine Kette gelegt werden muss – als auch Leoparden im Allgemeinen werden von Fabri als besonders ›wild‹ (saevissimum leopardum; bestia saevissima) beschrieben. Aus seinen ›eigenen Erfahrungen‹ mit dem Kairoer Leoparden schildert Fabri außerdem die Begegnung des Tiers mit dessen ›Meister‹. Das Tier sei derart gefährlich gewesen, dass alleine dieser Leopardenkundige sich in seine Nähe gewagt habe – und dies auch nur mit einem Stock bewaffnet (cum baculo) sowie unter Drohungen und Schreien (cum minis et clamoribus). Bei dem, was der Reisende hier als sein ›Erfahrungswissen‹ ausgibt, muss wohl offenbleiben, ob sich das Geschehen tatsächlich in dieser Weise abgespielt hat. Ein wildes Tier mit derlei Methoden in Schach zu halten, erscheint sehr naheliegend und kann daher nicht als stichhaltiger Beweis dafür angesehen werden, dass Fabri sich ›Expertenwissen‹ aneignete, indem er der Begegnung als Augenzeuge beiwohnte. Innerhalb der Informationen, die dem Typekonzept zugerechnet werden können (also ab dem zweiten Satz) wird erläutert, Leoparden gingen aus der Kreuzung zwischen einem Löwen und einem Parder hervor. Aus diesem Grund weise das Äußere des Leoparden Merkmale beider Arten auf. Im Gegensatz zu Tucher und Breydenbach geht Fabri hier auf die Gestalt des Tiers ein, da er offenbar nicht davon überzeugt war, all seine Rezipienten würden mit dessen Aussehen vertraut sein. Auch die Domestizierung zu Jagdzwecken wird angesprochen. Diese gelinge jedoch niemals vollständig, in dem Maße, dass die Grausamkeit (crudelitatis) des Tiers verschwände. Hier klingen Konzeptbestandteile an, die in ganz ähnlicher Weise auch im Niederrheinischen Orientbericht zum Tragen kommen. Dort ist ebenfalls die Information zu finden, ›gezähmte‹ Leoparden würden zur Jagd eingesetzt.916 Eine weitere Parallele ist darin zu sehen, dass in beiden Berichten auf die Irritation und den Zorn des Leoparden eingegangen wird. Diese Verstimmtheit stellt sich laut Niederrheinischem Orientbericht dann ein, wenn der Leopard seine Beute nicht mit drei Sprüngen erjagen kann. Bei Felix Fabri erhöht sich die Anzahl der Sprünge auf ›vier oder fünf‹ (quatro vel quinto); die Reaktion des Raubtiers bleibt jedoch dieselbe. Diese Übereinstimmung der beiden Quellen ist darauf zurückzuführen, dass sowohl der Verfasser des Niederrheinischen Orientberichts als auch 916 Vgl. dazu S. 263 der vorliegenden Arbeit.
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Felix Fabri auf Wissensbestandteile des naturkundlichen Diskurses zurückgreifen, denn auch Albertus Magnus und Bartholomaeus Anglicus berichten über die Entrüstung des Leoparden, die dieser zeige, wenn er seine Beute nicht binnen drei oder vier Sprüngen (Bartholomaeus Anglicus, De proprietatibus rerum XVIII, 65) bzw. vier oder fünf Sprüngen (Albertus Magnus De Animalibus XXII, 59) zu fassen bekomme. Die Informationen, das Raubtier gehe in diesem Fall auf seinen Meister los und sei ausschließlich mit Blut zu besänftigen, lassen sich ebenfalls Albertus Magnus’ De Animalibus XXII, 59 entnehmen. Erstaunlich erscheinen Fabris Ausführungen über die scharfen und giftigen Zähne, denn sie werden weder von Albertus Magnus erwähnt, noch von Bartholomäus Anglicus, der in Bezug auf den Leoparden-Abschnitt Fabris maßgebliche Quelle gewesen sein dürfte.917 Die giftigen Zähne rücken den Leopard stark in die konzeptuelle Nähe des Diabolischen, da ansonsten vornehmlich Tiere wie Schlangen und Drachen mit Gift in Verbindung gebracht werden.918 Auch wenn dieser Konnex ›giftiges Tier – Teufel‹ hier nicht explizit thematisiert wird, ist es dennoch wahrscheinlich, dass mittelalterliche Rezipienten die giftigen Leopardenzähne ad malam partem auslegten und den Leoparden als einen Signifikanten wahrnahmen, der auf alles Böse und den Teufel verweist. Insofern könnte man sich an dieser Stelle durchaus fragen, ob der religiöse Diskurs unterhalb der Textoberfläche vorhanden ist. Sicher ist, dass die giftigen Zähne den Leoparden in einen diametralen Gegensatz zum Panther rücken. Der Panther wird zwar nicht in allen, aber doch in den meisten der bislang analysierten Quellen als sanftmütiges, zahmes Tier dargestellt, was auf die Wirkungsmacht des Physiologus zurückzuführen sein dürfte, der natürlich nicht ausschließlich den religiösen Diskurs bestimmt. Vielmehr beeinflusst er in nicht zu überschätzendem Maße auch die anderen Diskurse – und dies nicht nur in Bezug auf die Aussagen, die gemacht werden können und dürfen, sondern auch auf die, die gerade nicht getätigt werden. Darin könnte ein Erklärungsansatz dafür liegen, dass der Leopard innerhalb des kommerziellen Diskurses häufiger thematisiert wird als der Panther. Möglicherweise war die konzeptuelle Verbindung zwischen dem Panther und Gott – zwischen significans und significatum – so eng, dass man es nicht wagte, den Wert dieses Tieres in Ducaten zu beziffern. Streng genommen hätte man damit – nach mittelalterlichem Verständnis – auch implizit den Wert Gottes in barer Münze festgelegt. Ein solches Denken verbietet sich natürlich 917 Die These, dass Bartholomaeus Anglicus’ De proprietatibus rerum hier Fabris maßgebliche Quelle gewesen sein könnte, beruht darauf, dass auch die etwas später thematisierte ›Löwenfalle‹ in diesem Werk wiederzufinden ist. 918 Man denke hier beispielsweise an die schier zahllosen Giftschlagen-Angriffe, gegen die sich der Protagonist in Johann Hartliebs Alexander zur Wehr setzen muss. Als weiteres Beispiel wäre die Drachenzunge in Gottfrieds Tristan zu nennen. Von ihr gehen derart giftige Dämpfe aus, dass Tristan davon das Bewusstsein verliert.
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jedem Christen – ganz gleich, inwieweit sich am Ende des 15. Jahrhunderts Säkularissierungstendenzen abzeichnen mögen, die – in unterschiedlich starker Ausprägung – auch innerhalb der Reiseberichte ersichtlich werden. Hier tritt offenbar das zutage, was Foucault meint, wenn er von Restriktionen und Verboten spricht, die einen Diskurs determinieren. Vor diesem Hintergrund erscheint es nur umso schlüssiger, dass diejenigen mittelalterlichen Reisenden, die kommerzielle Interessen verfolgten, auf den Leoparden ›auswichen‹. Da der Leopard nicht im Physiologus auftaucht, stellte er möglicherweise eine Projektionsfläche dar, die mehr Leerstellen für neue Einschreibungen des kommerziellen Diskurses bot. Die Informationen über die Gefährlichkeit des Tieres etwa könnten dazu gedient haben, den Marktwert des Tieres in die Höhe zu treiben, denn es erscheint nur legitim, dass ein Tier, für das der Händler sein Leben riskiert hat, einen höheren Preis erzielt, als ein solches, das friedlich und mammunde (Millstätter Reimphysiologus) ist. Als Gegenbeispiele ließen sich hier natürlich die beiden Panther-Abschnitte im Reisebericht Mandevilles und im Niederrheinischen Orientbericht ins Feld führen, bei denen sich sehr wohl eine Kommerzialisierung des sanftmütigen Physiologus-Panthers erkennen lässt. Diese Beispiele zeigen m. E., dass man diesbezüglich keinesfalls verabsolutierende Aussagen treffen darf. Dies soll im Umkehrschluss aber nicht heißen, dass sich innerhalb des kommerziellen Diskurses nicht eine gewisse Tendenz zum Wandel und zur ›Substituierung‹ abzeichnen würde und auch benennen ließe – die Tendenz, Abstand zu nehmen von der Thematisierung des Panthers bzw. den Panther durch den Leoparden zu ersetzen.919 Doch nun – nach diesen etwas übergreifenderen Überlegungen zum Regelwerk, dem der kommerzielle Diskurs unterliegen könnte – zurück zu Felix Fabri und seiner Leopardenbeschreibung. Nachdem der Ulmer Dominikanermönch seine Rezipienten über die Zähne des Tiers informiert hat, nennt er Kairo und Alexandria als die Orte, an denen die Tiere gefangen werden sowie den Preis, den man für ein Jungtier zahlen muss. Dieser beläuft sich laut Fabri – ebenso wie im Bericht Breydenbachs – auf einen Dukaten pro Exemplar. Ein Interesse am Handel und an der Preisgestaltung der Handelswaren ist also auch hier zu bejahen. Allerdings stellt diese Information in Fabris Bericht nur eine von vielen dar, die mitten im Text auftaucht und der somit keine exponierte Stellung am Anfang oder am Ende des Leoparden-Abschnitts zukommt. Die Gewichtung dieser Information scheint mir daher eine andere zu sein als in den Berichten Tuchers und Breydenbachs. 919 Um im Hinblick auf diese These validere Ergebnisse zu erzielen, wäre es sicherlich notwendig, ein weitaus größeres Korpus – bestehend aus Text- und Bildquellen – heranzuziehen, was im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich war. Gerade deswegen sehe ich hier eine interessante Forschungsfrage, der man in künftigen Untersuchungen nachgehen könnte.
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Daraufhin folgt eine Passage, die die These von einer ›konzeptuellen Trennung zwischen Panther und Leopard am Ende des Spätmittelalters‹ wieder ein Stück weit in Frage zu stellen scheint, denn Fabri berichtet, wie der Leopard mit menschlichen Exkrementen geködert und gefangen werden könne. Was hier beschrieben wird, ist die ›Pantherfalle‹, die bereits in Aristoteles HA Erwähnung findet und auch in den meisten mittelalterlichen naturkundlichen Quellen zum Panther nicht unerwähnt bleibt. Aber ist dieser eine Wissensbestandteil – der sowohl in Bezug auf den Panther als auch auf den Leoparden genannt wird – tatsächlich Grund genug, die konzeptionelle Trennung tatsächlich in Frage zu stellen? Über diese Frage ließe sich wohl trefflich streiten, aber vielleicht gibt es an dieser Stelle auch kein ›richtig‹ oder ›falsch‹; nicht das eine Konzept oder zwei verschiedene. Vielleicht ist gerade diese Passage in Fabris Ausführungen symptomatisch für die »liminale (Schwellen- oder Übergangs-)Form zwischen zwei stärker gefestigten Feldern kultureller Aktivität«.920 Gerade in diesem »Dazwischen«921 könnte man das Charakteristikum sehen, das das Konzept vom Panther/Leopard am Ende des Spätmittelalters ausmacht. Es handelt sich zwar nicht mehr um das Konzept von einem Tier, welches scheinbar willkürlich mit leopardus oder pathera bezeichnet werden kann und dabei entweder ›Leopard‹, ›Panther‹, oder ›Gepard‹ meint (wie dies in der Antike der Fall war), aber die Differenzierung in zwei völlig von einander getrennte Konzepte ist auch noch nicht abgeschlossen. Insofern ist dieser gemeinsame Wissensbestandteil der ›Pantherfalle‹ nicht wirklich verwunderlich. Alles andere würde bedeuten, davon auszugehen, dass ein relativ weit gefasstes antikes Konzept sich über Nacht in zwei vollständig von einander getrennte, klar definierte Konzepte aufspalten muss – aber so funktionieren kulturelle Transformationsprozesse eben nicht. Vielmehr ist hier ein gradueller Übergang anzunehmen, der dann tatsächlich zu einem späteren Zeitpunkt in zwei getrennte Konzepte mündet. Doch auf dem Weg dorthin kann es immer wieder dazu kommen, dass antike Wissensbestandteile tradiert werden, wodurch das antike, weit gefasste Konzept – das beinahe alle Raubkatzenarten beinhaltet – wieder gefestigt oder restituiert wird. Auf Fabris Ausführungen zur ›Pantherfalle‹ folgen Informationen über den Leoparden, die angeblich der Chronik eines Märtyrers entstammen, der unter der Herrschaft Heinrichs III. gelebt habe. Fabri beruft sich hier also auf eine Autorität, um seinen Informationen mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Die Quelle, die er zu diesem Zweck heranzieht, konnte bislang nicht genauer identifiziert werden.922 Die darin enthaltenen Informationen finden sich in keiner der bisher untersuchten Quellen zum Leoparden wieder. Fabri erklärt in dieser 920 Velten, Performativität, S. 218. 921 Ebenda. 922 Vgl. dazu auch Masson, Le Voyage en Pgypte, S. 415 (Anm. 524).
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Passage, wenn ein Mensch von einem Leoparden verletzt werde, komme eine ganze Schar Ratten herbeigelaufen, die auf ihn uriniere, bis ihn der Tod ereile. Möglicherweise dient diese Wiedergabe der Chronik-Informationen dazu, die Grausamkeit und die diabolischen Züge des Leoparden nochmals zu vergegenwärtigen, denn er ist es, der das Martyrium – die fürchterlichen Qualen durch die Ratten – überhaupt erst in Gang setzt. Abschließend beschreibt Fabri, wie der hinterlistige Leopard dem Löwen eine Falle stelle und ihn auf diese Weise durch Schläue zur Strecke bringe. Diesen Abschnitt über die ›Löwenfalle‹ dürfte Fabri wiederum von Bartholomaeus Anglicus (De proprietatibus rerum XVIII, 65) übernommen haben. Zusammenfassend lässt sich über Fabris Ausführungen sagen, dass die Informationen, die dem Type-Konzept zugerechnet werden können, mit großer Sicherheit alle kompiliert sind. Alleine der erste Satz des Leoparden-Abschnitts, innerhalb dessen Wissensbestandteile seines Tokenkonzepts angesprochen werden, könnte eventuell auf eigenen Beobachtungen beruhen. Im Hinblick auf die Frage, wie ›exotisch‹ der Leopard wirkt, lässt sich sagen, dass das Tier in Fabris Reisebericht sicherlich ›exotischer‹ dargestellt wird als in den Berichten Tuchers und Breydenbachs, da Fabri auch auf die äußere Gestalt zu sprechen kommt. Über die Herkunft, bzw. die Orte, an denen Leoparden gefangen genommen werden, macht Fabri ebenfalls Angaben: man fängt sie in Kairo und Alexandria. Diese beiden Städte mögen auf mittelalterliche Rezipienten vielleicht nicht in dem Maße ›exotisch‹ gewirkt haben wie Indien oder das Reich des Großkhans, aber dennoch eine äußerst fremde, weit entfernte Welt bedeutet haben, was den Eindruck der ›Exotik‹ des Leoparden erhöht haben dürfte. Dass lediglich diese beiden Städte genannt werden, spricht außerdem dafür, dass man den Leopard nicht als weit verbreitetes sondern als äußerst rares Tier wahrgenommen haben dürfte. Darüber hinaus zeigt sich, dass Fabris Beschreibung darauf ausgerichtet ist, Staunen hervorzurufen – ein Staunen über dieses in höchstem Maße wilde, gefährliche, listenreiche und durchtriebene Tier, das sich selbst vom Löwen – dem König aller Tiere – nicht einschüchtern lässt. Außerdem stellt sich insbesondere beim Lesen der Informationen aus der MärtyrerChronik (dem Horror-Szenario mit den Ratten) der Eindruck ein, dass Fabri hier eine Art ›Faszination der Angst‹ heraufbeschwört, die nicht in einem bloßen ›Staunen‹ verharrt, sondern darauf abzielt, dem Rezipienten einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen zu lassen. Handelsinteressen spielen in der Leoparden-Beschreibung des Ulmer Dominikanermöchs zwar auch eine Rolle, jedoch nicht in dem Maße wie in den Berichten Tuchers und Breydenbachs. Weitere Leoparden-Informationen lassen sich dem Reisebericht Arnolds von Harff entnehmen. Der Reisende vom Niederrhein kommt im Rahmen seiner Beschreibung Alexandrias auf die Tiere zu sprechen. Nachdem er über Alexandrias Moscheen berichtet hat, geht er auf den Handel in der Stadt ein. Als
Panther
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›Handelswaren‹ finden zunächst Sklaven und weiße Drosseln Erwähnung. Daraufhin schreibt Arnold: Item ouch saich ich gar vil groysser struyssen veyl, dar zoe vill leoparden, dae ich der jungen eynen saich gelden vur eynen ducaeten. item eyn leopart is gar eyn greyslich deyr an zo siene. he hait eyn heufft ind hals wye eyn lewe ind hait roitachtige hayr mit swartzen flecken ouer all sijn lijff in deser gestalt.923
Abb. 51: Leopard im Reisebericht Arnolds von Harff. Maria Laach, Bibl. der Benediktinerabtei, Hs. 268, Folio 52r.924
Damit dass Arnold die Leoparden in einem Atemzug mit den weißen Drosseln und den Straußen nennt, hält er genau die Reihenfolge ein, in der die Tiere auch im Reisebericht Hans Tuchers thematisiert werden. Insofern liegt die Vermutung nahe, dass Arnold diese Informationen dem Tucher’schen Bericht – der vor seinem eigenen entstand – entnimmt. Auch der darauffolgende Relativsatz dae ich der jungen eynen saich gelden vur eynen ducaten kann als weiteres Indiz für die kompilatorische Tätigkeit Arnolds gelesen werden, denn er ist sowohl bei Breydenbach als auch bei Fabri zu finden. Allerdings geht die Leoparden-Beschreibung des adligen Reisenden vom Niederrhein über reine Kompilation hinaus, wie anhand der darauffolgenden beiden Sätze deutlich wird. Hier informiert Arnold über das Äußere des Tiers, hebt sich damit vom Bericht Tuchers ab und zeigt – womöglich deutlicher als jeder andere der bislang genannten Autoren – dass er nicht davon ausgeht, seine Rezipienten könnten mit dem Tier vertraut sein. Arnold hält es vielmehr für notwendig, explizit zu sagen, dass der Leopard greyslich anzusehen sei (übersetzen könnte man diese Stelle wohl mit: ›Der Leopard ist, was sein Aussehen betrifft, ein gräßliches Tier‹). Er besitze ein löwengleiches Haupt und sein Fell sei rot mit schwarzen Flecken. Auch wenn hier 923 Arnold von Harff, Die Pilgerfahrt (ed. Groote), S. 79. 924 Bildquelle: Maria Laach, Bibl. der Benediktinerabtei, Hs. 268, fol. 52r.
276
Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
P Panther
Temperament
Äußeres
Größe
Form
besondere Merkmale
mondf örmiger Fleck an Schulter
Farbe
alles ist möglich
wilder Kopf
gefleckt wild
bunt
männlich
stößt andere Tiere ab
zahm
edle Kräuter
tapfer Krone
v iele Tugenden
zerfleischt andere Tiere
intelligent fürsorgliches Muttertier
Dankbarkeit Christus
Hilf sbereitschaft
Minnedame
Duft
lockt Beutetiere an
Schwierigkeiten beim Gebären
gebiert nur einmal
4 Zitzen am Bauch
Duldsamkeit Christi bei der Kreuzigung
gif tig
andere Tiere
weiblich
Schönheit
alles ist möglich
Nahrung
Geschlecht
Atem
Großzügigkeit Das Wort Gottes Salbungsöl das ›Nährende‹ beim Abendmahl
Fell
Bettvorleger Lufterfrischer
Kraftquelle Medizin zur Behandlung kranker Tiere
Medizin gegen Liebeskummer Worte des Minneritters / der Minnedame
Verführungskraf t der Minnedame
Abb. 52: Epistemischer Diskurs-Frame, der die rekonstruierten Bestandteile des mittelalterlichen Panther-Konzepts hervorhebt, die innerhalb des kommerziellen Diskurses aktualisiert werden.
277
Panther
Herkunft
Beziehungen zu anderen Tieren
Afrika
Indien
eher kein medizinischer Nutzen
Syrien Hyrkanien
›Freunde‹
gesellschaftlicher Status
Nutzung
Feinde
Sinnbild Christi
Reich des Großkhans
Menschen
bedeutsam f ür Traumdeutung
Drache Hirsch
orientalisches Luxusgut
gejagtes Tier
Hyäne Atem
Handelsware
Fell
wertvolles Geschenk Reittier Medizin zur Behandlung kranker Tiere
Medizin gegen Liebeskummer
künstliche Nachbildung in Form von Automaten
Feuerlöscher
Lufterfrischer Bettvorleger
Relationen der Konzeptbestandteile
= metaphorische Relation = klassifikatorische Relation = aktualisiert = nicht aktualisiert
278
Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
mit dem Löwen lediglich ein einziges Tier zum Vergleich herangezogen wird, könnte man sagen, dass in Arnolds Bericht zumindest ansatzweise das Beschreibungsverfahren des ›Vergleichspuzzles‹ Anwendung findet. Arnolds Informationen über den Leoparden erschöpfen sich aber nicht in bloßer Beschreibung. Um ganz sicher zu gehen, dass sich seine Rezipienten auch wirklich ein Bild von dem fremden, ›exotischen‹ Tier machen können, ergänzt er seine Beschreibung um eine Miniatur (Abb. 51). Diese wirkt – abgesehen von den weit gespreizten Klauen des Tiers – erstaunlich naturnah. Besonders interessant ist die die Symbiose, die Text und Bild in Arnolds Reisebericht eingehen; und dies betrifft nicht nur die Leopardenbeschreibung sondern beinahe alle Ausführungen zu ›exotischen‹ Tieren sowie zu fremden Trachten und Bräuchen. Sobald der Autor offenbar den Eindruck hat, mit sprachlichen Mitteln an den Grenzen seiner eigenen Ausdrucksfähigkeit und der Imaginationskraft seiner Rezipienten angelangt zu sein, verlässt er sich nicht allein auf Worte. Er wählt den sichereren Weg und unterstützt die möglicherweise zu abstrakten Worte durch einen weiteren ›medialen Kanal‹ – durch Bilder. Insofern weist die LeopardenDarstellung in Arnolds Reisebericht m. E. ein Höchstmaß an ›Exotik‹ auf: Das Tier ist dermaßen ›exotisch‹, dass eine Beschreibung nicht ausreicht, um in der Vorstellung des Rezipienten ein inneres Bild zu erzeugen. Bei so viel ›Exotik‹ hilft es nur noch, dem Rezipienten das Tier bildhaft vor Augen zu führen. Zusammenfassend lässt sich zum Panther innerhalb des kommerziellen Diskurses festhalten, dass das Tier hier nicht derart häufig thematisiert wird wie der Leopard. Dies dürfte daran liegen, dass die Wirkungsmacht des Physiologus zu stark war, als dass der Panther frei gewesen wäre für Einschreibungen des kommerziellen Diskurses. Hierin lassen sich die von Foucault postulierten Ausschlussmechanismen erkennen, die den Diskurs determinieren – die also auch dafür ausschlaggebend sind, was gerade nicht gesagt werden kann. In den Fällen, in denen der Panther aber doch thematisiert wird, lassen die Beschreibungen ein hohes Maß an ›Exotik‹ erkennen. Über das Äußere des Tieres wird gesagt, es sei bunt (Niederrheinischer Orientbericht: van aller varwen as eyn raynboige). Während im Niederrheinischen Orientbericht von einem kleinen Tier die Rede ist, macht Mandeville keine expliziten Angaben zur Größe. Da die Pantherfelle in seinem Bericht aber als Wandbehänge genutzt werden und davon auszugehen ist, dass der Großkhan sich keine winzigen Wandbehänge aufhängt, dürfte Mandeville wohl von einem etwas größeren Tier ausgegangen sein. Insofern scheint in Bezug auf die Größe des Panthers also auch innerhalb dieses Diskurses alles möglich zu sein. Als ›Exotik‹-Indikator kann die Herkunft des Tiers gewertet werden, denn es lässt sich allein in Indien und im Reich des Großkhans finden, ist zudem ungeheuer wertvoll und stellt daher ein äußerst rares Luxusgut dar. Diese Luxurierung der Tiere zielt offensichtlich darauf ab, beim Rezipienten Staunen und
Panther
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eventuell sogar Begehrlichkeiten nach dem Besitz dieser exklusiven ›Waren‹ hervorzurufen. Der Eindruck der Exklusivität wird dadurch gesteigert, dass der Panther nur ganz auserlesene Kräuter zu sich nimmt, was seine Haltung erschwert haben dürfte. Allerdings findet die Haltung lebendiger Tiere an keiner Stelle Erwähnung. Besondere Bedeutung scheint der Panther innerhalb des kommerziellen Diskurses erst dann zu erlangen, wenn er tot ist, denn dann kann sein Fell als Bettvorleger oder Lufterfrischer genutzt werden. Die Ergebnisse dieses Kapitelabschnitts lassen sich in einem Frame zusammenfassen (Abb. 52).
2.1.4 Die ›Exotik‹ des Panthers im Mittelalter Nachdem nun das wissenschaftliche Konzept vom mittelalterlichen PantherKonzept erarbeitet und innerhalb fünf verschiedener Diskurse beleuchtet wurde, erscheint es sinnvoll, abschließend noch einmal kurz zu resümieren, innerhalb welches Diskurses der Panther am ›exotischsten‹ dargestellt wird und innerhalb welcher Quellen sich keine ›Exotik‹-Indikatoren finden lassen. Am besten lässt sich die graduelle Abstufung der ›Exotik‹ anhand des folgenden Schaubilds erläutern (Abb. 53), das der beschreibenden Erklärung vorangestellt sei. In Analogie zu dem Prototypen-Schaubild Eleanor Roschs (Abb. 3), nimmt hier derjenige Diskurs die zentralste Position ein, innerhalb dessen die meisten ›Exotik‹-Indikatoren ersichtlich werden. Wie anhand des Schaubilds zu sehen ist, lassen sich innerhalb des kommerziellen Diskurses die meisten ›Exotik‹-Indikatoren ausmachen – wobei jedoch stets im Hinterkopf zu behalten ist, dass der Panther in nur zwei Textquellen, die diesem Diskurs zugerechnet werden können, thematisiert wird. Der Niederrheinischen Orientbericht informiert darüber, dass das Tier ausschließlich in Indien zu finden sei und verleiht dem Pantherfell eindeutig den Status eines exklusiven, orientalischen Luxusguts, das fürstliche Schlafgemächer mit hervorragendem Duft erfüllt und alles Böse fern hält. Die Beschreibung zielt offenkundig darauf ab, die Reziepienten im Angesicht dieser fremden, raren und kostbaren Ware in Staunen zu versetzen. Als ein wichtiger Anhaltspunkt für die Fremdheit des Panthers kann die Tatsache gewertet werden, dass der Verfasser auf das Äußere des Tiers eingeht. Ähnlich deutlich tritt die ›Exotik‹ des Panthers in Mandevilles Reisebericht zutage. Hier ist es das staunenerregende rote phinchions-Leder, das den prunkvollen Palast des Großkhans noch ein wenig prunkvoller erscheinen lässt. Insofern lassen sich innerhalb der Quellen, die dem kommerziellen Diskurs zugerechnet werden können, folgende ›Exotik‹-Indikatoren festmachen: die weit entlegene, sagenumwobene Herkunft, die Luxurierung des Tiers sowie die Beschreibung des offenbar als fremd empfundenen Äußeren des Panthers.
280
Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Liebesdiskurs
Religiös-heilsgeschichtlicher Diskurs
Naturkundlicher Diskurs
Literarischer Diskurs
Kommerzieller Diskurs
Abb. 53: Die diskursabhängige ›Exotik‹ des Panthers in ihren graduellen Abstufungen.925
Auch innerhalb des literarischen Diskurses zielen die meisten Panther-Textstellen darauf ab, Staunen zu evozieren.926 Meist liegt daher die Betonung auf der außergewöhnlichen, bunten Fellfärbung. Auch der Beschreibung magischer Elemente, die mit dem Tier in Verbindung stehen, scheint diese Intention inne zu wohnen. Da die äußeren Merkmale des Tiers hier ebenfalls explizit benannt und beschrieben werden, stellt sich außerdem der Eindruck von Fremdheit ein. Darüber hinaus kann die Herkunft des Panthers als ›Exotik‹-Indikator be925 Die Abbildungen 24; 25; 26; 29; 30; 34; 42; 44 und 45 der vorliegenden Arbeit werden hier in eine Relation zu einander gesetzt, um die diskursabhängige ›Exotik‹ des Panthers zu visualisieren. 926 Dies könnte eventuell auch den Textgattungen geschuldet sein, in denen der Panther eine Rolle spielt. Um diesbezüglich zu einem abschließenden Ergebnis zu gelangen, wäre es notwendig, sich eingehender mit der Frage auseinanderzusetzen, inwiefern das Phänomen des Staunens in den analysierten Textquellen von Bedeutung ist.
281
Papagei
trachtet werden, denn in den Alexanderromanen bekommt der Protagonist von Königin Candacis Panther geschenkt, was die Vermutung nahelegt, dass die Tiere in dem fernen Reich der Candacis heimisch sind. Adjektive wie wunderleich, herleich oder fraydig, die innerhalb der Quellen des literarischen Diskurses oftmals in Erscheinung treten, können zudem als ›Exotik‹-Indikatoren auf sprachlicher Ebene betrachtet werden. Etwas weniger ›exotisch‹ wirken die Panther-Darstellungen innerhalb des naturkundlichen Diskurses. Zwar ist die fremdländische Herkunft des Tiers hier auch ein Thema – denn als Herkunftsländer und -regionen werden Afrika, Syrien und Hyrkanien genannt – jedoch werden diejenigen Länder, die im Mittelalter als ganz besonders ›exotisch‹ galten (Indien und das Reich des Großkhans) nicht erwähnt. Auch eine Inszenierung des Panthers als wertvolles, orientalisches Luxusgut, das die Rezipienten zum Staunen bringen soll, lässt sich hier nicht ausmachen. Das Äußere des Tiers wird allerdings in jeder der naturkundlichen Quellen beschrieben, was darauf hindeutet, dass die Autoren von einer Unbekanntheit des Panthers auf Seiten der Rezipienten ausgehen. In Bezug auf den naturkundlichen Diskurs bietet es sich daher m. E. an, eher von einer ›Fremheit‹ als von einer ›Exotik‹ des Panthers zu sprechen. Innerhalb des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses werden weder Angaben zur Herkunft gemacht, noch lassen sich Anzeichen für eine Darstellung des Tiers als staunenerregendes, orientalisches Luxusgut erkennen. Das einzige Indiz für eine gewisse Fremdheit (nicht aber ›Exotik‹!) findet sich im Physiologus Theobaldi deutsch, denn dort wird gleich zu Beginn des Pantherabschnitts erklärt, das Tier besitze vier Beine. Der Verfasser geht offensichtlich davon aus, dass diese wichtige Information seinen Rezipienten nicht bekannt ist – was das Tier zum einen fremd erscheinen lässt. Zum anderen wird das panterthier durch diese Information aber wieder in die ›Normalität der Vierbeiner‹ zurückgeholt. Am wenigsten ›exotisch‹ wird der Panther – oder genauer gesagt die Pantherin – innerhalb des Liebesdiskurses dargestellt. Eine Thematisierung fremder Herkunft findet hier ebensowenig statt wie eine Inszenierung des Tiers als mirabilium des Ostens. Von den Äußeren Merkmalen der Pantherin werden nur diejenigen erwähnt, die es zulassen, eine allegorische Verbindung zur Minnedame herzustellen.
2.2
Papagei
Wie in der Einleitung bereits angesprochen, deuten antike und mittelalterliche Quellen darauf hin, dass es eine Papageienart gibt, deren Vertreter in beiden Epochen als prototypische Papageien wahrgenommen wurden. Es handelt sich dabei um Vertreter der Species psittacus krameri, die ursprünglich in Indien
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
beheimatet war, von der jedoch angenommen wird, dass sie bereits in der Antike auch in Ägypten gezüchtet und/oder ausgewildert wurde.927 Seit 1969 sind die Tiere – die unter dem deutschen Namen ›Halsbandsittich‹ bekannt sind – auch als Neozoen in deutschen Gebieten verbreitet.928 Im Hinblick auf die nachfolgende Untersuchung ist es wichtig, dass Halsbandsittiche dazu in der Lage sind, die menschliche Sprache zu imitieren und dass sie gezähmt werden können.
Abb. 54: Halsbandsittich (Psittacula krameri).929
Des Weiteren ist erwiesen, dass im 13. Jahrhundert zumindest ein Kakadu nach Europa gelangte; nämlich der Kakadu Friedrichs II., der auch in De arte venandi cum avibus zu sehen ist (Abb. 55).930 Hoppe geht davon aus, dass es sich bei dem in den Miniaturen abgebildeten Tier um einen Weißhaubenkakdu handelt.931 Aufgrund der leichten Gelbfärbung des Kamms sowie der Flügel könnte man allerdings auch vermuten, dass hier ein Gelbhauben- oder Gelbwangenkakadu dargestellt ist.932 Das Tier gelangte als »Gastgeschenk des 927 Kinzelbach, Kaiser Friedrich II., S. 295. 928 Braun, Die Bestandssituation des Halsbandsittichs, S. 77; Braun gibt folgende Städte und Regionen als Stationen der Verbreitung des Vogels an: Köln (1969), Worms (1974), Neckarhausen (1974), Wiesbaden (1975), Brühl bei Köln (1975), Mainz (1970er Jahre), Bonn (1979), Düsseldorf (1984), Frankenthal (1985), Heidelberg (1990), Mannheim (1993), Ludwigshafen (1995) und Duisburg (2000). 929 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rose-ringed_Parakeet_Psittacula_krameri_ma le_by_Dr._Raju_Kasambe_DSCN8937_(1).jpg. Zugriff am 21. 10. 2018 um 15:10 Uhr. 930 Kinzelbach, Kaiser Friedrich II., S. 295. 931 Hoppe, Kakadus – Lebensweise, Haltung und Zucht, S. 156. 932 Kinzelbach nimmt die Darstellung eines Gelbhaubenkakadus an. Vgl.: Kinzelbach, Kaiser Friedrich II., S. 295.
Papagei
283
Sultans von Babylon« in den Besitz des Stauferkaisers.933 Hier zeigt sich bereits, dass Papageien – auch realhistorisch betrachtet – beliebte und wertvolle Geschenke darstellten. Dass sie auch in ihrer literarischen Überformung in diesem Kontext auftreten, wurde bereits anhand der Geschenke-Kataloge in den Alexanderromanen ersichtlich.934
Abb. 55: Kakadu in De arte venandi cum avibus.935 Bibl. Apostolica Vaticana, Cod. Pal. Lat. 1071, fol. 20r.936
Anhand der Beschriftungen, die Friedrich den Miniaturen beifügte, wird außerdem klar, dass die Bezeichnung psittacus sowohl zur Benennung von Kakadus als auch zu der von Halsbandsittichen herangezogen wurde. Daher liegt die Vermutung nahe, dass sie für sämtliche krummschnäbligen Vögel, die wir heute als ›Papageien‹ kennen, verwendet wurde. Allerdings kann diese Bezeichnung offenbar noch weiter spezifiziert werden, da der Vogel in Abb. 56 psittacus viridis genannt wird. Neben der psittacus-Bezeichnung, die bereits in der Antike verwendet wurde, lassen sich im Mittelalter außerdem die eingedeutschte Form sittich sowie die Benennungen papegan oder altfrz. papegau finden. Bemerkenswert ist im Hinblick auf Abb. 56 zudem, dass das Tier innerhalb dieser Miniatur kein rotes Halsband aufweist, wie dies für eine mittelalterliche Papageiendarstellung der Normalfall wäre.937 Hierzu ist aus biologischer Perspektive erwähnenswert, dass ausschließlich die männlichen Exemplare dieser Species ein rot-gefiedertes Halsband aufweisen, während das Federkleid der Halsbandsittich-Henne gänzlich grün ist.938 Wie später noch zu sehen sein wird, sprechen einige Anhaltspunkte dafür, dass sowohl in den antiken 933 934 935 936 937
Hoppe, Kakadus – Lebensweise, Haltung und Zucht, S. 156. Vgl. S. 195 der vorliegenden Arbeit. Bildquelle: Bibl. Apostolica Vaticana, Rom, Cod. Pal. Lat. 1071, fol. 20r. Vgl. Kinzelbach, Die Vogelarten im Falkenbuch, S. 118. Franz, Die Papageien im Falkenbuch Kaiser Friedrichs II. (ca. 1240). Auf: http://www.papa geien.org/USER/D_Franz/falkenbuch/. Zugriff am 07. 08. 2016 um 15:03 Uhr. 938 Ebenda.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
als auch in den mittelalterlichen Quellen überwiegend männliche Tiere thematisiert werden und Handlungsträger sind. Insofern stellt die Halsbandsittich-Henne in Abb. 56 also eher eine Ausnahme dar.
Abb. 56: Halsbandsittich in De arte venandi cum avibus. Bibl. Apostolica Vaticana, Cod. Pal. Lat. 1071, fol. 29v.939
2.2.1 Forschungsstand zum Papageien-Konzept in Antike und Mittelalter Um sich einen ersten Überblick über das antike wie mittelalterliche PapageienKonzept zu verschaffen, bietet es sich an, einen Blick in die Realencyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft (RE), in das Reallexikon für Antike und Christentum (RAC) sowie in das Lexikon des Mittelalters (LexMa) zu werfen.940 Darüber hinaus sind zwei Werke zu nenen, die bereits in Bezug auf die Erschließung des mittelalterlichen Panther-Konzepts Erwähnung fanden, nämlich Dietrich Schmidtkes 1968 veröffentlichte Dissertation Geistliche Tierinterpretationen in der Deutschsprachigen Literatur des Mittelalters (1100–1500) sowie Rudolf Schendas 1995 erschienene Monographie Das ABC der Tiere: Märchen, Mythen und Geschichten.941 Schmidtke widmet dem Sittich (psittacus) eine halbe Seite, auf der drei verschiedene proprietates des Tiers anführt werden, denen eine heilsgeschichtliche Auslegung wiederfahre: 939 Bildquelle: Bibl. Apostolica Vaticana, Cod. Pal. Lat. 1071, fol. 29v.; Vgl. dazu auch: Kinzelbach, Die Vogelarten im Falkenbuch, S. 121. 940 Wotke, ›Papagei (Literarische Überlieferung)‹. In: Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (= RE), Sp. 926–932; Jereb., ›Papagei (Bildliche Überlieferung)‹. In: Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (= RE), Sp. 932–934; Emberger, ›Papagei‹. In: Reallexikon für Antike und Christentum (= RAC), Sp. 916–924; Hühnermörder, ›Papagei‹. In: Lexikon des Mittelalters (LexMA), Sp. 1662f. 941 Schmidtke, Geistliche Tierinterpretationen, S. 410; Schenda, ABC der Tiere, S. 252–256.
Papagei
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I Leuchtet grün wie Gras; wird aber nie nass von Regen und Tau. […] II Isst und trinkt nicht viel, langt wie ein Mensch Nahrung mit den Füßen zum Munde, muss, will er nicht sterben Regen meiden, behütet vor allem den Schwanz. […] III Er grüßt seinen Herren.942
Die Ergebnisse Schmidtkes sind für die vorliegende Arbeit insofern von Bedeutung, als dass die drei von ihm gelisteten Merkmale auch innerhalb der Textund Bildquellen, die meiner Untersuchung zugrunde liegen, eine wichtige Rolle spielen. Rudolph Schendas Ausführungen zum Papagei in Das ABC der Tiere sind, obgleich populärwissenschaftlich ausgerichtet, insofern interessant, als dass der Autor auf verschiedene »Ehebruchsgeschichten mit Papageien als Privatdetektiven« aufmerksam macht, die der indischen mündlichen Tradition entstammen.943 Da der Papagei in diesem Kontext auch innerhalb der beiden Fabliaux auftaucht, die im Rahmen der nachfolgenden Analyse betrachtet werden (Las Novas del Papagay und Le conte de la dame et des trois papegaux), erscheint es interessant – unter Einbeziehung von Schendas Informationen – auch einen kurzen Blick über den europäischen Erzählhorizont hinaus zu wagen. Weiterhin ist Bernard Rib8monts 1990 erschienener Aufsatz Histoires de perroquets: petit itin8raire zoologique et po8tique für die vorliegende Arbeit von höchster Relevanz. Rib8mont nennt darin die unterschiedlichen Funktionen, die dem Papagei in einem mittelalterlichen Text zukommen können und umreißt sowohl die wichtigsten Merkmale des antiken als auch des mittelalterlichen Papageienkonzepts. Darüber hinaus geht der Autor aber auch – in aller Kürze – auf drei Erzählungen ein, die innerhalb der nachfolgenden Untersuchung herangezogen werden, nämlich Las Novas del Papagay, Le conte de la dame et des trois papegaux sowie Le Chevalier du Papegau.944 In Abgrenzung zu Rib8mont werde ich – im Rahmen eines Close Reading – noch etwas stärker an den Texten arbeiten, wobei es darum gehen wird, die Wissensbestandteile, die sich innerhalb der genannten altfranzösischen bzw. okzitanischen Texte zeigen, in eine Relation zu setzten zu denjenigen, die anhand der spätmittelalterlichen Reiseberichte zutage treten. Eine Monographie, die von ihrem Namen her zwar zunächst äußerst einschlägig erscheint, dann aber doch relativ wenige Informationen zur Erschließung des antiken und mittelalterlichen Papageien-Konzepts beiträgt, ist Klaus Lindemanns 1994 erschienenes Werk Der Papagei – seine Geschichte in der Deutschen Literatur. Lindemann widmet den antiken Quellen lediglich eine Seite und den 942 Schmidtke, Geistliche Tierinterpretationen, S. 410. 943 Schenda, Das ABC der Tiere, S. 255. 944 Ribémont, Histoires de perroquets, S. 167–169.
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mittelalterlichen knapp vier. Am ausführlichsten wird dabei auf Konrads von Megenberg Papageien-Abschnitt im Buch der Natur eingegangen.945 Andere mittelalterliche naturkundliche Quellen werden nicht herangezogen. Mittelalterliche Erzähltexte, in denen sittiche bzw. Papageien auftreten, wie beispielsweise das Alexanderlied des Pfaffen Lambrecht, der Wigalois Wirnts von Grafenberg oder der Trojanerkrieg Konrads von Würzburg werden zwar erwähnt, eine detaillierte Analyse der jeweiligen Textstellen bleibt jedoch aus.946 Insofern erscheinen allein Lindemanns Quellentext-Hinweise, die dem Grimm’schen Wörterbuch entnommen sind, hilfreich für die vorliegende Arbeit.947 Eine weitere Monographie ist Bruce Thomas Boehrers 2004 erschienenes Werk Parrot Culture – Our 2500-Year-Long Fascination with the World’s Most Talkative Bird. Wie der Titel besagt, unternimmt der amerikanische Anglist den Versuch, die bereits 2500 Jahre andauernde Kulturgeschichte des Papageien chronologisch geordnet nachzuzeichnen; ein Versuch, der m. E. sehr gelungen ist, denn Boehrer bezieht eine Vielzahl unterschiedlichster Quellen aller Epochen in seine Untersuchung mit ein. Sowohl naturkundliche als auch kunsthistorische und literaturwissenschaftliche Aspekte finden dabei Berücksichtigung.948 In Abgrenzung zu Boehrer möchte ich auch hier versuchen, im Rahmen eines Close Reading noch etwas detaillierter auf einzelne Textpassagen einzugehen und diese in eine Relation zu setzten zu den anderen – im Korpus enthaltenen – Quellen zum Papagei. Weiterhin ist der ebenfalls im Jahr 2004 erschienene Kommentar zu Le Conte du Papegau – Roman arthurien du XVe siHcle hilfreich, der von H8lHne Charpentier und Patricia Victorin verfasst wurde. Dieser Kommentar erschöpft sich nicht darin, einzelne Textpassagen zu annotieren oder Übersetzungshilfen an die Hand zu geben. Vielmehr finden sich darin auch Ausführungen zur ›Natur des Papageis‹ (d. h. zu dessen Darstellung in den Bestiarien) sowie zu der Rolle des Tiers in der Literaturgeschichte wieder.949 Erwähnt werden muss außerdem Claude Benoits 2006 erschienener Aufsatz De la s8duction psittach8enne: histoires de perroquets. Da der Autor sich aber vornehmlich auf Texte konzentriert, die später entstanden sind als diejenigen des Textkorpus’, welches meiner Arbeit zugrunde liegt, können allenfalls Benoits Überlegungen zur Etymologie der Bezeichnung papegai in die nachfolgende Analyse einfließen.950 945 Lindemann, Der Papagei, S. 12f. 946 Ebenda, S. 11. 947 Ebenda. Lindemann bezieht sich an dieser Stelle auf: Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (Hgg.), Deutsches Wörterbuch. Leipzig 1905, Bd. X/1, Sp. 1258–1260 und 1265–1266. 948 Vgl. Boehrer, Parrot Culture, Klappentext. 949 Charpentier/Victorin, Le Conte du Papegau Introduction, S. 9–56. 950 Vgl. dazu: Benoit, De la s8duction psittach8enne, S. 191.
Papagei
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In Bezug auf die Rollen und Funktionen, die dem Papageienkäfig (und anderen Käfigen) in dem nachklassischen Artusroman Le Chevalier du Papegau zukommen können, ist zudem Anne Martineaus 2006 erschienener Aufsatz Des oiseaux et des cages dans »Le Chevalier du Papegau« zu nennen. Interessant im Hinblick auf die nachfolgende Untersuchung ist Martineaus These, der kostbare, prächtige Käfig lasse bereits Rückschlüsse auf den Wert und das Ansehen des Tiers zu.951 Weiterhin ist Patricia Victorins 2008 erschienener Aufsatz Du papegau au perroquet – Antonomase et parodie zu nennen. Die Autorin geht darin zunächst der Etymologie der beiden Papageien-Benennungen nach und hinterfragt daraufhin, inwieweit sich Korrelationen zwischen der Bezeichnung als ›papegau‹ bzw. als ›perroquet‹ und einer parodistischen Darstellungstradition des Tiers erkennen lassen.952 Victorins Aufsatz ist für die vorliegende Arbeit relevant, da beispielsweise auch die Papageiendarstellungen im Wigalois und im Reisebericht Felix Fabris parodistische Züge aufweisen. Bei der Analyse wird darauf zu achten sein, durch welche erzählerischen Mittel der Eindruck einer Parodie geschaffen wird. Eine weitere aufschlussreiche Untersuchung ist Sarah Kays 2013 publizierte Monographie Parrots and Nightingales – Troubadour Quotations and the Development of European Poetry. Im sechsten Kapitel geht Kay auf die Überlieferungslage der Papageiennovelle Arnauts de Carcasses ein. Insofern wird ihre Arbeit insbesondere für Kapitel 2.2.3.3 Der Liebesdiskurs von Relevanz sein.
2.2.2 Das antike Papageien-Konzept Als erstes soll ein Blick auf die antiken Text- und Bildquellen geworfen werden. Die ersten Begegnungen zwischen Europäern und Papageien, die literarischen Niederschlag fanden, können auf den Beginn des 4. Jh. v. Chr. datiert werden und fallen damit beinahe in den Herrschaftzeitraum Alexanders d. Gr., in dem das Tier zu noch größerer Bekanntheit gelangte.953 Fossilienfunde belegen jedoch, dass es bereits 40 Millionen Jahre v. Chr. in Europa Papageien gegeben haben muss.954 Durch die klimatischen Veränderungen, die im Laufe der Jahrmillionen stattgefunden haben, war das Tier im Europa der Antike und des Mittelalters aber nicht mehr heimisch. Die früheste Quelle, die Informationen über den Papagei bietet, ist Ktesias 951 952 953 954
Martineau, Des oiseaux et des cages, S. 179f. Vgl. Victorin, Du papegau au perroquet, S. 146. Ribémont, Histoires de perroquets, S. 158. Boehrer, Parrot Culture, Prolog, S. 9.
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FGrHist 688 F 45 a8.955 Der griechische Arzt, der um 400 v. Chr. am persischen Hof lebte, hatte offenbar die Möglichkeit, einen Papagei – der seinem Herrscher zum Geschenk gemacht worden war – genauer zu betrachten.956 Ktesias schreibt, der Papagei besitze die Größe eines Falken und sein Gefieder sei grün mit rotem Halsring.957 Der hier erstmals erwähnte Falken-Vergleich ist besonders interessant, da er tradiert wird und sich ebenso in mittelalterlichen Text- und Bildquellen finden lässt, wie in Kapitel 2.2.3 Das mittelalterliche Papageien-Konzept noch zu sehen sein wird. Darüber hinaus wird bereits anhand dieser frühesten Quelle deutlich, dass der Halsbandsittich der prototypische Papagei der Antike und des Mittelalters ist. Auch in antiken Mosaiken lassen sich vermehrt Darstellungen dieses prototypischen Papageis bzw. seines etwas größeren ›Bruders‹, des Alexandersittichs, finden, wie die folgenden Abbildungen beweisen:958
Abb. 57: Papageien-Mosaik (Ausschnitt), Palast V in Pergamon, 160–150 v. Chr., Antikensammlung, Staatliche Museen zu Berlin.959
955 956 957 958
Ribemont, Histoires de perroquets, S. 158; Emberger, RAC, Sp. 917. Ribémont, Histoires de perroquets, S. 158; Wotke, RE, Sp. 928. Emberger, RAC, Sp. 917. Auf die Unterscheidung zwischen Halsbandsittich, Alexandersittich und Bartsittich wird auf S. 298f. noch eingegangen, im Rahmen der Überlegungen, welche Papageienarten Aelian gekannt haben könnte. 959 Bildquelle: Papageien-Mosaik (Ausschnitt): Palast V in Pergamon (160–150 v. Chr.). Bildrechte: bpk / Antikensammlung, SMB / Ju¨rgen Liepe.
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Abb. 58: Mosaik Papagei und Perlhuhn. Entstehung: 2. Jh. nach Chr., Pushkin-Museum Moskau.960
Abb. 59: Sittiche als Zugtiere vor einem Wagen, der mit Gartengeräten beladen ist; Ausschnitt aus einem Dionysos-Mosaik. Entstehung: 2. Viertel des 3. Jh. n. Chr., Römisch-Germanisches Museum Köln.961 960 Bildquelle: Foto: Sabine Obermaier. 961 Bildquelle: Erntewagen, Ausschnitt aus dem Dionysos-Mosaik (um 230 n. Chr.). Römisch-
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Peter Emberger bemerkt in Bezug auf derlei Papageiendarstellungen sehr richtig: »Im Allgemeinen erlauben die Darstellungen keine tiefergehende Interpretation, sondern vermitteln dem Betrachter schlicht Freude an dem bunten, exotischen Vogel, wie sie auch aus den literarischen Zeugnissen spricht«.962 Obwohl Emberger mit dieser These m. E. recht hat, scheint es zumindest bei dem Mosaikausschnitt, der die beiden vor den Wagen gespannten Papageien zeigt (Abb. 60), auch aufschlussreich, den Kontext dieser Darstellung in die Betrachtung mit einzubeziehen. Die beiden Vögel werden nämlich innerhalb eines Dionysos-Mosaiks abgebildet.963 Dies erinnert stark an die Mosaiken, die den Panther als das Begleittier des Dionysos zeigen (Abb. 10–16).964 Eigenschaften, die sowohl den Panther als auch den Papagei in eine assoziative Nähe zu Dionysos rücken, sind zum einen die Freude am Weingenuss, die beiden Tieren attestiert wird, sowie die indische Herkunft. Legt man die Vorstellung zugrunde, Dionysos habe von seinem Indien-Feldzug Panther mitgebracht, dann dürfte es für zeitgenössische Betrachter durchaus nahe gelegen haben, dass auch die sprachbegabten grünen indischen Vögel von dem Gott des Weines in die griechisch-römische Welt importiert worden waren. Die realhistorische Vorlage könnte auch hier der Indienfeldzug Alexanders des Großen gewesen sein, denn es wird angenommen, dass einige Generäle des Makedonenkönigs Halsbandsittiche nach Europa einführten.965 Der Papageien-Handel florierte vor allem in Alexandria, einem der wichtigsten Umschlagplätze für die ›exotische Ware psittacus‹.966 Die Information, der Papagei trinke gerne Wein, ist sowohl bei Aristoteles als auch bei Plinius zu finden.967 Aristoteles erwähnt das Tier in seiner HA 8,12 597b 27–29, nachdem er seine Rezipienten über die Eigenschaften der Waldohreule in Kenntnis gesetzt hat. Diese besitze krumme Klauen, eine kurze Zunge sowie einen kurzen Hals und ahme gerne nach. Jene Gemeinsamkeit der beiden Vögel – die Vorliebe nachzuahmen – nutzt Aristoteles, um eine direkte Überleitung zum Papagei zu schaffen. Über diesen schreibt er : ja· c±q t¹ Ymdij¹m eqmeom B xitt\jg, t¹ kec|lemom !mhqyp|ckyttom, toioOt|m 1sti7 ja· !jokast|teqom d³ c_metai ftam p_, oWmom.968
962 963 964 965 966 967 968
Germanisches Museum Köln. Bildrechte: Foto://T Rheinisches Bildarchiv, Michael Albers, rba_d035090. Emberger, RAC, Sp. 920. Boehrer, Parrot Culture, S. 14. Vgl. Kapitel 2.1.2 Das antike Panther-Konzept, S. 125–132. Ribemont, Histoires de perroquets, S. 158. Ebenda, S. 159. Wotke, RE, Sp. 931. Übersetzung Dominik Berrens’: Denn auch der indische Vogel, der Papagei (he¯ psitt#ke¯), von dem man sagt, er spreche die menschliche Sprache, ist so beschaffen; und jedes Mal, wenn er Wein trinkt, wird er ziemlich zügellos.
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Die hier zur Sprache kommende Zügellosigkeit ist wiederum ein Attribut, dass an Dionysus erinnert. Bruce Thomas Boehrer macht auf die mit der WeingenussInformation einhergehende Anthropomorphisierung des Tiers aufmerksam und erklärt – unter Bezugnahme auf empirische Beobachtungen anhand seiner eigenen Papageien – wie weit Aristoteles’ Aussage von dem Verhalten realexistierender Papageien abweiche.969 Boehrer schreibt diesbezüglich: […] Aristotle’s tendency to anthropomorphize parrots proves especially influential, most obviously in the remark about wine. Parrots may eat fermented fruit in the wild, and in the past centuries have been fed a mixture of wine-soaked bread called »parrotsoup«, but when given a choice they don’t seem given to drink. I’ve even put the matter to the test (purely in the interests of scholarship, of course) by tempting my two Amazon parrots with a small but discerning selection of red and white wines, including an Australian chardonnay, a Chilean cabernet, an Oregon pinot noir, and a vernaccia from San Gemignano. They turned up their beaks at the lot.970
Des Weiteren müsse insbesondere der Bezeichnung des Tiers als ›Menschenzungen-Vogel‹ Beachtung zukommen.971 Zwar seien auch anderen nachahmungsbegabte Vogelarten bekannt gewesen, jedoch sei der Papagei »in der westlichen Kultur als sprechender Vogel par excellence« (western culture’s articulate bird par excellence) wahrgenommen worden.972 Diese Sprachbegabung bleibt natürlich auch in Plinius’ Werk nicht unerwähnt. Er nennt in seiner etwas ausführlicheren Papageien-Beschreibung (NH 10, 117) die essentiellen Bestandteile des antiken Papageien-Konzepts, die über Jahrhunderte hinweg tradiert und auch von mittelalterlichen Autoren immer wieder aufgegriffen werden.973 Dies sind – wie in der Einleitung bereits erwähnt – seine Herkunft aus Indien, sein grünes Gefieder mit rotem Halsband und besagte Sprachbegabung, die sich darin zeige, dass er die ihm vorgesagten Worte laut wiederhole und Herrscher grüße. Daraufhin folgen Plinius’ Ausführungen über die Freude am Weingenuss sowie zur Härte des Schnabels und des Kopfes. Diese Härte erfordere es, das Tier beim Sprachtraining durch Schläge mit einem Eisenstäbchen zu konditionieren (NH 10, 117). Apuleius und Solinus übernehmen großen Teils Plinius’ Informationen.974 Apuleius erläutert zudem in seiner Florida II, 12, das Tier sei etwas zierlicher als 969 Boehrer, Parrot Culture, S. 4. 970 Ebenda. 971 Ebenda; Boehrer übersetzt das Wort !mhqyp|ckyttom in diesem Sinn (›human-tongued‹). Es handelt sich dabei um ein Hapax Legomenon. Vgl. Liddell/Scott, A Greek-English Lexicon, S. 141. Fraglich bleibt, ob hier die ›Zunge‹ oder im metaphorischen Sinn die ›Sprache‹ gemeint ist. 972 Boehrer, Parrot Culture, S. 4. 973 Ribémont, Histoires de perroquets, S. 159. 974 Boehrer, Parrot Culture, S. 6.
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eine Taube und seine breite Zunge ermögliche ihm das Nachahmen menschlicher Laute.975 Außerdem wird bereits bei Apuleius – wie dann später auch bei Solinus – die Anzahl der Zehen des Tiers thematisiert.976 Denjenigen Exemplaren, die fünf Zehen an jedem Fuß besäßen, könne die menschliche Sprache leichter beigebracht werden (flor. II nr. 12 : Verum ad disciplinam humani sermonis facilior psittacus, glande qui vescitur et cuius in pedibus ut hominis quini digituli numerantur).977 Überhaupt sei es sinnvoll, Papageien vor Vollendung des zweiten Lebensjahres zu dressieren und zu unterrichten, da später an ihnen Ungelehrigkeit und Vergesslichkeit zu bemerken sei.978 Auch sei es für das Sprachtraining förderlich, wenn der Papagei Nüsse fresse.979 Der Papagei singe und spreche so menschenähnlich, dass man – wenn man ihn nicht sähe – denken könnte, es sei ein Mensch, der gerade diese Laute von sich gebe.980 Um ihn zum Schweigen zu bringen, müsse man ihm entweder die Zunge herausschneiden, oder ihn schnellstmöglich in die Freiheit entlassen.981 Boehrer vertritt im Hinblick auf Apuleius’ Beschreibung die Meinung, es handle sich bei ihr um die ›beste‹ – gemeint ist wohl die ›naturnaheste‹ – aus der Antike überlieferte Papageien-Beschreibung.982 Apuleius gebe zwar – ebenso wie Plinius – an, man könne dem Papagei durch Schläge mit einem Eisenstäbchen besser das Sprechen beibringen, jedoch zeige der Autor darüber hinaus auch die Möglichkeit einer gewaltfreien Konditionierung auf – nämlich durch die Belohnung mit Nüssen.983 Diese Dressurmethode sei als wesentlich »realistischer« einzustufen.984 Auch die Information über die größere Gelehrsamkeit junger Papageien im Vergleich zu älteren Exemplaren sei alleine bei Apuleius – nicht aber in Aristoteles’ oder Plinius’ Beschreibungen – zu finden.985 Gleichwohl muss Boehrer einräumen, dass auch Apuleius’ Angaben zu dem Tier macht, die nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen.986 So ist etwa die besondere Gelehrsamkeit von fünfzehigen Papageien ausgeschlossen, da alle Papageien vier Zehen besitzen.987 Wie mir scheint, kommt Boehrer zu einer sehr treffenden Deutung dieser Diskrepanz, die 975 976 977 978 979 980 981 982 983 984 985 986 987
Emberger, RAC, Sp. 917; Wotke, RE, Sp. 928. Ebenda, Sp. 928. Ebenda. Emberger, RAC, Sp. 918. Boehrer, Parrot Culture, S. 6. Ebenda. Ebenda, S. 7. Ebenda; Boehrer schreibt diesbezüglich: »To my mind, this is the best description of parrots to survive from ancient times, and it corrects a certain amount of the misinformation that precedes it.« Ebenda. Ebenda. Ebenda. Vgl. Ebenda. Ebenda; Lindemann, Der Papagei, S. 13.
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zwischen Apuleius’ Informationen und den vierzehigen Füßen real-existierender Papageien besteht. Er wertet die von Apuleius angegebene Fünfzahl als einen weiteren Bestandteil der Anthropomorphisierung des Tiers.988 Die hier zugrundeliegende Logik bestehe darin, dass ein Tier, das ebenso wie der Mensch im Besitz von fünf Zehen an jedem Fuß sei, mehr Menschenähnlichkeit und damit eine größere Sprachlernfähigkeit aufweise.989 Solinus greift in De mirabilibus mundi 52, 43–45 zum einen Plinius’ Informationen aus der NH auf, zum anderen übernimmt er Apuleius’ Ausführungen über die Beschaffenheit der Zunge, die Anzahl der Zehen und über die abnehmende Gelehrsamkeit des Tiers, die mit dem zweiten Lebensjahr einsetze.990 In Bezug auf die Anzahl der Zehen geht Solinus jedoch noch etwas weiter ins Detail. Er unterscheidet anhand der Zehenzahl zwei verschiedene Papageienarten. Diejenigen, die fünf Zehen an jedem Fuß besäßen, seien ›edel‹ und herausragend, während Exemplare mit nur drei Zehen als ›unedel‹ zu kategorisieren seien (De mirabilibus mundi 52, 45: Inter nobiles et ignobiles discretionem digitorum facit numerus; qui praestant, quinos in pedes habent digitos, ceteri ternos). Interessant scheint darüber hinaus auch der letzte Satz in Solinus’ Papageienbeschreibung, der sich erneut auf das Sprachtalent des Tiers bezieht und Quod ingenium ita Romanae deliciae miratae sunt, ut barbari psittacos mercem fecerint lautet.991 Während ›römische Luxuswesen‹ – gemeint sein dürfte hier wohl die römische Oberschicht – also ganz angetan sind von dem Talent des Vogels, sind es die Barbaren, die mit den Tieren Handel treiben. Hier könnte zum einen das Wort miratae als ›Exotik‹-Indikator gewertet werden: Das Tier bietet offensichtlich Anlass zum Staunen. Zum anderen weist die Information, dass Barbaren – also Nicht-Römer – sich als Papageienhändler betätigen, auf die fremdländische, ›exotische‹ Herkunft des Tieres hin. Außer den Papageienhändlern ist noch eine weitere Berufsgruppe belegt, die infolge der Einführung der Vögel ins Imperium Romanum auf den Plan trat: der
988 Boehrer, Parrot Culture, S. 7. 989 Ebenda. Boehrer formuliert dies wie folgt: »Still Apuleius’ fondness for parrots with five toes betrays an innocence of the birds’ anatomy, there being no such thing as a five-toed parrot; however, a five-toed parrot is more like a human being than is a four-toed parrot, so it might stand to reason that the former would have a better command of human speech.« 990 Solinus spricht vom Einsetzen der Ungelehrsamkeit bereits mit dem zweiten Lebensjahr, während bei Apuleius die ›Vollendung des zweiten Lebensjahres‹ als Beginn genannt wird. Vgl. Emberger, RAC, Sp. 918. Zu überlegen wäre an dieser Stelle, ob die abnehmende Gelehrsamkeit des Tiers möglicherweise ebenfalls der Anthropomorphisierung geschuldet sein könnte. 991 Übersetzung Kay Brodersens: ›Dieses Talent haben die römischen Luxuswesen so bewundert, dass die Barbaren einen Handel mit Psittaci trieben‹. Vgl.: Brodersen (Hrsg.), Wunder der Welt, S. 303.
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›Papageien-Trainer‹, dessen Aufgabe darin bestand, die Tiere zu dressieren und ihnen das Sprechen beizubringen.992 Diese Tätigkeit des Papageien-Trainers hielt dann wiederum – in literarischer Überformung – Einzug in das Werk des Macrobius.993 In seinen Saturnalien 2, 29–30 gibt der Autor die folgende lustige Anekdote zum Besten, in der ein Papagei, ein Vogeltrainer, zwei sprechende Raben sowie Kaiser Octavian die Handlungsträger sind:994 Als bekannt geworden sei, dass Octavian Marcus Antonius in der Schlacht von Actium geschlagen habe und nun der neue römische Kaiser werden würde, habe es »unter seinen Gratulanten mindestens einen Papagei«995 gegeben, der die Worte ave Caesar victor imperator! hervorgebracht habe.996 Dies habe Octavian
992 993 994 995
Wotke, RE, Sp. 929. Vgl. Boehrer, Parrot Culture, S. 10f. Schmitzer, Das Bild des Augustus, S. 21. Boehrer, Parrot Culture, S. 11. Boehrer schreibt an dieser Stelle: »When the news spread that Julius Caesar’s adopted nephew Octavian had defeated Mark Antony at the battle of Actium (31 B.C.), thereby ensuring that he would become the emperor Augustus, at least one parrot appeared among his well-wishers, greeting him with the words ›Hail Caesar, conqueror and leader!‹« 996 Corpus Corporum – repositorium operum Latinorum apud universitatem Turicensem. Auf: http://www.mlat.uzh.ch/MLS/advsuchergebnis.php?lemmatised=& suchbegriff= CAESAR& table=& level2_name=& from_year=& to_year=& mode=SPH_MATCH_EX TENDED2& lang=0& corpus=all& verses=& suchenin=& sort_alpha=& offset=3500. Zugriff am 18. 08. 2016 um 16:51 Uhr ; Boehrer, Parrot Culture, S. 11. Boehrer verändert hier die Reihenfolge, in der die Vögel in den Saturnalien genannt werden. Macrobius berichtet zuerst von dem Vogeltrainer und den beiden Raben. Erst danach kommt er auf den Papagei zu sprechen und nennt im Anschluss daran eine sprachbegabte Elster. Der lateinische Original-Text lautet hier (zitiert nach Schmitzer, Das Bild des Augustus, S. 21): Sublimis Actiaca victoria revertebatur. occurrit ei inter gratulantes corvum tenens, quem instituerat haec dicere: ave Caesar victor imperator. miratus Caesar officiosam avem viginti milibus nummum emit. socius opificis, ad quem nihil ex illa liberalitate pervenerat, adfirmavit Caesari habere illum et alium corvum, quem ut adferre cogerentur rogavit. adlatus verba quae didicerat expressit: ave victor imperator Antoni. nihil exasperatus satis duxit iubere illum dividere donativum cum contubernali. Salutans similiter a psittaco, emi eum iussit. Idem miratus in pica hanc quoque redemit. Schmitzer übersetzt diesen Abschnitt wie folgt (Schmitzer, Das Bild des Augustus, S. 21): ›Erhaben kehrte er nach dem Sieg von Actium zurück. Es begegnete ihm unter den Gratulanten auch ein Mann, der einen Raben hielt, dem er folgendes zu sagen beigebracht hatte: Heil dir, Caesar, siegreicher Feldherr. Caesar staunte und kaufte den eifrigen Vogel für 20.000 Sesterzen. Der Genosse des Handwerkers, zu dem nichts von dieser Freigebigkeit gelangt war, bekräftigte Caesar gegenüber, jener habe noch einen zweiten Raben und bat, dass jener auch diesen bringen solle. Der Herbeigebrachte gab die Worte, die er gelernt hatte, von sich: Heil dir siegreicher Feldherr Antonius. Augustus war darüber nicht erbost und hielt es für genug, jenem zu befehlen, er solle die Gabe mit seinem Genossen teilen. Er wurde in ähnlicher Weise von einem Papagei gegrüßt und befahl, jenen zu kaufen. Ebenso bewunderte er das bei einer Elster und kaufte auch diese.‹
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so sehr gefreut, dass er das Tier erworben habe.997 Ein anderer Vogeltrainer habe auf ähnliche Weise versucht, seinen sprachlich talentierten Raben gewinnbringend zu veräußern.998 Er sei mit dem Tier vor den Kaiser getreten und auch dieses habe ave Caesar victor imperator! gerufen, worauf der erstaunte Kaiser es für 20.000 Sesterzen gekauft habe.999 Ein neidischer Gefährte des Vogel-Trainers habe dem Herrscher daraufhin jedoch verraten, sein Freund besitze noch ein weiteres Tier.1000 Auch diesen Vogel habe der Kaiser in Augenschein nehmen wollen.1001 Als der zweite Rabe gebracht worden sei, habe dieser den Kaiser mit den Worten ave victor imperator Antoni! gegrüßt.1002 Octavian sei darüber nicht erbost gewesen, sondern habe lediglich von dem Vogel-Trainer verlangt, dass er die 20.000 Sesterzen mit seinem Gefährten teile.1003 Diese Geschichte zeigt zum einen, dass der Papagei ganz selbstverständlich unter einheimischen, sprechenden Vögeln Erwähnung findet, was als Indiz dafür gewertet werden kann, dass bereits große Vertrautheit mit dieser nichtheimischen Vogelart besteht. Zum anderen wird hier ein weiteres Mal deutlich, wie gelehrig und sprachbegabt das Tier ist; nämlich so sehr, dass es – ebenso wie der Rabe – sogar einen mächtigen Kaiser wie Augustus in Staunen versetzen kann. Allerdings muss eingeräumt werden, dass das Staunen im Text explizit nur im Hinblick auf den Raben geäußert wird. Da Octavian aber auch den Papagei kauft, ist davon auszugehen, dass er von dessen Talent ebenso sehr beeindruckt ist. Falls man das Staunen des Kaisers also auch in Bezug auf den Papagei annimmt, scheint die Faszination jedoch eher in der Sprachbegabung des Tiers begründet zu sein als in dessen ›Exotik‹. Darüber hinaus enthält diese lustige Anekdote aber noch einen ganz anderen, äußerst wichtigen Bestandteil des antiken Papageien-Konzepts, der bis ins Spätmittelalter tradiert wird. Es handelt sich dabei um die Ergebenheit des Papageis Herrschern gegenüber, die regelmäßig darin zum Ausdruck komme, dass das Tier den Kaiser grüße.1004 Diese Information lässt sich in ganz ähnlicher Weise im Epigramm AP 9.562 des griechischen Dichters Krinagoras finden.1005 Dort wird von einem sprechenden Papagei berichtet, der aus seinem Käfig ausbricht und in die Berge fliegt. Da er stets ganz eifrig den Kaiser gegrüßt habe, habe er diese Angewohnheit auch in 997 998 999 1000 1001 1002 1003 1004 1005
Boehrer, Parrot Culture, S. 11. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Vgl.: Schmitzer, Das Bild des Augustus, S. 21. Vgl. Boehrer, Parrot Culture, S. 11f. Wotke, RE, Sp. 929; Boehrer, Parrot Culture, S. 11.; die nachfolgende Erzählung Krinagoras’, die Boehrer ins Englische übersetzt hat, entnehme ich ebenfalls Boehrer, Parrot Culture, S. 11.
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den Bergen beibehalten. Alle Vögel, denen er dort begegnet sei, hätten ihren Geist angestrengt und ein jeder habe sich bemüht, der erste zu sein, der ebenfalls »Chaire« zu dem Gott sagen könne. Orpheus habe die Tiere in den Bergen dazu gebracht, ihm zu gehorchen und nun lasse jeder Vogel für Caesar seine Stimme erklingen, ohne dass es notwendig sei, ihn zuvor darum zu bitten. Anhand dieses Epigramms wird deutlich, dass der Papagei so sprachbegabt ist, dass er sogar als Lehrmeister der anderen Vögel in Erscheinung treten kann. Diese bringen ihm offenbar eine gewisse Bewunderung entgegen, denn sie strengen sich an und bemühen sich, ebenfalls den Kaiser-Gruß zu lernen. Schließlich ist es auch Orpheus’ göttlicher Wille, der den Auftritt des Papageis in seiner Rolle als Lehrmeister zu einem vollen Erfolg werden lässt. Eine weitere sehr wichtige Papageien-Textstelle, deren Inhalt auch zahlreiche mittelalterlichen Quellen beeinflusst hat, findet sich in Martials Epigramm XIV, 73. Dort heißt es, der Papagei gebe folgende Worte von sich, wenn er einen Kaiser erblicke: Psittacus a vobis aliorum nomina discam Hoc didici per me dicere »Caesar have«.1006
Hier zeigt sich der Konzept-Bestandteil der besonderen Ergebenheit und Untertänigkeit des Tiers, das zwar vieles von den Menschen lernt, sich aber auch einiges selbst beibringt bzw. über eine Art »angeborenen Grundwortschatz« zu verfügen scheint.1007 Boehrer merkt im Hinblick auf jene Ergebenheit des Papageis an, diese spiegle in gewisser Weise die Rolle des Poeten im römischen Reich wieder : The parrot’s marvelous eloquence sets it apart from other beasts, thereby marking the poet’s own aspirations to distinction and uniqueness. But its status as a pet of the powerful marks, at the very same time, the humiliation of the poet’s own life of service. Like the parrot, the poet is an articulate beast torn between two incompatible images of himself.1008
Boehrers These zu den Gemeinsamkeiten zwischen Papagei und Poet erscheint insofern interessant, als dass sie – wenn man sie etwas weiterdenkt – prinzipiell auch bedeuten kann, dass der Papagei zu einer Art ›Sprachrohr‹ des Autors oder des Erzählers avanciert. Die Option, dem Papagei gewisse Dinge ›in den 1006 Vgl. dazu auch: Ribémont, Histoires de perroquets, S. 160. Ribémont verweist an dieser Stelle auf: O. Weinreich, Studien zu Martial, Kap. 4 Der Papagei und sein »Caesar have«. Stuttgart 1928; Lenelotte Möller überträgt das oben angeführte Zitat in ihrer Übersetzung der Etymologiae Isidors von Sevilla wie folgt ins Deutsche: ›Als Papagei will ich von euch die Namen der anderen lernen; / dies habe ich aus mir selbst gelernt: Ave Caesar!‹ Vgl.: Möller (Hrsg.), Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla, S. 481. 1007 Wotke, RE, Sp. 929. 1008 Boehrer, Parrot Culture, S. 12.
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Schnabel‹ zu legen, bedeutet unter Umständen auch, einen größeren Freiraum zu besitzen, Inhalte zum Ausdruck zu bringen, die nicht den geltenden gesellschaftlichen Normen, Regeln und Moralvorstellungen entsprechen. Nun könnte man natürlich einwenden, dass diese gestalterische Möglichkeit des Poeten – sich hinter einer ›Tiermaske‹ zu verbergen – keine Innovation darstellt, da dies das gängige Erzählprinzip der Fabel ist, in der sämtliche Tiere anthropomorphisiert in Erscheinung treten und der menschlichen Sprache mächtig sind. Im Falle des Papageis eröffnen sich m. E. aber noch weitere Spielräume der Integration des Tiers in Erzählungen, die nicht der ›Gattung Fabel‹ angehören.1009 Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass ein Papagei nicht erst anthropomorphisiert werden muss, wenn man ihn als sprechendes Tier in Szene setzen möchte. Das Sprachtalent ist bei ihm fester Konzept-Bestandteil und eine Gabe, die der Vogel – antiken und mittelalterlichen Vorstellungen zufolge – von Natur aus besitzt. Insofern ist es nicht notwendig, eine neue Realitätsebene der Erzählung zu eröffnen, wenn man ihn beispielsweise in einem Artusroman – in dem sonst keine sprechenden Tiere auftreten – zu Wort kommen lassen möchte. Zurück zu den antiken Quellen. Ein weiterer Autor, der über den Papagei berichtet, ist Aelian.1010 Seine Ausführungen in De natura animalium XIII, 18 sind besonders interessant, da er darüber informiert, wie man den Vogel in dessen Herkunftsland Indien wahrnehme und behandle. Die Inder seien nicht bereit, den Vogel als Speisetier zu nutzen, da der Papagei von den Brahmanen als heiliges Tier verehrt werde und sie ihn allen anderen Vögeln vorzögen. Weiterhin erklärt Aelian in De natura animalium XVI, 2, Papageien lernten sprechen wie Kinder ; in der freien Wildbahn seien sie jedoch nicht geschwätzig. Vielmehr ließe sich in den Wäldern an ihnen lediglich eine Vogelstimme bemerken. Dennoch zählt der Autor sie explizit zu den klugen Tieren, die bei den Indern in größerer Zahl zu finden seien als in seiner Heimat (De natura animalium XVI, 15). Hier zeigt sich die Vorstellung von der größeren Mirabiliendichte in Indien: Natürlich gibt es in diesem – auch in der Antike bereits als ›exotsich‹ geltenden – Land weitaus mehr gelehrige Tiere als in der Heimat.1011 Bezüglich der Vorstellung vom Papagei als einem ›marvel[…] of eastern royalty and spirituality‹1012, die in Aelians Beschreibung (insbesondere in De natura animalium XIII, 18) anklingt, schreibt Boehrer :
1009 Dies wird im Laufe der Analyse des mittelalterlichen Papageien-Konzepts noch insbesondere anhand des Papageis in dem nachklassischen Artusroman Le Conte du papegau deutlich. 1010 Wotke, RE, Sp. 931. 1011 Vgl. dazu auch: Boehrer, Parrot Culture, S. 9f. 1012 Ebenda.
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In its way, this description proves as influential among later writers as do those of Aristotle an Pliny. Among other things, its association of parrots with royal opulence and its treatment of them as objects of religious veneration find unexpected parallels in the Middle Ages.1013
Auf die von Boehrer hier postulierten ›unerwarteten Parallelen‹ wird im weiteren Verlauf der Analyse – insbesondere in Kapitel 2.2.3.2 Der religiös-heilsgeschichtliche Diskurs – noch näher einzugehen sein. Zu überlegen wäre in diesem Zusammenhang auch, ob diese ›unexpected parallels‹ möglicherweise als ein Indiz für das Vorliegen von Universalität gewertet werden können. Doch dazu später mehr. Aelian kennt mehrere Papageienarten, die in Indien heimisch seien (De natura animalium XVI, 2). Es erscheint aus heutiger Sicht schwierig, eine Einschätzung abzugeben, um welche Arten es sich dabei – neben dem bereits vielfach erwähnten Halsbandsittich – handeln könnte. In Frage kämen laut Wotke noch der ebenfalls grüne Alexandersittich, der im Unterschied zum Halsbandsittich rötliche Flecken auf den Flügeln aufweist, sowie der Bartsittich, der an seiner rötlichen Brust und dem schwarzen Fleck unterhalb des Schnabels erkennbar ist.1014 Wie anhand der Abb. 60 ersichtlich wird, weist zumindest der Alexandersittich immense Ähnlichkeit mit seinem etwas kleineren ›Bruder‹, dem Halsbandsittich, auf:
Abb. 60: Alexandersittich.1015
1013 Ebenda, S. 9f. 1014 Wotke, RE, Sp. 927f. 1015 Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Alexandrine_Parakeet_Psittacula_ eupatria_by_Dr._Raju_Kasambe_DSCN1240_(20).jpg. Zugriff am 15. 10. 2018 um 10:18 Uhr.
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Abb. 61: Bartsittich.1016
Insofern erscheint es plausibel, anzunehmen, dass der Alexandersittich ebenfalls als typischer Papagei wahrgenommen wurde, obwohl die antiken und mittelalterlichen Bildquellen meist keine roten Flecken auf den Flügeln der Tiere erkennen lassen. Allein das Papageien-Mosaik im Pergamon-Palast (Abb. 57) zeigt eine schmale rötliche Linie an der Flügeloberseite des Tiers, was für die Darstellung eines Alexandersittichs spricht. Der Bartsittich dürfte – aufgrund seiner Größe, seiner Form und der grünen Farbe – von antiken und mittelalterlichen Autoren ebenfalls immernoch als psittacus bzw. sittich oder papegan wahrgenommen worden sein. Denkt man aber an das visualisierte PrototypenModell Eleanor Roschs (vgl. Abb. 3), so dürfte der Bartsittich eine etwas weniger zentrale Position einnehmen als der Halsbandsittich oder der Alexandersittich, da er nicht das rote Halsband aufweist, das in beinahe allen Textquellen Erwähnung findet. Eine der wichtigsten Quellen in Bezug auf das antike Papageien-Konzept stellen Ovids Amores II, 6 dar.1017 Der berühmte Papagei Corinnas, auf den eine Totenklage erhoben wird – in der der Verstorbene sogar noch selbst zu Wort kommt – hat auch das mittelalterliche Papageien-Konzept stark beeinflusst.1018 Dies betrifft laut Rib8mont insbesondere den Aspekt, dass der Vogel oft mit Ovids Werk in Verbindung gebracht wurde und man ihn im Mittelalter pro1016 Bildquelle: https ://commons.wikimedia.org/wiki/File:Psittacula_alexandri_-Jurong_ Bird_Park_-upper_body-8a.jpg. By Peter Tan (Moustached Parakeet Uploaded by Snowmanradio) [CC BY-SA 2.0. Zugriff am 15. 10. 2018 um 16:33 Uhr. 1017 Vgl.: Ribémont, Histoires de perroquets, S. 160. 1018 Ebenda.
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blemlos in die höfische Welt integrieren – bzw. ihn sogar als Konfiguration von Courtoisie in Szene setzten konnte – ohne dass dies in irgendeiner Weise anstößig gewirkt habe.1019 Dass der Papagei in mittelalterlichen Texten sehr häufig in Liebesangelegenheiten unterwegs ist und dadurch in einer gedanklichen Relation zum sentiment amoureux1020 steht, wird auch in den Kapiteln 2.2.3.3 und 2.2.3.4 noch zu sehen sein. In V. 1 der Amores II, 6 wird der Papagei zunächst als ›der Nachahmer unter den Vögeln‹ bezeichnet und es wird darüber informiert, er komme aus dem ›indischen Morgenland‹ (Psittacus, Eois imitatrix ales ab Indis). Insofern greift Ovid hier Konzeptbestandteile auf, die auch in den anderen, bereits angesprochenen antiken Quellen zum Ausdruck kommen. Indem das Tier ›Nachahmer‹ (imitatrix) genannt wird, spricht der Dichter ihm implizit die Gabe ab, eigenständig sinvolle Äußerungen formulieren zu können. Dies wird allerdings durch die letzten beiden Verse des Gedichts wieder ein Stück weit relativiert, denn hier kommt der verstorbene Papagei im Rahmen einer direkten Rede selbst zu Wort. Zu beachten ist aber, dass diese Worte nicht akkustisch wiedergegeben werden, sondern als Epitaph den Grabstein des Vogels zieren. Somit könnte die Aussage ›Schon mein Grab lässt erraten, dass meine Herrin mich liebte; mein Schnabel wusste mehr zu reden als sonst ein Vogel‹ (colligor ex ipso dominae placuisse sepulcro. / ora fuere mihi plus ave docta loqui.) dem Tier postmortem von einem Menschen ›in den Schnabel gelegt‹ worden sein. Insofern scheint das Gedicht zwischen den beiden Imaginationen vom ›Nachahmer‹ einerseits und vom selbstständig, sinnvoll sprechenden Papagei andererseits zu oszillieren. Eine Aussage, die beim Blick auf die Verse 1 und 61f. aber mit Sicherheit getroffen werden kann, ist, dass sowohl zu Beginn als auch am Ende des Gedichts – an zwei ganz exponierten und wichtigen Stellen also – die Sprachbegabung des Tiers in den Vordergrund gestellt wird. Sie scheint daher das signifikanteste Merkmal zu sein. Dass der geschwätzige Vogel in seinem eigenen Epitaph noch einmal zu Wort kommt und sein Mitteilungsbedürfnis offensichtlich über den Tod hinausgeht, kann natürlich einerseits als humoristischer Kunstgriff Ovids verstanden werden. Zum anderen könnte man überlegen, inwieweit sich die letzten beiden Verse möglicherweise als eine Art myse en abyme des gesamten Gedichts verstehen lassen, denn sie stellen ein – nun in Stein gemeißeltes – verdichtetes Bild dessen dar, worum es in dem Gedicht geht; nämlich um den Papagei, der 1019 Ebenda. Ribémont formuliert dies wie folgt: »C’est bien entendu le c8lHbre perroquet de Corinne qu’Ovide va immortaliser avec pour cons8quence plausible d’associer cet oiseau au sentiment amoureux. Dans l’esprit des poHtes m8di8vaux, le perroquet est un personnage des Amours (II, 6) du poHte latin, dont le prestige, on le sait, est trHs grand et, / ce titre, l’oiseau peut figurer sans choquer dans un cadre courtois.«; Vgl. dazu auch: Victorin, Du papegau au perroquet, S. 148. 1020 Ribemont, Histoire de perroquets, S. 160.
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von seiner Herrin geliebt wurde und dessen Schnabel nie still zu stehen scheint. Daneben deutet die Aussage, die den Grabstein ziert, auf das enorme Selbstbewusstsein des Tiers hin, denn der Papagei stellt sich selbst – in Bezug auf seine Redekunst – über alle anderen Vögel. Die Sprachbegabung findet auch im Mittelteil des Gedichts – also zwischen den einführenden Informationen (V. 1) und dem Epitaph – ganze sieben Mal Erwähnung (V. 18; 23f.; 26; 29f.; 37f.; 47f.; 57f.). So wird etwa gesagt, die Stimme des verstorbenen Papageis sei von der Begabung gekennzeichnet gewesen, den Ton verändern zu können (V. 18: […] vox mutandis ingeniosa sonis) und es habe auf der ganzen Welt keinen Vogel gegeben, der besser Stimmen habe nachahmen können – dermaßen gut habe der Papagei Worte ›mit lispelndem Laut‹ wiederholt (V. 25f.: non fuit in terris vocum simulantior ales– / reddebas blaeso tam bene verba sono!).1021 Daneben wird er auch ›Plauderer‹ (V. 26: garrulus) genannt.1022 Aus lauter Liebe zur Sprache, habe der Schnabel des Papageis keine Zeit gefunden, viel Nahrung aufzunehmen (V. 29f.: plenus eras minimo, nec prae sermonis amore / in multos poteras ora vacare cibos). Darüber hinaus wird der Vogel als ›Schwätzerlein‹ und als ›Abbild menschlicher Rede‹ bezeichnet (V. 37f.: occidit ille loquax humanae vocis imago / psittacus, extremo munus ab orbe datum). Selbst am letzten Tag seines Lebens sei der Gaumen des Papageis ›nicht träg‹ gewesen und er selbst nicht ›um Worte verlegen‹, denn sogar im Sterben habe seine Zunge noch »Corinna, ade!« gerufen (V. 47f.: nec tamen ignavo stupuerunt verba palato: / clamavit moriens lingua Corinna vale). Schließlich versetzt der verstorbene Papagei die anderen Vögel im grünen Hain auf dem elysischen Hügel – einer Art ›Vogelhimmel‹ – mit seinen Worten in Staunen ( V. 57f.: psittacus has inter nemorali sede receptus / converit volucres in sua verba pias). Die angeführten sieben Textstellen zeigen auf sehr eindrucksvolle Weise, in wievielen verschiedenen Facetten die Sprachgewalt des Papageis dichterisch umgesetzt werden kann. Geht man mit der Analyse noch etwas weiter ins Detail, lassen sich in Ovids Gedicht noch zahlreiche weitere Bestandteile des antiken Papageien-Konzepts entdecken. So wird etwa Philomena dazu angehalten, der Bestattung des ›seltenen Vogels‹ Beachtung zu schenken (V. 9: alitis in rarae miserum devertere funus). Dass der Papagei an dieser Stelle explizit als ›seltener Vogel‹ bezeichnet wird, kann neben seiner indischen Herkunft als ein weiterer ›Exotik‹-Indikator gewertet werden. Aufschlussreich erscheint zudem, dass alle Vögel aufgerufen werden, um den Verstorbenen zu trauern (V. 11). Besonders gelte dies für die Turteltaube, die auf harmonischste Weise mit dem Papagei befreundet gewesen 1021 Albrecht (Hrsg.), Amores, S. 76f. Ich orientiere mich hier und im Folgenden an der Amores-Übersetzung Michaels von Albrecht. 1022 Ebenda.
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sei (V. 12–14: tu tamen ante alios, turtur amice, dole. / plena fuit vobis omni concordia vita / et stetit ad finem longa tenaxque fides). Hier kommt zum Ausdruck, dass der Papagei in Freundschaften Treue an den Tag legt und dass ihn eine besonders innige Freundschaft mit der Turteltaube verbunden hat. Diese Freundschaft hat offenbar auch Einzug in die Bildkünste gehalten, wie das folgende Mosaik (Abb. 62) beweist:
Abb. 62: Zwei Papageien und eine befreundete Turteltaube trinken gemeinsam Wasser aus einer Schale. Entstehung: 1. Jh. v. Chr.; Museo Archeologico Nazionale, Napoli (Mosaik Nr. 9992).1023
Der grüne Vogel mit dem roten Halsband in der rechten Bildhälfte kann eindeutig als Halsbandsittich identifiziert werden und auch die Darstellung der Taube in der Mitte fällt relativ naturnah aus. Etwas schwieriger ist die Identifizierung des Vogels in der linken Bildhälfte, da sein Federkleid bläulicher erscheint als das des Papageis und auch die Form seines Auges wirkt anders, da keine derart markante Pupille wie beim Papagei erkennbar ist. Emberger geht jedoch davon aus, es handle sich auch bei diesem Tier um einen Papagei.1024 1023 Bildquelle: https ://commons.wikimedia.org/wiki/File:Birds_drinking_MAN_Napoli_ Inv9992.jpg. Naples National Archaeological Museum. [Public domain], via Wikimedia Commons. Zugriff am 04. 05. 2017 um 14:57 Uhr. 1024 Emberger, RAC, Sp. 920; Emberger schreibt diesbezüglich: »Gelehrsamkeit des Besitzers spricht aus einem pompeianischen Mosaik, auf dem eine Katze drei Vögeln auflauert, die auf dem Rand einer großen Schale posieren, links u. rechts jeweils ein P., in der mitte eine Taube in Anlehnung an die topische Freundschaft dieser Vögel.«
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Doch zurück zu Ovids Gedicht. Ein weiterer wichtiger Konzept-Bestandteil, der darin zur Sprache kommt, ist die Farbe des Papageis. Zunächst wird betont, die Erscheinung des Vogels sei von seltener Farbenpracht (V. 17: […] rari forma coloris). Dass an dieser Stelle ein weiteres Mal die Seltenheit betont wird, kann dahingehend verstanden werden, dass die Beschreibung des Tiers darauf abzielt, die Rezipienten zum Staunen zu bringen über dieses farbenprächtige exzeptionelle ›exotische‹ Tier. Vier Verse später werden dann noch etwas detailliertere Angaben zu jener Farbenpracht gemacht, wobei der Farbglanz der Flügel mit dem von Smaragden verglichen wird. Es wird gesagt, die preziösen grünen Edelsteine seien im Vergleich zu dem Papageiengefieder stumpf und um den purpurfarbenen Schnabel herum sei das verstorbene Tier rötlich wie Safran gewesen (V. 21f.: tu poteras fragiles pinnis hebetare zmaragdos / tincta gerens rubro Punica rostra croco). Auffällig ist, dass mit der Nennung der Smaragde, des Purpurs und des Safrans besonders kostbare Materialien zum Vergleich herangezogen werden, was wiederum den enormen Wert des Papageis betont, denn seine Eigenschaften entsprechen entweder denen der Kostbarkeiten oder überbieten diese sogar noch. Denkt man nun an den prototypischen Papagei der Antike und des Mittelalters, den Halsbandsittich, so erscheint der im Gedicht genannte purpurfarbene Schnabel nicht ganz naturnah, da das realexistierende Tier einen rötlichen Schnabel aufweist. Zu überlegen wäre hier, ob die Farbe des Halsbandsittich-Schnabels unter gewissen Lichtverhältnissen eventuell als pupurfarben wahrgenommen worden sein könnte. Wenn das Tier nämlich im Schatten sitzt, wirkt der Rotton tatsächlich etwas ›purpur-ähnlich‹, wie anhand der Abbildung des Alexandersittich-Schnabels (Abb. 60) zu sehen ist. Ein weiterer Konzept-Bestandteil, der auch ins Mittelalter tradiert wird, klingt in Vers 19 an. Hier wird dem verstorbenen Papagei in wehklagendem Ton die rhetorische Frage gestellt, was es ihm nun nütze, dass er gleich zu Beginn dem Mädchen – also Corinna – gefallen habe (V. 19: quid iuvat, ut datus es, nostrae placuisse puellae?). Dass der Papagei sich zu jungen Frauen hingezogen fühlt und diese sich wohl auch zu ihm – wie anhand dieses Verses deutlich wird – zeigt sich auch innerhalb von mittelalterlichen Texten, implizit beispielsweise in der Papageiennovelle Arnauts de Carcasses und explizit im Buch der Natur Konrads von Megenberg. Auf beide Texte wird im Rahmen der Analyse des mittelalterlichen Papageien-Konzepts noch näher einzugehen sein. Auch im Hinblick auf das Temperament des Vogels erscheint Ovids Gedicht aufschlussreich, denn in V. 26 wird er als ›Freund des sanften Friedens‹ (placidae pacis amator) bezeichnet, was darauf schließen lässt, dass von ihm weder für Menschen noch für Tiere eine Gefahr ausgeht. Diese Vorstellung vom friedliebenden und sanftmütigen Papagei zeigt sich nicht in allen mittelalterlichen Texten. Wie noch zu sehen sein wird, entwerfen mittelalterliche Autoren
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durchaus auch das Bild vom intriganten Papagei, der nicht selten Konfliktpotential in die Texte hineinbringt. Neben den Informationen über das Temperament des Tiers, erhält der Rezipient der Amores an verschiedenen Stellen Auskunft über die Exzeptionalität, Kostbarkeit und Vorzüglichkeit des Papageis. So wird er beispielsweise in V. 20 als ›Zierde des Vogelgeschlechts‹ betitelt (infelix avium gloria nempe iaces). Außerdem kommt in V. 39f. zum Ausdruck, der Tod ereile ›das Beste‹ zuerst, während ›das Minderwertige‹ ein längeres Leben genießen könne (optima prima fere manibus rapiuntur avaris; / implentur numeris deteriora suis). Da der Papagei bereits gestorben ist, wird an dieser Stelle also implizit noch einmal verdeutlicht, dass er als ›das Beste‹ anzusehen ist. Seine Exquisitheit ist außerdem darin zu erkennen, dass er als ›Geschenk vom Ende der Welt‹ bezeichnet wird (V. 37: psittacus, extremo munus ab orbe datum). Darüber hinaus werden auch Angaben zur Ernährungsweise des Papageis gemacht. Zunächst wird in V. 29f. gesagt, dass bereits eine geringe Menge Nahrung ausreichend gewesen sei, um den Hunger des Tiers zu stillen. Daraufhin wird in den Versen 31f. genauer darauf eingegangen, welche Nahrungsmittel der verstorbene Vogel zu sich zu nehmen pflegte, nämlich eine Nuss, einschläfernden Mohn und ein Schlückchen Wasser (nux erat esca tibi causaeque papavera somni, / pellebatque sitim simplicis umor aquae). Schließlich wird an gleich zwei Stellen verdeutlicht, der Papagei zähle zu den frommen Vögeln. Zum einen gelangt er nach seinem Tod in den grünen Hain am Fuße des elysischen Hügels; an einen ganz besonderen Ort also, der als ›Wohnsitz der frommen Vögel‹ gilt und ›zu dem gemeines Geflügel keinen Zutritt‹ habe (V. 51f.: si qua fides dubiis, volucrum locus ille piarum / dicitur, obscenae quo prohibentur aves). Zum anderen wird gesagt, der Papagei versetze dort die frommen Vögel durch seine Redekunst in Staunen (V. 57f.) Weitere Informationen, die im Hinblick auf das antike Papageien-Konzept aufschlussreich erscheinen, lassen sich den Kyraniden III, 52 entnehmen.1025 Der Papagei wird dort als schönes Tier beschrieben, das ein grünes Gefieder, rote 1025 Der altgriechische Text (Edition Kaimakis, S. 240) lautet hier : Xittaj|r 1sti ptgm¹m ¢qa?om, pq\simom, p|der d³ aqtoO ja· st|la puqq|m. erq_sjetai 1m Hgbaýdi t/r AQc}ptou, ja· 1m t0 Ymd_a. Qswuq¹m st|la 5wei, ¢r ja· sidgq÷ !mtamaiqe?m. lile?tai d³ ja· !mhq~pym tµm vymµm ja· p÷m f`om. To}tou t¹ st|la voqo}lemom da_lomar !podi~jei ja· p÷m Nicop}qetom ja· d}matai fsa ja· b w^m. 1shi|lemom d³ Qjteqi_mtar ja· to»r vhisijo»r jak_r Q÷tai. Übersetzung Dominic Bärschs: Der Papagei ist ein schöner, grünlicher Vogel, aber seine Füße und sein Schnabel sind rot. Er wird im ägyptischen Theben und in Indien gefunden. Er besitzt einen (so) starken Schnabel, dass er sogar Eisen zerstören kann. Er ahmt sowohl die Stimme der Menschen als auch jedes Tier nach. Wird dessen Schnabel getragen, verjagt er Dämonen/Geister und jeden Schüttelfrost und vermag alles, was auch die Gans kann. Wird er aber verzehrt, heilt er gut/zuverlässig Gelb- und Schwindsüchtige.
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Füße und einen ebenfalls roten Schnabel aufweise. Anders als in allen bisher untersuchten antiken Quellen, wird in den Kyraniden nicht ausschließlich Indien als Herkunftsland des Vogels genannt. Das Tier sei nämlich ebenfalls im ägyptischen Thebais zu finden. Auch die Härte des Schnabels wird erwähnt, sowie die Eigenschaft, Menschen und Tiere nachzuahmen. Besonders interessant erscheint jedoch derjenige Teil des Kyraniden-Papageienabschnitts, in dem auf die medizinische Nutzung des Tiers eingegangen wird, da dieser KonzeptBestandteil in keiner der bislang untersuchten Quellen angesprochen wird. So wird etwa gesagt, der Schnabel des Tiers könne – sofern er getragen werde – sowohl Dämonen als auch Fieber und Schüttelfrost vertreiben und sei daher ebenso wirkungsvoll wie die Gans. Wenn man ihn verzehre, diene er außerdem als probates Heilmittel gegen Gelbsucht und Schwindsucht. Neben den recht ausführlichen Beschreibungen der bisher analysierten Quellen, erscheint es wichtig, auch noch einzelne – den Papagei betreffende – Aussagen verschiedener Autoren in die Betrachtung mit einzubeziehen. So muss etwa erwähnt werden, dass der Vogel bereits im Alexanderroman des PseudoKallisthenes eine Rolle spielt, denn darin bekommt der Protagonist von Kandake sechs Papageien zum Geschenk gemacht (Ps.-Kall. III, 18).1026 Varro berichtet in De re rustica III, 9, 17 außerdem, dass man Papageien im Rahmen von öffentlichen Ausstellungen präsentiere.1027 Als Speisetier, das sowohl von Menschen als auch von Löwen verzehrt wird, findet der Vogel in der Heliogabalus-Vita der Historia Augusta (20, 6; 21, 2) Erwähnung.1028 Ein Rezept zur Zubereitung des Tiers – bei der dieselben Arbeitsschritte vorgenommen werden müssen wie bei der Zubereitung eines Flamingos – ist Pseudo-Apicius’ De re coquinaria VI, 6, 1 zu entnehmen.1029 In Dionysius’ De avibus I c. 19 ist außerdem nachzulesen, Papageien-Käfige dürften nicht aus Holz bestehen.1030 Über diese Information sind auch mittelalterliche Autoren im Bilde, wie im weiteren Verlauf der Untersuchung – insbesondere im Rahmen der Analyse des Wigalois und des Conte du papegau – noch zu sehen sein wird. Eine Freundschaft zwischen Papagei und Wolf findet in Oppians Cynegetica II, 408 Erwähnung.1031 Eine besonders ausgefallene Methode, dem Vogel das Sprechen beizubringen, beschreibt Diodor von Tarsos (contra fat. bei Phot. 216a):1032 1026 1027 1028 1029 1030 1031 1032
Wotke, RE, Sp. 931. Emberger, RAC, Sp. 918. Wotke, RE, Sp. 932. Ebenda; Boehrer, Parrot Culture, S. 20. Wotke, RE, Sp. 931. Ebenda. Ebenda, Sp. 930; Emberger, Tierquälerei in der griechisch-römischen Antike, S. 255.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Auch ein Papagei ahmt nur nach, wenn er getäuscht wird, denn man erschleicht sich die Nachahmung durch einen vor ihm aufgestellten Spiegel. Indem man sich nämlich hinter dem aufgestellten Spiegel verbirgt, spricht man, was man jenen lernen will. Der Papagei aber, der glaubt, einen anderen Papagei zu sehen, beeilt sich, die Laute jenes nachzuahmen, ohne ein Verständnis dessen, was gesprochen wurde, zu haben, denn er lernte alles durch das Aussprechen.1033
Diese Methode, dem Papagei unter Einsatz eines Spiegels das Sprechen beizubringen, findet sich auch in mittelalterlichen Quellen wieder. Dort wird sie zum Teil christlich-heilsgeschichtlich ausgelegt, wie im weiteren Verlauf der Analyse noch zu sehen sein wird. Zusammenfassend lässt sich das antike Papageien-Konzept wie folgt wissenschaftlich rekonstruieren: In Bezug auf das Äußere des Tiers geben die Quellen Auskunft über Größe und Farbe. Zum einen wird erklärt, der Papagei sei kleiner als eine Taube (Apuleius, flor. II nr. 12); zum anderen, er besitze die Größe eines Falken (Ktesias, frg. 57, 3).1034 Anhand dieser beiden widersprüchlichen Aussagen lässt sich bereits erahnen, dass nicht alle antiken Autoren eine mit der Realität übereinstimmende Vorstellung von der Größe des Tiers gehabt haben dürften. Die Information, der Papagei – also der Halsbandsittich – sei kleiner als eine Taube, erscheint zunächst nicht ganz abwegig, wenn man das Bild von der etwas breiteren, gedrungen wirkenden Haustaube im Hinterkopf hat. Zieht man jedoch die zierlichere Turteltaube zum Vergleich heran, so stimmen Apuleius’ Angaben nicht mit der Realität überein. Ebenso schwierig gestaltet sich dies bei Ktesias’ Falkenvergleich, denn auch hier hängt es maßgeblich von der betrachteten Falkenart ab, wie zutreffend der Größenvergleich ausfällt. Als Farben des Tiers werden in nahezu allen Quellen grün und rot genannt, auch wenn Aelian noch weitere Papageien-Arten zu kennen scheint (De natura animalium XVI, 2). In Bezug auf das Temperament lässt sich den Quellen zum einen entnehmen, beim Papagei handle es sich um ein sanftmütiges, friedliebendes Tier. Zum anderen wird die Ausgelassenheit des Vogels genannt, die dieser an den Tage lege, wenn er Wein getrunken habe. Die Freude am Weingenuss lässt wiederum Assoziation zu Dionysos und zu dessen Indienfeldzug aufkommen. Als besondere Merkmale werden das rote Halsband, der harte Kopf, der harte Schnabel die breite Zunge und die Drei- bzw. Fünfzahl der Zehen genannt. Die breite Zunge wird als kausal für die Sprachfähigkeit des Tiers erachtet. Daneben 1033 Emberger, Tierquälerei in der griechisch-römischen Antike, S. 255. Emberger übernimmt an dieser Stelle die Übersetzung A. Toepels und verweist auf: Toepel, A.: Die Adam- und Seth-Legenden im syrischen Buch der Schatzhöhle (= Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium, Bd. 618, Subsidia, Bd. 119), Louvain 2006, S. 153. 1034 Wotke, RE, Sp. 927f.
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ist der Papagei aber auch dazu in der Lage, menschenähnlichen Gesang von sich zu geben. In Bezug auf die Sprache, den wohl signifikantesten Konzept-Bestandteil, werden die meisten Aussagen getätigt. Zum einen wird erklärt, der Vogel sei ein Nachahmer und spreche die ihm vorgesagten Worte laut nach. Zum anderen wird aber auch davon berichtet, er grüße Kaiser, weil er diesen Gruß von sich aus gelernt habe (Martial Epigramm XIV, 73). Insofern scheint trotz der überwiegenden Tendenz dazu, den Vogel als Nachahmer zu sehen, auch die Vorstellung von einem eigenen Wortschatz des Tiers zu existieren. Um ein Schweigen des Vogels herbeizuführen, werden die beiden Optionen genannt, dem Tier die Zunge herauszuschneiden oder es in die Freiheit zu entlassen. Im direkten Zusammenhang mit der Sprachfähigkeit des Papageis wird auch von den vielfältigen Methoden des Sprachtrainings berichtet. Konditioniert werden könne das Tier zum einen durch Schläge mit einer kleinen Eisenstange und zum anderen durch das Anbieten von Nüssen. Laut der antiken Quellen ist es zudem ratsam, das Tier vor Vollendung des zweiten Lebensjahres zu unterrichten, da der Papagei in späteren Lebensabschnitten zur Vergesslichkeit neige. Mit fünfzehigen Exemplaren ließen sich außerdem größere Erfolge beim Sprachtraining verzeichnen als mit dreizehigen. Das Tier lerne dabei sprechen wie ein Kind und eine weitere Methode bestehe darin, einen Spiegel zum Einsatz zu bringen, durch den dem Papagei der Eindruck vermittelt werde, ein Artgenosse befinde sich ihm gegenüber. Der Sprachtrainer müsse sich hinter diesem Spiegel verbergen, sodass das Tier annehme, die vom Sprachtrainer geäußerten Worte kämen aus dem Schnabel des Pseudo-Artgenossen. Auf diese Weise lerne das Tier die vorgesagten Worte schneller. In Bezug auf das Geschlecht des Tiers wird in keinem der Texte eine explizite Angabe gemacht. Als einen Anhaltspunkt könnte man eventuell die Tatsache werten, dass meist das rote Halsband des Tiers Erwähnung findet. Fraglich bleibt jedoch, ob die antiken Autoren bereits im Besitz des Wissens waren, dass ausschließlich männliche HalsbandsittichExemplare dieses Halsband aufweisen. Die betrachteten Quellen liefern diesbezüglich jedoch keinerlei Informationen. Ein anderer Anhaltspunkt könnte darin zu sehen sein, dass in Ovids Amores von der Zuneigung die Rede ist, die Corinna ihrem verstorbenen Papagei entgegengebracht habe. Da der Papagei ein Geschenk des Geliebten an Corinna war, ließe sich überlegen, ob durch das Tier unterhalb der Textoberfläche die Präsenz des männlichen Geliebten erzeugt werden soll.1035 Dies würde dafür sprechen, von einem männlichen Papagei auszugehen, der als ›Liebling der Damenwelt‹ inszeniert wird. Als Nahrung des Tiers werden Mohn, Nüsse, Wein und Wasser genannt und die Genügsamkeit des Papageis wird betont. Als Herkunfsland wird Indien angegeben; alleine den Kyraniden lässt sich die Information entnehmen, das Tier 1035 Vgl. Bretzigheimer, Poetik der Erotik, S. 151.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
P Papagei
Äußeres
Größe
ausgelassen wie Falke
grün + rot
kleiner als Taube
harter Kopf
Weingenuss
drei Zehen breite Zunge
menschenähnlicher Gesang
kann mit Nüssen konditioniert werden
am besten v or Vollendung des 2. Lebensjahres
Wasser Nüsse
unedel
fünf Zehen edel
nicht so gelehrig
Sprache
kann durch Schläge mit einer kleinen Eisenstange konditioniert werden
Wein
Anzahl an Zehen ist verschieden
IndienMitbringsel des Dionysos
klappt besser mit 5-zehigen Exemplaren als mit 3-zehigen
männlich
›Liebling der Damenwelt‹
harter Schnabel
sanftmütig
Mohn
rotes Halsband
Farbe
Nahrung
Geschlecht
besondere Merkmale
Temperament
lernt schnell sprechen
spricht v orgesagte Worte nach
Sprachtraining
unter Zuhilfenahme eines Spiegels lernt sprechen wie ein Kind
grüßt von sich aus den Kaiser
eigener Wortschatz
Schweigen nur bei Herausschneiden der Zunge oder Entlassung in die Freiheit Lehrt andere Vögel das Sprechen
Abb. 63: Epistemischer Epochen-Frame, der die wissenschaftlich rekonstruierten Bestandteile des antiken Papageien-Konzepts abbildet.
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Papagei
Beziehungen zu anderen Tieren
Herkunft
Nutzung
gesellschaftlicher Status
Indien
Ägypten
Freunde
Wolf
orientalisches Luxusgut
Feinde
Götter und Turteltaube
Handelsware
Menschen
AusstellungsObjekt
wertv olles Geschenk
Gesellschaf t leistendes Tier
f rommer und gelehriger Vogel
Speisetier Inder essen keine Papageien
steht in Indien über allen Vögeln
in Indien heilig
Heilmittel gegen Dämonen, Fieber, Schüttelfrost, Gelbsucht, Schwindsucht
›Spiegelbild des Poeten‹
eines Gottes würdig
Dionysos
Orpheus
Relationen der Konzeptbestandteile = metaphorische Relation = klassifikatorische Relation
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
sei ebenfalls in Ägypten beheimatet. Als Freunde werden Wolf und Turteltaube explizit genannt. Dass darüberhinaus auch Götter und Menschen als Freunde des Papageis in Erscheinung treten können, wird implizit zum einen anhand des Dionys-Mosaiks (Abb. 59) deutlich und zum anderen anhand Ovids Amores, in denen Corinna dem Papagei freundschaftlich zugetan ist. Ebenso erscheint es jedoch möglich, dass Götter und Menschen als ›Feinde‹ des Papageis auftreten, nämlich dann, wenn er als Speisetier in Betracht gezogen wird, für dessen Zubereitung sogar ein antikes Rezept überliefert ist. Die Nutzung als Speisetier ist jedoch keinesfalls in allen Ländern und Regionen gleich anerkannt, bzw. in gleicher Weise Bestandteil der Kultur. So wird etwa explizit gesagt, für Inder sei eine derartige Papageien-Nutzung ausgeschlossen, da der Vogel in Indien als heiliges Tier verehrt werde, welches in einer Hierarchie über allen anderen Vögeln angesiedelt werde. Eine weitere Nutzungsmöglichkeit stellt die Verwendung einzelner Papageien-Körperteile zu medizinischen Zwecken dar. In Bezug auf den gesellschaftlichen Status des Tiers hat sich gezeigt, dass der Papagei – ebenso wie der Panther – ein orientalisches Luxusgut darstellt, mit dem Handel getrieben wird und das oftmals als wertvolles Geschenk eine Rolle spielt. Zugleich wird er als frommer und gelehriger Vogel betrachtet, der eines Gottes würdig ist. So lassen sich in den Texten insbesondere Verbindungen zu Dionysos aber auch zu Orpheus erkennen. Schließlich kann der Papagei auch als eine Art ›Spiegelbild des Poeten‹ in Erscheinung treten. Nun bleibt zu überlegen, wieviel ›Exotik‹ die Papageien-Darstellungen innerhalb der antiken Quellen aufweisen. In beinahe allen Quellen wird das sagenumwobene Indien als Herkunftsgebiet des Tiers genannt, was sicherlich zu der Entstehung einer ›exotischen‹ Aura beigetragen haben dürfte. Auch die Tatsache, dass er immer wieder als preziöses und wertvolles Tier Erwähnung findet, welches sogar Kaiser in Staunen versetzt, kann als ›Exotik-Indikator‹ gelesen werden. Als Gegenargument könnte hier allerdings ins Feld geführt werden, dass auch einheimische sprechende Vögel – wie etwa der Rabe oder die Elster – im gleichen Kontext für ein Staunen sorgen können. Insofern scheint der ›Exotik-Indikator‹ des Staunens im Fall des Papageis nur bedingt brauchbar, denn nicht in jedem Text wird ein direkter Kausalzusammenhang zwischen der Eigenschaft, die am meisten Staunen erregt (die Sprachbegabung) und der nichtheimischen Herkunft des Tiers hergestellt. Ein Autor, der diesen Kausalzusammenhang jedoch recht deutlich hervorhebt, ist Aelian, der den Papagei in De natura animalium XVI,15 als ›gelehriges Tier‹ klassifiziert und erläutert, gelehrige Tiere seien in Indien zahlreicher.1036 Die Ergebnisse dieses Kapitelabschnitts zur wissenschaftlichen Rekon1036 Wotke, RE, Sp. 929.
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Papagei
struktion des antiken Papageien-Konzepts lassen sich in einem epistemischen Frame darstellen (Abb. 63).
2.2.3 Das mittelalterliche Papageien-Konzept Um das mittelalterliche Papgeien-Konzept zu rekonstruieren, werden folgende Quellen herangezogen: Diskurs
Text- und Bildquellen
2.2.3.1) Naturkundlich
– – – – – – – – – – – – –
2.2.3.2) Religiösheilsgeschichtlich
– – – – 2.2.3.3) Liebesdiskurs
2.2.3.4) ›Literarischer‹ Diskurs
Isidor von Sevilla Rabanus Maurus Hildegard von Bingen Alexander Neckam Vinzenz von Beauvais Albertus Magnus Thomas von Cantipr8 Konrad von Megenberg Physiologus Bestiarien Concordantiae caritatis (Ulrich von Lilienfeld) Die goldene Schmiede (Konrad von Würzburg) Defensorium inviolatae virginitates Mariae (Franz von Retz) Madonna des Kanonikus Joris van der Paele (Jan van Eyck) Madonna mit Papagei (Martin Schongauer) Camera Papagalli Decameron (Boccaccio; Übersetzung Arigos)
– Tristan (Gottfried von Straßburg) – Trojanerkrieg (Konrad von Würzburg) – Lied VI a: West ich, ob ez versw%get möhte s%n (Heinrich von Morungen) – Papageiennovelle (Arnaut de Carcasses) – Le conte de la dame et des trois papegaux – Frayre de Joy et Sor de Plaser – Liebeszauber (Niederrheinischer Meister) – Alexanderromane – Chevalier au Papegau – Wigalois (Wirnt von Grafenberg) – Damiel von dem blühenden Tal (Stricker) – Trojanerkrieg (Konrad von Würzburg) – Helmbrecht (Wernher der Gartenære) – Genealogia Deorum (Boccacio) – Der Renner (Hugo von Trimberg) – Speke Parrot (John Skelton)
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
(Fortsetzung) Diskurs
Text- und Bildquellen
2.2.3.5) Kommerzieller Diskurs
– – – – – – – – –
Niederrheinischer Orientbericht Hans Tucher Sebald Rieter Felix Fabri Konrad von Grünemberg Hans Schiltberger Mandeville Marco Polo Ludovico de Varthema
Um einen direkten Vergleich zwischen der Rekonstruktion des antiken und des mittelalterlichen Papageien-Konzepts zu ermöglichen, sei auch hier der epistemische Epochen-Frame zum mittelalterlichen Papageien-Konzept der Analyse vorangestellt (Abb. 64). Die Herleitung der im Frame dargestellten Konzeptbestandteile erfolgt in den Kapiteln 2.2.3.1 bis 2.2.3.5. 2.2.3.1 Der naturkundliche Diskurs Mittelalterliche Autoren, die Angaben zum Papagei machen, sind Isidor von Sevilla, Rabanus Maurus, Hildegard von Bingen, Alexander Neckam, Vinzenz von Beauvais, Albertus Magnus, Thomas von Cantimpr8 und Konrad von Megenberg.1037 Bartholomaeus Anglicus geht nicht auf den Vogel ein.1038 Mit Ausnahme von Hildegard von Bingen geben alle genannten Autoren Indien als Herkunft des Vogels an. Albertus Magnus nennt darüber hinaus noch Arabien als weiteres Herkunftsland. Auch in Bezug auf die Farbe stimmen die Angaben weitestgehend überein, da alle außer Hildegard von einem grünen Vogel ausgehen. Thomas von Cantimpr8 nennt daneben noch die goldene Farbe des Tiers. Das typische psittacus-Halsband wird meist rot oder purpurfarben beschrieben [Isidor von Sevilla, Etymologien XII, 7, 24 (= IS); Rabanus Maurus, De rerum naturis VIII, 7 (= RM); Alexander Neckam, De naturis rerum I, 38 (=AN), De naturis rerum I, 38; Vinzenz von Beauvais, Speculum naturale 26, 135 (=VB); Thomas von Cantimpr8, Liber de natura rerum 5, 109 (= TC); Konrad von Megenberg, Buch der Natur III, B 63 (= KM)], nur vereinzelt wird es als 1037 Die genannten Autoren und die jeweiligen Textstellen werde ich im weiteren Verlauf des Kapitels 2.2.3.1 Der naturkundliche Diskurs abkürzen. Die betreffende Textstelle wird lediglich bei der ersten Nennung angegeben. Eine Ausnahme bilden die Papageien-Informationen Alexander Neckams, denn der Autor widmet dem Vogel in seinem Werk ganze drei Abschnitte (De naturis rerum I, 36–38). Bei Neckams Informationen wird daher stets der betreffende Abschnitt genannt. 1038 Ribémont, Histoires de perroquets, S. 165.
Papagei
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goldfarben [Albertus Magnus, De animalibus XXIII, 138 (= AM)] oder ›ähnlich wie Goldfarbe‹ (KM) wahrgenommen. Die grüne Farbe und das rote Halsband sind auch innerhalb der Diebold Lauber-Handschrift (Cod. Pal. Germ. 300) des Buch der Natur zu sehen (Abb. 65). Der Papagei erregt hier zumindest die Aufmerksamkeit – wenn nicht sogar ein Staunen – der ihm gegenüber abgebildeten Menschen. Bemerkenswert ist zudem, dass das Tier innerhalb dieser Miniatur lediglich drei Zehen aufweist, denn wie bereits Solinus, so sind auch einige mittelalterliche Autoren der Ansicht, man könne edle und unedle Papageien anhand der Anzahl ihrer Zehen unterscheiden und die edlen verfügten über fünf Zehen (AN, De naturis rerum I, 38; VB; KM). Folglich zeigt Abb. 65 einen ›unedlen‹ Papagei. Der krumme Schnabel des Tiers, der für heutige Rezipienten wohl eines der wichtigsten und charakteristischsten Papageien-Merkmale darstellen dürfte, wird allein von Alexander Neckam genannt (AN, De naturis rerum I, 38). Die meisten mittelalterlichen Gelehrten scheinen die Härte des Schnabels als wichtiger erachtet zu haben (AN, De naturis rerum I, 38; VB; AM; TC; KM). Außerdem erklärt Vinzenz von Beauvais – der hier Plinius rezipiert – der Vogel stütze sich auf seinen harten Schnabel, da seine Füße zu schwach seien. In beinahe allen Quellen wird die breite Zunge des Tiers genannt (IS; RM; AN, De naturis rerum I, 38; VB; AM; TC; KM). Sie ermögliche es dem Vogel, wie ein Mensch zu sprechen (IS; RM; AN, De naturis rerum I, 36; VB; AM; TC; KM). Oftmals wird präzisierend hinzugefügt, das Tier beherrsche die menschliche Sprache sogar so gut, dass man – wenn man den Vogel nicht sähe – denke, ein Mensch spreche gerade. Auch die auf Martial zurückgehende Information, der Papagei grüße von Natur aus (insbesondere Kaiser), ist in den mittelalterlichen naturkundlichen Quellen zu finden (IS; RM; VB; TC; KM). Die antike Vorstellung von der Härte des Papageien-Kopfes wird ebenfalls tradiert (AN, De naturis rerum I, 38; VB; AM; TC; KM). Auch hier wird gesagt, das Haupt des Tiers sei von solcher Härte, dass man ihm – im Rahmen des Sprachtrainings – Schläge mit einer kleinen Eisenstange verabreichen müsse, um bessere Lernerfolge zu erzielen (AN, De naturis rerum I, 38; VB; AM; TC; KM). Weitgehende Einigkeit besteht unter den mittelalterlichen Autoren auch darüber, dass der Vogel in seinen ersten Lebensjahren am besten lerne (AN, De naturis rerum I, 38; VB; AM; TC; KM). Weiterhin wird erläutert, wie das Tier seinen Fuß einsetzt. Es gebrauche ihn wie der Mensch seine Hand, denn es führe damit die Nahrung zum Schnabel (AM; TC; KM).
314
Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
P Papagei
Temperament und Charakter
Äußeres
Größe
Farbe
ausgelassen
weiß
klein
ängstlich
bunt
klug je höher gelegen der Lebensraum, desto größer
kostbare Voliere
aggressiv
glänzendes Gefieder
selbstbewusst
Anzahl an Zehen ist verschieden
zutraulich
drei Zehen
liebenswürdig und charmant intrigant
unedel Weingenuss
breite Zunge menschenähnlicher Gesang klappt besser mit 5-zehigen Exemplaren als mit 3-zehigen
kann durch Schläge mit einer kleinen Eisenstange konditioniert werden
männlich
Sprache
am besten vor Vollendung des 2. Lebensjahres
f ein herausgeputzt
Minnedame
edel
nicht so gelehrig
lernt schnell sprechen
spricht v orgesagte Worte nach
Sprachtraining
unter Zuhilf enahme eines Spiegels
spricht ›weibisch‹
übernimmt Troubadourrolle
f ünf Zehen
Reis
weiblich
›Liebling der Damenwelt‹
harter Schnabel
cholerisch
grün + rot
Wein
rotes Halsband
harter Kopf
Nahrung
Geschlecht
besondere Merkmale
grüßt von sich aus den Kaiser
Stimmen der Apostel sollen von Menschen nachgeahmt werden eigener Wortschatz
Mehrsprachigkeit grüßt Menschen in der Wüste umwirbt die Minnedame
höf isch, f ormv ollendet
Abb. 64: Epistemischer Epochen-Frame, der die wissenschaftlich rekonstruierten Bestandteile des mittelalterlichen Papageien-Konzepts abbildet.
315
Papagei
Nennung mit anderen Tieren
Gefahren
Herkunft
Indien
edle Beizv ögel
Ägy pten
Elefant
Taube
Paradies
Pfau
Reich der Candacis
Arabien Äthiopien
Berg Gelboe
Giraf f e
Strauß
Wecker Spiegelersatz
Meerkatze
Reich des Großkhans Cluse
gesellschaftlicher Status
Nutzung
verträgt keinen Regen
Keuscher / besonders reiner Vogel
Sinnbild Marias Sinnbild Jesu
Sinnbild verschiedener Heiliger
AusstellungsObjekt Gesellschaf t leistendes Tier schattenspendendes Tier
Schmuckmotiv edler Kopf bedeckungen Liebesbote
Schönheitspreis
Kemenatenbeleuchtung
orientalisches Luxusgut
Handelsware wertv olles Geschenk
f rommer und gelehriger Vogel
›Spiegelbild des Poeten‹ Wappentier
wird mit dem Papst in Verbindung gebracht
Relationen der Konzeptbestandteile = metaphorische Relation = klassifikatorische Relation farbig unterlegt = tradiert aus der Antike
316
Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Abb. 65: Cod. Pal. germ. 300; Konrad von Megenberg, Buch der Natur, Hagenau – Werkstatt Diebold Lauber, um 1442–1448?; fol. 161 v.1039
1039 Bildquelle: http ://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg300/0342. Zugriff am 28. 09. 2016 um 14:34 Uhr.
Papagei
317
Als Zuhause des Vogels wird meist der Berg Gelbœ genannt, auf dem es nur äußerst selten regne (AN, De naturis rerum I, 36; VB; AM; TC; KM).1040 Alleine Albertus Magnus distanziert sich etwas von dieser Ansicht, da er lediglich schreibt, es ›würde gesagt‹, der Papagei sei dort zuhause. Damit kommt implzit zum Ausdruck, dass der Autor diese Information für weniger zuverlässig hält als die Angaben, die seinem Buchwissen entstammen. Sicher zu sein scheint sich Albertus hingegen, wenn er schreibt, Papageien seien in Wüstengebieten wärmeren Klimas anzutreffen, in denen es nur wenig regne (in desertis calidorum climatum in quibus parum pluit inveniuntur). Die Wahl des trockenen ›Wohnsitzes‹ – sei es nun der Berg Gelbœ oder die Wüste – wird meist damit begründet, dass der Papagei kein Wasser vertrage oder sogar sterbe, wenn er mit Wasser in Berührung komme (AN, De naturis rerum I, 36; VB; TC; KM). Diese Information, die nicht auf antiken Quellen beruht, wird erstmals von Alexander Neckam genannt, der erklärt, unter der Haut eines toten Papageis sei stets eine große Wasseransammlung vorzufinden.1041 Auch in Bezug auf diese Informationen weicht Albertus Magnus leicht von den Angaben der anderen mittelalterlichen Autoren ab, denn er erklärt, der Papagei weise ausschließlich eine Regenwasser-Unverträglichkeit auf. Anderes Wasser würde von dem Tier aber toleriert und getrunken (Aquam pluviae non sustinet, sed alias aquas bibit et sustinet). Da der Papagei gemäß der Mehrheitsmeinung kein Wasser verträgt, scheidet auch eine Gefiederreinigung mit Wasser aus. Aus diesem Grund wird berichtet, der Vogel reinige seine Federn mit dem Schnabel (VB; TC; KM). Laut Albertus Magnus ist das Tier dabei ganz besonders um seinen Schwanz besorgt, den es oft mit dem Schnabel zurechtrückt. Alexander Neckam und Vinzenz von Beauvais berichten zudem, der Papagei küsse seinen Besitzer gewohnheitsmäßig und er besitze die Körperform eines Falken (AN, De naturis rerum I, 36; VB).1042 Die Klugheit des Tiers sei erstaunlich und rege zum Lachen an. Außerdem sei der Vogel in sein eigenes Spiegelbild verliebt bzw. erfreue sich an diesem ganz besonders. Alexander Neckam schreibt ihm weiterhin das besondere ›Talent‹ zu, Betrügereien zu erfinden, was innerhalb einer Anekdote auserzählt wird, auf die im Folgenden noch einzugehen sein wird. Die bereits von Aristoteles in der HA genannte Information, der Papagei trinke gerne Wein und werde davon ausgelassen, ist einem Teil der mittelalterlichen Autoren bekannt (VB; TC; KM). Die Zugewandtheit, die das Tier an1040 Auf die Bedeutung des Berges Gelbœ werde ich in Kapitel 2.2.3.2 Der religiös-heilsgeschichtliche Diskurs noch genauer eingehen. 1041 Vgl. Ribémont, Histoires de perroquets, S. 163. 1042 Während man den Papagei in der Antike in Bezug auf seine Größe mit einem Falken zu vergleichen pflegte, werden die beiden Vögel im Mittelalter im Hinblick auf ihre Körperform miteinander verglichen.
318
Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
geblich jungen Frauen gegenüber an den Tag legt, findet in zwei Quellen Erwähnung (VB; KM). Albertus Magnus berichtet hier – erneut in Abgrenzung zu allen anderen Naturkundigen – der Papagei unterhalte sich besonders gerne mit jungen Knaben und lerne von ihnen das Sprechen leichter. Ein Alleinstellungsmerkmal der Beschreibung Alexander Neckams ist darin zu sehen, dass sie die einzige mittelalterliche naturkundliche Quelle ist, innerhhalb derer auf die Etymologie des Namens papagabio eingegangen wird (De naturis rerum I, 36). Neckam beruft sich dabei auf Ovid und entfaltet eine Art Pseudo-Etymologie, wie man sie wohl eher von Isidor von Sevilla erwarten würde. Laut dieser Etymologie ist der Papagei der edelste gabio, wobei das Wort ›gabio‹ im Lateinischen nicht vorkommt und offenbar eine Erfindung Neckams ist.1043 Des Weiteren werde dieser ›wundersame gabio‹ (mirabilis gabio) vom Papst verehrt (Papæ enim admirantis est), was wohl die Zusammensetzung papagabio erklären soll. Die Bezeichnung papagabio taucht auch bei Vinzenz von Beauvais auf. Allerdings schreibt dieser sie irrtümlicherweise dem Physiologus zu.1044 Eine weitere Angabe, die alleine in der Beschreibung Neckams auftaucht, ist die Information über die erforderliche Beschaffenheit des Papageienkäfigs. Neckam erklärt, der Käfig dürfe nicht aus Holz bestehen, da der Vogel ihn anderenfalls unter Einsatz seines Schnabels zerstöre (Duris enim ictibus et corrosioni rostri non possent resistere virgæ ligneæ). Diese Information ist ansonsten nur in einer antiken Quelle überliefert, nämlich in Dionysius’ De avibus I c. 19.1045 Interessant ist weiterhin, dass sowohl Alexander Neckam als auch Thomas von Cantimpr8 lustige Anekdoten über Begegnungen zwischen Menschen und Papageien in ihre Beschreibungen einflechten. Damit kommt es zu einer Inkorporierung von Bestandteilen des literarischen Diskurses in den naturkundlichen, und einmal mehr wird evident, dass sich eine trennscharfe Grenzziehung zwischen den einzelnen Diskursen verbietet. Die Diskursmischung ist in beiden Fällen darin zu sehen, dass der Papagei – der innerhalb des literarischen Diskurses als der lustige, unterhaltsame und kluge Plauderer agiert – nun auch innerhalb des naturkundlichen Diskurses zu einem Akteur mit ebendiesen Eigenschaften avanciert. In Alexander Neckams Anekdote (De naturis rerum I, 37) werden die Klugheit, Gerissenheit und Verschlagenheit des Tiers in den Fokus der Betrachtung gerückt und narrativ entfaltet: Erat igitur in Britannia Majore miles psittacum habens magnæ generositatis, quem tenerrime diligebat. Peregre autem proficiscens miles, circa montes Gelboe psittacum 1043 Vgl. dazu auch: Ribémont, Histoires de perroquets, S. 163f. 1044 Ebenda, S. 164. 1045 Wotke, RE, Sp. 931; vgl. S. 305 der vorliegenden Arbeit.
Papagei
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vidit, et sui quem domi habebat recordatus inquit, »Psittacus noster cavea inclusus te salutat, tibi consimilis.« Quam salutationem audiens avis, morienti similis corruit. Indoluit miles, fraude deceptus aviculæ, et itinere peregrinationis completo domum revertens, visa retulit. Militis vero psittacus diligenter relationi domini sui aurem adhibuit, et dolorem simulans e pertica cui insidebat morienti similis cecidit. Miratur tota domus familia, super casu repentino ingemiscens. Jubet dominus autem sub divo reponi, ut salubri aura frueretur, quæ temporis nanciscens opportunitatem evolat perniciter haud reversura. Ingemuit dominus, et se delusam esse tota domus conqueritur.1046
Um aber nicht ausschließlich dem delectare-, sondern auch dem prodesse-Anspruch Genüge zu leisten, schließt Neckam an seine Erzählung eine Instructio moralis an, die besagt, die Menschen sollten sich schämen, da sie oft dem ersten Anschein trauten und sich sogar von Tieren überlisten ließen, die nicht vernunftbegabt seien. Damit lassen sich dem moralisch-didaktischen Element der Neckam’schen Papageien-Anekdote zweierlei Informationen entnehmen: 1. Der Papagei ist nicht vernunftbegabt; 2. Er verfügt aber dennoch über genügend Cleverness, um Menschen auszutricksen, die offenbar noch weniger vernunftbegabt sind. Bemerkenswert ist die Relation zwischen dem Type- und Token-Konzept, die sich innerhalb der Neckam’schen psittacus-Beschreibung zeigt. In Kapitel I, 36 wird die staunenerregende Klugheit des Papageis im Allgemeinen – also die Klugheit aller Papageien – angesprochen (Miræ calliditatis est), womit ein Bestandteil des Type-Konzept zum Ausdruck kommt. In der Anekdote vom Ritter und den beiden Papageien hingegen, wird die Klugkeit zweier ganz bestimmter Tiere narrativ entfaltet. Die innerhalb der kurzen Erzählung zutage tretende Klugheit der beiden Vögel kann damit als Bestandteil zweier Token-Konzepte verstanden werden, und auch hier gilt: die Token-Konzepte dienen dazu, das Type-Konzept zu bestätigen und zu festigen. Die beiden Papageien-Anekdoten von Thomas von Cantimpr8 weisen im Gegensatz zu der Geschichte Alexander Neckams keine Instructio moralis auf. 1046 Eigene Übersetzung: ›In Großbritannien lebte ein Ritter von großem Edelmut, der einen Papagei besaß, den er innigst liebte. Als der Ritter auf einem Ausritt in der Umgebung des Berges Gelboe unterwegs war, sah er dort einen Papagei, entsann sich dem, den er zuhause hatte, und sprach zu ihm: »Unser Papagei, der dir gleicht, lässt grüßen!« Als der Papagei dies vernahm, fiel er herab, als ob er tot sei. Den Ritter betrübte dies. Getäuscht durch die Gaunerei des Vogels, beendete er seine Reise, kehrte zurück und brachte die Geschichte mit nach Hause. Der Papagei des Ritters lauschte aufmerksam den Worten seines Meisters und fiel dann – Trauer simulierend – ebenfalls wie tot von seiner Stange. Der gesamte Haushalt wunderte sich über diesen plötzlichen Anfall von Betrübnis; der Ritter aber gab die Aweisung, der Vogel solle hinausgestellt werden ins Freie, sodass er von der frischen Luft wiederbelebt werden könne. Sobald sich die Gelegenheit bot, flog der Papagei bösartigerweise davon, sodass er nie wieder eingefangen werden konnte. Der Meister stöhnte und der gesamte Haushalt beklagte sich lauthals, betrogen worden zu sein.‹
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Dennoch sind sie äußerst aufschlussreich im Hinblick darauf, wie produktiv und kreativ der mittelalterliche Autor mit antiken Wissensbestandteilen umgeht. Die beiden kurzen Erzählungen scheinen nämlich eine literarische Kontrafaktur des wirkmächtigen Martial-Zitats zu sein, laut dem der Papagei von sich aus Kaiser grüßt (Martial, Epigramm XIV, 73). Gemäß den Informationen Thomas’ von Cantimpr8, beschränkt sich der Vogel aber nicht darauf, weltliche Autoritäten – wie Karl den Großen – zu grüßen, sondern bringt ebenso dem Kirchenoberhaupt, Papst Leo, seinen Gruß entgegen und sorgt für dessen Unterhaltung: Habet quandam vocem naturaliter, qua salutare videtur Cesares. Unde factum est, ut erranti Karolo Magno per deserta Grecie obvie essent aves psittaci et quasi Greca lingua salutaverunt eum clamantes: Imperator vale. Quarum verbum instar cuiusdam prophetie enuntiationem complevit eventus, quia cum tunc eo tempore tantum rex Gallie Karolus esset, sequenti tempore Romanorum factus est imperator. Sed et in vita Leonis pape legitur : Cum enim quidam nobilis avem psittacum habilem ad loquendum haberet, Leoni pape eam pro exenio misit. Que cum adhunc esset in via et homines obvios haberet, clamabat avis: Ad papam vado; ad papam vado. Nec mora cum introiret ad papam, clamavit: Leo papa vale, Leo papa vale! Qua in re multum exhilaratus papa quasi pro recreatione post labores cotidianos confabulatione psittaci sepius utebatur.1047
Sowohl in der ersten als auch der zweiten Anekdote wird der Papagei als ein Tier dargestellt, das in der Lage ist, sinnvolle Äußerungen zu tätigen.1048 Im Fall des Zusammentreffens mit Karl dem Großen könnte man sogar überlegen, ob dem Vogel hellseherische oder magische Fähigkeiten zugeschrieben werden.1049 Dies wiederum würde den Papagei in eine assoziative Nähe zu der antiken Tradition der Auspizien rücken. Die zweite Anekdote unterstreicht die Fähigkeit des Tiers zur eigenstängigen, sinnvollen Rede, denn auch wenn der Rezipient nicht erfährt, was Papst und Papagei konkret miteinander besprechen, scheint Thomas von Cantimpr8 hier 1047 Eigene Übersetzung: ›Der Papagei hat von Natur aus eine Stimme, mit der er Kaiser grüßt. So ereignete es sich, dass Karl der Große, als er durch die Wüste Griechenlands reiste, einige Papageien traf, die ihn grüßten, indem sie auf griechisch sagten: »Lebe wohl, Kaiser!« Spätere Ereignisse sollten die Wahrheit dieses Ausdrucks bezeugen – beinahe wie eine Prophezeigung – denn zu dieser Zeit war Karl nur König Frankreichs. In der darauffolgenden Zeit wurde er Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Es gibt auch eine Geschichte in der Vita Papst Leos, dass ein gewisser Edelmann einen sprechenden Papagei hatte, den er Papst Leo als Geschenk sandte. Als der Papagei auf seinem Weg dorthin war und einige Passanten traf, rief er aus: »Ich gehe zum Papst! Ich gehe zum Papst!« Sobald er beim Papst angelangt war, rief er aus: »Heil, Papast Leo! Heil Papst Leo!« Darüber war der Papst entsprechend erfreut und er sprach später noch oftmals – zur Erholung von seinem Tagwerk – mit dem Papagei.‹ 1048 Vgl. dazu auch: Boehrer, Parrot Culture, S. 28. 1049 Ebenda.
Papagei
321
doch von einer sinnvollen Konversation ausgegangen zu sein.1050 Interessant ist weiterhin, dass diese Anekdote wohl nicht gänzlich ohne realhistorischen Bezug entstanden sein dürfte, da einige Päpste des Mittelalters tatsächlich Papageien als Haustiere hielten.1051 Neben den bisher angesprochenen Papageien-Beschreibungen, die alle relativ viele Übereinstimmungen aufweisen, muss noch auf eine Beschreibung eingegangen werden, die völlig aus dem Rahmen zu fallen scheint – die Beschreibung Hildegards von Bingen. Hildegard schreibt in ihrer Physica 6, 31, der Papagei sei heiß und feucht. In Bezug auf seinen Flug sei er vergleichbar mit einem Greif und hinsichtlich seiner Kraft sei er dem Löwen etwas ähnlich. Doch weder im Flug noch beim Einsatz seiner Kraft bringe er sein gesamtes Potential zum Einsatz. Dass der Papagei mit zwei relativ großen (Fabel-)Tieren verglichen wird, könnte darauf hindeuten, dass Hildegard sich den Vogel möglicherweise etwas größer als einen Halsbandsittich vorstellte. Noch erstaunlicher ist aber die darauffolgende Information, der Vogel sei über den Wechsel der Jahreszeiten im Bilde, verhalte sich dementsprechend und gebe Laute von sich. Fraglich bleibt, ob das Tier – Hildegards Vorstellung zufolge – im Besitz von Wissen über den Jahreszeitenwechsel ist oder ob es sich instinktiv an die wechselnden Gegebenheiten anpasst. Auffällig ist, dass das wohl signifikanteste Merkmal des Vogels, nämlich die Fähigkeit, die menschliche Sprache zu imitieren bzw. sogar eigenständig sinnvolle Äußerungen zu tätigen, hier gerade nicht genannt wird. In der Beschreibung ist lediglich von ›Lauten‹ die Rede. Bezüglich der Farbgebung informiert Hildegard, die Federn des Tiers seien in den Farben des Feuers und der Galle gehalten. Diese Angaben sind zumindest für heutige Rezipienten uneindeutig. Während man für ›feuerfarben‹ wohl alle rot- und gelb-Nuancen in Betracht ziehen könnte, erscheint es bei ›gallefarben‹ nahezu unmöglich, eine konrete Farbe zu benennen, da man im Mittelalter – im Rahmen der Humoralpathologie – sowohl die Vorstellung von gelber als auch von schwarzer Galle hatte. Abschließend erklärt die Naturgelehrte, zu medizinischen Zwecken tauge der Papagei nicht, da er keine Wirkeigenschaft vollends in sich trage und von verschiedenartiger Natur sei. Ebenso wie sich bereits anhand von Hildegards Panther-Eintragung gezeigt hat, werden also auch Tiere thematisiert, die keinerlei medizinischen Nutzen haben. Zu überlegen wäre, ob die Autorin gerade den Tieren, mit denen sie höchstwahrscheinlich niemals in Kontakt kam, ihren medizinischen Nutzen abspricht. 1050 Ebenda. 1051 Auf die Papageien-Haltung im Papst-Palast wird in Kapitel 2.2.3.2 Der religiös-heilsgeschichtliche Diskurs noch näher eingegangen.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
P Papagei
Temperament und Charakter
Äußeres
Größe
Farbe
ausgelassen
weiß
klein
ängstlich
bunt
klug je höher gelegen der Lebensraum, desto größer
kostbare Voliere
aggressiv
glänzendes Gef ieder
selbstbewusst
Anzahl an Zehen ist verschieden
zutraulich
unedel Weingenuss
breite Zunge menschenähnlicher Gesang klappt besser mit 5-zehigen Exemplaren als mit 3-zehigen
kann durch Schläge mit einer kleinen Eisenstange konditioniert werden
Sprache
f ünf Zehen
am besten v or Vollendung des 2. Lebensjahres
spricht ›weibisch‹
f ein herausgeputzt
Minnedame
edel
nicht so gelehrig
lernt schnell sprechen
spricht v orgesagte Worte nach
Sprachtraining
unter Zuhilf enahme eines Spiegels
Reis
weiblich
übernimmt Troubadourrolle
drei Zehen
liebenswürdig und charmant intrigant
männlich
›Liebling der Damenwelt‹
harter Schnabel
cholerisch
grün + rot
Wein
rotes Halsband
harter Kopf
Nahrung
Geschlecht
besondere Merkmale
grüßt von sich aus den Kaiser
Stimmen der Apostel sollen v on Menschen nachgeahmt werden eigener Wortschatz
Mehrsprachigkeit grüßt Menschen in der Wüste umwirbt die Minnedame
höf isch, f ormv ollendet
Abb. 66: Epistemischer Diskurs-Frame, der die rekonstruierten Bestandteile des mittelalterlichen Papageien-Konzepts hervorhebt, die innerhalb des naturkundlichen Diskurses aktualisiert werden.
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Papagei
Nennung mit anderen Tieren
Gefahren
Herkunft
Indien
edle Beizvögel
Ägypten
Elefant
Taube
Paradies
Pfau
Reich der Candacis
Arabien Äthiopien
Berg Gelboe
Giraf f e
orientalisches Luxusgut
Wecker
Strauß
Spiegelersatz
Handelsware
Meerkatze
Reich des Großkhans Cluse
gesellschaftlicher Status
Nutzung
verträgt keinen Regen
Keuscher / besonders reiner Vogel
Sinnbild Marias Sinnbild Jesu
Sinnbild verschiedener Heiliger
Schmuckmotiv edler Kopf bedeckungen
AusstellungsObjekt Gesellschaf t leistendes Tier
wertv olles Geschenk
Liebesbote
schattenspendendes Tier
f rommer und gelehriger Vogel
Schönheitspreis
Kemenatenbeleuchtung
›Spiegelbild des Poeten‹
Wappentier
wird mit dem Papst in Verbindung gebracht
Relationen der Konzeptbestandteile
= metaphorische Relation = klassifikatorische Relation = aktualisiert = nicht aktualisiert
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Abschließend muss hinterfragt werden, wieviel ›Exotik‹ die Papageien-Darstellungen innerhalb der naturkundlichen mittelalterlichen Quellen aufweisen. Hierzu lässt sich zunächst festhalten, dass die indische Herkunft, die von nahezu allen Autoren genannt wird, als wichtiger ›Exotik‹-Indikator zu werten ist. Zu der Aura des Wunderbaren – und damit ›Exotischen‹ – dürfte auch die Information beigetragen haben, das Tier lebe auf dem Berg Gelbœ, auf dem es beinahe nie regne. Diese Angabe entrückt das Zuhause des Papageis noch weiter in Sphären, die unzugänglich und unerreichbar sind. Der Berg Gelbœ dürfte also auf mittelalterliche Rezipienten ähnlich ›exotisch‹ gewirkt haben wie Indien. Darüber hinaus wird von Alexander Neckam und Vinzenz von Beauvais betont, das Tier rufe Staunen hervor. Als Grund für dieses Staunen wird zum einen die Klugheit des Vogels genannt. Zum anderen wird das Tier von Neckam als mirabilis gabio bezeichnet, was es ebenfalls im Lichte eines ›mirabiliums des Ostens‹ erscheinen lässt. Schließlich wird der Papagei auch als ein besonderes Luxus-Tier dargestellt, das sowohl in der Gesellschaft von weltlichen Herrschern als auch in der des Kirchenoberhauptes anzutreffen ist. Diese Luxus-Assoziation kommt am deutlichsten innerhalb der Beschreibung von Thomas von Cantimpr8 zum Ausdruck, denn dieser schreibt: […] vinum libenter bibit, et est avis luxuriosa nimium. Nec mirum, quia vinum libenter bibit, vinum in quo est luxuria (Liber de natura rerum 5, 109). 2.2.3.2 Der religiös-heilsgeschichtliche Diskurs In Bezug auf den religiös-heilsgeschichtlichen Diskurs lässt sich zunächst festhalten, dass der Papagei selbst in der Bibel keine Erwähnung findet. Was jedoch in 2. Samuel 1, 21ff. erwähnt wird, sind die Berge von Gelboe,1052 die auch in den Papageien-Beschreibungen Alexander Neckams, Thomas’ von Cantimpr8 und Albertus’ Magnus genannt werden. In der Bibel wird davon erzählt, dass Jonathan und Saul bei einer Schlacht in diesen Bergen ums Leben kamen und dass König David diesen ›Todesbergen‹ deswegen wünschte, es möge künftig weder Tau noch Regen auf sie fallen. Dieses biblische Wissen über die verwünschten Berge wird von mittelalterlichen Autoren aufgegriffen und zunächst in den naturkundlichen Papageien-Diskurs integriert. Der Berg Gelboe (in mittelalterlichen Texten wird meist der Singular verwendet) ist der bevorzugte Le1052 In der Einheitsübersetzung werden die Berge ›Gilboa‹ genannt. Siehe dazu auch: Zwickel, ›Gilboa‹. In: Calwer Bibellexikon, S. 442. Zwickel schreibt hier: »Gilboa [hebr. »Hügelland«]. Gebirge südöstlich der Jesreel-Ebene. Dort sammelten sich die Israeliten unter Saul vor einem Feldzug gegen die Philister (1Sm 28,4; 31,1). In diesem für Israel vernichtenden Krieg starben Saul und seine Söhne auf dem Gebirge Gilboa (1Sm 31,2–9;2Sm 1,6.21).«
Papagei
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bensraum des Tiers, das Regen fürchtet. Während dieser Eigenschaft innerhalb des naturkundlichen Diskurses keine Allegorese widerfährt, verhält sich dies im religiös-heilsgeschichtlichen Diskurs anders: Die Regenunverträglichkeit des Papageis stellt hier eines der wichtigsten diskursiven Dispositive dar und bietet eine Vielzahl an Möglichkeiten für Allegorien und Allegorese. Doch dazu später mehr. Zunächst zum Physiologus. Der Papagei avanciert erst in der Redaktion des 11. Jahrhunderts, die dem Kirchenvater Basilius zugeschrieben wird, zum Gegenstand der Ausführungen.1053 In dieser Physiologus-Version heißt es über das Tier : Peq· xitajoO. j Vusiok|cor 5kene peq· aqtoO fti peteim|m 1sti jako}lemom xitaj|m, lijq¹m ¦speq p]qdin· lilo}lemom d³ t±r vym±r t_m !mhq~pym, kake? ja· aqt¹r blo_yr, ja· blike? ¢r %mhqypor. j ûcior Bas_keior eWpe· l_lgsai owm, § %mhqype, t±r vym±r t_m !post|kym t_m donas\mtym t¹m He|m, ja· d|nafe ja· aqt|r, lilo}lemor t±r pokite_ar t_m dija_ym, Vma jataniyh0r 1pituwe?m to»r vytoeide?r t|pour aqt_m. [Jak_r b Vusiok|cor eWpe peq· toO xitajoO].1054
Ruft man sich die Rekonstruktion des antiken Papageien-Konzepts in Erinnerung, so fällt auf, dass der Physiologus an dieser Stelle zunächst den Vergleich mit einem Rebhuhn als neues mittelalterliches Element einführt. Zuvor wurde der Papagei in Bezug auf seine Größe meist mit der Taube oder dem Falken verglichen.1055 Auf den Vergleich hin folgt die Nennung von Wissensbestandteilen, die zum Teil bereits in antiken Quellen zu finden sind. So ist die Information, der Papagei ahme Stimmen nach, in der Antike häufig belegt. Die Aussage, das Tier spreche selbst und unterhalte sich in gleicher Weise wie ein Mensch, ist hingegen in dieser Deutlichkeit nicht den antiken Texten zu entnehmen. Lediglich in Martials Epigramm XIV, 73 kommt zum Ausdruck, das Tier verfüge über einen eigenen Wortschatz und wisse sich sinnvoll der menschlichen Sprache zu bedienen.1056 Der Physiologus greift die bereits bei Martial angelegte – und dann 1053 Ribémont, Histoires de perroquets, S. 161; Sbordone, Physiologus, 3. Redaktion, Nr. 22, S. 290, Z. 14 – S. 291, Z. 5; Zu der pseudo-basilianischen Redaktion siehe auch: Henkel, Studien zum Physiologus, S. 12. 1054 Sbordone, Physiologus, 3. Redaktion, Nr. 22, S. 290, Z. 14–S. 291, Z. 5. Übersetzung: Treu, Physiologus – Frühchristliche Tiersymbolik, S. 105f.: ›Vom Papagei. Der Physiologus sagt von ihm, dass es einen Vogel namens Sittich gibt, klein wie ein Rebhuhn. Er kann die Stimmen des Menschen nachahmen, er spricht auch selbst in gleicher Weise und unterhält sich wie ein Mensch. Der heilige Basilius sagt: Ahme auch du, Mensch, die Stimme der Apostel nach, die Gott priesen, und preise auch selbst, ahme den Wandel der Gerechten nach, damit du gewürdigt werdest, ihre lichtglänzenden Sitze zu erreichen.‹ 1055 Vgl. S. 288; S. 291f. der vorliegenden Arbeit. 1056 Vgl. S. 296 dieser Arbeit.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
durch Isidor von Sevilla tradierte – Eigenschaft des Vogels auf und schließt eine religiös-heilsgeschichtliche Deutung bzw. eine Verhaltensempfehlung für Christen daran an. Auch bei dieser heilsgeschichtlichen Deutung bildet also die Sprachbegabung – das Hauptmerkmal des Tiers – den Ausgangspunkt. Die späte Aufnahme des Papageis in den Physiologus ist als Grund dafür anzusehen, dass das Tier nicht in allen Bestiarien thematisiert wird.1057 So findet der Papagei laut Rib8mont weder in den Bestiarien von Philippe de Thaon, Guillaume le clerc de Normandie und Gervaise noch in der Kurzfassung von Pierre de Beauvais (BN fr. 834) Erwähnung.1058 Auch der Bestiaire d’amour Richards de Fournival bietet keinerlei Informationen über das Tier.1059 Ein Werk, in dem der Papagei zwar thematisiert wird, in dem aber lediglich auf die Angaben der Enzyklopädien zurückgegriffen wird, ist das lateinische Bestiarium Oxford University MS Bodley 764.1060 Eine religiös-heilsgeschichtliche Auslegung der Papageien-proprietates findet folglich auch innerhalb dieser Beschreibung nicht statt.1061 Das einzige Werk, das eine neue Information bietet, ist die Langfassung des Bestiariums von Pierre de Beauvais.1062 Pierre ist der einzige mittelalterliche Autor, der einen anderen Erklärungsansatz dafür anführt, warum der Papagei große Angst vor der Berührung mit Wasser habe. Während in den Enzyklopädien stets erklärt wird, Regen sei für das Tier tödlich, erläutert Pierre, der Vogel fürchte, Regenwasser könne die Farbe seines Gefieders hässlich machen.1063 Daher nehme er sich davor in Acht, wie alle weisen Vögel (Quer il est de tel nature que pluie li griHve moult, et que sa color moult enlaidist; et por ce s’en garde comme sages oiseaus).1064 Interessant sind weiterhin die bildhaften Papageien-Darstellungen in den Bestiarien, die weitestgehend die These stützen, dass der Halsbandsittich der prototypische Papagei des Mittelalters ist. Neben den Miniaturen in Bodleian Library, MS. Douce 151, Folio 33v. (Abb. 1) und Kongelige Bibliotek, Gl. kgl. S. 1633 48, Folio 52v. (Abb. 2) können die folgenden Darstellungen in die Betrachtung mit einbezogen werden:
1057 1058 1059 1060 1061 1062 1063
Ribémont, Histoires de perroquets, S. 161f. Ebenda, S. 162. Ebenda. Ebenda, Boehrer, Parrot Culture, S. 25. Ribémont, Histoires de perroquets, S. 162. Ebenda; McCulloch, Medieval Latin and French Bestiaries, S. 151. Piere de Beauvais, Bestiaire (PB II, 186). Zitiert nach: Ribémont, Histoires de perroquets, 162. 1064 Ebenda.
Papagei
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Abb. 67: Koninklijke Bibliotheek, KB, KA 16, Folio 99v.1065 Entstanden in Flandern, ca. 1350.1066
Abb. 68: Museum Meermanno, MMW, 10 B 25, Folio 28r.1067 Entstanden in Frankreich, um 1450.1068
1065 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Parrot‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/be asts/beastgallery235.htm#. Zugriff am 29.09. 2016 um 12:23 Uhr. 1066 Badge, Medieval Bestiary, Manuscript: Koninklijke Bibliotheek, KB, KA 16 (Der Naturen Bloeme). Auf: http://bestiary.ca/manuscripts/manu2007.htm. Zugriff am 29. 09. 2016 um 12:23 Uhr. 1067 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Parrot‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/be asts/beastgallery235.htm#. Zugriff am 29. 09. 2016 um 12:24 Uhr.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Ebenso wie der Vogel in Abb. 1 weist auch das Exemplar in Abb. 67 die wichtigsten äußeren Mermale des prototypischen Papageis auf, denn zu sehen ist ein grünes Tier mit rotem Halsband. Bemerkenswert ist zudem die Anzahl der dargestellten Zehen: Da nur drei an jedem Fuß zu erkennen sind, handelt es sich offenbar um einen unedlen Papagei, der nicht so sprachbegabt ist wie seine fünfzehigen Artgenossen. Der Papagei in Abb. 68 weist zwar immernoch relativ viele Merkmale auf, die die Vermutung nahe legen, dass gebildete mittelalterliche Rezipienten ihn ohne größere Schwierigkeiten als papegan oder sittich klassifizieren konnten, allerdings erscheint er weniger prototypisch als das Exemplar in Abb. 67. Sein Halsband ist nicht rot, sondern schwarz und nur ganz zart angedeutet, sodass es leicht übersehen werden kann. Das Erstaunlichste an dieser Darstellung ist aber, dass der Vogel vier Zehen an jedem Fuß besitzt. Obwohl dies aus biologischer Perspektive betrachtet richtig ist (da alle Papageien in Wirklichkeit vier Zehen besitzen), ist diese Vierzahl für eine mittelalterliche Darstellung mehr als ungewöhnlich, denn sowohl in den antiken als auch in den mittelalterlichen Textquellen ist stets von drei- und fünfzehigen Vögeln die Rede. Aufgrund der Vierzahl könnte man daher die Vermutung anstellen, dass der Illustrator recht gut mit den Vögeln vertraut war oder sogar die Möglichkeit besaß, die Zehenzahl anhand eines realexistierenden Exemplars zu überprüfen. Versucht man, die bildhaften Papageien-Darstellungen in ein PrototypenSchaubild einzuordnen, so muss der Miniatur Kongelige Bibliotek, Gl. kgl. S. 1633 48, Folio 52v. (Abb. 2) ein Platz eingeräumt werden, der ebenso nah am Prototyp ist wie Abb. 68. Auch das Exemplar in Abb. 2 weist ein gänzlich grünes Federkleid auf. Das zweite wichtige Merkmal, das zur Identifizierung des Tiers beitragen könnte, das rote Halsband, ist hier nur zum Teil verwirklicht: Der Vogel weist zwar ein Halsband auf, dieses ist jedoch nicht rot. Es handelt sich offenbar auch nicht um ein aus andersfarbigen Federn bestehendes Halsband, sondern um eines, das dem Tier von Menschenhand angelegt wurde, denn es ist mit kleinen Glöckchen versehen. Dies deutet zum einen darauf hin, dass es sich bei dem abgebildeten Papagei um ein domestiziertes Tier handelt. Zum anderen lässt sich anhand dieser Miniatur auf merkwürdige Weise beobachten, wie durch ein artifizielles Element, das dem Kulturraum zuzuordnen ist, ein natürliches Merkmal des Tiers verdeckt wird. Durch diese Verdeckung wird das Merkmal aber zugleich betont. In Anlehnung an Foucault ließe sich das Phänomen wohl am ehesten wie folgt beschreiben: Die kulturelle Einschreibung in bzw. auf den Papageienkörper zeigt sich darin, dass das natürliche Halsband von einem artifiziellen ›überschrieben‹ wird. Eine weitere Überlegung wäre, welche Folgen 1068 Badge, Medieval Bestiary, Manuscript: Museum Meermanno, MMW, 10 B 25. Auf: http:// bestiary.ca/manuscripts/manu2002.htm. Zugriff am 29. 09. 2016 um 12:24 Uhr.
Papagei
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diese Einschreibung für die Rolle des Papageis im Kulturraum – in den er durch das Halsband hineingeholt wird – mit sich bringt. Die Glöckchen lassen eine gewisse assoziative Nähe zu dem Gewand eines Hofnarren erkennen, denn Narrengewänder waren meist mit Schellen und Glöckchen versehen. Dies würde auch zu der Spaßmacher-Rolle passen, die dem Papagei in zahlreichen Erzählungen zugedacht wird. Gegen eine Inszenierung als ›Spaßmacher‹ spricht, dass der Papagei in Abb. 2 nur drei Zehen an jedem Fuß aufweist. Damit handelt es sich bei ihm – gemäß dem antiken und dem mittelalterlichen Papageien-Konzept – um einen der weniger begabten Vertreter seiner Art. Wie im weiteren Verlauf der Untersuchung jedoch noch zu sehen sein wird, sind es meist gerade die Merkmale ›Klugheit‹ und ›Sprachbegabung‹, die den Vogel in seiner Spaßmacher-Rolle glänzen lassen. Eine noch etwas peripherere Position im Prototypen-Schaubild muss der Miniatur BibliothHque Nationale de France, lat. 6838B, Folio 21v. (Abb. 69) zukommen, da der hier abgebildete Papagei kein Halsband aufweist.
Abb. 69: BibliothHque Nationale de France, lat. 6838B, Folio 21v.1069 Entstanden in Nordfrankreich, 13. Jahrhundert.1070
Noch weiter vom prototypischen Papagei entfernt ist das Exemplar, das im Codex Morgan Library, MS M.81, Folio 50v. (Abb. 70) zu sehen ist, da es kein Halsband – dafür aber einen überdimensional langen ›fischartigen‹ Schwanz – aufweist. Das grüne Gefieder lässt jedoch darauf schließen, dass es sich auch hier um einen sittich handelt.
1069 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Parrot‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/be asts/beastgallery235.htm#. Zugriff am 02. 10. 2016 um 16:44 Uhr. 1070 Badge, Medieval Bestiary, Manuscript: BibliothHque Nationale de France, lat. 6838B. Auf: http://bestiary.ca/manuscripts/manu5593.htm. Zugriff am 02. 10. 2016 um 16:44 Uhr.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Abb. 70: Morgan Library, MS M.81, Folio 50v.1071 Entstanden in England, ca. 1185.1072
Während man bei den bisher betrachteten Miniaturen relativ sicher sein konnte, dass es sich um Papageien-Darstellungen handelt, da alle abgebildeten Vögel zumindest die typische Grünfärbung aufweisen und krumme Schnäbel besitzen (ein Merkmal, das in den naturkundlichen mittelalterlichen Textquellen ausschließlich bei Alexander Neckam Erwähnung findet), erscheint eine Identifizierung der Vögel der nachfolgenden drei Miniaturen (Abb. 71; 72; 73) weitaus schwieriger. Da diese Miniaturen jedoch die Funktion eines ergänzenden und schmückenden ›Beiwerks‹ haben, kann die Klassifizierung der dargestellten Vögel anhand des daneben stehenden Textes vorgenommen werden. Bestünde diese Möglichkeit nicht, so wäre eine Bestimmung der dargestellten Vogelart für heutige Rezipienten – zumindest was die Abbildungen 72 und 73 betrifft – unmöglich. Die beiden Papageien in Abb. 71 weisen weder das grüne Federkleid noch das rote Halsband auf. Das einzige Merkmal, das Aufschluss über die dargestellte Vogelart zulässt, ist, dass das Tier in der rechten Bildhälfte seine Nahrung mit dem Fuß zum Schnabel führt. Diese Papageieneigenschaft, findet auch in den naturkundlichen Werken von Albertus Magnus, Thomas von Cantimpr8 und Konrad von Megenberg Erwähnung und könnte daher mittelalterlichen Betrachtern der Miniatur bekannt gewesen sein.1073
1071 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Parrot‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/be asts/beastgallery235.htm#. Zugriff am 02. 10. 2016 um 17:00 Uhr. 1072 Badge, Medieval Bestiary, Manuscript: Morgan Library, MS M.81. (The Worksop Bestiary). Auf: http://bestiary.ca/manuscripts/manu1046.htm. Zugriff am 02. 10. 2016 um 17:03 Uhr. 1073 Vgl. S. 312f. der vorliegenden Arbeit.
Papagei
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Abb. 71: Bodleian Library, MS. Bodley 764, Folio 63r.1074 Entstanden in England, ca. 1225–1250.1075
Völlig auf den Text angewiesen ist der Betrachter der Miniaturen Bodleian Library, MS. Douce 88, Folio 17v. (Abb. 72) und Bodleian Library, MS. Bodley 533, Folio 15v. (Abb. 73), da diese Darstellungen keines der typischen Papageienmerkmale aufweisen, die in den mittelalterlichen Enzyklopädien und den Bestiarien beschrieben werden. Sie müssen folglich am äußeren Rand – den sog. ›fuzzy edges‹ – des Prototypen-Schaubilds angesiedelt werden.
Abb. 72: Bodleian Library, MS. Douce 88, Folio 17v.1076 Entstanden in England, 13.–14. Jahrhundert.1077 1074 Bildquelle: https://iiif.bodleian.ox.ac.uk/iiif/viewer/e6ad6426-6ff5-4c33-a078-ca518b36c a49#?c=0& m=0& s=0& cv=140& r=0& xywh=-4656%2C0%2C14985%2C8861. Zugriff am 15. 10. 2018 um 17:02 Uhr. 1075 Badge, Medieval Bestiary, Manuscript: Bodleian Library, MS. Bodley 764. Auf: http://bes tiary.ca/manuscripts/manu1085.htm. Zugriff am 02. 10. 2016 um 17:56 Uhr. 1076 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Parrot‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/be asts/beastgallery235.htm#. Zugriff am 31. 10. 2016 um 9:34 Uhr. 1077 Badge, Medieval Bestiary, Manuscript: Bodleian Library, MS. Douce 88. Auf: http://besti ary.ca/manuscripts/manu1192.htm. Zugriff am 04. 10. 2016 um 14:57 Uhr.
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Abb. 73: Bodleian Library, MS. Bodley 533, Folio 15v.1078 Entstanden in England, Mitte des 13. Jahrhunderts.1079
Eine bildhafte Papageiendarstellung außerhalb der Bestiarien ist zudem in den im 14. Jahrhundert entstandenen Concordantiae caritatis Ulrichs von Lilienfeld zu finden (Abb. 74). Hier wird dem Betrachter der Aspekt der Regenunverträglichkeit des Tiers in einer Bilderfolge erläutert. Ulrich geht – ebenso wie Alexander Neckam, Vinzenz von Beauvais, Albertus Magnus, Thomas von Cantimpr8 und Konrad von Megenberg – davon aus, dass Regen für den Papagei tödlich ist, denn nachdem das Tier in der linken Bildhälfte dargestellt ist, wie es dem Regen ausgesetzt ist, zeigt die rechte Bildhälfte den auf dem Rücken liegenden toten Papagei.
Abb. 74: Der Papagei ist dem Regen ausgesetzt und stirbt daran. Ulrich von Lilienfeld, Ausschnitt aus den »Concordantiae caritatis«.1080
Auch hier besitzt das Tier das typische grüne Federkleid, weist jedoch kein rotes Halsband auf. Insofern kann dieser Darstellung im Prototypenschaubild eine ähnlich zentrale Position wie Abb. 69 zugedacht werden. 1078 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Parrot‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/be asts/beastgallery235.htm#. Zugriff am 04. 10. 2016 um 14:58 Uhr. 1079 Badge, Medieval Bestiary, Manuscript: Bodleian Library, MS. Bodley 533(Liber de naturis bestiarum). Auf: http://bestiary.ca/manuscripts/manu1188.htm. Zugriff am 04. 10. 2016 um 15:01 Uhr. 1080 Bildquelle: Codex Campililiensis 151 (Concordantiae caritatis), Volldigitalisat, S. 454. Auf: https://imagines.manuscriptorium.com/loris/LILIEN-SLA___HS_151______32HHXJ3en/ID_454/full/full/0/default.jpg. Zugriff am 15.10. 2018 um 17:22 Uhr.
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In Ulrichs Text, der sich auf diese Miniatur bezieht, werden die Eigenschaften des Papageis ausgedeutet und auf die heilige Elisabeth bezogen: Jacobus dicit, quod si psitacus pluvia tangitur, continuo moritur. Quem huius psitaci nomine nisi beatam Elizabet reccius possumus accipere? Que velut psitacus semper virvit, quando in bonis accionibus et virtutum perfeccionibus florvit et fructum fecit. Hanc avem pulcherrimam, scilicet Elizabet batissimam numquam aliqua pluvia tetigit, quia nec cor vel corpus vel mentem eius umquam alicuius libidinis estus ex aliquibus stillis mundialibus inquinando quomodolibet maculavit. Et ergo ipsam omnipotens Dominus in esse vite hic mundicie et illic perpetue sue gracie conservavit.1081
Die grüne Farbe steht also für die Tugendhaftigkeit und die guten Taten der Heiligen. Ebenso wie der Papagei nie vom Regen befleckt werden darf, ist auch der Heiligen niemals irgendeine Art der Befleckung – im Sinne von Unkeuschheit – widerfahren. Diese Allegorie ist in ganz ähnlicher Weise auch in Die goldene Schmiede Konrads von Würzburg zu finden, auf die im weiteren Verlauf der Analyse noch genauer einzugehen sein wird. Da Konrads Werk bereits im 13. Jahrhundert entstand und weite Verbreitung fand, besteht die Möglichkeit, dass Die goldene Schmiede Ulrich im Hinblick auf die Papageien-Allegorie als Vorlage diente. Während Konrad allerdings die proprietates des Tiers in eine Relation zu den Eigenschaften Marias setzt, bezieht Ulrich sie auf die heilige Elisabeth. Der Gedanke, dass die grüne Farbe des Papageis für frische, gute Werke steht, ist in den Concordantiae caritatis noch ein weiteres Mal zu finden, nämlich im Rahmen der Beschreibung der personifizierten Demut. Von ihr heißt es in Ulrichs Werk unter anderem, sie führe auf ihrem Obergewand einen Papagei, »weil der Demütige immer wie junges Grün frische, gute Werke« aufweise (Folio 250 r : In tunica ducit psitacum, quia humilis semper habet viriditatem bonorum operum).1082 Interessant ist, dass innerhalb der Beschreibung der personifizierten 1081 Herbert Douteil (Hrsg.), Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld, Band I, S. 472 (Folio 227r [e]); Übersetzung Herbert Douteils (S. 473): ›Jacobus sagt: Wenn ein Papagei vom Regen benetzt wird, stirbt er sogleich. Wen können wir treffender unter dem Begriff dieses Papageis verstehen als die selige Elisabeth? Wie ein Papagei war sie immer grün, als sie in guten Werken und vollkommenen Tugenden in Blüte stand und Frucht brachte. Diesen wunderschönen Vogel, nämlich die selige Elisabeth, benetzte niemals irgendein Regen, weil weder ihr Herz noch ihren Körper oder ihren Geist jemals in irgendeiner Weise die Glut irgendeines Verlangens durch irgendwelche Tropfen der Weltlichkeit befleckte. Und der allmächtige Herr bewahrte sie also im Sein des Lebens der Reinheit hier auf Erden und dort in seiner ewigen Gnade.‹ 1082 Douteil (Hrsg.), Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld, Band I, S. 518f. [Folio 250r]; Die gesamte Beschreibung der personifizierten Demut lautet: Humilitas. Contra superbiam venit humilitas ambulans pedes, quia vere humilis est per vias securitatis incedens. Arma habet violacia, id est sunt celesti odore suaviter fraglancia. In galea ducit columbam, hoc est in veritate humilem et simplicem conscienciam. In clipeo habet supeditatum draconem, quia solus vere humilis superat demonem. In tunica ducit psitacum,
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Demut auch eine Taube Erwähnung findet, denn die Auswertung der antiken Quellen hat gezeigt, dass der Papagei oftmals im Zusammenhang mit der Taube genannt wird bzw. dass ihm sogar eine Freundschaft mit ihr nachgesagt wird.1083 Im Übrigen stellt der Papagei – wie einleitend bereits erwähnt – in den Concordantiae caritatis eine Konfiguration Christi dar.1084 Das interdiskursive Dispositiv – also das ›Einfallstor‹, das die religiös-heilsgeschichtliche Bedeutungseinschreibung in diesem Fall ermöglicht – ist die auf Martial zurückgehende Information, der Papagei habe die Angewohnheit, von sich aus Kaiser zu grüßen. Diese Information wird von Ulrich aufgegriffen und diskursiv überformt, denn in den Concordantiae beschränkt der Vogel sich nicht darauf, Kaiser zu grüßen, sondern bringt seinen Gruß allen Menschen entgegen (Folio 149r [e]). Diese Eigenschaft eignet sich viel eher für die christlich-heilsgeschichtliche Allegorese, denn das tertium comparationis zwischen dem Papagei und Christus besteht gerade darin, dass beide vorbehaltlos jeden grüßen – auch einen Gichtbrüchigen, der Sünden auf sich geladen hat. Dieser Konzeptbestandteil kommt auch innerhalb einer weiteren Miniatur aus den Concordantiae caritatis zum Ausdruck (Abb. 75). Die Überschrift der Miniatur erklärt noch einmal: Psitacus en suave scit dicere ›ChÞre‹ vel ›Ave‹.1085 Einer der beiden Papageien hält ein Spruchband in seinem Schnabel, was den Betrachter darauf aufmerksam machen soll, dass das Tier spricht. Die Inschrift des Spruchbandes lautet ›Chere‹, id est ›Salve‹.1086 Der Wissensbestandteil, der bereits in der Überschrift zum Ausdruck kommt, wird also noch einemal bildhaft dargestellt – möglicherweise, um einen größeren Rezipientenkreis anzusprechen und um die Vorstellung vom grüßenden Papagei noch einprägsamer zu gestalten. Auch hier wird der prototypische grüne Papagei abgebildet. Darüber hinaus wird deutlich, dass es sich bei den Menschen,
1083 1084 1085 1086
quia humilis semper habet viriditatem bonorem operum. Portat enim lanceam longam, quia humilem spes erigit ad supernam gloriam. Übersetzung Herbert Douteils (S. 519): ›Die Demut. Gegen die Überheblichkeit kommt die Demut zu Fuß gegangen, weil der wahrhaft Demütige auf den Pfaden der Sicherheit einherschreitet. Sie besitzt violette Waffen, d. h. sie verströmen einen süßen, himmlichen Duft. Auf dem Helm führt sie als Helmzier eine Taube, d. h. in Wahrheit ein demütiges und einfältiges Gewissen. Auf dem Schild hat sie einen niedergetretenen Drachen gemalt, weil einzig der Demütige den Dämon wirklich überwindet. Auf dem Obergewand führt sie einen Papagei, weil der Demütige immer wie junges Grün frische gute Werke besitzt. Sie trägt eine lange Lanze, weil die Demütigen die Hoffnung zur himmlischen Herrlichkeit erhebt.‹ Vgl. S. 291f; S. 301f. der vorliegenden Arbeit. Vgl. S. 11f. dieser Arbeit. Übersetzung Herbert Douteils, Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld, Band I, S. 305; (fol.149 r[e]): ›Siehe, der Papagei versteht schön süß zu sprechen »Chere« oder »Ave«‹. Übersetzung Herbert Douteils (Ebenda): ›»Chere«, das heißt »Willkommen«‹.
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die sich den beiden Papageien nähern, gerade nicht um Kaiser handelt, denn sie tragen weder eine Krone noch andere kaiserliche Insignien.
Abb. 75: Papageien grüßen alle Menschen. Concordantiae caritatis fol. 148v.1087
Weiterhin wird in den Concordantiae caritatis die dem Papagei zugeschriebene Eigenschaft, gerne Jungfrauen hinterherzuschauen, aufgegriffen und diskursiv überformt. Während Vinzenz von Beauvais und Konrad von Megenberg dieses Merkmal in Zusammenhang mit dem Weingenuss des Tiers anführen und die Rezipienten davon ausgehen können, dass der Papagei insbesondere dann gerne den Damen hinterherschaut, wenn er vom Wein berauscht ist, begründet Ulrich von Lilienfeld die ›Gynäphilie‹ des Vogels auf völlig andere Weise: Philosophus, Jacobus et Solinus dicunt, quod psitacus valde aspectu virgineo delectatur. Quia avis pulcherrima est psitacus, ideo recte per eum desigantur Christus, qui gratulabundus hodie in aspectu virgineo, id est beate Agne voluntario est martirio tam mirifice delectatus, quod ad eam in passione confortandam ac ad eius animam suscipiendam fuit misericorditer inclinatus. Quisquis fueris, diligenter considera, quod si in te fuerit virginalis castitas et mundicia teque per iugem deucionem posueris in huius psitaci, id est Christi presencia, sine dubiotibi applaudens in Patris dextera te cum Agne beatissima et in sanctorum omnium gloria collocabit.1088
1087 Bildquelle: Douteil (Hrsg.), Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld, Band II, S. 570. 1088 Douteil (Hrsg.), Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld, Band I, S. 350 (Folio 166r [d]); Übersetzung Herbert Douteils (S. 351): ›Plinius, Jacobus und Solinus sagen: Der Papagei freut sich sehr am Anblick einer Jungfrau. Weil der Papagei ein sehr schöner Vogel ist, darum wird durch ihn zu Recht Christus bezeichnet, den man heute beglückwünschen muss beim Anblick der Jungfrau, d. h. der heiligen Agnes, und der durch ihr bereitwilliges Martyrium so wunderbar erfreut ist, dass er zu ihrer Stärkung im Leiden und zur Aufnahme ihrer Seele erbarmungsvoll geneigt gemacht wurde. Wer Du auch immer gewesen sein magst, betrachte sorgfältig: Wenn in Dir jungfräuliche
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Hier wird also nicht mehr die Laszivitätz – im Sinne eines ausschweifenden Lebenswandels – des Tiers als Grund für das Hinterherschauen genannt, sondern die Bewunderung, die der Papagei keuschen Jungfrauen entgegenbringe. Dem Vogel widerfährt damit – im Vergleich zu den Beschreibungen der beiden naturkundlichen Quellen – eine Aufwertung, die es ermöglicht, dass der Papagei in Ulrichs Allegorie Christus bezeichnet. Auch die Betonung der Schönheit des Tiers dient dazu, eine Vergleichbarkeit zum Sohn Gottes herzustellen (Quia avis pulcherrima est psitacus, ideo recte per eum desigantur Christus). Ein weiterer Unterschied zu den Papageien-Beschreibungen Vinzenz’ von Beauvais und Konrads von Megenberg ist darin zu sehen, dass in den Concordantiae caritatis nicht ausschließlich abstrakt von ›Jungfrauen‹ die Rede ist, sondern dass mit der heiligen Agnes ein konkretes Beispiel benannt wird. Bemerkenswert ist der letzte Satz, der die Verheißung enthält, der Papagei sorge dafür, dass keuschen Jungfrauen ein Platz zur Rechten Gottes und bei den Heiligen zugewiesen werde. Dies erinnert stark an die Verheißungen, die im Millstätter Reimphysiologus im Zusammenhang mit dem Panther geäußert werden.1089 Der Konzeptbestandteil, dass der Papagei oftmals mit schönen jungen Frauen in Verbindung gebracht wird, kommt auch innerhalb der Miniatur in Abb. 76 zum Ausdruck. Auch hier gibt die Überschrift über den dargestellten Bildinhalt oder – konkreter gesagt – über die Wünsche des Papageis Auskunft: Psitacus aspectum vult virginis esse dilectum.1090 Interessant erscheint weiterhin, dass der Papagei hier in einem goldenen Käfig abgebildet wird. Hierin zeigt sich einerseits die Vorstellung, dass Papageien-Käfige von einer gewissen Massivität sein müssen, damit das Tier die Gitterstäbe mit seinem harten Schnabel nicht durchbeißen kann. Zum anderen ist darin die Vorstellung von der besonderen Kostbarkeit einer solchen Voliere zu erkennen, die insbesondere innerhalb des literarischen Diskurses eine wichtige Rolle spielt.1091 Schließlich ist auch noch die Darstellung des Papageis innerhalb des Lilienfelder Vogelparlaments erwähnenswert (Abb. 77). Als einer von insgesamt 38 Vögeln (fol. 256v. und fol. 257r.) richtet der Papagei einen gut gemeinten Ratschlag an den König. Keuschheit und Reinheit waren und du dich durch unablässige Frömmigkeit in die Gegenwart dieses Papageis, d. h. Christi versetzt hast, so wird er Dir ohne Zweifel Beifall zollen und dich mit der seligsten Agnes zur Rechten des Vaters und in der Herrlichkeit aller Heiligen Platz nehmen lassen.‹ 1089 Vgl. dazu S. 164 der vorliegenden Arbeit. 1090 Übersetzung Herbert Douteils [Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld, Band I, S. 351; (fol. 166r[e]): ›Der Sittich wünscht sich, dass der Anblick der Jungfrau schön sei.‹ 1091 Auf diesen Aspekt werde ich innerhalb des Kapitels 2.2.3.4 Der literarische Diskurs noch genauer eingehen.
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Abb. 76: Papagei und schöne Jungfrau. Concordantiae caritatis, fol. 165v.1092
Abb. 77: Ausschnitt aus dem Lilienfelder Vogelparlament. Concordantiae caritatis, fol. 256v.1093 e
Dieser Ratschlag lautet: Herr hvtte dich var valschem rat, dez ist dvrft an aller stat. Herbert Douteil übersetzt dies sehr treffend mit ›Herr hüte Dich vor falschem Rat, das ist überall nötig‹.1094 Anhand der Darstellung des Papageis innerhalb des Vogelparlaments wird deutlich, dass das Tier im Vergleich zu den meisten anderen Vögeln einen deutlich gekrümmteren Schnabel aufweist (woran sich der Papagei insbesondere vom Eisvogel und von der Ente unterscheiden lässt, denn diese beiden sind ebenfalls mit einem grünem Federkleid abgebildet). Daran, dass der sitich dazu in der Lage ist, Ratschläge zu erteilen, zeigt sich die Vorstellung von der Klugheit des Tiers. Zugleich wird diese Vorstellung auch ein Stück weit relativiert, denn der Papagei ist hier bei weitem nicht der einzige Vogel, der über diese Intelligenz zu verfügen scheint. Auch das herausragendste Merkmal des Tiers, seine Sprachfähigkeit, wird relativiert, 1092 Bildquelle: Douteil (Hrsg.), Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld, Band II, S. 586 (Folio 165v.). 1093 Bildquelle: Douteil (Hrsg.), Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld, Band II, S. 682. 1094 Douteil, Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld, Band I, S. 531.
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denn alle Vögel tragen ein Spruchband in ihrem Schnabel – werden also als sprechende Vögel imaginiert. Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf die Concordantiae caritatis festhalten, dass anhand dieses Werks besonders eindrücklich zutage tritt, wie vielfältig mittelalterliche Bedeutungszuschreibung sein kann: Der Papagei kann Christus bezeichnen; darauf aufmerksam machen, dass Jesus auch den Sündern zugetan ist; auf die Reinheit und Keuschheit Marias, der heiligen Elisabeth und der heiligen Agnes verweisen; als kluger Ratgeber dargestellt werden und darüber hinaus noch ein Zeichen von Demut sein. Ein einziger Singnifikant wird hier von Ulrich von Lilienfeld also mit mindestens sechs Signifikaten belegt. Versucht man nun, die Überlegungen zur Typikalität der bildhaften Papageien-Darstellungen in einem Schaubild festzuhalten, so scheint es wichtig, außer den Miniaturen aus den Bestiarien und den Concordantiae caritatis auch die Kakadu-Abbildung aus Friedrichs De arte venandi cum avibus mit einzubeziehen (Abb. 55). Zwar sind Kakadus – sowohl was die mittelalterlichen Bildals auch Textquellen anbelagt – weitaus seltener vertreten als die grünen sittiche, dennoch besitzen zumindest äußerst gebildete mittelalterliche Autoren – wie etwa Felix Fabri – Kenntnis über die Existenz der weißen Papageien.1095 Auch die Ebstorfer Weltkarte zeigt einen Kakadu, der vor allem an seinem angedeuteten Kamm erkennbar ist (Abb. 78).
Abb. 78: Der Papagei auf der Ebstorfer Weltkarte (Bildausschnitt).1096 Entstehung 13. Jh.; 1943 zerstört.1097
1095 Auf Fabris Papageienbeschreibungen werde ich in Kapitel 2.2.3.5 Der kommerzielle Diskurs noch detaillierter eingehen. 1096 Bildquelle: http://www.landschaftsmuseum.de/Bilder/Ebstorf/Ebstorf-oben_Auschnitt-2. jpg. Zugriff am 05. 10. 2016 um 11:48 Uhr. 1097 http://www.uni-lueneburg.de/hyperimage/EbsKart/start.html. Zugriff am 05. 10. 2016 um 11:55 Uhr.
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Auch hier wird als Herkunftsland des Papageis Indien angegeben, wie anhand der oberhalb des Tiers angebrachten Beschriftung Psytacus avis Indie deutlich wird. Interessant ist weiterhin die folgende Überlegung Boehrers zur Position des Vogels auf der Karte, denn sie macht erneut darauf aufmerksam, welch enge Verbindung in der Wahrnehmung der mittelalterlichen Menschen zwischen dem Papagei und Christus bestand: The parrot appears immediately below and to the right of Christ’s head, its placement there marking not only the geographical location of India on this topsy-turvy map, but also the medieval belief that parrots are created in the earthly paradise.1098
Auf der Ebstorfer Weltkarte gestaltet sich die von Boehrer beschriebene ›geographische‹ – und damit auch gedankliche – Nähe wie folgt (Abb. 79):
Abb. 79: Der Papagei in unmittelbarer Nähe zum Haupt Christi und zum Paradies (Ausschnitt aus der Ebstorfer Weltkarte).1099
Es wird angenommen, dass der Kakadu Friedrichs II., der auch in De arte venandi cum avibus zu sehen ist, die Vorlage für das Exemplar bildete, das auf 1098 Boehrer, Parrot Culture, S. 31. 1099 Bildquelle: http://www.landschaftsmuseum.de/Bilder/Ebstorf/Ebstorf-ganz_33MB.jpg. Zugriff am 05. 10. 2016 um 13 :33 Uhr.
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der Ebstorfer Weltkarte dargestellt ist.1100 Insofern ist davon auszugehen, dass im Mittelalter nicht viele Kakadus nach Europa gelangten1101 – möglicherweise war Friedrichs Exemplar sogar das einzige. Aufgrund der Tatsache, dass er sowohl realhistorisch als auch in den Quellen weniger verbreitet war und ist als der grüne sittich, muss dem Kakadu auch innerhalb des Prototypen-Schaubilds eine peripherere Position zugedacht werden. Ein solches Schaubild könnte folgendermaßen aussehen:
Abb. 80: Der prototypische Papagei des Mittelalters.1102 In Analogie zu dem Prototypen-Schaubild Eleanor Roschs (Abb. 3), nehmen diejenigen Miniaturen die zentralste Position ein, die die meisten – in den mittelalterlichen Textquellen beschriebenen – Papageien-Merkmale aufweisen. 1100 Kinzelbach, Kaiser Friedrich II., S. 295f. 1101 Ebenda, S. 296. 1102 Anhand der Abbildungen 1; 2; 55; 67; 68; 69; 70; 71; 72; 73 und 74 der vorliegenden Arbeit
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Eine weitere Textquelle, die dem religiösen Diskurs zugerechnet werden kann, da in ihr der Papagei mit Maria verglichen wird, ist Die goldene Schmiede Konrads von Würzburg. In diesem Marienlob, das im 13. Jahrhundert entstanden ist, heißt es: 1850
1855
swie gar der wilde siticus grüen als ein gras erliuhte. er wirt doch selten fiuhte von regen noch von touwe. dem tete geliche, frouwe, din magetlich gemüete, daz von unkiuscher flüete nie wart genetzet hares groz. swie gar din herze wandels bloz in frischer jugende gruonte.1103
Zunächst fällt auf, dass hier von dem wilde[n] – also dem nicht domestizierten Siticus – die Rede ist. Für ein domestiziertes Tier würden Regen und Tau wohl auch weniger eine Gefahr darstellen, da davon ausgegangen werden kann, dass man denjenigen Papageien, die als Haustiere gehalten wurden, bei schlechter Witterung Zuflucht gewährte bzw. deren Käfige ins Trockene brachte. Interessant ist weiterhin, dass nicht nur Regenwasser, sondern auch Tau genannt wird. Konrad von Würzburg übernimmt an dieser Stelle also den Wortlaut der Bibel und vertritt damit zugleich eine Gegenmeinung zu Albertus Magnus, der davon ausgeht, nur Regenwasser stelle eine Gefahr für den Vogel dar – jegliche Art anderen Wassers sei jedoch unbedenklich.1104 In V. 1854 wird dann die Überleitung geschaffen zu Maria, die in ihrer jungfräulichen Unbeflecktheit so frei von Sünden ist wie der Siticus frei ist von Feuchtigkeit. Das tertium comparationis ist an dieser Stelle die Unbeflecktheit, die sowohl bei dem Tier als auch bei der Gottesmutter vorliege. Führt man diesen Vergleich noch etwas weiter, so kann der Regen, vor dem sich der Papagei laut der meisten mittelalterlichen Quellen hütet, als die Sünde ausgelegt werden. Weiterhin bemerkenswert ist Konrads Wortwahl in den V. 1858f., wenn er davon spricht, dass Marias beständiges Herz in frischer jugende gruonte. Hier wird offenbar ein Spiel mit dem semantischen Feld des mhd. Verbs gruonen eröffnet. Während gruonen in V. 1859 im Sinne von ›wachsen‹, ›gedeihen‹, ›in voller Pracht erstrahlen‹ Verwendung findet, scheint es zugleich auch auf die grüne
wird aufgezeigt, dass es ›typische‹ und ›weniger typische‹ mittelalterliche PapageienDarstellungen zu geben scheint. 1103 Konrad von Würzburg, Die goldene Schmiede. Hrsg. v. Edward Schröder. Göttingen 1969. 1104 Vgl. S. 306 der vorliegenden Arbeit.
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Farbe des Siticus zurückzuverweisen, denn über das Tier wurde bereits in V. 1851 gesagt, es leuchte grüen als ein gras.1105 Martin Ruch und Franz Huttner machen in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, die Farbe Grün werde in einigen mittelalterlichen Quellen auch als »Farbe der Engel« dargestellt.1106 Als Belege führen Ruch und Huttner zwei Textstellen aus den Predigten Meister Eckharts an.1107 Nimmt man tatsächlich grün als die Farbe der Engel an, so wirft dies möglicherweise auch ein etwas anderes Licht auf die Papageien-Textstelle in Boccaccios Decameron, auf die noch näher einzugehen sein wird. In Bezug auf den Siticus-Marien-Vergleich Konrads von Würzburg muss noch festgehalten werden, dass diese Textstelle große Wirkungsmacht entfaltete und in der Folgezeit besonders die bildene Kunst beeinflusste.1108 Ein weiterer Autor, der den Papagei mit Maria in Verbindung bringt, ist Franz von Retz.1109 Der Wiener Dominikanermönch greift in seinem zu Beginn des 15. Jahrhunderts entstandenen Werk Defensorium inviolatae virginitatis Mariae die dem Papagei zugeschriebene proprietas des AVE-Sagens auf und überformt sie, um eine Integration der Eigenschaft in den religiös-heilsgeschichtlichen Diskurs zu ermöglichen.1110 Da AVE das Palindrom zu EVA ist, weise der Papagei – indem er AVE sage – »auf die Typologie von Maria als neuer Eva« hin.1111 Auf diese Weise avanciert der Papagei also durch ein Palindrom zu einem mariologischen Symbol.1112 Eine weitere Bildquelle ist Jan van Eycks 1436 fertiggestelltes Ölgemäde Madonna des Joris van der Paele (Abb. 81).1113 Das auf Holz gemalte Bild ist mit einem Rahmen versehen, der folgende Inschrift trägt: Dieses Werk ließ Meister Joris van der Paele, Kanonikus dieser Kirche, von dem Maler Johannes van Eyck anfertigen; und er stiftete hier im Jahre 1434 zwei Kaplaneien, zugehörig zum Chor des Herrn; das Werk wurde jedoch im Jahre 1436 vollendet.1114 1105 Zur Bedeutung der Farbe grün im Mittelalter und insbesondere bei Konrad von Würzburg vgl. auch: Ruch/Huttner, Der grüne Strahl von Straßburg, S. 394. 1106 Ebenda. 1107 Ebenda. 1108 Heiser, Das Frühwerk Lucas Cranachs des Älteren, S. 117f.; Stadlober, Der Wald in der Malerei und der Graphik des Donaustils, S. 218. 1109 Stadlober, Der Wald in der Malerei und der Graphik des Donaustils, S. 218. 1110 Heiser, Das Frühwerk Lucas Cranachs des Älteren, S. 118. 1111 Ebenda. 1112 Mertin, Parrot – Zur Ikonographie des Religiösen VIII. Auf: https://www.theomag.de/82/ am435.htm. Zugriff am 10. 10. 2016 um 14:25 Uhr. 1113 Borchert et al., Katalog zu Jan van Eyck und seine Zeit, S. 234. 1114 Mertin, Parrot – Zur Ikonographie des Religiösen VIII. Auf: https://www.theomag.de/82/ am435.htm. Zugriff am 10. 10. 2016 um 14:16 Uhr.
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Abb. 81: Jan van Eyck, Madonna des Joris van der Paele. 1436. Brügge, Stedelijke Musea, Groeningemuseum.1115
Wie Andreas Mertin sehr treffend bemerkt, handelt es sich bei Jan Van Eycks Gemälde um »ein überaus symbolträchtiges und anspielungsreiches Bild«,1116 dessen komplexe Bedeutungszusammenhänge in der vorliegenden Arbeit nicht vollends herausgearbeitet und analysiert werden können. Der Fokus soll natürlich auch hier auf der Bedeutung des Papageis liegen, der sich zwischen den Händen des Jesuskinds und Marias befindet (Abb. 82). Die Ausführungen des nachfolgenden Abschnitts zur Interpretation des Gemäldes entnehme ich Mertins Aufsatz Parrot – Zur Ikonographie des Religiösen VIII.1117 Auch in Jan van Eycks Gemäldes wird der prototypische Papagei des Mittelalters, der Halsbandsittich, dargestellt. Er scheint – ebenso wie das Jesuskind – den in ein weißes Chorgewand gekleideten, knienden Mann in der rechten Bildhälfte anzuschauen. Bei diesem knienden Herrn, der ein Brevier und eine Brille in seinen Händen hält, handelt es sich um den Kanonikus Joris van der Paele – also den Auftraggeber des Gemäldes, der in der Rahmen-Inschrift na1115 Bildquelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/fd/Jan_van_Eyck_069. jpg. Zugriff am 10. 10. 2016 um 13:29 Uhr. 1116 Ebenda. 1117 Ebenda.
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mentlich genannt wird. Zu seiner Rechten ist der heilige Georg († 303), der Namenspatron des Kanonikus, zu sehen. Er ist offenbar gerade dabei, Van der Paele und das Jesuskind miteinander bekannt zu machen, was an der Haltung seiner linken Hand ersichtlich wird. Mit seiner rechten Hand hebt der Heilige indes seinen Helm zum Gruß. In der linken Bildhälfte ist – gegenüber von Van der Paele und dem heiligen Georg – der heilige Donatian abgebildet, der der Schutzpatron der Kirche ist.
Abb. 82: Ausschnitt aus Jan van Eyck, Madonna des Joris van der Paele. 1436. Brügge, Stedelijke Musea, Groeningemuseum.1118
Die dargestellte Szene bildet eine Vision Van der Paeles ab, innerhalb der sich der Kanonikus in seiner Brügger Stiftskirche befindet. Die Raumsituation wirkt dabei aber durchaus real. Hinter dieser realen Raumdarstellung könnte die Intention Van Eycks gestanden haben, dass der Kanonikus vor Ort, in seiner Kirche, beim Betrachten des Gemäldes die Möglichkeit haben sollte, sich gedanklich in eben genau diese Vision hineinzuversetzen. Besonders interessant sind die Auffälligkeiten in der Perspektivenkonstruktion, auf die Andreas Mertin in seinem Aufsatz hinweist. Die Fluchtlinien der Fliesen treffen sich nämlich alle in dem wohl wichtigsten Signifikanten des Gemäldes – dem Papagei (Abb. 83).
1118 Bildquelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/fd/Jan_van_Eyck_069. jpg. Zugriff am 11. 10. 2016 um14:46 Uhr.
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Abb. 83: Die auffällige Perspektivenkonstruktion richtet den Blick des Betrachters auf den Papagei in der Hand des Jesuskinds. Jan van Eyck, Madonna des Joris van der Paele. 1436. Brügge, Stedelijke Musea, Groeningemuseum.1119
In Abgrenzung zu Dirk de Vos hält Andreas Mertin es für fragwürdig, dass Jan van Eyck die Papageien-Textstelle aus Franz von Retz’ Defensorium inviolatae virginitatis Mariae kannte und den Papagei aus diesem Grund als mariologisches Symbol in Szene setzt.1120 Mertin geht stattdessen davon aus, dass Van Eyck mit der erweitereten Physiologus-Version vertraut war und deutet den Papagei wie folgt: 1119 Bildquelle: Mertin, Parrot – Zur Ikonographie des Religiösen VIII. Auf: https://www.theo mag.de/82/am435.htm. Zugriff am 12. 10. 2016 um 17:20 Uhr. Die weiß gekennzeichneten Fluchtlinien übernehme ich ebenfalls von Mertin. 1120 Mertin bezieht sich an dieser Stelle auf: Vos, Dirk de: Flämische Meister. Jan van Eyck, Rogier van der Weyden, Hans Memling. Köln 2002, S. 63–72.
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Der Papagei symbolisiert […] die Aufforderung an den Kanonikus, sich gemäß den Reden und dem Handeln der Apostel zu verhalten. Und in seiner Vision ist es Christus selbst, der diese symbolische Verpflichtung an ihn richtet. Hier, in »seiner« Kirche, die er im Bildhintergrund und natürlich um das Bild herum sieht, soll er die Imitatio Christi pflegen. Nachfolge ist das zentrale Stichwort und es wird durch den Papagei symbolisiert. Wenn man zudem bedenkt, dass van der Paele die Konzeption des Bildes zuvor mit Van Eyck abgesprochen hat, dann liegt in der Wahl des Papageis auch eine Selbstverpflichtung des Auftraggebers.1121
Dieser sehr durchdachten Interpretation Mertins möchte ich mich anschließen. Besonders bemerkenswert ist die Feststellung, dass es auch hier um Nachfolge geht – ein Thema, das bereits bei der Analyse der mittelalterlichen Pantherdarstellungen immer wieder eine Rolle spielte.1122 Führen also sowohl der Panther als auch der Papagei ins Himmelreich? Man ist versucht, dies mit »ja« zu beantworten. Es muss jedoch festgehalten werden, dass beide dies auf eine unterschiedliche, ihnen jeweils ganz eigene Weise tun, wobei die spezifischen proprietates beider Tiere funktionalisiert werden. Der Panther lockt mit seinem süßen Atem die Tiere an, damit sie ihm ebenso folgen wie gläubige Christen dem Wort Gottes folgen sollten. Der Papagei hingegen stellt – als Inbegriff von Sprechen, Sprache und Nachahmung – ein Exempel dafür dar, wie gläubige Christen die Stimmen der Apostel nachahmen sollten. Solchermaßen konnten beide Tiere für mittelalterliche Menschen eine Orientierungshilfe darstellen, wie ein Ordo-konformes Leben auszusehen hat. Zugleich zeigt sich anhand dieser beiden Beispiele einmal mehr, wie das mittelalterliche Welterklärungsmodell funktioniert: Entweder man beobachtet an einem Tier besondere Eigenschaften, bringt diese mit der christlichen Glaubenslehre in Verbindung und versucht, daraus den Willen Gottes abzuleiten (wie im Falle des Papageis) oder aber antike Wissensbestandteile werden aufgegriffen und semantisch angereichert, sodass eine religiös-heilsgeschichtliche Exegese möglich wird. Die zweite Option bietet sich insbesondere dann an, wenn man keine proprietates an dem Tier feststellen kann, weil man es vielleicht niemals in natura gesehen hat (wie dies beim Panther der Fall gewesen sein dürfte). Wichtig ist dabei aber, dass die semantische Anreicherung der tradierten Wissensbestandteile mit großer Wahrscheinlichkeit nicht bewusst von der Intention getragen war, eine ›Allegorese-Kompatibilität‹ des Tiers herzustellen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass klerikal geprägte Denkmuster dazu führten, dass die Menschen die Wirklichkeit anders wahrnahmen.1123 1121 Mertin, Parrot – Zur Ikonographie des Religiösen VIII. Auf: https://www.theomag.de/82/ am435.htm. Zugriff am 11. 10. 2016 um 17:21 Uhr. Die Ergänzung und die Hervorhebung durch Fettdruck wurden von mir vorgenommen. 1122 Vgl. dazu insbesondere das Panther-Kapitel 2.1.3.2 Der religiös-heilsgeschichtliche Diskurs. 1123 Vgl. dazu auch: Mühlenfeld, Die ›jungfräuliche‹ Barnikelgans – Klerikal geprägte Denkmuster und ihr Einfluss auf die Wahrnehmung fremder Wasservögel, S. 542–556.
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Das Gemälde Jan van Eycks ist nicht die einzige bildhafte Darstellung, die Maria gemeinsam mit dem Jesuskind und einem Papagei abbildet – aber vielleicht die anspielungsreichste. Des Weiteren ist die Mariendarstellung im Liber visionum des Johannis de Moriginato zu nennen (V. 1. H. 154, Universitätsbibliothek Salzburg M I 24, Folio 77v.) (Abb. 84).1124 In dem 1410 entstandenen Werk ist der Papagei ebenfalls in seiner Rolle als mariologisches Symboltier abgebildet.1125 Er sitzt auf einem goldenen Palmwedel, der sich in der rechten Hand der heiligen Jungfrau befindet. Auf ihrem linken Arm hält Maria das Jesuskind, das offenbar zu dem etwas erhöht sitzenden Vogel aufblickt. Fraglich bleibt, ob Johannis de Moriginato die in etwa zeitgleich entstandene Papageien-Textstelle in Franz von Retz Defensorium inviolatae virginitatis Mariae kannte und ob die Miniatur zum Ausdruck bringen soll, Maria sei die neue Eva. Diese Möglichkeit halte ich für unwahrscheinlich. Mir scheint, dass der Papagei dadurch, dass man ihn als reines und unbeflecktes Tier wahrnahm, zwar sehr gut in der Nähe Marias abgebildet werden konnte, dass er im Liber visionum aber auch zu einem gewissen Grad austauschbar ist – austauschbar durch andere Tiere, denen eine ähnlich positive religiös-heilsgeschichtliche Bedeutung zugeschrieben wurde. Dies zeigt sich beispielsweise anhand von Abb. 85, die in Bezug auf die Bildkomposition große Ähnlichkeit zu Abb. 84 aufweist. In Abb. 85 ist es kein Papagei, sondern ein Pelikan (mitsamt seinen Jungen), den Maria bei sich trägt. Vom Pelikan, dem auch ein Kapitel im Physiologus gewidmet ist, dachte man, das Tier opfere sich für seine totgeglaubten Jungen, indem es sie mit dem Blut aus seinem Hals wieder zum Leben erwecke. Bezieht man diese Wissensbestandteile nun auf die Miniaturen der Abbildungen 84 und 85, so ergeben sich im Hinblick auf die Exegese signifikante Unterschiede. Während in Abb. 84 durch den Papagei die Reinheit und Unbeflecktheit der heiligen Jungfrau betont wird, liegt der Fokus in Abb. 85 eher auf dem Jesuskind, da Jesus zur Errettung der Menschen sein Blut gegeben hat – ebenso wie der Pelikan für seine Jungtiere. Die unterschiedlichen Vögel führen also zu unterschiedlichen Bildaussagen. Dennoch ist beiden gemeinsam, dass sie edel und rein genug sind, um gemeinsam mit Maria und Jesus abgebildet zu werden. Eine Darstellung, in der Maria an Stelle des Papageis oder des Pelikans ein kleines Krokodil auf dem Arm hält, scheint hingegen ausgeschlossen, da dieses Tier in den meisten Fällen ad malam partem ausgelegt wird.1126 1124 http ://www.ubs.sbg.ac.at/sosa/handschriften/mI24.htm. Zugriff am 13. 10. 2016 um 12:26 Uhr. 1125 Ebenda. 1126 Eine Ausnahme bilden hier lediglich die Krokodil-Darstellungen in den Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld. Vgl. dazu: Douteil (Hrgs.), Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld, Band I, S. 420 (fol. 201r [d]).
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Abb. 84: Johannis de Moriginato, Liber visionum, V. 1. H. 154, Universitätsbibliothek Salzburg M I 24. Folio 77v. Entstanden 1410.1127
Abb. 85: Johannis de Moriginato, Liber visionum, V. 1. H. 154, Universitätsbibliothek Salzburg M I 24. Folio 79r. Entstanden 1410.1128
1127 Bildquelle: http ://www.ubs.sbg.ac.at/sosa/handschriften/mI24.htm. Zugriff am 17. 10. 2016 um 11:30 Uhr. 1128 Bildquelle: http ://www.ubs.sbg.ac.at/sosa/handschriften/mI24.htm. Zugriff am 17. 10. 2016 um 11:31 Uhr.
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Von den bildhaften Papageien-Darstellungen, die in der Folgezeit entstanden,1129 sei noch Martin Schongauers Madonna und Kind mit Papagei genannt (Abb. 86).
Abb. 86: Martin Schongauer, Madonna mit Kind und Papagei. Entstanden zwischen 1470 und 1475.1130 Mus8e Unterlinden, Colmar.1131
Mertin macht darauf aufmerksam, der zwischen 1470 und 1475 entstandene Kupferstich stehe in einer Darstellungstradition, deren Beginn bereits knapp 40 Jahre zuvor anzusetzen sei.1132 Während in den früheren Versionen jedoch stets zu sehen sei, wie das Jesuskind in Marias Buch blättere oder Seiten daraus 1129 Frank Büttner und Andrea Gottdank nennen weiterhin Hans Baldung Griens Madonna mit den Papageien (1533), Paolo Veroneses Gastmahl im Hause des Levi (1573) und den von einem Niederrheinischen Meister geschaffenen Liebeszauber (um 1480). Vgl.: Büttner/Gottdank, Einführung in die Ikonographie, S. 132. 1130 Mertin, Parrot – Zur Ikonographie des Religiösen VIII. Auf: https://www.theomag.de/82/ am435.htm. Zugriff am 17. 10. 2016 um 13:07 Uhr. 1131 Bildquelle: Kupferstich: Martin Schongauer, Madonna mit Kind und Papagei. Staatliche Kunstsammlungen Dresden.. 1132 MERTIN, Parrot – Zur Ikonographie des Religiösen VIII. Auf: https://www.theomag.de/ 82/am435.htm. Zugriff am 17. 10. 2016 um 13:07 Uhr. Als weitere Versionen dieses Bildtyps – die jedoch keinen Papagei aufweisen – nennt Mertin Werke Jan van Eycks (1433), R. van Weydens (1440), Hans Memlings (1485), Pedro Berruguetes (1490), zwei Gemälde unbekannter flämischer Meister (beide 1490) sowie ein Werk Quentin Massys‹ (1495) und eines Bernaerts van Orley (1515).
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zerreiße, gelte seine Aufmerksamkeit in Schongauers Werk ganz dem Papagei.1133 Hier zeigt sich, was auch bereits anhand des Liber visionum deutlich wurde: Das Tier kann zwar mit Maria und Jesus abgebildet werden, wodurch dann eine bestimmte Bedeutungskomponente des Bildes betont wird. Andererseits ist der Papagei aber auch ein ›dekoratives Element‹ und als solches austauschbar, was die anderen Versionen dieses Bildtyps belegen. Nachdem die bisherige Analyse gezeigt hat, dass der Papagei sowohl mit Maria als auch mit Jesus und den Aposteln in Verbindung gebracht wurde, ist noch auf die realgeschichtlich belegte päpstliche Papageienhaltung im Vatikan einzugehen. Im Palast des Papstes existiert ein Saal, der den Namen Camera Papagalli trägt und der die kunsthistorische Forschung über einen langen Zeitraum hinweg vor eine ganze Reihe an Fragen stellte.1134 Die Camera Papagalli, die man während der Pontifikate Calixt’ III. und Pius’ II. mit Fresken ausstattete, wurde in früherer Zeit – bevor die Malereien unter Nicolaus III. entstanden – von dem Bild eines grünen Papageis mit rotem Halsband geschmückt.1135 Das Fresko eines prototypischen Papageis also – auch im Vatikan. Eine der Fragen, die im Rahmen von kunsthistorischen wie auch kulturhistorischen Untersuchungen immer wieder aufgeworfen wurden, ist, woher der Name Camera Papagalli kommt. Eine Möglichkeit ist, dass der Name sich von der beschriebenen Raumdekoration – dem vatikanischen Papageien-Fresko – ableitet.1136 Gegen diese Theorie spricht jedoch, dass sich im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit zahlreiche Kardinäle und Patrizier – auch außerhalb des Vatikans – einen als ›Camera Papagalli‹ bezeichneten Saal anlegten.1137 Hermann Diener stellt in seinem 1967 erschienenen Aufsatz die Überlegung an, dass der Raum möglicherweise der Papageienhaltung gedient haben könnte, was bedeuten würde, dass der Name von der Funktion abgeleitet ist.1138 Tristan Weddigen spricht sich implizit gegen diese Theorie aus, wenn er schreibt: 1133 Ebenda. 1134 Da auf die Camera Papagalli in der vorliegenden Arbeit nur ganz kursorisch eingegangen werden kann, sei auf folgende Arbeiten verwiesen: Diener, Hermann: Die »Camera Papagalli« im Palast des Papstes – Papageien als Hausgenossen der Päpste, Könige und Fürsten des Mittelalters und der Renaissance. In: Archiv für Kulturgeschichte. Bd. 49 (1967), S. 43–97. Auf: https://www.degruyter.com/downloadpdf/j/akg.1967.49.issue-jg/ akg-1967-jg03/akg-1967-jg03.xml. Zugriff am 17. 10. 2016 um 14:24 Uhr ; Poeschel, Sabine: »est un tresbeau logis«. Die Bedeutung der Wandmalerei in den Papstresidenzen des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit. Stuttgart 2001. Auf: https://www.deutsche-digita le-bibliothek.de/item/2MP37ZKIGYT5E7PRR2WE2NQZYIBVYSVO. Zugriff am 17. 10. 2016 um 14:16 Uhr ; Weddigen, Tristan: Raffaels Papageienzimmer – Ritual, Raumfunktion und Dekoration im Vatikanpalast der Renaissance. Berlin 2006. 1135 Diener, Die »Camera Papagalli« im Palast des Papstes, S. 57. 1136 Ebenda. 1137 Ebenda, S. 57–61. 1138 Ebenda, S. 61.
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Bei der Einrichtung einer Camera Papagalli einerseits und bei der Papageienhaltung andererseits handelt es sich um zwei relativ konstante, allerdings bloß parallele Phänomene, die die kunsthistorische Forschung miteinander kausal zu verknüpfen pflegt.1139
Damit bleibt die Frage nach der Herkunft des Namens weiterhin unbeantwortet. Weiterhin stellt sich die Frage, inwiefern die Lage des Zimmers innerhalb des Papstpalasts von Bedeutung sein könnte bzw. ob sie Aufschluss darüber bietet, wozu die Camera Papagalli genutzt wurde, wenn darin eben gerade keine Papageien gehalten wurden. Hierzu schreibt Ursula Lehmann: In allen während des 15. Jahrhunderts oft wechselnden Residenzen der Päpste befand sich eine Camera Papagalli. Diese bildete zusammen mit dem Schlafzimmer (cubiculum), der Privatkapelle (capella secreta), und dem Paramentenzimmer (prima camera paramenti) offenbar den Kern jeder Papstwohnung und wurde deshalb an jedem Aufenthaltsort des Papstes eingerichtet.1140
Weddigen hält insbesondere zwei Nutzungsweisen des Papageienzimmers für wahrscheinlich. Zum einen sei davon auszugehen, dass darin die Praeparatio ad missam pontificalem stattfand, das Zeremoniell, bei dem der päpstliche Ornat an- und abgelegt wurde – zeitlich angrenzend an eine Messe, bei der der Papst zwar zugegen war, die er jedoch nicht selbst abhielt.1141 Zum anderen habe man sich dort zum Consistorium secretum eingefunden, der Versammlung der Kardinäle, bei der nicht ausschließlich kirchenpolitische Fragen diskutiert wurden, sondern auch Entscheidungen über die Benefizien-Vergabe getroffen wurden.1142 Im Hinblick auf das mittelalterliche Papageienkonzept ist die Camera Papagalli aus vier Gründen von großer Bedeutung: 1. belegt sie ein weiteres Mal, dass der Halsbandsittich der prototypische Papagei des Mittelalters ist; 2. dient sie als Beleg dafür, dass man den ›exotischen‹ Vogel offenbar für etwas Besonderes hielt, denn man wählte ihn als Motiv zur Dekoration eines besonderen Raumes aus, der direkt an die Privatgemächer des Papstes angrenzt; 3. ruft sie in Erinnerung, dass im Papstpalast realhistorsich tatsächlich Papageien gehalten wurden, auch wenn man – in Abgrenzung zu Diener – nicht vermutet, dass der Raum als Aufenthaltsort dieser ›päpstlichen Haustiere‹ fungierte.1143 1139 Weddigen, Raffaels Papageienzimmer, S. 61. 1140 Lehmann, Rezension zu Weddigen, Tristan: Raffaels Papageienzimmer. Auf: http://www. hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-10067. Zugriff am 18. 10. 2016 um 12:36 Uhr. 1141 Weddigen, Raffaels Papageienzimmer, S. 79. 1142 Ebenda, S. 133. 1143 Diener, Die »Camera Papagalli« im Palast des Papstes, S. 62. Diener macht darauf aufmerksam, dass über die Kosten für die Papageienanschaffung und -haltung im Vatikan Buch geführt wurde. So lässt sich anhand der getätigten Ausgaben in etwa datieren, in
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
4. unterstützt sie den Assoziationszusammenhang zwischen Papst und Papagei, den vermutlich zumindest ein Teil der mittelalterlichen Bevölkerung herstellen konnte, da die Päpste ihre gefiederten Haustiere auch mit auf Reisen nahmen und folglich mit ihnen gesehen werden konnten. Eine weitere Textquelle, die mit gutem Grund ebenso unter Kapitel 2.2.3.4 Der literarische Diskurs behandelt werden könnte, stellt die 10. Novelle des 6. Tages in Boccaccios Decameron dar. Für eine Thematisierung der Textstelle in Kapitel 2.2.3.4 würde sprechen, dass die Erzählung ganz offensichtlich darauf ausgerichtet ist, die delectare-Funktion zu erfüllen und dass das Decameron in einer literarhistorischen Tradition mittelalterlicher Kurzerzählungen steht. Der Inhalt der Novelle lässt es jedoch zu, dass sie bereits an dieser Stelle besprochen wird, denn in ihr wird der Erzengel Gabriel in einem Atemzug mit einer Papageienfeder genannt. Anhand dieser Textstelle zeigt sich ein weiteres Mal, wie die von Link postulierte Diskursintegration und Diskursmischung funktioniert. Eine genuin religiöse Thematik, die spezifisch religiös-heilsgeschichtliche Wissensbestandteile transportiert, wird in einen literarischen Text inkorporiert und dabei diskursiv überformt. Textgrundlage der nachfolgenden Analyse soll die fnhd. Decameron-Übersetzung Arigos sein, die um 1471 in Ulm erschien und seit 1860 in einer Edition Adelbert von Kellers vorliegt.1144 o Die Novelle erzählt von bruder Czwifell (bei Boccaccio ›Frate Cipolla‹ genannt), einem äußerst redegewandten und listigen Mönch des Antoniterordens, der jedes Jahr die Ortschaft Certaldo aufsucht, um dort Almosen zu sammeln. Um die Spendenfreudigkeit der Bevölkerung anzukurbeln, lässt er verlautbaren, er sei im Besitz einer besonders kostbaren Reliquie: o
[…] vnd darumb das ir des guten herren sant Antoni also andächtig seit, will ich euch o vmb seinen willen besunder genad tun vnd geben vnd will euch ein wirdig heyliges heyligtumb weisen vnd sehen lassen. Das ich selbes über mere von dem heyligen land Iherusalem bracht hab das ist eyn feder des heyligen erczengels sant Gabriel die in o vnser lieben frawen kamern czu Nazaret beleyb do er ir die potschafte von hymel bracht […] (S. 401, Z. 13–20)
Bei diesem wirdig heyligen heyligtumb (man beachte die doppelte Kenntlichmachung der Heiligkeit!) handelt es sich in Wahrheit um eine Papageienfeder, die Cwzifell noch am selben Nachmittag, während der Messe, den Augen der welchem Zeitraum die Tiere im Umfeld des Papstes lebten. Als gesichert kann die Papageienhaltung unter den Päpsten Johannes XXII.; Clemens VI.; Innocenz VI.; Urban V und Gregor XI. gelten. 1144 Brockmeier, Kommentar zu: Giovanni Boccaccio, Das Decameron, S. 853; Im Folgenden zitiere ich aus: Arigo, Decameron von Heinrich Steinhöwel. Hrsg. v. Adelbert von Keller. Stuttgart 1860, S. 399–407.
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Papagei
Öffentlichkeit zu präsentieren gedenkt. Zwei junge Burschen aus der Dorfgemeinschaft, die die öffentliche Ankündigung der Reliquienpräsentation mitangehört haben, beschließen, dem Kleriker einen Streich zu spielen und ihm die Feder des Erzengels heimlich zu entwenden. Der Erzähler weist explizit darauf hin, dass beide zwar keine Vorstellung vom Aussehen der Feder besitzen, sich aber dennoch auf die Suche nach der Reliquie begeben wollen, ›wie auch immer o diese aussehe‹ (S. 491, Z. 32: nach der federn suchen, vnnd die nämen wie die wär). Da Czifells fauler, dummer und sittenloser Kammerdiener, der mit der Bewachung der Feder beauftragt ist, seinen Pflichten nicht nachkommt und stattdessen lieber dem fetten, hässlichen Mädchen der Herberge nachsteigt, haben die beiden jungen Certaldeser leichtes Spiel: o
des beyd gesellen wol zemut waren vnd on alle müe in münch Zwifell kamern kamen die o sy vngespert vnd offen funden vnnd das erst das in zu handen kame das heyligtumb ze o suchen das was der watsack darinne die federn was den sy offen vnnd die federn die o von eynem sittich was in eynem seyden tuch verwickelt funden in einem kleynen kästlein die sy on zweifel meynten die wär die er dem volck zeweisen versprochen het, o vnd für war er czu der czeit das volck das do grob was mit kleiner müe het gelauben machen daz es sant Gabrielo federn gewesen wär, dann von sittich nyemer heten o hören sagen noch gesehen heten do bei einfältig waren, darumb bruder Zwifell vnder o in gut predigen het. (S. 403, Z. 13–22)
Die beiden dringen also in die Kammer ein und finden die Reisetasche des Mönchs. In dieser ist ein kleines, in ein Seidentuch eingeschlagenes, Kästchen, in dem sich wiederum die Feder befindet. Diese aufwendige Form der Aufbewahrung scheint zunächst ein weiteres Indiz für den immensen Wert und die Kostbarkeit der Reliquie darzustellen, jedoch wird der Rezipient hier zum ersten Mal darüber in Kenntnis gesetzt, dass es sich ›nur‹ um eine Papageienfeder handelt (S. 403, Z. 15f.: die federn die von eynem sittich was). Damit erhält der Rezipient Informationen vom Erzähler, über die die handelnden Figuren nicht verfügen, denn Iohann und Blasi, die beiden jungen Dorfburschen, sind sofort fest davon überzeugt, es handle sich tatsächlich um die angekündigte Feder – also die des Erzengels Gabriel (S. 403, Z. 17 on zweifel). Durch diesen Wissensvorsprung, den der Rezipient gegenüber den beiden tölpisch wirkenden Dorfbewohnern hat, entsteht eine Komik, die bis zum Ende der Novelle aufrecht erhalten wird. In den darauffolgenden Zeilen kürzt Arigo Boccaccios Novelle um einige Informationen, die zur Erschließung des Papageien-Konzepts eigentlich von Bedeutung wären. Boccaccios Fassung gibt noch etwas genauer Auskunft über die Herkunft von Papageien, denn der Erzähler der italienischen Fassung erklärt, die Tiere seien zu jener Zeit nur in geringer Stückzahl aus Ägypten in die Toskana importiert worden und erst in späterer Zeit habe man sie massenhaft
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nach Italien gebracht.1145 Wie anhand des oben angeführten Arigo-Zitats deutlich wird, fehlen diese Ausführungen in der fnhd. Übersetzung, was darauf zurückzuführen sein könnte, dass Arigo versuchte, ›sein‹ Decameron an den neuen deutschsprachigen Rezipientenkreis anzupassen. Möglicherweise beabsichtigte er, dass seine Rezipienten sich die Handlung der Novelle nicht weit entfernt – in der Toskana – imaginierten, sondern zu Hause, in den jeweiligen deutschsprachigen Gebieten. Nach dieser Auslassung Arigos folgt die fnhd. Übersetzung wieder sehr dicht o der italienischen Vorlage und der Rezipient erfährt, warum es für bruder Czwifell ein Leichtes ist, die Certaldeser glauben zu machen, er sei im Besitz einer Feder des Erzengels: Die Dorfbewohner sind grobschlächtig und einfältig und haben außerdem nie zuvor von einer Papageienfeder gehört geschweige denn eine solche gesehen. An dieser Stelle wird nicht nur explizit über den Wissensstand der italienischen Dorfbevölkerung informiert; vielmehr kommt hier auch implizit die Vertrautheit des Autors mit den fremden Tieren zu Ausdruck. Boccaccio – und in Folge auch Arigo – gehen offenbar davon aus, dass ihr Rezipientenkreis mit Papageien ebenso vertraut ist wie sie selbst, denn andernfalls würde hier die Komik – die aus einem Wissensvorsprung und einem Überlegenheitsgefühl des Rezipienten resultiert – überhaupt nicht zustandekommen. Interessant erscheint die Frage, warum sich Boccaccio gerade für eine Papageienfeder entschieden hat. Der Aspekt, dass die Certaldeser niemals einen solchen Vogel zu Gesicht bekommen haben, scheint hier nur einer der Gründe 1145 Boccaccio, Decameron (Edition Giulio Einaudi 1980), S. 766f.: […] la prima cosa che venne lor presa per cercare fu la bisaccia nella quale era la penna; la quale aperta, trovarono in un gran viluppo di zendado fasciata una piccola cassettina; la quale aperta, trovarono in essa una penna di quelle della coda d’un pappagallo, la quale avvisarono dovere esser quella che egli promessa avea di monstrare a’ certaldesi. E certo egli il poteva a quei tempi leggiermente far credere, per cik che ancora non erano le morbidezze d’Egitto, se non in piccola quantit/, trapassate in Toscana, come poi in grandissima copia con disfacimento di tutta Italia son trapassate: e dove che elle poco conosciute fossero, in quella contrada quasi in niente erano dagli abitanti sapute; anzi, durandovi ancora la rozza onest/ degli antichi, non che veduti avessero pappagalli ma di gran lunga la maggior parte mai uditi non gli avea ricordare. Übersetzung Peter Brockmeiers (Boccaccio, Das Decameron. Aus dem Italienischen übersetzt, mit Kommentar und Nachwort von Peter Brockmeier, S. 514): ›Das erste, was ihnen in die Hände fiel, war die Tasche mit der Feder ; sie öffneten sie und entdeckten eine kleine Schachtel, die in ein Seidentuch eingewickelt war; sie öffneten die Schachtel und fanden darin eine Feder, die aussah wie ein Papageienschwanz – das musste sie sein, die er den Gläubigen von Certaldo zu zeigen versprochen hatte. Und gewiss konnte er das zu jener Zeit noch leicht glauben machen, weil die feinen Dinge aus Ägypten nur in kleinen Mengen bis in die Toskana gekommen waren; später strömten sie in Hülle und Fülle ein und korrumpierten Italien. Wenn sie auch hier und da ein wenig bekannt waren, so kannten die Einwohner jenes Landstriches sie überhaupt noch nicht; im Gegenteil, wo noch die rauhe Tugend der Alten herrschte, hatten die aller meisten Bewohner weder Papageien gesehen noch je davon reden hören.‹
Papagei
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für die Wahl des Vogels zu sein. Wenn Fremdheit das einzige Argument für den sittich gewesen wäre, so hätte man Czwifell ebensogut die Feder eines Strauß oder eines Flamingos für die des Erzengels Gabriel ausgeben lassen können. Es scheint, dass ein spezifischer Bedeutungsüberschuss existiert, der gerade die Papageienfeder für die Integration in die Novelle besonders attraktiv erscheinen lässt. Zunächst fällt auf, dass über die Farbe der Feder keinerlei Angaben gemacht werden. Nimmt man jedoch an, dass auch Boccaccio beim Verfassen des Decameron den prototypischen Papagei vor seinem inneren Auge hatte, so würde es sich um eine grüne Feder handeln, die für die des Erzengels Gabriel ausgegeben wird. Betrachtet man nun mittelalterliche Darstellungen wie beispielsweise die des Heisterbacher Altars (Abb. 87) oder Die Verkündigung Jan van Eycks (Bildausschnitt in Abb. 88), so wird deutlich, dass der Erzengel tatsächlich zuweilen mit grünen oder regenbogenfarbenen Flügeln dargestellt wird.
Abb. 87: Ausschnitt aus dem Heisterbacher Altar.1146 Meister des Heisterberger Altars. Entstanden um 1440.1147
1146 Bildquelle: https://www.sammlung.pinakothek.de/en/artist/meister-des-heisterbacher-al tars/heisterbacher-altar-verkuendigung-an-maria. Zugriff am 10. 05. 2017 um 11:17 Uhr. 1147 https://www.sammlung.pinakothek.de/en/artist/meister-des-heisterbacher-altars/heister bacher-altar-verkuendigung-an-maria. Zugriff am 10. 05. 2017 um 11:12 Uhr.
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Abb. 88: Ausschnitt aus »Die Verkündigung«.1148 Jan van Eyck. Entstanden um 1435/36.1149 National Gallery of Art, Washington.
Auch wenn diese beiden bildhaften Darstellungen erst ca. 100 Jahre nach dem Decameron entstanden, könnte man überlegen, ob die Vorstellung, der Erzengel besitze bunte bzw. grüne Flügel, nicht möglicherweise bereits zu Boccaccios Lebzeiten existierte. Schon im Werk Meister Eckharts lassen sich Anhaltspunkte dafür finden, dass Engel gedanklich mit der Farbe grün in Verbindung gebracht wurden.1150 1148 Bildquelle: Ausschnitt aus Die Verkündigung von Jan van Eyck. National Gallery of Art, Washington D.C. Auf: https://images.nga.gov/en/search/do_quick_search.html?q=Eyk k+Annunciation. Zugriff am 15. 10. 2018 um 17:40 Uhr. 1149 http ://blog.staedelmuseum.de/meisterwerke-des-staedel-van-eycks-lucca-madonna/. Zugriff am 24. 10. 2016 um 10:30 Uhr. 1150 Ruch/Huttner, Der grüne Strahl von Straßburg, S. 394. Ruch und Huttner zitieren in ihrem Aufsatz mehrere Stellen aus Meister Eckharts Predigten, um ihre These bezüglich der gedanklichen Verbindung zwischen der Farbe grün und den Engeln zu belegen. Unter anderem weisen die beiden auf die folgenden Aussagen Eckharts hin: »Die Meister sagen,
Papagei
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Geht man davon aus, dass derlei Assoziationen auch Boccaccio nicht unbekannt waren, so ließe sich die Wahl des Papageis im Decameron mit dem mittelalterlichen Erzengel-Konzept begründen. Ein zweiter – möglicherweise noch gewichtigerer – Grund für Boccaccios Wahl ist auf inhaltlicher Ebene zu finden, denn der Papagei ist das Tier, das wohl o die meisten Gemeinsamkeiten mit bruder Czwifell besitzt. So wird der Antonitermönch etwa gleich zu Beginn der Novelle in Arigos Übersetzung wie folgt beschrieben: Nun was münch Zwifell von leib gar eyn kleyn man on alle lere und kunst, doch dobei o der schnellest reder vnnd guter schwenke aller welt, vnd vmb soliches seines behenden reden willen wer sein kuntschaffte nicht gehabt oder gekant het nit alleyn gelaubet het er eyn grosser lerer vnd retorico wär sunder in Tulio oder Quintiliano selbs gemeynet heten er gewesen wär […]. (S. 400, Z. 26–32)
Der Protagonist ist also nicht sonderlich gebildet (on alle lere und kunst), dafür o aber rhetorisch überaus geschickt (schnellest reder vnnd guter schwenke), sodass er in einem Atemzug mit Rhetorikmeistern wie Cicero und Quintilian genannt werden kann. Diese Eigenschaften erinnern stark an die proprietates des Papageis, denn auch von ihm wird in den meisten Quellen berichtet, er besitze großes Sprachtalent. Die Vorstellung, dass der Vogel nicht ausschließlich nachahmt, sondern eigene Worte hervorbringt, setzt erst mit Martials Epigramm XIV, 73 ein. Durch die hochfrequente mittelalterliche Martial-Rezeption wird das selbstständige, sinnvolle Sprechen jedoch zu einem festen Bestandteil des Papageien-Konzepts. Insofern ist möglicherweise auch hier eine Gemeino samkeit zwischen bruder Czwifell und dem sittich gegeben. Beide sind wahre ›Schwätzer‹, die sich bestens auf die ausdrucksseitige Komponente ihrer Rede verstehen, die ihr Auditorium aber – was den Inhalt der Rede anbelangt – auf geschickte Weise täuschen. Darüber hinaus ist zu überlegen, ob mit der listigen Handlungsklugheit des Mönchs eine weitere Papageien-Eigenschaft realisiert ist. In dem Moment, in dem Czwifells Reliquienschwindel aufgedeckt zu werden droht, wird deutlich, dass sich unter der ersten Lügen-Schicht des Klerikers eine zweite Schicht an Unwahrheiten befindet. Insofern könnte man ›Czifell‹ (nhd. Zwiebel) durchaus als sprechenden Namen begreifen: Es ist beinahe unmöglich, den Mönch dass die gelbe und die grüne Farbe im Regenbogen so gleichmäßig aneinander anschließen, dass kein Auge die scharfe Sicht besitze, den Übergang wahrzunehmen; so gleichmäßig wirkt Natur und gleicht damit dem ersten Ausbruch, dem die Engel gleichen […] Es sagt ein hoher Meister, der oberste Engel der Geister sei so nahe dem ersten Ausbruch und habe in sich so viel von göttlicher Gleichheit und göttlicher Macht, dass er diese ganze Welt und dazu alle die Engel, die unter ihm sind, geschaffen habe«. Ruch und Huttner zitieren hier: Meister Eckhart: Predigt Adolescens, tibi dico: surge. In: Deutsche Predigten und Traktate. Hrsg. v. Josef Quint. München 1985, S. 233–234.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
bloßzustellen, denn ebenso wie eine Zwiebel zahlreiche Häute aufweist, verfügt der Antoniter über mehrere Schichten an Schwindeleien. Auf den besonderen Namen des Mönchs wird auch zu Beginn der Erzählung explizit aufmerksam gemacht, denn dort heißt es: o
Vnnd vnder andern münchen ir einer gar vil dar kam der was mit namen genant bruder Czifell, der vileicht nit mynder vmb seines seltsamen namen willen geren do gesehen was als vmb seiner heyligkeit willen dann das ertrich vmb die selben stat machet die schönsten vnd grösten zwifell aller welt auch der stat wapen eyn zwifell ist vnd die in irem schilt füren. (S. 400, Z. 21–26)
Czwifell ist in dem kleinen Ort Certaldo also ein Sympathieträger der Bevölkerung; zum einen aufgrund seines Namens und zum anderen aufgrund seiner heyligkeit. Fraglich ist, ob mit dieser heyligkeit – die hier wohl am ehesten mit ›Frömmigkeit‹ übersetzt werden kann – nicht eine gewisse Ironie mitschwingt, denn wahre Frömmigkeit würde es dem Kleriker ja gerade verbieten, einen Reliquienschwindel zu begehen. Würde man auch den darauffolgenden Satz ironisch metaphorisch lesen, so wäre dessen Aussage, dass in der Umgebung von Certaldo die raffiniertesten und listigsten Schwindler leben, weswegen man die Zwiebel – als Zeichen der zahlreichen Schichten an Unwahrheiten – zum Stadtwappen erklärt hat. Dass der Papagei ebenso wie Bruder Czifell dazu neigt, besonders trickreich, durchtrieben und clever zu agieren und dabei auch vor Intrigen nicht zurückschreckt, wird im weiteren Verlauf der Analyse – insbesondere anhand der Papageiennovelle Arnauts de Carcasses – noch deutlich werden. Die Papageien-Feder im Decameron könnte folglich dazu dienen, unterhalb der Textoberfläche erneut auf die Redegewandtheit, Cleverness, Handlungsklugheit – aber auch Verschlagenheit – des Mönchs zu verweisen. Zusammenfassend lässt sich über den Papagei im religiös-heilsgeschichtlichen Diskurs festhalten, dass das Tier durch eine immense Vielzahl an Bedeutungszuschreibungen und Kontextualisierungen diskursiv überformt wird. Auf diese Weise kann der Papagei sowohl als Sinnbild Christi in Erscheinung treten als auch in Relation gebracht werden mit König David, den Aposteln, Maria, der Heiligen Elisabeth, der Heiligen Agnes, dem Papst, dem Erzengel Gabriel und der personifizierten Demut. Als interdiskursive Dispositive – also als ›Einfallstore‹ für den religiösheilsgeschichtlichen Diskurs – wirken insbesondere vier Papageien-Eigenschaften, von denen drei antiken Ursprungs sind: die grüne Farbe, das Grüßen des Kaisers, die Vorliebe für junge Damen und die Regenunverträglichkeit. Die letztgenannte Eigenschaft ist nicht in antiken Quellen zu finden und kann daher als spezifisch mittelalterlich angesehen werden.
Papagei
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– Martials Information, den Kaisergruß des Vogels betreffend, wird überformt, um eine Vergleichbarkeit des Papageis mit Christus herzustellen. – Die grüne Farbe des Tiers wird aufgegriffen, um damit auf die Demut und den Erzengel Gabriel zu verweisen. – Die Vorliebe des Tiers für junge Damen, die bereits in Ovids Amores anklingt, wird überformt, um damit Christi Bewunderung für die Heilige Agnes zum Ausdruck zu bringen. – Die Regenunverträglichkeit wird schließlich funktionalisiert, um damit auf die Keuschheit Marias und der Heiligen Elisabeth zu verweisen. Zugleich erinnert diese Eigenschaft an den biblischen König David, der die Berge Gelboe – auf denen der Papagei zuhause ist – zu ewiger Trockenheit verdammte. Im Hinblick auf die ›Exotik‹ des Vogels im religiös-heilsgeschichtlichen Diskurs lässt sich festhalten, dass genau genommen nur zwei ›Exotik‹-Indikatoren vorliegen. Dies sind zum einen die weitentlegene bzw. biblische Herkunft des Tiers, die in den Quellen mit Indien oder dem Berg Gelboe angegeben wird. Zum anderen zeigt sich anhand einiger Miniaturen aus den Bestiarien, dass das Tier zumindest einem Teil der mittelalterlichen Menschen fremd gewesen sein muss. So weisen etwa die Miniaturen der Abb. 73 und 74 keinerlei spezifische Papageien-Merkmale auf. Es scheint, dass den Buchmalern lediglich bewusst war, dass es sich bei dem darzustellenden Tier um einen Vogel handelt. Anhaltspunkte für ein Staunen über den Papagei lassen sich in Boccaccios Decameron – und etwas weniger stark ausgeprägt auch in der Übersetzung Arigos – finden. Es muss allerdings bedacht werden, dass die Thematik des Staunens hier der Gattung des Textes geschuldet sein könnte. Da das Decameron vorrangig die delectare-Funktion im Auge hat, könnte das Staunen dazu dienen, die intellektuelle Kluft, die zwischen dem w%sen Czifell und der tumben Dorfbevölkerung von Certaldo besteht, noch stärker hervortreten zu lassen. Dies wiederum könnte der Intention geschuldet sein, dass der Rezipient ein Überlegenheitsgefühl gegenüber den Certaldesern entwickeln soll, denn dieses Überlegenheitsgefühl stellt eine notwendige Bedingung für die Komik schwankhafter Erzählungen dar. Im Umkehrschluss heißt dies aber, dass die Decameron-Rezipienten zumindest eine rudimentäre Vorstellung von Papageien besessen haben müssen, damit diese Art von Komik überhaupt zustande kommen konnte. Insofern kann man hier von ›textinternen Anzeichen für ein Staunen‹ sprechen, die aber auf außertextueller Seite das genaue Gegenteil bedeuten – nämlich eine Vertrautheit mit Papageien.
360
Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
P Papagei
Temperament und Charakter
Äußeres
Größe
Farbe
ausgelassen
weiß
klein
ängstlich
bunt
klug je höher gelegen der Lebensraum, desto größer
kostbare Voliere
aggressiv
glänzendes Gef ieder
selbstbewusst
Anzahl an Zehen ist verschieden
zutraulich
drei Zehen
liebenswürdig und charmant intrigant
unedel Weingenuss
breite Zunge menschenähnlicher Gesang klappt besser mit 5-zehigen Exemplaren als mit 3-zehigen
kann durch Schläge mit einer kleinen Eisenstange konditioniert werden
männlich
Sprache
unter Zuhilf enahme eines Spiegels
f ein herausgeputzt
Minnedame
edel
nicht so gelehrig
lernt schnell sprechen
spricht v orgesagte Worte nach
Sprachtraining
am besten v or Vollendung des 2. Lebensjahres
spricht ›weibisch‹
übernimmt Troubadourrolle
f ünf Zehen
Reis
weiblich
›Liebling der Damenwelt‹
harter Schnabel
cholerisch
grün + rot
Wein
rotes Halsband
harter Kopf
Nahrung
Geschlecht
besondere Merkmale
grüßt von sich aus den Kaiser
Stimmen der Apostel sollen von Menschen nachgeahmt werden eigener Wortschatz
Mehrsprachigkeit grüßt Menschen in der Wüste umwirbt die Minnedame
höfisch, f ormv ollendet
Abb. 89: Epistemischer Diskurs-Frame, der die rekonstruierten Bestandteile des mittelalterlichen Papageien-Konzepts abbildet, die innerhalb des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses aktualisiert werden.
361
Papagei
Nennung mit anderen Tieren
Gefahren
Herkunft
Indien
edle Beizvögel
Ägy pten
Elefant
Taube
Paradies Pfau
Reich der Candacis
Arabien Äthiopien
Berg Gelboe
Giraf f e
orientalisches Luxusgut
Wecker
Strauß
Spiegelersatz
Handelsware
Meerkatze
Reich des Großkhans Cluse
gesellschaftlicher Status
Nutzung
verträgt keinen Regen
Keuscher / besonders reiner Vogel
Sinnbild Marias Sinnbild Jesu
Sinnbild v erschiedener Heiliger
Schmuckmotiv edler Kopf bedeckungen
AusstellungsObjekt Gesellschaf t leistendes Tier
wertv olles Geschenk
Liebesbote
schattenspendendes Tier
f rommer und gelehriger Vogel
Schönheitspreis
Kemenatenbeleuchtung
›Spiegelbild des Poeten‹ Wappentier
wird mit dem Papst in Verbindung gebracht
Relationen der Konzeptbestandteile = metaphorische Relation = klassifikatorische Relation = aktualisiert = nicht aktualisiert
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
2.2.3.3 Der Liebesdiskurs Im Tristan Gottfrieds von Straßburg wird die blonde Isolde mit einem Papagei verglichen (V. 10995: gestreichet alse ein papeg.n). Da dieser Vergleich innerhalb einer ganzen Reihe an (Raub-)Vogel-Vergleichen steht, erscheint es sinnvoll, auch den Kontext dieser Stelle etwas näher zu beleuchten. Isolde wird von ihrem Vater zu einer Audienz gebeten, da der Truchseß des Hofes vorgibt, den Drachen getötet zu haben und nun als Lohn für seine ›Heldentat‹ die Vermählung mit der schönen Königstochter einfordert. Das Erscheinen der Prinzessin und deren Mutter vor dem König veranlasst den Erzähler, eine 135 Verse umfassende Beschreibung des äußeren Erscheinungsbilds der beiden Damen abzugeben (V. 10885–11020), die auch den Papageien-Vergleich enthält. Zu Beginn der Beschreibung werden Königin und Prinzessin als ›Morgenrot‹ und ›Sonne‹ bezeichnet (V. 10885–10889), was die strahlende Schönheit beider verdeutlichen soll. Daraufhin wird die blonde Isolde zum ersten Mal mit einem vederspil verglichen, das die Minne selbst hervorgebracht habe:
10895
suoze gebildet über al, lanc, 0f gewollen unde smal, gestellet in der wæte, als si diu Minne dræte ir selber z’einem vederspil, dem wunsche z’einem endezil, d. vür er niemer komen kan. (Tr., V. 10893–10899)1151
Stephan Fuchs-Jolie macht darauf aufmerksam, dass diese Raubvogel-Metapher – die an späterer Stelle noch ein weiteres Mal aufgegriffen wird – zwei Paradigmen zugeordnet werden kann, »einmal dem Paradigma des Jagens und Beutemachens und zum zweiten dem Paradigma der kunstvollen Schöpfung, des geschmückten, gezähmten Kulturprodukts«.1152 In den unmittelbar auf diese Stelle folgenden Versen konzentriere sich Gottfried jedoch eher auf den Aspekt der artifiziellen Schönheit.1153 Nachdem 1151 Gottfried von Straßburg, Tristan. Hrsg. v. Friedrich Ranke. Band 2. Stuttgart 1994, S. 62. 1152 Fuchs-Jolie, Metapher und Metonymie bei Wolfram, S. 415; In V. 11985 wird Isolde zum zweiten Mal als Der Minnen vederspil bezeichnet. Fuchs-Jolie macht darauf aufmerksam, dass Friedrich Ranke hier als Übersetzung für vederspil ›Lockvogel‹ vorschlägt. Vgl.: Ranke, Tristan und Isold, S. 211f.. Es sei jedoch plausibler, dass vederspil ›abgerichteter Greifvogel‹ bedeute. Vgl.: Fuchs-Jolie, Metapher und Metonymie bei Wolfram, S. 415. Die Minne wäre in diesem Bildnis der Falkner, der seinen ›Jagdvogel‹ Isolde aussendet, damit dieser Beute – d. h. einen geeigneten Ehemann – fängt. Da Papageien nicht zur Beizjagd abgerichtet wurden, erscheint es nahezu ausgeschlossen, dass vederspil einen Krummschnabel meint. 1153 Fuchs-Jolie, Metapher und Metonymie bei Wolfram, S. 415f.
363
Papagei
der Erzähler in den Versen 10900–10949 detailliert auf das herrliche, exakt passende Gewand der Königstochter eingegangen ist, greift er erneut die Raubvogel-Metaphorik auf:
10960
gevedere sch.chblicke die vlugen d. snÞdicke sch.chende dar unde dan. ich waene, 6sot vil manegen man s%n selbes d. beroubete. (Tr., V. 10957–10961)
Es fliegen also ›gefiederte Räuberblicke räuberisch‹ durch den Raum. Die Blicke gehen sowohl von der Königstochter selbst, als auch von den anwesenden Höflingen aus.1154 In dem Adjektiv gevedere (V. 10957) ist Gottfrieds zweite Verwendung einer Metapher aus dem semantischen Feld ›Vogel‹ zu sehen, der im weiteren Verlauf der Beschreibung noch drei Vogel-Vergleiche sowie die zweite Nennung der vederspil-Metapher folgen (V. 10994f.; 10997; 11985). Eine bestimmte Vogelart wird hier noch nicht benannt – in Frage kommen folglich die ›räuberischen Blicke‹ aller Greifvogelarten von Adler über Bussard und Sperber bis Falke. Während bei der ersten Verwendung der Raubvogel-Metapher noch der Aspekt der artifiziellen Schönheit dominierte, ist es nun der Jagdaspekt.1155 Für den Rezipienten ergibt sich an dieser Stelle die Frage, wer Jäger und wer Gejagter ist – eine Frage, die von Gottfried beabsichtigt ist.1156 Eine Antwort darauf scheinen die Verse 10992–10999 zu enthalten.1157 Das vermeintliche ›Opfer‹ Isolde ist selbst ein Raubvogel und zugleich ein Papagei:
10995
si was an ir gel.ze 0freht und offenbaere, gel%ch dem sperwaere, gestreichet alse ein papeg.n. si liez ir ougen umbe g.n als der valke 0f dem aste. ze linde noch ze vaste haeten si beide ir weide. (Tr. 10992–10999)
1154 Ebenda, S. 416. 1155 Ebenda, S. 417. 1156 Ebenda, S. 416. Fuchs-Jolie schreibt diesbezüglich: »Das Umklappen der Perspektive von Isit als betrachtetes Objekt zum blickenden Subjekt hat er [Gottfried] mit einer Schanierformulierung versehen: dar unde dan flogen die Blicke, in die eine Richtung und in die andere Richtung. Sollten es nur Isits Blicke sein, so wären sie wohl kaum dicht wie Schnee. Denn genau dies stellt Gottfried nochmal klar, wenn er – wiederum knapp vierzig Verse später – ein vorläufig letztes Mal Isit einem Jagdvogel vergleicht […].« 1157 Ebenda, S. 417.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Anhand dieses Zitats wird deutlich, dass der papeg.n-Vergleich zwischen zwei Raubvogel-Vergleichen steht. Während der Sperber Aufschluss über Isoldes aufrechte Haltung geben soll, verdeutlicht das Falken-Bild, auf welche Weise Isoldes Blicke im Saal umherschweifen. Zu bedenken ist hier natürlich auch die literarische Tradition, in der beide Vögel stehen. Während der Sperber Assoziationen zum Sperberkampf im Erec Hartmanns von Aue weckt und damit erneut auf Isoldes Schönheit verweist, erinnert der Falke an die Dichtung des Kürenbergers und Reinmars.1158 Doch was bedeutet nun gestreichet alse ein papeg.n? Rüdiger Krohn übersetzt den Vers mit ›Sie war schön hergerichtet wie ein Papagei‹,1159 was zunächst zwar recht frei übersetzt zu sein scheint, da Matthias Lexer für die Übersetzung von gestreichet ›gestreift‹ vorschlägt.1160 Dennoch halte ich Krohns Übersetzung für treffend, wenn man den Kontext, in dem der Vergleich steht, in die Betrachtung mit einbezieht. Hinzu kommt, dass in keiner der bislang analysierten mittelalterlichen Quellen von einem ›gestreiften Papagei‹ die Rede war. Doch auch bei Krohns Übersetzung bleibt die Frage, ob ein Papagei typischerweise ›schön hergerichtet‹ ist und wenn ja, was diese ›Herrichtung‹ alles mit einschließt. Denkt man an den prototypischen Papagei des Mittelalters, so ließe sich vermuten, dass das rote Halsband ein Merkmal ist, das den Menschen den Eindruck vermittelte, die Natur habe den Vogel besonders ›schön hergerichtet‹, denn ein Halsband dient in den meisten Fällen als Schmuckstück. Auf diese Wahrnehmung des Halsbandes deutet auch die Miniatur in Abb. 2 hin, in der dem Papagei über sein naturgegebenes, rotes Halsband noch ein artifizielles, mit Glöckchen versehenes angelegt wurde.1161 Problematisch erscheint an dieser Auslegung jedoch, dass in Gottfrieds Tristan nicht gesagt wird, Isolde trage ein besonders kunstvoll gefertigtes Halsband. Ein Schmuckstück, dem der Erzähler stattdessen seine Aufmerksamkeit widmet, ist der goldene Reif, den die Königstochter gerade nicht um den Hals, sondern auf dem Kopf trägt (V. 10962–10983). In diesen goldenen Reif sind Edelsteine vier verschiedener Arten eingelassen: Smaragde, Hyazinthe, Saphire und Chalcedone (V. 10970f.). Zumindest die zweite Edelsteinart entspricht farblich der 1158 Zu den Gemeinsamkeiten mit dem Falkenmotiv in der Dichtung des Kürenbergers und Reinmars vgl. auch: Hatto, Arthur Thomas: Der minnen vederspil Isot, S. 212–214. 1159 Krohn (Hrsg.), Tristan Bd. 2, S. 69. Krohns Übersetzung beruht möglicherweise darauf, dass Benecke/Müller/Zarncke für das Verb »streichen« eine Übersetzung mit ›glatt streichen, putzen‹ angeben. Siehe: Mittelhochdeutsches Wörterbuch von Benecke, Müller, Zarncke, Lemma ›streiche‹. Auf: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py? mode=Vernetzung& hitlist=& patternlist=& lemid=BS06712& sigle=BMZ. Zugriff am 11. 05. 2017 um 13:23 Uhr. 1160 Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch von Matthias Lexer. Lemma ›gestreichet‹. Auf: http://www.woerterbuchnetz.de/Lexer?lemma=gestreichet. Zugriff am 23. 11. 2016 um 15:25 Uhr. 1161 Vgl. dazu S. 11; S. 328f. der vorliegenden Arbeit.
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Halsbandfarbe des prototypischen Papageis. Da jedoch auch grüne Smaragde, bläuliche Saphire und gräuliche Chalcedone Erwähnung finden, scheint das Bild von dem cirkel von golde (V. 10963) als einem Ersatz für das fehlende rote Halsband nicht aufzugehen. Es gibt allerdings noch weitere Aspekte, die Gottfried zu dem Isolde-papeg.nVergleich inspiriert haben könnten. Ebenso wie beim Sperber und beim Falken, handelt es sich beim Papagei um ein besonders wertvolles Tier. Darüber hinaus wurde der Vogel bereits in antiken Quellen in Bezug auf seine Größe mit dem Falken verglichen. Alexander Neckam und Vinzenz von Beauvais erklären weiterhin, die Körperform beider Vögel sei miteinander vergleichbar. Falls Gottfried diese Quellen kannte, könnte er es als besonders passend empfunden haben, den Papageien-Vergleich in die Abfolge an Raubvögel-Vergleichen einzureihen. Einen weiteren Grund könnte man darin vermuten, dass nur 15 Verse später beschrieben wird, wie die beiden Isolden alle Anwesenden im Saal grüßen: 11010
11015
si zwi si w.ren under in in süezer unmuoze mit zweier hande gruoze grüezende unde n%gende, sprechende unde sw%gende. ir reht was an in beiden besetzet und bescheiden. Ir eine gruozte, diu ander neic, diu muoter sprach, diu tohter sweic.
Bedenkt man die starke mittelalterliche Rezeption der Papageien-Textstelle in Martials Epigramm XIV, 73, in der von dem grüßenden Papagei die Rede ist, so könnte man die Gemeinsamkeit zwischen Königstochter und papeg.n auf den ersten Blick auch in diesem Aspekt vermuten. Allerdings geht dieses Bild ebenfalls nicht auf, denn nur die Königin grüßt mit Worten. Die Prinzessin hingegen schweigt und legt damit ein Verhalten an den Tag, das dem Naturell des Papageis gänzlich widerspricht (V. 11015: diu muoter sprach, diu tohter sweic). Eine etwas plausiblere Erklärung für Gottfrieds papeg.n-Vergleich könnte sein, dass unterhalb der Textoberfläche Wissensbestandteile des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses aufgerufen werden – dass Isolde durch diesen Vergleich ebenso keusch und jungfräulich erscheinen soll, wie die heilige Jungfrau Maria.1162 Auch wenn diese Deutung zunächst recht assoziativ wirkt, scheint sie zumindest schlüssig, wenn man V. 10998 (ze linde noch ze vaste) in die Be1162 Vgl. dazu Kap. 2.2.3.2 Der religiös-heilsgeschichtliche Diskurs, insbesondere S. 341–350 der vorliegenden Arbeit.
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trachtung mit einbezieht: Die Augen Isoldes sind auf der Suche nach der passenden Augenweide.1163 Bei dieser Suche gehen sie weder ›zu sanft‹ noch ›zu heftig‹ vor. Während der Sperber und der Falke für die Heftigkeit stehen, würde der Papagei das ausgleichende, sanfte Element repräsentieren, das die m.ze gewährleistet. Isolde ist zwar mit Raubvogelblicken unterwegs auf Männerfang, aber dennoch so rein und keusch wie ein Papagei. Geht man von dieser Deutung aus, so ist das Adjektiv gestreichet wohl am ehesten mit ›reinlich aufgeputzt‹, ›adrett‹ zu übersetzten. Es bringt eine saubere äußere Erscheinung zum Ausdruck, die wiederum auf die innere Reinheit Isoldes verweist. Anhaltspunkte, die für die ›Exotik‹ des Papageis sprechen würden, lässt Gottfrieds Vergleich nicht erkennen. Das Tier wird zwar in einem Atemzug mit zwei ebenfalls importierten Raubvögeln genannt (V. 10994 sperwaere; V.10997 valke), diese waren den Rezipienten jedoch von der Beizjagd bekannt, da man gewöhnlich mit ihnen jagte. Der Erzähler gibt auch keinerlei Hinweise oder Kommentare, die den papeg.n im Lichte eines fremden, ›exotischen‹ Tiers präsentieren. Einzig die Tatsache, dass es sich bei dem Vogel um ein wertvolles Tier handelt, wird deutlich. Dieses Indiz genügt für sich genommen jedoch freilich nicht, um von ›Exotik‹ zu sprechen. Eine weitere Textstelle, die dem Liebesdiskurs zugerechnet werden kann, entstammt dem Trojanerkrieg Konrads von Würzburg. Dass Konrad mit dem Papagei vertraut war und den Vogel innerhalb seines Œuvres des Öfteren als besonders edles und reines Tier darstellt, wurde bereits im Rahmen der Analyse des Marienpreisgedichts Die goldene Schmiede ersichtlich.1164 In einem ähnlichen Kontext wie in Die goldene Schmiede findet der Vogel auch im Trojanerkrieg Erwähnung. Wurde er in dem Marienpreisgedicht thematisiert, um die Keuschheit der Mutter Gottes zu betonen, so wird er im Trojanerkrieg genannt, um über das gepflegte Äußere Helenas Auskunft zu geben: Si kam dort her geslichen gestr%chet und gestrichen reht als ein wilder siticus, dem s%n gevider si noch sus zerfüeret noch zerschrenket l%t. (V. 20297–20301)
Innerhalb beider Textstellen wird der Papagei also herangezogen, um die positiven Eigenschaften der beiden Damen hervorzuheben. Während der Fokus in 1163 Auch hier zeigt sich eine Art metaphorisches Wortspiel mit der Semantik des Worts weide, das zum einen den ›Weideplatz‹ und zum anderen ›die Augenweide‹ bezeichnen kann. Vgl.: Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Lemma ›weide, weid‹. Auf: http://wo erterbuchnetz.de/Lexer/?sigle=Lexer& mode=Vernetzung& lemid=LW01358#XLW013 58. Zugriff am 11. 05. 2017 um 14:02 Uhr. 1164 Siehe S. 341f. der vorliegenden Arbeit.
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Die goldene Schmiede jedoch stärker auf den inneren Werten und Tugenden liegt, scheint er im Trojanerkrieg eher auf dem äußeren Erscheinungsbild zu liegen, wobei bedacht werden muss, dass innere und äußere Schönheit gemäß dem Kalokagathia-Gedanken gemeinsam auftreten. Im Hinblick auf die Wortwahl erinnert das oben angeführte Zitat sehr an die Beschreibung Isoldes in Gottfrieds Tristan. Ebenso wie Konrad von gestr%chet und gestrichen spricht, verwendet auch Gottfried die Formulierung gestreichet alse ein papeg.n (Tr. 10995). Insofern lässt sich vermuten, dass gestr%chet ein Adjektiv darstellt, das besonders treffend die Eigenschaften zum Ausdruck bringt, die man dem Papagei attestierte. Um diese These zu verifizieren, wäre es jedoch notwendig, noch weitere Belegstellen des Adjektivs in Augenschein zu nehmen, denn Konrad orientierte sich bei seiner Beschreibung Helenas ganz offensichtlich an Gottfrieds Isolden-Beschreibung.1165 Elisabeth Lienert macht darauf aufmerksam, dass Konrad stets darum bemüht ist, Gottfrieds Beschreibung noch zu überbieten: »Helena ist unübersehbar als gesteigerte Isolde inszeniert – in nochmaliger Überbietung von Gottfrieds Gestaltung Isoldes als gesteigerter Helena […]«.1166 Und tatsächlich lassen sich bei Konrad auch zum Papagei mehr Informationen finden als bei Gottfried. Der Rezipient erfährt nicht nur, dass der siticus gestr%chet ist (was wohl im vorliegenden Fall ebenso wie bei Gottfried mit ›adrett‹, ›schön hergerichtet‹ und ›fein herausgeputzt‹ übersetzt werden kann). Es wird auch gesagt, dass die Federn des Vogels – ganz gleich wie sie gerade liegen – niemals zu ›weit auseinander‹ (zerfüeret) sind oder ›sich gegenseitig schneiden‹ (zerschrenket).1167 Diese Vorstellung vom wohlgeordneten, gepflegten Gefieder des Vogels klingt in ähnlicher Weise auch in den naturkundlichen mittelalterlichen Quellen an, denn sowohl Vinzenz von Beauvais (Speculum naturale 26, 135) als auch Thomas von Cantimpr8 (Liber de natura rerum 5, 109) und Konrad von Megenberg (Buch der Natur III, B 63) berichten, der Papagei reinige seine Federn mit dem Schnabel. Laut Albertus Magnus ist der Vogel außerdem besonders um seinen Schwanz besorgt und rückt diesen oftmals mit dem Schnabel zurecht (De animalibus XXIII, 138). Interessant erscheint weiterhin, dass Konrad auch Gottfrieds perspektivenwechselndes Vogel-Metaphern-Spiel, das im Tristan mit gevedere sch.chblicke 1165 Lienert, Studien zu Konrads von Würzburg ›Trojanerkrieg‹, S. 207–209. Lienert schreibt diesbezüglich (S. 207): »Konrad erzählt seinen ›Trojanerkrieg‹ durchgängig auf Gottfrieds ›Tristan‹ hin«. 1166 Ebenda, S. 208. 1167 Bei zerschrenket handelt es sich laut Lexer um ein Hapax Legomenon. Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Lemma ›zerschrenken‹. Auf: http://woerterbuchnetz. de/Lexer/?sigle=Lexer& mode=Vernetzung& lemid=LZ00689#XLZ00689. Zugriff am 26. 12. 2016 um 14:01 Uhr.
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(Tr. 10957) eingeleitet wird, in ganz ähnlicher Weise nachahmt. Während Konrad in den Versen 20297–20301 zunächst den Vergleich Helenas mit dem wilde[n] siticus anstellt, werden kurz darauf diejenigen, die hoffnungsvoll auf das Erscheinen Helenas warten, mit einem wilden, kleinen, süßen Vöglein verglichen: n0 merkent, wie daz wilde cleine süeze vogell%n kann dingen 0f den morgensch%n und sich des tages fröuwen muoz, sus wart gehoffet 0f ir gruoz und 0f ir kunft gedinget. (V. 20308–20313)
Da in V. 20312 Helenas Gruß Erwähnung findet, muss wohl zumindest unterhalb der Textoberfläche auch das Bild vom grüßenden Papagei mitgedacht werden. Insofern hält Konrad die Papageien-Metaphorik weiter aufrecht, zeigt aber, dass durchaus auch Perspektivwechsel möglich sind: Sowohl Helena als auch ihre Verehrer können mit Vögeln verglichen werden. Erzähltechnisch betrachtet ist Konrad also auch hier ganz nahe an Gottfried, nur dass bei ihm eben keine gefährlichen Raubvögel genannt werden, sondern das cleine süeze vogell%n (V. 20309). Allerdings gebraucht Konrad auch das Adjektiv wilde (V. 20308), das darauf hindeuten könnte, dass es sich um ein ›nicht domestiziertes‹ vogell%n handelt. Damit wird unterhalb der Textoberfläche die Natur/Kultur-Dichotomie aufgerufen: Die Verehrer Helenas, die dem Kultur-Bereich angehören, warten ebenso freudig wie das wilde cleine süeze vogell%n, das dem Natur-Bereich zuzurechnen ist. Natur wird also als Vorbild für Kultur inszeniert. Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf Konrads Helena-Papageien-Vergleich sagen, dass der siticus auf das gepflegte Äußere der Dame hindeuten kann, da sein Gefieder stets glatt(gestrichen) und ordentlich ist. Auch in der dritten Strophe des um 1200 entstandenen Lied VI a Heinrichs von Morungen (MF 127,1) findet der sitich Erwähnung: Lied VI a: West ich, ob ez versw%get möhte s%n 1 West ich, ob ez versw%get möhte s%n, ich lieze iuch sehen m%ne schoene vrouwen, der enzwei braeche mir daz herze m%n, der möhte s% schine drinne schouwen. Si kam her dur diu ganzen ougen [ ] sunder tür gegangen. iwÞ, solde ich von ir süezen minne s%n als minnecl%ch enpfangen!
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2 Der si lange rüeft in einen touben walt, ez antwürt im dar 0z eteswenne. n0 ist diu klage vor ir dicke manicvalt gegen m%ner nit, swie sis niht erkenne. Doch klaget ir maniger m%nen kumber vil dicke mit gesange. iwÞ, j. h.t s% gesl.fen allez her alder geswigen alze lange. 3 Waer ein sitich alder ein star, die mehten s%t gelernet h.n, daz si spraechen minnen. ich h.n ir gedienet her vil lange z%t. mac s% sich doch m%ner rede versinnen? Nein s%, niht, got enwelle ein wunder vil verre an ir erzeigen. j. möht ich s%t einen boum mit m%ner bete sunder w.pen nider geneigen.1168
In der ersten Strophe erklärt das lyrische Ich, es würde die Rezipienten seine Minnedame sehen lassen, wenn es denn nur sicher sein könnte, dass das Geheimnis weiterhin verschwiegen bliebe (Str. 1, V. 1f.). Daraufhin werden zwei typische Minnesang-Topoi bemüht, um die Liebe zu der Dame zu beschreiben: Das Eingeschlossensein der Dame im Herzen des Minnesängers und die Liebe, die durch die Augen ins Herz gelangt.1169 Die Verse 7f., die mit der Interjektion iwÞ beginnen, leiten thematisch bereits über zur zweiten Strophe, in der das lyrische Ich über seine scheinbar hoffnungslose Lage sinniert. Schon an dieser Stelle wird deutlich, dass die Liebe des lyrischen Ichs nicht in gleicher Weise von der Angebeteten erwidert wird. Es handelt sich demnach um eine Beziehung, die als ›hohe Minne‹ bezeichnet werden kann, da die Dame für das Sänger-Ich unerreichbar bleibt. Die zweite Strophe ist ganz von der Problematik bestimmt, dass das lyrische Ich nicht erhört wird. Um sein Leid zu veranschaulichen, vergleicht es sich mit jemandem, der über einen langen Zeitraum hinweg in einen tauben Wald hineinruft (Str. 2, V. 1). Doch selbt dieser bekomme zuweilen eine Antwort, was ihm selbst bislang nicht vergönnt gewesen sei, denn die Angebetete habe stets ent1168 Textgrundlage: Des Minnesangs Frühling. Unter Benutzung der Ausgaben von Karl Lachmann und Moriz Haupt, Friedrich Vogt und Carl von Kraus bearbeitet von Hugo Moser und Helmut Tervooren. 38., erneut revidierte Auflage. Stuttgart 1988. Auf: http:// texte.mediaevum.de/texte/morungen.htm#l6a. Zugriff am 29. 11. 2016 um 10:16 Uhr. 1169 Der Topos vom Eingeschlossensein im Herzen des Minnesängers findet sich beispielsweise auch in dem anonym überlieferten D0 bist m%n, ich bin d%n (München, Staatsbibl., Clm 19411, folio 114v.).
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weder geschlafen oder sich in Schweigen gehüllt (Str. 2, V. 7f.). Auch hier werden die beiden letzten Verse mit iwe eingeleitet. Sie geben den Grund für das Leid des Minnesängers an: Das Schweigen der Dame. Während in der ersten Strophe Gewissheit über das Schweigen der Rezipienten erwünscht war, wird nun das Schweigen der Dame negativ bewertet. Je nachdem, ob das Schweigen also die Öffentlichkeit betrifft oder sich auf die gewünschte imaginierte Paarbeziehung bezieht, wird es unterschiedlich bewertet: In der Öffentlichkeit soll die Angelegenheit verschwiegen behandelt werden, in der unerfüllten Liebe jedoch verursacht Schweigen nit. In der dritten Strophe schließlich drückt das lyrische Ich sein Bedauern darüber aus, dass die Dame – binnen des langen Zeitraums, in dem das lyrische Ich in ihrem Dienst stand – nicht gelernt hat, über die Liebe zu sprechen, d. h. dem Sänger zu antworten. Einem Papagei oder Star wäre dies seiner Meinung nach möglich gewesen (Str. 3, V. 1f.: Waer ein sitich alder ein star, die mehten s%t / gelernet h.n, daz si spraechen minnen). Im Hinblick auf die Rekonstruktion des mittelalterlichen Papageien-Konzepts lässt sich festhalten, dass auch hier die Sprachbegabung des Tiers das entscheidende Merkmal darstellt, das Morungen dazu veranlasst, den Papagei in seinem Lied zu erwähnen. Darüber hinaus wird die Vorstellung ersichtlich, dass der Papagei nicht von Geburt an in der Lage ist, von der Liebe zu sprechen, sondern diese Fähigkeit auch erlernen muss. Fraglich bleibt indes, wie sich dieses Erlernen gestaltet; ob der Vogel bloß das Nachsprechen erlernt oder ob er sich einen eigenen höfischen Wortschatz und die Bildung sinnvoller Sätze aneignet, bleibt im Dunkeln. Sicher ist jedoch, dass dem Sprachtalent des Papageis ebenso eine Aufwertung widerfährt, wie dem der Minnedame eine Abwertung. Vor dem Hintergrund jener Abwertung verwundert es wenig, dass das lyrische Ich in Zweifel zieht, dass seine Herrin sich überhaupt seiner Worte entsinnt. Mit V. 5 setzt schließlich die traurige Gewissheit ein, dass sie sich nicht daran erinnert und dass sich an dieser Situation auch nichts ändern wird, falls nicht Gott selbst eingreifen sollte. Bezüglich der ›Exotik‹ des Papageis lässt sich bemerken, dass keinerlei ›Exotik‹-Indikatoren vorliegen. Das Tier wird auch hier in einem Atemzug mit einem einheimischen Vogel, dem Star, genannt, was eher für eine Vertrautheit mit dem sitich spricht. Ein Minnelied, in dem der Papagei ebenfalls Erwähnung findet, ist das Angerlied Kristans von Hamle. Über den Dichter, dessen Schaffensphase meist auf die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts datiert wird, ist wenig bekannt.1170 Gleichwohl findet sich in der Manessehandschrift – in der auch das Angerlied 1170 Worstbrock, ›Christan von Hamle‹. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters, Band 1, Sp. 1201.
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überliefert ist – eine Miniatur, die zeigt, wie er gerade mittels einer ›Aufzugsanlage‹ zu seiner Herrin gelangt (Abb. 90). Die Liebe der Dame erhöht den Minnesänger hier im wahrsten Sinne des Wortes, wenn man die Raumdarstellung der Miniatur bedenkt.1171 In Kristans Angerlied wird der Papagei gleich zu Beginn der ersten Strophe erwähnt:
5
Ich wolde, daz der anger sprechen solde als der sitich in dem glas, und er mir danne rehte sagen wolde, wie gar sanfte im hiure was, da min frouwe blümen las ab ime und ir minneklichen füze rürten uf sin grünes gras.1172
Das lyrische Ich äußert hier den Wunsch, die Wiese, über die seine Angebetete kurze Zeit zuvor gegangen ist, solle anfangen zu sprechen als der sitich in dem glas (Str. 1, V. 2) – also ›wie der Papagei im Spiegel‹. Moriz Heyne geht davon aus, bei dem glas (V. 2) handle es sich um einen »Papageienbehälter«.1173 Dieser Übersetzungsvorschlag scheint mir wenig überzeugend und auch Heyne selbst muss eingestehen, keine Vorstellung von dem Aussehen dieses »Papageienbehälters« zu besitzen.1174 Bedacht werden muss auch, dass Kristans Angerlied an dieser Stelle große Ähnlichkeit mit Morungens Lied XXXII: Mir ist geschehen als einem kindel%ne aufweist, denn darin heißt es in der ersten Strophe: Mir ist geschehen als einem kindel%ne, daz s%n schoenez bilde in einem glase gesach unde greif dar n.ch s%n selbes sch%ne si vil, biz daz ez den spiegel gar zerbrach.1175
1171 Zur Raumsemantik im Minnesang vgl. auch: Fuchs-Jolie, Stephan: ungeheuer oben. Semantisierte Räume und Raummetaphorik im Minnesang. In: Außen und Innen. Hrsg. v. Nikolaus Staubach. Frankfurt am Main [u. a.] 2007, S. 25–42. 1172 Kunisch (Hrsg.), Handbuch der altdeutschen Sprache und Literatur von der ältesten Zeit bis gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, S. 173. 1173 Heyne, Das deutsche Wohnungswesen, S. 275. 1174 Ebenda. 1175 Textgrundlage: Des Minnesangs Frühling. Unter Benutzung der Ausgaben von Karl Lachmann und Moriz Haupt, Friedrich Vogt und Carl von Kraus bearbeitet von Hugo Moser und Helmut Tervooren. 38., erneut revidierte Auflage. Stuttgart 1988. Auf: http:// texte.mediaevum.de/texte/morungen.htm#l32. Zugriff am 01. 12. 2016 um 10:26 Uhr.
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Abb. 90: Miniatur Kristans von Hamle.1176 Cod. Pal. germ. 848 Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse), fol. 71v. – Zürich, ca. 1300 bis ca. 1340.1177
1176 Bildquelle: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg848/0138. Zugriff am 30. 11. 2016 um 11:28 Uhr.
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Hier wird glase (V. 2) eindeutig als Synonym für spiegel (V. 4) gebraucht. Auch Lexer gibt als mögliche Übersetzungen ›Spiegelglas‹ und ›Spiegel‹ an.1178 In Bezug auf die Frage warum Kristan dieses Bild vom Papagei im Spiegel wählt, erscheint die Einbeziehung antiker Wissensbestandteile erkenntnisfördernd. Bereits Diodor von Tarsos erläutert, wie man dem Papagei mittels eines Spiegels das Sprechen beibringen könne (contra fat bei Phot. 216a).1179 Wenn der Papageienhalter sich hinter dem Spiegel verstecke und dem Tier etwas vorsage, während dieses sein eigenes Spiegelbild betrachte, so lerne es eher die vorgesagten Worte nachzusprechen, da es sein Spiegelbild für einen Artgenossen halte.1180 Auch die Analyse der mittelalterlichen naturkundlichen Quellen hat eine Zuneigung des Papageis zu seinem eigenen Spiegelbild ergeben. Sie findet in den Werken Alexander Neckams und Vinzenz’ von Beauvais Erwähnung (AN, De naturis rerum I, 36; VB, Speculum naturale 26, 135). Greift man nun die Information Diodors von Tarsos auf, so bedeutet dies, dass im Angerlied die Perspektive des Spiegelbilds eingenommen wird, denn es ist der sitich in dem glas und nicht vor dem glas, der zum Vergleich herangezogen wird. Da das Papageienspiegelbild aber nicht wirklich spricht, sondern – laut Diodor – der hinter dem Spiegel stehende Mensch, könnte man überlegen, ob nicht auch der Vergleich in Kristans Lied auf das Sänger-Ich zurückverweist, das bildhaft gesprochen hinter dem Spiegel steht. Der anger würde in diesem Falle vor dem Spiegel stehen und das Sänger-Ich nicht bemerken. Nur der Rezipient weiß, dass das lyrische Ich das ›wahre‹ Spiegelbild ist, das hinter dem Spiegel steht und spricht. Folgt man dieser Überlegung, so bedeuten die ersten beiden Verse, dass das lyrische Ich sich wünscht, der anger sei ebenso sprachgewandt wie es selbst. Diese Identifizierung mit dem anger wird leitmotivisch über die gesamten drei Strophen hinweg aufrecht erhalten. Dadurch entsteht der Eindruck, dass das Sänger-Ich sich insgeheim wünscht, auf dieselbe zarte Weise von der Minnedame berührt zu werden, wie dies zuvor der Wiese widerfahren ist. Sowohl der anger als auch der Papagei im Spiegel sind somit als Signifikanten zu verstehen, die auf das lyrische Ich zurückverweisen. Wichtig in Bezug auf das Papageien-Bild erscheint weiterhin Kristans Umgang mit der Farbe grün. Denn nicht nur das gras (Str. 1, V. 7) ist grün. Die Farbe wird im weiteren Verlauf des Lieds noch zweimal genannt und findet damit in 1177 Ebenda. 1178 Lexer, Mittelhochdeutsches Wörterbuch, Lemma ›glas‹. Auf: http://woerterbuchnetz.de/ Lexer/?sigle=Lexer& mode=Vernetzung& lemid=LG04710#XLG04710. Zugriff am 01. 12. 2016 um 10:33 Uhr. 1179 Emberger, Tierquälerei in der griechisch-römischen Antike, S. 255; vgl. dazu auch S. 305f. der vorliegenden Arbeit. 1180 Emberger, Tierquälerei in der griechisch-römischen Antike, S. 255.
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jeder Strophe einmal Erwähnung. Dabei beziehen sich das Adjektiv ›grün‹ und das Verb ›grünen‹ stets auf unterschiedliche Bezugsnomen: 2 Her anger, was ir iuch fröuden müstent nieten, do min frouwe kom gegan und si ir wizen hende begunden bieten nach iuwern blümen wol getan! Erloubet mir, her grüner plan, daz ich mine füze setzen müze da min frouwe hat gegan. 3 Her anger, bittent, daz min swere sule büzen ein wip, nach der min herze ste: so wünsche ich, daz si mit blozen füzen noch hiute müze uf iuch ge. so geschadet iu niemer sne: wirt mir von ir ein lieplich grüzen, so grünt min herze alz iuwer kle.1181
Sowohl das gras als auch der plan, der kle und sogar das Herz des lyrischen Ichs werden mit der Farbe Grün in Verbindung gebracht, worin eine Gemeinsamkeit mit dem prototypischen Papagei des Mittelalters zu sehen ist. Daher könnte man überlegen, ob der Papageien-Vergleich – durch die dreifache Bezugnahme auf die Farbe grün – unterhalb der Textoberfläche das gesamte Lied hindurch präsent gehalten wird. Interessant erscheint weiterhin die Information, Schnee könne dem anger eigentlich schaden, diese Witterung sei in Zukunft jedoch unbedenklich – vorausgesetzt die Minnedame betrete die Wiese noch heute mit bloßen Füßen (Str. 3, V. 6). Gemeint ist hier offenbar, dass der anger sich durch die Schritte der Dame so sehr erwärmt, dass Schnee künftig direkt schmelzen würde, wenn er auf die Wiese herabfällt. Während gemäß einiger mittelalterlicher Quellen für den Papagei Regen eine tödliche Gefahr darstellt, ist für den anger also Schnee gefährlich, was zeigt, dass der sitich-anger-Vergleich an dieser Stelle nicht ganz aufzugehen scheint. Um so deutlicher wird hier allerdings die Identifizierung des lyrischen Ichs mit der Wiese, denn die Berührungen der Minnedame erwärmen nicht nur den Boden, sondern auch das Herz des Sänger-Ichs. Frühlingshaft beginnt dieses zu grünen, wenn die Holde ihn grüßt. 1181 Kunisch (Hrsg.), Handbuch der altdeutschen Sprache und Literatur von der ältesten Zeit bis gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, S. 173.
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In Bezug auf die ›Exotik‹ des Papageis lässt sich hier – ebenso wie für den Papageien-Vergleich Morungens – festhalten, dass keinerlei ›Exotik‹-Indikatoren vorliegen. Eine Textquelle, in der der Papagei als Liebesbote und eigentlicher Protagonist in Erscheinung tritt, ist die um 1250 entstandene Papageiennovelle (Las novas del papagai) Arnauts de Carcasses.1182 Die Geschichte erzählt von einer wunderschönen, edlen Dame, die von ihrem eifersüchtigen Ehemann in dem gemeinsamen Schloss und dem daran angrenzenden Garten strengstens bewacht wird. Da der Ehemann befürchtet, ein Konkurrent könnte ihm seine Gemahlin streitig machen, ist auch der Garten, in dem die Dame des Öfteren spazieren geht, von hohen Mauern umgeben.1183 Jeglicher Kontakt zur Außenwelt erscheint somit unmöglich. Bereits vor der Hochzeit des Paares hatte sich allerdings noch ein anderer Ritter namens Antiphanor bei einem Turnier in die schöne Dame verliebt. Da er nicht selbst zu ihr gelangen kann, um ihr seine Liebe zu gestehen oder in Troubadourmanier um sie zu werben, schickt er seinen »gefiederten Diener«1184, einen klugen Papagei, zu ihr. Dieser führt die ihm übertragene Aufgabe so geschickt und listenreich aus, dass Antiphanor selbst es wohl nicht besser gekonnt hätte. Der Papagei setzt sich in einen Lorbeerbaum im Garten und spricht von dort aus die Dame an. Die Worte, die das Tier dabei in formvollendet höfischer Sprache – in achtsilbige Reimpaarverse gefügt – hervorbringt, lauten:
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[…] Dona, Dieu vos sal, messatje soy. No.us sapcha mal si vos dic per que soy aisi vengutz a vos en est jardi. Lo mielher cavayer c’anc fos, e.l pus azaut e.l pus joyos, Antiphanor, lo filh del rey que basti per vos lo torney,
1182 Müller, Die altprovenzalische Versnovelle, S. 43. 1183 Trotz dieser hohen Mauern, die die Bewegungsfreiheit der Dame erheblich einschränken und faktisch eine Gefangenschaft bedeuten, geht Suzanne Thiolier-Méjean davon aus, der Garten stelle einen locus amœnus dar. Sie schreibt diesbezüglich: »Le lieu choisi est le locus amœnus traditionnel, celui du verger clos, plant8 d’un laurier et d’un pin, symboles de l’amour par leur inalt8rable couleur verte. L’ensemble compose une charmante, mais troublante image du Paradis terrestre oF l’amour adultHre des h8ros retrouve une innocence premiHre, semblable / celle des cansons.« Thiolier-Méjean, Une Belle au Bois Dormant m8di8vale, S. 39. 1184 Müller, Die altprovenzalische Versnovelle, S. 44.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
vos tramet salutz cen mil vetz, e prega.us per mi que l’ametz, car senes vos no pot guerir del mal d’amors que.l fay languir. Encara.us dic may, per ma fe, per que.l devetz aver merce: car, si.eus play, morir vol per vos may que per autre vieure joios.1185
Der Papagei hat hier seinen großen Auftritt in seiner Rolle als messatje (V. 8), also als Bote. Durch ihn wirbt der Ritter um die Liebe der Dame, was hier mit den Worten per mi (V. 16) zum Ausdruck gebracht wird. Aber der Papagei beschränkt sich nicht ausschließlich auf die Aufgaben eines Boten, sondern äußert auch seine eigenen Ansichten, wie in V. 19 anhand der Worte Encara us deutlich wird. Encara us ließe sich an dieser Stelle nämlich wohl am ehesten mit ›unter uns‹ oder ›im Vertrauen gesagt‹ übersetzen. Nachdem das Tier zuvor, in den Versen 11f. die vorzüglichen, höfisch-ritterlichen Qualitäten seines Herren in höchsten Tönen gelobt hat (Lo mielher cavayer c’anc fos, / e.l pus azaut e.l pus joyos,), vertraut es der Dame abschließend – auf dramatisch wirkende Weise – den Grund an, aus dem sie dankbar sein müsse. Der edle Königssohn Antiphanor ziehe es – wenn es ihr beliebe – vor, zu sterben, als mit anderen Damen glücklich zu leben. Hierin zeigt sich die rhetorisch geschickte Argumentationsstrategie des Papageis: sein gewichtigstes und beeindruckendstes Argument – der freiwillige Tod aus Liebe – bildet den Abschluss seines ersten Gesprächsbeitrags. Nachdem die Dame zunächst ihre Verwunderung über das kesse Vorgehen des Vogels geäußert hat, entwickelt sich zwischen beiden ein Dialog, der das Bild vom Papagei als einem Meister der Rhetorik noch weiter verstärkt: 40
– Papagay, be vuelh [que]: sapiatz qu’eu am del mon lo pus aibit. – E vos cal, dona? – Mo maritz. – Jes del marit non es razos que sia del tot poderos;
1185 Arnaut de Carcasses, La nouvelle du perroquet, Hrsg. v. Jean-Charles Huchet, S. 252. Eigene Übersetzung: ›Meine Dame, der Liebe Gott rettet Euch! Ich bin ein Bote. Nehmt es mir nicht übel, wenn ich Euch den Grund nenne, der mich zu Euch in diesen Garten führt. Der beste Ritter, der jemals lebte, der verführerischste und lustigste, Antiphanor – der Königssohn, der für Euch das Turnier bestritt – sendet Euch 100.000 Grüße und bittet Euch durch meine Unternehmung, ihn zu lieben, denn ohne Euch kann er nicht geheilt werden von der Liebeskrankheit, die ihn leiden lässt. Ich füge im Vertrauen noch den Grund dazu, aus dem Ihr ihm dankbar sein solltet, denn wenn es Euch gefällt, zieht er es vor, für Euch zu sterben als für irgendwelche anderen glücklich zu leben.‹
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amar lo podetz a prezen, apres devetz seladamen amar aquel que mor aman per vostr’amor, ses tot enjan. – Papagay, trop es bel parliers. Par me, si fossetz cavayers, que jen saupratz dona prejar. Mas jes per tan no.m vuelh laissar qu’ieu no.us deman per cal razo dey far contra luy trassio a cuy ay plevida ma fe. – Dona, so vos dirai yeu be: amor non gara sagramen; la voluntat sec lo talen.1186
In den Versen 51f. bewundert die Dame explizit die Redegewandtheit des Vogels und stellt die Überlegung an, dass er – wenn er ein Ritter wäre – einer Dame hervorragend den Hof machen könne. An dieser Stelle muss bedacht werden, dass das Tier ebendies bereits tut: es wirbt in einer Art genus sublime um die Dame und indem es sich performativ als Troubadour inszeniert, wird es zu einem solchen. Insofern lässt diese Textstelle auch Rückschlüsse auf die Genderkonzeption des Tiers zu, denn der Papagei übernimmt die Rolle des männlichen Werbers, was wiederum an die Information Vinzenz’ von Beauvais und Konrads von Megenberg erinnert, der Papagei erfreue sich an jungen Damen. Als die Dame daraufhin mit Nachdruck fragt, aus welchem Grund sie Betrug an ihrem Ehemann begehen solle, dem sie doch die Treue geschworen habe (V. 52–55), zeigt sich, dass der Vogel sein Rhetorik-Talent durchaus auch auf intrigante Weise einsetzt. Er stiftet sie zu einer moralisch äußerst bedenklichen Unternehmung an, indem er ihr versichert, in Liebesangelegenheiten seien Schwüre nicht von Bedeutung. Nachdem der Papagei auf diese Weise Überzeugungsarbeit geleistet hat, 1186 Arnaut de Carcasses, La nouvelle du perroquet, S. 254. Eigene Übersetzung (die Angabe der jeweiligen Sprecherrolle wurde von mir zum besseren Verständnis ergänzt): ›Dame: Papagei, ich gewähre Euch zu wissen, dass ich den Mann liebe, der mit den besten Eigenschaften der Welt ausgestattet ist. / Papagei: Wer ist das, meine Dame? / Dame: Mein Ehemann. / Papagei: Es ist nicht sinnvoll, dass alle Angelegenheiten in der Macht des Ehemanns stehen; Ihr könnt ihn in der Öffentlichkeit lieben, und anschließend – im Geheimen – liebt Ihr denjenigen, der ganz ohne Trug aus Liebe zu Euch vergeht. / Dame: Papagei, Ihr seid ein allzu geschickter, vornehmer Redner. Mir scheint, wenn Ihr ein Ritter wäret, wüsstet Ihr trefflich einer Dame den Hof zu machen. Aber ich werde deswegen keinesfalls unterlassen, Euch zu fragen, aus welchem Grund ich Betrug an dem Mann begehen soll, dem ich meine Treue geschworen habe. / Papagei: Meine Dame, ich sage Euch ohne weiteres: Die Liebe zollt Schwüren keine Bedeutung und der Wille folgt dem Begehren!‹
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merkt er, dass die ablehnende Haltung der Dame sukzessive schwindet.1187 Um sie vollends für seinen Herren zu gewinnen, »nimmt seine Rede den überlegenen Tonfall eines Lehrers an«1188 :
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Be us dic que dreitz es veramen Que devetz amar a prezen vostre marit mays qu’autra re, apres devetz aver merce d’aissel que mor per vostr’amor. Ne vos membra Blancaflor c’met Floris ses tot enjan, ni d’Izeut que amet Tristan ni de Tisbe cant al petrus anet parlar ab Piramus, c’anc nulhs hom non [l›en] poc tornar? En lieys vos podetz remirar. Cal pro.y auretz s’Antiphanor langis per vostr’amor ni mor? Lo dieu d’amor e las vertutz Say que vo’n rendran mals salutz, et yeu meteys, que dezir n’ay de vos tot lo mal que poirai, s’en breu d’ora no m’autreyatz que s’el vos ama vos l’amatz.1189
Zunächst erklärt der messatje der Dame, sie müsse sich nicht zwangsläufig zwischen ihrem Ehemann und Antiphanor entscheiden, denn sie könne ersteren völlig problemlos in der Öffentlichkeit lieben und sich anschließend dem armen Antiphanor zuwenden, der aus Liebe zu ihr vergehe. Damit weist der Papagei eine Möglichkeit auf, den ordo nach außen hin aufrecht zu erhalten und dennoch dem Werben, das er im Auftrag seines Herrn vollführt, nachzugeben. Um dem Ehebruch weiterhin den Anschein vollkommener Legitimität zu verleihen, 1187 Vgl. dazu auch: Müller, die altprovenzalische Versnovelle, S. 49. 1188 Ebenda, S. 50. 1189 Arnaut de Carcasses, La nouvelle du perroquet, S. 256. Eigene Übersetzung: ›Ich versichere Euch, dass es vollkommen legitim ist, dass Ihr in der Öffentlichkeit Euren Ehemann über alles liebt. Aber anschließend müsst Ihr Mitleid haben mit dem, der aus Liebe zu Euch stirbt. Erinnert Ihr Euch nicht an Blanscheflur, die ohne Betrug Flore liebte, an Isolde, die Tristan liebte, an Thisbe als sie ging, um sich mit Pyramos durch das Loch in der Mauer zu unterhalten, ohne dass sie irgendjemand davon hätte abhalten können? In ihr könnt Ihr ein Vorbild finden. Welchen Vorteil würdet Ihr daraus ziehen, wenn Antiphanor in Liebe zu Euch schmachtete und daran stürbe? Ich weiß, dass der Gott der Liebe und die Tugenden es Euch schlecht vergelten würden und ich selbst würde über Eure Worte alles Schlechte sagen, was ich nur könnte, wenn Ihr mir nicht schnell gewährt, dass Ihr – wenn er Euch liebt – ihn auch liebt.‹
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nimmt das Tier Rekurs auf verschiedene Liebespaare der Literaturgeschichte (V. 76–80), die entgegen aller gesellschaftlichen Erwartungen und Normen eine Beziehung zueinander eingegangen seien. Mit der Bezugnahme auf Floris und Blancheflor, Tristan und Isolde sowie Pyramus und Thispe, werden hier also Wissensbestandteile des literarhistorischen Diskurses aktiviert und eine Intertextualität hergestellt. Die intertextuellen Verweise, die aus dem Schnabel des Papageis kommen, lassen das Tier nicht nur schlau, sondern auch ungeheuer belesen und vielseitig gebildet erscheinen. Nachdem der Papagei solchermaßen als kluger Lehrer aufgetreten ist, appelliert er ein weiteres Mal an das Mitleid der Dame mit dem liebeskranken Ritter. Gegen Ende des Dialogs schließlich, »folgt […] als stärkstes Geschütz die Drohung mit der Rache des Liebesgottes und seiner eigenen«1190 (V. 87f.: et yeu meteys, que dezir n’ay / de vos tot lo mal que poirai). Dies zeigt, dass das Tier zur Wahrung der Interessen seines Herrn auch vor ›unlauteren Mitteln‹ (die vermutlich den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen würden) nicht zurückschreckt.1191 Die geschickte Argumentation des Vogels kann die Dame schließlich überzeugen und sie gibt ihm zu verstehen, allein aufgrund seiner schönen Worte werde sie seinen Herrn lieben und sich niemals mehr von ihm trennen (V. 102f.: […] pels vostres precx, l’amaray / e ja de luy no.m partiray).1192 Der Papagei bleibt auch im weiteren Verlauf der Geschichte der eigentliche Protagonist, hinter dem die anderen Figuren stark zurücktreten.1193 Er bringt seinem Herren als Liebespfand einen Ring und eine goldene Schnur der Dame und arrangiert ein heimliches Treffen der beiden, für das er sogar die Burg in Brand steckt. Als dann das Feuer zu erlöschen droht, ist es wiederum der clevere Papagei, der das Liebespaar rechtzeitig warnt und so dafür sorgt, dass alles gut ausgeht. Bei all seinen Unternehmungen ist sich das Tier offensichtlich seines Könnens und seiner Überzeugungskraft stets bewusst, denn nicht ohne einen Anflug von Stolz erklärt es seinem Herrn: […] Senher, ja may / non er noiritztal papagay / que tan digua per son senhor / com yeu ay dig per vostr’ amor (V. 126– 129).1194 Zusammenfassend lässt sich über den Papagei in der Papageiennovelle Ar1190 Müller, Die altprovenzalische Versnovelle, S. 50. 1191 Thiolier-Mejean bezeichnet den Papagei aus diesem Grund auch als »magisches« und »dämonisches« Tier. Sie schreibt diesbezüglich: »Le personnage central en est un perroquet magique et un peu d8moniaque, non seulement messager des amoureux mais v8ritable instigateur de l’intrigue, terrible incendiaire au sens propre et au sens figur8.« Thiolier-Méjean, Une Belle au Bois Dormant m8di8vale, S. 39. 1192 Eigene Übersetzung: ›Dank Eurer Bitten werde ich ihn lieben und niemals verlassen.‹ 1193 Müller, Die altprovenzalische Versnovelle, S. 51f. 1194 Eigene Übersetzung: ›Mein Herr, niemals wird ein Papagei großgezogen werden, der sich für seinen Herrn so sehr einsetzt, wie ich es für Eure Liebe getan habe.‹ Vgl. dazu auch: Müller, Die altprovenzalische Versnovelle, S. 51f.
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nauts de Carcasses festhalten, dass das Tier nicht nur als kluges und gebildetes Rhetorik-Talent in Szene gesetzt wird, sondern auch vor Listen, Intrigen und unlauteren Mitteln nicht zurückschreckt. Darüber hinaus wird deutlich, dass der Vogel sehr von sich und seinem Können überzeugt ist. Eine weitere Textquelle, in der gleich drei Papageien Handlungsträger sind, ist das altfranzösische Fabliau Le conte de la dame et des trois papegaulz von Thomas de Saluces, das im späten 14. Jahrhundert entstanden ist.1195 Der Papageienbesitzer ist in dieser Geschichte ein bereits betagter Unterlehensmann eines Barons. Da seine Frau noch jung und von großer Schönheit ist, befürchtet er, sie könne fremdgehen. Aufgrund dieser Befürchtungen erteilt er seinen drei Papageien den Auftrag, die Frau während seiner Abwesenheit zu beschatten. Die drei Papageienbrüder willigen ein und geben das Versprechen ab, gut aufzupassen (Al8s a Dieu et n’en doubtez, car bien ferons vostre commandement).1196 Ein jeder Vogel befindet sich in einem eigenen Käfig und die drei Käfige werden so aufgestellt, dass sich die Eingangstür zum Zimmer der Dame im Blickfeld der Tiere befindet. Nachdem der Ehemann am darauffolgenden Tag das Haus verlassen hat, bestellt sich die Frau ihren Liebhaber ein. Dieser gelangt durch den Garten in das Haus und verschwindet recht bald mit ihr in ihrem Schlafgemach. Am nächsten Morgen beschleicht die Dame die Angst, die drei Vögel könnten Zeugen des heimlichen Rendezvous geworden sein. Ihre listige Zofe Margot rät ihr, mit Leckereien zu den Papageien zu gehen und die Vögel auszuhorchen, was sie gesehen hätten. Der jüngste der drei – der wohl noch etwas naiv und deswegen unvorsichtig ist – gibt freimütig zu, alles beobachtet zu haben: Dame, vous voulez que je die Ce qui est voir sans menterie, Et ce que moult bien vous savez Et grandement esprouvez l’avez. Bien vy anuit certainement, Devant le premier coq chantant, Que vous et ceste damoiselle, Qui ver monseigneur est rebelle, Meni8s andeuz le chevalier Que si souliez festoier ; Et pour lui faire grant plaisir
Ne vous saviez contenir, Et le baisi8s et accoli8s Et en vo chambre le meni8s. La le receustes a grant plaisir, Et moult feustes a bel laisir Et tout nuit en grant deduit, Qui pou vous dura, si com je cuid, A la maniHre et au semblant Qu’au mener li feustes monstrant. Mes quant monseigneur le savra Dolante et yr8e vous fera.1197
1195 Yoder, The Late Medieval Tale, S. 544; Boehrer, Parrot Culture, S. 42. 1196 Thomas de Saluces, La novella della Dama e dei tre papagalli. Hrsg. v. Egidio Gorra. In: Romania, tome 21 n8 81, 1892, S. 71–78, hier S. 72. Eigene Übersetzung: ›Geht mit Gott und habt keinen Zweifel daran, dass wir Euren Befehl gut ausführen werden.‹ 1197 Ebenda, S. 74. Eigene Übersetzung: ›Herrin, Ihr wollt, dass ich sage, / was wahr ist, ohne zu lügen / und was Ihr sehr wohl wisst / und reichlich bewiesen habt. / Gewiss sah ich heute
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Auffällig wirkt an der Aussage des Tiers zunächst, dass sie in Reimpaarversen gehalten ist, während der übrige Text in Prosaform vorliegt.1198 Dadurch erscheinen die Worte des jüngsten Papageis – wie auch die nachfolgenden seiner beiden Brüder – höfisch formvollendet und sogar kunstvoller als die des Ehepaars und der Zofe.1199 Einmal mehr erweisen sich die Papageien also als wahre Meister der Rhetorik. Die Offenheit, die das jüngste Tier an den Tag legt, wird ihm allerdings zum Verhängnis, denn die Zofe rät ihrer Herrin, den Vogel zu töten und das gemeine Verbrechen so aussehen zu lassen, als ginge es auf das Konto der Katze. Daraufhin nähern sich die beiden Damen dem zweitältesten Papagei, um auch diesen zu verhören. Das Tier äußert sich auf ganz ähnliche Weise wie sein Bruder, denn es gibt ebenfalls zu, das Geschehen des Vorabends genauestens mitverfolgt zu haben. Anschließend fügt es aber noch hinzu, es habe auch den grausamen Mord an seinem jüngeren Bruder mit ansehen müssen: Dame, que voulez que je dye Chose qui vous fera yr8e ? Maintes choses je vy anuit Qu’a monseigneur desplairont, ce cuid ; Et fistes grant fellonie
Quant par vos losengerie, Par beaulz dis et soustreant Mon frere feustes engignant, Car pour dire la v8rit8 Cruellement l’avez tu8.1200
Die Zofe und die Dame erkennen sofort die Gefahr, die auch dieser wissende Papagei darstellt. Daher muss er dasselbe traurige Schicksal erleiden, wie das jüngste Tier. Alleine der dritte Papagei versteht es, sich in Bezug auf die nächtlichen Ereignisse bedeckt zu halten und kann dadurch sein Leben retten. Er antwortet auf die Frage seiner Herrin in schmeichelhaft höfischem Ton: Nacht gut, / bevor der erste Hahn sang, / dass Ihr und dieses Fräulein, / das gegen den Herrn rebelliert, / beide den Ritter hereingeführt habt, dem Ihr auf diese Weise einen schönen Empfang zu bereiten pflegt. / Und um ihm große Freude zu bereiten, / konntet Ihr Euch nicht beherrschen, / und habt ihn geküsst und umarmt / und in Euer Zimmer geführt. / Dort habt Ihr ihn mit großer Freude empfangen / und machtet zum schönen Vergnügen / und die ganze Nacht über in großer Lust, / [das,] was für Euch hätte andauern können, wie ich glaube, / nach der Art und Weise und der Miene / die Ihr ihm beim Hereinführen zeigtet. / Aber wenn mein Herr das erfahren wird, / wird er Euch schmerzerfüllt und betrübt machen.‹ 1198 Boehrer, Parrot Culture, S. 44. 1199 Ebenda. 1200 Thomas de Saluces, La novella della Dama e dei tre papagalli, S. 75. Eigene Übersetzung: ›Meine Dame, warum wollt Ihr, dass ich Dinge sage, / die Euch erzürnen? / Viele Dinge habe ich heute Nacht gesehen, / die – wie ich denke – meinem Herrn sehr missfallen werden, / und Ihr habt großen Treuebruch begangen, / als Ihr mit süßen Worten und Lobpreisungen / meinen Bruder beschwatzt habt. / Denn um die Wahrheit zu sagen: / grausam habt Ihr ihn getötet.‹
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Tres doulce dame debonnaire, Qui oncquez ne me feustes contraire, Ains je vous doy tant amer Et chier tenir et honnourer ; Maintes choses en mon temps vy Qu’en partie ay mis en oubli:
Et qui tout veult raconter Mainte foys le suelt comparer ; Mais cellui qui saiges sera En son cuer retiengne ja Que cellui qui oit, voit et se taist Blandist le monde sanz nul plait.1201
Besonders interessant erscheint diese Textstelle, wenn man zur Interpretation die bisher rekonstruierten Bestandteile des mittelalterlichen Papageien-Konzepts heranzieht. Sowohl Alexander Neckam als auch Vinzenz von Beauvais, Albertus Magnus, Thomas von Cantimpr8 und Konrad von Megenberg erklären, der Papagei lerne in seiner Jugend am besten, werde aber mit zunehmendem Alter vergesslich. Dieses Merkmal wird in der Geschichte aufgegriffen und auf ironische Art und Weise auserzählt. Die Vergesslichkeit des ältesten Papageis ist keine ›ungewollte Vergesslichkeit aus Versehen‹ – anhand der Formulierung Maintes choses en mon temps vy / Qu’en partie ay mis en oubli kommt vielmehr zum Ausdruck, dass das Tier sie – laut seiner eigenen Aussage – aktiv ins Vergessen gesetzt hat. Dieses ›aktive Vergessen‹ ist jedoch lediglich ein Vorgetäuschtes, denn in Wahrheit erinnert sich auch der älteste Papagei ebenso gut wie seine beiden jüngeren Geschwister an alles Geschehene. Um aber nicht den verhängnisvollen Fehler der ersten beiden Vögel zu begehen, hält der dritte Papagei eine Lobesrede auf das Schweigen, was in gewisser Weise als eine Art Oxymoron zu verstehen ist: Anstatt seinen Schnabel zu halten und tatsächlich zu schweigen (was entgegen seinem Naturell wäre), spricht der Papagei vom Schweigen. Er kann offensichtlich nicht nicht reden. Unter Zuhilfenahme der erzähltheoretischen Terminologie G8rard Genettes könnte man nun überlegen, ob das Tier auf der Ebene der histoire schweigt und auf der Ebene des discours redet, denn es thematisiert ja gerade nicht die Inhalte, über die seine Herrin Auskunft haben möchte. Vielmehr bleibt das Tier auf der Metaebene, auf der es sich über die Vor- und Nachteile von Schweigen und Sprechen auslässt. Mit ebendiesem Verhalten des ältesten Papageis wird noch ein weiterer Bestandteil des mittelalterlichen Papageien-Konzepts auserzählt, der sowohl bei Alexander Neckam als auch bei Vinzenz von Beauvais Erwähnung findet: die staunenerregende Klugheit des Tiers. Obgleich zu beachten ist, dass es sich bei 1201 Thomas de Saluces, La novella della Dama e dei tre papagalli, S. 76. Eigene Übersetzung: ›Oh, süße und angenehme Dame, / die Ihr mir niemals etwas Gegenteiliges [d. h. Leid] zugefügt habt, / weswegen ich Euch so sehr lieben / und wertschätzen und ehren muss! / Viele Dinge habe ich in meiner Zeit gesehen, / die ich zum Teil aus meinem Gedächtnis gelöscht habe: / Und derjenige, der alles erzählen will / muss oftmals dafür zahlen. / Aber derjenige, der weislich handelt, / behält das Wissen in seinem Herzen. / Derjenige, der hört, sieht und schweigt, / schmeichelt der Welt, ohne ein Wort zu sagen.‹
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dem Staunen, das das Fabliau hervorzurufen beabsichtigt, um ein textexternes – eines auf Seiten des Rezipienten – handelt. Anlass zum Staunen bietet einerseits die bereits vielfach angeklungene Redegewandtheit des Tiers. Darüber hinaus legt der Vogel gleich zweimal große Handlungsklugheit an den Tag, denn er verweigert nicht nur der Ehefrau eine Antwort auf Inhaltsebene, sondern auch dem Hausherrn, als dieser kurze Zeit später zurückkehrt. Als sein Herr ihn nämlich fragt, was er während seiner Abwesenheit bemerkt habe, antwortet der Vogel (nun vergleichsweise wortkarg): que pou d’aviz.1202 Eine Übersetzung dieser Aussage mit ›wenig von Bedeutung‹ erscheint m. E. an dieser Stelle treffend, da sich der Vogel ja eben gerade nicht zu einer Aussage auf der Bedeutungsebene hinreißen lassen will. Auch Bruce Thomas Boehrer stellt in Bezug auf das Verhalten des dritten Papageis sehr interessante Überlegungen an: […] the contrast between this bird and its fellows is also noteworthy. If the classical world viewed parrots as miniature, iferior human beings, the first two birds of this tale still retain something of that character. They’re extremely talented speakers, to be sure, but nonetheless their behaviour remains confined to the role of the oblinging servant; for them, […] to serve well is to please well. So when required to displease either their master or their mistress, they naturally respond with confusion. The third bird, in contrast, is made of sterner stuff. Understanding that its principal obligation is to serve itself, it contrives to satisfy both human parties without fully pleasing either. As a result, this bird no longer remains wholly inferior to its human companions. Instead, it manipulates both husband and wife and inaugurates, in the process, a long tradition of tales about human beings who are outwitted by parrots – most of them not nearly as clever as this one.1203
Der Loyalitätskonflikt, in dem sich die beiden ersten Papageien Boehrers Ansicht nach befunden haben, ist zwar nicht direkt anhand des Textes belegbar, scheint aber durchaus plausibel. Während die beiden jüngeren Vögel freimütig die Wahrheit wiedergegeben haben und damit eigentlich moralisch integer gehandelt haben, wird ihnen eben genau dieses aufrichtige, korrekte Verhalten zum Verhängnis. Wichtig ist weiterhin Boehrers Bemerkung, dass der dritte Papagei äußerst manipulative Züge aufweist.1204 Damit erscheint ein weiteres typisches Merkmal des mittelalterlichen Papageien-Konzepts in dem Fabliau realisiert zu sein, denn bereits Alexander Neckam berichtet in De naturis rerum I, 36, der Vogel besitze 1202 Eigene Übersetzung: ›wenig von Bedeutung.‹ Die Stelle ist etwas unklar. Während pou hier im Sinne von nfrz. peu steht, könnte man aviz mit nfrz. avis (= Meinung; Urteil) übersetzen. Boehrer übersetzt die Textstelle mit »But little foresight« ins Englische, was mir jedoch etwas sehr frei übersetzt zu sein scheint. Vgl.: Boehrer, Parrot Culture, S. 43. 1203 Boehrer, Parrot Culture, S. 43f. 1204 Ebenda, S. 44.
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großes Talent, Betrügereien zu erfinden und auch die Analyse der Papageiennovelle Arnauts de Carcasses hat gezeigt, wie intrigant das Tier zuweilen dargestellt wird. Anders als in der Papageiennovelle fungiert der Papagei in Le conte de la dame et des trois papegaulz nicht als Liebesbote und Kuppler, sondern übernimmt vielmehr die Rolle eines Privatdetektivs – eine Rolle, die ihm nicht alleine in dieser Erzählung zugedacht wird.1205 Zwar nicht als Privatdetektiv, aber doch im Rahmen der Ehebruchsthematik, tritt das Tier im Kalı¯la wa Dimna sowie in dem indischen Papageienbuch S´ukasaptati auf.1206 Besonders bemerkenswert ist dabei, dass der Papagei im S´ukasaptati die Rolle eines intradiegetischen Erzählers übernimmt und Protagonist der Rahmenerzählung ist, die wiederum 70 kürzere Geschichten umfasst.1207 Der Vogel erzählt seiner Herrin diese Geschichten, um sie von dem Ehebruch abzuhalten, den sie begehen will, als der Ehemann außer Haus ist.1208 Motivisch lässt sich hier demnach eine gewisse Ähnlichkeit zu der Rahmenerzählung der Märchen aus Tausend und eine Nacht konstatieren. In beiden Fällen kann durch das Erzählen von Geschichten ein als negativ bewertetes Handeln abgewendet werden: Scheherazade wird nicht vom König ermordet und die Herrin im S´ukasaptati begeht keinen Ehebruch.1209 Letzteres zeigt, dass der Papagei sich auch in seiner Rolle als »Tugendwächter«1210 bewährt hat. Ein vielversprechender Untersuchungsaspekt, dem in der vorliegenden Arbeit leider nicht nachgegangen werden kann, ist, ob der Papagei im S´ukasaptati in irgendeiner Weise eine ›papageientypische‹ Erzählweise erkennen lässt. Erzählt er anders als ein menschlicher Erzähler es tun würde? Und wenn ja, worin liegt die Andersheit? In der Wortwahl, dem Satzbau, der Wirkungsweise oder der Stilhöhe?1211 Die Ergebnisse einer solchen Untersuchung ließen sich dann wiederum auf interessante Weise in einen Vergleich setzen zu den rhetorischen Fähigkeiten, die dem Papagei in mittelalterlichen Erzählungen des westeuropäischen Kulturraums zugeschrieben werden. Wie die Analyse von Le conte de la dame et des trois papegaulz gezeigt hat, nimmt der Vogel in diesen Erzählungen zwar nicht immer vollständig die Erzählerrolle ein, jedoch liegen innerhalb von 1205 1206 1207 1208 1209 1210 1211
Schenda, Das ABC der Tiere, S. 255. Ebenda, S. 254f. Ebenda, S. 255. Ebenda. Ebenda. Ebenda. In eine solche Untersuchung könnte man auch die Erzählung Panchatantra I, 23 mit einbeziehen (die englische Übersetzung des Sanskrit-Titels lautet The Results of Education). Die Geschichte handelt von einem unhöflichen und einem höflichen Papagei. Beide – so lehrt der Text – legen ein Verhalten an den Tag, das man ihnen anerzogen hat, bzw. das sie von ihrem Umfeld übernommen haben.
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Dialogen oftmals große Redeanteile bei ihm, sodass sich Aussagen über die literarische Darstellung der ›papageientypischen‹ Redeweise machen lassen. Eine Erzählung, die in weiten Teilen aus Papagei-Mensch-Dialogen besteht und in der einmal mehr die listige Verschlagenheit, Intriganz und Raffinesse des Vogels zum Ausdruck kommt, ist die im 14. Jahrhundert entstandene altokzitanische Versnovelle Frayre de Joy et Sor de Plaser.1212 Im Hinblick auf die Motive, die in der Erzählung eine Rolle spielen, zeigt sich eine gewisse Ähnlichkeit zu einem der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm – genauer gesagt zu Dornröschen. Doch weist die altokzitanische Versnovelle einen ganz entscheidenden Unterschied auf: In ihr stellt ein als jay bezeichneter Papagei den wichtigsten Handlungsträger und eigentlichen Protagonisten dar.1213 Der Kaiser Gint-Senay1214 ist Vater einer wunderschönen Tochter namens Sor de Plaser, die – inmitten eines kaiserlichen Mahls – ganz unerwartet stirbt. Da die vermeintlich Tote noch erstaunlich lebendig aussieht, weigert sich der Kaiser, sie beerdigen zu lassen. Stattdessen wird sie in einen eigens zu diesem Zweck errichteten bunten und goldfarbenen Turm gebracht, der von einem herrlichen Obstbaumgarten und einer Wiese umgeben ist. Um die Wiese herum fließt ein Fluss, sodass man nur über eine gläserne Brücke in den Turm gelangt. Die Brücke ist mit einem Zauber belegt, der bewirkt, dass ausschließlich die Kaiserin und der Kaiser sie überqueren können. Die Eltern besuchen ihr dort aufgebahrtes Kind einmal wöchentlich. Das Schicksal der scheinbar toten Prinzessin wird schnell überall bekannt, und so erfährt auch der Sohn des Königs von Florianda, Frayre de Joy, davon. Da er die Schöne selbst in Augenschein nehmen möchte, jedoch nicht ohne Weiteres über die Zauberbrücke gelangt, nimmt er viel Gold an sich und begibt sich nach Rom, wo er Vergil aufsucht, der in der Novelle die Rolle eines Zauberers innehat. Mit Vergils magischer Hilfe schafft Frayre de Joy es, zur Prinzessin vorzudringen, in die er sich verliebt und die er schwängert. Als Sor de Plaser neun Monate später einen Sohn gebiert, selbst aber noch ohne Bewusstsein ist, wird dies als ein großes Wunder erachtet, und sowohl die Eltern als auch die Zauberer des Reiches hoffen, die Prinzessin möge bald wieder zum Leben erwachen. Als die Eltern nach einem Besuch bei ihr aus dem Turm heraustreten, sehen sie in der
1212 Thiolier-Méjean, Suzanne (Hrsg.), Une Belle au Bois Dormant m8di8vale – Frayre de Joy et Sor de Plaser. Texte, traduction, notes et commentaires par Suzanne Thiolier-M8jean. Paris 1996. 1213 Zur Etymologie der Bezeichnung jay siehe auch: Thiolier-Mejean, Kommentar zu Frayre de Joy et Sor de Plaser, S. 98–100. 1214 Thiolier-Mejean erklärt, der Name Gint-Senay könne ›Ich habe eine edle Seele‹ bedeuten. Thiolier-Méjean (Hrsg.), Frayre de Joy et Sor de Plaser, S. 157, Anm. 2.
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Ferne einen Papagei fliegen, der für den weiteren Verlauf der Geschichte von immenser Bedeutung ist:
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Mantinent del loch partiren, E quan foren defors, ells viren Venir de luyn un jay volan, Al bech una erba portan ja cotxos volan, Car Frayre de Joy l’enviet. Anet per tot lo mon e cerquet Conssell, e metges demandet, Philosofs e encantadors En corts de reys, d’emperadors, Contan de senblan la raysos.1215
Von dem Vogel wird also gesagt, er handle im Auftrag Frayre de Joys (V. 321). Dies erinnert an den als messatje auftretenden Papagei in der Papageiennovelle Arnauts de Carcasses. Auch dieser gibt zunächst vor, im Auftrag seines Herrn Antiphanor unterwegs zu sein, überschreitet dann allerdings bei weitem den Kompetenzbereich eines Boten. Ebenso gestaltet sich dies in Frayre de Joy et Sor de Plaser, wie im weiteren Verlauf der Geschichte noch deutlich wird. Der Papagei transportiert ein Kraut in seinem Schnabel, das für die Wiedererweckung der Prinzessin kausal sein wird. Bevor dieses große Ereignis jedoch stattfindet, wird noch einmal der Aufwand betont, den Frayre de Joy betrieben hat, um Hilfe für seine Liebste zu finden (V. 322–326). Daraufhin äußert sich der gut informierte (V. 329: so say) Erzähler über das Äußere, die sagenumwobene Herkunft sowie die besonderen Fähigkeiten des Papageis:
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Vergili, qu’aycella saysos Avia noyrit un bon jay, Qu’era verts e vermells, so say, Blanch, neyre, groch, indis ho blaus, Avia cresta com a paus, E-l bech vermells, si com cells an De la terra de Pestre Johan, Car aytalls son tots cells de lay.
1215 Thiolier-Méjean (Hrsg.), Frayre de Joy et Sor de Plaser, S. 178. Eigene Übersetzung: ›Sogleich brachen sie auf / und als sie herausgetreten waren, sahen sie / von weit her einen Papagei fliegen, / der ein Kraut in seinem Schnabel trug / und schnell flog, / weil FrHre de Joie ihn gesandt hatte. / Er selbst war durch die ganze Welt gereist, / nach Rat fragend und nach Ärzten / Philosophen und Hexern suchend, / an den Höfen von Königen und Kaisern, / immer wieder dieselbe Geschichte erzählend.‹
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E-l jay anava say e lay Ffar e dir tot Åo c’om volia, E totes les erbes sabia E conexia lur vertus, E portava breus e saluts E noves, mils qu’altre missatge, E sabia de tot lenguate, E mils que-l mestre encantava.1216
Es handelt sich also um einen magischen Vogel, denn er wurde von dem Zauberer Vergil höchstpersönlich großgezogen – eine Information, die das Tier im Lichte eines besonderen Faszinosums erscheinen lässt und mit Sicherheit darauf abzielt, auf Seiten der Rezipienten ein Staunen hervorzurufen. Die Angaben zur Farbe des Federkleides in V. 329 scheinen zunächst noch dafür zu sprechen, dass auch hier von dem prototypischen Papagei, dem Halsbandsittich, ausgegangen wird. Der Erzähler ist sich sicher, dass das Tier diese beiden Farben aufweist, was anhand der Aussage so say (V.329), die man mit ›ich weiß es sehr wohl‹ übersetzen könnte, deutlich wird. Jedoch bleibt es nicht bei diesen beiden Farben, denn der Vogel sei darüber hinaus auch noch weiß, schwarz, gelb, indigoblau und besitze einen roten Schnabel. Insofern gewinnt der magische Vogel in V. 330 wiederum etwas an Distanz zum prototypischen Papagei. V. 333 enthält einen der wohl wichtigsten ›Exotik-Indikatoren‹, die der Text in Bezug auf den Papagei an die Hand gibt. Es wird nämlich gesagt, der Vogel stamme aus dem Land des Priesterkönigs Johannes, also aus einem fiktiven Wunderreich, an dessen Existenz die Menschen im Mittelalter fest glaubten und das als Inbegriff von ›Exotik‹ gelten kann.1217 Nach der Beschreibung des äußeren Erscheinungsbildes und der Herkunft, geht der Erzähler auf die besonderen Fähigkeiten des Tiers ein, wobei eine Eigenschaft Erwähnung findet, die in keiner der bisher analysierten Quellen genannt wurde. Der Vogel eignet sich nämlich nicht nur als Bote, sondern kennt sich auch hervorragend mit allen Kräutern aus und weiß über deren Wirkung Bescheid (V. 337f.: E totes les erbes sabia / E conexia lur vertus). Seine Kenntnisse sind jedoch nicht auf bloßes Botanik-Wissen oder die Heilkunde beschränkt – er ist zudem eine wahre Koryphäe auf dem Gebiet der 1216 Thiolier-Méjean (Hrsg.), Frayre de Joy et Sor de Plaser, S. 178; 180. Eigene Übersetzung: ›Nunaber hatte Vergil zu dieser Zeit / einen guten Papagei großgezogen, / er war grün und leuchtend rot, ich weiß es sehr wohl; / weiß, schwarz und gelb, indigoblau, / er hatte den Kamm eines Pfaus / der Schnabel war rot, wie ihn die Papageien aus dem Land / des Priesterkönigs Johannes haben, / denn alle von dort unten sind so. / Der Papagei ging hier und dorthin, / um zu tun und zu sagen, was man von ihm wollte, / und er kannte alle Kräuter / und deren Wirkung, / transportierte Briefe und Grüße / und Neuigkeiten besser als jeder andere Bote, / und er konnte alle Sprachen / und zauberte besser als sein Meister.‹ 1217 Vgl. dazu auch S. 102f. der vorliegenden Arbeit.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Zauberei und auf diesem Sektor selbst dem Hexenmeister Vergil überlegen (V. 342: E mils que-l mestre encantava). Trotz seiner überragenden Kenntnisse musste auch der jay mindestens sechs Monate suchen, bis er ein geeignetes Kraut gefunden hatte, um die Prinzessin zu erlösen (V. 367f.). Er gibt der Schönen das erlösende Kraut in die Hand, wovon sie sofort erwacht. Der anfänglichen Orientierungslosigkeit der Prinzessin und den Fragen, die sich angesichts des Babys in ihrem Arm ergeben, begegnet der jay mit ausgesprochener Höflichkeit – ganz in dem Bemühen, die gerade Erwachte seinem Herrn gewogen und zugeneigt zu machen. Dies scheint zunächst ein schwieriges Unterfangen, da die Prinzessin in höchstem Maße empört darüber ist, dass Frayre de Joy sich ihr während der Phase ihres Scheintods genähert und sie ohne ihr Einverständnis geschwängert hat. Der Papagei tritt in dieser Situation in gewisser Weise als ›Anwalt‹ des Königssohns auf, denn er versucht, die Argumente Sor de Plasers zu widerlegen und hält ein flammendes Plädoyer für seinen Herrn. So gibt der Vogel der Prinzessin zu verstehen, Frayre de Joy sei ihr gegenüber aufrichtiger und loyaler als jeder andere Liebhaber es seiner Freundin gegenüber sei (V. 441–444). Die Rhetorikkunst des Papageis offenbart sich innerhalb des Plädoyers ein weiteres Mal, als der Vogel auch noch das folgende Sprichwort – das in ganz ähnlicher Form in den Proverbes au Vilain zu finden ist – in seine Argumentation einbaut: 471
Le savis dits: »En corts reyal Qui so que desira no pren Cant pot, apres pauc s’en repen, E no y pot tota hora tornar«1218
Friedrich Wolfzettel bemerkt in Bezug auf die Einbindung dieses Sprichworts, die Geschichte avanciere zu einem casus und analog zu dem Aufbau eines partimen werde weniger darauf abgezielt, die Problematik zu lösen, als alle erdenklichen Möglichkeiten der traditionellen Casuistik aufzuweisen.1219 Durch die Reminiszenz an die literarische Tradition des partimens, die sich laut Wolfzettel hier konstatieren lässt, erscheint der Papagei noch stärker im Lichte eines literarhistorisch gebildeten Tiers bzw. in der Rolle eines Trobadors: Er kennt die Regeln, nach denen sich die höfische Kommunikation innerhalb des 1218 Thiolier-Méjean (Hrsg.), Frayre de Joy et Sor de Plaser, S. 190. Eigene Übersetzung: ›Der Weise sagt: »Wer sich am königlichen Hof nicht nimmt, was er begehrt, wenn er die Möglichkeit dazu hat, wird es kurze Zeit später bereuen, und nicht in jedem Fall eine erneute Gelegenheit dazu finden«.‹ 1219 Wolfzettel, Le Conte en palimpseste, S. 128f. Wolfzettel formuliert dies wie folgt: »Le conte se transforme ainsi en un casus dont le v8ritable but semble moins Þtre de trouver une solution que de montrer – pareillement aux rHgles du partimen – tous les aspects possibles de la casuistique traditionelle.«
Papagei
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Liebesdiskurses abspielt und befolgt sie als Gegner der Prinzessin innerhalb des agonal angelegten Joc partit.1220 Unter Einbeziehung der literarhistorischen Tradition überrascht es wenig, dass die Prinzessin schlagartig ihre Meinung über Frayre de Joy ändert.1221 Nachdem zwischen ihr und dem Vogel alle Aspekte diskutiert sind und der jay ihr erklärt hat, dass ihre Genesung den Prinzen ein ganzes Königreich gekostet habe, erscheint sie plötzlich besänftigt. Sie erkundigt sich nach dem Namen ihres Retters und entbrennt in einer Art amor de lonh zu diesem Minneritter, der in Abwesenheit durch seinen gefiederten Freund vertreten wird.1222 Da das Gefühl der Fernliebe sie so sehr überkommt, bittet sie den Papagei, ihren Liebsten schnellstmöglich davon in Kenntnis zu setzen. Der Vogel begrüßt dies sehr und schafft sogleich Tatsachen, indem er verkündet, er werde zu ihrem Vater fliegen und sich dafür einsetzen, dass dieser ihr Frayre de Joy zum Gemahl gebe: 545
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Gay, prech te que l’ans dir ivas Que ja nul temps gauig no auray Tro l’aja vist. – »Dompne si-us play, Eu vos diray co se deu fayre : Eu m’en iray a vostre payre, La on sia, a Gint Senay, E tot lo fayt li comptaray. E puys, cant el l’aura ausit, Dir li ai que-l vos do per marit, Sera fayt, qu’es qu’en deye far ; Puys hom no-us en pora blasmar Ne res dire de res qu’en sia.«1223
Hier wird der Papagei also ein weiteres Mal als äußerst geschickter Kuppler in Szene gesetzt. Bereits die Analyse der Papageiennovelle Arnauts de Carcasses hat 1220 Für weitere Informationen zur Tradition des Joc partit sei verwiesen auf: Neumeister, Das Spiel mit der höfischen Liebe: das altprovenzalische Partimen. München 1969. 1221 Wolfzettel, Le Conte en palimpseste, S. 129. 1222 Auf das Motiv der amor de lonh weist in diesem Zusammenhang auch Wolfzettel hin. Vgl. Wolfzettel, Le Conte en palimpseste, S. 129. 1223 Thiolier-Méjean (Hrsg.), Frayre de Joy et Sor de Plaser, S. 196. Eigene Übersetzung: ›»Papagei, ich bitte Dich, Dich sofort zu ihm zu begeben und ihm zu sagen, / dass ich niemals mehr irgendeine Freude empfinden werde, / bevor ich ihn nicht zu sehen bekommen habe.« – »Meine Dame, wenn es Euch beliebt, / werde ich Euch sagen, wie man es angehen muss: / Ich werde zu Eurem Vater gehen / – dorthin wo er sein muss, nach GintSenay – / und werde ihm die ganze Angelegenheit erzählen. / Und dann, wenn er es vernommen haben wird, / werde ich ihm sagen, / dass er Euch Frayre de Joy zum Gemahl geben soll, / und das wird getan werden, ganz gleich was geschieht. / Niemand wird Euch dafür tadeln – / noch was auch immer [dagegen] sagen können«.‹
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
gezeigt, dass dem Vogel in mittelalterlichen Texten diese Rolle zugeschrieben werden kann. Da eine ganz ähnliche Textstelle auch im Chevalier au Papegau zu finden ist, kann davon ausgegangen werden, dass diese Kuppler-Rolle einen festen Bestandteil des mittelalterlichen Papageien-Konzepts darstellt. Zugleich zeigt sich anhand des oben angeführten Zitats, wie sehr das patente Tier von sich selbst überzeugt ist: Der Vogel ist sich völlig sicher, dass der Kaiser seinen Vorschlag befolgen wird und der Vermählung der Prinzessin mit Frayre de Joy zustimmen wird (V. 554: Sera fayt, qu’es qu’en deye far). Auf seiner Mission wird der jay zwar von einem Ritter gefangengenommen, kann sich jedoch bereits kurze Zeit später mithilfe seiner Überredungskunst befreien: Überzeugend erklärt er der Geliebten des Ritters, er sei in Liebesangelegenheiten unterwegs, wofür die Frau vollstes Verständnis aufbringt, denn der Vogel appelliert an ihr Gefühl. Er fragt sie, ob sie nicht auch schon einmal verliebt gewesen sei (V. 623–626). Dieses Vorgehen beweist, dass der Vogel nicht nur rhetorisch versiert ist, sondern auch über psychologisches Geschick, Empathie und emotionale Intelligenz verfügt. Diese Gaben weiß er im Dialog mit der Geliebten des Ritters zu seinem eigenen Vorteil einzusetzen, sodass sie den missatge qui tremes fos per amor (V. 630f.) – den ›Boten, der im Namen der Liebe gesandt wurde‹ – schließlich in die Freiheit entlässt. Die Textstelle kann darüber hinaus als ein weiterer Beleg dafür gewertet werden, dass der Papagei sich besonders gut mit Damen versteht, denn er versucht gar nicht erst, den Ritter zu überzeugen, sondern wendet sich mit seiner Bitte um Freilassung direkt an dessen Geliebte. Nachdem der Vogel sein vorläufiges Ziel erreicht hat und der Kaiser seine Zustimmung zu der Hochzeit gegeben hat, entwickelt das Tier noch weitere Ambitionen, denn nun will es sich dafür einsetzen, dass dem Liebespaar ein prunkvolles Schloss errichtet wird:
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– »Ma dona,« dix ellab aytant, »Eu tornaray a mon senyor ; Mas ans per la vostra honor Ffaray un castell ric e gran, On vull que estien ab l’infan Mil dones covinens e beyles, E .M. donseyls e. M. donseyles, .M. clerchs e .M. juglars cortes, E .M. cassadors ab auceylls De mantes guises lo castell Fo fayt, que anc no vis tan bell, Ab tors, ab cambres, ab palays;
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Certes tan bell non vis anc mays. Hom no y comprava ne y vendia Mas quant hom demandar sabia, Avia hom lay mantinent. E-l pont fo fayt tan fermement Que tot hom lay passar posques.«1224
Anhand dieser neuerlichen Papageien-Unternehmung, dem Schlossbau, wird einmal mehr deutlich, dass der Vogel scheinbar immerwährend unermüdlich in Aktion ist, um die Angelegenheiten seines Herrn zu managen. Die eigentliche männliche Hauptfigur, Prinz Frayre de Joy, kommt in der Erzählung beinahe nie zu Wort und ist meist abwesend, sodass er durch den jay vertreten werden muss. Da der Vogel einen noch weitaus größeren Redeanteil besitzt als der Papagei in der Papageiennovelle, erscheint er noch stärker in der Rolle des aktiven, selbstständig und eigenverantwortlich handelnden Protagonisten. Er ist nicht einfach ein domestiziertes Tier, das die Befehle seines Herrn befolgt – er ist Entscheider und Lenker des Geschehens. Nicht zuletzt muss auch bedacht werden, welche Rolle die Aktivitäten des jays im Hinblick auf die GenderKonstruktion des Vogels spielen. Indem er alle männlichen Aufgaben übernimmt (das Werben um die Minnedame, die Organisation der Hochzeit, den Schlossbau und schließlich die Vorbereitungen für die Taufe des Kindes) und sich dabei der höfischen Sprache eines Minneritters bedient, wird er – durch seine Performances und seine performativen Sprechakte – zu einem männlichen Tier. Darin zeigt sich ein diametraler Gegensatz zu der Genderkonstruktion, die sich innerhalb einiger Textquellen abzeichnet, die in der vorliegenden Arbeit dem religiös-heilsgeschichtlichen Diskurs zugerechnet werden.1225 Das oben angeführte Zitat, in dem die Planung und Durchführung des Schlossbaus thematisiert werden, ist aber noch aus einem anderen Grund für die 1224 Thiolier-Méjean, Frayre de Joy et Sor de Plaser, S. 208; 210. Eigene Übersetzung: ›»Meine Dame« sagte er also, / »ich werde zurückkehren zu meinem Herrn; / aber zuvor werde ich zu Eurer Ehre / ein großes und mächtiges Schloss bauen lassen, / in dem sich tausend charmante und schöne Damen / bei dem Kind aufhalten sollen, / und tausend Knappen und tausend Fräuleins, / tausend Geistliche und tausend höfische Gaukler / und tausend Jäger mit ihren Vögeln.«/ Das Schloss wurde aus verschiedenen Materialien erschaffen, / die dergestalt waren, dass man niemals etwas so Schönes gesehen hatte. / An Türmen, an Zimmern, an Prunksälen / hatte man sicherlich niemals etwas so Schönes gesehen. / Dort wurde weder etwas gekauft noch verkauft, / aber wenn man etwas wünschte, / erhielt man es sofort. / Die Brücke war so solide beschaffen, / dass jeder sie leicht überqueren konnte.‹ 1225 Vgl. dazu Kapitel 2.2.3.2 Der religiös-heilsgeschichtliche Diskurs. In den Concordantiae caritatis beispielsweise ist der Papagei als Sinnbild für Maria und die Heilige Elisabeth zu finden; er stellt in diesem Kontext also eine Allegorie dar, die auf zwei weibliche Heilige verweist.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Rekonstruktion des mittelalterlichen Papageien-Konzepts interessant. Besonders deutlich malt sich der Vogel den Luxus aus, der den Prachtbau ausmachen soll. Hier könnte man annehmen, dass der Papagei eine besonders klare Vorstellung davon hat, wie ein luxuriöses Schloss auszusehen hat, da er selbst ein ›Luxuswesen‹ ist; ein Konzeptbestandteil, der auch im Liber de natura rerum 5, 109 von Thomas von Cantimpr8 Erwähnung findet.1226 Darüber hinaus ruft die Beschreibung des Schlossbaus ein weiteres Mal in Erinnerung, dass es sich bei dem jay um einen magischen Vogel handelt, denn auch das von ihm geplante und in Auftrag gegebene Schloss weist magische Elemente auf: Den darin lebenden Menschen wird jeder Wunsch sofort erfüllt, sodass sie weder etwas kaufen noch verkaufen müssen. Außerdem macht eine solide Brücke das Schloss für jedermann leicht erreichbar. Die Beschreibung der Brücke stellt eine ironische Wiederaufnahme des Brückenmotivs dar, denn bereits zu Beginn der Erzählung war die Rede von einer anderen magischen, gläsernen Brücke, die zu dem Turm führte, in dem Sor de Plaser scheintot aufgebahrt lag.1227 Während die erste verzauberte Brücke nur bestimmten Personen gewährte, sie zu überqueren – nämlich der Kaiserin und dem Kaiser – lässt die zweite Brücke jedermann das Prunkschloss erreichen. Zusammenfassend lässt sich über den jay in Frayre de Joy et Sor de Plaser sagen, dass es sich bei ihm um ein ausgesprochen begabtes Tier handelt, das überragendes rhetorisches Geschick, gepaart mit emotionaler Intelligenz, aufweist. Er ist ein edles Luxustier, das die Aufgaben der männlichen Hauptfigur übernimmt, was im Hinblick auf die Kategorie ›Gender‹ den Eindruck entstehen lässt, dass es sich um ein männliches Tier handelt. Was das Tier von den Papageien in den bisher analysierten Textquellen unterscheidet, sind die magischen Attribute, die ihm zugeschrieben werden: Der jay wurde von einem Hexenmeister großgezogen, kann selbst noch besser zaubern als sein Ziehvater und kennt sich hervorragend mit allen Kräutern und deren Wirkung aus. Diese magische Komponente könnte allerdings den gattungskonstitutiven Regeln geschuldet sein, die die Erzählung bestimmen. Da man Frayre de Joy et Sor de Plaser zu den Feenmärchen zählen kann, stellt der jay innerhalb des conte merveilleux den wohl wichtigsten Bestandteil des ›Merveilleusen‹ dar.1228 Außer diesem Feenmärchen gibt es allerdings noch eine Bildquelle, die den Papagei ebenfalls in den Kontext von Magie und Zauberei rückt. Es handelt sich dabei um den zwischen 1470 und 1480 entstandenen Liebeszauber (Abb. 91), ein
1226 Vgl. S. 324 der vorliegenden Arbeit. 1227 Thiolier-Méjean, Frayre de Joy et Sor de Plaser, S. 211, Anm. 42. 1228 Zur Gattungsbestimmung der Erzählung Frayre de Joy et Sor de Plaser vgl. Wolzettel, Le Conte en palimpseste, S. 129f.
Papagei
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Ölgemälde, das von einem namentlich nicht bekannten niederrheinischen Meister angefertigt wurde.1229 Der Papagei ist in der rechten Bildhälfte, auf der Kommode sitzend, abgebildet. Ulrike Wörner interpretiert den Liebeszauber und den darin zu sehenden Vogel wie folgt: Auf dem Gemälde […] wird das Stereotyp der Frau als Verführerin thematisiert: Eine nackte Schöne mit offenem Haar und nur einem durchsichtigen Schleier ›bekleidet‹ entfacht die Flamme der Leidenschaft, ein blutendes Herz auf dem Bild symbolisiert die Macht weiblicher Verführungskünste, die Pfauenfeder die Überheblichkeit und der Papagei die Unkeuschheit. Der Frau liegt ein Pudeltier […] zu Füßen. In diesem Kontext fungiert das Schoßhündchen als Symboltier der Unkeuschheit oder als ein Wächter und Mahner zur Treue, allerdings als einer, der seiner Aufgabe nicht genügt.1230
Auch wenn Wörner hier mit den meisten ihrer Beobachtungen und Interpretationsvorschläge richtig liegen mag, so scheint es m. E. doch etwas verfehlt, in Bezug auf den Papagei anzunehmen, dieser symbolisiere die Unkeuschheit. Nicht nur, weil dies den diametralen Gegensatz zu der Bedeutung darstellen würde, die dem Tier meist innerhalb des religiösen Diskurses zugeschrieben wird – dies allein wäre kein Gegenargument, denn wie sich innerhalb der Analyse bereits vielfach gezeigt hat, ist es durchaus möglich, dass Tiere eine »Projektionsfläche« für völlig gegensätzliche kulturelle Einschreibungen abgeben.1231 Problematischer erscheint mir, dass mit der Deutung als ›Symbol der Unkeuschheit‹ eine äußerst negative Wertung des Tiers einhergeht, für die weder das Gemälde genügend Anhaltspunkte bietet, noch die bislang rekonstruierten Bestandteile des mittelalterlichen Papageien-Konzepts. Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass das Tier häufig als humoristisch angehauchter Kuppler in Szene gesetzt wird, der zur Erreichung seines Ziels auch vor Intrigen nicht zurückschreckt. Trotz dieses zuweilen äußerst intriganten Verhaltens bleibt er jedoch letzten Endes immer der liebenswerte Spaßmacher – ein Sympathieträger also, dem die Rezipienten wohl gerne die eine oder andere Gaunerei verziehen haben dürften. Die lustigen Attituden des Vogels dahingehend zu interpretieren, dass sie eine wirklich gravierende Sünde darstellen – und nichts anderes bedeutet Unkeuschheit für mittelalterliche Rezipienten – scheint daher nicht angemessen zu sein.
1229 Wörner, Die Dame im Spiel, S. 278. 1230 Wörner, Die Dame im Spiel, S. 278. 1231 Vgl.: Friedrich, Menschentier und Tiermensch, S. 13.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Abb. 91: Liebeszauber. Niederrheinischer Meister. Entstanden zwischen 1470 und 1480. Leipzig, Museum der bildenen Künste.1232 1232 Bildquelle: Niederrheinischer Meister, Liebeszauber. Bildrechte: bpk / Museum der bildenen Künste, Leipzig / Michael Ehritt.
Papagei
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Besonders interessant sind weiterhin die vier weißen Bänder, die über das Gemälde verteilt sind. Obgleich auf ihnen keine Inschriften zu erkennen sind, könnte es sich um Spruchbänder handeln. Eines dieser potentiellen ›Spruchbänder‹ grenzt direkt an den Schnabel des Papageis an, was bedeuten könnte, dass der Vogel im Rahmen des Liebeszauber-Rituals selbst zu Wort kommt. Möglicherweise sagt er sogar einen Zauberspruch auf. In jedem Fall kann festgehalten werden, dass das Tier eine den Liebeszauber unterstützende Wirkung zu haben scheint, denn der Zauber gelingt: Durch die Tür, die im Bildhintergrund zu sehen ist, tritt der Geliebte ein und gesellt sich zu seiner Verführerin. Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf den Papagei innerhalb des Liebesdiskurses festhalten, dass die Sprachbegabung das mit Abstand wichtigste Merkmal des Vogels darstellt. Anders gestaltet sich dies nur im Rahmen der beiden Vergleiche mit Isolde und Helena. Innerhalb dieser beiden Textstellen bietet die äußere Erscheinung des Tiers Anknüpfungspunkte für den Vergleich. Darüber hinaus lassen die meisten Darstellungen auch Handlungsklugheit im Sinne eines äußerst opportunistischen Handelns erkennen. Allerdings schließt dieser Opportunismus zumindest in der Papageiennovelle und in Frayre de Joy et Sor de Plaser das Glück und Wohlergehen des Papageienhalters mit ein. Wie die Analyse der Stelle aus Gottfrieds Tristan sowie der beiden Minnelieder Morungens und Kristans gezeigt hat, findet der Papagei des Öfteren im Rahmen eines Vergleichs Erwähnung. Während der Papageien-Vergleich im Tristan darauf abzielt, Isoldes Reinheit und Tugendhaftigkeit zu betonen, wird durch den Papageien-Vergleich in Morungens West ich, ob ez versw%get möhte s%n zum Ausdruck gebracht, dass die Minnedame niemals gelernt hat von Liebe zu sprechen. In Kristans Angerlied verweist der Papageien-Vergleich unterhalb der Textoberfläche auf die Sprachgewandtheit des Sänger-Ichs. In Bezug auf die ›Exotik‹ des Vogels hat sich gezeigt, dass der Papagei einzig in Frayre de Joy et Sor de Plaser als besonders ›exotisch‹ dargestellt wird. In Gottfrieds Tristan wird das Tier in einem Atemzug mit edlen Raubvögeln genannt. Diese wurden zwar ebenso wie der Papagei importiert, es ist jedoch davon auszugehen, dass man im Mittelalter mit ihnen ebenso vertraut war wie mit einheimischen Vögeln, da sie zur Beizjagd eingesetzt wurden. In Morungens West ich, ob ez versw%get möhte s%n wird der sitich zusammen mit einem einheimischen Vogel genannt, was für eine Vertrautheit mit dem Tier spricht. Das Staunen über den Papagei betrifft meist ausschließlich dessen Sprachtalent, nicht aber sein Äußeres oder seine fremdländische Herkunft. Einzig das altokzitanische Feenmärchen Frayre de Joy et Sor de Plaser lässt den Papagei als mirabilium des Ostens erscheinen, denn es wird gesagt, er komme aus dem Land des Priesterkönigs Johannes.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
P Papagei
Temperament und Charakter
Äußeres
Farbe
Größe
ausgelassen
weiß
klein
ängstlich
bunt
männlich
weiblich
spricht ›weibisch‹
›Liebling der Damenwelt‹
harter Schnabel
Reis
cholerisch
grün + rot
kostbare Voliere
aggressiv
klug je höher gelegen der Lebensraum, desto größer
Wein
rotes Halsband
harter Kopf
Nahrung
Geschlecht
besondere Merkmale
glänzendes Gefieder
selbstbewusst
Anzahl an Zehen ist verschieden
zutraulich
drei Zehen
liebenswürdig und charmant intrigant
unedel Weingenuss
breite Zunge menschenähnlicher Gesang klappt besser mit 5-zehigen Exemplaren als mit 3-zehigen
kann durch Schläge mit einer kleinen Eisenstange konditioniert werden
Sprache
übernimmt Troubadourrolle
f ünf Zehen
unter Zuhilf enahme eines Spiegels
Minnedame
edel
nicht so gelehrig
lernt schnell sprechen
spricht v orgesagte Worte nach
Sprachtraining
am besten vor Vollendung des 2. Lebensjahres
f ein herausgeputzt
grüßt von sich aus den Kaiser
Stimmen der Apostel sollen v on Menschen nachgeahmt werden eigener Wortschatz
Mehrsprachigkeit
grüßt Menschen in der Wüste umwirbt die Minnedame
höfisch, f ormv ollendet
Abb. 92: Epistemischer Diskurs-Frame, der die rekonstruierten Bestandteile des mittelalterlichen Papageien-Konzepts hervorhebt, die innerhalb des Liebesdiskurses aktualisiert werden.
397
Papagei
Nennung mit anderen Tieren
Gefahren
Herkunft
Indien
edle Beizvögel
Ägy pten
Elefant
Taube
Paradies
Pfau
Reich der Candacis
Arabien Äthiopien
Berg Gelboe
Giraf f e
Strauß
orientalisches Luxusgut
Wecker Spiegelersatz
Handelsware
Meerkatze
Reich des Großkhans Cluse
gesellschaftlicher Status
Nutzung
v erträgt keinen Regen
Keuscher / besonders reiner Vogel
Sinnbild Marias Sinnbild Jesu Sinnbild v erschiedener Heiliger
AusstellungsObjekt Gesellschaf t leistendes Tier schattenspendendes Tier
Schmuckmotiv edler Kopf bedeckungen
wertv olles Geschenk
Liebesbote
f rommer und gelehriger Vogel
Schönheitspreis
Kemenatenbeleuchtung
›Spiegelbild des Poeten‹
Wappentier
wird mit dem Papst in Verbindung gebracht
Relationen der Konzeptbestandteile = metaphorische Relation = klassifikatorische Relation = aktualisiert = nicht aktualisiert
398
Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
2.2.3.4 Der literarische Diskurs Wie in Kapitel 2.1.3.4 bereits beiläufig erwähnt, wird der Papagei im Straßburger- und im Basler Alexander sowie in der Alexander-Bearbeitung Johann Hartliebs im Rahmen eines ›Geschenke-Katalogs‹ genannt. Im Straßburger Alexander erhält der Makedonenkönig von Candacis funf hundrit fugel%n / sitige unde spingen, / di sprechent unde singen (V. 5110–5112). Zunächst ist natürlich auch hier davon auszugehen, dass die Vögel als besonders wertvoll erachtet werden, denn andernfalls würden sie kein würdiges Präsent für einen derart mächtigen Herrscher darstellen. Fraglich bleibt, was spingen bedeutet, denn es scheint sich bei dieser Bezeichnung um ein Hapax legomenon zu handeln.1233 Benecke, Müller und Zarncke machen darauf aufmerksam, dass in der Bearbeitung des Alexanderstoffs durch Pseudo-Kallisthenes an dieser Stelle Sphinxe steht.1234 Insofern könnte spingen die eingedeutschte Variante des Wortes Sphinxe sein. In diesem Sinne versteht es auch Elisabeth Lienert, die V. 5111 mit ›Sittiche und Sphingen‹ übersetzt.1235 Da im vorangegangenen Vers von 500 Vögeln die Rede ist, kann angenommen werden, dass es sich auch bei den spingen um eine Vogelart handelt. Fraglich bleibt allerdings, um welche. In dem Stellenkommentar zu ihrer Edition des Straßburger Alexander stellt Lienert die Überlegung an, das Wort sei »vielleicht beeinflusst durch sprinzen ›Sperber‹«.1236 Diese These scheint mir am plausibelsten. Alternativ dazu schlägt Lienert auch noch vor, es könne sich um eine Affenart – genauer gesagt um Meerkatzen – handeln.1237 Diese Möglichkeit halte ich für unwahrscheinlich, da hierbei V. 5110 weitgehend übergangen wird, bzw. da davon ausgegangen wird, fugel%n stelle zwar das Hyperonym zu sitige dar – nicht aber das zu spingen. Nimmt man nun also – Lienerts erster Vermutung folgend – an, dass es sich um Sperber handelt, so werden die Papageien zusammen mit kostbaren Beizvögeln genannt.1238 Insofern erhält Alexander also Vögel zweier Arten, die beide als nichtheimische Tiere wahrgenommen wurden. Dass nicht nur die Papageien, sondern auch die Sperber sprechen und singen können (V. 5112), wirkt zunächst befremdlich, aber möglicherweise sollen die Sperber, die im ›Geschenke-Kata1233 Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Lemma ›spinge‹. Auf: http://woerterbuch netz.de/Lexer/?sigle=Lexer& mode=Vernetzung& lemid=LS06393#XLS06393. Zugriff am 05. 01. 2017 um 8:44 Uhr. 1234 Benecke, Müller, Zarncke, Mittelhochdeutsches Wörterbuch, Lemma ›SPINGE‹. Auf: http ://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py ?mode=Vernetzung& hitlist= & patternlist=& lemid=BS05016& sigle=BMZ. Zugriff am 05. 01. 2017 um 8:50 Uhr. 1235 Lienert, Übersetzung Straßburger Alexander, S. 453. 1236 Lienert, Stellenkommentar Straßburger Alexander, S. 624. 1237 Ebenda. 1238 Mit diesen Jagdvögeln waren mittelalterliche Rezipienten zwar vertraut, aber es handelt sich dennoch um Tiere, die – ebenso wie Papageien – zunächst aus fernen Ländern importiert werden mussten. Vgl. dazu auch S. 395 der vorliegenden Arbeit.
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log‹ gennannt werden, gar keine Abbilder derjenigen Beizvögel sein, mit denen mittelalterliche Rezipienten in ihrer Lebenswirklichkeit konfrontiert waren. Es handelt sich vielmehr um ganz besondere Sperber aus dem wundersamen Reich der Candacis. In diesem fernen, östlich gelegenen Reich ist – gemäß mittelalterlicher Vorstellungen – im Hinblick auf Flora und Fauna einfach viel mehr möglich. Gerade deswegen zielen die Verse 5110–5112 darauf ab, die Rezipienten zum Staunen zu bringen: einerseits über den Luxus und Reichtum des fernen Landes, andererseits aber auch darüber, was in der Ferne möglich erscheint, in der Heimat aber nicht. Daher ist eine ›Exotik‹ der sitige unde spingen hier eindeutig zu bejahen. Weiterhin könnten die sitige – ebenso wie die Panther des ›Geschenke-Katalogs‹ – einen Bestandteil des Verführungsmittelarsenals der Candacis darstellen. Da der Vogel – wie in Kapitel 2.2.3.3 bereits deutlich wurde – häufig als Liebesbote in Szene gesetzt wird, könnte das Papageien-Geschenk an dieser Stelle dazu dienen, die Minne zwischen Candacis und Alexander unterhalb der Textoberfläche zu präfigurieren. Im ›Geschenke-Katalog‹ des Basler Alexander heißt es fünff hundert vogel sy mir sant, / sittich und spengelin genant (V. 3618f.). Ähnlich wie im Straßburger Alexander stellt sich hier die Frage, was mit spengelin gemeint sein könnte. Laut Matthias Lexer existiert im Mittelhochdeutschen das Wort spengel, das eine Falkenart bezeichnet.1239 Die Bezeichnung spengelin könnte also der Diminutiv zu spengel sein. Alexander bekäme bekäme folglich 500 Papageien und kleine Falken geschenkt. Die Information, dass die Vögel sprechen und singen können, entfällt im Basler Alexander, was zur Folge hat, dass die Tiere in dieser Bearbeitung etwas weniger spektakulär, staunenerregend und ›exotisch‹ wirken als im Straßburger Alexander. In Johann Hartliebs Fassung schenkt Candacis dem Makedonenkönig lediglich 200 gut sprechende Vögel, die nicht genauer spezifiziert werden (Z. 3786f.: Ich senndt auch dier zwayhundertt wolredender vogel). Dass Hartlieb seinen Rezipienten an dieser Stelle weniger Informationen über das Vogel-Geschenk an die Hand gibt als die anderen Bearbeiter des Stoffs und dass das Geschenk mit nur 200 an Stelle von 500 Vögeln geringer ausfällt, ist erstaunlich. Wie bereits in Kapitel 2.1.3.4 angesprochen, ist Hartliebs ›Geschenke-Katalog‹ nämlich ansonsten dadurch geprägt, dass der Autor allem Anschein nach versucht, die Geschenkebeschreibungen des Straßburger- und des Basler Alexander zu überbieten. In Hartliebs Fassung erhält Alexander in der Regel eine größere Anzahl an Präsenten und diese sind zudem häufiger mit Epitheta versehen. Nun stellt sich die Frage, warum Hartlieb gerade im Fall des Papageien1239 Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Lemma ›spengel‹. Auf: http://woerterbuch netz.de/Lexer/?sigle=Lexer& mode=Vernetzung& lemid=LS06163#XLS06163. Zugriff am 05. 01. 2017 um 10:16 Uhr.
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Geschenks von diesem Prinzip abweicht. Hier lassen sich lediglich Mutmaßungen anstellen. Dass einem derart vielseitig gebildeten Autor wie Hartlieb Papageien unbekannt waren, ist mehr als unwahrscheinlich. Möglicherweise befürchtete er jedoch, die Tiere könnten seinen Rezipienten unbekannt sein und wählte daher sicherheitshalber lieber das Hyperonym vogel, das die Basisebene darstellt.1240 Mit dieser Wortwahl schwindet jedoch auch ein Stück weit die ›Exotik‹, die dem Vogel-Geschenk im Straßburger Alexander noch innewohnte, denn wolredende vogel müssen nicht zwangsläufig Papageien sein; auch einheimische Vögel – wie beispielsweise die Elster – galten als sprachbegabt. Im Wigalois Wirnts von Grafeberg hat der sitich seinen großen Auftritt in der Rolle eines Schönheitspreises (V. 2514–2522; 2589–2594; 2766–2782). Auf seiner .ventiuren-Fahrt begegnet der Protagonist Wigalois einer wunderschönen Dame, der man sofort ansehen kann, dass sie sehr betrübt ist. Da Wigalois ihr seine Hilfe anbietet, vertraut sie ihm den Grund für ihre Traurigkeit an. Bei einem Schönheitswettbewerb war sie zur Schönsten gekürt worden und hatte damit den begehrten Preis gewonnen: ein außergewöhnlich edles, kostbares Pferd mitsamt einem Narren, der für die Versorgung des Tiers zuständig war sowie den sitich. Kurze Zeit später wurde die Schöne jedoch von dem bösen roten Ritter ihres Preises beraubt. Der Papagei wird von der Dame wie folgt beschrieben: 2515
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Ez hÞt der künic von 6rlant durch .ventiure dar gesant daz schœnest pfärt deich ie gesach und einen sitich, der wol sprach swaz er sprechen wolde. in einem h0se von golde was er beworht; daz ist mir kunt: daz koste mÞ dan t0sent pfunt von golde und von gesteine. (Wig., V. 2514–2522)1241
Es handelt sich bei dem Pferd und dem sitich also um einen Preis, der vom irischen König persönlich ausgelobt wurde, was die Kostbarkeit beider Tiere impliziert. In Bezug auf die Bestandteile des mittelalterlichen Papageien-Konzepts, die im Wigalois ersichtlich werden, ist zudem die Information wichtig, dass der sitich nicht nur gut spricht (V. 2517: wol sprach), sondern auch genau das sagt, was er sagen will (V. 2518: swaz er sprechen wolde). Sein Sprechen beschränkt sich also keineswegs auf bloßes Nachahmen, wie im weiteren Verlauf 1240 Zu dem Begriff der ›Basisebene‹ siehe S. 66–69 der vorliegenden Arbeit. 1241 Wirnt von Grafenberg, Wigalois. Hrsg. v. J. M. N. Kapteyn. Übersetzt, erläutert und mit einem Nachwort versehen von Sabine Seelbach und Ulrich Seelbach. Berlin/New York 2005, S. 61.
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der Handlung auch noch zwei weitere Male deutlich wird. Interessant ist weiterhin, dass die Dame den aufwendig gefertigten Käfig des Vogels beschreibt. Dieser besteht aus Gold und sein Wert beläuft sich gemäß den Angaben der Dame auf über tausend Pfund an Gold und Edelsteinen. Diese Informationen bieten indirekt auch Aufschluss über die Kostbarkeit des Papageis, denn es kann davon ausgegangen werden, dass ein derart preziöser Käfig nur für ein besonders wertvolles Tier in Betracht gezogen wurde. Darüber hinaus erinnert die Beschreibung zum einen an die bildhafte Darstellung eines goldenen PapageienKäfigs in den Concordatiae caritatis (Abb. 77) und zum anderen an das bereits in der Antike bekannte Wissen, dass Papageien-Käfige nicht aus Holz gefertigt sein dürfen, da sie andernfalls dem Schnabel des Tiers zum Opfer fallen würden (Dionysius, De avibus I c. 19).1242 Ähnlich wie in der altokzitanischen Erzählung Frayre de Joy et Sor de Plaser besitzt auch der Papagei im Wigalois eine eigene Meinung und schreckt keineswegs davor zurück, diese lautstark kund zu tun. Dies zeigt sich zum ersten Mal in dem Moment, als er vom roten Ritter geraubt wird, denn die schöne Dame beschreibt Wigalois die Reaktion des Tiers folgendermaßen: 2590
der sitich jæmerl%che schrÞ bescheindenl%che als ein man zehant als er sichs versan daz in der rite r%ter nam. den schalt er unde was im gram; er klaget mich, daz hirte ich wol. (Wig., V. 2589–2594)
Anhand dieses Zitats wird deutlich, dass die Dame den Papagei für ebenso verständig hält wie einen Menschen (V. 2590: bescheidenl%che als ein man). Indem dieses verständige Tier jämmerlich schreiend versucht, sich gegen den Raub zur Wehr zu setzen, verharrt es nicht länger im Status seiner dinglichen Existenz als ›Diebesgut‹, sondern avanciert selbst zum Akteur und zu einer moralischen Instanz. Daran, dass der Vogel mit dem räuberischen roten Ritter schimpft (V. 2593) und gleichzeitig sein Mitleid mit der schönen Dame bekundet (V. 2594), zeigt sich, dass das Tier über einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit zu verfügen scheint und empathiefähig ist. Dieser Eindruck erhärtet sich im weiteren Verlauf der Erzählung, denn nachdem Wigalois und die Dame die Verfolgung des roten Ritters aufgenommen und ihn schließlich eingeholt haben, richtet der Vogel das Wort an seine rechtmäßige Eigentümerin:
1242 Wotke, RE, Sp. 931; Vergleiche dazu auch S. 305 und S. 337 der vorliegenden Arbeit.
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Der sitich stuont vor in und sprach als er die juncvrouwen sach »willekomen, liebiu vrouwe m%n! Ich sold et iuwer zerehte s%n; mit gewalte bin ich iu benomen. Von swelhem dinge daz s% komen, daz nider got und rihtez hie, wand er gestuont dem rehten ie.» Daz gap dem r%ter guoten muot. guot trist was ie zer nœte guot: swie manhaft ein herze s%, ist d. niht guotes tristes b%, ez kumt vil l%hte daz ez verzaget. Swer ouch dem s%nen kumber klaget der im deheines guotes gan und in ouch niht getrœsten kann, der dunket mich niht ein w%ser man. (Wig., V. 2766–2782)
Der Papagei ist froh darüber, die Dame, die er als seine Herrin tituliert, zu sehen und spricht ihr Mut zu. Indem er erklärt, dem Recht nach müsse er ihr gehören, bringt er implizit auch zum Ausdruck, dass er sie für die Schönste hält. Abschließend versucht der Vogel, sowohl der Dame als auch Wigalois neue Hoffnung zu geben, indem er erklärt, Gott werde den Missstand beseitigen, denn er habe stets den Gerechten beigestanden (V. 2771–2773). An dieser Stelle zeigt sich der Papagei also nicht nur als ein emotional intelligenter Vogel, der den Protagonisten zu ermutigen weiß, sondern auch als ein gläubiges Tier voller Gottvertrauen. Dies wiederum korreliert mit den positiven Bewertungen und Zuschreibungen, die dem sitich innerhalb des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses zuteilwerden. Wie in V. 2774 zum Ausdruck kommt, geht die Ermutigungsstrategie des Vogels auf und Wigalois gewinnt durch seine Worte neue Zuversicht. Interessant ist weiterhin, dass ebendiese hoffnungspendenden Worte den Erzähler zu einem Exkurs animieren, der die Wichtigkeit von guter Zuversicht (guot trist) in scheinbar ausweglosen Situationen (zer nœte) zum Gegenstand hat (V. 2776–2782). Durch diesen Exkurs gewinnen die Worte des Papageis noch mehr an Gewicht, denn der Erzähler erklärt, ohne Zuversicht könne auch ein tapferes Herz versagen (V. 2776–2778). Im konkreten Fall würde dies bedeuten, auch wenn Wigalois ein tapferes Herz besitzt, hätte ohne die Worte des Papageis möglicherweise die Gefahr bestanden, dass er angesichts der Bedrohung durch den roten Ritter verzagt. In ebendieser Rolle als Mutmacher tritt der Papagei auch im Chevalier du Papegau auf, wie im weiteren Verlauf der Analyse noch zu sehen sein wird.
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In Bezug auf den sitich im Wigalois lässt sich zusammenfassend festhalten, dass es sich um einen Vogel handelt, der nicht nur sprachlich ebenso begabt ist wie ein Mensch, sondern auch Vernunft und ein ausgeprägtes Rechtsempfinden aufweist. Darüber hinaus stellt er seine Empathiefähigkeit unter Beweis, wenn er sein Mitleid mit der beraubten Dame bekundet und sein Gottvertrauen ermutigt den Protagonisten, nicht zu verzagen. Über das Aussehen des Tiers werden keinerlei Angaben gemacht, was vermuten lässt, dass Wirnt von Grafenberg davon ausging, dass seine Rezipienten mit dem sitich vertraut sein würden. Abgesehen von dem hohen Wert des Tiers lässt die Papageien-Beschreibung keinerlei ›Exotik‹-Indikatoren erkennen. Auch im Chevalier du Papegau, der im 15. Jahrhundert entstanden ist und dessen Vorlage Wirnts Wigalois gewesen sein könnte,1243 wird der Papagei zu Beginn der Erzählung als Schönheits- und Tapferkeitspreis eingeführt: Et si aura bien troys centz que dames que damoiselles des plus belles et des plus courtoises que veissi8s mais nulle part. Et si aura bien Vc. chevaliers de meilleurs de la contree, qui sont ja venus pour voir la court, qui est ordonnee en tel maniHre que celluy qui aura la plus belle amye et le pourra monstrer par armes, si aura ung papegault que ung nain apporte chascun an, le meilleur oysel du monde pour chanter doulx chant amoureux plaisant et pour parler mieulx et a droit ce que vient a plaisir a cuer d’omme et a cuer de femme. (§ 5, Z. 5–13)1244
Der Schönheitspreis wird also im Rahmen eines großen Treffens von zahlreichen Rittern und schönen Damen vergeben. Zu diesem Treffen gelangt auch König Artus, nachdem er von seiner Krönungsfeier aufgebrochen ist, um der Botin einer in Not geratenen Dame zu folgen. Der Preis steht laut den Regeln des Hofes demjenigen Ritter zu, der die schönste Dame an seiner Seite hat und der dies auch tapfer, unter Einsatz seiner Waffen, unter Beweis zu stellen vermag (§ 5, 9f.: celluy qui aura la plus belle 1243 Zur Stoff- und Überlieferungsgeschichte des Chevalier du Papegau siehe auch: FuchsJolie, Bel Inconnu – Wigalois – Chevalier du Papegau. In: Germania Litteraria Mediaevalis Francigena (GLMF). Handbuch der deutschen und niederländischen mittelalterlichen literarischen Sprache, Formen, Motive, Stoffe und Werke französischer Herkunft (1100– 1300). Hg. v. Geert H. M. Claassens, Fritz Peter Knapp u. Ren8 P8rennec. Band V: Höfischer Roman in Vers und Prosa. Hg. v. Ren8 P8rennec und Elisabeth Schmid. Berlin/New York 2010, S. 221–248 (= Kap. 5). 1244 Charpentier/Victorin (Hrsgg.), Le Conte du Papegau, S. 82. Eigene Übersetzung: ›Dort findet Ihr dreihundert der schönsten und edelsten Damen und Fräuleins, die Ihr jemals gesehen habt. Außerdem werden einige Fünfhundertschaften der besten Ritter des Landes vorgestellt, die sich an diesem Hof zusammenfinden, dessen Regelwerk vorschreibt, dass derjenige Ritter, der die schönste Freundin haben wird und der seine Aussagen unter Gebrauch der Waffen zu beweisen vermag, einen Preis gewinnt. Der Lohn dafür ist ein Papagei, den ein Zwerg dort jedes Jahr präsentiert. Der Vogel ist der Beste auf der ganzen Welt, wenn es um das Singen süßer, gefälliger Liebeslieder geht und um das Finden von Worten, die die Herzen der Herren und Damen erfreuen.‹
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amye et le pourra monstrer par armes). Interessant im Hinblick auf die Bestandteile des mittelalterlichen Papageien-Konzepts ist, mit welchen Attributen der Papagei gleich bei seiner ersten Nennung versehen wird. Zum einen gibt es einen Zwerg, der – wie sich später noch zeigen wird – eigens dazu abgestellt ist, für das Wohlergehen des Vogels zu sorgen und all dessen Wünsche zu erfüllen (§ 5, 11: ung papegault que ung nain apporte chascun an). Außerdem wird von dem papegault berichtet, er könne von allen Vögeln der Welt am besten schöne, erfreuliche Dinge sagen und ganz wunderbar singen (§ 5, 11–13). Die letztgenannte Begabung, das Singen süßer Liebeslieder wurde innnerhalb keiner anderen der bislang analysierten Textquellen erwähnt. Man könnte sich bereits an dieser Stelle überlegen, ob der mit dieser Fähigkeit ausgestattete Vogel innerhalb des Romans auch ein Stück weit die Rolle einnimmt, die traditionell von der Nachtigall besetzt ist.1245 Patricia Victorin schreibt diesbezüglich: Le papegau est un double imparfait du rossignol, dont le chant est essence mÞme de l’amour ; a contrario, le papegau prend en charge le discours de l’amour, la rh8torique sans la substance qui lui donne corps.1246 Victorins These scheint überzeugend, wenn man auch die etwas später im Roman angesiedelten Auftritte des Papageis als Sänger mit einbezieht.1247 Bemerkenswert ist, dass der Vogel auch in diesem nachklassischen Artusroman – genau wie im Wigalois – ein ausgeprägtes Verständnis dafür zu haben scheint, wer die schönste Dame und wer der beste Ritter ist – also wem er selbst in seiner Rolle als Schönheitspreis zusteht. Nachdem Artus den gewaltbereiten Ritter Lion sans Mercy besiegt hat, der unrechtmäßig den Preis für seine Dame in Anspruch genommen hatte, erklärt der Papagei lautstark, er wolle nun endlich zu seinem neuen rechtmäßigen Besitzer : Mais nul ne vous pouroit dire la noise que faisoit le papegaulx, car il dist au nain qu’il le hault lieu qu’il pourra, et si cria »Nains, nains porte moy veoir le meudre chevalier du monde! C’est celuy de qui Merlin parla tant en sa prophecie qu’il dist que le filz de la brebis devoit soubzmectre le Lion sans Mercy plain d’orgueil et de felonie et d’ire. Ha! nain, ne demourez plus! Pourtez moy tost a luy, car il m’a conquis.« Et quant le papegaulx approucha du roy, il commenÅa a dire si doulcement toutes les choses qui sont avenues du temps Merlin jusques a celle heure, si que le roy et tous les aultres se merveillent moult forment de ce qu’il disoit. Et puis si dist au roy : »Sire, pour quoy ne me prenez vous? Je suis vostre par raison, car vous estez le meilleur chevalier du monde et le mieulx apris, et si av8s avec vous la plus belle dame que l’en sache nulle part, mais vous ne sÅavez pas son nom ne son parage«. (§ 8, Z. 5–19)1248 1245 1246 1247 1248
Vgl.: Victorin, Introduction Le Conte du Papegau, S. 47–50. Ebenda, S. 49. Besonders deutlich wird dies in §§16; 72. Charpentier/Victorin (Hrsgg.), Le Conte du Papegau, S. 92–94. Eigene Übersetzung:
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Anhand dieses Zitats wird zum ersten Mal deutlich, dass das Tier nicht besonders zuvorkommend mit dem Zwerg umzugehen pflegt. Der Papagei gibt sich ganz deutlich in der Rolle eines Dienstherren, der Anweisungen erteilt, die zuweilen eher den schroffen Tonfall eines Befehls haben (§ 8, 11f.: Ha ! nain, ne demourez plus ! Pourtez moy tost a luy, car il m’a conquis). Weiterhin zeigt sich anhand der Textstellle, dass der Vogel ebenso wie der jay in Frayre de Joy et Sor de Plaser mit einem Zauberer in Verbindung gebracht wird. Während in der altokzitanischen Versnovelle Vergil zum Hexenmeister und Ziehvater des Papageis erklärt wird, steht das Tier im Chevalier du Papegau in einer engen Beziehung zu Merlin, denn es kennt all seine Prophezeiungen (§ 8, 8f.: C’est celuy de qui Merlin parla tant en sa prophecie). Anhand von § 8, 8–11 tritt aber nicht allein diese Nähebeziehung zutage; es wird darüber hinaus auch ersichtlich, dass das Tier die Fähigkeit besitzt, die Prophezeihungen des Zauberers auszulegen. So ermöglicht es ihm seine Exesebegabung, zu erkennen, dass es sich bei dem ›Sohn des weiblichen Schafes‹ (§ 8, 9f.: le filz de la brebis) – von dem Merlin stets prophezeite, er werde Lion sans Mercy besiegen – um König Artus handelt. Als der Vogel daraufhin von seinem Zwerg zu Artus getragen wird, bekommt der junge König von dem Tier auch noch einmal in süßem Ton alle Ereignisse erzählt, die sich seit Merlins Zeiten ereignet haben. Artus und alle Anwesenden staunen über die Worte des Tiers (§ 8, 14f.: le roy et tous les aultres se merveillent moult forment de ce qu’il disoit). Dieses Staunen ist aber nicht unbedingt als ›Exotik‹-Indikator zu werten, da die Anwesenden sich eher über die Wortgewandtheit des Papageis wundern – nicht aber über dessen fremde Herkunft oder sein Aussehen. Schließlich wird in direkter Rede ein an den König gerichteter Appell des Papageis wiedergegeben. Der Vogel möchte in seiner Funktion als Schönheitspreis nun von seinem Besitzer entgegengenommen werden und fragt den jungen König ganz unverblümt, warum er ihn nicht an sich nehme. In seinem Umgang mit dem Herrscher zeigt sich, dass der papegault keineswegs zu Schüchternheit ›Aber niemand hätte den Lärm beschreiben können, den der Papagei machte. Er gab dem Zwerg die Anweisung, ihn an die höchstmöglich gelegene Stelle zu bringen und schrie: »Bring mich dorthin, wo ich den besten Ritter der Welt sehen kann! Es ist derjenige, von dem Merlin so viel in seinen Prophezeihungen gesprochen hat, gemäß denen der Sohn des weiblichen Schafes zum Meister und Gebieter über Lion sans Merci werden wird, der erfüllt ist von Hochmut, Hinterhältigkeit und Raserei. Zwerg, was wartest Du noch, mich zu ihm zu bringen, denn er hat mich gewonnen!« Als der Papagei in die Nähe des Königs gebracht wurde, fing er an, sehr angenehm von den unerwarteten Ereignissen zu sprechen, die sich seit der Zeit Merlins bis zum heutigen Tag ereignet hatten. Dies tat er so gut, dass der König und alle anderen sich sehr wunderten, ihn so sprechen zu hören. Schließlich sagte er zum König: »Sire, warum nehmt Ihr mich nicht? Ich gehöre Euch von Rechts wegen, da Ihr der beste Ritter der Welt seid und der bestausgebildetste. Außerdem habt Ihr die schönste Dame an Eurer Seite; selbst wenn es wahr ist, dass Ihr weder ihren Namen noch ihre Herkunft kennt.«‹
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neigt, denn er spricht sogar ein Werturteil über Artus’ ritterliche Fähigkeiten und über die Schönheit der Dame an seiner Seite aus. Dieses Urteil fällt allerdings sehr gut aus und insgesamt zeigt sich, dass der Vogel den König umschmeichelt, während er mit dem ihm untergebenen Zwerg weitaus weniger höflich umgeht. Artus erfüllt den Wunsch des Papageis. Das Tier darf fortan – auf einem eigenen Zelter und in Begleitung seines Zwergs – im Gefolge des jungen Königs mitreiten. Die Bevölkerung, die zuvor unter der Schreckensherrschaft Lions sans Mercy leiden musste, fragt Artus, was man künftig antworten solle, wenn man nach dem Namen des Befreiers gefragt werde: Et puis que ilz virent qu’il luy plaist, il demandent de qui il dyroient qui lez a deslivrez du servage ou ils estoient. Et le roy leur dist: »Du Chevalier du Papegaulx«, et lors les commanda a Dieu et pria a sa damoiselle, qui avec luy chevauchoit, qu’elle ne l’appellast autrement. (§ 8, 39–43)1249
Der Papagei avancieret also zum Symboltier des Königs – ebenso wie der Löwe in den Werken Chr8tiens und Hartmanns das Symboltier Iweins darstellt. Es ist davon auszugehen, dass an dieser Stelle ganz bewusst ein intertextuelles Spiel eröffnet wird, das ein höfisch gebildetes Publikum – sofern es den Yvain kannte – verstanden haben dürfte. Die Fragen die sich aus diesem intertextuellen Spiel ergeben, sind, welche proprietates den Papagei vom Löwen unterscheiden, was die Wahl des Begleittiers über Artus selbst aussagt und ob sich anhand dieser Wahl möglicherweise eine veränderte Intention des gesamten Textes ablesen lässt. Der augenfälligste Unterschied zwischen den beiden Begleittieren ist natürlich auch hier die Sprachfähigkeit des Papageis. Darüber hinaus fungiert der Vogel – mit all seinen Allüren, seiner vorlauten Direktheit und dann auch wieder mit seiner großen Ängstlichkeit – als ein Spaßmacher, ein Tier das an zahlreichen Stellen Komik in den Artusroman bringt. Diese Komik zeigt sich nicht ausschließlich textextern. Sie zielt also nicht nur darauf ab, den Rezipienten zum Lachen zu bringen – auch König Artus selbst muss zuweilen über das Verhalten seines lustigen Begleittiers lachen, wie im weiteren Verlauf der Untersuchung noch zu sehen sein wird. Auch auf die Bedeutung der Papageien-proprietates für die Artus-Darstellung sowie für die Deutung einer – im Vergleich zum Iwein – veränderten Intention wird noch näher einzugehen sein. 1249 Charpentier/Victorin (Hrsgg.), Le Conte du Papegau, S. 96. Eigene Übersetzung: ›Als sie sahen, dass dies sein Wunsch war [Artus wünscht, dass die Begleiter aus der Bevölkerung umkehren], fragten sie ihn – bevor sie seiner Bitte nachkamen – was sie antworten sollten, wenn man von ihnen den Namen ihres Befreiers zu erfahren wünsche. Und der König sagte ihnen: »Vom Ritter mit dem Papagei« und von da an befahl er sie Gott an und bat das Fräulein, das mit ihm ritt, ihn nicht mehr anders zu nennen.‹
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Zunächst jedoch zurück zum Text und zum Papagei, der auch im Chevalier du Papegau in seiner typischen Rolle als Kuppler auftritt.1250 Mit süßen Worten hebt er die Vorzüge von Artus und der schönen Botin Belle Sans Villenie hervor, die nach dem Kampf gegen Lion sans Mercy an der Seite des Königs reitet: Mais quant le papegaulx apperceut les regards que l’un faisoit a l’autre, il ne se pot taire qu’il dist: »Vous seri8s dist il entre vous deux, la plus belle compaignie du monde, car vous estes, sire, le plus bel chevalier et le meilleir qu’il conviengne querre en nulle contree, et elle est si belle et si courtoise et si bien enseignee que l’en n’y pourroit rien amender ; si estes tous deux d’un eage et si est elle bien de hault parage.« – »Papegau« dist la pucelle »comment sces tu que je suis?« – Et le papegaux respodi: »Damoiselle, ne vous membre il quant vous fustes a la court la royne nostre dame pour l’enseigne la Damoiselle du Chastel d’Amours? Des ycelle heure, damoiselle, oy¨ je premier nommer vostre nom et vostre lignage, et vous ay toujours eu depuis en m’amour et auray tant com je vivray, pour la grant beaut8 qui est en vous et pour vostre courtoys nom.« (§ 9, 6–19)1251
Zunächst zeigt sich, dass der Vogel über eine ausgesprochen gute Beobachtungsgabe verfügt und die Blicke seines Herrn und der Dame zu deuten versteht (§ 9, 6f.: le papegaulx apperceut les regards que l’un faisoit a l’autre). Er ahnt, dass die beiden sich sympathisch sind und sieht daher seine Chance gekommen, als Kuppler in Aktion zu treten. Was diese Verkupplungsaktion jedoch von den bisher betrachteten unterscheidet, ist, dass der Vogel sich hier nicht ausschließlich an die Dame wendet, sondern auch auf Seiten des jungen Königs Überzeugungsarbeit leistet. So klärt er Artus etwa über die hövescheit und die Intelligenz der Schönen auf und erläutert, sie sei von edler Abstammung. Als die 1250 Konzentriert man sich ausschließlich auf die Darstellung des Papageis in seiner Rolle als Kuppler, so wäre es ebensogut möglich gewesen, die nachfolgende Textstelle in Kapitel 2.2.3.3 Der Liebesdiskurs zu thematisieren. Allerdings stellt die Kuppler-Rolle nicht die einzige dar, die der Vogel im Chevalier du Papegau einnimmt. Vor diesem Hintergrund und in dem steten Bewusstsein, dass die Diskursgrenzen bis zu einem gewissen Grad durchlässig sind, habe ich mich für die Thematisierung der nachfolgenden Textstelle innerhalb dieses Kapitels entschieden. 1251 Eigene Übersetzung: ›Als der Papagei aber die Blicke bemerkte, die sie sich gegenseitig zuwarfen, konnte er sich nicht zurückhalten zu sagen: »Zusammen würdet Ihr das schönste Paar der Welt abgeben. Ihr, Sire, seid in der Tat der schönste und beste Ritter, den man finden kann und dieses Fräulein ist so schön, so höfisch und so raffiniert, dass man sich sorgen müsste, was es sein könnte, das diesen Eigenschaften noch hinzuzufügen wäre. Darüber hinaus seid Ihr beide im selben Alter und sie ist von sehr hoher Geburt.« – »Papagei«, sagte die Jungfrau, »wie kannst du wissen, wer ich bin?« – Und der Papagei antwortete: »Mein Fräulein, erinnert Ihr Euch nicht an die Zeit, als Ihr am Hofe der Königin – unserer Herrin – wart, um über die Erziehung des Fräuleins vom Schloss der Liebe zu wachen? Es war zu dieser Zeit, teures Fräulein, dass ich zum ersten Mal von Eurem Namen und Eurer Abstammung vernahm. Und von da an war ich Euch in Liebe zugetan und werde es sein, solange ich lebe, aufgrund Eurer großen Schönheit und des edlen Namens, den Ihr tragt.«‹
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Dame sich erstaunt darüber zeigt, wie gut der Papagei über sie informiert ist, gibt das Tier ihr zu verstehen, es kenne sie aus früheren Zeiten, als es am Hofe der Königin gewesen sei. Daraufhin verfällt der Vogel noch stärker in die Troubadour-Rolle, denn er versichert ihr, er werde ihr sein ganzes Leben lang in Liebe zugetan sein (§ 9, 17f.: et vous ay toujours eu depuis en m’amour et auray tant com je vivray). Artus bleibt während dieses Werbens durch seinen gefiederten Begleiter vergleichsweise passiv und weist nur einen äußerst geringen Redeanteil auf. Lediglich als der Vogel ihn fragt, ob er den Namen der Schönen erfahren wolle, antwortet er mit einem knappen Oy¨, voulentiers (§ 9, 21). Die Bemühungen des Tiers, die Sympathie der beiden in Liebe zu überführen, scheinen in diesem Fall allerdings nicht vollends von Erfolg gekrönt zu sein. Vom Erzähler wird lediglich berichtet, dass Artus und Belle Sans Villenie ihren Ritt frohen Mutes bis zur Vesperstunde fortsetzen. Dass sich bei den beiden aufgrund der Rede des Papageis tiefergehende Gefühle einstellen, wird im Text nicht gesagt. Stattdessen folgt eine Beschreibung des preziösen Papageien-Käfigs, die damit eingeleitet wird, dass der Vogel friert und diesen Missstand seinem Zwerg mitteilt. Der Zwerg nimmt sich sogleich der Bedürfnisse des Tiers an und deckt die Voliere mit einer kostbaren Seidendecke zu: Quant le papegaux senti que l’airs se commenÅa a refroidir, il dist a son nain qu’il avoit froit, et le nain trait hors d’une aumosniere qu’il avoit une couverte qui estoit faicte d’ung drap de soye ovree moult richement, et a couverte la cage au papegaux, qui estoit la plus belle et la plus riche que mais veist nul homs, car elle estoit tout d’or fin pertusee et entaillee a bestes et a oyseaulx de toutes manieres, et si n’y ot oncques oyseau ne beste qui n’eust .xix. des plus fins rubis que nulz veist mais. Et plus, aux quatres angles de la caige avoit quatre escharboucles qui valoient ung grant tresor, car ilz gectoyent de nuit si tres grand resplendor et grant clart8 que cent chevaliers et cent dames s’en peussent bien alumer a grant honneur. (§ 9, 29–39)1252
War der Papageienkäfig in Wirnts Wigalois bereits aus prächtigem Gold und mehr als tausend Pfund an Gold und Edelsteinen wert, so wird er von der exquisiten Voliere im Chevalier du Papegau noch bei Weitem übertroffen: Der 1252 Charpentier/Victotin (Hrsgg.), Le Conte du Papegau, S. 98. Eigene Übersetzung: ›Als der Papagei fühlte, dass die Luft sich abzukühlen begann, sagte er seinem Zwerg, ihm sei kalt. Dieser nahm aus seiner Gürteltasche eine Seidendecke, die äußerst kunstvoll ausgearbeitet war, um damit den Papageienkäfig abzudecken. Dieser Käfig war der schönste und wertvollste, den man jemals gesehen hatte: Er war ganz aus purem Gold, durchbrochen und ziseliert in der Form verschiedenster Tiere und Vögel. Und auf jedem dieser Vögel und Tiere waren nicht weniger als neunzehn der schönsten Rubine befestigt, die man jemals gesehen hatte. An den vier Ecken des Käfigs waren vier Karfunkelsteine, die so viel wert waren wie ein großer Schatz und die in der Nacht ringsum eine solche Klarheit ausstrahlten, dass hundert Ritter und hundert Damen sich damit prächtich hätten anleuchten können.‹
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Vogelbauer ist geschmückt mit feinsten Ziselierungen, die sowohl Landtiere als auch Vögel abbilden (entaillee a bestes et a oyseaulx de toutes manieres). Außerdem befinden sich an ihm neunzehn der schönsten Rubine (xix. des plus fins rubis) und an allen vier Ecken Karfunkelsteine von größter Leuchtkraft. Im Hinblick auf die Frage nach der Bedeutung dieses Käfigs ist Anne Martineaus Aufsatz Des oiseaux et des cages dans »Le Chevalier du Papegau« äußerst aufschlussreich. Martineau stellt darin sehr interessante Überlegungen zur Relation zwischen Artus und dem Papagei auf der Ebene des significatums an. Sie deutet die Papageienvoliere als einen Käfig, in dem Artus’ Schicksal gefangen ist (»La cage du destin d’Arthur«).1253 Diese These mag auf den ersten Blick befremdlich wirken, da Artus im nachklassischen Chevalier du Papegau wesentlich aktiver wirkt als in den meisten klassischen Artusromanen: Er reitet selbst aus auf .ventiure und verharrt nicht den gesamten Roman über als ›statischer König‹ bei Hofe. Daher wäre man wohl eher geneigt zu sagen, dass der junge König aus der Rolle, die ihm traditionell im Artusroman zugedacht ist, ausbricht und sich gerade nicht in einem Käfig gefangen halten lässt – ganz gleich, wie aufwendig und preziös dieser gestaltet sein mag. Wagt man bei der Interpretation jedoch einen Blick über die Textgrenzen des Chevalier du Papegau hinaus und bezieht den älteren König der klassischen Artusromane stärker in die Betrachtung mit ein, so ergibt sich ein etwas anderes Bild. Was in dem nachklassischen Artusroman geschildert wird, ist eine Art Vorzeitigkeit: es wird von der Adoleszenz des Königs berichtet, während dessen Erwachsenendasein schon feststeht.1254 Sein Schicksal ist bereits besiegelt, da es in den zuvor entstandenen klassischen Artusromanen beschrieben wird.1255 Es handelt sich folglich um ein Schicksal, auf das Artus sich ganz unweigerlich zubewegt und vor dem es kein Entrinnen gibt – genauso wie es für den Papagei kein Entrinnen aus dem Käfig gibt.1256 Auch das Tier ist stets in seiner Voliere gefangen, die wiederum von dem Zelter überall hin transportiert wird.1257 Dabei gehorcht das Pferd jedoch nicht immer den Anweisungen des Papageis (§ 10, 96–99). Hier zeigt sich: Der Vogel
1253 Die nachfolgenden Ausführungen dieses Abschnitts entnehme ich: Martineau, Des oiseaux et des cages dans Le Chevalier du Papegau, S. 186. 1254 Ebenda, S. 186. 1255 Ebenda. 1256 Ebenda. 1257 Ebenda, S. 180f.. Martineau drückt dies wie folgt aus: »C’est donc une prison, mais une prison singuliHre car mobile, au moyen d’un dispositif, certes, encombrant: gr.ce / son palefroi et / son nain, dirigeant celui-l/, sur lequel la cage est fix8e, et / condition que rien ne se d8traque, le papegau peut aller oF il veut. De l’int8rieur, il peut presque tout voir, comme d’une fenÞtre ouverte sur le monde, mais pourvue de barreaux.« (Martineau, Des oiseaux et des cages dans Le Chevalier du Papegau, S. 180f.).
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ist zwar nicht fest an einen Ort gebunden, kann sich aber auch nicht völlig frei bewegen.1258 In Anlehnung an Martineau könnte man daher überlegen, den Papageienkäfig poetologisch zu deuten.1259 Der Papagei stünde in diesem Fall für das Erzählen selbst, das in dem goldenen Käfig – der für die Gattungstradition des Artusromans steht – gefangen ist. Im nachklassischen Artusroman wird versucht mit Konventionen zu brechen, ohne dass das Ergebnis frei von der Tradition sein kann – weder im Hinblick auf die Sprache noch bezüglich bestimmter Topoi. Wie ›unfrei‹ auch der Papagei tatsächlich ist, wird in einer Situation deutlich, in der der Vogel den König flehentlich darum bittet, ihn frei zu lassen, Artus seinem Wunsch jedoch nicht stattgibt. Die eindringliche Bitte um Freilassung äußert das Tier vor Beginn der Kampfhandlung, die sich zwischen dem König und dem gefährlichen Fischritter anbahnt:
1258 Ebenda. 1259 Dieser Deutungsansatz kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nur in aller Kürze angesprochen werden. Die Thematik betreffende Überlegungen finden sich auch bei Patricia Victorin sowie in der Untersuchung Tanja-Isabel Habichts und Björn Reichs. Victorin schreibt diesbezüglich: »La cage devient en quelque sorte un scriptorium portatif dans lequel se compose le r8cit qui se d8roule sous les yeux du lecteur«. (Victorin, Introduction Le Conte du Papegau, S. 43); Habicht/Reich führen diesen Gedanken noch etwas detaillierter aus: »Vor dem Hintergrund der Wiederaufnahme alter Topoi ist nun die Symbolik des Papageien im Käfig zu sehen. Wie der Autor Geschichten erzählt, die er schon einmal gelesen hat, gibt auch der Papagei die Geschichten wieder, die er bereits woanders gehört hat. Diese erzählt der Papagei in seinem Käfig sitzend« (Habicht/Reich, Die Farbe der Erinnerung, S. 543) Der Käfig wird von Habicht/Reich wie folgt gedeutet: »Der Käfig ist sowohl Bibliothek als auch scriptorium. Der papegau besingt nicht nur die Arthuriana, die in seinem Reliquienschrein verwahrt sind, sondern muss durch arthurische Landschaften getragen werden, um in situ sein Material zu sichten und in poetische Worte zu kleiden. Wenn der Zwerg darüber verfügen kann, ob er den Blick des Vogels auf die arthurische Welt freigibt bzw. verstellt, und ihn damit zum Erzählen bzw. Schweigen bringt, wird die Rolle des Zwergs beim Erinnern der arthurischen Topoi aufgewertet. Er entscheidet über das, was der Papegau sieht, und folglich auch, wovon er singt (und damit darüber, was Artus erlebt)«. (Habicht/Reich, Die Farbe der Erinnerung, S. 544f.). Dass der Papagei derjenige ist, der zu Pfingsten bei Hofe von König Artus’ .ventiuren berichtet, kommt am Ende der Erzählung (§ 82, Z. 4–8) zum Ausdruck, denn dort heißt es: […] et cel jour, qui fu le jour de la Penthecoste, tint le roy Artus court si grande et si joyeuse qu’oncques tint roy. Et entredeux qu’on seoit a table, si chanta le papegau si doulcement toutes les aventures qui estoient avenues au roy Artus, si que tous ceulx qui la furent s’esmerveillerent plus que de rien qu’ilz oZssent oncques, et en laisserent le boire et le mangier. (Charpentier/Victorin (Hrsgg.), Le Conte du Papegau, S. 248). Eigene Übersetzung: ›Und an diesem Tag – es war der Pfingsttag – hielt König Artus den strahlendsten und prächtigsten Hoftag, den jemals ein König gehalten hatte. Und während man zu Tisch saß, besang der Papagei so süß alle .ventiuren, die dem König begegnet waren, dass alle Anwesenden darüber staunten. Ihre Münder standen offen und sie vergaßen zu trinken und zu essen.‹
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»Ha nain, ne me laisse pas cy morir! Membre toy des grans honneurs que tu as eu en estranges contrees pour moy !« Mais le nain n’ot voulent8 se de fouyr non, il d’une part et la damoiselle de l’autre, car ilz estoyent si esbay¨s de la grant paour qu’ilz avoyent qu’ilz ne se pouoyent tenir ensemble. Et quant le papegau ot perdu son nain, si qu’il ne pot mais veoir, il commenÅa a prier moult doulcement son chevalier qu’il le laist vouler hors de sa cage : si voulera sur aucun arbre pour ce mauff8s, qu’il ne l’ocie. Et le chevalier rist de la paour qu’il vist que le papegau ot, si luy dist : »Papegaux, avez vous obli8 la chanÅon que vous avez commencee ? Or la record8s et n’ayez paour, car nous la chanterons encores anuit, se Dieu plaist, en nostre ostel.« (§ 10, 35–46)1260
Der Papagei wird also nicht freigelassen. Stattdessen verlacht Artus sein ängstliches Begleittier, dessen Verhalten auch textextern – seitens der mittelalterlichen Rezipienten – als komisch wahrgenommen worden sein dürfte. Zunächst zeigt sich im Umgang des Papageis mit dem ihm untergebenen Zwerg ein weiteres Mal, dass das Tier äußerst manipulativ sein kann. Es erinnert seinen Diener nämlich daran, was dieser ihm alles zu verdanken habe und redet ihm auf dramatisch wirkende Weise ins Gewissen, es nicht sterben zu lassen (§ 10, 35–37: »Ha nain, ne me laisse pas cy morir! Membre toy des grans honneurs que tu as eu en estranges contrees pour moy!«). Als diese Überzeugungsversuche scheitern und der Zwerg flieht, wendet sich das Tier in seiner Verzweiflung an Artus selbst. Anstatt den Papagei freizulassen, erteilt der junge König dem Vogel lediglich unter Lachen den Ratschlag, doch wieder das Lied zu singen, welches er zuvor angestimmt habe. Das ängstliche Verhalten, das der Papagei in der Gefahrensituation an den Tag legt, steht in einem krassen Gegensatz dazu, wie das Tier im bisherigen Handlungsverlauf in Erscheinung getreten ist. Wirkte der Vogel zuvor oftmals eher vorlaut, niemals um Worte verlegen, cholerisch und immer äußerst selbstsicher, so wird er an dieser Stelle als wahrer ›Angsthase‹ dargestellt. Dieses ›Umkippen‹ von einem Extrem ins andere sowie die damit einhergehende Theatralik scheinen mir konstitutiv für die Komik dieser Szene. Weiterhin kommt zum Ausdruck, dass der Papagei auch singen kann (§ 10, 44f.: Papegaux, avez vous obli8 la chanÅon que vous avez commencee?). Dieses Talent findet noch an zahlreichen weiteren Stellen im Roman Erwähnung, bei1260 Charpentier/Victorin (Hrsgg.), Le Conte du Papegau, S. 102. Eigene Übersetzung: ›»He Zwerg, lass’ mich nicht hier sterben! Erinnere dich an die großen Ehren in weit entfernten Ländern, aus denen du durch mich Nutzen ziehen konntest!« Aber der Zwerg hatte nichts als einen Wunsch: um jeden Preis zu fliehen! Er floh zur einen Seite hinweg und das Fräulein zur anderen. Sie waren so verängstigt, dass sie es nicht einmal schafften, zusammen zu bleiben. Und als der Papagei seinen Zwerg – den er nicht mehr sehen konnte – verloren glaubte, begann er seinen Ritter anzuflehen, er möge ihn aus seinem Käfig lassen. Er könne auf diese Weise einen Baum erreichen und so außer Reichweite dieser dämonischen Kreatur gelangen. Der Ritter lachte, als er sah, dass der Papagei Angst hatte und sagte ihm: »Papagei, habt Ihr das Lied vergessen, das Ihr angestimmt habt? Erinnert Euch daran und habt keine Furcht, denn wir werden es – so Gott will – noch heute Nacht in unserer Unterkunft singen.«‹
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spielsweise als Artus und sein papegau in der Stadt der Liebe (l’Amoureuse Cit8) zu Besuch sind (§ 16) und gegen Ende der Erzählung, als der Vogel noch stärker die Rolle der Nachtigall übernimmt (§ 72, 1–10). Dabei dient der PapageienGesang meist entweder der Unterhaltung aller Anwesenden oder der Vogel versucht, seinem Herrn damit zu neuem Mut zu verhelfen. Zuweilen bricht das Tier auch in einen Sieges-Gesang aus, wie etwa beim Sieg des jungen Königs über den furchteinflößenden Fischritter (§ 10, 75–77: Et le papegau commenÅa tantost a chanter et a dire au plus plaisant: »Qui m’a deslivr8 de la paour que j’avoye?«).1261 Zusammenfassend lässt sich über den Papagei im Chevalier du Papegau sagen, dass es sich bei ihm um ein äußerst wertvolles Tier handelt, da er – ebenso wie der sitich in Wirnts Wigalois – als Schönheitspreis in Szene gesetzt wird. Für den hohen Wert spricht zudem der kunstvoll gefertigte Käfig, der unterhalb der Textoberfläche auf Artus’ Verhalten zu verweisen scheint.1262 Bereits zu Beginn der Erzählung zeigt sich, dass das Tier sehr selbstbewusst und sprachbegabt ist. Es besitzt einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und ist mit den höfischen Sitten und Gepflogenheiten bestens vertraut. Über das Äußere des Tiers bietet der Text keinerlei Informationen. Die scheinbar enge Beziehung zu Merlin rückt den Papagei – zumindest zu Beginn und am Ende des Romans – in das Licht eines magischen Vogels, worin man eine Parallele zu dem jay in Frayre de Joy et Sor de Plaser sehen könnte. Der Papagei avanciert zum namengebenden Begleittier des Protagonisten und – anders als in allen bislang betrachteten Quellen – wird auch dem Gesangstalent des Tiers besondere Beachtung geschenkt. Dieses Gesangstalent rückt den Vogel ganz bewusst in eine assoziative Nähe zur Nachtigall, als deren komisches Double man den papegault verstehen könnte.1263 Neben Wirnts Wigalois und dem anonym überlieferten Chevalier du Papegau existiert noch ein dritter nachklassischer Artusroman, in dem Papageien Erwähnung finden. Es handelt sich dabei um den Daniel von dem Blühenden Tal des Strickers, der zwischen 1210 und 1225 entstanden sein dürfte.1264 Der Papagei findet in dem Text des Strickers fünfmal Erwähnung, wobei die verschiedenen Textstellen über vier verschiedene Gebrauchsfunktionen des Papageis informieren. Die erste Papageien-Beschreibung wird von einem Riesen abgegeben, der als Bote des Königs Mat0r von Cluse vor König Artus tritt. Er ist an den Hof gekommen, um Artus zu erklären, dass es für ihn von Vorteil wäre, sich Martur zu unterwerfen.
1261 Eigene Übersetzung: ›Sofort stimmte der Papagei einen der heitersten Gesänge an: »Wer ist derjenige, der mich von der Angst befreit hat, die ich gehabt habe?«.‹ 1262 Vgl. Martineau, Des oiseaux et des cages dans Le Chevalier du Papegau, S. 186. 1263 Vgl. dazu auch: Victorin, Introduction Le Conte du Papegau, S. 47–50. 1264 Resler, Einleitung zu Daniel von dem Blühenden Tal, S. 10.
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Dabei schildert er detailliert die merveilleusen Gegebenheiten im Königreich Cluse, zu denen unter anderem eine als Babi.n bezeichnete Vogelart zählt: 550
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ein vogel heizet Babi.n, der h.nt die frouwen d. vil und swer sie haben wil (d. enist niht widere), er h.t ein solich gevidere, ich hœre die frouwen jehen daz sie sich drinne besehen als in einem spiegel oder baz. noch danne si geniezent sie s%n daz: ze swelher z%t die frouwen daz wetter wellent schouwen, si swebent die vogel ob in. sie h.nt die kunst und den sin daz sie sie vor dem sunnen vil wol beschirmen kunnen. nahtes si man sl.fen g.t, sw. der selbe vogel st.t in der kemen.ten, so ist man des ber.ten: man gesiht von ime dar inne sam ein kerze d. brinne, und singet danne schine in eim si süezen dine beidiu naht unde tac daz man in gerne hœren mac.1265
Zunächst wird anhand dieser Beschreibung einmal mehr deutlich, dass der Papagei – ganz in ovidischer Tradition – mit Frauen in Verbindung gebracht wird (V. 551: der h.nt die frouwen d. vil). Dafür, dass der Papagei in Cluse ein ›Liebling der Damenwelt‹ ist, gibt es vier triftige Gründe: 1.) Sein Gefieder ist von solcher Beschaffenheit, dass man sich darin mindestens so gut wie in einem Spiegel betrachten kann – wenn nicht sogar besser (V. 557: als in einem spiegel oder baz). 2.) Er erfüllt die Funktion eines ›Sonnenschirms‹, indem er über dem Kopf der Dame herfliegt und sie so vor der Sonneneinstrahlung schützt (V. 562–564: sie h.nt die kunst und den sin / daz sie sie vor dem sunnen / vil wol beschirmen kunnen).
1265 Der Stricker, Daniel von dem blühenden Tal. Hrsg. v. Michael Resler. Berlin/Boston 2015, S. 27f.
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3.) Von ihm geht ein solcher Glanz aus, dass man damit nachts – wie mit einer Kerze – eine ganze Kemenate ausleuchten könnte (V. 569f.: man gesiht von ime dar inne / sam ein kerze d. brinne). 4.) Sowohl tagsüber als auch nachts geht von ihm lieblicher Gesang aus (V. 571f.: und singet danne schine /in eim si süezen dine / beidiu naht unde tac). Im Hinblick auf den Aspekt der Tradierung scheint insbesondere das erstgenannte Merkmal interessant zu sein, das im Roman an späterer Stelle noch ein weiteres Mal erwähnt wird (V. 6603f.: dem allez s%n gevider was / l0ter als ein spiegelglas). Bei diesem Konzeptbestandteil könnte es sich nämlich um eine diskursive Überformung der antiken Sprachlernmethode handeln, die Diodor von Tarsos (contra fat. bei Phot. 216a) beschreibt.1266 Vorstellbar ist hier zum einen, dass der Stricker über den antiken Konzeptbestandteil vollends im Bilde war und ihn absichtsvoll diskursiv überformte. Zum anderen könnte es jedoch auch sein, dass der mittelalterliche Autor lediglich wusste, dass man Papageien oftmals mit Spiegeln in Verbindung brachte. In jedem Fall dient die Nennung des Merkmals dazu, den Vogel aufzuwerten, ihn als etwas ganz Außergewöhnliches – ein mirabilium aus dem Reich Cluse eben – darzustellen. Deutlich lässt sich anhand aller vier oben angeführten Merkmale erkennen, dass die Beschreibung darauf abzielt, sowohl das Staunen des Artushofs als auch das der Rezipienten zu evozieren. Das zweitgenannte Merkmal des Tiers, seine Nutzbarkeit als ›Sonnenschirm‹, war für den Stricker offenbar von besonderer Wichtigkeit, denn sie findet im Text noch drei weitere Male Erwähnung (V. 669–671; 6601–6604; 8206–8209).1267 Da sie innerhalb keiner der betrachteten antiken Quellen genannt wird, liegt die Vermutung nahe, dass es sich hierbei um einen spezifisch mittelalterlichen Konzeptbestandteil handelt, den der Stricker neu erfunden hat. Der Vogel wird dabei in den Kulturraum überführt und avanciert zu einem höfischen Accessoire, das dazu dient, den Teint der Damen zu schützen. Das dritte Merkmal – der Glanz des Vogels, mit dem man nachts eine ganze Kemenate erhellen könnte – erinnert etwas an den Glanz des Papageienkäfigs im Chevalier du Papegau (§ 9, 29–39). Während es in dem altfranzösischen Artusroman jedoch die Edelsteine der artifiziell von Menschenhand geschaffenen Behausung sind, die leuchten, ist es im Daniel von dem blühenden Tal das Gefieder des Vogels selbst, das von Natur aus so stark glänzt. 1266 Siehe dazu S. 305f. der vorliegenden Arbeit. 1267 Der Wortlaut dieser Textstellen ist folgender : V. 669–671: die frouwen sitzen oder st.n, / ob iecl%cher swebt ein Babi.n / und machet ir grizen schate; V. 6601–6604: Ob iecl%cher swebte ein Babi.n / d. sie diu sunne an wolde g.n, / dem allez s%n gevider was / l0ter als ein spiegelglas; 8206–8209: die frouwen h.ten alle schate / von den Babi.nen, / den vil wol get.nen. / die swebten alles ob in.
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Auch das vierte Merkmal – der wunderschöne Gesang des Vogels – wurde bereits im Rahmen der Analyse des Chevalier du Papegau ersichtlich.1268 Man hört ihn gerne (V. 574: daz man in gerne hœren mac); seine Stimme klingt also offenbar angenehm und keineswegs krächzend, wie man dies als neuzeitlicher Rezipient zunächst vermuten könnte. Ein weiteres Mal wird der Vogel genannt, als König Mat0r von Cluse selbst beschrieben wird, der gegen Artus in den Kampf reitet:
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zehant s.hen sie komen den künic Mat0r geriten. der h.te ein ros über schriten, daz in n.ch s%nem willen truoc. er was gezieret genuoc, als ein künic solde, der ouch des wænen wolde daz im nieman wære gelich. den schilt bit er für sich, daran stuont ein Babi.n, d.von ich iu Þ gesaget h.n, der was gezieret genuoc. (V. 2992–3003)
Zum einen ist also der König des wundersamen Reiches gezieret genuoc, also ›reich geschmückt‹, wie dies von einem König erwartet wird, zum anderen scheint aber auch der Babi.n besonders schön hergerichtet zu sein, denn er wird mit demselben Attribut versehen. Die Gemeinsamkeit des Herrschers und seines Symboltiers besteht also im prachtvollen Schmuck beider. Fraglich ist, ob der Vogel lediglich auf dem Schild des Königs abgebildet ist – also rein im Sinne der Heraldik gelesen werden muss – oder ob man daran nicht viel eher mit ›darauf‹ übersetzen sollte, wie Michael Resler dies in seinen Anmerkungen zu der Stelle vorschlägt.1269 Beide Lesarten scheinen m. E. sinnvoll. Reslers These, dass ein lebendiger Papagei auf dem Schild sitzt, rückt das Papageienbild etwas näher an das im Chevalier du Papegau entworfene – obgleich in dem altfranzösischen Artusroman stets von einem gefangenen lebendigen Papagei die Rede ist, der gerade nicht auf einem Schild – oder an einem Ort seiner Wahl – sitzen darf. Beachtet werden muss weiterhin der Kontext dieser Textstelle, d. h. die korrespondierende Beschreibung von König Artus, der als Mat0rs Kontrahent in die Schlacht reitet. Über ihn erfährt der Rezipient, dass er einen gekrönten Adler in seinem Schild (V. 3010f.: einen gekrœnten arn / fuorte er an s%nem schilte). Es kämpfen also ein Papagei und ein Adler gegeneinander. Ob die Tiere nun auf dem Schild abgebildet sind oder den beiden kämpfenden Königen als lebendige 1268 Siehe S. 412 der vorliegenden Arbeit. 1269 Resler, Annotationen zu Daniel von dem Blühenden Tal, S. 116.
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Begleittiere zur Seite gestellt sind, ist möglicherweise nicht so sehr von Bedeutung, wie das, was die unterschiedlichen Vögel über die beiden Herrscher aussagen. Als Hinweis darauf, dass in gewisser Weise ein ›In-Eins-Fallen‹ eines jeden Herrschers mit seinem jeweiligen Begleitvogel stattfindet, könnte man die Verse 3020–3022 lesen (sie qu.men alsi dar geflogen, / di sie 0f ein ander st.chen, / daz die setel beide br.chen). Die Nennung der Sättel weist natürlich auf die beiden menschlichen Reiter hin; dass der Autor aber das Partizip des Verbs ›fliegen‹ wählt, könnte der Intention geschuldet sein, die Vogelallegorie aufrecht zu erhalten. Allerdings kann das mittelhochdeutsche Verb vliegen auch in einem allgemeineren Sinn verwendet werden, um zum Ausdruck zu bringen, dass Reiter ›schnell aufeinander zureiten‹.1270 Insofern lässt sich nicht zweifelsfrei bestimmen, ob geflogen in dem oben angeführten Zitat tatsächlich noch auf die Wappentiere Papagei und Adler verweist, oder ob damit bloß das schnelle aufeinander Zureiten gemeint ist. Doch was könnten nun der Papagei über Mat0r und der gekrönte Adler über Artus aussagen? Zunächst fällt auf, dass nur das eine Tier eine Krone trägt, was bereits vor Beginn der Kampfhandlung erahnen lässt, dass es Artus sein wird, der auch nach der Schlacht noch seine Krone tragen wird und weiterhin König sein wird. Auch wenn der Papagei ein äußerst edles Tier ist und aus diesem Grund durchaus als Begleittier eines Königs in Frage kommt, so dürfte die heraldische Tradition – und damit die Symbolfunktion des Adlers als eines königlichen Tieres – dennoch bereits länger bestanden haben. Besonders interessant erscheint in diesem Fall die Frage nach der ›Exotik‹ des Papageis. Da es sich bei Mat0r explizit um einen Herrscher handelt, der aus einem fernen, wundersamen und damit auch ›exotischen‹ Land kommt, scheint sich der Papagei, der im Daniel ebenfalls staunenerregende und ›exotische‹ Merkmale aufweist, ganz hervorragend als Symboltier für den fremdländischen König zu eignen. Der Adler hingegen symbolisiert als einheimisches Tier nicht nur Artus selbst, sondern auch den Hof, Camelot – ja die gesamte Artuswelt, mit der die Rezipienten vertraut sind. Insofern scheint der ›Exotik‹ des Papageis innerhalb dieses Textes eine weitaus gewichtigere Rolle zuzukommen als dies beispielsweise im Chevalier du Papegau der Fall ist. Die beiden Vögel dienen der Abgrenzung zwischen der Artuswelt und dem fremden Cluse. Eine weitere Quelle, in der der Papagei in seiner Funktion als Wappentier genannt wird, ist der Trojanerkrieg Konrads von Würzburg. Innerhalb einer der zahlreichen Schlachtenschilderungen, erzählt Konrad von dem griechischen Heerführer Ascalafus und von dessen Gefährten ffl%n. Beide ziehen gegen die von 1270 Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Lemma ›vliegen‹. Auf: http://woerterbuch netz.de/Lexer/?sigle=Lexer& mode=Vernetzung& lemid=LV04460#XLV04460. Zugriff am 16. 05. 2017 um 16:11 Uhr.
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Margar%ton angeführten Trojaner in den Krieg. Während der reich geschmückte Schild des Ascalafus einen Adler zeigt, ist auf dem ffl%ns ein Papagei zu sehen: ffl%n fuort einen riten schilt mit rub%nen überspreit, dar %n enmitten was geleit von sm.ragden wol get.n ein grasegrüener papig.n. (V. 31678–31682)1271
Hier zeigt sich zunächst, dass Adler und Papagei nicht zwangsläufig immer gegeneinander kämpfen müssen, wie dies im Daniel von dem blühenden Tal der Fall ist. In Konrads Trojanerkrieg kämpfen die beiden Vögel – bildlich gesehen – Seite an Seite gegen den blauen Löwen, der auf dem goldenen Schild des trojanischen Heerführers prangt (V. 31704–31706). Ebenso wie im Werk des Strickers wird auch im Trojanerkrieg das Verb ›fliegen‹ gebraucht, um die herannahende Bewegung der beiden griechischen Krieger zu beschreiben (V. 31686f.: si k.men ritterl%chen di / der dritten rotte zuo geflogen). Auch hier ließe sich überlegen, ob die Verwendung des Verbs die durch die Heraldik begründete Vogelmetaphorik intensiviert und aufrechterhält. Darüber hinaus wird ersichtlich, dass Konrad bei der Beschreibung von ffl%ns Schild wohl den prototypischen Papagei des Mittelalters, den Halsbandsittich, vor seinem inneren Auge hatte, denn es wird erzählt, dass das Wappentier ein grasegrüener papig.n sei. Dagegen ließe sich einwenden, dass das rote Halsband des Tiers unerwähnt bleibt. Die Farbe Rot findet dafür jedoch in einem anderen Kontext Erwähnung, denn der Untergrund des papig.n-Schildes ist rot. Insofern bleiben die beiden Farben des prototypischen Papageis erhalten. Wie Elisabeth Lienert in ihren Studien zu Konrads von Würzburg ›Trojanerkrieg‹ erläutert, tritt der Komplementärkontrast Rot/Grün im gesamten Roman höchst frequent auf: Farben werden meist bei Totalaufnahmen der Schlacht, vor allem bei Segeln, Zelten und Bannern, geschildert. Konrad bevorzugt den Farbkontrast von Rot und Grün, vor allem bei Blutströmen auf der Wiese […]. Die (fiktiven) Wappenschilderungen arbeiten mit starken Farbkontrasten, besonders zwischen Rot und Grün, aber auch zwischen Schwarz und Weiß, Weiß und Rot, Rot und Schwarz, Blau und Gold, Silber und Grün.1272
Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen könnte man überlegen, ob die Farben des Papageis in diesem konkreten Fall möglicherweise auch symbolisch für das Blut und die Wiese stehen. Dieser Gedanke liegt zumindest nahe, wenn man an die ekphrastische Tradition denkt, an deren Anfang die Beschreibung von Achills Schild steht.1273 Auch wenn ffl%ns Schild keine umfängliche Kos1271 Konrad von Würzburg, Der Trojanische Krieg. Hrsg. v. Adelbert Keller. Stuttgart 1858, S. 378. 1272 Lienert, Studien zu Konrads von Würzburg ›Trojanerkrieg‹, S. 280. 1273 Siehe dazu auch: Wandhoff, Ekphrasis, S. 39–43.
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mosschau liefert, so können die beiden Farben dennoch als Hinweis darauf gelesen werden, was in nächster Zukunft geschehen wird: die grüne Wiese wird von rotem Blut durchtränkt.1274 Weiterhin gilt es, die Materialien zu beachten, aus denen der Schild gefertigt ist. Er ist laut Erzähler übersät von Rubinen und schönen Smaragden, was nahelegt, dass der eigentlichen Funktion dieser Waffe – dem Schutz des Ritters – eine eher untergeordnete Rolle zukommt. Der Schild dient in erster Linie der Repräsentation. Während der Papagei symbolisch ffl%n selbst repräsentiert (also einen aus Sicht der Trojaner ›fremdländischen Kämpfer‹), repräsentieren die kostbaren Edelsteine den sozialen Status und den großen Reichtum des Schildträgers. Indirekt kommt dadurch auch der Stellenwert des Papageis zum Ausdruck, denn es ist eher unwahrscheinlich, dass jemand derartig kostbare Materialien wählt, um ein Tier abzubilden, das selbst unedel oder von geringem Wert ist. Insofern wird der Papagei auch innerhalb dieser Textstelle als edles und wertvolles Tier dargestellt. Fraglich ist, inwieweit die ›Exotik‹ des papig.n für die Funktion als Wappentier eine Rolle spielt. Hierzu lässt sich sagen, dass die Kampfhandlungen zwischen Ascalafus, ffl%n und Margar%ton nicht auf griechischer Erde stattfinden. ffl%n ist aus Sicht der Trojaner ein fremdländischer Kämpfer, der in ihr Land eindringt. Insofern scheint die Wahl des Wappentiers stimmig – obgleich daran gedacht werden muss, dass Papageien keine in Griechenland heimischen Tiere waren. Die Gemeinsamkeiten zwischen ffl%n und seinem Wappentier sind also nicht in einer gemeinsamen geographischen Herkunft zu sehen, sondern darin, dass beide fremdländisch sind und hohes Ansehen besitzen bzw. von großem Wert sind. Weiterhin könnte das realhistorische Wappen der Psitticher Konrad zur Wahl des Papageien-Wappens inspiriert haben.1275 Die Basler Bischofspartei mit dem Namen ›Psitticher‹, die eine Fehde gegen die oppositionelle Partei der ›Sterner‹ führte, muss Konrad bekannt gewesen sein.1276 Der Dichter lebte wahrscheinlich ab den 1260er Jahren in Basel,1277 und es wird angenommen, dass Anhänger der Psitticher-Vereinigung zu seinen Auftraggebern zählten.1278 Aufschluss im Hinblick auf die Ausgestaltung der beiden in Basel beheimateten Wappen bringt eine Abbildung, die sich in der Manesse-Handschrift (Cod. Pal. germ. 848) findet (Abb. 93). 1274 Offen bleibt bei dieser Farbinterpretation allerdings die Frage, welche metaphorische Bedeutung dem blauen Löwen zukommt. 1275 Stuckmann, Wappenschilderungen und historisch-heraldische Anspielungen, S. 420. 1276 Brandt, Konrad von Würzburg – Kleinere epische Werke, S. 44. 1277 Lienert, ›Konrad von Würzburg‹. In: Lexikon des Mittelalters, Band 5, Sp. 1366–1368. 1278 De Boor/Newald, Die deutsche Literatur im späten Mittelalter 1250–1350 (Erster Teil), S. 28.
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Abb. 93: Cod. Pal. germ. 848. Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse). Zürich, ca. 1300 bis ca. 1340, Folio 197v.1279
1279 Bildquelle: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg848/0390. Zugriff am 25. 12. 2016 um 14:38 Uhr.
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Wie die Miniatur zeigt, handelt es sich bei dem Papagei, der auf dem weißen Zimier der Psitticher thront, ebenfalls um ein grünes Exemplar. Abweichend von dem Wappen ffl%ns in Konrads Trojanerkrieg, wird der Vogel allerdings nicht auf rotem Untergrund abgebildet.1280 Falls das Wappen der Psitticher tatsächlich als Konrads realhistorische Vorlage gedient haben sollte, so zeigt sich gerade in dieser Abweichung – sowie in der Beschreibung der kostbaren Edelsteine – die diskursive Überformung. Diese dürfte vor allem der Intention geschuldet sein, Wappen und Schild noch außergewöhnlicher erscheinen zu lassen und die Farbästhetik, die den gesamten Roman durchzieht, aufrecht zu erhalten. Ein weiterer Text, in dem der Papagei als Schmuckelement einer Kopfbedeckung Erwähnung findet, ist der Helmbrecht Wernhers des Gartenære.1281 Es wird angenommen, dass der Text »nach 1237 und vor den neunziger Jahren des 13. Jahrhunderts« entstanden ist.1282 Der Papagei wird darin direkt im Prolog genannt. Zunächst erklärt der Erzähler, er wolle berichten, was er mit eigenen Augen gesehen habe (V. 8), und setzt daraufhin zu einer ausführlichen Beschreibung eines Bauernsohnes an. Der Fokus liegt dabei auf der kunstvoll gefertigten Haube des Jünglings: 10
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Ich sach, daz ist sicherl%chen w.r, eines geb0ren sun der truoc ein h.r daz was reide unde val. ob der ahsel hin ze tal mit lenge ez vollecl%chen gie. in ein h0ben er ez vie diu was von bilden wæhe. ich wæn ieman gesæhe si manigen vogel 0f h0ben.
1280 Vgl. dazu auch: Stuckmann, Wappenschilderungen und historisch-heraldische Anspielungen, S. 420. Allerdings muss hier eingeräumt werden, dass Abb. 94 lediglich das von Papageien geschmückte Zimier zeigt, das sowohl auf dem Kopf des Reiters als auch auf dem des Pferdes zu sehen ist. Wie das eigentliche Wappen der Psitticher aussah, d. h. auf welchem Untergrund wieviele Papageien abgebildet waren, lässt sich der Miniatur nicht entnehmen. Laut Stuckmann zeigte jedoch auch das realhistorische Wappen der Psitticher einen grünen Papagei auf weißem Grund. Vgl.: Ebenda. 1281 Gedankt sei an dieser Stelle Frau Lina Schilke, die im Sommersemester 2014 Teilnehmerin meines Seminars Von Wildschweinen, Elefanten und Giraffen – Eine literarische Reise durch die Tierwelt des Mittelalters war und mich durch ihre Hausarbeit zu dem Thema »ez müezen rinder vor mir lüen / die ich über ecke tr%be – Tiere im bäuerlichen und (raub)ritterlichen Umfeld am Beispiel des Helmbrecht Wernhers des Gartenære« auf diese Quelle aufmerksam gemacht hat. 1282 Brackert/Frey/Seitz, Anhang zur Edition des Helmbrecht, S. 133.
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siteche unde t0ben die w.ren alle dar 0f gen.t. Welt ir n0 hœren waz d. st.t.1283
Dem Bildprogramm sowie der Herkunft der Haube widmet der Erzähler noch 96 weitere Verse, in denen zum Ausdruck kommt, dass es sich um eine ganz besondere, unglaublich preziöse und höfische Haube handelt, die – ähnlich dem Schild Achills und der Pferdedecke im Erec – eine Art Kosmosschau gewährt.1284 Auf ihr werden unter anderem die Ilias sowie die Geschichten König Karls und Dietrichs von Bern in Bildern nacherzählt. Allein diese Details weisen auf die weitreichende Bildung hin, die zwar der Erzähler besitzt – nicht jedoch der Protagonist, der abfällig als geutir, also als ›Bauerntölpel‹ – bezeichnet wird (V. 41).1285 Auffällig an dem oben angeführten Zitat ist zunächst, dass durch das Verdecken von Helmbrechts Haaren mit der Haube die Dichotomie Natur/Kultur angesprochen wird. Darin, dass sich der Bauernsohn das artifizielle Kleidungsstück über seine natürliche Haarpracht zieht, könnte man – zumindest auf den ersten Blick – eine Integration in den Kulturraum der höfischen Welt sehen. Dass diese Integration jedoch nicht gelingt und dass das »illegitime Aufstiegsstreben Helmbrechts« eine Störung des gottgegebenen ordo darstellt, tritt im weiteren Verlauf der Erzählung immer deutlicher zutage.1286 Seine »Vermessenheit«1287 ist es, die den Protagonisten straucheln lässt und die letztlich auch kausal für seinen Tod ist. Die siteche unde t0ben, die von einer Nonne auf die Haube gestickt wurden, stellen kulturell überformte Bestandteile der Natur dar, woraus sich ergibt, dass innerhalb der oben angeführten Textstelle eine ›doppelte Verdeckung‹ bzw. Überblendung stattfindet. In erster Instanz wird das natürliche Haar von dem artifiziellen Kopfputz verdeckt und in zweiter wird ebendieses künstliche Gebilde seinerseits nochmals von der Natur-Motivik der siteche unde t0ben überdeckt. Anders ausgedrückt könnte man den zweiten Akt des ›Verdeckens‹ als eine Mimesis verstehen: die Kultur versucht, sich die Natur unterzuordnen, indem sie sie imitiert. Da diese imitatio aber ausschließlich innerhalb der eigenen Grenzen stattfinden kann, wird das Ergebnis stets ein artifizielles sein. Es bleibt weiterhin zu überlegen, was Wernher den Gartenære dazu veranlasst 1283 Wernher der Gartenaere, Helmbrecht. Hrsg., übersetzt und mit einem Anhang versehen von Helmut Brackert, Winfried Frey und Dieter Seitz. Frankfurt a. M. 1972, S. 6. 1284 Vgl.: Wandhoff, Ekphrasis, S. 250–258. 1285 Ich übernehme an dieser Stelle die treffende Übersetzung von Brackert/Frey/Seitz (Hrsgg.), Helmbrecht, S. 9. 1286 Brackert/Frey/Seitz, Anmerkungen zum Helmbrecht, S. 139. 1287 Ebenda.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
haben könnte, gerade Papageien und Tauben als Haubenzierde zu wählen und warum die Vögel bereits im Prolog – an einer besonders exponierten Stelle also – genannt werden. Die siteche scheinen für eine derart luxuriöse Haube geradezu prädestiniert, da sie bereits in der Antike von Solinus als Luxusvögel dargestellt werden. Darüber hinaus hat die bisherige Analyse aller mittelalterlichen Quellen gezeigt, dass das Sprachtalent des Tiers nicht bloß dergestalt ist, dass vorgesagte Worte nachgeahmt werden. Stets ist der Papagei dazu in der Lage, sich ganz formvollendet der höfischen Sprache zu bedienen. Insofern könnte hierin ansatzweise eine Parallele zum jungen Helmbrecht bestehen, der sich verschiedene höfische Ausdrücke aneignet. Da er sie jedoch nach seiner Heimkehr auch im heimatlichen, bäuerlichen Umfeld verwendet – in einem Umfeld also, indem sie deplatziert wirken – verbleibt er auf der Stufe eines unverständigen Nachahmers. Mit seinem neuen, höfischen Vokabular passt er nicht mehr in die bäuerliche Welt und erweckt dort den Eindruck, ein ›Exot‹ zu sein, denn während seine Mutter ihn für einen Böhmen oder Wenden hält (V.731–734), ist sein Vater davon überzeugt, einen Franzosen vor sich zu haben (V. 735). Nun stellt sich die Frage, wie ›exotisch‹ die Papageien innerhalb der Erzählung dargestellt werden, denn in der ›Exotik‹ könnte man das tertium comparationis zwischen dem jungen Helmbrecht und den sitechen sehen. Im Prolog lassen sich jedoch außer der Aura von Luxus keinerlei Hinweise auf die ›Exotik‹ des Vogels erkennen. 17 Verse nach der Nennung der Papageien heißt es vielmehr : 35
der l%m mit vogelen was bezogen reht als wæren dar geflogen 0z dem Spehtharte. (V. 35–37)
Unklar bleibt, ob es sich bei den auf dem Saum abgebildeten Vögeln – die so aussehen, als seien sie direkt aus dem Spessart auf die Haube geflogen (V. 37: 0z dem Spehtharte) – um die zuvor im Prolog erwähnten Papageien und Tauben handelt. Würde man dies annehmen, so spräche V. 37 eher dagegen, die siteche im Helmbrecht als ›exotisch‹ zu bezeichnen, denn eine Herkunft aus dem Spessart ist wohl eher als eine aus einer vertrauten Gegend anzusehen. Wahrscheinlicher scheint jedoch, dass dieser Vergleich sich nicht auf die Papageien und Tauben bezieht, die gesondert – im Prolog – genannt werden. Außerdem dürfte es dem Erzähler vielmehr darum gehen, innerhalb dieser Verse die naturgetreue Darstellung der Tiere zu unterstreichen, als tatsächlich deren Herkunft festzulegen. Würde man trotz fehlender ›Exotik‹-Indikatoren annehmen, dass die siteche im Helmbrecht ›exotische‹ Vögel sind, so würde dies zumindest erklären, warum sie bereits im Prolog Erwähnung finden. Sie könnten die Programmatik zum
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Ausdruck bringen, von einem Bauernjungen zu erzählen, der zuerst als ›Exot‹ Anschluss an die höfische Welt sucht und danach als ›Exot‹ in die ursprünglich heimische, bäuerliche Welt zurückkehrt. Die Tauben könnten in einem Kontext mit den sitechen genannt sein, da eine Freundschaft zwischen Papagei und Taube bereits in antiken Quellen dargestellt wird.1288 Diese Möglichkeit einer Tradierung antiken Wissens spricht Andreas Seelbach in seinem Helmbrecht-Kommentar nicht an.1289 Seelbach interpretiert die Tauben vielmehr als eine Art intertextuelle Parzival-Reminiszenz und schreibt: Tauben waren als Sinnbild des Heiligen Geistes, des Friedens und der kiusche dem mittelalterlichen Hörer und Leser bekannt. […] Doch wird hier im ›Helmbrecht‹ weniger die christliche Komponente wirksam sein, als die der höfisch-ritterlichen Vorstellungen der zeitgenössischen Literatur. Ich denke hierbei an den Sperber als Turnierpreis, an die Tauben (turtelt0ben) als Wappentiere des Grals […], die sitiche als die Vögel eines paradiesischen Angers im ›Lohengrin‹ 6141f. und als Schönheitspreis im ›Wigalois‹ V. 2517.1290
Auch Seelbachs Überlegungen sind soweit plausibel. Allerdings ist im Prolog nur von sitechen unde t0ben die Rede – nicht jedoch von Sperbern. Möglicherweise stellt der von mir aufgezeigte Interpretationsansatz aber auch nicht zwingend einen Widerspruch zu Seelbachs Annahmen dar. Es erscheint immerhin durchaus vorstellbar, dass sowohl die zeitgenössische Literatur als auch antike Quellen Wernher den Gartenære dazu veranlassten, siteche unde t0ben als Haubenzierde zu wählen. Weiterhin widerspricht Seelbach Sieglinde Hartmann, die in Erwägung zieht, die Vögel könnten Mariensymbole darstellen.1291 Diesbezüglich möchte ich mich Seelbach anschließen. Die bisherige Analyse hat zwar gezeigt, dass der Papagei in mittelalterlichen Quellen durchaus als Mariensymbol auftreten kann – im Helmbrecht scheint dies jedoch nicht der Fall zu sein. Weiterhin ist Boccaccios Genealogie deorum gentilium I, XLIX für die Erschließung des mittelalterlichen Papageien-Konzepts unentbehrlich. Der aus dem Jahr 1374 stammende Text, der als eine »Enzyklopädie der klassischen Mythologie« zu verstehen ist, stellt nämlich die erste Quelle dar, in der von einer Mensch-Papagei-Metamorphose berichtet wird.1292 Diese beschreibt Boccaccio wie folgt: 1288 1289 1290 1291
Vgl. dazu S. 301f. der vorliegenden Arbeit. Seelbach, Kommentar zum »Helmbrecht« von Wernher dem Gartenære, S. 19f. Seelbach, Kommentar zum »Helmbrecht« von Wernher dem Gartenære, S. 19f. Ebenda, S. 20. Seelbach verweist an dieser Stelle auf: Hartmann, siteche unde t0ben – Zur Vogelsymbolik im Helmbrecht, S. 144f. 1292 Boehrer, Parrot Culture, S. 33.
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De Psytaco Deucalionis filio. Psytacus Deucalionis et Pyrre filius, ut ait Theodontius, Promethei avi sui doctrinis imbutus, ad Ethyopas abiit, ubi in maxima veneratione habitus cum in longissimum evasisset evum, oravit ut rebus subtraheretur humanis. Cuius precibus dii faciles eum in avem sui nominis mutavere. Huius ego fictionis causam credo sui nominis et virtutis famam, que, eo cano mortuo, viriditate duravit perpetua, uti sunt perpetuo virides aves ille. Fueri qui crederent hunc Psytacum eum fuisse, qui unus ex septem sapientibus dictus est, sed Theodontius dicit eum longe antiquiorem.1293
Bruce Thomas Boehrer betrachtet diese Verwandlung als einen weiteren (finalen) Schritt in der über die Jahrhunderte hinweg stetig stärker werdenden Vermenschlichung des Papageis.1294 Der Grundgedanke dieser Menschenähnlichkeit tauche bereits in den Werken Plinius’ und Apuleius’ auf, in denen berichtet wird, wenn man den Papagei beim Sprechen nicht sähe, gehe man irrtümlich davon aus, die gesprochenen Worte kämen aus dem Mund eines Menschen.1295 Eine weitere Stufe der Vermenschlichung zeige sich in Martials Epigramm XIV, 73, da der Papagei – beginnend mit dieser Darstellung – als ein Tier imaginiert worden sei, das sich selbst neue Wörter beibringen könne.1296 Weiterhin erklärt Boehrer : And if a parrot can speak and think like a man, perhaps it might even once have been a man. Boccaccio takes this obvious next step in the chain of association […] Here, under the entry for »Psittacus«, Boccaccio traces the race of parrots back to an ancestry both human and divine.1297
Besonders die letztgenannte Beobachtung Boehrers erscheint wichtig in Bezug auf das Ansehen und den Wert, den man dem Papagei im Mittelalter beigemessen haben dürfte. Als ein Tier menschlicher und göttlicher Abstammung stellt er bereits ein mirabilium dar, bezieht man darüber hinaus auch noch die Information mit ein, dass sich Psittacus zuerst nach Äthiopien begibt, bevor er die Götter um seine Verwandlung bittet, so spricht dies eindeutig für die ›Exotik‹ 1293 Boccaccio, Genealogie deorum gentilium. Hrsg. v. Vincenzo Romano. Bari 1951, S. 206. Eigene Übersetzung: ›Psittacus war der Sohn von Deucalion und Pyrra, das sagte Theodontius. Durchdrungen von den Lehren seines Großvaters Prometheus, begab er sich unter die Äthiopier, wo ihm größte Verehrung entgegengebracht wurde, nachdem er dort sehr alt geworden war. Er betete daraufhin zu den Göttern, er möge von menschlichen Angelegenheiten entbunden werden und – bewegt durch seine Gebete – verwandelten die Götter ihn bereitwillig in den Vogel seines Namens. Ich glaube, die Grundlage dieser Geschichte ist der Ruhm seiner Stärke und seines Namens. In ewig grüner Frische verharrt sein Ruhm, wie jene Vögel beständig grün sind, obwohl Psittacus als grauer Mann gestorben ist. Es gibt einige, die diesen Psittacus für einen der sieben Weisen halten, aber Theodontius sagt, dass er weitaus älter ist.‹ 1294 Boehrer, Parrot Culture, S. 33. 1295 Ebenda. 1296 Ebenda. 1297 Ebenda.
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des Papageis. Betrachtet man nämlich die Informationen, die beispielsweise die Ebstorfer Weltkarte über Äthiopien bietet (es werden mehrere staunenerregende (Fabel-)Tiere genannt, die bevorzugt dort leben), so dürfte das Land von mittelalterlichen Menschen als beinahe ebenso ›exotisch‹ empfunden worden sein wie Indien.1298 Dass Boccaccios Papageien-Darstellung darauf abzielt, die Rezipienten zum Staunen zu bringen, ist ebenfalls zu bejahen. Insofern könnte man die Genealogie deorum gentilium wohl als diejenige dem literarischen Diskurs zugeordnete Quelle betrachten, innerhalb der der Papagei am ›exotischsten‹ dargestellt wird. Auffällig ist zudem, dass das Dasein als Papagei von den Göttern offensichtlich als eine angenehmere Existenzform erachtet wird als das Menschsein, denn andernfalls würden sie dem frommen Psittacus mit der Verwandlung in den Vogel seines Namens wohl keinen Gefallen erweisen.1299 Auch Boccaccio scheint von dem prototypischen Papagei der Antike und des Mittelalters auszugehen, denn er nennt ebenfalls die grüne Farbe des Vogels. Anders als in allen bislang analysierten Quellen, findet sich hier jedoch zusätzlich eine Erklärung für die Gefiederfarbe: In ihr manifestiert sich der Ruhm von Psittacus’ Stärke und seines Namens (Huius ego fictionis causam credo sui nominis et virtutis famam, que, eo virides aves ille). Daraufhin wird gesagt, die Vögel seien im Allgemeinen grün. Hier zeigt sich besonders deutlich, wie Erkenntnisse, die zuvor aus einem individuellen Token-Konzept hergeleitet wurden, auf ein überindividuelles Type-Konzept übertragen werden: Psittacus, der erste papageigewordene Mensch war nach seiner Verwandlung grün – folglich sind alle Papageien grün. Besonders interessant ist weiterhin Boccaccios letzter Satz, in dem gesagt wird, der mythische Psittacus werde von einigen Zeitgenossen für einen der sieben Weisen gehalten. Der Autor selbst scheint jedoch nicht von diesem ›Gerücht‹ überzeugt zu sein. Boehrer findet zu einer beeindruckenden und äußerst überzeugenden Erklärung für diese Erwähnung der sieben Weisen: Boccaccio’s reference to the seven wise men marks one more bizarre medieval misunderstanding of classical lore. As it happens, Pittacus of Mytilene (c. 650–570 B.C.) was one of the Seven Sages of Greece. His name differs from the Greek word for parrot (psittakos) only in its initial consonant. So it becomes easy enough to confuse the letters
1298 Vgl. dazu: Die Ebstorfer Weltkarte. Auf: http://www.uni-lueneburg.de/hyperimage/EbsK art/start.html. Zugriff am 31. 12. 2016 um 14:15 Uhr. 1299 Zu bedenken ist an dieser Stelle auch, dass in Ovids Metamorphosen zahlreiche MenschVogel- und Gott-Vogel-Metamorphosen beschrieben werden. So verwandeln sich beispielsweise Prokne, Philomela und Tereus in Schwalbe, Nachtigall und Wiedehopf (VI, 667–674). Möglicherweise inspirierten die Metamorphosen Boccaccio dazu, von der Mensch-Papagei-Verwandlung des Pittacus zu erzählen.
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pi and psi, which makes possible a tale in which the races of people and parrots become genealogically related.1300
Auch wenn sich Boccaccio im letzten Teil des Satzes von den Annahmen der anderen distanziert (sed Theodontius dicit eum longe antiquiorem), liegen die Gründe für eine Gleichsetzung des mythischen Psittacus mit dem realhistorischen Pittacus auf der Hand. Zum einen ist es die von Boehrer bereits genannte Ähnlichkeit des Namens, zum anderen könnte dahinter der Wunsch stehen, dem wunderbaren Psittacus ein Gesicht zu verleihen. Darstellungen des realhistorischen Weisen lassen sich nämlich durchaus finden, wie Abb. 94 belegt.
Abb. 94: Pittacus von Mytilene. Römische Kopie (1. Jh. n. Chr.) eines griechischen Originals (ca. 330 v. Chr.). Paris, Mus8e du Louvre (D8partement des Antiquit8s grecques, 8trusques et romaines N8 d’entr8e MND 2239; n8 usuel Ma 3572).1301
Ein weiterer Aspekt, der zu der Gleichsetzung geführt haben könnte, ist darin zu sehen, dass mittelalterliche Papageiendarstellungen das Tier oftmals derart klug erscheinen lassen, dass die Rezipienten wenig Probleme gehabt haben dürften, es gedanklich mit einem der sieben Weisen in Verbindung zu bringen.1302 Abschließend erscheint es wichtig, sich mit der Tradierung der Psittacus1300 Boehrer, Parrot Culture, S. 33. 1301 Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File :Pittacos_Louvre_Ma_3572.jpg, Louvre Museum, [Public domain or Public domain], from Wikimedia Commons. Zugriff am 17. 10. 2018 um 13:24 Uhr. 1302 Vgl. Boehrer, Parrot Culture, S. 33.
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Geschichte auseinander zu setzen. Da in den Metamorphosen zwar zahlreiche Verwandlungen in verschiedenste Vögel beschrieben werden, die Papageiwerdung des Psittacus aber nicht erwähnt wird, lässt sich vermuten, dass Boccaccio selbst den Mythos ins Leben gerufen hat – möglicherweise inspiriert von den Vogelmetamorphosen im Werk Ovids. Besonders interessant ist weiterhin, dass Boccaccio nicht der einzige Autor bleibt, der von der Papageiwerdung berichtet – auch im Evagatorium, dem etwas mehr als 100 Jahre jüngeren Reisebericht Felix Fabris, wird sie thematisiert.1303 Da Ulm, die Heimatstadt Fabris, zu den ersten deutschsprachigen Zentren der Boccaccio-Rezeption zählt, ist es wahrscheinlich, dass Fabri die Psittacus-Geschichte von Boccaccio übernimmt. Auch im Renner Hugos von Trimberg findet der Papagei Erwähnung. In dem um 1300 entstandenen didaktischen Großwerk aus der Feder des St. Gangolfer Schulmeisters Hugo von Trimberg heißt es über das Tier :1304
3635
Der sitich kriechisch wörter sprichet, Diu aglaster ouch sich ofte brichet N.ch dem menschen spr.che, daz machet der hunger. Wie der BÞheim rede, Walch und Unger, Daz muoz lernen manic man Dem biutel, hant und mage ist wan. (V. 3633–3638)1305
Hugo thematisiert den Vogel innerhalb seiner Sündenlehre in der ersten distinctio, die sich mit der superbia beschäftigt.1306 Die Stelle verdeutlicht zunächst, dass der Vogel nicht nur sprechen kann, sondern, dass er sogar die griechische Sprache beherrscht. Offen bleibt, ob es sich dabei um die ›Muttersprache‹ des Tiers handelt oder ob der Vogel das Griechische zuerst lernen musste – als ›Fremdsprache‹ sozusagen. In jedem Fall zeigt sich anhand dieser Information, dass der Papagei mit einem fremden Land in Verbindung gebracht wird, was ihm zunächst eine ›exotische‹ Aura verleiht. Hinzu kommt, dass die Erwähnung der Griechischkenntnisse auch dazu dienen könnte, auf das Wissen des antiken Griechenland zu verweisen. Da der sitich die Sprache beherrscht, steht ihm quasi das Tor zum gesamten abendländischen Wissen offen. Ab V. 3634f. geht Hugo dann auf die Elster ein, die ebenfalls oftmals danach strebe, die menschliche Sprache zu erlernen. Dass der Papagei und die heimische Elster in direkter Abfolge aufeinander thematisiert werden, lässt den sitich 1303 Auf die Papageien-Beschreibung Felix Fabris wird im Folgenden, in Kapitel 2.2.3.5 Der kommerzielle Diskurs, noch genauer eingegangen. 1304 Weigand, Der Renner des Hugo von Trimberg, S. 22. 1305 Hugo von Trimberg, Der Renner (Band 1). Hrsg. v. Gustav Ehrismann. Berlin 1970, S. 149f. 1306 Weigand, Hugo von Trimberg. In : Historisches Lexikon Bayerns. Auf: https://www.his torisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Hugo_von_Trimberg:_Der_Renner. Zugriff am 02. 01. 2017 um 10:24 Uhr.
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etwas stärker im Lichte eines vertrauten Vogels erscheinen und weniger in dem eines ›Exoten‹. Auch auf die Frage, warum die Vögel die menschliche Sprache lernen, gibt Hugo eine Antwort: der Hunger treibt sie dazu. Diese Aussage erinnert etwas an das bereits in der Antike bekannte Sprachlerntraining, bei dem der Papagei mit Nüssen konditioniert wird (Apuleius, Florida II, 12, d).1307 Im Renner folgt daraufhin eine Allegorese, die erklärt, was das Verhalten der Vögel in Bezug auf den Menschen bedeutet: Auch viele Menschen, deren Geldbeutel, Hand und Magen leer seien, müssten die Heimatsprache der Romanen und Ungarn lernen (V. 3636–3638). Dass der Papagei das besondere Talent besitzt, die unterschiedlichsten Sprachen verschiedenster Völker und Länder zu lernen, kommt auch in John Skeltons 1521 entstandenem Gedicht Speke Parrot deutlich zum Ausdruck. Auf dieses komplexe und umfangreiche englische Gedicht, das bereits eher der Renaissance und dem Humanismus zuzurechnen ist, kann innerhalb der vorliegenden Arbeit nur kursorisch eingegangen werden. Die Betrachtung einzelner Passagen erscheint jedoch sehr aufschlussreich im Hinblick auf die Frage nach der Tradierung der Konzept-Bestandteile an der Epochenschwelle vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit. Der Papagei stellt sich in dem Gedicht selbst vor und gibt den Rezipienten die wichtigsten Informationen über sich und seine Herkunft an die Hand. In Str. 1 heißt es:
5
My name ys Parott, a byrde of Paradyse, By Nature devysede of a wonderowus kynde, Deyntely dyetyde with dyvers delycate spyce, Tyll Eufrates, that flodde, dryvythe me into Ynde, Where men of that contre by fortune me fynde, And sende me to greate ladyes of estate; Then Parrot most have an almon or a date.1308
Zunächst gibt der Vogel also zu verstehen, er komme aus dem Paradies und sei von wundersamer Art. Seine Nahrung bestehe aus köstlichen Kräutern (V. 3: delycate spyce) und von den Fluten des Euphrat sei er nach Indien getragen worden, wo er glücklicherweise von Einheimischen gefunden worden sei. Diese hätten ihn dann wiederum zu vornehmen Damen von hohem Ansehen geschickt. Beinahe alle Details, die der Papagei in der ersten Strophe nennt, finden auch in den bisher analysierten mittelalterlichen Quellen Erwähnung. Allein die Informationen, der Euphrat habe den Vogel nach Indien gespült (V. 4) und das Tier 1307 Vgl. S. 292 der vorliegenden Arbeit. 1308 John Skelton, Poems. Hrsg. v. Robert S. Kinsman. Oxford 1969, S. 77.
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fresse feine Kräuter sowie Mandeln und Datteln (V. 7), treten neu hinzu. Anhand der Herkunftsbeschreibung wird bereits innerhalb der ersten Strophe deutlich, dass es sich um ein ›exotisches‹ Tier handelt. In der zweiten Strophe berichtet der Papagei von seiner prächtigen Voliere und von den höflichen Umgangsformen, die die Damenwelt ihm gegenüber an den Tag lege:
10
A cage curyowsly carven, with sylver pynne, Properly payntyde to be my coverture; A myrrour of glasse, that I may tote therin; These maydens full meryly with many a dyvers flowur Fresshely they dresse and make swete my bowur, With, ’Speke, Parott, I pray yow,’ full curteslye they sey, ’Parott ys a goodlye byrde and a pratye popagay.
Anders als in den bisher betrachteten Käfigbeschreibungen ist der Vogelbauer hier ›nur‹ mit Silber belegt und nicht aus purem Gold. Dennoch handelt es sich um ein äußerst preziöses Kunstwerk, was durch die Adverbien curyowsly (V. 8) und properly (V. 9) zum Ausdruck kommt. Ausgestattet ist die wunderbare Voliere zudem mit einem Spiegel, damit sich der Vogel darin betrachten kann (V. 10: A myrrour of glasse, that I may tote therin). Etwas näher am Text könnte man that I may tote therin auch mit ›damit ich darin glänzen kann‹ übersetzen.1309 Dies erinnert an die Papageienbeschreibung im Daniel von dem Blühenden Tal, in der berichtet wird, der Vogel glänze so sehr, dass man mit seinem Glanz nachts eine ganze Kemenate erhellen könne.1310 Besonders lebhaft schildert der parrot seinen Status als ›Liebling der Damenwelt‹, denn er freut sich nicht nur darüber, dass die Damen seine Voliere wunderschön mit verschiedenen Blumen schmücken (V. 11f.), sondern gibt auch in wörtlicher Rede wieder, wie höflich sie ihn bitten, zu sprechen (V. 13 ’Speke, Parott, I pray yow,’ full curteslye they sey). Diese Informationen stellen ebenfalls Konzeptbestandteile dar, die bereits seit der Antike existent sind und die in beinahe allen mittelalterlichen Quellen zum Papagei Erwähnung finden. Obwohl Skeltons Gedicht 29 Jahre nach der Entdeckung Amerikas entstand – zu einem Zeitpunkt also, als man bereits Kenntnis von der Existenz anderer Papageienarten gehabt haben könnte – geht der Dichter noch immer von dem prototypischen mittelalterlichen Papagei aus. Der parrot erklärt nämlich, seine Federn seien so frisch wie das Grün eines Smaragds und ein rubinrotes Halsband 1309 Vgl.: Köbler, Altenglisches Wörterbuch. Lemma ›tot‹. Auf: http://www.koeblergerhard. de/germanistischewoerterbuecher/altenglischeswoerterbuch/AENG-T.pdf. Zugriff am 02. 01. 2017 um 14:17 Uhr. Köbler gibt als Übersetzungsvorschläge für das Substantiv tot ›Pracht‹ und ›Eitelkeit‹ an. 1310 Siehe dazu S. 413f. der vorliegenden Arbeit.
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schmücke seinen Hals (V. 16f.: My fethyrs fresshe as ys the emerawde grene, / Abowte my necke a cerculett lyke the ryche rubye). Besonders anthropomorph wirkt der Vogel, wenn er in V. 21 berichtet, er lerne gemeinsam mit den Damen und besuche mit ihnen die Schule (V. 21: With ladyes I lerne and goe with them to scole). Ab V. 25 wird über die Mehrsprachigkeit des Vogels informiert, die innerhalb des Gedichts das mit Abstand wichtigste Papageien-Merkmal darstellt und die mit der politischen Aussage-Absicht des Texts eng verbunden ist. Auf diese politische Intention wird im weiteren Verlauf der Analyse noch einzugehen sein. Zunächst jedoch zu den Sprachen, die der parrot beherrscht. Dies sind: Latein, Hebräisch, Chaldäisch und Griechisch (V. 25f.: Yn Latyn, in Ebrue, and in Caldee, / In Greke tong Parott can bothe speke and sey), sowie Holländisch, Französisch und Spanisch (V. 29: Dowche Frenshe of Paris Parot can lerne; V. 32: With Dowche, with Spaynyshe, my tonge can agree). Darüber hinaus kann das Tier natürlich Englisch und preist in dieser Sprache König Heinrich VIII.:
35
In Englysshe to God Parott can supple: ’Cryste save Kyng Herry the viiith, owur royall kyng, The red rose in honour to flowrysshe and spryng!’ (V. 33–35)
Das Preisen des Königs erinnert stark an die antike und mittelalterliche Vorstellung, der Papagei grüße Herrscher mit einem Ave Caesar. Dieser Konzeptbestandteil kommt im weiteren Verlauf des Gedichts auch noch explizit zum Ausdruck (V. 110: Pattot can say ›Cesar, ave,‹ also). Neben den bereits genannten Sprachen beherrscht der Vogel auch noch Kastilisch sowie Türkisch, Thrakisch und Böhmisch (V. 38f.; 79), und er vermag sich in ›afrikanischer Zunge‹ auszudrücken (V. 80). Bei derart umfangreichen Sprachkenntnissen muss naturgemäß die Frage aufkommen, wie es dem parrot möglich war, all dies zu lernen. Auch darauf gibt das Tier selbst eine Antwort:
45
My lady mastres, Dame Phylology, Gave me a gyfte in my nest when I lay, To lerne all langage, and hyt to speke aptlye. (V. 43–45)
Seine Herrin, die Dame Philologie – die in diesem Fall wohl nicht nur als die personalisierte ›Liebe zur Sprache‹, sondern auch als die ›Gelehrsamkeit im Allgemeinen‹ zu verstehen ist – hat dem Papagei sein Talent ins Nest gelegt. Weiterhin erklärt, der Vogel, er spreche die Sprachen aptlye, also ›angemessen‹ und damit auch sinnvoll. Im weiteren Verlauf des Gedichts treten jedoch oftmals Einsprengsel und Vermischungen verschiedener Sprachen (insbesondere Latein und Französisch) auf, die das Verständnis erschweren.
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Geht man der Frage nach, warum John Skelton dem Merkmal der Mehrsprachigkeit in seinem Poem einen derart großen Raum gewährt, so zeichnet sich ab, dass der Autor damit mehrere Ziele verfolgte.1311 Eines der wichtigsten Anliegen Skeltons ist wohl darin zu sehen, dass er mit Speke Parrot gegen den Erzbischof von York, Kardinal Thomas Worsley, vorgehen wollte.1312 Thomas Boehrer nimmt an, dass das ›Plappern‹ des Papageis dazu dienen könnte, den verbalen Angriff auf den Bischof zu verhüllen (»perhaps as cover for this audacious attack, it also babbles like a mad thing«).1313 Gemäß diesem Verständnis, würde sich der Dichter John Skelton dann so zu sagen ›hinter der Maske des Papageis‹ verstecken. Ein gewichtigeres Argument für die ausführliche Thematisierung der Mehrsprachigkeit scheint mir jedoch zu sein, dass der Dichter Kritik daran üben wollte, dass seiner Ansicht nach immer mehr Kleriker ihr Latein vernachlässigten und stattdessen – humanistische Interessen verfolgend – Griechisch lernten.1314 Die vielen Sprachen, die der Papagei in dem Gedicht spricht, würden demnach für die nachlassenden Lateinkenntnisse der Kleriker und die damit einhergehende Unverständlichkeit ihrer Worte stehen.1315 Das zuweilen irritierende Sprachengemisch des Tiers könnte man folglich als Absage an bestimmte renaissancehumanistische Bildungstendenzen verstehen.1316 Bezieht man diese Überlegungen zur Aussageabsicht in die Analyse der Papageiendarstellung mit ein, so erweist sich der Vogel als Grenzgänger zwischen Mittelalter und Renaissancehumanismus. Er weist zwar noch alle äußeren Merkmale des prototypischen mittelalterlichen Papageis auf, sein verwirrendes Sprachengemisch deutet aber bereits auf einen Wandel des Konzepts hin. Boehrer beschreibt dies sehr treffend mit den Worten, der Papagei habe ›eine Kralle in jeder der beiden Welten‹:
1311 Auf die Aussageabsichten Skeltons und die politischen Hintergründe kann im Rahmen der vorliegenden Arbei nur am Rande eingegangen werden. Für ausführlichere Informationen sei daher verwiesen auf: Berdan, John M.: Speke, Parrot. An Interpretation of Skelton’s Satire. In: Modern Language Notes Vol. 30, No. 5 (May, 1915), S. 140–144. 1312 Boehrer, Parrot Culture, S. 63. 1313 Ebenda, S. 64. 1314 Berdan, Speke, Parrot. An Interpretation of Skelton’s Satire, S. 142. 1315 Vgl. Brittan, Skelton’s ’Speke Parott’: Language, Madness and the Role of the Court Poet. In: Renaissance Forum, Volume 4, Number 1 (1999). Auf: http://www.hull.ac.uk/renfo rum/v4no1/brittan.htm. Zugriff am 04. 01. 2017 um 13:34 Uhr. Brittan schreibt diesbezüglich: »Parott’s humanist learning is reflected in his knowledge of foreign languages«; siehe dazu auch: The Skelton Project, Introduction and Background to Speke Parott. Auf: http://www.skeltonproject.org/infospekeparott/. Zugriff am 26. 05. 2017 um 14:54 Uhr. 1316 Brittan, Skelton’s ›Speke Parott‹: Language, Madness and the Role of the Court Poet. Auf: http://www.hull.ac.uk/renforum/v4no1/brittan.htm. Zugriff am 26. 05.2017 um 14:56 Uhr.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Skelton’s parrot is very much a transitional figure, with a claw in two worlds. As it hearkens back to the miraculous and prophetic associations of parrots in the Middle Ages, it also looks forward to a new order of business, in which the same birds become a byword for all that is mindless and trivial and loud.1317
Zusammenfassend lässt sich über den Papagei innerhalb des literarischen Diskurses festhalten, dass den Quellen oftmals die Vorstellung vom prototypischen grünen Papagei mit rotem Halsband zugrunde liegt. Aufgrund seines glattgestrichenen, adrett geordneten Gefieders, gilt der papig.n zudem als äußerst reinliches und gepflegtes Tier, was ihn dazu prädestiniert, mit schönen Damen verglichen zu werden. Anhand der Untersuchung des nachklassischen Artusromans Chevalier du Papegau wurde deutlich, dass der Vogel sehr selbstbewusst, redegewandt und vorwitzig in Erscheinung treten kann, zuweilen aber auch als ›Angsthase‹ in Szene gesetzt wird. Seine Beziehungen zu Merlin lassen ihn im Lichte eines magischen Vogels erscheinen. Dass der papeg.n außerdem über einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn verfügt und empathiefähig ist, wurde anhand der Papageien-Stelle im Wigalois ersichtlich. Die Konzeptbestandteile, die am häufigsten ausführlich thematisiert werden, sind das Sprach- und Gesangstalent des Vogels, sowie die aufwendig gefertigte, kostbare Papageien-Voliere. In Bezug auf die Sprache lässt sich sagen, dass der Vogel stets selbstständig sinnvolle Sätze formuliert und sich keineswegs nur auf das Nachahmen menschlicher Rede beschränkt. Zuweilen wird sogar von der Mehrsprachigkeit des Tiers berichtet. Ebenso versiert ist der Vogel aber auch im Singen süßer Liebeslieder : er singt bei Tag und bei Nacht so schön, dass man ihm gerne zuhört und sein Können reicht so weit, dass er sogar der Nachtigall ihre traditionelle Rolle streitig macht. Der Gesang dient im Allgemeinen der Unterhaltung bei Hofe, kann aber auch eingesetzt werden, um dem Papageienhalter neuen Kampfesmut beim Turnier zu verleihen oder um die Freude über einen gewonnen Kampf zu Ausdruck zu bringen. Papageien-Volieren bestehen aus den edelsten Materialien wie Gold, Silber und Edelsteinen und sind kunstvoll verziert mit Ziselierungen und Blumenschmuck. Der Blumenschmuck wird von Damen angebracht, deren Liebling der Papagei ist. Auch innerhalb der Untersuchung des literarischen Diskurses wurde deutlich, dass der Vogel sich besonders gerne als Kuppler betätigt, auch wenn seine Aktionen nicht immer von Erfolg gekrönt sind. Als Nahrung des Tiers werden köstliche Kräuter sowie Mandeln und Datteln genannt; und als ›Herkunftsländer‹ gelten das Paradies, Indien, Äthiopien, das Reich der Candacis und das Königreich Cluse. 1317 Boehrer, Parrot Culture, S. 64.
Papagei
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Hinsichtlich der Beziehungen zu anderen Tieren lässt sich bemerken, dass der Papagei häufig in einem Atemzug mit edlen Beizvögeln wie Falken und Sperbern genannt wird, was wohl daher rührt, dass diese als ebenso wertvoll erachtet wurden. Von einer ›Freundschaft‹ zwischen dem Papagei und diesen Vögeln zu sprechen, wäre demnach verfehlt. Die Freundschaft zur Taube allerdings, die in der Antike explizit erwähnt wird, klingt m. E. im Helmbrecht Werners des Gartenære unterhalb der Textoberfläche an. Der Vogel ist vielseitig nutzbar. Er eignet sich ebenso hervorragend als wertvolles Geschenk wie als Schönheitspreis, Wappentier und königliches Begleittier. Darüber hinaus kann er von höfischen Damen als Sonnenschutz verwendet werden und sein Gefieder glänzt so schön, dass man sich darin betrachten kann wie in einem Spiegel. Dieser Glanz kann auch dazu eingesetzt werden, nachts eine Kemenate zu erhellen, wodurch Kerzen überflüssig werden. Des Weiteren kann der papig.n auch zum Schmuckmotiv einer exklusiven Kopfbedeckung avancieren. Bezüglich des gesellschaftlichen Status des Vogels hat sich gezeigt, dass das Tier sowohl die Rolle eines Untergebenen, als auch die eines Dienstherren einnehmen kann. So erteilt es etwa im Chevalier du Papegau seinem Zwerg in harschem Tonfall Befehle und beschimpft ihn, wenn er die Anweisungen nicht in gewünschter Weise befolgt. Dass der papig.n auch als poetologisches Tier fungieren kann, wurde ebenfalls im Rahmen der Interpretation des Chevalier du Papegau deutlich. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Papageienkäfig zu: Während der Papagei selbst als Sinnbild für das Erzählen verstanden werden kann, steht sein Käfig für das Gefangensein dieses Erzählens, das in dem nachklassischen Artusroman dadurch begründet ist, dass die Zukunft des jungen Königs bereits feststeht – sie wurde schon in den klassischen Artusromanen beschrieben.1318 Einen ganz bemerkenswerten und außergewöhnlichen Konzeptbestandteil stellt zudem die menschliche Abstammung des Papageis dar, über die Boccaccios Genealogie deorum gentilium informiert. In Bezug auf die Frage nach der ›Exotik‹ des Papageis lässt sich sagen, dass insbesondere die in den Texten genannten real existierenden und fiktiven Herkunftsländer (Paradies, Indien, Äthiopien, das Reich der Candacis, das Königreich Cluse) auf eine ›Exotik‹ des Vogels hindeuten. Auch der große materielle Wert des Tiers – der sich unter anderem an den preziösen Volieren ablesen lässt – kann als ein weiterer ›Exotik‹-Indikator gewertet werden. Das Staunen über den Vogel ist jedoch eher seiner Redegewandtheit und Klugheit geschuldet als einer Fremdheit oder Andersheit.
1318 Martineau, Des oiseaux et des cages dans Le Chevalier du Papegau, S. 186.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
P Papagei
Temperament und Charakter
Äußeres
Größe
Farbe
ausgelassen
weiß
klein
ängstlich
bunt
klug je höher gelegen der Lebensraum, desto größer
kostbare Voliere
aggressiv
glänzendes Gef ieder
selbstbewusst
Anzahl an Zehen ist verschieden
zutraulich
drei Zehen
liebenswürdig und charmant intrigant
unedel Weingenuss
breite Zunge menschenähnlicher Gesang
klappt besser mit 5-zehigen Exemplaren als mit 3-zehigen kann durch Schläge mit einer kleinen Eisenstange konditioniert werden
männlich
Sprache
unter Zuhilf enahme eines Spiegels
f ein herausgeputzt
Minnedame
edel
nicht so gelehrig
lernt schnell sprechen
spricht v orgesagte Worte nach
Sprachtraining
am besten v or Vollendung des 2. Lebensjahres
spricht ›weibisch‹
übernimmt Troubadourrolle
f ünf Zehen
Reis
weiblich
›Liebling der Damenwelt‹
harter Schnabel
cholerisch
grün + rot
Wein
rotes Halsband
harter Kopf
Nahrung
Geschlecht
besondere Merkmale
grüßt von sich aus den Kaiser
Stimmen der Apostel sollen von Menschen nachgeahmt werden eigener Wortschatz
Mehrsprachigkeit grüßt Menschen in der Wüste umwirbt die Minnedame
höfisch, f ormv ollendet
Abb. 95: Epistemischer Diskurs-Frame, der die rekonstruierten Bestandteile des mittelalterlichen Papageien-Konzepts hervorhebt, die innerhalb des literarischen Diskurses aktualisiert werden.
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Papagei
Nennung mit anderen Tieren
Gefahren
Herkunft
Indien
edle Beizvögel
Ägy pten
Elefan t
Taube
Paradies Pfau
Reich der Candacis
Arabien Äthiopien
Berg Gelboe
Giraf f e
Strauß
orientalisches Luxusgut
Wecker Spiegelersatz
Handelsware
Meerkatze
Reich des Großkhans Cluse
gesellschaftlicher Status
Nutzung
v erträgt keinen Regen
Keuscher / besonders reiner Vogel
Sinnbild Marias Sinnbild Jesu
Sinnbild v erschiedener Heiliger
AusstellungsObjekt Gesellschaf t leistendes Tier schattenspendendes Tier
Schmuckmotiv edler Kopf bedeckungen
wertv olles Geschenk
Liebesbote
f rommer und gelehriger Vogel
Schönheitspreis
Kemenatenbeleuchtung
›Spiegelbild des Poeten‹
Wappentier
wird mit dem Papst in Verbindung gebracht
Relationen der Konzeptbestandteile = metaphorische Relation = klassifikatorische Relation = aktualisiert = nicht aktualisiert
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
2.2.3.5 Der kommerzielle Diskurs Im Niederrheinischen Orientbericht wird der Papagei innerhalb des Abschnitts über die vogell over mer thematisiert.1319 Bereits zu Beginn dieses Abschnitts findet eine explizite Kategorisierung statt, denn bevor der Autor detailliert auf die einzelnen Vogelarten und deren Merkmale zu sprechen kommt, erklärt er zunächst, welche Vögel er mit vogell over mer meint: Vort vogell over mer sint da as hie, wilde ind zam, ind wie dat lant me uppwert is, so sy schoinre ind groisser sint, ind sie lude so die hoire sint, so sy cleynre sint, ind die vogell, die da gemeyne sint ind hie seltzen, dat sint aren, struys, pellicanus, flameus, coturnices, francolyn, papagay, fenix, coradrius, ind vill andere vogell.1320
Neben dem Papagei zählen also auch Adler, Strauß, Pelikan, Flamingo, Wachtel, Frankolinhuhn, Phoenix, Charadrius und zahlreiche andere zu den vogell over mer.1321 Die Kategorie, die anfangs durch die Aufzählung der zugehörigen Vögel so klar konturiert zu sein scheint, büßt am Ende des Abschnitts ihre klaren Konturen ein, denn vill andere vogell impliziert, dass es noch zahlreiche weitere Kategorienmitglieder und möglicherweise auch fuzzy edges gibt.1322 Hinzu kommt, dass Adler (aren) auch in den deutschsprachigen Gebieten heimisch waren. Ebenso wie der Autor bereits von den Landtieren over mer berichtete, diese seien den einheimischen Tieren gleich, nur mit dem Unterschied, dass sie schöner und größer seien (alle diere wilde ind zam over mer sint, as hie in disme lande, ind sint vil schonre ind groiszer dan hie),1323 so äußert er diese Information nun in ganz ähnlicher Weise in Bezug auf die Vögel over mer. Für die Größe und Schönheit der Vögel sei jedoch zusätzlich von Bedeutung, wie hoch die Region gelegen sei, in der sie lebten. Dabei gelte das Prinzip: je höhergelegen der Lebensraum, desto schöner und größer die Vögel. Insofern lässt sich hierin ein elementares Prinzip erkennen, das sich in signifikanter Weise von demjenigen unterscheidet, das beispielsweise in Johann Hartliebs Alexander zu bemerken ist. Während in Hartliebs Werk immer wieder implizit zum Ausdruck kommt, im Gebirge seien die gefährlichtsten Tiere – wie etwa Drachen und Schlangen – beheimatet, so werden die höher gelegenen Regionen laut dem Niederrheinischen Orientbericht von den größten und schönsten Vögeln bewohnt. Gemäß dieser Vorstellung müssten sich im Gebirge auch die schönsten und größten Papageien finden lassen. Dies wiederum erinnert an eine Information, 1319 1320 1321 1322
Röhricht/Meisner (Hrsgg.), Niederrheinischer Orientbericht, S. 78–80. Ebenda, S. 78. Ebenda. Zu dem Begriff fuzzy edges siehe auch: Murphy, Semantic Relations and the Lexicon, S. 77f. 1323 Röhricht/Meisner (Hrsgg.), Niederrheinischer Orientbericht, S. 70.
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die sowohl von Alexander Neckam als auch von Vinzenz von Beauvais, Albertus Magnus, Thomas von Cantimpr8 und Konrad von Megenberg genannt wird; nämlich dass das Tier auf dem Berg Gelbœ zuhause sei. Nachdem der Autor des Niederrheinischen Orientberichts seinen Rezipienten allgemeine Informationen über alle vogell over mer an die Hand gegeben hat, geht er detailliert auf jede der von ihm genannten Vogelarten ein. Vom Papagei weiß er dabei Folgendes zu berichten: Eyn papagay is eyn cleyne [voigel; Ergänzung S. M.], ind hait groin vedern, ind hait kurten vloch, ind liert wale alle sprache an eyme jair, ind eme west eyn roit rinck umb den hals, dan en spricht he niet, ind is eyn kranck voigel up den beynen, id behilp sich wael mit dem snavell, ind die lude machent sy zam in ysern husen, ind verkouffent die mit groiszen houfen, ind gevent tzwae umb eyne Venedier, ind en konnen niet verre gevlegen.1324
Auch anhand dieser Quelle zeigt sich, dass das Äußere des prototypischen Papageis beschrieben wird, denn das Tier besitzt laut Verfasser groin vedern und sein Hals ist von einem roten Ring gekennzeichnet (ind eme west eyn roit rinck umb den hals). Das Bild vom prototypischen Papagei wird im Niederrheinischen Orientbericht jedoch noch um eine neu hinzutretende Information erweitert: der rote Ring ist kausal für die Sprachfähigkeit des Tiers, denn ohne seine Halszier spreche es nicht (dan en spricht he niet). Dass das Äußere des Vogels thematisiert wird, deutet darauf hin, dass der Autor davon ausging, das Tier könnte für seine Rezipienten fremd sein. Weiterhin wird erklärt, aufgrund seiner schwachen Beine müsse sich das Tier mit seinem Schnabel behelfen. Diese Information stellt einen tradierten Konzeptbestandteil dar, denn bereits in Plinius’ Papageienbeschreibung werden die schwachen Beine des Tiers angesprochen (NH 10, 58) und im Mittelalter finden sie im Speculum naturale Vinzenz’ von Beauvais Erwähnung (Speculum naturale 26, 135). Daraufhin geht der Verfasser des Niederrheinischen Orientberichts auf die Zähmung und die Papageienhaltung ein. Er erklärt, die Vögel würden in eisernen Käfigen gehalten (in ysern husen). Auch diese Aussage kann als tradierter Konzeptbestandteil angesehen werden, denn bereits der antike Autor Dionysius erklärt in seinem Werk De avibus I c. 19, Papageien-Käfige dürften nicht aus Holz bestehen.1325 Im Vergleich zu den prachtvollen, herrlich geschmückten Papageienkäfigen, die in Wirnts Wigalois, im Chevalier du Papegau und in Skeltons Speke parrot beschrieben werden, wirken die Volieren des Niederrheinischen Orientberichts geradezu spärlich, karg und kümmerlich. Sie bestehen nicht aus purem Gold und Edelsteinen und weisen keine Ziselierungen auf – 1324 Röhricht/Meisner (Hrsgg.), Niederrheinischer Orientbericht, S. 79. 1325 Wotke, RE, Sp. 931.
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sie sind ›nur‹ aus Eisen. Insofern könnte man überlegen, ob sich an dieser Stelle eine im Vergleich zum literarischen Diskurs veränderte Aussageabsicht erkennen lässt. Wärend die ausführlichen Käfigbeschreibungen innerhalb des literarischen Diskurses ganz offensichtlich darauf abzielen, ein Staunen der Rezipienten zu evozieren, wird mit der Nennung der eisernen Käfige im Niederrheinischen Orientbericht scheinbar keine Intention verfolgt, die über eine reine Informationsabsicht hinausgeht. Dem Verfasser geht es vielmehr darum, darzustellen, wie der Papageienhandel vonstattengeht. In diesem Zusammenhang ist es auch von Bedeutung, in welchen Behältnissen die ›Handelsware‹ transportiert und gezähmt werden kann – in ysern husen. Am Ende der Papageienbeschreibung treten die kommerziellen Interessen des Verfassers am deutlichsten zutage, denn hier wird der konkrete Preis für zwei Papageien genannt. Die Tiere werden paarweise für einen Venezianischen Taler feilgeboten (tzwae umb eyne Venedier). Die abschließende Information, Papageien seien nicht dazu in der Lage, weit zu fliegen, könnte auch dazu dienen, sie noch stärker im Lichte einer attraktiven ›Handelsware‹ darzustellen, denn vermutlich würde niemand einen Venedier in zwei Vögel investieren, die bei nächster Gelegenheit weit weg fliegen. Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf die Papageiendarstellung im Niederrheinischen Orientbericht sagen, dass es drei Aspekte gibt, die für eine ›Exotik‹ des Tiers sprechen. Das Tier wird der Kategorie vogell over mer zugeordnet, seine äußere Erscheinung wird beschrieben und es wird ein Kaufpreis genannt, von dem angenommen werden kann, dass er recht hoch ist. Dass nicht nur die Anschaffung eines Papageis Kosten verursacht, wird anhand eines anderen Reiseberichts deutlich. Sebald Rieter informiert über die zusätzlichen Zollgebühren, die beim Transfer der Tiere anfallen: Item so musten wir fünf pilgram zu Alexandria unter der portten geben erstlich 1 ducaten von 8 papigalvogeln, mer 1 ducaten fur uns alle und fur das, was wir bey uns furten zu Alkeyro kauft.1326
Rieter erwarb auf seiner Reise also acht Exemplare, für die er in Alexandria einen Dukaten Zoll entrichten musste. Die Auflistung der übrigen anfallenden Zollgebühren zeigt, dass der Papageien-Zoll mit einem Dukaten recht hoch bemessen ist, denn alle Pilgerreisenden der ganzen Gruppe mitsamt ihren in Kairo erstandenen Handelswaren kosten insgesamt ebenfalls einen Ducaten. Auch im Reisebericht Hans Tuchers des Älteren findet die ›Handelsware‹ papagey¨ Erwähnung. Etwas erstaunlich ist, dass Tucher, innerhalb dessen Bericht die Handelsinteressen oftmals am deutlichsten zutage treten, keine kon-
1326 Röhricht/Meisner (Hrsgg.), Das Reisebuch der Familie Rieter, S. 145.
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kreten Preisangaben macht. Er informiert stattdessen darüber, wo und wann die Vögel gefangen werden: Jtem pey¨ viij tagreysen auffwartz am Ny¨l jn einer art, ›Segetha‹ genant, dem soldan auch zugehorend, fecht man die papagey¨, oder sittich, vnd auch die merkaczen vnd bringt ¨ er ob jm sittich einß malss gen Alkey¨ ro die von dann gen Alkey¨ ro. Vnd sind hew kommen zuuerkauffen. Jm september fecht man die. (S. 562, Z. 1–4)1327
Die Tiere werden also auf der Nilinsel Segetha gefangen, die im Machtbereich des Sultans liegt. Interessant ist, dass Tucher papagey¨, oder sittich schreibt und damit zwei synonym gebräuchliche Wörter nennt. Möglicherweise befürchtete er, seine Rezipienten könnten nur mit einem der beiden Begriffe vertraut sein und wollte durch die Auflistung beider Bezeichnungen sicherstellen, von der Allgemeinheit verstanden zu werden. Zusammen mit den ebenfalls auf Segetha gefangenen Meerkatzen werden die Vögel nach Kairo gebracht, wo man sie zum Verkauf anbietet. Die Aussage Vnd ¨ er ob jm sittich einß malss gen Alkey¨ro kommen zuuerkauffen verdeutsind hew licht, dass sich Tucher selbst am Papageienhandel beteiligte und ein Exemplar in Kairo zum Verkauf anbot. Insofern verwundert es nicht, dass er sich auch für die beste Jahreszeit zum Papageienfang interessierte. Diesbezüglich gibt der Nürnberger Patrizier an, die Tiere würden im September gefangen. Übereinstimmungen mit dem Bericht Tuchers zeigen sich in Felix Fabris Evagatorium, denn auch der Ulmer Dominikanermönch berichtet in der fnhd. Fassung seines Reiseberichts von der Insel Segetha. Im Folgenden werde ich allerdings zunächst auf diejenigen Informationen eingehen, die Fabri in der lateinischen Fassung gibt. Im Anschluss daran wird ein Blick auf die beiden Papageien-Textstellen in der deutschen Fassung geworfen. Nachdem Fabri in Kairo bereits einen Leoparden und drei Straußen bestaunen konnte, bekommt er auch noch sehr schöne, zutrauliche Papageien zu sehen, die er im Evagatorium wie folgt beschreibt: De hoc in aliam habitationem nos induxit et ibi in caveis pendentibus erant pulcherrimi psittaci, mira humanitatase nobis ostendentes, nam communes sunt in illis regionibus illae aves, quia de littoribus indici maris, in quibus gignuntur, ducuntur in Aegyptum. Est autem psittacus avis nobilis, quam veterum error tradit fuisse hominem. Erat enim temporibus Moysi in Thessalia vir Psittacus, prudentissimus, Deucalionis et Pyrrhae filius; hic ad Aethiopes abiit, ubi in maxima veneratione habitus, cum in longissimum evasisset, oravit, ut rebus subtraheretur humanis, cujus precibus dii faciles eum in avem sui nominis mutaverunt et inde omnes psittaci sunt geniti, nec alibi in mundo reperiuntur, nisi in locis, ubi Psittacus regnavit. Haec avis est viridis coloris tota, torque tamen puniceo collum habet ornatum, grandem habet linguam et latam, unde articulata verba exprimit, ita, ut si eam non videris hominem locutum putes, 1327 Herz (Hrsg.), Die ›Reise ins Gelobte Land‹ Hans Tuchers des Älteren, S. 562.
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loquitur autem muliebriter. Ex natura autem imperatores salutat, dicens: Chere, ave. Sed caetera verba dicit instructione, unde quidam sub persona psittaci dicit: Psittacus a vobis aliorum nomina disco; Hoc per me didici dicere: Caesar ave. Rostri ejus tanta est duritia, ut cum e sublimi praecipitatur in saxum, nisu se oris excipiat. Caput vero habet tam validum, quod non sentit, nisi virga ferrea caput ejus caeditur. Avis luxuria est et vino inebriatur, quod libenter bibit et se ipsam pede cibat, sicut homo manu; aquas omnes sustinet, sed pluvia perfusa moritur. Est mirae calliditatis ad excitandum hominum risum. Domesticos sibi deosculatur, nonnumquam tamen osculum simulando morsum rostro tribuit; hoc enim mihi in navi super mare contigit, in qua juxta me pendebat psittacus, mihi factus familiarissimus, qui etiam aliqua teutonica verba a me didicit, quadam vice gestibus petivit osculum ame, dum autem sibi vultum praeberem, arripuit rostro suo unco nasum meum et graviter me vulneravit. Eadem bestia didicerat a me quedam verba alemannica; consuevi enim ei dicere: Bübli kum her zu˚ mir. Sic et avis me accedente dicere solita erat: kum her zu˚ mir. Propter quam causam fuit mihi factus Italicus inimicus, quod corrupissem sibi avem et removit eam a me. Insuper admoto sibi speculo propria forma deluditur et nunc gaudenti nunc dolenti similis efficitur. In aspectu virginis plurimum delectatur, propter humanitatem earum efficiuntur valde cari dominis suis. Vidi unum psittacum, qui scivit nominatim vocare omnes de familia domini et ipsum dominum vocare solebat mane, ut surgeret ad missam. Hanc avem idem non vendidisset pro C ducatis. Alium psittacum album vidi et majorem caeteris, quem pretio valde magno aestimabant. Dicunt quidam, quod psittaci sint aves paradisi et dum pulli de nidis in Nilum cadunt, extra paradisum fluunt et capiuntur ab Aethiopibus in flumine. Sed hoc est puerile. Diodorus historiagraphus dicit Libro III., quod psittaci diversorum colorum in Arabia felici generentur, quae est supra Aegyptum. Dicuntur autem psittaci vulgariter papagogi, item aves regales et nobiles.1328 1328 Fabri, Evagatorium (ed. Hassler), Vol. III, S. 28f. Eigene Übersetzung: ›Von dort aus gingen wir zu einer anderen Bleibe, wo es sehr schöne Papageien gab, die in Käfigen ausgestellt waren und sich uns gegenüber voller Vertrautheit zeigten. Diese Vögel sind alltäglich in diesen Regionen. Der Papagei ist ein edler Vogel, dem ein Fehler der Alten eine menschliche Abstammung andichtet. Es existierte zu der Zeit des Mose von Thessalien ein gewisser »Psittacus«, ein weiser Mann, Sohn des Deucalion und der Pyrrha. Er begab sich nach Äthiopien, wo man ihm große Verehrung entgegenbrachte. Als er ein fortgeschrittenes Alter erreicht hatte, bat er in seinem Gebet darum, von allen menschlichen Angelegenheiten befreit zu werden und die Götter – die wohlwollend gegenüber seinen Gebeten waren – verwandelten ihn in einen Vogel seines Namens. Aus ihm sind in Folge alle Papageien hervorgegangen. Man findet sie nirgends in der ganzen Welt, außer dort, wo Psittacus regiert. Dieser Vogel ist komplett grün, während sein Hals mit einem purpurfarbenen Ring geschmückt ist. Er hat eine große und breite Zunge und damit bringt er Worte so klar formuliert zum Ausdruck, dass man – wenn man ihn nicht sieht – denken würde, man höre die Worte eines Menschen. Er spricht allerdings auf die Art und Weise der Frauen. Er begrüßt die Kaiser, indem er ganz natürlich sagt: »Sei gegrüßt, Ave!« Aber er spricht die anderen Wörter nicht, wenn man sie ihm nicht beibringt. Was unter der Maske des Papageis gesagt wird, ist: »Ich, ein Papagei habe von Euch die Namen der anderen gelernt; von mir selbst aus habe ich gelernt zu sagen »Ave Cäsar!« » Sein Schnabel
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Zunächst lässt sich bemerken, dass Fabri bei seiner Papageien-Beschreibung ganz ähnlich vorgeht wie bei der des Leoparden:1329 Zu Beginn erzählt er von seiner Begegnung mit ganz bestimmten zahmen Papageien, die er in Kairo sehen durfte. Die im ersten Satz enthaltenen Informationen stellen folglich Bestandteile eines Token-Konzepts dar. Bereits zu Beginn des zweiten Satzes springt er dann jedoch über zu seinem Wissen über Papageien im Allgemeinen, worin Bestandteile seines Type-Konzepts vom Papagei zu sehen sind. Zunächst erklärt er, Papageien seien alltäglich in diesen Regionen (communes sunt in illis regionibus) – also in Kairo und der näheren Umgebung. Mit dieser Aussage kommt implizit zum Ausdruck, dass die Tiere in Fabris Heimat Ulm gerade nicht alltäglich sind, denn andernfalls wäre diese Information überflüssig. Hierin könnte man einen ersten Hinweis auf die ›Exotik‹ des Vogels sehen. Daraufhin zeigt sich ein weiteres Mal, dass Fabris Tierbeschreibungen in weiten Teilen kompiliert sind, denn es folgt ein Abschnitt, in dem beinahe wörtlich die Papageiwerdung des P(s)ittacus wiedergegeben wird, wie sie bereits ist so hart, dass er sich – wenn man ihn aus der Höhe herabstürzt auf einen Felsen – durch eine Kraftanstrengung seines Schnabels retten kann. Er hat einen so starken Kopf, dass er nichts spürt; zumindest nicht, wenn man ihn nicht mit einer Eisenstange schlägt. Das ist der Grund, warum man ihm mit einer Eisenstange auf den Kopf schlägt, wenn man ihm das Sprechen beibringt. Er ist ein sinnlicher Vogel, der sich am Wein berauscht, den er mit Genuss trinkt. Er ernährt sich mit seinem Fuß, wie der Mensch mit der Hand. Er verträgt Wasser, aber dem Regen ausgesetzt stirbt er. Er umarmt diejenigen, die ihn gezähmt haben, aber manchmal – einen Kuss vortäuschend – beißt er Euch mit einem Schnappen seines Schnabels. Die Sache passierte mir auf dem Meer, auf einem Schiff. Da war in meiner Nähe ein Papagei, der mir gegenüber sehr zutraulich geworden war und der von mir sogar einige Worte Deutsch gelernt hatte. Einmal forderte er mich mit einer Geste zu einem Küsschen auf und während ich ihm mein Gesicht hinhielt, erwischte er mich an der Nase und verletzte mich mit seinem Krummschnabel ganz grausam. Das war dasselbe Tier, das von mir einige Worte Deutsch gelernt hatte; ich hatte ihm angewöhnt zu sagen: »Bübli kum her zu˚ mir«. Aus diesem Grund wurde ich zum Feind eines gewissen Italieners, der behauptete, ich hätte seinen Vogel verdorben und ihn an mich gebunden. Des Weiteren lässt er (der Papagei) sich von seinem eigenen Spiegelbild vereinnahmen, wenn man ihn vor einen Spiegel setzt und sein Doppelgänger macht ihn bald fröhlich, bald traurig. Er wird ganz freudig beim Anblick eines jungen Mädchens. Seine Zutraulichkeit macht ihn sehr wertvoll für seine Meister. Ich habe einen Papageien gesehen, der alle Familienmitglieder seines Meisters beim Namen nennen konnte und der die Angewohnheit hatte, seinen Meister selbst jeden Morgen zu rufen, damit dieser aufstehe und zur Messe gehe. Sein Meister hätte ihn für 100 Ducaten nicht verkauft. Ich habe einen Papagei gesehen, der ganz weiß war und bei dem man den Wert auf einen sehr hohen Preis schätzte. Einige sagen, dass Papageien Vögel aus dem Paradies seien und dass die Kleinen, als sie aus ihrem Nest in den Nil gefallen sind, von den Fluten des Flusses aus dem Paradies weggespült wurden. Sie wurden von Äthiopiern in dem Fluss gefunden. Das ist albern. Diodor, der Historiograph, erklärt in Buch III, dass Papageien von verschiedener Farbe aus dem glücklichen Arabien stammen, das unterhalb von Ägypten gelegen ist. Man nennt diese Vögel in der Volkssprache »papegais«, genau wie die königlichen Vögel oder die des Adels.‹ 1329 Zu Fabris Leopardenbeschreibung siehe S. 268–274 der vorliegenden Arbeit.
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über hundert Jahre zuvor von Boccaccio beschrieben wurde.1330 Geringfügige Änderungen lassen sich im Vergleich zu der Metamorphose in Boccaccios Genealogie deorum gentilium aber dennoch erkennen: Fabri erläutert nämlich, laut Mythos finde man Papageien an keinem anderen Ort der Welt als dort, wo Psittacus regiere (nec alibi in mundo reperiuntur, nisi in locis, ubi Psittacus regnavit). Während Boccaccio lediglich Zweifel daran erhebt, es könnte sich bei besagtem Psittacus um einen der sieben Weisen handeln, erklärt Fabri den gesamten Mythos für einen Fehler der Alten (veterum error). Der Grund dafür, dass der Ulmer Dominikanermönch dem Mythos an dieser Stelle seinen Wahrheitsgehalt abspricht, könnte darin liegen, dass in der Erzählung von mehreren Göttern die Rede ist, die die Verwandlung des Psittacus ermöglichen. Eventuell kollidierte diese Vorstellung zu stark mit dem monotheistischen christlichen Glaubensverständnis Fabris. Ebenso wie dem Werk Boccaccios liegt aber auch dem Evagatorium die Vorstellung vom prototypischen grünen Papagei mit rotem Halsband zugrunde (Haec avis est viridis coloris tota, torque tamen puniceo collum habet ornatum), obgleich innerhalb späterer Ausführungen Fabris deutlich zutage tritt, dass der Dominikaner noch weitere Papageienarten kannte. Wie bereits Apuleius (Florida II, 12), Solinus (De mirabilibus mundi 52, 45) und die mittelalterlichen Autoren Isidor von Sevilla, Rabanus Maurus, Alexander Neckam, Vinzenz von Beauvais, Albertus Magnus, Thomas von Cantimpr8 und Konrad von Megenberg, berichtet auch Felix Fabri von der großen, breiten Zunge des Papageis (grandem habet linguam et latam). Diese ermögliche es dem Tier, sich so verständlich zu artikulieren, dass man denke, es sei ein Mensch, der gerade spricht, wenn man den Vogel beim Sprechen nicht beobachte. Auch diese Aussage ist bereits in Apuleius Florida II, 12 zu finden. Bemerkenswert im Hinblick auf die Konstruktion von Gender ist die darauffolgende Information, der Vogel spreche auf die Art und Weise der Frauen bzw. ›weibisch‹ (loquitur autem muliebriter). Wurde der Papagei innerhalb des Liebesdiskurses sowie innerhalb des literarischen Diskurses doch meist als männliches Tier – in der Rolle eines Troubadours – in Szene gesetzt, so spricht der Vogel laut Evagatorium ›weibisch‹. Fraglich bleibt, was dieses ›weibische Sprechen‹ kennzeichnet und ob mit der Aussage ein misogynes Stereotyp transportiert wird, das auch das Sprechen des Papageis herabwürdigt. Dazu lassen sich dem Text jedoch keine Angaben entnehmen, und da es sich um eine der wenigen Informationen handelt, die Fabri nicht kompiliert zu haben scheint, lässt sich auch anhand anderer Textquellen nicht erruieren, was ›weibisches Sprechen‹ meint. Auf diese Information folgt eine Martial-Rezeption, wobei Fabri die Aussage 1330 Vgl. dazu S. 423f. der vorliegenden Arbeit.
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des Epigamms XIV, 73 leicht modifiziert. Im Evagatorium heißt es nämlich, ›unter der Maske des Papageis‹ (sub persona psittaci) werde gesagt: »Ich, ein Papagei habe von Euch die Namen der anderen gelernt; von mir selbst aus habe ich gelernt zu sagen ›Ave Cäsar!‹«.
Der Vogel grüße jedoch nicht, wenn man es ihm nicht zuvor beibringe. Durch die Modifikation, die Fabri an den Aussagen von Martials Epigramm vornimmt, wird dem Vogel abgesprochen, sich selbst sinnvolle Sätze beziehungsweise die gesamte menschliche Sprache beibringen zu können. Insofern könnte man an dieser Stelle sagen, dass der Ulmer Dominikanermönch sich von einem der zentralsten Bestandteile des antiken und mittelalterlichen Papageien-Konzepts distanziert. Offen bleibt jedoch, ob dies bewusst und absichtsvoll geschieht, oder ob Fabris Textgrundlage bereits derart weit von dem antiken Text Martials entfernt war. Auf die Martial-Rezeption folgen Informationen, die der Autor Plinius’ NH 10, 58 entnimmt, nämlich die Ausführungen zur Härte des Schnabels und des Kopfes, sowie zur Konditionierung des Tiers mittels einer Eisenstange. Auch die Sinnenfreude des Papageis – sowie dessen Vorliebe für den Genuss von Wein – finden im Evagatorium Erwähnung (Avis luxuria est et vino inebriatur, quod libenter bibit). Diese Information könnte Fabri entweder Aristoteles’ HA 8,12 597b 27–29 oder Plinius’ NH 10, 58 entnommen haben. Des weiteren wird erwähnt, der Papagei gebrauche den Fuß um seine Nahrung zum Schnabel zu führen – in derselben Weise wie der Mensch seine Hand. Auch dieser Konzeptbestandteil findet in einigen mittelalterlichen naturkundlichen Quellen Erwähnung.1331 Darüber hinaus zeigt sich, dass auch Fabri über die tödliche Gefahr im Bilde ist, die Regenwasser angeblich für den Papagei darstellt (aquas omnes sustinet, sed pluvia perfusa moritur). Da im Evagatorium die Verträglichkeit anderen Wassers erwähnt wird, ist anzunehmen, dass Fabri diese Information von Albertus Magnus übernimmt.1332 Den darauffolgenden Satz, der über die vorgetäuschten Küsse des Papageis Auskunft gibt, könnte man als eine modifizierte Alexander Neckam- oder Vinzenz von Beauvais-Rezeption betrachten, denn beide mittelalterlichen Autoren berichten, das Tier küsse gerne seine Besitzer. Dass dieses Küssen jedoch ein Vorgetäuschtes ist – und nur dazu dient, die Gelegenheit zu bekommen, den jeweiligen Menschen zu beißen – wird von Fabri ergänzt. Damit schafft der Autor den Ausgangspunkt dafür, im darauffolgenden Abschnitt Aussagen zu seinem Token-Konzept tätigen zu können. 1331 Siehe dazu S. 313 der vorliegenden Arbeit. 1332 Siehe dazu S. 317 der vorliegenden Arbeit.
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Das allgemeine Merkmal, dass alle Papageien gerne Küsse vortäuschen, um ihre Besitzer zu beißen, wird nun anhand eines ganz konkreten Falls und eines bestimmten Papageis exemplifiziert. Fabri berichtet von dem Papagei eines Italieners, den er auf einer Schiffspassage kennengelert habe und dem er den deutschen Satz »Bübli kum her zu˚ mir« beigebracht habe. Dass Tier habe ihn mit einem vorgetäuschten Küsschen angelockt, um ihn dann mit seinem Krummschnabel schwer an der Nase zu verletzen (arripuit rostro suo unco nasum meum et graviter me vulneravit). Durch die Schilderung der Erfahrungen, die Fabri angeblich mit diesem einen ganz bestimmten Exemplar gemacht hat, stützt und bestätigt er sein kategoriales Wissen über alle Papageien. Bemerkenswert ist dabei insbesondere, dass im Evagatorium von dem krummen Schnabel des Papageis (rostro suo unco) die Rede ist, dem Merkmal, das für Rezipienten des 21. Jahrhunderts wohl einen der wichtigsten Bestandteile ihres PapageienKonzepts darstellen dürfte. Ob Fabri tatsächlich dieses schmerzliche Erlebnis mit dem Papagei hatte oder ob er innerhalb dieser Textstelle bloß mittelalterliches naturkundliches Wissen aufgreift, auserzählt und literarisch zu einer Anekdote überformt, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Den Abschluss der Informationen, die Fabri innerhalb seines Token-Konzepts nennt, bildet die Aussage, durch das deutsche Sprachtrainig mit dem Papagei habe er sich den italienischen Eigentümer des Vogels zum Feind gemacht (Propter quam causam fuit mihi factus Italicus inimicus, quod corrupissem sibi avem et removit eam a me). Im darauffolgenden Satz wechselt der Autor wieder über zu Bestandteilen seines Type-Konzepts und berichtet davon, wie fasziniert der Vogel von seinem eigenen Spiegelbild sei. Dieses stimme ihn zuweilen fröhlich und zuweilen traurig. In diesen Informationen könnte man eine Rezeption des antiken Konzeptbestandteils des ›spiegelgestützten Papageien-Sprachtrainings‹ sehen, das dereits bei Diodor von Tarsos (contra fat. bei Phot. 216a) Erwähnung findet.1333 Auch die Gynäphilie des Vogels, die bereits in den Werken Vinzenz’ von Beauvais und Konrads von Megenberg genannt wird, findet im Evagatorium Erwähnung (In aspectu virginis plurimum delectatur). Daraufhin folgt ein erster Anhaltspunkt, der dafür spricht, das Evagatorium den Textquellen des kommerziellen Diskurses zuzuordnen. Fabri erklärt nämlich, die Zutraulichkeit mache den Papagei für seine Meister sehr wertvoll (propter humanitatem earum efficiuntur valde cari dominis suis). Um diese Aussage zu verifizieren und zu veranschaulichen, wechselt Fabri noch ein weiteres Mal über zu den Informationen seines Token-Konzepts und erzählt von zwei Papageien, die er selbst kennengelernt habe und die von hohem Wert gewesen seien. Im Fall des ersten Papageis scheint tatsächlich dessen Zu1333 Zu diesem ›spiegelgestützten Sprachtraining‹ siehe S. 305f. der vorliegenden Arbeit.
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traulichkeit für seinen Wert ausschlaggebend gewesen zu sein, denn – gemäß Fabris Angaben – habe das Tier alle Familienmitglieder seines Meisters beim Namen nennen können und es habe den Besitzer jeden Morgen gerufen, damit dieser zur Messe gehe. Daraufhin erklärt Fabri, der Besitzer dieses Papageis hätte seinen Vogel für 100 Dukaten nicht verkauft. Wie dieses Beispiel verdeutlicht, steigern die persönliche Nähebeziehung sowie die besonderen Begabungen des Vogels dessen Wert. Darüber hinaus kann auch eine exzeptionelle Gefiederfarbe den Preis für ein Exemplar in die Höhe treiben, wie anhand von Fabris zweitem Beispiel zutage tritt. Berichtet wird hier von einem ganz weißen Papagei, den man als besonders wertvoll erachtet habe (Alium psittacum album vidi et majorem caeteris, quem pretio valde magno aestimabant). Fraglich bleibt auch an dieser Stelle, ob Fabri tatsächlich auf seiner Pilgerreise ein weißes Exemplar zu Gesicht bekam oder ob auch diese Information seinem Buchwissen entstammt. Es erscheint immerhin auch möglich, dass der Ulmer Dominikanermönch vor der Entstehung des Evagatoriums von dem weißen Kakadu Friedrichs II. gehört oder gelesen hatte. Im Anschluss an die Informationen über den einen ganz bestimmten weißgefiederten Papagei, wechselt Fabri ein weiteres Mal über zu Informationen, die seinem Type-Konzept zuzurechnen sind. Genauer gesagt, bringt er seine Skepsis gegenüber einigen Gerüchten über die Herkunft aller Papageien zum Ausdruck. Man sage – so Fabri – die Vögel stammten aus dem Paradies und diejenigen, die aus dem Nest fielen, würden vom Nil hinweggetragen nach Äthiopien. Diese Vorstellung von den Papageien-Küken, die von den Strömungen des Nils erfasst werden, erinnern zum einen stark an die erste Strophe in Skeltons Speke Parrot (wobei in dem englischen Gedicht der Euphrat genannt wird und nicht der Nil), zum anderen wecken sie Assoziationen zu der Kindheitsgeschichte Mose, der in einem Weidenkörbchen vom Nil davongetragen wurde. Auch dieser biblische Kontext könnte hier unterhalb der Textoberfläche vorhanden sein. Weiterhin spricht Fabri sich dezidiert gegen die Gerüchte über die Herkunft des Vogels aus und versichert unter Bezugnahme auf den Historiographen Diodor, Papageien stammten aus Arabien. Abschließend wird über die volkssprachige Benennung des Tiers informiert; wobei mit der Benennung auch zugleich eine Nähe zu den sozialen Schichten des Königtums und des Adels hergestellt wird (Dicuntur autem psittaci vulgariter papagogi, item aves regales et nobiles). Neben diesem recht ausführlichen Textabschnitt über Papageien im Allgemeinen und im Besonderen über diejenigen Exemplare, deren Bekanntschaft Fabri während seiner Reise gemacht haben will, finden sich in der lateinischen Fassung des Evagatoriums noch drei weitere Stellen, an denen von den Vögeln die Rede ist. So finden die Tiere beispielsweise innerhalb der Schilderung eines Marktbesuchs in Alexandria Erwähnung. Dabei tritt erneut Fabris Interesse an der außergewöhnlichen ›Handelsware Papagei‹ zutage:
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Abinde egressi secundum fonticum majorem primo Venetorum ingressi sumus, in qua erat stupenda multitudo mercium diversarum, quas ipsi de partibus nostris attulerant, et quas reducere volebant. Ibi praeter species vidimus multa monstruosa, juvenes leunculos, leopardos, simias diversarum specierum, struthiones, et psittacos albos valde pretiosos, rubeos ex toto, et aliquos rubeos cum nigris maculis, et multos communes virides. De psittacis superius dictum fol. 73.1334
Fabri berichtet hier von den Venezianischen Händlern und deren weitgefächertem Warenangebot. Dabei nimmt er explizit eine Unterscheidung zwischen Im- und Exportware vor (quas ipsi de partibus nostris attulerant, et quas reducere volebant). Zu den Exportwaren zählen zahlreiche außergewöhnliche Tiere verschiedener Arten (species vidimus multa monstruosa). Das Adjektiv monstrosa, das an dieser Stelle mit ›wundersam‹ oder ›seltsam‹ übersetzt werden kann, weist bereits auf die ›Exotik‹ der Tierarten hin, die innerhalb des darauffolgenden Abschnitts namentlich genannt werden. Bei der feilgebotenen Handelsware handelt es sich um Löwen, Leoparden, Affen, Straußen und Papageien. Alleine in Bezug auf die Papageien macht Fabri präzisere Angaben, die das Aussehen der Vögel betreffen. Dies gibt Anlass zu der Vermutung, dass der Autor davon ausging, von dem Aussehen aller anderen aufgezählten Tiere besäßen seine Rezipienten bereits eine hinreichend konkrete Vorstellung. Anhand von Fabris Aussagen über die Gefiederfarbe der Tiere lässt sich erkennen, dass auch für ihn der prototypische Papagei grün ist, denn er spricht von den communes virides – also den ›gewöhnlichen, grünen‹ Papageien. Diese stellen jedoch bei weitem nicht die einzige Papageienart dar, die in Alexandria auf dem Suq angeboten wird. Auch mit sehr schönen weißen Exemplaren sowie mit ganz roten und rot-weiß-gefleckten wird Handel getrieben. Bei allen Papageienarten, die neben den Grünen genannt werden, handelt es sich um Vertreter, die innerhalb der konzentrischen Kreise des Prototypenschaubildes weiter außen, an der Peripherie, anzusiedeln wären. Da sie noch seltener sind als die grünen Exemplare und eine gesonderte Erwähnung ihrer ›von der Norm abweichenden‹ Gefiederfarbe offensichtlich erforderlich wird, kann davon ausgegangen werden, dass sie als noch ›exotischer‹ wahrgenommen wurden. Abschließend verweist Fabri auf seine bereits zuvor getätigten Aussa1334 Fabri, Evagatorium (ed. Hassler), Vol. III, S. 163. Eigene Übersetzung: ›Nachdem wir hinausgetreten waren, betraten wir das zweite Warenlager der Venezianer, das noch größer war als das erste und in dem es eine verblüffende Anzahl verschiedener Waren gab; ebensoviele, die sie aus unseren Regionen importiert hatten, wie solche, die sie von hier aus exportieren wollten. Unter den Waren erblickten wir zahlreiche fremde Tiere, junge kleine Löwen, Leoparden, Affen von verschiedener Art, Straußen und sehr schöne weiße Papageien: ganz rote, andere rot mit weißen Flecken und viele von den anderen, gewöhnlichen, grünen. Von den Papageien habe ich bereits weiter oben – auf Folio 73 – gesprochen.‹
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gen zum Papagei und stellt damit zugleich eine Verknüpfung zwischen zwei wichtigen Stationen seiner Reise dar, denn sowohl innerhalb seiner Aufzeichnungen über den Aufenthalt in Kairo als auch innerhalb derer über Alexandria werden Papageien thematisiert. Auch innerhalb der Beschreibung einer dritten, maßgeblichen Reise-Etappe taucht erneut eine Papageien-Information auf, worin man bereits eine gewisse Kontinuität vermuten könnte. Möglicherweise etwas überspitzt formuliert, könnte man sagen, dass Papageien den Ulmer Dominikanermönch stets auf seiner Reise ›begleiten‹. Auch wenn sie nicht permanent physisch anwesend sind, so tauchen im Text doch immer wieder vereinzelt Informationen über die Vögel auf. So auch innerhalb von Fabris Beschreibung der Wüste Oberägyptens: Hic psittaci crescunt propter loci siccitatem, vide supra.1335
Gemäß dem Type-Konzept des Autors, vermehren sich Papageien also in der Wüste, aufgrund der starken Trockenheit dieses Lebensraums. Hier klingt erneut Fabris Buchwissen an, denn bereits innerhalb der Kapitel 2.2.3.1 und 2.2.3.2 der vorliegenden Arbeit wurde deutlich, dass die Regenunverträglichkeit des Papageis einen wichtigen Konzeptbestandteil darstellt, der in zahlreichen Quellen Erwähnung findet. Fabri modifiziert diesen Konzeptbestandteil zu einem gewissen Grad, denn gemäß seiner Angaben stellt die Wüste vor allem den Raum der Fortpflanzung dar, was nicht zwangsläufig bedeuten muss, dass die Tiere sich dort permanent aufhalten. Auch anhand dieser Information lässt sich eine Exzeptionalität der Papageien erkennen, denn ihr Leben entsteht an einem Ort, der für andere Vögel absolut lebensfeindlich ist. Die letzte Etappe der Reise – die Schiffspassage zurück nach Europa – wird vom Autor mit äußerst kuriosen Papageien-Begegnungen in Verbindung gebracht: Plures horas deduxi ludendo cum psittacis avibus, quarum multae erant in mea galea. Dominus consul defunctus unum dereliquit valde jocundum, qui omni mane clara et clamosa voce vocavit defunctum, sicut edocta fuerat in Alexandria, sic dicens diserto: miserlo consulo, id est, mi domine consul. Saepe his clamoribus commotus fuit ad fletum filius, patris sui pietatem recolens et praesentiam ejus nobiscum in mortuo corpusculo. Cum illa etiam bestia mirabili, quam dominus decanus Moguntinus emit Alexandriae, quae in camera cellarii erat prope cumbam meam, multum tempus deduxi, erat enim foramen inassere cum terebro factum, et quando bestia sensit, me in cumba esse, misit manulam suam per foramen, digitis plaudens, ad ludendum me provocans cum ea. Aliquando, si bestia dormiebat, faciebam cum digitis strepitum ad parietem et concitabam bestiam, nunc ad laetitam, nunc ad iram, prout voluit.1336 1335 Fabri, Evagatorium (ed. Hassler), Vol. III, S. 183. Eigene Übersetzung: ›Die Papageien vermehren sich dort, aufgrund der Trockenheit des Klimas, siehe oben.‹ 1336 Fabri, Evagatorium (ed. Hassler), Vol. III, S. 300. Übersetzung Dominik Berrens’: ›Mehrere
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Zunächst berichtet Fabri, er habe mehrere Stunden lang mit den Papageien, die sich an Bord des Schiffes befanden, gespielt. Hier werden Informationen wiedergegeben, die einem Token-Konzept zuzurechnen sind, denn der Autor bezieht sich nicht auf Papageien im Allgemeinen, sondern auf konkrete Exemplare. Auch im zweiten Satz werden Informationen genannt, die Bestandteile eines Token-Konzepts sind. Allerdings geht es nun nicht mehr um alle Papageien an Bord, sondern um einen ganz bestimmten – denjenigen, der vormals einem nun verstorbenen Konsul aus Alexandria gehört habe und der von Bernhard von Breydenbach gekauft worden sei. Auch zu diesem Tier gibt Fabri eine Anekdote zum Besten, wie dies bereits bei dem Papagei, der seinen Meister zur morgendlichen Messe rief, der Fall war. Gemäß Fabris Angaben sei das Exemplar des verstorbenen Konsuls dazu in der Lage gewesen, »mein Herr Konsul« (miserlo consulo) zu rufen, weil man ihm dies in Alexandria beigebracht habe. Hierin zeigen sich ansatzweise drei Bestandteile des mittelalterlichen Papageienkonzepts. Zum einen wird gesagt, der Papagei spreche mit deutlicher Stimme, was daran erinnert, dass man über die Aussprache des Papageis dachte, sie sei so klar, dass man die gesagten Worte mit denen eines Menschen verwechseln könne, wenn man das Tier beim Sprechen nicht sehe. Darüber hinaus wird anhand der Worte, die der Papagei schreit, deutlich, dass er seinem Meister – also der Obrigkeit, der er untersteht – zu Diensten sein möchte. Dies lässt Assoziationen zu dem seit der Antike tradierten Konzeptbestandteil des Kaisergrußes zu. In Abkehrung von dem selbstständigen Sprachverhalten, das dem Papagei in Martials Epigramm XIV, 73 attestiert wird, erklärt Fabri jedoch explizit, der Papagei äußere die Worte, weil sie ihm beigebracht worden seien. Besonders bemerkenswert ist auch Fabris Schilderung, wie das Tier den verstorbenen Konsul präsent zu halten vermocht habe. Durch die Präsenz des Papageienkörpers sowie durch die Worte des Vogels, kann also performativ die Anwesenheit eines Verstorbenen hergestellt werden. Stunden habe ich mit den Papageien-Vögeln spielend verbracht, von denen viele auf meinem Schiff saßen. Ein verstorbener Herr, ein Konsul, hat einen sehr liebenswürdigen hinterlassen, der jeden Morgen mit deutlicher und laut schreiender Stimme den Verstorbenen gerufen hat, so wie er in Alexandria gründlich gelehrt worden war, so sprach er beredt: »miserlo consulo«, das heißt, »mein Herr Konsul«. Oft wurde der Sohn durch dieses Geschrei zu Tränen gerührt, der sich die Liebe und das Pflichtgefühl zu seinem Vater/seines Vaters wieder ins Gedächtnis rief und dessen Anwesenheit mit uns im toten Körperchen. Mit jenem wundersamen Tier, das der Mainzer Domdekan in Alexandria gekauft hat, und das in der Kammer des Küchenmeisters direkt neben meiner Koje war, habe ich auch viel Zeit verbracht, denn es gab eine Öffnung in einem Brett, die mit einem Bohrer gemacht war, und wenn das Tier spürte, dass ich in der Koje war, steckte es sein Händchen durch die Öffnung, klatschte mit den Fingern und forderte mich mit ihm [dem Händchen] zum Spielen auf. Manchmal, wenn das Tier schlief, machte ich mit den Fingern ein Geräusch an der Wand und erregte das Tier, bald zur Freude, bald zum Zorn, je nachdem wie ich wollte.‹
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Weiterhin erklärt Fabri, der Sohn des Konsuls sei durch die solchermaßen geschaffene Präsenz seines Vaters oftmals zu Tränen gerührt gewesen. Möglicherweise verkaufte er das Tier aus diesem Grund, wozu sich Fabri jedoch nicht näher äußert. Fest steht, dass Breydenbach in Alexandria die Möglichkeit hatte, das ›wundersame‹ Tier (bestia mirabili) käuflich zu erwerben.1337 An dieser Stelle könnte man überlegen, ob das Adjektiv mirabili auf die ›Exotik‹ des Vogels hindeutet. Allerdings ist das ›Wunder‹ wohl auch hier am ehesten in dem Sprachtalent und der Intelligenz des Tiers zu sehen und weniger in dessen fremdanmutendem Äußeren oder der Herkunft aus entlegenen Regionen. Deutlich zeigen sich innerhalb dieser Textstelle Tendenzen zur Anthropomorphisierung und Verniedlichung des Tiers, denn Fabri berichtet, Breydenbachs Papagei habe sein ›Händchen‹ durch das Loch in der Trennwand zwischen den beiden Kabinen gereicht (misit manulam suam per foramen). Die Zehen des Vogels bezeichnet er als Figer (digitis) und verwendet dabei dieselbe lateinische Bezeichnung wie für seine eigenen Finger. Auch die Bewegung, die der Vogel mit den ›Fingern‹ ausführt, ist eine äußerst menschliche und lässt die Frage nach den physischen Möglichkeiten von Papageienfüßen aufleuchten: Der Autor berichtet nämlich, das Tier habe geklatscht (plaudens). Eine ähnliche Tendenz zur Anthropomorphisierung wurde bereits im Rahmen der Rekonstruktion des antiken Papageien-Konzepts ersichtlich, denn sowohl in Apuleius Florida (flor. II nr. 12) als auch in Solinus De mirabilibus mundi 52, 45 wird zwischen drei- und fünfzehigen Tieren unterschieden und bereits die antiken Autoren gehen davon aus, die fünfzehigen Exemplare seien edler und gelehriger. Insofern könnte es sich bei Fabris Schilderung, die hier zunächst einen tatsächlich erlebten Sachverhalt wiederzugeben scheint, auch um eine Rezeption jener antiken Quellen handeln. Zumindest scheint die bereits in der Antike existente Vorstellung die Wortwahl des Autors beeinflusst zu haben. Bemerkenswert ist weiterhin, dass das Tier, das von Breydenbach erworben wird, in dem Bericht des Mainzer Domdekans keine Erwähnung findet, woran deutlich wird, dass der Fokus des Interesses in den beiden Reiseberichten ein unterschiedlicher ist. Fabris Beschreibung ist reicher an lustigen Anekdoten und es verwundert zuweilen, dass er offenbar nicht befürchtete, man könne ihm den Vorwurf der curiositas machen. Die deutsche Fassung des Reiseberichts trägt in der Editio princeps von 1556 den vielsagenden Titel: EIgentlich beschreibung der hin vnnd wider farth zu dem Heyligen Landt gen Jerusalem, vnd furter durch die grosse Wüsten zu dem Heiligen Berge Horeb vnd Sinay : darauß zuuernemen was wunders die Pilgrin hin vnd wider auff Land vnd wasser zu erfaren vnd zu besehen haben; Vber die maß kurtzweilig vnd lustig zulesen; son1337 Bemerkenswert ist, dass Fabri an dieser Stelle nicht die spezifischere Bezeichnung ›Vogel‹ wählt.
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derlich denen so der Heiligen Schrifft ettwas erfahren sein. Vormals im druck nie dergleichen außgangen.1338
Bereits der Titel des Werks verspricht also, die Lektüre werde kurtzweilig vnd lustig – insbesondere für diejenigen Rezipienten, die mit der Bibel etwas vertraut seien. Tatsächlich fallen jedoch die ›kurzweiligen‹ und ›lustigen‹ Ausführungen, die Papageien zum Gegenstand haben, in der deutschsprachigen Fassung wesentlich kürzer aus als im lateinischen Evagatorium. Ebenso wie der Nürnberger Patrizier Hans Tucher, berichtet Fabri hier von dem Segetha genannten Gebiet, in dem man die Vögel fange: Auff dem Nyl liegt ein Landt, genant Segetha, da fehet man die Papageyen und die Affen e mit den Schwentzen und bringet die gen Chayr und da kaufft man die und furt sie uber e Meer biß Deutschlandt. Unser Pilgrim kaufften der vogel unnd der Meerkatzen etwa manche.1339
Auch hier wird erwähnt, dass sich einige der Pilger Papageien und Meerkatzen anschaffen. Es wird allerdings nicht auf ein Exemplar im Besonderen eingegangen, weshalb diese Informationen Fabris Type-Konzept von Papageien im Allgemeinen zugerechnet werden können. Dass die Vögel gemeinsam mit den Primaten thematisiert werden, stellt keine Seltenheit dar – auch im Reisebericht Ludovicos de Varthema werden beide Tierarten in einem Atemzug genannt. Auch der weiße Papagei, von dem in der lateinischen Fassung die Rede war, findet im deutschen Reisebericht Erwähnung: In dem hoff sahen wir auch viel Straussen unnd einen schneweissen Papagey denen o schatzt man fast hoch am gelt, viel uber funfftzig Ducaten. Der Fogel kondte Welsch e schwatzen, das es ein wunder was zu horen. Auch giengen da viel Straussen und zwen Leoparden lagen da an kethen.1340
Hier wird die Farbe des Tiers noch mit einem weiteren Epitheton versehen – das Gefieder ist nicht nur weiß, sondern schneweiss, womit wohl auch Assoziationen zu der Vorstellung von der besonderen Reinheit des Tiers geweckt werden sollen. Dies wiederum könnte der Intention geschuldet sein, den hohen Preis des Tiers, o der weit über 50 Dukaten liegt (viel uber funfftzig Ducaten), zu rechtfertigen. In 1338 Fabri, EIgentlich beschreibung der hin vnnd wider farth zu dem Heyligen Landt gen Jerusalem […]. Auf: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0007/bsb00070765/ima ges/index.html?seite=3& fip=193.174.98.30. Zugriff am 20. 05. 2017 um 17:17 Uhr. 1339 Fabri, EIgentlich beschreibung der hin vnnd wider farth zu dem Heyligen Landt gen Jerusalem […]. Auf: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0007/bsb00070765/ima ges/index.html?id=00070765& groesser=150%& fip=193.174.98.30& no=& seite=350. Zugriff am 23. 01. 2017 um 11:24 Uhr. 1340 Fabri, EIgentlich beschreibung der hin vnnd wider farth zu dem Heyligen Landt gen Jerusalem […]. Auf: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0007/bsb00070765/ima ges/index.html?id=00070765& groesser=150%& fip=193.174.98.30& no=& seite=375. Zugriff am 23. 01. 2017 um 11:51 Uhr.
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diesem Sinne ist auch die Information zu verstehen, der Vogel habe Welsch schwatzen können, was an dieser Stelle wohl mit ›italienisch sprechen‹ übersetzt werden kann.1341 Während Fabri diese Information in der lateinischen Fassung jedoch noch weiter auserzählt und berichtet, der Papagei sei Eigentum eines gewissen Italieners gewesen, den er selbst sich zum Feind gemacht habe, entfallen diese Angaben in der deutschen Version. Allerdings wird auch hier das Sprachtalent des Tiers als ein wunder wahrgenommen und für ein wunder lassen sich möglicherweise auch potenzielle Käufer finden, die bereit sind, einen o Kaufpreis von viel uber funfftzig Ducaten zu zahlen. Setzt man den genannten Betrag in Relation zu anderen Preisen, die innerhalb des Evagatoriums Erwähnung finden, so tritt zutage, wie immens teuer der ›schneeweiße‹ Papagei tatsächlich ist, denn er ist beispielsweise mehr wert als 50 Leoparden-Babys, die zu einem Dukaten das Stück gehandelt werden (datur unus juvenis pro uno ducato).1342 Zugleich tritt anhand des oben angeführten Zitats ein Vorgehen zutage, das sich beim Vergleich der lateinischen mit der deutschen Fassung immer wieder konstatieren lässt: Die lustigen Anekdoten sind tendentiell eher innerhalb des lateinischen Reiseberichts zu finden, während die deutsche Fassung eine inhaltlich stark verkürzte Variante darstellt. Dass der Papagei in einem Atemzug mit viel Straussen und zwen Leoparden genannt wird, kann als ein weiterer Hinweis auf die ›Exotik‹ des Vogels gelesen werden, denn auch der Leopard lässt innerhalb von Fabris Bericht zahlreiche ›Exotik‹-Merkmale erkennen.1343 Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf die Papageien-Beschreibungen in Felix Fabris Berichten sagen, dass dem Papagei jeweils ein vergleichsweise großer Raum zugestanden wird. Wie anhand von Fabris Leoparden-Beschreibung bereits deutlich wurde, besteht das Evagatorium in weiten Teilen aus kompilierten Informationen. Dies betrifft natürlich auch weite Passagen der Papageien-Beschreibungen. Allerdings werden die tradierten Informationen selten 1:1 übernommen. Meist erfahren sie literarische Überformungen wie etwa im Fall der Information, der Papagei küsse gerne seine Besitzer. Bezüglich der ›Exotik‹ des Tiers lässt sich festhalten, dass sowohl die fremde, entlegene Herkunft (die Insel Segetha) als auch die verschiedenen genannten Gefiederfarben darauf abzielen, den Vogel als ›exotisches‹ Tier darzustellen. Der immens hohe Kaufpreis unterstreicht den Eindruck einer ›Exotik‹ des Papageis. Allerdings bringt Fabri auch explizit zum Ausdruck, es sei insbesondere die Zutraulichkeit der Tiere, die sie so wertvoll mache. Bei der Preisbildung spielen 1341 Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Lemma ›walhisch , welhisch , walsch , welsch‹. Auf: http://woerterbuchnetz.de/Lexer/?sigle=Lexer& mode=Vernetzung& lemid =LW00302#XLW00302. Zugriff am 26. 01. 2017 um 10:29 Uhr. 1342 Vgl. dazu S. 268 und S. 272 der vorliegenden Arbeit. 1343 Vgl. dazu S. 274 der vorliegenden Arbeit.
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also nicht bloß Faktoren wie ›Seltenheit‹ und ›entlegene Herkunft‹ eine Rolle, sondern auch die Menschenbezogenheit. Diese tritt innerhalb des Evagatoriums am deutlichsten anhand des Papageis zutage, den Breydenbach auf dem Schiff mit nach Deutschland nimmt. An ihm lassen sich ganz klar Anthropomorphisierungstendenzen erkennen – Mensch und Papagei reichen sich durch eine hölzerne Kajütenwand die ›Hände‹. Auch in dem einleitend bereits erwähnten Reisebericht Konrads von Grünemberg finden Papageien innerhalb der Schilderung einer Schiffspassage Erwähnung.1344 Anders als das Exemplar Breydenbachs, verbringen die Vögel in Konrads Bericht an Bord des Schiffes allerdings keine fröhlichen Stunden. In einem schrecklichen Seesturm kommen sie alle ums Leben: Och warend da fogel husser, dar inn etlich haidnisch fogel inn warend als sittich und o bappigai und ander, mustend al verderben.1345
Konrad erwähnt zuerst die fogel husser, also die Vogelkäfige, in denen sich die Papageien bei der Überfahrt befinden. Im Vergleich zu den ausführlichen Käfigbeschreibungen, die innerhalb der Quellen des literarischen Diskurses zu finden sind, wirkt die Nennung der Volieren an dieser Stelle äußerst knapp. Kostbare Materialien oder kunstvolle Verzierungen der Käfige spielen bei Konrad offenbar keine Rolle, was jedoch auch der geschilderten Situation geschuldet sein dürfte. Der Seesturm stellt eine existenzielle Bedrohung für Mensch und Tier dar und angesichts dieser tödlichen Gefahr, würde eine detailliertere Beschreibung der Käfige vermutlich unangemessen erscheinen. Weiterhin schreibt Konrad, in besagten Käfigen hätten sich haidnisch fogel befunden. Haidnisch fogel ist hier wohl am ehesten mit ›fremde Vögel‹ zu übersetzen und wahrscheinlich weniger im Kontext des islamischen Glaubens zu verstehen, wofür das Adjektiv haidnisch theoretisch auch stehen könnte. Das Adjektiv kann daher auch als Hinweis auf die ›Exotik‹ des Vogels gelesen werden. Haidnisch fogel bezeichnet eine Kategorie von Vögeln, unter die Konrad Papageien subsummiert. Fraglich bleibt, ob sittich und bappigai im Sprachgebrauch des Autors zwei Bezeichnungen für ein- und dieselbe Vogelart sind oder ob er damit zwei verschiedene Arten meinte. Für wahrscheinlicher halte ich die erste Möglichkeit. Es ist anzunehmen, dass der Autor durch die Nennung beider Bezeichnungen sicherstellen wollte, dass ihn sowohl seine Rezipienten, die das Tier als sittich kannten, als auch diejenigen, denen bappigai geläufig war, verstehen würden.
1344 Vgl. S. 12 der vorliegenden Arbeit. 1345 Konrad von Grünemberg, Pilgerreise ins Heilige Land 1486. Hrsg. v. Andrea Denke. Köln/ Weimar/Wien 2011, S. 465.
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Auch Hans Schiltberger berichtet von den Vögeln, die er in der clainen India zu Gesicht bekommen habe: Item inn der chlainen India pin ich auch gewesen und ist ein guts chönigreich und die hauptstadt ist genandt Dili. Und in dem land sein vil elevanten; es sein auch thier genandt suruafa und ist einem hirsen gleich und ist ein hochs thier und hatt ein langen halß und der ist auff vier claffter langk oder lenger und hatt vorren hoch füß und hintten kurtz; und der thier sein vil inn der clainen India; es sein vil sitichen und straussen und leben dorinn; es sein auch andere vil thir und vögell darinn, die ich nicht nennen chan. (S. 61, Z. 4–11)1346
Als ›Exotik‹-Indikatoren können hier zum einen die indische Herkunft und zum anderen die Nennung der anderen – ebenfalls als ›exotisch‹ wahrgenommenen – Tiere gelten. Bei den verschiedenen Tieren, die Schiltberger gesehen haben will, lässt sich jedoch auch sehr deutlich eine graduelle Abstufung der ›Exotik‹ erkennen.Während der Autor zum Äußeren der Elefanten keine Angaben macht, da er offenbar annimmt, dass seine Rezipienten mit diesen Tieren vertraut sind oder zumindest eine rudimentäre Vorstellung von deren Äußerem besitzen, geht er auf das Aussehen der Giraffe detailliert ein. Die Giraffe gleiche einem Hirsch (einem hirsen gleich) – so der Autor – sie sei zudem hoch gewachsen und besitze einen langen Hals. Darin, dass hier der Hirsch als Vergleichstier herangezogen wird, könnte man das ansatzweise realisierte ›Vergleichspuzzle‹ sehen – auch wenn außer dem Hirsch keine weiteren Vergleichstiere genannt werden. In Bezug auf den Hals geht Schiltberger sogar noch etwas weiter ins Detail und nennt eine geschätzte Länge (vier claffter langk oder lenger). Auch die Länge der Beine hält der Autor für erwähnenswert, um seinen Rezipienten ein Bild vom Aussehen dieses fremden Tiers zu vermitteln. Die Vorderläufe seien lang, während die Hinterläufe eine geringe Länge aufwiesen, und man finde Giraffen in Indien in großer Zahl. Die detaillierte Beschreibung zeigt, dass der Autor Giraffen als wesentlich ›exotischer‹ wahrnahm als Elefanten. Papageien, Straußen und Löwen werden – genau wie die Elefanten – lediglich genannt; es werden jedoch keine näheren Angaben zum Äußeren dieser Tiere gemacht. Daher scheinen sie in Bezug auf ihre ›Exotik‹ mit den Elefanten auf einer Stufe zu stehen. Weiterhin erklärt Schiltberger, neben den bereits erwähnten Tieren existierten in der clainen India auch solche Landtiere und Vögel, die er nicht nennen könne (es sein auch andere vil thir und vögell darinn, die ich nicht nennen chan). Versteht man den letzten Satz des oben angeführten Zitats nicht auf die Weise, dass der Autor aus Gründen der brevitas nicht von den anderen Tieren sprechen kann, so fehlen ihm offenbar 1346 Langmantel (Hrsg.), Hans Schiltbergers Reisebuch nach der Nürnberger Handschrift, S. 61. Auf: https://archive.org/details/hansschiltberge01langgoog. Zugriff am 26. 01. 2017 um 15:15 Uhr.
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die Bezeichnungen und sprachlichen Mittel, um jene – in höchstem Maße – ›exotischen‹ Tiere zu benennen und zu beschreiben. Handelte es sich bei der Giraffe bereits um ein Tier, dessen Beschreibung sehr stark den Eindruck von ›Exotik‹ vermittelte, so weist die Sprachlosigkeit des Autors darauf hin, dass die nicht benennbaren Tiere von ihm als noch ›exotischer‹ wahrgenommen worden sein dürften. Die Papageien wären innerhalb dieses Reiseberichts folglich nur am ›dritt-exotischsten‹:
Elefanten, Papageien, Straußen, Löwen
Giraffen
Tiere, die nicht benannt werden können
Abb. 96: Graduell abgestufte ›Exotik‹ der Tiere im Reisebericht Hans Schiltbergers.
Problematisch erscheint die Zuordnung der Quelle zum kommerziellen Diskurs, da Schiltberger weder sein Interesse am Papageienhandel bekundet noch Angaben zum Fang der Tiere macht. Aus diesem Grund wäre es wohl ebenso plausibel gewesen, den oben angeführten Textausschnitt innerhalb von Kapitel 2.2.3.4 Der literarische Diskurs zu thematisieren. Um ihn aber in einem direkten Vergleich mit den anderen Reiseberichten des Textkorpus betrachten zu
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Papagei
können, habe ich mich – im steten Bewusstsein, dass die Grenzen zwischen den einzelnen Diskursen bis zu einem gewissen Grad durchlässig sind – für die vorliegende Kapitel-Zuordnung und Analyse-Reihenfolge entschieden. Beinahe ebenso schwierig gestaltet sich die Diskurszuordnung auch bei den Papageien-Informationen, die im Reisebericht Jean de Mandevilles zu finden sind. Mandeville thematisiert die Tiere jedoch – ebenso wie die Panther – im Zusammenhang mit dem Hof des Großkhans. Genauer gesagt stellen sie einen festen Bestandteil der luxuriösen kaiserlichen Hofhaltung dar, was implizit auf den hohen Wert der Tiere hinweist und eine Subsummierung der Textquelle unter den kommerziellen Diskurs gestattet. Laut Mandeville beschäftigt der Kaiser zahlreiche Bedienstete, die für das Wohlergehen seiner verschiedenen edlen Vögel verantwortlich sind: e
Item der kayser hät vil volckes die nffln vogel wartend, als falcken, hapch, sperwer und sittich, und mengerlay vogel die er hat.1347
Wie bereits anhand der papeg.n-Stelle in Gottfrieds Tristan deutlich wurde, werden Papageien des Öfteren in einem Atemzug mit wertvollen Beizvögeln genannt.1348 Daher verwundert es wenig, dass das Tier auch bei Mandeville in einer Reihe mit Falken, Habichten und Sperbern steht. Die Information, vil volckes sei dazu abgestellt, sich um die Vögel zu kümmern, unterstreicht die immense Kostbarkeit der Tiere. Die Papageien des Großkhans sind jedoch nicht die einzigen Exemplare, die in Mandevilles Bericht Erwähnung finden. Der Autor informiert ebenfalls über vil sittich, die in der Wüste leben: e
In der wustin sind gar vil sittich, und man findt die die von natur von in selber redent e e und grussent die lfflt die durch die wustin gond, und redent als wol als ain mensch. Und o die also wol redent die hond an ainem ietlichen fuß ffflnf zechen.1349
Anhand dieses Zitats wird einmal mehr deutlich, in welchem Ausmaß der Autor sich als Kompilator betätigt. Zunächst wird der Lebensraum der Tiere genannt: die Wüste. Diese Information dürfte der Autor von Albertus Magnus (De animalibus XXIII, 138) übernommen haben. Daraufhin folgt eine Martial-Rezeption, denn dass die Papageien von Natur aus selbst sprechen und grüßen, ist in ganz ähnlicher Weise in Martials Epigramm XIV, 73 nachzulesen. Möglich ist an dieser Stelle natürlich auch, dass Mandeville nicht direkt auf Martials Epigramm zugreift, sondern auf einen der mittelalterlichen enzyklopädischen Texte, die ihrerseits Martial rezipieren. Auffällig ist weiterhin, dass Mandeville die im Epigramm enthaltenen Informationen literarisch überformt: Die Papageien 1347 Morrall (Hrsg.), Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, S. 141. 1348 Vgl. dazu S. 362–366 der vorliegenden Arbeit. 1349 Morrall (Hrsg.), Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, S. 156.
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grüßen nun nicht mehr den Kaiser, sondern die Leute, die die Wüste durchqueren. Als mittelalterliche Autoren, von denen Mandeville die Information übernommen haben könnte, der Papagei spreche ebenso gut wie ein Mensch, kommen Isidor von Sevilla, Rabanus Maurus, Alexander Neckam, Vinzenz von Beauvais, Albertus Magnus, Thomas von Cantimpr8 und Konrad von Megenberg in Betracht.1350 Darüber hinaus besitzt Mandeville auch Kenntnis über die größere Sprachbegabung der fünfzehigen Exemplare, die bereits in der Antike, in Apuleius’ Florida II, 12 und Solinus De mirabilibus mundi 52, 45, genannt wird. Die mit der Fünfzahl der Zehen einhergehende Anthropomorphisierung des Vogels ist als ein Konzeptbestandteil zu bewerten, der im Mittelalter stark tradiert wird.1351 Auch in Marco Polos Reisebericht finden Papageien Erwähnung. Etwas deutlicher als innerhalb der Berichte Schiltbergers oder Mandevilles kommen dabei die Handelsinteressen des Autors zum Ausdruck. Zum ersten Mal nennt Marco Polo die Vögel in Kapitel XCVIII, das in der mitteldeutschen Bearbeitung den vielsagenden Titel Von vil pfeffirs und rys und czuckirs und papegogis und von alczu heysin vlisindin wassirn trägt und über einige Gegebenheiten in Indien informiert.1352 Bereits an der Überschrift des Kapitels fällt auf, dass die papegogis in einer Enumeration mit Lebensmitteln stehen, die potentielle Handelswaren darstellen. Über die Tierwelt Indiens – insbesondere über die dort lebenden Papageien – ist in dem Kapitel Folgendes zu lesen: Ouch sint alle tyr do ungestalt. Do sint ouch papagalli, das ist papegoge, di sint wys als eyn sne, di han rote snebele und rote vuze. Do sint ouch andir papagalli von manchirleyge var unde gar schone gestalt, vil schoner wen unse. allis das do ist, das ist ungestalt beyde vie unde vogil, dor czu ist ungeschaffin vil me wen czu uns, und das ist allis von der grozin hicze, di do ungetempirt ist.1353
Auffällig ist, dass der Autor alle Tiere Indiens – mit Ausnahme der Papageien – als ungestalt wahrnimmt. Als mögliche Übersetzungen für ungestalt schlägt Matthias Lexer ›ungestalt‹, ›verunstaltet‹, ›hässlich‹ oder ›schmutzig‹ vor.1354 Offenbar soll das Adjektiv zum Ausdruck bringen, dass die Tiere Indiens alle in irgendeiner Weise ›deformiert‹ sind bzw. nicht den Normen entsprechen, nach denen der Autor Tiere als ›wohlgestaltet‹ klassifiziert. Die ›Deformation‹ wird gleich zweimal angesprochen (Ouch sint alle tyr do ungestalt; allis das do ist, das ist ungestalt beyde vie unde vogil) was den Verdacht nahelegt, dass dieser Aspekt 1350 1351 1352 1353 1354
Vgl. dazu S. 313 der vorliegenden Arbeit. Vgl. dazu auch S. 313 der vorliegenden Arbeit; Boehrer, Parrot Culture, S. 32. Steidl (Hrsg.), Marco Polos »Heydnische Chronik«, S. 371. Ebenda, S. 372. Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Lemma ›ungestalt‹. Auf: http://woerter buchnetz.de/Lexer/?sigle=Lexer& mode=Vernetzung& lemid=LU03611#XLU03611. Zugriff am 02. 02. 2017 um 12:10 Uhr.
Papagei
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dem Autor besonders wichtig erschien. Ein Synonym zu ungestalt stellt offenbar auch das Adjektiv ungeschaffin dar, das der Autor direkt im Anschluss an die zweite Nennung der ›deformierten‹ Tiere verwendet. In einem diametralen Gegensatz zu allen anderen Tieren Indiens stehen die Papageien: Ihr Kennzeichen ist ihre schone gestalt – sie sind sogar noch schöner als die Papageien, die Marco Polo in seiner Heimat gesehen haben will (vil schoner wen unse). Etwas holzschnittartig lässt sich die Tierwelt-Vorstellung, die innerhalb dieser Textstelle anklingt, wie folgt auf den Punkt bringen: In Indien sind alle Tiere hässlicher als in Marco Polos Heimat – nur die Papageien sind viel schöner. Für dieses Phänomen liefert der Autor auch eine Erklärung: Die in Indien herrschende Hitze sei kausal für die Deformationen der Tiere (und das ist allis von der grozin hicze, di do ungetempirt ist). Möglicherweise liegen dieser schön/hässlich-Dichotomie – sowie der positiven Hervorhebung der Papageien – Handelsabsichten zugrunde, denn wer würde schon einen indischen Papagei kaufen, wenn es in Europa viel hübschere Exemplare gäbe? Außerdem erscheint ein extrem schöner Vogel, der aus einem fremden Land kommt, in dem es ansonsten nur ›deformierte‹ und ›hässliche‹ Tiere gibt, in gleich zweifacher Hinsicht interessant und ›exotisch‹. Bemerkenswert ist, dass zwei verschiedene Bezeichnungen zur Benennungen der Papageien angeführt werden: papagalli und papegoge. Es ist anzunehmen, dass papegoge der volkssprachliche – möglicherweise im Dialekt beheimatete Begriff – ist, während papagalli der Hochsprache entstammt. Die Erklärung papagalli, das ist papegoge könnte daher darauf abzielen, einem möglichst breiten Rezipientenkreis zu verdeutlichen, um welche Vogelart es sich handelt.1355 Interessant sind weiterhin die Informationen zur Farbe der Vögel. Ebenso wie im Reisebericht Felix Fabris ist auch hier von schneeweißen Exemplaren (wys als eyn sne) die Rede. Während Fabri aber zur Schnabel- und Beinfarbe keine Angaben macht, erklärt Marco Polo beide Körperteile seien rot (rote snebele und rote vuze). Daraus ergibt sich allerdings die Frage, welche Papageienart der Reisende hier vor Augen hatte. Konnte man bei den Angaben Fabris noch davon ausgehen, dass ein Kakadu beschrieben wird, scheidet diese Option im Hinblick auf die oben angeführte Textstelle aus, denn Kakadus besitzen weder rote Schnäbel noch rote Beine. Hier lässt sich wohl keine Bestimmung der zugrundeliegenden Papageienart vornehmen. Möglicherweise waren Marco Polo Kakadus bekannt und die roten Beine sowie der rote Schnabel stellen eine literarische Überformung dar, die darauf abzielt, den Vogel noch außergewöhnlicher erscheinen zu lassen als mit seinen entsprechenden naturgegebenen, grauen Körperteilen. 1355 Die Bekanntheit des Tiers unter der Bezeichnung papegoge wird allerdings vorausgesetzt.
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Die ›Rotschnäbel‹ sind allerdings nicht die einzigen Papageien, die Marco Polo in Indien gesehen haben will. Neben ihnen finden auch noch andir papagalli von manchirleyge var Erwähnung. Auch wenn der Autor hier keine detaillierten Angaben zur Gefiederfarbe der Tiere macht, muss wohl in Betracht gezogen werden, dass er mit papagalli von manchirleyge var nicht ausschließlich den prototypischen grün-roten Papagei gemeint haben könnte. Daneben finden die Vögel in Marco Polos Bericht noch ein weiteres Mal Erwähnung; nämlich in Kapitel CIX, das Von dem strite unde dem sege der cristin in India kegin den sarracenen und von vil lewin und gerfalkin und von vil papegogen unde kaczen berichtet.1356 Ähnlich wie bei dem erstgenannten Papageien-Kapitel, werden auch hier zwei Themenbereiche zusammen abgehandelt, deren Kombination auf Rezipienten des 21. Jahrhunderts befremdlich wirkt: Religiös-politisch motivierte Auseinandersetzungen werden gemeinsam mit der indischen Fauna thematisiert. Die Schnittstelle, an der Marco Polo beide Themen dann aber doch zu verbinden weiß, stellen die Kriegselefanten dar, mit denen die Christen gegen die Sarrazenen in die Schlacht ziehen. Im Anschluss an die Schlachtenschilderung geht der Autor auf die Nahrung der Menschen in der indischen Provinz Abasyam ein und erläutert abschließend, welche Tiere das Land außer den Kriegselefanten noch beheimate. Ähnlich wie im Bericht Schiltbergers werden Papageien hier ebenfalls in einem Atemzug mit anderen, fremden Tieren genannt: Do sint ouch vil giraffen, lewin und lewinne unde lebart und vil ander tyr di do ander gesteltnisse han wen di unsir, unde sint schone an czu seen. Ouch sint do papegoge vil und manchirhande var und schone geverbit von der naturn und vil andirs gevogils di do andirs sint wen unse.1357
Anders als innerhalb der ersten Textstelle wird hier nicht mehr gesagt, die Tiere Indiens seien ungestalt. Sie weichen in ihrer Gestalt zwar von den in Europa heimischen ab (tyr di do ander gesteltnisse han wen di unsir), mit dieser Abweichung geht jedoch keine pejorative Wertung einher. Darüber hinaus kann der Hinweis auf die abweichende Gestalt als Anhaltspunkt für die Fremdheit der Tiere angesehen werden, wie auch die Aussage, in Indien gäbe es zahlreiche Vögel, die anders seien als die in Europa heimischen (gevogils di do andirs sint wen unse). Die Fremdheit kommt jeweils dadurch zum Ausdruck, dass die Dichotomie »unsere / die anderen« eröffnet wird. Was fremd ist, wird also ex negativo bestimmt – ein Verfahren, auf das auch Marina Münkler in ihrer Monographie Erfahrung des Fremden – Die Beschreibung Ostasiens in den Augenzeugenberichten des 13. und 14. Jahrhunderts hinweist.1358 1356 Steidl (Hrsg.), Marco Polos »Heydnische Chronik«, S. 377. 1357 Ebenda, S. 378. 1358 Münkler, Erfahrung des Fremden, S. 149.
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Die fremden Tiere sind jedoch nicht nur dadurch gekennzeichnet, dass sie von anderer Gestalt sind als die vertrauten Tiere – sie sind zudem auch noch schone an czu seen. Die Kombination dieser beiden Aspekte kann als Hinweis auf die ›Exotik‹ der Tiere gelesen werden. Es handelt sich um Tiere, die man gerne ansieht, bei denen der Blick verweilt – von denen folglich eine gewisse Faszination ausgeht. Während der Autor auf das Äußere der Giraffen, Löwen, Löwinnen und Leoparden nicht näher eingeht, macht er zum Aussehen der Papageien Angaben: sie sind vil und manchirhande var und schone geverbit von der naturn. Hier ließe sich überlegen, ob mit der Aussage, Papageien seien schone geverbit von der naturn das Motiv der Natura artifex anklingt. In jedem Fall scheint der Autor die Vögel als optisch ansprechend und ästhetisch empfunden zu haben. Die Betonung des schönen bunten Gefieders, die innerhalb beider Textstellen zum Tragen kommt, könnte darüber hinaus der Intention geschuldet sein, bei den Rezipienten Begehrlichkeiten nach dem Besitz eines solch exzeptionellen Vogels zu wecken. Eine weitere Textquelle stellt der Reisebericht Ludovicos de Varthema dar.1359 Der aus Bologna stammende de Varthema unternahm zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine Reise, die ihn angeblich bis nach Indonesien führte.1360 Der Bericht, den er nach seiner Heimkehr verfasste, wurde zeitnah ins Lateinische sowie in die europäischen Volkssprachen übersetzt, sodass bereits 1515 in Augsburg die erste deutsche Druckfassung erschien.1361 In seinem Capitel von etlichen veglen vnd tyeren so da seind gibt auch de Varthema Auskunft über die Tierwelt Indiens: o
e
o
Mir gefölt auch eüch zu sagen von etlichen voglen vn|_ tyeren so man hat zu Calicut. e Des send ain grossen tayl der leon Wild Schwein gayß pock wolff püffel kye vnd gayß. e Auch helffandt wolche aber nit da geberen Sunder von andern orten dar gepracht e werden. Vil morkatzen zyechen da auß vnd thondt grossen schaden. Besunder auff den nuß pomen von denen ich gesagt hab. Da steygen sy auff vnd sauffen des safftes auß den e schyßlen vnd zerwerffen die. Der selben morkatzen aine gylt bey inen fyer Casse das ist fyer quattrin. So fyndt man da selbst vmb wyld pfawen in grosser vile vnd über die mas vil papigali gren vnd rot von manigerlay seltzamen farben. Vor denen man das reys
1359 Gedankt sei an dieser Stelle Prof. Dr. Udo Friedrich, der mich auf diesen Reisebericht und die darin enthaltenen Papageien-Informationen aufmerksam gemacht hat. 1360 Reichert, Einleitung Ludovico de Varthema und sein Itinerar, S. 7–12. 1361 Ebenda, S. 30; Ludovico de Varthema, Die Ritterlich und lobwirdig rayß des gestrengen und über all ander weyt erfarnen ritters und Lantfarers herren Ludowico vartomans von Bolonia Sagent von den landen Egypto Syria von bayden Arabia Persia Jndia Und Ethiopia von den gestalten syten und dero menschen leben und gelauben. Augsburg, 1515. Auf: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0001/bsb00011589/images/index.html?id=00 011589& groesser=150%& fip=193.174.98.30& no=& seite=1. Zugriff am 01. 02. 2017 um 9:47 Uhr.
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e
o
allenthalb auff dem feld taglich verhuten muß wann sy den gar geren essen der selben e vogel wirt wenig geacht also das man ainen vmb zwen quattrin gybt.1362
Zunächst werden auch hier zahlreiche Tierarten aufgelistet, die in Indien zu finden seien: Löwen, Wildschweine, Geißböcke, Wölfe, Büffelkühe und Geißen. Daraufhin nennt de Varthema Elefanten, von denen er zu berichten weiß, sie brächten ihre Jungen nicht dort zur Welt. An dieser Stelle wird deutlich, dass auch de Varthemas Itinerar zuweilen erkennen lässt, dass der Autor auf mittelalterliches Buchwissen zurückgreift. Über die Fortpflanzung von Elefanten ist nämlich in den Bestiarien nachzulesen, das männliche und das weibliche Tier müssten sich zunächst in die Nähe des Paradieses begeben.1363 Vor dem eigentlichen Akt der Fortpflanzung sei es zudem notwendig, dass beide von der Alraune zu sich nähmen, die dort wachse.1364 Dieses naturkundliche mittelalterliche Wissen scheint in dem Itinerar unterhalb der Textoberfläche vorhanden zu sein, denn de Varthema erklärt, man bringe die Elefanten von anderen Orten nach Indien (von andern orten dar gepracht werden). Besonders interessant sind auch die daran anschließenden Informationen zu den Meerkatzen, denn sie lassen Parallelen zu der Beschreibung der Papageien erkennen: Beide Tierarten werden gemäß den Angaben des Autors in Indien als ›Erntevernichter‹ gefürchtet. Die Meerkatzen besäßen nämlich die Angewohnheit, die Milch der Kokosnüsse zu trinken und die Nüsse zu zerwerfen. Daraufhin erklärt de Varthema, der Kaufpreis einer Meerkatze belaufe sich auf fyer Casse was fyer quattrin entspreche. Wie groß genau die Kaufkraft von fyer Casse bzw. fyer quattrin zur Zeit Varthemas war, lässt sich an dieser Stelle nicht sagen. Allerdings gibt es im Text einen Anhaltspunkt dafür, dass sie nicht besonders hoch gewesen sein dürfte. Dieser Anhaltspunkt findet sich im Kontext der Papageienbeschreibung. Bevor de Varthema jedoch auf die papigali zu sprechen kommt, erläutert er, in Indien seien auch in großer Fülle wilde Pfauen zu finden (wyld pfawen). Mit den Pfauen, die ebenfalls ein prächtiges Gefieder aufweisen, wird also übergeleitet zu den Papageien, die gren vnd rot von manigerlay seltzamen farben sind. Anhand der beiden Farben Grün und Rot könnte man zunächst denken, dass auch de Varthema vom prototypischen Papagei des Mittelalters ausgeht. Der Zusatz von manigerlay seltzamen farben deutet jedoch daraufhin, dass das Gefieder der Vögel eben nicht ausschließlich grün und rot ist. Ebenso wie von den Meerkatzen berichtet wird, sie seien eine Bedrohung für den Kokosnuss-Anbau, so wird von den Papageien gesagt, sie gefährdeten die 1362 Ludovico de Varthema, Die Ritterlich und lobwirdig rayß […]. Auf: http://daten.digitalesammlungen.de/~db/0001/bsb00011589/images/index.html?id=00011589& groesser= 150%& fip=193.174.98.30& no=& seite=91. Zugriff am 01. 02. 2017 um 10:00 Uhr. 1363 McCulloch, Medieval Latin and French Bestiaries, S. 115. 1364 Ebenda.
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Papagei
Reisfelder, denn Reis zähle zu ihrer bevorzugten Nahrung. Dieser Umstand führe dazu, dass man die Vögel geringschätze und dass das Stück für zwen quattrin käuflich zu erwerben sei. Da zuvor von der Geringschätzung der Tiere die Rede ist, kann wohl davon ausgegangen werden, dass es sich bei zwei Quattrinen um keine all zu hohe Summe handelt. Zugleich lässt sich der Preis in eine Relation setzten mit dem zuvor genannten Preis, der für eine Meerkatze zu entrichten ist. Dabei wird deutlich: Ein Papagei ist nur halb soviel wert wie eine Meerkatze. Ein weiteres Mal erwähnt de Varthema die Vögel in seinem Capitel von wilden vnd zamen thyeren zu Tarnasseri.1365 Auch hier werden die Papageien in einem Atemzug mit anderen Tieren genannt, die in der indischen Stadt Tarnasseri anzutreffen seien: o
In disem land vnd der Stat Tarnasseri ist vast über flüssig gute narung den menschen. Und dem vich da fyndt man ochsen kye schaff vnd gayssen in grosser zal. Auch wild Schwein Hyrsch gemßen wolff katzen die zibeto pringen Leon vnd hasen vast vil. So hat man da Falcken Habich Pfawen Weyß papigali vnd andern von sybent farben vast hüpsch.1366
Zunächst erklärt der Autor, in der Stadt finde man gute Nahrung im Überfluss. Daraufhin folgt eine Aufzählung von Tieren, die – zumindest aus der Perspektive eines christlichen Reisenden – auch als Speisetiere in Betracht gekommmen sein dürften, nämlich Fische, Ochsen, Kühe, Schafe, Ziegen, Wildschweine und Hirsche. Darüber hinaus werden auch Gämsen, Wölfe, Zibetkatzen, Löwen und Hasen genannt. In einem weiteren Satz, den de Varthema mit So hat man da einleitet, werden – separiert von den vierfüßigen Tieren – die Vögel Tarnasseris aufgezählt. Bemerkenswert erscheint dabei, dass die Papageien, von denen zuvor berichtet wurde, sie seien – vergleichsweise preisgünstig – zu zwei Quattrinen das Stück zu haben, nun gemeinsam mit wertvollen Falken, Habichten und Pfauen genannt werden. Innerhalb dieser Textstelle werden die Vögel also nicht mehr als ›Erntevernichter‹ thematisiert, sondern erscheinen im Lichte wertvoller Prestigeobjekte, die aufgrund ihrer Farbenpracht – ebenso wie die anderen genannten Vögel – edel genug wären, um bei Hofe gehalten zu werden. Anhand der beschriebenen Farbgebung lässt sich erkennen, dass de Varthema zwei verschiedenen Papageien-Arten im Blick hatte: zum einen nennt auch er – ebenso wie Fabri und Marco Polo – weiße Papageien (Weyß papigali), zum anderen kennt er jedoch auch solche, die sieben verschiedene Farben aufweisen. Die Aussage, die Vögel seien vast hüpsch unterstreicht zusätzlich die Aufwertung, die bereits durch die gemeinsame Nennung mit den anderen edlen Vögeln 1365 Ludovico de Varthema, Die Ritterlich und lobwirdig rayß […]. Auf: http://daten.digitalesammlungen.de/~db/0001/bsb00011589/images/index.html?id=00011589& groesser= 150 %& fip=193.174.98.30& no=& seite=101. Zugriff am 01. 02. 2017 um 11:49 Uhr. 1366 Ebenda. Zugriff am 21. 05. 2017 um 15:48 Uhr.
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gegeben ist. In Bezug auf die ›Exotik‹ der Papageien in de Varthemas Reisebericht lässt sich festhalten, dass wohl vor allem die indische Herkunft die ›Exotik‹ der Vögel impliziert. Aber auch die Angaben zur Gefiederfarbe lassen erkennen, dass der Autor offenbar nicht davon ausging, all seine Rezipienten würden über die Existenz weißer und siebenfarbiger Papageien im Bilde sein. Zusammenfassend lässt sich über den Papagei innerhalb des kommerziellen Diskurses festhalten, dass in Bezug auf das Äußere des Tiers zwar noch des Öfteren Grün und Rot als Gefiederfarben genannt werden, dass aber auch schneeweiße Exemplare zunehmend an Bedeutung gewinnen. Daneben wird von bunten Papageien berichtet, die sogar sieben verschiedene Farben aufweisen können. Das ganz weiße Gefieder eineseits sowie die Farbfielfalt andererseits lassen die Tiere noch außergewöhnlicher erscheinen und oftmals wird betont, sie seien schön anzuschauen. Diese Informationen zielen deutlich darauf ab, die hohen Preise zu rechtfertigen, zu denen insbesondere schneeweiße Exemplare gehandelt werden. Die exzeptionelle Gefiederfarbe stellt jedoch nicht den einzigen Faktor dar, der die Preisbildung beeinflusst; auch besondere Zutraulichkeit oder ein außergewöhnliches Talent des Tiers können den Preis für die ›Handelsware Papagei‹ nach oben schnellen lassen. Zudem wird anhand der Angaben Sebald Rieters deutlich, dass nicht alleine die Anschaffung eines Papageis Kosten verursacht; auch beim Transport der Tiere sind vergleichsweise hohe Zollabgaben zu entrichten. Bezüglich des Temperaments der Vögel werden relativ wenige Angaben gemacht. Allerdings findet sich in Fabris Evagatorium die tradierte Information, der Papagei werde besonders ausgelassen, wenn er Wein getrunken habe – eine Information, die bereits Aristoteles in seiner HA nennt. Darüber hinaus kommt die Ausgelassenheit auch implizit zum Ausdruck, wenn von dem Spieltrieb des Tiers an Bord des Schiffes berichtet wird. Dass der Papagei zuweilen auch aggressiv sein kann, wird anhand der Schilderung von Fabris Nasenverletzung ersichtlich. Als besondere Merkmale werden die tradierten Konzeptbestandteile ›harter Kopf‹, ›harter Schnabel‹, ›breite Zunge‹ und ›rotes Halsband‹ genannt. Darüber hinaus stellen auch die fünf Zehen – die in einem Kausalzusammenhang mit der Gelehrigkeit und Sprachbegabung des Tiers stehen – einen immens wichtigen Konzeptbestandteil dar. Sie sind ein Anhaltspunkt für die Anthropomorphisierung, die so weit reicht, dass in Fabris Evagatorium – ebenso wie bereits rund 100 Jahre zuvor bei Boccaccio – von der Papageiwerdung eines Menschen die Rede ist. Ein weiteres Merkmal, das in Fabris Bericht genannt wird, ist der krumme Schnabel. In Bezug auf das Geschlecht des Tiers werden beinahe keine Aussagen getätigt. Alleine im Evagatorium wird die Information tradiert, der Papagei sei besonders beliebt bei Damen. Zugleich wird die damit angedeutete Genderkon-
Papagei
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struktion aber ins Wanken gebracht, wenn der Autor erklärt, der Vogel spreche ›weibisch‹. Als präferierte Nahrung des Tiers wird erstmals Reis genannt – ein Umstand, der den Papagei zur veritablen Gefahr für alle Reisfelder macht und der dazu führt, dass dem Tier in Reisanbauregionen Geringschätzung entgegengebracht wird. Als Herkunftsländer werden Indien, Arabien und das Reich des Großkhans genannt. Außerdem ist von der Insel Segetha die Rede, auf der man die Papageien im September fange und sie daraufhin nach Kairo bringe. Kairo und Alexandria gelten als Hauptumschlagplätze für den Papageienhandel.1367 Die Fortpflanzung der Papageien findet laut Fabri allerdings ausschließlich in der Wüste statt. Des Weiteren wird gesagt, je höher gelegen der Lebensraum der Tiere sei, desto schöner und größer fielen die jeweiligen Exemplare aus. Beziehungen zu anderen Tieren im Sinne von ›Freundschaft‹ oder ›Feindschaft‹ finden in den Berichten keine Erwähnung. Was jedoch auffällt, ist, dass Papageien besonders häufig in einem Atemzug mit edlen Beizvögeln wie etwa Falken und Sperbern thematisiert werden, was der Intention geschuldet sein dürfte, sie im Lichte edler Luxusgüter erscheinen zu lassen. Der Vogel dient insbesondere dazu, dem Menschen Gesellschaft zu leisten, ihn durch den Anblick des farbenfrohen Gefieders zu erfreuen und ihn mithilfe seines Sprachtalents zu amüsieren. Zugleich sind Papageien natürlich Prestigeobjekte, die einen festen Bestandteil luxuriöser Hofhaltung darstellen. Darüber hinaus können sie – je nach Begabung – aber auch noch auf andere Weise genutzt werden. So berichtet Fabri etwa von einem Papagei, der die Funktion eines Weckers übernommen habe. Der gesellschaftliche Status des Tiers ist insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass der Papagei als orientalisches Luxusgut und kostbare Handelsware wahrgenommen wird. Obwohl er diesen Status besitzt, wird den Käfigen, in denen diese ›Luxusgüter‹ gehalten und transportiert werden, weitaus weniger Aufmerksamkeit zuteil als innerhalb der Quellen des literarischen Diskurses. Hinsichtlich der ›Exotik‹ wird deutlich, dass die fernen Herkunftsländer sowie der ›Lebens- und Fortpflanzungsraum Wüste‹ den Papagei ›exotisch‹ erscheinen lassen. Darüber hinaus zeigt sich die ›Exotik‹ auch explizit anhand der Wortwahl – wenn etwa von vogell over mer und von species […] multa monstrosa die Rede ist oder wenn der Papagei Breydenbachs als bestia mirabilis bezeichnet wird. In all diesen Formulierungen klingt ein Staunen an, das zwar zuweilen eher dem Sprachtalent des Tiers geschuldet sein mag, das zum Teil aber auch durch die farbenprächtige – oder eben schneeweiße – Erscheinung des Papageis evo1367 Diese Informationen scheinen mit den realhistorischen Fakten überein zu stimmen. Siehe dazu: Ribemont, Histoires de perroquets, S. 159; Kinzelbach, Friedrich II., S. 295.
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Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
P Papagei
Temperament und Charakter
Äußeres
Größe
Farbe
ausgelassen
weiß
klein
ängstlich
bunt
klug je höher gelegen der Lebensraum, desto größer
kostbare Voliere
aggressiv
glänzendes Gef ieder
selbstbewusst
Anzahl an Zehen ist v erschieden
zutraulich
drei Zehen
liebenswürdig und charmant intrigant
unedel Weingenuss
breite Zunge menschenähnlicher Gesang klappt besser mit 5-zehigen Exemplaren als mit 3-zehigen
kann durch Schläge mit einer kleinen Eisenstange konditioniert werden
männlich
Sprache
am besten v or Vollendung des 2. Lebensjahres
f ein herausgeputzt
Minnedame
edel
nicht so gelehrig
lernt schnell sprechen
spricht vorgesagt e Worte nach
Sprachtraining
unter Zuhilf enahme eines Spiegels
spricht ›weibisch‹
übernimmt Troubadourrolle
f ünf Zehen
Reis
weiblich
›Liebling der Damenwelt‹
harter Schnabel
cholerisch
grün + rot
Wein
rotes Halsband
harter Kopf
Nahrung
Geschlecht
besondere Merkmale
grüßt von sich aus den Kaiser
Stimmen der Apostel sollen von Menschen nachgeahmt werden eigener Wortschatz
Mehrsprachigkeit grüßt Menschen in der Wüste umwirbt die Minnedame
höfisch, f ormv ollendet
Abb. 97: Epistemischer Diskurs-Frame, der die rekonstruierten Bestandteile des mittelalterlichen Papageien-Konzepts hervorhebt, die innerhalb des kommerziellen Diskurses aktualisiert werden.
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Papagei
Nennung mit anderen Tieren
Gefahren
Herkunft
Indien
edle Beizvögel
Ägypten
Elefan t
Taube
Paradies
Pfau
Reich der Candacis
Arabien Äthiopien
Berg Gelboe
Giraf f e
orientalisches Luxusgut
Wecker
Strauß
Spiegelersatz
Handelsware
Meerkatze
Reich des Großkhans Cluse
gesellschaftlicher Status
Nutzung
verträgt keinen Regen
Keuscher / besonders reiner Vogel
Sinnbild Marias Sinnbild Jesu
Sinnbild v erschiedener Heiliger
Schmuckmotiv edler Kopf bedeckungen
AusstellungsObjekt Gesellschaf t leistendes Tier
wertv olles Geschenk
Liebesbote
schattenspendendes Tier
f rommer und gelehriger Vogel
Schönheitspreis
›Spiegelbild des Poeten‹
Kemenatenbeleuchtung
Wappentier
wird mit dem Papst in Verbindung gebracht
Relationen der Konzeptbestandteile = metaphorische Relation = klassifikatorische Relation = aktualisiert = nicht aktualisiert
466
Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
ziert wird. Darüber hinaus bieten auch die Enumerationen, in denen der Papagei gemeinsam mit anderen potentiell ›exotischen‹ Tieren aufgezählt wird, Aufschluss über die ›Exotik‹ der exzeptionellen ›Handelsware papigalvogel‹. Die Analyse der Textstelle aus Hans Schiltbergers Reisebericht hat gezeigt, dass sich gelegentlich auch Abstufungen in der ›Exotik‹ der Tiere erkennen lassen. So ist die Giraffe zwar ›exotischer‹ als der Papagei, aber nicht so ›exotisch‹ wie diejenigen Tiere, die den Autor sprachlos machen. Anhand der Preisangaben wird deutlich, dass Papageien in den meisten Fällen als besonders wertvoll erachtet werden. Auch diese Kostbarkeit der Tiere kann als ein ›Exotik‹-Indikator gewertet werden. Da weiße Papageien Höchstpreise erzielen, ist anzunehmen, dass sie als noch ›exotischer‹ wahrgenommen wurden als die prototypischen grünroten Exemplare.
2.2.4 Die ›Exotik‹ des Papageis im Mittelalter Ebenso wie bei der Rekonstruktion des mittelalterlichen Panther-Konzepts, lässt sich auch beim Papagei erkennen, das die ›Exotik‹ des Tiers diskursabhängig ist. Die graduellen Abstufungen der ›Exotik‹ lassen sich am besten unter Bezugnahme auf das folgende Schaubild erläutern (Abb. 98). Wie die Darstellung zeigt, lassen sich auch hier die meisten ›Exotik‹-Indikatoren innerhalb des kommerziellen Diskurses ausmachen. Bereits die Herkunftsländer des Papageis, die innerhalb dieses Diskurses genannt werden (Indien, Arabien das Reich des Großkhans und die Nilinsel Segetha), dürften von mittelalterlichen Rezipienten als fern, fremd und anders wahrgenommen worden sein. Dies wurde insbesondere im Rahmen der Analyse der Textstellen aus dem Niederrheinischen Orientbericht und aus Marco Polos Reisebericht deutlich. Während in der erstgenannten Quelle die Rede davon ist, over mer seien die Vögel schöner und größer, ist bei Marco Polo das genaue Gegenteil nachzulesen: Der Autor erklärt die Tiere Indiens seien ungestalt. Diese Widersprüchlichkeit führt sehr deutlich vor Augen, dass sich die fremden ›exotischen‹ Tiere mit den kulturspezifischen Kategorisierungsmustern der Reisenden – und den entsprechenden, ihnen zur Verfügung stehenden sprachlichen Mitteln – nur schwerlich erfassen und einordnen lassen. Die Erklärungen zum Aussehen der Tiere lassen oftmals die Dichotomien »unsere / die anderen« sowie »schön / hässlich« erkennen. Was fremd ist, wird also ex negativo bestimmt. Darüber hinaus scheint es jedoch auch Tiere zu geben, angesichts deren ›Exotik‹ selbst diese Kategorisierungsversuche scheitern, Tiere von denen nicht gesprochen werden kann, wie anhand des Ausschnitts aus Hans Schiltbergers Reisebericht deutlich wird.
467
Papagei
Liebesdiskurs
Religiös-heilsgeschichtlicher Diskurs
Naturkundlicher Diskurs
Literarischer Diskurs
Kommerzieller Diskurs
Abb. 98: Die diskursabhängige ›Exotik‹ des Papageis in ihren graduellen Abstufungen.1368
Innerhalb der Quellen des kommerziellen Diskurses klingt häufiger ein Staunen über das farbenprächtige (bzw. schneeweiße) Gefieder der Papageien an als innerhalb der anderen Diskurse. Dies lässt einerseits vermuten, dass die Prominenz des Halsbandsittichs als dem prototypischen Vertreter der Kategorie ›papegan‹ gegen Ende des Spätmittelalters bereits abnimmt. Andererseits – und das scheint mir der noch weitaus gewichtigere Grund – könnten die bunteren Exemplare als noch ›exotischer‹ wahrgenommen worden sein, was den kommerziellen Interessen der Reisenden entgegen gekommen sein dürfte. In den meisten Quellen tritt anhand der konkreten Preisangaben zutage, dass Papageien als äußerst wertvoll erachtet wurden, was ebenfalls auf die ›Exotik‹ der 1368 Zur Visualisierung der diskursabhängigen ›Exotik‹ des Papageis werden die Abbildungen 1; 2; 91; 94; 65; 68; 69 und 72 der vorliegenden Arbeit in eine Relation zu einander gesetzt.
468
Konzepte vom ›exotischen‹ Tier und ihre diachrone Entwicklung
Tiere hindeutet. Darüber hinaus werden Papageien besonders häufig zusammen mit anderen potentiell ›exotischen‹ Tieren erwähnt. Auch innerhalb des literarischen Diskurses lassen sich ›Exotik‹-Indikatoren finden. Zu den weit entlegenen Herkunftsländern Indien und Äthiopien treten hier auch fiktive Gebiete wie etwa das Paradies, das Reich der Candacis und das Königreich Cluse hinzu. Auf den hohen Wert der ›exotischen‹ Tiere weisen vor allem die kostbaren und prächtig geschmückten Volieren hin. Das Staunen über die Papageien ist jedoch noch stärker deren Klugheit und Redegewandtheit geschuldet als innerhalb der Quellen des kommerziellen Diskurses, in denen auch über die Gefiederfarbe gestaunt wird. Etwas weniger ›exotisch‹ erscheint der Papagei innerhalb des naturkundlichen Diskurses, denn hier werden als Herkunftsländer und -regionen lediglich Indien und der Berg Gelboe angegeben. Bezeichnungen wie mirabilis gabio lassen das Tier aber dennoch im Lichte eines ›mirabiliums des Ostens‹ erscheinen. Auch die Information, es handle sich um ein ›Luxustier‹, kann als Hinweis auf die ›Exotik‹ des Vogels gewertet werden. Noch weniger ›exotisch‹ wirkt der Papagei innerhalb der Darstellungen, die dem religiös-heilsgeschichtlichen Diskurs zuzurechnen sind. Das einzige Argument, das hier für eine ›Exotik‹ spricht, ist die Herkunft des Tiers. Ebenso wie innerhalb des naturkundlichen Diskurses werden Indien und der Berg Gelboe genannt. Bei der Analyse des Liebesdiskurses wurde deutlich, dass sich ausschließlich in dem altokzitanischen Feenmärchen Frayre de Joy et Sor de Plaser Hinweise auf die ›Exotik‹ des Papageis finden lassen. Dies könnte jedoch auch der Gattungstradition des Feenmärchens geschuldet sein, die vorsieht, dass das Merveilleuse im Vordergrund steht.1369 Insgesamt zeigt sich in Bezug auf die diskursabhängige ›Exotik‹ des Papageis also eine ganz ähnliche graduelle Abstufung wie beim Panther.1370
1369 Vgl. Wolfzettel, Le Conte en palimpseste, S. 129. 1370 Vgl. dazu S. 279–281 der vorliegenden Arbeit.
3.
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere – Universalität, Spezifität und Tradierung
Abschließend soll der Fokus der Betrachtung auf den drei Themenbereichen Universalität, Spezifität und Tradierung liegen.1371 Dabei scheint gerade der erstgenannte Untersuchungsschwerpunkt, die Universalität, ein reichlich kontroverser zu sein. Vorab gilt es zunächst klarzustellen, dass im Folgenden nicht von vornherein von absoluten Universalien die Rede sein wird. Im DFG-Graduiertenkolleg 1876 »Frühe Konzepte von Mensch und Natur« – in dessen Rahmen die vorliegende Arbeit entstanden ist – wird weder mit einem strikten Universalitäts-Begriff operiert noch wird eine ›QuasiUniversaltät‹ angenommen. Vielmehr geht Tanja Pommerening, die Sprecherin des Graduiertenkollegs, von einer relativen Universalität aus, die bereits angedacht und überprüft werden muss, wenn ein kulturelles Phänomen an zwei Orten unabhängig voneinander in Erscheinung tritt. Dies bedeutet natürlich nicht von vornherein, dass alles, was sich in zwei verschiedenen Quellen finden lässt, universal sein muss – denn in diesem Fall bestehen auch stets noch die Möglichkeiten der Tradierung oder Polygenese – wichtig ist jedoch ein solches zweimaliges Auftreten bereits als Anlass und Ausgangspunkt für weiterführende Überlegungen und Untersuchungen zu begreifen. Im Graduiertenkolleg wurde der Universalien-Begriff bislang also nicht genutzt, um vermeintliche Universalia zu suchen, sondern vielmehr als eine Art Hilfsmittel und als ein Korrektiv, um im Kulturvergleich Spezifitäten und Tradierungsphänomene ausmachen zu können. Wie auch Christoph Antweiler in seiner Monographie Was ist den Menschen gemeinsam? erläutert, stellt eine »Konzentration auf Absoluta« bei der Universaliensuche keine Conditio sine qua non dar.1372 Ich begreife Universalität und Spezifität eher als zwei Endpunkte einer Skala, auf der kulturelle Phänomene 1371 Es handelt sich dabei um die drei Themenbereiche, deren Erforschung sich das DFGGraduiertenkolleg 1876 »Frühe Konzepte von Mensch und Natur« zum Ziel gesetzt hat. Siehe dazu auch: https://www.grk-konzepte-mensch-natur.uni-mainz.de/. Zugriff am 13. 03. 2017 um 10:18 Uhr. 1372 Antweiler, Was ist den Menschen gemeinsam?, S. 267.
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Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
eingeordnet werden können und in gradueller Abstufung als ›eher universell‹ oder ›eher spezifisch‹ bewertet werden können. Diese Auffassung widerspricht zum Teil den Ansätzen der bisherigen Universalienforschung, die von sehr vielen verschiedenen methodischen Herangehensweisen gekennzeichnet ist.1373 Wie Antweiler bemerkt, sind dabei die Begründungen der Postulate der einzelnen Universalien […] so unterschiedlich, wie die […] Möglichkeiten der Fundierung. Einige entstammen induktiv aus empirischen Vergleichsstudien, andere sind aus Einzelfällen abgeleitet bzw. abduziert, andere sind aus theoretischen Annahmen deduziert, wiederum andere sind pure, aber vielleicht dennoch anregende Spekulationen. Zu vielen Punkten gibt es jedenfalls bislang noch keine klare empirische Basis im Sinne systematisch kulturvergleichender Forschungen, auch nicht in der Ethnologie.1374
Die hier zum Ausdruck kommende methodische Disparität kann innerhalb der vorliegenden Arbeit freilich nicht en detail beleuchtet werden. Im Folgenden seien nur einige Aspekte erwähnt, die m. E. für eine terminologische Klarheit unerlässlich sind. Zum einen gilt es festzuhalten, dass die Suche nach Universalien sowohl innerhalb einer einzigen Kultur stattfinden kann (intrakulturelle Dimension) als auch mit einem vergleichenden Blick auf viele verschiedene (interkulturelle Dimension).1375 Ein intrakultureller Vergleich (der auch eine historische Dimension mit einschließt) erscheint auf der Basis der vorliegenden Analyse-Ergebnisse realisierbar. Geht man nämlich der Frage nach, welche Bestandteile der beiden mittelalterlichen Konzepte von Panther und Papagei intrakulturelle Universalien darstellen könnten, so hat die Frame-Analyse gezeigt, dass beim Panther-Konzept der gute Duft in allen Diskursen – während des gesamten Hoch- und Spätmittelalters – thematisiert wurde und beim Papageien-Konzept die Sprache. Insofern scheint es sich bei diesen beiden Konzeptbestandteilen um Universalien in diesem intrakulturellen Sinn zu handeln – so eigenartig uns das auch etwa beim Pantherduft erscheint. Dass diese beiden Konzept-Bestandteile in derart vielen Diskursen zu finden sind und als Knotenpunkte und Schnittstellen zwischen diesen Diskursen fungieren, rechtfertigt es meines Erachtens sie als ›Kollektivsymbole‹ zu bezeichnen, um noch einmal die Terminologie Jürgen Links aufzugreifen.1376 Im Rah1373 Auf die einzelnen Forschungsansätze und Herangehensweisen kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht im Detail eingegangen werden. Daher sei auch an dieser Stelle verwiesen auf Antweiler, Was ist den Menschen gemeinsam?, insbesondere Kap. 7 Methodik: Deduktion, Fallstudien und Vergleichsverfahren, S. 223–253. 1374 Antweiler, Was ist den Menschen gemeinsam?, S. 173. 1375 Ebenda, S. 245. 1376 Vgl. dazu S. 32f. der vorliegenden Arbeit.
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
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men der Frame-Analyse wurde zudem deutlich, wie die beiden Konzept-Bestandteile semantisch aufgeladen und erweitert werden, was ebenfalls als Anhaltspunkt dafür gewertet werden kann, dass es sich bei ihnen um Kollektivsymbole im Link’schen Sinn handelt. Interessant wäre nun, auch im Rahmen eines diachron weiter gefassten und interkulturellen Kulturvergleichs zu erforschen, ob die Sprache des Papageis in anderen Epochen und Kulturen ebenfalls einen festen Konzeptbestandteil darstellt. Man müsste dann allerdings, um von interkulturellen Universalien reden zu können, darauf achten, dass die Vorstellung von der Sprache des Papageis nicht durch Tradierung von einer der untersuchten Kulturen in die andere gebracht wurde. Ein interessanter interkultureller Vergleich wäre beispielsweise darin zu sehen, das abendländische, mittelalterliche Papageien-Konzept mit dem der Inka (vor der Conquista) zu vergleichen. Doch nun zurück zu einigen theoretischen Überlegungen, die die Entstehung von Universalien betreffen. Plausibel erscheint mir diesbezüglich die These Malinowskis, aufgrund universaler Bedürfnisse der Menschen sei auch die Existenz kultureller Universalien anzunehmen.1377 Dabei plädiert Malinowski – mit einer Ausnahme – ebenfalls gegen Absoluta.1378 Als einzige Ausnahme führt er den Überlebensdrang des Menschen an.1379 Zwei Axiome bilden dabei die Basis seiner Universalitäts-Theorie: Das erste und wichtigste besagt, dass jede Kultur das System der biologischen Bedürfnisse befriedigen muss; das sind die Bedürfnisse, die bestimmt sind vom Stoffwechsel, der Fortpflanzung, den physiologischen Temperaturbedin-gungen, dem Schutz vor Nässe, Wind und dem unmittelbaren Einwirken der schädigenden Klimaund Wetterfaktoren, dem Schutz vor gefährlichen Tieren und Mitmenschen, der Erholung zu ihrer Zeit, der Übung des Muskel- und Nervensystems durch Bewegung und von der Regelung des Heranwachsens. Das zweite Axiom der Kulturwissenschaft besagt, dass jeder Fortschritt, der die Benutzung von erzeugten Gegenständen oder Symbolen mit sich bringt, eine instrumentelle Vervollkommnung der Anatomie des Menschen darstellt und mittelbar oder unmittelbar zur Befriedigung eines körperlichen Bedürfnisses dient.1380
Diese Thesen Malinowskis werden zum Teil von George Peter Murdock aufgegriffen und erweitert.1381 Auf Murdock geht auch die folgende – 1945 publizierte und unter Universalitätsforschern äußerst bekannte – Aufstellung kultureller 1377 Malinowski, Die Funktionaltheorie, S. 39f. 1378 Reichelt, Universalien, S. 16. Auf: http://www.uni-konstanz.de/FuF/ueberfak/sfb511/pu blikationen/universalien.html. Zugriff am 17. 05. 2016 um 8:10 Uhr. 1379 Ebenda. 1380 Malinowski, Die Funktionaltheorie, S. 39f. 1381 Reichelt, Universalien, S. 17. Auf: http://www.uni-konstanz.de/FuF/ueberfak/sfb511/pu blikationen/universalien.html. Zugriff am 17. 05. 2016.
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Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
Universalien zurück1382 (die von mir fett markierten Universalien werden auch innerhalb der Quellen der vorliegenden Arbeit ersichtlich): Age-grading, athletic sports, bodily adornment, calendar, cleanliness training, community organization, cooking, cooperative labor, cosmology, courtship, dancing, decorative art, divination, division of labor, dream interpretation, education, eschatology, ethics, ethnobotany, etiquette, faith heling, family, feasting, fire making, folklore, food taboos, funeral rites, games, gestures, gift giving, government, greetings, hair styles, hospitality, housing, hygiene, incest taboos, inheritance rules, joking, kin-groups, kinship nomenclature, language, law, luck superstitions, magic, marriage, mealtimes, medicine, modesty concerning natural functions, mourning, music, mythology, numerals, obstetrics, penal sanctions, personal names, population policy, postnatal care, pregnancy usages, property rights, proprination of supernatural beings, puberty customs, religious ritual, residence rules, sexual restrictions, soul concepts, status differentiation, surgery, tool making, trade, visiting, weaning, and weather control.1383
Während Murdock die immense Anzahl von annähernd hundert Gesellschaften untersuchte, um die oben angeführte Universalienliste zu erstellen,1384 kann im Folgenden nur ein ganz knapper Ausblick auf potentielle Universalien in zwei Gesellschaften erfolgen. Die vergleichende Betrachtung beschränkt sich auf die Rolle des Panthers im Alten Ägypten und im europäischen Mittelalter.1385 Als eine Universalie nennt Murdock in seiner Liste den Austausch von Geschenken (gift giving).1386 Die Analyse des Straßburger- und des Basler Alexander sowie der Fassung Johann Hartliebs hat gezeigt, dass sowohl Papageien als auch Panther als wertvolle Geschenke in Szene gesetzt werden und innerhalb eines umfangreichen Geschenke-Katalogs Erwähnung finden. Eine gewisse Ähnlichkeit mit den Geschenke-Katalogen in den Alexanderromanen weisen die Darstellungen von Tribut-Szenen im Alten Ägypten auf. Die Abbildungen 99 und 100 zeigen Nubier, die dem Pharao kostbare Gegenstände überbringen. Darunter befindet sich reichlich Gold, ein Panther- bzw. Gepardenfell (Abb. 99) sowie eine ganze Reihe an Schilden, von denen eines ebenfalls das Muster eines 1382 1383 1384 1385
Ebenda. Ebenda. Antweiler, Was ist den Menschen gemeinsam?, S. 233. Den ägyptologischen Teil der nachfolgenden Ausführungen verdanke ich der interdisziplinären Zusammenarbeit mit Imke Fleuren, die im DFG-Graduiertenkolleg 1876 »Frühe Konzepte von Mensch und Natur« eine Dissertation zu dem Thema Concepts of nonindigenous fauna in Egypt verfasste und damit das Tandemprojekt zu meiner Dissertation bearbeitete. Für weitere Informationen zu der bislang noch unveröffentlichten Untersuchung Imke Fleurens sei auf die Homepage des Graduiertenkollegs verwiesen: https:// www.grk-konzepte-mensch-natur.uni-mainz.de/imke-fleuren/. Zugriff am 20. 02. 2017 um 11:16 Uhr. 1386 Reichelt, Universalien, S. 17. Auf: http://www.uni-konstanz.de/FuF/ueberfak/sfb511/pu blikationen/universalien.html. Zugriff am 17. 05. 2016.
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
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Geparden aufweist (Abb. 100). Auch die Nubier selbst sind in Abb. 100 in Gepardenfelle gekleidet, was als Hinweis darauf gewertet werden kann, dass der Gepard bzw. Panther im Alten Ägypten als nichtheimisches Tier wahrgenommen wurde.
Abb. 99: Tributgaben, die dem Pharao aus Nubien gebracht werden. Grab des Huy, TT 40.1387
Abb. 100: In Panther- bzw. Gepardenfelle gekleidete Nubier überbringen die Tribute. Grab des Huy, TT 40.1388
1387 Bildquelle: Grab des Huy, TT 40: Tributgaben, die dem Pharao aus Nubien gebracht werden. Fotografiert von Charles K. Wilkinson. Auf: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Nu bian_Tribute_Presented_to_the_King,_Tomb_of_Huy_MET_DT221112.jpg. Metropolitan Museum of Art [CC0], via Wikimedia Commons. Zugriff am 17. 10. 2018 um 14:42 Uhr. 1388 Bildquelle: Grab des Huy, TT 40: In Panther- bzw. Gepardenfelle gekleidete Nubier überbringen Tribute. Fotografiert von Charles K. Wilkinson. Auf: https://commons.wiki media.org/wiki/File:Nubian_Tribute_Presented_to_the_King,_Tomb_of_Huy_MET_DT 221112.jpg. Metropolitan Museum of Art [CC0], via Wikimedia Commons. Zugriff am 17. 10. 2018 um 14:42 Uhr.
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Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
Auch wenn diese Tribute dem Pharao möglicherweise weitaus weniger freiwillig zugesandt wurden als Alexander die Geschenke der Candacis, so lässt sich dahinter doch dieselbe Motivation erkennen: Man ist bemüht um Wohlwollen und Huld des Herrschers und versucht, diesen durch wertvolle Gaben milde zu stimmen. Die beiden Tribut-Szenen aus dem Grab des Huy führen außerdem vor Augen, dass ein ›Pantherfell‹ durchaus ein würdiges Geschenk an einen Herrscher darstellt. Der Wert der Felle kommt auch in einem der spätmittelalterlichen Reiseberichte zum Ausdruck, denn Jean de Mandeville erklärt gleich zweimal: die hfflt sind grosses schatz wert und die hfflt sind tfflrer wann gold.1389 Auch hier wäre es interessant, einen Blick in weitere Kulturen zu werfen und zu erforschen, ob Panther bzw. Leopardenfelle in allen Kulturen als wertvoll angesehen wurden. Besonders lohnenswert wäre dabei eine Untersuchung des mittelalterlichen chinesischen Panther-Konzepts, denn daran ließe sich überprüfen, ob Mandevilles imaginierte Pantherfelle im Palast des Großkhans möglicherweise gar nicht so weit von der Realität entfernt waren (abgesehen von der Tatsache, dass diese Felle realhistorisch wohl nicht als Lufterfrischer eingesetzt worden sein dürften). Das vorangegange Beispiel hat gezeigt, dass der Fokus im Alten Ägypten eher auf dem Fell des toten Panthers liegt, das als Geschenk fungieren kann. Es scheint, dass im Mittelalter eher lebendige Panther eine Rolle spielen, denn Alexander bekommt lebende Tiere geschenkt und innerhalb der Fassung Johann Hartliebs kommt zum Ausdruck, dass die wildesten Panther offenbar als die wertvollsten erachtet werden. Diese unterschiedliche Ausgestaltung der Kostbarkeit des Panthers in beiden Kulturen zeigt jedoch nur, dass Murdocks These zutrifft: »The true universals of culture, then, are not identities in habit, in definable behavior. They are similarities in classification, not in content«.1390 Universal ist hier also die Klassifikation des Panthers als wertvolles Tier. In beiden Kulturen spielt der Panther als Schild-schmückendes Tier bzw. Wappentier eine Rolle, wie zum einen anhand des Schildes Tutanchamuns (Abb. 101) und zum anderen anhand des Wappens der Steiermark (Abb. 102) ersichtlich wird.
1389 Morrall (Hrsg.), Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, S. 130. 1390 Murdock, Culture and Society, S. 90.
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
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Abb. 101: Schild Tutanchamuns mit Gepardenfell. Kairo JE 61583.1391
1391 Bildquelle: Schild Tutanchamuns mit Gepardenfell. Kairo JE 61583. Fotografiert von Harry Burton. T Griffith Institute, University of Oxford.
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Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
Abb. 102: Wappen des Herzogtums Steiermark (steirischer Panther) aus Jörg Rugens Wappenbuch.1392 Innsbruck, Universitäts- und Landesbibliothek Tirol, Cod. 545, f. 231 r. Entstanden in Bayern um 1495.
Darüber hinaus hat die Analyse des ›schönen Tiers‹ im Wigalois Wirnts von Grafenberg ergeben, dass auch das Wappentier Korntins pantherähnliche Züge aufweist. Daran zeigt sich, dass der Panther in seiner Funktion als Wappentier – diskursiv überformt – auch in literarischen mittelalterlichen Texten zu finden ist. Universal ist hier offenbar die Vorstellung, dass der Panther edel und stark genug ist, um ihn als schild-schmückendes Tier heranzuziehen. Die unterschiedliche Ausgestaltung ist jedoch auch hier insbesondere dadurch bestimmt, dass im Alten Ägypten das Geparden-Fell im Mittelpunkt steht, während das mittelalterliche Wappen einen stilisierten lebendigen Panther zeigt. Wie bereits anhand der Abb. 26; 44 und 45 ersichtlich wurde, wird der Panther in mittelalterlichen Bildquellen oftmals als gekröntes Tier abgebildet und somit als König der Tiere in Szene gesetzt. Im Apollonius von Tyrland Heinrichs von Neustadt geht die assoziative Verbindung zwischen dem panther-ähnlichen Milgot und der Königswürde sogar noch etwas weiter : Milgot als König der Tiere deutet unterhalb der Textoberfläche auf Apollonius’ königliche Abstammung 1392 Bildquelle: Österreichische Akademie der Wissenschaften, manuscripta.at Mittelalterliche Handschriften in Österreich, Innsbruck, Universitäts- und Landesbibliothek Tirol (ULBT), Cod. 545. Auf: http://manuscripta.at/diglit/AT4000-545/0001/scroll?sid=81a94b 2b8b5f82c9801cbcf8b4f6cfa9. Zugriff am 23. 06. 2017 um 13:07 Uhr.
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
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und die damit verbundenen Aufgaben hin. Zugleich verleiht das Tier dem Protagonisten Stärke. Diese Vorstellung, dass Panther dem König Stärke verleihen, findet sich auch in der Kultur des Alten Ägypten wieder. So ist beispielsweise der Streitwagen Ramses III. mit Pantherköpfen versehen (Abb. 103 und 104). Dabei muss bedacht werden, dass der Pantherkopf auch als Hieroglyphe für existiert, was mit ›Stärke‹ übersetzt werden kann.
Abb. 103: Detail aus einer Darstellung Ramses III., der gegen die Libyer in die Schlacht zieht. Medinet Habu. Nelson, Medinet Habu I, pl. 17.1393
Abb. 104: Detail aus einer Darstellung Ramses III., der gegen die Libyer in die Schlacht zieht. Medinet Habu. Nelson, Medinet Habu I, pl. 17.1394 1393 Bildquelle: Nelson, H. H., 1930. Medinet Habu – Volume I. Earlier historical records of Ramses III. The University of Chigaco Press, Chicago, Illinois. pl. 17. 1394 Bildquelle: Ebenda.
478
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
Gewichtet man hier also den Buchstabencharakter des Zeichens stärker, so könnte man die vier aneinandergereihten Pantherköpfe in Abb. 103 dahingehend verstehen, dass Ramses III. über vierfache Stärke verfügt. Zusätzlich deuten die beiden kleinen Pantherköpfe an der Streitwagen-Achse des Pharao (Abb. 104) auf die große Macht und Stärke des Herrschers hin. Als ›universal‹ könnte man weiterhin erachten, dass die Zeichnung des Pantherfells in beiden Kulturen mit Bedeutung aufgeladen wird. Während die vielen Farben des Tiers (die beispielsweise anhand von Abb. 42 deutlich wurden) im Mittelalter – je nach Diskurs – die zahlreichen Tugenden Christi oder der Minnedame bedeuten, werden die Flecken des Fells im Alten Ägypten zu Sternen stilisiert (Abb. 105). Die Fellfärbung und Musterung stellt also in beiden Kulturen eine Art ›Einfallstor für verschiedenste Zuschreibungen‹ dar – und das, obwohl der Panther in beiden Kulturen kein heimisches Tier ist. Möglicherweise erleichtert dieser Aspekt des ›Nicht-heimischen‹ aber gerade diese Phänomene von Zuschreibung und semantischer Aufladung.
Abb. 42: PanthHre im Bestiaire d’amour. 14. Jahrhundert. Dijon, BM, ms. 526, f. 24v.1395
1395 Bildquelle: Panther-Miniatur : BM Dijon, Ms.526, fol. 24v. (Bestiaire d’amour).
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
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Abb. 105: Statue des Amen, der ein Sternen-Leoparden-Fell trägt. Turin 5484.1396
Nachdem nun einige Aspekte angesprochen wurden, die man als ›universal‹ bezeichnen könnte, möchte ich im Folgenden auf spezifische Bestandteile der antiken und mittelalterlichen Konzepte von Panther und Papagei eingehen. Ebenso wie es in Bezug auf die Universalität notwendig erscheint, zwischen intra- und interkultureller Betrachtung zu differenzieren, so ist es im Hinblick auf die Spezifität erforderlich, eine Unterscheidung zwischen epochen- und diskursspezifischen Konzeptbestandteilen vorzunehmen. Diese Unterscheidung sei anhand des Pantherdufts erläutert. Betrachtet man den epistemischen Epochen-Frame, der das rekonstruierte antike PantherKonzept abbildet, so zeigt sich, dass das besondere Merkmal des Dufts bereits vorhanden ist, dass von dem Duft aber lediglich gesagt wird, er werde vom Panther eingesetzt, um Beutetiere anzulocken. Der Panther wird also als Jäger dargestellt: 1396 Bildrechte: T Museo Egizio, Torino.
480
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
Duft
lockt Beutetiere an
Jäger
= Konzeptbestandteile, die ins Mittelalter tradiert w erden
Abb. 106: Konzeptbestandteil ›Duft‹ des Panthers in der Antike.
Die Konzeptbestandteile ›Duft‹ und ›lockt Beutetiere an‹ werden tradiert und finden sich daher auch im Mittelalter-Epochen-Frame wieder : Duft
Fell
giftig lockt Beutetiere an
Atem
Kraftquelle
Bettvorleger Lufterfrischer
Großzügigkeit
Medizin zur Behandlung kranker Tiere
das Wort Gottes
Medizin gegen Liebeskummer
Salbungsöl das ›Nährende‹ beim Abendmahl
Worte des Minneritters / der Minnedame Verführungskraft der Minnedame
= Tradierte Konzeptbestandteile = epochenspezifisch mittelalterliche Konzeptbestandteile Abb. 107: Konzeptbestandteil ›Duft‹ des Panthers im Mittelalter.
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
481
Allerdings wird der Panther im Mittelalter nicht mehr ausschließlich als Jäger wahrgenommen, denn in einigen mittelalterlichen Quellen wird nun von ihm gesagt, er fresse edle Kräuter. Wie der Ausschnitt aus dem Mittelalter-EpochenFrame zudem zeigt, ist die ›Aufteilung‹ des Dufts in ›Duft, der vom Atem ausgeht‹ und ›Duft der vom Fell ausgeht‹, spezifisch mittelalterlich, da eine solche Differenzierung in den analysierten antiken Quellen nicht anklingt. Weiterhin treten alle Konzeptbestandteile, die nicht grau unterlegt sind, im Mittelalter neu hinzu (also giftig, Großzügigkeit, das Wort Gottes, Salbungsöl, das Nährende beim Abendmahl, Verführungskraft der Minnedame, Worte des Minneritters / der Minnedame, Medizin gegen Liebeskummer, Medizin zur Behandlung kranker Tiere, Kraftquelle, Bettvorleger, Lufterfrischer). Diese neu hinzutretenden Konzeptbestandteile sind daher epochenspezifisch mittelalterlich. Sie werden natürlich nicht alle in jedem Diskurs thematisiert – auch hier lässt sich eine weitere Differenzierung vornehmen. Einige Bestandteile treten ausschließlich in einem bestimmten Diskurs auf und können daher als ›diskursspezifisch‹ bezeichnet werden (Abb. 108). Der Frame-Ausschnitt zeigt, dass der tradierte Konzeptbestandteil ›lockt Beutetiere an‹ der einzige ist, der sowohl innerhalb des naturkundlichen- als auch innerhalb des Liebesdiskurses angesprochen wird. Er ist daher als weniger diskursspezifisch einzustufen als alle anderen. Besonders bemerkenswert erscheint weiterhin, dass ausschließlich innerhalb des kommerziellen Diskurses erklärt wird, der Duft gehe vom Fell des Tiers aus, was darauf abzielen dürfte, die ›Handelsware Pantherfell‹ noch attraktiver erscheinen zu lassen. Möglicherweise steht auch der Gedanke dahinter, dass sich Pantherfelle leichter verkaufen lassen als süßer Panther-Atem. Um den Panther-Atem zu veräußern, müsste man schließlich mit lebenden Exemplaren handeln. Anhand dieses Beispiels wird deutlich, dass tradierten Konzeptbestandteilen – wie dem Pantherduft – im Mittelalter eine immense semantische Anreicherung widerfahren kann, weshalb sich Tiere ausgesprochen gut als »Projektionsfläche« für kulturelle Einschreibungen eignen.1397 Meine Vermutung ist allerdings, dass Edelsteine, Pflanzen oder Objekte – wie beispielsweise Waffen – ähnlich gute ›Projektionsflächen‹ abgeben.
1397 Friedrich, Menschentier und Tiermensch, S. 13.
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Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
Duft
giftig lockt Beutetiere an
Kraftquelle
Atem
Bettvorleger
Fell
Lufterfrischer
Großzügigkeit
Medizin zur Behandlung kranker Tiere
das Wort Gottes
Medizin gegen Liebeskummer
Salbungsöl das ›Nährende‹ beim Abendmahl
Worte des Minneritters / der Minnedame Verführungskraft der Minnedame
Relationen der Konzeptbestandteile = metaphorische Relation = klassifikatorische Relation = Naturkundlicher Diskurs
= Literarischer Diskurs
= Religiös-heilsgeschichtlicher Diskurs
= Kommerzieller Diskurs
= Liebesdiskurs Abb. 108: ›Duft‹ des Panthers im Mittelalter (Diskursspezifische Konzeptbestandteile).
Die beschriebene semantische Anreicherung zeigt sich auch anhand des Konzeptbestandteils ›äußere Merkmale des Panthers‹:
Äußeres
Form
Größe
Farbe
naturnah (wie Leopard) Abb. 109: ›Äußeres‹ des Panthers in der Antike.
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
483
Äußeres
Form
alles ist möglich
Größe
Farbe
alles ist möglich
bunt
gef leckt
v iele Tugenden
Christus
Minnedame
Abb. 110: ›Äußeres‹ des Panthers im Mittelalter.
Glich die Vorstellung vom äußeren Erscheinungsbild des Panthers in der Antike noch weitgehend der, die man vom Äußeren des Leoparden hatte, so ist für das mittelalterliche Pantherkonzept die Buntheit von besonderer Wichtigkeit. Die Geflecktheit des Tiers findet zwar auch in mittelalterlichen Texten Erwähnung und kann damit als tradierter Konzeptbestandteil betrachtet werden, es fällt jedoch auf, dass die Flecken eher auf das Leoparden-Konzept ausgelagert werden und in diesem Kontext als significans für ›Befleckung‹ und ›Sünde‹ stehen. Die vielen Farben hingegen, die als epochenspezifisch mittelalterlicher Konzeptbestandteil anzusehen sind, bedeuten die vielen Tugenden, die – je nach Diskurs – entweder Christus oder der Minnedame attestiert werden. Als epochenspezifisch mittelalterlich kann ebenso gewertet werden, dass in Bezug auf Form und Größe des Panthers alles möglich zu sein scheint und die Ähnlichkeit mit dem Leoparden nicht mehr gegeben sein muss. Während die Buntheit des Panthers in allen mittelalterlichen Diskursen Erwähnung findet, wird die metaphorische Relation zwischen den zahlreichen Farben des Tiers und den vielen Tugenden nur innerhalb des religiös-heilsgeschichtlichen – und des Liebesdiskurses hergestellt. Nur innerhalb dieser beiden Diskurse findet also eine semantische Anreicherung des Konzeptbestandteils
484
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
›bunt‹ statt. Die ›vielen Tugenden‹ sind folglich als diskursspezifischerer Konzeptbestandteil anzusehen als die Buntheit.
Äußeres
Form
alles ist möglich
Größe
Farbe
alles ist möglich
bunt
gef leckt
v iele Tugenden
Christus
Minnedame
Abb. 111: ›Äußeres‹ des Panthers im Mittelalter (Diskursspezifische Konzeptbestandteile).
In ähnlicher Weise lassen sich diese Beobachtungen zu Epochen- und Diskursspezifität sowie zur Tradierung natürlich auch anhand der Papageien-Frames anstellen (Abb. 112). Analog zum Duft des Panthers stellt beim Papagei die Sprache den wichtigsten Konzeptbestandteil dar. Dabei fällt zunächst auf, dass innerhalb des antiken Papageien-Konzepts das Sprachtraining mit dem Vogel eine noch wichtigere Rolle zu spielen scheint als innerhalb des mittelalterlichen.
485
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
breite Zunge
menschenähnlicher Gesang
Sprache klappt besser mit 5-zehigen Exemplaren als mit 3-zehigen
kann durch Schläge mit einer kleinen Eisenstange konditioniert werden
kann mit Nüssen konditioniert werden
am besten v or Vollendung des 2. Lebensjahres
spricht v orgesagte Worte nach
Sprachtraining
unter Zuhilf enahme eines Spiegels lernt sprechen wie ein Kind
grüßt von sich aus den Kaiser
eigener Wortschatz
Schweigen nur bei Herausschneiden der Zunge oder Entlassung in die Freiheit Lehrt andere Vögel das Sprechen
= Konzeptbestandteile, die ins Mittelalter tradiert w erden Abb. 112: ›Sprache‹ als Bestandteil des antiken Papageien-Konzepts.
In Bezug auf das Sprachtraining wird beispielsweise in der Antike noch die Konditionierung des Tiers mit Nüssen erwähnt, und es wird erklärt, der Papagei lerne sprechen wie ein Kind. Diese beiden Konzeptbestandteile finden innerhalb der mittelalterlichen Quellen des dieser Arbeit zugrunde liegenden Textkorpus keine Erwähnung. Es kann daher angenommen werden, dass sie entweder nicht tradiert wurden oder aber dass sie tradiert wurden, aber keinen Eingang in das mittelalterliche Konzept fanden. Was außerdem ins Auge fällt, ist, dass dem Konzeptbestandteil ›Sprachtraining‹ im Mittelalter keine semantische Erweiterung widerfährt. Alle Konzeptbestandteile, die in mittelalterlichen Texten in Bezug auf das Sprachtraining genannt werden, sind also tradiert:
486
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
breite Zunge menschenähnlicher Gesang klappt besser mit 5-zehigen Exemplaren als mit 3-zehigen kann durch Schläge mit einer kleinen Eisenstange konditioniert werden
Sprache
spricht v orgesagte Worte nach
Sprachtraining
am besten vor Vollendung des 2. Lebensjahres
unter Zuhilf enahme eines Spiegels
grüßt von sich aus den Kaiser
Stimmen der Apostel sollen von Menschen nachgeahmt werden eigener Wortschatz
Mehrsprachigkeit grüßt Menschen in der Wüste umwirbt die Minnedame
höfisch, f ormv ollendet
= Tradierte Konzeptbestandteile = epochenspezifisch mittelalterliche Konzeptbestandteile Abb. 113: ›Sprache‹ als Bestandteil des mittelalterlichen Papageien-Konzepts.
Dies könnte daran liegen, dass der Papagei in den meisten mittelalterlichen Quellen als ein Tier dargestellt wird, das bereits sprechen kann und dem man es nicht erst noch beibringen muss. Darüber hinaus fällt ins Auge, dass keine metaphorischen Relationen zwischen den einzelnen Konzeptbestandteilen zu erkennen sind. Dies ist allerdings auch ein Stück weit der Textauswahl geschuldet, denn wären bei der Betrachtung der antiken Quellen die Hymnen Ephraims des Syrers mit berücksichtigt worden (Ephr. Syr. hymn. de fid. 31, 6), so hätte man hier eine allegorische Ausdeutung des Sprachtrainings ›unter Zuhilfenahme eines Spiegels‹ konstatieren können.1398 Genauer gesagt wird in Ephraims Text erklärt, ebenso wie der Mensch beim Sprachtraining hinter dem Spiegel stehe, so verberge »sich Gott mit seiner Rede hinter menschlichen Worten«.1399 Da diese religiös-heilsgeschichtliche Deutung innerhalb keiner anderen Quelle des Textkorpus zum Ausdruck kommt, wurde sie bei der Er1398 Emberger, RAC, ›Papagei‹, Sp. 922f. 1399 Ebenda.
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
487
stellung der Frames nicht berücksichtigt. Hier zeigt sich, dass die Frames dieser Arbeit natürlich oftmals noch erweiterbar wären, dass eine Textauswahl und Beschränkung jedoch notwendig ist, um die Realisierbarkeit einer FrameAnalyse herzustellen. Um die notwendige Unabgeschlossenheit der framesemantischen Analyse zu demonstrieren, sei im Folgenden aufgezeigt, wie ein modifizierter, erweiterter Frame zur Sprache des Papageis in der Antike aussehen könnte, der die Hymnen Ephraims des Syrers (Ephr. Syr. hymn. de fid. 31, 6) berücksichtigt (Abb. 114). Die hier zutage tretende notwendige Unabgeschlossenheit ist auch als Grund dafür zu begreifen, dass die Unterscheidung von Universalität und Spezifität niemals eine absolute, sondern immer nur eine graduelle sein kann, da sich mit jedem neuen Fund an dem jeweiligen Frame etwas verschieben kann. Als tradierte Konzeptbestandteile sind weiterhin das Merkmal der breiten Zunge, der menschenähnliche Gesang, das Grüßen des Kaisers und die damit verbundene Vorstellung vom eigenen Wortschatz des Vogels zu nennen. Außerdem wird der Konzeptbestandteil ›spricht vorgesagte Worte nach‹ tradiert. Als epochenspezifisch mittelalterlich ist die Allegorese dieses Konzeptbestandteils anzusehen. Sie tritt im Mittelalter neu hinzu, da im Physiologus erklärt wird, so wie der Papagei die vorgesagten Worte nachspreche, solle der Mensch die Stimmen der Apostel nachahmen (Abb. 115). Epochenspezifisch mittelalterlich ist außerdem die Betonung der Mehrsprachigkeit des Papageis. Sie ist zudem als diskursspezifischer Konzeptbestandteil anzusehen, da sie ausschließlich in den Quellen des literarischen Diskurses Erwähnung findet. Auch die Vorstellung, der Vogel umwerbe in höfisch formvollendeter Manier die Minnedame, tritt dem Konzept im Mittelalter neu hinzu. Dieser Konzeptbestandteil kann als weitestgehend spezifisch für den Liebesdiskurs erachtet werden, obgleich der Vogel auch innerhalb des Chevalier au Papegau, der innerhalb dieser Arbeit dem literarischen Diskurs zugerechnet wird, ganz ähnliche Werbungs-Tendenzen aufweist.
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Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
menschenähnlicher Gesang
breite Zunge
spricht v orgesagte Worte nach klappt besser mit 5-zehigen Exemplaren als mit 3-zehigen kann durch Schläge mit einer kleinen Eisenstange konditioniert werden
Sprache grüßt von sich aus den Kaiser
eigener Wortschatz
Sprachtraining
kann mit Nüssen konditioniert werden
unter Zuhilf enahme eines Spiegels
Schweigen nur bei Herausschneiden der Zunge oder Entlassung in die Freiheit Lehrt andere Vögel das Sprechen
am besten v or Vollendung des 2. Lebensjahres lernt sprechen wie ein Kind
Gott verbirgt sich mit seiner Rede hinter menschlichen Worten
Relationen der Konzeptbestandteile = metaphorische Relation = klassifikatorische Relation = Konzeptbestandteile, die ins Mittelalter tradiert w erden Abb. 114: Modifizierter, erweiterter Frame: ›Sprache‹ als Bestandteil des antiken PapageienKonzepts.
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Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
breite Zunge menschenähnlicher Gesang
klappt besser mit 5-zehigen Exemplaren als mit 3-zehigen
kann durch Schläge mit einer kleinen Eisenstange konditioniert werden
Sprache
Sprachtraining
Stimmen der Apostel sollen v on Menschen nachgeahmt werden
spricht v orgesagte Worte nach
grüßt von sich aus den Kaiser
eigener Wortschatz
Mehrsprachigkeit am besten vor Vollendung des 2. Lebensjahres
unter Zuhilf enahme eines Spiegels
grüßt Menschen in der Wüste
umwirbt die Minnedame
höfisch, f ormv ollendet
Relationen der Konzeptbestandteile = metaphorische Relation = klassifikatorische Relation = Naturkundlicher Diskurs
= Literarischer Diskurs
= Religiös-heilsgeschichtlicher Diskurs
= Kommerzieller Diskurs
= Liebesdiskurs Abb. 115: ›Sprache‹ des Papageis im Mittelalter (diskursspezifische Konzeptbestandteile).
490
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
Schließlich wird das Konzept im Mittelalter auch noch um die epochenspezifische Information erweitert, der Papagei grüße Menschen in der Wüste. Diese Information findet innerhalb des naturkundlichen und des kommerziellen Diskurses Erwähnung. Sie lässt zudem deutlich Assoziationen zu den angenommenen Gefahren für den Papagei erkennen, die innerhalb des naturkundlichen sowie des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses thematisiert werden und auf deren diskursive Überformung noch näher einzugehen sein wird. Zunächst scheint es jedoch wichtig, sich mit der Frage zu beschäftigen, in welchen mittelalterlichen Diskursen die tradierten Konzeptbestandteile, die die Sprache des Papageis betreffen, eine Rolle spielen. Hier zeigt sich, dass die tradierten Informationen meist innerhalb mehrerer Diskurse Erwähnung finden und damit weniger diskursspezifisch sind als die epochenspezifisch mittelalterlichen. So findet etwa die allgemeine Information, dass ein Sprachtraining mit dem Vogel möglich ist, in allen untersuchten Diskursen Erwähnung. Die vier spezifischeren Informationen jedoch (wie dieses Sprachtraining vonstattengeht), werden innerhalb der untersuchten Diskurse nicht alle in gleicher Weise aktualisiert. Ausschließlich innerhalb des naturkundlichen Diskurses werden alle tradierten Informationen zum Sprachtraining genannt. Innerhalb des religiösheilsgeschichtlichen-, des kommerziellen-, sowie des Liebesdiskurses werden nur einzelne Elemente des Sprachtrainings aktualisiert (Abb. 116). ›Aktualisiert‹ kann dabei bedeuten, dass der Konzeptbestandteil explizit Erwähnung findet, oder aber, dass er unterhalb der Textoberfläche anklingt. Darin zeigt sich eine gewisse Problematik des oben angeführten Frame-Ausschnitts, nämlich der Interpretations- und Ermessensspielraum des jeweiligen frame-erstellenden Wissenschaftlers. Wie bereits erwähnt, hätte man den Konzeptbestandteil ›unter Zuhilfenahme eines Spiegels‹ hier ebenfalls als ›innerhalb des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses aktualisiert‹ kennzeichnen können (also rot), wenn man die Hymnen Ephraims des Syrers bei der Betrachtung der antiken Quellen mit einbezogen hätte und davon ausgegangen wäre, dass dieses frühe christliche Wissen (Ephraim lebte im 4. Jh. n. Chr.) bis ins Mittelalter tradiert wurde. Ein Hinweis darauf ist in den Quellen des Korpus jedoch nicht zu finden.
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Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
klappt besser mit 5-zehigen Exemplaren als mit 3-zehigen
Sprachtraining
kann durch Schläge mit einer kleinen Eisenstange konditioniert werden
unter Zuhilf enahme eines Spiegels
am besten vor Vollendung des 2. Lebensjahres
= Naturkundlicher Diskurs
= Literarischer Diskurs
= Religiös-heilsgeschichtlicher Diskurs
= Kommerzieller Diskurs
= Liebesdiskurs Abb. 116: ›Sprachtraining‹ des Papageis im Mittelalter (tradierte Konzeptbestandteile, die innerhalb verschiedener Diskurse aktualisiert werden).
Auch in Bezug auf die Aktualisierung der ›Spiegelmethode‹ innerhalb des Liebesdiskurses zeigt sich ein gewisser Interpretationsspielraum: In Kristans Angerlied heißt es zwar Ich wolde, daz der anger sprechen solde / als der sitich in dem glas, (V. 1f.), jedoch wird die Sprachtrainingsmethode, d. h. wie der Spiegel vom Menschen zum Einsatz gebracht wird, nicht beschrieben. Ein ähnlich hohes Maß an Interpretationsspielraum zeigt sich auch in Bezug auf die Aktualisierung der Information, der Papagei lerne das Sprechen ›am besten vor Vollendung des zweiten Lebensjahres‹. Die Vorstellung, die hinter dieser Information steht, ist, der Papagei werde nach Vollendung des zweiten Lebensjahres vergesslich und könne sich die ihm vorgesagten Worte nicht mehr so gut merken. Die Analyse des Fabliau Le conte de la dame et des trois papegaulz hat gezeigt, dass alleine der älteste Papagei überlebt, da er aktiv all sein Wissen,
492
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
das seine Herrin kompromittieren könnte, ins Vergessen setzt. Die Vorstellung von der Vergesslichkeit älterer Papageien ist zwar noch vorhanden, wird aber diskursiv überformt. Insofern fällt auch hier eine Entscheidung über die Aktualisierung des Konzeptbestandteils nicht ganz leicht. Diese Beispiele haben gezeigt, dass die Einbeziehung der Frame-Semantik in eine diskursanalytische Untersuchung zwar sehr aufschlussreich und gewinnbringend sein kann, dass jedoch stets ein differenzierterer Blick auf die einzelnen Textstellen notwendig bleibt. Als Frame-Betrachter sollte man den interpretatorischen Ermessensspielraum des frame-erstellenden Wissenschaftlers im Hinterkopf behalten und nicht vergessen, dass es sich stets um auf dem jeweiligen Kenntnis- und Quellenstand basierende – also notwendig stets vorläufige – Rekonstruktionen der mittelalterlichen Konzepte handelt und nicht um deren Abbilder. Auf einen weiteren epochenspezifischen Bestandteil des mittelalterlichen Papageienkonzepts lohnt es sich gesondert einzugehen: die Gefahren, die man für das Tier annimmt. Als größte Gefahr wird sowohl in den Quellen des naturkundlichen- als auch des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses immer wieder Regenwasser genannt. Es handelt sich dabei um eine Information, die erst im Mittelalter neu hinzutritt, das Papageienkonzept ergänzt und innerhalb des Epochen-Frames einen eigenen Slot erhält. Die Analyse hat gezeigt, dass der Regenunverträglichkeit des Tiers innerhalb der Quellen des naturkundlichen Diskurses keine Deutung widerfährt. Es wird lediglich gesagt, da das Tier keinen Regen vertrage, wohne es auf dem Berg Gelboe, wo es niemals regne. Anders wird mit der Information innerhalb des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses umgegangen: Hier bietet die Regenunverträglichkeit eine Art ›Einfallstor‹ für verschiedene Zuschreibungen und semantische Anreicherungen. Darin ist ein gewisses Muster diskursspezifischer semantischer Anreicherung zu erkennen, das in ganz ähnlicher Weise bereits in Bezug auf das Merkmal ›spricht vorgesagte Worte nach‹ zum Vorschein kam: Ein Konzeptbestandteil, der entweder aus der Antike tradiert ist oder im Mittelalter erstmals innerhalb des naturkundlichen Diskurses auftaucht, findet sich auch innerhalb des religiösheilsgeschichtlichen Diskurses wieder – hier jedoch erweitert um ein Vielfaches seines ursprünglichen Bedeutungspotentials. Anhand der Regenunverträglichkeit kann der Vogel nämlich als keuscher und besonders reiner Vogel klassifiziert werden, was wiederum zulässt, dass er auf metaphorischer Ebene mit Maria, Jesus, verschiedenen anderen Heiligen und dem Papst in Verbindung gebracht wird.
493
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
Gefahren
v erträgt keinen Regen
Keuscher / besonders reiner Vogel
Sinnbild Marias Sinnbild Jesu
Sinnbild verschiedener Heiliger wird mit dem Papst in Verbindung gebracht
Relationen der Konzeptbestandteile = metaphorische Relation = klassifikatorische Relation
= Naturkundlicher Diskurs
= Literarischer Diskurs
= Religiös-heilsgeschichtlicher Diskurs
= Kommerzieller Diskurs
= Liebesdiskurs Abb. 117: ›Gefahren‹ für den Papagei im Mittelalter (Diskursspezifische Konzeptbestandteile).
Darüber hinaus wirkt sich die Annahme der Regenunverträglichkeit natürlich auch auf die Vorstellung von der Herkunft des Papageis aus. Während in den antiken Quellen ausschließlich Indien und Ägypten als Herkunftsländer genannt werden, tritt im Mittelalter unter anderem der Berg Gelboe hinzu:
494
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
Herkunft Indien Ägypten
Abb. 118: ›Herkunft‹ des Papageis in der Antike.
Herkunft
Indien Ägypten
Paradies Reich der Candacis Reich des Großkhans Cluse
Arabien Äthiopien Berg Gelboe
= Tradierte Konzeptbestandteile = epochenspezifisch mittelalterliche Konzeptbestandteile Abb. 119: ›Herkunft‹ des Papageis im Mittelalter.
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
495
Neben dem Berg Gelboe – von dem im Mittelalter angenommen wird, dass es auf ihm niemals regnet – werden noch sechs weitere epochenspezifisch mittelalterliche Herkunftsregionen genannt: das Paradies, das Reich der Candacis, sowie das Reich des Großkhans, das Königreich Cluse, Arabien und Äthiopien. Dass es sich bei Cluse um ein fiktives Königreich innerhalb eines nachklassischen Artusromans handelt, macht in diesem Fall keinen Unterschied, da auch die Vorstellungen, die man im Mittelalter von Indien, Arabien und Äthiopien hatte, wenig Ähnlichkeit mit unserem heutigen Bild von diesen Ländern gehabt haben dürften. Viel wichtiger als die reale Existenz jener Länder ist das, was mit ihrer Nennung über den Papagei ausgesagt wird. Es ist nämlich davon auszugehen, dass alle gennannten Gebiete die weit entlegene Herkunft des Tiers verdeutlichen sollen, die bereits erahnen lässt, dass die Anschaffung des fremdländischen Vogels mit erheblichem Aufwand verbunden ist. Besonders interessant erscheint hier die Frage nach der diskursspezifischen Herkunft des Papageis, da sie als ein Hinweis auf die diskurssezifische ›Exotik‹ des Tiers betrachtet werden kann (Abb. 120). Anhand der Abbildung wird deutlich, dass Indien innerhalb der meisten Diskurse als Herkunftsland des Papageis angegeben wird. Ebenso wie bei dem Beispiel des Sprachtrainings wird also auch hier ersichtlich, dass ein aus der Antike tradierter Konzeptbestandteil in gleich mehrere mittelalterliche Diskurse eingeht. Als etwas spezifischer sind Arabien, Äthiopien und der Berg Gelboe anzusehen, denn sie finden jeweils nur innerhalb zweier verschiedener Diskurse Erwähnung. Am diskursspezifischsten aber sind Ägypten, das Paradies, das Reich der Candacis sowie das des Großkhans und das Königreich Cluse, denn diese Herkunftsgebiete werden jeweils nur innerhalb eines einzigen Diskurses genannt. Ein Grund dafür, warum Indien derart häufig genannt wird, könnte darin liegen, dass man den Papagei durch die Erwähnung dieses sagenumwobenen Herkunftslandes noch außergewöhnlicher erscheinen lassen wollte. Dass Ägypten lediglich innerhalb des kommerziellen Diskurses genannt wird korrelliert wohl mit den Handelserfahrungen und -interessen der Autoren, da in Cairo und Alexandria auch real-historisch die wichtigsten Umschlagplätze für den Papageienhandel lagen.1400
1400 Ribemont, Histoires de perroquets, S. 159.
496
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
Indien
Ägypten
Paradies Reich der Candacis
Herkunft
Reich des Großkhans Cluse
Arabien
Äthiopien
Berg Gelboe
= Naturkundlicher Diskurs
= Literarischer Diskurs
= Religiös-heilsgeschichtlicher Diskurs
= Kommerzieller Diskurs
= Liebesdiskurs Abb. 120: ›Herkunft‹ des Papageis im Mittelalter (Diskursspezifische Konzeptbestandteile).
Ein weiterer Aspekt, der bei der Betrachtung des Frameausschnitts ebenso deutlich ins Auge fällt, ist, dass es keinen einzigen Slotfiller gibt, der pink gekennzeichnet ist. Dies bedeutet, dass die Herkunft des Papageis innerhalb des Liebesdiskurses nicht thematisiert wird, worin man einen Anhaltspunkt dafür sehen kann, dass der Vogel innerhalb dieses Diskurses als am wenigsten ›exotisch‹ gilt.
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
497
Weiterhin erscheint eine diachrone Betrachtung des Konzeptbestandteils ›Temperament‹ äußerst interessant, denn dabei zeigt sich ein weiteres Mal die sukzessive voranschreitende Tendenz zur Anthropomorphisierung des Papageis:
Temperament
ausgelassen sanf tmütig Weingenuss
IndienMitbringsel des Dionysos
= Tradierte Konzeptbestandteile = epochenspezifisch mittelalterliche Konzeptbestandteile Abb. 121: ›Temperament‹ des Papageis in der Antike.
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Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
Temperament und Charakter ausgelassen
ängstlich cholerisch aggressiv
klug
selbstbewusst zutraulich liebenswürdig und charmant
intrigant
Weingenuss
= Tradierte Konzeptbestandteile = epochenspezifisch mittelalterliche Konzeptbestandteile Abb. 122: ›Temperament‹ und Charakter des Papageis im Mittelalter.
Wie die beiden Frame-Ausschnitte zeigen, beschränkt sich die Tradierung hier auf die Information, der Papagei werde infolge seines Weingenusses besonders ausgelassen. Es handelt sich hierbei um eine Information, die bereits in Aristoteles HA 8,12 597b 27–29 zu finden ist. Im Mittelalter treten dem PapageienKonzept innerhalb aller untersuchten Diskurse weitere Charaktereigenschaften hinzu. Eine Betrachtung der diskursspezifischen Charaktereigenschaften des Tiers ist auch hier aufschlussreich, denn dabei wird beispielsweise deutlich, dass der Charakter innerhalb des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses von geringerer Bedeutung zu sein scheint als innerhalb des literarischen:
499
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
liebenswürdig und charmant
klug
intrigant
zutraulich
Temperament und Charakter
selbstbewusst
aggressiv
cholerisch
ängstlich
ausgelassen
Weingenuss
= Naturkundlicher Diskurs
= Literarischer Diskurs
= Religiös-heilsgeschichtlicher Diskurs
= Kommerzieller Diskurs
= Liebesdiskurs Abb. 123: ›Temperament‹ und Charakter des Papageis im Mittelalter (Diskursspezifische Konzeptbestandteile).
500
Methodischer Schluss: Konzepte ›exotischer‹ Tiere
Innerhalb des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses lassen sich beispielsweise nur in der längeren Version des Bestiariums Pierres de Beauvais Anzeichen dafür erkennen, dass der Papagei auch ängstlich ist.1401 Genauer gesagt erklärt Pierre, das Tier hasse Regen, da es Angst davor habe, das Wasser könne seine Gefiederfarben hässlich machen.1402 Eine weitere Eigenschaft, die auch innerhalb des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses zum Ausdruck kommt, ist die Klugheit des Tiers. Sie zeigt sich beispielsweise daran, dass der Papagei in den Concordantiae caritatis mit einem Spruchband im Schnabel abgebildet wird, das die e Inschrift Herr hurte dich var valchem rat. daz i_t durft an aller stat trägt (Abb. 78). Der Papagei ist also offenbar klug genug, um den Menschen gut gemeinte Ratschläge und Handlungsanweisungen zu erteilen. Weiterhin spielt die Zutraulichkeit des Vogels innerhalb des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses eine Rolle, denn in Jan Van Eycks Madonna des Joris van der Paele hält das Jesuskind einen scheinbar ganz zutraulichen Papagei in den Händen. Die beiden Konzeptbestandteile ›zutraulich‹ und ›klug‹ sind damit die einzigen beiden Eigenschaften, die innerhalb aller Diskurse Erwähnung finden; oder anders ausgedrückt: sie sind am wenigsten diskursspezifisch. Alle anderen Charaktereigenschaften des Papageis sind etwas diskursspezifischer, treten aber mindestens innerhalb zweier verschiedener Diskurse auf. Der Grund dafür, dass den Charaktereigenschaften des Tiers innerhalb des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses keine derart große Beachtung zukommt wie innerhalb der anderen Diskurse, dürfte darin liegen, dass eine Allegorese des Tiers auch ohne die Vorstellung von diesen Eigenschaften möglich war. Die grüne Farbe des Tiers, dessen angenommene Regenunverträglichkeit und insbesondere dessen Sprachtalent genügten wahrscheinlich bereits als Einschreibefläche für Einschreibungen des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses. Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass die diskursanalytisch-framesemantische Methode dieser Arbeit auch zur Untersuchung weiterer Konzepte – oder zur Beantwortung kulturwissenschaftlicher Fragen im Allgemeinen – herangezogen werden kann. Sie ist eine Möglichkeit der differenzierten – mit neuen Quellen auch stets dynamisch modifizierbaren – Darstellung, Analyse und Begreiflichmachung der Konzepte. Darüber hinaus eignet sie sich, um eine Darstellbarkeit der Spannung zwischen Universalität und Spezifität – die mit zahlreichen aporetischen Fallstricken behaftet zu sein scheint – zu erzielen.
1401 McCulloch, Medieval Latin and French Bestiaries, S. 151. 1402 Ebenda; Ribemont, Histoires de perroquets, 162.
4.
Ausblick: ›Exotische‹ Tiere in synchroner und diachroner Betrachtung
Im Folgenden möchte ich an einigen Andeutungen und Linien zeigen, wie fruchtbar, praktikabel und erkenntnisfördernd die innerhalb dieser Arbeit vorgestellte Analysemethode ist. Damit soll zugleich auf einige thematische Anknüpfungspunkte für weitere Untersuchungen aufmerksam gemacht werden. Als Beispiel greife ich zur Darstellung ›exotischer‹ Tiere als ernste Bedrohungen und tödliche Gefahren, als Signa einer fremden Welt, als Spiegelbilder des Menschen und Hinweis auf den göttlichen Willen, als kostbare Geschenke und artifizielle Schmuckelemente, als gewinnbringende Handelswaren, als ›Ingredienzien-Lieferanten‹ für Kosmetika und Heilmittel sowie als Erzählgegenstände unterhaltsamer Anekdoten. Fangen wir noch einmal bei Panther und Papagei an. Die Analyse der Panther-Stellen im Straßburger- und Basler Alexander sowie in der Bearbeitung Johann Hartliebs hat gezeigt, dass das Tier in einigen wenigen Fällen als ernste Bedrohung und tödliche Gefahr inszeniert wird.1403 Panther stellen jedoch nicht die einzigen fremden Tiere dar, gegen die sich der Makedonenkönig und sein Heer zur Wehr setzen müssen. Es wird von einer ganzen Reihe gefährlicher Tiere verschiedenster Art berichtet, die als Aggressoren in Szene gesetzt werden. Die Beschreibung dieser Tiere dient zum einen dazu, sukzessive einen semantischen Raum der Gefahr zu generieren, der als Präfiguration auf Alexanders Hybris-bestimmtes Handeln zu verstehen ist. Zum anderen kann die Begegnung mit den wilden Tieren dahingehend gelesen werden, dass Alexander von dem zügellosen, animalischen Teil seiner selbst eingeholt wird – dem Teil, der bis zu diesem Punkt durch Triebsublimierung weitestgehend ausgegrenzt wurde.1404 Die Untersuchung aller anderen Quellen hat jedoch ergeben, dass der Panther überwiegend als sanftmütiges, friedfertiges, großzügiges und dankbares Tier dargestellt wird, was in seiner langen Physiologus-Tradition sowie der Dominanz 1403 Vgl. S. 206f. der vorliegenden Arbeit. 1404 Vgl. S. 205f. dieser Arbeit.
502
Ausblick: ›Exotische‹ Tiere in synchroner und diachroner Betrachtung
und Wirkungsmacht des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses begründet sein dürfte. Die Leoparden-Beschreibung in Felix Fabris Evagatorium bietet Anlass zu der Vermutung, dass die konzeptuelle Trennung zwischen Panther und Leopard am Ende des Spätmittelalters zwar noch nicht vollständig abgeschlossen ist, dass jedoch die Tendenz dazu besteht, die Gefährlichkeit eher dem Leoparden zuzuschreiben, der nicht im Physiologus thematisiert wird. Im Gegensatz zum Panther galt der Leopard im Mittelalter nicht als Konfiguration Christi, weshalb es den Rezipienten leichter gefallen sein dürfte, das Tier als blutrünstige Bestie mit giftigen Zähnen zu imaginieren. Die angenommene Gefährlichkeit des Leopards könnte zudem einer der Gründe dafür sein, warum das Tier innerhalb der Quellen des kommerziellen Diskurses häufiger Erwähnung findet als der Panther. Möglicherweise ging man davon aus, beim lebensgefährlichen Handel mit der ›Ware Leopard‹ ließen sich höhere Gewinne erzielen als beim Handel mit sanftmütigen Panthern. In Bezug auf den Papagei hat sich gezeigt, dass der Vogel natürlich keine tödliche Gefahr darstellt. Dennoch kann seine Schwatzhaftigkeit zur Bedrohung für ihn selbst und für den Menschen werden. So kommt beispielsweise innerhalb des altfranzösischen Fabliau Le conte de la dame et des trois papegaulz zum Ausdruck, dass die beiden jüngeren Papageien ihr Leben lassen müssen, da sie über den Ehebruch ihrer Herrin im Bilde sind und bereitwillig über dieses potentiell kompromittierende Wissen Auskunft geben. Für die treulose Besitzerin stellen die drei Papageienbrüder ebenfalls eine Gefahr dar, denn die Tiere könnten dem Ehemann alles ausplaudern. Auch in der Papageiennovelle Arnauts de Carcass8s kommt zum Ausdruck, dass die Sprachbegabung des Vogels für den Menschen gefährlich werden kann: Der intrigante Papagei droht der Dame, im Fall, dass sie Antiphanor nicht ihre Liebe schenke, werde er selbst sie mit übler Nachrede bestrafen (V. 87f.: et yeu meteys, que dezir n’ay / de vos tot lo mal que poirai). Neben der Schwatzhaftigkeit und Intriganz stellt auch der krumme Schnabel eine Gefahr für den Menschen dar, wie anhand der von Felix Fabri geschilderten Küsschen-Szene an Bord des Schiffes deutlich wird. Auch wenn die beschriebenen Gefahren, die von Papageien ausgehen, sicherlich alles andere als angenehm sind, so erscheinen sie dennoch vergleichsweise harmlos, wenn man bedenkt, wie sehr etwa Krokodile als gefährlich wahrgenommen und dargestellt wurden. Da das antike und mittelalterliche Krokodil-Konzept im analytischen Teil der vorliegenden Arbeit noch nicht eingehend untersucht werden konnte, sehe ich hierin einen Anknüpfungspunkt für weitere Forschungsvorhaben – ein Beispiel, das für viele stehen kann. Im Folgenden sollen daher kurz die Fragestellungen umrissen werden, die innerhalb einer Untersuchung des Krokodil-Konzepts eine Rolle spielen könnten. Aufschluss über die immense Gefährlichkeit des Krokodils bieten beispiels-
Ausblick: ›Exotische‹ Tiere in synchroner und diachroner Betrachtung
503
weise die Bestiarien der zweiten Familie, in denen an gleich zwei Stellen Angaben zu dem Tier gemacht werden.1405 Beide Eintragungen weisen inhaltlich nahezu keine Unterschiede auf, was vermuten lässt, dass man sich bei der Kategorisierung des Tiers unsicher war und aus diesem Grund dieselben Informationen ›sicherheitshalber‹ sowohl in dem Abschnitt über Fische als auch in dem über Kompositwesen erwähnte.1406 Die Angaben, die zu dem Tier gemacht werden, gehen großen Teils auf antike Wissensbestandteile zurück, die bereits in Herodots Historien (II, 68) und Aristoteles’ HA (I 492 b 24) zu finden sind.1407 Als eine der wichtigsten antiken Quellen, aus der die Bestiarien ihre Krokodil-Informationen beziehen, ist außerdem Plinius’ NH (8, 37–38) zu nennen.1408 Plinius nennt das Krokodil ein ›vierfüßiges Untier‹, welches ›auf dem Land und im Fluss gleich gefährlich‹ sei (NH 8, 37: quadripes malum et terra pariter ac flumine infestum).1409 Weiterhin betont er das fürchterliche Gebiss des Tiers, von dem ausschließlich der Oberkiefer bewegt würde (eine Information, die bereits bei Herodot und Aristoteles zu finden ist) sowie die enorme Körpergröße. Außerdem besitze das Krokodil Krallen und seine Haut sei ›gegen alle Stiche gefeit‹ (et unguibus autem armatus est, contra omnes ictus cute invicta). Diese Informationen, die für sich genommen bereits sehr klar erkennen lassen, dass das Tier eine tödliche Gefahr für den Menschen darstellt, werden in den Bestiarien noch durch eine weitere Aussage ergänzt. Dort ist nämlich nachzulesen, das Krokodil weine stets, nachdem es einen Menschen gefressen habe. Dass Menschenfleisch zur bevorzugten Nahrung des grauenvollen Tiers zählt, kommt auch innerhalb zahlreicher Bestiarien-Miniaturen zum Ausdruck. Die Abbildungen 124–132 vermitteln dabei nur einen kleinen Eindruck von der großen Diversität, die beim Vergleich mittelalterlicher Krokodil-Darstellungen zutage tritt.1410 So kann das Tier etwa einen Schnabel und Flügel aufweisen (Abb. 124) oder durch ein Streifenmuster gekennzeichnet sein (Abb. 125).
1405 1406 1407 1408 1409
McCulloch, Medieval Latin and French Bestiaries, S. 106. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ich übernehme hier und im Folgenden die Übersetzung Roderich Königs und Gerhard Winklers (Sammlung Tuskulum). 1410 Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Crocodile‹. Auf: http://bestiary.ca/beasts/beast146. htm. Zugriff am 10. 02. 2017 um 13:17 Uhr.
504
Ausblick: ›Exotische‹ Tiere in synchroner und diachroner Betrachtung
Abb. 124: Krokodil, das sein schlafendes Opfer in Augenschein nimmt. BibliothHque Nationale de France, lat. 14429, Folio 110v.1411 Entstehung: ca. 1250–1260.1412
Abb. 125: Gestreiftes Krokodil mit furchteinflößenden Zähnen. Bodleian Library, MS. Douce 88, Folio 96v.1413 Entstehung: 13.–14. Jahrhundert.1414
Daneben besteht ebenfalls die Möglichkeit, dass die menschenfressende Bestie eher hundeähnliche Züge aufweist (Abb. 126), (aus neuzeitlicher Perspektive betrachtet) einem Dinosaurier ähnelt (Abb. 127) oder fischartige Flossen besitzt (Abb. 128).
1411 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Crocodile‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/ beasts/beastgallery146.htm#. Zugriff am 10. 02. 2017 um 13:27 Uhr. 1412 Badge, Medieval Bestiary, Manuscript: lat. 14429. Auf: http://bestiary.ca/manuscripts/ manu1517.htm. Zugriff am 13. 02. 2017 um 10:05 Uhr. 1413 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Crocodile‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/ beasts/beastgallery146.htm#. Zugriff am 10. 02. 2017 um 14:49 Uhr. 1414 Badge, Medieval Bestiary, Manuscript: Bodleian Library, MS. Douce 88. Auf: http://besti ary.ca/manuscripts/manu1192.htm. Zugriff am 13. 02. 2017 um 10:09 Uhr.
Ausblick: ›Exotische‹ Tiere in synchroner und diachroner Betrachtung
505
Abb. 126: Hunde- oder wolfähnliches Krokodil mit spitzen Ohren, das einen Mann verschlingt. Kongelige Bibliotek, Gl. kgl. S. 1633 48, Folio 14v.1415 Entstehung: 15. Jahrhundert.1416
Abb. 127: Krokodil, das sein Opfer bereits größtenteils verschlungen hat. Museum Meermanno, MMW, 10 B 25, Folio 12v.1417 Entstehung: ca. 1450.1418
1415 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Crocodile‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/ beasts/beastgallery146.htm#. Zugriff am 10. 02. 2017 um 14:49 Uhr. 1416 Badge, Medieval Bestiary, Manuscript: Gl. kgl. S. 1633 48. Auf: http://bestiary.ca/manu scripts/manu94.htm. Zugriff am 13. 02. 2017 um 10:16 Uhr. 1417 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Crocodile‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/ beasts/beastgallery146.htm#. Zugriff am 10. 02. 2017 um 14:49 Uhr. 1418 Badge, Medieval Bestiary, Manuscript: MMW, 10 B 25. Auf: http://bestiary.ca/manu scripts/manu2002.htm. Zugriff am 13. 02. 2017 um 10:47 Uhr.
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Ausblick: ›Exotische‹ Tiere in synchroner und diachroner Betrachtung
Abb. 128: Krokodil mit Fischflossen verschlingt einen Menschen, der offenbar zuvor versuchte, sich mit einem Messer zur Wehr zu setzen. BibliothHque Nationale de France, lat. 3630, Folio 80r.1419 Entstehung: drittels Viertel des 13. Jahrhunderts.1420
Betrachtet man diese Darstellungen, so wird schnell deutlich, dass sich für das Krokodil nicht derart problemlos die eine prototypische Darstellungsweise formulieren lässt wie für den Papagei. Dennoch gibt es proprietates, die bevorzugt abgebildet werden und die Hinweise darauf geben, dass es sich bei dem dargestellten Tier tatsächlich um ein Krokodil handelt. Eine dieser Proprietäten ist das Verschlingen eines Menschen, wie die oben angeführten Abbildungen bereits gezeigt haben. Darüber hinaus kann das Krokodil zuweilen auch anhand seines außergewöhnlichen Kiefers identifiziert werden. Da der antike Wissensbestandteil, das Krokodil bewege den Oberkiefer gegen den Unterkiefer, im Mittelalter tradiert wird und den Illustratoren offensichtlich Probleme bereitete, zeigen einige Abbildungen das Tier mit einem umgedrehten Kopf (Abb. 129 und 130).
Abb. 129: Krokodil mit umgedrehtem Kopf, der darauf hinweisen soll, dass der Oberkiefer gegen den Unterkiefer bewegt wird. Koninklijke Bibliotheek, KB, 76 E 4, Folio 64r.1421 Entstehung: ca. 1450–1500.1422 1419 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Crocodile‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/ beasts/beastgallery146.htm#. Zugriff am 10. 02. 2017 um 14:49 Uhr. 1420 Badge, Medieval Bestiary, Manuscript: lat. 3630. Auf: http://bestiary.ca/manuscripts/ manu1525.htm. Zugriff am 13. 02. 2017 um 10:51 Uhr. 1421 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Crocodile‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/ beasts/beastgallery146.htm#. Zugriff am 10. 02. 2017 um 14:51 Uhr.
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Abb. 130: Ein weiteres Krokodil mit umgedrehtem Kopf. Kongelige Bibliotek, Gl. kgl. S. 3466 88, Folio 21r.1423 Entstehung: ca. 1300.1424
Außerdem wird deutlich, dass die in den Bestiarien abgebildeten Krokodile meist vier Beine aufweisen (Abb. 129 stellt diesbezüglich eine Ausnahme dar).1425 Eines der wichtigsten Merkmale, anhand dessen ein Krokodil erkannt werden kann, stellt der schlangenähnliche Hydrus dar, der sich durch das Krokodil hindurchfrisst, wie in Abb. 130 zu sehen ist.1426 Berücksichtigt man die genannten Darstellungsmerkmale, so lässt sich möglicherweise von einer ›Typikalität‹ sprechen, nicht jedoch von ›dem prototypischen Krokodil des Mittelalters‹. Für letzteres scheint mir die Bandbreite an verschiedenen Realisierungsmöglichkeiten des Krokodil-Körpers einfach zu groß. Eine Frage, der im Rahmen weiterer Untersuchungen noch nachgegangen werden könnte, ist, ob das Tier innerhalb aller Diskurse als gefährlich dargestellt wird oder ob sich hier – ähnlich wie in Bezug auf die ›Exotik‹ – graduelle Abstufungen erkennen lassen. Weiterhin ließe sich überlegen, worin die konzeptionelle Nähe zwischen Krokodil, Schlange und Drache begründet sein könnte. Die Anwendung des in der vorliegenden Arbeit vorgestellten framese1422 Badge, Medieval Bestiary, Manuscript: KB, 76 E 4. Auf: http://bestiary.ca/manuscripts/ manu2009.htm. Zugriff am 13. 02. 2017 um 11:58 Uhr. 1423 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Crocodile‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/ beasts/beastgallery146.htm#. Zugriff am 10. 02. 2017 um 14:53 Uhr. 1424 Badge, Medieval Bestiary, Manuscript: Gl. kgl. S. 3466 88. Auf: http://bestiary.ca/manu scripts/manu97.htm. Zugriff am 13. 02. 2017 um 12:17 Uhr. 1425 McCulloch, Medieval Latin and French Bestiaries, S. 106; Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Crocodile‹. Auf: http://bestiary.ca/beasts/beast146.htm. Zugriff am 13. 02. 2017 um 10:22 Uhr. 1426 Ebenda.
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mantischen Ansatzes könnte sicherlich neue Erkenntnisse bezüglich der Vernetzung und Verknüpfung der Konzepte von Krokodil, Schlange und Drache zutage fördern. Meine Vermutung ist zudem, dass sich bei der framesemantischen Analyse des mittelalterlichen Krokodil-Konzepts ein ganz ähnliches Bild ergeben würde wie bei der des Panther- und Papageien-Konzepts. Beim Krokodil sind es insbesondere zwei Konzeptbestandteile, denen im Mittelalter eine immense semantische Aufladung widerfährt: dem Maul des Tiers sowie der Gefahr, die der Hydrus für das Krokodil darstellt. Mit Sicherheit würde sich in einem entsprechenden Frame um diese beiden Konzeptbestandteile herum ein ganzes Konglomerat an Bedeutungen konzentrieren – ebenso wie dies beim PantherDuft und bei der Sprache des Papageis der Fall ist. Im Hinblick auf die Alexanderromane ließe sich überlegen, ob der Angriff durch die Krokodile, von dem sowohl im Straßburger als auch im Basler Alexander berichtet wird, unterhalb der Textoberfläche als die Gefahr des Höllenschlunds gelesen werden kann. Darauf, dass das Krokodil im Mittelalter auf diese Weise konnotiert war, macht Druce bereits in seinem 1909 erschienenen Aufsatz The Symbolism of the Crocodile in the Middle Ages aufmerksam.1427 Bemerkenswert ist, dass der Höllenschlund auch im Straßburger Alexander an zwei Stellen explizit erwähnt wird (V. 6219–6232; 6706–6730).1428 Versteht man die Krokodile nun als Signifikanten, die auf den Höllenschlund verweisen, so ergibt sich eine Art Klammer, die den Beginn von Alexanders hichvart mit deren Ende verknüpft. Auf diese Deutung ließe sich gewiss noch detaillierter eingehen und man könnte nach weiteren Quellen Ausschau halten, die die konzeptuelle Verbindung zwischen Krokodil und Höllenschlund noch deutlicher zutage treten lassen. Schließlich ließe sich überlegen, ab wann und in welchen Quellen die Naturnähe der bildhaften Krokodil-Darstellungen zunimmt. Wenn man die Abbildungen in den spätmittelalterlichen Reiseberichten betrachtet – beispielsweise die im Bericht Arnolds von Harff und Bernhard von Breydenbachs (Abb. 131 und 132) – so zeigt sich, dass diese Darstellungen bereits viel mehr Ähnlichkeit mit einem Krokodil aufweisen als die Miniaturen in den Bestiarien.
1427 Druce, Symbolism of the Crocodile, S. 313. 1428 Lienert (Hrsg.), Alexanderroman, S. 516; 544; 546.
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Abb. 131: Krokodil im Reisebericht Arnolds von Harff. Maria Laach, Bibl. der Benediktinerabtei, Hs. 268, fol. 53v.1429
Abb. 132: Krokodil im Reisebericht Bernhard von Breydenbachs. Folio 132v.1430
Interessant wäre, zu überprüfen, ob die Naturnähe der Darstellung ebenfalls diskursabhängig ist. Hinsichtlich der Inszenierung ›exotischer‹ Tiere als ›Signum einer fremden Welt‹ hat die Untersuchung des ›schönen Tiers‹ im Wigalois gezeigt, dass das 1429 Bildquelle: Krokodil-Miniatur im Reisebericht Arnolds von Harff. Maria Laach, Bibl. Der Benediktinerabtei, Hs. 268, fol. 53v. 1430 Bildquelle: https://images.metmuseum.org/CRDImages/dp/original/DP287788.jpg. Zugriff am 17. 10. 2018 um 15:51 Uhr.
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pantherähnliche Tier zum einen als Verkörperung des verstorbenen Königs Lar in Szene gesetzt wird und zum anderen das Wappentier der Burg Roimunt ist, die sich im unbesetzten Teil Korntins befindet.1431 Damit kann das ›schöne Tier‹ als Signum der fiktiven .ventiure-Welt gelesen werden; einer Welt, die Wigalois fremd ist und in der er sich zuerst noch bewähren muss. Auch der Papagei wird im Daniel von dem Blühenden Tal des Strickers als Signum des merveilleusen Königreichs Cluse in Szene gesetzt.1432 Denn Cluse wird innerhalb einer Botenschilderung als besonders außergewöhnlich beschrieben, wobei detailliert auf die erstaunlichen Nutzungsmöglichkeiten der dort lebenden Papageien eingegangen wird. Nachdem der gedankliche Konnex zwischen dem wundersamen Reich und dem exzeptionellen Tier hergestellt ist, wird außerdem gesagt, der Babi.n ziere den Schild König Marturs von Cluse. Ein Tier, das man ebenfalls unter Beachtung dieses thematischen Aspekts untersuchen könnte, ist das Kamel. Die Kameldarstellung auf dem Krönungsmantel der deutschen Kaiser könnte beispielsweise darauf hinweisen, dass das Tier im Mittelalter als Signum der arabischen Welt wahrgenommen wurde (Abb. 133).
Abb. 133: Der Löwe zwingt das Kamel in die Knie. Krönungsmantel der deutschen Kaiser.1433 Entstehung: 1133 in Palermo.1434
1431 Vgl. S. 240–249 der vorliegenden Arbeit. 1432 Vgl. S. 412–416 der vorliegenden Arbeit. 1433 Bildquelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Kr%C3 %B6nungsmantel#/media/File:Weltliche_ Schatzkammer_Wienc.jpg. Zugriff am 23. 06. 2017 um 15:46 Uhr. 1434 Jarosch, Der Krönungsmantel der deutschen Kaiser, S. 36.
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Gegen diese Vermutung spricht sich Sabina Jarosch aus, die annimmt, es ließen sich möglicherweise astrologische Erklärungsansätze für die Motivwahl finden. Jarosch schreibt diesbezüglich: Das Motiv könnte einen astrologischen Bezug haben. Oft wird diese Darstellung jedoch so gedeutet, dass der Löwe, Wappentier auch der normannischen Dynastie der Hautevilles, das arabische Kamel schlägt. Dagegen spricht, dass die Araber niemals mit dem Symbol des Kamels in Verbindung gebracht wurden, und, was vielleicht noch wichtiger ist, dass das »arabische Kamel« nicht von den siegreichen Normannen »niedergerissen« wurde, um im Bilde zu bleiben.1435
Die Idee eines astrologischen Bezugs vermag mich nicht vollends zu überzeugen, da Jarosch keine konkreten Vorschläge unterbreitet, welche Sternenkonstellation die Motivwahl in welcher Weise beeinflusst oder die Schneidermeister inspiriert haben könnte. Die Aussage, die Araber seien niemals mit Kamelen in Verbindung gebracht worden, scheint mir auch äußerst gewagt. Hier wäre es sicherlich lohnenswert, diese Behauptung noch einmal intensiv anhand einschlägiger Quellen zu überprüfen. Als ein weiteres Tier, das oftmals in mittelalterlichen Texten als ›Signum einer fremden Welt‹ inszeniert wird, ist der Elefant zu nennen. Dies mag zum einen daran liegen, dass Elefanten – auch realhistorisch betrachtet – immer wieder beliebte und außergewöhnliche Geschenke darstellten und ein Gedanke, der vermutlich hinter der Wahl eines solchen Präsents steht, ist, dass man etwas verschenkt, das das eigene Land ein Stück weit repräsentiert. Zum anderen ist im Mittelalter die Vorstellung vom Kriegselefanten weit verbreitet. Auch hier dürften sowohl realhistorische Ereignisse als auch deren literarische Verarbeitung ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass die Tiere oftmals – wie in Abb. 134 zu sehen – mit einem Wehrturm auf dem Rücken dargestellt werden. Bei der Betrachtung derlei Darstellungen gewinnt man zuweilen den Eindruck, dass Tier und Wehrturm eine feste Einheit bilden und dass man den Wehrturm im Mittelalter weniger stark als ›etwas kulturell Geschaffenes‹ wahrnahm. Eine interessante Fragestellung wäre daher, ob der Wehrturm innerhalb aller Diskurse gleich präsent ist. Auch diesbezüglich ließen sich unter Anwendung der frame-gestützten Analysemethode sicherlich neue Erkenntnisse gewinnen.
1435 Ebenda, S. 35.
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Abb. 134: Elefant mit Wehrturm auf dem Rücken. Kongelige Bibliotek, Gl. kgl. S. 1633 48, Folio 6v.1436 Entstehung: 15. Jahrhundert.1437 1436 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Elephant‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/ beasts/beastgallery77.htm#. Zugriff am 03. 03. 2017 um 13:00 Uhr.
Ausblick: ›Exotische‹ Tiere in synchroner und diachroner Betrachtung
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Dass ›exotische‹ Tiere auch als Spiegelbild des Menschen in Szene gesetzt werden können und zugleich Hinweise auf den göttlichen Willen liefern, wurde innerhalb der Analyse unter anderem anhand des Milgot-Abenteuers im Apollonius von Tyrland Heinrichs von Neustadt ersichtlich. Sowohl das Panther-ähnliche Tier als auch Apollonius tragen beide eine Krone (Abb. 44), und es kann angenommen werden, dass der Milgot den Protagonisten an seine Aufgaben als König erinnern soll. Das Tier führt dem Herrscher also vor Augen, wer er wirklich ist und betont unterhalb der Textoberfläche Apollonius’ göttliche Auserwähltheit. Der typischste Fall, wie Tiere als Hinweis auf den göttlichen Willen gelesen werden können, zeigt sich wohl im Physiologus und den Bestiarien. Dort lassen sich meist explizit konkrete Handlungsanweisungen finden, die hergeleitet werden, indem das Verhalten der Tiere exegetisch ausgedeutet wird. Die Betrachtung des Panthers und des Papageis innerhalb des religiös-heilsgeschichtlichen Diskurses (Kap. 2.1.3.2 und 2.2.3.2) hat gezeigt, dass die ›Exotik‹ der Tiere dabei nahezu vollständig nivelliert wird, da sie für die Exegese nicht von Bedeutung zu sein scheint. Ein Bestiarium, in dem die Tiere nicht als Hinweis auf den göttlichen Willen zu verstehen sind, aber als Spiegelbild des Menschen inszeniert werden, ist der Bestiaire d’amour Richards de Fournival. Hier wäre eine genauere Betrachtung der Krokodil-Passagen sicherlich äußerst aufschlussreich im Hinblick auf die Frage, nach welchen Mustern Wissensbestandteile im Mittelalter aktualisiert werden und ob sich ein Krokodilkonzept oder mehrere erkennnen lassen. Hingewiesen sei an dieser Stelle lediglich auf die besondere metaphorische Verwendung des Krokodils innerhalb des Bestiaire d’amour. Das Tier bezeichnet nämlich einerseits die verführerische Minnedame, die den Ritter verletzt – ebenso wie das Krokodil Menschen verschlingt.1438 Im Anschluss daran – so der Bestiaire – beweine die Dame ihr Opfer in gleicher Weise wie das Krokodil.1439
1437 Badge, Medieval Bestiary, Manuscript: Gl. kgl. S. 1633 48. Auf: http://bestiary.ca/manu scripts/manu94.htm. Zugriff am 03. 03. 2017 um 13:07 Uhr. 1438 Richard de Fournival, Le Bestiare d’amour, (Hrsg. v. Gabriel Bianciotto), S. 228–230. 1439 Ebenda.
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Abb. 135: Miniatur aus der »Bestiaire d’amour«-Handschrift Bodleian Library, MS. Douce 308, Folio 99r1440. Entstehung: 14. Jh.1441 Das Krokodil (Minnedame) frisst den Menschen (Minneritter) und weint danach aus Reue.
Doch nachdem das Krokodil den Menschen verschlungen habe, drohe ihm selbst die Gefahr, von dem vielköpfigen Hydrus getötet zu werden. Der Hydrus bezeichnet an dieser Stelle einen Mann, der wiederum die Minnedame verletzt, da er so viele Freundinnen besitzt wie er weibliche Bekanntschaften macht. Die zahlreichen Köpfe des Hydrus stehen metaphorisch für die vielen Freundinnen (Abb. 136). Im zweiten Krokodilabschnitt des Bestiariums, in dem die Antwort der Minnedame steht, zeigt sich eine genau entgegengesetzte Metaphorik.1442 Nun bezeichnet das Krokodil den männlichen Verführer, der die Dame verachtet, nachdem er sein Ziel erreicht hat. Zugleich zeigt sich eine Art ›Umklappen‹ der Bilder, denn die Minnedame selbst sagt, wenn ihr dergleichen geschehe, müsse sie ebenso sterben wie das Krokodil, dessen Magen vom Hydrus durchfressen werde.
1440 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Crocodile‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/ beasts/beastgallery146.htm#. Zugriff am 05. 03. 2017 um 14:28 Uhr. 1441 Badge, Medieval Bestiary, Manuscript: MS. Douce 308. Auf: http://bestiary.ca/manu scripts/manu2533.htm. Zugriff am 13. 06. 2017 um 16:16 Uhr. 1442 Richard de Fornival, Le Bestiare d’amour, (Hrsg. v. Gabriel Bianciotto), S. 310.
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Abb. 136: Miniatur aus der »Bestiaire d’amour«-Handschrift Bodleian Library, MS. Douce 308, Folio 99v.1443 Entstehung: 14. Jh.1444 Das Krokodil (Minnedame) nähert sich dem Hydrus (treuloser Minneritter).
Das hier zutage tretende ›Umklappen‹ der Bilder innerhalb eines einzigen Werkes – ja innerhalb weniger Textzeilen – zeigt, dass verschiedene Konzeptbestandteile zugleich aktiviert werden und immer wieder je nach Kontext umcodiert werden können: Im einen Moment ist das Krokodil das böse Tier, das alle anderen ins Verderben stürzt – im anderen ist es das Opfer, das selbst durch den Hydrus den Tod erleiden muss. In beiden Rollen – in der des Täters wie auch in der des Opfers – kann es sowohl die Minnedame als auch den Minneritter bezeichnen. Interessant wäre nun zu untersuchen, ob sich ein derart deutliches ›Umklappen‹ der Krokodil-Metaphorik noch in weiteren mittelalterlichen Texten finden lässt. Mir scheint, hier zeichnet sich ein ganz ähnliches – wenn auch etwas weniger sublimes – Spiel mit Signifikanten und Signifikaten ab wie in Gottfrieds Tristan bei der Erwähnung der gevedere[n] sch.chblicke, der ›gefiederte[n] Räuberblicke‹ (Tr. 10957–10961).1445 Anhand der Geschenke-Kataloge in den Alexanderromanen sowie anhand der Haubenbeschreibung im Helmbrecht Wernhers des Gartenære wird deutlich, dass ›exotische‹ Tiere in mittelalterlichen Texten oftmals als kostbare Geschenke und artifizielle Schmuckelemente Erwähnung finden. Ein weiterer Text, in dem es zunächst scheint, als würde ein ›exotisches‹ Tier verschenkt, ist das Heldenepos Otnit. Der Heidenkönig Nachorel sendet seiner 1443 Bildquelle: Badge, Medieval Bestiary, Eintrag ›Crocodile‹, Gallery. Auf: http://bestiary.ca/ beasts/beastgallery146.htm#. Zugriff am 05. 03. 2017 um 14:30 Uhr. 1444 Badge, Medieval Bestiary, Manuscript: MS. Douce 308. Auf: http://bestiary.ca/manu scripts/manu2533.htm. Zugriff am 05. 03. 2017 um 15:33 Uhr. 1445 Vgl.: S. 363 der vorliegenden Arbeit; Fuchs-Jolie, Metapher und Metonymie bei Wolfram, S. 416.
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Tochter und seinem Schwiegersohn, dem Lampartenkönig Otnit, als verspätetes Hochzeitsgeschenk zwei Eier. Der Überbringer des Geschenks erklärt, aus einem der Eier schlüpfe bei sorgsamer Pflege ein Elefant und aus dem anderen eine abrahamische Kröte. In Wahrheit handelt es sich allerdings um zwei Dracheneier, die Nachorel Otnit nur aus einem einzigen Grund schickt: Die Drachen sollen Lamparten vernichten. In Bezug auf diese Geschenke-Szene im Otnit wäre es spannend, die konzeptuellen Verbindungen zwischen Drache, Kröte und Elefant etwas eingehender zu beleuchten und zu hinterfragen, warum gerade diese drei Tiere in einem Atemzug genannt werden. Warum fällt Otnit auf Nachorels hinterhältigen Geschenke-Trick herein? Und welche Rolle spielt die konzeptuelle Verbindung der drei genannten Tiere für das Entstehen von Komik? Den Antworten auf diese Fragen ließe sich unter Rückgriff auf die frame-semantische Analyse-Methode sicherlich näher kommen. Eine Option wäre beispielsweise, drei Epochen-Frames zu den Konzepten von Drache, Kröte und Elefant zu generieren und zu schauen, wo die gemeinsamen Schnittmengen dieser drei Konzepte liegen. Darüber hinaus scheint es – gerade in Bezug auf die Geschenke-Szene – unerlässlich, auch über eine poetologische Bedeutung der beiden Dracheneier nachzudenken. Schließlich wäre zu erruieren, inwieweit die ›Exotik‹ der Tiere ausschlaggebend ist für die Kostbarkeit der Geschenke. Dass Panther und Papageien im Mittelalter auch als gewinnbringende Handelsware thematisiert werden, hat die Untersuchung der Quellen, die dem kommerziellen Diskurs zugerechnet werden, gezeigt (Kapitel 2.1.3.5 und 2.2.3.5). Neben den beiden exemplarisch analysierten Tieren finden in diesen Texten noch zahlreiche weitere potentiell ›exotische‹ Tiere Erwähnung, die zum Verkauf angeboten werden. Krokodilhäute, Straußen, Meerkatzen und Leoparden scheinen ebenfalls begehrte Handelswaren darzustellen und sicherlich hätte man bei einer Untersuchung dieser Tiere ebenso interessante Ergebnisse erzielt. Ein Aspekt, den man bei künftigen Forschungsvorhaben stets im Hinterkopf behalten sollte, ist die abgestufte ›Exotik‹ der Tiere, die sich innerhalb der vorliegenden Arbeit wohl am deutlichsten anhand des Reiseberichts Hans Schiltbergers zeigt.1446 In Bezug auf diesen Aspekt könnte man weitere vergleichende Überlegungen anstellen; beispielsweise ob die abgestufte ›Exotik‹ bereits in antiken Quellen anklingt und ob sie Auswirkungen auf den Kaufpreis der Tiere hat. Um die letztgenannte Frage zu beantworten, wäre es allerdings notwendig, sich eingehender mit den zahlreichen mittelalterlichen Währungen auseinander zu setzen, die in den Reiseberichten erwähnt werden. Oftmals erscheint es nämlich äußerst schwierig, die genaue damalige Kaufkraft zu ermitteln. 1446 Vgl. S. 453f. der vorliegenden Arbeit.
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Ein Aspekt, der innerhalb der vorliegenden Arbeit nur am Rande betrachtet werden konnte, ist die Nutzung ›exotischer‹ Tiere als ›Ingredienzien-Lieferanten‹ für Kosmetika und Heilmittel. Diesbezüglich hat sich gezeigt, dass beim Panther natürlich der gute Duft als Heilmittel in Frage kommt. Er vermag kranke Tiere zu heilen und kann auf metaphorischer Ebene als Medizin gegen Liebeskummer verstanden werden. Das Tragen eines Papageienschnabels hilft – gemäß der Angaben, die in den Kyraniden III, 52 gemacht werden – nicht nur gegen Dämonen, sondern auch gegen Fieber und Schüttelfrost.1447 Mit dem Verzehr des Schnabels lassen sich zudem Gelb- und Schwindsucht bekämpfen.1448 Gewiss ließen sich auch hier noch weitere Untersuchungen – insbesondere die Heilkraft der Körperteile von Krokodil, Elefant und Kamel betreffend – anstellen. Diese können im Folgenden nur ganz kurz angesprochen werden. Das Krokodil wird bereits in der Antike von Plinius als ›Ingredienzien-Lieferant‹ für Kosmetika und Heilmittel genannt (NH 28, 28).1449 Die Informationen über die vielfältigen Anwendungsgebiete von Krokodilprodukten werden zum Teil von mittelalterlichen Autoren aufgegriffen und gelangen in die Bestiarien. Dabei findet eine diskursive Überformung antiken Wissens statt, die große Ähnlichkeit mit derjenigen des süßen Panther-Dufts aufweist: auch hier werden einzelne antike Konzeptbestandteile aufgegriffen und semantisch aufgeladen, wodurch sie – bewusst oder wahrscheinlicher sogar unbewusst – dem christlich-heilsgeschichtlichen mittelalterlichen Weltbild angepasst werden. Plinius schreibt in seiner NH 28, 28 über die medizinische und kosmetische Nutzung von Krokodilkot: alter illi similis, multum infra magnitudine, in terra tantum odoratissimisque floribus vivit; ob id intestina eius diligenter exquiruntur iucundo nidore referta; crocodileam vocant; oculorum vitiis utilissimam cum porri suco inunctis et contra suffusiones vel caligines. inlita quoque ex oleo Cyprino molestias in facie nascentes tollit, ex aqua veromorbos omnes, quorum natura serpit in facie, nitoremque reddit; lentigines tollit ac varos maculasque omnes.1450
1447 1448 1449 1450
Vgl. S. 305 der vorliegenden Arbeit. Ebenda. Druce, The Symbolism of the Crocodile, S. 317. Übersetzung König/Winkler : ›Die andere Krokodilart ist der ersten ähnlich, aber viel weniger groß, lebt nur auf dem Lande und von sehr wohlriechenden Blumen; deshalb werden die Eingeweide dieses Tiers, die angenehm duften, sorgfältig gesucht; man nennt diese Masse Krokodilkot; sie ist sehr nützlich für Schäden der Augen. Mit Cyprusöl aufgestrichen entfernt sie auch im Gesicht entstehende Beschwerden, mit Wasser aber alle die Krankheiten, deren Eigenart es ist, im Gesicht um sich zu fressen, und verleiht wieder gutes Aussehen; sie beseitigt Sommersprossen, Finnen und alle Flecken.‹
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Die Information über die äußere Anwendung zur Verschönerung der Haut ist auch in dem Bestiarium MS. Harl. 3244, fol. 43 r. zu finden.1451 Dort heißt es, der Krokodilkot werde zu einer Salbe verarbeitet, mit der sich faltige, alte Prostituierte das Gesicht einrieben und wieder schön würden, bis der herabrinnende Schweiß alles wieder abwasche.1452 Daraufhin folgt eine relgiöse Ausdeutung des Phänomens: dieses Bildnis bezeichne Heuchler ; Menschen die nach Luxus strebten und habgierig seien; diejenigen, die erfüllt seien von Stolz, der an ihnen klebe wie der Leim, mit dem man Vögel fange und diejenigen, die übersäht seien mit den lästigen Flecken des Luxus und die gefesselt seien von der Krankheit der Gier.1453 Dennoch zeigten sie sich als diejenigen, die aufrecht gehen und rechtfertigten dies – in höchstem Maße selbstgerecht – unter Berufung auf das Gesetz.1454 Hier zeigt sich, dass ein Krokodilprodukt, das in der Antike noch äußerst positiv besetzt zu sein scheint, im Mittelalter umgedeutet wird. Da das Krokodil oftmals ad malam partem ausgelegt wird, wird nun auch die Salbe zum significans der Lasterhaftigkeit und Sündenbeflecktheit. In einer weiteren Untersuchung könnte man der Frage nachgehen, ob sich dieser Konzeptbestandteil auch innerhalb anderer Diskurse als dem religiös-heilsgeschichtlichen finden lässt. Außerdem wäre es interessant zu schauen, innerhalb welcher Diskurse das Krokodil – im Gegensatz zu dem hier angeführten Beispiel – ad bonam partem ausgelegt wird. Dass auch das Kamel als ›Ingredienzien-Lieferant‹ für Heilmittel in Frage kommt, wird beispielsweise anhand des Kamelabschnitts in Albertus Magnus’ De animalibus II, 15 deutlich. Dort heißt es nämlich, eingelegtes Kamelhirn helfe gegen Epilepsie und mit dem Speichel des Tiers könne man Besessenheit bekämpfen. Kamelmilch mache außerdem schlank, stärke Leber und Milz und habe eine entwässernde Wirkung. Das einzige gefährliche Kamel-Produkt scheint die Lunge des Tiers zu sein, denn sie kann – sofern sie getrocknet wird – die Erblindung eines Menschen herbeiführen. Ähnlich kuriose Dinge berichtet Albertus Magnus über die verschiedenen Körperteile des Elefanten, die gegen Husten, Epilepsie, Leberschmerzen, Lepra und Kopfschmerzen helfen könnten und sich zudem als Mittel zur Abtreibung
1451 Harley MS 3244, fol. 43r. Auf: http://www.bl.uk/manuscripts/Viewer.aspx?ref=harley_ ms_3244_f036r. Zugriff am 06. 03. 2017 um 12:37 Uhr ; Druce, The Symbolism of the Crocodile, S. 314. 1452 Ebenda. Ich orientiere mich hier und bei den folgenden Informationen zur Exegese an der Edition und Übersetzung von Druce und versuche, die betreffende Stelle möglichst textnah ins Deutsche zu übertragen. 1453 Ebenda. 1454 Ebenda.
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bewährt hätten (De Animalibus XXII, 37). Außerdem seien die Exkremente des Tiers nützlich, um Läuse und Moskitos abzuwehren. Zu hinterfragen wäre nun, aus welchen Quellen Albertus Magnus diese Informationen schöpft und welches Konzept beispielsweise hinter der Aussage stehen könnte, Elefantenfett helfe gegen Kopfschmerzen. Hierzu wären sicherlich noch zahlreiche Quellen zu befragen. Interessant wäre auch eine Miteinbeziehung der Physica Hildegards von Bingen, denn Hildegard kennt eine ganze Reihe potentiell ›exotischer‹ Tiere (darunter auch Dromedar, Geier, Gepard, Kamel, Panther, Papagei, Pfau, Strauß und Tiger). Ein weiterer Anknüpfungspunkt für nachfolgende Untersuchungen stellen ›exotische‹ Tiere dar, die innerhalb der spätmittelalterlichen Reiseberichte zum Erzählgegenstand unterhaltsamer Anekdoten avancieren. Ansatzweise wurde dieser Aspekt bereits bei der Analyse der Papageien-Stellen in Felix Fabris Evagatorium deutlich. So berichtet Fabri beispielsweise von einem Papagei, der seinen Meister jeden Morgen weckte, da dieser die Messe nicht verpassen sollte und von einem Exemplar, das »mein Herr Konsul« (miserlo consulo) rufen konnte. Ebenso unterhaltsam ist auch Fabris Giraffen-Beschreibung, auf die noch innerhalb eines gesonderten Artikels eingegangen werden soll. Erwähnt sei diesbezüglich jedoch, dass der Ulmer Dominikanermönch das Tier in Gedanken in seine Heimatstadt verfrachtet, um seinen Rezipienten auf anschauliche Weise dessen Größe zu erklären.1455 Genauer gesagt entwirft er das Bild einer Giraffe, die auf dem Ulmer Marktplatz steht und derart groß ist, dass sie ihre »Mahlzeit durch das Stubenfenster der patrizischen Schankstube einnehmen«1456 kann (Si staret haec bestia in foro Ulmensi ante domum Zecharum dominorum civium et se erigeret, cibum capere posset de fenestra stufae).1457 Stefan Schröder bemerkt diesbezüglich sehr treffend: Um dem Leser die jedes normale und vertraute Maß sprengende Größendimension der Giraffe bewusst zu machen, platziert er das fremde Tier in eine vertraute (und jedem Ulmer wohlbekannte) Umgebung. Die Assoziation trägt zwar dazu bei, die Giraffe dem Leser vorstellbar zu machen, erhöht aber zugleich den exotischen Grad des Tieres und auch des Raumes, in dem es normalerweise lebt.1458
Die Giraffe, die gedanklich nach Ulm versetzt wird, scheint nicht der einzige Vergleich zu sein, der diesem Muster folgt. Was auf heutige Rezipienten so amüsant wirkt, scheint für Fabri ein gängiges Prinzip zu sein: das Prinzip von Analogie und Vergleich, das sich beispielsweise auch darin zeigt, dass die beiden Städte Kairo und Ulm in eine Relation zueinander gesetzt werden. Dabei gelangt 1455 1456 1457 1458
Schröder, Christentum und Islam, S. 350. Ebenda. Fabri, Evagatorium III, S. 30. Schröder, Christentum und Islam, S. 350.
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Ausblick: ›Exotische‹ Tiere in synchroner und diachroner Betrachtung
Fabri zu dem Ergebnis, Kairo sei 84 mal so groß wie Ulm.1459 Interessant wäre nun, zu überprüfen, ob sich dieses Prinzip des ›gedanklichen Versetzens‹ fremder, ›exotischer‹ Tiere in die eigene Heimat auch noch anhand anderer Tiere und innerhalb anderer Quellen entdecken lässt. Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass es zahlreiche Möglichkeiten gibt, mit der innerhalb dieser Arbeit vorgestellten Methode weiterzuarbeiten und ein dichtes, dynamisches Netz zu weben, das auch Konzepte verschiedener ›exotischer‹ Tiere miteinander verbinden könnte. Dabei sollte man sich allerdings jederzeit vor der Verführung der Vereinfachung hüten, die darin besteht, Konzepte oder einzelne Konzeptbestandteile in die Pseudo-Dichotomie von Universalität und Spezifität bringen zu wollen. Eine überzeugendere Lösung besteht darin, Universalität und Spezifität als die beiden Endpunkte einer Skala zu verstehen und die kulturellen Phänomene in ihrer graduell abgestuften Universalität bzw. Spezifität zu beschreiben. Die Fruchtbarkeit der angewandten Analyse- und Darstellungsweise besteht darin, dass sie es erlaubt, synchron verschiedene Ebenen der Historizität sowie der Ausdifferenzierung semantischer Beziehungen wahrzunehmen. Es hat sich gezeigt, dass die Analyseergebnisse, die aus der Betrachtung einer Vielzahl an Text- und Bildquellen gewonnen wurden, mittels der Frames anschaulich, komprimiert und pointiert visualisiert werden können. Zudem ermöglicht die Frame-Analyse die Berücksichtigung eines Untersuchungsaspekts, den Foucault in Bezug auf diskursanalytische Untersuchungen stets einforderte: Es ist notwendig, sich auch darüber bewusst zu werden, welche Wissensbestandteile in einem bestimmten Diskurs gerade nicht thematisiert werden können oder dürfen. Diesem Untersuchungsaspekt kann durch die Differenzierung in ›aktualisierte‹ und ›nicht aktualisierte Konzeptbestandteile‹ Rechnung getragen werden, denn auf Basis der Diskurs-Frames lassen sich Aussagen über das Regelwerk treffen, das den Diskursen zugrunde liegt und sie bestimmt. So lässt sich beispielsweise aufzeigen, nach welchen Mustern die semantische Anreicherung einzelner Konzeptbestandteile erfolgt. Schließlich liefert die Frame-Analyse auch Hinweise darauf, welche Konzeptbestandteile als ›Kollektivsymbole‹ im Sinne Jürgen Links in Frage kommen. Die genannten Vorzüge machen die Methode natürlich auch zu einem attraktiven ›Werkzeug‹ für andere Anwendungsfelder. Gedacht sei hier insbesondere an Untersuchungen aus anderen Philologien, deren Fokus ebenfalls darauf liegt, einen Überblick über tradierte Wissensbestandteile zu gewinnen. In einem weiteren Schritt könnten dann kulturvergleichende Studien entstehen, in deren Rahmen die frame-analytisch gewonnenen Erkenntnisse – zu einem
1459 Ebenda, S. 166.
Ausblick: ›Exotische‹ Tiere in synchroner und diachroner Betrachtung
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gemeinsamen Thema aus zwei verschiedenen Disziplinen – herangezogen würden, um sie in einen direkten Vergleich zueinander zu setzen. Die Herausforderungen dieser Methode sind darin zu sehen, dass jeder Konzeptbestandteil in einem bestimmten Einzeltext zugleich noch in weitere sinnstiftende Bezüge und Paradigmen des jeweiligen Textes verwoben sein kann. Hierin zeigen sich allerdings die prinzipiellen Herausforderungen der Kulturwissenschaft, die – zum Zweck der Generalisierung und Vergleichbarkeit – systematisch Sinn- und Bedeutungspotentiale ihrer einzelnen Gegenstände abschneiden muss. Sofern dies stets bewusst gehalten und nicht verschwiegen wird, ist die Methodik der framegestützten Diskursanalyse ein fruchtbarer, erkenntnisfördernder Weg kulturwissenschaftlichen Arbeitens.
Glossar zu den untersuchten Quellen
Erste Quellengruppe: fiktionale, narrative und lyrische Texte des 12. bis 16. Jahrhunderts Bestiaire d’amour (Richard de Fournival) Die Entstehung des Bestiare wird auf um 1250 datiert.1460 Der Autor Richard de Fournival (1201–1260), der »ein nordfranzösischer Kleriker und Gelehrter, Chirurg, Astronom, Mathematiker, Alchimist, Bibliothekar, Dichter und Musiker« war, wird von Ralph Dutli, der das Liebesbestiarium 2014 ins Neuhochdeutsche übersetzt hat, als »einer der originellsten Autoren des 13. Jahrhunderts, ein Erbe von Ovids Liebeskunst und ein Liebesexperte von Format« bezeichnet.1461 Davon, dass sich das Werk Richards offenbar bereits im Mittelalter großer Beliebtheit erfreute, zeugt die vergleichsweise reiche Überlieferung, die 22 Handschriften und ein Fragment umfasst.1462
Dit de la panthère d’amour (Nicole de Margival) Die Entstehung des Dit de la panthHre d’amour Nicole de Margivals wird auf den Zeitraum zwischen 1290 und 1328 datiert.1463 Ebenso wie sein Vorbild, Richard de Fournival, gehörte auch Nicole de Margival dem geistlichen Stand an.1464 Er lebte in Soissons und ging dort seinen Aufgaben als Chorherr am Domkapitel 1460 Dutli, Nachwort zum Liebesbestiarium Richards de Fournival, S. 147f. 1461 Dutli, Das Liebesbestiarium, Klappentext; Detailliertere Informationen zur Biographie Richards de Fournival bietet auch Gabriel Bianciotto in der Einleitung zu: Richard de Fournival, Le Bestiaire d’amour, S. 15–27. 1462 Bianciotto, Einleitung zu ›Le Bestiaire d’amour‹, S. 95. 1463 Dutli, Nachwort zum Liebesbestiarium Richards de Fournival, S. 172. 1464 Ebenda.
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Glossar zu den untersuchten Quellen
nach.1465 Die Überlieferung des Dit de la panthHre d’amour umfasst zwei Handschriften [Paris, BibliothHque nationale de France, franÅais, 24432, f. 153va–171rb (A) und Saint-P8tersbourg, Russische Nationalbibliothek, Fr.Q.v.XIV.3, f. 46–64 (B)].1466 Interessant ist, dass der Pariser Codex Richard de Fournival als Verfasser des Poems angibt. Dies deutet zum einen auf die gedankliche Nähe zwischen dem Bestiaire d’amour und dem Gedicht hin, zum anderen wird anhand dieser Zuschreibung deutlich, dass Richard de Fournival gegen Ende des 13. Jahrhunderts bereits zu Bekanntheit gelangt war.1467
Frauenlobs Lied 4 Heinrich von Meißen, der Verfasser des Lieds, der auch unter dem Namen Frauenlob bekannt ist, lebte im späten 13. und frühen 14. Jahrhundert.1468 Genau datiert werden kann lediglich der Todestag des Dichters (29. Nov. 1318), da sich bis ins Jahr 1774 im Kreuzgang des Mainzer Doms sein Grabmal befand.1469 Frauenlob gelangte bereits zu Lebzeiten zu großem Ruhm und Bekanntheit, was dazu führte, dass relativ früh Legenden über ihn selbst und seine Dichtung entstanden.1470 Dies wiederum führte dazu, dass häufig versucht wurde, Frauenlob nachzueifern.1471 Daher lässt sich in vielen Fällen nicht mit Gewissheit sagen, welche der Werke, die dem Dichter gemeinhin zugeschrieben werden, tatsächlich aus seiner Feder stammen.1472 In Bezug auf das bisherige Forschungsinteresse an den Liedern Frauenlobs erklärt Susanne Köbele: Die Lieder Frauenlobs haben vergleichsweise wenig Beachtung gefunden. Als bloße, eben bloß ›geblümte‹ Variation klassischer Paradigmen, als formglatte, gattungskonventionelle Nebenprodukte hat man sie meist schnell beiseitegeschoben und hinter die minnespekulativen Großdichtungen Frauenlobs zurückgestellt.1473
Für die vorliegende Arbeit sind sie jedoch von Interesse, da Frauenlob darin verschiedene Tierallegorien verwendet, um das Verhältnis zwischen Sänger-Ich 1465 Ebenda. 1466 Ebenda; Brun/Ribémont, ›Nicole de Margival‹. In: Archives de litt8rature du moyen .ge. Auf: https://www.arlima.net/mp/nicole_de_margival.html. Zugriff am 24. 05. 2017 um 11:17 Uhr. 1467 Dutli, Nachwort zum Liebesbestiarium Richards de Fournival, S. 173. 1468 Bertau, ›Heinrich von Meißen‹. In: Lexikon des Mittelalters (Band 4: Erzkanzler bis Hiddensee), Sp. 2097. 1469 Ebenda. 1470 Ebenda, Sp. 2098. 1471 Ebenda. 1472 Ebenda. 1473 Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 6.
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und Minnedame zu charakterisieren.1474 Neben dem Panther werden auch andere Tiere, die im Physiologus zu finden sind, erwähnt.1475 Dabei lässt sich bemerken, dass der Dichter nicht immer der Physiologus-Tradition folgt.1476
Straßburger- und Basler Alexander Sowohl der Straßburger- als auch der Basler Alexander gehen auf den Alexander des Pfaffen Lambrecht zurück, das mittelhochdeutsche Original, das um 1150/60 entstand und nicht mehr erhalten ist.1477 Lambrecht gehörte vermutlich dem geistlichen Stand an.1478 Beide Fassungen geben die gesamte Handlung – einschließlich Alexanders Orientabenteuern – wieder und können daher mit einem reichen Inventar an ›exotischen‹ Tieren aufwarten. Bezüglich des potentiellen Rezipientenkreises lässt sich festhalten, dass wohl insbesondere der Klerus und die gebildete, höfische Schicht angesprochen werden sollten, denn ein Kennzeichen der Antikenromane ist in ihrer »essentiell schriftliterarischen Qualität« zu sehen.1479 Jene schriftsprachliche Existenz erforderte, dass die Rezipienten des Lesens kundig waren, was überwiegend den beiden genannten Gesellschaftsgruppen vorbehalten war. Lambrechts Alexander hat allem Anschein nach keine große Wirkung entfaltet, denn Straßburger- und Basler Alexander sind jeweils in lediglich einer einzigen Handschrift überliefert.1480 Diejenigen Alexanderromane, die in der darauffolgenden Zeit entstanden, basieren auf lateinischen Quellen und ihre Verfasser schenkten dem Werk Lambrechts keine Beachtung.1481 Die Tatsache, dass Lambrecht Kleriker war und somit unter dem Einfluss der ›Institution Kirche‹ stand, ist den Bearbeitungen unterschiedlich stark anzumerken.1482 So ist der Straßburger Alexander stärker klerikal geprägt als der Basler.1483 1474 1475 1476 1477 1478 1479 1480
Vgl.: Ebenda, S. 148–152. Ebenda, S. 151f. Ebenda, S. 150. Lienert, Deutsche Antikenromane des Mittelalters, S. 30. Lienert, Einführung zum Alexanderroman, S. 13. Lienert, Deutsche Antikenromane des Mittelalters, S. 11. Ebenda, S. 48; http://www.handschriftencensus.de/werke/217. Zugriff am 19. 10. 2015 um 15:04 Uhr. Es handelt sich dabei laut des Handschriftencensus um die Codices Straßburg, Seminarbibl., Cod. C. V. 16.6. 48; Basel, Universitätsbibl., Cod. E VI 26; Vorau, Stiftsbibl., Cod. 276 (früher XI). 1481 Lienert, Deutsche Antikenromane des Mittelalters, S. 48. 1482 Ebenda, S. 49. 1483 Ebenda.
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Glossar zu den untersuchten Quellen
Auf der historischen Kontextualisierungsebene kann für alle Antikenromane des Korpus festgehalten werden, dass in ihnen eine Assimilation und Medievalisierung antiken Erzählstoffs stattfindet.1484 Der Ursprung mittelalterlicher Ideale – wie etwa Ritterschaft und Minne – wird innerhalb der Antikenromane zeitlich vorverlegt und zurückprojiziert auf die Epoche der Antike.1485 In politischer Hinsicht spielte das Konzept der translatio imperii eine bedeutende Rolle für die Legitimation westeuropäischer Herrschaft sowie für das Selbstbild der Rezipienten.1486 Aber diese Vorstellung beschränkte sich nicht auf ethische Werte oder auf Herrschaftsansprüche qua Kontinuität und Genealogie; vielmehr ging man auch von einer translatio artium bzw. von einer translatio studii aus, also »der Vorstellung eines Kulturtransfers von Griechenland nach Rom und dann nach Frankreich und Deutschland«.1487
Johann Hartliebs Alexander Johann Hartliebs Alexander ist als die »erfolgreichste deutsche Alexanderdichtung überhaupt« anzusehen.1488 Der Autor war ab 1440 in München als Arzt und Diplomat tätig und diente auf diesen beiden Gebieten den Herzögen Albrecht III. und Siegmund.1489 Johann Hartlieb war ein sehr produktiver und gelehrter Dichter.1490 Sein Bildungshintergrund und die Tatsache, dass er zu den ›professionellen‹, berufsmäßigen Dichtern zählte, erscheint insofern wichtig, als dass dies auch im Hinblick auf die Tradierung des Wissens über ›exotische‹ Tiere eine Rolle spielen könnte. Rückschlüsse auf die große Beliebtheit der Hartlieb’schen Alexander-Bearbeitung lassen sich anhand der breiten Überlieferung ziehen: neben zwanzig Handschriften sind achtzehn Druckauflagen überliefert.1491 Hartliebs Alexan1484 1485 1486 1487 1488 1489 1490 1491
Ebenda, S. 13f. Vgl.: Ebenda, S. 15. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 66. Ebenda. Ebenda. http://www.handschriftencensus.de/werke/1910. Zugriff am 20. 10. 2015 um 12:36. Es handelt sich dabei laut des Handschriftencensus um die Handschriften Berlin, Staatsbibl., mgf 1066; Berlin, Staatsbibl., mgf 1438; Cologny-Genf, Bibl. Bodmeriana, Cod. Bodm. 91; Darmstadt, Universitäts- und Landesbibl., Hs. 4256; Dresden, Landesbibl., Mscr. M 61; Freiburg i. Br., Universitätsbibl., Hs. 1500,17 (olim Ms. Leuchte XVII); Györ / Raab, Bibl. des Priesterseminars, Ms. I. 7; Heidelberg, Universitätsbibl., Cpg 88; Heidelberg, Universitätsbibl., Cpg 154; Klosterneuburg, Stiftsbibl., Cod. 1065; München, Staatsbibl., Cgm 272; München, Staatsbibl., Cgm 288; München, Staatsbibl., Cgm 338; München, Staatsbibl., Cgm 580; München, Staatsbibl., Cgm 581; New York, The Morgan Libr., MS M.782; Roanoke
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derprosa war als Fürstenspiegel gedacht.1492 Für den analytischen Teil der Arbeit ist Hartliebs Bearbeitung deshalb so interessant, weil nicht ausschließlich die positiven und negativen Eigenschaften Alexanders zum Ausdruck kommen, »sondern auch vielfältiges Wissen, das sich im Lauf der Überlieferung dem Alexanderstoff angelagert hat – oder das der gelehrte Autor Hartlieb selbst anbinden kann«.1493
Der Appollonius von Tyrland Heinrichs von Neustadt Der Antikenroman Apollonius von Tyrland des Wiener Arztes Heinrich von Neustadt entstand zu Beginn des 14. Jahrhunderts.1494 Neben dem Apollonius ist von dem Autor lediglich eine theologische Schrift mit dem Titel »Von Gottes Zukunft« erhalten.1495 Da Heinrich für seine beiden Werke aus sehr unterschiedlichen, sowohl lateinischen als auch volkssprachigen Quellen schöpft, lässt sich vermuten, dass es sich bei ihm um einen äußerst gebildeten und belesenen Laien handelte.1496 Über den Rezipientenkreis des Apollonius wurde in der Forschung verschiedentlich diskutiert.1497 Eine sichere Aussage kann diesbezüglich nicht gemacht werden.1498 Überliefert ist das Werk in vier Handschriften und einem Fragment.1499 Es lässt sich jedoch nicht sagen, ob eine breite Rezeption stattgefunden hat, da Heinrich Steinhöwel – unmittelbar nach der Entstehung des Versromans Heinrichs von Neustadt – eine Prosafassung des Apollonius-Stoffs verfasste, die mehrere Druckauflagen erfuhr und sich wahrscheinlich größerer Beliebtheit erfreute.1500
1492 1493 1494
1495 1496 1497 1498 1499 1500
(Virginia), Libr. of Edward L. Stone, Ms. 10; St. Gallen, Stiftsbibl., Cod. 625; St. Pölten, Diözesanbibl., Cod. 16 (früher U 16) und Wien, Österr. Nationalbibl., Cod. 2906. Lienert, Deutsche Antikenromane des Mittelalters, S. 68. Ebenda, S. 68. Classen, Freude am Exotischen, S. 25, Anm. 8; Lienert, Deutsche Antikenromane des Mittelalters, S. 166; zum Teil wird der Apollonius von Tyrland auch in der Nähe der Spielmannsdichtung gesehen. Vgl. dazu: Stein/Stein, Chronik der deutschen Literatur, S. 59. Junk, Transformationen der Textstruktur, S. 61f. Ebenda, S. 62. Ebenda. Ebenda. http://www.handschriftencensus.de/werke/859. Zugriff am 04. 06. 2017 um 14:09 Uhr. Classen, Freude am Exotischen, S. 25; Stein/Stein, Chronik der deutschen Literatur, S. 60.
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Glossar zu den untersuchten Quellen
Wigalois Der Artusroman Wigalois Wirnts von Grafenberg entstand um 1210.1501 Über den Autor gibt es keinerlei Informationen, da weder mittelalterliche Urkunden noch Chroniken Auskunft über ihn erteilen.1502 Über den möglichen Gönnerkreis des Dichters wurde in der Forschung vielfach diskutiert.1503 Die diesbezüglich geäußerten Überlegungen scheinen jedoch höchst spekulativ, was zu dem Schluss führen muss, dass sich Wirnts Dienstherr nicht mit Sicherheit bestimmen lässt.1504 Wirnts Wigalois ist in dreizehn Handschriften vollständig überliefert und in weiteren vierundzwanzig als Fragment erhalten.1505 Diese große Anzahl an Überlieferungsträgern wie auch die Tatsache, dass in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine Prosafassung des Wigalois entstand, die gleich mehrfach in den Druck ging, deuten darauf hin, dass das Werk im Mittelalter sehr beliebt war.1506 In Bezug auf den Rezipientenkreis kann vermutet
1501 Stein/Stein, Chronik der deutschen Literatur, S. 32. 1502 Ebenda; Seelbach/Seelbach, Kommentar zum Wigalois, S. 276f. Seelbach und Seelbach erklären, dass alleine die Dichterkollegen Wirnts – wie etwa Heinrich von dem Türlin, der Tannhäuser und Konrad von Würzburg – in ihren Werken den Namen ›Wirnt von Grafenberg‹ nennen und den Autor für seine Kunstfertigkeit, die er im Wigalois an den Tag legt, rühmen. 1503 Ebenda, S. 277f. Seelbach und Seelbach fassen den Forschungsstand wie folgt zusammen (S. 278): »Als Dienstherren Wirnts wurden in der Forschung Graf Berthold II. von Henneberg (Saran), Berthold IV. und Otto VII. von Andechs-Meranien (Neumann), Konrad von Zollern, der Burggraf von Nürnberg (Mertens) und schließlich das staufische Königshaus selbst (Wüstemann) benannt«. Seelbach und Seelbach beziehen sich an dieser Stelle auf: Saran, Franz: Über Wirnt von Grafenberg und den Wigalois. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 21 (1896), S. 253–420, hier S. 278ff. (§ 9. Wirnt und die Grafen von Henneberg); Neumann, Friedrich: Wann verfasste Wirnt den Wigalois? In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 93 (1964), S. 31– 62; Mertens, Volker : Iwein und Gwigalois – der Weg zur Landesherrschaft. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 62 (1981), S. 14–31; Wüstemann, Sybille: Der Ritter mit dem Rad. Die stæte des Wigalois zwischen Literatur und Zeitgeschichte. Trier 2006 (= Literatur, Imagination, Realität 36), S. 80–157. 1504 Vgl.: Seelbach/Seelbach, Kommentar zum Wigalois, S. 278. 1505 http://www.handschriftencensus.de/werke/432. Zugriff am 19. 08. 2015 um 14:56 Uhr. Bei den vollständig erhaltenen Codices handelt es sich laut Handschriftencensus um Berlin, Staatsbibl., mgo 483; Bremen, Staats- und Universitätsbibl., msb 0042; Dresden, Landesbibl., Mscr. M 219; Hamburg, Staats- und Universitätsbibl., Cod. germ. 6; Köln, Hist. Archiv der Stadt, Best. 7020 (W*) 6; Leiden, Universitätsbibl., LTK 537; London, British Libr., MS Add. 19554; Pürglitz / Krˇivokl#t (Tschechien), Schloßbibl., Cod. I b 18; Schwerin, Landesbibl., ohne Sign.; Stuttgart, Landesbibl., Cod. HB XIII; Wien, Österr. Nationalbibl., Cod. 2881; Wien, Österr. Nationalbibl., Cod. 2970 und Privatbesitz Antiquariat Heribert Tenschert, Ramsen (Schweiz), Nr. 2012/6. 1506 Stein/Stein, Chronik der deutschen Literatur, S. 33.
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werden, dass Wirnt vornehmlich für ein höfisch gebildetes, adliges – und vor allem literaturkundiges – Publikum schrieb.1507
Prosalancelot Der Prosalancelot stellt nicht nur die mittelhochdeutsche Übersetzung »eines der bedeutendsten und wirkungsmächtigsten Werke des europäischen Mittelalters« dar, sondern auch den wahrscheinlich frühesten deutschen Prosaroman.1508 Die Entstehung des ältesten erhaltenen Fragments (M) ist auf die Mitte des 13. Jahrhunderts zu datieren und wie bei den zu diesem Zeitpunkt bereits existierenden höfischen Versromanen Hartmanns von Aue und Wolframs von Eschenbach wurde auch bei diesem Werk auf eine französische Vorlage zurückgegriffen.1509 Was den Prosalancelot jedoch im Hinblick auf seine Entstehung von den höfischen Versromanen unterscheidet ist, dass sein Verfasser nicht als Bearbeiter tätig wurde und die Vorlage nach eigenen konzeptionellen Vorstellungen umformte und erweiterte, sondern seine Aufgabe vielmehr in der – erstaunlich genauen – Übersetzung der altfranzösischen Quelle sah.1510 Die älteste, beinahe vollständig erhaltene Handschrift (P), der Heidelberger Cod. Pal. Germ. 147, der erst nach 1455 entstand, ist zwar wesentlich jünger als das Fragment (M), jedoch weist er hinsichtlich des Wortlauts so große Ähnlichkeit auf, dass man ihn als »wortgetreue […] Abschrift eines um zweihundert Jahre älteren Textes« bezeichnen kann.1511 Neben der Heidelberger Handschrift existieren noch sechs weitere Codices, die den Prosaroman überliefern, sowie drei Fragmente.1512
Concordantiae caritatis (Ulrich von Lilienfeld)
Über den Autor ist relativ wenig bekannt.1513 Es wird angenommen, dass er bereits 1327 als Mönch in dem niederösterreichischen Zisterzienserkloster Lilienfeld lebte, dessen siebzehnter Abt er in den Jahren 1345–1351 war.1514 Da sein 1507 1508 1509 1510 1511
Vgl.: Stange, Die Frauenfiguren im Wigalois, S. 128f. Steinhoff, Kommentar zu Der Prosaroman von Lancelot, S. 775. Ebenda, S. 764. Ebenda. Kluge, Der Karrenritter, S. 9. Zitiert nach Steinhoff, Kommentar zu Der Prosaroman von Lancelot, S. 773. 1512 http://www.handschriftencensus.de/werke/221. Zugriff am 24. 05. 2017 um 13:05 Uhr. 1513 Suntrup, Einführung in die Concordantiae caritatis, S. 20. 1514 Ebenda.
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Glossar zu den untersuchten Quellen
Todesdatum vor 1358 vermutet wird, dürften die Concordantiae caritatis ungefähr in der Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden sein.1515 Als wichtigster Überlieferungsträger kann die Handschrift Lilienfeld, Stiftsbibl., Cod. 151 angesehen werden, da angenommen wird, dass sie »unter Aufsicht des Autors« entstand.1516 Darüber hinaus existieren 40 Abschriften, die jedoch alle nur Teile der Concordantiae caritatis überliefern.1517
Die goldene Schmiede (Konrad von Würzburg) Das im 13. Jahrhundert entstandene Marienpreisgedicht Die goldene Schmiede gilt als »Musterbeispiel des geblümten Stils« Konrads von Würzburg.1518 Davon, dass das Gedicht enorme Wirkungsmacht hatte, zeugt die breite Überlieferung, die 23 Handschriften und 16 Fragmente umfasst.1519 Im Hinblick auf die Metaphern und Vergleiche, derer sich Konrad in seinem Gedicht bedient, bemerkt Horst Brunner : Die Bilder sind hauptsächlich (wenn auch nicht ausnahmslos […]) übernommen. Sie stammen aus der Tradition typologischer und allegorischer Ding-Deutung und Schriftexegese, wie sie sich in Enzyklopädien des Mittelalters, in deutschen und lateinischen Predigten sowie in den Bibelkommentaren der Kirchenväter finden.1520
Der hier beschriebene Umgang mit Bildern wird auch anhand von Konrads Papageien-Vergleich besonders deutlich.1521
Defensorium inviolatae virginitates beatae Mariae (Franz von Retz) Es wird angenommen, dass das Defensorium um 1400 entstanden ist.1522 Der Verfasser des Werks, Franz von Retz (* um 1343, † 1427), war ein Dominikaner
1515 Ebenda, S. 21. 1516 Suntrup, Naturallegorie im Dienste der Heilsgeschichte. Die »Concordantiae caritatis« des Ulrich von Lilienfeld. Auf: http://www.symbolforschung.ch/node/1303. Zugriff am 24. 05. 2017 um 11:58 Uhr. 1517 Ebenda. Zugriff am 24. 05. 2017 um 12:18 Uhr. 1518 Lienert, ›Konrad von Würzburg‹. In: Lexikon des Mittelalters (Band 5: Hiera-Mittel bis Lukanien), Sp. 1367. 1519 http://www.handschriftencensus.de/werke/207. Zugriff am 25. 05. 2017 um 15:10 Uhr. 1520 Brunner, ›Konrad von Würzburg‹. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters (Band 5: Kochberger, Johannes – ›Marien-ABC‹), Sp. 286. 1521 Für weitere Informationen zu Konrad von Würzburg siehe auch den Glossar-Eintrag ›Trojanerkrieg‹. 1522 Zoepfl, ›Defensorium‹. In: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. III (1954),
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und Theologie-Professor an der Universität Wien.1523 Die Intention, von der das Defensorium getragen ist, fasst Friedrich Zoepfl wie folgt zusammen: Das Defensorium inviolatae virginitates beatae Mariae ist ein spätmittelalterliches typologisches Werk, das mit Bildern von außergewöhnlichen Vorkommnissen in Geschichte, Sage und Natur und in erläuternden lateinischen (später auch deutschen) Versen beweisen will, dass Maria ohne Verlust der Jungfrauschaft Christus empfangen und geboren habe.1524
Bezüglich der Überlieferung des Werks lässt sich sagen, dass das Defensorium in sechs Handschriften aus dem 15. Jahrhundert erhalten ist.1525
Decameron (Giovanni Boccaccio) Das Decameron, das »den Höhepunkt in Boccaccios literarischem Werk« darstellt, könnte zwischen 1349 und 1351 entstanden sein.1526 Die deutsche Übersetzung, die innerhalb der vorliegenden Arbeit die Textgrundlage der Analyse bildet, wurde lange Zeit dem Ulmer Arzt Heinrich Steinhöwel (*um 1411, † 1479) zugeschrieben.1527 Heute wird ein nicht näher bekannter Übersetzer namens Arigo als Urheber der deutschen Übersetzung angesehen.1528
1523 1524 1525 1526 1527 1528
Sp. 1206–1218. In: RDK Labor. Auf: http://www.rdklabor.de/wiki/Defensorium. Zugriff am 25. 05. 2017 um 16:05 Uhr. Gieraths, ›Franz von Retz‹. In: Neue Deutsche Biographie 5 (1961), S. 372. Auf: https:// www.deutsche-biographie.de/pnd119478129.html#ndbcontent. Zugriff am 25. 05. 2017 um 16:25 Uhr. Zoepfl, ›Defensorium‹. In: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. III (1954), Sp. 1206–1218. In: RDK Labor. Auf: http://www.rdklabor.de/wiki/Defensorium. Zugriff am 25. 05. 2017 um 16:36 Uhr. Ebenda; Zoepfl nennt die folgenden Handschriften: Clm. 4163, Bl. 102–104; Cgm. 3974, Bl. 92–113; Clm. 18077, Bl. 51–56; Clm. 706, Bl. 50–56; Ms. 172 der Konventsbibliothek des Dominikanerklosters Wien, Bl. 89v.; Cod. Lat. 4973 der Nat. Bibl. Wien, Bl. 248 bis 259. Bruni, ›Boccaccio, Giovanni‹. In: Lexikon des Mittelalters (Band 2: Bettlerwesen bis Codex von Valencia), Sp. 299. Für weitere Informationen zu Boccaccio siehe auch den Glossar-Eintrag ›Genealogia Deorum Gentilium libri (Giovanni Boccaccio)‹. Müller, ›Arigo‹. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters (Band 11: Nachträge und Korrekturen), Sp. 125; Dicke, ›Steinhöwel, Heinrich‹. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters (Band 9: Slecht, Reinbold – Ulrich von Liechtenstein), Sp. 258–261. Müller, ›Arigo‹. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters (Band 11: Nachträge und Korrekturen), Sp. 125.
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Glossar zu den untersuchten Quellen
Tristan (Gottfried von Straßburg) Der Tristan Gottfrieds von Straßburg ist vermutlich zwischen 1200 und 1220 entstanden.1529 Diese Datierung basiert ausschließlich auf den »wenigen und meist auch nur indirekten chronologischen Hinweise[n]« die sich im Text selbst finden lassen, sowie darauf, dass Gottfried Thomas von Britanje nennt, dessen Tristan-Roman (Entstehung zwischen 1155 und 1190) die Vorlage für den Gottfried’schen Tristan bildete.1530 Auch die Information, dass der Roman tatsächlich aus Gottfrieds Feder stammt, lässt sich lediglich den Werken Ulrichs von Türheim und Heinrichs von Freiberg entnehmen.1531 Gottfried selbst nennt im Tristan weder seinen Namen noch sind andere seiner Werke überliefert, in denen er sich als Tristan-Autor zu erkennen gibt.1532 Über den sozialen Status des Autors und über potentielle Gönner konnten in der bisherigen Forschung lediglich Vermutungen angestellt werden.1533 Von einem Akrostichon, das sich aus den ersten 10 Strophen des Prologs ergibt, versuchte man Informationen über Gottfrieds Gönner abzuleiten.1534 Dieses Akrostichon ergibt den Namen ›G DIETERICH‹.1535 Um welchen Dieterich es sich dabei handelt, ob das ›G‹ möglicherweise für gr.ve steht – also den Adelsstand des Dieterich zum Ausdruck bringt – und ob in dem ominösen Dieterich tatsächlich Gottfrieds Gönner zu sehen ist, konnte bislang nicht geklärt werden.1536 Was sich aber mit Sicherheit über Gottfried sagen lässt ist, dass er äußerst gebildet war.1537 Diesbezüglich schreibt Hugo Kuhn: Aus den Anspielungen, Reflexionen, Metaphern und der rhetorischen Kunst seiner Erzählung hat man seit je auf eine auch lateinisch-artistische und französische Bildung des Autors geschlossen, auch auf gute Kenntnis des Laienrechts und der höfischen Sachkultur und Musik.1538
Gottfrieds Tristan ist in 11 Handschriften und 19 Fragmenten überliefert.1539
1529 Kuhn, ›Gottfried von Straßburg‹. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters (Band 3: Gert van der Schüren – Hildegard von Bingen), Sp. 155. 1530 Ebenda. 1531 Ebenda, Sp. 154. 1532 Krohn, Nachwort zum Tristan Gottfrieds von Straßburg, S. 296. 1533 Ebenda, S. 297. 1534 Krohn, Nachwort zum Tristan Gottfrieds von Straßburg, S. 296f. 1535 Kuhn, ›Gottfried von Straßburg‹. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters (Band 3: Gert van der Schüren – Hildegard von Bingen), Sp. 154. 1536 Krohn, Nachwort zum Tristan Gottfrieds von Straßburg, S. 297. 1537 Kuhn, ›Gottfried von Straßburg‹. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters (Band 3: Gert van der Schüren – Hildegard von Bingen), Sp. 154. 1538 Ebenda. 1539 http://www.handschriftencensus.de/werke/135. Zugriff am 02. 06. 2017 um 11:18 Uhr.
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West ich, ob ez verswîget möhte sîn (Heinrich von Morungen) Das Lied VIa Heinrichs von Morungen (MF 127,1) ist um 1200 entstanden.1540 Da Morungens Dichtung von der der Troubadours und TrouvHres beeinflusst ist1541 und der Papagei in der altfranzösischen und okzitanischen Literatur eine wichtige Rolle spielt, erstaunt es nicht, dass Morungen den Vogel ebenfalls kennt und in einem seiner Lieder thematisiert. Darüber hinaus könnte Morungen auch durch die Rezeption geistlicher Lyrik mit dem Tier vertraut gewesen sein, denn wie Helmut Tervooren bemerkt, lassen sich in seinen Liedern oftmals Anklänge an die Mariendichtung ausmachen.1542 Als dritte potentielle Quelle für die Papageien-Kenntnis des Dichters kommen antike Texte in Betracht, denn das Werk des Minnesängers ist von einer starken Ovid-Rezeption gekennzeichnet.1543 In der Geschichte der deutschen Literatur von Helmut De Boor lässt sich der folgende Überblick über die biographischen Autor-Informationen finden: Morungen ist seiner Herkunft nach Thüringer ; die Stammburg seines Geschlechts liegt bei Sangerhausen. Seit 1157 war sie in den Besitz Barbarossas übergegangen, Morungen stand also in Dienstbeziehungen zu den Staufern. Seinen Gönner fand er in Hermanns [= Landgraf Hermann von Thüringen] Schwiegersohn Dietrich von Meißen, den auch Walther in seiner Spruchdichtung rühmlich erwähnt. Wir wissen, dass er Besitzungen bei Leipzig, die er von der Hand Dietrichs erhalten hatte, als alter Mann dem jüngst gegründeten Thomaskloster vermacht hat und selber in dieses Kloster eintrat – sozusagen der erste große Musikant von St. Thomas. Dort ist er 1222 gestorben.1544
Die von De Boor genannten Informationen bilden zwar sehr pointiert ab, was die bisherige Forschung bezüglich der Lebensumstände Heinrichs von Morungen ergeben hat, allerdings sind diese Angaben im Einzelnen keineswegs unumstritten.1545
1540 1541 1542 1543
Vgl.: Stein/Stein, Chronik der deutschen Literatur, S. 21. Tervooren, Kommentar zu Heinrich von Morungen – Lieder, S. 201. Ebenda. Ebenda. Darauf, dass der Papagei auch bei Ovid – in den Amores II, 6 – eine wichtige Rolle spielt, wurde bereits in Kapitel 2.2.2 Das antike Papageien-Konzept eingegangen. Vgl. dazu S. 300–304 der vorliegenden Arbeit. 1544 De Boor/Newald, Geschichte der deutschen Literatur II. München 1960, S. 277. Zitiert nach: Tervooren, Kommentar zu Heinrich von Morungen – Lieder, S. 208. 1545 Tervooren, Kommentar zu Heinrich von Morungen – Lieder, S. 208–212.
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Glossar zu den untersuchten Quellen
Angerlied (Kristan vom Hamle)
Über den Dichter sind vergleichsweise wenige Informationen überliefert.1546 In der Allgemeinen Deutschen Biographie ist über ihn lediglich folgendes nachzulesen: »Nach den unter seinem Namen überlieferten Gedichten gehört er nach Mitteldeutschland und in die ersten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts. Die durch ansprechende Gedanken gefälligen Lieder bewahren den Charakter des edlen Minnesanges«.1547 Zur Überlieferung der Werke Kristans lässt sich sagen, dass sich in der Heidelberger Liederhandschrift C sechs Lieder finden, die auf ihn zurückgehen.1548 Seine Dichtkunst lässt Anklänge an die Lieder Heinrichs von Morungen und Wolframs von Eschenbach erkennen.1549 In Bezug auf das Angerlied, das auch als Lied II bezeichnet wird, erklärt Franz Josef Worstbrock, das Lied lasse eine Rezeption antiker Motive erkennen.1550 Worstbrock schreibt diesbezüglich: Die auffallendste Rezeption zeigt das in der Forschung merkwürdig verkannte Lied II, welches die sinnliche Wirkung der Geliebten ähnlich vermittelt wie u. a. die ps.-vergilianische ›Lydia‹: als Erlebnis des Grases, das unter den Schritten der Geliebten, ursprünglich der Aphrodite, lustvoll ergrünt.1551
Papageiennovelle (Arnaut der Carcasses) Die um 1250 entstandene Papageiennovelle ist in fünf Handschriften überliefert.1552 Textgrundlage der vorliegenden Untersuchung ist die Edition JeanCharles Huchets. Die Leithandschrift dieser Edition ist die altokzitanische Handschrift R, in der die Kurzgeschichte – im Vergleich zu den anderen Textzeugen – am deutlichsten die gattungstypischen Merkmale eines Fabliaus aufweist und in der die Bedeutung des Papageis am stärksten ersichtlich wird.1553 Handschrift R ist zudem das einzige Manuskript, in dem der Autor namentlich 1546 Vgl.: W., ›Hamle, Kristan von‹. In: Allgemeine Deutsche Biographie 10 (1879), S. 477 [Onlinefassung]; URL: https ://www.deutsche-biographie.de/gnd11923114X.html#adb content. Zugriff am 30. 11. 2016 um 10:33 Uhr. 1547 Ebenda. 1548 Worstbrock, ›Christan von Hamle‹. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters (Band 1: ›A solis ortus cardine‹ – ›Colmarer Dominikanerchronist‹), Sp. 1201. 1549 Ebenda. 1550 Ebenda. 1551 Ebenda. 1552 Kay, Parrots and Nightingales, S. 106f. 1553 Ebenda, S. 107–111. Sarah Kay geht detailliert auf die Überlieferungsgeschichte der einzelnen Handschriften ein und äußert in Bezug auf die Verbreitung der Erzählung die Annahme, die Kurzgeschichte sei von Katalonien über Okzitanien nach Norditalien gelangt.
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genannt wird.1554 Über Arnaut de Carcasses sind beinahe keine Informationen überliefert.1555 Einzig in Bezug auf seine Heimat lassen sich Vermutungen anstellen: so könnte der Name Carcasses darauf hindeuten, dass der Dichter in der Region Carcassone lebte oder in dem kleinen Dorf Carcasses.1556
Le conte de la dame et des trois papegaulz Die Erzählung dürfte gegen Ende des 14. Jahrhunderts entstanden sein.1557 Als eine potentielle Quelle werden die Gesta Romanorum in Betracht gezogen.1558 Bei Le conte de la dame et des trois papegaulz handelt es sich – im Gegensatz zu der Papageiennovelle Arnauts de Carcasses – nicht um ein freistehendes Fabliau, denn die Geschichte ist in die Rahmenerzählung Le Chevalier errant von Thomas de Saluces eingebettet.1559 Überliefert ist der Text in zwei Handschriften aus dem 15. Jahrhundert (Paris, BibliothHque nationale de France, franÅais, 12559 und Turin, Biblioteca Nazionale, L. V. 6).1560
Frayre de Joy et Sor de Plaser Die Erzählung stammt höchstwahrscheinlich aus dem 14. Jahrhundert.1561 Über den Autor des Werks lassen sich ausschließlich Vermutungen anstellen.1562 Es gibt Indizien, die dafür sprechen, dass die Novelle aus der Feder des mallorquinischen Dichters Guillem Torroella stammt, seine Autorschaft kann allerdings nicht als erwiesen gelten.1563 Der Text ist in zwei Handschriften aus dem 14. und 15. Jahrhundert überliefert.1564
1554 1555 1556 1557 1558 1559 1560 1561 1562 1563 1564
Ebenda, S. 108. Müller, Die altprovenzalische Versnovelle, S. 43. Ebenda; Kay, Parrots and Nightingales, S. 108f. Yoder, The Late Medieval Tale, S. 544. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 544, Anm. 5. Thiolier-Méjean, Kommentar zu Frayre de Joy et Sor de Plaser, S. 68. Ebenda, S. 71. Ebenda. Ebenda, S. 149–151.
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Glossar zu den untersuchten Quellen
Le Chevalier du Papegau Der anonym überlieferte nachklassische Artusroman Le Chevalier du Papegau ist nur in einer einzigen Handschrift erhalten (Paris, BnF f. fr. 2154), die von Patricia Victorin auf das 15. Jahrhundert datiert wird.1565 Der Text selbst könnte auch auf einer etwas älteren, verloren gegangenen Vorlage aus dem späten 12. oder frühen 13. Jahrhundert basieren.1566 Besonders augenfällig ist, dass sich in dem Roman zahlreiche Gemeinsamkeiten mit dem Wigalois Wirnts von Grafenberg finden lassen, weswegen vermutet werden kann, dass zwischen den beiden Texten eine Abhängigkeit besteht.1567 Stephan Fuchs-Jolie schreibt diesbezüglich: Das Verhältnis von Wigalois und Chevalier du Papegau erklärte sich relativ ungezwungen und rein stofflich wenig spekulativ, wenn man annehmen könnte, dass die späte französische Prosa den deutschen Versroman Wirnts als Vorlage benutzt habe. Freilich wäre eine solche Umkehrung der Rezeptionsrichtung, die Aneignung eines deutschen Romans durch einen französischen Dichter, ein wohl singulärer Fall innerhalb der höfischen Epik des Mittelalters. Indes gewinnt diese Vermutung dadurch zusätzliche Nahrung, dass noch ein weiterer deutscher Text als Quelle für andere Episoden des Chevalier du Papegau in Frage kommt, der ebenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit älter ist als dieser : Das Eckenlied weist markante Übereinstimmungen mit dem französischen Prosaroman auf, für die sich keine weiteren französischen Quellen finden lassen.1568
Neben der Überlegung, dass Wirnts Wigalois als Vorlage für den Chevalier du Papegau gedient haben könnte, existiert zudem die These, dass beide Erzählungen auf eine gemeinsame französische Vorlage zurückgehen könnten.1569 Eine solche gemeinsame Vorlage wurde allerdings bislang nicht entdeckt.1570
Daniel von dem Blühenden Tal (Stricker) Bei Daniel von dem Blühenden Tal handelt es sich um einen nachklassischen Artusroman, der um 1210–1225 entstanden sein dürfte und aus der Feder des Strickers stammt.1571 Überliefert ist der Daniel in 5 Manuskripten, die alle auf 1565 1566 1567 1568 1569 1570 1571
Victorin, Einleitung zu Le Conte du Papegau, S. 9. Fuchs-Jolie, Bel Iconnu, Wigalois und Chevalier du Papegau, S. 240. Ebenda, S. 222f. Ebenda. Ebenda, S. 240. Vgl.: Ebenda. Resler, Einleitung zu Daniel von dem Blühenden Tal, S. 10.
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das 15. Jahrhundert datiert werden.1572 Über die Herkunft des Autors, der sich selbst der Strickaere nennt, gibt es verschiedene Theorien.1573 Zum einen könnte er aus dem südlichen Rheinfranken stammen, zum anderen aus den östlichen Gebieten Frankens.1574 Sicher ist sich die Forschung jedoch, dass der Stricker über einen längeren Zeitraum hinweg in Österreich lebte, denn in seinen Texten finden sich »Nennungen von Orten und Anspielungen auf lokale Ereignisse und Gegebenheiten«.1575 Auch im Hinblick auf die Frage nach dem sozialen Stand des Dichters herrscht weitestgehend Einigkeit: Es wird angenommen, dass er unfrei war und aus einer niederen Gesellschaftsschicht stammte.1576 Gleichwohl lässt sich erkennen, dass er über ein erhebliches Maß an Bildung verfügte.1577 Es wird vermutet, dass er als fahrender Berufsdichter unterwegs war.1578
Trojanerkrieg (Konrad von Würzburg) Als Entstehungszeitraum von Konrads unvollendet gebliebenem Trojanerkrieg wird die Zeit zwischen 1281 und 1287 angenommen.1579 Das Werk gilt als »der klassische (d. h. hier zugleich: der wirkungsmächtigste) deutsche Trojaroman«.1580 Quellen, auf die Konrad zurückgreifen konnte, waren der frz. Roman de Troie Beno%ts de Saint-Maure (um 1165) sowie diverse lateinische Texte, in denen der Troja-Stoff dargestellt wird (u. a. Ovid und Statius).1581 Der Trojanerkrieg ist in 9 Codices sowie 10 Fragmenten überliefert.1582 Von dem aus Würzburg stammenden Autor wird angenommen, dass er um 1230/35 geboren wurde.1583 Als Gebiete, in denen er sich für längere Zeit aufgehalten haben muss, sind Franken, der Niederrhein und Basel belegt.1584 Der Trojanerkrieg, der der späten Schaffensphase des Autors zuzurechnen ist, wurde
1572 Ebenda. 1573 Geith, ›Der Stricker‹. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters (Band 9: Der Stricker – ›Stynchyn van der Krone‹), Sp. 418. 1574 Ebenda. 1575 Ebenda. 1576 Ebenda, Sp. 419. 1577 Ebenda. 1578 Ebenda. 1579 Lienert, Deutsche Antikenromane des Mittelalters, S. 120. 1580 Ebenda. 1581 Lienert, ›Konrad von Würzburg‹. In: Lexikon des Mittelalters (Band 5: Hiera-Mittel bis Lukanien), Sp. 1367. 1582 http://www.handschriftencensus.de/werke/212. Zugriff am 25. 12. 2016 um 11:34 Uhr. 1583 Lienert, Deutsche Antikenromane des Mittelalters, S. 120. 1584 Ebenda.
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Glossar zu den untersuchten Quellen
von Dietrich an dem Orte, einem adligen Geistlichen aus Basel in Auftrag gegeben.1585 Da Konrad im Jahr 1287 verstarb, blieb der Roman Fragment.1586
Helmbrecht (Wernher der Gartenære) Es wird angenommen, dass der Helmbrecht »nach 1237 und vor den neunziger Jahren des 13. Jahrhunderts« entstanden ist.1587 Über den Dichter liegen beinahe keine gesicherten Informationen vor.1588 Allein sein Name wird am Ende der Erzählung genannt.1589 Dort heißt es: Swer iu ditz mære lese bitet daz im got genædic wese und dem tihtære der heizet Wernher der Gartenære. (V. 1931–1934).1590
In Bezug auf den gesellschaftlichen Stand Wernhers existieren mehrere Theorien.1591 Am wahrscheinlichsten ist wohl, dass es sich um einen fahrenden Dichter handelt.1592 Der Helmbrecht ist in zwei Handschriften überliefert.1593 Es handelt sich dabei um die Codices Berlin, Staatsbibliothek, mgf 470 (entstanden um 1410–1413)1594 und Wien, Österr. Nationalbibl., Cod. Ser. nova 2663 (entstanden 1504–1516/17).1595
Genealogia Deorum Gentilium libri (Giovanni Boccaccio) Giovanni Boccaccio, der bei Rezipienten des 21. Jahrhunderts insbesondere für das Decameron bekannt ist, wurde 1313 als außereheliches Kind eines Kaufmanns in Florenz (oder der näheren Umgebung der Stadt) geboren.1596 Weitreichend gebildet und vielseitig interessiert, nahm er ein Studium des kanoni1585 1586 1587 1588 1589 1590 1591 1592 1593 1594 1595 1596
Ebenda. Ebenda. Brackert/Frey/Seitz, Anhang zur Edition des Helmbrecht, S. 133. Ebenda, S. 130. Ebenda. Wernher der Gartenære, Helmbrecht. Hrsg. v. Helmut Brackert et al.. Frankfurt a. M. 1972, S. 102. Brackert/Frey/Seitz, Anhang zur Edition des Helmbrecht, S. 130f. Ebenda, S. 131. http://www.handschriftencensus.de/werke/764. Zugriff am 28. 05. 2017 um 14:54 Uhr. http://www.handschriftencensus.de/4389. Zugriff am 28. 05. 2017 um 14:58 Uhr. http://www.handschriftencensus.de/3766. Zugriff am 28. 05. 2017 um 15:00 Uhr. Bruni, ›Boccaccio, Giovanni‹. In: Lexikon des Mittelalters (Band 2: Bettlerwesen bis Codex von Valencia), Sp. 298.
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schen Rechts auf und beschäftigte sich mit der mittellateinischen Kultur sowie mit der volkssprachigen französischen und italienischen Dichtung.1597 Sein Werk genealogia Deorum Gentilium libri stellte der Autor im Jahr 1365 fertig.1598 Damit ist es Boccaccios Spätphase zuzurechnen, die durch eine starke Orientierung an Petrarca gekennzeichnet ist.1599 Die genealogia Deorum Gentilium libri stellt eine Verteidigung der Dichtkunst dar, denn auf eine »enzyklopädische Darstellung der antiken heidnischen Gottheiten« folgt ein Plädoyer dafür, »die Dichtkunst als eine der Theologie verwandte Tätigkeit« zu begreifen.1600
Der Renner (Hugo von Trimberg) Der um 1300 vollendete Renner Hugos von Trimberg gilt als »Höhe- und Wendepunkt der hochmittelalterlichen Lehrdichtung«.1601 Er stellt »Sündenklage, Bußpredigt, Sittenlehre und popularisierendes Wissenskompendium in einem« dar.1602 Zudem zählt der Text, der in 51 Codices und 15 Fragmenten erhalten ist, zu den am häufigsten überlieferten mittelalterlichen Werken.1603 Zum Aufbau lässt sich sagen, dass Der Renner mit einer Allegorie einsetzt, die die Struktur des Werks bestimmt.1604 In dieser Allegorie werden unterhalb der Textoberfläche die sieben Todsünden angesprochen, die daraufhin – gegliedert »in sechs Distinktionen« – abgehandelt werden.1605 Von dem Autor Hugo von Trimberg (* um 1235, † nach 1313) wird angenommen, dass er in Franken – höchstwahrscheinlich in Oberwerrn, im Landkreis Schweinfurt – geboren wurde.1606 Hugo war in Bamberg als Schulmeister tätig und gilt als Verfasser mehrerer lateinischer Schriften.1607 Aus seiner be-
1597 1598 1599 1600 1601 1602 1603 1604 1605 1606 1607
Ebenda. Ebenda, Sp. 300. Ebenda. Ebenda. Schweikle, ›Hugo von Trimberg‹. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters (Band 4: Hildegard von Hürnheim – Koburger, Heinrich), Sp. 268, Sp. 276. Ebenda, Sp. 272. http://www.handschriftencensus.de/werke/653. Zugriff am 30. 05. 2017 um 15:04 Uhr ; Schweikle, ›Hugo von Trimberg‹. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters (Band 4: Hildegard von Hürnheim – Koburger, Heinrich), Sp. 271. Ebenda, Sp. 272. Ebenda. Weigand, ›Hugo von Trimberg: Der Renner‹. In: Historisches Lexikon Bayerns. Auf: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Hugo_von_Trimberg:_Der_Renner. Zugriff am 30. 05. 2017 um 15:29 Uhr. Ebenda.
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Glossar zu den untersuchten Quellen
ruflichen Tätigkeit als Schulmeister erklärt sich, dass der Autor zahlreiche Inhalte »des Schulwissens seiner Zeit« in den Renner miteinfließen ließ.1608
Speke Parott (John Skelton) Zunächst scheint es wichtig festzuhalten, dass drei verschiedene Versionen des um 1521 entstandenen Gedichts existieren.1609 Diese sind in der Handschrift London, British Library Harley 2252, fol. 134f. sowie in zwei Frühdrucken überliefert.1610 Es wird angenommen, dass Skelton Speke Parott um 1521 verfasste und dass das Gedicht in mehreren Schaffensphasen entstand, zwischen denen jeweils verschieden lange zeitliche Abstände lagen.1611 Zum Teil wird auch angenommen, dass es sich bei Speke Parott nicht um ein einziges, sondern um mehrere Gedichte handelt.1612 Der Verfasser, John Skelton (* um 1460, † um 1529), stammte vermutlich aus dem Norden Englands.1613 Es wird angenommen, dass er eine universitäre Ausbildung absolvierte, bevor er 1488 der königliche Lehrer und Erzieher Henrys VIII. wurde.1614
Zweite Quellengruppe: Reiseberichte des 14., 15. und frühen 16. Jahrhunderts Der Niederrheinische Orientbericht Bei dem um 1345 entstandenen Niederrheinischen Orientbericht handelt es sich um den ältesten Orientbericht in deutscher Sprache.1615 Der Verfasser, der vermutlich dem geistlichen Stand angehörte, ist nicht namentlich bekannt.1616 In 1608 Schweikle, ›Hugo von Trimberg‹. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters (Band 4: Hildegard von Hürnheim – Koburger, Heinrich), Sp. 273. 1609 Feenstra/Kuiper/Kuipers, The Skelton Projekt, Introduction and Background to Speke Parott. Auf: http://www.skeltonproject.org/infospekeparott/. Zugriff am 26. 05. 2017 um 14:32 Uhr. 1610 Ebenda. Bei den Frühdrucken handelt es sich um den 1545 entstandenen Druck Certayne Bokes (STC 22598) und die aus dem Jahr 1568 stammenden Workes (STC 22608). 1611 Ebenda. 1612 Ebenda. 1613 Scattergood, ›Skelton, John‹. In: Oxford Dictionary of National Biography. Auf: http:// www.oxforddnb.com/view/article/25661?docPos=5. Zugriff am 26. 05. 2017 um 15:07 Uhr. 1614 Ebenda. 1615 Wolf, Deutschsprachige Reiseberichte des 14. und 15. Jahrhunderts, S. 17; Jandesek, Das fremde China, S. 94. 1616 Ebenda.
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Bezug auf seine Herkunft wird der Kölner Raum angenommen.1617 Bemerkenswert ist der Aufbau des Werks, denn der Niederrheinische Orientbericht ist nicht in Form eines Tagebuchs gegliedert.1618 Er beschreibt stattdessen – ausgehend von Jerusalem – die Länder, die in den vier Himmelsrichtungen liegen.1619 Der Bericht ist in nur zwei Manuskripten erhalten, was für eine schmale Rezeption spricht.1620 Allerdings hat er insofern Wirkung entfaltet, als dass er Ludolf von Sudheim als Quelle diente.1621
Der Reisebericht Berhard von Breydenbachs Der Mainzer Domdekan Berhard von Breydenbach unternahm seine Reise nach Palästina in den Jahren 1483 und 1484.1622 Begleitet wurde er von einer Reisegruppe in der sich auch der Ulmer Dominikanermönch Felix Fabri sowie der Zeichner und Graphiker Erhard Reuwich befanden.1623 Der Bericht, den Breydenbach über jene Reise schrieb, lässt ein hohes Maß an Missionierungseifer erkennen und zeigt, wie sehr das Werk durch die Institution Kirche beeinflusst ist.1624 Reuwich ergänzte den Bericht um zahlreiche Holzschnitte, von denen einer den Tieren im Heiligen Land gewidmet ist.1625 Breydenbachs Peregrinatio in terram sanctam ist in sieben Handschriften erhalten.1626 Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe an Drucken in sieben Sprachen, wobei die erste Druckfassung 1486 in Mainz erschien.1627 Diese reiche Überlieferung zeugt von der immensen Beliebtheit des Werks.1628
Der Reisebericht Felix Fabris Der Ulmer Dominikanermönch Felix Fabri unternahm zwei Reisen ins Heilige Land; die erste im Jahr 1480 und die zweite – gemeinsam mit Bernhard von 1617 1618 1619 1620 1621 1622 1623 1624 1625 1626 1627 1628
Ebenda. Wolf, Deutschsprachige Reiseberichte des 14. und 15. Jahrhunderts, S. 17f. Ebenda, S. 18. http://www.handschriftencensus.de/werke/2380. Zugriff am 22. 10. 2015 um 13:54. Es handelt sich dabei laut Handschriftencensus um die Codices Köln, Hist. Archiv der Stadt, Best. 7010 (W) 261a und Köln, Hist. Archiv der Stadt, Best. 7020 (W*) 3. Jandesek, Das fremde China, S. 94. Wolf, Deutschsprachige Reiseberichte des 14. und 15. Jahrhunderts, S. 13. Ebenda; Mozer, Vorwort zu Peregrinatio in Terram Sanctam, S. 9. Ebenda, S. 22f. Von Breydenbach, Peregrinatio in terram sanctam, folio 132v. (Edition Mozer Abb. 23). Zrenner, Die Berichte der europäischen Jerusalempilger, S. 62. Ebenda. Mozer, Vorwort zu Peregrinatio in Terram Sanctam, S. 30.
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Glossar zu den untersuchten Quellen
Breydenbach – von 1483 bis 1484.1629 Im Evagatorium – so der Titel des lateinischen Reiseberichts – sind Fabris Erfahrungen beider Reisen festgehalten.1630 Darüber hinaus kann das Evagatorium aber auch als Zeugnis der weitreichenden Bibelkenntnisse sowie der Vertrautheit des Autors mit anderen Reiseberichten gewertet werden.1631 Der Bericht muss in den Jahren zwischen 1484 und 1502, dem Todesjahr Fabris, entstanden sein.1632 Überliefert ist das Werk in einer lateinischen und einer deutschen Fassung, die sich auf signifikante Weise voneinander unterscheiden.1633 In der lateinischen Version versucht der Autor nicht, seine Rezipienten zu einer eigenen Pilgerreise zu animieren.1634 Der Rezipientenkreis, den Fabri hier im Auge hatte, waren seine Ordensbrüder.1635 Für sie sollte die Lektüre des Evagatoriums die gefährliche Pilgerreise ersetzen.1636 Die deutsche Fassung richtet sich hingegen an ein adliges Publikum und »entbehrt nahezu ganz der religiösen und didaktischen Dimension«.1637 In ihr werden eher weltliche Themenbereiche angesprochen.1638 Claudia Zrenner sieht in ihr daher »ein informatives und von humorvollen Beobachtungen durchsetztes Tagebuch«.1639 Das lateinische Evagatorium wurde zum ersten Mal im Jahr 1843 in der Edition Dietrich Hasslers gedruckt.1640 Die deutsche Fassung gelangte im Zeitraum von 1556 bis 1663 sieben Mal in den Druck.1641 Seit 2013 liegt der Druck von 1557 in digitalisierter Form vor und kann auf der Homepage der Bayrischen Staatsbibliothek eingesehen werden.1642 Angesichts der beiden »im Konzept grundverschiedenen Werke«1643 kann es nicht genügen, sich innerhalb des analytischen Teils ausschließlich mit der lateinischen Fassung auseinander zu setzten. Daher werden die digitalisierte deutsche Fassung sowie die Edition Jacques Massons bei der Analyse mit einbezogen.1644 1629 1630 1631 1632 1633 1634 1635 1636 1637 1638 1639 1640 1641 1642 1643 1644
Wolf, Deutschsprachige Reiseberichte des 14. und 15. Jahrhunderts, S. 14. Ebenda. Ebenda. Masson, Le Voyage en Pgypte de F8lix Fabri, S. 7f. Zrenner, Die Berichte der europäischen Jerusalempilger, S. 50f. Wolf, Deutschsprachige Reiseberichte des 14. und 15. Jahrhunderts, S. 14. Ebenda. Ebenda. Zrenner, Die Berichte der europäischen Jerusalempilger, S. 51; vgl. dazu auch: Schröder, Zwischen Christentum und Islam, S. 63. Zrenner, Die Berichte der deutschen Jerusalempilger, S. 51. Ebenda. Ebenda, S. 50. Ebenda. http://bildsuche.digitale-sammlungen.de/index.html?c=viewer& bandnummer=bsb000 70765& pimage=00001& v=100& nav=& l=de. Zugriff am 30. 08. 2015 um 15:23 Uhr. Zrenner, Die Berichte der europäischen Jerusalempilger, S. 51. Massons Edition – eine französische Übersetzung der deutschen Fassung und von Ausschnitten aus dem lat. Evagatorium – bietet einen Index, in dem alle von Fabri verwen-
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Der Reisebericht Hans Tuchers Der Nürnberger Patrizier Hans Tucher reiste in den Jahren 1479 und 1480 ins Heilige Land.1645 Als Quellen, auf die Tucher in seinem Werk zurückgreift, sind insbesondere die beiden Reiseberichte Peter Rieters und Martin Ketzels zu nennen, zweier Nürnberger Patrizier, die dreiundvierzig Jahre zuvor die gleiche Reise unternommen hatten.1646 Da Fernreisen wie die Tuchers stets argwöhnisch beäugt wurden und man den Reisenden oftmals unterstellte, »nicht etwa aus Glaubensüberzeugung, sondern aus Neugierde, Fernweh und wegen des Prestigegewinns gereist zu sein«, sichert sich Tucher bereits in der Vorrede seines Berichts gegen derlei Anschuldigungen ab.1647 Zugleich sei aber zu erkennen – so Wolf – dass Tucher versuche, durch seinen subjektiven Stil den Unterhaltungswert des Berichts zu steigern, was als Indiz dafür gewertet werden könne, dass das Werk »von Anfang an für den Druck bestimmt« gewesen sei.1648 Dementsprechend zeigt sich anhand 13 erhaltener Handschriften und neun Druckauflagen bis zum Jahr 1488, wie breit die Tucher’sche Darstellung rezipiert wurde.1649 Dass Tucher vieles von zwei Nürnberger Patriziern übernimmt, lässt Rückschlüsse darauf zu, welche gesellschaftliche Gruppe auch für seinen eigenen Reisebericht als Rezipientenkreis in Betracht kommt. Im ausgehenden Mittelalter sind nämlich nicht mehr ausschließlich der Klerus und der höfische Adel des Lesens kundig, sondern zunehmend auch die reichen Kaufmannsfamilien, die das Patriziat der freien Reichsstädte bilden.
Der Reisebericht Arnolds von Harff Ritter Arnold von Harff (*1471, † 1505), der Dienstmann Wilhelms IV., des Herzogs von Jülich und Berg war, begab sich am 7. November 1496 auf seine Pilgerfahrt.1650 Drei Jahre verbrachte Arnold in fernen Ländern und drang dabei
1645 1646 1647 1648 1649 1650
deten Tiernamen verzeichnet sind. Dieser Index hat sich für den analytischen Teil meiner Arbeit als äußerst hilfreich erwiesen. Vgl.: Masson, Le Voyage en Pgypte de F8lix Fabri, S. 998–1003. Wolf, Deutschsprachige Reiseberichte des 14. und 15. Jahrhunderts, S. 11f.; etwas detaillierter geht auch Claudia Zrenner auf Hans Tucher ein. Vgl.: Zrenner, Die Berichte der europäischen Jerusalempilger, S. 28–35. Wolf, Deutschsprachige Reiseberichte des 14. und 15. Jahrhunderts, S. 11f. Ebenda, S. 12. Ebenda. Ebenda. Zrenner, Die Berichte der europäischen Jerusalempilger, S. 97; Brall-Tuchel/Reichert, Das Pilgerbuch des Ritters Arnold von Harff, S. 13; Reichert, Das Bild der Welt im Mittelalter, S. 114.
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in Regionen Afrikas und Vorderasiens vor, die bis zu diesem Zeitpunkt kaum ein Europäer bereist hatte.1651 Mit seinem Bericht beabsichtigte der Adlige zum einen, seinem Fürsten eine Ehre zu erweisen und zum anderen, künftigen Pilgerreisenden nützliche Informationen zu liefern.1652 Die Themen, denen sich Arnold in seinem Bericht widmet sind äußerst vielfältig, so berichtet er beispielsweise nicht nur über die Bevölkerung der fernen Länder, über Flora und Fauna oder das dortige Klima, sondern auch über »Handel, Politik, Justiz und Religion«.1653 Auch die kunstvollen Federzeichnungen, um die der Autor sein Werk ergänzt hat, müssen innerhalb des analytischen Teils Beachtung finden, denn sie bilden auch ›exotische‹ Tiere ab.1654 Da Arnolds Itinerar in fünfzehn Handschriften überliefert ist, kann davon ausgegangen werden, dass er vergleichsweise breit rezipiert wurde.1655
Der Reisebericht Sebald Rieters Sebald Rieter, der einem Nürnberger Patriziergeschlecht angehörte, unternahm gemeinsam mit Hans Tucher in den Jahren 1479–1480 die Pilgerreise ins Heilige Land.1656 Damit setzte Rieter in gewisser Weise eine ›Familientradition‹ fort, denn bereits sein Vater hatte eine derartige Reise unternommen und seine Erfahrungen schriftlich niedergelegt.1657 Auf diesen väterlichen Reisebericht konnte Rieter zurückgreifen und ihn als »Muster für die eigene Beschreibung« nutzen.1658 Im Gegensatz zu Tuchers Itinerar ist der Reisebericht Rieters mit lediglich zwei handschriftlichen Textzeugen und zwei Drucken relativ schmal überliefert.1659 1651 1652 1653 1654 1655
1656 1657 1658 1659
Zrenner, Die Berichte der europäischen Jerusalempilger, S. 98. Ebenda, S. 97. Ebenda, S. 101. Ebenda; Vgl. auch: Ganz-Blättler, Andacht und Abenteuer, S. 177. http://www.handschriftencensus.de/werke/2461. Zugriff am 14. 06. 2017 um 14:45 Uhr. Es handelt sich dabei laut Handschriftencensus um die Codices Bonn, Universitätsbibl., Cod. S 447; Schloß Burgsteinfurt in Steinfurt (Westf.), Fürstl. Bentheim-Steinfurtische Schloß bibl., Hs. 4; Darmstadt, Universitäts- und Landesbibl., Hs. 138; Schloß Erpernburg (bei Büren), Archiv der Freiherrn von und zu Brenken, Cod. 100; Gießen, Universitätsbibl., Hs. 163; Köln, Hist. Archiv der Stadt, Best. 7020 (W*) 382; Maria Laach, Bibl. der Benedikti nerabtei, Hs. 268; München, Staatsbibl., Cgm 2213/32; Oxford, Bodleian Libr., MS Bodley 972; Trier, Stadtbibl., Hs. 1938/1469 8; Trier, Stadtbibl., Hs. 2424/2387 2; Wolfenbüttel, Her zog August Bibl., Cod. 177 Helmst.; Privatbesitz Johann Joachim Eschenburg; Privatbesitz Freiherren von Guttenberg, Bad Neustadt a. d. Saale; Privatbesitz Bernard von Mallinck rodt, Münster. Zrenner, Die Berichte der europäischen Jerusalempilger, S. 20f. Ebenda, S. 22. Ebenda. Ebenda, S. 26.
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Der Reisebericht Konrad von Grünembergs Der Konstanzer Autor Konrad von Grünemberg kam im 15. Jahrhundert als Stammhalter eines schweizerischen Ministerialengeschlechts zur Welt.1660 Seine Reise ins Heilige Land unternahm er im Jahr 1486.1661 Konrads Bericht zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass den Rezipienten nützliche Ratschläge für deren eigene Reise erteilt werden.1662 Neben jener ›Fürsorglichkeit‹ die der Verfasser an den Tag legt, zeigt er auch eine große Bildung und Belesenheit.1663 Die Intention des Berichts fasst Claudia Zrenner wie folgt zusammen: Konrads Werk habe darauf abgezielt »den Leser zu erbauen und zu unterhalten und ihm Informationen von praktischem Wert zu vermitteln«.1664 Vermutlich wollte der Verfasser primär seine eigene soziale Schicht ansprechen – das Patriziat. Mit nur vier Handschriften ist das Werk vergleichsweise schmal überliefert.1665
Der Reisebericht Hans Schiltbergers Hans (oder auch Johannes) Schiltberger wurde um 1380 auf Gut Hollern bei München geboren und entstammte einer bayerischen Adelsfamilie, die in Schiltberg bei Aichach ansässig war.1666 Mit seinem um 1427 abgefassten Bericht begründete er eine eigene Textsorte unter den spätmittelalterlichen Reiseberichten – die Türkeiberichte.1667 Die Erfahrungen und Erlebnisse, welche der Autor schildert, hatte er zuvor im Krieg gegen die Türken gesammelt, in den er 1394 im Heer des ungarischen Königs Sigismund gezogen war.1668 Zwei Jahre nach seinem Aufbruch geriet Schiltberger in osmanische Kriegsgefangenschaft und musste in der Folgezeit über 30 Jahre hinweg verschiedenen Herrschern im Vorderen Orient dienen.1669 In Bezug auf Aufbau und Inhalt des Schiltber1660 1661 1662 1663 1664 1665 1666
Ebenda, S. 80. Denke, Einleitung zu Konrad von Grünembergs Pilgerreise ins Heilige Land 1486, S. 1. Zrenner, Die Berichte der europäischen Jerusalempilger, S. 81. Ebenda. Ebenda. http://www.handschriftencensus.de/werke/2302. Zugriff am 05. 06. 2017 um 11:31 Uhr. Tremmel, Markus: ›Schiltberger, Hans‹. In: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 773–774 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/ppn118795007. html. Zugriff am 06. 09. 2015 um 12:36 Uhr ; Wolf, Deutschsprachige Reiseberichte des 14. und 15. Jahrhunderts, S. 18f. 1667 Ebenda. 1668 Tremmel, Markus: ›Schiltberger, Hans‹. In: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 773– 774 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/ppn118795007.html. Zugriff am 06. 09. 2015 um 13:06 Uhr; Wolf, Deutschsprachige Reiseberichte des 14. und 15. Jahrhunderts, S. 19. 1669 Ebenda.
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ger’schen Berichts erläutert Gerhard Wolf, es handle sich bei diesem Werk weder um einen konsequent durchgehaltenen ›Reisebericht‹ noch um eine Autobiographie.1670 Vielmehr habe Schiltberger unterschiedliche Orienttexte kompiliert, was den Erwartungen seiner Rezipienten entsprochen habe.1671 Der Bericht ist in acht Handschriften und einem Fragment erhalten.1672 Ab 1473 gelangte er in den Druck.1673
Der Reisebericht Jean de Mandevilles Jean de Mandevilles Reisebericht, der in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstand, ist »der am häufigsten überlieferte und rezipierte Reisebericht des Spätmittelalters«.1674 Über den Verfasser gibt es nur wenige Informationen.1675 Es wird vermutet, dass er niemals wirklich selbst eine Reise unternommen hat.1676 Sein Bericht ist größten Teils eine Kompilation aus den unterschiedlichsten Quellen.1677 So übernimmt er beispielsweise Bestandteile »der gesamten antiken und mittelalterlichen ›Orientliteratur‹, darunter die Reiseberichte Caprinis, Rubruks, Marco Polos und Odorico Pordenones sowie der unverzichtbare Brief des Priesterkönigs Johannes […]«.1678 Eine Übersetzung der Voyages ins Deutsche wurde bereits am Ende des 14. Jahrhunderts zweimal vorgenommen.1679 Eine Übersetzung fertigte Otto von Diemeringen an und eine weitere Michael Velser.1680 Die Textgrundlage der vorliegenden Untersuchung ist die Übersetzung Michael Velsers (Cod. HB V 86), die 1974 in der Edition von Eric John Morrall erschien.1681 1670 Ebenda. 1671 Ebenda. 1672 http://www.handschriftencensus.de/werke/3859. Zugriff am 24. 10. 2015 um 18:42 Uhr. Laut Handschriftencensus handelt es sich bei dem Fragment um den Codex Berlin, Staatsbibl., Fragm. 73 und bei den vollständig erhaltenen Handschriften um Heidelberg, Universitätsbibl., Cpg 216; Karlsruhe, Landesbibl., Cod. Donaueschingen 481; München, Stadtbibl., Cod. L 1603; St. Gallen, Stiftsbibl., Cod. 628; Straßburg, National- und Universi tätsbibl., ms. 2119 (früher L germ. 195.28); Wolfenbüttel, Herzog August Bibl., Cod. 91.7 Ex travagantes; Wolfenbüttel, Herzog August Bibl., Cod. 198.1 Hist. 88 und Privatbesitz Anti quariat Dr. Jörn Günther Rare Books AG, Schweiz, Nr. 2013/13,12. 1673 Wolf, Deutschsprachige Reiseberichte des 14. und 15. Jahrhunderts, S. 19. 1674 Ebenda, S. 18; Jandesek, Das fremde China, S. 108. 1675 Ebenda. 1676 Wolf, Deutschsprachige Reiseberichte des 14. und 15. Jahrhunderts, S. 18. 1677 Ebenda. 1678 Ebenda. 1679 Ebenda. 1680 Ebenda. 1681 Morral, Eric John (Hrsg.), Sir John Mandevilles Reisebeschreibung. Berlin 1974.
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Der Reisebericht Marco Polos Marco Polos Reisebericht Il milione entstand 1298 und stellt zweifelsohne einen der wirkungsmächtigsten Reiseberichte des Mittelalters dar.1682 Der venezianische Kaufmann baut unter anderem auch Elemente wie »den Mythos vom Priesterkönig Johannes und andere aus der Alexandertradition bereits bekannte Vorstellungen« in seinen Bericht mit ein, um dessen Wahrheitsanspruch zu unterstreichen. Mit über 150 handschriftlichen Textzeugen sowie zahlreichen Frühdrucken, ist der Bericht extrem breit überliefert. Den großen Erfolg des Il milione schreibt Gerhard Wolf dabei auch den Narrativierungsstrategien zu, die Rusticello de Pisce – Marco Polos Koautor – anwandte. Ins Deutsche übersetzt wurde das Werk erst im 15. Jahrhundert. Die Rezeption dieser Übertragung fiel allerdings nicht derart breit aus. Die Rezipienten dürften Kaufleute und Adlige gewesen sein. Textgrundlage der vorliegenden Untersuchung ist die mitteldeutsche Bearbeitung des Divisament dou monde nach der Admonter Handschrift Cod. 504, die 2010 von Nicole Steidl ediert wurde.1683
Der Reisebericht Odoricos de Pordenone (Übersetzung Steckel) Der Franziskaner Odorico de Pordenone bereiste zwischen 1322 und 1330 den asiatischen Kontinent.1684 Wichtige Stationen dieser Missionsreise waren Indien, China, Borneo und Sumatra.1685 Die Themen, die der Verfasser am häufigsten anspricht, sind die religiösen Sitten fremder Völker, sowie Politik und Topographie; aber auch auf geschichtliche Ereignisse und die Tierwelt wird eingegangen.1686 Odoricos Werk, das in lateinischer Sprache abgefasst wurde, ist in etwa 140 Manuskripten überliefert.1687 1359 fertigte Konrad Steckel eine deutsche Übersetzung jenes Berichts an, der das europäische Bild vom Osten maßgeblich prägte.1688 Steckels Übersetzung ist in 5 Handschriften erhalten.1689 1682 Die nachfolgenden Informationen dieses Abschnitts zum Reisebericht Marco Polos entnehme ich: Wolf, Deutschsprachige Reiseberichte des 14. und 15. Jahrhunderts, S. 17. 1683 Steidl, Nicole (Hrsg.), Marco Polos »Heydnische Chronik«. Die mitteldeutsche Bearbeitung des »Divisament dou monde« nach der Admonter Handschrift Cod. 504. Aachen 2010. 1684 Wolf, Deutschsprachige Reiseberichte des 14. und 15. Jahrhunderts, S. 17; Jandesek, Das fremde China, S. 45. 1685 Wolf, Deutschsprachige Reiseberichte des 14. und 15. Jahrhunderts, S. 17. 1686 Jandesek, Das fremde China, S. 49. 1687 Ebenda, S. 46. 1688 Wolf, Deutschsprachige Reiseberichte des 14. und 15. Jahrhunderts, S. 17. 1689 http://www.handschriftencensus.de/werke/1346. Zugriff am 01. 09. 2015 um 15:38 Uhr. Es
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Glossar zu den untersuchten Quellen
Der Reisebericht Ludovicos de Varthema Ludovico de Varthema (* um 1465 in Bologna; † 1517 in Rom) unternahm ab dem Jahr 1501 eine Reise, die ihn von Venedig über Ägypten und die arabische Halbinsel nach Indien und weiter nach Südostasien, bis nach Malaysia, führte.1690 Es wird angenommen, dass er gegen Ende des Jahres 1507 die Heimreise nach Europa antrat, und drei Jahre darauf erschien sein Reisebericht erstmals im Druck.1691 Über den aus Bologna stammenden de Varthema sind nur wenige Informationen überliefert.1692 Da diese meist aus seinem eigenen Itinerar stammen und der Autor sich ganz offensichtlich gerne in verschiedenen Rollen darstellt, kann beispielsweise nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob er Arzt oder Geschützbauer war oder einer ganz anderen beruflichen Tätigkeit nachging.1693 Dass sich de Varthemas Reisebericht immenser Beliebtheit erfreute, wird an den zahlreichen Übersetzungen »ins Lateinische, Deutsche, Spanische, Flämische Französische und Englische« deutlich.1694 Ähnlich wie im Evagatorium Felix Fabris finden sich auch in diesem Itinerar kurzweilige Anekdoten über die Erlebnisse des Autors im Orient sowie »Angaben zu Preisen, Märkten und Handelsgütern, Hinweise auf Land- und Seeverbindungen« sowie »politische, militärische und nautische Informationen von großer Detailtreue und nicht geringem Nutzen«.1695
Dritte Quellengruppe: Bildquellen Liebeszauber (Niederrheinischer Meister?) Bei dem um 1480 entstandenen Liebeszauber handelt es sich um ein kleines Gemälde auf einem Birnbaumtäfelchen, das 22 x 16 cm misst und sich heute im Museum der Bildenen Künste Leipzig befindet.1696 Die Frage nach der Identität des Malers wurde in der kunsthistorischen Forschung immer wieder kontrovers
1690 1691 1692 1693 1694 1695 1696
handelt sich dabei laut Handschriftencensus um die Codices Karlsruhe, Landesbibl., Cod. Donaueschingen 482; Klosterneuburg, Stiftsbibl., Cod. 1065; Klosterneuburg, Stiftsbibl., Cod. 1083; München, Staatsbibl., Cgm 7364; München, Stadtbibl., Cod. L 1603. Reichert, Einleitung zu Ludovico de Varthema – Reisen im Orient, S. 8–10; Ray et al., ›Ludovico de Varthema‹. In: Encyclopaedia Britannica. Auf: https://www.britannica.com/ biography/Lodovico-de-Varthema. Zugriff am 28. 05. 2017 um 13:33 Uhr. Reichert, Einleitung zu Ludovico de Varthema – Reisen im Orient, S. 12; 23. Ebenda, S. 7. Ebenda. Ebenda, Klappentext. Ebenda, S. 17f. Lymant, Entflammen und Löschen. Zur Ikonographie des Liebeszaubers, S. 111.
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diskutiert.1697 Während Brigitte Lymant den Meister des Bonner Diptychons in Betracht zieht, spricht sich Gerhard Winkler – etwas weniger eng eingrenzend – für einen niederrheinischen Meister aus und datiert das Gemälde auf die Mitte des 15. Jahrhunderts.1698
Madonna des Kanonikus Joris van der Paele (Jan van Eyck) Jan van Eycks Madonna des Kanonikus Joris van der Paele wurde im Jahr 1436 fertiggestellt.1699 Das Gemälde weist einschließlich seines Rahmens eine Größe von 141 x 176,5 cm auf und gehört zu der Sammlung des Groeningemuseums Brügge.1700 Jan van Eyck (ca. 1390–1441) stammte höchstwahrscheinlich aus der Stadt Maaseik, die in der Diözese Lüttich liegt.1701 In den Jahren 1422 bis 1424 war er als Hofmaler Johanns von Bayern (des Grafen von Holland) tätig und arbeitete von 1425–41 am Hofe Philipps des Guten.1702 Diese beiden Beschäftigungen brachten ihm Ruhm ein und er genoss hohes Ansehen in der Gesellschaft.1703 Jene gesellschaftliche Stellung wiederum verhalf ihm zu »größerer künstlerischer Freiheit und Unabhängigkeit von der Brügger Malergilde«.1704 Interessant ist weiterhin, dass Van Eyck eine ganze Künstler-Werkstatt mit mehreren Mitarbeitern leitete.1705 Nach dem von Van Eyck gestalteten Genter Altar stellt die Madonna des Kanonikus Joris van der Paele »das größte bekannte Gemälde des Malers« dar.1706
Die Madonna mit Papagei (Martin Schongauer) Martin Schongauers zwischen 1470 und 1475 angefertigter Kupferstich Die Madonna mit dem Papagei ist 16 x 11, 4 cm groß.1707 Das Kunstwerk befindet
1697 1698 1699 1700 1701 1702 1703 1704 1705 1706 1707
Ebenda, S. 112. Ebenda. Borchert (Hrsg.), Katalog zu Jan van Eyck und seine Zeit, S. 234. Ebenda. Jones, ›Jan van Eyck (ca. 1390–1441)‹. Auf: http://www.metmuseum.org/toah/hd/eyck/ hd_eyck.htm. Zugriff am 31. 05. 2017 um 15:59 Uhr. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Susan Jones schreibt an dieser Stelle: »Employment at court secured him a high social standing unusual for a painter, as well as artistic independence from the painters’ guild of Bruges, where he had settled by 1431.« Borchert, Zur Einführung: Jan van Eyck und seine Werkstatt, S. 15. Borchert (Hrsg.), Katalog zu Jan van Eyck und seine Zeit, S. 234. Mus8e Unterlinden, ›Die Madonna mit dem Papagei‹. Auf: http://www.musee-unterlinden.
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sich im Mus8e Unterlinden in Colmar.1708 Bemerkenswert ist, dass am unteren Bildrand in der Mitte Schongauers Monogramm zu sehen ist.1709 Die KünstlerInitialen erleichtern nicht nur die Feststellung der Urheberschaft, sondern können auch zur Datierung des Kupferstichs herangezogen werden.1710 Mit dem steilschenkligen M kennzeichnete Schongauer nämlich ausschließlich diejenigen Werke, die er in den 1470er Jahren anfertigte.1711 Die Madonna mit dem Papagei kann als »Beweis für die Bereitschaft der rheinischen Künstler, flämische Einflüsse aufzunehmen« gewertet werden.1712 Von dem Kupferstecher und Maler Martin Schongauer wird angenommen, dass er um 1450 in Colmar geboren wurde und 1491 in Breisach starb.1713 Da der Künstler einer Goldschmiedefamilie entstammte, ist es wahrscheinlich, dass er das Gravieren verschiedener Edelmetalle in der Werkstatt seines Vaters beigebracht bekam.1714 Jedoch schrieb sich Schongauer im Jahr 1465 auch für ein Studium an der Universität Leipzig ein und absolvierte eine Maler-Lehre.1715 Die meisten seiner Kupferstiche bilden religiöse Themen ab, und es kann davon ausgegangen werden, dass sie der Andacht dienten.1716
1708 1709 1710 1711 1712 1713 1714 1715 1716
com/de/sammlungen/mittelalter-und-renaissance/retable/la-vierge-au-perroquet/. Zugriff am 01. 06. 2017 um 11:53 Uhr. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Anzelewsky, ›Schongauer, Martin‹. In: Lexikon des Mittelalters (Band 7: Planudes bis Stadt (Rus’), Sp. 1536. Ebenda. Ebenda. Ebenda; Mus8e Unterlinden, ›Die Madonna mit dem Papagei‹. Auf: http://www.musee-un terlinden.com/de/sammlungen/mittelalter-und-renaissance/retable/la-vierge-au-perro quet/. Zugriff am 01. 06. 2017 um 11:53 Uhr.
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Abb. 61: Foto: Bartsittich. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Psittacula_alexandri_-Jurong_Bird_ Park_-upper_body-8a.jpg. By Peter Tan (Moustached Parakeet Uploaded by Snowmanradio) [CC BY-SA 2.0. Zugriff am 15. 10. 2018 um 16:33 Uhr. Abb. 62: Mosaik: Zwei Papageien und eine befreundete Turteltaube (1. Jh. v. Chr.). Auf: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Birds_drinking_MAN_Napo li_Inv9992.jpg, Naples National Archaeological Museum. [Public domain], via Wikimedia Commons. Zugriff am 04. 05. 2017 um 14:57 Uhr. Abb. 65: Papageien-Miniatur : Universitätsbibliothek Heidelberg, Konrad von Megenberg: Das Buch der Natur (Cod. Pal. germ. 300), fol. 161v. Auf: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg300/0342. Zugriff am 28. 09. 2016 um 14:34 Uhr. Abb. 67: Papageien-Miniatur : Koninklijke Bibliotheek, KB, KA 16, fol. 99v. Auf: http://bestiary.ca/beasts/beastgallery235.htm#. Zugriff am 29.09. 2016 um 12:23 Uhr. Abb 68: Papageien-Miniatur : Museum Meermanno, MMW, 10 B 25, fol. 28r. Auf: http://bestiary.ca/beasts/beastgallery235.htm#. Zugriff am 29. 09. 2016 um 12:24 Uhr. Abb. 69: Papageien-Miniatur : BibliothHque Nationale de France, lat. 6838B, fol. 21v. Auf: http://bestiary.ca/beasts/beastgallery235.htm#. Zugriff am 02. 10. 2016 um 16:44 Uhr. Abb. 70: Papageien-Miniatur : Morgan Library, Worksop bestiary (MS M.81), fol. 50v. Auf: http://bestiary.ca/beasts/beastgallery235.htm#. Zugriff am 02. 10. 2016 um 17:00 Uhr. Abb. 71: Papageien-Miniatur : Bodleian Library, MS. Bodley 764, fol. 63r. Auf: https://iiif.bodleian.ox.ac.uk/iiif/viewer/e6ad6426-6ff5-4c33-a078-ca518b 36ca49#?c=0& m=0& s=0& cv=140& r=0& xywh=-4656%2C0%2C14985%2C 8861. Zugriff am 15. 10. 2018 um 17:02 Uhr. Abb. 72: Papageien-Miniatur : Bodleian Library, MS. Douce 88, fol. 17v. Auf: http://bestiary.ca/beasts/beastgallery235.htm#. Zugriff am 31. 10. 2016 um 9:34 Uhr. Abb. 73: Papageien-Miniatur : Bodleian Library, MS. Bodley533, fol. 15v. Auf: http://bestiary.ca/beasts/beastgallery235.htm#. Zugriff am 04. 10. 2016 um 14:58 Uhr. Abb. 74: Papageien-Miniatur : Codex Campililiensis 151 (Concordantiae caritatis), Volldigitalisat, S. 454. Auf: https://imagines.manuscriptorium.com/loris/LILIEN-SLA___HS_151___ ___32HHXJ3-en/ID_454/full/full/0/default.jpg. Zugriff am 15. 10. 2018 um 17:22 Uhr. Abb. 75: Papageien-Miniatur : Codex Campililiensis 151 (Concordantiae caritatis), fol. 148v. Bildquelle: Ulrich von Lilienfeld, Cocncordantiae caritatis. Hrsg. v. Herbert Douteil, Band II, S. 570. Abb. 77: Papageien-Miniatur : Codex Campililiensis 151 (Concordantiae caritatis), fol. 165v.
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Bildquelle: Ulrich von Lilienfeld, Cocncordantiae caritatis. Hrsg. v. Herbert Douteil, Band II, S. 586. Papageien-Miniatur : Ausschnitt aus dem Lilienfelder Vogelparlament. Codex Campililiensis 151 (Concordantiae caritatis), fol. 256v. Bildquelle: Ulrich von Lilienfeld, Cocncordantiae caritatis. Hrsg. v. Herbert Douteil, Band II, S. 682. Der Papagei auf der Ebstorfer Weltkarte. Auf: http://www.landschaftsmuseum.de/Bilder/Ebstorf/Ebstorf-oben_Auschnitt -2.jpg. Zugriff am 05. 10. 2016 um 11:48 Uhr. Ausschnitt Ebstorfer Weltkarte: Der Papagei in unmittelbarer Nähe zum Haupt Christi und zum Paradies. Auf: http://www.landschaftsmuseum.de/Bilder/Ebstorf/Ebstorf-ganz_33MB. jpg. Zugriff am 05. 10. 2016 um 13:33 Uhr. Schaubild: Der prototypische Papagei des Mittelalters. Anhand der Abbildungen 1; 2; 55; 67; 68; 69; 70; 71; 72; 73 und 74 wird aufgezeigt, dass es ›typische‹ und ›weniger typische‹ mittelalterliche PapageienDarstellungen zu geben scheint. Jan van Eyck, Madonna des Joris van der Paele. Auf: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/fd/Jan_van_Eyck_ 069.jpg. Zugriff am 10. 10. 2016 um 13:29 Uhr. Ausschnitt aus: Jan van Eyck, Madonna des Joris van der Paele. Auf: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/fd/Jan_van_Eyck_ 069.jpg. Zugriff am 11. 10. 2016 um14:46 Uhr. Die auffällige Perspektivenkonstruktion in Jan van Eycks Madonna des Joris van der Paele. Bildquelle: Mertin, Parrot – Zur Ikonographie des Religiösen VIII. Auf : https ://www.theomag.de/82/am435.htm. Zugriff am 12. 10. 2016 um 17:20 Uhr. Miniatur: Maria, Jesuskind und Papagei. Johannis de Moriginato, Liber visionum, V. 1. H. 154, Universitätsbibliothek Salzburg, M I 24. fol. 77v. Auf: http://www.ubs.sbg.ac.at/sosa/handschriften/mI24.htm. Zugriff am 17. 10. 2016 um 11:30 Uhr. Miniatur: Maria, Jesuskind und Pelikan. Johannis de Moriginato, Liber visionum, V. 1. H. 154, Universitätsbibliothek Salzburg, M I 24. fol. 79r. Auf: http://www.ubs.sbg.ac.at/sosa/handschriften/mI24.htm. Zugriff am 17. 10. 2016 um 11:31 Uhr. Kupferstich: Martin Schongauer, Madonna mit Kind und Papagei. Staatliche Kunstsammlungen Dresden. Bildausschnitt: Heisterbacher Altar. Auf: https://www.sammlung.pinakothek.de/en/artist/meister-des-heisterbacher -altars/heisterbacher-altar-verkuendigung-an-maria. Zugriff am 10. 05. 2017 um 11:12 Uhr. Ausschnitt aus Die Verkündigung von Jan van Eyck. National Gallery of Art, Washington D.C. Auf: https://images.nga.gov/en/search/do_quick_search.html?q=Eyck+An nunciation. Zugriff am 15. 10. 2018 um 17:40 Uhr.
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Abb. 90: Miniatur: Kristan von Hamle. Universitätsbibliothek Heidelberg, Große Heidelberger Liederhandschrift (Cod. Pal. germ. 848), fol. 71v. Auf: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg848/0138. Zugriff am 30. 11. 2016 um 11:28 Uhr. Abb. 91: Niederrheinischer Meister, Liebeszauber. Bildrechte: bpk / Museum der bildenen Künste, Leipzig / Michael Ehritt. Abb. 93: Miniatur: Psitticher und Sterner. Universitätsbibliothek Heidelberg, Große Heidelberger Liederhandschrift (Cod. Pal. germ. 848), fol. 197v. Auf: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg848/0390. Zugriff am 25. 12. 2016 um 14:38 Uhr. Abb. 94: Foto: Büste Pittacus von Mytilene. Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pittacos_Louvre_Ma_35 72.jpg, Louvre Museum, [Public domain or Public domain], from Wikimedia Commons. Zugriff am 17. 10. 2018 um 13:24 Uhr. Abb. 98: Schaubild: Die diskursabhängige ›Exotik‹ des Papageis in ihren graduellen Abstufungen. Zur Visualisierung der diskursabhängigen ›Exotik‹ des Papageis werden die Abbildungen 1; 2; 91; 94; 65; 68; 69 und 72 in eine Relation zu einander gesetzt. Abb. 99: Grab des Huy, TT 40: Tributgaben, die dem Pharao aus Nubien gebracht werden. Fotografiert von Charles K. Wilkinson. Auf: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Nubian_Tribute_Presented_to _the_King,_Tomb_of_Huy_MET_DT221112.jpg. Metropolitan Museum of Art [CC0], via Wikimedia Commons. Zugriff am 17. 10. 2018 um 14:42 Uhr. Abb. 100: Grab des Huy, TT 40: In Panther- bzw. Gepardenfelle gekleidete Nubier überbringen Tribute. Fotografiert von Charles K. Wilkinson. Auf: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Nubian_Tribute_Presented_to_ the_King,_Tomb_of_Huy_MET_DT221112.jpg. Metropolitan Museum of Art [CC0], via Wikimedia Commons. Zugriff am 17. 10. 2018 um 14:42 Uhr. Abb. 101: Schild Tutanchamuns mit Gepardenfell. Kairo JE 61583. Fotografiert von Harry Burton. T Griffith Institute, University of Oxford. Abb. 102: Wappen des Herzogtums Steiermark (steirischer Panther). Innsbruck, Universitäts- und Landesbibliothek Tirol, Cod. 545, f. 231 r. Auf: http://manuscripta.at/diglit/AT4000-545/0001/scroll?sid=81a94b2b8b5f8 2c9801cbcf8b4f6cfa9 . Zugriff am 23. 06. 2017 um 13:07 Uhr. Abb. 103: Detail aus einer Darstellung Ramses III., der gegen die Libyer in die Schlacht zieht. Medinet Habu. Bildquelle: Nelson, H. H., 1930. Medinet Habu – Volume I. Earlier historical records of Ramses III. The University of Chigaco Press, Chicago, Illinois. pl. 17. Abb. 104: Detail aus einer Darstellung Ramses III., der gegen die Libyer in die Schlacht zieht. Medinet Habu. Bildquelle: Nelson, H. H., 1930. Medinet Habu – Volume I. Earlier historical records of Ramses III. The University of Chigaco Press, Chicago, Illinois. pl. 17. Abb. 105: Statue Amens, der ein Sternen-Leoparden-Fell trägt. Turin 5484. Bildrechte: T Museo Egizio, Torino.
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Abb. 124: Krokodil-Miniatur : BibliothHque Nationale de France, lat. 14429, fol. 110v. Auf: http://bestiary.ca/beasts/beastgallery146.htm#. Zugriff am 10. 02. 2017 um 13:27 Uhr. Abb. 125: Krokodil-Miniatur : Bodleian Library, MS. Douce 88, fol. 96v. Auf: http://bestiary.ca/beasts/beastgallery146.htm#. Zugriff am 10. 02. 2017 um 14:49 Uhr. Abb. 126: Krokodil-Miniatur : Kongelige Bibliotek, Gl. kgl. S. 1633 48, fol. 14v. Auf: http://bestiary.ca/beasts/beastgallery146.htm#. Zugriff am 10. 02. 2017 um 14:49 Uhr. Abb. 127: Krokodil-Miniatur : Museum Meermanno, MMW, 10 B 25, fol. 12v. Auf: http://bestiary.ca/beasts/beastgallery146.htm#. Zugriff am 10. 02. 2017 um 14:49 Uhr. Abb. 128: Krokodil-Miniatur : BibliothHque Nationale de France, lat. 3630, fol. 80r. Auf: http://bestiary.ca/beasts/beastgallery146.htm#. Zugriff am 10. 02. 2017 um 14:49 Uhr. Abb. 129: Krokodil-Miniatur : Koninklijke Bibliotheek, KB, 76 E 4, fol. 64r. Auf: http://bestiary.ca/beasts/beastgallery146.htm#. Zugriff am 10. 02. 2017 um 14:49 Uhr. Abb. 130: Kongelige Bibliotek, Gl. kgl. S. 3466 88, fol. 21r. Auf: http://bestiary.ca/beasts/beastgallery146.htm#. Zugriff am 10. 02. 2017 um 14:53 Uhr. Abb. 131: Krokodil-Miniatur im Reisebericht Arnolds von Harff. Maria Laach, Bibl. der Benediktinerabtei, Hs. 268, fol. 53v. Abb. 132: Krokodil-Miniatur in Bernhard von Breydenbachs. Peregrinatio in terram sanctam, fol. 132v. Bildquelle: https://images.metmuseum.org/CRDImages/dp/original/DP2877 88.jpg. Zugriff am 17. 10. 2018 um 15:51 Uhr. Abb. 133: Foto: Der Krönungsmantel der deutschen Kaiser. Auf: https://de.wikipedia.org/wiki/Kr%C3%B6nungsmantel#/media/File:Welt liche_Schatzkammer_Wienc.jpg. Zugriff am 23. 06. 2017 um 15:46 Uhr. Abb. 134: Elefanten-Miniatur : Kongelige Bibliotek, Gl. kgl. S. 1633 48, fol. 6v. Auf: http://bestiary.ca/beasts/beastgallery77.htm#. Zugriff am 03. 03. 2017 um 13:00 Uhr. Abb. 135: Krokodil-Miniatur : Bodleian Library, MS. Douce 308, Folio 99r. Auf: http://bestiary.ca/beasts/beastgallery146.htm#. Zugriff am 05. 03. 2017 um 14:28 Uhr. Abb. 136: Krokodil-Miniatur : Bodleian Library, MS. Douce 308, Folio 99v. Auf: http://bestiary.ca/beasts/beastgallery146.htm#. Zugriff am 05. 03. 2017 um 14:30 Uhr.