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German Pages 97
Badische Landesbibliothek Karlsruhe Digitale Sammlung der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe
Klein Doktor Stona, Maria Leipzig, [1918]
urn:nbn:de:bsz:31-90973
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I Mir ist ein Bube zugelaufen
Vom Dorfe her, ein kleiner Wicht, Vier Jahre alt, gewohnt zu raufen, Und schmutzig, heiter , dumm und schlicht. Nun will er immer bei mir bleiben, Er hängt fich an mich, folgt mir treu, Wie toll es auch die Brüder treiben, Er hält zu mir — ich bin ihm neu . .. . . . . Zu füllen ihrer Tage Leere Hund, Kauft manche Dame einen Daß sie nicht so verlassen wäre, Und füttert ihn aus zartem Mund. Ich hab’ den Knaben mir erlesen Zu meiner Einsamkeit Genofj, Er soll von ernstem Bann mich lösen ln meinem alten, grauen SchloFj.
Sie Tchmälen alle, blind wie Menfchen find: »bah es doch ftehn — was halt du von dem Kind!« Der Knabe ärgert He, fein lautes Plaudern Verdrießt sie fchwer, sie hören es mit Schaudern Und schütteln ihre Köpfe lang und breit Und raunen schmollend: — »Schade um die Zeit —« Doch sie vergessen, wie viel gute Stunden Sie selbst vertändeln bei vertrauten Hunden. Der spielt mit feinem jungen Pudel gern, Der Dackel wird liebkost von feinem Herrn, Der Windhund ift des besten Zimmers Zier, Gehuldigt wird dem RalTefoxterrier, King Charles fühlt der Küsse lindes Schmeicheln, Der Bulldogg findet Hände, die ihn streicheln . . . . Ja hätt ' ich einen Hund, sie rügten nie Mein Spiel mit ihm, Re fänden 's selbstverständlich. Jedoch den Knaben, den verspotten Ile Und nennen mein Benehmen allzuländlich. Sie ahnen nicht der FeingenüITe Fülle, Die für mich blüht in dieser armen Hülle, Daß ich des Dorfesjungen Art verstehe Und ihre Wunder staunend reifen sehe. Ach, fremden Kindern eig ne Güte schenken — Wie lohnte fich’s ? — 0 Mensch — das gibt zu denken!
III »Was ist das ? « fragt der kleine Mann, Er reckt die putzige Nafe Und blickt mich wißbegierig an. »Das ift eine Blumenvafe.« »Eine Schnapsflafche ist es , die habt ihr da !« Stramm dehnt er feine Rippen, Ein kräftiger Zug, ein schmatzendes Ah — Dann wischt er fleh die Lippen, Wie er's beim lieben Vater gefehn, Dem altbewährten Zecher. Die schlanke Vase läßt er stehn. Und hebt einen Blumenbecher, Weit ausgebaucht mit breitem Rund. »Und dies ? « — »Eine Blütenschale« — Nun scheint ihm die Sache allzubunt, Er lacht mit einem Male. »Ach was , draus trinkt die Mutter Kaffee!« Er meint, ich wollt’ ihn betören, Dreht flink sich um und sagt »ade «. Und will nichts weiter hören. Die Dinge haben das gleiche Geficht Im Schloß wie in Mutters Stube, Nur richtig zu nennen versteht ihr fie nicht, Denkt fich der muntere Bube.
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IV »Gebt mir drei Kronen!« bat er zärtlich, Und hob die immer Ichmutjige Hand. »Was Toll das viele Geld dir nützen? «Fragt' ich den kleinen Unverstand. »Ich brauch' es , ich will Doktor werden — Gebt acht, ich fchaff' es sicherlich! — Doch muH ich heut schon dafür sparen. Denn wohl drei Kronen koltet ’s midi !«
V »Komm, Kleiner!« rief ich voll Behagen, Er sah mich an : »Das will ich nicht — Ihr sollt' nicht Kleiner zu mir Tagen — Ruft Doktor !« ernst ward fein Gesicht. Die schmale Stirn zog sich in Falten, Die waren alt vier Jahre schier. Und kleine rote Fäuste ballten Zu vollem Ausdrude sich vor mir. »Komm, Doktor «, Tagte ich beklommen Zum kleinen, ehrsuchtfrohen Mann. »So ist es recht !« rief er, verschwommen Sah mich Tein blaues Auge an.
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VI Heut morgens hab' ich ein Ei gegelTen, Pan Doktor ist brav vor mir gesellen Und hat dann die leere Schale vergnügt Noch mit dem Löffelchen durchgepflügt. Drauf find wir beide ins Dorf gegangen. Da kam ein Weib mit hungernden Wangen, Das sprach den Knaben freundlich an: »Na, schon gefrühftückt — kleiner Mann? « Jendfchi*) hielt meinen Schirm in den Händen Und tat sich recht hochmütig wenden. »Natürlich1 — im Schloß — ein Ei!« sagt er kurz Und blickte auf feinen Lederfchurz. Wer lehrt ihn wohl prahlen ? dacht ' ich bekümmert, Dal; solch ein Übel Pich nur nicht verschlimmert! Ein Mädel rief hänfelndr »Der Jindra, schau! Das ist ja der Sohn von der gnädigen Frau — Nicht der des Schmiedes — beileibe nicht —« Da schrie er in Wut, verzerrt das Gefleht: »Des Schmiedes — des Schmiedes Sohn bin ich!« Und tobte dabei ganz fürchterlich. Zornig lieh er am Wege mich stehn — Mir war's eine Freude, ihn fo zu lehn. Denn wer tapfer bei feiner Sippe verharrt, Bleibt tüchtig und wird vergeblich genarrt. *) Abkürzung
für jindrich — Heinrich,
VII Er flog mir entgegen fturmesgefchwind Mit ganz befchmufyter Wange, Ich fing ihn auf. »Was ift dir, Kind?« Fragt’ ich ihn zärtlich bange. Da fah er zu Boden trüb und matt, Als könnt’ er den Blick nicht heben. »Die Mutter,« schluchzt er, »die Mutter hat Mir eine Ohrfeige gegeben —« Dann schaut er auf ganz frisch und froh Und guckt vergnügt ins Blaue: »Doch wenn fie mich schlägt — das ift immer so — Kriegt fie vom Vater Haue !«
VIII Pan Doktor hat zwei Kreuzer bekommen, Ein wenig später sah ich beklommen, Wie er ein kleines Rädchen schlug. »Das wirft du sühnen!« rief ich strenge Und trieb Klein-Jendfchi' in die Enge, DaH er fein Geld dem Kinde trug; Er muht' es der Geprügelten spenden. Bald naht er mir mit erhobenen Händen Und wollt’ ein neues Geldstück nehmen. »Denn ich will wieder Eine verhauen, Und dann es ihr schenken — da wird fie schauen!« Vor feiner Lehre muht’ ich mich schämen.
IX Wir nafchen die roten Stachelbeeren, Die wiffen mit Dornen fich tapfer zu wehren, Doch Jendfchi greift fie mit arger Lift Und - fchmauft und sucht und schmatzt und ißt. Mit einem Male ruft er bedrückt: »Für die Mutter hab ' ich noch keine gepflückt !« Und wieder fängt er an , fie zu hafchen, Langt nach den größten und füllt die Tafchen. Wir gehen nebeneinander her, Bald merk ' ich : die Säckchen werden leer. »Klein Doktor — du haft wohl die Mutter vergessen, Haft alle Beeren ihr aufgegessen !« Die Sache scheint ihm nicht alltäglich, »Wie kommt das nur ? « fragt er mich kläglich — »Verschwunden ift der ganze Häuf, Und ich aß doch immer — nur eine auf !«
X »Geh doch zur Kirche «, mahnt ’ ich ihn heute, »Zur Messe gehn Sonntags alle Leute « — »Ich habe kein Schnupftuch «, sagt' er verdrießlich. »Ich glaub ' , ein Gebetbuch wär ' dir ersprießlich. Was soll dir ein Tüchlein ? « Da blickt ’ er mich an, Jult wie ein ganz gereifter Mann, Bedächtig , mit ein wenig Verdruß, Drauf sagt ' er : »Und wenn ich mich schneuzen muß, 1 Was roll ich dann in der Kirche tun ? « ruhn. Ganz recht , ich ließ die Antwort
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XI Der Abend dämmert , Lichter flammen auf, Wo die Fabriken stehn in dichtem Häuf Und mächtig fleh die Feuerströme ballen. Der Jendfchi fleht der gelben Flammen Pracht Und jauchzend ruft er in die dunkle Nacht: »So viele Monde find vom Himmel gefallen !« XII Die Zeitung las ich mit hellem Zanken, »Was habt ihr? Was ? So sagt mir's doch !« — »Der Krieg iffs, « rief ich, »an dem wir kranken, Und immer noch dauert er — immer noch !« »Der Krieg? « — nun wettert Pan Doktor entrüstet, »Hier steht er drin? Gebt mir das Blatt, Das muH der Vater lesen« — er brüstet Sich stolz: »der macht die Sache glatt! Der Vater — hei ! — der wird’s schon richten! Die Zeitung her ! ich frage ihn! WiHt ihr, er macht nicht viel Geschichten, Der haut den ganzen Krieg euch hin!«
XIII »Ich träumte , mich hat ein Mann erschlagen«. Erzählt er am Morgen, »ich nahm ihn beim Schöpf Und schlug ein Loch ihm in den Kopf« —
Das kommt vom Krieg in unfern Tagen, Da träumen schon Kinder Mord und Tod ~ O Menschheit! wirft du vor Scham nicht rot?
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XIV Nun fängt er Ichon an deutfch zu fprechen, Behaglich ohne Zungenbrechen, »Aber ja — aber nein — komm schon — gib mir« — Doch gleich drauf fragt er verwundert Ichier Auf tschechisch weiter : »Was sagt' ich jetzt? « In Staunen der fremde Laut ihn versetzt. Nur unbewußt spricht er das rechte Wort Am rechten Ort. So gleitet die fremde Sprache dem Kind Durchs Ohr in die junge Seele geschwind. Doch bis den Begriff es recht versteht. Sie oftmals durch den Kopf ihm geht.
XV Auf der Höhe meiner Bücherleiter Thront lendfchi wie Buddha und lächelt heiter, Eingehüllt in ein graues Tuch, Neben fich die Wand mit Buch an Buch, So hockt er und blickt auf midi herab, Ein Oötze, der mir Fröhlichkeit gab, Denn als ich ihn sah, da ward ich froh — Doch ernsthaft fragt er : »Was lacht ihr so?« Ich aber hab' Indiens Weisheit gepriesen. Die Buddha ein Knabenbildnis gewiesen.
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XVI Ich falj am Schreibtifch und sann weiter. Er hockte auf meiner Bücherleiter, Mit einmal rief er voll Behagen: »Ich will euch etwas Wichtiges Tagen. Ihr Tollt dem lieben Gott gleich schreiben, Dafj er euch eure Eltern schicke Und euren Bruder!« mit frohem Blicke Sucht' er Papier rings aufzutreiben, Das reicht' er mir. »Schreibt ihr wohl schon? « »GewiS — gewifj mein lieber Sohn « — »Und schreibt ihr tschechisch? « — »Nein, mein Kind Ich schreibe deutsch.« — Er rief geschwind: »Nur deutsch? ach, das versteht er nicht!« »O doch !« lacht’ ich ihm ins Gesicht. Drauf hat er ärgerlich gefragt: »Ja, ist denn Gott ein Deutscher? Tagt!« »Sieh, alle Sprachen kennt er Und alle Völker nennt er « Kinder, die seinem Herzen teuer . Das schien dem JendTchi nicht geheuer, Ein Tfcheche Tollt’ Tein Herrgott Tein — Und Völker gibt’s, die denken auch To klein . . .
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XVII Wenn Jendfchi allein in der Stube bleibt, Er unerwartete Dinge treibt. Dem Stubenmädchen ift er ein Dorn, längst kam Blond -Elfa zu mir voll Zorn, »Der Jendfchi, der Bube, « schrie sie laut, »Ich hält ' ihn am liebsten gleich verhaut — Er hat Zigaretten rauchen wollen Und Afche zerstreut aus dem Becher , dem vollen . . . .« Ich nahm Pan Doktor ernsthaft vor Und zog ihn ein wenig am linken Ohr. »Was hast du gemacht — sieh hier die Zünder! Die Zigaretten , du arger Sünder ! — Rauchen wolltest du , warte , du Schlankel, Ich leg ' dich nächstens auf ein Bankei, Du Schlingel , du Schnipfer , du Tunichtgut « — Er schwor, dalj er es nie wieder tut. Solch ernstes Versprechen hält er immer Und tut etwas andres , das wird noch schlimmer.
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XVIII Pan Doktor war allein in der Kanzlei, Da gab ’s zu tun gar vielerlei, Die rote Tinte freut ihn lehr — Er schüttet fie in des Walchbeckens Meer, Die schwarze — pfui ! die ift zu nichts nütze. Sie . dünkt ihm eine häßliche Pfütze, — Ins runde , dicke Tintenfaß, Entleert er das Gummifläfchchen zum Spatz; Dann beginnt er die Schreibmaschine zu richten. Er will die trutzigen Häkchen schlichten. Er biegt an den Taften — sie geben nach — Ein leiser Krach — Nun ist sie ficherlich geheilt! Pan Doktor ift zufrieden und eilt Noch schnell zum lieben Telephon, Er klingelt , er lauscht dem niedlichen Ton , — Dann schlägt er die Muschel an die Wand Juft auf den Nagel , den er fand, Und läuft erfreut hinaus und lacht. Denn alles hat er in Ordnung gebracht. Die Buchhalterin tritt mürrisch ein, Kanzleidienft ift ihr eine Pein, Sie will lieh die Hände waschen Da fatzt fie jähes Erschrecken — Blut flutet im weitzen Becken — — Sie flieht mit ängstlichen raschen Schritten zurück voll Grauen, Sie kann das Blut nicht schauen, Entsetzen hat fie jäh durchbrannt — Reinigten Mörder sich hier die Hand? Sie taucht die Feder ins Tintenfaij,
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Doch was ist das? Statt des Tchwarzen Nah, Zwei klebrige Tropfen an ihr hängen, Als griffen He mit harzigen Fängen Nach der zierlichen Spitze . . . Das Fräulein gerät in Flitze, Sie will lieh zur Schreibmaschine retten — Die Tasten hängen wie an Ketten — Rührt keine den leichten, flüchtigen Gang, letzt schleicht Rosalinde der Wand entlang, Und klingelt und lauscht. Doch vergeblich — keine Stimme tauscht Ein freudig Hailoh mit der ihren ein — Ja, scheint denn alles verhext zu fein? Das Fräulein blickt erbittert umher — Wo wohl der Miffetäter wär ? — Sie fieht mich an — fie zittert — sie spricht: »Gewitz ift’s der kleine Fandoktorwicht !« — Ich schlepp' ihn herbei — er steht wie dumm Und dreht den Finger im Mund herum. »Wann tatest du dies ? an welchem Tag ? « — Ich rief es wie mit hartem Schlag — Er stottert und haucht : »Am Nachmittag « — Dann geht er mit ernsten Schritten hinaus Und eilt zum Schutz in sein Vaterhaus.
XIX Die Tante fchwelgte im Spätherbltfchimmer Des Gartens , Pan Doktor geriet in ihr Zimmer Gutmütig wie er nun einmal ift, Ein kleiner und barmherziger Chrift, Griff er nach ihren Sachen Und fing an Ordnung zu machen. Den alten Koffer stülpt' er um, Die neuen Zähne bog er krumm, Den grauen , lang gefransten Schal, Steckt er ins Walter , damit er einmal Tüchtig gewaschen werde , — Der sah ja aus wie die Erde. Das blutzölfläschchen zum Haarefärben Fiel ihm ganz unversehens in Scherben, Er steckte sie in der Tante Bett, Dort färbten die Polster sie wundernett — Das Bett gefiel ihm mit einemmal, Es lud zum köstlichem Verstecke, Er wickelte den nassen Schal Zusammen und bohrte ihn in die Ecke Und zog dann ab mit froher Schnelle Und lief zur Mutter — für alle Fälle. Die Tante kam ahnungslos aus dem Garten Voll seliger Freude , mit ein paar zarten Blümchen in Händen und trat in ihr Reich, Da wurde sie plötzlich schreckensbleich. Und spornltracks rannte fie zu mir —
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»Der Bube — der Bube !« zitterte ihr Verzweifeltes Rufen — »das ift ein Skandal! Er zerwühlte den Koffer und nahm mir den Schal Ich kann ihn nicht finden, was fang’ ich an !« Sie merkte noch kaum, was er fonft getan. Erft als fie des Abends zu Bette fchlich, Erfafit fie ein Graufen fürchterlich, Das Polfter trug, wie schrecklich zu fchaun — Ihrer eigenen Haare koftbares Braun. Die Füfie ftiefien in kaltes Nafi — O Gott , was war das! Sie zog hervor des Tuches Frafie, Das glich aufs Haar einer toten Katze. Aufier fich tobte die Tante umher, Als ob fie wahnfinnig geworden war’. Und als fie am Morgen den Jendfchi Iah, Rief fie von weitem : »Komm mir nicht nah !« — Ich sprach ihm ernstlich ins Gewissen Und führt’ ihn an den Ort der Sünden, Da weinte er, wie schmerzzerrissen, Dafi ich ihn schließlich hab’ trösten müssen Und zärtlich ihm Verzeihung künden.
XX Nebel fchwimmen über dem Morgen, Das macht Klein-jendfchi groije Sorgen, Er ruft erfchrocken und beklommen: »Seht nur, der Himmel ilt ganz bedeckt, Gott hat die Sonne weggenommen, Er hat sie gewih in den Ofen gesteckt ! — Dort brennt sie jetzt in der Hölle weiter . . .« Ein Weilchen linnt er, dann sagt er heiter: »Doch wenn sie nicht auslöscht, stellt er sie wieder Auf ihren Fleck und sie leuchtet dann nieder.« — So hat er das Weltall mir freundlich erklärt Vom Wissen, gelchöpft an des Vaters Herd.
XXI Er fragte , indelj er sich vor mich stellte: »Woher kommt die Wärme , woher die Kälte?« »Die Wärme vom Süden, die Kälte vom Norden« Das ist ihm völlig klar geworden; Er deutet die Himmelsgegenden ab, Genau nach den Lehren, die ich ihm gab, Norden und Süden und Oft und West — Nun blieb noch übrig ein kleiner Reft. Der Jendfchi weih ihn gleich zu nützen Und feine muntern Augen blitzen: »Dort in der Mitte, im schönsten Blau Wohnt Gott mit der lieben Himmelsfrau!«
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Ich faFs und träumte in lanfter Raft Neben dem alten Schränkchen, Da spürt' ich meinen FuFs gefaxt — Gehoben auf ein Bänkchen. Klein-jendfchi war's, der Pich näher schob. Um wieder mirjzu dienen, Und meinen Fulj zum Polfter hob Im Schutz der weihen Gardinen. Die alte , strenge Tante fah Sein wunderlich’ Gehaben: »Was macht der Kerl schon wieder da? Ich leide nicht den Knaben — Das ist dein Rosenkavalier — Du bist die Frau Marquife — Nimm dich.Jn acht ! es wittert hier Keine erquickende Brile^- « Die harte Lippe zürnend spricht. Die Augen funkeln böfe: »|ag ’ fort das Kind, ich mag es nicht, Es macht mich ganz nervöse —« Pan Doktor schleicht erschrocken heim Und kann' fich’s nicht erklären, Bald find die Großen wie Honigseim, Bald beiden Pie wie Bären.
II Mein Mann war ihm belonders teuer, Doch ach, der weilte in Berlin. Klein Doktors Schmerz war ungeheuer Und täglich wollt' er zu ihm ziehn. »Schenk mir fein Bild«, bat er mich leise. Und bat fo lang, bis ich' s ihm gab. Er lacht es an in seiner Weife Und rannte damit stracks hinab. Lief schnell zum hifchler, einen Rahmen Bestellt er herrisch, ungestüm. Und feine kleinen Fülje nahmen Wohl sechzigmal den Weg zu ihm. Und endlich kam mit jubellauten Pan Doktor freudig angesaust Und hielt die Züge, die vertrauten, In goldenem Rahmen in der Paust. »Den müht ihr jetzt ins Zimmer hängen —«, Gebot er freudig, such' den Platz, Und feinem ganz entschiedenen Drängen Gehorchend , hing ich auf den Schatz. Der wird nun bald mit Rührung sehen. Wie feine brave Frau ihn ehrt — Dann will ich' s schüchtern ihm gestehen: »Klein Doktor hat dir dies beschert !«
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III Heut haben wir furchtbare Dinge erlebt, Der Jendfchi und ich — ach leider — Er kam zu mir hereingefchwebt — Ich wechselte eben die Kleider. Er sah meine Schultern, Und lief bis in Mutters Und zeigte sich keinem Als war’ fein Vertrauen
rasch prallt’ er zurück Küche Menfchenblick, in Brüche.
Nichts wissen wollt’ er mehr von der Frau — Ich lief auf flinken Sohlen Zu feines Vaters dunklem Gau Und wollt’ den Jendfchi holen. Der laß auf der letzten Winkelbank, Wie wenn er ein Unheil begangen, Er sah mich nicht an, als war' er krank Mit feinen brennenden Wangen. Da packte auch mich die heiße Scham Ob meiner vielen Sünden, Erft als ich Jendfchis Händchen nahm, Könnt’ ich mich wiederfinden.
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IV Ich ordnete alter Schränke Pracht, Die hundertjährigen Schätze, Und legte die Kostbarkeiten facht Auf ihre geschmückten Plätze: Groljmutters Fächer, den Hermelin, Das gotische Kreuz von Perlmutter, Die köstlichen Schalen aus Glasrubin, Die Bänder, das Atlasfutter, Die Kaffeekannen mit goldenem Rand, Die zierlich geblümten Taffen —, Ich lichtete sie mit zärtlicher Hand, Ich suchte fie sorgsam zu fassen. Klein-Doktor half mir dort und da, Meines lobenden Wortes gewärtig, Und als ich die ganze Pracht übersah. Rief er : »Der Jahrmarkt ist fertig !«
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XIX »Heut friert die Mutter im Grabe> Es ift fo kalter Wind,« Sagte nachdenklich der Knabe. »Sie ift im Himmel , mein Kind.« »Nein, nein , fie ruht in der Erde Und friert im ganzen Geficht, Wenn ich gestorben fein werde, Frier ' ich dann nicht? Sagt , werdet ihr um mich weinen? Ihr ftirbt ja auch einmal Wie alle Großen und Kleinen,« Sann er zu meiner Qual. »Nicht wahr , wir wollen zusammen Einst in den Himmel gehn ? « Ja Herz , wir wollen zusammen Sterben und auferftehn.
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XX Bald war der Schmerz in Jendfchis Herz verklungen, Und heiter kam er zu mir hergesprungen. »Gedenklt du noch der Mutter ? « fragt ’ ich ihn, Da blickt er lächelnd her und hin Und hüpfte leicht im Morgenfonnenfchein Und sagte : »Nein!« »Du denkst nicht mehr an sie? « fragt ’ ich erschrocken, »Nein!« rief er hold, als gält’s ein neu Frohlocken, Und spielte munter und vergnügte sieh. Ich sah bewegt ihm nach und sprach für mich: Wie gut ift’s, dah im Herzen eines Kindes Das Leid nicht Wurzel schlägt und flüchtig, leicht, Wie eines Vogels Schatten in des Windes Bewegtem Spiele rasch vorüberstreicht. So hemmt es nicht der jungen Seele Kraft, Die froh im Wachsen sich selbst angehört. Und frei sich regend ihre Wunder schafft. Weil keine Narbe ihre Glätte stört. Ach, allzufrühe naht die bittre Zeit, Da sich mit Tigerpranken wühlt das Leid In unser armes Herz, mit unheilschweren. Und wir vermeinen, ewig würd’ es währen . .' Spring’ heiter durch den Frühling, liebes Kind, Die Mutter segnet dein Vergessen lind.
XXI Heute naht ’ er , seine Blicke flehten: »Komm, ich möchte zu der Mutter beten, Aber heimlich , dal; uns keiner sieht « Und sein kleines , weiches Händchen zieht Tief ins stille Zimmer mich hinein. Ich gebot ihm : »Knie !« vor einem Schrein, Einem alten , drauf ein Holzkreuz steht. Seine Finger faltet zum Gebet Sanft der Kleine , was ich vor ihm sprach. Flüstern leise seine Kippen nach: »Mutter — unser, die du bist im Himmel, Schütze mich in diesem Erdgetümmel, s.ah mich kräftig wachsen auf der Erde, Hilf mir, dal; zum braven Mann ich werde. Mutter , niemals will ich dich vergessen. Deine Kiebe reich und unermelTen! Segne meinen Vater , meine Brüder, Blick’ vom Paradiefe auf uns nieder, Gib uns deiner Gütfe Himmelssohn Mutter - unser, - segne deinen Sohn! Amen « - haucht er zart aus ernstem Munde, Schlug das Kreuz auf feine Stirn und Brust Und erhob sich langsam , wie bewußt Einer heiligen , verklärten Stunde. Täglich bittet er mich sanft und fromm: »Laf; uns zu der Mutter beten - komm .« -
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XXII Wie doch die Wünsche oft in nichts verrinnen! Ein Spielzeug wollt ’ ich an dem Kind gewinnen, Und seltsam kam ’s : zum Lehrer ward es mir. Die Menfchheit lernt ’ ich in dem Knaben lieben Mit ihren wundervollen tapfem Trieben, In alle Höh’n und Tiefen folg ’ ich ihr. Des Heilands Wort hab ’ ich beglückt verstanden. Sein hoher Sinn durchzieht in allen Landen lahrtausendlang die Welt gar hold und weich: Verzeih ’ den Großen , die dein Glück genommen, Und Iah die zarten Kleinen zu dir kommen, Sie schenken dir, o Mensch, ein Himmelreich!
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INHALT KLEIN DOKTOR Seite
I
Mir ilt ein Bube zugelaufen .
7
II
Sie fchmälen alle , blind wie Menfdien find .
8
III
»Was ist das ? « fragt der kleine Mann .
IV
»Gebt mir drei Kronen «, bat er zärtlich .
10
V
»Komm , Kleiner !« rief ich voll Behagen
.
10
VI
Heut morgens hab ' ich ein Ei gegessen
.
9
11
VII Er flog mir entgegen fturmesgefchwind . VIII Pan Doktor hat zwei Kreuzer bekommen
12 12
.
13
.
IX
Wir naschen die roten Stachelbeeren
X
»Geh doch zur Kirche «, mahnt ’ ich ihn heute .
13 14
.
XI
Der Abend dämmert , Lichter flammen auf
XII
Die Zeitung las ich mit hellem Zanken .
XIII
»Ich träumte , mich hat ein Mann erschlagen
.
14
XIV Nun fängt er schon an deutsch zu sprechen
.
15
Auf der Höhe meiner Bücherleiter (mit Bild) .
15
XV
14
.
16
XVII Wenn jendfchi allein in der Stube bleibt . XVIII Pan Doktor war allein in der Kanzlei .
18
XVI Ich fab am Schreibtisch und fann weiter
20
. .
XIX Die Tante schwelgte im Spätherbstschimmer XX
17
Nebel schwimmen über dem Morgen (mit Bild) . . . . 22
XXI Er fragte , indeb er sich vor mich stellte
22
.
DIE FRAU MARQUISE Seite
II
Ich fab und träumte in sanfter Raft (mit Bild) . . Mein Mann war ihm besonders teuer
III
Heut haben wir furchtbare
IV V
Ich ordnete alter Schränke Pracht (mit Bild) »Was kostet dies ? Was kostet das ? « .
I
Dinge erlebt
25 26 27
. .
VI
Ich hatte Gälte , wir standen im Zimmer
.
VII
Heut hab ’ ich Verrat an ihm begangen
. . . . . . . 30
28 29 30
. . . . . . . . 32 VIII Ich mache Pan Doktor grobe Sorgen 33 Klein Doktor läuft mir bekümmert nach . IX
Seite
X XI
ln Sturm und Regen lief er herbei . Nun hüt’ ich des fremden Kindes Schlaf .
34 35
XII Wir Iahen bei Tifch mit ernften Reden . XIII Er kam zurück: »Ich hab’ euch nicht gern . XIV Nach einer Stunde kam er zurück . XV »Gebt mir zwei Birnen für die Mutter«, . XVI Am nächsten Morgen fprang er ins Zimmer (mit Bild) . XVII »Kommt doch zur Mutter«, bat lendfchi mich oft . . . XVIII kangfam tritt er ins Zimmer herein (mit Bild)
36 37 38 38 39 40
. . . . 42
DIE MUTTER I II III
Ich fah mit lendfchi beim Morgenmahl .
»Was nehmt ihr da ?« »Sanatogen « . »Wer wird uns heute baden ?« .
45 46 46
IV V VI
»Wo fchläft ihr Brüder?« fragt' ich bang . Heut kam er beim erften Morgenfehein . Ich wollte nach feiner Mutter fehn .
47 47 48
VII Und Mittag kam, wir Taljen rings am Tifche . VIII Er wollte des Abends nicht nach Haus .
50 52
IX X XI
52 53 54
Am Morgen wacht’ er traurig auf . »Nach dem Mütterlein ift fo bange mir . Wir hatten Gälte bei der Abendtafel .
XII Am nächsten Morgen kam der Kamerad . XIII Eines vergefT’ ich nimmermehr . XIV Sie weinten alle an dem offenen Grabe (mit Bild) . . XV Neugierige ftanden rings im Kreis . XVI Wie feine Blicke mich ängstlich trafen . XVII »Ich war mit der alten Barbara (mit Bild) . XVIII»Nun ift deine Mutter ganz gesund . XIX »Heut friert die Mutter im Grabe .
55 57 58 59 59 60 60 61
XX Bald war der Schmerz in lendTchis Herz verklungen . . XXI Heute naht er, feine Blicke flehten . XXII Wie doch die Wünsche oft in nichts verrinnen . . . .
62 63 64
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DIESES BUCH WURDE IM AUFTRAGE DES TURM-VERLAGES, LEIPZIG, IN DER OFFI¬ ZIN F. ROLLINGER, WIEN, IN EINER EIN¬ MALIGEN AUFLAGE VON ZWÖLFHUNDERT ^ IN DER MASCHINE NUMERIERTEN STUCKEN HERGESTELLT - DIE ERSTEN ZWEIHUNDERT WURDEN ALS LUXUSAUSGABE AUF ECH¬ TEM BÜTTENPAPIER GEDRUCKT, IN HALB¬ LEDER GEBUNDEN UND VON MARIA STONA UND FRANZ WACIK UNTERZEICHNET. DIE KÜNSTLERISCHE AUSSTATTUNG IN ORIGINAL-LITHOGRAPHIE BESORGTE MA¬ LER FRANZ WACIK, WIEN, DER AUCH DEN DRUCK ÜBERWACHTE.
DIESES BUCH TRÄGT DIE ZAHL
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