Konfessionskunde 9783110843989, 9783110066517


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German Pages 879 [880] Year 1977

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Table of contents :
Vorbemerkung
Abkürzungen
Einführung (von F. Heyer)
Orthodoxe Kirchen des Ostens
Vierzehn Autokephale Kirchen (von F. Heyer)
Kanonisches Recht (von H. Dombois)
Orthodoxes Mönchtum (von F. Heyer)
Gottesdienst (von K. C. Felmy)
Orthodoxe Theologie (von F. Heyer)
Nonchalcedonensische Kirchen
Apostolische Kirche des Ostens (Nestorianer) (von W. Hage)
Koptisch-orthodoxe Kirche (von D. Müller)
Äthiopische monophysitische Kirche (von F. Heyer)
Syrisch-orthodoxe Kirche (von D. Müller)
Orthodoxe Kirche Indiens (von D. Müller)
Apostolische (gregorianische) Kirche Armeniens (von D. Müller)
Katholische Kirche (von F. Heyer)
Weltkirche in allen Kontinenten
Katholizismus im Wandel
Strukturprobleme der katholischen Kirche
Problemstand der historischen Kontroversen mit evangelischer Theologie
Verhältnis Kirche — Welt
Katholische Devotion
Tendenzen systematischer Theologie
Oekumenismus
Alt-katholische Kirchengemeinschaft der Utrechter Union (von W. Küppers)
Evangelische Kirchen
Anglikanische Kirche (von H. Chadwick)
Methodismus (von M. Schmidt)
Heilsarmee (von F. Heyer)
Kongregationalismus (von M. Schmidt)
Weltbund der Baptisten (von W. Stahl)
Evangelisch-lutherische Kirche (von K. Schmidt-Clausen)
Evangelisch-reformierte Kirche (von M. Schmidt)
Aspekte der innerevangelischen Unionsproblematik (von M. Lienhard)
Abgetrennte Gemeinschaften
Sektenszene summarisch (von F. Heyer)
Quäker (von M. Schmidt)
Herrnnhuter Brüdergemeine (von M. Schmidt)
Pfingstbewegung (von F. Heyer)
Freimaurer (von F. Heyer)
Unitarier (von F. Heyer)
Christengemeinschaft (von F. Heyer)
Apostolische Bewegung (von D. Reimer)
Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage (Mormonen) (von F. Heyer)
Christian Science (von F. Heyer)
Adventisten (von D. Reimer)
Zeugen Jehovas (von D. Reimer)
Oekumenische Bewegung und Oekumenischer Rat der Kirchen (von G. Gassmann)
Problem und Aufgabe
Oekumenische Bewegung bis 1948
Oekumenischer Rat der Kirchen
Entwicklung der Einheitsvorstellungen in der oekumenischen Bewegung
Verhältnis Oekumenische Bewegung und Oekumenischer Rat der Kirchen
Sachregister
Hinführung zu geographischen Komplexen konfessioneller Geschichte
Personenregister
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Konfessionskunde
 9783110843989, 9783110066517

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de Gruyter Lehrbuch

Friedrich Heyer

Konfessionskunde mit Beiträgen von Henry Chadwick, Hans Dombois, Karl Christian Felmy Günther Gassmann, Wolfgang Hage, Werner Küppers Marc Lienhard, Fairy von Lilienfeld, Detlef Müller Diether Reimer, Martin Schmidt, Kurt Schmidt-Clausen und Herbert Stahl

W G DE

1977 Walter de Gruyter · Berlin · New York

Die wissenschaftliche Leitung der theologischen Lehrbücher im Rahmen der „de Gruyter Lehrbuch"-Reihe liegt in den Händen des ord. Prof. der Theologie D. Kurt A l a n d , D . D., D . Litt. Diese Bände sind aus der ehemaligen „Sammlung Töpelmann" hervorgegangen.

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen Bibliothek

Heyer, Friedrich Konfessionskunde / mit Beitr. von Henry Chadwick . . . - 1. Aufl. - Berlin, New York: de Gruyter, 1977 (De-Gruyter-Lehrbuch) ISBN 3-11-006651-3

© 1977 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung · Georg Reimer · Karl J . Trübner · Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Straße 13. Printed in Yugoslavia. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Öasopisno in graficno podjetje Delo, Ljubljana Einband: Lüderitz & Bauer, Berlin.

Vorbemerkung Eine Addition von Selbstdarstellungen der Kirchen ergäbe keine Konfessionskunde. Drum wird hier entschlossen von einem Standpunkt aus der Kosmos der Kirchen und Denominationen in den Blick gefaßt. Die Kirchen sind perspektivisch gesehen, doch mit einer solchen oekumenischen Bemühung um Verständnis der andern, daß annäherungsweise das Ergebnis sein könnte, daß sich diese in den von ihnen entworfenen Porträts wiedererkennen. Auf einen Anmerkungsapparat ist grundsätzlich verzichtet. Dieses Buch ist Text, der Elementares lehren will, nicht wissenschaftliche Forschung, die jeden Schritt nach vorne durch Annotationen unter dem Strich absichert. Nur in Einzelfällen sind „Fundstellen" durch in den Text eingefügte Klammern angegeben. Die an jeden Sinnabschnitt angeschlossenen Literaturangaben wollen nicht erschöpfend sein. Sie haben eine doppelte Funktion: Sie stellen Empfehlungen zu weiterer Lektüre für den Leser dar, der Einzelheiten gründlicher nachgehen will, und berücksichtigen dabei die neuerschienene Literatur, die man in Nachschlagewerken wie LThK, R G G , DThC, DHGE nicht findet. Außerdem geben sie Publikationen an, die in unserem Text verwertet sind. Die Literaturangaben sind dem Gedankenfortschritt des jeweiligen Kapitels folgend geordnet. Nur wo sich entsprechende Zäsuren nicht nahe legen, ist alphabetische Reihenfolge gewählt. W o deutsche Übersetzungen grundlegender, im Original etwa französisch oder englisch abgefaßter Werke vorliegen, ist in den bibliographischen Hinweisen immer auf die deutsche Ausgabe hingewiesen. W o in diesem Buch Detail vorgebracht wird, ist es exemplarisch gemeint. Eine Konfessionskunde, die das globale Phänomen Kirche vor den Blick bringen will, muß ein Summarium liefern, was nur mit einzelnen als typisch zu nehmenden Beispielen gespickt werden kann. Würde das nicht gleich in der Vorbemerkung gesagt, würde man mit Recht fragen können: Warum bringt das Buch dieses und nicht jenes?

VI

Vorbemerkung

Die Fülle des in der Christenheit der Welt Anzutreffenden fließt über den Rand jedes Gefäßes, mit dem man sie auffangen möchte. Dr. Volker Pitzer, Wiss. Assistent des Konfessionskundlichen Seminars Heidelberg, Pfarrvikar Jan-Gert Beinke ist für Hilfe in der redaktionellen Arbeit zu danken, ebenso stud, theol. Dietmar Andrae.

Inhalt Vorbemerkung Abkürzungen Einführung (von F. Heyer) Orthodoxe Kirchen des Ostens Vierzehn Autokephale Kirchen (von F. Heyer) Prägung in Byzanz Altkirchliche Patriarchate Kirche von Hellas Autokephale Kirche Zyperns Kirchen der orthodoxen Balkannationen: Orthodoxe Kirche Bulgariens Serbische Orthodoxe Kirche Albanische Orthodoxe Kirche Rumänische Orthodoxe Kirche Russisch-orthodoxe Kirche (von F. von Lilienfeld) Kirchen im Lebenskreis der Russisch-orthodoxen Kirche Orthodoxie als Weltkirche Kanonisches Recht (von H. Dombois) Grundlegung des Kirchenrechtes der Ostkirchen Recht der orientalischen Kirche Orthodoxes Mönchtum (von F. Heyer) Vergleich östlichen und westlichen Mönchtums Monastische Bewegungen Starzentum Gottesnarren Evangelische Kritik Athos Gottesdienst (von K. C. Felmy) Stellung des Gottesdienstes Gottesdienstlicher Raum Göttliche Liturgie Stundengebet Kirchenjahr Mysterien und Weihehandlungen Orthodoxe Theologie (von F. Heyer) ; Schrift und Tradition Bild als Offenbarungsmittler Lehre vom trinitarischen Gott

V. XIII ι 10 10 10 12 19 24 27 32 38 39 44 66 72 81 81 88 94 94 97 98 101 101 102 105 105 106 109 117 120 127 132 132 139 152

VIII

Inhalt

Anthropologie Soteriologie Orthodoxe Lehre von den Sakramenten Orthodoxe Ekklesiologie Verehrung der Gottesmutter und der Heiligen

162 170 178 181 190

Nonchalcedonensische Kirchen Apostolische Kirche des Ostens (Nestorianer) (von W. Hage) Koptisch-orthodoxe Kirche (von D. Müller) Das Land Geschichte und Charakter der koptischen Kirche Eigenart der koptischen Kirche, ihre Sitten und Gebräuche Kirche und Gottesdienst Äthiopische monophysitische Kirche (von F. Heyer) Syrisch-orthodoxe Kirche (von D. Müller) Statistische Angaben Geprägtes Land Geschichte und Charakter Lehre und Brauchtum Orthodoxe Kirche Indiens (von D. Müller) Das Land Geschichte und Charakter der Thomas-Christen von Malabar Kirchliches Leben der Thomas-Christen und seine Eigenart Apostolische (gregorianische) Kirche Armeniens (von D. Müller) Statistische Angaben Landschaftliche Voraussetzungen Geschichtliche Züge Eigenart der armenischen Kirche in Gottesdienst und Brauchtum . .

202 202 214 215 216 227 227 233 245 245 246 247 255 261 263 263 279 284 284 286 286 302

Katholische Kirche (von F. Hey er) Weltkirche in allen Kontinenten Katholizismus in europäischen Staaten Ostasien Lateinamerika Nordamerika Afrika Katholizismus in Australien Unierte Ostkirchen Katholizismus im Wandel Einsicht in die Geschichtlichkeit der Kirche Legitimierung des Pluralismus Polarisierung der Gruppen Strukturprobleme der katholischen Kirche Verhältnis zwischen Papstprimat und Bischofskollegium Erneuerter Diakonat und Stellung der Laien Mönch tum Kanonisches Recht (von H. Dombois)

309 309 310 325 334 340 345 3 54 358 366 367 372 374 377 377 387 391 405

Inhalt

IX

Problemstand der historischen Kontroversen mit evangelischer Theologie Geltung der Schrift oder Autorität des Lehramts? Kontroverse über die Rechtfertigung Lehre von der Kirche und ihren Sakramenten Ringen um gegenseitige Anerkennung der kirchlichen Ämter Verhältnis Kirche — Welt Sozialkatholische Bewegungen Verhältnis Kirche — Staat und Gesellschaft Katholische Präsenz in der Literatur Katholische Devotion Phänomene der Frömmigkeit Liturgische Bewegung Tendenzen systematischer Theologie Tübinger Schule Hermesianismus Güntheranismus Neuscholastik Modernismus Teilhard de Chardin und Nouvelle Theologie Karl Rahner und holländische Theologie Oekumenismus Anfängliche Verlautbarungen Oekumenismusdekret des II. Vatikanum Bilaterale Kontakte Oekumene am Ort Theologie der Religionen Alt-katholische Kirchengemeinschaft der Utrechter Union (von W. Küppers) . . . Einordnung, Entstehung und Verbreitung, Organisation Lehre und Kirchliches Eigenleben Allgemeine Auswirkung — Position auf dem oekumenischen Feld .

414 414 425 436 447 453 453 470 488 496 496 508 516 517 518 519 520 522 526 532 536 536 541 544 549 550 554 554 563 568

Evangelische Kirchen Anglikanische Kirche (von H. Chadwick) Anglican Communion (Die anglikanische Kirchengemeinschaft) . . . Church of England Lehrnormen Anglikanische Liturgien 39 Artikel Anglikanische Lehre vom geistlichen Amt und der Gültigkeit der Weihen Zukünftige Probleme des Anglikanismus Methodismus (von M. Schmidt) Heilsarmee (von F. Heyer) Kongregationalismus (von M. Schmidt) Weltbund der Baptisten (von W. Stahl) Typus

575 575 576 577 578 579 580 587 591 595 605 609 615 615

X

Inhalt

Anfänge in England und Amerika Geschichtsbild Kontinentaler Baptismus Missionarische Gemeinde Glaubensbefund Kritische Betrachtung (von F. Heyer) Evangelisch-lutherische Kirche (von K. Schmidt-Clausen) Glaube, Lehre und Bekenntnis Kirchenstruktur und Kirchenrecht Liturgisches Leben Kulturelle Auswirkungen Evangelisch-reformierte Kirche (von M. Schmidt) Aspekte der innerevangelischen Unionsproblematik (von M. Lienhard) Gemeinsamer Aufbruch der reformatorischen Kirchen im 16. Jahrhundert Spaltungen Einigkeitsbestrebungen der evangelischen Kirchen Gegenwärtige Fragen und Perspektiven Abgetrennte Gemeinschaften Sektenszene summarisch (von F. Heyer) Typik In Afrika Russische Sekten Kriterien Quäker (von M. Schmidt) Herrnhuter Brüdergemeine (von M. Schmidt) Pfingstbewegung (von F. Heyer) Freimaurer (von F. Heyer) Unitarier (von F. Heyer) Christengemeinschaft (von F. Heyer) Apostolische Bewegung (von D. Reimer) Katholisch-Apostolische Kirche Neuapostolische Kirche Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage (Mormonen) (von F. Heyer) Christian Science (von F. Heyer) Adventisten (von D. Reimer) Zeugen Jehovas (von D. Reimer) Oekumenische Bewegung und Oekumenischer Rat der Kirchen (von G. Gassmann) Problem und Aufgabe Oekumenische Bewegung bis 1948 Vorläufer Drei große Ströme der oekumenischen Bewegung 1910—1948 . . . . Oekumenischer Rat der Kirchen Bisherige Geschichte

616 619 622 624 625 629 632 636 640 643 645 649 665 665 665 667 676 684 684 684 687 689 692 695 702 710 716 728 73 5 742 742 749 753 760 765 774

785 785 787 787 790 796 796

Inhalt Grundlagen, Organisation und Wesen des Oekumenischen Rates der Kirchen Entwicklung der Einheitsvorstellungen in der oekumenischen Bewegung ... Drei Einheitskonzeptionen, 1910—1937 Vertiefung des Einheitsgedankens innerhalb des Ö R K Verhältnis Oekumenische Bewegung und Oekumenischer Rat der Kirchen Die eine Bewegung und die Vielzahl ihrer Ausdrucksformen Rolle und Funktion des Oekumenischen Rates der Kirchen innerhalb der umfassenden oekumenischen Bewegung Sachregister Hinführung zu geographischen Komplexen konfessioneller Geschichte Personenregister

XI

802 809 810 816 825 825 832 839 847 854

Abkürzungen Algermissen Κ. Algermissen, Konfessionskunde8, neubearbeitet von H. Fries, W . de Vries, E. Iserloh, L. Klein, K. Keinath, Hrsg. Johann-Adam-Möhler-Institut für Oekumenik, Paderborn 1969 Beck H. G. Beck, Kirche und Theologische Literatur im byzantinischen Reich, Byzantinisches Handbuch Teil 2 I München 1959 Catholica

Catholica, Vierteljahresschrift für Kontroverstheologie, Hrsg. Johann-Adam-Möhler-Institut, Münster 1959fr. (bis 1958 Jhg. 1 — χ ι , hrsg. R . Grosche, Jahrbuch für Kontroverstheologie)

Conc

Concilium. Internationale Zeitschrift für Theologie, Einsiedeln, Zürich, Mainz 1965 ff.

Contacts

Contacts, Revue Fran?aise de L'Orthodoxie, hrsg. O . Clement, Paris seit 1949

Denz

H. Denzinger u. A . Schönmetzer, Enchiridion Symbolorum, Definitionum et Declarationum de rebus fidei et morum, Editio XXXIII, Freiburg 1965 Dictionnaire d'Histoire et de Geographie Ecclesiastiques, Paris, seit 1912

DHGE Diak

Diakonia. Der Seelsorger. Internationale Zeitschrift für Praktische Theologie, Mainz

Handb. O K Handbuch der Ostkirchenkunde, hrsg. E. von Ivanka, J. Tyciak, P. Wierts, Düsseldorf 1971 Heiler

Friedrich Heiler, Die Ostkirchen, neubearbeitete Ausgabe von „Urkirche und Ostkirche", München 1937, posthum hrsg. München/Basel 1971

Herd Kor.

Herder Korrespondenz. Orbis Catholicus, Freiburg seit 1945

Heyer

F. Heyer, Die katholische Kirche von 1648—1870, Die Kirche in ihrer Geschichte, Göttingen 1963

XIV

Abkürzungen

Κ. Hutten, Seher, Grübler, Enthusiasten. Sekten und religiöse Sondergemeinschaften der Gegenwart,! 1 Stuttgart 1968 Internationale Kirchliche Zeitschrift (altkatholisch). Neue IKZ Folge der Revue Internationale de Theologie, Bern seit 1893 Informationen aus der orthodoxen Kirche, hrsg. Kirchliches IOK Außenamt der EKD, Frankfurt/M. Istina, Revue Trimestrielle, hrsg. Centre d'Etudes Istina, Istina Boulogne 1954 ff. Karmiris J. Karmiris u. E. v. Ivanka, Repertorium der Symbole u. Bekenntnisschriften der griechisch-orthodoxen Kirche (im Anschluß an das Werk von J. Karmiris, Ta dogmatika kai symbolika mnemeia tes orthodoxou katholikes ekklesias I 2 Graz 1968) Düsseldorf 1969 Die Kirchen der Welt, hrsg. Η. H. Harms, H. Krüger, KdW G. Wagner, Η. H. Wolf, Stuttgart 1964 ff. Kirche im Osten, Studien zur osteuropäischen KirchengeKiO schichte und Kirchenkunde, hrsg. R . Stupperich, I—V Stuttgart, seit 1958, VI ff. (1963) Göttingen Kyrios Kyrios, hrsg. P. Meinhold, Berlin 1961 ff. La doc. cath. La documentation catholique, Paris I9i9ff. LThK Lexikon für Theologie und Kirche Ergänzungsbände I—III, Das zweite Vatikanische Konzil, Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen, lat. dt. Kommentare, Freiburg, Basel, Wien 1966—1968 LM Lutherische Monatshefte, Hamburg, seit 1961

Hutten

Maron

Gottfried Maron, Die römisch-katholische Kirche von 1870—1970, in: Die Kirche in ihrer Geschichte, hrsg. K. D. Schmidt u. E. Wolf, Göttingen 1972 MD Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts, Bensheim i95off. Mirbt/ Karl Mirbt u. Kurt Aland, Quellen zur Geschichte des Aland Papsttums und des römischen Katholizismus, Reihe I Neubearbeitimg von Kurt Aland, Tübingen 1967, Reihe II, Die Kirche nach dem II. Vatikanischen Konzil, I Die Jahre 1966 u. 1967, hrsg. Kurt Aland, Tübingen 1972 Orth, heute Orthodoxie heute, hrsg. Sergius Heitz, Düsseldorf, seit 1962 Ostk. Stud. Ostkirchliche Studien, Würzburg, 1952 ff. POC Proche Orient Chretien, Jerusalem 195iff.

Abkürzungen

Proc QUKdO SM StdZ Trembelas Ζ MP QKK

XV

A. Proc, Jahrbuch der Orthodoxie. Schematismus 1976/77, München 1976 Quellen und Untersuchungen zur Konfessionskunde der Orthodoxie, hrsg. K. Onasch, Berlin seit 1956 Sacramentum Mundi. Theol. Lexikon für die Praxis, Freiburg 1967 fr. Stimmen der Zeit, Freiburg 1871 ff. Trembelas, Dogmatique de l'eglise orthodoxe catholique, Chevetogne I 1966 2urnal Moskovskoj Patriarchii, 1952 fr. Quellen zur Konfessionskunde, hrsg. K. D. Schmidt u. W. Sucker, Reihe A u. B, Lüneburg 1954fr.

Einführung Der Erdkreis ist vom Dialoggeschehen zwischen den getrennten Kirchen gleichsam überdeckt. Die „in Christus vorgegebene Einheit" hat sich aufgemacht, sich selbst in unserer Geschichtswelt zu suchen. Wer miteinander reden will, muß einander kennen. So wandelt sich Konfessionspraxis zurück zur Konfessionskunde — Ergebnis einer R e flexion, die der Praxis folgt und weitere Praxis vorbereitet. I. Die letzterschienene evangelische Konfessionskunde des deutschen Sprachraums, „der Mulert", deren Nachfolger dieses Buch sein will, wurde vor einem halben Säkulum (1926) konzipiert und 1956 noch in einer dritten Auflage herausgegeben. Befragt man das Herzstück dieser und aller früheren evangelischen Konfessionskunden — die Darstellung, die die römische Kirche findet — nach der Methode, die zur Anwendung kommt, so lautet die Antwort: Die Auswirkung eines „katholischen Prinzips" und eines „evangelischen Prinzips" wird bis in jede Lebensäußerung jeder der beiden Kirchen hinein aufgespürt. Die Arbeiten dieser Methodik blicken auf eine Ahnenreihe zurück, die sich bis zu Johann Adam Möhlers „Symbolik" von 1832 zurückverfolgen läßt. Der Systemgeist der deutschen idealistischen Philosophie zog damals in die Bemühung, den evangelisch-katholischen Gegensatz zu definieren, ein. Möhler sah Katholizismus und Protestantismus als zwei in sich verstrebte Systeme einander gegenübergestellt, in denen jeweils ein Prinzip alle Einzelheiten der Lehre bestimmt und gegensätzlich macht, ein katholisches Prinzip und ein evangelisches Prinzip. Der große Tübinger Theologe verlegte diesen prinzipiellen Gegensatz in die Anthropologie. Nach katholischer Urstandslehre, so heißt es, sei Adam im Paradies heilig, aber nicht aus Naturkräften. Übernatur sei ihm beigelegt. Seine Heiligkeit sei ein von Gott hinzugegebenes Geschenk. Wenn der Sündenfall eintritt, bleibe doch das imagohafte Naturwesen des Menschen unbeschädigt. Die lutherische Urstandslehre sieht Möhler dagegen so:

2

Einführung

Adam ist heilig, aber von Natur. Seine Heiligkeit ist nicht akzidentiell, sondern essential. Folglich zerstört der Sündenfall die imago Dei. Von hier aus greift Möhler weiter. Nach ihm stellt die lutherische Leugnung der Freiheit beim gefallenen Menschen diesen außerhalb aller Verantwortung. Die Lehre von der Erbsünde scheint ihm bei den Lutheranern so zugespitzt, daß, wo die Natur des Menschen selbst für korrumpiert und das anerschaffene Organ für Gott für verloren gelten muß, sich im Menschen das wahre Ebenbild des Teufels fortzeugt. Die Erbsünde kann selbst nicht durch Wiedergeburt aus dem Menschen verschwinden. Die Katholiken dagegen lassen auch beim gefallenen Menschen den Übergang von der Erbsünde zur wirklichen Sünde durch Freiheit vermittelt sein. Im Luthertum werden die Sünden nur als einzelne Erscheinungen der Erbsünde aufgefaßt. Gott hat mit der Auslöschung der gottesebenbildlichen Natur einen mechanischen Zerstörungsakt am Menschen verübt. Alles moralische Übel wandelt sich in ein physisches um. Von dieser Deutung des katholisch-evangelischen Gegensatzes als eines „anthropologischen" gehen bei Möhler die Linien zu allen dogmatischen Kapiteln aus. Überall spiegelt sich der gleiche lutherische Grundfehler. In den evangelischen und katholischen Folgearbeiten konnte der Gegensatz eines evangelischen und eines katholischen Prinzips an anderer Stelle gesucht werden — immer war jedoch die Formulierung etwaiger streckenweiser evangelisch-katholischer „Gemeinsamkeiten" durch die Methodik selbst „prinzipiell" ausgeschlossen. Auch Mulert nimmt noch an, jede Konfession habe ihr je eigenes „Wesen", das sich in einer Vielfalt von „Lebensäußerungen" manifestiert. Er will „die das religiöse Leben beherrschenden Prinzipien finden". Mulert ist schon um vieles vorsichtiger geworden als die ihm vorausgehenden Konfessionskundler. U m das „Wesen" des Katholizismus zu definieren, untersucht er psychologistisch die Motivationen der Katholiken: „Unzählige Menschen suchen nach Halt und Leitung." Insofern ist Katholizismus „Religion der Autorität". „In Gemeinschaft des Glaubens mit andern zu stehen ist auch für geistig selbständige Menschen von hohem Wert. Der Katholik schätzt Einheit nicht nur des Glaubens, sondern auch der Gottesdienstordnung und der kirchlichen Verfassung". Insofern ist Katholizismus „Kirchenreligion". Das „Verlangen, die Kirche als etwas inmitten der unheiligen Welt Heiliges, seinem Wesen nach spezifisch Verschiedenes zu gestalten", verleiht dem Katholizismus seine asketischen Züge. Mulert wehrt sich jedoch gegen den Versuch, einen dieser Züge zu verabsolutieren. So behält die von ihm

Einführung

3

versuchte Wesensbestimmung etwas Oszillierendes. In analoger Weise nimmt Mulert auch ein „Wesen des Protestantismus" an, am besten faßbar im Unterschied zum Katholizismus. Doch „in der Geschichte ist (dieses Wesen) nie rein dagewesen, sondern immer nur in der Hülle des zeitgeschichtlich Bedingten und der nationalen Sonderarten". Gegenüber dem römischen „Gehorsam gegen die Autorität und einer heteronomen Moral" ist das Wesen des Evangelischen am ehesten als „gewissenhafte Selbständigkeit" zu beschreiben. Im Vergleich zu Mulert ist W . von Loewenich in seinem vielbeachteten Werk „Der moderne Katholizismus" (2 1956) noch zuversichtlicher in der Annahme, daß man das Wesen des Katholizismus in einem Prinzip fassen könne. Loewenich geht von der doppelten Anfrage aus: Wie verhält sich der moderne Katholizismus zur Wahrheit des Evangeliums und wie zum allgemeinen Wahrheitsbewußtsein der Zeit? Er kommt zu der Feststellung, daß dem seit 100 Jahren zu erkennenden katholischen Bestreben, dem wissenschaftlichen Wahrheitsbewußtsein Rechnung zu tragen, doch enge Grenzen gezogen sind. Die Ergebnisse der modernen Wissenschaft werden grundsätzlich nur anerkannt, soweit sie nicht mit einer überlieferten Lehre in Widerspruch geraten. Eine Revision dieser Lehre ist durch die Behauptung der Unfehlbarkeit unmöglich geworden. Offenkundig — so meint von Loewenich — sind aber eine Reihe kirchlicher Lehrsätze mit dem wissenschaftlichen Wahrheitsbewußtsein unvereinbar. So helfe man sich mit Interpretationskünsten und laufe Gefahr, nach zwei Seiten hin unredlich zu werden. Man trägt in die Lehre einen Sinn hinein, den sie von Hause aus nicht hat, und sucht das moderne Wahrheitsbewußtsein für eine Sache zu erwärmen, die es ablehnen muß. — In dieser Wesensdefmition des Katholizismus setzt sich die protestantische Urteilsweise des Jahrhundertanfangs fort, in welchem man den Katholizismus inmitten einer wissenschaftsgläubigen Welt seine antimodernistische Front aufbauen sah. II. Die Einengung aufs Doktrinale, die für die alte „Symbolik" charakteristisch war, ist mit recht durch die von Kattenbusch 1892 inaugurierte „Konfessionskunde" aufgesprengt worden. Die liturgische Ordnung, das Kirchenrecht, die sich ins staatliche, kulturelle, soziale Leben hinein auswirkende Praxis sind in gleicher Weise Momente der Verleiblichung der Kirche, die in der Konfessionskunde zu beschreiben sind. Hier folgt auch dieses Buch noch immer wie vor ihm Mulert der von Kattenbusch

4

Einführung

formulierten Zielvorstellung. Damit ist aber keineswegs gegeben, daß man für jede Konfession ihr je eigenes „Wesen" annehmen müsse, das sich in Vielfalt von „Lebensäußerungen" manifestiert. Wenn wir es wirklich in unser Bewußtsein aufgenommen haben, daß wir in unserer „Konfession" partielle Kirche sind, die angesichts der in Christus vorgegebenen Einheit schon jetzt in größeren Zusammenhängen steht, dann kann nicht mehr in einem je eigenen Wesen, das durch jeweils ein bestimmtes Prinzip durchgängig bestimmt ist, ein prinzipieller Unterschied zu den andern Konfessionen gefunden werden. Ja, es ist zu fragen, ob unter dem Begriff „Leben", das sich in „Lebensäußerungen" äußert, wirklich das in Christus neue Leben verstanden sei oder ob nicht darin noch immer der von Schleiermacher und Marheinecke zur Erklärung der Konfessionsvielfalt angewandte Begriff der „geschichtlichen Individuation" versteckt sei. Statt diese Tradition fortzusetzen, scheint es richtiger, auf die Kontroverspraxis des Reformationsjahrhunderts zurückzugreifen. Luther konnte in den Schmalkaldener Artikeln 1537 zu Trinitätslehre und Christologie sagen, diese Artikel stünden „in keinem Zank noch Streit". Gewiß — Mulert betont es mit Recht — als unglückliche Konsequenz ergab sich (>ein unfruchtbares Verfahren, die einzelnen Lehren wie eine Reihe von Paragraphen einander gegenüberzustellen". Doch diese Konsequenz ist nicht zwingend. Statt isolierte Lehrpunkte herauszupikken, versuchen wir Teilzusammenhänge innerhalb eines ohnehin fragmentarischen Verständnisses christlicher Existenz bei der Darstellung der einzelnen Konfessionen herauszuheben. Urteilen wir auch in der uns eigenen Perspektive in vielen Punkten kritisch, so geht es uns doch nicht weniger darum, Verstehenshilfen zu bieten, damit die vor unseren Augen noch verborgene Einheit in Christus besser entdeckt werde. Die kritischen Momente sollen nicht nur den anderen Kirchen verdeutlichen, warum wir als Evangelische uns getrauen, in unserer Kirche das Heil zu gewinnen, sie sollen auch unsere Schuldigkeit abgelten, den anderen zu einer vollkommeneren Erkenntnis zu verhelfen. Zum Verstehen unserer selbst und der anderen hilft Rückblendung in Historie insofern mit, als gegenwärtig erkennbare Züge der Konfessionen aus ihrer Genese am besten zu begreifen sind. Zugleich übt Kirchengeschichte eine oekumenische Funktion aus, indem sie einen RelativierungsefFekt hervorruft. Sie läßt die Entstehung kirchentrennender Gegensätze zeitbezüglich verstehen. Nicht weniger hilft die Beachtung der jeweils geltenden Denkstruktur und der angewandten Begriffsinstrumentarien, die gegensätzlich erscheinen lassen, was nicht gegen-

Einführung

5

sätzlich ist. Innerhalb der unterschiedlichen Denkstrukturen betrachtet, die die Theologien verschiedener Kirchen bestimmen, verlieren Aussagen, die abgelöst von ihrer Einfügung in die bestimmte Denkstruktur für häretisch gelten müßten, ihre Gefährlichkeit. Werden sie auch nicht übernehmbar, so doch tolerabel. Unvermutet lassen sich Äquivalenzen unter unterschiedlichem begrifflichem Ausdruck entdecken.. III. 1969 hat Algermissens katholische Konfessionskunde 8. Auflage neue Maßstäbe gesetzt. Die Darstellung der einzelnen Kirchen wurde einer Vielzahl von Spezialisten anvertraut. Das kam einer detaillierteren Darstellung der orthodoxen Kirchen, auch der nonchalcedonensischen zugute. Wir imitieren dieses System. Es geht heute nicht anders. Obwohl wir die Zeit hinter uns gelassen haben, in der für jede katholische Abhandlung einer theologischen Disziplin eine evangelische Dublette produziert werden mußte, und in diesem Buch nicht wiederholt werden soll, was im „Algermissen" eine geglückte Darstellung gefunden hat, ist unser evangelisches Entsprechungsstück unentbehrlich: Die katholische Kirche stellt sich ja im „Algermissen" selbst nicht dar. In dem 1922 entworfenen Werk sind bei der Neubearbeitung, die man der Urfassung hat angedeihen lassen, Deutungen der evangelischen Kirche stehen geblieben, die dem Stand der heutigen katholischen Reformationsforschung selber nicht mehr entsprechen. Die Reformation gilt „Algermissen" von vornherein als gescheitertes Unternehmen, weil sich ihre Zielung auf eine Reform der ganzen Kirche nicht erfüllte. Ein geschichtsphilosophischer Rahmen ist aufgespannt: Ursachenforschung muß die leichte Revolutionierbarkeit des Spätmittelalters aufzeigen, die handelnden reformatorischen Persönlichkeiten insofern exkulpieren, aber auch — bei aller Respektbezeugung vor ihrer persönlichen Prägekraft — zu bloßen Erfüllungsgehilfen einer historisch ohnehin unaufhaltsamen Entwicklung nivellieren. Nachdenkenswert ist dabei die These, die Germanen seien so kulturarm gewesen, daß sie das katholische Christentum ohne kritische Auseinandersetzung akzeptierten und dadurch den mittelalterlichen Universalismus ermöglichten. So mußte der Zeitpunkt kommen, wo die Kirche Aufgaben wieder abgeben mußte, die sie nur subsidiär übernommen hatte: die Reformation. Man begegnet ferner der Lortzschen These, die inzwischen oft wiederholt wurde, daß imgrunde der spätmittelalterliche Nominalismus eine katholische Abirrung dargestellt habe, eine nur bisher der Verurteilung entgangene Häresie,

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die verschuldete, daß sich Luthers Theologie verzerrte. Entsprechend dem gegenwärtigen Stand des römisch-evangelischen Gesprächs wird auch in das Reformationsgeschichtsbild als eigentlicher Trennungsgrund nicht Luthers Gnadenverständnis eingezeichnet, sondern seine erst später sich abzeichnende ekklesiologische Position. Die „komparative Symbolik des Protestantismus", die die 8. Auflage Algermissens versucht, greift ein Thema auf, das Bellarmin zuerst anschlug, Bossuet weiter entwickelte: Im Protestantismus habe die Lehre solche Variationen gefunden, daß dieser Wirr-warr verdeutliche, eine Kirche im eigentlichen Sinne habe man hier nicht vor sich. Sämtliche Risse zwischen Luther und Melanchthon, zwischen C A und Konkordie, zwischen lutherischen und reformierten Aussagen werden herausgespürt. Territorialkirchliche Untersuchungen unterstreichen den Eindruck der Zerstückelung. Die in der zweiten Generation auftauchenden Lehrstreitigkeiten ließen sich gut nutzen. Dabei sollten unsere katholischen Partner doch bedenken, daß es keiner Kirche Schande bringt, wenn es in ihrem Schoß quaestiones disputatae gibt. Hauptsache ist doch, daß die Kirche Kraft genug zeigt, zu Entscheidungen zu führen, und das hat die Konkordienformel doch geleistet! Die von Abt Laurentius Klein beigesteuerte Darstellung der anglikanischen Kirche erklärt deren Wesen als unterschwellige Fortwirkung von Prägekräften der Anfänge des Christentums in England: die vom römischen Brauch überfremdete keltische Eigenart der Kirche meldete sich wieder zu Wort. So werden durchgehaltene Wesenszüge des Anglikanismus herausgestellt, um diesen Typus des Christentums von den Reformationskirchen deutlich abzusondern. Angesichts des Vorteils, den eine Anerkennung der Gültigkeit anglikanischer Bischofsweihen mit sich bringen würde, kritisiert die Darstellung im „Algermissen" die Entscheidung von Apostolicae curae, die 1896 die Validität der anglikanischen Sukzession bestritt. Die Präambel des Orthodoxiekapitels erklärt, die „getrennten Ostkirchen" stünden der katholischen Kirche in Glaube, Gnadenmitteln und Kultus, in den Grundzügen ihrer Verfassung und in der Lehre von der apostolischen Sukzession näher als irgendeine andere „nichtkatholische Gemeinschaft". Doch wird den Orthodoxen Mangel an Denkkraft und infolgedessen Verstrickung in ungeklärte Widersprüche bescheinigt. Das gleiche an der Orthodoxie zu beobachtende Phänomen wird positiv gewertet, wenn „Algermissen" betont, daß das abendländische Christentum viel von der Orthodoxie zu empfangen habe. Die „überrationalen Kräfte" der anima naturaliter christiana fänden beim Osten Unterstüt-

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zung, der sich immer gegen ein Überhandnehmen des kritischen Geistes zu verteidigen vermocht habe. Unser „Drang zu echtem mystischem Erleben" ziehe in Richtung Osten. Man gelange vom abendländischen anthropozentrisch bestimmten Aktivismus zur „kosmisch-organischen, objektiven" östlichen Frömmigkeit. Obgleich „Algermissen" erkennt, daß die Orthodoxie nicht im gleichen Sinne wie die westlichen Kirchen doktrinal ist, wird jede einzelne orthodoxe oder nonchalcedonensische Kirche stereotyp daraufhin getestet, wie weit sie in Aussagen über den Primat oder in der Mariologie dem Maßstab römischer Dogmen entspreche. Wenn man schon in Lehrformeln nichts Korrespondierendes findet, so prüft man die liturgischen Texte daraufhin, ob sich korrekte Christologie darin finde. Die einzelnen historischen Trennungsgründe zwischen Byzanz und R o m werden sorgfältig untersucht, nicht ohne Bezugnahme auf die Kontroverse, die der russische Gelehrte Vinogradov anläßlich des 900-jährigen Gedenkens an das Schisma von 1054 auslöste. Der orthodoxe Russe hatte sich der Tendenz entgegengestellt, den theologischen Rang der Trennungsgründe herunterzuspielen. Einem so ungeheuerlichen Vorgang, wie es ein Schisma darstelle, müsse man seine Würde lassen. Dies lehnt „Algermissen" ab, weil das Schisma für leicht heilbar erklärt werden soll. „Mangel an Feingefühl" der Kreuzfahrer habe die Trennung vollständig gemacht. Die bisherige Unionsgeschichte, die zu Teilunionen führte, die eine wirkliche Einigung der Kirche erschweren, wird ausgeblendet. Als Krönung der bisherigen Entwicklung erscheint die Tilgung der Bannflüche von 1054 durch die beiderseitigen Erklärungen der letzten Sitzung des II. Vatikanischen Konzils 1965. Man gewinnt den Eindruck, daß „Algermissen" einer Kirchenstrategie dienen will, die unter Ausnutzung der strukturellen und dogmatischen Teilverwandtschaft von Orthodoxie, Altkatholiken und Anglikanern nur mit eben diesen eine Einheit herstellen will. Unser Buch hält sich von solchen Präferenzen frei. Das Einigungsproblem der Christenheit ist unteilbar! IV. Im World Council of Churches sind annähernd 260 Kirchen zusammengeschlossen. Die Zahl wechselt, denn seit Gründung in Amsterdam 1948 sind fortlaufend weitere Kirchen hinzugestoßen, alte Mitgliedskirchen aber haben, indem sie Unionen untereinander schlossen, den numerischen Bestand wiederum verringert. Wichtige Gemeinschaften wie Southern Baptists und Lutheran Missouri Synod fehlen in dieser

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oekumenischen Weltvereinigung. Im afrikanischen Kontinent schätzt man über 3000 Independent churches, die sich von ihren europäischen oder amerikanischen Missionaren emanzipiert haben. Da eine Konfessionskunde kein Lexikon sein will, in dem sich die Vollzahl aller Gemeinschaften beschrieben findet, mußte der Weg exemplarischer Präsentation gewählt werden. Das gilt auch für die Darstellung der katholischen Kirche der verschiedenen Kontinente — ein in der Konfessionskunde erstmaliger Versuch, der die Schwierigkeit dieser von so unterschiedlichen Volksmentalitäten bestimmten und an so unterschiedliche politische Systeme adaptierten Weltkirche verdeutlichen soll, alle ihre Gläubigen in eine Einheit zu integrieren und trotz der Phasenverspätung mancher ihrer Kirchenprovinzen alle zu simultanem Fortschreiten zu bewegen. Eine Sektenkunde ist nicht einbezogen: Da wo Verkündigung und Sakramentspraxis so verändert wird, daß es vom evangelischen Blickpunkt aus heilsgefährdend erscheint, endigt die Aufgabe der Konfessionskunde. Wir können hier umso beruhigter die Feder aus der Hand legen, als Huttens „Seher, Grübler, Enthusiasten" das Material für unsere Generation so unübertrefflich zusammengestellt hat. Die Grenze zwischen Kirche und Sektentum wird in diesem Buch nur mit einigen wenigen Beispielen abgetrennter Gruppen markiert, die die in den Großkirchen verödeten Charismen oder vergessenen theologischen Perspektiven als ihr Proprium aufnahmen und darum einen Dialog einzufordern berechtigt sind, mögen sie auch in ihrer Absetzbewegung schon über die Grenze hinübergeraten sein, an der Gemeinschaft des Glaubens zerbricht. Eine Präsentation der Kirchen der Welt, die die orthodoxen Kirchen des Ostens so stark einbezieht wie die unsere, verliert imgrunde das Recht, unter dem Titel „Konfessionskunde" zu erscheinen. Die Orthodoxie verwahrt sich dagegen, „Konfession" zu sein. Sie ist nicht durch eine vergleichbare Confessio wie Augustana oder Helvetica oder Westminster Confession konstituiert. Die katholische Kirche ihrerseits hat im Trienter Konzil ihre mittelalterliche Buntheit abgestreift, sich streng uniformiert und den Typus der Konfessionskirche angenommen. Nikos Nissiotis betont jedoch im Namen der Orthodoxie, daß Tradition der Konfession überlegen sei und mehr als diese in sich enthalte. Die Orthodoxie will nicht vermöge ihres Mitwirkens in der Oekumenischen Bewegung noch posthum sich in eine Konfessionskirche verwandeln zu müssen gezwungen sein.

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Die „Ökumenische Kirchenkunde" von Peter Meinhold (1962), die sich in die Tradition der Konfessionskunde einordnet, geht weniger ins Detail. Aber sie rechnet mit der schon „gegebenen Einheit des Leibes Christi" und will „die theologischen Voraussetzungen für das fortdauernde Gespräch der Kirchen untereinander schaffen". Mit dieser Zielstellung identifizieren wir uns. Der 1967 eröffneten katholischen Buchreihe „Oekumenische Forschungen" ist ein Geleitwort mitgegeben, das sagt, die getrennten Kirchen könnten einander nur bestenfalls auf Rufweite näher kommen, wenn nicht die theologischen Sandbänke, die zwischen ihnen Hegen, weggeräumt würden. Unsere „Konfessionskunde" will diese Sandbänke besichtigen und dabei prüfen, w o der Bagger demnächst eingesetzt werden könnte. Literatur H. Mulert, Konfessionskunde, hrsg. Erdmann Schott,3 Berlin 1956; K. Algermissen, Konfessionskunde, neuberarbeitet von H. Fries, W. de Vries, E. Iserloh, L. Klein, K. Keinath,» Paderborn 1969; Handbuch der Ostkirchenkunde, hrsg. von E. von Ivanka, J . Tyciak, P. Wiertz, Düsseldorf 1971; J . A. Möhler, Symbolik, 1832, hrsg. J . R . Geiselmann, Darmstadt 1958; F. Kattenbusch, Lehrbuch der vergleichenden Confessionskunde I, Freiburg 1892; F. Heiler, Der Katholizismus, München u. Basel 1970; Ders., Die Ostkirchen, München u. Basel 1971; Walther von Loewenich, Der moderne Katholizismus vor und nach dem Konzil, Witten 1970; P. Meinhold, ökumenische Kirchenkunde, 1962; Quellen zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus, I (Von den Anfängen bis zum Tridentinum) hrsg. K. Aland,« Tübingen 1967, II (Die Kirche nach dem II. Vatikanischen Konzil 1966—1967) hrsg. K. Aland, Tübingen 1972

Orthodoxe Kirchen des Ostens V I E R Z E H N AUTOKEPHALE K I R C H E N Prägung in Byzanz Die autokephalen Kirchen, in denen sich die Weltorthodoxie realisiert, setzen die Prägung fort, die das Christentum in der oströmischen Kaiserstadt Byzanz erhielt. Byzanz stellt eine Ineinsordnung von Imperium und Kirche dar. Dahinter steht der geschichtstheologische Entwurf des Euseb. In seiner Einleitung zur Kirchengeschichte schrieb er, es habe einst das eine auserwählte Volk Israel gegeben. Da jetzt alle Völker berufen seien, sei dies aufgehoben. Wir würden vielleicht sagen, das Christentum sei nun universal geworden. Euseb aber sah es anders. An die Stelle des alten Israel und der respublica romana ist „das christliche Volk" getreten. Der orbis romanus ist jetzt auserwählt. Trotzdem bleiben in ihm weiterhin die weltlichen Funktionen. Doch dieser Aspekt zerreißt nicht die Einheit des neuerstandenen Gebildes. Der Westen sah die Kirche als Nationen überbrückende Instanz, denn die Kirche mußte sich in der Zersplitterung der Völkerwanderungssituation etablieren. Im Osten bleibt dieses Erlebnis aus. Es findet sich ein Volk in der einen Kirche. Was Justinian (527—67) schuf, galt für die Zukunft als Norm. Die heidnische Philosophenschule von Athen wurde geschlossen, die christliche Bildung in einer neueröffneten Schule Konstantinopels vermittelt. Von den größten Mathematikern der Zeit wurde in 5 Jahren die Hagia Sophia erstellt, bei deren Weihe der Kaiser rief: Salomo, ich habe dich über troffen! In der 6. Novelle zum corpus iuris civilis deutete Kaiser Justinian Reich und Priestertum als zwei Gottesgaben, die in Symphonie miteinander leben. Die Zwei-Reiche-Lehre blieb dem Osten unbekannt. Innerhalb der Symphonie hat auch der Kaiser kirchliche Funktionen. Seit Justinian nahm die Sakralisierung des Kaisertums klarere Züge an. Die ältesten Elemente des Krönungs- und Hofzeremoniells waren von Patrikios an Justinians Hofe verfaßt. Der moderne Mensch, der auf den persönlichen Ton individuellen Lebens horcht, kann die Zeremonien nur als schematisch und ausdruckslos empfinden. Ein schriftstellernder Kaiser, Konstantin Porphyrogennetos, hat die höfischen Zeremonien „wie Blumen auf dem Felde" zusammengepflückt und „zur Verherr-

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lichung des Kaisertums" dargeboten (945). Die Byzantiner wollten mit diesen Zeremonien mystikos eikonizein. Im heidnischen Imperium hatte die Armee den Kaiser zu erheben. Jetzt ergänzt sich diese Auffassung in dem Sinne, daß Gott den Kaiser wählt. Die Wahl der Menschen ist von Gott inspiriert. Mit seiner Zustimmung verleiht der Mensch nur dem göttlichen Willen Ausdruck. Wenn der Kaiser an Sonntagen den Thron einnimmt, bleibt die rechte Thronhälfte frei — für Christus reserviert. Beruft der Kaiser Konzilien (kaiserliches Recht seit Arles 314), so steht in der Konzilsaula ein leerer Thron zum Zeichen der Anwesenheit Christi. Als Kaiserinwitwe Pulcheria den Markion zum Gatten und damit zum Kaiser erhob, wirkte zum ersten Mal der Patriarch mit (453). Später gehört es zum Zeremoniell, daß der Kaiser die Krone auf dem Altar der Hagia Sophia niederlegt und der Patriarch sie ihm beim Verlassen der Kirche wieder aufs Haupt setzt. Die erste Krönung dieser Art fand 641 statt. Wie bei Bischofsakklamationen ruft das Volk auch dem Kaiser das dreimalige Axios zu. Der Patriarch salbt den Kaiser kreuzförmig mit Myron und spricht seinerseits das Axios. Diese Salbung ist innerhalb des christlichen Reichs neu aufgekommen. Byzantinische Überzeugung war, das Imperium habe Heilsbedeutung und bestehe bis zum Jüngsten Tage. Das wurde durch den Fall Konstantinopels (1453) erschüttert. Jetzt war Kritik an der Reichsidee möglich. Georgios Vrantzes und Kondylas antworten: Das Christentum hänge nicht daran, daß man das Reich besitze. Solche Lösungen zeichnen sich bei Christen in Sowjetstaaten der Gegenwart — am eindrücklichsten bei den Verbannten in Solovkij — variationenreich ab. Die Prägung der Orthodoxie durch Byzanz hat eine Wirkungsgeschichte bis in die Gegenwart — nicht nur, weil die gottesdienstlichen Hymnen, die die Meloden für die Hagia Sophia schufen, und der byzantinische Nomokanon weiterleben. Daß das Krönungszeremonial von Byzanz bei der Erhebung des Moskauer Großfürsten in den Zarenrang übernommen und damit die Zarenwürde sakralisiert wurde, hinderte im 19. und 20. Jh. das russische Reich daran, die Entwicklung der westeuropäischen Staaten zu religionsneutralen Säkularstaaten mitzuvollziehen. Der Zarenkirche wurde die Funktion zugewiesen, dem Autokrator eine pseudosakrale Position zu sichern. Noch das Verhalten vieler Orthodoxer der Sowjetunion ist davon motiviert, die „byzantinische Symphonie" zwischen Kirche und atheistisch basierter Sowjetmacht fortzusetzen.

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Literatur Beck; F. Dvornik, Byzanz und der römische Primat, Stuttgart 1966; Handb. O K ; Heiler 441 ff. (Bibliogr.); E. von Ivänka, Rhomäerreich und Gottesvolk, Freiburg/München 1968; G. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates, München 1963

Altkirchliche Patriarchate Auf dem Oekumenischen Konzil von 381 fiel die Führungsrolle in der Ostkirche, die als „Ehrenprimat" beschrieben wird, an Konstantinopel. „Weil Konstantinopel das neue R o m ist", wurde diesem Patriarchensitz der Rang unmittelbar hinter R o m eingeräumt. Schon dadurch, daß die Patriarchate von Alexandria, Antiochien und Jerusalem im Arabersturm des 7. Jh. unter islamische Herrschaft gerieten, erfuhr die Stellung des Patriarchen von Konstantinopel einen weiteren Bedeutungszuwachs. Die Eroberung der Stadt durch die Türken 1453 bedeutete keine Machteinbuße. Der Eroberer Mehmet Fethi unterdrückte zwar die Partei der Latinophrones und erhob in Gennadius Scholarius einen Unionsfeind auf den Patriarchenstuhl — eine Garantie, daß die orthodoxe Kirche keine Sympathien für die Feinde des Osmanentums im Westen pflegte. Daß der Sultan den Patriarchen zum Gerichtsherrn für die christliche Ehegerichtsbarkeit und zum Garanten der Untertanentreue und Steuerehrlichkeit der Christen machte, steigerte dessen Machtfülle. Ein Firman Mohammeds I. von 1741 wies die Patriarchenwahl, die bisher der Versammlung der Bischöfe und Notabein zustand, den vier Metropoliten von Heraklea, Zyzikos, Nikomedien und Chalcedon zu. Damit bahnte sich eine Aristokratisierung der Hierarchie an und eine vermehrte mißbräuchliche Benutzung der Kirche durch das Sultanat. Der Gewählte hatte sich dem Großwesir, seit 1834 dem Sultan selbst vorzustellen, wobei er ein Bestätigungsschreiben empfing. Mit Hierarchen, die aus der griechischen Feudalschicht des Patriarchatsviertels gewählt wurden, den Phanarioten, regierte der Oekumenische Patriarch seit Beginn des 18. Jh. über alle orthodoxen Bischofssitze des osmanischen Reiches. Doch schwer lastete der politische Druck. Von den 160 Patriarchen, die seit der Eroberung Konstantinopels den Oekumenischen Stuhl innehatten, blieben nur 21, wie es die Kanones vorschreiben, bis zu ihrem natürlichen Tode in ihrer hierarchischen Funktion. 105 wurden abgesetzt, 27 resignierten, 6 wurden ermordet, darunter Gregorios V.,

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der, weil die Osmanen ihn für den griechischen Aufstand verantwortlich machten, am Ostertag 1821 in liturgischer Gewandung am Eingangstor des Phanar erhängt wurde. Daß die im Osmanenreich integrierten orthodoxen Nationen im Zuge ihrer politischen Emanzipation im 19. Jh. das Autokephalieprinzip unter Einfluß der von Herder angeregten Geistesbewegung als Nationalkirchenprinzip auslegten, sich von Konstantinopel losrissen und den phanariotischen Episkopat vertrieben, ließ den Jurisdiktionsbereich von Konstantinopel wieder schrumpfen. Zwar konnte man 1872 den „Phyletismus" als Häresie brandmarken und unterbrach die Beziehungen zu Kirchen, die sich mit „unkanonischen" Selbständigkeitserklärungen und Rangerhöhungen konstituierten. Doch die Schismen, die so entstanden, vor allem das zweimalige bulgarische Schisma (1872 und 1950), wurden infolge des Zwangs zu oekumenischer Kooperation, wollte man die Funktion des Ehrenprimats für die Gesamtorthodoxie weiter bedienen, beigelegt. Nach dem unglücklich verlaufenen Versuch Griechenlands, den Sieg der Alliierten über die Türkei im ersten Weltkrieg zur Bildung eines Großgriechenlands mit Hauptstadt Konstantinopel unter Einbeziehung der griechisch besiedelten Küstengebiete Kleinasiens auszunutzen, führte die Aussiedelung von 1 1 / 2 Millionen Griechen aus Kleinasien 1923 zur weiteren Schwächung des Patriarchats. Angeheizt durch den griechischtürkischen Zypernkonflikt zerstörte eine antigriechische Volksbewegung im September 1955 nicht weniger als 70 griechische Kirchen Konstantinopels. Die Regierung erzwang 1964 die Einstellung der Patriarchatszeitschrift Apostolos Andreas und schloß 1971 die Theologische Schule von Chalki. Trotz dieser politisch verursachten Bedrängnis gewann das Oekumenische Patriarchat in dieser Periode an Ansehen in der christlichen Welt dank des charismatischen Wirkens des Patriarchen Athenagoras I. (1949—1972). Seine oekumenische Offenheit sowohl gegenüber der römischen Kirche (Begegnimg mit Papst Paul VI. 1964 in Jerusalem — Empfang des Papstbesuchs im Phanar 1968) als auch gegenüber der evangelischen Christenheit (Theologischer Austausch offizieller Delegationen des Patriarchats und der E K D seit 1969) mobilisierte zwar den Widerstand der Athosmönche und dreier Eparchien Griechenlands (Verweigerung der Fürbitterwähnung in der Göttlichen Liturgie), die von einer „Athenagorischen Häresie" sprachen. Patriarch Dimitrios, der — nach Ausschluss einiger bedeutender Wahlkandidaten seitens der türkischen Regierung — als Nachfolger gewählt wurde, läßt die Synode

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stärker zum Zuge kommen. Trotz eines Versuchs der griechischen Regierung 1969, den Dodekanes und Kreta der Jurisdiktion des Oekumenischen Stuhls zu entziehen, erstreckt sich das Oekumenische Patriarchat noch auf diesen Teil der griechischen Inselwelt. Mit dem Ausbau des Orthodoxen Zentrums von Chambesy bei Genf hat das Patriarchat ein Organ geschaffen, von dem aus seine Aufgabe, den Zusammentritt eines Oekumenischen Konzils der Weltorthodoxie vorzubereiten, durchgeführt wird. Als Apostelsitze, frühkirchliche Missionszentren, die die im Missionsprozeß gestifteten Gemeinden unter ihrer Jurisdiktion hielten, und als Regierungszentren des oströmischen Reiches entwickelten sich Alexandria und Antiochien noch früher als Konstantinopel zu Patriarchaten. Unter Hinzunahme Jerusalems und des „abendländischen Patriarchats R o m s " wurde das byzantinische Verfassungskonzept der „Fünfherrschaft" (Pentarchie) formuliert, das noch jetzt bestimmend ist, wenn die Orthodoxie ihr Verhältnis zu R o m aussagen will. Am 25. Juli 1967 begrüßte der Patriarch den Papst bei dessen Besuch in Konstantinopel mit dem Satz: „Willkommen, Nachfolger Petri! Da haben wir, über all unser menschliches Hoffen hinaus, mitten unter uns den Bischof von R o m , den Ersten an Ehre, den Vorsteher der Liebe!" Das Patriarchat Alexandria, das zweite in der Rangfolge, zeigte unter Patriarch Kyrill bei der Lösung der christologischen Streifrage noch im Oekumenischen Konzil von Ephesus 431 Führungskraft. Doch die christologische Zweinaturenlehre von Chalcedon 451 wurde nur von den in Administrationen und Garnisonen Ägyptens eingesetzten Hellenen angenommen, nicht von der majoritären einheimischen Bevölkerung, die sich in einem monophysitischen koptischen Patriarchat verselbständigte. Den arabischen Eroberern Ägyptens galt das dyophysitisch orientierte Patriarchat mit seinen hellenisierten Gläubigen, das unter seinem letzten Patriarchen, dem hl. Johannes dem Barmherzigen (Eleemon) noch eine Blüte erlebt hatte, als potentieller Bundesgenosse des byzantinischen Feindes und blieb öfters vakant. Während des 17. Jh., das die Orthodoxie des osmanischen Reiches in die Entscheidung zwischen einer prorömischen oder procalvinischen Anlehnung hineinzwang, gewann die Patriarchenreihe Meletios Pigas (1592—1602), Kyrillos Lukaris (1603—1621) und Mitrophanes Kritopoulos (1636—1639) einen tief nachwirkenden Kontakt mit dem westlichen Protestantismus und ein hohes literarisches Niveau. Dann wurde die Tradition nur noch durch Titelträger fortgeführt, die im Phanar residierten.

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Als 1846 der Patriarch wieder seinen Sitz in Alexandria einnahm, zählte seine Herde kaum mehr als 2000 Seelen. Der Einwandererstrom aus Griechenland und dem Libanon ließ die Zahl der Gläubigen auf 150000 anwachsen, die in 9 Metropolien gegliedert wurden, trug aber einen Konflikt zwischen griechischen und arabischen Tendenzen ein. 1899 gab Konstantinopel die faktische Selbständigkeit an Alexandria zurück. Doch angesichts der ethnischen Gegensätze konnte erst 1938 ein Statut erlassen werden. Unter russischem Patronate traten sich Ende des 19. Jh. der griechisch-dyophysitische Patriarch Olympios und der monophysitischkoptische Reformpatriarch Kyrill IV. so nahe, daß zum ersten Mal ein Zusammenschluß der beiden Patriarchate wieder in den Blick kam. Sollten die seit dem Theologentreffen von Aarhus 1964 in Gang befindlichen EinigungsVerhandlungen zwischen chalcedonensischer und nonchalcedonensischer Orthodoxie zum Erfolg kommen, so ist die Verschmelzung beider Patriarchate zu erwarten. Obwohl die Griechenpolitik Präsident Nassers die griechische Kolonie in Ägypten schwächte, minderte sich doch die Bedeutung des alexandrinischen Patriarchensitzes nicht, denn in Gesamtafrika zeigen sich neue orthodoxe Ansätze. Schon wurden die bisher in Alexandria residierenden Hierarchen auf Bischofssitze im gesamten Kontinent verteilt. Insbesondere stellt die Entwicklung der East African Orthodox Church neue Aufgaben. Der 1969 inthronisierte Patriarch Nikolaos ist aus der Zeit seines früheren Amtswirkens als Metropolit von Irinopolis (Daressalam) mit der Bewegung, die sich vor allem in Uganda und Kenya entwickelte, vertraut. Dieser schwarzafrikanischen Kirche (70000 Seelen) weihte der Patriarch 1973 drei Afrikaner als Hilfsbischöfe, die unter dem jetzigen Metropoliten von Irinopolis, dem Griechen Frumentius zu wirken haben. Die orthodoxe Mission unter den Afrikanern war von drei Brennpunkten ausgegangen: 1912 hatte der griechische Archimandrit Nikodemos Sarikas aus Moshi Afrikaner zu taufen begonnen. 1930 hatte der damalige Student des anglikanischen Seminars von Uganda, Reuben Spartas, durch einen Lexikonartikel auf die Orthodoxie aufmerksam, die Ordination empfangen, zuerst zwar durch einen der unkanonischen episcopi vagantes, dann im Rahmen des alexandrinischen Patriarchats. Schon 1932 war von seinen Mitarbeitern die Mission im Norden Ugandas begonnen. In dem von der Mau Mau-Bewegung aufgewühlten Kenya lösten sich annähernd 300 Einzelgemeinden aus antikoloniali-

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stischen Impulsen von der britisch geführten anglikanischen Mission und nannten sich orthodox. Auf Anregung des Arthur Gaduna (Priesterweihe 1934) ließen sich viele davon unter die hierarchische Führung von Alexandria zusammensammeln. Die Chrysostomos-Liturgie wird in Lugandasprache (1934 von Reuben Spartas übersetzt) bzw. in Kikuyu zelebriert. Die Priesterausbildung erfolgte weitgehend im Ausland (Chalki, Patmos, griechische Universitäten, Zypern, russische Seminare und Holy Cross/USA) und wirkte zersplitternd. Man mußte fragen, welche Kraft kann die unterschiedlichen Ströme in eins binden? Die Priesterweihe von 1966 brachte die Zahl der Kenya-Priester auf 50. Das Schulwerk, das der erste in Athen akademisch ausgebildete Priester Theodoros in Kampala aufbaute, (schon 1963 rund 1000 Schüler), festigt die Orthodoxie. Die typische Symphonie zwischen Kirche und Staat legte eine enge Beziehung zwischen dem afrikanischen Kirchenhaupt Reuben Spartas und dem nicht weit entfernt residierenden traditionellen Sakralkönig Ugandas, dem Kabaka nahe. Der Kabaka ernannte Reuben Spartas zum Parlamentsmitglied. Der Sturz des Königs durch Obote (1965) ließ die Kirche in eine Krise geraten. Die ostafrikanischen orthodoxen Ansätze wurden von einer neuen Missionsbewegung als Ausgangspunkt ihrer Missionsarbeit genommen. Der 1953 gegründete übernationale Zusammenschluß orthodoxer Jugendverbände „Syndesmos" erhob auf seiner 4. Generalversammlung 1958 in Saloniki die Mission zu seiner Aufgabe. Seine Zeitschrift Porevthendes wurde Veröffentlichungsorgan missiologischer Studien. Im Auftrag von Syndesmos sondierte der damalige Archimandrit Jannoulatos 1964 das Missionsfeld. Daß Ostafrika jurisdiktionell durch Alexandria besetzt war, die Missionare aber von außen — aus Hellas oder Zypern — kamen, ließ einen Konflikt zwischen dem Athener Erzbischof und dem Patriarchen Nikolaos VI. von Alexandria aufkommen. In derWeihe von Afrikanern zu Bischöfen (freilich erst 5 Jahre nach dem bei der Inthronisierung gegebenen Versprechen: Reuben Spartas für Uganda, Gaduna für Kenya, Theodoros für Tanzania) fand der Konflikt seine Lösung. Die bisher allzu paternalistische Führung der Afrikaner durch Griechen kam zu ihrem Ende. Das Patriarchat Antiochia hat nicht die gleichen stürmischen Aufund Abbewegungen wie Alexandria durchgemacht. Das Syrertum, auf dessen Volksboden es sich entfaltete, hatte nie in seiner Geschichte eine religiöse Einheit gebildet und seine orthodox verbleibenden Minder-

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heitsgruppen siedelten in festumgrenzten Bereichen: „im Tal der Christen", das sich von Horns zum Craques des Chevaliers hinzieht, bei Lattakie, bei Zahle und in den Christenvierteln von Aleppo, Damaskus und Beirut. Doch durch die katholische Unionswerbung in Nahost, die sich seit Gründung der Propaganda 1622 intensivierte, wurde der Fortbestand gefährdet. 1724 wurde ein katholisch orientierter Hierarch auf den Patriarchenstuhl von Antiochia gewählt. Hätte nicht der Oekumenische Patriarch in diesem Augenblick einen Titelträger ernannt, wäre die orthodoxe Patriarchatssukzession von Antiochien erloschen. Nur im Patriarchat Antiochien gelang es den arabisch sprechenden Christen, die traditionelle hellenische Kirchenführung zu verdrängen. Mit russischer Unterstützung wurde 1898 der Araber Meletios Doumani zum Patriarchen gewählt, und da sich die griechischen Metropoliten daraufhin nach Konstantinopel zurückzogen und von da aus mit dem Druckmittel des Abbruchs der kanonischen Beziehungen von Seiten Konstantinopels, Jerusalems und Alexandrias die hellenische Führung zurückzugewinnen suchten, dies aber ohne Ergebnis blieb, fielen auch die Bischofssitze, die hätten hellenisch bleiben können, an die Araber. Die russische orthodoxe Kirche half, indem sie für das Patriarchat Antiochien das Myron bereitete. Die enge Bindung an die russische Orthodoxie blieb bis in die Gegenwart erhalten. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde mit russischen Spenden das neue Patriarchatsgebäude in der Geraden Straße von Damaskus errichtet und alle Kirchenbauten des Patriarchats in den baulich denkbar besten Zustand versetzt. Die Sowjetregierung half insofern mit, als sie die in der Zarenzeit dem Patriarchat Antiochien auf russischem Territorium zugeteilten Stiftungen dem antiochenischen Patriarchat unter Mitanrechnung der Zinsen, die in der Zwischenzeit aufgelaufen wären, zurückerstattete. Antiochenische Hierarchen setzten sich dafür in der von der Sowjetunion in Gang gebrachten Weltfriedensbewegung ein. Daß 1969 ein zwei Jahre währendes inneres Schisma das Patriarchat zerriß, hatte darin seine Ursache, daß ein vom Moskauer Patriarchat begünstigter antiochenischer Kleriker, Basil Samach, der ein Jahrzehnt lang den antiochenischen Podvor in Moskau leitete und dabei eine einem Nuntius vergleichbare Funktion wahrnahm, Anspruch auf die Patriarchenwürde erhob. Der 1970 gewählte jugendliche Patriarch Elias hat sich jedoch im ganzen Patriarchat Anerkennung verschaffen können. Innerhalb des Patriarchats Antiochien, vornehmlich in den libanesischen Eparchien, sammelte sich in der „Orthodoxen Jugendbewegung"

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eine Erneuerungsgruppe, die Bedeutung für die Weltorthodoxie besitzt. Die Initiatoren sind 1970 in bischöfliche Funktionen aufgestiegen: Georg Khodr nahm im Februar 1970 den Bischofssitz des Berges Libanon ein, Ignatios Hazim, schon 1966 für den erzbischöflichen Stuhl von Lattakie bestimmt, konnte Ende 1970 seine dortige Aufgabe übernehmen. Das alte Kreuzfahrerkloster Balamond wurde im gleichen Jahr zur Akademie ausgebaut. Unter Uberwindung des traditionellen antigriechischen Komplexes wurde 1973 der Kanonist der Theol. Fakultät Saloniki, Archimandrit Panteleimon Rodopoulos, zum Rektor eingesetzt. Auf dem Oekumenischen Konzil von Chalcedon 451 wurde auch die ursprünglich der Metropolie von Cäsarea zugehörende heilige Stadt Jerusalem in den Rang eines Patriarchensitzes erhoben. Dabei wurden 60 bisher zu Antiochia zählende Bischofssitze der Jurisdiktion des Jerusalemer Hierarchen Juvenal unterstellt. Doch der persische Einfall von 614, endgültig die arabische Eroberung von 637 schufen bedrückende Zustände. Die Kreuzfahrer, die 1099—1187 das hl. Land beherrschten, ersetzten für diese Zeit den orthodoxen Patriarchen kurzerhand durch einen lateinischen, behielten auch danach noch die Hand über zahlreichen Heiligtümern. Ja, 1847 vermochte R o m mit dem Orientmissionar Valerga erneut ein lateinisches Patriarchat in Jerusalem aufzurichten. Jahrhundertelang hatte nur ein orthodoxer Titelträger im Phanar die Tradition fortgeführt. Erst die erneute lateinische Präsenz in Jerusalem, die zeitlich fast mit der Aufrichtung des preußisch-anglikanischen Bistums Jerusalem und mit der den Griechen unerwünschten Niederlassung der Russischen Geistlichen Mission zusammenfiel, veranlaßte den Inhaber des orthodoxen Titels, seine Residenz in der hl. Stadt zu nehmen. Da sich das Jerusalemer Patriarchat auf die hellenische „Bruderschaft des hl. Grabes", eine machtvolle mönchische Gemeinschaft, stützen kann, erhielt sich hier im Gegensatz zu Antiochien der griechische Charakter, damit aber auch die Spannung zu den arabisch sprechenden Christen.

Literatur Zu Konstantinopel O . Clement, Dialogues avec le patriarche Athenagoras, Paris 1969; F. Dvornik, Byzanz und der römische Primat, Stuttgart 1966; J. Gottwald, Phanariotische Studien, in: Leipziger Vierteljahrsschrift für Südosteuropa, Leipzig 1941, i f f . ;

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C . Frazee, The orthodox church and independent Greece 1 8 2 1 — 1 8 5 2 , Cambridge 1969; Heiler 44fr. u. 4 5 2 f . ; B. Ohse, Der Patriarch, Göttingen 1968; S. Runciman, Das Patriarchat von Konstantinopel vom Vorabend der türkischen Eroberung bis zum griechischen Unabhängigkeitskrieg, München 1970

Zu Patriarchat Alexandria, Antiochien, Jerusalem Heiler 49fr. u. 453ff. (Bibliogr.); Proc 41 ff.; F. Siegmund-Schultze hrsg., Die orthodoxe Kirche auf dem Balkan und in Vorderasien, Ekklesia X Leipzig 1941

Zur afrikanischen Orthodoxie Le Messager orthodoxe Nr. 19/20, 1962; Revue du clerge africain 24, 1969; F. B. Welbourn, Ostafrikanische Rebellen, 1961

Kirche von Hellas Die griechische Erhebung gegen die türkische Herrschaft begann am 25. März 1821 — an Mariae Verkündigung — in einem Kloster bei Patras (Lavra). Metropolit Germanos von Patras hatte zur Proklamation des Aufstandes liturgische Kleider angezogen und das Lavaron ergriffen: So sehr faßte er den Aufstand als kirchliche Aufgabe auf. Bischof Anthimos von Elis verfaßte ein Gebet für die Befreiung Griechenlands: „Allmächtiger, unsichtbarer, unfaßbarer, unbegreiflicher Gott, der Du durch das Bild des Kreuzes den Propheten Moses stark gemacht hast, daß er den Tyrannen des alten Israel, Pharao im Roten Meer versenkte, . . . erhöre unser Flehen und befreie uns, das neue Israel, von der ismaelitischen Tyrannei. Kräftige uns... und das christusliebende Heer durch die Kraft Deines lebenspendenden Kreuzes, um die Feinde Deiner heiligen Kirche zu Boden zu schleudern und als Triumphatoren gegenüber den Nachkommen der Hagar zu erscheinen." Die griechische Orthodoxie hatte die vier Jahrhunderte türkischer Herrschaft nur überstehen können, indem Mönche in Geheimschulen die Kirchenbildung tradierten. Die den Aufstand von 1821 organisierende Verschwörergruppe (Philiki Hetäria) hatte auch den regierenden Patriarchen von Konstantinopel in ihre Pläne eingeweiht. Die türkische Regierung machte Gregorios V. für den Aufstand verantwortlich. Die Leiche des Erhängten wurde nach Odessa geschmuggelt, doch 1871

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in die erzbischöfliche Kathedrale von Athen überführt. Daß die folgenden Patriarchen unter türkischem Druck die Griechen zum Niederlegen der Waffen aufriefen, begründet die Entfremdung, die zur Verselbständigung der Orthodoxen Kirche Griechenlands führte. 1828 verfügte Ministerpräsident Kapodistria, der das Amt eines russischen Außenministers aufgegeben hatte, um den griechischen Staat zu organisieren, die Loslösung der nationalgriechischen Kirche vom Phanar. Erst 1850 bestätigte der Patriarch die Autokephalie. Dodekanes und Kreta, erst später mit Griechenland vereinigt, unterstehen bis heute — trotz der Versuche Athens zur Einverleibung in die Kirche von Hellas — dem Oekumenischen Patriarchat. Daß Otto von Bayern, der erste König, nach der Thronbesteigung beim katholischen Glauben blieb, verhinderte, daß sich das orthodoxe Volk mit seinem König innerlich verband. Die Kirchenverfassungsentwicklung des befreiten Griechenland durchlief zwei Phasen: Unter dem Einfluß des Ministers von Maurer wurde die Kirche als reine Staatsanstalt organisiert. Die fünf Mitglieder ihres Synods wurden vom König ernannt, der als „Haupt und Führer der Kirche" in allen äußeren Kirchenangelegenheiten anzuerkennen war. Nach russischem Vorbild hatte ein Prokurator die königlichen Rechte in der Synode wahrzunehmen, zwar ohne Stimmrecht aber mit Vetorecht. 1923 aber wurde unter liberalen Vorzeichen ein neues Kirchengesetz erlassen, das die Grundlage für die Kodifikation von 1949 bot. Im Ministerium für Erziehung und kirchliche Angelegenheiten ist eine Generaldirektion für Kirchenfragen eingerichtet. Wenn die Bischöfe aber die Pateriza (Bischofsstab) auf den Boden stoßen und nein sagen, ist das Ministerium machtlos. Äußerlich als Staatskirche zusammengehalten, ist die Kirche von Hellas seit dem ersten Weltkriege doch durch gegensätzliche Parteirichtungen tief gespalten. 1917 mißbrauchte der Staat die Kirche politisch, indem auf Wunsch König Konstantins der demokratische Politiker Venizelos durch die Synode anathematisiert wurde. Als Venizelos den König vertrieb, übte er Rache an der Kirche, verdammte durch eine neue Synode den bisherigen Erzbischof Theoklitos und erhob seinen Vertrauensmann Meletios Metaxakis, einen geschickten Reformer. Der erneute Sturz von Venizelos im November 1920 zog wiederum den Sturz des Metaxakis nach sich. Die Spaltung der Kirche in Venizelisten und Royalisten griff nicht nur im griechischen Heimatland, sondern auch in der amerikanischen Diaspora tief.

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In ähnlicher Weise trennte die Frage, ob sich Griechenland dem vom Oekumenischen Patriarchen 1923 vollzogenen Übergang vom Julianischen zum Gregorianischen Kalender anschließen solle oder nicht, zwei Parteien. Noch heute befindet sich eine schismatische Hierarchie von „Altkalendariem", die von den rund neun Millionen orthodoxen Griechen ungefähr eine Million unter ihrer Jurisdiktion sammeln, in Kifissia. Es gibt im legalen Amt stehende Bischöfe, die den Altkalendariem in der Sachfrage rechtgeben, es vorläufig aber damit bewenden lassen, daß sie die Feste doppelt begehen. Im November 1965 belastete ein Streit um die kanonische Frage, ob das „Metatheton" bei der Besetzung von Bischofsstühlen kanonisch zulässig sei, das heißt, ob Bischöfe von den Stühlen, für die sie geweiht waren, auf wichtigere (und besser dotierte) Stühle versetzt werden könnten. Ein Bischof galt wie in einer Ehe mit seiner Eparchie verbunden. Im Gegensatz zu den in den Staatsbehörden vertretenen orthodoxen Kreisen traten damals 36 Metropoliten zu einer Synode zusammen, besetzten, zum Teil unter Anwendung des Metatheton, 15 Bischofsstühle und weihten die Neugewählten bei verschlossenen Türen. Nach der Machtergreifung des Militärs (21. April 1967) kam es zu einem innerkirchlichen Gegensatz, der politisch grundiert war. Die Militärregierung veranlaßte den 87-jährigen Erzbischof Chrysostomus zum Rücktritt und ließ den bisherigen Hofprediger Kotsonis durch eine von der Militärregierung eigens zusammengestellte — also unkanonische — „Synode der Besten" zum neuen Erzbischof wählen. Erzbischof Hieronymus — so nannte sich Kotsonis nach seiner Thronbesteigung — besetzte, um seine Position in der Kirche von Hellas auszubauen, die Schlüsselstellungen der Kirche mit Mitgliedern der Zoi-Bruderschaft. Dies hat eine Vertrauenskrise heraufbeschworen. Das Problem der unkanonischen Bestellung des Erzbischofs wurde hochgespielt. Die Macht in der Kirche war in einem Augenblick an die Zoi-Bruderschaft gefallen, wo sich diese bereits in Dekadenz befand. Das darf die geschichtliche Tatsache nicht verdecken, daß die geistliche Wiedererweckung des griechischen Volkes und die Stiftung neuer Lebensformen nicht von der Amtskirche ausging. Vielmehr brachte die Zoi-Bewegung in die Kirche ein, was wir „Kirchliche Werke" nennen. Fragt man nach den Anfängen, so muß man über ein Jahrhundert auf Apostolos Makrakis zurückgreifen, einen autodidaktischen Laientheologen, der sich 1866 ins Kloster Kaisariani am Hymettos einnistete und von dort seine täglichen Besuche nach Athen unternahm, wo er auf dem Omonia-

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Platz wie ein Savonarola predigte. Die eigene Zeitung, die Makrakis unter dem Titel „Gerechtigkeit" herausgab, zeigte die gleiche polemische Note gegen Freimaurerei, kirchliche Administration und Regierung. Besonders griff Makrakis die Universität Athen als „Verfinsterungsanstalt" (Panskotistirion statt Panepistimion) an. Eine Anklage bei der Hl. Synode wegen Ketzerei markierte den Bruch mit den kirchlichen Behörden. Hier wurde der Grund für den antihierarchischen Affekt der Nachfolgeorganisation — der Zoi — gelegt. Aber auch ein anderer Zug der Zoi-Bruderschaft läßt sich schon bei Makrakis feststellen, nämlich die Behauptung einer Heilsrolle des griechischen Volkes. Auf Grund von Mißdeutungen der Apokalypse betonte Makrakis eine besondere Sendung des Griechentums. Des Makrakis beste Schüler waren es, die in der Zoi-Bewegung führend wurden, vor allem Eusebios Matthopoulos, Beichtvater des Makrakiskreises. Im Augenblick der kirchenoffiziellen Verurteilung des Meisters begann Eusebios seine evangelistische Wirksamkeit und gründete 1907 die in ihrem Typus völlig neue monastische Bruderschaft von Theologen unter dem Namen Zoi, die zwar nie viel mehr als 100 Mitglieder gewann, aber durch die Gründung außerparochialer Institutionen und literarische Produktion eine erstaunliche Umwandlung des christlichen Lebens im griechischen Volk bewirkte. Mitten in Athen stiftete die Zoi-Bruderschaft ihr monastisches Zentrum in einem Geschäftshaus mit allem modernen Komfort und entwickelte eine Meisterschaft im Organisieren. Die Bedeutung der Zoi-Bruderschaft wurde schlagartig dadurch herabgemindert, daß die griechische Synode ihrerseits 1936 zur Wahrnehmung der außerparochialen Aufgaben, die bisher Monopol von Zoi gewesen waren, eine eigene Einrichtung der Amtskirche schuf: Apostoliki Diakonia. Man kritisierte an Zoi, daß es an ekklesialem Bewußtsein, wie es für die Orthodoxie unaufgeblich sei, fehle. Caritative Arbeit, Gründung von Studentenheimen, Neustiftung des Diakonissenwesens, Rundfunkarbeit falle in kirchliche Verantwortung. Bald trennte sich ein konservativer Flügel unter dem Namen Sotir unter Führung von Professor Trembelas ab und geriet mit der verbleibenden Zoi in Prozesse über das Editionsrecht der Volkssprachenbibel. Durch die Militärrevolte des April 1967 wurde nun dieser ZoiBewegung in ihrer Spätphase die Macht in der Kirche zugespielt. Die führenden Offiziere waren langjährige Anhänger. Dadurch, daß Zoi ihre aktiven Mitglieder in das Bischofsamt eintreten ließ, wurde die Bewegung selbst führerlos. Um Bischofssitze für Neubesetzung durch

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Zoi-Anhänger freizuräumen und damit für Erzbischof Hieronymus eine verbreiterte Basis in der Bischofssynode zu erreichen, wurde eine Regierungsnotverordnung vom 12. Dez. 1967 benutzt, die zwei kirchliche Gerichtshöfe (für Priesterschaft und Mönche und für den Episkopat) errichtete, um eine „Säuberung" der Hierarchie einzuleiten. Metropolit Panteleimon von Saloniki, der zweitmächtigste Kirchenfürst, und Metropolit Jakovos von Attika verloren ihre Ämter. Ein Gesetz, demzufolge Bischöfe bei Erreichung der Altersgrenze von 70 Jahren zu emeritieren sind, half im gleichen Sinne. Gestützt auf die Kanones trat der verbleibende Altepiskopat in Opposition. Die Gegenbewegung wurde auch vom Athosmönchtum gestützt, das sich einem Vergewaltigungsversuch von Seiten der Regierung gegenübersah, und von den Theologischen Fakultäten. Das Reformprogramm, das Erzbischof Hieronymus sogleich bei seiner Inthronisationsrede Nov. 1967 vorgelegt hatte, faßte imgrunde alle für die Kirche von Hellas notwendigen Maßnahmen positiv zusammen: Reduzierung der Zahl der Eparchien und Aufteilung der Großstadteparchien, bessere Priesterbildung (von den 8000 Priestern besitzen nur 300 eine abgeschlossene akademische Bildung, nur 1800 eine Seminarbildung. Priester lernten ihre Amtshandlungen lehrlingshaft. 2000 akademisch gebildete Theologen hatten vermieden, sich ordinieren zu lassen, um nicht unter die Jurisdiktion gering gebildeter Bischöfe zu geraten), Angleichung der Pfarreinkommen aneinander, Hebung der Laienverantwortung, Entwicklung der Äußeren Mission. Doch wegen seiner politischen Servilität gegenüber dem Regime wurden seine Reformen von der Opposition abgeblockt. Am 31. März 1973 erreichte die Krise zwischen alter und neuer Hierarchie ihren Höhepunkt angesichts eines neueingeführten Wahlverfahrens für die Mitglieder der ständigen Bischofssynode, das in diesem Organ eine Majorität der politisch hörigen Zoi-Bischöfe hätte sichern sollen. Erzbischof Hieronymus legte sein Amt nieder. Der als Nachfolger erhobene Erzbischof Seraphim blieb bei dem infolge der Zypernkrise Juli 1974 erfolgten politischen Umschwung unangefochten. Literatur K. G. Bonis, Der Erzbischof von Athen und ganz Griechenland Chrysostomos Papadopoulos (1868—1938), Athen 1969 (griech.); C. Maczewski, Die Zoi-Bewegung Griechenlands, Göttingen 1970; D. Konstantelos, The Zoe-Movement in Greece, ο. J . ;

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E . Psipoulos, La Confrerie de Theologiens Zoi, Diss. Straßburg 1 9 6 5 ; P. Bratsiotis, Die Theologenbruderschaft Zoe, in: Zeitschrift f. Rel. u. Geistesgesch. i960, 3 7 1 ff.; Ders., Die geistigen Strömungen und religiösen Bewegungen in der orthodoxen Kirche Griechenlands, in: Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht, K d W , 2 Stuttgart 1970, 255fr.; D . Tsakonas, Die geistigen und religiösen Strömungen im heutigen Griechenland, in: Una Sancta 1963, 36ff.; H. Kotsonis, Die Stellung der Laien innerhalb des kirchlichen Organismus, in: Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht, 2 Stuttgart 1970, 298 fr.; D . Savramis, Christlicher Glaube und soziale Wirklichkeit in Griechenland, in: Christlicher Glaube und Ideologie, 1964, 126ff.; Ders., Die griechisch-orthodoxe Kirche und die soziale Frage, in: Ostk. Stud. 7/1958; Social compass 1975 Nr. 1 : Sociologie de l'Orthodoxie grecque

Autokephale Kirche Zyperns

Rund eine halbe Million orthodoxer Griechen umfassen die vier (seit 1975 sechs) zypriotischen Eparchien. Oberhaupt der Inselkirche ist der Erzbischof von Leukosia. Im Jahre 496 setzte der damalige Erzbischof Anthemios den autokephalen Status beim byzantinischen Kaiser Zenon gegenüber den Ansprüchen des antiochenischen Patriarchats durch. Daß Anthemios die Katakombe, die die Reliquie des Inselapostels Barnabas barg, entdeckte, half zur endgültigen Erringung der Autokephalie. Die apostolische Gründung der Kirche von Zypern war durch die Reliquie erwiesen. Damals gewährte der Kaiser für ewige Zeiten die drei traditionellen Privilegien: Die Erzbischöfe dürfen wie der Kaiser sich mit dem roten Mandyas bekleiden, sie dürfen wie der Kaiser ein goldenes Zepter tragen und mit roter Tinte unterschreiben. Die Kraft der mittelbyzantinischen Kultur, begründet nach der Besiegung der Araber im Jahre 959 durch das „Christusliebende Heer" des Nikephoros Phokas, hielt während der 768 Jahre dauernden fremdgläubigen Herrschaft, die der Handstreich des Kreuzfahrers Richard Löwenherz 1191 einleitete, den orthodoxen Bevölkerungskem ungeschwächt am Leben. Die Dynastie der Lusignans, Venedig und die türkische Macht, schließlich seit 1878 die britische Okkupation, überfremdeten die Insel. Doch während sich die Herren ihre Festungen und Moscheen bei den Hafenstädten oder in der fruchtbaren Ebene errichteten, fanden die Orthodoxen im unwegsamen Kerngebirge des Troodos Zuflucht in ihren Klöstern. Dem Machaira-Kloster gewährte Kaiser Manuel Komne-

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nos 1165 Bauspenden und stauropigen Status. Seine Bedeutung liegt darin, daß dies Kloster stets ein Ort des Widerstands gegen Fremdherrschaft war. Als die lateinische Hierarchie durchzusetzen versuchte, daß bei der Eucharistie ungesäuertes Brot — von der Orthodoxie als Judenspeise verachtet — genossen werde, widersetzten sich die Mönche von Machaira. 13 Mönche ließen sich für den orthodoxen Brauch ins Gefängnis werfen, schließlich an Pferdeschwänzen zu Tode schleifen. Im 19. Jh. löste der Machaira-Mönch Joannikios die erste Rebellion gegen die Türken aus und wurde dafür gepfählt. Der erfolgreichste Partisanenführer gegen die Briten, Gregorios Auxentiou, führte von einer Höhle beim Machaira-Kloster, als Mönch verkleidet, seine Streifzüge durch die Insel aus. Von britischen Truppen überrascht, leistete er, ganz auf sich gestellt, einen zehnstündigen Verteidigungskampf. Fortan blieb das Kloster von der britischen Armee besetzt und wurde als Gefängnis für Inselpriester benutzt, die mai; wegen ihrer Partisanenverbindungen festnahm. Der hl. Neophytos gründete, von vergeblicher Suche nach einem geistlichen Vater aus dem Heiligen Land zurückgekehrt, seine Einsiedelei in einer Berghöhle. Nach fünf Jahren asketischer Einsamkeit zwang ihn ein neuer Bischof von Paphos, Genossen aufzunehmen, die er geistlich erziehe. Neophytos schuf die unvergängliche Beschreibung des tiefsten Unglücksfalls der Inselgeschichte, der Eroberung durch das Kreuzheer. Er besang die lokalen Heiligen der Insel. Das KykkosKloster, dem Erzbischof Makarios entstammt, ist so reich an Metochien, daß auf der Basis dieses Reichtums kirchliche Gymnasien, Priesterseminar und — in Anfängen — eine Theologische Fakultät, insbesondere zum Weiterstudium des schwarzen Priesternachwuchses der ostafrikanischen orthodoxen Kirche — gegründet werden konnte. Da auch diese Klöster stauropig sind, stützen sie die Macht des Erzbischofs von Leukosia, dem sie unmittelbar unterstehen. Die Emanzipationsansprüche des zypriotischen Griechentums im 19. Jh. wurden durch die Inhaber des Erzbischofstuhls wahrgenommen. Beim Ausbruch des griechischen Freiheitskampfes 1821 wurde Erzbischof Kyprianos, der dem Kloster Machaira entstammte, vor den Augen des Pascha Kutschuk an einem Maulbeerbaum erhängt, alle Klosteräbte mit ihm (9. Juli 1821). Erzbischof Sophronios begrüßte die Engländer, die 1878 die Insel besetzten, betonterweise nur als „Gäste". Als sich England 1928 anschickte, das fünfzigjährige Jubiläum der Inselbesetzung zu feiern, ließ der erzbischöfliche Synod ein Manifest ausgehen, das als einzigmögliche Wiedergutmachung bisherigen Unrechts die Einigung

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Zyperns mit Griechenland hinstellte. Der Metropolit von Kition Nikodemos Mylonas eilte 1929 nach London, die Labouregierung Macdonald für das zyprische Verlangen günstig zu stimmen. Enttäuscht über seinen Mißerfolg stellte er sich an die Spitze der Aufstandbewegung, die 1931 ausbrach. Seitdem wurden durch englische Maßnahmen Inselbischöfe exiliert. Dem Erzbischof Makarios, der wie kein anderer im Exil auf den Seychellen für die griechische Sache litt, fiel bei der Erringung der politischen Selbständigkeit die Aufgabe des Ethnarchen zu. Von 1959 bis zu dem Aufstand der EOKA II 1974 vereinigte Erzbischof Makarios das Amt des Ministerpräsidenten mit dem erzbischöflichen Amt — eine singulare Form bischöflichen Ethnarchentums. Die extrem nationalistische Gruppe, die das Ziel der Henosis mit Griechenland nicht preisgeben wollte, fand seit Februar 1972 die Unterstützung der drei restlichen Metropoliten Zyperns. Geführt von dem 80-jährigen Metropoliten von Paphos, Gennadios, verlangten die oppositionellen Hierarchen des Makarios Rücktritt vom Ministerpräsidentenamt, konnten sich aber zeitweise gar nicht auf der Insel halten oder waren gezwungen, sich in Klöstern zu verbergen. Daß die 1914 von Meletios Metaxakis entworfene Kirchenverfassung Zyperns Artikel 3 dem Erzbischof das alleinige Recht zur Einberufung der Synode und zum Vorsitz zuspricht, gab Makarios die Möglichkeit, den politischen Streitpunkt aus den Verhandlungen der zypriotischen Bischofssynode herauszuhalten. Als die oppositionellen Hierarchen ihren Erzbischof für abgesetzt erklärten, pflichtete die orthodoxe Hierarchie anderer autokephaler Kirchen der kanonischen Auffassung des Makarios bei. Darauf gestützt erklärte der Erzbischof die drei Metropolitensitze der Insel für vakant und besetzte sie mit seinen Anhängern. Die türkische Invasion vom Juli 1974 stellt der orthodoxen Kirche Zyperns Aufgaben, die die inneren Gegensätze zurücktreten lassen.

Literatur Apostolos Barnabas, Ekklesiastikon Periodikon (Organ der Kirche Zyperns), Levkosia; J. Hackett, History of the Orthodox Church of Cyprus from the coming of the Apostles Paul and Barnabas to the commencement of the British occupation, A D 45-1878, London 1901; Heiler 52 u. 454; Proc I32ff.; F. Heyer, Heikle Herrschaft über Zypern. Die Enosispolitik greift Zyperns Ethnarchentum an, in: L M 1 9 7 3 I V , 1 8 7 f r . ;

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Kirchen der orthodoxen Balkannationen: Orthodoxe Kirche Bulgariens Seit dem 6. Jh. bestanden slawische Zadrugaverbände bis ins westliche Griechenland. Es gelang Byzanz, von den griechisch gebliebenen Küstenstädten und vereinzelten Klöstern aus die eingesickerten Slawen zu hellenisieren und damit zugleich zu christianisieren. Mitte des 9. Jh. griff die Missionsbewegung, die bisher nur im Innern des byzantinischen Reiches erfolgreich gewirkt hatte, in slawische Siedlungsbereiche außerhalb des Imperiums hinüber. Der erste Missionseinsatz im Auslandsslawentum setzte 862 im Mährenreich des Königs Rostislav ein, das sich bis an die Grenzen des jungen bulgarischen Zartums ausgedehnt hatte. In der Sorge, zwischen der deutschen missionarischen Ostaktivitität des Bischofs von Salzburg und der bulgarischen Macht politisch und kirchlich eingeklemmt zu werden, richtete der Mährenkönig die Bitte an den byzantinischen Kaiser Michael III. um Entsendung einer Mission. Im Blick auf das von Byzanz angewandte Volkssprachenprinzip konnten die Mähren damit rechnen, daß das Griechische ebenso wie das Latein der deutschen Missionare ausgeschlossen blieb. Da das byzantinische Reich starke slawische Bevölkerungsteile schon integriert hatte, konnte Rostislav mit Grund annehmen, daß dem byzantinischen Kaiser das erforderliche Missionspersonal schon zur Verfügung stünde. Byzanz entsandte die Brüder Konstantin (Kyrill) und Method, Griechen aus Saloniki, die das bulgarische Idiom, das im Stadtumkreis gesprochen wurde, beherrschten. Mit einer Mannschaft, in der sich schon die späteren Bulgarenmissionare Klemens und Naum befanden, rückten die Byzantiner in Mähren ein. Kaiser Michael vermied, seinen Missionaren bischöflichen R a n g zu geben und damit einen Jurisdiktionsstreit mit R o m um die Zugehörigkeit Mährens zu provozieren. Doch der oströmische Vorstoß in der Sprachenfrage entschied die Bindung der Balkanslawen und später Rußlands an das byzantinische Christentum

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und zugleich damit, daß das Altbulgarische bis heute Kirchensprache der Slawen ist. Konstantin wußte, daß der Besitz eines der slawischen Sprache angepaßten Alphabets zum Zweck der Literarisierung unabdingbar war. Sein glagolitisches Alphabet wurde später durch kyrillische Buchstaben verdrängt. Bibelbücher, Liturgie und Weltchroniken, aus dem Griechischen ins Altbulgarische der Slawenapostel übersetzt, waren angesichts der Tatsache, daß das Slawische noch wenig differenziert war, überall verständlich. Als die ersten slawischen Priesterkandidaten nach 3 Jahren vor dem Ausbildungsabschluß standen, kam die Frage auf, welcher Bischof für ihre Ordination zuständig sei. Deutsche Bischöfe aus dem Karolingerreich mußten ausgeschlossen sein, wenn man die politische Nebenabsicht der Mährenmission nicht desavouieren wollte. Von Konstantinopel war Mähren durch das Bulgarenreich abgeschnitten. Also kam R o m in Frage. Nachdem die Brüder beim Slawenfürsten Kotsei am Plattensee den Erfolg verbucht hatten, daß ihnen 50 Studierende zum Unterricht übergeben wurden, lag angesichts der engen Verbindung der pannonischen Slawen zu Italien der Gang nach R o m nahe. Roms Ordinationshilfe wurde in Anspruch genommen. Konstantin fand sein Grab in R o m . Papst Hadrian II. war, nachdem die Ordination der Slawenpriester im römischen Sinn entschieden war, frei genug, den Methodius zum Bischof zu weihen. Als die slawischen Priester 885, deutschem Druck nachgebend, aus Mähren wichen, fanden sie in dem durch Zar Boris gerade konstituierten bulgarischen Zartum ein neues Wirkungsfeld. Boris sah, daß die ostkirchliche Aufspaltung der politischen und geistlichen Funktionen auf Kaisertum und Hierarchie für ihn die Chance enthielt, seine Kirche zwar dem griechischen Patriarchen von Konstantinopel zu unterstellen, ohne doch seine politische Unabhängigkeit einzubüßen. Daß Patriarch Photios dem Zaren klar machte, daß alle bulgarischen Bischöfe notwendig Griechen sein müßten, ließ ihm die Unterstellung unter das Patriarchat doch auch gefährlich erscheinen und so kam das Verlangen auf, Bulgarien möchte ebenso behandelt werden wie Mähren. Sollte das nicht geschehen, so wollte Boris seine Kirche dem Papste Nikolaus anbieten. Daß 869 die Nachricht vom Arrangement des Papstes mit dem bulgarenfeindlichen Mährenreich eintraf und gleichzeitig Byzanz anbot, in Bulgarien einen Bischof nach des Boris Gutdünken einzusetzen, ließ Bulgarien wieder in den ostkirchlichen Verband zurückschnellen. Mit dem Eintreffen der Missionare aus Mähren wurden 7 Bischofskirchen errichtet. Boris behielt

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Naum an seinem Hof Plisca. Dem hl. Klemens wurde die missionarische Arbeit in Mazedonien anvertraut, seinem Geburtsland. Dort wurde Ochrid sein Stützpunkt. In der mährischen Mission ist die Nutzung von Klostergründungen zur Mission schwer nachzuweisen. Anders in Bulgarien. Ende des 9. Jh. pflanzte der hl. Johann von Rila, Kind armer Bauern, monastisches Leben in der bulgarischen Orthodoxie ein. (f 18. August 946) In einer kleinen Höhle verbrachte er sein Asketenleben. In der 550jährigcn türkischen Herrschaft gingen zwar die Klosterschätze verloren, nicht aber das Bewußtsein, daß das Rila-Kloster Mittelpunkt bulgarischer Kultur sei. So begann mit der Emanzipationsperiode neues Leben in Rila. 1816 sammelte man Geld für den Wiederaufbau. Nach dem Brand von 1833 bauten die Mönche ihre Klosterkirche entgegen den osmanischen Gesetzen größer als vorher auf: Modell aller bulgarischen Kirchenneubauten der Emanzipationsperiode. Heute ist Rila das größte Kloster des Balkangebiets. 1961 vom Sowjetstaat aufgehoben, konnte es sein monastisches Leben doch 3 Jahre danach wieder erneuern. (Neben Rila bestehen Klöster wie Backovo und Trojan und Preobraienskij manastir) Nach Jahrhunderten der Eingliederung in Byzanz konnte 1185 die Revolte der Asseniden, erleichtert durch die normannische Eroberung Salonikis und die byzantinischen Thronwirren, das zweite bulgarische Reich mit der Hauptstadt Tirnovo gründen. Doch 1393 begann die türkische Eroberung. Wenn sich bei einem muslimischen Angriff eine Bevölkerung ergibt, um „Aman" (Gnade) bittet, bleibt dem Unterworfenen nach muslimischem Recht die Nutznießung seines Eigentums. Dies war die Basis für den Fortbestand orthodoxer Patriarchate im Türkenreich. Da aber Tirnovo nicht um Aman nachgesucht hatte, fiel das volkserhaltende eigene Patriarchat. Die Leitung der bulgarischen Kirche wurde dem phanariotischen Bischof der Walachei übertragen. Die bulgarischen Orthodoxen wurden nicht Nutznießer des türkischen Milletsystems, innerhalb dessen jedes unterworfene christliche Volk von seiner nationalen Hierarchie vertreten wurde. Im Vergleich zu Serben und Griechen erschwerte dies den Bulgaren die Emanzipation. Bei der türkischen Eroberung vermauerte Patriarch Jeftimi die kostbare Bibliothek altbulgarischer Manuskripte. Als der phanariotische Metropolit Neophytos im 17. Jh. beim Bau eines Bades die Mauer durchbrach und die literarischen Schätze fand, ließ er die unersetzliche altslawische Sammlung verbrennen — Anlaß zur antiphanariotischen Orientierung des Bulgarentums.

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Die nationale und kirchliche Emanzipation Bulgariens bekam ihren ersten Anstoß dadurch, daß Paisi Hilendarski mit der von ihm verfaßten Istoria Slavjanobolgarskaja von 1762 von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf zog, überall Abschriften hinterlassend. Mit der Erinnerung an die bulgarische Geschichte begann die nationale Erweckung, mit der Abschüttelung der Phanariotenherrschaft in der Gründung eines nationalbulgarischen Exarchats erreichte sie ihre nächste Stufe. Das vollzog sich so: Die bulgarische Gemeinde von Konstantinopel, Führerin der Bewegung, reichte nach dem Krimkrieg 1856 im Namen von über sechs Millionen Bulgaren ein Bittgesuch an den Sultan ein mit dem Ziel, die Unabhängigkeit der bulgarischen Kirche zu erwirken und das Patriarchat wiederherzustellen. Dem Antrag wurde zwar nicht nachgekommen, aber die patriotisch orientierte Konstantinopler Gemeinde war nun nicht mehr von ihrem Nationalideal abzubringen. Als am 5. Oktober 1858 der bulgarische Archimandrit Ilarion zum Bischof von Makariopolis geweiht und damit ein erster Erfolg verbucht wurde, erreichte die Begeisterung der Bulgaren einen Höhepunkt. Auf einem Konzil unter Vorsitz des Oekumenischen Patriarchen konnten zum ersten Mal offizielle Vertreter des Volks die bulgarischen Interessen wahrnehmen. Daß das Konzil ihre Forderungen nicht annahm, riß die Kluft zwischen Griechen und Bulgaren auf. A m Ostertag i860 zwang die Konstantinopler Gemeinde den Bischof Ilarion, in der Liturgie den Namen des Konstantinopler Patriarchen nicht mehr zu kommemorieren. Das bedeute die bulgarische Absage an die Patriarchatsjurisdiktion. 1864 begann Rußland mit seiner vorsichtigen Unterstützung der bulgarischen Forderungen. Endlich sah sich das Patriarchat 1867 gezwungen, ein selbständiges bulgarisches Exarchat anzuerkennen. Der russisch-türkische Krieg brachte 1878 die nationale Verselbständigung. Als Dank wurde die Kathedrale von Sofia dem Schutzpatron des Befreierzaren Alexander II. — Alexander Nevskij — geweiht. Das Schisma, das bei der Erhebung der bulgarischen Orthodoxie in den Rang eines Patriarchats mit Konstantinopel ausbrach, wurde 1950, um die innerorthodoxe Weltgemeinschaft zu stärken, beendigt. In Sowjetbulgarien ist auf der Basis des „Gesetzes über die Glaubensgemeinschaften" von 1949 im Jahre 1950 eine Kirchenverfassung erarbeitet worden, welche die Wende von der damaligen Krise der Beziehungen zwischen Staat und Kirche zum jetzt gültigen Kompromiß markiert.

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Die Orthodoxie durchlief in Sowjetbulgarien die typischen Stationen mit auffälligen Nuancierungen: das anfängliche Bewußtsein kirchlicher Befreiung vom Druck des alten Systems durch Trennung von Staat und Kirche, die folgenreiche Einengung der religiösen Freiheit auf Ausübung des Kultes, die Würdigung der Kirche von Seiten eines kommunistisch konzipierten Nationalismus, die gleichschaltende Aktivität eines mit der K P konformen „Bundes progressiver Priester", die Sicherung staatlichen Einflusses auf die kirchliche Personalpolitik (vom Außenministerium wahrgenommen), die Neuordnung des kirchlichen Finanzwesens unter Konzessionierung des kirchlichen Kerzenverkaufs, die Einschaltung der orthodoxen Kirche in die kommunistische Weltfriedensbewegung. Die starke Persönlichkeit des Patriarchen Kyrill (1953—1971) brachte (Juli 1955) das kanonische Gefüge gegenüber dem „Bund orthodoxer Priester" wirksam zur Geltung. Nach dem Tode des Patriarchen Kyrill wurde am 4. Juli 1971 der Metropolit von Lovetsch, Maksim zum neuen Patriarchen gewählt. Er hatte seine kirchliche Laufbahn schon ganz innerhab des neuen Systems durchmessen. 1947 bis 1950 hatte Maksim als Protosynkellos des Metropoliten von Dorostol bereits Einfluß auf die Kirchenverwaltung genommen. Von 1950 an war er für 5 Jahre Leiter der bulgarischen Vertretung beim Moskauer Patriarchat. Als Generalsekretär des Hl. Sinods kehrte er nach Sofia zurück und empfing alsbald die Bischofsweihe. In dieser Zeit (1957—1960) hatte er zugleich das Redaktionskollegium für die periodischen Publikationen der Kirche zu leiten. 1 1 Jahre lang profilierte er sich dann als Metropolit von Lovetsch. Die 1966 vom Zentralkomitee der B K P eingeführten „sozialistischen Bürgerrituale" rivalisieren mit den traditionellen orthodoxen Kasualien, verdrängen diese jedoch nicht. Statistiken der 60-er Jahre sprechen von 5,7% strenggläubigen Orthodoxen. Die Kirche selbst zählt 6 Millionen Bulgaren zu den ihren, denen in 1 1 Metropolien mit 1785 Priestern an 3720 Kirchen geistlich gedient wird. In den Klöstern zählt man rund 400 Mönche und Nonnen. Offizielle atheistische Propaganda wird laut, aber jeder Bulgare weiß, daß nur dank der Klöster während der Türkenherrschaft die nationale Identität nicht verloren ging. Das Gesetz über die Glaubensgemeinschaften von 1949 sagt denn auch im Art. 3: „Die bulgarische orthodoxe Kirche ist das traditionelle Glaubensbekenntnis des bulgarischen Volkes. Sie ist verbunden mit seiner Geschichte und als solche kann sie nach Form, Inhalt und Geist eine volksdemokratische sein". Die Bulgarische Historische Gesellschaft hat in diesem Sinn ein Forschungsprogramm begonnen, das das Lebenswerk

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großer bulgarischer Kirchenmänner erforschen soll. Die Theologische Fakultät Sofia, 1923 im Rahmen der Staatsuniversität gegründet, besteht seit 1947 als Geistliche Akademie des Patriarchats fort (Akademie al- Kanisat as-suryäniyat al-hindiyat, Beirut 19s 1 (Versucht die Thomas-Christen als Jakobiten von alters her zu erweisen); Alfons Väth, S. J.: Der hl. Thomas der Apostel Indiens, Aachen 1925 (Abhandlungen aus Missionskunde und Missionsgeschichte, ed. Peter Louis, Heft 4); P. Verghese: Die syrischen Kirchen Indiens KdW XIII, Stuttgart 1974; G. Vovanikunnel: Inter-rituelle Zelebration für die Kirche von Indien, in: Kyrios XII 197z, 1 5 3 — 1 5 7 ; Ders., Einheitsrituale für Kerala, in: Kyrios XIII, 1973, I i — 1 6 ;

APOSTOLISCHE (GREGORIANISCHE) KIRCHE ARMENIENS Statistische Angaben Katholikat von Ejmiazin

Oberhaupt: Vasgen I. Baldjian, oberster Katholikos und Patriarch aller Armenier (seit 1955; geb. 20. IX. 1908 in Bukarest). Das Katholikat verfügt in der Räterepublik Armenien über zwei Eparchien mit rund 2 Millionen Gläubigen. Dazu kommen im Rätebund in Georgien und Adarbaygän je eine und in Rußland zwei Diözesen mit zusammen ca. 1.400.000 Gläubigen. In Europa amtieren Bischöfe in Paris, Marseille, London, Mailand, Bukarest, Sofia, während andere Orte sich mit Vikariaten oder Pfarreien begnügen müssen. In Amerika verfügen New York, Los Angeles, Buenos Aires über Bischöfe, Uruguay, Brasilien und Kanada über Vikariate. Australien und Kalkutta für Indien und den Fernen Osten sind ebenfalls Bischofssitze. Im Orient ist die Zahl der Gläubigen relativ klein. In Bagdad und Kairo gibt es Bischöfe, in Addis Ababä einen Vikar. Insgesamt sind das ca. 680.000 Seelen. Rechtlich unabhängig ,aber geistlich von Ejmiazin abhängig, sind die Patriarchate Jerusalem und Istanbul.

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Patriarchat Jerusalem Patriarch Elisaios II. (seit März i960). Ihm unterstehen ca 6.000 Gläubige in Palästina und Transjordanien.

Patriarchat Konstantinopel Patriarch Snork Kalustian (1961 gewählt, 196z inthronisiert; geb. 1913). 54.000 Gläubige in Istanbul und Kleinasien werden von mindestens 44 Pfarreien versorgt.

Katholikat von Sis in Antelias (Intilyäs) bei Beirut im Libanon (diese Residenz seit 1940) Oberhaupt: Khoren Parojan (seit 1963; geb. 1914 in Nikosia auf Zypern). An die 600.000 Gläubige unterstehen diesem kilikischen Katholikat mit Diözesen im Libanon, Syrien, Zypern, Iran, Griechenland, den U. S. A. und einem Vikariat in Kuwait.

Mit Rom uniertes Katholikat von Kilikien in Beirut Oberhaupt: Patriarch Ignatios Petros XVI. Batanian (seit 1962; Juli 1976 Mgr. Gedigian gewählt). Schon seit 1630 bestand das unierte armenische Erzbistum von Lemberg. Die unierte Kirche, hat im zo. Jahrhundert zahlreiche Gläubige durch die Rückkehr zur Orthodoxie verloren. Man rechnet immer noch mit an die 100.000 Gläubige im Libanon Syrien, 'Iraq, Türkei, Iran, Rumänien, Griechenland, Frankreich. Dazu kommen weitere der lateinischen Hierarchie unterstellte unierte Armenier in Indien und in Amerika. Für alle Armenier bedeutsam wurde der unierte Mönchsorden der Mechit(h)aristen von Venedig (Isola San Lazzaro; seit 1719) und von Wien (seit 1810) infolge seiner bedeutenden wissenschaftlichen Tätigkeit. Gegründet wurde er 1 7 0 1 in Konstantinopel durch Mechit(h)ar Vardapet Petrosean Sebastaci (1676—1749). Offizieller Name: Congregatio monachorum Antonianorum Benedictinorum Armenorum. In Rom existieren ein Päpstliches Armenisches Kolleg und im Libanon ein Armenisches Patriarchal-Seminar.

Evangelisch-Armenische Kirche Sie geht auf die kongregationalistische Mission in der Türkei zurück und wurde 1841 gegründet (erreichte etwa 60.000 Seelen).

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Nach ihrer Vernichtung in der Türkei wurde diese Kirche in Frankreich neu gegründet. Sie ist an der 1933 in Beirut gegründeten Near East School of Theology beteiligt. Landschaftliche

Voraussetzungen

Schon der griechische Geograph Strabon (ca. 63 v. Chr. — 19 n. Chr.) bemühte sich um eine Definition des Landes Armenien ( = Hayastan). Auf seine Vorarbeiten geht die Einteilung in vier Gebiete zurück: 1. Armenia Mayor = Vom westlichen oberen Euphrat zum Kura-Fluß oder gar zum Kaspi-See. Das ist das Reich Tigran des Großen aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert. 2. Armenia Minor = Der südliche Teil der Provinz Pontus nördlich des Euphratoberlaufes. 3. Armenia Parva = Die Gegend von Sebaste und Kappadokien, in die sich die Armenier allmählich zurückzogen, insbesondere gegen Mitte des 11. Jhs. (Selgüqeninvasion). 4. Kilikisch-Armenien = Der kurz vor Ende des 11. Jhs. entstandene Staat der Gemeinden im Taurusgebirge, in Kilikien und um Antiochien. Das wichtigste Gebiet ist natürlich Armenia Mayor. Es handelt sich 11m eine Hochebene von 1600 bis 1800 Metern mittlerer Höhe. Nach allen Seiten senkt sie sich zu anderen Gebieten herab. Diese Berginsel (Ritter) trägt Festungscharakter und hat als armenische Zitadelle lange die Abwehr aller Feinde ermöglicht. Von Ost nach West zieht sich eine Bergkette durch das Land, die der große Ararat (5156 m.) und und der kleine Ararat (3925 m.) beherrschen. Zwei Seen sind seit alter Zeit als zivilisatorische Zentren zu erkennen: Der süße Sevansee in 1930 m. Höhe und der salzige Vansee in 1650 m. Höhe. Diese geographische Situation zeigt, daß das Land durchaus zur Bildung mehrerer Schwerpunkte ermunterte — also nicht auf einen Mittelpunkt von vornherein festgelegt war. Andererseits war auch für die umgebenden Mächte das Gebiet immer interessant. Sie suchten in es einzudringen und seine geographisch beherrschende Position für sich auszunutzen. Geschichtliche

Züge

Die Anfänge der armenischen Kirche sucht man in die apostolische Zeit zu verlegen, indem man Bartholomäus und besonders Thaddäus (wohl Judas-Thaddäus) als Apostel in Anspruch nimmt

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und letzteren an den Anfang der amenischen Bischofsliste setzt — oder gar König Abgar von Edessa als Abgar von Armenien bezeichnet. Eine systematische Mission wurde jedoch erst von den südlichen Nachbarn unternommen — den syrischen Christen. Zahlreiche Hinweise auf Armenien zeigen aber, daß sich schon früh Einwohner dieses Landes zum Christentum bekannten — sicher im Laufe des z. Jh. in steigendem Umfange. Die Berichte von Schwierigkeiten der Armenier in Verfolgungszeiten deuten jedoch niemals auf das damals ganz selbständige Großarmenien, sondern auf Kleinarmenien oder auf früher vom armenischen Königreich abhängige transnistrische Satrapen, die Rom 297 nach dem Perserkriege gewann. Im 4. Jh. tritt dann die armenische Kirche kraftvoll in das helle Licht der Geschichte. Auf das Jahr 301 (nach anderer Chronologie 280/90) wird die Annahme der christlichen Religion durch König und Volk datiert. In der letzten großen Verfolgungszeit im römischen Reich ist Armenien bereits Zuflucht der Bedrängten. Haupttriebfeder bei diesen Ereignissen war ein Kappadokier, Gregor Illuminator (Lusaworic), der sich zusammen mit seiner Frau in den Dienst des Königs Trdat (Tiridates) III. begab, als dieser unter dem Schutze Roms 298 die Macht in Armenien ergriff. Nach anfänglichen Schwierigkeiten und Leiden gelang ihm die Bekehrung des Königs. Auch ging seine Mission offensichtlich über Armenien hinaus. Seine Bedeutung kann nicht hoch genug veranschlagt werden, was die Existenz der stark ausgeschmückten späteren Berichte erklärt. Dem Wunsche des Königs nach einem Bischof entsprechend, sucht Gregor zu Hause die Weihe zu erhalten, die ihm unter Leontios von Kaisareia (314—325) zuteil wurde. Dieser beauftragt Bischof Petros von Sebaste (303-320), Gregor nach Armenien zu bringen und ihn dort in Astisat zu installieren (wohl 314). Später haben die Armenier durch den Hinweis auf den apostolischen Ursprung ihres Bischofssitzes dieser offensichtlichen Abhängigkeit von Kaisareia in Kappadokien zu entgehen gesucht. Das Amt des armenischen kirchlichen Oberhauptes, Katholikos genannt, wurde nun in der Familie Gregor's erblich. Noch im 5. Jh. bestieg einer seiner Nachkommen den Thron, und nach Gregor bezeichnet sich die armenische Kirche auch als „gregorianisch". Schon im 4. Jh. zeigt sich deutlich die enge und unauflösliche Verbindung zwischen der christlichen Kirche und der armenischen Nation: Vrt'anes (t gegen 342), der älteste Sohn Gregor's, der unter König Khosrov (Chosroes) dem Kleinen wirkt, zog zweimal mit ge-

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gen die Perser und verehrte die gefallenen Soldaten, für die er ein Fest einführte, als Märtyrer. Die gregorianische Dynastie sah aber .genauso im Innern auf die rechte christliche Regierung: Hussig ( = Jusik, griechisch Ιουσίκ), einer der Söhne Vrt'anes', der mit der Tochter des Königs Tiran vermählt war, warf dem König und den Granden furchtlos die öffentliche Unordnung und die Ermordung Unschuldiger vor. Er ließ den König daher nicht in die Kirche und .starb unter Schlägen an ihrem Portale. Auch der eifernde syrische Chorbischof Daniel wurde damals getötet. Trotz dieses Ereignisses mußte der König nach zwei von ihm ausgesuchten Bischöfen auf einen Enkel Hussig's zurückgreifen: Nerses den Großen. Dieser hellenistisch gebildete Mann, ehemaliger Hofkämmerer, wurde wieder in Kaisareia geweiht. Von ihm sagt man, daß er Armenien in ein einziges großes Kloster verwandeln wollte. Die Regierungszeit dieses beliebten Katholikos ist durch erhebliche Konflikte mit dem König gekennzeichnet. Laut P'aw&tos Biwzandaci (Faustos von Byzanz) soll König Pap Nerses anläßlich eines Diners zu seinen Ehren vergiftet haben. Nach einer Übergangszeit, in der die Kirche verfiel und heidnisches Leben wieder erblühte, kam es schließlich (387) zur Teilung Armeniens zwischen Byzanz und dem Perserreich (Sasaniden). In dem größeren Teil, den die Perser erhielten, gab es noch drei arsakidisch-armenische Dynastien. Khosrov (Chosroes; 384-389) holte schließlich Sahak (Isaak) den Großen auf den Katholikosthron — einen Sohn des großen Nerses, der in Konstantinopel studiert hatte. In diesem jetzt zu Ende gehenden 4. Jh. wurden die entscheidenden Grundlagen für die armenische Kirche gelegt: Gregor Illuminator hatte eine Hierarchie von etwa 1 2 Bischöfen geschaffen, deren Primas — der spätere Katholikos — von den Metropoliten von Kaisareia in Kappadokien abhing. Gleichzeitig entstand ein enges Verhältnis zwischen König und Kirche, die sich gegenseitig stützten, aber auch wieder rieben. Allerdings steht diesen durch griechische Erziehung und enge Verbindung mit der byzantinischen Kirche geprägten Hierarchen in dieser Zeit eine zweite Katholikoslinie gegenüber, die der Familie Aghbianos entstammt oder direkt syrischer Herkunft ist. Ihre Vertreter sind syrisch erzogen, nicht von so feiner Kultur und auch •der staatlichen Macht gegenüber viel kompromißbereiter als die Gregorianer, die unerbittlich den Primatsanspruch der Kirche vertraten. Beide Richtungen verkörpern die unterschiedlichen Tendenzen in der armenischen Kirche und ihr Gegensatz wirkte sich bis in die

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Form des Gottesdienstes und die ganze Priestererziehung aus. Die Angehörigen der gottesdienstlichen Übersetzerklasse sprachen so neben dem Armenischen das Griechische oder Syrische. Die Heiligen Schriften wurden je nach der Gegend in der einen oder der anderen Sprache benutzt. Damit ist gesagt, daß die Einheit der alten armenischen Kirche nicht nur durch die politischen Verhältnisse gefährdet war. Sie war auch von vornherein recht locker, da griechische und syrische Einflüsse je tief in ihr inneres Gefüge eingriffen und für ihre zukünftige Gestalt wichtig wurden. Entscheidend war in dieser Situation eine größere Verselbständigung der armenischen Kirche, die ein eigenes inneres Zentrum finden mußte. Z u Hilfe kam ihr, daß in der politisch ruhigeren Situation nach dem Erlöschen des armenischen Königtumes im Jahre 4Z9 die armenischen Ritter, die Nakharars, ihre Rechte behalten und dessen Macht erben konnten. Außerdem blühte das Mönchtum zunehmend und stellte nun vornehmlich den Katholikos und die Bischöfe. Der in Byzanz erzogene, diplomatisch sehr geschickte Sahak der Große ist hier die entscheidende Gestalt. In geschickter Weise nutzt er die Perser zur Trennung von Kaisareia aus. Er kann nun selbst den Bischöfen die Hände auflegen, ohne sich andererseits aber lehrmäßig von Byzanz zu trennen. Schließlich schuf der gegen 391 von Sahak zum Presbyter geweihte Mesrob Mast'oc das armenische Alphabet. Eine eigene christliche Literatur konnte so entstehen und die Kirche tiefer im Volk verwurzeln. Man kam so den Persern entgegen, die das Griechische und Syrische nicht wünschten und stärkte dennoch durch Übersetzung griechischer Werke die hellenistische Richtung Gregors. Gleichzeitig war so auch den Armeniern im byzantinischen Reiche gedient, indem die eigene Schrift und Literatur ein einigendes Band für das politisch auseinandergerissene Land darstellte. Das armenische Geistesleben wurde frei und selbständig genug, um sich trotz der engen Beziehungen zu Konstantinopel zunehmend nach Edessa und Antiochien zu orientieren. Sahak (t 438) und Mesrob Mast'oc (f 439) könnte man so mit Recht als zweite Gründer der armenischen Kirche bezeichnen. Das Christentum ist jetzt derart fest im Volke verwurzelt, daß die Perser mit ihren Verfolgungen scheitern, obwohl Byzanz neutral bleibt. 484 müssen sie die religiöse Freiheit zuerkennen und die zwangsweise Bekehrung zum Parsismus aufgeben. Am neuen Katholikossitz Dvin (seit 471), der Haupstadt des sasanidischen Armeniens, können „die das Kreuz verehrenden armenischen Christen" stolz

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den Dankgottesdienst feiern. An den christologischen Entscheidungen hatte die schwer um ihre Freiheit kämpfende armenische Christenheit noch nicht teilnehmen können. Die Synode zu Dvin im Jahre 506 unter Babgen (Babken) I. (490—515), die den Nestorianismus zurückweist, bekennt noch die Gemeinschaft mit Byzanz, den Iberern (Georgiern) und Albaniern im Kaukasus. Allerdings herrschte in Byzanz damals das Henotikon. Erst die zweite Synode zu Dvin von 552 unter Katholikos Nerses II. Astargeci (Movses, 548-557) fällt die endgültige Entscheidung auf christologischem Gebiete: Man verdammt offiziell das Konzil von Chalkedon und den Tomus Leonis. Allerdings hat man damals die orthodox-diplophysitische Lehre nach Severos von Antiochien auch verdammt und sich unter dem Einfluß syrischer julianistischer Kreise für Julian von Halikarnaß entschieden. Letzterer ließ die Unzerstörbarkeit und Unverweslichkeit des Fleischesleibes des Heilandes schon mit der Empfängnis beginnen, während ersterer erst die Auferstehung dafür ins Auge faßte (siehe auch unter SyrischOrthodoxe Kirche). Allerdings wählten die Armenier einen etwas gemäßigteren Julianismus. Damals wurden die Schriften des Timotheos Ailüros von Alexandrien (457—60, 475—77) gegen Chalkedon und diejenigen des Philoxenos von Mabbüg (Hierapolis; 485-519, t ca. 523 in Gangra) in das Armenische übersetzt. Dem Trishagion wurde die diplophysitische Formel „Der für uns gekreuzigt wurde" angefügt. Die Communio mit den Kirchen von Byzanz und Jerusalem verwarf man; wie überhaupt alle Dyophysiten, die als Nestorianer betrachtet wurden. Dahingegen erklärte man die volle Glaubenseinheit mit den Syrern. Nerses führte außerdem das Theophaniefest {6. Januar) ein, indem er das Geburts- und Tauffest Christi zusammenlegte. Schließlich führte die Synode auch eine eigene armenische Ära ein. Hatten die Armenier die ägyptische Jahreseinteilung schon früh über den Iran erhalten und sonst eich an politischen Daten orientiert, so war im Christentum ihr chronologisches Interesse neu an der Osterfestberechnung erwacht. Sie hatten den alexandrinischen Stil übernommen. Nun wurden sie zu Beginn eines neuen Osterkanons von 532 Jahren auch hier selbständig. Am 7. Araths (Dezember) 552 legte man den Beginn der großen Ära technisch auf den 1 1 . Juli 553 fest (dem 1. Nawasardi als armenischem Neujahrstage entsprechend). Volkstümlich rechnete man vom 1 1 . Juli 552 ab (auch Chronisten und Monumentalinschriften). Der gleichmäßige Jahresumfang von

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365 Tagen führte später zu mannigfachen Reformversuchen. Insbesondere für die Festberechnung war das armenische Wandeljahr unbrauchbar. Man benutzte hier weiter das julianische Jahr vom 6. Januar ab. Andere Zeitrechnungen trugen in Armenien fortan nur noch lokalen Charakter. Z w a r wollten auch nach 55z noch einige Bischofssitze an der Einheit mit Byzanz festhalten. Die Würfel waren aber gefallen. Die Entscheidung von 55z fiel endgültig gegen die Chalkedonenser und Nestorianer — auch wenn Byzanz immer neue Unionsversuche unternahm und Schwierigkeiten der Armenier mit den Persern ausnützte. Den Weg der Georgier zu Chalkedon (609) ging Armenien nicht mit. Moses (Movses) II. (574—604) gab Kaiser Maurikios (58z—60z) eine deutliche Absage, als er sich weigerte den Grenzfluß Azat (heute Garni-£ay) zu überschreiten, im Ofen gebackenes Brot zu essen (das Sauerteigbrot der byzantinischen Eucharistie) und heißes Wasser zu trinken (den Zusatz einiger Tropfen warmen Wassers zum byzantinischen Kelche). Dennoch scheinen die Chalkedonenser zeitweise in Armenien die Mehrheit gebildet zu haben. Doch war das nicht von Dauer. Nachdem Persien besiegt war, schien Byzanz zunächst noch einmal zu gewinnen. Schon die armenischsyrische Synode von Ktesiphon (613), die bei den Bestimmungen von 55z blieb, aber Julian von Halikarnaß mit Schweigen überging, suchte Byzanz zu beschwichtigen. Auf der byzantinisch-armenischen Synode zu Karin (Erzerum) von 63 z einigte sich der Katholikos Ezr (Esdras) von Pharajnakert (630—641) dann mit Byzanz zur Zeit des Monotheletismus, ohne daß der Kaiser in irgendeiner Weise vom Chalkedonense abging. Aber Episkopat und Volk machten nicht mit. Man schrieb den Namen dieses Katholikos später mit umgekehrtem Anfangsbuchstaben, da er sich mit den Mächten der Unterwelt zusammengetan hatte. Die Invasion durch die Araber (641) komplizierte zunächst die Situation, da die Armenier sich militärisch nicht halten konnten und umgekehrt die Hilfe des Kaisers nicht mit einer kirchlich-dogmatischen Kapitulation erkaufen wollten, wie das Konzil zu Dvin von 645 beweist. Seit dem damaszener ^allien Mu'äwia I. (ab 661) wurde daher ein beschränktes Gebiet (Vansee, Sevansee und weiter im Norden Landstriche in Richtung Kaukasus) autonom, das unter einem eingeborenen Gouverneur seine religiösen und sozialen Institutionen behaupten konnte und die Nordflanke der gegen Byzanz kämpfenden Araber schützte. Doch noch vor 700 kam es auch zu

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sozialen und religiösen Bedrüokungen durch die Araber. Die armenischen Aufstände gipfelten in dem blutigsten unter dem yalifen Abü Ί-Fadl Ga'far al-Mutawakkil (847—861), der eine besonders starke religiöse Verfolgung eingeleitet hatte. Fünf Jahre kämpften die besten Truppen des arabischen Reiches unter dem türkischen General Bogha. Die wichtigsten Uberlebenden der Armenier brachte dieser dann schließlich nach Samara. Der Katholikos Sahak III. Tsoroporeci (677-703) ließ verschiedene Werke der Chalkedonenser in das Armenische übersetzen und sympathisierte wohl mit chalkedonensischen Vorstellungen. Der junge Kaiser Justinian II. (685—695 und 705—711) hatte in einem Moment arabischer Schwäche einen Feldzug nach Armenien unternommen und in seinem fünften Regierungsjahre Sahak III. und antichalkedonensische Bischöfe unter Johannes Mayragomeci in Konstantinopel versammelt. Dort hatte man sich der Zweinaturenlehre angeschlossen und sich schriftlich verpflichtet, die Opposition in diesem Punkte aufzugeben. Doch zu Hause zwang man sie wieder, sich zu bekehren und die Romaioi zu anathematisieren. In Armenien selber kam es trotz der zuerkannten Privilegien zu weiteren Kämpfen, religiösen Verfolgungen und Massenflucht. Andererseits wehrten die Armenier sich tapfer ihrer Haut und bestanden siegreiche Gefechte mit den Arabern und auch den Griechen, mit denen sie sich wieder überworfen hatten. Der deportierte und dann auf der Rückreise sterbende Katholikos hatte in einem ergreifenden Brief gegen die Zusicherung treuer Steuerzahlung um die religiöse Freiheit gebeten. Die Araber verzichteten daraufhin zunächst auf weiteres Blutvergießen. In Armenien selbst geht der Kampf gegen das Chalkedonense weiter. Das 8. Jh. ist durch den Kampf gegen die hellenophile Schule in der armenischen Literatur gekennzeichnet. Bereits der Katholikos Eghia I. Ardjiseci (703—717) sucht alle chalkedonensischen Tendenzen aus dem oberen Klerus zu verbannen. Abgesehen von Georgien, ist er erfolgreich. Viele chalkedonensische Werke werden vernichtet, die allenfalls noch in georgischer Übersetzung erhalten bleiben. Einer der bedeutendsten Katholikoi dieser Zeit war Yovhannes (Johannes) III. Otsneci, der „Philosoph" (717—728). Er konnte von den Arabern unter der Bedingung des totalen Bruches mit Byzanz drei Gnaden erlangen: 1 . Zwangsbekehrungen zum Islam werden ausgeschlossen; das religiöse Bekenntnis ist frei — z. Keine Steuern von Kirchen, Presbytern und Diakonen — 3. Freie Kultusausübung für die Chri-

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sten an allen Plätzen. Die wenigen griechischen Soldaten wurden rasch aus dem Lande gejagt, ohne daß sie alle ihre Habe mitnehmen konnten. Die Gnaden der Araber waren nur leider nicht von langer Dauer. Das Ende des 8. und der Anfang des 9. Jh sind wieder reich an Bedrückungen. Johannes III. verdankt die armenische Kirche einen Codex iuris canonici, Reformen auf dem Gebiete der Kirchenzucht und der Liturgie, sowie ein gleichermaßen unermüdliches Wirken zugunsten der rechten Lehre. In der kanonischen Sammlung finden wir die sogenannten apostolischen Texte, die drei ersten ökumenischen Konzilien, die allgemein anerkannten Lokalkonzile inklusive der 21 Canones von Sardika, die die römische Suprematie anerkannten, die armenischen Synoden und einige patristische Texte. 720 fanden in Dvin und 726 in Manazkert Synoden statt. Man folgte noch deutlich der julianistischen Lehre in der Christologie. Die dualistischen Paulikianer wurden scharf bekämpft. Armenien war ja überhaupt die Zuflucht mannigfacher Sektierer geworden. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhange auch die T(h)on(d)rakier (die T'andrakecis), die sich im 9. Jh. aus den Paulikianern entwickelten. Auf Grund dualistischer Auffassungen wird hier jeder äußere Kult verworfen; natürlich auch die Heiligen- und Marienverehrung und die Sakramente außer der Taufe und dem Heiligen Abendmahle. Die evangelischen Armenier führen sich gerne auf diese Sektierer zurück, von denen Reste wohl in der Tat bis in das 19. Jahrhundert in Armenien existierten und dann in den evangelischen Kirchen aufgingen. Seit 862 verbesserte sich die Lage Armeniens insofern, als mit arabischer Hilfe durch Asot den Bragatiden ein neues armenischkaukasisches Königreich gegründet wurde, das auch die Anerkennung des byzantinischen Reiches fand. Armenien war beiden Seiten als Pufferzone gut, wobei sie natürlich doch wieder Einflußsphären zu gewinnen suchten, in denen jeweils die lokalen Fürsten aufgewertet wurden. Von einem wirklich unabhängigen Armenien kann man nicht reden. Die Kirche blühte aber, genauso wie die Städte. Nur die Frage der Einheit blieb in dieser Situation auch für die Kirche prekär. Dem Katholikos kam es sehr zustatten, daß er seine Residenz an beliebiger Stelle aufschlagen konnte und nicht kanonisch gebunden war. Dvin, Van, Argina bei Ani und als die Griechen wieder die Oberhand gewannen Zamintia bei Amasia, Kilikien und die Komagene galten als Katholikossitze und sahen die Inhaber jenes Amtes

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je nachdem kürzere oder längere Zeit bei sich. Der ursprüngliche Sitz hingegen war Ejmiazin. Auf kirchlicher Ebene kam es immer noch zu Verhandlungen mit den Griechen. Zu nennen wäre hier die Synode von Sirakanwan (Eraskhavor), die bereits im Jahre 862. stattfand. Griechen auf der einen und Armenier sowie Syrer standen auf der anderen Seite. In den Canones 1 — 1 2 werden die Trinitätslehre mit dem Ausgang des Heiligen Geistes vom Vater und vom Sohne, sowie die Inkarnation behandelt. In den Canones 1 3 — 1 4 überläßt man Chalkedon dem Gewissen des Einzelnen. Wer es als gegen die Lehre der Apostel, Propheten und der drei ersten Konzilien gerichtet empfindet, muß es anathematisieren — wer das nicht findet nicht; dann aber auch die späteren 5., 6. und 7. Konzilien nicht. Der 15. Canon behandelt die Leidensfähigkeit des Körpers des Heilandes. Noch im 10. Jh. nehmen die Katholikoi unterschiedliche Positionen zu Chalkedon ein. Bedingt ist das auch durch die unterschiedliche Haltung von Byzanz und den Zwang, politisch und kirchlich Anlehnung an Byzanz zu suchen, ohne daß man seinem Glauben zu folgen vermag. Die Jahrtausendwende sieht eine ständig zunehmende armenische Bevölkerung in Kappadokien infolge ihres Rückzuges gen Westen. Auch hier werden armenischer Glaube und armenischer Ritus verteidigt, armenische Bistümer unter byzantinischer Oberhoheit gegründet. Gregor Narekaci (940/50 — gegen 1010) ist einer der großen Mönche dieser Zeit, dessen Gebetbuch, Narek genannt, noch im 19. Jh. in den armenischen Schulen eine große Rolle spielte. In dem neuen Jahrtausend entstehen wieder zwei Armenien, die eine sehr unterschiedliche Entwicklung durchmachen. 1 0 7 1 wurde der Kaiser Romanos IV. Diogenes in der Schlacht bei Melazkert (Manazkert) vom Selgüqensultän Alp-Arslän gefangengenommen. Unter georgischer Führung (georgischer Zweig der Bagratiden) konnte sich ein Teil des Kaukasus behaupten. Es entsteht so ein transkaukasisches oder Ostarmenien neben dem kilikischen oder Westarmenien. Im Osten hält man unter Führung einiger reicher und aktiver Klöster den orthodoxen Geist hoch. Hier kämpfte man insbesondere gegen die lateinischen Missionare, die unitorischen Brüder (armenischer Zweig der Dominikaner). Die Unitoren waren unter Mitwirkung des Prinzen Johannes von Khemi errichtet worden und wirkten vor allem im Rupenidenreich in Kilikien (1080—1375). In diesem Reich pflegte man Verhandlungen mit Byzanz und mit Rom und suchte sich in der schwierigen Situation des armenischen

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Volkes an beide Kirchen anzulehnen. Die lateinische Kirche war zudem durch die Kreuzfahrer auch in unmittelbare geographische Nähe gerückt. Schon der gelehrte Hellenophile Grigor II. Vahram (1065—1105) scheint nicht nur den Orient, Ägypten, Konstantinopel, sondern 1075 wohl auch Rom besucht zu haben, um die Reliquien der beiden Apostelfürsten zu verehren. Gregor VII. von Rom (1073 bis 1085) übersandte ihm das Pallium und einen freundlichen Brief, der zur Unterschrift unter das Konzil von Chalkedon aufforderte. Außerdem sollte er aus dem Trishagion den diplophysitischen Zusatz streichen. Grigor III. Martyrophilos der Jüngere ( 1 1 1 3 — 1 1 6 6 ) wurde zu den lateinischen Konzilien 1 1 4 1 in Antiochien und 1 1 4 3 in Jerusalem eingeladen. Diese Versuche zeitigten jedoch keinerlei praktische Ergebnisse, da die Armenier die bedingungslose Anerkennung aller römischen Lehren und Gebräuche verweigerten. Ihnen schwebte vielmehr eine gegenseitige Gemeinschaft und Anerkennung zwischen den Kirchen vor, wie sie ursprünglich zwischen den altchristlichen Patriarchaten bestand. Nicht unerwähnt bleiben darf außerdem die Tatsache, daß es in dieser Zeit zahlreiche Katholikoi in den verschiedenen kleinen Fürstentümern gab; bis zu sechs. Auch die Unionsverhandlungen mit Byzanz unter dem Kaiser Manuel I. Komnenos ( 1 1 4 3 — 1 1 8 0 ) scheiterten. Der Katholikos Nerses IV. Sinorhali ( 1 1 6 6 — 1 1 7 3 ) legte in berühmten Schriften die dogmatische Position der Armenischen Kirche dar. Man wäre bereit gewesen, kleinere Korrekturen vorzunehmen, wenn die Byzantiner zu einem gleichen Tun bereit gewesen wären. In erheblichem Maße haben die Kreuzzüge auf die Armenische Kirche eingewirkt. Als am 6. Januar 1 1 9 8 (oder 99) der armenische König Leo II. der Große gekrönt wurde, setzte ihm der lateinische Legat (Kardinal Konrad von Wittelsbach, Erzbischof von Mainz) die Krone auf, während der Katholikos ihn salbte. Zusätzlich erhielt Leo von dem Kaiser Alexis III. Angelos (1195—Ί203) noch eine griechische Krone, die er auch annahm. Er ließ sich aber mit der lateinischen abbilden und hatte eine lateinische Münzinschrift: Leo Dei Gratia Rex Armenor(um). Es kam zwar noch zu Ausweisungen lateinischer Mönche aus Armenien, zugleich entstanden aber zahlreiche italienische Niederlassungen in Kilikien und umgekehrt armenische in Italien. Man trieb bis 1 4 4 1 im wesentlichen eine romfreundliche Kirchenpolitik trotz weiter bestehender Kontakte zu der griechischen Kirche. Am 28. Juni 12.92 fiel Hromkla, die Residenz des Katholikos in die Hände des ägyptischen Mamlüken al-Asraf Saläh ad-DIn Halil.

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Der Katholikos Stephanos IV. wurde gefangen nach Ägypten fortgeführt. Sis, Hauptstadt kilikisch Armeniens, wurde Katholikossitz. Armenier begannen in diesen Jahrhunderten in steigendem Maße auch in anderen Ländern des Ostens zu wirken. In Ägypten beruft schon 1074 Al-Mustan?ir den Armenier Badr al-Gamäll als Wesir aus Akka (St. Jean d'Acre) herbei, eine der bedeutendsten Persönlichkeiten dieser Periode. Eine armenische Kolonie entsteht am Nil. Abü Sälih (Sulh) der Armenier (Ende des iz./Anfang des 1 3 . Jh.) beschreibt die Kirchen und Klöster Ägyptens. Butrus (Petros) as-Sadamanti aus dem Georgskloster zu Sadamant im Fayyüm (13. Jh.) ist nur noch an dem Beinamen al-Armanl als Armenier erkennbar. Uneigennützig wirkt er für die ägyptische Kirche und verfaßt zahlreiche dogmatische und hagiographische Werke, die zu der damaligen Blüte des christlichen Ägyptens beitrugen. Armenische Mission griff andererseits auch weit nach Asien aus. Im 14. Jh. finden wir im südlichen Sibirien nicht nur Christen der Perserkirche (Nestorianer), sondern auch Armenier. 1 3 1 1 machte sich der armenische Bischof Sarkis, Hegümenos des Sankt Jakobosklosters in Jerusalem mit Hilfe des ägyptischen Sultans an-Nä?ir Näsir ad-DIn Muhammed zum Patriarchen. Er wandte sich dabei gegen die unionistische Synode von 1 3 0 7 zu Sis. Doch blieb Jerusalem weiter lange mit Sis verbunden. Wohl erst im 18. Jh. Schloß sich dieses noch heute bestehende Patriarchat dem Sitz von Ejmiazin an. Der allmähliche Übergang der Mongolen im Vorderen Orient zum Islam traf übrigens auch Kilikien schwer. 1 3 7 5 kapitulierte Leo V. von Lusignan ( t i 3 9 3 in Paris) gegenüber den Mamlüken. Das Katholikat zu Sis hielt sich aber noch. Als 1439 die Einladung zum Konzil von Florenz eintraf, konnte Konstantin VI von Vahga (1430—1439) noch Delegierte aus Kilikien, der Krim und Konstantinopel absenden. Sein Nachfolger erhielt dann das Unionsdekret, das die armenischen Unterhändler unterzeichnet hatten. Die Ereignisse gingen aber über die Union kilikisch Armeniens mit Rom hinweg. Das Katholikat von Sis blieb aber bestehen, wurde nach Aleppo verlegt und schließlich nach Antelias bei Bairüt. Im Mai 1 4 4 1 beschloß dann endlich eine Versammlung von 700 Bischöfen, Archimandriten, Doktoren, Erzpresbytern, Prinzen und sonstigen Würdenträgern in Ejmiazin die Wiederaufrichtung des Katholikossitzes in dieser Stadt. Unter persicher Herrschaft stehend, bot sie im Gegensatz zu den anderen Plätzen die Gewähr für eine gedeihliche Entwicklung. Kirakos von Virap, ein für heilig erachteter

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Kleriker, der an den bisherigen Händeln nicht teilgenommen hatte,, wurde als Katholikos gewählt, um alle Eifersucht unter den Kandidaten auszuschließen und alle Schismen zu beseitigen, die in der politischen Zerrissenheit des Landes und den unionistischen Bestrebungen ihre vornehmste Ursache hatten. Leider mußte der neue Katholikos schon nach zwei Jahren abdanken, da es zu keinem Frieden in der Kirche gekommen war. Man ging nun für die nächsten Jahrhunderte dazu über, dem Katholikos jeweils Koadjutoren beizugeben, die praktisch auch im Katholikosrange standen. Dadurch regelte sich in diesen politisch so turbulenten Zeiten die Frage der Nachfolge von selber, indem jeweils der älteste Koadjutor zum Katholikos aufstieg. Ein wichtiges Attribut des Katholikos war übrigens der Besitz der Reliquie des Rechten Armes des Heiligen Gregor Illuminator, die f ü r die Weihe und selbst das Heilige Myron gebraucht wurde. Sie mußte 1477 erst mit List aus Akhtamar nach Ejmiazin zurückgeholt werden,, um den Katholikossitz zu legitimieren. 1453 eroberte Sultan Mehmed II. Fatih (1430-1481), der O t mäne, Konstantinopel. 1461 schuf er dort das armenische Patriarchat.. Er hatte nämlich die Griechen im Stadtzentrum konzentriert, f e m der Türme und Mauern, und hatte ihnen einen eigenen Status gegeben. Als Gegengewicht siedelte er nun viele Armenier, denen er vertraute, an den Stadrändern Konstantinopels innerhalb der Mauern und an den Toren an. Sie erhielten den gleichen Sonderstatus und bildeten ein christliches Gegenelement gegenüber den Griechen. Dem griechischen Patriarchen wurden alle Dyophysiten und dem armenischen alle Diplophysiten aller Nationen und Kirchen unterstellt. Erst 1830 änderte sich das offiziell durch die Gründung des lateinischen Patriarchates, das weitere Vertreter anderer Kirchen nach sich zog. Doch gab es gerade in Konstantinopel schon früh aktive römische· Mission, besonders stark im 18. Jh. Der französische Botschafter war Protektor dieser Missionare. Schon 1742. gründete man eini eigenes römisches Patriarchat für die unierten Armenier. Die neue christliche „Nation" (millet) unter dem Namen „Katolik" erkannte man staatlicherseits in Konstantinopel aber erst 1 8 3 1 an. 1847 folgte dann die „Nation" „Protestan", die schon am 1. Juli 1864 ihre erste Versammlung abgehalten hatte. Beide „Nationen" waren im wesentlichen armenisch, da die westliche Mission in erster Linie die Armenier erfaßte. So wurden Konstantinopel im Türkenreich und Ejmiazin im Perserreich die wichtigsten armenischen Bischofssitze, die alle Separa-

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tisten allmählich an die Wand drückten. In Ejmiazin ist Simeon von Erevan (1763—1780) die wichtigste Gestalt seines Jahrhunderts. Er verteidigte energisch die Rechte seines Stuhles gegen das immer mächtiger werdende Konstantinopel. Außerdem machte er sich um das große Seminar verdient, um die Druckerei und die Gründung einer Papierfabrik. Die Bildung und damit das Druckwesen waren schon von jeher in der armenischen Kirche beheimatet. Bereits Mikaül von Sebaste (1542 Koadjutor, 1564 Katholikos — 1570) leistete hier Bahnbrechendes. Seiner Initiative verdankten die Druckereien in Ejmiazin, Ispahan, Konstantinopel, Venedig, Rom und Amsterdam ihre Existenz. Simeon wieder konnte weiter eine Revision des liturgischen Kalenders gegen verschiedene Kritiker durchsetzen und die ersten Kontakte zum russischen Reiche aufnehmen. Die Lage der Armenier war seit dem Beginn der Neuzeit immer schwieriger geworden. Die Zerstreuung hatte zugenommen. Neben Italien, dem Vorderen Orient und Ägypten, sahen auch Indien, Polen und Galizien in zunehmendem Maße Armenier. Die noch heute bestehende kleine armenische Kolonie in Ispahan (unter einem Erzbischof) entstand bereits um 1600, als viele Armenier dorthin verschleppt wurden (zusammen mit ihrem Katholikos, der erst 1638 nach 24jährigen Aufenthalt zurückkehren konnte) und nun in einem Vorort der persischen Hauptstadt Ispahan ein neues Gemeindeleben aufbauten. Es ist daher kein Wunder, daß nach dem völligen Zusammenbruch der persischen Herrschaft über Ejmiazin und angesichts der zunehmenden Ausdehnung des russischen Reiches seit Katharina II. (1762—1796) die Armenier gleich den Georgiern gen Norden blickten und von dort Hilfe erhofften. So wurden Ejmiazin 1828 mit armenischer Unterstützung russisch. Die Duldung der Armenier im russischen Reiche führte im Laufe der Zeit dann auch zu einer erheblichen Abwanderung derselben aus dem 'otmänischen Imperium. Allerdings darf nicht vergessen werden, daß kirchlich die Lage auch unter den Russen nicht immer leicht war. Die ganze Zarenzeit über suchte die andersgläubige russische Kirche in Armenien Einfluß zu gewinnen bis hin zu der Beschlagnahme des armenischen Kirchenbesitzes im Jahre 1903. Die große Schwierigkeit für das wieder erwachende Armenien des 19. Jh. bestand darin, daß es erneut zwischen die Großmächte geriet. Gerade die armenische Frage war der wichtigste Vorwand für das Vordringen Rußlands auf dem persischen und türkischen Gebiete. Da ein erheblicher Teil Kleinasiens armenisch besiedelt war, wurde

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die Lage den Armenier im 'otmänischen Reiche zunehmend prekärer, während andererseits die R,ussen keineswegs bereit waren, einem unabhängigen Armenien zuzustimmen. In dem Vertrag von San Stefano (3. März 1878) und auf dem Berliner Kongreß (13. Juni 1878), Artikel 16, wurde die nun im Vordergrund stehende Armenische Frage ausdrücklich behandelt. Die Hohe Pforte versprach Reformen und vor allem auch den Schutz ihrer Armenier vor den Bedrückungen durch die Tscherkessen und Kurden. Es kam aber zu keiner Befriedung des Landes, was die Armenier zur Selbsthilfe veranlaßte und zur Gründung politischer Parteien 1885 und 1890. Die 1890 entstandene nannte sich ausdrücklich „Armenische Revolutionäre Föderation". Seit 1890 kamen die Armenier nicht zur Ruhe. 1893 wurde ein armenisches Komplott aufgedeckt. Erst der Armenieraufstand in dem zum Viläyet Bitlis gehörenden Distrikte Sassun unter dem Armenier Hampartzun Bojadjian (genannt Muräd) auf Grund eines Konfliktes mit dem Kurdenstamme Bikrauli ging über das im 'otmänischen Reiche übliche Maß hinaus. Die türkischen Truppen warfen den Aufstand grausam nieder. 1895 griff daher Britannien mit einer Enquete ein, der sich auch Frankreich und Rußland anschlossen. Der Sultan war angesichts der Geeamtlage nur zu allgemeinen Reformen bereit, nicht zu einem Sonderstatus für die Armenier. Wahrscheinlich auf Anstiften des englischen armenischen Komitees in London kam es dann am 30. September 1895 zu der blutigen armenischen Demonstration in Konstantinopel und schließlich zur Niedermetzelung von einigen hundert Armeniern in Trapezunt. Der Sultan kam aber den Großmächten entgegen und erließ am 2.0. Oktober 1895 ein Reformdekret für Türkisch-Armenien. Leider erfolgten vor dem Inkrafctreten der Reformen neue Zusammenstöße und dann am 26. August 1896 der armenische Überfall auf die Ottoman-Bank in Konstantinopel. Die — wie man heute sagen würde — Terroristen wurden zwar von den Engländern gerettet. Die Rache an den Armeniern im Lande war jedoch furchtbar. Auch nachdem dem armenischen Patriarchen Ende des Jahres ein gewisser Frieden mit den türkischen Behörden gelungen war, gingen die Kämpfe im Jahre 1897 erneut weiter. Das «Comite central de Constantinople de la federation revolutionnaire armenienne» machte erneut von sich reden. Kennzeichnend für die Situation war, daß die türkischen Behörden schon jeden zu verdächtigen begannen, der überhaupt mit Armeniern verkehrte. Das führte sogar zu einer Verletzung des k. u. k. Konsulates und der Entsendung zweier österreichisch-ungarischen

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Kriegsschiffe nach Konstantinopel. Erst Ende 1898 hatte sich die Lage so weit beruhigt, daß die meisten nach Rußland geflohenen Armenier in ihre Heimat zurückkehren durften. Das 'otmänische Reich, das durchaus noch einer vernünftigen Regeneration fähig gewesen wäre, war ohnedies durch die häufigen Interventionen anderer Mächte und durch Schwierigkeiten mit den einzelnen Völkern des Reiches an allen Ecken und Enden bis in seine Grundfesten erschüttert. Das zunehmende Erstarken der jungtürkischen Partei in der 2. Hälfte des 19. Jh. tendierte letzten Endes auf ein rein nationales Türkentum. So kam es, daß ausgerechnet die Armenier, die im Gegensatz zu anderen Völkern immer im besten Einvernehmen mit den Türken gelebt hatten, die schlimmsten Greuel erdulden mußten. Ursprünglich hatten sie gute Beziehungen zu den Jungtürken und nahmen 1908 aktiven Anteil an der jungtürkischen Revolte. 1 9 1 2 und besonders 1 9 1 4 zeichnete eich sogar die Möglichkeit eines autonomen Status der rein armenischen Gebiete ab (mit Unterstützung von 6 Unterzeichnermächten des Berliner Kongresses). Der I. Weltkrieg, dem von Rußland von vornherein der Charakter eines Religionskrieges gegeben wurde (Ziel: Wiederaufrichtung des Kreuzes auf der Hagia Sophia in Konstantinopel), wirkte sich jedoch katastrophal aus. 1 9 1 5 / 1 6 kam es zu dem Versuch der Totalausrottung der Armenier auf türkischem Gebiete und damit zu der weitgehenden Vernichtung der armenischen Kirche auf dem Territorium der jetzigen türkischen Republik. Syrien, der Libanon, die spätere (seit 1920) Räte-Republik Armenien in erster Linie und zahlreiche weitere Länder haben seitdem eine starke armenische Einwanderung erfahren. In Deutschland hat D. Dr. Johannes Lepsius (1858—1926) mit seiner 1895 zur Bekehrung von Muslimen gegründeten Orient-Mission sich der Armenier in besonderer Weise angenommen, wie überhaupt Deutschland sich für den Schutz der Armenier eingesetzt hatte. Die 1 9 1 9 in Berlin gegründete Deutsch-Armenische Gesellschaft suchte die Lepsius'sche Tradition weiterzuführen. Die Lage der Restarmenier in der Türkei blieb prekär, wie ihre Einbeziehung in das Griechenpogrom vom 6.17. September 1955 zeigt. Die am 28. Mai 1918 mit dem Zentrum Erevan errichtete und am 4. Juni von der Türkei anerkannte armenische Republik hatte sich nicht halten können und war erneut zwischen die Mühlsteine der Großmächte geraten: Dem Friedensvertrag mit den Türken vom 2. Dezember 1920 folgte unmittelbar die Umwandlung in eine Räte-Republik und damit die alte Eingliederung in das russische Reich, nur in anderer

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Form. Doch ist dieses Gebiet, und übrigens auch der Libanon, nach wie vor das armenische Zentrum. Das nationale Erwachen hat auch in Staaten wir Syrien oder Ägypten nach dem II. Weltkriege zu einem starken Zurückdrängen des Armeniertums geführt. In Europa und Ubersee sind seitdem die armenischen Gemeinden sehr gestärkt worden; in Westdeutschland übrigens auch durch aus der Türkei eingewanderte armenische Arbeiter. Umgekehrt wurde die mit Rom unierte armenische Kirche besonders unmittelbar nach dem II. Weltkriege sehr geschwächt. Armenier, die sich — oft trotz mancher Bedenken — zu der so propagierten Übersiedlung in die Räte-Republik Armenien entschlossen, wurden in jedem Falle orthodox, wenn sie vorher der unierten Kirche angehört hatten. In der Gegenwart gelang es dem Katholikos von Ejmiazin, seine Stellung innerhalb des Armeniertums zu festigen und aufzuwerten. Der Katholikos Kevork V. (1911—30) hatte noch erhebliche Schwierigkeiten gehabt. Die negative Religionspolitik der Räteregierungen wirkte sich auch in Armenien voll aus (mit kirchenspalterischen Versuchen, atheistischer Propaganda usw). Auch der Nachfolger hatte größte Schwierigkeiten auszustehen, ehe im II. Weltkriege die armenische Kirche ähnlich wie die russische von den gelockerten Bestimmungen profitierte. Dazu kam noch die Bedeutung Rätearmeniens für das zumeist antikommunistisch gesinnte Armeniertum überall in der Welt. 1955 konnte der jetzige Katholikos Vasgen I. von der ungewöhnlich großen Zahl von 1 3 7 Delegierten (126 für ihn) gewählt werden. Aus der Union der Räterepubliken waren 98 und aus der Diaspora 39 Delegierte anwesend. Der Lage der Dinge entsprechend, hielt der Zuzug in sein Land an, wie 1964 die Nachricht von der Ubersiedlung von etwa 1000 Armeniern aus Aleppo zeigte. Die Verbindung der Armenier mit ihrer Kirche ist nach wie vor sehr eng. 1969 berichtete der Katholikos, daß von den etwa 3,3 Millionen Armeniern im Rätebund 40 °/o als gläubig bezeichnet werden dürfen. Uber die Hälfte der Kinder werden getauft, etwa 20 °/o der Paare kirchlich getraut. Im Oktober des gleichen Jahres gelang sogar der Zusammentritt einer gesamtarmenischen Synode in Ejmiazin. Auch das Katholikat von Sis und die Patriarchate Jerusalem und Konstantinopel waren unter den anwesenden 25 Bischöfe vertreten. Die Einheit der armenischen Hierarchie, Reformen und die Verhandlungen der nonchalcedonensischen Kirchen wurden besprochen. 1970 besuchte Vasgen I. auch Rom und erließ zusammen mit dem Papst am 12. Mai einen Friedensaufruf. Unzweifelhaft ist Vasgen I. der geeig-

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nete Mann, durch sein zunehmend maßvolles Auftreten die Einheit in der innerlich oft stark zerstrittenen armenischen Kirche zu fördern. Das kilikische Katholikat von Sis, jetzt in Antelias bei Beirut, ist in vieler Hinsicht sein natürlicher Gegenspieler. Seine Gläubigen befinden sich in erster Linie im Vorderen Orient und natürlich im Libanon, in dem die Armenier und ihre Sprache eine erhebliche Rolle spielen. Seit 1962 gehören beide Katholikate dem Weltrate der Kirchen an, was die Selbständigkeit von Sis deutlich unterstreicht. 195 6 wurde in Intilyäs (Antelias) Zarech I. noch gegen Vasgen I. auf den Thron gehoben. Aber gerade der schon im Februar 1963 mit 48 Jahren sterbende Zarech I. gilt als große ökumenische Figur und als Mann, der Entscheidendes für den Aufbau und die Gesundung der armenischen Diaspora in unserer Zeit tat. Als 1963 Khoren I. als Nachfolger gewählt war, besuchte ihn Vasgen I. auf einer Pilgerfahrt nach Jerusalem. Am 2.6. Oktober kam es zu der historischen Begegnung, die mit einem Gedächtnisgottesdienst für Zarech I. gekoppelt war. Seitdem ist man prinzipiell bereit, zum Wohle der armenischen Kirche und der Einheit des armenischen Volkes die Zusammenarbeit zu suchen. Eigenart der armenischen Kirche in Gottesdienst und Brauchtum Wie alle nonchalcedonensischen Kirchen, erkennt auch die armenische Kirche nur die drei ersten Konzilien an. Das Filioque, die Fegefeuerlehre, die Transsubstantiationslehre, das Ablaßwesen, die Papstheorie und ähnliche westliche Neuerungen sind damit ebenfalls strikt abgelehnt. Die Eigenart des armenischen Gottesdienstes ergibt sich aus den mannigfachen Einflüssen, die die armenische Kirche aufgenommen und selbständig verarbeitet hat. Eine wichtige Rolle spielen daher in alter Zeit auch die Ausbildungsstätten, die die armenischen Theologen besuchten und deren Tradition sie natürlich in ihren jeweiligen Landesteilen Armeniens verbreiteten. In besonderem Maße bestimmend blieb für Armenien aber der Einfluß Jerusalems. Diese Stadt mit ihrem reichen gottesdienstlichen Leben hat ja zentrale Bedeutung für alle Kirchen und war selbstverständlich auch Ziel und Sehnsucht der von Byzanz und Persien bedrängten Armenier. Das auf den Herrenbruder Jakobus zurückgeführte eucharistische Formular — von Hause aus griechisch abgefaßt — hat im Orient in einer doppelten syrischen Fassung für die Julianisten und

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für die Severianer (Jakobiten) seine Wirksamkeit entfaltet. Die julianistische Form ist in das Armenische übersetzt worden, wie es nach dem oben geschilderten Gang der armenischen Geschichte als selbstverständlich erscheint. Verständlich dürfte schließlich auch sein, daß ostsyrische (nestorianische) Gottesdienstformen nicht in die armenische Kirche eindrangen. Hingegen war immer wieder Byzanz von Bedeutung. Vieles ging in der in Byzanz üblichen Form durch Übersetzung aus dem Griechischen in das Armenische über. Schon im 5. Jh. übte in dieser Hinsicht Kappadokien seine Wirkung. Die dort gefeierte Basiliusanaphora wurde zu Beginn des Jahrhunderts in das Armenische übersetzt und später Gregor Illuminator zugeschrieben. Der Katholikos Yovhannes Mandakuni (478—490) übersetzte dann noch vier weitere in Kaisareia gebräuchliche Anaphoren, die man Sahak, Gregor von Nazianz, Kyrill und Athanasius zuschrieb, von denen aber nur letztere sich bis heute hielt. Im Grunde sind alle diese Anaphoren Varianten der Basiliusanaphora. Gut orientalisch ist die Betonung der Orthodoxie des großen Ägypters Athanasius durch die heute allein übliche Form der Liturgie. Daß auch der große Sahak (Isaak) ein Formular besitzt, weist auf seine erhebliche Bedeutung als Organisator des gottesdienstlichen Lebens der Armenier hin. In der weiteren Geschichte sind Byzanz (Chrysostomusliturgie) und Syrien immer wieder von Bedeutung für den armenischen Gottesdienst geblieben. Dazu kommt schließlich noch der lateinische Raum durch die Übersetzung der lateinischen Messe in Kilikisch-Armenien (wohl durch Nerses Lambronaci, 1153/54-1198). Aus allen diesen Elementen hat die armenische Kirche einen eigenen Gottesdienst geprägt, wie wir ihn im Orient sonst nirgends finden. Der „Kleine Einzug" vor dem Trishagion, der „Große Einzug" mit den Heiligen Gaben und dem Gesang einer „Hagiologie" erinnern uns deutlich an Byzanz — die Litaneien der Diakone wieder an Syrien. Die drei Lesungen der Propheten, der Paulusbriefe und des Evangeliums schließlich finden sich so nur noch bei den Armeniern. Auch die im Orient und im Osten nur den Armeniern eigene Benutzung von ungesäuertem Brot beim Heiligen Abendmahl ist altes Gut. Sie gilt als Symbol der Verwerfung der Zweinaturenlehre in der Christologie. Das Brot muß von den Presbytern am gleichen Tage gebacken werden. Auch das Fehlen von Wasser im eucharistischen Wein deutet man in der gleichen Weise christologisch. Kommuniziert wird nach orthodoxem Brauch mittels der in Wein getauchten Brotpartikel.

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Für Kranke und sonstige Kommunikanten werden Hostienpartikel außerhalb des Gottesdienstes aufbewahrt. Die Kindertaufe erfolgt durch völliges Eintauchen. Auf sie folgt die Salbung oder Confirmatio und anschließend die labiale Kommunion, indem die Elemente mit der Zunge des Täuflings in Berührung gebracht werden. Das Sündenbekenntnis geschieht durch eine allgemeine Formel, und meist erst einige Tage danach erfolgt die Absolution. Dadurch soll sich der Bekenner auf das unmittelbar auf die Absolution folgende Heilige Abendmahl besser vorbereiten. Bei den anderen Riten findet man bei genauem Zusehen immer wieder die unterschiedlichen Einflüsse, die auf die armenische Kirche -einwirkten. So stellt man bei der Presbyterweihe seit dem 12. Jh. römisch-germanischen Einfluß fest. Bei der Hochzeit findet man neben dem syrischen Gepräge auch byzantinische und westliche Elemente. Perikopenwesen und Festkalender der armenischen Kirche gehen wieder auf Jerusalem zurück. So wie man um die Mitte des 5. Jh. diesen Ritus dort feierte, liegt er der Fest- und Perikopenordnung •des altarmenischen Kirchenjahres zu Grunde. Das Stundengebet hat zu dem syrisch-palästinensischen Grundstock wieder byzantinische Elemente hinzugefügt. Nationale Dichter haben die Hymnik sehr "bereichert. In diesem Zusammenhange muß auch auf das eigenständige Musikleben der Armenier hingewiesen werden. Ihr Gesang weicht von dem der übrigen orientalischen Kirchen völlig ab. Byzantinische Einflüsse werden hier erneut deutlich. Seit dem 12. Jh. zeichnete man die Musik nach einem eigenen Notationssystem auf. Die mehrstimmige Ausführung der alten Choralmelodien dürfte im 18. Jh. begonnen haben. Es kommt dann schließlich auch zu mehrstimmigen Kompositionen. Europäische, zuerst russische, Einflüsse treten hinzu. Die Orgel und in unserfem Jahrhundert auch andere europäische Instrumente fanden bei den Armeniern Eingang. Der 1869 in Kleinasien geborene Vardapet Komitas, der 1896 zum Studium •der Kirchenmusik nach Berlin kam, wäre hier in erster Linie zu nennen. Von 1 9 1 0 an in Ägypten wirkend, stellte er in Alexandrien einen Chor von 250 Stimmen auf, der das Erbe der armenischen Kirchenmusik durch zahlreiche Gastspielreisen verbreitete. Der Osterfestkreis der armenischen Kirche umfaßt 24 Wochen oder 1 7 1 Tage: Eine Fastenwoche, zwei Wochen Heiligenfeste, sechs "Wochen Fasten, die Osterwoche, sieben Wochen bis Pfingsten, die

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Pfingstwoche, fünf Wochen Heiligenfeste und dann das dreitägige Fest der Verklärung mit Fasten. Der Rest des Jahres ist in weitere fünf Teile geteilt: Bis zum Assumptionsfest (15. August), bis zum Kreuzerhöhungsfest (14. September), die Adventszeit und das Theophaniefest am 6. Januar. Der Heiligenkalender schwankt von Jahr zu Jahr, weil es von dem Charakter des betreffenden Wochentages abhängt, ob an ihm ein derartiges Fest stattfinden kann. Die Mittwoche und Freitage etwa dienen ausschließlich der Buße, und am Sonntag kann natürlich auch kein gewöhnliches Heiligenfest gefeiert werden. Die Sonntage sind allein der Auferstehung und Feierlichkeiten zu Ehren des Messias, des Heiligen Geistes, der Theotokos, des Heiligen Kreuzes und der Heiligen Kirche vorbehalten. Neben den armenischen Heiligen werden auch solche aus den syrischen und byzantinischen Synaxarien verehrt. Seit der Kreuzfahrerzeit zählt man sieben Weihegrade: Gesalbt werden nur Presbyter, Bischof und Katholikos. Das Subdiakonat gilt als niederer Grad, im Gegensatz zum lateinischen Brauch. Auch das theologische Doktorat ist in diese Weihehierarchie eingefügt. Es hat zwei Klassen. Die obere verleiht Bischofsrang. Die Inhaber dieser Weihe können somit, gleich den Archimandriten, das Bischofsamt ausüben. Außerdem gibt es noch das Sakrament der Eheschließung. Die Scheidung bleibt kanonisch dem Katholikos oder Patriarchen vorbehalten. Der Presbyter muß vor der Diakonatsweihe heiraten und darf sich als Witwer nicht erneut verehelichen — es sei denn, er verzichtet auf seine Würde. Letzteres ist erlaubt und bringt keinerlei Nachteile mit sich. Umgekehrt können Leute, die zum zweiten Male verheiratet sind oder eine Witwe nahmen, nicht Presbyter werden. Einen Monat läßt man gemeinhin zwischen Heirat und Ordination verstreichen. 30—50 Jahre sind das geforderte Alter für die Kandidaten. Ausnahmen sind selten. Der verheiratete Presbyter kann nun Erzpresbyter, Vikar oder Rjatsmitglied werden. Doktor (Vardapet) oder Bischof kann er lediglich als unverheirateter Witwer werden. Das ist aber nicht Kirchengesetz. Auch dem verheirateten Klerus könnte man nach altem Brauch wieder erneut die höheren Weihen öffnen. Der unverheiratete Klerus entstammt den Klöstern. Mönchseide gibt es nicht. Das Kloster dient vielmehr der Vorbereitung auf das höhere Klerikeramt. Das Laienelement hat bei der Bestallung der verheirateten Presbyter und ihrem Vorschlag zur Ordination einen ganz erheblichen

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Einfluß. N u r die Karriere der unverheirateten Presbyter geht ohne das Mitspracherecht der Laien vor sich. Gemeinde und Diözese ist jeweils ein besonderer Laienrat zugeteilt, der auch auf finanziellem Gebiet von großem Einflüsse ist. Die armenische Kirche kennt nicht die Ikonostasis; allenfalls einen Vorhang wie die Syrer. Der Altar steht frei sichtbar erhöht im Chore und von allen Seiten zugänglich. Eine Ikone der Theotokos mit dem Kinde dient als Schmuck. N u r Ostern und am Kreuzesfest benutzt man eine andere Ikone. Bänke sind in den armenischen Kirchen erst in neuerer Zeit aufgekommen. In der Regel sind die Kirchen ganz ohne Sitzgelegenheit und ganz mit Teppichen ausgelegt, wie in Kayseri (man muß vor Betreten die Schuhe ausziehen) oder in Jerusalem. Die Kirche ist gemeinhin von einem H o f e umgeben, der von Gemeinde- und Presbyterräumen, Schule, Aborten usw. umgrenzt wird. Das Ganze schließt dann eine Mauer ab. Wir wissen, daß die alten armenischen Kirchen, besonders im Perserreich, sehr prunkvoll ausgestattet waren — daß überall Kreuze errichtet waren (auf Plätzen oder Straßen) — aber von Bildern hören w i r aus alter Zeit nichts. Deutlich ist nur, daß die Kreuzesverehrung seit jeher in Armenien eine große Rolle spielte. Es folgten im L a u f e der Zeit aber durchaus bildliche Darstellungen (biblische Szenen, Christus- und Heiligenikonen), besonders an und in den Kirchen. Diese Ausschückung muß sehr umfangreich geworden sein — denn auch in Armenien brachen im späten 6. und frühen 7. J h . ikonoklastische Tendenzen hervor. Unter dem Katholikos Moses (574—604) traten ikonoklastische Presbyter predigend hervor (besonders auch in Albanien), gegen die vorgegangen werden mußte. Der Ikonoklasten brachten biblische Argumente. Später machten die Paulikianer sogar vor der von den Ikonoklasten geduldeten Kreuzesverehrung nicht halt, ähnlich wie ( 9 . — 1 1 . Jh.) die T(h)on(d)rakier (T'andrakecis), die Kreuze zerstörten, da sie keine Materie anbeten wollten. Es blieb aber so, daß die Armenier diesen Anschauungen nicht folgten und auch den Ritus der Kreuzessalbung vollzogen. N u r Häretiker gingen gegen die Kreuze und Bilder vor. Allerdings scheute man sich in der armenischen Kirche wohl immer vor zu exzessivem Bilderkult wie bei den Griechen, um nicht als Chalkedonenser angesehen zu werden. M a n steht also in der Reihe der Orientalen. Es gab aber immer auch wundertätige Bilder, wie die Jungfrau von Hojats Vank e am Tigris (vom Apostel Johannes kurz vor ihrem T o d e auf eine Kreuzpartikel gemalt) oder das Holzrelief des Allerlösers (Amena

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P'rkic), das später nach Ejmiazin gebracht und auch mit dem Apostel Johannes verknüpft wurde. Abschließend kann man feststellen, daß die Armenische Kirche, die in so großem Maße auswärtige Einflüsse aufnahm, nie von diesen erdrückt wurde. Sie hat es stets verstanden, die aus dem Orient, aus Byzanz oder aus dem Westen kommenden Traditionen zu verarbeiten, gegebenenfalls selbständig weiterzuentwickeln und so eine eigene armenische Überlieferung zu gestalten, mit der sie ein wertvolles Glied im Reigen der übrigen orientalischen Kirchen werden konnte.

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Katholische Kirche WELTKIRCHE IN ALLEN KONTINENTEN Statistische Angaben

689 Millionen Katholiken in der Welt — mehr als alle anderen Kirchen und Denominationen, evangelische und orthodoxe, zusammengerechnet an Gläubigen zählen! In Europa, dem Stammland der Reformation und der Heimat der orthodoxen Russen, Serben, Bulgaren, Rumänen und Griechen, sind 38% der Bevölkerung katholisch. Obwohl sich Nordamerika in einer protestantischen Kolonisationsleistung profilierte, sind im gesamtamerikanischen Kontinent 55% katholisch. So ist Amerika der katholischste Kontinent der Erde. In Asien zählt man nur 2 % Katholiken. Die katholische Kirche zeigt sich als imposanter Arbeitgeber: rund 1 % Millionen spezialistisch Ausgebildete stehen im full time job in priesterlicher, erzieherischer oder karitativer Funktion. Die Zahl der Priester allein: 425 000. Doch diese Zahlen werden nicht in triumphalistischem Ton vorgetragen. Denn gerade bei den Berufungen zum Priestertum und Mönchsstand zeigt sich Stagnation: in Europa gab es 1969 nur 5156 Ordinationen, fast ebensoviele Priester sind im gleichen Jahr gestorben. Auch steigt die Zahl derjenigen Priester, die, meist am Zölibatszwang scheiternd, das Priestertum aufgeben: in den 6 Jahren 1964 bis Ende 1969 haben 13 450 Priester ihren Beruf aufgegeben. Welch erstaunlicher Prozeß in den rund 4V2 Jahrhunderten nach der Reformation, in denen sich die katholische Weltausbreitung vollzog! Man vergegenwärtige sich den Status des eng eingegrenzten Katholizismus von damals: die arabische, in der Fortsetzung türkische, Zangenbewegung des Islam war über Nordafrika und Gibraltar nach Spanien vorgedrungen und hielt noch bis 1492 das maurische Königreich Granada gegen das angriffsfreudige katholische Kastilien. Der andere Zangenarm hatte im 14. Jh. über den Balkan hinweg ausgegriffen und seit der Schlacht bei Mohacs 1526 das katholische Ungarn in seine Gewalt gebracht. Dazwischen eingeklemmt lag der geographische Bereich der katholischen Welt. Dieser behielt nicht einmal seine katholische Einheit. Die Reformation schuf in der Nordhälfte Europas eine geschlossene evangelische

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Staatenwelt, die England, die nordischen Staaten, die Niederlande und die norddeutschen Fürstentümer umfaßte, dazu evangelische Enklaven oder Personenkreise überall. Der katholische Nucleus, der überblieb, erwies sich aber ausdehnungsfähig. Ohne die Reformen des Trienter Konzils und die innere Kraftaufladung durch die Gründung neuer Orden (Oratorianer, Ursulinen, Barnabiten, Jesuiten, Kapuziner) wäre die katholische Expansion nicht erklärbar. Missionsgewinne in den Kolonien ersetzten die Verluste in Europa. Unionsbemühungen brachen in den traditionellen Bestand der Orthodoxie ein. Die katholische Tendenz der Romantik des 19. Jh. führte zu Konversionen. Ein Übriges tat die biologische Bevölkerungsvermehrung. Will man den Katholizismus erfassen, darf man den Blick nicht auf Deutschland und sein Nachbarland Frankreich einengen — die klassischen Länder der ultramontanen Offensive im 19. Jh., heute Ausgangspunkt praktischer Reformen und starker Impulse akademischer Theologie. (K. Rahner, H. de Lubac, Yves Congar halten die Spitze in den Zahlen übersetzter Theologie in den Weltsprachen) R o m muß das Ganze im Blick behalten mit seinen oft sehr unterschiedlich avancierenden Teilkirchen. Die im Π. Vatikanum eingeräumte Möglichkeit nationaler oder kontinentaler Bischofskonferenzen schafft überall relatives Eigenleben. Katholizismus in europäischen Staaten Italien: Papsttum und Volksleben In den geschichtsträchtigen europäischen Nationen bilden die verschiedenartigen „Katholizismen" ein breites Spektrum. In Italien, ausgezeichnet durch die Präsenz des Papstes, majoritär vertreten im Kardinalskollegium und den Kurialbehörden, hatte sich im 19. Jh. eine antiklerikale Front aufgebaut. Die Kurie verteidigte den politischen Status des Kirchenstaats, des einzigen „geistlichen Territoriums", das — ein Anachronismus — durch Consalvis Staatskunst vom Wiener Kongreß 1815 wieder hergestellt war, gegen die Bewegung des Risorgimento. Trotz des Drängens der Großmächte konnte sich Gregor XVI. nicht zur Verleihung von Staatsämtern im Kirchenstaat an Laien oder zur Gewährung der Gemeindeselbstverwaltung entschließen. Die Technisierung des europäischen Lebens durch Eisenbahn und Gasbeleuchtung war im Kirchenstaat nicht zugelassen. Daß R o m die vom Genueser Advokaten Mazzini angeführte italienische Nationalbewegung politisch

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verneinte, trieb diese in antiklerikale Ideologie hinein. Es fehlte zwar nicht an maßvollen liberalen Patrioten (Priesterphilosophen Gioberti und Rosmini) und bei der Thronbesteigung Pius IX. flammte die Hoffnung auf, ein liberaler Papst werde sich an die Spitze der nationalen Einigung Italiens stellen. Doch der Papst hätte in einer Übergabe von konstitutionellen Rechten an die Laienschaft im Sinne des liberalen Programms eine Einschränkung der päpstlichen Unabhängigkeit gesehen, die er für die geistlichen Aufgaben für nötig hielt. Daß er in einer Rede vor dem Konsistorium am 29. April 1848 die Hoflnung enttäuschte, daß der Kirchenstaat zur Unterstützung der gegen Österreich aufständischen Norditaliener in einen Krieg eintreten werde („Getreu den Verpflichtungen Unseres höchsten Apostolats umarmen wir alle Nationen im gleichen Gefühl väterlicher Liebe"), weckte Stimmen, die erklärten, wenn die Pflichten eines italienischen Souveräns sich nicht mit denen eines geistlichen Leiters der Kirche vereinigen ließen, dann müsse eben der Papst auf das Stück geistlicher Herrschaft im Kirchenstaat verzichten, das sich als schädlich für die italienische Gesamtnation erweise. Nachdem Piemont die europäische Lage, die durch den deutschfranzösischen Krieg gekennzeichnet war, am 22. September 1870 zur Besetzung der Ewigen Stadt ausgenutzt, Pius IX. aber das Garantiegesetz vom 13. Mai 1871, das dem Papst „die Unabhängigkeit, Freiheit und die äußeren Merkmale einer geistlichen Souveränität" zusprach, abgelehnt hatte, mußte der Konflikt zwischen Vatikan und liberaler italienischer Öffentlichkeit andauern. Die katholischen Energien wurden unnötig auf eine vorrangig politische Frage gelenkt. Neuansätze blieben blockiert. Die italienische Arbeiterschaft ging der katholischen Kirche verloren, als der Staat zur Zeit der sozialen Krise von 1898 die Arbeiterbewegung unterdrückte, der katholische Organisator der Opera dei Congressi, der Priester Romolo Murri jedoch, der die Katholiken auf die sozialistisch-republikanische Seite ziehen und die vom Staat beschnittene Organisationsfreiheit verteidigen wollte, vom Papst verurteilt wurde. Daß sich die Kirche vom italienischen Modernismus distanzierte, in dem ein erster Aufschwung eines noch in sich unsicheren katholischen Denkens zu sehen war, brachte es dahin, daß die offizielle katholische Denkkultur, wie sie durch die päpstlichen Universitäten und Kollegien von Rom repräsentiert ist, eine strikt theologische internationale Kultur darstellt, die zum Denken des italienischen Volkes keinen Kontakt hat. Dieses wiederum, dem der theologische Interpret seiner Lebensprobleme fehlt, bringt wenig Interesse für die katholische Thematik auf.

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Focolari Diese Situation macht es verständlich, daß sich in Italien viele Ansätze zeigen, im Privaten, innerhalb und außerhalb der Amtskirche, in kleinen Zirkeln eine neue katholische Atmosphäre zu schaffen, oder daß Glieder des niederen Klerus versuchen, sich im antiklerikalen Milieu einzunisten und sich hier eine Machtbasis zu schaffen, um die dann unausbleiblichen Konflikte mit der Hierarchie zu bestehen. Beispielhaft sei auf die Bewegung der Focolarini und auf das Experiment des Don Mazzi in Isolotto hingewiesen. Die Focolari (Herdfeuer), 1943 in Trient von der Italienerin Chiara Lubich „angezündet", strahlen über Italiens Grenzen aus. (Etwa 1 Million Sympathisanten in 140 Ländern.) Sie wollen das Evangelium leben. Die Kerngemeinschaften, die Ledige und Verheiratete umfassen, scharen um ihre kleinen Kommunitäten einen Kreis von „Volontari", die — ohne Gelübde — am Geist der Focolarini teilhaben wollen, der noch heute von den Erfahrungen geprägt ist, die zur Entstehung der Bewegung führten: Als während des Krieges „alles zusammenbrach", erkannte Chiara Lubich Gott als das „Alles", das bleibt. „Ständig den Tod vor Augen" sah sie das einzig Sinnvolle noch darin, Gottes Willen im gegenwärtigen Augenblick zu erfüllen. Mit Kameradinnen schloß sie sich zu enger Lebensgemeinschaft zusammen und begann, in selbstloser Weise das Liebesgebot als die Mitte des Willens Christi (Jo 15, 12) zu praktizieren. Fundament und Antrieb der Arbeit dieses ersten Focolare war die Überzeugung, daß die Verheißung Jesu: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen" (Mt 18, 20) gerade dort gelte, wo Menschen in der Liebe und der gegenseitigen Offenheit ganz eins werden. Die Ausstrahlung dieses Kreises führte bald zur Gründung eines Männerfocolare sowie eines Focolare für Verheiratete. Auch eine Priestergemeinschaft (Mystici Corporis) hat sich angeschlossen. Die Bewegung, die sich unter dem Motto „Jesus in der Mitte" schnell ausbreitete, wurde von Johannes XXIII. offiziell anerkannt und rechnet Paul VI., Bischöfe und Kardinäle wie Bea und Bengsch zu ihren Freunden. Im täglichen Leben halten sich die Focolarini an die Gestalt des Gekreuzigten. In der Anfechtung fühlt man sich dem verlassenen Jesus am nächsten. Seine Gegenwart macht die stets neu notwendige gegenseitige Vergebung möglich, die wesenhaft zum „Eins-Sein der Zwei oder Drei", dem Kraftquell der Bewegung gehört. Die Glieder der Kommunitäten tragen keine besonderen Kennzeichen, leben in Gü-

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tergemeinschaft, bleiben aber in ihrem Beruf. Mit dem Einkommen wird, auch bei den Familien, der Bedarfeines einfachen Lebens gedeckt, das Übrige wird für soziale und caritative Aktivitäten verwendet. Diese vollziehen sich wie das Gemeinschaftsleben in organischer Einordnung in die Kirche, in Gehorsam gegenüber ihrer Leitung und in betonter Bezugnahme auf das Vorbild Märiens. Die bewußte Unterordnung unter die Hierarchie, das uneingeschränkte Bekenntnis zur „katholischen Lehre" und die betonte Marienverehrung implizieren Zurückhaltung gegenüber die faktische Situation verschleiernden oekumenischen Aktivitäten. Das bedeutet aber nicht, daß es eine oekumenische Ausrichtung nicht gäbe. Die Einheit wird aber nicht trotz, sondern wegen Papst und Maria erhofft. Auf der anderen Seite führt die am praktischen Vollzug der Nachfolge orientierte Haltung der Focolarini, ihre unbedingte Zuwendung zum Nächsten zu einer erstaunlichen Offenheit und Gemeinschaftsbereitschaft gegenüber Gästen, Freunden und Gliedern anderer Konfessionen und Religionen. Die Focolarini-Stadt Loppiano bei Florenz, die sich im Bau befindet, soll für jedermann offen sein. Eine „Neue Stadt" (Citta Nuova — Titel der seit 1959 erscheinenden Zeitschrift) zu bauen und damit den Leib Christi zu verwirklichen, sehen die Focolarini als ihr Ziel an. Dabei rückt zunehmend der Gedanke in den Vordergrund, es gelte, den Ansatz zu einer „Neuen Gesellschaft" zu schaffen. Dafür sind Thematik und Verlauf der mehrtägigen Sommertreffen (Mariapoli) symptomatisch, die, regional und zentral durchgeführt, der Regeneration und Kommunikation der Bewegung dienen. Allerdings besitzt das belehrende Wort nur untergeordnete Bedeutung gegenüber einem „Vorleben" der Liebe Christi. Isolotto Zum Konflikt mit der Kirche führte das „Experiment" des Ortspfarrers Don Enzo Mazzi in Isolotto, einem Arbeitervorort von Florenz. Unter dem Leitmotiv „pastorale Orientierung" entwickelte sich seit 1954 eine Gemeinde mit besonderer Struktur. Die Priester verzichteten auf jedes Entgelt für kirchliche Amtshandlungen, bauten ihre Privilegien ab, organisierten eine Gemeinschaft wechselseitiger Verantwortung. Konsequente Ausrichtung am Evangelium, d. h. Verkündigung der Gegenwart Christi, Sichtbarmachen der Wirkungen seiner Botschaft, Solidarität mit den Schwachen und Armen setzten in der Gemeinde einen Lernprozeß in Gang (Gemeindeleben als „umfassende Katechese"), schufen — unter Einbeziehung der Laien — eine Atmosphäre politischer

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und gesellschaftskritischer Verantwortung, des Dialogs und der DemoJcritisierung, die langfristig mit dem Ordnungs- und Gehorsamsdenken der Hierarchie unvereinbar war. Die Unterbindung des Experiments durch Kardinal Florit, den Erzbischof von Florenz, war unausweichlich. Stationen der Entwicklung in Stichworten

1954: Don Mazzi nimmt in dem im Aufbau befindlichen Isolotto seine „missionarische Arbeit" auf; 1955: „offenes" Gemeindezentrum; 1957: Eintritt der Kapläne Gomiti und Caciolli in die Arbeit, Weihe •der Kirche, Festigung einer Gemeinschaft von Priestern und Laien, die, für alle offen, durch gemeinschaftliches Leben und lebensnahes Schriftstudium die Basis für eine große brüderliche Gemeinschaft aller zu bilden versucht. Impulse, die von dieser Gemeinschaft ausgehend das Gemeindeleben prägen: Leben in Armut und Selbstlosigkeit aus brüderlicher Solidarität; die Priester arbeiten für ihren eigenen Unterhalt, nehmen teil am Leben der Arbeiter; Laien übernehmen die nicht eigentlich priesterlichen Aufgaben; die Priester versuchen ihr brüderliches Verhältnis darzustellen durch Leben in Gütergemeinschaft, gemeinsame Arbeit am Wort Gottes, Einbeziehung der Laien in die Mitverantwortung, Kontakte zu anderen Priestern (die Zusammenarbeit mit nehmen, da man junge Menschen nicht auf eine bestimmte Lebensform verpflichten könne, solange das monastische Leben noch nicht mit hinreichender Klarheit zu neuem Selbstverständnis gefunden habe, und einen weiten Kreis von Interessierten — Gläubige oder Nichtgläubige — ins Konventsleben einzubeziehen. Der Schwerpunkt des Experiments lag in der Liturgie. „Jeder liturgische Ausdruck führt, wenn er echt sein will, zu veränderter Lebenshaltung, die ihrerseits wieder neuen liturgischen Ausdruck hervorruft". (Besret, Boquen hier, aujourd'hui, demain, Paris 1969). Die Gebetstexte wurden gemeinsam entworfen und sofort angewandt, um herauszufinden, ob sie gelungen seien. Das Brot wurde in zwei großen Weidenkörben, der Wein in einfachen Keramikgefäßen für die stets wachsende Zahl der Meßbesucher konsekriert, die Kommunion unter beiderlei Gestalten gereicht. Besret beschrieb die Auswirkung der R e formen aufs konkrete Leben: sie haben unser Leben völlig umgewandelt. Die eucharistische Gemeinschaft weitete sich auf den Alltag aus. Die Gäste schlugen Themen für die Diskussion vor. Die Öffnung beruhte auf einer theologischen Auffassung vom Ordensleben, vom Prior am 20. August 1969 entwickelt, nach welcher Kirche Gemeinschaft ist, die aber weder territorial begrenzt sein darf wie in der Pfarrei, noch als Hausgemeinschaft wie im traditionellen Konvent, noch eine Aussonderung aus dem Milieu darstellen dürfe wie in der actio catholica. Das Kloster wurde als Basisgemeinschaft verstanden, für alle offen. Da eine solche Basisgemeinschaft aber nicht den Bedürfnissen aller entspricht, müssen viele solcher Gemeinschaften entwickelt werden. So formt sich das lebendige Gewebe der Gesamtkirche, Ersatz des bisherigen und jetzt steril gewordenen Parochialsystems. Katalysator der Basisgemeinschaften bleibt das kirchliche Amt, doch muß der Amtsträger stets aus der Basisgemeinschaft selbst stammen. Eine Ernennung von außen würde eine Abweichung darstellen. Von dieser Grundlage aus entwarf Dom Besret ein Bild der künftigen Struktur von Boquen in vier konzentrischen Kreisen: Kern sind die animateurs communautaires, Ordensglieder im juridischen Sinn, Unverheiratete auf Zeit und auch Verheiratete. Für diesen Kern sind mehrere Jahre Ausbildung und gemeinsames Leben vorgesehen. Den zweiten Kreis bilden die animateurs, die sich nur zum Teil der Gemeinschaft widmen und ihr Privat- und Berufsleben beibehalten. Nur in ihrer Freizeit nehmen sie am Gemeinschaftsleben teil und erhalten hier umschriebene Aufgaben in eigener Verantwortung. Für sie sind zwei

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Vorbereitungszeiten vorgesehen. Peripher angesiedelt ist die dritte Gruppe, die an mehreren Jahrestreffen zur Vertiefung christlichen Lebens teilnehmen. 12 Treffen bilden einen geschlossenen theologischen Kurs. In noch loserem Kontakt stehen die „Freunde". Ein Disziplinierungsverfahren gegen den Prior, vom Generalabt des Ordens und dem zuständigen Erzbischof angestrengt, das von der Sorge bestimmt war, das selektive Gemeinschaftsmodell von Boquen würde nur zu einer kleinen Gruppe Privilegierter führen und die Kirche werde von Sklerose befallen, wenn Basisgemeinden ihre Priester nur aus sich selbst rekrutierten, wurde abgebrochen, als sich Tausende als Kontestatoren in der Konventsmesse einstellten und 15 Professoren der Universität Rennes sich für Boquen erklärten. Auch die 5. Sitzung des niederländischen Pastoralkonzils vom 4. bis 7. Jan. 1970 legte einen instruktiven Neuentwurf für das Ordensleben vor. Die Vorschläge für eine erneuerte Gemeinschaftsstruktur und neue Sinngebung zeigten die Tendenz zur kleineren Gemeinschaftsgruppe, zur Abkehr von Großkommunitäten, in denen Uniformität, Anonymität, Mangel an persönlicher Freiheit als Belastung empfunden werden. Betonung des „laikalen Charakters der religiösen Lebensform" soll mehr Beweglichkeit in der Anpassung an die Umweltsituation schaffen. Diese Ansätze haben besondere Bedeutung, da in Holland (35 000 Ordensleute, in der Mission weitere 10 000) die Ordensaustritte beängstigende Ausmaße annahmen. (1968: 429 Austritte) Der aufsehenerregende Vorstoss sechs holländischer Augustiner, die dem im April 1969 tagenden Regionalkapitel die Umformung der Provinz in eine lockere Föderation vorschlugen, zu der Verheiratete zugelassen und freie Wahl des Wohnsitzes und der Tätigkeit gewährleistet werden sollte, scheiterte am Widerstand des Generalrats der Augustiner in Rom. Die gegenwärtige Selbstkritik des Mönchtums, motiviert durch gesellschaftliche Standortsuche, berührt sich nur wenig mit der Kritik, die einen Topos innerhalb evangelischer Kritik am katholischen Kirchenwesen darstellt. Luther und die Wittenberger Mitreformatoren legten dafür den Grund. 1521 versuchte Karlstadt die Befreiung der Weltpriester vom Zölibat auch für das Mönchtum in Anspruch zu nehmen. Die Thesen, die er mit Melanchthon ausarbeitete, genügten Luther jedoch nicht. Ein Gelübde darf doch nicht einfach deshalb fallen, weil es der Natur unmöglich scheint, es zu halten! Als am 12. November 13 seiner Wittenberger Augustiner die Kutte ablegten, ängstigte sich Luther, sie möchten das mit inisicherem Gewissen getan haben. Er begann mit der literarischen Arbeit an De votis monasticis. In der Vor-

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rede setzte sich Luther in der Form eines Briefes an seinen Vater mit dem eigenen Gang ins Kloster auseinander. Der Vater hatte hier einen Verstoß gegen das 4. Gebot gesehen. Aber Gott hatte den Umweg durchs Mönchtum geschehen lassen, damit Luther am eigenen Leibe die falsche Heiligkeit des Mönchtums ausprobiere. Die neue Freiheit wird so formuliert: „Sollte ich der Kapuze gehören oder die Kapuze mir? . Die Datierung auf 1521 besagt: Das Mönchtum war Gegenstand des letzten reformatorischen Angriffs gegen Rom. Luthers Theologie stand damals schon völlig fertig da. Sein Schriftprinzip wurde auf das Institutum Monasticum angewandt. Blenden wir in Luthers Geschichte zurück: Bei seinem Novizenmeister Palz hatte Luther gelernt, die Profess sei mit einer zweiten Taufe zu vergleichen. Das lehnte Luther ab. Die Bedeutung der Taufe blieb für ihn singular. 1513 hatte Luther in den Kampf zwischen Observanten und Konventualen eingegriffen, also zwischen den Ordensangehörigen, die eine strenge Einhaltung der Klosterregel forderten und der Gegenpartei, die sich an die Gegebenheiten der Zeit freier anpassen wollte. In dem anonymen Lavacrum conscientiae war der Gedanke ausgedrückt, zwischen einem reformierten und nichtreformierten Kloster bestehe ein Unterschied wie zwischen Himmel und Hölle. Wer einem nichtreformierten Konvent angehöre, ziehe sich ewige Verdammnis zu. Gegen solchen geistlichen Hochmut ging Luther in der ersten Psalmenvorlesung 1513 an. Hier schon zeigte sich seine Tendenz, die Ideale des Mönchtums ihres spezifisch monastischen Charakters zu entkleiden. Die Analyse der reformatorischen Grundschrift De votis monasticis ergibt, daß Mönchtum als Sache des Gelübdes angegangen wird. Luther rüttelt nicht daran, daß Gelübde zu halten sind, vielmehr unterscheidet er, welches echte Gelübde seien und welches nicht. In den kathoÜschen Gegenschriften blieb dieser Gesichtspunkt unbeachtet. Der Fall ist denkbar, daß etwas, was nach der Schrift gar nicht gut genannt werden kann, Gegenstand eines Gelübdes wird. Das kann aber nicht Gelübde im Sinne der Bibel sein. Quae impia et displicentia Deo, non sunt censenda vota. Ein Gelübde, den Nächsten zu morden, dürfte man auch nicht erfüllen, sondern man müßte es auflösen! Das Mönchswesen ist nicht neutestamentlich. Res est sine autoritate et exemplo Scripturae. Nach Luthers Analyse ruhte das spätmittelalterliche Mönchtum, das er vor sich hatte, darauf, daß die Bergpredigtimperative als consilia evangelica gedeutet waren, also als bloße Ratschläge, nicht verbindlich für jedermann, und auf der Meinung, wenn Mönche

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diese consilia halten, daß sie damit einen status pcrfectionis erlangten. Luther setzt folgenden Gedankengang dagegen: Wenn der Mönch den Anspruch erhebt, er allein folge auch den consilia, nicht nur den praecepta, die für die Masse der Christen gültig sind, so wird eine unbiblische Unterscheidung zwischen zwei Christensorten eingeführt. Wenn auch die virginitas als consilium hingestellt wird, die in der Bergpredigt gar nicht angesprochen ist, dann ist das vollends unbiblisch. Wenn das Mönchtum meint, mit der Beachtung der consilia befinde es sich in einem status perfectionis, erhebt es sich über andere Christen. So leben Mönche in einer gespielten Demut. Der Satan hat sich das figmentum de consiliis et statu perfectionis erfunden. Luthers Angriff richtete sich gegen die historische spätmittelalterliche Ausprägung des Klosterwesens, nicht gegen jede geschichtliche Verwirklichung des monastischen Prinzips. Er streicht heraus, daß Antonius noch keine Mönchsgelübde gekannt, vielmehr sein Eremitenleben in aller Freiheit geführt habe. Erst später habe man daraus Zwang und Knechtschaft gemacht und nur die leere Form des Antonius nachgeahmt. Die klassische Beweisstelle der katholischen Argumentation, daß auch Paulus Apg 2 i , 23 von Gelübden spreche, konterte Luther mit dem Hinweis, hier habe es sich um ein zeitliches, kein ewig bindendes Gelübde gehandelt. Wir müssen uns der Situationsverschiebung bewußt sein, die die französische Revolution damit brachte, daß die staatliche Sanktion für Mönchsgelübde wegfiel. So bestehen in der Moderne die Gelübde wieder in Freiheit. Katholische Stellungnahmen des 20. Jh. betonen, daß die offizielle römische Lehre, auch Thomas, nie dem weltlichen Stand die Möglichkeit, die Vollkommenheit zu erlangen, abgesprochen habe. So mässigte die katholische Kirche die Theorie des mönchischen status perfectionis. Aus 5 Gründen kann die gegenwärtige evangelische Position nicht einfach die reformatorische Kritik am Mönchtum wiederholen: 1. Das Mönchtum fiel im 16. Jh. wegen der theologischen Kritik an der meritorischen Frömmigkeit spätmittelalterlichen Mönchswesens. Viel zu wenig wird beachtet, daß Luther selbst ein von meritorischer Gesinnung freies Mönchtum durchaus für möglich hielt: „Will jemand geistlich werden oder ein Ordensgelübde auf sich nehmen, ohne gegen das 1. Gebot zu verstoßen, so muß sein Herz und Sinn nicht anders stehen und sagen also: Wohlan, ich will Mönch, Nonne werden, dies oder jenes geloben, nicht weil ich diesen Stand oder Orden für einen Weg zur Seligkeit halte, auch nicht, weil ich beabsichtige, durch solches Leben rechtschaffen zu werden. Davor behüte mich Gott, das wäre

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Christus und seinem Blut zu nahe getreten. Denn das alles will ich im lauteren Glauben von Ihm erwarten, daß er's f ü r mich getan hat. Vielmehr weil ich ja etwas tun muß auf Erden, will ich dieses Mönchsleben annehmen, mich darinnen üben, meinen Leib kasteien und meinem Nächsten dienen, gleich wie ein anderer Mensch auf dem Feld oder im Garten oder auf einem Handwerk tätig ist, ohne auf Verdienst und Auszeichnung seiner Werke es abzusehen". (Kirchenpostille 1522) In der Tat kam es im 16. Jh. zu Versuchen evangelischen Klosterlebens. In Herford bestand ein Konvent, dessen Mitglieder, schon vor der Reformation ins Kloster eingetreten, an der Einführung der Reformation in der Stadt Anteil genommen hatten, gleichwohl aber an ihrer klösterlichen Gemeinschaft festhalten wollten. Luther billigte ihr evangelisches Mönchtum. 2. Mit der Auflösung der Klöster im 16. Jh. ist unversehens ein Strukturverlust im evangelischen Kirchenwesen eingetreten. In den Landeskirchen setzte sich eine Monostruktur durch: Die Parochialgemeinde wurde die einzige Form der Gruppierung des Gottesvolkes. Der strukturelle Mangel blieb unbemerkt, solange im Zeitalter des Territorialismus ohnehin auch in Wirtschaft und Politik die geographisch faßbaren Größen bestimmend waren. Doch mit dem 19. Jh. vollzog sich eine Loslösung v o m Boden. Die neue Mobilität ließ die Nachbarschaftsbeziehung des Menschen verblassen. Seine Berufsbeziehung wurde wichtiger. Diese neue Welt aber wurde von christlichen Gemeinschaftsimpulsen kaum erreicht. Gleichzeitig machte die Parochie eine soziologische Schrumpfung durch. Die Gebildeten gingen auf Distanz. Im Proletariat entstand eine neue Sozialschicht von vornherein außerhalb der Parochie. Das Mittelbürgertum richtete sich hier umso mehr ein. Die Stiftung evangelischer Kommunitäten als neue Auslegung der neutestamentlichen Koinonia ist als Strukturergänzung willkommen. 3. Der Differenzierung der modernen Gesellschaft konnte die Parochialseelsorge nicht entsprechen. Die Entwicklung drängte zu dem hin, was man in Frankreich apostolat specialise nennt. Da die evangelische Kirche jedoch nur das eine Amt, nämlich das Gemeindepfarramt, kannte, mußten die neuen „übergemeindlichen", also gemeindefremden Aufgaben von Inhabern des Pfarramtes zusätzlich übernommen werden — eine mitunter groteske Ämterkumulation. Die Stoßkraft einer geistlichen Bruderschaft kam vorläufig auf dem neuen Arbeitsfeld ungenügend zur Wirkung. 4. Luther hatte den Gedanken, daß Menschen von einer vocatio erreicht werden, aus der Sphäre des Klosters in die Weltsphäre über-

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tragen. Die vocatio der Mönche säkularisierte zur Berufung im weltlichen Beruf. Eine kulturmorphologische Betrachtung kann unschwer den Einstrom geistlicher Kräfte, asketischen Ernstes und neuer Impulse in die Welt feststellen. Hier wurde das Arbeitsethos des Berufsmenschen entzündet, ohne welches die europäische Kraftentfaltung undenkbar gewesen wäre. Doch unter den 6000 Berufen, die in den Arbeitsämtern registriert sind, bieten sich heute nur wenige dazu an, daß sie als Beruf im Sinne der vocatio erfüllt werden. Der Beruf ist zum Job degeneriert. Und: gerade der Beruf, also das in die Welt transponierte protestantische Kloster, wurde zum Ort einer neuen Selbstrechtfertigung durch Verdienste. Der moderne Leistungsmensch sieht sich durch den Hinweis auf seine enormen Berufsleistungen gerechtfertigt. Soll der Mensch aus einer meritorischen Selbstrechtfertigung herausgeholt werden, dann ist er nicht aus Klostermauern, sondern aus einer Leistungsgesinnung zu holen. 5. Wie sehr das evangelische Kirchentum nach einer Strukturergänzung durch bruderschaftliche Ordnungen verlangte, erwies sich an illegitimen Ersatzbildungen, die seit dem 18. Jh. zu verzeichnen sind. So formte das Freimaurertum des 18. Jh. in seinen Logen ordensähnliche Gemeinschaften, die Romantik in geselligen Salons nach der Art der Fürstin Gallizin in Münster oder der Madame Svetchin in Paris. So ist die Stiftung von evangelischen Kommunitäten nicht länger als „katholisierend" zu kennzeichnen. Dem katholischen Mönchtum ist in oekumenischer Unvoreingenommenheit zu begegnen. Literatur M. Heimbucher, Die Orden und Kongregationen der katholischen Kirche I—III2 1907/08; H. Urs von Balthasar, Die großen Ordensregeln, Einsiedeln 1948; B. Lohse, Mönchtum und Reformation, Luthers Auseinandersetzung mit dem Mönchsideal des Mittelalters, Göttingen 1963; L. Bouyer, Vom Geist des Mönchtums, Salzburg 1958; J.Zürcher, Die Gelübde im Ordensleben, I—III, Einsiedeln 1956—60; Ders. hrsg., Päpstliche Dokumente zur Ordensreform, Einsiedeln 1954; A. Scheuermann, Das Konzü und die Orden. Die Lehre des II. Vatikanischen Konzils, Köln 1967; N . Hans Bert Leeuw, Ordensleben im Umbruch. Warum Ordensfrauen ihre Gemeinschaften verlassen, Kevelaer 1968; Hrsg. H. Claassens, Dienst an der Welt, Ordensfrauen zwischen Charisma und Institution, Freiburg 1969; G. Moorhouse, Bastionen Gottes, Orden und Klöster in dieser Zeit, Hamburg 1969;

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W . Menges, Die Ordensmänner in der B R D , Köln 1969; Das Schicksal der Orden, Ende oder Neubeginn. Analyse: J. Kerkhoff, Stellungnahmen H. Stengers, Z . Ernst, Freiburg 1971; Die Orden heute, Perspektiven für die Zukunft, Aschaffenburg 1972; J. M . R . Tillard, Vertrauen zur Gemeinschaft, Freiburg 1973; D o m B . Besret, Boquen hier, aujourd'hui, demain, Paris 1969; Herd Kor. 1979, 56; Nieuwe Religieuze Leefgruppen, hrsg. Orientatie Centrum Tilburg, 1969

Kanonisches Recht Gratian faßte im 12. Jh. den gesamten Rechtsstoff der Alten und lateinischen Kirche in einer von Sohm gerühmten klassischen Systembildung zusammen (Concordantia discordantium canonum). Daran schließen sich in mehreren Büchern Sammlungen päpstlicher Entscheidungen (Dekretalen) an, die zum Corpus Iuris Canonici zusammengefaßt und erst spät (1580) als Ganzes autorisiert werden. Der Stoff des Corpus wird mit den weiter nachfolgenden päpstlichen Entscheidungen und Gesetzen von dem Kardinalstaatssekretär Gasparri (1852—1934) in der Form moderner Gesetzeskodifikation im Codex Iuris Canonici begrifflich verarbeitet. Der Ansammlung des Stoffs folgt erneut die Konzentration und Abstoßung des Überlebten. Papst Paul VI. hat 1963 die Revision des Codex angeordnet, von der bisher Teilentwürfe vorliegen. Zugleich wird versucht, den unter Pius XII. in Teilen erlassenen Codex Orientalis für die unierten Orthodoxen zum Abschluß zu bringen. Für die lateinische Kirche eröffnete die Spaltung zwischen Ost und West den W e g für eigenständige Entwicklungen, welche Geist und Recht der alten Kirche transzendieren, obwohl dies immer bestritten worden ist. W i e die Ostkirche das Maß einer gewissen eigenständigen Entwicklung und Vereinseitigung verkennt, ist sich die lateinische Kirche der grundsätzlichen Tragweite der in ihr vollzogenen Strukturveränderungen nicht hinreichend bewußt. Sie bestehen in folgenden Hauptpunkten: 1. Ersetzung des Bischofswahlrechts in der Zentralgemeinde R o m durch das Wahlrecht der Kardinäle, entsprechend Verdrängung des Wahlrechts der Bischofsgemeinden zugunsten der Domkapitel oder päpstlicher Ernennung (Papstwahlordnung Nikolaus II. von 1059, Beschlüsse des III. Laterankonzils von 1179). Kardinalskollegium als Senat der Kirche. 2. Absolute Ordination, daher auch Versetzbarkeit (bedeutender Präzedenzfall Totensynode von 897).

der

Bischöfe

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3. Objektivierung der Sakramentenlehre, insbesondere bei Eucharistie und Ordo (Transsubstantiation, character indelebilis des Amtes und absolute Unscheidbarkeit der Ehe). 4. Fortschreitende Zurückdrängung der Kollegialität der Bischöfe und ihrer Regionalverbände zugunsten von Primat und Kurie. Zentralisierung der Leitung in ständigen Kurialbehörden. 5. Folgerichtige Ausschließung der Laien aus dem aktiven Handeln der Kirche (Wegfall der liturgischen Mitwirkung, der Wahlrechte, der Laienabsolution — Ausnahme Taufrecht). Durchsetzung des Zölibats. 6. Legitimierung kirchlicher Institutionen päpstlichen Rechtes (ζ. B. Universitäten). 7. Abstrakt-generalisierende Rechtsbegrifflichkeit.

Systematisierun g

der

kanonistischen

8. Ausbildung eines in der Patriarchatsverfassung der Alten Kirche zwar vertretenen, aber systemwidrigen und nicht durchsetzbaren Primats mit dem Anspruch auf eine, von Beispruchsrechten freie Universaljurisdiktion. Primat und Kardinalskollegium versagen zwar in den Schismata von 1378—1417 gemeinsam. Doch auch Reformbewegungen des Spätmittelalters mit konziliaren und ständischen Grundsätzen und Formen scheitern. Die Kirche kehrt in Trient zur rein bischöflichen Verfassung unter dem Primat zurück, der sich dem fürstlichen Absolutismus angleicht. Nach Überwindung nationalkirchlicher und episkopaler Tendenzen in der Aufklärung erstarkt der Primat in der Restaurationsbewegung des 19. Jahrhunderts und erreicht im Unfehlbarkeitsdogma des I. Vatikanischen Konzils seinen Höhepunkt. Er ist zwar nicht im strengen Sinne absolutistisch, zumal das eigenständige Recht des Episkopats ausdrücklich anerkannt wurde; er ist dem Absolutismus aber verwandt. Er führt daher auch zur zentralistischen Einheitskirche, in der die einzelnen Diözesen unverbunden nebeneinander dem Primat unterstellt sind. 9. Das II. Vatikanische Konzil (s. o.) hat in Wiederaufnahme verdrängter älterer Traditionen bedeutsame Neubildungen ermöglicht und angeregt: a) die Bischofssynode für die Gesamtkircfie — bisher nur beratend; b) nationale Bischofskonferenzen — mit begrenzten Vollmachten; c) diözesane Beratungsorgane — die jetzt zu Diözesanverfassungen zusammenwachsen;

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d) Beratungsorgane auf der Ebene der Gemeinde und des Dekanats. Damit ist die Gemeinde aus der Verengung in einen bloßen Seelsorgsbczirk befreit. Die Formulierung einer Lehre von der Kirche hat zugleich zu dem Versuch geführt, der Kirche eine geschriebene Verfassung zu geben, in der die Grundsätze zusammengefaßt sind, welche oberhalb der Unterscheidung der lateinischen und orientalischen Riten die Gemeinsamkeiten gut zum Ausdruck bringen. Dieser Versuch ist bisher nicht gelungen, da die Bischofssynode 1971 den von der Päpstlichen Reformkommission vorgelegten Entwurf abgelehnt hat. Konstruktive Neubildungen über die bereits v o m Konzil selbst geschaffenen Gremien hinaus (c) und (d) waren in dem Entwurf nicht enthalten. Das Problem einer Zuordnung von Primat und Kurie auf der einen, den ekklesialen Beschlußkörperschaften auf der anderen Seite ist bisher nicht angegriffen, vielmehr auf den Bereich der Bischöfe beschränkt und auch hier nur im Sinne der Beratung gelöst worden. Die Diözesan- und Gemeindeverfassung ist noch nicht im Blick dieser Gesetzgebung. 10. Die Union mit zahlreichen Teilen der Ostkirche erfordert nicht nur den Ausgleich verschiedener theologischer Traditionen, sondern auch die rechtliche Regelung der Zugehörigkeit zu verschiedenen Ritusgemeinschaften, vor allem aber die Einordnung abweichender Rechtstraditionen (Selbständigkeit der Patriarchate, Bischofswahlrecht, Diözesanverfassung, Sakramentenrecht). Nach langen Zeiten einer weniger intendierten, als geduldeten Latinisierung unternahm Pius XII. die Schaffung eines Codex Orientalis, an dem bis zur Gegenwart weitergearbeitet wird. Seine Zulänglichkeit und das Maß latinisierender Einflüsse ist nach wie vor auch innerhalb der römischen Kirche umstritten. Literatur F. Böckle/E. W . Böckenförde, Naturrecht in der Kritik, Mainz 1973; C o d e x Iuris Canonici, Vatikan 1956; H. Dombois,

Hierarchie, Grund und Grenze einer umstrittenen

Struktur,

Freiburg 1971; Ders., Kodex und Konkordie, Stuttgart/Frankfurt 1972; Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, München/Paderborn "1964; C . Fabricius, Die Kirche von England, Berlin 1937; Η. E. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte I, Weimar 1954; F. Heiler, Die Ostkirche, München/Basel 1971; H. Herrmann, Kleines Wörterbuch des Kirchenrechts, Freiburg 1972; J. Klein, Skandalon. U m das Wesen des Katholizismus, Tübingen 1958; Legge e Vangelo. Discussione su una legge fondamentale per la Chiesa, in: Testi e ricerche di Scienze religiose VIII, Brescia 1972;

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Römisch-katholische Kirche

C . Leitmeier, Der Katholik und sein Recht in der Kirche, Wien 1 9 7 1 ; F. Makower, Die Verfassung der Kirche von England, Berlin 1894; A. Ritelbach, Das Recht in der Katholischen Kirche und dem Codex Juris Canonici, Freiburg 1953; J. F. v. Schulte, Die Geschichte der Quellen und Literatur des Canonischen Rechts von Gratian bis auf die Gegenwart, Stuttgart 1880; U . Stutz, Der Geist des Codex Iuris Canonici, Amsterdam 1961

Eherecht 1. E h e s c h l i e ß u n g Die Berührung von Kirche und Eherecht beginnt mit dem Brief des Ignatius von Antiochien, wonach die Ehe der Christen „meta gnomes tou episkopou" geschlossen werden solle. Dies bedeutet noch keine Jurisdiktion über die Ehe, sondern seelsorgerliche Einwirkung und Gemeindezucht, zumal die Kirche ungeordnete Verhältnisse ausschloß. Neuere Forschungen haben klargestellt, daß die Christen mindestens in den ersten Jahrhunderten ihre Ehen nach weltlichem Recht schlossen; die früh einsetzenden kirchlichen Benediktionen setzen die Eheschließung voraus. Alsbald teilen sich aber die Traditionen. Ausgehend von der armenischen Kirche hat über die byzantinische Kirche die ganze Ostkirche das Eherecht verkirchlicht, so daß bis heute zur Gültigkeit der Ehekonsens im Angesichte der Kirche vollzogen werden muß. Dies entspricht der Verhältnisbestimmung von Natur und Gnade in der Theologie der Ostkirche. Im lateinischen Westen ist der Eheschluß im ersten Jahrtausend durchgängig vom kirchlichen Recht unabhängig. Erst im zweiten Jahrtausend beansprucht die Kirche die Jurisdiktion über die Ehe, rezipiert auf dem III. und IV. Laterankonzil das umgedeutete römische Konsensprinzip und erkennt den formlosen, sogar den heimlichen Konsens als gültige Begründung an. Dies erzeugt Verwicklungen und Mischbildungen mit der germanischen Rechtstradition, welche zu der Unterscheidung zwischen sponsalia de futuro und de praesenti führen. Die daraus entstehenden Schwierigkeiten machen die bischöfliche Ehegerichtsbarkeit weitgehend unwirksam und zwingen die Kirche dazu, im Decretum Tametsi des Trienter Konzils 1563 die Eheschließung vor Pfarrer und zwei Zeugen als Gültigkeitsbedingung (passive Assistenz des Pfarrers) vorzuschreiben. Die der Ehe immanente Öffentlichkeit, die das Konsensprinzip aufgegeben hatte, mußte so wieder hergestellt werden. Die

Strukturprobleme der katholischen Kirche

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Mißstände der kirchlichen Ehegerichtsbarkeit bildeten wesentliche Anstöße für die Reformation. Im ganzen hat sich die Kirche auf die Normierung der Ehevoraussetzungen und die Feststellung der Gültigkeit der Ehe beschränkt, das Vermögensrecht nicht selbst geregelt. Die Schwierigkeiten der Trienter Regelung wurden bis ins 20. Jahrhundert für die konfessionellen Mischgebiete durch Suspension der Bestimmungen vermieden, traten aber nach Inkraftsetzen des CIC 1917 stark hervor. 2. Sakramentalität Die Lehre von der Sakramentalität der Ehe entsteht im 4-/5. Jahrhundert wesentlich durch Augustin und Ambrosius und hat allgemein Anerkennung gefunden. In der Hochscholastik wurde die Ehelehre umgebildet. Nach Petrus Lombardus (fii59) ist auch das Ehesakrament nur „ad remedium libidinis" gegeben, während Thomas ihm gnadenmittelnde Bedeutung beimißt. Diese Lehre in ihrer schrittweisen Steigerung verstärkt auch das rechtliche Gewicht der Ehefragen. 3. Ehescheidung Die Kirche hat von Anfang an Scheidungen entgegengewirkt, ohne den Versuch, eine durchgängige Unscheidbarkeit der Ehe durchzusetzen. Dem — noch verheirateten — Klerus werden strengere Verpflichtungen auferlegt, die Ehescheidung von Laien weniger bestimmt behandelt. Die Auslegung der Schriftstellen, insbesondere der Unzuchtsklausel, war keineswegs einheitlich. Augustin erklärt ausdrücklich seine Schwierigkeiten mit einer befriedigenden Interpretation. Einer entschiedenen römischen Tendenz standen von Elvira 306 bis Agde 506 differenzierte Konzilsentscheidungen gegenüber; so kommt Mißbilligung ohne Exkommunikation schon einer Duldung gleich. Doch tritt die Kirche willkürlichen Scheidungen, beispielsweise im hohen germanischen Adel, nachdrücklich entgegen. Die Ostkirche hat von frühen Zeiten an die Ehescheidung auf zwei Linien behandelt. Sie ist konsequent der auf römischer Tradition beruhenden Konsensscheidung entgegengetreten, hat dagegen die Ehescheidung auf Grund realer Gründe nicht ausgeschlossen und hier kat'oikonomian auch die Wiedertrauung unter harten Bußbezeugungen zugelassen. Die Behauptung, daß diese Haltung auf einer Anpassung an die justinianische Ehegesetzgebung beruhe, ist eine — immer wieder

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Römisch-katholische Kirche

nachgeschriebene — historisch unbegründete apologetische Behauptung der katholischen Seite. Eine größere Rolle als die Ehescheidung spielt in der Ostkirche lange Zeit die Einschränkung der sukzessiven Polygamie. Die zweite Ehe des Klerikers, die vierte Ehe des Laien, wird für verboten angesehen und scharf bekämpft. Die lateinische Kirche hat unter Ablehnung der weltlichen Eherechte die durchgängige Unscheidbarkeit erst vom Hochmittelalter an durchzusetzen unternommen. Das Scheidungsproblem wurde damit künstlich in die subtil ausgebildeten Rechtsformen der Ehenichtigkeit und der Anfechtbarkeit abgedrängt. Der reale Konflikt zwischen Scheidungsverbot und Ehewirklichkeit konnte so nicht gelöst werden. Doch hat das kanonische Recht alle weltlichen Gründe der Ehescheidung als Gründe für die rechtliche Trennung von Tisch und Bett anerkannt (CIC Canon 1128 ff.). In der neuesten Zeit hat mindestens in Deutschland die katholische Kirche für die Gesetzgebung auch die Ablehnung der Zerrüttungsscheidung aufgegeben. Die unierten Orthodoxen haben auf dem Vatikanischen Konzil ihre Praxis gegen die lateinische Kirche vertreten. Deren Aufgabe ist ihnen weder auf dem Unionskonzil von Florenz (Ferrara 1438/39) noch sonst bei Unionen auferlegt worden. Die durchgängige Unscheidbarkeit ist partikulares, zu Anfang des zweiten Jahrtausends entstandenes Recht 543, 547, 639, 8i4f. Anamnese 115, 161, 197 Anaphora 161, 208, 303 Anglikanismus 6,16,18,253, 261 ff., 267, 274, 323, 349f., 355f·, 472, 539f·, 545, 547f-, 555, 562, 569fr., 575 ff·, 595, 606, 612, 617, 790, 793, 8i4f„ 829 Anthropologie if., 134, 147, 156, 162ff., 164,168f., 205, 429f., 480, 519, 527, 532, 533 f., 737, 760 Anthroposophie 738 Antidogmatismus 369f., 739 Antiklerikalismus 55ff-,60, 62, 474, 553, 722 Apologetik 501, 503 Apophatismus 137, 152 f. Arbeiterbewegung 311, 317, 324, 352, 627 Arbeiterpriester 388, 461fr. Aristotelismus 521, 658 Armenische Kirche 252, 253, 256, 284fr., 361, 546f. Arminianismus 583, 6i6f., 654 39 Artikel 547, 578, 58of., 586 Askese 2, 98, 102, 175, 216, 690 Assumptionisten 504 Assyrertum 202, 245, 248

Aufklärung 149, 461, 499, 519, 645, 725 Augustana 6, 8, 136, 148, 583, 636, 706 Augustiner-Orden 270, 400 Ausbildungsstätten 41, 55, 66, 95, 214, 215, 223, 242fl, 302, 462f., 558, 561, 566, 626, 658, 716 Autokephalie-Erklärung (auch Autonomie) 10, 13, 20, 32, 66f., 68, 7of., 76, 79, 80, 89f., 377, 562 Autonomie, für Mensch und Welt behauptet 168, 48of., 532, 646 Autoritätsproblem (auch Autoritätskritik) 2f., 101, 482, 492, 498, 523, 530, 537, 548, 680 Bahai 685 Baptisten 7, 587, 609, 615fr., 712, 730, 833 Barmherzige Schwestern 454 Barnabiten 310 Begräbnis 124, 130, 145 Bekehrung 705 Bekenntnisbindung der Geistlichen 582, 636, 663 f., 740 Benediktiner-Orden 355, 3 9 1 f r . Berliner Kongreß 350 Bibelausgaben 49, 55 Bibelautorität 578, 581, 63 6 f., 66ο Bibelexegese (vgl. "Exegese") Bibelfrömmigkeit 707, 712 Bibelkanon 219, 271, 422f. Bibelkritik 248 Bibelübersetzung 51, 55, 103, 248, 274, 289 Bilderverehrung 36,139fr., 167,208, 229, 257, 306, 579, 585, 659

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Sachregister

Bischofskonferenzen (nationale) 310, 382, 406f., 451, 513 Bollaudisten 396 Brauchtum 35, 51 f., 255 ff., 302ff., 627 Brevier 372, 508, 579 Bußpraxis 5 4 , 9 9 , 1 0 1 , 1 2 8 , 2 1 0 , 2 7 5 , 304, 436f„ 497, 589, 688f. Calvin, Calvinismus 14, 538, 547, 583, 612, 614, 652, 654fr., 766 Cargo-Bewegung 68 8 f. Caritas 387, 395 Chaldäer 202, 204 Charismen 175, 7ioff., 716 Chlysten 689 fr. Christengemeinschaft 686, 694, 73 5 ff· Christian Science 760 Christologie 4, 169, 202, 204f., 237fr., 2ssf., 281, 390, 435, 437fr., 443 r., 637, 654^, 688, 709. 730, 764 Christomonismus 156, 167, 196 Christus reinkamiert 685, 689 f. Deismus 719 fr. Demonstrationen 464 Deutschkatholizismus 73 2 f. Diakonat (Archidiakonat) 267, 272, 276, 303 Diakonie 22, 387 fr. Dialektische Theologie 8x6 Dialoge 1, 225, 591 f., 629, 787, 809, 8 3 of., 835f., Diaspora 215, 484, 707 Dissenters 583, 612, 616, 621, 625, 731 Dominikaner-Orden 198, 272 fr., 325. 329, 336, 393, 468 Doxologie 161 Drei Männer im Feueroren 690 Dritte Welt 468 r., 800 Duchoborzen 690 f. Dyophysitismus 166, 1 7 1 , 365, 378, 43 8 f., 654

Eheproblematik (auch Mischehe) 12, 305, 3 1 5 ^ , 357, 408fr., 4 i o f „ 495 f·, 592, 598, 690, 758 Einheitsproblematik 309, 313, 374, 377, 406, 438 Römisches Einheitssekretariat 541 544, 547, 548 EKD 1 3 , 7 9 7 , 8 2 5 Ekklesiologie 156, 158, 181 ff., 185, 189, 206, 437fr., 492f., 5i7f·, 525, 530, 537r., 542, 543, 552, 631, 709,786,807fr., 823 r. Ekstatik 689 Ektenie 161 Emigration 74fr., 77fr., 101, 540 Energien, Göttliche 169, 175 Engelchöre 35, 206f. Enzykliken 6, 317, 356f., 362, 368, 3 7 θ ί , 373, 3 8 5 f „ 413, 438, 461, 50of„ 503, 513, 532, 537£, 540, 545, 588f., 722 Epiklese 83, i i 4 f . , 1 6 1 , 210, 580 Erkenntnistheorie 512, 518 f., 532, 741 Eschatologie 11, 206, 485, 505, 525, 527 Ethik 150, 158, 465, 479, 489, 655, 697 Evangelical 835 Evolutionstheorie 369, 525, 527, 737, 740 Eucharistie 109fr., 210, 275, 280, 303, 442fr., 446, 448, 450r., 513 f., 525, 526f., 530, 538, 547, 564, 5 8 0 , 6 2 8 , 6 3 1 , 6 5 1 r., 655 Exegese 133 f·, 167, 37of-, 505, 548, 565, 691 Exerzitien 496 fr. Exilstheologie 175, 185 fr. ex opere operato 179, 440f., 581 Faschismus (Nationalsozialismus) 367, 458, 459f-, 470, 47if·, 474, 475 fr., 741 Fastenfrage 72, 120, 203, 2o8f., 219, 230, 258, 690 Febronianismus 378, 383 Fegefeuerlehre 271, 302, 581

841

Sachregister filioque

158ff., 302, 359, 364, 464,

562, 564

39 f., 54, 63,

Finanzierungssysteme

92, 224, 243, 306, 513, 577

Firmung 43 6 f. Focolari 312 f. Franziskaner-Orden

96, 225, 269,

392 f., 426, 503

Freiheitsproblematik

2, 168, 456,

466, 468, 486, 494f., 511, 524

Freimaurer 716 ff. Freireligiöse Gemeinden 73 3 f. Freiwilligkeitskirchen (vgl. "Volkskirche") Frömmigkeitsformen 97,496 fr., 691 Gallikanismus 378, 383 Gebetsleben 97, 115, 130, 144, 501, 512, 607, 627

Gegenreformation 318 f., 367, 702 Geschichtsbild 6, 10, 30, I97ff, 619, 719, 75