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German Pages 205 [210] Year 2011
Irene Kletschke Klangbilder
Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft -------------------------------------------herausgegeben von Albrecht Riethmüller in Verbindung mit Reinhold Brinkmann †, Ludwig Finscher, Hans-Joachim Hinrichsen, Birgit Lodes und Wolfram Steinbeck Band 67
Irene Kletschke
Klangbilder Walt Disneys „Fantasia“ (1940)
Franz Steiner Verlag 2011
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsund Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-515-09828-1 Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. © 2011 Franz Steiner Verlag, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Printed in Germany
Meiner Mutter
INHALTSVERZEICHNIS DANKSAGUNG .................................................................................……… 9 EINLEITUNG .............................................................................................. 11 1. WALT DISNEY IM JAHR 1940 .............................................................. 17 1.1 Vom Toncartoon zum ersten abendfüllenden Zeichentrickfilm ........ 1.2 Disney als moralisches Aushängeschild Hollywoods ........................ 1.3 Im Dienste der Propaganda ................................................................ 1.4 Das Ende des Goldenen Zeitalters .....................................................
17 23 27 31
2. DIE MUSIK IN DEN CARTOONS UND FILMEN DES DISNEY STUDIOS.................................................................................................. 35 2.1 Techniken der Synchronisierung ....................................................... 2.2 Die Mickey Mouse Sound Cartoons .................................................. 2.3 Die Silly Symphonies ......................................................................... 2.4 Die Filmmusicals ...............................................................................
35 42 45 49
3. ENTSTEHUNG UND REALISIERUNG VON FANTASIA..................... 53 3.1 Der Weg zu Fantasia ......................................................................... 3.2 Leopold Stokowski und Deems Taylor .............................................. 3.3 Fantasound – ein Tonformat nicht nur für Fantasia .......................... 3.4 Konzertfilm oder Filmkonzert? .......................................................... 3.5 Fantasia zwischen Aufführung und Erzählung ................................. 3.6 Vom Misserfolg zum „Klassiker“ ......................................................
53 65 72 76 83 85
4. ILLUSTRATION, ASSOZIATION, VISUALISIERUNG: TOCCATA AND FUGUE IN D MINOR...................................................................... 91 4.1 Inszenierungen des Musizierens ........................................................ 92 4.2 Gelenkte Assoziationen ...................................................................... 96 4.3 Disneys gemäßigte Abstraktion ....................................................... 100 4.4 Kontrapunkt, Fugenthema und Echo ............................................... 106 4.5 Schlussteil: Phantasie und Gegenständlichkeit ................................ 116 4.6 Illustration und Visualisierung: Der Soundtrack ............................. 119
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Inhaltsverzeichnis
5. MICKEYMOUSING: THE SORCERER’S APPRENTICE..................... 125 5.1 „Music that tells a story?” ................................................................ 5.2 Exkurs: Mickeymousing .................................................................. 5.3 Mickeymousing in The Sorcerer’s Apprentice ................................ 5.4 Der Mehrwert von Cartoon-Musik ..................................................
125 129 132 137
6. BILDERBALLETT: MUSIK UND BEWEGUNG................................. 141 6.1 Hommage an das Ballett: Dance of the Hours ................................. 6.2 Naturballett: The Nutcracker Suite .................................................. 6.3 Film als Choreographie: Rite of Spring ............................................ 6.4 Bacchanal auf dem Lande: The Pastoral Symphony.........................
143 149 156 166
7. DAS ENDE: NIGHT ON BALD MOUNTAIN UND AVE MARIA.......... 179 7.1 Das Profane und das Heilige ............................................................ 7.2 Das Ende als Bruch mit dem Konzertformat ................................... 7.3 Ringform und der „Circle of Life“ ................................................... 7.4 Spekulationen zum Schluss von Fantasia .......................................
179 182 185 187
LITERATURVERZEICHNIS ..................................................................... 195 PERSONENREGISTER.............................................................................. 203
DANKSAGUNG Es lässt sich wohl ohne Übertreibung als Tatsache festhalten, dass Walt Disney das 20. Jahrhundert kulturell und ästhetisch geprägt hat. In der Musikwissenschaft spielen seine bis heute ausnehmend beliebten Filme jedoch kaum eine Rolle, obwohl die Musik großen Anteil an ihren Erfolgen hat. Die vorliegende Arbeit stellt Fantasia in den Mittelpunkt, um neben dem Thema der Visualisierung von Musik auch nach den Gründen zu fragen, warum Disney und der Cartoon in der Musikwissenschaft bisher noch wenig Beachtung gefunden haben. Sie wurde im Wintersemester 2009/10 als Dissertation im Fach Musikwissenschaft am Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften an der Freien Universität Berlin angenommen; Gutachter waren Prof. Dr. Albrecht Riethmüller und Prof. Dr. Christa Brüstle. Die Disputation fand am 20. Mai 2010 statt. Die Arbeit ist mit der Unterstützung von zahlreichen Menschen entstanden. Meinem Doktorvater Albrecht Riethmüller möchte ich an dieser Stelle neben der intensiven Betreuung der Dissertation insbesonders dafür danken, dass er es immer wieder verstanden hat, mein Denken über Musik von Vorurteilen befreit in neue Bahnen zu lenken. Meiner Zweitgutachterin Christa Brüstle danke ich für die zahlreichen inspirierenden Ideen, hilfreichen Korrekturen und Ermutigungen. Darüber hinaus gilt mein Dank Guido Heldt, Tobias Plebuch, Clemens Risi, den Teilnehmern der Kolloquien und Studierenden eigener Seminare sowie meinen Kollegen an der UdK Berlin und HfM Hanns Eisler Berlin, mit denen ich immer wieder Teile dieser Arbeit diskutieren durfte und von denen ich fruchtbare Anregungen erhielt. Bei meinen Eltern Heide und Gottfried Kletschke möchte ich mich für die Unterstützung und vielen Möglichkeiten in meinem Leben bedanken, die mich letztendlich auch zur Musikwissenschaft und zum erfolgreichen Abschluss dieser Arbeit gebracht haben. Für den liebevollen Rückhalt über all die Jahre danke ich Henrik von Maltzahn von ganzem Herzen. Im Jahr 2007 hatte ich die Gelegenheit, für die vorliegende Arbeit nach Los Angeles reisen zu können, um in der Animation Research Library der Disney Studios zu forschen. Dort wird unerschöpfliches Material – über 60 Millionen Objekte – zu den Filmen aufbewahrt: Skizzen, Storyboards, Modelle, Hintergründe, Zelluloids, Dokumente, Filme, Kameras etc. Ich danke Lella Smith und Fox Carney, die mich vor Ort betreut haben. Keinen Zugang habe ich leider zu den Walt Disney Archives bekommen, in denen u.a. die Notizen aus den zahlreichen Konferenzen und vermutlich die Partituren sowie Stimmen von Leopold Stokowskis Bearbeitungen der Kompositionen lagern: „The only possibility of looking at the story meetings in the Archives would be to get an exception to the rule about [the] use of the Archives from our company’s Legal Department,“ schrieb mir der Chef des Archivs, David R. Smith, im August 2007. Meine Anfrage bei Kristine Wilder, Senior Paralegal bei der Walt Disney Company, wurde jedoch bedauerli-
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Danksagung
cherweise ablehnend beantwortet. Während die Animation Research Library der Disney Studios auch z.B. die Ausstellung „Il était une fois: Walt Disney“ in Paris, Montreal und München unterstützte, scheinen die Archive einer anderen Politik zu unterliegen. Deren restriktive Haltung gegenüber externen Wissenschaftlern, gepaart mit dem eigenen Engagement der Walt Disney Company bei der Wahrung, Aufbereitung und Vermittlung ihrer historischen Bestände, hat vermutlich sowohl wirtschaftliche als auch künstlerische Gründe, die jedoch alle den Wunsch offenbaren, die Kontrolle über Marke und Produkte bzw. Autor und Schaffen zu behalten. Dennoch waren die von der Walt Disney Company herausgegebenen Bücher und DVDs mit den restaurierten Filmen, Materialien und Kommentaren von unschätzbarer Hilfe für die vorliegende Arbeit. In Los Angeles konnte ich außerdem in der Margaret Herrick-Bibliothek der Academy of Motion Picture Arts and Sciences (AMPAS) und dem University of California (UCLA) Film and Television Archive alte Filmkopien, Bücher und Zeitschriften einsehen, die ich in Deutschland nicht hatte bekommen können. Unterstützt wurden meine Recherchen ferner von Edward Johnson von der Leopold Stokowski Society und Nancy M. Shawcross von der Rare Book and Manuscript Library der University of Pennsylvania, wo ein Teil des Nachlasses von Stokowski liegt. In der Bibliothek der Deutschen Kinemathek/Museum für Film und Fernsehen in Berlin konnte ich auf die Kritikensammlung zu Fantasia zurückgreifen. Bedanken möchte ich mich außerdem bei der Bibliothek der Deutschen Oper Berlin, die mir die Partitur zum Tanz der Stunden zur Verfügung stellte, beim Berliner Videodrom, das einen unglaublichen Schatz an amerikanischen Videos verleiht, sowie bei Peter Wengel von der UdK Berlin, der mir die amerikanischen Formate überspielte. Für das eingehende Korrekturlesen sei Juliane Schöwing, Henrik von Maltzahn und Heide Kletschke herzlich gedankt.
EINLEITUNG Fast 70 Jahre nach seiner Premiere fasziniert Walt Disneys Film Fantasia heute noch immer mit seinem Konzept, Musik mit Zeichentrick zu verknüpfen. Die Bilder geben nicht nur Zeugnis über den kulturellen Kontext, in dem sie 1940 entstanden und in den folgenden Jahrzehnten aufgenommen worden sind. Sie bieten auch mögliche Antworten auf alte wie neue Fragen, die sich der Musikwissenschaft und Musikpraxis stellen: Welche Strategien und Techniken gibt es, Musik in Bilder zu übersetzen und beide zu kombinieren? Wie kann Musik als Bestandteil audiovisueller Medien sinnvoll beschrieben und deren spezifische Wirkung erfasst werden? Welche Rolle spielt die Aufführungssituation, wenn Musik inszeniert wird? Das Interesse an der Visualisierung von Musik sowie am Wechselverhältnis von Sehen und Hören zieht sich wie ein roter Faden durch die Musik-, Kunst- und Filmgeschichte. In Zeiten von Digital Concert Halls, Public Viewing und Live-Übertragungen von Opern ins Kino ist Fantasia außerdem ein Musterbeispiel, wie Aufführungen medial vermittelt sein und dennoch als gegenwärtig inszeniert und erlebt werden können. Nicht von ungefähr verhalten sich heute Musikvideos (einst bei Viva und MTV, nun auf Youtube) zu CDs wie das Kino in den Anfängen des Tonfilms zum Radio und zeigen die Stars beim Musizieren in Bühnen- oder Studioumgebung. Umgekehrt sind im digitalen Zeitalter die Bilder von Film, Video und Computer inzwischen fester Bestandteil vieler konzertanter und musiktheatraler Aufführungen. Deren Spiel mit den verschiedenen medialen Ebenen prägte auch Fantasia, wo die fiktive Situation einer Aufführung mit den Erzählungen der einzelnen Filmepisoden kombiniert wird. Aktuell ist Fantasia zudem nach wie vor in seiner pädagogischen Ambition, möglichst viele Menschen mit so genannter klassischer Musik zu erreichen und sie für diese zu begeistern. Zwischen dem noch frühen Tonfilm und der Digitalisierung heute lassen sich weitere Parallelen ziehen. Beide Techniken ermöglichten neue Formen, die zwischen den traditionellen Künsten stehen. Klangkunst, Medienkunst, elektroakustische Musik, inter- sowie transmediale Musik- und Theateraufführungen spielen einerseits wie Fantasia mit dem (erzeugten, behaupteten und manipulierten) Zusammenhang von Klang, Bild und Szene, andererseits mit der Möglichkeit, akustische und visuelle Aufnahmen jederzeit speichern, abrufen oder – heute in Echtzeit – entstehen lassen zu können. In erster Linie als eine Monographie über Fantasia konzipiert, fragt die Studie auch nach der heutigen Bedeutung des Films und schlägt eine Brücke von der Gegenwart bis zurück zu seiner Entstehungszeit. Historische Informationen zur Produktion und Rezeption werden mit analytischen Beschreibungen verbunden, die es ermöglichen sollen, zu neuen Schlüssen über Fantasia zu kommen. Der Titel weist bereits darauf hin, dass der Schwerpunkt der Untersuchung auf der Visualisierung von Musik sowie auf dem audiovisuellen Zusammenspiel von Klang und Bild liegt. Im Vordergrund steht dabei der Zei-
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Einleitung
chentrickfilm, so dass dieses Buch zunächst ein Beitrag zur Geschichte und Theorie der Filmmusik ist, speziell der Musik im Cartoon. Künstlerisch handelt es sich bei Fantasia jedoch zugleich um einen Sonderfall, da der Film für sein Grundkonzept, Musik zu visualisieren, auf die unterschiedlichsten Vorläufer zurückgreift und nicht eindeutig einer „Disziplin“ oder einem „Genre“ zugeordnet werden kann. So wie Fantasia selbst von der Musik, von anderen Cartoons, Animations-, Musical- und Spielfilmen, von der Bildenden Kunst, von der Architektur, von der Literatur, vom Ballett und von anderen Bühnenformen inspiriert ist, fließen in die Untersuchung dieses Films neben den historischen Zusammenhängen ebenso analytische, ästhetische wie theoretische Überlegungen aus den gemeinsamen Feldern dieser Disziplinen ein. Über die Musik in Fantasia ist bisher erstaunlich wenig veröffentlicht worden. Die meisten Publikationen gehören entweder zur Fan-Literatur oder konzentrieren sich auf die visuelle Leistung des Films als Zeichentrickfilm. Die beiden bisher einzigen Bücher zu Fantasia zeigen dies exemplarisch: Zur Premiere des Films erschien 1940 in New York Walt Disney’s Fantasia von Deems Taylor, ein großformatiger Band mit zahlreichen Skizzen, Zeichnungen und dekorativ gesetzten Notenbeispielen der eingängigsten Themen. Nach einem Vorwort von Leopold Stokowski und einem Grußwort von Walt Disney berichtet Taylor aus der Perspektive der Beteiligten von der Entstehung des Films und erzählt die Geschichten der einzelnen Episoden nach. Das Buch zielt darauf ab, dass der Zuschauer das Filmereignis nachbereiten und noch einmal in seiner Erinnerung erleben kann, und ist heute – in Zeiten von Video und DVD – vor allem Sammlerstück, weniger Sekundärliteratur zu Fantasia. Anders verhält es sich mit dem 1983 ebenfalls unter dem Copyright der Walt Disney Productions erschienenen Buch Walt Disney’s Fantasia von John Culhane. Zahllose Zitate aus Konferenznotizen, aus Briefen und aus Verträgen sowie viele Fotos, Skizzen und Bilder, die in den Disney Archiven lagern, liefern einen lebendigen Eindruck von der Entstehung und Rezeption des Films sowie von der damaligen Atmosphäre im Studio. Culhane hatte als Siebzehnjähriger im August 1951 Walt Disney über dessen Tochter Diane kennen gelernt. Er verdankte diesem Treffen nicht nur seit dieser Zeit den Zugang zum Studio, den Archiven und der Animation Research Library, sondern auch den persönlichen Kontakt zu zahlreichen an Fantasia beteiligten Animatoren. Dank des Vertrauens, das er bei den Walt Disney Productions als informierter Fan und begeisterter Wissenschaftler zugleich genoss, ist ein unnachahmlich fundiertes wie unterhaltsames Buch entstanden. Von Interesse für eine musikwissenschaftliche Arbeit ist Fantasia einerseits wegen der Verbindung von Musik und (Zeichentrick-)Film, andererseits als Visualisierung von Musik, die mit ihren Bildern und den Reaktionen auf diese (z.B. in Rezensionen) viel vom Denken über Musik verrät. Hervorzuheben an musikwissenschaftlichen Arbeiten zu Fantasia sind an dieser Stelle Albrecht Riethmüllers Beitrag Landschaft in der Musik, Landschaft zur Musik. Beethovens Pastorale und Walt Disneys Fantasia (1984), Nicholas Cooks Analyse des Rite of Spring in Analysing Musical Multimedia (1998), Mark Clagues Aufsatz Playing in ’Toon.
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Walt Disney’s Fantasia (1940) and the Imagineering of Classical Music (2004) und Anno Mungens Beobachtungen zur Rezeptionssituation in Fantasia in seinem Buch BilderMusik (2006). Das Thema Musik und Cartoon bzw. Zeichentrickfilm spielte bisher in der Musik- und Filmwissenschaft eine untergeordnete Rolle; allerdings wächst das Interesse derzeit. Vereinzelt beschäftigen sich Zeitschriftenartikel mit der Musik und den Soundtracks einzelner Studios und einzelner Serien, wie z.B. den Silly Symphonies, oder den Kompositionen spezieller Komponisten, wie z.B. Carl Stalling oder Scott Bradley. Weitgehende Pionierarbeit leistet der Reader The Cartoon Music Book (2002), den Daniel Goldmark und Yuval Taylor herausgegeben haben. Zahlreiche Artikel und Interviews – auch zu Fantasia – gehen auf die Kompositionen prominenter Komponisten, auf spezielle Cartoons und Studios, auf die Verbindung zum Pop, zum Jazz, zur historischen und zur zeitgenössischen „klassischen“ Musik ein, wie z.B. von John Zorn. In seiner Dissertation Tunes for ’Toons: Music and the Hollywood Cartoon (2005) konzentriert sich Daniel Goldmark auf die Cartoons der 1930er bis 1950er Jahre, speziell der Warner Bros., von MGM, von Walter Lantz und der Brüder Fleischer. Goldmark untersucht u.a., wie ein Kanon von bekannten „klassischen“ Kompositionen durch die Verwendung in Cartoons noch weiter reduziert und einschließlich seines Personals – Dirigent, Sänger, Musiker, Kritiker – parodiert wurde. Disneys Silly Symphonies und Fantasia fallen hier weitgehend heraus. Sie halten meistens die Balance, diesen kulturellen Kontext sowohl als etwas Ernstzunehmendes als auch etwas Komisches aufgreifen zu können. Aus den vielen Artikeln und Büchern über Walt Disney, über das Disney Studio und über die Disney Filme möchte ich an dieser Stelle nur einige wenige hervorheben. Richard Schickel veröffentlichte 1968 The Disney Version: The Life, Times, Art and Commerce of Walt Disney. Die Biographie wurde dafür berühmt, dass hier zum ersten Mal das von Walt Disney selbst und vom Konzern weiterhin gepflegte Image des warmherzigen Familienunterhalters und alleinigen kreativen Kopfs des Studios hinterfragt wurde. Erst in den letzten Jahren erschienen die beiden umfangreichen Biografien Walt Disney. The Triumph of the American Imagination von Neal Gabler (2006) und The Animated Man. A Life of Walt Disney von Michael Barrier (2007). Beide Bücher geben einen guten Überblick über den heutigen Stand der Disney-Forschung. Während Schickel bereits in den 1960er Jahren die Unterstützung der Walt Disney Productions versagt blieb, bekam Neal Gabler Zugang zu den Archiven und konnte auch auf die Hilfe von David R. Smith (spätere Publikationen von ihm erscheinen unter Dave Smith) zurückgreifen, der die Archive 1971 gründete und ihnen seitdem vorsteht. Michael Barrier, der von 1973 bis 1999 mit Hollywood Cartoons: American Animation in its Golden Age ein Standardwerk zur Geschichte des Zeichentrickfilms schrieb, wurde zu seiner Überraschung für seine Biographie der Zugriff zum Archiv verweigert. Er konnte jedoch auf die Aufzeichnungen seiner früheren Recherchen im Archiv zurückgreifen. Über die Kompositionen und deren Kontext hinaus, der in dieser Arbeit auch jenseits ihrer Verwendung im Kinosaal im Vordergrund steht, fanden Disneys Zeichentrickfilme weitere Anregungen für ihre Bilder und Erzählungen in der
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europäischen Kultur- und Kunstgeschichte. Mit diesen Einflüssen beschäftigt sich Robin Allans Buch Walt Disney and Europe von 1999. Eine Übersicht über Vorläufer und – für das 20. Jahrhundert noch viel wichtiger – Nachfolger in der Bildenden Kunst und im Film gibt außerdem der Ausstellungskatalog Il était une fois: Walt Disney. Aux sources de l’art des studios Disney aus dem Jahr 2006, herausgegeben von Bruno Girveau. Im Rahmen ihrer Schilderung der Arbeitsprozesse erklären die beiden Disney-Animatoren Ollie Johnston und Frank Thomas in ihrem Buch The Illusion of Life: Disney Animation (1995) auch, wie die Soundtracks der Cartoons und Filme entstanden. Wichtige Einblicke in die Entstehung von Fantasia gewähren außerdem David R. Smiths Aufsatz The Sorcerer’s Apprentice. Birthplace of ‚Fantasia‘ (1976) sowie John Canemakers Artikel The Fantasia That Never Was (1988) und Secrets of Disney’s Visual Effects: The Schultheis Notebooks (1996). Bei den Zitaten aus den Konferenzen, Diskussionen und Briefwechseln zu Fantasia verlasse ich mich auf die Angaben der genannten Autoren. In der musikwissenschaftlichen Literatur zu Fantasia werden entweder ein allgemeiner Überblick über den Film als interessantes Beispiel der (Film-) Musikgeschichte gegeben oder einzelne Passagen von Fantasia herausgegriffen und unter einer übergeordneten Fragestellung besprochen. In dieser Arbeit stehen sowohl filmmusikalische Aspekte als auch die Rezeptionsgeschichte der Kompositionen im Vordergrund, die einerseits selbst in Fantasia aufgegriffen und erzählt wird, andererseits durch Fantasia wiederum geprägt ist. Die ersten drei Kapitel informieren über die Entwicklung, Realisierung und Rezeption von Fantasia. So gibt das erste Kapitel Walt Disney im Jahr 1940 einen Überblick über die wirtschaftliche, politische und künstlerische Stellung von Walt Disney, seinem Studio, den Cartoons und Zeichentrickfilmen zu Beginn von Fantasia. Auf welches Rüstzeug die Macher von Fantasia aufbauen konnten, wird im zweiten Kapitel Die Musik in den Cartoons und Filmen des Disney Studios vorgestellt. Das dritte Kapitel Entstehung und Realisierung von Fantasia widmet sich dem Projekt selbst: Im Mittelpunkt stehen die außergewöhnliche Zusammenarbeit mit Leopold Stokowski und Deems Taylor, die besondere Dramaturgie und neuartige Präsentation des Films sowie die technischen und künstlerischen Erfindungen und Visionen für Fantasia. Die anschließenden Kapitel konzentrieren sich auf die Analyse des Films: Gebündelt unter verschiedenen übergeordneten Themenbereichen, die das Verhältnis zwischen Musik und Bildern im Film betreffen, werden die einzelnen Episoden besprochen. Die Lenkung des Zuschauers und die Legitimierung des Grundkonzepts von Fantasia werden im vierten Kapitel Illustration, Assoziation, Visualisierung anhand der Toccata and Fugue in D minor und der Episode des Soundtracks untersucht. Am Beispiel der Silly Symphony The China Plate (1931) und des Sorcerer’s Apprentice wird im fünften Kapitel dargestellt, was Mickeymousing im Cartoon ausmacht und wie sich Dukas’ Komposition dazu verhält. Gewissermaßen als Umkehrung der Kausalität im Mickeymousing versammelt das sechste Kapitel die Musik von Ponchielli zum Dance of the Hours, von Tschaikowsky zur Nutcracker Suite, von Strawinsky zum Rite of Spring und von Beethoven zur Pastoral Symphony unter der Rubrik Bilderballett: Musik und Be-
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wegung. Dem Schluss des Films ist das letzte Kapitel gewidmet. Anhand der Kombination von Mussorgskys Night on Bald Mountain und Schuberts Ave Maria wird noch einmal nach der Struktur von Fantasia gefragt und eine Einordnung in die Film- und Musikgeschichte vorgenommen. Die Analyse des Films basiert auf der DVD, die im Jahr 2000 in den USA zusammen mit Fantasia 2000 und der Dokumentation Fantasia Legacy in der Edition Fantasia Anthology erschienen ist. Die als „special, uncut edition“ gepriesene Fassung enthält sowohl die Auftritte von Deems Taylor als auch die Pause zwischen der ersten und zweiten Hälfte des Films. Nicht enthalten sind hier allerdings die Auftritte der schwarzen Zentaurette „Sunflower“ in der Pastoral Symphony, die durch die Wahl eines anderen Bildausschnitts ersetzt wurden. Die Analyse der Musik von Fantasia wurde durch Partituren der Kompositionen unterstützt, wie sie in Bibliotheken bzw. bei den Verlagen erhältlich sind. Veröffentlicht wurden Stokowskis Orchestrierung von Bachs Toccata and Fugue in D minor bei Broude Brothers, außerdem ist seine Bearbeitung von Mussorgskys Night on Bare Mountain bei der Theodore Presser Company verfügbar. Die anderen Kompositionen (Tschaikowsky, Dukas, Strawinsky, Beethoven, Ponchielli, Schubert) wurden für Fantasia ebenfalls stark gekürzt, umgestellt und bearbeitet, doch wurden sie nie in einer Stokowski-Ausgabe herausgegeben. Welche Partitur für die Untersuchung verwendet wurde, ist jeweils im entsprechenden Kapitel in einer Fußnote angegeben.
1. WALT DISNEY IM JAHR 1940 Zahlreiche Mickey Mouse Cartoons, über 70 Silly Symphonies und zwei Zeichentrickfilme bildeten das Rüstzeug des Disney Studios, um mit Fantasia das Experiment eines abendfüllenden Zeichentrickfilms zu klassischer Musik1 zu wagen. In nur wenigen Jahren hatte sich der Self-Made Man Walt Disney vom Werbefilmer zum Pionier des Zeichentrickfilms gewandelt. Diese außergewöhnliche Karriere wurde nicht nur durch den Zusammenfall der Geburt der Mickey Mouse-Figur und des Durchbruchs des Tonfilms ausgelöst. Vielmehr bedingte ein politischer und moralischer Umschwung in Hollywood, dass das Disney Studio zu einem der größten Erfolgsträger in den Jahren der wirtschaftlichen Depression in den USA wurde. Der Kriegseintritt der USA, der Gewerkschaftsstreik seiner Mitarbeiter und der kommerzielle Misserfolg von Fantasia beendeten dagegen die Hochphase des Studios und machten Disneys ambitionierte Pläne für die Zukunft des Zeichentrickfilms zunichte. Fantasia (1940) blieb ein Markstein im Goldenen Zeitalter des Disney Studios. Diese Epoche wird in der vorliegenden Arbeit von Steamboat Willie (1928), dem ersten Toncartoon, bis hin zu Bambi (1942) angesetzt, dem für eine längere Zeit letzten abendfüllenden Spielfilm. 1.1 VOM TONCARTOON ZUM ERSTEN ABENDFÜLLENDEN ZEICHENTRICKFILM Bereits in der Stummfilmzeit erfreuten sich Cartoons beim Publikum einer ungewöhnlich großen Beliebtheit. Zu den bekanntesten Charakteren gehörten die von Pat Sullivan und Otto Messmer entwickelte Figur Felix the Cat, Bud Fishers Mutt und Jeff und Max Fleischers Out of the Inkwell-Serie. Die kurzen Trickfilme liefen meist im Vorprogramm zu abendfüllenden Spielfilmen und wurden je nach Theater von der Kinoorgel oder einem Orchester begleitet. Ende der 1920er Jahre drohte das Interesse des Publikums an Cartoons allerdings abzunehmen: „By 1927–28, audiences would groan when a cartoon came on. Animation had worn out its welcome. The novelty was gone.“2 Die Einführung des Tonfilms brachte die Rettung: Geräuscheffekte, Dialoge und Musik zusammen mit den animierten Bildern ließen die Cartoons zu einem Unterhaltungsmedium für ein Massenpublikum werden, auf das keine der großen Hollywood-Produktionsfirmen – Colum1
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Der Begriff „klassisch“ wird in dieser Arbeit eher selten im Hinblick auf die Epoche Haydns, Mozarts und Beethovens verwendet. Vielmehr bezeichnet er zu Klassikern gewordene Werke, wobei die Auswahl, was zum jeweiligen Kanon gehört, sehr unterschiedlich ist und von der den Kanon definierenden Gruppe abhängt. Charles Solomon, Enchanted Drawings. The History of Animation. New York 1994, S. 21.
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1.Walt Disney im Jahr 1940
bia, Radio-Keith-Orpheum (RKO) Pictures, Warner Bros., Paramount, 20th Century Fox, Universal oder Metro-Goldwyn-Mayer – verzichten wollte. Schon vor Steamboat Willie (1928) hatte es Cartoons gegeben, die nicht mehr vom Kinoorganisten oder -orchester, sondern von einer im Filmmaterial integrierten Tonaufnahme begleitet wurden. 1926 ließ Max Fleischer in My Old Kentucky Home einen Hund die Sätze „Follow the ball, and join in, everybody“ sprechen. In der Folge synchronisierte er weitere seiner früheren Song-Car-Tunes, in denen ein hüpfender Ball dem Publikum die Textsilben zum Mitsingen anzeigte.3 Paul Terrys Studio Terrytoons brachte noch zeitlich vor Disney 1928 die erste Äsop-Fabel Dinner Time mit Ton heraus. Wie später häufig bei Disney entstand die Musik vor den Bildern: „Terrytoons claimed to be the first studio to prescore its cartoons. Working with brilliant Terrytoons composer Philip A. Scheib, the studio’s animators drew frames to fit his scores, which were recorded in one take.“4
Um nicht gegen das Urheberrecht zu verstoßen und Ausgaben für den Erwerb der Rechte zu vermeiden, benutzten die musikalischen Leiter vieler Studios entweder nicht geschützte Songs oder eigene Hits aus den Musicals der Studios. Das Cartoon Studio der Warner Bros. wurde zunächst sogar in erster Linie dafür geschaffen, die eigenen Musicalsongs zu vermarkten. In den frühen 1920er Jahren hatte Disney neben verschiedenen Werbecartoons einige animierte Kurzfilme produziert,5 darunter die Laugh-O-Grams, die Serie Alice in Cartoonland, in der eine Schauspielerin in einem gezeichneten Umfeld agierte,6 und die Serie Oswald The Lucky Rabbit. Nachdem der Produzent Charles Mintz 1927 nicht nur Disneys erfolgreichste Figur Oswald gegen dessen Willen übernahm, sondern auch einige seiner wichtigsten Animatoren wie Rudolph Ising, Hugh Harmann, Fritz Freleng und Carman Waxman zu Universal abgeworben hatte, mussten sich Walt Disney und Ub Iwerks auf die Suche nach einem neuen Charakter für ihre Cartoons machen. Im Hinterzimmer des Studios, abgekapselt von den anderen Zeichnern, entwickelte Iwerks die Mäusefigur mit den kreisrunden Ohren, die als Mickey Mouse zu einer der bekanntesten und be-
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Die Reihe Song-Car-Tune war zuvor eine Serie mit Filmen ohne Tonspur gewesen, bei denen das Publikum den Ton produzierte, indem es mitsang. Vgl. Jon Newsom, „A Sound Idea“. Music for Animated Films. In: Quarterly Journal of the Library of Congress. Vol. 37, Nr. 3–4 (Sommer-Herbst 1980), S. 285. Neil Strauss, Tunes for Toons: A Cartoon Music Primer. In: Daniel Goldmark und Yuval Taylor (Hg.), The Cartoon Music Book. Chicago 2002, S. 6. Disney hatte sich nach dem Handbuch Animated Cartoons: How They Are Made: Their Origin and Development von Edwin George Lutz ausgebildet, das 1920 in New York erschienen war. Edwin George Lutz, Der gezeichnete Film. Ein Handbuch für Filmzeichner und solche, die es werden wollen. Nach dem amerikanischen Werk ‚Animated Cartoons‘. Halle 1927. Paul Dessau schrieb Musik zu dieser Serie für Aufführungen im Berliner Kino Alhambra im Jahr 1928, u.a. zu Alice und ihre Feuerwehr, Alice und die Flöhe, Alice und der Wilde Westen sowie Alice und der Selbstmörder.
1.1 Vom Toncartoon zum ersten abendfüllenden Zeichentrickfilm
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liebtesten Figuren der Filmgeschichte werden würde.7 Fast zeitgleich leitete die Premiere des Spielfilms The Jazz Singer am 23. Oktober 1927 den Siegeszug des Tonfilms ein und ließ in Walt Disney den Gedanken reifen, die neue Technik auch auf den Cartoon anzuwenden. In einem Treffen am 29. Mai 1928 stellte Disney Neal Gabler zufolge seinem Team die Idee vor, die Mickey Mouse Cartoons mit Ton zu versehen: „Everyone was immediately energized, which may have been part of Walt’s calculation to keep his crew’s spirits from flagging. [Wilfred] Jackson said he was so excited by the idea of a sound cartoon that he could not sleep that night.“8
Im – nach Plane Crazy und The Galoppin’ Gaucho – dritten Mickey Mouse Cartoon Steamboat Willie (1928) wurden Animation und Ton endlich vermählt. Walt Disney, Ub Iwerks, Wilfred Jackson und ein kleines Team entwickelten die Musik – basierend auf den beiden Songs A Turkey in the Straw und Steamboat Bill sowie auf Geräuscheffekten mit Kuhglocken, Vogelpfeifen und herumliegendem Werkzeug – und ließen sie anschließend in New York aufnehmen.9 Vermutlich überführten der Orchesterleiter des Capitol Theater in New York, Carl Edouarde, der später für die Aufnahme die Musiker dirigierte, oder Carl Stalling die unkonventionelle Partitur in auf übliche Weise notiertes Stimmmaterial. Da Geräuscheffekte, Musik und Stimmen zu dieser Zeit nur auf einer Spur aufgenommen werden konnten, musste bei jeder Unachtsamkeit und jedem Fehler wieder von vorne begonnen werden. Edouarde ließ sich zunächst nicht auf das visuelle Metronom ein, das durch kleine Lichtblitze auf dem ablaufenden Film das Tempo der Musik vorgab, so dass die Aufnahme letztendlich nicht synchron war und komplett wiederholt werden musste. Während für die erste Aufnahme 20 Musiker engagiert worden waren, musste für die Wiederholung aus finanziellen Gründen die Zahl reduziert werden – und das, obwohl Disney zur Erhöhung des Kapitals sein Auto verkauft hatte.10
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Wer wann die Idee zur Mickey Mouse hatte, ist eine der meist diskutierten Fragen der Cartoon-Geschichte. Der Legende nach hatte Disney die Idee für eine Figur namens Mortimer auf der Rückfahrt von New York irgendwo zwischen Chicago und Los Angeles. Lässt sich der geniale Einfall als Anekdote vielleicht besser erzählen, so ist wahrscheinlicher, dass die Figur der Mickey Mouse das Ergebnis einer gezielten Suche nach einem neuen Charakter war. Vgl. Neal Gabler, Walt Disney. The Triumph of the American Imagination. New York 2006, S. 112f. 8 Neal Gabler, Walt Disney, S. 117. 9 Die Reaktionen auf die erste Probeaufführung der noch live gespielten Musik in der Garage vor den Ehefrauen und Freunden der Beteiligten wird unterschiedlich geschildert: Während laut Disney die Zuhörer „almost instinctively to this union of sound and motion“ reagiert hätten, erinnert sich Jackson, dass das Publikum nicht besonders interessiert gewesen sei: „they were all talking about sewing and knitting, and that things that girls talk about.“ Offen ist auch, ob die Musiker die Leinwand sehen konnten oder in einem separaten Raum – so Disneys Erinnerung – nach einer „music and sound-effects score“ gespielt haben. Vgl. Michael Barrier, The Animated Man. A Life of Walt Disney. Berkeley 2007, S. 60. 10 Vgl. Jon Newsom, „A Sound Idea“, S. 287.
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1.Walt Disney im Jahr 1940
Die Premiere von Steamboat Willie am 28. November 1928 war ein enormer Erfolg und führte zum Durchbruch des Soundcartoons: „Sound has descended upon the animated cartoon with a bang, and the bang was going to stay.“11 Das Publikum gab sich begeistert der Illusion hin, dass Zeichentrickfiguren sprechen, singen, Instrumente spielen und sich zum Rhythmus der Musik bewegen können. Das Besondere an Steamboat Willie war, dass Musik und Geräusche ursächlich mit dem bildlich Dargestelltem verbunden schienen. So werden in dem Cartoon verschiedene Tiere auf recht sadistische Art „bespielt“, unter anderem das Gebiss einer Kuh und eine säugende Muttersau. Die Tiere werden zu diegetischen Musikinstrumenten, deren Spiel sich in die nicht-diegetische Musik integriert.12 Der Mickey Mouse Cartoon sollte rückblickend nicht nur das Goldene Zeitalter des Zeichentrickfilms selbst, sondern vor allem das des Disney Studios einleiten. Nach dem Erfolg von Steamboat Willie wurden auch die beiden ersten Mickey Mouse Cartoons Plane Crazy und Gallopin’ Gaucho synchronisiert und ein vierter, The Barn Dance, fertiggestellt. Für den fünften Mickey Mouse Cartoon The Opry House (1929) wurde ein wildes Potpourri u.a. aus dem Prelude in Cis-Moll op. 3, Nr. 2 von Sergej Rachmaninow, Ausschnitten aus George Bizets Carmen und dem Yankee Doodle zusammengestellt. Nur ein Jahr nach der Premiere von Steamboat Willie gründete Walt Disney gemeinsam mit Carl Stalling 1929 eine weitere Trickfilmserie, in der die Musik die Hauptrolle spielen sollte: die Silly Symphonies. Carl Stalling war zuvor als musikalischer Leiter am Isis Theater in Kansas City tätig gewesen und hatte für Disney bereits in der Stummfilmzeit einige Songs sowie die Musik zu den beiden Mickey Mouse Cartoons Plane Crazy und The Galoppin’ Gaucho komponiert.13 Der Cartoon The Skeleton Dance war die erste von insgesamt über 70 Folgen der Silly Symphonies. Während in den Mickey Mouse Cartoons die Musik der Handlung folgen sollte, bestimmte hier die Musik das Geschehen. Die Idee dazu hatte Stalling, der mehr als eine bloße Illustration von Songs suchte: „When I told him [Disney] that I was thinking of inanimate figures, like skeletons, trees, flowers, etc., coming to life and dancing and doing other animated actions fitted to music more or less in a humorous and rhythmic mood, he became very much interested.“14
Stallings Nachfolge bei Disney traten vornehmlich Frank Churchill an, der die Musik u.a. zu Snow White and the Seven Dwarfs (1937) schrieb, sowie Leigh Harline, von dem die Musik zu Pinocchio (1940) stammt.15 Die letzte Silly Sympho11 John H. Winge, Cartoons and Modern Music. In: Sight and Sound. Vol. 17, Nr. 67 (Herbst 1948), S. 136. 12 Zur Definition und Diskussion der Begriffe diegetisch und nicht-diegetisch vgl. 5.2 Exkurs: Mickeymousing. 13 Stalling und Disney kannten sich bereits seit der Zeit in Kansas City. Nach der Pleite des Laugh-O-Gram-Studios 1923 vermittelte Stalling ihm einen Auftrag für ein Song-O-Reel, einem Realfilm, bei dem Titelkarten den Zuschauern den Text zum Mitsingen anzeigten. Vgl. Neal Gabler, Walt Disney, S. 73. 14 Mike Barrier, An Interview with Carl Stalling. In: Daniel Goldmark and Yuval Taylor (Hg.), The Cartoon Music Book, S. 41. 15 Vgl. 2. Die Musik in den Cartoons und Filmen des Disney Studios.
1.1 Vom Toncartoon zum ersten abendfüllenden Zeichentrickfilm
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ny The Ugly Duckling wurde im Jahr 1939 produziert – alle weiteren auf Musik basierenden Cartoons sollten zukünftig in Fantasia aufgehen. Auch nach dem Einstieg in den Tonfilm erwies sich Disney immer wieder als Pionier, wenn es um technische Neuerungen im Bereich Cartoon ging.16 Die Silly Symphony Flowers and Trees (1932) war der erste farbige Kurzfilm in Technicolor. Er gewann prompt einen Oscar. Auch die Silly Symphony The Old Mill von 1937 wurde ausgezeichnet, bei der zum ersten Mal die Multiplane-Kamera eingesetzt worden war, wodurch der Eindruck von Tiefe und Dimension entstehen konnte.17 Über diese beiden Cartoons hinaus gewann das Disney Studio den Academy Award for Best Short Subject auch mit Three Little Pigs im Jahr 1933, mit The Tortoise and the Hare 1935, mit The Country Cousin 1936 und mit The Ugly Duckling 1939. Mit Ausnahme von Three Little Pigs spielten die anderen Silly Symphonies – wenn überhaupt – gerade ihre Kosten ein. Zum großen Kummer seines älteren Bruders Roy, der sich ab 1923 bis zu seinem Tod um die finanzielle Seite aller Projekte kümmerte,18 verstand Walt Disney die Kurzfilmserie vornehmlich als Experimentierfeld für künftige größere Projekte und sah es nicht unbedingt als Notwendigkeit an, dass die Produktionskosten durch die Einnahmen gedeckt sein sollten. Kurz vor Weihnachten, am 21. Dezember 1937, kam Disneys erster abendfüllender Zeichentrickfilm Snow White and the Seven Dwarfs in die Kinos, der in Hollywood zunächst spöttisch als „Disney’s Folly“ betitelt wurde. Zwar hatte es bereits in anderen Ländern – man denke an Lotte Reinigers Silhouettenfilm Die Abenteuer des Prinzen Achmed, der zwischen 1923 und 1926 in Berlin entstand – abendfüllende Animationsfilme gegeben, doch in Hollywood war man der Ansicht, dass kein Erwachsener Interesse an einem Zeichentrickfilm in Spielfilmlänge haben könnte.19 Das Besondere des Films bestand nun darin, das Märchen von Schneewittchen so zu bearbeiten, dass die einfache Handlung das Publikum fesselte und Szene um Szene – ergänzt durch Komik und Musik – nahtlos ineinander überging. Disney plante einen Einsatz von Musik, der sich von den üblichen Musikfilmen abheben sollte:
16 Insgesamt dreizehn der 51 Oscars, die der Disney Company von 1932 bis 1971 zugesprochen wurden, waren für technische Leistungen und Spezialeffekte. Vgl. Reinhold Reitberger, Walt Disney. Reinbek 1979, S. 137. 17 Die Multiplane-Kamera wurde 1933 von Ub Iwerks entwickelt. Die Trickfilm-Kamera ermöglicht den Effekt von Dreidimensionalität: Auf verschiedenen Ebenen ist der Hintergrund einer Szene auf Glasplatten gezeichnet. Bei der Bewegung der Kamera verschieben sich auch scheinbar die Bildebenen gegeneinander, so dass der Eindruck von Tiefe entsteht. 18 Für Roy, der an Tuberkulose erkrankt gewesen war, stellte die Gründung einer gemeinsamen Firma mit Walt eine große Chance dar, da die Krankheit eine Anstellung in einer Bank oder einem Büro erschwerte. Bob Thomas, Building A Company. Roy O. Disney and the creation of an entertainment empire. New York 1998, S. 47. 19 Beispielsweise hatte man die Befürchtung, dass die Farbigkeit der neuen Farbcartoons die Zuschauer für die Dauer eines abendfüllenden Films überanstrengen könnte und bemühte sich, Snow White in möglichst pastellfarbenen, sanften Tönen zu halten.
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1.Walt Disney im Jahr 1940 „It still can be good music and not follow the same pattern everybody in the country has followed… Really, we should set a new pattern, a new way to use music – weave it into the story so somebody doesn’t just burst into a song.“20
Verantwortlich für die Musik waren Frank Churchill, Leigh Harline und Paul Smith. Drei Jahre arbeiteten bis zu 750 Mitarbeiter des Studios an Snow White. Die Ausgaben sprengten das ursprünglich vorgesehene Budget um ein Mehrfaches, aber das Risiko lohnte sich letztendlich. Die Presse feierte den Film als Meisterwerk, und Snow White wurde in die Liste der zehn besten Filme des Jahres 1938 der New York Times aufgenommen.21 Die Musik wurde für den Academy Award nominiert; Disney selbst bekam ein Jahr später einen Spezial-Oscar und sieben kleine Oscars überreicht. Der große Erfolg von Snow White bestätigte Disney darin, dass ein Markt für abendfüllende Trickfilme vorhanden war, und gab den Impuls für weitere Produktionen. Am 7. Februar 1940 feierte Disneys zweiter Zeichentrickfilm in Spielfilmlänge Premiere: Pinocchio. Wie schon mit Snow White wollte Disney eine neue Form des Trickfilms schaffen, die sich weniger an der Welt der Cartoons orientierte, sondern mit ihrer dem Realfilm an Möglichkeiten überlegenen Technik phantastische und traumhafte Märchen erzählte. Auch hier passte Disney die ursprüngliche Geschichte des Kinderbuchs aus dem Jahre 1883 von Carlo Collodi um den Schreiner Gepetto und seine holzgeschnitzte Figur Pinocchio stark an seine eigenen Vorstellungen an. Die Musik komponierten Leigh Harline, Ned Washington und Paul Smith, die einen Oscar für die beste Musik gewannen. Der Song „When You Wish Upon a Star“ von Leigh Harline, der den Film eröffnet, wurde zu einem Klassiker und gewann den Oscar für den besten Song. Wie schon bei Snow White reagierten Publikum und Kritik begeistert auf Pinocchio und feierten den Film als das Werk eines Genies.22 Während Snow White sogar höhere Einspielzahlen als The Singing Fool (1928) mit Al Jolson erzielte,23 blieben die Einnahmen aus Pinocchio enttäuschend: Im Unterschied zu Snow White sprach der Film vor allem Kinder an, so dass weniger Karten zum vollen Preis verkauft wurden. War Pinocchio noch zu Friedenszeiten entstanden, zeigten sich bei seiner Ausstrahlung zudem die ersten finanziellen Auswirkungen des Krieges in Europa. Der Film war bereits in sieben Sprachen synchronisiert, als durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs der europäische Markt wegfiel und dort bereits eingespielte Devisen für die Dauer des Krieges nicht ausgeführt werden konnten. Fantasia sollte der letzte Film des Studios sein, auf dessen Produktion sich der Zweite
20 Zitiert nach David Tietyen, The Musical World of Walt Disney. Milwaukee, Wisconsin 1990, S. 37. 21 Dies schaffte Disney später noch einmal mit Fantasia und Dumbo 1941. Vgl. Reinhold Reitberger, Walt Disney, S. 76. 22 Zur Verwendung von Musik in den Disney-Filmen siehe 2. Die Musik in den Cartoons und Filmen des Disney Studios. 23 Der Film, der auf The Jazz Singer (1927) folgte, galt bis zu Snow White als der erfolgreichste Tonfilm überhaupt.
1.2 Disney als moralisches Aushängeschild Hollywoods
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Weltkrieg und die Folgen eines Mitarbeiterstreiks24 noch nicht auswirkten (wohl aber später auf dessen Ausstrahlung). Bereits die nachfolgenden Projekte – The Reluctant Dragon (1941),25 eine Mischung aus Real- und Zeichentrickfilm, und Dumbo (1941), die beide noch vor dem Angriff auf Pearl Harbor in die Kinos kamen – waren vergleichsweise günstig produziert worden. Als letzter großer Zeichentrickfilm für eine ganze Reihe von Jahren startete 1942 der Zeichentrickfilm Bambi nach einer Vorlage von Felix Salten. Bambi war schon 1937 begonnen, aber wegen der Arbeiten an Pinocchio und Fantasia zurückgestellt worden. Um die Entwicklungsgeschichte des Rehs und den Lebenszyklus im Wald möglichst naturalistisch darzustellen, studierten die Zeichner sorgfältig die Bewegungsabläufe der Tiere und sammelten Vorlagen in der Natur. Bambi wurde als Höhepunkt des Realismus im Zeichentrickfilm ebenso gefeiert wie kritisiert. War die Darstellung des Phantastischen und die Gestaltung einer völlig eigenen Realität bisher Ursprung, Besonderheit und Wurzel des Humors im Zeichentrickfilm gewesen, bildete das Disney Studio mit Bambi nun die Wirklichkeit nach und rührte damit sein Publikum zu Tränen. Sieht man Fantasia als vorläufigen Endpunkt einer Entwicklung, die ihren Ursprung in der Vereinigung von Musik und Bild in den Silly Symphonies genommen hatte, bildet Bambi den Schlusspunkt einer Linie, die von den kurzen, lustigen Geschichten der Cartoons bis zu den abendfüllenden Zeichentrickfilmen reicht.26 1.2 DISNEY ALS MORALISCHES AUSHÄNGESCHILD HOLLYWOODS Zwischen den Premieren von Steamboat Willie 1928 und Fantasia 1940 liegen zwölf Jahre. In dieser kurzen Zeit, in der die Weltwirtschaftskrise und der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Amerika erschütterten, hatte sich das Disney Studio von einem improvisierten Kleinbetrieb zu einem großen, professionellen Wirtschaftsunternehmen entwickelt, das unterhaltsame Zeichentrickfilme für die ganze Familie produzierte. Zwar verzeichnete Hollywood 1929, also ein Jahr nach der 24 Der Streik wurde u.a. durch Disneys Weigerung ausgelöst, studiofremde Gewerkschaften zuzulassen. Vgl. 1.4 Das Ende des Goldenen Zeitalters. 25 Auf der Tour durch das Disney Studio in The Reluctant Dragon, einem Spielfilm mit Zeichentrickszenen von 1941, begleitet ein Junge namens Humphrey die Hauptfigur Robert Benchley. Sowohl die Uniform – anstelle des Hakenkreuzes trägt Humphrey ein Mickey Mouse Emblem – und sein militärisches Gebaren imitieren die Erscheinung der Nazis, so dass Benchley lieber zu den freundlichen und einen lockeren Umgangston pflegenden Mitarbeitern des Studios flieht und sich deren Arbeit anschaut. 26 Nach dem Krieg initiierte Disney eine Dokumentationsreihe im Medium des Realfilms, wohin ihn vielleicht auch der Naturalismus dieser Zeichentrickfilme führte. Der Naturalismus u.a. von Bambi wurde jedoch als Sackgasse kritisiert: „In short, critics found that in attempting to perfect the world on screen, Walt had tamed the rough, subversive energy of the earlier cartoons and forsaken the very reason to have animations in the first place – because they challenged the laws of reality – though what these critics seemed to miss was that Walt’s animated realism was every bit as much an exercise of control as his wilder and more ‘imaginative’ animations, and that control was the objective.“ Neal Gabler, Walt Disney, S. 398.
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1.Walt Disney im Jahr 1940
Premiere von Steamboat Willie und im Jahr des Börsenkrachs in New York, dank der Einführung des Tonfilms Rekordbesucherzahlen und erzielte hohe Gewinne, doch ab 1930 spiegelten sich die Auswirkungen der Depression auch im Filmgeschäft wider. Den finanziellen Einbußen an den Kinokassen folgten Einsparungen und Kündigungen, die zum Bankrott zahlreicher Studios führten. Hauptleidtragende waren die großen Filmkompanien, die in den 1920er Jahren – u.a. beim Kauf zahlreicher Theater für ihre Kinoketten – optimistisch expandiert hatten, während die kleinen Studios, wie etwa das der Brüder Disney, die Verluste besser verkraften konnten. Nach 1933 trat bei den großen Studios eine Besserung der Lage ein, und im Sommer 1936 schrieben die wichtigsten Firmen wieder schwarze Zahlen. Der Erfolg von Walt Disneys Filmen ab 1929 ist eng mit der Weltwirtschaftskrise verkoppelt. Entführten die Spielfilme ihr Publikum aus dessen tristen Alltag in die Traumwelten der Filme, so brachten die Cartoonfiguren es zum Lachen und halfen, das eigene Leid zu kompensieren.27 Insbesondere die Geschichte der Three Little Pigs gilt landläufig als Fabel auf die Depression, und der Song „Who’s afraid of the Big Bad Wolf “ wurde unerwartet zu einem Hit. Doch nicht nur finanziell, sondern auch moralisch stand Hollywood durch die Depression unter Druck. Als Lasterhöhle in Verruf geraten, trug die Filmindustrie eine vermeintliche Mitschuld an der Fehlentwicklung Amerikas, die den wirtschaftlichen Niedergang des Landes auslöste. Die Abhängigkeit Hollywoods von der öffentlichen Wahrnehmung und dem damit einhergehenden Erfolg an den Kassenschaltern führten nun dazu, dass der amerikanische Film in den 1930er Jahren zur meist kontrollierten Unterhaltungsform in den USA wurde. Uneins in der Frage, ob der Film erzieherischen Charakter habe oder bloße Unterhaltung sei, stimmte man jedoch in der Ansicht überein, dass der Film als audiovisuelles Massenmedium einen übermächtigen Einfluss auf die Zuschauer ausübt, den es zu kontrollieren galt: „Although these debates have focused on the content of structure of the entertainment form, their real concern has been with the effects on consumers and with underlying issues of class and cultural power.“28
Die drohende staatliche und kommunale Zensur sowie der Druck verschiedener Interessenverbände lösten in Hollywood einen Klimawechsel aus. Die nun produzierten Filme hatten mit den politischen und sozialen Werten sowie den Moralvorstellungen der einflussreichen Organisationen – Kirchen, Parteien und anderen Interessengruppen – übereinzustimmen, um das Publikum nicht mit kontroversen Filmen vom Kinobesuch abzuhalten. Um einer externen Kontrolle zuvorzukommen und öffentliche Kritik, die dem Geschäft schaden könnte, rechtzeitig auszuschalten, rief die Filmindustrie eine freiwillige Selbstkontrolle ins Leben. Auf der Grundlage früherer Richtlinien entwickelte die 1922 gegründete Handelsorganisa27 „Donald Duck in den Cartoons wie die Unglücklichen in der Realität erhalten ihre Prügel, damit sich die Zuschauer an die eigenen gewöhnen.“ Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Gesammelte Schriften 3. Frankfurt am Main 1997, S. 160. 28 Tino Balio, Grand Design. Hollywood as a modern business enterprise, 1930–1939. History of the American Cinema. New York 1993, S. 41.
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tion Motion Picture Producers and Distributors of America Inc. (MPPDA) 1930 den Motion Picture Production Code, der vorgab, welche Darstellungen auf der Leinwand zu vermeiden seien. Der Code erwies sich zunächst als wirkungslos, so dass 1934 die Production Code Administration (PCA) – besser bekannt als das Hays Office, wie die Behörde nach dem Vorsitzenden der MPPDA Will Hays auch genannt wurde – eingerichtet wurde, um die Einhaltung der Kodexvorschriften zu kontrollieren. Nach einer weiteren Überarbeitung des Kodex im Jahre 1935 setzten sich die Vorschriften unter Androhung von Strafen und öffentlichem Druck weitgehend durch, so dass 1937 bereits 97 Prozent aller aufgeführten Filme den Genehmigungsstempel der Behörde trugen.29 Im Unterschied zu externen Kontrollen, deren Ziel es gewesen wäre, kontroverse Filme nicht zuzulassen und deren Genehmigung zu verwehren, war es gerade die Aufgabe der Selbstkontrolle, Filme so zu beeinflussen, dass sie das notwendige Genehmigungssiegel der Behörde bekamen, wie folgendes Zitat eines Mitarbeiters der Production Code Administration zeigt: „No, we never refused seals. We were in the business of granting seals. The whole purpose of our existence was to arrange pictures so we could give seals.“30 Im Unterschied zu einer Zensur, die Filme erst nach ihrer Fertigstellung begutachtete und beanstandete Szenen zensierte, ermöglichte die Selbstregulierung der Production Code Administration, dass Einwände gegen das Drehbuch und dessen Umsetzung aktiv in die Gestaltung der Filme und Cartoons einbezogen werden konnten, bevor sie als fertige Produkte in die Kinos kamen. Die Behörde konnte so den Ruf der Filmindustrie schützen und langfristig die wirtschaftlichen Interessen der Branche sichern. Walt Disneys Konservatismus, den er ab den 1930er Jahren nach außen zeigte, sowie der Naturalismus seiner bei Groß und Klein beliebten Cartoons kamen der Filmindustrie und Gesellschaft in dieser Zeit gerade recht. Noch zwischen 1928 und 1932 waren die rustikalen, raubeinigen Scherze der Disney Cartoons immer wieder zum Gegenstand der Zensur geworden, die zur Wahrung sittlicher Werte mahnte.31 Beispielsweise musste Disney auf Druck amerikanischer Frauenverbände und Jugendschutzorganisationen ab 1931 auf die Darstellung unbeklei-
29 Bei einer Videokassette der Gold Diggers of 1935 ist z.B. zu lesen: „This picture approved by the Production Code Administration of the Motion Picture Producers & Distributors of America. Certificate No. 580.“ 30 Zitiert nach Lea Jacobs, Industry Self-Regulation and the Problem of Textual Determination. In: Matthew Bernstein (Hg.), Controlling Hollywood. Censorship and Regulation in the Studio Era. New Brunswick 1999, S. 90. 31 Eine unausgesprochene Regel im Studio Ende der 1930er Jahre verbot, dass männliche und weibliche Mitarbeiter Kontakt zueinander haben sollten. Tatsächlich gab es jedoch viele Beziehungen. Die Königsdisziplin der Animation war den männlichen Mitarbeitern vorbehalten, Frauen arbeiteten fast ausschließlich als Tuschezeichner und Koloristen. In einem Handbuch für neue Mitarbeiter von 1938 ist zu lesen: „All inking and painting of celluloids, and all the tracing done in the Studio, is performed exclusively by a large staff of girls known as Inkers and Painters. … This is the only department in the Disney Studio open to women artists.“ Zitiert nach Michael Barrier, The Animated Man, S. 130.
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deter Euter, wie sie die Kuh Klarabella bisher trug, verzichten.32 Während Betty Boop, Droopy und Duffy Duck sowie ihre Väter Max Fleischer, Tex Avery und Chuck Jones weiterhin der wilden Anarchie der Animationswelt – auch musikalisch in den Jazzcartoons Fleischers – so obsessiv wie möglich huldigten, unterwarf Disney seine Figuren bald den gleichen Moralkodizes, wie sie auch für deren menschliche Schauspielerkollegen in Hollywood galten. In den folgenden Jahren wandelte sich Mickey Mouse vom derben, sadistischen Charakter aus Steamboat Willie zum umgänglichen, sympathischen Aushängeschild des Studios: „Hatte Mickey, der ‚sexbesessene Nager‘ (Harpo Marx), seine Zuneigung zur Mäusin Minnie zuerst noch ausschließlich in der Form von Zudringlichkeiten gezeigt, mauserte er sich nun zum manierlichen Vorstadtkavalier, der mit adrett verpackten Geschenken und gepflegtem Kavalierstil zu beeindrucken versuchte.“33
Nach den Ausflügen der Silly Symphonies auf Friedhöfe (The Skeleton Dance 1929), zu Kannibalen (Cannibal Capers 1930) oder gar in die Hölle (Hell’s Bells 1929) ließ man sich von nun an von den Märchen Hans Christian Andersens oder der Gebrüder Grimm inspirieren, hielt sich abseits vom Sumpf der Städte und zeichnete die Figuren – meist Tiere, Blumen, Bäume – niedlich, farbenfroh und weitgehend asexuell. Auch Walt Disney, der bis zum großen Streik von 1941 in der Öffentlichkeit und wohl auch in der eigenen Selbstwahrnehmung als moralisch integerer, christlicher und für seine Mitarbeiter sorgender Musterfall des „Amerikanischen Traums“ galt, nahm den häufig antisemitischen Angriffen gegen das unmoralische Hollywood den Wind aus den Segeln. Zwar wurden in späteren Ausstrahlungen der Cartoons oder Trickfilme insbesondere nun die als rassistisch wahrgenommenen Sequenzen herausgenommen (wie z.B. in Fantasia 1968 in der Beethoven-Passage die stereotype Darstellung schwarzer „Zentauretten“ als Dienerinnen), doch in diesen Jahren fiel das Disney-Studio selten mit der Darstellung von Sex und Gewalt auf. Bei Fantasia hatte die Zensur allerdings die barbusigen Zentauretten zu bemängeln, so dass diese mit Blumengirlanden geschmückt wurden. Der Zensur oder der Studiopolitik geschuldet ist vermutlich auch die augenfällige Diskrepanz zwischen den eher mädchenhaften Lolitas in der veröffentlichten Fassung und der mit sichtlicher Freude gezeichneten üppigen Sinnlichkeit in den Skizzen zu derselben Passage.34 Auch die in der Rite of Spring-Passage dargelegte Evolutionstheorie Darwins kollidierte bereits zur Erstausstrahlung des Films
32 Im Herbst 1932 trafen sich zahlreiche Mitarbeiter von Disney bei Art Babbitt zuhause, um Aktmodelle zu zeichnen. Disney bat ihn darum, diese Sitzungen einzustellen: „Suppose it got in the newspapers that a bunch of Disney artists were drawing naked women in a private home. It wouldn’t sit very well.“ Stattdessen wurden künftig im Studio selbst Kunst- und Zeichenklassen mit großem Erfolg angeboten. Vgl. Neal Gabler, Walt Disney, S. 174f. 33 Jens Balzer, Was ein Mensch ist, hat auch eine Hose zu tragen. In: http://www.BerlinOnline.de/aktuelles/berliner_zeitung/feuilleton/.html/97718.html, 18. Dezember 2009. 34 Skizzen der Zentauretten für Cydalise sind abgebildet bei John Culhane, Walt Disney’s Fantasia. New York 1983, S. 139.
1.3 Im Dienste der Propaganda
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mit den Vorstellungen einiger religiöser Gruppen, die das Modell des Kreationismus bevorzugten.35 1.3 IM DIENSTE DER PROPAGANDA Neben der Wahrung religiöser und moralischer Werte sorgte die Production Code Administration bis 1941 dafür, dass das wichtigste Ziel der Filmindustrie „Entertainment“ hieß und die Filme – insbesondere angesichts der Filmpolitik in totalitären Staaten – frei von politischen Aussagen blieben. Will Hays erklärte 1938: „Entertainment is the commodity for which the public pays at the box office. Propaganda disguised as entertainment would be neither honest salesmanship nor honest showmanship.“ 36
Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 und der Kriegserklärung Deutschlands und Italiens am 11. Dezember an die USA änderte sich diese Einstellung. War die Filmindustrie in den 1930er Jahren bis auf einige Ausnahmen (z.B. Black Fury, Warner Bros. 1935; Blockade, United Artists 1938; Confessions of a Nazi Spy, Warner Bros. 1939) von aktuellen sozialen und politischen Themen weitgehend abgeschnitten gewesen, wurde der Film nach Kriegsausbruch plötzlich das Hauptinstrument, die Bevölkerung zu informieren, auf den Krieg einzuschwören und um Verständnis für Rationierungen, Steuererhöhungen und Einberufungen zu werben: „Always controversial, the messages in American movies took a new urgency as the world careened into war in 1939. The war was an irresistible subject for Hollywood, but it also threatened the comfortable and profitable assumptions of the code and the doctrine of ‚pure entertainment.‘“37
In zahlreichen der als Unterhaltung für Erwachsene gedachten Cartoons war von Beginn an reichlich politisches Material zu finden. Bereits der Erste Weltkrieg hatte 1914 Einzug in die Zeichentrickfilme gehalten, sei es in den beliebten Folgen mit Colonel Heeza Liar, den Figuren Mutt und Jeff oder in der dokumentarischen Zeichentrickpassage The Sinking of the Lusitania (1918), mit der Winsor McCay den Untergang des von Deutschen beschossenen Passagierschiffes illustrierte.38
35 Vgl. Marc Clague, Playing in ’Toon: Walt Disney’s Fantasia (1940) and the Imagineering of Classical Music. In: American Music. Vol. 22, Nr. 1 (Frühling 2004), S. 91–109. 36 Zitiert nach Richard Maltby, Hollywood Cinema. Maldon 2003, S. 270. 37 Clayton R. Koppes und Gregory D. Black, Hollywood Goes To War. How Politics, Profits, and Propaganda Shaped World War II Movies. New York 1987, S. 16. 38 Interessanterweise stieg Kaiser Wilhelm II. in den Cartoons des Ersten Weltkriegs zu einer der beliebtesten Figuren der Animatoren auf.
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In den 1920er Jahren hielten sich die Cartoons mit wenigen Ausnahmen aus dem Weltgeschehen heraus: „American cartoons, with the exception of a couple of anti-Bolshevik works released during the Red Scare (1919-20), largely divorced themselves from international events and embraced the halcyon years of the 1920s.“39
Die weltweite wirtschaftliche Depression und das Unbehagen in Anbetracht der sich verbreitenden totalitären Regierungen beschäftigten die Cartoons der 1930er Jahre. Bereits am 18. September 1933 hat Bosko’s Picture Show der Reihe Looney Tune der Warner Bros. Premiere, in der neben den Komikern Laurel und Hardy sowie den Marx Brothers auch Adolf Hitler auftaucht. Einen weiteren Kurzauftritt zu Friedenszeiten hat Hitler 1937 in She was an Acrobat’s Daughter, ebenfalls in der Reihe Looney Tune. Während andere Studios noch bis zum tatsächlichen Kriegseintritt der USA an der isolationistischen Grundstimmung Amerikas festhielten, nahmen die Filme und Cartoons der Warner Bros. in den folgenden Jahren immer wieder Stellung gegen das nationalsozialistische Deutschland und forderten die Intervention der USA. „Zwischen 1937 und 1941 produzierte die Trickfilmabteilung von Warner Bros. in ‚Termite Terrace‘ 23 Cartoons, die sich direkt mit dem Krieg in Europa, der Wehrdienstpflicht in Friedenszeiten und der militärischen Einsatzbereitschaft beschäftigen.“40
Mit dem Einzug des Tons wurde auch die Musik zur Trägerin von Botschaften. Kurze Zitate, komplette Songs wie Warner Bros.’„We Did It Before and We Can Do It Again“ oder das bekannte Motiv aus Beethovens Fünfter Symphonie wurden mit dem Sieg der Alliierten assoziiert.41 Warner Bros. stellten sich mit ihren Filmen nicht nur gegen die aufkommenden faschistischen Organisationen in den USA, sondern auch gegen die amerikanische Isolationspolitik innerhalb und außerhalb der Regierung sowie gegen die Haltung der PCA, keine Filme über den Nationalsozialismus zu drehen. Obwohl das Unternehmen vor der Machtübernahme Hitlers einen maßgeblichen Anteil am deutschen Filmmarkt innehatte, waren es die Warner Bros., die bereits im Juli 1934 als erstes Studio ihre Geschäftsbeziehungen mit dem Deutschen Reich beendet hatten. Die anderen Studios, unter ihnen Disney, wollten auf diese wichtige Einkommensquelle nicht verzichten. Man hielt die Nationalsozialisten für eine „vorübergehende wirtschaftliche Unannehmlichkeit und nicht für eine Bedrohung“42 und exportierte weiterhin Filme. Dass nach September 1935 der Filmprüfstelle in Berlin keine Anträge für DisneyFilme mehr vorlagen, diese zur öffentlichen Vorführung im Deutschen Reich zu-
39 Michael S. Shull und David E. Wilt, Doing Their Bit. Wartime American Animated Short Films, 1939–1945. Jefferson, North Carolina 1987, S. 21. 40 Michael E. Birdwell, Das andere Hollywood der dreißiger Jahre. Die Kampagne der Warner Bros. gegen die Nazis. Wien 2000, S. 53. 41 Auch die englische BBC verwendete ab 1938 für ihre deutschsprachige Sendung den Beginn der Symphonie, zunächst gespielt von vollem Orchester, dann auf einer Pauke als Morsezeichen. 42 Ebenda, S. 37.
1.3 Im Dienste der Propaganda
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zulassen,43 hatte weniger politische denn wirtschaftliche Gründe: Hohe Steuern und Beschränkungen bei der Devisenausfuhr machten den deutschen Markt für Walt und Roy Disney unattraktiv. Während die Chefs der anderen Studios, die wie die Brüder Warner mit wenigen Ausnahmen jüdisch und meist Einwanderer der ersten oder zweiten Generation waren, zwischen 1933 und 1940 antinationalsozialistische und andere politisch kontroverse Filme auch aus Furcht vor Pogromen in den USA vermieden, ist über Disney zu lesen, dass er wie Henry Ford ein Bewunderer des nationalsozialistischen Deutschlands gewesen sei. Bei seiner Europareise 1935 hatte Disney neben Papst Pius XI. auch Benito Mussolini in Italien getroffen. Nach seiner Rückkehr antwortete er auf die Frage, was er über die politischen Spannungen in Europa nach dem Aufstieg Adolf Hitlers denke, dass er nicht alarmiert sei: „When a dispatch from Chicago says ‚150 stricken by heat’ it sounds as if the whole Middle West were burning, but when you find that one prostration was in Columbus, one in Omaha, and so on, and millions of people are going their business as usual, it doesn’t seem so bad, though the reports are quite truthful.“44
Als einzige Chefs der Filmindustrie hießen er und Hal Roach, der 1937 auf Druck der antinationalsozialistischen Mitglieder der Filmgemeinde eine Kooperation mit Benitos ältestem Sohn, dem Filmproduzenten Vittorio Mussolini, absagen musste, Leni Riefenstahl bei ihrer Werbetour für den Dokumentarfilm Triumph des Willens im November 1938 in Hollywood willkommen, nur wenige Tage nach den Pogromen der „Reichskristallnacht“. Leni Riefenstahl zeigt sich in ihrer Biografie begeistert von Disney und dankbar, dass er sich dem Boykott der Anti-NaziLeague gegen ihre Person verweigert: „Anders verlief es mit Walt Disney. Auch er hatte mich eingeladen. Schon am frühen Vormittag empfing er uns in seinen Studios und verbrachte den ganzen Tag mit uns. Geduldig, aber auch stolz, zeigte er uns, wie seine Trickfiguren entstehen, erläuterte seine ungewöhnliche Technik und ließ uns seine Skizzen sehen, die er für seine neue Produktion Der Zauberlehrling entworfen hatte. Ich war fasziniert – für mich war Walt Disney ein Genie, selbst ein Zauberer, dessen Fantasien unbegrenzt schienen.“45
Disney habe sich noch Teile des Olympia-Films zeigen lassen wollen, dies dann aus Furcht vor den Initiatoren des Boykotts aber unterlassen.46 43 Vgl. Filmographie in Carsten Laqua, Wie Mickey unter die Nazis fiel. Walt Disney und Deutschland. Reinbek 1992, S. 220–232. 44 Zitiert nach Neal Gabler, Walt Disney, S. 223. 45 Leni Riefenstahl, Memoiren. München 1987, S. 326 f. Walt Disney empfing allerdings auch trotz seiner späteren Kommunistenfurcht 1930 den sowjetischen Regisseur Sergej Eisenstein. Platthaus zufolge ließen die gemeinsamen ästhetischen Ziele gegensätzliche politische Haltungen vergessen. Andreas Platthaus, Von Mann und Maus. Die Welt des Walt Disney. Berlin 2001, S. 66. 46 Sowohl Adolf Hitler als auch sein Propagandaminister Joseph Goebbels waren große Anhänger der Disney Filme. Im Reichfilmsarchiv lagerte eine illegale Kopie von Fantasia mit schwedischer Moderation. Im Kommentar zur Pastoral Symphony ist dort zu lesen: „Disney führt in eine nach Hollywood-Manier verniedlichte Welt von schwarzen und weißen Pegasussen mit ihren Kindern, Centauretten mit Schminkstift und Puderquasten, mit kleinen Cupidos
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1.Walt Disney im Jahr 1940
In seiner tendenziösen Monografie Walt Disney. Genie im Zwielicht schreibt Marc Eliot, dass man Disney auch des Öfteren in Begleitung seines Beraters Gunther Lessing auf Kundgebungen und Versammlungen der amerikanischen NaziPartei habe antreffen können.47 Diese auch in anderen Publikationen zitierte Information beruht auf einem Gespräch mit Arthur Babbitt, dessen abgekühlte Beziehung zu Disney durch seine Rolle beim Streik von 1941 diese Erinnerung mit Vorsicht behandeln lässt. Bei den Versammlungen seien zahlreiche namhafte Hollywood-Persönlichkeiten anwesend gewesen. Darüber hinaus habe Disney die anti-interventionistische Organisation America First unterstützt, die im September 1940 gegründet worden war, und der Republikaner, Gegner des New Deals, enttäuschte Anhänger Roosevelts und andere Isolationisten angehörten.48 Man verdächtigte insbesondere einige Mitglieder des Filmgeschäfts in Hollywood, die „Kriegstreiberei“ zu unterstützen und war der Meinung, dass Hollywood seine unterhaltenden Filme mit Propaganda durchsetzte, um die Vereinigten Staaten in den Krieg zu führen. Am 9. September 1941 wurde auf Betreiben der Interventionsgegner ein Unterausschuss des Senats eingerichtet, der die Kriegspropaganda in Spielfilmen untersuchen sollte. Mit dem Angriff auf Pearl Harbor und der Kriegserklärung Deutschlands an die USA änderte sich die Einstellung derer, die eine Bedrohung durch den Nationalismus bisher als Übertreibung von „subversiven Elementen, die nach Krieg lechzten,“49 ausgemacht hatten. Ab sofort sollten Einfluss und Beliebtheit Hollywoods genutzt werden, um den Krieg auch durch die Macht der Unterhaltungsmedien zu gewinnen. Die Zeichentrickbranche erwies sich dabei als besonders attraktiver Partner, da sie Abläufe unabhängig von Darstellern oder Situationen präzise und realistisch – insbesondere bei Lehr- und Trainingsfilmen – wiedergeben konnte. Darüber hinaus war die Botschaft in den Cartoons so verpackt, dass sie ihr Publikum – seien es die GIs oder die unter den Rationierungen leidenden Amerikaner zuhause – unterhielten und zerstreuten. Disneys Figuren erfreuten sich zu dieser Zeit bereits großer Beliebtheit und wurden gerne als Embleme für Flugzeug- oder Marineeinheiten angefordert. Zwischen 1942 und 1945 erhielt das Disney-Studio darüber hinaus von verschiedenen Regierungseinrichtungen Aufträge für Zeichentrickfilme und Cartoons, so dass eigene Vorhaben des Studios (u.a. die Verfilmung von Peter Pan) auf spätere Zeiten verschoben werden mussten. Nach den ersten Filmen für die Navy zum Theund Bacchus, Zeus, Morpheus und der Mondgöttin Artemis. (Dem deutschen Beschauer dürfte die Vermengung einer Beethoven-Symphonie mit Hollywooder Groteskkomik und Süßlichkeit unverständlich sein.)“ Bereits um den Jahreswechsel 1940/1941 lud Joseph Goebbels andere Parteigrößen nach Schwanenwerder ein, um trotz des Verbots amerikanischer Filme Fantasia anzuschauen. Vgl. Carsten Laqua, Wie Mickey unter die Nazis fiel, S. 103f. 47 Marc Eliot, Walt Disney. Genie im Zwielicht. München 1993, S. 149. Neal Gabler zufolge war das unwahrscheinlich, „not only because Walt had little enough time for his family, much less political meetings, but because he had no real political leanings at the time.“ Etwas später nennt er Disney „something of a political naïf.“ Neal Gabler, Walt Disney, S. 448f. 48 Michael E. Birdwell, Das andere Hollywood der dreißiger Jahre, S. 58 und S. 149. 49 Ebenda, S. 185.
1.4 Das Ende des Goldenen Zeitalters
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ma Flugabwehr stellte das Studio Lehrfilme für Piloten, Seeleute, Krankenschwestern und Techniker aller Art her. Der bekannteste Cartoon The New Spirit (1942) geht auf einen Auftrag des Schatzamtes (Treasury Department) zurück, das durch ein neues Steuergesetz 1942 plötzlich vor der Aufgabe stand, 15 Millionen neue Steuerzahler erreichen zu müssen, und stand unter dem Motto „Taxes to beat the axes.“50 Vom War Production Board beauftragt war der Cartoon Out of the Frying Pan into the Firing Line (1942), in der Minnie Mouse stellvertretend für alle anderen amerikanischen Hausfrauen aufgefordert wird, die Fettreste aus der Küche zu sammeln, da daraus Waffen für die Armee gefertigt werden können. Ein anderer Cartoon wirbt dafür, Kinder schutzimpfen zu lassen (Defense Against Invasion, CIAA 1943). Neben zahlreichen Auftritten von Donald Duck als Soldat (The Vanishing Private, RKO 1942; Home Defence, RKO 1943; Commando Duck, RKO 1944) arbeitet er in Der Fuehrer’s Face (RKO 1943) selbst in einer deutschen Munitionsfabrik und erwacht aus diesem Alptraum als freier, amerikanischer Bürger glücklich im eigenen Bett – in seinen Armen die amerikanische Freiheitsstatue fest umklammernd. Der Kurzfilm gewann 1942 den Oscar als bester Cartoon. Das im Cartoon eingeführte Lied „We heil, we heil, right in the Fuehrer’s Face“ wurde laut Reitberger ein großer Erfolg und auch von den Soldaten an der Front gerne gesungen.51 Ein weiterer Propaganda-Film, Education for Death (RKO 1943), schildert die Erziehung des jungen Hans in der Hitler-Jugend zum emotionslosen Nazi, der als Erwachsener Bücher verbrennt und Kirchen anzündet. Neben diesen Regierungsaufträgen – pro Jahr in dieser Zeit über hunderttausend Meter Film – finanzierte Disney selbst mit Victory Through Air Power (1943) die Verfilmung eines Sachbuches von Alexander de Seversky, das den Einsatz von Langstreckenbombern befürwortet. Darüber hinaus nahm er an einer Werbetour der Amerikanischen Regierung in die Staaten Südamerikas teil und drehte mithilfe einer Bürgschaft des State Departments den Film Saludos Amigos (1942), der in diesen Ländern für die Belange der USA werben sollte und später in Three Caballeros (1945) einging – Disneys letzter Film während der Kriegszeit. 1.4 DAS ENDE DES GOLDENEN ZEITALTERS Das Jahr 1941 veränderte die Lage im Disney Studio einschneidend, fielen doch in diesem Jahr der Angriff auf Pearl Harbor, der Streik der Mitarbeiter und der kommerzielle Misserfolg von Fantasia zusammen. Finanziell hatte sich der Welt50 Über das Radio erfährt Donald Duck, dass es ein patriotischer Akt sei, die Steuern möglichst umgehend zu bezahlen und die Kriegsführung damit zu unterstützen. Donald bringt daraufhin seine Steuern persönlich nach Washington und hilft damit der amerikanischen Armee, deutsche sowie japanische Flotten, Panzer und Flugzeuge zu zerstören. Während ein Chor „God Bless America“ singt, gemahnen die Worte Roosevelts heroisch an die großen Freiheiten, die es zu verteidigen gilt. 1943 kam eine ergänzte Fassung des Cartoons als The Spirit of ’43 in die Kinos. 51 Reinhold Reitberger, Walt Disney, S. 103.
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1.Walt Disney im Jahr 1940
krieg in Europa schon ab 1939 negativ auf das Disney Studio ausgewirkt, da die wichtigen Einkünfte aus dem europäischen Markt wegfielen. Amerikas Eintritt in den Krieg im Dezember 1941 verminderte nicht nur Disneys Stab an sorgsam ausgebildeten Mitarbeitern, sondern erschwerte auch die Versorgung mit notwendigem Material, insbesondere für die Farbfilme. Hinzu kam, dass wenige Tage nach dem Angriff auf Pearl Harbor 700 Mann einer Flugabwehreinheit für mehrere Monate ihr Lager auf dem Gelände des Disney Studios aufschlugen, um eine nahe gelegene Firma abzusichern. Noch während dieser Einquartierung fing Disney an, Schulungsfilme für die Marineflieger zu drehen, denen Aufträge anderer Regierungsstellen folgten. Zwar war das Disney Studio hierdurch einerseits ausgelastet und musste – wofür es offenbar Pläne gab52 – für die Kriegszeit nicht schließen, andererseits konnte die Priorität des Studios nun nicht mehr auf den eigenen Projekten liegen. An die Stelle weiterer phantastischer Trickfilme traten, wie oben erwähnt, die Cartoons für das Militär und andere Propagandazwecke. Die hohen Produktionskosten von Fantasia und Pinocchio stellten das Studio darüber hinaus vor finanzielle Schwierigkeiten und zogen beim Vertrieb von Fantasia qualitative Abstriche nach sich. Hatte das Disney Studio die Kriegszeit durch die Regierungsaufträge und die kommerziellen Erfolge von Dumbo (1941) und Bambi (1942) aus finanzieller Sicht relativ unbeschadet überstanden, verschlechterte der sich ab März 1941 über neun Wochen hinziehende Streik die Stimmung im Studio grundlegend. Relativ spät hatten sich die Zeichner der Trickfilm-Studios zur Screen Cartoonists Guild zusammengeschlossen. Während in anderen Studios die Mitarbeiter sich bereits Mitte der 1930er Jahren politisch und gewerkschaftlich organisierten, hatte die künstlerische Aufbruchsstimmung im Disney Studio damals die hohen Arbeitsanforderungen aufgewogen: „The Disney employees found their community in the artistic enclave of Hyperion.“53 Dies hatte sich nun gewandelt.54 Disney widersetzte sich lange Zeit dem Einfluss einer von außen kommenden Gewerkschaft und förderte die Bildung einer innerbetrieblichen Vereinigung, was den Protest der Gewerkschaftler verstärkte. Als Walt Disney seinen Chefzeichner Art Babbitt – verantwortlich unter anderem für die Animation der Nutcracker Suite und The Pastoral Symphony in Fantasia – wegen seiner Mitgliedschaft in der Gewerkschaft rechtswidrig entließ, solidarisierten sich auch nicht gewerkschaftlich organisierte Zeichner und streikten. Der Streik war für Walt Disney ein schwerer Schlag, in dessen Folge er durch seine kompromisslose Haltung einige seiner wichtigsten Mitarbeiter – neben Art Babbitt auch Bill Tytla, der für die Passagen Night on Bald Mountain und Ave Maria verantwortlich war, aber auch sein persönliches Interesse an der Fortentwicklung des Zeichentrickfilms verlor. Hatte ihn der Misserfolg von Fantasia bereits entmutigt, fühlte sich Walt Disney durch die Organisation seiner Mitarbeiter in Gewerk52 Marc Eliot, Walt Disney, S. 195 und Reinhold Reitberger, Walt Disney, S. 102. 53 Neal Gabler, Walt Disney, S. 157. 54 Für Snow White arbeiteten die Mitarbeiter beispielsweise gegen Ende 24 Stunden am Tag in Schichten zu je acht Stunden, meist sieben Tage die Woche. Die Überstunden wurden nicht bezahlt. Neal Gabler, Walt Disney, S. 264.
1.4 Das Ende des Goldenen Zeitalters
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schaften persönlich verletzt,55 da die von ihm als Hingabe an das Studio und den Zeichentrickfilm geforderte Mehrarbeit nun als Ausbeutung gewertet wurde. Auch die Mitarbeiter trauerten früheren Zeiten nach, den „good old days when we had a big happy family all packed into a small building… In those days every man in the organization had the good old ‚do or die for Disney‘ spirit.“56 Die fabrikähnliche Organisation des Großbetriebs hatte den Aufbruchsgeist der früheren Jahre und die besondere Atmosphäre, die sich im gemeinsamen Experimentieren und ständigem Lernen gezeigt hatte, eingebüßt.57 Die Kurzfilmabteilung wurde zu einer Art Stiefkind des Studios, die weiterhin kein Geld einbrachte, für die Produktion der langen Trickfilme fehlten jedoch die Mittel und die geeigneten Mitarbeiter. Die neuen Projekte – Make Mine Music (1946), Song of The South (1946), Fun and Fancy Free (1947), Melody Time (1948) und So Dear to My Heart (1949) – haben zwar teilweise hervorragende Trickfilmsequenzen (insbesondere The Wale Who Wants to Sing in the Met), doch fehlen ihnen die Geschlossenheit und der Einfallsreichtum früherer Filme. Erst in den 1950er Jahren knüpft das Studio mit Filmen wie Cinderella (1950), Alice in Wonderland (1951), Peter Pan (1953), Lady and the Tramp (1955) und Sleeping Beauty (1959) an die frühere Meisterschaft an, doch seine künstlerische Führungsrolle im Kurzfilm hatte das Disney-Studio inzwischen abgegeben: „During the war years, the aesthetic leadership in animation began to shift. Disney remained the master of lifelike animation and the only successful producer of feature length films. But the artists and directors at Warners and MGM took the lead in the field of short films, creating the wild, boldly funny cartoons that still delight the audiences.“58
55 Die Angriffe der Demonstranten zielten dann auch überwiegend direkt auf Disney ab, der als alleiniger Firmenchef verantwortlich und u.a. durch Gunther Lessing nicht immer gut beraten war: „Walt Disney, you should be ashamed of yourself,“ rief beispielsweise Art Babbitt. Vgl. Neal Gabler, Walt Disney, S. 365. 56 Zitiert nach Neal Gabler, Walt Disney, S. 366. Bereits 1927 hatte Disneys Rollenwechsel vom Kollegen zum Chef einmal die Stimmung im Studio eingetrübt, allerdings erlaubte eine übersichtliche Zahl an Mitarbeitern – ca. ein Dutzend – damals noch, dass der direkte Kontakt erhalten blieb. Vgl. Michael Barrier, The Animated Man, S. 53. 57 Zu seiner politischen Wandlung auf dem Weg vom Sohn eines Sozialisten zum Studiotycoon sagte Disney: „A lot of my dad’s socialistic ideas began to go out of the window. … Gradually I became a Republican.“ Zitiert nach Michael Barrier, The Animated Man, S. 170. 58 Charles Solomon, Enchanted Drawings, S. 125.
2. DIE MUSIK IN DEN CARTOONS UND FILMEN DES DISNEY STUDIOS Die Entstehung von Fantasia wäre ohne die vorherigen Arbeiten des Disney Studios nicht denkbar gewesen. Von Bedeutung war nicht nur das künstlerische und technische Rüstzeug, das Disney und seine Mitarbeiter in den Stummfilmen und seit 1928 in vielen Sound-Cartoons und abendfüllenden Filmen erwerben konnten. Vielmehr stellt Fantasia den Höhepunkt einer künstlerischen Entwicklung im Tonfilm dar, die dazu führte, dass Zeitgenossen im Cartoon die neue musikalische Kunstform des 20. Jahrhunderts sahen, darunter Sergej Eisenstein und Charlie Chaplin. Der Komponist Jerome Kern, bekannt für seine zahlreichen in Zusammenarbeit mit dem Librettisten Oscar Hammerstein geschaffenen Musicals, schrieb am 25. Mai 1936 im New Yorker Journal: „Cartoonist Walt Disney has made the twentieth century’s only important contribution to music. Disney has made use of music as language. In the synchronization of humorous episodes with humorous music, he has unquestionably given us the outstanding contribution of our time… the only real contribution.“1
Um Fantasia nicht nur in den Bestand der Musik-, Kunst- und Filmgeschichte, sondern auch des Cartoons und der Cartoonmusik einzuordnen, soll im Folgenden auf technische und kompositorische Entwicklungen im Disney Zeichentrickfilm eingegangen werden, die für Fantasia von Bedeutung sind. Anhand unterschiedlicher Formate – Mickey Mouse Cartoons, Silly Symphonies und Filmmusicals – soll außerdem gezeigt werden, wie Bild- und Tonspur hier zu einem übergeordneten Ganzen zusammengefügt wurden. Der Einsatz der Musik unterscheidet sich dabei nicht nur zwischen den Kurz- und den abendfüllenden Filmen, sondern auch zwischen den Mickey Mouse Cartoons und den Silly Symphonies. Letztere sind dabei das Experimentierfeld, auf dem – neben technischen Neuerungen – auch verschiedene musikalische Stile und neuartige Herangehensweisen ausprobiert werden konnten, die dann wiederum in die Filmmusicals einflossen. 2.1 TECHNIKEN DER SYNCHRONISIERUNG Die neuen Möglichkeiten des jungen Mediums Tonfilm trugen maßgeblich zum Durchbruch des Cartoons bei. Während der Ton im Spielfilm zunächst als Verlust der im Stummfilm errungenen Ausdrucksmöglichkeiten erlebt wurde, konnte der Zeichentrickfilm sein Aussehen behalten und seine Ausdrucksfähigkeit durch die
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Zitiert nach Marcia Blitz, Donald Duck. London 1980, S. 73.
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2. Die Musik in den Cartoons und Filmen des Disney Studios
neue Technik erweitern.2 Doch das neue Medium stellte die Studios vor die Herausforderung, Handlung und Musik zu synchronisieren und bereits frühzeitig bei der Planung des Cartoons zusammenzubringen. „It was easy enough to improvise a score to a completed film, but to figure out ahead of time where the beats would occur on the drawings was beyond everyone.“3 Als weitere Schwierigkeit kam hinzu, dass es sich beim Animationsfilm inzwischen um das Produkt einer komplexen Arbeitsteilung handelte: Während die frühen Cartoons noch aus der Feder eines Autors stammten, der die 10.000 Einzelbilder für ca. fünf Minuten Film selbst zeichnete (z.B. Winsor McCays Gertie the Dinosaur von 1914), waren bereits Mitte der 1930er Jahre bis zu 100 Personen an der Herstellung eines Cartoons beteiligt. Angefangen von den ersten Ideen für die Story und das Erscheinungsbild des Filmes über die Entwicklung der Charaktere bis hin zur Ausarbeitung des gesamten Filmes wurde in Teams gearbeitet.4 Die Arbeitsteilung war dabei nicht fest, sondern konnte von Projekt zu Projekt, von Szene zu Szene oder auch von Tag zu Tag wechseln. Zwar gab es in den Disney Studios die unterschiedlichsten Titel, Jobklassifikationen und Departments, doch letztendlich setzte sich derjenige durch, der Walt Disneys Ansicht nach die beste Idee hatte. An der Entwicklung einer Cartoonfigur waren ganz unterschiedliche Abteilungen – Character Designers, Storymen, Layout Artists, Synchronsprecher, das Character Model Department etc. – beteiligt, zudem konnte die Verantwortung für die Animation einer Figur bei mehreren Animatoren liegen. Häufig wechselten die zuständigen Animatoren beispielsweise, nachdem man eine geeignete Stimme für den Cartooncharakter gefunden hatte, damit Aussehen und Bewegung der Figur von einem neuen Animator möglichst unvoreingenommen an die gefundene Stimme angeglichen werden konnten.5 Der Regisseur hatte die Aufgabe, aus den verschiedenen Einfällen und Szenen ein Ganzes zu machen.6 2
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„Vor allem aber […] rettete der Zeichentrickfilm ein Stück der alten Filmästhetik in die neue Ära des sprechenden Kinos. Denn nun war die Zeit der entfesselten Kamera, wie sie der deutsche Film der zwanziger Jahre entwickelt hatte, oder der Massenszenen à la Griffith erst einmal vorbei, denn die Tonaufnahmen erforderten völlig neue Produktionsbedingungen, und dazu gehörte vor allem: Stille auf dem Set und unmittelbare Nähe des Schauspielers zum Mikrofon. Daraus resultiert eine Sterilität der ersten Tonfilme, die einen lähmenden Eindruck vermittelt. Dem Zeichentrickfilm waren aber solche Einschränkungen gleichgültig. Er wurde nachsynchronisiert und konnte sich somit alle Kapriolen leisten, die der Slapstick in der Vergangenheit entwickelt hatte – plus den Vorzug des Tons, der bestimmte Akzente setzen konnte, um die ohnehin drastisch übertriebenen Szenen der frühen Zeichentrickfilme noch einmal zu übersteigern.“ Andreas Platthaus, Von Mann und Maus. Die Welt des Walt Disney. Berlin 2001, S. 45. Frank Thomas und Ollie Johnston, The Illusion of Life. Disney Animation. New York 1981, S. 287. „Walt, Story, Sound, Director, Layout, Animation, Background, Inking and Painting, Camera“ hießen die einzelnen Arbeitsschritte, wie sie tatsächlich auf einem Ablaufdiagramm festgehalten wurden. Vgl. John Culhane, Walt Disney’s Fantasia. New York 1983, S. 24. Die Figur von Donald Duck wurde um die Stimme des Stimmakrobaten Clarence Nash gezeichnet, den Disney engagiert hatte, ohne zu wissen, wofür er ihn würde einsetzen können. Vgl. Andreas Platthaus, Von Mann und Maus, S. 52. Die Stimmen wurden häufig aufgenommen, bevor die Animation begann: „By 1934, the Disney cartoons were relying increasingly
2.1 Techniken der Synchronisierung
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Damit die Kontinuität und der synchrone Ton eines Cartoons trotz der häufig parallel ablaufenden Arbeitsprozesse erhalten werden konnten, wurden verschiedene Techniken – u.a. Storyboard, Bar Sheet und Tick System – eingeführt, die es den an einem Cartoon beteiligten Mitarbeitern erleichterten, den Cartoon als Ganzes nicht aus den Augen zu verlieren. Im Unterschied zum Realfilm orientierte sich die Produktion eines Cartoons selten an einem Drehbuch. Zwar gab es anfangs ein Skript für die Cartoons und Filme, doch die eigentlichen Ideen wurden in Diskussionen entwickelt und verändert, ohne dass davon je ein Wort im Drehbuch niedergeschrieben wurde. An die Stelle des Drehbuchs trat das Storyboard, eine Tafel, an der Einzelbilder befestigt waren, die die Inhalte, Handlungsverläufe, Charaktere etc. visuell wiedergaben. Dank der Storyboards konnte nun leicht der Ablauf des Cartoons in visueller Form verändert sowie die Handlungen eines Charakters durch den ganzen Prozess der Story – und nicht nur im einzelnen Bild – entwickelt werden: „You get the feeling that every last frame of that thing has been worked over until it’s perfect.“7 In den legendären und in Notizen mitstenographierten Story Meetings wurden die Ideen vorangetrieben. Der Storyman erzählte den Teilnehmern dieser Treffen (darunter Walt Disney, der Komponist, die leitenden Animatoren und viele andere) die Geschichte anhand von Zeichnungen, die sein Partner, der Story Sketch Man, angefertigt hatte. Die Ideen wurden eifrig diskutiert, ergänzt, weiterentwickelt, konkretisiert etc. Häufig wurden auch Ausschnitte aus der Partitur oder verbale Beschreibungen der begleitenden Musik an das Storyboard geheftet. Eine weitere Erfindung, das Bar Sheet, wurde gleich für den ersten SoundCartoon Steamboat Willie im Jahr 1928 eingeführt. Auf der Suche nach einem Weg, Musik und Bilder bereits in der Planung zusammenzubringen, hatte der Animator Wilfred Jackson, der etwas Mundorgel spielte und deswegen beauftragt wurde, sich um die Musik zu kümmern, den rettenden Einfall, das Metronom zu benutzen.8 Wenn der Film mit einer konstanten Geschwindigkeit von 24 Bildern pro Sekunde lief, dann müsse nur herausgefunden werden, „wie viel Musik in einer Sekunde“ erklingen würde. Jackson beschrieb die Herstellung dieser kruden Notationsform, des so genannten Bar Sheet oder Dope Sheet, wie folgt: „It had a little square for each measure, and it had an indication of the tempo; it was in twelve frames, or sixteen frames, or whatever, to the beat. Within that square, the key action and scene number was indicated, so that the bar sheet showed that each scene began so many frames before a certain measure. That way, we were able to synchronize the scenes, which
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on dialogue recorded before the animation began – an aid to more realistic acting, because now the animator could be stimulated by what he heard in the character’s voice.“ Michael Barrier, The Animated Man. A Life of Walt Disney. Berkeley 2007, S. 117. Tatsächlich fühlte sich der Regisseur jedoch oft als Handlanger Disneys, der ausschließlich dessen Ideen umzusetzen hatte. Ausspruch eines Animators, zitiert nach Neal Gabler, Walt Disney. The Triumph of the American Imagination. New York 2006, S. 171. Das Metronom lieh er sich von seiner Mutter, die Musiklehrerin war. Vgl. Bob Thomas, Building A Company. Roy O. Disney and the creation of an entertainment empire. New York 1998, S. 60.
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2. Die Musik in den Cartoons und Filmen des Disney Studios were shot separately, of course. Each individual scene would be shot from the exposure sheet,9 but from the bar sheet, you could tell where to lay the scene in against the music track, once you found out where the first beat of the music was. My contributions to sound cartoon were that I knew what a metronome was, and I worked out what was first called a dope sheet and later a bar sheet.“10
Der Regisseur wusste dank des Bar Sheets, welche Musik welche Handlung begleiten würde, die Musiker wussten, welche Bewegungen wann zu ihrer Musik geschehen würden, und der Animator konnte sich darauf verlassen, dass an einer bestimmten Stelle z.B. das Ausrutschen seiner Figur von einem Glissando begleitet werden würde. Jede Veränderung bei der Handlung zog Veränderungen im Bar Sheet nach sich: „But no animation was done other than originally timed except with a suitable revision of the sound plan, so we knew that the picture and soundtrack, when finally done separately, would fit each other properly.“11
Obwohl diese Notationsform für Musiker unausgereift und verhältnismäßig simpel erscheint, blieb für Animatoren außerhalb des Disney Studios noch eine längere Zeit die Frage offen, wie dort Musik und Bilder mit einer solchen Exaktheit im Voraus synchronisiert werden konnten.12 Carl Stalling führte während seiner Zeit bei Disney das so genannte Tick System ein, um bei der Einspielung der Musik sicherzustellen, dass diese später synchron zu den Bildern war: „Perfect synchronization of music for cartoons was a problem, since there were so many quick changes and action that the music had to match. The thought struck me that if each member of the orchestra had a steady beat in his ear, from a telephone receiver, this would solve the problem. I had exposure sheets for the films, with the picture broken down frame by frame, sort of like a script, and twelve of the film frames went through the projector in a half second. That gave us a beat… We made recordings of ‚tick‘ sounds at different beats – a tick every eight frames, or ten frames, or twelve frames – and played this on a phonograph connected to the recording machine and to earphones. Each member of the orchestra had a single earphone, and listened to the clicks through that. It wasn’t necessary for the conductor to give a beat, but I did, because one or two of the musicians didn’t like to use the earphones.“13
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Das Exposure Sheet hält fest, wie die Einzelbilder letzten Endes abfotografiert und aufgenommen werden. In verschiedenen Spalten sind die Nummern der betreffenden Zelluloids, die Dialoge, die Spezialeffekte und Kamerabewegungen aufgeführt. Jede Zeile des Exposure Sheets steht für ein Einzelbild des Films. Das Exposure Sheet ist quasi die Bauanleitung für den Film, die am Ende festlegt, wie die verschiedenen Einzelteile zusammengefügt werden. Zitiert nach Jon Newsom, „A Sound Idea“. Music for Animated Films. In: The Quarterly Journal of the Library of Congress. Vol. 37, Nr. 3–4 (Sommer–Herbst 1984), S. 286. Für eine genauere Beschreibung, wie ein Bar Sheet hergestellt wurde, siehe Frank Thomas und Ollie Johnston, The Illusion of Life, S. 289. Ross Care, Cinesymphony: Music and Animation at the Disney Studio, 1928–42. In: Sight and Sound. Vol. 46, Nr. 1 (Winter 1976/77), S. 41. Frank Thomas und Ollie Johnston, The Illusion of Life, S. 287. Mike Barrier, An Interview with Carl Stalling. In: Daniel Goldmark und Yuval Taylor (Hg.), The Cartoon Music Book. Chicago 2002, S. 42f.
2.1 Techniken der Synchronisierung
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Heute ist das akustische Hilfsmittel als Click track bekannt.14 Stalling wendete das Tick System seiner Erinnerung zufolge das erste Mal für The Skeleton Dance (1929) an. Bei den vorhergegangenen Cartoons Plane Crazy, Gallopin’ Gaucho und The Barn Dance (1928) hatte er noch mit dem visuellen Metronom gearbeitet, bei dem kleine Halbmonde auf den Filmkopien ihm und dem Orchester den Schlag anzeigten. Bevor die verschiedenen Animatoren mit ihren Szenen begannen, setzten sich Regisseur und Komponist zusammen, um Szene für Szene das zeitliche und dramaturgische Gerüst für den kompletten Cartoon zu entwickeln. „First the musician would suggest tunes for the various sections of the picture to get the mood or general type of action for each part. He would patiently play the same phrase over and over again while the animation director visualized and timed the action in his mind. Working back and forth, the musician would sometimes change elements in the score to enhance certain actions, or the director would modify some piece of business so that it worked better musically. When both were satisfied, the director would mark the action down on the ‚dope sheet‘ [Bar Sheet] while his partner sketched out that part of the music score. Then they would move on to the next little piece of action…“15
In den Disney Studios wurde die Musik sowohl „pre-scored“, d.h. aufgenommen, bevor die Animation abgeschlossen war, als auch erst im Anschluss an die Animation eingespielt. Carl Stalling erinnerte sich, dass die zeitlichen Vorgaben des Exposure Sheets sowohl für ihn als auch den Animator galten: „The animators and I all worked from that same exposure sheet, and I just recorded from our beat, without seeing the picture. By the time they had the picture ready, I had the recorded music ready.“16
Gelegentlich gab es aber auch den Fall, dass der Regisseur des Cartoons einen Teil der Handlung nach der Partitur zeitlich abpasste und diese in das Exposure Sheet eintrug. Im Anschluss an diese Sitzungen spielte der Komponist die Musik in einer vorläufigen Version ein, entweder auf dem Klavier, der Orgel oder mit einem kleinen Orchester. Diese vorläufige Version diente nun als Orientierung für die folgenden Arbeitsschritte. Der Animator bekam für die Szene, die er ausarbeitete, eine Aufnahme des Soundtracks, das Exposure Sheet, eine Kopie des Storyboards sowie das Layout der Charaktere, außerdem eine Beschreibung der ganzen Szene. Häufig spielten der Regisseur und der Animator zudem die Szenen nach, um die beste Lösung für das Timing zu finden. Wilfred Jackson erinnert sich an den Tag, als unglaublicher Lärm aus dem Zimmer über ihm kam. Als er das Zimmer betrat, konnte er kaum seinen Augen glauben:
14 Auch Max Steiner und Scott Bradley werden gelegentlich als Erfinder dieses Click tracks angeführt. 15 Frank Thomas und Ollie Johnston, The Illusion of Life, S. 287. 16 Diese Erinnerung widerspricht der von Wilfred Jackson, demzufolge die Musik erst im Anschluss aufgenommen wurde, um absolut sicher zu gehen, dass es keine Änderungen mehr gegeben hatte. Mike Barrier, An Interview with Carl Stalling, S. 43 und Fußnote 7.
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2. Die Musik in den Cartoons und Filmen des Disney Studios „Here was Frank Churchill over at the piano with his cigarette hanging down, with his eyes closed and his foot stomping away, while on the other side of the room, [Regisseur] Bert Gillett had [Animator] Fred Moore up against the wall and was swinging widely his fists. Fred was trying desperately to duck and break away, but was doing little to defend himself. Jackson stared in horror, wondering if he should call for help or to stop the fracas by himself. Suddenly it all stopped, and the three men walked back to the big table and looked at the exposure sheet, marking down actions and timing. They were working on a scene from Ye Olden Days where a big horse has a fight with a donkey.“17
Das Metronom wurde Freund und Feind des Animators: Half es ihm einerseits, die Handlungen und Gags zu platzieren, gängelte es ihn andererseits, nicht vom festgelegten Gerüst abzuweichen. Trotz der aufwendigen Planung vorab forderten die Animatoren die Komponisten immer wieder auf, Änderungen vorzunehmen, da zum Beispiel die verabredete Zeit nicht ausreichte, um die geplante Aktion darzustellen. Die naive Bitte, an einer bestimmten Stelle wenigstens einen einzigen Schlag mehr einzufügen, versetzte die Komponisten häufiger in Rage, konnte dieser doch die musikalische Struktur völlig aus dem Gleichgewicht bringen.18 Für gewöhnlich wurde das Tempo so gewählt, dass auf einen Schlag zwölf Einzelbilder kamen: „This happens to be the tempo of all marches, and offers a good alternative when no metronome is handy. Whistle any well-known march until the rhythm is well established in your mind, tap your foot and have a friend count the taps as you act out the scene. You will be no more than a frame off.“19
Die Soundeffekte mit Lotusflöte, Ratsche, Kindergewehr, Xylophon, Hupen und Schellen waren alle Teil der Partitur, wurden aber erst aufgenommen, sobald der Film abgeschlossen war. Vier bis fünf Schlagzeuger wurden nun gemeinsam mit dem Orchester gebucht, um in der Anfangszeit alles auf einmal aufzunehmen, was zum Soundtrack gehörte. Mit der Zeit wurde es möglich, verschiedene Teile des Soundtracks separat aufzunehmen und später abzumischen. Dass diese flexible Arbeitsteilung und ständig wechselnden Verantwortungen funktionierten, lag an der Persönlichkeit Walt Disney. Einen Einblick in seine Rolle gibt folgende vielfach von Disney erzählte und häufig zitierte Anekdote: „Well, you know I was stumped one day when a little boy asked, ‚Do you draw Mickey Mouse?‘ I had to admit I do not draw anymore. ‚Then you think up all the jokes and ideas?‘ ‚No,‘ I said, ‚I don’t do that.‘ Finally, he looked at me and said, ‚Mr. Disney, just what do you do?‘ ‚Well,’ I said, ‚sometimes I think of myself as a little bee. I go from one area of the Studio to another and gather pollen and sort of stimulate everybody. I guess that’s the job I do.‘“20
17 Frank Thomas und Ollie Johnston, The Illusion of Life, S. 83. 18 Über Frank Churchill wird erzählt, dass er alle Story Meetings verschlief, da er sowieso wusste, dass die letztendlich verlangte Musik nichts mehr mit einer ursprünglich geschriebenen Musik gemein haben würde. Ihm war es lieber, erst zum fertigen Filmmaterial eine flüssige Musik zu schreiben. 19 Frank Thomas und Ollie Johnston, The Illusion of Life, S. 290. 20 Als weiteres Bild, seine Rolle zu beschreiben, zog Disney für sich selbst häufig die Figur des Dirigenten heran. Vgl. Michael Barrier, The Animated Man, S. 175.
2.1 Techniken der Synchronisierung
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Bereits Mitte der 1930er Jahre hatte sich Disney aus allen handwerklichen Tätigkeiten zurückgezogen – die letzte Regie führte er 1935 mit The Golden Touch – und sich komplett auf die Koordination seiner kreativen Gruppe konzentriert. Tatsächlich musste er sich selbst und anderen immer wieder erklären, worin seine Arbeit eigentlich bestand: „People don’t … attach any importance to the coordinating of all the talents that go into these things. The vital part I played is coordinating these talents. And encouraging these talents… I have an organization over there of people who are really specialists. You can’t match them anywhere in the world for what they can do. But they all need to be pulled together.“21
Seine Autorität beruhte den Berichten nach nicht nur darauf, dass er der Besitzer des Studios und damit der Arbeitgeber der Mitarbeiter war, sondern vor allem darauf, dass sich das Team auf seine Ideen, sein Wissen und sein Urteil verlassen konnte. Disneys künstlerisches Metier war die „Koordination der vielfältigen Begabungen einer Gruppe“,22 die er zu Leistungen trieb, die sie selbst nicht für möglich gehalten hätte und die Disney selbst weder als Künstler noch als Einzelperson hätte vollbringen können. Nur durch die kollektive Kreativität des gesamten Studios – von der Budget-Kreativität von Disneys Bruder Roy ganz zu schweigen – konnten Sound-Cartoons entstehen, die bis heute zu den eindruckvollsten ihrer Art zählen.23 Walt Disney besaß den überlieferten Anekdoten zufolge ein unglaubliches Gespür dafür, welche Musik bei einem Film funktionierte, aber er hatte selbst keine spezielle musikalische Ausbildung – eine Tatsache, die er keinesfalls verheimlichte. So setzte er z.B. bei der Produktion von Fantasia seine fehlende musikalische Vorbildung gleich mit dem Wissensstand des durchschnittlichen Zuhörers. In der Diskussion mit den Musik-Spezialisten Stokowski und Taylor führt er seine „unverbildete“ Meinung als Argument dafür an, was man dem Publikum zumuten kann: „There are things in that music that the general public will not understand until they see things on the screen representing the music. Then they will feel the depth of the music. Our object is to reach the very people who have walked out on this Toccata and Fugue because they didn’t understand it. I am one of those people; but when I understand it, I like it!“24
In der ansonsten von gegenseitigem Respekt geprägten Beziehung zwischen Stokowski und Disney kam es gelegentlich doch zu kleineren Verstimmungen: Beim gemeinsamen Anhören von Schallplatten drehte Disney bei lauten Passagen immer wieder die Lautstärke leiser und bei leisen lauter, bis Stokowski explodierte: „What is loud should be loud and what is soft should be soft!“25 Angesichts der Kürzungen und Streichungen bei den Kompositionen hatte Disney jedoch größere
21 Zitiert nach Michael Barrier, The Animated Man, S. 86. 22 Andreas Platthaus, Von Mann und Maus, S. 8. 23 Walt Disney achtete sehr genau darauf, dass sein Ruf als kreativer Kopf des Unternehmens gewahrt wurde. Siehe 3.2 Leopold Stokowski und Deems Taylor. 24 Zitiert nach Frank Thomas und Ollie Johnston, The Illusion of Life, S. 295. 25 Neal Gabler, Walt Disney, S. 308.
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2. Die Musik in den Cartoons und Filmen des Disney Studios
Skrupel als Stokowski, der diesen beruhigte: „It is like pruning a tree. It sometimes grows stronger from pruning.“26 Disney litt lange unter der geringen Anerkennung, die dem Cartoon in der Anfangszeit als reinem Unterhaltungsmedium entgegengebracht wurde.27 Dass die Academy of Motion Picture Arts and Sciences 1932 den als Oscar bekannten Academy Award für Kurzfilme und Cartoons einführte und Walt Disney für die Silly Symphony Flowers and Trees verlieh, war ein erster Erfolg. Noch wichtiger war die Nominierung 1937 von Snow White and the Seven Dwarfs für die beste Filmmusik28 und die Auszeichnung 1938 mit einem Ehren-Oscar, die den Film als „a significant screen innovation which has charmed millions and pioneered a great new entertainment field for the motion picture cartoon“ ehrte.29 Neben der unablässigen Suche nach technischen Neuerungen und Verfeinerungen war es insbesondere der Umgang mit der Musik, mit dem Disney gegen den schlechten Ruf der Animationskunst anging. Einerseits suchte er eine quasi organische Verbindung zwischen Musik und Bild herzustellen, andererseits wünschte er sich eine anspruchsvolle Musik, die beim Publikum und der Kritik gleichermaßen ankam: „He wanted class, but nothing too classy, and seriousness, but not the type of music to be taken too seriously.“30 2.2 DIE MICKEY MOUSE SOUND CARTOONS Die Gefäße für solcherlei Ambitionen bildeten die Mickey Mouse Cartoons, Silly Symphonies und Filmmusicals, in denen auf sehr unterschiedliche Weise MusikBild-Verbindungen erprobt wurden. Im Unterschied zu anderen Studios konnten die Komponisten bei Disney nicht auf ein Archiv mit populären Songs zurückgreifen, deren Rechte beim Studio lagen, sondern mussten sie eigens komponieren – am besten gleich so, dass diese selber zu Hits wurden.31 Die Musik zu den frü26 Ebenda, S. 309. 27 „I met a guy on the train when I was comin’ out. It was one of those things that kind of makes you mad. I was out on the platform – I was in pants and coat that didn’t match but I was riding first class. I was making conversation with a guy who asked me, ‚Goin’ to California?‘ ‚Yeah, I'm goin’ out there.‘ ‚What business are you in?‘ I said ‚The motion-picture business.‘ ‚What do you do?‘ I said ‚I make animated cartoons.‘ ‚Oh’ ‚It was like saying I sweep latrines.‘ Some people make you mad, and you want to prove something to them even though they mean nothing to you. I thought of that guy... when we had the premiere of Snow White.“ In: http://en.wikiquote.org/wiki/Walt_Disney, 2. November 2007. 28 Der Oscar ging in jenem Jahr an One Hundred Men and a Girl (1937), in dem Leopold Stokowski auftrat. 29 http://awardsdatabase.oscars.org/ampas_awards/DisplayMain.jsp?curTime=1261336480402, 21. Dezember 2009. 30 Ross Care, Make Walt’s Music. Music for Disney Animation, 1928–1967. In: Daniel Goldmark und Yuval Taylor (Hg.), The Cartoon Music Book. Chicago 2002, S. 23. 31 Walt Disney stellte die Komponisten wiederholt vor die Aufgabe, etwas zu komponieren, was wie ein bestimmter Song klang, aber eben nicht dieser Song war. Stalling erinnerte sich, dass Disney ihn einmal aufforderte: „Carl, can’t you write something that sounds like ‚School
2.2 Die Mickey Mouse Sound Cartoons
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hen Mickey Mouse Cartoons – von Plane Crazy (1928) bis The Haunted House (1929) – stammt aus der Feder von Carl Stalling.32 Mit ihren am Slapstick orientierten Gags sind diese stark handlungsorientiert und körperbezogen, außerdem spielen das Tanzen und Musizieren eine wichtige Rolle:33 „Hearing notes, Mickey cannot help but sing, dance, and make music himself, turning everything he spots into an instrument and converting reality into happiness. Even his relationship to Minnie Mouse is musically inspired; they literally make beautiful music together and bring joy and harmony, even fluidity, out of what is often threat and chaos.“34
Erst im neunten Mickey Mouse Cartoon, The Karnival Kid (1929), spricht Mickey seine ersten Worte.35 Aus der relativ kurzen Zusammenarbeit von Stalling mit Disney von 1928 bis 1930 gingen um die 15 Cartoons hervor. In diesen frühen Cartoons verwebt Stalling diverse Schnipsel bekannter Folksongs wie den Yankee Doodle, Oh Susannah (I come from Alabama) und andere amerikanische Lieder zu einer Klangspur, in der sie sich „in almost Ivesian [Charles Ives] fashion“ vermischen.36 Hier spürt man Stallings Hintergrund als Stummfilmbegleiter, der aus verschiedenen Genres – u.a. Folk, Klassik, Tin Pan Alley und Bigband-Klassikern – eine musikalische Collage erstellt und zwischen den einzelnen Splittern rege hin- und herwechselt. Bereits im fünften Cartoon der Mickey Mouse Reihe, The Opry House (1929), bricht Mickey in den vermeintlichen Bereich der Hochkultur – hier ein ländliches Theaterhaus37 – ein, und es erklingen neben dem unvermeidlichen Yankee Doodle Ausschnitte aus George Bizets Carmen und das Prélude in cis-Moll op. 3 Nr. 2 von Sergej Rachmaninow.38 Neben weiteren Mickey Mouse Cartoons schrieb
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days‘ but isn’t?“ Mike Barrier, An Interview with Carl Stalling, S. 40. Heute genießen viele Songs aus den Cartoons und Filmen der Walt Disney Studios in den USA und international eine große Bekanntheit. Ihre Verbreitung in Filmen, Fernseh-Shows und Themenparks ließen sie Teil des amerikanischen Kulturerbes werden, das von den Eltern an ihre Kinder weitergegeben und auf CDs, DVDs und Notenmaterial weltweit vertrieben wird – die Kompositionen sind selbst zu „Klassikern“ geworden. Miles Davis’ Album Someday My Prince Will Come (1961) bezieht sich z.B. auf den gleichnamigen Song von Frank Churchill für Snow White, der somit zum „Jazz-Standard“ geworden ist. Kennengelernt hatten sich der Werbefilmer Disney und der Stummfilmmusiker Stalling Anfang der 1920er Jahre, als Disney einige seiner Werbefilme am Isis Movie Theatre in Kansas City spielen ließ. Stalling war auch bei der Vorpremiere von Steamboat Willie in New York anwesend, aber erst zu Plane Crazy und Gallopin’ Gaucho (1928) steuerte er die Musik bei. Immer wieder wird auf Charlie Chaplin als Vorbild für die frühe Mickey Mouse hingewiesen. Während Disney diesen als Model wählte, hatte Ub Iwerks beim Zeichnen jedoch eine andere Figur vor Augen: den galanten und verwegenen Douglas Fairbanks. Neal Gabler, Walt Disney, S. 155. Und zwar „Hot dog, hot dog.“ Vgl. Neal Gabler, Walt Disney, S. 154. Vgl. Ross Care, Make Walt’s Music. Music for Disney Animation, 1928–1967, S. 22. Der Begriff „Opry House“ weist vermutlich auf das „Grand Ole Opry“ hin, einer Sendung der 1920er Jahre, in der zunächst klassische Musik inklusive „Grand Opera“ gespielt wurde. Als dort zunehmend Country Music gespielt wurde, kündigte ein Moderator diese folgendermaßen an: „We listened to Grand Opera and now we’re listening to Grand Ole Opry.“ Spätere Cartoons wie The Cat Concerto mit Tom und Jerry (MGM 1947), Rhapsody Rabbit (Warner Bros. 1946) und Rhapsody in Rivets mit Bugs Bunny (Warner Bros. 1941) wurden
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2. Die Musik in den Cartoons und Filmen des Disney Studios
Stalling die Musik zu den Silly Symphonies El Terrible Toreodor (1929), Springtime (1929), Hell’s Bells (1929) und Merry Dwarfs (1929). 1930 verließ Stalling Disney und arbeitete weiter mit Ub Iwerks zusammen, von wo er 1936 zu den Warner Bros. wechselte. Seit 1930 entstanden hier die beliebten Looney Tunes und Merry Melodies mit den legendären Charakteren Bugs Bunny, Tweety und Daffy Duck, zu deren Erfolg Stalling maßgeblich beitrug. Stalling blieb die nächsten 22 Jahre bei den Warner Bros. und wurde für seine Musik zu über 600 Cartoons weltbekannt. Bert Lewis, der bereits bei Steamboat Willie mitgewirkt hatte, trat von 1930 bis 1935 die Nachfolge von Stalling bei Disney an und schrieb u.a. die Musik für The Moose Hunt (1931), Babes in the Woods (1932), King Neptune (1932), Old King Cole (1933) und Mickey’s Fire Brigade (1935). Bekannter als Lewis wurden die beiden Komponisten Frank Churchill (1901–1942) und Leigh Harline (1907– 1969), die 1931 bzw. 1932 bei den Walt Disney Studios anfingen. Harline hatte an der University of Utah Musik studiert. Churchill galt als „a highly adaptable musician“, „with a skill common to musicians who worked in the silent-film era, the ability to improvise quickly to fit whatever was happening on the screen.“39 Gemeinsam entwickelten sie den musikalischen Disney-Stil weiter: „Music that is primarily melodic, inventively orchestrated, and essentially simple (sometimes deceptively so) and accessible, yet always with that indefinable X-factor that was another characteristic of Disney’s work as a whole: popular appeal.“40
Frank Churchill schrieb die Musik zu fast 65 Cartoons, darunter Three Little Pigs (1933), Mickey’s Gala Premiere (1933), Funny Little Bunnies (1934), Playful Pluto (1934) und Who Killed Cock Robin? (1935). Von Leigh Harline stammen die Kompositionen zu über 30 Cartoons, u.a. für The Wise Little Hen (1934), Mickey’s Garden (1935), Music Land (1935), Mickey’s Grand Opera (1936), The Old Mill (1937) und Wynken, Blynken & Nod (1938). Harlines The Goddess of Spring (1933) ist eine Art durchkomponierte Mini-Oper, die in Porgy and Bess’scher Manier Spiritual-, Blues- und Jazz-Elemente verwendet. Parallel komponierte Harline seit 1938 für die Blondie-Serie von Columbia Pictures und verließ das Walt Disney Studio endgültig nach dem Pluto-Cartoon The Sleepwalker (1942). Churchill und Harline komponierten außerdem die Musik für die ersten abendfüllenden Disney Filme, ersterer die Songs für Snow White and the Seven Dwarfs (1937), Dumbo (1941) und Bambi (1942), letzterer für Pinocchio (1940). Leigh Harline schrieb auch die Musik zu The Band Concert (1935), dem ersten Mickey Mouse Cartoon in Technicolor. Mickey Mouse tritt hier als Dirigent vermutlich hiervon beeinflusst. Bizets Carmen taucht in sehr vielen der frühen Cartoons auf. El Terrible Toreador (1929) greift neben dem Personal der Oper – Carmencita, Torero und Offizier – sowie dem Umfeld – Kneipe und Arena – die bereits in der Oper vorhandenen Verwebungen von Musik und Szene auf, z.B. wenn die Cartoon-Carmencita wie ihre große Vorgängerin auch ihren Tanz selber begleitet: An die Stelle der Kastagnetten tritt das Tablett, das mit allen möglichen Körperteilen angeschlagen wird. 39 Michael Barrier, The Animated Man, S. 95f. 40 Ross Care, Make Walt’s Music, S. 24.
2.3 Die Silly Symphonies
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eines Kurorchesters auf, dessen Aufführung von Gioacchino Rossinis Ouvertüre zur Oper Guillaume Tell erst von einem Eisverkäufer, verkörpert von Donald Duck, dann von einem hereinbrechenden Sturm gestört wird.41 Wilfred Jackson erinnerte sich daran, wie Leigh Harline Rossinis Ouvertüre für The Band Concert (1935) arrangierte: „Leigh composed the score for The Band Concert though I don’t think he would have agreed with my putting it that way. As I remember it, our musicians spent more time and effort on patiently working and reworking their music to fit perfectly with what us crazy, dumb artists drew and dreamed up for the action, than they did writing whatever original music we needed for the cartoons. I do not recall specific instances of reshaping The Band Concert’s original music, but I would be very surprised if on close examination you did not find Rossini’s original score bent a bit out of shape here and there. Our studio musicians were amazingly ingenious at altering the natural structure of their music to accommodate the requirements of the animation, without allowing the end result to sound as if the music had been overly tampered with.“42
Rossinis Komposition ist in zweifacher Hinsicht Gegenstand des Cartoons, da einerseits ihre Darbietung in einem Platzkonzert gezeigt wird, andererseits die Sturm-Passage selbst den Wirbelsturm auslöst. Sie wird nicht nur – wie die Kompositionen in Fantasia – visualisiert, sondern ist wie die Figur der Mickey Mouse ein gleichberechtigter Mitspieler, dem passiv etwas widerfahren oder der aktiv die Handlung beeinflussen kann. Während das musikalische Material in Fantasia trotz gelegentlicher Kürzungen, Umstellungen und Einfügungen weitgehend unversehrt erscheint, führen hier die erzwungenen Abbrüche, Einwürfe, Zusatzstimmen und neuartigen Artikulationen dazu, dass die Musik an Eigenleben jenseits der Rossinischen Vorlage gewinnt und ähnlich wie die Bilder zu einem eigenständigen Mitspieler „animiert“ wird. 2.3 DIE SILLY SYMPHONIES Im Unterschied zur Mickey Mouse Serie wurden die Silly Symphonies, deren Titelbild bereits Notenköpfe zeigt, nicht durch eine bestimmte Gruppe von bestehenden Charakteren, sondern durch ihren Umgang mit der Musik als Reihe zusammengehalten: Die Animatoren arbeiteten wie Choreographen, die das visuelle 41 David Wondrich sieht in The Band Concert den Kampf zwischen der ländlichen, armen, schwarzen, proletarischen Südstaaten-„Underworld“ samt ihrer mitreißenden Musik und der weißen, zivilisierten Nordstaaten-„Topworld“, die nach Europa schielte und mit einer Vorliebe für ernste Musik gesellschaftlich aufsteigen wollte. Mickey Mouse und Walt Disney gehören für Wondrich selbst zu dieser letzten Gruppe. David Wondrich, I love to hear a Ministrel Band. Walt Disney’s Band Concert. In: Daniel Goldmark und Yuval Taylor (Hg.), The Cartoon Music Book, S. 67–72. Daniel Goldmark betont die Anstrengungen, die immer wieder unternommen werden, um allen Störungen zum Trotz die Originalwerke mit den vorgesehenen Schlussakkorden zu beenden. Daniel Goldmark, Tunes for 'Toons. Music and the Hollywood Cartoon. Berkeley 2005, S. 117. 42 Ross Care, Symphonies for the Sillies: The Composers for the Disney Shorts. In: Funnyworld. Nr. 18 (Sommer 1978), S. 45.
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2. Die Musik in den Cartoons und Filmen des Disney Studios
Material an die Partitur anpassten. Der Vorschlag, eine weitere Serie neben den Mickey Mouse Cartoons aufzubauen, stammte von Stalling und Ub Iwerks. Sie träumten davon, „Zeichentrick nicht nachträglich zu synchronisieren, sondern die Handlung um eine festgelegte Partitur herum zu schreiben, den Rhythmus der Musik auf die Geschichte zu übertragen und so einen fließenden Ablauf zu erzielen, der die Animation noch mehr zu einer eigenständigen Filmgattung würde werden lassen, ja mehr als das: zu einer Kunstform, die mit dem restlichen Kino bestenfalls noch das Material gemeinsam hätte.“43
Platthaus zufolge nutzten Stalling und Iwerks, der zu dieser Zeit Miteigentümer des Unternehmens war, die Abwesenheit des Studiochefs Walt Disney, um ihr Projekt zu beginnen. Erst nach dem großen Erfolg des Skeleton Dance wurden nach diesem Vorbild als zweite Reihe die Silly Symphonies ins Leben gerufen. Die frühen, noch schwarz-weißen Silly Symphonies in der Regie von Ub Iwerks, Walt Disney, Burton Gillett oder Wilfred Jackson ähneln sich in ihrer Art, Musik und Handlung zu verbinden: Immer wieder musizieren die Charaktere – seien es Skelette, Teufel, Kannibalen oder Zwerge – auf verschiedenen, dem jeweiligen Ort entsprechenden skurrilen Instrumenten und auf ihren eigenen Körpern, tanzen in Formationen, während Musik, Geräusche und Szene im Mickeymousing verschmelzen.44 The Skeleton Dance (1929) war der erste Cartoon, bei dem die Musik weitgehend vor der Ausarbeitung der Bilder geschrieben wurde.45 Der Cartoon zeigt eine Gruppe von Skeletten, die – zur Geisterstunde zum Leben erwacht – auf einem Friedhof tanzen und musizieren. Nach einer sinfonischen Einleitung, die von – durch das Bild motiviertem – Hundejaulen, Eulenrufen und Glockenschlägen durchsetzt ist und auf das Gruselspiel der knochenklappernd aus ihren Gräbern hervorkrabbelnden Skelette einstimmt – verbinden rhythmische, dynamische und gestische Assoziationen Bild und Musik im Tanz der Skelette. Das Xylophonspiel auf den Gebeinen geht mit einem Zitat aus Griegs „Zug der Zwerge“ aus den Lyrischen Stücken zusammen; der Schwanz einer Katze wird zur Saite für ein Basspizzicato; zum an- und abschwellenden Glissando fährt die Kamera auf das Skelett zu und wieder zurück. Nachdem ein Hahnenschrei den Morgen angekündigt hat, beginnt die Stretta, in der die Skelette zu ihren Gräbern eilen.46 Auch wenn der derbe Humor der ersten Cartoons Anfang der 1930er Jahre verschwindet und die Handlung in ländliche Gefilde und in die Natur wandert, ändert sich an der fragmentarischen Aneinanderreihung von musikalischen Splittern zunächst wenig: 43 Andreas Platthaus, Von Mann und Maus, S. 56. 44 Bereits in diesen frühen Cartoons taucht Material späterer Filme auf, seien es die Zwerge aus Snow White oder das Spielzeuggeschäft aus Pinocchio. Außerdem wird hier bereits mit der Integration von Gesangsstimmen experimentiert. 45 Stalling betont jedoch, dass The Skeleton Dance nicht „pre-scored“ war, sondern er die Musik zur Handlung schrieb. Mike Barrier, An Interview with Carl Stalling, S. 44. 46 Sowohl die tänzerischen Formationen als auch das Musizieren der Skelette auf ihren eigenen Körpern spielen mit der morphologischen Fähigkeit des Trickfilms, Objekte entgegen den Erfahrungen des alltäglichen Lebens zu verwandeln und zu nutzen.
2.3 Die Silly Symphonies
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„In those first symphonies, the action had been simple, staying with dance steps and runs that easily could be made to follow the beat of the music. But with Walt’s insistence on humor and personality, the films built quickly into stories that demanded the acting match the tempo, too.“47
Allmählich – vielleicht durch die Mitarbeit von Churchill und Harline – setzt sich eine Score mit einheitlicher Form für die inzwischen farbigen Silly Symphonies durch. Indem die Komponisten vermehrt auf Songs setzen, werden die Silly Symphonies quasi zu einaktigen Opern, wie z.B. King Neptune (1932), The Goddess of Spring (1933) oder Three Little Pigs (1933). Für letztere schrieb Frank Churchill seine wohl berühmteste Komposition „Who’s Afraid of the Big Bad Wolf“, welche die Nation in Zeiten der Depression mitriss und der man nicht entkommen konnte: „It bursts out at you in almost every film theater; the radio hurls it in your direction; try to escape from it by adjourning to a speakeasy and some alcoholic will begin to sing it at you; you pick up a paper for relief and you will find it shrieking out at you in a cartoon on the editorial page.“48
Der Song prägt mit seinen verschiedenen Versen und dem Refrain Form und Ablauf des Cartoons. Die drei Schweinchen treten als diegetische Sänger und Musiker auf, die sich selbst beim Tanzen begleiten. In anderen Silly Symphonies übernimmt die Gesangsstimme zunächst die Rolle eines Märchenerzählers und treibt das Geschehen im Wechsel von chorischen und solistischen Passagen voran. In Old King Cole (1932) werden Musik und Tanz wie auch in Musikfilmen der Zeit als „Spiel im Spiel” begründet: Eine Nummernrevue anlässlich eines großen Festes in King Coles Palast bietet reichliche Gelegenheit, die Charaktere singen und tanzen zu lassen.49 Neben den vokalen Silly Symphonies entstanden weiterhin rein instrumentale Silly Symphonies, in denen das Zusammenspiel von Musik und Bewegung die entscheidende Rolle spielte. Anstelle des Erzählers bringen Musik und Bild die Handlung durch die im Stummfilm herausgebildete und durch die Synchronisation perfektionierte Pantomime hervor. Die Modetänze Swing und Rumba geben das rasante Tempo der Silly Symphony Cock o’ the Walk (1935) vor. In The Old Mill (1937) wird aus den unterschiedlichen Tonhöhen der quakenden Frösche zusammen mit dem Zirpen der Grillen ein Abendkonzert. Zu einer Art Mitspieler erklärt sich die Natur darüber hinaus, wenn das auf den Holzzaun schlagende Schilf zum Marimbaphon und abgebrochene Halme zur Äolsharfe werden. In der Schlusssequenz von The Country Cousin (1936) vertreibt das futuristische Geräuschkonzert aus aggressivem Autohupen den hinterwäldlerischen Mausecousin endgültig aus der Großstadt. Ob hier die Tonspur als Musik wahrgenommen wird, 47 Frank Thomas und Ollie Johnston, The Illusion of Life, S. 149. 48 Kritik von Richard Watts in der New York Herald Tribune, zitiert nach Neal Gabler, Walt Disney, S. 183. 49 Als Vorläufer dieser vokalen Silly Symphonies können die Mit-Sing-Cartoons der Stummfilmzeit angesehen werden, in denen das Publikum die Textzeilen ablas und zum Gesang anstimmte.
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2. Die Musik in den Cartoons und Filmen des Disney Studios
hängt vermutlich stärker als sonst von der musikalischen Sozialisierung des Betrachters und der damit verbundenen Bereitschaft zusammen, Geräusche als Musik wahrzunehmen. Wie in anderen Studios standen auch im Disney-Studio Jazz-Scores hoch im Kurs.50 In Music Land (1935) kämpfen die Bewohner zweier Inseln, der Isle of Jazz und des Land of Symphony, erbittert gegeneinander, um am Ende im Symphonic Jazz künstlerisch und emotional aufzugehen.51 In Woodland Café (1937) unterhält eine Jazz-Band die ausgehfreudigen Waldbewohner mit eingängigen Arrangements. Folgerichtig tauchen in den zwei Episodenfilmen nach Fantasia mehrere Jazz-Sequenzen auf: Während in Make Mine Music (1946) Benny Goodmann am stürmischen „All the Cats Join in“ und am stimmungsvollen „After you’ve gone“ akustisch mitwirkte, rast in Melody Time (1948) eine Hummel zum „Bumble-Boogie“ – einer swingenden Jazzversion von Rimsky-Korsakows Hummelflug – von Blüte zu Blüte. Folgte man mit Fantasia der dem Stummfilm entstammenden Tradition, Werke des Opern- und Konzertrepertoires als musikalisches Material für Cartoons zu verwenden, reihen sich Make Mine Music und Melody Time in eine Entwicklungslinie ein, die sowohl zum Jazz-Cartoon als auch zu den vokalen Silly Symphonies zurückführt. Die Musik ist in den Silly Symphonies sowohl der Gegenstand als auch ein Mittel der Handlung. Wenn die gezeichneten Charaktere synchron zur Musik tanzen, singen und musizieren, ist dies für eine bestimmte Dauer auch ohne weitere Handlung kurzweilig und muss nicht – wie in den längeren Musikfilmen – speziell begründet werden. Während in den ersten Trickfilmen (z.B. in Winsor McCays Little Nemo von 1911) die Kreation und Bewegung der Figuren selbst Attraktion und Gegenstand der Kurzfilme sind,52 entsteht der besondere Reiz der DisneyCartoons aus dem Zusammenspiel von Musik und Bewegung. Die Verfahren, Musik und Bild zu koppeln, entnehmen die Animatoren bereits eingeführten bzw. den traditionellen audiovisuellen Künsten und bedienen sich bei Oper, Ballett, Tanz, Pantomime und Film:53 Die Bewegungen werden als Gruppen-, Paar- oder 50 Legendär für seine Jazz-Cartoons in den 1930er Jahren war das Studio von Max und Dave Fleischer (Betty Boop, Popey), in denen Größen wie Cab Calloway und Louis Armstrong zunächst live auftraten, bevor der Song dann Teil des Cartoons wurde. Vgl. Jake Austen, Hidey Hidey Hidey Ho… Boop-Boop-a-Doop! The Fleischer Studio and Jazz Cartoons. In: Daniel Goldmark und Yuval Taylor (Hg.), The Cartoon Music Book, S. 61-66. Aus den leitenden Animatoren des Disney-Studios ging die Dixieland-Jazzband „Firehouse Five Plus Two“ hervor. Vgl. Daniel Kothenschulte, Swinging animation: Jazz und der Zeichentrickfilm. In: film– dienst. Vol. 53, Nr. 18 (August 2000), S. 44. 51 Über Music Land (1935) und Cock o’ the Walk (1935) schrieb Disney in einem Memo aus dieser Zeit mit dem Titel Production Notes – Shorts: „True, a lot of people will like these pictures, but the vast public that we are appealing to will not like them as a whole… They are not the type of pictures that we want to make, because we are making … pictures to appeal the masses.“ Zitiert nach Michael Barrier, The Animated Man, S. 115. 52 Little Nemo fordert den Betrachter in einer Sprechblase sogar explizit dazu auf, sich auf die Bewegung zu konzentrieren: „Watch me move!“ 53 Bei den Bildern orientierte man sich oft an Illustrationen aus europäischen Kinder- und Märchenbüchern.
2.4 Die Filmmusicals
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Solotänze zur Musik choreographiert, die Texte der Songs werden von den Akteuren dargestellt und gesprochen, gelegentlich ahmen Musikinstrumente den Sprachklang und die dadurch ermöglichte Kommunikation nach, oder die Musik wird innerhalb der Diegese selbst produziert. Die Musik der Silly Symphonies changiert zwischen Jazz und Folk, zwischen Oper und Tin Pan Alley, zwischen Philharmonie und Platzkonzert. Adaptionen, Zitate und Eigenkomposition wechseln sich dabei ebenso ab wie vokale und instrumentale Scores. Während das eklektizistische Potpourri der frühen Cartoons noch aus der Praxis der Stummfilmmusik herrührt, suchen die späteren nach formaler Geschlossenheit, indem sie z.B. auf traditionelle Gattungen wie das Lied zurückgreifen. Disneys Vorhaben, eine Silly Symphony zur Musik von Dukas’ L’apprenti sorcier zu produzieren, war die schlüssige Fortführung dieser Entwicklung: Eine bereits existente Komposition würde nicht nur den musikalischen Zusammenhalt sichern, sondern Disneys Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung des Zeichentricks als Kunst vorantreiben. Dass aus der ersten Idee zu The Skeleton Dance nur etwas über zehn Jahre später ein abendfüllender Konzertfilm entstehen sollte, hatten wohl weder Carl Stalling noch Ub Iwerks geahnt. 2.4 DIE FILMMUSICALS Während Snow White and the Seven Dwarfs (1937) bei seiner Entstehung zunächst spöttisch als „Disney’s Folly“ betitelt wurde, feierte man das Genre des animierten Filmmusicals rückblickend als Zukunft des Hollywood Musicals.54 Mit seinen diversen Songs, die von den Charakteren gesungen werden, sowie zahlreichen Tanzszenen, die nahtlos in die Handlung integriert sind, haben die abendfüllenden Zeichentrickfilme des Disney Studios – mit Ausnahme von Fantasia – die wichtigsten Charakteristika mit dem Filmmusical gemein. Während jedoch Snow White mit der Liebesgeschichte zwischen Schneewittchen und dem Prinzen in der Tradition des Filmmusicals Hollywoods der 1930er Jahren steht, gehören Pinocchio (1940), Dumbo (1941) und Bambi (1942) laut Altman zu einer eigenen Gattung: „a childhood initiation genre that borrows heavily from a widely shared European fairy tale tradition and thus cuts across many of the more established film genres.“55 Tatsächlich seien diese frühen Disney-Filme die einzigen Filmmusicals, die systematisch das Thema Liebeswerbung („courtship“) und -paarung („romantic coupling“) vermieden und trotzdem Musik einbezögen.56 Während in den Silly Symphonies der Gesang dadurch begründet wird, dass die Märchen ähnlich wie Balladen durchgehend gesungen werden, muss das Singen in den abendfüllenden Zeichentrickfilmen, in denen sich Dialoge, Lieder und 54 Jason Raitt, The Disney Animated Musical – The Future of The Hollywood Musical. In: Animatrix. Vol. 9 (1995–96), S. 26–32. 55 Rick Altman, The American Film Musical. Bloomington 1987, S. 105. 56 Auf Bambi trifft das nur teilweise zu. Zum „Circle of life“ gehört hier die Darstellung der Eltern von Bambi sowie am Ende die Gründung einer eigenen Familie.
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2. Die Musik in den Cartoons und Filmen des Disney Studios
Instrumentalpassagen abwechseln, vorbereitet werden. Schon von Anfang an hatte Disney Snow White and the Seven Dwarfs, insbesondere die Dialoge, mit musikalischen Begriffen beschrieben: „[The dialogue should] have meter, and at the right time, tie in with the music, so the whole thing has a musical pattern… phrasing and fitting the mood to get away from straight dialogue.“57
Die insgesamt acht Lieder werden meist durch die Handlung motiviert, wie z.B. das Ständchen, das der Prinz Schneewittchen bringt, oder der „Dwarfs’ Yodel Song“, mit dem Schneewittchen und die sieben Zwerge sich am Feierabend amüsieren. Darüber hinaus werden lästige Arbeiten gerne mit einem Lied auf den Lippen erledigt, sei es „Whistle While You Work“ für die Hausarbeit oder das wagnerianische „Heigh Ho“ bei der Plackerei in der Diamantenmine. Den Übergang vom Sprechen zum Singen leiten in diesen Fällen diegetische Laute ein, entweder die Stimmen der Waldvögel oder die rhythmischen Ambossschläge beim Diamantenabbau. Eine dritte Möglichkeit, die Hauptfiguren singen zu lassen, liegt in der direkten Aufforderung an sie, entweder ein Lied zu singen („With a Smile and a Song“) oder eine Geschichte zu erzählen („Some Day My Prince Will Come Along“). In Pinocchio sind die Songs noch glatter in die Handlung integriert. Auf seinem frohgemuten Weg zu Strombolis Zirkus, begleitet vom hinterhältigen Fuchs Honest John und dessen tumben Helfer, singt Pinocchio den Gassenhauer „HiDiddle-Dee-Dee (An Actor’s Life for me)“. Dieser quasi kontemplative Gesang muss nicht als bewusste Aufführung von Musik gerechtfertigt werden, sondern begleitet – wie die Arbeitslieder in Schneewittchen – eine andere, an der Handlung orientierte Aktion. Durch den Song wird der Szene mehr Raum eingeräumt, als es für die Erzählung selbst eigentlich notwendig wäre. Der Schwerpunkt liegt nicht länger darauf, was passiert – Schneewittchen und die Waldtiere putzen gemeinsam das Haus, die Zwerge bauen in einer Mine Diamanten ab, Pinocchio wird vom Schulbesuch und damit rechten Weg abgebracht –, sondern wie es geschieht und dargestellt wird. In diesen ausgedehnten Zwischenspielen haben die Animatoren die Gelegenheit, das ganze Spektrum der Zeichentrickkunst vorzuführen, ohne die ansonsten möglichst realistische Erzählung zu gefährden. In Pinocchios Song „I’ve Got No Strings“, der durch die Bühnensituation selbst motiviert ist, wird die im Text besprochene Freiheit in Form einer Zirkusnummer gefeiert: Pinocchio ist als Marionette ohne Fäden der Star des Zirkus. Doch damit dieser Unterschied zwischen den Marionetten und einer durch Einzelbildaufnahme animierten Figur wie Pinocchio tatsächlich zu einem Vorteil werden kann (denn noch verheddert sich Pinocchio ganz fürchterlich in den Fäden seiner „toten“ Kollegen), muss Pinocchio als „richtiger Junge“ animiert werden, der in seiner Lebensnähe nicht mehr an die artifiziellen Mitspieler in Puppenfilmen erinnert.58 Im Laufe des 57 Zitiert nach Neal Gabler, Walt Disney, S. 254. 58 Offenkundig wird die im Film erklärte Überlegenheit des Disney-Zeichentricks gegenüber allen anderen Versuchen, unbelebten Objekten Leben einzuhauchen, auch in den zahlreichen audiovisuellen Spielereien zwischen animierten und leblosen Figuren und Objekten in Gepet-
2.4 Die Filmmusicals
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Films werden die Songs immer seltener, je weiter sich die Handlung von der Spiel- und Traumwelt des Ladens oder des Theaters weg, hin zu den Folgen und Gefahren des realen Lebens bewegt. In diesem Teil überwiegt die rein instrumentale Orchestermusik, die Pinocchios Abstieg und verzweifelte Suche nach Gepetto begleitet. Nach der Premiere von Fantasia kamen die Filme The Reluctant Dragon (1941), Dumbo (1941) und Bambi (1942) ins Kino. Während The Reluctant Dragon durch einen losen Plot Realfilm und Trickfilm verbindet und zu einer Tour durch das neu gegründete Studio in Burbank einlädt (u.a. wird auch das Tonstudio besichtigt),59 bewegte man sich mit den beiden anderen Filmen wieder auf bekanntem Terrain, so dass die Newsweek schreiben konnte: „Those Walt Disney fans who feared the worst when the Master went ‚arty‘ with Fantasia, then missed the boat with the experimental The Reluctant Dragon, can now uncross their fingers, sit back and relax.“60
Bereits in den ersten Minuten von Dumbo wird deutlich, dass in diesem kürzesten aller Featurefilme nichts ohne Musik geschieht: Nach der eröffnenden Titelmusik, die bereits in das Zirkusambiente des Films einführt, leitet eine Sprechstimme in Versen zum ersten Chor „Look Out for Mr. Stork“ über, bevor die pfeifende Lokomotive die nächste Instrumentalnummer eröffnet und der Zirkus mit dem Song „Casey Junior“ auf Reisen geht. Die fast durchgängig erklingende Score von Oliver Wallace und Frank Churchill, in der sich Dialoge, Geräusche, Vokal- und Instrumentalmusik zu einem schier unendlichen Klangband verbinden, gewann den Academy Award. In Bambi hingegen treten die gesprochenen Dialoge – der Überlieferung nach unter 900 Worte – hinter die Musik zurück. Bereits die Titelmusik „Love Is A Song“ ist für Chor und zieht sich durch den gesamten Film: „As in Dumbo, the score shuns Snow White’s operetta structure with its aria-like vocal solos and lively production numbers, opting instead for a subtext which weaves songs and incidental music cunningly together to the virtual exclusion of the solo. The resulting construct is a seamless musical tapestry which envelops the tenuously plotted story in a delirious, lyrical haze of piquant melodies and complexly modernistic, programmatic background scoring.“61
Mit Bambi endete die erste halbe Dekade des animierten Disney-Musicalfilms, an die erst wieder in den 1950er Jahren mit Filmen wie Cinderella (1950) und Alice in Wonderland (1951) angeschlossen wurde.
tos Werkstätte, wo Pinocchio, Gepetto, die Grille Jimmy und der Kater Figaro gemeinsam mit den mechanischen, willenlosen Spieluhrenfiguren musizieren und tanzen. 59 Der Ausschnitt ist zu finden auf http://www.youtube.com/watch?v=18lq9ZmshZ0, 29. Juli 2010. 60 Zitiert nach David Tietyen, The Musical World of Walt Disney, S. 65. 61 Ross B. Care, Threads of melody: The evolution of a Major Film Score – Walt Disney’s Bambi. Zitiert nach David Tietyen, The Musical World of Walt Disney, S. 66.
3. ENTSTEHUNG UND REALISIERUNG VON FANTASIA Obwohl The Sorcerer’s Apprentice als die zentrale Sequenz von Fantasia gilt und sechzig Jahre später auch als einzige in Fantasia 2000 übernommen wurde, war die Passage Mitte der 1930er Jahre zunächst unabhängig von der späteren Großform eines „Concert Features“ als „comeback vehicle for Mickey“1 geplant gewesen. Die Popularität der Mickey Mouse Figur war weit hinter der von Pluto, Goofy und Donald Duck abgefallen, und Walt Disney suchte nach einem Weg, die Beliebtheit seiner Lieblingsfigur und des Insigniums seines Studios wieder zu erhöhen. Die Entscheidung für Dukas’ L’apprenti sorcier war dabei eine direkte Folge des einschlagenden Erfolgs von Snow White, Disneys erstem abendfüllenden Filmmusical: „The ‚Sillies‘ had been regarded by Walt Disney as mere stepping stones toward his goal of animated features. Snow White set a standard of excellence, and Disney knew he could produce no more shorts based on music that did not measure up to its quality. He would have to ‚plus‘ the shorts.“2
Eine Komposition, die selbst bereits auf eine Handlung verwies, erschien als die perfekte Lösung, die Silly Symphonies weiterhin attraktiv und neuartig zu halten. 3.1 DER WEG ZU FANTASIA Die Idee zu einem Kurzfilm, der auf Dukas’ L’apprenti sorcier basieren sollte, hatte Disney bereits Ende 1936. Im Mai 1937 – zwei Jahre nach dem Tod des Komponisten und 40 Jahre nach der Uraufführung – kontaktierte das Disney Studio die amerikanischen Vertreter des Verlags von Paul Dukas, um die Rechte an der Nutzung des Scherzos L’apprenti sorcier (1897) in einem Zeichentrickfilm zu erwerben.3 Der Vertrag, der zwei Monate später unterschrieben wurde, erlaubte die Verwendung der Musik in einem Cartoon:
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Charles Solomon, The Disney That Never Was. New York 1995, S. 121. David R. Smith, The Sorcerer’s Apprentice. Birthplace of Fantasia. In: Millimeter, Februar 1976, S. 18. Dukas’ L’apprenti sorcier war bereits als Musik in zwei Filmen verwendet worden, nämlich im Kurzfilm The Wizard’s Apprentice (1930) von Hugo Riesenfeld und William Cameron Menzies für Joseph M. Schenck und im französischen Film L’apprenti sorcier (1933) von Max Reichmann, bei dem Jean Cocteau und Jean Weidt mitwirkten. Auch Oskar Fischinger verwendete für seine Studie Nr. 8 (1931) Dukas’ L’apprenti sorcier, konnte jedoch die Rechte nicht bezahlen, so dass der Film unvollendet blieb.
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3. Entstehung und Realisierung von Fantasia „… for background instrumental use as many times as necessary, throughout length thereof, which may be approximately nine minutes. Music may be used in whole or in part and may be adapted and changed.“4
Während für die bisherigen „Silly Symphonies“ meist Kompositionen und Arrangements der Studiokomponisten genutzt worden waren, sollte nun eine bereits bestehende und – zumindest auf dem europäischen Markt – erfolgreich eingeführte Komposition die Grundlage für den Cartoon bilden. Nachdem die Rechte an der Musik erworben waren, machte sich Disney auf die Suche nach einem Dirigenten, dessen Name zum Prestige des Projektes beitragen würde. Von Arturo Toscanini wusste man, dass er ein glühender DisneyFan war, der von The Band Concert so begeistert gewesen sein soll, dass er den Leiter des Kinos dazu überredete, den Cartoon sogleich noch einmal abzuspielen. Tatsächlich konzipierte das Story Department The Sorcerer’s Apprentice zunächst zu einer Aufnahme von Toscanini.5 Den Anekdoten zufolge gab ein zufälliges Treffen zwischen Stokowski und Disney im Restaurant Chasen’s in Beverly Hills den Ausschlag, dass Leopold Stokowski – ebenso bekannt als „fervent partisan de la vulgarisation de la musique dite classique“6 wie als Bewunderer der Kunst Disneys – zum Dirigenten von Fantasia bestimmt wurde.7 Stokowski äußerte sich bei verschiedenen Anlässen zu diesem Treffen. In einem Radiointerview mit John Bowen für die BBC erinnerte er sich 1959: „One night I was in California and I had dinner in a restaurant… and a man walked in and looked at me and came over and said, ‚I am Walt Disney. May I talk with you?‘ So I said, ‚Yes, of course.‘ And we sat down and talked. He said, ‚I have the idea of Dukas’ The Sorcerer’s Apprentice. I would like to make a short. Would you like to do the music and I’ll do the pictorial part?‘“8
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Brief von Roy an Walt Disney vom 31. Juli 1937, zitiert nach David R. Smith, The Sorcerer’s Apprentice, S. 18. Vermutlich handelt es sich um die Aufnahme vom 18. März 1929 in der Carnegie Hall mit dem New York Philharmonic Orchestra. Mit dem von ihm gegründeten NBC Symphony Orchestra spielte Toscanini den Zauberlehrling im Studio 8H der NBC Radio City Studios in New York erneut am 12. Februar 1938 ein, also erst einen Monat nach den Aufnahmen von Stokowski für Disney in Los Angeles. Vgl. http://www.toscaninionline.com/disco12.htm, 21. Dezember 2009. „Eifriger Anhänger einer Vulgarisierung der so genannten klassischen Musik“. Alain Garel, Fantasia. In: La Revue de cinéma. Image et son. Vol. 420 (Oktober 1986), S. 27. John Culhane, Fantasia 2000. Visions of hope. New York 1999, S. 120. BBC-Radiointerview von John Bowen, 1959, zitiert nach Oliver Daniel, Stokowski. A Counterpoint of View. New York 1982, S. 379f. Die Publikationen von David R. Smith und John Culhane zitieren aus einem Brief von Stokowski aus dem Jahr 1967: „I first met Walt Disney in a restaurant. I was alone having dinner at a table near him, and he called across to me, ‚Why don’t we sit together?‘ Then he began to tell me that he was interested in Dukas’ The Sorcerer’s Apprentice as a possible short, and did I like the music. I said I liked it very much and would be happy to cooperate with him.“ Zitiert nach John Culhane, Walt Disney’s Fantasia. New York 1983, S. 15, oder David R. Smith, The Sorcerer’s Apprentice, S. 19. Im Gespräch mit dem Herausgeber des Royal College of Music Magazine erinnert er sich 1971 an das erste Gespräch zu The Sorcerer’s Apprentice wie folgt: „He told me of a French com-
3.1 Der Weg zu Fantasia
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John Culhane zufolge fand das denkwürdige Treffen im November 1937 statt,9 wahrscheinlicher ist jedoch ein Treffen bereits im Spätsommer 1937. Leopold Stokowski hatte 1934 das Disney Studio bereits besucht und stand in losem Briefkontakt mit Walt Disney.10 Laut Michael Barrier ist der Briefwechsel zwischen Disney und Stokowski ab Oktober 1937 in den Walt Disney Archives vorhanden,11 der nahe legt, dass sich die Begegnung kurz vorher ereignet hat. Disneys New Yorker Vertreter, Gregory Dickson,12 der Stokowski auf einer Zugfahrt – eventuell nach dem zufälligen Treffen zurück nach Osten – begegnete, berichtete: „He [Stokowski] is really serious in his offer to do the music for nothing. … He has some very interesting ideas on instrumental coloring, which would be perfect for an animation medium. … I found him to be a very charming person and not at all the ‚prima donna‘ that various publicity stories have made out of him.“13
Disney antwortete seinem Vertreter am 26. Oktober 1937: „I am all steamed up over the idea of Stokowski working with us on The Sorcerer’s Apprentice. I feel that the possibilities of such a combination are so great that we could stretch a point and use his hundred men, as well as work out an arrangement to compensate him, personally, for his time – and we could well afford to record the music in any manner that Stokowski would want to do it. […] In fact, I think so much of the idea that I have already gone ahead and now have the story in work with the crew, on the chance we will be able to get together with Stokowski and possibly have the music recorded within a short time…“14
Stokowski sagte in einem Brief vom 2. November 1937 seine Mitarbeit zu: „I am thrilled at the idea of recording The Sorcerer’s Apprentice and of working with you, because you have no more enthusiastic admirer in the world than I am.“15
Stokowski kündigte im selben Brief an, in den nächsten Tagen eine vorläufige Einspielung mit seinen Tempi zu schicken und bittet darum, dass ihm ebenfalls Skizzen des visuellen Teils geschickt werden, „that will help me too in building up a conception of the music to synchronize in tempo, rhythm, and spirit with the
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position about a kind of a great magician and a bad boy. He liked that music very much and so we discussed it. … He said ‚You know – how would you like the idea of making a picture of that? I have some thoughts of how the magician looked and how the bad boy looked and it is very picturesque, brilliant music.‘“ Zitiert nach Jon Newsom, „A Sound Idea.“ Music for Animated Films. In: The Quarterly Journal of the Library of Congress. Vol. 37, Nr. 3–4 (Sommer–Herbst 1984), S. 290. John Culhane, Fantasia 2000, S. 120. Neal Gabler, Walt Disney. The Triumph of the American Imagination. New York 2006, S. 295. Michael Barrier, Hollywood Cartoons. American Animation in its Golden Age. Oxford 1999, S. 599 (Kapitel 6, Fußnote 28). Laut Gabler ist Gregory Dickson ein „RKO publicity executive“. Neal Gabler, Walt Disney, S. 298. Zitiert nach David R. Smith, The Sorcerer’s Apprentice, S. 19. Zitiert nach John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 81. Brief von Leopold Stokowski an Walt Disney vom 2. November 1937 (University of Pennsylvania, Rare Book & Manuscript Library).
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3. Entstehung und Realisierung von Fantasia
picture.“16 Bis dahin arbeiteten die Animatoren weiter mit einer Aufnahme von Toscanini und fertigten zu seinem Timing einen groben Ablaufplan an.17 Der Regisseur des Projekts, Perce Pearce (später übernahm James Algar, der in der Stanford University Band Klarinette gespielt hatte),18 sendete am 15. November eine Nachricht an die 700 Mitarbeiter des Disney Studios, in der er die Zusammenarbeit mit Stokowski ankündigte und seine Kollegen aufforderte, Witze und Ideen für den Cartoon einzureichen: „Please avoid slapstick gags in the ordinary sense; work instead towards fantasy and business with an imaginative touch, especially during the dream sequence. Our picture is designed to intrigue the audience, thrill them, entertain them, but not in the bellylaugh manner.“19
Disney ließ in dieser Mitteilung auch wissen: „I have never been more enthused over anything in my life.”20 Trotz der unvergleichlichen Bedeutung der Musik für den Erfolg und der Sorgfalt, mit der Handlung und Musik synchronisiert wurden, war eine ereignisreiche und fesselnde Handlung bis zu diesem Zeitpunkt entscheidend für die Mickey Mouse Reihe gewesen: „Action was king in the Mickey Mouse cartoons.“21 Eine Silly Symphony mit der Mickey Mouse in der Hauptrolle würde die beiden Reihen und deren Stärken miteinander verbinden, „the best possible action with the best possible music.“22 Stokowski hatte jedoch Zweifel, die bereits eingeführte Figur Mickey Mouse zu verwenden (oder auch keine Lust, gemeinsam mit der populären Maus auf der Leinwand aufzutreten),23 und schlug in einem Brief Disney vor, völlig neue Charaktere für den Cartoon zu entwerfen, mit denen sich die Zuschauer identifizieren und die für ähnliche musikalische Projekte weiterverwendet werden könnten. Disney ging auf den Vorschlag von Stokowski nicht weiter ein. 16 „I will make some preliminary recordings of this music in a few days and send them to you. They will be laboratory, unfinished recordings and not possible to use publicly, but they will give you an idea of the changes of rhythm. The recording will be on disc and will not be so brilliant and colorful as those we can make on film by the new method I am developing, but they will give you a rhythmic basis to work on.“ Am 7. November 1937 nahm Stokowski Dukas’ L’apprenti sorcier mit dem Philadelphia Orchestra in der Academy of Music in Philadelphia auf. Vermutlich handelt es sich um diese Einspielung. Vgl. http://www.stokowski.org/Stokowski%20Philadelphia%20Orchestra%20Chronological%20E lectrical%20Discography.htm, 21. Dezember 2009. 17 „Ah, what a scurrying there was to hide the Toscanini record we had been working with when it became known that Stokowski was due to arrive.“ Jim Algar, zitiert nach John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 15. 18 Michael Barrier, Hollywood Cartoons, S. 243. 19 Zitiert nach David R. Smith, The Sorcerer’s Apprentice, S. 19. 20 Neal Gabler, Walt Disney, S. 299. 21 John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 80. 22 John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 81. Tatsächlich vermischten sich die beiden Reihen schon vorher, wenn sich die Handlung der Mickey Mouse Cartoons wie z.B. in The Band Concert (1935) stark an der bereits existierenden Musik orientierte. 23 „After his experience in 100 Men and a Girl he perhaps saw himself playing the role of Leopold Stokowski but not the second banana, or to put it into more musical terms, second fiddle to the ogling little rodent.“ Oliver Daniel, Stokowski. A Counterpoint of View, S. 380.
3.1 Der Weg zu Fantasia
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Wie später bei Fantasia sollte der Beginn dieser Silly Symphony als Realfilm aufgenommen werden: „The opening titles for the picture will be accompanied musically with a brief overture, possibly conceived by Stokowski, and incorporating the main themes of the piece. Back of the titles, Stokowski’s hands will be seen in silhouette conducting the music. Following the titles, we will have a period of silence, perhaps 30 feet in length, during which we will establish the atmosphere of the Sorcerer’s castle. The opening music can taper off into this section, so that there is no music at all, or so that a low sustained tone only is heard.“24
Die Aufnahmen der Musik fanden von Mitternacht bis nach drei Uhr früh in der Nacht vom 9./10. Januar 1938 im Selznick Studio mit einem speziell für diesen Anlass zusammengestellten Orchester (und nicht dem Philadelphia Orchestra) statt.25 Stokowski war bereits eine Woche früher am 2. Januar 1938 mit der Partitur und den Stimmen in Pasadena eingetroffen, um mögliche Striche und Änderungen in der Musik zu besprechen. Das anschließende Re-Recording, die Abmischung von Musik und Soundeffekten, fand in den Studios der Radio Corporation of America (RCA) statt. William Garity, Toningenieur der Disney Film Recording Company, und Leigh Harline betreuten die Aufnahme.26 Garity war von der Qualität der Aufnahmen im fremden Studio – insbesondere mit dem Zusammenspiel des in sieben Stimmen unabhängig voneinander aufgenommenen Orchesters – enttäuscht: „My positive conclusion is that all we are getting for this expensive work is Stokowski’s name on the main title and that the musical results which may be spectacular and satisfactory to the average audience do not even approximate the perfection which we had expected would result from this effort and expense.“27
Stokowski war jedoch zufrieden, und sowohl Disney als auch die Kritiker der Uraufführung schlossen sich diesem Urteil an.28 Für die Realfilmaufnahmen des Orchesters am 19. Januar – Neuland für die Disney-Mitarbeiter29 – wurde ein extra Kameramann samt Team angeheuert.30 Währenddessen begannen die Zeichner ihre Arbeit an der Animation. Um den 5. November 1938 war die Rohfassung weitgehend fertig und konnte ins Reine gezeichnet werden („cleanups“). Die Produktionskosten waren zu diesem Zeitpunkt mit 162.600 Dollar auf ein Zwei- bis Dreifaches der bisherigen Silly Symphonies angestiegen. Bereits im Dezember 1937 hatte sich Roy Disney zu folgender Ermahnung genötigt gesehen: 24 Memo vom 29. November, zitiert nach David R. Smith, The Sorcerer’s Apprentice, S. 19. 25 Für die 85 Musiker war das Hyperion Tonstudio zu klein. 26 Disney hatte William Garity bereits 1928/29 bei Pat Powers kennengelernt und für sein eigenes Tonstudio in Kalifornien ausgeliehen, das er zu dieser Zeit aufbaute, um nicht länger ständig nach New York reisen zu müssen. Neal Gabler, Walt Disney, S. 131. 27 Zitiert nach Michael Barrier, The Animated Man. A Life of Walt Disney, S. 142. 28 David R. Smith, The Sorcerer’s Apprentice, S. 66. 29 Walt Disney selbst hatte allerdings Erfahrung z.B. aus den Alice-Filmen, in denen ein reales Mädchen in einer gezeichneten Welt agierte. 30 Ein Foto des Sets ist abgebildet z.B. in John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 168.
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3. Entstehung und Realisierung von Fantasia „I strongly believe we should hold down all extra investments in this picture as much as possible because of its very experimental and unprecedented nature. Frankly, we have no idea what can be expected from such a production as the short subject marked today is definitely very difficult.“31
Da es von vornherein unmöglich erschien, diese Kosten mit einem Kurzfilm wieder einzuspielen, beschloss Walt Disney den Schritt nach vorne zu wagen, und das Projekt zu einem „Concert Feature“ zu erweitern.32 Die ersten Vorstöße für einen abendfüllenden Film wurden bereits im Februar 1938 unternommen, als man sich erkundigte, ob man Stokowskis Vertrag, The Sorcerer’s Apprentice ohne Honorar zu dirigieren, auf einen Featurefilm mit angemessener Bezahlung erweitern könne.33 Am 18. August 1938 telegrafierte Disney an Stokowskis Agenten Meyerberg, wann Stokowski wieder an der Westküste sei: „If we are going ahead with the feature idea, it will necessitate our getting together with him to select material.“34 In einem Schreiben des Managers der Philadelphia Orchestra Association, Alfred Reginald Allen, an Stokowski vom 21. September 1938 fragte dieser nach den Terminen für die geplanten Aufnahmen und informiert Stokowski, dass das Board of Directors der Reduktion eines Entgelts zugestimmt habe, um das Projekt zu ermöglichen.35 Disney beauftragte zwei seiner Mitarbeiter, Dick Huemer und Joe Grant, eine Vorauswahl zu treffen, welche Kompositionen für einen Animationsfilm geeignet sein könnten. Neben Stokowski wurde der Komponist und Kritiker Deems Taylor als musikalischer Berater ins Team geholt, der wie Stokowski für sein Engagement bekannt war, „klassische“ bzw. „gute“ Musik einem breiten Publikum zugänglich zu machen.36 Deems Taylor hatte im Juni 1938 einen unerwarteten Anruf von Walt Disney erhalten, der ihn fragte, ob er Interesse habe, in einem seiner Filme zu erscheinen. Die Idee, gemeinsam mit Cartoonfiguren auf der Leinwand aufzutreten, begeisterte den für seinen Witz geschätzten Deems Taylor. In einem Brief vom 4. August 1938 erklärte ihm Disney jedoch, dass er im Moment so tief in der Arbeit zu Pinocchio und Bambi stecke, dass er wenig Zeit habe, sich auf das „musical feature” zu konzentrieren, das er mit Taylor in New York besprochen habe.37 Nur einen Monat später, Anfang September 1938, rief Disney erneut
31 Zitiert nach David R. Smith, The Sorcerer’s Apprentice, S. 67. 32 Die Belegschaft sollte sich in dieser Zeit von 800 im Jahr 1937 für die Produktion von Fantasia auf über 1000 vergrößern. Vgl. John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 12. 33 „By February the studio had cancelled Stokowski’s Apprentice contract, which called for 10 percent of the gross, and drafted a new contract paying him $ 125,000 to conduct the score for and appear in the new Concert Feature.“ Vgl. Neal Gabler, Walt Disney, S. 299. 34 David R. Smith, The Sorcerer’s Apprentice, S. 66. 35 Brief von Alfred Reginald Allen an Leopold Stokowski vom 21. September 1938 (University of Pennsylvania, Rare Book & Manuscript Library). 36 Dieses Vorhaben kam in der Erinnerung von Wiliam Zinsser 1940 nicht gut an: „I remember it for its heavy cultural pretensions: Uncle Walt bringing good music to the masses by wrapping it into easy-to-take animated cartoons.“ William Zinsser, Walt Disney’s secret freakout. Another, and surprising, look at ‚Fantasia‘. In: Life-Magazin, 3. April 1970, S. 13. 37 James A. Pegolotti, Deems Taylor: A Biography. Boston 2003, S. 233.
3.1 Der Weg zu Fantasia
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Taylor an und lud ihn nach Hollywood ein. Taylor schrieb in einem Brief an seine geschiedene Frau Mary Kennedy: „I am not entirely certain just what I do, except that I’m to consult with Disney and Stokowski and do a certain amount of commenting in the film. I told you the idea, didn’t I? A program of orchestral music, illustrated with Disney cartoons.“38
Taylor freute sich insbesondere darauf, Stokowski zu treffen, den er für seine Arbeit mit dem Philadelphia Orchestra sehr schätzte. Noch im September 1938 setzten sich Disney, Stokowski, Taylor, Grant, Huemer sowie die Chefs verschiedener Abteilungen in einer dreiwöchigen Konferenz zusammen, um über 100 Aufnahmen anzuhören und weitere Stücke für Fantasia auszuwählen.39 Unter den Werken befanden sich auch Don Quichotte und Till Eulenspiegel von Richard Strauss, Feuervogel, Petruschka und Renard von Igor Strawinsky, Zoltan Kodálys Háry János Suite, Sergej Prokofievs Liebe zu den drei Orangen, Hector Berlioz’ Ouvertüre Le carnaval romain, Walkürenritt und Pilgerchor von Richard Wagner, die Polka und Fuge aus Jaromír Weinbergers Schwanda, der Dudelsackpfeifer, Wolfgang Amadeus Mozarts Zauberflöte, Gustav Holsts Planeten und Camille Saint-Saëns’ Danse Macabre sowie verschiedene Variationen über das Lied Pop Goes the Weasel.40 Sie erörterten auch, ob man Rachmaninow als Pianisten engagieren oder ob man eine amerikanische Komposition spielen solle.41 Die Mitarbeiter diskutierten nicht nur unterschiedlichste Musiken, sondern auf einer Sitzung am 14. September 1938 auch, welche Gerüche man zu welchen Passagen versprühen könnte: „Stokowski suggested night-blooming cereus for Claire de Lune, jasmine for The Waltz of the Flowers, incense for Ave Maria and gunpowder for The Sorcerer’s Apprentice.“42
In der Sitzung am 14. September 1938 wurde das provisorische Programm für „The Concert Feature“ festgehalten: „1. Overture; 2. The Sorcerer’s Apprentice; 3. The Nutcracker Suite; 4. Bee, Mosquito, Butterfly or Mechanical Ballet43; 5. Night on Bald Mountain; 6. Ave Maria; 7. Cydalise et le Chèvre-Pied (Cydalise and the Faun); 8. Fugue; 9. Relief, 10. ‚Ride of the Valkyries‘; 11. ‚Clair de Lune‘; 12. Animal Ballet; 13. Relief; 14. Rite of Spring.“44 Noch nicht als solche speziell genannt werden in diesem frühen Programm die Toccata and Fugue in D 38 Ebenda. 39 „The three of them spent virtually the entire month in Room 232 listening to records of classical pieces, dozens of them, and pondering possible visualizations.” Neal Gabler, Walt Disney, S. 307. 40 Vgl. Charles Solomon, The Disney That Never Was, S. 122. 41 Disney beschloss, dass „Americans wouldn’t feel insulted if you left the American music out.“ Stokowski bemerkte: „To go back to Swanee River and that sentimental stuff – it isn’t for this picture I don’t think.“ Neal Gabler, Walt Disney, S. 307. 42 Ebenda. 43 Letzteres könnte angeregt worden sein von Fernand Légers Animationskurzfilm Ballet mécanique (1924). 44 Die Kursivsetzungen entsprechen Charles Solomon, The Disney That Never Was, S. 122. Vermutlich wurde Dance of the Hours anstelle des „Animal Ballet“ ausgewählt.
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3. Entstehung und Realisierung von Fantasia
minor, Dance of the Hours und The Pastoral Symphony. 45 Am Abend des 29. September 1938 lud Disney fünfzig bis sechzig Mitarbeiter ins Tonstudio. Dort wurden ihnen in einem zweieinhalbstündigen Klavier-Rezital ein Dutzend Kompositionen vorgespielt, die Disney kommentierte. Im Memo des nächsten Tages standen die Kompositionen dann fest: Bachs Toccata and Fugue in D Minor, Piernés Cydalise and the Goat-Foot, Tschaikowskys The Nutcracker Suite, Mussorgskys Night on Bald Mountain, Schuberts Ave Maria, Ponchiellis Dance of the Hours, Debussys Clair de Lune, Strawinskys The Rite of Spring und Dukas’ Sorcerer’s Apprentice.46 Als Leopold Stokowski im Januar 1939 zum Disney Studio zurückkehrte, waren die Vorbereitungen schon weiter fortgeschritten. Während der nächsten zwei Monate wurden die Partituren überarbeitet, die Anschlüsse besprochen und die Sequenzen so organisiert, dass die Kontinuität gewährleistet war. Stokowski reiste im März 1939 wieder ab, um in Philadelphia den Soundtrack einzuspielen. Walt Disney folgte ihm wenige Wochen später nach.47 Zu dieser Zeit wurde auch die Pastoralsymphonie als Ersatz für Gabriel Piernés Ballett Cydalise et le Chèvre-pied gewählt.48 Deems Taylor war brieflich nach seiner Meinung gefragt worden und hatte am 22. Februar 1939 geantwortet, dass er keine Einwände gegen die Entscheidung habe: „I can see no possible objection to it.“49 In einem Brief an Stuart Buchanan, der sich um die Musikrechte kümmerte, schrieb er: „If you had selected any other Beethoven Symphony, I would say nix; too dangerous. You can’t monkey with the Master.“50 Tatsächlich gab es sogar die Idee, dass Taylor selbst im Anschluss an The Pastoral Symphony als Zentaur – „half man and half a horse“ – verkleidet auftreten sollte.51 Völlig weggefallen sind in der endgültigen Version von 1940 das Insektenballett, der Walkürenritt und Clair de Lune, für die es jedoch bereits weitreichende Entwürfe gab. Edward Plumb, Leiter des Music Departments des Disney Studios, erwähnt fünf Kompositionen, für die nach Fertigstellung von Fantasia – mit einem verbesserten Fantasound-System – bereits die Musik eingespielt wurde.52 Zu Clair de Lune war sogar schon die Einleitung von Deems Taylor geschrieben. Debussys poetische 45 John Culhane führt eine fünfseitige Zusammenfassung an, die am 29. September 1938 an die Mitarbeiter des Disney Studios verteilt wurde und nur noch zwölf Kompositionen nennt, darunter bereits die Toccata and Fugue in D minor. Bereits am 10. September 1938 hatte das Team eine Aufnahme der Bearbeitung gehört. Vgl. John Culhane, Fantasia, S. 38. 46 Titel hier wie bei Neal Gabler, Walt Disney, S. 308. 47 Barrier zufolge nahm Stokowski im Mai 1939 den Rest der Musik in Philadelphia auf. Disney war bei diesen Terminen anwesend. Michael Barrier, The Animated Man, S. 146. 48 Das Ballett wird am 2. November 1938 als unpassend aufgegeben, da die Musik den Fluss der Bilder hemme. Im Februar 1939 hat der Storymen George Stalling einen Kurzplot für den dritten, vierten und fünften Satz der Pastoralsymphonie ausgearbeitet. Vgl. John Culhane, Fantasia, S. 134f. 49 James A. Pegolotti, Deems Taylor: A Biography, S. 241. 50 Zitiert nach Neal Gabler, Walt Disney, S. 313. 51 Robin Allan, Walt Disney and Europe. London 1999, S. 145. 52 Edward H. Plumb, The Future of Fantasound. In: Journal of the Society of Motion Picture Engineers. Juli 1942. Siehe auch www.widescreenmuseum.com/sound/Fantasound2.htm, 3. März 2008. Zum Fantasound siehe 3.3 Fantasound – ein Tonformat nicht nur für Fantasia.
3.1 Der Weg zu Fantasia
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Komposition sollte eine Art Ruhepunkt für das Publikum sein, damit es sich wieder auf die neuen Passagen konzentrieren könne: „The audience likes to spend a little time in a show, and you can learn a lesson from this – it doesn’t have to got at a rapid-fire bing-bing-bing tempo. And by getting something like this in, the rest of the ‚Concert Feature‘ seems shorter, because the audience has had a chance to rest, and they won’t get worn out by the other stuff.“53
In Make Mine Music (1946) wurde das visuelle Material von Clair de Lune mit dem Song Blue Bayou von Bobby Worth und Ray Gilbert wieder verwendet. Die Musik Richard Wagners war immer wieder – sowohl für die erste Version von 1940 als auch für die später einzuwechselnden Sequenzen – für Fantasia im Gespräch. Wagners Ring der Nibelungen und die Idee des Gesamtkunstwerks faszinierte die Zeichentrickfilmer, auch wenn nur wenige Mitarbeiter mehr über die Opern und das Konzept wussten.54 Sowohl die Wahl der Ausschnitte als auch die Frage, welche Visualisierung für Richard Wagners Ring der Nibelungen gewählt werden sollten, blieben lange Zeit offen. Disney empfand den Anblick singender (Opern-) Darsteller im Cartoon als schwierig und peinlich: „Why do we have to show the person singing? We can have the song come from a distance.“55 Nach Kriegseintritt der USA traten Ressentiments gegen Deutschland als Gründe hinzu, warum der Walkürenritt nie fertig gestellt wurde: „Disney may have feared producing a film glorifying German warriors slain in battle (even mythological ones), it could be misinterpreted as a pro-Nazi statement.“56 Hinzu kam, dass der Walkürenritt schon zu häufig parodiert worden war: „One of the reasons we kind of ducked it was there had been a lot of parodies of that ‘Hojotoho’ refrain, and we would have had to be very careful with it.“57 Taylor kehrte im Mai 1939 für einen Monat in die Disney Studios zurück, um sich die fortgeschrittenen Animationen anzusehen und seine Kommentare an die neue Programmwahl anzupassen. Danach besuchte er die Disney Studios für Fantasia noch einmal im Juli 1939, um seine Einführungen zu vollenden, und Anfang August 1940, um die Filmaufnahmen seiner Moderationen zu machen. Disney hatte ihn am 27. Juli 1940 per Brief eingeladen und den Radiomoderator vorsichtshalber an die angemessene Kleidung für den Dreh erinnert: „You’ll need your full dress clothes for the live action shooting, and with good luck we should be completely finished by the middle of September.“58 Tatsächlich wurde der 53 Walt Disney auf der Konferenz am 8. Dezember 1938. Zitiert nach Charles Solomon, The Disney That Never Was, S. 128. 54 Zu den faszinierendsten Auseinandersetzungen mit Wagner gehört der Cartoon What’s Opera, Doc (Der Ring des Niegelungen) von 1957 der Warner Brothers, in dem Bugs Bunny und Elmar Fudd als Brünnhilde und Siegfried zu einer wahnwitzigen Score aus Wagner-Motiven von Carl Stalling singen und agieren. Aber auch Oskar Fischinger nutzte Wagners Musik, so z.B. aus dem Tannhäuser für Kreise (1933). 55 Konferenz vom 27. Januar 1941, zitiert nach John Canemaker, The Fantasia That Never Was. In: Griffithiana. Nr. 34 (Dezember 1988), S. 15. 56 John Canemaker, The Fantasia That Never Was, S. 16. 57 Joe Grant zitiert nach Charles Solomon, The Disney That Never Was, S. 142. 58 James A. Pegolotti, Deems Taylor, S. 246.
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3. Entstehung und Realisierung von Fantasia
Film jedoch erst im letzten Moment fertig und die restlichen Filmrollen nur vier Stunden vor der Premiere mit einem gecharterten Flugzeug in New York City angeliefert. Am Mittwoch, 13. November 1940 feierte Fantasia Premiere im Broadway Theater in New York, einem Kino mit 2000 Plätzen, in dem der Film ein Jahr lang lief. 59 In Los Angeles startete der Film erst zweieinhalb Monate später am 29. Januar 1941. Grund für die Bevorzugung von New York als Ort der Premiere war Moya Luckett zufolge Disneys Absicht, dass Fantasia als Ereignis mit „East Coast culture and tradition rather than Hollywood glitter and frivolity“ assoziiert werden solle.60 Zudem versprach man sich, in New York auch die führenden Musik- und nicht nur Filmkritiker anzuziehen. Fantasia sollte gehobene Unterhaltung jenseits von Popcorn sein: So gab es Pläne, Fantasia in Konzertsälen statt in gewöhnlichen Kinos zu zeigen.61 Disney setzte große Erwartungen in Fantasia, d.h. seinem Ziel noch näher zu kommen, den Zeichentrickfilm als Kunst zu verankern. Nach dem großen Erfolg von Snow White glaubte Disney, endlich Mittel in einem ähnlichen Umfang in seine Filme investieren zu können wie es für Realfilme möglich war. The Sorcerer’s Apprentice sollte nur der Beginn einer Reihe ähnlicher Projekte werden, in denen Animation mit „various well known pieces of music“ gepaart werden solle, wie es das Liberty Magazine bereits am 9. April 1938 schrieb.62 Von Fantasia erhoffte sich Disney einen Umgang mit der Animation, wie er in den bisherigen Filmen – und den parallel zu Fantasia konzipierten Pinocchio und Bambi – nicht möglich gewesen war: „I don’t know what we can do yet, but I feel there is an awful lot that we have wanted to do for a long time and had never had the opportunity or excuse, but when you take pieces of music like this, you really have reason to do what we want to do.“63
Eine Konferenz-Notiz vom 8. Dezember 1938 hält fest, welche Ambitionen Disney für Fantasia hatte: „This is not the cartoon medium. It should not be limited to cartoons. We have worlds to conquer here… We have an hour and forty-five minutes of picture and we’re doing beautiful 59 Das Kino war ehemals unter dem Namen Colony bekannt, wo auch Steamboat Willie seine Premiere feierte. 60 Zitiert nach Moya Luckett, Fantasia. Cultural Constructions of Disney’s Masterpiece. In: Eric Smoodin (Hg.), Disney Discourse: Producing the Magic Kingdom. New York 1994, S. 217. „Los Angeles in the thirties could hardly have been described as urban, at least not in the same way that New Yorkers might have characterized their city.“ Susan Willis, Fantasia – Walt Disney’s Los Angeles Suite. In: Diacritics. Vol. 17 (Sommer 1987), S. 84f. Während Snow White tatsächlich in Los Angeles Premiere hatte, fand die von Pinocchio ebenfalls bereits in New York statt. 61 Vgl. Leonard Maltin, The Disney Films. New York 1973, S. 44. 62 Zu dieser Zeit wurde eventuell auch an Debussys L’après-midi d’un faune gearbeitet. Vgl. Michael Barrier, Hollywood Cartoons. American Animation in its Golden Age. Oxford 1999, S. 245. 63 Notiz einer Storykonferenz am 30. September 1938. Zitiert nach Michael Barrier, Hollywood Cartoons, S. 248.
3.1 Der Weg zu Fantasia
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things with beautiful music. We’re doing comic things, fantastic things, and it can’t be all the same – it’s an experimental thing, and I am willing to experiment on it. We’ve got more in this medium than making people laugh – we love to make people laugh, but I think we can do both… Excuse me if I get a little riled up on this stuff, but it’s a continual fight around this place to get away from slapping somebody on the fanny or having somebody swallow something… It’s going to take time to get ourselves up to the point where we can really get some humor in our stuff, rather than just belly laughs; and get beauty in it, rather than just flashy postcards. It takes time to do that, but I think we will…“64
Bei der Suche nach einem Titel für das Concert Feature, bei der sich die Mitarbeiter auch in Form eines Wettbewerbs beteiligen konnten, wurden dann auch Vorschläge wie Highbrowski by Stokowski eingereicht.65 Schon vor der Premiere gab es Überlegungen, Fantasia zum Fortsetzungsprojekt auszubauen. Walt Disney erklärte 1940: „It is our intention to make a new version of Fantasia every year. Its pattern is very flexible and fun to work with – not really a concert, not a vaudeville or a revue, but a grand mixture of comedy, fantasy, ballet, drama, impressionism, color, sound and epic fury.“66
Zwei Monate vor der Premiere von Fantasia schickte Disney an Taylor verschiedene Einleitungen für zukünftige musikalische Nummern, „in case we decide to make any of them.“ Igor Strawinsky verkaufte 16 Tage nach einer privaten Vorführung Disney die Option, den Feuervogel für weitere Filme zu verwenden, außerdem Rechte für Renard und Feu d’artifice. Sergej Prokofiev schrieb Disney: „I have composed [Peter and the Wolf] with the hope that I would get to see you and that you would make a cartoon with my music.“67 Um Weihnachten 1940 schrieb Stokowski an Disney: „From all the talk I hear in and around New York about Fantasia, I think if we put in one new number, almost everyone would go to hear the whole picture again. Then a few months later if we put in another new number most of them will go again. All this is in addition to those who have not heard it yet but are planning to go…“68
Tatsächlich spielte Stokowski bereits im Februar 1941 fünf weitere Kompositionen für Disney ein.69 Die Musikstücke, die als zusätzliche Passagen für Fantasia in Betracht gezogen wurden, orientierten sich an den Vorschlägen, die bei den Sitzungen im September 1938 diskutiert worden waren. In den Walt Disney Archives in Burbank liegen Entwürfe aus der Zeit bis August 1941 zum Walkürenritt von Richard Wagner, Der Schwan von Tuonela von Jean Sibelius, Aufforderung zum Tanz von Carl Maria von Weber, Minutenwalzer von Frédéric Chopin, Adventures in a Perambulator von John Alden Carpenter, einem „Baby Ballet” zu einem Potpourri 64 Zitiert nach John Canemaker, The Fantasia That Never Was, S. 21, und Charles Solomon, The Disney That Never Was, S. 12. 65 Fast 800 Vorschläge gingen ein. Vgl. Neal Gabler, Walt Disney, S. 316. 66 Zitiert nach John Culhane, Fantasia 2000, S. 10. 67 Zitiert nach John Canemaker, The Fantasia That Never Was, S. 20. 68 Ebenda, S. 14. 69 Michael Barrier, Hollywood Cartoons, S. 279. Vgl. auch Fußnote 52.
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3. Entstehung und Realisierung von Fantasia
aus Händel, Mozart und Brahms, dem Hummelflug von Nikolaj RimskyKorsakow,70 dem Mosquito Dance von Paul White und dem Klavierstück Schmetterling von Edvard Grieg.71 Auch alte Silly Symphonies, die in Farbe wieder verwendet werden sollten, oder kurze Live-Action-Passagen wurden für das erweiterte Fantasia in Betracht gezogen. Außerdem hatte Disney vor, das Prinzip der tanzenden Pilze der Nutcracker Suite zu wiederholen. Eine Liste, die der Mitarbeiter Robert Spencer Carr anfertigte, schlägt dafür acht Kompositionen vor, darunter Edvard Griegs Zug der Zwerge, Wolfgang Amadeus Mozarts Rondo alla turca, die Polowetzer Tänze aus Prinz Igor von Alexander Borodin und Reinhold Glières Tanz der russischen Matrosen aus dem Ballett Roter Mohn. Disney selbst schlug Claude Debussys Golliwogg’s Cakewalk aus der Klaviersuite Children’s Corner oder „something modern like Shastakovitch [sic]“ vor.72 Im Unterschied zur ersten Fassung von Fantasia sprach Disney nun ständig von der Notwendigkeit, bei der Entwicklung der neuen Episoden auf das Geld zu achten und machte künstlerische Entscheidungen wie z.B. die Schnittfrequenz von der Kostenfrage abhängig: „This thing depends on what’s going to cost us.“73 Die Arbeit an weiteren Folgen für Fantasia war schon weit vorangeschritten, als Disney am 3. Juli 1941 erklärte, dass an ihnen nur weitergearbeitet werden solle, wenn es sonst nichts Wichtiges zu tun gäbe: „We keep it as a buffer, but not to keep people busy in a permanent way because we can’t afford to do that.“74 Der Entscheidung vorausgegangen waren schwere finanzielle Probleme, die seit Frühjahr 1940 auch zu Entlassungen und Einschränkungen bei den noch laufenden Filmprojekten Dumbo und Bambi geführt hatten. Nachdem Mitte Mai 1941 erneut eine große Zahl Mitarbeiter – überwiegend Gewerkschaftsmitglieder – und am 27. Mai Art Babbitt entlassen wurden, begann am 28. Mai der Streik, der bis zur Einigung mit der Gewerkschaft Ende Juli 1941 dauern sollte. Gleichwohl wurde die Zahl der Mitarbeiter bis November 1941 weiter auf 530 reduziert, und in Folge des Angriffs auf Pearl Harbor im Dezember 1941 wurden alle Pläne für zukünftige Projekte auf Eis gelegt.75 Disney selbst betrachtete Fantasia rückwirkend als einen unbefriedigenden Kompromiss, der den finanziellen Umständen geschuldet war:
70 Die Idee wurde in Melody Time verwendet, allerdings zu einer Jazzversion des Hummelflugs von Freddy Martin. 71 Vgl. John Canemaker, The Fantasia That Never Was, S. 15. 72 John Canemaker, The Fantasia That Never Was, S. 17. 73 Michael Barrier, The Animated Man, S. 163. 74 Zitiert nach John Canemaker, The Fantasia That Never Was, S. 18. Disney suchte aber weiterhin den Kontakt zu herausragenden Künstlern, um das Medium des Zeichentrickfilms voranzutreiben, wie z.B. 1946 durch die Zusammenarbeit mit Salvador Dalí für Destino. Vgl. Charles Solomon, Dalí et Disney. In: Bruno Girveau (Hg.), Il était une fois Walt Disney. Aux sources de l’art des Studios Disney. Katalog zur Ausstellung im Grand Palais in Paris vom 16. September 2006 bis 15. Januar 2007, S. 238–248. Disney engagierte außerdem den amerikanischen Maler Thomas Hart Benton, um ein Cartoon Ballett über die amerikanische Legende Davy Crockett zu entwerfen. 75 Vgl. Michael Barrier, Hollywood Cartoons, S. 319.
3.2 Leopold Stokowski und Deems Taylor
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„I wanted a special show just like Cinerama plays today… I had Fantasia set for a wide screen. I had dimensional sound… To get that wide screen I had the projectors running sideways… I had the double frame. But I didn’t get to building my cameras and my projectors because the money problem came in… The compromise was that it finally went out standard [that is, standard screen dimensions] with dimensional sound. I think if I had the money and I could have gone ahead I’d have had a really sensational show at that time.“76
3.2 LEOPOLD STOKOWSKI UND DEEMS TAYLOR Als sich Walt Disney für Fantasia den Dirigenten Leopold Stokowski und den Kritiker-Komponisten Deems Taylor als Partner ins Team holte, war der Zeichentrickfilm-Tycoon Chef eines Imperiums mit über 700 Mitarbeitern, das er mit uneingeschränkter Macht regierte.77 Erzählte Disney von den Arbeiten des Disney Studios, sprach er häufig in der ersten Person, als ob er selbst die Kamera geführt und die Gags gezeichnet habe.78 Dem jungen Ken Anderson machte er bei dessen Arbeitsbeginn im Studio von Anfang an klar, für wen dieser sich anzustrengen habe: „There’s just one thing we are selling here, and that’s the name ‚Walt Disney‘. If you can buy that and be happy to work for it, you’re my man. But if you’ve got any ideas of selling the name ‚Ken Anderson‘, it’s best for you to leave right now.“79
Walt Disney achtete genau darauf, dass sein „Renommee als alleiniger kreativer Kopf des Unternehmens“80 gewahrt blieb und die Werke des Studios als „Walt Disney Filme“ auf den Markt kamen. Stokowski und Taylor selbst jedoch wiesen bereits zum Zeitpunkt ihres Engagements bei Disney sowohl einen Bekanntheitsgrad als auch ein eigenständiges Image auf, welche die sonst üblichen eines Dirigenten oder Musikkritikers weit überschritten. Walt Disney hätte also befürchten können, dass der Ruf und die Kompetenz dieser zwei berühmten Kreativen sowohl seinen Anspruch auf Autorschaft als auch seine Entscheidungsfreiheit hätten schmälern können. Tatsächlich gelang es ihm jedoch, Stokowski und Taylor so einzubinden, dass der Film von ihren spezifischen Talenten und ihrem Ansehen profitieren konnte, ohne seinen Stempel als „Walt Disney Film“ zu verlieren.
76 Michael Barrier, The Animated Man, S. 162. 77 Zwar hatte das Unternehmen 1923 als „Disney Brothers Cartoon Studio“ begonnen, doch bereits nach drei Jahren nannte man es 1926 in „Walt Disney Studio“ um, und das, obwohl Ub Iwerks und Roy Disney als Partner am Unternehmen beteiligt waren. Nachdem sowohl Iwerks als auch Stalling das Studio verlassen hatten, scheint es keine als gleichwertig zu achtenden Partner mehr, sondern nur angestellte Mitarbeiter gegeben zu haben. Roy Disney kümmerte sich ausschließlich um die Finanzen – die Nichtbeachtung seiner mahnenden Briefe, das Budget nicht noch weiter zu überziehen, lässt jedoch die Folgerung zu, dass auch hier Walt Disney die letztgültige Entscheidungsmacht hatte. 78 Michael Barrier, The Animated Man, S. 136f. 79 Zitiert nach Neal Gabler, Walt Disney, S. 206. 80 Andreas Platthaus, Von Mann und Maus. Die Welt des Walt Disney. Berlin 2001, S. 58.
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3. Entstehung und Realisierung von Fantasia
Gabler zufolge genoss Disney es, die Verantwortung für Fantasia zu teilen und war zu dieser Zeit gelöster als bei anderen Projekten: „In part, it was because this time Walt wasn’t carrying the entire burden; since he clearly didn’t know as much about music as his collaborators, he was sharing the burden with Stokowski and Taylor.“81
Selbst in den Biografien zu Stokowski und Taylor wird Fantasia nicht als kollektive kreative Leistung eines Leitungsteams aufgeführt, sondern bleibt – trotz beispielsweise der augenfälligen Ähnlichkeit mit früheren Filmszenen Stokowskis – bloße Mitarbeit an einem Disney Film. Auch in einem Trailer von 1940 wird der Film mit dem Titel „Walt Disney’s Fantasia with Stokowski“ angekündigt.82 Dass der Film nicht als gemeinsames Werk bewertet wird, liegt in diesem Fall jedoch nicht daran, dass die Mitarbeit an einem Disney Film von Stokowski oder Taylor selbst etwa als ehrenrührig eingestuft wurde.83 Vielmehr scheint die Marke „Walt Disney Film“ so stark gewesen zu sein, dass sich der eigene Name ihr unter- oder beizuordnen hatte. Die musikalische Leitung Stokowskis und die Moderation Taylors wurden als der filmischen Leistung bzw. Animationskunst des Disney Studios untergeordnet wahrgenommen, obwohl ihre Beteiligung das Konzept eines „Concert Features“ maßgeblich ausmachte. Deems Taylor (1886–1966) hatte sich bereits vor Fantasia als Komponist und als Kritiker einen weitreichenden Ruf in den USA erarbeitet. Nach ersten Erfolgen als Komponist von Orchesterwerken wie z.B. Through the Looking Glass (1918) arbeitete der gebürtige New Yorker ab 1921 außerdem als Musikkritiker der angesehenen New York World. Als sich die Metropolitan Opera bei ihm nach einem amerikanischen Komponisten erkundigte, dem sie einen Auftrag für eine „große amerikanische Oper“ erteilen könne, schlug er sich selber vor und komponierte The King’s Henchman. Die Oper wurde mit großem Erfolg am 17. Februar 1927 aufgeführt und als „New American Opera” gefeiert.84 Es folgte die Oper Peter Ibbetson (1931), die ebenfalls erfolgreich war. Zum Moderator von Fantasia wurde er vor allem wegen seiner Erfahrung und Beliebtheit als Radiomoderator des Columbia Broadcasting Systems (CBS) gewählt, der mit seinen Kommentaren in den Pausen live übertragener Konzerte des New York Philharmonic ein großes Publikum erreichte. Seine Ansagen erfreuten sich großer Beliebtheit, da sie informativ und unterhaltsam waren: 81 Neal Gabler, Walt Disney, S. 309. 82 Enthalten auf der DVD Fantasia – Legacy der Walt Disney Fantasia Anthologie. 83 Umgekehrt wurde jedoch kritisiert, dass sich Disney mit Stokowski einließ: „In a general or show-business way, I think Mr. Walt Disney has made his first mistake. Someone told him about the capital letter in Music, or more specifically someone introduced him to Dr. Leopold Stokowski. This is a wrong-foot start for describing Fantasia, which I intend to review here, but I do wish that people who are simply swell in their own right would stop discovering about art and stuff and going swish. First Chaplin learns about the class struggle; now Disney meets the Performing Pole. And it’s worse in Disney’s case, because his studio has always turned out the most original sound-track in films.“ In: Robert Wilson (Hg.), The film criticism of Otis Ferguson. Philadelphia 1971, S. 209. 84 James A. Pegolotti, Deems Taylor, S. 158 f.
3.2 Leopold Stokowski und Deems Taylor
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„Aware that most of us don’t care whether music is legato, rubato, or tomato, Deems doesn’t tell much about a sudden change of key after the crescendo in the piccolo… He talks about composers as they were actual men with human frailties, such as stealing, lying, cheating… as well as musical geniuses.“85
Trotz gelegentlicher Vorbehalte gegenüber zeitgenössischer Musik setzte er sich für seine – im Vergleich zum eigenen Kompositionsstil – modernen Kollegen ein und gab seinen Hörern den Rat, neue Kompositionen mindestens zweimal zu hören, bevor sie sich ein Urteil bildeten: „Because your first impression is only a reaction, and a reaction is not an opinion.“86 Taylor veröffentlichte die Essenz seiner Moderationen in unterhaltsamen Büchern – z.B. Of Men and Music (1938) und The Well-Tempered Listener (1940) –, die zu Bestsellern und auch ins Deutsche übersetzt wurden.87 Taylor war zudem von 1942 bis 1948 Vorsitzender der American Society of Composers, Authors and Publishers (ASCAP). Bei der Verleihung der Gallatin Medaille der New York University 1962 ehrte der Komponist William Schuman den vielseitig talentierten Taylor als „composer, speaker, popularizer, writer, author, critic, translator, editor, and judge of Miss America.“88 Sowohl in seiner publizistischen Arbeit als auch in seinem Engagement in den Verbänden trat Taylor dafür ein, das amerikanische Musikwesen zu professionalisieren und auszubauen. Sein Ziel war es, in den Vereinigten Staaten eine nationale Musik zu schaffen, die der europäischen Kunst mit eigenem Selbstbewusstsein entgegentreten würde. Anzusetzen sei hier bei der gesamten Bevölkerung, aus der ein gleichermaßen gut ausgebildetes Publikum und Künstlertum hervorgehen sollte. Den Glauben, dass die Erfahrung „klassischer“ Musik zu einer höheren Lebensqualität in der Bevölkerung führen würde, teilte Taylor nicht nur mit Stokowski. Es war ein weit verbreiteter Topos der Zeit, „that classical music was a powerful cultural and moral force, and that Americans sadly lacked access to it, especially when compared to their European counterparts.“89 Grammophon, Radio und später Film90 sollten dazu beitragen, wahlweise „good music“, „the better class of music“, „first-class music“, „great music“ oder „the best music“91 zu
85 Der Herausgeber des World-Telegram Alton Cook zitiert nach James A. Pegolotti, Deems Taylor, S. 220. 86 Zitiert nach James A. Pegolotti, Deems Taylor, S. 221. 87 Deems Taylor, Der wohltemperierte Zuhörer. Nützliche und ergötzliche Hinweise insbesondere für Hörer von Orchesterwerken auch am Radio. München 1948; Deems Taylor, Moments mausicals. München 1957. 88 James A. Pegolotti, Deems Taylor, S. xix. Tatsächlich gehörte Taylor einmal der Jury zur Wahl der Miss America an. Taylor unterrichtete außerdem kurze Zeit sowohl Samuel Barber als auch Marc Blitzstein. 89 Mark Katz, Making America More Musical through the Phonograph, 1900–1930. In: American Music, Vol. 16 (Winter 1998), S. 449. 90 Sowohl Stumm- als auch Tonfilm. Man denke an die Idee, berühmte Dirigenten abzufilmen und die Abbilder Provinzorchester dirigieren zu lassen. 91 Mark Katz, Making America More Musical, S. 449.
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3. Entstehung und Realisierung von Fantasia
verbreiten und – quasi als „soziale Währung“92 – gegenüber dem schlechten Geschmack des einfachen Mannes durchzusetzen.93 „Both local stations and networks presented shows that focused on educating listeners, and exposing them to, what critics and musicologists considered the best in serious composition.“94
So liefen 1936, als Taylor seine Tätigkeit als Radiomoderator begann, auf den vier großen nationalen Netzwerken Mutual Broadcasting System (MBS), Columbia Broadcasting System (CBS) und dem Red bzw. Blue Network der National Broadcasting Company (NBC) zahlreiche Live-Übertragungen von Konzerten mit „klassischer“ und „leichter“ Musik, dank derer es einer Vielzahl von Menschen möglich war, auch in der Provinz und ohne Eintrittskarte Musik zu hören. Für das ambitionierte Projekt Fantasia war der weit über die üblichen Kreise bekannte Stokowski ein geeigneter Partner, um auch in musikalischer Hinsicht höchste Qualität und künstlerische Innovation behaupten zu können: „For the first half of the [twentieth] century, Stokowski epitomized for most Americans what the symphony conductor should look like, how he should behave.“95 Leopold Stokowski hatte 1913 in einer Jury gesessen, die Taylor den Zweiten Preis für seine Komposition Siren Song verliehen hatte. Die Auszeichnung war eine wichtige Bestätigung für Taylor gewesen, seinen Weg als Komponist weiter zu verfolgen.96 Leopold Stokowski führte auch später immer wieder Werke von Taylor auf, so z.B. 1924 die Suite Through the Looking Glass mit dem Philadelphia Orchestra, deren New Yorker Darbietung Taylor in seiner Funktion als Kritiker der World selber rezensierte.97 Der in London geborene und als Organist am Royal College of Music ausgebildete Leopold Stokowski (1882–1977) hatte 1905 eine Stelle als Organist an der St. Bartholomäus Kirche in New York angenommen und war 1909 musikalischer Leiter des Cincinatti Symphony Orchestras geworden. Bereits 1912 trat er die Stelle des Chefdirigenten beim Philadelphia Orchestra an, von der er sich nach Streitigkeiten mit dessen Direktorium von 1936 bis 1940 schrittweise 92 Lawrence Schenbeck, Music, Gender, and „Uplift“ in the Chicago Defender, 1927–1937. In: The Musical Quarterly, Vol. 81, Nr. 3 (1997), S. 344. 93 Siehe Diskussion um The Band Concert z.B. in: David Wondrich, I love to hear a Ministrel Band. Walt Disney’s Band Concert. In: Daniel Goldmark und Yuval Taylor (Hg.), The Cartoon Music Book. Chicago 2002, S. 67–72. 94 William H. Young and Nancy K. Young, Music of the Great Depression. Westport 2005, S. 172. 95 Yehudi Menuhin, zitiert nach Charles L. Granata, Disney, Stokowski, and the Genius of Fantasia. In: Daniel Goldmark und Yuval Taylor (Hg.), The Cartoon Music Book. Chicago 2002, S. 79. 96 Vgl. James A. Pegolotti, Deems Taylor, S. 35. 97 In die Verlegenheit, eigene Werke besprechen zu müssen, kam Taylor häufiger. Er tat dies mit Witz, indem er z.B. mit Bernard Shaw argumentierte, dass sich der Mensch alle sieben Jahre vollständig erneuere. Daher könne er eine elf Jahre alte Komposition von ihm als das Werk eines Fremden beurteilen. Er schließt mit dem Appell: „We should like to hear more works by the same composer.“ Vgl. James A. Pegolotti, Deems Taylor, S. 97, S. 99 und S. 115.
3.2 Leopold Stokowski und Deems Taylor
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zurückzog. Seine amerikanische Erstaufführung von Mahlers Achter Symphonie im Jahr 1916 mit dem Philadelphia Orchestra war ein einschlagender Erfolg: „That single event catapulted Philadelphia to the top rung of the world’s musical capitals, made Stokowski an international superstar, and began a progressive movement of Mahler performances which made that neglected master as popular as Brahms.“98
Im Unterschied zu anderen Dirigenten seiner Zeit war Stokowski von Anfang an ein begeisterter Anhänger und gefeierter Pionier moderner Aufnahmetechnik, für den das Mischen im Studio „the ultimate in conducting“ bedeutete.99 Noch bevor Stokowski sich mit Radioübertragungen und Schallplattenaufnahmen zu beschäftigen begann, experimentierte er mit dem live erklingenden Orchesterklang, indem er die traditionelle Aufstellung der Instrumentengruppen aufbrach, die Streicher ihre Bögen asynchron bewegen ließ und im Konzertsaal verschiedene Wandplatten ausprobierte, die den Klang des Orchesters besser reflektieren sollten.100 Seine erste Plattenaufnahme spielte er 1917 für die Viktor Talking Machine Company ein, deren Qualität allerdings enttäuschend war.101 Nach der Einführung elektrischer Aufnahmeverfahren wagte Stokowski 1925 einen erneuten Versuch und begann damit, bekannte Werke des Orchesterrepertoires auf Platte einzuspielen. „Never content to leave technical matters to the technicians, he took an intense interest in the nascent art of microphone placement and, according to contemporary accounts, invented the technique of placing accent mikes in front of certain instruments within the orchestra to highlight their solo passages or capture musically expressive detail within the aggregate sound.”102
Bereits 1931 nahm er an einer Serie von Versuchen in den Bell Laboratories teil, die zur ersten stereophonen Aufnahme von Orchestermusik und der Entwicklung eines Aufnahmesystems führten, das den Frequenzen und der Dynamik von Orchestermusik gerecht wurde. „Throughout his lifetime … Stokowski was easily its most innovative musician. He initiated, furthered, or utilized virtually every technological and sonic development as records orchestral performance, electrical recording, FM radio and stereophonic sound when he conducted the music for Walt Disney’s 1940 film classic Fantasia.“103
Stokowski kehrte 1972 nach Großbritannien zurück, wo er 1977 starb. Noch an seinem 94. Geburtstag hatte er einen Plattenvertrag unterzeichnet, der auf sechs Jahre bis zu seinem 100. Geburtstag angesetzt war.
98 Abram Chasins, Stokowski’s Legend – Mickey Mouse To Mahler. In: New York Times, 18. April 1982, S. 22. 99 Vgl. Charles L. Granata, Disney, Stokowski, and the Genius of Fantasia, S. 85. 100 Hans Fantel, Stokowski, an Audio Prophet. In: New York Times, 30. Mai 1982, S. 22. 101 Die erste Einspielung einer kompletten Sinfonie fand 1913, dem Uraufführungsjahr des Rite of Spring, mit Beethovens Fünfter Symphonie unter der Leitung von Arthur Nikisch und den Berliner Philharmonikern statt. Vgl. Peter Hill, Stravinsky – The Rite of Spring. Oxford 2000, S. 118. 102 Hans Fantel, Stokowski, an Audio Prophet, S. 22. 103 Abram Chasins, Stokowski’s Legend – Mickey Mouse To Mahler, S. 21.
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3. Entstehung und Realisierung von Fantasia
Als Leopold Stokowski 1936 von Boris Morros, dem musikalischen Leiter bei Paramount, nach Hollywood eingeladen wurde, um bei dem Film The Big Broadcast of 1937 mitzuwirken, sah er darin die Gelegenheit, mit den Mitteln des Tonfilms noch mehr Menschen zu erreichen. In der Filmindustrie waren die Ausbreitung des Radios und die Popularität seiner Musikstars zunächst als Bedrohung empfunden worden, doch schnell besann man sich auf die eigenen Stärken und brachte die Stars des Radios auf die Leinwand, so dass ihre Fans sie nun auch sehen konnten. Während sich ein Großteil der frühen Filmmusicals um die „immer gleiche Geschichte vom Revuegirl, das zum Star avanciert, und von den Schwierigkeiten, eine Revue auf die Beine zu stellen,“104 rankte, war die Handlung der Serie The Big Broadcast im Radiogeschäft mit seinen Shows, Stars und Diven, Geräuschemachern, Radio-Seelsorgern, Live-Reportagen und Musikübertragungen angesiedelt. Im Film The Big Broadcast of 1937 ist der Name Leopold Stokowski von Anfang an präsent, da ein arbeitsloser Musiker im Studio auf der Suche nach Leopold Stokowski umherirrt, dem er unbedingt vorspielen möchte, und in alle möglichen Sendungen reinplatzt.105 Erst viel später erscheint Stokowski tatsächlich und dirigiert eine eigene Bearbeitung von Bachs Choral Eine feste Burg und die Kleine Fuge in G-moll BWV 578. Nach den vorangegangenen und dem Genre vertrauten Musiknummern stellt dieser ausgedehnte Einschub um den Auftritt von „Leopold Stokowski and His Symphony Orchestra“ nicht nur musikalisch, sondern auch szenisch einen Bruch dar, dem viel Zeit eingeräumt wird. Die Macher von Fantasia orientierten sich später an diesem frühen Versuch in Schwarzweiß, Orchestermusik und Film aufeinander abzustimmen: Die ersten Einstellungen zeigen Stokowskis ausgeleuchteten Hände und Arme in Großaufnahme, dann wird er von der Seite – alles noch ohne Orchester – mit weißem loderndem Haar präsentiert. Mit dem ersten Fugenthema werden – ähnlich wie später in Fantasia – die einsetzenden Instrumente gefilmt, häufig aus der Perspektive Stokowskis, so dass man vor dem Orchester noch seine Hände im Bild sieht.106 Gegen Ende der Sequenz fährt die Kamera langsam in die Totale und zeigt das gesamte Orchester. Anstelle eines Films über Richard Wagner, in dem Stokowski sowohl die Rolle des Komponisten übernehmen als auch die Musik einspielen sollte,107 wurde Stokowski 1937 für den Film A Hundred Men and a Girl engagiert. Stokowski bestand darauf, dass der Soundtrack mit dem Philadelphia Orchestra und im Mehrkanalton aufgenommen werden sollte. In der Musikkomödie gründet Patsy (Deanna Durbin), die Tochter eines arbeitslosen Musikers, aus dessen brotlosen Kollegen ein Sinfonieorchester und gewinnt nach zahlreichen Anläufen den be104 Ulrich Gregor und Enno Patalas, Geschichte des Films 1. 1895–1939. Reinbek 1989, S. 211. 105 Ich bedanke mich bei den Mitarbeitern des UCLA Film and Television Archive Los Angeles, bei denen ich eine alte Nitrat-Version des Films auf DVD überspielt sehen konnte. 106 Es wird berichtet, dass Stokowski bereits 1926 mit einem Spotlight experimentierte, das seinen Kopf und seine Hände beleuchten sollte, während das Orchester aus dem Dunkel ertönte. Vgl. John Ardoin (Hg.), The Philadelphia Orchestra. A Century of Music. Philadelphia 1999, S. 38. 107 Preben Opperby, Leopold Stokowski. New York 1982, S. 66.
3.2 Leopold Stokowski und Deems Taylor
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rühmten Dirigenten Leopold Stokowski endlich dazu, ein Konzert mit ihnen zu geben. Auch in diesem Film sind diverse musikalische Ausschnitte aus Orchesterwerken und Opern in die Handlung eingeschoben, darunter der vierte Satz von Peter I. Tschaikowskys Symphonie Nr. 5, das Vorspiel zum dritten Akt von Richard Wagners Lohengrin, das „Halleluja“ aus Wolfgang Amadeus Mozarts Exsultate, jubilate, Franz Liszts Ungarische Rhapsodie Nr. 2 sowie „Brindisi“ aus Giuseppe Verdis Oper La Traviata. Der als Musikkomödie oder „musical treat“108 eingestufte Film räumt – ähnlich wie bereits The Big Broadcast of 1937 – den Aufnahmen des musizierenden Orchesters und seines Dirigenten auffallend viel Platz ein. So konzentriert sich der gesamte Anfang des Films auf die Aufführung der Fünften Symphonie von Tschaikowsky in einem ausverkauften Konzertsaal und zeigt in verschiedenen Einstellungen den agierenden Stokowski, die verschiedenen Orchestermusiker und das Publikum.109 Bei Stokowskis Kritikern kam diese Form, Musik und deren Aufführung zu inszenieren, nicht immer gut an. Stokowski entgegnete auf die häufig seiner Person gegenüber geäußerten Vorbehalte, ein Scharlatan und narzisstischer Selbstdarsteller zu sein: „I have often been called a showman, and I hope some day to merit that title, in the best sense of the word.“110 So unterschiedlich Disney und Stokowski – „the epitome of the classical artist and the epitome of the commercial artist“ – nach außen erschienen, haben sie sich sehr gut verstanden und vor allem respektiert: „Stokowski seemed to love the free-spiritedness of the Disney studio. Walt seemed to love the highbrow legitimization that Stokowski bestowed… As informal as he was, he always called his associate ‘Mr. Stokowski,’ never ‘Leopold’ or ‘Stoki,’ which was his nickname, and he always privileged Stokowski’s opinions, rarely contradicting him.“111
Zufällig, wie das Treffen im Restaurant von Disney und Stokowski zwar scheinbar war, passten Stokowskis und Taylors Profile genau zu Disneys Vorhaben, mit Fantasia das Medium des Zeichentrickfilms langfristig vom Makel zu befreien, nur für die Komik von Cartoons geeignet zu sein.112 Stokowski und Taylor, die 108 So auf Wikipedia bzw. auf der Rückseite der VHS-Kassette. Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/One_Hundred_Men_and_a_Girl, 21. Dezember 2009. 109 Auch in anderen Filmen der 1930er Jahre werden prominente Musiker und ihre Darbietung ins Zentrum gerückt, z.B. They Shall Have Music (1939) mit Jascha Heifetz. 110 Zitiert nach Preben Opperby, Leopold Stokowski, S. 66. 111 Neal Gabler, Walt Disney, S. 307f. 112 Schon die „Silly Symphonies“ waren ein Meilenstein auf dem Weg zu diesem Ziel gewesen: In den Jahren von 1931 bis 1939 hatten ausschließlich Cartoons dieser Reihe den Academy Award für animierte Kurzfilme (Oscar) gewonnen – nach Der Fuehrer’s Face 1942 gewann das Disney Studio allerdings erst 1953 wieder einen Academy Award. Durch den Fokus auf die Musik und die Orientierung an musikalisch gesetzte Vorgaben wie z.B. Form und Metrum konnte in den „Silly Symphonies“ die Narration – und dieser diente die Musik im klassischen Hollywood-Cartoon ansonsten meist – zugunsten der Animation z.B. von Gesang und Tanz oder stimmungsvollen Ansichten vernachlässigt werden. Indem nun auf Werke des „klassischen“ Musikrepertoires zurückgriff, wurde der Anspruch untermauert, dass es bei den Zeichentrickfilmen um eine neue Kunstform und damit „Bildungsgut“ gehe. Diese Entwicklung scheint aber erst in den 1930er Jahren angefangen zu haben. Hugh Harman hatte 1926 Disney erklärt, dass er sich gerne selbständig machen und eventuell Shakespeare animieren würde.
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3. Entstehung und Realisierung von Fantasia
mit neuen und ungewöhnlichen Wegen der Musikvermittlung bereits Erfahrungen gesammelt hatten, teilten die Überzeugung, dass sich die Rezeption von „klassischer“ Musik nicht nur auf einen elitären Kreis beschränken dürfe und ihr Hören positive Auswirkungen auf das Leben ihrer Hörer haben würde. Mit dem Concert Feature wollten sie die Musik „demystifizieren“, in dem sie diese visualisierten.113 In Fantasia sahen Disney, Stokowski und Taylor nun die Möglichkeit, mit der Kombination von Zeichentrick und „klassischer“ Musik ein breites Publikum aus noch uneinheitlichen Anhängern zu erreichen und in der Synthese beider etwas völlig Neues zu schaffen: „Through this combined medium, we could do things that would be impossible through any other form of motion picture available.“114 3.3 FANTASOUND – EIN TONFORMAT NICHT NUR FÜR FANTASIA Ohne eine adäquate Technik, die den reichhaltigen, opulenten Klang eines Symphonieorchesters wiedergeben konnte, drohte das Vorhaben, „klassische“ Musik in einem „Concert Feature“ zu animieren, vorzeitig zu scheitern. Der Standard des damals erst etwas über zehn Jahre alten Tonfilms und die Ausrüstung der Kinos waren für das Projekt Fantasia unzureichend: Trotz weitreichender Entwicklungen von Mehrkanalaufnahmen wie z.B. für A Hundred Men and a Girl (1937) war der Filmsound zur dieser Zeit gewöhnlich monophon, d.h. ohne Raumtiefe und Richtungstreue. Außerdem wurde der Schallpegel auf 35 Dezibel gedämpft, während im Vergleich dazu ein Symphonieorchester der damaligen Zeit um die 70 Dezibel erreichte.115 Wiedergegeben wurde der Klang in den Kinos von ein bis zwei Lautsprechern, die direkt hinter der Leinwand fest montiert waren, so dass der Klang nur von derselben Position erklingen konnte. Um jedoch mit den Möglichkeiten einer Live-Aufführung nicht nur mithalten, sondern deren Wirkung sogar noch übertreffen zu können, genügte dieser niedrige Standard nicht: „What Disney and Stokowski envisaged was a soundtrack rivaling the vivid boldness of the film’s spectacular color: a panoramic showstopper that would suspend the viewer in a rich, golden bath of sound – as if they were sitting in the center of the orchestra at a live performance.“116
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116
Disneys Reaktion war anscheinend weniger ermutigend: „He looked at me, as if I had a hole in my head.“ Zitiert nach Michael Barrier, The Animated Man, S. 52. „In the Concert Feature he and Stokowski would demystify the music by visualizing it.“ Neal Gabler, Walt Disney, S. 301. Brief von Disney an Dickson vom 26. Oktober 1937, zitiert nach Michael Barrier, The Animated Man, S. 142. In der Diskussion der neuen Lärmschutzrichtlinie für Orchester der EU 2008 werden bei Richard Wagners Ring der Nibelungen Dezibelzahlen von bis zu 118 Dezibel angegeben. Die Zahl von 70 Dezibel entnehme ich A.P. Peck, What Makes ‚Fantasia‘ Click. Multiple Sound Tracks and Loud-Speakers Give Auditory Perspective to Sound Movie Screen. In: Scientific America. Januar 1941, S. 28. Charles L. Granata, Disney, Stokowski, and the Genius of Fantasia, S. 81f.
3.3 Fantasound – ein Tonformat nicht nur für Fantasia
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William E. Garity, Disneys Cheftoningenieur, und sein Team bekamen die Aufgabe übertragen, für Fantasia ein mehrkanaliges Aufnahme- und Wiedergabesystem zu entwickeln, das diesen Ansprüchen gerecht werden würde: den so genannten Fantasound.117 Bis auf Dukas’ L’apprenti sorcier und die Vokalstimmen zum Ave Maria, die bei RKO in den Pathé Studios in Hollywood aufgenommen wurden,118 fanden die Aufnahmen für Fantasia im Frühjahr 1939 in der für ihre Akustik berühmten Philadelphia Academy of Music statt. Um das ganze dynamische Spektrum des Orchesters einzufangen und der üblichen dynamischen Dämpfung auf 35 Dezibel zu entgehen, wurden bis zu 33 Mikrophone im Orchester platziert. Auf acht Tonspuren wurde der Klang von Violinen (1), Bratschen (2), Cello und Kontrabass (3), Blechbläsern (4), Holz (5) und Schlagwerk (6) separat aufgenommen. Auf der siebten Spur wurden die Kanäle 1 bis 6 gemeinsam festgehalten, während die achte Spur den Klang des Orchesters aus der Distanz aufnahm, um den Raumklang des Orchesters zu erhalten. Zurück in den Disney Studios wurden die acht Spuren zum vierspurigen Soundtrack gemischt und auf einem zusätzlichen, quasi „reinen Tonfilm“ mit vier separaten Tonspuren festgehalten: Track 1-3 enthielten die stereophone Musik und den Dialog. Track 4 diente mit der Aufnahme von drei verschiedenen Oszillatorentönen als Kontrollspur, die verhindern sollte, dass leise Passagen wie in konventionellen Tonfilmen übertönt würden und laute Passagen dennoch ohne Dämpfung wiedergegeben werden konnten.119 Stokowski selbst verglich die durch das neue Klangsystem ermöglichte Wahrnehmung mit der des Pointillismus, wo sich die Farben nicht mehr auf der Palette, sondern auf der Netzhaut des Betrachters mischten: „[A] great advantage of the three sound channels is that the tone of the various instruments can be blended in the air after the sound has left the speakers. This corresponds somewhat to the blending of colors in pointillism, the method of painting in which the colors are not mixed on the canvas, but are blended in the spaces between the canvas and our eyes as we look on the picture.“120
Tatsächlich ergab sich jedoch das Problem, dass die sechs Kanäle nicht wirklich getrennt voneinander aufgenommen worden waren, sondern das Material der anderen Instrumentengruppen immer präsent war: „This lack of complete separation was not an insurmountable obstacle in creating an artistic balance for ordinary reproduction, but it greatly limited the use of the orchestral colors in 117 Für eine ausführliche technische Beschreibung des Fantasounds und Fotos sowohl der technischen Instrumente als auch der Aufnahmesitzungen siehe William E. Garity und John N. Hawkins, Fantasound. In: Journal of the Society of Motion Picture Engineers. August 1941. Siehe auch www.widescreenmuseum.com/sound/Fantasound1.htm, 16. August 2006. 118 Die Vokalstimmen des Ave Maria wurde auf drei Kanälen aufgenommen: Zwei Kanäle nahmen die männlichen bzw. weiblichen Stimmen aus der Nähe, der dritte Kanal den Nachhall aus der Entfernung auf. Vgl. William E. Garity und John N. Hawkins, Fantasound. In: Journal of the Society of Motion Picture Engineers. August 1941. 119 Vgl. David Heuring und George Turner, Disney’s Fantasia: Yesterday and Today. In: The American Cinematographer. Vol. 72, Nr. 2 (Februar 1991), S. 54–64. 120 Leopold Stokowski, Music for all of us. New York 1943, S. 228.
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3. Entstehung und Realisierung von Fantasia Fantasound. If we wished, for dramatic reasons, to have a horn call emanate from a point to the right of the screen, our purpose would be confused by hearing the same call, at a lower volume, on every other speaker in the theatre.“121
Um in den Filmtheatern von 1940 einen Film mit einem mehrkanaligen Ton überhaupt abspielen zu können, musste zudem für die Vorführung von Fantasia ein spezielles Wiedergabe-System entwickelt und in den Sälen installiert werden. Bei einem gewöhnlichen Tonfilm trug ein enger Längsstreifen zwischen dem Filmrand und der Filmperforation die Tonaufnahme. Fantasia hatte auch diese konventionelle Tonspur, die allerdings nur im Notfall zum Einsatz kommen sollte, falls das neue Soundsystem versagen sollte: „If the high-quality sound system should fail, for any reason, this track film permit the show to go on, but it will function in the conventional matter and with none of the exquisite quality of ‚Fantasound‘. This quality depends on a second strip of standard movie film that runs in a specially designed sound reproducing unit. It operates simultaneously with the picture film and in perfect synchronism with it. On the second or sound-only film are four individual sound tracks. In this multiplicity of sound tracks, and how they are made, lie the secrets of increased quality, volume range, and auditory perspective effect of the new system.“122
Während die meisten Filme Bild und Soundtrack auf demselben 35mm-Streifen enthielten, benötigte Fantasia für den zweiten Filmstreifen, der die vier Tonspuren enthielt, zusätzlich zum regulären Filmprojektor einen speziellen vierkanaligen Filmphonographen, über den der Ton synchron abgespielt werden konnte.123 Für die Premiere von Fantasia im Broadway Theatre in New York wurden zusätzlich zu zahlreichen Lautsprechern im Raum (insgesamt waren 90 Lautsprecher im Einsatz) drei getrennte Lautsprechersysteme mit insgesamt 36 Lautsprechereinheiten installiert, die links, in der Mitte und rechts hinter der Leinwand platziert wurden: „In the original version of Fantasia we diffused the sound in two ways – one was from back of the screen from three separate groups of loud-speakers – left, center, right –, the other was from loud-speakers all round the theatre.“124
Durch diese Verteilung und die vier Kanäle der Tonspur war es möglich, den Klang für spezielle Effekte aus unterschiedlichen Richtungen kommen zu lassen: „It thus becomes possible to obtain a virtual auditory perspective effect.“125 Disneys Verleihfirma, RKO Radio Pictures, scheute die zusätzlichen Kosten, die das notwendige Audio-Equipment bedeutete, und lehnte die Distribution des Films ab, so dass Walt Disney gezwungen war, für Fantasia zum ersten Mal sein eigener Verleiher zu werden. Bis auf die frühen so genannten Roadshow121 Edward H. Plumb, The Future of Fantasound. 122 A.P. Peck, What Makes ‚Fantasia‘ Click, S. 29. 123 Insgesamt benötigte man für die Ausrüstung eines Kinos „eleven amplifier racks, power supplies, two sound film phonographs modified to four-tracks, two selsyn distributor units, three loudspeaker horns and dozens of smaller loudspeakers.“ Vgl. Charles L. Granata, Disney, Stokowski, and the Genius of Fantasia, S. 86. 124 Leopold Stokowski, Music for all of us, S. 227. 125 A.P. Peck, What Makes ‚Fantasia‘ Click, S. 29.
3.3 Fantasound – ein Tonformat nicht nur für Fantasia
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Darbietungen in New York, Los Angeles, Boston, Philadelphia, Chicago, Detroit, San Francisco, Baltimore, Washington, Minneapolis, Buffalo, Pittsburgh und Cleveland fand das neue Klangsystem keine Verbreitung. Die Umrüstung eines Kinosaals auf den Fantasound hätte damals um die 30.000 Dollar gekostet,126 wozu gerade nach Kriegsausbruch kaum ein Kinobesitzer bereit war. Bei den nach Fertigstellung von Fantasia eingespielten fünf weiteren Kompositionen wurde im Hinblick auf eine zukünftige Verwendung des Fantasounds insbesondere auf zwei Qualitäten geachtet, nämlich „the illusion of ‚size‘… and recognizable placement of orchestral colors important to the dramatic presentation of the picture.“127 Als Disney nach dem ausbleibenden Erfolg von Fantasia im April 1941 den Verleih von Fantasia doch RKO übertrug, bestand deren erste Handlung darin, den Film mit einer monophonen Tonspur zu versehen. Erst für die Wiederausstrahlung 1956, als der Film den Dimensionen von SuperScope angepasst wurde, ließ man auch den stereophonen Sound restaurieren. Insbesondere in Fachzeitschriften wurde – neben der künstlerischen Leistung von Fantasia – die Einführung des Fantasoundsystems 1941 als Meilenstein in der technischen Entwicklung des Tonfilms gefeiert: „When Walt Disney planned the motion picture Fantasia, he was working toward a two-fold change in the entertainment world. First, as the daily press has already well told, he was correlating classical music with pictorial and visual pattern interpretation. He was anticipating the introduction, in sugar-coated form, of great music to the masses. Secondly, and perhaps of more genuine significance, he was working with a sound reproduction system for movies which would bring to motion-picture audiences this great music in all its glory, in a form closely approximating that enjoyed by the privileged few who attend symphony concerts.“128
Auch heute noch wird das Fantasoundsystem als bahnbrechender Schritt auf dem Weg zum modernen Surround-Sound gewertet, mit dem das Disney Studio seiner Zeit um Jahrzehnte voraus war. Das neue System Fantasound hatte aus Sicht seiner Entwickler mit Fantasia jedoch noch nicht seinen Höhepunkt gefunden, obwohl es als „remarkable showcase for an experiment in sound engineering“ eingestuft wurde.129 Edward Plumb, Leiter des Music Departments des Disney Studios, zählte 1942 auf einer Tagung vor Filmingenieuren drei Einschränkungen auf, denen das System bei Fantasia noch unterworfen gewesen sei: So würden hier erstens während der eigentlichen Filmpassagen nur Musik und keine Dialoge oder Soundeffekte erklingen, so dass die Wirkung ungenutzt geblieben sei, die deren bewusstes Platzieren oder Fortbewegen hätten haben können. Zweitens seien die für Fantasia verwendeten Kompositionen zum größten Teil lange vor der Zeit des Tonfilms und für den Konzertsaal komponiert worden. Jede Veränderung an ihnen, durch die ihre Wie126 Die Umrüstung des Broadway Theatres in New York City hatte 85.000 Dollar gekostet. Zum Zeitpunkt, als der Autor diesen Artikel schrieb, war nur dieses Kino so ausgerüstet, dass dort Fantasia wie vorgesehen vorgeführt werden konnte. Vgl. A.P. Peck, What Makes ‚Fantasia‘ Click, S. 30. 127 Edward H. Plumb, The Future of Fantasound. 128 A.P. Peck, What Makes ‚Fantasia‘ Click, S. 28. 129 Edward H. Plumb, The Future of Fantasound.
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3. Entstehung und Realisierung von Fantasia
dergabe verbessert hätte werden können, hätte auch ihren Charakter grundlegend verändert. Und drittens waren die Aufnahmen für Fantasia gemacht worden, lange bevor klar war, wie der Raum der Vorführung aussehen würde und welche Effekte möglich sein würden. Die Macht des Fantasounds könne erst dann voll ausgeschöpft werden, wenn „script, direction, music, and recording are planned with Fantasound as an organic function.“130 3.4 KONZERTFILM ODER FILMKONZERT? Für Fantasia griffen Disney und sein Team verschiedene Bestandteile der Veranstaltungsform Konzert auf und übertrugen sie ins Filmformat: Orchester, Dirigent und Moderator rekrutierten sich aus dem Personal des zeitgenössischen Musiklebens, die Auf- und Abtritte der Musikern folgten dem Konzertritus, und neben dem Podium der Rahmenhandlungen zeigten in den Episoden immer wieder prächtige Vorhänge an, dass Fantasia in einer Bühnensituation stattfand. Auch die Pause, die nach dem Rite of Spring eingelegt wurde, sowie das Programmheft, das Informationen über die Produktion und die Kompositionen bereitstellte, folgten den Gewohnheiten einer Konzertveranstaltung.131 Verstärkt wurde diese Aura des Kultivierten noch durch die Erwartungshaltung, die das Marketing im Zuschauer vorab weckte. Schon in den Zeitungsanzeigen fand man Hinweise, wie Fantasia zu genießen sei: „It is important that all attending Fantasia be seated before curtain time. … Fantasia does not start in the conventional manner. … There are no titles on the screen. The opening is a delightful surprise. We urge you to be seated before curtain time to enjoy it to the fullest.“132
Durch die Inszenierung als besonderes Ereignis verwies das Format jedoch nicht nur auf die Bräuche eines Konzert- oder Theaterbesuchs, sondern entsprach auch der Praxis der so genannten Roadshows oder „Reserved Seat Engagements“.133 130 Ebenda. 131 Während die einzelnen Episoden in den späteren Kapiteln anhand der DVD analysiert werden können, werden hier die Premiere und frühen Vorführungen des Films anhand von Sekundärquellen als vergangene Ereignisse rekonstruiert. Gelegentlich wird Fantasia auch in Programmkinos gezeigt, dann aber meist in gekürzten Fassungen. Ähnlich wie bei der Musik vergangener Epochen könnten auch bei diesem Film die Bemühungen einer historischen Aufführungspraxis interessante Aufschlüsse und neue Eindrücke ergeben. 132 Anzeige in The Chicago Daily Tribune vom 18. Februar 1941, S. 13. Zitiert nach Moya Lukkett, Fantasia. Cultural Constructions of Disney’s Masterpiece, S. 215. Im Unterschied zu früheren Filmen Disneys wendete sich die Werbung für Fantasia hauptsächlich an Erwachsene und sollte ein breites Publikum erreichen, eine Mischung aus „ordinary folks like ourselves“ und „those who appreciate the finer things.“ Vgl. Amy M. Davis, The Fall and Rise of Fantasia. In: Melvyn Stokes (Hg.), Hollywood spectatorship: changing perceptions of cinema audiences. London 2001, S. 67. Ein Foto vom Abend der Premiere zeigt dann auch Walt Disney und seine Frau Lillian beide in Abendgarderobe, im Hintergrund eine Frau im schweren Pelzmantel. Michael Barrier, The Animated Man, Bilder nach S. 140. 133 Kurzzeitig wurde in einer Sitzung im April 1940 auch angedacht, Bambi als Roadshow zu präsentieren. Michael Barrier, The Animated Man, S. 151.
3.4 Konzertfilm oder Filmkonzert?
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Hiermit wurde die damals gängige und gelegentlich heute noch angewandte Praxis bezeichnet, Filme zuerst nur in bestimmten Städten und in einer limitierten Zahl von Kinos zu zeigen, bevor sie landesweit anlaufen. Wichtiger Bestandteil der Roadshow-Präsentationen waren die Ouvertüre bei geschlossenem Vorhang, eine mit Musik untermalte Pause und die „Auszugsmusik“ nach Filmende, mit der das Publikum wieder in die Realität entlassen wurde. Wie bei Theater- oder Konzertbesuchen gab es auch hier ein Programmheft zu kaufen. Die Besucher reservierten für den Besuch einer Vorstellung feste Plätze, außerdem waren die Tickets teurer als gewöhnlich: Kostete ein durchschnittliches Ticket um die 25 Cent, lag z.B. der Eintrittspreis für Fantasia zwischen 75 Cent und 2,20 Dollar.134 Die Aufwertung eines Filmes durch den Rahmen der Vorführung war insbesondere im Goldenen Zeitalter Hollywoods der 1930er und später in den 1960er Jahren verbreitet: Auch A Midsummer Night's Dream (1935) und Gone with the Wind (1939) wurden als Roadshows auf den Markt gebracht. Irving Ludwig, der später die Buena Vista Distribution Company, Inc. zur Vermarktung der Disney-Filme aufbaute, kümmerte sich um den Vertrieb. Fantasia sollte ursprünglich in zwölf Kinos in den USA und in einem Kino in Kanada gezeigt werden. Diese Verknappung hatte neben strategischen auch technische Gründe: Das Fantasoundsystem war nicht nur sehr teuer, sondern die Kinos mussten für seine Einrichtung auch eine Woche schließen, wodurch wichtige Einnahmen ausblieben. „Unlike other Walt Disney productions, which were distributed by RKO, Fantasia was handled exclusively by Disney on its initial release as a road show in large urban theaters (road showing was reserved for prestige pictures during the classical Hollywood era; the producer would take charge of the film’s distribution and exhibition on a theater-by-theater basis, showcasing the movie in the best theaters and restricting its release to key urban markets).“135
Ludwig kümmerte sich auch um die Inszenierung durch Vorhänge und Licht sowie um eine spezielle Schulung für die Mitarbeiter der Kinos, das Publikum, dem festlichen Anlass angemessen, besonders zu behandeln.136 Ähnlich wie Opernhäuser immer wieder die Werke eines begrenzten Kanons in neuen Inszenierungen herausbringen, schwebte Disney vor, dass Fantasia auf Tournee gehen und in regelmäßigen Abständen mit wechselnden Episoden in das Programm der Kinos aufgenommen werden würde.137 In einer Pressenotiz von 1941 wurden die Pläne wie folgt angekündigt: „Fantasia will be something that travels around each season like the San Francisco Opera Co. or the Ballet Russe. The prospective Patron will consult a program in advance, and determine his time of attendance at Fantasia on the basis of his preferences in musical numbers and motion picture characters. For Fantasia will vary from theater to theater and from week to week
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Amy M. Davis, The Fall and Rise of Fantasia, S. 70. Moya Luckett, Fantasia. Cultural Constructions of Disney’s Masterpiece, S. 216. Amy M. Davis, The Fall and Rise of Fantasia, S. 69f. Ebenda, S. 67f.
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3. Entstehung und Realisierung von Fantasia and from day to day. And it will become, if you please, a kind of musical and film repertory company.“138
Das Programm des Filmkonzerts besaß mit den Wechseln zwischen Moderation, musikalischen Episoden, einer kurzen Jamsession und der Arbeitspräsentation des personifizierten Soundtracks eine abwechslungsreiche Dramaturgie. In seinem Buch Der wohltemperierte Zuhörer verglich Deems Taylor eine gelungene Programmplanung mit der Herausforderung, die Speisefolge eines Menüs gekonnt zusammenzustellen. Man solle mit etwas unaufdringlich Naturhaftem und leicht Verdaulichem beginnen, dann als Vorspeise etwas Solides und Pikantes anbieten, nach einem nahrhaften Hauptgericht etwas Frisches servieren und den Abschluss mit etwas Süßem krönen.139 Die letzten Endes für Fantasia getroffene Auswahl ähnelt in seiner audiovisuellen Darbietung allerdings weniger einer dem Gaumen schmeichelnden und durch Abwechslung unterhaltenden Speisefolge. Vielmehr orientiert sich die Dramaturgie von Fantasia mit dem Wechsel von Moderation, Zwischenspielen, Instrumentalstücken, Balletten, Programmmusik, Sinfonie und Vokalmusik eher an den bunt gemischten Programmen von Radio-, Wunschkonzerten oder Revuen als an einem dem 19. Jahrhundert verpflichteten Symphoniekonzert. Die Entstehungszeit der gewählten Stücke fällt zum größten Teil in die Zeit von 1807 bis 1897, auch die Instrumentierung der Bachschen Toccata und Fuge orientiert sich am großen romantischen Orchester. Nur Strawinskys Rite of Spring bildet eine Ausnahme und ist mit einem Vierteljahrhundert und einem lebenden Komponisten das aktuellste Werk in Fantasia.140 Wenn man Night on Bald Mountain und das Ave Maria, die ohne Pause attacca ineinander übergehen, als eine Passage sieht und vom Rahmen absieht, den diese Passage und die Eröffnung mit Bach bilden, so waren ursprünglich – mit Piernés Musik anstelle von Beethoven – für den Mittelteil ausschließlich Ballettmusiken und das mit einem Programm versehene Scherzo L’apprenti sorcier geplant. Die „Polarität zwischen heiterer Zerstreuung und so genannter ernsthafter Geistigkeit“141 des Konzerts wurde durch die Wahl eines Moderators für Fantasia anstelle eines Conferenciers eindeutig zuungunsten des Entertainments verschoben. So unterhaltsam Deems Taylor auch war, brachte er den Hintergrund eines Komponisten, Kritikers und Radiomoderators und damit so genannter E-Musik mit, die er nun dem Publikum erklären sollte. Anscheinend hielt man den Film 138 Pressebericht in den Hollywood Citizen-News vom 20. Januar 1941. Zitiert nach John Canemaker, The Fantasia That Never Was, S. 14. 139 Deems Taylor, Der wohltemperierte Zuhörer, S. 153. Auch das altbewährte „SandwichProgramm“ eines Symphoniekonzertes mit Ouvertüre, Uraufführung und Symphonie zieht den Vergleich zur kulinarischen Programmgestaltung. 140 Hans Emons zufolge ist Fantasia „weit davon entfernt, der Dignität musikalischer Bildungsgüter gerecht zu werden.“ Bereits die Auswahl der in Fantasia versammelten Werke sowie ihre „bedenkenlose Zurichtung“ legitimiere „sich gegenüber dem Hochmut der Gebildeten einzig aus der erzamerikanischen Denkfigur von der Idealität des Durchschnitts.“ Hans Emons, Für Auge und Ohr: Musik als Film oder die Verwandlung von Komposition ins LichtSpiel. Berlin 2005, S. 82f. 141 Walter Salmen, Das Konzert. Eine Kulturgeschichte. München 1988, S. 7.
3.4 Konzertfilm oder Filmkonzert?
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nicht für selbsterklärend, sondern holte einen musikalischen Fachmann herbei, der das Publikum durch das Programm führen sollte. „The big masses of people don’t like concerts and they don’t like lectures,“ hatte Stokowski selbst bei einer Story Konferenz am 26. September 1938 gemahnt.142 Dass dennoch ein Moderator für Fantasia engagiert wurde, spiegelt nicht nur den Wunsch wieder, Wissen über die visualisierten Werke zu vermitteln. Vielmehr ist eine wichtige Funktion von Deems Taylor (ähnlich wie die des Fantasounds), im neuen Medium des Konzertfilms als „master of ceremonies“143 die Grenze zwischen den Akteuren der Leinwand und dem Publikum zu überwinden. Auch für die Pausen zwischen den verschiedenen Programmpunkten gibt es auf Seiten der Produktion keinerlei praktische Gründe, da diese weder für Umbauten, Auf- und Abtritte oder die kurze Entspannung der Musiker benötigt werden. Für die Zuhörer sind die Pausen dennoch nötig, bieten sie ihnen doch die Gelegenheit, das Vorausgegangene abzuschließen, sich kurz zu räuspern, mit seinem Nachbarn auszutauschen oder zu klatschen. Weder hat das Publikum hier die Gelegenheit, durch seine Präsenz direkt auf die Aufführung einzuwirken, noch das Orchester die Möglichkeit, auf seine Zuhörer zu reagieren.144 Deems Taylor übernimmt die Rolle des Gastgebers, der das Publikum anspricht und willkommen heißt: „How do you do? My name is Deems Taylor, and it’s my very pleasant duty to welcome you here on behalf of Walt Disney, Leopold Stokowski, and all the other artists and musicians whose combined talents went into the creation of this new form of entertainment...“
Seine Stimme war zumindest einem Teil des Publikums aus dem Radio bekannt; in Fantasia bekamen sie ihn auch zu sehen. Während der Rest der Fantasia-Welt in sich abgeschlossen bleibt – Stokowski und Mickey Mouse sprechen nur miteinander –, wendet er sich direkt an das Publikum. Deems Taylor – obwohl selber nur filmisches Abbild – vermittelt zwischen dem Präsenzpublikum und den zweidimensionalen Schatten der Leinwand, die jedoch den raumgreifenden Klang produzieren. Ansonsten zeigt Fantasia ausschließlich die Produktionsseite der Konzertform. Disney hätte durchaus die Möglichkeit gehabt, auch das Publikum – wie z.B. in heutigen Fernsehübertragungen von Silvester- oder Neujahrskonzerten oder in den anderen Filmen mit Stokowski – bereits als Teil des Filmmaterials einzubeziehen und sie als Rezipienten der gefilmten Aufführung zu zeigen. In Fantasia kommt jedoch erst dem Kinopublikum die Aufgabe zu, durch seine Präsenz und Reaktionen den Konzertfilm zu vollenden. Anno Mungen sieht in dieser
142 Michael Barrier, The Animated Man, S. 146. 143 Ebenda, S. 161. 144 Tatsächlich werden in den Rezensionen der Premiere immer wieder die Reaktionen des Publikums erwähnt, die sich während der Vorführung mit Applaus und Zwischenrufen äußerten. Vgl. Franz Hoellering, Fantasia. In: The Nation vom 23. November 1940, zitiert nach: Stanley Kauffmann (Hg.), American Film Criticism. From the Beginnings to Citizen Kane. Reviews of Significant Films at the Time They First Appeared. New York 1972, S. 391.
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3. Entstehung und Realisierung von Fantasia
Anordnung eine Rezeptionssituation, die auf einer anderen Ebene als derjenigen des Trickfilms angesiedelt ist und zum Teil der Filmhandlung werde: „Die Phantasie eines Betrachters der Filmbilder und Hörers der Musik, der zunächst nur den Dirigenten und sein Orchester wahrnimmt, erscheint mit dem Beginn des eigentlichen Films in Gang gesetzt. Diese Bilder der Phantasie werden sichtbar. Der Betrachter des Films nimmt nun Anteil an der individuellen Wahrnehmung des imaginierten Konzertbesuchers.“145
Die Rezeptionsseite wird zwar durch die Raumordnung und die direkte Ansprache des Publikums durch den Moderator vorgegeben, doch erst in der Filmvorführung ist das „Concert Feature“ komplett: „Das mediale Konzept von Fantasia aber, das auf eine Popularisierung von so genannter klassischer Musik zielte, erweist sich dem gegenüber als überaus modern… Die Autoren des Films reflektieren somit (bevor die jeweilige Szene anhebt) sehr bewusst die Rezeptionssituation des Kinobesuchers – und zwar im Kontext von klassischer Musik.“146
Bis heute gilt das Konzert als eine der „Hauptformen ‚bürgerlicher Musikkultur‘“. Zwar ist ideell die Teilnahme aller angestrebt und durch den Erwerb einer Eintrittskarte prinzipiell möglich, doch faktisch stößt das Konzert „auf prinzipielle Grenzen solcher Teilhabe.“147 So setzt der leibliche Besuch eines Konzertes voraus, dass der potentielle Besucher erstens überhaupt auf die Idee kommt, ein Konzert besuchen zu wollen, und dass es ihm zweitens in seiner finanziellen und infrastrukturellen Situation auch möglich ist, diese Idee in die Tat umzusetzen. Diese Zugangsschwellen waren beim Film im Vergleich zum Konzert niedriger, verfügte die Filmindustrie über ein engmaschiges Netz an Kinos, die von einer breiten Bevölkerungsschicht besucht wurden. Die Macher von Fantasia hofften nun, über Filmkopien unzählige Menschen auch außerhalb der kulturellen Zentren erreichen und für die Musik begeistern zu können.148 Im Programmheft von 1940 erklärte Stokowski: 145 Anno Mungen, „BilderMusik“. Panoramen, Tableaux vivants und Lichtbilder als multimediale Darstellungsformen in Musik- und Theateraufführungen vom 19. bis zum frühen 20. Jahrhunderts. Remscheid 2006, S. 342. 146 Anno Mungen, Filme für Musik. Edgar Varèse und Bill Viola. In: Augen–Blick. Film und Musik. Vol. 35 (Juli 2004), S. 74. Vgl. auch 7.2 Das Ende als Bruch mit dem Konzertformat. 147 Hanns-Werner Heister, Das Konzert. Theorie einer Kulturform. Wilhelmshaven 1983, Band 1, S. 149. Klassik-Projekte außerhalb der Konzertsäle, wie z.B. die sehr erfolgreiche „Yellow Lounge“ der Deutschen Grammophon/Universal Classics, die sich an Clubbesucher in Großstädten wie Berlin und Hamburg richtet, vermeiden den Ausdruck „Konzert“ und die damit verbundenen Etikette. Während dort in „kommunikativer Stimmung“ und bei „guten Getränken“ „gut gelaunt und völlig entspannt“ klassische Musik genossen wird, sollte Fantasia den Nimbus eines Konzerts erhalten. Vgl. http://www.yellowlounge.de/yl_idee.php, 17. März 2008. 148 John Culhane weist im Hinblick auf Strawinskys elitären Ausspruch, dass eine große Zahl an Hörern keine positiven Auswirkungen auf die Kunst habe, auf persönliche Weise sehr eindrücklich darauf hin, dass der Film zwar ein Massenmedium ist, aber diese Masse eben auch aus Individuen besteht, für die die Möglichkeit, über Cartoon und Film auch im ländlichen Illinois während des Zweiten Weltkriegs Strawinskys Musik kennen zu lernen, elementar und prägend war. John Culhane, Fantasia, S. 119.
3.4 Konzertfilm oder Filmkonzert?
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„The beauty and inspiration of music must not be restricted to a privileged few but made available to every man, woman and child. That is why great music associated with motion pictures is so important, because motion pictures reach millions all over our country and all over the world. Their influence is immensely powerful and deep. We cannot measure how greatly music and motion pictures contribute toward a higher standard and enjoyment of living, increasing the wellbeing of each one of us, as well of our nation, by giving us not only recreation and pleasure, but stimulation and nourishment of the mind and spirit.“149
Die Grundidee von Fantasia, Musik zu visualisieren, war nicht neu. Die Musikgeschichte ist voll von Unternehmungen und Überlegungen, Hörbares visuell darzustellen, denen individuelle Assoziationen, synästhetische Konzepte, physikalische oder arithmetische Analogien zugrunde liegen. Bereits im Dezember 1940 wies der Kritiker Peyton Boswell auf die Verwandtschaft von Fantasia mit früheren Kunstformen hin: „To view Walt Disney’s Fantasia is an aesthetic experience never to be forgotten. Compressed within this new art form – for that is the destination that must be accorded the latest of the animated films – are extracted essences from the older arts, given realization through the imagination and magic of Disney genius.“150
Die Ziele, die durch Visualisierungen verfolgt werden, sind unterschiedlich: Der Wunsch, andere an den individuellen Assoziationen teilhaben zu lassen, das Verstehen der Musik zu fördern oder das Erzielen einer besonderen Wirkung durch die Kombination von Visuellem und Auditivem sind nur drei der geläufigsten Gründe, Musik visuell umzusetzen. Insbesondere im 19. Jahrhundert nahmen Verknüpfung von Panorama, Diorama, Laterna Magica und Tableaux vivants mit der Aufführung von Musik „eine ähnlich herausragende Stellung wie der Film im 20. Jahrhundert ein.“151 Auch hier wurden Handlungen zu Musikstücken erfunden, illustrierende Bilder beigefügt oder Szenen nachgestellt, die durch die Musik inspiriert waren. Disney und sein Team beriefen sich für die Wahl der Bilder für Fantasia auf Assoziationen, die durch die Musik ausgelöst worden seien. Deems Taylor bestont diesen Aspekt in seiner Anmoderation noch einmal speziell: „What you’re going to see are the designs and pictures and stories that music inspired in the minds and imaginations of a group of artists.“ Kein geringeres Ziel, als eine neue Form der Unterhaltung zu schaffen, hatten sich die Macher für Fantasia gesetzt.152 Im Un149 Zitiert nach David Heuring und George Turner, Disney’s Fantasia: Yesterday and Today, S. 55. 150 Peyton Boswell, The Wonder of ‚Fantasia‘. In: Art Digest. 1. Dezember 1940, S. 3. 151 Anno Mungen, „BilderMusik“, S. 14. 152 Folgt man der Ansicht einiger Medientheoretiker, beruht diese Vorstellung auf einem Mythos, da sich alle neuen Medien auf bereits vorhandene Techniken und Formen gründeten. „Remediation“ nennen Jay David Bolter und Richard Grusin diesen Prozess in Bezug auf Computergrafiken, virtuelle Realität und das Internet. Zu beobachten sei, dass neue Medien einerseits danach strebten, möglichst unmittelbare Erfahrungen zu bewirken, andererseits wiederum die eigene Medialität durch die Einbeziehung zahlreicher unterschiedlicher Medien zu betonen. Jay David Bolter und Richard Grusin, Remediation. Understanding New Media. Cambridge, Massachusetts 1999.
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3. Entstehung und Realisierung von Fantasia
terschied zu den früheren Unternehmungen, Musik zu visualisieren, konnte für Fantasia auf die besonderen Fähigkeiten des Trickfilms zurückgegriffen werden, eine völlig eigene Realität zu animieren sowie die Musik und das Bild exakt zu synchronisieren. Mit der Klanggewalt des Fantasounds und der Macht farbiger bewegter Bilder soll Fantasia die Zuschauer unvermittelt berühren und in den Film hineinziehen. Gleichzeitig ist Fantasia selbstreflexiv, weist immer wieder auf seine Machart hin und thematisiert das Verhältnis zwischen Klang und Bildern: Der Zuschauer kann beobachten, wie in der Toccata Farbe und Licht aus der Musik entstehen, er lauscht den Erzählungen des Moderators, wie sich die Disney-Künstler der Musik annäherten, und er bekommt eine Vorstellung, wie der Soundtrack seine Klänge produziert.153 Fantasia greift somit einerseits auf vorhandene Kunstformen – Bühnenaufführungen, Tanz, Orchestermusik, Improvisation, Vortrag und zuletzt Prozession – zurück, die andererseits wiederum zu einer eigenen Form, dem „Concert Feature“, verwebt werden. Der Film als Massenmedium faszinierte die Musiker mehr als die Zeichentrickfilmer, die die Breitenwirkung gewohnt waren und wussten, dass man nur mit einem gut gemachten Film Menschen in die Kinos lockt. Für viele andere Filmformate, die Konzertmusik in den Mittelpunkt stellen (wie z.B. die Fernsehserie Young Person’s Guide to the Orchestra mit Leonard Bernstein), ist das pädagogische Ziel bestimmend. Dies war für die Grundidee von Fantasia jedoch zweitrangig. Während Stokowski und Taylor die Möglichkeit des Filmmediums reizte, viele Zuschauer zu erreichen, war für Walt Disney die Idee ausschlaggebend, die unendlichen Möglichkeiten des Zeichentrickfilms mit anerkannter Musik in einer neuen Form des Konzertfilms zusammenzuführen. Tatsächlich hat Fantasia als Konzertfilm mit „klassischem“ Repertoire jedoch kaum Nachahmer gefunden.154 Fernsehübertragungen z.B. von Silvester- oder Neujahrskonzerten konzentrieren sich meistens darauf, das Orchester, den Dirigenten und das Publikum zu zeigen. Nur gelegentlich wird zusätzliches Filmmaterial verwendet, um dem Auge des Fernsehzuschauers Abwechslung zu bieten.155 Während zeitgenössische Musik, Oper und Musiktheater Film und Video als Erweiterung der eigenen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten längst genutzt haben,156 werden die visuellen Medien im traditionellen Konzertwesen meist nur für die Dokumentation und den 153 Vgl. auch 3.5 Fantasia zwischen Aufführung und Erzählung. 154 Eine Ausnahme bilden Bruno Bozzettos Allegro non troppo (1976) oder Zbigniew Rybczynskis Orchester (1990). Tobias Plebuch erwähnt außerdem Fractasia (1996), eine Reihe von Computeranimationen zu Musik, u.a. von Bach, Tschaikowsky, Wagner und Beethoven. Vgl. Tobias Plebuch, Die Musik Johann Sebastian Bachs im Film. Berlin 2009 (unveröffentlichte Habilitationsschrift), S. 85. 155 Beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2008 wurden beispielsweise Aufnahmen der Ballettkompanie der Wiener Staatsoper und Volksoper, die durch die Wiener Albertina und über den Karlsplatz tanzte, oder der Werbefilm für die Fußball-Europameisterschaft 2008 „Austrian Kickoff“ gezeigt. 156 Man denke nur an die Film- und TV-Opern u.a. von Robert Ashley oder die Videoopern von Steve Reich, an die zahlreichen Adaptionen von Opern für die Leinwand oder an die Integration von Film und Video in Opernaufführungen. Vgl. Ken Wlaschin, Encyclopedia of Opera on Screen. A Guide to More Than 100 Years of Opera Films, Videos, and DVDs. Yale 2004.
3.5 Fantasia zwischen Aufführung und Erzählung
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kommerziellen Vertrieb eingesetzt.157 Wegbereiter war Fantasia jedoch für multimediale Kompositionen, in denen Filme Teil der Aufführungen sind, oder für Konzerte mit so genannten Visual Jockeys (VJs), die zur erklingenden Musik live Bilder- und Lichtkompositionen darbieten. Einfluss hatte Fantasia mit seinen assoziativen Bildern und dem kurzen Format der einzelnen Episoden auch auf die Entwicklung des Videoclips und dessen Nachfolger.158 Auch hier werden bereits bestehende Kompositionen und Einspielungen audiovisuell in Filme oder Videos umgesetzt, wobei die Visualisierung die Musik häufig in einen vom Song und seinen Interpreten unabhängigen, neuen Kontext setzt. Fantasia war tatsächlich eine neue Kunstform: Die Rolle des Kinopublikums als Konzertbesucher, seine direkte Ansprache durch den Moderator, die vom Konzert übernommenen Rituale und die neue Klangtreue des Fantasounds schufen mit Fantasia eine Rezeptionssituation, die den Zuschauer unmittelbar in das Ereignis einbezog. Mit Fantasia war es gelungen, aus einer Filmvorführung eine Filmaufführung zu machen. Gepaart mit den synchronisierten Bildern des Zeichentricks, die ihn an den Visionen eines anderen teilhaben ließen, entwarf Fantasia eine zweite Realität, in der der Zuschauer für die Zeit des Filmes weilen konnte. Wie später noch anhand der kombinierten Passage der Night on Bald Mountain und dem Ave Maria zu zeigen ist, führte das Ende des Films Fantasia jedoch von einer am Konzert ausgerichteten Darbietung wieder in ein filmisches Format über und betont seine Zugehörigkeit zum Film. Das „Concert Feature“ sollte eine – wie die Kritiker es nach der Premiere feierten159 – neue filmische Form und nicht der Abklatsch eines sinfonischen Konzerts werden. Es sollte in einer Reihe mit wegweisenden Filmen wie Griffiths The Birth of a Nation (1915), Eisensteins Potemkin (1925) und Croslands The Jazz Singer (1927) stehen.160 3.5 FANTASIA ZWISCHEN AUFFÜHRUNG UND ERZÄHLUNG In Fantasia wechseln sich in der Großform zwei Ebenen des Erzählens ab: die Rahmenhandlung und die einzelnen Episoden. In seinen Moderationen kündigt Deems Taylor den Zuschauern an, was sie gleich sehen und hören werden. Der Film gibt vor, dass der Moderator in diesem Moment anwesend ist und über das Geschehen berichtet. Auf dieser Ebene der Fiktion sind als Charaktere auch das Orchester und Leopold Stokowski sowie zwischenzeitlich der Soundtrack und die 157 Beispielsweise in Form von Mitschnitten von Konzerten oder der Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker. Seltener sind Projekte wie z.B. Simon Cellon Jones’ TV-Film Eroica (2003) für die BBC. 158 Vgl. Peter Weibel, Von der visuellen Musik zum Musikvideo. In: Veruschka Bódy und Peter Weibel (Hg.), Clip, Klapp, Bum. Von der visuellen Musik zum Musikvideo. Köln 1987, S. 53– 165. 159 Jimmie Hicks, Fantasia’s Silver Anniversary. In: Films in Review. Vol. 16, Nr. 9 (1965), S. 529. 160 Robert Gessner, Class in ‚Fantasia‘. In: The Nation: a weekly journal devoted to politics, literature, science, drama, music, art, industry. 30. November 1940, S. 543f.
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3. Entstehung und Realisierung von Fantasia
Mickey Mouse angesiedelt: Ihr Auftreten in den einzelnen Episoden wird für einen kurzen Moment als Rolle und sie selbst als Darsteller bzw. Mitwirkende vorgestellt. Die zweite fiktionale Ebene ist die der Episoden. Im Unterschied zu Deems Taylor, der berichtet, läuft hier das Geschehen zwar vor den Augen und Ohren des Zuschauers ab, doch scheint es bereits vergangen zu sein und wieder erzählt zu werden.161 Während die Rahmenhandlung als in diesem Moment stattfindende Aufführung erzählt wird, scheinen die Episoden in der Vergangenheit eines „Es war einmal“ angesiedelt zu sein. Die beiden Ebenen sind also auch zeitlich unterschiedlich verankert. Obwohl beide Ebenen auf derselben Filmrolle gespeichert sind, wird darüber hinaus ein Medienwechsel vorgegeben, indem Fantasia von der Aufführung mit einer Art Wirklichkeitsbericht zur audiovisuellen Erzählung in Form einzelner Zeichentrickepisoden wechselt. Mit diesen zwei Ebenen ändert sich auch das, was erzählt wird: Konzentriert sich die vermeintliche Aufführungssituation darauf, das Projekt Fantasia und dessen Autoren (Disney, seine Mitarbeiter, die Musiker, die Komponisten und – mit der Mickey Mouse und dem Soundtrack – die Darsteller) zu thematisieren, erzählen die einzelnen Episoden – bis auf die Toccata, die in der ersten Ebene angesiedelt ist162 – eigene in sich abgeschlossene Geschichten. Dieser sowohl zeitliche als auch vordergründig mediale Wechsel zwischen den Ebenen bringt weitere Unterschiede mit sich: Während in der Podiumssituation Deems Taylor als eine Art personifizierter Erzähler auftritt bzw. diese Erzählsituation nachgeahmt wird, existiert in den Episoden selbst zunächst keine Instanz, die der Zuschauer als Quelle der Erzählung bestimmen könnte.163 In den Moderationen von Taylor weist dieser jedoch wiederholt darauf hin, wer Fantasia gemacht hat, nämlich „Walt Disney, Leopold Stokowski, and all the other artists and musicians whose combined talents went into the creation of this new form of entertainment, Fantasia.“ Er weist also darauf hin, dass die Episoden hergestellt wurden und dass Walt Disney mit seinem Team der Autor ist. Wer jedoch den Rahmen des Filmkonzerts geschaffen hat, wird nicht thematisiert, denn dieser entsteht vermeintlich im Hier und Jetzt des Zuschauers.164 Fantasia gilt als eine Ausnahme und als Novum in Walt Disneys Schaffen, erzählte der Film doch keine durchgehende Geschichte und verzichtete – mit 161 Ansonsten könnte Deems Taylor auch nicht vorab wissen, was in den Episoden geschieht. 162 Vgl. 4.1 Inszenierungen des Musizierens. 163 „But in watching films, we are seldom aware of being told something by an entity resembling a human being.“ Vielmehr erhält der Zuschauer durch den Film verschiedene Informationen, die er zu einer Geschichte zusammensetzt, ohne dass es Bordwell zufolge einen Absender für diese Botschaften geben muss. David Bordwell, Narration in the Fiction Film. Wisconsin 1985, S. 62. An die Stelle eines Erzählers als Subjekt tritt das Erzählen als „dialectical process between narrator and reader through which is realized a narrative.“ Edward Branigan, Point of View in the Cinema. A Theory of Narration and Subjectivity in Classical Film. New York 1984, S. 39. 164 Gabler erwähnt einen frühen Cartoon um 1930, in dem Mickey Mouse das lokale und live spielende Kinoorchester zunächst dirigieren und dann von den Musikern angegriffen werden sollte. Neal Gabler, Walt Disney, S. 139.
3.6 Vom Misserfolg zum „Klassiker“
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Ausnahme der Einführungen von Deems Taylor – auf Dialoge. In diesen Moderationen gibt sich dieser jedoch große Mühe, deutlich zu machen, dass zumindest die Wahrnehmung von Musik immer mit Bildern und in den meisten Fällen mit Geschichten einhergeht. Diese Geschichten finden in der Imagination statt, werden als „very definite stories“ von der Musik erzählt oder quasi als „musical picture“ vorgezeichnet. Wird die „Story“ nicht durch die künstlerische Einbildungskraft produziert, handelt es sich beispielsweise beim Rite of Spring um die akkurate Reproduktion, wie die Wissenschaft „the story of the growth of life on Earth“ erzählt: „Science, not art, wrote the scenario of this picture.“ Die ausgewählten Kompositionen verweisen darüber hinaus meist sowohl über ihren Ursprung als Ballett- oder Programmmusik als auch über ihre Behandlung als Filmmusik darauf, dass Musik durchaus narrativ gehört werden kann.165 Indem Fantasia sie zusätzlich in den Rahmen eines Konzerts stellt und – durch Bühnensituationen, Vorhänge und Tanz – gerade innerhalb derjenigen Episoden den Aufführungscharakter betont, die keine in sich abgeschlossene Geschichte erzählen,166 rückt immer wieder in den Mittelpunkt, dass Fantasia „geschaffen“ wurde bzw. gemacht ist. Fantasia ist ein narrativer Film, der über lange Zeit ein Konzert „erzählt“, und unterscheidet sich in dieser Hinsicht weniger von den anderen abendfüllenden Zeichentrickfilmen des Disney-Studios. Neu ist jedoch die Selbstreflexivität, in der das „Gemacht-Sein“ des Films bzw. der Episoden sowohl in den Moderationen als auch in den Episoden hervorgehoben wird. Indem der Film als Aufführung erzählt wird, werden nicht nur die Episoden zusammengehalten, sondern das Grundkonzept des Films bleibt im Bewusstsein, dass in Fantasia die Bilder zu hören sind und die Musik zu sehen ist. 3.6 VOM MISSERFOLG ZUM „KLASSIKER“ Die Walt Disney Company brauchte einen langen Atem, bis sich Fantasia schließlich finanziell auszahlte. Disney war sich früh dessen bewusst, dass der Film „[a] slow money maker, but a big money maker in the long run“ sein würde.167 Erst mit der vierten Veröffentlichung 1963 erreichte Fantasia die Gewinnzone und spielte ab 1965 jährlich durchschnittlich zwei Millionen Dollar
165 Altman spricht von den drei Komponenten „narrative material“, „narrational activity“ und „narrational drive“. Rick Altman, A Theory of Narrative. New York 2008. Ob etwas überhaupt als Narration wahrgenommen wird, hängt davon ab, inwiefern der Hörer sein „narratives Interesse“ bzw. den „narrative drive“ zu befriedigen beansprucht. 166 Hierzu gehören z.B. The Nutcracker Suite, The Pastoral Symphony und Dance of the Hours, die eher einzelne Episoden aneinanderreihen, während The Sorcerer’s Apprentice, Rite of Spring und Night on Bald Mountain in sich geschlossene Geschichten erzählen, die Anfang, Mitte und Ende haben. 167 Zitiert nach Neal Gabler, Walt Disney, S. 340. Nichtsdestotrotz war Disney enttäuscht und wandte sich später in einem Interview im November 1941 im New Yorker gegen alles, was „arty“ sei. Vgl. Michael Barrier, The Animated Man, S. 175.
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3. Entstehung und Realisierung von Fantasia
ein.168 Bis April 1941 hatte Fantasia nur 1,3 Millionen Dollar in die Kassen gebracht, was bei den hohen Produktionskosten und zusätzlichen Ausgaben für den Fantasound einen finanziellen Verlust bedeutete.169 Disney musste den Film von 130 Minuten (unter anderem um die ganze Bach-Episode und die Pause)170 auf 81 Minuten kürzen und mit einem stereophonen Soundtrack dem regulären Vertrieb durch RKO übergeben, wo er gemeinsam mit einem Western vermarktet wurde. Ein zweiter Versuch, die Kosten einzuspielen, wurde 1946 gestartet, als der Film erneut in die Kinos kam.171 Erst zehn Jahre später, bei der dritten Veröffentlichung 1956 in fast voller Länge, stellte sich der gewünschte Erfolg ein: „And suddenly the sixteen-year-old film was appreciated by the millions for whom it was made.“172 Die originalen optischen Fantasoundtracks waren auf vierspurige Magnetfilme überspielt worden, von denen der vierte Kanal aus Lautsprechern im Auditorium erklang: „It was the magnetic version, with at least some of the fidelity and spread of Fantasound, that first transformed Fantasia into a moneymaker.“173 Zum Erfolg trug auch bei, dass das Publikum nun bereits Ausschnitte kannte: Die Episode um Strawinskys Rite of Spring wurde als Geologie-Lehrfilm in Schulen gezeigt, außerdem waren 1955 Ausschnitte aus Fantasia in Schwarzweiß im Rahmen der Disneyland Story der American Broadcasting Company (ABC) im Fernsehen gezeigt worden. Nach weiteren Veröffentlichungen des Films 1963 und 1969 erfuhr Fantasia in den frühen 1970er Jahren eine Neudeutung, denn man feierte den Film als psychedelische Erfahrung und Disney als heimlichen Pionier der Flower-Power-Bewegung: „Safely hidden behind the chaste pillars of classical music, behind the impeccable tails of Leopold Stokowski, he was a hippie 30 years ahead of his time, producing a psychedelic light-and-sound show that was his only flop because nobody was freaked out enough to dig it.“174
1981 beschlossen die Walt Disney Productions, Fantasia mit einer neuen, digital aufgenommenen Filmspur zu versehen, die Irwin Kostal, musikalischer Leiter bei Disney, einspielen sollte. Der 1938 aufgenommene Soundtrack war langsam verfallen, trotz einer simulierten Stereoversion im Jahre 1977. Die Zwischentexte wurden von Hugh Douglas neu eingesprochen. Irwin Kostal hielt sich an Stokowskis Arrangements und Interpretationen, da sowohl die Tempi und Akzente als auch die Schnitte genau auf dessen Einspielung abgemessen waren. Die Einspielung wurde als technisches Meisterwerk gefeiert, doch das Austauschen von 168 169 170 171
Vgl. Amy M. Davis, The Fall and Rise of Fantasia, S. 72. Ebenda, S. 71. Jimmie Hicks, Fantasia’s Silver Anniversary, S. 535. Jimmie Hicks erwähnt weitere Veröffentlichungen 1944 und 1948. Ebenda, S. 535. David R. Smith führt Veröffentlichungen in den Jahren 1946, 1956, 1963, 1969, 1977, 1982, 1985 und 1990 auf. Vgl. Dave Smith, Disney A to Z. The official Encyclopedia. New York ³2006, S. 239. Beibehalten wurde die Vermarktungsstrategie, das Angebot zu limitieren und den Film wie ein Konzert zu bewerben. Vgl. Amy M. Davis, The Fall and Rise of Fantasia, S. 72. 172 John Culhane, Fantasia, S. 11. 173 Ebenda, S. 31. 174 William Zinsser, Walt Disney’s secret freakout, S. 13.
3.6 Vom Misserfolg zum „Klassiker“
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Stokowskis Aufnahmen kritisiert – seine Arrangements der ausgewählten Stücke wurden nun selber als zu schützende Werke betrachtet: „What are we to say, about the rerecording of Dolby Stereo by Irwin Kostal with his 125 piece symphony orchestra, which obliterates Stokowski while claiming to perpetuate his 1940 contribution to the advancement of cinematic sound? What, in fact, it does, is to impose another multi-faceted concattenation [sic] on what was already a hybrid. The ‚recreation‘ will probably delight a new generation of filmgoers brought up on a world of Disney that has become its own end and justification, aeons away from that original compact and magical invention that revitalised the cinema of half a century ago. But, like the most accomplished imitation of an art masterpiece, it remains an imposter.“175
Eine komplette und teure Restaurierung von Filmbild und -ton brachte für den 50. Geburtstag des Films im Jahr 1990 den originalen Soundtrack wieder, bei dem auch versucht wurde, einige der Effekte des Fantasounds zu übernehmen. Der Film wurde in einer limitierten Auflage 1991 zunächst als Video und später als DVD herausgebracht.176 Zum 60. Geburtstag erschien der Film – einschließlich Pause und der kompletten Moderation – in einer Sonderausgabe The Fantasia Anthology gemeinsam mit Fantasia 2000 und einer Dokumentation Fantasia Legacy. Ein Remake des Projekts festigte Fantasias Status als Klassiker: Nach den beiden Musikfilmprojekten Make Mine Music (1946) und Melody Time (1948), für deren Episoden „populäre“ Musik benutzt wurde, griff die Walt Disney Company unter der Leitung von Walt Disneys Neffen Roy in den 1990er Jahren die ursprüngliche Intention auf, Fantasia mit neuen Passagen herauszubringen. Als Fantasia 2000 feierten sieben weitere Werke und die alte The Sorcerer’s Apprentice-Episode am 15. Dezember 1999 im Pasadena Civic Auditorium Premiere. Als Dirigent konnte James Levine gewonnen werden, der mit dem Chicago Symphony Orchestra Ludwig van Beethovens Fünfte Sinfonie c-Moll, op. 67, Ottorino Respighis Die Pinien von Rom, Dimitrij Schostakowitschs Klavierkonzert Nr. 2 in F-Dur op. 102, Camille Saint-Saëns’ Karneval der Tiere, Edward Elgars Pomp and Circumstances und Igor Strawinskys Feuervogel Suite (1919) sowie George Gershwins Rhapsody in Blue einspielte. Ähnlich wie bereits bei seinem Vorgänger wurde der Vertrieb diesmal exklusiv auf Imax-Kinos beschränkt, wo Fantasia 2000 ab dem 1. Januar 2000 weltweit für vier Monate lief und erst ab dem 16. Juni 2000 regulär in die Kinos kam. Die Reaktionen auf den Film blieben verhalten: „But in revisiting the premise something vital has been overlooked: although the music and the accompanying visualisations in the first film were undoubtedly eclectic, the diverse sequences were held together by a continuity of style and an overarching vision, both of which are missing from Fantasia 2000. True, the film includes both the comic and the pastoral, just as its predecessor did; but the themes running through the old Fantasia – the struggle between light and dark, the war between chaos and order, the ultimate triumph of goodness – find only a pale equivalent in this new version. In fact, Fantasia 2000 has less in common with the 175 Eric Braun, Fantasia (Re-issue). In: Films. Vol. 2, Nr. 9 (August 1982), S. 35. 176 Auf der DVD wurde Deems Taylor durch Corey Burton ersetzt. Vgl. Dave Smith, Disney A to Z, S. 239.
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3. Entstehung und Realisierung von Fantasia subtle structure of the original, than with the scrambled look of Disney’s later compilation movies, Make Mine Music (1946) and Melody Time (1948), where anything and everything coexists, rather like attractions at a theme park.“177
War das ursprüngliche Ziel von Fantasia gewesen, klassische Musik jedermann zugänglich zu machen und laufend eine mit neuen Episoden aktualisierte Fassung im Vertrieb zu haben, waren es ironischerweise gerade die Einmaligkeit des Projekts und der Misserfolg bei einem breiten Publikum, die dem Film zu seinem Status als „Klassiker“ verholfen haben. Mit der Politik der wiederholten Veröffentlichungen sicherte man, dass Fantasia dauerhaft im Bewusstsein blieb. Da die Fassungen sich nur in Feinheiten unterschieden und die Episoden immer dieselben waren, entwickelte sich der Film zu einem abgeschlossenen Werk, das sich – einmal gesehen – nicht mehr verändert. Heute, fast siebzig Jahre nach seiner Premiere, ist Fantasia beliebtes Unterrichtsthema in der Schule und gehört zum Kanon der Filmklassiker. Eine neue Kinoform, die sich ständig erneuert und – in Anlehnung an den Repertoirebetrieb von Konzert- und Theaterhäusern – selbst zur Aufführung wird, ist Fantasia jedoch nicht geworden In Deutschland war Fantasia – mit Ausnahme von Privatvorführungen wie der im Kreise von Adolf Hitler und Joseph Goebbels kurz nach der US-Premiere 1940 auf Schwanenwerder – erst Anfang der 1950er Jahre in die Kinos gekommen.178 Kaum eine der Rezensionen dieser Zeit verzichtet, auf Disney und Beethoven als Antipoden hinzuweisen. Die Düsseldorfer Nachrichten schrieben: „Fantasia! Ein gefährlicher Film ist das, ein Film, der die landläufigen Vorstellungen, die der Abendländer mit ‚seiner‘ Musik verbindet, mit unbekümmerter Hand hinwegfegt und ihr neue Motive unterlegt. Das Erstaunlichste aber ist, – auch der konservativste Musikfreund kann sich dem Bann der Bilder, in denen die schönsten und reichsten Werke des Musikschaffens von Bach bis Strawinsky gedeutet werden, nicht entziehen.“ 179
Ein „befreiendes Lachen, ebenso befreiend wie der Beifall“ sei nach besonders geglückten Stellen immer wieder losgebrochen. Andere Zuschauer der Nachkriegszeit empfanden die deutsche Kultur als verunglimpft. In einem Leserbrief schreibt Ella Motel an die Redaktion der Welt: „Es ist nicht fein von Herrn Disney, unsere hohen Kulturgüter so zu verkitschen. Die grotesken und sicherlich phantasievollen Bilder würden mich vielleicht, von harmloser Unterhaltungsmusik begleitet, sogar erfreuen. Aber ich empfinde es als eine ausgesprochene Ehrfurchtslosigkeit, solche Bilder mit der edlen, vollkommenen Kunst eines Beethovens kombinieren zu wollen. Beethoven würde sich im Grabe umdrehen, wenn er könnte!“180
177 Brian Sibley, Fantasia 2000. In: Sight and Sound, Vol. 10, Nr. 6 (Juni 2000), S. 42. 178 Die Produkte der von Goebbels vorangetriebenen deutschen Trickfilmindustrie (Vgl. 1. Walt Disney im Jahr 1940), die sich vor allem an Disney und eben auch an Fantasia orientierten, hatten die Deutschen vermutlich gesehen. 179 G.K., Fantasia: Musik als Spiel von Farbe und Form. In: Düsseldorfer Nachrichten, 19. Januar 1954. 180 Auf den Hund gekommen. Leserbrief von Ella Motel, Rinteln, an die Redaktion Die Welt, 30. Dezember 1952.
3.6 Vom Misserfolg zum „Klassiker“
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Der Rezensent der Neuen Zeitung sieht in der Vorführung von „Fantasia (amerikanisch) im Marmorhaus“ eine „Sünde“, die man sich unbedingt ansehen solle, „schon um sich mit seinem Nachbarn am Ende so schön streiten zu können, ob dies fürchterlich sei – oder nicht.“ Verzeihbar sei Disneys Vergehen, wenn dieser sich nicht an „großer Musik“ – genannt sind Bach, Strawinsky und Schubert – vergreife, sondern sich mit gehobener „Caféhausmusik“ – Dukas und Ponchielli – begnüge: „Da ist Disney in der Etage seiner Kunst, die er beherrscht wie keiner, und aus der heraus er sich nicht wieder bewegen sollte.“181 Auch in den deutschen Kritiken der Wiederaufnahme in den 1970er Jahren und bis heute finden sich die Anfeindungen gegen die Vereinnahmung der vermeintlich eigenen Kultur und deren Güter: „Gigantisch in der Perversion wird der Film bei Beethovens Pastorale. Wer den alten Meister als Kulturgut in der Seele führt, erlebt ein Höchstmaß an masochistischer Lust.“182
Andere Rezensenten der Zeit sehen dies gelassener: „Nun, dreißig Jahre nach seiner Entstehung und zwanzig Jahre nach seinem deutschen Debüt, taucht Fantasia hierzulande wieder in den Kinos auf. Derlei Revivals sind kaum je zufällig, sondern dokumentieren eine gewandelte Situation. Der falsche Respekt vor der KlassikerAutorität spielt heute eine geringe Rolle. Und manche der in Fantasia angelegten Tendenzen haben sich mittlerweile so weit entfaltet, dass der Film, so fatal er in mancher Hinsicht auch sein mag, seinen durchaus authentischen Wert hat.“183
Den Kritiken der Erstaufführung steht man abgeklärt gegenüber: „Mag sein, dass damals das Bewusstsein von der Selbstzerstörung bürgerlicher Kunst im bürgerlichen Faschismus einen noch allergisch machte gegen den ‚Amerikanismus’, gegen die gründlich naive Unbedenklichkeit des Films, mit der er Kultur (Musik) aus sich selbst löste und handhabbar machte für seine Zwecke der Unterhaltung.“184
Heute seien die Ausläufer der von Adorno beklagten Kulturindustrie weit fortgeschritten: „Der Analphabetismus gegenüber Musik wird mit Fantasia nicht überwunden, sondern durch eine täuschende Versinnbildlichung umso blendender verdrängt.“ 185
181 I.T., Umstrittene Phantasie. In: Neue Zeitung, 12. September 1952. 182 Corinna Cramon, Mit dem Zauberstab. Disneys ‚Fantasia‘ im neuen Kino ‚Eldorado‘. In: Abendzeitung, 12. März 1971. 183 Gerhard R. Koch, Die Klassiker kurz vor Pepperland. Walt Disneys ‚Fantasia’ kommt wieder in die Kinos. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. November 1971. 184 Wolfram Schütte, ‚Fantasia’ und ihr Preis. Einige Überlegungen zur Wiederaufführung von Disneys Film. In: Frankfurter Rundschau, 6. November 1971. 185 Disney habe teil und baue „auf einem schon zuvor ver- und zerfallenen Verständnis von Musik. Ohne die Dudelei des Radios wäre Fantasia nicht denkbar. Das Radio hat die Aufnahme von Musik als Happen, Teil und zersplittert in Hits produziert und verbreitet. Fantasia fügt diesen rudimentären Musikerfahrungen ebenso rudimentäre, inadäquate, selbständige Bilder hinzu.“ Ebenda.
4. ILLUSTRATION, ASSOZIATION, VISUALISIERUNG: TOCCATA AND FUGUE IN D MINOR Der Beginn von Fantasia war ungewöhnlich und widersprach, wie in den Zeitungsanzeigen angekündigt, tatsächlich den Erwartungen, die man aus dem Kino oder der Oper mitbrachte.1 Keine Eröffnungsmusik oder Ouvertüre machte lautstark deutlich, dass die Vorführung nun beginnen würde. Vielmehr gab der sich öffnende Vorhang den Blick auf eine leere Bühne frei, die sich erst allmählich mit den langsam auftretenden Musikern füllte. Statt wuchtiger Orchesterklänge hörte man einzelne Melodiefetzen, Schritte und das von Richard Wagner so verhasste „Präludieren“ der Orchestermusiker, die sich einspielten und für das Konzert bereithielten. Zunächst trat der Moderator Deems Taylor auf, begrüßte das Publikum und sprach ein paar einführende Worte. Erst nach dem Erscheinen Stokowskis gab dieser den Einsatz, und das erste Musikstück des „Concert Features“ – die Toccata and Fugue in D minor – konnte erklingen. Dies alles war für einen Kinobesuch erstaunlich, hatte man dort normalerweise die Gelegenheit, während der Titelmusik langsam vom Alltag abzuschalten und sich auf den Film vorzubereiten.2 Indem man jedoch mit dem Anfang von Fantasia diese Routine ignorierte und den Ablauf einer regulären Konzertveranstaltung kopierte, machte man deutlich, dass es sich mit Fantasia um eine eigene und besondere Form, nämlich die des Konzertfilms, handelte. Als wichtigstes Ziel der ersten Episode erscheint dann auch der Beweis, dass das Medium Trickfilm quasi dazu berufen sei, Musik audiovisuell darzubieten, und den Zuschauer zu überzeugen, sich in die traumhafte Welt von Fantasia versinken zu lassen.
1 2
Vgl. 3.4 Konzertfilm oder Filmkonzert? Die Verwendung der Toccata und Fuge in d-Moll entweder für Orgel oder Symphonieorchester in Filmen war dem Publikum jedoch bekannt, erklingt sie vor Fantasia bereits u.a. in den Spielfilmen Dr. Jekyll und Mr. Hyde (1931), The Black Cat (1934), The Raven (1935), Das Unsterbliche Herz (1939) und Der ewige Jude (1940) sowie in Mary Ellen Butes Animationsfilm Escape (1937). Disney verwendete die Toccata und Fuge später wieder für 20,000 Leagues Under the Sea (1954). Tobias Plebuch unterscheidet zwischen der Ausdeutung als „dämonische“ und „erhabene“ Toccata. Zur letzteren gehöre Fantasia. Vor ihrer Verwendung 1931 in Dr. Jekyll und Mr. Hyde sei die Toccata nicht – wohl aber die Orgel – mit Horror in Verbindung gebracht worden: „Erst in Hollywood wurde die Komposition zum Schauerstück par excellence programmiert.“ Vgl. Tobias Plebuch, Die Musik Johann Sebastian Bachs im Film. Berlin 2009 (unveröffentlichte Habilitationsschrift), S. 33f.
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4. Illustration, Assoziation, Visualisierung: Toccata and Fugue in d Minor
4.1 INSZENIERUNGEN DES MUSIZIERENS Die musikalische Grundlage der ersten Episode bildet Bachs Toccata con Fuga in d, BWV 565,3 die Leopold Stokowski – eventuell gemeinsam mit Lucien Cailliet, dem langjährigen Klarinettisten des Philadelphia Orchestras4 – bereits 1927 für großes Orchester transkribiert hatte und die 1952 gedruckt wurde.5 In seinem Buch Music for all of us aus dem Jahr 1943 schreibt Stokowski: „If Bach were alive today, he would undoubtedly write glorious music for the highly evolved modern orchestra – he would find no limits to his expression, but would use every resource of the orchestra of today as he used every source of the organ in his own time.“6
Als Organist hatte Stokowski die Komposition von Bach selbst häufig in Konzerten gespielt und mit dem Philadelphia Orchestra zahlreiche Arrangements und Bearbeitungen von Werken Bachs aufgeführt und auf Tonträgern veröffentlicht.7 Mit 7 % im Vergleich zu 3,5% bei anderen amerikanischen Orchestern war der „Anteil von transkribierten oder original besetzten Werken Bachs im Repertoire des Philadelphia Orchestras […] während Stokowskis Stabführung“ sehr hoch.8 Die Zahlen zeigen auch, dass sich die Musik Bachs im amerikanischen Konzertbetrieb Anfang des 20. Jahrhunderts generell größter Beliebtheit erfreute, wozu auch die Schallplatten und Filme mit Musik von Bach (u.a. die Filme mit Stokowski)9 beitrugen. Desgleichen setzte in den späten 1930er Jahren die Entdekkung von Bach durch Jazz-Musiker ein, u.a. durch Eddie South und Stéphane Grappelli mit Django Reinhardt (Erster Satz von Bachs Doppelkonzert für zwei Violinen d-Moll BWV 1043, 1937) sowie durch Benny Goodman (Bach goes to town, 1938). In seinem Vorwort zur Transkription bezeichnet Stokowski das Werk als „eines der freiesten in Form und Ausdruck“ unter den Werken Bachs: 3 4 5 6
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Die Urheberschaft ist umstritten. Vgl. Peter Williams, Johann Sebastian Bachs Orgelwerke. Teil 1: Präludien, Toccaten, Fantasien, Fugen, Sonaten, Concerti und Einzelwerke. Mainz 1996, S. 274. Auch das Datum ihrer Entstehung gilt als ungewiss. Vgl. Oliver Daniel, Stokowski. A counterpoint of view. New York 1982, S. 443. Bach–Stokowski, Toccata and Fugue in D minor. Symphonic transcription published from the library of Leopold Stokowski. Broude Brothers, New York 1952. Stokowski hatte die Toccata and Fugue außerdem 1927 bereits mit dem Philadelphia Orchestra eingespielt. Leopold Stokowski, Music for all of us. New York 1943, S. 146f. Auch Arnold Schönberg war der Überzeugung, dass „der einzige legitime Klangkörper für Aufführungen von Bachs Orgelwerk im 20. Jahrhundert das Symphonieorchester sei und damit ‚das Recht zur Transkription […] hier zur Pflicht‘ werde.“ Vgl. Susanne Schaal, Johann Sebastian Bach im Musikleben Amerikas. In: Michael Heinemann und Hans-Joachim Hinrichsen (Hg.), Bach und die Nachwelt. Band 3: 1900–1950. Laaber 2000, S. 221. Eine Liste mit Stokowskis Transkriptionen von Bach und anderen Komponisten findet sich unter: http://www.stokowskisociety.net/transcriptions.html, 25. November 2009. Die Aufnahmen mit dem Philadelphia Orchestra sind verzeichnet unter: http://www.stokowski.org/Stokowski%20Philadelphia%20Orchestra%20Chronological%20Electrical%20Discography. htm, 25. November 2009. Susanne Schaal, Johann Sebastian Bach im Musikleben Amerikas, S. 222. Vgl. 3.2 Leopold Stokowski und Deems Taylor.
4.1 Inszenierungen des Musizierens
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„Bach was in the habit of improvising on the organ and harpsichord, and this Toccata probably began as an improvisation in the church of St. Thomas in Leipzig. In this lengthy, narrow, high church the thundering harmonies must have echoed long and tempestuously, for this music has a power and majesty that is cosmic. One of its main characteristics is immense freedom of rhythm, and plasticity of melodic outline. In the sequence of harmonies it is bold and path-breaking. Its tonal architecture is irregular and asymmetric. Of all the creations of Bach this is one of the most original. Its inspiration flows unendingly. In spirit it is universal, so that it will always be contemporary and have a direct message for all men.“10
Stokowskis Transkription betont die schiere Wucht des großen Orchesterapparats. Er nutzt die verschiedenen Klangfarben des Orchesters wie ein Organist, der mit Hilfe der unterschiedlichen Register das gewünschte Klangbild erstellt: „The conductor’s orchestration emulates the organist’s registration.“11 So teilt er das Orchester nach verschiedenen Tonhöhen und Klangfarben ein, aus denen er – darin dem Organisten und der von ihm vorzunehmenden Registrierung ähnlich – den Gesamtklang in gewünschter Lautstärke zusammensetzt. Wie beim Drücken einer Taste der Orgel erklingen zwar mehrere Stimmen gleichzeitig, aber diese sind häufig nicht selbstständig.12 Dass Dirigenten Bearbeitungen von Bachs Kompositionen für ihre eigenen Orchester anfertigten, war in den USA bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts sehr verbreitet. Aufgrund der herausragenden Bedeutung des Symphonieorchesters konnte sich diese „ursprünglich auf deutsche Aufführungstraditionen zurückgehende Bach-Rezeption über den Weg der orchestralen Transkription“ in Amerika zu einer „charakteristischen Rezeptionsform entwickeln, die in den Konzertprogrammen gleichberechtigt neben den Bachschen Originalkompositionen stand.“13 Zu Beginn des 20. Jahrhundertes setzten jedoch in den USA die Bemühungen um eine historische Aufführungspraxis ein, was sich auch in der Kritik an Stokowski – u.a. vom emigrierten Paul Hindemith14 – widerspiegelte. Obwohl es sich Peter Williams zufolge bei der Toccata und Fuge in d-Moll um eine OrgelTranskription eines Stücks für Solo-Violine handeln könnte, wird u.a. – hier in einer deutschen Publikation – beanstandet, dass Stokowski das genuin Orgelspezifische des Werkes verkannt habe: „Ebenso scheint mir ihre Übertragung für Orchester ein Nonsens zu sein. Die Kraft, die Bach zu entfalten verstanden hat, ist ganz spezifisch die Kraft einer Orgel. Selbst die vervielfachten, sich ablösenden oder vereinigenden Blechbläser des kolossalsten Orchesters der Welt werden niemals die Akkorde der berühmten Kadenz in der von Bach gewollten überirdischen Leidenschaft hervorbringen können; und das Tremolo von hundert Violoncelli und Kontrabässen wird niemals genügen, um die Erhabenheit dieser großen Klangfluten, glühend wie Lava, glatt und rein wie Marmor, so wiederzugeben, wie er es im Sinn hatte. Dieses Vertau10 Vorwort Bach-Stokowski, Toccata and Fugue in D minor. 11 Rollin Smith, Stokowski and the organ. New York 2004, S. 150. 12 Für einen ausführlichen Vergleich zwischen Bachs und Stokowskis Version(en) siehe Rollin Smith, Stokowski and the organ, S. 158–170. 13 Susanne Schaal, Johann Sebastian Bach im Musikleben Amerikas, S. 221. 14 Hindemith verglich die aktualisierenden Bearbeitungen damit, antiken Statuen Abendkleid und Frack anzuziehen. Susanne Schaal, Johann Sebastian Bach im Musikleben Amerikas, S. 223.
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4. Illustration, Assoziation, Visualisierung: Toccata and Fugue in d Minor schen des getragenen und, ich wiederhole, überirdischen Pathos der Orgel mit dem sinnlichen Pathos der Streicher, dem ungleichmäßigen und kurzatmigen der Blechbläser, erscheint mir geschmacklos. Es mag großartig sein, ich will es zugeben – aber großartig in welchem Sinne? Das ist die Frage.“15
Die Passage der Toccata beginnt zunächst mit Aufnahmen des Orchesters, die – hierin Disneys erster Serie Alice in Cartoonland ähnlich – als Realfilm aufgenommen und als schwarze Silhouetten vor wechselnd farbigem Hintergrund wiedergegeben wurden.16 Vorbild standen hier die anderen Filme, in denen Stokowski als Dirigent auftrat und mit einem Orchester u.a. auch Werke von Bach aufführte.17 Die wenigen Minuten vor Beginn der Toccata haben den Zuschauer in die Konzertsituation eingeführt und damit den Rahmen vorgegeben, in dem Fantasia stattfinden wird.18 Nachdem in der Eröffnungsszene die Musikinstrumente zunächst beim Auftritt der Musikerinnen und Musiker in ihrer visuellen Erscheinung gezeigt wurden, und der Zuschauer dazu neben der Anmoderation von Deems Taylor das unspezifische Einspielen und Stimmen der Instrumente hörte, werden nun mit Beginn der Toccata Instrumentenbild und Instrumentenklang einander zugeordnet: Man sieht die Fagottgruppe, während man die sich drehende Triolenfigur im Allegro hört, man erkennt die Oboen, wenn sie die Figur eine Oktave höher wiederholen. Der Zuschauer erblickt mehrere Streichergruppen in Überlagerung, wenn der Klang dichter wird, die Schatten der Kontrabassspieler, wenn die absteigende Linie in ein tieferes Register führt. Schnitt und Gegenschnitt stellen Harfe und Posaunen gegenüber, wenn sich im Dialog Harfen-Arpeggios und gehaltene Blech-Akkorde taktweise abwechseln. Die Bilder und Klänge scheinen in diesen Beispielen dieselben Informationen zu geben: Man sieht, was man hört, und hört, was man sieht. Über die Beziehung zwischen Klangquelle und Klang werden Bild und Musik als sich gegenseitig bedingende Einheit wahrgenommen.19 Noch eindrücklicher wird die Zuordnung des Instruments als Quelle eines spezifischen Klangs, wenn der spielende Klangkörper mit seinem Einsatz aufleuchtet. So erstrahlt der bauchige Paukenkessel kupferrot, als er angeschlagen wird, und glüht noch leicht nach, während der Ton ausschwingt. Drei gleichzeitig in einer Einstellung zu sehende Hörner blitzen nacheinander in unterschiedlichen 15 François Florand, Johann Sebastian Bach. Das Orgelwerk. Mit einem Versuch über den musikalischen Ausdruck und das religiöse Empfinden. Lindau 1946, S. 112f. 16 Auch im Verlauf des Filmes sind zwischen die einzelnen Passagen immer wieder Schattenbilder der Musiker und ihres Dirigenten geschnitten. „These links represent the confined high European art bases on which the free American animation can play.“ Robin Allan, Walt Disney and Europe. London 1999, S. 98. 17 Vgl. 3.2 Leopold Stokowski und Deems Taylor. 18 Entwürfe für die Orchesterszenen der Toccata sind abgebildet in John Canemaker, Paper Dreams: The Art and Artists of Disney Storyboards. New York 1999, S. 195. 19 Tatsächlich stimmen die im Bild gezeigten Instrumente jedoch nicht unbedingt mit den tatsächlich zu hörenden oder auch in der Partitur vorgesehenen Instrumenten überein: Durch die getrennt aufgenommenen Register wurden in der eingespielten Interpretation die Klangcharakteristika der verschiedenen Instrumente weiter hervorgehoben und zugespitzt, wobei Instrumente, deren Klang diesen Kontrast verwässern würde, rausgefiltert wurden.
4.1 Inszenierungen des Musizierens
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Farben auf, als ob jedes einzelne einen der drei Töne der Hornstimme hervorbringen würde. Das farbige Licht zeigt jedoch nicht nur die Aktivität der Instrumente an, sondern scheint in anderen Beispielen vielmehr selbst aus der Musik zu entstehen: So tritt es in mehrmaligen Anläufen aus dem Dunkel von Blau und Schwarz zu den wiederholten Figuren des Anfangs hervor, wird zunächst indirekt von Händen und Gesicht Stokowskis reflektiert, geht dann ins Rötliche, um schließlich zum verminderten Septakkord und dessen Auflösung als magentafarbener Glorienschein um Stokowski zu erstrahlen. Musik erscheint als Katalysator, um die notwendige Energie aufzubringen, die das Licht- und Farbenfeuerwerk von Fantasia in Gang setzt. Mit der so postulierten Geburt von Farbe und Licht aus der Musik führt die wuchtige Einleitung der Toccata in das audiovisuelle Filmkonzert Fantasia ein und liefert die für Disney ebenso wesentliche wie charakteristische Existenzberechtigung des musikalischen Zeichentrickfilms gleich mit: Die Musik selbst ist es, welche die Bilder hervorruft. Die Inszenierung der Musiker selbst spielt in der Visualisierung der Toccata eine ähnlich wichtige Rolle wie die des Musizierens. Ein Mittel hierfür sind die ansonsten in diesem Abschnitt maßvoll eingesetzten Kamerafahrten. Auffallend häufig werden Stokowski und einzelne Musiker wie z.B. die Harfenistin zum Zentrum dieser filmischen Bewegung. In ihrer ersten von Musik begleiteten Bewegung fährt die Kamera aus der Totalen in die Halbtotale auf Stokowski zu. Die Fahrt dauert die gesamte Einstellung und geht von der auf Fagott und Oboen antwortenden Unisono-Triolenfigur der Streicher (Ziffer 6)20 über den zweiten gespreizten Dominantseptakkord (Ziffer 7) bis zum abschließenden d-Moll-Akkord vor Ziffer 8. Visuell handelt es sich um eine Variation und Steigerung des Anfangs der Toccata, wo das Orchester nicht wie hier in der Totalen, sondern Stokowski in der Halbtotalen zu sehen war. Die Kamerabewegung verstärkt die Wirkung des magentafarbenen Lichtkreises, der hier das zweite Mal wieder zum Dominantseptakkord aufleuchtet und noch während der Kamerafahrt zur Überleitung in den hohen Streichern abgeblendet wird. Stokowski erscheint als das Zentrum, das Klang, Licht und Farbe beherrscht. Ähnlich wie die Figur Leopold Stokowski wird eine der beiden Harfenistinnen mehrmals das zentrale Motiv, auf das sich die Kamera zubewegt. Bereits in den Minuten vor Beginn der Toccata waren die beiden Kolleginnen Gegenstand der Aufmerksamkeit des Zuschauers und der ihrer männlichen Kollegen geworden, als sie sich – auch in dieser Einstellung folgt ihnen die Kamera – als letzte den Weg durch das Orchester zu ihren Plätzen bahnten. In drei Einstellungen der Toccata fährt die Kamera auf eine der Spielerinnen und ihr Instrument zu, das erste Mal aus der Halbtotalen in die Halbnahe (Ziffer 9), einen Takt später das zweite Mal von der Amerikanischen21 fast bis zur Großaufnahme und das dritte 20 Ziffern nach der Ausgabe Bach–Stokowski, Toccata and Fugue in D minor. Symphonic transcription published from the library of Leopold Stokowski. Broude Brothers, New York 1952. 21 Einstellung „zwischen nah und halbnah, zeigt die Personen im Mittelgrund etwa vom Scheitel bis zum Knie.“ Zu den Einstellungsgrößen siehe auch das Kapitel „Fachbegriffe“ in: James Monaco, Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der
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4. Illustration, Assoziation, Visualisierung: Toccata and Fugue in d Minor
Mal erneut von der Halbtotalen in die Halbnahe (Ziffer 11). Die Einstellungen bilden einen Gegensatz zu den statisch gefilmten Blechbläsern, die gemeinsam mit den Streichern die 32tel-Arpeggien der Harfe als in Achtel gebrochene Akkorde beantworten. Die dialogisch zwischen Harfe und Orchester ausgetauschte Phrase wird zunächst viermal, nach dem Unisono-Einschub von Skalen in den hohen Streichern weitere dreimal – im Bild diesmal wechselnd von Pauke und Blech zur Harfe und zurück – wiederholt. Die Gegenüberstellung von Kamerabewegung und Stillstand verstärkt den Kontrast, wie er zwischen der solistischen Beweglichkeit der Harfe und der voluminösen Masse des Orchesters aufscheint. Während sich die Kamera in ihren sekundenschnellen Fahrten der Harfenistin anzunähern sucht, bieten ihr die visuellen Einwürfe der Bläser Einhalt, bis sich das Interesse der Kamera auf den Paukisten verlagert. Stehen in anderen Beispielen die Kamerabewegungen in Verbindung mit – auch gegenläufigen – musikalischen Bewegungen, so scheint hier der Wunsch, die Harfenistin genauer zu sehen, um den solistischen Harfenklang genauer hören zu können, Auslöser der Bewegung zu sein. An die Stelle des synästhetischen Versprechens Walt Disneys, in Fantasia die Musik zu sehen und die Bilder zu hören („You will be able to see the music and to hear the picture“22), tritt hier – wie bereits in anderen Beispielen – das einfache Interesse, zu sehen, was wir hören. Die Kamerabewegung selbst ist Ausdruck dieses Interesses und greift dem wahrnehmungspsychologischen Vorgang vor, etwas genauer sehen zu wollen, indem man sich ihm annähert. Die Identifikation des eigenen Blicks mit dem der Kamera bereitet bereits hier den Übergang von den konkreten Bildern des Orchesters zu den semi-abstrakten Figuren der Fuge vor, die mit dem Ende der Toccata beginnen.23 4.2 GELENKTE ASSOZIATIONEN Auch im Folgenden wird großer Wert darauf gelegt, den Zuschauer in den Film eintauchen und die dargebotenen Bilder zur eigenen Phantasie werden zu lassen.24 Nachdem sowohl der Rahmen des „Concert Features“ als auch der Ursprung von Licht und Farbe aus der Musik in der Toccata konstituiert sind, wird in der Folge das bildliche Assoziieren beim Hören von Musik als logische Folge dieser genuinen Verwandtschaft von Klang und Bild dargestellt: Die Bilder, die beim KonMedien. Mit einer Einführung in Multimedia. Reinbek 1980 (überarbeitete und erweiterte Neuausgabe Juli 1995), S. 541–582. 22 Zitiert nach John Culhane, Walt Disney’s Fantasia. New York 1983, S. 36. 23 Janet Cardiff und George Bures Miller stellten 2005 im Hebbeltheater Berlin GHOST MACHINE – ein Videowalk vor. Ausgestattet mit einem Videorekorder und Kopfhörer ging der Zuschauer auf einen Rundgang durch das Hebbeltheater, wo er seine eigene Perspektive mit dem – auf dem Display der Kamera ablaufenden und vorab aufgenommenen – Film überein zu bringen suchte. Hier ging meine Identifikation als Zuschauerin mit dem „Blick der Kamera“ soweit, dass ich z.B. meinen Standpunkt im Raum immer so ausrichtete, dass ich mit dieser Kamera genau das Bild aufgenommen hätte, das mir über das Display vorgespielt wurde. 24 Zum Stichwort „Immersion“ siehe 7.4 Spekulationen zum Schluss von Fantasia.
4.2 Gelenkte Assoziationen
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zertbesuch individuell und intrapersonell in der eigenen visuellen Vorstellung ablaufen mögen, werden auf der Leinwand sichtbar gemacht. Durch Kamerafahrten, unscharfe Konturen und Überlagerungen sollen außerdem das Traumhafte und Unwillkürliche des Assoziierens noch verstärkt werden. Doch so frei und instinktiv die imaginierten Bilder Deems Taylor zufolge entworfen worden sind,25 zeigen sie gewisse Gesetzmäßigkeiten auf, die visuelle und klangliche Erscheinungen betreffen. Zugrunde liegen häufig so genannte intermodale Analogien bzw. intersensorielle Eigenschaften, die über die verschiedenen Sinne wahrgenommen und intermodal in Bezug zueinander gesetzt werden können.26 Neben Helligkeit und Volumen gelten Intensität, Dichte und Rauhigkeit als intersensorielle Eigenschaften. Die durch sie hervorgerufenen Verknüpfungen unterscheiden sich von den Sinneseindrücken, wie sie Synästhetiker erleben, dadurch, dass die Zuordnung von Reiz und Wahrnehmung nicht absolut und von Person zu Person unterschiedlich, sondern zwanglos, kontextabhängig und bei unterschiedlichen Menschen vergleichbar sind. Der legendäre Animator Chuck Jones weist in einem Artikel zum Zusammenhang von Musik und Cartoon mit einigen Skizzen darauf hin, dass es Übereinstimmung zwischen dem Klang und dem Aussehen – und zwar nicht nur von konkreten – Objekten gibt: „But there are some generally accepted symbols in art as in music. Just as the low note of a contrabassoon does not conjure in your mind ‚hummingbird‘, a single scarlet line does not, in drawing say ‚elephant‘. These are definite things, yet it is possible to find abstract sounds and abstract images that are sympathetic.“27
In der Toccata fallen verschiedene Beispiele auf, in denen diese Eigenschaften die Visualisierung der Musik prägten. In der oben beschriebenen Szene, in der die Kamera auf Stokowski zufährt und der Lichtkreis zum zweiten Mal entsteht (Ziffer 6-8), sind es insbesondere Analogien der Helligkeit, des Volumens und der Intensität, in denen sich Musik und Bild entsprechen und in ihrer Wirkung gegenseitig verstärken. Während sich der aufblendende Lichtkreis in seiner Dauer vorwiegend mit dem sich Terz um Terz aufbauenden Akkord über eine Analogie der Helligkeit in Beziehung setzt, korrespondiert die Bewegung der Kamera ab Zif25 Deems Taylor beschreibt dies in seiner Anmoderation so: „What you’re going to see are the designs and pictures and stories that music inspired in the minds and imaginations of a group of artists. In other words, these are not going to be the interpretations of trained musicians which I think is all to the good. … What you will see on the screen is a picture of the various abstract images that might pass through your mind if you sat in a concert hall listening to this music. At first, you are more or less conscious of the orchestra. So our picture opens with a series of impressions of the conductor and the players. Then the music begins to suggest other things to your imagination. They might be, oh, just masses of color, or they may be cloud forms or great landscapes or vague shadows or geometrical objects floating in space.“ 26 Vgl. Klaus Ernst Behne, Über die Untauglichkeit der Synästhesie als ästhetisches Paradigma. In: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hg.), Der Sinn der Sinne, Bonn 1998, S. 116–122. Lawrence E. Marks, The unity of the sense. Interrelations among the modalities. New York 1978. 27 Chuck Jones, Music and the Animated Cartoon. In: Hollywood Quarterly. Vol. 1, Nr. 4 (Juli 1946), S. 368.
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4. Illustration, Assoziation, Visualisierung: Toccata and Fugue in d Minor
fer 6 zunächst mit der dichter werdenden Instrumentation und Dynamik, dann mit dem nach Auflösung strebendem Dominantseptakkord und schließlich mit der harmonischen Überleitung samt der die Einstellung schließenden Auflösung. Was in Beziehung gesetzt wird und als Einheit wahrgenommen wird, scheint zuallererst durch die Dauer und Gleichzeitigkeit bestimmt zu werden: Der aufblendende Lichtkreis wird nicht – wie bei seinem ersten Erscheinen – bis zur harmonischen Auflösung gehalten, wodurch seine Bewegung derjenigen der Harmonik zugeordnet würde, sondern er wird zur zunächst harmonisch unveränderten Überleitung abrupt ausgeblendet, so dass der Zuschauer dazu neigt, seine zunehmende Helligkeit mit dem sich simultan aufbauenden Akkord zu verbinden. Die Kamerabewegung hingegen, die den Zuschauer näher an das Geschehen heranführt, fasst drei musikalische Abschnitte mit einer Einstellung zusammen. Sie verstärkt den Eindruck, dass es sich auch musikalisch um eine konstante Steigerung handelt, die sich aus dem anfangs zunehmendem Volumen und dem es dann ablösenden harmonischen Streben in eine Richtung zusammensetzt. Auf den Zuschauer üben diese verschiedenen Einwirkungen eine Sogwirkung aus, die ihn in die dargebotene Szene hineinzuziehen scheint. In der beschriebenen Szene beeinflusste – neben Dauer und Gleichzeitigkeit – eine bestimmte Entwicklung z.B. des Volumens (zwischen dem sich aufbauenden Dominantseptakkord und dem magentafarbenen Lichtkreis) oder der Intensität (Kamerafahrt ins Bild mit einem zunehmendem Klangvolumen sowie der Zusteuerung auf ein harmonisches Ziel), was als zusammengehörig empfunden wird. In der letzten Einstellung zur Schlusskadenz vor Beginn des Fugenteils fährt die Kamera aus der Amerikanischen von Stokowski weg in die Totale und gibt als so genannter Re-establishing Shot einen abschließenden Überblick auf die Bühnensituation. Im Unterschied zur bereits beschriebenen Einstellung setzt hier die Kamerabewegung nicht zu Beginn der Einstellung, sondern erst nach Erscheinen des Lichtkreises auf der Dominante des authentischen Schlusses ein und endet kurz bevor alle Stimmen die Tonika auf der dritten Zählzeit erreicht haben. Der Lichtkreis begleitet diesmal nicht nur einen einzigen Akkord und vergeht anschließend, sondern breitet sich in vollem Rot über den Hintergrund aus, bevor die Bühne ausund zur nächsten Einstellung übergeblendet wird. Verglichen mit der ersten Kamerafahrt kann man die langsame Wegfahrt der Kamera vom Zentrum als eine der Musik gegenläufige Bewegung einordnen: Zunehmende Dynamik sowie das harmonische Streben in Richtung Schluss würden – auf filmische Mittel übertragen – eher der Fokussierung auf einen Punkt (wie es z.B. bei einer Kreisblende geschieht) denn einer panoramaartigen Übersicht entsprechen. Der visuelle Cut Back auf der zentral-perspektivischen Kameraachse samt Überblende in die nächste Einstellung und die musikalische Schlussformel, die als akustische Klammer noch in die folgende Einstellung geht, lassen sich in Fantasia als „audiovisueller Trugschluss“ deuten, an den sich attacca eine weitere Einstellung – der Beginn der Fuge – anschließt. Der Zuschauer weiß so, dass die Episode noch nicht zu Ende ist und bleibt weiterhin aufmerksam. Auch zwischen Melodieführung und Kamerabewegung sowie Bewegungen innerhalb der Bildkomposition lassen sich in der Toccata Entsprechungen finden.
4.2 Gelenkte Assoziationen
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Bei den Skalen der hohen Streicher bei Ziffer 10 fährt die Kamera diagonal nach rechts oben, während die Abbildung mehrerer Ebenen von Geigern zu nur einer Schicht überblendet, die selbst als ansteigende Schräge angeordnet ist. Der Blick des Zuschauers folgt dieser Bewegung und somit scheinbar auch einer Bewegung innerhalb der Musik. Die parenthetischen Skalen der allein erklingenden hohen Streicher, die den bereits beschriebenen Dialog zwischen Harfenarpeggien und Orchester unterbrechen, sinken zunächst um eine Oktave ab und steigen dann um zwei Oktaven an. Sowohl die Bewegung der Kamera als auch die innerhalb des Bildes greifen nach der Überblende zu den einschichtigen Geigern die melodische Richtung auf, indem sie den Weg in „höhere“ musikalische Lagen als diagonale Bewegung nach rechts oben interpretieren. Die Szene wiederholt sich umgekehrt im Anschluss an die letzten Dialogfiguren: Nach kurzem, schnellen Aufstieg („rapido“) sinkt die Melodie der solistischen Geigenstimmen in Halbtonschritten ab. Entsprechend fährt die Kamera vom in der Nahen gezeigten Einzelgeiger diagonal entlang mehrerer in abfallender Linie angeordneten Instrumentalisten nach rechts unten und blendet dann zur Stimmgruppe in dreischichtiger Abbildung über. Auch hier stimmen die Bewegungsrichtung der Kamera, die Richtung innerhalb der zweidimensionalen Bildkomposition und – zumindest im Notenbild – die Bewegungsrichtung der melodischen Linie überein. Diesen Bildern liegt die Vorstellung zugrunde, dass es eine Verbindung zwischen „hohen“ bzw. „tiefen“ Tönen und „oben“ bzw. „unten“ im visuellen Raum gibt.28 Während es sich jedoch zumindest bei der Kamerabewegung um eine fortschreitende, geradlinige Bewegung handelt, stellen die Töne der Melodie in beiden Fällen keine durchgehende Tonleiter dar. Es ist also tatsächlich eher die Bewegungsrichtung als ihre Linienform, die in den Bildern umgesetzt wird. Auch mit den Farbwechseln der Hintergründe und der Montage der Einstellungen als Überlagerung, Ein- oder Überblendung verstärkt Fantasia die Behauptung, dass das Hören von Musik mit bildlichen Assoziationen einhergeht. Die anfängliche Farbe des Hintergrunds ist ein ruhiges Nachtblau, das in verschiedenen Einstellungen von Grün, Rot, Orange oder gemischtfarbigen Prospekten abgelöst und nur als Hintergrund für die solistische Harfe wieder verwendet wird. Möchte man die verschiedenen Farben den einzelnen Instrumentengruppen zuordnen, so tritt das volle Rot mit gelegentlicher Aufhellung ins Orange vorwiegend zu den hohen Streichern, ein dunkleres Rot – häufig in Kombination zu einem leuchtenden Blau – zu den tiefen Streichern und die Verbindung von Grün und Blau zu den Holzbläsern sowie zu den Posaunen auf. Auffallend ist darüber hinaus, dass die Figuren als tiefschwarze Silhouetten bis hin zu aufgehellten, konturarmen Schatten unterschiedlich scharf dargestellt werden. Während Stokowski, die Harfenistin und die drei solistisch gezeigten Hörner als Silhouetten ohne zusätzliche Schatten wiedergegeben werden, erscheint in den mehrschichtigen Einstellungen meist nur die unterste Ebene durch Schärfe und Schwärze als Silhouette und die helleren, größeren Objekte als ihre Schatten. Insbesondere die Violinen werden gerne als unübersichtliche und verschwommene Stimmgruppe – im „Ne28 Vgl. 4.4 Kontrapunkt, Fugenthema und Echo, Fußnote 64.
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4. Illustration, Assoziation, Visualisierung: Toccata and Fugue in d Minor
bel des Unterbewussten“29 – abgebildet, deren rauer, dichter Bogenklang im Gegensatz zu den auf Einzelmusiker fokussierten scharfen Passagen steht.30 Die Spannbreite der orchestralen Klangfarbe spiegelt sich in den sich überlagernden Ebenen wieder. Auf dieselbe Weise werden auch musikalische Verdichtungen angezeigt, wenn z.B. weitere Instrumente hinzutreten, oder der Klang durch Crescendo und das Vordringen in tiefere Lagen an Volumen gewinnt. In manchen Einstellungen verstärkt der gekippte Kamerablick noch den traumartigen Eindruck, sich angesichts der Schattenbilder in einer Phase zwischen Schlafen und Wachen zu befinden oder – mit Taylors Worten – beim Hören der Musik von der bewussten Wahrnehmung des Orchesters in den unwillkürlichen Zustand des Assoziierens hinüber zu gleiten. 4.3 DISNEYS GEMÄßIGTE ABSTRAKTION Auf die assoziativen Ansichten vom Orchester folgen die abstrakten Bilder der Fugue. „This being abstract music, let it be projected on the screen in abstract images,“ beschreibt Deems Taylor in seinem 1940 veröffentlichten Buch die so einfache wie schwierige Lösung, Bachs Toccata and Fugue mit Bildern zu versehen.31 In den Notizen der Story meetings, in denen die Gestaltung von Fantasia diskutiert und vorangetrieben wurde, lässt sich nachlesen, welche Vorstellungen Walt Disney von der abstrakten Passage der Toccata and Fugue in D minor hatte: „I would like to see you stick to the sound track all the way through. We don’t want to follow what anyone else has done in the abstract. We have never dealt in the abstract; we have things given a reason for existing, and tried to convince the audience that it could happen, or was possible. I think, even in this, if we take the sound track and use that and build through on that, it furnishes a reason for what we are doing on the screen.“32
29 Olin Downes, Fantasia. Discussed from a Musical Standpoint. In: New York Times, 14. November 1940, S. 28. Zitiert nach Tobias Plebuch, Die Musik Johann Sebastian Bachs im Film, S. 94. 30 Stokowski förderte dieses Klangideal noch speziell, indem er den Streichern das so genannte „free bowing“ erlaubte, so dass sie nach den eigenen individuellen Bedürfnissen bzw. denen ihrer Instrumente den Bogen wechseln konnten und nicht als uniforme Stimmgruppe synchron hin- und herstreichen mussten. „I believe that the individuality in each player should be spontaneously expressed in the music, and that the deepest-lying emotional and imaginative characteristics of each player can add immensely to the multicolored eloquence of an orchestra. I am completely opposed to standardization, regimentation, uniform bowing, uniform fingering and breathing, and all the other conventions which tend to make an orchestra sound mechanical.“ Leopold Stokowski, Music for all of us, S. 195. Sowohl der freie als auch der einheitliche Bogenwechsel sind in den Bildern von Fantasia wieder zu finden, nicht nur in der Toccata, sondern auch in der sich anschließenden Fuge. 31 Deems Taylor, Walt Disney’s Fantasia. New York 1940, S. 20. 32 Zitiert nach John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 39. Auszüge der Diskussion und die wichtigsten Ergebnisse dieser Konferenzen, die Stenografen aufzeichneten, wurden üblicherweise in Kopie an die am Projekt beteiligten Mitarbeiter weitergeleitet.
4.3 Disneys gemäßigte Abstraktion
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Während die Bilder in den anderen Passagen von Fantasia ihren Ursprung auch in der Handlung oder einer übergeordneten Idee (z.B. die Evolutionstheorie im Rite of Spring) haben, sollten die Bilder in der Toccata and Fugue in D minor allein durch den Soundtrack motiviert sein. Ziel war es, die für bisherige Cartoons und Filme des Disney Studios angestrebte Glaubwürdigkeit und Natürlichkeit auch in der Abstraktion zu erreichen. Indem in der Toccata explizit dargestellt worden war, dass Licht und Farbe aus der Musik entspringen und das Assoziieren natürliche Folge des Musikhörens ist, war der Übergang zu den abstrakten Bildern der Fugue geebnet. Abstraktion bedeutete für Disney und seine Mitarbeiter jedoch nicht, dass auf die Abbildung von Gegenständen – man denke an die vorbeiziehenden Wolken, Geigenbögen und Landschaften – völlig verzichtet wurde. Abstraktion hieß vielmehr, dass die Form der Objekte, die Bewegungen und Farben, sowie Vorder- und Hintergrund nicht durch eine konkrete zu erzählende Handlung motiviert wurden, sondern sich losgelöst davon an der Musik zu orientieren hatten.33 Dass für die Fugue häufig Naturphänomene und organische Formen gewählt wurden, um Bachs Musik zu visualisieren, ist im Verhältnis von Musik und Natur (z.B. hier in Form von Licht, Raum, Echo, Wellen, Sternen) zu suchen, sowohl auf Seiten der Rezeption der Musik durch die Disney-Mitarbeiter als auch der Produktion von Fantasia.34 Die Tatsache, dass man sich für eine „abstrakte“ Passage in Fantasia entschied, ist erstaunlich. Bisher und danach hatte es keine ähnlichen Unternehmungen des Disney Studios gegeben, und Walt Disneys Verhältnis zur Abstraktion wird als ambivalent bis ablehnend beschrieben.35 Die Gründe für die Entscheidung liegen wohl nicht nur in der Musik, sondern auch in einer künstlerischen Neugierde, sich im „absoluten Trickfilm“ zu versuchen. Bezeichnenderweise wurde zunächst das Special Effects Department und nicht das Story Department mit der Toccata and Fugue in D minor beauftragt,36 das nun zum ersten Mal abstrakte Animation um ihrer selbst willen schaffen sollte. Walt Disney erklärte 1944: „The abstractions that were done in the Toccata and Fugue were no sudden idea. Rather, they were something we had nursed along for several years but we never had the chance to try due to the fact that the type of pictures being made up to that time did not allow us to incorporate
33 „It’s like I almost went to sleep on this music and then suddenly woke up. Then I become conscious of it. That’s sort of the way I take in music. This is more or less picturing subconscious things for you… It’s the nearest I can come to giving a reason for abstract things.“ Walt Disney bei einem Treffen am 3. August 1939, zitiert nach Robin Allan, Walt Disney and Europe, S. 107. 34 Vgl. 4.4 Kontrapunkt, Fugenthema und Echo. 35 „Disney was unable to register appreciation of the non-literal in art, and was using the difficulty of the music as a challenge to his artists, a technical challenge which he turned into a virtue through sound and light.“ Robin Allan, Walt Disney and Europe, S. 108. 36 John Canemaker nennt Fantasia als Ganzes „a special effects showcase“. John Canemaker, Secrets of Disney’s Visual Effects: The Schultheis Notebooks. In: Print. März 1996, S. 67.
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4. Illustration, Assoziation, Visualisierung: Toccata and Fugue in d Minor any of this type of material in them. Actually, it was an outgrowth of our Effects Department which we organized long before we had any contact with Stokowski.“37
Der Chef dieser Abteilung war Cyrus S. (Cy) Young, der zuvor von 1926 bis 1928 im Bereich der medizinischen Animation Erfahrungen mit in der Natur vorkommenden Formen und Bewegungen hatte sammeln können und in dessen Abteilung nun weite Teile des Storyboards entstanden. Im Herbst 1939 übernahm der Regisseur Sam Armstrong die Ausarbeitung des Storyboards, während Young als einer der Animateure weiter an der Ausführung der Passage arbeitete. Unter Youngs Leitung arbeitete auch der deutsche Exilant Oskar Fischinger, der vom 28. November 1938 bis zum 31. Oktober 1939 im Disney-Studio als „motion picture cartoon effects animator“38 angestellt war, an der Toccata and Fugue in D minor mit. Fischinger hatte sich als Experimental- und Werbefilmer in den 1930er Jahren international einen Namen gemacht. Zu seinen bekanntesten Werken aus der Zeit vor seiner Vertreibung aus Deutschland gehören die durchnummerierten Studien, in denen die in Schwarz-Weiß gedrehten, abstrakten Filme zu bekannten Musikstücken synchronisiert waren (u.a. zu Johannes Brahms Ungarischer Tanz Nr. 5 und Wolfgang Amadeus Mozarts Divertimento in D-Dur, aber auch zu von Elektrola herausgegebenen Schlagermusiken), oder der für Zigaretten werbende Farbfilm Muratti greift ein (1934). 1935 war er bei den Filmfestspielen in Venedig für seine Komposition in Blau ausgezeichnet worden. Walt Disney war von Fischingers Filmen begeistert, und die Zusammenarbeit gestaltete sich anfangs positiv. Zwar war Fischinger nicht wie erhofft als Regisseur angestellt worden und hatte die vergleichsweise niedere Stellung auch aus finanzieller Not angenommen, doch seine Filme wurden den Kollegen vorgeführt und von ihnen enthusiastisch aufgenommen. Die Abstraktion und Komplexität seiner Entwürfe für Fantasia jedoch widersprachen dem Ziel des Disney-Studios, von einem breiten Publikum mühelos verstanden und akzeptiert zu werden. Fischingers frühere Arbeiten galten zwar als „pretty good stuff“, aber man war sich einig: „We don’t want anything like that, do we?“ „Hell no!“39 Fischingers Entwürfe, die an Kandinsky und Klee erinnern, wurden radikal entschlackt und vereinfacht:
37 Zitiert nach John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 37. 38 John Canemaker, Paper Dreams: The Art and Artists of Disney Storyboards. New York 1999, S. 190. Neben der Toccata and Fugue in D minor arbeitete Fischinger auch an den teils surrealen Trickeffekten für Dumbo und Bambi mit. 39 The Bulletin, Disney hausinterne Publikation, 15. November 1940. Zitiert nach John Canemaker, Paper Dreams, S.190. Fotos von Fischinger 1932 mit seinen Tönenden Ornamenten und 1938/1939 im Disney Studio sind abgebildet in William Moritz, Optical Poetry. The Life and Work of Oskar Fischinger. Bloomington 2004, S. 42.
4.3 Disneys gemäßigte Abstraktion
103
„Statt der von ihm vorgesehenen komplexen Bewegungen durfte sich immer nur eine Figur bewegen, die abstrakten Formen mussten an Gegenstände, Landschaften oder Pflanzen erinnern, auch die kühnen Farbkombination wurden verändert.“40
Die kontroversen künstlerischen Vorstellungen sowie sprachliche und zwischenmenschliche Probleme insbesondere mit Cy Young bis hin zum Mobbing41 führten dazu, dass das Arbeitsverhältnis zwischen Disney und Fischinger noch vor Abschluss des Films wieder gelöst wurde. Im Auflösungsvertrag untersagte Fischinger dem Disney-Studio, seinen Namen im Zusammenhang mit Fantasia zu nennen, denn er „war überzeugt, auf lange Sicht berühmter als Disney zu werden: deswegen wollte er nicht, dass Disney seinen Namen dafür missbrauchte, um dieses ‚geschmacklose‘ Produkt zu verkaufen.“42 Fischinger warf Stokowski darüber hinaus vor, dass er ihm die Idee für einen Konzertfilm gestohlen habe. Bereits 1931 hatte Oskar Fischinger Dukas’ L’apprenti sorcier für seine Studie Nr. 8 verwendet, konnte jedoch die Rechte nicht bezahlen, so dass der Film unvollendet blieb. Darüber hinaus hatte er noch von Berlin aus Stokowski wegen der Rechte an dessen Bach-Arrangement kontaktiert und mit ihm 1936 während der gemeinsamen Zeit bei Paramount Pictures in Los Angeles (Big Broadcast of 1937 und Allegretto)43 über die Idee gesprochen, gemeinsam an einem abstrakten Animationsfilm in Spielfilmlänge zu arbeiten. Stokowski hatte sehr positiv auf diese Anfrage reagiert: „I should be very happy if we could work together – you doing what is seen, I doing what is heard.“44 Fischingers nachfolgender Vorschlag zur weiteren Ausarbeitung des Films weist auf Ähnlichkeiten mit Fantasia hin: „I’d like to make a full-length shot of you in such a way that the visual part of the film could begin with you conducting the first bars of the music, and then the eyes of the viewer would glide with a movement of your hands off into endless space where the rest of the visuals would unfold.“45
Erst mit Motion Painting No. 1 (1947) setzte Fischinger sein Vorhaben um, Bachs Musik in einem Film zu verwenden. Inzwischen hatte sich sein künstlerisches 40 Helmut G. Asper, Im Reich der Mickey Maus. Film-Exilanten im Disney Studio. 1. Teil: Oskar Fischinger. In: film–dienst. Vol. 53, Nr. 2 (Januar 2000), S. 44. Einige Entwürfe und Skizzen von Fischinger sind abgebildet in Robin Allan, Walt Disney and Europe, S. 13. 41 So hefteten Mitarbeiter bei Kriegsbeginn am 1. September 1939 ein Hakenkreuz an Fischingers Bürotür. Vgl. Helmut G. Asper, Im Reich der Mickey Maus, S. 45. 42 Zitiert nach Helmut G. Asper, Im Reich der Mickey Maus, S. 42–54. Fischinger wird bis heute auch nicht im Abspann der DVD-Ausgabe als Mitarbeiter genannt. 43 Allegretto war ursprünglich von Fischinger als Teil von The Big Broadcast of 1937 konzipiert worden. 44 Robin Allan, Walt Disney and Europe, S. 111. 45 Auch der Schweitzer Maler und Musiker Charles Blanc-Gatti, der u.a. mit Farborgeln durch Europa getourt war und dessen abstrakter Film Chromophonie 1939 Premiere hatte, machte Disney wiederholt (u.a. persönlich während dessen Europa-Reise 1935) den Vorschlag, gemeinsam an einem abstrakten Film zu arbeiten. Robin Allan weist auf Ähnlichkeiten zwischen Fantasia und Bildern Blanc-Gattis hin. Vgl. Robin Allan, Walt Disney and Europe, S. 110f.
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4. Illustration, Assoziation, Visualisierung: Toccata and Fugue in d Minor
Interesse vom Film jedoch auf die Malerei verlagert, so dass er zu Bachs Brandenburgischem Konzert Nr. 3 den Vorgang des Malens in Öl dokumentierte, bei dem jeder neue Pinselstrich in einem Einzelbild festgehalten wurde.46 Die Frage, wie die polyphone Musik von Bach angemessen wiedergegeben und dargestellt werden konnte, stellte eine Herausforderung für die Mitarbeiter von Fantasia dar. Miles Pike, Assistent von Cy Young, nannte Abstraktion einen Mangel an Handlung und Kontinuität, den es durch andere Reize zu kompensieren galt: „Probably the most difficult problem we had to face was the creation of abstract or semiabstract forms which could be animated and not just ‚pushed‘ across the screen. So many things had to be considered. Did the form fit the music? Was it a picture of the sound? How did it make its entrance? Did it move vertically or horizontally? Or did it rotate or follow a wave movement? And the theme! Oh, my God! don’t forget the theme! It repeats seven times throughout the Fugue! Should the theme have its own fixed form or should the form change with the development of the theme? All this (and heaven too!) had to be clarified so that it would make up in interest what it lacked in story or continuity.“47
Form und Bewegung der Objekte sollten aufwiegen, was dem Publikum an narrativen Effekten vorenthalten wurde. Während in der Toccata die Aufnahmen des Orchesters das Ausgangsmaterial bildeten, aus denen die Sequenz zusammengesetzt wurde, sollte das Material für die Fuge möglichst aus der Musik selbst abgeleitet werden. Eine Abbildung der Storyboards – große, tragbare Tafeln, auf die an die hundert Bilder geheftet sein können – aus dem illustrierten Notizbuch von Herman Schultheis, der von 1938 bis 1941 zunächst in der Entwicklungsabteilung und dann im „Special Effects Camera Department“ arbeitete, zeigt, wie sich die Entwürfe selbst und die musikalischen Erläuterungen der Fuge im Laufe der Zeit veränderten.48 Während in einer frühen Version des Storyboards Auszüge der Partitur über die Einzelbilder geheftet wurden, sind auf der späteren Abbildung kleine Zettel, die das musikalische Geschehen beschreiben, zu sehen.49 Offensichtlich hatte es sich im Laufe der Zeit als zweckmäßiger erwiesen, den Einzelbildern nicht die lineare Notation der führenden Stimme, sondern einfache analytische 46 Vgl. William Moritz, Optical Poetry. The Life and Work of Oskar Fischinger, S. 127f. 47 Miles Pike zitiert nach John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 42. Entgegen der zitierten Aussage erklingt das Thema im Verlauf der Fuge zwölf Mal und verändert sich vorwiegend durch die verschiedenen Klangfarben, Lagen und Begleitungen. 48 Walt Disney gilt nicht nur als der Erfinder des Storyboards, das allerdings auch bereits in Filmen z.B. von Frank Lloyd Anwendung fand, sondern auch als der Erste, der eine eigene Abteilung für das Ausdenken der Storys schuf. Die Storyboards erzählen den Ablauf des Films als Comicstrip. Sie halfen, die Handlung linear zu entwickeln und schon vorab Schwächen der Dramaturgie aufzudecken. 49 Die in den 1990er Jahren gefundenen Notizbücher von Herman Schultheis geben in Fotos, Zeichnungen und Beschreibungen detailliert Aufschluss darüber, wie verschiedene Effekte erzielt worden sind. Das erste der vier Bücher beschäftigt sich hauptsächlich mit der Entstehung von Fantasia und Pinocchio, außerdem von Dumbo und The Reluctant Dragon. Vgl. John Canemaker, Secrets of Disney’s Visual Effects: The Schultheis Notebooks, S. 67 und John Canemaker, Paper Dreams. The Art and Artists of Disney Storyboards, S. 194.
4.3 Disneys gemäßigte Abstraktion
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Beobachtungen, wie z.B. „2 bars of Fugue theme (oboe and flute)“ oder „5 running scales (ascending form)“, beizuordnen, die verständlich machten, wie der Zeichentrickfilm letztendlich aussehen sollte. Die Notizen zeigen, welche Eigenschaften der Musik für die Illustration als wichtig erachtet wurden: in den beiden Beispielen einerseits Dauer, Gestalt und Instrumentation, andererseits Anzahl, Richtung und Art der Bewegung. Mit der Fuge sollte also die Komposition selbst in Bilder übersetzt werden, wobei sich der Abschnitt musikalisch von der Toccata sehr unterscheidet: Während im ersten Teil der Toccata and Fugue das Orchester als Klangkörper in seiner Virtuosität und Klanglichkeit vorgestellt wurde, ist die Fuge durch das musikalische Gestaltungsprinzip geprägt, ein gewähltes Thema nach bestimmten Regeln zu verarbeiten.50 Für die vorkommenden musikalischen Setzweisen – Kontrapunkt, Imitation und Echo – galt es nun, eine entsprechende Visualisierung zu finden. Anregungen hierfür fand das Disney Studio nicht nur in filmischen Vorbildern, sondern auch in der Auseinandersetzung anderer Bildender Künstler mit der Musik Bachs. Die Abstraktion war dabei eine Stufe zwischen den Assoziationen der Toccata und den wieder gegenständlich werdenden Bilder des Schlussteils. Der Zuschauer sollte einerseits die Abstraktion durchlaufen, um die in den kommenden Sequenzen stattfindende Gegenständlichkeit als Steigerung – und nicht als Wiederholung des Realfilms am Anfang – zu empfinden. Andererseits bemühte sich die Passage durch die wesentlich formalere Visualisierung der Bachschen Komposition um die akademischen Weihen, auch einen methodischen und weniger assoziativen Zugang zu beherrschen. Tatsächlich weisen einige der wiederholt auftauchenden visuellen Motive in der Fugue erstaunliche Ähnlichkeiten mit den Werken Bildender Künstler auf, die sich in der Zeit um und nach dem Ersten Weltkrieg Anregungen aus der Musik holten. Insbesondere Paul Klee und Lyonel Feininger orientierten sich an der Musik von Johann Sebastian Bach, aber auch Georges Braque, Frank Kupka und Oskar Kokoschka.51 An Klee erinnern in Fantasia insbesondere die Linien, die sich durch die Landschaft ziehen und sukzessiv aufbauen, sowie die klare Unterscheidung in Vorder- und Hintergrund bzw. Linie und Struktur. Den Schriften des Kunsthistorikers Wilhelm Worringer folgend war für Klee die Linie „das Resultat eines Abstraktionsvorgangs, mit dem die Psyche auf die umgebende Realität reagiert“, und ein Mittel, Vorgänge der Spannung und Entspannung auszudrücken.52 Seine Linien leiteten sich einerseits von Bewegungen der Musikproduktion ab 50 In unserem Zusammenhang ist Fuge sowohl Form als auch Technik. Fuge kursiv gedruckt bezeichnet den unter der Überschrift „Fuga“ beginnenden Abschnitt der Gesamtform Toccata und Fuge, Fuge in Normalschrift bezeichnet das Kompositionsprinzip. 51 Vgl. Friedrich Teja Bach, Johann Sebastian Bach in der klassischen Moderne. In: Karin v. Maur (Hg.), Vom Klang der Bilder. Die Musik in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Katalog zur Ausstellung der Staatsgalerie Stuttgart vom 6. Juli bis 22. September 1985. München 1985, S. 328–335. 52 Vgl. Susanne Fontaine, Ausdruck und Konstruktion. Die Bach-Rezeption von Kandinsky, Itten, Klee und Feininger. In: Michael Heinemann und Hans-Joachim Hinrichsen (Hg.), Bach und die Nachwelt. Band 3: 1900–1950. Laaber 2000, S. 407.
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4. Illustration, Assoziation, Visualisierung: Toccata and Fugue in d Minor
(z.B. Dirigieren oder Spielbewegungen), andererseits suchten sie Zeitverlauf und Raum in die Bilder zu integrieren. Auch Feininger fand Inspiration für Form und Raumgestaltung bei Bachs Fugen, z.B. wie „im sukzessiven Einsatz eines gleich bleibenden Themas“ die Illusion von Raumtiefe strukturell gelöst werden könne.53 Seine Linien und daraus entstehenden Flächen tauchen in Disneys Fugue u.a. in den von oben einfallenden Lichtstrahlen auf. Die gotischen Bögen zur Fugue finden sich ebenfalls in den Assoziationen von gotischer Kathedralarchitektur und polyphoner Satztechnik in den Diskussionen der Zeit wieder (u.a. in Oswald Spenglers Untergang des Abendlands). Sie weisen darüber hinaus aber auch auf die Bach-Rezeption im 19. Jahrhundert zurück. Tobias Plebuch führt in seiner Habilitationsschrift Die Musik Johann Sebastian Bachs im Film an, dass die „erhabene Sakralarchitektur“ auch wieder „in allen Toccataszenen der Kriegsjahre“ des Zweiten Weltkriegs erscheint, sowohl in deutschen als auch in englischen (Propaganda-)Filmen wie z.B. A Canterbury Tale (1944).54 4.4 KONTRAPUNKT, FUGENTHEMA UND ECHO „When there is counterpoint in the music, there should be counterpoint in the picture“, erklärte Leopold Stokowski in einer Sitzung am 8. November 1938.55 Der Gedanke an Kontrapunkt liegt im Kontext der Musik von Johann Sebastian Bach nahe, doch in Bezug auf das gewählte Werk und die Adressaten dieser Bemerkung – vorwiegend Mitarbeiter des Studios und meist keine Musiker – muss genauer darüber nachgedacht werden, was Stokowski meinte, wenn er von Kontrapunkt in der Musik und Kontrapunkt im Bild spricht. Die allgemein gehaltene Formulierung Stokowskis spricht dagegen, dass er mit Kontrapunkt – einer Bedeutung des Begriffs folgend – z.B. die zu dem gegebenen Fugenthema hinzugefügte Stimme bezeichnen wollte. Auch der Hinweis auf bestimmte kontrapunktische Gesetze, um eigenständige Stimmen zu gegebenen Tonfolgen zu erfinden, scheint in Bezug auf die Fugue unangemessen, fällt diese eher durch die Einfachheit und einen vergleichsweise schlichten „Kontrapunkt“ auf: Selten entstehen wirklich gleichwertige, selbständige Stimmen. Das Werk enthält viele Quintparallelen, das Thema selbst tritt häufig isoliert auf, das Material der Zwischenspiele und Überleitungen – teils aus dem Thema abgeleitet und teils frei gebildet – besteht häufig aus Sequenzen und nimmt im Vergleich zu den eigentlichen Fugeneinsätzen viel Raum ein. Wahrscheinlicher ist, dass sich Stokowski auf die Mehrstimmigkeit allgemein bezog und mit Kontrapunkt das Verhältnis beschrieb, in dem die verschiedenen Stimmen zueinander stehen. Tatsächlich unterscheidet Stokowski in seinem nur fünf Jahre später erscheinendem Buch Music for all of us 53 Ebenda, S. 414. 54 Tobias Plebuch, Die Musik Johann Sebastian Bachs im Film, S. 101f. 55 Auszug aus der hausinternen Publikation The Bulletin vom 15. November 1940. Zitiert nach John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 36 und John Canemaker, Secrets of Disney’s Visual Effects: The Schultheis Notebooks, S. 191.
4.4 Kontrapunkt, Fugenthema und Echo
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zwischen Kontrapunkt als „the sounding together of two or more melodies or successions of tones at the same time“ und Kontrapunkt als Satztechnik, „which composers study as a technical resource.“56 In Bezug auf Film wird der Begriff Kontrapunkt hingegen häufig dafür verwendet, das Verhältnis der Musik zu den Bildern zu beschreiben.57 Die Idee, das Prinzip des Kontrapunkts von der Musik auf die Bilder und den Film zu übertragen, schlug sich auch in Überlegungen zur Klangwiedergabe nieder. Das Fantasound-System sollte ermöglichen, den Klang durch den Raum zu lenken und die verschiedenen Themen unterschiedliche Wege wandern zu lassen: „All about the theaters will be concealed loud speakers. Thus, for example, we can get the effect of the music marching about the theatre, coming from the ceiling, one theme moving in one direction, a second theme circling the theatre in the opposite direction, all meeting at the back of the theatre and marching down the aisle in unison.“58
Ziel war es, den Eindruck eigenständiger Stimmen zu verstärken, indem ihr Ursprung quasi beweglich war.59 Für den Zuschauer hätte sich nicht nur die räumliche Wirkung intensiviert, sondern mit größter Aufmerksamkeit wäre er vermutlich den verschiedenen einsetzenden Stimmen gefolgt. Dass die technischen Innovationen nicht wie geplant umgesetzt werden konnten, ist für Robin Allan ein Grund, warum die Passage der Fuge unbefriedigend bleibt:
56 „Counterpoint is the sounding together of two or more melodies or successions of tones at the same time. Sometimes when a master combines two melodies a third thing is produced – the two melodies can be made to illumine each other as if with brilliant and varicolored light. This third thing, which is difficult to describe in words but which you probably have often felt, is something very moving. We are speaking here of counter-melody in a modern sense – the kind that is inspired and warm – growing out of musical feeling.“ Leopold Stokowski, Music for all of us, S. 124. Während in der Filmmusik jedoch die hinzukomponierte Musik dem Bild eine eigene Aussage entgegenzusetzen hatte – also die Musik den Kontrapunkt zum Bild darstellt – sollte hier das Bild den in der Musik bereits zu findenden Kontrapunkt übernehmen und illustrieren. 57 Der Begriff Kontrapunkt hat sich seit dem Manifest zum Tonfilm von 1928 gehalten. Sergej M. Eisenstein, Wsewolod I. Pudowkin und Grigorij W. Alexandrow fordern damals „eine kontrapunktische Verwendung des Tons in Beziehung zum visuellen Montage-Bestandteil“, denn nur so würden neue Möglichkeiten der Montage-Entwicklung und Montage-Perfektion möglich. Sergej M. Eisenstein, Wsewolod I. Pudowkin und Grigorij W. Alexandrow, Manifest zum Tonfilm (1928). In: Franz-Josef Albersmeier (Hg.), Texte zur Theorie des Films. Stuttgart ³1998, S. 55. 58 Auszug aus einer Konferenz am 29. September 1938, zitiert nach John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 38. Im selben Kontext wurde auch über die Verwendung von 3-D-Brillen nachgedacht. 59 „In live entertainment practically all sound-sources are fixed in space. Any movements that do occur, occur slowly. It has been found that by artificially causing the source of sound to move rapidly in space the result can be highly dramatic and desirable.“ William E. Garity und John N. Hawkins, Fantasound. In: Journal of the Society of Motion Picture Engineers. August 1941. Siehe auch www.widescreenmuseum.com/sound/Fantasound1.htm, 16. August 2006.
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4. Illustration, Assoziation, Visualisierung: Toccata and Fugue in d Minor „In spite of the latter’s double exposures and distortions, the Fugue suffers from the lack of technological sophistication that Disney wanted; three D and stereophonic sound.“60
Im Vergleich dazu fällt bei der digitalen Tonspur der heute zugänglichen DVD von Fantasia auf, dass sich die Abmischung der Fuge an vielen Stellen auf ein Thema bzw. eine Hauptstimme konzentriert, während eventuelle Gegenstimmen gedämpft bzw. ausgeblendet werden. Dies entspricht dem Bild, in dem in der Passage der Fuge selten mehrere Objekte vorhanden sind, die sich vom Hintergrund abheben. Meistens besteht das Bild aus dem wechselnden Prospekt und einer sich deutlich davon abhebenden Form, seien es Linien, Bogenspitzen, Lichtpunkte, Kreise oder Rundungen. Bevor auf die Visualisierung des Fugenthemas eingegangen wird, soll anhand von drei Beispielen, in denen mehrere weitgehend eigenständige Stimmen zu hören sind, untersucht werden, wie der musikalische Kontrapunkt im Sinne von Mehrstimmigkeit auf die Bilder übertragen wurde (Ziffer 19, 28 und 30). Die ersten beiden Passagen hat Stokowski ausschließlich für Streicher, die dritte – mit Ausnahme von einigen Liegetönen in den Hörnern – für Holz instrumentiert. Den Grund für diese kammermusikalische Besetzung bildet vermutlich der Wunsch, die Eigenständigkeit der Stimmen besser hervortreten zu lassen. Im Unterschied zu anderen Beispielen, wo nur ein Objekt und eine Bewegung zu sehen sind, laufen in den ausgewählten Beispielen die Bewegungen auf visueller Ebene simultan ab. Dabei lassen sich die verschiedenen musikalischen Stimmen jeweils einem der bewegten Objekte zuordnen. In Ziffer 19 gehören dazu auf der Bildebene erstens die wippenden Bogenspitzen, die bereits das Fugenthema begleitet haben,61 zweitens mit Saiten bespannte Stege, die in den Raum segeln, drittens goldene Bogenspitzen, die schwalben- oder delfinartig von den Seiten ins Bild tauchen, und viertens schimmernde Saitensätze, die sich in Wellen auf den Zuschauer zu bewegen. Im Unterschied zu der vermeintlich eindeutigen Zuordnung von Instrumenten und Klang in der Toccata stellt sich hierbei für den Zuschauer das Gefühl ein, es mit unheimlich vielen gleichzeitig ablaufenden und dicht aufeinander folgenden Ereignissen zu tun zu haben. Auf der Ebene der Musik entsprechen die Bogenspitzen in ihrem regelmäßigen Wippen den aus der Weiterspinnung des Fugenthemas gewonnenen stetigen Sechzehntel in der ersten Violine und das plötzliche Erscheinen der Stege quasi aus dem Rücken des Publikums den überraschenden Staccato-Einwürfen der Bratschen.62 Die delfinartigen Bogenspitzen und schwarzen Saiten lassen sich nicht eindeutig zuordnen, weder zu den zwischen erster und zweiter Geige ausgetauschten, später von der Bratsche übernommen Dialogfigu60 Robin Allan, Walt Disney and Europe, S. 99. 61 Auch in der Auseinandersetzung von Paul Klee mit musikalischen Linien spielt die Bewegung der Violinbogen eine Rolle, z.B. in Heroische Bogenstriche, 1938, bunte Kleisterfarben. Zeitung auf Baumwollgewebe, 73 x 53 cm, MoMa Collection New York, Nelson A. Rockefeller Bequest. 62 Violinen und Bratschen wurden jeweils auf einem Kanal aufgenommen, Cello und Kontrabass gemeinsam. Entgegen der Stimmaufteilung der Partitur, die eine Teilung der zweiten Geigen vorsieht, von denen die untere Gruppe die Stimme der Bratschen teilt, sind in der Abmischung nur die Bratschen zu hören.
4.4 Kontrapunkt, Fugenthema und Echo
109
ren noch zu den dagegengesetzten Synkopen der beiden Geigenstimmen. Zwar scheinen die Bogenspitzen die Bewegung der Dialogfigur aufzunehmen, doch eine Analogie ergibt sich eher zwischen den verschiedenen, synkopierten Rhythmen und der Anhäufung der Objekte auf der Bildebene. Die Spannung, die sich musikalisch aus den unterschiedlichen Rhythmen der verschiedenen Stimmen und ihrem unterschiedlichen Material ergibt, wird als Anwesenheit mehrerer gleichberechtigter Objekte visualisiert, die sich ziellos mit wechselnden Richtungen im Blickfeld bewegen. Kontrapunkt wird hier als dichtes Nebeneinander gleichwertiger Objekte visualisiert, dem – als visuelle Homophonie – Passagen gegenüberstehen, in denen nur ein übergeordnetes Objekt vor einem klar zu unterscheidenden Hintergrund zu sehen ist. Die musikalische Verdichtung der Mehrstimmigkeit schlägt sich auf der Bildebene als Verdichtung der Bildelemente nieder. Die Polyphonie der Musik stellt sich dem Zuschauer als parallel ablaufende Aktionen dar. Farbigkeit und Bewegungsrichtung dienen in der Passage ab Ziffer 27 dazu, Kontrapunkt diesmal als Gegeneinander verschiedener Stimmen darzustellen. War die Aufmerksamkeit des Zuschauers bisher durch die simultane Flut akustischer und visueller Eindrücke gebunden, kann er nun gespannt den in schnellem Tempo, aber sukzessiv ablaufenden Aktionen folgen. Die wiederholten pfeilschnellen Aufwärtsbewegungen der Achtel-Sextolen und die gegenläufige Auftaktfigur der absteigenden Sechzehntel werden durch mehrere entgegengesetzte, hinwegpeitschende Wellenformationen visualisiert, deren parabelförmige Schweife sich überlagern und ablenken. Gleich zweimal folgt das Fugenthema direkt aufeinander, das erste Mal in Bass und Violoncelli, das zweite Mal in den zweiten Geigen und den Bratschen. Die beiden Gegenstimmen – ansteigende Achtel und über anderthalb Takte gehaltene Triller in den hohen Streichern – treten diesmal deutlich als eigenständige Stimmen neben dem Fugenthema hervor. Während der erste Einsatz zunächst allein von roten, pulsierenden Wellenkreisen, die sich konzentrisch ausbreiten, begleitet wird, treten bei seiner Wiederholung eine Oktave höher gelbe Wellenkreise hinzu, die sich von oben langsam auf den Zuschauer zu ausbreiten. Zur dreistimmigen Fortspinnung, in der alle Stimmen das Material in abfallenden Sekundschritten, aber auf anderen Zählzeiten und mit gegenläufiger Bewegung sequenzieren, dringen die glitzernden Wellen weiter ins Bild vor und dominieren schließlich über das Rot. Dieselben Bildelemente tauchen wenig später bei Ziffer 32 noch einmal auf. Hinzu kommt hier die Form einer gelben Schlangenlinie, die zu der Auftaktfigur, der die Zuschauer bereits in Ziffer 27 im Wechsel mit der aufschnellenden Achtel-Sextole begegnet sind, beginnt und, sich im Hintergrund spiegelnd, ins Bild vorstößt, bevor die gleichfarbig glitzernden Kreiswellen wieder das Rot des Fugenthemas überlagern. An die Stelle des simultanen Nebeneinanders, wie es anhand des ersten Beispiels beschrieben wurde, ist in beiden Fällen ein sich entwickelndes Gegeneinander der Farben und der Bewegungen getreten. Nach der Schwindel erregenden Flut an Eindrücken zur Mehrstimmigkeit und dem Spannung erzeugenden Gegeneinander der Stimmen im Kontrapunkt, bietet die anschließende Passage dem Zuschauer die Möglichkeit, sich auf eine Stimme zu konzentrieren. Während in den bisherigen Beispielen die Mehrstimmigkeit der
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4. Illustration, Assoziation, Visualisierung: Toccata and Fugue in d Minor
Musik als Neben- und Gegeneinander verschiedener Objekte und Bewegungen wiedergegeben wurde, wird in der kontrapunktischen Passage ab Ziffer 30 die dichte Textur visuell „entschlackt“. Den teilweise bis zu vier selbständigen Stimmen, von denen immer eine die Führung übernimmt, wird durchgängig eine weiße Linie als visuelles Pendant gegenübergestellt, die sich über mehrere Einstellungen hinweg durch bunte Landschaften schlängelt oder, als das Fugenthema in Umkehrung erklingt, abgesetzte Rundbogen formt – ein Vorgriff auf die gotischen Bögen des Fugenschlusses. So wie die Sechzehntel in unterschiedlich ausgeformtem thematischen Material, allerdings auf verschiedene Stimmen verteilt, als regelmäßiger Puls durchlaufen, kann sich das Auge auf die lineare Bewegung einer Gestalt konzentrieren. Ähnlich wie in den Bildern von Paul Klee (z.B. Fuge in Rot, 1921) baut sich ein zeitlicher Verlauf durch eine konstante Bewegung und Entwicklung von links nach rechts auf. Im Unterschied zu anderen Beispielen wird nicht der Wechsel (z.B. der zwischen den Stimmen oder den Bewegungsrichtungen), sondern das Durchgängige und Fließende betont. Der erneute Themeneinsatz in Englischhorn und Klarinette mit Umkehrung in Oboe und Flöte wird als Variation sowohl des Fugenanfangs als auch der vorherigen Szene dargestellt: Die vorbeiziehenden Vertikalen erinnern an Wolken, der rote Hintergrund an die bunten Landschaften und ein geschlängelter Passweg an die durchgängige weiße Linie. Die Klangfarbe der Holzbläser bildet die akustische Klammer der Sequenz, bevor das Fugenthema im Forte der tiefen Streicher bei Ziffer 32 einbricht. Insgesamt zwölf Mal erklingt das Fugenthema im Verlauf der Fuge. Im Unterschied zu den bisher beschriebenen Ausschnitten, deren musikalisches Material frei gebildet werden konnte, zeichnet sich das Thema einer Fuge gerade dadurch aus, das es weitgehend identisch bleibt und sich nur in Folge festgelegter Verfahren – z.B. Diminution, Augmentation, Spiegelung oder Umkehrung – sowie bei seiner Wanderung durch die verschiedenen Stimmen in der Klangfarbe verändert. Während zuvor untersucht wurde, welche Rolle das Neben- und Gegeneinander simultaner Stimmen für die Visualisierung spielten, soll anhand des Fugenthemas nachgefragt werden, wie sich dessen Wiederholung und Veränderungen im Bild widerspiegeln. Die Bauart des Fugenthemas aus einer bewegten Melodielinie und einem statischen Orgelpunkt ist dem Zuschauer bereits in der Toccata bei Ziffer 8 begegnet. Hier war der sequenzierende Anstieg zunächst mit mehrschichtigen Abbildungen der spielenden Violinisten vor rotem Hintergrund bebildert worden, die dann beim Abstieg in die tieferen Lagen der Streicher von den Schatten der Cellisten abgelöst wurden. Zu Beginn der Fugue sehen die Zuschauer nun gelb aufleuchtende Lichtpunkte vor dem wolkig-blauen Hintergrund in Zick-Zack-Linien über die Leinwand ziehen, welche die erst ab- dann aufsteigende Bewegung und Zweiteiligkeit des Fugenthemas in den Bratschen nachzeichnen. Dies wiederholt sich minimal abgewandelt beim zweiten Einsatz des Themas in den Geigen. Eine Gegenstimme hierzu lässt sich bisher schwer ausmachen, auch auf der Ebene des Bildes bleiben die Lichtpunkte ohne Gegenpart. Zur ersten Fortspinnung illustrieren Streicherbögen das stoische Auf und Ab des Bogenstrichs in der sequenzierten Phrase. Zum dritten Einsatz des Fugenthemas, diesmal in der Tonika in den ersten Geigen,
4.4 Kontrapunkt, Fugenthema und Echo
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wiederholt sich leicht abgewandelt das visuelle Motiv des Fugenanfangs: Wieder bewegen sich gelbe Lichtpunkte von der oberen Bildecke links zur Mitte hin, diesmal jedoch sind die Lichter an reflektierende Bogenspitzen gebunden. Die Kamera schwenkt mit der Bewegung der Bogengruppe abwärts. Die Ansammlung der Bogen wird zur zweiten Fortspinnung immer dichter und ballt sich am unteren Bildrand zusammen. Die Sequenz wird unterbrochen durch die zwei StaccatoEinwürfe in den mittleren Streichern, zu denen sich mit Saiten bespannte Instrumentenstege in das Bild drehen, die zunächst das Auf und Ab der Bögen stören. Die Streicherbögen – und analog dazu die hohen Streicher auf der auditiven Ebene – übernehmen jedoch sogleich wieder die Führung. Wie Schwalben oder Delfine tauchen sie zu den imitatorischen Dialogfiguren durch die rötlichen Wolkenmeere. Zum vierten Einsatz des Fugenthemas, diesmal im Bass, sehen wir bretterartige dunkle Rauten, die in rhythmisch abgehackten Bewegungen in den Bildraum wanken und sich mit dem anschließenden chromatischen Aufstieg in der Basslinie und den ansteigenden Sechzehntelsequenzen der Violinen und Bratschen abwechselnd nach rechts und links in Form von Saiten wegdrehen. Mit der Exposition endet die Filmsequenz. In der beschriebenen Passage wird der wiederholte musikalische Einsatz des Fugenthemas auf der Ebene des Bildes durch wandernde Lichtpunkte, Bogenspitzen und bretterartige Rauten dargestellt. Das Thema wird nicht durchweg mit dem gleichen visuellen Motiv versehen, sondern verschiedene Eigenschaften – wie z.B. das Nebeneinander von Bewegung und Statik in einer Stimme oder die regelmäßig ablaufende Bewegung des Bogenstrichs (das Thema bleibt in der Exposition ausschließlich in den Streichern) – werden auf die visuelle Ebene übertragen. Bei den ersten zwei Einsätzen wird sowohl die Bewegung der Melodie in die Bewegungslinie der aufblinkenden Lichter als auch die Zweiteiligkeit des Themas in die Aufteilung in zwei Lichteinsätze übernommen. Beim dritten Einsatz des Fugenthemas werden nur noch zu Anfang die aufblinkenden Lichter angezeigt, die dann den gegenständlichen Bogenspitzen zuzordnen sind. Der zunächst abstrakte Eindruck einer Verbindung zwischen der Helligkeit von visuellem Licht und der des Streicherklangs wird zu einer konkreten Zuordnung zwischen Klangquelle und Klang, von Streicherbögen und Violinklang. Verbinden sich bei den ersten beiden Einsätzen Fugenthema und Objekt über eine Korrespondenz in der Helligkeit, wird beim dritten Einsatz wie in der Toccata die ursächliche Verbindung zwischen Klang und Klangerzeugung veranschaulicht. Der vierte Einsatz – und damit ist das Thema durch alle Stimmen des ursprünglich vierstimmigen Satzes gegangen – sticht, nachdem bisher in der Fuge die hohen, „hellen“ Register dominierten, als erster Einsatz des Kontrabasses hervor. Gepaart wird der Klangeindruck von Tiefe und Schwerfälligkeit mit dem neuen visuellen Element der wankenden, dunklen Bretter. Während bei den ersten beiden Einsätzen die Klangfarbe der hohen Streicher der Helligkeit des Lichts gleichgesetzt wurde, wird das tiefe Register des Kontrabasses dagegen mit Dunkelheit assoziiert. Dies wiederholt sich beim Pedalsolo im Schlussteil, das Stokowski zusätzlich zu den tiefen Streichern noch mit den Bassinstrumenten der Holzbläser instrumentierte: Der grüne „Zahn“ schwankt im Rhythmus der Achtel ins Bild hinein, das wieder von
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4. Illustration, Assoziation, Visualisierung: Toccata and Fugue in d Minor
lichtlosen, dunklen Farben bestimmt wird. Die An- bzw. Abwesenheit von visuellem Licht wird mit der Helligkeit hoher bzw. Dunkelheit tiefer Stimmen verbunden. Betrachtet man diese vier Einsätze des Fugenthemas genauer, fällt auf, dass über Form und Helligkeitseindruck hinaus weitere Entsprechungen zwischen Musik und Bild zu finden sind. Die Lichtimpulse zu den ersten beiden Themeneinsätzen korrespondieren in ihrer Regelmäßigkeit mit den durchgehenden Sechzehnteln der Streicher. Beim dritten Einsatz löst auf der Bildebene die gleichmäßige Bogenbewegung das rhythmische Pulsieren der Lichter ab, und die Geigenbögen übernehmen das Auf und Ab der Sechzehntel. Dagegen wird beim Kontrabasseinsatz der Orgelpunkt als unbedeutend ignoriert und vom Thema bloß die Melodielinie mit doppelter Dauer in Achteln nachgezeichnet, wodurch der Eindruck von Schwere entsteht. Visualisiert wird das Metrum der Fuge, entweder auf der Grundlage der Sechzehntel oder Achtel. Reizvoll wird dies insbesondere durch den Kontrast zwischen dem auditiven Rhythmus der musikalischen Figur, die nach dem Schlag wie verspätet einsetzt und bis zum ersten Schlag des Folgetaktes reicht, und dem scheinbar durchgängigen Fluss des visuellen Rhythmus. In der ersten Fortspinnungspassage ist es weiterhin das Achtel-Metrum, das ein visuelles Äquivalent findet, und somit die Artikulation aus abwechselnd getrennten und gebundenen Noten kontrastiert. Der Wechsel zwischen getrennten und gebundenen Noten wird kurz darauf im Gegeneinanderstreichen der Bögen wiedergegeben. Nach der Exposition wird das Fugenthema nur noch einmal vom Motiv der sich auf und ab bewegenden Bogenspitzen begleitet. Bei diesem sechsten Einsatz wird jedoch das Thema nicht vollständig zu Ende geführt, sondern abgebrochen und zur Überleitung zum nachfolgenden Echo-Abschnitt umfunktioniert. Das unerwartete musikalische Ende überrascht auch die hüpfenden Bogenspitzen, die nun ihre Bewegung nicht zum Abschluss bringen können, sondern sich mit einer eleganten Drehung vorzeitig aus dem Bild verabschieden. Die Szene macht deutlich, wie selbst in dieser weitgehend abstrakten Passage die Objekte belebt und mit einer eigenen Gesinnung versehen werden, die einen bestimmten Ablauf erwartet, durch Änderungen überrascht werden und eigene Entscheidungen treffen kann. 63 Bei den übrigen Einsätzen des Fugenthemas hat sich die Ähnlichkeit, die in der Exposition noch teilweise über gelbes Licht und die Assoziation mit Bogenspitzen darstellte, weitgehend aufgelöst: Der fünfte Einsatz in Bassklarinette und Fagott bei Ziffer 21 wird mit blauen Sternenlichtern bebildert, die sich in ihrem regelmäßigen Aufleuchten wieder auf den durchgängigen Sechzehntelrhythmus beziehen. Die folgenden Einsätze wurden bereits im Zusammenhang der kontrapunktischen Passagen beschrieben: Der überraschend im Fortissimo einbrechende siebte (Ziffer 28) sowie der elfte Einsatz (Ziffer 32) in den tiefen Streichern werden mit den pulsierenden roten Wellenkreisen, die sich konzentrisch vor schwarzem Hintergrund ausbreiten, wiedergegeben. Der achte Einsatz in den 63 Zu dem Experiment zur Wahrnehmung sozialer Beziehungen von Fritz Heider und Mary-Ann Simmel aus dem Jahr 1944 siehe Fußnote 68.
4.4 Kontrapunkt, Fugenthema und Echo
113
zweiten Violinen und Bratschen (zwei Takte nach Ziffer 28) wird mit gelben Wellenkreisen illustriert, die sich – wieder im schnellen Rhythmus – glitzernd von oben langsam auf den Zuschauer zu ausbreiten. Den neunten Einsatz in Bassklarinette und Fagott (Ziffer 30) begleitet die weiße Linie, die sich serpentinenartig durch eine bunte Landschaft zieht. Zum zehnten Einsatz in Englischhorn und Klarinette (Ziffer 31) ziehen schmale rote Wolken vorbei, und zum zwölften und letzten Einsatz in Englischhorn, Klarinette, zweite Violine und Bratsche (Ziffer 35) bauen sich gotische Spitzbögen auf.64 Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass das Fugenthema mit sehr unterschiedlichen Bildern gepaart wird, was darauf schließen lässt, dass Disney nicht mit dem pädagogischen Zeigefinger jeden Einsatz hervorheben wollte. Vielmehr scheint auch hier die synästhetische Verbindung von musikalischen und visuellen Eindrücken im Vordergrund zu stehen. Die beschriebenen Visualisierungen des Fugenthemas nehmen – neben der über die Bogenspitzen visualisierten Verbindung zwischen Klang und Klangquelle – vor allem auf die veränderte Klangfarbe, den Rhythmus und die Bewegung der Melodie Bezug. Bei der Klangfarbe scheint es eine Einteilung in helle und dunkle Instrumente zu geben: Geigen, Bratschen und Holz werden mit lichten Farben gepaart, während Celli und Kontrabässen mit der Kombination aus Rot und Schwarz versehen werden. Verstärkt wird der Kontrast noch, wenn bei den Einsätzen der tiefen Streicher im Bild nicht der schnelle Rhythmus der Sechzehntel, sondern in augmentierter Form der Rhythmus der beweglichen Melodie ohne Orgelpunkt übernommen wird. Helligkeit und Beweglichkeit werden als Eigenschaften der hohen Register visualisiert, wozu neben den Geigen und Bratschen auch die Holzbläser mehrheitlich gehören; Dunkelheit und Schwerfälligkeit als Eigenschaften der tiefen Register, hier der Celli und Kontrabässe. Die Bewegungen der Objekte auf der Leinwand sind an bestimmte räumliche Vorstellungen geknüpft, wie sich die Töne bewegen. So verbreitet die Auffassung zwar ist, dass es „hohe“ und „tiefe“ Töne gibt, so ungeklärt bleibt, wie Tonhöhen tatsächlich mit räumlichen Koordinaten verbunden sind: „Während beispielsweise dynamische Kontraste, Kontraste der Lautstärke, durchaus mit Nähe und Ferne in Verbindung gebracht werden können, bleibt eine Koinzidenz von Tonhöhe und -tiefe mit tatsächlicher Höhe und Tiefe im ‚realen Raum‘ immer zweifelhaft (‚hohe Töne‘ und ‚tiefe Töne‘ wurden in der Regel als Metaphern angesehen).“65
Wie bereits in den sich überlagernden Bildern der Streicher in der Toccata werden auch in der Fuge die wechselnden Tonhöhen und verschiedene Register als Ortsveränderungen wahrgenommen und dementsprechend im imaginären Raum der Leinwand visualisiert.
64 Die Bögen bauen sich erst zum Ende des Fugenthemas auf. Eigentlich lässt sich dem Fugenthema an dieser Stelle kein eigenes Bild-Objekt zuordnen, vielmehr geht es in den Bildern etwas unter. 65 Christa Brüstle, Klang als performative Prägung von Räumlichkeiten. In: Moritz Csáky und Christoph Leitgeb (Hg.), Kommunikation – Gedächtnis – Raum. Kulturwissenschaften nach dem „Spatial Turn“. Bielefeld 2009, S. 119.
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4. Illustration, Assoziation, Visualisierung: Toccata and Fugue in d Minor
Neben dem Fugenthema, das nacheinander durch die verschiedenen Stimmen wandert, ist das Echo eine weitere Möglichkeit innerhalb der Musik, auch kürzere Motive wiederholt erklingen zu lassen.66 Auch das Echo ist mit räumlichen Vorstellungen (z.B. nah – fern, hier – dort), aber auch mit kausalen Überlegungen verknüpft (z.B. Ruf – Antwort, Original – Wiederholung, Ursache – Folge). Während beim Fugenthema die Themenverarbeitung den Regeln des Kontrapunkts folgt, ahmt das musikalische Echo das gleichnamige Naturphänomen nach, indem kürzere Abschnitte wiederholt werden, z.B. in Lautstärke oder Klangfarbe leicht abgewandelt.67 Um noch als Echo von etwas gelten zu können, darf der wiederholte Abschnitt eine gewisse Dauer nicht überschreiten und muss unmittelbar auf das ursprüngliche Ereignis folgen. In der Fuge tauchen mehrere Echo-Stellen auf: Gleich viermal und in relativ kurzen Abständen werden zweischlägige Sechzehntelphrasen von verschiedenen Registern aufgeworfen und imitiert. Trotz der Ähnlichkeit der Motive fällt die Visualisierung jedes Mal anders aus. Überraschend ist jedoch, dass sich für den Zuschauer häufig das Gefühl einstellt, dass die geometrischen Figuren menschenähnliche Handlungen vollziehen, wie z.B. sich jagen oder spielerisch umhertollen, und sich ihre Ruf- und Echo-Aktionen aufeinander beziehen. Trotz der Abstraktheit führen Form und Bewegungen dazu, dass sich der Zuschauer in die Objekte einfühlt. Diese Szenen sind darin dem Experiment zur Wahrnehmung von sozialen Beziehungen von Fritz Heider und Mary-Ann Simmel aus dem Jahr 1944 sehr ähnlich, die Zuschauern einen Cartoon mit geometrischen Figuren zeigten. Statt Bewegungen geometrischer Figuren zu beschreiben, schilderten diese die Vorgänge als soziale Beziehungen.68 Hier in Fantasia stellt die Musik die kausale Klammer (Ruf- und Echo-Aktion gehören zusammen) und den Unterton zur Verfügung, wie die Handlungen zu deuten sind (z.B. als spielerisch, lustig). Die „Beseelung“ der Figuren kann jedoch bereits durch die Bewegungen und das Verhältnis der Objekte zueinander entstehen, und nicht erst durch die Musik. Das erste Echo – Flöte, Oboe, Englischhorn und Klarinette imitieren die hohen Streicher (Ziffer 23) – wird als eine Verfolgung heller Metallsaiten visualisiert, denen aus derselben Richtung kommend blaue Lichtlinien hinterher jagen. Hier stuft Stokowski die Wiederholung dynamisch zurück, so dass sich ein Doppelecho ergibt. Visualisiert wird dieser Fortepianoeffekt, indem die Gestalten bei der Wiederholung verkleinert und quasi perspektivisch tiefer im Raum wiedergegeben werden. Ansonsten gestaltet Stokowski den Kontrast zwischen den Motiven der Echos durch die unterschiedliche Klangfarbe der Instrumente: Flöte, Oboe und Englischhorn imitieren beim zweiten Echo die Violinen (Ziffer 24), Klarinetten und Fagotte die Celli und Bratschen (Ziffer 26) und beim vierten Echo mit 66 Vgl. auch das Kapitel Kosmologische Dimensionen des Schalls: Das Echo. In: Helga de la Motte-Haber, Musik und Natur. Naturanschauung und musikalische Poetik. Laaber 2000. 67 Zu Fantasia als Parabel über Schöpfung und Chaos siehe 7. Das Ende: Night on Bald Mountain und Ave Maria. 68 Vgl. auch Ed Tan, Wenn wir uns so gut auf die Kunst des Einfühlens verstehen, praktizieren wir es dann nicht ständig? In: Robin Curtis und Gertrud Koch (Hg.), Einfühlung. Zur Geschichte und Gegenwart eines ästhetischen Konzepts. München 2009, S. 185–210.
4.4 Kontrapunkt, Fugenthema und Echo
115
sukzessivem Einsatz das gesamte Holz die Streicher (Ziffer 33). Während zur zweiten Echopassage pastellfarbige Ellipsen in Gruppen spielerisch durch den schwarzen Raum jagen, wird bei der dritten Echostelle der Wechsel zwischen Original und Abbild aufgegriffen und ins Visuelle übertragen: Abwechselnd rollen rote Bretter und deren dunkle Schatten, die sich immer wieder zu einer Art Saitensatz teilen, über den hügeligen rotbraunen Boden. Ähnlich wie das Echomotiv anschließend in Umkehrung sequenziert wird, um zum nächsten Abschnitt überzuleiten, wird die Bewegung der roten Bretter in die entgegengesetzte Richtung – nämlich auf den Zuschauer zu – weitergesponnen. Bei der vierten Echostelle in der Dur-Tonika weicht das lustige Hin und Her der ersten beiden Beispiele einer eindrucksvollen Demonstration von Masse: Zwei sich abwechselnd aufbauende Wellenberge, die aus roten Furchen bestehen, bewegen sich auf den Zuschauer zu.69 Die Kamera scheint durch eine leichte Aufsicht über die Walzen hinwegzugleiten, so dass sich der Zuschauer – quasi ohne festen Boden – oberhalb der Welle befindet. Ruf und Echo sind immer in einer Bewegung zusammengefasst, auf die unausweichlich die nächste Welle in ihrer Massivität folgt. Verstärkt wird die bedrohliche Wirkung noch, da sich einerseits die Dynamik durch Crescendo und die zunehmende Zahl der Instrumente steigert, andererseits sich die Echos in ansteigenden Sekundschritten wiederholen. Mit der dynamischen Steigerung wechselt die Farbe der Wellen von leuchtendem Rot über Rotbraun zu Dunkelviolett.70 In allen vier beschriebenen Fällen wird das Echo nicht als einfache Wiederholung eines identischen Motivs dargestellt, sondern entweder als Reaktion auf den unmittelbar vorausgehenden Ruf (bei der Verfolgung, der Verkleinerung und den Schatten), als tatsächliches Zwischen-Spiel bunter Kreise oder in Anlehnung an ein weiteres Naturphänomen interpretiert. Bei Letzterem ist es zunächst eine akustische Assoziation der Bachschen Echostelle mit dem Klang einer auf das Ufer zu rollenden Meereswelle, für die dann mit den roten Wellenbergen eine visuelle Entsprechung gefunden wurde. Nachdem zunächst die akustische Ebene eines Naturphänomens in Musik übersetzt wurde (Echo), wird der Klang hier in ein anderes Naturphänomen überführt (Wellen). Darin unterscheidet sich dieses Echo von bisherigen Beispielen, in denen sich Musik und Bild über eine Analogie (z.B. der Helligkeit, Bewegungsrichtung oder des Rhythmus) einander zuordnen ließen. Das Interesse an Wasser und seinen unterschiedlichen – visuellen und akustischen – Erscheinungsformen prägt nicht nur Fantasia. Zahlreiche Künstler der Zeit nutzten die neuen Aufnahmemöglichkeiten von Phonographen und Film, um Klang und Bild von Wasser nicht mehr nur zu imitieren:
69 Bereits Philipp Spitta beschrieb in Johann Sebastian Bach 1873 die „dröhnend sich wälzenden Akkordmassen“. Zitiert nach Tobias Plebuch, Die Musik Johann Sebastian Bachs im Film, S. 134. 70 An den Entwürfen der Wellenberge war noch Oskar Fischinger beteiligt, der in seinen Zeichnungen eine mehrgliedrige Welle vorsieht. Vgl. Abbildung des Stills und des Fischinger Entwurfs zur Welle in: Robin Allan, Walt Disney and Europe, S. 13.
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4. Illustration, Assoziation, Visualisierung: Toccata and Fugue in d Minor „Beginning with Joris Ivens’s film Regen (Rain) from 1929, it started to rain and gush and gurgle on film, leaky faucets taunted cartoon creatures equipped with new types of hydrophones, reports from dramatic characters where transmitted from ships in distress, ocean waves were finally reunited with their programmatic progeny in music, which became ever more faithful in their mimicry and so on.“71
4.5 SCHLUSSTEIL: PHANTASIE UND GEGENSTÄNDLICHKEIT Die bisherige Analyse der Toccata and Fugue in D minor beschrieb deren Ziel, den Zuschauer in eine Welt eintauchen zu lassen, in der Musik und Bild unmittelbar verbunden sind. Während zu Beginn der Toccata die Konzertsituation zunächst vergleichsweise realistisch dargestellt ist, geleiten anschließend die assoziativen Bilder den Zuschauer stufenweise in (s)eine scheinbar subjektive Wahrnehmung: Nach den Schattenbildern zum Ende der Toccata bieten die ersten Bilder der Fugue noch konkrete Elemente des Konzerts, wie z.B. Bögen, Saiten und Stege, die sich dann aus dem Kontext herausgelöst frei über die Leinwand bewegen. Ihnen folgen nach der Exposition abstrakte Formen, wie z.B. Linien, Bretter und Kreise, die aus diesen Objekten abgeleitet sein können. Der Schlussteil der Toccata and Fugue in D minor verwendet nun Bilder, die an Naturphänomene und Monumente – Wellen, sich phallisch aufbauende Berge oder Türme, Kathedralen, Sterne, Explosionen, Lichtstrahlen – erinnern. Diese leiten schließlich wieder in die Rahmensituation des Konzerts zurück und zeigen am Ende Stokowski, wie er über Musik und Elemente gleichermaßen herrscht. Im Folgenden soll gezeigt werden, wie die Toccata and Fugue nicht nur als Überleitung in die phantastische Welt von Fantasia funktioniert, sondern darüber hinaus durch die Rückführung ins Konkrete und Narrative die Cartoon-Episoden als adäquate Umsetzung der Musik begründet. Die Toccata and Fugue in D minor wird so zur Übergangs- oder Schwellenphase, die den Zuschauer auf das Neue der Kunstform Fantasia vorbereitet. „Looking at this composition broadly,“ erklärte Leopold Stokowski den Künstlern des Disney Studios, „the Toccata is the ‚A‘, the Fuge is ‚B‘, and we return to ‚A‘ at the end.“72 Während eine musikalische Dreiteilung von Präludium, Fuge und Postludium bzw. toccatischem Anhang ausgeht,73 lassen sich im weitgehend abstrakten und nicht-narrativen Kontext der Toccata and Fugue in D minor anhand des sich ändernden Hintergrunds – vergleichbar mit einem Orts-
71 Douglas Kahn, Noise, Water, Meat. A history of sound in the arts. Cambridge, Massachusetts 1999 (Paperback 2001), S. 249. 72 Zitiert nach John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 39. 73 Ob es sich bei der Großform des Werkes um ein einsätziges-mehrteiliges oder ein zweisätziges Werk handelt, bleibt umstritten. Der Fugenteil gilt im Vergleich zu den toccatischen Rahmenteilen als „profilarm“ oder wird zum „Zwischenspiel zwischen zwei Tutti-Toccaten“ abgewertet. Vgl. Konrad Küster (Hg.), Bach Handbuch. Kassel 1999, S. 648; Peter Williams, Johann Sebastian Bachs Orgelwerke, S. 269.
4.5 Schlussteil: Phantasie und Gegenständlichkeit
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wechsel – insgesamt sieben Filmsequenzen ausmachen:74 Die erste Sequenz umfasst demzufolge alle Einstellungen von Beginn des Films an, die das Orchester und seinen Dirigenten zeigen, und fängt somit bereits vor dem musikalischen Beginn der Toccata an. Die zweite Sequenz lässt sich bestimmen, wenn man die nun folgenden Einstellungen vor unterschiedlichfarbigen Himmel als Einheit auffasst. Die Filmsequenz entspricht in der Dauer der Exposition, die gleichzeitig anfängt und mit dem fünften Einsatz des Fugenthemas vor schwarzem Hintergrund endet. Die folgende Passage mit wiederholtem Einsatz des Fugenthemas und den EchoZwischenspielen findet vor schwarzem Hintergrund statt, der sich zwischendurch rötlich aufhellt. Diese dritte Sequenz endet mit dem Wechsel zum bunten, landschaftsartigen Hintergrund, der leicht abgeändert in drei verschiedenen Einstellungen bis zum elften Themeneinsatz in den tiefen Streichern anhält. Das Schwarz der vierten Sequenz wird durch das Himmelblau zur Echofigur bei Ziffer 33 abgelöst. Die nun vor der Kadenz letzte Filmsequenz umfasst die phallisch gegen Himmel wachsenden Türme und gotischen Tore, bevor zur Kadenz bei Ziffer 36 das Feuerwerk an bunten Lichtern vor schwarzem Hintergrund beginnt. Zusammengefasst durch den schwarzen Hintergrund schließt diese sechste Sequenz auch das sich wiederholende Motiv der Explosionen, des schwankenden grünen „Zahns“ und der senkrechten Lichtstrahlen ein. Das erneute Feuerwerk zum Presto bei Ziffer 39 leitet die letzte Sequenz vor rotem Hintergrund ein, die nach dem Überblenden zu Stokowski und dessen Abwinken des Schlussakkords endet. Während der musikalische Schlussteil bei Ziffer 36 beginnt,75 legt die Einteilung nach bildlichen Kriterien den Beginn der letzten Sequenz mit den Fontänen bei Ziffer 39 nahe. Erst mit den konkreten Bildern von Stokowski nach Ziffer 40 wird die visuelle Klammer schließlich zum Anfang geschlossen, bevor die Kamera ins Schwarz und die Musik nach dem Schlussakkord in die Stille ausblenden. In der musikalischen Dreiteilung greift der dritte Abschnitt – nach dem im Sechzehntelfluss durchlaufenden Fugenteil – die Tempowechsel, Fermaten und ausgezierten Akkorde der Toccata wieder auf. Unvermittelt nach dem letzten Einsatz des Fugenthemas bricht die vermeintliche Schlusskadenz vor Ziffer 36 mit der Fermate ab. Nach der kurzen Stille der Generalpause – dargestellt als harter Schnitt76 – prasseln die von einer Pause eingeleiteten Sechzehntelfiguren („figura 74 Als Filmsequenz wird „eine Folge von inhaltlich zusammenhängenden Einstellungen“ (James Monaco, Film verstehen, S. 406) oder „eine Handlungseinheit verstanden, die zumeist mehrere Einstellungen umfasst und sich durch ein Handlungskontinuum von anderen Handlungseinheiten unterscheidet. In der Regel werden Handlungseinheiten durch einen Ortswechsel, eine Veränderung der Figurenkonstellation und durch einen Wechsel in der erzählten Zeit bzw. Erzählzeit markiert.“ (Knut Hickethier, Film- und Fernsehanalyse. Stuttgart ²1996, S. 38). 75 Als Schlussteil der Episode soll im Folgenden dieser dritte Abschnitt der Toccata and Fugue in D minor besprochen werden. 76 Stille wird hier nicht wie am Anfang der Toccata als Dunkel bzw. Abwesenheit von Licht dargestellt. Walt Disneys Frage, „How will we represent the silence on the screen?“, wurde von Stokowski in Bezug auf die dreimal wiederholte Anfangsphrase folgendermaßen beantwortet: „In the silent spaces, we have nothing but the highlight. When the music comes in
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4. Illustration, Assoziation, Visualisierung: Toccata and Fugue in d Minor
suspirans“) in dichter Folge und zwischen den verschiedenen Stimmen alternierend nieder. Visualisiert werden die auf- und absteigenden Motive mit einem Sternenregen aus bunten Lichtern, die vor dem schwarzen Hintergrund in Trauben niederfallen. Die übergehaltenen Akkorde in den Hörnern, Posaunen und der Tuba werden von drei feurig leuchtenden Explosionen begleitet, die zu jedem Akkordwechsel aus dem Schwarz aufflammen und sich über das ganze Bild ausbreiten. Die daran anschließende Generalpause wird als Black und Schnitt dargestellt, bevor zum einfachen verminderten Septakkord des ursprünglichen Pedalsolos – nun für Bassklarinette, Fagotte, Celli und Kontrabässe instrumentiert und zu schweren Achteln („pesante“) verlängert – der „grüne Zahn“ in die Tiefe des Raums wankt. Vertikal von oben ins Schwarz einfallende Lichtstrahlen, die in ihrer Geometrie an Lyonel Feininger erinnern, begleiten den kurzen Einbruch gewichtiger Akkorde, in denen der Klang der Streicher und Hörner dominiert. Zur Fermate und anschließender Generalpause strahlt das Bild in fast silbrigem Weiß, bevor zum Rot der nächsten Einstellung übergeblendet wird. Ähnlich wie beim ersten Presto der Sechzehntelfiguren bricht ein Leuchtfeuer los, diesmal von nach oben leuchtenden breiten Strahlen, die nach rechts treibend aus dem Bild verschwinden, während andere rotfarbige Lichter auftauchen. Zum Ritardando nimmt die Zahl der Lichter ab, dafür leuchten die wenigen länger und werfen breite Scheinwerferstrahlen in den roten Himmel. Im Folgenden wechseln sich Akkorde ab, zu denen sich langsam eine strahlende Sonne vor rosa Himmel ausbreitet, und blitzschnelle Arpeggien, zu denen Fontänen emporschnellen. Die Figur Leopold Stokowskis wird eingeblendet, der sowohl Musik als auch – ein Vorgriff auf The Sorcerer’s Apprentice – die Wassermassen dirigiert, bevor zur plagalen Mollkadenz des Schlusses die Kamera auf Stokowski und ins Rot der untergehenden Sonne zoomt. Mit dem Abwinken des Schlussakkords werden Musik und das Licht des roten Farbkreises zugleich ausgeblendet, so dass nur noch Stokowski als Realaufnahme vor schwarzer Leinwand zu sehen ist, bevor auch dieses Bild dem völligen Black weicht. Der Schlussteil der Toccata and Fugue in D minor greift mit vielen Motiven auf nachfolgende Sequenzen vor: Die Wasserfontänen spielen im Sorcerer’s Apprentice wieder eine Rolle, die geometrischen Lichtstrahlen und gotischen Bögen tauchen im Ave Maria erneut auf, die Explosionen erinnern an die Evolution im Rite of Spring und die aufgehende Sonne ist ein durchgehendes Motiv, das dem Zuschauer u.a. in The Pastoral Symphony und dem Ave Maria wieder begegnen wird. Während diese Objekte in den genannten Episoden als klare Erscheinungen gezeigt werden und in ihrem Kontext narrative Funktion übernehmen, bleiben sie hier assoziative und vage Formen, die an diese konkreten Bilder nur erinnern.77 again, the color will surge up behind.“ Zitiert nach John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 41. 77 Diese nicht vollständig vollzogene Loslösung der Formen in der Fuge von konkreten Objekten könnte ein Grund sein, warum die Episode mich beim ersten Sehen nicht ganz überzeugen konnte. Ähnlich wie z.B. in der elektronischen Musik Klänge, die noch zu sehr „abbilden“ bzw. an bestimmte Geräusche oder Klangquellen erinnern, als narrativ wahrgenommen werden (Hörspiel), erscheinen diese semi-abstrakten Bilder als künstlerisch unentschieden. Im
4.6 Illustration und Visualisierung: Der Soundtrack
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Sie sind Teil einer abstrakten Traumwelt, die der konkreten Welt der Rahmenhandlung gegenübersteht. Die Figur Leopold Stokowskis dient dabei als Mittler zwischen diesen beiden Welten: Mit dem Beginn der Toccata leitet er den Zuschauer zunächst in den Bereich der Assoziationen und dann des Abstrakten über, um ihn dann mit dem Ende wieder zurück in die gegenständliche Welt zu holen.78 Wenn nun im Anschluss an die Toccata and Fugue in D minor in den folgenden Episoden konkrete Geschichten erzählt werden und die unterschiedlichsten Kreaturen agieren, dann bauen diese auf den Assoziationen und Abstraktionen des Anfangs von Fantasia auf. Dem Zuschauer wird suggeriert, dass auch das Gegenständliche aus der Musik entsprungen und eine Weiterentwicklung des Abstrakten ist. Mit der Toccata and Fugue in D minor ist der Weg geebnet, den eigenen künstlerischen Phantasien des Disney Studios freien Lauf und die ausgewählten Kompositionen ungehemmt im Medium Zeichentrickfilm interpretieren zu lassen. 4.6 ILLUSTRATION UND VISUALISIERUNG: DER SOUNDTRACK Disney und viele seiner Kollegen äußerten sich später kritisch über die Qualität der Toccata and Fugue in D minor: „The clumsiest thing we did in Fantasia was the Toccata. We flung in all sorts of cubism and it misfired. It was clumsy. It was like someone trying to do a Jewish accent.“79
Immer wieder wird die fehlende strukturelle Komplexität der Passage hervorgehoben, und – gepaart mit dem Hinweis auf Fischingers Entwürfen80 – als Feigheit kritisiert, den Schritt zur gänzlichen Abstraktion nicht gewagt zu haben. Auf den Ursprung der Bilder in der Musik wird dabei selten eingegangen, sondern ihre Qualität unabhängig von dieser Verbindung – in Dichotomien wie europäisch/amerikanisch, avantgardistisch/banal oder elitär/demokratisch – beurteilt. Die Passage wird weder als Versuch diskutiert, Bilder aus dem Klang der Musik heraus zu entwickeln, noch ein bereits bestehendes Musikstück adäquat im Animationsfilm umzusetzen. Tatsächlich fallen in der Toccata and Fugue jedoch zwei grundlegende und gängige Vorgehensweisen auf, Musik zu bebildern: Während in der Toccata die Bebilderung (Inszenierungen der Musiker und des Musizierens sowie die assoziativen Traumbilder) dazu diente, die organische Verbindung von Musik und Bild zu demonstrieren, wurden in der Fuge musikalische GestaltungsZusammenhang des gesamten Films sind sie jedoch wiederum als Verweise für mich schlüssig. 78 Deems Taylor tritt wiederum als Mittler zwischen der „realen“ Welt des Kinopublikums und der gegenständlichen Rahmenhandlung auf. Fantasia findet also auf drei verschiedenen Realitäts- oder Erzählebenen statt. Vgl. auch Kapitel 3.4 Konzertfilm oder Filmkonzert? 79 Joe Grant zitiert nach Robin Allan, Walt Disney and Europe, S. 100. Grant war ursprünglich Comic Zeichner und arbeitete für das eigens geschaffene „Character Model Departement“. 80 Fischinger selbst kommentierte das Verhältnis von Disney zur Abstraktion mit einer Collage, in der Mickey und Minnie Mouse erbost auf ein Bild Kandinskys zeigen. Vgl. die Abbildung in William Moritz, Optical Poetry, S. 132.
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4. Illustration, Assoziation, Visualisierung: Toccata and Fugue in d Minor
prinzipien – Kontrapunkt, Fugenthema, Echo – ins Visuelle übertragen. Für diese beiden Verfahren lassen sich zwei Begriffe aus der Visuellen Gestaltung heranziehen, nämlich der Illustration und der Visualisierung. Der Begriff Illustration stammt aus dem Buchwesen und bezeichnet seit dem 19. Jahrhundert das Versehen eines Textes mit Bildern, die ihn erläutern, veranschaulichen, dekorieren und/oder interpretieren.81 Dies geschieht traditionell dadurch, dass dem Text eine bildliche Darstellung von etwas hinzugefügt wird, was in ihm in unterschiedlicher Ausdrücklichkeit bereits beschrieben wird, so z.B. in Kinder- und Lehrbüchern, Zeitschriften oder Gebrauchsanweisungen.82 Visualisierungen hingegen beziehen sich auf abstrakte Sachverhalte, die ins Visuelle übersetzt werden, und bezeichnen „Darstellungen des eigentlich bildlich Nicht-Darstellbaren.“83 Je nach Aufgabe und Anwendung wird hierfür in unterschiedlich strengem Maße – beispielsweise in der Werbung oder in der Wissenschaft – eine Systematik aufgestellt, der die Visualisierung folgt, sei es in Diagrammen, Grafiken oder Computerbildern. Anhand zweier sehr unterschiedlicher Werke, nämlich Paul Hindemiths Zeichnungen zum eigenen Fugenzyklus Ludus tonalis (1942) und Paul Klees Fuge in Rot (1921), lässt sich der Unterschied zwischen Illustration und Visualisierung in Bezug auf Musik und Bilder verdeutlichen. Paul Hindemith schenkte seiner Frau Gertrud zum 50. Geburtstag eine handkolorierte Ausgabe seines Ludus tonalis, in der er die verschiedenen Fugen liebevoll mit Zeichnungen versehen hatte, die u.a. mit den Sternzeichen des Paares – Krebs und Löwe – spielten. So kennzeichnete er beispielsweise in der dreistimmigen Fuga decima in Des die verschiedenen Einsätze des Themas mit einem grimmig dreinschauenden Löwen, den er entsprechend dem intervallgetreu gespiegelten Thema der Spiegelfuge ab dem Mittelteil auf den Kopf stellt.84 Der Löwe wird dem Fugenthema als Zeichen beigeordnet, und das gespiegelte Thema durch die „Spiegelung“ des Löwen wiedergegeben. Die Löwenzeichnungen selbst bilden keine eigene, an die Fuge angelehnte Struktur, sondern bleiben Zusatz zum Notentext. Paul Klee hingegen setzt
81 Die Animation Research Library des Disney Studios beherbergt eine riesige Sammlung von Bildern und illustrierten Büchern, die u.a. Walt Disney bei seiner Europareise zusammengetragen hat. Vgl. Lella Smith, Les collections et les missions de l’ARL. In: Bruno Girveau (Hg.), Il était une fois Walt Disney. Aux sources de l’art des Studios Disney. Katalog zur Ausstellung im Grand Palais in Paris vom 16. September 2006 bis 15. Januar 2007, S. 37–59. 82 „Illustrationen können verschiedene Aspekte, die ein Text enthält, aufgreifen und ausdeuten, sie können dabei die beschreibenden [sic] Vorgänge direkt abbilden – wie in der klassischen Szenen-Illustration – oder aber Konzepte, Absichten und Tendenzen, die dem Text zugrunde liegen, in Form von symbolhaften Lösungen sichtbar machen.“ Hans Hillmann, Illustration. In: Anton Stankowski und Karl Duschek (Hg.), Visuelle Kommunikation: ein DesignHandbuch. Berlin 1989, S. 210. 83 Anton Stankowski: Visualisierung. In: Anton Stankowski und Karl Duschek (Hg.), Visuelle Kommunikation: ein Design-Handbuch. Berlin 1989, S. 20. 84 Paul Hindemith, Ludi leonum. Faksimile-Ausgabe eines von Paul Hindemith kolorierten Exemplars des „Ludus tonalis“ aus dem Jahr 1950. Herausgegeben von Giselher Schubert. Mainz 1994.
4.6 Illustration und Visualisierung: Der Soundtrack
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in seiner Fuge in Rot den polyphonen Aufbau der Fuge bildlich um.85 Das Gemälde zeigt verschiedene Figurengruppen mit unterschiedlichen Farb- und Formverläufen. Durch die Überlagerung und Durchdringung der unterschiedlichen Farbflächen in Rot vor schwarzem Grund entsteht ein übergeordnetes, quasi mehrstimmiges Bildgefüge mit einem Verlauf von der linken Bildseite zur rechten. Die gerundeten und eckigen Formen lassen sich als Erscheinung von Thema und Gegenthema lesen, die Wiederholung des Dreieck-Motivs als Umkehrung, die Folge der Ovale als teils rückläufige Bewegung.86 Während Hindemith die farbigen Zeichnungen einer bestimmten Fuge, der eigenen Fuga decima in Des, ergänzend hinzufügt und deren Struktur damit spielerisch erläutert – illustriert –, überträgt Klee das polyphone Kompositionsverfahren der Fuge ohne ein konkretes Vorbild auf die Malerei, in dem er die musikalischen Prinzipien auf die Malerei anwendet und sie damit visualisiert. Auf die Eröffnungssequenz von Fantasia übertragen, lässt sich Folgendes feststellen: Während der Toccata Bilder beigegeben wurden, die den eigenen Ursprung im Klang demonstrieren und das assoziative Potential von Musik illustrieren sollten, versuchten die Bilder der Fuge, die nichtbildlichen Verfahren der Musik in das Medium bewegter Bilder zu übersetzen und zu visualisieren. In der Episode des Soundtracks zeigt sich das Konzept der Visualisierung – in der Beseelung eines Strichs – noch deutlicher. Nach der Pause bittet Deems Taylor den Soundtrack auf die Leinwand, während er selbst und das Konzertpodium nur noch über seine Stimme anwesend bleiben. Der Moderator, der den Soundtrack als „indispensable member of the organization“ und „screen personality“ vorstellt, von dessen visuellen Fähigkeiten bisher keiner Notiz genommen habe, will das Publikum an seiner Entdeckung teilhaben lassen, „that every beautiful sound also creates an equally beautiful picture.“ Die schmale Linie des Soundtracks tritt von der linken Seite auf und nimmt ihren Platz in der Bildmitte ein. Auf die Aufforderung des Moderators „Would the sound track kindly produce a sound?“ formen sich aus dieser Linie zu den verschiedenen Klängen die unterschiedlichsten Figuren, die sich bunt in Kurven, Wellen, Kreisen und Zacken um das vertikale Zentrum herum ausbreiten. In dieser Episode nun wird die Verwandtschaft von Klang und Bild empirisch dargeboten: Hohe Töne stellen sich in der vertikalen Achse an der Spitze dar, tiefe Töne entsprechend weit unten, die Klangfarbe schlägt sich als bauchige oder eckige Konturen nieder, die Lautstärke spiegelt sich als horizontale Ausdehnung wider. Optische Darstellung erfährt auch die Anstrengung, die ein zu produzierender Ton abverlangt, indem sich sowohl die Farbe des Hintergrunds als auch der Figuren verändert. Diese scheinbar systematische Visualisierung demonstriert: Auf dem Soundtrack eines Films schlägt sich jeder Klang als visuelles Muster nach bestimmten Regeln nieder.87 85 Paul Klee, Fuge in Rot, 1921, Öl auf Leinwand, 30 x 44 cm, Zentrum Paul Klee, Leihgabe aus Privatbesitz, Bern. 86 Vgl. Friedrich Teja Bach, Johann Sebastian Bach in der klassischen Moderne, S. 332. 87 Vorläufer und Nachfolger dieser Szene im Hinblick auf eine getreue Übersetzung von Bild und Ton sind u.a. Rudolf Pfennigers Tönende Handschrift (1931), Oskar Fischingers Tönende
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4. Illustration, Assoziation, Visualisierung: Toccata and Fugue in d Minor
Durch die Inszenierung der Szene als gegenwärtiges Gespräch, in dem der Soundtrack auf die Anweisungen des Moderators reagiert, scheinen die Bilder unmittelbar aus den Klängen zu entstehen, und die Behauptung, dass sich Hören und Sehen entsprechen, gewinnt weiter an Glaubwürdigkeit. Handelte es sich bisher – mit Ausnahme der Toccata – um vorproduzierte Bilder, die zum scheinbar live vollzogenen Musizieren gezeigt werden, entstehen hier Klang und Bild gleichzeitig. Ähnlich wie zuvor bei den Musikern beobachten wir den Soundtrack bei der Demonstration seiner Arbeit. Die vorgeführten Bilder – eigentlich ein Nebenprodukt der Klangerzeugung – beweisen, dass Musik und Bilder im Film nicht nur eng miteinander verwoben, sondern tatsächlich eins sind. Die Visualisierung erscheint als wörtliche Übersetzung, die das Medium Film automatisch hervorbringt. Wenn Deems Taylor im Folgenden den Soundtrack die verschiedensten Klänge von Harfe über Violine, Flöte, Trompete, Fagott bis hin zum Schlagzeug produzieren lässt, schleichen sich jedoch – bei aller Unerfahrenheit des Zuschauers mit der Zackenschrift des Lichttons – immer wieder offensichtliche Indizien ein, dass man es mit der optischen Darstellung vielleicht doch nicht so genau genommen hat, wie eigentlich behauptet. Bereits der erste Missklang wirft seine rosa Klangfetzen so zwanglos und ungeordnet von sich, dass es einem wissenschaftlichen Schaubild kaum entsprechen kann. Auch die Fülle und Anmut der Harfenwellen, die Zittrigkeit der Geigengraphik, der rote Hochdruck des letzten Trompetentons oder die flatternden Zungen des Fagotts verstärken das Misstrauen, dass hier künstlerisch nachgeholfen wurde. Bestätigt wird der Verdacht spätestens beim Schlagzeugsolo, als sich der abschließende Triangelklang als blaues Dreieck innerhalb der Linie visualisiert. Einerseits erhält das Publikum also deutliche Hinweise, dass es ein animiertes, künstlerisches und kein wissenschaftliches Produkt vor sich hat, andererseits erfährt es durch die Autorität des Moderators, dass es sich hier um die authentischen Abbilder von Klängen handeln soll. Der Zuschauer ist hin- und her gerissen, ob er den Behauptungen des kundigen Moderators oder den Bildern trauen soll, was die Authentizität des Klang-Bild-Verhältnisses angeht.88 Dass hier ein Widerspruch sein könnte, würde auch für den Rest des Films die Glaubwürdigkeit des Moderators und damit die fachliche Kompetenz von Fantasia in Frage stellen. Gelöst wird der Konflikt durch die Personifizierung des Soundtracks: Da es sich beim Produzenten dieser Bilder um ein beseeltes Wesen und sogar um einen Künstler handelt, dürfen die Bilder individuell ausfallen und müssen keine streng wissenschaftliche Visualisierung sein. Dies war auch das Argument für die freie Bildwahl in der eröffnenden Anmoderation Taylors, dass Fantasia die Klangbilder von Künstlern und nicht von Musikexperten zeige. Das Wissenschaftliche Ornamente (1932–33), Norman McLarens Loops (1940), Dots (1940) und Pen Point Percussion (1951) oder Ute Aurand, Paul Celan liest (1985). Vgl. auch Thomas Y. Levin, „Tones from out of Nowhere“: Rudolph Pfenniger and the Archaeology of Synthetic Sound. In: Grey Room. Vol. 12 (Sommer 2003), S. 32–79. 88 Zur Selbstreflexivität von Fantasia siehe auch 3.5 Fantasia zwischen Aufführung und Erzählung.
4.6 Illustration und Visualisierung: Der Soundtrack
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oder die empirischen Grundlagen – seien es die Notation von Klang als Bild auf der Tonspur, die „drei Arten von Musik“ oder die Evolutionsgeschichte – dienen dem Künstlerischen als Inspirationsquelle, eigene Deutungen zu wagen. Der Visualisierung von Musik wird daher in Fantasia nur dort eine maßgebliche Rolle eingeräumt, wo sie der Legitimation des Projekts selbst dient. Es ist wohl kein Zufall, dass mit der Episode des Soundtracks in der Mitte des Films noch einmal die Abhängigkeit der Bilder von der Musik und ihre enge Verbindung in Erinnerung gerufen werden, auf deren Begründung bereits die Eröffnung des Films seine ganze Energie verwendet hatte. In der Zwischenzeit sind in Fantasia andere Formen audiovisueller Verknüpfung gefeiert worden. Neben den Illustrationen, die der Musik erläuternd beigeordnet, den Assoziationen, die von der Musik nach wahrnehmungspsychologischen Analogien ausgelöst, und den Visualisierungen, in die bestimmte musikalische Gegebenheiten übersetzt wurden, treten der Tanz und das Mickeymousing als weitere Möglichkeiten auf, die Kompositionen audiovisuell umzusetzen. Während man sich für die bisherigen Klangbilder vor allem an der Bildenden Kunst orientierte, stammen Tanz und Mickeymousing selbst bereits aus audiovisuellen Kunstformen, nämlich der Darstellenden Kunst und dem Cartoon. Das besondere künstlerische Potenzial des Trickfilms ist es nun, die – in der Toccata and Fugue in D minor konstatierte und nach der Pause mit dem Soundtrack aufgefrischte – technische und kausale Abhängigkeit von Klang und Bild dazu zu nutzen, diese traditionell audiovisuellen Verfahren im Medium Trickfilm zu neuer Blüte zu treiben.
5. MICKEYMOUSING: THE SORCERER’S APPRENTICE Die Episode The Sorcerer’s Apprentice war Anstoß und Auslöser für das Großprojekt Fantasia.1 Ursprünglich als Silly Symphony konzipiert, stand die Episode mit einer in sich geschlossenen Erzählung und der Art, wie die Musik hierbei eingesetzt wurde, einerseits klar in der Tradition des Cartoons. Andererseits betrat Disney Neuland, wählten er und sein Team doch zum ersten Mal eine bereits vorhandene Komposition als musikalische Grundlage, der man Bilder hinzufügen wollte, ohne die Musik zu stark anzupassen oder selbst Gegenstand der Handlung werden zu lassen, wie z.B. in The Band Concert (1935).2 Die Bilder sollten gemeinsam mit der Musik die Geschichte erzählen, deren Hauptdarsteller Mickey Mouse war. Das Thema lieferte Paul Dukas’ Komposition L’apprenti sorcier (1897), die als Programmmusik das „emotional cue sheet“3 der Handlung zur Verfügung stellte, dem die Animatoren scheinbar bloß noch folgen mussten. Wie eindeutig jedoch die Musik tatsächlich eine Geschichte erzählt und welche Rolle dem als Mickeymousing beschriebenen Verhältnis von Musik und Bild dabei zukommt, soll im Folgenden untersucht werden. 5.1 „MUSIC THAT TELLS A STORY?” Keinen Zweifel daran, wie konkret die Musik des L’apprenti sorcier eine Geschichte erzählt, lässt Deems Taylor in seiner Anmoderation: „And now we’re going to hear a piece of music that tells a very definite story. It’s a very old story, one that goes back almost 2,000 years, a legend about a sorcerer who had an apprentice. He was a bright young lad, very anxious to learn the business. As a matter of fact, he was a little bit too bright, because he started practicing some of the boss’s best magic tricks before learning how to control them.“
Taylor stellt bereits einige Bestandteile der Erzählung voraus – den Zauberer, seinen Lehrling, dessen Ambitionen und die Grundlage der zu erwartenden „Katastrophe“, und er betont das Alter der „Legende“.4 Der Verweis auf die der Komposition zugrunde liegende Ballade Der Zauberlehrling von Johann Wolfgang 1 2 3 4
Vgl. 3.1 Der Weg zu Fantasia. Vgl. 2. Die Musik in den Cartoons und Filmen des Disney Studio. Philip Brophy, The Animation of Sound. In: Alan Cholodenko (Hg.), The Illusion of Life. Essays on Animation. Sydney 1991, S. 78. Der Gefahr, belehrend zu wirken und ins Pathetische abzugleiten, entgeht Taylor, indem er mit umgangssprachlichen Worten das Zeitgemäße an der Person des Zauberlehrlings herausstellt: Der „Bursche“ sei begierig, das „Geschäft“ seines „Bosses“ (und nicht etwa die „Kunst“ seines „Meisters“) zu erlernen.
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5. Mickeymousing: The Sorcerer’s Apprentice
von Goethe unterbleibt – angeblich war es erst der im kalifornischen Exil lebende Thomas Mann, der Disney auf die Vorlage aufmerksam machte.5 Das Publikum wird in der Einführung weniger auf die Entnahme des Sujets bzw. des Plots aus der Literatur und den Bezug zu einem ganz bestimmten Werk hingewiesen, als auf die Tatsache, dass hier eine Komposition selbst eine Geschichte erzählt: Wiederum sei es die Musik, aus der die Bilder – und diesmal gar eine Handlung – entstehe.6 Tatsächlich ist eine Antwort auf die Frage, ob und wie Musik etwas erzählen kann, nicht einfach und eng an die Überlegung geknüpft, wie man die Bedeutung von Musik allgemein bestimmen kann. Am unproblematischsten scheint es bei Kompositionen der so genannten Programmusik, wo Überschriften oder Begleittexte verraten, wovon die Musik handeln könnte bzw. was der „Inhalt von Musik“ sei.7 Im Fall von Dukas’ L’apprenti sorcier wird der Bezug zu einer konkreten Handlung zunächst über den Titel und den Verweis auf die Ballade hergestellt, die der Partitur in einer französischen Prosaübersetzung von Henri Blaze vorangestellt ist.8 Doch bereits Dukas’ Komposition ist keine Eins-zu-Eins-Übertragung von Goethes Gedicht. Das Scherzo folgt nicht der Strophenform der Ballade, sondern es besitzt eine eigene dreiteilige Form. Die kurze langsame Einleitung stellt die vier Hauptthemen vor: das in kleinen Terzen abwärts fließende so genannte Wasser-Motiv und den Beginn des späteren Besen-Motivs,9 das Thema des jungen Zauberlehrlings und das Zauberspruch-Motiv.10 Auf die plötzliche Generalpause folgt ein lebhafter Mittelteil. Die eingeführten Themen werden zunächst wiederholt, dann kombiniert, abgespalten, diminuiert, variiert, als Fugato verwendet und bis zum chaotischen Höhepunkt geführt, bevor das dreimalige Zauberthema dem Spuk ein Ende bereitet. Der Schluss greift die Einleitung wieder auf 5
Thomas Mann besuchte 1938 das Disney-Studio und war von The Sorcerer’s Apprentice wenig angetan: „,Zauberlehrling‘-Film ist in primitivem graphischen Zustand,“ notierte er in seinem Tagebuch. Vgl. Andreas Platthaus, Und nun sollen seine Geister auch nach meinem Willen leben. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Juli 2000. 6 Indem die Macher von Fantasia den Verweis auf eine konkrete literarische Vorlage unterlassen, entgehen sie auch der Gefahr, als quasi „nachschöpfende Künstler“ zuallererst daran gemessen zu werden, wie sie die narrativen Elemente sowohl der Musik als auch der Ballade in ihrem Medium umgesetzt haben. 7 Zu den historischen Positionen zur Programmmusik vgl. auch Albrecht Riethmüller, Programmusik in der Ästhetik des 19. Jahrhunderts. In: Goebel, Albrecht (Hg.): Programmusik. Analytische Untersuchungen und didaktische Empfehlungen für den Musikunterricht in der Sekundarstufe. Mainz 1992, S. 9–29. 8 Paul Dukas, L’apprenti sorcier. Scherzo. D’après une ballade de Goethe. Durand, Paris 1994. Das Motiv des Zauberlehrlings taucht z.B. in der Geschichte „Der Lügenfreund oder der Ungläubige“ von Lukian von Samosata oder im Prager Golem des Rabbi Löw auf. 9 Dukas selbst fasste Takt 1 bis 6 zu einem „motif des sortilèges“ zusammen. 10 Im Partitur-Manuskript von Dukas sind Anmerkungen zur Bedeutung der Motive zu finden. Vgl. Georges Favre, Paul Dukas. Sa vie – son oeuvre. Paris 1948, S. 50. Das zweite Motiv ab Takt 14 nennt Dukas „le jeune apprenti sorcier“ und das dritte Motiv „motif d’évocation“. Vgl. Klaus Trapp, Paul Dukas: Der Zauberlehrling. In: Goebel, Albrecht (Hg.): Programmusik. Analytische Untersuchungen und didaktische Empfehlungen für den Musikunterricht in der Sekundarstufe. Mainz 1992, S. 63.
5.1 „Music that tells a story?”
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und erinnert noch einmal an die verschiedenen Themen, bevor die Komposition nach dem Abgesang der Solobratsche mit einer schwungvollen TuttiSchlussfloskel endet. Vor allem Überschrift, vorausgestelltes Programm und die überlieferten Namen der Themen erlauben es, mit der Musik den Ablauf einer Handlung zu verknüpfen. Sind diese nicht bekannt, fallen die Assoziationen sehr unterschiedlich aus. Die Äußerungen von Schülerinnen und Schülern, denen der Titel der Komposition nicht mitgeteilt wurde, zeigen, dass die Musik ohne weitere Angaben keine bestimmte Geschichte („definite story“) erzählt, sondern ganz unterschiedliche Assoziationen auslöst, in denen heftige Bewegungen (Jagd, Kampf, Verfolgung) eine Rolle spielen.11 Nachdem die Ballade den Schülern bekannt war, beschrieben sie die Musik vom Text ausgehend, indem sie hervorstechende musikalische Ereignisse („dann hört man einen Paukenschlag, das ist die Entzauberung“), Emotionen („man hört die Verzweiflung des Zauberlehrlings“), Geschwindigkeiten und Dynamik bestimmten Einzelheiten der Handlung zuordneten. Dukas’ Komposition erzählt demzufolge keine konkrete Geschichte, sondern schreibt die Dramaturgie der im Trickfilm zu erzählenden Geschichte vor, indem sie die Stimmungen, Akzente und das Tempo stellt. Welche visuellen Ereignisse jedoch mit bestimmten musikalischen Ereignissen verknüpft werden, ist weitgehend frei und unabhängig von den Bedeutungen, die z.B. durch die Bezeichnungen der Motive festgelegt erscheinen. Disneys Visualisierung legt sich dann auch nicht als musikpädagogische „Veranschaulichung musikalischer Verläufe und Geschehnisse“ auf die Musik,12 sondern nutzt den – sich vor allem durch den Titel transportierten – Inhalt der Musik als Plot für einen Cartoon. Wie in den frühen Mickey Mouse Cartoons und Silly Symphonies, die überwiegend ohne Dialog auskamen, wird im Sorcerer’s Apprentice die Musik dazu verwendet, gemeinsam mit den Bildern eine Geschichte zu erzählen. Dass es sich dabei um eine bereits existente Musik handelt, dreht das Verhältnis zwischen Musik und Bild zunächst um: Für die meisten Cartoons wurde als erstes die „Story“ bis ins kleinste Detail festgelegt und dokumentarisch festgehalten, während die Ausarbeitung der Musik und der Bilder parallel nach einheitlichen dramaturgischen und zeitlichen Vorgaben erfolgte, so dass sie sich anschließend synchronisieren ließen.13 Der Hauptunterschied zur Produktion der früheren Cartoons liegt bei The Sorcerer’s Apprentice darin, dass die Musik das strukturelle Gerüst – die Dramaturgie des Films – vorgibt, dem sich das Drehbuch unterzuordnen hat. War 11 Vgl. Karl-Heinz Reinfandt: Unterrichtsplanung im Fach Musik am Beispiel „Der Zauberlehrling“ von Paul Dukas. In: Musik und Bildung, Vol. 7–8 (1973), S. 389–396. 12 Zur Gefahr des praktischen Nutzens für musikpädagogische Vermittlung der Programmmusik siehe Albrecht Riethmüller, Programmusik in der Ästhetik des 19. Jahrhunderts, S. 27f. 13 Die exakte Synchronisierung von Musik und Bild spielt auch in den abstrakten oder semiabstrakten Animationsfilmen von Oskar Fischinger, Len Lye oder Norman McLaren eine wichtige Rolle, die sehr unterschiedliche Wege gingen, wie z.B. grafische Notationen von Klang auf Film oder Direktfilm (Ton- und Bildspur werden direkt bemalt bzw. gekratzt). Disney kannte die Arbeiten von Fischinger, Lye und McLaren und ließ sie seinen Mitarbeitern vorführen.
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5. Mickeymousing: The Sorcerer’s Apprentice
es für gewöhnlich Aufgabe des Filmkomponisten, die verschiedenen Stimmungen, Ereignisse und Geräusche nach einem exakten Zeitplan, der auch für die Animatoren galt, in seiner Komposition abzustimmen, sind in Dukas’ Komposition diese dramaturgischen und narrativen Elemente bereits vorgegeben. Wie beim Rite of Spring wäre es dennoch denkbar gewesen, sich für einen anderen Plot und andere Charaktere zu entscheiden, als diejenigen, die durch den programmusikalischen Verweis auf Goethes Ballade vorgeschlagen werden. Die Personifizierung des Lehrlings als Mickey Mouse zeugt bereits von einer gewissen Freiheit gegenüber den vermeintlichen Intentionen bzw. Interpretationen. Die Musik gibt nur den strukturellen Ablauf, nicht aber die thematische Ausgestaltung vor.14 Dennoch wurde von Dukas’ Musik neben der Dramaturgie auch das übergeordnete Programm des Zauberlehrlings übernommen und die Bilder daran angepasst. Vom Konzept der Visualisierung der Fuge unterscheidet sich diese Übersetzung insofern, als sich erst im Zusammenspiel von Musik und Bildern die in dieser Episode speziell erzählte Geschichte erschließt. Die Musik wird nicht in bewegte Bilder übersetzt, sondern in einen Cartoon, der die akustische Ebene von vornherein mit einbezieht. Musik und Bild erzählen gemeinsam eine Geschichte, die in ihrer Eindeutigkeit weit über Dukas’ Musik und Goethes Ballade hinausgeht.15 Ähnlich einer speziell komponierten und damit vermeintlich „dienenden“ Filmmusik übernimmt die bereits existierende Musik des Zauberlehrlings die üblichen – von atmosphärischen, emotionalen bis hin zu strukturellen – Funktionen gegenüber der Handlung. Es kommen hinzu die dem Cartoon eigenen Interaktionen zwischen akustischer und visueller Ebene – allgemein bekannt als Mickeymousing –, die einen wichtigen Teil zur Narration beitragen. Im Folgenden soll anhand des frühen Cartoons The China Plate (1931) in einem kurzen Exkurs zunächst geklärt werden, was Mickeymousing eigentlich ausmacht und wie es die Beziehung zwischen Musik und Bild insgesamt bestimmen kann. Ausgehend von diesen Beobachtungen wird untersucht, welche Bedeutung Mickeymousing in The Sorcerer’s Apprentice zukommt.
14 Oskar Fischinger interpretiert Dukas’ L’apprenti sorcier in seiner Studie Nr. 8 (1931) ausschließlich in abstrakten, geometrischen Figuren. Vgl. 3.1 Der Weg zu Fantasia, Fußnote 3. 15 Durch die simultane und im Mickeymousing aufeinander abgestimmte audiovisuelle Darbietung prägen sich die visuellen Ereignisse zudem verstärkt ein: „Silent, the visual figures tend to telescope, they do not impress themselves well in the mind, they go by too fast. Owing to the eye’s relative inertia and laziness compared to the ear’s agility in identifying moving figures, sound helps to imprint rapid visual sensations into memory. Indeed, it plays a more important role in this capacity of aiding the apprehension of visual movements than in focusing on its own substance and aural density.“ Michel Chion, Audio-Vision. Sound on Screen. New York 1994, S. 122.
5.2 Exkurs: Mickeymousing
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5.2 EXKURS: MICKEYMOUSING Mit Mickeymousing wird in der Filmmusiktheorie gewöhnlich ein bestimmtes Verhältnis bezeichnet, wie sich die Musik auf das Bild bezieht: Mickeymousing sei die „Imitation von Bewegungsabläufen durch die Filmmusik,“16 „[it] consists in following the visual action in synchrony with musical trajectories (rising, falling, zigzagging) and instrumental punctuations of actions (blows, falls, door closing).“17
Tatsächlich handelt es sich beim Mickeymousing jedoch nicht nur um das musikalische Nachzeichnen visueller Bewegungen und Ereignisse oder um ein „synchronized underscoring“18, sondern um ein sehr viel komplexeres und reizvolles Beziehungsnetz, das sowohl zwischen Bild und Klang als auch innerhalb der akustischen Ebene geknüpft ist. Disneys berühmteste Figur war Namensgeber für diese Form der audiovisuellen Verdoppelung, doch seine Ausprägung fand vor allem in den frühen „Silly Symphonies“ statt. Ein eindrucksvolles Beispiel für exzessives Mickeymousing stellt die Silly Symphony The China Plate von 1931 dar.19 Hier lässt sich kein akustisches Ereignis finden, das nicht in direkter Beziehung zu einem visuellen Pendant steht: Die trippelnden Schritte der Chinesen werden mit Woodblocks akustisch umgesetzt, die Rikscha überquert zur musikalischen Bogenfigur eine geschwungene Brücke, die Tochter des Herrschers tanzt zum Crescendo auf die Kamera zu und zum Decrescendo wieder weg, selbst der Schmetterling – mehrmaliger Auslöser der eigentlichen Handlung – bewegt sich im Rhythmus der Musik voran. Alle akustischen Ereignisse – Schritte, Lachen, Schnarchen, Geräusche usw. sowie die nicht ursächlich durch die Handlung bedingte Musik – finden im Bild ihren Bezug und sind darüber hinaus fest in das rhythmische Klangnetz eingebunden, und sei es synkopisch, wie das Schnauben des Drachens.20 Die enge Verbindung zwischen Musik und Szene erfordert sogar, dass die Wiederholung der musikalischen Perioden eine – teils leicht variierte – Wiederholung der Bilder nach sich zieht.21 Die Unterscheidung in eine diegeti-
16 Georg Maas, Filmmusik. Arbeitsheft für den Musikunterricht in der Sekundarstufe 1 an allgemein bildenden Schulen. Leipzig 2001, S. 46. 17 Michel Chion, Audio-Vision, S. 121f 18 Daniel Goldmark, Tunes for ‘toons. Music and the Hollywood Cartoon. Berkeley 2005, S. 162. 19 Die Silly Symphonie ist der DVD Walt Disney Kostbarkeiten: Lustige Welt der Melodien entnommen. 20 Vom Komponisten und Professor für Intermediale Komposition an der HfM Hanns Eisler Berlin Wolfgang Heiniger wurde im gemeinsamen Seminar die These geäußert, dass die Ordnung dieses rhythmischen Netzes – quasi Gleichschaltung aller akustischen und durch das Mickeymousing auch aller visuellen Ereignisse – Grund dafür sei, warum die Nationalsozialisten begeisterte Anhänger der Disney-Cartoons waren. Die Annahme, dass „das Böse“ immer aus dem Rhythmus fällt, ließ sich beim anschließend wiederholten Sehen des Cartoons leider weder beim schnarchenden Kaiser noch beim schnaubenden Drachen halten. 21 Cartoons werden so zu quasi-musikalischen Formen.
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5. Mickeymousing: The Sorcerer’s Apprentice
sche und eine nicht-diegetische Klangsphäre – auch sonst problematisch22 – ist in dieser Silly Symphony (und im Cartoon allgemein23) nicht aufrechtzuerhalten: Das den Cartoon ohne Unterbrechung durchziehende Mickeymousing hebt die Trennung ebenso wie die zwischen Geräusch und Musik auf bzw. nutzt genau diese Ambivalenz der Zuordnung für die humorvolle Wirkung.24 Folgt man der Definition von Barbara Flückiger, dass Mickeymousing „einen Kausalitätsbezug zwischen optischer und akustischer Darstellung im Film über die zeitgleiche Darbietung“ herstellt,25 lässt sich darüber hinaus beobachten, dass einerseits die Musik die Handlung auslöst (z.B. im Tanz), umgekehrt die Handlung die Musik bedingen kann, indem sie das Material – Schritte, Schreie, Geräuscheffekte – zur Verfügung stellt. Ob die Musik Ursache der Handlung oder umgekehrt die Handlung Ursache der Musik ist, wird ständig neu verhandelt. Das Beispiel The China Plate macht deutlich, dass Mickeymousing wesentlich mehr als die akustische Verdoppelung visueller Ereignisse darstellt. Zunächst handelt es sich um eine Form der „audiovisuellen Verdoppelung“, d.h. auch akustische Ereignisse können visuell „nachgezeichnet“ werden, wie es beim Flug des Schmetterlings oder in den Tänzen geschieht. Die Vereinigung von diegetischer und nicht-diegetischer Sphäre erfolgt auf zwei Ebenen: Einerseits werden die von der Handlung verursachten Geräusche musikalisiert, da sie fest in die musikalische Struktur eingeknüpft sind und deren Material bilden, andererseits ist die Handlung selbst – bzw. sind die stattfindenden Bewegungen – zur Musik choreographiert, je nachdem ob Handlung oder Musik als Verursacher des anderen erkannt werden. Hier lässt sich nicht unterscheiden, ob „both the characters and the audience hear the sound“ (diegetisch) oder „the sound [is] heard exclusively by
22 Die Unterscheidung in diegetische und nicht diegetische Musik beschreibe „a ‚film‘, prior to the music, that constructs its narratively implied world silently.“ Vgl. Claudia Gorbman, Unheard Melodies. Narrative Film Music. Bloomington 1987, S. 21. 23 „Occasionally these terms [such dichotomies as source/underscore, diegetic/nondiegetic, and iconic/isomorphic] can be helpful for analyzing particular situations in cartoons, but they fail to take into account that music is far more integral to the construction of cartoons than of liveaction films because the two forms are created in completely different ways.“ Vgl. Daniel Goldmark, Tunes for ‘toons. Music and the Hollywood Cartoon, S. 4. Für die Rezeption des Zuschauers ist es jedoch gleichgültig, wie die Filme hergestellt wurden. Auch Bilder, die künstlich im Studio hergestellt werden, durchbrechen noch nicht automatisch die diegetische Welt. 24 In den Handbüchern und Theorien zur Filmmusik gelten Dialog, Geräusche bzw. Geräuscheffekte und „Musik“ meist als einzelne Elemente, die dann zum Soundtrack abgemischt werden. „The division of the sonic space into dialogue, sound effects, and music (in descending order of importance) is a structure endemic to Hollywood filmmaking.“ Daniel Goldmark, Tunes for ‘toons. Music and the Hollywood Cartoon, S. 51. Als Musik bezeichne ich im Kontext des Mickeymousings Klänge, die zuallererst auf ihren Ursprung in einem – noch so fremdländischen oder selbst gebastelten – Musikinstrument verweisen. Die Unterscheidung zwischen Geräuschen (Schnarchen, Schritte) und Geräuscheffekten (Durch-die-Luft-Fliegen, Aufprallen, Springen) würde ich trotz ihrer „gleich künstlichen Hervorbringung“ in ihrer Ähnlichkeit mit einem tatsächlich durch ein Ereignis produzierten Geräusch festmachen. 25 Barbara Flückiger, Sound Design. Die virtuelle Klangwelt des Films. Schüren 2001, S. 510.
5.2 Exkurs: Mickeymousing
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the audience“ (nicht-diegetisch).26 Diegetisch verursachte Bestandteile des Soundtracks werden Teil einer Musik, die vorwiegend außerhalb der filmischen Welt angesiedelt zu sein scheint („l’univers d’une œuvre, le monde qu’elle évoque et dont elle représente une partie“27), umgekehrt lösen anfänglich nicht in der Diegese verankerte Bestandteile Handlungen in der erzählten Welt aus. Interessant ist es in diesem Zusammenhang, nach der Grundlage des Mickeymousing zu fragen. Während die simultane Darbietung akustischer und visueller Ereignisse – als notwendige Bedingung, dass etwas in Bezug zu einander gesetzt wird – auf der Seite der Produzenten angesiedelt werden kann, ist der Zuschauer aufgefordert, den „Kausalitätsbezug“ – also das Erkennen und die Unterscheidung zwischen Ursache und Wirkung – herzustellen: Das Gehen löst das Schrittgeräusch aus, die Musik die choreographierten Bewegungen des Tanzes und der Sturz ins Wasser den Beckenschlag. Akustisches und visuelles Ereignis stehen somit – als Ursache und Folge – für den Zuschauer in einer bestimmten zeitlichen Reihenfolge bzw. Richtung, wobei man sich im Mickeymousing an der alltäglichen Erfahrung orientiert, beide Ereignisse als gleichzeitig (da untrennbar) einzuordnen. Nimmt man das visuelle Ereignis als Auslöser des akustischen Ereignisses, kommt eine Ähnlichkeit zwischen dem „in der Realität“ eigentlich folgenden und dem im Trickfilm (auf Instrumenten, d.h. Hilfsmitteln) synchronisierten Geräusch hinzu. Fasst man das visuelle Ereignis hingegen als Reaktion auf die akustischen Ereignisse auf, wie beispielsweise im Tanz, liest man Ersteres als unmittelbare, d.h. nicht notwendig bedingte Umsetzung der Musik. Die Überlegung, welche visuellen Ereignisse durch akustische Ereignisse – von originären Musikinstrumenten – ausgelöst werden, führt nicht zu einer „natürlichen“, sondern „künstlerischen“ Folge, nämlich zu Tanz und choreographierten Bewegungen. Der Grad, in dem Geräuscheffekte im Cartoon den tatsächlich auf ein visuelles Ereignis folgenden Klängen ähneln bzw. diese nachahmen, variiert stark: Die von Lotusflöte, Ratsche, Kindergewehr, Xylophon, Hupen und Schellen produzierten Klänge entsprechen nicht immer den Geräuschen, die unserer Erfahrung nach hervorgerufen werden, wenn wir Luftsprünge machen, stürzen, hüpfen, zerquetscht werden oder gegen eine Wand laufen. Neben die konkrete Zusammengehörigkeit von Geräusch und Bewegung über eine Klangquelle (z.B. Schritte) wird im Mickeymousing die Verbindung häufig so geschaffen, dass die Bewegung selbst in ein Geräusch übersetzt und entsprechend interpretiert wird: „What is being imitated here is the trajectory and not the sound of the trajectory.“28 Nicht der Klang einer Bewegung wird Chion zufolge im Mickeymousing nachgeahmt, sondern die Bewegung selbst und die Art der Bewegung in Musik übersetzt. Tatsächlich verrät der zugehörige Klang sehr viel über die Beschaffenheit einer Bewegung, seien es die Schritte, das Aufspannen eines Schirms oder der Luftzug beim Lachen. Das Geräusch stellt die Materialität der Bewegung zur Verfügung: 26 Robin Beauchamp, Designing Sound for Animation. Burlington 2005, S. 17. 27 Etienne Souriau, La structure de l’univers filmique et le vocabulaire de la filmologie. In: Revue internationale de Filmologie. Vol. 7–8 (1951), S. 231–240. 28 Michel Chion, Audio-Vision, S. 121.
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5. Mickeymousing: The Sorcerer’s Apprentice
Der hohle Klang der Woodblocks verrät den ungefederten Aufprall der Schritte, das Glissando der Lotusflöte das reibungslose Gleiten des Schiebers am Schirmstock und der sonore Hauchlaut den endlosen Weg, den der Atem durch den dikken Körper des Königs nimmt.29 Die Musik ist im Mickeymousing selbst die Bewegung und übernimmt deren kinetischen (und nicht akustischen) Eigenschaften. Im Cartoon wirkt Mickeymousing meistens komisch, doch wird es in der Filmmusik auch bei ernsten Anlässen eingesetzt, um eine Bewegung eindrücklich zu verstärken.30 Die sowohl visuell als auch akustisch dargebotene Bewegung bedeutet mehr als eine bloße Ortsveränderung, die z.B. auch nur über einen Sinn dargestellt werden könnte. Mickeymousing trägt nicht in erster Linie dazu bei, die Fakten einer Geschichte zu erzählen, sondern fügt einen besonderen sinnlichen Reiz hinzu, der sich aus der audiovisuellen Doppelung der Bewegung ergibt.31 Durch die Einbindung der Ereignisse einerseits in das musikalische Netz, andererseits in die visuellen Abläufe, ist die zu erzählende Geschichte fest in beiden Ebenen verankert. Das Mickeymousing öffnet die diegetische Welt wiederum für die Sphäre, die von der Musik über diese Doppelung hinaus vermittelt wird. Wie in The Sorcerer’s Apprentice Musik und Diegese zusammenhängen, soll im Folgenden untersucht werden. 5.3 MICKEYMOUSING IN THE SORCERER’S APPRENTICE Dass es sich beim L’apprenti sorcier um eine Musik handelt, die ursprünglich das Bild und die Handlung diktierte, scheint beim Anschauen der Episode ebenso vergessen wie die Tatsache, dass in The Sorcerer’s Apprentice Elemente einer bestehenden Komposition dazu verwendet werden, Bedeutungen zu erzeugen, die sich erst wenige Jahre zuvor als filmmusikalische Konventionen im Cartoon herausgebildet haben. Markante Geräuscheffekte gehören dabei zu den bekanntesten Charakteristika, die man gemeinhin mit Cartoon-Musik assoziiert.32 Dukas’ Komposition bietet zahlreiche Klänge, die dem reichhaltigen Instrumentarium des Geräuschemachers entstammen könnten, und die in The Sorcerer’s Apprentice mit den entsprechenden Bildern versehen wurden: Mit einem Paukenschlag landet der 29 Ein weiterer Meister dieser Art der Klanggestaltung ist Jacques Tati in Filmen wie Mon Oncle (1958) oder Playtime (1967). 30 Beispielsweise wird der tödliche Sturz eines Arbeiters vom Dach in On the Waterfront (1954) mit einer fallenden Skala begleitet. 31 Disney selbst sagte während der Arbeit am Cartoon Old MacDonald Duck (1941) dazu: „Musical things can’t miss. That’s why you can sit and watch a tap dancer for ten minutes straight. … And then there is the old gag we used in a picture a long time ago and that is these hens laying eggs to music and it’s funnier than hell.“ Zitiert nach Michael Barrier, The Animated Man. A Life of Walt Disney. Berkeley 2007, S. 155. 32 Der Geräuschemacher (engl. Foley artist, benannt nach Jack Foley) betreibt die Kunst des Nachvertonens bzw. „Nacherschaffens“ von Geräuschen in Film und Fernsehen. Im Zirkus wird ein Schlagzeuger als Tricktrommler bezeichnet, der – unabhängig vom musikalischen Takt des Zirkusorchesters – das Geschehen in der Manege mit Effekten untermalt. Vgl. Reto Parolari, Circusmusik in Theorie und Praxis. Winterthur 2005.
5.3 Mickeymousing in The Sorcerer’s Apprentice
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zum Leben erweckte Besen dienstbereit vor seinem Herrn und hüpft synchron zu dem sich zum ersten Mal aufbauenden Besen-Thema seine ersten unregelmäßigen Schritte. Ein Harfen-Glissando begleitet den Lichtblitz, als der Zauberer den Schein des bunten Schmetterlings wieder in den Totenkopf zurückholt. Das variierte Besen-Thema des Glockenspiels ist – über eine Analogie der Helligkeit von Instrument und Licht – mit dem Leuchten der Sterne synchronisiert, die Mickey Mouse in seinem Traum am Firmament aufblitzen lässt. Zum Beckenschlag brechen die Wassermassen am Fels, von dem aus Mickey Mouse sie dirigiert. Zwei Takte vor Ziffer 2233 lässt sich Mickey – vom eigenen Erfolg überwältigt – mit dem Paukenschlag der ersten Zählzeit auf den Stuhl des Zaubermeisters fallen. Auch das Harfenglissando vor Ziffer 2 kann (z.B. im Unterschied zum Sechzehntel-Lauf vor Ziffer 45) als Geräuscheffekt gehört werden. Hier ist es einerseits die Ähnlichkeit des Klangs mit bekannten Cartooneffekten (z.B. der Lotusflöte), andererseits seine Verwendung zu den nicht alltäglichen Zaubereien des Meisters, die das Glissando als Geräusch plausibel erscheinen lassen. Zum Glockenspiel bei Ziffer 26 lässt Mickey die Sterne am Firmament aufleuchten. Während in Cartoons oder Filmen für gewöhnlich Geräusche hinzugefügt werden, um bestimmte Ereignisse oder Bewegungen akustisch zu untermalen, werden in The Sorcerer’s Apprentice vorhandene Klänge umgekehrt mit – den durch filmische Konventionen zugehörigen – Aktionen versehen. Im Unterschied zu den im Konzertsaal und Orchestergraben verwendeten Klangeffekten von Kanonen, Ambossen, Wind- und Donnermaschinen, mit denen „reale“ Ereignisse ausschließlich akustisch wiedergegeben werden, stellen Harfenglissandi, Glokkenspiel, Pauken- und Beckenschläge im Mickeymousing die Ereignisse in Kombination mit dem Bild audiovisuell dar. Die Geräusche haben nicht länger wie in der Programmmusik die Funktion, den tatsächlichen Klang von Aktionen zu imitieren und dadurch die Assoziation mit einer Schlacht (Wellingtons Sieg), einer Schmiede (Rheingold) oder einem Gewitter (Alpensinfonie) hervorzurufen. Durch die Verwendung von Dukas’ L’apprenti sorcier als Cartoonmusik werden aus musikalisch hervorgerufenen Assoziationen konkrete Schilderungen. Die Klangeffekte verweisen nicht länger nur auf ihre Quellen und ein mögliches Ereignis, sondern sind gemeinsam mit dem Bild das Ereignis selbst. Neben Stokowskis Kürzungen des Werkes um über 100 Takte und gelegentlichen Einfügungen34 stellen die Geräuscheffekte einen weiteren Eingriff in die Partitur von Dukas dar: Immer wieder werden Beckenschläge als zusätzliche Akzente eingebaut und erklingen so wesentlich häufiger als bei Dukas ursprünglich vorgesehen. Bei Ziffer 32 ertönt der erste Beckenschlag sechs Takte früher als in der Partitur festgelegt, so dass Mickey Mouse vier- statt nur dreimal die Wellen 33 Ziffern nach der Ausgabe Paul Dukas, L’apprenti sorcier. Scherzo. D’après une ballade de Goethe. Durand, Paris 1994. 34 Ähnlich wie in Oper und Theater handelt es sich hierbei um eine Strichfassung, d.h. um die Festlegung von Kürzungen und das Einrichten für eine bestimmte Inszenierung. Die Eingriffe in das „Werk“ Dukas’ dienen dazu, dass die Musik in ihrem aktuellen Kontext funktionieren kann.
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5. Mickeymousing: The Sorcerer’s Apprentice
akustisch untermalt an den Felsen hochpeitschen lassen kann. Anstelle von nur vier Hieben über acht Takte zerschlägt Mickey Mouse nach Ziffer 41 den emsigen Besen mit insgesamt acht Axtschlägen, zu denen die Becken kurz und dumpf gegeneinander geschlagen werden. Wenn der Zaubermeister vor Ziffer 56 infolge der missglückten Zaubereien seines Lehrlings eingreift, teilt er die Fluten zu fünf statt ursprünglich drei Beckenschlägen. Die Untermalung von Wasserbewegungen – insbesondere dem Aufplatschen oder Aufspritzen – mit dem Klang von zusammengeschlagenen Becken ist dabei eine Konvention des Cartoons, die sich wie andere Stereotypen bereits im Zirkus oder im Vaudeville zuvor herausgebildet hatte: „[In the traditional animated cartoon] filmmakers used stylized synch sound effects analogous to those in the circus, presenting sounds that followed the action as sonic symbols for impacts and movements without specifying what substances the moving beings were made out of.“35
Die Wellen würden ohne Ton zwar immer noch am Felsen brechen, aber erst in Kombination mit den Beckenschlägen entsteht – der Konvention oder Konditionierung entsprechend – der Eindruck von aufspritzendem Wasser. Die Einbindung der akzentuierten Schläge in das rhythmische Klangnetz von Dukas’ Musik führt dazu, dass wir Mickey Mouse als den ausdrücklichen Lenker der Wellen und seine Anwesenheit nicht als zufällige Koexistenz empfinden. Aber nicht nur geräuschhafte Klänge werden als Mickeymousing verwendet. Auch die Schritte der Charaktere werden scheinbar musikalisch nachgezeichnet und finden – ähnlich wie im Beispiel der China Plate, wo diese zusätzlich noch mit Woodblocks verklanglicht wurden, – zum Puls der Musik statt.36 Bereits bei Mickeys erstem Erscheinen, als er beladen mit schweren Wassereimern die Treppe hinaufsteigt, ist sein Schritt mit dem Metrum der Musik synchronisiert. Das Problem, dass dieses hier nicht – dem regelmäßigen Gang entsprechend – zwei-, sondern dreiteilig ist, wurde gelöst, indem Mickey Mouse erst den linken Fuß, dann den rechten auf die Stufe setzt und den dritten Schlag pausierend auf ihr verharrt. Eine andere Variante, sich unregelmäßig und doch im rhythmischen Klangnetz fortzubewegen, zeigt Mickey Mouse bei seinem ersten Anlauf, den Besen 35 Michel Chion, Audio-Vision, S. 118. 36 Der Komponist Scott Bradley wollte genau das vermeiden. „However, he could escape at least the appearance of mickey-mousing by refusing to use songs with straightforward rhythmic pulses. For example, an animated figure walking to the tempo of a standard pop song led to double accents on footfalls through both a visual and an aural representation of a character’s movements to a constant beat – exactly the kind of synchronicity Bradley wanted to avoid.“ Vgl. Daniel Goldmark, Tunes for ’toons, S. 64. Der Regisseur Friz Freleng schilderte die Zusammenarbeit mit Carl Stalling so: „I did everything in phrases of fours and twos, so Carl could follow it. If a character walked, I put down the steps, evenly, and he would write the music to those steps. I’d never leave him in the middle of a beat or the middle of a phrase. If I had a cat run across the room, I’d figure out how many steps that cat was going to use; I set it up so that if the cat paused or some sound effect was needed, it happened on the beat. I didn’t write any of the music, but I did write the phrases and the rhythm for Carl.“ Zitiert nach Daniel Goldmark, Tunes for ’toons, S. 20.
5.3 Mickeymousing in The Sorcerer’s Apprentice
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zum Leben zu erwecken: Mit dem Auftakt des so genannten Zauberspruch-Motivs nimmt er ein Bein nach vorne in die Luft und rutscht zur ausgehaltenen Wiederholung des Akkords mit dem kompletten Körper nach. Zunächst geordnet und im Schritt marschieren der Besen und sein Gebieter zum Besen-Thema bei Ziffer 7 los. Aber auch hier stellt sich schnell das Problem, dass im dreiteiligen Metrum die Betonung immer zwischen linkem und rechtem Fuß wechselt. Um bei der Wiederholung einer dreitaktigen Phrase auch die Betonung wiederholen zu können, weichen beide auf einen kleinen Hüpfer aus. Als nach Mickeys Traum von der Herrschaft über den Himmel und die Meere sein übereifriger Helfer und damit die Lage außer Kontrolle geraten, wahren auch seine Schritte die rhythmische Ordnung nicht mehr: Beschleunigt und dem Puls der Musik nicht mehr zuzuordnen eilen beide die Treppe hinauf. Erst zur Reprise bei Ziffer 43 nimmt nun die Armee der Besen den scheinbar geraden Marschrhythmus wieder auf, was diesmal allerdings nicht über den Wechsel der „Füße“, sondern über die Hebung und Senkung des Körpers wiedergegeben wird und somit unabhängig von Betonungen ist. Das Lehrlingsmotiv nach Ziffer 17 in den Holzbläsern und im Glockenspiel begleitet den hüpfenden Mickey nach seinem erfolgreichen Zauberwerk. Im Unterschied zum Besenmotiv, wo durch die Phrasenbildung jeder dritte Takt betont wird, ist hier nun jeder Takt akzentuiert. Der 3/8-tel Takt wird hier tänzerisch visualisiert. Über Geräuscheffekte und synchronisierte Schritte hinaus findet sich Mickeymousing in The Sorcerer’s Apprentice auch in seiner ureigensten Form, nämlich als Nachzeichnen von Bewegung. Eine Untergruppe der Bewegungen bilden Gesten, hier zumeist der Hände, die sich von anderen Körperbewegungen dadurch unterscheiden, dass sie eine kommunikative Aufgabe bzw. Mitteilungsfunktion haben. Diese lassen sich noch einmal untergliedern in erstens berufsspezifische oder magische bzw. performative Gesten wie die Handbewegungen beim Zaubern oder Dirigieren, zweitens abbildende Gesten, die dem Besen vormachen, was er zu tun hat, und drittens expressive Gesten, die die Befindlichkeit der Charaktere ausdrücken. Allen drei Typen ist gemeinsam, dass sie einerseits eine Bedeutung innerhalb der erzählten Welt haben, sich andererseits an den Zuschauer wenden und für ihn etwas darstellen. Darin liegt eine wichtige Gemeinsamkeit mit der Musik, die im Mickeymousing ebenfalls einerseits Teil der Szene ist, und andererseits Teil des für den Zuschauer gedachten Underscorings. In The Sorcerer’s Apprentice lassen sich sowohl Gesten finden, die synchron zu einzelnen Motiven ausgeführt werden, als auch solche, die ohne speziellen Bezug zur Musik eher unbeachtet bleiben. Gleich am Anfang begleitet das dreimal in kleinen Terzen abwärts steigende Motiv des so genannten Wasserthemas die Handbewegungen des Zauberers, mit denen er einen Schmetterling aus dem Totenkopf entstehen lässt. Die Wiederholung des Themas wenige Takte später zieht wie in The China Plate auch hier eine Wiederholung der Szene nach sich (Ziffer 1). Trillerartige Zweiunddreißigstel veranlassen Mickeys rasche Bewegung der Finger, über die der Besen den letzten
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5. Mickeymousing: The Sorcerer’s Apprentice
Energieschub bekommt, aus seiner Leblosigkeit zu erwachen.37 Weitere Handbewegungen – z.B. der Versuch, den Besen zu stoppen, oder das Wellenteilen durch den Zauberer – werden ebenfalls zu den Leitmotiven, überwiegend dem Zaubermotiv, ausgeführt. Nicht alle als Gesten einzuordnenden Bewegungen sind jedoch erkennbar zur Musik synchronisiert. Wenn der Zauberer herzhaft hinter vorgehaltener Hand gähnt oder sich sein schuftender Lehrling den Schweiß von der Stirn wischt – beides Gesten, die den Zustand ihrer Akteure ausdrücken – wird nicht die einzelne Aktion musikalisch nachgezeichnet, sondern vielmehr die Stimmung durch die Musik ausgedeutet. Aber auch andere Bewegungen, denen keine kommunikative oder symbolische Aufgabe wie den Gesten zukommt, werden zur Musik synchronisiert: Zum Wasserthema bei Ziffer 9 schöpft der belebte Besen am Brunnen den Eimer der rechten Hand, dann zur zweiten Wiederholung des Themas den der linken Hand voll. Ausgeleert wird das Wasser zur chromatisch fallenden Skala in den hohen Streichern bei Ziffer 12. Während im ersten Beispiel der stockende Rhythmus und der stufenweise Abstieg der Melodie eine Entsprechung in der langsamen und mühevollen Bewegung des Wasserschöpfens finden, fließen die chromatischen Achteltriolen ebenso wie das Wasser ungehindert dahin. In der Tat sind es Eigenschaften wie Geschwindigkeit, Richtung, Dauer und Beschaffenheit oder Duktus (z.B. fließend, stockend, taumelnd), die den Verlauf von Bewegungen bestimmen und in die nun die musikalischen Parameter übersetzt wurden. Wenn vor Ziffer 45 die Tür zu den crescendierenden Sechzehntelläufen dem Druck der Besen nachgibt und aufspringt, werden sowohl Richtung, Tempo als auch Duktus der Phrase in die ungestüme Bewegung übersetzt. Dasselbe geschieht beim finalen Rausschmiss des Zauberlehrlings, der zur Schlussfloskel durch einen Hieb mit dem Besen schwungvoll vor die Tür gesetzt wird. Hingegen wird dasselbe visuelle Motiv des sich konzentrisch drehenden Wasserstrudels mit sehr unterschiedlicher Musik gepaart: Während die ersten beiden Male nach Ziffer 49 und Ziffer 52 ein über mehrere Takte gehaltener Sechzehnteltriller in den hohen Streichern die flirrende Stimmung von Gefahr wiedergibt, verstärkt der mühevolle Quartanstieg im Unisono bei Ziffer 54 die Sogwirkung des Strudels, der Mickey in die Tiefe reißt. Einen Sonderfall der Passage stellt die Traumsequenz dar, in der Mickey Mouse die Herrschaft über die Himmelskörper, Winde und Meere ausübt. Im Unterschied zum bisher beschriebenen Mickeymousing, bei dem die Musik seine Handlungen synchron zu begleiten scheint, folgt er hier mit seinen Bewegungen dem Klang, der das Geschehen darstellt oder von ihm scheinbar hervorgebracht wird. Während beim Luftgitarre-Spielen der Spieler in seiner Gestik das Spielen
37 Hans Emons kritisiert, dass die Handlung über „sinfonische Aspekte“ der Vorlage hinweggeht und z.B. die so genannte Vor-Handlung in dem „kapitalen Fehler“ münde, die Verzauberung des Besens „ausgerechnet mit jenem ‚Arrête!‘-Motiv“ zu synchronisieren, „das doch dem Spuk ein Ende setzen soll.“ Der psychologisch geschickte Erzählbeginn kollidiere so mit der Logik der thematischen Gestalten. Hans Emons, Für Auge und Ohr: Musik als Film oder die Verwandlung von Komposition ins Licht-Spiel. Berlin 2005, S. 84f.
5.4 Der Mehrwert von Cartoon-Musik
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einer E-Gitarre nachahmt, wie es zur Produktion der begleitenden Musik vermeintlich notwendig wäre, sind hier weitere Ebenen audiovisuell ineinander verkettet: Mickey „hört“ zunächst im Bratschensolo nach Ziffer 26 und bei Ziffer 27 die Sterne ihre Bahnen ziehen, dreht sich dann zu ihnen um und steuert ihr Verhalten, indem er sie funkeln oder zu sich herankommen lässt, was wieder synchron zur Musik stattfindet. Dasselbe geschieht, als er sich bei Ziffer 31 dem Wasser zuwendet: Das Anfangsmotiv aus dem Besenthema lenkt Mickeys Aufmerksamkeit von den Sternen zu den Tiefen, wo unterhalb des Felsens das Wasser tobt. Erst jetzt ahmt er wieder in seinen Gesten das Dirigieren nach und lässt auf den (hinzugefügten) Beckenschlag bei Ziffer 32 die Gicht am Felsen aufspritzen. Der Beckenschlag ist dabei Geräuscheffekt der aufklatschenden Wellen, wobei offen bleibt, ob Mickey tatsächlich ihr Gebieter ist oder sie in einer Art Tanz begleitet. Die Musik ist in dieser Szene Auslöser und Folge der Szene zugleich und steht damit exemplarisch für die Interaktionen, die sich in der ganzen Passage zwischen Dukas’ Musik und Disneys Bildern ergeben. Hier ergibt sich – wie beim Backstage-Musical, z.B. You Were Meant for Me in Singin’ in the Rain (1952) – eine selbstreflexive Doppelung: Der Cartoon führt in der Handlung die Ambiguität vor, auf der seine Magie beruht. 5.4 DER MEHRWERT VON CARTOON-MUSIK Musik war ein essentieller Bestandteil der Cartoons der 1930er und 40er Jahre und wurde auch, ungleich stärker als sonstige Filmmusik, als solcher wahrgenommen: „Music wasn’t just punctuation for those cartoons; it was their backbone. Music propelled them, commented on the action, understood the comedy, enhanced the atmosphere, and accelerated the chases. It was a crucial ingredient to their success and I think anyone who’s grown up on a steady diet of those cartoons has ever lost his affection for the music that was so much a part of them.“38
Dukas’ L’apprenti sorcier unterscheidet sich stark von den sonst üblichen Cartoonmusiken. So unterschiedlich diese bereits von Studio zu Studio waren, vereinte sie mit Ausnahme der Silly Symphonies, dass die Musik der Motor der Handlung war und mit schnellen Stimmungs- oder Tempowechseln zur Erzählung beitragen konnte.39 Im Unterschied zur damals zeitgenössischen „autonomen“ Musik orientierte sich die Komposition für den Cartoon zuallererst an der Narration und hielt sich nicht an traditionelle kompositorische Regeln: Motivisch-thematische Arbeit sowie eine formale Einheit der Komposition waren kaum von Bedeutung. Besetzt waren die Kompositionen meist für kleinere Ensembles, z.B. Jazz-Combo, ein paar Streicher und Schlagzeug. 38 Vorwort von Leonard Maltin. In: Daniel Goldmark und Yuval Taylor (Hg.), The Cartoon Music Book, S. ix. Die Musik von Carl Stalling und Scott Bradley wird auch unabhängig von ihren Filmen in Konzerten oder auf Tonträger gehört. 39 Vgl. auch 2. Die Musik in den Cartoons und Filmen des Disney Studios.
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5. Mickeymousing: The Sorcerer’s Apprentice
Dieser eklektischen Collage, in der die Stile, das Tempo und das Material rasch wechseln konnten, steht die konsistente Struktur des L’apprenti sorcier gegenüber.40 Während Cartoonmusik sich ohne Vorbereitung an die Handlung anpassen und z.B. rasche Gefühlswechsel darstellen kann, könnte man annehmen, dass dies im Falle des L’apprenti sorcier die Geschlossenheit der Form verhindert und über die Musik stattdessen eher anhaltende Stimmungen oder Atmosphären hervorgerufen werden. Tatsächlich verschiebt sich die Aufmerksamkeit von der Musik als emotionalem Kommentar der Handlung meist zugunsten des Mickeymousings auf die Synchronität von musikalischen und visuellen Ereignissen. Ausnahmen bilden die Einleitung, in der die ruhige und geheimnisvolle Atmosphäre im Labor des Zauberers hervorgerufen wird, oder die turbulente Steigerung gegen Ende des Mittelteils, zu der Mickey in Panik und Strudel gleichermaßen unterzugehen droht. In der Coda vermittelt die Musik Mickeys Perspektive, der erschöpft und um Verständnis heischend auf eine milde Bestrafung hofft. Tatsächlich schaffen es jedoch auch die Bilder, eine dreimal bei Ziffer 3 in unterschiedlichen Instrumenten wiederholte Phrase unterschiedlich aufzuladen: Begleitet sie in der Flöte noch das müde Gähnen des Zauberers, verbindet sie sich in den Hörnern mit der Neugierde und Spannung des Lehrlings, wie er den Freiraum nutzen kann, den ihm die Abwesenheit des Meisters verschafft. Dukas’ L’apprenti sorcier funktioniert als Cartoon-Musik vor allem über die Synchronisierung von akzentuierten Aktionen und Geräuscheffekten, von Schritten und Metrum sowie von Bewegung und Musik – also über das Mickeymousing. Die gezeichneten und animierten Ereignisse erhalten einerseits durch ihr klangliches Gegenüber eine Materialität und erscheinen durch die enge Anbindung an das konsistente Klangnetz als schlüssige Folge des Geschehens, die musikalischen Ereignisse erfahren umgekehrt durch das sie begleitende Bild eine konkrete Ausprägung.41 Diese Eindeutigkeit ist es jedoch, die in Kritiken immer wieder als Verlust angeprangert wird. So sei der Zeichentrick als „reine“ Filmkunst zwar noch am ehesten dazu geeignet, Musik zu untermalen, doch das Experiment sowohl des Fantasia-Films von 1940 als auch von Fantasia 2000 sei gescheitert: „Während sonst der Zeichenstift den schöpferischen Takt des Genres vorgibt, bleiben die Lautmalereien in ihnen naturgemäß der Illustration verhaftet. Da auch die Musik von ihrer Eigenart verliert, werden im Endeffekt beiden Kunstformen gleichermaßen die Überraschungen ausgetrieben.“42 40 Cartoons wie z.B. einige der Silly Symphonies, die sich auf Songs gründen, bilden hier eine Ausnahme. Die Strophenform zieht auch visuell Wiederholungen mit ähnlichen Emotionen nach sich. 41 „Animation is not the art of drawings that move, but rather the art of movements that are drawn. What happens between each frame is more important than what happens on each frame. Animation is therefore the art of manipulating the invisible interstices that lie between the frames.“ Norman McLaren zitiert nach Maureen Furniss, Art in Motion. Animation Aesthetics. Sydney 1998, S. 5. 42 Michael Kohler, Leichtmatrosen auf der Arche Noah. In: Frankfurter Rundschau, 20. Juli 2000.
5.4 Der Mehrwert von Cartoon-Musik
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Die Kritik an Lautmalerei und Illustration unterschlägt jedoch, dass in The Sorcerer’s Apprentice Musik und Bilder nicht die Aufgabe haben, sich gegenseitig auszudeuten. Ton- und Bildspur scheinen sich zwar gegenseitig zu bedingen, aber sie sagen nicht dasselbe: Musik und Animation fügen sich gegenseitig etwas hinzu, was in ihrem Medium allein so nicht möglich gewesen wäre. Dieser audiovisuelle Mehrwert unterscheidet The Sorcerer’s Apprentice von reinen Visualisierungsunternehmungen.43 Im Mickeymousing zeigt sich dieser Mehrwert in der unmittelbaren – häufig komischen – Wirkung, die diese Doppelung auf uns ausübt: „Disney extended the elements of silent cinema into sound under the actuality (not metaphoricity) of music in such a way that the music and sound perform the visual elements of the film – its characters, objects, and actions.“44
Dabei ist es eben nicht die Verdoppelung der Bewegung selbst, sondern erst das Zusammenwirken, das den Reiz des Mickeymousings ausmacht.
43 Die Faszination über audiovisuelle Entsprechungen einerseits, die Langeweile angesichts der Doppelungen andererseits lassen sich als Reaktionen auch auf andere Animationsfilme beobachten, die eine Visualisierung von Musik anstreben. Norman McLarens Canon (1964), in dem er das Prinzip des Kanons sowohl auf der visuellen als auch akustischen Ebene durchspielt, oder Synchromy (1971), in dem die Bildspur aus dem Material der synchron ablaufenden Tonspur besteht, fesseln den Zuschauer zunächst damit, die Prinzipien der Umsetzung oder audiovisuellen Entsprechungen zu entdecken. Sind diese jedoch erkannt, schwindet das Interesse. In beiden Fällen handelt es sich um eindeutige Übersetzungen bestimmter Aspekte der Musik (z.B. Formprinzip des Kanons oder fotografische „Notation“ von Klängen). 44 Douglas Kahn, Noise, Water, Meat. A history of sound in the arts. Cambridge, Massachusetts 1999, S. 149.
6. BILDERBALLETT: MUSIK UND BEWEGUNG „Der Trickfilm ist das ‚Ballett‘ innerhalb der unterschiedlichen Formen der KinoUnterhaltung,“ schrieb Kurt Weill und bezeichnete einige der Partituren für die Disney-Filme als „schöne Beispiele populärer Ballettmusik.“1 Ähnlich wie die Oper in der frühen Zeit des Toncartoons als Anregung diente, wie Musik und Szene verwoben werden konnten, bot das Ballett Vorbilder dafür, wie Musik und Bewegungen synchronisiert werden konnten: „Certainly the ballet is yet another art which initially influenced Disney’s style of animation; his animators, many of them were accomplished musicians, also served as excellent choreographers.“2
Bereits in den Silly Symphonies lassen sich Beispiele finden, die an tänzerische Divertissements oder in sich geschlossene Handlungsballette erinnern.3 Umgekehrt wurden zeitgenössische Ballettaufführungen vor dem Hintergrund der Disney Cartoons besprochen: Der einflussreiche Tanzkritiker Edwin Denby nannte die Choreographie Balanchines zu Strawinskys Apollo in einer Besprechung aus dem Jahr 1938 „a ballet worth seeing several times because it is full of touching detail as a Walt Disney.“4 Graham Greene beschrieb Fred Astaire 1936 als „the nearest we are ever likely to get to a human Mickey.“5 Für Fantasia wurden mit Dance of the Hours, The Nutcracker Suite und dem Rite of Spring drei sehr unterschiedliche Ballette ausgewählt, die sowohl in ihrer Musik als auch in ihrer Bebilderung fast eine Art Ballett- bzw. Ballettmusikgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts darstellen. Schon vor Disney hatten die 1 2 3
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Kurt Weill, Musik im Film. In: Kurt Weill, Gesammelte Schriften. Herausgegeben von Stephen Hinton und Jürgen Schebera. Berlin 1990, S. 138. Ross Care, Cinesymphony: Music and Animation at the Disney Studio, 1928–42. In: Sight and Sound. Vol. 46, Nr. 1 (Winter 1976/77), S. 43. „These Sillys were quite similar to the divertissements (or set of character dances) in the classical Russian ballet, in which the plot comes to a standstill to make way for a series of colourful, set-piece dances.“ Ross Care, Cinesymphony: Music and Animation at the Disney Studio, 1928–42, S. 43. „Sceleton Dance ist eine Art Nummerballett en miniature. Zum Reigen der stets in der Manier des mickeymousing begleiteten Tiere gesellt sich nach und nach eine Gruppe von vier Skeletten, arrangiert sich zum makabren Galopp, dann zum Pas de deux, an dessen Ende als instrumentale Einlage der erste Teil des ‚Zugs des Zwerge‘ aus Griegs ‚Lyrischen Stücken‘ op. 54 in Stallings Bearbeitung für Xylophon und Orchester erklingt: ein absurdes ballet noir mit knöchernem Instrumentarium, bei dem Schenkel als Schlegel, Wirbel und Rippenbögen als Klangstäbe, die Hirnschale als Schlagzeug dienen.“ Hans Emons, Für Auge und Ohr: Musik als Film oder die Verwandlung von Komposition ins Licht-Spiel. Berlin 2005, S. 82. Alastair Macaulay, Disney’s Dances. In: Dancing Times, Vol. 80, Nr. 951 (Dezember 1989), S. 261. Ebenda.
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6. Bilderballett: Musik und Bewegung
Künstler des experimentellen Films auf Tänze oder Ballette zurückgegriffen, wie z.B. Oskar Fischinger,6 die Futuristen mit ihrem Lichtballett im verloren gegangenen Film La vita futuristica (1916)7 oder Fernand Léger mit Ballet Mécanique (1924). Es ist nicht weiter verwunderlich, dass sich insbesondere der „absolute“ bzw. abstrakte Zeichentrickfilm oder ein Projekt wie Fantasia am Tanz orientierten. Im Tanz war der Zeichentrickfilm davon befreit, dass die gezeichneten Figuren und Objekte etwas repräsentieren mussten, handelt es sich doch hier – Paul Valéry zufolge – um einen „reinen Vorgang der Verwandlungen“, der im Unterschied zur Darstellung nichts außerhalb seiner selbst bedeutete.8 Der Zeichentrickfilm bot nun eine schier unendliche Vielzahl möglicher Metamorphosen, deren unerschöpfliche Fülle u.a. bereits Eisenstein an Disneys Filmen besonders fasziniert hatte.9 Dienen die Metamorphosen in narrativen Trickfilmepisoden (z.B. in den Mickey Mouse Cartoons) dazu, dass sich jedes Objekt oder Subjekt je nach Notwendigkeit beliebig verwandeln kann, wird der ständige Wandel der Formen in den tänzerischen Passagen dazu genutzt, die unterschiedlichsten Bewegungen vorzuführen und diese selbst in den Mittelpunkt zu stellen, ohne dass sie einen Zweck zu erfüllen haben oder etwas darstellen müssen.10 Auch die Musik ist in diesem Kontext davon befreit, etwas zur Darstellung/Repräsentation beitragen zu müssen. Sie läuft allerdings Gefahr, als „Rezeptionshilfe“ eingesetzt zu werden, um den Zuschauer – angesichts des Verzichts auf eine unmittelbare Bedeutsamkeit des Dargebotenen – bei der Stange zu halten. Zur Zeit der Entstehung von Fantasia erlebte das klassische Ballett in den USA und in Europa eine Renaissance. Sahen die Vertreter des Modern Dance und Ausdruckstanz nach der radikalen tänzerischen Wende zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den klassischen Tänzern „die Marionetten einer überholten und in Sterilität erstarrten Kunstgattung“, die sich „den Forderungen einer progressiven Tanzentwicklung verschloss und von ihrer Struktur auch nicht fähig zu sein schien, neue Gestaltungs- und Bewegungstechniken in ihr von akademischen Gesetzmäßigkeiten bestimmtes System aufzunehmen,“11 so gelang es den Ballets 6
Beispielsweise mit Johannes Brahms’ Ungarischem Tanz Nr. 5 für die Studie Nr. 7 (1931), Richard Wagners Venusberg-Ballettmusik aus dem Tannhäuser für Kreise (1933) oder Josef Bayers Musik aus dem Ballett Die Puppenfee für den Werbefilm Muratti greift ein (1934). 7 Vgl. Cornelia Lund, Moving Images. Einige Überlegungen zum Verhältnis von Film, Tanz und Raum. http://www.fluctuating-images.de/files/images/pdf/09Moving_Ima-ges_Lund.pdf, 21. August 2008. 8 La danse/la danseuse „est l’acte pur des métarmophoses“. Paul Valéry, L’Ame et la Danse. In: Derselbe, Eupalinos and L’Ame et la Danse. Oxford 1967, S. 152f. 9 „Metamorphose ist kein Versprecher, denn liest man Ovid [will es scheinen], dass er einige Seiten förmlich bei Disney abgeschrieben hat…“ Sergej Eisenstein, Über Disney. In: Kunst und Literatur. Band 6 (1988), S. 815; Daniel Kothenschulte, Das simulierte Königreich. Walt Disneys ästhetische Utopien: Zum hundertsten Geburtstag eines zu Unrecht vergessenen Künstlers. In: Frankfurter Rundschau, 5. Dezember 2001. 10 Nicht von ungefähr suchten die Anhänger des „absoluten Films“ der frühen 1920er Jahre die Befreiung des Films von einer rein abbildenden Funktion, indem sie sich als Licht-, Formenund Bewegungsspiele an die Gestaltungsprinzipien von Musik und Tanz anlehnten. 11 Dieter Gacksettter und Maria Pinzl, Ballett und Tanztheater. München 1990, S. 16.
6.1 Hommage an das Ballett: Dance of the Hours
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Russes und George Balanchine, die einen großen Einfluss auf das amerikanische Ballett ausübten, im klassischen Ballett neue Bewegungsmuster und Ausdrucksmöglichkeiten zu entwickeln.12 Insbesondere die Einbindung von Ballettszenen in Musik- und Revuefilme der 1930er und 1940er Jahre führte dazu, dass sich die Bewegungen z.B. des klassischen und neoklassizistischen Balletts auch bei einem breiten Publikum durchsetzen konnten. Seit Beginn der Filmgeschichte hatten sich viele der frühen Filme der Music Hall als Inspirationsquelle zugewandt, außerdem nutzte man das neue Medium dazu, Tanz zu dokumentieren: „From the initial developments of film in 1895, it became apparent that dance was particularly compatible with the filmic form: both film and dance are characterized by motion and the art of editing shares similarities with the rhythmic component of dance.“13
Auch viele Stummfilmakteure kamen vom Tanz oder nahmen Tanzunterricht „to enhance their movement quality on screen.“14 Mit dem Ende der Stummfilmzeit setzte sich in den 1930er Jahren das Genre des Musik- und Tanzfilms durch und erfreute sich mit Stars wie Fred Astaire, Ginger Rogers oder Eleanor Powell großer Beliebtheit. Ein besonderer Aspekt dieses Genres war, dass die Tänze u.a. von Künstlern wie Busby Berkeley oder George Balanchine speziell für den Film choreographiert wurden. Die Vorlage für Fantasia bildeten dann auch nicht Ballettaufführungen, sondern überwiegend Tanzeinlagen aus damals zeitgenössischen Filmen. Für die Szene in Dance of the Hours beispielsweise, in der das Nilpferd wie Venus vor klassizistischen Säulengängen aus dem runden Brunnen auftaucht, lässt sich im Revuefilm The Goldwyn Follies (1938) ein direktes Vorbild finden, das George Balanchine choreographiert hatte.15 Ähnlichkeiten lassen sich auch zwischen The Nutcracker Suite und Max Reinhardts A Midsummer Night’s Dream (1935) aufzeigen.16 6.1 HOMMAGE AN DAS BALLETT: DANCE OF THE HOURS Der populären Balletteinlage Dance of the Hours aus der Oper La Gioconda (1876)17 von Amilcare Ponchielli näherte man sich bei Disney vergleichsweise unbefangen, wurde die Musik doch von Anfang an in den Konferenzen als „very trite and typical ballet music“18 eingestuft. Die Oper selbst stand in der Tradition 12 So gründete Balanchine 1934 die Ballettschule School of American Ballet und 1948 gemeinsam mit Lincoln Kirstein das New York City Ballet. Im Jahr 1939 wurde außerdem das American Ballet Theater gegründet. 13 Sherill Dodds, Dance on Screen. Genres and Media from Hollywood to Experimental Art. New York 2001, S. 4. 14 Ebenda, S. 5. 15 Vgl. Alastair Macaulay, Disney’s Dances, S. 264. Die Songs des Films stammen u.a. von Ira und George Gershwin. 16 Siehe auch 6.2 Naturballett: The Nutcracker Suite, Fußnote 38. 17 Amilcare Ponchielli, La Gioconda. Recitativo e danza delle ore (Nr. 18). Ricordi Partitur. 18 Konferenznotiz vom 29. September 1938. Zitiert nach Robin Allan, Walt Disney and Europe. Bloomington 1999, S. 149.
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6. Bilderballett: Musik und Bewegung
der Grand Opéra, wo das Ballett für den dritten Akt obligatorisch vorgeschrieben war und die Aufgabe hatte, dem Auge auf spektakuläre Weise Abwechslung zu bieten. Der Moderator in Fantasia weist auf die Rahmenhandlung der Balletteinlage hin: „Now we’re going to do one of the most famous and popular ballets ever written. It’s a pageant of the hours of the day. All this takes place in the Great Hall with its garden beyond of the palace of Duke Alvisa, a Venetian nobleman.“
Die Auftritte und Tänze der verschiedenen Tageszeiten – der Morgenröte, des Tages, des Abends und der Nacht – werden mit einem Corps de ballets aus Straußen, Nilpferden, Elefanten und Krokodilen bestritten, wobei sich die Tiere musikalisch nicht den einzelnen allegorischen Tänzen zuordnen lassen: Die Strauße benötigen die Zeit der Morgenröte, um wach zu werden, und beginnen ihren Tanz erst mit den Stunden des Tages. Nilpferde und Elefanten tanzen von den Stunden des Tages über den Abend bis zu denen der Nacht hinein, während die Krokodile erst zum lyrischen Andante poco mosso auftreten und anschließend gemeinsam mit allen anderen Tieren im Rausch des finalen Allegro vivacissimo die Bühne zerstören. Wie auch für die anderen Episoden wurde die Partitur den eigenen Bedürfnissen angepasst: Am auffälligsten ist die ursprünglich nicht vorgesehene Wiederholung des Danza delle Ore del Giorno, in der die führenden Stimmen ausgewechselt werden, so dass nun die kurzen Einwürfe zwischen den Bratschen bzw. den Celli und dem hohen Holz hin- und herwechseln. Beim kurzen Einwurf des Chors „Prodigio! Incanto!“ wurden die Gesangsstimmen gestrichen. Ansonsten beschränken sich die Änderungen und Ergänzungen darauf, dass einzelne Passagen wiederholt (z.B. das Harfenarpeggio vor Le Ore dell’Aurora), abweichend in Tempo oder Artikulation interpretiert (z.B. Tremoli der Streicher), durch die frei gewählte Dynamik hervorgehoben oder vernachlässigt werden. Vom so genannten klassischen Ballett des 19. Jahrhunderts19 wurden verschiedene Merkmale übernommen und zunächst übereinstimmend mit deren Tradition eingesetzt. So erfüllen die Strauße, Nilpferde und Elefanten durch rosa Spitzenschuhe, Schleifchen, Mimik, Bewegung oder das nur notdürftig bedeckende Tutu klar die weibliche Rolle, während die Alligatoren mit Mantel und Federhut à la Don Juan den männlichen Part übernehmen. Auch die choreographischen Formierungen in Soli, Pas de deux, Reihe oder Gruppen sowie viele der Bein- und Armpositionen, Posen, Schritte und Sprünge sind dem klassischen Tanz entliehen. Die Ausrichtung zu einer Guckkastenbühne, die dem klassischen Ballett zugrunde liegt und dessen Bewegungskonzept bestimmt, wird hier anfangs beibehalten: Die Kamera fährt vom Bühnenportal durch verschiedene sich öffnende Vorhänge, bis der letzte Vorhang den Blick frei auf die sich grazil räkelnde Straußenballerina und den dahinter liegenden bemalten Prospekt samt Säulendekoration gibt. Die gesamte erste Szene findet auf der Theaterbühne statt, bevor sich der Film auf die ihm eigenen Möglichkeiten besinnt und sich der Raum über die Seitenbühne in 19 Verbreitet sind auch die Bezeichnungen „romantisches“, „akademisches“ oder „weißes“ Ballett.
6.1 Hommage an das Ballett: Dance of the Hours
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die – ebenfalls bühnenartige – Außenwelt öffnet. Gegen Schluss der Episode wandelt sich der Außenraum wieder zurück in den Innenraum einer Bühne, die aber beim großen Finale zerstört wird und einstürzt. Mit der Entscheidung, Dance of the Hours als klassisches Ballett zu visualisieren, erwiesen die Macher zunächst einer Kunst ihre Hochachtung, die wie keine andere zuvor für die Schönheit und Anmut von Bewegungen zur Musik stand: „Ballet stimulates a conquest against gravity of aerial space. Grace and elegance are involved but in unwavering control, the convincing wizardry in ease which at once conceals and demonstrates effort.“20
Zur Vorbereitung wurden verschiedene Tänzerinnen und Tänzer ins Studio eingeladen, und ihre Positionen und Bewegungen von den Animatoren des Disney Studios genau studiert. Die Filmaufnahmen dieser Vorführungen standen ihnen anschließend permanent zur Verfügung, und die Bewegungen konnten mithilfe des Rotoskopieverfahrens in Einzelbilder zerlegt und möglichst getreu auf den Zeichentrickfilm übertragen werden: „Let’s take these animals, screwy as they are, and stage this all as legitimate, and done as a perfect ballet,“ gab Walt Disney in einer der Konferenzen zum Dance of the Hours vor.21 Umso interessanter ist es zu sehen, worin die Episode – motiviert durch das tierische Corps – vom Ballett abweicht. Um dem Ideal der Leichtigkeit und von aller Körperlichkeit losgelösten Schwerelosigkeit möglichst nahe zu kommen, bringt das Ballett Tänzerinnen hervor, die durch ihre Veranlagung, das harte Training und der an den Anforderungen ausgerichteten Lebensführung nicht nur gelenkig, sondern von Statur und Gewicht zugleich sehr zierlich und ausgesprochen muskulös sind. Eine ungewöhnliche Beweglichkeit, lange sehnige Beine und den gestreckten Schwanenhals bringen auch die Strauße in Fantasia mit, allerdings gepaart mit ausgedehnten fedrigen Armen und einem horizontal ausgerichteten Rumpf, der in einem ausladenden Hinterteil mündet. Mit diesem Körperbau sucht das Federvieh nun die für das Ballett wichtige Vertikale zu halten, während es auf Spitzen, mit auswärts gedrehten Gelenken oder gekreuzten Beinen tanzt. Die Strauße halten sich an das „außerordentlich genau aufgebaute und ausgearbeitete System szenischer Bewegungen“22 des klassischen Tanzes, wobei jedoch ihre Anatomie nach Belieben angepasst werden kann und dadurch die Möglichkeiten der menschlichen Ballerina weit übersteigt: Während sich bei Vierfüßlern beispielsweise die Gelenke der hinteren Beine in der Regel ausschließlich nach hinten beugen lassen, können die Kniegelenke in Dance of the Hours rotieren. Auch die Schrittfolgen und Beinbewegungen der Strauße scheinen sehr viel schneller und virtuoser als bei einem menschlichen Ballett, was eventuell bereits am gewählten Tempo der Einspielung
20 Lincoln Kirstein, Classic Ballet: Aria of the Aerial (1976). In: Roger Copeland und Marshall Cohen (Hg.), What Is Dance? Readings in Theory and Criticism. New York 1983, S. 243. 21 Zitiert nach John Culhane, Walt Disney’s Fantasia. New York 1983, S. 162. 22 Nikolai I. Tarassow, Klassischer Tanz. Die Schule des Tänzers. Wilhelmshaven 1988, S. 12.
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6. Bilderballett: Musik und Bewegung
liegen könnte.23 Hat der menschliche Körper für gewöhnlich Schwierigkeiten, es den schnellen Wechseln der Musik gleichzutun („music notes can ‚move‘ much faster than the human body“)24, so haben die gezeichneten Körper keine Probleme, ihrem Tempo zu folgen. Die Strauße wären dank dieser Freiheiten eigentlich die idealen Tänzer, käme ihnen nicht immer wieder ihr Körper dazwischen, den ihre menschlichen Kollegen so viel besser unter Kontrolle zu haben scheinen: Neben den ästhetischen Defiziten haben sie – ausgerechnet im Medium des Trickfilms – immer wieder mit dem irdischen Problem der Schwerkraft zu kämpfen. Während im Realfilm die Abhängigkeit des Tanzens – nach Kracauer der „zweite Typ filmischer Bewegung“25 – von den Möglichkeiten des gefilmten Körpers einsichtig ist, konnten bei den gezeichneten Bewegungen die Gesetze der Schwerkraft außer Kraft gesetzt werden. Die Macher des Dance of the Hours erfreuten sich jedoch genau daran, diese Beschränkungen – am liebsten in der Mitte einer Bewegung – nach Belieben ein- und ausschalten zu können. Ähnlich wie die von den Straußen gezeigten menschlichen Eigenschaften Gier und Eitelkeit trägt die zur Schau gestellte Schwerkraft nicht nur zur Anthropomorphisierung der Tiere bei, sondern dient dazu, die gezeichneten Figuren als Körper zu charakterisieren. „Squash and stretch“ ist traditionell eine beliebte Animationstechnik, um den animierten Objekten Leben und Gewicht einzuhauchen. Indem die Deformationen, die ein Körper in Bewegung erfährt, als Stauchung und Streckung gezeichnet werden, entsteht die Illusion, dass die Zeichnungen Dimension und Volumen haben. In Dance of the Hours werden die verschiedenen Partien der zugespitzt proportionierten Körper von Straußen, Nilpferden, Elefanten und Alligatoren in alle Richtungen gedehnt und zusammengedrückt, um dem tierischen Ballett bei aller Leichtigkeit und Schwerelosigkeit die von Disney gewünschte „verquere“ Körperlichkeit zu erhalten. Walt Disney war sich beim Dance of the Hours sicher: „This is definitely ballet, a caricature of ballet.“26 Im Unterschied zur Ballettparodie, in der häufig das Unvermögen der Tänzer – z.B. im so genannten Männerballett – zur Komik führt, scheitern die Strauße, Nilpferde, Elefanten und Alligatoren nicht an der Kunstfertigkeit der Bewegungen. Unabhängig von der Diskrepanz zwischen dem Ebenmaß der Bewegungen und der Unförmigkeit der Körper enthüllt die anthropomorphe Verkleidung den Tänzern zugeschriebene Schwächen und treibt die stereotype Bauweise schlechter Balletteinlagen aus einem unsinnigen Plot, bekannten Formationen und einem spektakulären Finale auf die Spitze. Während sich die Zeichnungen für The Nutcracker Suite an der Pflanzenwelt orientierten, weist Robin 23 „Concert performances of music used in ballet are often faster than ballet performances.“ Stephanie Jordan, Moving Music. Dialogues with Music in Twentieth-Century Ballett. London 2000, S. 100. 24 Rachel Duerden, Dancing in the Imagined Space of Music. In: Dance Research. The Journal of the Society for Dance Research. Vol. 25, Nr. 1 (Sommer 2007), S. 78. 25 Siegfried Kracauer, Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit. Frankfurt am Main ²1983, S. 73. 26 Zitiert nach John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 164.
6.1 Hommage an das Ballett: Dance of the Hours
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Allan zu Recht auf die Verbindung vom Dance of the Hours zu den Karikaturen des deutschen Künstlers Heinrich Kley hin: „Kley (1863-1945) was admired by Disney who owned a large number of Kley drawings and sketches… Kley’s harsh depiction of our foibles was softened in the animation processes, but he was referred to again and again in the story conferences, not only in The Dance of the Hours but also, in passing, during the Pierné/Beethoven section and on the Mussorgsky piece.“27
Bei aller Komik holt die Episode die Körperlichkeit des Menschen in eine Kunst zurück, die er mit dem Ballett hinter sich zulassen versucht hatte. Der Dance of the Hours mit seinem tierischen Corps de ballet ist Parodie, Karikatur und Hommage zugleich, aber auch die Kampfansage einer jungen Kunst an eine überkommene Kunstform, waren doch im (Trick-)Film durch die „Genauigkeit, mit der Filmbilder und -dialoge und Musik zeitlich koordinierbar sind, Wirkungen“ möglich, die „anderswo (etwa auf der Theaterbühne) nur approximativ zu erreichen sind.“28 Lassen sich die Tanzbewegungen in Dance of the Hours ebenfalls – wie in Kapitel 5 anhand der Silly Symphony The China Plate behauptet – in die Kategorie Mickeymousing einordnen? Tatsächlich scheint es von Bedeutung zu sein, ob der „Kausalitätsbezug zwischen optischer und akustischer Darstellung“29 im Mikkeymousing dadurch hergestellt wird, dass die Musik ihre Ursache in den Bewegungen hat oder die Bewegungen von der Musik ausgelöst werden.30 Infolge des weitgehend einheitlichen und in Lehrbüchern vermittelten „Bestand[s] an Bewegungen“31 wird der Tanz des klassischen Balletts leicht als solcher erkannt, und die Musik als Auslöser der Bewegungen gesehen. Umgekehrt handelt es sich bei den im Mickeymousing verwendeten Klängen und Bewegungen um ein ausgebildetes und weitgehend festes Repertoire audiovisueller Verbindungen.32 Ein weiterer Grund, dass die Bewegungen in Dance of the Hours nicht als Mickeymousing 27 Robin Allan, Walt Disney and Europe, S. 156. Disney sah den Zeichentrickfilm in der Tradition der Karikatur, ergänzt um die Bewegung: „Animation is different from the other arts. Its language is the language of caricature. Our most difficult job was to develop the cartoon’s unnatural but seemingly natural anatomy for humans and animals.“ Zitiert nach John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 164. 28 „Aber die kantianische Anschauungsform Zeit ist so grundlegend wie leer; dass Bilder, Dialoge, Geräusche und Musik im Film exakt aufeinander abgebildet werden können, beschreibt zunächst nur einmal ein Potential. Interessanter ist die Frage, wie dieses AufeinanderAbbilden im Einzelfall bewerkstelligt wird und welche Wirkungen sich daraus ergeben.“ Guido Heldt, Auf Schritt und Tritt. Musik und Bewegung bei Sergio Leone und Ennio Morricone. In: Christa Brüstle und Albrecht Riethmüller (Hg.), Klang und Bewegung. Beiträge zu einer Grundkonstellation. Aachen 2004, S. 268. 29 Barbara Flückiger, Sound Design. Die virtuelle Klangwelt des Films. Schüren 2001, S. 510. 30 Zwar gibt es zur Verbindung von Musik und Tanz unterschiedliche Ansichten, doch der – für die Bühne wie für den Film und Fantasia – bedeutende Choreograph George Balanchine war sich sicher: „I couldn’t move without a reason, and the reason is music.“ Stephanie Jordan, Moving Music, S. 3. 31 Nikolai I. Tarassow, Klassischer Tanz, S. 12. 32 Vgl. 5. Mickeymousing: The Sorcerer’s Apprentice.
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6. Bilderballett: Musik und Bewegung
wahrgenommen werden, liegt im Verzicht auf vorhandene oder zusätzliche Geräuscheffekte. Neben dem unvermittelten Paukenschlag, der die unsanfte Landung der Straußenballerina und später des Nilpferds auf seinem Pas-de-deux-Partner begleitet, und den wiederholten Uhrschlägen des Glockenspiels bleibt das Schlagwerk, obwohl es bei Ponchielli durchaus großzügig eingesetzt wird, im Hintergrund. Um Tanz und Musik zu verweben, scheinen Geräuscheffekte nicht notwendig, ja sogar hinderlich zu sein.33 Während im Mickeymousing die Geräusche gerade die Körperhaftigkeit der Akteure betonen sollen, werden im Ballett Klänge, die beim Produzieren der Bewegungen entstehen, möglichst unterdrückt, um sie vom Körper loszulösen. Zudem sind in Dance of the Hours im Unterschied zum Beispiel zu The Sorcerer’s Apprentice, wo jede Geste und jeder Schritt musikalisch abgebildet erscheint, außerhalb des Balletts nur wenige Momente zu finden, in denen die Musik die Bewegung nachzeichnet, etwa wenn der Strauß mit den Wimpern klimpert, das Nilpferd die letzten Tropfen abschüttelt oder sich mit Puder betupft. Während die „zweckfreien“ Tanzbewegungen von der Musik ausgelöst werden, scheinen diese „zweckdienlichen“ Handlungen musikalisch nachgezeichnet zu werden und dadurch nicht zur Choreographie des Tanzes zu gehören. Die Ambiguität, ob eine Bewegung Teil der Ballettaufführung oder Teil ihres Scheiterns oder ob nicht dieses Scheitern gar die eigentlich interessantere Vorführung ist, stellt einen wichtigen Reiz der Episode dar. Je nachdem, wie Musik und Bild aneinander gebunden sind, werden die Bewegungen als Ballett oder als Teil von Mickeymousing wahrgenommen. Ein häufig sehr weit gefasster Begriff des Mickeymousings führt dazu, dass auch rein musikalische Darbietungen wie z.B. Lautmalereien als Mickeymousing bezeichnet werden. Diese häufig herabsetzend gemeinte Verwendung des Begriffs – gerne auch im Bereich der zeitgenössischen Komposition – wird jedoch dem Reiz, den Mickeymousing ausüben kann, nicht gerecht. Zwar gelten Doppelungen bzw. die reine Verdoppelung von Hörbarem in Sichtbares und umgekehrt für gewöhnlich als künstlerische „Todsünde“, weil es in der Regel keinen Grund dafür gibt, etwas, das bereits über das Hören wahrgenommen wird, auch noch dem Gesichtssinn darzubieten. Mickeymousing bezieht jedoch den Zuschauer und -hörer auf eine besondere Weise ein, weil dieser aufgefordert ist, einen Kausalitätsbezug im audiovisuellen Film aufzuspüren, der die audiovisuelle Erfahrung der eigenen Welt zwar aufgreift, aber insbesondere im Medium Trickfilm weit übersteigt und damit wichtiger Bestandteil der speziellen Wahrnehmung/Ästhetik von Film – der „cinematic experience“ – ist.
33 Disney sprach sich in Bezug auf Fantasia gegen den Einsatz von zusätzlichen Soundeffekten aus. Vgl. Michael Barrier, Hollywood Cartoons. American Animation in Its Golden Age. New York 2003, S. 278.
6.2 Naturballett: The Nutcracker Suite
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6.2 NATURBALLETT: THE NUTCRACKER SUITE Ein weiteres Ballett in Fantasia ist Peter I. Tschaikowskys berühmte Nussknakker-Suite, die er selbst aus verschiedenen Sätzen des Balletts Der Nussknacker op. 71 zu einer Orchestersuite (op. 71a) zusammengestellt hatte und die am 19. März 1892 bereits vor dem Ballett ihre Uraufführung in St. Petersburg feierte.34 Für Fantasia wurden aus der Suite sechs Tänze ausgewählt und mit einer neuen Reihenfolge versehen: Den Anfang macht der Dance of the Sugar Plum Faries (Danse de la Fée-Dragée), gefolgt vom Chinese Dance (Danse Chinoise), dem Dance of the Reed Flutes (Danse des Mirlitons), dem Arab Dance (Danse Arabe) und dem Russian Dance (Danse russe Trépak). Wie in der Suite bildet der Waltz of the Flowers (Valse des Fleurs) die Schlussnummer. Die Suite wurde um die Ouverture miniature und den ersten Charaktertanz Marsch der Zinnsoldaten (Marche) gekürzt.35 Deems Taylor schrieb im Programmheft: „Also, the original order of the movements has been somewhat altered, on the theory that since the work is a suite, and not a symphony, there is no vital connection among the movements, and that the order in which they are heard, provided it be musically effective, is immaterial.“36
Innerhalb der Tänze selbst wurden außerdem einzelne Wiederholungen von Phrasen oder ganzen Abschnitten weggelassen, so dass die Suite statt 25 Minuten nur ungefähr die halbe Dauer hat. Während das Libretto des Balletts die Geschichte einer bürgerlichen Weihnachtsbescherung und dem sich anschließenden phantastischen nächtlichen Treiben im Kinderzimmer erzählt,37 wechseln sich in der Zeichentrick-Episode folkloristisch inspirierte Tänze von Pilzen, Fischen und Pflanzen mit Bildern tanzender Feen in den verschiedenen Jahreszeiten ab.38 Im Unterschied zu Dance of the Hours ahmt die Nutcracker-Episode keine Aufführung des klassischen Balletts nach. Waren dort die Tiere eindeutig als Balletttänzer und der Raum als Tanzbühne charakterisiert, führt der Beginn hier mit dem Dance of the Sugar Plum Faries in die Natur, wo geflügelte Elfen, deren
34 Peter Tschaikowsky, Suite aus dem Ballett ‚Der Nussknacker‘ für großes Orchester op. 71a, Partitur. Leipzig 1952. 35 In einer Storykonferenz kündigt Walt Disney dem musikalischen Leiter Ed Plumb unvermittelt an, dass sie die Ouvertüre kürzen wollen. Als dieser antwortet, dass er ebenfalls diese Änderung erwägt habe, ist Disney überrascht, wie widerspruchslos dieser Eingriff diesmal hingenommen wird: „You mean it’s okay? I expected a battle.“ Diese kurze Episode lässt erahnen, dass es bei anderen Kürzungen durchaus zu Interessenskonflikten mit den Musikverantwortlichen gekommen ist. John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 57. 36 Zitiert nach John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 58. 37 Das Libretto von Marius Petipa orientiert sich an E.T.A. Hoffmanns Nussknacker und Mausekönig in der Version von Alexandre Dumas. 38 Robin Allan weist auf die Vorbilder in der Kunstgeschichte wie Bilder von William Henry Hunt (1790-1864), Richard Doyle (1824-1883) oder Gustave Doré (1832-1883) hin. Die Bilder des letztgenannten inspirierten auch die Szenerie von Max Reinhardts A Midsummer Night’s Dream (1935). Vgl. Robin Allan, Walt Disney and Europe, S. 115f.
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6. Bilderballett: Musik und Bewegung
Nacktheit durch das sie umgebende Licht abgeschwächt wird, mit ihrem Zauberstab eine nächtliche Blumenwiese ins Leuchten versetzen. Ihre Bewegungen sind zur Musik synchronisiert, doch werden sie nicht als Tanz identifiziert. Die Elfen gleiten durch die Luft und bewegen sich frei im Raum, so dass ihnen sowohl die im Bühnentanz übliche Ausrichtung zur Frontalen als auch die horizontale Ebene, von der sie sich abstoßen können, fehlen. Hinzu kommt, dass ihre Bewegungen einem bestimmten Zweck dienen, der die Einordnung als Tanz verhindert. Die Grundlage für das Zusammenspiel von Musik und Bild bilden zunächst vor allem die glockenhellen Töne der von Tschaikowsky mit diesem Werk ins Orchester eingeführten Celesta, die – über eine Analogie der Helligkeit – mit dem Leuchten der Elfen, Blüten und Blumen kombiniert werden. Um der Gefahr von Langeweile zu entgehen, werden zu musikalischen Wiederholungen die Bilder meist variiert. Während ein Großteil der Bewegungen nicht als Tanz wahrgenommen wird, erinnern die Figuren, die eine Elfe zur Wiederholung der ersten Phrase mit ihrem Zauberstab in die Nacht zeichnet, an die Bilder, die in der Rhythmischen Sportgymnastik mit dem Band gemalt werden. Über die Analogie der Helligkeit hinaus werden als weiteres Element die fallenden 32tel Läufe der Klarinette regelmäßig durch die Flugbewegungen einzelner Elfen bebildert, die den Bogen nachzeichnen. Den Abschluss bildet ein – zu Tschaikowskys Partitur hinzuerfundenes – herabperlendes Arpeggio der Celesta, das den leuchtendhellen Zusammenstoß mehrerer Elfen begleitet. Wenn auch nicht um klassisches Ballett, so doch eindeutig um Tanz handelt es sich wiederum bei der nächsten Sequenz, dem Chinese Dance. Den Anklang an die Tänze bestimmter Völker hatte bereits Tschaikowsky in seinem Ballett gesucht, der einige Stücke als spanisch, arabisch, chinesisch oder russisch ausweist und entsprechende musikalische Idiome verwendet. Disney übertrug diese Verbindung auf die Bilder, indem er nicht Einwohner dieser Länder tanzen ließ, sondern verschiedene Merkmale auf Pilze, Fische und Blumen übertrug, die sich für eine typisierte Darstellung eingebürgert hatten: Die „chinesischen“ Pilze bekommen Schlitzaugen, tragen radförmige Hüte, gehen mit verschlungenen Armen und in gebeugter Haltung, die „arabischen“ Frauen blinzeln schüchtern und verführerisch zugleich unter halbgeöffneten Augenlidern hervor und ziehen ihre schleierartigen Schwanzflossen hinter sich her, die „russischen“ Blumen tragen große Mützen, springen aus der Hocke in die Luft, kreuzen die Arme vor der Brust und schlagen geräuschvoll die Beine zusammen. Die Grenze zwischen Folklorismus und Rassismus bzw. Sexismus verläuft hier fließend – wie in anderen Episoden aus Fantasia oder früheren Disney Cartoons der 1930er und 1940er Jahre.39
39 Die herabsetzende Darstellung bestimmter Bevölkerungsgruppen findet sich nicht erst in späteren Propagandafilmen wie z.B. von Japanern und Deutschen in Der Fuehrer’s Face (1943), sondern bereits in vielen Silly Symphonies, so z.B. von Schwarzen in Cannibal Capers (1930), von Frauen und Menschen spanischer bzw. lateinamerikanischer Herkunft in El Terrible Toreador (1929) oder Chinesen in The China Plate (1931).
6.2 Naturballett: The Nutcracker Suite
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Der Chinese Dance ist mit einer Dauer von einer guten Minute die kürzeste Sequenz der Nutcracker-Episode, aber für die Animation der Pilze berühmt. Obwohl die Pilze nicht sprechen, keine Geräusche von sich geben und sich in ihrem einfachen Aussehen kaum voneinander unterscheiden, entstehen aus ihren Bewegungen und ihrem Verhältnis untereinander differenzierte Persönlichkeiten, von denen der Zuschauer allen voran den kleinen Pilz „Hop Low“ erinnert. Auf Geräuscheffekte wurde komplett verzichtet, selbst das für die Stretta bei Tschaikowsky vorgesehene Glockenspiel wurde ausgeblendet und die durchgehenden Achtelimpulse der Fagotte – anfangs als gleichförmiger Puls der Pilzbewegungen visualisiert – im Verlauf des Stücks gedämpft. Art Babbitt, der die Szene animierte, beschrieb in einem Gespräch die Vorgaben der Musik: „Also, the music dictated certain things. I don’t know a hell about music, but there is a phrase that is stated once: there is a statement. Then I think it is repeated, the same phrase. Then there’s an answer, I don’t remember if it is repeated once or twice. And then they come back to the original line of music. So that gave me the architecture.“40
Die Komik des kleinen Pilzes, der zwar ständig bemüht ist, sich in den Tanz der Großen einzupassen, aber als Grünschnabel oder Solist immer seine Sonderrolle behält, entsteht zunächst dadurch, dass er zwar dieselben Bewegungen wie seine erfahrenen Kollegen, aber als Nachzügler mit einer anderen Beziehung zur Musik macht (z.B. sein verspäteter Sprung, der eigentlich zeitgleich mit dem schnellen Aufgang der Piccoloflöte hätte erfolgen sollen, aber dann erst einen Takt später ebenfalls zur Piccoloflöte auf den ersten Schlag geschieht, der von einem kurzen Aufgang eingeleitet wird). Seine anfangs unglückliche Rolle als derjenige, der immer aus der Reihe tanzt, kann er bald ablegen: Es entsteht ein kurzweiliges Wechselspiel zwischen den sechs größeren Pilzen, die ihre Formationen nun vorwiegend zu den brillierenden Phrasen der Piccolo vollziehen, und dem kleinen Pilz, der die Pizzicato-Passagen der Streicher für seine Soli nutzt, so dass es am Ende fast so erscheint, als ob sich die anderen Pilze ehrerbietig vor ihm verbeugen.41 Für den sich anschließenden Dance of the Reed Flutes wurden zwei professionelle Tänzerinnen, Joyce Coles und Marjorie Belcher,42 ins Studio eingeladen und beim Tanzen in langen schwarzen Tüllröcken gefilmt, die den Frauen eine ähnliche Form wie die der für die Sequenz gewählten Blüten geben sollten. Trotz dieser Maßnahme ergab sich ein entscheidender Unterschied zu der anschließend 40 Zitiert nach John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 53. 41 „In the Chinese Dance you have an antithesis, a contrast between the brilliant piccolos and the pizzicato strings. That should be brought out more on the screen, so the same design doesn’t go through these two. If you have the same decoration on the screen with the two contrasting parts of the music, it doesn’t go together, it seems to me.“ Stenografierte Bemerkung eines nicht namentlich identifizierten Storyman, zitiert nach John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 48. 42 Marjorie Belcher hatte bereits als Modell für Schneewittchen und Pinocchio gearbeitet und war seit dem 8. August 1937 für ein bis zwei Jahre mit Art Babbitt verheiratet. Vgl. Michael Barrier, Walter, Walter Everywhere. In: http://www.michaelbarrier.com/Commentary/Gabler/GablerBook.htm, 20. August 2009.
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6. Bilderballett: Musik und Bewegung
gezeichneten Sequenz: „The difference between that live action and the animation that resulted is the difference between dancing on a stage and dancing on water.“43 Neben den Spiegelungen zeigen die Bewegungen der Blüten, wie sie sich in unterschiedlichen Umgebungen – See, Fluss, Wasserfall oder Luft – vollziehen, ein weiteres Mal die hohe Animationskunst des Disney-Studios. Das Thema Wasser und Fließen zieht sich durch alle Künste und alle Zeiten: „Because of the different forms it already assumes, its powers of abstraction reach from the particularization of a drop to the atmospherics of humidity and immersion, from a brackish stagnancy to turbulence, from the pure linear figuration of waves to the chaotic mass of breaking waves. And in its relation to humans it can sustain life or destroy it.“44
Zudem kommt in dieser Sequenz der Unterschied zwischen Bewegungen als Bühnentanz und tänzerischen Bewegungen im Medium Film zur Geltung. Wenn die Blumen im Mittelteil des Dance of the Reed Flutes durch ihre nach oben gewandten Kelche zu den in Terzen gesetzten Trompetensechzehntel die Gestalt von armlosen Tänzerinnen annehmen und wie Kreisel über das Wasserparkett sausen, richten sich ihre Formationen wieder – wie z.B. in einigen Szenen vom Dance of the Hours oder beim gesamten Chinese Dance – an der Frontalen und einem imaginären Zentrum aus, um das die verschiedenen Tänzerinnen kreisen. Die Kamera fährt hier aus dem Bild heraus, so dass sich der gezeigte Ausschnitt vergrößert. Wenn die Blüten jedoch zu Anfang hinab auf den stillen See schweben oder zur Reprise die Blüten – hier weiter in der Gestalt von Tänzerinnen – im Fluss auf den Wasserfall zutreiben, bewegen sich die Blüten beide Male aus der zunächst gesetzten „Bühne“ und der zugehörigen Kameraeinstellung hinaus, so dass die Kamera ihr Bild – durch eine Fahrt nach oben oder Schnitt mit Perspektivwechsel – wieder einfangen muss. Ob etwas im Film als Tanz oder musikalische Illustration von Bewegungen wahrgenommen wird, hängt zwar auch von der Ähnlichkeit der sich bewegenden Objekte mit der menschlichen Gestalt oder menschlichen Bewegungsmustern ab, aber auch vom Umgang mit dem Raum und der Verbindung der Bewegungen mit der Musik. Für das Unterwasserballett zum Arab Dance wurde speziell eine Tänzerin namens „Princess Omar“ eingeladen, von der man sich die Erotik und Exotik erhoffte, die man mit einem orientalischen Harem verband: „There should be a regular festival – a ballet of fish – all to that slow Arabian music. All the undergrowth has a slow, wavy rhythm to the slow beats. You’ve seen travelogues where they take you into a harem. As you go through the courtyard, veiled ladies peek through the windows and duck back. If the cameraman wants to get a picture, they run away. Two girls peek out and see a stranger and giggle and get back to cover.“45
Disneys Phantasien von „beautiful, lazy things – very feminine and sexy“,46 gepaart mit dem Wunsch nach Authentizität, lassen den Blick des Zuschauers voy43 John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 61. 44 Douglas Kahn, Noise, Water, Meat. A history of sound in the arts. Cambridge, Massachusetts 1999 (Paperback 2001), S. 259. 45 John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 61. 46 Ebenda.
6.2 Naturballett: The Nutcracker Suite
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euristisch durch eine Unterwasserlandschaft mit Korallen und Algen gleiten, in der weibliche Goldfische zunächst dem Blick entweichen, um sich schließlich ab Buchstabe B dem Tanz hinzugeben. Der Wechsel zwischen Bewegungen, die von der Musik illustriert, und Bewegungen, die zur Musik vollzogen erscheinen, gestaltet sich sowohl in der Kameraführung und damit auch in einer veränderten Rolle des Zuschauers als auch in ihrer Beziehung zur Musik. Während im ersten Teil die Musik das Geschehen kommentiert (z.B. begleiten die trillerartigen Quintolen mehrmals die Flucht der aufgeschreckten Fische) und Filmschnitt sowie Kameraeinstellungen die Szene einteilen, bilden ab Buchstabe B musikalische Formabschnitte die Grundlage für die tänzerischen Formationen der Fische (z.B. das tänzerische Solo zum Oboensolo vor D). Zu den gelegentlichen Einwürfen des Tamburins steigen Luftblasen auf. Die Protagonisten für den Russian Dance wurden auf einem Parkplatz in der Nähe des Studios entdeckt: Disteln. Mit ihren dicken, buschigen Blütenköpfen und den gezackten, dornigen Blättern boten sie ideale Voraussetzungen, um als russische Kosaken mit dicken Fellmützen und Stiefeln animiert zu werden. Noch in der eröffnenden Einstellung zum unbeweglichen Blumenbild arrangiert, brechen sie mit dem eröffnenden Tutti-Fortepiano von Tschaikowskys lebhaftem Tanz im 2/4-Takt aus diesem Standbild aus. War im Chinese Dance oder Arab Dance der Blickpunkt auf die individuellen Tänzer gerichtet, stehen hier die Formationen der Kosaken im Mittelpunkt: In Reihen bauen sie sich vor dem Zuschauer auf, und zu jeder der drei Wiederholungen des rhythmisch aufpeitschenden Themas springen weitere Tänzer hervor. Den Kosaken als Tanzpartnerinnen zu Seite gestellt erscheinen mit dem B-Teil bunte Orchideen, deren zarte Blumenblätter und geschwungene Blattspitze Bauernmädchen im Festtagsgewand assoziieren lassen. Zu jeder Wiederholung der ruppigen Cello-Phrase taucht eine weitere Reihe Tänzerinnen auf. Mit der Überleitung meldet sich auf jeden Paukenschlag eine Reihe mit Kosaken zurück. Zur Reprise des A-Teils vereinen sich Disteltänzer und Orchideenmädchen im stürmischen Paartanz, bevor sie zum Schlussakkord zum bunten Standbild erstarren. Der Waltz of the Flowers greift die Bilder aus dem die Episode eröffnenden Dance of the Sugar Plum Faries wieder auf, so dass trotz der Aneinanderreihung der Sätze und der Umstellungen der Suite ein Ganzes entstehen sollte: „In devising the animated screen pictures that go with the music, Walt Disney was confronted with the fact that if he presented the suite simply as a series of dances, with no central theme, the result would be merely a group of unrelated short subjects.“47
Nach Pilzen, Blüten, Fischen und Blumen führen die Feen zur anfänglichen Landschaft zurück, die sie nun zunächst herbstlich und dann winterlich einfärben. Die unendlich vielen Wiederholungen des Walzers wurden für Fantasia um etwa die Hälfte gekürzt. Der musikalisch mehrteiligen Form mit vier Themen, die sich immer wieder ablösen und wiederholen, wurde visuell eine Zweiteilung in Herbstund Winterwelt entgegengesetzt. Doch auch die einzelnen Themen und Phrasen 47 Deems Taylor, zitiert nach John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 58.
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6. Bilderballett: Musik und Bewegung
werden bestimmten visuellen Motiven zugeordnet, die bei der musikalischen Wiederholung ebenso wiederkehren, wie z.B. der weiße Blütenstaub zum dritten Thema. Der alles prägende Dreiviertel-Takt des Waltz of the Flowers findet sich in den Drehungen und Umrundungen der belebten Blätter, Sporen und Eisläufer wieder, die wie Paartänzer über das Eis schweben. Die Schlussszene mit den kreisenden Eiskristallen scheint fast dreißig Jahre vorzugreifen, wenn in Erinnerung gerufen wird, dass 1968 die Raumschiffe in Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey zu den Klängen des Donauwalzers durch das All tanzen.48 Die Bandbreite an Tänzen, die mit der Nutcracker Suite präsentiert wird, ist ebenso groß wie die der tanzenden Spezies in diesem „Natur-Ballett“: Blätter, Pilze, Eiskristalle, Feen, Sporen und Fische tun sich mit Eistanz, Gesellschaftstanz, Kunsttanz, rhythmischer Sportgymnastik, Volkstanz bzw. ethnischen Tänzen hervor, und das sowohl im Solo als auch im Paar- und Formationstanz. Doch nicht alle Bewegungen, die zur Musik ausgeführt werden, können gleichermaßen als Tanz gelten oder werden als solcher wahrgenommen. Das Ballett Dance of the Hours und die Tanzszenen im Chinese Dance, Dance of the Reed Flutes, Russian Dance oder Arab Dance verweisen zunächst auf unterschiedliche Vorlagen: Während die Strauße, Nilpferde und Alligatoren das feste System aus Bewegungen, Formationen und Kostüm des klassischen Tanzes übernehmen, orientieren sich die Pilze, Blumen und Fische an anderen Tanzformen mit eigenen Merkmalen. Gemeinsam ist ihnen jedoch allen, dass sich die Bewegungen zu einem potentiellen Zuschauer ausrichten und ihm suggerieren, dass es sich um eine Darbietung handelt. Im Medium Film – insbesondere, wenn man die zu Fantasia zeitgenössischen Filme betrachtet – hatte sich jedoch die Guckkastensituation für Tanzszenen weitgehend aufgelöst: Neben irrwitzigen Kameraeinstellungen und Choreographien, die aus Körpern bewegte Ornamente formen, konnte die Beschränkung der Bühne verlassen bzw. die Tanzfläche auf ganze Landschaften ausgeweitet werden. Auch der Eistanz der Schlussszene des Waltz of the Flowers wird so als Tanz wahrgenommen, ohne dass sich die Schlittschuhläufer an ein Zentrum oder eine Frontalsituation halten, weil hierbei eindeutig Elemente einer bekannten Form wiedergegeben werden. Fehlt jedoch der eindeutige Bezug zu einer Vorlage (z.B. auch deshalb, weil die Gestalt der sich bewegenden Objekte nicht an Menschen erinnert), wird die Bewegung als bloße tänzerische Allusion verstanden, ohne dass sie als Teil einer übergeordneten Choreographie wahrgenommen wird. Die Unterscheidung zwischen Tanz, tänzerischen Allusionen und der musikalischen Illustration von Bewegungen49 fällt schwer, bezeichnen sie alle drei zu48 Die Neukombination der Filmbilder mit der ursprünglich für den Film vorgesehenen Komposition von Alex North im Rahmen meiner Magisterarbeit Die Filmmusik zu Stanley Kubricks 2001 – A Space Odyssey zeigte, dass die Idee der Rotation, wie sie der Donauwalzer vermittelte, sich nicht mehr aufdrängte. 49 Musik kann nicht nur Bewegungen, sondern darüber hinaus auch Stimmungen, Atmosphären etc. illustrieren. In Kapitel 4 wurde anhand von Bachs Toccata and Fugue in D minor Illustration als die Beigabe von Bildern definiert, die etwas in der Musik zeigen und erläutern. Je nachdem, ob die Musik das Bild oder das Bild die Musik „beleuchtet“, muss also zwischen musikalischer Illustration der Bilder und bildlicher Illustration der Musik unterschieden wer-
6.2 Naturballett: The Nutcracker Suite
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nächst Bewegungen, die verknüpft mit Musik vollzogen werden. Während solche Bewegungen klar als Tanz wahrgenommen werden, die sich in einem größeren Zusammenhang an den strukturellen Vorgaben der Musik – Phrasen, Wiederholungen, Form – orientieren und in ihrer Ausführung bestimmten Konventionen folgen, greifen die als Allusion wahrgenommenen Bewegungen einzelne Elemente des Tanzes auf und nutzen die Erinnerung an die dort geschaffenen Verbindungen, um für kurze Abschnitte eine Einheit zwischen Musik und Bild zu schaffen. Trotz der vielen offensichtlichen (transmedialen) Gemeinsamkeiten von visuellen Bewegungen und Musik – Rhythmus, Tempo, zeitlicher Verlauf – fällt es schwer, den Zusammenhang zwischen beiden aufzuzeigen, sobald es sich nicht um strukturelle Übereinstimmungen oder analog ablaufende Gesten handelt. Der vage Zusammenhang zwischen Musik und Szene erinnert hierin an tänzerische Choreographien: „Sometimes the two media seem to be in a close accord but then, on further scrutiny, reveal subtle divergences that offer as it were a glimpse into another world, a parallel universe.“50
Ähnlich wie bei Metaphern werden im Tanz Rachel Duerden zufolge in der Kombination von Bewegung und Musik teils Eigenschaften gegenseitig beleuchtet, teils wechselseitig übertragen: „Perhaps, however, this combination of closeness and distance is what makes it possible to see dance as a metaphor for music, and vice versa. The closeness between the two announces a relationship, a connection that then extends beyond the natural affinity to embrace something more remote and surprising. In other words, linking two disparate entities in a way similar to metaphor highlights a clear point of contact between them, but it also invites us to consider additional connections – the ghostly resonances that become apparent through close study.“51
Musikalische Illustration und tänzerische Allusion haben gemeinsam, dass es sich hierbei um eine relativ lose Verbindung zwischen Musik und Bewegung handelt, in der beide – im Unterschied zum Tanz, zum Mickeymousing und zur Visualisierung – vergleichsweise unabhängig voneinander bleiben. Wie im Verhältnis von Tanz und Mickeymousing entscheidet eine vermutete Kausalität von Bewegung und Musik, ob etwas als musikalische Illustration und tänzerische Allusion wahrgenommen wird: Folgt bei ersterer die Musik scheinbar auf die Bewegungen, löst bei letzterer die Musik die Bewegungen aus. Durch die spezielle Versuchsanordnung in Fantasia, dass die Bilder zur Musik gestaltet wurden, erfährt die musikalische Illustration eine besondere Aufmerksamkeit des Zuschauers. Die ständige Bewusstmachung des Zuschauers, dass sich Musik und Bild zueinander verhalten, ist ein besonderer Verdienst von Fantasia, den der Film z.B. mit René Clairs Sous
den. Gleichzeitig ist zu bedenken, dass sich Hören und Sehen immer wechselseitig beeinflussen, also „illustrieren“, ohne dass wir uns dessen immer bewusst sind (vgl. Michel Chion, Audio-Vision). Illustration bezeichnet also den vorsätzlichen Zusatz der einen Sinneswahrnehmung, um in der anderen etwas zu verdeutlichen. 50 Rachel Duerden, Dancing in the Imagined Space of Music, S. 73. 51 Ebenda, S. 74.
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6. Bilderballett: Musik und Bewegung
les toits de Paris (1930), Jacques Tatis Les Vacances de Monsieur Hulot (1953) oder Jean-Luc Godards Sauve qui peut (la vie) (1980) teilt.52 6.3 FILM ALS CHOREOGRAPHIE: THE RITE OF SPRING Das Ballett The Rite of Spring gilt sowohl als musikalisches als auch, in der Choreographie der Uraufführung von Vaslav Nijinsky 1913 in Paris, als tänzerisches Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts. Zwar betonte Strawinsky später, dass es sich bei seiner Musik immer um „absolute Musik“ handele und bevorzugte schon früh eine rein konzertante Aufführung,53 doch komponierte er The Rite of Spring explizit für eine szenische Aufführung durch die Ballets Russes. Die Partitur weist im Untertitel „Pictures from pagan Russia in two parts by Igor Strawinsky und Nicholas Roerich“ auf die Verbindung des Rituals mit dem bäuerlichen Russland hin und nennt auch den Maler Roerich (1874-1947) als Autor.54 Roerich war in Russland ein „acknowledged specialist in the art of paganistic, pantheistic antiquity, both real an imaginary.“55 Die Idee zum Rite of Spring ging auf Deems Taylor zurück, der bei einer Storykonferenz am 13. September 1938 auf Disneys Frage, ob je etwas geschrieben worden sei, auf das man ein prähistorisches Thema mit prähistorischen Tieren aufbauen könne, Strawinskys Rite of Spring ins Gespräch brachte.56 In den USA war die Komposition 1924 zum ersten Mal konzertant aufgeführt,57 und in einer Klavierversion von Taylor im Jahr 1920 eher skeptisch besprochen worden.58 Stokowski hatte Strawinskys Rite of Spring 1930 mit dem Philadelphia Orchestra in der Academy of Music eingespielt.59 Auch ihm gefiel die Idee, den Rite of Spring zu verwenden, und er warb dafür, die Grundidee des Opfers beizubehalten: 52 In allen drei Filmen wird der übliche Einsatz von Musik im Film als „Illustrationsmusik“ immer wieder durchbrochen und die selbstverständliche Anwesenheit von Musik hinterfragt. Der Zuschauer ist immer wieder vor die Aufgabe gestellt, seine Zuordnung der Musik zu widerrufen und ihr Verhältnis zum Bild zu überdenken. 53 Volker Scherliess, Igor Strawinsky – Le Sacre du Printemps. München 1982, S. 5. 54 Mit der Verwendung der englischen Titel der Tänze folge ich der Partitur, die diese den französischen Bezeichnungen großgeschrieben vorausstellt. Igor Strawinsky, The Rite of Spring – Le Sacre du Printemps. Re-engraved edition 1967. Boosey & Hawkes 19441. 55 Richard Taruskin, Stravinsky and the Russian Traditions. A Biography of the Works Through Mavra. Volume I. Oxford 1996, S. 851. Zur Frage, wer nun die Idee zum Rite hatte, Roerich oder Strawinsky, siehe ebenda, S. 860f. 56 John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 108. 57 Nicholas Cook, Analysing Musical Multimedia. Oxford 1998, S. 198. 58 „I am not competent to discuss Le Sacre du printemps, as I have heard it only on the piano. But assuming … that Stravinsky is mechanism become music … I don’t want it… I am bored with imitations of noises… and their monotonous cacophony. Of course, it sounds like cacophony because I’m not used to it…“ Zitiert nach John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 109. 59 Die Aufnahmen waren im September 1929 und März 1930 entstanden. Vgl. http://www.stokowski.org/Stokowski%20Philadelphia%20Orchestra%20Chronological%20E lectrical%20Discography.htm, 25. November 2009.
6.3 Film als Choreographie: The Rite of Spring
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„Perhaps we could in some way retain the idea of a sacrifice. The jungle is full of sacrifice, animals preying upon each other, and being preyed upon – that is life.“60
Folgt man dem Ausspruch des Tanzkritikers Alastair Macauly, der Fantasia „a choreographer’s communication to his audience of what music prompts in him“61 nannte, so gab Strawinskys Musik Walt Disney und seinen Mitarbeitern keine Ballett- oder Tanzszenen, sondern ein Stück Evolutionsgeschichte ein. Die Verwendung des Mediums Zeichentrickfilm dazu, Dinge zu rekonstruieren, die noch keiner gesehen hatte oder sehen konnte, hatte Tradition: Bereits 1918 hatte Winsor McCay in einem zwölfminütigen Zeichentrickfilm den Untergang der RMS Lusitania dokumentiert, die von deutschen Torpedos angegriffen worden war.62 Von McCay stammt auch der erste Trickfilmsaurier, Gertie the Dinosaur (1914). Die Darstellung der Evolutionsgeschichte im Rite of Spring wurde nun als wissenschaftliches Unternehmen gefeiert, das den Forschern zeigen konnte, wie es „damals“ war.63 Strawinsky war der einzige lebende, also zeitgenössische Komponist eines der für Fantasia ausgewählten Werke, was einerseits bedeutete, dass man ihn in die Vorbereitungen mit einbeziehen konnte, andererseits aber auch auf seine Vorstellungen Rücksicht zu nehmen und sich mit seinen Reaktionen auseinanderzusetzen hatte. Disney war begeistert von Strawinskys Musik, die seine Phantasie weit mehr noch als die anderen Kompositionen inspirierte: „This is marvelous!“64 Der Vertrag mit Strawinsky wurde am 4. Januar 1939 unterzeichnet. Über die Umstände, wie der Vertrag zustande gekommen ist, und die Höhe des vereinbarten Entgelts gibt es unterschiedliche Aussagen. So folgen einige Autoren Strawinskys später getroffenen Aussage, von Disney bei Vertragsabschluss unter Druck gesetzt worden zu sein, während andere die These vertreten, dass Strawinsky seine Werke bereitwillig zur Verfügung stellte.65 Fest steht jedoch, dass die Zusammenarbeit mit Disney neben den Einnahmen zu dieser Zeit auch Renommee versprach, denn Disney wurde – ähnlich wie auch Diaghilev oder Nijinsky – unter der künstlerischen Avantgarde sehr geschätzt.66 Dies hatte sich zum Zeitpunkt, als sich Strawinsky später kritisch zu Fantasia äußerte, geändert: 60 61 62 63
John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 108. Alastair Macaulay, Disney’s Dances, S. 263. Winsor McCay, The Sinking of the Lusitania (1918). Die visuelle Ähnlichkeit mit den Urwesen und den Kampfszenen in King Kong (1933) ist ebenfalls bemerkenswert. Auch hier tauchen Dinosaurier auf, insbesondere auch ein Tyrannosaurus Rex. 64 Zitiert nach Neal Gabler, Walt Disney, S. 312. 65 Vgl. Igor Strawinsky und Robert Craft, Expositions and Developments. London 1962, S. 146; John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 117f; Nicholas Cook, Analysing Musical Multimedia, S. 175f. 66 Zu den Disney Studios pilgerten Mitte der 1930er Jahre berühmte Besucher wie Douglas Fairbanks, Mary Pickford, H.G. Wells, Charlie Chaplin, Ernst Lubitsch oder Sergej Eisenstein. Neal Gabler, Walt Disney. The Triumph of the American Imagination. New York 2006, S. 204. Wie sich bis in die 1970er Jahre unter Intellektuellen das Ansehen Disneys wieder verbesserte, beschreibt John Gardners Artikel Saint Walt: The Greatest Artist The World Has
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6. Bilderballett: Musik und Bewegung „For a generation after World War II, it was no longer fashionable among intellectuals to appreciate Disney. But the mood when Stravinsky signed his second contract with Disney was very different.“67
Gemeinsam mit George Balanchine hatte Strawinsky, der zu dieser Zeit die Gastprofessur an der Harvard University innehatte und dort die Poétique musicale verfasste bzw. verfassen ließ,68 kurz vor Weihnachten 1939 das Disney-Studio besucht, wo sie Stokowskis Aufnahme des Rite of Spring hörten und sich Skizzen zeigen ließen. Robin Allan erwähnt einen weiteren Besuch bei einer so genannten Sweat Box Sitzung, in der die vorläufigen Zeichnungen der Episode abfotografiert und im „Pencil Test“ vorgeführt wurden.69 Die fertige Version konnte Strawinsky am 12. Oktober 1940 sehen. Elf Tage nach dieser „Preview“ riefen zwei von Disneys Vertretern bei Strawinsky an, um mit ihm über eine animierte Fassung von Renard zu sprechen. Am 28. Oktober verkaufte Strawinsky an Disney die Option, sowohl Le Renard (1915) als auch Feu d’artifice (1908) und L’Oiseau de feu (1910) in einem Film verwenden zu dürfen. Wie die meisten anderen Werke in Fantasia wurde auch The Rite of Spring gekürzt und umgestellt, so dass man seiner Erinnerung zufolge Strawinsky bei einem Sichtungstermin im Disney-Studio eine Partitur zum Mitlesen anbot: „I remember someone offering me the score and, when I said I had my own, the someone saying, ‚But it is all changed.‘ And it was indeed.“70 Neben einzelnen Takten wurden ganze Abschnitte weggelassen. So wurden vom ersten Teil die Spring Rounds, das Ritual of the Rival Tribes, die Procession of the Sage sowie zunächst The Sage und Dance of the Earth gekürzt. Vom zweiten Teil wurde der Sacrificial Dance (The Chosen One) komplett ausgelassen und stattdessen The Sage und Dance of the Earth eingefügt sowie die ersten sechs Takte der Einleitung aus dem ersten Teil als Ausklang wiederholt.71 Hinzu kamen Änderungen in der Orchestrierung, wie z.B. die berüchtigte Transposition der Hornglissandi im Dance of the Earth in eine höhere Lage. Die Geschlossenheit der Passage wurde durch den „all-embracing plot“72 einer chronologischen Entwicklungsgeschichte der Erde und ihrer Lebewesen hergestellt, die von ihrer geologischen Entstehung bis hin zum Aussterben der Dinosaurier reicht. Während die Episode keine durchgehende Geschichte, sondern durch Zeitsprünge getrennte Etappen erzählt, folgen die Se-
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Ever Known, Except for, Possibly, Apollonius of Rhodes. In: New York Magazine, 12. November 1973, S. 64–71. John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 120. Es bleibt zu fragen, inwiefern Adornos Philosophie der neuen Musik, die zwischen 1940 und 1948 im amerikanischen Exil entstand, von Disneys Rite of Spring-Interpretation geprägt ist. Nach Hollywood zogen Igor und Vera Strawinsky im April 1941. Vgl. Wolfgang Dömling, Strawinsky. Hamburg 1982, S. 106. Robin Allan, Walt Disney and Europe, S. 128. Igor Strawinsky und Robert Craft, Expositions and Developments, S. 145. Disney selbst hatte bei einer Story Konferenz zum Rite of Spring am 19. Oktober 1938 angesichts der Neudeutung begeistert ausgerufen: „Stravinsky will say: ‚Jesus! I didn’t know I wrote that music!‘“ Zitiert nach Michael Barrier, The Animated Man, S. 143. Vgl. Nicholas Cook, Analysing Musical Multimedia, S. 177. Ebenda, S. 193.
6.3 Film als Choreographie: The Rite of Spring
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quenzen dennoch einer Symmetrie: Auf den Beginn im Weltall folgt die Schilderung geologischer Ereignisse, dann des ersten tierischen Lebens, dann wieder geologischer Ereignisse, bevor die Kamera zum Ende der Episode wieder ins Weltall wechselt.73 In seiner Anmoderation kündigt Deems Taylor den Rite of Spring explizit als Ballettmusik an: „When Igor Stravinsky wrote his ballet The Rite of Spring, his purpose was, in his own words, ‚to express primitive life.‘ So Walt Disney and his fellow artists have taken him at his word. Instead of presenting the ballet in its original form, as a simple series of tribal dances, they have visualized it as a pageant, as the story of the growth of life on Earth. It’s a coldly accurate reproduction of what science thinks went on during the first few billion years of this planet’s existence.“
Welche Voraussetzungen eine Ballettmusik erfüllen musste, hatte sich bereits mit Tschaikowsky gewandelt. War für das Handlungsballett des mittleren 19. Jahrhunderts „eine nur lose Verbindung zwischen Musik und Tanz“ charakteristisch, die sich z.B. in der Neueinstudierung desselben Stoffes und des daraus entwickelten Handlungsverlaufs zum Arrangement austauschbarer Musik zeigte,74 brachten die komplexeren Strukturen der Ballettmusiken Ende des 19. Jahrhunderts auch neue Verknüpfungen von Musik und Tanz hervor: „Gegenüber dem traditionellen musikalischen Satz, der allein den linearen Verlauf der Handlung begleitete, entfaltete die Musik nun ein mehrschichtiges Klanggefüge, das sowohl einzelne Ereignisse als auch übergeordnete Zusammenhänge zu erfassen vermochte.“75
Die spiegelte sich auch in der Zusammenarbeit zwischen Komponist und Choreograph wieder, die der im Zeichentrickfilm zwischen Komponist und Regisseur sehr ähnelte.76 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wandelte sich das Verhältnis von Ballettmusik und Tanz weiter, und die Musik wurde nun häufig – so z.B. von Isadora Duncan, Emile Jacques-Dalcroze oder George Balanchine – als Auslöser des Tanzes gesehen. Die als Skandal in die Geschichte eingegangene und von Strawinsky später ablehnend beurteilte Uraufführung des Rite of Spring brach mit dem im Ballett gewohnten Einsatz des Körpers und den dort üblichen Bewegungsabläufen: Die Tänzer blieben mit ihren Bewegungen am Boden und verzich73 Cook zeigt außerdem, dass dem Bau der Episode sowohl eine Farbsystematik zugrunde liegt als auch eine fast kontinuierliche Vorwärtsbewegung der Kamera, die dem Film den Eindruck von Kontinuität und Entwicklung verleiht. Nicholas Cook, Analysing Musical Multimedia, S. 193 f. 74 Thomas Steiert, Bewegungsmuster. Zur Funktion der Musik im Handlungsballett des 19. Jahrhunderts. In: Gunhild Oberzaucher-Schüller, Daniel Brandenburg und Monika Woitas (Hg.): Prima la danza! Festschrift für Sibylle Dahms. Würzburg 2004, S. 367. 75 Ebenda, Bewegungsmuster, S. 370. 76 Der Komponist erhielt mit der „Minutage“ einen genauen Verlaufsplan, was den Umfang und den Charakter der für das Ballett benötigten Musik betraf. Vgl. auch Hanna Walsdorf, Minutage und Mickey Mousing. Über das Verhältnis von Ballett- und Filmmusik am Beispiel von Disney’s Fantasia (USA 1940). In: Kieler Beiträge zur Filmmusikforschung, Ausgabe 3 (Mai 2009). In: http://www.filmmusik.uni-kiel.de/kielerbeitraege3/KB3-Walsdorf.pdf, 21. Dezember 2009.
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6. Bilderballett: Musik und Bewegung
teten mit abgewinkelten Handgelenken, schiefer Kopfhaltung und einwärts gedrehten Beinen auf jene Grazie und Symmetrie, die das Körperkonzept im Ballett bisher bestimmt hatten. Die häufigen Kreisformationen schlossen den Zuschauer vom Geschehen aus und verhinderten die gewohnte Zentralperspektive der Guckkastenbühne. Für die Uraufführung des Rite of Spring hatte Strawinsky selber in einem Klavierauszug Hinweise für Nijinsky vermerkt, wie er sich den Tanz zu seiner Musik vorstellt: „Der Auszug enthält meinen ursprünglichen Plan choreographischer Bewegungen und innerhalb dieses Planes eine ungewohnte Analyse rhythmischer Strukturen. Als ein Zeugnis von der Choreographie wie der Komponist sie sich vorgestellt hat, ist er einzigartig und vollkommen, zumindest aus dem Grund, dass der Komponist versucht hat, seine Musik in eine Sprache zu übertragen, die der Choreograph verstehen kann.“77
Auch musikalisch stellte Strawinskys Ballettmusik – bei aller Verankerung in der Tradition – einen Umbruch dar: Neben dem überdimensionalen Schlagzeug irritierten die komplizierten Metren und Strukturen, die extremen Wechsel zwischen plötzlicher Ruhe und sich steigernder Spannung („the Rite’s outbursts of disciplined anarchy“)78, die impulsartigen Schläge und Akzente, die kurzen Phrasen oder Einheiten sowie deren häufig blockartige und unvermittelte Verbindung. Folgt man der These, dass die choreographischen Elemente bereits in Strawinskys Komposition einkomponiert sind,79 schließt sich die Frage an, wie sich diese immanente Choreographie in Disneys Zeichentrick-Version äußert und hier das Verhältnis zwischen Bewegung und Musik gestaltet ist. Im Unterschied zu Dance of the Hours und der Nutcracker Suite verzichteten Disney und sein Team darauf, zum Rite of Spring Bewegungen des Balletts oder dessen Rezeptionsbedingungen nachzuahmen. Auch wurden die Akteure der Episode – Weltraum-, Erd- und Unterwasserlandschaften, Fische, Reptilien, Saurier – kaum anthropomorphisiert, so dass man sie nicht unbedingt als Tänzer wahrnimmt.80 Tatsächlich scheint es so zu sein, dass die Musik einerseits als Stimmung verwendet wird, die das Geschehen emotional ausdeutet, andererseits musikalische Gegebenheiten sowohl in Bewegungen innerhalb der Bilder als auch in filmische Mittel wie Schnitt oder Ka77 Im Anhang der Faksimileausgabe des Skizzenbuches: Igor Strawinsky, The Rite of Spring, Sketches 1911–1913. Herausgegeben und kommentiert von Robert Craft. London 1969, S. 35. 78 Peter Hill, Strawinsky – The Rite of Spring. Oxford 2000, S. 60. 79 Monika Woitas, Immanente Choreographie oder Warum man zu Strawinskys Musik tanzen muss. In: Jörg Rothkamm/Michael Malkiewicz (Hg.), Die Beziehung von Musik und Choreographie im Ballett, Berichte vom Internationalen Symposium an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig, 23.–25.3. 2006. Berlin 2007, S. 219–231. 80 Ganz ohne Anthropomorphisierung geht es bei Disney auch in dieser Evolutions-Episode nicht, so dass es leicht fällt, selbst z.B. den augenlosen Einzellern über ihre Bewegungen der Annäherung und Flucht menschliche Eigenschaften oder Züge zuzuschreiben. „The one thing we can claim with great assurance is that whenever narrative drive causes a text to be read as narrative, the reading will foreground narrative material and narrative activity.“ Rick Altman, A Theory of Narrative. New York 2008, S. 21. Ob eine Bewegung als Tanz wahrgenommen wird, muss nicht davon abhängen, ob sie von einer menschenähnlichen Gestalt vollzogen wird. Der irische Dichter William Butler Yeats fragt in der letzten Strophe des Gedichts Among School Children: „How can we know the dancer from the dance?“ (1926).
6.3 Film als Choreographie: The Rite of Spring
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merabewegung übersetzt werden. Wie dafür der Begriff Choreographie angewendet werden kann, soll im Folgenden dargestellt werden. Deems Taylor kündigte die Episode als „pageant“ an, einer Art religiösem Spiel (z.B. Christmas pageant), und fordert die Zuschauer auf, eine Zeitreise zurück zu den ersten Milliarden Jahren der Erde zu machen: „So now, imagine yourselves out in space, billions and billions of years ago, looking down on this lonely, tormented little planet, spinning through an empty sea of nothingness.“
Zum einsamen Fagottsolo der Introduction leiten die Bilder langsam von der Rückenansicht Stokowskis in den schwarzen Kosmos über, aus dem sich allmählich blaue Nebel und Ströme lösen. Zunächst fallen keine Korrelationen zwischen musikalischen Elementen (wie z.B. zwischen der Fagottmelodie oder den Einwürfen des Englischhorns) und den visuellen Elementen auf. Wie dreißig Jahre später mit György Ligetis Kompositionen in 2001: A Space Odyssey soll das Fremdartige der Musik vielmehr den Eindruck verstärken, dass sich der Zuschauer nun in eine Reise ins Unbekannte begibt. Erst mit den rot auflodernden Sonnen bei Ziffer 5 lässt sich – über das bloße gleichzeitige Erscheinen hinaus – eine Verbindung zwischen den flackernden Feuerarmen und den auf- und absteigenden Einwürfen der Bassklarinetten sowie anschließend zwischen den durchs All schießenden Kometen und dem Flötenmotiv vor Ziffer 7 oder den sukzessiven Einwürfen von Piccolo-Klarinette in D nach Ziffer 9 und Piccolo-Trompete nach Ziffer 10 ausmachen. Der plötzliche musikalische Abbruch bei Ziffer 12 geht nicht mit einem visuellen Schnitt, sondern mit Ereignislosigkeit einher: Kurz nach dem letzten Aufleuchten eines Kraters synchron zum Signal der Piccolotrompete enden die unruhigen Aktionen auf der Erdlandschaft, und die Kamera gleitet zur anschließenden Wiederholung des anfänglichen Fagottsolos friedlich weiter über die rotneblige Landschaft. Erst mit den Streicherpizzicati, die zu den durchgehenden Achteln der Augurs of Spring überleiten, leuchten im Hintergrund wieder die Vulkankrater auf. Sowohl die Montage als auch die Aktionen innerhalb des Bildes sind im Folgenden auf die Musik abgestimmt. Mit den unregelmäßigen Hornakzenten, die die kontinuierlichen Achtelschläge der Streicher durchbrechen, wechselt die Kamera zu einer Seitenansicht der Vulkanlandschaft. Die Ausbrüche der Vulkane scheinen mit den musikalischen Akzenten synchronisiert.81 Der Filmschnitt nimmt den musikalischen Wechsel zwischen dem akkordischen Achtelthema der Streicher und dem kontrastierenden Ostinato des Englischhorns auf, indem die Einstellungen hart gegeneinander geschnitten werden. Seine visuelle Entsprechung findet auch das Triolenostinato der Bratschen nach Ziffer 16, zu dem sich ein Tornado dreht. Auch im Folgenden werden die musikalischen Ereignisse mit den visuellen synchronisiert, sei es das Blubbern, Köcheln und Brodeln der Lava zu durchgehenden Achteln oder die Explosionen auf die verteilten Akzente. Zu den vollen Akkorden 81 Nicholas Cook weist darauf hin, dass Stokowski das Tempo der Augurs of Spring entgegen Strawinskys Vorgaben wesentlich langsamer genommen hat, so dass man den Eindruck eines Tempowechsels bekommt. Vgl. Nicholas Cook, Analysing Musical Multimedia, S. 181.
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6. Bilderballett: Musik und Bewegung
und Schlägen vor dem Doppelstrich vor Ziffer 22 explodieren alle Vulkane zugleich: „If the effect is rather silly, this is because we do not expect to see volcanoes being choreographed; there is a tension between the visualization of the music and our representational instincts. To put it another way, the extremely tight relationship of music and pictures at a surface level results in a conflicted relationship at an underlying one.“82
Der unaufhörlich schlagende Achtelpuls zunächst im Englischhorn und dann in den Streichern verleiht den nun folgenden Ansichten der Wolken umwobenen Kraterlandschaft und pastoralen Horn- bzw. Flötensoli eine unterschwellige Unruhe, die sich bei der dichter werdenden musikalischen Textur auch visuell in brodelnden Magmaströmen ausbreitet. Die choralartigen Trompeten nach Ziffer 28 umgeben das scheinbar unbewegte Standbild eines Berges mit einer Aura von Macht. Erst allmählich breitet sich der dickflüssige Lavastrom zu einem reißenden Fluss aus, der seine treibende Bewegung fast durchgängig mit den Sechzehntelläufen oder -tremoli der Streicher teilt. Der Paukeneinsatz bei Ziffer 35 wird nicht als Geräuscheffekt mit dem Fall einzelner Gesteinsbrocken synchronisiert, sondern bleibt Illustration einer generellen Stimmung. Attacca geht es zum Ritual of Abduction über, in dem zunächst auf die Zuordnung von herausragenden musikalischen Gestalten (z.B. den schrillen Fanfaren der Piccolotrompete) mit visuellen Elementen verzichtet wird. Die kurzatmigen Motive, die sich jagen und unregelmäßige Akzente setzen, werden in ein visuelles Durcheinander von Luftwirbeln (z.B. zu den Aufgängen in unterschiedlichen Instrumenten vor Ziffer 39) übersetzt. Der Dialog zwischen dem Rufmotiv in den Hörnern und den auf- und absteigenden Sechzehnteln in den Streichern wird als Schnitt-Gegenschnitt von Wirbeln und Blitzen visualisiert. Die Passage ab Ziffer 42 mit ansteigenden Sequenzen, sich jagenden Einwürfen und aufbäumenden Streichertremoli wird mit Wirbel- und Wellenbewegungen kombiniert, bevor die Sequenz zu den Trillern vor dem zweiten Teil ausgeblendet wird. Überwiegend in Stimmung und im Filmschnitt folgen die Bilder der Musik zu Beginn der Introduction zum zweiten Teil, The Sacrifice. Die Kamera wird nun Unterwasser geführt, wo sich die ersten einfachen Lebewesen tummeln. Hatte sich der erste Teil mit der Entstehung der Erde beschäftigt, widmet sich dieser Part nun der Entwicklung des Lebens. Die fast impressionistische Wirkung der Introduction vermittelt dem Zuschauer den Eindruck, die Szenen verschwommen und wie aus der Erinnerung wahrzunehmen. In der ersten Szene im Wasser, in der sich Amöben und andere Einzeller tummeln, kommt es zu keiner Verbindung zwischen der Bewegung musikalischer Figuren und szenischer Gestalten. Zu jeder der sich dreimal ähnlich wiederholenden, blockartigen Takte bei Ziffer 80, 81 und 82 nimmt die Evolution einen weiteren Schritt, indem sich das Bild zunächst wie durch schwarze Tinte einfärbt und dann den Blick auf eine neue Entwicklungsstufe – von Amöben über Algenpflanzen bis hin zu einfachen Fischen – frei gibt. Die fahle Stimmung ändert sich auch noch nicht, nachdem die Tiere den Schritt ans 82 Ebenda, S. 181f.
6.3 Film als Choreographie: The Rite of Spring
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Land gemacht haben und sich zu Reptilien, Vögeln und Sauriern gewandelt haben. Erst die Bewegungen der Flugsaurier werden zu den insgesamt neun Einwürfen der Piccoloklarinette in D bei Ziffer 87 synchronisiert, wenn diese zunächst lauernd durch die Luft gleiten, um dann im Sturzflug ihre Beute zu überraschen oder selber überrascht zu werden. Zur Generalpause vor Ziffer 90 blendet das Bild aus. Die Spezies der Dinosaurier wird wie in einem Tierfilm zunächst durch den Blick einer versteckten Kamera gezeigt. Die Überleitung zu Mystic Circles of the Young Girls führt in eine bunte Urwaldlandschaft, durch deren Blätter sich die Kamera langsam vorwärts bewegt. Mit Beginn der elegischen Cello-Kantilene erblickt die Kamera das erste Lebewesen, einen gähnenden Ankylosaurier. Zur sich wiederholenden und kreisenden Melodie der Violinen tauchen weitere Dinosaurierarten auf, die friedlich durch den Wald schreiten oder am Tümpel äsen. Nach dem kurzen Einschub bei Ziffer 93, bei dem Tremolo und Pizzicato mit anschließender Pause auf die Gefahr hinweisen, dass die Flugechse fast gefressen wird, kehrt der Blick mit Beginn der Altflöten-Melodie, die sich dann in Oboe, Violinen und Celli wiederholt, zu den friedlichen Pflanzenfressern und dem „sozialen Leben“ der Saurier zurück. Nach der kurzen Generalpause und dem Schnitt bei Ziffer 97 folgt der Filmschnitt den musikalischen Wiederholungen und Variationen, mit denen Strawinsky die Melodien blockartig nebeneinander setzt, so dass quasi alle zwei bis vier Takte eine neue Spezies präsentiert wird, die durch die unterschiedliche Instrumentation zusätzlich charakterisiert ist (z.B. bei Ziffer 98 verleiht das Pizzicato auf jeden zweiten Schlag der Bewegung eine besondere Schwere). Der erste Sforzato-Einwurf vor Ziffer 101 mit anschließender Stille wird zum – diegetischen, aber dennoch keiner Quelle zuzuordnendem („akusmatischen“) – Warnsignal, doch die Tiere nehmen nach kurzem Innehalten in der Generalpause zur Flötenmelodie das Fressen beruhigt wieder auf. Anders sieht es bei Ziffer 102 aus, wo die Septimen-Rufe in den Hörnern Alarm schlagen und den Übergang zum wilden Verherrlichungstanz, der Glorification of the Chosen One, einläuten. Die Kamera nimmt die musikalische Aufregung von Ziffer 113 in einer rasanten Fahrt auf, bis man zu den in Streichern und Pauken gehämmerten Vierteln den Auslöser der Panik sieht: den Tyrannosaurus Rex. Die folgende Szene zeigt nun den tödlichen Zweikampf zwischen dem kraftstrotzenden Tyrannosaurus und dem massigen Stegosaurus als Kehrseite eines bisher recht besinnlichen Dinosaurierdaseins. Das Duell dieser beiden massigen Urviecher wurde exakt zu den vielen einzelnen Elementen der Glorification of the Chosen One choreographiert:83 Während der Aggressor zum aufsteigenden Hauptmotiv bei Ziffer 104 noch lauert, schnappt er beim entgegengesetzten absteigenden Motiv zu. Der statische Achtelpuls in den Streichern begleitet seine schweren Schritte, mit denen er den Tieren folgt. Diese fliehen zum dreimaligen Lauf aus Sechzehntelsextolen im Holz. Bei Ziffer 109 erwischt der Tyrannosaurus sein Opfer am Schwanz, aber zunächst nicht lebensbedrohlich. Das auf- und ab83 Für eine weitere Analyse der Kampfszene siehe Nicholas Cook, Analysing Musical Multimedia, S. 182 f.
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6. Bilderballett: Musik und Bewegung
steigende Motiv des Anfangs begleitet nun den Kampf der Tiere mit Angriff und Abwehr. Das Posaunenglissando nach Ziffer 111 begleitet den Biss des Tyrannosaurus in den Hals des Stegosaurus, der sich noch einmal befreien und den Angriff abwehren kann. Zum Pizzicato in den Streichern und den Nachschlägen der Hörner belauern sich die beiden Tiere, bevor der Tyrannosaurus zum Zweiunddreißigstellauf in Oboe und Klarinette erneut zuschnappt. Wieder kann der Angriff abgewehrt werden, doch beim Molto allargando erhält das unterlegene Tier den endgültigen Todesbiss. Ein Paukenwirbel leitet in dieser gekürzten Version musikalisch direkt zur Evocation of the Ancestors über, wo scharf akzentuierte Vierteltriolen in den tiefen Streichern den Todeskampf des Sauriers begleiten: Beim ersten Erklingen des Motivs schlägt der Schwanz zu Boden, beim zweiten lässt der Tyrannosaurus den Kopf los, so dass dieser zu Boden fällt, beim dritten fällt der Schwanz leblos herab, zum letzten richtet sich der Sieger – nachdem das verendende Tier zum Paukenwirbel die Augen geschlossen hatte – siegreich gen Himmel. Die dazwischen erklingenden Akkordblöcke bilden Momente des Innehaltens, in denen die Gemeinschaft der anderen Tiere entsetzt das Geschehene zu fassen versucht, die Kamera am Korpus entlang fährt und schließlich im Piano der Fagotte aus der Sequenz herausfährt und abblendet. Als Illustration der quälenden Anstrengung, die den Tieren nun bevorsteht, wurde die Musik in der folgenden Szene gedeutet, zu der bereits mit den letzten Takten der Evocation of the Ancestors übergeblendet wird. Eine strahlende Sonne vor rotem Himmel leuchtet zum Fagott-Dreiklang samt absteigendem QuintolenArpeggio auf, bevor die Kamera mit Beginn der Ritual Action of the Ancestors in die rote Wüste hinabfährt. Mit dem Englischhorn-Solo nähert sich die Kamera einer Gruppe Tiere, die an einer schlammigen Wasserstelle Rast machen. Die metronomisch genauen, ostinaten Viertelschläge der Streicher mit den nachschlagenden Achteln im Schlagzeug illustrieren den langsamen und mühevollen Verlauf der Zeit, dem die Tiere ausgesetzt sind und der bei dieser Hitze ihr Aussterben herbeiführen wird. Mit der langsam ansteigenden Intensität der Musik nähert sich die Kamera der Gruppe, die sich zum schlängelnden Sechzehntelband der Flöten ab Ziffer 134 weiter auf die Suche nach Wasser macht. Die signalhafte Melodie der Trompeten begleiten zunächst – in der bekannten Analogie von Helligkeit und Trompetenklang – die Bilder der gleißenden Sonne, dann der Karawane, die durch die Wüstenlandschaft zieht. Wenn im Mittelteil von Ziffer 135-137 die Viertelschläge aussetzen und vom auf verschiedene Instrumentengruppen verteilten rhythmischen Motiv abgelöst werden, geraten die erschöpften Tiere ins Wanken und ins Straucheln. Mit dem Einsetzen des Ostinatos bei Ziffer 138 steht die gleißende Sonne wieder im Mittelpunkt. Zur signalhaften Melodie, diesmal in den Hörnern, zieht die Karawane weiter. Mit dem motivischen Schluss zum Anfang fährt auch die Kamera wieder zur roten Sonne, blendet dann – um einen Zeitsprung zu signalisieren – schwarz aus, um dann wieder in der roten Wüste die Spuren und Skelette der vorbeigezogenen Karawane zu zeigen. Zum absteigenden Lauf der Bassklarinette zoomt die Kamera zu einem Schädel, den sie anschließend in Großaufnahme zeigt.
6.3 Film als Choreographie: The Rite of Spring
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Ursprünglich war von Strawinsky dieser Lauf als das Ende des Rite geplant gewesen. Disney folgt aber auch nicht dieser Fassung, sondern schließt mit The Sage aus dem ersten Teil des Rite an. Zu den innehaltenden vier Takten mit Terzen in den Fagotten und zaghaften Achteln im Kontrafagott schiebt sich der Mond vor die Sonne, bis die Kamera zu dem Pianissimo-Flageolett der Streicher in die bekannte Wüstenlandschaft mit Skeletten schwenkt. Mit dem Triolenwirbel der Großen Trommel zu Beginn des Dance of the Earth, „eines der tobendsten Musikstücke, die jemals erdacht wurden,“84 fangen Kamera und Erde zu beben an. Zu der Grundschicht aus Sechzehnteln, auf die sich Melodiefetzen, Sforzati und scharfe Glissandi (u.a. die an Elefantenschreie erinnernden transponierten Hornglissandi) setzen, brechen die Erde auf, Berge hervor und Stürme los. Mit den rasenden Läufen in den Streichern ab Ziffer 75 überrollen riesige Meereswellen das Land. Die Verzahnung der verschiedenen musikalischen Elemente (steigende Viertel in den Klarinetten gegen Triolen in Bratschen gegen Sechzehntel-Staccati in Trompeten usw.) spiegelt sich im wilden Treiben von Winden und Wasser wieder, bis das Chaos nach der Kulmination zunächst plötzlich szenisch abbricht und ausgeblendet wird. Das Fagottsolo, das mit den ersten sechs Takten der Introduction aus dem ersten Teil des Rite of Spring wiederholt wird, setzt noch während des Blacks ein. Die Kamera blendet zu einer strahlenden, roten Sonne auf, vor die sich wieder der Mond schiebt, so dass nur noch der Kranz erstrahlt. Mit Einsatz der Klarinette wechselt das Bild zu einer Panoramasicht der halbrunden Erde, hinter der die Sonne langsam versinkt. Musik und Bild werden gemeinsam ausgeblendet. Nach dem Ausflug zur Toccata and Fugue in D minor ins Abstrakte, dem Naturballett des Nutcracker und dem Mickey-Mouse-Cartoon zum Zauberlehrling wird nun Strawinskys Ballettmusik in Fantasia als musikalische Begleitung einer Dokumentation über die Entstehung der Erde und bisweilen eines Tierfilms über das Leben der Saurier verwendet. Vom Ballett unterscheidet sich dieser Einsatz als Dokumentarfilmmusik vor allem durch die umgekehrte Kausalität: In der Dokumentation scheint die Musik auf die Bilder zu folgen, denn schließlich wird das „natürliche“ bzw. tatsächliche Geschehen abgefilmt. Dies betrifft vor allem die Stimmungen und die Bewegungen innerhalb des Bildes, die beide durch die Musik nachgezeichnet und verstärkt erscheinen: Zu den ruhigen und lyrischen Passagen wird das Leben der Meerestiere oder Dinosaurier von seiner friedlichen Seite gezeigt, während zu den musikalischen Ausbrüchen auch die Natur in Unruhe gerät. Auch die Schläge und Akzente der Partitur finden sich in plötzlichen Bewegungen wie z.B. den Explosionen der Vulkane oder Lavablasen wieder. Als Synchronisierung des rhythmischen Pulses werden beispielsweise sowohl das pulsierende Aufleuchten der Vulkane als auch die Schritte der Dinosaurier empfunden. Doch die Musik wird trotz aller Korrelationen außerhalb der diegetischen Welt eingeordnet. Ähnlich wie sich die Rolle des Zuschauers wandelt und er in Dokumentarfilmen viel mehr Beobachter denn sich identifizierender Teilnehmer am Filmgeschehen ist, bleibt die Musik nicht-diegetisch. Beim Ballett in Dance of 84 Volker Scherliess, Igor Strawinsky – Le Sacre du Printemps, S. 64.
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6. Bilderballett: Musik und Bewegung
the Hours und The Nutcracker Suite verband (neben den Geräuscheffekten) die frontale Bühnensituation immer wieder Szene und Musik, wodurch klar wurde, dass das Geschehen für einen Beobachter – den Zuschauer – dargeboten wurde. Die Bewegungen innerhalb des Geschehens entstammten den bekannten Systemen des Tanzes, die zur Musik vollzogen werden. Als Dokumentarfilm sind im Rite of Spring – mehr als Bewegungen innerhalb des Bildes – die filmischen Mittel wiederum auf die Musik abgestimmt. Insbesondere die Montage kann in der Wahrnehmung des Zuschauers auch bei einem Dokumentarfilm auf die Musik folgen und sich an diese anpassen. So werden strukturelle Übereinstimmungen mit Strawinskys Musik vor allem mit filmischen Mitteln wie dem Filmschnitt oder Überblendungen geschaffen: Kleingliedrige, blockartig nebeneinander gestellte Abschnitte gehen häufig mit schnell geschnittenen Einstellungen zusammen, der plötzliche musikalische Abbruch zieht den Wechsel zu einer visuellen Änderung nach sich, die Wiederholung in der Musik löst eine – auch variierte – Wiederholung der zugehörigen Bilder aus, häufig wird zu den Generalpausen ausund übergeblendet. Im Unterschied zu einer Choreographie des Theaters setzen in Disneys Version nicht die tanzenden Gestalten diese strukturellen Eigenschaften der Musik in Bewegung um, sondern die Bewegung findet im Medium selbst statt. Die Choreographie zu Strawinskys Musik wird im Rite of Spring auf das Medium Film erweitert. 6.4 BACCHANAL AUF DEM LANDE: THE PASTORAL SYMPHONY In die phantastische Welt antiker Mythen entführt Fantasia den Zuschauer mit Beethovens Symphonie Nr. 6 F-Dur, op. 68, Pastorale (1808),85 der ersten Komposition nach der Pause. Der Reichtum an Geschichten der griechischen und römischen Mythologie war für Walt Disney ähnlich inspirierend wie die Fabeln von Äsop und Jean de La Fontaine oder die Märchen von Hans Christian Andersen und der Gebrüder Grimm. Bereits in den Silly Symphonies tauchen immer wieder griechische und römische Götter auf, so z.B. in King Neptune (1932), The Goddess of Spring (1934) und Playful Pan (1939). Sind bei Äsop oder La Fontaine die Handlungsträger meist Tiere, ähneln die antiken Götter in Aussehen und Benehmen dem Menschen. Eine stimmige Darstellung von Menschen im Trickfilm – man denke z.B. an die Schwierigkeiten mit Schneewittchen in Snow White86 – galt als Herausforderung für die Zeichner des Disney Studio, solange sie nicht karikiert werden durften. Diese Einschränkung bestand für die Götterwelt der Pastoral Symphony nicht: Während die Menschen bisher häufig als perfekt (und in diesem Sinne göttlich) dargestellt wurden, durften hier umgekehrt die allzu menschlichen Eigenschaften der Götter herausgestellt und dem Cartoon entsprechend auf ironische Weise überzeichnet werden. Die Fabel- und Mischwesen der Mytholo85 Ludwig van Beethoven, Symphonie No. 6 F-Dur, Op. 68, „Pastorale“. Herausgegeben von Max Unger. Ernst Eulenberg Ltd 1986 (E. E. 3607). 86 Vgl. Neal Gabler, Walt Disney, S. 248f.
6.4 Bacchanal auf dem Lande: The Pastoral Symphony
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gien reizten die Disney-Künstler ebenfalls, diese in den Bildern des Trickfilms phantasievoll zum Leben zu erwecken. Hier konnte in Bewegung gezeigt werden, was bisher nur in der Momentaufnahme existiert hatte: „We find Pegasus on a vase made in the fourth century B.C., and he has appeared in many paintings since, but the Disney artists were the first to depict winged horses actually flying – theirs was the problem of showing whether such beasts landed front legs first, or hind legs first, and how their powerful wings might have moved.“87
Für die Episode The Pastoral Symphony war ursprünglich die Musik zu Cydalise et le chèvre-pied (1915/1923) vorgesehen gewesen.88 Das Ballett des französischen Komponisten Gabriel Pierné mit einem Libretto von Gaston Arman de Caillavet und Robert de Flers spielt im 17. Jahrhundert in Versailles, wo die Welt des Hofballetts und der mythologischen Wesen – Faune und Nymphen – aufeinander treffen: „For Cydalise, Walt thought of centaurs and fauns frolicking on an Elysian Field where an old faun is holding class at a mythological music school and keeps having to scold a smartalecky young faun.“89
Die Entscheidung gegen Pierné und für Beethoven fiel spät, so dass eine Vielzahl der Bilder bereits entworfen war. Statt des Landlebens feierten die Bilder weiterhin das fröhliche Treiben von Göttern und anderen Mythengestalten am Olymp, dessen Bewohner Deems Taylor in seiner Anmoderation zu The Pastoral Symphony ausführlich beschreibt: Fliegende Pferde, tanzende Zentauren und Einhörner, einen Blitze schleudernden Zeus, den schmiedenden Vulcanus, einen torkelnden Bacchus, Apollo, der einen Sonnenwagen über den Himmel lenkt, die als Regenbogen personifizierte Iris und andere mythische Gottheiten in der farbenfrohen Umgebung einer „bonbonbunten Antikenphantasie“.90 Eine Sonderstellung in diesem Ensemble nehmen die Cupido nachempfundenen Knaben ein: Die geflügelten Liebesgötter sind neben dem mythologischen Kontext vor allem dem Erfolg des Kinderstars Shirley Temple und der damaligen Mode geschuldet, vermehrt Babys und Kleinkinder in Filmen einzusetzen.91 Be87 88 89 90
John Culhane, Walt Disney’s Fantasia, S. 138. Vgl. 3.1 Der Weg zu Fantasia. Neal Gabler, Walt Disney, S. 310. Guido Heldt, Artikel Filmmusik. In: Heinz von Loesch und Claus Raab (Hg.), Das Beethoven-Lexikon. Laaber 2008, S. 242. „And that setting is at Mount Olympus, the abode of the gods. And here, first of all, we meet a group of fabulous creatures of the field and forest: Unicorns, fauns, Pegasus, the flying horse, and his entire family, the centaurs, those strange creatures that are half man and half horse, and their girlfriends, the centaurettes. Later on, we meet our old friend Bacchus, the god of wine, presiding over a bacchanal. The party is interrupted by a storm, and now we see Vulcan, forging thunderbolts and handing them over to the king of all the gods, Zeus, who plays darts with them. As the storm clears we see Iris, the goddess of the rainbow, and Apollo, driving his sun chariot across the sky. And then Morphius, the god of sleep, covers everything with his cloak of night as Diana, using the new moon as a bow, shoots an arrow of fire that spangles the sky with stars.“ 91 Beispielsweise gab es in den 1930er Jahren die Filmreihe „Baby Burlesk“ (1932/1933), in der kleine Kinder in Windeln die Hauptrollen spielten.
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6. Bilderballett: Musik und Bewegung
reits in den Silly Symphonies der späten 1930er Jahre tauchen propere Säuglinge auf, die in rosiger Nacktheit oder flauschigen Stramplern herumtollen, so z.B. in Water Babies (1935), Wynken, Blynken, and Nod (1938) und Merbabies (1938). Für Fantasia war zeitweise noch ein „Baby Ballet“ als Passage geplant, das mit einem Potpourri aus Händel, Mozart und Brahms unterlegt werden sollte.92 Die Pläne hierfür reichen bis in das Jahr 1943. In einer internen Notiz vom 9. Juli 1943 schreibt Bob Carr: „Our country’s great natural resources of bottomless Goo-Appeal have never been properly exploited. If audiences gurgle with glee at even a glimpse of a baby in a live-action picture, what would they do over a whole ballet of super-babies?“93
In seinem Buch über das amerikanische Filmmusical führt Rick Altman die Kombination eines kindlichen Hauptdarstellers mit einer Liebesgeschichte zwischen zwei heranreifenden oder erwachsenen Menschen als eine Marketingstrategie des damaligen Filmmusicals an, sowohl vorpubertäre Kinder als auch Jugendliche und Erwachsene ins Kino zu locken. Seine Beschreibung scheint hierbei genau auf die Paarung der Zentauren im zweiten Satz der Pastoral Symphony gemünzt zu sein: „Perhaps the most familiar method of matching a child-star with a couple-orientated film is the one borrowed from Roman mythology and perfected by Shirley Temple: have the moppet play the Cupid to a more mature pair.“94
Sowohl Taylor als auch Stokowski erklärten sich mit dem Wechsel zur Pastoral Symphony einverstanden,95 wenngleich Stokowski in einer Storykonferenz am 14. Juli 1939 die Verbindung zum eigentlichen Programm der Symphonie anmahnte: „I don’t want to come out of my field. I am only a musician, but think what you have there, the idea of great mythology, is not quite my idea of what this symphony is about. This is a nature symphony.“96
Wenige Wochen später wiederholte er seine Einwände: „If you are going to leave out the trees and the nature forms, you are going to leave out what it is.“97 Die Entscheidung, Beethovens vieldiskutierte Komposition als Begleitung einer Visualisierung zu nehmen, streute das Salz ausgerechnet in die offene Wunde, die das Scharmützel um Außer- und Innermusikalisches geschlagen hatte: „Es ist evident, dass einer um das Reinmusikalische bemühten Auffassung der Pastorale nichts so sehr zuwiderläuft wie eine visuelle Zutat nach Art von Walt Disney.“98
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Vgl. die Entwürfe in Charles Solomon, The Disney That Never Was. New York 1995, S. 147. Zitiert nach Charles Solomon, The Disney That Never Was, S. 151. Rick Altman, The American Film Musical. Bloomington 1987, S. 104. Vgl. 3.1 Der Weg zu Fantasia. Zitiert nach Robin Allan, Walt Disney and Europe, S. 145. Zitiert Neal Gabler, Walt Disney, S. 317. Albrecht Riethmüller, Landschaft in der Musik, Landschaft zur Musik. Beethovens Pastorale und Walt Disneys Fantasia. In: Freiburger Universitätsblätter, Heft 85 (Oktober 1984), S. 71.
6.4 Bacchanal auf dem Lande: The Pastoral Symphony
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Bereits im 19. und 20. Jahrhundert hatte es jedoch zahlreiche Aufführungen von Beethovens Musik mit Bildern gegeben, die entweder das musikalische Werk illustrieren oder die bildliche Komponente der Musik visualisieren sollten. Malerei, Pantomime, Tanz, Tableaux vivants und Vorformen des Films (z.B. Lichtbildprojektionen, Dioramen) wurden als Künste herangezogen, um die Musik zu bebildern und so für ein großes Publikum interessant zu machen. „Szenische Darstellungen zur Pastorale waren zwar besonders beliebt, aber auch andere Stücke Beethovens erfuhren theatrale Bebilderungen.“99 Auch in einer Aufführung der Sechsten Symphonie in London 1877 wurden „antikische Gegenden mit Tempelarchitekturen und Ruinen“ gezeigt, die der Vorstellung des Rezensenten von Beethovens Programm widersprachen.100 Die Pastoralsymphonie wurde außerdem in verschiedenen Filmen verwendet, so z.B. im verloren gegangenen englischen Stummfilm Pastorale von Alfred Lampel (1912) oder in Jean Delannoys filmischer Adaption der gleichnamigen Novelle von André Gide La symphonie pastorale (Und es ward Licht) von 1946.101 Auch in Ernö Rapées Encyclopedia of Music for Pictures aus dem Jahr 1925 wird der zweite Satz der Symphonie in den Rubriken „Birds“, „Pastorale“ und „Storm“ zur Begleitung von Stummfilmen empfohlen.102 Bruchstücke aus diesem Satz werden in der Frühzeit des Tonfilms dann auch in kompilierten Filmmusiken verwendet, z.B. in Rouben Mamoulians The Song of Songs (1933) mit Marlene Dietrich. Neben der Verwendung von Beethovens Sechster Symphonie, die weniger als 200 Jahre nach Ankunft der Mayflower und über dreißig Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung der USA in Europa entstanden ist, knüpft die Episode in ihren Bildern – mit den antiken Göttern und Fabelwesen sowie den „klassischen“ Architekturen und Landschaften – auch visuell an die europäische Kunstgeschichte an: Symmetrische Säulen, Tempel, Springbrunnen, Statuen, Treppchen und Pavillons bestimmen die idyllischen bzw. arkadischen Landschaftsmalereien des 18. und 19. Jahrhunderts sowie die klassizistische Gartenkunst.103 In der ehemaligen 99 Anno Mungen, „BilderMusik“. Panoramen, Tableaux Vivants und Lichtbilder als multimediale Darstellungsformen in Theater- und Musikaufführungen vom 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert. Remscheid 2006, S. 326. 100 Ebenda, S. 328. 101 Vgl. Anno Mungen, „BilderMusik“, S. 340. Beim erst genannten Film könnte es sich auch um den österreichischen Stummfilm Pastorale aus dem Jahr 1921 des Regisseurs Heinz Hanus handeln. Vgl. http://www.imdb.com/title/tt0131522/, 3. August 2009. 102 Ernö Rapée, Encyclopedia of Music for Pictures. New York 1925. Interessant ist auch, dass die Sechste, die Vierte und die Neunte Symphonie von Beethoven nicht in der Rubrik „Symphonies and Symphonic Movements“ auftauchen. 103 „Vielleicht ist es einer der womöglich gar nicht beabsichtigten Geniestreiche in Fantasia, dass man sich auf die bürgerliche… Ebene gar nicht eingelassen hat: Der Olymp, um den das Geschehen in Fantasia zentriert ist, wirft vielleicht ein getreueres Licht auf den Klassiker Beethoven und auf die Zeit des Klassizismus: Beethovens Zeit. In Fantasia wird mit dem Klassizismus ernst gemacht, wobei er sich von einer sehr heiteren und freundlichen – aus der Sicht der Musik möchte man sagen: fast Haydnschen – Seite zeigt, und dies passt wiederum zur Pastorale, die unter allen Beethovenschen Symphonien trotz des Gewitters die gelockertste und heiterste ist, obwohl die Qualität der Heiterkeit sonst gewiss nicht Beethovens hervor-
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Kolonie USA hatte lange Zeit der Blick nach Europa – speziell nach Großbritannien – bestimmt, was als Kunst gelten durfte. Waren die 1920er Jahre noch von Bestrebungen geprägt, durch eine eigenständige amerikanische Kunst glänzen zu können, hatte man zur Zeit von Fantasia weiter an kulturellem Selbstbewusstsein gewonnen, dass man sich losgelöst von der „Alten Welt“ eigenständig und ebenbürtig entwickelt hatte.104 Fantasia fiel quasi in die Übergangszeit eines gegenseitigen Kulturtransfers, übernahmen doch spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg die USA gegenüber Europa eine neue kulturelle Führungsrolle. Den Nabel der Kunstwelt stellten nicht länger europäische Städte dar: Wer auf der Höhe der Zeit sein wollte, musste jetzt nach New York kommen. Die amerikanische Populärkultur, insbesondere der Jazz, spielten hierbei musikalisch eine herausragende Rolle. Ihre Produkte wurden beispielsweise seit den 1920er Jahren in Deutschland mit großer Begeisterung wahrgenommen, insbesondere von Künstlern und Komponisten.105 In diesem transatlantischen Austausch wurden die amerikanischen Kunstwerke und -strömungen in einem „überraschend anmutenden Zusammenspiel zwischen NS-Propaganda und USPopkultur“106 von den Nationalsozialisten nutzbar gemacht: Zwar verbannten sie einerseits den amerikanischen Trickfilm aus den Kinos (wie den amerikanischen Jazz aus dem Rundfunk, der dann ebenfalls in eigene Propaganda übersetzt wurde), andererseits wollten sie aber nach Vorbild des Disney-Studios eine Trickfilmindustrie für Deutschland aufbauen.107 Mit der Anerkennung von Jazz und Film als Kunstform sowie einer „Ausweitung des Kulturbegriffs“108 in den USA, der nicht länger nur eine „Hochkultur“ bezeichnete, wurden die Ängste vor einer Amerikanisierung jedoch nicht geringer, insbesondere als die weitere wechselseitige Beeinflussung zwischen „High“ und
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stechendster Zug ist.“ Albrecht Riethmüller, Landschaft in der Musik, Landschaft zur Musik, S. 75f. Zur Suche nach einer „großen, amerikanischen Oper“ siehe 3.2 Leopold Stokowski und Deems Taylor. Vgl. auch Adelheid von Saldern, Selbstbild im Spiegel. Amerikanische Identität im Verhältnis zu Europa – die 1920er Jahre. In: Jakob Tanner und Angelika Linke (Hg.), Attraktion und Abwehr. Die Amerikanisierung der Alltagskultur in Europa. Köln 2006, S. 117–136. In seinem Vortrag Jazzing the Classics: Symptoms of an American Cultural Anxiety im Forschungskolloquium des Seminars für Musikwissenschaft der FU Berlin am 25. Mai 2009 zeigte Jed Rasula in Bezug auf Jazz, wie Europa seine Legitimität als Leitkultur in den Augen der amerikanischen Kritiker dadurch verlor, dass europäische Komponisten wie Krenek, Hindemith oder Strawinsky den Jazz in ihre Komposition aufnahmen. Achatz von Müller, Von Ludwig II. zu King Louie. Wie Walt Disney die Schatztruhe der Weltkultur plünderte – eine Ausstellung in München. In: Die Zeit. Nr. 39 (18. September 2008). Die Reaktionen bei der deutschen Erstaufführung in den 1950er Jahren – auf Fantasia im Allgemeinen und die Pastoralsymphonie im Speziellen – spiegeln die Vorbehalte gegenüber der Kultur einer Besatzungsmacht wider, die sich auch aus der asymmetrischen Beziehung beider Länder ergaben. Vgl. auch 3.6 Vom Misserfolg zum „Klassiker“. Adelheid von Saldern, Selbstbild im Spiegel, S. 128.
6.4 Bacchanal auf dem Lande: The Pastoral Symphony
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„Low“ hinzukam.109 Die Filme von Walt Disney sind paradigmatisch mit den Spannungsfeldern transatlantischer Interkulturalität verbunden, die häufig einseitig unter dem Stichwort Disneyfizierung in unterschiedlichen Kontexten diskutiert werden.110 Vergessen wird in dieser Diskussion häufig, dass Disney nicht nur großen Einfluss auf die globale Kultur hatte, sondern umgekehrt eine Art „Gedächtnisschatz […] in Sachen europäischer Kunst“ darstellt.111 Auch andere Filme der 1930er Jahre entnahmen Dekor und Figuren aus der klassischen Antike bzw. dem Klassizismus, so z.B. A Midsummer Night's Dream (1935), The Goldwyn Follies (1938) oder das Broadway Musical By Jupiter (1942) von Lorenz Hart und Richard Rodgers. Die in Fantasia präsentierte Version der Antike ist ein mehrfacher Rückgriff, der sich u.a. aus zeitgenössischen Filmen sowie historistischen bzw. klassizistischen Strömungen der Kunstgeschichte speist. Wenn heute Disneys „Nine Old Men“ als „Raffaels oder Michelangelos der Vereinigten Staaten“ geehrt werden,112 scheint zumindest die Grenze zwischen „High“ und „Low“ überwunden zu sein. Der Vergleich zeigt jedoch auch, dass – trotz der in anderen Kontexten angeführten gemeinsamen „westlichen“ Kultur – weiterhin bei Bedarf die Unterscheidung zwischen Europa und den USA herangezogen wird. Beethovens Symphonie wurde für Fantasia stark gekürzt, so dass die Episode statt etwa 40 Minuten nur 20 Minuten dauert.113 Neben vielen kleineren Streichungen von wenigen Takten werden ganze Formteile ausgelassen. Bereits vom 109 Vgl. dazu Michael Böhler, High und Low. Zur transatlantischen Zirkulation von kulturellem Kapital. In: Jakob Tanner und Angelika Linke (Hg.), Attraktion und Abwehr, S. 69–93. Auch heute wird in Bezug auf die zeitgenössische Kunst und Musik immer wieder diskutiert, ob sich die künstlerische Avantgarde eher aus der so genannten populären oder ernsten Kunst speist. 110 Disneyfizierung ist sowohl ein Begriff aus dem Städtebau als auch eine meist abwertende Bezeichnung für den Prozess, wie etwas vermeintlich Europäisches in etwas Amerikanisches umgewandelt wird. Unter der so genannten Amerikanisierung versteht man „ein Phänomen, bei dem kognitive wie materiale Elemente amerikanischer Kultur als komplette ‚readymades‘ übernommen, noch häufiger aber nur als Vorlage oder aber als auslösender ‚Trigger‘ in europäischen Zusammenhängen positiv gemacht werden.“ Jakob Tanner und Angelika Linke, Einleitung. Amerika als „gigantischer Bildschirm Europas“. In: Dieselben (Hg.), Attraktion und Abwehr, S. 19. 111 Achatz von Müller, Von Ludwig II. zu King Louie. 112 Zu den „Nine Old Men“ gehören die Animatoren, die bereits seit den 1930er Jahren bei Disney arbeiteten, nämlich Les Clark (1907–1979), Ollie Johnston (1912–2008), Frank Thomas (1912–2004), John Lounsbery (1911–1976), Ward Kimball (1914–2002), Milt Kahl (1909– 1987), Marc Davis (1913–2000), Wolfgang Reitherman (1909–1985) und Eric Larson (1905– 1988). Vgl. Interview mit Andreas Deja, der heute als Animator bei Disney angestellt ist. Andreas Platthaus, Was reizt Sie an Disneys Tigern, Herr Deja? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Dezember 2009, Z 6 (Bilder und Zeiten). 113 In Bezug auf Miloš Formans Film Amadeus (1984) schreibt Jeongwon Joe: „When music has to compete with a popular cultural product such as film rather than other areas of high art such as poetry, the competition becomes highly ideological. Horowitz’s advocacy of musical integrity, then, is not only an aesthetic but an ideological statement. The criticism of the alteration of the original music in Disney’s Fantasia … is embedded in the same ideology.“ Jeongwon Joe, Reconsidering Amadeus: Mozart as Film Music. In: Phil Powri und Robynn Stilwell (Hg.), Changing Tunes: The Use of Pre-existing Music in Film. Hants 2006, S. 72.
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6. Bilderballett: Musik und Bewegung
ersten Satz Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande wurde nicht nur die Wiederholung der Exposition,114 sondern die komplette Durchführung und Reprise gekürzt. Ähnlich ergeht es dem zweiten Satz Szene am Bach, wo bereits vor dem Seitensatz gekürzt wurde und erst mit der Reprise fortgesetzt wird. Bis auf einige wenige Takte ungekürzt bleibt der dritte Satz Lustiges Zusammensein der Landleute. Der vierte Satz Gewitter, Sturm hingegen erklingt vollständig. Kräftig gerafft wiederum wurde der fünfte Satz Hirtengesang. Frohe, dankbare Gefühle nach dem Sturm, indem bereits nach der ersten Wiederholung des Hauptthemas mitten in die Reprise dieses Themas bei Takt 144 gesprungen sowie der Beginn der Coda bei Takt 177 weggelassen und direkt in dessen Variation bei Takt 206 geschnitten wird. Disney übernimmt die Einteilung der Symphonie – nach den Überschriften – in fünf Sätze, wobei die letzten drei auch im Film direkt ineinander übergehen: Während die ersten drei Sätze durch klare Szenenwechsel und unterschiedlich geartete Natur-Vorhänge voneinander abgetrennt sind, wird der meteorologische Umschwung des vierten Satzes als Eindunklung bzw. Aufhellung der Szene gestaltet. Der erste Satz eröffnet mit dem Blick auf den Olymp. Die Kamera verharrt über das einleitende Thema hinaus bei dieser statischen Momentaufnahme, bevor sie bei Takt 12 gemächlich in die Landschaft zum Fuß des Bergs fährt. Zum Crescendo des Orchesters jagt eine Gruppe possierlicher Einhörner heran, die sich zum Diminuendo wieder kurz entfernen. Nacheinander erscheinen sie zu dem durch die Stimmen wandernden Auftaktsmotiv wieder auf einem Hügel. Von dort erblicken sie einen kleinen Faun, der zum Wiederbeginn des ersten Themas in der Oboe bei Takt 29 als Solist in seinen Phantasie-Aulos bläst. Zum Tutti wenige Takte später treten weitere Kollegen mit Doppelrohrflöten hinzu, die munter musizierend über den rosa blühenden Hang hüpfen. Ergaben sich bisher Verbindungen von Musik und Bild über Mickeymousing (Annähern und Entfernen als Crescendo und Diminuendo, Zuordnung von Instrumentenbild und -klang, Wechsel zwischen Einzelnem und Gruppe als Solo und Tutti), lösen sich beide beim Tuttieinsatz ab Takt 37 voneinander: Ähnlich wie die Kamera das fröhliche Miteinander der Einhörner und Faune nun vorwiegend aus der Distanz bzw. aus der Totalen zeigt, scheint sich die Musik zu einer distanzierten Haltung aufzuschwingen, so dass sie nicht länger unmittelbar Teil des Geschehens, sondern Beobachter ist. Erst mit der modulierenden Überleitung zum zweiten Thema wechselt die Kamera wieder in die Halbtotale und die Musik ins Solistische: Zum Spiel der ersten Geigen und einiger Bläser amüsiert sich das Einhorn mit dem Faun, der seinen Freund mit den Rufen der triolischen Bläserakkorde von Klarinette, Fagott und Horn (Takt 57) foppt.115 114 Auf die Wiederholung der Exposition zu verzichten, war in Konzerten um 1940 üblich. 115 Das Bild des Flöte spielenden Fauns wird mit unterschiedlichem Instrumentenklang gepaart: Auch die triolischen Bläserakkorde von Klarinette, Fagott und Horn (Takt 57) oder die sanfte Flötenmelodie vor Satzende (Takt 498) werden als Musizieren im Bild umgesetzt. Wie die Zuordnung einer Visualisierung zu einem bestimmten Instrument wird auch die zu einem bestimmten Motiv frei gehandhabt: So verhallt die dritte Wiederholung der Akkordtriolen in Takt 63, ohne dass der Faun im Bild dazu kommt, synchron einen Ton von sich zu geben.
6.4 Bacchanal auf dem Lande: The Pastoral Symphony
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Mit dem zweiten Thema bei Takt 67 wechselt die Kamera zur PegasusFamilie, die elegant durch die Lüfte segelt und – den Vögeln auch hierin gleich – im Nest haust.116 Das jüngste Pferdchen, ein Rappe wie sein Vater, erhält seine Sonderstellung auch, indem im Mickeymousing seine Geschichte als tapsiges Nesthäkchen der Familie erzählt wird: Unsanft landet er nach seinen Flugversuchen vor einer Generalpause auf dem subdominantischen Forteakzent (Takt 96 und 103), bevor ihm zum Epilog mit Hilfe seiner Mutter das Fliegen endlich gelingt. Hindernisse unterbrechen auch immer wieder die sonst so regelmäßigen Bewegungen der Pegasus-Familie, sowohl beim Fliegen als auch beim Schwimmen. Die kleingliedrigen Motive werden zur Illustration der Bewegungen umgedeutet: Das plötzlich akzentuierte Achtel-Motiv vor der Durchführung begleitet den eleganten Sprung über die Wolke, zum energischen Fortebeginn der Coda brechen die Pegasus-Eltern selbstbewusst wieder aus der Wolke hervor. Der musikalische Fluss wird von der Landung weiterer fliegender Pferde unterbrochen, die – ähnlich wie kurz darauf die kleinen Pegasusse – auf den akkordischen Schläge des Orchesters im Wasser landen. Auch für andere Passagen von Fantasia wurden immer wieder Bewegungen in der Luft oder im Wasser für die Visualisierung der Musik herangezogen: In The Nutcracker Suite bewegen sich die Feen fliegend und die arabischen Haremsfische schwimmend voran, in The Sorcerer’s Apprentice gerät Mickey Mouse in den Sog des Wasserstrudels, im Rite of Spring tummeln sich die Einzeller in den Meeren und im Dance of the Hours schweben die Elefanten durch die Lüfte. Die veränderte physikalische Umgebung erlaubt es, einerseits das Tempo der Bewegungen dem der Musik anzupassen, andererseits den musikalischen Fluss in kontinuierliche und regelmäßige Bewegungsabläufe zu übersetzen.117 Wird dieser durchbrochen, muss sich auch die Bewegung verändern: Zur sich kontinuierlich entwickelnde Klarinettenmelodie bei Takt 476 segeln die Pegasus-Jungen durch die Luft, während die Tuttischläge des vollen Orchesters der Bewegung ein Ende setzen und den Aufprall auf dem Wasser markieren. Während in The Pastoral Symphony auf der Erde getanzt, musiziert und posiert wird, ziehen die gezeichneten Figuren mit gleitenden Bewegungen schwimmend durchs Wasser oder fliegend durch die Luft. Indem Fantasia die Möglichkeiten des Films ausnutzt und sich im Unterschied zur Bühne nicht auf einen Raum beschränken muss, können für die Bewegungen in der Luft oder Unterwasser eigene physikalische Gesetze gelten. Die veränderte Umgebung erlaubt es den Phantasiewesen, sich auf neue Weise fortzubewegen und die Bewegungsabläufe anders zu gestalten. Hinzu kommt die Freiheit des Animationsfilms, dass die Gesetze der Natur nicht nur nachgeahmt, sondern auch plausibel erfunden werden können: Wie ein Pegasus fliegt, ein Zentaur läuft oder sich die Götter fortbewegen, ist eine Frage der Phantasie. Erhalten bleibt, dass die Bewegungen regelmäßig und periodisch sind, d.h. sich wiederholen. Im Mickeymousing würde die 116 Nichtsdestotrotz säugt Mutter Pegasus ihre Nachkommen. 117 Vgl. auch 4. Illustration, Assoziation, Visualisierung: Toccata and Fugue in D minor.
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6. Bilderballett: Musik und Bewegung
Wiederholung einer audiovisuell hervorgehobenen Bewegung dessen Witz nehmen, so dass eher musikalische „Unregelmäßigkeiten“ wie z.B. Akzente auf diese Art visualisiert werden. Im Unterschied dazu können beim Wechsel in eine andere physikalische Umgebung die Regelmäßigkeiten des musikalischen Flusses umgesetzt und die Bewegungen in Tempo und Ablauf daran angepasst werden. Mikkeymousing und Tanz sind also nur zwei Optionen, die Bewegungen anhand der vorgegebenen Musik zu ordnen: Tempo, Rhythmus und Verlauf der Bewegungsabläufe können auch durch den Wechsel in eine andere Umgebung auf die Musik abgestimmt werden, wobei hier Kontinuität und Regelmäßigkeit der Bewegungen betont werden. Zum Ende des ersten Satzes erklingt das Hauptthema des Anfangs noch einmal in den Violinen. Die Kamera schwenkt vom Pegasus-Schwarm, der sich erwartungsfroh versammelt hat, weg zum Ufer.118 Auf einem Fels sitzend wiederholt ein Faun auf seiner Flöte die letzten Takte der Melodie, die er von der nichtdiegetischen Musik aufzugreifen scheint. Leise übernehmen Klarinette und Oboe das Schlussmotiv, während zu einer Blüte geschnitten wird, die auf dem Fluss treibt. Das volle Orchester wiederholt die aufsteigende Achtelkette und bestätigt den Schluss des ersten Satzes zunächst im lauten Sforzato, um dann im versöhnlichen Piano friedlich zu enden. Stokowskis mahnender Ausruf „This is a nature symphony!“ scheint hier seine Wirkung zu zeigen: Fünf Einstellungen majestätischer Wasserfälle sind auf die mächtigen Tuttiakkorde geschnitten, bevor die Kamera aus der Totalen in die Nahaufnahme mehrerer exotischer Blüten und dann ins Black ausblendet.119 Als Regieanweisung wörtlich genommen wurde Beethovens zweite Satzüberschrift „Szene am Bach“: Zu den gedämpften Klängen der zwei Celli schwenkt die Kamera zu einem Weiher, der versteckt im Schatten des Waldes liegt. Hier erspäht sie friedlich badende Mädchen, so genannte „Freddy-Moore-Girls“,120 die sich scheinbar unbeobachtet im kühlen Nass räkeln. Mit Beginn der GeigenKantilene ab Takt 5 fokussiert die Kamera auf eine der Schönen, die sich beim Verlassen des Wassers als weiblicher Zentaur entpuppt.121 Am Uferrand lassen sich die so genannten Zentauretten von hilfreichen Cupidos verschönern, die ihnen den Schweif kämmen oder die Lippen kirschrot bemalen. In der Version von 1940 half noch eine kleine schwarze Zentaurette namens „Sunflower“ mit, ihre „Herrin“ herauszuputzen, und brachte später deren Laufsteg-Auftritt durcheinan-
118 Auf was sie warten, erfährt man nicht. In der Ausrichtung der Pferde auf ein gemeinsames Zentrum erinnert die Szene an die letzte Episode von Fantasia, wenn die Pilger in einer schier endlosen Schlange zur Kathedrale ziehen. 119 Vgl. auch die Montage verschiedener Naturszenen in Max Reinhardts A Midsummer Night’s Dream (1935), Ingmar Bergmans Trollflöjten (1974) und Woody Allens A Midsummer Night’s Sex Comedy (1982). 120 So hießen die gezeichneten Pin-Up-Girls aus der Feder des Animators Freddy Moore, die im Studio zirkulierten und denen die Zentauretten ähneln. 121 In der griechischen Mythologie kommen bereits weibliche Zentauren vor, z.B. Hylonome.
6.4 Bacchanal auf dem Lande: The Pastoral Symphony
175
der.122 Ihre Darstellung entsprach der rassistischen Tradition, schwarze Kinder als „picaninny“ zu karikieren: „Picaninnies had bulging eyes, unkempt hair, red lips, and wide mouths into which they stuffed huge slices of watermelon.“123 Erst bei der Wiederaufnahme des Films 1968 war Sunflower verschwunden. Bis heute erhalten blieben die zwei schwarzen Zentauretten mit Zebra-Beinen, die im dritten Satz Bacchus Luft zuwedeln und mit Wein bedienen. Möglicherweise entschloss man sich, diese beiden Dienerinnen im Kontext einer ohnehin stereotypen Darstellung von Männern und Frauen zu tolerieren.124 Repetierende Sechzehntel kündigen leise aus der Ferne zunächst akustisch die sich nähernden Jungzentauren an.125 Mit dem Wechsel des Motivs aus den Streichern zu Hörnern und Klarinetten offenbart das Bild, dass die Klänge von deren Anführer produziert wurden, der seine Kameraden mit dem Horn heranruft. Bevor jedoch Zentauren und Zentauretten endlich aufeinander losgelassen werden und sich – nahezu ausnahmslos nach Fellfarbe – paaren können, legen die Mädchen mit der Reprise noch die aktuelle Hutmode an, spähen sehnsuchtsvoll durch den Vorhang und posieren auf dem Laufsteg.126 Die beiden allein gebliebenen Kandidaten werden von drei Liebesgöttern zu den berühmten Vogellauten von Nachtigall, Wachtel und Kuckuck (in Flöte, Oboe und Klarinette) zueinander geführt: Die drei Putten imitieren gestisch das Musizieren, indem sie einerseits die einzelnen Ansätze der solistischen Flötenmelodie untereinander zu einem Trio aufteilen, andererseits den Rückstoß der für das Blasinstrument notwendigen Atemluft in Bewegungen umsetzen. Zum Epilog lässt sich auch dieses Paar glücklich vereint zum Tête-à-tête in einem kleinen Pavillon nieder, bevor die Liebesgötter den Vorhang über die Szene schließen. Auch der dritte Satz wird mit dem Blick auf eine Art Wasserfall – hier ein sprudelndes Weinfass – eröffnet. Das Lustige Zusammensein der Landleute, einer
122 Die ungekürzte Fassung lässt sich finden auf: http://www.youtube.com/watch?v=WPKpFNm3QMM, 29. Juli 2010. 123 Vgl. David Pilgrim, The Picaninny Caricature. In: http://www.ferris.edu/jimcrow/picaninny/, 21. Dezember 2009. Vgl. auch 1.2 Disney als moralisches Aushängeschild Hollywoods. 124 Im Dezember 2009 kam – nach einer chinesischen (Mulan), indianischen (Pocahontas) und arabischen (Aladdin) Heldin – die erste afroamerikanische Hauptdarstellerin eines DisneyFilms in die Kinos. Die Darstellung von Prinzessin Tiana in The Princess and the Frog (2009) wurde bereits vorab heftig diskutiert. Vgl. Tobias Kniebe, Konditionierung im Kinderzimmer. In: Süddeutsche Zeitung, 4. Juni 2009, S. 16. 125 „The idealisation of the purely Germanic in Nazi art is a parallel that is worth making historically; the war with Germany was still three years away, and the influence of nineteenth century academic art, in particular from Germany, is, as was the case with Snow White and the Seven Dwarfs, demonstrable.“ Robin Allan, Walt Disney and Europe, S. 140. 126 „The studio struggled to accommodate Beethoven by a mixture of reliance on the graphic conventions of the Silly Symphonies and by an appeal to a mass audience that would identify the contemporary references to fashion and to sexual stereotyping in the centaurs and centaurettes, while at the same time attempting to match the lyricism of the music in the landscapes.“ Robin Allan, Walt Disney and Europe, S. 149.
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6. Bilderballett: Musik und Bewegung
„regelrechte Bewegungsabbildung des Tanzes und tanzender Gruppen“127, beginnt im 3/4-Takt. Zu Beginn des Satzes stimmt die Montage der Einstellungen genau mit den zunächst sechzehn- bzw. achttaktigen Gruppierungen der Musik überein. Erst mit dem „irregulären, drängenden Sechstakter“128 (Takt 53–58) wird auch visuell die Regelmäßigkeit durchbrochen. Nach den Vorbereitungen des Fests zum ersten Teil des Tanzsatzes finden zum Trio der Einzug und die Inthronisierung des Bacchus, dem vermeintlichen Ehrengast des Festes, statt. Kündigten die Hornsignale die Ankunft des Bacchus und seiner Entourage noch würdevoll an, wird das unbeholfene Oboenthema des Trios dazu verwendet, die Lächerlichkeit dieser Figur hervorzuheben. Wie die kammermusikalische Verwendung von Oboe, Fagott und Klarinette erscheinen auch Bacchus und der Esel – sein Gefährt und Gefährte – als Außenstehende gegenüber der Gemeinschaft der anderen. Das eigentliche Fest beginnt mit dem schnellen 2/4-Teil In tempo d’Allegro, einem „Tanzfinale“ oder verfrühten Finale.129 Hier wechselt mit dem Einsatz der Streicher die Ansicht zu den tanzenden Zentauren, die ausgelassen und in immer wilderen Sprüngen den Tanzboden umrunden. Die ungezügelte Stimmung des Satzes – immer knapp dabei, von der Heiterkeit zur Ausschweifung abzukippen – kulminiert in der Hemmungslosigkeit und Unkontrolliertheit des trunkenen und wollüstigen Bacchus, dem – in seiner Andersartigkeit zu den uniformen Zentauren – als Partner der Esel zur Seite gestellt wird. Die grazilen und kultivierten Bewegungen der Zentauren, die an Tanzfiguren des Gesellschaftstanzes erinnern, bilden einen Kontrast zur dargestellten Derbheit und der „stampfenden Wucht“130 der Musik. Nach der ironischen gegenseitigen Ehrerbietung zu den ausgehaltenen Tönen in Trompete und ersten Geigen nehmen die Zentauretten ihren Spott wieder auf und locken den nun völlig betrunkenen Bacchus, erneut ein Tänzchen mit ihnen zu wagen. Während ihre Neckereien den „gelungenen“ Wiederholungen des ersten Teils zugeordnet sind, wird die „missglückte“ Wiederkehr der zweiten Hälfte des Themas mit Bacchus gescheiterten Versuchen visualisiert, den Tanz wieder aufzunehmen. In diese Wiederaufnahme des braveren Anfangstanzes bricht in der rasenden Geschwindigkeit des Presto erneut die Tanzwut hervor, die nur durch den plötzlichen Abbruch des Satzes durch das herannahende Unwetter aufgehalten wird. Bacchus versucht verzweifelt, noch eine der Neckenden zu fangen. Er erwischt jedoch bloß den verblüfften Esel, den er zu den lachenden Hornsignalen herzhaft küsst. Das herannahende Gewitter unterbricht die Tollerei und rettet Bacchus vor weiterem Spott. Die zahlreichen Geräuscheffekte des vierten Satzes Gewitter, Sturm boten den Künstlern des Disney-Studios ausreichend Gelegenheit, Schmiedehämmer, Blitze
127 Wolfram Steinbeck, 6. Symphonie op. 68. In: Albrecht Riethmüller, Carl Dahlhaus, Alexander L. Ringer (Hg.), Beethoven. Interpretationen seiner Werke. Band 1. Laaber 1994, S. 510. 128 Rudolf Bockholdt, Ludwig van Beethoven: VI. Symphonie F-Dur op. 68 Pastorale. München 1981, S. 48. 129 Ebenda, S. 44f. 130 Rudolf Bockholdt, Ludwig van Beethoven: VI. Symphonie, S. 49.
6.4 Bacchanal auf dem Lande: The Pastoral Symphony
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und Windböen audiovisuell als Mickeymousing niederfahren zu lassen.131 Zum ersten Mal in der Symphonie erklingt in diesem Satz die Pauke. Ihr Einsatz markiert meist das Auftreffen einer Bewegung, obwohl ihr Akzent eigentlich musikalisch den Anfang – und nicht den Endpunkt – einer musikalischen Figur (z.B. der Schmiedeschläge bei Takt 35, 37 und 41 oder die Blitzeinschläge bei Takt 52f.) akzentuiert. Die rollende Sechzehntelbewegung im Bass bei Takt 41 und 45 begleitet den Wurf der Blitze von Vulcanus zu Zeus, der sie zum plötzlichen Paukenschlag des so genannten Blitz-Motivs bei Takt 43 und 47 auffängt. Das Sturmheulen bei Takt 95 und der Wiederholung bei Takt 99 wird als Windgott Äolus personifiziert, der zum chromatischen Gang der Violinen durch die Lüfte fegt. Die verängstigt klagenden Einwürfe der Klarinette (Takt 66-68) werden einem kleinen Einhorn in den Mund gelegt, das verzweifelt nach Hilfe blökt. Auf dem Höhepunkt des Gewitters bei Takt 106 zerbirst das Weinfass und wie die musikalische Spannung entlädt sich sein alkoholischer Inhalt. Mit den letzten Paukenschlägen des Satzes und der Symphonie fallen auch die letzten Blitze (Takt 137, 139, 141 und 143), bevor Zeus seine Flipflops von den Füßen streift und sich wieder zur Ruhe legt. Das Happyend oder „Lieto fine“ erfüllt sich im fünften Satz Hirtengesang. Frohe, dankbare Gefühle nach dem Sturm. Mit dem glücklichen Ausgang des Gewitters wagen sich die bunten Geschöpfe wieder aus dem Unterschlupf hervor und genießen den abendlichen Frieden: Die Faune und Einhörner plantschen in den Pfützen, die Liebesgötter und Pegasus-Kinder tauchen durch den Regenbogen, Bacchus genehmigt sich ein weiteres Glas Wein und die Zentauren-Paare blicken in den Sonnenuntergang. Über allem wachen die Götter: zuerst Iris, die ihren Regenbogen zwischen Erdbewohnern und Götterwelt spannt, dann Helios oder Apoll, der seinen Sonnenwagen über den Himmel lenkt, schließlich ein weiblicher Morpheus, der die Erde mit seinem Mantel in Dunkelheit hüllt, und Diana, die mit der silberglänzenden Mondsichel als Bogen den Abendstern über den Himmel sausen lässt.132 Waren die Tiere zunächst den Launen von Zeus und Vulkan auf bedrohliche Weise ausgesetzt, herrscht nun Einvernehmen zwischen Göttern und Erdbewohnern. Die Welt, die durch den „Exzess“ des dritten Satzes – Tanz, Trunksucht und ausschweifender Spott – und der göttlichen Strafe des vierten Satzes – dem Gewitter – aus dem Lot geraten war, ist wieder versöhnt, der Kreis zum ersten Satz wieder geschlossen.
131 Erfahrung mit der audiovisuellen Darstellung eines Sturms zu präexistenter Musik hatte das Disney-Studio bereits 1935 mit The Band Concert sammeln können. 132 Auch in der Strichfassung von Fantasia bleibt das Wiederkehrende der Rondoform des fünften Satzes erhalten, wobei sich solistische und orchestrale Passagen abwechseln. Diese in der Klangfülle sehr kontrastreiche Instrumentierung wird visuell häufig als Wechsel von Einstellungen wiedergegeben, in denen eine Gruppe in der Totalen zu sehen ist, und Einstellungen, in denen einzelne Kreaturen beobachtet werden.
7. DAS ENDE: NIGHT ON BALD MOUNTAIN UND AVE MARIA Den Schluss von Fantasia bilden die zwei Kompositionen Night on Bald Mountain und Ave Maria, die direkt ineinander übergehen. Der Film bringt hier noch einmal etwas völlig Neues: Für die abschließenden und zuletzt entstandenen Episoden verlässt Fantasia das Konzertformat und verwendet zum ersten Mal Vokalstimmen. Darüber hinaus stellen die beiden Episoden explizit den Kampf zwischen dem Profanen und dem Sakralen („the struggle between the profane and the sacred“) in den Mittelpunkt. Bezieht sich das Begriffspaar profan – sakral zunächst ganz allgemein auf die Unterscheidung zwischen Weltlichem und Geistlichem, wird es hier fast synonym mit dem Bösen und dem Guten gleichgesetzt.1 Im Folgenden soll zunächst gezeigt werden, wie das Profane und das Sakrale einander als Dualismus szenisch und musikalisch gegenübergestellt werden. Im Anschluss soll untersucht werden, inwiefern das Konzertformat aufgegeben wird und welche ästhetischen und ideologischen Gründe es dafür geben kann. Darauf bauen Überlegungen zur Großform von Fantasia und dem Wechsel zwischen zwei Erzählebenen des „Concert Features“ auf. 7.1 DAS PROFANE UND DAS HEILIGE Der Plot der beiden Episoden Night on Bald Mountain und Ave Maria lässt sich schnell zusammenfassen: Nachts verwandelt sich der Berg Chernobog zu einem übergroßen Dämon, der die Seelen der Toten und Lebenden eines kleinen mittelalterlichen Städtchens entschweben lässt und in seinem Inneren mit Höllenqualen peinigt.2 Um Mitternacht beenden die Kirchenglocken den nächtlichen Spuk: Die geplagten Seelen kehren zurück zu ihren Ruhestätten, und der Dämon verwandelt sich wieder in einen Berg. Mit dem Ave Maria ziehen in der Morgendämmerung Pilger zu einer abgelegenen Kathedrale und preisen Maria, bevor die Sonne aufgeht und ein neuer Tag beginnt. 1 2
Walt Disney beschrieb das Konzept für die letzten beiden „Nummern“ von Fantasia so: „We are portraying good and evil.“ Zitiert nach Neal Gabler, Walt Disney. The Triumph of the American Imagination. New York 2006, S. 339. Das Personal dieser Hexennacht mit Hexen, Geistern und anderen teuflischen Kreaturen orientierte sich dabei einerseits an der slawischen Mythologie und deren „schwarzem Gott“ Chernobog, andererseits an christlichen bzw. im Christentum aufgefangenen Personifikationen des Bösen. Aber auch andere Mythologien flossen ein: Die toten Ritter oder Könige auf ihren Pferden erinnern an das nordische Walhall, darüber hinaus treiben heidnische Kreaturen wie reitende Hexen, geflügelte Furien, Gespenster und hässliche Mischwesen in der Walpurgisnacht ihr Unwesen. Walt Disney hatte außerdem die Idee, einen Teufel Geige oder Orgel spielen zu lassen. Vgl. Neal Gabler, Walt Disney, S. 310.
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7. Das Ende: Night on Bald Mountain und Ave Maria
Deems Taylor kündigt die beiden Kompositionen gemeinsam bei seinem letzten Auftritt in Fantasia an: „The last number in our Fantasia program is a combination of two pieces of music so utterly different in construction and mood that they set each other off perfectly…Musically and dramatically, we have here a picture of the struggle between the profane and the sacred.“
Auch das Programmheft weist auf die gegensätzliche Aussage und Wirkung der zwei Kompositionen hin: Mit dem Ave Maria solle sich der Zuschauer vom Schock „of Mussorgsky’s malignant music and its grim visualization“ erholen.3 Bisher hatten in Fantasia moralische Fragen eine untergeordnete Rolle gespielt und tauchten vornehmlich in den Episoden selbst auf: In The Sorcerer’s Apprentice verhält sich Mickey Mouse gegen die Regeln seines Meisters und missbraucht die Zauberkunst, wodurch das Chaos ausbricht. Im Rite of Spring tötet ein Tier ein anderes, was als Aggression gegen ein unschuldiges Wesen dargestellt und bereits in der Anmoderation als die Tat eines „gemeinen Mörders”4 angekündigt wird. In The Pastoral Symphony setzen die Götter dem fröhlichen und dionysischen Treiben der Erdbewohner ein Ende, indem sie ein Gewitter auf sie loslassen. In Dance of the Hours wird der Einfall der Krokodile zunächst als amourös bzw. sexuell motivierter Angriff gezeigt, der letztendlich ebenfalls im Chaos des Finales endet.5 In seiner Moderation zu all diesen Episoden erörtert Taylor in erster Linie den Grundsatz von Fantasia, dass es „drei Arten von Musik“ gibt, und er thematisiert die ästhetische Frage, wie sich die folgenden Bilder zur Musik in der jeweiligen Episode verhalten. Inspiration für den nächtlichen Spuk einer Walpurgisnacht bot das mit der Nacht auf dem Kahlen Berge assoziierte Programm, das Modest Petroviþ Mussorgsky (1839–1881) in einem Brief an Rimsky-Korsakow beschrieb. Am 5. Juli 1867 berichtet Mussorgsky von der Fertigstellung der Komposition, einem musikalischen Bild „folgenden Inhalts: 1. Versammlung der Hexen, ihr Klatsch und Tratsch, 2. Der Zug des Satans, 3. Heidnische Verherrlichung des Satans und 3
4 5
Zitiert nach John Culhane, Walt Disney’s Fantasia. New York 1983, S. 198. Als „bösartig“ wird hier eine Musik bezeichnet, die „das Böse“ (Walpurgisnacht, Hexen, Satan) musikalisch darstellt und dementsprechend visualisiert wurde. Im Unterschied dazu wird in einigen Silly Symphonies eine bestimmte Musik bzw. Musikrichtung mit dem „Bösen“ in Verbindung gebracht und – gleichwohl augenzwinkernd – als „böse“ visualisiert. In der Silly Symphony The Goddess of Spring (1934) beispielsweise wird in der Hölle, wohin deren Herrscher Hades die Frühlingsgöttin Persephone verschleppt hat, mit der jazzigen Cotton-Club-Nummer „Hi-dey Hades“ gefeiert, während auf der Erde Symphonieorchester, Tenor und Chor eine Art Ballade musizieren. Einerseits wird der Jazz hier mit dem personifizierten Bösen in Verbindung gebracht, andererseits durch seine Verwendung überhaupt in diesem und ähnlichen Cartoons ästhetisch gut geheißen. Während die Musik in The Goddess of Spring jedoch suggeriert, dass die Unterwelt ein durchaus unterhaltsamer Fleck ist, kennzeichnet Night on Bald Mountain die Hölle eindeutig als Ort, an dem man nicht sein möchte. „However, there were bullies and gangsters among them. The worst of the lot, a brute named Tyrannosaurus Rex, was probably the meanest killer that ever roamed the earth.“ In allen Fällen war es die vermeintlich „menschliche“ Natur der animierten Figuren, die zu einem Fehlverhalten – Übermut, Mord, Rausch und Wollust – führte, das umgehend bestraft wird.
7.1 Das Profane und das Heilige
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4. Hexensabbat.“6 Diese anschaulichen Angaben wurden in Fantasia nicht genau umgesetzt, aber die einsätzige Form und das vorgeschlagene Sujet kamen den Zeichnern entgegen. Bereits 1933 hatten Alexander Alexeieff und Claire Parker die Bearbeitung von Rimsky-Korsakow als Grundlage für ihren Animationsfilm Une nuit sur le mont chauve gewählt.7 Außerdem wurde die Komposition in der Szene des Wizard of Oz (1939) verwendet, in der das Farmermädchen Dorothy von der Bösen Hexe in ihrer Burg gefangen gehalten wird. Aber auch die Silly Symphonies waren immer wieder hinab in die Unterwelt gestiegen, so z.B. in Hell’s Bells (1929) oder The Goddess of Spring (1934). In letzterer findet sich auch der bei Disney häufig thematisierte Konflikt zwischen „populärer“ und „elitärer“ Musik wieder, wobei es den Bewohnern des Hades vorbehalten ist, schwungvolle Gospels zu schmettern.8 Das im Deutschen unter dem Titel Nacht auf dem Kahlen Berge bekannte Werk hat eine lebendige Be- und Verarbeitungsgeschichte, an der verschiedene Autoren beteiligt waren. Die Komposition Ivanova noþ’ na Lysoj gore (Johannisnacht auf dem Kahlen Berge) war das erste selbständige Orchesterwerk von Mussorgsky, das jedoch zu Lebzeiten des Komponisten unaufgeführt blieb.9 Neben dieser vollendeten Fassung von 1866/67 existieren zwei weitere unvollständige Versionen mit Chor für die gemeinsam mit anderen komponierte Ballettoper Mlada von 1872 und die Oper Soroþinskaja jarmarka (Der Jahrmarkt von Sorotschinzy) von 1880. Nikolaj Rimsky-Korsakow fertigte nach dem Tod seines Kollegen auf der Grundlage der vorhandenen Fassung und unter Zufügung von Teilen der Jahrmarkt-Version eine Bearbeitung für Orchester – „ein im Grunde völlig neues Werk“10 – an und verhalf dem Werk schnell zu seiner noch heute vorhandenen Bekanntheit (1886). Leopold Stokowski orientierte sich bei seiner Bearbeitung an der Vorlage von Rimsky-Korsakow, von der er z.B. auch die Instrumentation mit Glocke und das versöhnliche Ende mit Harfenarpeggien übernahm.11 6
Modest Mussorgsky, Briefe. Aus dem Russischen übertragen und übersetzt von Dieter Lehmann unter Mitarbeit von Christoph Hellmundt. Leipzig 1984, S. 49. 7 Direkte Vorlagen für die Zeichnungen von Vladimir Tytla findet man in Friedrich Wilhelm Murnaus Faust (1926). Hier tauchen im Prolog sowohl die reitenden Skelette, das Städtchen in einer Talsohle sowie ein geflügelter Mephisto (gefallener Engel) auf. Insbesondere die Licht- und Schattenspiele mit dem aus dem Städtchen aufsteigenden Rauch inspirierten die Szene, in der in Fantasia die Seelen zur Hölle entschweben. Vgl. auch Robin Allan, Walt Disney and Europe. London 1999, S. 161. 8 In Bezug auf den Schluss von Fantasia schreibt John Culhane: „The defect of this conclusion is that the evil was expressed so much more effectively than the good, a frequent problem of all forms of art.“ John Culhane, Fantasia, S. 182. 9 Im Englischen existieren die Namensvarianten St. John’s Night on the Bare Mountain, Night on Bare Mountain und Night on Bald Mountain. Die Vorlage für die Komposition bildete eine Szene aus dem Drama Die Hexe von Georgy Mengden. 10 Michael Stegemann, Original und Verfälschung. Modest Mussorgskys „Nacht auf dem Kahlen Berge“. In: Melos. Vol. 1 (1978), S. 13. 11 Eine Kopie der handschriftlichen Partitur von Night on bare mountain. For orchestra – revised by Leopold Stokowski ist als Leihmaterial von der Peer Musikverlag GmbH Hamburg zu bekommen. Stokowskis Version „entsprang dem Wunsch, der im Gegensatz zu Rimsky-
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7. Das Ende: Night on Bald Mountain und Ave Maria
Die Erlösung vom nächtlichen Spuk der Night on Bald Mountain bringt das von Stokowski für Sopransolo, Chor und Streicher arrangierte Ave Maria mit seiner Botschaft vom Triumph „of hope and life over the powers of despair and death.“12 Zu den letzten musikalischen Ausläufern der Nacht auf dem Kahlen Berge sieht man die fast identische Ansicht des kargen Berges wie zu Beginn von Mussorgskys Komposition, nun jedoch in morgendlichen Frühnebel getaucht. Neben die Harfenklänge treten Vokalisen des Chors. Mit der sanften Flötenmelodie – immer noch musikalisches Material aus der Nacht auf dem Kahlen Berge – blendet das Bild langsam zum Anblick der Pilgerschar über, die mit ihren kreisrunden Lampenlichtern durch die Landschaft zieht. Aus der Ferne ertönen Kirchenglocken. Fast unmerklich leiten die Vokalisen in das Ave Maria über. Während der ersten Strophe schreiten die Pilger, deren Zahl nahezu unendlich erscheint, zunächst durch sanfte Hügel und dann durch einen stilisierten Pinienwald, vorbei an der Ruine einer ehemaligen Kirche und einem spiegelnden Tümpel. Die Reise endet in einem zunächst unerklärlichen Schwarz,13 das sich – obwohl zunächst als Außenraum eingeführt – mit dem Einsatz des Sopransolos zur zweiten Strophe als Innenraum einer Kathedrale auflöst. An den mächtigen Säulen des Baus gleitet die Kamera entlang, während das von oben geometrisch einfallende Licht – ähnlich wie bereits in der Fugue des Anfangs – an die Kirchenbilder von Lyonel Feininger oder auch an Fritz Langs Nibelungen (1924) erinnert. Durch ein Fenster am Ende des Kirschenschiffs öffnet sich der Raum wieder zur Außenwelt, welche die Sonne in morgendlich rosa Licht getaucht hat. Über die Baumkronen hinweg fährt die Kamera in den hinter einer Hügelkette leuchtenden Himmel, und der Film schließt mit dem sich dort ankündigenden Sonnenaufgang. 7.2 DAS ENDE ALS BRUCH MIT DEM KONZERTFORMAT Nach zwei Stunden abwechslungs- und temporeicher Unterhaltung bringt der Schluss von Fantasia etwas völlig Neues, gar einen Bruch. Zunächst wird bei den letzten zwei Kompositionen zum ersten Mal in Fantasia das Konzerformat aufgegeben. Bis zur letzten kombinierten Nummer hatte man große Anstrengungen Korsakows glättender Revision wesentlich schrofferen, urwüchsig-kühnen Musiksprache der Originalfassung des Komponisten nahe zu kommen.“ Booklet der CD Mussorgsky – Stokowski. Bournemouth Symphony Orchestra, Leitung: José Serebrier. Naxos 2005, S. 8. 12 Text der Anmoderation von Deems Taylor. 13 Diese circa fünf Sekunden andauernde „Bildverweigerung“, in der der Zuschauer nichts bzw. nur die schwarze Leinwand sieht, ist eine der rigorosesten Szenen in Fantasia und innerhalb eines Disney-Films – vielmehr als die Abstraktion des Anfangs – eine große Überraschung bzw. Irritation. Der schwarze Bildschirm kann einerseits als komplementär zu den verschiedenen Lichtsymbolen (Sonne, Lichtstrahlen), andererseits als Wendepunkt innerhalb des Ave Marias gesehen werden, der das Hoffnung verheißende Ende einleitet. Außerdem dient er als Übergang zwischen der bisherigen Kamerabewegung, die stetig nach rechts ging, und der anschließenden Kamerafahrt ins Bild durch die Kathedrale zum Licht und in den Sonnenaufgang. Im Kontext einer Bühnenaufführung kann das „Black“ auch als moderne Version eines Vorhangs gedeutet werden.
7.2 Das Ende als Bruch mit dem Konzertformat
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unternommen, das „Concert Feature“ als Aufführung zu präsentieren: Neben seiner Dramaturgie, der Inszenierung als Bühnenvorführung und der besonderen Rezeptionssituation, die den Zuschauer zum Konzertpublikum werden ließ,14 sorgten immer wieder kleine „spontane“ Ereignisse dafür, die Unmittelbarkeit des Geschehens zu zeigen. So stürzt Mickey Mouse nach seinem Auftritt in The Sorcerer’s Apprentice „auf die Bühne“, um Leopold Stokowski zu gratulieren. Er durchbricht – ähnlich wie in Woody Allens The Purple Rose of Cairo die Figur Tom Baxter, der von der Leinwand herab in den Kinosaal steigt – die imaginäre Grenze zwischen der Ebene des (Konzert-) Rahmens und der Ebene der (Film-) Episoden, indem er sich als Schauspieler und Künstler präsentiert, der eben die Rolle des Zauberlehrlings gespielt hat. Weitere Beispiele für diese inszenierte Gegenwärtigkeit sind die spontane Jam-Session, die die Musiker nach der Pause von Fantasia einlegen, sowie die Röhrenglocken, die während der Moderation von Deems Taylor dröhnend umstürzen. Ähnlich wie das Präludieren der Orchestermusiker am Anfang betont das Improvisierte und Unvorhergesehene dieser Einschübe, dass es sich bei Fantasia um ein einmaliges Ereignis handelt, das so nicht wiederholt werden kann.15 Mit dieser Ereignishaftigkeit, einer empfundenen Gegenwärtigkeit sowie der inszenierten Kopräsenz von Akteuren und Zuschauern an einem Ort zur selben Zeit erfüllte Fantasia scheinbar alle Bedingungen, die eine Aufführung per definitionem ausmachen.16 Dieser Rahmen wird nun mit der letzten Nummer aufgegeben. Stokowski, das Orchester und Deems Taylor erscheinen zum letzten Mal vor Night on Bald Mountain auf der Leinwand. Hätte man die Idee von Fantasia als Konzertaufführung weiter verfolgt, würde sich das Orchester am Ende z.B. verbeugen, eventuell den Applaus des Publikums entgegennehmen, die Akteure würden abgehen, ein Vorhang würde fallen, vielleicht gäbe es noch eine Zugabe. Stattdessen schließt Fantasia jedoch mit einer religiösen Komposition und führt zum ersten Mal in einem ansonsten rein instrumentalen Programm die Gesangsstimme ein. An die Stelle der Aufführungssituation eines Konzertsaales mit seinem Personal und seinen Ritualen tritt die entpersonalisierte Pilgerschar, die in der Dämmerung feierlich als Lichterkette durch die nächtliche Landschaft zur Kathedrale prozediert. Der Raum erinnert nicht länger durch Portale und Vorhänge an Kino-, Theateroder Opernhäuser, sondern wird bestimmt durch die asiatisch anmutende Landschaft mit Brücken, Teichen und Wäldern sowie die gotischen Bögen im Inneren
14 Vgl. 3.4 Konzertfilm oder Filmkonzert? 15 Laut Audiokommentar auf der DVD The Fantasia Anthology dienten diese Unterbrechungen dazu, die etwas steifen Moderationen von Taylor aufzulockern. 16 Folgende Definition lege ich hier zugrunde: „Mit Aufführung wird ein Ereignis bezeichnet, das aus der Konfrontation und Interaktion zweier Gruppen von Personen hervorgeht, die sich an einem Ort zur selben Zeit versammeln, um in leiblicher Ko-Präsenz gemeinsam eine Situation zu durchleben, wobei sie, z.T. wechselweise, als Akteure und Zuschauer agieren. Was sich in einer A. zeigt, tritt immer hier und jetzt in Erscheinung und wird in besonderer Weise als gegenwärtig erfahren.“ Erika Fischer-Lichte, Doris Kolesch, Matthias Warstat (Hg.), Metzler Lexikon Theatertheorie. Stuttgart 2005, S. 16.
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7. Das Ende: Night on Bald Mountain und Ave Maria
der Kathedrale.17 Auch auf der Bildebene lässt sich eine Veränderung feststellen: Lag die hohe Kunst der Animation bisher darin, die verschiedenen Figuren trotz stereotypen Aussehens (z.B. die chinesischen Pilze) durch die Bewegung als Individuen darzustellen, werden die Pilger als sich in Reih und Glied durch die Landschaft ziehende uniforme Gruppe gezeigt. Die Kamera behält zunächst fast durchgängig eine konstante Bewegung nach rechts bei, bevor sie dann in der Kathedrale ins Bild hinein und gen Himmel zoomt.18 In ihren linearen Bewegungen, den gotischen Anleihen, den Lichtstrahlen und dem Himmelshintergrund schließt die Episode den Bogen zum Anfang von Fantasia, zur Fugue. Das Ende sucht nicht länger die Illusion aufrecht zu erhalten, dass es sich bei Fantasia um eine Konzertaufführung bzw. ein „Spiel im Spiel“ handelt. Einen weiteren Bruch stellt im Ave Maria der Verzicht dar, die Musik wie in den vorangegangenen Episoden als Mickeymousing, Tanz oder abstrakte Formen zu visualisieren. Weder stehen die Bewegungen der Pilger in einem erkennbaren Zusammenhang zur Musik, noch lassen sich akustische Ereignisse als Folge visueller Begebenheiten wahrnehmen. Die Visualisierung des Ave Maria erfolgt in erster Linie dadurch, dass ein religiös anmutendes Lied in die Bilder der zur Kathedrale pilgernden Gläubigen übersetzt wurde. Einzig zwischen den Gesangsstimmen und dem Anblick menschlicher Gestalten sowie zwischen musikalischer und dramaturgischer Großform der Strophen lässt sich eine vage Verbindung herstellen. Da die Stimme – wesentlich stärker als der Klang eines Instruments – auf den sie produzierenden Körper verweist,19 wird als Quelle des Gesangs die Pilgerschar vermutet, doch weder sieht man diese singen noch wird über den „Hörpunkt“ suggeriert (z.B. durch zu- und abnehmende Lautstärke), dass die Stimmen der Szene entstammen. War die Anwesenheit der Instrumentalmusik durch das Orchester in Fantasia immer wieder durch das Bild begründet worden, bleibt hier die Frage „Wer singt?“ offen.20 Umgekehrt siedelt die Frage „Wer hört?“ den Zuschauer paradoxerweise zugleich als Außenstehenden an, den zwar keine realistischen Tonereignisse erreichen, der sich aber über die Stimmen dennoch mit einem
17 Allan betont den Einfluss der Bilder von Caspar David Friedrich (1774–1840). Vgl. Robin Allan, Walt Disney and Europe, S. 166f. Die Episode verweist sowohl mit dem Chorfinale musikalisch als auch visuell auf die Romantik. 18 Im Fantasound sollte sich die Musik mit den Pilgern von links nach rechts bewegen. 19 In der klassischen Gesangstechnik (im Unterschied zu den alternativen Techniken bzw. „extended techniques“) sucht die Stimme, diesen Körper – ähnlich wie im Ballett – zu übersteigen. „Schöne“ Stimmen werden somit auch gerne als „göttlich“, „himmlisch“, „überirdisch“ oder „engelsgleich“ beschrieben. 20 Auch bei den Vorarbeiten zum Walkürenritt spielte die Frage, wie man die Vokalstimmen – insbesondere Opernstimmen – angemessen visualisiert, eine wichtige Rolle (Vgl. 3.1 Der Weg zu Fantasia). Die Grenze zwischen einer naturalistischen und parodistischen Darstellung stellt dabei die Herausforderung und zugleich das Potential der Cartoons dar. Im Unterschied zu den Silly Symphonies des Disney Studios (z.B. The Whale Who Wanted to Sing at the Met von 1946) wird die „klassische“ Gesangsstimme später in den Cartoons der Warner Brothers ausschließlich als komisches Element eingesetzt (z.B. Long Haired Hare von 1949, Rabbit of Seville von 1950, What’s Opera, Doc? von 1957).
7.3 Ringform und der „Circle of Life“
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Beobachter innerhalb der Szene identifizieren kann.21 Die Ambivalenz, wie die Stimme verankert ist, übt einen ähnlichen audiovisuellen Reiz aus, wie die wechselnde Kausalität von Bewegung und Klang im Mickeymousing und Ballett. 7.3 RINGFORM UND DER „CIRCLE OF LIFE“ Der Zeichentrickfilmhistoriker Michael Barrier weist auf die Ringform von Fantasia hin, in der die Toccata and Fugue in D minor mit dem Ave Maria korrespondiere und die selbstreflexive Soundtrack-Einlage das Zentrum bilde. Bei beiden Kompositionen handele es sich um im weitesten Sinne religiöse Werke, außerdem teilten Anfang und Ende zwei spezifische visuelle Motive: die gotischen Bögen und die von oben einfallenden Lichtstrahlen. Von den anderen, eher auf Handlung fokussierten Episoden würden sich diese beiden außerdem dadurch unterscheiden, dass die eine abstrakt und die andere vergleichsweise statisch sei. Neben diesem symmetrischen Anfang und Ende habe Fantasia mit der Episode des Soundtracks „a center point that tells a simple, but profound, truth about the whole business.“22 So anregend diese Überlegung ist, liegen die Symmetrien anders. Zunächst handelt es sich auch bei der Toccata and Fugue um zwei vom Konzept der Visualisierung her sehr unterschiedliche Episoden, wobei ausschließlich die Fugue mit dem Ave Maria korrespondiert. Die Toccata ähnelt der Episode des Soundtracks, da auch hier der Zusammenhang zwischen Klang und Bild thematisiert wird.23 Rückt man die Unterscheidung zwischen der Rahmenhandlung, eine Aufführung vorzugeben, und den Episoden in den Mittelpunkt, ergibt sich für Fantasia eine andere Großform. In der ersten Hälfte vor der Pause wird genau darauf geachtet, dass die Aufführungssituation beibehalten und am Ende entsprechend wieder geschlossen wird: Nach der letzten Episode, dem Rite of Spring, tritt zunächst der Moderator kurz auf und kündigt eine 15-minütige Pause an. Nacheinander treten nun der Moderator und die Musiker von der Bühne ab, bis sich der Vorhang wieder – mit Geräusch – schließt. Entsprechend fängt auch die zweite Hälfte des Konzerts an: Der Vorhang zieht wieder auf, dann tritt das Orchester und schließlich nach der kurzen Jam-Session der Moderator auf, der nun den Soundtrack vorstellt. Sieht man dessen Auftritt als eigene Episode,24 entsteht folgende Form: 21 Zum Hörpunkt vgl. auch Michel Chion, Die zwölf Ohren. In: Petra M. Meyer (Hg.), Acoustic Turn. München 2008, S. 563–600. 22 Barrier bezieht sich auf Mary Douglas, Thinking in Circles: An Essay on Ring Composition, Yale 2007. Viele narrative, insbesondere altertümliche Texte weltweit hätten die Struktur „1, 2, 3, ... X ... 3', 2', 1'“. Die Bedeutung solcher Texte liege – im Unterschied zu linearen Konstruktionen – immer in der Mitte. Vgl. Michael Barrier, Fantasia: Uncle Walt and the Sacred. Another Exchange With Bill Benzon. www.michaelbarrier.com/Essays/Fantasia/fantasia.html, 27. Juni 2009. 23 Vgl. 4.1 Inszenierungen des Musizierens. 24 Dafür spricht z.B., dass der Auftritt aus dem Bühnenbild der Rahmenhandlung herausfällt, und wir Deems Taylor nicht sehen, sondern nur hören.
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7. Das Ende: Night on Bald Mountain und Ave Maria
Auftritt Moderation Episode (Toccata) Episode (Fugue) Moderation Episode (The Nutcracker Suite) Moderation Episode (The Sorcerer’s Apprentice) Moderation Episode (Rite of Spring) Moderation Abtritt
P A U S E
Auftritt Moderation Episode (Soundtrack) Moderation Episode (The Pastoral Symphony) Moderation Episode (Dance of the Hours) Moderation Episode (Night on Bald Mountain) Episode (Ave Maria)
Während die erste Hälfte in sich geschlossen ist, bleibt der Bogen der zweiten Hälfte offen. Immer wieder tauchen jedoch in Fantasia sich wiederholende Motive in den ansonsten sehr unterschiedlich gestalteten Episoden auf: Neben den Lichtstrahlen und Bögen der Fugue und des Ave Maria fallen Sonnen bzw. Lichtkreise (z.B. in Toccata and Fugue in D minor, Rite of Spring, The Pastoral Symphony und dem Ave Maria), Berge (insbesondere in The Pastoral Symphony und Night on Bald Mountain) und Wasser auf.25 Ähnlich eindrücklich werden wiederholt die Hände der Protagonisten inszeniert, seien es die des Dirigenten Stokowski, des Zauberers und seines Lehrlings Mickey Mouse, von Zeus oder des „Satans“ Chernobog.26 Teilen Mickey Mouse und Stokowski auch die Gestik des Dirigierens und besiegeln diese Verbindung mit ihrem Handschlag im Anschluss an The Sorcerer’s Apprentice,27 stehen sich der Zauberer und Chernobog als „weißer“ und „schwarzer“ Magier gegenüber: Während Mickeys Lehrmeister seine Künste einsetzt, Schmetterlinge zu zaubern und dem Chaos Einhalt zu gebieten, nutzt der Dämon seine Macht, Unheil zu bringen. Somit korrespondieren die beiden Episoden – The Sorcerer’s Apprentice und Night on Bald Mountain – sowohl inhaltlich als auch in ihrer Art, zur Musik eine in sich geschlossene Geschichte zu erzählen.
25 Einzig die Toccata and Fugue in D minor sowie Night on Bald Mountain verlegen nicht zwischendurch die Handlung ins Wasser. Ansonsten spielen in allen Episoden Brunnen, Flüsse oder Szenen unter Wasser eine wichtige Rolle. Vgl. auch 6.4 Bacchanal auf dem Lande: The Pastoral Symphony. 26 Intern trug der Zauberer den Namen Yen Sid, also die Umkehrung des Namens Disney. 27 Dieser Handschlag kann auch gesehen werden als der zwischen „high art and low“. Vgl. Neal Gabler, Walt Disney, S. xii.
7.4 Spekulationen zum Schluss von Fantasia
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7.4 SPEKULATIONEN ZUM SCHLUSS VON FANTASIA Mit der letzten Episode verlässt Fantasia nicht bloß das Konzertformat, sondern wechselt von den bisher eher ästhetisch motivierten Fragestellungen zum moralischen bzw. christlichen Dualismus von Sakralem und Profanem wie er musikalisch und szenisch dargestellt werden sollte.28 So wie Taylor bisher in seinen Moderationen Wert darauf legte, die Visualisierungen in Bezug zur Musik („there are three kinds of music“) zu begründen, bezeichnet er die Kombination der beiden Stücke als musikalischen und dramatischen Kampf zwischen dem Weltlichen und dem Heiligen. Auf der Seite des Bösen bzw. Profanen stehen Verzweiflung und Tod, die Hölle mit ihren „creatures of evil“ sowie „Mussorgsky’s malignant music“; auf der Seite des Guten bzw. des Heiligen finden sich Hoffnung und Leben, die Gläubigen und die himmlischen Vokalstimmen. Im Folgenden soll über die Gründe spekuliert werden, warum einerseits das Konzerformat verlassen, andererseits mit einer Art Botschaft ein implizit weltanschauliches Ende gewählt wurde. Die Sorge, dass das Konzertformat kein zufriedenstellendes Ende liefern würde, könnte ein Grund gewesen sein, warum man es vorzog, den Film mit einer der Film-Episoden zu beenden. Bei der zitierten Definition von Aufführung29 wird darauf hingewiesen, dass Zuschauer und Akteure in leiblicher Ko-Präsenz anwesend sein sollen, was eine wichtige Voraussetzung für Aufführungen sei. Das Personal von Fantasia war jedoch abgefilmt bzw. gezeichnet, so dass man vielleicht befürchtete, dass der Zuschauer den Wandel zum Akteur nicht werde vollziehen können, wenn er – dem Konzertritual folgend – nach dem Finale z.B. klatschen und den Aufführenden so seine Begeisterung zeigen sollte. Auch die Finale vieler so genannter Backstage Musical- oder Show-Musical-Filme suchen häufig die Aufführungssituation zu übersteigen, indem sie ein Feuerwerk an Bildern zünden.30 Ein entsprechendes Finale ist den letzten beiden Episoden mit Dance of the Hours bereits vorausgegangen. Hiermit zu enden, hätte Disneys Ziel widersprochen, dass seine Filme nicht länger mit dem gewöhnlichen, auf den „belly-laugh“ ausgerichteten Cartoon, sondern mit achtbarer Kunst assoziiert werden sollten. Indem Fantasia mit dem Ende noch etwas Neues bringt, beugt der Film der Gefahr vor, dass das Prinzip Aufführung nicht bis zum Ende trägt. Die Sorge, dass der Zuschauer neben der „Liveness“ auch die leibliche Anwesenheit realer Körper vermissen würde, könnte auch ein Grund für den Einsatz der Gesangsstimme gewesen sein. Die Stimme verweist wesentlich stärker als der Klang eines Instruments auf den sie produzierenden Körper. In Kombination zu den ebenfalls zum 28 Von der politischen Linken kam harsche Kritik, dass das Ende statt soziale Kritik zu üben ins Mythologische ausweiche: „The forces of evil are not shown as the exploiters and war makers, but as a mythical devil on a mountain top against whom powers are helpless,“ schrieb Harry Raymond im Daily Worker. Zitiert nach Neal Gabler, Walt Disney, S. 343. 29 Vgl. Fußnote 16. 30 Die Verwandtschaft der Backstage Musicals mit Fantasia zeigt sich neben der Situation als „Spiel im Spiel“ auch in den selbst-reflexiven Momenten der Musicals der 1930er bis 1950er Jahre. Vgl. auch Jane Feuer, The Self-reflective Musical and the Myth of Entertainment. In: Altman, Rick: Genre: The musical. London 1981, S. 159–174.
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ersten Mal innerhalb der Episoden erscheinenden Menschen – den Pilgern – könnte man sich eine besondere Einfühlung bzw. Identifikation des Zuschauers mit den Figuren der Leinwand erhofft haben. Um die Bedeutung von Musik oder ihre Aussage zu erschließen, weicht man gerne auf den dazugehörigen Text aus, lässt sich anhand dessen doch vermeintlich eindeutig sagen, welche Gedanken z.B. ein Lied transportiert.31 Disney hatte die Schriftstellerin Rachel Field (1894–1942) beauftragt, für Fantasia einen neuen Text zu schreiben, der Schuberts Ave Maria unterlegt werden konnte. Schubert selbst hatte das Gedicht Lady of the Lake von Walter Scott für – so der eigentliche Titel des Lieds – Ellens Gesang III (Hymne an die Jungfrau), D 839, Op. 52 Nr. 4 aus dem Liederzyklus Das Fräulein vom See verwendet. Erst später entstand eine Fassung mit dem lateinischen Text des katholischen Gebets, das der Schubertschen Musik unterlegt wurde. Von Fields dreistrophigem Gedicht wurde für Fantasia nur die letzte Strophe verwendet: Ave Maria! Heaven’s Bride. The bells ring out in solemn praise, for you, the anguish and the pride. The living glory of our nights, of our nights and days. The Prince of Peace your arms embrace, while hosts of darkness fade and cower. Oh save us, mother full of grace, In life and in our dying hour, Ave Maria!32
Der Text selbst erklingt erst in der zweiten Hälfte der Sequenz. Die Flötenmelodie begleitend leitet der Chor zunächst in Vokalisen aus der Nacht auf dem Kahlen Berge über. Als erste Strophe wird ausschließlich die Textzeile „Ave Maria“ wie eine Art Mantra vorgetragen, wobei die Violinen die Melodie übernehmen.33 Hieraus erst entsteigt von Streichern und Harfe begleitet in der Wiederholung das Sopransolo, das von Julietta Novis gesungen wurde. Unmerklich tritt der Chor mit seinen Vokalisen hinzu, die allmählich an Intensität gewinnen, bis Chor, Solo und Streicher gemeinsam mit großer Inbrunst im Schlussakkord aufgehen. Die formelhafte und gebetsartige Verwendung der einen – auch sonst in allen Fassungen zu Schuberts Musik gleich bleibenden – ersten Textzeile legt nahe, dass es hier weniger um den konkreten Inhalt der Wörter als vielmehr um ihren frommen Gestus geht. Lobpreisung und Anrufung der Maria dienen dazu, eine religiöse Stimmung zu schaffen, die über die in Fantasia geschaffene Welt hinausdeutet. War ursprünglich geplant, eine Madonna am Ende des Films zu zei31 Neben den Texten werden häufig auch Äußerungen der Autoren bzw. ihre „Gesinnung“ herangezogen, um festzustellen, was der „Inhalt“ von Musik ist. 32 Der Text aller drei Strophen von Rachel Field findet sich z.B. im Klavierauszug im Anhang des Bilderbuchs Ave Maria, an interpretation from Walt Disney’s Fantasia, inspired by the music of Franz Schubert, lyrics by Rachel Field. Collins London 1940. 33 Neben den Silben von „Ave Maria“ meine ich vereinzelt die Wortfetzen „Sancta Maria“ und „Benedicta Maria“ zu hören.
7.4 Spekulationen zum Schluss von Fantasia
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gen,34 entschied man sich erst im Juli 1940 dafür, nur Bilder zu verwenden, die – zumindest innerhalb der christlichen Religion – eine freiere Deutung erlaubten: „In a universal language, music, the Ave Maria sings of peace and hope and life.“35 Verstärkt wird die religiöse Aura des Schlusses noch dadurch, dass den Stimmen in der zweiten Hälfte des Ave Marias keine Pilger als mögliche Quelle mehr zugeordnet sind. Ähnlich wie die anderen Episoden ist der Schluss aus Night on Bald Mountain und dem Ave Maria ebenfalls als Zyklus – zumindest als halber Tageszyklus – aufgebaut: Die Zeit verläuft von der Nacht über die Morgendämmerung zum Tagesanbruch des neuen Morgens. Auch andere Episoden greifen die Zyklus-Form auf: Die Nutcracker Suite orientiert sich an den Jahreszeiten, The Pastoral Symphony und Dance of the Hours zeigen jeweils einen Tag von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang und Rite of Spring umfasst die Entstehung der Welt bis zum Aussterben der Dinosaurier. Wichtig ist dabei, dass zumeist eine Art „Katastrophe“ durchlaufen wird, an deren Ende ein Neuanfang steht. Dieser Topos des „Circle of life“ sowie der ständige Kampf zwischen Gut und Böse spielen auch in anderen Disney-Filmen eine wichtige Rolle.36 Beide Topoi – Lebenskreislauf sowie der Kampf zwischen Gut und Böse – werden bei Disney wie ein Mythos immer wieder neu erzählt. Das Profane und das Heilige stehen in Night on Bald Mountain und Ave Maria einander jedoch nicht als komplementäre Zweiteilung gegenüber, die sich – wie Tag und Nacht – immer wieder ablösen, sondern das Ende suggeriert den Ausbruch aus diesem Kreislauf. Bereits in der Moderation zu Dance of the Hours hatte Taylor verkündet, dass „the hours of darkness are overcome by the hours of light.“ Mit seinem erst 1940 konzipierten Schluss vermittelt Fantasia den Eindruck, dass im ewigen Zyklus des Lebens das Gute und Helle letztendlich überwiegen.37 Dass für den Ausbruch aus diesem Kreislauf religiöse und explizit christliche Motive – das „Ave Maria“, die Pilger, eine Kathedrale – verwendet werden, ist neu bei Disney. Denn die Konflikte in den bisherigen Silly Symphonies und Filmen lösten sich meist innerhalb der fabelartigen und märchenhaften Plots, z.B. durch den Tod der Stiefmutter und einen Kuss (Snow White), eine blaue Fee (Pinocchio) und die Besinnung auf die einzigartige Fähigkeit, mit den
34 Außerdem war der Einsatz von Gerüchen, u.a. Weihrauch, geplant. Die frühen Zweifel, wie das Publikum ein explizit christlich geprägtes Ende aufnehmen würde, führten zunächst zur Konzeption von zwei Schlussvarianten mit und ohne Maria. Weitere künstlerische und technische Schwierigkeiten zogen nach sich, dass an der Sequenz noch bis zum Tag vor der Premiere gearbeitet wurde. Erst am Tag selbst wurde die Filmrolle gemeinsam mit einem Teil des Soundtracks nach New York geflogen. Vgl. John Culhane, Fantasia, S. 198 und Robin Allan, Walt Disney and Europe, S. 169. 35 Programmheft zu Fantasia, zitiert nach John Culhane, Fantasia, S. 198. 36 Am deutlichsten werden diese Themen in Bambi. Im König der Löwen von 1994 ist Circle of life der von Elton John komponierte Titelsong. 37 Visuell schlägt sich das z.B. im immer wieder auftauchenden Motiv des Sonnenaufgangs nieder (Toccata, Rite of Spring, The Pastoral Symphony und Ave Maria).
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7. Das Ende: Night on Bald Mountain und Ave Maria
Ohren zu fliegen (Dumbo).38 Einzig in Bambi findet sich keine unmittelbare Lösung,39 und gegen die zerstörerische Gewalt des Menschen hilft hier nur die Flucht auf eine vor dem Waldbrand geschützte Insel. Den Schrecken und die Wunden überwinden kann jedoch erst die Zeit, und Bambi blickt als Erwachsener am Ende visionär in das Licht eines neuen Tages. Ungleich stärker als die ebenfalls bereits in den Vorkriegs- und Kriegsjahren produzierten Filme Pinocchio und Dumbo lassen sich Fantasia und Bambi als Kommentar zu einer von Politik und Krieg erschütterten Welt verstehen. Wie sich die in Fantasia bekundete Hoffnung jedoch politisch ausprägen sollte, darüber schweigt der Film.40 In seinem Artikel Saint Walt: The Greatest Artist The World Has Ever Known, Except for, Possibly, Apollonius of Rhodes schreibt John Gardner: „If one wished to be tiresome, one could go through all Walt Disney’s films and show, in every myth or legend that he treats, how he tends to transform it to the Christian one, or rather, the Christian one as understood by Methodists, Presbyterians, and the like – people who, in general, feel so confident that God has things well under control, so certain that ‚All shall be well, and shall be well, and all manner of things shall be well,‘ as the Angel told Dame Julia of Norwich, that they forget even to bother with religion, or, to put it in a better way, they transfer church feelings to everyday life.“41
Walt Disney selbst war christlich geprägt, gehörte aber keiner bestimmten Kirche an.42 Er war in einer „Congregational church“ getauft worden, die in der Tradition der Calvinisten steht. Seine Tochter Diane erinnert sich, dass ihr Vater zeit seines Lebens religiös blieb und sie auch in eine katholische Schule gehen ließ. 43 Seiner Schwester Ruth schrieb er dazu: „I think she is intelligent enough to know what she wants to do, and I feel that whatever her decisions may be is her privilege. …I have explained to her that Catholics are people just like us and, basically, there is no difference.“44
Im selben Jahr wie Fantasia kam der Film It’s a Date (1940) in die Kinos, indem Deanna Durbin ebenfalls das Ave Maria als Filmfinale sang.45 Die Schlussszene 38 Schickel zufolge zeigt die Episode, dass „nothing is sacred, not even the sacred, when an eager popularizer gets busy.“ Richard Schickel, The Disney Version. Chicago ³1997, S. 242. 39 Die Enden von Bambi und Fantasia ähneln sich m. E. sehr, folgt in beiden Filmen auf die Höllenszenarien der Anbruch eines neuen Tages. 40 Aus dem Jahr 1940 stammen z.B. aus den USA neben Fantasia und Pinocchio u.a. die Filme The Great Dictator, Escape, Rebecca, His Girl Friday, Broadway Melody of 1940, The Sea Hawk, It’s a Date, aus Deutschland Jud Süß, Der ewige Jude und Wunschkonzert. 41 John Gardner, Saint Walt: The Greatest Artist The World Has Ever Known, Except for, Possibly, Apollonius of Rhodes. In: New York Magazine, 12. November 1973, S. 66f. 42 „In Walt Disney’s case the surge of empowerment was so great one might even have concluded that animation took the place of religion for him, since in its adulthood he showed little or no interest in formal religion and never attended church. Indeed, the animator created his own world – an alternative reality of his imagination in which the laws of physics and logic could be suspended.“ Neal Gabler, Walt Disney, S. 55. 43 Michael Barrier, The Animated Man. A Life of Walt Disney. Berkeley 2007, S. 191. In Disneys Arbeit lässt sich „a lightly secularized Christian theology of hope and beneficence“ finden. Vgl. Neal Gabler, Walt Disney, S. xiv. 44 Zitiert nach Neal Gabler, Walt Disney, S. 455.
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ist Teil einer Bühnenaufführung im Film, die auch im Inneren einer Kathedrale inszeniert ist.46 Der ausschließlich mit Männerstimmen besetzte Chor ist hier ebenso wie das Orchester im Bild anwesend. Während in Fantasia am Ende die Bühnensituation aufgegeben wird, bleibt diese in It’s a date bis zum Ende erhalten. Die Idee eines Chorfinales kennt man aus verschiedenen Symphonien (z.B. Beethoven oder Mahler) und aus der Oper, in der Stimmen aus dem Off „Erlösung“ vom Irdischen und ein versöhnliches Ende ankündigen, so z.B. in Gounods Oper Faust, während Schlusschöre im Bild eher appellativen Charakter besitzen, wie z.B. in Beethovens Fidelio oder Wagners Meistersinger. In Verbindung mit Night on Bald Mountain und der Kombination des nächtlichen Hexensabbats mit der morgendlichen Pilgerschar verheißt Fantasia ebenfalls eine Art „Erlösung“ bzw. schürt die Hoffnung auf eine positivere Zukunft. Das Ave Maria nimmt in Fantasia letztendlich die Stelle ein, die in den vorausgegangenen Disney-Filmen die „Moral von der Geschichte“ und das Happy End innehatten. Sowohl Snow White and the Seven Dwarfs (1937) als auch Pinocchio (1940), Dumbo (1941) und Bambi (1942) enden mit meist nicht diegetischem Chorgesang – in Snow White gemeinsam mit der standardisierten Schlussformel aller Happy Ends „and they lived happily ever after.“ Ein ähnlich eskapistisches Ende wie Fantasia bietet das berühmte Südstaatenepos Gone with the wind, dessen Verfilmung ein Jahr vor Fantasia im Jahre 1939 ebenfalls als Roadshow Premiere feierte. Nachdem hier zum Ende des Films Scarlett O’Hara von Rhett Butler endgültig verlassen wurde, bricht sie zunächst verzweifelnd zusammen, bevor sie Stimmen aus ihrer Erinnerung auf die Idee bringen, auf ihre Baumwollplantage Tara zurückzukehren und dort einen Neuanfang zu wagen: „Tara! Home. I’ll go home, and I’ll think of some way to get him back! After all, tomorrow is another day!“ Zu Max Steiners aufrührender Schlussmusik – ebenfalls mit einem Chor, der Vokalisen singt – sehen wir in der letzten Einstellung Scarlett auf einem Hügel stehend, während über der Plantage die Sonne aufgeht. Indem sich in Fantasia und in Gone with the wind die Musik von der Szene löst und die Kamera in den bzw. aus dem Sonnenaufgang fährt, stellt sich für den Zuschauer eine Schlusswirkung ein, die über das Ende hinausdeutet.47
45 Der Ausschnitt ist auch zu finden auf http://www.youtube.com/watch?v=lT_b_MWrJQU, 29. Juli 2010. 46 Vgl. Robin Allan, Disney and Europe, S. 166f. In It’s a Date wird u.a. durch Einblendung des Publikums sowie des Zuschauerraums deutlich gemacht, dass das religiöse Finale Teil des „Spiels im Film“ ist und nicht die Lösung der Konflikte selbst darstellt. Vielmehr scheint es so, dass die Nonne als Bühnenrolle den Verzicht der von Deanna Durbin dargestellten Schauspielerin auf privates Glück zugunsten beruflicher Erfüllung in der Kunst symbolisiert. 47 Auch im Wizard of Oz (1939) ist es das unermüdlich wiederholte Wort „home“, das Dorothy schließlich wieder zurück nach Kansas bringt. Die Schlussworte lauten hier: „Oh, but anyway, Toto, we’re home. Home! And this is my room, and you’re all here. And I’m not gonna leave here ever, ever again, because I love you all, and – oh, Auntie Em – there’s no place like home!“
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Die Chor-Vokalisen scheinen – in Kombination mit Kamerabewegung, Licht und Himmel – eine Art Schlussformel von Filmen dieser Zeit zu sein. Den Ursprung hat diese Art der Verwendung von Stimmen neben der Oper auch in Werken z.B. von Claude Debussy (Sirènes) oder Frederick Delius (A Song of the High Hills), wo die Gesangsstimmen entweder gar keinen Text oder nur einzelne Worte singen. Auch hier steht häufig die romantische Vorstellung im Vordergrund, dass Musik – insbesondere eine „Musik ohne Worte“ – Transzendenz ermöglicht: „Die Identifizierung von Singen mit dem Singen von Worten ist so sehr der Norm(al)fall unseres Verständnisses, dass den meisten Fällen textlosen Gesangs ein Aspekt von Grenzüberschreitung innewohnt.“48
In Fantasia wie in Gone with the wind führen die Chorvokalisen den Film einerseits zu seinem Ende (Finalwirkung), andererseits weisen sie über das Ende hinaus (Übersteigerung). Der Zuschauer wird mit der Ruhe und Besinnlichkeit der letzten Szene aus dem Kino entlassen, in die sich nun Humor, Leichtigkeit und Tempo der vorangegangenen zwei Stunden aufgelöst haben. Auffällig ist neben den Vokalisen des Schlusses auch, dass nach der circa fünf Sekunden andauernden „Bildverweigerung“ im Ave Maria zum ersten Mal eine Kamerabewegung ins Bild hinein stattfindet.49 Während zuvor in vielen Einstellungen die Kamera eher den Blick eines unbeteiligten Beobachters zu imitieren vorgibt, bewegt sich nun das Publikum mit der Kamera scheinbar selbst durch die Kathedrale auf das Licht und den Sonnenaufgang zu. In der Medientheorie beschreibt der Begriff Immersion die Wirkung bzw. Erfahrung, dass der Rezipient bis zu einem gewissen Grad in die virtuelle Realität (z.B. eines Buchs, eines Films oder eines Computerspiels) eintaucht. Ein bekanntes Beispiel ist der so genannte „movie-ride“ in IMAX-Kinos, der dem Zuschauer vortäuscht, sich tatsächlich durch den Raum zu bewegen. Einerseits wird Immersion als „körperextensive Zeit- und Raumerfahrung“ reflektiert, andererseits als „somatisch-affektive sowie identifikatorische Involvierung des Rezipienten“ sowie als „Form der Illusionsbildung durch den imaginären Übergang von der empirischen Realität in eine mediale Fiktion.“50 Im Hinblick auf das Ave Maria bietet das Ende von Fantasia jedoch kein Mittel an, das Publikum aus seiner „Immersion“ wieder zu entlassen. Während z.B. die Rückkehr zum Konzertformat eine Art Übergang von der fiktiven Bilderwelt der Episoden zur Realität der Zuschauer im Jahr 1940 gebildet hätte, behält Fantasia den Zuschauer möglichst lange in seiner Versunkenheit gefangen und betont mit seinem Ende die Möglichkeit des Films, das Bedürfnis nach Eskapismus zu befriedigen.
48 Guido Heldt, Delius’ Song of the High Hills und die Idee einer Vokalmusik ohne Worte. In: Ulrich Tadday (Hg.): Frederick Delius. München 2008, S. 59. 49 Vgl. Fußnote 13. 50 Vgl. Robin Curtis und Christiane Voss (Hg.), Immersion. Sonderheft der Zeitschrift MontageAV. Schüren 2008, S. 7.
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Mit dem Ende seines „audacious and notoriously problematic mad-scientific experiment”51 namens Fantasia griff Disney also einerseits auf ein ihm vertrautes Schema zurück, das er bereits bei allen abendfüllenden Filmen verwendet hatte, andererseits brach er auf diese Weise mit der Rahmenhandlung einer musikalischen Aufführung, die im Film bisher bewahrt wurde. Nachdem in den vorangegangenen Episoden immer wieder der Live-Charakter der Konzertaufführung (ähnlich wie im Backstage-Musicalfilm die „Liveness“ der Bühnenaufführung) betont wurde, besinnt sich das Ende von Fantasia auf genuin filmische Wirkungen und (re-)konstituiert dessen Zugehörigkeit zum Film. Mit Fantasia erneuert Disney letztendlich nicht das Konzertformat, sondern führt dessen Bestandteile in eine neue Form des Entertainment („new form of entertainment“) über, die im Medium Film nicht nur das besondere Musikerlebnis eines Konzerts mit den unterhaltsamen Bildern der Disney-Animation vereinte, sondern dem Zuschauer über die Unterhaltung hinaus mit einem emotionalen Ende überwältigen sollte.
51 Michael Long, Beautiful Monsters. Imagining the Classic in Musical Media. Berkeley 2008, S. 119.
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PERSONENREGISTER Adorno, Theodor W. 89 Alexeieff, Alexander 181 Algar, James 56 Allan, Robin 107, 147, 158 Allen, Alfred Reginald 58 Allen, Woody 183 Altman, Rick 49, 168 Andersen, Hans Christian 26, 166 Anderson, Ken 65 Armstrong, Sam 102 Äsop 18, 166 Astaire, Fred 141, 143 Avery, Tex 26 Babbitt, Arthur (Art) 30, 32, 64, 151 Bach, Johann Sebastian 60, 70, 78, 88, 89, 91–123 Balanchine, George 141, 143, 158, 159 Barrier, Michael 55, 185 Beethoven, Ludwig van 26, 28, 60, 78, 87, 88, 89, 118, 133, 147, 166–177, 191 Belcher, Marjorie 151 Berkeley, Busby 143 Berlioz, Hector 59 Bernstein, Leonard 82 Bizet, George 20, 43 Blaze, Henri 126 Borodin, Alexander 64 Boswell, Peyton 81 Brahms, Johannes 64, 69, 102, 168 Braque, Georges 105 Buchanan, Stuart 60 Caillavet, Gaston Arman de 167 Cailliet, Lucien 92 Carpenter, John Alden 63 Carr, Robert Spencer 64 Carr, Bob 168 Chaplin, Charlie 35 Chion, Michel 131 Chopin, Frédéric 63 Churchill, Frank 20, 22, 40, 44, 47, 51 Clair, René 155 Coles, Joyce 151
Collodi, Carlo 22 Crosland, Alan 83 Culhane, John 55 Darwin, Charles 26 Debussy, Claude 60, 64, 192 Delannoy, Jean 169 Delius, Frederick 192 Denby, Edwin 141 Diaghilev, Sergej 157 Dickson, Gregory 55 Dietrich, Marlene 169 Disney, Roy Oliver 21, 29, 41, 57 Disney, Roy Edward 87 Disney, Diane 190 Disney, Ruth 190 Douglas, Hugh 86 Duerden, Rachel 155 Dukas, Paul 49, 53, 54, 60, 73, 78, 87, 89, 103, 118, 125-139 Duncan, Isadora 159 Durbin, Deanna 70, 190 Edouarde, Carl 19 Eisenstein, Sergej 35, 83, 142 Elgar, Edward 87 Eliot, Marc 30 Feininger, Lyonel 105, 106, 118, 182 Field, Rachel 188 Fischinger, Oskar 102, 103, 119, 142 Fisher, Bud 17 Fleischer, Max 17, 18, 26 Flers, Robert de 167 Flückiger, Barbara 130 Ford, Henry 29 Freleng, Fritz 18 Gabler, Neal 19, 66 Gardner, John 190 Garity, William E. 57, 73 Gebrüder Grimm 26, 166 Gershwin, George 87 Gide, André 169
204 Gilbert, Ray 61 Gillett, Bert (Burton) 40, 46 Glière, Reinhold 64 Godard, Jean-Luc 156 Goebbels, Joseph 88 Goethe, Johann Wolfgang von 125, 126, 128 Goodmann, Benny 48, 92 Gounod, Charles 191 Grant, Joe 58, 59 Grappelli, Stéphane 92 Green, Graham 141 Grieg, Edvard 46, 64 Griffith, David Wark 83 Hammerstein, Oscar 35 Händel, Georg Friedrich 64, 168 Hardy, Oliver 28 Harline, Leigh 20, 22, 44, 45, 47, 57 Harmann, Hugh 18 Hart, Lorenz 171 Hays, Will 25, 27 Heider, Fritz 114 Hindemith, Paul 93, 120, 121 Hitler, Adolf 28, 29, 31, 88 Holst, Gustav 59 Huemer, Dick 58, 59 Ising, Rudolph 18 Ivens, Joris 116 Ives, Charles 43 Iwerks, Ub 18, 19, 44, 46, 49 Jackson, Wilfred 19, 37, 39, 45, 46 Jacques-Dalcroze, Emile 159 Jolson, Al 22 Jones, Chuck 26, 97 Kandinsky, Wassily 102 Kennedy, Mary 59 Kern, Jerome 35 Klee, Paul 102, 105, 110, 120, 121 Klee, Gertrud 120 Kley, Heinrich 147 Kodály, Zoltan 59 Kokoschka, Oskar 105 Kostal, Irwin 86, 87 Kracauer, Siegfried 146 Kubrick, Stanley 154 Kupka, Franz 105 La Fontaine, Jean de 166
Personenregister Lampel, Alfred 169 Lang, Fritz 182 Laurel, Stan 28 Léger, Fernand 142 Lessing, Gunther 30 Levine, James 87 Lewis, Bert 44 Ligeti, György 161 Liszt, Franz 71 Luckett, Moya 62 Ludwig, Irving 77 Macauly, Alastair 157 Mahler, Gustav 69, 191 Mamoulian, Rouben 169 Mann, Thomas 126 Marx, Harpo 26 Marx Brothers 28 McCay, Winsor 27, 36, 48, 157 Messmer, Otto 17 Meyerberg, Michael 58 Mintz, Charles 18 Moore, Fred 40, 174 Morros, Boris 70 Motel, Ella 88 Mozart, Wolfgang Amadeus 59, 64, 71, 102, 168 Mungen, Anno 79 Mussolini, Benito 29 Mussolini, Vittorio 29 Mussorgsky, Modest 60, 147, 179–193 Nijinsky, Vaslav 156, 157, 160 Novis, Julietta 188 Papst Pius XI. 29 Parker, Claire 181 Pearce, Perce 56 Pierné, Gabriel 60, 78, 147, 167 Pike, Miles 104 Platthaus, Andreas 46 Plebuch, Tobias 106 Plumb, Edward 60, 75 Ponchielli, Amilcare 60, 89, 143–148 Powell, Eleanor 143 Prokofiev, Sergej 59, 63 Rachmaninow, Segej 20, 43, 59 Rapée, Ernö 169 Reinhardt, Django 92 Reinhardt, Max 143 Reiniger, Lotte 21
Personenregister Reitberger, Reinhold 31 Respighi, Ottorino 87 Riefenstahl, Leni 29 Rimsky-Korsakow, Nikolaj 48, 64, 180, 181 Roach, Hal 29 Rodgers, Richard 171 Roerich, Nicholas 156 Rogers, Ginger 143 Rossini, Gioacchino 45 Saint-Saëns, Camille 59, 87 Salten, Felix 23 Scheib, Philip A. 18 Schostakowitsch, Dimitrij 64, 87 Schubert, Franz 60, 83, 89, 118, 179–193 Schultheis, Herman 104 Schuman, William 67 Scott, Walter 188 Seversky, Alexander de 31 Sibelius, Jean 63 Simmel, Mary-Ann 114 Smith, Paul 22 South, Eddie 92 Spengler, Oswald 106 Stalling, Carl 19, 20, 38, 39, 43, 44, 46, 49 Steiner, Max 191 Stokowski, Leopold 41, 42, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 63, 65–72, 73, 79, 80, 82, 83, 84, 86, 87, 91, 92, 93, 95, 97, 98, 99, 102, 103, 106, 108, 111, 114, 116, 117, 118, 119, 133, 156, 158, 161, 168, 174, 181, 182, 183, 186 Strauss, Richard 59, 133 Strawinsky, Igor 59, 60, 63, 78, 86, 87, 88, 89, 141, 156–166 Sullivan, Pat 17 Tati, Jacques 156 Taylor, Deems 41, 58, 59, 60, 61, 63, 65– 72, 78, 79, 81, 82, 83, 84, 85, 91, 94, 97, 100, 121, 122, 123, 125, 149, 156, 159, 161, 167, 168, 180, 183, 187, 189 Temple, Shirley 167, 168 Terry, Paul 18 Toscanini, Arturo 54, 56 Tschaikowsky, Peter I. 60, 71, 149–156, 159 Tytla, Bill 32 Valéry, Paul 142 Verdi, Giuseppe 71
205
Wagner, Richard 50, 59, 61, 63, 70, 71, 91, 133, 191 Wallace, Oliver 51 Washington, Ned 22 Waxman, Carman 18 Weber, Carl Maria von 63 Weill, Kurt 141 Weinberger, Jaromír 59 White, Paul 64 Williams, Peter 93 Worringer, Wilhelm 105 Worth, Bobby 61 Young, Cyrus (Cy) S. 102, 103, 104
A RC H I V F Ü R M U S I K W I S S E N S C H A F T
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BEIHEFTE
Herausgegeben von Albrecht Riethmüller in Verbindung mit Ludwig Finscher, Hans-Joachim Hinrichsen, Birgit Lodes und Wolfram Steinbeck. Franz Steiner Verlag
ISSN 0570–6769
20. Erik Fischer Zur Problematik der Opernstruktur Das künstlerische System und seine Krisis im 20. Jahrhundert 1982. VII, 194 S. mit 62 Notenbeisp., Ln. mit Schutzumschlag ISBN 978-3-515-03548-6 21. Willi Apel Die italienische Violinmusik im 17. Jahrhundert 1983. X, 246 S. mit 202 Notenbeisp. und 1 Abb., Ln. mit Schutzumschlag ISBN 978-3-515-03786-1 22. Renate Groth Die französische Kompositionslehre des 19. Jahrhunderts 1983. VIII, 252 S. mit zahlr. Notenbeisp., Ln. mit Schutzumschlag ISBN 978-3-515-03746-2 23. Werner Breig / Reinhold Brinkmann / Elmar Budde (Hg.) Analysen Beiträge zu einer Problemgeschichte des Komponierens. Festschrift für Hans Heinrich Eggebrecht zum 65. Geburtstag 1984. XVI, 444 S. mit zahlr. Notenbeisp., Ln. mit Schutzumschlag ISBN 978-3-515-03662-8 24. Martin Zenck Die Bach-Rezeption des späten Beethoven Zum Verhältnis von Musikhistoriographie und Rezeptionsgeschichtsschreibung der Klassik 1986. IX, 315 S. mit zahlr. Notenbeisp., Ln. mit Schutzumschlag ISBN 978-3-515-03912-0 25. Herbert Schneider Jean Philippe Rameaus letzter Musiktraktat Vérités également ignorées et interessantes tirées du sein de la Nature (1764). Kritische Ausgabe und Kommentar 1986. VII, 110 S., Ln. mit Schutzumschlag ISBN 978-3-515-04502-3 26. Thomas Röder
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Auf dem Weg zur BrucknerSymphonie Untersuchungen zu den ersten beiden Fassungen von Anton Bruckners Dritter Symphonie 1987. 232 S. mit zahlr. Notenbeisp., Ln. mit Schutzumschlag ISBN 978-3-515-04560-2 Matthias Brzoska Franz Schrekers Oper „Der Schatzgräber“ 1988. 209 S. mit zahlr. Notenbeisp., Ln. mit Schutzumschlag ISBN 978-3-515-04850-2 Andreas Ballstaedt / Tobias Widmaier Salonmusik Zur Geschichte und Funktion einer bürgerlichen Musikpraxis 1989. XIV, 458 S. mit 22 Notenbeisp., 69 Abb. und 9 Tab., geb. ISBN 978-3-515-04936-3 Jacob de Ruiter Der Charakterbegriff in der Musik Studien zur deutschen Ästhetik der Instrumentalmusik 1740–1850 1989. 314 S., geb. ISBN 978-3-515-05156-2 Ruth E. Müller Erzählte Töne Studien zur Musikästhetik im späten 18. Jahrhundert 1989. 177 S., geb. ISBN 978-3-515-05427-8 Michael Maier Jacques Handschins „Toncharakter“ Zu den Bedingungen seiner Entstehung 1991. 237 S., geb. ISBN 978-3-515-05415-4 Christoph von Blumröder Die Grundlegung der Musik Karlheinz Stockhausens 1993. IX, 193 S. mit zahlr. Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-05696-3 Albrecht von Massow Halbwelt, Kultur und Natur in Alban
34.
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42.
Bergs „Lulu“ 1992. 281 S. mit 91 Notenbeisp. und 5 Abb., geb. ISBN 978-3-515-06010-3 Christoph Falkenroth Die „Musica speculativa“ des Johannes de Muris Kommentar zur Überlieferung und Kritische Edition 1992. V, 320 S., geb. ISBN 978-3-515-06005-7 Christian Berger Hexachord, Mensur und Textstruktur Studien zum französischen Lied des 14. Jahrhunderts 1992. 305 S. mit zahlr. Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-06097-9 Jörn Peter Hiekel Bernd Alois Zimmermanns Requiem für einen jungen Dichter 1995. 441 S. mit zahlr. Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-06492-3 Rafael Köhler Natur und Geist Energetische Form in der Musiktheorie 1996. IV, 260 S., geb. ISBN 978-3-515-06818-X Gisela Nauck Musik im Raum – Raum in der Musik Ein Beitrag zur Geschichte der seriellen Musik 1997. 264 S. mit 14 Notenbeisp. und 27 Abb., geb. ISBN 978-3-515-07000-1 Wolfgang Sandberger Das Bach-Bild Philipp Spittas Ein Beitrag zur Geschichte der BachRezeption im 19. Jahrhundert 1997. 323 S., geb. ISBN 978-3-515-07008-7 Andreas Jacob Studien zu Kompositionsart und Kompositionsbegriff in Bachs Klavierübungen 1997. 306 S. mit 41 Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-07105-9 Peter Revers Das Fremde und das Vertraute Studien zur musiktheoretischen und musikdramatischen Ostasienrezeption 1997. 335 S., geb. ISBN 978-3-515-07133-4 Lydia Jeschke
43.
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Prometeo Geschichtskonzeptionen in Luigi Nonos Hörtragödie 1997. 287 S. mit 41 Abb., geb. ISBN 978-3-515-07157-1 Thomas Eickhoff Politische Dimensionen einer Komponisten-Biographie im 20. Jahrhundert Gottfried von Einem 1998. 360 S. mit 1 Frontispiz und 4 Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-07169-5 Dieter Torkewitz Das älteste Dokument zur Entstehung der abendländischen Mehrstimmigkeit Eine Handschrift aus Werden an der Ruhr: Das Düsseldorfer Fragment 1999. 131 S. und 8 Farbtaf., geb. ISBN 978-3-515-07407-4 Albrecht Riethmüller (Hg.) Bruckner-Probleme Internationales Kolloquium vom 7.–9. Oktober 1996 in Berlin 1999. 277 S. mit 4 Abb. und 48 Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-07496-1 Hans-Joachim Hinrichsen Musikalische Interpretation Hans von Bülow 1999. 562 S. mit 70 Notenbeisp. und 10 Taf., geb. ISBN 978-3-515-07514-3 Frank Hentschel Sinnlichkeit und Vernunft in der mittelalterlichen Musiktheorie Strategien der Konsonanzwertung und der Gegenstand der musica sonora um 1300 2000. 368 S., geb. ISBN 978-3-515-07716-2 Hartmut Hein Beethovens Klavierkonzerte Gattungsnorm und individuelle Konzeption 2001. 432 S. mit 70 Notenbeisp. und 47 Abb., geb. ISBN 978-3-515-07764-2 Emmanuela Kohlhaas Musik und Sprache im Gregorianischen Gesang 2001. 381 S. mit zahlr. Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-07876-2 Christian Thorau Semantisierte Sinnlichkeit Studien zu Rezeption und Zeichenstruktur
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der Leitmotivtechnik Richard Wagners 2003. 296 S. mit zahlr. Notenbeisp. und Abb., geb. ISBN 978-3-515-07942-4 Christian Utz Neue Musik und Interkulturalität Von John Cage bis Tan Dun 2002. 533 S. mit zahlr. Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-07964-5 Michael Klaper Die Musikgeschichte der Abtei Reichenau im 10. und 11. Jahrhundert Ein Versuch 2003. 323 S. und 19 Taf., geb. ISBN 978-3-515-08212-3 Oliver Vogel Der romantische Weg im Frühwerk von Hector Berlioz 2003. 385 S. mit 102 Notenbeisp. und 1 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08336-7 Michael Custodis Die soziale Isolation der neuen Musik Zum Kölner Musikleben nach 1945 2004. 256 S., geb. ISBN 978-3-515-08375-8 Marcus Chr. Lippe Rossinis opere serie Zur musikalisch-dramatischen Konzeption 2005. 369 S. mit zahlr. Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-08586-6 Federico Celestini Die Unordnung der Dinge Das musikalische Groteske in der Wiener Moderne (1885–1914) 2006. 294 S. mit 86 Notenbeisp. und 9 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08712-5 Arnold Jacobshagen Opera semiseria Gattungskonvergenz und Kulturtransfer im Musiktheater 2005. 319 S., geb. ISBN 978-3-515-08701-x Arne Stollberg Ohr und Auge – Klang und Form Facetten einer musikästhetischen Dichotomie bei Johann Gottfried Herder, Richard Wagner und Franz Schreker 2006. 307 S. mit 27 Notenbeisp. und 4 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08868-7
59. Michael Fend Cherubinis Pariser Opern (1788–1803) 2007. 408 S. mit 2 Notenbeisp. und CD-ROM, geb. ISBN 978-3-515-08906-7 60. Gregor Herzfeld Zeit als Prozess und Epiphanie in der experimentellen amerikanischen Musik Charles Ives bis La Monte Young 2007. 365 S. mit 60 Notenbeisp. und 13 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09033-9 61. Ivana Rentsch Anklänge an die Avantgarde Bohuslav Martinůs Opern der Zwischenkriegszeit 2007. 289 S. mit 63 Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-08960-9 62. Frank Hentschel Die „Wittener Tage für neue Kammermusik“ Über Geschichte und Historiografie aktueller Musik 2007. 277 S. mit 6 Notenbeisp. und 4 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09109-1 63. Simon Obert Musikalische Kürze zu Beginn des 20. Jahrhunderts 2008. 307 S. mit 37 Notenbeisp. und 1 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09153-4 64. Isabel Kraft Einstimmigkeit um 1500 Der Chansonnier Paris, BnF f. fr. 12744 2009. 348 S. mit zahlr. Notenbeisp., 71 Abb. und CD-ROM, geb. ISBN 978-3-515-08391-1 65. Frédéric Döhl „… that old barbershop sound“ Die Entstehung einer Tradition amerikanischer A-cappella-Musik 2009. 294 S. mit 46 Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-09354-5 66. Ulrich Linke Der französische Liederzyklus von 1866 bis 1914 Entwicklungen und Strukturen 2010. 311 S. m. zahl. Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-09679-9