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German Pages 142 Year 2011
Katte Ordre und Kriegsartikel Aktenanalytische und militärhistorische Aspekte einer „facheusen“ Geschichte Von Jürgen Kloosterhuis Zweite, durchgesehene und erweiterte Auflage
Duncker & Humblot
JÜRGEN KLOOSTERHUIS
Katte · Ordre und Kriegsartikel
Abb. 1: Hohenzollern-Krone und Katten-Katze, vereint im Schild des Generalfeldmarschalls Hans Heinrich von Katte, den der junge König Friedrich II. am 6. August 1740 mit diesem Wappen in den Grafenstand erhob (vgl. S. 110). Vorlage: GStA PK, VI. HA Familienarchiv von Katte (Dep.)
Katte Ordre und Kriegsartikel Aktenanalytische und militärhistorische Aspekte einer ,,facheusen“ Geschichte
Von
Jürgen Kloosterhuis Zweite, durchgesehene und erweiterte Auflage
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Abb. auf dem Vordereinband: Hans Hermann von Kattes letzter Gang auf dem Küstriner Festungswall am 6. November 1730, vorbei an dem am Fenstergitter stehenden Friedrich, mit dem er letzte Worte wechseln kann. – Mit dieser Darstellung folgte Adolph Menzel nicht der allgemeinen (aber wohl falschen) Ansicht, nach der Katte auf einem Schafott „vor dem Fenster, vor den Augen“ des Kronprinzen hingerichtet wurde. Er orientierte sich vielmehr an der das „Exekutionsort-Problem“ vorsichtig offenhaltenden Version in der Lebensgeschichte Friedrichs des Großen von Johann David Erdmann Preuß von 1832, die 1905 durch Lokalstudien des Küstriner Garnisonspfarrers Hoffbauer bekräftigt wurde; vgl. im Text Anm. 270 und 281. (# ullstein bilderdienst)
1. Auflage 2006 (Teildruck aus: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 15. Bd. 2005) 2., durchgesehene und erweiterte Auflage 2011 Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-428-13607-0 (Print) ISBN 978-3-428-53607-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-83607-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ¥ entsprechend ISO 9706 *
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Inhalt I. Kronprinzenkonflikt – Kattetragödie – Königsdrama . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Unkonventioneller Geschäftsgang und individuelle Schriftgutformen: Das Kabinett, seine Ordres und Dekret-Schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Die „Küstriner Akten“: Ein lückenhaftes Pertinenzgemenge . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Gardekürassier von Katte: zwischen Reichsdienst und Regimentskultur . . . . .
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V. Kronprinz Friedrich: Absalom in re, Apollon in spe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VI. Der König und sein Kriegsgericht: Militärische Justiz versus gesunder Menschenverstand? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VII. Nachwort zur zweiten Auflage: Rezension und Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Quellen-Anhang Q 1 Rittmeister Hans Friedrich von Katte, an Oberstleutnant Daniel bzw. Major Friedrich Wilhelm von Rochow: Fluchtabsichten des preußischen Kronprinzen Friedrich; o. D. [ca. 1730-Juli-29, Erlangen] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Q 2 König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Kriegsgericht zu Köpenick: Bestätigung der Kriegsgerichtsurteile über die Leutnants Alexander Sweder von Spaen, Johann Ludwig von Ingersleben und Peter Christoph Karl von Keith; Verschärfung des Kriegsgerichtsurteils über den Leutnant Hans Hermann von Katte zur Todesstrafe (zwei Versionen); 1730-November-1 . . . . . . . .
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Q 3 König Friedrich Wilhelm I. in Preußen im Schriftwechsel mit Generalleutnant Hans Heinrich von Katte: Notwendigkeit der Verhängung der Todesstrafe über dessen Sohn Hans Hermann von Katte – Regelung dienstlicher Angelegenheiten des Regiments zu Pferd Nr. 9 – Verleihung des Schwarzen Adlerordens; 1730 – 1731 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Q 4 Unterrichtung Dritter über die Bestrafung der aktiven Beteiligung der Leutnants Peter Christoph Karl von Keith und Hans Hermann von Katte an den staatsgefährdenden Fluchtversuchen des preußischen Kronprinzen Friedrich; 1730 – 1731 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Q 5 Anfertigung eines neuen Wappens für den Generalfeldmarschall Hans Heinrich von Katte anläßlich seiner Erhebung in den Grafenstand; 1740-August / November . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
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Inhalt
Q 6 Aufnahme der in den Gemächern des Kronprinzen im Potsdamer Stadtschloß befindlichen (Wert-)Sachen; o. D. [Potsdam, 27. August 1730] . . . . . . . . . 120 Q 7 Aufnahme der vom Kronprinzen dem (mittlerweile arretierten) Leutnant von Katte zur Verwahrung übergebenen oder diesem selbst eigentümlichen Briefschaften und (Wert-)Sachen; [Berlin], 28. August 1730 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Q 8 Aufnahme der in den Potsdamer Quartieren der Leutnants Johann Ludwig von Ingersleben und Alexander Sweder von Spaen befindlichen (Wert-) Sachen; Potsdam, 1. September 1730 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Q 9 Aufnahme der in seinem Quartier zu Wesel zurückgelassenen (Wert-)Sachen des Leutnants Peter von Keith; Wesel, 7. August 1730 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Q 10 Gepeitscht, gehängt, zurückgekehrt: Doris Ritter und Peter von Keith; (1730 – 1756) Ca. 1802, 1822 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
„Wer kennt nicht das Regiment Gensdarmes? Und wer hätte nicht gehört von der Verschwendungslust und Tollkühnheit seiner Offiziere, von ihrem Mut und Übermut!“1
I. Kronprinzenkonflikt – Kattetragödie – Königsdrama Die Geschichte spielte im frühen 18. Jahrhundert – in der Anfangszeit des Regiments Gens d’armes. Sie kulminierte 1730, als das damals noch junge Königreich Preußen und insonderheit die eigenwillige Reform auf der Probe standen, die sein König Friedrich Wilhelm I. seit 1713 ins Werk gesetzt hatte. Sie diente dem Ziel, aus dem zeitgenössisch avancierten, doch ruinösen Königtum seines Vaters Friedrich I. ein ebenso religiös fundiertes, wie rational funktionierendes Königreich zu schaffen, in dem die Wohlfahrt seiner Untertanen als Abbild göttlichen Wohlgefallens auf festen Grundlagen ruhte: einer geordneten Verwaltung, einer soliden Ökonomie, und einer formidablen Armee2. Bekanntlich und unzählige Male geschildert erwuchs Friedrich Wilhelm I. im eigenen Sohn Friedrich ein Widersacher, der das Reformwerk dadurch in Frage stellte, daß er sich seinen Zwängen durch Flucht zu entziehen versuchte3. In diesen staatserschütternden, innen- wie außenpolitisch belaste-
1 Theodor Fontane, Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Erster Teil, Die Grafschaft Ruppin, (Ges. Werke, hrsg. v. Gotthard Erler / Rudolf Mingau, 1), Berlin / Weimar 1976 , Kapitel Garz, 423. 2 Vgl. grundlegend noch immer Friedrich von Oppeln-Bronikowski, Der Baumeister des preußischen Staates. Leben und Wirken des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelms I., Jena 1934; Carl Hinrichs, Friedrich Wilhelm I., König in Preußen. Eine Biographie. Jugend und Aufstieg, Hamburg 1941 (erw. Repr. Darmstadt 1974); sowie ders., Preußen als historisches Problem. Gesammelte Abhandlungen, hrsg. v. Gerhard Oestreich, Berlin 1964. Die neueren Forschungsbeiträge fassen zusammen Friedrich Beck / Julius H. Schoeps (Hrsg.), Der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. in seiner Zeit, Potsdam 2003. Vgl. für die weitere Literatur die Bibliographie Friedrich der Große 1786 – 1986, bearb. v. Herzeleide und Eckart Henning, Berlin / New York 1988, 98 – 103; dazu die Bibliographie Friedrich Wilhelm I. Schriftum von 1688 bis 2005, bearbeitet von Gabriele Jochums (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Arbeitsbereich 6), Berlin 2005. 3 Zu den „Klassikern“ Friedrich Förster, Friedrichs des Großen Jugendjahre, Bildung und Geist, Berlin 1823; Johann David Erdmann Preuß, Friedrichs des Großen Jugend und Thronbesteigung. Eine Jubelschrift, Berlin 1840; Reinhold Koser, Friedrich der Große als Kronprinz, 2. Aufl., Stuttgart 1901; und Ernest Lavisse, Die Jugend Friedrichs des Großen 1712 – 1733. Berechtigte Verdeutschung von Friedrich von Oppeln-Bronikowski, Berlin 1919; vgl. v. a. in präziser Zusammenfassung des Konfliktpotentials und mit differenzierter Bibliographie Peter Baumgart, Kronprinzen-
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I. Kronprinzenkonflikt – Kattetragödie – Königsdrama
ten Konflikt waren einerseits der König und seine Parteigänger, andererseits der Kronprinz und seine Komplizen verstrickt. Von ihnen wurde einer besonders bekannt: Hans Hermann von Katte4. Er spielte die Rolle des hauptsächlichen Helfers zum Fluchtversuch aus dem Steinsfurter „Lerchennest“ am 5. August 1730. Dessen Scheitern führte zum Kriegsgerichtsverfahren im Herbst und gipfelte in Kattes Hinrichtung auf dem Küstriner Festungswall bei der Mühlenpforte kurz vor der Bastion Brandenburg am 6. November. Der Fakten-Ablauf ist bekannt5; er wird im folgenden vorausgesetzt6. Beim bloßen Schildern der Ereignisse oder der eingehenderen Konfliktanalyse hat sich das Hauptaugenmerk schon immer auf Friedrich und Hans Hermann gerichtet. Der Vorwurf, daß dieser Opfer eines preußischen Justizmords wurde, ist noch zu jenes Lebzeiten polemisch erhoben worden7. Doch auch seriöse Forscher stilisierten beide zum mißbrauchten Freundespaar8; opposition. Zum Verhältnis Friedrichs zu seinem Vater Friedrich Wilhelm I., in: Friedrich der Große, Franken und das Reich, hrsg. v. Heinz Duchhardt, Köln / Wien 1986, 5 – 23. 4 Vgl. für erste biographische Informationen und differenzierte Bewertungen die Artikel Hans Hermann von Katte, von Gerhard Knoll, in NDB 11 (1977), 329 – 330; und von Jürgen Kloosterhuis, in: Brandenburgisches Biographisches Lexikon, hrsg. von Friedrich Beck / Eckart Henning, Potsdam 2002, 214 f. Sachlich und behutsam erinnerte zuletzt Heide Schwochow in einem „Zeitzeichen“ des WDR zum 28. Februar 2004 an Hans Hermann von Katte. 5 Zur weiteren Information über die Ereignisse, die ab Sommer 1729 zu Fluchtversuch und Prozeß führten, vgl. die offiziöse (scil. einseitige) Darstellung „Kurtzer Unterricht von dem Verbrechen, so der zu Cüstrin enthauptete Lieutenant von Katte begangen hat“; Quellenanhang Q 4c; speziell zum Reiseverlauf 1730 aus erster Hand Hans Wagner, Das Reisejournal des Grafen Seckendorff vom 15. Juli bis zum 26. August 1730, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 10 (1957), 186 – 242; dazu als insgesamt sehr zuverlässige Detail-Schilderung Helmut Eckert, Fürstenreise und Fluchtversuch. König und Kronprinz von Preußen 1730, Sinsheim-Steinsfurt 1982. 6 Zum Prozeßverlauf bis zur Hinrichtung vgl. zunächst die Quellenedition von Carl Hinrichs, Der Kronprinzenprozeß. Friedrich und Katte, Hamburg 1936 (vgl. unten Anm. 67); dazu ergänzend: Fürsprache. Monarchenbriefe zum Kronprinzenprozeß Küstrin 1730. Veröffentlichungen aus den Prozessakten, mit Einführung von Gerhard Zimmermann und Hans Branig, Berlin u. a. 1965. Selektiv kompiliert gedrucktes Material Frank Schumann (Hrsg.), Allergnädigster Vater. Die Verkrüppelung eines Charakters zu Wusterhausen. Dokumente aus der Jugend Friedrichs II., Berlin 1986; ebenso unseriös erscheint Rainer Ahnert, Friedrich und Katte. Der Kronprinzenprozeß, Friedberg o. J. [1982]. 7 Vgl. [Friedrich Carl von Moser,] Königlicher Kabinets-Justiz-Mord vom Jahre 1730, in: Patriotisches Archiv für Deutschland, 3. Bd., Frankfurt / Leipzig 1785, 140 – 176. Zur Genese der Polemik, die in den 1780er Jahren den Soldatenkönig persönlich und den Absolutismus überhaupt anschwärzte, vgl. Gustav Wallat, Geschichtsschreiber, Memoiren und Literatur zur Geschichte Friedrich Wilhelms I., Deutsch-Krone 1899; zur weiteren wissenschaftlichen Aufarbeitung im 19. Jahrhundert Stephan Skalweit, Friedrich Wilhelm I. und die preußische Historie, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands VI (1957), 107 – 131. 8 So zuletzt Thomas Stamm-Kuhlmann, „Ich sterbe mit tausend Freuden für Sie“. Friedrich von Preussen und Katte, in: Deutsche Freunde. Zwölf Doppelporträts, hrsg. v. Thomas Karlauf, Reinbeck 1997, 9 – 50; entsprechend auch ders., Der Vater in den
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publizistische Einzelkämpfer9 und Poeten haufenweise deklarierten sie als Rebellen, von denen der eine seelisch hingerichtet und der andere körperlich geköpft wurde10 – worauf jener als „König der Widersprüche“ seine große Bahn zog und dieser in moderner (gar verfilmter) Rückblende immerhin „zu einer Art preußischem James Dean“ avancierte11. Doch lief die Geschichte zweier Kollateralopfer bei genauerer Betrachtung auf einen lösbaren Kronprinzenkonflikt oder eine unabwendbare Kattetragödie hinaus? Jedenfalls blieb die damit verknüpfte Erinnerung an tragische Trauer im kollektiven Gedächtnis der davon betroffenen Adelsfamilien auf Dauer verNöten seines Dienstes. Zur Rezeptionsgeschichte Friedrich Wilhelms I., in: Beck / Schoeps, Soldatenkönig (Anm. 1), 315 – 336. Stamm-Kuhlmann bezeichnet Katte als Stellvertreter-Opfer und verurteilt dafür den König, der blindwütig ein Todesurteil verhängte, wo ihm sein Kriegsgericht einen Entscheidungsspielraum zum Besseren freigeräumt hatte. „Man mußte nicht, man wollte“ (44). Danach schwenkte der Kronprinz, knapp davongekommen, auf die brutale Härte des Vaters ein. „Die Folgen für Preußen und Deutschland sind bekannt“ (50). Doch die große Linie vom Lerchennest zum Führerbunker läuft ins Leere, wenn man danach fragt, was Friedrich Wilhelm I. 1730 wollen mußte. 9 So zuerst Werner Hegemann, Das Jugendbuch vom großen König, oder Kronprinz Friederichs Kampf um die Freiheit, Hellerau 1930. Hegemann, der die JustizmordThese zur Tatsache erhob, polemisierte im Vorwort (XXII ff.) munter gegen „Rankeund sonstige Archiv-Räte“ und ihre Forderung, zur Geschichtsfortschreibung immer neue Quellen zu erschließen. Statt dessen forderte er, aus dem bekannten „Aktenstaub einige Tatsachen herauszufischen, die für den Deutschen von heute noch Wert haben“. Hegemann hielt es wohl nicht für möglich, was der Verfasser – kein Ranke, aber Archivar – feststellen mußte: Daß auch in Preußen Akten manchmal verschwinden konnten. Um vermeintliche „Tatsachen“ wie einen „Justizmord“ ist es dann plötzlich schlecht bestellt. Zum publizistischen Anliegen von Hegemanns Fridericiana vgl. Heinz Dieter Kittsteiner, Werner Hegemann als Historiker, in: Geist und Macht. Friedrich der Große im Kontext der europäischen Kulturgeschichte, hrsg. v. Brunhilde Wehinger, Berlin 2005, 157 – 183; zu seiner Biographie insgesamt Caroline Flick, Werner Hegemann (1881 – 1936). Stadtplanung, Architektur, Politik – Ein Arbeitsleben in Europa und den USA, (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 84), Berlin 2005. 10 Für eine Auflistung von 24 Kronprinz- / Katte-Dramen zwischen 1795 und 1914, von denen die gehaltvollsten wohl von Otto Ludwig, Heinrich Laube und Emil Ludwig stammten, vgl. Heinrich Stümcke, Kronprinz Friedrich und Katte auf der Bühne, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 32 / 33 (1915 / 1916), 94 – 96, 100 – 103 und 5 – 6; dazu bereits ders., Hohenzollernfürsten im Drama. Ein Beitrag zur vergleichenden Literatur- und Theatergeschichte, Leipzig 1903, 187 für die treffliche Beobachtung, daß alle dramatischen Verzerrungen der Geschichte im Grunde in den tendenziösen Memoiren der Wilhelmine von Bayreuth ihre Regieanweisung fanden (vgl. Anm. 132). Martin von Katte, Memorial (Anm. 12), 3, zählt dazu fünf weitere poetische Stoffverarbeitungen bis zum II. Weltkrieg (Paul Ernst, 1915; Joachim von der Goltz, 1919; Gertrud von Brockdorff, 1933; Hans Rehberg, 1935; Jochen Klepper, 1937) und eine danach (Paul Alverdes, 1960). 11 Theaterzettel zum Melodrama „Katte!“ von Barbara Geiger (2001), „ein Hörkitzel der besonderen Art“. Kitzliger noch dröhnt die Oper „Kronprinz Friedrich“ von Siegfried Matthus im Ohr (1999), sensibler die Kammeroper „Friedrich und Katte“ von Wolfgang Knuth (1998). – Nach der Episodenverarbeitung im ersten FridericusFilm von 1921 / 22 drehte sich der UFA-Streifen „Der alte und der junge König“ von 1935 nach dem Drehbuch der Thea von Harbou ganz um den Konfliktstoff. Der neue deutsche Preußenfilm, der mittlerweile mit dem Trenck-Thema seltsam-fröhliche Urständ feierte, hat den Stoff vom glücklosen Gens d’armes noch nicht entdeckt.
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I. Kronprinzenkonflikt – Kattetragödie – Königsdrama
ankert12. Dagegen lag der historiographische Schwerpunkt meist auf Friedrichs Part. Im Zentrum der folgenden Betrachtungen wird Hans Hermann von Katte stehen; also eine Perspektive gewählt werden, die schon Theodor Fontane für angemessener hielt: „Es gibt kaum einen Abschnitt in unserer Historie, der öfter behandelt worden wäre als die Katte-Tragödie. Aber so viele Schilderungen mir vorschweben, das Ereignis selbst ist bisher immer nur auf den Kronprinzen Friedrich hin angesehen worden. Oder wenigstens vorzugsweise. Und doch ist der eigentliche Mittelpunkt dieser Tragödie nicht Friedrich, sondern Katte. Er ist der Held, und er bezahlt die Schuld.“13
Von Hans Hermann sind aus sechs Dienstjahren als Subalternoffizier drei Porträts in Uniform und ein ziviles Gruppenbild überliefert14. Hier interes12 Vgl. Gustav Gans Edler von Putlitz, Kronprinz Friedrich und Hans Hermann von Katte 1730, in: Brandenburgische Geschichten, hrsg. v. dems., Stuttgart 1862, 137 – 208; sowie ders., Mein Heim. Erinnerungen aus Kindheit und Jugend, Berlin 1885, 38 ff.; ebenso Martin von Katte, Schwarz auf Weiß. Erinnerungen eines Neunzigjährigen, Berlin 1987, 73, 76 f., 87, 101. Über die Memoria hinaus hat sich Martin von Katte zu Zolchow intensiv mit dem Schicksal seines berühmten Vorfahren beschäftigt und zahllose Einzelheiten, v. a. auch aus dem 1945 vernichteten Familienarchiv von Katte, in verschiedenen Manuskripten verarbeitet, die bislang nicht, nur privat oder aufs Knappste reduziert gedruckt wurden; vgl. Martin von Katte, Hans Hermann Katte. Eine biographische Skizze aus dem späten Barock, in: Das Lerchennest 4 (Dezember 1975), 2 – 8. Ich bin daher seiner Tochter, Frau Dr. Maria von Katte, zu besonderem Dank verpflichtet, daß sie mich diese Manuskripte einsehen und exzerpieren ließ. Im folgenden werden unter Verfasserangabe Martin von Katte zitiert: [1.] Hans Hermann, 1. Entwurf (Manuskript 1934, in Abschrift durch Maria von Katte 1997); [2.] Die Katten im Stammbaum (Privatdruck 1965); [3.] Ikonographische Aufzeichnungen, zum Kattentag in Friedeburg (Manuskript Juni 1974); [4.] Zur Ahnentafel des Hans Hermann von Katte (1704 – 1739), aufgeschworen 1728 beim Johanniterorden Ballei Brandenburg, designiert zur Commende Werben (Manuskript Dezember 1974); [5.] Zur Biographie des Hans Hermann von Katte (1704 – 1730). Ein erwiderndes Memorial (Manuskript Frühjahr 1975). 13 Theodor Fontane, Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Zweiter Teil, Das Oderland. Barnim – Lebus, (Ges. Werke, hrsg. von Gotthard Erler und Rudolf Mingau, 2), Berlin / Weimar 1976, Kapitel Küstrin, 324 f. Zu Fontanes ebenso erschrockener wie verständnisbemühter Beschäftigung mit dem Thema vgl. Mayumi Kikawa, Von Küstrin zur Katte-Tragödie. Ein Beitrag zur Auseinandersetzung Fontanes mit dem Preußentum in den Wanderungen durch die Mark Brandenburg, in: Fontane-Blätter 63 (1997), 102 – 120. 14 Die Katte-Porträts lassen sich nur schwer klassifizieren. Sie liegen meist in der Wiedergabe alter Photographien vor, die nicht mehr erkennen lassen, ob es sich dabei um zeitgenössische Werke oder spätere mehr oder weniger schlechte Kopien handelt. Nach Katte, [3.] Ikonographische Aufzeichnungen (Anm. 12), sind zu unterscheiden: [a.] Das Wuster Porträt I (Bruststück), Katte als Kornett in Galauniform: Im blauen bortenverzierten Rock, mit Brustküraß (mit Chiffre); heute verschollen, doch Photographie erhalten, desgl. Abzeichnung (in: Beilage zum Magdeburger Centralanzeiger vom 20. 8. 1904); dazu das Langheimer Porträt (Bruststück, weitere Ausführung des Wuster Porträts I), heute verschollen, doch Photographie von 1932 erhalten; [b.] Das Karower (?) Porträt (Bruststück), Katte als Sekond- oder Premierleutnant: Im blauen schleifenverzierten Rock, mit Brustküraß (mit Chiffre), mit Johanniterorden; heute verschollen, doch Photographie erhalten; [c.] Das Lindower (oder Retziner) Porträt von Georg Lisiewski (aus einem Hüftstück entwickeltes Kniestück): Katte als Premierleutnant in Dienstuniform: Im Kollett, mit Brust- und Rückenküraß (Brustküraß
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siert besonders sein letztes, das „Lindower Konterfei“. Es wurde von Georg Lisiewski geschaffen, begonnen noch zu Lebzeiten des Auftraggebers, aber wohl für die Familie erst nach dessen Hinrichtung vollendet, da der Künstler auf der Rückseite der Leinwand vermerkte: „Dises Originalbild hat der seelige Freyherr von Katt mit grossen Fleis vertigen lassen von mich, George Liszewsky, Mahler in Berlin, anno 1730“15. Der Porträtierte steht dem Betrachter in Halbfigur gegenüber, in Uniform und Ausrüstung eines Offiziers vom Regiment zu Pferd Gens d’armes (Kür. Nr. 10) – d. h. auch, mit umgeschnalltem Brust- (und Rücken-)Panzer. Dem vorschriftsmäßig geschwärzten Kommiß-Küraß fehlt jedoch ein charakteristisches Detail: Die Chiffre, der knapp unter die Mitte der Halsschiene aus vergoldetem Messing aufgesetzte gekrönte Namenszug des Königs „FW“16. Andererseits zeigt Lisiewski sein Modell mit dem Johanniterkreuz am schwarzen Seidenband – das der erzürnte Monarch dem Leutnant bei der ersten Vernehmung am 27. August 1730 doch vom Halse gerissen haben soll17. Führte hier gebrauchsmalerische Flüchtigkeit, künstlerische Freiheit oder gar ein intellektueller Protest gegen die Härte der Behandlung, die Katte erlitt, den Pinsel des Malers18? Freilich war der so Porträtierte der Mann des Königs nicht mehr; er lag – vom Kreuz bezeichnet – ganz in Gottes Hand. So weisen
ohne Chiffre), mit Johanniterorden, heute im Privatbesitz; dazu das Ünglinger Porträt (ovales Bruststück, nach dem Lindower Porträt); heute verschollen, doch Photographie von 1902 erhalten; desgl. ein Photo davon im Kreismuseum Jerichower Land zu Genthin; dazu weiter das Wuster Porträt II (ovales Bruststück, nach dem Ünglinger Porträt); heute verschollen, doch Photographie erhalten. In diesen Motivkreis gehört auch das Golzower Porträt (Hüftstück), Katte in Dienstuniform (deren Küraß-Details allerdings zu seiner Zeit entweder noch nicht eingeführt oder falsch gemalt worden waren); heute wie eine weitere Ausführung in Neuhausen verschollen, doch Photographie erhalten. Zu den Katte-Gemälden zählt weiterhin [d.] „Das Geschwisterkonzert“, Johann Harper zugeschrieben, Hans Hermann im roten Rock mit Querflöte und seine Schwester Elisabeth Katharina, seit 1945 verschollen, doch zeitgenössische Kopie in Privatbesitz erhalten. Für Abbildungen von [c.] und [d.] vgl. Gotha, Gräfliche Häuser A Bd. VI, Limburg / Lahn 1970, nach 164; desgl. für Nachzeichnungen von [a.], [b.] und [c.] Hans Bleckwenn, Altpreußische Offizierporträts. Studien aus dem Nachlaß, mit Miniaturen von Bodo Koch. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes hrsg. von Bernhard R. Kroener und Joachim Niemeyer, Osnabrück 2000, Abb. 92 – 94. Herrn Koch danke ich für eine kritische Sichtung der Katte-Bildphotos, die mir wiederum Frau Dr. Maria von Katte freundlicher Weise zur Verfügung gestellt hat. 15 Zitat nach Katte, [3.] Ikonographische Aufzeichnungen (Anm. 12). Georg Lisiewski (Liszewski; 1674 geboren in Oletzko; 1750 gestorben in Berlin) kam um 1692 als Bedienter Eosander von Goethes nach Berlin, wo er (wie später seine Kinder) bald gesuchter Porträtmaler der höfischen und bürgerlichen Gesellschaft wurde; vgl. Thieme-Becker, Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler 23 (1923), 282 – 284. 16 Vgl. Constantin Kling, Geschichte der Bekleidung, Bewaffnung und Ausrüstung des Königlich Preußischen Heeres. Teil 2, Die Kürassier- und Dragonerregimenter seit Anfang des 18. Jahrhunderts bis zur Reorganisation der Armee 1808, Weimar 1906, 16. 17 Vgl. unten Anm. 132. 18 Beobachtung nach Bleckwenn, Altpreußische Offizierporträts (Anm. 14), 140.
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die Details darauf hin, daß meist nur hintergründig wahrgenommen, aber dennoch immer im Mittelpunkt der Geschichte der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. steht. Damit gewinnt neben dem Kronprinzenkonflikt und der Kattetragödie auch ein Königsdrama Konturen19. Küraßchiffren oder Ordenskreuze erscheinen nur noch auf den ersten Blick als Kleinkram, wenn man es einmal ausprobiert, die Flucht- und Urteils-Fakten in militärhistorischer Perspektive zu fokussieren. Abgesehen vom vielfach geübten moralischen Kratzen an der Oberfläche des Konflikts, sollen damit die staatspolitischen, rechtshistorischen, familiengeschichtlichen oder personalbiographischen Problemanalysen natürlich nicht abgelöst, aber doch um einen spezifisch preußischen Ansatz ergänzt werden. Er läßt vielleicht mehr als alle anderen Sichten in das „Auge des Hurrikans“ blicken, der damals von Wesel bis Küstrin und Angerburg durch den preußischen Staat und dessen ständische Strukturen, den Hof und seine Cliquen, die Armee und den Katteclan fegte. Zum besseren Verständnis dieser Geschichte aus der Anfangszeit des Regiments Gens d’armes sind eben auch Militaria gefragt, wenn zum Beispiel aus der Sicht des Königs nur die Kriegsartikel taugten, um zu einem Urteil über die Delinquenten von 1730 zu kommen20. Dieser Zusammenhang ergibt sich bereits aus einer stilkritischen Untersuchung der doch so wohlbekannten Kabinetts-Anweisung vom 1. November 1730, mit der Friedrich Wilhelm I. die Kriegsgerichtserkenntnis über seinen Gardekürassier von Katte von „ewiger Festungshaft“ zum „Tod durch das Schwert“ verschärfte21. Der Text ist in sich unstimmig, da er in der Hauptsache im so genannten objektiven Schreibstil und in einigen Passagen im Ich-Stil steht. Aktenkundlich formuliert, schwankt das so inhaltsschwere Schriftstück – und wie oft ist es seit Fontanes Tagen mittlerweile gelesen, zitiert, gedruckt worden, ohne daß dies bemerkt oder interpretiert wurde – zwischen einem Kabinetts-Dekret-Schreiben und einer 19 So erstmals akzentuiert bei Reinhold Brode, Friedrich der Große und der Conflict mit seinem Vater. Zur inneren Geschichte der Monarchie Friedrich Wilhelms des Ersten, Leipzig 1904. 20 Die älteren und neueren rechtsgeschichtlichen Arbeiten haben den Fall immer nur aus der allgemeinen kriminal- bzw. strafrechtlichen Perspektive mit Betonung des Hoch- und Landesverrats untersucht; vgl. Friedrich Holtze, Strafrechtspflege unter König Friedrich Wilhelm I., Berlin 1894; Eberhard Schmidt, Friedrich der Große als Kronprinz vor dem Kriegsgericht, in: Beiträge zur Geschichte des preußischen Rechtsstaates, hrsg. v. dems., Berlin 1980, 247 – 266 (Erstdruck 1966); Jürgen Regge, Kabinettsjustiz in Brandenburg-Preußen. Eine Studie zur Geschichte des landesherrlichen Bestätigungsrechts in der Strafrechtspflege des 17. und 18. Jahrhunderts, Berlin 1977; und (auch unter Erwähnung, aber ohne Auswertung der Kriegsartikel) Detlef Merten, Der Katte-Prozeß. Vortrag, gehalten vor der Berliner Juristischen Gesellschaft am 14. Februar 1979, Berlin 1980. 21 Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Kriegsgericht zu Köpenick; Königs Wusterhausen, 1. November 1730; vgl. Quellenhang Q 2b.
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Kabinetts-Ordre. Daran lassen sich Beobachtungen knüpfen, die aber erst vor dem Hintergrund der Innovationen in der Schriftgutproduktion des königlichen Kabinetts erklärungskräftig werden. Vor die militärhistorische muß daher eine aktenkundliche Analyse der Überlieferung jener „facheusen“ Geschichte treten.
II. Unkonventioneller Geschäftsgang und individuelle Schriftgutformen: Das Kabinett, seine Ordres und Dekret-Schreiben Im Kontext der europäischen Fürstenfamilie beschritt Friedrich Wilhelm I. mit seiner höchstpersönlichen Regierungsweise aus dem Kabinett eigenwillig neue – wenn auch nicht völlig unbekannte – Wege monarchischer Herrschaftsausübung22; kein Wunder, daß ihr ebenso individuelle – allerdings schon präfigurierte – Schriftgutformen entsprachen23. So, wie sich der König nach 1713 zunehmend vom Rat seiner Ministerialkollegien zugunsten einer monokratischen Entscheidungsfindung emanzipierte, lief es auf einen fundamentalen Traditionsbruch im preußischen Kanzleigebrauch hinaus, wenn der Monarch seine Anweisungsschreiben aus dem Kabinett nicht ausschließlich in das überkommene Gewand des landesherrlichen Reskripts (im Wir-Stil des Pluralis Majestatis, mit vorangestellter Intitulatio des Herrschers von Gottes Gnaden) kleiden, sondern gegebenenfalls als Ordres oder Dekret-Schreiben formieren ließ. Der preußische Souverän verzichtete dabei ebenso sensationell wie skandalös auf das ihm geziemende Zeremoniale im landesherrlichen Anweisungsschreiben. Die Königs Wusterhausener Wurzeln dieser Rational-Revolution bis hin ins Aktenwesen sind bekannt24. Friedrich Wilhelm I. erhob das Anweisungsschreiben der Ein-Mann-Behörde der zivilen Lokalverwaltung oder eines Regimentschefs unter innerstaatlichem Verzicht auf äußere Formen monarchischer Rangwahrung auf die Ebene der zentralen Staats- und Heeresleitung. Gleichzeitig bezeichnete der König damit das überkommene Fürstenamt als moderne Chefstelle, von der aus er Land und Leute selbst regierte, unmittel- wie unberechenbar. So spiegelte jedes einzelne 22 Vgl. Wolfgang Neugebauer, Das preußische Kabinett in Potsdam. Eine verfassungsgeschichtliche Studie zur fürstlichen Zentralsphäre in der Zeit des Absolutismus, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 44 (1993), 69 – 115. 23 Vgl. Jürgen Kloosterhuis, Amtliche Aktenkunde der Neuzeit. Ein hilfswissenschaftliches Kompendium, in: Archiv für Diplomatik 45 (1999), 465 – 563, bes. 527 ff., 530 ff. Für eine ausführlichere Untersuchung der hier zusammengefassten Sachverhalte vgl. ders., Kabinetts-Minüten, in: Es wächst zusammen, was zusammengehört. Beiträge zum Wissenschaftlichen Kolloquium zu Ehren von Jürgen Wetzel, hrsg. v. Klaus Dettmer, Berlin 2004, 2 – 62. 24 Vgl. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. (Anm. 1), 72 ff.
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seiner Schriftstücke die Transponierung der Anweisung aus der Amtmannstube in das Kabinett eines Königs, der sich als Amtmann Gottes auf Erden verstand. Bei der tagtäglichen Arbeit standen Friedrich Wilhelm I. um 1730 drei Kabinettssekretäre zur Verfügung, für die sich gerade damals eine klarere Geschäftsverteilung abzuzeichnen begann. Von ihnen bearbeitete August Friedrich Boden meist die Finanz- und Kameralsachen, August Friedrich Eichel innere und Militärangelegenheiten und Elias Schumacher die auswärtigen Korrespondenzen25. Alle drei übernahmen im Sommer / Herbst 1730 die Expedition der Schreiben, die in Sachen Kronprinz und Katte an in- oder ausländische Adressaten ergingen26. Generell lag es im Federkiel der Sekretäre, in der Zusammenarbeit mit dem König im Dreitakt von Vortrag, Entscheidungs-Findung und -Ausführung dessen Anweisungen in die vom Kabinetts-Kanzleigebrauch gebotene schriftliche Form zu kleiden. Als auslösendes Element der Expedition fungierte die Angabe (das Dekret) des Monarchen, die er entweder dem Sekretär mündlich diktierte, oder diesem am Rand eines Eingangs bzw. auf dessen Rückseite schriftlich gab. Im klassischen Kanzlei-Geschäftsgang wurde dann vom Sekretär dekret-gemäß ein Konzept für ein ordentliches (Anweisungs-)Schreiben erstellt, und das Konzept nach Revision in ein Mundum umgesetzt. Das genehmigte Konzept blieb bei den eigenen Akten; von ihm oder vom unterfertigten Mundum konnte auch eine mehr oder weniger volle Abschrift genommen werden. In der Kabinetts-Arbeit ließ sich solche, so sorgfältige wie umständliche Geschäftsgang-Abfolge im Dreischritt Dekret / Konzept / Mundum durch das direkte Interagieren zwischen König und Kabinettssekretären sowie im 25 Von ihnen wurde besonders Eichel bekannt, dessen Karriere ihn nach 1740 und bis zu seinem Tode 1768 zum engsten Mitarbeiter Friedrichs II. werden ließ, vgl. Johannes Schultze, August Friedrich Eichel, in: Mitteldeutsche Lebensbilder, Bd. 5 Lebensbilder des 18. und 19. Jahrhunderts, Magdeburg 1930, 86 – 102. Zu Boden vgl. Karlheinz Deisenroth, Märkische Grablege im höfischen Glanze. Der Bornstedter Friedhof zu Potsdam, 2. Aufl., Berlin 2003, 74 – 76; zu Schumacher auch Hermann Hüffer, Die Beamten des älteren preußischen Kabinetts von 1713 – 1808, in: FBPG 5 (1892), 157 – 190, bes. 161 f. 26 Insgesamt zeichnen sich in den einschlägigen Akten drei Korrespondentenkreise ab: (1). der Kronprinz, die Beamten und Offiziere zu Küstrin, (2.) die Untersuchungskommission und das Kriegsgericht, (3.) die Gesandten zu Wien, London, Paris und St. Petersburg bzw. die entsprechenden Adressaten der europäischen Fürstenfamilie. Tendenziell, aber keinesfalls ausnahmslos, besorgte Schumacher vor allem die Expedition an die 3. Gruppe, während sich Boden und Eichel vor allem in die Expeditionen an die 1. und 2. Gruppe teilten. Entsprechend überließ Boden die Berichte des Obersten Peter Ludwig du Moulin aus Den Haag (wo er den desertierten Leutnant Peter von Keith fassen sollte) seinem Kollegen Schumacher: „Dieses hatt in dem Borckschen Paquet gelegen, wird aber wohl dahin nicht gehören, sondern zu Ihren Acten. Dahero übersende ich dasselbe. Boden“ – worauf Schumacher allerdings befand: „Weil diese Piece meines Erachtens ad acta gehört, so habe ich solche des Herrn Geheimten Raths Mylius Wohlgebohren gehorsamst zufertigen sollen. Berlin, den 28. August 1738, Elias Schumacher“; GStA PK, BPH, Rep. 47 Friedrich der Große, Nr. 14 Bd. 7, fol. 49 und 50; vgl. Anm. 176.
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Bemühen um vermehrte Effizienz, gesteigerte Schnelligkeit und möglichste Materialersparnis je nach Bedarf modifizieren. Gegebenenfalls wurde nach Friedrich Wilhelms I. schriftlichem Dekret direkt (ohne Konzept) ausgefertigt, oder nach mündlich diktiertem Dekret des Königs „von Wort zu Wort“ sofort konzipiert. Da diese rationelle Arbeitsweise das Konzipieren eines Schreibens oft (fast) überflüssig machte, mußte es im übrigen zwangsläufig zur Informationssicherung des ausgehenden Schriftguts kommen: Sei es in Form von Sammelabschriften auf einzelnen Bogen, oder schließlich in fester Amtsbuch-Form, die diesem besonderen Schutz und größtmögliche Glaubwürdigkeit verlieh. So entstanden seit etwa 1728 / 1730 die „Minütenbände“, die mehr oder weniger alle ausgehenden Kabinetts-Schreiben in Abschrift fixierten – worauf man die vorher allfällig angelegten Konzepte von Fall zu Fall zu kassieren pflegte27. Dagegen konnte der „papierarme Bürobetrieb“ der preußischen Machtzentrale auf die andernorts üblichen Geschäftsgangkontrollen wie Revisionen oder Kollationierungen verzichten; sie wurden vom Vertrauen des Königs auf die geschulte Kompetenz seiner Kabinettsekretäre ersetzt. Und am Ende war es völlig deren Ermessen überlassen, was sie von ihren Akten wann und wie an das Kabinettsarchiv abgaben28. Aus dem derart so rationalen wie variablen Geschäftsgang entstanden im Kabinett u. a. jene zwei verschiedenen Typen von Anweisungsschreiben, die 27 Gelegentlich gelangten die Konzepte zwar in jene Mappe, in der sie für ihre Abschrift in die Minüten gesammelt wurden, ohne daß dies in der Folge (aus Zeitgründen) tatsächlich geschah. Dann erschien in den Minüten lediglich ein stellvertretender Vermerk und die Vorlage gelangte am Ende in die Akten zurück. Vgl. entsprechend z. B. eine Kabinetts-Ordre des Königs, an Generalmajor von Lepel, dat. Berlin, 4. September 1730 (Inhaftierung des Kronprinzen): Konzept oder Einzelabschrift in einer Kabinettsakte (GStA PK, BPH, Rep. 47 Friedrich der Große, Nr. 14 Bd. 9, fol. 8), beh. Ausfertigung in einer Handakte (desgl. Nr. 633, fol. 4) und Stellvertreter-Vermerk „lieget in der Mappe“ im Minütenband mit den Eintragungen des Septembers 1730 (GStA PK, I. HA Rep. 96 B Geheimes Zivilkabinett ältere Periode, Minüten und Extrakte, Nr. 3, fol. 345). – Beide Überlieferungskomplexe werden im folgenden nur noch abgekürzt zitiert: GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 usw.; GStA PK, I. HA Rep. 96 B, Nr. usw. 28 Die Abgaben erfolgten (nach Reinhold Koser (Hrsg.), Briefwechsel Friedrichs des Großen mit Grumbkow und Maupertuis 1731 – 1759, Leipzig 1898, LIII) bis zu Eichels Tod 1768 meist „stoßweise, nur sehr notdürftig sortirt, ohne Ablieferungsverzeichnisse, versiegelt, [ . . . ] von Zeit zu Zeit“; seit 1741 wohl am Ende des Geschäftsjahres Ende Mai / Anfang Juni. Allerdings befanden sich z. B. beim Tod des weiland Kabinettssekretärs, nachmaligen Etatsminister August Friedrich von Boden 1762 in dessen häuslicher Verwahrung eine große Anzahl dienstlicher Akten, darunter auch „alte Cabinetssachen“ u. a. aus den 1730er Jahren; vgl. (in Rückgriff auf GStA PK, II. HA Generaldirektorium Abt. 3 Generaldepartement, Tit. III Nr. 11) Acta Borussica, [Reihe] Die Behördenorganisation und die allgemeine Staatsverwaltung Preußens im 18. Jahrhundert. Bd. 12, Berlin 1926, Nr. 296. Über diese „Cabinetssachen“ war bereits am 29. Dezember 1748 eine Aufstellung erfolgt, die unter 243 vol. auch „2 vol. Cron-Printzl[iche] Sachen“ verzeichnete. Weitere Kabinettspapiere, allerdings ohne Kronprinzen- oder Katte-Betreff, befinden sich heute auch in GStA PK, VI. HA Nachlaß August Friedrich von Boden.
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oben mit ihren Wurzeln bezeichnet wurden. Von ihnen stand die KabinettsOrdre meist auf einem Quart-Papierbogen im Ich-Stil, als Weisung im Einzelfall an nachgeordnete Adressaten („. . . so befehle ich Euch, daß . . .“); sie war „das scharf geschliffene Instrument monarchischer Selbstregierung“29. Kam einem nachgeordneten Adressat ein hoher Rang zu, konnte der Kommandoton der Ordre vor allem in der Inscriptio oder bei der Schlußcourteoisie durch Elemente des (ja ebenfalls im Ich-Stil gehaltenen) Handschreibens gleichsam gemildert werden – wie es aber auch umgekehrt möglich war, den Ton durch Sanctio oder verdrehte Schlußcourteoisie zum Donnerwetter zu steigern. Abgesehen von solchen Feinheiten, sprach der König den Adressaten per Ordre immer sehr persönlich an; er gab ihm seinen speziellen Befehl, gelegentlich auch im grundsätzlichen Fall. Neben der Kabinetts-Ordre stand dem Schreibpersonal des Soldatenkönigs als weitere Anweisungs-Form das Kabinetts-Dekret-Schreiben im objektiven Stil zu Gebote. Auch dabei handelte es sich um eine Anordnung im Einzelfall, die in der Regel an Behörden, aber auch an Einzelpersonen erging, und sich dabei zunächst des Folio-, in der Folge ebenso des QuartFormats bediente („Seine Majestät der König befehlen Euch, daß . . .“). Ihrem „stilo relativo“ gestimmten Ton eignete ein gewisser disziplinärer Zug, da sich der anweisende König grammatikalisch nicht wie in der Ordre durch den Ich-Stil als handelnde Person zu erkennen gab, sondern im Kontext objektiviert gleichsam auf Distanz zum Adressaten ging30. Da ein solches Kabinetts-Dekret-Schreiben weiterhin auf eine Gnadenversicherung seines Absenders verzichtete, wurde es gerne aus kritischem Anlaß erteilt, vorzugsweise übrigens auch in der Korrespondenz mit den Landständen, die auf diese Weise im Kontakt mit der Krone rangmäßig gemindert wurden, oder beim Schriftverkehr im Justizbereich. Hier konnte es sogar der Fall sein, daß eine (obere) Gerichtsbehörde ein Dekret-Schreiben fachgerecht vorbereitete und Rex es im Kabinett unterschrieb. Todesurteile wurden immer im objektiven Stil gefällt, so, als ob sich der sie unterschreibende Verantwortungsträger, der König, nicht als Person in die Verantwortung für diese Anweisung stellen wollte, sondern eben objektiviert – d. h. in die29 Heinrich Otto Meisner, Archivalienkunde vom 16. Jahrhundert bis 1918, Leipzig 1968, 151; dazu speziell Hans-Enno Korn, Kabinetts-Ordres. Ein Kapitel Aktenkunde, in: Archivar 26 (1973), Sp. 225 – 232. Wenn es ihr Umfang erforderte, konnte eine Kabinetts-Ordre natürlich auch auf einem Folio-Bogen erteilt werden. 30 Meisner ließ in der ersten Auflage seiner Aktenkunde (Berlin 1935, 33) neben den Begriffen Kabinetts-Ordre und Kabinetts-Dekret-Schreiben für letztere auch den Begriff „Kabinetts-Ordre im Dekretstil“ zu. Es war daher in den 1930er Jahren noch schulgemäß, Kabinetts-Ordre und Kabinetts-Dekret-Schreiben unisono als „Ordre“ zu bezeichnen, wie es z. B. auch Hinrichs in seiner Edition zum Kronprinzenprozeß (Anm. 6) freilich auf Kosten der Stildifferenzierung tat. Vgl. Eckart Henning, Wie die „Aktenkunde“ entstand, in: Auxilia Historica, Beiträge zu den historischen Hilfswissenschaften und ihren Wechselbeziehungen, hrsg. v. dems., 2. Aufl. Köln u. a. 2004, 105 – 127.
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sem Zusammenhang auch: tabuisiert31 – als Träger des Richteramts in letzter weltlicher Instanz. Es paßt daher genau ins Bild, wenn Friedrich Wilhelms Kabinetts-Anweisung an das Kriegsgericht vom 1. November 1730 – einerseits die Konfirmation der von diesem Kollektiv gefällten Sentenzen, andererseits aber Kattes Todesurteil – am Anfang und am Schluß im objektiven Stil gefaßt wurde, also die Form eines Kabinetts-Dekret-Schreibens erhielt („Seine Königliche Majestät in Preußen [ . . . ] haben das Deroselben eingesandte Kriegesrecht durchgelesen [ . . . ]. Also wollen Sie hiermit, und zwar von Rechts wegen, daß der Katte [ . . . ] mit dem Schwert vom Leben zum Tode gebracht werden soll“; gezeichnet Friedrich Wilhelm). Mitten im langen und deshalb auf die Seiten 1 bis 3 eines Foliobogens geschriebenen Text von der Hand Eichels wechselt die Anweisung aber plötzlich unorthodoxer Weise in den Ich-Stil der Kabinetts-Ordre („Dieser Katte aber ist nicht nur in Meinem Dienst Officier bei der Armée, sondern auch bei die Guarde Gens d’armes, und da bei der ganzen Armée alle Meine Officiers Mir getreu und hold sein müßen, so muß solches um so viel mehr geschehen von den Officiers von solchen [Garde-] Regimentern, indem bei solchen ein großer Unterschied ist [ . . . ]“). Es darf als sicher gelten, daß die so wuchtig in den objektiven Duktus einbrechende Ich-Stilpassage mit ihrer eindringlichen Betonung eines genuin militärischen Aspekts – Kattes Gardeoffizier-Qualität – ein zuletzt ausschlaggebendes Handlungsmotiv des Königs formulierte. Wenn Friedrich Wilhelm I. hier so persönlich von geschuldeter, aber verweigerter Huld und Treue seines Gardisten (und damit auch von verwirkter Gnade) sprach, liegt auf der Hand, daß er diesen Teil der Anweisung seinem Sekretär direkt und spontan in die Feder diktierte, damit sie Eichel in den übrigen Text einfügte – was dieser aus welchem Grund auch immer wortwörtlich, ohne Stilanpassung bis hin zum grammatikalischen Lapsus („vermöge seines [statt: ihres; oder: eines32] Eides“) exekutierte. Kurz, Kattes Schicksal besiegelte mit der Unterschrift des Königs ein in sich gebrochener, ja stellenweise grammatikalisch falscher Text. Allerdings liegt die Anweisung nur in der von Friedrich Wilhelm I. vollzogenen und dem Kriegsgericht behändigten Ausfertigung vor, also mit gleichsam geglätteter Oberfläche33. Die an die 31 Zur Tabuisierung von notgedrungen strafrechtlichen Tabu-Verletzern, nämlich der an der Fällung und Vollstreckung eines Todesurteils ex officio beteiligten Personen, und den damit verbundenen Reinigungsritualen vgl. Anna Bergmann, Der entseelte Patient. Die moderne Medizin und der Tod, Berlin 2004, 144 ff. 32 Für die stillschweigend korrigierende Lesart „eines Eides“ vgl. einen der ersten Abdrucke der Kabinetts-Anweisung vom 1. November 1730 bei [Karl Friedrich von Beneckendorff,] Karakterzüge aus dem Leben König Friedrich Wilhelms I. nebst verschiedenen Anekdoten. 10. Sammlung, Berlin 1791, 33 f. 33 Vgl. das Faksimile der letzten zehn Zeilen bei C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), 136. Das im Stil gemischte Anweisungsschreiben ist übrigens Lege Artis nach dem höherwertigeren (Ich-) Stil, also als Kabinetts-Ordre zu klassifizieren.
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III. Die „Küstriner Akten“: Ein lückenhaftes Pertinenzgemenge
Stilanalyse geknüpfte These von der militärpointierten Einfügung könnte daher allenfalls an einem womöglich noch vorhandenen Konzept verifiziert werden, das es in den Akten zu suchen gilt. Dabei darf ausgeschlossen werden, daß man das Konzept einstmals kassierte, denn die Kabinetts-Ordre vom 1. November 1730 wurde nicht in die Minüten abgeschrieben. Hat das Schreiben tatsächlich aus einer früheren (objektiven) und einer späteren (im Ich-Stil gehaltenen) Textschicht bestanden? Oder muß vielmehr angenommen werden, daß Eichel den ganzen langen Text aus dem Stand bzw. nach Friedrich Wilhelms Diktat ins Reine schrieb und dabei der König im Stil und sein Sekretär über ein Possessivpronomen ins Stolpern kamen? Darauf gibt es keine sichere Antwort, denn, um es nur gleich zu sagen: Von diesem mehrschichtigen Dokument auf Leben und Tod ist kein Konzept erhalten geblieben. Der Grund dafür wird deutlich, wenn man die Überlieferung der „facheusen“ Geschichte nicht nur aktenkundlich, sondern auch archivgeschichtlich weiter analysiert.
III. Die „Küstriner Akten“: Ein lückenhaftes Pertinenzgemenge Am 29. Dezember 1730 erging eine Kabinetts-Anweisung an Generalauditeur-Leutnant Christian Otto Mylius34, dem König „die Acta, so wegen des Crohnprintzen ergangen, ingleichen die Acta wegen Katte und die Sententz mit der Confirmation sofort abschreiben zu lassen, und in vidimierter Copey ohnverzüglich einzuschicken, daß Sie solche gleich nach dem Neuen Jahr bekommen.“35 Damit waren die Verhörprotokolle und Kriegsgerichtsurteile bis zur letzten Instanz gemeint, die sich in den von Mylius geführten und von ihm verwahrten Unterlagen der Untersuchungskommission bzw. des Kriegsgerichts befanden. Nach 20 Jahren lagen alle diese Akten und ihre Abschriften immer noch bei Mylius, in seinem Haus in der Berliner Markgrafenstraße36. Dies erhellte auch ein 1751 geführter Schriftwechsel 34 Christian Otto Mylius, 1678 geboren in Halle a. S., 1717 Auditeur des Regiments Gens d’armes (Kür. Nr. 10 [nicht des Königsregiments Nr. 6]), seit 1718 Kriegs- bzw. Kriminalrat am Kriegs-, Hof- und Kriminalgericht zu Berlin, seit 1723 Generalauditeur-Leutnant (des Generalauditeurs Christoph von Katsch), seit 1739 Generalauditeur, 1752 a. D., 1760 gestorben; vgl. ADB XXXIII (1886), 139 f.; zur Institutionengeschichte Werner Hülle, Das Auditoriat in Brandenburg-Preußen. Ein rechtshistorischer Beitrag zur Geschichte seines Heerwesens mit einem Exkurs über Österreich, (Göttinger rechtswissenschaftliche Studien, 83), Göttingen 1971, 54 ff. 35 Kabinetts-Dekret-Schreiben König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Generalauditeur-Leutnant Christian Otto Mylius; dat. Berlin, 29. Dezember 1730; GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 5, fol. 36. Mylius ließ sich daraufhin am 2. Januar aus der Kabinettsministerium-Kanzlei einige Kopisten zuweisen. Ihre Abschriften lagen am 4. Januar 1731 vor, so daß sie anschließend beglaubigt werden konnten. 36 Zur Abschriftensammlung vermerkte Mylius auf dem Aktendeckel, daß diese „auf allergnädigste Ordre hat angefertiget werden müßen, wegen derer Abgabe aber und anbefohlener Ordionirung auf mein allerunterthänigstes Antragen weiter be-
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zwischen König Friedrich II., Kabinettsministerium-Minister Heinrich Graf von Podewils und Kabinettsrat Eichel. Der König hatte damals Einblick in die Akten von 1730 nehmen wollen, worauf ihm Podewils nur einige Faszikel vorlegen konnte, soweit man sie im Geheimen Archiv in dessen Abteilung Kabinettsarchiv bei einer ersten Recherche gefunden hatte37. Weil Friedrich aber darüber hinaus „eine besondere Curiosité“ bekundete, auch das übrige Material zu sehen, förderte Eichel aus den Reposituren noch weitere Kabinettsakten zutage, soweit sie von ihm oder seinen Kollegen mittlerweile in meist ungehefteten, aber immerhin versiegelten Konvoluten an das Archiv abgegeben worden waren. Darüber hinaus versuchte er auch noch jener Papiere habhaft zu werden, „so der Geheime Rat Mylius in dem facheusen Verhör zu Cöpenick gehalten und, wie ich nicht anders weiß, solche bisher noch beständig unter seinen Privatpapieren conserviret hat“38. Im übrigen nahm sich Eichel vor, nach Vorlage jener Kabinetts- und dieser Kommissionsakten „eine Tentative zu thun, ob Seine Königliche Majestät nicht gefällig, zu resolviren, sambtliche Acta zu verbrennen, um das betrübte Andenken davon zu aboliren, wenigstens der Posterité davon nichts wissen zu lassen“39. Friedrich erwies sich indessen archivgesetzlicher als sein Mitarbeiter und ließ nach Einsichtnahme die Akten erneut versiegelt im Archiv reponieren. Freilich: Hat der königliche Benutzer alle Schriftstücke zurückgegeben – oder bestimmte, ihm peinliche Dokumente kurzer Hand kassiert40? schieden, daß dieselbe von mir reponirt werden, und auf Fall meines Absterbens, wenn solche hieher abgefordert werden, an Seine Königliche Majestät wegen derer Abgabe anzufragen ist“; GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 8. Einen weiteren Abschriftensatz hinterlegte Kriegsgerichts-Präses Achaz von der Schulenburg (Anm. 220) zusammen mit eigenen Aufzeichnungen in seinem Familienarchiv auf der Propstei Salzwedel; heute in LHASA, MD, Rep. H. Beetzendorf I, II Nr. 161 a. Diese Dokumente edierte Johann Friedrich Danneil, Vollständige Protocolle des Köpenicker Kriegsgerichts über Kronprinz Friedrich, Lieutenant von Katte, von Kait usw., Berlin 1861. 37 Immediatbericht Geheimer Kabinettsministerium-Minister Heinrich Graf Podewils, an König Friedrich II. in Preußen (Nachsuche nach den Akten des „Kronprinzenprozesses“); dat. Berlin, 23. April 1751; GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 9, fol. 1. 38 Beamtenschreiben Geheimer Kabinettsrat August Friedrich Eichel, an Geheimen Kabinettsministerium-Minister Heinrich Graf von Podewils (Archivierung der Akten des „Kronprinzenprozesses“); dat. Potsdam, 21. September 1751; hier nach dem auszugsweisen Abdruck (nach der beh. Ausfertigung?) durch Ernst Friedlaender, Ein Brief Eichels vom 21. September 1751, in: FBPG 8 (1895), 624. Das Schreiben ist in GStA PK, VI. HA Nachlaß von Podewils, Nr. 4 (Schreiben des Kabinettsrats Eichel an von Podewils, 1740 – 59) nicht nachzuweisen. 39 Ebenda. Entsprechend ging Anton Balthasar König um 1800 davon aus, daß sich Friedrich II. die Akten nach Potsdam gebracht haben und dort vernichten ließ; vgl. Königs Schriftsatz zur Einleitung seiner Materialsammlung zur Kronprinzengeschichte; GStA PK, VI. HA Nachlaß Anton Balthasar König, Nr. 359; dazu Werner Heegewald, Vom Lobgesang zur Stadtgeschichte. Die Anfänge der berlinischen Historiographie im 18. Jahrhundert, (Wiss. Hausarbeit), Berlin 1990, 127 – 139. 40 Vgl. Karl Heinrich Siegfried Rödenbeck, Tagebuch oder Geschichtskalender aus Friedrichs des Großen Regentenleben. Band 1, Berlin 1840, 224: „In demselben Jahr
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III. Die „Küstriner Akten“: Ein lückenhaftes Pertinenzgemenge
Zu der einen Prozeß-Sache lagen im Archivkabinett des Geheimen Archivs seitdem die Papiere zweier Provenienzen41, nämlich die Akten des Kabinetts einerseits und die von Mylius geführten Akten andererseits, wobei jene genauer noch in die Abgaben der drei Kabinettssekretäre Boden, Eichel und Schumacher, diese aber in die Schriftstücke der vom Minister und Generalleutnant Friedrich Wilhelm von Grumbkow geleiteten Untersuchungskommission und die Papiere des Kriegsgerichts unter Praeses Generalleutnant Achaz von der Schulenburg zu unterscheiden waren42. Die vom Generalauditeur-Leutnant bzw. seinen Mitarbeitern, dem Kriminalrat Gerbet und dem Auditeur Rumpf43, vorgehaltenen Akten zeichneten sich durch einheitliche, sehr sorgfältig formulierte Sachtitel, eine stringent chronologische Laufzeitfolge und eine entsprechende Bandnumerierung aus44 – im Unterschied zu den je individuell formierten Akten der Kabinettssekretäre45. Weiterhin gehörten zu der Mylius-Überlieferung als Nebenakten46: [1751] soll der König sich die Akten des Prozesses, seine Flucht im Jahr 1730 betreffend, haben geben lassen, einige Blätter herausgenommen, und dann wieder zurückgesandt haben.“ Rödenbeck zitierte dafür zunächst Jean Charles Thiébault de Laveaux, Vie de Frédéric II, roi de Prusse. Nouv. ed. tom. 5 (Lettres sur Frédéric II, roi de Prusse, tom. 1), Strasbourg 1789, 59: „En 1751, Frédéric II se fit donner les pièces les plus importantes de ce procès, il en déchira quelques feuillets et renvoya le reste.“ Laveaux ist wohl eher als Anekdotenkompilator einzuschätzen; allerdings billigt Koser dem angezogenen 5. Band größere Bedeutung aufgrund zahlreicher Mitteilungen zu, die auf Henri de Catt zurückgingen; vgl. Reinhold Koser, Geschichte Friedrichs des Großen. Bd. 4, Stuttgart / Berlin 1914 (repr. Darmstadt 1974), 123. Weiterhin zitierte Rödenbeck für die Aktenbenutzung Anton Friedrich Büsching, Beyträge zu der Lebensgeschichte denkwürdiger Personen, 5. Teil [Friedrich II.], Halle 1788, 176, wo allerdings eine „Feinkassation“ der Akten nicht erwähnt wird. 41 Das Geheime Kabinettsarchiv (ursprünglich: Geheimes Archivkabinett) war seit 1710 dem Geheimen Archiv angegliedert; vgl. Jürgen Kloosterhuis, Von der Repositurenvielfalt zur Archiveinheit, in: Archivarbeit für Preußen, hrsg. v. dems., Berlin 2000, 47 – 257, bes. 51. 42 Zu Grumbkow (RzF. Nr. 17) vgl. Bernhard R. Kroener, Friedrich Wilhelm von Grumbkow (1678 – 1739), in: Persönlichkeiten der Verwaltung. Biographien zur deutschen Verwaltungsgeschichte, hrsg. v. Kurt G. A. Jeserich / Helmut Neuhaus, Stuttgart u. a. 1991, 13 – 17; zu Schulenburg Anm. 220. 43 Gustav Friedrich Gerbet, seit 1718 Kriminalrat und Mitglied des Kriegs-, Hofund Kriminalgerichts zu Berlin, seit 1733 Generalfiskal; vgl. F. Holtze, Strafrechtspflege (Anm. 20), 34 f., 53 ff. Karl Philipp Rumpf, 1697 geboren in Berlin, seit 1718 Auditeur des Regiments Gens d’armes (Kür. Nr. 10); Unterstabs-Kartei von Lyncker; GStA PK, VI. HA Nachlaß von Lyncker, Nr. 10 – 13. 44 Die von Rumpf geschriebenen Sachtitel auf den Mylius-Akten lauteten für vol. I, II und III: „Commissions-Acten betreffend die von Seiner Königlichen Hoheit dem Cron-Printzen in Preußen intendirten Absentirung außm Lande, und wieder den gewesenen Lieutenant Hans Hermann von Katte und Consortes, anno 1730“, und für vol. IV: „Commissions-Acten wieder den gewesenen Lieutenant Hans Hermann von Katte, anno 1730“. Dazu kam (Abschriften-) vol. V der wegen des „Lieutenant von Katte ergangenen Acten“. Leopold von Ranke (Anm. 63, 252) zitierte aus „Acta inquisitorialia in puncto Desertionis des Obristlieutenants Kronprinzen von des Königs Regiment“ und damit wahrscheinlich einen Kabinettsaktentitel, der sich heute nicht mehr verifizieren läßt. 45 Von den Sachtiteln der Kabinettssekretäre hat sich nur ein Bruchstück von Eichels Hand erhalten: „über den von Katt zu fügendes [ . . . ] Kriegesrecht, ingleichen
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Sowohl die schon in Wesel im August 1730 entstandenen Unterlagen als auch jene zu den zwischen September und Dezember 1730 angestrengten Untersuchungen gegen den General Albrecht Konrad Reichsgraf Finck von Finckenstein, den Oberst Christoph Wilhelm von Kalckstein und den Hofprediger Johann Ernst Andreae47. Ebenso wurde die Provenienzgruppe Kabinett in der Folge angereichert: Nämlich durch die Handakten des Küstriner Gouverneurs Otto Gustav von Lepel und des Festungskommandanten Oberst Gottfried von Reichmann48, des Feldpredigers Johann Ernst Müller vom Regiment Gens d’armes49, und des Kommissionsvorsitzenden Friedrich Wilhelm von Grumbkow. Müllers Unterlagen waren von seinen Erben um 1787 dem Grafen Ewald Friedrich von Hertzberg in (nicht erfüllter) Verkaufsabsicht ausgehändigt worden, der sie wiederum dem Geheimen Staatskanzlei-Sekretär Christian Ludwig Siebmann interessehaldessen Execution zu Cüstrin betreffend, 1730; No. 1“ (auf der Innenseite des rückwärtigen Aktendeckels zu GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 13); dazu Bodens „Correspondentz mit dem Crohnprintz“ (vgl. unten Anm. 55). Die Eichel-Akte bietet überwiegend Konzepte von seiner, aber auch von Schumachers Hand; in der BodenAkte (die nicht nur Kronprinz-Betreffe, sondern vielmehr auch Anweisungen zur Untersuchung gegen Keith und Katte usw. bot) haben 2 / 3 der Konzepte Boden und 1 / 3 Eichel verfaßt. Die Kabinettssekretäre haben also nicht nur Ausfertigungen (wie in Anm. 26 belegt), sondern auch Konzepte untereinander ausgetauscht und diese gegebenenfalls wechselweise expediert, so daß z. B. eine Ausfertigung von Boden stammen konnte, das dazugehörige Konzept (oder eine Abschrift der Ausfertigung?) aber von Eichels Hand. Vgl. entsprechend die Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelms I., an Generalleutnant Achaz von der Schulenburg, dat. Königs Wusterhausen, 22. Oktober 1730 (Bestallung zum Präses des Kriegsgerichts); GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 9, fol. 85 (Konzept oder Abschrift); desgl. Nr. 14 Bd. 4, fol 8 (Ausfertigung). 46 Vgl. entsprechend eine „Specification“ der Mylius-Akten (vol. I – IV, dazu vol. # und vol. 0); GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 2, fol. 1. Bei vol. # handelte es sich um die Nebenuntersuchungen, bei vol. 0 um die Weseler Unterlagen, wie Mylius in einem Aktenvermerk festhielt: „Diese Beylagen, so in blauem Papier umgeschlagen und eingehefftet sind, habe von Seiner Königlichem Majestät in Preußen am 27. August anni currentis [1730] auffm Schloß nach befohlenem ersten summarischen Verhör des Arrestanten von Katte empfangen.“ GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 7, fol. 1. 47 Vgl. daraus die Publikation einiger Dokumente bei Max Lehmann, Friedrich der Große und die Prädestination, in: HZ 67 (1891), 475 – 481. Zu Finck und Kalckstein vgl. unten Anm. 151; zu Andreae (1674 – 1731) Rudolf von Thadden, Die Brandenburg-preußischen Hofprediger im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der absolutistischen Staatsgesellschaft in Brandenburg-Preußen, Berlin 1959, 209 f. Da Andreae zu den Verfechtern einer strengeren Prädestinationslehre zählte, untersagte ihm der König 1725 die weitere geistliche Unterrichtung seiner Kinder, besonders der Prinzessin Wilhelmine. 48 Zu Lepel (Regiment zu Pferd Kronprinz Nr. 2) vgl. Kurt von Priesdorff (Bearb.), Soldatisches Führertum, Bd. 1, Hamburg o. J. [1936], Nr. 212; zu Reichmann (Artilleriekorps) Louis von Malinowski / Robert von Bonin, Geschichte der Brandenburgpreußischen Artillerie, 1. Teil, Berlin 1840, 106. 49 Zu Müller (1700 geboren, stud. theol. Univ. Leipzig und Halle a. S., 1724 als Pfarrer zu Klinkow bei Prenzlau ordiniert, 1728 Feldprediger Kür. Nr. 10, 1732 Zweiter bzw. 1746 Erster Prediger an der Jerusalemer Kirche zu Berlin, 1755 gestorben) vgl. Erich Schild, Der preußische Feldprediger. Teil 2, Halle a. S. 1890, 110 – 118, 119 – 130.
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ber überließ50. Siebmann fühlte sich bemüßigt, die Kabinetts-Ordres an und Berichte von Müller 1801 dem Kabinettsminister Philipp Karl Graf von Alvensleben mit der eidesstattlichen Versicherung zu übergeben, die ihm anvertrauten Papiere nicht von Dritten gelesen lassen zu haben – was ihm um so notwendiger schien, als diese Akten mittlerweile publiziert worden waren51. Einen anderen Weg hatten die Handakten Lepel / Reichmann genommen, die 1816 von einem Beamten des Hofmarschallamtes, Hofrat Lentze, dem König Friedrich Wilhelm III. ausgehändigt, aber nicht sofort im Geheimen Archiv hinterlegt worden waren. So kam es, daß sie im Januar 1874 im Nachlaß von dessen Schwiegertochter, der KöniginWitwe Elisabeth, im Schloß Sanssouci zum Vorschein kamen und erst jetzt ins Hausarchiv gelangten52. Vergleichbar erhielt die Handakte Grumbkow, die schon um 1850 zum Überlieferungskomplex gehört hatte, im März 1883 noch einen Zuwachs aus dem Nachlaß König Friedrich Wilhelms IV.53. Doch die abenteuerlichsten Kapriolen von allen einschlägigen Dokumenten schlug jenes Konvolut, das zur Provenienz des Kabinetts zu zählen bzw. dort von Sekretär Boden geführt worden war. Die ca. 170 Blatt 50 Bericht Geh. Kriegsrat Christian Ludwig Siebmann, an Kabinettsminister Philipp Karl Graf von Alvensleben, vom 6. Oktober 1801 (Aushändigung von Akten des Feldpredigers Müller); GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 2, fol. 2. Die Erben vertrat Müllers Sohn Johann Ernst, Pfarrer zu Liebenwalde; vgl. Otto Fischer (Bearb.), Evangelisches Pfarrerbuch für die Mark Brandenburg seit der Reformation, Bd. 2 Tl. II, Berlin 1941, 572. Friedrich Nicolai (Hrsg.), Anekdoten von König Friedrich II. von Preußen und von einigen Personen, die um ihn waren. Heft 5, Berlin / Stettin 1791, 182 ff., überlieferte, daß Kronprinz Friedrich in eine Handkonkordanz des Feldpredigers Müller 1730 eine Bleistiftzeichnung fügte, die „einen Mann auf den Knien“ zeigte, „über dessen Haupt zwey Schwerdter kreuzweis hingen, und darunter die Worte Assaphs Psalm LXXIII, V. 25 / 26 ‚Herr, wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet: so bist Du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Theil‘.“ 51 Vgl. o. V., Beitrag zur Lebensgeschichte Friedrichs des Großen, welcher einen merkwürdigen Briefwechsel über den ehemaligen Aufenthalt des gedachten Königs zu Küstrin enthält, Berlin: im Verlage der Buchhandlung der Kgl. Realschule 1788; mit [fehlerhaftem] Abdruck der Kabinetts-Ordres an und Berichte von Müller; dazu 4: „Für diejenigen, welche die Aechtheit dieser Briefe zu bezweifeln aufgelegt seyn möchten, halten wir es für nöthig zu erinnern, daß sich die Verlagshandlung im Besitze der Originale befinde.“ Zur Kritik am fehlerhaften Abdruck vgl. Friedrich Nicolai, Freymüthige Anmerkungen über des Herrn Ritters von Zimmermann Fragmente über Friedrich den Großen, Berlin / Stettin 1791, 96 ff., bes. 96: „Da der Redakteur hierbey die Originalbriefe König Friedrich Wilhelms I. und die Originalconcepte des Feldpredigers Müller einzusehen Gelegenheit gehabt hat, so fand er zu seiner Verwunderung, daß der Abdruck nach einer nachlässigen, mit dem Originale gar nicht verglichenen Abschrift gemacht ist. Er fand dies durch genaue Vergleichung.“ 52 Vgl. entsprechend die Beschriftung des Aktendeckels und eines in die Akte eingelegten Aktenumschlags von der Hand Kronprinz Friedrich Wilhelms von Preußen (nachmaligem Kaiser Friedrich III.); GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 633. 53 Vgl. entsprechend die Beschriftung eines in die Akte eingelegten Etiketts vor fol. 46 – 48 bzw. die von archivischer Hand vorgenommene Beschriftung dieser Blätter selbst, die eine Abschrift des Schreibens Hille, an Grumbkow, vom 11. April 1731, und das „Projet de déclaration du Prince Royal“, gez. Wolden / Natzmer / Rohwedel, vom selben Datum bieten; GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 11.
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starke Akte gelangte irgendwie und -wann von Berlin oder Potsdam nach Küstrin, dann in die Hände des Finanzministers Friedrich von Motz, weiter in das Netz des berüchtigten Autographen-Jägers Dr. Wilhelm Dorow und schließlich in den Besitz des Kriegsministers Job von Witzleben54, dessen Witwe sie im Frühjahr 1846 dem Fiskus zugunsten des Preußischen Geheimen Staatsarchivs verkaufte55. Zu diesem Zeitpunkt waren alle diese Überlieferungen, einerlei welcher Provenienz, im sogenannten „Weißen Buch“ des Kabinettsarchivs in der Hauptgruppe „Einzelne Umstände, die zur Lebensgeschichte der Kurfürsten und nachmaligen Könige von Preußen“ bzw. Mittelgruppe „König von Preußen Friderich der 2.“ in zwei Arbeitsschritten verzeichnet worden56. Im ersten Pas hatte der Geheime Staats- und Kabinettsarchivar Heinrich Peter Diestel (1768 – 1796) in einer Untergruppe unter dem Pertinenz-Titel „Acta der Cüszrinschen [sic] Inquisition“ zunächst die Hauptakten der MyliusReihe und danach die Hauptakten der Kabinetts-Reihe in einer neunteiligen Bandfolge von acht Volumina (davon vol. VI in zwei Volumina) unter einem Signaturenschema erfaßt, das bei Nr. 142 F begann und von Nr. 143 A, Nr. 143 B 1 und 2, Nr. 143 C, Nr. 144 A, Nr. 144 B bis Nr. 144 C führte. Auch Diestels Kollege Christian August Klaproth (1786 – 1799) kannte keine Provenienzrücksichten, als er dieser Hauptakten-Folge in einem zweiten Verzeichnungsschritt die Nebenakten sowohl des Kabinetts wie der Untersuchungskommission mehr oder weniger sinnvoll und mit willkürlichen Signaturenerweiterungen zuordnete, wobei er z. B. eine Nr. 142 ad F, oder weitere Nr. 143 B 3 und 4 vergab. Zusätzlich wurden damals die noch nicht gehefteten Kabinetts-Akten in archivische Aktendeckel eingebunden, die in 54 Zu Motz vgl. NDB 18 (1997), 228 – 230; zu Dorow ADB 5 (1877), 359 – 360. Ein Aufenthalt des von 1825 bis 1830 amtierenden Finanzministers in Küstrin läßt sich bei Herman von Petersdorff, Friedrich von Motz. Eine Biographie, 2 Bde, Berlin 1913, nicht feststellen. Dorow stand als Biograph des Kriegsministers in enger Beziehung zu Job von Witzleben. 55 Vgl. entsprechend die Kaufverhandlungen über „die im Nachlaß des Hofrats Dr. Dorow vorgefundenen Papiere, ingleichen die im Besitz der Witwe des Kriegsministers von Witzleben befindlichen Dienstpapiere“; GStA PK, I. HA Rep. 89 Geh. Zivilkabinett (jüngere Periode), Nr. 3808. Auf dem von Boden mit Tinte beschrifteten Aktendeckel („Correspondentz mit dem Crohnprintz“) befindet sich eine weitere, mittlerweile weitgehend verwischte Bleifedernotiz (von Dorows Hand ?), deren Text aber aus einem Vermerk zu den Ankaufsverhandlungen vom 18. Februar 1846 hervorgeht: „Geschenk des Ministers Motz. Gefunden zu Küstrin beim Verbrennen der Papiere“. G. Zimmermann / H. Branig, Fürsprache (Anm. 6), 6 f. klassifizierte diese Akte, deren Konzepte in der Hauptsache von Boden (aber auch von Eichel) stammen, nach einem entsprechenden späteren archivischen Zusatz auf dem Aktendeckel als „Manualakte in der Obhut des Geheimen Rats von Wolden“, doch ist sie nicht als Handakte des kronprinzlichen Hofmarschalls Gerhard Heinrich von Wolden anzusprechen, sondern einwandfrei der Provenienz Kabinett zuzuordnen. Für weitere Informationen zu „Bodens Akte“ vgl. gegebenenfalls Anm. 28, 44, 55 und 61. 56 GStA PK, Altfindbücher M 649 (zuvor H 20), Findbuch zu Best. I. HA Rep. 131 Archivkabinett, fol. 281.
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Fortführung der auf den Mylius-Akten formierten Sachtitel ihrerseits die freilich irreführende Bezeichnung „Küstriner Commissions-Acta“ usw. erhielten57. Zum derart angehäuften Pertinenzgemenge konnte der Geheime Staats- und Kabinettsarchivar Ludwig Franz Höfer (ca. 1820 – 1848) noch jene aus dem Witzlebenschen Nachlaß 1846 gekaufte Akte der KabinettsProvenienz „Boden“ als vol. IX unter Nr. 144 ad C nachtragen. Friedrich der Große hatte „seine“ Untersuchungsakten von 1730 „zwar mehrmalen aus dem Geheimen Cabinetsarchiv gefordert, aber stets versiegelt zurückgegeben [ . . . ] mit dem ausdrücklichen Befehle, daß sie ohne Seiner Majestaet Willen nicht eröffnet werden sollten.“ Ebenso ließ sich sein Nachfolger Friedrich Wilhelm II. die schicksalsträchtigen Dokumente vorlegen, um sie dem Archiv unversiegelt mit der Anweisung zurückzugeben, „daß sie in Ordnung gebracht und geheftet werden sollten“58 – was, wie bereits erwähnt, dann Klaproth recht und schlecht besorgte. Auch die beiden nächsten Preußenkönige haben offenbar Interesse an den historischen Papieren gehabt. Eine erste Forscherbenutzung sollte durch den Staatshistoriographen Johannes von Müller im Herbst 1806 stattfinden59. Anfang der 1830er Jahre durfte Friedrich von Raumer die nach wie vor prekären Quellen zumindest teilweise einsehen60, während sie zur selben Zeit weder 57 Bericht Geheimes Staats- und Kabinettsarchiv, an Kabinettsministerium, dat. Berlin, 29. Juli 1806 (Vorbehalte gegen die Archivbenutzung von Müller); GStA PK, I. HA Geheimer Rat, Rep. 9 Allg. Verwaltung, K Lit. F Fasz. 15, fol. 22. 58 Ebenda beide Zitate; vgl. Georg Wilhelm von Raumer, Geschichte des Geheimen Staats- und Cabinets-Archivs zu Berlin bis zum Jahre 1820, hrsg. von Eckart Henning, in: Archivalische Zeitschrift 72 (1976), 30 – 75, hier 72. Entsprechend hatte Friedrich Nicolai um 1790 keine amtlichen Informationen über die Ereignisse von 1730 bekommen, „weil alle dahin gehörige Sachen im Königlichen Archivkabinette versiegelt aufbewahret werden“ F. Nicolai, Anekdoten (Anm. 50), Heft 5, 174. Vgl. hier und im folgenden Helga Fiechtner, Die Öffnung des Preußischen Geheimen Staatsarchivs für die wissenschaftliche Forschung im 19. Jahrhundert, (mss. Diplomarbeit) Potsdam 1958. 59 Johannes von Müller, der eine Biographie Friedrichs II. plante, wurde noch am 9. Oktober 1806 darauf vereidigt (Anm. 57), bei einer Archivbenutzung „die dabei zu meiner Kenntnis kommende geheime, politische und Königliche Hausangelegenheiten und andere Geheimnisse, deren Bekanntmachung dem Staat, Königlichen Hause oder auch Privatpersonen Nachtheil bringen könnte, nirgends zu offenbaren“, doch ist es zur tatsächlichen Akteneinsicht nicht mehr gekommen; vgl. Matthias Pape, Johannes von Müller. Seine geistige und politische Umwelt in Wien und Berlin 1793 – 1806, Bern / Stuttgart 1989, 218; dazu Wolfgang Neugebauer, Die preußischen Staatshistoriographen des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Das Thema Preußen in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. dems., Berlin 2005. Herrn Neugebauer habe ich für die Möglichkeit zur Manuskript-Auswertung vor der Drucklegung, sowie für viele hier wichtige Akten- und Literaturhinweise zu danken. 60 Vgl. entsprechend einen Vermerk im Exemplar des „Beitrags zur Lebensgeschichte Friedrichs des Großen“ (Anm. 51) im GStA PK: „Die Originale [der Korrespondenz mit Feldprediger Müller] sind im Königlichen Geheimen Archiv zu Berlin, wo ich im Juni 1832 Gelegenheit hatte, sie zu sehen. gez. von R[aume]r“. In seiner Darstellung „Preußen vom Jahre 1730 bis 1740. Friedrichs II. Jugendzeit“ stützte sich Raumer allerdings hauptsächlich auf die Berichte des englischen Legationssekretärs
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dem Friedrich-Biographen Johann David Erdmann Preuß direkt61 – noch Friedrich Förster überhaupt zur Verfügung standen, der seine Vita Friedrich Wilhelms I. etwa zeitgleich schrieb und sich für die Küstriner Affäre vor allem auf das Seckendorffsche Archiv zu Meuselwitz stützte62. In den 1840er Jahren wurde das unverändert heikle Material erneut einem Staatshistoriographen, Leopold von Ranke, vorgelegt, der seine Aktenexzerpte in das Kronprinzen-Kapitel im Fünften Buch der „Preußische Geschichten“ einfließen ließ63. Nachdem die Akten aber um 1850 vom Geheimen Staatsarchiv an das neugegründete Königliche Hausarchiv abgegeben werden mußten, wurden sie bis auf weiteres der Forschung völlig entzogen und nur noch dienstlich gebraucht64. So durfte sie der Küstriner Garnisonspfarrer Hoffbauer 1867 / 1868 zunächst nicht, sondern erst 1901 einsehen; wenig später auch sein lokalhistorischer Kontrahent Gustav Berg65. Da die Hausarchivare an der Entwicklung des Provenienzprinzips als moderner Grundlage archivischer Arbeit keinen Anteil nahmen, ließen sie ihre sogenannten „Küstriner Commissions-Acta 1730“ unter der Personal-Repositur Rep. 47 unverändert stehen, und zwar in deren Gruppe A Kindheit Kapitän Melchior Guy-Dickens und zitierte zusätzlich nur die Fürsprache des Königs Friedrich von Schweden (mit z.d.A.-Vermerk Friedrich Wilhelms I. „reponatur“); Friedrich von Raumer, Beiträge zur neueren Geschichte aus dem britischen und französischen Reichsarchive. Teil 3, Bd. 1, Leipzig 1839, 536. 61 Dennoch konnte Preuß zu seiner Friedrich-Biographie einige Quellen edieren: Nämlich die Fürsprache Kaiser Karls (mit angemerktem Hinweis auf die Fürsprache der Zarin Anna), und zwar nach Mitteilung des im August 1833 zum Direktor des Geheimen Staats- und Kabinettsarchivs ernannten Gustav Adolf von Tzschoppe; vgl. Johann David Erdmann Preuß, Friedrich der Große. Eine Lebensgeschichte. Bd. 1, Berlin 1832, 62, 440. Der „Briefwechsel Friedrichs des Großen mit seinem Vater (1730 – 1734 [sic, muß heißen: 1732])“ in Preuß’ Urkundenbuch zu der Lebensgeschichte Friedrichs des Großen, Tl. 2, Berlin 1833, 149 – 210, lief auf nichts anderes als auf eine komplette Abschrift der Boden’schen Kabinettsakte „Correspondentz mit dem Crohnprintz“ (später vol. IX / 144 ad C) hinaus, die sich damals eben nicht im Archiv, sondern in Privathänden befand; vgl. oben Anm. 55. Schließlich druckte Preuß im 4. Bd., Berlin 1834, 470 – 473, die für Generalleutnant Hans Heinrich von Katte zusammengestellte „Informatio ex Actis“ nach der Abschrift im Nachlaß König (vgl. Anm. 258). Vgl. auch J. D. E. Preuß, Friedrichs des Großen Jugend (Anm. 3), 154. 62 Vgl. Friedrich Förster, Friedrich Wilhelm I., König von Preußen. Bd. 1. Potsdam 1834, 366; dazu Bd. 3, Potsdam 1835, 1 – 20 (v. a. Seckendorff-Berichte), 21 – 26 (Korrespondenz Hille / Grumbkow, 1731; enth. u. a. das oben Anm. 53 beschriebene „Projet“), 40 – 64 (Korrespondenz Hille / Wolden / Grumbkow, 1731; enth. u. a. Grumbkows für Seckendorff angefertigte Aufzeichnung über das Treffen Friedrich Wilhelms I. mit dem Kronprinz Friedrich in Küstrin am 14. August 1731; vgl. Anm. 75). 63 Vgl. Leopold von Ranke, Zwölf Bücher Preußischer Geschichte, Bd. 2, Berlin 1929, 252 – 270; vgl. R. Koser, Kronprinz (Anm. 3), 220. 64 So z. B. 1861 durch Dr. Traugott Märcker, der auf Anforderung des Hausministeriums die Danneilsche Edition (Anm. 36) auf ihre Glaubwürdigkeit zu bewerten hatte (und sie insoweit korrekt, aber ansonsten höchst unvollständig befand); GStA PK, I. HA Rep. 100 Hausministerium, Nr. 2278. 65 Vgl. Theodor Hoffbauer, Die Kattetragödie in Cüstrin und ihre Stätte, Posen 1905, 6; Gustav Berg, Kurprinz Friedrich Wilhelm und Kronprinz Friedrich (II.) zu Cüstrin, Cüstrin 1905; vgl. Anm. 270.
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und Jugend klassifiziert. So wurden sie zum Beispiel von Reinhold Koser benutzt, der nach 1880 mit den „sehr umfangreichen Untersuchungsakten von 1730“ historisch-kritisch umging, doch ohne ihre unterschiedlichen Wurzeln freizulegen66. Auch der Staatsarchivrat am Preußischen Geheimen Staatsarchiv Carl Hinrichs kümmerte sich nicht um die Provenienzen, als er (nach Ausweis der Benutzerblätter) im November 1935 daran ging, die Akten des „Kronprinzenprozesses“ unter dem leitenden Gesichtspunkt des Vater- / Sohn-Konfliktes zu edieren67. Neben der inhaltlichen bewußt psychologisch angelegten Zuspitzung wurde seine im Folgejahr – in dessen Kalender die 150. Wiederkehr von Friedrichs Todestag stand68 – aufgelegte Publikation durch methodische Mängel beeinträchtigt, von denen hier nur der Verzicht auf die Bezeichnung von Entstehungsstufen und die teilweise völlig unzureichenden Signaturenangaben zu nennen sind69. Der durch den Wollindustrie-Band der Acta Borussica ja bestens ausgewiesene Archivbeamte wurde der Küchschen Forderung nach „exakter Angabe des kanzleimäßigen Zustandes“ seiner Quellen wenig gerecht; deutlich blieb er hinter den formalen Standards vergleichbarer Akteneditionen zurück70. Vielleicht war seiner so wichtigen Arbeit deswegen das Gütesiegel der „Publikationen aus den Preußischen Staatsarchiven“ versagt71. Nichtsdestotrotz bräuchte 66 R. Koser, Kronprinz (Anm. 3), 220. Dazu benutzte Koser aus dem Preußischen Geheimen Staatsarchiv „Teile der Kabinettskanzlei König Friedrich Wilhelms I. und Grumbkows Nachlass“; heute GStA PK, I. HA Rep. 96 bzw. VI. HA Nachlaß von Grumbkow. Zur Auswertung der „Küstriner Akten“ durch Max Lehmann ca. 1890 vgl. oben Anm. 47. 67 P. Baumgart, Kronprinzenopposition (Anm. 3), 22, hat daher sehr zu Recht Hinrichs’ Publikation als „Teilaktenedition“ qualifiziert. Unter diesen Vorzeichen ist sie in der Tat als markant gestaltende Leistung zu werten, wie Siegfried A. Kaehler und Gerhard Oestreich in ihren Rezensionen gegen die abschwächende Auswertung durch Gustav Bernhard Volz hervorhoben. Vgl. Göttingische Gelehrte Anzeigen 199 (1937), 263 – 280; HZ 162 (1940), 144 f.; FBPG 50 (1938), 1 – 32; zum Nachweis weiterer Besprechungen Werner Schwochow, Bibliographie Carl Hinrichs, in: Preußen als historisches Problem (Anm. 2), 421 – 430, 422. 68 Expressis verbis zu diesem Datum legte Walter Elze, der die „Küstriner Akten“ ebenfalls 1935 eingesehen hatte, sein Gedenkbuch vor (Friedrich der Große. Geistige Welt – Schicksal – Taten, Berlin 1936). Weiterhin wurden die Akten 1935 von Martin Katte, und 1938 von Jochen Klepper (also ein Jahr nach Erscheinen seines Romans „Der Vater“) benutzt. 69 Von den insgesamt 93 Editionsnummern bei Hinrichs sind an den „Küstriner Akten“ auf Signaturenebene ca. 30 Prozent nachvollziehbar und ca. 55 unvollständig oder per se nicht nachvollziehbar. Die restlichen 15 Prozent entfallen auf andere, korrekt zitierte Provenienzen: GStA PK I. HA Rep. 96 B Geheimes Zivilkabinett ältere Periode, Minüten und Extrakte; I. HA Rep. 131 Archivkabinett; I. HA Rep. 94 Kleine Erwerbungen; VI. HA Nachlaß Anton Balthasar König. 70 Vgl. z. B. Georg Winter (Hrsg.), Die Reorganisation des Preußischen Staates unter Stein und Hardenberg. Teil 1 Band I, (Publikationen aus den Preußischen Staatsarchiven, 93), Leipzig 1931. Für das Küch-Zitat von 1904 vgl. J. Kloosterhuis, Aktenkunde (Anm. 23), 482. 71 Allerdings kann diese Vermutung anhand der alten Dienstregistratur des Preußischen Geheimen Staatsarchivs (GStA PK, I. HA Rep. 178) nicht mehr überprüft werden, da die Publikationsakten nur noch teilweise erhalten sind. Die Hinrichs-
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diese Kritik an der Leistung des hochverdienten Friedrich Wilhelm I.-Biographen nicht weiter ins Gewicht zu fallen72, wenn die von Diestel und Höfer bis Koser und Hinrichs und darüber hinaus zu beobachtende Vernachlässigung einer exakten Provenienz-Bestimmung der „Küstriner Akten“ nicht dafür gesorgt hätte, daß ein Vermerk zu vol. VIII unter Signatur 144 C im „Weißen Buch“ für die Forschung in Vergessenheit geriet: „Bei der am 30. Januar 1826 geschehenen Nachsuche hat sich vol. VIII nicht gefunden“73. Salvo meliori könnte dieses Konvolut von Boden oder Schumacher geführt worden sein74 und Vorgänge zumindest im Zeitraum vom Oktober bis November 1730 enthalten haben75. Dies läßt ein Blick auf die königlichen Anweisungsschreiben vermuten, von denen sich Ausfertigungen in Edition erschien in der Hanseatischen Verlagsanstalt Hamburg, im Pappeinband, auf Billigpapier; alles in allem eine auf Breitenwirkung bedachte Publikation. Nur mit einem summarischen Quellennachweis, dafür aber als Jubiläumsgabe des Verlags R. v. Decker luxuriös ausgestattet erschien Carl Hinrichs (Hrsg.), Friedrich der Große und Maria Theresia. Diplomatische Berichte von Otto Christoph Graf von Podewils, Berlin 1937. Schließlich ders. (Bearb. und Hrsg.), Der allgegenwärtige König. Friedrich der Große im Kabinett und auf Inspektionsreisen, Berlin 1940, verzichtete ganz auf Quellennachweise, und wurde deshalb vom Rezensenten Johannes Schultze (in: FBPG 54 (1943), 408 f.) zum „Volksbuch“ mit wissenschaftlichem Anspruch erklärt. 72 Umso mehr ihm die Einleitung zum „Kronprinzenprozeß“ (auch separat gedruckt in: Preußen als historisches Problem, [Anm. 2], 185 – 202), zu „einem seiner schönsten Essays“ geriet, wie Gerhard Oestreich in seinem Nachruf auf Hinrichs betonte; in: HZ 196 (1963), 249 – 251; vgl. auch Kurt Forstreuter, in: Der Archivar 15 (1962), 409 – 411. 73 GStA PK, Altfindbücher M 649 (zuvor H 20), Findbuch zu Best. I. HA Rep. 131 Archivkabinett, fol. 281. Als daher die Boden’sche Kabinettsakte 1846 im Witzlebenschen Nachlaß auftauchte, hoffte (nach einem Immediatbericht des Oberjustizrats von Voss, an König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, vom 19. März 1846; GStA PK, I. HA Rep. 89 Geh. Zivilkabinett (jüngere Periode), Nr. 3808) Archivdirektor Georg Wilhelm von Raumer, daß es sich dabei um das vermißte vol. VIII / Nr. 144 C handelte. Dies traf nicht zu, Die Akte trug keine Signaturen von Diestels oder Klaproths Hand, und war daher bei ihrer Reponierung neu mit vol. IX / 144 ad C zu signieren. 74 Sofern die Beobachtung zutrifft, daß an die von Eichel geführte Akte vol. VII / 144 B mit dem Titel „über den von Katt zu fügendes [ . . . ] Kriegesrecht“ und der Numerierung „No. 1“ (Anm. 45) mit Laufzeit November bis Dezember 1730 als eine zweite womöglich von Eichel geführte Akte jenes vol. VI / 144 A 2 mit Laufzeit Januar bis Dezember 1731 anschließt (GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 10), und Eichel damit als möglicher Aktenführer für vol. VIII nicht mehr in Frage kommt. Die Akte vol. IX / 144 ad C mit zweigeteilter Laufzeit August bis November 1730 und August 1731 bis November 1732 ist (nach der Beschriftung des Aktendeckels) jedenfalls von Boden geführt worden; von diesem könnte vielleicht auch Akte vol. VI / 144 A 1 mit Laufzeit August bis Mitte Oktober 1730 geführt worden sein, da sich unter den in seinem Hause 1748 aufgelisteten Kabinettsakten „2 vol. Cron-Printzl[iche] Sachen“ befanden (Anm. 28). Allerdings kommt auch Schumacher in Frage, der auf der Reise nach Süddeutschland zum Gefolge des Königs zählte; vgl. H. Eckert, Fürstenreise (Anm. 5), 10. 75 Nach Diestels Verzeichnung im „Weißen Buch“ (Anm. 73) soll vol. VIII / 144 C allerdings „eine Relation von der ersten Entrevue zwischen Friedrich 2. und seinem Vater zu Cüszrin [sic]“ am 14. August 1731 enthalten haben. Der Schriftsatz – eine Abschrift „aus des Feldmarschall [!] von Grumbkow Brieffschaften“, also seines Berichts an Seckendorff, vom 15. August 1731 – befindet sich jedoch in vol. VI / 144 A 2; GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 10; vgl. Anm. 62.
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III. Die „Küstriner Akten“: Ein lückenhaftes Pertinenzgemenge
den einschlägigen Akten von Lepel / Reichmann oder Mylius, aber keine Konzepte oder Abschriften in den vorhandenen Kabinetts-Akten bzw. den Minütenbänden finden; ebenso die Beobachtung, daß die Minütenbände Abschriften von Anweisungen bieten, die sich auf Berichte beziehen, welche wiederum in den Kabinetts-Akten fehlen76. Kurz, in den „Küstriner Akten“ klafft seit 1826 an entscheidender Stelle der Kabinetts-Provenienz eine bandbreite Lücke. Nur im übrigen haben sie die Zeitläufte des 20. Jahrhunderts vergleichsweise unbeschadet überstanden77. Alles in allem erweisen sich die „Küstriner Akten“ nach genauer Provenienz-Analyse gerade auf Kabinetts-Seite eher zufällig und insgesamt nicht mehr komplett überliefert: Sei es, daß sie 1751 von König Friedrich II. im nachhinein vielleicht feinkassiert oder im 19. Jahrhundert aus DilettantenHänden und „allerhöchsten“ Nachlässen mühsam zusammengeklaubt worden waren, oder daß sie, aus welchem Grund auch immer, 1826 mit einem Fehlt-Vermerk versehen werden mußten. Wahrscheinlich verschwanden damals gerade die Dokumente, die über die Entstehung der so auffällig im Stil gebrochenen Kabinetts-Orde vom 1. November 1730 Aufschluß geben könnten. Um so größere Bedeutung erhält die damit verbundene Betonung von Kattes Gardeoffizier-Qualität für eine angemessene Interpretation seines Todesurteils. Dies provoziert sofort Fragen nach Hans Hermanns Karriere mit und ohne Port d’epée, seinen Kontakten zum Kronprinz, dem darin verstrickten soldatischen Versagen des Leutnants und dessen kriegsrechtlichen Sanktionen. Zur aktenanalytischen muß endlich eine militärhistorische Untersuchung der „facheusen“ Geschichte aus der Anfangszeit des Regiments Gens d’armes treten. 76 Abgesehen von allen Berichten bzw. Suppliken des Generalleutnants Hans Heinrich von Katte bzw. seines Schwiegervaters Alexander Hermann von Wartensleben vom November 1730 (vgl. Quellenanhang Q 3) gilt dies zum Beispiel auch (1.) für eine Kabinetts-Ordre, an Oberst von Reichmann, vom 6. Oktober 1730 (auf dessen [in den vorhandenen Kabinetts-Akten nicht überlieferten] Bericht vom 3. Oktober 1730 über „des P[rinzen] H[oheit]“ sowie den Gesundheitszustand des Generalmajors von Lepel); und (2.) für eine Kabinetts-Ordre an Generalmajor von Lepel, vom 14. November 1730 (auf dessen [in den vorhandenen Kabinetts-Akten nicht überlieferten] Bericht vom 11. November über die entstandenen Exekutionskosten); GStA PK, I. HA Rep. 96 B, Nr. 4, fol. 11v, fol. 63. 77 Die Akten waren vor der Ausbombung des Hausarchivs 1943 in den Flakbunker am Berliner Zoo gebracht worden, konnten von dort 1945 nicht mehr in die Auslagerungsstelle Schönebeck verbracht werden und gelangten deshalb in das ansonsten weitgehend geräumte Geheime Staatsarchiv, wo sie gut versteckt auch den Magazinbrand am 28. / 29. April 1945 überstanden; vgl. G. Zimmermann / H. Branig, Fürsprache (Anm. 6), 7 f. Im neu aufgebauten Hauptarchiv für Behördenakten, seit 1963 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, wurden sie in dessen Unterabteilung Brandenburg-preußisches Hausarchiv wieder zu einer Rep. 47, unter A Kindheit und Jugend formiert und mit einer neuen Signatur belegt (GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bde. 1 – 15). Nach der Wiedervereinigung des Dahlemer mit dem Merseburger Archiv, in das infolge der Auslagerung 1944 ebenfalls Teile des Hausarchivs gelangt waren, konnte die Gruppe der „Küstriner Akten“ durch zwei weitere Nummern angereichert werden (GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 632 und 633).
Abb. 2: ,,Le monde est plains des sotises". Ein Stammbuchblatt des Königsberger stud. iur. Hans Hermann von Katte, vom 13. Januar 1724 (vgl. S. 35). Vorlage: GStA PK, VI. HA Familienarchiv von Katte (Dep.)
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IV. Gardekürassier von Katte: zwischen Reichsdienst und Regimentskultur Hans Hermann wurde am 28. Februar 1704 als erster Sohn des Hans Heinrich von Katte und seiner Ehefrau Dorothea Sophie von Wartensleben im Gouverneurspalais zu Berlin geboren und vom Propst der Nikolaikirche, Philipp Jakob Spener, getauft78. Sein Vater stand damals noch als Oberstleutnant in sachsen-gothaischen Diensten, die er 1705 mit preußischen vertauschte. Dort wurde Oberst von Katte 1706 zum Chef eines Regiments zu Pferde ernannt, für das er dessen vorherigem Inhaber Philipp Ludwig von Canstein, der sich gesundheitshalber verabschieden ließ, 8.000 Tlr gezahlt hatte79. Er focht mit seinen Kürassieren bei Ramillies, Oudenaarde, Malplaquet, und rückte an ihrer Spitze 1714 nach Ostpreußen in neu zugewiesene Garnisonsorte ein80. Vier Jahre später zum Generalmajor und 1728 zum Generalleutnant befördert, bezog Katte seit 1721 sein Stabsquartier in Angerburg. Problemloser Dienstwechsel, Chefstellenkauf und tapfere Kombattanz wiesen den zu Wust im magdeburgischen Kreis Jerichow gebürtigen Offizier als Mitglied jenes internationalen Militäradels des Ancien Régime aus, der im Spanischen Erbfolgekrieg berufsmäßig „ohne Haß und eine andere Leidenschaft als die der Bravour an sich“ focht81. In den folgenden Friedenszeiten wandelte sich durch den Einfluß einer von König Friedrich Wilhelm I. teils bewußt, teils unbewußt in die Wege geleiteten Sozialisation des Militärs das Wesen der preußischen Armee82. Wie viele (aber längst nicht alle) ihrer Offiziere verinnerlichte auch Generalleutnant Hans Heinrich von Katte als Kommandeur einer in ostpreußischen Landstädten einquartierten Reitertruppe mehr und mehr jene Eigenschaften, die bei ihm 78 Vgl. M. v. Katte, [5.] Memorial (Anm. 12), 14; dazu für den Taufspruch „Dein Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht“ (nach 5. Moses, 31, 8 und Johannes 14, 1) M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 1. Zu Spener als einem der Hauptbegründer der pietistischen Glaubensrichtung vgl. Franckesche Stiftungen zu Halle u. a. (Hrsg.), [Katalog] Hoffnung besserer Zeiten. Philipp Jakob Spener (1635 – 1705) und die Geschichte des Pietismus, Halle a. d. S. 2005; zu einem speziellen Aspekt Ludwig Biewer, Philipp Jakob Spener als Heraldiker, in: Der Herold NF 16 (2005), 493 – 501. 79 Vgl. Anton Balthasar König (Bearb.), Biographisches Lexikon aller Helden und Militairpersonen, welche sich in preußischen Diensten berühmt gemacht haben, Teil 1, Berlin 1788, 313 – 315; dazu Curt Jany, Geschichte der Preußischen Armee vom 16. Jahrhundert bis 1914, Bd. 1, Berlin 1928 (repr. Osnabrück 1967), 488, 583. 80 Von 1714 bis 1720 standen die fünf Eskadronen in Rastenburg, Angerburg, Lötzen, Barten, Rhein und Rosenort; von 1721 bis 1738 in Angerburg, Barten, Johannisburg, Lyck, Rhein und (ab 1733) in Lötzen; von 1739 bis Ende 1740 allesamt in Angerburg, um dann nach Schlesien abzurücken; vgl. Günther Gieraths (Bearb.), Die Kampfhandlungen der brandenburg-preußischen Armee 1626 – 1807, Berlin 1964, 220 – 222. 81 C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. (Anm. 2), 400. 82 Vgl. Jürgen Kloosterhuis (Bearb.), Bauern, Bürger und Soldaten. Quellen zur Sozialisation des Militärsystems im preußischen Westfalen 1713 – 1803, Münster 1992.
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persönlich zur unbedingten Loyalität gegenüber dem König in Preußen, und bei seinen Soldaten zur Einpassung in die ackerbürgerliche Umgebung beitrugen – um sich dort zunächst in zahlreichen Zusammenstößen zwischen dem „Militare“ und dem „Civile“ zu artikulieren. Wie andernorts, hatte der Angerburger Magistrat lange die Bemühungen des Commissarius Loci behindert, die in den Pestjahren herunter gekommene Stadt zu sanieren. Nun mußten die Einwohner verdrossen den sporenklirrenden Ansprüchen der „Kattschen Reuter“ nach sicheren und sauberen Quartieren Folge leisten; zähneknirschend hatten Bürgermeister und Rat ständige Einmischungen des Gehorsam gewohnten Generalleutnants in ihr Stadtregiment zu ertragen, der dabei durchaus auch tüchtig in die eigene Tasche (etwa zugunsten seiner Brau- und Hökergerechtigkeit oder bei der Verbesserung seines Gutes Reussen) zu wirtschaften verstand. Andererseits verschwanden auf Drängen des Regimentschefs allmählich die feuergefährlichen Strohdächer aus Angerburg, wurden die Straßen gepflastert, wüste Viertel mit Hilfe staatlicher Zuschüsse neu bebaut, Kasernen für Soldatenfamilien aufgeführt und schließlich sogar eine Kanalisation angelegt83. Kurz, Katte senior entwickelte sich in Angerburg zu einem königstreuen Repräsentanten der von Friedrich Wilhelm I. provozierten spezifisch preußischen „Regimentskultur“, die sich aus eigendisziplinierter Lebensweise, kompetenzstolzer Militärmentalität und religiös verankerten Kriegerwertvorstellungen herausbildete, und dabei ihrerseits auf vielfältige Weise mit den sie umgebenden zivilen Lebensformen ebenso fordernd wie fördernd verbunden blieb84. Hans Hermanns Großvater mütterlicherseits, Alexander Hermann Graf von Wartensleben, stammte aus Lippspringe bei Paderborn. Nach Jugendjahren am Hof zu Kassel ging er über französische und brandenburgische 1673 zurück in hessische Dienste. Von dort wechselte der Offizier 1691 nach Sachsen-Gotha und 1702 nach Preußen, wo er bald als Berliner Gouverneur fungierte und 1706 bei gleichzeitiger Erhebung in den Reichsgrafenstand zum Generalfeldmarschall avancierte85. In solcher Stellung stützte der mit 83 Vgl. die einschlägigen Akten in GStA PK, II. HA Generaldirektorium, Abt. 4 Ostpreußen, Nr. 4117 (Garnisonbauten in Angerburg, 1724 / 25), Nr. 4121 (Stadtvergrößerung durch Bebauung der Amtsgärten, 1728 / 29), Nr. 4123 und 4124 (wechselseitige Klagen, 1729 / 30), Nr. 4135 (Entschädigung von Bürgern durch die Erben des verstorbenen Generalfeldmarschalls von Katte für ihre von diesem zu unbilligen Kaufpreisen abgekauften und seinem Gut Reussen zugeschlagenen Ländereien, 1743 – 1748); dazu Johannes Zachau, Chronik der Stadt Angerburg, Angerburg 1921, 55 – 62. 84 Vgl. Jürgen Kloosterhuis (Bearb.), Legendäre „lange Kerls“. Quellen zur Regimentskultur der Königsgrenadiere Friedrich Wilhelms I. 1713 – 1740, Berlin 2003. 85 Vgl. Gustav Graf von Wartensleben, Genealogische und biographische Nachrichten von dem Geschlechte derer von Wartensleben, Berlin 1831, 19 – 44 (unter Verwendung der von Leutnent Johann Friedrich von Kreytzen vom RzF. Nr. 1 verfaßten Trauerrede [Berlin 1734]; einer detailreichen Biographie, die u. a. Wartenslebens
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so vielen Wassern gewaschene Wartensleben zu seinem Teil jenes ruinöse Regierungssystem, das Johann Kasimir Colbe Reichsgraf von Wartenberg und August Reichsgraf von Wittgenstein auf Kosten der Landeswohlfahrt betrieben, um das zeremoniell-luxuriöse Königtum Friedrichs I. (ebenso wie eigene Interessen) finanzieren zu können. Das „dreifache W“ wurde bekanntlich von Kronprinz Friedrich Wilhelm und seinem Parteigänger Fürst Leopold von Anhalt-Dessau erfolgreich bekämpft. Allerdings stürzten 1710 / 11 nur Wartenberg und Wittgenstein, während der Generalfeldmarschall unangefochten blieb – wohl, weil der König den schroffen Dessauer nicht an seine Stelle rücken lassen wollte86. Auch nach dem Regierungswechsel 1713 behielt Wartensleben seinen Posten; ein mit den Jahren pietistisch fromm gewordener Kavalier, der vom preußisch changierenden Umfeld unberührt jene europäische Adelsgesellschaft der „honnêtes Hommes“ repräsentierte, deren Mitglieder überall im Reich und darüber hinaus militärische oder zivile Dienste nahmen, wenn sie nur bei Hofe oder sonstwo standesgemäß-bravourös leben konnten. Solche adelig-selbstbewusste Lebensauffassung vor Augen und dazu erzogen, wuchs Hans Hermann im Gouverneurspalais zu Berlin auf. Natürlich orientierte sich der Junge dabei mehr am Großvater als am Vater im fernen Angerburg. Von den Katten imponierte ihm Großonkel Balthasar Friedrich zu Vieritz am meisten, der, einst Oberst in dänischen Diensten, als Chef des Katteschen Lehensverbandes eher zur Fronde Friedrich Wilhelms I. neigte, und noch 1724 dessen Einladung nach Königs Wusterhausen eine stolze Absage erteilte87. Aus ähnlichem Holz geschnitzt erwiesen sich zum Beispiel auch viele Sprossen des ursprünglich altmärkischen, später meist im Magdeburgischen begüterten Geschlechts von der Schulenburg, die Anfang des 18. Jahrhunderts ebenso in preußischen, wie vor allem in hannover-großbritannischen oder anderen Diensten standen. Über seine Großmutter väterlicherseits, Eva Auguste von Stammer, war Hans Hermann von Katte mit dieser altadligen Familie verwandt, denn deren Schwester Anna Elisabeth hatte den brandenburgischen Kammerpräsidenten Gustav Adolf von der Schulenburg geheiratet88. Von dessen Kindern war insbesondere Matthias Johann von der Schulenburg in venezianischen Diensten als Verteidiger von Korfu Lektüre pietistischer Schriften von Johann Arndt, Christian Scriver und Philipp Jakob Spener belegt); dazu Julius Graf von Wartensleben, Nachrichten von dem Geschlechte der Grafen von Wartensleben. 2. Teil: Biographische Nachrichten, Berlin 1858, 47 – 97. 86 Vgl. C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. (Anm. 2), 486. 87 Vgl. M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 22, 91, 202. Zu Balthasar Friedrich (II.) von Katte zu Vieritz und Altenklitsche, 1647 geboren, 1729 gestorben und im Beisein Hans Hermanns beerdigt, vgl. M. v. Katte, [2.] Stammbaum (Anm. 12). 88 Vgl. Georg Schmidt, Das Geschlecht von der Schulenburg, II. Teil: Die Stammreihe, Beetzendorf 1899, 416 – 418.
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gegen die Türken 1716 berühmt geworden89; nicht minder seine Schwester Ehrengard Melusine unter dem Titel einer Herzogin von Kendal, den sie 1719 ihrem Liebhaber Kurfürst Georg Ludwig von Braunschweig-Lüneburg, damals schon König George I. von Großbritannien, verdankte90. Ihr jüngerer Bruder Friedrich Wilhelm von der Schulenburg war 1714 in den englischen diplomatischen Dienst getreten91. Er scheint sich für seinen 24 Jahre jüngeren Katte-Neffen gelegentlich interessiert zu haben; jedenfalls hat er Hans Hermann um 1717 / 19 in Halle a. S. besucht92. In diesen Jahren kulminierte die „Renitenz-Affäre“ um die Allodifikation der Lehen des Magdeburger Adels93. Es ging dabei um die Durchsetzung der ständepolitischen Vorstellungen Friedrich Wilhelms I., der in allen Landesteilen die lehnsrechtlich abgesicherten Grundherrschaften des Adels zugunsten steuerstaatlich ertragreich definierter Eigentumsverhältnisse ablösen wollte. Die dagegen formierte Opposition der betroffenen Ritterschaften, die nach alten Rechten durchaus auf dem Klageweg vor Reichsjustizinstanzen artikuliert werden konnte und tatsächlich beim Reichshofrat in Wien anhängig gemacht wurde94, suchte Friedrich Wilhelm I. durch Einzelverhandlungen seiner Emissäre mit den „renitenten“ Familien aufzubre89 Matthias Johann von der Schulenburg, 1661 geboren, stud. Saumur und Paris, 1685 am Hof zu Wolfenbüttel, ca. 1688 in braunschweigischem Militärdiensten, 1697 desgl. in sardinischen Diensten, 1702 desgl. in sächsisch-polnischen Diensten, 1707 im Lager Prinz Eugens und Marlboroughs, 1715 als Feldmarschall im Dienst der Republik Venedig, 1716 erfolgreiche Verteidigung Korfus, 1717 bis zum Friedensschluß 1718 in Offensive gegen die Türken, danach an der Spitze der venezianischen Militärmacht, 1747 gestorben; vgl. G. Schmidt, Geschlecht von der Schulenburg (Anm. 88), 460 – 478. 90 Ehrengard Melusine von der Schulenburg, 1667 geboren, am kurfürstlichen Hof zu Hannover mit Kurprinz Georg Ludwig (seit 1714 König George I.) befreundet, von diesem als Mätresse nach London geholt, 1719 Herzogin von Kendal und Mounster usw., 1722 Reichsfürstin von Eberstein, stand auch nach Georgs I. Tod 1727 am Königshof in großer Achtung, 1743 gestorben; vgl. G. Schmidt, Geschlecht von der Schulenburg (Anm. 88), 480 f. 91 Friedrich Wilhelm von der Schulenburg, 1680 geboren, erzogen vom älteren Bruder Matthias Johann, 1695 stud. iur. Leipzig, Kavaliersreise, am kurfürstlichen Hof zu Hannover, 1714 Kammerherr zu London, von König George I. auf diplomatische Missionen nach Preußen, Kurpfalz, Hessen-Kassel u. a. gesandt, 1720 gestorben; vgl. G. Schmidt, Geschlecht von der Schulenburg (Anm. 88), 483. 92 Vgl. M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 66. 93 Vgl. Victor Loewe, Die Allodifikation der Lehen unter Friedrich Wilhelm I., in: FBPG 11 (1898), 341 – 374; zur Neubewertung der Reform im Rahmen einer weniger revolutionären, eher pragmatischen Adelspolitik Friedrich Wilhelms I. Frank Göse, Rittergut – Garnison – Residenz. Studien zur Sozialstruktur und politischen Wirksamkeit des brandenburgischen Adels 1648 – 1763 (Veröffentlichungen des brandenburgischen Landeshauptarchivs, 51), Berlin 2005, 181 – 207, bes. 195. 94 Vgl. Friedrich Hertz, Die Rechtsprechung der höchsten Reichsgerichte im römisch-deutschen Reich und ihre politische Bedeutung, in: MIÖG 69 (1961), 331 – 358; dazu Wolfgang Neugebauer, Die Stände in Magdeburg, Halberstadt und Minden im 17. und 18. Jahrhundert, in: Ständetum und Staatsbildung in Brandenburg-Preußen, hrsg. v. Peter Baumgart, Berlin / New York 1983, 170 – 207.
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chen. So wurden als zuverlässig-militärische Mittelsmänner des Königs dessen Obristen Adolf Friedrich von der Schulenburg95 und Hans Heinrich von Katte im November 1717 nach Vieritz geschickt, wo sie die Ritterschaft des Kreises Jerichow von den allfälligen Vorteilen der königlichen Intentionen überzeugen sollten. An der Versammlung nahm auch der junge Hans Hermann teil und erlebte, wie sein Vater als Fürsprecher des Königs am Mißtrauen der Herren Vettern scheiterte, auch wenn diese mit Blick auf den Vorfahr und die Mutter (Sophie Charlotte) ihres Monarchen dessen Hartnäckigkeit im Stände- und Steuerstreit besorgten: „Immerhin ist er ihr Sohn und sein Enkel“96. Tatsächlich konnte der König – obwohl er den Wiener Prozeß 1725 verlor97– wie weiland der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm den Widerstand des widerspenstigen Adels bis etwa 1730 entkräften und seine Allodifikationspolitik durchsetzen. Standen Hans Hermanns Vater einerseits und sein Großvater andererseits für so verschiedene Lebenswelten, die bei diesem von der alten klassischen Adelsinternationale und bei jenem von der neuen preußischen Regimentskultur geprägt waren98, werden sich beide Männer darin doch einig gewesen sein, den dreizehnjährigen Jungen 1717 für eine vierjährige Schulausbildung auf das von August Hermann Francke geleitete Pädagogium nach Halle a. S. zu schicken99. Hier konnten ihm solide Schulkenntnisse unter pietistischen Vorzeichen vermittelt werden, die ebenso den Geist bilden wie 95 Adolf Friedrich Graf von der Schulenburg, 1685 geboren, 1701 Ritterakademie zu Lüneburg, dreijähriges Studium zu Utrecht, 1705 in hannoverschen Diensten, 1713 in preußischen Diensten, Oberstleutnant im Regiment zu Pferd Nr. 3, 1714 Kommandeur des Regiment zu Pferd Nr. 4, 1715 Teilnahme am Pommernfeldzug, 1718 Oberst, 1719 Kommandeur bzw. 1724 Chef des Dragonerregiments Nr. 3, 1728 Generalmajor, 1734 als Kronprinzbegleiter Teilnahme am Rheinfeldzug, 1739 Generalleutnant, 1741 gefallen bei Mollwitz; vgl. G. Schmidt, Geschlecht von der Schulenburg (Anm. 88), 509 – 526; dazu K. v. Priesdorff, Soldatisches Führertum (Anm. 48), Bd. 1, Nr. 235. 96 Protokoll des Katteschen Familienschlusses, dat. Vieritz, Anfang November 1717; hier zitiert nach M. v. Katte, [5.] Memorial (Anm. 12), 12. Vgl. Ursula Löffler, Magdeburgs Weg nach Brandenburg-Preußen: Herrschaftsetablierung und -durchdringung als administrativer Prozeß, in: Membra unius capitis. Studien zu Herrschaftsauffassungen und Regierungspraxis in Kurbrandenburg 1640 – 1688 (FBPG, Beiheft 7), hrsg. v. Michael Kaiser / Michael Rohrschneider, Berlin 2005, 77 – 98. 97 Vgl. Heinrich von Friedberg: Der Konflikt zwischen Friedrich Wilhelm I. und Karl VI. über die Allodifikation der Lehne in den Marken, in: HZ 28 (1890), 216 – 233. 98 Für eine anstelle monolithischer oder regionalistischer Fiktionen bei wechselnden Konstellationen „königsnah“ oder „königsfern“ differenzierende Adelsanalyse vgl. Wolfgang Neugebauer, Der Adel in Preußen im 18. Jahrhundert, in: Der europäische Adel im Ancien Régime. Von der Krise der ständischen Monarchien bis zur Revolution (1699 – 1789), hrsg. v. Ronald G. Asch, Köln 2001, 49 – 76. 99 Vgl. hier und im folgenden M. v. Katte, Biographische Skizze (Anm. 12); dazu Hans-Herbert Haase, Hans Hermann von Katte (1704 – 1730), in: Preußische Mitteilungen 30 (2000), 3 – 9 (mit Abdruck des Schreibens Oberst Hans Heinrich von Katte, an Prof. August Hermann Francke, dat. Wust, 6. November 1717, zur Einschulung Hans Hermanns im Pädagogium).
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die Seele erwecken sollten100. In einer Gemeinschaft von etwa 60 Mitschülern knüpfte er einige lebenslange Freundschaften: Zu Johann Ludwig von Ingersleben, Thomas Heinrich von Huss und besonders zu Joachim Friedrich von Holtzendorff; darüber hinaus zu Leopold Friedrich von Wietersheim101. In Saalathen lernte er allerdings nicht nur Latein, sondern auch das Spiel auf der Querflöte. Entsprechend schwankte Kattes Charakterbild in den Beurteilungen seiner Lehrer: „Katt hat sich so ziemlich regieren lassen, ist auch fleißig. Doch accomediret er sich mehr um seines Herrn Vaters willen, der ihm scharf ist, als das ein rechter Grund [religiöser Motivation] bei ihm seyn solte.“ (1718) – „Ingersleben will Soldat werden; Katt incliniret eher zur Poeterey und Träumerey“ (1719) – „Katt ist in allen seinen Dingen nicht genugsam erwecket, daher es auch nicht den rechten Fortgang hat“ (1720)102. Nein, ein zum preußischen Militär- oder Zivildienst bereiter Pietist ist Hans Hermann in Halle nicht geworden. Offenbar wollte er lieber dem Vorbild der weltläufigen Schulenburger Vettern folgen und über die Vermittlung des britischen Diplomaten Friedrich Wilhelm in Kontakt zum Türkensieger Matthias Johann von der Schulenburg in Venedig kommen – was ihm Vater Hans Heinrich kurzum verbot103. Auf Ordre des Generalleutnants ging Hans Hermann vielmehr in Begleitung seines Mentors Dr. Daniel Heinrich Arnoldt nach Königsberg. Dort begann er an der Albertina im Sommersemester 1721 ein Studium, legte 1722 eine Zwischenstation auf der Universität zu Utrecht ein, und kehrte 1723 / 24 wieder nach Königsberg zurück104. Katte hörte juristische Vorlesungen, ließ sich aber auch in Musik und Malerei fortbilden. Darüber hinaus hatte ihn 1722 / 23 eine einjährige Kavalierstour nach Venedig, Paris und London geführt, wo er im Salon der Herzogin von Kendal seine Aufwartung gemacht und von Tante Ehrengard Melusine ein Kompliment für seine französische Spracheleganz bekommen 100 Vgl. Thomas Müller-Bahlke, Gott zur Ehr und zu des Landes Besten. Die Franckeschen Stiftungen und Preußen: Aspekte einer alten Allianz, Halle a. S. 2001, 71 – 103. 101 Zu Thomas Huss, aus einer 1702 geadelten Beamtenfamilie, zu der damals u. a. Johann Helfreich Huss gehörte, zuerst Rat bei der Regierung zu Minden, später bei der Kammer zu Magdeburg; vgl. Leopold von Zedlitz-Neukirch (Bearb.), Neues preußisches Adelslexicon, Bd. 2, Leipzig 1836, 467; weiterhin zu Ingersleben, Holtzendorff und Wietersheim unten Anm. 118 und 158. 102 Schreiben des Lektors Freyer, an August Hermann Franke, dat. 19. April 1718; Kattes Conduite 1719; desgl. 1720; hier zitiert nach M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 57, 58, 73. 103 M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 66. Nach M. v. Katte, [5.] Memorial (Anm. 12), 15, hat Hans Hermann den berühmten Onkel dann doch auf seiner Kavalierstour 1723 in Venedig besucht. 104 Vgl. Georg Erler (Hrsg.), Die Matrikel der Universität Königsberg i. Pr., Bd. 2, Leipzig 1911, 309 (Immatrikulation Johann Hermann von Katte, Magdeburgischer Herkunft, am 18. April 1721). In die Utrechter Matrikel hat sich Katte allerdings nicht eingetragen; vgl. Fehlanzeige bei [G. W. Kernkamp], Album studiosorum Academiae Rheno-Trajectinae 1636 – 1886, Utrecht 1886, Sp. 121 – 125.
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hatte105. Ein persönliches Zeugnis aus diesen akademischen Jahren hat sich in einem Stammbuch erhalten, in dem sich Studiosus „H. H. Katt Magdeburgensis“ am 13. Januar 1724 mit der Devise verewigte: „Le monde est plains des sotises“106. Dazu paßten Vater Kattes Kommentare zu den Perspektiven seines Sohnes in dieser Zeit: „Bon talent aux chevaux, son éturderie serait à dompter, mais son inclination visionnaire serait incurable“ (1722)107 – „Die Freyheit bekommt Ihm nicht, und Er hat gefährliche Bekanntschaften geknüpft“ (1724)108. Nach siebenjähriger Ausbildungszeit 1724 stand Hans Hermann gleichsam am Scheideweg. Sollte sich sein Leben nach den Vorgaben der europäischen Adelswelt gestalten, wie sie etwa Großvater von Wartensleben oder die Schulenburger Vettern verkörperten – entschied er sich für den Eintritt in den preußischen Dienst, gar zum Anschluß an die Regimentskultur, für die Vater Hans Heinrich oder Adolf Friedrich von der Schulenburg standen? Nach der Katteschen Familienüberlieferung hatte sein Rechte-Studium bezweckt, ihm „Zugang zum Reichsdienst“ zu verschaffen – was zum Beispiel auf eine Juristen-Karriere am Wetzlarer Reichskammergericht oder beim Reichshofrat in Wien hinauslaufen konnte, wo damals ja in der Tat die Interessen des Magdeburger Adels gegen Friedrich Wilhelm I. zu verfechten waren. Vielleicht hätte er seine Ausbildung auch für eine diplomatische Laufbahn wie der Londoner Schulenburg nutzen können. Doch Hans Hermanns Weg führte weder in die große Welt noch in den Reichsdienst, sondern – widerwillig, wie wiederum die familiäre Fama zu berichten wußte – auf väterliches Geheiß zu den Gens d’armes109. Katte trat also im Winter 1726 in das Regiment zu Pferd Nr. 10 in Berlin ein, leistete den Fahneneid und erhielt ein Kornett-Patent, nach dessen 105 M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 90. Zum Erlernen und Anwenden von Konversation als wichtigem Anliegen einer solchen Bildungsreise vgl. Matthias Leibetseder, Die Kavalierstour. Adlige Erziehungsreisen im 17. und 18. Jahrhundert (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 56), Köln / u. a. 2004. 106 Eintragung des Hans Hermann von Katte in das 1723 / 24 geführte Stammbuch des stud. iur. Karl Theodor Scheibenpoden, datiert Königsberg, 13. Januar 1724; GStA PK, VI. HA Familienarchiv von Katte, Nr. 2. Zur zitierten Devise ziert das Blatt ein sorgfältig ausgeführtes Aquarell, das neben einer kleiner Eiche einen bunt kostümierten Harlekin zeigt, der in der rechten Hand eine Unterhose, in der linken einen Reifrock hält; darüber ein halb angerissenes Kalenderblatt 16. – 20. Mai. 107 Hans Heinrich von Katte, in einem Schreiben an seinen Schwiegervater Alexander von Wartensleben, ca. 1722; zit. nach M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 76; vgl. ebenda 73 Hinweis auf eine gleichzeitige Korrespondenz zwischen Hans Hermann von Katte und Gefreitenkorporal Johann Ludwig von Ingersleben, der ihn vergeblich zur preußischen Dienstnahme bewegen wollte. 108 Hans Heinrich von Katte, in einem Schreiben an seinen Sohn Hans Hermann, ca. Herbst 1724; zit nach M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 92. 109 Vgl. M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 90; dazu M. v. Katte, [5.] Memorial (Anm. 12), 14.
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Wortlaut er dem König „holdt, treu und gehorsamb sein, seine Charge gebührend wahrnehmen, was ihme zu thun und zu verrichten oblieget und committiret wird, bey Tag und Nacht fleißig und treulich exequiren, bey allen vorkommenden Kriegesoccasionen sich tapffer und unverweislich bezeigen, im Übrigen auch aller dieser Charge anklebenden Praerogativen und Gerechtsahmen geniessen“ sollte110. Er gehörte damit als Mann des Königs zu einer Einheit, die nach 1713 die aufgelösten Palasttruppen der Gardes du Corps, Grands Mousquetaires und Grenadiers à Cheval in sich vereint und damit die Position der Garde-Kavallerietruppe im preußischen Militär übernommen hatte (so, wie bei der Infanterie das Königsregiment der „langen Kerls“ Nr. 6)111. Chef der Gens d’armes war Friedrich Wilhelm I. persönlich; ihr Kommandeur en chef Dubislav Gneomar von Natzmer, der in der Armee als Muster eines tapferen und gebildeten, zutiefst religiösen und sittenstrengen Offiziers galt112. Der Generalleutnant, seit 1728 Generalfeldmarschall, zählte zu den Pietisten bei Hofe und als solcher zu den Freunden des Grafen Alexander von Wartensleben, der seinem Enkel Hans Hermann wohl den Eintritt in das so noble wie tadellose Garderegiment ermöglicht (und damit den Kommissbetrieb bei den Angerburger LinienKürassieren Nr. 9 erspart) hatte113. Bekanntlich war es Natzmer gewesen, der 1711 den Kronprinzen Friedrich Wilhelm mit August Hermann Francke zusammenführte114; von ihm machte freilich auch das Wort die Runde, mit dem er sich vor Malplaquet 1709 gegen eine Zumutung Friedrich Wilhelms 110 Zitiert nach dem Patent für den Leutnant Magnus Christoph von Wedel vom Regiment zu Pferd Nr. 5, dat. Berlin, 24. November 1719; StA Ms, Gut Wildenberg (Dep.), von Wedelsche Familienchronik, Lit. R. 111 Vgl. Otto von Schwerin, Das Regiment Gens d’armes und seine Vorgeschichte, sowie die Geschichte der anderen Stammtruppen des Kürassierregiments Kaiser Nikolaus von Rußland (Brandenburgisches) Nr. 6, Teil 1, Berlin 1917; ebenda zu Katte 132 – 135. 112 Vgl. Kurd Wolffgang von Schöning, Des Generalfeldmarschalls Dubislav Gneomar von Natzmer auf Gannewitz Leben und Kriegsthaten, mit den Hauptbegebenheiten des von ihm errichteten und 48 Jahre als Commandeur en chef geführten bekannten Garde-Reuter-Regiments Gens d’armes, Berlin 1838; dazu Friedrich Wilhelm Selbach, Dubislav Gneomar von Natzmer und Kronprinz Friedrich, in: Unser Pommerland 14 (1929), 10 – 13. Sein prächtiges Porträt von Pesne, um 1733, abgebildet bei T. Müller-Bahlke, Franckesche Stiftungen (Anm. 100), 213. 113 K. W. v. Schöning, Leben Natzmer (Anm. 112), 369 f., hob aus den 1720er Jahren neben den Aufsehen erregenden Revuen des Regiments hervor, daß dort 1727 drei Reiter mit der Steigriemenlaufstrafe belegt worden wären, was unter der Mannschaft in zehn Jahren nicht nötig gewesen sei. Christian Wolffgang zeigte in einem großformatigen Kupferstich die Gens d’armes-Revue vor dem polnischen König August I. am 3. Juni 1728: Eine zeitgenössisch in Preußen einmalige Darstellung, exklusiv wie das Regiment selbst; vgl. die Abbildung bei T. Müller-Bahlke, Franckesche Stiftungen (Anm. 100), 214; dazu O. v. Schwerin, Regiment Gens d’armes (Anm. 111), 127 ff. 114 Vgl. C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. (Anm. 2), 593 ff.; dazu ders., Preußentum und Pietismus. Der Pietismus in Brandenburg-Preußen als religiös-soziale Reformbewegung, Göttingen 1971, 133 – 135.
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zugunsten Leopolds von Anhalt-Dessau verwahrte: „Die Fürsten können über alles verfügen, aber nicht über die Ehre eines Edelmannes“115. Im engeren Kameradenkreis der Subalternoffiziere seines Regiments traf Hans Hermann von Katte auf alte Bekannte und einen Verwandten, seinen Stiefonkel Premierleutnant Christian Friedrich von Bredow116. Neue Kontakte knüpfte er zu Kornett Ludwig Kasimir von Hertefeld, der ihn beim französischen Gesandten Conrad-Alexandre de Rottembourg einführte117. Freundschaft seit Hallenser Pädagogiumstagen verband ihn mit Kornett Joachim Friedrich von Holtzendorff, von dem allerdings ein schlechter Einfluß zu befürchteten war – hielt ihn doch der König, der seine Pappenheimer in den beiden Garderegimentern kannte, für einen Galgenvogel, den er einmal „wegen zur Unzeit getriebener Scherze mit gewissen Damen“ mit 300 Tlr Strafe belegte118. Freilich gehörten „Verschwendungslust und Tollkühnheit“, „Mut und Übermut“ zu den Markenzeichen vieler Offiziere der Gardekürassiere119. Katte machte keine Ausnahme und bestand ihre Ders., Friedrich Wilhelm I. (Anm. 2), 401. Christian Friedrich von Bredow zu Wagenitz, 1698 geboren, 1716 beim Regiment zu Pferd Nr. 10, 1741 Major, 1742 Oberstleutnant, 1744 gefallen bei Soor; vgl. Personalien von 170 Offizieren des Regiments Gens d’armes, in: O. v. Schwerin, Regiment Gens d’armes (Anm. 111), Teil 3, nach 186. Seine Schwester Katharina Elisabeth war seit 1712 die zweite Ehefrau des Hans Heinrich von Katte, also Stiefmutter von Hans Hermann; vgl. M. v. Katte, [2.] Stammbaum (Anm. 12). 117 Vgl. M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 112. Ludwig Kasimir von Hertefeld, 1709 geboren, 1727 Kornett im Regiment zu Pferd Nr. 10, 1730 Leutnant, 1738 als Rittmeister und Kompaniechef zum Regiment zu Pferd Nr. 5 versetzt, 1741 bei Mollwitz verwundet, 1743 verabschiedet, 1750 bis 1757 Kammerherr der Königin-Mutter, 1790 gestorben; vgl. Personalien von 170 Offizieren des Regiments Gens d’armes, in: O. v. Schwerin, Regiment Gens d’armes (Anm. 111), Teil 3, nach 186. Conrad-Alexandre de Rottembourg (1684 – 1735), in Frankreich geborener Sproß der Beutnitzer Linie der schlesischen Familie von Rothenburg, 1714 – 1720 und 1725 – 1727 Französischer Gesandter zu Berlin, 1723 – 1725 außerordentlicher Bevollmächtigter auf dem Kongreß zu Cambrai, 1727 – 1734 außerordentlicher Gesandter bzw. Botschafter zu Madrid; vgl. Jörg Ulbert, Frankreichs Deutschlandpolitik im zweiten und dritten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts. Zur Reichsperzeption französischer Diplomaten während der Regentschaft Philipp von Orléans (1715 – 1723), Berlin 2004, 453 – 455; dazu demnächst Sven Externbrink, Hof und Heer. Das Preußenbild der französischen Diplomatie zur Zeit Ludwigs XV. (1715 – 1756). 118 Joachim Friedrich von Holtzendorff, 1700 geboren, 1722 Standartenjunker im Regiment zu Pferd Nr. 10, 1723 Kornett, 1733 als Leutnant dimittiert, 1735 zum ständigen Vertreter der Kurmärkischen Ritterschaft bei der neu gegründeten Landschaft gewählt, später Direktor dieses Instituts, 1783 gestorben; vgl. Wichart von Holtzendorff, Die Holtzendorff in der Mark Brandenburg und Chursachsen. Eine genealogische Studie, Berlin 1876, 61 f. Den schlechten Einfluß besorgte z. B. Hans Hermanns Onkel, Hermann von Wartensleben; vgl. M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 201. Schließlich Friedrich Wilhelm I. verzierte einen Bericht des Kabinettsministerium vom 23. September 1734 (Gesuch des „gewesenen Lieutenant bei denen Gens d’armes“ Joachim Friedrich von Holtzendorff, den Gesandtenposten zu Stockholm zu erhalten) mit der Strichzeichnung eines Gehenkten und verfügte dazu: „So stehet er angeschrieben, sollen ihm das weisen“; GStA PK, I. HA Rep. 94 Kleine Erwerbungen, IV Ka Nr. 5, fol. 237. 119 T. Fontane, Wanderungen (Anm. 1), 423. 115 116
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„Reiterprobe“, bei der Pferde, Schampus, das weibliche Geschlecht und die Zahl 3 eine Rolle spielten120. Seiner Cousine Sophie Charlotte, der Tochter des Kammerpräsidenten Heinrich Christoph von Katte, soll er in deren Salon hoch zu Ross auf der Schimmelstute Orfraie die Aufwartung gemacht haben121. Solche Kavalierseskapaden qualifizierten ihn dafür, im zweiten Halbjahr 1726 dem „tollen“ Markgrafen Friedrich Wilhelm von Brandenburg-Schwedt als Begleiter zu dienen122. Zwei Jahre später unternahm Hans Hermann nochmals eine ausgedehnte Auslandsreise, für die er seinen Urlaub weit überzog. Er ging im Oktober 1728 in väterlichem Auftrag zunächst nach Paris, dann auf eigene Faust nach Madrid, um den mittlerweile dorthin versetzten Gesandten de Rottembourg zu besuchen, und schließlich nach London, wo er Petronella Melusine von der Schulenburg umschwärmte, eine Verwandte der Kendaler Herzogin123. Am Ende schien Katte junior durchaus gesonnen, den preußischen Dienst zu quittieren und am britischen Hof zu bleiben, so daß sich sein Vater im Frühjahr 1729 genötigt sah, ihn mit energischem Befehl nach Berlin zurückzukommandieren124. Wer wollte es verübeln, daß ein Gens d’armes-Kornett im Alter von 20 / 24 Jahren auf preußische Regimentskultur oder juristischen Reichsdienst pfiff 120 Vgl. entsprechend eine von Premierleutnant Christian Friedrich von Bredow, sowie den Sekondleutnants Karl Konrad von Kleist und Samuel Ludwig von Lüderitz für Hans Hermann von Katte ausgestellte Scherzurkunde vom Mai 1726; nach M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 110. 121 Heinrich Christoph (II.) von Katte, 1675 geboren, älterer Bruder des Generalleutnants Hans Heinrich, Präsident der Kriegs- und Domänenkammer zu Magdeburg, 1743 gestorben. Von seinen elf Kindern sind hier zu erwähnen: Hans Friedrich (vgl. unten Anm. 192); Sophie Charlotte (1703 geboren, Äbtissin zu Wolmirstedt, 1763 gestorben; vgl. Anm. 266) und Ludolf August (1709 geboren, Major in einem Infanterieregiment, 1755 mit Marie Freiin Rollas du Rosey verheiratet, 1776 gestorben), der sich an den Eskapaden Hans Hermanns fleißig beteiligte; vgl. M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 200, 202 (mit Erwähnung des Pferdenamens frz. Orfraie, dt. Seeadler); dazu M. v. Katte, [2.] Stammbaum (Anm. 12). 122 M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 110. Die Reitkunst, wie sie Markgraf Friedrich Wilhelm von Brandenburg-Schwedt (1700 – 1771) als Chef des Regiments zu Pferd Nr. 5 pflegte, gehörte bekanntlich auch zur Biographie des Friedrich Wilhelm von Seydlitz, der von 1735 bis 1740 sein Page war; vgl. Klaus Christian Richter, Friedrich Wilhelm von Seydlitz. Ein preußischer Reitergeneral und seine Zeit, Osnabrück 1996, 7 – 16. 123 Nach Mitteilungen Hans Heinrich von Katte, an seinen Bruder Heinrich Christoph; M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 196. Petronella Melusine von der Schulenburg, 1693 geboren, eine Schwester von Adolf Friedrich (Anm. 95), ging ca. 1720 nach London, wo sie Begleiterin der Herzogin von Kendal und schließlich deren Universalerbin wurde (vgl. Anm. 90). Sie erhielt 1721 oder 1722 den Titel einer Gräfin von Walsingham, heiratete 1733 Lord Chesterfield und starb 1778; vgl. G. Schmidt, Geschlecht von der Schulenburg (Anm. 88), 527. 124 Nach Mitteilungen Hans Heinrich von Katte, an seinen Bruder Heinrich Christoph; M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 197 f. Demnach ging Hans Hermann über Den Haag nach Berlin zurück, wo ihm sein Eskadronchef einen Verweis wegen Insubordination erteilte.
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und sich mehr für Pferde, Frauen, Flötenspiel interessierte? Von lebhafter Natur, war Katte junior standesgemäß erzogen, vielseitig begabt, deutsch wie französisch gebildet, und schon weitgereist – freilich auch unausgeglichen, überheblich, leichtsinnig und für Eskapaden bekannt125. Das strohgelbe Kürassierkollett und der Pallasch boten ihm keinen ausreichenden Halt, der rote Adelsrock und die Querflöte doch nur flüchtige Poesie126; insgesamt fehlte dem jungen Mann ein sinnvolles Ziel – und entsprechend ambivalent lautete 1726 die Beurteilung durch seinen Regimentskommandeur: „Ich werde noch nicht klug mit Katten; Sans reproche scheint er mir nur zu Pferd oder mit der Flûte traversière“127 – und Vater Hans Heinrich brachte die Lebensart seines Ältesten knapp auf den Punkt: „Tollheiten sans dessein“128. 125 Vgl. M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 108, 161 – 163. Demnach standen in Hans Hermanns Bibliothek Werke von Gryphius, von Logau, von Spee, Leibnitz, Weise, Wolff, Santa Clara, Cervantes, Montesquieu, Corneille, Molière, La Fontaine und Voltaire. Vgl. dazu die Angaben über die Bücher des Kronprinzen (die auf Anweisung des Königs im Frühjahr 1731 in Amsterdam verkauft wurden) bei Gottlieb Friedländer, Des Kronprinzen Friedrich Bibliothek, in: Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde 6 (1869), 1 – 4; zu Friedrichs tatsächlich nachweisbarer Lektüre (Maron, Maguellone à son ami Pierre de Provence, 1517; Scarron, Le Roman comique, 1655 / 1657; Fénelon, Les Aventures de Télémaque, 1699) G. B. Volz, Kronprinzenprozeß (Anm. 67), 5. 126 Vor diesem Hintergrund steht das (Johann Harper zugeschriebene) Gemälde „Das Geschwisterkonzert“; vgl. Anm. 14. Die Szene erinnerte an die von F. Nicolai, Anekdoten (Anm. 50), Heft 5, 147 tradierte (und von Historienmaler Carl Röchling verarbeitete) Erinnerung von Flötenlehrer Quantz, der mit seinem Schüler Friedrich im Sommer 1730 von Friedrich Wilhelm I. beim verbotenen Spiel überrascht wurde und dessen Zorn um so mehr fürchtete, als er „einen roten Rock anhatte, eine Farbe, die dem König höchst zuwider war“. Er mochte sie nicht, weil sie die adelig konnotierte Farbe der modischen Galaröcke ebenso wie der hannover-britischen Infanterieuniformen war. Fürst Leopold von Anhalt-Dessau kredenzte Friedrich Wilhelm I. am 25. August 1730 daher den Wein aus Gläsern, die dieser goutierte: „weiß, grün und blau. Der König setzte bey: ‚Auch roth, wo sie wollen ehrlich seyn, wo nicht, bleibe ich doch gut kayserlich‘“; H. Wagner, Reisejournal Seckendorff (Anm. 5), 242; vgl. dazu Elke Freifrau von Boeselager, Die Farbe Rot, in: Die Historischen Hilfswissenschaften in Forschung und Lehre, hrsg. v. Eckart Henning / Regina Rousavy, (Herold-Studien 6), Neustadt / Aisch 2003, 38 – 65. Aus rotem Tuch ließ sich Kronprinz Friedrich auf der Reise durch Süddeutschland in Ludwigsburg am 3. August bekanntlich jenen Überrock („Roquelaure“) schneidern, den er beim Fluchtversuch trug (und damit bekleidet bei einem Ritt nach Frankreich jedenfalls weniger als in Preußisch-Blau aufgefallen wäre); vgl. H. Eckert, Fürstenreise (Anm. 5), 55, 62 f. Erst nach Friedrichs II. Regierungsantritt durften auch preußische Offiziere rote Galaröcke tragen – und zwar beim Regiment Gens d’armes und der 1740 neu errichteten Eskadron Gardes du Corps; vgl. Hans Bleckwenn, Der rote Rock, in: Altpreußische Offizierporträts (Anm. 14), 267 f.; dazu unten Anm. 188. 127 Schreiben Oberstleutnant von Pannwitz, an Generalfeldmarschall Alexander von Wartensleben, 1726; zitiert nach M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 108. Wolf Adolf von Pannwitz, 1679 geboren, 1714 Major im Regiment zu Pferd Nr. 10, 1719 Oberstleutnant, 1728 Oberst, 1725 – 1739 Kommandeur, 1739 – 1742 Kommandeur en chef, 1742 als Generalmajor mit Pension dimittiert; vgl. Personalien von 170 Offizieren des Regiments Gens d’armes, in: O. v. Schwerin, Regiment Gens d’armes (Anm. 111), Teil 3, nach 186. 128 M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 165.
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In dieser kritischen Lebensphase dürfte es nicht nur für Hans Hermann selbst, sondern seiner Familie überhaupt sehr wichtig gewesen sein, daß er nach dreijähriger Exspektanz durch Herrenmeister Markgraf Albrecht Friedrich von Brandenburg am 7. April 1728 zu Sonnenburg in den Johanniter-Orden feierlich aufgenommen wurde; zusammen mit 51 weiteren Aspiranten, zu denen neben den Markgrafen Heinrich und Karl von Brandenburg-Schwedt zum Beispiel auch sein Großvater Alexander Graf von Wartensleben, der Vater Hans Heinrich von Katte, Onkel Hermann Graf Wartensleben, sein Bruder Friedrich Wilhelm Ludwig und Vetter Ludolf August von Katte zählten129. Der Ritterschlag entsprach zunächst einem gesteigerten adligen Selbstverständnis, verbürgte im Einzelnen auch die Aussicht auf materielle Versorgung130 und besiegelte vor allem in liturgischen Formen eine festere Einbindung des Johanniters in die staatstragende Elite Brandenburg-Preußens. So beschwor auch Hans Hermann die Ordensartikel, die im Artikel III vorschrieben: „Muß ein Ritter auch nach allen Kräfften und Vermögen sich dafür hüten, damit er in Kriegs-Expeditionen die Fahne oder Kriegs-Zeichen, unter welchen er sich befindet, aus keinerley Ursachen, wie die auch Nahmen haben mögen, verlasse, oder sich einem einigen gemeinen Kerlen gefangen gebe, massen denn selbiger, von dem solches geschiehet und erfahren wird, zu gewarten hat, daß er mit großer Schande aus dieser Ehre und ritterlichen Gemeinschafft hinwiederum abgesondert und mit Spott gestossen werde.“131 Es wäre daher jähzornig und folgerichtig zugleich gewesen, wenn König Friedrich Wilhelm I. beim ersten Zusammentreffen mit dem im Zusammen129 Die Aufnahme so vieler Ritter erfolgte, nachdem der letzte Ritterschlag 1704 vorgenommen worden war; vgl. Justus Christoph Dithmar, Geschichte des JohanniterOrdens, Frankfurt (Oder) 1728. Hans Hermanns Aufschwörungstafel beruht in GStA PK, X. HA Brandenburg, Rep. 9 Johanniterorden, Nr. 536; vgl. dazu M. v. Katte, [4.] Ahnentafel Katte (Anm. 12). Zu Hans Hermanns jüngerem Stiefbruder Friedrich Wilhelm Ludwig, 1721 geboren, Rittmeister im Regiment zu Pferd Nr. 9, 1748 gefallen im Duell mit seinem Bruder Friedrich Albrecht Wilhelm, 1728 geboren, Rittmeister im Regiment zu Pferd Nr. 9, 1748 ebenfalls an den Folgen dieses Duells gestorben, vgl. M. v. Katte, [3.] Stammbaum (Anm. 12); zu Ludolf August von Katte oben Anm. 121. 130 Hans Hermann von Katte erhielt die Exspektanz auf die altmärkische Kommende Werben, die zum ältesten Besitz der Ballei Brandenburg zählte, aber eher bescheidene Revenuen einbrachte. Komtur von 1725 bis 1748 war Oberstleutnant, späterer Geheimer Etatsminister Hans Friedrich von Tettau; vgl. M. v. Katte, [4.] Ahnentafel Katte (Anm. 12). 131 J. C. Dithmar, Geschichte Johanniter-Orden (Anm. 129), 18 f.; vgl. Henning Floto, Der Rechtsstatus des Johanniterordens, Eine rechtsgeschichtliche und rechtsdogmatische Untersuchung zum Rechtsstatus der Balley Brandenburg des ritterlichen Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem, Berlin 2003, 69 ff. Am Ende bat Katte auf der Fahrt von Berlin nach Küstrin den ihn begleitenden Gens d’armesMajor Otto Bogislav von Schack, eine Empfehlung an den Herrenmeister auszurichten: „Er ließe sich demütigst bedanken vor alle hohe Gnade, so Derselbe ihm erzeiget hätte, in Sonderheit, daß er ihm zu einer der größten Ehren verholfen, so er in der Welt gehabt hätte, nämlich, daß er ihn in den Orden aufgenommen“; C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), Nr. 75.
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hang des gescheiterten Fluchtversuchs des Kronprinzen verhafteten Hans Hermann von Katte am 27. August 1730 diesem das am Halsband getragene Ordenskreuz tatsächlich heruntergerissen haben sollte – was allerdings erst 20 Jahre danach aus höchst unzuverlässiger Quelle verlautete132. So oder so brach damit dessen Offizierkarriere bei den Gens d’armes ab, die ihn vom Kornett (8. November 1724) über den Sekondleutnant (23. August 1729133) zum Premierleutnant (7. Juli 1730) geführt hatte134. Er konnte also nach auffallend langer Kornettzeit (normal wären drei Jahre gewesen) einen raschen Leutnantsprung machen (Beförderung sonst: nach fünf Jahren) und es so in sechs (statt acht) Jahren zum Premier schaffen135. Über sein Ende vermerkte die Geheime Kriegskanzlei 1730 lapidar: „gehet ab, siehe die Vermerke auf der Expedition vom 14. 8. 1730 in den Akten und Expeditionen des Regiment Gens d’armes“136. Damit war ein Vorgang gemeint, der seit Juli wegen der Versetzung des Leutnants Joachim Friedrich Wunibald Graf Truchseß zu Waldburg und seines Bruders Kornett Otto Wolf vom Regiment zu Pferd Nr. 7 zu Nr. 10 ent132 Zu Kattes Vernehmung am 27. August 1730 vgl. C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), Nr. 13; für die Anekdote vom heruntergerissenen Johanniterkreuz zuerst Charles Louis Baron de Poellnitz, Mémoires pour servir l’histoire des quatre derniers souverains de la Maison de Brandenbourg, Royale de Prusse, Tome second, Berlin 1791, 239. Pöllnitz, der zwischen 1717 und 1735 nicht in Berlin weilte und die Mémoires pour servir ca. 1750 schrieb, wollte seinerzeit vom Augenzeugen von Grumbkow gehört haben: Als Katte vor dem König auf die Knie fiel, „lui arracha avec violence la croix de l’ordre de St. Jean, le maltraita de la canne et le foula à ses pieds“. Die in der Kolportage solcher Horrorszenen ihrerseits nicht zimperliche Wilhelmine von Bayreuth wußte entsprechend auszumalen, daß Friedrich Wilhelm I. dem Delinquenten vor dem Verhör ein paar saftige Ohrfeigen gab, „que le mirent en sang“, erwähnte aber nicht einen Griff nach dem Ordenskreuz; Frédérique Sophie Wilhelmine, Margrave de Bareith, Mémoires depuis l’année 1706 jusqu’à 1742, écrits de sa main, Tome premier, Brunswick 1810, 246. Zur Abhängigkeit der PöllnitzVersion von Wilhelmines (eher verfaßten, aber später gedruckten) Darstellung vgl. G. Wallat, Geschichtsschreiber (Anm. 7), 23 ff., 28 ff. – Noch auf dem Gang zum Schafott scheint Katte sein Johanniterkreuz getragen zu haben. Major von Schack übergab es nach der Hinrichtung dem Küstriner Kommandanten von Lepel, der mit Immediatbericht vom 6. November 1730 beim König anfragte, was damit geschehen solle – ohne darauf eine Antwort zu erhalten (GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 13, fol. 25 f.) In diesem Zusammenhang sprechen die Details des Lisiewskigemäldes; vgl. Anm. 15 – 17. 133 Nach M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 200, focht Hans Hermann an diesem Tag ein Säbelduell zu Pferde [sic] mit einem Kontrahenten von Bredow aus. Dieser wurde verwundet. 134 Patentdaten nach den Angaben der in der Geheimen Kriegskanzlei zu Berlin geführten Offiziernomenclatur; GStA PK, IV. HA Preußische Armee, Rep. 1 Geheime Kriegskanzlei, Nr. 76, fol. 83v. 135 Normaldaten nach Berechnungen anhand der im GStA PK gepflegten Datenbank PAL, die auf der Offizierlistenabschriftensammlung des Anton Balthasar König beruht; vgl. Jürgen Kloosterhuis, Das preußische Offizierkorps von 1690 bis 1790 – in einer Datenbank, in: Zeitschrift für Heereskunde 49 (1995), 137. 136 Wie Anm. 134. Ebenso schweigsam gab sich die Abgangsliste des Regiments zu Pferd Nr. 10: „1730. Premierleutnant von Katte“; gedruckt bei K. W. v. Schöning, Leben Natzmer (Anm. 112), 486.
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standen war, wo der eine planstellenmäßig und der andere als Supernumerar geführt werden sollte. Die entsprechende Kabinettsordre datierte vom 14. August, wurde von Friedrich Wilhelm I. aber erst am 27., Kattes erstem Verhörtag, vollzogen und dabei mit dem Postskript versehen: „dieweil Katte ein Schelm geworden, also die Offiziere wieder complett sein“137. Zwei Tage später gab der König auf einem Gnadengesuch des Hans Heinrich von Katte an: „Sein Sohn ist ein Schelm, meiner auch, also was können die Vatters davor?“138 Und wie mit solchen infamen „Schelmen“ zu verfahren war, konnte der Generalleutnant einem königlichen Postskript zu einer Kabinettsordre in anderer Dienstsache am 24. September 1730 entnehmen: „Wir seynd alle beyde zu beklagen, aber wenn das viele Blut nicht tauget, so lässet man sich zur Ader. Unsere Schuldt ist es nit.“139 Friedrich Wilhelm I. sprach damit schon zu Beginn der Verhöre und lange vor der Spruchfindung des zu bestallenden Kriegsgerichts klipp und klar aus, daß er den eigenen Sohn und seine Komplizen in erster Linie für meineidige, in einen Desertionskomplott verstrickte Offiziere hielt. Genau diesen Tatbestand hatte nämlich der Kronprinz bereits in seinem ersten Verhör in Wesel am 12. August 1730 zugegeben, und Katte am 27. August ebenso wenig in Abrede stellen können140. Entsprechend scheint der Gens d’armes-Premierleutnant auf Anweisung seines Souveräns und Regiments137 Ibid., Leben Natzmer (Anm. 112), 398; vgl. dazu auch Kabinetts-Ordres König Friedrich Wilhelm I., an Generalmajor Karl Ludwig Graf Truchseß zu Waldburg, dat. Wesel, 13. August 1730 (Plazierung seiner Söhne bei den Gens d’armes), bzw. an Generalfeldmarschall Dubislav Gneomar von Natzmer, dat. Berlin, 30. August 1730 (Plazierung des Leutnants Graf Truchseß bei den Gens d’armes nach seinem Patent); GStA PK, I. HA Rep. 96 B, Nr. 3, fol. 310 bzw. 334. Gemeint waren die Söhne des vom König sehr geschätzten Generalmajors „Trux“, nämlich Joachim Friedrich Wunibald Graf Truchseß zu Waldburg, 1711 geboren, 1730 als Leutnant vom Regiment zu Pferd Nr. 7 zu Nr. 10 versetzt, 1734 als Kapitän zum Dragonerregiment Nr. 7, 1739 Major, nach weiterer Karriere bis zum Generalmajor 1757 krankheitshalber verabschiedet, 1777 gestorben; und Otto Wolf Graf Truchseß zu Waldburg, 1715 geboren, 1728 Kornett im Regiment zu Pferd Nr. 7, 1730 zu Nr. 10 versetzt, 1732 Leutnant, 1740 Rittmeister, 1748 gestorben; vgl. Personalien von 170 Offizieren des Regiments Gens d’armes, in: O. v. Schwerin, Regiment Gens d’armes (Anm. 111), Teil 3, nach 186. Zur Schwester dieser beiden Offiziere, Henriette Katharina Gräfin Truchseß zu Waldburg, vgl. unten Anm. 198. 138 Supplik Hans Heinrich von Katte, an König Friedrich Wilhelm I., dat. Königsberg, 29. August 1730 (Gnadenbitte für den Sohn Hans Hermann), mit MarginalDekret für Kabinettssekretär Schumacher; GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 9, Bl. 9; vgl. Quellenanhang Q 3b. 139 Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelm I., an Generalleutnant Hans Heinrich von Katte, dat. Königs Wusterhausen, 24. September 1730 (Volljährigkeitserklärung für die Ehefrau des Leutnants Otto Abraham von Knobelsdorff vom Regiment zu Pferd Nr. 9), mit echtem Postskript; GStA PK, I. HA Rep. 96 B, Nr. 3, fol. 366; vgl. Quellenanhang Q 3c. 140 Vgl. entsprechend Protokolle der Aussagen des Kronprinzen Friedrich im Verhör am 12. August, desgl. des Leutnants Hans Hermann von Katte am 27. August 1730; GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 1, fol0.4 – 7, 23 – 27; vgl. C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), Nr. 1 bzw. 13.
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chefs schon Mitte August 1730 nicht nur (unter Abgabe von Degen und Port d’epee) arretiert141, sondern bereits infam kassiert gewesen und der Oberstleutnant im Königsregiment Friedrich gleichsam als kassiert betrachtet worden zu sein (weshalb beide ihre Uniformen durch Zivilkleidung ersetzen mußten)142. Während sich im September 1730 aber abzeichnete, daß die Verfehlungen des Thronfolgers – „der Schelm, der zu Küstrin sitzet“143 – nach anderem, monarchischem Maß zu messen waren, stand für den König in Kattes Fall von Anfang an fest, daß dieser sich ihm dort versagt hatte, wo er sich nach dem Wortlaut seines Fahneneids „getreu, gehorsam, willich und redlich“ hätte erweisen müssen und verpflichtet gewesen wäre, daß „Seiner Königlichen Majestät und Dero Landen Schaden, Verderb und Nachtheil [ . . . ] so viel möglich verhindert und abgewendet, dagegen aber Dero Nutz und Wohlfarth nach [ . . . ] besten Wissen gesuchet, geschaffet und befördert, auch alles Nachteilige und Schädliche angezeiget werden möge“144. Wer von 141 Vgl. Reglement vor die Königlich Preußische Infanterie von 1726. Faksimiledruck der Ausgabe 1726 mit einer Einleitung von Hans Bleckwenn (Bibliotheca rerum militarium, IV), Osnabrück 1968, 534 (XI. Theil II. Titel: „Wie die Verhöre und Kriegesrechte über Officiers, Unterofficiers und Gemeine gehalten werden sollen“, Artikel 3, Offizier-Arretierung „wegen einer Sache, welche Leib und Leben betrifft“, auf der Hauptwache, nach Degen-Abgabe an den Kommandeur). 142 Nach einem Bericht des Braunschweigischen Gesandten Wolfgang Stratemann, dat. Berlin, 2. September 1730, trug Katte bei seiner Verhaftung Uniform, die er nach dem Verhör am 27. August mit Leinenhosen und einem Leinenkittel („Surtout“) vertauschen mußte; vgl. Wilhelm Stratemann / Richard Wolff (Hrsg.), Vom Berliner Hofe. Berichte des Braunschweiger Gesandten in Berlin 1728 – 1733 (Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins XLVIII und XLIX), Berlin 1914, 157 f. Vgl. dazu weiter Bericht Untersuchungskommissionspräses Friedrich Wilhelm von Grumbkow, an König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, dat. Berlin, 6. September 1730 (Bitte, den nur mit dünnen Leinenhosen und einem „Surtout“ bekleideten Katte besser ausstaffieren zu dürfen), mit Marginal-Dekret des Königs (Soll wie Inquisit Friedrich einen braunen Tuchrock bekommen); GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 1, fol. 385 – 388. Der Kronprinz hatte seinen Degen beim Verhör in Wesel am 12. August verloren bzw. Zivilkleidung gemäß Kabinetts-Ordre an Generalmajor von Buddenbrock vom 31. August 1730 zum Verhör in Mittenwalde am 1. / 2. September erhalten; vgl. C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), Nr. 22; dazu H. Eckert, Fürstenreise (Anm. 5), 88, 97. Nachdem Friedrich am 19. November 1730 den ihm vordiktierten Sühneeid geleistet hatte, bekam er aus Generalmajor von Lepels Hand Degen, Adlerorden und Uniform zurück; vgl. nach entsprechenden Informationen durch Kammerjunker Karl Dubslav von Natzmer ein Schreiben des Stettiner Hofpredigers Paul Emil de Manclerc, dat. Berlin, 27. November 1730; GStA PK, I. HA Rep. 95 Kleine Erwerbungen IV. Lb Friedrich der Große, Nr. 45; mit kleinen Abweichungen auch bei C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), Nr. 90. 143 Bericht Gesandter zu Wien Christian von Brandt, an König Friedrich Wilhelm I., dat. Wien, 27. September 1730 (Gerücht über die katholischen Konvertierungsabsichten des Kronprinzen), mit Randbemerkung: „Der Schelm der zu Küstrin sitzet, hat es ausgebracht“; publiziert bei M. Lehmann, Prädestination (Anm. 47), 475. 144 Eid der Ober- und Unteroffiziere sowie der Gemeinen eines preußischen Regiments, zitiert nach George Friedrich Müller, Königlich Preußisches Kriegesrecht oder vollständiger Innbegriff aller derjenigen publicirten Gesetze, Observantzen und Gewohnheiten, welche bei der Königlich preußischen Armee zu beobachten sind, und ein jeder Officier und Soldate, auch sämmtliche Auditeurs, Räthe, Richters und Advocaten zu wissen nöthig haben, Berlin 1760 (repr. Bad Honnef 1982),
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seinem Regimentschef schließlich als „Schelm“ bezeichnet wurde, war nach dem preußischen Militärjustizjargon bereits als Deserteur verurteilt und für persönlich ehrlos erklärt, denn solche vor der Tat ertappte oder danach wieder eingefangene Fahnenflüchtige sollten, „wenn sie der vorsätzlichen Desertion überwiesen oder geständig, [ . . . ] ohne alle Gnade vor dem ganzen Regimente zu Schelmen declariret“ und nach Maßgabe der Kriegsartikel am Leib oder auch am Leben bestraft werden145. Doch wann und wie war dieser Offizier wider Willen und sans fortune zum „Schelm“ geworden? Zweifellos war sein Hauptmerkmal als Gardekürassier nicht die soldatische Dienstleistung, sondern die Kavaliersattitude in Uniform gewesen. Im Gegensatz zum Vater hatte sich der junge Magdeburger Adelige nicht zum Mann der preußischen Regimentskultur entwickelt. Hans Hermann war viel mehr nach dem Wartensleben-Schulenburgschen Muster geraten, dabei aber bis in die mittzwanziger Lebensjahre bei aller liebenswürdigen Weltläufigkeit orientierungslos-leichtsinnig geblieben – „charmant mais étourdi“ aus der Sicht der Frau des französischen Gesandten Eva Sophie Gräfin de Rottembourg146. Auch König Friedrich der Große beurteilte in der Rückschau 1758 Katte wie den ebenso in seine Fluchtpläne verstrickten Leutnant Peter von Keith als „aimables tous les deux, mais aussi étourdis que moi“147. Nichtsdestotrotz – gerade deswegen – hatte er beide zu seinen Komplotteuren gemacht148. V. Kronprinz Friedrich: Absalom in re, Apollon in spe Friedrich Wilhelm I. verordnete im Zuge des wachsenden Zwistes mit seinem ältesten Sohn im Dezember 1727 diesem einen neuen Begleiterkreis, der sich ausschließlich aus Offizieren seines Königsregiments Nr. 6 zusam138 f.; für die seit 1693 gebräuchliche Formel vgl. Sven Lange, Der Fahneneid, Bremen 2002, 39 ff. 145 Edikt „Sonderbare Strafe der Deserteurs“, vom 15. Mai 1711; Mylius, MCC, Teil 3, Nr. XCVII; dazu das fortschreibende Edikt vom 7. Oktober 1712; a. a. O. Nr. CII; vgl. Johann Stephan Dancko, Kurtzer Entwurf des Kriegsrechts, wie solches vornehmlich in denen Königlichen Preußischen und Churfürstlich brandenburgischen Landtagsabschieden, Kriegsarticulen, Ordonnanzien, Reglementen, Edicten etcetera enthalten, Berlin 1725 (repr. Bad Honnef 1982), 39 f. 146 Schreiben Eva Sophie Gräfin de Rottembourg geborene de Helmstat, an Katharina Elisabeth von Katte, dat. 1728; zitiert nach M. v. Katte, [2.] Stammbaum bzw. [5.] Memorial (Anm. 12), 14, 17; vgl. entsprechend M. v. Katte, Biographische Skizze (Anm. 12), 7. 147 Gespräch zwischen König Friedrich II. und seinem Vorleser Henri de Catt am 25. April 1758; zitiert nach Reinhold Koser (Hrsg.), Unterhaltungen mit Friedrich dem Großen. Memoiren und Tagebücher von Heinrich de Catt (Publicationen aus den Kgl. Preußischen Staatsarchiven, 22), Leipzig 1884, 35. 148 Expressis Verbis in Bezug auf Katte: „weil er ihn vor étourdi gehalten“; so Friedrich im Verhör am 13. August 1730; GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 1, fol. 8v; vgl. C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), Nr. 3.
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Abb. 3: „Der alte König und der junge Kronprinz“? Eine solche Auslegung dieses von Friedrich Wilhelm I. 1736 gemalten Bildes ist spekulativ. Jochen Klepper hat das Werk 1938 kryptisch als „Spiegelstudie“ bezeichnet, ein Katalog 1990 als „Kopf eines jungen Mannes in zwei Ausführungen“. Vorlage: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, GK I 2429 (Fotograf: Roland Handrick)
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mensetzte. Der 15 Jahre alte Friedrich stand damals selbst als Kapitän bei dieser Gardetruppe. Von den ihm nun zugewiesenen Kavalieren zählten Sekondleutnant Friedrich Ludwig Felix von Borcke 25 Jahre, Stabskapitän Samuel von Polenz 29 Jahre, Stabskapitän Jürgen Heinrich von Wachholtz 38 Jahre, und Kapitän Asmus Ehrenreich von Bredow 34 Jahre149. Friedrich Wilhelm I. schärfte den Vieren drastisch ein, mit ihren Köpfen für jede Ausschweifung und jedes verdächtige Betragen zu haften, von der sie den Kronprinzen nicht abbringen oder das sie nicht sofort berichten würden. Doch nur dem jungen Borcke gelang es, in der Folge Friedrich sympathisch zu werden. Allerdings spielten er wie die drei anderen Offiziere in der weiteren Konfliktverschärfung (zu seinem wie ihrem Glück) keine Rolle. Andererseits mißlang Friedrich Wilhelms I. Versuch, ihm loyal ergebene Männer schützend und petzend um den Sohn zu stellen. Einen weiteren Wechsel nahm der König am 29. März 1729 bei den Ausbildern des mittlerweile zum Oberstleutnant avancierten Kronprinzen vor. Nachdem Jacques Duhan de Jandun bereits 1727 zum Zeitpunkt von Friedrichs Konfirmation als dessen „Informator“ entlastet worden war150, wurden nun auch die seit 1718 als Hofmeister bzw. „Gouverneur“ tätigen hochrangigen Infanterieoffiziere General Albrecht Konrad Reichsgraf von Finckenstein und Oberst Christoph Wilhelm von Kalckstein auf eigenen Wunsch mit Dank entlassen151. An ihre Stellen traten als Hofmeister 149 Vgl. Briefe Friedrich des Großen und seiner erlauchten Brüder Prinz August Wilhelm und Prinz Heinrich von Preußen aus der Zeit von 1727 bis 1762 an die Gebrüder Friedrich Wilhelm und Friedrich Ludwig Felix von Borcke, Potsdam 1881, 10; auch regestiert bei J. Kloosterhuis, Legendäre „lange Kerls“ (Anm. 84), Nr. 433. Friedrich Ludwig Felix von Borcke, 1702 geboren, 1719 Gefreiterkorporal im Königsregiment Nr. 6, 1722 Sekondleutnant, 1729 Premierleutnant, 1731 Kapitän, 1740 Oberst und Generaladjutant König Friedrichs II., nach weiterer Karriere bis zum Generalmajor 1747 psychisch erkrankt, 1751 gestorben; vgl. K. v. Priesdorff, Soldatisches Führertum (Anm. 48), Bd. 1, Nr. 320. 150 Vgl. [Ernst Bratuscheck,] Die Erziehung Friedrichs des Großen. Aus dem Nachlaß von Ernst Bratuschek mit einem Vorwort von Eduard Mätzner [herausgegeben], Berlin 1885; dazu den Beitrag von Martina Weiland in Stiftung Stadtmuseum Berlin (Hrsg.), Im Dienste Preußens. Wer erzog Prinzen zu Königen, Berlin 2001, 73 – 90, bes. zu Duhan (der 1730 strafweise nach Memel verbannt, 1740 aber ehrenvoll nach Berlin zurückgeholt wurde) 85. 151 Zirkular-Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelm I., an General Albrecht Konrad Reichsgraf Finck von Finckenstein und Oberst Christoph Wilhelm von Kalckstein, dat. Potsdam, 28. März 1729 (Dank für die Dienste als Ober- und Unterhofmeister beim Kronprinzen und Entlastung von denselben); GStA PK, I. HA Rep. 96, Nr. 2, fol. 170; vgl. F. W. Schubert, Beiträge zur Erziehungsgeschichte Friedrichs des Großen, in: Preußische Provinzialblätter 4 (1830), 8 – 31. Zu Finckenstein (1660 – 1735), 1718 General der Infanterie und (seit 1711) Chef des Regiments zu Fuß Nr. 14, vgl. K. v. Priesdorff, Soldatisches Führertum (Anm. 48), Bd. 1, Nr. 123; zu Kalckstein (1682 – 1759), 1718 Oberst und Kronprinzen-Erzieher, dazu seit 1723 Kommandeur des Regiments zu Fuß Nr. 1, 1729 Chef des Regiments zu Fuß Nr. 25, ebenda Bd. 1, Nr. 247. Zu Finckensteins Ehefrau Susanna Magdalene geborene von Hof (Hoven) vgl. Melle Klinkenborg, Die Stellung des Hauses Finckenstein am preußischen Hofe im 17. und 18. Jahrhundert, in: Hohenzollernjahrbuch 7 (1913), 156 –
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Oberstleutnant Daniel von Rochow vom Regiment zu Pferd von Buddenbrock (Nr. 1) und Leutnant Dietrich von Keyserlingk, auch er ein Kürassieroffizier vom Regiment zu Pferd Markgraf Albrecht von Brandenburg-Sonnenburg (Nr. 11), der als Stallmeister des Kronprinzen fungieren sollte152. Der König hatte sorgfältig gewählt: „Der eine ist cerios, der ander salleter; alle beide [haben] Verstandt“153. In der Tat konnte der spätere Rheinsberger „Cäsarion“ Keyserlingk aus kurländischem Adel als fröhlicher Typ eines „honnête Homme“ gelten, der mit seinen 28 Jahren auf der Königsberger Albertina studiert, danach zwei Jahre in Paris gelebt und 1725 preußische Dienste genommen hatte154. Rochow, ca. 1686 zu Golzow in der Kurmark geboren, war zunächst in Savoyens Dienste getreten, wechselte aber 1706 172, bes. 161, 163; dazu Günter de Bruyn, Die Finckensteins. Eine Familie im Dienste Preußens, Berlin 1999, 17, 37, 39; dazu Anm. 184. 152 Vgl. „Instruction vor den Obristlieutenant von Rochow, der bey meinen ältesten Sohn Friderich seyn soll, ihn Gesellschaft zu leisten alß ein guter Freund“, dat. 17. März 1729; mit Vermerk Kabinettssekretär August Friedrich Boden, dat. Potsdam, 6. September 1730 zu den Akten der Untersuchungskommission (!) gegeben; GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 1, fol. 373, 375 – 378. Während Förster und Preuß nach Poellnitz, Mémoires pour servir, Tome second (Anm. 132), 186, den neuen Hofmeister sogar als Oberst („colonel“) rangieren ließen, wurde von der folgenden Forschung nach Adolf Friedrich August von Rochow, Nachrichten zur Geschichte des Geschlechts derer von Rochow und ihrer Besitzungen, Berlin 1861, 131 – 133, vielmehr angenommen, daß Daniels jüngerer Bruder Friedrich Wilhelm den Gouverneursposten bekam; vgl. z. B. R. Koser, Kronprinz (Anm. 3), 24 f., 225. Friedrich Wilhelm rangierte aber 1729 / 1730 erst als Major (vgl. Anm. 197), während der neue Erzieher und Begleiter des Kronprinzen in den Quellen immer als Oberstleutnant bezeichnet wird; vgl. z. B. Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelm I., an Oberstleutnant [Daniel] von Rochow, dat. Potsdam, 28. März 1729 (Besoldung seiner Tätigkeit als Hofmeister); desgl. vom 3. April 1729 (Anweisung eines Vorspannpasses auf 30 Pferde und 3 Wagen zum Transport seiner Bagage von Ostpreußen nach Potsdam); GStA PK, I. HA Rep. 96 B, Nr. 2, fol. 168 bzw. 177. Zur weiteren Überprüfung stehen die Unterlagen aus dem 1945 vernichteten Gutsarchiv Golzow (nach freundlicher Mitteilung von Werner Heegewaldt) nicht mehr zur Verfügung; doch ergibt im übrigen die Adressierung der zwei Rochow-Schreiben des Rittmeisters von Katte vom 29. Juli 1730 nur dann einen Sinn, wenn die Gebrüder von Rochow in der hier vorgenommenen Weise unterschieden werden; vgl. Anm. 195 und 196. 153 Schreiben König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Fürst Leopold von AnhaltDessau, dat. Potsdam, 31. März 1729; Otto Krauske (Bearb.), Die Briefe König Friedrich Wilhelms I. an den Fürsten Leopold zu Anhalt-Dessau 1704 – 1740 (Acta Borussica, Ergänzungsband), Berlin 1905, Nr. 501. Mit „cerios“ meinte der König nach Krauske wohl „seriös“, mit „salleter“ vielleicht den Komparativ von „salé“. August von Witzleben, Briefe des Königs Friedrich Wilhelm von Preußen an den Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau, in: Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde IX (1872), 478, las die Stelle: „Der eine ist serieux, der andere alerter“. 154 Nach einer Rangierliste des Regiments zu Pferd Nr. 11 vom März 1730 war der aus Kurland stammende Leutnant Dietrich von Keyserlingk damals 29 3 / 4 Jahre alt und hatte 5 3 / 4 Jahre gedient; vgl. PAL (Anm. 135); dazu R. Koser, Kronprinz (Anm. 3), 129 f. Laut J. D. E. Preuß, Lebensgeschichte Friedrich der Große (Anm. 61), Bd. 1, 64, und ders., Friedrichs des Großen Jugend (Anm. 3), 50, wurde Keyserlingk Ende 1730 zu seinem Regiment zurückgeschickt, aber schon im September 1731 Friedrich wieder als Begleiter zur Verfügung gestellt; zu seiner Rolle in Rheinsberg vgl. Otto von Taube, Friedrich der Große und Cäsarion, in: Die neue Rundschau 48 (1937), 384 – 402.
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als Major zur preußischen Armee, wo er beim Regiment zu Pferd Nr. 1 eintrat und 1723 in einer der von diesem belegten ostpreußischen Garnisonstädten als Oberstleutnant stand155. Er hatte die Welt und den Krieg gesehen – und stand über seinen jüngeren Bruder Friedrich Wilhelm der Familie von Katte nahe. Dieser gehörte seit 1719 zum Regiment zu Pferd des Generalleutnants Hans Heinrich (Nr. 9), der ihm 1727 seine älteste Tochter Sophie Henriette zur Frau gab156. So wurden die Gebrüder von Rochow Schwager und Schwippschwager des Gens d’armes Hans Hermann. Vielleicht kann daher der „Kürassier-Wechsel“ unter Friedrichs Gouverneuren als Indiz dafür gewertet werden, daß der Kronprinz zu dieser Zeit allmählich in engeren Kontakt zu Katte kam – was ein argwöhnischer König durch verständige, zur passenden Waffengattung gehörende und sogar entfernt verwandte Offiziere observieren wollte. Wahrscheinlich hat Friedrich seinen kleinen Kornett schon früher getroffen, etwa im Frühjahr oder Sommer 1727, als der Gens d’armes gelegentlich an den Hof der Königin Sophie Dorothea zu Monbijou gezogen wurde und vielleicht – so berichtete Rittmeister Christoph Werner von der Asseburg – durch sein Flötenspiel auf sich aufmerksam machte157. Zu engeren, gar freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden kam es bis zum Frühjahr 1729 sicher nicht, obwohl Katte seit Hallenser Tagen mit mindestens zwei Offizieren vom Königsregiment Nr. 6 bekannt war, die damals auch zu Friedrichs Umgang gehörten: nämlich mit den Sekondleutnants Johann Ludwig von Ingersleben und Leopold Friedrich von Wietersheim158. Weiter 155 Nach einer Rangierliste des Regiments zu Pferd Nr. 1 vom März 1723 war der aus der Kurmark stammende Oberstleutnant Daniel von Rochow damals 37 3 / 4 Jahre alt und hatte 17 Jahre gedient. In der Rangierliste vom März 1731 immer noch als Oberstleutnant geführt, verzeichnet die Abgangsliste 1734 den Tod des Oberst von Rochow; vgl. PAL (Anm. 135). Das Regiment zu Pferd Nr. 1 garnisonierte seit 1719 in Bischofswerder, Deutsch-Eylau, Freystadt i. Pr., Garnsee, Liebemühl, Marienwerder, Riesenburg, Rosenberg und Malzahn; vgl. G. Gieraths, Kampfhandlungen (Anm. 80), 199. 156 Friedrich Wilhelm von Rochow, 1689 geboren, avancierte am 18. Juni 1721 zum Major und am 3. Oktober 1730 zum Oberstleutnant (vgl. Anm. 197), 1732 Kommandeur des Regiments zu Pferd Markgraf Friedrich Nr. 5, wurde nach weiterer Karriere bis zum Generalleutnant 1757 pensioniert und starb 1759; vgl. zunächst K. v. Priesdorff, Soldatisches Führertum (Anm. 48), Bd. 1, Nr. 304; M. v. Katte, [2.] Stammbaum (Anm. 12); dazu Ludolf Gottschalk von dem Knesebeck (Bearb.), Briefe des Markgrafen Friedrich Wilhelm von Brandenburg-Schwedt an den Regimentskommandeur Oberstleutnant von Rochow, in: FPBG 38 (1926), 132 – 146. 157 Vgl. M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 116. Nach M. v. Katte, [5.] Memorial (Anm. 12), 13, hinterließ Katte sogar kleine Flötenkompositionen. Christoph Werner von der Asseburg, 1694 geboren, 1714 Sekondleutnant im Regiment zu Pferd Nr. 10, 1723 Rittmeister, 1730 kommandierender Offizier der Katte-Eskorte nach Küstrin, 1734 Major, 1738 Oberstleutnant, 1740 kommandierender Offizier der Feld-Eskorte für König Friedrich II., 1741 bei Mollwitz schwer verwundet, 1741 Oberst und Kommandeur des Regiment zu Pferd Nr. 10 (aber dienstunfähig), 1742 verabschiedet, 1761 gestorben; vgl. Personalien von 170 Offizieren des Regiments Gens d’armes, in: O. v. Schwerin, Regiment Gens d’armes (Anm. 111), Teil 3, nach 186.
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zählten zum Friedrich-Kreis (wie gehabt) von Borcke und (neu) Alexander Sweder von Spaen159; sie allesamt junge Leute im Alter zwischen 25 und 27 Jahren, die der Kronprinz anstatt der vom Vater für seine Begleitung ausgesuchten älteren Herren um sich scharte. Aus dessen ureigenstem Leibregiment „stahl“ der gekonnt liebenswürdige Friedrich, ein zweiter Absalom, „das Herz der Männer Israel“160. Vor allem Ingersleben dürfte Katte ebenso in diesen Kreis vermittelt haben, wie er von etwa Januar bis Juni 1730 die Verbindung zwischen Friedrich und Elisabeth Dorothea Ritter hielt. Die Potsdamer Kantorstochter mußte für ihre gefährliche Liebschaft zum preußischen Kronprinzen bekanntlich überaus hart büßen. Sie wurde zusammen mit Ingersleben und Spaen am 1. September 1730 verhaftet, am 7. September öffentlich ausgepeitscht und danach „auf ewig“ ins Spandauer Spinnhaus gebracht161. Das Strafmaß richtete sich dabei wohl kaum nach gemeinsam verbrachten Musikstunden oder der Annahme niedlicher Ge158 Johann Ludwig von Ingersleben, 1703 geboren, 1718 / 21 Schüler des Pädagogiums zu Halle a. S., 1722 Gefreiterkorporal im Regiment zu Fuß Nr. 3, 1723 Fähnrich im Königsregiment Nr. 6, 1726 Sekondleutnant, 1730 vom Köpenicker Kriegsgericht zu halbjährigem Festungsarrest verurteilt, doch vom König strafverschont, 1734 Premierleutnant, 1739 Stabskapitän, 1740 Kapitän im Ersten Bataillon Garde Nr. 15 / I, nach weiterer Karriere bis zum Generalmajor in der Schlacht bei Breslau 1757 tödlich verwundet; vgl. K. v. Priesdorff, Soldatisches Führertum (Anm. 48), Bd. 1, Nr. 428. – Leopold Friedrich von Wietersheim, 1701 geboren, 1718 als Student der Universität Halle a. S. immatrikuliert, 1718 Gefreiterkorporal im Regiment zu Fuß Nr. 3, 1720 Fähnrich, 1723 Sekondleutnant im Königsregiment Nr. 6, 1731 Premierleutnant, nach weiterer Karriere bis zum Generalmajor wegen Krankheit 1759 dimittiert, 1761 gestorben; vgl. K. v. Priesdorff, Soldatisches Führertum (Anm. 48), Bd. 1, Nr. 391. 159 Alexander Sweder von Spaen, 1703 geboren, Sekondleutnant im Königsregiment Nr. 6, 1730 vom Köpenicker Kriegsgericht zu Kassation und dreijähriger Festungshaft verurteilt, 1738 Rittmeister in holländischen Diensten, avancierte in diesen bis zum General, 1738 gestorben; vgl. J. Kloosterhuis, Legendäre „lange Kerls“ (Anm. 84), Q 478; dazu unten Anm. 269. 160 Die Schriftstelle aus dem 2. Buch Samuelis ex negativo zitiert im Schreiben Friedrich Wilhelm von Grumbkows, an Kronprinz Friedrich, dat. Ruhstädt, 26. August 1731 (R. Koser, Briefwechsel, [Anm. 28], 5): „et il faut éviter, sur la vie, la conduite de celui dont il est fait mention 2. liv. de Samuel, chap. XV, v. 2, 3, 4, 5, 6.“ Der Kronprinz wirkte auf die meisten Betrachter schon durch seine Gestalt „aimable“ (während ihn sein Vater für „malpropre“ hielt); vgl. Paul Seidel, Die äußere Erscheinung Friedrichs des Großen, in: Hohenzollernjahrbuch 1 (1897), 87 – 112, bes. 89 f.; dazu R. Brode, Conflict (Anm. 19), 279 – 281. 161 Elisabeth Dorothea („Doris“) Ritter (1714 – 1762), Tochter des seit 1728 in Potsdam amtierenden Rektors und Kantors an St. Nikolai Matthias Ritter (1689 – 1756). Sie wurde nach einem Gnadengesuch ihres am 9. September 1730 amtsenthobenen sowie nach Neubrandenburg verzogenen Vaters im Juli 1733 aus dem Spinnhaus entlassen; vgl. Kabinetts-Dekret-Schreiben König Friedrich Wilhelm I., an Festungsgouverneur zu Spandau David Gottlob von Gersdorff, dat. Berlin, 11. Juli 1733; GStA PK, I. HA Rep. 96 B, Nr. 8, fol. 517. Ritter heiratete 1738 den Gewürzhändler Franz Heinrich Schommer, und kehrte mit diesem ca. 1742 nach Berlin zurück, wo ihr Mann 1744 den Posten eines Droschken-Aufsehers erhielt; vgl. Friedrich von OppelnBronikowski, Liebesgeschichten am preußischen Hofe, Berlin / Leipzig 1928, 4 – 7; dazu Anna Eunike Röhrig, Die heimliche Gefährtin Friedrichs von Preußen. Das Schicksal der Doris Ritter, Taucha 2003.
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schenke, wie es die Verhöre zu Tage brachten, sondern orientierte sich genuin an der Frage, ob Doris und Friedrich im Geschlechtsverkehr gestanden hatten. Darüber schweigen die Untersuchungsakten162; ansonsten ist nur bekannt, was der englische Legationssekretär Guy-Dickens am 25. September 1730 nach London unter anderem zu berichten wußte: „Der König befahl: das Mädchen solle von einer Hebamme und einem Wundarzt untersucht werden, welche beide dem König versicherten: sie sey noch Jungfrau. [ . . . Auch . . . ] Gegen die beiden Officiere ward nichts erwiesen, als daß sie einem Concerte beywohnten, wo das Mädchen Klavier spielte und der Prinz sie mit der Flöte begleitete; dennoch wurden beide cassirt und des Landes verwiesen.“163 Gemessen am Wahrheitsgehalt dessen, was der Diplomat aus zweiter Hand über Spaen und Ingersleben aus Berlin lange vor der Urteilsfällung kolportierte, war es um die tatsächliche Intaktheit der bedauernswerten Kantorka nicht allzu gut bestellt. Doch unabhängig davon, ob diese Leidensgenossin einer Luise Miller zu Recht oder Unrecht als Prostituierte aus Potsdam gejagt wurde164, ist ihr Schicksal untrennbar mit allen jenen Fragen verwoben, die sich schon immer um Sex und Eros bei Friedrich dem Großen drehten – und auf die es keine Antwort in Actis gibt165. 162 Mit direktem Bezug auf die Kantorstochter bieten die „Küstriner Akten“ (vgl. C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß, [Anm. 6], Nr. 23) nur zwei Vorgänge: [1.] das Protokoll des Kapitäns Ernst Christoph von Roeder und des Fähnrichs Ernst Friedrich von Perband vom Königsregiment Nr. 6, dat. Potsdam, 1. September 1730 (Verhaftung bzw. Verhöre der Leutnants von Spaen und von Ingersleben, sowie der Doris Ritter), in Akte GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 1, fol. 333 – 340 (Provenienz: Untersuchungskommission); sowie [2.] die Abschriften zweier Kabinetts-Dekret-Schreiben (von Eichels Hand, auf einem Bogen, also wahrscheinlich zur Informationssicherung von aus dem Stegreif diktierten Anweisungen), an den Potsdamer Justizbürgermeister Nikolaus Dietrich Klinte bzw. den Spandauer Festungsgouverneur David Gottlob von Gersdorff, dat. Potsdam, 6. September 1730 (Auspeitschung und Inhaftierung der Doris Ritter), in Akte Nr. 14 Bd. 15, fol. 10 (Provenienz: Kabinett; erst 1846 zum Bestand gekommen; vgl. Anm. 55). Nach der Ausfertigung (an den Justizbürgermeister) bzw. Abschrift (an den Gouverneur) der Kabinetts-Dekret-Schreiben im Stadtarchiv Potsdam publizierte sie Hermann Wagener, Doris Ritter, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Potsdams 4 (1869), 336 – 343. 163 Bericht des englischen Legationssekretärs Melchior Guy-Dickens, vom 25. September 1730; zitiert nach F. v. Raumer, Beiträge zur neueren Geschichte (Anm. 60), 539 f. 164 Offensichtlich wurde auf sie die Reglements-Bestimmung „Huren aber werden im Lager, Hauptquartier oder Guarnisons nicht gelitten, sondern bis aufs Hembde ausgezogen und weggejaget“ unter verschärften Bedingungen angewandt; J. S. Dancko, Kriegsrecht-Entwurf (Anm. 145), 43. Dazu bedurfte es keines Gerichtsverfahrens. Dennoch wäre beim Verwaltungsakt nach G. F. Müller, Kriegsrecht (Anm. 144), 271 – 276, abzuwägen gewesen, ob Doris Ritter als (straffällige) Hure oder (natürlich handelnde) Konkubine anzusehen war. Im ersteren Fall hätte die Geschenkannahme eine böse Bedeutung bekommen; letztere gehörten zuhauf zum Bild der Garnisonstadt Potsdam; vgl. Friedrich Werwach, Wilde Ehen der friderizianischen Zeit, in: Familiengeschichtliche Blätter 28 (1930), 397 – 398. Mit Voltaire hält es A. E. Röhrig, Heimliche Gefährtin (Anm. 161), 52 für möglich, daß sie der König am 7. September vor den Augen des Kronprinzen auspeitschen ließ, doch befand sich dieser bereits seit dem 4. September 1730 hinter Gittern in Küstrin; vgl. H. Eckert, Fürstenreise (Anm. 5), 98.
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Von allen denen, die im Umkreis des Kronprinzen in dessen Fluchtaffäre verstrickt waren, konnte sich nur einer dem Zugriff des Königs und einer tatsächlichen Strafe entziehen: sein ehemaliger Page Peter von Keith, geboren 1711 im hinterpommerschen Poberow166. Dabei war dieser wie (und vielleicht vor) Hans Hermann von Katte als eigentlicher Komplize der 1729 / 1730 konkreter werdenden Fluchtpläne Friedrichs zu bezeichnen. Wie es im einzelnen dazu gekommen war, ist unbekannt. Wenn es zutrifft, daß eine Stelle aus der Korrespondenz Friedrich Wilhelms I. mit Leopold von Anhalt-Dessau vom 24. November 1728 („Sie werden so guht sein und s[ch]icken mir Keut wieder“167) jenen Peter meinte, dann waren KabinettsOrdres an den im Magdeburgischen stationierten Generalmajor von Dewitz vom Juni 1729 („Ich will, daß Ihr Euren Pagen Kait nach Potsdam schicken sollet“168) auf dessen jüngeren Bruder zu beziehen. Keith junior diente im Sommer 1730 auf der Reise nach Süddeutschland ebenfalls als Königspage und beschaffte auf Befehl des Kronprinzen in Steinsfurt die Fluchtpferde169. Von Keith senior verlautete, daß er bereits im November 1729 in konkrete Fluchtpläne des Kronprinzen als Mitwisser und Helfer einbezogen war170; unsicher ist, ob er zu diesem Zeitpunkt bereits in Beziehungen zur Familie des Friedrich Ernst von Inn- und Knyphausen stand171. Der Kabi165 Zur kritischen Auswertung der um so reichlicher vorhandenen Literatur vgl. Jürgen Ziechmann, Fridericus privatissimus. Die wesentlichen Fakten zum Intimleben des Königs Friedrich II. (der Große) von Preußen (Sonderdruck des Vereins Forschungsstätte zur Fridericianischen Zeit), Zernikow o. J. [2003]. 166 Peter Christoph Karl von Keith (1711 – 1756), viertes Kind des Hans Christoph von Keith zu Poberow (1729 gestorben) und seiner Ehefrau Vigilantia Elisabeth, geborene von Woedtke (1747 gestorben); vgl. GStA PK, I. HA Rep. 176 Heroldsamt, VI K 494; auch GStA PK, XX. HA Hist. StA Königsberg, Rep. 300 Nachlaß Gallandi, Adelslexikon Bd. K – Ko, fol. 72v – 73; dazu Louis von Scharfenort, Die Pagen am Brandenburg-preußischen Hofe 1415 – 1895. Beiträge zur Kulturgeschichte des Hofes aufgrund archivalischer Quellen, Berlin 1895, 62 – 65. 167 Schreiben König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Fürst Leopold von AnhaltDessau, dat. Potsdam, 24. November 1728; O. Krauske, Briefe König Friedrich Wilhelms I. (Anm. 153), Nr. 487. 168 Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelm I., an Generalmajor Friedrich Wilhelm von Dewitz (Regiment zu Pferd Nr. 3), dat. Magdeburg, 27. Juni 1729; entsprechend auch vom 30. Juni 1730; GStA PK, I. HA Rep. 96, Nr. 2, fol. 243v bzw. 250v. 169 Wahrscheinlich Georg Friedrich Wilhelm von Keith (1713 – 1755), sechstes Kind des Hans Christoph von Keith zu Poberow (Anm. 166). Da dessen Geburtsdatum auch mit „um 1710“ bezeichnet wird (Nachlaß Gallandi, Anm. 166), käme auch sein Bruder Johann Friedrich von Keith (1714 – 1793) in Frage, der sein Leben als Gutsbesitzer in Ostpreußen verbrachte. 170 Zur hauptsächlich mit Keith beredeten Flucht besorgte Leutnant von Spaen eine Reisekutsche aus Leipzig, ohne über deren Zweck genau Bescheid zu wissen; vgl. R. Koser, Kronprinz (Anm. 3), 36. 171 Peter von Keith heiratete am 18. Juli 1742 Ariane Luise, Tochter des Geh. Etatsrat Friedrich Ernst von Inn- und Knyphausen (1678 – 1731) und seiner Ehefrau Charlotte Luise geborene von Ilgen; vgl. GStA PK, I. HA Rep. 176 Heroldsamt, VI K 494; dazu XX. HA Hist. StA Königsberg, Rep. 300 Nachlaß Gallandi, Adelslexikon Bd. K – Ko, fol. 72v – 73. Luise von Ilgen pflegte Kontakte zu Generalleutnant Kurt
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nettsministerium-Minister galt 1730 als letzter Opponent der prohabsburgischen Partei am preußischen Königshof, zählte also zu den Parteigängern der Königin Sophie Dorothea und den Sympathisanten der von ihr betriebenen Heiratspläne für Friedrich und Wilhelmine172. Friedrich Wilhelm I. hielt ihn für „Capacitaet genug, aber gantz französsisch und englisch, und anbey faul“173. Folgerichtig wurde er Ende August dieses Jahres auf Betreiben seines Widersachers von Grumbkow „um gewisser Seiner Königlichen Majestät Dienst und Beruhigung angehender Umstände“ zum Abschiednehmen aus Gesundheitsgründen gezwungen, nachdem der Fluchtversuch des Kronprinz gescheitert war174. Zu diesem Zeitpunkt stand Peter von Keith schon als Leutnant im Weseler Füsilierregiment Nr. 31, in das ihn Friedrich Wilhelm I. im Januar 1730 versetzt hatte und wo ihn Oberst Friedrich Wilhelm von Dossow „brav scharff halten und darauff sehen [sollte], daß er sein Devoir thue“175. Noch in der niederrheinischen Garnison war Keith so konkret in das Fluchtvorhaben des Kronprinzen einbezogen, daß er sich auf dessen erste Nachricht vom Mißerfolg aus dem Staub in die Niederlande machte und von dort mit englischer Hilfe nach London entkam. Da alle Versuche ins Leere liefen, seiner noch in Den Haag habhaft zu werden176, Christopher Graf von Schwerin. „Sie rühmte sich öffentlich, den König [Friedrich Wilhelm I.], der ihr 12.000 Tlr Strafe auferlegte, weil sie ein Kind außer der Ehe geboren hatte, um die gleiche Summe betrogen zu haben, da sie zweimal niedergekommen sei“; Samuel Benedikt Carsted, Atzendorfer Chronik, bearb. von Eduard Stegmann (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und des Freistaats Anhalt, 6), Magdeburg 1928, 204; vgl. Anm. 218. 172 Vgl. R. Brode, Conflict (Anm. 19), 177 ff.; dazu (trotz eigenwilliger Diktion) Fritz Reck-Malleczewen, Sophie Dorothee. Mutter Friedrichs des Großen, Berlin 1936, bes. 213 ff.; zu Wilhelmine zunächst Heinrich Thiel, Wilhelmine von Bayreuth. Die Lieblingsschwester Friedrichs des Großen, München 1967, 101 ff.; dazu jetzt Ruth MüllerLindenberg, Wilhelmine von Bayreuth. Die Hofoper als Bühne des Lebens (Europäische Komponistinnen, 2), Köln / u. a. 2005, 23 ff., bes. auch zur Beziehung zwischen Mutter und Tochter, die nicht minder problembelastet wie die zwischen König und Kronprinz war. 173 Im Gespräch mit Reichsgraf Friedrich Heinrich von Seckendorff, am 17. Juli 1730; H. Wagner, Reisejournal Seckendorff (Anm. 5), 202. 174 Zirkular-Kabinetts-Dekret-Schreiben König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Kabinettsministeriums-Minister Adrian Bernhard von Borcke und Wilhelm Heinrich von Thulemeier, dat. Berlin, 28. August 1730; Acta Borussica, Behördenorganisation (Anm. 28), 5. Bd. 1. Hälfte, Berlin 1910, Nr. 50. Knyphausens Nachfolger wurde Grumbkows Schwiegersohn Heinrich von Podewils; vgl. J. Ulbert, Frankreichs Deutschlandpolitik (Anm. 117), 247. 175 Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelms I., an Oberst Friedrich Wilhelm von Dossow (Füsilierregiment Nr. 28), dat. Potsdam, 21. Januar 1730; GStA PK, I. HA Rep. 96 B, Nr. 3, fol. 64. Die Weseler Füsilierregimenter galten 1730 zwar als „Jeunesse der Armee“, hatten aber noch nicht wie seit den 1740er Jahren einen rangminderen Ruf als Besatzung einer Strafgarnison; vgl. J. Kloosterhuis, Bauern, Bürger und Soldaten (Anm. 82), XVIIf., Q 23; dazu detailliert Bernd von Blomberg, Was haben Friedrich der Große und der Leutnant von Keith mit Bislich zu tun?, in: Mitteilungen aus dem Schloßarchiv zu Diersfordt und vom Niederrhein 14 (2005), 66 – 87. 176 Vgl. Bericht Oberst Peter Ludwig du Moulin (Regiment zu Fuß Nr. 27), an König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, dat. Potsdam, 10. September 1730 (Mißerfolg
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wurde er kraft Kriegsgerichtsurteil und nach Ablauf der ordnungsgemäßen dreimaligen Zitationen im März 1731 in Wesel als Deserteur für persönlich infam erklärt und „in Effigie“ gehenkt177. Dazu schaffte der Profoß Keiths Porträt unter militärischer Begleitung zum Richtplatz: „Alßdann ein Creyß gestellet werden soll. Der Büttel soll vor der Schilderey folgende Worte laut sprechen, und in währendem Sprechen den Degen zerbrechen, und der Schilderey Maulschellen geben, mit diesen Worten: ‚Der gewesene Lieutenant von [Keith], welcher alß ein Pflichtvergessener seine Fahnen verlassen, wird hiermit von Rechts wegen zum Schelm gemacht‘, worauff der Büttel die Schilderey an den Galgen hängen soll“178. Im Vergleich dazu kam Peters jüngerer Bruder, der Pferdebeschaffer, recht glimpflich davon. Da er aus eigenem Antrieb durch ein Geständnis beim König zur Tataufklärung beigetragen hatte, wurde er aus dem Arrest entlassen und im Oktober 1730 – allerdings: nur – als Füsilier in der Leibkompanie des Füsilierregiments von der Mosel Nr. 28 einrangiert, d. h. auch ins ferne Wesel abgeschoben. Seinen dafür demütig abgestatteten Dank beschied der König mit der Randverfügung „Soll ehrlicher sein, als sein Schelmenbruder“179 – und tatsächlich scheint Keith junior in der Folge doch noch eine honorige Offizierkarriere im preußischen Dienst geglückt zu sein180. der zwischen dem 14. und 26. August 1730 unternommenen Bemühungen zur Wiedereinholung des desertierten Leutnants Keith, mit angelegtem „Journal 1730“); GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 7, fol. 60 ff.; dazu I. HA Rep. 94 Kleine Erwerbungen, IV Ka Nr. 5. 177 Vgl. entsprechend Berichte Oberst Friedrich Wilhelm von Dossow (Füsilierregiment Nr. 31), an König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, dat. Wesel, 18. November 1730 bis 17. März 1731; Abschriften in GStA PK, VI. HA Nachlaß Anton Balthasar König, Nr. 359, fol. 119, 120 und 128. Auch danach war Friedrich Wilhelm I. „curieux [ . . . ] zu wissen, wohin dieser boßhaffte Mensch doch eigentlich seine Retirade genommen“; Kabinetts-Ordre an Oberst von Dossow, dat. Potsdam, 10. April 1731; GStA PK, I. HA Rep. 96 B, Nr. 4, fol. 263. 178 In Analogie zur Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Oberstleutnant Hans Jürgen Detlev von Massow (Königsregiment Nr. 6), dat. Berlin, 14. Juni 1731 (Bestrafung des desertierten Leutnants Gottlob Heinrich von Schiecke durch Aufhängen in Effigie); J. Kloosterhuis, Legendäre „lange Kerls“ (Anm. 84), Q 479. Für solche Galgenbilder vgl. einen Kupferstich in Hanns Friedrich von Flemming, Der Vollkommene Teutsche Soldat, Leipzig 1726 (Abb. bei T. Müller-Bahlke, Gott zur Ehr, [Anm. 100], 196); desgl. in anderer Version Franz Kugler / Adolf Menzel, Geschichte Friedrichs des Großen, Leipzig 1922, 338. 179 Supplik Füsilier von Keith, an König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, dat. Wesel, 1. November 1730, mit Marginal-Dekret des Königs; Abschrift in GStA PK, VI. HA Nachlaß Anton Balthasar König, Nr. 359, fol. 119; vgl. Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelm I., an Generalmajor Konrad Wilhelm Heinrich von der Mosel, dat. Königs Wusterhausen, 7. November 1730 (Soll dem Füsilier von Keith im Namen des Königs sagen, „daß er ehrlicher seyn soll, als sein Schelm-Bruder“); GStA PK, I. HA Rep. 96 B, Nr. 4, fol. 52. Die rechtsbräuchlichen Dankschreiben für erhaltene Bestrafung standen in der Tradition der Urfehdeleistung; vgl. Schbg., Scharfe Strafen für Offiziere im Heere Friedrich Wilhelms I., in: Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine 81 (1891), 221 – 222. 180 Vgl. Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Leutnant von Keith zu Poberow, dat. Berlin-Charlottenburg, 14. Mai 1740 (Versetzung als Leutnant
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So unklar es demnach ist, wie Friedrich den Kontakt zu Keith knüpfte, so unbestimmt bleibt es auch, wann und warum er Katte ins Vertrauen zog. Wenn für Keith vielleicht eine Klientelbeziehung zu Knyphausen und damit womöglich bis zur Königin sprach, empfahl sich Katte durch persönliche Eigenschaften: unpreußisch und weltgewandt, spöttisch und musisch, ehrgeizig und standesstolz, und zu alledem mit familiär-diplomatischen Kontakten, die ebenso nach Paris-Madrid wie nach Kendal und zum englischen Königshof reichten. Alles das war wichtig in einem Konflikt, der sich 1730 ja nicht nur zwischen einem 42jährigen Vater und seinem 18jährigen Sohn, zwischen dem eigenwilligen König in Preußen und einem ebensolchen Kronprinzen fürchterlich entlud, sondern dito auf den andauernden Kampf des „Roi Sergeant“ gegen seine Königin „Olympia“ und ihre engstirnigen Doppelheiratspläne hinauslief, der wiederum Teil des zähen Tauziehens der „habsburgischen“ gegen die „englische“ Partei um die Positionierung der preußischen Außenpolitik genauso war, wie er zur Konkurrenz zwischen Hohenzollern, Welfen und Wettinern im frühen 18. Jahrhundert gehörte. Zu diesem spannungsreichen Szenarium zwischen den Polen prinzlicher Pubertätsprobleme und der Wahrung des von der Wiener pragmatischen Sanktionspolitik beschwerten europäischen Gleichgewichts fügte sich für die konfliktbeteiligten preußischen Militärs ein weiterer innenpolitischer Aspekt, nämlich die Aufgabe altadliger Selbstbehauptung bis hin zur Fronde zugunsten dienstwilliger Akzeptanz eines absolutistischen Souveränitätsanspruchs, der sich im soldatischen Umfeld auf die neue Regimentskultur stützte. Vor dieser so vielschichtig geballten Problemladung konzentrierte sich die persönliche Tragödie des Hans Hermann von Katte in einer Krise, die ihn zwischen dem staatsrechtlichen Vorwurf der Majestätsbeleidigung und der militärjustiziellen Anklage auf Dienstpflichtverweigerung zerrieb. Nun, 1729 sah bei Katte alles – überraschenderweise – nach Pflichterfüllung aus. Der im Frühjahr aus London nach Berlin zurückgeholte Kornett erklärte sich enthusiastisch propreußisch, als im Juli ein schwelender Konflikt mit Braunschweig-Lüneburg um läppische Werbe- und Wiesenfragen zum Stettinschen Garnisonregiment Nr. 3); GStA PK, I. HA Rep. 96 B, Nr. 21, fol. 365; dazu weitere Nachweise für Georg Friedrich Wilhelm von Keith (Anm. 169) in den Rangierlisten des Füsilierregiments Nr. 39: 1742 Premierleutnant, damals 32 Jahre alt [demnach 1710 geboren ?] und 12 Jahre gedient [also 1730 Dienstbeginn !], 1750 Kapitän, 1755 gestorben; PAL (Anm. 135). – Sein Bruder Peter, an dessen Schicksal Mutter Vigilantia von Keith König Friedrich II. in einer Supplik vom 23. August 1740 erinnert hatte (Abschrift in GStA PK, VI. HA Nachlaß Anton Balthasar König, Nr. 359, fol. 128), kehrte im Oktober 1740 nach Berlin zurück, wo er Oberstleutnant von der Armee, 1744 Mitglied und 1747 Kurator der Akademie der Wissenschaften wurde; vgl. ausführlich Jean Henri Samuel Formey, Eloge de Monsieur de Keith [Privatdruck 1757]; dazu Werner Hartkopf, Die Berliner Akademie der Wissenschaften. Ihre Mitglieder und Preisträger, Berlin 1992, 180.
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zum Zustand drohender Kriegsgefahr eskalierte181. Im Zuge der preußischen Mobilmachungsmaßnahmen wurde das Regiment Gens d’armes in das Herzogtum Magdeburg verlegt, und Generalleutnant Hans Heinrich von Katte bekam von seinem Sohn zu lesen: „Ich bin jetzt überglücklich, durch Ihren Befehl wieder daheim und mit dem Regiment auf dem Marsch zu sein. Auf Ihre gütige Frage, ob es mir wohl gehe, erwidere ich, daß mir ein preußischer Kampf mehr wert als ein französischer Friede zu sein scheint“182. Vielleicht trug zu dieser Begeisterung bereits die Vereinnahmung durch den Kronprinzen bei, der dem jungen Offizier auf dem Ritt über Calbe und Egeln nach Halberstadt eine goldene Dose in die Satteltasche gesteckt haben soll183. Im Februar / März 1730, nachdem der König Keith aus dem Umgang des Kronprinzen doch wohl vorsorglich entfernt hatte und Katte von einer kurzen Reise nach Dänemark zurückgekehrt war, dürfte dieser an jenes Stelle als engster Vertrauter Friedrichs gerückt sein: „Kaum ist der Katt wieder im Lande, steht man Angst um ihn aus“, klagte im April eine Hofdame der Königin, die Gräfin Finck von Finckenstein, bei Paul von Vendelbo-Lövenörn, dem dänischen Gesandten zu Berlin und allbekannten Parteigänger der „Alliierten von Sevilla“184. Angeblich soll Friedrich Wilhelm I. diese Entwicklung aber toleriert haben: „Der Katt ist kein Duckmäuser, und mir ganz lieb“185. Seinerseits hatte der Gardekürassieroffizier im Kronprinzen endlich seinen Orientierungspunkt gefunden: 181 Vgl. Heinrich Schilling, Der Zwist Preußens und Hannovers 1729 / 30, Phil. Diss. Königsberg 1912. 182 Schreiben Hans Hermann, an Hans Heinrich von Katte, ohne Datum; zitiert nach M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 198. Ebenda auch eine Mitteilung Joachim Friedrich von Holtzendorffs, nach der Kornett von Katte einer der übermütigsten war, als es an das Scharfschleifen der Säbel ging und die Kasketts in die Dreispitze eingenäht wurden. 183 Vgl. M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 199; zum Marsch der Gens d’armes C. Jany, Preußische Armee (Anm. 79), Bd. 1, 670. 184 Zitiert nach M. v Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 208. Vgl. ebenda 210 den Hinweis auf ein Treffen zwischen Friedrich und Hans Hermann im Berliner Haus seines Onkels, des Magdeburger Kammerpräsidenten Heinrich Christoph von Katte. Susanna Magdalena Reichsgräfin Finck von Finckenstein, Ehefrau des Generals Albrecht Konrad (Anm. 151), Hofdame und nach 1735 Oberhofmeisterin der Königin Sophie Dorothea, war ihrerseits in die Zustellung von Kronprinz- / Katte-Korrespondenzen verwickelt; vgl. entsprechend Vermerk Mylius, vom 6. September 1730; GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 1, fol. 367. Zu Paul von Vendelbo-Lövenörn, vom 24. April bis zum 6. November 1730 a. o. dänischer Gesandter zu Berlin, und seiner antihabsburgischen Politik auf der Linie der 1729 zwischen Spanien, Frankreich, England und (später auch) den Generalstaaten geschlossenen Allianz von Sevilla vgl. Wagner, Reisejournal Seckendorff (Anm. 5), 200, 203 f.; dazu Stefan Hartmann, Die Beziehungen Preußens zu Dänemark von 1688 bis 1789 (Neue Forschungen zur brandenburg-preußischen Geschichte, 3), Köln / Wien 1983, 109 ff., 131. VendelboLövenörn soll Katte kurz vor seiner Verhaftung vergeblich gewarnt haben, wie König Friedrich II. 1757 dem englischen Gesandten Mitchell erzählte; vgl. Friedrich von Oppeln-Bronikowski / Gustav Berthold Volz, Gespräche Friedrichs des Großen, Berlin 1919, 55 f. 185 So nach bislang ungeklärter Vorlage M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 266.
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„Friedrich ist unsere Zukunft – und wer liebte sie nicht“186. Zwanglos verband sich mit dieser Perspektive das Bild von der „künftigen Sonne“, die aus dem kronprinzlichen „Absalom“ einen „Apollon“ erstehen ließ – zumindest für jene, die wie Hans Hermann ihre Hoffnung auf ihn setzten187. In diesem Zusammenhang verdient vielleicht eine Anekdote – weniger um ihrer allfälligen Wahrheit, als vielmehr um ihres fiktiven Kolorits willen – Beachtung, die von der Katteschen Familientradition überliefert wurde. Sie spielte im sächsischen „Lustlager“ von Zeithain, das Friedrich Wilhelm I., sein Sohn und 147 preußische Herren in ihrem Gefolge (darunter Hans Hermann von Katte als Begleiter des Markgrafen Heinrich von BrandenburgSchwedt) im Juni 1730 besuchten188. Nach einer Erinnerung des sächsischen Oberst Hans Christoph von Katte soll es dort in der Johannisnacht 1730 im Kronprinzenkreis zu einem Gespräch über eine Geliebte des Marschalls Moritz von Sachsen gekommen sein, die um seinetwillen ermordet worden war. Auf Friedrichs Frage „Verdient denn die Treue den Tod?“ habe Hans Hermann von Katte geantwortet: „Aber gewiss, der Tod ist der Treue Frucht“ – was der ebenfalls anwesende Generalleutnant Achaz von der Schulenburg angeblich kommentierte: „Ich glaube an diese Jugend“. Se non fu vero, fu bene trovato189. Dagegen zählte es zu den harten Zeithainer Fakten, daß Kronprinz und Leutnant die Gunst des Auslandsaufenthaltes nutzen wollten, um mit der freilich verweigerten Hilfe des Kursächsischen Ka186 So Hans Hermann von Katte, im Gespräch mit Oberst Adolf Friedrich von der Schulenburg, in Wien am 23. April 1730; zitiert nach M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 211. Ebenda Zitat aus einem Schreiben Hans Hermann, an seinen Vater (Wird niemals den preußischen Dienst verlassen). Was den Sekondleutnant im Frühjahr 1730 einmal nach Dänemark, ein andermal an die Donau führte, ist nicht bekannt. 187 Zur zeitgenössisch geläufigen (und z. B. schon auf das Verhältnis des Großen Kurfürsten zu Kurprinz Friedrich bemühten) Metaphorik im Kontext der rituellen Fürstenverklärung im Bild der Sonne und des Sonnengotts Apollon vgl. Barbara Stollberg-Rilinger, Der Staat als Maschine. Zur politischen Metaphorik des absoluten Fürstenstaats, Berlin 1986; dazu Kerstin Heldt, Der vollkommene Regent. Studien zur panegyrischen Casuallyrik am Beispiel des Dresdener Hofes August des Starken, Tübingen 1997, 157 – 181. 188 Vgl. Hans Beschorner, Beschreibung und bildhafte Darstellung des Zeithainer Lagers von 1730, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte und Alterthumskunde XXVII (1906), 103 – 151; ders., Das Zeithainer Lager von 1730, in: ebenda XXVIII (1907), 50 – 113, 200 – 252, zur preußischen Beteiligung (übrigens den Sachsen zuliebe in rote Röcke kostümiert) bes. 58, 107 – 109; dazu Anm. 126. 189 Die von Susanne von Katte, geborene Freiin von La Roche, tradierte Anekdote zitiert nach M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 261. Susanne war Ehefrau des Hans Christoph (III.) von Katte, 1689 geboren, Vetter von Hans Heinrich und Heinrich Christoph, Kurfürstlich Sächsischer Oberst und Kommandeur der Königlich Polnischen Krongarde, Chef eines Kursächsischen Dragonerregiments, 1766 gestorben; M. v. Katte, [2.] Stammbaum (Anm. 12). Zu Achaz von der Schulenburg vgl. unten Anm. 220; zu seiner Präsenz im Lager eine „Liste derer Generals und Officiers, so die Königlich Pohlnische Revue mit ansehen sollen“, dat. Coßdorf, 30. Mai 1730; HStA Dresden, Oberhofmarschallamt, G Nr. 30a; ebenda Hans Hermann von Katte noch als Kornett aufgeführt.
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binettsministers von Hoym über Leipzig und Frankfurt am Main ins Elsaß zu fliehen, wo man auf den Gütern des Grafen de Rottembourg einen ersten Unterschlupf zu finden hoffte190. Nach vier Monaten sollte Schulenburg über die Zeithainer Diskutanten zu Gericht sitzen, da Friedrichs erneuter Fluchtversuch auf der Reise nach Süddeutschland am 4. / 5. August in Steinsfurt fehlgeschlagen und der in Berlin womöglich absichtsvoll zurückgehaltene Katte am 16. August 1730 verhaftet worden war191. Der Kronprinz hatte sein durchaus ernst gemeintes Unternehmen zu leichtsinnig geplant, überhastet ausgeführt und am Ende selbst zum Scheitern gebracht. Den Wendepunkt markierte sein kurzschlüssiger Versuch, an Hans Hermanns Stelle dessen Vetter Hans Friedrich von Katte, Rittmeister im Regiment zu Pferd Nr. 9, der in Erlangen auf Werbung weilte und über den nolens volens die Korrespondenz der beiden Verschworenen lief, in einem konspirativen Gespräch am 23. / 24. Juli im Ansbacher Schloß als neuen Fluchthelfer zu gewinnen192. Doch dieser Katte ließ sich sein Herz nicht vom charmanten Kronprinzen stehlen: da es „sein Eid, den er dem König zu halten schuldig wäre, nicht zuließe, ohne Vorbewußt [seines Regimentskommandeurs] eine Reise vorzunehmen“193. Während Friedrich am 29. Juli weitere schriftliche Fluchtverabredungen an Keith senior in Wesel und Hans Hermann von Katte in Berlin ergehen ließ sowie den Königspagen Keith junior zur Pferdebeschaffung bestimmte194, hatte er sich und seinen Mitwissern bereits die Grube gegraben – denn der 190 Zu den Einzelheiten, in die neben dem Kursächsischen Kabinettsminister Karl Heinrich Graf von Hoym (1694 – 1736) auch der dänische Gesandte von VendelboLövenörn, der englische Sondergesandte Sir Charles Hotham und sein Legationssekretär Guy-Dickens eingeweiht waren, vgl. R. Koser, Kronprinz (Anm. 3), 35 – 39. 191 Zu Kattes Verhaftung, die diesem doch wohl so überraschend kam, daß er nicht mehr flüchten konnte, vgl. C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), Nr. 6; ausführlich dazu nach der zuerst bei Nicolai, Anekdoten (Anm. 50), Heft 5, 174 – 182 überlieferten Erzählung des Landrats von Hertefeld von 1791 o. V., Ein König und seine Getreuen, in: Niederrheinischer Geschichts- und Altertumsfreund 21 (1926), 1 – 2. 192 Hans Friedrich von Katte, 1698 geboren, 1713 Fahnenjunker im Regiment zu Pferd Nr. 9, 1714 Kornett, 1717 Leutnant, 1721 Rittmeister und Kompaniechef, nach weiterem Avancement bis zum Generalleutnant 1758 wegen Übergabe von Breslau kriegsrechtlich zu einem Jahr Festungshaft in Spandau verurteilt, 1765 gestorben; vgl. K. v. Priesdorff, Soldatisches Führertum (Anm. 48), Bd. 1, Nr. 356. Weitere Korrespondenzen liefen über den in Nürnberg auf Werbung stehenden Offizier David Levin von Katte, 1692 geboren, 1739 als Major im Regiment zu Fuß Nr. 1 verabschiedet, danach Oberst in dänischen Diensten, 1758 gestorben; vgl. M. v. Katte, [2.] Stammbaum (Anm. 12). 193 Protokoll der Aussagen des Rittmeisters Hans Friedrich von Katte im Verhör am 5. September 1730; GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 1, fol. 343 – 346; vgl. C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), Nr. 34; dazu Eckert, Fürstenreise (Anm. 5), 36 – 38. 194 Vgl. zur Ereignisabfolge in der Fluchtnacht ausführlich Reinhold Koser, Friedrich der Große in Steinsfurt (4. / 5. August 1730), in Hohenzollernjahrbuch 8 (1904), 232 – 235. Friedrich mußte auf Keith junior zurückgreifen, weil Rittmeister Hans Friedrich ihm unter dem Vorwand von Fieber weitere Treffen verweigerte.
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von ihm weiter bedrängte, doch standhafte Rittmeister informierte zur selben Zeit Oberstleutnant Daniel von Rochow vom Regiment zu Pferd Nr. 1, den Kronprinzenbegleiter, über die verhängnisvolle Zumutung – der sie natürlich sofort an seinen Regimentschef Generalmajor Wilhelm Dietrich von Buddenbrock weiterleitete, der ebenfalls zu Friedrichs Suite zählte195. Darüber hinaus hatte es Katte für richtig gehalten, auch Rochows Bruder, seinen Angerburger Regimentskameraden Major Friedrich Wilhelm von Rochow, ins Vertrauen zu ziehen, damit über diesen die Warnung auch an dessen Schwiegervater Generalleutnant Hans Heinrich von Katte in Königsberg gelangte – was natürlich prompt geschah196. So kam das endgültige Aus für Friedrich zwangsläufig, als ihn sein Gouverneur von Rochow, General von Buddenbrock und Oberst Arnold Christoph von Waldow in den Morgenstunden des 5. August auf höchst taktvolle, unkompromittierende Weise am tatsächlichen Entkommen hinderten. Von den so königstreuen Kürassieren avancierten noch am 3. Oktober 1730: Friedrich Wilhelm von Rochow zum Oberstleutnant, Hans Friedrich von Katte zum Major197. Im übrigen heiratete er 1738 Henriette Katharina Gräfin Truchsess zu Waldburg, also die Schwester jenes Offiziers, der bei den Gens d’armes an Hans Hermanns Stelle gerückt war198. Kronprinz „Absalom“ war mit all seinem apollinischem Charme letztlich an einem Offizier vom Regiment zu Pferd Nr. 9 aufgelaufen, der wie sein 195 Vgl. Schreiben Rittmeister Hans Friedrich von Katte, an Oberstleutnant [Daniel] von Rochow, ohne Datum [ca. 29. Juli 1730]; GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 1, fol. 352. Bei C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6) unter Nr. 34 gedruckt; vgl. Quellenanhang Q 1a. 196 Vgl. Schreiben Rittmeister Hans Friedrich von Katte, an Major [Friedrich Wilhelm] von Rochow, ohne Datum [ca. 29. Juli 1730]; GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 1, fol. 33 – 33v. Vgl. Quellenanhang Q 1b; bei C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6) nicht gedruckt. Tatsächlich berichtet Rochow das Schreiben seinem Chef Hans Heinrich von Katte, der sein Wissen wiederum am 24. August dem König preisgab (a. a. O. fol. 32; vgl. Quellenanhang Q 3a), und zwar anhand einer Abschrift des Rittmeister-Schreibens, die der Generalleutnant persönlich angefertigt hatte. Seinem Begleitbericht fügte er als echtes Postskript an: „Euer Königliche Majestätt haben um Gottes Willen Mittleyden mitt einen schmerzlig betrübten Vater“. Im übrigen warnte Rittmeister von Katte auch den eigenen Vater, den Kammerpräsidenten Heinrich Christoph von Katte, damit dieser Vorsorge für seinen Sohn Ludolf August treffen konnte, der in Berlin mit Hans Hermann zusammensteckte. 197 Vgl. Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Generalleutnant Hans Heinrich von Katte, dat. Königs Wusterhausen, 3. Oktober 1730 (Pensionierung des Oberstleutnant von Köhler. An seine Stelle avancieren Major [Friedrich Wilhelm] von Rochow zum Oberstleutnant, und an dessen Stelle Rittmeister [Hans Friedrich] von Katte zum Major); GStA PK, I. HA Rep. 96 B, Nr. 4, fol. 4. Nachdem sich Rochow und Katte für ihre Beförderungen bedankt hatten, erhielten sie Kabinetts-Ordres vom 31. Oktober bzw. 17. November 1730, in denen der König sein Vertrauen ausdrückte: „Ihr werdet Euch ferner wie ein rechtschaffener braver Officier verhalten und mir mit aller Treue und Eyffer dienen, alsdann ich noch weiter vor Euer Glück und Avancement sorgen und seyn werde“; a. a. O. fol. 39v bzw. 68v. Nach K. v. Priesdorff (Anm. 156) war Rochows Patent auf den 25. Juni 1728 vordatiert. 198 Vgl. oben Anm. 137.
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Chef bereits tief von der preußischen Regimentskultur geprägt war. Diese beiden Katten standen ohne Rücksicht auf ihre familiären Bindungen auf der Seite des Königs, wobei sich der zutiefst bestürzte Generalleutnant Hans Heinrich ganz der Gnade seines Souveräns anvertraute, während Rittmeister Hans Friedrich etwa eine Woche brauchte, bis er fiebergeschüttelt kronprinzliche Ungnade riskierte, wo Gehorsam nicht Ehre brachte. Noch weiter ging die Loyalität der Rochow, Waldow und Buddenbrock, als sie versuchten, Friedrichs Aktion womöglich als harmlose Jugendtorheit auszubremsen. Indessen entwickelte die nun folgende Aufklärung des Fluchtversuchs durch den König und die von ihm eingesetzte Untersuchungskommission eine rasante Eigendynamik, die unter den geschickten Händen des intriganten Ministers von Grumbkow alle, die persönlichen wie die politischen, Façetten der „facheusen“ Geschichte freilegte und damit im Ganzen seiner prohabsburgischen Politik zum endgültigen Sieg bei Friedrich Wilhelm I. verhalf. Davon interessiert im folgenden nur das militärgeschichtliche Segment: Die Desertions-Frage in bezug auf den Gens d’armes Hans Hermann von Katte. Das preußische Kriegsrecht unterschied zwischen der Straftat der versuchten oder ausgeübten Desertion eines Soldaten (der seine Dienstverpflichtung wie den Fahneneid mit Vorsatz brach und seine Truppe auf Nimmerwiedersehen zu verlassen suchte) und einem im Vorfeld dieses Verbrechens angesiedelten Verhalten, das man „Ausbleiben“ nannte und nur dem Offizierkorps einräumte. War ein Offizier über Gebühr vom Regiment ausgeblieben, hatte ihm der Kommandeur zunächst die Chance zu geben, in einer bestimmten Frist aus eigenem Antrieb zur Truppe zurückzukehren, ohne insoweit seinen Fahneneid verletzt zu haben199. Das Ausbleiben bildete ein kurzschlüssiges Delikt all jener Fähnriche, Kornetts und Leutnants, die auf Werbung oder Urlaub den Verlockungen des zivilen Lebens oder holder Weiblichkeit erlagen, sich ohne förmliche Verabschiedung von der Truppe entfernten oder sich nach einem für den Kontrahenten tödlich verlaufenen Duell außer Landes begeben mußten. Kehrte ein Ausgebliebener nicht zum Regiment zurück, war gegen ihn theoretisch das Desertionsstrafverfahren einzuleiten (was aber in der Praxis nicht immer befolgt wurde). Insgesamt ergab sich aus den Abgangslisten des preußischen Offizierkorps zwischen 1690 und 1790, daß 0,6 % als „ausgeblieben“ abgeschrieben worden waren, 2,1 % als tatsächlich desertiert. Nach kriegsrechtlicher Erkenntnis mußten 0,1 % hingerichtet (meist: erschossen) werden200. Für das
199 Vgl. J. S. Dancko, Kriegsrecht-Entwurf (Anm. 145), 103; desgl. G. F. Müller, Kriegsrecht (Anm. 144), 260 f. 200 Zahlen nach PAL (Anm. 135); vgl. Georg Hebbelmann, Das preußische „Offizierkorps“ im 18. Jahrhundert. Analyse der Sozialstruktur einer Funktionselite, Münster 1999, 275 ff.
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Regiment zu Pferd Nr. 10 meldete die Abgangsliste zwischen 1719 und 1791 folgende Zahlen: 2 Offiziere ausgeblieben, keiner desertiert, 1 (Katte) mit dem Schwert hingerichtet, 12 im Krieg gefallen, verwundet oder gefangen, 24 im Dienst gestorben, 158 normal aus dem Dienst geschieden (dimittiert, pensioniert oder versetzt)201. Ein Jahrhundert lang waren Gens d’armesOffiziere verschwenderisch und tollkühn, mutig und übermütig – aber keiner von ihnen ein wirklicher Deserteur gewesen. Das Ausbleiben bildete ein gegebenenfalls durch Stillschweigen zu verdrängendes Delikt, die Desertion einen schlimmen Straftatbestand. Schlimmer noch wurde von der preußischen Militärjustiz aber das sogenannte Komplottieren zur Desertion eingestuft, d. h. die Verabredung zwischen zwei oder mehreren Soldaten, in gemeinsamer Aktion die Fahne zu verlassen. Für Friedrich Wilhelm I. war der Fluchtversuch seines Sohnes von Anfang an als Produkt eines solchen Komplotts zu verstehen, auch wenn ihm nach dessen erstem Verhör am 12. August 1730 die genaueren Zusammenhänge noch unklar waren: „Celui-ci s’est laissé éblouir par les séductions de quelques malheureux, qui ont trouvé moyens de lui inspirer le dessein de s’enfuir et de se retirer en France. J’ai actuellement découvert tout le complot et je ne doute pas, que les auteurs et séducteurs tomberont dans mes mains.“202 Um so sorgsamer der untersuchende Generalauditeur-Leutnant Mylius daher in der Folge bemüht war, die Aktion des Kronprinzen lediglich als vorsätzliches Ausbleiben erscheinen zu lassen, um so weniger konnte er bemänteln, daß dieser erst Keith, dann Hans Hermann von Katte in seine Pläne einbezogen, und beide sich seinen Ansinnen (im Gegensatz zu Hans Friedrich von Katte) nicht verweigert hatten. Was aber beim Kronprinz schon fragwürdig genug – da widersprüchlich in sich – als „intendirte Absentirung“ erscheinen sollte203, konnte bei seinen Komplizen nur als Desertionskomplott gelten. Von einer solchen Straftat seiner Offiziere, noch dazu eines Gens d’armes, mußte der König im August 1730 um so mehr erschüttert werden, als es erst im Januar in Potsdam zu einem großen Desertionskomplott unter etwa 40 Gardegrenadieren vom Königsregiment Nr. 6 gekommen war204. Die geplante Revolte, die im Kern wohl von einer basisreligiös beeinflußten Sektierergruppe ausging, welche von den üblichen Militärpraktiken weder im guten noch im bösen zu beruhigen gewesen wäre 201 Abgangsliste des Regiments zu Pferd Nr. 10; gedruckt bei K. W. v. Schöning, Leben Natzmer (Anm. 112), 486. 202 Echtes Postskript zu einem Handschreiben König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Herzog Ferdinand Albrecht von Braunschweig-Bevern, dat. Wesel, 13. August 1730; GStA PK, I. HA Rep. 96 B, Nr. 3, fol. 310v; vgl. Hans Droysen, Aus den Briefen der Königin Sophie Dorothea, in: Hohenzollernjahrbuch 17 (1913), 210 – 245, bes. 238 f. 203 Vgl. entsprechend die Aktentitel-Formierung, oben Anm. 44. 204 Vgl. J. Kloosterhuis, Legendäre „lange Kerls“ (Anm. 84), Q 473 – Q 475.
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und vor des Königs Person nicht Halt gemacht hätte, flog vor ihrer Ausführung auf. Dennoch wurden die an ihr beteiligten „blauen Kinder“ Friedrich Wilhelms I. in ein scharfes (nötigenfalls zu Folter greifendes) Verhör genommen, kriegsrechtlich verurteilt und öffentlich mit differenziert-grausiger Härte bestraft. Von den drei Grenadieren, die als Haupträdelsführer galten, wurde einer, nachdem ihm der Henker mit glühenden Zangen zugesetzt und die Schwurfinger abgehackt hatte, gehängt; der zweite erhielt, nachdem auch er die Zangen-Folter (allerdings etwas leichter) erlitt, Nase und Ohren abgeschnitten, worauf man ihn halbtot ins Spandauer Festungszuchthaus sperrte, wo er bald verschied; der dritte wurde vor der Inhaftierung vom Scharfrichter geohrfeigt und ausgepeitscht. Zusätzlich zu den Leibes- oder Lebensstrafen machte die Henkershand diese Männer also „unehrlich“, während die übrigen Komplotteure ohne solche Diffamierung „nur“ Spießruten laufen mußten, bevor sie für kürzer oder länger nach Spandau kamen. Nach diesem Schock sah sich der König im August / September 1730 nun auch noch von einem Komplott unter (Garde-) Offizieren heimgesucht. Natürlich witterte er weitere Beteiligte hinter dem Trio Kronprinz – Keith – Katte und wollte in wütender Verzweiflung über den wirren Gang der Verhöre beide Inhaftierte wie jene Königsgrenadiere durch die Folter zur Aussage zwingen lassen205, „wer noch davon gewußt und complottiret hat“ – denn Majestät mußten wissen, wer von seinen Port d’epee-Trägern überhaupt noch „getreu oder ein Schelm“ war206. Allerdings konnte Grumbkow den König umgehend dazu bewegen, das abscheuliche Mittel zur „Wahrheitsfindung“ bei diesen Delinquenten nicht anzuwenden. Um so sorgfältiger wurde aber der 178 und 7 Artikel umfassende Fragenkatalog für das entscheidende Verhör des Kronprinzen in Küstrin am 16. September gerade 205 Vgl. Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Generalauditeur-Leutnant Christian Otto Mylius, dat. Potsdam, 9. September 1730 (Erhalt von Pretiosen aus dem Besitz des Kronprinzen; mit eigenhändigem Postskript noch vor der Unterschrift: „Machet doch ein Ende“); GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 1, fol. 392; Abschrift (mit dem Postskript) in I. HA Rep. 96 B, Nr. 1, fol. 232. 206 Marginal-Dekret König Friedrich Wilhelm I., zu einem Bericht der Untersuchungskommission, dat. Potsdam, 13. September 1730 (Folter-Androhung für Katte); desgl. zu den Frageartikeln für das Kronprinzenverhör („Diese Artikoll soll Inquisit Friderich Punck vor Punck beantworten, und ihm hiemit meine schriftliche Ordre weißen, und sollen ihm sagen, das, wo er nit die Wahrheit von allem, und wovon er nit befraget werde, von sich selbsten bekenne, ich nach Lehsung seines Verhörs andere Anstalten machen, und würde den Büttel kommen laßen, der würde und solte die Wahrheit heraußer bekommen; Friedrich Wilhelm Rex“); GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 3, fol. 59 bzw. fol. 125v; vgl. C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), Nr. 40 bzw. S. 192; ebenda Nr. 41 (Vermerk Grumbkows vom 13. September 1730 über die Aufhebung dieser Anweisungen). Der „Büttel“, Scharfrichter M. Henning, hatte sich auf Anweisung des Kriegs-, Hof- und Kriminalgerichts bereits am 27. August 1730 bereit gehalten, eine Tortur zu vollstrecken, wofür er am 7. September Personalkosten berechnete; GStA PK, BPH, Rep. 47 Friedrich der Große, Nr. 14 Bd. 5, fol. 1. Zur Folterprozedur, die mit dem „Zeigen der Instrumente“ wahrscheinlich ihr Ende gefunden hätte, vgl. Gottfried Sello, Die letzte Anwendung der Tortur in Potsdam [1729], in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Potsdams 7 (1878), 215 – 223.
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auf die Fragen nach Ausbleiben, Desertion und Desertionskomplott konzipiert207. Friedrichs Antworten darauf fielen mehr oder weniger eindeutig aus. So lautete Artikel 40: „Ob er nicht endtlich gar resolviret, außer Landes wegzugehen und zu desertiren?“208 und seine Antwort: „Er habe nicht wollen die Dienste verlassen, sondern sich nur auf eine Zeitlang zu entziehen gesucht“209. Auf Artikel 84: „Ob er nicht auf solche Art den etcetera Katte zur Desertion aus Seiner Königlichen Majestät Kriegesdiensten verleiten wollen?“ gab er eine knappe Antwort: „Ja“. Der Kronprinz kam auch nicht darum herum, unter Artikel 115 zuzugeben, daß der tatsächlich desertierte Keith mit im Komplott gewesen war. Erst auf den Artikel 180, der allen Dreien an den Kragen ging: „Was ein Mensche, der seine Ehre bricht und zur Desertion Complot macht, was der meritiret?“ wich Friedrich geschickt aus: „Er habe seine Ehre nicht gebrochen, nach seiner Meinung.“ Artikel 181 verknüpfte das Komplottstrafproblem direkt mit der Katastrophe des Königsregiments vom Januar 1730: „Ob er leider nicht Exempel gnug gesehen bey dem Regiment, da er gestanden“210 – worauf erneut nichts anderes als ein einsilbiges „Ja“ zu sagen übrig blieb. Über dem Respekt vor Geistesgegenwart und Scharfsinn, mit der sich der Kronprinz gerade den letzten sieben Fangfragen entzog211, darf daher nicht übersehen werden, daß er das Desertionskomplottieren von der ersten bis zur letzten Befragung stets klipp und klar zugegeben hatte. Ebenso sagte der arme Katte bei seinem letzten Verhör in Berlin am 20. September 1730 auf die Frage aus: „Ob er nicht gestehen wolle, daß, wenn er nicht verhindert worden, er würde weggegangen sein?“ – „Wann der Kronprinz würde weggewesen sein, so hätte er nachgehen wollen, und würde ihm gefolget sein. Er habe aber 207 Protokoll der Aussagen des Kronprinzen Friedrich im Verhör am 16. September 1730; GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 3, fol. 138 – 157 (Direktschrift), desgl. 159 – 182 (Reinschrift); vgl. C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), Nr. 43; ebenda Nr. 42 zur Vorbereitung der 178 von Mylius formulierten Frageartikel und die 7 auf direkte Veranlassung des Königs angehängten Artikel ab Nr. 179. 208 Eine ursprüngliche Artikel-Fassung „Ob er nicht endtlich gar resolviret, außer Landes wegzugehen und Seiner Königlichen Majestät auch Dero Kriegesdienste zu verlassen?“ wurde von der Hand des Kabinettssekretärs August Friedrich Boden so präzisiert: „zu desertiren“; GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 3, fol. 116. 209 Dazu Marginal-Dekret König Friedrich Wilhelms I., nach seinem mündlichen Diktat von Boden vermerkt: „Ob ein Officir sich dürfte ohne Permission absentiren, soll das Kriegesrecht darauff reflectiren“; GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 3, fol. 163v; vgl. oben Anm. 199. 210 Eine ursprüngliche Artikel-Fassung „Ob er denn nicht Exempel gesehen bey dem Regiment, da er gestanden“ wurde von der Hand des Kabinettssekretärs Boden so präzisiert: „Ob er leider nicht Exempel genug gesehen“; GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 3, fol. 125. C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), 86 bzw. 192, unterstellte dieser Frage einen zu allgemeinen Zusammenhang mit dem Aufhängen von Deserteuren; R. Koser, Kronprinz (Anm. 3), 54, hat den Artikel 181 überhaupt nicht beachtet. 211 Vgl. entsprechend z. B. Theodor Schieder, Friedrich der Große. Ein Königtum der Widersprüche, Frankfurt a. M. / u. a. 1983, 37.
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geglaubt, der Kronprinz würde gewiß wieder hierher kommen.“212 Damit waren beide inhaftierten Komplotteure tatgeständig. Weiterhin hatten sie im Verlauf der Verhöre ihre von Pumpversuchen begleiteten Verhandlungen mit auswärtigen Geschäftsträgern, dem sächsischen Kabinettsminister Graf von Hoym und dem dänischen Gesandten von Vendelbo-Lövenörn, insbesondere aber mit den englischen Diplomaten Hotham und Guy-Dickens preisgegeben – so daß dem König schließlich überdeutlich vor Augen stand, „das Engelang von allen gewuhst“, man seinem Sohn aber aus London immerhin „die Desercion abgerahten“ hatte213. Diese ebenso peinlichen wie fatalen Ermittlungsergebnisse konnten nun von der Untersuchungskommission an ein Kriegsgericht zur Urteilsfindung übergeben werden, das seine Sentenz wiederum dem König zur allfälligen Konfirmation vorzulegen hatte. Nachdem auf Wunsch des Kronprinzen am 11. Oktober ein letztes Verhör stattgefunden (und Friedrich darin die weiße Fahne zu zeigen begonnen) hatte, waren die Akten zum Spruch geschlossen.
VI. Der König und sein Kriegsgericht: Militärische Justiz versus gesunder Menschenverstand? Reglementgemäß wäre ein preußisches Kriegsgericht, das über einen Oberstleutnant (Friedrich), zwei Leutnants (Spaen, Ingersleben), einen kassierten und einen desertierten Leutnant (Katte, Keith) aus drei verschiedenen Regimentern (Königsregiment Nr. 6, Füsilierregiment Nr. 31, Regiment zu Pferd Nr. 10) ein Urteil zu fällen hatte, aus einem Generalmajor und je zwei Obersten, Oberstleutnants, Majoren und Kapitänen der betroffenen Einheiten zusammenzusetzen gewesen214. Allerdings war im konkreten Fall weniger über einen Oberstleutnant, als vielmehr den (Kron-) Prinzen zu richten, und stand bei den Leutnants nicht nur Desertion bzw. Desertionskomplott, sondern auch Konspiration bzw. Hochverrat zur Rede. Jedenfalls ging es auf direkten Befehl des Königs zurück, wenn das nach Schloß Köpenick geladene „General- und Obergericht“ nicht von einem der preußischen Generalfeldmarschälle (Wartensleben, Anhalt-Dessau, Arnim, Natzmer) oder der Generale geleitet wurde, sondern erst auf der Rangstufe General212 Protokoll der Aussagen des Leutnants Hans Hermann von Katte im Verhör am 20. September 1730; GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 3, fol. 196; vgl. C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), Nr. 46. 213 Schreiben König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Fürst Leopold von AnhaltDessau, dat. Potsdam, 11. September 1730; O. Krauske, Briefe König Friedrich Wilhelms I. (Anm. 153), Nr. 549. 214 Infanterie-Reglement 1726 (Anm. 141), 532 – 534 (XI. Theil II. Titel: „Wie die Verhöre und Kriegesrechte über Officiers, Unterofficiers und Gemeine gehalten werden sollen“); dazu G. F. Müller, Kriegsrecht (Anm. 144), 569 ff., 624 ff. Zur juristischen Seite des Verfahrensablaufes vgl. E. Schmidt, Friedrich der Große als Kronprinz vor dem Kriegsgericht (Anm. 20), 252 ff.
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leutnant einsetzte und dann in Klassen aus je drei Generalmajoren, Obersten usw. aus vielen verschiedenen Regimentern zusammentrat. Zur Verfügung standen dafür im Garnisonbereich der Mark Brandenburg unter Einschluß von Stettin und Halle a. S. insgesamt 15 Kapitäne bzw. 8 Rittmeister, 28 Majore, 20 Oberstleutnants, 16 Obersten, 6 Generalmajore und 3 Generalleutnants, also 96 Kompanie- bzw. Stabsoffiziere215. Unter diesen Männern traf Friedrich Wilhelm I. zwischen dem 17. und 22. Oktober sicher nach persönlichen Kriterien, gelegentlich aber auch unter eher zufälligen Aspekten, und vielleicht im Zweifelsfall „per Sortem“ seine so bedeutungsschwere Wahl216. Dabei gelangten vom Königsregiment nur Oberstleutnant Adam von Weyher und Major Gottfried Emanuel von Einsiedel in ihre jeweilige Rangklasse, von den Gens d’armes lediglich Oberstleutnant Karsten Friedrich von Schenck217. Aus der Reihe der preußischen Generalmajore kamen in Betracht: Kurt Christopher von Schwerin (Chef des Regiments zu Fuß Nr. 24 in Frankfurt (Oder)), Christoph Heinrich von der Goltz (Chef des Regiments zu Fuß Nr. 15 in Perleberg, auch Gouverneur von Magdeburg), Herzog Friedrich Wilhelm von Holstein-Beck (Chef des Regiments zu Fuß Nr. 11 in Königsberg), Alexander Graf von Dönhoff (Chef des Regiments zu Fuß Nr. 13 in Berlin), Wilhelm Dietrich von Buddenbrock (Chef des Regiments zu Pferd Nr. 1 in Königsberg) und der 1705 geadelte Christian von Linger (Chef des Artilleriekorps in Berlin). Sei es nun, daß Buddenbrock als Reisebegleiter und Fluchtverhinderer kaum für die Urteilsfindung geeignet schien, oder andere Offiziere nicht aus Königsberg bzw. Magdeburg herangeholt werden sollten: Friedrich Wilhelm I. bestimmte Schwerin, Dönhoff und Linger zum Kriegsgericht – und damit Männer seines beson215 Insgesamt bestand die Generalität der preußischen Armee 1730 aus zwei für eine Feldzugsverwendung vorgesehenen (und zwei weiteren) Generalfeldmarschällen, drei Generalen der Infanterie bzw. Kavallerie, acht Generalleutnants und 22 Generalmajoren; vgl. Auflistung der Feldbesoldung für die Generalität, ca. 1734; desgl. Rangliste der Generalität, Ende Mai 1739; publiziert bei O. v. Schwerin, Regiment Gens d’armes (Anm. 111), Bd. 1, 158 f., 170. 216 Vgl. eine Auflistung von erst 106, dann auf 96 reduzierte Namen, mit Streichungen und Erläuterungen von der Hand des Kabinettssekretärs August Friedrich Boden („Weil Quitzow nicht zu Hause ist, soll der Capitain [Georg Albrecht von] Podewels von [Regiment zu Fuß von] Gersdorff [Nr. 18 sein Vertreter] seyn“; „Weilen ungewiß ist, ob der Rittmeister Hoffstengel kommen wird, so ist der Capitain [August Friedrich] von Itzenplitz [vom Regiment zu Fuß Nr. 13] dahin erwehlt“); GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 9, fol. 89 – 92. Ein durchgängiges Losverfahren wird zwar im „Kurtzen Unterricht von dem Verbrechen“ (vgl. Quellenanhang Q 4c) erwähnt, läßt sich aber in den Akten nicht ausmachen. 217 Zu Adam von Weyher (1683 – 1744; 1740 Generalmajor und Chef des aus dem Königsregiment neu formierten Garnisonbataillon Nr. 4 im Magdeburg) und Gottfried Emanuel von Einsiedel (1690 – 1745; 1740 Generalmajor und Chef des aus dem Königsregiment neu formierten Bataillons Grenadiergarde Nr. 6) vgl. J. Kloosterhuis, Legendäre „lange Kerls“ (Anm. 84), Q 763; zu Schenck die Rangliste des Regiments Gens d’armes (nach PAL, Anm. 135) vom März 1730: damals 44 Jahre alt, aus der Altmark, 22 Jahre und drei Monate gedient.
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deren Vertrauens, die alle zu der von ihm 1728 begründeten feuchtfröhlichen „Societé des Antisobres“ gehörten218. Schließlich war die Wahl unter drei Generalleutnants zu treffen: Peter von Blankensee (Chef des Kürassierregiments Nr. 4 in Mohrungen, auch Gouverneur von Kolberg), Erhard von Röder (Chef des Regiments zu Fuß Nr. 2, auch Gouverneur von Königsberg), und Achaz von der Schulenburg (Chef des Dragonerregiments Nr. 5 in Pasewalk). Von ihnen war Blankensee, der heitere „Blitzpeter“, ab 24. Juni 1730 allerdings angegriffener Gesundheit wegen auf Kur nach Karlsbad und anschließend bis zum 21. August auf seine Güter in Hinterpommern beurlaubt gewesen219. Röder saß im fernen Königsberg; so blieb nur Schulenburg übrig, ein überaus gottesfürchtiger Pietist, der als Mann des Königs gelten konnte, aber freilich auch Mage der Katte-Familie war220. Der altgediente und schlachtenerprobte Reiterführer übernahm den Vorsitz im Kriegsgericht, wobei ihm Generalauditeur-Leutnant Mylius und Kriminalrat Gerbet als Fachjuristen zur Seite standen. Sie alle kamen am 25. Oktober 1730 im prächtigen Wappensaal des Köpenicker Schlosses zusammen, wo die Mitglieder der fünf Kriegsgerichtsklassen wie ihr Präses als alleiniges Mitglied der sechsten Klasse nach gründlicher Akteneinsicht beschworen, ihr Urteil nach „besten Wissen und Gewissen und nach Seiner Königlichen Majestät Reglement, Kriegsarticuln, Edicten, Rechten und Gewohnheiten“ finden und fällen zu wollen221. Da die Richter einmütig beschlossen, im Fall der „Persona sacra“ des Kronprinzen keine Kompetenz zu haben, Ingers218 Zu Kurt Christopher Graf von Schwerin (1684 – 1757), Alexander Graf Dönhoff (1683 – 1742) und (von) Linger (1669 – 1755) vgl. die Artikel bei K. v. Priesdorff, Soldatisches Führertum (Anm. 48), Bd. 1, Nr. 201, 216 und 229; dazu Paul Haake, La societé des antisobres, in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde XXI (1900), 241 – 254. Zu der 1728 nach sächsischem Vorbild gegründeten Zech-Bruderschaft, die nicht mit dem insoweit eher modesten Tabakskollegium verwechselt werden darf, zählten Friedrich Wilhelm I. unter dem Kneipnamen „Compatron“, als Präses Grumbkow („Biberius Cassubiensis“) und zehn weitere Herren, darunter eben Schwerin („l’Argent-vif“), Döhnhoff („Starosta Schmoutzky“) und Linger („Hänsgen in der Granate“). 219 Vgl. die Angaben bei K. v. Priesdorff, Soldatisches Führertum (Anm. 48), Bd. 1, Nr. 175; dazu Leopold von Zedlitz-Neukirch, Neues preußisches Adelslexikon, Bd. 1, Leipzig 1936, 249. 220 Achaz von der Schulenburg, 1669 geboren, 1685 stud. Frankfurt (Oder), 1687 Ritterakademie Wolfenbüttel, 1688 Junker am kurbrandenburgischen Hof, seit 1690 im Militärdienst, 1717 Chef des Dragonerregiments Nr. 5, 1719 Generalmajor, 1729 Generalleutnant, 1731 gestorben; vgl. K. v. Priesdorff, Soldatisches Führertum (Anm. 48), Bd. 1, Nr. 197; dazu G. Schmidt, Geschlecht von der Schulenburg (Anm. 88), 494 – 497. Nach A. B. König, Biographisches Lexikon (Anm. 79), Teil 3, 429 – 431, genoß Schulenburg die besondere Gnade des Königs. Er zeichnete sich durch Gottesfurcht aus, unterstützte seine Feldprediger, ließ auf eigene Kosten geistliche Bücher drucken und unter die Dragoner verteilen; war bemüht, in den verschiedenen Garnisonen seines Regiments Soldatenschulen anzulegen. 221 Vgl. Protokoll über die Konstituierung und Vereidigung des Kriegsgerichts, dat. Köpenick, 25. Oktober 1730; GStA PK, BPH, Rep. 47 Friedrich der Große, Nr. 14 Bd. 4, fol. 13; vgl. C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), Nr. 56 und 57.
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leben nicht und Spaen nur am Rande im Komplott verstrickt waren222, während Keith sicher in London saß, fielen die düsteren Schatten der Militärjustiz ganz auf den kassierten Katte. Denn einmal abgesehen vom Hochverrat, lauteten in puncto Desertionis die einschlägigen Kriegsartikel so223: Nr. 19: „Welcher Soldat aber gar vorsetzlich und meineidiger Weise, es sey aufm March, im Felde oder Guarnison, es sey zum Feinde, oder sonst davon läuft, desselben Nahme soll am Galgen geschlagen, und wann er wieder ertappet wird, mit dem Strange vom Leben zum Tode gebracht werden.“ Und Nr. 20: „Alle Desertionscomplotte, sie bestehen von 2, 3 oder mehreren Personen, sollen mit dem Leben gestrafet werden. Derjenige, so von Desertionscomplotts Wissenschaft erlanget, soll es sofort bey seinem commandirenden Officier anmelden, oder wann er solches nicht thut und die Desertion geschiehet, er aber dessen, daß er davon gewußt, überführet wird, soll er gleich einem Deserteur, als wann er selbst desertiret oder desertiren wollen, gestrafet werden.“ Die sechzehn Offiziere berieten in ihren sechs Rangklassen bis Samstag, 28. Oktober 1730. Dann standen die Voten fest. Über Katte verhängten neun Offiziere die Todesstrafe, sieben lebenslängliche Festungshaft224. Da aber ihre Stimmen nicht einzeln, sondern klassenweise zählten, ergab sich, daß drei Klassen auf Tod und drei auf Haft erkannt hatten. Für eine Hinrichtung hatten die Majore, Oberstleutnants (unter ihnen notabene der Gens d’armes von Schenck) und Obersten gestimmt. Sie hoben dabei jeweils mehr oder weniger pointiert darauf ab, daß Katte konspiriert und komplottiert hatte – wobei sie den Delinquenten aber der Gnade des Königs um so mehr empfahlen, als er (anders als Keith) nicht tatsächlich desertiert war, seine unbesonnene Jugend in Rechnung gestellt und im übrigen das Gewissen des Kronprinzen durch seinen Tod nicht belastet werden sollte. Die jüngste Rangklasse der Kapitäne, die ausschließlich die nicht ausgeführte Desertion erwogen hatten, und ausgerechnet die Klasse der dem König so 222 Ingersleben waren nur die Mittlerdienste zu Doris Ritter anzulasten. Spaen wurde verurteilt, weil er einerseits zu der mit Keith beredeten Flucht im November 1729 die Reisekutsche besorgt, und andererseits keine Meldung gemacht hatte, nachdem er über das Komplott des Sommers 1730 durch Katte direkt informiert worden war; vgl. R. Koser, Kronprinz (Anm. 3), 36. 223 „Krieges-Articul vor die Unterofficirer und gemeine Soldaten sowohl von der Infanterie als auch Cavallerie, Dragoner und Artillerie“, dat. Berlin, 31. August 1724; Mylius, MCC, Bd. III / 1, 461 – 466. Die von Generalauditeur Christoph von Katsch überarbeiteten Artikel waren nach Kriegsrecht analog auf Offiziere anzuwenden, wenn diese in Pflicht und Ehre versagt hatten; vgl. J. S. Dancko, Kriegsrecht-Entwurf (Anm. 145), 102 ff.; G. F. Müller, Kriegsrecht (Anm. 144), 692 – 702, 723 – 737. 224 „Die Officier in Berlin sagten, wann sie solten das Urtheil über Katt fällen, müste er geviertheilet werden“, hatte Reichsgraf Friedrich Heinrich von Seckendorff bereits am 25. August 1730 in seinen Aufzeichnungen festgehalten; H. Wagner, Reisejournal Seckendorff (Anm. 5), 242.
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nahestehenden Generalmajore, die penibel alle Landesverrats- und Desertionskomplott-Details in 14 Punkten aufzählten, hielten dennoch ohne weiteres eine lebenslange Haftstrafe für angemessen. Auch der Präses, der eine Klasse allein vertrat, entschied sich gegen ein Todesurteil, wobei er in seiner Begründung auf das Votum der Kapitäne zurückfiel, also ausschließlich den Desertionszusammenhang erwog, sich dabei „aus meiner gesunder Vernunfft“ zur Unterscheidung von Verbrechen-Absicht und -Ausführung gehalten sah, „und da es in diesem Falle noch zu keiner würklichen Desertion gekommen“, nur für ewiges Gefängnis plädieren konnte225. Damit senkte sich die Waagschale der Justitia militaris zu Kattes Gunsten, denn bei Stimmengleichheit der Klassen kam das mildere Urteil zum Zuge. So überzeugend „vernünftig“ gerade Schulenburgs Argumentation beim ersten Hören klang, so wenig konnte sie über ihre tiefe Diskrepanz zu den preußischen Kriegsartikeln hinwegtäuschen, die den Komplotteur völlig unabhängig von einer ausgeführten oder unterlassenen Desertion wie den tatsächlichen Deserteur bestraften. Kein Wunder, daß Friedrich Wilhelm I. diesen Spruch nicht akzeptieren wollte, und ihn mit einem so fassungs- wie hilflosen Marginal-Dekret am 29. Oktober 1730 an das Kriegsgericht zurückverwies: „Sie sollen Recht sprech[en] u[n]d nit mit [-] mit den Flederwisch vorüber gehen. Da Katte also wohll getahn, soll das Krichgerich[t] wieder zusammenkomen u[n]d eine and[er]es sprechen.“226 Doch der preußische König hatte sich in seinen Offizieren gründlich getäuscht. Gegen das Kraftwort vom Flederwisch gab ihnen Präses von der Schulenburg drei Bibelstellen als Richtschnur zur erneuten Urteilsfindung vor227. Davon beschrieb II. Chronica 19, 5 – 7 als Grundlage der Rechtfindung: „ihr haltet das Gericht nicht den Menschen, sondern dem Herrn [ . . . ] unserm Gott“. II. Samuelis 18, 10 – 12 hob (mittlerweile eigentlich überflüssig) den Kronprinzen 225 Votum des Generalleutnants Achaz von der Schulenburg, dat. Köpenick, 28. November 1730; GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 4, fol. 48; ebenso fol. 14 – 38 in Direktschrift die Voten der anderen Klassen vom 27. / 28. November 1730; fol. 50 die Bekräftigung der Voten am 28. November 1730; vgl. C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), Nr. 58 und 59. 226 Marginal-Dekret König Friedrich Wilhelm I., auf Immediatbericht Kriegsgerichtspräses Achaz von der Schulenburg, dat. Köpenick, 29. Oktober 1730 (Vorlage der Voten und des sich daraus ergebenden Urteils); ging als direkte Anweisung an das Kriegsgericht zurück; daher Provenienz GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 4, fol. 67 – 70; vgl. C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), Nr. 60. 227 „[D]ecretum Regiis“; LHASA, MD Rep. H. Beetzendorf I, II Nr. 161a. Bei dem erstmals von Danneil, Vollständige Protocolle (wie Anm. 36), 34 (unter der zum Teil irrigen Lesart „Votum Regiis“) publizierten Text handelt es sich um eine Transkription von Friedrich Wilhelms I. Flederwisch-Dekret (vgl. Anm. 226), die sich wahrscheinlich Kriegsgerichts-Praeses von der Schulenburg auf eigenem Blatt anfertigte. Weiterhin hat Schulenburg auf der Blatt-Rückseite seine berühmten drei Bibelstellen notiert (vgl. Anm. 228). Folgerichtig befindet sich dieses Blatt nur bei den Schulenburgschen Handakten (vgl. Anm. 36); nicht etwa bei den „Küstriner Akten“, wie C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (wie Anm. 6), 192 (Anm. 2 zu 132) nahelegt.
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über die Köpenicker Kompetenz: „so wollte ich dennoch meine Hand nicht an des Königs Sohn [Absalom] gelegt haben.“ Und nach V. Moses 17, 8 – 12 sollte man sich in schweren Rechtshändeln bei Priestern und Leviten „an der Stätte, die der Herr erwählet hat“, sein Recht suchen, wo die weltliche Jurisprudenz versagte228. So blieben alle Köpenicker Klassen standhaft bei ihren jeweiligen Voten. Schulenburg legte dem Monarchen am 31. Oktober 1730 ein zweites Urteil zur Bestätigung vor, das dem ersten fast völlig entsprach229. Hatten die Köpenicker Richter damit Recht gesprochen oder nicht? Bei der Suche nach einer militärgeschichtlichen Antwort auf diese Frage sollte man den Offizieren nicht nur persönliche Motive derart unterstellen, daß etwa die Milde der noch jungen Kapitäne vom Blick auf den Kronprinzen motiviert worden sei, unter dem sie einst Karriere zu machen hofften, oder daß zum Beispiel die ja nur wenig älteren Majore auf den König geschielt hätten, der in absehbarer Zukunft über ihr Fortkommen entschied230. Zunächst: Trotz aller Kriegsartikel und entgegen landläufiger Meinung kannte die Praxis der preußischen Militärjustiz Distanzen, die sich zwischen einen Deserteur und den Galgen schieben ließen231. Beispielsweise wurde durch Kabinetts-Ordre vom 27. Oktober 1730 ein desertierter Musketier seinem Regiment mit der Maßgabe ausgeliefert, ihn nicht mit Todesstrafe zu belegen, sondern „der nötigen Disziplin“ halber nur einige Male Spießruten laufen zu lassen232. Am 30. Oktober 1730 gab Friedrich Wilhelm I. zwar die 228 Die Stelle im Deuteronomium „Cap. 17, v. 8 bis 12“ nach Schulenburgs Handschrift (Anm. 227) richtig zitiert bei F. Danneil, Vollständige Protocolle (Anm. 36), 34; dagegen falsch bei R. Koser, Kronprinz (Anm. 3), 62 bzw. 236, „V. Mose 2, 8 – 12“. Nach älteren Ansichten sollen die Bibelstellen nicht von der Hand Schulenburgs, sondern der des Königs gestammt haben, was bereits Heinrich Pröhle, Friedrich der Große und die deutsche Litteratur, Berlin 1872, 12, richtigstellte. 229 Immediatbericht Kriegsgerichtspräses Achaz von der Schulenburg, an König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, dat. Köpenick, 31. Oktober 1730 (Die Klassen bleiben bei ihren Voten; wobei das Votum der Kapitäne, Generalmajore und des Präses selbst auf Festungshaft mit dem Zusatz bekräftigt wird, daß Katte nie mehr in Dienst des Königlichen Hauses gelangen könne); GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 4, fol. 73; vgl. C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), Nr. 63. 230 Nach PAL (Anm. 135) betrug das Durchschnittsalter der Köpenicker Kapitäne 39 Jahre, das der Majore 41. Die Obersten waren im Durchschnitt 52, die Generalmajore nur 51 Jahre alt. Vgl. hier und im folgenden das Diskussionsreferat zu P. Baumgart, Kronprinzenopposition (Anm. 3), 195 – 198. 231 Zu dem gerade für das preußische Militär charakteristischen inneren Zusammenhang der Desertion mit dem dafür oft genug erteilten (General-)Pardon vgl. Michael Sikora, Disziplin und Desertion. Strukturprobleme militärischer Organisation im 18. Jahrhundert, Berlin 1996; zur Relativierung tatsächlicher Desertionszahlen bei den Garderegimentern Jörg Muth, Flucht aus dem militärischen Alltag. Ursachen und individuelle Ausprägung der Desertion in der Armee Friedrichs des Großen, mit besonderer Berücksichtigung der Infanterieregimenter der Potsdamer Garnison, Freiburg i. Brsg. 2003; dazu für die Gens d’armes oben Anm. 113. 232 Vgl. Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelm I., an Generalmajor Heinrich Karl von der Marwitz (Regiment zu Fuß Nr. 21), dat. Königs Wusterhausen, 27. Okto-
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Abb. 4: „Sie sollen Recht sprech[en]“ . . . Friedrich Wilhelms I. ebenso fassungs- wie hilfloses Marginal-Dekret auf dem Immediatbericht des Kriegsgerichtspräses von der Schulenburg vom 29. Oktober 1730 (vgl. S. 67). Vorlage: GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 4
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Anweisung, gegen einen desertierten und kassierten Leutnant kriegsrechtlich zu verfahren, doch kam dieser später wieder zur Armee und avancierte bis zum Major233. Auch ein Fähnrich des Königsregiments, der 1736 einen Grenadier zu Diebstahl und Desertion angestiftet hatte, wurde zum Strang „in Effigie“ verurteilt, doch gestattete der König dessen Vater, die Infamierung des Sohnes durch eine Geldzahlung abzulösen234. Unter Umständen haben die Kapitäne daher beim Abwägen der Strafe für den BeinaheDeserteur von Katte Spielräume genutzt, die man gemeinen Soldaten oder gewöhnlichen Subalternoffizieren zur Schadensbegrenzung nach Art der Theorie vom „Ausbleiben“ einräumen konnte. Dagegen dürften die ranghöheren Stabsoffiziere zum Todesurteil gekommen sein, weil sie nicht nur Hans Hermanns fast ausgeführte Tat, sondern auch sein mehrmonatiges Komplottieren und Konspirieren höchstverschärfend einkalkulierten. Andererseits plädierten die Generalmajore trotz Desertionskomplott und Majestätsbeleidigung nur auf Haft für Hans Hermann – wobei vielleicht bei dem Ostpreußen Dönhoff, dem Mecklenburger Schwerin und dem bürgerlichen Linger angenommen werden darf, daß sie ihrem König durch Kalmierung der „facheusen“ Geschichte nutzen wollten. Oder schlug zumindest beim Urteil der Grafen Dönhoff und Schwerin doch adelige Solidarität, wo nicht gar Königsfronde durch? Jedenfalls hat so, wie die Generalmajore, wohl auch Generalleutnant von der Schulenburg eben nicht streng militärisch, sondern sorgsam (innen-)politisch geurteilt. Für ihn stand mit Kattes Kopf auch das Leben eines Sprossen einer angesehenen Familie des Magdeber 1730 (Herzog Ernst Friedrich II. von Sachsen-Hildburghausen wird einen Deserteur des Marwitzschen Regiments namens Kaspar Müller ausliefern. Er hat dabei allerdings auch Fürbitte eingelegt, daß der Kerl nicht zu hart bestraft werden möge. Müller soll also weder mit Todes- noch Festungsstrafe belegt werden, sondern nur der nötigen Disziplin wegen einige Male die Gasse laufen); GStA PK, I. HA Rep. 96 B, Nr. 4, fol. 33. 233 Vgl. Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelms I., an Generalmajor Alexander von Dönhoff (Regiment zu Fuß Nr. 13), dat. Königs Wusterhausen, 30. Oktober 1730 (Obwohl der ausgebliebene Leutnant Haslocher schriftlich um Aufschub seiner Dritten Zitation angesucht hat, soll damit doch nach Kriegsrecht fortgefahren werden, und wenn er nicht zurückkommt, sein Bild zu Wesel und Berlin an den Galgen geschlagen werden); GStA PK, I. HA Rep. 96 B, Nr. 4, fol. 39. Johann Benjamin von Haslocher erscheint in der Rangierliste des Regiments zu Fuß Nr. 13 1730 als Sekondleutnant (damals 26 Jahre alt, aus der Reichsstadt Frankfurt a. Main, seit 7 Jahren im Dienst), in dessen Abgangsliste als 1730 kassiert, sowie in der Rangierliste des Garnisonregiments Nr. 5 1751 als Major; PAL (Anm. 135). 234 Vgl. Verurteilung des Fähnrichs Anton Karl du Chesnoy vom Königsregiment (Nr. 6) zur Galgenstrafe in Effigie, dat. Brandenburg a. d. Havel, 28. Januar 1736; GStA PK, I. HA Rep. 96 Geheimes Zivilkabinett ältere Periode, Nr. 4 J; dazu J. Kloosterhuis, Legendäre „lange Kerls“ (Anm. 84), Q 461 (Ablösung dieser Infam-Bestrafung durch Zahlung von 4.000 Tlr durch dessen Vater, Oberst Henry du Chesnoy, da der König „Egard auf Euch und Eure Familie“ nimmt. Der Fähnrich ist lediglich zu kassieren und vom Regiment „wegzujagen"). Dagegen kassiert und auf seines Vaters Kosten nach Spandau gebracht wurde 1729 ein Fähnrich von Katte vom Regiment zu Pferd Markgraf Albrecht (Nr. 11), der weder in den Regimentslisten noch in der KatteGenealogie ausfindig zu machen ist; vgl. GStA PK, I. HA Rep. 96 B, Nr. 2, fol. 262.
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burgischen Adels auf dem Spiel, die zwar zu einem Teil auf der Seite des Königs stand, aber zum anderen seit fünfzehn Jahren mit den Widersachern von Friedrich Wilhelms I. Allodifikationspolitik sympathisierte. Wenn er nun versuchte, seinem König eine juristische Brücke aus „gesundem Menschenverstand“ zu Kattes Begnadigung zu bauen, handelte er so harmlos wie ein Kapitän, für seine Person loyal und renitent zugleich. Doch einerlei, ob die Urteilsmotivationen der sechs Richter-Klassen so vielschichtig zu interpretieren waren, oder nicht: Der Soldatenkönig sah in den zwei Köpenicker Sentenzen nur einen Wechsel, den seine Offiziere auf die apollinische Zukunft zogen. Mit persönlichem Bezug auf Dönhoff und Schwerin beklagte er sich darüber „an öffentlicher Tafel“ noch am 11. November mit bitteren Worten, „daß er zwar geglaubt, er hätte ehrliche und solche Leute erwählet, so ihre Pflicht nicht vergäßen, die aufgehende Sonne nicht anbeteten und bei dem Kriegsrecht allein ihr Gewissen und des Königs Ehre beobachten würden. Allein nun lerne er sie besser kennen, indem sie den Fuchsschwanz strichen und dem meineidigen Katte das Leben nicht absprechen wollten, welcher doch als ein Verbrecher der verletzten Majestät den Tod hundertmal verdient gehabt. Die Ursache von der dadurch gegen ihn bewiesenen Untreue könnte keine andere sein, als daß sie schon auf die künftigen Zeiten sähen und also das vorgehabte Vorhaben von seinem Kronprinzen und dessen Anhängern vor lauter Kinderspiel in den Augen der ganzen Welt wollten passiren machen, welches keine so harte Strafe verdiente“235. Natürlich hatte der König erwartet, daß das Kriegsgericht über den von ihm bereits kassierten Katte ein Todesurteil fällte. Trotz mehr als eindeutiger Rechtslage haben sich die Köpenicker Offiziere dazu aber weder beim ersten noch anderen Mal verstanden, und dem König die Bestätigung ihres Urteils – oder dessen Schärfung überlassen. Bekanntlich respektierte Friedrich Wilhelm I. die Außergericht-Stellung seines Sohnes als „Persona sacra“, wie er die differenzierten Sprüche über Ingersleben, Spaen und Keith konfirmierte236. Das Hafturteil für Katte schärfte er zur Lebensstrafe unter gemilderten, nämlich nicht infamierenden Umständen. An diesem Punkt 235 Laut Seckendorffs Mitteilung, zit. nach F. Förster, Friedrich Wilhelm I. (Anm. 62), Bd. 3, 15; vgl. Pierre Gaxotte, Friedrich der Große (dt. Übersetzung der Erstauflage Paris 1938), Frankfurt a. Main / u. a. 1973, 83. „Den Fuchs streichen“ meint in der Jägersprache: den Balg mit der Hand glatt streichen, zu Gefallen reden, schmeicheln. 236 Ingersleben wurde also aus dem Arrest entlassen, gegen Keith mit den Zitationen begonnen. Spaen wurde am 7. November 1730 für drei Jahre in Spandau inhaftiert. In einer „Liste derer auf der Festung Spandau in Arrest sitzenden Ober- und Unteroffiziers“ vom Februar 1731 hieß es bei ihm in der Rubrik „Haftgrund“: „Ist hier nicht bekannt“. Mit ihm saß z. B. Leutnant Johann Joachim von Zieten vom Regiment zu Fuß von Dönhoff (Nr. 13) ein, der fünf Jahre für Wilddieberei erhalten hatte; zitiert nach Anton Balthasar König, Exzerpte zur brandenburg-preußischen Armeegeschichte; Staatsbibliothek zu Berlin PK, Handschriftenabteilung, Mss. Boruss. fol. Nr. 318, fol. 71.
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wurde schon immer – zumal von juristisch geschulten Autoren237 – Königs Recht, Gnade walten zu lassen und damit Heil für den Einzelnen zu wirken, gegen Königs Pflicht abgewogen, das Recht gegenüber jedermann in der Verantwortung für das Ganze zu schützen. Im militärgeschichtlichen Ansatz sind dagegen nur die Bereiche des Crimen laesae Majestatis von denen des Desertionskomplotts abzugrenzen und sodann nach ihrem Schnittpunkt zu fragen. Zweifellos war der König im Rechtssystem des absolutistischen Preußen wie jeder andere zeitgenössische Souverän berechtigt, Kriegsgerichts- oder zivile Kriminalurteile schlicht zu bestätigen, zu mildern oder zu schärfen. Allen Anschein nach hat Friedrich Wilhelm I. die ihm vorgelegten Sentenzen meist konfirmiert, in wenigen Fällen geschärft und nur vereinzelt gemildert238. Bei Majestätsverbrechen in seinem persönlichen Umkreis kannte er in der Regel keine Gnade, obwohl gerade solche zur Mildewaltung als Demonstration selbstsicherer Herrschergeste geeignet waren239. Daher widersetzte sich der König von Anfang August an allen Versuchen des Untersuchungskommissars Mylius, die Fluchtplanungen des Kronprinzen mit Katte und Keith als „Tour de Jeunesse“ zu verharmlosen240. Aber der Generalauditeur-Leutnant und seine Sympathisanten, zu denen solche Antipoden wie Grumbkow und Anhalt-Dessau zählten, erwiesen sich als zähe Kontrahenten241. Gerade der tief pietistisch geprägte Mylius zog durch die Art und Weise seiner Verhöre und ihrer Protokollierung den Kronprinzen beharrlich aus der Affäre, wobei er den Vorwurf der Prozeßbeeinflussung nicht scheute und schließlich die Ungnade des Königs riskierte242. Doch nicht nur in der 237 Vgl. (beide Anm. 20) E. Schmidt, Friedrich der Große als Kronprinz vor dem Kriegsgericht, 262 ff.; D. Merten, Katte-Prozess, 39 ff. 238 Vgl. (beide Anm. 20) F. Holtze, Strafrechtspflege unter König Friedrich Wilhelm I., 44 ff.; J. Regge, Kabinettsjustiz in Brandenburg-Preußen, 146 ff., 157 – 173. 239 Vgl. Helga Schnabel-Schüle, Das Majestätsverbrechen als Herrschaftsschutz und Herrschaftskritik, in: Staatsschutz, hrsg. v. Dietmar Willoweit (Aufklärung 7 / 2, 1994), 29 – 47. 240 Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelm I., an Geschäftsträger zu London, Christoph Martin Graf von Degenfeld-Schonburg, dat. Königs Wusterhausen, 24. Oktober 1730 (Erhält demnächst die Species facti in Sachen Fluchtversuch des Kronprinzen, damit er sieht „daß es keine Tour de Jeunesse ist“, sondern „daß es eine Sache ist, die er schon über Jahr und Tag vorgehabt, und vorher wohl praemeditiret hat“); GSTA PK, BPH, Rep. 47 Friedrich der Große, Nr. 14 Bd. 15, fol. 38. 241 Vgl. entsprechende Aufzeichnungen Seckendorffs am 14. und 25. August 1730; H. Wagner, Reisejournal Seckendorff (Anm. 5), 236, 242. Zur Charakteristik Seckendorffs, Grumbkows und Anhalt-Dessaus vgl. R. Brode, Conflict (Anm. 19), 312 – 395. 242 Immediatbericht Generalauditeur-Leutnant Christian Otto Mylius, an König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, dat. Königs Wusterhausen, 12. November 1730 (Einsichtnahme des Hofmarschalls Gerhard Heinrich von Wolden in die Prozeßakten. Im übrigen tut es Mylius leid, daß der König über sein Verhalten beim Kriegsgericht einen schlechten Bericht bekommen hat, so daß er ungnädig wurde. Vor Gott ist Mylius’ Gewissen rein, es nicht an der schuldigen Treue ermangelt zu haben); GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd 5, fol. 39 – 41.
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„facheusen“ Geschichte von 1730, sondern prinzipiell suchte Preußens erster Militärjurist Gnade vor Recht gehen zu lassen, wo immer es ging – bis ihm sein Souverän endlich 1739 ins Stammbuch schrieb, „daß ich weder Euch noch denen Revisoribus der Kriegesrechtsentenzen gestatten wolle, in denen Criminalfällen und Strafen wegen der zu ertheilenden Gnade besondere Vorstellung zu thun. Denn das Kriegesrecht muß nach denen Kriegsarticuln und Gesetzen sprechen, und die Revisores nur nachsehen, ob darnach Recht gesprochen sey, oder nicht, und also weiter nichts thun, als die Sentenz ersteren Falles zu bestättigen, im letzten aber das Nöthige gehörig zu besorgen. Aber Gnade zu ertheilen, stehet mir allein zu, und können blos die Chefs der Regimenter deswegen eine Vorbitte einlegen.“243 Weniger prinzipiell, sondern vielmehr pragmatisch dürften sich dagegen die politischen Berater Friedrich Wilhelms I. für den Kronprinzen eingesetzt haben, wobei ihrem Bemühen, diesen sowohl straffrei als auch in der Thronfolge zu bewahren, gewichtige „Fürsprachen“ aus der interessierten europäischen Fürstenfamilie zur Hilfe kamen244. Je mehr freilich Friedrichs exemte Person fachlich durch Mylius und politisch von Grumbkow im September / Oktober 1730 aus allen Gefahrenzonen herausmanövriert wurde, desto tiefer rutschte der kassierte Leutnant von Katte keineswegs stellvertretend, sondern per se in die Tinte. Dafür sorgten in fataler Rückwirkung alle seine Vorzüge, die ihn nach Keiths Weseler Verbannung auf dessen Stelle als hauptsächlichen Fluchthelfer des Kronprinzen plazierten. Von Hans Hermann führten womögliche Verbindungen über die Rottembourger Kontakte nach Frankreich, ebenso wie sie über die Schulenburger Tante Ehrengard Melusine nach Kendal House und London reichen konnten. Mit Katte und den Schulenburgern verknüpfte sich die Kronprinzenopposition und dahinter die widerspenstige Majestät in Monbijou zwanglos mit aller preußischen Adelsfronde. Und schließlich paßte der Gardeleutnant perfekt in den Kreis der Subalternoffiziere ebenso der Gens d’armes wie des Königsregiments, in dem Friedrich „Herzen stahl“ und so Unruhe in der Gardebastion stiftete, der sich Friedrich Wilhelm I. völlig sicher glaubte. Kurz, Kattes Potentiale katapultierten Friedrichs Pläne eigendynamisch in die sensibelsten Bereiche der preußischen Außen-, Innen-, Adels- oder Militärpolitik, die Friedrich Wilhelm I. seit 1713 allmählich in neue Bahnen gelenkt, aber noch lange nicht erfolgreich durchgesetzt hatte. Etwa 15 Jahre danach dämmerte es aufmerksamen Beobachtern der Szene, daß der so gern als komisch verlachte „Roi sergeant“ Zug um Zug ein effizient verwaltetes, wirtschaftlich prosperierendes und wohlbe243 Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Generalauditeur Christian Otto Mylius, dat. Potsdam, 26. April 1739; GStA PK, I. HA Rep. 96 B, Nr. 18, fol. 308. Zur religiösen Basis von Mylius’ Justizausübung vgl. C. Hinrichs, Preußentum und Pietismus (Anm. 114), 171 f. 244 Vgl. G. Zimmermann / H. Branig, Fürsprache (Anm. 6), 23 – 29.
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waffnetes Preußen aufbaute, das die von Friedrich I. überkommene Rolle einer nachrangigen Auxiliarmacht im europäischen Mächtekonzert abzustreifen begann. Vor diesem Hintergrund wurde Friedrich Wilhelms I. außenpolitischer Lagerwechsel von 1725 / 1726, der ihn von den Herrenhausener Verbündeten England und Frankreich weg und ins kaiserliche Lager führte, von den verlassenen Partnern als bedrohlich empfunden245. Ein französischer Diplomat schlug daher seinem Außenministerium 1726 die Neutralisierung des objektiv unbequem, weil subjektiv „unberechenbar“ gewordenen Preußen durch die Aufrüstung seiner Nachbarn unter Englands Leitung und den Sturz des wankelmütigen Soldatenkönigs durch die aktive Förderung eines Staatsstreichs unter Führung des Kronprinzen vor; ein bestürzend ernst gemeinter Plan, den kein anderer als Conrad-Alexandre de Rottembourg ausgeheckt hatte, auf dessen elsässische Güter Katte seinen „absentirten“ Friedrich, „das Kleinodt des Königlichen Hauses und des Landes aus Seiner Königlichen Mayestät Augen“ nach gemeinsamer Absprache womöglich geleiten wollte246. An diesem Punkt erwiesen sich alle die hochverräterischen Konspirationen, gebündelt im Crimen laesae Majestatis, mit dem schlimmsten aller militärischen Verbrechen, dem Desertionskomplott, untrennbar zu einem Tatkomplex verknüpft, der in seinen zwei Bestandteilen wie insgesamt die reguläre Bestrafung eines Soldaten erzwang, der den Kriegsartikeln unterworfen war. Bei allem Respekt vor gesundem Menschenverstand konnte Friedrich Wilhelm I. als König wie als Regimentschef nach dem Militärgesetz den Gardeleutnant Katte dort nicht mit Haft durchkommen lassen, wo der Füsilieroffizier Keith in Effigie am Galgen baumeln sollte – ganz abgesehen von den für ihr Desertionskomplott mit Zangen zerrissenen, zerhackten und strangulierten Königsgrenadieren des Januars 1730. Hinter Kattes persönlicher Tragödie und dem Kronprinzenkonflikt stand damit das Drama Friedrich Wilhelms I., dem in diesem Komplott über dem Eckstein seines Garde-Offizierkorps zu Fuß und zu Pferd die Grundfesten des Königreichs überhaupt zu wanken begannen, und der am Ende von den von ihm selbst gerufenen Kräften zur ultima Ratio des Richtschwerts gezwungen wurde. Denn so, wie der Kronprinz mit 245 Vgl. Klaus Malettke, Die französisch-preußischen Beziehungen unter Friedrich Wilhelm I. bis zum Frieden von Stockholm, in: Preußen, Europa und das Reich, hrsg. v. Oswald Hauser, (Neue FBPG, 7), 123 – 150; dazu zusammenfassend Wolfgang Neugebauer, Die Hohenzollern. Bd. 1, Anfänge, Landesstaat und monarchische Autokratie bis 1740, Stuttgart / u. a. 1996, 220 – 223. 246 „Kurtzer Unterricht von dem Verbrechen, so der zu Cüstrin enthauptete Lieutenant von Katte begangen hat“, o. D. [Berlin, ca. 30. Dezember 1730 / 8. Januar 1731)]; Quellenhang Q 4c; vgl. für entsprechende allgemeine Vermutungen schon C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), 18; konkret jetzt J. Ulbert, Frankreichs Deutschlandpolitik (Anm. 117), 264 f. Vor diesem Hintergrund ist Friedrich Wilhelms I. Absicht zu verstehen, sich bei künftigen Überlandreisen eine Leibwache aus dem neuformierten Berliner Husarenkorps zu halten, worüber nach Meinung des Braunschweigischen Gesandten Stratemann am 14. Oktober 1730 das Potsdamer „Leibgrenadierregiment in etwa jaloux werden dürfte“; R. Wolff, Vom Berliner Hofe (Anm. 142), 171.
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seiner Fluchtabsicht Anfang August 1730 an Kürassieroffizieren als Repräsentanten der neuen preußischen Regimentskultur gescheitert war, lief die Verfahrensplanung des Königs Ende Oktober an der Eigenständigkeit der von ihm zum Köpenicker Kriegsgericht kommandierten Offiziere auf, die sich damit als Träger derselben Kultur erwiesen – eigendiszipliniert, kompetenzstolz und mit religiös verankerten Kriegerwertvorstellungen, die darüber hinaus aus älteren Traditionen alles andere als blinden Gehorsam kannten, wenn ihr Fürst „über die Ehre eines Edelmannes“ verfügen wollte. Ob er wollte oder nicht, mußte Friedrich Wilhelm I. darauf reagieren und das Köpenicker Urteil in Kattes Fall von Haft- zur Todesstrafe verschärfen. Dies geschah mit jener Kabinetts-Ordre vom 1. November 1730, die neben Kattes Verbrechen als einem Crimen laesae Majestatis im Zuge der eingefügten Ich-Stil-Passage das Desertionskomplott unter Garde-Offizieren betonte. Aufgrund der gerade in der Entscheidungsphase Oktober / November 1730 eingerissenen Überlieferungslücke in den „Küstriner Akten“ kann der Vorgang des Stilbruchs am Konzept für Kattes Todesurteil nicht mehr nachgezeichnet werden247. Um so größere Aufmerksamkeit verdient daher eine weitere, frühere Version des Anweisungsschreibens, von der in den 1970er Jahren aus Privatbesitz eine zeitgenössische Abschrift auftauchte. Das Dokument konnte damals vom Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz nicht erworben werden. Es ist mittlerweile wieder verschollen, doch wurde davon immerhin eine Photographie in der Dienstregistratur des Archivs abgelegt248. Seine Quellenauthentizität stützen frühe Abdrucke im Patriotischen Archiv 1785 und bei Laveaux 1788, während die zweite, spätere, gültige und daher bekanntere Version etwa gleichzeitig im zweiten Heft der „Eklektischen Monatsschrift“ 1785 zu lesen war249. Im Unterschied zur zweiten zeichnet sich die erste Anweisung dadurch aus, daß sie exakt objektiviert formuliert, also sach- und stilgerecht in ein DekretSchreiben gekleidet worden war. Ob ihr Ursprung im Kabinett des Königs oder an anderer zuständiger Stelle, etwa im Umkreis des Kriegs-, Hof- und Kriminalgerichts zu suchen bzw. Kriminalrat Gerbet als ihr Verfasser zu sehen ist, läßt sich allenfalls mit Blick auf ihr Berliner Datum vermuten250. Die frühere Fassung spricht nicht von Keith, Spaen und Ingersleben, sondern nur von Katte, bietet aber in seinem Fall bereits alle Bestandteile der Vgl. oben Anm. 33 und 73. Vgl. GStA PK, Dienstregistratur / Altregistratur Dahlem, vorl. Nr. 292. 249 Vgl. Quellenanhang Q 2. 250 Anweisungsschreiben, die in einer Berliner Behörde konzipiert und ausgefertigt worden waren, um dem König im Kabinett oder anderswo zur Unterfertigung vorgelegt zu werden, hatten nach entsprechender Anweisung Friedrich Wilhelms I. vom 2. Juli 1715 das Ortsdatum Berlin zu erhalten; vgl. Reinhold Koser, Die Gründung des Auswärtigen Amtes durch König Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1728, in: FBPG 2 (1889), 161 – 197. Im Gegensatz zu Mylius konnte Gerbet eher als Scharfmacher gelten; vgl. F. Holtze, Strafrechtspflege (Anm. 20), 50, 53 – 55. 247 248
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späteren Urteilsverschärfung de Dato Wusterhausen aus Eichels Feder – mit Ausnahme eben der Ich-Stilpassage, die so klar und deutlich, aber stilistisch höchst unsauber auf die Beziehung zwischen dem königlichen Chef des Regiments Gens d’armes (unter Einschluß seines Kommandeurs en chef von Natzmer) und dem Gardekürassierleutnant abhob. Nicht nur durch das Crimen laesae Majestatis – so lautete die vertiefte Begründung –, sondern auch durch den Bruch des Fahneneids war das Leben des kassierten Hans Hermann von Katte verwirkt. Er hatte „mit der künftigen Sonne tramiret zur Desertion“251, d. h. sich wie Keith mit dem Kronprinzen auf ein Desertions-Komplott eingelassen und dadurch sein Leben aufs Spiel gesetzt. Zweifellos wurde diese Passage am Allerheiligentag des Jahres 1730 auf spontanes persönliches Diktat des Königs als zusätzliches Argument in das auch insgesamt wesentlich prägnanter formulierte endgültige Todesurteil eingefügt252. Eindringlich über alle Maßen (und den Kanzleigebrauch) wollte der Soldatenkönig mit den Kriegsartikeln sich und dem Kriegsgericht, dem Kronprinzen wie Katte oder schließlich aller Welt beweisen, daß er strafverschärfend handeln mußte. Erst vor diesem Hintergrund erhält die so erschütternd um Verständnis werbende Schlußpassage der hart und verzweifelt, einsam und entschlossen zugleich klingenden KabinettsOrdre ihren vollen, zwischen dem königlichen Regimentschef und seinem kassierten Gardekürassierleutnant ein letztes Mal beziehungsstiftenden Gehalt: „Wann das Kriegesrecht dem Katten die Sentenz publiciret, soll ihm gesagt werden, daß Seiner Königlichen Majestät es leid thäte, es wäre aber beßer, daß er stürbe, als daß die Justitz aus der Welt käme“253. Ob und wie der König diese hier aus dem Stilbruch seiner Kabinetts-Ordre vom 1. November 1730 deduzierte Interpretation selbst reflektiert oder gar mit einem Ratschlag Dritter abgewogen hat, ist seit 1826 in der „Küstriner Akten“-Lücke verschwunden. Allerdings legte Friedrich Wilhelm I. an anderer Stelle wiederholt Rechenschaft über sein Verhalten ab: In seiner regen und in den Kabinetts-Minütenbüchern wohl dokumentierten Dienstkorrespondenz, die er gerade im November 1730 mit Generalleutnant Hans 251 Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelm I., an Kriegsgericht zu Köpenick, dat. Königs Wusterhausen, 1. November 1730; Quellenanhang Q 2b. Frz. tramer: anstiften, anzetteln; vgl. Anm. 188 und 235. 252 Am 1. November 1730 hat sich der König natürlich hauptsächlich mit der Urteilsfrage beschäftigt, daneben aber auch ein Kabinetts-Dekret-Schreiben an Departementspräsident Samuel von Cocceji unterfertigt (Vergabe der nach dem Tod des Pastors Wiegleb zu Glaucha vakant gewordenen Stelle an den dortigen bisherigen Diakon Christoph Martin Martini; Übertragung des Diakonats an Kandidat Johann Heinrich Job); GStA PK, I. HA Rep. 96 B, Nr. 4, fol. 42). Dagegen datierten unterm 31 Oktober 22 Minüten-Eintragungen und unterm 2. November 14 Eintragungen. Zu den Ereignissen in Königs Wusterhausen in diesen Tagen, angefangen von einer großen Parforcejagd am 24. Oktober bis hin zur Feier des Hubertusfestes am 3. November vgl. R. Wolff, Vom Berliner Hofe (Anm. 142), 175 –177. 253 Wie Anm. 251.
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Heinrich von Katte in Regiments- oder Polizeisachen und dreimal über Hans Hermanns Schicksal führte254. So hieß es schon am 3. November, zwei Tage nach der Urteilsschärfung und drei vor der Hinrichtung: „Ich bin also diesesmahl nicht im Stande, zu pardonniren, weil die Wohlfahrt des gantzen Landes, und meiner selbst, wie auch meiner Familie, wegen derer kunfftigen Zeiten es nothwendig erfodert“255. Eine weitere Kabinetts-Ordre vom 18. November kondolierte dem Vater: „Es ist freylich nichts besser, als sich dem Willen Gottes gelassentlich [zu] übergeben. Ich trage indessen Mitleyden mit Euch, und wünsche Eure Beruhigung“256. Und ein drittes Schreiben vom 24. November verband nochmals eine auf den Komplott-Begriff konzentrierte Urteilsbegründung mit der Trostspende durch bewegende Worte: „Es thut mir solches selber von Hertzen leid, allein die Gerechtigkeit sowohl als die Nothwendigkeit hat erfordert, Eures Sohnes Verbrechen gehörig zu bestrafen. Denn da derselbe als ein Officier von einem Corps, so besonders an mich und mein Hauß attachiret, sich nicht entblödet, in so Land und Leuth verderbliche Anschläge zu complottiren, so bin ich gezwungen gewesen, ihn strafen zu lassen, damit nicht andere mehr dergleichen Verbrechen zu begehen sich gelüsten lassen mögen. Ich beklage Euch als ein Vater, hoffe aber, Ihr werdet Euch wie ein vernünfftiger Mann fassen und Euch in die Wege Gottes christlich finden, auch das Mittleiden der Gerechtigkeit und meiner Beruhigung und des gantzen Landes Wohlfarth nicht vorziehen“257. Natürlich war Hans Hermanns Vater vom bösen Ende seines Sohnes bis ins Mark getroffen. Zusammen mit seinem Schwiegervater von Wartensleben erbat und erhielt er eine genaue Sachdarstellung „ex Actis“ der Fluchtplanung, der Verhöre und Urteilsschärfung (also nicht von den Kriegsgerichts-Voten)258. Ebenso wurde ihm erlaubt, den zunächst in Küstrin beigesetzten Leichnam in der Familiengruft zu Wust still bestatten zu dürfen, „umb das Raisoniren meiner Nachbaaren und Freunde zu evitiren“259. Seinerseits war der König ebenso daran interessiert, die Berechtigung seiner 254
Vgl. Quellenhang Q 3. Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelm I., an Generalleutnant Hans Heinrich von Katte, dat. Königs Wusterhausen, 3. November 1730; Quellenanhang Q 3h. Eine entsprechende Ordre ging an Generalfeldmarschall Hans Hermann von Wartensleben; vgl. C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), Nr. 71. 256 Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelm I., an Generalleutnant Hans Heinrich von Katte, dat. Königs Wusterhausen, 18. November 1730; Quellenanhang Q 3l. 257 Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelm I., an Generalleutnant Hans Heinrich von Katte, dat. Königs Wusterhausen, 24. November 1730; Quellenanhang Q 3p. 258 „Informatio ex Actis, so auf allergnädigste Ordre an Herrn Generallieutenant von Katte zu schicken abgefasset“, o. D. [ca. 22. November 1730]; vollständige Abschrift in GStA PK, VI. HA Nachlaß Anton Balthasar König, Nr. 359, fol. 1 – 11; vgl. Quellenanhang Q 3o. 259 Bericht Generalleutnant Hans Heinrich von Katte, an König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, dat. Königsberg i. Pr., 14. November 1730; Quellenanhang Q 3m. 255
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Handlungsweise bekannt zu machen, wie er zu verhindern suchte, daß aus Kattes Hinrichtung nachträglich ein Rührstück wurde. Nichts bezeichnet die staatserschütternde Dimension der „facheusen“ Geschichte besser, als Friedrich Wilhelms I. Absicht, ihre faktische Beurteilung nicht nur dem Köpenicker Kriegsgericht, sondern dem in- und ausländischen Publikum anheimzustellen. Doch die monarchische Hinwendung an die öffentliche Meinung unterblieb, als das Verfahren Ende Oktober unter den Vorzeichen der Schulenburger Bibelstellen aus seiner militärrechtmäßigen Bahn zu gleiten drohte. Gerade daß der König in Preußen selbst Katte zum Tod verurteilen mußte, ließ Rechtfertigungschriften nicht mehr angebracht erscheinen260. Zumindest in seinen Landen war darüber nicht weiter zu raisonnieren, sondern Ruhe zu bewahren Pflicht. Daher wurde dem Feldprediger der Gens d’armes Ende November 1730 untersagt, nach den Vorgaben des Geköpften eine Gedenkhomilie zu halten: „Da ich dasjenige, was Euch der verstorbene Lieutenant von Katte zu predigen aufgetragen, näher und besser betrachtet, so will ich nun, daß Ihr nicht über den aufgegebenen Text predigen, sondern über Euer ordentliches Evangelium Eure Predigt halten sollet. Ihr sollet auch des Katten gar nicht erwehnen, sondern, wenn Ihr vor dessen begangene Sünden Eure Gemeinde warnen wollet, so muß es dergestalt geschehen, daß niemand denken könne, daß Ihr von Katten redet“261. Schwieriger war es, den Diskurs im Ausland zu beruhigen, vor allem in England, wo man sich nicht nur bei Hofe (was Wunder) über die Küstriner Hinrichtung mokierte, sondern auch (was weit heikler war) im Parlament negative Gerüchte („nachtheilige Spargimente“) verbreitete262. Der Soldatenkönig quittierte 260 In diesem Zusammenhang steht eine vom König nach Aktenschluß bzw. vor der Urteilsfindung angeordnete und von Mylius ausgearbeitete Denkschrift „Gründtlicher Unterricht von der wahrhafften Ursache und Umständen der Sache, um derenwillen Seine Königliche Majestät in Preußen Dero Cronprintzen nach Cüstrin bringen lassen, und worinnen der gewesene Lieutenant von Katten und von Kait Verbrechen bestehet“, die Friedrich Wilhelm I. zusammen mit Eichel am 22. Oktober 1730 sorgfältig redigierte. Sie verschwand dann doch in den „Küstriner Akten“, wozu der Generalauditeur-Leutnant am 3. November 1730 vermerkte: „Zu gedenken, daß weil hierauf keine Ordre gekommen, auch nichts weiter elaborirt noch gedruckt worden“; GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 5, fol. 8 – 36 (Denkschrift), fol. 4 – 5 (Redigierung), fol. 37 (Vermerk); vgl. R. Koser, Kronprinz (Anm. 3), 59. 261 Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelm I., an Feldprediger Johann Ernst Müller (Regiment zu Pferd Nr. 10), dat. Königs Wusterhausen, 22. November 1730; GStA PK, I. HA Rep. 96 B, Nr. 4, fol. 79; dazu die Befehlsbestätigung des Feldpredigers bei C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), Nr. 89. Der von Küstrin kommende Müller (Anm. 49) hatte dem König am 20. November in Königs Wusterhausen persönlich über seine Gespräche mit Katte und dem Kronprinzen berichtet, bevor er tags darauf nach Berlin zurückkehrte. Nach einem von Müller niedergeschriebenen „Vermächtnis“ Kattes für den Kronprinzen (vgl. C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß, Anm. 6, Nr. 74) könnte es sich bei der Text-Vorgabe um Psalmen 2, 4 gehandelt haben: „Aber der im Himmel wohnt, lachet ihrer, und der Herr spottet ihrer. Er wird einst mit ihnen reden in seinem Zorn, und mit seinem Grimm wird er sie schrecken.“ 262 Bericht Geschäftsträger zu London, Christoph Martin Graf von DegenfeldSchonburg, an König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, dat. London, 24. November 1730; GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 13, fol. 183 – 184.
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dies vielleicht gerade mit Blick auf die Parlamentarier mit einem aufbrausenden Marginal-Dekret für eine Kabinetts-Ordre an den preußischen Geschäftsträger in London, Graf von Degenfeld-Schonburg, das auf den Konnex von Komplott, Adelsfronde und Apoll-Komplex abhob: „Soll antworten, das wan[n] noch 100.000 solche Katten wehren, ich sie alle mit einander lasse redern, da es genug wehre, das er ein meineidger Schelm wehre gewesen. [ . . . ] So lange Gott mir das Lehben gehbe, ich mir als Herr dispoticke suteniren werde, wan[n] ich auch noch sollte 1.000 der Vornehmste die Köppe fürder abschlagen lassen, denn die Engelle[nder] solten wissen, daß ich keine Nehbenregenten nit würde bey meiner Seite zulassen“263. Aber nicht durch solche Kraftsprüche, sondern weitaus diplomatischer sollten die Londoner (Adels-) Kreise im Dezember 1730 durch eine erneut verfaßte, ausführliche und mit Bedacht „contra Katte stilisierte“ Sachdarstellung informiert werden – was Friedrich Wilhelm I. auf den Ratschlag seiner Kabinettsministerium-Minister von Borcke und von Podewils aber wiederum unterließ, denn „Ich habe an Gott, sonsten an keinen Rechenschafft von meiner Conduite zu geben“264. Zu diesem Zeitpunkt gehörte die „facheuse“ Geschichte nach Meinung der Minister schon nicht mehr zu den europäischen Tagesthemen. Daher fand eine vielleicht aus dänischer Provenienz 1731 lancierte Katte-Gedenkschrift (die vor allem jene drei Schreiben zur mitleidigen Memoria benutzte, die Hans Hermann Ende Oktober 1730 gnadebittend an den König sowie am 2. / 3. November 1730 um Verzeihung an seine Eltern und den Großvater gerichtet hatte) nicht sofort, aber fünfzig Jahre später Resonanz265. Erst im faktenfernen und strukturell gewandelten Absolutis263 Marginal-Dekret König Friedrich Wilhelm I. in Preußen auf dem Anm. 262 bezeichneten Bericht; vgl. C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), Nr. 93. 264 Marginal-Dekret König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, auf einem ImmediatBericht Kabinettsministeriums-Minister Adrian Bernhard von Borcke und Wilhelm Heinrich von Thulemeier, dat. Berlin, 12. Januar 1731; Quellenanhang 4d. 265 Vgl. „Wahre Nachricht von der scharffen Execution des mit dem Schwerdt hingerichteten Herrn Lieutennats von Katten“, Köln am Rhein 1731 (repr. Berlin 1907); zu ihren Vorlagen C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), Nr. 61, 67 und 68); zur Provenienzbestimmung R. Koser, Kronprinz (Anm. 3), 238 – 240. Die drei Schreiben kursierten nach Stratemanns Bericht bereits am 25. November 1730 in Berlin, wobei der Gesandte zu Kattes Gnadengesuch an den König kolportierte, daß dieser die bedeutungsvolle Supplik erst zwei Tage nach der Exekution erbrochen und mit der betroffenen Feststellung gelesen haben soll, daß er Hans Hermann doch wohl besser begnadigt hätte; vgl. Wolff, Vom Berliner Hofe (wie Anm. 142), 185. Allerdings waren nach Aktenlage das erste Urteil des Kriegsgerichts und die (ostensible) Supplik mit Immediatbericht des Kriegsgerichtpräses von der Schulenburg vom 29. Oktober 1730 dem König vorgelegt, und von diesem umgehend das Urteil, die Supplik und der Bericht samt Flederwisch-Dekret an das Kriegsgericht zurückverwiesen worden; vgl. GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 14 Bd. 4, fol. 68 – 69; dazu oben Anm. 226. Zum Kontext der 1780 einsetzenden Absolutismus-kritischen Resonanz – z. B. in: Neue Miscellaneen historisch-politisch-moralischen, auch sonst verschiedenen Inhalts 13 (1781), 84 – 93; Patriotisches Archiv 3 (1785), 165 – 175; Eklektische Monatsschrift Heft 2 (1785), 28 – 58; [K. F. v. Beneckendorff,] Charakterzüge (Anm. 32), 10. Sammlung, 33 – 56 – vgl. oben Anm. 7.
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mus-kritischen Kontext setzte die „facheuse“ Geschichte ihre Brisanz frei, die noch heute gern in Poesie und Prosa unter Zugabe zeitbedingter Reizstoffe gezündet wird. Tatsächlich haben die 1730 direkt Betroffenen, Generalleutnant Hans Heinrich und sein Bruder Heinrich Christoph, die Katten und Schulenburger das Schicksal ihres unglücklichen Sohnes, Neffen oder Vetter bald und auf Dauer akzeptiert, was der König durch manche Gunstbeweise bis hin zur Verleihung des Schwarzen Adlerordens an den Generalleutnant im Juli 1731 honorierte266. Freilich, Hans Hermanns Erinnerung wurde im Bild bis ins Detail bedeutungsvoll tradiert, doch die durch seine Hinrichtung geschlagene Lücke in Rangliste und Stammbaum durch Avancement und Heirat schnell geschlossen267. Keiner der standhaften Köpenicker Offiziere und erst recht nicht Kriegsgerichts-Präses Achaz von der Schulenburg fiel bei Friedrich Wilhelm I. in Ungnade268; die Kantorstochter Ritter erhielt nach 266 Vgl. Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelm I., an Kammerpräsident Heinrich Christoph von Katte, dat. Potsdam, 2. Dezember 1730 (Auf dessen Dank, daß seine älteste Tochter Sophie Charlotte mit der Domina-Stelle des Stifts zu Wolmirstedt begabt wurde: „Ihr könnet versichert seyn, daß ich bey allen Gelegenheiten vor die Eurigen sorgen werde. Ich zweifle aber nicht, Ihr werdet Euch dagegen eußerst [sic] angelegen seyn lassen, mein wahres Interesse in allen Stücken zu suchen und zu beobachten“); GStA PK, I. HA Rep. 96 B, Nr. 1, fol. 273v, dazu Anm. 121. Auch aus dem Umstand, das Heinrich Christoph seinen vierten Sohn Karl Emil 1732 in sächsische bzw. 1735 in österreichische Militärdienste eintreten ließ (aus denen er 1741 in preußische zurückkehrte, um dort bis zum Generalmajor zu avancieren), ist keine familiäre Distanz zum König abzuleiten, den Friedrich Wilhelm I. hatte dem Kammerpräsidenten dies mit Kabinetts-Ordre vom 26. April 1732 ausdrücklich gestattet, nachdem Karl Emil sich als Auskultator der Kurmärkischen Kriegs- und Domänenkammer schlecht geführt hatte; vgl. Acta Borussica, Behördenorganisation (Anm. 28), 5. Bd. 1. Hälfte, Berlin 1910, Nr. 235; dazu K. v. Priesdorff (Soldatisches Führertum (Anm. 48), Bd. 1, Nr. 429. – Lediglich vom Hörensagen berichtete der Gesandte Stratemann am 18. November 1730, daß Generalleutnant Hans Heinrich von Katte aus Protest gegen die Hinrichtung seines Sohnes – freilich vergeblich – um seinen Abschied gebeten habe, desgleichen die Generalfeldmarschälle Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, Alexander von Wartensleben, Georg Abraham von Arnim und Dubslav Gneomar von Natzmer. Doch Katte hatte nur vier Wochen Urlaub haben wollen, die ihm der König natürlich bewilligte. Dies belegt die Abschrift seiner Kabinetts-Ordre vom 24. November 1730 in den Kabinettsminüten, die im übrigen keinen Hinweis auf etwaige Ablehnungen von Feldmarschalls-Dimissionsgesuchen bieten; vgl. Wolff, Vom Berliner Hofe (wie Anm. 142), 184; dazu Q 3p. Zur Ordensverleihung an den Generalleutnant kam es bei der Besichtigung der ostpreußischen Regimenter Ende Juli 1731, bei der Katte seinerseits (wiederum nur nach einem von Stratemann am 28. Juli 1731 aufgefischten Gerücht) dem König den Degen zu Füßen gelegt und erneut um Abschied gebeten haben soll, „worüber sich aber die Majestät sehr mißvergnügt bezeiget hätte, und soll er auch daher, wie man sagt, darauf gar arretiret seyn“. Vom tatsächlich etwa am 24. Juli verliehenen Adlerorden berichtete Stratemann unterm 18. August 1731; vgl. Wolff, Vom Berliner Hofe (wie Anm. 142), 248 (zit.), 254; dazu Q 3s. 267 Vgl. Anm. 18, 137 und 197 / 198; dazu entsprechend zwei Schreiben des Generalleutnants Hans Heinrich, an seinen Bruder Kammerpräsident Heinrich Christoph von Katte, vom 15. September bzw. 3. Oktober 1736; bei Ludwig Gustav von Winterfeld-Damerow, Geschichte des Geschlechts von Winterfeld, Teil 2, Bd. 2, Damerow 1863, 615 – 619.
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drei langen Jahren 1733 ihre Spinnhausstrafe erlassen; für alle galt, was Friedrich Wilhelm I. dem ebenfalls 1733 seiner Haft quittierten und in ein Kavallerieregiment der Generalstaaten eingetretenen Rittmeister von Spaen 1738 versicherte: „Ihr sollet nur fortfahren, Euch wie ein braver Kerl in holländischen Diensten aufzuführen und Euer Devoir recht thun, so könnet Ihr versichert seyn, daß ich an das Vergangene nicht mehr dencken“ werde269. Auch der Kronprinz kam als Verursacher allen Strafgerichts bekanntlich mit nachhaltigem Schrecken, Küstriner Bekehrung und Auskultatorenlehre in der Neumärkischen Kriegs- und Domänenkammer davon. Allerdings hatte es der König nicht unterlassen, durch die Anordnung von Kattes Hinrichtung vor seinen Augen ihm und aller Welt sichtbar zu machen, bei wem „Gnade vor Recht“ gegangen war, und wer die eigentliche Verantwortung für Hans Hermanns Katastrophe trug270. Doch die Intentionen und Folgen dieser Maßnahme für Friedrichs weitere Entwicklung gehören nicht zu den militärhistorischen Aspekten der „facheusen“ Geschichte271. Am Ende hatte er jedenfalls seine Thronfolger-Lektionen gelernt, wie eine an ihn gerichtete Kabinetts-Ordre des Königs vom 19. März 1739 gleichsam nebenbei 268 Schulenburg starb am 2. August 1731 an den Folgen eines hitzigen Fiebers. „Kurz vor seinem Tode hatte er die Freude, daß der König ihn persönlich besuchte, dessen Gunst er in einem hohen Grade genoß“; so Johann Friedrich Danneil, Das Geschlecht von der Schulenburg, Bd. 2, Salzwedel 1847, 192; vgl. G. Schmidt, Geschlecht von der Schulenburg (Anm. 88), 494 – 497. Immerhin soll Generalmajor von Dönhoff nach Stratemanns Informationen vom 2. Dezember 1730 Friedrich Wilhelms I. Ungnade bei einem Besuch in Königs Wusterhausen zu spüren bekommen haben, doch hoffte der Gesandte schon unterm 9. Dezember auf baldige Aussöhnung, „weiln der König an seiner Gegenwart jederzeit ein großes Vergnügen geschöpfet“. Jedenfalls stand Dönhoff spätestes im Sommer 1731 wieder in der königlichen Gunst, nahm 1734/35 am Rheinfeldzug teil, wurde 1737 Generalleutnant und 1740 mit Pension dimittiert; vgl. Wolff, Vom Berliner Hofe (wie Anm. 142), 191, 195 (zit.), 256; dazu oben Anm. 218. 269 Handschreiben König Friedrich Wilhelm I., an Rittmeister Alexander Friedrich von Spaen, dat. Wesel, 8. August 1738; GStA PK, I. HA Rep. 96 B, Nr. 17, fol. 155v; vgl. J. Kloosterhuis, Legendäre „lange Kerls“ (Anm. 84), Q 487; zum Verhältnis des späteren Königs Friedrich II. zu den Fluchtverstrickten J. D. E. Preuß, Friedrichs des Großen Jugend (Anm. 3), 155 f. 270 Vgl. Kabinetts-Dekret-Schreiben König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Kommission zur Abnahme eines Sühneeides durch den Kronprinzen, dat. Königs Wusterhausen, 14. November 1730; C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), Nr. 87. Im Unterschied zum hier akzentuierten Verantwortungs-Aspekt wird in der Literatur im Zusammenhang der Katte-Hinrichtung meist der Abschreckungs- oder Erschütterungs-Aspekt betont; zu dessen Herleitung aus zeitgenösischen Rechtsgebräuchen vgl. bereits F. Holtze, Strafrechtspflege (Anm. 20), 79. So oder so scheint die alte Streitfrage obsolet, ob Friedrich tatsächlich Hans Hermanns Haupt rollen sah. T. Hoffbauer, Kattetragödie (Anm. 65) vertrat die Ansicht, daß Katte auf dem Weg zum Richtplatz wohl am Fenster des Zimmers vorbeigeführt worden war, in dem sich Kronprinz Friedrich befand, doch daß dieser nach der örtlichen Situation kein Augenzeuge der Hinrichtung selbst gewesen sein konnte; G. Berg, Kurprinz / Kronprinz (Anm. 65) hielt letzteres doch für möglich. 271 Vgl. zum neuesten Stand der Literatur Johannes Kunisch, Friedrich der Große. Der König und seine Zeit, München 2004, 29 – 58.
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dokumentierte: „Es ist mir Euer Schreiben vom 15. dieses nebst denen beygefügten Hummers wohl zu Händen gekommen, und bin ich Euch obligiret, daß Ihr mir abermahls diese Marque Eures Andenckens geben wollen. Mit meinem Gesundheitszustande ist es zwar noch nicht völlig, wie Ihr es wünschet, indessen wird es sich nach und nach geben. Daß es bei Eurem Regiment noch alles richtig, Ihr auch wieder drey große Recruten erhalten, gereichet mir zum Vergnügen. Wegen des gewesenen Desertionscomplots werdet Ihr Kriegesrecht halten lassen, und wenn ein Exempel zu statuiren nöthig ist, so bin ich nicht dagegen.“272 Ebenso eingebettet in ein Königsdrama innen- und militärpolitischer Durchsetzung, wie mit dem Kronprinzenkonflikt unter konspirativem Einschluß auswärtiger Mächte verbunden, spitzte sich die Kattetragödie der Jahre 1729 / 1730 im militärischen Verbrechen des Desertionskomplotts zu, auf das „ein Exempel zu statuiren“ zwingend notwendig war – wenn Friedrich Wilhelm I. weiter Regimentschef und König in Preußen bleiben wollte. So lagen die Fakten, so sprachen die Akten, das waren die Konsequenzen. Allerdings klaffte in der Überlieferung seit 1826 an entscheidender Stelle eine Lücke, so daß letzte Entscheidungszusammenhänge in dieser nur anscheinend so wohldokumentierten Geschichte weiter im dunkeln bleiben werden. An ihrer Stelle erhoben sich schnell die Sirenenkoloraturen der nicht immer wohlinformierten Gesandtenberichte, der meist süffisant verdrehten Pikanterien à la Pöllnitz & Cie., der aufs Ganze transparent-traumatisch verzerrten Wilhelmine-Memoiren – von denen die historische Publizistik ebenso wie die geschichtswissenschaftliche Forschung unter Einschluß psychoanalytischer Ansätze oft genug ins Abseits der Justizmordoder Stellvertreteropfer-Thesen gelockt wurden273. Inwieweit die Autoren 272 Kabinetts-Ordre König Friedrich Wilhelm I., an Generalmajor Kronprinz Friedrich, dat. Potsdam, 19. März 1739, mit echtem Postskript („Der gute Feldtmarschall Grumckow ist todt, und Borck lieget in Agonie. Ich verliehre zwey brave und getreue geschickte Leuthe, die nicht viel wieder zu bekommen seyn, und die da in der Welt erfahren. Seinen Todt beweinen viele Menschen“); GStA PK, I. HA Rep. 96 B, Nr. 18, fol. 221v. 273 Vgl. Ernst Lewy, Die Verwandlung Friedrichs des Großen. Eine psychoanalytische Untersuchung (engl. Erstveröffentlichung 1967), in: Psyche 49 (1995), 727 – 804; Kurt R. und Kati Spillmann, Friedrich Wilhelm I. und die preußische Armee. Versuch einer psychohistorischen Deutung, in: HZ 246 (1988), 549 – 589; Ernst Lürßen, Reinszenierung eines massiven Traumas. Leitmotive im Leben Friedrichs des Großen, in: „Die klugen Sinne pflegend“. Psychoanalytische und kulturkritische Beiträge (Festschrift Hermann Beland), hrsg. v. Jutta Gutwinski-Jeggle / Johann Michael Rotmann, Tübingen 1993, 414 – 433. Aufbauend auf Lewy postuliert Lürßen, daß der Kronprinz tatsächlich gar nicht fliehen wollte, wofür das Detail vom roten Rock (als farblich zur Flucht ungeeignet) und die (durch Wilhelmine von Bayreuth tradierte) Story von der falschen Adressierung (eines Fluchtplanschreibens, das Friedrich in Freudscher Fehlleistung nicht an Hans Hermann in Berlin, sondern an Hans Friedrich von Katte in Erlangen adressiert haben soll) bemüht werden. Wo schon die Anamnese derart in die Irre tappt, gerät die Diagnose erst recht auf Abwege; vgl. für entsprechende Kritik an Spillmann J. Kloosterhuis, Legendäre „lange Kerls“ (Anm. 84), VIII.
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dabei zwischen Fakten und Phantasmen der „facheusen“ Geschichte klar kamen, bestimmte ihr (Zerr-)Bild vom Soldatenkönig: Vater oder Justizmörder, sadomasochistischer Grobian oder staatsdienender Monarch, Raisonfetischist gar mit pathologischen Zügen oder „Amtmann Gottes“ in Preußen. Dabei läßt sich die Bücherborde füllende Literatur über Kronprinz, Keith und Katte im Grunde nach den Klassen des Köpenicker Kriegsgerichts einteilen: hier harmlose Kapitäne, die auf jugendlich-leichtsinnigen Freiheitsdrang plädieren – da politische Generalmajore, die Konspiration und Komplott schlau unter das Motto „Tut nichts“ stellen – dort juristisch versierte Generalleutnants, die angesichts der nicht vollzogenen Untat den „gesunden Menschenverstand“ vor das Kriegsrecht rücken. So gesehen, hält es dieser Aufsatz mit den militärisch herben Voten der Majore, Oberstleutnants und Obersten von Köpenick, mit Ordre und Kriegsartikeln – doch ohne spekulieren zu wollen, welcher Handlungsspielraum für Friedrich Wilhelm I. gegeben gewesen wäre, wenn das gesamte Kriegsgericht wie sie auf Todesstrafe für Katte bei gleichzeitiger Gnadenempfehlung erkannt hätte. Die aktenanalytische und militärhistorische Untersuchung der „facheusen“ Geschichte kann sich damit bescheiden, daß in der elementaren Auseinandersetzung zwischen König und Kronprinz, im Intrigengestrüpp des außenpolitischen, in den Heiratsprojekten für Friedrich und Wilhelmine zugespitzten Kampfs der englischen gegen die österreichische Parteiung bei Hofe, und schließlich auch im innen- wie militärpolitischen Orientierungsdilemma des adelsstolzen Kavaliers, der dort „mit der künftigen Sonne tramierte“, wo er als Gardeoffizier ausschließlich seinem Regimentschef, Friedrich Wilhelm I., Gehorsam schulden sollte – daß in diesem vielschichtigen Kräftefeld, in dem sich wohl auch ein gereifterer Charakter schwer zurecht gefunden hätte, Hans Hermann von Katte zwischen Reichsdienst und Regimentskultur zugrunde ging. Dieses Kräftefeld wurde in jener Kabinetts-Ordre vom 1. November 1730 genau bezeichnet. Zu solchem Ergebnis führt bereits die stilkritische Analyse ihrer bekannten Version; das Resultat erhärtet darüber hinaus der Vergleich mit ihrer Vorläuferform. Auch wenn über alle Zusammenhänge aufgrund fehlender Überlieferungen keine letzte Klarheit gewonnen werden kann, läßt sich doch konstatieren, daß Kattes Tod weit mehr als einer beweinenswert harten Kronprinzen-Pädagogik – nämlich dem Bestand des preußischen Königtums nach Friedrich Wilhelms I. Prägung geschuldet war. Sie hatte in einem ihrer wesentlichen Bestandsteile, jener Regimentskultur, freilich schon derart kräftige Eigendynamik entwickelt, daß der die Krisenbewältigung unter kräftezehrenden Temperamentsausbrüchen doch beharrlich vorantreibende König sich im Sog des Prozeßverfahrens plötzlich auch als Getriebener sah. Deshalb erschien er im Skrupel der Verantwortung für das eigene Handeln nicht immer als Herr der Lage; während der Kronprinz, der in seinem Freiheitsdrang um jeden
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Preis keineswegs überlegener wirkte, im Selbstvertrauen auf sich und seine Zukunft in der Küstriner Haft höchstens momentan, ansonsten weder gründlich noch nachhaltig erschüttert werden konnte. Kurz, aus der „facheusen“ Geschichte gingen vordergründig keine Sieger, sondern nur ein Verlierer hervor, der mit seinem Haupt für eine Zeche haftete, die er so ehrgeizig wie überheblich nicht genau genug berechnet hatte. Katte erhielt am Donnerstag, 2. November 1730, Kenntnis vom Ergebnis seines Gerichtsverfahrens: „Als ihm der Spruch, so das Kriegesrecht gethan, vorgelesen war, wurde ihm folgende Sentenz, so Seine Königliche Majestät selbst abgefaßet, publiciret, [ . . . ] worüber er sich anfänglich etwas entrüstet, als man ihm aber vorgestellet, er müsse sich in des Königs Willen ergeben, hat er geantwortet: des Höchsten Wille geschehe“274. Sodann geleitete ihn ein Detachement seines Regiments nach Küstrin, wo er am Morgen des Montags, 6. November 1730, zur Hinrichtung bei der Mühlenpforte kurz vor der Bastion Brandenburg geführt und dort vom Scharfrichter enthauptet wurde275. Zuvor hat Katte mit dem Kronprinzen noch einige Worte wechseln können. Nach Meinung aller Augenzeugen bewies der ehemalige Gardekürassierleutnant in seiner Todesstunde eine beeindruckende Haltung, frei von Haß, getragen von frommem Gottvertrauen und jener adligen Leidenschaft „der Bravour an sich“. Hans Hermann hat sie selbst in Worte gekleidet, die er im Arrest an eine Wand der Hauptwache am Gens d’armes-Markt schrieb276: „Schöne, trügerische Welt, Falle! Wenn der Stern nicht fällt. Jede Stunde bringt Geduld. Trage leicht an meiner Schuld. Steh an dunkler Statt, und ich heiße Katt.“
274 „Informatio ex Actis“ (Anm. 258). Vgl. zum Folgenden ausführlich C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), Nr. 75; S. Hartmann, Beziehungen Preußens zu Dänemark (Anm. 184), 131 zitiert aus einem Bericht Vendelbo-Lövenörn vom 5. November 1730, „Katte habe bei der Verlesung des Todesurteils alle ,Contenance‘ verloren und sei in Tränen ausgebrochen.“ 275 Vgl. „Specification derer Executionskosten des seeligen von Katte“ des Scharfrichters Johann Peter Heyl über 40 Tlr 23 Gr; Abschrift in GStA PK, VI. HA Nachlaß Anton Balthasar König, Nr. 359, fol. 116. 276 Angehängt unter dem Titel „Vers composés par Monsieur le Katte, lors qu’iletoit Prisonnier dans la Guarde des Gens d’armes“ an den Bericht des Braunschweigischen Gesandten Wilhelm Stratemann vom 30. Dezember 1730; vgl. R. Wolff, Vom Berliner Hofe (Anm. 142), 200; für einen späteren Abdruck die Neuen Miscellaneen 1781 (Anm. 265), 84 f. Sie finden sich auch in den Memoiren der Wilhelmine von Bayreuth; vgl. Annette Kolb / Ingeborg Weber-Kellermann, Eine preußische Königstochter. Glanz und Elend am Hofe des Soldatenkönigs in den Memoiren der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth, Frankfurt a. Main 1910 / 1981, 205. Die hier wiedergegebene Nachdichtung verfaßte M. v. Katte, [1.] Entwurf (Anm. 12), 364.
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Abb. 5: Hans Hermann von Katte, Premierleutnant im GardekürassierRegiment Gens d’armes. Das sogenannte „Lindower Konterfei“, 1730 von Lisiewski gemalt – ohne Kürass-Chiffre FW, mit Johanniterkreuz (vgl. S. 11). Vorlage: Privatbesitz
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VII. Nachwort zur zweiten Auflage: Rezension und Rezeption Diese Studie über die nur vermeintlich bestens bekannte „facheuse“ Geschichte aus der Jugendzeit Friedrichs des Großen hat mit ihrem neuen aktenkundlichen, archivwissenschaftlichen und militärgeschichtlichen Ansatz in der Fachkritik eine freundliche Aufnahme gefunden. Dafür ist allen Rezensentinnen und Rezensenten ebenso verbindlich zu danken, wie für manche vertiefende oder weiterführende Hinweise. So belegte z. B. Wolfgang Schuller den Ursprung des politischen Bildes von der „künftigen Sonne“ bei Plutarch277 – den der angeblich ungebildete Friedrich Wilhelm I. also vielleicht gekannt hat. Der mittlerweile leider verstorbene Gerhard Knoll konnte aus seiner umfassenden Literaturkenntnis beisteuern, daß die 1731 erschienene Flugschrift mit der „Wahren Nachricht von der scharffen Execution“ 1734 auf Englisch nachgedruckt worden war, was das Interesse dieses Lesepublikums an der Kattetragödie einmal mehr unterstreicht278. Abgesehen von einer kurzen Notiz der Geschichte in Ranffts Nachrichten 1740279 setzte ihre breite Rezeption aber erst unter absolutistisch-kritischen Vorzeichen in den 1780er Jahren ein, wobei sich die früheste bildliche Darstellung von Kattes Tod angeblich „vor Friedrichs Augen“ bei Johann Georg Friedrich Papst 1788 nachweisen läßt280. Knoll hat mir dankenswerter Weise auch ein m. W. unveröffentliches Katte-Manuskript des Neuruppiner Museumsleiters Jens Wuttke von ca. 1986 / 88 zukommen lassen, der im Rahmen einer gründlichen Aufbereitung der ihm zugänglichen Fakten manche von den Fragen stellte, die „Ordre und Kriegsartikel“ zu beantworten versuchten281. Deren hilfswissenschaftliche bzw. militärrechtliche Relevanz wurden 277 Vgl. Wolfgang Schuller: Unausgeglichen beim Kronprinzen, in: FAZ Nr. 205 vom 4. September 2006, 37. Die Plutarchstelle zitiert Pompeius‘ Auseinandersetzung mit Sulla bei der Durchsetzung seines afrikanischen Triumphs ca. 79 / 80 v. Chr.; vgl. Plutarch, Große Griechen und Römer. Eingeleitet und übersetzt von Konrad Ziegler, Bd. 3, Zürich / Stuttgart 1955, Kapitel Agesilaos und Pompeius, Abschn. Pompeius, Kap. 14; dazu oben Anm. 187 und 251. 278 Vgl. Gerhard Knoll, in: Zeitschrift für historische Forschung 35 (2008), 356 – 359. Vgl. o. V.: The three last Letters written by the unhappy Monsieur de Catte, o. O. [London?] 1734 (8, 19 S.); dazu oben Anm. 265. 279 Vgl. Michael Ranfft: Genealogisch-historische Nachrichten von den vornehmsten Begebenheiten, welche sich an den europäischen Höfen zugetragen, Bd. 2, Leipzig 1740, 136. 280 Vgl. Johann Georg Friedrich Papst (Bearb.): Leben Friedrichs II., Königs von Preußen. Für deutsche Jünglinge, 2 Bde, Nürnberg 1788 / 89, hier Bd. 1, zwischen 36 und 37 (Kupferstich von A. W. Küfner); danach auch bei Friedrich Förster: Leben und Thaten Friedrich’s des Großen, ein vaterländisches Geschichtsbuch. 5 Bde, Meißen 1840, hier Bd. 1, zwischen 40 und 41. Zur Frage nach dem genauen Ort der Katte-Exekution vgl. oben Anm. 270. 281 Vgl. Jens Wuttke: [Titel?], maschschr. Mskr. ca. 1986 / 88 (41 S. DIN A-4), mit umfangreichem bibliografischen Anhang der gedruckten Quellen, der historisch-kritischen Literatur vor 1945 und nach 1945 (getrennt nach DDR und BRD / Westberlin), sowie besonders der „Literarischen Bearbeitung des Katte-Themas“ von 1834 bis 1942.
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besonders von Karsten Uhde und Dirk Reitz betont282. Wolfgang Neugebauer war so freundlich, sie in den Kanon der grundlegenden Literatur in seinem Handbuch der Preußischen Geschichte aufzunehmen283. Ihm verdanke ich darüber hinaus den Hinweis, daß Büschings Darstellung des Familiendramas in den jeweils 1788 erschienenen zwei Auflagen seiner „Beyträge“ unterschiedlich erfolgte284. An einer Stelle muß ich selbst eine Korrektur anbringen: Hans Hermann von Kattes Vetter, der ihm 1730 bei seinen Fluchtvorbereitungen zur Hand ging, ist wohl nicht mit Ludolf August, sondern mir Karl Emil zu identifizieren, der als Kriegsrat bei der Kurmärkischen Kriegs- und Domänenkammer tätig war285. Eine wichtige Vertiefung steuerte ein alter Freund, Staatsarchivdirektor Manfred Wolf in Münster, zum „fiat iustitia et pereat mundus“ bei. Der Rechtsatz ging über die Vermittlung von Marino Sanuto wahrscheinlich auf Papst Hadrian VI. zurück, der es damit einst ablehnte, das Verfahren gegen einen hochgestellten Verbrecher niederzuschlagen. Der von Hadrian VI. erzogene Kaiser Ferdinand I. übernahm die Maxime als Wahlspruch: „Was recht ist, soll in meinem Reich geschehen / wann auch die Welt darüber muß vergehen“, womit genuin die „vornehme Welt“ der „hochgestellten Leute“ gemeint war286. Wenn in beiden Versionen der Katte-Urteilsschärfung vom 1. November 1730 dieses „fiat iustitia“ zitiert wurde, mußte das vor dem Hintergrund der Bestrafung des Desertionskomplotts der Königsgrenadiere 282 Vgl. Karsten Uhde, in: FBPG 19 (2009), 277 f.; Dirk Reitz, in: MGZ 66 (2007), 171 – 173; dazu auch Janine Rischke, in: Militär und Gesellschaft in der frühen Neuzeit 13 (2009), 281 – 286. 283 Vgl. Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): Handbuch der Preußischen Geschichte, Bd. I, Berlin / New York 2009, 321, 323. 284 Vgl. Anton Friedrich Büsching, Beyträge zu der Lebensgeschichte denkwürdiger Personen, 5. Teil [Friedrich II.], Halle (1. Auflage) 1788, 170 – 179; desgl. Halle (2. Auflage) 1788, 178 – 189. Da Büsching in beiden Versionen irrig davon ausging, daß das Kriegsgericht den Kronprinz und Katte gleichermaßen zum Tode verurteilt hatte, konnte er in der 2. Version unter Rückgriff auf den mittlerweile erschienenen „Beytrag zur Lebensgeschichte Friedrichs des Großen“ (Berlin 1788) dessen oberflächliche Bekehrung durch den Feldprediger Müller ausgiebig schildern. Schon in der 1. Version erwähnte Büsching Friedrichs Benutzung bzw. versiegelte Rückgabe der Akten 1751, und meinte in der 2. Version dazu: „Die Zurückschickung ist sehr merkwürdig und zeiget deutlich an, daß der König die Acten für seinen künftigen Geschichtsschreiber habe aufheben lassen, keinesweges aber das Andenken an diese Sache vertilget wissen wollen“ (a. a. O. 182). 285 Vgl. oben Anm. 121 und 196 bzw. Anm. 266. 286 Der Satz findet sich im frühen 16. Jahrhundert zunächst bei Marino Sanuto (I diarii 33, 436), dann bei Johannes Manlius (Locorum communium collectanea, 419) und Julius Wilhelm Zincgref (Apophtegmata 1, 78); vgl. Muriel Kaspar: Reclams Lateinischs Zitaten-Lexikon, Stuttgart 1996, 108. Detlef Liebs: Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, Darmstadt (6. Auflage) 1997, 83 f., übersetzt wörtlich „Die Gerechtigkeit muß ihren Lauf nehmen und der Putz zunichte werden“ und interpretiert „Wer Gerechtigkeit durchsetzen will, darf keine Rücksicht nehmen auf die persönlichen Interessen der Großen“. Das Mißverständnis, daß damit ein Gerechtigkeitsfanatismus gemeint sei, der den Weltuntergang in Kauf nimmt, geht vielleicht auf die Fehlinterpretation einer Predigt Martin Luthers am 10. Mai 1535 zurück.
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Anfang 1730 auf die Hinrichtung des Gardekürassier-Leutnants aus bester Familie hinauslaufen287. Ein weiteres Mal griff Friedrich Wilhelm I. auf den Rechtsatz in der Antwort zurück, die er dem Generalfeldmarschall Graf von Wartensleben auf sein Gnadengesuch vom 2. November am Folgetag ablehnend erteilte, wobei er ihn in Bezug auf das Evangelium St. Johannis XI, 50 brachte: „Indessen wisset Ihr wohl, was auf solches Verbrechen gehöret, weswegen ich mich nicht weiter darüber explicire, als daß es besser, daß ein Schuldiger nach der Gerechtigkeit sterbe, als daß die Welt oder das Reich zugrunde gehe“288. Auch im Marginal-Dekret des Königs auf den Bericht seines Gesandten in London vom 24. November 1730 kam die sozial konnotierte Auffassung des „fiat iustitia“ in Anknüpfung an sein berühmtes adelskritisches Diktum vom „Rocher von Bronse“ 1716 wieder voll zur Geltung: „wan auch noch solte 1.000 der Vornehmste die Köppe fürder abschlagen lassen“289. Entsprechend wurde sie von den Kabinettsministerium-Ministern von Borcke und Podewils in ihrem Reskript an den Gesandten vom 9. Dezember 1730 ausformuliert290: „Ja, wenn Tausendt seinesgleichen, wehren es auch Leute von der größesten Condition, dergleichen Crime begangen hätten, so würden sie solches nach der Justitzt und zur Sicherheit Unseres Etats, auch zur Vermeidung aller gefehrlichen Folgen, die aus einer in dergleichen Fällen übel employirten Clementz und Gelindigkeit entstehen können, nothwendig mit ihrem Bluthe haben bezahlen müßen. Diejenigen, welche anders urtheilen, verstehen entweder die Sache nicht, oder legen dieselbe aus Bosheit und Malice anders aus, als sie sich in der That und Warheit sich befindet.“ Je mehr man eben auf die Schriftsätze hört, desto stärker klingen ihre Zwischentöne und lassen spüren, wie stark dem König 1730 der Boden unter den Füßen wankte. Diese Tatsache läßt sich nicht mehr mit der retrospektiven Diagnose „krankhafter Verfolgungswahn“ abtun291. Dabei steht auf Vgl. Quellenanhang Q 2; dazu oben Anm. 204 und 253. Vgl. Supplik GFM Graf von Wartensleben, an König Friedrich Wilhelm I., dat. Berlin, 2. November 1730; Abschrift (von unbekannter Hand) in GStA PK, VI. HA, Nachlass A.B. König, Nr. 359, fol. 6 (ohne Quellennachweis); dazu Kabinetts-Ordre Friedrich Wilhelms I., an Wartensleben, dat. Königs Wusterhausen, 3. November 1730; Sammelabschrift von der Hand Eichels, in GStA PK, BPH, Rep. 47, A Nr. 14, 9, fol. 62, vgl. Förster, Friedrich Wilhelm I. (wie Anm. 62), Bd. 3, 14; Hinrichs, Kronprinzenprozess (wie Anm. 6), 142 Nr. 71. 289 Vgl. oben Anm. 263; dazu das Billet König Friedrich Wilhelms I., an die Minister von Printzen, Ilgen, Kameke, Grumbkow, Creutz sowie den Kriegsrat von Kraut, o. D. (präs. 25. April 1716); GStA PK, II. HA GenDir., Abt. Ostpreußen, II Nr. 1577. 290 Unechtes Postskript zu einem Reskript König Friedrich Wilhelm I., an Gesandten von Degenfeld-Schomburg in London, dat. Berlin, 9. Dezember 1730; Konzept (Borcke / Podewils); mit Abgangsvermerk „eodem auf die Post“; in GStA PK, BPH, Rep. 47, A Nr. 14, 13, fol. 279. 291 Vgl. entsprechend jetzt Jürgen Ziechmann: Fridericianische Encyclopédie. Friedrich der Große und seine Epoche, Bremen 2011, 225 f. 287 288
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einem anderen Blatt, welches Wissen der Beteiligten eben nicht zur Sprache und schon gar nicht in die Akten kam – von jener Überlieferungslücke einmal ganz abgesehen, die in allen Rezensionen natürlich erstaunt notiert wurde292. Alle Arbeiten, die Historikerinnen und Historiker bis 2008 zum Thema beigetragen haben, werden mittlerweile in den Bibliographien von Gabriele Jochums nachgewiesen293. Seitdem sind zwei wichtige rechtsgeschichtliche Arbeiten zum Crimen laesae Majestatis und zur landesherrlichen Richtergewalt erschienen294. Die vom Prinzen Eugen diktierte, politisch raffinierte, doch moralisch fragwürdige Rolle des kaiserlichen Diplomaten von Seckendorff am Berliner Hof zwischen 1724 und 1734 wurde in einer aufschlußreichen Biographie mit den Begriffen „von wechselnden Winden und überreizten Karten“ trefflich auf den Punkt gebracht, an dem Seckendorff selbst und die Wiener Politik insgesamt gescheitert sind295. Zwei kleinere Arbeiten fragen u. a. nach den Auswirkungen von Kattes Exkution auf die Entwicklung des Kronprinzen und knüpfen dabei an meine Feststellung an, daß dieser dadurch weder gründlich noch nachhaltig erschüttert werden konnte296. Eine genauere Untersuchung des Katte-Porträts von Georg Lisiewski bestätigt, daß dieses tatsächlich aus einer ursprünglichen Halbfigur ca. 80 x 65 cm wohl nach der Exekution zu einem Kniestück vergrößert worden ist, um das Bild des Enthaupteten repräsentativer zu machen297. Wenn „Katte. Ordre und Kriegsartikel“ insgesamt günstig rezipiert worden ist, frappiert umso mehr die völlig anders gepolte Verarbeitung der Vorgänge von 1730 in den populär schreibenden, dichtenden, malenden, musiVgl. oben Anm. 73 – 77. Vgl. Gabriele Jochums (Bearb.): Bibliographie Friedrich Wilhelm I. Schrifttum von 1688 bis 2005, Berlin 2005; mit Nachtrag ders.: Bibliographie Friedrich III. / I. Schrifttum von 1657 bis 2008, Berlin 2009, 139 – 144. Der in Anm. 3 nachgewiesene wichtige Baumgart-Aufsatz jetzt auch in: Peter Baumgart: Brandenburg-Preußen unter dem Ancien régime. Ausgewählte Abhandlungen, hrsg. von Frank-Lothar Kroll, Berlin 2009, 106 – 121. 294 Vgl. Daniel Fleissner: Die rechtshistorische Entwicklung des Crimen laesae Majestatis, Wien (Jur. Diss.) 2008; sowie Holger Erwin: Machtsprüche. Das herrscherliche Gestaltungsrecht „ex plenitudine potestatis“ in der Frühen Neuzeit, Köln u. a. 2009; allerdings jeweils ohne einen direkten Bezug zur Katte-Urteilsschärfung. 295 Vgl. Bruno Kuntke: Friedrich Heinrich von Seckendorff (1673 – 1763), Husum 2007. 296 Vgl. Holger Skorupa: Der Kattesprozess – Justizmord oder Gesetzestreue? Eine strafrechtliche Interpretation der Urteile und deren Umsetzung in Bezug auf die preußischen Kriegsartikel. Eine Studienarbeit, Hamburg 2007; Dieter Radtke: Kronprinz Friedrich und die wahre Liebe zum Soldatenstand. Die ersten 23 Jahre Friedrichs des Großen als Soldat (1717 – 1740), Hildesheim 2011. 297 Vgl. Helmut Börsch-Supan: Die bildenden Künste im Spiegel von Theodor Fontanes „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, in: Sybille Badstüber-Gröger (Hrsg.): Schlösser, Herrenhäuser und Gärten in Brandenburg. Zum Jubiläum des „Freundeskreises Schlösser und Gärten der Mark“, Berlin [angekündigt] 2011. 292 293
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zierenden oder filmenden Gewerken298. Sie haben ihren Bösewicht meist von jeher in Friedrich Wilhelm I.299, und mittlerweile ihren Liebling in Katte gefunden, der in Poesie und Prosa gerne zum tragischen Helden, ja sogar zum „preußischen James Dean“ stilisiert wird. Dabei hat sich der Gens d’armes-Leutnant in einem langen Entwicklungsprozeß (der nach den Anfängen im 18. Jahrhundert etwa um 1830 einsetzte300) vom finster drein blickenden Verführer des Kronprinzen auf den weltbedeutenden Brettern zum geliebten Stellvertreter-Opfer für denselben gewandelt301. Dem kann man sich mit Akten kaum entgegenstemmen, sondern muß sich damit bescheiden, daß künstlerische Verarbeitungen historischer Stoffe nun einmal anderen als Klios Gesetzen folgen. Vielleicht wird aus dieser Perspektive auch ein Zugang zu den berühmtberüchtigten „Mémoires“ der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth frei, die von der Forschung in jüngster Zeit wieder mehr wie ein Roman und weniger als historisch zuverlässige Quelle gelesen werden302. Das verschafft Luft in dem seit Preuß’, Raumers und Rankes Tagen im Rahmen der Friedrich Wilhelm I.- bzw. Friedrich II.-Historiographie ebenso erbittert wie ergebnislos ausgetragenen Streit, ob und was man der Bayreutherin glauben kann, oder
298 Zum Verständnis des in Anm. 11 erwähnten UfA-Streifens von 1934 vgl. noch Jürgen Kloosterhuis: „Der alte und der junge König“. Warnungen vor einem „Preußen“-Film, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 42, Berlin 2006, 85 – 105; dazu Andreas Kilb: Der Mann aus Marmor. Friedrich der Große als Heldenfigur in den Filmen der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus, Online-Mskr. 2009 (www.perspectivia.net / friedrich300-colloquien / friedrich-groesse). Zur filmischen Rezeption des Stoffs ist nachzutragen: Der Thronfolger. Die harten Jugendjahre von Friedrich dem Großen in Preußen. Historisches Fernsehspiel in 2 Teilen von Helmut Pigge, 1980 (seit 2010 bei ZDF Enterprises als DVD in der Reihe Fernsehjuwelen erhältlich). 299 Vgl. als neues Beispiel von „Soldatenkönig-Phobie“ James R. Gaines: Das musikalische Opfer. Johann Sebastian Bach trifft Friedrich den Großen am Abend der Aufklärung. Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser, Frankfurt a. Main 2008 (New York 2005); dagegen verständnisvoller Cornelia Wusowksi: Friedrich der Große. Der ungeliebte Sohn, Frankfurt a. Main 2007; demnächst auch Uwe A. Oster: Sein Leben war das traurigste der Welt. Friedrich II. im Kampf mit seinem Vater, München [angekündigt] 2011. 300 Das Titelverzeichnis von Jens Wuttke (wie Anm. 282) nennt als erste dichterische Verarbeitung das Drama von J. G. Schlumberger: Leutnant von Katte, oder des Kronprinzen Flucht, o. O. 1834, und zählt bis 1942 30 Romane, Epen, Gedichte oder Schauspiele; vgl. oben Anm. 10. 301 Vgl. in Ergänzung zu den Werken von Geiger, Matthus und Knuth (wie Anm. 11) noch Thorsten Becker (Katte – eine preußische Tragödie, 2006), Helge Wirth (Der Tod des Hans Hermann von Katte, 2007) und Steffen Thiemann (Katte – ein Prozess, 2009). 302 Vgl. Memoiren einer preußischen Königstochter: Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth. Übersetzung, Anmerkung und Nachwort von Günter Berger, Bayreuth 2007, 394 f.; dazu Franz Piontek: Zwischen Ideologie und Genderforschung. Wilhelmine von Bayreuth im Urteil der Nachwelt, in: Wilhelmine von Bayreuth heute. Das kulturelle Erbe der Markgräfin, hrsg. von Günter Berger, Bayreuth 2009 (Sonderband des Archivs für Geschichte von Oberfranken), 339 – 350.
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nicht. Daher konnte, obwohl oder gerade weil Katte von Wilhelmine keine besonders gute Zensur erhielt, mittlerweile versucht werden, eine verschlüsselte Botschaft über eine (Liebes-)Beziehung zwischen der Prinzessin und dem Garde-Leutnant aus ihrer Opern-Komposition „L’Argenore“ herauszulesen303 und damit eine These aufzugreifen, die v. a. in den 1920er Jahren in Analogie zum Amalie / Trenck-Sujet interessierte304. Dazu kann hier musikwissenschaftlich keine Stellung genommen305, sondern nur festgestellt werden, dass die Akten der Untersuchungs-Kommission von 1730 dafür keine Anhaltspunkte bieten, da sie nur wegen einer Briefzustellung durch Katte an Wilhelmine ermittelte. Ebenso blieb für die Kommissions- wie für die Kabinettsüberlieferung das Intimleben Friedrichs tabu306. An diesem Punkt versucht die Forschung nun mit kunsthistorischen Untersuchungen weiterzukommen, wobei mittlerweile a priori eine (zumindest) homoerotische Beziehung des Kronprinzen zu diesem seinem Freund und Desertionskomplotteur konstatiert wird, dem er beim Schloß Sanssouci sogar ein Denkmal gesetzt haben soll307. Aber wie auch immer Katte zu Wilhelmine und / oder Friedrich wirklich stand: fest steht, daß dieser nach der Thronbesteigung 1740 von den Personen, die zehn Jahre zuvor auf sein Betreiben in die „facheuse“ Geschichte verstrickt gewesen waren, nicht mehr allzu viel wissen wollte308. Allerdings haben „Ordre und Kriegsartikel“ einen Nestor der preußischen Geschichtsschreibung nicht beeindruckt. Gerd Heinrich hält in seiner 2009 veröffentlichten Friedrichbiographie an der von ihm seit langem vertretenen Auffassung fest, daß der Garde-Leutnant kein gerechtes Urteil fand, sondern einer Hofkabale zum Opfer fiel. Er beruft sich dabei auf das vom Gesandten Stratemann am 25. November 1730 notierte Gerücht, daß der zwischen Brutalität und Nachdenklichkeit schwankende König die an ihn gerichtete Gnadenbitte Kattes pflichtvergessend erst zwei Tage nach dessen 303 Vgl. Irene Hegen: Musikalische Verschlüsselungen. Autobiografische Spuren in den Kompositionen von Wilhelmine von Bayreuth; in: Wilhelmine heute (wie Anm. 303), 187 – 206. 304 Vgl. Tobias Debuch: Anna Amalia von Preußen (1723 – 1787). Prinzessin und Musikerin, Berlin 2011, 19 ff. 305 Zur „L’Argenore“-Interpretation ohne Katte-Hintergründe vgl. Ruth MüllerLindenberg. Wilhelmine von Bayreuth. Die Hofoper als Bühne des Lebens, Köln u. a. 2005, 103 ff; Sabine Henze-Döring: Markgräfin Wilhelmine und die Bayreuther Hofmusik, Bamberg 2009, 69 ff. 306 Vgl. oben Anm. 165. 307 Vgl. Christoph Martin Vogtherr: Lusthaus ohne Liebe. Darstellungen der Liebe in Schloß und Park Sanssouci, in: FBPG 14 (2004), 147 – 169, bes. 151; dazu Thomas Fischbacher: Des Königs Knabe. Friedrich der Große und Antinous, Weimar 2011, bes. 114 f. Die Kattedenkmal-Spekulation bezieht sich auf die vom König 1747 erworbene Bronzeplastik des Antinous alias Betender Knabe und basiert auf der Annahme, dass Kattes Hinrichtung ein Opfer für den ebenfalls zum Tod verurteilten, aber begnadigten Kronprinzen gewesen sei; vgl. oben Anm. 273. 308 Vgl. oben Anm. 180 und 269; dazu vertiefend Q 10.
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Exekution zur Kenntnis nahm und dann einräumte, daß er sein Todesurteil noch einmal überlegt hätte, wenn er die Supplik rechtzeitig gelesen haben würde309. Dieses Gerücht wird von den Akten klar widerlegt310. Vielleicht sollte in diesem Zusammenhang auch darauf geachtet werden, daß Kattes sorgsam formulierte Gnadenbitte in einer direkten Du-Anrede an den König gipfelte, stilistisch gewagt und anrührend zugleich: „Ich habe gefehlet, mein König, ich erkenne es mit treuem Hertzen. O! so verzeih es auch dem redlichen Gestehen und gewehre mir, waß auch Gott dem gröbsten Sünder nicht versaget.“311 Genau auf diesen vertraulichen Ton war der letzte Satz in seinem Todesurteil gestimmt, demzufolge „Seiner Königlichen Majestät es leid thäte, es wäre aber beßer, daß er stürbe, als daß die Justitz aus der Welt käme“312. Von solchen Feinheiten abgesehen, hofft der Archivar und Historiker in der Fachdiskussion – anders als bei der populären Stoffverarbeitung – neue faktenferne Fehlspekulationen durch weitere Quellenvermittlungen auffangen zu können. Sollte zum Beispiel die These vom „Roten Rock“ wieder einmal aufgewärmt werden, der in Verkennung kostümkundlicher Tatsachen einst von einem Psychologen als Indiz dafür gewertet wurde, daß der Kronprinz eigentlich gar nicht fliehen wollte, sondern hilfeschreiend nur so tat, als ob313 – vermag ein Blick auf seine Garderobe (den die nach seiner Verhaftung vorgenommene Inventarisierung seines persönlichen Besitzes gestattet) zu erhellen, daß ein Herr von Stand um 1730 am unauffälligsten in roter (Mode-)Farbe durch die Welt kam, wenn anders er nicht als typisch preußisch-blau Montierter auffallen wollte314. Wahrheitsgemäß gab der Kronprinz daher im Verhör am 2. September 1730 an, daß er die Flucht aus dem Steinsfurter „Lerchennest“ im roten Roquelaure unternehmen wollte, „um nicht gekannt zu werden“315. Im übrigen wurde sein wachsender Wille 309 Vgl. Gerd Heinrich: Geschichte Preußens, Frankfurt a. Main (2. Aufl.) 1984, 149 ff; entsprechend ders.: Katte, Fontane und der König. Ein „Blutkarneol“ der Preußischen Geschichte in Widerstreit von Dichtung und Wahrheit, in: Hugo Aust u. a. (Hrsg.): Fontane, Kleist und Hölderlin. Literarisch-historische Begegnungen zwischen Hessen-Homburg und Preußen-Brandenburg, Würzburg 2005, 31 – 43, bes. 41; sowie zuletzt ders.: Friedrich II. von Preußen. Leistung und Leben eines großen Königs, Berlin 2009, 8. 310 Vgl. oben Anm. 265. 311 Supplik Hans Hermann von Kattes, an König Friedrich Wilhelm I., o. D., dem Immediatbericht des Generalleutnants von der Schulenburg vom 29. Oktober 1730 angelegt (Unterstreichungen vom Verfasser); GStA PK, BPH, Rep. 47, A Nr. 14, 4, fol. 67 ff.; vgl. Hinrichs, Kronprinzenprozess (wie Anm. 6), 132f. Nr. 61. 312 Vgl. Q 2; dazu oben Anm. 251 und 253. 313 Vgl. oben Anm. 273. 314 Vgl. Q 6; dazu oben Anm. 126. Abgesehen von weiteren einschlägigen Hinweisen bieten diese Inventare überhaupt interessante Eindrücke von der Wohnkultur junger Garde-Offiziere. Allerdings ist ein spezielles Katte-Inventar für sein Logis „auf der Dorotheenstatt unter den Linden in Reichmanns Hause“ (Adresskalender Berlin für 1730, S. 4) in den Akten nicht erhalten.
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zur gefährlichen Tat im Zuge der Ermittlungen der Untersuchungs-Kommission durch so zahlreiche Dokumente bis hin zu den Billets an den „Erlanger“ Rittmeister Hans Friedrich von Katte erhärtet316, daß sein Entschluß zur Flucht aus Preußen weder als leichtsinnige Lust am Risiko noch im Sinn einer frühreifen Selbstinzenierung interpretiert werden kann. Ja, auf das Veto-Recht der Quellen ist bei der Bewertung der „facheusen“ Geschichte von 1730 weiterhin Verlaß. Es gilt unverändert, sie in ihren Tiefendimensionen zu begreifen, zu denen der Generationenkonflikt zwischen Vater und Sohn (unter Einschluß von Religionsproblemen) oder die Nachfolgefrage von Herrscher und Thronanwärter ebenso wie die Außen- (Bündnis- und Heirats-), Innen- (Adels-) und Militärpolitik des „Soldatenkönigs“ zählten. Alles in allem wurde sein 1713 begonnenes Reformwerk durch den natürlich ernst gemeinten, politisch kalkulierten, verzweifelt gewagten und nahezu zwangsläufig gescheiterten Fluchtversuch Friedrichs in Frage gestellt. Katte haftete dafür nach Adelsmanier mit seinem Haupt. Friedrich Wilhelm I. mußte darauf so reagieren, wie er es am Ende getan hat. So und nicht anders lagen die Fakten, so sprachen die Akten, das waren die Konsequenzen.
315 Protokoll des Verhörs des Kronprinzen durch die Untersuchungs-Kommission, insbesondere zum Hergang des Steinsfurther Fluchtversuchs, dat. Mittenwalde, 2. September 1730, GStA PK, BPH, Rep. 47, A Nr. 14, 1, fol. 253; vgl. Hinrichs, Kronprinzenprozess (wie Anm. 6), 78 Nr. 30 und 79 Nr. 81. 316 Vgl. oben Anm. 192 – 196.
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Quellen-Anhang
Quellen-Anhang Q1
o. D. [ca. 1730-Juli-29, Erlangen]
Rittmeister Hans Friedrich von Katte, an Oberstleutnant Daniel bzw. Major Friedrich Wilhelm von Rochow: Fluchtabsichten des preußischen Kronprinzen Friedrich GStA PK, BPH, Rep. 47 Friedrich der Große, A Nr. 14 Bd. 1, fol. 32 – 33 und 352. Aktenvorgang, hier transkribiert: [a.] Privatdienstliches Schreiben, Konzept oder Abschrift von der Hand des Rittmeisters Hans Friedrich von Katte. 1 Blatt Quarto, S. 1 beschriftet; vgl. dazu den Abdruck bei Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), 84 – 85. [b.] Privatdienstliches Schreiben, Abschrift von der Hand des Generalleutnants Hans Heinrich von Katte (vgl. Q 3a). 1 Bogen Folio, S. 1 – 2 beschriftet.
[a. Rittmeister Hans Friedrich von Katte, an Oberstleutnant (Daniel) von Rochow; o. D.:] „Da mir Ihre Generositet gar zu wohl bekannt, so habe mir schon resolvirt, der Feder es anzuvertrauen, und habe auch die feste Zuversicht zu Ihnen, Sie werden mir auf keine oder ande[re] Ahrt suchen in Unglück zu bringen oder es auszusagen, da Sie mir letztens in Schwabach gesprochen und gedacht von intriganten Sachen, so der Abwesende in Berlin tractirt mit den hohen Untergeben[en]. Gott zum Zeugen nehme, mir zwar nicht bewust, allein so viel eröffne Euer Hochwohlgebohren alß meinem Gönner im Vertrauen, geben Sie auf alle Ahrt und Weyse auf den hohen Untergeben[en] Achtung, damit selbiger nicht ein Augenblick allein sey auf der itzig vorgenommen[en] Tour, denn zwar nicht ferner schreiben kann, allein ich habe in kleinem Verdacht, damit selbiger keine Excursion insgeheimb vornehme undt haben Sie die gröste Uhrsache, sehr genau auf ihn Achtung geben zu lassen, damit er allein keine Postpferde oder sonst fortkommen kan. Dieses schreibe Ihnen in Vertrauen undt verlasse mich auf Dero Gnade, daß Sie mir nicht unglücklich machen, undt es werden ein oder ander an den Hohen offenbahren, denn ich weiß nicht ferners, allein ich irre mir nicht in meiner Meinung, deswegen wiederhohle nochmahls, laßen Sie den Cronprintzen nicht eine Stunde aus den Augen, absonderlich zu Stuttgart und Manheimb. Wehrtester Herr Obristlieutenant, Sie sehen mein treu und gutes Hertz, deswegen seyen Sie genereuse und verrahten mir nicht, weder zum Könige noch Cronprintzen – denn wo letzterer es erführe, daß es geschrieben, würde er mir nimmer vergessen. Ich habe schon 6 Tage das Fieber, sonst wäre an dritten Ohrt gekommen und Ihnen gesprochen, doch bin von Ihnen ferner versichert, es werden mir nicht ins Unglück stürtzen und verrahten, denn es komt alles zu Ehren.“
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[b. Rittmeister Hans Friedrich von Katte, an Major (Friedrich Wilhelm) von Rochow; o. D.:] „Auss ein Unglück aber im andern zu kommen, hatt mier der Lieutenant Katt von die Gens d’armes noch fast ferner geholffen. Selbiger hat eine Gottes vergessene Intrigue mitt den Crohnprintz vor, ihn zu entführen; mier aber, davon nicht wissendt, hatt er mier am Cronprintzen recommendiret. Selbieger schreibet mier ein Zettull, ich solte des Nachts heimlig bey ihm kommen. Da den[n] erschiene, fräget er mier, ob der Leutnant Katt nicht bey mier wäre. Da ess ihm dan hoch contestirte, fuhr er weiter fort, ess würden Briefe an mier durch eine Estafette kommen, die solte ich ihn heimlig nach Anspach bringen. Ich in der Unwissenheit reyse fort, undt kommen den andern Tag die Briefe von Katt an. Da den[n] schon etwass von der Intrigue in Berlien ist ausskommen, ist verbohten, keine Estafetta bey hoher Straaffe abgehen zu lassen ohne des Commendanten Ordre, da den[n] Katten seine auch auff der zweyten Relais ist festgesetzet worden. Wie nun bey den Cronprintz ankomme und den Brieff überreichet, hatt Katt geschrieben, daß er nicht solte auss Berlien gelassen werden. Als wardt ich confident gemacht und solte mitt ihm fortgehen nach Franckreich oder Engellandt. Da den[n] halbtodt erschrocken gewesen, mich aber begriff, undt den Cronprintz meine gantze Meynung sagte, undt dass ihm solches von übell gesinten Leuten wäre gerahten, und er solte selbiges nicht thun, mich also lose machte. Bin aber nachhero durch so viell Briefe tourmentiret worden, dass kommen solte, habe aber geschrieben, ich hätte dass Fieber undt könte nits reysen. Weill aber Serenissim bey seinen ubeln Vornehmen blieb, habe ihren Herrn Bruder kürtzlig geschrieben, er mögte sehr genau auff Cronprintzen acht haben, mehr könte aber nicht schreiben, indehm ich unschuldig wäre. Item hatt mier der Cronprintz gesaget, dass Katt schon 6.000 RTl auffgenommen, und noch 10.000 RTl auffnehmen werde. Bin noch mehr erschrocken. Was meynen mein wehrtester Herr Major zu solchen Verfahren? Überlegen Sie ess doch, ob man Ihrer Excellence nicht ein wenig davon Nachricht giebet. Gott weiss, ob ich noch nicht werde in der Inquisition kommen. Unser gantze Familie bringet Katt in Unglück. Meinen Vater [Kammerpräsident Heinrich Christoph von Katte] habe ess schreiben müssen, weill mein Bruder [Karl Emil] mit in den Unglück, damit er seine Mesures nehmen kan.“
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Q2
Quellen-Anhang
1730-November-1
König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Kriegsgericht zu Köpenick: Bestätigung der Kriegsgerichtsurteile über die Leutnants Alexander Sweder von Spaen, Johann Ludwig von Ingersleben und Peter Christoph Karl von Keith; Verschärfung des Kriegsgerichtsurteils über den Leutnant Hans Hermann von Katte zur Todesstrafe (zwei Versionen) [1. Version:] Privatbesitz; hier nach Photographie in GStA PK, Dienstregistratur / Altregistratur Dahlem, vorl. Nr. 292. [a.] (Kabinetts-) Dekret-Schreiben, (wahrscheinlich) Abschrift. (Wahrscheinlich) 1 Bogen Folio, S. 1 – 2 beschriftet; stellenweise durch Tintenfraß beschädigt. Vgl. die Erstabdrucke bei [Friedrich Karl von Moser,] Königlicher Kabinetsjustizmord vom Jahre 1730, in: Patriotisches Archiv für Deutschland 3 (1785), 162 – 163 (mit Formulierungslücken und Datierungsfehler 2. November); desgl. bei Jean Charles Thiébault de Laveaux, Vie de Fréderic II. Roi de Prusse, Tome 1, Strasbourg / Paris 1788, 162 – 163 (desgl. in französischer Übersetzung). [2. Version:] GStA PK, BPH, Rep. 47 Friedrich der Große, A Nr. 14 Bd. 4, fol. 92 – 93. [b.] Kabinetts-Ordre, behändigte Ausfertigung. 1 Bogen Folio, S. 1 – 3 beschriftet. Im Schreibstil mit einem (Kabinetts-) Dekret-Schreiben gemischt. Vgl. den Erstabdruck in Eklektische Monatsschrift (Lübeck,bei Christian Gottfried Donatius) 2. Heft (1785), 30 – 31 (mit verderbter Schlußpassage „es wäre aber besser, daß er nicht bliebe, als daß die Justize aus der Welt gienge; desgl. bei [Karl Friedrich von Beneckendorff,] Karakterzüge aus dem Leben König Friedrich Wilhelms I. nebst verschiedenen Anekdoten. 10. Sammlung, Berlin 1791, 32 – 35; dazu Hinrichs, Kronprinzenprozess (Anm. 6), 135 – 137.
[a. König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Kriegsgericht zu Köpenick; Berlin, 1. November 1730:] „In Inquisitionssachen des Lieutenant von Katten hat ein Königliches Kriegsrecht ihm, da er confessus et convictus, Vestungsbau zuerkannt. Ihro Mayestät aber sehen nicht ab, warum solche Sentence so gar gelinde in Ansehung seines schweren Verbrechens abgefaßet, dahero Sie Sich ins Künfttige auf Dero Officier und Rähte Treue wenig oder gar nicht zu verlaßen haben. Ihro Mayestät aber sind auch die Schule durchgangen und das Sprichwort gelernet: Fiat justitia aut pereat mundus. Damit nun niemand sich ferner dergleichen unterstehe und leicht darauf beruffen möchte, weil es diesen so hingegangen, könne es mehr geschehen – als finden Sich Ihro Königliche Mayestät genöthiget, selbst das Recht zu sprechen und Exemplum Justitiae zu statuiren. Da ihm nun nicht zu viel geschähe, wenn er als ein solcher, der Crimen laesae Majestatis begangen, auch weil er ein Officier von der Armée, die Ihro Mayestät alle getreu seyn sollen, besonders von dem Corps der Gens d’Armée, denen die Aufsicht über Ihro Königliche Mayestät Leib und Familie anvertrauet, daß er mit glüenden Zangen zerrißen und aufgehangen wür-
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de: So haben Ihro Königliche Mayestät dennoch in Ansehung seiner Familie solches Urtheil mitigiret, und erkennen von Rechts wegen, daß er mit dem Schwerdte vom Leben zum Tode gebracht werde. Berlin, den 1. Novembris 1730
Friedrich Wilhelm
Exequ[atur] den 7. [sic] Novembris“ [b. König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Kriegsgericht zu Köpenick; Königs Wusterhausen, 1. November 1730:] „Seine Königliche Majestät in Preußen, Unser allergnädigster Herr, haben das Deroselben eingesandte Kriegesrecht durchgelesen, und seind mit demselben in allen Stücken sehr wohl zufrieden, indem Sie die über den Lieutenant von Spaen und Ingersleben gesprochene Sentenz hiermit allergnädigst confirmiren, den Lieutenant von Ingersleben aber auch wegen seines bißherigen langen Arrestes perdoniren. Wegen des Lieutenant Keith confirmiren Seine Königliche Majestät gleichfals den Spruch des Kriegesrechtes. Was aber den Lieutenant Katten und dessen Verbrechen, auch die von dem Kriegsrecht deshalb gefällte Sentenz anbelanget, so seind Seine Königliche Majestät zwar nicht gewohnet, die Kriegesrechte zu schärfen, sondern vielmehr, wo es möglich, zu mindern. Dieser Katte aber ist nicht nur in Meinem Dienst Officier bei der Armée, sondern auch bei die Guarde Gens d’armes, und da bei der ganzen Armée alle Meine Officiers Mir getreu und hold sein müßen, so muß solches um so viel mehr geschehen von den Officiers von solchen Regimentern, indem bei solchen ein großer Unterschied ist, denn sie immediatement an Seiner Königliche Majestät allerhöchsten Person und Dero Königlichen Hause attachiret sein, Schaden und Nachtheil zu verhüten, vermöge seines [!] Eides. Da aber dieser Katte mit der künftigen Sonne tramiret zur Desertion, mit fremden Ministren und Gesandten allemal durcheinander gesteckt, und er nicht davor gesetzet worden, mit dem Kronprinzen zu complottiren, au contrair es Seiner Königlichen Majestät und Dero Generalfeldmarschall von Natzmer hätte angeben sollen, so wißen Seine Königliche Majestät nicht, was vor kahle Raisons das Kriegesrecht genommen und ihm das Leben nicht abgesprochen hätten. Seine Königliche Majestät werden auf die Art sich auf keinen Officier noch Diener, die in Eid und Pflicht sein, sich verlaßen können, denn solche Sachen, die einmal in der Welt geschehen seind, öfters geschehen können, es würden aber alsdann alle Thäter den Praetext nehmen, wie es Katten wäre ergangen, und weil der so leicht und gut durchgekommen wäre, ihnen dergleichen geschehen müßte.
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Seine Königliche Majestät seind in Dero Jugend auch die Schule durchlaufen, und haben das lateinische Sprichworth gelernet ‚fiat justitia et pereat mundus‘. Also wollen Sie hiermit, und zwar von Rechts wegen, daß der Katte, ob er schon nach denen Rechten verdienet gehabt, wegen des begangenen Crimen laesae Majestatis mit glüenden Zangen gerißen und aufgehänget zu werden, er dennoch nur, in Consideration seiner Familie, mit dem Schwert vom Leben zum Tode gebracht werden soll. Wann das Kriegesrecht dem Katten die Sentenz publiciret, soll ihm gesagt werden, daß Seiner Königlichen Majestät es leid thäte, es wäre aber beßer, daß er stürbe, als daß die Justitz aus der Welt käme. Wusterhausen, den 1. November 1730.
Q3
Friedrich Wilhelm“
1730 – 1731
König Friedrich Wilhelm I. in Preußen im Schriftwechsel mit Generalleutnant Hans Heinrich von Katte: Notwendigkeit der Verhängung der Todesstrafe über dessen Sohn Hans Hermann von Katte – Regelung dienstlicher Angelegenheiten des Regiments zu Pferd Nr. 9 – Verleihung des Schwarzen Adlerordens GStA PK, BPH, Rep. 47 Friedrich der Große, A Nr. 14 Bd. 1, fol. 32, Bd. 5, fol. 53 – 56, Bd. 9, fol. 9. Aktenvorgang, hier regestiert: [a., b., d., n., o.] Bericht, beh. Ausfertigung; dazu GStA PK, I. HA Rep. 96 B, Geheimes Zivilkabinett (äP), Minüten und Extrakte, Nr. 1, fol. 276v; Nr. 3, fol. 366; Nr. 4, fol. 4, 27, 43, 46, 52, 63v, 70, 80, 112v, 416v. Registereintragsfolge, hier regestiert bzw. transkribiert: [c., e., f., g., h., j., l., p., q., r., s.] Kabinetts-Ordre, Abschrift; [i.] Angabe für eine Kabinetts-Ordre, Abschrift; dazu GStA PK, VI. HA Nachlaß Anton Balthasar König, Nr. 359, fol. 117. Abschriftensammlung, hier transkribiert: [k., m.] Bericht, Abschrift. [h. und l.] auch abgedruckt bei Hinrichs, Kronprinzenprozess (Anm. 6), S. 194 (Anm. 1 zu Nr. 71), S. 176 (Nr. 86); sowie bei Priesdorff, Soldatisches Führertum (Anm. 48), Bd. 1, S. 118 f. (Nr. 193).
[a. Generalleutnant Hans Heinrich von Katte, an König Friedrich Wilhelm I. in Preußen; Königsberg i. Pr., 24. August 1730:] Katte hat mit der letzten Post aus Angerburg einen Bericht des Majors [Friedrich Wilhelm] von Rochow erhalten, den er dem König pflichtgemäß vorlegen muss. Es geht dabei um das abschriftlich anliegende Schreiben des Rittmeisters [Hans Friedrich] von Katte, das Rochow am 8. August erhalten hat („wass mier mitt letzter Post aus Angerbourg von den Major von Rochow zukomen, und schließe ich zu dehm Ende die copeyliche Beylage hier an, welche er von den Rittmeister Katt untern 8. Aug[ust] erhalten“). Sollte es der König befehlen, kann der Generalleutnant auch die Ausfertigung dieses Schreibens einreichen.
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Der König wird selbst ermessen, in welche Bestürzung der Generalleutnant durch dieses Schreiben geriet, doch sieht er sich gezwungen, durch dessen unverzügliche Vorlage das Treiben seines Sohnes zu bezeugen – da er nichts kennt, was er nicht den Interessen seines Königs opfern würde („indes muss ich das Unternehmen von meinem Sohn detestiren, und wie nichts ist, was ich nicht der Pflicht gegen meinen Souverain sacrificire, so habe auch diese Piece ohne Anstandt und per Estafetta zu Euer Königlichen Majestät Füßen legen sollen“). Dabei vertraut er auf die Gerechtigkeit des Königs, der das Verbrechen eines Sohnes nicht dem treuen Vater und seiner ganzen unschuldigen Familie entgelten wird. Dem König bleibt es ja auch überlassen, ob er mit Blick auf die unvernünftige Jugend Gnade vor Recht gehen lassen will. [Postskript:] „Euer Königliche Majestätt haben um Gottes Willen Mittleyden mitt einen schmerzlig betrübten Vater.“ [Bemerkung:] Angelegt die von Generalleutnant Hans Heinrich von Katte eigenhändig angefertigte Abschrift des Schreibens von Rittmeister Hans Friedrich von Katte, an Major von Rochow, o. D. (vgl. Q 1b). Der Bericht und die Abschrift eingelegt in einen blauem Aktenbogen, auf der Rückseite beschriftet „A Monsieur Lieutenant-Général de Grumbkow“, auf der Vorderseite „Vous exami[nez] toute la jour et nuit. Friedrich Wilhelm“, dazu Präsentatum Grumbkows: 28. August 1730. [b. Generalleutnant Hans Heinrich von Katte, an König Friedrich Wilhelm I. in Preußen; Königsberg i. Pr., 29. August 1730:] Katte hat die Antwort des Königs aus Wesel vom 15. August am späten Abend des 26. August 1730 erhalten, und daraus zu seiner großen Betrübnis das Verbrechen seines Sohnes erfahren. Er kann dazu nichts weiter sagen, als was er bereits unter dem 24. August berichtete, und nur seine Bitte inständig wiederholen, bei Hans Hermann mit Blick auf dessen unbesonnene Jugend Gnade vor Recht ergehen zu lassen. [Marginal-Dekret des Königs:] „S[chumacher]: sein Sohn ist ein Schelm, meiner auch, also was können die Vatters davor“. [Ausführungsvermerk Schumacher:] „Expeditur den 5. September 1730“. [c. König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Generalleutnant Hans Heinrich von Katte; Königs Wusterhausen, 24. September 1730:] Etatminister von Viebahn hat Ordre erhalten, die Ehefrau des Leutnants [Otto Abraham] von Knobelsdorff für volljährig zu erklären. [Postskript:] „Wir seynd alle beyde zu beklagen, aber wenn das viele Blut nicht tauget, so lässet man sich zur Ader. Unsere Schuldt ist es nit.“
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Quellen-Anhang
[d. Generalleutnant Hans Heinrich von Katte, an König Friedrich Wilhelm I. in Preußen; Königsberg i. Pr., 2. Oktober 1730:] Katte übersendet die Monatslisten seines Regiments [zu Pferd Nr. 9]. Da in Königsberg derzeit nichts anliegt, will er die Garnisonen seines Regiments bereisen. Dem König ist besonders für sein gnädiges Mitleid zu danken, wie er seinerseits der untertänigsten („submissesten“) Treue Kattes versichert sein kann. Der Generalleutnant ist ja von den Sorgen („Anliegen“) des Königs weit empfindlicher getroffen, als von seinem eigenen Unglück. Möge Gott das Herz des Königs nach dessen angeborener Milde („Clemence“) lenken, so daß dieser an Katte als betrübtem Vater Gnade vor Recht ergehen und womöglich den Sohn die Verbrechen nur körperlich [und nicht am Leben] büßen lassen wird („undt womöglich meines Sohns Verbrechen nur am Leibe büssen lassen“). [Marginal-Dekret:] „Boden: Com[pliment] gehben“ [e. König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Generalleutnant Hans Heinrich von Katte; Königs Wusterhausen, 3. Oktober 1730:] Oberstleutnant [Wilhelm] von Köhler, der aufgrund seines Alters nicht mehr dienen kann, wird seinen Abschied erhalten und mit der Amtshauptmannschaft zu Granzow und Löckenitz in der Kurmark versorgt werden. Köhler kann sich dann einen Ort in den königlichen Landen auswählen, wo er sich niederlassen und sein Ruhegehalt genießen will. An seine Stelle avanciert der Major [Friedrich Wilhelm] von Rochow zum Oberstleutnant; an dessen Stelle der Rittmeister [Hans Friedrich] von Katte zum Major. Dessen Kompanie wiederum soll ein so tüchtiger wie tauglicher Offizier („der es meritiret und welcher der Compagnie wieder vorstehen kann, wie es sich gehöret und gebühret“) nach dem Vorschlag des Generalleutnants erhalten. [f. König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Generalleutnant Hans Heinrich von Katte; Königs Wusterhausen, 23. Oktober 1730:] Nach Kattes Bericht nimmt das Viehsterben an der polnischen Grenze weiter zu, so daß dessen Einschleppung nach Preußen zu befürchten ist. Der Generalleutnant soll daher mit seinem und allen anderen dortigen Kavallerieregimentern sowie mit Hilfe der Kriegs- und Domänenkammer zu Königsberg, die entsprechend Anweisung erhalten, die nötigen Vorkehrungen treffen, um ein Übergreifen der Seuche zu vermeiden. Ebenso sind die Beamten vor Ort zu unterstützen und Posten auszustellen, um die Landplage zurückzuhalten.
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[g. König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Generalleutnant Hans Heinrich von Katte; Königs Wusterhausen, 2. November 1730:] Kattes Bericht vom 26. Oktober hat der König gerne entnommen, daß er bei der Bereisung der Quartiere seines Regiments alles in gutem Zustand gefunden bzw. ausgebessert hat, was nötig war. Die für die neue Husarenkompanie abgesandten fünf Mann werden demnächst erwartet. Da der Briefbeutel auf der Post nach Königsberg kürzlich verloren gegangen ist, erhält Katte anbei Abschrift der letzten an ihn ergangenen Anweisungen. Kattes Beförderungs-Vorschläge (dem Kapitän [Ludwig] von Cieselsky die Kompanie von Köhler zu geben, den Kornett [Erasmus Christian] von Arnstedt zum Leutnant und den Fahnenjunker [Christoph Otto] von Arnim zum Kornett avancieren zu lassen) werden genehmigt. [h. König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Generalleutnant Hans Heinrich von Katte; Königs Wusterhausen, 3. November 1730: ] „Ich habe Euer und der Eurigen Vorschreiben und Intercession vor Euren Sohn wohl erhalten. Es thut mir gewiß von Hertzen leid, daß denselben das Unglück betroffen, da er Euch so nahe angehet. Indessen wisset Ihr wol, was auf solches Verbrechen gehöret, weswegen ich mich nicht weiter darüber expliciren will, als daß es besser, daß ein Schuldiger nach der Gerechtigkeit sterbe, als daß die Welt oder das Reich zu Grunde gehe. Ich bin also diesesmahl nicht im Stande, zu pardonniren, weil die Wohlfahrt des gantzen Landes, und meiner selbst, wie auch meiner Familie, wegen derer kunfftigen Zeiten es nothwendig erfodert, in welche Sachen sich auch keiner meliren muss – sonder dass ich es ihm selbst befehle. Da nun dieser Mensch sich in puncto Desertionis mit meinem Sohn so weit eingelassen, und alles dazu mögliche gethan, auch mit fremder Puissancen Gesandten sich dahin bearbeitet hatt, die Affaire reussiren zu machen, so hätte er wohl verdienet, daß er mit glüenden Zangen zerrissen würde, doch habe ich in Consideration Eurer und Eurer Familie die Straffe soweit gemindert, daß ihm zum Exempel und Warnung anderer der Kopff abgeschlagen werden soll.“ [i. König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Generalleutnant Hans Heinrich von Katte; Königs Wusterhausen, 7. November 1730:] „Es wäre gut, dass beim Regiment noch alles gut stünde.“
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Quellen-Anhang
[j. König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Generalleutnant Hans Heinrich von Katte; Königs Wusterhausen, 14. November 1730:] Aus Kattes Berichten vom 2. und 7. des Monats hat der König gerne ersehen, daß er zusammen mit der Kriegs- und Domänenkammer zu Königsberg alle möglichen Vorkehrungen getroffen hat, um die andernorts grassierende verderbliche Seuche von Mensch und Vieh fernzuhalten. Weiterhin billigt der König, was Katte wegen der Auszahlung der Präsenzgelder an die Anbauenden auf dem Neuen Markt zu Angerburg gebeten hat; desgl. wegen der Materialien zu einem Hausbau, den Katte dort plant. Entsprechende Ordres sind bereits ergangen. Weiterhin darf Katte nach Memel reisen, um die dortige Festung zu besichtigen. [k. Generalleutnant Hans Heinrich von Katte, an König Friedrich Wilhelm I. in Preußen; Königsberg i. Pr., 10. November 1730:] „Dass Endturtheil meines Sohns hatt mich unglückseeligen Vater dergestalt betäubet, daß selbsten nicht weiß, was Euer Majestät in dieser Bestürtzung schreibe. Als ein Christ muss Gottes unerforschliche Wege verehren undt zugleich mich Euer Majestät gleichmässig submittiren.“ [l. König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Generalleutnant Hans Heinrich von Katte; Königs Wusterhausen, 18. November 1730:] „Ich habe Euer Schreiben vom 10. dieses erhalten, worinnen Ihr das Unglück beklaget, so Ihr an Eurem verstorbenen Sohn erlebet. Es ist freylich nichts besser, als sich dem Willen Gottes gelassentlich [zu] übergeben. Ich trage indessen Mitleyden mit Euch, und wünsche Eure Beruhigung.“ [m. Generalleutnant Hans Heinrich von Katte, an König Friedrich Wilhelm I. in Preußen; Königsberg i. Pr., 14. November 1730:] „Die betrübte Todesarth meines Sohns hatt mich in solchen trostlosen Zustandt gesetzet, daß mich scheue, jemanden anzusehen. So bin nach meinem Regiment gereyset, und bitte Euer Königliche Majestät unterthänigst, mir ein Wochen 4 allergnädigst zu erlauben, daß auf eines meiner Güther gehen darff, in der Einsahmkeit Gottes unbegreiffliche und heilige wiewohl harte Wege, worauff er mich eine gantze Zeit hero geführet, zu erkennen und davor zu preisen. Undt dann, allergnädigster König und Herr, bitte mir diese einzige Gnade aus, umb das Raisoniren meiner Nachbaaren und Freunde zu evitiren: den Cörper meines Sohns nach meinem Guthe in aller Stille zu bringen. Ihro Majestät versage diese Gnade einen biß in den Todt betrübten Vater nicht.“ [Marginal-Dekret:] „Guht. Compliment“
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[n. Auditeur Karl Philipp Rumpf, an Generalauditeur-Leutnant Christian Otto Mylius; Berlin, 22. November 1730:] Generalfeldmarschall [Alexander Hermann] von Wartensleben hat die Bitte des Generalleutnants [Hans Heinrich] von Katte übermittelt, Abschriften des Kriegsgerichtsurteils und der Urteils-Konfirmation sowie der Suppliken zu bekommen, die Hans Hermann von Katte an den König richtete. Rumpf hat es übernommen, dies dem Mylius zu berichten, und wartet nun auf die Anweisung, wie er den Supplikanten antworten soll. Weiterhin drängt Wartensleben sehr auf die Übersendung der Aufstellung von Hans Hermanns hinterlassenen Schulden und des Inventars seiner Habe. Letzteres wurde ja bereits von Herrn Evert abgeschrieben, so daß es Mylius vielleicht noch gefällig ist, eine Aufstellung jener Katteschen Sachen anfertigen zu lassen, die sich noch im Generalauditoriats-Archiv befinden. Soweit Rumpf verstanden hat, möchte der Generalleutnant darüber endlich verfügen. Er hat nämlich mittlerweile die Legate seines Sohnes geordnet, kann diese aber nicht austeilen, bevor er nicht das Inventar ausgehändigt bekommen hat. Im übrigen klagt („lamentiret“) der Generalleutnant sehr. Er hat bereits, wie er schreibt, den König um Erlaubnis gebeten, den Leichnam des Sohnes auf seine Güter überführen zu dürfen. Weiterhin möchte er, daß ihm der Feldprediger, der Hans Hermann bis zum Ende geistlichen Beistand geleistet hat, alles dabei Vorgefallene schriftlich mitteilt. [o. Generalauditeur-Leutnant Christian Otto Mylius, an König Friedrich Wilhelm I. in Preußen; Berlin, 22. November 1730:] Wie Generalfeldmarschall [Alexander Hermann] von Wartensleben wissen ließ, will Generalleutnant [Hans Heinrich] von Katte Abschriften vom Kriegsgerichts-Urteil und dessen Konfirmation haben. Obwohl solche Bekanntgaben in der Regel durch die öffentliche Verlesung erfolgen, würde der Vater durch entsprechende Abschriften noch genauer über die Verbrechen des Sohnes informiert. Gleichwohl hat Mylius dies nicht ohne Billigung und Anweisung des Königs in die Wege leiten wollen. [Marginal-Dekret:] „Soll ihm eine Informacion geben“. [Bemerkung:] Die entsprechende „Informatio, so auf allergnädigste Ordre an Herrn Generallieutenant von Katte zu schicken abgefasset“, finden sich von Mylius’ Hand in der Akte GStA PK, BPH, Rep. 47 Friedrich der Große, A Nr. 14 Bd. 5, fol. 55 – 59, allerdings nur etwa zur Hälfte konzipiert. Eine vollständige Abschrift der „Informatio ex actis“ bietet GStA PK, VI. HA Nachlaß Anton Balthasar König, Nr. 359, fol. 1 – 11. Nach dieser Vorlage hat sie Hinrichs, Kronprinzenprozeß (Anm. 6), Nr. 75.5 unter der Bezeichnung
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„Aus einem anonymen Bericht über die Hinrichtung Kattes“ auszugsweise gedruckt. [p. König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Generalleutnant Hans Heinrich von Katte; Königs Wusterhausen, 24. November 1730:] „Ich ersehe aus Eurem Schreiben vom 14. dieses Eure Betrübnis wegen Eures Sohnes Unglück. Es thut mir solches selber von Hertzen leid, allein die Gerechtigkeit sowohl als die Nothwendigkeit hat erfordert, Eures Sohnes Verbrechen gehörig zu bestrafen. Denn da derselbe als ein Officier von einem Corps, so besonders an mich und mein Hauß attachiret, sich nicht entblödet, in so Land und Leuth verderbliche Anschläge zu complottiren, so bin ich gezwungen gewesen, ihn strafen zu lassen, damit nicht andere mehr dergleichen Verbrechen zu begehen sich gelüsten lassen mögen. Ich beklage Euch als ein Vater, hoffe aber, Ihr werdet Euch wie ein vernünfftiger Mann fassen und Euch in die Wege Gottes christlich finden, auch das Mittleiden der Gerechtigkeit und meiner Beruhigung und des gantzen Landes Wohlfarth nicht vorziehen. Ihr könnet Euch übrigens meiner Königlichen Gnade und Hulde völlig versichern, wie ich Euch denn gerne die gebethene Permission auf vier Wochen nach Euren Güthern zu gehen accordire.“ [q. König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Generalleutnant Hans Heinrich von Katte; Potsdam, 11. Dezember 1730:] „Ich habe Euer Schreiben vom 2. dieses zurecht erhalten, und werdet Ihr sehr wohl thun, wenn Ihr Euch in das Unglück schicket und Euch überwindet, denn Ihr könnet ja nichts davor. Übrigens ist mir lieb, daß Ihr die Postirung an der Gräntze wegen des Viehsterbens selber examiniret, um von allen recht gründlich Nachricht einzuziehen, und wenn Ihr dabey weiter etwas zu veranstalten nöthig findet, könnet Ihr mit der Kriegs- und Domainencammer daraus correspondiren.“ [r. König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Generalleutnant Hans Heinrich von Katte; Groß Schönebeck, 18. Dezember 1730:] Der König bedauert, daß Katte nach seinem Bericht vom 7. d. M. durch einen Unfall verhindert wurde, seine geplante Reise zur Visitation der polnischen Grenze anzutreten, und wünscht ihm gute Besserung. Wegen der Pflasterung des Neuen Markts zu Angerburg hat der König bereits Ordre erteilt, die Katte von der Kriegs- und Domänenkammer zu Königsberg sicher bald mitgeteilt bekommt. [s. König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, an Generalleutnant Hans Heinrich von Katte; o. D. [ca. 24. Juli 1731]:] Der König hat beschlossen, dem Katte aus besonderen Gnaden den Schwarzen Adlerorden zu verleihen, und soll er solchen nächstens bekommen.
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1730 – 1731
Unterrichtung Dritter über die Bestrafung der aktiven Beteiligung der Leutnants Peter Christoph Karl von Keith und Hans Hermann von Katte an den staatsgefährdenden Fluchtversuchen des preußischen Kronprinzen Friedrich GStA PK, BPH, Rep. 47 Friedrich der Große, A Nr. 14 Bd. 5 fol. 37 sowie fol. 39 – 58; dazu Nr. 14 Bd. 10, fol. 8 sowie 17 – 18; dazu Nr. 14 Bd. 13, fol. 320 – 335. Aktenvorgang, hier regestiert bzw. transkribiert: [a.] Immediat-Bericht, behändigte Ausfertigung; [b.] Bericht, genehmigtes Konzept bzw. behändigte Ausfertigung; [c.] Memorialschreibwerk, Konzept bzw. Reinschrift; [d.] Immediat-Bericht, genehmigtes Konzept bzw. behändigte Ausfertigung.
[a. Generalauditeur-Leutnant Christian Otto Mylius, an König Friedrich Wilhelm I. in Preußen; Berlin, 29. Dezember 1730:] Die Kabinettsministeriums-Minister [Adrian Bernhard] von Borcke und [Heinrich] von Podewils haben Mylius gestern in Königs Namen angewiesen, eine Deduktion zu formulieren, die gegebenenfalls nach England geschickt werden könnte. Nachdem sich Mylius an die Arbeit gemacht hatte, empfing er heute einen weiteren Befehl des Geheimen Rats [August Friedrich] Boden, demzufolge er sofort damit beginnen ließ, von den Akten eine Abschrift anzufertigen. In dieser Sache möge es ihm aber erlaubt sein, in zwei Punkten eine genauere Instruktion zu erbitten, um so weniger er weiß, welchen Zwecken diese Abschrift dienen soll. 1. Als Mylius bereits vor einiger Zeit eine Deduktion anfertigen mußte, befahl ihm der König mündlich, dabei die Untersuchungen auszulassen, die den Leutnant [Johann Ludwig] von Ingersleben betrafen. Da nun über diesen auch das Urteil erging, möchte Mylius wissen, ob das Ingersleben-Verhör mit abgeschrieben werden soll oder nicht. Ebenso möchte Mylius wissen, ob er die Anweisungen des Königs („hohe Decrete und Ordres“) mit in die Abschrift aufnehmen soll, die vorsahen, auf welche Weise man die Wahrheit noch herausbringen könne, wenn sie der Kronprinz nicht gütlich gestehen wolle. Andernfalls müßten die Akten Blatt für Blatt abgeschrieben werden. Wenn der König nun die Abschrift zu irgendjemands Information verwenden möchte, wäre es nach Mylius Meinung genug, wenn er alle Verhöre des Kronprinzen und des von Katte, das Kriegsgerichts-Urteil und die Urteilsbestätigung abschreiben ließe. Aus diesen Texten gehen alle Umstände und die jeweiligen Verfehlungen der beiden hervor („in welchen allen Umständen enthalten, worinnen jeder gesündiget hatt“). Sollte Mylius hier aber völlig irren, wolle ihm der König deswegen nicht ungnädig sein, sondern weiterhin befehlen, was zu tun ist.
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2. Da die Abschrift beglaubigt werden soll, hängt es noch von der Entscheidung des Königs ab, ob die gesamte Untersuchungskommssion, oder nur Mylius und [Kriminalrat Gustav Friedrich] Gerbet, oder Mylius allein die Abschrift unterschreiben soll. [Bemerkung:] Mylius erhielt seinen Bericht „zurück den 30. Dezember 1730“, wobei der König die Anfrage wegen von Ingersleben mit einem Tintenkreuz durchgestrichen hatte. [b. Generalauditeur-Leutnant Christian Otto Mylius, an Kabinettsministerium-Minister Adrian Bernhard von Borcke und Heinrich von Podewils; Berlin, 8. Januar 1731:] Wie von den Ministern beauftragt, hat Mylius den Vorgang, der zur Hinrichtung des Hans Hermann von Katte führte, in einer ausführlichen Darstellung zusammengefaßt, die sich hauptsächlich eben auf Katte konzentriert („und habe ich nach Dero Befehl solche hauptsächlich contra gedachten Katten stylisiret“). Natürlich kann dessen Verbrechen nicht thematisiert werden, ohne die Taten („facta“) des Kronprinzen miteinzubeziehen. Es muß daher der Entscheidung der Minister anheim gestellt werden, was davon etwa zur Information des englischen Hofes verwandt werden kann, oder was davon besser wegfallen würde. Sollte es darüber noch zu einer Beratung kommen, steht Mylius zur weiteren Auskunfterstattung zur Verfügung. [c. Generalauditeur-Leutnant Christian Otto Mylius, o. D. (Berlin, ca. 30. Dezember 1730 / 8. Januar 1731):] „Kurtzer Unterricht von dem Verbrechen, so der zu Cüstrin enthauptete Lieutenant von Katte begangen hat. Der zu Cüstrin decollirte Hans Hermann von Katte, seines Alters 25 Jahr, hat bey dem Regiment derer Gens d’armes 4 Jahr, anfangs als Cornet und nachhero als Lieutenant in Seiner Königlichen Mayestät von Preußen Dienst gestanden, und letztlich bey Seiner Hoheit den Cronprintzen in Preußen sich dergestalt insinuiret gehabt, daß endlich der Cronprintz ihm Confidence gemacht, wasmaaßen Selbige vorhabens wären wegen der von Seiner Königlichen Mayestät in Preußen, Dero Herrn Vater, über einige Begebenheiten gespührete Ungnade ausm Lande wegzugehen, und der von Katte Ihm hierzu behülflich seyn und mit ihm fortgehen mögte. Worein auch der etcetera von Katte entriret, mitzugehen sich engagiret, einige Consilia mit Seiner Hoheit darüber gepflogen und die Flucht zu praepariren nicht nur angefangen, sondern auch so weit darin fortgefahren, daß er nach seinem Bekenntniß sich feste resolviret gehabt, den Cronprintz auf der vorgehabten Flucht auf den Fuß zu folgen und also durch schändliche Desertion seiner Fahne und Dienst wieder seinen geleisteten Eydt zu verlaßen, und
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dadurch – wenn nicht Gottes sonderbahre Schickung und gnädige Vorsorge solches Dessein gehindert hätte – sowohl Seiner Königlichen Mayestät als das gantze Königliche Hauß und Dero Lande in höchstempfindlichen Chagrin und in die Gefahr übler Suiten zu setzen, wie folgende Umstände diesen ‚Kurtzen Begriff‘ mit mehreren deutlichen machen. Als der Cronprintz im Sommer verwichenen Jahres 1729 über einige von Seiner Königlichen Mayestät empfangene väterliche Correction in die Besorgniß mehrerer zu befürchtenden Ungnade gefallen, haben Seine Hoheit auf eine Absentirung meditiret, und durch Hülffe eines dahmals noch im Charackter eines Königlichen Cammerherren in Berlin sich befindenden, aber nachhero im Anfange des 1730ten Jahres (jedoch ohne das von dieser Sache etwas bekant gewesen) wegen seiner üblen Conduite disgracirten Frantzosen de Ferrand einige tausend Thaler geborget, auch von dem gedachten Cammerherren sowohl die Route nach Frankreich, als auch die demselben vorher ertheilte Passeports sich geben lassen, wobey es aber damahls geblieben ist. Es ist auch dem Lieutenant von Katten nichts davon offenbahret worden. Im November 1729 haben der Cronprintz den festen Vorsatz gefasset, sich außer Landes und nach Frankreich zu begeben. Es ist hierzu auch bereits ein Reisewagen anderwerts angefertigt worden, und mit dem damahls Königlichen Pagen von Kait die Sache concertiret gewesen, welcher mit dem Cronprintz fortzugehen demselben versprochen gehabt. Aber auch diesmahl hat hiervon der Lieutenant von Katte nichts erfahren, sondern, nachdem der Cronprintz seine Resolution geändert und der Page von Kait beym Dossowischen Regiment, so zu Weesel in Quartier liegt, Lieutenant worden, so hat der Cronprintz erst im Sommer 1730 auf der Reyse in des von Seiner Königlichen Mayestät in Pohlen und Churfürstlicher Durchlaucht zu Sachsen zu Radewitz ohnweit Mühlberg an der Elbe gehaltenen Campement dem Lieutenant von Katten eröffnet, daß, weil Sie mit Seiner Königlichen Mayestät in Preußen nach Endigung des Campements nach Anspach reisen würden, Sie auf solcher Reise sich retirien wolten, mit Begehr, daß der von Katte mitgehen mögte, worzu auch derselbe sich engagiret hat. Da nun hiernechst Seine Hoheit der Cronprintz solchen zu anticipiren und ausm Sächsischen Campement fortzugehen gemeynet, hat der von Katte, seine Pflicht vergeßende, sein böses Engagement schon in eine Würcklichkeit gesetzet und auf des Cronprintzen Befehl ausm Posthause die Route von Leipzig auf Franckfurth am Mayn verschaffet, und ob er wohl dem Cronprintz unterschiedende Difficultaeten vorgestellet und die Sache aufzuschieben gerathen haben will, so hätte er doch lieber gar nicht entriren, es schlechterdings refusiren, dem Cronprintz selbst Ihro Vorhaben wiederrathen, und da er dennoch des Cronprintzens Ernst gesehen, solches Seiner Königlichen Mayestät in Preußen Selbsteigenen hohen Persohn oder
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seinem, des Lieutenants, im Sächsischen Campement befindlichen Commandeur anzeigen sollen. Da er aber solches unterlaßen, ist solches so viel mehr unrecht, indem er einentheils gegen einen fremden Ministre offenhertziger gewesen und sich davon etwas mercken laßen, als er auf des Cronprintzen Begehr zu dem Königlich Pohlnischen und Churfürstlich Sächsischen Ministre Graffen von Hoym gegangen, von demselben im Nahmen des Cronprintzens unterm Praetext, daß 2 Officiers incognito nach Leipzig reysen wolten, die Verfügung zu begehren, das Postpferde dahin verabfolget werden mögten, er aber nach seiner Aussage den vurernanten Ministre gebethen haben will, Difficultaet zu machen, es wäre eine Reyse, die er nicht gerne thun wolte, er befürchtete, daß das Mißvergnügen des Cronprintzen auf vielerley Gedancken bringen mögte. Anderentheils hat er sogar dem Obristlieutenant von Rochau, welcher den Cronprintz in seiner Suite accompagniret gehabt, und den Lieutenant von Katten darüber gesprochen, daß er sorge, es mögte der Cronprintz, weil er mißvergnügt, weggehen, solchen Soupçon ausm Sinne zu reden sich bemühet, und zu selbigen gesagt, er glaube nicht, daß der Cronprintz solche Gedancken faßen würde, da er doch nicht nur eines anderen überzeuget gewesen und solches gewußt, sondern auch selbst dem Cronprintz damahls im Sächsischen Lager an Hand gegeben gehabt, wie sie auf der Tour nach Paris über Strasburg die Güter des ehmals als Envoyé in Berlin gewesenen Graffen von Rohtenburg passiren könten. Es hat aber der Cronprintz solches Dessein ausm Sächsischen Lager nach Frankreich zu gehen, changiret und dem Engelländischen Legationssecretair Guy du Kens [sic], so ausm Campement nach Engellant gereist, Commission gegeben, daselbst zu sondiren, ob er Protection kriegen könte, oder auszumachen, daß er in Franckreich bleiben könte, dessen Retour dann der Cronprintz abzuwarten und die Sache biß zur Anspachischen Reyse aufzuschieben sich resolviret, der Katte aber dabey vorgeschlagen, daß er sodann nach Anspach kommen, daselbst vor dem Thor mit Postpferden warten oder auch als ein Postillon sich verkleyden und auf der Reise dem Cronprintz folgen wolle, bis sie Gelegenheit bekommen würden, fortzugehen. Als nun der Cronprintz ausm Sächsischen Lager nach Berlin zurückgekommen, und indeßen der Lieutenant von Katte Zeit und Gelegenheit gehabt hätte, zu poenitiren, die Gefahr der Sache einzusehen und sich des Cronprintzens ferneren Ansinnen zu entziehen, so hat er doch sich weiter eingelaßen, mit dem Cronprintzen über das Vorhaben deliberiret, und da Sie von ihm verlanget, er solle zu solchen Behuff suchen, daß er Permission auf Werbung zu gehen erlangen möge, so hat er würcklich sich bemühet, den Urlaub zu erlangen, auch dem Cronprintz Hoffnung dazu gemacht, und Dero Baarschafft, Jouvelen, Brieffschafften und andere Sachen von dem Cronprintz angenommen und heimlich vom Schloße weggebracht, solche hiernechst auf die Flucht mitzunehmen, maaßen er auch ein graues Tuchkleid
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mit Silber machen laßen, deßen der Cronprintz auf der Reise sich bedienen wollen incognito zu seyn – durch welches alles der Lieutenant von Katte nicht nur würcklich Hülffe geleistet, sondern auch dem Cronprintz selbst in dem Dessein gestärcket, und also keine Übereylung begangen, sondern alles wohlbedächtig und mit Praemeditation geschehen ist. Wie verblendet aber der Lieutenant von Katte gewesen und sich etwa mit einer interessirten Absicht auf künfftige Zeiten geschmeichelt, aber nicht nur an sich, sondern auch an den Cronprintz selbst, dem er hierunter zu dienen gesucht, gemißhandelt und schlimme Dienste gethan habe, solches erhellet noch mehr aus folgendem, was bey Retour erwähnten Legationssecretarii vorgegangen. Denn als der Monsieur Guy du Kens aus Engelland nach Berlin zurückgekommen und dem Cronprintz die Antwort gebracht: Man wolle Sie nicht haben; Sie mögten sich die Gedancken vergehen laßen; Es würde das Feuer an allen Ecken von Europa angezündet werden, wenn der Cronprintz bey jetzigen Conjuncturen dergleichen vornehmen wollte; Seine Mayestät der König von Großbritannien wolten durchaus nicht haben, daß hernach die Welt sagen würde, daß er den Printzen seduciret [von lat. seducere, verführen] habe; Es würden die Brouillerien mit Engelland nur stärcker werden; Man würde alles thun, ihn zu soulagiren, auch die Schulden bezahlen – so hat der decollirte von Katte, solche Antwort wohl wißende, dennoch durch diese vom dem Legationssecetario dem Cronprintz vorgehaltenen triftigen Umstände sich nicht abhalten laßen, seinen Eydt zu brechen und wider den König sich gebrauchen zu laßen, sondern es hat derselbe hierauf übernommen, unterm Praetext der Reyse auf Werbung nach Engelland zu gehen und daselbst vor den Cronprintz, daß Sie aufgenommen werden mögten, zu negotiieren, maaßen er dazu bereits einen Brieff vom Cronprintz an Seine Mayestät den König von Großbritannien empfangen gehabt, und solche Reyse und Negotiation binnen der Zeit absolviret werden sollen, da Seine Königliche Mayestät in Preußen nach Anspach und ins Reich reysen, den Cronprintz aber nicht mitnehmen wollen. Als indeßen der Engelländische Envoyé von Hottam von Berlin zurück nach Engelland gegangen, und der Cronprintz an denselben Billets geschickt, und, daß er 15.000 RTl schuldig sey, beckant gemacht, hat der von Katte sich auch hierzu gebrauchen laßen, da er doch gewust, wie hart kurtz zuvor durch ein öffentlich Edict verbothen gewesen, vor die Printzen des Königlichen Hauses, auch selbst den Cronprintz Geld zu negotiiren oder zu leyhen, welchem Verboth zuwider der Katte bereits vor dem Sächsischen Campement dem Cronprintz 1.000 RTl anlehnsweyse verschafft gehabt. Bey annehmender Reyse Seiner Königlichen Mayestät in Preußen nach Anspach, und da Selbige resolvirt, den Cronprintz mitzunehmen, hat auch die Sache wegen des von Kattens Reyse nach Engelland sich geändert, indem der Cronprintz Dero ersten Anschlag auf der Anspachischen Reyse zu
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flüchten, wieder herfürgesucht, den von Katten deshalb nach Potsdam zu sich kommen laßen, und mit demselben darüber conferiret, auch obwohl der von Katte sich anfänglich excusiret, daß er so behend sich zur Reyse nicht praepariren könne, es auch besser seyn würde, die Flucht so lange, bis der Cronprintz mit Seiner Königlichen Mayestät nach Weesel kämen, auszusetzen, und von daselbst nach Holland zu gehen, weil Sie solchergestallt leichter nach Engelland kommen könten, so ist doch endlich das Final gewesen, daß Katte zu einer Reyse auf Werbung Permission zu erlangen sich bemühen und nach Canstadt ohnweit Stutgardt liegend kommen solle, alwo sie einander treffen und die Reyse weiter nach Strasburg fortsetzen wolten. Es hat auch der Lieutenant von Katte noch Tages vor der Abreise des Cronprintzens einige Dero Sachen, als Sattel, Pistohlen, Flinte an sich genommen, solche auf der Reyse dem Cronprintz wieder mitzubringen. So hat auch der von Katte vor solcher Abreise des Cronprintzen von Selbige erfahren, daß der oberwehnte ehemalige Page, nachmahliger Lieutenant bey dem Dossowischen Regiment, von Kait von der Partie seyn und aus Weesel desertiren wolle, auch an selbigen von dem Cronprintz Geld geschickt worden. Solchergestallt hat der Lieutenant von Katte sein böses Dessein continuiret, und ob er wohl gewust, daß das Kleinodt des Königlichen Hauses und des Landes aus Seiner Königlichen Mayestät Augen und ausm Lande sich wenden wolle, solches aber mit einem ungewißen Ausgange und mit Gefahr des Status publici verknüpfft sey und dahero der von ihm zur Fahne geleistete Eydt erfordere, Seiner Königlichen Mayestät treu zu seyn, vor allem Schaden zu warnen und solchen abzuwenden, hat er dennoch sein treuloses Hertz sich verhärten laßen, daß er hat können stille seyn und schweigen, und den König mit dem Cronprintz in so gefährlicher Situation der Sachen abreisen laßen. Als aber der von Katte alles seines Bemühens unerachtet keinen Werbpass bekommen, hat er – der mit des Cronprintzens Hoheit genommenen Abrede nach – seinen Diener en Courier nach Erlangen an den daselbst auf Werbung liegenden, aber von der Sache nichts wißenden und ihm verwandten Rittmeister, nunmehro Major von Katten ab- und demselben einen Brieff an den Cronprintz nach Anspach zu bestellen überschicket, worinnen er gemeldet, daß er noch keinen Uhrlaub auf Werbung habe; Auch nicht einst [sich; vielleicht irrtümlich für: einmal] von seinem Obristen Permission nach Magdeburg zu reysen bekommen könne; Wenn er nicht reussiren könte, wolte er ohne Urlaub weggehen; Er bäthe nur, der Cronprintz mögte sich nicht praecipitiren, sondern warten, biß der König nach Weesel gehen würde; Und weil die Werbepaesse noch nicht alle von des Königs Unterschrifft zurück wären, so mögte er den seinigen noch wohl bekommen. Der Cronprintz hat darauf dem Lieutenant von Katten geantwortet, daß er nichts vornehmen solle, biß Sie ihm noch einmahl schreiben würden. Aber bald darauf haben der Cronprintz ihm notificiret, daß Sie nunmehro
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gewiß zu Sintzheim fortgehen wolten, und der von Katte Sie unter dem Nahmen eines Comte d’Halberville, den Lieutenant von Kait aber unterm Nahmen Comte de Sparr im Haag finden, er selbst aber, Katte, sich du Forest nennen solle, jedoch nicht eher nachkommen, als biß er hören würde, daß der Cronprintz weg wäre. Indeßen hat der von Katte zu Berlin nach Zurückkunfft seines Dieners mit des Cronprintzens Antwort unterm Praetext auf Werbung zu gehen, Wagen und Kasten reisefertig machen, das oberwehnte graue Kleid des Cronprintzen zum Einpacken einzunehmen befohlen, und die oberwehntermaaßen an sich genommene des Cronprintzens Brieffschafften, Jouvelen und Tabaquiers aus seinem Quartier weggeschafft, und solche wohl verwahret an einen seiner Anverwandten unterm Vorwand einer habenden Reyse zur Verwahrung anvertrauet, das Geld aber, so der Cronprintz ihm zugestellet (an 3.000 RTl) bey sich behalten und die Nachricht von des Cronprintzen Absentirung erwartend sich reisefertig gehalten – allermaaßen er bekennet hat: wenn der Cronprintz würde weggewesen seyn, so hätte er nachgehen wollen. Es hat aber Gottes allweise Regierung die Sache zu keinen vollenkommenen Effect kommen laßen: denn als hierauf der Cronprintz am 5ten August 1730 auf der Reyse mit Dero Herrn Vaters Königlicher Mayestät von Stutgardt nach Manheim das Dessein auszuführen gesuchet und in dem Nachtlager zu Steinfurt des Morgens früh um 2 Uhr aufgestanden und einen zu solchem Vorhaben zu Ludwigsburg verfertigten rothen Oberrock angezogen, so hat des Cronprintzens Cammerdiener Argwohn geschöpffet, und den Obristlieutenant von Rochau ruffen laßen, dessen Herbeykunfft und Gegenwart dann gehindert hat, daß, obwohl bereits durch den Pagen von Kait (einen Bruder des oberwehnten Lieutenants) 2 Postpferde herbeygeführet worden, auf welchen der Cronprintz mitsamt den Pagen über Strasburg nach Franckreich fortgehen wollen, es dennoch nicht geschehen und die Herbeyführung derer 2 Pferde von dem Pagen damit bemäntelt worden, daß solche vor die beyden Pagen zu Fortsetzung der Reyse mit Seiner Mayestät bestellet wären. Es ist aber Tages darauf solches gehabte Dessein Seiner Königlichen Mayestät in Manheim eröfnet, jedoch von Seiner Königlichen Mayestät die Sache stille gehalten worden, biß Selbige nach Weesel gekommen, alwo der Cronprintz bekennet hat, daß der Lieutenant von Katte und der Lieutenant von Kait die vorhabende Flucht gewust und mitzugehen sich engagiret gehabt, maaßen auch der von Kait bereits den 6. August aus Weesel desertiret und über Cleve, Niemwegen, Rhüner [Rhenen] und Utrecht nach dem Haag gegangen. Ob nun gleich der nachgeschickte Königlich Preußische Obrist du Moulin und der preußische Envoyé alle Mühe angewendet, seiner habhafft zu werden, auch von denen committirten Räthen von Holland eine Ordre an den Cammer-Bewaerder erhalten gehabt, denselben arretiren zu lassen, so ist es doch umsonst gewesen, indem nach des
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Cammer-Bewaerders Rapport vom 15. August 1730 und anderen habenden Nachrichten schon Tages zuvor gegen Abend der von Kait mit dem Cammer[-Diener] des Generallieutenants Baron von Keppel, so ehmahls alß Envoyé in Berlin gewesen, aus dem Quartier ,Zu 3 Schwalben‘ genant weggegangen, nachdem kurtz vorher seine Hardes nach des Haußknechts Rapport in des Großbritannischen Ambassadeurs Mylords Graffen von Chesterfields Hauß getragen und an obbesagten Cammerdiener abgegeben worden. Im Haag hat dieser von Kait sich sehr bemühet, einen Comte d’Halberville auszufragen, hat sich auch unter dem Nahmen eines Graffen von Sparr anfangs bey den obbesagten Generallieutenant Baron von Keppel anmelden laßen, jedoch derselbe ihn nicht gekant. Weil aber deßelben Cammerdiener nicht wißen wollen, wohin der von Kait gekommen sey, und in Abwesenheit des Graffen von Chesterfields der Secretarius sich gegen den Preußischen Envoyé und erwehnten Obristen entschuldiget, daß ihn nicht zustehe, einige Recherches zu thun und über die Domestiquen sich dergleichen Autoritaet anzumaßen, so ist im Haag seine Persohn weiter aufzusuchen umsonst gewesen. Es hat auch der desertirte von Kait sich nicht mehr lange aufgehalten, sondern sich weggemacht, und ist den 18ten August früh in Gesellschaft des Haus- [und] Hof-Meisters von besagtem Graffen und nebst noch 2 Persohnen zu Schevelingen mit einer Kutsche angekommen, und nachdem er von denenselben an ein dazu gemiethetes Pinco oder Fischer-Schiff begleitet worden, ist er ohnerachtet der Wind sehr contrair gewesen, daß auch andere Schiffe in die Maas zurückgetrieben worden, dennoch in aller Eyl ab- und nach Engelland übergegangen. Wie nun dieser bis hieher des weltlichen Richters Urtheil und Straffe sich entzogen, aber doch unter göttlichen Gerichte lieget und zu erwarten stehet, wie solches diese Untreue straffen will, so der entlaufene von Kait an seinen König und Kriegsherrn begangen, von welchen er vorhin Gnade und Wohlthat genoßen gehabt, also ist hingegen die Sache wieder den von Katte durch eine von Seiner Königlichen Mayestät in Preußen niedergesetzte Commission untersuchet, obige Umstände erzehltermaaßen befunden, und hiernechst die Acta einem vereydeten Kriegsgericht zu Abfaßung eines Spruchs übergeben worden. Aus denen erzehlten Umständen erhellet von selbsten, was für ein großes Verbrechen der von Katte begangen hat, indem er als ein angebohrner Unterthan, Vasall und Officier, so seinen König und Kriegsherren bey einem Regiment, welches Seiner Königlichen Mayestät hohe Persohn und Königliches Hauß bewachen und bewahren soll, treu zu dienen und Seiner Königlichen Mayestät Bestes zu befordern und allen Schaden und Nachttheil zu verhüten und abzuwenden geschworen, seinem Eydt und Pflicht gerade entgegen gehandelt. Denn da er ein bevorstehendes Übel und Seiner Mayestät und gantzen Lande gefährliche Sache gewust, hat er es verschwiegen und in
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Sachen, welche so viel als diese importiret und den Landesherrn, ja das gantze Land mit Chagrin und Schaden berühren können, ist dergleichen Verschwiegenheit schon ein schweres Verbrechen. Er hätte nach seiner Pflicht sowohl den Cronprintz, dessen Bestes hierunter selbst Gefahr lieff, die Flucht abrathen, als auch Seine Königliche Mayestät warnen sollen – aber stattdeßen hat er dem Cronprintz mit Rathschlägen secundiret und gestärket in einem Vorhaben, welches nichts Gutes nach sich ziehen konte. Und da er solches abzuwenden schuldig gewesen, hat er helffen wollen und schon geholffen, also statt der schuldigen Treue große Untreue erwiesen, seinen Eydt nicht gehalten noch erfüllet, sondern gebrochen und vergessen. Er hatte so viel Alter und Verstand, daß er durch Klugheit dasjenige, was eine Übereylung und unreiffes Project ihm zugemuthet, leichtlich mit guter Manier abwenden können, und bedencken sollen, in was für Gefahr auf alle Arth und Weyse er nicht eine Privatpersohn, sondern denjenigen stürtzen helffen wollen, welchen er wuste, daß Gott in der Natur und Gesetze zum Nachfolger aufm Thron destiniret habe, und daß es nach dem Stylo derer Rechten eine Persona sacra sey, welche zu violiren und zu verführen eine der größten Mißethaten ist. Aber seine auf falsche Ideen gebauete Ambition und die schmeichelnde Hoffnung eines süßen Traumes von etwa künfftigen Glück hat verursachet, daß er weder des Königs Mayestät gescheuet, sondern beleydiget, noch des Cronprintzens Hoheit veneriret, sondern Sie mehrerer Ungnade Dero Herren Vaters und Landesherren exponiret. Des englischen Legationssecretarii oben erzehlte Expressiones hätten ihm genugsamen Eindruck von der Wichtigkeit und Gefahr der Sache geben können, daß Status publicus und deßen Tranquillitaet perturbiret werden mögte: und da jener, welcher doch weder Unterthan noch sonst mit einem Eydt dem König verpflichtet gewesen, wie Katte, dennoch nicht nachgelassen hat den Cronprintz zu bitten, von solchen Vorhaben abzustehen, biß Seine Hoheit solches zugesaget haben – so hätte der Lieutenant von Katte so viel mehr solchem Exempel folgen, den Cronprintz in der auf Monsieur Guy du Kens Zureden gefasten guten Resolution, nunmehro nicht ausm Lande zu gehen, starcken, darinnen souteniren, und wenn er davon abgehen wollen, wieder dahin lencken, oder doch zu Beobachtung seiner Pflicht es gehörig anzeigen sollen, worinnen er allezeit die Extremité seiner Pflicht hätte suchen können, so oft er den Ernst der Gefahr gesehen hat. Es ist noch ein Umstand übrig, welcher sein Verbrechen vergrößert, daß er von den Cronprintz gehöret: Sie wolten deshalb nach Franckreich gehen, weil Sie wüsten, daß beyde Höffe nicht wohl miteinander stünden, und wenn
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Sie daselbst oder in Engelland keine Protection bekommen könten, wolten Sie nach Italien gehen und incognitò Kriegsdienste nehmen. Es wird nicht gesagt, daß es würcklich so weit würde gekommen seyn, aber es hat doch das Gemüth und der Vorsatz des von Katten in solchen Ideen und Desseins extriret, dessen Gefährligkeit, wenn er es hätte nur etwas betrachten wollen, ihn billig auf einmahl hätten rebuttiren können. Daran weiter zu gedencken, daß er vor seine Persohn den Eydt, so er zur Fahne geschworen, verunehren und desertiren wollen, zugleich aber durch die gantze Sache des Königs Hertz verwunden, seine Regierung über seinen Cronprintzen antasten, den Augapfel des Königlichen Hauses und Landes verwahrlosen und alles in des Königs Hertz, Hauß und aller treuer Unterthanen Gemüther in Betrübniß und Unruhe, ja alles in eine Ungewißheit und Sorge setzen, was daraus erfolgen mögte, so der von Katte eher böse als guth voraussehen müßen. Zwar hat sich der Umstand falsch befunden, als ob der Cronprintz sich über den Kayserlichen Gesandten und Generalfeldzeugmeister Graffen von Seckendorff und über den Königlich Preußischen Generallieutenant und Würcklichen Geheimbden Etats- und Kriegsministre von Grumko beklaget haben solten, als ob dieselben Sie, den Cronprintzen, an eine catholische Printzeßin verheyrathen wolten; maaßen der Cronprintz deßen nicht geständig seyn wollen, sondern vielmahls declariret, daß Er dergleichen nicht habe sagen können, weil es ohne Grund und dergleichen niemahls vorgewesen wäre – so hätte doch auch der von Katte die Religion des Cronprintzens, wenn er nach Franckreich oder Italien gegangen, in Gefahr gebracht. Und daß dieses alles, worinnen des von Katten Verbrechen bestehet, ein Crimen dolosum und praemeditatum sey, ist um so viel mehr daraus offenbahr, daß er dieses Propositum von einer Zeit zur andern und in offt wiederholten Deliberationen mit dem Cronprintzen continuiret hat, und ob es wohl einige Mahl ins Stocken gerathen und Difficultaeten befunden worden, der von Katte auch gewust, daß schon einiger Soupçon von des Cronprintzens Retraite bey vielen rocelliret habe, er dennoch solches Dessein mit seiner Assistenz immer weiter unterhalten habe. Es hat zwar derselbe in denen Acten zu seiner Entschuldigung oder vielmehr, da er sein Unrecht gar wohl erkennet gehabt, nur zu Mitigation der Straffe anführen wollen, daß er nicht Urheber der Sache sey, sondern von dem Cronprintz sich darzu habe bereden laßen. Allein gleichwie in andern großen Verbrechen solche Excuse nichts heißet, einen von der Straffe frey zu machen, also hat noch weniger solcher Umstand in dieser den Statum publicum und Familiam Regis betreffenden Sache die Abscheuligkeit seines Verbrechens mindern können, denn die Treue eines Unterthanen und Soldaten muß sich eben bey solcher Gelegenheit zeigen, wo sie nöthig ist. Da er auch vorgiebet, daß der Cronprintz über die Ungnade Seiner Mayestät des Königs lamentiret, welches ihn zur Compassion bewogen, so hätte er solchen unzei-
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tigen Affect durch pflichtmäßige Erinnerung seines Eydes in Betrachtung der Sachen Wichtigkeit bey sich niederschlagen können. Und er war dazu nicht gesetzt, sondern viel zu schwach und zu geringe, sich in dasjenige, was zwischen dem Könige und seinen Sohn passiret, zu meliren, und diesen dem Gehorsam gegen seinen König und Vater zu entziehen, dergleichen anmaßlicher Eingriff in eines Souverainen Potestaet und vätterlichen Willen bey Erziehung seines Printzen eine große Künheit und eine große Beleydigung der Königlichen Mayestät gewesen. Obwohl auch scheinet des Cronprintzens Außage ihm darinnen zustatten zu kommen, daß er nach seinem Vorgeben Seiner Hoheit viel Difficultaeten gemacht und es aufzuschieben angerathen, wodurch er behaupten wollen, daß er die Sache gantz zu hindern gesucht habe, meynende, daß er den Cronprintzen in seinen Händen gehabt, so lange er deßen Baarschafft und Jouvelen bey sich hätte, und er hingegen gesorget habe, daß Seine Hoheit in schlimmere Hände gerathen mögten, wenn er von Sie abgehen wolte. Allein diese gute Anstalt der Ausflucht hat sich gar bald verlohren, wenn übrigens aus denen Acten erhellet, daß er solche Difficultaeten, welche ihm das Dessein hier und dar und auf diese und jene Art und einer oder andern Zeit auszuführen unmöglich oder doch alzu gefährlich geschienen haben mag, aber nicht gäntzlich abzureden gesucht, sondern selbst, wie und wo es beßer geschehen könne, einige Vorschläge gethan, und sich der Praeparation der Flucht immisciret, auch aus so öfftere Propositionen des Cronprintzen den Ernst der Sache gesehen, von demjenigen Gelde, so er an sich genommen, dem Cronprintz 1.000 RTl zurückgeben müßen und nicht wißen können, ob nicht Seine Hoheit mehr Geld und Jouvelen hätten; am meisten aber der Ungrund seines Verbrechens sich in der leztere Conduite bey der Abreise des Cronprintzens nach Anspach herfür gethan hat, sintemahl Seine Hoheit solchergestalt von ihm entfernet wurden, und wie es die Sache gewiesen hat, ohne ihm fortgehen wollen, er auch selbst Briefe davon in Berlin empfangen, und doch bey allen diesen Umständen es verborgen gehalten, auch in denen Acten gütlich bekennet hat: daß er würde nachgegangen seyn, so bald er gehöret, daß der Cronprintz fort wäre. Dieses schläget die gantze Excuse nieder und es bleibet feste stehen, daß die Flucht des Cronprintzens Ad Actum proximum gekommen, und es auf ein klein Tempo beruhet hat, daß der Cronprintz mit dem Pagen auf die von solchen schon herbeygeführte Postpferde sich hätte aufsetzen können und die Flucht angetreten gewesen wäre, er dieserwegen sich nicht entschuldigen können, sondern das gefährliche Verbrechen gewust, verschwiegen, befordert und mitfortzugehen – also zu desertiren – parat gewesen, und nur auf die Nachricht, daß der Cronprintz weg sey, gewartet, also dieser Conatus so weit bey ihm gegangen, daß das Delictum, so viel an ihm gewesen, und weil alle Verbrechen nach dem Principio Agendi zu beurtheilen, in sei-
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nem Gemüthe vollbracht gewesen, maaßen auch bekanten Rechtens, daß, wenn Conatus ad Actum proximum gekommen, insonderheit in Delictis atrocioribus, solcher ordinaria Delicti Poena ebenso zu bestraffen, als wenn das Verbrechen gäntzlich zu seinem Effect kommen wäre, welches alhier um so viel mehr stattfindet, da es Seiner Königlichen Mayestät, das gantze Königliche Hauß und alle Königlichen Lande hätte laediren können und bereits auch schon durch das, was geschehen ist, beleydiget und perturbiret hat. In zwo Puncten, so bey der Sachen Untersuchung vorgekommen, ist er unschuldig befunden, oder doch nicht graviret worden: einmahl, daß er nichts davon gewust habe, daß Seine Königliche Hoheit der Cronprintz aus denjenigen Ordenscreutz, so Sie von des Königs in Pohlen Mayestät und Churfürstlicher Durchlaucht zu Sachsen empfangen gehabt, einige ächte Diamanten herausnehmen laßen und verkaufft oder vertauscht, andere unächte aber eingesetzet worden; und dann auch zum anderen wegen der schon anno 1729 von dem Cronprintz gemachten Schulden und versezten silbernen Vaisselle, an welchen Factis der von Katte keinen Theil gehabt hat. Nach geendigter Untersuchung haben Seine Königliche Mayestät in Preußen ein Generalkriegsgericht niedergesetzt, worinnen ein Generallieutenant praesidiret, und 3 Generalmajors, 3 Obristen, 3 Obristlieutenants, 3 Majors und 3 Capitains, welche alle per Sortem von Seiner Königlichen Mayestät erkieset und darzu commandiret worden, zu Assessoren gehabt. Und da solche zu Coepenick sich versamlet und Acta verlesen worden, seynd die Stimmen zertheilet gewesen, und die Helffte auf Todesstraffe, die andere Helffte aber, worunter des Praesidis Votum, auf ewige Festung ausgefallen. Wie nun bey solcher Bewandniß nach denen Rechtsreguln die Sententz auf gedachte Vota mitiora hat abgefaßet werden müßen, ihn zum ewigen Vestungsarrest zu condemniren, also haben jedoch Seine Königliche Mayestät in Preußen, als die Sententz zur Confirmation eingeschicket worden, nöthig befunden, diesen Spruch zu aggraviren, allermaaßen Seine Königliche Mayestät an die in solchen Fällen derer unterschiedenen Stimmen denen Richteren zur Abfaßung des Spruchs vorgeschriebenen Rechtsregul bey vorkommender Wichtigkeit der Sache Sich nicht verbunden geachtet, so schlechterdings die Sentenz zu confirmiren, sondern weil eben deshalb die Urtheile an einen souverainen Landes- und Kriegsherren eingeschickt werden, ob er solche bestätigen oder gestalten Sachen und deren Importanz nach ex Plenitudine Potestatis eminentis mindere oder schärffen wolle, zumahl wo Bonum publicum solches erfordert, auch in gegenwärtigen Fall Seine Königliche Mayestät am besten bekant gewesen, wie gefährlich diese Entreprise gewesen, und wie sehr der von Katte an Seiner Königlichen Mayestät und Sicherheit des Königlichen Haußes sich desfalls vergriffen habe:
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So haben Seine Königliche Mayestät an das Generalkriegsgericht allergnädigst rescribiret, daß Seine Königliche Mayestät zwar nicht gewohnt, die Kriegsrechte zu schärffen, sondern vielmehr, wo es möglich, zu mindern. Dieser Katte aber sey nicht nur Officier bey der Armee, sondern auch bey der Guarde Gens d’armes, und da bey der gantzen Armée alle Dero Officiers Ihro Mayestät getreu und hold seyn seyn [sic] müsten, so müße solches um so viel mehr geschehen von denen Officiers von solchen Regimentern, welche immediatement an Ihro Königliche Mayestät allerhöchste Persohn und Dero Königlichem Hauße vermöge Eydes attachiret wären. Da aber dieser Katte mit der künfftigen Sonne tramiret habe zur Desertion, mit fremden Ministres und Gesandten allemahl durcheinander gesteckt, und er nicht dafür gesetzet worden, mit dem Cronprintz zu complottiren, au contraire es Seiner Königlichen Mayestät und Dero Generalfeldmarchal von Natzmer hätte angeben sollen, so wüsten Seine Königliche Mayestät nicht, warum dem Katten nicht das Leben abgesprochen worden. Seine Königliche Mayestät würden auf diese Art Sich auf keinen Officier noch Diener, die in Eydt und Pflicht seyn, verlaßen können, denn solche Sachen, die einmahl in der Weldt geschehen, öffters geschehen könten. Es würde aber alsdann andere den Praetext nehmen, wie es Katten wäre ergangen, und weil der so leicht und guth durchgekommen wäre, ihnen dergleichen geschehen müße: Als wolten Seine Königliche Mayestät, und zwar von Rechts wegen, daß der Katte, ob er schon nach denen Rechten verdienet gehabt, wegen des begangenen Criminis laesae Mayestatis mit glüenden Zangen gerißen und aufgehänget zu werden, er dennoch nur in Consideration seiner Familie mit dem Schwerdt vom Leben zum Todt gebracht werden solle. Wobey noch Seine Königliche Mayestät allergnädigst befohlen, dem von Katten bey der Publication zu sagen, daß Seiner Königlichen Mayestät es leydt thäte, es wäre aber beßer, daß er stürbe, als daß die Justiz aus der Weld käme. Nachdem nun solche Publication am 2ten November 1730 zu Berlin geschehen, ist der von Katte den 3ten ejusdem auf allergnädigste Ordre mit einem Commando nach Cüstrin gebracht und den 6ten daselbst, nachdem er sich zum Tode wohl bereitet gehabt, aufm Wall dasiger Festung decollirt und nach einigen Stunden durch Bürger in Sarg gelegt und auf dem ArmenKirchhoff begraben worden.“ [d. Kabinettsministerium-Minister Adrian Bernhard von Borcke und Heinrich von Podewils, an König Friedrich Wilhelm I. in Preußen; Berlin, 12. Januar 1731:] Generalauditeur-Leutnant [Christian Otto] Mylius hat die hier angelegte Darstellung der schweren Verbrechen abgeschlossen, die zur Enthauptung
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des Hans Hermann von Katte führten. Friedrich Wilhelm I. möge nun entscheiden, ob dieser Schriftsatz an den preußischen Gesandten in London, [Christoph Martin Graf von] Degenfeld [-Schonburg], zur Information des englischen Hofes weitergeleitet, oder ob er nicht vielmehr zu den Akten weggelegt werden soll, da die Anweisungen des Königs in bezug auf Katte von selbst in überreichem Maße gerechtfertigt sind, und der König darüber niemandem Rede und Antwort stehen muß. Im übrigen scheint sich die Sache schon soweit beruhigt zu haben, daß sie nicht mehr zu Gerede Anlaß gibt („die Sache auch an und vor sich schon dergestalt ruhet, daß nicht mehr davon gesprochen wird“). [Marginal-Dekret:] „Reponatur, soll verschwiegen bleiben. Ich habe an Gott, sonsten an keinen Rechenschafft von meiner Conduite zu gehben.“
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1740-August / November
Anfertigung eines neuen Wappens für den Generalfeldmarschall Hans Heinrich von Katte anläßlich seiner Erhebung in den Grafenstand GStA PK, I. HA Geheimer Rat, Rep. 7, Nr. 13-1 K 15. Aktenvorgang, hier transkribiert: [a.] Kabinetts-Dekretschreiben, beh. Ausfertigung; [b.] Immediatbericht, beh. Ausfertigung; [c.] Memorialschreibwerk, Reinschrift. Vgl. dazu die beh. Ausfertigung des Grafendiploms in GStA PK, VI. HA Familienarchiv von Katte, Nr. 1.
[a. König Friedrich II. in Preußen, an die Geh. Etatsminister Generalfeldmarschall Adrian Bernhard Graf von Borcke, Heinrich Graf von Podewils und Wilhelm Heinrich von Thulemeier; Berlin-Charlottenburg, 4. August 1740:] Der König hat beschlossen, den Generalfeldmarschall [Hans Heinrich] von Katte in den Grafenstand zu erheben. Dafür sind die nötigen Ausfertigungen herzustellen. [Bemerkung:] Dazu Angabe von Podewils, 6. August 1740: „Fiant dieserhalb die benöthigte Expeditiones, undt wirdt bey des Herrn Generalfeldmarschalls von Katten Excellentz, so sich alhier aufhalten, wegen Veränderung dero Wapens und welchergestalt sie solches eingerichtet zu haben verlangen, Erkundigung einzuziehen seyn, damit davon hernechst ein Project verfertiget undt an Seine Königliche Majestät zu Deroselben höchsten Approbation eingesandt werden kann.“ [b. Geh. Etatsminister Heinrich Graf von Podewils, an König Friedrich II. in Preußen; Berlin, 10. September 1740:] Der Generalfeldmarschall von Katte bittet um Genehmigung des Wappens dergestalt, wie aus der Anlage hervorgeht. Der König möge dazu seine Anweisung erteilen.
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[c. Anlage: Blasonierung des Entwurfs für ein Wappen des Grafen Hans Heinrich von Katte, seiner Ehefrau und ihrer Nachkommen; o. D.:] „nehmlich: ein getheilter Schild, oben in dem silbernen Felde lieget Unsere Königliche Crohne und Zepter auf einem rothsammittennem Küßen, unten in dem blauen Felde siehet mann eine davonspringende graue Katze mit einer gefangenen Mauß in der Schnautze. Der Schildt ist mit dreyen gekröhnten, schwartz und blau angelauffenen und mit güldenen Bügeln, auch anhangenden gleichmäßigen Kleynodien gezierten Helmen bedecket. Über der Crohne von dem Helm zur Rechten findet sich ein rother Keßelhaacken zwischen dehnen beyden gegeneinander sich ausgebreiteten Preußischen Schwartzen Adlersflügeln. Aus der Crohne des Helms zur Lincken raget ein geharnischter Arm hervor, mit einem Commandostab in der Handt. Undt hinter der Crohne vom Helm in der Mitten springet wieder eine solche graue Katze mit einer Mauß in der Schnautze, wie unten in dem blauen Felde des Schildes, biß an die Hinterpothen hervor. Die Helmdecken auf beyden Seyten sindt silber und blau. Die Schildthaltere sind zweene geharnischte Männer, davon der zur Rechten eine Piecke mit der rechten Hand an die Brust und Schulter hält undt auf dem anderen Arm einen Schildt hat. Hingegen führet der Schildthalter zur Lincken ein bloßes Schwerd in der rechten Faust undt hat er auf der anderen Seite ein blaues Schild mit Unserem Königlichen Nahmenszuge in Goldt und die Crohne darauf bey dem Fueß neben sich zu stehen, undt hält die lincke Handt darauf. Der Fueßboden des Schildts ist mit allerley Kriegesrüstungen von der Cavallerie, alß einem Küraß, Pauken, Estandarten317, Trompeten, Pistohlen und dergleichen versehen und besetzet. Innmaßen dann obbesagtes gräffliches Wapen nach seinen natürlichen Farben undt Metallen allhier abgebildet zu sehen.“ [Bemerkung:] Dazu Randverfügung Friedrichs II., o. D.: „bené“; sowie weitere Angabe von Podewils, 19. September 1740: „appingatur nunmehro das Wapen in das Graffendiploma vor den Herrn Generalfeldmarschall Grafen von Katt.“ Entsprechend wurde die Wappenblasonierung und -abbildung in das Grafendiplom für Hans Heinrich von Katte eingefügt, und das komplette Urkundenlibell von diesem laut Gebührenvermerk der 317 Die Standarten- und Paukenfahnentücher sind nach dem Muster der Feldzeichen des Regiments zu Pferd Nr. 9 hellmeergrün tingiert.
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Rekrutenkasse vom 3. November 1740 mit 60 Reichstalern bezahlt. Die Urkunde war auf den 6. August 1740 datiert – also nahezu punktgenau auf den Jahrestag von Friedrichs gescheitertem Fluchtversuch.
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o. D. [Potsdam, 27. August 1730]
Aufnahme der in den Gemächern des Kronprinzen im Potsdamer Stadtschloß befindlichen (Wert-)Sachen GStA PK, VIII. HA SWG, Sammlung Anton Balthasar König, Nr. 359, fol. 43 – 44‘. Memorialschreibwerk, Abschrift von der Hand A. B. Königs. Unterschriften des Oberstleutnants Adam von Weyher vom Königsregiment (Nr. 6), des Leutnants Dietrich von Keyserling vom Regiment zu Pferd Markgraf Albrecht (Kür. Nr. 11), sowie des Auditeurs J. F. Müller vom Königsregiment (Nr. 6). Vgl. davon weitere Abschrift in GStA PK, BPH, Rep. 47 Friedrich der Große, A Nr. 13, fol. 24 – 30, von der Hand des Sammlers Karl Heinrich Siegfried Rödenbeck.
„Specification derer auff Ihro Königlicher Hohheit des Crohnprintzen Gemächern zu Potsdam befindlichen Sachen, so, wie selbige auf Seiner Königlichen Majestät allerhöchste Ordre am 27. Augusti 1730 von Dero ObristLieutenant von Weyher und Lieutenant von Keyserling verzeichnet worden“ „Eigenhändig hatte der König mit der Bleyfeder dabey gesezt“ Im Schlafgemach 01. 02. 03. 04. 05. 06. 07. 08. 09. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19.
eine neue Schärpe („Escarpe“) eine alte Schärpe ein Ringkragen ein neuer Montierungs-Degen noch ein Degen zwei Hirschfänger ein kleiner polnischer Säbel drei Kleingewehre („kleine Gewehre“) mit Bajonetten zwei Jagdflinten zwei kleine Karabiner („Musquetons“) ein gezogenes Rohr ein Paar Pistolen mit elfenbeinernen Schäften ein Paar Pistolen mit Silberbeschlägen ein Paar Kleider-Koffer („Kufferts“) zwei Paar Rappiere ein Fecht-Camisol ein Paar Fecht-Schuhe eine Rappierklinge ein Paar Waldhörner im Futteral („in Handschun“)
an den König an den König an den König an den König an den König
an den König an den König
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20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34.
35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45.
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ein Schmachtriemen an den König ein Paar Steigriemen zwei Stöcke mit goldenen Knöpfen an den König zwei Stöcke mit Porzellan-Knöpfen an den König ein Stock mit einem Bernstein-Knopf an den König sieben Jagd- und Reitpeitschen aus unterschiedlichem Material an den König 14 Stück allerlei geistliche Bücher an den König zwei Bücher in orientalischer Sprache an den König ein Besteck mit mathematischen Instrumenten, mit verschiedenen Fortifikationsrissen an den König das gewöhnliche Bett des Kronprinzen („Ihro Königlicher Hoheit ordinaires Bette“) eine leere („ledige“) Schatulle mit Blechbeschlag noch eine verschlossene Schatulle mit Lederbeschlag, zu der ein Schlüssel nicht vorhanden war an den König ein mit rotem Juchten beschlagener länglicher Kasten an den König ein schwarzer lederner Beutel an den König ein verschlossener Spind von Eichenholz, zu dem ein Schlüssel nicht vorhanden war, und auf dem allerlei Kupferstiche und Risse liegen ein großer Spiegel mit vergoldetem Rahmen. bleibt im Zimmer ein Schirm mit roter Wachs-Leinewand bleibt im Zimmer fünf weiße hölzerne Tische bleiben im Zimmer ein roter Lehnstuhl bleibt im Zimmer fünf Schemel bleiben im Zimmer ein kleiner Kaminschirm eine messingne Feuerzange und eine Bürste mit messingnem Stiel eine Spülschüssel („Spühl Kum“), Teetopf und ½ Dutzend Tassen aus Serpentin ein Schreibzeug und zwei Büchsen aus Serpentin sechs Paar Teetassen aus Porzellan, dazu 4 messingne Teelöffel bleiben im Zimmer sechs große Landkarten und ein Grundriss vom Haus Eldenburg bleiben im Zimmer Im Vorzimmer
46. 47. 48. 49. 50.
fünf alte Montierungs-Röcke sechs Montierungs-Camisöler vier Paar Beinkleider zwei Paar lederne Beinkleider zwei Jagdröcke
an den König an den König an den König an den König an den König
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51. ein schwarzes Tuch-Camisol
an den König
52. acht Montierungs-Hüte
an den König
53. drei Hüte ohne Tressen und ein Futteral
an den König
54. eine rotseidene Bettdecke
an den König
55. ein Reisehut, mit blauem Etamin überzogen
an den König
56. ein Mantelsack, darin ein roter Etamin-Mantel
an den König
57. ein mit schw[arzem] Leder überzogenes Kästchen, zum Teezeug 58. vier Paar Schuhe
an den König
59. ein mit schwarzem Leder überzogenes WeißzeugKästchen
alles an den König
60. ein mit schwarzem Leder überzogener Koffer, darin etwas Weiß- und Nachtzeug für den Kronprinzen
alles an den König
61. ein Kleiderkoffer, darin das rote Kleid des Kronprinzen, das er in Sachsen getragen hat, nebst ein Paar wollene und zwei Paar seidene Strümpfe
alles an den König
62. ein Spind von Eichenholz, darin
alles an den König
63. ein silberner Teekessel
alles an den König
64. ein silberne Kaffeekanne
alles an den König
65. ein silbernes Fläschchen
alles an den König
66. zwei silberne Leuchter
alles an den König
67. ein gläserne Teetopf
alles an den König
68. drei echte Porzellanteller
alles an den König
69. fünf Paar Teetassen nebst zubehörigem Zuckerteller und Zuckerschale alles an den König 70. ein Bund Schlüssel nebst einigen unbedeutenden Kleinigkeiten 71. ein Spind von Eichenholz, darin etliche Paar Handschuhe, wollene Strümpfe, und etwas weiße Wäsche für den Kronprinzen 72. ein Schreibkästchen von Nussbaumholz mit etwas weißem Papier und einer großen Schere 73. ein ledernes Futteral mit Schreibfedern 74. ein gemalter Schirm 75. ein gemalter und zwei weiße hölzerne Tische 76. ein grüner hölzerner Lehnstuhl und drei mit Leder bezogene Stühle 77. zehn große und eine etwas kleinere Landkarte
alles an den König
an den König
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Aus dem Stall alles auf die Equipagekammer 78. ein bleumoranter samtener Sattel nebst zubehöriger mit Gold bestickter Schabracke und Holfter 79. ein rotsamtener Sattel nebst zubehöriger mit Gold bestickter Schabracke und Holftern 80. ein rotsamtener Sattel nebst zubehöriger mit Silber bestickter Schabracke und Holftern 81. ein gelbsamtener Sattel nebst zubehöriger mit Silber bestickter Schabracke und Holftern 82. eine rottuchene Schabracke und Holfter, mit Gold gestickt 83. ein roter Saffiansattel 84. sechs englische Sättel zur Parforce-Jagd mit dazugehöriger roter Unterdecke 85. drei Fliegen-Netze, zwei weiße und eine grüne 86. ein rotes Saffian-Hauptgestell mit Hinter- und Vorderzeug, mit Silber beschlagen 87. ein rotes Saffian-Hauptgestell mit Hinter- und Vorderzeug, mit vergoldetem Messing-Beschlag 88. ein schwarzes Hauptgestell mit silbernen Schnallen und silbernen Bukkeln an der Stange 89. sechs schwarze Hauptgestelle, mit vergoldeten Schnallen und Buckeln 90. eine bleumorante und goldene Untertrense (notabene: liegt im Schlafgemach) 91. eine ganz silberne Untertrense mit silbernen Schnallen 92. eine rote und silberne Untertrense mit silbernen Schnallen 93. drei Kokarden mit silbernen Troddelchen 94. eine alte Untertrense, bleumorant mit Gold 95. eine alte Untertrense, gelb mit Silber, und silbernen Schnallen 96. zwei alte Untertrensen aus roter Wolle 97. eine [alte Untertrense] aus bleumoranter Wolle 98. eine [alte Untertrense] aus gelber Wolle 99. ein gelbes englisches Hauptgestell 100. zwei englische Trensen von weißem Leder 101. noch zwei alte Untertrensen, die eine rot und Gold, die andere Gold und Silber 102. noch drei Hauptgestelle für Piqueur-Pferde 103. acht weißwollene Handdecken Im Stall „dies war alles mit Heftigkeit durchstrichen“ 104. sechs Pferde für den Kronprinzen 105. ein Pagenpferd
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106. drei Knechteklepper 107. ein Pagen-Sattel mit Schabracke, Holftern und ein Paar Pistolen 108. drei Knechte-Sättel mit Schabracken, Holftern und Pistolen 109. ein Knechte-Sattel ohne Zubehör 110. zwei alte englische Sättel, die zum Bereiten gebraucht werden Oben auf der Kammer Die Feldequipage des Kronprinzen, die er auf einem Feldzug mitnehmen wollte, und die in guter Ordnung und gut verwahrt beisammen liegt.
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[Berlin,] 28. August 1730
Aufnahme der vom Kronprinzen dem (mittlerweile arretierten) Leutnant von Katte zur Verwahrung übergebenen oder diesem selbst eigentümlichen Briefschaften und (Wert-)Sachen GStA PK, BPH, Rep. 47 Friedrich der Große, A Nr. 14, 1, [a.] fol. 29 – 30‘ bzw. [b.] 87 – 90‘. Memorialschreibwerk, [a.] unterschriebene Direktschrift bzw. [b.] Abschrift. Unterschriften der Untersuchungskommissions-Mitglieder von Grumbkow, von Glasenapp, von Sydow, Mylius, Gerbet.
„Den 28. Aug[usti] 1730 werden des Cronprintzen Königl[icher] Hoheit dem Arrestato von Katten in Verwahrung gegebene, auch theils selbst dem von Katten zuständige Sachen durchgesehen und befunden:“ [Musikalien] Mehrere Behälter mit Flöten („einige Pack Flöten“) Ein ledernes Paket voll mit musikalischen Kompositionen [Bem.:] Der Kasten, in dem sich diese Sachen befinden, wird wieder versiegelt Briefschaften des Kronprinzen 01. die Patenschaftsbekundung von König Georg II. von England, vom 15. Dezember 1724 („Gevatterbrief des itzigen Königs in Engelland“) 02. zwölf Handschreiben von König Friedrich Wilhelm I., sowie eine Instruktion 03. sieben Briefe von Königin Sophie Dorothea [Bem.:] Die unter 2. und 3. aufgeführten Briefschaften sind nicht gelesen worden 04. zwölf Briefe von Prinzessin Wilhelmine 05. ein Schreiben der Generalstaaten, vom 24. Oktober 1721 06. ein Schreiben der Generalstaaten, vom 27. November 1727 07. ein Brief des Königs von England, ohne Datum
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08. 09. 10. 11. 12. 13.
ein Brief des Königs von Polen, vom 24. März 1730 ein Brief des Markgrafen von Ansbach, vom 27. Dezember 1728 ein Brief des Markgrafen von Ansbach, vom 28. Januar 1729 ein Brief des Markgrafen („Printzen“) Heinrich, vom 1. Mai 1723 ein Brief des Markgrafen („Printzen“) Karl, vom 2. April 1728 ein in französischer Sprache geschriebener Brief des Markgrafen („Printzen“) Heinrich, vom 9. Mai 1725 14. ein Brief des Markgrafen Karl, vom 18. September 1722 15. das Oberstleutnant-Patent für den Kronprinzen, vom 14. März 1728 16. ein Schriftsatz „Reflexion sur la mort“, von der Hand des Kronprinzen An Wert- und anderen Sachen („An Pretiosis“) 22 Tabatièren der Polnische Weiße Adler-Orden, an dem ein Edelstein fehlt, in einem Samtbeutel ein Schreibkästchen ein Zahnstocher, mit Futteral ein Etui, darin mathematische Instrumente [Bem.:] Diese Sachen sind zusammen in einem Beutel, und die Briefschaften in einem anderen Beutel, versiegelt worden In einem anderen langen Kasten befinden sich:
01. 02. 03. 04. 05.
06. 07.
vier Paar Pistolen eine kleine Büchse ein Degen ein Hirschfänger, mit Gehenk desgleichen folgende Briefschaften: das „Vaticinium Lehninense“, in Lateinisch und Deutsch ein Neuchâteller Bürger-Patent für den Vater des Leutnants von Katte ein Brief des von Diepenbroick zu Empel, an den von Katte, vom 7. Juni 1730 ein weiterer Brief des von Diepenbroick zu Empel, an den von Katte ein Brief des Oberstleutnants von Löwenthal („Leuendahl“), an den von Katte, in dem von einem Porträt des Kronprinzen die Rede ist, das eine Dame erhalten soll [Bem.:] dieser Brief wurde herausbehalten ein Brief des englischen Kapitäns Guy-Dickens („Gie“) ein Brief der Madame de Montbail, an Frau von Blaspeil, vom 15. Juli 1730 [Bem.:] dieser Brief wurde herausbehalten. Dabei befand sich eine versiegelte Schachtel, in der zwei Tabatièren gefunden wurden. Weiter finden sich noch einige wertlose („unnütze“) Papiere, die mit den oben aufgeführten Sachen wieder in den Kasten hineingelegt und versiegelt wurden. Die Schachtel wurde wieder in die Schatulle gelegt
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In dieser Schatulle haben gelegen: 302 Tlr 12 Gr in 110 Dukaten-Stücken, in einem grünen Beutelchen 400 Tlr in Louis d’or, in einem grauen Beutel ein silbernes Büchschen mit Spielmarken („Jettons“) ein silbernes Büchschen mit sieben kleinen Medaillen in Silber 394 Stück Species-Dukaten, in einem Leinenbeutel 364 Stück Species-Dukaten, in einem Beutel In einer schwarzen Dose: fünf Ringe, darunter drei schöne Brillanten ein Miniaturporträt von einer Dame ein Herz ein rotes Kreuzchen ein alter Brief des Kronprinzen, von 1729, in dem von einem Treffen („Rendez-vous“) in Waltersdorf die Rede ist drei Briefe der Prinzessin Radziwil, in denen sie dem Kronprinzen einen jungen Menschen empfiehlt („recommendirt“) viele Galanterie-Briefe der Gräfin von Woldern, die für die Untersuchung belanglos sind („die zur Sache nicht dienen“) zwei Briefe von Minden, zu denen noch Fragen zu stellen sind Darüber hinaus ist ein Schreibspind aufzuführen, in dem sich nichts zu notierendes befindet Q8
Potsdam, 1. September 1730
Aufnahme der in den Potsdamer Quartieren der Leutnants Johann Ludwig von Ingersleben und Alexander Sweder von Spaen befindlichen (Wert-) Sachen GStA PK, BPH, Rep. 47 Friedrich der Große, A Nr. 14, 1, fol. 336 – 338 und fol. 338 – 340. Memorialschreibwerk, unterschriebene Direktschrift. Unterschriften des mit der Verhaftung von Ingersleben und Spaen beauftragten Hauptmann Ernst Christoph von Roeder, Fähnrich Ernst Friedrich von Perbandt sowie Auditeur J. F. Müller vom Königsregiment (Nr. 6).
„In des Lieutenant Ingersleben Quartier wurde zur Inventur derer dem Lieutenant von Ingersleben zugehörigen Sachen geschritten und haben sich darin gefunden:“ 1. In der Stube 01. 02. 03. 04.
zwei Ringkragen zwei Schärpen („Echarpen“) ein Montierungs-Degen drei Montierungs-Hüte, und ein Hut ohne Tressen
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05. 06. 07. 08. 09. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45.
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vier Flinten zwei Paar Pistolen eine Jagdpeitsche eine Spülschüssel („Spühl Kum“), sowie sechs Paar Schokolade-Tassen von echtem Porzellan ein messingnes Teekesselschen, mit Feuerbecken ein braunirdenes Trecktöpfchen ein zinnernes Trecktöpfchen drei ½ Dutzend Teetassen von echtem Porzellan ein Trecktopf und eine Spülschssel („Spühl Kum“) aus echtem Porzellan eine gläserne Spülschüssel („Spühl Kum“), aus einer hiesigen Glashütte ein silbernes Teekännchen ein weißirdenes Milchkännchen eine messingne Zuckerschachtel zwei messingne Leuchter zwei gläserne Tabatièren, aus einer hiesigen Glashütte, mit vergoldetem Silber eingefasst drei silberne Löffel ein Paar Messer und Gabeln, mit Porzellanschalen vier Paar Messer, mit Schalen aus Hirschhorn ein grüner hölzerner Schenk-Tisch ein halbes Dutzend Weingläser drei Biergläser zwei Pokale ein gläsernes Salzfass zwei kleine gläserne Karaffen („Caraffins“) eine Tabakspfeife aus Meerschaum, mit Futteral eine messingne Kaffeekanne verschiedene stählerne Instrumente, in einem Etui ein Spanisches Rohr, mit einem Knopf aus Cocus ein einfacher Weißzeug-Spind, darinnen vier Tischtücher 20 Servietten acht feine Hemden sieben Halsbinden acht Paar Stiefeletten ein Nesseltuch von ungefähr 1 ½ Ellen fünf Paar wollene Stiefeletten ein Paar seidene Strümpfe neun Paar Strümpfe, und zwar sechs von Zwirn und drei von Wolle sechs seidene Schnupftücher ein Stück feine Haus-Leinewand einige Ellen feinen geköperten Kanefas
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Quellen-Anhang
46. eine gelbtuchene Schabracke mit Holftern, mit silberner und schwarze Seide gestickt 47. eine rottuchene Schabracke mit Holftern, mit Gold verziert („chamerirt“) 48. eine blautuchene Knechte-Schabracke mit Holftern, mit weißwollenen Schnüren 49. eine gelbseidene Untertrense 50. drei Stück rote Montierungs-Aufschläge 51. eine Garnitur aus weißem Bernstein, bestehen aus einer Halskette und einem Armband, für eine Dame 52. das Reglement 53. vier Stück geistliche Bücher 54. ein französisches Wörterbuch („Dictionaire“) 55. Le Roman comique, von Scarron 56. zwei kleine Spiegel mit hölzernen Rahmen 57. drei kleine modellierte („poussirte“) Bilder 58. drei hölzerne Tische 59. ein kleines blechernes Schreibzeug 60. eine Papierschere 2. In der Kammer 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77.
zwei alte Montierungs-Hüte ein neuer Montierungs-Rock, und ein alter zwei Montierungs-Kamisöler sieben Paar Montierungs-Hosen ein blauer Surtout ein ganz rottuchenes einfaches Bekleidungsstück („ein gantzes rothes tuchenes schlechtes Kleid“) eine rottuchene Reisemütze, mit Pelzwerk gefüttert ein Paar Stiefeletten vier Paar Schuhe zwei Koffer, der eine voll von schwarzer Wäsche, im anderen ein alter blauer Tuch-Surtout mit Mantelsack ein Packsattel ein gewöhnlicher („ordinairer“) deutscher Sattel, mit Vorder- und Hinterzeug zwei Paar Sporen ein Feldbett-Gestell ein Feldtisch, ein Feldstuhl einige leere Flaschen („einige ledige Bouteillen“) eine große Menge von allerlei Briefschaften [Bem.:] wurden zusammen in einen Beutel gelegt und vom Hauptmann von Roeder mit seiner Petschaft versiegelt
Quellen-Anhang
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78. Fähnrichs- und Leutnants-Patent für von Ingersleben [Bem.:] wurden in dessen Weißzeug-Spind zurückgelegt 3. Im Stall 79. 80. 81. 82.
zwei Reitpferde drei Sättel fünf Zaumzeuge zwei Trensen „Womit diese Inventur geendiget“
„Eodem sind ferner noch des Lieutenant von Spaan Sachen inventiret und hat sich gefunden:“ 1. In der Schlaf-Kammer („worinn er lieget“) 01. 02. 03. 04. 05. 06. 07. 08. 09. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28.
zwei Montierungs-Röcke, ein neuer und ein alter vier Montierungs-Camisöler fünf Paar Montierungs-Hosen, und ein Paar lederne Hosen zwei Paar leinene Reithosen ein schwarztuchenes Camisol samt Hosen ein alter einfacher blauer Rock ein Paar Stiefel ein brauner Mantelrock aus grobem Tuch ein Paar wollene Stiefeletten eine alte wollene Unteroffizier Säbeltroddel („eine alte wollene Unterofficier-Écharpe“) ein neuer Montierungs-Degen ein alter Ringkragen ein Paar Pistolen mit stählernem Beschlag ein Paar messingne Sporen eine neue Hutschnur („Cordon um den Huth“) ein guter Sattel mit Vorder- und Hinterzeug ein lederner Zaum, ohne Gebiss ein Paar Pistolenholfter mit grüntuchenen Kappen, mit Silber verziert ein altes ledernes Montierungs-Gehenk ein Überzug über den Degen ein neuer Montierngs-Hut eine Perücke („Haartour“) ein Port d’epée das gewöhnliche („ordinair“) Bett zum Schlafen, mit Leinen-Vorhang ein gestreiftes wollenes Nacht-Camisol ein Weißzeug-Spind, darinnen elf ganze und vier halbe Oberhemden vier Servietten
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29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56.
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13 Halsbinden vier Paar Stiefelettten drei mit butner Wolle ausgenähte und zwei weiße Baumwoll-Mützen zwei Bettlaken und zwei Kissen-Bezüge ein Camisol aus Kanefas fünf Paar Leinen-Hosen drei Paar Zwirn-Strümpfe ein Stück Haus-Leinewand sieben weitere Stiefeletten-Paare zwei Paar lederne Montierungs-Handschuhe ein Packen von 1 ½ Ellen Kirsey-Stoff, auf dem Spind eine Bettdecke, mit Federn eine alte Decke aus Kattun ein leerer Koffer eine Blechbüche, mit etwas Schießpulver eine Blechbüchse, mit Tee („Thé-Bou“) eine Blechbüchse, mit Kräutertee ein grünes hölzernes Büchergestellt („Bücher Schaff“) 22 Stück geistliche Bücher 47 Stück weltliche Bücher, in deutscher, französischer und holländischer Sprache das Reglement ein Besteck mit mathematischen Instrumenten eine deutsche Flöte („teutsche Flute“) ein Brettspiel 18 kleine Kupferstiche, an der Wand ein kleines hölzernes, mit Leder bezogenes Schreibzeug drei einfache hölzerne Tische vier Stühle 2. In der Kammer
57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68.
ein kleiner Spiegel, mit hölzernem Rahmen ein Aufsatz von sechs Gips-Puppen, auf dem Kamin ein hölzerner Schenk-Tisch fünf Weingläser drei Biergläser vier Paar Teetassen aus echtem Porzellan eine Spülschüssel („Spühl Kum“) aus Porzellan zwei blecherne Teekannen zwei messingne Teelöffel zwei einfache Messer und eine Gabel eine irdene Butterbüchse 26 Kupferstiche, an der Wand
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69. zwei Brustbilder des Königs und der Königin, in Gips modelliert („poussiret“) 70. eine französische Grammatik („Grammaire“) 71. ein messingner Leuchter 72. ein Paar Schuhe 73. ein Federmesser 74. eine Anzahl Briefschaften [Bem.:] wurden zusammen in einen Beutel gelegt und vom Hauptmann von Roeder mit seiner Petschaft versiegelt 3. Im Stall 75. 76. 77. 78. 79. 80.
ein Reitpferd ein alter Sattel eine rote Pferdedecke drei Zaumzeuge eine Pferdeschere zwei Kartätschen und ein Striegel „Womit also auch diese Inventur geendet worden“
„Nachdem solches geschehen, so findet sich noch in einem Winckel ein Spanisches Rohr, mit einem vergoldetem Knopf aus Silber“ Q9
Wesel, 7. August 1730
Aufnahme der in seinem Quartier zu Wesel zurückgelassenen (Wert-)Sachen des Leutnants Peter von Keith GStA PK, BPH, Rep. 47 Friedrich der Große, A Nr. 14, 7, fol. 8 – 11 bzw. 410 - 413. Memorialschreibwerk, [a.] unterschriebene Reinschrift bzw. [b.] Abschrift. Unterschriften Oberstleutnant August Friedrich von Graevenitz, Kapitän Stephan Karl du Teil, Auditeur Gade, vom Füsilierregiment von Dossow (Füs. Nr. 31); Präsentatum 15. August 1730.
„Inventarium von Sachen, so der Lieutenant von Keuth zurückgelaßen:“ 1. Montierungs-Stücke die neue Montur-Extra-Hose („neue Mondur-Sonder-Hosen“) zwei Paar weiße Hosen eine weiße Weste mit goldenen Litzen zwei weiße einfache Westen ein alter blauer Rock ein neuer Montierungs-Degen eine neue Schärpe („Escarpe“) eine alte Schärpe („Escarpe“) ein Ringkragen eine neue Montierungs-Schabracke
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2. Weitere Kleidung und Zubehör eine rote Weste mit goldenen Tressen eine rote Weste mit goldenen Knopflöchern ein paar einfache rote Hosen ein „Contouche von Calemang“ ein „Contouche von Zintz“ ein grüner Roquelaure, mit Pelzwerk zwei weiße Nacht-Kamisöler ein Paar lederne Hosen zwei Paar Stiefel ein neuer Hut ein alter Hut ein Paar neue Schuhe zwei Paar alte Schuhe ein Paar Pantoffeln ein Paar Schuhschnallen zwei Paar Knieschnallen ein Degengehenk ein Hirschfänger ein beschlagener Stock ein blauer Mantelsack mit Strümpfen acht Paar Handschuhe 3. An weißem Zeuge 22 Paar Stiefeletten, mit Knöpfen fünf Paar Unterstrümpfe sieben Kamisöler aus Kanefas elf Servietten ein Handtuch ein Rest Leinewand vier Mützen acht Paar Hosen 27 Oberhemden 9 Binden zwei Paar Stiefelmanschetten sechs Schnupftücher 4. An Geld eine Schatulle, darinnen 9 Tlr 16 Gr 5. An Silberzeug ein Becken nebst Gießkanne
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eine Kaffeekanne zwei Milchtöpfe ein Teetopf ein Feuergerät („Feuersorge“) eine Sonnenuhr zwei Leuchter eine Zuckerschale ein Löffel eine Gabel ein Instrument zum Zungen-Reinigen ein kleines Paket aus gebrannter [!] Tresse 6. Pretiosen vier kleine Gemälde eine Dose aus Bernstein eine etwas kleinere Dose aus Bernstein ein Federmesser, mit Bernstein-Schalen eine Dose aus braunem Glasfluß eine lackierte Dosen ein Fernrohr („Perspectiv“) ein Paar Handknöpfe zehn Messerschalen, aus Porzellan 7. Teezeug ein kupferner Teekessel ein Teetisch zehn Teelöffel aus „Printzmetal“ sechs Paar und eine Teetasse 8. An Mobilien insgesamt ein Gewehrfutteral ein Puderbeutel ein Reibeisen, zum Tabakzerkleinern eine Bettdecke von „Zintz“ eine Blechdose mit etwas Tee zwei kleine leere Blechdosen eine leere Holzdose eine kleine Schachtel, mit rotem Pulver ein kleines Tintenfaß ein Barbiermesser ein leeres Messerfutteral fünf Weingläser drei Biergläser
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eine messingne Tabakdose (gehört seinem Knecht) eine neue Schuhbürste eine eiserne Feuerzange eine Kleiderbürste drei Kämme ein Pulverhorn ein Terzerol eine stählerne Nagelzange ein Futteral mit silberbeschlagenen Flaschen eine süßklingende Flöte („Flothe douce“) eine Querflöte („Flothe Traversière“) acht Landkarten eine Stiefeletten-Haden [!] ein Paar neue Sporen ein Striegel ein knöchernes Pudermesser eine leere Geldbörse aus blauer Seide 9. An Büchern eine Bibel das Potsdamer Gesangbuch zwei französische Grammatiken („Grammaire“) Memoires, von Marquis de Beauvau zwei Bücher, in weißes Pergament eingebunden, mit handschriftlichen Eintragungen („Bücher in weiß Pergamen, so beschrieben“) 10. Pferde und Reitzeug zwei Pferde ein Sattel zwei Decken zwei Halfter ein Stangen-Zaum [Bem.:] Die von Keith zurückgelassenen Sachen wurden 1731 in einer Auktion verkauft und dabei ein Erlös von 507 Tlr 15 Gr ½ Pfg erzielt. Davon waren 27 Tlr 8 Gr für verschiedene Ausgaben abzuziehen, u. a. 6 Tlr für die Anfertigung eines Porträt des Keith und 10 Tlr Exekutionsgebühren [für das Hängen „in effigie“] an den Scharfrichter (vgl. Bericht Oberst von Dossow, an König Friedrich Wilhelm I., dat. Wesel, 9. Juni 1731; GStA PK, BPH, Rep. 47 Friedrich der Große, A Nr. 14, 10, fol. 49 – 52‘).
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(1730 – 1756) ca. 1802, 1822
Gepeitscht, gehängt, zurückgekehrt: Doris Ritter und Peter von Keith [a.] GStA PK, VIII. HA, Sammlung A. B. König, Nr. 359, fol. 45 (vgl. dazu Röhrig, Heimliche Gefährtin (wie Anm. 161), 72). [b.] GStA PK, BPH, Rep. 47, A Nr. 13, fol. 37 – 38.
[a. Anton Balthasar König: Aufzeichnung über Doris Ritter, ca. 1802:] „Sie war eigentlich Dorothea Elisabeth, die Tochter eines Rektors namens Ritter zu Potsdam, die theils durch ihre gute Bildung, noch mehr aber durch ihre musikalischen Talente, da sie gut sang und das Klavier spielte, sich die Aufmerksamkeit und Neigung des Kronprinzen zuzog. Man sagt, er habe, um sie zu sehen und sprechen, die größte Mühe angewandt, wodurch es denn nicht verborgen bleiben konnte, daß er dieses Frauenzimmer zu ihrem Unglücke liebe. 1733 den 11. Juli ward sie auf Bitten ihres Vaters wieder aus dem Zuchthaus befreit. In einem Auszuge einiger Vorstellungen, so dem König am besagten Tage im Kabinett vorgetragen wurden und worin derselbe eigenhändig dekretiert hatte, stehet: ‚Der gewesene Rector in Potsdam Ritter bittet um Entlassung seiner Tochter Dorothea Elisabeth Ritterin, die zum dreijährigen Gefängnis in Spandau verurtheilt – Gut‘. Endlich verschwand sie aus Berlin und dürfte außerhalb ihr Glück gefunden haben, welches zu wünschen wäre, [und] ehelichte den Pächter des Berlinischen Fiakers namens Schomer, mit dem sie einen Sohn und drei Töchter zeugte. Der Sohn stellte sich dem König Friedrich II. nach Antritt der Regierung vor. Er erinnerte ihn an seine Mutter, erhielt aber von demselben bloß die Antwort, wie er ihn gar nicht kenne, wobei es denn auch blieb. Wie ich mich erinnere, soll derselbe nachdem als Kommissarius im Siebenjährigen Krieg gedient haben. Die drei Töchter lebten lange Zeit unverehelicht in Berlin, zeichneten sich aber durch ihr gutes Betragen aus, daß sie geschätzt wurden. Aus Mangel an Vermögen waren sie genöthigt, durch strenge Arbeit ihren Unterhalt zu suchen, welches auf die mühsamste Art geschehen, indem sie nicht einmal so viel erwarben, eine Aufwärterin zu erhalten, weshalb sie auch die niedrigsten Hausarbeiten selbst besorgen mußten. Demungeachtet erschienen sie öffentlich wohlgebildet und niemand konnte ihnen den Zustand ansehen, in dem sie sich wirklich befanden. Formey erzählt von dieser Familie (in seinen Souvenirs d’un citoyen, Tom. 1, pag. 216, 217 folgendes: […].“ [b. Schreiben des Gesandten a. D. von Keith, Sohn des weiland Peter Karl Christoph von Keith, an Karl Heinrich Siegfried Rödenbeck, dat. Berlin, 24. Mai 1820 (mit Vermerk über den Absender: starb 1822 in seinem Hause in der Taubenstraße Nr. 42):] Peter Carl Christoph von Keith wurde als Sohn von Hans Christoph von Keith und seiner Ehefrau Elisabeth Vigilantia geb. von Woedtke aus dem
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Hause Sydow am 24. Mai 1711 auf Gut Poberow in Hinterpommern geboren. Er diente zunächst als Leibpage unter Friedrich Wilhelm I. Als der König merkte, dass der Kronprinz dem Pagen sein besonderes Vertrauen schenkte, versetzte er ihn weit weg nach Wesel. Keith und Katte, Friedrichs Freunde („Lieblinge“), waren 1730 in dessen Fluchtpläne eingeweiht und wollten ihm ins Ausland folgen. Nachdem das Vorhaben gescheitert war, schickte der König sofort Kuriere nach Wesel und Berlin, um Keith und Katte verhaften zu lassen, was nur bei letzterem gelang. „Mein Vater war glücklicher. Da der Zeitpunkt herannahete, wo die Entweichung geschehen sollte, so war er ausgeritten auf der Straße, wo die Nachrichten kommen konnten. Dort begegnete ihm ein Page, der als Courier nach Wesel ging. Mein Vater frug ihn sogleich, ob nichts Neues wäre? und dieser antwortete: ‚Sehr viel Neues, unser Kronprintz ist arretiert, und ich bin nach Wesel geschickt mit einem Schreiben an den Gouverneur‘. Dies war genug. Mein Vater rüstete sich also sogleich, sich davon zu machen. Er ritt nach der Brücke über den Rhein und sagte dem wachhabenden Offizier, er hätte ein junges Pferd gekauft, welches er bei dem Klappern der Brücke probieren wolle. So kam er glücklich nach Holland und ging ihm Haag sogleich zu dem englischen Gesandten Lord Chesterfield, der ihn in Schutz nahm.“ Obwohl Oberst du Moulin sofort seine Verfolgung aufnahm, glückte es Keith mit Chesterfields Hilfe, sich von Schevelingen aus nach England einzuschiffen, was 100 Dukaten kostete. In London sorgte die englische Königin für ihn. Sie setzte ihm eine Pension von 200 Pfund aus, was Georg II. ignorierte. Nach einiger Zeit ging Keith nach Irland. Dort heuerte er auf der Flotte des Admirals Noris an, die nach Portugal segelte, da er ein Empfehlungsschreiben an den König von Portugal besaß. Dieser machte ihn zum Major in einem Kavallerieregiment. „Die übrige Regierungszeit des Königs Friedrich Wilhelm blieb er dort, bis zum Regierungsantritt des Königs Friedrich II., der ihn sogleich mit großen Versprechungen zurückrief. Da aber diese Versprechungen nach und nach herabgestimmt wurden, so entstanden Mißhelligkeiten. Mein Vater legte dem König vor Augen eine schriftliche Versprechung, die der König als Kronprinz ihm gegeben hatte, und die in starken Ausdrücken ausgefertigt war. Der König nahm dieses besonders übel, und das Resultat war, das mein Vater als Oberstleutnant und Stallmeister mit 1.200 RTl Pension nach Berlin zurückkam. Hier heyrathete er die älteste Tochter des in Ungnade des Königs Friedrich Wilhelm gestorbenen Kabinettsministers Freiherrn von Kniephausen.“ Die Vermählung mit Ariana Luise von Inn- und Knyphausen fand im August 1742 statt. Keith starb als Oberstleutnant, Stallmeister und Kurator der Akademie der Wissenschaften am 27. Dezember 1756, 46 Jahre alt. Seine
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Witwe erhielt von Friedrich II. eine Pension. Später wurde sie Oberhofmeisterin bei der Königin Mutter des jetzigen Königs [Friederike Luise von Hessen-Darmstadt, seit 1769 Gemahlin Friedrich Wilhelms II.]. Ihr Sohn [der Briefschreiber] ging 1773 als Gesandter nach Turin, bereiste Italien, und kam 1778 nach Berlin zurück. „Dies ist alles, was ich Euch zu melden die Ehre haben kann. Es sind längstverflossene Begebenheiten, die wenig Menschen jetzt interessieren und die denjenigen, die dabei einiges Interesse gefunden, längst bekannt sind.“