119 26 1MB
German Pages [229] Year 2014
ISBN 978-3-402-10916-8
ASCHENDORFF
NESSELRATH • KAISER JULIAN UND DIE REPAGANISIERUNG DES REICHES JbAC • Erg.-Bd. • Kleine Reihe 9
Die Regierungszeit Kaiser Julians (November 361 – Juni 363), die geprägt ist von seinem (letztlich gescheiterten) Versuch, das Römische Reich zu repaganisieren, stellt einen Störfaktor in der erfolgreichen Ausbreitung des Christentums seit der Konstantinischen Wende dar. Julians Repaganisierungsbemühungen werden deshalb von seinen christlichen Zeitgenossen als »Nachäffung« des Christentums kritisiert und abgewertet; sie stellen ihn polemisch als Plagiator dar, der für seine Reformen auf das rekurriert, was er bei den Christen als bewunderns- und nachahmenswert erkannt hat. Auch die in der modernen Julian-Forschung häufig verwendete Bezeichnung »heidnische Kirche« für die von Julian konzipierte reichsweite paganreligiöse Organisation deutet darauf hin, dass diese Annahme zumindest implizit im Hintergrund steht. Eine andere Forschungsrichtung wiederum bestreitet jegliche Abhängigkeit Julians vom Christentum. Gegenstand dieser Arbeit ist es, Kaiser Julians Maßnahmen zur Repaganisierung, und hier speziell die Reorganisation der paganen Kulte, zu analysieren und dahingehend zu befragen, ob sie sich christlicher Inspiration verdanken oder ob der Kaiser für sein Konzept (auch) auf andere Vorbilder zurückgegriffen hat. Um eine differenzierte Antwort auf diese Frage zu ermöglichen, werden alle potentiellen Vorbilder einer detaillierten Untersuchung unterzogen; diese umfassen neben dem Christentum und der traditionellen griechisch-römischen Religion verschiedene Mysterienkulte, in die Julian eingeweiht war, den Neuplatonismus jamblichscher Prägung sowie die Kultreform, die Kaiser Maximinus Daia am Anfang des 4. Jahrhunderts implementierte. Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile: Der erste legt mit einer Vorstellung Julians sowie der Hintergründe und Grundlagen seiner Religiosität das Fundament, auf das der zweite Teil, die Untersuchung des Konzeptes Julians, aufbaut. Dieser Teil analysiert detailliert und in je eigenen Kapiteln die einzelnen Aspekte des julianischen Entwurfs mit ihren jeweiligen christlichen und paganen Parallelen: die verschiedenen Ebenen der Organisationsstruktur sowie die Finanzierungsmöglichkeiten, das Priesterideal Julians, die eigentliche Kultpraxis und schließlich die Philanthropie.
Theresa Nesselrath
Kaiser Julian und die Repaganisierung des Reiches Konzept und Vorbilder
Ergänzungsband Kleine Reihe 9
Jahrbuch für Antike und Christentum
KAISER JULIAN UND DIE REPAGANISIERUNG DES REICHES KONZEPT UND VORBILDER VON THERESA NESSELRATH
JAHRBUCH FÜR ANTIKE UND CHRISTENTUM ERGÄNZUNGSBAND · KLEINE REIHE 9 · 2013
ASCHENDORFF VERLAG MÜNSTER WESTFALEN
Die Ergänzungsbände zum Jahrbuch für Antike und Christentum werden im Auftrag der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben im Franz Joseph Dölger-Institut zur Erforschung der Spätantike der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn von Georg Schöllgen, Sible de Blaauw, Therese Fuhrer, Winrich Löhr Gedruckt mit Unterstützung des Erzbistums Köln und der Richard und Anne-Liese Gielen-Leyendecker-Stiftung Die Arbeit des F. J. Dölger-Instituts wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Land Nordrhein-Westfalen gefördert
© 2013 Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG, Münster Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeteten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergütungsansprüche gemäß § 54 Abs. 2 UrhG werden durch die Verwertungsgesellschaft Wort wahrgenommen. Satz: Rhema – Tim Doherty, Münster Druck: Druckhaus Aschendorff, Münster, 2013 ∞ Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier
ISBN 978-3-402-10916-8
Meinen Eltern
INHALT
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Religiöses Leben im 4. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ziel und Inhalt der vorliegenden Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellenlage und Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschließende Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
3 7 9 12
TEIL 1: HINTERGRUND UND GRUNDLAGEN DER IDENTITÄT JULIANS 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6
Grundzüge der religiösen Biographie Kaiser Julians . . . . . . Kindheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jugend in Macellum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Studienjahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Julians Konversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cäsar und Augustus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
17 17 19 21 24 29 31
2. 2.1 2.1.1 2.1.1.1 2.1.1.2 2.1.2 2.1.2.1 2.1.2.2 2.2 2.2.1 2.2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.4
Julian und das Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Julians Verhältnis zu den Christen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Julians Abneigung gegenüber den Christen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philosophische Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die »Caesares« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Christenverfolgung« – Julians Maßnahmen gegen die Christen . . . . Indirekte und gewaltfreie Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewalt gegen Christen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Julians Erwählungsbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Traum aus Brief 14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Mustermythos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Julians literarische Auseinandersetzung mit den Christen . . . . . . . . . . Das Rhetorenedikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Streitschrift »Contra Galilaeos« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . .
33 34 34 34 35 37 37 39 42 43 44 47 47 50 55
3. 3.1 3.1.1 3.1.2
Julians Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philosophischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neuplatonismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Chaldäischen Orakel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
56 57 57 58
. . . .
. . . .
VI 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.5
Inhalt
Theurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jamblich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heliozentrische Theologie: Julians Hymnos an König Helios (Or. 11 [4]) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der erste Teil des Hymnos: Helios’ Wesen und Herkunft . . . . . . . . . . Der zweite Teil des Hymnos: Helios’ Kräfte und Fähigkeiten . . . . . . . Der dritte Teil des Hymnos: Helios’ Wohltaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rede an die Göttermutter (Or. 8 [5]) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rede an die Göttermutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiteres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Philosophie allgemein: Or. 9 (6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fürstenspiegel: Or. 3 (2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . .
59 62 64
. . . . . . . . . . . . . .
65 65 66 68 69 70 71 71 72 75 76 76 77 78
TEIL 2: DAS KONZEPT DER REPAGANISIERUNG 4. 4.1 4.1.1 4.1.2 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.3 4.3.1 4.3.2 4.4
Aufbau und Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Julians Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Finanzen und Immobilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pagane Parallelen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kaiserkult . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maximinus Daia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christliche Parallelen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Finanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschließender Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
83 83 83 86 88 89 91 92 93 93 96 97
5. 5.1 5.1.1 5.1.1.1 5.1.1.2 5.1.2 5.2 5.2.1 5.2.1.1 5.2.1.2 5.2.2 5.2.2.1 5.2.2.2 5.2.2.3
Die Priester . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Julians Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Julians Anforderungen an die Priester . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frömmigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Würde der Priester . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pagane Parallelen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Traditionelle Kulte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mysterienkulte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mithras . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kybele und Attis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eleusis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . .
102 102 103 104 106 109 112 112 112 114 117 117 118 119
VII
Inhalt
5.2.3 5.2.3.1 5.2.3.2 5.2.4 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.3.1 5.3.3.2 5.4
Neuplatonismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Porphyrius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jamblich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Reform des Maximinus Daia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christliche Parallelen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Idealvorstellung I: Der griechische Osten. Gregor von Nazianz . . . . . Idealvorstellung II: Der lateinische Westen. Hieronymus . . . . . . . . . . Wirklichkeit: Die Verordnungen der Konzilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Voraussetzungen für eine Weihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Anforderungen an die Kleriker und ihre Aufgaben . . . . . . . . . . . Abschließender Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
120 120 121 122 123 123 125 128 128 130 131
6. 6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.2.5 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.5
Der Kult . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Julians persönliche Frömmigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Julians Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Götterbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Musik und Gesang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Buße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pagane Parallelen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hauskult . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Musik und Gesang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christliche Parallelen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eucharistie und Tagzeitenliturgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Musik und Gesang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Buße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschließender Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . .
136 136 140 140 143 144 145 146 146 146 151 152 154 154 157 157 159
7. 7.1 7.2 7.3 7.4
Philanthropie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Julians Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pagane Parallelen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christliche Parallelen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschließender Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
168 168 171 175 180
Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
185
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
190
1. 2. 2.1 2.1.1 2.1.2 2.2 3.
190 190 190 190 191 192 197
Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werke Julians . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zugrundegelegte Editionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Editionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonstige Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
VIII
Inhalt
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Stellen (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Bibel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Altes Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Neues Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Flavius Claudius Iulianus Imperator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Sonstige Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begriffe/Namen/Orte/Sachen (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
211 211 211 211 211 212 213 217
VORWORT Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2011/2012 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Sie wurde für den Druck leicht überarbeitet. Mein herzlicher Dank gilt zuerst meinem Lehrer, Herrn Professor Dr. Georg Schöllgen, auf dessen Anregung hin die Arbeit entstand und der ihren Fortgang mit großer Sympathie und Interesse sowie seinem wertvollen wissenschaftlichen Rat betreut und gefördert hat. Danken möchte ich ebenfalls Herrn Professor Dr. Albert Gerhards für die Übernahme des Zweitgutachtens. Weiterhin gilt mein Dank den Herausgebern des »Jahrbuchs für Antike und Christentum« für die Aufnahme meiner Arbeit in die »Kleine Reihe« der Ergänzungsbände sowie der Richard und Anne-Liese Gielen-Leyendecker-Stiftung und dem Erzbistum Köln für die Gewährung eines namhaften Druckkostenzuschusses. Für ihre stete Unterstützung sowie ihre Hilfe beim Korrekturlesen danke ich meinen Eltern; für wertvolle Anregungen sowie das Mitlesen der Korrekturen danke ich ebenfalls Herrn Dr. Hanno Dockter, Herrn Matthias Fritz, Herrn Dr. Christian Hornung, Herrn Thomas Knoch, Frau Dr. Christine Mühlenkamp, Herrn Gerhard Rexin, Frau Dr. Mechthild Siede, Frau Martina Thieser und Herrn Daniel Weisser. Bonn, im Juli 2013
Theresa Nesselrath
EINLEITUNG Julian war zwar nur kurze Zeit Kaiser (November 361 bis Juni 363), doch hinterließ er wegen seiner Abkehr vom Christentum bzw. Hinwendung zur Verehrung der paganen Götter und seines Versuches, die paganen Kulte in einer Neuorganisation zusammenzuführen, bis in die Neuzeit hinein großen Eindruck. Diese Bemühungen Julians zur Repaganisierung des Römischen Reiches sowie die Frage nach seinen Vorbildern hierfür bilden den Fokus der vorliegenden Arbeit. Bevor jedoch deren Ziel und Inhalt genauer erläutert werden, soll zunächst ein kurzer Überblick über das religiöse Leben und die Geisteshaltung der Zeitgenossen Julians gegeben werden, um vor diesem Hintergrund die Problematik der Fragestellung besser verdeutlichen zu können. Religiöses Leben im 4. Jahrhundert Das 4. Jahrhundert n. Chr. war eine Zeit religiöser Veränderungen: Noch an seinem Anfang war das Christentum der längsten und schwersten staatlichen Verfolgung seiner Geschichte ausgesetzt. Doch bereits im Februar des Jahres 313 erließen Konstantin der Große und sein Mit-Augustus Licinius die Mailänder Konstitution, die jedem die freie Wahl der Religion gestattete. 1 Nur ein knappes Jahrhundert nach dem Ende der Diokletianischen Verfolgung erhob Theodosius der Große das Christentum bereits zur Staatsreligion des Römischen Reiches. 2 Diese beiden Ereignisse begrenzen eine Zeit des Umbruchs, in der »the metamorphosis from pagan to Christian world occurred.« 3 Ein Charakteristikum dieser Zeit waren die Auseinandersetzungen zwischen Heiden und Christen. Während das Christentum der Zahl seiner Anhänger nach wuchs und an politischer Dominanz wie kultureller Akzeptanz gewann, befanden sich die paganen Kulte im Niedergang: »paganism was pressing on to its doom.« 4 1 »Ut daremus et Christianis et omnibus liberam potestatem sequendi religionem quam quisque voluisset« (Lact.
mort. pers. 48, 2 [SC 39, 132 Moreau]: »sowohl den Christen als auch allen anderen freie Vollmacht zu gewähren, die Religion auszuüben, die jeder möchte«); eine griechische Übersetzung findet sich bei Eus. h. e. 10, 5, 1/14 (GCS 9, 2, 883/887 Schwartz). In dieser Vereinbarung wird das Christentum besonders erwähnt und ebenfalls die Rückgabe des während der Verfolgungen konfiszierten Kirchenbesitzes angeordnet. 2 Im Jahr 380 erließ Theodosius I. in Thessalonike das Edikt »Cunctos Populos«, in dem er das christliche Bekenntnis des Konzils von Nizäa (325 n. Chr.) zur Staatsreligion erklärte. Dieses Edikt richtet sich nicht gegen Heiden, sondern gegen innerchristliche Abweichler, weshalb die Richtigkeit des nizänischen Glaubensbekenntnisses unterstrichen wird: »patris et filii et spiritus sancti unam deitatem sub parili maiestate et sub pia trinitate credamus« (Cod. Theod. XVI 1, 2 [833 Krüger /Mommsen]: »dass wir also an die eine Gottheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes bei gleicher Majestät und heiliger Dreifaltigkeit glauben«). Ausdrücklich gegen die Heiden wendete Theodosius sich erst später, vgl. Cod. Theod. XVI 10, 10/12 (899f Krüger /Mommsen) aus den Jahren 391 und 392. 3 Warren Bonfante, Emperor 401. Für einen detaillierten Überblick über diese Epoche, der den Rahmen dieser Einleitung sprengen würde, vgl. z. B. Jones, Empire; Browning, Julian 9/52. 4 MacMullen, Paganism 127.
4
Einleitung
Doch nicht nur die religiösen Entwicklungen waren kompliziert, schon die bloße Terminologie und das Sprechen von dem (einen) Heidentum ist schwierig: Während das Christentum trotz aller dogmatischen und disziplinären Streitigkeiten doch relativ einfach als Einheit erkennbar ist, kann man das Heidentum kaum als homogene Religion definieren. Es war vielmehr ein lose verknüpftes Amalgam von Kulten, Mythen und philosophischen Richtungen unterschiedlichster Herkunft und verschiedensten intellektuellen Anspruchs. Wie Barceló es anschaulich ausdrückt: »Die religiöse Landkarte der antiken Welt zeichnete sich durch eine außerordentlich lebendige und heute kaum noch vorstellbare kultische Vielfalt aus.« 5 Eine Art Einheitlichkeit wurde dadurch erreicht, dass die im Zuge der griechischen bzw. römischen Expansionen und Eroberungen vorgefundenen verschiedenen Gottheiten mithilfe der interpretatio Graeca bzw. Romana in das griechisch-römische Pantheon integriert wurden. 6 Diese Fähigkeit zur Integration anderer Kulte und Götter aufgrund der Überzeugung, dass man »nicht nur auf einem einzigen Wege zu einem so erhabenen Geheimnis gelangen kann«, 7 war die große Stärke des Heidentums. Es bestand ein Konsens, dass die religiöse Praxis durch Familie, Heimat und Stand geprägt wurde; dies ermöglichte die friedliche Koexistenz der unterschiedlichsten Kulte. 8 Auch das Christentum wurde als ein neuer Kult unter vielen anderen anerkannt. 9 Während die Christen so zunächst ein Existenzrecht als eine religiöse Wahlmöglichkeit unter vielen anderen erhielten, war das Verhältnis zu den paganen Kulten von christlicher Seite aus grundsätzlich anders: Für Christen (wie für Juden) gab es nur den einen Gott, die heidnischen Götter wurden als Dämonen interpretiert und die sie verehrenden Kulte mussten somit bekämpft werden. 10 Mit diesem Exklusivitätsanspruch und der damit verbundenen Aufkündigung der friedlichen Koexistenz der unterschiedlichen Kulte leistete das Christentum einen nicht unerheblichen Beitrag dazu, das vorher nur lose durch die prinzipielle Offenheit für alle Götter verbundene Heidentum gleichsam zu einer Religion zu machen, da es alle Anhänger der paganen Götter als die eine Gruppe zu bekehrender (bzw. zu bekämpfender) Nichtchristen (Heiden) ansah. Die Grenze zwischen Heiden- und Christentum ließ sich jedoch nicht so deutlich ziehen, wie die (Amts-) Kirche dies wünschte, vielmehr lag »zwischen dogmatischem Christentum und überzeugtem Heidentum (. . . ) um die Mitte des 4. Jahrhunderts ein weites Feld, auf dem sich nicht wenige Menschen hin und her bewegten, ohne dass sie in jedem Augenblick klar sagen konnten, wie weit sie von hüben und drüben entfernt 5 Barceló, Begegnung 152. 6 Vgl. Jones, Empire 940. 7 Symmach. rel. 3, 10 (MGH.AA 6, 1, 282 Seeck): »Uno itinere non potest perveniri ad tam grande secretum«. 8 So z. B. für die Landbevölkerung Fruchtbarkeitsriten, Mysterienkulte für diejenigen, die Gemeinschaft mit
den Göttern suchten – und die Gebildeten konnten hinter den vielen Göttern den einen höchsten Gott finden und verehren, während sie die vielen Götter als seine Emanationen verstanden. Vgl. Jones, Empire 940; O’Donnell, Demise 48. 9 Nicht der Glaubensinhalt eines Kultes war strafbar, sondern nur etwaige anstößige Riten (wie z. B. die Selbstkastration der Kybelepriester), kriminelle Handlungen oder politischer Widerstand (als welcher später die Weigerung der Christen zum Kaiseropfer interpretiert wurde, da durch die Opferverweigerung sowohl den staatstragenden Göttern wie auch ihrem irdischen Repräsentanten, dem Kaiser, die gebotene Ehrerbietung verweigert wurde); vgl. Demandt, Spätantike 495; Jones, Empire 33. 10 Vgl. Demandt, Spätantike 495 f. Deshalb änderte sich mit der Erklärung des Theodosius das religiöse Selbstverständnis des Römischen Reiches grundlegend: von der Tolerierung verschiedener Kulte hin zu einer einheitlichen und offiziellen Staatsreligion, die Abweichler notfalls mit Gewalt zu bekehren versuchte; vgl. Klein, Lebensbild 272; Jones, Empire 33.
Religiöses Leben im 4. Jahrhundert
5
waren.« 11 Der Exklusivitätsanspruch, den das Christentum erhob, bzw. seine Erwartungshaltung, dass Konvertiten vollständig mit ihren vorherigen religiösen Praktiken brechen sollten, war (sieht man vom Judentum ab) etwas grundsätzlich Neues für die Menschen der Antike. Waren Konvertiten diesem Anspruch der Kirche in den ersten drei Jahrhunderten in der Regel gefolgt und hatten einen radikalen Bruch mit ihrer paganen Vergangenheit vollzogen, so nahm diese Bereitschaft in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts immer mehr ab. 12 So gab es viele Christen, die zumindest teilweise pagan-religiöse Praktiken beibehielten, waren diese doch ein wichtiger Teil ihrer kulturellen Identität. Trotz dieses Festhaltens an religiösen Praktiken ihrer Vergangenheit verstanden sie sich als Christen. 13 Sie lebten lediglich weiter nach der Konvention der paganen Religiosität, nach der die Verehrung mehrerer Götter gleichzeitig durchaus möglich und in der Regel sogar die Norm war; auch der Wechsel religiöser Präferenzen, z. B. die Verehrung unterschiedlicher Götter während verschiedener Lebensphasen, war nicht ungewöhnlich und wurde erst von den Christen verurteilt. 14 Zudem wurde im 4. Jahrhundert die vorher von den Christen abgelehnte pagane bzw. hellenische Bildung (vermutlich durch die zunehmende Konversion der gebildeten Schichten) gleichsam salonfähig, und Homer, gegen dessen Götterwelt die Apologeten noch polemisiert hatten, auch für Christen allgemeines Bildungsgut. Christliche Kinder durften den Unterricht heidnischer Rhetoren und Philosophen besuchen, in dem sie mit paganem Gedankengut und der heidnischen Götterwelt vertraut gemacht wurden. 15 Die Grenzgänger zwischen christlicher und paganer Religion, die die Trennlinie zwischen beiden Religionen nicht so scharf zogen wie viele ihrer christlichen Glaubensgenossen, wählten aus dem religiösen Angebot das aus, was ihren religiösen Bedürfnissen jeweils am besten entsprach, und konnten auf der Suche nach spiritueller und religiöser Erfahrung problemlos heidnische und christliche Traditionen miteinander verbinden. So verrät z. B. ein Brief des römischen Bischofs Siricius an den hispanischen Bischof Himerius aus dem Jahr 385 nicht nur, dass es zu dieser Zeit in Spanien Christen gab, 11 Rosen, Kaiser 130. Ähnlich formuliert Athanassiadi, Julian 28, die davon spricht, dass im 4. Jahrhundert zwi-
12 13
14
15
schen den Heiden und Christen ein breiter Streifen religiösen Niemandslandes existierte, in dessen Bereich sich viele Menschen aufhielten. Sie nennt in diesem Zusammenhang Hekebolius, Julians Rhetoriklehrer, Pegasius, den Bischof von Ilion (vgl. zu Pegasius Schöllgen, Pegasios 58/80), Synesius, den Bischof von Cyrene (vgl. zu Synesius Tanaseanu-Döbler, Konversion 155/286), den Philosophen und Panegyriker Themistius sowie Palladas, den letzten paganen griechischen Dichter, als prominente Beispiele für Menschen, die zwischen Heidentum und Christentum standen und Elemente von beiden Gedankenwelten aufnahmen. Vgl. Schöllgen, Pegasios 78. Viele waren auch erst auf dem Totenbett dazu bereit, die Taufe zu empfangen, um sich vorher nicht den fordernden Gesetzen der Kirche unterwerfen zu müssen, vgl. Bringmann, Kaiser 90. Augustinus warf Christen mit solchen synkretistischen Neigungen vor, von sich zu sagen: »Ad idola quidem vado, arreptitios et sortilegos consulo, sed tamen Dei ecclesiam non relinquo; catholicus sum« (Aug. en. in Ps. 88 serm. 2, 14 [CCL 39, 1244 Dekkers /Fraipont]: »Gewiss gehe ich zu den Götterbildern, ich frage [scil. von Dämonen] Besessene und Weissager um Rat, aber dennoch verlasse ich die Kirche Gottes nicht; ich bin Katholik«). So erklärt sich auch, warum zum Christentum Konvertierte diesem nach einiger Zeit wieder den Rücken kehrten und sich den alten Göttern zuwandten: Sie handelten ganz im Sinne paganer Religiosität. Ein Beispiel hierfür ist z. B. der (namentlich nicht bekannte) Senator, gegen den sich das Carm. ad quend. senat. (CSEL 23, 227/230 Peiper) wendet: Dieser hatte sich vom Christentum ab- und dem Kult der Magna Mater zugewandt. Aus christlicher Perspektive wurde er so zum Apostaten, aus seiner eigenen wahrscheinlich jedoch nicht, man kann sogar vermuten, dass er weiter den Gott der Christen verehrte. Zu weiteren prominenten Apostaten vgl. Schöllgen, Pegasios 70/72. Vgl. Rosen, Weg 130; Schöllgen, Pegasios 62f.
6
Einleitung
die die Teilnahme an heidnischen Opfern mit ihrem Christsein vereinbaren konnten, sondern auch, dass ihre Gemeinden hierin kein Vergehen sahen (erst Siricius fordert ihre Exkommunikation). 16 Bei diesen Synkretisten handelt es sich, anders als man vermuten würde, bei weitem nicht nur um solche Christen, die sich weniger aus religiösen als z. B. wirtschaftlichen oder politischen Gründen dem Christentum zugewandt hatten. Vielmehr belegen Synoden, dass auch eine nicht geringe Zahl von Klerikern solche Tendenzen aufwies. 17 Betroffen waren somit alle sozialen Schichten – selbst im Kern einer Gemeinde, bei den engagierten Christen und sogar den Klerikern, konnte die Grenze zwischen Christen- und Heidentum durchlässig sein. Der fließende Übergang von einer Religion zur anderen stellt somit ein charakteristisches Element dieser Epoche dar. 18 In der Auseinandersetzung mit dem exklusivistischen und integrationsunwilligen Christentum stellte sich die große Stärke des Heidentums – seine Fähigkeit, andere Kulte und Götter zu assimilieren und zu integrieren – als eine ebenso große Schwäche heraus. Denn die große Vielfalt an religiösen Alternativen, an verschiedenen Kulten und Philosophien, machte ein geschlossenes Auftreten gegenüber dem Christentum unmöglich und erschwerte so den Widerstand ihm gegenüber. Das Christentum dagegen war nicht nur straff hierarchisch organisiert und bot Gegnern somit eine geschlossene Front, sondern offerierte auch etwas äußerst Bedeutsames, das die antike Welt nicht kannte: soziale Sicherheit. Es sorgte für die Witwen und Waisen, für Arme und Alte, pflegte die Kranken und begrub diejenigen, die sich sonst kein Begräbnis leisten konnten – dies machte es sicherlich attraktiv für viele. 19 Auch hatte sich die Haltung der Herrschenden dem Christentum gegenüber grundlegend geändert. War es in vorkonstantinischer Zeit ein Risiko gewesen, Christ zu sein, da man jederzeit bei der Obrigkeit angezeigt werden konnte, begegnete Kaiser Konstantin seit seinem Sieg über Maxentius im Jahr 312 (den er im Zeichen des Kreuzes errang) und besonders mit Erreichen der Alleinherrschaft dem Christentum mit Wohlwollen und Förderung. So leistete seine lange Regierungszeit einen wichtigen Beitrag zur Stärkung des Christentums und bildete die Grundlage zu dessen späterer Dominanz. Antiheidnische Maßnahmen sind von ihm jedoch kaum überliefert, er wandte sich stattdessen gegen innerchristliche Abweichler; den Heiden begegnete er lediglich mit sozialer Diskriminierung. 20 Seine Söhne, Konstantin II., Constans und Constantius II., folgten der christenfreundlichen Politik ihres Vaters und gingen noch einen Schritt weiter: Sie förderten nicht nur das Christentum, sondern schränkten auch die Ausübung heidnischer Kulte ein. 21 Durch diese Entwicklungen wurde u. a. die Konversionsrate besonders in der Oberschicht gesteigert. 22
16 Vgl. Siric. ep. 1, 3, 4 (PL 13, 1136A) und den Kommentar zur Stelle bei Hornung, Kommentar 108/119; vgl.
Schöllgen, Pegasios 73. 17 Vgl. Conc. Laod. can. 36 (274 Beneševic); ˇ vgl. Schöllgen, Pegasios 74/76. 18 Vgl. Browning, Julian 162; O’Donnell, Demise 61/65; Olszaniec, Restitutor 90 mit Anm. 108. 19 Vgl. Barceló, Begegnung 180 f; Dodds, Pagan 137; v. Harnack, Mission 170/220. 20 Vgl. Browning, Julian 45; Noethlichs, Heidenverfolgung 1151/1155; Noethlichs, Maßnahmen 19/32. 21 Vgl. Cod. Theod. XVI 10, 2 f. 5 f (897 f Krüger /Mommsen) und besonders das Verbot zur Ausübung sämt-
licher heidnischer Kultformen vom 1. Dezember 354: Cod. Theod. XVI 10, 4 (898 Krüger /Mommsen); vgl. Noethlichs, Heidenverfolgung 1155/1157; Noethlichs, Maßnahmen 53/55. 62/70; Barceló, Begegnung 170/173. 22 Zur Frage nach dem Anteil der Christen an den hohen Beamten des Reiches und implizit damit zur Christianisierung der Oberschicht vgl. Barnes, Christians 306/321.
Ziel und Inhalt der vorliegenden Untersuchung
7
Dennoch hielten sich die paganen Kulte trotz der Attraktivität und der kaiserlichen Protektion des Christentums zäh. Zwar nahm das Christentum überall an Bedeutung zu, doch verlief diese Verbreitung nicht an allen Orten mit der gleichen Intensität und nicht überall korrespondierte mit seinem Bedeutungszuwachs ein Schwund der paganen Kulte. So war auch noch in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, als Kaiser Julian an die Macht gelangte, die Mehrheit der Bevölkerung pagan. 23 Als Neffe Konstantins des Großen war Julian in einer Zeit aufgewachsen, in der sich das Kräftegleichgewicht zwischen Heiden und Christen zugunsten letzterer verschob. Doch obwohl seine Kindheit und Jugend christlich geprägt waren, wandte er sich den alten Göttern zu. Als Kaiser beschäftigte ihn – wie die anderen beiden Alleinherrscher des 4. Jahrhunderts, Konstantin den Großen und Theodosius den Großen – besonders die religiöse Frage. Während diese ihre Gunst der christlichen Kirche schenkten, sie legalisierten und privilegierten (Konstantin) bzw. zur Staatskirche machten (Theodosius), begünstigte Julian die paganen Kulte und bemühte sich, die Christen zu marginalisieren. Um sein ehrgeiziges Ziel einer Repaganisierung des Römischen Reiches zu realisieren, konzipierte er eine reichsweite pagane religiöse Organisation, welche die unterschiedlichen Kulte vernetzen und die pagane Antwort auf das Christentum sein sollte.
Ziel und Inhalt der vorliegenden Untersuchung Da eine gewisse inhaltliche und organisatorische Nähe des Konzeptes dieser Organisation Julians zur christlichen Kirche ins Auge fällt, wird häufig die Ansicht vertreten, er habe seine Ideen aus dem Christentum übernommen. Schon Gregor von Nazianz nannte sein Konzept eine bloße »Nachäffung« 24 der Christen. Julian selbst dagegen betont: »Ich meide Neuerungen sozusagen in jeder Beziehung, besonders aber in dem, was die Götter angeht.« 25 Die Forschung ist ähnlich zwiegespalten: Ein Teil sieht eindeutige Parallelen zum Christentum, 26 während ein anderer Teil jede Abhängigkeit Julians von der Religion seiner Kindheit bestreitet 27 (s. auch unten zum Forschungsstand). Allerdings war es (wie oben dargelegt) gerade ein Charakteristikum des 4. Jahrhunderts, dass die Grenze zwischen beiden Religionen nicht genau gezogen werden konnte, sondern verschiedene religiöse Ansichten neben-, mit- und sogar ineinander verwoben existierten. Deshalb erscheint mir eine pauschale Verortung des julianischen Konzeptes entweder ganz im Christentum oder ganz im Heidentum kaum möglich zu sein. Aus diesem Grund möchte die vorliegende Arbeit das bis jetzt nur selten ausführlich behandelte Thema der reichsweiten paganen religiösen Organisation Julians herausgreifen und differenziert und detailliert nach den Vorbildern fragen, die Julian bei ihrer Konzeption beeinflusst und inspiriert haben. Im Verlauf dieser Untersuchung wird der julianische Entwurf einer genauen Analyse seiner Unterschiede 23 Vgl. Bowder, Age XII; Bringmann, Kaiser 91. 24 Greg. Naz. or. 4, 112 (SC 309, 268 Bernardi): »pij†kwn 25 Julian. ep. 89a, 453b (153 Bidez): »fe‘gw
mim†mata«. tòn kainotom–an ‚n âpasi mËn, ±c Ípoc e peÿn, d–¯ d‡ ‚n toÿc pr‰c toÃc
jeo‘c«. 26 Vgl. z. B. Rosen, Julian 300 f; Bringmann, Kaiser 120. 134/139; Bowersock, Julian 85/88; vgl. Warren Bon-
fante, Emperor 402 f: Julian habe versucht »to turn the Christians’ strongest weapons against them«. 27 Vgl. besonders Smith, Gods 110 f; vgl. Athanassiadi, Julian 187f, die vor allem Julians Priesterbild auf den
Neuplatonismus zurückführt.
8
Einleitung
gegenüber und Parallelen mit der paganen Antike sowie dem Christentum unterzogen werden. Hierbei wird nicht nur Julian selbst zu Wort kommen; auch die paganen Kulte sowie das Christentum werden ausführlich auf ihre mögliche Vorbildfunktion hin untersucht: Im Verlauf der Arbeit werden verschiedene für den Aufbau einer religiösen Organisation wichtige »Bausteine« jeweils in einem eigenen Kapitel behandelt. Grundlage für jedes dieser Kapitel bildet dabei die aus den Quellen erhobene detaillierte Darlegung dessen, was Julians Konzept zum jeweiligen Aspekt vorsieht. Dem folgt in einem zweiten Schritt eine Darstellung möglicher Parallelen aus dem paganen Bereich – dabei beschränkt sich die Auswahl der jeweils auf Ähnlichkeiten hin untersuchten paganen Kulte auf solche, deren Praktiken Julian entweder aus eigenem Erleben oder aus der Literatur vertraut waren. Ein dritter Schritt stellt im Anschluss daran ähnliche christliche Bräuche vor. Hierzu sei betont, dass die in Schritt zwei und drei erfolgende Vorstellung möglicher Parallelen selbstverständlich keine vollständige Darlegung aller paganen bzw. christlichen Kultvollzüge und Theorien zu dem jeweiligen Aspekt sein kann, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde (jedes Thema für sich genommen wäre lohnenswerter Gegenstand mehrerer Arbeiten). Ich werde daher vielmehr den Fokus auf solche Phänomene, Praktiken und Vorstellungen richten, die Ähnlichkeiten mit Julians Entwurf aufweisen und somit als mögliche Vorbilder in Betracht kommen. Abgeschlossen wird jedes Kapitel mit einer kritischen Zusammenfassung des jeweils Dargestellten und dem Versuch, herauszustellen, welche Riten oder Konzeptionen tatsächlich für Julians Entwurf in diesem Bereich Pate gestanden haben könnten. Dieses Vorgehen entlastet die die gesamte Arbeit abschließende Schlussbetrachtung und erlaubt es, sich darin auf die großen Linien zu konzentrieren. Doch bevor der Fokus auf Julian und seine Religionspolitik gerichtet wird, soll zunächst im ersten Teil der Arbeit die Grundlage gelegt werden, auf der diese Untersuchung aufbauen kann. So wird zu Beginn ein kurzer Überblick über Julians Leben und Wirken gegeben. Anhand einer knappen religiösen Biographie soll herausgestellt werden, welche Ereignisse, Begegnungen und Menschen Julians Leben formten und beeinflussten (Kapitel 1). Daran anschließend wird Julians Verhältnis zu den Christen beleuchtet: Da bereits einige von Julians Zeitgenossen vermuteten, er habe die Pläne für seine religiöse Organisation von den Christen übernommen, soll hier vorgestellt werden, welches Verhältnis zu und welche Meinung von den Christen er hatte und welche Maßnahmen er gegen sie ergriff (Kapitel 2). Abgeschlossen wird dieser erste Teil mit einer Überblicksdarstellung der Theologie Julians, die als theoretische Seite seiner Repaganisierung das Gegenstück zur (praktischen) Organisation bildete (Kapitel 3). Der zweite Teil der Arbeit besteht – aufbauend auf dem im ersten Teil gelegten Fundament – in einer detaillierten Darstellung von Julians Entwurf einer reichsweiten paganen religiösen Organisation, sowie ihrer möglichen Parallelen im Heidentum und Christentum. Jedes Kapitel dieses Teiles ist einem einzelnen Aspekt von Julians Entwurf gewidmet. Dabei gleichen sich alle Kapitel dieses zweiten Teiles in ihrem (oben bereits dargelegten) Aufbau. Die Reihenfolge der behandelten Aspekte richtet sich nach der Logik, mit der ein Konzept einer religiösen Vereinigung entworfen werden könnte. So wird zunächst die Organisationsebene beleuchtet, das Rückgrat einer jeden Gemeinschaft – ihre Struktur, ihr Aufbau, ihre Hierarchien sowie ihre Finanzierungsmöglichkeiten (Kapitel 4). Ohne Personal, das ihr Bestehen und reibungslose Abläufe, ja das ganze Alltagsgeschäft erst möglich macht, und ohne Multiplikatoren, die sie verbreiten, kann keine Organisation bestehen. Deshalb werden aufgrund ihrer wichtigen Rolle im nächsten Kapitel die Priester vorgestellt – ihre Funktionen, ihre Aufgaben sowie die
Quellenlage und Forschungsstand
9
Anforderungen, die Julian an sie stellte (Kapitel 5). Eng mit den Priestern verknüpft und gleichsam das Herzstück jeder religiösen Vereinigung ist die Gestaltung des Kultes. In diesem Kapitel wird untersucht, wie nach Julians Vorstellungen der Gottesdienst aussehen sollte, welche kultischen Vollzüge er vorsah – kurzum, wie der Kontakt mit den Göttern gepflegt werden sollte (Kapitel 6). Mit der Praxis der Philanthropie behandelt das letzte Kapitel zum Abschluss die Frage danach, wie sich das Verhältnis der von Julian geplanten Organisation zu den Armen und Bedürftigen gestalten sollte (Kapitel 7). Abgerundet wird die Arbeit mit einer Schlussbetrachtung, die noch einmal die bereits in den einzelnen Kapiteln zusammengefassten Befunde kritisch beleuchtet und versucht, eine abschließende Antwort auf die eingangs gestellte Frage zu geben, auf welche Vorbilder Julian zurückgriff und durch welche Konzepte er sich bei dem Entwurf seiner reichsweiten paganen religiösen Organisation inspirieren ließ. Quellenlage und Forschungsstand Quellenlage Die Quellen zu Julian sind sehr umfangreich, da eine ungewöhnlich große Zahl seiner Schriften die Jahrhunderte überdauert hat – dank seines guten Stils fanden sie Aufnahme in byzantinische Anthologien. So können wir auf ein umfangreiches Briefcorpus zurückgreifen, das einen tiefen Einblick in Julians Denkweise und besonders in seine Pläne zur Schaffung einer religiösen Organisation erlaubt. 28 Daneben sind weitere Schriften verschiedener Genres zu unterschiedlichen Themen erhalten: Während seiner Zeit als Cäsar in Gallien verfasste Julian drei Panegyriken (zwei sind Constantius II. gewidmet, eine dessen Frau Eusebia). Des Weiteren schrieb er in dieser Zeit eine Trostrede an sich selbst anlässlich der Abberufung seines Freundes Salutius aus Gallien sowie den »Brief an Themistius«, in dem er den Vorrang der philosophischen Kontemplation über die politische Aktivität betonte. Sein »Brief an die Athener« spiegelt seine Sicht der Ereignisse um seine Proklamation zum Augustus wider. Aus der Zeit seiner Alleinherrschaft stammen zwei Prosahymnen (auf Helios bzw. die Göttermutter) sowie zwei Schriften, in denen er sich mit den Kynikern auseinandersetzt. 29 Mit dem Christentum und seinen Lehren beschäftigt er sich in der Schrift »Contra Galilaeos«; diese ist heute nur noch fragmentarisch in ihrer Widerlegung durch Cyrill von Alexandrien erhalten. 30 Auch zwei Satiren Julians sind überliefert, die »Caesaren« 31 und der »Misopogon«. Alle Selbstzeugnisse beschränken sich auf die Zeit von Julians Ernennung zum Cäsar bis hin zum fatalen Perserfeldzug; aus seiner Jugend- und Studienzeit sind weder Briefe noch sonstige Schriften überliefert.
28 Zur Frage nach der Authentizität des für diese Fragestellung wichtigen Briefes nr. 84 (144/147 Bidez) vgl.
Bouffartigue, Authenticité 231/242, der die von van Nuffelen, Lettres 136/148, in Frage gestellte Echtheit dieses Briefes mit guten Gründen verteidigt und die Autorschaft Julians plausibel begründet. Vgl. Luchner, Filosof–a 221/252, zur bedeutenden Rolle der Briefe als Medium der Vermittlung zentraler Werte innerhalb von Julians Netzwerk an Freunden und Gleichgesinnten. 29 Ausführlich zu den beiden Hymnen und ihrer Theologie vgl. Kapitel 3.2 und 3.3, zu den beiden Reden gegen die Kyniker vgl. Kapitel 2.2.2 und 3.4.1. 30 Ausführlich zu »Contra Galilaeos« vgl. Kapitel 2.3.2. 31 Vgl. ausführlich Kapitel 2.1.1.2.
10
Einleitung
Julians polarisierende Persönlichkeit und nicht zuletzt seine Maßnahmen zur Errichtung einer reichsweiten paganen religiösen Organisation riefen bereits zu seinen Lebzeiten und noch lange nach seinem Tod eine Flut literarischer Äußerungen hervor. So wird die Fülle seiner eigenen Schriften durch zahlreiche Zeugnisse seiner Weggefährten und Zeitgenossen ergänzt, die von Reden prominenter Anhänger über Augenzeugenberichte bis hin zu polemischen Auseinandersetzungen mit ihm auf christlicher Seite reichen. Nicht zuletzt fand er Aufnahme in die paganen wie christlichen Geschichtswerke. Zu erwähnen sind auf paganer Seite besonders Ammianus Marcellinus, Eunapius, Libanius und Claudius Mamertinus. Auf christlicher Seite gibt es eine Fülle von Gedichten, Predigten und Heiligenlegenden julianischer Märtyrer; Kritik an seiner (Religions-) Politik erntete Julian vor allem von Gregor von Nazianz, der zwei Invektiven gegen ihn verfasste. 32 Weitere, meist polemische, Überlieferungen finden sich bei den Kirchenhistorikern Sokrates, Sozomenus, Theodoret und Philostorgius. 33 Des Weiteren bewahren der Codex Theodosianus und Codex Iustinianus von Julian erlassene Gesetze. Somit ist die Quellenlage zu Julians Leben und Wirken, sowohl was Julians eigene Schriften betrifft, als auch seine Behandlung bei anderen, ungewöhnlich gut und vor allem auch ungewöhnlich breit, da sie von Panegyrik über einfache Berichte bis hin zu Polemik reicht. 34 Doch nicht nur die Quellenlage an sich ist sehr gut – aufgrund des immer schon großen Interesses an der Person Julians lassen die Editionslage seiner Werke und somit der Zugang zu den Quellen ebenfalls kaum etwas zu wünschen übrig. Schon 1875 veröffentlichte F. K. Hertlein eine Gesamtausgabe. 35 Ihm folgten W. C. Wright 1913/ 1923 und 1924/1964 J. Bidez /Ch. Lacombrade /G. Rochefort, die ihren Editionen jeweils eine englische bzw. französische Übersetzung beifügten. 36 Zuvor hatte J. Bidez zusammen mit F. Cumont 1922 eine Sammlung von Julians Briefen, Gesetzen und Fragmenten veröffentlicht. Bereits 1880 gab C. J. Neumann das nur durch Zitate in Cyrill von Alexandriens Gegenschrift überlieferte »Contra Galilaeos« als Fragmentensammlung heraus. Übersetzungen ins Deutsche gibt es nur für einen Teil der Werke Julians, so von L. Goessler (1971) und B. K. Weis (1973, mit griechischem Text) für die Briefe, von F. Müller (1998, mit griechischer Edition) und M. Giebel (1999) für die Satiren, sowie von G. Mau (1907) und R. Asmus (1908) für einige der philosophischen Werke. Von zahlreichen Werken finden sich auch Übersetzungen in andere Sprachen. 37 Ergänzt werden diese Editionen durch eine Sammlung der Inschriften Julians, die S. Conti 2004 herausgab.
32 Vgl. Greg. Naz. or. 4 und 5 (SC 309, 86/292. 294/380 Bernardi). Lieu, Panegyric, stellt eine Auswahl wichtiger
Quellen zusammen. 33 Ausführlich untersucht Leppin, Constantin 72/85, das Bild, das die einzelnen Kirchenhistoriker von Julian
zeichnen. 34 Zu einem Weiterleben der julianischen Werke und Gedanken in christlicher und paganer Literatur vom 4. bis
zum 6. Jh. vgl. Célérier, Présence. 35 Für die ausführlichen bibliographischen Angaben der im Folgenden genannten Editionen vgl. jeweils den
Quellenteil des Literaturverzeichnisses. 36 Zu einer Übersicht über die Überlieferungsgeschichte der Werke Julians vgl. Bidez, Discours XV/XXX. 37 Vgl. den Quellenteil des Literaturverzeichnisses.
Quellenlage und Forschungsstand
11
Forschungsstand Nicht nur von seinen Zeitgenossen erhielt Julian große Aufmerksamkeit: Abgesehen davon, dass die neuzeitliche Forschung sich ihm häufig widmet, ist er auch Gegenstand zahlreicher Romane. 38 Dies liegt sicherlich u. a. in seiner Aufsehen erregenden Konversion nach Erreichen der Alleinherrschaft begründet, aber auch in seiner vorbildlichen Herrschaftsweise und Administration sowie seiner persönlichen Integrität – und in seinem von Legenden umrankten frühen Tod. Nicht zuletzt stellt man immer wieder die interessante Frage, wie er den Lauf der Religionsgeschichte beeinflusst hätte, wäre er nicht bereits nach nur anderthalb Jahren als Kaiser während seines Perserfeldzuges gefallen. Hätte sich das Christentum dennoch durchsetzen können? Hätte der Prozess vom paganen zum christlichen Reich lediglich länger gedauert? Oder hätte Julian tatsächlich das Heidentum reformieren und so für eine Konfrontation mit dem Christentum stärken können, dass es diese evtl. sogar gewonnen hätte? Im Laufe der Jahrhunderte änderte sich das jeweils von der Literatur gezeichnete Bild Julians: Im Mittelalter wurde Julian als der Böse schlechthin und abschreckendes Beispiel für alle, die sich von der Kirche abwenden, hingestellt. 39 Diese einseitig negative Sichtweise änderte sich anfänglich in der Renaissance und besonders ab der frühen Neuzeit, ja, sie schlug geradezu ins Gegenteil um. 40 In dieser Zeit sind die Darstellungen sehr der paganen Julian-Panegyrik verpflichtet und zeichnen ein positiv verzerrtes Bild des tragischen Helden; auch wurde versucht, aus ihm, dem Apostaten, einen Antiklerikalen und Vorkämpfer religiöser Toleranz zu machen, der, als Anwalt der Vernunft, gar nicht anders konnte, als sich der Kirche zu widersetzen. Neben Voltaire und Montesquieu beschäftigten sich in dieser Zeit auch Goethe und Schiller mit ihm. 41 Ende des 19. Jahrhunderts und besonders im 20. Jahrhundert widmete sich die Forschung ausführlich Julian. Zu nennen sind hier z. B. P. Allard, der in seinen drei Bänden (1900/1903) ein breit angelegtes (heute vielfach veraltetes) Bild Julians zeichnete. 1914 verfasste J. Geffcken sein aus den Quellen erhobenes Buch über Kaiser 38 Für einen ausführlichen Überblick über die literarische Beachtung, die Julian im Laufe der Jahrhunderte zuteil
wurde, vgl. Förster, Dichtung 1/120; Philip, Literatur 5/74, die ihren Schwerpunkt auf die deutsche Literatur legt; Nulle, Julian 257/266; einen kurzen Überblick bietet Klein, Julian 2/10. 39 Denn bald nach Julians Tod »such (scil. Julian positiv gesinnte) pagan voices were drowned out (. . . and) for the next millennium patristic propaganda held the field, and the minds of men were molded by its precepts and prejudices« (Nulle, Julian 258). Oder wie Spink, Reputation 1400, es formuliert: »The Julian of medieval literature was still the Julian of the church fathers (. . .) fit only to be carried off to hell at the end of a play«. Vgl. Philip, Literatur 5/19. 40 Wie Rosen, Julian 9, bemerkt: »Man hat mit Recht gesagt, in Julian habe ›jede Zeit gefunden, nach was sie suchte, was für sie selbst typisch war‹ « (mit Zitat von Nulle, Julian 265); vgl. Tougher, Julian 72: »A major impediment to the study of Julian is the polarity of opinion expressed about him by the sources. (. . .) Julian’s own contribution to the documentation of his life and reign also poses problems, for he is very much aware of creating an image of himself, an image that others echoed, and one that continues to be echoed«. 41 Vgl. Spink, Reputation 1399/1415; Förster, Dichtung 40f; zu Joseph von Eichendorffs epischer Bearbeitung des Julian-Stoffes vgl. Förster, Dichtung 51/56. Rosen, Julian 10, erwähnt, dass Julian z. B. im Bismarck’schen Kulturkampf, aber auch dem Liberalismus, Sozialismus und Kommunismus als Verbündeter stets willkommen war. Selbst in der englischen Thronfolge des späten 17. Jahrhunderts spielte er eine Rolle: Als sich ankündigte, dass mangels legitimer Nachkommen die Krone des (anglikanischen) Königs Charles II. an seinen (katholischen) Bruder James, den Duke of York, fallen würde, weckte das Erinnerungen an Julian, der als Heide dem christlichen Kaiser Constantius II. gefolgt war, und löste eine Welle literarischer Beschäftigung mit dem Julian-Stoff aus, vgl. Spink, Reputation 1404/1406. – Für einen Überblick über die julianische Literatur des 16./19. Jahrhunderts vgl. Nulle, Julian 258/265; Klein, Julian 3f.
12
Einleitung
Julian. Besonders hervorzuheben ist der französische Philologe und Religionshistoriker J. Bidez, der sich nicht nur, wie oben erwähnt, durch seine (mit Ch. Lacombrade und G. Rochefort gemeinsame erstellte) Edition des Gesamtwerkes um die JulianForschung verdient machte, sondern auch das heute noch wertvolle Grundlagenwerk zu Julian verfasste (1930, die deutsche Übersetzung erschien 1940). Im Laufe der nächsten Jahrzehnte wurden vor allem Einzeluntersuchungen in Aufsatzform veröffentlicht und einige hiervon in Sammelbänden zusammengetragen (so von R. Klein 1978 oder R. Braun /J. Richer im selben Jahr). 42 In jüngerer Zeit hat die Beschäftigung mit Kaiser Julian wieder zugenommen. Besonders im angelsächsischen Raum wurde das Thema der Religiosität Julians behandelt, u. a. von P. Athanassiadi (1981; 21992) oder R. B. E. Smith (1995). Mit der Konversion Julians als einer Konversion zur Philosophie beschäftigt sich die Dissertation von I. Tanaseanu-Döbler aus dem Jahr 2008. Ebenfalls erst vor kurzer Zeit erschienen zwei Julian-Biographien von renommierten Althistorikern (K. Bringmann 2004 und K. Rosen 2006). Nicht zu vergessen ist auch eine Tagung, die sich 2006 in München mit dem Thema »Kaiser Julian Apostata und die philosophische Reaktion gegen das Christentum« beschäftigte (der zugehörige Sammelband der Akten wurde 2008 vom Initiator der Tagung, Ch. Schäfer, herausgegeben). Doch wird gerade die Behandlung von Julians reichsweiter paganer religiöser Organisation und besonders die interessante Frage nach der Quelle seiner Inspiration für diese Vereinigung (christlich oder pagan), meist nur kurz am Rande erwähnt. In den Biographien bildet letztere (wenn sie überhaupt thematisiert wird) nur ein Kapitel unter vielen und auch in den Monographien oder Aufsätzen, die sich mit der Religiosität Julians beschäftigen, spielt sein Plan für den Aufbau solch einer Organisation in der Regel nur eine Nebenrolle. 43 Eine ausführliche Untersuchung von Julians diesbezüglichem Vorhaben ist bis heute nur einmal geschehen und zwar durch W. Koch, der sich 1927 und 1928 in einer Aufsatzreihe mit diesem Thema befasste (»Comment l’empereur Julian tâcha de fonder une Église païenne«). Da seitdem nun schon fast 100 Jahre vergangen sind und in der Zwischenzeit, wie bereits dargelegt, dieses Thema die Forschung nur wenig bewegt hat, drängt eine erneute Behandlung sich geradezu auf. Abschließende Hinweise An dieser Stelle noch zwei kurze Bemerkungen zur Wortwahl: Da allein schon der früher häufig benutzte Begriff »Kirche« für Julians Organisation implizit ein bestimmtes Urteil andeutet (dass Julians Entwurf auf das Christentum rekurriert), werde ich ihn im Folgenden vermeiden und stattdessen den unbelasteten und allgemeineren Begriff der »Organisation« verwenden. Trotz meiner obigen Erklärung, dass es »das Heidentum« als fest definierte Religionsgemeinschaft analog zum Christentum nicht gab, wird der Leser bald merken, dass ich diesen Begriff dennoch benutze. Dies geschieht allein aus Konvenienz, da er wesentlich kürzer ist als die möglichen Alternativen. So bitte ich darum, meine Verwendung von »das Heidentum« (bzw. analogen Formulierungen) immer vor dem Hin42 Für Literaturübersichten vgl. z. B. Kaegi, Research 229/238 (ältere Literatur bis 1964); Rosen, Julian 527/546
(neuere Literatur bis ca. 2006, dem Erscheinungsjahr). 43 Eine Ausnahme bilden hier zwei 1999 erschienene Aufsätze von S. Olszaniec (vgl. das Literaturverzeichnis).
Abschließende Hinweise
13
tergrund zu sehen, dass dies eine Verallgemeinerung und Generalisierung ist, die die Vielseitigkeit und Verschiedenheit der paganen Welt nicht in Abrede stellen will. Mit Rücksicht auf die bessere Lesbarkeit sind im Fließtext Quellentexte nicht in der Originalsprache, sondern in einer deutschen Übersetzung zitiert. Der griechische bzw. lateinische Text findet sich in den Fußnoten. Die julianischen Werke werden nach der Gesamtausgabe von J. Bidez /Ch. Lacombrade /G. Rochefort bzw. für »Contra Galilaeos« nach C. J. Neumann zitiert. Die weiteren verwendeten Editionen bitte ich dem Literaturverzeichnis zu entnehmen. Die Übersetzung der Briefe Julians orientiert sich (wenn nicht anders vermerkt) an B. Weis. 44 Die übrigen Übersetzungen sind, sofern nicht anders vermerkt, meine eigenen. Namen antiker Personen sind in der Regel (unabhängig ihrer Herkunft) latinisiert, doch werden dem aufmerksamen Leser einige Ausnahmen auffallen, bei denen die griechische Namensform die üblichere ist, weshalb auch ich sie in dieser Arbeit verwende.
44 Für eine Übersicht über die unterschiedliche Nummerierung der Briefe in den verschiedenen Ausgaben vgl.
Weis, Briefe 362 f. Ich richte mich im Folgenden nach der Nummerierung bei Bidez, Lettres, da dies die von mir verwendete maßgebliche Edition ist.
TEIL 1 HINTERGRUND UND GRUNDLAGEN DER IDENTITÄT JULIANS
1. GRUNDZÜGE DER RELIGIÖSEN BIOGRAPHIE KAISER JULIANS 1
»Ihr werdet den rechten Weg nicht verfehlen, wenn ihr einem Manne folgt, der bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr ebenfalls jenen (scil. falschen) Weg gegangen ist und, siehe, nun mit der Gnade der Götter sich das zwölfte Jahr auf diesem (scil. richtigen) Weg befindet.« 2
»Was man gerne als heidnisches Reformwerk Julians benennt, ist ein reaktionäres, künstliches Gebilde, entstanden aus den persönlichen Schicksalen eines Menschen.« 3 Um Julian verstehen zu können – vor allem seinen im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit behandelten Versuch, eine reichsweite pagane religiöse Organisation aufzubauen, seine Beweggründe für dieses Projekt sowie auch sein Verhältnis zum Christentum – muss man sich zunächst mit seiner religiösen Biographie vertraut machen. Denn unterschiedliche Erlebnisse prägten ihn seit seiner Kindheit in seinen Ansichten und beeinflussten so später seine Politik, auch und gerade seine Religionspolitik. Ein grundlegender Aspekt ist z. B. die Tatsache, dass der spätere Reformer des Heidentums ursprünglich selber Christ war; warum er sich von der Religion seiner Kindheit ab- und den paganen Göttern zuwandte, dazu gibt es unterschiedliche Theorien. So soll im Folgenden ein aufmerksamer Blick auf Julians Leben geworfen werden, wobei der Schwerpunkt im Hinblick auf die Fragestellung der Arbeit auf Julians geistiger und religiöser Entwicklung liegen wird. 1.1 Kindheit Der spätere Kaiser Julian wurde als Flavius Claudius Julianus in Konstantinopel geboren; ob im Jahr 331 oder 332 wird kontrovers diskutiert. 4 Seine Eltern waren Julius Constantius, Sohn von Constantius I. Chlorus und somit Halbbruder Konstantins des Großen, und dessen zweite Frau Basilina. Aus seiner ersten Ehe hatte Julians Vater
1 Für eine ausführliche Darstellung seiner Biographie vgl. z. B. Bringmann, Kaiser, oder Rosen, Julian, die
beiden neuesten Erscheinungen. Ein Klassiker ist weiterhin, obwohl vor gut 70 Jahren verfasst, Bidez, Julian. 2 Julian. ep. 111, 434d/435a (191 Bidez): »oŒq
Åmart†sesje t®c Êrj®c Âdo‹ peijÏmenoi tƒ poreujËnti kÇke–nhn tòn Âd‰n äqric ‚niaut¿n e“kosi, ka» ta‘thn doà sÃn jeoÿc poreuomËn˙ dwdËkaton Ítoc«. Julian schreibt hier den Alexandrinern über seine religiösen Erfahrungen (vgl. Kapitel 1.4).
3 Klein, Lebensbild 290. 4 In einem Ende des Jahres 362 geschriebenen Brief gibt Julian an, dass er Ȋqric
‚niaut¿n e“kosi« (»bis zu 20 Jahre«) Christ gewesen sei und seitdem im zwölften Jahr fortfahre, die Götter zu verehren (Julian. ep. 111, 434d/435a [191 Bidez]); das ergibt zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Briefes ein Lebensalter von 19 Jahren und x Tagen + 11 Jahre und x Tage, wobei nicht sicher ist, ob die Summe 30 Jahre und x Tage oder 31 Jahre und x Tage ergibt. Vgl. dazu Gilliard, Birth date 148f; Bringmann, Kaiser 17 Anm. 1; Rosen, Weg 126.
18
1. Grundzüge der religiösen Biographie Kaiser Julians
bereits drei Kinder, u. a. Flavius Constantius Gallus. 5 Wenige Monate nach Julians Geburt starb seine Mutter; Julians Vater und die meisten anderen seiner männlichen Verwandten väterlicherseits wurden wenige Jahre später, nach dem Tod Konstantins des Großen, getötet; 6 einzig Julian und sein Halbbruder Gallus überlebten. 7 Die verwaisten Halbbrüder wurden getrennt: Gallus wurde nach Ephesus, Julian nach Nikomedien geschickt und unter die Vormundschaft des Bischofs Eusebius, eines Verwandten seiner Mutter, gestellt; als dieser 338 oder 339 zum Bischof von Konstantinopel ernannt wurde, folgte Julian ihm in die Hauptstadt. 8 Als Vertreter der origenistischen Tradition stand Eusebius in den christologischen Streitigkeiten dieser Zeit auf der Seite seines Freundes Arius, 9 so dass Julians christliche Erziehung von dessen Vorstellungen geprägt wurde. Bischof Eusebius beauftragte den Eunuchen Mardonius, der schon Julians Mutter unterrichtet hatte, mit Julians Erziehung. Es wird vermutet, dass dieser, wie Julians Eltern, Christ war, dies ist aber nicht sicher nachweisbar. 10 Mardonius machte Julian mit den griechischen Klassikern, besonders Homer, vertraut und legte den Grundstein für Julians Liebe zur griechischen Literatur und Philosophie. Er weckte in seinem Schüler eine Begeisterung für diese Disziplinen, die ihn ein Leben lang begleiten sollte, und prägte viele seiner Verhaltensweisen; wie Julian es ausdrückte: »Er hat meine Seele geformt und ihr gleichsam die Grundsätze eingemeißelt, die ich damals gar nicht wollte, aber er war mit ganzem Eifer bei der Sache, als vollbringe er etwas besonders Schönes und Wertvolles; und Ungeschliffenheit nannte er Würde, fehlenden Geschmack Nüchternheit und dass man seinen Begierden nicht nachgab oder durch sie Glück erlangte, das nannte er Männlichkeit.« 11 Die Lehren des 5 Vgl. Bringmann, Kaiser 17; zu Gallus vgl. Bleckmann, Gallus 231/237. 6 Diese Morde waren politisch motiviert: Da Konstantin Diokletians System der Tetrarchie zu Gunsten einer
7
8 9
10 11
Familiendynastie wieder abgeschafft hatte, waren alle männlichen Verwandten mögliche Erben und stellten eine Gefahr für seine Söhne dar. Durch ihre Palastsäuberung wollten die Konstantin und seiner Familie treu ergebenen Soldaten sicherstellen, dass Konstantins Söhne ihren Vater beerben konnten, ohne Konkurrenz durch Verwandte fürchten zu müssen. Es wurde jedoch bald schon daran gezweifelt, dass diese Maßnahme auf eine Initiative der Soldaten zurückging – Julian z. B. beschuldigte später seinen Cousin Constantius II., vgl. Julian. ep. ad Ath. 270c/d (215 Bidez). Ersterer wegen seines jungen Alters (er war sechs oder sieben), vgl. Julian. misop. 352b (176 Lacombrade), Letzterer, weil er an einer schweren Krankheit litt, vgl. Soz. h. e. 5, 2, 9 (GCS NF 4, 191 Bidez /Hansen); vgl. Lippold, Iulianus 444. Vgl. Rosen, Julian 71, zu der späteren Überlieferung, Julian sei durch christliche Priester gerettet worden. Julian selbst schrieb seine Rettung im Rückblick Helios zu, vgl. Julian. or. 7, 229c/ 230b (77 f Rochefort). Vgl. v. Borries, Iulianos 27; Bringmann, Kaiser 24. Zwar hatte Eusebius den Beschluss des Konzils von Nizäa (325 n. Chr.) unterzeichnet, war aber wegen seiner Gemeinschaft mit Arius dennoch kurze Zeit später abgesetzt und nach Gallien verbannt worden. Nach seiner Rehabilitierung wurde er kirchlicher Berater Konstantins und später Constantius II.; ausführlich zu seiner Person vgl. z. B. Spanneut, Eusèbe 1466/1471, mit weiterführender Literatur. Vgl. Lippold, Iulianus 444 f; Rosen, Weg 133; Bringmann, Kaiser 22. Julian. misop. 351c/d (175 Lacombrade): »‚nergasàmenoc t¨ yuq¨ ka» πsper ‚ntup∏sac Ìper ‚g∞ m‡n oŒk ‚boulÏmhn tÏte, Â d‡ ±c d† ti qar–en poi¿n màla proj‘mwc ‚net–jei, kal¿n o⁄mai semnÏthta tòn Çgroik–an ka» swfros‘nhn tòn Çnaisjhs–an, Çndre–an d‡ t‰ mò e“kein taÿc ‚pijum–aic mhd‡ eŒda–mona ta‘t˘ g–nesjai.« Ebd. berichtet Julian weiter von Mardonius’ Lehren: »óEfh dË moi pollàkic, efi “ste, mÄ D–a ka» Mo‘sac, Â paidagwg‰c Íti paidar–˙ komid¨; ›M† se parapeijËtw t‰ pl®joc t¿n ôlikiwt¿n ‚p» tÄ jËatra ferÏmenon Êrhqj®na– pote tauths» t®c jËac. Ioudak®c ˚¯diourg–ac, fa‹lon d‡ ka» ‚pisesurmËnon b–on ‚k t®c par+ ômÿn ˚¯jum–ac ka» qudaiÏthtoc« (»das, was wie Kräfte des Bösen diesen Völkern aufgepfropft ist: Atheismus von der Leichtsinnigkeit der Juden und eine elende und schlampige Art zu leben von unserer [scil. der Hellenen] Trägheit und Ordnungslosigkeit«); vgl. ebd. 171d/e. 201e/206a. 238e (192. 198f. 208 Neumann) oder den Vergleich von Christen und Kinderräubern in ep. 89b, 305c/d (173f Bidez). Bringmann, Kaiser 189. Vgl. Julian. c. Gal. 75b. 93e (168 f Neumann); or. 11 (4), 150a (127 Lacombrade); or. 9 (6), 182c. 184c. 185a (146. 149 Rochefort): hier betont Julian jeweils, wie wichtig die Weisheit für den Menschen sei; diese Hochschätzung schien ihm im Christentum nicht gegeben; vgl. Hardy, Schulgesetz 397. Hardy, Schulgesetz 397. Vgl. Bringmann, Kaiser 108. Vgl. Julian. Caes. 307b/318d (33/48 Lacombrade).
36
2. Julian und das Christentum
üppigen Sinnengenusses 19 – schon hier wird das Christentum in der Person seines Vertreters Konstantin subtil herabgesetzt. In der von Hermes durchgeführten direkten Befragung der Kandidaten werden ihre Einstellungen und Motive thematisiert. Die Götter verwerfen das Motiv des Strebens nach Macht oder Lust als treibende Kraft eines Herrschers, so dass schließlich Marc Aurel, der von Julian bewunderte Philosoph auf dem Kaiserthron, zum Sieger gekürt wird. Er hatte sich zu Beginn bescheiden geweigert, seine eigenen Erfolge aufzuzählen, da die Götter in ihrer Allwissenheit diese schon kennen. 20 Den Sieg erreicht er, weil er der einzige war, der sich nicht dem Streben nach Macht oder Genuss hingegeben hatte, sondern als seine Regierungsmaxime die Nachahmung der Götter wählte, sich also darum bemühte, selbst so wenige Bedürfnisse wie möglich zu haben und gleichzeitig so vielen Menschen wie möglich zum Wohltäter zu werden. 21 Dadurch, dass die Götter Marc Aurel den Sieg zuerkennen, bestätigen sie indirekt auch Julians Regierungsstil, da dieser sich Marc Aurel als Vorbild erwählt hatte und in Nachahmung der göttlichen Fürsorge für die ihm anvertrauten Menschen da sein wollte. 22 Der Abschluss der Satire gerät zu einer Abrechnung mit der Götterlosigkeit der Christen in Person des Hauptschuldigen an ihrem Aufschwung: Julians Onkel Konstantin. Dieser wurde, da er Christ war, in der ganzen Satire negativ dargestellt, doch am Schluss wird die Kritik an ihm und dem Christentum besonders heftig. Nachdem Marc Aurel zum Sieger erklärt wurde, fordert Zeus alle Teilnehmer auf, sich einen der Götter als Schutzherrn zu wählen. Dies bereitet lediglich Konstantin Schwierigkeiten – bis er Tryphe wieder entdeckt. Diese führt ihn zu Asotia, der Göttin der Zuchtlosigkeit; bei dieser trifft Konstantin auch auf Jesus von Nazareth. Dieser versucht, möglichst viele für sich zu gewinnen und ruft deswegen allen zu: »Jeder Verführer, jeder Mordbefleckte, jeder Fluchbeladene, jedes Scheusal komme zuversichtlich hierher. Ich werde ihn mit Wasser waschen und sogleich rein machen. Und wenn er abermals der gleichen Schuld verfällt, so möge er sich an seine Brust und vor den Kopf schlagen und er ist rein.« 23 So zeigen sich in den »Caesares« deutlich Julians Hass und sein Unverständnis der Botschaft Christi gegenüber. Auch wird hier ein weiterer Grund seiner Ablehnung des Christentums deutlich: Er sah in der Sündenvergebung und dem damaligen Taufverständnis 24 die Aufhebung der sittlichen Selbstverantwortung des Menschen und damit eine Gefahr für die auf göttlicher Sanktionierung beruhende gesellschaftliche Ordnung gegeben. 25 Deswegen versuchte er mit Hilfe dieser Satire einzuschärfen, dass das Christentum keine Alternative zur Verehrung der Götter sei.
19 Vgl. Julian. Caes. 317a/318d. 328d/329d (46/48. 61f Lacombrade). Hier fällt eine gewisse Parallele zur christ-
20 21 22 23
24 25
lichen Praxis auf, Katechumenen, Büßer und Heiden – alle, die nicht in voller Gemeinschaft mit der Kirche stehen – nicht zur Eucharistiefeier zuzulassen. Vgl. Julian. Caes. 328b/d (60 f Lacombrade). Vgl. Julian. Caes. 333b/335a (66/69 Lacombrade). Vgl. Bringmann, Kaiser 109. Julian. Caes. 336a/b (70 f Lacombrade): »ìOstic fjore‘c, Ìstic miaifÏnoc, Ìstic ‚nagòc ka» bdelurÏc, “tw jarr¿n; Çpofan¿ gÄr aŒt‰n tout˙» tƒ ’dati lo‘sac aŒt–ka kajarÏn, kãn pàlin Ínoqoc toÿc aŒtoÿc gËnhtai, d∏sw t‰ st®joc pl†xanti ka» tòn kefalòn patàxanti kajarƒ genËsjai«. Hier spielte Julian auf die christliche Taufe und die Bußpraxis an und zeigte gleichzeitig, wie gering er diese christlichen Sakramente schätzte. Die Taufe beinhaltete volle Sündenvergebung, doch konnte diese nur einmal erlangt werden, weshalb die Taufe oft bis zum Tod aufgeschoben wurde, wie z. B. bei Konstantin, vgl. Bringmann, Kaiser 110. Vgl. Bringmann, Kaiser 110.
2.1 Julians Verhältnis zu den Christen
37
2.1.2 »Christenverfolgung« – Julians Maßnahmen gegen die Christen Das Christentum hatte auf Julians Zeitgenossen eine wesentlich größere Anziehungskraft als die paganen Kulte. Dies suchte Julian zu ändern, weshalb er das Christentum analysierte und seine Stärken und Schwächen eruierte; dabei kam ihm zu Gute, dass er lange Zeit selber Christ gewesen war und das Christentum von innen her erlebt hatte. Im Anschluss an diese Bestandsaufnahme bemühte er sich, den paganen Kulten neue Strukturen zu geben und sie attraktiver zu gestalten. Dies geschah nach eigener Darstellung getreu seinem Vorsatz, durch eine Rückkehr zu den Wurzeln eine innere Erneuerung der paganen Kulte anzustreben, sich auf die ursprünglichen heidnischen Tugenden und Praktiken zu besinnen und diese neu aufleben zu lassen. 26 Julian versuchte, gegen die Christen anzugehen und sie an den Rand der Gesellschaft zu drängen, um das Christentum letztendlich ganz eliminieren zu können. 27 Dies gelang ihm zunächst auch relativ gut, denn als ehemaliger Christ hatte er die Ursachen für die rasche und erfolgreiche Ausbreitung des Christentums klar erkannt. 28 Er unternahm verschiedenste Versuche, die Defizite auszugleichen, die dem Heidentum in seiner Vielzahl von Kulten und Glaubenssystemen zum Nachteil gegenüber dem straff organisierten und auf einem theologischen Fundament ruhenden Christentum gereichten. 29 2.1.2.1 Indirekte und gewaltfreie Maßnahmen Trotz aller Versuche, die Christen aus der Gesellschaft auszugrenzen, sie zu schikanieren und durch Gesetze zu benachteiligen, um sie so wieder zu den paganen Göttern zurückzuführen, griff Julian nie zum Mittel der Gewalt. Er war vielmehr klug und besonnen genug, offene und direkte Verfolgung zu vermeiden. Das Scheitern der Diokletianischen Christenverfolgung war ihm ein warnendes Beispiel: Diese hatte Kaiser Galerius, wenn auch widerwillig, abbrechen müssen, 30 und das Christentum war sogar gestärkt aus dieser Prüfung hervorgegangen – kurze Zeit später wandte sich Kaiser Konstantin dem Christentum zu. Da dieses durch die kaiserliche Protektion im Laufe der letzten Jahrzehnte seine Position gefestigt und großen Einfluss erlangt hatte, war eine direkte und gewaltsame 26 Vgl. Julian. ep. 84, 431b (146 Bidez): »Mò
dò tÄ par+ ômÿn ÇgajÄ parazhlo‹n älloic xugqwro‹ntec aŒto» t¨ ˚¯jum–¯ kataisq‘nwmen« (»Lassen wir es daher nicht geschehen, dass andere die uns zugehörenden Werke
27
28
29 30
eifernd üben, während wir diese durch unsere Leichtfertigkeit selbst entwürdigen«); vgl. ep. 89a, 453b (153 Bidez). Zur Frage, ob er seinem Vorsatz, keine Neuerungen einzuführen, gerecht wurde, vgl. Kapitel 4/7. So berichten die Kirchengeschichtsschreiber, Julian habe angeordnet, Christen dürften weder ein Amt am Hof ausüben noch Statthalter einer Provinz werden oder gar in Armee oder Prätorianergarde dienen, da die Bibel den Gebrauch des Schwertes verbiete (vgl. Mt. 26, 52), vgl. z. B. Socr. h. e. 3, 13, 1 (GCS NF 1, 207 Hansen); Rufin. h. e. 10, 33 (GCS 9, 2, 994 f Mommsen); vgl. Julian. ep. 83 (143 Bidez, mit Anm. auf S. 94); ep. et leg. 50 (57/59 Bidez /Cumont); vgl. de Labriolle, Réaction 374. Zu diesen Ursachen gehörten u. a. die reichsumspannende Organisation oder die christliche Caritas, vgl. Julian. ep. 84, 429d (144 Bidez): »oŒd‡ ÇpoblËpomen ±c màlista tòn ÇjeÏthta sunh‘xhsen ô per» toÃc xËnouc filanjrwp–a ka» ô per» tÄc tafÄc t¿n nekr¿n prom†jeia ka» ô peplasmËnh semnÏthc katÄ t‰n b–on;« (»Beachten wir nicht, dass die Menschenfreundlichkeit gegen die Fremden, die Vorsorge für die Bestattung der Toten und die vorgebliche Reinheit des Lebenswandels es waren, die im Verein miteinander die Gottlosigkeit [scil. das Christentum] am meisten gefördert haben?«). Vgl. Bringmann, Kaiser 189 f; zur genaueren Darstellung der Maßnahmen, die Julian ergriff, vgl. Kapitel 4/7; zum Entwurf einer neuplatonischen Theologie durch Julian vgl. Kapitel 3. Vgl. Vogt, Christenverfolgung 1198 f.
38
2. Julian und das Christentum
Eliminierung nicht mehr möglich. Julian setzte vielmehr subtilere Mittel ein und versuchte u. a., durch Ausnutzung der Schwächen des Christentums (z. B. den Streit um einen einheitlichen Glauben seit dem Konzil von Nizäa 325 n. Chr. oder die große Zahl von Konversionen aus opportunistischen Beweggründen 31) dessen Stellung vorsichtig zu manipulieren. 32 Zunächst gewährte er durch ein Toleranzedikt allen von Constantius II. verbannten nizänischen Bischöfen und Priestern die Rückkehr aus dem Exil. Gleichzeitig veranlasste er, dass der Staat (in Person des Kaisers) sich aus den heftigen Auseinandersetzungen, die zunächst unter Konstantin und später Constantius II. um die Formulierung des rechten Glaubens und der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Gottvater und Jesus Christus ausgetragen wurden, zurückzog; so überließ er die Christen sich selbst in diesem Streit. 33 Er hoffte, dass sie sich durch diese Streitigkeiten selbst zerstören würden, denn wie Ammianus Marcellinus überliefert: »Er wusste aus eigener Erfahrung, dass keine Bestien dem Menschen so gefährliche Feinde sind wie die Christen meistens in ihrem tödlichen gegenseitigen Hass.« 34 So versuchte Julian durch Intrigen, Ausübung von Druck und Ausnutzung innerchristlicher Streitigkeiten die Christen unter Vermeidung von offener Gewalt zu schwächen. Er war geschickt darin, sich zufällig ergebende Gelegenheiten für solche Zwecke auszunutzen: Es versuchten z. B. in einigen Städten des Ostens Kleriker, verärgert durch den von Julian veranlassten Verlust ihrer Privilegien, die christliche Bevölkerung zum Ungehorsam gegen die pagane Obrigkeit und zu Gewalttätigkeiten anzustacheln. Bischof Titus von Bostra versicherte daraufhin Julian gegenüber brieflich, mäßigend auf seine Gemeinde einzuwirken. Julian versuchte mit Hilfe dieses Briefes, einen Keil zwischen den Bischof und seine Gemeinde zu treiben, indem er letzterer den Inhalt dieses Briefes mitteilte, 35 allerdings den entscheidenden Satz so verdrehte, dass der Eindruck entstand, der Bischof beschuldige seine eigene Gemeinde, die öffentliche Ordnung stören zu wollen. Aufgrund dieser vermeintlichen Illoyalität sollte die Gemeinde ihren Bischof aus der Stadt jagen. 36 Gegenüber der Stadt Pessinus, die die Hilfe des Kaisers erbeten hatte, machte Julian deutlich, sie könne nur dann auf seine Unterstützung hoffen, wenn ihre Bürger sich wieder der Großen Göttermutter (deren berühmtestes Heiligtum sich in jener Stadt befand) zuwendeten. Täten sie dies nicht, erhielten sie nicht nur keine Hilfe, sondern
31 Es gab viele Karrieristen, die nur oberflächlich christianisiert waren, eigentlich aber der paganen philoso-
32
33 34 35 36
phischen Bildungstradition nahe standen; so finden sich noch zwei Generationen nach Julian sogar Bischöfe, deren Christlichkeit durch die neuplatonische Philosophie bestimmt und begrenzt wurde. Synesius von Zyrene z. B. machte seine Annahme des Bischofsamtes davon abhängig, dass er mehrere christliche Glaubenssätze, die dem Neuplatonismus widersprachen, ablehnen durfte. Vgl. Bringmann, Kaiser 90; zu Synesius vgl. z. B. Tanaseanu-Döbler, Konversion 155/286. Vgl. Hargis, Christians 122; Marcos, Gentleness 197/204. Bouffartigue, Parti 75, vertritt sogar die Meinung, es gebe keine Zeugnisse, die dagegen sprächen, dass Julian die Christen, wenn sie sich ruhig und gesetzestreu verhielten, in seinem heidnischen Reich als geduldete Minderheit weiterhin ihre Religion hätte praktizieren lassen. Vgl. Julian. ep. 46, 404c (66 Bidez). Amm. Marc. 22, 5, 4 (3, 16 Seyfarth): »nullas infestas hominibus bestias, ut sibi feralibus plerisque Christianorum expertus« (Übersetzung nach Bringmann, Kaiser 86). Vgl. Julian. ep. 114, 435d/438c (193/195 Bidez). Vgl. Julian. ep. 114, 438a (195 Bidez): »Areianik®c«. 39 Julian. ep. 115, 424d (196 Bidez): »OŒko‹n ‚peidò aŒtoÿc Õp‰ to‹ jaumasiwtàtou
nÏmou proe–rhtai htÄ Õpàrqonta proËsjaii —n+ e c tòn basile–an t¿n oŒran¿n eŒod∏teron poreuj¿si, pr‰c to‹to sunagwnizÏmenoi toÿc Åg–oic aŒt¿n, tÄ qr†mata t®c >Edesshn¿n ‚kklhs–ac âpanta ‚kele‘samen Çnalhfj®nai dojhsÏmena toÿc strati∏taic, ka» tÄ kt†mata toÿc ômetËroic prostej®nai prijàtoic, —na penÏmenoi swfron¿si ka» mò sterhj¿sin ©c Íti ‚lp–zousin oŒran–ou basile–ac«.
40 Vgl. Kapitel 2.1.2.2. 41 Vgl. Soz. h. e. 5, 15, 1/3 (GCS NF 4, 213f Bidez /Hansen); Socr. h. e. 3, 14, 1 (GCS NF 1, 208 Hansen); vgl.
Bringmann, Kaiser 142; Head, Emperor 155; Rosen, Julian 250; Weis, Briefe 328. 42 Vgl. Julian. ep. 111, 432c/435d (188/192 Bidez). 43 Julian. ep. 83, 376c (143 Bidez): »o÷te kte–nesjai
toÃc Galila–ouc o÷te t‘ptesjai parÄ t‰ d–kaion«. mËntoi toÃc jeosebeÿc aŒt¿n (scil. t¿n Galilai¿n)« (»die
44 Vgl. Julian. ep. 83, 376c (143 Bidez): »protimêsjai
Verehrer der Götter müssen durchaus Vorrang vor ihnen [scil. den Galiläern] haben«). 45 Vgl. Julian. or. 4 (8), 242d (192 Bidez); ep. 83, 376c/d; ep. 115, 424c (143f. 196 Bidez).
40
2. Julian und das Christentum
gründe überzeugen, so dass die Menschen freiwillig zu den Göttern zurückkehren würden. 46 Diejenigen, die dies taten, nahm er mit offenen Armen auf, so z. B. Pegasius, den Bischof von Ilion, den er noch von früher kannte. 47 Indirekt bezeugen sogar die Christen diese gewaltfreie Haltung Julians – so warf z. B. Gregor von Nazianz ihm vor, ihnen das Martyrium zu verweigern. 48 Dennoch kam es vereinzelt zu Übergriffen auf Christen. In solchen Fällen behandelte Julian die Schuldigen sehr milde; meist wurden sie nicht bestraft, sondern lediglich gerügt, und Julian rief für die Zukunft zu einem friedlichen Zusammenleben auf. In dieser Behandlung zeigt sich klar seine oben erwähnte Bevorzugung der Heiden. Solche Gewalttaten gegenüber Christen blieben jedoch eine Ausnahme und lokal begrenzt, aus ihnen entwickelte sich nie eine reichsweite Verfolgung. Zwei prominente Beispiele für Christen, die während Julians Regierungszeit getötet wurden, sind die beiden Bischöfe Markus von Arethusa und Georgius von Alexandria. Beide Male handelt es sich um Racheakte durch die lokale Bevölkerung. Bischof Markus hatte in der Vergangenheit einen beliebten paganen Schrein zerstört. Unter Julians Regierung sollte er für dessen Wiedererrichtung bezahlen, weigerte sich jedoch. Daraufhin sollen der Legende nach seine Schüler mit ihren Griffeln auf ihn eingestochen, ihn dann mit Honig und Fischsauce bestrichen und aufgehängt haben, bis er schließlich starb. 49 Georgius von Alexandria, aus dessen Bibliothek Julian sich während seines Aufenthaltes in Macellum Bücher geliehen hatte, wurde kurz nach Julians Antritt der Alleinherrschaft von einem aufgebrachten Mob gelyncht. 50 Da Georgius während seiner Zeit als Bischof von Alexandria nicht nur die Heiden, sondern auch die nizänisch gesinnten Christen gegen sich aufgebracht hatte, war seine Ermordung wohl nicht nur durch Christenfeindlichkeit motiviert. 51 Julian schrieb auf diesen Mord hin einen offenen Brief an die Alexandriner, in dem er sie streng tadelte und daran erinnerte, dass solches
46 Vgl. Julian. ep. 114, 438b (195 Bidez). 47 Solches Handeln Julians stieß bei den Heiden nicht immer auf große Begeisterung, sie vermuteten hinter plötz-
48
49 50 51
lichen Konversionen bloßen Opportunismus und keine echte Frömmigkeit. Julian erklärte jedoch, dass alle Konvertiten freundlich aufgenommen und geehrt werden sollten, damit sie möglichst viele Nachahmer fänden; vgl. Julian. ep. 79 (87 Bidez): »E“ t– moi prosËqeic, oŒ to‹ton mÏnon, ÇllÄ ka» toÃc ällouc, oÀ metatËjeintai, tim†seic, —n+ o… m‡n ˚îon Õpako‘swsin ômÿn ‚p» tÄ kalÄ proskaloumËnoic, o… d+ ©tton qa–rwsin; e d‡ toÃc aŒtomàtouc Ïntac Çpela‘noimen, oŒde»c Õpako‘setai ˚¯d–wc parakalo‹sin« (»Wenn du mir irgendwie Beachtung schenkst, wirst du nicht nur diesen, sondern auch die anderen, die sich bekehrt haben, ehren, damit es den einen leicht fällt, auf uns zu hören, wenn wir sie zum rechten Tun aufrufen, die anderen aber weniger Anlass zur Freude haben; stoßen wir aber jene zurück, die aus freien Stücken zu uns kommen, wird niemand mehr so leicht unserem Aufruf Folge leisten«). Vgl. Greg. Naz. or. 4, 58 (SC 309, 164 Bernardi): »Ka» gÄr pr‰c toÿc älloic ka» t®c t¿n mart‘rwn tim®c ‚fjÏnei toÿc Çjlhtaÿc; ka» diÄ to‹to mhqanêtai aŒt‰c m‡n ka» biàzesjai, ka» mò dokeÿn ômêc d‡ ka» pàsqein, ka» mò timòn Íqein ±c Õp‡r Qristo‹ pàsqontac« (»Julian gönnte nämlich den Kämpfern nicht die Ehre des Martyriums. Daher war sein Plan, zwar Gewalt anzuwenden, aber doch den Schein zu erwecken, als gebrauche er keine Gewalt, und uns leiden zu lassen, aber uns die Ehre zu entziehen, dass wir für Christus leiden«; Übersetzung nach Haeuser, Reden 104); besonders Gregor hätte es sicher nicht versäumt, Julian für Christen, die unter seiner Herrschaft das Martyrium erlitten, zur Rechenschaft zu ziehen; vgl. Socr. h. e. 3, 12 (GCS NF 1, 206 f Hansen). Bei den dennoch in die Zeit von Julians Herrschaft datierten Märtyrern handelt es sich wohl eher um Rückprojektionen, so z. B. bei dem in den Acta Sanctorum genannte Johannes, dessen Gedenktag für den 30. Juli vermerkt ist (ActaSS 34, 159f). Vgl. Theodrt. h. e. 3, 7, 6 f (GCS NF 5, 183f Parmentier /Hansen); Soz. h. e. 5, 10, 8/14 (GCS NF 4, 207f Bidez /Hansen); Greg. Naz. or. 4, 88 f (SC 309, 220/226 Bernardi). Vgl. Amm. Marc. 22, 11, 3/11 (3, 40/42 Seyfarth); zu Julian und Georgius vgl. Kapitel 1.2. Vgl. Hahn, Gewalt 66/74.
2.1 Julians Verhältnis zu den Christen
41
Handeln ihrer nicht würdig gewesen sei und sie sich dadurch verunreinigt hätten. 52 Er gestand jedoch zu, dass Georgius dieses gewaltsame Ende aufgrund seines Verhaltens sogar verdient haben könnte. 53 Bestraft wurde die Stadt nicht. Ähnlich glimpflich kamen auch die Einwohner von Gaza davon: Nachdem dort ein heidnischer Mob drei Christen getötet hatte, wollte der Statthalter die Schuldigen bestrafen. Daran wurde er jedoch von Julian gehindert, der ihn absetzte und verbannte, angeblich mit den von Sozomenus überlieferten Worten: »Wozu braucht man denn die Verehrer der Götter festzunehmen, wenn sie sich nur an ein paar Galiläern wegen derer zahlreichen Frevel gegen sie selbst und die Götter rächen?« 54 Auf der anderen Seite gab es unter Julians Herrschaft weiterhin Übergriffe von fanatischen Christen auf heidnische Tempel. Sie ließen sich auch von einem Kaiser, der das Heidentum protegierte, nicht abschrecken – manche suchten vielleicht sogar den Märtyrertod. 55 In solchen Fällen bestrafte Julian die Schuldigen hart, z. B. als in Cäsarea in Kappadokien das letzte Heiligtum (das der Tyche geweiht war) zerstört wurde: Die Stadt verlor ihr Stadtrecht, wodurch die Bürger den Steuern und Abgaben der Landbevölkerung unterworfen wurden, der Kirchenbesitz sollte konfisziert und die Kleriker zwangsweise zur Armee eingezogen werden. Der Bevölkerung wurde der Tod angedroht, wenn sie nicht die zerstörten Heiligtümer wieder aufbaue. 56 Ähnlich verfuhr Julian mit der Stadt Nisibis, wo die Bürger sich weigerten, die Tempel wieder zu öffnen: Julian drohte, ihnen in seinem bevorstehenden Feldzug gegen die Perser jede Hilfe zu verweigern, keine ihrer Gesandtschaften zu empfangen und die Stadt als wegen ihrer Götterfeindschaft verfluchten Ort nicht zu betreten, wenn die Einwohner sich nicht zum Heidentum bekehrten. 57 Ein weiteres Beispiel für Julians hartes Durchgreifen gegen Christen ist der Brand des Apollotempels von Daphne bei Antiochia. Im Herbst 362 hatte Julian die Entfernung der Gebeine des christlichen Märtyrers Babylas aus dem Heiligtum befohlen, damit das verstummte Orakel wieder prophezeie. Die Christen nutzten die Überführung der Reliquien zu einer öffentlichen Demonstration ihres Glaubens, so sangen sie z. B. den Psalmvers »Alle, die den Bildern dienen, werden zuschanden, alle, die sich der Götzen rühmen.« 58 Der Prätorianerpräfekt statuierte daraufhin ein Exempel an einem jungen Christen, der sich offenbar besonders bei der Prozession hervorgetan hatte,
52 Vgl. Julian. ep. 60, 378c/380d (69/72 Bidez), besonders ebd. 380a (70f Bidez): »Tolmî
d®moc πsper o… k‘nec änjrwpon sparàttein, e⁄ta oŒk a sq‘netai ka» fulàttei kajarÄc tÄc qeÿrac ±c prosàgein pr‰c toÃc jeoÃc a—matoc kajareuo‘sac« (»Eine Bevölkerung wagt es, wie eine wilde Hundemeute einen Menschen in Stücke zu
53
54
55 56 57 58
reißen, und scheut sich dann nicht, als habe sie sich ihre Hände rein bewahrt, den Göttern mit bluttriefenden zu nahen«). Vgl. Julian. ep. 60, 380a (71 Bidez): »>AllÄ Ge∏rgioc äxioc ™n to‹ toia‹ta pajeÿn; ka» to‘twn “swc ‚g∞ fa–hn ãn qe–rona ka» pikrÏtera« (»Aber Georgios, sagt ihr, hat sein Schicksal verdient. – Vielleicht noch ein schlimmeres und grausameres, müsste ich wohl zugeben«). Soz. h. e. 5, 9, 13 (GCS NF 4, 206 Bidez /Hansen): »t– gàr, fhs–n, Ídei aŒtoÃc Çpàgesjai, e Galila–ouc Êl–gouc, Çnj+ ¡n pollÄ e c aŒtoÃc ka» toÃc jeoÃc öd–khsan, öm‘nanto;«; vgl. Greg. Naz. or. 4, 93 (SC 309, 232/ 234 Bernardi). Vgl. allgemein zum Thema christlicher Sehnsucht nach Martyrium Butterweck, Martyriumssucht. Vgl. Soz. h. e. 5, 4, 1/6 (GCS NF 4, 196 f Bidez /Hansen); vgl. Bringmann, Kaiser 140; de Labriolle, Polémique 265. Vgl. Soz. h. e. 5, 3, 5 (GCS NF 4, 195 f Bidez /Hansen); vgl. Bringmann, Kaiser 141; de Labriolle, Polémique 265. Ps. 97, 7; vgl. Soz. h. e. 5, 19, 17/19 (GCS NF 4, 225f Bidez /Hansen); Socr. h. e. 3, 18 (GCS NF 1, 213f Hansen); Theodrt. h. e. 3, 10, 1/3 (GCS NF 5, 186 f Parmentier /Hansen).
42
2. Julian und das Christentum
und ließ ihn auspeitschen. 59 Nur kurze Zeit später brannte der Apollotempel bis auf die Grundmauern ab. Zwar konnte eine Untersuchung des Brandes keine Schuldigen ermitteln, selbst die Folterung des zuständigen Priesters brachte keine Ergebnisse, doch Julian war fest von der Schuld der Christen überzeugt. Er bestrafte sie äußerst streng, so wurde z. B. die von Kaiser Konstantin gestiftete Kirche geschlossen und das gesamte liturgische Gerät beschlagnahmt. 60 Auch wenn Julian die Christen nicht offiziell verfolgte, so war doch deutlich, dass er mit zweierlei Maß maß: Er protegierte die Heiden und zog sie den Christen vor; er rief nicht zu Gewalttaten gegenüber Christen auf, duldete sie jedoch, wenn sie geschahen; Christen, die sich an heidnischen Tempeln vergingen, bestrafte er dagegen schwer. All dies geschah mit dem Ziel, die Christen entweder an den Rand der Gesellschaft zu drängen oder sie zu bekehren. 2.2 Julians Erwählungsbewusstsein Julian glaubte, er sei von den Göttern erwählt, ihre Kulte neu zu beleben. Aus diesem Bewusstsein seiner Berufung sowie dem Vertrauen darauf, belohnt zu werden, schöpfte er seine Energie. So schrieb er in einem Brief an seinen gleichnamigen Onkel: »Warum ich dann doch gekommen bin? Weil die Götter es mir ausdrücklich befahlen und mir, wenn ich gehorchte, Heil und Rettung ankündigten.« 61 Er war ferner davon überzeugt, dass die Götter in Visionen, Träumen und prophetischen Botschaften mit ihm kommunizierten und ihm Anweisungen gaben. 62 Für seinen Glauben an eine Erwählung spricht weiterhin das Wort »periàstraptw« 63, das Julian an einer Stelle benutzt, um seine Konversion zu beschreiben. Es wird z. B. auch in der Apostelgeschichte für die physische Erleuchtung bei Paulus’ Bekehrung vor Damaskus verwendet und beschreibt somit eine radikale Konversion, die von der Erwählung durch Gott selbst herbeigeführt wird. 64 Da Julian diese Konnotation durch seine christliche Erziehung sicherlich bekannt war, verwendete er es vermutlich bewusst, um seine Erwählung durch die Götter besonders zu betonen. Anhand zweier exemplarischer Begebenheiten sollen im Folgenden das Erwählungsbewusstsein Julians und seine Überzeugung, auf göttliche Anweisung zu handeln, dargestellt werden.
59 Vgl. Soz. h. e. 5, 20, 1/3 (GCS NF 4, 226 Bidez /Hansen); Socr. h. e. 3, 19 (GCS NF 1, 214f Hansen); Theodrt.
h. e. 3, 11, 1/3 (GCS NF 5, 187 f Parmentier /Hansen). 60 Vgl. Amm. Marc. 22, 13, 2 (3, 46 Seyfarth); Theodrt. h. e. 3, 12, 1/4 (GCS NF 5, 188f Parmentier /Hansen). 61 Julian. ep. 28, 382b/c (55 Bidez): »T– ofin ™ljon; ‚peid† moi o… jeo» diarr†dhn ‚kËleusan, swter–an m‡n ‚pag-
gellÏmenoi teijomËn˙«; vgl. ep. 26, 415c/d (54 Bidez). Aus dieser Stelle geht zwar nicht genau hervor, ob er noch in diesem Leben oder erst nach dem Tod belohnt wird, doch wird ihm an anderer Stelle versprochen, nach seinem Tod bei den Göttern zu sein, vgl. Julian. or. 7, 234c (84 Rochefort); Caes. 336c (71 Lacombrade). 62 Vgl. Julian. ep. 12. 26. 28. 40 (19. 54 f. 64 Bidez); vgl. Bidez, Lettres 54 Anm. 1; vgl. de Labriolle, Réaction 387; Conti, Eroe 119/121. 63 Julian. or. 11 (4), 131a (101 Lacombrade). 64 Vgl. Apg. 9, 3; vgl. Bouffartigue, Philosophie 121.
2.2 Julians Erwählungsbewusstsein
43
2.2.1 Der Traum aus Brief 14 Diesen Brief schrieb Julian im Jahr 359 aus Gallien an seinen Freund und Vertrauten Oribasius, der wie er ein Anhänger der paganen Götter war und ihn als Leibarzt und Bibliothekar nach Gallien begleitet hatte. 65 Julian antwortet auf einen Brief des Oribasius, in dem dieser von einem Traum über zukünftige Ereignisse berichtet hatte; er schildert einen Traum bezüglich seiner eigenen Zukunft. Beide Träume scheinen eine positive Zukunft gezeigt zu haben (zwar ist der Brief des Oribasius nicht erhalten, doch lässt sich sein Inhalt aus Julians Antwort erschließen). Julian berichtet seinem Freund, er habe im Traum einen hohen Baum gesehen, der in einem geräumigen Triklinium wuchs. Dieser Baum stürzte zur Erde, doch seitlich an seiner Wurzel spross ein neuer, noch schmächtiger Trieb. Julian war um diesen Schößling besorgt und fürchtete, jemand könne ihn mit dem großen Baum zusammen entfernen. Er näherte sich dem gefallenen Baum und sah, dass der junge Trieb nicht aus der Erde hervorwuchs, sondern aus dem gestürzten Stamm. Er sprach im Traum von seiner Sorge, dass noch nicht einmal der neue Trieb dieses mächtigen Baumes überleben werde. Da redete ein Unbekannter zu ihm und beruhigte ihn: Er solle zuversichtlich sein, denn solange die Wurzel des großen Baumes noch in der Erde stecke, solange werde auch der junge Trieb unversehrt bleiben. 66 Dies ist alles, was Julian in diesem Brief zu seinem Traum sagte, »Gott aber weiß, worauf es hindeutet.« 67 Jede weitere Deutung des Traumes hätte ihm gefährlich werden können, wäre der Brief in falsche Hände geraten. Schon allein mit der Schilderung dieses Traumes ging er ein Risiko ein, denn die Deutung ist einfach: Der zu Boden stürzende Baum repräsentiert die Dynastie Konstantins des Großen, die mit dem Tod des kinderlosen Constantius II. erlöschen wird. Der junge Schößling, der aus dem auf dem Boden liegenden Stamm emporwächst, ist Julian selbst. Dieser ist dadurch gefährdet, dass jemand zusammen mit dem gefallenen Baum auch den jungen Trieb beseitigen könnte. 68 Seine Sorge, in den Wirren um einen Machtwechsel aus der Thronfolge verdrängt oder gar getötet zu werden, wird zerstreut: Ein Unbekannter (wohl ein Gott) beruhigt ihn und spricht ihm Mut zu. 69 Der Traum lässt sich also leicht daraufhin deuten, dass Julian seinen kinderlosen Cousin beerben wird. Dieser Traum besaß für Julian eine große Bedeutung, nicht zuletzt, weil dadurch der Traum des Oribasius, den dieser in seinem Brief geschildert hatte, mehr Gewicht erhielt. Auch träumte er ihn zum richtigen Zeitpunkt, als Constantius II. seinen engen Vertrauten Salutius aus Gallien abberief. Julians Aufgabe in Gallien war nicht leicht, er war umringt von Ratgebern, die seinem Cousin ergeben waren, und besaß nur wenige eigene Vertraute; zudem fürchtete er, dasselbe Schicksal zu erleiden wie sein Bruder Gallus. Dieser ermutigende Traum, in dem ihm die Kaiserwürde prophezeit wurde, war somit für Julian, der daran glaubte, dass die Götter u. a. durch Träume mit den Menschen kommunizierten, eine göttliche Bestätigung. An einer anderen Stelle des Briefes
65 Vgl. Weis, Briefe 260. 66 Vgl. Julian. ep. 14, 384a/c (20 f Bidez). 67 Julian. ep. 14, 384d (21 Bidez): »je‰c d‡
o⁄den e c Ì ti fËrei«.
68 Vgl. Weis, Briefe 260; Bidez, Julian 190. 69 Vgl. Bringmann, Kaiser 65.
44
2. Julian und das Christentum
schrieb er dementsprechend davon, dass er sich von einem Gott, der sein Verbündeter sei, auf seinen Platz gestellt fühle. 70 2.2.2 Der Mustermythos Noch expliziter sprach Julian im so genannten Mustermythos davon, dass die Götter ihn erwählt haben. Dieser findet sich in Oratio 7, 71 die Julian als Antwort auf einen Vortrag des Kynikers Heraclius schrieb. Diesen Vortrag hatte auch Julian besucht, war aber dabei sehr enttäuscht und verärgert worden, da Heraclius für diesen Vortrag einen Mythos erfunden hatte, in dem er sich selbst als Zeus und (den anwesenden) Kaiser Julian als Pan auftreten ließ. Dies war für Julian ein blasphemisches Verhalten, denn Mythen spielten im Neuplatonismus eine wichtige Rolle: Sie verbargen die Wahrheit vor den Ungebildeten, stachelten aber gleichzeitig die Gebildeten zur Wahrheitssuche an und trugen so dazu bei, zu einer tieferen Erkenntnis über die Götter zu gelangen; sie dienten keinesfalls lediglich der Unterhaltung. 72 Da Julian den Vortrag nicht unterbrechen wollte, setzte er sich später schriftlich mit Heraclius auseinander. In Oratio 7 legt er dar, wie ein Kyniker sich zu verhalten habe und untersucht, ob ein solcher überhaupt selber Mythen verfassen dürfe. Dabei beschäftigt Julian sich zunächst mit der Frage, welcher Zweig der Philosophie Mythen verwenden dürfe und gelangt zu dem Schluss, nur der ethische, da Mythen eine Form religiöser Unterweisung seien. 73 Schließlich demonstriert er, wie man einen Mythos korrekt dichtet, und verwendet dazu seine eigene Lebensgeschichte und Berufung: 74 Der Mythos beginnt mit Kritik an der Religionspolitik Kaiser Konstantins und seiner Söhne. Geschildert wird ein reicher Mann (= Konstantin der Große), der viele Herden von Schafen, Ziegen, Rindern und Pferden besitzt und viele Hirten und andere Bedienstete beschäftigt. Vieles hat er von seinem Vater geerbt, vieles aber auch selbst erwirtschaftet, teils auf gerechte, teils auf ungerechte Weise. Schließlich erben seine Söhne den ganzen Besitz. Doch da sie weder zur Tugend erzogen, noch gelehrt wurden, wie man einen solchen Besitz verwaltet, geraten sie bald in Streit. Jeder will allein den ganzen Besitz erben und so reich werden wie der Vater. In ihrem Kampf gegeneinander zerstören sie sogar die Tempel, errichten Grabeskirchen an deren Stelle und vernachlässigen die Götter. 75 So stürzen sie (= die Konstantin-Dynastie) das Reich in Chaos und Bürgerkrieg und missachten die Gesetze der Götter und der Menschen. Ihr Verhalten bewegt Zeus schließlich aus Mitleid mit den Menschen dazu, mit den anderen Göttern über ein himmlisches Eingreifen auf der Erde zu beraten; sie beschließen, die Ordnung wiederherzustellen. 76 Zu diesem Zweck erwählt Zeus ein Kind (den Neffen des reichen Mannes und Cousin seiner Erben, der jedoch von ihnen vernachlässigt und gehasst wird: Julian) und stellt es unter den speziellen Schutz von Helios und Athene. Die beiden sollen es aufziehen, besonders Helios soll seine ganze Macht aufbieten und es von der 70 Vgl. Julian. ep. 14, 385d (22 Bidez). Gemeint ist hier vermutlich Helios, Julians persönlicher Schutzgott, vgl.
Weis, Briefe 262. 71 Vgl. Julian. or. 7, 227c/234c (74/84 Rochefort); vgl. dazu Nesselrath, Mythos 207/219. 72 Vgl. Julian. or. 7, 206a. 217b/d (45. 60 f Rochefort). 73 Vgl. Julian. or. 7, 217b/d (60 f Rochefort). 74 Vgl. Julian. or. 7, 227c/234c (74/84 Rochefort). 75 Vgl. Julian. or. 7, 227c/228c (74/76 Rochefort). 76 Vgl. Julian. or. 7, 228c/229c (76 f Rochefort).
2.2 Julians Erwählungsbewusstsein
45
Krankheit, an der es leidet (das Christentum), heilen. Noch brennt ein Funke göttlichen Lichts in ihm, doch besteht die Gefahr, dass er bald verlischt, wenn er nicht gepflegt wird. 77 Als das Kind zu einem jungen Mann herangewachsen ist, erfährt es von allem Unglück, das seinen Verwandten widerfahren ist, und ist ganz verzweifelt. 78 Helios und Athene versetzen den jungen Mann in einen tiefen Schlaf, um ihn vom Selbstmord abzuhalten. Als er wieder erwacht, geht er in die Wüste hinaus um nachzudenken. Nach einiger Zeit erscheint ihm Hermes und führt ihn zu dem Berg, auf dem Zeus residiert. Er rät ihm: »Bemühe dich (. . . ) ihn (scil. Zeus) mit der größtmöglichen Frömmigkeit zu verehren« 79 und fügt hinzu, er könne Zeus um alles bitten, was er wolle. Der junge Mann entscheidet sich dafür, Zeus um das Beste zu bitten – darum, ihm den Weg zu ihm zu zeigen. Daraufhin überkommt ihn ein tiefer Schlaf, in dem Zeus ihm Helios zeigt. Dies berührt den jungen Mann so, dass er ausruft: »Oh Vater der Götter, wegen aller deiner Gnadenerweise will ich mich ganz dir weihen.« 80 Dann bittet er Helios, ihn zu retten. Dieser ruft Athene herbei und beide erkundigen sich nach der Ausrüstung des jungen Mannes. Schwert, Schild und Speer hat er mitgebracht, aber schon diese zu erwerben, fiel ihm schwer, da seine Verwandten ihn nicht unterstützen. Dennoch teilt Helios ihm mit, dass er zurückkehren müsse. Alles Bitten des jungen Mannes, bei dem Gott bleiben zu dürfen, ist vergeblich. Er fürchtet, wenn er in die Welt zurückkehre, den Weg zu den Göttern nie wieder zu finden, weil das Irdische ihn überwältigen werde. Doch Helios bleibt hart – der junge Mann müsse zur Erde zurückkehren, um sich dort in die Mysterien einweihen zu lassen, so dass er dann die Welt »von all jener Gottlosigkeit reinigen« könne. 81 Nun führt Helios ihn auf einen hohen Gipfel, von dem aus sie den Erben des reichen Mannes (gemeint ist Constantius II.) beobachten. Von ihrem erhöhten Standpunkt aus sehen die beiden, welch schlechten Charakter dessen Hirten haben: Sie schlachten und verkaufen die Schafe (= die Bürger), ohne dass ihr Herr es erfährt. Dieser ist zu sehr mit Vergnügungen beschäftigt, um auf das Verhalten seiner Untergebenen zu achten. Helios eröffnet dem jungen Mann, dass er auf Befehl des Zeus aufgrund dieses Verhaltens des Erben an dessen Stelle zum Verwalter all dieser Güter ernannt werden solle. Zwar bittet der junge Mann erneut, bei den Göttern bleiben zu dürfen, doch ergibt er sich schließlich ihrem Willen: »gebrauche mich, wie du es willst.« 82 Jetzt erscheint Hermes wieder und ermutigt den jungen Mann: Er wird ihm ein Führer sein, sowohl für seine Rückkehr zur Erde als auch für die Zeit, die er dort noch verbringen muss. Zum Abschied erhält der junge Mann von Helios und Athene mehrere Ratschläge, wie er sich als Verwalter des Besitzes und der Herden des reichen Mannes 77 Vgl. Julian. or. 7, 229c/230a (77 f Rochefort); vgl. ebd. 229c (77 Rochefort): » ›to‹to‹, Ífh, ›sÏn
‚stin Íkgonon. Ómoson ofin t‰ ‚mÏn te ka» t‰ s‰n sk®ptron, ™ mòn ‚pimel†sesjai diaferÏntwc aŒto‹ ka» poimaneÿn aŒt‰ ka» jerape‘sein t®c nÏsou‹ « (» ›Dieser‹, sprach er, ›ist von deinem Stamm. Schwöre deshalb, bei meinem Zepter
78 79 80 81 82
und bei deinem, dich um ihn besonders zu kümmern, ihn zu führen und von seiner Krankheit [scil. dem Christentum] zu heilen‹ «). Unklar ist, ob Julian hier auf die schlechte Regierung seiner Cousins anspielt oder auf die Palastsäuberung, der u. a. sein Vater zum Opfer fiel (vgl. Kapitel 1.1). Julian. or. 7, 230d (79 Rochefort): »Ìra ofin (. . .) Ìpwc aŒt‰n ±c eŒagËstata proskun†s˘c«. Julian. or. 7, 231b/c (80 Rochefort): »>AllÄ so» mËn (. . .) ¬ je¿n pàter, t¿n te ällwn ka» to‘twn Èneka pàntwn ‚maut‰n fËrwn Çnaj†sw«. Vgl. Julian. or. 7, 231c/d (80 Rochefort); vgl. vor allem ebd. 231d (80 Rochefort): »kaja–rein ‚keÿna pànta tÄ Çseb†mata«. Julian. or. 7, 232d (81 Rochefort): »qr®sjË moi pr‰c Ìti bo‘lesje«.
46
2. Julian und das Christentum
(scil. als Kaiser des Römischen Reiches) verhalten solle. 83 Beide betonen besonders: »Stelle die Verehrung von uns Göttern allen anderen schönen Werken voran. Denn wir sind deine Wohltäter, Freunde und Erretter.« 84 Dafür verspricht Helios: »wir werden immer bei dir sein« 85, solange der junge Mann fromm gegenüber den Göttern, loyal zu seinen Freunden und gütig zu seinen Untertanen sei sowie streng gegen sich selbst und den eigenen Begierden nicht nachgebe. 86 Die dürftige Rüstung, die der junge Mann mitgebracht hat und die das lediglich rudimentäre Wissen über die Götter symbolisiert, das Julian in seiner Jugend besaß, wird von den Göttern ergänzt. Von Helios erhält er eine Fackel, damit auch auf Erden ein helles Licht von ihm ausgehe und er sich nicht nach irdischen Dingen sehne. Athene schenkt ihm Brustplatte und Helm, von Hermes erhält er einen goldenen Zauberstab. Nun ist der junge Mann gerüstet für seine Rückkehr und den Kampf, den er für die Verehrung der Götter führen muss. Zum Abschluss ermahnt Helios ihn noch einmal, die Götter zu ehren, und verheißt als Lohn dafür die Vergöttlichung nach seinem Tode und die Schau des Zeus. 87 Mit der Ausrüstung des jungen Mannes für seinen Kampf und seiner Ermutigung durch die Götter endet der Mythos. Dass der junge Mann zurückkehrt, wird nicht mehr gesagt, doch lässt sich sein weiteres Schicksal im Leben Julians erkennen. Dieser bezweckte mit dem Mythos nicht nur, den Kyniker Heraclius zurechtzuweisen und ihn zu belehren, sondern sprach – versteckt in einer Allegorie und doch sehr offen – von seiner Berufung und der Aufgabe, die die Götter ihm übertrugen. »Wisse, dass dir ein Leib gegeben wurde, damit du diese Pflicht erfüllst. Denn wir wollen das Haus deiner Vorväter reinigen aus Respekt vor deinen Vorfahren« 88 – Julians ganzes Leben erhielt von diesem Auftrag her erst seinen Sinn, denn nur um diese Aufgabe zu erfüllen, verliehen die Götter ihm menschliche Gestalt. So ist leicht ersichtlich, wie sehr Julian diese Angelegenheit am Herzen lag und wie viel er in sie zu investieren bereit war. Wie genau er diese Aufgabe anging, wird an späterer Stelle behandelt werden. 89 Hier soll als Ergebnis festgehalten werden, dass Julian sich selbst als Werkzeug der Götter sah, um die Menschheit zu ihrer Verehrung zurückzuführen und so zu retten.
83 Vgl. Julian. or. 7, 233b/c (82 Rochefort). 84 Julian. or. 7, 233c/d (82 Rochefort): »TÄ
pr‰c ômêc ôge–sjw soi t¿n kal¿n Çpàntwn; ‚sm‡n gàr sou ka»
eŒergeta» ka» f–loi ka» swt®rec«. 85 Julian. or. 7, 233d (83 Rochefort): »ômeÿc gàr 86 Vgl. Julian. or 7, 233d/234a (83 Rochefort).
soi pantaqo‹ sunesÏmeja«.
87 Vgl. Julian. or. 7, 234b/c (83 f Rochefort): »óErqou
ofin t¨ panopl–¯ kosmhje»c ta‘t˘ diÄ pàshc m‡n g®c, diÄ pàshc d‡ jalàtthc, Çmetakin†twc toÿc ômetËroic peijÏmenoc nÏmoic, ka» mhde»c se m†te Çndr¿n m†te gunaik¿n, m†te t¿n o ke–wn m†te t¿n xËnwn Çnape–s˘ (t¿n) ‚ntol¿n ‚klajËsjai t¿n ômetËrwn. óEmmËnwn gÄr aŒtaÿc ômÿn m‡n Ís˘ f–loc ka» t–mioc, a doÿoc d‡ toÿc Çgajoÿc ôm¿n ÕphrËtaic, fober‰c d‡ Çnjr∏poic ponhroÿc ka» kakoda»mosin (. . .) MËmnhso ofin Ìti tòn yuqòn Çjànaton Íqeic ka» Íkgonon ômetËran, ·pÏmenÏc te ômÿn Ìti je‰c Ís˘ ka» t‰n ômËteron Óyei sÃn ômÿn patËra« (»Geh nun so gerüstet über Meer und Land, standhaft unseren
Gesetzen gehorchend, und lass dich weder von Mann noch Frau, weder von einem Verwandten noch einem Fremden dazu überreden, unsere Befehle zu vernachlässigen. Denn so lange du diese befolgst, wirst du von uns geliebt und geachtet werden, du wirst geehrt werden von unseren guten Dienern und gefürchtet von den schlechten und frevelhaften. [. . .] Bedenke also, dass du eine unsterbliche Seele hast, die von uns stammt, und dass du, wenn du uns nachfolgst, ein Gott sein wirst und mit uns zusammen unseren Vater schauen wirst«). 88 Julian. or. 7, 234c (83 f Rochefort): »óIsji d‡ seautƒ tÄ sark–a dedÏsjai (t®c) leitourg–ac e—neka tauths–; boulÏmeja gàr soi tòn progonikòn o k–an, a doÿ t¿n progÏnwn, Çpokaj®rai«. 89 Vgl. Kapitel 4/7.
2.3 Julians literarische Auseinandersetzung mit den Christen
47
2.3 Julians literarische Auseinandersetzung mit den Christen Julians Verhältnis zu den Christen beeinflusste in gewissem Sinn alle seine Schriften. Im Folgenden sollen zwei, die in besonderer Weise gegen die Christen zielen, vorgestellt werden. Bei der ersten Schrift handelt es sich um einen Erlass Julians, das so genannte Schulgesetz bzw. Rhetorenedikt vom 17. Juni 362. 90 Mit diesem knüpfte Julian die Erlaubnis zu unterrichten an die rechte (= hellenisch-pagane) Gesinnung des Lehrers. Zu diesem Gesetz gehört auch ein Begleitschreiben an alle Lehrer des Reiches, in dem Julian seine Absichten ausführlicher formulierte, als dies in dem Gesetzestext möglich war. 91 Als zweites Beispiel folgt die einige Monate nach dem Rhetorenedikt, im Winter 362, verfasste Schrift »Contra Galilaeos«, in der Julian sich vor allem mit der Theologie der Christen auseinandersetzt. 92 Es ist bemerkenswert, dass Julian trotz seiner christlichen Erziehung wenig spezifisch christliches Vokabular verwendete. Dies erklärt sich vermutlich daher, dass er seine Argumente aus einem philosophischen System und einer Tradition entlehnte, die kaum eine Verbindung mit dem Christentum hatten. Wenn möglich, vermied Julian christliche Terminologie; wenn er doch einen christlichen Begriff benutzte, distanzierte er sich sogleich davon. 93 2.3.1 Das Rhetorenedikt Julian wusste, dass seine Religionspolitik nur Erfolg haben würde, wenn er möglichst viele Menschen überzeugen könnte und sich ihm nicht nur Opportunisten anschließen würden. Eine seiner diesbezüglichen Maßnahmen war es, in der Schule die noch leicht formbaren Kinder und Jugendlichen religiös zu beeinflussen. Zu diesem Zweck erließ er am 17. Juni 362 das so genannte Schulgesetz bzw. Rhetorenedikt, 94 welches anordnet, dass vor der Erteilung der Erlaubnis für eine öffentliche Lehrtätigkeit eine Überprüfung der sittlichen und fachlichen Qualifikation des Lehrers zu erfolgen habe. Dabei steht dessen sittliche Eignung an erster Stelle: »Es ist wichtig, dass die Lehrer der Schulen sowie die Professoren sich zuerst durch ihre Sitten hervortun, dann durch ihre Beredsamkeit.« 95 Diese Qualifikation soll durch die Kurie der jeweiligen Stadt festgestellt und durch ein entsprechendes Schriftstück beurkundet werden; der Kaiser selbst überprüft dieses, bevor der Lehrer seine Stelle antreten darf. 96
90 Vgl. Julian. ep. 61b (72 Bidez) bzw. Cod. Theod. XIII 3, 5 (741 Krüger /Mommsen) bzw. Cod. Iust. X 53, 7
(422 Krüger). 91 Vgl. Julian. ep. 61c (73/75 Bidez). 92 Vgl. Wright, Works 3, 314. 93 Er verwendet in solchen Fällen z. B. das Wort »legÏmenoc«, um anzuzeigen, dass es sich, besonders bei abstrak-
ten Begriffen, um ein Wort handelt, das zwar die Christen benutzen, das aber allgemein bekannt ist; auch gebraucht er die Ironie als Mittel, sich von solchen christlichen Begriffen zu distanzieren; vgl. Bartelink, Vocabulaire 44. 47 f. 94 Vgl. Julian. ep. 61b (72 Bidez) bzw. Cod. Theod. XIII 3, 5 (741 Krüger /Mommsen) bzw. Cod. Iust. X 53, 7 (422 Krüger). 95 Julian. ep. 61b (72 Bidez): »Magistros studiorum doctoresque excellere oportet moribus primum, deinde facundia«. 96 Vgl. Julian. ep. 61b (72 Bidez).
48
2. Julian und das Christentum
In einem als Begleitschreiben identifizierten Brief 97 erklärte Julian seine Motivation für dieses Gesetz: Für ihn spiegelte sich der Götterglaube in den Werken der klassischen Literatur, diese Werke waren für ihn Quellen der paganen Theologie und Religiosität. 98 Hieraus ergab sich für Julian, dass jeder, der sich mit dem paganen Glauben nicht identifizierte, diese Werke nicht in seinem Unterricht verwenden durfte. Denn, so Julian, kein Lehrer könne seine Schüler anders lehren als er denke, ohne unredlich zu sein. Wenn er gar das Gegenteil von dem lehre, was er denke (ein Verhalten, das Julian den Christen unterstellt), und das gar für Geld, so sei dies »wie die Handlungsweise von Krämerseelen, die Lebensart nichtswürdiger, grundschlechter Menschen, die am lautesten die Ware empfehlen, die sie für die minderwertigste halten.« 99 Besonders die Lehrer müssten in ihrer Haltung untadelig sein und dürften keine Ansichten vertreten, die ihrem öffentlichen Auftreten widersprächen, denn sie lehrten nicht nur sprachliche Stilgesetze, sondern (durch ihr Vorbild) auch sittliche Grundsätze. 100 Da für die klassischen Autoren die Götter Führer zu jeglicher Bildung gewesen seien, könne und dürfe niemand diese Autoren unterrichten, der die Götter nicht ehre, da er sich sonst selbst widerspreche. 101 So stellte Julian die Lehrer vor die Wahl »entweder nicht zu lehren, was sie nicht ernst nehmen, oder, wenn sie schon unterrichten wollen, zuerst durch die Tat zu lehren« 102: Wenn sie lehrten, so müssten sie den Schülern auch ein Vorbild im praktizierten paganen Glauben sein. Die bloße Benutzung paganer Autoren, um grammatische Feinheiten und rhetorische Kniffe zu lehren, sei unehrlich und unvereinbar mit der Vorbildfunktion des Lehrers. 103 Julian gestand zu, dass es bis zu seiner Machtergreifung gute Gründe gegeben habe, den Götterglauben zu verheimlichen, aber jetzt hätten die Götter allen ihren Verehrern durch Julian die Freiheit geschenkt. Wer also diejenigen für weise halte, deren Schriften er im Unterricht benutze, solle ihnen auch in ihrer Ehrfurcht den Göttern gegenüber nacheifern, wer aber glaube, dass sie sich hinsichtlich der Götter geirrt hätten, der solle »in die Kirchen der Galiläer gehen und Matthäus und Lukas auslegen.« 104 Am Schluss des Briefes betont Julian, das Gesetz diene nicht dazu, die christlichen Kinder von der Ausbildung auszuschließen; vielmehr beabsichtige er, wegen ihrer Unvernünftigkeit Nachsicht zu üben, sie zu belehren und trotz eventuellen Widerstrebens ihrerseits von ihrer Erkrankung, dem christlichen Glauben, zu heilen. 105
97 Vgl. Julian. ep. 61c (73/75 Bidez). 98 Vgl. Weis, Briefe 323, der die Werke der klassischen Literatur als, in Julians Sicht, »Bibeln des Heidentums«
bezeichnet. 99 Julian. ep. 61c, 422b/c (73 Bidez): »p¿c
oŒ to‹to ‚keÿno kap†lwn ‚st–n, o÷ti qrhst¿n, ÇllÄ pampon†rwn b–oc Çnjr∏pwn, oÀ màlista ‚paino‹sin Ìsa màlista fa‹la nom–zousin«.
100 Vgl. Julian. ep. 61c, 422c/d (73 f Bidez). Julian hob auch an anderer Stelle hervor, dass die Übereinstimmung
101 102 103 104
105
von Wort und Glauben eine ihm sehr wichtige Eigenschaft sei (vgl. Julian. or. 4 [8], 250b/d [202f Bidez]; ep. ad Themist. 266b [28 Rochefort]; misop. 354a [178 Lacombrade]); vgl. Hardy, Schulgesetz 394f. Vgl. Julian. ep. 61c, 422b/423b (73 f Bidez); vgl. dazu Klein, Unterrichtsgesetz 75. Julian. ep. 61c, 423a (74 Bidez): »mò didàskein É mò nom–zousi spoudaÿa, boulomËnouc hdËi, didàskein Írg˙ pr¿ton«. Vgl. Julian. ep. 61c, 422d/423b (74 Bidez); vgl. Hargis, Christians 101. Julian. ep. 61c, 423d (75 Bidez): »badizÏntwn e c tÄc t¿n Galila–wn ‚kklhs–ac, ‚xhghsÏmenoi Matjaÿon ka» Loukên«. Auf christlicher Seite überliefert die Didaskalie ein Verbot paganer Lektüre, vgl. Didasc. apost. 2. 13 (CSCO.S 175, 17 f; 179, 152 Vööbus). Vgl. Julian. ep. 61c, 424a/b (75 Bidez). Auch die Christen kennen die Bezeichnungen von abweichenden Meinungen, von Häresien, heidnischen Vorstellungen etc., als Krankheit, vgl. Greg. Naz. or. 4, 75 (SC 309, 194 Bernardi); 6, 10 (SC 405, 146 Calvet-Sebasti); 21, 13 (SC 270, 134/136 Mossay). Nach Quodv. prom.
2.3 Julians literarische Auseinandersetzung mit den Christen
49
Mit dem Rhetorenedikt verwarf Julian jeden Ansatz einer Synthese von christlicher Religion und paganer Kultur und bemühte sich, dem Versuch der Christen, ihre Theologie in die hellenische Kultur zu integrieren, entgegenzuwirken. 106 Er erklärte das gesamte hellenische Erbe zum exklusiven Eigentum des Heidentums; die griechische Paideia sollte zu einem Teil des alten Götterkultes werden. 107 Das Rhetorenedikt ist somit ein Indiz dafür, in welch engem Zusammenhang Julian pagane Kulte und hellenische Bildung sah. 108 Dies wird dadurch verständlich, dass Julian die Werke der griechischen Literatur als Urkunden der paganen Religion betrachtete, weshalb ihre Erklärung nur Anhängern dieser Religion anvertraut werden konnte. 109 Das Rhetorenedikt bedeutete somit für die christlichen Lehrer, entweder im Unterricht auf die antike Literatur zu verzichten oder zum Heidentum überzutreten. Da diese Möglichkeiten entweder nicht praktikabel oder (zumindest für nicht nur oberflächlich christliche Lehrer) nicht annehmbar waren, führte Julians Gesetz zu einem Berufsverbot für christliche Lehrer. 110 Christliche Schüler dagegen durften weiter unterrichtet werden. Dabei hoffte Julian vermutlich, dass sie durch die schulische religiös-hellenische Erziehung, ähnlich wie er selbst, sich vom Christentum ab- und den heidnischen Göttern zuwenden würden. 111 Allgemein sollten die Schulen nach Julians Plänen nicht nur die rein formale, literarisch-rhetorische Ausbildung vermitteln, sondern zu einer Art religiöser Gesinnungsschulen werden. Dadurch hoffte er, dass in einigen Jahren (zumindest) diejenigen Schichten, aus denen sich die Führungsriege des Reiches und der Städte rekrutierte, wieder fest in heidnischer Überzeugung stünde; dies sollte auch zu einer moralischen Erneuerung des Reiches beitragen. 112 Eine solche pagane Elite, einen Kreis Gleichgesinnter, denen er aufgrund des gemeinsamen Bekenntnisses zu den Göttern würde
106 107 108 109 110
111
112
2, 6, 10 f (CCL 60, 80 f Braun) kann man, je nachdem welcher Körperteil befallenen ist, die entsprechende Häresie diagnostizieren: Lepra am Kopf bedeute Manichäer und Priscillianer, am Bart Arianer, Photinianer und Nestorianer, am Leib Donatisten, Maximianisten und Luciferianer, ein Befall am ganzen Körper weise auf die Pelagianer hin. Vgl. Dörnemann, Krankheit 214/217. 239/243. 262/272; Scharff, Körper 138/140; Ferngren /Amundsen, Christentum 199. Vgl. Hargis, Christians 135 f. Vgl. Klein, Unterrichtsgesetz 86. Vgl. Bringmann, Kaiser 127. Vgl. Raeder, Kaiser 214. Denn von dem Edikt betroffen waren nicht nur solche Lehrer, die neu eingestellt wurden, vielmehr sollten alle überprüft werden, so dass z. B. auch so berühmte Männer ihren Lehrstuhl aufgeben mussten wie der Rhetor Prohaeresius (für den Julian, da er selbst bei ihm gelernt hatte, allerdings eine Ausnahme machen wollte, die dieser aber nicht annahm; vgl. Eunap. vit. Soph. 10, 8 [79 Giangrande]; Hieron. chron. a. 363 [GCS 47, 243 Helm]: Prohaeresius »scholam sponte deservit«) oder Marius Victorinus (vgl. Aug. conf. 8, 5, 10 [CCL 27, 119 Verheijen]: »scholam deserere maluit«); vgl. Banchich, School laws 10f; Gemeinhardt, Christentum 362 f. Vgl. Bowersock, Julian 84; Klein, Unterrichtsgesetz 86. Allerdings kam Julian mit diesem Gesetz zu spät, denn es gab mittlerweile viele Christen mit hellenischer Bildung, die nun begannen, z. B. das Alte Testament in Verse umzudichten, christliche Tragödien und Komödien zu schreiben und christliche Themen lyrisch zu bearbeiten. So versuchten sie, die heidnischen Klassiker durch christliche Werke von ähnlicher stilistischer und rhetorischer Qualität zu ersetzen, um die christliche Jugend auf gleichem Niveau, aber mit anderen Texten als die Heiden erziehen zu können; vgl. Soz. h. e. 5, 18, 3f (GCS NF 4, 222f Bidez /Hansen); Socr. h. e. 3, 16 (GCS NF 1, 210/212 Hansen); vgl. Browning, Julian 255; Leipoldt, Kaiser 17 Anm. 44; Rosen, Julian 311. Hardy, Schulgesetz 389, meint, dass Julian »begierig darauf war, die Christen von aller geistigen Nahrung abzuschneiden und dadurch ihren endlichen Rückfall in die Barbarei zu sichern«. Vgl. Bringmann, Kaiser 124. 127.
50
2. Julian und das Christentum
vertrauen können, benötigte Julian für die Verwaltung des Reiches. 113 Des Weiteren strebte Julian mit Hilfe des Ediktes an, den wachsenden Einfluss der Christen auf das geistige Leben einzugrenzen bzw. möglichst ganz auszuschalten. Allerdings überschätzte Julian die Möglichkeiten seiner Schulpolitik: Er konnte zwar Christen vom Lehrerberuf ausschließen, aber nicht per Gesetz aus religiös indifferenten heidnischen Lehrern eifrige Verehrer der Götter machen. Zusätzlich war das Problem zu überwinden, dass das traditionelle Bildungssystem nicht religiös geprägt war, d. h., dass die primären Unterrichtsziele die Schulung der rhetorischen Fähigkeiten und die Vermittlung von Wissen waren, nicht die Förderung eines paganen Bekenntnisses. Wen Julian allerdings mit seinem Edikt beeinflussen konnte, das waren die Opportunisten, diejenigen, die bereit waren, sich anzupassen, sei es um ihrer Karriere willen oder um der ihrer Kinder. 114 Allerdings stieß das Edikt nicht nur bei den Christen auf Protest, selbst Heiden und Parteigänger Julians kritisierten es. 115 Laut Bidez markiert es einen Wendepunkt in Julians Politik, von einer relativ toleranten Haltung hin zur offenen Feindschaft gegenüber dem Christentum. 116 2.3.2 Die Streitschrift »Contra Galilaeos« Julian verfasste dieses Werk im Winter 362 in Antiochia, d. h. in einer Zeit, in der er allmählich bemerkte, dass seine Repaganisierungsbemühungen sich nicht so einfach umsetzen ließen, wie von ihm geplant. 117 Er wollte den Christen mithilfe dieser Schrift aufzeigen, dass sie einen großen Fehler machten, als sie die (pagane) Religion ihrer Vorfahren verließen, um Christen zu werden. Denn seiner Meinung nach übernahm das Christentum keine einzige bewundernswerte oder wichtige Lehre von den Hellenen oder Juden, vielmehr von beiden Religionen das, »was wie Kräfte des Bösen diesen Völkern aufgepfropft ist: Atheismus von der Leichtsinnigkeit der Juden und eine elende und schlampige Art zu leben von unserer (= der Hellenen) Trägheit und
113 Das heidnische Bekenntnis war für Julian ein entscheidendes Kriterium dafür, ob er sich auf jemanden ver-
114 115
116 117
lassen konnte, wenn auch nicht das einzige (auch persönliche Verbundenheit, hohes Bildungsniveau sowie die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten für ein politisches Amt waren weitere Voraussetzungen); vgl. Klein, Unterrichtsgesetz 88/93. Ebd. 93 wird z. B. Claudius Mamertinus, Konsul des Jahres 362, als Beispiel dafür genannt, dass die richtige Religion nicht die einzige Voraussetzung war, das Vertrauen des Kaisers zu erlangen: Mamertinus war zwar Heide, aber kein besonders frommer, doch er war von hoher Bildung und Julian treu ergeben (weitere Beispiele ebd. 93 Anm. 62). Vgl. Bringmann, Julian 128. Vgl. Amm. Marc. 22, 10, 7 (3, 40 Seyfarth), der äußerte, man solle dieses Gesetz »mit ewigem Schweigen bedecken« (»obruendum perenni silentio«); vgl. ebd. 25, 4, 19f (3, 170/172 Seyfarth); christlicherseits wehrte sich u. a. Gregor von Nazianz dagegen: vgl. z. B. or. 4, 101/108 (SC 309, 248/262 Bernardi). Socr. h. e. 3, 12, 7 (GCS NF 1, 207 Hansen) und Theodrt. h. e. 3, 8, 1f (GCS NF 5, 185 Parmentier /Hansen) warfen Julian vor, die christlichen Jungen von der Bildung auszuschließen. Dieser Vorwurf trifft in gewissem Sinn zu, denn wenn Julian dies auch nicht direkt tat (schließlich richtet sich das Edikt nur an die Lehrer), nahm er doch billigend in Kauf, dass fromme Eltern ihren Kindern den Besuch einer rein heidnischen Schule verbieten würden. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob dies viele Eltern betroffen hätte, da schon Tertullian seinerzeit christlichen Kindern den Besuch heidnischer Schulen erlaubt hatte (idol. 10, 4/7 [CCL 2, 1109f Reifferscheid /Wissowa]); zur Einstellung gegenüber paganer Literatur in der Alten Kirche vgl. Krause, Stellung, besonders 51/254. Vgl. Bidez, Julian 279. 326/330. Ausführlich zu »Contra Galilaeos« vgl. z. B. de Labriolle, Réaction 395/428; Meredith, Porphyry 1138/ 1147; Hargis, Christians 107/127.
2.3 Julians literarische Auseinandersetzung mit den Christen
51
Ordnungslosigkeit.« 118 So warf er, der von den Christen der Apostat genannt wurde, diesen (vor allem den gebildeten unter ihnen) vor, selbst Apostaten zu sein, und zwar im doppelten Sinn: von den jüdischen Wurzeln ihrer christlichen Religion und von ihrer eigenen ursprünglich hellenischen Kultur. 119 »Contra Galilaeos« besteht aus drei Büchern, von denen heute nur noch Fragmente erhalten sind (vor allem aus dem ersten Buch); diese Fragmente wurden hauptsächlich aus der Widerlegung dieses Werkes durch Cyrill von Alexandrien rekonstruiert. 120 Dadurch ergibt sich der Nachteil, dass wir Julians Argumente nur durch »the eyes of a hostile apologist« 121 sehen können; zudem behandelte Cyrill sie nicht immer in ihrer ursprünglichen Reihenfolge, so dass es gelegentlich Lücken und fehlende Verbindungen zwischen den einzelnen rekonstruierbaren Argumenten gibt. Mit seiner Streitschrift gegen die Christen stellte Julian sich in eine philosophische Tradition: Schon Celsus (2. Jahrhundert) und Porphyrius (3. Jahrhundert) hatten ähnliche Werke verfasst. 122 Aus Furcht vor zunehmendem Einfluss des Christentums in gebildeten Kreisen stellten Julian und seine Vorgänger die Christen als Menschen ohne Kultur und Verstand dar, die sich mit Bibel und Glauben begnügten. 123 Julian steht in einer gewissen Kontinuität zu seinen Vorgängern was den Inhalt (vor allem den Widerwillen gegen den christlichen Fideismus und den Bruch des Christentums mit der Tradition) und die Argumentationsweise angeht. 124 Anders als z. B. Porphyrius versuchte er nicht, durch Diskussion von Chronologie und Autorenschaft der biblischen Bücher das Christentum zu diskreditieren, sondern bemühte sich darzustellen, wie lächerlich die christlichen Lehren seien. 125 Doch scheinen die Christen Julians Werk nicht als gefährlich empfunden zu haben – während Porphyrius’ Bücher mehrfach verurteilt und sogar verbrannt wurden, 126 geschah dies mit Julians Schriften nicht. In der ganzen Streitschrift spricht er von den Christen derogativ als »Galiläern« und von Jesus als dem »Nazarener«, um so deutlich zu machen, dass es sich lediglich um eine kleine Sekte handele. 127 Zu Beginn betont er zudem »das Lügenmärchen der Galiläer ist eine Erfindung von Menschen, gebildet aus Bosheit.« 128 Drei Punkte beschäftigen ihn besonders:
118 Vgl. Julian. c. Gal. 43a/b (164 Neumann): »to‘toic
toÿc Íjnesin πsper tinÄc K®rac drepÏmenoi, tòn ÇjeÏthta m‡n ‚k t®c >Ioudak®c ˚¯diourg–ac, fa‹lon d‡ ka» ‚pisesurmËnon b–on ‚k t®c par+ ômÿn ˚¯jum–ac ka» qudaiÏthtoc«. Vgl. auch den Vergleich von Christen und Kinderräubern in ep. 89b, 305c/d (173f Bidez).
119 Vgl. Meredith, Porphyry 1131. 120 Vgl. Wright, Works 3, 314. 121 Wright, Works 3, 317. 122 Vgl. Celsus’ »Wahre Lehre«, heute nur noch teilweise erhalten in Origenes’ Entgegnung »Contra Celsum«;
123 124 125
126 127 128
auch Porphyrius’ »Gegen die Christen« ist heute nicht mehr erhalten und nur aus den Widerlegungen der Kirchenväter teilweise rekonstruierbar. Vgl. Meredith, Porphyry 1147. Vgl. de Labriolle, Réaction 421/423; Meredith, Porphyry 1129; Wallis, Neoplatonism 101; Hargis, Christians 93 f. So benutzte Julian Begriffe wie »muj∏dhc« (c. Gal. 75b. 134d. 135b [167. 181f Neumann]), »tÄ paràdoxa« (c. Gal. 106c [178 Neumann]), »ÇnÏhtoc« (c. Gal. 93d. 230a [168. 206 Neumann]) und »m‹joc« (c. Gal. 94a [169 Neumann]), um die Christen sowie das Christentum und seine Lehren zu bezeichnen. Z. B. durch das Konzil von Ephesus im Jahr 431 oder Kaiser Theodosius II. im Jahr 448; vgl. Wright, Works 3, 316. Vgl. Wright, Works 3, 313. Julian. c. Gal. 39a (163 Neumann): »Ìti t¿n Galila–wn ô skeuwr–a plàsma ‚st»n Çnjr∏pon Õp‰ kakourg–ac suntejËn«.
52
2. Julian und das Christentum
1. Die Frage, wie die Menschen überhaupt zu einer Vorstellung von Gott gelangen (52b/69d): Hier hält Julian fest, dass man das Wissen vom Göttlichen schon von Natur aus besitze und es nicht erst erlernen müsse. 129 Eine Offenbarung sei somit unnötig und sogar abstoßend, denn in diesem Fall müsse man einen Wandel in der unwandelbaren Natur Gottes annehmen. 130 2. Ein Vergleich dessen, was Juden und Hellenen über das Göttliche sagen (44a/ 200b): Dies verdeutlicht er durch eine Gegenüberstellung zweier herausragender Gestalten und ihrer Lehren, Moses und Platon. Hier wird Julians ambivalentes Verhältnis zu den Juden deutlich: Einerseits schätzt er sie weit mehr als die Christen, er respektiert das Alter ihrer Religion, ihre Hingabe an ihren Glauben und ihren Opferkult (um diesen wieder zu ermöglichen, plante Julian sogar den Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels 131), andererseits verachtet er einige ihrer Praktiken (wie die Beschneidung). Auch kritisiert er ihr Gottesbild, einen eifersüchtigen Gott, der sich nur um die Juden kümmert, und fragt sich, warum die Hellenen überhaupt einen Gott verehren sollten, der allein die Juden erwählt habe. 132 Im Gegensatz dazu sei der hellenische Demiurg Vater und König aller Menschen und Völker, der alle in gleicher Weise mit seinen Segnungen beschenke. 133 Auch wundert Julian, dass der jüdische Gott den anderen Völkern jahrhundertelang erlaubt habe, andere Götter zu verehren, wenn er der Gott aller Menschen sei. Er erklärt dies damit, dass Jahwe lediglich ein Nationalgott und dem obersten Gott untergeordnet sei. 134 Julian beschließt diesen Abschnitt, indem er die Überlegenheit der hellenischen Lehren betont, und mit dem Argument, dass die Heiden von Gott die besseren Gaben erhalten hätten. 135 Aus diesem Grund ist ihm unverständlich, wie die Christen dennoch Menschen dazu bringen können, sich von den Göttern abzuwenden und stattdessen »überzulaufen zur Leiche der Juden.« 136 3. Warum die »Sekte der Galiläer« 137 den Glauben der Juden dem der Hellenen vorzieht (201a/239a) und warum sie dennoch auch den jüdischen Glauben verlassen hat
129 Vgl. Julian. c. Gal. 52b (165 Neumann). Als Beweis führt er u. a. das Sehnen nach dem Göttlichen an, das jeder
130 131 132
133 134
135
136 137
Mensch fühle (vgl. c. Gal. 52b [165 Neumann]), sowie die Abhängigkeit der Menschen vom Himmel und den sichtbaren Göttern (scil. Gestirnen; vgl. c. Gal. 52c [165 Neumann]); vgl. Riedweg, Stoicism 77f. Vgl. Julian. c. Gal. 69b/c (165 f Neumann); vgl. Meredith, Porphyry 1140f. Zu diesem Projekt vgl. Kapitel 1.5. Vgl. Julian. c. Gal. 99e. 106a/b. 138c. 155c/d (176f. 184. 189 Neumann); laut Julian konnten einem Gott keine menschlichen Eigenschaften zugeschrieben werden, habe doch schon Platon gelehrt, dass das Göttliche unveränderlich und somit frei von Leidenschaften sei (vgl. Plat. resp. 2, 380d/381c); vgl. Riedweg, Stoicism 83/5. Vgl. Julian. c. Gal. 115d (179 Neumann); zum Demiurgen Helios und seinen Wohltaten vgl. auch Julian. or. 11 (4), 152a/156c (130/136 Lacombrade) und Kapitel 3.2; vgl. Opsomer, Schöpfungslehre 127/134. Vgl. Julian. c. Gal. 106d/e. 115d/e (178/180 Neumann); vgl. Riedweg, Stoicism 80f; Hargis, Christians 115. Das Prinzip des Nationalgottes ist zurückführbar auf Plat. Crit. 109b/d (vgl. auch Plat. polit. 271d/273a), der lehrte, dass jedes Volk und jede Nation ihre eigene Gottheit habe, die mit der Sorge für sie betraut und Statthalter des obersten Gottes sei; oft nähmen die Völker die besonderen Charakteristika ihrer Schutzgötter an (vgl. die Beispiele bei Julian. c. Gal. 115e [180 Neumann]). Vgl. auch Jambl. myst. 5, 24f (234/237 Parthey): bestimmte Plätze haben bestimmte Götter; ebenso hat auch jede Nation und jedes Heiligtum seine eigene, vom höchsten Gott eingesetzte Gottheit. So z. B. Gelehrte, die z. T. von den Göttern abstammten, eine Offenheit für die Mysterien(kulte), die (alle von den Hellenen entdeckten) Wissenschaften und vieles andere mehr, vgl. Julian. c. Gal. 171d/184b (192/194 Neumann). Julian. c. Gal. 194d (196 Neumann): »‚p» t‰n >Iouda–wn metab®nai nekrÏn«. Julian. c. Gal. 43a (164 Neumann): »t®c Galila–wn (. . .) a…rËsewc«.
2.3 Julians literarische Auseinandersetzung mit den Christen
53
und ihrem eigenen Weg folgt (238a/324b). Hier stellt Julian, für den die Tradition sehr wichtig ist, den nur 300 Jahren, die das Christentum zählt, das hohe Alter der hellenischen Religion gegenüber. Auch unterstreicht er, dass nicht einmal Jesu eigene Familie an ihn geglaubt habe. 138 Daraus, dass die Christen neben der Bibel auch die hellenischen Werke studieren, schließt Julian, selbst sie wüssten, dass durch das Studium ihrer Lehren niemand lernen könne, gut zu sein, während das Studium hellenischer Lehren jeden zu einem besseren Menschen mache. 139 So betont er, denjenigen, die sich nicht »dem Geist der Apostasie« 140 hingegeben hätten, ginge es in Seele, Körper und allen Angelegenheiten besser, da sie die Hilfe der Götter erhielten. Dass die Christen jedoch nicht nur die Lehren der Hellenen und somit die Traditionen ihrer Väter verlassen hätten, sondern auch die der Juden und jetzt einem ganz neuen Weg folgten, ist für Julian nicht nachvollziehbar. Für ihn waren die Christen deswegen doppelte Apostaten: von der Religion ihrer Väter und vom Judentum. Nun gehörten sie einer Religion an, die weder eine lange und stolze Tradition habe, noch an der hellenischen Paideia Anteil nehme, sondern von beiden Seiten nur die schlechten Lehren übernommen habe, um dadurch die Unterschicht anzusprechen. 141 Wie bereits in seiner Satire »Caesares« 142 missversteht Julian auch hier die Taufe als Einladung zur Sünde, da letztere durch das Sakrament wieder vergeben werde. 143 Auch kann Julian die christliche Verehrung Jesu als Gott nicht mit dem (von den Christen übernommenen) Verbot des Dekaloges, andere Götter neben Gott zu haben, vereinbaren. 144 Er wirft den Christen vor, dadurch die Lehren ihrer Apostel zu verlassen, denn weder die synoptischen Evangelien noch Paulus hätten Jesus als Sohn Gottes bezeichnet. 145 Während Hellenen und Juden vieles gemeinsam hätten, was die Religion betreffe – der einzige Unterschied sei, dass die Juden nur an einen Gott glaubten, die Hellenen dagegen an viele – verehrten die Christen weder einen Gott noch viele Götter, sondern genau drei, wodurch sie sowohl von den hellenischen als auch den jüdischen Lehren abwichen. Zusätzlich gaben sie traditionelle jüdische Praktiken, wie z. B. Opfer, Speisegebote oder Beschneidung, auf. 146 Wie schon an anderer Stelle bezeichnet er auch hier das Christentum als Krankheit (des Verstandes). 147 Er 138 Vgl. Julian. c. Gal. 191d/e. 213b (199. 201 Neumann). 139 Vgl. Julian. c. Gal. 229d (205 Neumann): »Çll+
“ste ka» Õmeÿc, ±c ‚mo» fa–netai, t‰ diÄforon e”c s‘nesin t¿n par+ Õmÿn graf¿n pr‰c tÄc ômetËrac, ka» ±c ‚k t¿n par+ Õmÿn oŒde»c ãn gËnoito gennaÿoc Çn†r, mêllon d‡ oŒd‡ ‚pieik†c, ‚k d‡ t¿n par+ ômÿn aŒt‰c aÕto‹ pêc ãn gËnoito kall–wn« (»aber ihr selbst wisst, so scheint mir,
140 141 142 143
144
145 146 147
vom unterschiedlichen Einfluss von euren Schriften und den unseren auf den Verstand, und dass durch eure niemand ein edler Mann wird, nicht einmal durchschnittlich tüchtig, aber aus unseren wird jeder besser«). Julian. c. Gal. 235d (207 Neumann): »t®c Çpostas–ac pne‘mati«. Vgl. Julian. c. Gal. 43a/b (164 Neumann); vgl. Burr, Julian 145. Vgl. Kapitel 2.1.1.2. Vgl. Julian. c. Gal. 238b. 245a/d (207/210 Neumann); vgl. Julian. Caes. 336a/b (70f Lacombrade). Julian versteht z. B. die Aufzählung von Sünden in 1 Kor. 6, 9/11 als Beschreibung des Zustandes der Gemeinde in Korinth, nicht als allgemeine Warnung des Paulus (c. Gal. 245a/b [208f Neumann]). Vgl. Julian. c. Gal. 159e (189 f Neumann). Aus diesem Grund bemüht er sich, die Christen in ihrer Deutung alttestamentlicher Prophetien auf Jesus zu widerlegen, vgl. Julian. c. Gal. 253a/e. 261e/262d. 276e (210/214 Neumann). Vgl. Julian. c. Gal. 327a/b (223 Neumann). Vgl. Julian. c. Gal. 306b. 314c/d (219 f Neumann). Vgl. Julian. c. Gal. 327b (223 Neumann); vgl. Julian. or. 7, 229c/d (77 Rochefort); ep. 61c, 424b; ep. 86 (75. 149 Bidez). De Labriolle, Polémique 282, bemerkt dazu, dass Julian mit der Bezeichnung »Krankheit« hier auf eine solche des Verstandes abziele. Zur christlichen Vorstellung von Häresien etc. als Krankheit vgl. Kapitel 2.3.1 mit Anm. 105.
54
2. Julian und das Christentum
unterstreicht, die Christen täten, was Gott missfalle, und weigerten sich zudem, ihm zu opfern. 148 Julians Hauptargumente in dieser Streitschrift sind das Alters- und Traditionsargument: 149 Das Christentum sei eine neue Religion, vor allem im Vergleich zu den alten Religionen der Juden bzw. der Griechen. Zusätzlich hätten die Christen die Traditionen und Lehren ihrer Väter verlassen, um etwas Neues aufzubauen. Dies war für Julian eine grobe Missachtung gesellschaftlicher Konventionen. Da, wie er darlegte, jede Nation und jede Stadt ihre eigene (Schutz-) Gottheit habe, ist ein Abwenden von dieser Gottheit die größtmögliche Form der Pietätlosigkeit – und äußerst unklug. 150 Aufgrund seiner Hochschätzung der Tradition betonte Julian in seinen eigenen Bemühungen zur Reform des Heidentums immer wieder, dass er nicht Neues erschaffe, sondern lediglich alte und vergessene Traditionen und Praktiken wieder mit neuem Leben erfülle. 151 Da es für ihn sehr wichtig war, in Kontinuität zur Vergangenheit zu stehen, war die Bedrohung der hellenischen Synthese von Kult und Kultur einer der Hauptbeweggründe, »Contra Galilaeos« zu verfassen. 152 Während Julian die religiöse und kulturelle Tradition des Hellenismus, der für ihn den ganzen Komplex von Sprache, Kultur und Religion der Griechen umfasste, auf das Engste verknüpfte, unterschieden die Christen zwischen dieser julianischen Interpretation des Hellenismus und derjenigen, die lediglich den Gebrauch der griechischen Sprache bedeutete. 153 Letztere konnten die Christen übernehmen, erstere verbot sich für sie. Dies aber bedeutete mit dem zunehmenden Einfluss der Christen ein immer stärkeres Auseinanderdriften von griechischer Sprache, Kultur und Religion. Dies war für Julian nicht hinnehmbar und forderte ihn zum Handeln heraus. Julian legte mit »Contra Galilaios« in gewissem Sinne eine Apologie des Hellenismus vor. Er wollte beweisen, dass dieser zufriedenstellende Antworten auf theologi148 Vgl. Julian. c. Gal. 343c (226 f Neumann). Hier schließt Julian eine kurze Ausführung seiner Opfer-Theorie an,
149 150 151
152 153
indem er das Opfer von Kain und Abel vergleicht: Kains Opfer (Feldfrüchte) war für Gott nicht akzeptabel, anders als das Schaf Abels. Julian legt dar, dass einige Dinge, die von der Erde seien, Leben in sich hätten und andere leblos seien. Gott nun gefielen diejenigen Dinge besser, die Leben hätten, denn sie stünden ihm, dem lebendigen Gott und Ursprung allen Lebens, näher. Aus diesem Grund bevorzuge er Tieropfer, wie in Abels Fall das Schaf, gegenüber unblutigen Opfern, wie z. B. den Feldfrüchten Kains, vgl. Julian. c. Gal. 347c (228 Neumann): »‚peidò gÄr t¿n ‚p» g®c Óntwn tÄ mËn ‚stin Ímyuqa, tÄ d‡ äyuqa, timi∏tera d‡ t¿n Çy‘qwn ‚st» tÄ Ímyuqa tƒ z¿nti ka» zw®c a t–˙ jeƒ, kaj‰ ka» zw®c mete–lhfe ka» yuq®c o keiotËrac – diÄ to‹to tƒ tele–an prosàgonti jus–an  je‰c ‚phufrànjh« (»denn da von den Dingen der Erde einige Leben haben und andere nicht, und die, die Leben haben, für den lebendigen Gott, der der Grund des Lebens ist, wertvoller sind als die leblosen, da sie auch Teil haben am Leben und eine Seele besitzen, die seiner ähnlicher ist – aus diesem Grund war Gott dem mehr gewogen, der ein vollkommenes Opfer darbrachte«); vgl. Kapitel 6.2.1. Zur Bedeutung dieser Argumentationsweise im Christentum vgl. Pilhofer, Altersbeweis. Vgl. Hargis, Christians 115. Vgl. Julian. ep. 89a, 453b (153 Bidez): ». . . ka» fe‘gw tòn kainotom–an ‚n âpasi mËn, ±c Ípoc e peÿn, d–¯ d‡ ‚n toÿc pr‰c toÃc jeo‘c, o Ïmenoc qr®nai toÃc patr–ouc ‚x Çrq®c fulàttesjai nÏmouc, o’c Ìti m‡n Ídosan o… jeo–, fanerÏn; oŒ gÄr ãn ™san o’tw kalo» parÄ Çnjr∏pwn Åpl¿c genÏmenoi« (». . . ich meide Neuerungen sozusagen in jeder Beziehung, besonders aber in dem, was die Götter angeht, weil ich der Meinung bin, dass man die Satzungen, die bei unseren Vorfahren von Anfang an galten, bewahren muss; denn es ist offenkundig, dass die Götter sie gegeben haben; sie wären ja nicht so vollkommen, wenn sie einfach von Menschen geschaffen wären«). Vgl. Burr, Julian 145. Vgl. Greg. Naz. or. 4, 101/103 (SC 309, 248/254 Bernardi), der Julian vorwarf, die verschiedenen Wortbedeutungen des Begriffs (heidnische Religion, griechisches Volk, griechische Bildung und Wissenschaft) auf unzulässige Weise zu vermischen; er widersprach Julians integrativem Konzept des Hellenismus auf das Schärfste; vgl. Meredith, Porphyry 1139f; Bringmann, Kaiser 127.
2.4 Zusammenfassung
55
sche Fragen geben könne, und bemühte sich gleichzeitig, griechische Literatur, Kultur und Philosophie sowie die polytheistische Religion zu verteidigen. 154 Dies versuchte er durch eine Marginalisierung der Christen zu erreichen, sowie durch seine Subsumierung der Juden (als christlicher Ursprungsreligion) unter das griechisch-römische Heidentum, da das Judentum für ihn diejenigen Aspekte des Christentums darstellte, die ins Heidentum assimiliert werden konnten. 155 2.4 Zusammenfassung Julian glaubte sich von den Göttern als Retter des Heidentums erwählt, der die Menschen wieder zur Verehrung der traditionellen Götter zurückführen sollte. Um dies zu erreichen, musste er das Christentum aus seiner neu erlangten Vormachtstellung zurückdrängen, eine weitere Ausbreitung verhindern und, wenn möglich, versuchen, Christen zu den paganen Göttern zu bekehren. Er hatte jedoch aus den früheren Christenverfolgungen gelernt und vermied es, Märtyrer zu schaffen, da die blutigen Verfolgungen der Vergangenheit den Zusammenhalt der christlichen Gemeinden eher noch gestärkt hatten. Auch verstieß Blutvergießen gegen seine innerste Überzeugung, Menschen durch Vernunft zu überzeugen und nicht durch Gewalt. 156 So verlegte er sich zunächst auf subtile Mittel, die mit der Zeit jedoch immer drastischer wurden und darauf abzielten, die Christen immer mehr an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Ein Zitat aus »Contra Galilaeos« fasst Julians Meinung über das Christentum gut zusammen: Er unterstreicht, dass das Christentum keine einzige bewundernswerte oder wichtige Lehre von den Hellenen oder Juden übernommen habe, sondern nur negative Eigenschaften. 157 An anderer Stelle vergleicht er die Christen sogar mit Kinderräubern, die ihre Opfer mit Kuchen auf ihre Schiffe lockten und dann als Sklaven verkauften. 158 Es ist unschwer ersichtlich, dass seine Meinung von den Christen keine sehr hohe war – obwohl oder vielleicht auch gerade da er selbst lange Zeit Christ gewesen war. Sein Verhältnis zum Christentum war getrübt von den Erlebnissen seiner Kindheit und Jugend 159 sowie der Konkurrenzsituation, in der sich Christen und Heiden befanden.
154 Vgl. Hargis, Christians 113 f. 155 Vgl. Hargis, Christians 127. 156 Vgl. Julian. ep. 114, 438b (195 Bidez). 157 Vgl. Julian. c. Gal. 43a/b (164 Neumann). 158 Vgl. Julian. ep. 89b, 305c/d (173 f Bidez). 159 Zu nennen sind z. B. der Mord an seinen Verwandten (vgl. Kapitel 1.1), seine Verbannung nach Macellum (vgl.
Kapitel 1.2) sowie die Hinrichtung seines Bruders (vgl. Kapitel 1.3), die er alle mit seinem christlichen Cousin Constantius II. verband.
3. JULIANS THEOLOGIE
»O Mutter der Götter und der Menschen, (. . .) gewähre mir für meinen Dienst an dir Wahrheit in den die Götter betreffenden Lehren (und) Perfektion in der Kunst der Theurgie.« 1
Im Fokus dieser Untersuchung steht zwar die praktische Seite des Restaurationsvorhabens Julians, doch ist es unerlässlich, auch einen kurzen Blick auf deren theoretisches Fundament zu werfen, auf Julians Theologie. Julian war Neuplatoniker, doch hatte er den Neuplatonismus schon nicht mehr in seiner plotinischen Form kennengelernt. Er folgte vielmehr der von Jamblich mit theurgischen Elementen und Lehren der Chaldäischen Orakel angereicherten Variante. Julian selbst bemerkte dazu, dass er in der Philosophie Jamblich folge und in der Theosophie seinem Namensvetter; 2 alle anderen auf diesen Gebieten Bewanderten zählten in seinen Augen nicht. 3 Im Folgenden werde ich zunächst diesen philosophischen Hintergrund, vor dem Julian seine Theologie entwickelte, abstecken und dazu kurz den Neuplatonismus, die Chaldäischen Orakel, 4 die Theurgie und Julians großes Vorbild, den Neuplatoniker und Theurgen Jamblich, vorstellen. Um Julians spezielle Interpretation des Neuplatonismus zu verstehen und seine Ergebenheit an Helios sowie die Große Mutter aufzuzeigen, sind Oratio 11 (4) (An König Helios) und 8 (5) (An die Göttermutter) sehr wichtig, denn Julian verfasste sie nicht nur als Ausdruck seines persönlichen Glaubens. Er beabsichtigte vielmehr, durch sie seinen Repaganisierungsmaßnahmen ein theoretisches Fundament zu geben, die Menschen von der Richtigkeit seiner Lehre zu überzeugen und sie zum Glauben an die Götter zu inspirieren. 5 Aus diesem Grund nehmen die beiden Reden in diesem Kapitel eine besondere Stellung ein und werden in eigenen Unterkapiteln analysiert. Abgerundet wird die Darstellung von Julians Philosophie und Theologie mit einem kurzen Überblick über seine anderen philosophischen Werke, vor allem Oratio 9 (6) und Oratio 3 (2). Da Julians Schrift »Contra Galilaeos« sowie der Mustermythos aus 1 Julian. or. 8 (5), 179d/180b (130 Rochefort): »flW
je¿n ka» Çnjr∏pwn M®ter, (. . .) ‚mo» d‡ karp‰n genËsjai t®c per» s‡ jerape–ac Çl†jeian ‚n toÿc per» je¿n dÏgmasin, ‚n jeourg–¯ teleiÏthta«.
2 Damit ist Julian der Theurg gemeint, der die Chaldäischen Orakel verfasste; vgl. Kapitel 3.1.2. 3 Vgl. Julian. ep. 12 (19 Bidez): »ka» aŒt‰c d‡ per» m‡n >Iàmbliqon ‚n filosof–¯, per» d‡ t‰n Âm∏numon
‚n jeosof–¯ mËmhna, ka» nom–zw toÃc ällouc, (. . .) mhj‡n e⁄nai pr‰c to‘touc« (»Für meine eigene Person bin ich in der
Philosophie von Jamblichos, in der Theosophie von meinem Namensvetter fasziniert; von den übrigen glaube ich, [. . .] dass sie im Vergleich mit diesen beiden überhaupt nichts bedeuten«). 4 Dass Julian die Chaldäischen Orakel kannte, belegt u. a. seine Rede an die Göttermutter (or. 8 [5] [103/131 Rochefort]; vgl. Kapitel 3.3; Penati, Influenza 545/547, geht sogar davon aus, dass Julian die Orakel nicht nur kannte, sondern sogar ein Eingeweihter war) sowie Julian. ep. 12 (19 Bidez). 5 Vgl. die Untersuchung der von Julian zu diesem Zweck verwendeten rhetorischen und argumentativen Strategien bei Hose, Hymnen 157/175.
3.1 Philosophischer Hintergrund
57
Oratio 7 bereits im letzten Kapitel ausführlich dargestellt wurden, werden sie im Folgenden nicht mehr eigens behandelt. 3.1 Philosophischer Hintergrund 3.1.1 Neuplatonismus Der Begriff »Neuplatonismus« bezeichnet die letzte Epoche des antiken Platonismus, von Ammonius Sakkas bis zur Schließung der Schule von Athen. Die Neuplatoniker verstanden sich als Ausleger der Texte Platons, und zwar als Bewahrer, nicht als Erneuerer. Doch auch wenn sie sich auf die Traditionen griechischer Philosophie stützten, wurde doch (zumindest in einigen Schulen, wie der des Jamblich, vgl. Kapitel 3.1.4) der Einfluss orientalischen Denkens immer größer. 6 So machte der Neuplatonismus unter dem Einfluss östlicher Weisheit, wie z. B. der Chaldäischen Orakel (vgl. Kapitel 3.1.2), eine Wende hin zu einem soteriologischen Denken: Der Aufstieg der Seele aus der sinnlich wahrnehmbaren Welt in die höheren Stufen des intelligiblen Kosmos wurde zu einem wichtigen Ziel. 7 Der Neuplatonismus eignete sich so immer mehr auch theologische Züge an, denn, wie Cumont bemerkt, »eine Philosophie, die als höchstes Ziel des menschlichen Lebens die Vereinigung mit einem transzendenten Gott ansieht und die hofft, sie durch eine fortschreitende Reinigung der Seele zu erreichen, ist ihrem Wesen nach religiös.« 8 Dem Denken der Neuplatoniker lag die platonische Unterscheidung zwischen einer intelligiblen, unwandelbaren und nur dem Denken zugänglichen Welt der Ideen und einer sinnlich wahrnehmbaren Welt des Werdens und Vergehens zugrunde. Sie beschäftigten sich besonders mit der Frage danach, wie diese beiden Welten zusammenhängen bzw. wie letztere aus ersterer hervorgeht. Allen ihren Lösungsversuchen gemeinsam war eine Emanationslehre, in der die jeweils höheren Wesenheiten, also das Eine, der Geist und die Seele, die so genannten Hypostasen, die jeweils niederen aus sich entlassen. Auf diese Weise entsteht zwischen dem den gesamten Weltzusammenhang in sich enthaltenden Einen und der Vielfalt der Erscheinungen eine unzerstörbare Kette, durch die die niedrigeren Emanationen mit den höheren in Verbindung bleiben. 9 Die Neuplatoniker entwickelten Platons Lehre vom Guten weiter und schrieben dem Guten eine extreme Transzendenz zu. Daraus resultierte jedoch das Problem, wie dem Guten dann noch eine Verbindung zu Tieferstehendem möglich sein könne – eine Frage, die unmittelbar auch die Erlösung der Menschen berührte. 10 Was die Stellung des Menschen in diesem gegliederten Kosmos betrifft, so hatte Plotin gelehrt, dass ein Aufstieg der menschlichen Seele zu dem Einen durch das diskursive Denken bzw. die wissenschaftliche Erkenntnis möglich sei; etwaige Vermittler oder bestimmte rituelle Praktiken erachtete er als unnötig. 11 Das Fundament dieser Lehre bildete Plotins These, die menschliche Seele weise eine gewisse Verwandtschaft und Konsubstantialität mit dem Göttlichen auf und steige ferner bei ihrem Abstieg in 6 Vgl. Zintzen, Einleitung VIIf; zu einem Kurzüberblick über die bedeutendsten Vertreter des Neuplatonismus,
wie z. B. Plotin und Porphyrius, aber auch Jamblich, Proclus und viele andere, vgl. ebd. X/XXII. 7 Vgl. Zintzen, Einleitung IX. 8 Cumont, Plotin 35. 9 Vgl. Bringmann, Kaiser 33. 10 Vgl. Zintzen, Einleitung IX. 11 Vgl. Plotin. enn. 3, 4 (15), 3, 21/27; 5, 1 (10), 3, 1/3 (1, 286; 2, 189 Henry /Schwyzer).
58
3. Julians Theologie
die Welt nicht als ganze hinunter, vielmehr bleibe ein Teil von ihr in der intelligiblen Welt zurück, so dass eine direkte Kommunikation mit dem Göttlichen potentiell immer möglich sei. Laut Plotin ist die menschliche Seele stets bestrebt, sich vom Materiellen zu lösen, um wieder zu ihrer wahren Natur, der Welt des reinen Geistes, aufsteigen zu können. Der Weg dorthin ist ein rein geistiger, der durch eine vollkommene Versenkung des Menschen in sein Inneres ermöglicht wird. 12 So ist das Einswerden mit der Gottheit für Plotin das Ergebnis einer Abwendung von der Welt und der Hinwendung zu Gott. 13 Plotins Nachfolger dagegen gingen davon aus, dass die in die Welt hinabgestiegene Seele sich aus eigener Kraft nicht retten könne, sondern für den Wiederaufstieg auf Hilfe durch das Eine bzw. die Götter angewiesen sei. So trat im späteren Neuplatonismus zur systematischen eine praktische Theologie hinzu; die von einigen Vertretern des Neuplatonismus, wie z. B. Jamblich, praktizierte Theurgie gibt von dieser Entwicklung Zeugnis. 14 3.1.2 Die Chaldäischen Orakel »The Chaldaean Oracles are a divine revelation in Greek hexameter verse of a cosmological and soteriological system and of a set of moral and ritual rules and instructions.« 15 Sie sind eine Spruchsammlung, zusammengestellt im 2. Jahrhundert n. Chr. von zwei aus Syrien stammenden Theurgen, Vater und Sohn, die beide den Namen Julian trugen. 16 Der Legende nach schrieben sie die Chaldäischen Orakel nach dem Diktat der Götter. Die Orakel befassen sich mit unterschiedlichen Themen, so beschreiben sie z. B. die Struktur des Universums, machen Andeutungen zu dem, was jenseits liegt, offenbaren kosmologische und soteriologische Doktrinen, legen aber auch moralische und rituelle Regeln fest. 17 Beiden Julianen wurden übernatürliche Kräfte zugeschrieben, so soll der Sohn ein Regenwunder vollbracht und Marc Aurels Heer vor dem Verdursten gerettet sowie Rom von der Pest befreit haben; auch Tote sollen sie der Legende nach beschworen haben. Sie gelten als Begründer der Kunst der Theurgie (vgl. Kapitel 3.1.3) bzw. als diejenigen, durch deren Einfluss die Theurgie einen Platz in der neuplatonischen Philosophie fand. 18 Da die Chaldäischen Orakel u. a. theurgische Rituale und Symbole beschreiben, besteht eine enge Verbindung zwischen ihnen und der Theurgie. Die (vielleicht erstaunliche) Tatsache, dass diese Schrift in einigen neuplatonischen Strömungen solch großen Einfluss ausüben konnte, wird auf mehrere Gründe zurück12 Vgl. Plotin. enn. 6, 9 (9), 9 (3, 285/287 Henry /Schwyzer). 13 Vgl. Latte, Kaiser 115. 14 Vgl. Zintzen, Einleitung IX; zur Theurgie vgl. Kapitel 3.1.3. 15 Athanassiadi, Chaldaean Oracles 149. 16 Diese Sammlung ist uns nur in Fragmenten bekannt, und zwar durch Zitate in anderen Werken, hauptsächlich
bei Proclus (412/485 n. Chr.), Damascius (5./6. Jahrhundert n. Chr.) und Michael Psellus (1018/ca. 1078 n. Chr.) (vgl. des Places, Mystères 356; jeweils zu den drei Philosophen vgl. des Places, Oracles 2321f. 2324f. 2327/ 2330). Die Chaldäischen Orakel wurden erstmals im 19. Jahrhundert wieder von Kroll, Oraculis, systematisch aus den verschiedenen Werken zusammengesucht und als Sammlung publiziert. Neuere Ausgaben, die sich jedoch weiterhin auf Krolls Textgrundlage stützen (diese Grundlage allerdings erweitern), wurden von des Places, Oracles chaldaïques, und Majercik, Oracles, publiziert. 17 Vgl. Athanassiadi, Chaldaean Oracles 177; Smith, Gods 93. 18 Vgl. Saffrey, Théurgie 161 f; an anderer Stelle beschreibt Saffrey die Orakel sogar als »Bibel« der Neuplatoniker, vgl. Saffrey, Néoplatoniciens 209.
3.1 Philosophischer Hintergrund
59
geführt: Schon der Neuplatoniker Porphyrius, ein Schüler Plotins, bezog sich in seinen Werken auf die als göttliche Offenbarung angesehenen Chaldäischen Orakel, da diese angeblich Aussagen Platons enthielten. 19 Ein weiterer Grund könnte sein, dass man mehr und mehr dazu übergegangen war, Orakel nicht nur über zukünftige Ereignisse zu befragen, sondern ihnen auch theologische Fragen vorlegte. 20 Die Chaldäischen Orakel spielten aber auch deshalb eine immer wichtigere Rolle, weil Plotins Lehre von der alleinigen Erlösung der Seele durch das kontemplative Denken im Laufe der Zeit immer mehr in ihr Gegenteil verkehrt worden war. Das platonische Eine wurde mehr und mehr in für Menschen unerreichbare Ferne gerückt. Eine Konsubstantialität der menschlichen Seele mit dem Göttlichen wurde nicht mehr angenommen, ebenso wenig, dass ein Teil von ihr während ihres Abstiegs in die materielle Welt in den höheren Sphären verbleibe. 21 Aus eigener Kraft, so glaubte man nun, könne der Mensch keinen Kontakt mit dem Einen aufnehmen, er müsse sich vielmehr gewisser Vermittler (Götter niedrigen Ranges, Engel oder Dämonen) bedienen; dies geschah mit Hilfe theurgischer Riten. Die Aufnahme der Orakel und solcher theurgischer Rituale in den Neuplatonismus war ein längerer Prozess. So stand schon Porphyrius ihnen nicht mehr so ablehnend gegenüber wie noch sein Lehrer Plotin. Doch auch er wies der Theurgie lediglich eine vorbereitende Funktion in Bezug auf den letztlich durch das (philosophische) Denken vollzogenen Aufstieg zum Einen zu. 22 Im Laufe der Zeit jedoch wurden Offenbarungen immer mehr zur wichtigsten Form der Kommunikation mit den Göttern und in ihrer Eigenschaft als göttliche Offenbarung boten die Chaldäischen Orakel »supernatural authority for the philosophical koine of the age and the cultic practices dictated by it.« 23 So hatten sie schließlich gegen Ende des 3. Jahrhunderts einen quasi kanonischen Status inne und wurden durch Jamblich zu einer Art heiligen Schrift des Neuplatonismus. 24 3.1.3 Theurgie Wie oben bereits erwähnt, erhielten die für alle antiken Religionen wichtigen Ritualhandlungen, die dem Erhalt und der Stärkung der Verbindung zu den den Menschen umgebenden unbekannten Kräften dienten, im Laufe der Zeit auch in einigen Strömungen des Neuplatonismus eine immer größere Bedeutung. 25 Vor allem durch Jam-
19 So überliefert eine Legende, dass der Vater den höchsten Gott gebeten haben solle, seinem Sohn den Geist
20 21 22 23 24 25
eines höheren (Engel-) Wesens zu geben. Durch diesen Geist, der den eines Menschen bei weitem übersteige, und durch gewisse Riten habe der Vater über seinen Sohn direkten Kontakt mit den Göttern und den Seelen der Toten, unter ihnen Platon, aufnehmen können. Diese Legende findet sich z. B. bei Psell. cat. aur. 43/51 (166 Duffy); vgl. Athanassiadi, Chaldaean Oracles 150 mit Anm. 3; Saffrey, Néoplatoniciens 218f; Saffrey, Théurgie 162 f. Vgl. z. B. Max. Tyr. or. 11 (134, 12/14 Hobein); Porphyrius bei Eus. praep. ev. 4, 7, 1f (GCS 43, 1, 177, 12/17 Mras); vgl. Saffrey, Théurgie 163 f. Vgl. Saffrey, Théurgie 165. Vgl. einen bei Aug. civ. Dei 10, 9 (416 Dombart /Kalb) überlieferten Ausspruch des Porphyrius; vgl. O’Daly, Jamblich 1250; Saffrey, Théurgie 166 f. Athanassiadi, Chaldaean Oracles 178 (Hervorhebung dort). Vgl. Athanassiadi, Chaldaean Oracles 152f; Saffrey, Théurgie 169. Zur Theologie der Chaldäischen Orakel vgl. Athanassiadi, Chaldaean Oracles, besonders 166/174. Vgl. Criscuolo, Religione 370.
60
3. Julians Theologie
blich nahmen orientalische Einflüsse im Neuplatonismus, z. B. durch die Chaldäischen Orakel und die eng mit ihnen verbundene Theurgie, zu. Bei der Theurgie handelt es sich um eine in den ersten Jahrhunderten n. Chr. entstandene Bewegung, die verschiedene ältere Traditionen, wie Elemente platonischer Philosophie und pagane Kultpraktiken, mit neuen Offenbarungen verbindet. Ihre Gründung wird auf Julian, den Chaldäer, und seinen Sohn Julian, den Theurgen, zurückgeführt, die von den Göttern Offenbarungen, die Chaldäischen Orakel, empfangen hatten. 26 Wörtlich übersetzt bedeutet Theurgie ein »Wirken aus göttlicher Kraft« oder auch »Handlungen, die zum Göttlichen hin orientiert sind« – so verbirgt sich schon im Namen ein Hinweis auf die wichtige Rolle der Rituale. 27 Anders als Plotin strebte der Theurg eine Vereinigung der Seele mit den Göttern nicht durch das Denken bzw. durch Kontemplation, sondern durch magische Formeln und Handlungen (z. B. Opfer) an: »Es ist nicht der Gedanke, der den Theurgen mit den Göttern vereint: Was sollte sonst den theoretischen Philosophen daran hindern, eine theurgische Vereinigung mit den Göttern zu erreichen? Dies ist nicht so: Theurgische Einheit wird nur durch das Wirken von Handlungen, die unsagbar und göttlich erwirkt sind und über alles Begreifen hinausgehen, und durch die Wirkmacht der unsagbaren Symbole, die nur für die Götter fassbar sind, erlangt.« 28 Nach Lehre der Theurgen ist das Ritual notwendig, da die in den menschlichen Körper und die materielle Welt hinabgestiegene Seele die Hilfe materieller Objekte benötigt, um wieder aufsteigen zu können. So förderte die Theurgie eine positive Sicht der materiellen Welt: Ihr wohne eine göttliche Kraft inne, die die Seele zu heilen vermöge; 29 auch nahmen Theurgen eine Einheit zwischen der materiellen und der höheren, göttlichen Welt an, im Sinne der Theorie kosmischer Sympathie. 30 Einige Lehren waren aus dem Platonismus übernommen, so die der Transzendenz des höchsten Gottes, von dem nicht-transzendente Emanationen ausgehen. Eine wichtige Rolle in der täglichen theurgischen Kultpraxis spielte die mit Hekate 31 identifizierte Emanation der Weltseele: Man lokalisierte sie zwischen irdischem und himmlischem Reich, wo sie einerseits beide Sphären voneinander trenne wie auch andererseits den Übergang von der einen in die andere ermögliche. 32 Neben solchen kosmogonischen und theologischen Lehren finden sich in den Chaldäischen Orakeln und anderen Offenbarungen
26 Vgl. Johnston, Theurgie 460; Lewy, Oracles 461, bemerkt, der Begriff Theurgie werde in den Chaldäischen
Orakeln zum ersten Mal verwendet, und vermutet eine Wortschöpfung der Verfasser; zu den beiden Julianen vgl. Kapitel 3.1.2. 27 Vgl. Bringmann, Kaiser 32; Johnston, Theurgie 460. 28 Jambl. myst. 2, 11 (96 f Parthey): »oŒd‡ gÄr ô Ínnoia sunàptei toÿc jeoÿc toÃc jeourgo‘c; ‚pe» t– ‚k∏lue toÃc jewrhtik¿c filosofo‹ntac Íqein tòn jeourgikòn Ènwsin pr‰c toÃc jeo‘c; n‹n d‡ oŒk Íqei tÏ ge Çlhj‡c o’twc. Çll+
ô t¿n Írgwn t¿n Çrr†twn ka» Õp‡r pêsan nÏhsin jeoprep¿c ‚nergoumËnwn telesiourg–a ° te t¿n nooumËnwn toÿc jeoÿc mÏnoic sumbÏlwn ÇfjËgktwn d‘namic ‚nt–jhsi tòn jeourgikòn Ènwsin«. 29 Vgl. Johnston, Theurgie 461. Dabei wird diese positive Sichtweise dadurch eingeschränkt, dass das Ziel der
Theurgen letztlich darin bestand, diese Welt zu verlassen und zu den Göttern aufzusteigen. 30 Vgl. Sheppard, Theurgy 1512; Dodds, Greeks 291. 31 Vgl. Eunap. vit. Soph. 7, 2, 6/12 (44 Giangrande), der davon berichtet, wie Maximus im Tempel der Hekate
die Statue der Göttin zum Lächeln brachte und die Fackeln in ihren Händen sich entzündeten; zu einer Einweihung Julians in den Kult der Hekate vgl. Kapitel 1.3. 32 Vgl. Johnston, Theurgie 461. Durch diese Stellung war sie einerseits Führerin der Einzelseele hin zu den Göttern wie auch Mittlerin der göttlichen Wohltaten gegenüber den Menschen, vgl. auch Julians Rede an die Göttermutter (or. 8 [5] [103/131 Rochefort]; vgl. Kapitel 3.3); zur Assoziation Hekates mit der Göttermutter Kybele vgl. Smith, Gods 138.
3.1 Philosophischer Hintergrund
61
auch Anweisungen für theurgische Rituale. 33 Diese gibt es in den unterschiedlichsten Ausprägungen, von solchen, die der Heilung dienen, über solche, die Naturereignisse beeinflussen (wie z. B. das oben erwähnte Regenwunder), bis hin zu solchen, die Gegenstände manipulieren (z. B. Götterstatuen beleben). 34 Für die theurgischen Rituale besaßen die so genannten sunj†mata und s‘mbola große Bedeutung: Entsprechend der oben erwähnten Theorie der kosmischen Sympathie hat jeder Gott, wie Dodds es ausdrückt, »his ›sympathetic‹ representative in the animal, the vegetable, and the mineral world, which is, or contains, a s‘mbolon of its divine cause and is thus en rapport with the latter.« 35 Mithilfe dieser sunj†mata und s‘mbola sowie bestimmter ausgesprochener oder aufgeschriebener Formeln glaubte man, mit den Göttern Kontakt aufnehmen zu können – z. B. indem man die Anwesenheit eines Gottes in seiner Statue oder in einem menschlichen Medium bewirkte. 36 Das letztliche Ziel eines jeden Theurgen war »der Aufstieg zum geistig wahrnehmbaren Feuer« 37, um dem Schicksal, der e…marmËnh, 38 zu entkommen und Unsterblichkeit zu erlangen. 39 Auch hierbei halfen die Rituale, denn durch ihre getreue und korrekte Ausübung wurde die Seele des Theurgen gereinigt. Nach und nach gelang so ein Aufstieg der Seele zu den Göttern – aber nicht aus eigener Kraft (wie Plotin es lehrte), sondern durch die mit Hilfe der Rituale freigesetzte Macht der Götter. 40 Die theurgischen Rituale und Symbole galten als Geschenk der Götter an die Menschen, um eine Kontaktaufnahme zu ermöglichen, weshalb der Neuplatoniker Proclus die Theurgie pries als »eine Kraft, die alle menschliche Weisheit und Wissenschaft übersteigt, da sie die Segnungen der Weissagungskunst und die reinigenden Kräfte der Einweihung, in einem Wort, alle gotterfüllten Wirkungen der Inspiration, einbezieht.« 41
33 Vgl. Johnston, Oracula 1. 34 Vgl. Eunap. vit. Soph. 7, 2, 6/12 (44 Giangrande). Die theurgischen Rituale haben große Ähnlichkeit mit
35
36
37 38 39 40 41
antiker Magie, nicht zuletzt gilt die für die Theurgie wichtige Göttin Hekate seit alter Zeit als die Zaubergöttin schlechthin, vgl. Tanaseanu-Döbler, Konversion 33. Dodds, Greeks 292 (Hervorhebung dort); vgl. ein bei Bidez, Psellus 148/151, überliefertes Proclus-Fragment. Ihre Wirksamkeit beruht somit auf ihrer Urbild-Abbild-Relation zum Göttlichen, vgl. Tanaseanu-Döbler, Konversion 41. Vgl. Dodds, Greeks 292/295; Opelt /Speyer, Barbar 841/844; Strutwolf, Losungswort 535. Während die Philosophie das Göttliche lediglich erforscht und die Theologie nur von den Göttern redet, kann ein Theurg an ihrer Stelle handeln. Der Status eines Theurgen ist ambivalent: Er bleibt zwar Mensch, transzendiert dieses Menschsein aber durch die Macht der Rituale, durch die er den Mächten der Welt wie ein Gott befehlen kann – all dies aber nur, da die Götter ihm die Rituale schenkten; vgl. Criscuolo, Religione 385; TanaseanuDöbler, Konversion 42. So basiert die Theurgie auf einem privilegierten Verhältnis bestimmter Menschen zu den Göttern, vgl. van Liefferinge, Théurgie 281. Jambl. myst. 3, 31 (179 Parthey): »ô pr‰c t‰ noht‰n p‹r änodoc«. Vgl. Or. Chald. frg. 153 (103 des Places); Jambl. myst. 8, 7 (269f Parthey). Vgl. Procl. in Plat. remp. 3, 391c (1, 152 Kroll). Vgl. Saffrey, Théurgie 168 f. Procl. theol. Plat. 1, 25 (1, 113 Saffrey /Westerink): »t®c jeourgik®c dunàmewc, õ kre–ttwn ‚st»n Åpàshc Çnjrwp–nhc swfros‘nhc ka» ‚pist†mhc, sullabo‹sa tÄ te t®c mantik®c ÇgajÄ ka» tÄc t®c telesiourgik®c kajartikÄc dunàmeic ka» pànta Åpl¿c tÄ t®c ‚njËou katakwq®c ‚nerg†mata«.
62
3. Julians Theologie
3.1.4 Jamblich Jamblich ging den von Porphyrius eingeschlagenen Weg weiter und verband die neuplatonische Philosophie auf das Engste mit der Theurgie. Er war der erste, der die Lehren der Chaldäischen Orakel, die hermetischen bzw. ägyptischen Lehren und die Doktrinen der griechischen Philosophie auf eine Stufe stellte. 42 Er wurde in Chalkis in der Provinz Coele-Syria um 240/245 n. Chr. in eine vornehme Familie hinein geboren und starb vor 326 n. Chr. 43 Er war ein Schüler des Porphyrius, von dem er sich jedoch später distanzierte und eine eigene Schule in Apameia gründete. 44 Seine Schriften sind größtenteils verloren, erhalten sind nur Teile einer Darstellung der pythagoreischen Philosophie, sowie, besonders wichtig im Hinblick auf Jamblichs Einfluss auf Julian, die Schrift »De mysteriis Aegyptiorum«. 45 Eine wichtige Rolle für Julian dürfte auch Jamblichs vielbändiges Werk zur Erklärung der Chaldäischen Orakel, die »Theologica Chaldaica« gespielt haben; dieses ist aber, ebenso wie viele Kommentare zu Werken von Platon und Aristoteles, nicht erhalten. 46 Mit seinem systematischen Ausbau neuplatonischer Lehren bestimmte Jamblich die spätere Entwicklung des Neuplatonismus. Seine Lehre bestand in einer Fortführung des plotinischen Systems, wobei er stark von neupythagoräischen Schriften und den Chaldäischen Orakeln beeinflusst war. 47 So ist für ihn eine Vermehrung der Hypostasen (sowie der Seelen, Seelenkräfte und Tugenden) charakteristisch; dabei kam dem Triadischen besondere Bedeutung zu. 48 Durch diese größere Differenzierung und Vermehrung der Stufen versuchte er, die oben (vgl. Kapitel 3.1.1) geschilderte vergrößerte Distanz im Neuplatonismus zwischen dem Höchsten und den darunter stehenden Hypostasen zu verringern. So setzte er dem Einen Plotins noch ein Eines voran; dieses ist undefinierbar und unaussprechlich. Die Stufe des Nous untergliederte er in den kÏsmoc nohtÏc, der die Objekte des Denkens, die Ideen, beinhaltet, und den kÏsmoc noerÏc, der die intellektualen Wesen umfasst. Auch die, wie bei Plotin, an dritter Stelle folgende Seele differenzierte er: Aus der Weltseele fließt eine Dyas von zwei Seelen. 49 Jamblichs Ziel war es, die Philosophie seiner Vorgänger und Lehrer zu korrigieren und mit der Lehre der Chaldäischen Orakel in Einklang zu bringen. 50 Da er die menschliche Seele von den höhergestellten Seelen trennte und ihr einen niedrigeren
42 Vgl. Saffrey, Théurgie 167. 43 Vgl. Eunap. vit. Soph. 5, 1, 1 (10 Giangrande); vgl. Dillon, Iamblichus 863/867, mit einer ausführlichen
44 45
46
47 48
49 50
Begründung für eine in der neueren Forschung immer häufiger vorgenommene frühere Datierung seines Geburtsdatums im Vergleich zur traditionell angenommenen Zeit zwischen 265 und 280 n. Chr. Vgl. O’Daly, Jamblich 1243/1245; für eine ausführliche Auseinandersetzung mit Jamblichs Schule vgl. Dillon, Iamblichus 869/873; Bidez, Philosoph 281/293. Diese Schrift ist eine detaillierte Widerlegung des »Briefes an Anebo« seines Lehrers Porphyrius und als solche eine Verteidigung der Theurgie. Sie ist von den Chaldäischen Orakeln inspiriert. Vgl. Dillon, Iamblichus 868; des Places, Mystères 360; vgl. Kapitel 5.2.3.2 und 6.3.1. Vgl. O’Daly, Jamblich 1246 f. Mit seinen Kommentaren übte er einen großen Einfluss aus, denn durch ihr Vorbild gab er der bis dahin relativ willkürlichen Platoninterpretation eine exegetische Methode an die Hand und begründete so den neuplatonischen Kommentar; vgl. Dillon, Iamblichus 877. Vgl. Dillon, Iamblichus 878. Aus dem zweigliedrigen Aufbau des Kosmos bei Platon und Plotin wird ein dreigliedriger: zwischen kÏsmoc nohtÏc und kÏsmoc a sjhtÏc wird der kÏsmoc noerÏc eingefügt; diesen Aufbau greift auch Julian später auf (vgl. Kapitel 3.2 und 3.3). Zum triadischen Schema mon†, prÏodoc und ‚pistrof† vgl. Dodds, Elements xix. Vgl. Zintzen, Einleitung XVIII; O’Daly, Jamblich 1248f. Vgl. O’Daly, Jamblich 1247 f.
3.1 Philosophischer Hintergrund
63
Status zuwies als noch seine Vorgänger, musste er auch gegen die plotinische Vorstellung, beim Abstieg der Menschenseele bleibe ein Teil der Seele zurück, argumentieren. Dadurch nahm er der Seele die Möglichkeit eines Wiederaufstiegs allein aus eigener Kraft, wie Plotin sie noch lehrte. 51 Eine solche Sicht war ein fruchtbarer Grund für die Theurgie, denn Rettung war nur noch durch die Götter möglich: durch Teilnahme der Seele an Riten und die Verwendung von vorgeschriebenen sunj†mata und s‘mbola. 52 Das Denken, bei Plotin noch Mittel zum Aufstieg, hatte bei Jamblich lediglich reinigende Funktion und befähigte die Menschen dazu, das aufzunehmen, was ihnen durch die von den Göttern geschenkten Rituale und Symbole vermittelt wurde. 53 Der Theurgie kam somit in der Lehre Jamblichs eine äußerst wichtige Rolle zu und seine Schrift »De mysteriis Aegyptiorum« enthält ihre theoretische Begründung. Die Seele gelange nicht mehr nur über die theoretische Philosophie zum Heil, es gebe vielmehr einen zweiten, praktischen Heilsweg, der einem größeren Teil der Menschheit offen stehe als der theoretische: über die Riten, in denen der Theurg sich die Unterpfänder der Götter zunutze mache. 54 Dabei betonte Jamblich, dass im Gegensatz zu einem Zauberer, der die Götter zwinge, der Theurg das Göttliche nicht zu beeinflussen suche – nach dem plotinischen Prinzip, dass das Niedrige das Höhere nicht bestimmen könne, sei dies gar nicht möglich. 55 Für Jamblich überstieg die Theurgie das Denken, sie führte zur Kenntnis der Götter und zur Vereinigung mit ihnen, zur Teilhabe am Guten und zu seiner Schau. Hatte Porphyrius ihr noch eine lediglich reinigende, aber keine zur Rettung der Seele notwendige Funktion zugeschrieben, so war die Theurgie für Jamblich unentbehrlich für die Rückkehr der Seele zum Einen. 56 Da Jamblich die Stellung der menschlichen Seele im Kosmos anders definierte als seine Vorgänger, musste er in deren Philosophie die Bedeutung ritueller Akte einfügen. So wurde der Neuplatonismus durch ihn zu einer Art philosophisch gedeuteter Religion. 57 Zwar versuchte Jamblich, den Hauptpunkten seiner Lehrer treu zu bleiben, doch war es unvermeidbar, dass seine neue Herangehensweise zu Veränderungen führte. So verstand Jamblich z. B. die Materie nicht wie Plotin als das Nichtseiende, sondern als Endpunkt eines Emanationsstrahles von göttlicher Herkunft: Sie sei nicht an sich böse und könne somit in der Theurgie Verwendung finden. 58
51 Vgl. Dodds, Elements xx: »This change (scil. die größere Bedeutung der Theurgie) is a natural corollary to the
52 53 54 55
56 57 58
humbler cosmic status assigned by Iamblichus and most of his successors to the human soul. As the ancient world staggered to its death, the sense of man’s unworthiness grew more oppressive, and the mystical optimism of Plotinus came to seem fantastic and almost impious: not by the effort of his own brain and will can so mean a creature as man attain the distant goal of ›unification‹.« Vgl. Jambl. in Plat. Tim. 4 frg. 88 (200/202 Dillon). Vgl. Jambl. myst. 2, 11 (96 f Parthey); vgl. O’Daly, Jamblich 1248/1250; Shaw, Theurgy 13/16. Vgl. Jambl. myst. 2, 11 (96 f Parthey); vgl. O’Daly, Jamblich 1249. Vgl. Zintzen, Einleitung XIX. Jamblich bemühte sich, die theurgischen Riten von denen der Zauberer zu unterscheiden, vgl. Jambl. myst. 3, 25 f. 28 (158/164. 167/171 Parthey). So betonte er, die Riten der Magier beruhten auf kosmischer Sympathie, die Theurgie dagegen arbeite gemäß des Prinzips der Philia, während erstere somit rein mechanisch sei, habe der Theurg Gemeinschaft mit den Göttern, vgl. ebd. 1, 12 (40/42 Parthey); vgl. dazu ebd. 3, 26; 4, 3. 9; 5, 7/9 (161/164. 184/186. 192 f. 207/210 Parthey); vgl. O’Daly, Jamblich 1250; Struck, Mysteriis 490. Vgl. Jambl. myst. 2, 11; 3, 25; 10, 5 f (95/99. 158/161. 290/292 Parthey); vgl. O’Daly, Jamblich 1250. Vgl. O’Daly, Jamblich 1250. Vgl. Jambl. in Plat. Tim. 1 frg. 7 (110/112 Dillon); myst. 3, 16. 27; 5, 9 (136/139. 164/167. 209f Parthey); vgl. O’Daly, Jamblich 1250 f; Zintzen, Einleitung XIX. Während sich für Plotin die Notwendigkeit des Bösen von der Materie her ergab (weil sie des Guten entbehrte), sah Jamblich die Materie als neutral an und betonte, das Böse liege im falschen Verhältnis der Seele zur materiellen Welt, sie dürfe nicht in ihr verhaftet sein, vgl.
64
3. Julians Theologie
Jamblichs Kultfrömmigkeit war wesentlich ausgeprägter als z. B. die Plotins. Er selbst wurde von seinen Schülern als Wundertäter angesehen, als jemand, der Geister rufen könne, als jeÿoc Çn†r. 59 So berichtet Eunapius, Jamblich habe zwei Geister in der Gestalt zweier Jungen beschworen; 60 bei einer anderen Gelegenheit wies Jamblich laut Eunapius Gerüchte zurück, er schwebe während seines Gebets in der Luft und sein Körper und seine Kleidung nähmen einen goldenen Glanz an. 61 Wieviel Theurgie Jamblich tatsächlich selbst ausübte, ist heute kaum noch feststellbar, doch scheint er eine Bewegung in diese Richtung ausgelöst zu haben. So hat im Laufe der Zeit Plotins unio mystica mit dem Einen persönlicher Verehrung bzw. Gottesdienst Platz gemacht. Dieser konnte die Gestalt von Ritualen wie Opfern oder von Gebeten von fast familiärer Intimität mit der Gottheit annehmen. 62 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Jamblich mit Hilfe pythagoreisch-chaldäischer Elemente den hypostatischen Stufenbau Plotins zu einem griechisch-orientalischen Pantheon umformte, in dem der Theurgie zentrale Bedeutung zukam. 3.1.5 Zusammenfassung Zur Zeit Julians hatte der Neuplatonismus viele orientalische Elemente aufgenommen. Aus einer griechischen Philosophie war so eine Art religiöser Praxis geworden, denn die Theurgie nahm eine prominente Rolle ein – zumindest im Neuplatonismus des Jamblich; es gab jedoch auch Philosophen, die weiterhin an der plotinischen Lehre festhielten. Diese verschiedenen Richtungen in der neuplatonischen Philosophie zeigen sich z. B. in den Erfahrungen, die Julian mit seinen Lehrern machte: Von seinen beiden Philosophielehrern in Pergamon gehörte Chrysanthius zu den Neuplatonikern, die Theurgie und Philosophie verknüpften, während Eusebius Plotins Lehre folgte. 63 Aus diesem Grunde warnte Letzterer Julian vor dem Theurgen Maximus, allerdings erreichte er mit dieser Warnung nur, dass Julian sich zu Maximus begab, dessen Schüler wurde und so den durch Jamblich orientalisch gefärbten Neuplatonismus zu seiner Philosophie machte. 64 Julian verehrte Jamblich 65 und so liegt es nahe zu vermuten, dass dessen synkretistisch-theurgische Theologie ihn in seinem eigenen Denken grundlegend beeinflusste. Während Plotins philosophisches System noch von einer metaphysischen Einheit charakterisiert wurde (das Eine bringt den Geist hervor und dieser wiederum die Weltseele, die alles andere hervorbringt), arbeitete Jamblich in dieses System diverse weitere Triaden ein. Der Entwurf des Jamblich sagte Julian besonders zu, denn aufgrund seiner Hingabe an den Polytheismus und solare Kulte war er an einem Zugang zur
59 60 61 62 63 64
65
Tanaseanu-Döbler, Konversion 41. Auch entwickelte Jamblich eine Theorie, nach der es eine Rasse böser Geister gebe, die für das Böse verantwortlich sei; dieser Theorie folgte auch Julian; vgl. Witt, Forerunner 50. Vgl. Eunap. vit. Soph. 5, 1; 6, 11, 11 (10/13. 40 Giangrande). Vgl. Eunap. vit. Soph. 5, 2, 2/7 (13 f Giangrande). Vgl. Eunap. vit. Soph. 5, 1, 7/10 (11 f Giangrande); Eunapius betont hierzu, Jamblich wirke seine Wunder im kleinen Kreis, in der Öffentlichkeit dagegen nur unwillig (vit. Soph. 5, 10, 4/6 [14 Giangrande]). Vgl. Witt, Forerunner 49. Vgl. Kapitel 1.3. Zur philosophischen Abhängigkeit Julians von Jamblich vgl. O’Daly, Jamblich 1257f. Mehr ins Detail geht Moreschini, Aspetti 148/159: Er vergleicht mehrere Einzelpunkte der Philosophie Jamblichs und Julians und stellt heraus, wo Julian auch von Plotin oder Porphyrius beeinflusst wurde. Vgl. Julian. or. 11 (4), 146a. 150c/d. 157d (121. 128. 137f Lacombrade); or. 7, 217b. 222b (60. 67 Rochefort); or. 9 (6), 188b (154 Rochefort).
3.2 Heliozentrische Theologie: Julians Hymnos an König Helios (Or. 11 [4])
65
Philosophie interessiert, der (im Gegensatz zu dem Plotins) auf die religiöse Praxis hin orientiert war. Für Julian war ein persönliches Verhältnis zu den Göttern wichtig, das sich in Opfern und Gebeten zeigte, die oft einen sehr vertrauten Ton anschlugen. 66 Wie im Folgenden deutlich werden wird, spielen besonders die Theurgie als Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit den Göttern sowie der von Jamblich übernommene triadische Aufbau des Kosmos mit seiner komplexen Hierarchie an Dämonen, Engeln und Göttern verschiedenen Ranges in Julians Theologie eine wichtige Rolle. 3.2 Heliozentrische Theologie: Julians Hymnos an König Helios (Or. 11 [4]) 3.2.1 Vorbemerkung Julian verfasste den »Hymnos an König Helios« während seines Aufenthalts in Antiochia, gegen Ende des Jahres 362. 67 Er ist eine persönliche wie öffentliche Hommage Julians an Helios, anlässlich der Feiern zu Ehren des Sonnengottes am 25. Dezember. 68 Von der literarischen Form her ist diese Rede ein in Prosa gehaltener Hymnos. 69 Julian widmete ihn seinem Freund Salutius, der seinerseits die Abhandlung »De diis et de mundo«, eine Art »neuplatonischen Katechismus« 70, verfasst hatte. 71 Diese Rede entstand nach Julians eigener Aussage in drei Nächten, niedergeschrieben so, wie es ihm gerade in den Sinn kam. Er wollte mit ihr nicht die Arbeiten des Jamblich zu diesem Thema ersetzen, sondern eine Danksagung und einen Lobpreis auf den Gott verfassen. 72 In der Rede wechselt Julian zwischen bewiesenen Wahrheiten und visionären Theorien, zwischen wissenschaftlichen Erklärungen und der Wiedergabe überlieferter religiöser Lehren. 73 Er bemüht sich, philosophische Autoritäten wie Platon, Aristoteles und Jamblich heranzuziehen, um seine Theologie zu stützen. 74 Oratio 11 (4) ist die zweite von Julians theologischen Hymnen; sie steht hier an erster Stelle, da sie einen besseren und allgemeineren Überblick über Julians Theologie erlaubt. An ihr lässt sich leicht ablesen, dass Julian ein Neuplatoniker war, der die Lehren des von ihm geschätzten Jamblich übernahm und sie mit ein paar Erweiterungen seinerseits versah. Wie bei Jamblich ist das höchste Prinzip das Eine (t‰ „n) bzw. das 66 Vgl. Witt, Forerunner 48 f. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob für Julian als ehemaligen Chris-
67
68 69 70 71 72
73 74
ten die religiöse Praxis so selbstverständlich und deswegen notwendig gewesen war, dass ohne sie Philosophie im Sinn von Lebensorientierung nicht denkbar war. Allerdings scheint es mir äußerst schwer, wenn nicht sogar unmöglich, eine Antwort hierauf zu finden, da dazu ein Blick in das Innere Julians nötig wäre. Vgl. Lacombrade, Discours 75. Für einen detaillierten Kommentar zu dieser Rede vgl. Mau, Religionsphilosophie, der neben Plotin, Porphyrius und Jamblich als mögliche Quellen für Julian auch Salutius’ »De diis et de mundo« berücksichtigt. Vgl. Julian. or. 11 (4), 131d (102 Lacombrade); Lacombrade, Discours 75. 95. Es handelt sich, nach der Klassifizierung Menanders, um einen so genannten physischen Hymnos, da er die Natur eines Gottes behandelt; vgl. Lacombrade, Discours 77 mit Anm. 2. Cumont, Salluste 55. Vgl. Julian. or. 11 (4), 157b/d (137 Lacombrade); vgl. Wright, Works 1, 351; vgl. Kapitel 6.3.1. Vgl. Julian. or. 11 (4), 157c/158b (137 f Lacombrade); ebd. legt er Salutius deshalb das Studium der entsprechenden (nicht erhaltenen) Schriften des Jamblich ans Herz. Vgl. Rochefort, Influence 50/66, für einen Vergleich der Positionen Julians und seines Freundes Salutius und eine Untersuchung über gegenseitige Beeinflussung. Vgl. Julian. or. 11 (4), 148a/b (124 Lacombrade); vgl. Lacombrade, Discours 78: »(Julien) argumente tour à tour comme un esprit lucide et comme un somnambule«. Vgl. z. B. Julian. or. 11 (4), 150c/d. 151d. 152b (128/130 Lacombrade).
66
3. Julians Theologie
Gute (t‰ Çgaj‰n, bei Julian auch als transzendente Sonne bezeichnet), das über die intelligible Welt (kÏsmoc nohtÏc) herrscht; hier ist die Domäne der jeo» nohto–, der intelligiblen Götter. 75 Auf diesen kÏsmoc nohtÏc folgt die durch Jamblich neu eingeführte Zwischenwelt (kÏsmoc noerÏc) der intellektualen Götter (jeo» noero–); ihr oberster Gott und gleichzeitig ihr Zentrum ist Helios. 76 Die letzte in der Hierarchie der Welten ist die Welt der Sinneswahrnehmung (kÏsmoc a sjhtÏc), die beherrscht wird von der Sonne, der sichtbaren Entsprechung des Helios aus dem kÏsmoc noerÏc. Der Hymnos ist in drei Teile gegliedert: Zunächst befasst Julian sich mit dem Wesen (oŒs–a) und dem Ursprung des Helios (132b/142b), dies ist der Teil, in dem sich in kondensierter Form der Großteil von Julians Philosophie findet. Den zweiten Teil (143b/ 152a) widmet er den Kräften (dunàmeic) und Wirkungen (‚nerge–ai) des Sonnengottes, um dann im dritten Teil (152a/156c) auf die Segnungen einzugehen, mit denen Helios die Menschen beschenkt (»Ìsa Ídwken Çnjr∏poic ìHlioc Çgajà« 77). 3.2.2 Der erste Teil des Hymnos: Helios’ Wesen und Herkunft Einleitend betont Julian zunächst, das, was er in diesem Hymnos darlegen werde, sei für alle von größter Wichtigkeit, da Helios der Vater aller Menschen sei. 78 Auch für ihn selbst habe die Rede große Bedeutung, da Helios sein persönlicher Schutzgott sei. 79 Nicht zuletzt deshalb stellt Julian sein Leben in den Metaphern Licht und Dunkelheit dar: Als Christ sei er in der Dunkelheit gewesen, habe sich aber auch damals schon zu den Sonnenstrahlen hingezogen gefühlt, jetzt wandele er im Licht des Helios. 80 Julian preist Helios als denjenigen, der das Universum durch seine kontinuierliche Fürsorge zusammenhalte. 81 Der König des Universums wiederum, das Zentrum von allem, sei jenseits allen Verstehens (»t‰ ‚pËkeina to‹ no‹«) und werde auch Idee des Seins (» dËa t¿n Óntwn«), das Eine, oder, platonisch, das Gute genannt. 82 Helios
75 Diese Welt ist gleichzusetzen mit Platons Welt der Ideen, wobei diese nun
76
77 78 79
80
81 82
jeo» nohto– genannt werden; vgl. Wright, Works 1, 349. Zu einem kurzen Überblick über Platons Spekulation über die Sonne im Vergleich mit Julians heliozentrischer Theologie vgl. Lacombrade, Discours 84f. Diese Zwischenwelt war das Abbild der höchsten und Urbild der sichtbaren Welt; sie wurde die denkende Welt genannt, da sie das Reich des no‹c war, vgl. Mau, Religionsphilosophie 37f. Sie erlaubte den Philosophen des Hellenismus, hier alle traditionellen Gottheiten anzusiedeln, auch die anderer Religionen und Völker (was vor allem Jamblich ausnutzte); das Erste Prinzip bzw. der höchste Gott wurde in die absolute Transzendenz des kÏsmoc nohtÏc versetzt. Julian. or. 11 (4), 152a (130 Lacombrade). Vgl. Julian. or. 11 (4), 130b. 131c (100/102 Lacombrade); vgl. ausführlich Opsomer, Schöpfungslehre 134/ 146, zu Julians Auffassung von Helios als Demiurg. Vgl. Julian. or. 11 (4), 130b (100 Lacombrade); aus der Andeutung »to‘tou d‡ Íqw m‡n o“koi par> ‚mautƒ tÄc p–steic ÇkribestËrac« (or. 11 [4], 130c [100 Lacombrade]: »Ich habe aber bei mir daheim für diese Tatsache die zuverlässigsten Beweise«) im folgenden Satz schließen Lacombrade, Discours 100 Anm. 3, Wright, Works 1, 353 Anm. 2 und Mau, Religionsphilosophie 14, Julian sei in den Mithraskult eingeweiht gewesen (dagegen Turcan, Mithras 111 f). Vgl. Julian. or. 11 (4), 130b/131b (100 f Lacombrade). Athanassiadi, Contribution 360/371, befasst sich ausführlich mit der Frage, ob Oratio 11 (4) ein Stück mithräischer Theologie sei und kommt zu dem Schluss, dies sei der Fall und sie könne sogar wichtige Aspekte dieser Theologie erhellen. Dagegen argumentieren Smith, Gods 143/163, und Gordon, Mithras 994f, die davon ausgehen, Oratio 11 (4) sei weniger vom Mithraismus als vielmehr von den Chaldäischen Orakeln beeinflusst; vgl. Turcan, Mithras 120/125. Das Universum selbst sei ewig, ungeschaffen und unvergänglich; vgl. Julian. or. 11 (4), 132c (103 Lacombrade). Vgl. Julian. or. 11 (4), 132c/d (103 Lacombrade).
3.2 Heliozentrische Theologie: Julians Hymnos an König Helios (Or. 11 [4])
67
selbst gehe aus diesem Einen hervor und sei ihm in allem gleich, er sei dessen Sohn. 83 Er habe die Herrschaft über die jeo» noero– inne und beschenke diese mit denselben Gaben, die das Eine den jeo» nohto– zukommen lasse, er bekleide somit im kÏsmoc noerÏc dieselbe zentrale Stellung, die analog das Eine im kÏsmoc nohtÏc innehabe; dem entspreche wiederum das Tun und die Stellung der sichtbaren Sonne im kÏsmoc a sjhtÏc. 84 Helios besitze die Macht zu vollenden, die Macht zu erschaffen (sowohl als Demiurg wie auch als Erzeuger 85) sowie die Macht zu verbinden und sei der Mittler zwischen den drei Welten. Als König der jeo» noero– sei er der erste unter den Göttern und gleichzeitig eins mit ihnen allen. 86 Besonderes Gewicht legt Julian auf Helios’ mesÏthc, seine Mittel-Stellung. Diese interpretiert er dreifach: Zum einen rein örtlich, und zwar in einem doppelten Sinn, nämlich als Zentrum des kÏsmoc noerÏc (und damit als Mittelpunkt der jeo» noero–) sowie dadurch in der Mitte zwischen den beiden anderen Welten. Zum anderen legt Julian diese Mittel-Stellung im übertragenen Sinn aus, indem er Helios als Mittler zwischen und Verbindung von allen drei Welten sieht. Dadurch, dass er sowohl an der Transzendenz der intelligiblen Welt als auch an der Kontingenz der wahrnehmbaren Welt Anteil habe, besitze er die Macht zu spalten, was eins sei (den Geist), und zu vereinen, was vielzählig sei (die Materie). 87 Seine mesÏthc beinhalte weiterhin, dass er unvermischt sei, in sich selbst vollständig und eindeutig unterschieden von allen sichtbaren oder unsichtbaren, wahrnehmbaren oder intelligiblen Göttern. 88 Durch seine vermittelnde Vollkommenheit vereine Helios die Kräfte, die in der intelligiblen Welt bzw. der Welt der Sinneswahrnehmung wirken und diese zusammenhalten. 89 Jede dieser drei Welten habe ein eigenes unbedingtes Wesen (»aŒjupÏstaton«), eine schöpferische Kraft (»dhmiourg–a«) sowie die Macht, Leben zu erschaffen (»gÏnimon t®c zw®c«), dabei sei Helios jeweils das verbindende Element. 90 Er sei der Demiurg, der jedem Geschaffenen eine eigene Existenz verleihe; er gehe von dem Einen aus, sei Mittelpunkt der jeo» noero– und Vermittler zwischen beiden; er verbinde und bringe zusammen, besitze die Macht vollkommen zu machen, zusammenzufügen, mit Leben zu erfüllen und segne unsere Welt auf verschiedenste Weise (durch seine Strahlen, die die Schönheit des Universums enthüllten, sowie durch eine Art Engelwesen, die so genannten ôliako» äggeloi). 91
83 Lacombrade, Discours 93 f, sieht in dieser Aussage Anklänge an das Verhältnis zwischen Gottvater und Jesus
84
85 86 87
88 89 90 91
Christus. Penati, Influenza 547, ist der Auffassung, Julian übernehme mit dieser Theorie über den Ursprung des Helios und damit auch der sichtbaren Sonne eine Lehre der Chaldäischen Orakel, während Athanassiadi, Contribution 365 f, darin ein Dogma des Mithraismus wiederfindet. Vgl. Julian. or. 11 (4), 132c/133d (103/105 Lacombrade). Hier wird deutlich, dass Julian von Beobachtungen über die sichtbare Sonne ausgeht und die gewonnenen Erkenntnisse auf Helios und sein Wirken übetrträgt, vgl. Julian. or. 11 (4), 134b/135c. 137d/138a (105/107. 110 Lacombrade). Vgl. Julian. or. 11 (4), 135c (107 Lacombrade): »dhmiourgik‰n ka» gÏnimon«. Vgl. Julian. or. 11 (4), 135c/136a (107 f Lacombrade), zu Julians Pantheon vgl. Kapitel 3.5. Vgl. Julian. or. 11 (4), 141a (114 Lacombrade); vgl. Lacombrade, Discours 86f. Im übertragenen Sinn bedeute Helios’ Mittel-Stellung, dass er die Seelen vom Körper befreie und mit seinen Strahlen in die höheren Sphären geleite, vgl. Julian. or. 11 (4), 131b/c (101 f Lacombrade); vgl. Mau, Religionsphilosophie 15f; Smith, Gods 149. Vgl. Julian. or. 11 (4), 138c/139a (111 f Lacombrade). Mit den sichtbaren Göttern meint Julian die Gestirne, vgl. Mau, Religionsphilosophie 41. Vgl. Julian. or. 11 (4), 139b/d (112 f Lacombrade). Vgl. Julian. or. 11 (4), 140a/d (113 f Lacombrade); vgl. Wright, Works 1, 381 Anm. 1. Vgl. Julian. or. 11 (4), 141b. 141d/142a (114/116 Lacombrade); zu diesen Engelwesen vgl. auch ebd. 141b/c (115 Lacombrade); ep. ad Ath. 275b (221 Bidez).
68
3. Julians Theologie
3.2.3 Der zweite Teil des Hymnos: Helios’ Kräfte und Fähigkeiten Einleitend bemerkt Julian, das sich alles, was er zu Helios’ Wesen ausgeführt habe, auch auf dessen Kräfte und Fähigkeiten übertragen lasse, denn »alles, was er will, ist er, vermag er und führt er aus.« 92 Zuerst beschreibt er die Fähigkeit des Helios, die »oŒs–a noerà«, das intellektuale Wesen, in sich zu vereinigen: So seien die jeo» noero–, wie z. B. Zeus, Apollo, Dionysus, alle eins mit Helios. 93 Dadurch vereine er alle einzelnen Kräfte der Götter: Er habe in sich die Schöpfungskraft des Zeus, »to‹ Di‰c dhmiourgikò d‘namic« 94, und mit ihm zusammen eine einzigartige Vorrangstellung (»tòn dunaste–an ka» m–an Õpàrqousan« 95) inne; die Vollkommenheit, Zielstrebigkeit und Einzigartigkeit seiner Gedanken sei eingebunden in die Unveränderlichkeit und Unvergänglichkeit, die er mit Apollo teile, während ihm der trennende Aspekt seiner Schöpfungskraft (»tòn meristòn dhmiourg–an« 96) mit Dionysus gemein sei. Des Weiteren zeige er sich in der Schönheit seiner geistigen Synthese als Herr der Musen und habe seine Fähigkeit, die Ausgewogenheit von allem Leben herzustellen, mit Asklepius gemein. 97 Kurzum, Helios habe so viele Tugenden, dass man sie gar nicht alle aufzählen könne. 98 Nun beschreibt Julian die prokosmischen Kräfte des Helios, denen in der Welt der Sinneswahrnehmung die verschiedensten Segnungen entsprächen: Als Emanation des Einen und Guten habe Helios teil an dessen vollkommenem Gutsein und gebe dies weiter an die jeo» noero–, die so eine gütige und vollkommene Natur erhielten. Des Weiteren leite er die Schönheit der noetischen Götter an die jeo» noero– und die immateriellen Formen weiter und lenke die Erschaffung der Schönheit im kÏsmoc a sjhtÏc. 99 Ebenfalls schenke er den jeo» noero– die Fähigkeit zu denken und durch Denken erkannt und verstanden zu werden, während er analog als sichtbare Sonne durch sein Licht den Menschen das Sehen ermögliche. 100 Auch schenke er einer Elite von Wesen, wie z. B. Engeln, Dämonen, Heroen, eine körperunabhängige Existenz in Form von Ideen. 101 Im Anschluss wendet sich Julian den sichtbaren schöpferischen Kräften des Helios zu, durch die dieser immer schon eine Quelle der Wohltaten für die sichtbare Welt gewesen sei. 102 Die Welt sei ewig; Helios habe alles durch seinen göttlichen Willen aus der Ewigkeit erschaffen und als eigenen Standpunkt die Mitte angenommen, um von dort aus alle Welten gerecht mit seinen Segnungen beschenken zu können. 103 Julian beschreibt im Folgenden den jährlichen Weg der Sonne im All, und geht allgemein auf die sichtbaren Götter (die Planeten) ein, die von Helios ausgingen, in ihm 92 Julian. or. 11 (4), 142d (116 Lacombrade): »pànta 93 Vgl. Julian. or. 11 (4), 143c/d (118 Lacombrade).
gÄr âper bo‘letai, ta‹ta Ísti ka» d‘natai ka» ‚nergeÿ«.
94 Julian. or. 11 (4), 143d (118 Lacombrade). 95 Julian. or. 11 (4), 144d (119 Lacombrade). 96 Julian. or. 11 (4), 144a (118 Lacombrade). 97 Vgl. Julian. or. 11 (4), 143d/144c (118 f Lacombrade). 98 Vgl. Julian. or. 11 (4), 144b (119 Lacombrade). 99 Vgl. Julian. or. 11 (4), 144d/145a (119 f Lacombrade). 100 Vgl. Julian. or. 11 (4), 145b/c (120 Lacombrade). 101 Vgl. Julian. or. 11 (4), 145c (120 Lacombrade); vgl. Mau, Religionsphilosophie 68/76. 102 Vgl. Julian. or. 11 (4), 145d/146a (121 Lacombrade). Julian unterscheidet in seiner Beschreibung der Kräfte
des Helios in der sichtbaren Welt zwischen dem supralunaren Raum der Planeten und Fixsterne (ebd. 145d/ 150d [121/128 Lacombrade]) und dem sublunaren Bereich, der Erde (ebd. 150d/152a [128/130 Lacombrade]); vgl. Lacombrade, Discours 121 Anm. 1. 103 Vgl. Julian. or. 11 (4), 146b/c (121 f Lacombrade).
3.2 Heliozentrische Theologie: Julians Hymnos an König Helios (Or. 11 [4])
69
vereint seien und ihn in seinem Wirken unterstützten. 104 So sei z. B. Athene-Pronoia Helios’ Intelligenz in vollendeter und reiner Form, weshalb sie die Götter zusammen und in Einheit mit Helios halten könne. 105 Der Menschheit habe sie Weisheit, Intelligenz und Kunstfertigkeit verliehen sowie durch ihren Rat politische Gemeinschaften und Staaten ermöglicht. 106 Aphrodite wiederum sei eine Synthese der himmlischen Götter und füge den einigenden Geist der Liebe zu deren Eintracht hinzu; als Planet Venus stehe sie Helios sehr nahe. Sie spende der Erde Fruchtbarkeit und trage so zur lebenspendenden Kraft des Helios bei. 107 Nach dieser auf Jamblich gestützten Erörterung des supralunaren Raumes wendet Julian sich dem sublunaren Raum zu, räumt aber schon zu Beginn ein, eine erschöpfende Aufzählung aller Segnungen des Helios sei unmöglich. 108 Ebenso wie Helios die Herrschaft über die jeo» noero– inne habe und sie zu einer Einheit vereinige, sei er auch Herr der sichtbaren Götter (der Planeten): Er vollende sie wie auch ihre Werke. Er setze den Kreislauf der Natur in Bewegung und entzünde das Leben in ihr, er erschaffe Wind, Regen und Wolken, schenke Fruchtbarkeit und Wärme. 109 3.2.4 Der dritte Teil des Hymnos: Helios’ Wohltaten Hier beginnt der dritte und kürzeste Teil der Rede, der sich mit den Wohltaten beschäftigt, die Helios den Welten und vor allem der Menschheit auf vielerlei Weise zuteil werden lasse. Er erschaffe die Menschen, erhalte sie und erlöse sie, indem er sie nach dem Tod mit seinen Strahlen beim Aufstieg zu den Göttern unterstütze. 110 Des Weiteren hätten Forscher durch die Beobachtung des Himmels und besonders der Bahn der Sonne die Lehre von den Zahlen entwickelt und seien zu vielen anderen nützlichen Erkenntnissen angeregt worden. 111 Apollo, Helios’ sumbasile‘wn (Mitherrscher), habe auf der ganzen Welt Orakel eingesetzt und den Menschen göttliche Weisheit und den Städten religiöse wie politische Ordnung gegeben; er habe die Welt durch griechische Kolonien zivilisiert. 112 Schließlich habe Helios Asklepius als Retter der ganzen Welt gezeugt, 113 und so Vorsorge für Gesundheit und Sicherheit aller Menschen getragen; zudem habe er den Menschen Athene und Aphrodite gesandt und ihnen so jegliche hervorragende Eigenschaft geschenkt. Es gebe nichts, das die Menschen nicht Helios verdankten 114 – 104 Vgl. Julian. or. 11 (4), 146d/149a (122/125 Lacombrade). 105 Vgl. Julian. or. 11 (4), 149d/150a (126 f Lacombrade). 106 Vgl. Julian. or. 11 (4), 149b/150a (125/127 Lacombrade). 107 Vgl. Julian. or. 11 (4), 150b/c (127 Lacombrade). 108 Vgl. Julian. or. 11 (4), 150c/d (127 f Lacombrade). 109 Vgl. Julian. or. 11 (4), 151a/152a (128/130 Lacombrade). 110 Vgl. Julian. or. 11 (4), 152a/b (130 Lacombrade); vgl. Mau, Religionsphilosophie 86. 111 Vgl. Julian. or. 11 (4), 152b/c (130 f Lacombrade). 112 Vgl. Julian. or. 11 (4), 152d (131 Lacombrade). Für Julian war Zivilisation gleichbedeutend mit griechischer
Kultur. Deswegen betont er hier, dass die Römer auch von griechischer Rasse (»gËnoc aŒt‰n t‰ metÄ to‹to ka» monòn par> aŒtƒ, màlista m‡n Ç–dion, e d‡ to‹to meÿzon e“h t¿n ‚mo» bebiwmËnwn, pollÄc pànu ka» murieteÿc periÏdouc« (». . . ein gutes Leben, einen vollkommenen Sinn und einen göttlichen Geist schenken, mir das vom Schicksal bestimmte Scheiden vom Leben zur rechten Zeit möglichst sanft gestalten und mir danach gestatten, zu ihm empor zu eilen und bei ihm zu bleiben, und zwar womöglich für immer; sollte jedoch dies im Vergleich zu meinen Verdiensten im Leben ein zu weit gehender Wunsch sein, doch wenigstens recht viele und vieljährige Perioden lang«; Übersetzung nach Asmus, Werke 168). Vgl. Wright, Works 1, 349 f. Athanassiadi, Julian 150, bemerkt, Julian sei in dieser Beziehung ein Kind seiner Zeit: Damals wurde die Möglichkeit, Heil zu erlangen, mit einem vermittelnden Logos verbunden, sei es Christus, Mithras, Attis oder Asklepius, direkte Kommunikation mit oder eine Beziehung zu dem Einen war, wie oben erwähnt (vgl. Kapitel 3.1.1), nicht mehr vorstellbar. Vgl. Wright, Works 1, 350. In der Forschung ist umstritten, ob Julians Helios mit Mithras gleichzusetzen ist, so z. B. Athanassiadi, Julian 38 f, oder ob Julian in sein Bild lediglich mithräische Züge einfließen ließ, so z. B. Lippold, Iulianus 472; Gordon, Mithras 995.
3.3 Die Rede an die Göttermutter (Or. 8 [5])
71
Julian im Verlauf der Rede und besonders gegen Ende immer mehr eingeladen, Helios als das Prinzip und Ziel allen Daseins zu loben. 122 Am Ende seiner Rede fasste Julian in einem abschließenden Lob auf Helios die Hauptgedanken seines paganen »Credos« zusammen: Helios sei vor aller Zeit aus dem Einen hervorgegangen, er sei Herrscher der jeo» noero– und beschenke sie mit Schönheit, Fruchtbarkeit, Intelligenz, kurz, allen zeitlosen Gütern. Er sei Vermittler zwischen den Welten und beschenke die sichtbare Welt mit dem Leben ermöglichenden Licht, bevölkere den Himmel mit Gottheiten und ordne deren Bahnen, er lasse sie soweit als möglich teilhaben an den Segnungen des kÏsmoc nohtÏc und des kÏsmoc noerÏc, er wache über die Menschheit und beschenke sie mit Wohltaten. 123 Wie Lacombrade es treffend zusammenfasst: »Hélios médiateur, démiurge et roi omnipotent de toutes les forces surnaturelles (. . . ) représente, au regard de Julien, la plus haute forme de divinité qu’il soit donné à l’intelligence de concevoir.« 124 3.3 Die Rede an die Göttermutter (Or. 8 [5]) 3.3.1 Vorbemerkung Seine Rede an die Große Göttermutter verfasste Julian vermutlich anlässlich des Beginns der Feierlichkeiten des Kybele und Attis Festes Ende März 362. 125 Sie beschäftigt sich mit dem Kult der Göttermutter (in den Julian eingeweiht war 126), mit dem Kultmythos, den Feierlichkeiten, den Anfängen des Kultes in Rom etc. Ähnlich wie der Hymnos auf König Helios soll auch dieser innerhalb kürzester Zeit entstanden sein, in nur einer Nacht. 127 Der Kult der phrygischen Kybele (Mater Magna) war der erste orientalische Kult, den die Römer übernahmen, 128 und so widmete Julian einen Teil seiner Rede einer Beschreibung ihres Einzugs in Rom. Sein Hauptaugenmerk als Neuplatoniker lag jedoch auf dem Versuch, einen beliebten Kult an seine Philosophie anzupassen sowie den Mysterien eine philosophische Interpretation zu geben – und zwar im Hinblick auf seine Drei-Welten-Theorie (vgl. Kapitel 3.2). 129 Für ihn war Kybele ein Prinzip des kÏsmoc nohtÏc, sie war Quelle der jeo» noero–; Attis war ein Prinzip des kÏsmoc noerÏc, er stieg zur sichtbaren Welt hinab, um ihr Ordnung und Fruchtbarkeit zu geben. Kybele 122 Vgl. Julian. or. 11 (4), 152b (130 Lacombrade). 123 Vgl. Julian. or. 11 (4), 156c/157a (136 f Lacombrade). Lacombrade, Discours 92, sieht in der Stellung und den
124 125
126 127
128 129
Aufgaben des Helios, vor allem seiner Charakterisierung als Demiurg sowie seinem Beleben der sichtbaren Welt, Parallelen zum Hermetismus. Lacombrade, Discours 88. Vgl. Liban. or. 18, 157 (2, 304 Foerster); vgl. Rochefort, Discours 102, der neben den Angaben des Libanius geltend macht, es sei nur logisch, dass diese Rede als »l’etablissement du dogme« der Wiederbesetzung des Amtes der Hohenpriesterin dieses Kultes vorangehe (Letzteres verfügte Julian nach seinem Besuch in Pessinus im Sommer 362 in ep. 81, 388d [91 Bidez]). Wright, Works 1, 441, dagegen datiert Oratio 8 (5) erst in die Sommermonate des Jahres 362, als Julian »on his way to Persia« (gemeint ist vermutlich auf dem Weg von Konstantinopel nach Antiochia, da er erst 363 in den Krieg gegen die Perser zog) das Heiligtum der Großen Mutter in Pessinus besuchte. Vgl. Julian. or. 8 (5), 158d. 173a (103. 122 Rochefort); vgl. Rochefort, Discours 100. Vgl. Julian. or. 8 (5), 178d (129 Rochefort). Dies könnte ein Topos sein, mit dem Julian etwaige gedankliche Schwächen oder fehlende Systematik und Homogenität entschuldigen, andererseits aber auch sein Wissen vorteilhaft zur Schau stellen wollte; vgl. Lippold, Iulianus 472; Criscuolo, Religione 369. Im Jahr 204 v. Chr., vgl. Rochefort, Discours 103 Anm. 1. Vgl. Wright, Works 1, 439.
72
3. Julians Theologie
versuchte, Attis von diesem Kontakt mit der Materie abzuhalten; hier zeigt sich die neuplatonische Abneigung gegenüber der Materie. Attis’ Rückruf durch Kybele symbolisiert den Triumph der Einheit über Vielheit, des Geistigen über Materielles, und seine Rückkehr zu ihr das Entkommen der Seelen aus der Welt. 130 In seinem Versuch, Mythen allegorisch zu deuten, folgte Julian Plotin: Das Paradoxe in Mythen sollte den Gebildeten anregen, sich auf die Suche nach der in ihnen versteckten Wahrheit zu begeben. 131 Oratio 8 (5) und 11 (4) gehören eng zusammen, da Julian in beiden seine Theologie darlegt; sie ergänzen sich gegenseitig. 3.3.2 Die Rede an die Göttermutter 132 Julian beginnt mit einem kurzen Überblick über die Geschichte des Kultes der Göttermutter und beschreibt die Überführung ihres Kultbildes nach Rom, damit sie die Römer im Krieg gegen die Karthager unterstützte; dabei betont er ihre Bedeutung für die Stadt und unterstreicht die göttlichen Kräfte der aus Phrygien stammenden Statue. 133 Von Attis schreibt Julian, dass dieser die Substanz des fruchtbaren und kreativen Verstandes sei, der alle Dinge hervorbringe und in sich alle Ursachen der materiellen Formen enthalte. Aufgrund des Überflusses seiner Schöpfungskraft steige er sogar in die Welt der Menschen, die niedrigste der drei Welten, hinab; Julian identifiziert ihn mit den Strahlen des Helios. 134 Er betont, dass Attis von Helios unterschieden werden müsse: »Und wir glauben, dass Attis bzw. Gallus ein Schöpfergott ist.« 135 Julian bemüht sich im Folgenden um eine philosophische Erklärung des KybeleAttis-Mythos. Der Mythos selbst ist schnell erzählt: Attis, der Geliebte der Göttermutter, wird ihr untreu und heiratet eine Nymphe. Er wird jedoch vom Löwen der Mutter entdeckt und entmannt sich daraufhin aus Reue; schließlich ruft die Mutter ihn an ihre Seite zurück. Julian deutet den Mythos folgendermaßen: Attis sei einer der jeo» noero–. Die Göttermutter habe ihm große Freiheit gegeben, und so sei er bis zu den entferntesten Enden des Alls getanzt. Dort habe er sich mit der Nymphe vereinigt, die Julian als das feuchte Prinzip der Materie (»t‰ d–ugron a nittÏmenoc t®c ’lhc« 136), als
130 Vgl. Wright, Works 1, 440. 131 Vgl. Wright, Works 1, 440. Dadurch schuf Julian eine »Zweiklassenreligionsgemeinschaft«: Die volle Wahr-
132 133
134 135 136
heit konnte sich nur den in die Theurgie Eingeweihten erschließen, die Masse des Volkes war von dieser Stufe der Gotteserkenntnis ausgeschlossen. Die gewöhnlichen Gläubigen mussten sich mit der irrationalen Belehrung durch die Symbole der heiligen Handlung zufrieden geben, während die Gebildeten die im Mythos verborgene Wahrheit über die Götter und das Universum mittels allegorischer Deutung und Theurgie entdecken konnten. Dies musste jedoch kein Nachteil sein, da jeder gemäß seiner intellektuellen Fähigkeit am Kult partizipieren konnte und keiner über- oder unterfordert wurde. – Ausführlich zu Julians Verständnis von Mythen vgl. or. 7, 206a. 217b/d (45. 60f Rochefort). Vgl. Näsström, Mother 45/101, und Bogner, Rede 258/297, für einen detaillierten Kommentar zu dieser Rede. Vgl. Julian. or. 8 (5), 159a/161b (103/106 Rochefort). Julian berichtet, wie die Statue ihr Schiff bei der Einfahrt in den Hafen von Ostia habe still stehen und erst auf Anrufung der Priesterin hin weiterfahren lassen. Bei der Statue selbst handelte es sich wohl um einen schwarzen Meteoriten (vgl. Wright, Works 1, 445 Anm. 4), so dass Julian sagen kann, sie sei nicht das Werk menschlicher Hände, sondern wahrhaft göttlich (vgl. or. 8 [5], 161a [105 f Rochefort]). Vgl. Julian. or. 8 (5), 161c/162a. 175a/b (106f. 124 Rochefort). Julian. or. 8 (5), 165a (111 Rochefort): »ka» je‰n gÏnimon óAttin e⁄nai ka» Gàllon pepiste‘kamen«. Julian. or. 8 (5), 165c (111 Rochefort).
3.3 Die Rede an die Göttermutter (Or. 8 [5])
73
die Ursache, die der Materie vorangehe und über sie gesetzt sei, interpretiert. 137 Die Göttermutter charakterisiert Julian als zu den jeo» nohto– gehörig, sie sei die Quelle bzw. Mutter der jeo» noero–, die wiederum die sichtbaren Götter leiteten. Als Mutter und Gemahlin des Zeus erschaffe sie mit dessen Hilfe alle Dinge; sie beherrsche alles Leben und jegliche Ursache von Entstehung, sie vervollkommne alles. 138 Sie sei die »parjËnoc Çm†twr« 139; ihre Entsprechung unter den jeo» noero– sei Athene-Pronoia, 140 da beide in ihrer Welt die Voraussicht seien. Die Große Mutter habe Attis gemahnt, ihr zu dienen, nur sie zu lieben, jegliche Zuneigung zur Materie zu vermeiden und sich nicht von der Erschaffung verführen zu lassen. So hätte Attis der Schöpfer par excellence sein können, denn, wie der Mythos die Menschen lehren wolle, bewirke die Zuwendung zum Besseren mehr als die Zuneigung zum Schlechteren. 141 Doch Attis habe ihr nicht gehorcht, sondern sei hinabgestiegen bis in die niedrigsten Bereiche, wo er begonnen habe, in maßlosem Drang zu schaffen und zu erzeugen. Helios, der den Thron der Mutter teile und mit ihr zusammen alle Dinge schaffe, habe den Löwen 142 ausgesandt, Attis zu finden. Aufgrund seines Berichtes habe die Göttermutter Attis’ endlosen Abstieg beendet und der unbegrenzten und chaotischen Fülle seines Schaffens Maß und Ziel gesetzt. Dies geschah durch seine Kastration, 143 die im übertragenen Sinn das Eindämmen des Unbegrenzten bedeute und durch die Attis sich vom maßlosen Zeuger zum Ordner des Geschaffenen wandelte. 144 Julian ist überzeugt, dass sich genau so auch die Seelen der Menschen mit Hilfe der Göttermutter von aller Materie befreien und zu den Göttern gelangen können. 145 So sind der Abstieg des Attis, seine Kastration und sein anschließender Wiederaufstieg für Julian kein einmaliges, sondern ein sich immer wiederholendes Geschehen mit Vorbildcharakter: Die Menschen sollten Attis nachahmen. 146 Im Anschluss an die Deutung des zugrunde liegenden Mythos wendet Julian sich der Schilderung der Festlichkeiten am Fest von Kybele und Attis zu. 147 Am ersten Tag, der Frühlings-Tag-und-Nachtgleiche, werde der Baum des Attis, die heilige Pinie, gefällt. Julian erklärt die Symbolik folgendermaßen: Ein Baum wachse zwar aus der 137 Vgl. Julian. or. 8 (5), 165c/d (111 f Rochefort). 138 Vgl. Julian. or. 8 (5), 166a (112 Rochefort); vgl. Opsomer, Schöpfungslehre 148/156 zur Konsistenz von
Julians Demiurgielehre. 139 Julian. or. 8 (5), 166a (112 Rochefort): »Jungfrau ohne Mutter«; zu diesem Terminus vgl. Näsström, Mother
140 141 142
143 144 145
146 147
49 f, die festhält, der Ausdruck »Jungfrau« beziehe sich bei Göttinnen darauf, dass sie keinen dominanten Ehemann hätten und dadurch relativ frei seien; »ohne Mutter« deutet sie im Sinne von »ursprungslos« bzw. »aus sich selbst heraus entstanden«. Vgl. Näsström, Mother 50/52, dazu, dass Julian in anderen Werken Athene mit einigen Eigenschaften der Göttermutter ausstatte. Vgl. Julian. or. 8 (5), 166c/167a (113 Rochefort). Mit dem Besseren ist im Mythos die Göttermutter gemeint (im übertragenen Sinn die Götter allgemein), die Materie steht als das Schlechtere für die Welt. Der Löwe, der mit König Helios assoziiert wird, repräsentiert die aufsteigende Kraft des Feuers. Indem er der Zeugung durch Attis Einhalt gebietet, verhindert er den fortgesetzten Fall des Intelligiblen in die Materie; vgl. Rochefort, Discours 114 Anm. 2. Diese Entmannung (bzw. Entmachtung) des Attis sei geschehen, da er durch seine Entfernung von der Mutter unter die Herrschaft der e…marmËnh, des Schicksals, geraten sei; vgl. Bogner, Rede 282. Vgl. Julian. or. 8 (5), 167b/d (113 f Rochefort). Vgl. Julian. or. 8 (5), 168b/c (115 Rochefort); vgl. Wright, Works 1, 440. Athanassiadi, Julian 145, merkt an, diese Lehre vom Ab- und Wiederaufstieg der Seele, die der Mythos nach Julians Deutung erzähle, sei ein fundamentaler Grundsatz der Chaldäischen Orakel und der Theurgie Jamblichs. Vgl. Bogner, Rede 288; Lippold, Iulianus 470; Raeder, Philosoph 212f. Für eine ausführliche Schilderung mit Kommentar vgl. Näsström, Mother 81/87.
74
3. Julians Theologie
Erde, doch strebe er nach oben zum Himmel hin, er sei schön anzusehen, spende Schatten, schenke Früchte und sei so ein Beispiel von Lebenskraft im Überfluss. Sein Fällen solle die Menschen lehren, das Schönste und Beste der Göttin darzubringen. So ermögliche das Ritual den Menschen, die ihrer Natur nach zum Himmel gehörten, aber auf die Erde gefallen seien, gleichsam die Ernte ihrer Verfassung auf Erden einzuholen, vor allem Tugend und Frömmigkeit, und nach oben zur Göttin zu streben. 148 Im Anschluss an das Fällen des Baumes würden die Trompeten geblasen, sie symbolisierten den Rückruf des Attis durch Kybele und seien so gleichzeitig ein Anruf an die Gläubigen. Durch dieses Ritual lade Attis die Menschen ein, ihn nachzuahmen, das Unbegrenzte in sich auszureißen und zurückzueilen zum Begrenzten und Einheitlichen, zur Göttermutter. 149 Dann schlössen sich die Hilaria an, fröhliche Festlichkeiten – denn, wie Julian es ausdrückt, was könnte freudenreicher sein, als eine Seele, die der Welt entkommen und zu den Göttern erhoben worden sei. 150 Julian verwahrt sich dagegen, die Mythen so auszulegen, als könnten die Götter Fehler machen oder nicht um die Folgen ihrer Taten wissen. 151 Er legt vielmehr dar, dass die Vorfahren die nach mühevoller Suche erkannte Wahrheit in paradoxe Mythen gekleidet hätten, um so ihre Nachkommen dazu zu inspirieren, sich auf die Suche nach der Wahrheit zu begeben. Dies sei vor allem den Gebildeten möglich, die unter der Führung der Götter diese versteckte Wahrheit suchten, entdeckten und verstünden. Einfache Menschen könnten, auch ohne die tiefere Wahrheit eines Mythos zu verstehen, dennoch viel Gutes aus ihm ziehen; die Weisen aber sollten nicht über die scheinbaren Paradoxa lachen, sondern nach der tieferen, allegorischen Wahrheit suchen. 152 Nach einem kurzen Exkurs über die Verwandtschaft zwischen den Mysterien von Kybele und Attis und den Eleusinischen Mysterien, 153 mit dem Julian die grundsätzliche Einheit der paganen Kulte demonstrieren will, 154 wendet er sich dem heiligen Ritual selbst sowie der vorausgehenden Reinigung zu – soweit er davon sprechen darf. Zunächst bekundet er seine Dankbarkeit gegenüber der Großen Mutter, die ihn nie verlassen habe, auch nicht, als er noch in der Dunkelheit gewandert sei. Sie habe ihn gelehrt, nicht Teile seines Körpers abzuschneiden, sondern allen eitlen und überflüssigen Neigungen und Bewegungen der Seele (wie z. B. Ruhm- oder Genusssucht) zu entsagen. 155 Julian betont, Ziel des Reinigungsritus sei der Aufstieg der Seelen zu Gott. Auf diesem Hintergrund erläutert er die Essvorschriften, die vielen Außenstehenden als lächerlich und unlogisch erschienen. 156 Sie ließen sich laut Julian jedoch leicht durch das Prinzip erklären, dass man, wenn man aufsteigen wolle, nur solche Nahrung zu 148 Vgl. Julian. or. 8 (5), 168c/169b (115 f Rochefort). 149 Vgl. Julian. or. 8 (5), 169c (117 Rochefort). 150 Vgl. Julian. or. 8 (5), 169d (117 Rochefort). 151 Vgl. Julian. or. 8 (5), 170a (117 Rochefort); er führt als Beispiel an, dass der Abstieg des Attis in die Welt der
Menschen nicht gegen den Willen der Großen Mutter geschehen sei. 152 Vgl. Julian. or. 8 (5), 170a/b (117 f Rochefort). So behält Julian implizit die wahre Gotteserkenntnis den
Weisen und Gebildeten vor, die einfachen Menschen müssen sich mit den Mythen begnügen. 153 Vgl. Julian. or. 8 (5), 173a/d (121 f Rochefort); er nennt hier vor allem den einheitlichen Termin der Haupt-
feiern (Tag-und-Nachtgleiche) sowie das auf die Keuschheit der Beteiligten gelegte Gewicht. 154 Vgl. Athanassiadi, Julian 146 f. 155 Vgl. Julian. or. 8 (5), 174c (123 Rochefort); die Erwähnung der Dunkelheit ist eine Anspielung auf Julians
Zeit als Christ. 156 Vgl. Julian. or. 8 (5), 174a/b (122 f Rochefort); zu Essvorschriften in Religionen allgemein und besonders in
Mysterienkulten vgl. Näsström, Mother 73/76, zu den von Julian erwähnten vgl. ebd. 89/101.
3.3 Die Rede an die Göttermutter (Or. 8 [5])
75
sich nehmen dürfe, die ebenfalls nach oben strebe, damit diese schon allein vom Ansehen das Auge nach oben ziehe. 157 Solche Speiseregeln seien leicht einzuhalten, da das Hauptaugenmerk eines jeden auf dem Heil der Seele und nicht dem Wohlbefinden des Körpers liegen solle. Wenn die Seele sich vollkommen auf die Götter verlasse und an den heiligen Riten teilnehme, so werde das göttliche Licht sie erleuchten. 158 Ebenso wie Oratio 11 (4) beschließt Julian auch diesen Hymnos mit einem Gebet. Er bittet die Göttermutter, allen Menschen das Glück zu schenken, um die Götter zu wissen, und vertraut ihr das römische Volk an – er hofft besonders auf ihre Hilfe bei dem Versuch, die Römer vom Makel des Unglaubens, dem Christentum, zu reinigen. Für sich selbst erbittet er, das wahre Wissen über die Lehren über die Götter zu erlangen und vollkommen in der Theurgie zu werden; ferner hofft er, mit ihrer Unterstützung in seinen Unternehmungen erfolgreich zu sein und tugendhaft zu leben. Schließlich bittet er darum, nach seinem Tod zu den Göttern zu gelangen. 159 3.3.3 Zusammenfassung Julian will mit dieser Rede die Mythen »als die vornehmste Quelle des wiederzuerweckenden hellenistischen Glaubens durch ihre allegorisierende philosophisch-moralische Durchdringung und das Weginterpretieren aller anstößigen Einzelheiten« 160 gegen Angriffe von Christen und Heiden verteidigen. In den Anrufungen am Schluss der Rede fasst er seine Aussagen über die Göttermutter noch einmal zusammen: Sie sei Gefährtin des Zeus, die Quelle der jeo» noero–, gehöre jedoch selbst zu den jeo» nohto–. Ähnlich, wie sie für die jeo» noero– sorge, sei sie auch diejenige, die die Seelen der Menschen erschaffe, so Leben schenke und den Menschen Ratgeberin sei. 161 Die Rede ist gleichzeitig eine gleichsam dogmatische Aussage über die Hierarchie der göttlichen Mächte und die Möglichkeit der Menschen, mit ihnen in Verbindung zu treten, wie auch eine allegorische Auslegung des Kybele-und-Attis-Mythos. 162 Auch in dieser Rede wird die Dreigliederung des Alls in kÏsmoc nohtÏc, kÏsmoc noerÏc und kÏsmoc a sjhtÏc erkennbar, wenn sie auch nicht so explizit erläutert wird wie in Oratio 11 (4). Helios, in Oratio 11 (4) Adressat und Hauptthema, tritt hier kaum in Erscheinung; er wird erwähnt als der Große Helios, der den Thron der Göttermutter teile und über den kÏsmoc nohtÏc herrsche; Attis wird mit seinen Strahlen identifiziert. 163 Seine in Oratio 11 (4) beschriebene Rolle des König Helios, der über die jeo» 157 Vgl. Julian. or. 8 (5), 175b/177c (125/127 Rochefort); erlaubt seien z. B. solche Gemüse und Früchte, die
158 159 160 161
162 163
über der Erde (aber nicht direkt am Boden) wachsen sowie das Fleisch von Vögeln und allen vierfüßigen Tieren außer dem Schwein. Vgl. Julian. or. 8 (5), 178a/b (127 f Rochefort). Vgl. Julian. or. 8 (5), 180a/c (130 f Rochefort). Asmus, Werke 178; zur Bedeutung der Mythen bei Julian vgl. z. B. Moreschini, Aspetti 157/159. Vgl. Julian. or. 8 (5), 179d/180a (130 Rochefort). Lippold, Iulianos 470, denkt über die Möglichkeit nach, in der jungfräulichen Göttermutter eine Gegengestalt zur christlichen Muttergottes, zu Maria, zu sehen; vgl. dazu auch Criscuolo, Religione 372; Bogner, Rede 274; de Labriolle, Polémique 300. Ähnlich gibt es auch Vermutungen, die in der Gestalt des Herakles oder des Asklepius Anklänge an den gnostischen Jesus sehen, der die Kleidung des Fleisches trug und unter den Menschen lebte, vgl. Julian. or. 8 (5), 167a (113 Rochefort); vgl. Bogner, Rede 283; Conti, Eroe 122/124; Criscuolo, Religione 372; de Labriolle, Polémique 300; Raeder, Philosoph 210 f. Vgl. Rochefort, Discours 99. Vgl. Julian. or. 8 (5), 161c/162a. 167b. 175a/b (106f. 114. 124 Rochefort).
76
3. Julians Theologie
noero– herrsche und gleichzeitig das Zentrum und vermittelnde Element aller drei Welten sei, 164 scheint in Oratio 8 (5) wenigstens teilweise von der Göttermutter ausgeübt zu werden. Beide Reden enden mit einem Gebet Julians an den jeweiligen Adressaten; diese Gebete gleichen sich auffallend und zeigen so, was Julian besonders wichtig war: ein tugendhaftes Leben, die Unterstützung der Götter bei seinen Vorhaben sowie nach dem Tod ein Leben bei und mit ihnen. 165 3.4 Weiteres 3.4.1 Zur Philosophie allgemein: Or. 9 (6) Diese Rede wurde vermutlich verfasst, bevor Julian Konstantinopel verließ, wohl im Juni 362. 166 Sie ist eine Auseinandersetzung Julians mit den Kynikern seiner Zeit, die seiner Meinung nach ein schlechtes Licht auf die Philosophie warfen: Er tadelte sie dafür, dass sie, die nur die äußere Erscheinung eines Kynikers hätten, z. T. dieselbe Heuchelei und Gier wie einige christliche Wandermönche zeigten, und nur die Schamlosigkeit der großen Kyniker nachahmten, nicht aber ihre Disziplin oder Selbstgenügsamkeit. 167 Diese Rede ist jedoch nicht nur ein Tadel der Kyniker, sondern gleichzeitig eine Lobrede auf die Philosophie: Indem Julian versucht, die Kyniker an die Tugenden ihrer großen Vorgänger zu erinnern, legt er gleichzeitig sein Konzept der Philosophie dar. Julian beginnt seine Rede mit allgemeinen Ausführungen und erläutert, es gebe mehrere Arten, die Philosophie zu verstehen: als Kunst der Künste oder Wissenschaft der Wissenschaften, als Versuch, wie Gott zu sein, oder als Aufforderung des Delphischen Orakels »Gn¿ji sautÏn« (»Erkenne dich selbst«). 168 Er betont die Einheit der Philosophie trotz der unterschiedlichen Ansätze, »denn wie die Wahrheit eins ist, so ist auch die Philosophie eins.« 169 Was sich unterscheide, seien lediglich die Wege, auf denen die verschiedenen Philosophenschulen zur Wahrheit gelangten; in ihrem Ziel stimmten alle überein. 170 In Bezug auf die nun folgenden Ausführungen zur kynischen Philosophie sind nur diejenigen im Kontext unserer Fragestellung relevant, die einen Einblick in Julians persönliche Empfindungen gewähren. So ruft Julian den Kynikern seiner Zeit die beiden Hauptregeln des Kynismus in Erinnerung: »Erkenne dich selbst« und »Fälsche das Geld (scil. bewerte die überlieferten Werte neu)« 171 – beide Maximen unterstreichen seiner Meinung nach, wie wichtig es sei, keine traditionelle Autorität oder Konvention
164 Vgl. Julian. or. 11 (4), 148a (124 Lacombrade). 165 Vgl. Julian. or. 11 (4), 158b/c (138 Lacombrade); or. 8 (5), 180b/c (130f Rochefort). 166 Vgl. Julian. or. 9 (6), 181a (144 Rochefort); vgl. Rochefort, Discours 143; Wright, Works 2, 2. 167 Vgl. Julian. or. 9 (6), 188b. 190d (154. 157 Rochefort). Julian bewunderte die ersten Kyniker dafür, dass sie
nichts lehrten, was sie nicht auch lebten, vgl. Julian. or. 7, 214b (56 Rochefort). 168 Vgl. Julian. or. 9 (6), 183a. 183c/d (147f Rochefort). Julian erläutert vor allem die letzte Definition näher,
da man durch Selbsterkenntnis werden könne wie die Götter, vgl. Julian. or. 9 (6), 183a. 184a/c (147/149 Rochefort); or. 7, 225d (72 Rochefort); vgl. Huart, Julien 103. 108. 169 Julian. or. 9 (6), 184c (149 Rochefort): »ìWsper gÄr Çl†jeia m–a, o’tw d‡ ka» filosof–a«. 170 Vgl. Julian. or. 9 (6), 185a/186a (149 f Rochefort). 171 Julian. or. 9 (6), 188a (153 Rochefort): »Gn¿ji sautÏn« bzw. »Paraqàraxon t‰ nÏmisma«; vgl. auch Julian. or. 7, 211b/c (52 f Rochefort); vgl. Goulet-Cazé, Kynismus 632. 674.
3.4 Weiteres
77
zu akzeptieren, ohne sie selbst geprüft zu haben. 172 Ziel des Diogenes z. B. seien die Freiheit von Gefühlen und das Glück gewesen, im Einklang mit der Natur zu leben und nicht gemäß den Traditionen (scil. der Meinung der Mehrheit entsprechend). Hieran anknüpfend mahnt Julian, weder nach Glück außerhalb seiner selbst (Reichtum, Einfluss etc.) noch nach Erfüllung im rein physischen Bereich zu suchen. Denn das Glück finde man allein in der Seele bzw. im Geist, dem edelsten Teil der Menschen. 173 Solange ein Mensch von seinem Bauch beherrscht werde oder Sklave der Meinungen anderer sei, könne er nie wirklich frei sein. Deshalb sollten Handlungen nicht auf der Meinung anderer beruhen, sondern nur auf eigenem Urteil. 174 Auch müsse der wechselhafte und gefühlsbetonte Teil der Seele gezähmt und dem göttlichen Teil unterworfen werden. Hier wird deutlich, dass Julian den Körper als eine Art Gefängnis der Seele sah; er lebte asketisch, um kein Sklave von Lust und Appetit zu sein. 175 Julian kann entschuldigen, dass Diogenes nicht die Tempel besucht und dort geopfert habe, obwohl die Opfer in seiner eigenen Frömmigkeit eine große Rolle spielen. So erklärt er, dies sei kein Zeichen für mangelnde Frömmigkeit des Diogenes; dieser habe vielmehr, da er aufgrund seines Lebensstils nichts Opferbares besaß, die Götter mit seiner ganzen Seele verehrt und ihnen so das wertvollste seiner Besitztümer gegeben. 176 Julians Zusammenfassung von Diogenes’ Lehren am Ende seiner Rede zeigt, wie viel von seinem eigenen Programm und seinem eigenen Verständnis in diesen Versuch der Restauration des Kynismus einflossen. So benennt er als das Ziel des Menschen, so zu werden wie die Götter: zu einer Gleichmütigkeit zu gelangen, in der man in seinen Ansichten und seinem Tun unabhängig sowohl von anderen als auch den eigenen Bedürfnissen und Gefühlen sei. Um dies zu erreichen, solle man danach streben, alle Leidenschaften und Wünsche aus der Seele zu verbannen, alle Angelegenheiten dem Verstand anzuvertrauen und sich die Tugenden Freiheit, Selbstgenügsamkeit, Gerechtigkeit, Mäßigung, Frömmigkeit, Dankbarkeit und Vorsicht anzueignen. 177 3.4.2 Fürstenspiegel: Or. 3 (2) Julian verfasste diesen zweiten Panegyricus auf seinen Cousin, Kaiser Constantius II., während seiner Zeit als Cäsar in Gallien. Er ähnelt dem ersten, wurde aber wohl nie dem Geehrten überreicht. Wie in solchen Reden üblich, legt Julian ausführlich dar, wie ein Herrscher sich verhalten solle, weshalb diese Rede implizit Julians Idealbild eines Kaisers verdeutlicht und sein eigenes Regierungsprogramm vorstellt. 178
172 Vgl. Julian. or. 9 (6), 188b (154 Rochefort). 173 Vgl. Julian. or. 9 (6), 191b/194d (158/162 Rochefort); vgl. Julian. or. 7, 225d. 226c (72f Rochefort). In
174 175 176 177 178
dieselbe Richtung zielt Julian, wenn er die Philosophie (in Rückgriff auf Sokrates) eine Vorbereitung auf den Tod nennt, vgl. or. 9 (6), 190c (157 Rochefort). Vgl. Julian. or. 9 (6), 195c/196d (163 f Rochefort). Zu der Vorstellung, dass der Verstand bzw. Geist des Menschen gleichsam ein Gott in ihm sei, vgl. Julian. or. 3 (2), 68d/69a (140 Bidez). Vgl. Julian. or. 9 (6), 197a/198c (164/166 Rochefort). Vgl. Julian. or. 9 (6), 199b (167 f Rochefort). Dies erinnert an das Gebot Gottes im Alten Testament »Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer« (Hos. 6, 6; vgl. Ps. 50, 9/16; Mt. 9, 13; 12, 7). Vgl. Julian. or. 9 (6), 200c/202a (169/171 Rochefort). Vgl. Wright, Works 1, 131; vgl. Perkams, Neuplatonismus 105/125, zu der Frage, ob sich bei Julian ein politischer Neuplatonismus nachweisen lässt (nach detaillierter Beleuchtung aller Aspekte gelangt Perkams zu dem Ergebnis, dass dies nicht der Fall ist).
78
3. Julians Theologie
Wichtig war für Julian, dass der Herrscher gottesfürchtig sein und Gott (welchem genau lässt er vorsichtig offen) mit den angemessenen und überlieferten Ritualen dienen solle, wie ein Priester oder Prophet; Gottesfürchtigkeit und Frömmigkeit nehmen somit den ersten Rang unter den Herrschertugenden ein. 179 Platon paraphrasierend hält Julian fest, derjenige sei am besten für ein Leben als Herrscher gerüstet, der sich auf Gott (und nicht auf Menschen) verlasse. 180 Denn, so führt er weiter aus, die gottgegebene Einsicht (»no‹c«) und der gottgegebene Verstand (»frÏnhsic«) machten den Menschen aus: Diese seien wie ein »da–mwn« (scil. ein »Gott in uns«), auf dessen Führung man sich stets verlassen könne und dem man folgen solle. 181 So kann für Julian die Frage wahren Adels nicht durch die Geburt entschieden werden, sondern nur aufgrund der Seele: Einige Menschen seien Götter genannt worden, weil sie, ein Übermaß an Tugend besitzend, ihre Eltern in ihren Taten weit übertroffen hätten; in solchen Fällen nehme man an, Zeus sei ihr Vater. 182 Aus diesem Grund könnten auch weder Reichtum, noch Purpur oder anderen Insignien, weder Armee noch Akklamation des Volkes einen Menschen zum Kaiser machen. Entscheidend sei vielmehr dessen Tugendhaftigkeit (»Çret†«), denn erst sie erlaube es ihm, Kaiser nicht nur dem Titel nach, sondern in Wahrheit zu sein. 183 3.5 Zusammenfassung Julian war ein großer Bewunderer Jamblichs. Auch wenn er nicht mehr persönlich bei ihm studieren konnte, fühlte er sich doch durch das Studium seiner Schriften in die Philosophie eingeführt. 184 So verwendete Julian sowohl in Oratio 11 (4) als auch in Oratio 8 (5) Prinzipien, die der Lehre Jamblichs entsprechen, z. B. die nohtÏn/noerÏnGliederung, 185 die Lehre vom Demiurgen, 186 Ab- und Aufstieg der Seele, 187 ‚pistrof† unter Benutzung theurgischer Riten 188 sowie die im Sinne Jamblichs uminterpretierte chaldäische Lehre. 189 Erkennbar ist dies z. B. in Julians solarer Theologie, in seiner 179 Vgl. Julian. or. 3 (2), 68b/c (139 Bidez). 180 Vgl. Julian. or. 3 (2), 68c (140 Bidez). Er bezieht sich auf Plat. Menex. 247e, dort hatte Platon jedoch davon
181 182 183 184
185 186 187
188 189
gesprochen, man solle seine Glückseligkeit nur von sich selbst abhängig machen. Julian versucht die Äquivalenz beider Formulierungen nachzuweisen; vgl. Tanaseanu-Döbler, Konversion 115. Vgl. Julian. or. 3 (2), 68d/69a (140 Bidez); vgl. or. 3 (2), 70b/c (142 Bidez). Vgl. Julian. or. 3 (2), 82a/83a (156/158 Bidez); vgl. ep. 48, 305a (173 Bidez): Hier lässt Julian aufgrund dieser Erkenntnis Menschen jeden Ranges zum Priesteramt zu, solange sie nur Tugend besitzen. Vgl. Julian. or. 3 (2), 83c/d (158 Bidez). Das von Julian verwendete Wort (‚m‘hsen) hat eine schon fast religiöse Konnotation und erinnert an die Einweihung in Mysterienkulte: »t‰n QalkidËa fhm–, t‰n >Iàmbliqon, Ác ômêc tà te älla per» tòn filosof–an ka» dò ka» ta‹ta diÄ t¿n lÏgwn ‚m‘hsen« (or. 11 [4], 146a [121 Lacombrade]: »Ich meine den Chalkidier, den Jamblichos, der uns durch seine Werke sowohl in manche andere Gebiete der Philosophie, als auch in dieses eingeweiht hat«; Übersetzung nach Asmus, Werke 154); vgl. Julian. or. 11 (4), 150d. 157c/d (128. 137 Lacombrade). Vgl. Julian. or. 11 (4), 132d/133c (103 f Lacombrade) u. ö.; or. 8 (5), 165a/166b. 179d/180a (111f. 130 Rochefort) u. ö. Vgl. Julian. or. 11 (4), 132d/133c. 141b/c (103f. 114f Lacombrade); vgl. dazu Jambl. in Plat. Tim. 2 frg. 34 (136 Dillon); vgl. Opsomer, Schöpfungslehre 134/156. Vgl. Julian. or. 8 (5), 169d/170c. 175c (117f. 124f Rochefort); vgl. auch das Verständnis der Sonnenstrahlen als eine Art Vehikel der Seele bei Julian. or. 11 (4), 152b (130 Lacombrade) u. Jambl. in Plat. Tim. 4 frg. 84 (196/198 Dillon); vgl. Witt, Forerunner 43. Vgl. Julian. or. 8 (5), 178b (128 Rochefort). Vgl. Julian. or. 11 (4), 152b (130 Lacombrade) u. ö.; or. 8 (5), 172d. 175b/c (121. 124f Rochefort).
3.5 Zusammenfassung
79
Konzeption der solaren Trias (der über den kÏsmoc nohtÏc herrschende transzendente Helios, der das Zentrum des Bereichs der jeo» noero– bildende Helios und die sichtbare Sonne, Herr über die Welt der Sinneswahrnehmung) sowie der großen Bedeutung, die er Helios zuschreibt. 190 Wieviel genau Julian Jamblich verdankte, besonders in der Helios-Theologie in Oratio 11 (4) und der Einzeldeutung des Kybele-Attis-Mythos aus Oratio 8 (5), kann nicht im Einzelnen geklärt werden. 191 Julian selbst gab bereitwillig zu, kein eigenes philosophisch-theologisches System entwerfen zu wollen, sondern bei Jamblich (und anderen) Anleihen zu machen. Sein Schwerpunkt lag nicht so sehr auf metaphysischer Spekulation, als vielmehr auf der polytheistischen Religion und ihren Ritualen. 192 Dennoch greift es zu kurz, Julian lediglich als einfachen Denker zweiter Ordnung zu sehen und ihn, wie dies oft geschieht, als Schüler des Jamblich durch Maximus von Ephesus und bloßen Epigonen ohne eigene philosophische Originalität zu beurteilen. Denn obwohl Julian stark von Jamblich beeinflusst war, so wiederholte er doch nicht nur dessen Lehren, sondern brachte, vor allem in den Reden an Helios bzw. die Göttermutter, auch Eigenes ein. 193 Liest man Julians Reden in ihrer zeitlichen Abfolge, so lässt sich eine Entwicklung ablesen: Zunächst bemühte Julian sich, die Einheit der griechischen Philosophie und Religion sowie die Möglichkeit, orientalische Gottheiten und Kulte mit entsprechenden griechisch-römischen zu identifizieren, zu verteidigen (in den Reden 7, 8 [5] und 9 [6]). Erst später entwickelte er in seinem Hymnos auf König Helios eine eigene Theologie. 194 Julians Reden erschienen parallel zu seinen religionspolitischen Maßnahmen, denn durch sie wollte Julian seiner Restauration mit Hilfe einer philosophisch inspirierten Theologie einen theoretischen Unterbau und ein tragfähiges Fundament geben. 195 So lassen sie die klar neuplatonisch geprägte geistige und religiöse Haltung des Kaisers erkennen und dokumentieren ferner seinen Versuch, ein System zu entwerfen, in dem alle Götter (griechisch-römische wie orientalische) Platz finden. 196 Gleichzeitig bemühte sich Julian, Monotheismus und Polytheismus bzw. den paganen Götterglauben mit Neuplatonismus und Theurgie zu verbinden, also zu zeigen, dass der Glaube an alle diese Götter vereinbar sei mit dem Glauben an eine über allen stehende Gott-
190 Vgl. Witt, Forerunner 52. 191 Vgl. O’Daly, Jamblich 1257. 192 Vgl. Witt, Forerunner 62 f. 193 Vgl. Foussard, Philosophe 189. 194 Vgl. Athanassiadi, Julian 160. 195 Vgl. Bringmann, Kaiser 120. 145; Hose, Hymnen 157/175. 196 Zu Julians Pantheon vgl. z. B. Bouffartigue, Culture 648/651: Es gruppiert sich um die allmächtige und
zentrale Hauptgottheit Helios-Zeus-Apollo, die aus dem einen, obersten, intelligiblen Gott, dem Einen oder Guten, hervorging. Neben Helios-Zeus-Apollo gibt es vier wichtige Gottheiten: die Göttermutter, Attis, Athena und Hermes. Des Weiteren finden sich drei Rettergottheiten, Söhne von Helios-Zeus-Apollo: Asklepius, Dionysus und Herakles – diese erinnern an den christlichen Gottessohn Jesus. Es gibt noch weitere niedrigere Gottheiten, wie z. B. Ares, Aphrodite, Kronos, Enyo, Hephaestus, Isis, Selene und Tyche. Einige bekannte Götter gingen in anderen auf, wie z. B. Demeter bzw. Rhea in der Göttermutter, Hades, Serapis, Horus und Mithras in Helios. Es gibt auch Göttergruppen, wie die Jahreszeiten und die Qàritai, Töchter des Helios, oder die Dioskuren und die Musen. Schließlich hatte Julian in seinem Pantheon auch noch Platz für Heroen und Dämonen (zu Julians Dämonologie vgl. Puiggali, Démonologie 293/314). Vgl. Smith, Gods 139/178.
80
3. Julians Theologie
heit. 197 Er glaubte fest an ihre Kompatibilität und war der Ansicht, »all traditions (one excepted [scil. das Christentum]) form a kind of cosmic network which guarantees, stabilizes and renews the universe.« 198 Julian war im Hinblick auf die unterschiedlichen paganen Bekenntnisse und Praktiken sehr tolerant. Er sah keinen Widerspruch zwischen Philosophie und Religion (unterschied aber zwischen einer Religion für die einfachen Menschen und einer für Intellektuelle). 199 Weder forderte er in seinen Schriften zur besonderen Verehrung bestimmter Götter auf, noch war die Annahme des in seinen Reden beschriebenen komplizierten Systems Voraussetzung für ein Bekenntnis als Heide. 200 Er hoffte vielmehr, »a strengthened synthesis of philosophical thought« 201 könne, verbunden mit seiner reichsweiten paganen religiösen Organisation, eine neue Blütezeit des Hellenismus und der heidnischen Kulte einleiten sowie das Christentum zurückdrängen. So entwarf er eine Theologie mit monotheistischen Zügen und Tendenzen, ein »amalgam of the old polytheistic myths and the new theurgical philosophy.« 202 Es bleibt festzuhalten, dass Julian sich als Neuplatoniker der Schule Jamblichs verstand. Als solcher vereinbarte er die Lehre von einem transzendenten ersten Prinzip als der einzig wahren Quelle der Wirklichkeit mit der Annahme einer Manifestation dieses philosophischen Monismus in einer Vielzahl von Göttern, die durch traditionelle Kulte und Opfer zu ehren und gnädig zu stimmen waren. 203 Diese religiöse Aufteilung der Welt fand ihre Entsprechung in der politischen: Wie jedes Volk und jede Stadt eine eigene Schutzgottheit hatte, die eine Emanation des Einen (Gottes) und ihm untergeben war, so gebot der Kaiser über ein Reich, das sich aus vielen verschiedenen Völkern zusammensetzte. 204
197 Hierbei spielten die Mythen, die er vor allem in or. 7 und 8 (5) als Quelle für den Glauben an die Götter
198 199 200 201 202 203 204
verteidigte und durch Rationalisierung und Allegorisierung zu bewahren suchte, eine wichtige Rolle; vgl. Lippold, Iulianus 472 f. Bregman, Elements 345. Vgl. die Deutung von Mythen bei Julian. or. 8 (5), 170a/b (117f Rochefort). Vgl. Lippold, Iulianus 480. Downey, Unity 342. Fowden, Religion 546. Vgl. Smith, Gods 222. Vgl. Dietz, Kaiser 828 f.
TEIL 2 DAS KONZEPT DER REPAGANISIERUNG
4. AUFBAU UND ORGANISATION
»Die hellenische Sache gedeiht noch nicht so, wie man es erwarten dürfte.« 1
4.1 Julians Entwurf 4.1.1 Organisation In den paganen Kulten hatte es vor Julian nie eine feste kultübergreifende Organisation auf Reichs- oder Provinzebene gegeben; dies galt auch für Kulte derselben Gottheit an unterschiedlichen Orten. Organisiert waren sie in der Regel auf lokaler Ebene. Auch beschränkte sich eine solche Organisation jeweils auf einen bestimmten Kult, kultübergreifende Strukturen waren unbekannt. 2 Was die Heiden verband, war der polytheistische Konsens, der Glaube an mehrere Götter – wobei jeder Vorlieben für bestimmte Götter hatte, mancher in einen einzigen Kult eingeweiht war, mancher in mehrere und wiederum andere in gar keinen. Auch gab es monotheistisch Gesinnte, wobei diese ihre Überzeugung in der Regel mit einem praktizierten Polytheismus vereinbarten, z. B. indem sie die vielen Götter als Emanationen des Einen verstanden. 3 Um seine innovative Vorstellung von einer reichsweiten paganen religiösen Organisation realisieren zu können, interpretierte Julian die ihm als Kaiser zufallende Position des Pontifex Maximus als Machtposition mit durchgreifender Weisungsbefugnis gegenüber allen paganen Priestern. Hierdurch erhielten seine Erlasse und Verordnungen auch auf religiösem Gebiet bindenden Charakter, und er konnte seine Pläne zur Revitalisierung der paganen Kulte verwirklichen. Um die Umsetzung seiner Befehle in allen Teilen des Reiches zu gewährleisten, benötigte er analog zu den Provinzgouverneuren und anderen kaiserlichen Beamten der Reichsverwaltung eine ihm er- und untergebene priesterliche Führungsschicht für den religiösen Bereich. Deshalb belebte er die alten Ämter der Provinzoberpriester neu, änderte jedoch den Modus der Besetzung; waren die Provinzoberpriester früher vom Provinziallandtag gewählt worden (für eine begrenzte Zeit, in der Regel ein Jahr), 4 so behielt Julian sich ihre Auswahl selbst vor und konnte so Freunde und Gleichgesinnte in Schlüsselpositionen einsetzen (unbegrenzt
1 Julian. ep. 84, 429c (144 Bidez): » ·kàsthn pÏlin …erËac ka» ÇponËmonti t‰ prËpon ·kàst˙«. Allerdings ist nicht sicher, ob »alle« tatsächlich umfassend gemeint ist. Die Tatsache, dass Julian davon sprach, dass die Priester nach Ablauf ihres Dienstes nach Hause zurückkehren (ep. 89b, 302c/303a [170f Bidez]), scheint z. B. solche Kulte auszuschließen, in denen die Priester ihr ganzes Leben im Tempel verbrachten. So ist umstritten, ob Julian lediglich die Priester des Kaiserkultes meinte (so Caltabiano, Epistolario 263 mit Anm. 9 zu Brief 89a), oder aber die Priester der offiziellen Kulte (so Bidez, Lettres 96); die Leitung tatsächlich aller paganen Kulte scheint jedoch eher unwahrscheinlich, da nicht praktikabel; vgl. Olszaniec, Reform 228f. Ausführlich zu dieser Frage vgl. Kapitel 4.4. Ausführlich zu den Anforderungen, die Julian an seine Priester stellte, vgl. Kapitel 5.1. Julian. ep. 84, 430a (144 Bidez): »oœc £ dus∏phson, £ peÿson e⁄nai spouda–ouc«. Vgl. Julian. ep. 84, 430a (144 Bidez).
86
4. Aufbau und Organisation
dig waren, bzw. konnten Unwürdige disziplinieren oder aus dem Amt entfernen – dabei behielt Julian sich das Recht vor, auch selbst einfache Priester und Priesterinnen zu ernennen. 23 Diese reichsweite Hierarchie spielte eine wichtige Rolle in den Bemühungen Julians, das Reich zu repaganisieren. 4.1.2 Finanzen und Immobilien Auch mit der Finanzierung seiner reichsweiten paganen religiösen Organisation sowie der Bereitstellung und des Unterhalts der nötigen Gebäude beschäftigte Julian sich eingehend. Zunächst verfügte er durch das so genannte Restitutionsedikt die Wiederöffnung der Tempel und Heiligtümer sowie die Rückgabe von entwendetem Tempelgut. 24 Das Restitutionsedikt selbst ist nicht mehr erhalten, jedoch überliefern verschiedene Quellen Inhaltsangaben. So berichtet z. B. Ammianus Marcellinus, dass Julian »befahl, die Tempel zu öffnen, Opfertiere an die Altäre zu bringen und die Verehrung der Götter wiederherzustellen.« 25 Bei den ersten beiden Bestimmungen, der Wiederöffnung der Tempel und der Wiederaufnahme der Opfer, handelt es sich um Anweisungen, die frühere Verbote 26 aufheben sollten. Die Hauptbestimmung, die Wiederöffnung der Tempel, wird durch die im Anschluss folgenden Anweisungen weiter ausgeführt: Die verwahrlosten Tempel sollten ausgebessert, die zerstörten wieder aufgebaut werden. 27 Die Götterbilder sollten erneuert, die Altäre wieder aufgestellt, die Opfer ebenso wie die alten kultischen Sitten und Gebräuche wieder aufgenommen werden. Um dies zu ermöglichen, mussten die Kulteinkünfte wiederhergestellt werden. Denn durch die oben erwähnten anti-heidnischen Gesetze der christlichen Kaiser hatten die Götter nicht nur ihren Kult, die Opfer und die Verehrung der Menschen sowie die Priester ihr Amt verloren; auch die Tempelgüter, die die finanziellen Mittel für den Kult zur Verfügung gestellt hatten, wurden nicht mehr benötigt. 28 Ein Großteil von ihnen war deswegen verkauft, versteigert oder verschenkt worden. Um die Wie23 Vgl. Julian. ep. 81 (90 f Bidez), in dem er die Priesterin Kallixeine, die bisher zur Priesterschaft der Demeter
gehörte, zusätzlich zur Priesterin der Göttermutter in Pessinus ernannte. 24 Eine genaue Datierung dieses Gesetzes ist kaum möglich. Ein terminus post quem ist von Tod von Constan-
25 26
27
28
tius II. und damit verbunden Julians Antritt der Alleinherrschaft, denn das Edikt war eine seiner ersten Amtshandlungen. Zum Restitutionsedikt vgl. Weis, Restitutionsedict, der sich ausführlich mit einer Rekonstruktion des Gesetzes aus verschiedenen Quellen beschäftigt und schließlich auf dieser Grundlage eine Gesamtbeurteilung der Bedeutung des Ediktes vornimmt. Vgl. Andreotti, Gesetzgebung 140. 157/163; Bidez, Evolution 419 f; Ensslin, Gesetzgebungswerk 105/110; Lippold, Iulianus 454f; Olszaniec, Restitutor 77/79; Rosen, Weg 250. Arce, Reconstrucciones 201/215, vermutet, dass sich das Edikt nur auf den Osten des Reiches beziehe (vgl. Soz. h. e. 5, 3, 1 [GCS NF 4, 195 Bidez /Hansen]), da die Tempel im Westen kaum zerstört bzw. sogar neue errichtet worden waren, so dass eine Restitution nicht notwendig gewesen sei. Amm. Marc. 22, 5, 1/3 (3, 14/16 Seyfarth): »aperire templa, arisque hostias admovere et restituere deorum statuit cultum«. Vgl. z. B. diverse Opferverbote von Konstantin dem Großen und Constantius II. (Cod. Theod. XVI 10, 2f [897f Krüger /Mommsen]), eine Anordnung zur Schließung der Tempel durch Constantius II. (Cod. Theod. XVI 10, 4 [898 Krüger /Mommsen]), ein Gesetz, das nächtliche Opfer untersagte (Cod. Theod. XVI 10, 5 [898 Krüger /Mommsen]) sowie schließlich ein Gesetz, das Constantius II. zusammen mit seinem Cäsar Julian erließ und das das Opferverbot noch einmal einschärfte und unter Todesstrafe stellte (Cod. Theod. XVI 10, 6 [898 Krüger /Mommsen]); vgl. Noethlichs, Heidenverfolgung 1151/1157. Zahlreiche Inschriften feiern Julian als den »templorum restaurator« oder »Çnanewtòc t¿n …er¿n«, so z. B. in Anz (Arabia), Thessaloniki oder Maóayan Barukh (Israel), vgl. Oikonomides, Inscriptions 39/41; Dietz, Kaiser, bes. 815/819; Eck, Neulesung 857/859; zu weiteren Inschriften vgl. Oikonomides, Inscriptions 38. 42. Vgl. Weis, Restitutionsedict 27. 32.
4.1 Julians Entwurf
87
deraufnahme des paganen Kultes zu ermöglichen, musste zunächst seine Finanzierung sichergestellt werden, also nach Möglichkeit eine Rückerstattung der Tempelgüter erfolgen. 29 Das am 13. März 362 von Julian erlassene Städtegesetz 30 spielte eine wichtige Rolle bei der Unterstützung des paganen Kultes, denn es befiehlt die Rückgabe vom Staat konfiszierter städtischer Besitzungen und bezieht sich damit wohl auf die unter Kaiser Konstantin dem Großen erfolgte Enteignung paganer Kultstätten. Viele dieser Heiligtümer waren von Städten verwaltet worden, so dass die Enteignung auch die Finanzen der jeweiligen Städte betraf. 31 Die meisten von ihnen waren mittlerweile vom staatlichen in Privatbesitz übergegangen, was die Rückgabe nicht einfacher machte. Indem Julian im Städtegesetz verfügte, dass den Städten und Gemeinden ihre vom Staat konfiszierten Liegenschaften und Immobilien zurückgegeben werden sollten, stärkte er ihre Finanzen. 32 Durch die Rückgabe der Besitzungen sollten diese wieder dazu dienen können, die Instandsetzung sowie den Unterhalt der paganen Tempel in den Städten zu finanzieren. 33 Auch die Finanzierung von Festen zu Ehren der Götter sollte so gesichert werden. Waren solche Feste früher meist durch private Spenden, oft durch die jeweiligen Priester selbst oder prominente Bürger, sowie aus Mitteln der Tempel und des Staates bzw. der Stadt ermöglicht worden, so funktionierte dieses System ab dem späten 3. Jahrhundert immer weniger, bedingt durch wirtschaftlichen Niedergang, Kriege und nicht zuletzt (seit Kaiser Konstantin) den Einfluss der Christen auf die Politik. 34 Julian musste neue Wege finden, die Finanzierung zu sichern. 35 Ein erster Schritt war es, den Städten die Möglichkeit zu geben, wieder Zuschüsse zur Finanzierung von Festen beizusteuern.
29 Da seit der Enteignung z. T. schon viel Zeit vergangen war, ergaben sich jedoch diverse Probleme: Der Besitzer
30 31 32
33
34 35
der Tempelgüter konnte bereits gewechselt haben oder es waren Teile von Tempeln in Wohnhäusern verbaut worden, so dass eine Rückgabe kaum möglich war. Dies berücksichtigt das Gesetz, zumindest berichtet Libanius in seinem Epitaph auf Kaiser Julian davon, dass in solchen Fällen ein Ersatz durch Zahlung von entsprechenden Geldbeträgen möglich gewesen sei (vgl. Liban. or. 18, 126 [2, 289f Foerster]; vgl. Liban. ep. 724. 763. 819 [10, 649 f. 688 f. 739/741 Foerster]); vgl. Weis, Restitutionsedict 32. 38f. Libanius gibt auch zu bedenken, dass diejenigen, die unter den christlichen Kaisern Tempelgut oder -land gekauft hatten, dies legal getan hatten: »™n d+ofin t¿n tÏte tÄ toia‹ta nÏmwn« (Liban. ep. 1364, 7 [11, 411 Foerster]); vgl. Bouffartigue, Parti 75 f; Dietz, Kaiser 841 f. Auf christlicher Seite vgl. Greg. Naz. or. 4, 90 (SC 309, 227f Bernardi); Soz. h. e. 5, 5, 5 (GCS NF 4, 199 Bidez /Hansen); Theodrt. h. e. 3, 7, 8 (GCS NF 5, 184 Parmentier /Hansen). Die erhaltenen Fragmente überliefert Cod. Theod. X 3, 1; XI 16, 10; XI 23, 2; XII 1, 50 (532. 600. 612. 675 Krüger /Mommsen) = Julian. ep. et leg. 47a/d (53f Bidez /Cumont). Vgl. Wiemer, Libanios 106. Vgl. Wiemer, Libanios 103/107. 364 f, der in einer neuen Interpretation der Restitutionsklausel in Julians Städtegesetz plausibel macht, dass diese sich nicht auf die von Konstantin dem Großen bzw. Constantius II. konfiszierten »fundi rei publicae« beziehe, sondern auf solche, die »nominell Eigentum der Götter bzw. Tempel gewesen, de facto aber von den Städten verwaltet und auch genutzt worden waren«; vgl. Dietz, Kaiser 829. Vgl. Liban. or. 13, 45 f (2, 79 Foerster): Libanius rühmt den Kaiser dafür, dass er den Städten erneut ermöglicht habe, sich mit Heiligtümern zu schmücken und des Schutzes der Götter zu versichern; vgl. Wiemer, Libanios 102 f; vgl. Julian. ep. 80 (88 Bidez), in dem er seinen Onkel anwies, vor allem den Daphnetempel wieder aufzubauen und zu diesem Zweck die von dort entfernten Säulen aus den Palästen zu holen. Wenn diese nicht reichen sollten, solle er die Säulen »‚k t¿n Ínagqoc kateilhmmËnwn o ki¿n«, »aus den unlängst wieder eingenommenen Häusern«, verwenden; vgl. Weis, Briefe 253f Anm. 7. Vgl. Bradbury, Revival 348/350. 352 f. Vgl. Bransbourg, Julien 153/156. Zu Julians Bemühungen, die Heiden dazu anzuhalten, die alte Sitte der Spenden zur Unterstützung der Tempel sowie philanthropischer Aufgaben wieder aufzunehmen, vgl. Kapitel 7.1.
88
4. Aufbau und Organisation
So stehen Restitutionsedikt und Städtegesetz in engem Zusammenhang: Ersteres forderte die Städte dazu auf, die Tempel wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und die Feier des Kultes sicherzustellen, während Letzteres die Umsetzung des Ersteren ermöglichte. Bei dem Städtegesetz handelt es sich gleichsam um eine Ausführungsbestimmung der Forderung des Restitutionsediktes nach Wiederherstellung der Kulteinkünfte, da es detaillierter noch als dieses selbst die Finanzierung sicherte, indem es den Städten die nötigen Mittel zur Verfügung stellte. 36 Da die Städte für Julian die regionalen Zentren des Götterkultes waren, war es nur folgerichtig, wenn er Städteund Religionspolitik eng verknüpfte. 37 Auch Julians Reorganisation der Gemeinderäte stand in enger Beziehung zu seinen Bemühungen zur Wiederherstellung des Götterkultes. Denn gerade diese Gemeinderäte sah er als die Träger und Zentren des in der Regel lokal organisierten Götterkultes, der oftmals regionale und ethnische Besonderheiten aufwies. 38 Vor der Konstantinischen Wende hatten die Stadträte eine zentrale Rolle in der Unterhaltung der zahlreichen lokalen Tempel und Kulte gespielt. So hatten ihre Mitglieder einerseits priesterliche Ämter innegehabt und sakrale Funktionen ausgeübt, andererseits war ein Großteil des Tempellandes, das die Finanzierung der Tempel und Kulte sicherte, von den Stadträten verwaltet worden; die Einnahmen aus diesen Ländereien waren eine wichtige Finanzquelle für die Etats der Städte. 39 Deshalb traf die Konfiskation dieser Ländereien durch die christlichen Kaiser die Städte und besonders deren Tempel und Kulte an empfindlicher Stelle und beraubte sie des Großteils ihrer materiellen Grundlage. Auch die eng mit den Kulten verbundene Festkultur der Städte erlebte durch diese Maßnahmen einen schweren Einbruch, und die Feste und Opferfeiern konnten kaum noch stattfinden. Da sie für die Städte eine große ökonomische Rolle spielten, waren diese doppelt getroffen und erlebten z. T. schwere Einbußen ihrer wirtschaftlichen Prosperität. 40 Durch seine Gesetzgebung versuchte Julian deshalb, die Städte in ihrer Finanzkraft zu stärken, denn nur finanziell gut gestellte Städte konnten ihre Tempel instand halten und Feste zu Ehren der Götter veranstalten. 4.2 Pagane Parallelen In der Regel gab es im paganen Bereich keine übergreifende religiöse Organisation, wie wir sie aus dem Christentum kennen, weder innerhalb eines Kultes noch gar eine die gesamte Bandbreite der paganen Kulte vereinigende Dachorganisation. Auch gab es keinen Stand von Priestern – jeder Priester war immer für den Dienst in einem bestimmten Heiligtum bestellt und dadurch der Priester eines bestimmten Gottes; seine Amtszeit war in der Regel zeitlich befristet. 41 Zwei Ausnahmen von dieser Regel, der Kaiserkult und die Reform des Maximinus Daia, sollen im Folgenden vorgestellt werden, bevor das Unterkapitel mit einer Darlegung der Finanzierung der Kulte abgeschlossen wird.
36 Die Städte konnten die zurückerstatteten Ländereien z. B. verpachten; vgl. Wiemer, Libanios 103. 107. 37 Vgl. Wiemer, Libanios 365. 38 Vgl. Liban. ep. 1307, 5 (11, 371 Foerster); vgl. Dietz, Kaiser 819. 39 Vgl. Langhammer, Stellung 64/66; Bringmann, Kaiser 87. 40 Vgl. Bringmann, Kaiser 87 f. 41 Vgl. Stengel, Kultusaltertümer 33.
4.2 Pagane Parallelen
89
4.2.1 Kaiserkult Hatte es im Alten Orient oder auch in Griechenland schon lange die Verehrung von vergöttlichten Herrschern oder Heroen gegeben, so fand der Herrscherkult in Rom nur langsam Eingang. Dadurch, dass die Griechen sich als mächtig erweisenden römischen Gouverneuren oder auch dem römischem Volk als ganzem Kulte einrichteten, gelangte diese Idee schließlich nach Rom. Doch erst mit Augustus begann die Geschichte des Herrscherkultes in Rom. 42 Dies geschah in Form posthumer Kulte für die Kaiser: Der Senat stellte die Apotheose des betreffenden Kaisers fest und gewährte ihm die zum Kultbetrieb nötigen Einrichtungen, wie einen eigenen Tempel und eine eigene Priesterschaft (Sodalität), die jährlich im Namen des Staates ein Opfer darbrachte. 43 Im Laufe der Zeit blühte der Kaiserkult immer mehr auf, bis er in antoninischer Zeit seinen Höhepunkt erreichte und auf Staats-, Provinz- und Stadtebene sowie im Privaten mit besonderer Intensität betrieben wurde. 44 Ab dem 3. Jahrhundert verlor er immer mehr an Bedeutung (die neu zu Göttern erhobenen Kaiser erhielten z. B. keine eigene Priesterschaft mehr), bis ihm schließlich durch die Christianisierung des Kaiserhauses seit Konstantin dem Großen die Grundlage entzogen wurde. 45 Im Kaiserkult gab es Priester sowohl für die einzelnen Provinzen wie auch in vielen Städten. Doch gab es keinerlei Versuche, jedenfalls nicht während seiner Blütezeit in der Kaiserzeit, ihn hierarchisch zu organisieren und dadurch eine größere Wirksamkeit zu erreichen. Vielmehr blieben städtischer und provinzialer Kaiserkult organisatorisch getrennt. 46 Die provinzialen Oberpriester des Kaiserkultes wurden von den Provinziallandtagen gewählt. Voraussetzung war eine Herkunft aus der entsprechenden Provinz sowie das römische Bürgerrecht – und nicht zuletzt ein großes Vermögen. 47 In der Regel wurden Männer gewählt, die sich bereits in städtischer bzw. provinzialer Politik bewährt hatten, waren die Provinzoberpriester doch Vorsitzende und Wortführer der Provinziallandtage und somit nicht nur für kultische Aufgaben zuständig, sondern in gewissem
42 Vgl. Fears, Herrscherkult 1047/1058; Herzog-Hauser, Kaiserkult 806/832. 43 Dabei ist zu beachten, dass nicht der Senat den Kaiser zum Gott erhob, vielmehr erkannte der Senat an, dass
44 45 46
47
die Götter den Kaiser nach seinem Tod zu sich erhoben hatten, vgl. Fears, Herrscherkult 1059; Prümm, Handbuch 86. – Die vier bekannten Sodalitäten für die Pflege des Kaiserkultes in Rom waren die sodales Augustales Claudiales, die sodales Flaviales Titiales, die sodales Hadrianales und die sodales Antoniniani; vgl. Clauss, Kaiser 390; Stepper, Kaiser 158 mit Anm. 3. In späterer Zeit wurden keine neuen Sodalitäten mehr gegründet, vielmehr wurde der Aufgabenkreis der bestehenden Sodalitäten mit jedem neu konsekrierten Kaiser vergrößert; vgl. Clauss, Kaiser 391 f. Vgl. Fears, Herrscherkult 1058/1065; Herzog-Hauser, Kaiserkult 833/846. Vgl. Fears, Herrscherkult 1065 f; Herzog-Hauser, Kaiserkult 846/852. Vgl. Deininger, Provinziallandtage 159; Langhammer, Stellung 35f; jedoch überliefert Dio Chrys. or. 35, 10 (3, 400 Cohoon /Lamar Crosby), für die Zeit Trajans, dass die Provinzoberpriester die Aufsicht über »alle Priester« (»Åpàntwn [. . .] t¿n …erËwn«) gehabt hätten. Er spezifiziert aber nicht, ob er mit »alle« tatsächlich umfassend alle Priester meint oder nur alle Priester des Kaiserkultes oder einfach nur eine große Zahl von Priestern; vgl. Nicholson, Churches 8. Vgl. Clauss, Kaiser 403/405; Deininger, Provinziallandtage 151; Dietz, Kaiser 843. Die Ausrichtung der jährlichen Festspiele zu Ehren des Kaisers zählte mit zu den Aufgaben des Oberpriesters, finanziell gesehen lag hier einer der Schwerpunkte seiner Tätigkeit, vgl. Deininger, Provinziallandtage 159/161; Jones, Empire 764 f.
90
4. Aufbau und Organisation
Rahmen auch für politische. 48 Diese Provinzoberpriester waren unter verschiedenen Namen bekannt, sie konnten im Osten als »Çrqiere‘c« oder mit einem Titel, der aus dem Namen der Provinz bzw. des Volkes und der Endung »arch« gebildet wurde (»Asiarch«, »Bithyniarch« etc.), bezeichnet werden, im Westen wurden sie in der Regel »flamen« oder »sacerdos« genannt. 49 Beispielhaft soll hier kurz die Provinz Asia genannt werden, die eine Fülle von Stätten des Kaiserkultes aufweisen konnte, mit Tempeln u. a. in Pergamon, Smyrna, Ephesus und Sardes, z. T. sogar mit mehreren Tempeln in einer Stadt. Zunächst gab es auch hier nur einen einzigen Oberpriester für die ganze Provinz, den Asiarchen, doch im Laufe der Zeit wurden mit der wachsenden Zahl der Tempel auch mehr Oberpriester eingesetzt, so dass es für jeden Tempel (bzw. jede Stadt, sofern es dort mehrere Tempel gab) einen zuständigen Oberpriester gab. 50 Diese scheinen nicht in eine Hierarchie eingeordnet, sondern einander gleichgestellt gewesen zu sein. 51 Dies ist jedoch eine Ausnahme, normalerweise gab es nur einen Oberpriester pro Provinz und Landtag. Ein Oberpriester wurde in der Regel für ein Jahr gewählt. 52 Obwohl er sein Amt hauptsächlich nur während des wenige Tage dauernden Festes der Provinz und der jährlichen Zusammenkunft des Landtages ausübte, war es dennoch ein erstrebenswertes Ziel, Provinzoberpriester des Kaiserkultes zu werden. 53 So berichtet Dio Chrysostomus z. B. davon, dass sie Kronen und Purpurgewänder trügen und von Jungen mit glühenden Rauchfässern begleitet würden. 54 Ob die bekannten Oberpriesterinnen lediglich die Ehefrauen der Oberpriester waren oder tatsächlich Oberpriesterinnen mit eigener Machtbefugnis, geht aus den inschriftlichen Quellen nicht klar hervor. 55 Ähnlich wie auf Provinzebene gehörte auch in den Städten die Pflege des Kaiserkultes und die Übernahme von entsprechenden Priesterämtern ganz selbstverständlich zum gesellschaftlichen Engagement der Oberschicht. 56 Diese Ämter wurden in der Regel für ein Jahr besetzt, wobei die Ehre dieses Amtes ein Leben lang beibehalten wurde. Welchen Kaiser eine Stadt besonders verehrte, ob nur einen oder mehrere, war ihr weitgehend selbst überlassen, auch, auf welche Weise die Priesterämter vergeben wurden. In kleineren Städten wurde wohl nur ein Priester bzw. eine Priesterin für alle
48 Vgl. Deininger, Provinziallandtage 18 f. 150f. Zu den Aufgaben der Provinziallandtage zählten neben dem
49
50 51 52 53 54 55
56
Kaiserkult Selbstverwaltung und provinziale Interessenvertretung in Rom, z. T. auch Münzprägung, vgl. ebd. 156/172. Vgl. Deininger, Provinziallandtage 43/49. 192. Der Titel des »Ethn«archen wurde z. T. auch nach der Amtszeit weiter geführt, vgl. ebd. 46. Zu inschriftlich belegten Provinzoberpriestern vgl. Dittenberger, Inscriptiones nr. 540, 7 und 541, 4 bzw. 582, 4 (ein Hoherpriester für die Galatische Liga bzw. Zypern); nr. 679, 1f (ein Hoherpriester von Alexandria und ganz Ägypten); vgl. auch Dittenberger, Sylloge nr. 900; Grant, Religion 158 f; Mitchell, Maximinus 118 mit Anm. 35. Vgl. Deininger, Provinziallandtage 36/38. Vgl. Deininger, Provinziallandtage 39. Vgl. Merkelbach /Stauber, Kaiserpriester 157. Vgl. Klauck, Umwelt 2, 66; Merkelbach /Stauber, Kaiserpriester 157; vgl. Deininger, Provinziallandtage 46. Vgl. Dio Chrys. or. 35, 10 (3, 400 Cohoon /Lamar Crosby). Vgl. Deininger, Provinziallandtage 41. Clauss, Kaiser 407, vermutet, dass die Ehefrauen der Provinzoberpriester automatisch zu Provinzoberpriesterinnen wurden; war der Provinzoberpriester nicht verheiratet, konnte eine beliebige Frau dieses Amt erhalten. Als ihre Aufgabe gibt Clauss den Kult der weiblichen Mitglieder des Kaiserhauses sowie der Staatsgöttinnen an (Clauss, Kaiser 407). Vgl. Ladage, Kultämter 69/101; Langhammer, Stellung 64/66; Schöllgen, Ecclesia 135f.
4.2 Pagane Parallelen
91
Kulte bestellt, während größere Städte sich einen Priester pro Kult leisten konnten. Dieses Amt konnte auch mit anderen kultischen Funktionen verbunden werden. 57 4.2.2 Maximinus Daia Gaius Galerius Valerius Maximinus, genannt Maximinus Daia, war 310/313 n. Chr. Augustus in der Tetrarchie des Diokletian; er unternahm während seiner Regierungszeit eine Reorganisation der paganen Kulte. 58 Nach seiner Niederlage gegen Licinius im Jahr 313 und seinem bald darauf folgenden Tod wurde diese Reform von seinem Nachfolger jedoch nicht weiter betrieben. Obwohl die Bemühungen des Maximinus nur von kurzer Dauer waren, waren sie Julian sicherlich nicht unbekannt. Maximinus’ Reformschwerpunkt lag hauptsächlich auf der Organisation der paganen Kulte in ihrer Gesamtheit sowie der paganen Priesterschaft: Zurückgreifend auf Traditionen des Kaiserkultes stellte er Oberpriester mit weitreichenden Vollmachten an die Spitze jeder Provinz und setzte in jeder Stadt Priester ein (zumindest für die Hauptkulte wie den Kaiserkult oder den der kapitolinischen Trias). 59 Die Befugnisse und Amtsprivilegien seiner Provinzoberpriester erinnern an die ziviler Beamter. 60 Auch um die Renovierung der Heiligtümer bemühte er sich. 61 Maximinus Daia rekrutierte seine Priester aus den gehobenen Schichten der Gesellschaft. Er legte Wert darauf, dass sie über Einfluss und Autorität verfügten, sollten sie doch den heidnischen Kult fördern. 62 Er führte ebenfalls die Neuerung ein, die Oberpriester auf Lebenszeit zu bestellen – vorher war dieses Amt, ebenso wie die anderen Priesterämter, meist nur für begrenzte Zeit (meist ein Jahr) verliehen worden. 63 Auch war er derjenige, der als erster eine zentralisierte, hierarchische Struktur entwarf, an deren Spitze er selbst als Pontifex Maximus stand. Neu war ebenfalls die Art und Weise, wie die Priester für ihr Amt berufen wurden: Während die Provinzoberpriester früher in der Regel durch die Provinziallandtage bestellt worden waren, so wurden sie nun vom Kaiser als Pontifex Maximus ernannt; die Provinzoberpriester wiederum bestellten die ihnen untergeordneten Priester. 64 Über die Motive seiner Reform lässt sich nichts Genaueres sagen, da Maximinus Daia, anders als Julian, keine entsprechenden Selbstzeugnisse hinterließ. 65 57 Vgl. Clauss, Kaiser 408/413. 58 Für einen kurzen und prägnanten Überblick zu Maximinus Daia vgl. Kuhoff /Ehling, Maximinus Daia 495/
59 60
61 62 63 64 65
504. Anders als im Falle von Kaiser Julian sind keine Zeugnisse von Maximinus selbst überliefert, einzige Quellen sind Berichte von Eusebius (h. e. 8, 14, 8f; 9, 4, 2f [GCS 9, 2, 780/782. 808/810 Schwartz]) und Laktanz (mort. pers. 36, 4 f [SC 19, 119 Moreau]); vgl. Nicholson, Churches 3f. Vgl. Eus. h. e. 8, 14, 8 f; 9, 4, 2 f (GCS 9, 2, 780/782. 808/810 Schwartz); Lact. mort. pers. 36, 4f (SC 19, 119 Moreau); vgl. Langhammer, Stellung 65; zu ihren Aufgaben vgl. Kapitel 5.2.4. Ausführlich zu den Befugnissen und Privilegien der maximinischen Priester vgl. Kapitel 5.2.4, hier seien kurz ihre Ehrengarde und Amtstracht sowie das Recht, Christen zu verhaften und dem Opfertest zu unterziehen, genannt, vgl. Eus. h. e. 8, 14, 8 f; 9, 4, 2 f (GCS 9, 2, 780/782. 808/810 Schwartz); Lact. mort. pers. 36, 4f (SC 19, 119 Moreau). – Vgl. das oben zum Kaiserkult Ausgeführte (Kapitel 4.2.1); vgl. Merkelbach /Stauber, Kaiserpriester 157; vgl. ebd. 159/162 zur Grabinschrift eines von Maximinus eingesetzten Oberpriesters. Kuhoff /Ehling, Maximinus Daia 502, vermuten den ägyptischen Kult als Vorbild. Vgl. Eus. h. e. 8, 14, 8 f (GCS 9, 2, 780/782 Schwartz); Lact. mort. pers. 36, 4f (SC 19, 119 Moreau). Vgl. Eus. h. e. 8, 14, 8 f; 9, 4, 2 f (GCS 9, 2, 780/782. 808/810 Schwartz); vgl. Grant, Religion 158. 160; Mitchell, Maximinus 118. Vgl. Koch, Empereur 56. Vgl. Grant, Religion 160. Vgl. Nicholson, Churches 3.
92
4. Aufbau und Organisation
4.2.3 Finanzierung Die paganen Kulte hatten vielerlei Ausgaben, um den Kultbetrieb aufrechterhalten zu können – so mussten z. B. Tempel erbaut, gewartet und ausgeschmückt, die Opferfeiern und andere Gottesdienste ausgerichtet und bei größeren Tempeln auch Tempelpersonal unterhalten werden; 66 entsprechend waren sie darauf angewiesen, über möglichst verlässlich und regelmäßig fließende Einnahmequellen zu verfügen. Zur Finanzierung der Kulte gab es verschiedene Möglichkeiten und Modelle, die sich je nach Größe, Status etc. des betreffenden Heiligtums unterschieden. Private Heiligtümer wurden privat finanziert; bei öffentlichen Heiligtümern kristallisieren sich einige hauptsächlich verwendete Finanzierungsmodi heraus. Manche von ihnen wurden in Verbindung miteinander genutzt, manche standen nicht allen Tempeln offen. Im Folgenden werden nur die großen Linien aufgezeigt. 67 Eine große Rolle in der Finanzierung der Tempel spielten die öffentlichen Opferfeiern. Zwar mussten zur Ausrichtung solcher Feiern zunächst gewisse Mittel aufgewendet werden, doch stand den Tempeln bzw. ihren Priesterschaften in der Regel ein bestimmter Teil der von der Stadt zur Verfügung gestellten Opfertiere zu, 68 der entweder selbst verwertet (wie z. B. das Fleisch) oder verkauft werden konnte (z. B. Haut oder Fleisch). Da die Städte des Römischen Reiches das Recht hatten, ihren jeweiligen Festkalender selbst festzulegen, bot es sich an, diesen so zu gestalten, dass die Opfer in regelmäßigen Abständen stattfanden und einen Beitrag zum Einkommen der Priesterschaften und Tempel leisteten. 69 Auch von den von Privatpersonen dargebrachten Opfern stand den Priestern ein Anteil zu. 70 Eine weitere Einnahmequelle stellten z. B. die Weihe- und Opfergaben der Kultteilnehmer dar, die je nach deren Vermögen unterschiedlich wertvoll ausfallen konnten: So weihte z. B. Seleukos I. dem Apollo von Didyma die großzügige Gabe von goldenen Gegenständen im Wert von 3248 Drachmen, silbernen Gefäßen im Wert von 9380 Drachmen, 10 Talenten Weihrauch, einem Talent Myrrhe, mehreren Minen verschiedener Gewürze, 1000 Schafen und 12 Stieren. 71 Besonders berühmte Tempel konnten mit großzügigen Spenden von Anhängern aus aller Welt rechnen und waren entsprechend prachtvoll ausgestattet. 72 Solche Gaben waren selten vorhersehbar und
66 Zu Beispielen für die Kosten eines Tempelbaus bzw. von Opferfeiern vgl. Debord, Aspects 187/191 (Bau des
67 68
69 70 71 72
Apollotempels von Didyma) und 192 (Auflistung einer Verteilung der Ausgaben für Opfer auf verschiedene hervorragende Einwohner der Stadt am Beispiel von Kos). Detaillierte Untersuchungen am Beispiel Anatoliens finden sich z. B. bei Debord, Aspects 183/244. Dabei war meist mit ausgeklügelten Systemen festgelegt, welche (prominenten) Einwohner, welche Amtsträger und welche Berufsgruppen einen bestimmten Anteil an diesen von der Stadt zu stellenden Opfertieren zu leisten hatten; vgl. Debord, Aspects 198/200; vgl. Wissowa, Religion 419f. Bradbury, Revival 348/351, merkt an, dass diese Ausgaben z. T. so groß gewesen seien, dass der Wille, solche Verpflichtungen zu übernehmen, immer mehr nachgelassen habe, so dass der Niedergang des Heidentums nicht nur durch mangelnde Frömmigkeit und fehlenden Glauben, sondern auch durch finanzielle Probleme herbeigeführt worden sei. Vgl. Debord, Aspects 192. Vgl. Debord, Aspects 69. 195. Vgl. Debord, Aspects 193. So schildert es z. B. Lukian von Samosata in Syr. dea 10 (3, 4 MacLeod): »Tàde mËn ‚sti tÄ ‚n t¨ Sur–˘ Çrqaÿa ka» megàla …rà. Toso‘twn d‡ ‚Ïntwn ‚mo» dokËei, oŒd‡n t¿n ‚n t¨ …r¨ pÏlei mËzon Ímmenai oŒd‡ nh‰c älloc
Ågi∏teroc oŒd‡ q∏rh ällh …erwtËrh; Íni d‡ ‚n aŒtƒ ka» Írga polutelËa ka» Çrqaÿa Çnaj†mata ka» pollÄ jw‘mata ka» xÏana jeoprepËa. ka» jeo» d‡ kàrta aŒtoÿsin ‚mfanËec; (. . .) na» mòn ka» Ólbou pËri ‚n toÿsin ‚g∞ o⁄da pr¿tÏn ‚stin; pollÄ gÄr aŒtoÿsin ÇpiknËetai qr†mata Ík te >Arab–hc ka» Foin–kwn ka» Babulwn–wn
4.3 Christliche Parallelen
93
konnten nicht in ein jährliches Budget eingeplant werden; doch besaßen sie neben dem materiellen auch einen hohen ideellen Wert, wurde doch das Heiligtum durch sie besonders hervorgehoben. Oft wurden auch der Zehnt von der Beute eines Kriegszuges oder die Erstlingsfrüchte dargebracht. 73 Des Weiteren wurden Gebühren erhoben, z. B. für das Erfragen eines Orakels, für die Einweihung in bestimmte Kulte, für die Konsultation von Heilgöttern, oder für das Darbringen eines Opfers. Ganz allgemein wurden die Kultteilnehmer dazu angehalten, ihre Frömmigkeit in Form von Gaben zu zeigen; daneben waren in einigen Kulten Kollekten nicht unbekannt. 74 Auch die Priester waren z. T. (mit) verantwortlich für den Erhalt der Tempel und die Ausrichtung von Opfern, besonders durch Zahlung der summae honorariae, hohen Zuwendungen bzw. Antrittsgeldern, die Kandidaten für Priesterämter (und andere öffentliche Ämter) im Falle ihrer Wahl entrichten mussten. 75 Eine weitere Einnahmequelle waren Geldstrafen für Städte, Priester, Mitglieder des Stadtrates oder auch Privatpersonen, die in irgendeiner Weise ihren Verpflichtungen gegenüber den Göttern nicht nachgekommen waren, indem sie z. B. ein abgelegtes Gelübde nicht erfüllen wollten, ihre religiösen Aufgaben mangelhaft oder gar nicht versahen u. a. m. 76 Nicht zuletzt spielten die Einkünfte von evtl. vorhandenen eigenen Ländereien oder sonstigem Besitz (Steinbrüchen, Salzanlagen, Mühlen) und Immobilien eine wichtige Rolle, denn diese stellten eine vorhersehbare Einnahmequelle dar, die langfristiges Planen und Kalkulieren ermöglichte. 77 4.3 Christliche Parallelen 4.3.1 Organisation Für das Christentum war es wichtig, Strukturen auszubilden, die die Über- und Unterordnung seiner Mitglieder regelten und damit festlegten, wer wem Anweisungen geben konnte und wer wem zum Gehorsam verpflichtet war. So differenzierte sich mit dem durch die Ausbreitung des Christentums bedingten stetigen Wachstum der kirchlichen Aufgabenkreise nach und nach eine Ämterhierarchie heraus. Im Folgenden wird der
ka» älla ‚k Kappadok–hc, tÄ d‡ ka» K–likec fËrousi, tÄ d‡ ka» >Ass‘rioi. e⁄don d‡ ‚g∞ ka» tÄ ‚n tƒ nhƒ làjr˘ ÇpokËatai, ‚sj®ta pollòn ka» älla ÂkÏsa ‚c ärguron £ ‚c qrus‰n ÇpokËkritai. ·orta» m‡n gÄr ka» panhg‘riec oŒdamoÿsin älloisin Çnjr∏pwn tosa–de ÇpodedËqatai« (»Es gibt in Syrien viele alte und große
73 74 75 76 77
Tempel. So viele aber ihrer auch sind, so ist doch, wie mir scheint, keiner unter ihnen allen größer als der in Hierapolis, so wie es keinen ehrwürdigeren Tempel und überhaupt keine heiligere Gegend gibt. Alles in ihm ist voll kostbarer Kunstwerke, uralter Weihegeschenke, vieler wunderbarer Dinge, herrlicher Götterbilder und stets sich zeigender Götter. [. . .] Aber auch hinsichtlich des Reichtums ist dieser Tempel der erste unter allen, die ich kenne. Denn es strömen ihm aus Arabien, Phönizien und Babylon, wie auch aus Kappadokien und von den Kilikiern und Assyrern große Schätze zu. Ich selbst habe an einem geheimen Ort des Tempels eine Menge kostbarer Gewänder und viele andere Dinge gesehen, getrennt nach Silber und Gold. Und, wie ich glaube, sind auch die Festtage und festlichen Versammlungen nirgends, bei keinem anderen Volk, so zahlreich«). Vgl. Debord, Aspects 194. Vgl. Debord, Aspects 195 f; Wissowa, Religion 429f, nennt den Kult der Magna Mater und der Isis. Vgl. Rüpke, Fasti 1468; Nilsson, Geschichte 2, 75/82; Gordon, Veil 223; Langhammer, Stellung 105/108; Schöllgen, Ecclesia 132/136. Vgl. Debord, Aspects 197 f. Vgl. Debord, Aspects 200/202. Bei Stiftungen wurde darauf geachtet, dass sie mit ausreichend Besitz oder Kapital bedacht wurden, um sich selbst finanzieren zu können, vgl. ebd. 200/207.
94
4. Aufbau und Organisation
niedere Klerus außer Acht gelassen, da der höhere Klerus, insbesondere die Bischöfe, am ehesten Parallelen mit Julians Hierarchie aufweist. Der Bischof war der Leiter einer einzelnen Gemeinde; so wie diese allmählich an Mitgliedern wuchs, wuchs entsprechend mit ihr auch sein Einflussbereich. 78 Spätestens mit dem Ende des 2. Jahrhunderts war die Leitung der einzelnen Gemeinden durch einen Bischof, dem Presbyter und Diakone zur Seite standen, zur Regel geworden. 79 Der Bischof stand bei den Gläubigen in hohem Ansehen. 80 Ihm oblag die Leitung der Gottesdienste, die Spendung der Taufe, die Auslegung des Evangeliums, die Bewahrung des reinen Glaubens und der kirchlichen Disziplin sowie eines christlichen Lebenswandels der Gemeindemitglieder und nicht zuletzt die Sorge für die Armen und Notleidenden; auch die Verwaltung der Finanzen und andere administrative Angelegenheiten fielen in seinen Aufgabenbereich. 81 Er besaß Weisungsbefugnis und Aufsichtspflicht über seinen Klerus, doch sollte das Verhältnis von gegenseitigem Respekt geprägt sein. 82 Auch für die Laien seiner Gemeinde war er vor Gott verantwortlich und besaß deswegen ihnen gegenüber bestimmte Rechte, die einen besonderen Ausdruck z. B. in seiner Funktion als Richter in Bußverfahren fanden. 83 War das Bischofsamt anfänglich, wie auch das Amt eines Presbyters und Diakons, ein nicht-professionalisiertes Ehrenamt gewesen, so war dies im Zuge der Ausbreitung des Christentums aufgrund der wachsenden Bedeutung seelsorgerischer Aufgaben und einer komplexeren Organisation der Armenversorgung nicht länger möglich und es kam im Laufe der Zeit zu einer Professionalisierung des Klerus. Da dadurch zumindest dem höheren Klerus keine Zeit für den Erwerb des Lebensunterhaltes blieb, entstand ein Recht auf Unterhalt durch die Gemeinde, in der Regel durch Spenden finanziert. 84 Die Presbyter waren zunächst Ratgeber und Beisitzer des Bischofs, doch mit der Zeit veränderten und erweiterten sich ihre Aufgaben: So wurden sie (allerdings erst in nachjulianischer Zeit) mit der Feier der Gottesdienste in den Stadt- und Gemeindekirchen, in denen der Bischof nicht residierte, also in den städtischen und dörflichen Filialkirchen, beauftragt. 85 Die Diakone waren besonders mit karitativen Aufgaben betraut. 86 Daneben hatten sie auch liturgische und administrative Aufgaben inne und waren gleichsam die ausführenden Organe des Bischofs; ebenso wie die Presbyter konnten 78 Vgl. Beyer /Karpp, Bischof 406. 79 Zum ersten Mal ist der Bischof als Gemeindeleiter in den Briefen des Ignatius von Antiochia bezeugt, z. B.
80 81
82 83 84
85 86
in dem an die Smyrnäer (8, 1 f [SC 10, 162 Camelot]), die Epheser (6, 1f [SC 10, 74 Camelot]) oder die Magnesier (8, 2/4 [SC 10, 94/96 Camelot]). Für die im 3. Jahrhundert verfasste Didascalia apostolorum ist der Monepiskopat bereits selbstverständlich; vgl. Schweizer, Hierarchie 35 mit Anm. 6. Vgl. Noethlichs, Bischofsbild 29/31. Die Didascalia apostolorum spricht von ihm als dem Stellvertreter Gottes in der Gemeinde, er sei Abbild Gottes und vermittele zwischen diesem und der Gemeinde (Didasc. apost. 4. 7/9 [CSCO.S 175, 52/58. 75/116 Vööbus]); vgl. Gaudemet, Église 341/343; Noethlichs, Bischofsbild 36/40. Vgl. Hieron. ep. 52, 7 (CSEL 54, 427 Hilberg); vgl. Schweizer, Hierarchie 30. Vgl. Gaudemet, Église 344. Vgl. Did. 13 (SC 248, 190 Rordorf /Tuilier); Const. apost. 2, 26, 2f; 7, 29; 8, 30 (SC 320, 236; 336, 60. 234 Metzger); Cypr. ep. 1, 1, 2 (CCL 3B, 3 Diercks); ein Unterhaltsrecht auch für den niederen Klerus bezeugt z. B. Cypr. ep. 34. 39 (CCL 3B, 167/170. 186/192 Diercks); vgl. die ausführliche Darstellung der Entwicklung dieses Anspruchs auf Unterhalt bei Schöllgen, Anfänge 34/81. Vgl. Schweizer, Hierarchie 71/73. Die Diakone führen ihren Dienst auf Apg. 6, 1/7 zurück: Sieben Männer wurden zum »Dienst an den Tischen« bestellt, um eine gerechte Verteilung der Almosen zwischen hellenistischen und hebräischen Witwen zu gewährleisten – auch wenn diese sieben keine Diakone im Sinn des späteren kirchlichen Amtes waren, so dienen sie dennoch als biblisches Vorbild.
4.3 Christliche Parallelen
95
sie ihn auf Konzilien begleiten oder dort sogar vertreten. 87 Da sie durch ihre karitative Tätigkeit in engem Kontakt mit den Gemeindemitgliedern standen, nennt die Didascalia apostolorum sie »Ohr und Mund, Herz und Seele« 88 des Bischofs. Das Gebiet einer bischöflichen Gemeinde orientierte sich an der staatlichen Ordnung: Sie entsprach der jeweiligen Stadt mit allen dazu gehörenden ländlichen Gebieten. 89 Entsprechend gab es in Gegenden mit einer hohen Dichte an Städten viele Bischöfe mit relativ kleinem Gebiet; dort, wo es weniger Städte gab, waren die Bischöfe dagegen für ein größeres Territorium zuständig. Da alle Gemeinden zusammen die eine Kirche bildeten, bestanden von Anfang an Bedürfnis und Notwendigkeit eines Austausches der Gemeinden untereinander (durch Briefe, Besuche etc.). Als sich der Monepiskopat ausgebildet hatte, übernahmen vornehmlich die Bischöfe diese Aufgabe der Beziehungspflege untereinander und vernetzten so die Gemeinden miteinander. Sie trafen sich auf übergemeindlicher Ebene zu Synoden, um theologische, liturgische, disziplinäre und administrative Fragen zu beraten. Auch hier orientierte die Kirche sich an der vom Staat vorgegebenen Verwaltungsstruktur: Den Rahmen solcher Zusammenkünfte bildete meist eine Provinz. 90 Dem Bischof der Provinzhauptstadt, der Metropole, wuchsen als Metropoliten im Laufe einer im 4. Jahrhundert beginnenden und sich langsam entfaltenden Entwicklung besondere Rechte und Pflichten zu; so z. B. neben einer gewissen Kontrollfunktion über das religiös-kirchliche Leben in der gesamten Provinz auch die Bestätigung der Wahl sowie die Weihe der Bischöfe »seiner« Provinz und nicht zuletzt ein gewisser Einfluss auf deren Amtsführung. 91 Während dieses Modell im Osten weit verbreitet war, gab es (besonders im Westen) auch Ausnahmen: So hatte der Bischof von Alexandria den Status eines Metropoliten nicht nur für alle Bischöfe Ägyptens, sondern auch für diejenigen Libyens und der Pentapolis inne; in Nordafrika war es der dienstälteste Bischof, der Amt und Würde des »Primas« bekleidete, wobei dem Bischof von Karthago die Leitung der überprovinzialen Synoden zustand; im suburbikarischen Italien unterstanden die Bischöfe aller Provinzen dem Bischof von Rom; in Oberitalien nahm Mailand eine ähnlich hervorragende Stellung ein und auch in Gallien, Spanien und den Donauprovinzen gab es Abweichungen vom oben geschilderten Metropolitan-Modell. 92 Über diese Metropolitanordnung hinausgehend gab es noch großräumigere Gliederungen, die ab dem 6. Jahrhundert als Patriarchate bezeichnet wurden: Rom, Konstantinopel, Antiochia, Alexandria und Jerusalem. Diese Einteilungen orientierten sich an geographischen, politischen, kulturellen und sprachlichen Gegebenheiten, doch spielte nicht zuletzt ihre apostolische Gründung eine wichtige Rolle. 93 Einen mit absoluter Weisungsbefugnis gegenüber allen anderen Bischöfen ausgestatteten Papst (in Äquivalenz zur julianischen Interpretation des Amtes des Pontifex Maximus) gab es zu Julians Zeit nicht, nicht einmal dem Anspruch nach; die Auseinan-
87 Vgl. Schweizer, Hierarchie 74/77. 88 Didasc. apost. 11 (CSCO.S 179, 128 Vööbus; Übersetzung nach Baus, Urgemeinde 394). 89 Vgl. Dassmann, Kirchengeschichte 2, 1, 182; Millar, Empire 133f. 90 Vgl. Schweizer, Hierarchie 45. 171; Herrmann, Ecclesia 52/70; Lübeck, Reichseinteilung 32/45. 210; Mil-
lar, Empire 135. 91 Vgl. Conc. Nicaen. can. 4 (1, 84 f Beneševic); ˇ vgl. Schweizer, Hierarchie 93. 92 Vgl. Gaudemet, Église 378/389. 93 Vgl. Schweizer, Hierarchie 50/59; Gaudemet, Église 394.
96
4. Aufbau und Organisation
dersetzungen um den Primatsanspruch des Bischofs von Rom gehören in eine spätere Zeit. 94 4.3.2 Finanzen Je weiter die Kirche sich ausbreitete und je mehr Gläubige ihr angehörten, desto wichtiger war es für sie, über Einkünfte zu verfügen. Schließlich galt es, Kirchengebäude zu errichten und auszustatten, Arme zu versorgen und nicht zuletzt den Klerus zu unterhalten. 95 Die Verfügungsgewalt über das gemeindliche Vermögen lag in der Hand des jeweiligen Bischofs. 96 Die Quellen der Einnahmen der Gemeinden waren vielfältig. Die Gläubigen leisteten Abgaben, indem sie z. B. Erstlingsfrüchte der Kirche opferten oder ihr Geldsummen zukommen ließen – Tertullian berichtet z. B. davon, dass die Gemeindemitglieder sich zu seiner Zeit eine freiwillige wöchentliche Selbstbesteuerung auferlegten, deren Höhe jeder selbst bestimmen konnte. 97 Im Einzelfall konnte es darüber hinaus auch zu Großspenden kommen und der Kirche (z. B. zu besonderen Anlässen oder im Rahmen von Testamenten) große Geldsummen sowie Häuser und Grundstücke übereignet werden. 98 Solche Immobilien trugen durch Miet- und Pachteinnahmen zur Finanzierung der Gemeinden bei. Besonders die christlichen Kaiser seit Konstantin dem Großen gaben ein Beispiel an Großzügigkeit und überschrieben der Kirche Immobilien oder stifteten Kirchen. Zudem verabschiedeten sie Gesetze, die die Kirche begünstigten (z. B. Steuerprivilegien für den Klerus) und ihre Arbeit unterstützten, z. B. dadurch, dass die Kirche für ihre karitativen Aufgaben Mittel vom Staat erhielt und ihr Grundstücke zugesprochen wurden, die zuvor zu paganen Tempeln gehört hatten. 99 Konstantin war es auch, der es den christlichen Gemeinden ermöglichte, in Testamenten bedacht zu werden 100 – eine Praxis, die den Gläubigen sehr anempfohlen wurde; man sprach von einem Erbteil Gottes, der mindestens so groß sein sollte, wie der Teil, den man einem Kind hinterlassen würde; es konnte sogar die Hälfte des Erbes gefordert werden. 101 94 Vgl. Schweizer, Hierarchie 59/71; Gaudemet, Église 408/450. 95 Dabei wurde stets betont, dass der Bischof sich für die Verwendung der Gelder vor Gott werde rechtferti-
96 97 98
99
100 101
gen müssen und dass das Vermögen genau genommen nicht der Kirche gehöre, sondern den Armen der Gemeinde, zu deren Verfügung es stehen solle; der Bischof selbst solle für den eigenen Bedarf nur so viel nehmen, wie es dem Lebensstil eines Armen entspreche; vgl. Hieron. ep. 52, 5 (CSEL 54, 421/424 Hilberg); Aug. ep. 185, 9, 35 (CSEL 57, 32 Goldbacher); vgl. Gaudemet, Église 290f; Dassmann, Kirchengeschichte 2, 2, 231. So wurde es im bei Laktanz (mort. pers. 48 [SC 39, 132/135 Moreau]) überlieferten Edikt von Nikomedia festgelegt; vgl. Gaudemet, Église 299/302. Vgl. Tert. apol. 39, 5 f (CCL 1, 150 f Dekkers); zur Interpretation dieser Stelle vgl. Schöllgen, Ecclesia 300f. Vgl. schon Apg. 5, 1/11; vgl. Cypr. op. et eleem. 7/11. 25 (CCL 3A, 59/62. 71f Simonetti); Eus. h. e. 4, 23, 10; 7, 30, 7 (GCS 9, 1, 376/378; 9, 2, 708 Schwartz); vgl. Gaudemet, Église 291/293; vgl. Löhr, Markion 149, zu Markions Zuwendung von 200.000 Sesterzen an die Gemeinde in Rom. Vgl. Cod. Theod. XI 1, 1; XVI 2, 1/16 (571. 835/840 Krüger /Mommsen); Cod. Iust. I 2, 1. 22 (12. 16 Krüger); Nov. Iust. 131, 5 f (656 f Schoell /Kroll); vgl. Eus. vit. Const. 2, 36; 4, 28 (GCS 56, 63f. 130 Winkelmann); Soz. h. e. 1, 8; 3, 17, 2 f (GCS NF 4, 16/19. 131 Bidez /Hansen); Theophan. chronogr. a. 5824 (1, 29 de Boor); vgl. Gaudemet, Église 293. 311/315; Barnes, Constantine 50; MacMullen, Christianizing 53; Brown, Poverty 29/32; Bransbourg, Julien 152f. Vgl. Cod. Theod. XVI 2, 4 (836 Krüger /Mommsen). Vgl. Aug. serm. 355, 4, 5 (PL 39, 1572); Gaudemet, Église 295/298. Hieronymus regte zwar auch dazu an, der Kirche etwas zu hinterlassen, warnte aber gleichzeitig die Kleriker davor, sich zu Erbschleichern herabzuwürdigen (ep. 52, 6 [CSEL 54, 425 Hilberg]).
4.4 Abschließender Vergleich
97
Alle diese Einnahmen flossen in eine Gemeindekasse, deren Verwaltung dem Bischof oblag und aus der die verschiedenen Ausgaben der Gemeinde getätigt wurden: Unterhalt des höheren Klerus sowie kultische und karitative Ausgaben wie z. B. der Bau und Unterhalt von Kirchen oder die Fürsorge für die Armen, Witwen und Waisen der Gemeinde. 4.4 Abschließender Vergleich Was Aufbau und Struktur von Julians Entwurf betrifft, so gibt es, wie im Verlauf dieses Kapitels deutlich wurde, Parallelen sowohl im paganen wie auch im christlichen Bereich. Von Anfang an gehörte der Oberpontifikat zum römischen Kaisertum, denn seit Augustus übernahm jeder Kaiser automatisch das (vorher durch Wahl besetzte) Amt des Pontifex Maximus. 102 Hierdurch besaß er die höchste Entscheidungsgewalt in allen sakralen und religiösen Dingen. Neben dem Oberpontifikat hatte er meist noch verschiedene andere Priesterämter inne und repräsentierte dadurch alle maßgeblichen Kulte. 103 Die Schwerpunkte seiner Aufgaben als Pontifex Maximus lagen auf Personalfragen (Kooptation von Personen in vakant gewordene Priesterämter, Aufsicht über andere Priester, wie den Flamen Dialis und die Vestalinnen etc.) 104 sowie kultischen Angelegenheiten. 105 Hatte sich der Amtsbereich des Pontifex Maximus zunächst nur auf Rom erstreckt, so dehnte er sich mit der politischen Expansion Roms über die Stadtgrenzen hinaus aus, zuerst auf die latinischen Nachbarstädte, später auch auf Gebiete außerhalb Italiens – besonders seitdem die Kaiser dieses Amt für sich beanspruchten und so politische und religiöse Oberhoheit miteinander verbanden. 106 Trotz dieser allmählichen Ausdehnung ist die Interpretation des Oberpontifikats durch Julian ohne Parallelen. 107 Keiner seiner Vorgänger wurde in ähnlicher Weise von sich aus reichsweit als Pontifex Maximus tätig. Während Julian aktiv die Leitungsfunktion übernahm, reagierten sie lediglich auf etwaige Anfragen. 108 Die reichsweite Verantwortung bestand also schon vor Julian, er griff hier auf vorhandene Muster zurück, neu war lediglich, dass er aus eigener Initiative heraus agierte. 109 Des Weiteren verband Julian 102 Ausfühlicher zum Pontifex Maximus vgl. Kapitel 5.2.1.2. 103 Vgl. Stepper, Kaiser 158. Augustus z. B. sagte von sich: »Pontifex maximus, augur, XV virum sacris faciundis,
104 105
106 107 108 109
VII virum epulonum, frater arvalis, sodalis Titius, fetialis fui« (Res Gest. 7 [18 Volkmann]). Ein weiteres Beispiel für die Häufung von Priesterämtern ist in späterer Zeit (nach dem Tode Julians) Praetextatus, der »augur, pontifex Vestae, pontifex Solis, quindecemvir sacris faciundis, curialis Herculis, sacratus Libero et Eleusinis, hierophanta neocorus, tauroboliatus, pater patrum« (CIL 6 nr. 1779; vgl. ebd. nr. 1778) war, vgl. O’Donnell, Demise 66. Vgl. Stepper, Kaiser 164/173; ausführlicher hierzu in Kapitel 5.2.1.2. Z. B. die Regelung des Begräbniswesens; vgl. Stepper, Kaiser 173/176. Auch Julian beschäftigte sich hiermit, vgl. ep. 136b (198/200 Bidez; überliefert auch Cod. Theod. IX 17, 5 [465 Krüger /Mommsen] bzw. Cod. Iust. IX 19, 5 [380 Krüger]), vgl. Kapitel 6.2.5. Vgl. Stepper, Kaiser 177/179. Vgl. Bleicken, Oberpontifex 365. Vgl. Stepper, Kaiser 177/180. So fragte z. B. schon Plinius der Jüngere in Rom bei Kaiser Trajan an, wie er mit dem Umbettungsgesuch von Provinzialen umgehen solle. In seinem Brief sprach er den Kaiser ausdrücklich als Pontifex Maximus an – und Trajan reagierte ohne jegliche Vorbehalte auf diesen Appell an seine priesterliche Autorität (Plin. ep. 10, 68 [342 Schuster /Hanslik]). Schon im 1. Jahrhundert scheint somit die Vorstellung einer reichsweiten religiösen Autorität des Kaisers in seiner Eigenschaft als Pontifex Maximus verbreitet und anerkannt gewesen zu sein; vgl. Stepper, Kaiser 181.
98
4. Aufbau und Organisation
mit dem Oberpontifikat ein persönliches Glaubensbekenntnis. Ein solches war vorher nicht erforderlich – auch christliche Kaiser wie Constantius II. trugen den Titel des Pontifex Maximus und ernannten ihrem Amt entsprechend heidnische Priester. 110 Julian griff somit eine alte, sogar von den christlichen Kaisern geübte Tradition auf, als er das Amt des Pontifex Maximus für sich reklamierte. Er unterstrich hierdurch, dass er als seine Aufgabe die Bewahrung von Integrität und Kontinuität der traditionellen Riten sah – war dies doch von alters her die Hauptaufgabe des Pontifex Maximus gewesen. 111 Eine Neuerung war es hingegen, dass Julian sein Amt wesentlich aktiver interpretierte als seine Vorgänger dies getan hatten. Da es christlicherseits zu dieser Zeit noch kein Papstamt gab, dessen Inhaber die Weisungsbefugnis gegenüber allen anderen Bischöfen besaß, sondern Entschlüsse kollegial auf Synoden und Konzilien getroffen oder besonders angesehene Bischöfe (u. a. der Bischof von Rom) um Rat gefragt wurden, 112 liegt hier sicherlich keine Entlehnung aus der christlichen Praxis vor. Die reichsweite Hierarchie Julians war eine wichtige Neuerung, war doch früher jeder Tempel bzw. Kult in sich organisiert, eine alles umfassende zentralisierte und hierarchisch aufgebaute Organisation gab es nicht. Allerdings hatte schon einige Jahrzehnte vor Julian Maximinus Daia, gestützt auf Traditionen des Kaiserkultes, einen Schritt in diese Richtung getan. Die Modelle zu einer Hierarchisierung paganer Priester sind bei beiden Kaisern von ihrer Struktur her so gut wie identisch: Es handelt sich jeweils um eine Pyramide, an deren Spitze der Kaiser als Pontifex Maximus stand, der die ihm direkt untergebenen Provinzoberpriester berief, während diese wiederum die ihnen unterstehenden gewöhnlichen Priester bestellten. Beide Kaiser sahen es als ihre Pflicht aufgrund ihrer Rolle als Pontifex Maximus, die paganen Kulte durch den Aufbau bzw. die Organisation einer provinzialen und lokalen priesterlichen Infrastruktur zu fördern. Dabei unterschieden sich beide Priesterschaften lediglich in ihrer sozialen Zusammensetzung, denn Julian ließ im Gegensatz zu Maximinus nicht nur Kandidaten aus den gehobenen Schichten zum Priesteramt zu. Unterschiede ergeben sich dagegen in den Zuständigkeiten und Aufgabenfeldern der maximinischen und julianischen Provinzoberpriester. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, was es eigentlich bedeutet, dass Julian seinen Oberpriestern »die Leitung aller Heiligtümer (. . . ) mit dem Auftrag, die Priester in jeder Stadt zu inspizieren und einem jeden das Entsprechende zuzuweisen« 113 übertrug. Meinte Julian damit tatsächlich alle Heiligtümer eines jeden Kultes? Dies ist kaum vorstellbar, gab es doch fast unzählige Kulte von denen einige, wie z. B. die Mysterienkulte, nur Eingeweihten zugänglich waren, andere nur Frauen oder nur Männern, manche waren Privatkulte – es ist leicht zu sehen, dass eine einheitliche Leitung all dieser Kulte so gut wie unmöglich war. Ein einzelner Oberpriester konnte dies gar nicht leisten, nicht nur aufgrund der großen Zahl an Kulten und dem entsprechend nötigen zeitlichen Aufwand und Verwaltungsapparat, sondern auch, da die meisten Kulte seine Autorität nicht anerkannt hätten (wenn er z. B. kein Eingeweihter des betreffenden 110 Constantius II. nahm sogar vereinzelt an heidnischen Zeremonien teil, vgl. Bowder, Age 51; Browning,
Julian 233. 111 Vgl. Gordon, Veil 206; Asmus, Encyklika 46; Bowder, Age 51; Browning, Julian 233. 112 Vgl. Schweizer, Hierarchie 59/71; Gaudemet, Église 408/450. 113 Julian. ep. 89a, 452d (153 Bidez): »ärqein
…erËac ka» ÇponËmonti t‰ prËpon ·kàst˙«.
t¿n (. . .) …er¿n Åpàntwn ‚piskopoumËn˙ to‹c kaj> ·kàsthn pÏlin
4.4 Abschließender Vergleich
99
Kultes gewesen wäre). Da schon die traditionellen Provinzoberpriester »nur« für die Tempel und Priester des Kaiserkultes der jeweiligen Provinz zuständig gewesen waren, scheint es am wahrscheinlichsten zu sein, dass Julian mit dieser Anordnung lediglich die offiziellen bzw. staatlichen Kulte der Städte und Provinzen (wie z. B. den Kaiserkult) dem jeweiligen Oberpriester unterstellte. 114 Dennoch unterschieden sich die von Julian eingesetzten Oberpriester doch sehr von den früher im Kaiserkult tätigen und auch von den von Maximinus Daia reformierten. Waren die Oberpriester des Kaiserkultes in der Regel nur für ein Jahr gewählt worden und beschränkten sich ihre Aufgaben meist auf die nur wenige Tage dauernden Festspiele der Provinz, so ernannte Maximinus Daia sie bereits auf Lebenszeit und beauftragte sie mit einem täglichen Opfer sowie diversen antichristlichen Maßnahmen. 115 Der Katalog an Aufgaben, die Julian seinen Oberpriestern übertrug, war noch umfangreicher: Sie waren für alle Priester der offiziellen Kulte in ihrer Provinz verantwortlich, beriefen ihnen geeignet scheinende Kandidaten und achteten darauf, dass diese in ihrer Amtsführung und ihrem Lebenswandel mit den von Julian aufgestellten Richtlinien konform gingen. 116 Auch sie selbst mussten sich entsprechend dieser Richtlinien verhalten und so jeden Tag mindestens ein Opfer darbringen 117 – aufgrund ihrer Vorbildfunktion kann davon ausgegangen werden, dass zumindest ein Teil dieser Opfer öffentlich war, um das Volk wieder für die Götter zu begeistern. Neben den mit ihrem Amt verbundenen administrativen Aufgaben waren die julianischen Oberpriester nicht zuletzt auch dafür zuständig, eine heidnische Armenversorgung aufzubauen, d. h. die zur Verfügung gestellten staatlichen Mittel entsprechend einzusetzen sowie die Heiden zu Spenden anzuhalten. 118 Den Provinzoberpriestern nach dem Vorbild der von Maximinus Daia unternommenen Reform ähneln Julians Oberpriester somit vor allem in der Art ihrer Bestellung und in der Zuweisung ihres Einflussbereichs. Von ihren Aufgaben her unterscheiden sie sich jedoch sehr. Es gibt vielmehr Anklänge an die Kirche, wenn auch keine, die einem einzigen Amt in der Kirche entsprechen. Von seinem Amtsbereich her ist der Provinzoberpriester mit dem Metropoliten vergleichbar, doch hatte er wesentlich größere Vollmachten als dieser. Hier ist zusätzlich anzumerken, dass die kirchliche Struktur Parallelen zur zivilen Verwaltung des Reiches aufweist, z. B. was die Grenzen von Gemeinden oder Kirchenprovinzen betrifft. 119 So scheint es plausibel zu sein, dass auch Julians Organisation sich auf das zivil-administrative System der Provinziallandtage und Provinzoberpriester zurückführen lässt. Von ihren Aufgaben her haben die julianischen Oberpriester Ähnlichkeit mit einem christlichen Bischof. Wie der Oberpriester gegenüber den ihm untergebenen Priestern war auch der Bischof dem übrigen Klerus seiner Diözese (in der Regel ein wesentlich 114 Vgl. Bidez, Lettres 103 mit Anm. 2; Koch, Empereur 56/58. Julian behielt sich als Pontifex Maximus vor,
115 116 117 118 119
in jeden Kult eingreifen zu können, so bestellte er z. B. die Demeter-Priesterin Kallixeine wegen ihres treuen Ausharrens im Glauben an die Götter zusätzlich zur Priesterin der Großen Mutter in Pessinus (ep. 81 [90f Bidez]). Vgl. Lact. mort. pers. 36, 4 f (SC 19, 119 Moreau); vgl. Deininger, Provinziallandtage 158/161. Vgl. Julian. ep. 84, 430a (144 f Bidez); ausführlich zu Julians Erwartungen an die Priester (Reinheit, Frömmigkeit, würdevolles Leben, wohltätige Werke) vgl. Kapitel 5.1 und 7.1. Vgl. Julian. ep. 89b, 302b (170 Bidez). Vgl. Julian. ep. 84, 430c/431c (145 f Bidez); ausführlich zur Philanthropie vgl. Kapitel 7. Vgl. Scheuermann, Diözese 1057 f, der ferner festhält, dass die kirchlichen Synoden an die Provinziallandtage erinnern.
100
4. Aufbau und Organisation
kleineres Gebiet als das eines Provinzoberpriesters) gegenüber weisungsbefugt und musste sicherstellen, dass dieser sich eines seinem Amt entsprechenden Lebenswandels befleißigte. Dem Oberpriester waren allerdings, wie oben erwähnt, nicht tatsächlich alle paganen Priester einer Provinz unterstellt, sondern nur solche, die in staatlichen bzw. offiziellen Kulten dienten; dem Bischof dagegen unterstand der gesamte christliche Klerus. Der Bischof war ferner für die Spendung der Sakramente zuständig, insbesondere für die sonntägliche Eucharistiefeier (so wie der Oberpriester für die Opfer); er konnte jedoch auch, je nach Größe der Diözese, Presbyter mit der Spendung von Sakramenten oder der Feier der Eucharistie in entlegenen Gebieten beauftragen (was jedoch zur Zeit Julians noch kaum geschah). Ebenfalls beaufsichtigte er die karitativen Aufgaben, doch war deren praktische Ausführung Aufgabe der Diakone. Ein christlicher Bischof hatte also die Möglichkeit, Aufgaben zu delegieren, die Julian in den Briefen an seine Oberpriester nicht vorsah. Diese hätten sich vermutlich in der Praxis notwendigerweise entwickelt, doch bleibt festzuhalten, dass er die ihm bekannte christliche Hierarchie, in der die einzelnen Ämter spezifische Aufgaben hatten, nicht übernahm. So wird fraglich, ob er die Aufgaben seiner Provinzoberpriester tatsächlich an den Zuständigkeiten der Bischöfe orientierte – scheint doch das christliche Modell mit einem Bischof, der zwar verantwortlich war, jedoch die Ausführung der Aufgaben delegieren konnte, besser zu sein als dasjenige Julians. Vor allem, da Julian das Amt des Provinzoberpriesters von einem früher nebenbei ausübbaren Ehrenamt zu einem aufgrund der Aufgabenfülle nur in Vollzeittätigkeit auszufüllenden Amt transformierte. Die Berücksichtigung der Möglichkeit, Aufgaben an untergebene Priester zu delegieren, wäre äußerst sinnvoll gewesen. Hätte Julian mehr Zeit gehabt, aus der in die Praxis umgesetzten Theorie seines Modells zu lernen, so hätte er vermutlich sein System weiter ausdifferenziert. Denn auch in heidnischen Tempeln und Kulten gab es neben den Priestern eine Vielzahl von am Kult beteiligten Personen, wie z. B. die Opferdiener oder Sänger, 120 von denen einige zu Hilfstätigkeiten hätten herangezogen werden können. Zur Finanzierung des Kultes, sei es nun christlich oder pagan, gab es die unterschiedlichsten Modelle, von denen einige sich ähneln, wie z. B. die freiwilligen Abgaben der Gläubigen. Doch haben solche Abgaben eine lange Tradition: Die Christen übernahmen sie vom Judentum, und auch im griechisch-römischen Raum war dies eine altbekannte (wenn auch seltener als im Christentum genutzte) Art, die Tempel zu unterstützen. 121 Die Privilegien, die Julian den Christen entzog und den Heiden zusprach, hatten ursprünglich letztere genossen; die christlichen Kaiser seit Konstantin hatten diese Vorrechte der paganen Kulte der von ihnen begünstigten Kirche zugute kommen lassen. Julian stellte somit in dieser Hinsicht lediglich Verhältnisse aus vorkonstantinischer Zeit wieder her. Viele der Merkmale, die Julian auf den ersten Blick von den Christen übernommen zu haben scheint, lassen sich somit auch auf pagane Parallelen zurückführen. Im Hinblick auf die äußere Struktur z. B. ergibt sich, dass die kirchliche Struktur sich in Entsprechung zu derjenigen der zivilen Administration des Römischen Reiches entwickelte. So, wie die Kirche keine Alternative dazu sah, dieses bewährte System als Vorbild zu übernehmen, ließ Julian sich wohl ebenfalls hiervon und nicht zuletzt auch von der Struktur des Reformversuchs des Maximinus Daia anregen.
120 Ausführlich zum Kultgeschehen vgl. Kapitel 6. 121 Vgl. Debord, Aspects 195.
4.4 Abschließender Vergleich
101
Für die Vernetzung der einzelnen Provinzen miteinander und der dadurch angestrebten reichsweiten Einheit einer paganen religiösen Organisation findet sich jedoch kein heidnisches Vorbild. Denn ob, und wenn ja, inwieweit die paganen Provinzoberpriester vor Julian miteinander in Kontakt standen, ist nicht bekannt; vermuten lässt sich jedoch, dass jede Provinz für sich über die sie betreffenden religiösen Belange entschied und sich darüber nicht mit anderen Provinzen austauschte. Das christliche System der Beziehung der Ortskirchen war im Laufe der Jahrhunderte allmählich gewachsen: Von Anfang an hatten die Gemeinden sich miteinander vernetzt – von Briefen und Besuchen zwischen Einzelgemeinden bis hin zu den provinz- und schließlich reichsweiten Synoden – und die eine reichsweite Kirche gebildet. Im Gegensatz dazu musste Julian sein System einer reichsweiten Verflechtung aller (staatlichen) Kulte gleichsam von oben her dem Reich auferlegen, war ähnliches doch im paganen Bereich unbekannt: »Ein nahezu das gesamte Imperium (oder zumindest seine wichtigsten Teile) überziehendes Netz von festen Gemeinden mit einem professionellen, hierarchisch gegliederten Klerus, der gleichzeitig die Gemeindeleitung, die Gemeindefinanzen, die Armenversorgung und die religiöse Unterweisung in seinen Händen hat, kann seit dem 3. Jahrhundert lediglich die christliche Kirche aufweisen.« 122 Der julianische Oberpriester war, wenn man ihn mit christlicher Brille betrachtet, eine Mischung aus Metropolit (vom Einflussgebiet her) und Bischof (von seinen Aufgaben her). Es ist jedoch am wahrscheinlichsten, dass sich sein Amtsbereich von dem der althergebrachten und auch von Maximinus Daia im Zuge seiner Reformen eingesetzten Provinzoberpriester herleitete. Was die Aufgaben des Oberpriesters betrifft, so gibt es genügend Unterschiede, um eine Inspiration durch das Bischofsamt fraglich zu machen. 123 Es scheint vielmehr so zu sein, dass Julian ihn mit all jenen Befugnissen und Aufgaben ausstattete, die für die erfolgreiche Implementierung seiner Restauration erforderlich waren. Ähnliches gilt auch für die Finanzierung des Kultes, für deren Gewährleistung Julian sich vor allem an den aktuellen Notwendigkeiten orientierte und dabei auf unterschiedliche, im Laufe der Jahrhunderte erprobte Methoden und Einnahmequellen zurückgriff. So bleibt letztlich lediglich die Vernetzung der paganen Kulte, also das Erschaffen einer reichsweiten paganen Infrastruktur, als Übernahme aus dem Christentum bestehen. Die Art und Weise, in der Julian diese äußere Struktur mit Leben füllte, wie er die Ämter der Provinzoberpriester, ihre Befugnisse, ihre Aufgaben etc. sowie die Finanzierung konzipierte, orientierte sich dagegen an traditionellen paganen Konzepten bzw. den besonderen Erfordernissen der Situation.
122 Schöllgen, Anfänge 33. 123 Um nur ein paar (oben bereits beschriebene) Unterschiede zu skizzieren, sei hier der kultische Bereich
genannt, in dem der Bischof in der Regel selbst für die Sakramentenspendung zuständig war, im Gegensatz zum Oberpriester, dessen Gebiet so groß war, dass ein alleiniger Kultvollzug durch ihn selbst rein logistisch unmöglich war. In enger Verbindung hiermit steht auch die Tatsache, dass Julian nirgends eine Entsprechung zum den Bischof unterstützenden Klerus erwähnt, obwohl die Aufgaben des Oberpriesters mannigfaltig waren.
5. DIE PRIESTER
». . . scheint es mir angebracht (. . .) darzulegen, wie der Priester beschaffen sein muss, wenn er selbst mit Recht geehrt werden soll.« 1
Im folgenden Kapitel werden die Priester, die Julian beim Vorantreiben seiner Repaganisierung unterstützen sollten und so eine wichtige Rolle in seinem Konzept spielten, in den Fokus der Untersuchung gestellt. Nachdem zunächst das Ideal vorgestellt wird, das Julian für seine Priester entwarf, wird das Priesterbild in den verschiedenen paganen Kulten wie auch das des Christentums dargestellt. So werden die möglichen Parallelen, aber auch die Unterschiede, in den einzelnen Entwürfen leicht erkennbar. 5.1 Julians Entwurf »In der Gewissheit, dass die Götter ihren Priestern als Gabe große Belohnungen zugesichert haben, wollen wir sie darum in allem zu Bürgen für die würdige Ehrung der Götter ausbilden, dadurch, dass sie ihr eigenes Leben als Beispiel für das, was man den Massen predigen muss, der Öffentlichkeit vorstellen.« 2 Julian hatte erkannt, dass der gut organisierte christliche Klerus eine wichtige Rolle in der Ausbreitung und Etablierung des Christentums spielte. Ebenfalls bedeutend für die große Akzeptanz, derer sich das Christentum erfreute, waren die Authentizität und Vorbildfunktion des christlichen Klerus. 3 Die paganen Priester dagegen hatten viel Einfluss verloren: Durch die Christianisierung des Reiches und den ihr korrespondierenden Niedergang der heidnischen Kulte waren die paganen Priesterämter nicht mehr Stufen einer politischen Karriere und wurden deshalb nicht mehr angestrebt; so blieben selbst prestigeträchtige Priesterämter unbesetzt. 4 Zusätzlich war das Ansehen der Priester im Laufe der Zeit durch Einführung neuer Kulte mit einem anderen Verständnis von der Rolle der Priester als dem traditionellen in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit stark gesunken – dafür sorgten u. a. Priester, die durch die Straßen 1 Julian. ep. 89b, 296d (164 Bidez): »äxion
o⁄ma– moi dieljeÿn (. . .) ÂpoÿÏc tic ªn  …ereÃc aŒtÏc te dika–wc
timhj†setai«. 2 Julian. ep. 89b, 299a/b (167 Bidez): »E dÏtec
3
ofin Ìti megàlac Íqein Ídosan o… jeo» toÿc …ere‹si tÄc Çmoibàc, ‚gg‘ouc aŒtoÃc ‚n pêsi t®c Çx–ac t¿n je¿n kataskeuàswmen, ¡n pr‰c tÄ pl†jh qrò lËgein deÿgma t‰n ·aut¿n ‚kfËrontac b–on«. Vgl. Julian. ep. 84, 429d (144 Bidez): »oŒd‡ ÇpoblËpomen ±c màlista tòn ÇjeÏthta sunh‘xhsen (. . .) ka» ô peplasmËnh semnÏthc katÄ t‰n b–on;« (»Beachten wir nicht, dass es [. . .] und die vorgebliche Reinheit des Lebenswandels waren, die im Verein miteinander die Gottlosigkeit am meisten gefördert haben?«).
4 Vgl. Hahn, Konzept 150. Eine Ausnahme scheinen, so Hahn (ebd. 151), die Priester im Kaiserkult, die flamines
und sacerdotales, dargestellt zu haben; Hahn führt dies darauf zurück, dass diese Ämter schon unter Konstantin so weit säkularisiert worden waren, dass sie auch von Christen ausgeübt werden konnten und sich kaum von den Funktionen eines Magistrats unterschieden; vgl. Vössing, Magistrat 970.
5.1 Julians Entwurf
103
zogen und bettelten. 5 Julian wollte die öffentliche Meinung wieder zugunsten der Priester beeinflussen; er strebte eine Neuorganisation der heidnischen Priesterschaft an und bemühte sich durch strenge Vorschriften deren Image aufzubessern. Dadurch hoffte er zu erreichen, dass die Priester seine Repaganisierung tatkräftig vorantreiben und als Vorbilder die Menschen zurück zu den alten Göttern führen würden. 6 Im Folgenden werde ich darlegen, wie Julian dies verwirklichen wollte. Im vorigen Kapitel wurde bereits dargestellt, wie er seine Priesterschaft organisierte, hier wird der Schwerpunkt auf der Frage liegen, welche Ansprüche er an sie stellte bzw. wie nach Julians Vorstellung »der Priester beschaffen sein muss, wenn er selbst mit Recht geehrt werden soll.« 7 Für Julian war es besonders wichtig, den Priestern wieder zu ihrem alten Ansehen und einer geachteten Position in der Gesellschaft zu verhelfen, da seine Restauration andernfalls keine Chance auf Erfolg hatte. 5.1.1 Julians Anforderungen an die Priester In seinem Brief an Arsakios, den Oberpriester von Galatien, stellte Julian fest: »Die hellenische Sache gedeiht noch nicht so, wie man es erwarten dürfte – durch unser, ihrer Anhänger Verschulden.« 8 Dies lag seiner Meinung nach daran, dass es nicht ausreiche, lediglich die Ausübung der paganen Kulte wieder zu erlauben und die Tempel wieder zu öffnen – vielmehr müssten diese auch attraktiv sein. So hatte Julian erkannt, dass das Christentum vor allem aufgrund von mehreren Tugenden, die es in sich, bzw. in seinen Priestern, vereinte, in seine hervorragende Stellung gelangt war. Als diese Tugenden nannte er z. B. die Menschenfreundlichkeit, die Vorsorge für Begräbnisse und die Reinheit des Lebenswandels und betonte, dass auch die heidnischen Priester sich bemühen müssten, diese Tugenden zu üben. 9 Wie Athanassiadi es formuliert: »As the public man par excellence, the Julianic priest was expected to possess (. . . ) perfect virtue.« 10 An anderer Stelle entwirft Julian folgendes Anforderungsprofil eines Priesters: »Ich erkläre, dass man dazu (scil. zum Priesteramt) in den Städten die Besten erwählen soll, Männer, die, ganz gleich, ob sie nun arm sind oder reich, vor allem große Liebe zu den Göttern und dann zu den Menschen zeigen. Dabei darf es keinerlei Unterschied geben zwischen unbedeutender und bedeutender gesellschaftlicher Stellung. (. . . ) wenn er nur diese beiden Eigenschaften in sich vereinigt, die Liebe zu den Göttern und die Liebe zu den Menschen, soll er zum Priester berufen werden.« 11 5 Vgl. Athanassiadi, Julian 183 f; Grassl, Mendicus 705. 707. 710. 6 Vgl. Athanassiadi, Julian 181: »The shock troops of Julian’s religious reform were to be the priests«. 7 Julian. ep. 89b, 296d (164 Bidez): »ÂpoÿÏc tic ªn  …ereÃc aŒtÏc te dika–wc timhj†setai«. 8 Julian. ep. 84, 429c (144 Bidez): » ôtiso‹n Çfano‹c ka» ‚pifano‹c; (. . .) Íqwn ‚n ·autƒ d‘o ta‹ta, tÏ te filÏjeon ka» t‰ filànjrwpon, …ereÃc Çpodeikn‘sjw«. Zur Auswahl allein nach Kriterien der Liebe zu den Göttern und den Menschen gibt Rosen,
Julian 299, zu bedenken, dass die Bewerber um das Priesteramt immerhin so wohlhabend sein mussten, dass sie sich die Ausgaben zu den von Julian geforderten philanthropischen Werken leisten konnten. Ob das jedoch tatsächlich nötig war, ist zu bezweifeln, da Julian Staatsmittel für philanthropische Zwecke zur Verfügung stellte, so dass die Priester lediglich über deren Verteilung wachen mussten, und zudem auch die paganen Gläubigen dazu angehalten werden sollten, solche Zwecke zu unterstützen (vgl. Julian. ep. 84, 430b/d [145 Bidez]; vgl. Kapitel 7.1 zur Philanthropie).
104
5. Die Priester
Im paganen Bereich waren die Priesterämter meist Stationen des cursus honorum gewesen, die vom Inhaber lediglich die Durchführung bestimmter (Opfer-) Zeremonien, Reinheit während der Kultausübung sowie häufig die Finanzierung der Opfer forderten. 12 Julian dagegen war weit anspruchsvoller und erwartete von seinen Priestern ein Verhalten, das seinem Verständnis von der Bedeutung dieses Amtes als Mittlerposition 13 zwischen Göttern und Menschen entsprach. 5.1.1.1 Frömmigkeit »Ich erkläre, dass man in den Städten die besten, diejenigen, die vor allem die Götter lieben« 14 zu Priestern erwählen soll – so Julians Anweisung. Der Priester sollte vor allem sein eigenes Leben in Frömmigkeit führen, um so seine Beziehung zu den Göttern durch den Kontakt mit ihnen zu pflegen. Deshalb betonte Julian die Wichtigkeit des regelmäßigen persönlichen Gebets, 15 sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich – hier kommt wieder die Vorbildfunktion zum Tragen – und zwar (wenn möglich) dreimal täglich, mindestens aber morgens und abends; hierdurch sollte »den Göttern der Beginn der beiden Zeitabschnitte« 16 geweiht werden. Zudem gab Julian zu bedenken, dass ein Priester, auch wenn er nicht im Tempel Dienst tue, keinen Tag und keine Nacht ohne Opferhandlung verbringen sollte. 17 Obwohl Julian den Priestern einige Zugeständnisse für die Zeit machte, in der sie frei von ihrem Dienst im Tempel waren, 18 legte er doch einen gewissen Standard auch für diese Zeit fest. Was er nicht genau regelte, zumindest nicht in den uns überlieferten Briefen, ist, wie die Priester beten sollten; er erwähnte nur, dass das Gebet im Zusammenhang mit einer Opferhandlung stehen solle. 19 Während der Zeit des Tempeldienstes, der regional unterschiedlich lang dauern konnte, 20 sollten sich die Priester neben ihren diversen priesterlichen Tätigkeiten nur mit der Philosophie beschäftigen. Damit zielte Julian auf eine stetige philosophische Formung der Priester ab – christliche Kleriker lasen die Bibel, pagane Priester studierten die Philosophie. Julian betonte ausdrücklich, dass ein Priester in dieser Zeit den Tempel nach Möglichkeit nicht verlassen, sondern seinen Dienst an den Göttern versehen sowie alles Nötige selbst beaufsichtigen und anordnen solle. 21
12 Vgl. Bowder, Age 100. 13 Vgl. Julian. ep. 89b, 296b/c (164 Bidez): »E÷logon
d‡ ka» toÃc …erËac timên ±c leitourgoÃc je¿n ka» ÕphrËtac ka» diakono‹ntac ômÿn tÄ pr‰c toÃc jeo‘c, sunepisq‘ontac t¨ ‚k je¿n e c ômêc t¿n Çgaj¿n dÏsei; proj‘ousi gÄr pàntwn ka» Õpere‘qontai« (»Die Vernunft gebietet aber, auch die Priester zu ehren als Kultvollstrecker und
14 15 16
17 18 19 20 21
Diener der Götter, die für uns die Pflichten gegen die Götter erfüllen und ihre Kräfte mit dem Geschenk der guten Gaben der Götter an uns vereinigen; opfern und beten sie doch für uns alle«). Julian. ep. 89b, 304d (173 Bidez): »>Eg∏ fhmi toÃc ‚n taÿc pÏlesi belt–stouc ka» màlista m‡n filojewtàtouc« (eigene Übersetzung). Zur Stellung, die das Gebet in Julians eigener Frömmigkeit einnahm, vgl. Kapitel 6.1. Julian. ep. 89b, 302b (170 Bidez): »E÷logon d‡ ÇmfotËrwn toÿc jeoÿc Çpàrqesjai t¿n diasthmàtwn«; vgl. Porph. abst. 2, 34 (163 f Nauck): dem höchsten Gott sollen reine Gedanken in Stille und Einsamkeit geopfert werden; vgl. Olszaniec, Reform 219. Vgl. Julian. ep. 89b, 302b (170 Bidez). Vgl. Julian. ep. 89b, 302c/303a (170 f Bidez). Vgl. Julian. ep. 89b, 302b (170 Bidez). In Rom waren es laut Julian z. B. 30 Tage, vgl. ep. 89b, 302d (170 Bidez). Vgl. Julian. ep. 89b, 302d/303a (170 f Bidez). Während der Zeit des Tempeldienstes war somit die Ausübung eines Nebenberufes nicht möglich. Im Christentum führte der allmähliche Zuwachs an Aufgaben zur Profes-
5.1 Julians Entwurf
105
Ferner sollten die Priester die Hymnen, die zu Ehren der Götter gesungen wurden, auswendig lernen – wenigstens jene, die in den Heiligtümern gesungen wurden. Denn laut Julian waren die meisten dieser Hymnen nicht von Menschen verfasst worden, sondern wurden ihnen von den Göttern geschenkt und mussten dementsprechend gewürdigt werden. 22 Die Götterstatuen, die Tempel und Altäre sollten mit Ehrfurcht und Ergebenheit behandelt werden, so, als seien die Götter selbst gegenwärtig, denn sie wurden als Sinnbild für deren Gegenwart geschaffen. Julian warnte jedoch davor, die Statuen selbst für Götter zu halten, sie seien vielmehr ein Mittel, um die Götter zu ehren. 23 Der Gläubige müsse den Mittelweg finden, die Statuen weder als reine Gebilde aus Stein und Holz zu sehen, noch sie für Götter zu halten. Julian erläuterte dies mit Hilfe eines Beispiels: Wer seinen Vater liebe, sehe mit Freude das Bild seines Vaters – wer die Götter liebe, sehe mit Freude die Bilder und Statuen der Götter. 24 Die Frömmigkeit eines Priesters zeigte sich nach Julians Meinung nicht nur in seinem eigenen Leben, sondern auch in seinem Wirken nach außen. Zunächst betraf dies seine Familie, so betonte Julian: »Kennzeichen der Liebe zu den Göttern ist es, wenn er alle seine Angehörigen zum frommen Glauben an die Götter anleitet.« 25 Julian verknüpfte hier die Liebe zu den Göttern eng mit den praktischen Auswirkungen, die diese zeitigen und in denen sie sich ausdrücken sollte. So rügte Julian die heidnische Priesterin Theodora, die in ihrem Haushalt anscheinend christliches Personal beschäftigte, wenn nicht sogar Christen in der eigenen Familie hatte. 26 Er machte ihr ganz entschieden deutlich: »Wenn du unter Männern oder Frauen, Freien oder Sklaven, irgend jemand liebst, der weder jetzt die Götter ehrt, noch dich hoffen lässt, ihn dazu bewegen zu können, so bist du im Unrecht.« 27 Duldung von Christen im eigenen Haus war den Priestern somit nur erlaubt, wenn Hoffnung auf deren Bekehrung bestand. Julian begründete dies folgendermaßen: Wenn einer von Theodoras Dienern mit Leuten gemeinsame Sache mache, die Theodora beschimpften, wenn er auch ihre Freunde verabscheue und dies laut äußere, wiese sie den Betreffenden aus dem Haus. Die Götter aber haben laut Julian weitaus mehr Anspruch auf Ehre als die Freunde; sie dürfen
22 23 24 25 26
27
sionalisierung des Klerus und dessen Recht auf Unterhalt durch die Gemeinde (vgl. Schöllgen, Anfänge, bes. 50/81; vgl. Kapitel 4.3.1); da Julian diese hohen zeitlichen Anforderungen an seine Priester jedoch auf die Zeit ihres Tempeldienstes beschränkte, scheint sich eine ähnliche Entwicklung hier (noch) nicht abzuzeichnen – wäre er länger an der Macht geblieben und hätte dadurch mehr Zeit gehabt, seine Organisation aufzubauen, so wäre es evtl. auch hier zu einer Professionalisierung gekommen. Vgl. Julian. ep. 89b, 301d/302a (169 Bidez). Vgl. Julian. ep. 89b, 293a/b. 296b (160 f. 164 Bidez). Vgl. Julian. ep. 89b, 294b/d (162 Bidez). Julian. ep. 89b, 305b (173 Bidez): »Deÿgma d‡ to‹ filojËou mËn, e toÃc o ke–ouc âpantac e c tòn per» toÃc jeoÃc eŒsËbeian e sagàgoi«. Vgl. Norman, Autobiography 1, 203, der vermutet, dass Theodora ursprünglich Christin gewesen sei. Dies würde seiner Meinung nach sowohl ihre christlichen Hausgenossen, als auch ihren geringen Eifer für ihr Priesteramt erklären. Julian. ep. 86 (148 Bidez): »e“ tina Çndr¿n £ gunaik¿n £ ‚leujËrwn £ do‘lwn Çgapîc o÷te n‹n sËbonta jeo‘c, o÷te ‚n ‚lp–di to‹ pe–sein aŒt‰n Íqousa, Åmartàneic«. Weder Weis (Briefe 119: »bist du im Unrecht«) noch Bidez (Lettres 148: »tu es en faute«) übersetzen »Åmartàneic« mit »du sündigst«, vermutlich, da diese Wortbedeutung in besonderer Weis mit dem Christentum verbunden ist und Julian nirgendwo in seinen Schriften erkennen lässt, dass er das christliche Konzept der Sünde übernimmt (eher im Gegenteil, vgl. z. B. Julian. Caes. 336a/b [70 f Lacombrade]). Vgl. Sitzler-Osing, Sünde 360f, zu einem kurzen Überblick über das pagane Verständnis von Sünde, das sie als »negative religiöse Qualifizierung einer menschlichen Verhaltensweise« (ebd. 360) vom engeren christlich-theologischen Verständnis unterscheidet (weiterführende Literatur ebd. 362).
106
5. Die Priester
auf keinen Fall von den Priestern, geschweige denn ihren Untergebenen oder Familienmitgliedern, ohne die nötige Ehrfurcht behandelt werden. 28 Er unterstrich diese Argumentation mit den Worten: »Ich würde die Zuneigung von Menschen, die die Götter nicht lieben, nicht annehmen.« 29 Die Priester sollten ihren heiligen Dienst für die Götter ernst nehmen, in ihrem eigenen Haus den Anfang machen und es von »derart gefährlichen Krankheitsherden« 30, wie Julian die Christen bezeichnete, säubern. Sollten die Priester dieser Anordnung Julians nicht Folge leisten, so drohte ihnen eine Amtsenthebung, denn in diesem Fall fehlten sie gegenüber den Göttern: In seinem Brief an Arsakios, den Oberpriester von Galatien, befahl Julian diesem ausdrücklich, solche Priester, die es »bei ihrem Hausgesinde, ihren Söhnen oder ihren galiläischen Gattinnen dulden, dass sie die Verehrung der Götter vernachlässigen und die Götterverachtung der Götterverehrung vorziehen« 31 ihrer priesterlichen Funktion zu entbinden. Er strebte somit eine totale Abgrenzung von den Christen an. Besonders wichtig war Julian somit die Ehrfurcht vor den Göttern, geübt sowohl vom Priester als auch seiner ganzen Hausgemeinschaft, möglichst auch ausstrahlend auf andere Menschen. In diesem Zusammenhang betonte er, dass der Kult der Götter so vollzogen werden solle, als seien diese persönlich anwesend – wenn auch für die Menschen unsichtbar. 32 Auch wies er warnend darauf hin, dass die Götter ins Herz und in die Seele der Menschen schauen könnten und Frömmigkeit, die nicht echt, sondern lediglich gespielt sei, von ihnen durchschaut werde. Wer sich jedoch in echter Frömmigkeit übe, indem er sich ehrfürchtig gegenüber den Göttern verhalte und Gemeines weder ausspreche noch anhöre, dem verhieß Julian, sei er Priester oder nicht, nach dem Tod den Olymp anstelle des Tartarus. 33 5.1.1.2 Reinheit »Rein halten müssen sich aber die Priester nicht nur von unreinen Werken und zuchtlosen Handlungen, sondern auch von ihrem Aussprechen und Anhören.« 34 Die Reinheit der Priester war Julian sehr wichtig. Er ging zwar nicht so weit, dass er die im christlichen Bereich allmählich auftretenden Zölibatsforderungen für Kleriker 35 übernahm, erließ aber doch strenge Bestimmungen, um die Reinheit der Priester sicherzustellen. Er selbst war zwar verheiratet, lebte aber abgesehen von den ehelichen Pflichten enthaltsam und heiratete nach dem Tod seiner Frau nicht wieder. 36 Doch er erkannte, dass er nicht alles, was er sich selbst auferlegte, auch von anderen fordern konnte. So gestand er zu, dass man »dem Menschen, der zum Priestertum gelangt 28 Vgl. Julian. ep. 86 (148 Bidez). 29 Julian. ep. 86 (149 Bidez): »>Eg∞ d‡ oŒk ãn 30 Julian. ep. 86 (149 Bidez): »t¿n thliko‘twn
dexa–mhn Õp‰ t¿n mò filo‘ntwn jeoÃc Çgapêsjai«. noshmàtwn«; zur Bezeichnung des Christentums als Krankheit bei
Julian vgl. Kapitel 2.3.1. 31 Julian. ep. 84, 430b (145 Bidez): Ȃll>
ÇnËqointo t¿n o ket¿n £ ht¿ni u…Ëwn £ t¿n Galila–wn gamet¿n Çsebo‘ntwn m‡n e c toÃc jeo‘c, ÇjeÏthta d‡ jeosebe–ac protim∏ntwn« (eigene Übersetzung).
32 Vgl. Julian. ep. 89b, 299b/c (167 Bidez). 33 Vgl. Julian. ep. 89b, 300a/c (167 f Bidez); Julian berief sich mit dieser Aussage auf einen Spruch, der vermutlich
aus einer Orakelsammlung stammte, dessen Herkunft aber nicht mehr ermittelbar ist, vgl. Bidez, Lettres 167 Anm. 3; Weis, Julian 310 Anm. 40. 34 Julian. ep. 89b, 300c (168 Bidez): » Çretòn proËqein, £ ÂpÏson per–estin Çxi∏mati« (»Nicht
179 Vgl. Greg. Naz. or. 2, 14 (SC 247, 108 Bernardi): »oŒd‡
180 181 182 183 184 185 186
nur soll er [scil. der Presbyter] die schlimmen Bilder aus der Seele auswischen; es ist auch Pflicht, bessere einzuzeichnen, so dass die sittliche Würde die Amtswürde übertrifft«). Greg. Naz. or. 2, 15 (SC 247, 110 Bernardi): »≤c äriston e⁄nai, ka» Çe» tƒ kalƒ proba–nonta«. Vgl. Greg. Naz. or. 2, 16 (SC 247, 110/112 Bernardi). Vgl. Greg. Naz. or. 2, 20/22 (SC 247, 116/120 Bernardi). Vgl. Greg. Naz. or. 2, 28. 30/33 (SC 247, 126. 128/130 Bernardi). Vgl. Greg. Naz. or. 2, 35/38 (SC 247, 132/140 Bernardi). Greg. Naz. or. 2, 39 (SC 247, 140 Bernardi): »eÕreÿn tina t‰n pàntac katart–sai dunàmenon lÏgon, ka» lampr‹nai tƒ fwt» t®c gn∏sewc«. Greg. Naz. or. 2, 54 (SC 247, 162 Bernardi): »T‰ d‡ t®c didaskal–ac filÏponon; t‰ d‡ poik–lon t®c jerape–ac; ô filanjrwp–a dË; t‰ d‡ aŒsthr‰n pàlin«.
5.3 Christliche Parallelen
125
irdische Dinge, wie etwa ihr Wissen, stolz sein, sondern wie dieser nicht mehr für sich selbst leben, sondern für Christus. 187 Gregor hatte hohe Ansprüche: »Der Vorsteher soll einerseits etwas Einheitliches sein, wenn es gilt, auf die Masse einzuwirken, andererseits aber recht geschmeidig und vielseitig sich zeigen, wenn es sich um Einzelseelsorge handelt und um eine Belehrung, von welcher jeder Vorteil und Nutzen haben soll.« 188 Schließlich gelte für jedes geistliche Amt: »Mit Rücksicht auf das Wohl der Mitmenschen muss man überall auf seinen eigenen Nutzen verzichten.« 189 Da Gregor jedoch, anders als z. B. Julian, keine expliziten Vorschriften für den Lebenswandel gab, musste jeder dieses abstrakte Ideal selbst konkretisieren. 5.3.2 Idealvorstellung II: Der lateinische Westen. Hieronymus Für Hieronymus’ Darstellung seines Bildes eines christlichen Klerikers ist vor allem sein Brief an Nepotian aufschlussreich. 190 In ihm entwarf Hieronymus auf dessen Wunsch hin einen Leitfaden für das Leben als Kleriker. 191 Dieser Brief geht weit mehr ins Detail als Gregor, auch belässt er es nicht bei rein abstrakten Forderungen, sondern legt ganz konkret dar, wie ein Kleriker sich in bestimmten Situationen verhalten solle. An den Anfang seiner Ausführungen stellte Hieronymus eine tiefgründige Erklärung des Wortes Kleriker: »Das griechische Wort kl®roc bedeutet lateinisch sors (Los). Man spricht deshalb von Klerikern, weil der Herr sie durch das Los bestimmt hat oder weil der Herr selbst das Los, d. h. der Anteil, der Kleriker ist. Wer aber ein Teil des Herrn ist oder den Herrn zu seinem Anteile gemacht hat, muss sich so aufführen, dass er selbst den Herrn besitzt und von dem Herrn in Besitz genommen wird. Wer den Herrn sein eigen nennt und mit dem Propheten spricht: ›Der Herr ist mein Anteil‹, darf außer dem Herrn nichts sein eigen nennen.« 192 Wie die alttestamentlichen Priester keinen Anteil an der Landverteilung gehabt hatten, da der Herr ihr Anteil gewesen sei, und deshalb vom Zehnten gelebt hätten, so würden die Kleriker durch die Kirche unterhalten; deswegen sollten sie sich durch Genügsamkeit und eine totale Hingabe an Gott auszeichnen. 193 Ein Kleriker solle den Reichtum verachten und nie mehr besit187 Vgl. Greg. Naz. or. 2, 56 (SC 247, 164 Bernardi). 188 Greg. Naz. or. 2, 44 (SC 247, 148 Bernardi): »t‰n
189
prostàthn Åplo‹n te e⁄nai t‰n aŒt‰n katÄ tòn ‚n pêsin ÊrjÏthta; ka» Ìti màlista pantodap‰n ka» poik–lon katÄ tòn pr‰c Èkaston o ke–wsin, ka» t‰ t®c Âmil–ac pr‰c pàntac ‚pit†deiÏn te ka» prÏsforon«. Greg. Naz. or. 2, 54 (SC 247, 164 Bernardi): »O›toc Ìroc pàshc pneumatik®c prostas–ac, pantaqo‹ t‰ kaj> ·aut‰n parorîn pr‰c t‰ t¿n ällwn sumfËron«.
190 Nepotian war der Neffe eines alten Freundes von Hieronymus, Bischof Heliodor; er war zuerst Soldat der kai-
serlichen Palastwache geworden, hatte jedoch nach kurzer Zeit beschlossen, Mönch zu werden. Seinem Onkel zuliebe verzichtete er jedoch auf ein Eremitenleben und ließ sich von diesem zum Presbyter weihen, um ihn in seiner Gemeinde zu unterstützen; vgl. Schade, Schriften 122. – Die deutsche Übersetzung orientiert sich in der Regel (wenn nicht anders vermerkt) an Schade, Schriften. 191 Vgl. Hieron. ep. 52, 1. 4 (CSEL 54, 413f. 421 Hilberg). Auch Hieronymus hatte vermutlich vor allem den höheren Klerus im Blickfeld. 192 Hieron. ep. 52, 5 (CSEL 54, 421 Hilberg): »Si enim kl®roc Graece ›sors‹ Latine appellatur, propterea vocantur clerici, vel quia de sorte sunt domini vel quia dominus ipse sors, id est pars, clericorum est. Qui autem vel ipse pars domini est vel dominum partem habet, talem se exhibere debet, ut et possideat dominum et ipse possideatur a domino. Qui dominum possidet et cum propheta dicit: ›pars mea dominus‹, nihil extra dominum habere potest«. 193 Vgl. Hieron. ep. 52, 5 (CSEL 54, 422 Hilberg): »habens victum et vestitum his contentus ero et nudam crucem nudus sequar« (»Mit dem nötigen Lebensunterhalt und der Kleidung werde ich mich zufrieden geben
126
5. Die Priester
zen, als bei seiner Weihe; vor Klerikern, die nach persönlicher Bereicherung strebten, solle er sich hüten, damit sie keinen schlechten Einfluss auf ihn ausübten. 194 Arme und Fremde sollten freundlich an seinem Tisch aufgenommen werden, damit »Christus in ihnen Gast« 195 sein könne. Als eine Schande betrachtete Hieronymus Kleriker, die aus Gier nach Reichtum zu Erbschleichern würden, indem sie ältere oder kranke Gemeindemitglieder pflegten und dadurch hofften, im Testament bedacht zu werden. 196 Hieronymus zählte es zu den Pflichten eines Klerikers, die Kranken zu besuchen. Seine ganze Gemeinde solle er kennen und wertschätzen; doch solle er sich nicht zu oft einladen lassen, um nicht verachtet zu werden. 197 Auch solle er keine Geschenke erbitten und, wenn möglich, keine annehmen, um nicht in den Verdacht der Bestechlichkeit zu geraten. Da ein Kleriker selber nicht heiraten und keinen Besitz haben solle, dürfe er sich auch nicht als Heiratsvermittler betätigen oder Verwalter von Häusern und Ländereien sein. 198 Laut Hieronymus stehe es einen Kleriker gut an, sich in Sanftmut, Schweigen und Zurückgezogenheit zu üben, Geschwätz und Wichtigtuerei dagegen zu meiden. 199 Armut und Bescheidenheit waren weitere Tugenden, die er Nepotian empfahl. So solle ein Kleriker weder zu dunkle noch zu leuchtende Kleidung tragen und darauf achten, dass diese weder prunkvoll noch schmutzig sei. 200 Da scheinbar einige Kleriker Gemeindemitglieder zum Spenden aufriefen, um sich selbst daran zu bereichern, betonte Hieronymus, der Bischof müsse genau prüfen, wen er mit dem Einsammeln der Spenden und der Verteilung an die Armen beauftrage. 201 Wenn ein Kleriker eine Spende erhalte, solle sie sofort verteilt werden; wenn er jedoch ängstlich beim Verteilen sei und lieber etwas zurückhalte, solle er besser den Spender selber verteilen lassen. 202 Strenge Vorschriften stellte Hieronymus über den Umgang mit Frauen auf. Es war für ihn so selbstverständlich, dass ein Kleriker unverheiratet sein sollte, dass er dies gar nicht mehr erwähnte, sondern allgemein den Kontakt zu Frauen auf das Notwendigste beschränkte. So solle eine Frau nach Möglichkeit die Wohnung eines Klerikers nicht betreten und erst recht nicht mit ihm unter einem Dach leben. 203 Selbst im Krankheitsfall solle sich der Kleriker möglichst von einem anderen Kleriker pflegen lassen, allenfalls von einem Familienmitglied oder von einer tugendhaften Frau. 204 Wenn ein Kleriker aus seelsorgerischen Gründen eine Frau aufsuchen müsse, solle er dies niemals alleine tun, sondern immer zusammen mit einem Begleiter von gutem Ruf. Wenn
194 195 196 197 198 199 200 201 202 203 204
und in Armut dem kahlen Kreuz folgen«). Entsprechend solle das Essen eines Presbyters angemessen und nicht dekadent sein, vgl. Hieron. ep. 52, 5 (CSEL 54, 425f Hilberg). Vgl. Hieron. ep. 52, 5 (CSEL 54, 422 Hilberg): »quasi quandam pestem fuge« (»[einen solchen] fliehe wie die Pest«). Hieron. ep. 52, 5 (CSEL 54, 422 Hilberg): »cum illis Christus conviva«. Vgl. Hieron. ep. 52, 6 (CSEL 54, 426 Hilberg). Um klerikales Fehlverhalten zu verhindern, schlug er vor, dass nur die Kirche, nicht der Kleriker, erbberechtigt sein solle; vgl. Hieron. ep. 52, 6 (CSEL 54, 425 Hilberg). Vgl. Hieron. ep. 52, 15 (CSEL 54, 438 f Hilberg). Vgl. Hieron. ep. 52, 16 (CSEL 54, 439 Hilberg). Vgl. Hieron. ep. 52, 5 (CSEL 54, 422 f Hilberg). Vgl. Hieron. ep. 52, 9 (CSEL 54, 430 Hilberg). Hieronymus betonte ebd., dass man nicht Lob verdiene, weil man auf ein Leinengewand verzichte, sondern dadurch, dass man sich keines leisten könne. Vgl. Hieron. ep. 52, 9 (CSEL 54, 431 Hilberg). Vgl. Hieron. ep. 52, 16 (CSEL 54, 440 Hilberg). Vgl. Hieron. ep. 52, 5 (CSEL 54, 423 f Hilberg). Hieronymus warnte in diesem Zusammenhang vor der von den Frauen ausgehenden Gefahr, durch die einige zwar »körperlich genasen, aber an der Seele krank wurden« (Hieron. ep. 52, 5 [CSEL 54, 423 Hilberg]: »convaluisse corpore et animo aegrotare coepisse«).
5.3 Christliche Parallelen
127
die betreffende Frau etwas Vertrauliches besprechen wolle, so solle er eine zweite Frau hinzuziehen, aber auf keinen Fall alleine mit einer Frau in einem Raum sein, damit kein böses Gerede aufkommen könne. 205 Indiskutabel sei es, mit Frauen kleine Geschenke oder Briefe auszutauschen, da Kleriker schon erröten müssten, wenn sie nur im Theater die Schauspieler von Liebe sprechen hörten. 206 Entsprechend wies Hieronymus Nepotian an, die Theater möglichst zu meiden, da »die Lebensweise dem Priestertum und das Priestertum der Lebensweise zur Zierde gereichen« 207 solle. Äußerst wichtig sei es für einen Kleriker, die Heilige Schrift genau zu kennen. So ermahnte Hieronymus Nepotian: »Lies fleißig in der Heiligen Schrift, nie sollen deine Hände die heilige Lesung beiseite legen« 208, denn: »Was du lehren willst, lerne zuvor selbst!« 209 Das, was er predige, solle der Kleriker auch selbst tun, damit »Handlung und Wort nicht zueinander in Gegensatz treten« 210 und er seiner Vorbildfunktion gerecht werde. Auch an die Predigt selbst stellte Hieronymus hohe Anforderungen. Diese solle der Gemeinde nicht schmeicheln, sondern in ihr vielmehr Reue angesichts ihrer Fehler und den Wunsch nach Besserung wecken. Der Prediger solle nicht auf rhetorisches Lob bedacht sein oder gar die Zuhörer durch seine Beredsamkeit beeindrucken wollen, vielmehr solle er zeigen, dass er mit der Theologie und den Geheimnissen Gottes vertraut sei und diese allgemein verständlich ausdrücken könne. 211 Hieronymus ermahnte zum Gehorsam gegenüber dem Bischof, der wie ein Vater geehrt werden solle, betonte aber auch, dass die Bischöfe ihrerseits die ihnen unterstellten Kleriker wie Söhne behandeln sollten: Gegenseitig sollten sie sich ehren. 212 Auch den gesellschaftlichen Umgang eines Kleriker behandelte Hieronymus: Er solle sich von weltlichen Gastmählern fernhalten, besonders wenn sie von hohen Würdenträgern veranstaltet würden, da sich dies für einen in Armut lebenden Kleriker nicht schicke. Erst recht dürfe er selbst keine festlichen Gelage veranstalten, selbst wenn dies unter dem Deckmantel geschehe, sich dadurch für die ihm anvertrauten Armen einzusetzen. 213 Ein Kleriker solle Alkohol nur in Maßen konsumieren. Wenn er faste, solle er dies ebenfalls maßvoll tun – als heuchlerisch kritisierte Hieronymus die Praxis, auf ein Genussmittel zu verzichten, nur um es durch andere zu ersetzen, denn: »Das wirksamste Fasten ist das bei Wasser und Brot.« 214 Ein Kleriker solle nicht nach der Anerkennung der Menschen streben, sondern nur nach derjenigen Gottes. 215 Auch solle er keine rein äußerliche Frömmigkeit zur Schau 205 Vgl. Hieron. ep. 52, 5 (CSEL 54, 423 f Hilberg). 206 Vgl. Hieron. ep. 52, 5 (CSEL 54, 424 Hilberg): » ›Mel meum, lumen meum meumque desiderium‹ et ceteras
207 208 209 210 211 212 213 214 215
ineptias amatorum (. . .) in comoediis erubescimus« (»wir erröten für Ausdrücke wie ›mein Honig, mein Licht, meine Sehnsucht‹ [. . .] und andere Torheiten Verliebter in den Lustspielen«). Hieron. ep. 52, 5 (CSEL 54, 424 Hilberg): »sacerdotium proposito et propositum ornatur sacerdotio«. Hieron. ep. 52, 7 (CSEL 54, 426 Hilberg): »Divinas scripturas saepius lege, immo numquam de manibus tuis sacra lectio deponatur«. Hieron. ep. 52, 7 (CSEL 54, 426 Hilberg): »Disce, quod doceas«. Hieron. ep. 52, 7 (CSEL 54, 426 f Hilberg): »Non confundant opera sermonem tuum«. Vgl. Hieron. ep. 52, 7 (CSEL 54, 428 f Hilberg). Vgl. Hieron. ep. 52, 7 (CSEL 54, 427 Hilberg). Vgl. Hieron. ep. 52, 11 (CSEL 54, 433 Hilberg). Hieron. ep. 52, 12 (CSEL 54, 436 Hilberg): »Fortissimum ieiunium est aqua et panis«. Vgl. Hieron. ep. 5, 13 (CSEL 54, 436 Hilberg): »Per bonam et malam famam a dextris et a sinistris Christi miles graditur, nec laude extollitur nec vituperatione frangitur, non divitiis tumet, non contrahitur paupertate, et laeta contemnit et tristia« (»Der wahre Soldat Christi geht seines Weges nach rechts und nach links, einerlei, ob man ihn lobt oder schmäht. Lob macht ihn nicht übermütig, Tadel bricht ihm auch nicht das
128
5. Die Priester
stellen, denn »viel wertvoller ist es, diese Dinge im Herzen zu tragen.« 216 Schmücken solle er sich mit Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Starkmut; vor Zügellosigkeit solle er sich hüten und weder andere verleumden, noch Verleumdungen anhören. 217 Es ist leicht zu erkennen, dass für den selbst asketisch lebenden Hieronymus ein mönchisch und asketisch lebender Kleriker das Ideal darstellte. 218 Er lebte in einer Zeit des Umbruchs und wollte dazu beitragen, das mönchische Ideal nach und nach auch auf die Kleriker zu übertragen und die Zahl der verheirateten Kleriker immer mehr zu reduzieren. Er zeichnete sein Bild eines idealen Klerikers auf dem Hintergrund der Missstände, die er im Klerus sah und beheben wollte. 5.3.3 Wirklichkeit: Die Verordnungen der Konzilien Die Konzilien beschäftigten sich in ihren Verordnungen meist mit Missständen, die der Korrektur bedurften. Wenn in den Kanones ein bestimmtes Verhalten von Klerikern gefordert wird, kann man davon ausgehen, dass die Wirklichkeit anders aussah und das richtige Verhalten eingeschärft werden sollte. Meist beschäftigen diese Kanones sich im Zusammenhang mit Klerikern mit allgemeinen charakterlichen Schwächen, Sexual- und Ehemoral, unwürdigem Lebenswandel, Abwesenheit vom Dienst, finanziellen Vergehen, weltlichen Tätigkeiten und Ämtern sowie mangelnder Bildung. 219 Für Julians Zeit besonders relevant ist der Befund der Konzilien nach dem Nizänum (325 n. Chr.), da in dieser Zeit (nach der Erhebung des Christentums zur religio licita durch Konstantin den Großen) das Amt des Klerikers für alle gesellschaftlichen Schichten attraktiv wurde und durch das Bemühen, nur würdige Kandidaten zu weihen, die Zahl der Weihehindernisse zunahm. 220 5.3.3.1 Die Voraussetzungen für eine Weihe Es war der Kirche wichtig, nur solche Männer zu weihen, die eine hohe Integrität besaßen und weder unwürdig noch unfähig waren. So mussten die Bewerber bestimmte Voraussetzungen erfüllen, sowohl von der eigenen Person her, wie auch verschiedene rechtliche und soziale. Im Christentum war (und ist), anders als im paganen Bereich, das männliche Geschlecht eine unabdingbare Voraussetzung, so selbstverständlich, dass sich kaum entsprechende Anordnungen finden. 221 Für das Alter der Bewerber gab es verschiedene Richtlinien, je nachdem, ob sie schon als Kind oder erst als Erwachsene getauft worden waren; in der Regel galt die Altersgrenze von 21 Jahren für das Akolythat bzw. Subdiakonat, von 25 Jahren für das Diakonat, von 30 Jahren für das Presbyterat. 222 Es
216 217 218 219 220 221 222
Herz. Reichtum macht ihn nicht aufgeblasen, Armut nicht unglücklich. Für Freude und Leid ist er gleich unempfänglich«). Hieron. ep. 5, 13 (CSEL 54, 436 Hilberg): »Melius est haec in corde portare« (eigene Übersetzung). Vgl. Hieron. ep. 52, 13 f (CSEL 54, 436f Hilberg). Doch betonte er, er wolle nicht über die richten, die sein Ideal nicht teilten, vgl. Hieron. ep. 52, 17 (CSEL 54, 440 f Hilberg). Vgl. Noethlichs, Anspruch 5. Vgl. Noethlichs, Anspruch 8. Vgl. Gaudemet, Église 122. So legte es der römische Bischof Zosimus in seiner Dekretale an Hesychius von Salone fest (ep. 9, 3, 5 [PL 20, 672 f]). Wichtig war ihm der zeitliche Abstand zwischen den Weihen: Vier Jahre sollte man Akolyth bzw.
5.3 Christliche Parallelen
129
gab jedoch auch Ausnahmen, z. B. wurde Ambrosius 24jährig, nur Stunden nach seiner Taufe, zum Bischof geweiht. 223 Verheiratete durften zwar geweiht werden, mussten aber nach der Weihe enthaltsam leben; wer geweiht war, durfte nicht mehr heiraten. 224 Ein Bewerber musste ebenfalls bestimmte physische und geistige Qualitäten besitzen, z. B. mentales Gleichgewicht. Körperliche Mängel galten nur dann als Hindernis, wenn sie die Amtsausübung verhindern oder den Kleriker zum Gespött der Gemeinde machen konnten; auch eine Verstümmelung schloss nur dann von der Weihe aus, wenn sie freiwillig geschehen war. 225 Das Christentum hatte sich damit von der von jüdischen und paganen Priestern geforderten körperlichen Perfektion gelöst. 226 Voraussetzung einer Weihe war die Taufe, sowie in der Regel eine entsprechende Zeit der Erprobung in der christlichen Lebensführung. 227 Vor der Weihe wurde ein Kandidat hinsichtlich seines Glauben, seiner Moral und seines Wissens geprüft; dies geschah in einigen Fällen auch dann, wenn ein Kleriker in einen höheren Rang aufstieg, vor allem vor der Bischofsweihe. 228 In der Verfolgung Abgefallene oder zurückgekehrte Häretiker wurden in der Regel nicht geweiht. 229 Wichtiges Merkmal eines Klerikers war seine moralische Integrität, weshalb meist nur in der Gemeinde bekannte Männer geweiht wurden, keine Fremden. Aufgrund seiner Vorbildfunktion musste der Kleriker einen entsprechenden Lebenswandel vorweisen können, weshalb schwere Vergehen, auch wenn sie lange zurücklagen und für sie Buße getan worden war, von der Weihe ausschlossen; Unruhestifter, Wucherer, Selbstgerechte, Geizige, Ungebildete und Faule sollten nicht geweiht werden, Neider nicht in einen höheren Rang aufsteigen dürfen. 230 Für den Bischof galt, er solle »nüchtern, enthaltsam, ordentlich, sicher, ruhig (sein), weder trunksüchtig, noch streitlustig, sondern anständig, friedfertig und freigiebig.« 231 Da der Kleriker lehren und leiten sollte, musste er eine gewisse Bildung besitzen. Die Meinungen gingen allerdings darin auseinander, ob dazu auch die klassische Bildung gehöre, oder ob man sich aufgrund der ihr inhärenten Gefahren besser auf die Heilige Schrift beschränken solle 232 – z. T. wurde die Lektüre paganer Schriften gänzlich untersagt, z. T. lediglich die Beschäftigung mit unangemessenen und idolatrischen Schriften
223 224 225
226 227 228 229
230 231 232
Subdiakon sein und weitere fünf Jahre Diakon, bevor die Priesterweihe erfolgen konnte; vgl. Gaudemet, Église 126. Vgl. Gaudemet, Église 126 f. Vgl. Gaudemet, Église 156/163; vgl. Kapitel 5.3.3.2. Vgl. Hieron. ep. 52, 10 (CSEL 54, 431/433 Hilberg); Const. apost. 8, 47, 77 (SC 336, 304 Metzger); vgl. Neumann, Missbildung 960; Gaudemet, Église 127. Dagegen ist die Forderung der Didaskalie nach körperlicher Fehlerlosigkeit (4 [CSCO.S 175, 54 Vööbus]) in der Alten Kirche einzigartig und kann nach Schöllgen, Anfänge 104 f, als regionales Sondergut angesehen werden. Vgl. Lev. 21, 16/23 für die jüdischen bzw. Kapitel 5.2 für die paganen Bestimmungen. Vgl. Gaudemet, Église 129. Vgl. Gaudemet, Église 128. Vgl. Gaudemet, Église 130; eine Ausnahme bildeten die donatistischen Kleriker, die das Konzil von Hippo 393 n. Chr. unter mehreren Bedingungen als Kleriker wieder in die katholische Kirche aufnahm, vgl. ebd. 131 f. Vgl. Gaudemet, Église 132 f. Const. apost. 2, 2 (SC 320, 147 Metzger): »nhfàlioc, s∏frwn, kÏsmioc, eŒstaj†c, Çtàraqoc, mò pàroinoc, mò pl†kthc, Çll> ‚pieik†c, ämaqoc, Çfilàssuroc«; vgl. schon 1 Tim. 3, 1/7. Die Notwendigkeit einer beständigen Lektüre und Meditation der Heiligen Schrift wurde betont, vgl. Orig. in Lev. hom. 6, 6 (GCS 29, 369 f Baehrens); in Jesu nav. hom. 17, 3 (GCS 30, 405 Baehrens).
130
5. Die Priester
wie Komödien, Liebesversen, Vergil und ähnlichen paganen Autoren. 233 Besonders wichtig war eine entsprechende Bildung bei denen, die in der Unterweisung der Katechumenen eingesetzt wurden, sowie beim Bischof. 234 Die Kirche besaß keine eigenen Schulen, um künftige Kleriker zu unterweisen; diese lernten das, was sie über die Heilige Schrift und die Lehrentscheidungen wissen mussten, von ihrem Bischof und den älteren und erfahreneren Mitgliedern des Klerus. 235 Da die wenigsten Männer die oben genannten Stufen in der schnellstmöglichen Zeit durchliefen, sondern meist mehr Zeit benötigten, konnten sie sich währenddessen das nötige Wissen aneignen und sich in den geforderten Tugenden üben. 236 Für den Bischof als Repräsentanten der jeweiligen Ortskirche und Aufseher über seinen Klerus galten strengere Regeln; so forderten die Statuta ecclesiae antiqua, eine Sammlung von Regeln vermutlich aus der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts: »Wer zum Bischof geweiht wird, soll vorher geprüft werden, (. . . ) ob er gebildet ist, ob er das Gesetz des Herrn kennt, ob er in der Auslegung der Schrift geübt ist, ob er mit den kirchlichen Glaubenssätzen vertraut ist.« 237 5.3.3.2 Die Anforderungen an die Kleriker und ihre Aufgaben Bezüglich der Sexualmoral galt die Vorschrift der Enthaltsamkeit – wenigstens an den Tagen, an denen die Kleriker aktiv am Gottesdienst teilnahmen. 238 Kleriker sollten nicht übertrieben auf ihre äußere Erscheinung achten, sondern sich einfach kleiden und ein bescheidenes Auftreten pflegen. Ihr Haar sollten sie kurz tragen und sich den Bart nicht schneiden; an einigen Orten war eine Tonsur vorgeschrieben. 239 Ihr Auftreten sollte würdig sein: Weitaus mehr als die Laien mussten sie darauf achten, nach den Vorschriften des Evangeliums zu leben; sie sollten auf Luxus und irdische Freuden verzichten und sich ganz dem Dienst Gottes widmen. 240 Sie sollten keine Geldgeschäfte tätigen, den Reichtum vielmehr verachten und nicht an irdischen Gütern hängen, sich stattdessen mit wenig bescheiden und großzügig gegenüber den Armen sein. 241 Von ihnen wurde gefordert, auf Feinschmeckerei, Völlerei und Trun233 Zum absoluten Verbot vgl. Didasc. apost. 2. 13 (CSCO.S 175, 17f; 179, 152 Vööbus); teilweise Erlaubnis
234
235 236 237
238
239 240 241
bei Hieron. ep. 21, 13 (CSEL 54, 123 f Hilberg); Stat. eccl. ant. can. 5 (XVI) (CCL 148, 167 Munier); vgl. Gaudemet, Église 135. So forderte z. B. Cyprian vom Klerus (und ausdrücklich vom Bischof) einen lebenslangen Lernprozess, vgl. Cypr. ep. 74, 10, 1 (CCL 3C, 576 f Diercks); vgl. Stat. eccl. ant. can. 45 (LIII) (CCL 148, 173 Munier); vgl. Lafontaine, Conditions 220 f. Vgl. Lafontaine, Conditions 222/224. Vgl. Lafontaine, Conditions 225; Herrmann, Ecclesia 296. Stat. eccl. ant. praef. (CCL 148, 164 Munier): »Qui episcopus ordinandus est, ante examinetur, (. . .) si litteratus, si in lege domini instructus, si in scripturarum sensibus cautus, si in dogmatibus ecclesiasticis exercitatus«; vgl. Herrmann, Ecclesia 291 f. Der heute gültige Ehelosigkeitszölibat der Kleriker stammt aus dem Mittelalter, die Alte Kirche kannte nur die Forderung nach sexueller Enthaltsamkeit für verheiratete Kleriker (Enthaltsamkeitszölibat); vgl. erstmals die Synode von Elvira am Anfang des 4. Jahrhunderts (Conc. Eliberit. can. 27. 33 [CCaHi 4, 250f. 253 Martínez Díez/Rodríguez]); wieder eingeschärft durch den römischen Bischof Siricius am Ende des 4. Jahrhunderts (ep. 1, 7 f. 11 f [PL 13, 1138/1142. 1143f]). Einige Theologen, wie z. B. Hieronymus, forderten jedoch auch damals schon Ehelosigkeit für Kleriker, vgl. Kapitel 5.3.2. Vgl. Noethlichs, Anspruch 8f. 11. Vgl. Noethlichs, Anspruch 13; Gaudemet, Église 153. Vgl. Gaudemet, Église 154. Vgl. Gaudemet, Église 163 f.
5.4 Abschließender Vergleich
131
kenheit zu verzichten, sich nicht um häusliche Dinge zu sorgen, nicht herrschsüchtig zu sein und vor allem nicht zusätzlich weltliche Ämter anzunehmen, da kein Mensch zwei Herren dienen könne. Stattdessen sollten sie Klugheit und Barmherzigkeit üben und das Gebet pflegen, möglichst oft die Schrift und die christliche Lehre studieren, was sie verkündeten auch selbst leben, ihrem Bischof gehorchen, Nächstenliebe üben, den Kranken beistehen und ihre Freunde und Bekannten klug auswählen. 242 Verschiedene Konzilien rügten, dass Kleriker in Gastwirtschaften einkehrten (dies war nur auf Reisen erlaubt), das Würfelspiel pflegten, Pferderennen, Schaukämpfe, Tanzveranstaltungen und Theateraufführungen besuchten oder sogar selbst daran teilnahmen. 243 Die (höheren) Kleriker hatten ein Anrecht auf Unterhalt durch die Kirche, da sie ihr dienten; der Bischof teilte ihnen zu, was sie benötigten. 244 Sie durften auch einem weiteren Beruf nachgehen, solange dieser gewisse Bedingungen erfüllte und ihnen genug Zeit ließ, ihren religiösen Pflichten nachzukommen – so beklagten viele Konzilien das Fehlen von Klerikern bei der Eucharistiefeier oder ihr vorzeitiges Verlassen derselben. 245 Wer vor seiner Weihe einen Beruf ausgeübt hatte, durfte dies in der Regel weiterhin tun, so z. B. einen landwirtschaftlichen oder handwerklichen Beruf; solche Berufe allerdings, bei denen die Ehrlichkeit in Gefahr geraten konnte, wie z. B. im Handel und beim Geldverleih, waren nur unter besonderen Umständen erlaubt. 246 Es bleibt festzuhalten, dass den meisten Vergehen der Kleriker typisch menschliche Schwächen zugrunde lagen wie Faulheit, falscher Ehrgeiz, Bosheit, Neid, Rache oder Habsucht – daran scheint auch eine strenge Auswahl nichts geändert zu haben (was auch daran liegen mag, dass diese nicht immer so strikt praktiziert wurde, wie sie vorgeschrieben war). 247 Die meisten Vergehen zeigen sich in fast allen Jahrhunderten; die Typologie ist in der Regel gleich, es gibt nur verschiedene Ausprägungen und Differenzierungen. 248 5.4 Abschließender Vergleich Julian stellte hohe Ansprüche an seine Priester, denn sie sollten durch ihr Beispiel die Menschen von seinem Ansatz, seinem Weg und seinen Zielen überzeugen und so die Umsetzung seiner Reform der paganen Kulte unterstützen und vorantreiben. Aus der Gliederung der Darstellung von Julians Priesterbild zu Beginn dieses Kapitels ergeben sich drei hauptsächliche Vergleichsmomente zwischen den vorgestellten Konzepten. Zunächst einmal sind hier die Anforderungen zu nennen, die Julian auf dem Gebiet der Frömmigkeit und der Reinheit an die Priester stellte. Aus diesen beiden folgt als drittes Moment die Würde der Priester mit dem doppelten Aspekt des würdigen Verhaltens ihrerseits sowie der Ehrerbietung, die ihnen von den Gläubigen aufgrund der Würde ihres Amtes zustand. So wird dieser abschließende Vergleich sein Hauptaugenmerk auf die drei Punkte Frömmigkeit, Reinheit und Würde richten und 242 Vgl. Gaudemet, Église 154. 243 Auch ihre Familie, sofern sie eine hatten, sollte keine öffentlichen Spiele besuchen; vgl. Noethlichs,
Anspruch 9. 12; Gaudemet, Église 155. 244 Vgl. Gaudemet, Église 166; vgl. Kapitel 4.3.1. 245 Vgl. Noethlichs, Anspruch 21. 25. 246 Vgl. Gaudemet, Église 165. 168 f; ein Beruf im Handelswesen z. B. nur, wenn er in verantwortbaren Bahnen
blieb und ehrlich ausgeübt wurde. 247 Vgl. Noethlichs, Anspruch 54. 248 Vgl. Noethlichs, Anspruch 61.
132
5. Die Priester
zusammenfassend die Parallelen in den unterschiedlichen Kulten sowie im Christentum darstellen. Julian forderte von seinen Priestern persönliche Frömmigkeit: eine nicht nur nach außen dargestellte Frömmigkeit, sondern eine, die sich aus einer lebendigen Beziehung zu den Göttern bzw. zu dem Gott, dem sie speziell dienten, speiste. Sie sollten ein reges Gebetsleben pflegen, philosophisch-theologische Schriften studieren sowie Ehrfurcht vor den Göttern, ihren Statuen und Tempeln zeigen, um nur einige Aspekte zu nennen. Auch ihre Familien sollten sie zum Dienst an den Göttern und zu Ehrfurcht ihnen gegenüber anhalten. 249 Inwieweit solche Frömmigkeit tatsächlich praktiziert wurde, lässt sich kaum nachprüfen, da es sich um ein inneres Geschehen handelt. So lässt sich auch kaum ein Vergleich ziehen, inwieweit Priester verschiedener Religionen tatsächlich fromm waren – vergleichen lassen sich nur die entsprechenden Ideale bzw. Vorschriften. In den traditionellen griechischen und römischen Kulten finden sich kaum Anordnungen, die die Frömmigkeit der Priester betreffen. Hier war es vor allem wichtig, dass die Rituale und Kulthandlungen den Vorschriften entsprechend ausgeführt wurden, so dass der »Vertrag« mit den Göttern eingehalten werden konnte. Besonders in der Spätantike kam es so zu der Entwicklung, dass z. T. Priesterämter bekleidet und Opfer durchgeführt wurden, ohne dass die Inhaber dieser Ämter an das glaubten, was sie taten – es wurde lediglich der Tradition genüge getan. In den Mysterienkulten dagegen gab es sowohl bei den Eingeweihten wie auch bei den Priestern vermutlich ein engeres Verhältnis zu den verehrten Göttern, allerdings wurde auch hier Frömmigkeit nicht durch Regelungen eingefordert. Anders war es im Neuplatonismus und im Christentum, in denen ausdrücklich Frömmigkeit und eine persönliche Beziehung zur verehrten Gottheit erwartet wurden. So findet z. B. das von Julian geforderte 2–3-mal täglich verrichtete Gebet bzw. Opfer Parallelen in der Didache, die ebenfalls vorschrieb (allerdings nicht nur den Klerikern, sondern allen Christen), dreimal täglich zu beten. 250 Das tägliche Opfer gehörte auch zu den Pflichten der Priester in der Reform des Maximinus Daia. Was die Frömmigkeit der Haushalte der Priester betrifft, so war in der Frühzeit vermutlich die ganze Familie des Priesters am Gottesdienst beteiligt, dies lässt sich z. B. daraus schließen, dass u. a. die Ehefrauen des Flamen Dialis und des Rex Sacrorum kultische Aufgaben hatten und so am Dienst ihrer Ehemänner teilnahmen, oder auch daraus, dass die Kinder der Priester z. T. zu Hilfsaufgaben im Kult herangezogen wurden. 251 Demgegenüber ist die Forderung Julians, dass die Familien der Priester ebenfalls die Götter ehren sollten, nicht ganz so anspruchsvoll. Doch war man paganerseits in dieser Hinsicht vorher weniger streng gewesen: Da es (anders als im Christentum) kein übergreifendes paganes Bekenntnis gab, hatte es auch nie scharfe Abgrenzungen nach außen gegeben. Solange der polytheistische Konsens akzeptiert wurde, war es grundsätzlich unwichtig, welchen Gott oder welche Götter der Einzelne verehrte. Doch da die Absetzung von den Christen ein wichtiges Anliegen Julians war, forderte er, in einem priesterlichen Haushalt dürften nur Göttergläubige leben, da anderenfalls die Götter beleidigt würden. Er grenzte sich somit ähnlich scharf von den Christen ab, 249 Ähnlich forderte auch die Didaskalie von Klerikern, ihre Söhne zu frommen Menschen zu erziehen (3, 4
[CSCO.S 175, 29 f Vööbus]). 250 Vgl. Did. 8, 2 f (SC 248, 172/174 Rordorf /Tuilier). 251 Vgl. Dion. Hal. ant. 2, 22, 1 (1, 183 Jacoby); vgl. Muth, Religion 295f; Wissowa, Religion 495f.
5.4 Abschließender Vergleich
133
wie diese umgekehrt versuchten, sich von den Heiden abzusetzen und ihre Identität zu bewahren, indem sie darauf achteten, dass möglichst nur Christen in einem Haushalt lebten. Hier stellt sich allerdings die Frage, ob Julian diese Praxis explizit von den Christen übernahm, oder ob sich eine solche Parallele nicht vielmehr aus den gleichen Zielen, der Abgrenzung von anderen und dem Erhalt der eigenen religiösen Identität, ergab – wobei schon diese Ziele an sich christlichen Einfluss verraten, denn die pagane Seite zeichnete sich in der Regel durch eine große Offenheit aus. Eine weitere Anforderung, die Julian an seine Priester stellte, war die der Reinheit, und zwar nicht nur der äußerlichen Reinheit, sondern auch die der inneren Einstellung. Diese verschiedenen Aspekte sollten sich in sexueller Enthaltsamkeit vor und während des kultischen Dienstes sowie in der klugen Auswahl von Freunden, evtl. zusätzlich ausgeübten Berufen und Freizeitbeschäftigungen sowie angemessener Lektüre zeigen. Ebenfalls sollten die Priester darauf achten, die festliche gottesdienstliche Kleidung nicht durch Tragen außerhalb der Tempel zu verschmutzen. Kultische Keuschheit war in den antiken Kulten die Norm. Selten wurde lebenslange Keuschheit gefordert, normalerweise beschränkte sie sich auf eine gewisse Zeit vor der kultischen Handlung bzw. dem Tempeldienst sowie währenddessen. Dies gründete in der Vorstellung, dass Geschlechtsverkehr beflecke – da die Priester makellos sein mussten, um zwischen Göttern und Menschen vermitteln zu können, gehörte u. a. zeitlich begrenzte sexuelle Enthaltsamkeit zu den an sie gestellten Forderungen. 252 Erst das Christentum weitete diese Forderung nach Enthaltsamkeit auf das ganze Leben aus: Waren zunächst nur die sich von der Welt zurückziehenden Mönche und Jungfrauen zu lebenslanger sexueller Enthaltsamkeit verpflichtet, so begann im 4. Jahrhundert allmählich ein Nachdenken über eine ebenfalls enthaltsame Lebensform zumindest für den höheren Klerus. 253 Neben der Keuschheit war in paganen Kulten auch die äußerliche Reinheit, wie z. B. das Anlegen von besonderer (meist weißer) Kleidung, sehr wichtig. Porphyrius erläuterte dies folgendermaßen: So, wie man saubere und gute Kleidung anziehe, wenn man vor höher stehende Personen trete, erweise man auch den Göttern die Ehre. 254 In der Regel galten für Priester strengere Reinheitsvorschriften als für alle anderen, da sie durch ihren Dienst im Tempel und beim Kultgeschehen eine größere Nähe zu den Göttern pflegten. 255 Allerdings finden sich kaum Vorschriften, die die innere Reinheit der Priester betreffen, die also regeln, mit wem sie befreundet sein, welchen Beruf sie neben ihrem Priesteramt ausüben, was sie in ihrer Freizeit tun und welche Lektüre sie lesen dürfen. Da ein Ritual dann wirksam wurde, wenn die überlieferten Regeln und Handlungen korrekt befolgt wurden, war lediglich die äußere Reinheit wichtig, die innere Einstellung des Priesters beeinflusste den Ausgang des Opfers nicht. 256 Der Neuplatoniker Porphyrius jedoch forderte die Philosophen (die er mit Priestern gleichsetzte) zu innerer und äußerer Reinheit auf, und auch Jamblich sah geistige Reinheit
252 Vgl. Fehrle, Keuschheit 25/29. 68. Es gab ebenfalls die Vorstellung, dass Keuschheit besondere Macht bzw.
Energie gebe, da durch die Enthaltung Kraft aufgespeichert werde, vgl. ebd. 54 mit Anm. 2. 253 Vgl. Hieron. ep. 52, 5 (CSEL 54, 423 f Hilberg); vgl. Kapitel 5.3.3.2. 254 Vgl. Porph. abst. 2, 45 (174 Nauck); vgl. Fehrle, Keuschheit 69 mit Anm. 2 255 Vgl. Plat. leg. 6, 759c; Porph. abst. 2, 3 (133 Nauck); vgl. Wächter, Reinheitsvorschriften 13. 256 Vgl. Wissowa, Religion 373 f, zu Beispielen für die Forderung einer »Reinheit des Sinns« sowie einer frommen
Gesinnung im griechischen Kult.
134
5. Die Priester
als Voraussetzung für wahren Gottesdienst. 257 Entsprechendes ist sonst nur aus dem Christentum bekannt, das ähnlich strenge Vorschriften für die Kleriker aufstellte, wie Julian dies tat, z. B. auf dem Gebiet der sexuellen Enthaltsamkeit, der Angemessenheit ihres Äußeren sowie alles betreffend, was sie neben dem priesterlichen Dienst taten, sei es ein evtl. zusätzlich ausgeübter Beruf, die Auswahl von Freunden oder Lektüre, der Besuch von Wirtshäusern, Theatern oder Spectacula etc. 258 So wurde versucht, durch Verbote und Gebote zu gewährleisten, dass neuplatonische Philosophen, julianische Priester und christlicher Klerus sich eines ihres Amtes würdigen Lebenswandels befleißigten. Dies führt zum letzten Vergleichspunkt: der Würde, die den Priestern von Amts wegen zustand. Diese zeigte sich in einem doppelten Aspekt, zunächst in der Ehrerbietung, die den Priestern aufgrund der Würde ihres Amtes von den Gläubigen entgegengebracht werden sollte, dann aber auch in einem entsprechenden Verhalten der Priester, die ihrer Amtswürde gerecht werden sollten. Jedem Priester wurde, da er als Mittler zwischen Göttern und Menschen galt, Ehrerbietung entgegengebracht – dies ist ein Merkmal, das sich in allen paganen Kulten wie auch im Christentum findet. Da die Priester sich im paganen Bereich meist aus den gehobenen Schichten rekrutierten, wurden sie auch aus diesem Grund vom einfachen Volk ehrerbietig behandelt. Erst Julian änderte das Kriterium der Bestellung von Priestern: Wichtig war ihm nicht Einfluss und Rang des Kandidaten, sondern seine Würdigkeit aufgrund seiner Liebe zu Göttern und Menschen. Inwieweit der antike pagane Priester seine Würde durch einen entsprechenden Lebenswandel aufrechterhalten musste, kann, wie oben bereits erwähnt, kaum aus den Quellen erhoben werden. Anders sieht dies in Bezug auf den Neuplatonismus oder das Christentum aus: Hier wurde explizit gefordert, dass der Priester hohen moralischen und sittlichen Maßstäben genüge, um so der Würde seines Amtes gerecht werden und den Kontakt mit den Göttern bzw. mit Gott aufrechterhalten zu können. Vergleichspunkte im paganen Bereich ergeben sich somit in den Priesterämtern der paganen Kulte kaum, da die Aufgabe der Priester hier in der Regel auf den Opferdienst beschränkt war und das Amt mit geringem Zeitaufwand ausgeübt werden konnte. Das Priesteramt war in erster Linie ein Ehrenamt, Fürsorge für eine Gemeinde, wie es sie im Christentum gab, war nicht das Ziel – nicht zuletzt, da es gar keine Gemeinde im Sinne einer fest organisierten Gruppe von Gläubigen gab. 259 Doch lassen sich Anklänge an die strengen Vorschriften für den Lebenswandel der Vestalinnen und des Flamen Dialis finden (die beide aufgrund ihrer Lebensführung von der Bevölkerung verehrt und
257 Vgl. Jambl. protr. 2 (8/10 Pistelli); vgl. Porph. abst. 2, 45. 50 (174. 176f Nauck). Zu dieser inneren und
äußeren Reinheit zählte Porphyrius neben geistiger Vorbereitung und sexueller Enthaltsamkeit z. B. auch, den Kontakt mit unreinen Menschen (wie menstruierenden Frauen) oder Begräbnissen zu meiden, sowie keine Schauspiele zu besuchen und nichts zu hören, was Leidenschaften errege, vgl. ebd. 2, 50 (176f Nauck); vgl. Hahn, Konzept 155; Weismann, Kirche 210 mit Anm. 70. 258 So forderte bereits die Didaskalie im späten 3. Jahrhundert, dass (sogar nicht nur Kleriker, sondern alle) Christen die Bibel lesen sowie pagane Lektüre und Kleiderluxus meiden sollten (Didasc. apost. 2f [CSCO.S 175, 16 f. 25 Vööbus]). Auch verbot sie den Theaterbesuch (ebd. 13 [CSCO.S 179, 151f Vööbus]). Ebenfalls finden sich im Christentum Parallelen zu den Vorschriften, die Julian den Kindern von Priestern machte, besonders hinsichtlich des Besuches der Spectacula (vgl. Julian. ep. 89b, 304c [172 Bidez]), vgl. Brev. Hipp. can. 11 (CCL 149, 37 Munier); vgl. Kapitel 5.1.1.2 und 5.3.3. 259 Vgl. Schöllgen, Anfänge 9.
5.4 Abschließender Vergleich
135
bewundert wurden), so dass Julian vermutlich auch Vorstellungen und Vorschriften des traditionellen paganen Kultes in sein Priesterbild übernahm. Auch im Neuplatonismus finden sich bei Porphyrius und vor allem bei dem von Julian geschätzten Jamblich strikte Anforderungen an den Lebenswandel der Philosophen bzw. Philosophenpriester – ähnlich denen, die Julian an seine Priester stellte. Schon Porphyrius hatte die Vorstellung einer Elite von Intellektuellen vertreten, die mit Hilfe ständigen Studiums und durch Askese und Kontemplation einen Zustand von Heiligkeit erreichen könnten. 260 Jamblich ergänzte dieses Konzept um das Element theurgischer Handlungen, welche ebenfalls eine Quelle von Wissen darstellten: Die von ihm beschriebenen Philosophenpriester besaßen durch die Praxis der Theurgie göttliches Wissen und manifestierten das Göttliche in der Welt – entsprechend musste ihnen Ehrerbietung entgegengebracht werden. 261 So scheint es sehr wahrscheinlich, dass Julian sich von Jamblich anregen ließ und dessen Konzept des Philosophenpriesters als eines inspirierten Vermittlers zwischen Göttlichem und Menschheit übernahm. 262 Ebenfalls gibt es viele ins Auge fallende Ähnlichkeiten zwischen Julians Konzept und den Anordnungen der Kirche; die Ansprüche an Priester bzw. Kleriker waren auf beiden Seiten ähnlich hoch. Dies liegt vermutlich daran, dass sowohl die Kirche wie auch Julian erkannt hatten, welch wichtige Rolle die Priester für die Ausbreitung des jeweiligen Glaubens spielten – waren sie doch einerseits Repräsentanten ihrer Religion, so dass jeglicher schlechte Eindruck, den sie hinterließen, auf diese zurückfiel, und andererseits Multiplikatoren ihres Glaubens; um diesen wahr und richtig zu verbreiten und zu bewahren, mussten sie entsprechend ausgebildet sein. Die Übereinstimmungen zwischen christlichem Klerikerbild und Julians Ideal eines Priesters scheinen sich so fast schon notwendig aus ihren ähnlichen Zielen zu ergeben. Dabei lässt sich kaum mit Sicherheit feststellen, ob und, wenn ja, inwieweit Julian diese Ziele von der Kirche übernahm, um sie dann, unter Berufung auf die pagane Tradition und gestützt auf die neuplatonischen Lehren vor allem Jamblichs, neu mit Inhalt zu füllen. Dabei mag er das eine oder andere christliche Element unbewusst aufgrund der in seiner Kindheit und Jugend erfahrenen christlichen Prägung übernommen haben, doch gelang es ihm, alle von ihm an seine Priester gestellten Anforderungen durch pagane Autoritäten zu begründen.
260 Vgl. Porph. abst. 4, 6/8 (236/241 Nauck); vgl. Hahn, Konzept 152; Athanassiadi, Julian 181f. 261 Vgl. Jambl. myst. 3, 18 (143/146 Parthey); vgl. Athanassiadi, Julian 181f; Hahn, Konzept 152. 262 Vgl. Rosen, Julian 299 f.
6. DER KULT
»Das ist die größte Frucht der Frömmigkeit: das Göttliche in der traditionellen Art und Weise zu ehren.« 1
6.1 Julians persönliche Frömmigkeit Um eine Vorstellung von den Motiven zu erhalten, die Julian bei seiner Schaffung einer reichsweiten paganen religiösen Organisation bewegten, ist es wichtig, einen Blick auf seine eigene religiöse Praxis und Frömmigkeit zu werfen sowie auf die Art und Weise, wie diese sein Leben bestimmten und beeinflussten. Wie bereits im ersten Kapitel dargestellt, wurde Julian als Christ erzogen. Schon zu dieser Zeit war er religiös aktiv und erschien als eifriger Christ, der die Priester ehrte, häufig die Kirchen und Märtyrergedenkstätten besuchte und sogar selbst eine Kirche erbaute. 2 Auch berichtet u. a. Gregor von Nazianz davon, dass Julian den Dienst des Lektors ausübte. 3 Es ist kaum festzustellen, ob dies, wie Julian es im Nachhinein darstellte, nur Fassade war. Festhalten lässt sich lediglich, dass er nach außen den Eindruck eines frommen, praktizierenden Christen machte. Ähnlich eifrig und engagiert praktizierte er seinen Glauben auch später als Heide. Er war der festen Überzeugung, eine spezielle Verbindung zu den Göttern zu haben und verstand sich als ihr Gesandter. Eine besondere Beziehung pflegte er zum Sonnengott Helios, seinem persönlichen Schutzgott, als dessen Sohn er sich sah und zu dem er sich nach eigener Aussage schon von frühester Kindheit an hingezogen fühlte. 4 Nach Erreichen der Alleinherrschaft umgab Julian sich mit spirituellen Beratern, Wahrsagern und Traumdeutern. Vor allem die beiden Theurgen Maximus von Ephesus und Priscus hatten eine bedeutende Rolle an seinem Hof inne. Es war Julian wichtig, Gleichgesinnte in seiner Nähe zu haben, mit denen er die vorgeschriebenen Opfer darbringen konnte und die mit ihm gemeinsam Gebete verrichteten. 5 1 Porph. ad Marcell. 18 (116 des Places): »O›toc gÄr mËgistoc karp‰c eŒsebe–ac, timên t‰ jeÿon katÄ tÄ pàtria«. 2 Vgl. Greg. Naz. or. 4, 23/26 (SC 309, 116/118 Bernardi); Soz. h. e. 5, 2, 11f (GCS NF 4, 192 Bidez /Hansen);
Theodrt. h. e. 3, 2 (GCS NF 5, 177 Parmentier /Hansen). 3 Vgl. Greg. Naz. or. 4, 23. 97 (SC 309, 116. 242/244 Bernardi); vgl. Soz. h. e. 5, 2, 10 (GCS NF 4, 192 Bidez /
Hansen); vgl. Rosen, Weg 133; Rosen, Julian 88f; vgl. Kapitel 1.2 zu einer detaillierten Diskussion der Frage nach einem möglichen Lektorendienst Julians. 4 Vgl. Julian. or. 11 (4), 130b/c. 157d (100. 137 Lacombrade); or. 7, 222c. 229c. 231b (68. 77. 79 Rochefort); ep. 111, 434d (190 Bidez); Caes. 314a (42 Lacombrade); vgl. Bouffartigue, Julien 15. In dieser Hinsicht sah er sich in der Tradition seiner Vorfahren Claudius II. und Constantius Chlorus sowie seines Vaters Julius Constantius; vgl. Julian. or. 11 (4), 131c (102 Lacombrade); vgl. Athanassiadi, Julian 179; Lacombrade, Discours 202 Anm. 4 zu S. 102. 5 Vgl. Athanassiadi, Julian 185; Dodds, Greeks 288; Caltabiano, Comunità 143/149. So lud Julian z. B. den Rhetor Evagrius, die Sophisten Theodorus und Himerius sowie die Philosophen Eustathius, Aristoxenus und
6.1 Julians persönliche Frömmigkeit
137
Julians Briefe geben ein beredtes Zeugnis seiner persönlichen Frömmigkeit, besonders nachdem er mit seinem Cousin Constantius II. gebrochen hatte und sich frei zu seinem heidnischen Glauben bekennen konnte. So klingt es wie ein Jubelruf, wenn er kurz nach diesem Bruch an seinen Lehrer Maximus von Ephesus schreibt: »Wir vollziehen den Kult der Götter vor aller Augen, und die Mehrheit des mit mir hierher gekommenen Heeres ist göttergläubig. Wir bringen öffentlich Stieropfer dar; zum Dank für unser Glück haben wir den Göttern viele Hekatomben geweiht.« 6 Julian hatte ein enges Verhältnis zu den Göttern, er liebte und verehrte sie, fürchtete sie aber auch wegen ihrer Größe. 7 Er befragte sie oft und erhielt auch Antwort von ihnen; ähnlich vertraute er auf Zeichen der Götter, Träume und Vorhersagen. 8 Täglich opferte und betete er, z. T. sogar mehrmals am Tag: »Der Kaiser opferte einmal im Tempel des Zeus, dann in dem der Tyche, dann begab er sich dreimal in Folge in den der Demeter.« 9 So brachte er auch die Opfer, die gewöhnlich am Anfang jeden Monats geopfert wurden, täglich dar; er begrüßte damit Sonnenauf- und -untergang. 10 Der Besuch von Tempeln war ihm sehr wichtig, er baute sogar in seinem Palast einen
seinen Lehrer Chrysanthius an seinen Hof; vgl. Julian. ep. 26, 415d; 34; 78 (54. 61f. 84f Bidez); vgl. Bringmann, Kaiser 80 f. 6 Julian. ep. 26, 415c (54 Bidez): »Jrhske‘omen toÃc jeoÃc Çnafand‰n ka» t‰ pl®joc to‹ sugkateljÏntoc moi
7
stratopËdou jeosebËc ‚stin; ômeÿc faner¿c boujuto‹men; Çped∏kamen toÿc jeoÿc qarist†ria per» ôm¿n ·katÏmbac pollàc«. Vgl. Julian. or. 7, 230d (79 Rochefort): »Ìra ofin (. . .) Ìpwc aŒt‰n ±c eŒagËstata proskun†s˘c« (»Bemühe dich [. . .] ihn [scil. Zeus] mit der größtmöglichen Frömmigkeit zu verehren«); vgl. or. 7, 233c (82 Rochefort): »TÄ pr‰c ômêc ôge–sjw soi t¿n kal¿n Çpàntwn; ‚sm‡n gàr sou ka» eŒergËtai ka» f–loi ka» swt®rec« (»Stelle die
Verehrung von uns Göttern allen anderen schönen Werken voran. Denn wir sind deine Wohltäter, Freunde und Erretter«); vgl. or. 7, 212b. 233b (54. 82 Rochefort). Or. 7, 231b (79f Rochefort) erbittet der junge Mann (= Julian) das Beste von Zeus: zum Göttervater gelangen zu können; vgl. or. 3 (2), 70c/d (142 Bidez): Man solle den Göttern in allem gehorchen, dem überlieferten Kult treu bleiben und die geschuldete Ehrerbietung gegenüber dem Göttlichen nicht vermissen lassen. In or. 7, 232c (81 Rochefort) betont Julian sogar, dass Ungehorsam gegenüber den Göttern deren Hass nach sich ziehe; vgl. or. 7, 233d/234b (83 Rochefort). Ausführlich zu Oratio 7 vgl. Kapitel 2.2.2. 8 Vgl. Julian. or. 7, 212b (54 Rochefort); ep. 12; 26, 415a/b; 40; 98, 399c (19. 54. 64. 180 Bidez); ep. ad Ath. 275c/d (221 Bidez); vgl. Liban. or. 18, 172 (2, 310f Foerster), wo Libanius von einer Begebenheit berichtet, in der Julian auf den Berg Kassios stieg und dort den Zeus Kassios schaute, der ihn vor einem Hinterhalt warnte. Dass Julian die Kaiserwürde annahm und später gegen seinen Cousin Constantius II. in den Krieg zog, geschah nach Julians eigener Darstellung nur, weil die Götter es ihm durch Zeichen befahlen, vgl. Julian. ep. 28, 382c (55 Bidez); ep. ad Ath. 284c/d. 286d (231f. 234 Bidez); vgl. Amm. Marc. 20, 5, 10 (2, 98 Seyfarth); vgl. Bouffartigue, Julien 19; Criscuolo, Religione 387; Petit, Empereur 76; Rosen, Julian 292; Weis, Briefe 258 Anm. 3. 9 Julian. misop. 346b (168 Lacombrade): »óEjusen  Kaÿsar ‚n tƒ to‹ Di‰c âpax, e⁄ta ‚n tƒ t®c T‘qhc, e c t‰ t®c D†mhtroc tr»c ‚fex®c ‚bàdisen«. Julian zitierte hier, was die Antiochener über ihn sagten; diese standen seiner aus ihrer Sicht übertriebenen Opferfrömmigkeit verständnislos gegenüber und nannten ihn spöttisch »Victimarius«. Dies war die Bezeichnung für einen öffentlichen Sklaven, einen Opferdiener; sie spielte wohl darauf an, dass Julian die Opfer mit eigener Hand darbrachte und auch für das Opfer nötige Hilfsdienste selbst verrichtete; vgl. Amm. Marc. 22, 14, 3 (3, 48 Seyfarth); vgl. Olszaniec, Restitutor 100 Anm. 199. Zur Opferpraxis Julians vgl. auch Julian. ep. 98, 401b (182 Bidez); Liban. or. 18, 127 (2, 290 Foerster). 10 Vgl. Liban. or. 12, 80 (2, 37 f Foerster). Amm. Marc. 25, 4, 17 (3, 170 Seyfarth) bemerkte kritisch zur Opferpraxis Julians: »Superstitiosus magis quam sacrorum legitimus observator, innumeras sine parsimonia pecudes mactans, ut aestimaretur, si revertisset de Parthis, boves iam defuturos« (»Er war eher ein abergläubischer als ein gesetzmäßiger Beobachter heiliger Riten, er opferte zahlloses Vieh ohne zu sparen, so dass angenommen wurde, dass es, wäre er von den Parthern [gemeint sind wohl die Perser] zurückgekehrt, an Rindern gemangelt hätte«); vgl. Amm. Marc. 22, 12, 6/8 (3, 44 Seyfarth).
138
6. Der Kult
Raum für Gebet und Opfer (»…erÏn« 11). Wenn er auf Reisen war, machte er oft Umwege, um berühmte Tempel zu besuchen und dort zu opfern. 12 Julian lebte eine intensive Beziehung zu den Göttern und das Gebet war für ihn eines der Mittel, diese Beziehung zu pflegen – mit seiner Hilfe konnte er in fast ständigem Kontakt mit den Göttern sein. 13 Denn für ihn führt das Gebet die Seele zur Ruhe beim Göttlichen 14 und »verwebt die geistliche und heilige Einkehr mit den Göttern zu einem unzerstörbaren Gewebe.« 15 Doch war das Gebet nicht nur ein Ritual, sondern gleichzeitig auch das Mittel, die Riten effektiv zu machen: Es entfaltete seine Macht durch die Anrufung und war so eng mit dem Opfer verbunden. Dies bekräftigte Julians Freund Salutius in seiner Schrift De diis et de mundo: »Gebete ohne Opfer sind nur Worte, aber zusammen mit Opfern werden sie inspirierte Worte.« 16 Das Gebet war für Julian jedoch mehr als lediglich ein Ritual, das die Ordnung der Welt erhielt und Frieden mit den Göttern garantierte; es war eine intime Erfahrung, fast kann man sagen eine Gnade. 17 Das stille Gebet, das Sprechen mit den Göttern, hatte für ihn einen Wert an sich, es wirkte beruhigend und beschwichtigend – so verspürte Julian das Bedürfnis, oft und lange zu beten. 18 Die Gebete, mit denen Julian seine Reden beschloss, geben einen kleinen Einblick in sein Gebetsleben: Sie sprechen von einem Bewusstsein der menschlichen Fehlbarkeit und der Allmacht der Götter, aber auch von der Hoffnung auf persönliche Vollendung mit Hilfe der Götter. 19 Das Gebet besaß für Julian somit mehrere Aspekte. Er sah es als notwendig für den Erhalt der Ordnung des Kosmos an, die traditionellen Riten zu vollziehen, um die Götter zu ehren und so die menschliche Seite des Vertrages mit ihnen zu erfüllen 20 – damit die Götter dann das Ihre täten und Julians Volk Segnungen zuteil werden ließen. Doch 11 Liban. or. 18, 127 (2, 290 Foerster); vgl. or. 12, 80. 83; 13, 24. 35 (2, 37f. 71. 75 Foerster); es ist umstritten,
12
13
14 15 16 17 18 19 20
welchem Gott dieser Tempel geweiht war. Vermutet wird oft ein Mithräum, da Libanius überliefert, es sei dem Gott geweiht gewesen, der den Tag bringe (or. 18, 127 [2, 290 Foerster]); vgl. Petit, Empereur 66; Fatouros / Krischer /Portmann, Kaiserreden 198 Anm. 147. Gordon, Mithras 994, dagegen nimmt als Kontext die traditionelle Sonnenverehrung des konstantinischen Hauses an. So besuchte er z. B. während seiner Reise nach Antiochia den Tempel der Göttermutter in Pessinus (vgl. Amm. Marc. 22, 10, 5 [3, 34 Seyfarth]), auch begab er sich von Antiochia aus zum Tempel des Zeus Kassios auf dem gleichnamigen Berg (vgl. Amm. Marc. 22, 14, 4 [3, 48 Seyfarth]). Sein Brief an Libanius, in dem er von seiner Reise durch den Norden Syriens berichtet, zeigt, wie wichtig ihm Pilgerreisen zu Heiligtümern und Opfer waren (vgl. Julian. ep. 98, 399d/401d [180/183 Bidez]). Das Gebet war gleichsam der Anfang eines Rituals, um die Einheit mit den Göttern zu erlangen und zu behalten. Jamblich z. B. beschreibt in myst. 5, 26 (237f Parthey) drei Stufen des Gebets: Die erste sei eine Annäherung an die Götter dadurch, dass man ihren Namen nenne, sie lobe etc. Die zweite Stufe stelle eine Einheit mit den Göttern her und festige diese Einheit durch eine gemeinsame Handlung, z. B. ein Opfer. Mit der dritten Stufe schließlich erreiche man ein enges Verhältnis zu den Göttern, so dass der Geist des Betenden in ihnen ruhe; vgl. Cabouret, Prière 115/119. Vgl. Julian. ep. 80 (88 Bidez). Jambl. myst. 5, 26 (237 Parthey): »ka» tòn koinwn–an Çdiàluton ‚mplËkei tòn …eratikòn pr‰c to‘c jeo‘c«; vgl. Belayche, Table 474 f. Salut. de diis 16, 1 (21 Rochefort): »óEpeita a… m‡n qwr»c jusi¿n eŒqa» lÏgoi mÏnon e s–n, a… d‡ metÄ jusi¿n Ímyuqoi lÏgoi«; vgl. Jambl. myst. 4, 3; 5, 26 (184/186. 237/240 Parthey). Vgl. Cabouret, Prière 118. Vgl. Julian. ep. 80 (88 Bidez); vgl. Cabouret, Prière 119. Vgl. Julian. or. 11 (4), 157b/158c (137 f Lacombrade); or. 8 (5), 179d/180c (130f Rochefort); vgl. Cabouret, Prière 120. Mit dieser Ansicht bewegte Julian sich auf dem Boden der hellenistischen Tradition – das Gebet, wie Rituale überhaupt, galt im Heidentum als das Wesen der Religion; die Ausführung festgelegter Rituale diente dazu, die Beziehung zwischen den Menschen und den sie umgebenden göttlichen Kräften aufrechtzuerhalten und
6.1 Julians persönliche Frömmigkeit
139
besaß das Gebet darüber hinaus für ihn als in Mysterien Eingeweihter und Neuplatoniker auch die Komponente des intimen Gesprächs und der Vereinigung mit dem Göttlichen, zu dem er im Gebet seinen Geist erhob. 21 Für Julian war der direkte Kontakt mit dem Göttlichen sehr wichtig, um so die gegenseitige Beziehung zu bestätigen. Dies ist wohl mit Grund dafür, dass die Theurgie eine so große Anziehung auf ihn ausübte, denn sie ermöglichte eine solche unmittelbare Interaktion mit den Göttern. 22 In diesen Kontext gehört auch die Initiation Julians in die verschiedensten Kulte. Er war davon überzeugt, dass die »existentielle« Initiation, mit der die Götter ihn durch die Gunst von Visionen beschenkten, durch die rituelle Initiation vollendet bzw. jeweils neu aktualisiert werden müsse. 23 Julian führte ein asketisches Leben; indem er sich auf das Wesentliche beschränkte, wollte er offen für das Göttliche und in möglichst dauerndem Kontakt mit ihm sein. 24 Er bemühte sich darum, die Götter durch Gebet, Opfer und eine tugendhafte Lebensführung zu ehren; dies wollte er auch seine Untertanen lehren. 25 Aus diesem Bedürfnis, ein Beispiel zu geben und seinen göttlichen Auftrag zu erfüllen, stammte vermutlich Julians hoher Anspruch an sich selbst. 26 Libanius rühmte Julian wegen seiner einfachen und reinen Sitten; dadurch, dass er die Bedürfnisse seines Körpers streng beherrschte, keusch war und materielle und vulgäre Zerstreuungen verachtete, war Julian für Libanius in dieser bescheidenen Einfachheit ein Modell von Beherrschtheit und Meisterschaft über das eigene Ich. 27 Wichtig für Julians religiöses Selbstverständnis waren auch sein Rang und seine Aufgaben als Pontifex Maximus in der von ihm neu geschaffenen reichsweiten paganen religiösen Organisation. Diesen verstand er nicht nur als bloßen Titel, sondern er sah sich selbst als Priester mit Pflichten gegenüber Göttern und Volk. 28 So hatte z. B. sein Gebet als das des Pontifex Maximus eine besondere Kraft und einen reinigenden und apotropäischen Charakter. 29 Doch verstand Julian seine Aufgabe als Pontifex Maximus als über das rein Opferpriesterliche hinausgehend, er sah sich als spiritueller Führer
21 22 23
24
25
26
27 28 29
zu festigen; vgl. Criscuolo, Religione 370; Riewald, Sacerdotes 1632; Ladage, Kultämter 4f; Langhammer, Stellung 65. Vgl. Julian. or. 7, 221d (67 Rochefort); vgl. Cabouret, Prière 120f. Vgl. Criscuolo, Religione 385. Vgl. Julian. or. 7, 231d (80 Rochefort): Der junge Mann (= Julian) bittet Helios, bei ihm bleiben zu dürfen, worauf dieser antwortet, er müsse auf die Erde zurückkehren, um dort eingeweiht zu werden; vgl. Gauthier, Initiations 100. Julian glaubte, dass die Verehrung des Heiligen wichtiger sei als Luxus und denen reiche Freude schenke, die auch in der Praxis des täglichen Lebens die rechte Gesinnung hätten, vgl. ep. 80 (88 Bidez); vgl. de Labriolle, Polémique 273. Libanius berichtet, dass Julian Tag und Nacht opfere, bete und mit den Göttern spreche (Liban. or. 37, 5 [2, 341 Foerster]); vgl. Malosse, Rhétorique 331/333. Der Begriff der »>Aret†« (Tugend) war für Julian besonders wichtig, da er alle Eigenschaften beinhalte, durch die sich ein Mensch, der dieses Namens würdig sei, auszeichne. Zu einem tugendhaften Leben gehörte für Julian das Praktizieren der vier (platonischen) Kardinaltugenden >Andre–a (Mut), Dikaios‘nh (Gerechtigkeit), Swfros‘nh (Selbstbeherrschung) und FrÏnhsic (Klugheit); ein guter Herrscher übe sich zusätzlich in QrhstÏthc (Güte), PraÏthc (Milde) und Megaloyuq–a (Großherzigkeit), vgl. Julian. or. 2 (3), 109a (81 Bidez); vgl. Huart, Julien 105. 112. 116. Vgl. Näsström, Mother 108 f. In ep. ad Themist. 259a (19 Rochefort) sprach Julian davon, dass jeder König göttlichen Wesens sei und deshalb eine besondere Vorbildfunktion habe; or. 3 (2), 86a (161 Bidez) zählte er Frömmigkeit und Eifer für den Kult der Götter zu den Herrschertugenden. Vgl. Liban. or. 1, 120; 18, 19. 26 (1, 140 f; 2, 245. 247f Foerster); vgl. Petit, Empereur 71. Vgl. Julian. ep. 89b, 299b. 301b (167. 169 Bidez); vgl. Asmus, Encyklika 46/49; Bouffartigue, Julien 20. Vgl. Liban. or. 18, 177 (2, 312 f Foerster) zu der Begebenheit, als Julian durch Gebet Poseidon besänftigte, der Konstantinopel mit einem Erdbeben heimgesucht hatte.
140
6. Der Kult
seiner Untertanen und war ihnen mit seinem Leben und seiner religiösen Praxis ein Vorbild, das sie zur Nachahmung anregen sollte. Er hoffte, den ihm selbst innewohnenden Glaubenseifer an die pagane Bevölkerung weitergeben zu können, so dass die religiöse Praxis auch für sie nicht mehr Pflicht, sondern Herzensangelegenheit wäre. Als Pontifex Maximus hatte er das Recht, bzw. vielmehr noch die Pflicht, für die rechte Verehrung der Götter Sorge zu tragen, er war Vermittler zwischen Menschen und Göttern. 30 Er war der Garant für das Überleben des Imperiums; nach seinem Verständnis war auch seine eigene Errettung von der erfolgreichen Ausführung seines gottgegebenen Auftrags abhängig. 31 Dieses Bild übernahm Libanius in seinen Reden an und auf Julian: Das Motiv des besonderen religiösen Eifers war ein wesentliches Element seiner Darstellung Julians. 32 6.2 Julians Entwurf 6.2.1 Opfer Das Opfer spielte eine hervorragende Rolle in der von Julian entworfenen reichsweiten paganen religiösen Organisation. Obwohl das Opfer auch in den traditionellen paganen Kulten eine große Bedeutung gehabt hatte, wurde Julian aufgrund seiner häufig als exzessiv angesehenen Opferpraxis von vielen seiner Zeitgenossen (darunter auch Heiden) kritisiert. 33 Julian selbst opferte täglich, in der Regel morgens und abends, und erwartete dies auch von seinen Priestern. 34 Als Kaiser und Pontifex Maximus brachte Julian entsprechend prächtige und umfangreiche Opfer dar. 35 Er interpretierte die überlieferte Rolle des paganen Priesters neu, jedenfalls für sich – ob er ähnliches auch von den anderen Priestern forderte, ist nicht überliefert. Traditionell bestand die Rolle dessen, der das Opfer durchführte, sei er Priester oder Magistrat, darin, die korrekte Darbringung des Opfers sicherzustellen. Die eigentliche Opferhandlung wurde von Helfern, meist Freigelassenen oder Sklaven, die »Victimarius« genannt wurden, ausgeführt. Deren Rolle nun war diejenige, die Julian für sich selber annahm: Er selbst führte das Messer und tötete das Opfertier. 36 Die sich hieraus ergebende Frage, wie Julian die Kaiserwürde mit 30 Vgl. Hahn, Konzept 149; Lippold, Iulianus 467. 479; Barceló, Begegnung 157. 31 Vgl. Julian. or. 11 (4), 157b (137 Lacombrade); vgl. or. 8 (5), 180a/b (130 Rochefort); or. 7, 232c. 234c (81. 83
Rochefort); vgl. Athanassiadi, Julian 174f; Cabouret, Prière 117. 32 Vgl. Liban. or. 12, 79; 15, 29; 17, 4. 6; 18, 1. 127 (2, 37. 130. 208f. 236f. 290 Foerster). 33 Vgl. Belayche, Table 458 f. So kritisierte z. B. Ammianus Marcellinus, dass die Soldaten, an die das Opfer-
fleisch verteilt wurde, in Antiochia oft regelrechte Orgien feierten, während das Volk hungerte (22, 12, 6 [3, 44 Seyfarth]). Zur Bedeutung des Opfers in Julians Reform vgl. Ullucci, Rejection 137/149. 34 Zu Julians eigener Opferpraxis vgl. Julian. ep. 98, 401b (182 Bidez): »Íjusa de–lhc, e⁄t> Órjrou bajËoc, Ìper e“wja poieÿn ‚pieik¿c ·kàsthc ômËrac« (»Ich brachte am Abend ein Opfer, dann auch am frühen Morgen, wie ich es nahezu jeden Tag zu tun pflege«); zu dem, was er von seinen Priestern forderte, vgl. Julian. ep. 89b, 302b (170 Bidez) und Kapitel 5.1. 35 Die großartige Opferpraxis des Kaisers kritisierend fürchtete Ammianus Marcellinus, durch den hohen Verbrauch Julians an Opfertieren könnten diese aussterben (25, 4, 17 [3, 170 Seyfarth]; vgl. Kapitel 6.1). Die Quellen, ob pagan oder christlich, sind sich einig, dass Julian während seines Aufenthaltes in Antiochia zahlreiche Zeremonien durchführte und viele Opfer darbrachte, von Vögeln über Kleinvieh bis hin zu Stieren und anderem Großvieh; vgl. Olszaniec, Restitutor 82. 36 So bezeichneten z. B. die Antiochener Julian spöttisch als »Victimarius« (vgl. Julian. misop. 346b [168 Lacombrade]; vgl. Amm. Marc. 22, 14, 3 [3, 48 Seyfarth]; vgl. Belayche, Table 467f; vgl. Kapitel 6.1). Wissowa, Religion 515/519, hält fest, dass der Pontifex Maximus (ebenso wie die Flamines und Vestalinnen) in der Früh-
6.2 Julians Entwurf
141
diesem Sklavendienst vereinbarte, ist relativ einfach durch seine enge Beziehung zum Göttlichen und seine hohe Meinung vom Opfer zu beantworten: Julian glaubte das Priesteramt höher stehend als das des Kaisers und sah somit die Tatsache, dass er mit eigener Hand opferte, nicht als niedrigen Dienst, sondern als Möglichkeit, noch direkter und intensiver mit dem Göttlichen in Verbindung zu treten; er wollte nicht, dass ein Mittelsmann (in diesem Fall der Victimarius) zwischen ihm und den Göttern stand. 37 Schon nach überlieferter Tradition beinhaltete das Opfer auch Gebet; dies wurde bei Julian noch durch seine neuplatonische Prägung verstärkt: Für ihn konnte das Gebet nicht vom Opfer getrennt werden, da dieses dem gesprochenen Wort erst Inspiration gebe. 38 Julian verlangte nicht von allen die exzessiven und prächtigen Opfer, die er selbst darbrachte. Er bemerkte sogar provokativ: »Wieviele Hekatomben können Frömmigkeit aufwiegen?« 39 Es ging nicht darum, möglichst viel, möglichst Kostbares oder möglichst Ausgefallenes zu opfern – für Julian war nicht der Akt des Opferns an sich, sondern die innere Einstellung des Opfernden entscheidend. Alle mit frommer Gesinnung dargebrachten Opfer, ob groß oder klein, waren seiner Meinung nach gleich wertvoll. Wenn sie ohne Frömmigkeit geopfert würden, seien sie vergebliche Bemühungen, und selbst die größten Opfer weniger wertvoll als ein kleines, das in Frömmigkeit geopfert werde. 40 Natürlich sollte dennoch jeder versuchen, nach seinen Möglichkeiten zu opfern und nicht geizig zu sein, ehrte man doch mit seinem Opfer die Götter. Auf die Betonung der inneren Einstellung der Opfernden zielte auch Julians Forderung, der Gottesdienst solle nach Möglichkeit in Stille und Zurückgezogenheit geschehen. So tadelte er die Antiochener dafür, dass sie zum Tempel gingen und ihn dort lautstark willkommen hießen; denn er war der Ansicht, dass im Tempel nur die Götter geehrt werden sollten und niemand sonst, nicht einmal der Kaiser. Er betonte, das Gebet solle geordnet und in Stille geschehen, und zwar zu den Göttern, nicht zu Menschen. 41 Ähnlich äußerte er sich in einem Brief, den er von seinem Feldzug gegen die Perser an Libanius schrieb: »Batnai also – der Name ist barbarischer Herkunft – ist ein hellenischer Ort; das zeigte sich schon daran, dass Weihrauchschwaden allenthalben das Land durchzogen; auch sahen wir überall Opfertiere bereitstehen. Wenn mich das auch recht erfreute, so erschien es mir doch als Übereifer und dem frommen Glauben an die Götter unangemessen. Abseits von der gemeinen Straße sollten sein und in der Stille vor sich gehen die Schlachtopfer für die Götter und die religi-
37 38
39
40 41
zeit selbst das Opfermesser geführt habe, um das Opfertier zu töten; im Laufe der Zeit sei diese Aufgabe dann mehr und mehr von untergeordnetem Kultpersonal übernommen worden. Vgl. Belayche, Table 468/470. Vgl. dazu Salut. de diis 16, 1 (21 Rochefort): »óEpeita a… m‡n qwr»c jusi¿n eŒqa» lÏgoi mÏnon e s–n, a… d‡ metÄ jusi¿n Ímyuqoi lÏgoi« (»Gebete ohne Opfer sind nur Worte, aber zusammen mit Opfern werden sie inspirierte Worte«). Genau andersherum hatte noch Plinius d. Ä. formuliert: »quippe victimas caedi sine precatione non videtur referre aut deos rite consuli« (Plin. nat. hist. 28, 3, 10 [28, 21 Beaujeu]: »Meint man doch, ohne Gebet Opfertiere zu schlachten und Götter nach den gehörigen Zeremonien um Rat zu fragen, habe keine Wirkung«). Julian. or. 7, 213d (56 Rochefort): »PÏsai gÄr ·katÏmbai t®c Âs–ac e s»n Çntàxiai«; es geht hier um den Kyniker Diogenes. An anderer Stelle, ebenfalls auf Diogenes bezogen, betonte Julian noch einmal, Frömmigkeit könne nicht allein an Opfern gemessen werden. So habe Diogenes zwar nicht die Tempel besucht und dort geopfert, das sei aber kein Zeichen dafür, dass er nicht fromm gewesen sei. Da er nichts von dem, was man opfere, besessen habe, habe er die Götter mit seiner ganzen Seele verehrt und so das wertvollste seiner Besitztümer geopfert; vgl. Julian. or. 9 (6), 199b (167f Lacombrade). Vgl. Julian. or. 7, 213d (56 Rochefort). Vgl. Julian. misop. 344c/345a (165 f Lacombrade).
142
6. Der Kult
ösen Zeremonien, indem man nur auf dieses Ziel zugeht und sie zu keinem anderen Zweck unternimmt.« 42 Julian war es wichtig, dass bei einem Gottesdienst die Götter im Mittelpunkt standen und nicht etwa jemand versuchte, sich durch ein besonders kostspieliges, großes oder prächtiges Opfer in Szene zu setzen oder beim Kaiser einzuschmeicheln. Die Opfer als heilige Handlung durften nicht verzweckt werden. 43 Julians »frénésie sacrificielle« 44, der ihm von seinen Zeitgenossen vorgeworfenen maßlosen Opferpraxis, lag sein Verständnis von Frömmigkeit und Reinheit zugrunde. So äußerte er sich in »Contra Galilaeos« am Beispiel von Kain und Abel (Gott nimmt das Tieropfer Abels an, nicht aber die Feldfrüchte Kains 45) dahingehend, dass den Göttern einige Opfer besser gefielen als andere: Es gebe auf Erden Dinge, die Leben in sich hätten, und solche, die leblos seien. Die lebendigen Dinge seien dem lebendigen Gott, der selbst der Grund allen Lebens sei, wertvoller als leblose Dinge, denn sie hätten Teil am Leben und seien dem Gott deswegen ähnlicher. 46 Da Julian diese Theorie im Zusammenhang mit seiner Kritik an den Christen äußerte, ist schwer zu entscheiden, ob diese auch im heidnischen Bereich Gültigkeit hatte, oder ob er lediglich die Praxis der Christen verurteilen wollte. Obwohl Julian selbst in der Regel Tiere opferte, sprach er daneben auch von der Möglichkeit, unblutige Opfer darzubringen, z. B. Weihrauch- oder Trankopfer. 47 Diese Opferarten waren in den paganen Kulten weit verbreitet, so dass davon auszugehen ist, dass Julian Tieropfer zwar vorzog, den unblutigen Opfern jedoch nicht ihre Rechtmäßigkeit absprach. 48 Auch diese unblutigen Opfer und Gebete sollten möglichst in den Tempeln stattfinden, da in diesen sakralen Räumen die Allgegenwärtigkeit der Götter durch die menschliche Kunstfertigkeit besonders einprägsam dargestellt werde. 49 Julian wusste darum, dass der transzendente Gott der Philosophen keine Rituale brauchte. Doch war sein ganzes religiöses Konzept auf der Nähe und Verbindung vom Menschen mit und zu den Göttern aufgebaut; die Rituale verstand er als eine von den Göttern erdachte Sicherung, damit die Seelen nicht fehlgingen. 50 Der Kult war so für 42 Julian. ep. 98, 400c/d (181 f Bidez): »A—
ge mòn Bàtnai (barbarik‰n Ónoma to‹to) qwr–on ‚st»n Olump–oic Çnake–sjw jeoÿc«. Vgl. ausführlich hierzu z. B. Burkert, Religion 99/126; Klauck, Umwelt 27/35, mit weiterführender Literatur; Wissowa, Religion 409/432. Vor dem Vollzug des Opfers musste das Opfertier (das möglichst im Geschlecht der Gottheit, der es geopfert wurde, entsprechen sowie eine innere Beziehung zu ihr aufweisen sollte – z. B. wurden den Himmelsgottheiten
6.3 Pagane Parallelen
147
oder gab es eine Störung, so wurde die ganze Zeremonie ungültig und damit unwirksam. 80 Die eigentliche Schlachtung des Tieres besorgte in der Regel ein Opferdiener, der so genannte »Victimarius«, der Opferer selbst (der Priester oder Magistrat) deutete sie nur symbolisch mit dem Messer an. 81 So kontrovers diese Opfer auch waren, 82 muss doch bedacht werden, dass sie meist nur an besonderen Festtagen stattfanden, oft nur einmal im Jahr, manchmal auch monatlich. 83 Während der übrigen Zeit kam es nur gelegentlich zu Schlachtopfern, etwa, wenn jemand einem Gott besonders danken oder ihn um etwas bitten wollte. Neben dem Opfer von Tieren gab es schon von alters her weniger kostspielige Riten: Es wurde Weihrauch 84 verbrannt oder Speise- wie auch Trankopfer wurden dargebracht; ebenfalls eine wichtige Rolle spielten das Entzünden von Fackeln oder Lampen (z. B. morgens und abends im Kaiserkult) und das Singen von Hymnen, z. T. mehrmals täglich zu einer festgesetzten Zeit – es gab sogar spezielle Chöre, z. B. die Hymnodoi aus dem Kaiserkult kleinasiatischer Prägung, aus Eleusis und anderen Kulten. 85 Solche Opfer zeichneten sich aufgrund ihrer geringen Kosten durch den Vorteil aus, häufig, wenn nicht sogar täglich, dargebracht werden zu können. 86 Täglicher Gottesdienst trat erst in hellenistischer Zeit auf und ist vermutlich u. a. auf den Einfluss ägyptischer Kulte zurückzuführen. 87 Er war nur in solchen Tempeln
80 81 82 83
84
85
86 87
weiße Opfertiere dargebracht, denen der Unterwelt dunkle und denen des Feuers rote) genau geprüft werden, es musste (ebenso wie der Opfernde und alles mit dem Opfer Verbundene) rein sein, durfte noch nicht für Menschen gearbeitet haben und musste freiwillig zum Altar gehen. Selbst wenn das Opfer schon vollzogen war, konnte sich bei der Untersuchung der Innereien (sollten diese abnorm sein) herausstellen, dass es ungültig war. Die Opfer waren somit so genannte konsultatorische Opfer, d. h. sie wurden dargebracht und dann äußerte die Gottheit, ob sie das Opfer annahm oder nicht – im letzteren Fall musste es so lange wiederholt werden, bis die Zeichen die Annahme anzeigten; vgl. Muth, Einführung 307; Marquardt, Staatsverwaltung 172/182; Wissowa, Religion 413/418. Vgl. Hamman, Prière 1223. Vgl. Prümm, Handbuch 496; Marquardt, Staatsverwaltung 181; Muth, Einführung 307; Wissowa, Religion 418. Und dies nicht nur, wie bereits erwähnt, in der Auseinandersetzung mit den Christen; es gab auch philosophische Kritik an ihnen, ausführlich dazu im weiteren Verlauf dieses Unterkapitels. Vgl. Nilsson, Service 63; Lane Fox, Pagans 66. Man glaubte, dass diese Feste den Menschen von den Göttern geschenkt worden seien, damit sie sich in regelmäßigen Abständen bei Tanz, Musik und Wein vom Druck des Alltags entspannen und durch die Festfreude Gemeinschaft mit den Göttern erfahren könnten (vgl. Plat. leg. 2, 653c/d); die Feste gliederten den Alltag wie das ganze Leben der Menschen und gaben ihm Sinn; vgl. Dihle, Kultfrömmigkeit 41. Vgl. Plin. ep. 10, 96, 5 (356 Schuster /Hanslik): Weihrauch als fester Bestandteil der Opfergaben im Kaiserkult; vgl. (polemisch) Arnob. adv. nat. 7, 26 (375 Marchesi): »sine thure religionis officium claudicat« (»ohne Weihrauch ist die Verrichtung eines Gottesdienstes mangelhaft«). Der Weihrauch erfreute nicht nur die Götter mit seinem Wohlgeruch, sondern wirkte auch reinigend bei Befleckung oder Krankheit, vgl. Nilsson, Geschichte 2, 377. Nach Jamblich entstehen im Weihrauch sogar Erscheinungen der Götter (vgl. myst. 3, 29 [171/173 Parthey], allerdings hielt er diese für wertlos). Zum Gebrauch von Weihrauch im Mithraskult vgl. Gordon, Mithras 978. 982. Vgl. Hesiod. op. 336/340 (112 West); vgl. Nilsson, Service 64/66. 68; Nilsson, Geschichte 2, 381; Muth, Einführung 147 f; Lane Fox, Pagans 70; MacMullen, Christianizing 44f. Zur Rolle der Musik im Kult vgl. Kapitel 6.3.3. Vgl. Nilsson, Geschichte 2, 380/384; ausführlich zu den verschiedenen Arten unblutiger Opfer vgl. Stengel, Kultusaltertümer 98/105. Aus dem Isis- und Sarapiskult ist z. B. ein täglicher Gottesdienst bekannt, der u. a. das morgendliche Öffnen der Tempel und das Wecken und Ankleiden der Statuen beinhaltete, auch sind Gesänge und Prozessionen überliefert; vgl. Nock, Development 426.
148
6. Der Kult
möglich, die oft besucht wurden und ein entsprechend zahlreiches Personal besaßen. 88 Mithilfe einer nur stark zerstört überlieferten Inschrift lässt sich der mögliche Ablauf eines solchen täglich stattfindenden Gottesdienstes im Tempel von Epidauros rekonstruieren: Am Beginn des Tages wurde ein Hymnos gesungen, dann umschritt ein Feuerträger die Altäre, vermutlich um Weihrauch zu verbrennen, auch wurden Lampen entzündet. Abends (und evtl. auch zu anderen Stunden des Tages) wurde erneut ein Hymnos zu Ehren des Gottes gesungen. 89 Auch eine Inschrift auf Teos beschreibt einen solchen Gottesdienst; hier heißt es, dass jeden Tag bei der Öffnung des Dionysustempels die Epheben mit dem »Priester der Knaben« zusammen Hymnen singen sollten, und weiter, dass beim Öffnen wie auch beim Schließen des Tempels vom Priester des Kaisers Libationen und Rauchopfer dargebracht sowie Lampen angezündet werden sollten. 90 Gerade die Schlichtheit der gottesdienstlichen Handlungen spricht dafür, dass es sich tatsächlich um täglichen Gottesdienst handelte, denn die monatlich vorgeschriebenen Opfer waren wesentlich prunkvoller. 91 Des Weiteren berichtet Pausanias von täglichen Opfern am Zeustempel in Olympia; auch im Kult des Asklepius sowie in den Mysterien der Isis und der Hekate finden sich Zeugnisse täglichen Gottesdienstes mit Darbringung unblutiger Opfer. 92 Ebenfalls bezeugt sind Gebete zum Sonnengott Helios bei seinem Auf- und Untergang. 93 Vor allem Philosophen vertraten den Vorrang unblutiger Opfer und empfahlen besonders Gebet und Kontemplation als würdige Formen der Götterverehrung; 94 die Neuplatoniker um den Theurgen Jamblich jedoch verteidigten die Notwendigkeit blutiger Opfer. So sollen im Folgenden kurz drei Konzepte vorgestellt werden. Der Neuplatoniker Porphyrius mahnte zwar, die Altäre sollten nicht mit Blut befleckt werden, 95 doch lehnte er blutige Opfer nicht grundsätzlich ab. Bei der Art des Opfers müsse vielmehr bedacht werden, welcher Gottheit es dargebracht werden solle: der traditionelle, materielle (= blutige) Kult richte sich an die Gestirnsgottheiten, den intelligiblen Göttern dagegen würden Hymnen und Gebete dargebracht, während dem höchsten Gott reine Gedanken in Stille und Einsamkeit geopfert werden sollten. 96 Diesem höchsten Gott sei das gesprochene Wort nicht angemessen, nur das innere, und selbst dieses nur dann, wenn es aus einer Seele komme, die frei von Leidenschaften und somit rein sei. So werde der höchste Gott allein durch Schweigen und Gedanken über ihn verehrt. 97 Wichtig sei auch die Person, die das Opfer darbringe, denn nicht jedem sei es gegeben, die Götter durch ein geistiges Opfer zu verehren: Während z. B. ein
88 Vgl. Nilsson, Service 67. 89 So die Rekonstruktion von IG 4, 1 nr. 742 bei Nilsson, Service 68f. 90 Vgl. CIG 2 nr. 3062 (kaiserzeitlich); vgl. Robert, Études 20/35. Dass der Priester des Kaiserkultes eine Rolle
91 92 93 94 95 96 97
im täglichen Gottesdienst des Dionysustempels spielte, sieht Robert, Études 34, als ein Zeichen für die enge Verbindung und Verbundenheit von Kaiserkult und jeweiligem Hauptkult in den Städten des Römischen Reiches. Vgl. Robert, Études 31 f. Vgl. Pausan. 5, 13, 10 (2, 33 Rocha-Pereira); vgl. ebd. 9, 34, 2 (3, 66 Rocha-Pereira); vgl. Nilsson, Geschichte 2, 382 f; Nilsson, Service 64 f; Bradbury, Revival 336f. Vgl. Philostr. vit. Apoll. 2, 38; 6, 10; 7, 10; 8, 13 (80. 213. 260. 330 Kayser); vgl. Bradbury, Revival 337. Vgl. Porph. abst. 2, 28. 34. 42 (157 f. 163 f. 171f Nauck); vgl. Lee, Pagans 32f; Nilsson, Service 67/69; Vernant, Sacrifice 9/18, besonders 16/18. Vgl. Porph. abst. 2, 28 (157 f Nauck); vgl. Vernant, Sacrifice 20. Vgl. Porph. abst. 2, 34. 42 (163 f. 171 f Nauck); vgl. Olszaniec, Reform 219 mit Anm. 13. Vgl. Porph. abst. 2, 34 (163 f Nauck); vgl. Esser, Gebet 43.
6.3 Pagane Parallelen
149
Bauer von seiner Ernte opfere, opfere ein Philosoph von seinen guten Gedanken und seinen Fortschritten auf dem Weg des Aufstiegs und der Verähnlichung mit dem Göttlichen. 98 Solche Angleichung an Gott war für Porphyrius der beste Gottesdienst; er verstand die Philosophie selbst als Gottesverehrung. 99 Der öffentliche Kult mit seinen Ritualen dagegen hatte für ihn lediglich sekundäre Bedeutung und war hauptsächlich für die zur philosophischen Gottesverehrung Unfähigen bestimmt. 100 In seinem Werk »De mysteriis Aegyptiorum« versuchte Jamblich dagegen, den traditionellen Kult zu rechtfertigen. Er begegnete der Anfrage, warum Kulthandlungen vorgenommen werden sollten, obwohl die Götter gar nicht beeinflusst werden könnten, mit dem Argument, dass der Kult die Götter verherrliche und die Menschen durch die Durchführung des Kultes gereinigt und so in die Lage versetzt würden, aufzusteigen. 101 Schritt für Schritt würden sie den Göttern ähnlicher, indem sie eine Verbindung mit dem Göttlichen eingingen; so nähmen sie allmählich göttliche Perfektion an, was schließlich zu einer Vereinigung mit den Göttern führe. 102 Jamblich unterstrich, Moral und Tugend seien Voraussetzung dafür, die Riten und Opfer durchführen zu können; ebenfalls sei eine äußerst sorgfältige Vorbereitung wichtig, da Fehler ein Ritual ungültig machen könnten. 103 Ein weiterer Grund für die sorgfältige Vorbereitung sei, dass die Götter nur mit solchen Menschen in Kontakt treten würden, die durch die heiligen Wissenschaften gereinigt seien; diese befreiten sie von jeder Leidenschaft sowie allen schlechten Gewohnheiten und schenkten ihnen stattdessen alle Tugenden. 104 So, wie das Opfer vom Feuer verzehrt und dadurch gereinigt werde, würden auch diejenigen, die das Opfer darbrächten, von allem befreit, was sie daran hindere, zu den Göttern aufzusteigen. 105 Opfer und Gebet bildeten in Jamblichs Vorstellung eine enge Einheit und ergänzten einander; Gebet ohne Opfer findet sich nirgendwo in seinem Werk. 106 Dabei war ihm wichtig festzuhalten, dass es zwei verschiedene Arten der Verehrung der Götter gebe, analog zu den zwei verschiedenen Daseinsarten der menschlichen Seele (im Körper eingeengt bzw. im Geist zu den immateriellen Göttern aufgestiegen): Die eine für die äußerst geringe Zahl von Menschen, die gänzlich gereinigt seien (eine intellektuelle Verehrung), und die andere für diejenigen, die sich noch in der Gewalt des Körpers befänden, und eine materielle Art der Gottesverehrung bräuchten. 107
98 Vgl. Porph. abst. 2, 34. 45 (163 f. 174 Nauck); vgl. Esser, Gebet 44. 99 Vgl. Porph. ad Marcell. 23 f (119 f des Places); vgl. Porph. abst. 2, 45 (174 Nauck). 100 Vgl. Tanaseanu-Döbler, Konversion 35f. 101 Er betont in diesem Zusammenhang, dass der Kult nicht dem Zweck diene, etwaige Bedürfnisse der Götter
zu stillen, da diese bedürfnislos seien, vgl. Jambl. myst. 1, 11 (37/40 Parthey). 102 Vgl. Jambl. myst. 1, 11. 15 (37/40. 45/49 Parthey); vgl. Bidez, Liturgie 27f, der davon spricht, dass Rufen,
103
104 105 106 107
Lärm, Musik, Gerüche, Licht- und Schatteneffekte etc. verwendet worden seien, um diese Einheit mit dem Göttlichen zu erreichen. Vgl. Jambl. myst. 2, 10; 3, 11 (90/95. 123/128 Parthey). Sei die Vorbereitung fehlerhaft, könne es geschehen, dass Wesen niedriger Ordnung sich für höherstehende ausgäben und Versprechungen machten, deren Erfüllung nicht in ihrer Macht liege, vgl. Jambl. myst. 2, 10 (90/95 Parthey). Vgl. Jambl. myst. 3, 31; 4, 1 (175/180. 180/182 Parthey). Vgl. Jambl. myst. 5, 11 f (214/216 Parthey). Vgl. Esser, Gebet 65. Die erste Art der Gottesverehrung sei in der Regel nur nach einer (lebens-) langen Vorbereitung möglich und geschehe nur sehr selten, so dass die zweite Art die normale darstelle, vgl. Jambl. myst. 5, 15. 18/22 (219f. 223/231 Parthey).
150
6. Der Kult
Die von Salutius, 108 einem engen Vertrauten Julians, verfasste Schrift »De diis et de mundo« gibt einen kurzen Überblick über die wichtigen paganen Lehren und Glaubensinhalte. 109 Aufgrund ihrer tiefen Freundschaft ist davon auszugehen, dass Salutius mit Julians Wissen, wenn nicht sogar Unterstützung, sein Werk verfasste und sicherlich solche Inhalte wiedergab, die auch der Meinung des Kaisers entsprachen. So ist er ein wertvoller Zeuge für die Ansichten Julians und soll im Folgenden kurz zu Wort kommen. Salutius lehrte, dass die Götter den Menschen die Opfer und Gebete geschenkt hätten, um deren Seelen davon abzuhalten, Böses zu tun; auch könnten durch Gebete und Opfer Fehler vergeben werden. 110 In diesem Zusammenhang betonte er, dass die Opfer und anderen Gesten der Ehrerbietung den Göttern nicht dargebracht würden, damit diese Nutzen davon hätten oder sich darüber freuten, denn die Götter seien bedürfnislos. 111 Ferner gehe es bei Sühneopfern nicht darum, die Götter den Menschen gewogen zu machen, vielmehr solle von den Menschen her die Beziehung zu den Göttern wieder hergestellt werden, indem die Schlechtigkeit der Menschen geheilt werde und sie dadurch die Güte der Götter wieder empfangen könnten. 112 Die Opfer geschähen somit nicht, um Bedürfnisse der Götter zu stillen, sondern um der Menschen willen: um die Menschen fähig zur Annahme der göttlichen Gaben und Güte zu machen. 113 Da diese Fähigkeit durch Nachahmung und Ähnlichkeit entstehe, repräsentierten und imitierten die einzelnen Kultelemente Bestandteile des Kosmos: die Tempel den Himmel, die Altäre die Erde, die Kultbilder das Leben (deswegen stellten
108 Zwei Personen in Julians Umgebung kommen als Verfasser in Betracht: Julians Praefectus Praetorio Orientis
109
110 111 112
113
Saturninius Salutius Secundus oder der gallische Präfekt Flavius Sallustius. Vgl. zu dieser Frage die neueste ausführliche Untersuchung bei Melsbach, Bildung 29/77, der hier die Gründe für und wider die beiden detailliert abwägt und zu dem Schluss kommt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit Julians Praefectus Praetorio Orientis der Verfasser war. Dieser war zwar Gallier, hatte jedoch eine klassische Ausbildung genossen; während Julians Zeit als Cäsar in Gallien war er (auf Anordnung Constantius’ II. und gleichsam als Aufpasser) bis zu seiner Abberufung ein Berater in dessen Konsistorium und enger Vertrauter, da er einer der wenigen Heiden in Julians Umgebung war (vgl. Julian. or. 4 [8] [189/206 Bidez], die dieser aufgrund seiner Trauer wegen Salutius’ Versetzung verfasste). Nach Julians Thronbesteigung ernannte er ihn zum Prätorianerpräfekten des Orients und betraute ihn mit dem Vorsitz eines Sondergerichts, das die Taten derjenigen untersuchen sollte, die sich unter Constantius II. Julian gegenüber schuldig gemacht hatten (vgl. Amm. Marc. 22, 3, 1 [3, 10 Seyfarth]; vgl. Bringmann, Kaiser 96). Salutius begleitete Julian auf dem Perserfeldzug und war bei ihm, als er starb; nach dessen Tod soll ihm die Kaiserwürde angeboten worden sein, die er jedoch ablehnte (vgl. Amm. Marc. 25, 5, 3 [3, 174 Seyfarth]). Auch unter den Julian nachfolgenden Kaisern Jovian und Valentinian behielt er sein Amt als Praefectus Praetorio Orientis. Er starb im Jahr 379. Vgl. Rochefort, Saloustios XIV/XXI. Die Schrift wurde lange Zeit als »paganer Katechismus« im Dienste der von Julian neu gegründeten heidnischen »Kirche« bezeichnet, so zuerst bei Cumont, Salluste 55; ihm schlossen sich Bidez, Julian 270, sowie diverse andere Forscher an (für einen Überblick über die Forschungsgeschichte vgl. Melsbach, Bildung 13/27). In der jüngeren Forschung rückt man jedoch von dieser Bezeichnung ab und diskutiert andere Gattungen, vgl. Melsbach, Bildung 81/89. Da im Rahmen der vorliegenden Arbeit allein der Inhalt wichtig ist, kann das interessante Thema der Gattungsbestimmung jedoch offenbleiben. Vgl. Salut. de diis 12, 6; 14, 3 (17 f. 20 Rochefort). Vgl. Salut. de diis 14, 1 (19 Rochefort). Bei schlechtem Verhalten und Lebenswandel der Menschen sei es keineswegs so, dass die Götter sich von diesen abwendeten, vielmehr verhinderten die Fehler der Menschen, dass eine Beziehung zu den Göttern entstehe, vgl. Salut. de diis 14, 2 (19 f Rochefort). Hier benutzte Salutius zur Veranschaulichung das Beispiel, die Behauptung, dass sich die Götter von den Schlechten abwendeten, ähnele derjenigen, dass die Sonne sich vor denen verberge, die nicht sehen könnten. Vgl. Salut. de diis 15, 1 (20 Rochefort).
6.3 Pagane Parallelen
151
sie Lebewesen dar), die Gebete das Intellektuelle (t‰ noerÏn), die magischen Zeichen (o… qarakt®rec) die unaussprechlichen Kräfte von oben, die Pflanzen und Steine die Materie, die Opfertiere das vernunftlose Leben in den Menschen. 114 Aufgabe der Kultteilnehmer sei es, diese Symbolik zu entschlüsseln und so zur Gemeinschaft mit den Göttern zu gelangen. 115 Um mit den göttlichen Mächten in Verbindung zu treten, müsse man ein Opfer wählen, das über eine Eigenschaft verfüge, die es sowohl mit den Menschen als auch mit den Göttern teile – um mit der lebenspendenden Gottheit in Verbindung zu treten, werde somit ein Lebewesen benötigt. 116 Auch unterstrich Salutius, Gebete ohne Opfer seien nur leere Worte, Gebete mit Opfer dagegen beseelte Worte. 117 Die blutigen Opfer spielten somit für Salutius eine äußerst wichtige Rolle im Kult. 6.3.2 Hauskult Das »Haus« (o⁄koc), ein Ausdruck, der neben dem Gebäude auch die es bewohnende (Groß-) Familie einschließlich der Sklaven, Verwandten, Freunde und Klienten bezeichnete, war das wichtigste Sozial- und Wirtschaftsgebilde der Antike. 118 Aus diesem hohen sozialen Stellenwert der Hausgemeinschaft folgte die große Bedeutung, die dem häuslichen Kult innerhalb der paganen Religiosität zukam. So gab es in jedem Haus kleine Altäre, z. T. mit Götterbildern geschmückt, an denen Gebete und Opfer dargebracht wurden. 119 Vor allem Vesta bzw. Hestia (die Göttin des Herdfeuers und der familiären Eintracht) wurde verehrt; bei den Römern kamen die Laren (Geister der verstorbenen Familienmitglieder oder Schutzgeister bestimmter Orte), die Penaten (Götter der Vorratskammer) und der Genius des Pater Familias hinzu. Auch Götter, zu denen die einzelnen Familienmitglieder einen besonderen Bezug hatten, oder der Kaiser konnten hier verehrt werden. 120 Gewöhnlich befand sich dieses häusliche Heiligtum in einem Seitenflügel des Atriums. 121 Es war u. a. Brauch, zu Beginn des Mahles eine Spende darzubringen, dabei wurde ein Teil der Speisen und Getränke für die Götter verbrannt, besonders festliche Opfer wurden jeweils an den Kalenden, Nonen und Iden dargebracht. Auch bei freudigen Ereignissen, wie Geburt oder Hochzeit, konnte am häuslichen Altar geopfert werden. Weitere Anlässe waren die Reinigung des Hauses nach einem Todesfall oder der Versuch, eine vermeintlich beleidigte Gottheit wieder gnädig zu stimmen. 122 Die Opfer am häuslichen Altar waren in der Regel unblutig, z. B. Blumen, Früchte, Wein, Kuchen
114 Vgl. Salut. de diis 15, 2 (20 Rochefort). 115 Vgl. Salut. de diis 15, 3 (20 Rochefort). 116 Vgl. Salut. de diis 16, 2 (21 Rochefort). 117 Vgl. Salut. de diis 16, 1 (21 Rochefort). 118 Vgl. Klauck, Umwelt 1, 59. 119 Vgl. Cic. dom. 41, 109 (ohne Paginierung Peterson); vgl. Klauck, Hausgemeinde 10; Nilsson, Geschichte 2,
187 f. 120 Vgl. Klauck, Umwelt 1, 61 f; zum privaten Herrscherkult vgl. Clauss, Kaiser 413/419. 121 Vgl. Muth, Einführung 289 f (oft in der Nähe des Herdes, der sich zumindest in der Frühzeit im Atrium
befand); Marquardt, Staatsverwaltung 121/126; auch der Garten bzw. die Felder sowie die Vorratskammer spielten eine wichtige Rolle im Hauskult, vgl. Orr, Religion 1559/1569. 1581. 122 Vgl. Klauck, Hausgemeinde 10; Muth, Einführung 290; Marquardt, Staatsverwaltung 126f.
152
6. Der Kult
oder Weihrauch sowie das Anzünden von Lampen oder Kerzen zu Ehren der Götter, in seltenen Fällen auch Tieropfer; sie wurden dargebracht vom Pater Familias. 123 In der Regel orientierte sich die Häufigkeit des Opfers an der Frömmigkeit der Familie bzw. ihres Oberhauptes und reichte von Opfern, die lediglich an den gebotenen Feiertagen dargebracht wurden, bis hin zu täglichem Gottesdienst, so ist z. B. ein tägliches Rauchopfer des Arztes Nikias vor seinem Asklepiusbild belegt. 124 Auch Apollonius von Tyana soll morgens, mittags und abends zur Sonne gebetet haben. 125 6.3.3 Musik und Gesang Musik spielte eine wichtige Rolle in der Beziehung der Griechen und Römer zu ihren Göttern: Prozessionen zum Altar wurden von Klängen der Lyra (Aule) begleitet und während der Opfer (blutigen wie unblutigen) Hymnen gesungen. 126 Man glaubte, dass die Musik am Heiligen teilhabe und zur Wirksamkeit der Riten beitrage; ihr wurde zudem die Kraft zugeschrieben, die Götter gnädig zu stimmen und herbeizurufen, böse Geister und Dämonen aber zu vertreiben. 127 So gab es z. B. schon seit alter Zeit das Collegium tibicinum romanorum, dessen Mitglieder die wichtige Aufgabe übernahmen, während des Opfers die Tibia zu spielen: Ihre Musik diente dazu, jegliches andere Geräusch zu übertönen, so dass dieses nicht die Zeremonie stören und das Opfer ungültig machen konnte. 128 Sie hatten einen Platz an der Seite des Priesters oder Magistrats inne und unterstützten ihn beim Opfern, sei es ein Tieropfer, eine Libation, ein Weihrauchopfer o. ä. 129 Auch in den Mysterienkulten spielte die Musik eine wichtige Rolle, z. B. bei Initiations- oder Reinigungsriten. Sie wurde besonders als Mittel benutzt, um die Mysten in einen Zustand der Ekstase zu versetzen, so dass sie aufnahmefähig für die Gottheit wurden; dies war vor allem im Kult des Dionysus oder der Kybele (in den Julian selbst eingeweiht war) der Fall. 130 Hymnengesang zu Ehren der Götter war ebenfalls eine alte heidnische Tradition. 131 Verschiedene Hymnensammlungen sowie Orakelsprüche, die den Vortrag von Hym123 Vgl. Porph. abst. 2, 20 (149 f Nauck); vgl. das Einschreiten von Kaiser Theodosius gegen diese Praktiken: Cod.
124 125 126 127 128 129 130
131
Theod. XVI 10, 12 (900 f Krüger /Mommsen); vgl. Muth, Einführung 290. 307; Nilsson, Service 63; Orr, Religion 1567. 1571; Wissowa, Religion 411. Vgl. Plut. vit. Nic. 4, 2, 525C (89 Ziegler); vgl. Anthol. Graec. 6, 337 (1, 624 Beckby). Vgl. Philostr. vit. Apoll. 2, 38; 6, 10; 7, 10; 8, 13 (80. 213. 260. 330 Kayser). Vgl. Piolot, Recrutement 279; Quasten, Musik 6/16. 27/35; Stengel, Kultusaltertümer 115. Vgl. Péché, Collegium 308; Quasten, Musik 37/42 (»Apotropie und Epiklese«: ebd. 42); Fleischhauer, Geschichte 12. Vgl. Plin. nat. hist. 28, 3, 11 (28, 21 Beaujeu); vgl. Péché, Collegium 307. 310f; Guittard, Carmen 173; Quasten, Musik 36 f. Vgl. Péché, Collegium 308. Vgl. Quasten, Musik 45/58. Vgl. ebd. 59/62 zur Rolle der Musik in der Mantik: In durch Musik hervorgerufenem ekstatischen Zustand wurde die Zukunft vorhergesagt. Auch der Mithraskult kannte das gemeinsame Singen von Hymnen, vgl. Gordon, Mithras 979. So berichtet Cicero, dass bereits das Zwölftafelgesetz anordnete, die Ehrung der Götter mit Gesang, Lauten- und Flötenspiel zu verbinden (leg. 2, 9, 22 [94 Nickel]); vgl. Aristid. Quint. mus. 2, 4 (57 WinningtonIngram): »jeÿoi m‡n ’mnoi ka» tima» mousik¨ kosmo‹ntai« (»Die den Göttern geweihten Hymnen und Zeremonien schmücken sich mit Musik«); vgl. Quasten, Musik 3f; MacMullen, Paganism 14/17; Lane Fox, Pagans 66/68. 114 f. 135. Mit dem Aufkommen der Idee des geistigen Opfers anstelle blutiger Opfer (besonders im Neuplatonismus) änderte sich die Einstellung zur Musik: Wer das geistige Opfer propagierte, lehnte gleichzeitig Gesang und erst recht instrumentale Musik ab. Die Götter sollten allein durch rechte Gesinnung geehrt
6.3 Pagane Parallelen
153
nen im Kult vorschreiben, bezeugen seine weite Verbreitung. 132 So hebt z. B. ein kaiserzeitlicher Ausspruch des Orakels von Didyma (dessen Prophet Julian geworden war 133) hervor, wie sehr Apollo sich an Gesang erfreue – so sehr sogar, dass er ihn Opfern und Weihegeschenken vorziehe. 134 Der erste bekannte Hymnos wurde im Jahr 207 v. Chr., vermutlich von Livius Andronicus, verfasst; ein Chor von je 27 jungen Männern und Mädchen trug ihn zu Ehren der Juno Regina vor. 135 Um die Götter mit Hymnen zu ehren, wurden viele solcher Chöre gegründet. Spätestens ab der Kaiserzeit waren sie fest organisiert – so gab es z. B. im kleinasiatischen Kaiserkult die Kollegien der Hymnoden. 136 Auch in anderen Kulten waren solche Vereine bekannt, z. B. in den Eleusinischen Mysterien, in die Julian eingeweiht war. 137 Dass viele solcher Chöre Knabenchöre waren, lässt sich vermutlich auf die Tatsache zurückführen, dass die Reinheit der Knabenstimme, besonders von Jungen aus guter Familie, den Göttern als besonders wohlgefällig galt. 138 So berichtet z. B. Lukian von Samosata, Alexander von Abonuteichus habe Chorknaben in seinem Haushalt, die dem Gott Asklepius zu Ehren Hymnen sängen. 139 Des Weiteren beschreibt eine Inschrift aus Stratonikeia die Bildung eines Knabenchores zu Ehren der Stadtgötter: 140 Zum Dank für den Schutz der Stadt durch ihre Patrone Zeus Panamarus und Hekate beschloss der Stadtrat, dass täglich 30 Jungen aus der Oberschicht zusammen mit ihrem Erzieher (»paidonÏmoc«) und ihren Wächtern (»paidof‘lakoi«) zum Rathaus ziehen sollten, weiß gekleidet, bekränzt und mit Olivenzweigen in den Händen. Dort sollten sie, begleitet von einem Zitherspieler und einem Herold, einen eigens komponierten Hymnos zu Ehren des Zeus Panamarus und der Hekate singen. Dies sollte für alle Zeit geschehen; wenn davon abgesehen werde, mache die Stadt sich des Frevels gegen die Götter schuldig. Zudem legt die Inschrift fest, dass der Priester der Hekate aus dem Tempelbezirk und der Nachbarschaft jedes (zehnte?) Jahr Jungen auswählen solle, damit diese, wie seit alter Zeit üblich, den gewohnten Hymnos für die Göttin sängen. Dabei habe der Priester die Autorität, bei den Vätern der ausgewählten Jun-
132 133 134
135
136
137 138
139 140
werden; Musik, ob sie opferbegleitend war oder selbst Gottesdienst, erschien unpassend; vgl. Quasten, Musik 69/77. Vgl. Nilsson, Geschichte 2, 378; Nilsson, Service 67f; Fleischhauer, Geschichte 13 und Lee, Pagans 23/25 mit Beispielen; vgl. Harder, Inschriften 88/97. Vgl. Julian. ep. 88, 451b (151 Bidez). Vgl. die Inschrift von Didyma nr. 217 (bei Wiegand, Didyma 165 nr. 217); vgl. dazu die Untersuchung von Harder, Inschriften 88/97. Die Musik spielte im Kult des Apollo allgemein eine wichtige Rolle, vgl. z. B. Georgoudi, Procession 153/171. Dieser Hymnos ist nicht erhalten (vgl. Warmington, Remains 2, XI/XII); Livius jedoch berichtet über den Anlass und erwähnt auch, dass Livius Andronicus ihn verfasste (vgl. Liv. 27, 37, 7/15 [4, ohne Paginierung Conway /Johnson]; 31, 12, 9 [5, 14 McDonald]); vgl. Guittard, Carmen 179. Zunächst waren sie in einem Verband zusammengeschlossen, der die gesamte Provinz umfasste, später dann jeweils in den einzelnen Städten organisiert (Pergamon, Ephesus, Smyrna etc.); vgl. Nilsson, Geschichte 2, 379; Deininger, Provinziallandtage 54 f. Vgl. Nilsson, Geschichte 2, 379. Vgl. Lucian. imag. 13 (2, 368 MacLeod); vgl. Zos. hist. 2, 6 (1, 76 Paschoud); vgl. Fleischhauer, Geschichte 13. Doch auch die Tänze und Gesänge von Jungfrauen(chören) waren verbreitet, besonders im Kult von Göttinnen, vgl. Eurip. Heracl. 780 (31 Wilkins); vgl. Fehrle, Keuschheit 117/124. Vgl. Lucian. Alex. 41 (2, 349 MacLeod); zu kultischer Musik vgl. Otto, Priester 1, 90; 2, 290 Anm. 3; 2, 316. Vgl. CIG 2 nr. 2715a (Ende 2. Jahrhundert n. Chr.); vgl. Sokolowski, Lois 162f nr. 69; Robert, Études 516/ 523; Sahin, ¸ Inschriften nr. 1101; Laumonier, Notes 85. Ähnliches überliefert auch die Inschrift CIL 6 nr. 32323. Vgl. Kapitel 6.3.1 zur Inschrift von Teos, die anordnet, dass täglich beim Öffnen des Dionysustempels ein Ephebenchor Hymnen singen solle; vgl. Lane Fox, Pagans 178/180 mit weiteren Beispielen.
154
6. Der Kult
gen deren Teilnahme zu erzwingen. 141 Hier könnte man sogar eine Verpflichtung des Staates herauslesen, für die Ausbildung von Chören zu sorgen, die die Götter mit dem Gesang von Hymnen ehrten. 142 Eine von Aelian überlieferte Geschichte zeigt, wie verbreitet morgendliche Hymnen im Tempel des Asklepius waren: Ein Kampfhahn war am Bein verletzt worden, daraufhin stellte er sich am nächsten Morgen zusammen mit dem Chor auf, um dem Gott zu Ehren zu singen, und streckte das verletzte Bein in Hoffnung auf Heilung aus. 143 6.4 Christliche Parallelen Im Folgenden kann nur ein grober Überblick über die großen Entwicklungslinien von Eucharistie, Buße sowie Musik und Gesang im christlichen Gottesdienst gegeben werden – den drei Bereichen, in denen es am ehesten Parallelen zur obigen Darstellung von Julians Entwurf zu geben scheint; alles andere würde den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen. Doch ist, um christliche Riten mit Julians Vorstellungen in Bezug auf den Kult seiner reichsweiten paganen religiösen Organisation zu vergleichen, keine detaillierte Beschreibung des Christlichen erforderlich. 6.4.1 Eucharistie und Tagzeitenliturgie Die Eucharistie war die zentrale liturgische Feier der frühen Christen – so wie das Opfer der zentrale kultische Akt der Heiden war. Dennoch wird es kaum der Erwähnung bedürfen, dass Julian sich gerade in diesem Fall nicht an Christliches anlehnte. Zu unterschiedlich sind die Konzepte, die hinter beiden Feiern stehen, und zu verschieden die Abläufe. 144 Zwar gab es schon ab dem 2. Jahrhundert die Vorstellung der Eucharistiefeier als Opfer, 145 doch war dieser Begriff anders gemeint als der des paganen Opfers: In der christlichen Eucharistiefeier wird des Opfertodes Jesu am Kreuz gedacht sowie das Heilsereignis seines Todes und seiner Auferstehung immer wieder neu vergegenwärtigt; sein Opfer (ein Opfer, durch das alle weiteren Opfer obsolet wurden, da sich der Sohn Gottes selbst hingab 146) wird nachvollzogen. Auf paganer Seite dagegen wurden den Göttern Opfer dargebracht, um sie für bestimmte Vorhaben gnädig zu stimmen, ihnen zu danken oder religiöse Verpflichtungen zu erfüllen. Im Christentum steht die Deutung der Eucharistie als Opferfeier nie allein, sie wird komplementiert z. B. durch das Moment der Anamnese wie auch das Element der Communio, also der Versammlung der Gemeinde als Kirche, welche Gemeinschaft mit Christus und untereinander schenkt und die eschatologische Sammlung sowie das Freudenmahl im Reich Gottes symbolisch antizipiert; nicht zuletzt ist, wie aus der Bezeichnung »Eucharistie« bereits 141 Vgl. Lee, Pagans 23 f; Nilsson, Geschichte 2, 380. 142 So z. B. Stengel, Kultusaltertümer 81. 143 Vgl. Aelian. frg. 98 (2, 233 f Hercher). 144 Für einen Überblick über Ablauf und Theologie der christlichen Eucharistiefeier vgl. Justin. apol. 1, 67, 3/5
(SC 507, 308/310 Munier); vgl. Messner, Liturgiewissenschaft 159/222 mit weiterführender Literatur; zu Julians Opfern vgl. Kapitel 6.2.1. 145 Vgl. Fürst, Liturgie 83/85: vielleicht schon in der Didache (14, 1/3 [SC 248, 192 Rordorf /Tuilier]); sicher bei Justin Martyr (dial. 117, 1 [PTS 47, 271 Marcovich]) und Irenäus von Lyon (adv. haer. 4, 17, 5f; 4, 18, 1/4 [SC 100, 590/594. 596/610 Rousseau /Doutreleau]). 146 Vgl. Hebr. 5, 7/10; 7, 25/28 u. ö.
6.4 Christliche Parallelen
155
hervorgeht, die Danksagung ein wichtiger Aspekt. Vor allem das passiologische und das eschatologische Motiv ergänzen einander und sind grundlegend für das Verständnis der Eucharistie. 147 Auch brachte Julian seine Opfer täglich dar, während sich im Christentum die tägliche Eucharistiefeier frühestens Ende des 4. Jahrhunderts durchsetzte; vorher wurde sie nur am Sonntag bzw. in Einzelfällen auch an besonderen Festtagen gefeiert. 148 Allerdings gab es jeden Tag (Wort-) Gottesdienste bzw. Gebetszeiten, die z. T. in der Gemeinde, z. T. privat beobachtet wurden. Hintergrund dieser Praxis waren die jüdische Praxis des täglichen Gebets sowie die paulinische Mahnung »Betet ohne Unterlass.« 149 Bereits im 2. Jahrhundert forderte die Didache dazu auf, dreimal täglich zu beten (am Morgen, Mittag und Abend), um den Tag an seinen markanten Punkten durch Gebet zu prägen. 150 Weitere Gebetszeiten waren die so genannten kleinen Horen Terz, Sext und Non, von denen man annahm, dass die Apostel zu diesen Zeiten gebetet hätten; zusätzlich wurden sie mit Geschehnissen der Kreuzigung verbunden. 151 Ebenfalls gepflegt wurde das Gebet in der Nacht als Wache für den kommenden
147 Diese Motive werden u. a. aus den folgenden Bibelstellen erschlossen: Mk. 14, 25 (»Amen, ich sage euch: Ich
148
149 150 151
werde nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken bis zu dem Tag, an dem ich von neuem davon trinke im Reich Gottes«), Lk. 22, 16 (»Denn ich sage euch: Ich werde es nicht mehr essen, bis das Mahl seine Erfüllung findet im Reich Gottes«), 1 Kor. 10, 16f (»Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot«), 1 Kor. 11, 23/26 (»Denn ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch dann überliefert habe: Jesus, der Herr, nahm in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte: Das ist mein Leib für euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis! Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sprach: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut. Tut dies, so oft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis! Denn so oft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt«) u. ö.; vgl. Justin. dial. 41, 1; 117, 3 (PTS 47, 137 f. 271 f Marcovich); Eus. dem. ev. 1, 10, 25. 38 (GCS 23, 47. 49 Heikel); Joh. Chrys. in Mt. hom. 25, 3 (PG 57, 331); Joh. Chrys. in 1 Cor. hom. 24, 2 (PG 61, 200f); vgl. Fürst, Liturgie 80/87; Messner, Liturgiewissenschaft 150/168. – Gerhards /Kranemann, Liturgiewissenschaft 63, betonen, dass für die Deutung der Eucharistiefeier neben dem Letzten Abendmahl auch die Mähler Jesu mit Zöllnern und Sündern sowie die Berichte der wunderbaren Speisungen herangezogen werden müssen. Vgl. Fürst, Liturgie 42 f. Im 4. Jahrhundert wurde auch mittwochs und freitags, im Osten auch samstags Eucharistie gefeiert (ebd. 42). Doch selbst zu der sonntäglichen Feier scheinen längst nicht alle Gläubigen gekommen zu sein, vgl. schon Hebr. 10, 25. Die Synode von Elvira (Anfang des 4. Jahrhunderts) setzte für die Verletzung der Sonntagspflicht erstmals Strafen fest (Conc. Eliberit. can. 21 [4, 249 Martínez Díez/ Rodríguez]). – Einen besonders begangenen Wochentag (wie bei Juden den Sabbat oder bei Christen den Sonntag) gab es bei den Heiden nicht; wohl aber über das Jahr verteilte Festtage der einzelnen Götter. Der christliche Sonntag als reichsweiter arbeitsfreier Ruhe- bzw. Feiertag wurde erst von Kaiser Konstantin im Jahr 321 eingeführt (Cod. Theod. II 8, 1 [87 Krüger /Mommsen]; Cod. Iust. III 12, 2 [127 Krüger]; Eus. vit. Const. 4, 18/20 [GCS 56, 126 f Winkelmann]; Soz. h. e. 1, 8, 11f [GCS NF 4, 19 Bidez /Hansen]). Dies ermöglichte den Christen die Teilnahme am Gottesdienst und seine ungestörte Ausübung; vorher fand der Gottesdienst in der Regel frühmorgens statt, so dass auch Arbeiter und Sklaven vor Arbeitsbeginn teilnehmen konnten; vgl. Dassmann, Kirchengeschichte 1, 220f. 1 Thess. 5, 17. Zu täglichem Gebet und Gottedienst im Judentum vgl. Messner, Liturgiewissenschaft 242/247 mit weiterführender Literatur. Vgl. Did. 8, 2 f (SC 248, 172/174 Rordorf /Tuilier). Dabei soll das jüdische Achtzehngebet durch das Vaterunser ersetzt werden. Zur dritten Stunde waren die Jünger am Pfingsttag versammelt, als der Geist über sie ausgegossen wurde (Apg. 2, 15), gedacht wurde der Kreuzigung Jesu zur dritten Stunde (Mk. 15, 25); zur sechsten Stunde betete Petrus, als er die Vision der Gemeinsamkeit zwischen Juden und Heiden hatte (Apg. 10, 9), gedacht wurde der Finsternis, die während der Kreuzigung zur sechsten Stunde hereinbrach (Mk. 15, 33); Petrus und Johannes gingen zur neunten Stunde zum Tempel, um zu beten, und heilten einen Gelähmten (Apg. 3, 1), gedacht
156
6. Der Kult
Herrn; 152 auch wurden alltägliche Verrichtungen wie Mahlzeiten, ein Bad, das Empfangen von Gästen etc. mit einem Gebet verbunden, um dem paulinischen Gebot gerecht zu werden. 153 Wurden diese Gebete zunächst allein oder in der Familie verrichtet, so entwickelten sich im Laufe des 4. Jahrhunderts gemeindliche Morgen- und Abendgottesdienste, die in der jeweiligen Bischofskirche gefeiert wurden. Sie bestanden aus verschiedenen Elementen wie Hymnengesang, Schriftlesung, Gebeten und nicht zuletzt Psalmen. Dabei konnte der Abendpsalm 141 durch das Verbrennen von Weihrauch begleitet werden, da sein zweiter Vers lautet: »Wie ein Rauchopfer steige mein Gebet vor dir auf«; bemerkenswert ist, dass somit nicht nur die Eucharistiefeier, sondern auch andere Gottesdienste eine gewisse Opferkonnotation besaßen. Da diese gemeindlichen Gebetsgottesdienste am Morgen und Abend stattfanden, spielte die Lichtsymbolik eine große Rolle. Die Pilgerin Egeria schildert in ihrem Reisebericht (aus den 80er Jahren des 4. Jahrhunderts) detailliert den Ablauf eines solchen Gottesdienstes in Jerusalem: »Zur zehnten Stunde aber, die man hier ›Lychnikon‹ nennt – wir sagen ›Lucernar‹ –, versammelt sich die ganze Menge wieder in der Anastasis (scil. in der Auferstehungskirche); es werden alle Leuchter und Kerzen angezündet, und es erstrahlt unendliches Licht. (. . . ) Man rezitiert sowohl die Lucernarpsalmen als auch, lange Zeit hindurch, Antiphonen. Jetzt wird der Bischof gerufen, er steigt herab und setzt sich auf einen erhöhten Platz. Dann setzen sich auch die Priester auf ihre Plätze, und es werden Hymnen und Antiphonen rezitiert. (. . . ) Danach (scil. gegen Ende des Gottesdienstes) wird der Bischof mit Hymnen von der Anastasis bis zum Kreuz (scil. zum Golgothafelsen) geführt, ebenso kommt auch das ganze Volk mit. (. . . ) So wird dieser Gottesdienst täglich an sechs Tagen am Kreuz und in der Anastasis gefeiert.« 154 Auch wenn man in Betracht ziehen muss, dass die Liturgie in Jerusalem aufgrund der großen Zahl an Pilgern besonders aufwändig gestaltet war, so erhält man doch einen guten Eindruck von Ablauf und Form eines täglich stattfindenden Gottesdienstes im späten 4. Jahrhundert: Er wurde von der ganzen Gemeinde getragen und hatte die Struktur Psalmengesang, (Fürbitt-) Gebet und Segen mit Entlassung; dabei wurden die Psalmen entsprechend der jeweiligen Tageszeit ausgewählt, z. B. Ps. 63 als Morgen- und Ps. 141 als Abendpsalm. Besondere rituelle Handlungen wie Prozessionen, das Anzünden von Lichtern oder das Verbrennen von Weihrauch erhöhten die Anziehungskraft auf die Gläubigen, die so mit allen Sinnen Gottesdienst feiern konnten. 155
152
153 154
155
wurde des Todes Jesu zur neunten Stunde (Mk. 15, 34); vgl. Tert. orat. 25, 1/5 (CCL 1, 272f Diercks); vgl. Messner, Liturgiewissenschaft 248. Vgl. Lk. 12, 37/40: »Selig die Knechte, die der Herr wach findet, wenn er kommt. (. . .) Und kommt er erst in der zweiten oder dritten Nachtwache und findet sie wach – selig sind sie. (. . .) Haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet«; vgl. Mt. 25, 6; vgl. Tert. orat. 25, 5 (CCL 1, 272 f Diercks); Trad. apost. 41 (SC 11bis, 124/132 Botte). Vgl. Tert. orat. 25, 6/26, 1 (CCL 1, 273 Diercks). Itin. Eger. 24, 4/7 (CCL 175, 68 f Franceschini /Weber; Übersetzung nach FC 20, 229/231 Röwekamp): »Hora autem decima, quod appellant hic licinicon, nam nos dicimus lucernare, similiter se omnis multitudo colliget ad Anastasim, incenduntur omnes candelae et cerei et fit lumen infinitum. (. . .) Dicuntur etiam psalmi lucernares, sed et antiphonae diutius. Ecce et commonetur episcopus et descendet et sedet susum, nec non etiam et presbyteri sedent locis suis, dicuntur ymni vel antiphonae. (. . .) Et postmodum de Anastasim usque ad Crucem cum ymnis ducitur episcopus, simul et omnis populus uadet. (. . .) Haec operatio cotidie per dies sex ita habetur ad Crucem et ad Anastasim«. Vgl. Messner, Liturgiewissenschaft 253/255.
6.4 Christliche Parallelen
157
6.4.2 Musik und Gesang Da Instrumentalmusik in der Antike bei heidnischen Opfern eine wichtige Rolle spielte und u. a. dazu diente, auf magische Weise die Dämonen abzuwehren, die guten Götter aber anzuziehen, lehnte die frühe Kirche solche Art der Musik ab und schloss alle Musikinstrumente aus dem Gottesdienst aus. 156 Da für die Christen das (z. T. gesungene) Lob-Opfer große Bedeutung besaß, kann schon sehr früh mit Gesang im Gottesdienst gerechnet werden. 157 Die Psalmen waren seit Jahrhunderten das Gebetbzw. Gesangbuch der Juden; ab dem 3. Jahrhundert war Psalmengesang ebenfalls fester Bestandteil des christlichen Gottesdienstes. 158 Zwar untersagten noch die syrische Didaskalie (im 3. Jahrhundert) sowie eine Synode von Laodizäa (ca. 380 n. Chr.) das Singen nicht-biblischer Hymnen, 159 doch konnten sie die ab dem 3. und vor allem im 4. Jahrhundert verstärkt aufkommende christliche Hymnendichtung nicht verhindern. Dies lag wohl nicht zuletzt daran, dass so berühmte Theologen wie Bardesanes von Edessa und Ephräm Syrus im Osten, im Westen Hilarius von Poitiers und Ambrosius von Mailand selbst Hymnen verfassten. 160 So wurde schließlich der Hymnengesang im Gottesdienst akzeptiert und sogar befürwortet, da er einen großen Eindruck bei den Gläubigen hinterließ und sie befähigte, das große Mysterium besser zu verstehen und sich Gott mehr zu öffnen. Ebenfalls sprach für die Hymnen, dass sie in der Regel spirituelle, moralische oder dogmatische Lehren enthielten, die auf diese (musikalische) Weise leichter aufgenommen und memoriert werden konnten. 161 So konnten die Gläubigen sich durch ihren Gesang gegenseitig belehren: »Wenn sie (scil. die Gläubigen) sangen, wurden aus Schülern Meister, die sich gegenseitig ihren Glauben und guten Vorsatz bezeugten.« 162 Doch sollte die Musik einzig und allein der Sammlung der Gläubigen dienen und das Gebet fördern, es ging nicht um Unterhaltungszwecke oder darum, den Gottesdienst besonders ansprechend zu gestalten – vielmehr sollte der Gesang zur Ehre Gottes geschehen. Aus diesem Grund sollte er einfach und schlicht sein und weder durch Instrumente unterstützt werden noch durch kunstvolle Komposition der Hymnen eine besondere ästhetische Gestaltung erfahren. 163 6.4.3 Buße Durch seine Bekehrung zum Christentum und den Empfang der Taufe bekundete der Gläubige den Willen zu einer Lebenswende. Durch die Taufe wurden seine Sünden vergeben und er selbst wurde Teil der Gemeinde Gottes, Teil der Heiligen Gottes. Von den Gläubigen wurde ein dieser neuen Würde entsprechender sündenloser 156 Vgl. Clem. Alex. paed. 2, 42, 2 f (GCS 12, 183 Stählin). 157 Vgl. Kol. 3, 16; Eph. 5, 19; Plin. ep. 10, 96, 7 (356 Schuster /Hanslik); Tert. orat. 28 (CCL 1, 278 Diercks);
Eberhardt /Franz, Musik 269. 158 Vgl. Fürst, Liturgie 41. 159 Vgl. Didasc. apost. 21 (CSCO.S 179, 203 Vööbus); Conc. Laod. can. 59 (153 Beneševic); ˇ vgl. Const. apost. 1,
6, 5 (SC 320, 116 Metzger); vgl. Eberhardt /Franz, Musik 279. 160 Vgl. Fürst, Liturgie 41. 161 Vgl. Joh. Chrys. expos. in Ps. 41, 1 (PG 55, 155/157); Aug. conf. 9, 6, 14/9, 7, 15; 10, 33, 49f (CCL 27, 140/
142. 181 f Verheijen). Zur emotionalen Wirkung der Musik und ihrer Fähigkeit, Unsagbares auszudrücken, vgl. Gerhards /Kranemann, Liturgiewissenschaft 191/193. 197/199. 162 Dassmann, Kirchengeschichte 2, 2, 131. 163 Vgl. Dassmann, Kirchengeschichte 2, 2, 130.
158
6. Der Kult
und moralisch einwandfreier Lebenswandel erwartet. Doch wurden schon in der Frühzeit viele Christen diesem Anspruch nicht gerecht, ob sie nun in Verfolgungen vom Glauben abfielen oder andere Sünden begingen, wie Diebstahl, Ehebruch oder auch Mord. 164 So musste die Kirche sich damit auseinandersetzen, wie sie mit den Sündern umgehen sollte und ob es nach der Sündenvergebung in der Taufe weitere Sündenvergebung(en) geben konnte. In den paulinischen Briefen z. B. steht die Abgrenzung der Gemeinde gegenüber dem Sünder neben Aufrufen zu Barmherzigkeit und Vergebung. 165 Aus dieser ambivalenten biblischen Vorgabe und der Diskussion darüber, wie Heiligkeit und Sünde in ein- und derselben Gemeinde koexistieren können, entwickelte sich allmählich die kirchliche Bußpraxis. So konnte ein Reue zeigender Sünder wieder in die Gemeinde aufgenommen werden, wenn er Buße tat; 166 die Kirche wurde, in Anlehnung an das Gleichnis Mt. 13, 24/30 vom Unkraut unter dem Weizen, als eine Mischung von Sündern und Heiligen gesehen. 167 Einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu diesem Verständnis stellte der so genannte Bußstreit dar: In der Decischen Christenverfolgung in der Mitte des 3. Jahrhunderts war es zu massenhaftem Glaubensabfall gekommen, den die Schuldigen nach Ende der Verfolgung bereuten; sie wollten wieder in die Kirche aufgenommen werden. Bischof Cyprian von Karthago entwarf vor diesem Hintergrund ein Bußverfahren: Die Wiederaufnahme der Abgefallenen sollte möglich sein, jedoch unter strengen Auflagen und unter Leitung des Ortsbischofs. 168 Die sich so allmählich entwickelnde Bußpraxis sah im Rahmen eines liturgischen Ritus ein allgemeines öffentliches Schuldbekenntnis 169 des Sünders sowie dessen Bitte um Aufnahme in den Stand der Büßer vor. Der Bischof entschied, wie lange die Bußzeit dauern sollte und welche Bußleistungen der Betreffende zu erbringen hatte. 170 Da ein Büßer sich durch seine Sünden die Exkommunikation zugezogen hatte, war er bis zu seiner Wiederaufnahme von Eucharistiefeier und Kommunionempfang ausgeschlossen, nur am Wortgottesdienst durfte er teilnehmen. Nach der Ableistung seiner Buße wurde der Sünder, ebenfalls in liturgischem Rahmen, mit dem Ritus der Handauflegung wieder in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen. 171 Um Vergebung erlangen zu können, musste er Reue zeigen und durch Fas164 Vgl. Fürst, Liturgie 219/221. 165 Vgl. 1 Kor. 5, 2/13; 2 Kor. 2, 5/10; vgl. Joh. 20, 23: »Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben, wem
ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert«; vgl. Fürst, Liturgie 221/224. 166 Dies betraf keine alltäglichen Verfehlungen, die durch Gebet, Almosengeben und Besuch des Gottesdienstes
167
168
169 170 171
vergeben werden konnten. Bei den Vergehen, die eine öffentliche Buße verlangten, handelte es sich um Sünden wie Mord, Ehebruch, Götzendienst, Diebstahl, Betrug oder Abfall vom Glauben, um solche Sünden also, die den Verlust der Taufgnade und des Heiligen Geistes bedeuteten; vgl. Aug. serm. 56, 12; 58, 10 u. ö. (CCL 41Aa, 162/164. 210 f Verbraken); vgl. Fürst, Liturgie 244. Vgl. Did. 15, 3 (SC 248, 194 Rordorf /Tuilier); vgl. Irenäus von Lyon, der sogar Häretikern die Möglichkeit zur Buße nicht endgültig absprach: adv. haer. 1, 13, 5. 7; 1, 31, 3; 3, 14, 4 u. ö. (SC 264, 200. 204. 388; 211, 274 Rousseau /Doutreleau); vgl. Cypr. ep. 54, 3, 1/3; 55, 25, 1f (CCL 3B, 253/255. 287f Diercks); Eus. h. e. 5, 28, 8/12 (GCS 9, 1, 502/504 Schwartz); vgl. Fürst, Liturgie 225/228. Die Kompetenz des Bischofs in diesen Dingen wurde aus der in Mt. 16, 18f und 18, 18 bzw. Joh. 20, 23 erwähnten Gewalt des Bindens und Lösens abgeleitet; vgl. Fürst, Liturgie 233/235 (zur genauen Vorgehensweise sowie zu den sich in diesem Zusammenhang von der Großkirche, die ihnen durch die Wiederaufnahme von Sündern ihre Heiligkeit zu verraten schien, trennenden Novatianern vgl. ebd.). Dieses Schuldbekenntnis zählte nicht detailliert alle Sünden auf, das geschah wohl vielmehr privat vor dem Bischof (oder einem seiner Presbyter); vgl. Fürst, Liturgie 250. So konnte die Bußzeit von wenigen Wochen über mehrere Jahre bis hin zu lebenslang (bei Glaubensabfall) dauern; vgl. Fürst, Liturgie 251 f mit ausführlichen Beispielen. Vgl. Didasc. apost. 5/7. 10 (CSCO.S 175, 59/93. 117/126 Vööbus); vgl. Fürst, Liturgie 236f. 247/256.
6.5 Abschließender Vergleich
159
ten, Gebet und Almosengeben einen Gesinnungswechsel demonstrieren, so dass die Gemeinde seinen Willen zur Umkehr erkennen konnte. 172 Allerdings war diese Buße nur ein einziges Mal möglich, wie Ambrosius es sehr anschaulich formulierte: »Sicut unum baptisma, ita una paenitentia.« 173 6.5 Abschließender Vergleich Kultische Vollzüge, Gottesdienst, Opfer, Gebet – die Verehrung der Götter bzw. des Gottes ist das Herzstück einer jeden Religion. Denn hier geht es darum, die höheren Mächte in bestimmten Anliegen um etwas zu bitten, ihnen zu danken, sie zu verehren. Dabei entwickelt jede Religion ihre eigenen Charakteristika. In Manchem ähneln sich die verschiedenen Kulte, in Anderem dagegen gibt es große Unterschiede. So auch im Fall der religiösen Organisation Julians: Es lassen sich, wie schon Gregor von Nazianz bemerkte, 174 durchaus Parallelen zu christlichen Kultvollzügen erkennen, doch ebenso auch Divergenzen zu diesen, sowie Praktiken, die mit christlichen Riten unvereinbar sind und stattdessen Gemeinsamkeiten mit den Riten paganer Kulte aufweisen. So ist z. B. Julians Opferpraxis ein Beispiel für Letzteres: Die blutigen Opfer waren ein Vollzug paganer Religion, gegen den die Christen besonders polemisierten und den die christlichen Kaiser mehrfach gesetzlich untersagten – wobei gerade die Wiederholung dieser Verbote für ihre Ineffektivität spricht. Dennoch trugen diese Gesetze sicherlich dazu bei, dass die Opfertätigkeit im 4. Jahrhundert nachließ; weitere Gründe hierfür waren die hohen Kosten, fehlende Finanzierungsmöglichkeiten sowie die wachsende philosophische Kritik an Tieropfern. 175 Als Julian an die Macht kam, führte er die Opfer – trotz oder vielleicht auch gerade aufgrund ihres provokativen Charakters – wieder ein. Denn waren auch die blutigen Opfer selbst bei den Heiden immer mehr in die Kritik geraten, so bot doch Jamblich durch seine Widerlegung der philosophischen Kritik Julian eine Möglichkeit zur Rechtfertigung blutiger Opfer. 176 Neben Jamblichs Lehren könnte auch die wichtige Rolle der Tieropfer bei Homer (dessen Werk Julian durch seinen Lehrer Mardonius schätzen gelernt hatte) Julians Entschluss, sie wiedereinzuführen, beeinflusst haben – evtl. handelte er in der Hoffnung, dadurch jene ideale homerische Welt wenigstens ein Stückweit wiedererstehen zu lassen. 177 Zwar scheint es nahe liegend und durchaus möglich, dass Julian die Vorstellung eines täglichen Opfers sowie eines möglichst häufigen Kontaktes mit den Göttern aus der christlichen Tagzeitenliturgie übernahm. Doch darf andererseits nicht vergessen werden, dass Morgenund Abendgebete, wie Julian sie für seine Priester vorschrieb, althergebrachte Praxis
172 Vgl. Did. 4, 14; 14, 1 f (SC 248, 164. 192 Rordorf /Tuilier). 173 Ambr. paen. 2, 10, 95 (SC 179, 192 Gryson). Aus diesem Grund wurde sie oft (wie auch die Taufe) bis zum
174 175 176 177
Lebensende aufgeschoben – sofern man seine Sünde verbergen konnte, denn es war durchaus üblich, beim Bischof für begangene schwere Sünden angezeigt zu werden; vgl. ebd. 2, 6, 40 (SC 179, 158/160 Gryson); Aug. serm. 392, 3 (PL 39, 1710); Fürst, Liturgie 251/253. Vgl. Greg. Naz. or. 4, 111 (SC 309, 266 Bernardi). Vgl. Bradbury, Revival 331/356; MacMullen, Christianizing 53f. 348/351; Ullucci, Rejection 137/149; vgl. Kapitel 4.1.2, 4.2.3 und 6.3.1. Vgl. Bradbury, Revival 346 f; Ullucci, Rejection 137/149; zu den unterschiedlichen philosophischen Theorien bezüglich der Opfer vgl. Kapitel 6.3.1. Vgl. Tanaseanu-Döbler, Konversion 144.
160
6. Der Kult
waren, denn auch in paganen Kulten dankte man für den neuen Tag bzw. bat um Schutz vor den Gefahren der Nacht. 178 Julians Praxis, das Opfertier selbst zu töten, findet eine Parallele in der Frühzeit: Damals war es Brauch, dass alle Priester, auch der Pontifex Maximus, selbst das Opfermesser führten und das Opfertier töteten. 179 Doch im Lauf der Jahrhunderte wurde diese Aufgabe immer mehr an untergeordnetes Kultpersonal delegiert, bis es in Julians Zeit vollkommen ungebräuchlich war, dass der dem Opfer vorstehende Priester selber das Opfer vornahm. 180 Dass Julian dennoch genau diese Aufgabe übernahm, kann durch seinen Wunsch, alte Traditionen wieder zu beleben, begründet werden. Doch handelt es sich in diesem Fall um eine sehr alte, schon lange nicht mehr gepflegte Tradition und es scheint wahrscheinlich zu sein, dass die reine Vorsteherrolle des Priesters beim Opfer so selbstverständlich geworden war, dass sie nicht mehr hinterfragt wurde. Bei Julians Neuinterpretation der Rolle des Priesters könnte daher auch das christliche Klerikerbild im Hintergrund gestanden haben. So hatte er in seiner Jugend den christlichen Bischof als jemanden erlebt, der selber auf dem Altar die eucharistischen Gaben »opferte« 181 und dadurch Gott ganz nahe war. Da diese Nähe zum Göttlichen auch für Julian ein wichtiges Ziel war, könnte sein Bedürfnis, selbst zu opfern, sich durch das christliche Vorbild erklären. Andererseits ist jedoch auch zu bedenken, dass die theurgischen Riten ebenfalls durch den Theurgen selbst ausgeführt wurden und ihn so in Kontakt mit und in die Nähe zu den Göttern bringen sollten. Julians Insistieren auf der Wichtigkeit der inneren Einstellung zum Opfer erinnert sowohl an Jesu Gleichnis vom Hochzeitsmahl, in dem ein Gast, der ohne Hochzeitsgewand zu dem Fest kam, gebunden und »in die äußerste Finsternis« geworfen wurde, 182 wie auch an die Mahnung des Paulus, zu bedenken, was es sei, das man in der Eucharistiefeier empfange, damit man sich nicht das Gericht zuziehe. 183 Im paganen Bereich dagegen war der Glaube an die Götter keine notwendige Voraussetzung zum Opfer, so gab es durchaus Menschen, die nicht an die Götter glaubten (sondern an einen höchsten Gott – oder auch an keinen Gott), ihnen aber dennoch opferten – z. B. weil es sich um althergebrachte Tradition und den Brauch der Väter handelte oder auch, da religiöse Praxis keine reine Privatsache war, sondern große soziale und politische Relevanz besaß. 184 In der Theurgie änderte sich dies jedoch: Zur äußeren Reinheit trat die innere hinzu, gefordert wurden rechte Gesinnung und ein Gefühl von Liebe und Ehrfurcht gegenüber den Göttern, ansonsten, so warnte man, würden diese ein Opfer nicht annehmen. 185 Wie Porphyrius und Jamblich betonte auch Julian, dass nicht jeder die Götter nur durch Gebet und Gedanken verehren könne, vielmehr bräuchten die Menschen als
178 Vgl. z. B. Hom. Od. 3, 332/334; Plat. leg. 10, 887c/e; vgl. Hamman, Prière 1200/1202 mit weiteren Belegen. 179 Vgl. Fest. s. v. religiosus (348/350 Lindsay); Serv. in Verg. Aen. 4, 262 (1, 512f Thilo /Hagen). 180 Vgl. Wissowa, Religion 515/519. 181 Bzw. das Opfer Jesu nachvollzog; vgl. Kapitel 6.4.1 zum christlichen Verständnis der Eucharistie als Opfer. 182 Vgl. Mt. 22, 11/13. 183 Vgl. 1 Kor. 11, 28/32. 184 Vgl. Porph. ad Marcell. 18 (116 des Places); vgl. MacMullen, Christianizing 2f; Fürst, Monotheismus 11;
selbst diejenigen, die nur an einen höchsten Gott glaubten, konnten dennoch den (vielen) Göttern opfern, denn sie verstanden sie als Emanationen des Einen, vgl. Fürst, Monotheismus 8. 185 Vgl. Jambl. myst. 3, 31; 4, 1; 5, 11 (175/182. 214f Parthey). Wichtig war es zudem, jedem Gott das richtige Opfer darzubringen; hier richtete Julian sich nach der Lehre des Porphyrius, die auch von Jamblich vertreten wurde; vgl. Porph. abst. 2, 34. 42 (163 f. 171f Nauck); vgl. Wissowa, Religion 413f.
6.5 Abschließender Vergleich
161
körperliche Geschöpfe materielle Formen der Götterverehrung. 186 Aus diesem Grund sah er verschiedene Arten von Opfern, blutige und unblutige, vor. Er selbst brachte zwar in der Regel blutige Opfer dar, doch hielt er die anderen Arten nicht für schlecht. Auch das Gebet hatte seinen festen Platz beim Opfer und war notwendig, damit dieses korrekt durchgeführt werden konnte – wie Jamblich es so anschaulich ausdrückte: »Gebet verwebt die geistliche und heilige Einkehr mit den Göttern zu einem unzerstörbaren Gewebe.« 187 Allerdings war er auch fest davon überzeugt, dass »Gebete ohne Opfer nur leere Worte sind, Gebete mit Opfer dagegen beseelte Worte.« 188 Somit kann Julians Konzept in Bezug auf die Opferpraxis als konsequente Umsetzung der Vorstellungen und Lehren des Jamblich gesehen werden; bei den Christen hat er in diesem Fall keinerlei Anleihen gemacht. Dass Julian seine Opferpraxis und die mit ihr verbundenen Vorstellungen aus der heidnischen Tradition übernahm, ist somit in hohem Maße wahrscheinlich, aber wie steht es mit dem ihm ähnlich wichtigen inneren Gebet, das die Kommunikation mit und den Aufstieg zu den Göttern als Ziel hatte? Oft findet sich der stereotype Gegensatz, dass die Heiden blutige Opfer darbringen würden, um von den Göttern materielle Güter zu erhalten, während die Christen ohne Opfer geistliche Gaben erbäten und eher Gebetsformen der Meditation oder Anbetung pflegten. 189 Abgesehen davon, dass auch die Christen Gott um ganz handfeste Dinge baten, gab es auch unter den Heiden Kritik an einer solchen do-ut-des-Mentalität sowie Philosophen, die ein anderes Konzept von Gebet vertraten. Ein solcher Ansatz findet sich bei Maximus von Tyrus (2. Jahrhundert n. Chr.), der in einer Abhandlung über das Gebet darlegte, dass das Bittgebet nicht praktiziert werden solle, wohl aber das Gebet als eine Form der Kommunikation mit den Göttern. 190 So unterstrich er, das Gebet eines Philosophen sei ein Gespräch mit den Göttern, in dem er mit ihnen über die Dinge, die er besitze, spreche und seine Tugend dadurch demonstriere, dass er nicht mehr als das erstrebe, was die Götter ihm zugestanden hätten. 191 Hier zeigen sich Parallelen zu Julians Vorbild, dem Philosophenkaiser Marc Aurel, der in seinen Selbstbetrachtungen davon sprach, die Götter nicht um konkrete Dinge zu bitten, sondern darum, diese nicht zu begehren, sie nicht zu fürchten und nicht zu vermissen. Ihm war es vielmehr wichtig, die Hilfe der Götter für das zu erbitten, was in der eigenen Macht stehe, besonders für die Verbesserung des inneren Zustandes. 192 Aus den Ausführungen des Maximus lässt sich schließen, dass für ihn wahre Frömmigkeit und wahres Gebet nur von einem Philosophen erreicht werden konnten – diese Ver186 Vgl. Julian ep. 89b, 293b/d (161 Bidez) u. ö.; vgl. Porph. abst. 2, 34. 45f (163f. 174 Nauck); Jambl. myst. 5, 15.
18/22 (219 f. 223/231 Parthey). 187 Jambl. myst. 5, 26 (237 Parthey): »ka» tòn koinwn–an Çdiàluton ‚mplËkei tòn …eratikòn pr‰c toÃc jeo‘c«. 188 Salut. de diis 16, 1 (21 Rochefort): »óEpeita a… m‡n qwr»c jusi¿n eŒqa» lÏgoi mÏnon e s–n, a… d‡ metÄ jusi¿n
Ímyuqoi lÏgoi«. 189 Vgl. Dorival, Prière 87; für einen detaillierten Vergleich von christlichem und heidnischem Gebet vgl. Ham-
man, Prière 1191/1247; v. Severus, Gebet 1134/1258. 190 Vgl. Max. Tyr. diss. 5, 4/6 (40/43 Trapp), wo er ausführt, dass, wenn jemand bete, er das, worum er bitte,
entweder verdiene, oder nicht. Verdiene er es, so werde er es von den Göttern erhalten, auch wenn er nicht darum bitte; verdiene er es nicht, werde er es auch mit Gebet nicht bekommen. Auch hingen viele Dinge, um die die Menschen beteten, von der Vorsehung, vom Schicksal, von Fortuna oder von menschlichen Fähigkeiten ab (von »prÏnoia, e…marmËnh, t‘qh, tËqnh«: Max. Tyr. diss. 5, 4 [40f Trapp]), in allen diesen Fällen mache das Bittgebet ebenfalls keinen Sinn; vgl. van der Horst, Maximus 328/334. 191 Vgl. Max. Tyr. diss. 5, 8 (44 f Trapp). 192 Vgl. Marc. Aurel. seips. 9, 40 (84 Dalfen); vgl. van der Horst, Maximus 337; Dihle, Gebet 26.
162
6. Der Kult
bindung von Philosophie und wahrer Religiosität war, wie auch der Vergleich mit Marc Aurel zeigt, ein in der Antike, besonders der Spätantike, weit verbreiteter Topos. 193 Da das Gebet eine wichtige Möglichkeit darstellte, mit den Göttern in Verbindung zu treten, bemühten sich die Philosophen, ihm einen Platz im Leben zu erhalten, auch wenn das Bittgebet in der Regel abgelehnt wurde. 194 So betonte z. B. Porphyrius, das Gebet sei eine angemessene Praxis besonders für die guten Menschen, da es eine Möglichkeit zur Vereinigung mit dem Göttlichen darstelle. Aus diesem Grund solle man für den Aufstieg aus dieser Welt und zu den Göttern beten. 195 Er versuchte so, dass Gebet entgegen philosophischer Kritik zu rechtfertigen, und unterstrich, ein tugendhafter Philosoph müsse religiös sein. 196 Jamblich ging noch weiter: Für ihn war das Gebet eines der für den Kult zentralen Elemente, da es Kontakt zwischen Menschen und Göttern bedeutete. Zudem ermöglichte es das gegenseitige Verständnis und die Gemeinschaft mit den Göttern – regelmäßig betende Menschen würden zu Vertrauten der Götter. 197 So sei das Gebet ein Weg für die Seele, sich stufenweise aus ihren Bindungen an die Materie zu lösen und mit der Gottheit zu vereinen, denn es reinige die Seele von allen unreinen und tödlichen Elementen. 198 Die Götter selbst lehrten nach Jamblich die Menschen das rechte Beten: Sie legten ihnen die so genannten ärrhta s‘mbola in die Seele, die durch ihr Aussprechen den Beter mit der angebeteten Gottheit vereinten. 199 Für Jamblich konnte ohne das in Gebeten enthaltene Flehen kein heiliges Werk vollbracht werden: 200 Gebete und Opfer verstärkten sich gegenseitig und zeigten so, dass die Theurgie gekennzeichnet werde von einer absoluten Einheit von Geist und Tat. 201 Somit stand Julian nicht nur mit seiner Opferpraxis, sondern auch mit dem inneren Gebet des Aufstiegs zu den Göttern auf dem Boden heidnischer Tradition. Im Folgenden soll untersucht werden, ob dies auch bei den weiteren kultischen Riten und Praktiken der Fall ist.
193 Vgl. van der Horst, Maximus 337 f. 194 Vgl. Dihle, Gebet 28; v. Severus, Gebet 1145/1152. 195 So referiert es Procl. in Plat. Tim. 27c (1, 214/222 Diehl). 196 Vgl. Löhr, Argumente 94 f. 197 Vgl. Jambl. myst. 5, 26 (237/240 Parthey). Nicht zuletzt besiegele das Gebet die Einheit des Menschen mit
198
199 200 201
dem Göttlichen, indem der Mensch erkenne, dass er von den Göttern stamme und sein Lebensprinzip bei den Göttern sei; so könne er seinen Geist im Göttlichen ruhen lassen. Der Mensch erhalte auf dem Weg des Gebets drei Gaben: Erleuchtung, Gemeinschaft und Erfüllung der Seele mit göttlichem Feuer. Diese drei Segnungen entsprächen den drei Stufen des Gebets, in denen sich wiederum der Aufstieg zu Gott ausdrücke. Die erste Stufe ziele auf die Erleuchtung des Menschen, es gehe um die Wendung der Seele nach innen und die Reinigung vom Körperlichen. Die zweite Stufe schenke Gemeinschaft, während die dritte und höchste Stufe die Vereinigung mit dem Göttlichen sei und die Seele dort mit dem göttlichen Licht erleuchtet werde. Dabei betonte Jamblich, dass dieses Licht eine freiwillige Gabe der Götter an den Beter sei und nicht erzwungen werden könne; vgl. Jambl. myst. 1, 12 (40/42 Parthey); vgl. Dalsgaard Larsen, Jamblique 185f; Esser, Gebet 69/74. Vgl. Jambl. myst. 5, 26 (237/240 Parthey). Auch bringe es viele gute Früchte: Es stärke den Geist, mache ihn fähig, das Göttliche zu empfangen, und vollende ihn. Es lenke die Gedanken hin zum Göttlichen, sei der Weg, der zu Freundschaft und Gemeinschaft mit den Göttern führe, lasse die göttliche Liebe im Menschen wachsen und erlaube dem Göttlichen so, im Menschen zu wirken. Es reinige den Geist, schenke Hoffnung und Freude und mache den Menschen zu einem Vertrauten der Götter; vgl. Jambl. myst. 5, 26 (237/240 Parthey); vgl. Dihle, Gebet 35. Vgl. Jambl. myst. 1, 15 (45/49 Parthey). Vgl. Jambl. myst. 5, 26 (238 Parthey). Vgl. Jambl. myst. 5, 26 (237/240 Parthey).
6.5 Abschließender Vergleich
163
Zu den Götterbildern, die keine Parallele in christlicher Praxis haben, 202 vielmehr eine eindeutig pagane Tradition sind, hatte Julian ein ambivalentes Verhältnis. Zwar war er einerseits der Meinung, dass die Menschen als körperliche Wesen materielle Formen der Götterverehrung bräuchten. Da er dies nicht nur auf die oben besprochenen Opfer, sondern auch auf visuelle Repräsentationen der Götter bezog, empfahl er ihre Verehrung. 203 Andererseits warnte er jedoch auch davor, das Götterbild mit der dargestellten Gottheit selbst zu verwechseln – zwar seien die Götter in gewisser Weise in ihren Bildern präsent und die Götterbilder somit mehr als nur das Material, aus dem sie bestünden, aber sie seien dennoch nicht selbst Götter bzw. göttlich. 204 Mit diesen Ansichten – der Notwendigkeit sinnlicher Zeichen in der Götterverehrung sowie dem Bewusstsein, dass die Götterbilder nicht selbst Götter seien – stand Julian in philosophischer Tradition. In Griechenland waren Götterbilder für den Kult »mehr Kulisse als Zentrum« 205: Sie waren weder besondere Garantie für göttliche Nähe (wie in Rom), noch gab es magische Weihen von Kultbildern (wie in Babylon), vielmehr waren sie berühmt aufgrund ihrer Schönheit und man glaubte, dass auch die Götter sich an ihnen erfreuten. Man ging zwar zum Tempel, um vor den Götterbildern zu beten, aber gleichzeitig warnten die Philosophen bereits seit Heraklit davor, das Bild mit der Gottheit zu verwechseln. 206 In Rom glaubte man dagegen im Götterbild die verehrte Gottheit selbst anwesend. Im Kaiserkult z. B. war das Bild des Kaisers, meist eine Statue, die zentrale Bezugsgröße für den Kult: Hier fanden die Opfer und Feiern statt, es wurde bekränzt und in Festzügen mitgeführt. 207 Dies führte auch hier dazu, dass Philosophen, wie z. B. Seneca, die (übertriebene) Verehrung der Bilder kritisierten. Andere jedoch verteidigten wie Julian aufgrund der Schwäche der menschlichen Natur die Notwendigkeit von Götterbildern als sinnlichen Zeichen für die unsichtbaren Götter. 208 Zur Praxis der kultischen Musik und des Hymnengesangs ist zu sagen, dass Gregor von Nazianz zwar der Meinung war, Julian habe die Praxis des Wechselgebets – bzw. eher Wechselgesangs 209 – von den Christen übernommen, jedoch findet sich bei Julian nirgendwo eine die Art des Hymnenvortrags betreffende Anweisung; er sprach 202 Denn zunächst hielten sich auch die Christen an das alttestamentliche Bilderverbot (vgl. Ex. 20, 4; Dtn. 5, 8);
203 204 205 206 207 208 209
vgl. z. B. Anfang des 4. Jahrhunderts die Synode von Elvira (Conc. Eliberit. can. 36 [4, 253 Martínez Díez/ Rodríguez]). Vgl. Julian. ep. 89b, 293b (161 Bidez). Vgl. Julian. ep. 89b, 294b/d (162 Bidez). Burkert, Religion 153. Vgl. Heraklit in: VS 22 B 5 (1, 151 f Diels); Jambl. myst. 3, 29 (171/173 Parthey); vgl. Burkert, Religion 153. Vgl. Klauck, Umwelt 2, 64 f. Vgl. Max. Tyr. diss. 2, 1/19 (13/21 Trapp); vgl. Friedländer, Sittengeschichte 3, 193/198. Vgl. Greg. Naz. or. 4, 111 (SC 309, 267 Bernardi): »eŒq¿n te t‘pon ‚n mËrei«; die Übersetzungen sprechen in der Regel von einem Gebet, das im Wechsel von zwei Chören verrichtet wird, ob gesungen oder gesprochen, wird meist nicht genau spezifiziert (»la récitation de prières en chœurs alternés«: Bernardi, Discours 267; »abwechselnd verrichtete[s] Chorgebet«: Haeuser, Reden 146). Da Julian jedoch in seinen Schriften kein gesprochenes Gebet erwähnte, vermute ich, dass Gregor sich auf den gottesdienstlichen Gesang bezog, den Julian in ep. 89b, 301d/302a (169 f Bidez) und ep. 109 (186f Bidez) behandelte. Zwar benutzte Gregor den Begriff »eŒq¿n«, also »Gebet« und nicht speziell »Gesang« o. ä., doch ist auch die Rezitation von Psalmen (an die die Aussage erinnert, es werde abwechselnd gebetet) Gebet – gesungenes Gebet. In eine solche Interpretationsrichtung zielt auch Bidez, Lettres 120f: »il (scil. Julian) voulut rehausser les cérémonies païennes par l’exécution chorale de prières antiphoniques« (zum antiphonalen Gesang im Christentum zur Zeit Julians vgl. Theodrt. h. e. 2, 24, 8 [GCS NF 5, 154 Parmentier /Hansen]); anders jedoch Koch, Empereur 1373f, der davon ausgeht, dass es sich tatsächlich um gesprochene Gebete gehandelt habe. Wie aus dem eben Aus-
164
6. Der Kult
lediglich davon, dass die »Hymnen der Götter« 210 auswendig zu lernen und zu Ehren der Götter zu singen seien. Schon von alters her hatten Musik und Hymnengesang im paganen Kult eine wichtige Rolle gespielt, im Christentum dagegen setzten sie sich nur langsam durch. Dennoch kann man davon ausgehen, dass Julian solchen Gesang aus dem christlichen Gottesdienst seiner Jugend kannte – schließlich konnte Gregor Julian kaum unterstellen, eine Praxis zu übernehmen, die es nicht gab. Doch selbst wenn diese Liebe zur Musik und das Gefühl für ihre besondere Kraft ihren Ursprung in Julians (christlicher) Kindheit und Jugend hatten, so bewegte er sich doch eindeutig innerhalb paganer Tradition, wenn er den Gesang von Hymnen im paganen Kult anordnete. In dem Chor, den Julian in Alexandria gründen wollte, 211 sieht Weis zwar ein Indiz dafür, dass er versuchte, die in der Entstehung begriffene christliche Kirchenmusik in den heidnischen Kult zu integrieren. 212 Da der Brief sich jedoch nur mit Alexandria befasste und weder für ganz Ägypten noch gar das gesamte Reich Ähnliches anordnete, scheint es wesentlich plausibler zu sein, dass Julian lediglich eine alte alexandrinische Tradition wiederbeleben wollte. 213 Auf Staatskosten gegründete Chöre, die zu Ehren der Götter an bestimmten Festtagen oder sogar täglich Hymnen vortrugen, waren schließlich in der antiken Welt nicht unbekannt. 214 Desweiteren glaubte Gregor von Nazianz, Julian habe von den Christen die Institution der Buße übernommen. 215 Julians oben erwähnter Brief an einen Verwaltungsbeamten, der einen heidnischen Priester mit Schlägen bestraft hatte und dafür vom Kaiser für die Dauer von drei Monaten von allen Kulthandlungen ausgeschlossen worden war, scheint darauf hinzudeuten. 216 Vor allem, da Julian betonte, diese Maßnahme sei zunächst temporär und er wolle bei entsprechendem Verhalten des Beamten (wenn dieser seinen Fehler einsehen, ihn bereuen und zu den Göttern flehen würde) nach den drei Monaten zusammen mit den Göttern entscheiden, ob er wieder in die Gemeinschaft aufgenommen werden könne, scheint Gregors Vermutung nahezuliegen. 217 Doch bei genauerer Betrachtung lässt sich der Ausschluss des Beamten vom Opfer viel eher darauf zurückführen, dass Julian als Pontifex Maximus für
210 211 212 213
214 215 216 217
geführten hervorgeht, scheint es jedoch wesentlich plausibler anzunehmen, dass Gregor gesungenes bzw. rezitiertes Gebet, also Gesang in irgendeiner Form, meinte. Julian. ep. 89b, 301d (169 Bidez): »toÃc ’mnouc t¿n je¿n«. Vgl. Julian. ep. 109 (186 f Bidez). Vgl. Weis, Briefe 299. Vgl. Amm. Marc. 22, 16, 17 (3, 62 Seyfarth), der bezeugt, dass noch zu seiner Zeit das Studium der Musik in Alexandria gepflegt wurde. Die Wiederbelebung eines alten Brauches könnte auch erklären, warum Julian in diesem Fall auf die gute Herkunft der Knaben achtete, obwohl selbst für Priester nicht die Herkunft, sondern allein die Liebe zu Göttern und Menschen zählte (vgl. Julian. ep. 89b, 305a [173 Bidez]). Zu entsprechenden Beispielen vgl. Kapitel 6.3.3. Vgl. Greg. Naz. or. 4, 111 (SC 309, 266 Bernardi). Vgl. Julian. ep. 88, 450d. 451b/c (150 f Bidez); vgl. Kapitel 6.2.4. Vgl. Julian. ep. 88, 451c (151 Bidez). Auch Weis, Briefe 301, ist der Meinung, Julian verfalle »in die Rolle eines christlichen Bischofs, der eine Kirchenbuße verhängt: er bestraft den unvorsichtigen Beamten mit einem befristeten Ausschluss von der Teilnahme am heidnischen Kult, stellt ihm aber zugleich, bei entsprechend bußfertiger Gesinnung und für den Fall der Fürsprache des beschwerdeführenden Oberpriesters, Vergebung und Wiederaufnahme in die heidnische Glaubensgemeinschaft in Aussicht«. Greg. Naz. or. 4, 111 (SC 309, 267 Bernardi) und Soz. h. e. 5, 16, 3 (GCS NF 4, 217 Bidez /Hansen) berichten sogar, Julian habe analog zur christlichen eine Art heidnische Bußordnung aufstellen wollen; vgl. Bidez, Lettres 98. Koch, Empereur 1375/ 1381, führt verschiedene pagane Konzepte von Schuld, Strafe, Reue und Wiedergutmachung auf, die mir aber keine Parallele zu diesem Brief Julians aufzuweisen scheinen. Doskocil, Exkommunikation 6, vermutet, dass
6.5 Abschließender Vergleich
165
die korrekte und würdevolle Ausführung der Opfer verantwortlich war, damit sie die Götter erfreuten und diese die Opfer wohlwollend annähmen. Um dies sicherzustellen, musste jedwede Störung vermieden und jeder Störfaktor ausgeschaltet werden – in diesem Fall bedeutete das konkret, einen den Göttern aufgrund seines Verhaltens gegenüber ihrem Priester Verhassten von der Teilnahme auszuschließen. Es muss auch bedacht werden, dass der Ausschluss vom Opfer für einen Heiden einen ganz anderen Stellenwert hatte als der Ausschluss von der Eucharistiefeier für einen Christen – die Teilnahme an öffentlichen Opferfeiern war im paganen Bereich in der Regel freiwillig und blieb dies auch unter Julian. 218 Der Beamte jedoch hatte aufgrund seines politischen Amtes vermutlich ebenfalls Aufgaben im religiösen Bereich wahrzunehmen und wäre beim Opfer somit nicht nur einfacher Teilnehmer, sondern Mitwirkender gewesen, was die Möglichkeit, dass ein solches Opfer von den Göttern nicht angenommen worden wäre, erhöhte. So blieb Julian keine andere Wahl, als ihn vom Opfer auszuschließen. Damit erklärt sich die Strafe für den Beamten als notwendige Maßnahme zum Schutz der anderen paganen Gläubigen. Diese Deutung wird weiter durch die Tatsache gestützt, dass sich in keinem der anderen Briefe Julians, vor allem nicht in denen, die sich mit den Plänen für seine religiöse Organisation beschäftigen, ein Hinweis auf eine institutionalisierte Buße findet. Gegen Julians Absicht, eine solche einzuführen, spricht ebenfalls die sehr kritische Stellung zur christlichen Buße, die er in den »Caesares« vertrat: Dort ließ er Jesus den Menschen zurufen, sie sollten alle zu ihm kommen, und mit welcher Schuld sie sich auch beladen hätten, er würde sie wieder rein machen – entweder durch die Taufe oder, wenn sie danach schuldig würden, indem sie sich an die Brust und vor den Kopf schlügen. 219 So ist Gregors Vermutung auch in diesem Fall widerlegt. Mit seinem Erlass zur Regelung des Bestattungswesens, 220 in dem Julian die Beachtung einer strikten Trennung zwischen der Welt der Lebenden und der Toten unterstrich und anordnete, Begräbniszüge und die entsprechenden Zeremonien dürften nur nachts stattfinden, um die Lebenden nicht zu stören, stand er in der Tradition seiner Vorgänger: Die Kontrolle des Begräbniswesens war ein wichtiger Tätigkeitsbereich des Pontifex Maximus. So gab es eine Anfrage des Statthalters Plinius an Kaiser Trajan bezüglich einer Umbettung aus der Provinz nach Rom 221 und Antoninus Pius erließ ein Bestattungsverbot für Tote innerhalb von Stadtgrenzen, 222 das von Marc Aurel während seiner Regierungszeit aufgrund der Pest verschärft wurde, 223 um nur einige Beispiele zu nennen. Des Weiteren sah Julian sich, ebenfalls wie seine Vorgänger, als Hüter der Friedhöfe sowie der Ruhe der Toten und schärfte die Gesetze gegen die mutwillige Beschädigung und Zerstörung von Gräbern durch erneuten Erlass ein. 224
218
219 220 221 222 223 224
Julian diese Bestrafung auf dem Hintergrund der aus dem römischen Recht bekannten Strafe der Relegation anordnete. Regelmäßige Opfer schrieb er lediglich für die Priester vor (vgl. Julian. ep. 89b, 302c/303a [170f Bidez]); verpflichtende Gottesdienste für alle Heiden in Entsprechung zur sonntäglichen Eucharistiefeier finden sich in Julians Konzept nicht. Vgl. Julian. Caes. 336a/b (70 f Lacombrade). Vgl. Julian. ep. 136b (198/200 Bidez). Vgl. Plin. ep. 10, 68 (342 Schuster /Hanslik); das kaiserliche Reskript ist im Anschluss überliefert: Plin. ep. 10, 69 (342 Schuster /Hanslik). Vgl. Hist. Aug. vit. Anton. Pii 12, 3 (1, 45 Hohl): »intra urbes sepeliri mortuos vetuit«. Vgl. Hist. Aug. vit. Marc. Anton. 13, 4 (1, 59 Hohl); vgl. Stepper, Kaiser 174f. Vgl. Cod. Theod. IX 17, 5 (465 Krüger /Mommsen); vgl. ebd. IX 17, 1/4 (463/465 Krüger /Mommsen) zur entsprechenden Gesetzgebung Constantius II.
166
6. Der Kult
Doch nicht nur durch den Akt der Gesetzgebung an sich handelte Julian mit seinem Verbot von Begräbnissen bei Tage gemäß der Tradition. Er betonte in seinem Schreiben ausdrücklich, dass er »den alten Brauch wieder aufnehmen musste« 225, womit er sich wahrscheinlich auf die alten griechischen und römischen Gesetze bezog, die Bestattungen auf die Nacht beschränkten. 226 Ebenso spielten die alte Überzeugung, dass Tote verunreinigten (das Haus, in dem jemand starb, wurde unrein, und ebenso jeder, der dieses Haus betrat, sogar das bloße Erblicken eines Leichenzuges oder Toten verunreinigte und schloss für eine gewisse Zeit vom Opfer aus), 227 und im Verbund hiermit die Julian prägenden neuplatonischen Reinheitsvorstellungen eine Rolle. So ist z. B. überliefert, dass Jamblich, als er mit einigen Schülern unterwegs war, diese plötzlich aufforderte, einen anderen Weg einzuschlagen, da auf dem einen vor kurzem ein Leichenzug gegangen sei – Jamblich war somit der Auffassung, schon die Benutzung eines Weges, auf dem eine solche Prozession entlang gezogen war, verunreinige und müsse vermieden werden. 228 Die alte Vorstellung von der Unreinheit Toter veranlasste Julian auch, die Gebeine des Märtyrers Babylas von der Orakelstätte in Daphne zum Friedhof von Antiochia transferieren zu lassen – sein Wunsch, dass Apollo daraufhin wieder Orakelsprüche erteilen möge, erfüllte sich jedoch nicht. 229 So sind sowohl Form wie auch Inhalt von Julians Erlass zur Regelung des Begräbniswesens fest in paganer Tradition verankert. Neu ist hier lediglich der reichsweite Gültigkeitsanspruch des Erlasses. 230 Bei den meisten der Verfügungen den Kult der Götter betreffend, die Julian einführen wollte, finden sich neben christlichen auch pagane Parallelen, so dass er von sich behaupten konnte, seinem Vorsatz, keine Neuerungen einzuführen und erst recht keine christliche Riten zu übernehmen, 231 treu geblieben zu sein. Doch ganz abgesehen von diesen Parallelen und von der möglichen Rückführbarkeit des einen Kultvollzuges auf pagane Traditionen und des anderen auf christliche Vorbilder, scheint es mir sehr wahrscheinlich zu sein, dass Julian die kultischen Vollzüge seiner reichsweiten paganen religiösen Organisation vor allem aus seiner eigenen – pagan wie christlich geprägten – Frömmigkeit übernahm. Diese war das Vorbild, das nun aus Julians persönlicher Praxis in den institutionellen Bereich übertragen wurde. So fallen hier sehr schnell Parallelen z. B. in Bezug auf das tägliche Opfer oder auch das 225 Julian. ep. 136b (198 Bidez): »Qr®n (. . .)
t‰ palai‰n Íjoc Çnalabeÿn«.
226 Vgl. Hesiod. op. 735 (131 West); Plat. leg. 12, 960a; Cic. leg. 2, 66 (144 Nickel); vgl. Marquardt, Privatleben
1, 344; vgl. Wächter, Reinheitsvorschriften 52f mit weiteren Beispielen. 227 Vgl. Nilsson, Geschichte 1, 96 f; Wächter, Reinheitsvorschriften 43/62. 228 Vgl. Eunap. vit. Soph. 5, 1, 13/15 (12 f Giangrande). Allgemein zur Unreinheit von Toten vgl. Jambl. myst. 6,
1 f (241 f Parthey): Menschliche Leichen verunreinigten, da sie von der Seele verlassen seien und stattdessen Dämonen von ihnen angezogen würden, die Kadaver geopferter Tiere jedoch nicht, da sie den Göttern geweiht seien. 229 Vgl. Julian. ep. et leg. 103 (162 f Bidez /Cumont); vgl. Soz. h. e. 5, 19, 17/19 (GCS NF 4, 226 Bidez /Hansen); zur Umbettung der Gebeine des Babylas vgl. Kapitel 2.1.2.2; zu einer ähnlichen Handlung in Delphi vgl. Amm. Marc. 22, 12, 8 (3, 44 Seyfarth). Sozomenus überliefert, dass der Statthalter von Karien die Kapellen der Märtyrer in Didyma zerstören sollte, da sie die Luft um den berühmten Tempel herum verpesteten (vgl. Soz. h. e. 5, 20, 7 [GCS NF 4, 227 Bidez /Hansen]). Aufgrund seiner Reinheitsvorstellungen verachtete Julian den Kult, den die Christen um ihre Toten, besonders die Märtyrer, betrieben: c. Gal. 335b/c (225 Neumann); misop. 361a/c (186 f Lacombrade); or. 7, 228c (76 Rochefort); ep. 114, 438c (195 Bidez); vgl. Torres, Emperor 207/214; in dieser Einstellung Julians zeigen sich auch die unterschiedlichen eschatologischen Vorstellungen. 230 Vgl. Bidez, Lettres 130 f; Mau, Bestattung 350. 231 Vgl. Julian. ep. 89a, 453b (153 Bidez).
6.5 Abschließender Vergleich
167
häufige (kontemplative) Gebet auf – wie überhaupt seine Aufforderung, einen engen Kontakt zu den Göttern zu pflegen und ihre Nähe zu suchen. 232 Alle Anklänge an christliche liturgische Riten sind somit mit hoher Wahrscheinlichkeit keiner direkten Adaption von einer institutionalisierten Religion in die andere geschuldet, sondern lassen sich viel eher auf eine Übernahme auf dem Umweg über Julians eigene Frömmigkeitsformen zurückführen. In diesem privaten Bereich ist es im Rückblick kaum möglich, genau zu entscheiden, wann und wie sich bestimmte Gewohnheiten ausprägten, oder zu bestimmen, inwieweit jeweils bei der Entwicklung frommer Praktiken solche Rituale eine Rolle spielten, die Julian von Kindheit an vertraut waren. Die Formen seiner privaten Frömmigkeit, die er auf seine religiöse Organisation übertrug, konnte er jedenfalls alle mithilfe von Parallelen zu traditionellen paganen Kulten rechtfertigen. So blieb er seinem Vorsatz treu: »Ich meide Neuerungen sozusagen in jeder Beziehung, besonders aber in dem, was die Götter angeht, weil ich der Meinung bin, dass man die Satzungen, die bei unseren Vorfahren von Anfang an galten, bewahren muss; denn es ist offenkundig, dass die Götter sie gegeben haben; sie wären ja nicht so vollkommen, wenn sie einfach von Menschen geschaffen wären.« 233
232 Vgl. Julian. misop. 346b (168 Lacombrade); ep. 80 (88 Bidez); vgl. Liban. or. 12, 80 (2, 37f Foerster). 233 Julian. ep. 89a, 453b (153 Bidez): »ka» fe‘gw tòn kainotom–an ‚n âpasi mËn, ±c Ípoc e peÿn, d–¯ d‡ ‚n toÿc
pr‰c toÃc jeo‘c, o Ïmenoc qr®nai toÃc patr–ouc ‚x Çrq®c fulàttesjai nÏmouc, o’c Ìti m‡n Ídosan o… jeo–, fanerÏn; oŒ gÄr ãn ™san o’tw kalo» parÄ Çnjr∏pwn Åpl¿c genÏmenoi«.
7. PHILANTHROPIE
»Vor allem muss man darum die Menschenliebe üben. Denn sie zieht vieles andere Gute nach sich, als erlesenstes, höchstes aber das Wohlwollen der Götter.« 1
7.1 Julians Entwurf Julian hatte erkannt, wie positiv sich die christliche Armenfürsorge auf die Attraktivität der Kirche auswirkte. Diese Tatsache verärgerte ihn besonders, da er der Überzeugung war, dass die Tugend der Nächstenliebe (filanjrwp–a) ursprünglich aus dem Heidentum stamme und, nachdem sie bei den Heiden in Vergessenheit geraten sei, von den Christen übernommen, als christlich ausgegeben und als Werbemaßnahme benutzt worden sei. 2 Damit hatte er zumindest insofern recht, als das Wort »filanjrwp–a« tatsächlich ein Terminus ist, der im paganen Bereich gebraucht wurde, wo er zunächst die Liebe der Götter zu den Menschen, später auch die Liebe der Menschen zueinander bezeichnete. 3 Die Christen dagegen verwendeten zuerst hauptsächlich den Begriff »Agape«, der über die reine Philanthropie hinausging. 4 Allmählich übernahmen sie den Terminus »Philanthropie«, bis er schließlich im 4. Jahrhundert auch im Christentum in Theologie und Praxis eine wichtige Rolle inne hatte und den urchristlichen Begriff der Agape fast ersetzte. 5 Die Terminologie zumindest stammt somit tatsächlich aus dem paganen Bereich und wurde von den Christen übernommen. Um ein Gegenwicht zu dieser christlichen Liebestätigkeit aufzubauen und zu beweisen, dass auch das Heidentum konsequent ethische Normen umsetze, besann sich Julian wieder auf die Tugend der Philanthropie und stellte ihre große Bedeutung heraus. 6 Gleichzeitig versuchte er, die christliche Praxis zu karikieren. So verglich er die 1 Julian. ep. 89b, 289a/b (156 Bidez): »>AskhtËa
to–nun pr‰ pàntwn ô filanjrwp–a; ta‘t˘ gÄr Èpetai pollÄ m‡n ka» älla t¿n Çgaj¿n, ‚xa–reton d‡ dò ka» mËgiston ô parÄ t¿n je¿n eŒmËneia« (eigene Übersetzung).
2 Vgl. Julian. ep. 89b, 305b/c (173 Bidez). 3 Vgl. Downey, Philanthropia 199/202; Malosse, Rhétorique 327. 4 Da die christlichen Theologen in der Regel eine klassische Erziehung genossen hatten, waren sie auch mit
dem Begriff der Philanthropie vertraut und verwendeten ihn, jedoch nur selten; vgl. Downey, Philanthropia 200. 5 Vgl. Downey, Philanthropia 204/207; zur Begriffsgeschichte vgl. Kapitel 7.2 mit Anm. 34. 6 In diesen Bemühungen war er nicht alleine, auch seine Freunde, der Rhetor Libanius und der Philosoph Themistius, bemühten sich dahingehend; vgl. Downey, Philanthropia 202f. Libanius stellt in seinen Reden auf Julian diesen selbst als Philanthropen dar, und zwar auf zwei verschiedene Weisen: So berichtet er sowohl von der institutionalisierten Philanthropie, die Julian einrichtete, als auch von Julians persönlicher Philanthropie im Sinne von Mitgefühl und Milde (zu letzterer zählte er auch, dass Julian versuche, Blutvergießen zu vermeiden; er sei derjenige, der die Seinen rette und niemanden zum Tod verurteile; wenn es um Gerechtigkeit gehe, sei sein bevorzugter Wert das Pardon; vgl. z. B. Liban. or. 15, 22. 25/27; 16, 23; 18, 87. 101. 106. 110.
7.1 Julians Entwurf
169
christliche Agape bzw. Gastlichkeit mit dem heimtückischen Verhalten von Kinderräubern, die Kinder mit Kuchen von zu Hause weglockten und sie dann als Sklaven verkauften – genauso verführten die Christen die Heiden dazu, ihre Götter zu verlassen und an den christlichen Gott zu glauben. 7 Aus diesen Gründen wollte Julian die (seiner Meinung nach hellenische) Tradition der Philanthropie wieder neu beleben und forderte seine Priester dazu auf, Armen-, Waisen- und Fremdenhäuser zu errichten – und zwar nicht nur für die Angehörigen des eigenen Glaubens, sondern für alle Bedürftigen. 8 Dafür stellte er sogar Staatsmittel zur Verfügung: für Galatien beispielsweise pro Jahr 30 000 Scheffel Getreide und 60 000 Schoppen Wein, von denen ein Fünftel zum Unterhalt der bei den Priestern angestellten Armen verwendet, der Rest an Fremde und Bettler verteilt werden sollte. 9 Weiterhin rief er in seinem Brief an Arsakios diesen dazu auf, die hellenisch Gesinnten (o… , (. . .) xeÿnon Çtim®sai; pr‰c gÄr DiÏc e sin âpantec«; Julian zitiert hier Hom. Od. 14, 56/58. Julian. ep. 89b, 289a/b (156 Bidez): »>AskhtËa to–nun pr‰ pàntwn ô filanjrwp–a; ta‘t˘ gÄr Èpetai pollÄ m‡n ka» älla t¿n Çgaj¿n, ‚xa–reton d‡ dò ka» mËgiston ô parÄ t¿n je¿n eŒmËneia« (eigene Übersetzung). Vgl. Julian. ep. 89b, 289b (156 Bidez). Julian. ep. 89b, 289b (156 Bidez): »pollò ka» panto–a«. Vgl. Julian. ep. 89b, 289b/c (156 Bidez). Vgl. Julian. or. 7, 209c. 214d (50. 57 Rochefort). Julian betonte schon in or. 3 (2), 80c (155 Bidez), dass eine Bestrafung stets zum Besten des Gezüchtigten sein und seiner Erziehung dienen solle. Zur Verbindung der Philanthropie mit der Herrschertugend der Clemen-
170
7. Philanthropie
letztere Bedeutung die wichtigere Stellung ein und war diejenige, mit deren Institutionalisierung und Organisation Julian sich in seinen Briefen vor allem beschäftigte. 18 Julian begründete die Notwendigkeit der Sorge füreinander damit, dass die Götter den Menschen sehr viele Güter schenkten, wie z. B. Nahrungsmittel, Kleidung, Edelmetalle, aber nicht deshalb, »damit wir ihnen zur Schmach die Armen mittellos umherirren lassen« 19, sondern damit alle an diesen Gaben teilhaben könnten. Er gab zu bedenken, dass die Unersättlichkeit der Besitzenden, die in ihrer Gier nicht an andere denken würden, Mitschuld trage an einer falschen Vorstellung von den Göttern und an ungerechtfertigten Vorwürfen ihnen gegenüber. 20 Er berichtete beispielhaft und werbend von seinen eigenen Erfahrungen im Bereich der Philanthropie: Schon als Privatmann habe er mit seinen damals noch bescheidenen Mitteln nach Kräften gespendet – um andere zur Nachahmung zu ermutigen unterstrich er, er sei davon nicht ärmer geworden, sondern habe im Gegenteil ein Vielfaches zurückerhalten. 21 Er appellierte an die Heiden, alle Menschen an den materiellen Gütern teilhaben zu lassen, vor allem die Anständigen, aber auch die Armen insoweit, dass ihre Not gelindert werde; sogar auf Feinde und Gefangene wollte Julian die Philanthropie ausgedehnt wissen. 22 Nicht ohne Grund werde schließlich Zeus der »Gastliche« (»XËnioc«) bzw. »Hüter der Verwandtschaft« (» ôm¿n Çlhj¿c ‚pithde‘esjai«.
96 Vgl. Julian. ep. 84, 430c/431a; ep. 89b, 289b. 305b/c (145f. 156. 173 Bidez). 97 Vgl. Julian. ep. 89b, 290a/b (157 Bidez). 98 Vgl. Julian. ep. 89b, 290d/291a (158 Bidez). 99 Vgl. Julian. ep. 89b, 291d/292b (159 f Bidez); vgl. Koch, Empereur 517; Feindesliebe war im Heidentum etwas
gänzlich Unbekanntes, vgl. Kabiersch, Untersuchungen 69.
7.4 Abschließender Vergleich
181
der Helfende dem Herrn selbst diente (der es vergelten würde). 100 Die christliche Caritas wurde so (idealerweise) durch die Liebe zu Gott und die Hoffnung auf das ewige Heil motiviert, im paganen Denken war dagegen das Motiv des irdischen Lohnes prominent, ebenso der Wunsch nach Ehre und Ansehen. 101 Noch ein weiterer Unterschied fällt ins Auge: Während die Christen ohne Ansehen der Person halfen 102 zog die stoische Humanität solche Menschen vor, die aufgrund ihres guten Charakters Hilfe verdienten. 103 Ebenso legte auch Julian die sittlichen Qualitäten des Empfängers als Maßstab an: Mögliche Empfänger philanthropischer Werke waren bei ihm nicht an erster Stelle die Armen und Bedürftigen, sondern die Ehrbaren und Tüchtigen; doch sollten auch Erstere nicht leer ausgehen. 104 Julians Gewichtung nach der Würde des Empfängers war somit zwar eher pagan als christlich, dennoch ist die Tatsache, dass Arme als Arme berücksichtigt wurden (und nicht weil sie z. B. Bürger waren), ein neuer Aspekt gegenüber dem antiken Konzept von Liberalitas und Philanthropia. Diese Ausweitung des Empfängerkreises konnte nur vom Christentum inspiriert sein, denn anders als z. B. bei christlichen Predigten gab es auf paganer Seite keine Mahnungen an die Reichen, den Armen Gutes zu tun: Obwohl das Erweisen von Wohltaten hoch geschätzt wurde, waren in der Regel nicht Bedürftige die Empfänger, sondern Eltern oder Freunde. 105 Die traditionell hoch angesehene Tugend der Gastfreundschaft war ein weiteres Konzept, auf das Julian im Rahmen seiner philanthropischen Bemühungen zurückgreifen konnte. Die antike Gastfreundschaft war jedoch etwas von der christlichen Nächstenliebe Grundverschiedenes. In der Antike war es fast schon Pflicht der Reichen gewesen, Gastfreundschaft zu üben; das Einkehren in Herbergen wurde vermieden. 106 In hellenistischer Zeit nahmen Zahl und Inanspruchnahme von Herbergen zwar zu, doch beschränkten diese sich auf die Reisenden und sahen keinerlei Bemühungen für Arme oder Kranke vor – anders als später die christlichen Xenodochien. Julian dagegen legte besonderen Wert auf die Armenfürsorge, die in seinen Briefen noch vor der Sorge um die Fremden rangiert, 107 weshalb das Prinzip der antiken Gastfreundschaft bei weitem nicht ausreicht, um als Grundlage für Julians Philanthropie dienen zu können. Auch war die Philanthropie im Sinne der Armenfürsorge kein Teil des paganen Kultes, so wie es im Christentum der Fall war. 108 Es gab vielmehr ein System öffentli100 Vgl. Cypr. op. et eleem. 13 (CCL 3A, 63 Simonetti): »fac tibi possessionum terrestrium Christum participem,
101 102 103 104
105
106 107 108
ut et ille te sibi faciat regnorum coelestium cohaeredem« (»Mache dir Christus zum Teilhaber an deinem Besitz [scil. tu mit deinem Besitz, was auch Christus damit getan hätte: Gutes], damit auch er dich zum Miterben seines himmlischen Reiches macht«); vgl. Constantelos, Philanthropy 11; Kötting, Peregrinatio 373; Koch, Empereur 518. Vgl. Cabouret-Laurioux, Julien 102; Kabiersch, Untersuchungen 49; Bolkestein, Wohltätigkeit 317/319; Patlagean, Pauvreté 185/190. Vgl. z. B. Did. 1, 5 (SC 248, 144/146 Rordorf /Tuilier). Vgl. Koch, Empereur 526; Kabiersch, Untersuchungen 43f. Vgl. Julian. ep. 84, 429d. 430c; ep. 89b, 289d/290d. 303a/b. 305a/b (144f. 157f. 171. 173 Bidez); vgl. Sen. benef. 1, 1, 2; 3, 14, 2; 4, 10, 4 f (96/98. 236. 306/308 Rosenbach); vgl. Kabiersch, Philanthropia 66/68; Koch, Empereur 526 f; Olszaniec, Reform 222f. Vgl. Bolkestein, Wohltätigkeit 114; Kabiersch, Untersuchungen 39. Ähnlich sind aus den Mysterienkulten zwar Verpflichtungen anderen Mitgliedern gegenüber bekannt, jedoch nicht für dem Kult nicht angehörende Arme, vgl. Burkert, Mysterien 47 f. Vgl. Hiltbrunner, Gastfreundschaft 8. Vgl. z. B. Julian. ep. 84, 430c (145 Bidez). So warfen die Christen den Heiden (sicherlich nicht unpolemisch) vor, dass sie keine Caritas übten: vgl. z. B. Ambr. ep. 73 (18), 16 (CSEL 82, 3, 43 f Zelzer); vgl. Constantelos, Philanthropy 14.
182
7. Philanthropie
cher Wohltätigkeit, und zwar insofern, als von denjenigen in Machtpositionen erwartet wurde, sich um ihre Mitmenschen zu kümmern. Dieses System bezweckte allerdings nicht speziell die Versorgung von Bedürftigen, sondern erreichte durch den Bau von öffentlichen Gebäuden und die Ausrichtung von Spielen hauptsächlich die Bürger und Einwohner der jeweiligen Stadt. 109 Die Christen verurteilten deshalb den antiken Euergetismus, der sich nicht um die Armen, sondern nur um den eigenen Ruhm sorge, und riefen dazu auf, das für Spiele bestimmte Geld den Armen zu geben. 110 Julian nun entwickelte die antike Tugend der Liberalitas weiter, so dass sie auch die Armenfürsorge einschloss. 111 Das von Julian geforderte Engagement seiner Priester in der Armenfürsorge war somit tatsächlich etwas Neues – etwas, das er von den Christen übernahm. Hatte es bereits in vorchristlicher Zeit Herbergen für Reisende gegeben, so war ein Krankenhaus in der antiken Welt unbekannt gewesen: Die Pflege Kranker war Aufgabe der Familie, Ärzte behandelten nur ambulant. Dadurch, dass die von den Christen errichteten Xenodochien ihre Fürsorge nicht nur Reisenden, sondern auch Kranken, Armen und anderweitig Bedürftigen angedeihen ließen, füllten sie eine Lücke in der Sozialstruktur. 112 Julian selbst nannte zwar nicht die Kranken explizit als eine Zielgruppe der Philanthropie, doch wies er Arsakios, den Oberpriester von Galatien, an, (wie die Christen) Xenodochien zu errichten. 113 Auch war er sich der Bedeutung bewusst, die die Sorge der Christen um die Kranken für die Gesellschaft besaß – und nicht zuletzt auch, welche Anziehungskraft auf mögliche Konvertiten von ihr ausging. War man in der Forschung lange davon ausgegangen, dass die ersten christlichen Xenodochien erst zu der Zeit entstanden, als Julian Kaiser war (oder noch später) und ihm somit nicht als Vorbild dienen konnten, 114 so konnte Hiltbrunner bereits vor einiger Zeit plausibel machen, dass dies nicht der Fall war. 115 Vielmehr waren Julian aufgrund seines Aufenthaltes in Konstantinopel die dortigen Xenodochien wohlbekannt; auch auf seiner Reise durch Kleinasien und nicht zuletzt in Antiochia konnte er solche Einrichtungen kennenlernen. 116 Julian selbst glaubte, dass die Wurzeln der Philanthropie pagan seien; diese Überzeugung belegte er mit zwei Quellen. Eine dieser Quellen war Homer, dessen »Odys-
109 Vgl. Nicholson, Churches 10 Anm. 55; Giebel, Julian 136; für genauere Ausführungen vgl. Gordon, Veil
110 111
112 113 114
115
116
199. 219/231. Seit der hellenistischen Zeit wurden Freigebigkeit und Wohltätigkeit besonders vom Herrscher gefordert, vgl. Corbier, Liberalitas 140; zur Bedeutung der Armenpflege im christlichen Herrscherbild vgl. Eus. vit. Const. 4, 22, 2 (GCS 56, 128 Winkelmann); vgl. Kabiersch, Untersuchungen 38/40. Vgl. Cypr. op. et eleem. 21 f (CCL 3A, 68f Simonetti); Ambr. off. 3, 37/44 (CCL 15, 167/170 Testard); Aug. civ. D. 2, 20; 5, 15 (CCL 47, 51 f. 149 Dombart /Kalb); vgl. Veyne, Brot 48f; Weismann, Kirche 164. Vgl. Kislinger, Kaiser 173. Kabiersch, Untersuchungen 37, weist darauf hin, dass Julian durch seine Verwendung von Staatseinkünften zur Unterstützung der Wohltätigkeit seiner Priester (vgl. ep. 84, 430c [145 Bidez]) die Armenfürsorge als Teil der kaiserlichen Liberalitas verstanden wissen wollte. Vgl. Hiltbrunner, Gastfreundschaft 20. Vgl. Julian. ep. 84, 430b (145 Bidez); vgl. Hiltbrunner, Herberge 612, der unterstreicht, dass Julian mit dem Begriff »Xenodocheion« einen christlichen Terminus verwendet habe. Vgl. Bolkestein, Wohltätigkeit 476/483; Kötting, Peregrinatio 377; vgl. Andreotti, Gesetzgebung 164: »die berühmten Wohltätigkeitsheime sind (. . .) von einem gänzlich anderen als dem christlichen Geist geformt« (leider ohne Begründung). Vgl. Hiltbrunner, Xenodochium 1498: »Der chronologische Einwand, dass, abgesehen von Eustathius, die Zeugnisse über christliche Xenodocheia in Kleinasien erst nach Iulian einsetzen, gilt nicht für die Hauptstadt Konstantinopel, deren Verhältnisse Iulian am ehesten kennen musste.« Vgl. Hiltbrunner, Gastfreundschaft 19; Kislinger, Kaiser 177 mit Anm. 49/51; vgl. Kapitel 7.2. Vgl. Kislinger, Kaiser 177 mit Anm. 47f.
7.4 Abschließender Vergleich
183
see« Julian im Kontext der Fremden- und Armenfürsorge zitierte. 117 Allerdings übersah Julian, dass die Philanthropie bei Homer für Gastfreundschaft stand und nicht, wie er selbst sie konzipierte, für allgemeine Nächstenliebe – Bettler waren nicht eingeschlossen. 118 Die zweite Quelle war Julians Verständnis der athenischen Tugend: Er beanspruchte Gemeinschaftssinn und Philanthropie als spezielle Merkmale von Römern und Hellenen, insbesondere der Athener. 119 Wie Julian zu dieser Ansicht kam, ist schwer nachzuvollziehen; vermuten kann man entweder eigene Erfahrungen während seiner Studienzeit in Athen oder sein Studium der Literatur, z. B. von Sophokles oder Demosthenes. 120 Ob und inwieweit diese Tugend jedoch tatsächlich geübt wurde oder nur als Topos in der Rhetorik und Literatur auftrat, ist kaum feststellbar. Aus Julians Klage über den fehlenden Einsatz für die Bedürftigen von heidnischer Seite aus 121 lässt sich schließen, dass es zumindest zu seiner Zeit keine institutionelle pagane Armenfürsorge gab und somit nur das Christentum »erlebtes Vorbild praktischer Philanthropie« 122 sein konnte. Schließlich darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Julian in gewisser Weise selbst zugab, die Christen seien auf sozialem Gebiet sein Vorbild. So beklagte er: »Die hellenische Sache gedeiht noch nicht so, wie man es erwarten dürfte – durch unser, ihrer Anhänger Verschulden« 123 und nannte auch die Gründe dafür: »Es ist eine Schmach, wenn (. . . ) die gottlosen Galiläer neben den ihren auch noch die unsrigen ernähren, die unsrigen aber der Hilfe von unserer Seite offenbar entbehren müssen.« 124 Da Julian somit seine Priester ausdrücklich auf die christliche Caritas als Vorbild auf dem Gebiet der Unterstützung Bedürftiger hinwies, kann mit Sicherheit mit christlichem Einfluss gerechnet werden. Eine weitere Parallele zeigt sich darin, dass Julian die Philanthropie eng mit der Frömmigkeit verknüpfte und sie zu einer Hauptaufgabe seiner Priester erklärte. Vom christlichen Konzept unterschied er sich allein darin, dass er eine andere Begründung für diese enge Verknüpfung anführte: Ihm ging es um die Nachahmung der Götter, nicht um Lohn im Jenseits. 125 Zwar war die Begründung Julians eine andere als die der Christen, aber die Praxis war dieselbe. Die Christen waren die ersten, die karitative Arbeit organisierten und institutionalisierten. Julian musste dies anerkennen, und obwohl er sich von der Kirche abgewandt hatte, übernahm er diesen Teil ihrer Arbeit. Denn die Nächstenliebe 117 Vgl. Julian. ep. 84, 431b; ep. 89b, 291b (146. 158f Bidez) mit Zitat von Hom. Od. 14, 56/58; vgl. Kabiersch,
Untersuchungen 75. 118 Vgl. Hiltbrunner, Humanitas 746; Bolkestein, Wohltätigkeit 179, gibt in diesem Zusammenhang zu beden-
119 120 121 122 123 124
125
ken, dass in der von Julian zitierten Äußerung Homers (Od. 14, 56/58) Odysseus nur ein Scheinbettler war, denn da »der Fremdling Odysseus sich als Bettler verkleidet hat, wird in dem Epos das, was von dem Gast gilt, auch von dem Bettler gesagt« (Hervorhebung dort); ähnlich formuliert auch Kabiersch, Untersuchungen 76: Julian halte »irrtümlich die der dichterischen Situation gemachte Konzession für ein Abbild der Wirklichkeit«. Bemerkenswert ist ebenfalls, dass Homer zwar »ZeÃc Xe–nioc« bzw. »ZeÃc XËnioc« (Il. 13, 624; Od. 14, 389) und »ZeÃc