John Howard Yoder - radikaler Pazifismus im Gespräch 9783666570322, 9783525570326, 9783647570327


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John Howard Yoder - radikaler Pazifismus im Gespräch
 9783666570322, 9783525570326, 9783647570327

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© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

Hans-Jürgen Goertz

John Howard Yoder – radikaler Pazifismus im Gespräch

Vandenhoeck & Ruprecht © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-57032-6 ISBN 978-3-647-57032-7 (E-Book) Umschlagabbildung: © John Howard Yoder, with permission of Mennonite Church USA Archives. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: textformart, Göttingen Druck und Bindung: Q Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I. Die frühen Jahre in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . 15 II. Die Gespräche der Täufer . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 III. Die Einheit der Kirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 IV. Theologie des Friedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 V. Erweiterte Dialoge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 VI. Kirche und Welt – Differenz und Beziehung . . . . . 196 Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Personen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 5 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

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Vorwort Im Laufe der Jahre habe ich wohl die meisten Schriften ge­ lesen, die John Howard Yoder veröffentlichte, einige sogar mehrmals und besonders intensiv; und doch ist es mir nicht gelungen, die Bedenken zu zerstreuen, ich könnte diesen originellen Theologen von Grund auf missverstanden haben. Vielleicht ist meine theologische Sozialisation so anders, dass sie mir den Zugang zu seinen Grundgedanken verstellt, vielleicht ist es auch so, wie Stanley Hauerwas gelegentlich meinte, dass Yoder es einem nicht leicht machen wollte, ihm zuzustimmen – und es einem geradezu schwer machte, ließe sich ergänzen, ihm zu widersprechen. Seine Art zu argumentieren ist ausgesprochen differenziert und scheint ihm am ehesten der göttlichen Wahrheit zu entsprechen, die sich im Medium menschlicher Sprache ihren verbindlichen Ausdruck verschafft. Einerseits sind diese Aus­sagen präzise und tragen zur Klärung der gängigen Begriffe bei, andererseits nehmen die Argumente eine Stringenz an, die Andersmeinenden kaum noch Luft zum Atmen lässt. So eindrucksvoll Yoders Absicht ist, theologische Erkenntnis und Aneignung des Heils ebenso gewaltfrei zu gestalten wie das Handeln der Kirche, so bedenklich ist, dass sich diese Absicht in der Art, wie ­Yoder argumentiert, letztlich nicht zu erkennen gibt. Hier müssen sich seine Gesprächspartner oft genötigt fühlen, ihre eigenen Positionen samt den Traditionen, aus denen sie schöpfen, aufzugeben und sich auf den Boden der Differenzierungen zu stellen, die Yoder vorgenommen und zum Kriterium theologisch legitimer Urteile ausgestaltet hat. So geht von der Theologie Yoders eine starke Faszination aus, über vieles anders zu denken, als bisher gedacht wurde, gleichzeitig löst sie ein Unbehagen aus, das die befreiende Wirkung seiner oft überraschenden Argumente wieder einschränkt und die Zustimmung zu seinem Radikalen Pazifismus tatsächlich erschwert. So ist es reizvoll, im Hinblick auf das Selbstverständnis der sogenannten Historischen Friedenskirchen und ihren Beitrag zum Gespräch der Kirchen untereinander sogar geboten, sich mit seiner theo7 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

logischen Begründung des christlichen Pazifismus kritisch aus­ einanderzusetzen. Der Beitrag John Howard Yoders ist aus den neueren Diskussionen über Krieg und Frieden in Theologie und Kirche nicht mehr wegzudenken. Vor allem in Nordamerika hat er sich nachhaltig für das pazifistische Engagement der Kirchen eingesetzt und die gewaltfreie Aktion Jesu in die Überlegungen zur theologischen Sozialethik gegen vorherrschende Tendenzen in der Arbeit an einer christlichen Ethik zu verankern versucht. Nicht überall hat er Nachfolger gefunden, doch erstaunlich ist, wie eindrucksvoll die Fraktion derjenigen angewachsen ist, die sich mit Dissertationen, Abhandlungen und Aufsätzen als »Yoderianer« in Kirchen und an Universitäten nach seinem Tod im Jahre 1997 etabliert haben und seine Stimme mit neuen Argumenten und in erweiterten Räumen der Auseinandersetzung zu Gehör bringen. Impulse seiner Friedensethik wirken auch in der sogenannten Dekade zur Überwindung von Gewalt im Rahmen des Ökumenischen Rates der Kirchen nach. Schließlich beginnen sich auch unter den Mennoniten, deren Tradition Yoder entstammt, und unter Historikern und Theologen anderer Kirchen kritische Stimmen zu Wort zu melden. Zu dieser lebendigen Situation der Ausein­andersetzung möchte die vorliegende Untersuchung einen eigenen Beitrag leisten – die Begründung des Radikalen Pazifismus, wie Yoder ihn konzipiert hat, einer kritischen Prüfung unterziehen, ohne jedoch den Anspruch eines radikalen Pazifismus grundsätzlich in Frage zu stellen. Mit vielen Freunden und Kollegen habe ich über die von Yoder aufgeworfenen Fragen diskutiert und mich von ihnen bei der Entstehung dieses Buches begleiten und beraten lassen. Dankbar bin ich James M. Stayer, John D. Roth, Mark Thiessen Nation, Harry ­Loewen und Paul Martens (USA), ebenso Fernando Enns, Marco Hofheinz, Joel Driedger, Hans Adolf Hertzler und Christoph Wiebe (Deutschland). Besonders aber danke ich dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, der bereit war, eine Reihe meiner Bücher zu verlegen, zuletzt die Bruchstücke radikaler Theologie heute (2010) und nun auch diese Studie zur Pazifismusdiskussion. Hamburg im Juli 2013

Hans-Jürgen Goertz

8 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

Einleitung John Howard Yoder (1927–1997) war der Theologe in Nordamerika, der sich am intensivsten mit dem pazifistischen Erbe der sogenannten Historischen Friedenskirchen beschäftigt und das radikale Friedenszeugnis dieser kleinen Kirchen, der Mennoniten, Quäker und Kirche der Brüder, in die ökumenischen Gespräche nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa und Nordamerika eingebracht hat. Mit seinem Buch über The Politics of Jesus (1972) wurde er weit über die Grenzen dieser Kirchen hinaus bekannt. Obwohl die Mennonite Church in den Vereinigten Staaten von Amerika, der er angehörte, kein Mitglied im Ökumenischen Rat der Kirchen war, wurde er oft zu Konsultationen und Konferenzen der Mitgliedskirchen eingeladen und erhielt die Gelegenheit, sein Friedenszeugnis zu erläutern und sich auch an den theologischen Beratungen um die Einheit der Kirchen zu beteiligen. Er hatte einen eigenen »Free Church ecumenical style« entwickelt und die Diskussion um die Grundlagen kirchlicher Einheit bereichert. Auf diese Weise hat er die Gelegenheit genutzt, die Theologie des Friedens im Gespräch mit Partnern aus anderen kirchlichen Traditionen nach innen zu erneuern und mit der Suche nach der Einheit der Kirchen so eng, wie es noch nie geschah, nach außen zu verbinden. Bereits während seiner Studienjahre hat sich Yoder in B ­ asel mit zwei gründlich recherchierten Untersuchungen zur Entstehung des Täufertums im reformatorischen Aufbruch des 16.  Jahrhunderts darum bemüht, den eigenen konfessionellen Ursprung kritisch aufzuarbeiten, und sehr schnell ist ihm deutlich geworden, dass das Täufertum nicht einem separatistischen, sondern einem dialogischen Impuls entsprang und Kirche im Gespräch derjenigen entstand, die alles daran setzten, der christlichen Botschaft eine sichtbare Gestalt in dieser Welt zu verleihen. Die reformwilligen Prädikanten hatten in Zürich die akademische Einrichtung der Disputation genutzt und in streitbaren Gesprächen mit Altgläubigen nach Wegen kirchlicher Erneuerung gesucht. Diese Gespräche waren zwar gescheitert, aber doch 9 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

wurde eine reformatorische Bewegung ins Leben gerufen, die in einfallsreicher Agitation, im Angriff auf den Welt- und den Ordensklerus, die Kirche Zürichs nach und nach aus der Jurisdiktion des Bischofs von Konstanz löste. Als Meinungsverschiedenheiten über einen an der Heiligen Schrift orientierten Weg zur Reformation entstanden waren, zerfiel jedoch die Einheit im reformatorischen Lager. Ulrich Zwingli, der Leutpriester und Reformator am Großmünster der Stadt, wollte diesen Weg nach anfänglichen Zögerungen gemeinsam mit der weltlichen Obrigkeit gehen, der kleine Kreis seiner radikaleren Gefährten aber las aus der Heiligen Schrift die Forderung heraus, ihn unter allen Umständen unabhängig von der weltlichen Obrigkeit gehen zu müssen. Jede weltliche Obrigkeit schien ihrer Meinung nach gezwungen zu sein, einem Ethos zu folgen, das mit dem Heil in Jesus Christus, mit Feindesliebe und Gewaltfreiheit, nicht zu vereinbaren sei. Als die Gespräche um den Reformationsweg abgebrochen wurden und im Verbot radikaler Agitation endeten, war die Trennung besiegelt. Nicht die entschiedene Gruppe um Konrad Grebel, sondern Zwingli habe sich, wie Yoder meinte, von der ursprünglich gemeinsamen Einsicht in den Gesprächscharakter der Kirche getrennt und diejenigen, die der Kirche mit der ersten Glaubenstaufe im Januar 1525 eine neue Gestalt verliehen, hätten sich nicht beirren lassen, immer wieder aufs Neue das Gespräch mit Zwingli und den reformierten Prädikanten zu suchen. Mit dieser Deutung der frühen Geschichte der Täufer hat Yoder eine These vertreten, die in den folgenden Jahrzehnten heftig diskutiert und schließlich einer harschen Kritik unterzogen wurde. Er wandte sich von seinem ursprünglichen Forschungsfeld allmählich ab, blieb aber dabei, im frühen Täufertum »the first ecumenical movement« zu sehen und daraus Konsequenzen für Theologie und Ethik heute zu ziehen. Diese Einsicht hat sich vor allem unter dem Eindruck der ökumenischen Gespräche nahe gelegt, die mit der Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen nach dem Zweiten Weltkrieg 1948 neu einsetzten und die theologische Diskussion allenthalben zu bestimmen begannen. Je tiefer Yoder in die theologischen Absichten der frühen Täufer in der Schweiz und Oberdeutschland eindrang, um so klarer wurde ihm, dass gerade diese als ab10 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

trünnig geltende Reformbewegung als Modell dafür angeboten werden könnte, wie die getrennten Kirchen wieder zueinander zu führen seien. Die zahlreichen Beiträge, die Yoder zur ökumenischen Frage vorgelegte, wurden gegen Ende seines Lebens gesammelt und posthum in seinem Aufsatzband zu The Royal Priesthood (1998) veröffentlicht. Das waren kritische und konstruktive Beiträge zu den vielfältigen Diskussionen über den Weg zur Einheit der Kirchen. Dass diese Beiträge nicht nur begrüßt, sondern oft auch zurückgewiesen wurden, hatte Yoder teilweise selbst verschuldet. Er hatte den Lösungsweg zur Einheitsfrage so entschieden auf den Traditionsweg der Freikirchen umgeleitet, dass den Repräsentanten der großen, aus staatskirchlichen Traditionen erwachsenen Kirchen der Atem stocken musste – zu brüsk wurde der Impetus abgewertet, aus ihrer eigenen konfessionellen Tradition, beispielsweise aus dem theolgischen Reservoir der reformatorischen Rechtfertigungslehre einen Beitrag zur Einheit der Kirchen leisten zu können. So bestechend Yoders ökumenische Theologie auf den ersten Blick ist, so problematisch ist sie, wenn ihre theologischen Grundlagen genauer in Augenschein genommen werden. Wie das ökumenische Denken haben auch die Überlegungen zur theologischen Ethik des Friedens eine doppelte Wurzel. Einmal ist es das frühe schweizerische Täufertum, dessen Forderung nach Wehrlosigkeit und Friedfertigkeit John Howard Yoder anregte, eine täuferisch nachempfundene Lehre vom Frieden für die Gegenwart zu erarbeiten; und zum anderen sind es Anregungen, die er in Karl Barths Kolleg zur Kirchlichen Dogmatik erhielt. Diese Anregungen verband er mit den täuferischen Impulsen und verarbeitete sie zu einer konsequenteren Friedenstheologie, als er sie bei seinem Lehrer kennen gelernt hatte, und zu einer Friedenstheologie, die im Bereich der Historischen Friedens­ kirchen erneuernd gewirkt und teilweise auch die Diskussionen um Krieg und Frieden im Rahmen der ökumenischen Bewegung beeinflusst hat. Impulse seiner Friedenstheologie sind schließlich in die Bemühungen des Ökumenischen Rates der Kirchen eingegangen, die »Dekade zur Überwindung der Gewalt« (2001–2011) vorzubereiten. Ähnlich wie seine Gedanken zur Einheit der Kirche ist sein Nachdenken über die Problematik des Friedens in 11 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

friedloser Zeit nicht nur bereitwillig, sondern von vielen  – vor allem außerhalb der Historischen Friedenskirchen  – auch kritisch aufgenommen worden. Dieser Grundakkord seiner Theologie – Gespräche der Täufer, Suche nach der Einheit der Kirche und radikales Friedenszeugnis – soll hier noch einmal zu Gehör gebracht werden. John Howard Yoder hat seine Theologie im Kontext europäischer Erfahrungen nach dem Zweiten Weltkrieg im Gespräch mit Theologen in der Schweiz, in Deutschland und Frankreich, auf ökumenischem Parkett auch mit Theologen aus den Niederlanden und der Tschechoslowakei entwickelt. Später hat er das Gespräch mit Theologen in Südamerika, Südafrika und sogar mit jüdischen Theologen in Jerusalem gesucht. Die Gespräche in Europa gelten vor allem für die formativen Jahre seiner Theologie. So wenig er seine Heimat in Nordamerika verleugnen wollte, war es zunächst kaum die Diskussion unter nordamerikanischen Theologen, die ihn interessierte. Eine Ausnahme war für ihn Reinhold Niebuhr, dessen Einfluss sich in Nordamerika bis in die Mennonitengmeinden hinein bemerkbar machte. Doch Niebuhr wurde von ihm eher als ein Theologe wahrgenommen, der in Rufnähe zur dialektischen Theologie in Europa stand, und nicht als typischer Vertreter des nordamerikanischen Protestantismus. Yoder ging es nicht darum, sich auf eine andere Art theologischen Denkens einzulassen, das den Mennoniten behilflich sein könnte, endlich ihr verfehltes Verhältnis zu gesellschaftlicher Verantwortung zu korrigieren. Ihm lag vielmehr daran, mennonitische Theologen wie J. Lawrence Burkholder davor zu warnen, sich auf Niebuhr einzulassen und ihm auf dessen eigenem Grund zu begegnen, nämlich die Differenz zwischen Kirche und Gesellschaft zu nivellieren und sich auf vorbehaltlose Weise den Problemen der Gesellschaft zuzuwenden. Gespräche und Auseinandersetzungen mit Theologen in Nordamerika gehören später zum Milieu, in dem Yoder seine im europäischen Kontext ausgebildete Theologie nochmals diskutierte, erweiterte und vor allem auf Fragen einer Theologie des Friedens konzentrierte. Hier bemühte er sich, mit den Theologen in Kontakt zu kommen, die im Kontext ihrer Kirchen Theologie für die Kirchen trieben; mit einer gewissen Scheu begegnete er dagegen 12 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

den Theologen, die sich stärker der »Academia« als der Kirche verpflichtet fühlten – dazu zählte auch sein mennonitischer Kollege Gordon D. Kaufman, der an der Divinity School der Harvard University lehrte, wie der philosophisch ausgerichtete Theologe Paul Tillich, der erst von Nordamerika aus seine Weltkarriere starten konnte. Die theologische Diskussion, die Harvey Cox beispielsweise um »Stadt ohne Gott« oder um Probleme der »Gottist-tot«- Theologie bzw. um die sprachphilosophischen Erörterungen der Rede von Gott ausgelöst hatte, wie Langdon Gilkey sie veröffentlichte, ließ ihn kalt. Er versuchte nicht einmal, auf die stark diskutierte Situationsethik im angelsächsischen Raum gründlich einzugehen. So wundert es auch nicht, dass er allmählich den Faden zur weiteren Entwicklung der Theologie im Europa nach Karl Barth verlor. Die Theologie Wolfhart Pannenbergs hat ihm nicht zu denken gegeben, nicht einmal zu Eberhard Jüngel, der ja – wie er selbst – in einem besonderen Verhältnis zu Barth stand, suchte er eine Verbindung. Jürgen Moltmann war zwar auf Yoder aufmerksam geworden und hatte mit einem Vorwort die deutsche Übersetzung des berühmten Buches über Die Politik Jesu (1981) begrüßt, doch einen nachhaltigen Einfluss hat er bei Yoder nicht hinterlassen, geschweige denn, ihn hier und da auf andere Bahnen gelenkt. Dennoch dürfte es sich lohnen, die oft scharfsinnigen Argumente Yoders zur Kritik jeder Theologie, die sich bewusst im Kontext des sogenannten Konstantinismus der Kirchen bewegt, d. h. angeblich einer immer noch nicht radikal vollzogenen Trennung von Kirche und Welt, zur Kenntnis zu nehmen. Im Rahmen konventioneller Theologie wirkt Yoders Konzept, in dem Ekklesiologie und Friedensethik eng miteinander verbunden sind, wie ein Anflug nonkonformen Denkens, von dem eine seltene Faszination ausgeht. Andererseits lohnt es sich, Yoders Theologie auch kritisch ins Gespräch zu ziehen, um auf dem Weg zu einem Frieden voranzukommen, der »höher ist als alle Vernunft« (Phil 4, 7), sich aber der Vernunft nicht entzieht. John Howard Yoder hat das Gespräch gesucht, um sich selbst über die Grundlagen seiner Theologie klar zu werden; er hat das Gespräch auch geführt, um anderen die Augen zu öffnen und sie – gelegentlich unüberhörbar deutlich – auf seinen Weg kirch13 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

licher Einheit und radikaler Friedfertigkeit zu führen. Weder das eine, noch das andere, wohl aber beides zusammen fordert dazu heraus, mit Yoder – auch über seinen plötzlichen Tod hinaus – das Gespräch zu suchen. So verwundert es nicht, dass inzwischen geradezu eine Renaissance der Beschäftigung mit seinem theologischen Werk eingesetzt hat, wie sie einem Theologen heute nur selten mit einer solchen Fülle an Zustimmung, eindrucksvollen Dissertationen, polemischen Auseinandersetzungen, Gedenk- und Sammelbänden vergönnt ist.

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I. Die frühen Jahre in Europa John Howard Yoder war ein bedeutender Theologe unter den Mennoniten des 20. Jahrhunderts – nicht nur in Nordamerika, sondern auch weltweit. Er konzentrierte sich mit ganzer Kraft auf die Theologie des Friedens, wie sie andeutungsweise in den so genannten Historischen Friedenskirchen entstanden war. Darüber hinaus erklärte er das Thema des Friedens zum Herzstück christlicher Theologie und Ethik überhaupt. In einem formalen Sinn wusste Yoder natürlich, wie er in seiner Abhandlung über Karl Barth and the Problem of War (1970) andeutete, dass die Frage nach Krieg und Frieden nur ein Thema der christlichen Ethik unter anderen Themen ist, keinesfalls das Zentralthema des christlichen Glaubens. Was die Begründung der Argumente gegen den Krieg und für den Frieden angeht, erwachsen sie allerdings aus dem Zentrum dieses Glaubens, zumal bei Karl Barth selbst: »from the revealing, reconciling, and redeeming work of God in Christ«.1 So entwickelte sich die Problematik des Friedens in friedloser Zeit zum beherrschenden Thema in der Theologie John Howard Yoders. Nach dem Abschluss seines Studiums am mennonitischen ­Liberal Arts College in Goshen (Indiana) leistete John Howard Yoder einen Freiwilligendienst im Auftrag des Mennonite C ­ entral Committee (MCC) und wurde bald auch als Repräsentant der Peace Section des MCC im Jahr 1949 nach Frankreich entsandt, wo er sich hauptsächlich um die Kinder- und Jugendarbeit der Gemeinden kümmern sollte. Hier musste er sich auf die Situation einstellen, in der sich die europäischen Mennoniten befanden. Sie hatten die Verweigerung des Wehr- oder Kriegsdienstes dem Verantwortungsbereich der Gemeinde entzogen und die Verantwortung dafür dem einzelnen Gemeindeglied überlassen. Damit hatten diese Gemeinden einen anderen Weg als die nordamerika1 John Howard Yoder, Karl Barth and the Problem of War, Nashville, TN, und New York 1970, 21.

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nischen Mennoniten eingeschlagen und versucht, das nonkonformistische Erbe der Täufer unter veränderten staatlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Existenzbedingungen zu bewahren. In Europa wurde Yoder intensiver mit den zerstörerischen Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs konfrontiert als in Nordamerika, und hier begann er, über Krieg und Frieden auch unter dem Eindruck der Ängste nachzudenken, die sich mit dem »kalten Krieg« und der Bedrohung durch das atomare Wett­rüsten zwischen Ost und West in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts einstellten. Sie bestimmten die politischen Diskussionen und bald auch die Beratungen im Ökumenischen Rat der ­Kirchen. Neben den vielfältigen Aktivitäten als Freiwilliger im diakonischen Dienst und den einfühlsamen Versuchen, das täuferische Friedenszeugnis unter den französischen Mennoniten zu be­ leben, setzte er sein Studium an der Theologischen Fakultät der Universität Basel fort, zunächst als Gasthörer und vom Wintersemester 1954/55 an als vollzeitlich eingeschriebener Doktorand. Er hatte sich entschlossen, eine Dissertation über die Gespräche vorzubereiten, die zwischen Täufern und reformierten Prädikanten in der Schweiz von 1523 bis 1538 geführt wurden. Nebenher vertrat er die Belange des Mennonite Board of Missions and Charities nach dem großen Erdbeben in Algerien 1954. Abgeschlossen wurde die Arbeit an der Dissertation 1957 und die Promotion mit der Veröffentlichung der Dissertation in der Schriftenreihe des Mennonitischen Geschichtsvereins 1962. Es waren das Unbehagen am reformbedürftigen Zustand seiner Kirche in Nordamerika und die bedrängenden Erfahrungen mit der Nachkriegssituation im westlichen Europa, die ihn veranlassten, sich in einem anspruchsvollen theologischen Studium an einer bedeutenden evangelischen Fakultät ernsthaft Rechenschaft über die Grundlagen der Theologie abzulegen. Dass er diese Absicht aber aufgeben und auf ein historisches Thema ausweichen musste, lag an der Bekenntnisbindung der theologischen Fakultäten, die es ihnen damals nicht erlaubte, theologische Dissertationen anzunehmen, die einem anderen als dem Bekenntnis der evange­lischen Kirchen verpflichtet waren. So blieb ihm nichts anderes übrig, als mit einer kirchengeschichtlichen, dem Bekenntniszwang nicht ausgesetzten Untersuchung auf den Ursprung der 16 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

Mennoniten im Täufertum des 16. Jahrhunderts zurückzugreifen und sich auf diesem Umweg zu einem eigenständigen theologischen Denken führen zu lassen – immer in der Absicht, das täuferische Erbe seiner eigenen Kirche wieder zu beleben und diesem Erbe ein Mitspracherecht in den theologischen Diskussionen um die Einheit der Kirchen und den Frieden in der Welt zu sichern.2 Diesen Weg beschritt Yoder damals nicht allein, mit ihm zog vielmehr eine kleine Gruppe mennonitischer Doktoranden aus Nordamerika, die an europäischen Universitäten studierten bzw. im Freiwilligendienst des Mennonite Central Committee tätig waren: die so genannte Concern-Gruppe. Zum ursprünglich engeren Kreis gehörten John H.  Yoder, Paul Peachey, John W. ­Miller, Calvin W. Redekop, A. Orley Swartzentruber, David Shank und Irvin B. Horst, weitere wie Gordon D. Kaufman, J. Lawrence Burkholder, Norman Kraus, William Klassen gesellten sich im Heinatland hinzu. Einige Mitglieder dieser Gruppe hatten sich 1952 in Amsterdam zusammengefunden, um sich über die Mängel in den eigenen Gemeinden klar zu werden, deren Unfähigkeit, auf die Herausforderungen der modernen Zivilgesellschaft aus dem Geist des Täufertums und des Neuen Testaments zu antworten, und um einen Weg zu suchen, der zwischen fundamentalistischem Separatismus und Anpassung an ein liberales Verantwortungsbewusstsein für das Wohlergehen der Gesellschaft zu einem eigenständigen Selbstverständnis der Gemeinde Jesu auf Erden führt. So haben diese jungen Theologen die Wiederentdeckung der »Anabaptist Vision« durch Harold S.  Bender begrüßt, sahen sich aber von dem Ergebnis dieses Rückgriffs auf das Täufertum des 16.  Jahrhunderts enttäuscht3, denn auch unter dieser Devise konnte sich immer noch 2 Earl Zimmermann, Practicing the Politics of Jesus. The Origin and Significance of John Howard Yoder’s Social Ethics. Telford, Pa., und Scottdale, Pa., 2007, 140 f. 3 Mark Thiessen Nation, John Howard Yoder. Mennonite Patience, Evangelical Witness, Catholic Convictions. Grand Rapids, MI, und Cambridge, U. K., 2006, 20 f. Albert N. Keim, Harold S. Bender, 1897–1962, Scottdale, PA, und Waterloo, Ont., 1998, 450–471. Paul Toews, The Concern Movement: Its Original and Early History, in: The Conrad G ­ rebel Review 8, 1990, 109–126. Die Geschichte dieser kleinen Reformgruppe

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»a surprising degree of assimilation to surrounding culture« weiter entwickeln.4 Selbst Bender hatte in ihren Augen zu große Anleihen beim großkirchlichen Protestantismus getätigt, die übergemeindlichen Organisationstendenzen auf Kosten der lokalen Gemeinden gefördert und mit der Ausbildung ihrer Pastoren einer autoritären Gemeindeführung weiterhin Vorschub geleistet, so dass er mit seinen Reformbemühungen sozusagen auf halbem Weg stecken geblieben war und die Kluft zwischen dem ursprünglichen Täufertum mit seiner kongregationalistischen Gemeindestruktur und dem augenblicklichen Zustand der denominational orientierten Mennonitengemeinden jetzt erst recht vertiefte. Das musste Bender als eine harsche Kritik empfinden, und er hatte Schwierigkeiten, damit sachgemäß umzugehen. Unter der Hand habe er die Merkmale täuferischer Theologie (Nachfolge Christi, Gemeinde der Gläubigen, Friedfertigkeit) zu Forderungen einer wohl niemals er­reichbaren idealen Gemeinde verflüchtigt und diese jungen Theologen animiert, sich mit der einstigen Gruppe um Konrad Grebel in Zürich zu identifizieren.5 ist neuerdings noch einmal auf differenzierte Weise aufge­arbeitet worden: Nathan Hershberger, Power, Tradition, and Renewal. The Concern Movement and the Fragmented Institutionalization of Mennonite Life. In: Mennonite Quarterly Review 87, 2, 2013, 155–186. Vf. macht auch auf die Differenzen innerhalb dieser Gruppe aufmerksam. 4 John H. Yoder an Harold S. Bender am 31. Juli, zit. nach Albert Keim, ­Harold S. Bender, 453. 5 Earl Zimmermann, Practicing the Politics of Jesus, hat im 3. Kapitel dieses Buches die Situation ebenso ausführlich wie eindrucksvoll beschrieben, in der sich die jungen Theologen mit ihren Gemeinden konfrontiert sahen und Kritik an ihrem Lehrer H. S. Bender am Goshen College übten (32–69). – Vgl. James Reimer: »Yoder, perhaps more sharply than the others (der Corncern-Gruppe), was critical of the older Bender generation for a compromised denominationalism and for not applying its historical and theological findings more consistently to the congregational life of present-day Mennonites« (A. James Reimer, Mennonites and Classical Theology. Dogmatic Foundations for Christian Ethics. Kitchener, Ont., und Scottdale, Pa., 2001, 289. – In der Retrospektive aus dem Jahr 2001 empfand Calvin W. Redekop das gemeinsame Abendmahl dieser Gruppe 1952 in Amsterdam als eine Reprise der ersten Tauf­feiern in Zürich 1525 (»It was  a heady (…) exhilarating moment«), zit. nach Nathan Hershberger, Power, Tradition, and Renewal, 168.

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Wie jene Gruppe die Reformen Ulrich Zwinglis zu ihrem konsequenten Ende zu führen versuchte, hatte sich diese vorgenommen, die Reformbemühungen Harold S. Benders noch überzeugender mit dem frühen Täufertum zu verbinden und theologisch durchdachter als bisher voranzutreiben. »Concern« bedeutete, den Weg der frühen Täufer noch einmal zu gehen und in ihrem Geiste auf die Herausforderungen der eigenen Zeit zu reagieren. Noch einmal: »In Yoder’s view, borrowing wholesale from Protestant denominational theology and organizational patterns would be the death knell to the kind of community that could live in  a prophetic and transformative relationsship to American society.«6 So war zwar ein Generationswechsel angedeutet worden, doch eine durchgreifende Änderung stellte sich in den Mennonitengemeinden kaum so ein, wie die Reformer es sich gewünscht hätten. Gleichzeitig versuchte Yoder, die Haltung zu Krieg und Frieden mit Vertretern der anderen Historischen Friedenskirchen, der Church of the Brethren und der Society of Friends (Quäker), sowie mit Repräsentanten des Internationalen Versöhnungsbundes (International Fellowship of Reconciliation) zu besprechen. Er diskutierte darüber auch mit seinen theologischen Lehrern an der Basler Universität (vor allem mit Karl Barth und Oscar Cull­ mann) und ab 1955 auf den sogenannten Puidoux Theological Conferences, zu denen die Vertreter der Historischen Friedenskirchen und des Versöhnungsbundes evangelische Theologen eingeladen hatten, die in der Tradition der Bekennenden Kirche standen. Als Anknüpfungspunkt bot sich in jener Zeit vor allem das vermeintliche Friedenszeugnis der Täufer an, das im ökumenischen Kontext auf allgemeines Interesse gestoßen war und hier auch eine eigene Sprache fand. So war es nicht zufällig, dass der Ökumenische Rat der Kirchen schon vor 1955 ein besonderes Interesse an den Historischen Friedenskirchen zeigte und sie aufforderte, ihr Zeugnis in die Beratungen der ökumenischen Gremien einzubringen. Die Mitgliedskirchen hatten sich in dem Gründungsdokument des Ökumenischen Rates 1948 in Amsterdam zwar auf die Erklärung geeinigt, dass Krieg gegen den 6 Earl Zimmermann, Practicing the Politics of Jesus, 50.

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Willen Gottes sei, es aber nicht vermocht, daraus gemeinsame Konsequenzen für eine Friedensethik zu ziehen. Die Historischen Friedenskirchen und der Internationale Versöhnungsbund dagegen haben diese friedensethische Konsequenz in getrennten Stellungnahmen angedeutet. So entstand die Publikation, die einen weiten Widerhall fand: War is Contrary to the Will of God (1951), sie führte bald darauf zu der gemeinsamen Stellungnahme mit dem programmatischen Titel Peace is the Will of God (1953), die als Diskussionsvorlage für die Vollversammlung des Weltkirchenrates in Evanston 1954 bestimmt war.7 Über die tatsäch­ liche Wirkung dieser Stellungnahmen hat Yoder sich später allerdings nicht zuversichtlich, eher enttäuscht geäußert.8 Die Vorlage der Historischen Friedenskirchen und des Internationalen Versöhnungsbundes wurde auf der Vollversammlung in Evanston nicht beraten. Stattdessen hatten Angus Dun und Reinhold Niebuhr den Auftrag erhalten, auf Peace is the Will of God mit einem eigenen Aufsatz zu antworten. Das geschah im Juni 1955 unter dem Titel God Wills Both Justice and Peace in der Zeitschrift Christianity and Crisis.9 Die Friedenskirchen wurden kritisiert, weil sie das Konzept christlicher Liebe verzerrt und versucht hätten, »to apply an individual ethic to a collective situation«, ausserdem hätten sie die sich hingebende Liebe auf Kosten sozialer Verantwortung verabsolutiert. In Peace is the Will of God wurde der Zusammenhang zwischen der Feindesliebe, die in Jesus Christus personifiziert war, und der ethischen Forderung, unter allen Umständen und ohne Abstriche Frieden zu schaffen und sich nicht an militärischer Gewalt zu beteiligen, theologisch eng miteinander verknüpft. Yoder selbst hatte sich schon 1954 und im April 1955 noch einmal mit Niebuhrs Pazifismuskritik aus­ einandergesetzt: Reinhold Niebuhr and Christian Pacifism.10 Den Gesprächsverlauf zwischen dem Ökumenischen Rat der Kirchen 7 Earl Zimmermann, Practicing the Politics of Jesus, 86 ff. 8 John Howard Yoder, Karl Barth and the Problem of War, Nashville, TN, 1970, 11 ff. 9 Angus Dun und Reinhold Niebuhr, God Wills Both Justice and Peace, in: Christianity and Crisis, (13. Juni) 1955, 75–78. 10 John Howard Yoder, Reinhold Niebuhr and Christian Pacifism, in: Mennonite Quarterly Review 29, (3. April) 1955, 101–117.

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und den Historischen Friedenskirchen hat Earl Zimmermann genau nachgezeichnet und gezeigt, wie Yoder sich in diese Gespräche einschaltete und seine eigene Theologie auszubilden begann.11 Ergänzend dürfte es wohl nützlich sein, daran zu erinnern, dass Karl Barth angetragen worden war, das Grund­ satzreferat auf der Gründungsversammlung des Ökumemischen Rates der Kirchen unter dem Titel Die Unordnung der Welt und der Heilsplan Gottes zu halten. Er hielt das Referat, kehrte aber den angetragenen Titel um: Nicht die »Unordnung der Welt« sei das Thema der Kirchen, sondern der »Heilsplan Gottes«, das Reich Gottes, das bereits gekommen und in aller Majestät siegreich errichtet sei, »Jesus Christus, der der Sünde und dem Tod, dem Teufel und der Hölle ihre Macht schon genommen, Gottes Recht und das Recht des Menschen in seiner Person schon zu Ehren gebracht hat«.12 Diese Umkehr des Themas war Reinhold Niebuhr ein Dorn im Auge. Er trat nach der Konferenz gegen Barth auf und erinnerte daran, dass die dialektische Theologie ursprünglich ganz andere Töne angeschlagen hatte und jetzt in der Gefahr sei, »eine Krone ohne Kreuz anzubieten, einen Triumph ohne Kampf, einen Glauben, der die Verworrenheit menschlicher Existenz mehr ignoriert als verwandelt.«13 Niebuhr ist gegen eine theologische Position angetreten, die Yoder nicht unrecht gewesen sein dürfte; und nur wenige Jahre später sah Niebuhr sich herausgefordert, einem Barth nahe stehenden, aus der Herrschaft Jesu Christi über Kirche und Welt entwickelten Friedenszeugnis entgegenzutreten, das für die Weltkirchenkonferenz in Evanston 1954 unter seiner maßgeblichen Mitwirkung vorbereitet worden war. Yoder wird bei der Abfassung seiner Kritik an Niebuhr sicherlich an die vorangehende Kontroverse um seinen Lehrer im Anschluss an die Amsterdamer Weltkirchenkonferenz gedacht haben. Für ihn war der Frontverlauf der Auseinandersetzung eindeutig, und er wusste, auf welche Seite er gehörte. 11 Earl Zimmermann, Practicing the Politics of Jesus, 101–117. 12 Amsterdamer Fragen und Antworten, Theologische Existenz heute, NF 15, München 1949, 7. 13 Ebd., 25 ff.

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John Howard Yoder, der zur »dominant voice« der Historischen Friedenskirchen geworden war14, hatte sich nicht nur in das Friedenszeugnis der Täufer, sondern gleichzeitig auch in die politischen Schriften und ethischen Passagen der Kirchlichen Dogmatik Karl Barths tief eingearbeitet, vor allem in KD III/4 (Krieg) und KD IV/2 (Heiligung, Nachfolge, Frieden), deren Entstehen er im Hörsaal mitverfolgen konnte.15 Bald begann er, ein intensives Gespräch über Grundprobleme des christlichen Pazifismus mit seinem Lehrer zu führen. Den literarischen Niederschlag fanden diese Gespräche später in zwei Publikationen: The Pacifism of Karl Barth (1964) und Karl Barth and the Problem of War (1970).16 Zum Einfluss Karl Barths auf John Howard Yoder hat sich Craig A. Carter in seiner Untersuchung zur Theologie und Sozialethik Yoders ausführlich geäußert.17 Earl Zimmermann bestätigt diesen Einfluss, meint aber, dass Carters Ergebnis, in Yoder einen »Barthian theologian« sehen zu müssen, nicht dem »broad compass of a seminal thinker like Yoder« gerecht wird.18 Yoder habe vielmehr aus vielen verschiedenen Quellen geschöpft, um daraus seine eigene Theologie und Sozialethik aufzubauen. Nicht übersehen werden darf allerdings, dass auch Carter Abweichungen Yoders von Barths Theologie registriert.19 14 Donald F. Durnbaugh, John Howard Yoder’s Role in »The Lordship of Christ Over Church and State« Conferences, in: Mennonite Quarterly Review 77, 2003, 371. – Heinold Fast, Puidoux 1955–1969: A Report of a Dialogue about Theological Foundation of a Christian Peace Witness, in: Donald F. Durnbaugh (Hg.), On Earth Peace: Discussions on War/ Peace Issues Between Friends, Mennonites, Brethren and European Churches, 1955–1975, Elgin, Ill., 1978, 319–328. 15 Mark Thiessen Nation, John Howard Yoder, 18.  16 John Howard Yoder, The Pacifism of Karl Bath, Church and Peace Pamphlets 5, Scottdole, PA, 1964; ders., Karl Barth and the Problem of War, Nashville, Tenn., 1970. 17 Craig A. Carter, The Politics of the Cross. The Theology and Social ­Ethics of John Howard Yoder. Grand Rapids, Mich., 2001, 61–90. 18 Earl Zimmermann, Practicing the Politics of Jesus, 134, Anm. 14. 19 Craig A. Carter, The Politics of the Cross, 88–90, und Yoders Kritik an Barths Theorie vom »Grenzfall« in der Friedensethik: 83–88; vgl. auch Stanley Hauerwas, With the Grain of the Universe: The Christian Witness and Natural Theology. Grand Rapids, MI, 2001, 203, Anm. 67, ­216–225, bes. 218: Abhängigkeit und Abweichung von Barths KD.

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Den Weg der Täufer noch einmal zu gehen, bedeutete auch, sich mit Grundproblemen der ökumenischen Bewegung aus­ einanderzusetzen. Diese Auseinandersetzung fand ihren litera­ rischen Ausdruck zunächst in Aufsätzen, die in The Gospel ­Herald 1957 erschienen und ein Jahr später in The Ecumenical Movement and the Faithful Church (1958) zusammengefasst wurden.20 Noch nie wurde den Mennoniten in Nordamerika die Notwendigkeit, sich auf die Frage nach der Einheit der Kirchen einzulassen, so umfassend und dringlich aus dem Geist des Täufertums vor Augen geführt, wie in dieser Broschüre: informativ, werbend und kritisch gegenüber bestimmten Entwicklungen in der ökumenischen Bewegung. Intensiver befasste sich Yoder schon 1957, also noch vor dem Abschluss seiner Dissertation, auf einem Symposion über »The Nature of the Unity We Seek« mit der theologischen Konzeption ökumenischer Gespräche aus der Sicht der Freikirche.21 Bereits hier haben die Gespräche, die von den Täufern des 16. Jahrhunderts mit reformierten Prädikanten geführt wurden, Modell gestanden. Es sind also drei große Themenbereiche, die sich dem jungen Theologen nicht nacheinander erschlossen, sondern mehr oder weniger gleichzeitig: Das frühe Täufertum in der Schweiz, die Suche nach der Einheit der Kirchen und die Theologie des Friedens. In der Beschäftigung mit den Gesprächen, die Proto­ täufer und spätere Täufer mit Ulrich Zwingli und reformierten Prädikanten führten, klingt bereits das ökumenische Thema an. Außerdem fließen in die Überlegungen zu einer theologischen Konzeption des ökumenischen Gesprächs manche Beobachtungen zur inneren Struktur der täuferischen Gemeinde ein, die nicht nur Gespräche führte, sondern sich selbst als »Gespräch«

20 John Howard Yoder, The Ecumenical Movement and the Faithful Church, Focal Pamphlet Series No. 3, Scottdale, Pa., 1958. 21 John Howard Yoder, The Nature of the Unity We Seek: A Historic Free Church View, in: Religion in Life 26, 2, 1957, 215–222; ebenso in: J. Ro­ bert Nelson, Christian Unity in North America: A Symposium, St. Louis, Mo., 1958, 89–97; und in: John Howard Yoder, The Royal Priesthood. Essays Ecclesiological and Ecumenical, hg. von Michael G. Cartwright, Scottdale, Pa., und Waterloo, Ont., 1998 (Erstpublikation 1994), 221–230.

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verstand (»hermeneutic community«).22 Darüber hinaus führt Yoder in das Gespräch mit Karl Barth und die Auseinandersetzung mit Reinhold Niebuhr23 über die Grundlagen des christ­ lichen Pazifismus Anregungen ein, die sich aus seiner Beschäftigung mit den täuferischen Gemeinden ergaben, die außerhalb der politischen Machtsphäre weltlicher Obrigkeit entstanden waren. Das auffälligste Merkmal dieser Gemeinden sah er in der Friedfertigkeit ihrer Mitglieder, in ihrem Verzicht auf die Anwendung von Gewalt, um die eigenen Reformziele durchzusetzen, oder in der Weigerung, sich am obrigkeitlich angeordneten Wehr- oder Kriegsdienst zu beteiligen. Es ist auch nicht so, dass sich Yoder von jedem Themenbereich zunächst für sich ein Bild verschafft und diese Bereiche erst in einem zweiten Gang aufeinander bezogen oder miteinander verknüpft hätte. Er hat sich vielmehr während der Arbeit am Täufertum einst zu Einsichten in die ökumenische Situation jetzt anregen lassen, und umgekehrt die Frage nach der Einheit der Kirchen genutzt, um aus der Verheißung einer befriedeten und versöhnten Gemeinschaft nützliche Hinweise auf Versöhnung und Frieden in politischen und gesellschaftlichen Konflikten abzuleiten – sowohl im reformatorischen Aufbruch des 16. Jahrhunderts als auch in Zeiten moderner Kriegsführung. Täufertum, Einheit der Kirche und Frieden in der Welt  – das ist der Grundakkord, in dem sich die Theologie Yoders formierte und der sich auch nicht mehr grundlegend änderte. Nicht ohne Grund ist von Freunden und Kritikern die schon früh erreichte Geschlossenheit seiner Theologie über die Jahrzehnte hinweg beobachtet worden.24 Theologie entsteht und gedeiht nicht, wo Druck, Zwang und Gewalt ausgeübt werden. Sie lebt vielmehr aus dem Einvernehmen, das zwischen Gott und den Menschen in Jesus Christus wiederhergestellt ist. Sie lebt, wo Frieden herrscht. So hat Yoder 22 John Howard Yoder, Täufertum und Reformation im Gespräch. Dogmengeschichtliche Untersuchung der frühen Gespräche zwischen Schweizerischen Täufern und Reformatoren. Zürich 1968, 111–116 (»Das Gespräch als Struktur der Gemeinde«). 23 John Howard Yoder, Reinhold Niebuhr and the Christian Pacifism, in: Mennonite Quarterly Review 29, 1955, 101–117. 24 Mark Thiessen Nation, John Howard Yoder, 75.

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Impulse aus der täuferischen Tradition zu einer Theologie der Ökumene und des Friedens für unsere Zeit fortentwickelt und umgekehrt die Diskussionen um die Einheit der Kirchen und um Gewaltfreiheit und Frieden in den Krisenherden unserer Welt genutzt, um sowohl die europäischen als auch die nordamerikanischen Mennonitengemeinden erneuern zu helfen. Diese doppelte Gedankenbewegung erklärt, warum Yoder im Täufertum »the first ecumenical movement« zu erkennen vermochte25, und gleichzeitig in den Kirchen dieser Tradition mit allem Nachdruck darum warb, sich an dem Bemühen um die Einheit der Kirchen auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene zu beteiligen. Mark Thiessen Nation hat zu Recht den ökumenischen Akzent der Theologie Yoders in den Vordergrund seiner Biographie gestellt, diesen Akzent aber nicht als eine nachträgliche Ergänzung zum täuferischen Erbe verstanden, sondern als dessen ureigenstes Anliegen: »when Yoder called for involvement in ecumenism he always had in mind both the ecumenical movement and the faithful church«.26 So verheißungsvoll sein Vorsatz ist, die Einheit der Kirche ins Zentrum seiner Theologie zu stellen und mit dem Friedensauftrag der Kirchen zu verbinden, so genau wird zu prüfen sein, ob es ihm gelungen ist, diesen Vorsatz auch einzu­ lösen: unter Rückgriff auf die eigene täuferische Tradition, in den Beratungen der Kirchen miteinander und in den Auseinandersetzungen um Krieg und Frieden weltweit.

25 John Howard Yoder, The Ecumenical Movement, 33. 26 Mark Thiessen Nation, John Howard Yoder, 107.

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II. Die Gespräche der Täufer Mark Thiessen Nation meint, dass die Wurzeln der Theologie Yoders in seiner historischen Beschäftigung mit den Schweizer Täufern zu suchen seien: in der Dissertation zu Täufertum und Reformation in der Schweiz. Die Gespräche zwischen Täufern und Reformatoren 1523–1538 (1962) und in der anschließenden dogmengeschichtlichen Abhandlung Reformation und Täufertum im Gespräch (1968), die das Material der Dissertation und die zu Tage geförderten historischen Erkenntnisse systematisch auf den Punkt bringt und zu einer konsistenten Theologie der Täufer, wenn auch nicht in aller Vollständigkeit, so doch ansatzweise, verbindet.1 Im Nachhinein lässt sich sagen, dass in diesem dogmengeschichtlichen Teil das Herz der Dissertation schlägt, auch wenn diese Abhandlung nicht ins Promotionsverfahren einbezogen wurde. Der Hinweis, hier die Wurzeln der Theologie Yoders finden zu können, ist sicherlich richtig. Allerdings verbietet sich vielleicht doch das Bild aus der Flora, da der formative Grundakkord, von dem gesprochen wurde, es kaum erlaubt, die Wurzeln von dem heranwachsenden Stamm und den Zweigen eines Baumes zu unterscheiden. Yoder hat sich dem Thema seiner Dissertation nicht aus rein geschichtswissenschaftlichem Interesse zugewandt, sondern in der Absicht, die von seinem Lehrer Harold S.  Bender in die Wege geleitete Erneuerung der Mennonitengemeinden durch einen neuen, verbesserten Rekurs auf die »Anabaptist Vision« historisch zu vertiefen und mit »a more logical fruition«, als es Bender gelungen war, in mennonitischen Gemeinden und Institutionen fortzuführen.2 Dieses an prak­ tischer Gemeindereform orientierte Erkenntnisinteresse, das auf 1 Mark Thiessen Nation, John Howard Yoder, 31 (Kap.  2: Anabaptism, Neo-Anabaptism, and Radical Reform: 31–75). 2 John H. Yoder an Harold S. Bender, am 2. Juli 1954, zit. n. Keim, Harold S. Bender, 456.

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die Suche nach einer möglichst stringenten Theologie der frühen Schweizer Täufer abzielte und über die Zeit hinweg Einfluss auf das Leben der Mennonitengemeinden in der Gegenwart ausübte, hat von vornherein die Themenwahl, Fragestellung und Durchführung der Dissertation, wohl auch die ursprüngliche Absicht bestimmt, die historische und theologiegeschichtliche Untersuchung als ein geschlossenes Werk zu präsentieren. Yoder beschränkte sich nicht darauf, das Schweizer Täufertum in seiner Zeit zu beschreiben und seine Stellung im reformatorischen Aufbruch genau zu bestimmen, er wollte es von vornherein ver­ gegenwärtigen.3 Er wollte den Weg der Täufer in unserer Zeit noch einmal gehen – unbekümmert um die geistes- und sozial­ geschichtliche Kluft zwischen Vormoderne und Moderne. Es ist sicherlich übertrieben, Yoders Studien zum Täufertum als einen herausragenden Markstein in der Täuferforschung anzusehen, wie Neal Blough es in seiner Einleitung zur englischen Übersetzung der beiden Täuferbücher aus den Jahren 1962 und 1968 getan hat.4 Yoder selbst sieht seine historischen Forschungen als eine »Vorarbeit zum Verständnis der Täuferbewegung als theologiegeschichtlicher Größe« an und konzentriert sich auf die Gespräche, die zwischen Täufern und Reformatoren geführt wurden.5 Andere Historiker, teilweise seine engeren Weggefährten, haben andere Themen aufgegriffen und zu einem vorläufigen Höhepunkt der Täuferforschung nach dem Zweiten Weltkrieg geführt: Gewaltlosigkeit im Täufertum (Clarence Bauman), Biographie von Felix Mantz (Ekkehard Krajewski), die soziale Herkunft der Schweizer Täufer (Paul Peachey), das Verhältnis zwischen Heinrich Bullinger und den Täufern (Heinold Fast), die Biographie Balthasar Hubmaiers (Torsten Bergs3 John H. Yoder an Harold S. Bender am 12. Januar 1951, zit. Keim, ­Harold S. Bender, 460. 4 Neal Blough, Introduction. The Historical Roots of John Howard Y ­ oder’s Theology, in: John Howard Yoder, Anabaptism and Reformation in Switzerland. An Historical and Theological Analysis of the Dialogues Between Anabaptists and Reformers. Kitchener, Ont., 2004, S. Lx. 5 John Howard Yoder, Täufertum und Reformation in der Schweiz. I. Die Gespräche zwischen Täufern und Reformatoren 1523–1538, Karlsruhe 1962, 11.

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ten), die Theologie Pilgram Marpecks (William Klassen), die Ausein­andersetzung lutherischer Theologen mit den mitteldeutschen Täufern (John Oyer), die Biographie von Menno ­Simons (Christoph Bornhäuser), das Täufertum in England (­Irvin B. Horst) oder das missionarische Bewusstsein und Wirken der Täufer (Wolfgang Schäufele). Was die historische Täuferforschung betrifft, ragen die Arbeiten Yoders hier keinesfalls besonders heraus. Wohl aber haben sie nachhaltig dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit auf die Theologie der Täufer zu lenken und ihr ein Mitspracherecht in den ökumenischen Gesprächen unserer Tage zu sichern. Die theologische »Vergegenwärtigung des Täufertums«6 hat allerdings einen hohen Preis gefordert. Sie hat aus der Geschichte, wie später gesagt wurde, eine »usable past«7 gemacht und die Seriosität historischer Arbeit untergraben. So war es nur konsequent, wenn Yoder sich seit den siebziger Jahren aus der Täuferforschung zurückzog, nachdem eine Rehisto­ risierung des Täufertums eingesetzt und die theologische Betrachtungsweise aus ideologiekritischer Einsicht zurückgedrängt wurde. Die geschichtstheoretischen Regeln, nach denen jetzt gespielt wurde, eine strengere Unterscheidung von Wertbeziehung und Wertfreiheit historischer Erkenntnis, waren nicht seine Regeln.8 Harold S. Bender hat die einzelnen Merkmale der »Anabaptist Vision«  – Nachfolge Christi, Gemeinde der Gläubigen und brüderliche Liebe bzw. Friedfertigkeit  – vor dem Hintergrund der bereits abgeschlossenen Reformation in Zürich recht summarisch aus den Quellen, mehr noch aus der Literatur über die Täufer zusammengestellt. Yoder hat in der Schule Benders gelernt, aber er wollte sich die Grundlagen für sein theologisches Täuferbild selber schaffen und hat einen anderen Weg beschrit6 Earl Zimmermann, Practicing the Politics of Jesus, 141 und 149 (Anm. 36). 7 Paul Toews, Mennonites in American Society, 1930–1970: Modernity and the Persistence of Religious Community, in: The Mennonite Experience in America, Bd. 4, hg. von Theron F. Schlabach, Scottdale, Pa., 1996, 86 f. Vgl. Gerald Biesecker-Mast, Separation and the Sword in Anabaptist Persuasion, Telford, Pa., und Scottdale, Pa., 2006, 44 und 69. 8 Hans-Jürgen Goertz, Theology and History. A Major Problem of Anabaptist Research, In: Mennonite Quarterly Review 53, 1979, 177–188.

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ten. Er hat das »Wesen und Wollen« der Täufer »im Anschluß an eine Reihe von Problemen« dargestellt, »die sich der werdenden Reformation« stellten.9 So wandte er sich einer reformatorischen Bewegung zu, die sich noch nicht in zwei Lager ausdifferenziert hatte, in ein gemäßigtes und in ein radikales, und in der noch um Weg und Ziel ebenso wie um den Charakter der Reformation allgemein gerungen wurde. Er hat das Täufertum nicht als eine voll ausgebildete Gestalt in seinem Verhältnis zur Kirche Ulrich Zwinglis beschrieben, sondern ist ihm in seinem allmählichen Werden nachgegangen, wohl wissend, dass die Reformation insgesamt zunächst noch im Werden war. So sind es nicht eigentlich konfessionelle Trennungen, die untersucht werden, sondern die Prozesse, die aus einem Ansatz gemeinsamer Reformvorstellungen im Umkreis Zwinglis zu Trennungen führen sollten. Noch rangen Zwingli und seine radikaleren Schüler gemeinsam um die Kirche der Reformation, und selbst als die Fronten sich gegeneinander verfestigt hatten, versuchten die Täufer, so meinte Yoder, immer noch in Gesprächen mit Zwingli und seinen Prädikanten an das ursprünglich angestrebte Kirchen- bzw. Gemeindemodell zu erinnern und um die sich trennenden oder bereits getrennten Brüder zu werben. Die Ergebnisse dieser Dissertation für die Täuferforschung der Nachkriegszeit lassen sich schnell zusammenfassen: Erstens wurde die Annahme, die sich damals eigentlich schon durch­ gesetzt hatte, dass die Täufer von Ulrich Zwingli in Zürich ausgegangen seien, bestätigt. Zweitens wurde herausgestellt, dass die Trennung zwischen Zwingli und seinen radikalen Schülern nicht erst mit der ersten Taufe im Januar 1525, aber auch nicht schon auf der Oktoberdisputation 1523 in Zürich vollzogen wurde, als Zwingli sich weigerte, die beschlossenen Reformen (Entfernung der Bilder aus den Kirchen und Abschaffung der Messe mit ihrem Opfercharakter) sogleich in die Tat umzusetzen, sondern sich entschloss, die praktische Durchführung dieser Reformen der weltlichen Obrigkeit anzuvertrauen. Yoder war davon überzeugt, dass Konrad Grebel und seine Gefährten auch nach

9 Ebd., 166.

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diesem für sie enttäuschenden Ausgang der Disputation noch nicht bewusst auf einen Bruch mit Zwingli zusteuerten, sondern ein solcher Bruch ihnen erst nach den gescheiterten Gesprächen über die Taufe im Dezember 1524 bewusst wurde.10 Drittens wurde festgestellt, dass sich die Trennung am Gemeindeverständnis entzündete, das die späteren Täufer ursprünglich mit Zwingli gemeinsam durchsetzen wollten: eine Kirche, der die Gläubigen aus freiem Entschluss beitraten und die ihre Freiheit gegenüber obrigkeitlicher Mitsprache behauptete.11 Viertens wurde das »Gespräch« als ein Kennzeichen der Gemeinde angesehen: als Erkenntnisweg, auf dem die Gemeindeglieder sich miteinander um das rechte Verständnis der Heiligen Schrift bemühten, und als ein Weg, auf dem sie zu praktischen Entscheidungen im Leben der Gemeinde gelangten. Fünftens waren die Gespräche zwischen Täufern und Reformatoren aus der Sicht der Täufer als Bemühung zu verstehen, die Gründe für Trennungen zu beseitigen und die ursprünglich ins Auge gefasste Erneuerung der Kirche trotz Meinungsverschiedenheiten im Einzelnen immer noch gemeinsam durchzuführen. Diese Grundergebnisse hat Yoder in der dogmengeschichtlichen Untersuchung Täufertum und Reformation im Gespräch (1968) theologisch profiliert und vertieft, so dass der Eindruck verstärkt wurde, die Prototäufer bzw. die Täufer hätten nach und nach, von den ersten Zürcher Disputationen im Januar und ­Oktober 1523 über die Gespräche um die biblische Gestalt der Taufe und den Vollzug der ersten Glaubenstaufe (1525) bis zur Brüderlichen Vereinigung von Schleitheim (1527) eine in sich kohärente Theologie ausgebildet. Später wurde diese Entwicklung, in der Dissertation Yoders bereits angelegt, die »Linie Grebel-Sattler« oder die »systemimmanent konsequente Linie«12, genannt (Konrad Grebel war der erste Täufer und Michael Sattler der Autor der Schleitheimer Artikel) und als Kurzbeschreibung 10 John Howard Yoder, Täufertum und Reformation in der Schweiz, ­33–39. 11 Hans-Jürgen Goertz, Theology and History, 172. 12 Heinold Fast, »Die Wahrheit wird euch freimachen.« Die Anfänge der Täuferbewegung in Zürich in der Spannung zwischen erfahrener und verheißener Wahrheit. In: Mennonitische Geschichtsblätter 1975, 26.

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für das »eigentliche Täufertum«13 in Umlauf gebracht. Von diesem Täufertum wurden, wie schon in Harold S.  Benders Anabaptist Vision (1943), alle anderen Täufer, vor allem Balthasar Hubmaier und die Appenzeller Enthusiasten, ausgeschlossen  – sowohl historisch als auch in ihrer theologischen Bedeutung für die Konstruktion einer »Anabaptist Vision« heute. Das ist um so bemerkenswerter, als Yoder doch vor allem im zweiten Buch das Gespräch theologisch so stark auflädt, dass die Ausgrenzung einiger Täufer, die bereits im frühen Aufbruch, als noch alles im Fluss und unentschieden war, erfolgte, nachdenklich stimmen müsste. Weder Hubmaier noch die Appenzeller Täufer waren am Schleitheimer Gespräch beteiligt. Offensichtlich haben nur diejenigen miteinander gesprochen, die sich von vornherein schon im Grundsätzlichen einig waren und im Gespräch nur einige Irritationen oder Zweifel gemeinsam beseitigen wollten. Selbst später hat Yoder noch behauptet, dass die Schleitheimer Artikel »a fruit of a reconciliation event« gewesen seien.14 So fällt bereits in dieser frühen Phase des Täufertums ein dunkler Schatten auf ihre Bereitwilligkeit zu einem Gespräch, das seinen Namen verdient oder die Kriterien Yoders erfüllt. Diese Beobachtung fordert dazu auf, den Zusammenhang von Gemeinde und Gespräch, wie Yoder ihn beschrieben hat, genauer in Augenschein zu nehmen. Im Zentrum des zweiten Buchs steht das Gemeindeverständnis (Teil  III: »Der gemeinsame Boden der Ekklesiologie«, und Teil IV: »Die Weiterführung der zwinglischen Grundeinstellung durch die Täufer«). In Teil I werden die wichtigsten Themen der Gespräche untersucht, die Prototäufer bzw. Täufer mit Ulrich Zwingli führten (Zweierlei Gerechtigkeit, Taufe und Einheit von 13 John Howard Yoder, Täufertum und Reformation in der Schweiz, 175, unter Verweis auf Heinold Fast, Heinrich Bullinger und die Täufer. Ein Beitrag zur Historiographie und Theologie im 16. Jahrhundert. Weierhof (Pfalz) 1959, 122. Yoder hat diesen Begriff aus einer polemisch konzipierten Typologie der Täufer herausgebrochen und ihm eine positive Bewertung verliehen. Eine solche Umdeutung und Umwertung ist eine typische Argumentationsweise Yoders, wie sich noch an anderen Begriffen zeigen wird. 14 John Howard Yoder, Christian Attitudes to War, Peace and Revolution. A Companion to Bainton. Goshen und Elkhart, Ind., 1983, 182.

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altem und neuem Bund), und in Teil II die Themen der späteren Gespräche (Regel der Liebe, Autorität der Kirche, Hermeneutik, Buchstabe und Geist). So wichtig diese Themen waren und so kontrovers sie erörtert wurden, führten sie nach Yoders Meinung doch nicht ins Zentrum der Trennungsursache zwischen Zwingli und seinen radikalen Anhängern, nicht einmal die Diskussion über die Taufe oder die Art und Weise, wie über Wesen und Grenzen der Obrigkeit gesprochen wurde. Im Grunde habe Zwingli die Beratung dieser Themen mit seinen Denkmustern beherrscht (z. B. mit dem »Dualismus« von göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit, Wasser- und Geisttaufe, Buchstabe und Geist oder mit dem »Monismus«, mit dem an der Einheit von Johannes­ taufe Jesu und Taufe der Nachfolger Jesu festgehalten wurde). Auf diese Weise hatte Zwingli die Trennung einseitig vollzogen und den Täufern die Möglichkeit genommen, dabei mitzureden, ja, im Grunde habe sich in diesen frühen Gesprächen schon gezeigt, dass die führenden Reformatoren »in einem auffallenden Maße gesprächsunfähig waren«.15 Der Trennungsgrund kann also nur dort gefunden werden, wo das Gespräch miteinander nicht blockiert, sondern gesucht wird, wo nicht mit Hilfe dualistischer und monistischer Denkmuster im Grunde alles schon entschieden oder beim Alten gehalten wurde. Die göttliche Gerechtigkeit beispielsweise ist für die Menschen als sittliche Forderung unerfüllbar, während die menschliche Gerechtigkeit mit den Anforderungen des Lebens immer wieder Kompromisse eingeht und sich mit dem begnügt, was vernünftig oder üblich ist. Selbst wenn sie sich an göttlicher Gerechtigkeit orientiert, bleibt sie defizitär und lässt von der »neuen Schöpfung«, die mit Jesus Christus in Erscheinung getreten ist, nur wenig ahnen. So wechselt Yoder in Teil III die Perspektive und beobachtet, wie die Täufer immer deutlicher ein neues Verständnis von der Gemeinde Jesu Christi ins Zentrum ihrer Reformbemühungen rücken und der Auffassung sind, dass die Erkenntnis- und Entscheidungswege in der Gemeinde korporativ geregelt werden, deutlich sichtbar vor aller 15 John Howard Yoder, Täufertum und Reformation im Gespräch. Dogmen­ geschichtliche Untersuchung der frühen Gespräche zwischen schweizerischen Täufern und Reformatoren, Zürich 1968, 100.

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Welt: in ihren Praktiken und organisatorischen Strukturen, ihrem Verhalten und der Regelung, den Willen Gottes gemeinsam in der Heiligen Schrift zu suchen und sich ihn nicht von einem autoritär veranlagten Lehramt oder ebensolchen Theologen diktieren zu lassen. Letztlich ist es die Konzeption der Gemeinde, die als Gespräch, in dem nach dem Sinn göttlicher Offenbarung für das Leben der Gläubigen gesucht wird, Zwingli und den Täufern gemeinsam gewesen sei. Die Gemeinde ist der »Ort der theologischen Erkenntnis«16, und in ihr wird über den Weg der Reformation entschieden. Daraus folgt: Wer nicht bereit ist, an diesem Ort miteinander zu sprechen und sich über den Willen Gottes zu verständigen, kündigt die Gemeinschaft auf und geht getrennte Wege. Die Reformatoren haben zwar der katholischen Kirche die Verbindlichkeit ihres Lehramts abgesprochen und sich zur »Klarheit und Eindeutigkeit des göttlichen Wortes« bekannt, versicherte Yoder, sie haben aber »das Wort, wie sie es verstanden, mit dem Wort schlechthin« identifiziert, ohne über die »weitere Problematik der theologischen Erkenntnis« nachzudenken. »Der Gegner eines Reformators ist«, folgert Yoder, »wenigstens wenn er seine entgegen gesetzte Meinung mit Ernst vertritt, nicht mehr ein Bruder, sondern ein Gegner Gottes selbst.«17 Deutlicher lässt sich die Diagnose einer Trennung nicht formulieren. Die Täufer waren nicht selber auf die Idee gekommen, der Gemeinde das Vermögen zuzutrauen, darüber zu urteilen, was nach der Heiligen Schrift zu lehren und zu glauben sei. Das war eine ursprüngliche Auffassung Zwinglis, wie Yoder meinte, und wurde in Zürich in den beiden großen Disputationen auch so praktiziert. Darin sahen die Reformatoren die einzige Möglichkeit, der katholischen Kirche die Lehrautorität zu bestreiten, und das Recht, die Kirche aus dem Wort Gottes zu erneuern, allein dem »gemein volk der Christen«18 zu gewähren. »Diese Ein16 Ebd., 101. 17 Ebd., 100. 18 Ebd., 102 (zitiert aus einem Brief Zwinglis an Valentin Campar vom April 1525, als die Täufer sich schon von Zwingli endgültig getrennt hatten). Vgl. auch ebd., 133 f: »Obwohl es uns von der Geschichte her klar ist, dass die Gemeinde als eine redefähige Wirklichkeit ausserhalb des Staates schon seit zwei Jahren im Abnehmen war, kann Zwingli noch

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stellung«, behauptet Yoder, »hat sich im Täufertum geradlinig weitergebildet.«19 Zwingli sei wohl vor der Freiheit zurückgeschreckt, die sich auch einfache Gemeindemitglieder nahmen, das Wort in der Gemeinde zu ergreifen oder ihn selbst zu nötigen, seine Auffassungen vor der Gemeinde zu verantworten. Er habe den Täufern nicht immer die Möglichkeit gegeben, ausführlich gehört zu werden, er soll ihnen gelegentlich auch über den Mund gefahren sein. Je weniger die Täufer tatsächlich gehört wurden, um so klarer sei ihnen geworden, dass das Gespräch, das sie forderten, nicht nur Diskussion sein sollte, sondern Gemeinde im Vollzug.20 Das Gemeindeverständnis, wie Yoder es für den reforma­ torischen und täuferischen Aufbruch herausgearbeitet hat, ist sowohl für das Binnenverhältnis der Gemeinde als auch für ihr Außenverhältnis bedeutsam. Nach innen wird das Gespräch, in dem sich die Gemeinde einen sichtbaren Ausdruck verschafft, zur »Struktur der Gemeinde«, d. h. zu einem Instrument, das genutzt wird, um die Offenbarung und den Willen Gottes in der Heiligen Schrift zu erkennen, gleichzeitig wird es auch als Instrument eingesetzt, das Konflikte unter den Gläubigen nach der »Regel Christi« (Mt 18, 15 ff) lösen hilft (Kirchenzucht bzw. Bann). Gemeindeglieder, die gegen die Ordnung der Gemeinde verstoßen, werden nach dieser Regel ins Gespräch gezogen, indem sie ermahnt werden, Reue zeigen und sich mit der Gemeinde wieder versöhnen lassen. Ziel der Bannpraxis ist, wie bei jedem Gespräch über unterschiedliche Deutungen der Heiligen Schrift, die Einheit der Gemeinde herzustellen. Die Regel Christi ist eine Anleitung zum Versöhnungsgespräch und nicht zur Errichtung eines Kirchengerichts – zu einem Gespräch, in dem der Geist des Friedens und der Einheit wirkt. Je intensiver Yoder sich in die Entstehungsgeschichte des Täufertums einarbeitete, um so deutlicher wurde ihm, dass es bei den reden, als ob alles noch kommen sollte, was jede Zürcher Pfarrkirche zum Sitz einer neutestamentlichen Gemeinde gemacht hätte, in der jeder hätte reden und die anderen hätten urteilen dürfen.« 19 Ebd., 104. 20 Ebd., 108.

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Gesprächen unter den Reformwilligen nicht um das eine oder andere Lehrstück des christlichen Glaubens ging, sondern um ein »sinnvolles Ganze« oder, wie Yoder zum Berner Gespräch von 1538 schrieb: um »die Aufrichtung eines schriftgemäßen neuen Gemeindewesens«.21 So fällt bei flüchtigem Lesen die Wehrlosigkeit bzw. der Gewaltlosigkeit als eine besonders epochale Eigenart des täuferischen Glaubens nicht sonderlich ins Auge. Sie ist vielmehr eingebettet in die Vorstellung der schriftgemäßen Gemeinde, d. h. in den Versuch, eine versöhnte Gemeinschaft unter dem Wort und in der Nachfolge Jesu Christi jetzt schon zu leben. Eine versöhnte Gemeinschaft ist eine Gemeinschaft, in der sich Einigkeit und Frieden durchgesetzt haben. Aus diesem Grunde kann in ihr nicht das Schwert geführt werden – weder nach innen gegen die eigenen Brüder und Schwestern, noch nach außen gegen die Feinde, die sie ängstigen, bedrängen oder zu vernichten trachten. Immer deutlicher tritt zu Tage, dass die Täufer die Wehrlosigkeit oder Gewaltlosigkeit, von der bereits im Brief des Grebelkreises an Thomas Müntzer die Rede war, in der Ordnung und Einheit des Leibes Christi begründet sahen. In der Gemeinde werden Ordnung und Einheit mit Hilfe des Banns bewahrt oder wieder hergestellt, im obrigkeitlichen Bereich dagegen mit dem Schwert. Im Bann sahen die Täufer ein Mittel, die Nachfolge Christi gemeinsam zu bewältigen, d. h. das Kreuz Christi als Absage an jegliche Form von Gewalt gehorsam zu tragen, so dass Leidensbereitschaft und Friedfertigkeit zu signifikanten Merkmalen des Gemeindeverständnisses wurden. Der Bann, wie die frühen Täufer ihn verstanden, eint die Gemeinde und schafft Frieden. Das Schwert, in der Gemeinde gebraucht oder von Gliedern der Kirche im obrigkeitlichen Bereich geführt, würde den Leib Christi zertrennen und zerstören. So sieht Yoder die Theologie des Friedens, wie er sie später unter systematisch-theologischen Gesichtspunkten immer deutlicher herausbildete und vor allem in The Christian Witness to the State (1964) und in The Politics of Jesus (1972) »innerhalb der Vollkommenheit Christi« verankert. Das Schwert erhält dagegen eine auf Zwang beruhende Ordnungsfunktion »außerhalb der Vollkommenheit Christi«, wie 21 Ebd., 7 und 64.

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es in der Brüderlichen Vereinigung von Schleitheim heißt. So zeigt sich bereits in den frühen Auseinandersetzungen und Gesprächen der Täufer, was im Zofinger Gespräch 1532 explizit zum Ausdruck gebracht wird, dass das Friedenszeugnis mit der Einheit der Kirche aufs Engste verbunden ist, ja, mit ihr steht und fällt: »Darumb dz sich die selb kilch/wie ouch der lyb eins menschen / sich nit zerteylen lasst«.22 Yoder hat diese Stelle zwar nicht zitiert, aber seine Interpretation des täuferischen Friedenszeugnisses wird von diesem Zitat bestätigt. So deutet sich bereits in den Täuferstudien der Grundakkord seiner Theologie an: Täufertum, Einheit der Kirche und Friedenszeugnis. Nach außen wird die Gemeinde, die im Gespräch entsteht, sich im Gespräch erhält und als eine Gemeinschaft des Friedens darstellt, zum Gegenüber der »Welt« bzw. der weltlichen Obrigkeit als »Gestalt der Welt«23. Es ist die Unansprechbarkeit gegenüber dem göttlichen Wort, in der sich der Gegensatz zwischen Welt und Gemeinde ausspricht. Ordnen sich die Gläubigen im gemeindlichen Gespräch der Heiligen Schrift und dem Willen Gottes unter, folgen sie im Gehorsam dem Herrn, der aus der Heiligen Schrift zu ihnen spricht und mit seinem Geist unter ihnen wirkt, umgekehrt ist der Ungehorsam das Kennzeichen der »Welt« und »verkörpert sich in Staat, Kult, Klasse, Wirtschaft und in der Dämonie der autonom gewordenen Kultur.«24 Im Raum der Obrigkeit oder des Staates wird geherrscht, während im Raum der Gemeinde gedient wird. Im Staat herrscht Zwang, in der Gemeinde entfaltet sich Freiheit. Die Täufer haben, wie Yoder meint, peinlich darauf geachtet, beide Räume nicht miteinander zu vermischen. Das ist auch der Grund, warum die Täufer ihre Gemeinden von jedem obrigkeitlichen Einfluss freihalten wollten und jede Art der Beteiligung an obrigkeitlichen Aufgaben ablehnten. Für sie bedeutet »innerhalb der Vollkommenheit Christi« und »außerhalb der Vollkommenheit Christi«, ex22 Zit. n. Clarence Bauman, Gewaltlosigkeit im Täufertum. Eine Unter­ suchung zur theologischen Ethik des oberdeutschen Täufertums der Reformationszeit. Leiden 1968, 220. 23 John Howard Yoder, Täufertum und Reformation im Gespräch, 155. 24 Ebd., 161 f.

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trem ausgedrückt, Teilhabe an Christus oder Teilhabe an ­Belial, tertium non datur.25 So kann Yoder von der »Wesensverschiedenheit von Gemeinde und Welt sprechen«.26 Dieser Dualismus ist eschatologisch begründet: Der alte Äon wird dem neuen Äon weichen, und die Gemeinde der Täufer nimmt jetzt schon am neuen Äon teil, ja, sie antizipiert ihn mit ihrer Existenz in der Welt. Sie lebt bereits in ihm. Erst wenn diese grundsätzliche Verschiedenheit von G ­ emeinde und Welt anerkannt wird, kann die Gemeinde, wie Yoder schreibt, »für die Welt, wie sie ist, ein klares Wort« haben.27 Ihre Ausstrahlungskraft ist nicht an politische Grenzen gebunden, wie das bei obrigkeitlich gebundenen Kirchen der Fall ist, sondern vermag diese Grenzen zu überschreiten. Die Gemeinden der Täufer zeichnen sich dadurch aus, dass sie in zahlreichen Städten und Territorien im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und darüber hinaus aufbrachen und sich sammelten. Die Gemeinde der Täufer war eine »missionierende Gemeinde«, so sehr, dass Yoder sagen konnte: »Wenn die Gemeinde nicht evange­ lisiert, kann sie nicht leben.«28 Missionarisch heißt, dass sie ein­ erseits bei sich bleibt und andererseits ihre Grenze an der Unansprechbarkeit der Welt erfährt. Dadurch wird sie vor aller Welt sichtbar und weiß sich aufgerufen, nicht die Welt zu verbessern, um sie jetzt schon in die Kirche hineinzuziehen, was sowohl die eigentliche Kirche als auch die Welt unsichtbar machen müsste29, sondern der Welt den Unterschied zwischen der Unansprechbarkeit dem göttlichen Wort gegenüber (Ungehorsam) und der Ansprechbarkeit durch das Wort klar vor Augen zu führen (Gehorsam). Die Gemeinde vermag der Welt zu zeigen, dass Gott bereit ist, diese Unansprechbarkeit noch eine Weile zu ertragen und 25 Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz, Bd. 2, hg. von Hei­ nold Fast, Zürich 1973, 29 f – »Außerhalb der Vollkommenheit ­Christi« schließt nach Yoder allerdings nicht aus, dass die Obrigkeit unter der Herrschaft Jesu Christi den Auftrag nach Röm 13 wahrnimmt, für Recht und Ordnung in dieser Welt zu sorgen. 26 John Howard Yoder, Täufertum und Reformation im Gespräch, 164. 27 Ebd., 184. 28 Ebd., 180. 29 Ebd., 18.

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die Obrigkeit als »Gestalt der Welt« gleichzeitig auch »zu echtem Dienst an Recht und Ordnung«30 zu beauftragen. An dieser Stelle lässt Yoder die Vorstellung Oscar Cullmanns und Karl Barths von der Königsherrschaft Christi über Kirche und Welt in seine Täuferdeutung einfließen. Einen direkten Quellenbeleg bleibt er vorerst allerdings schuldig.31 Richtig ist jedoch, dass die Täufer der weltlichen Obrigkeit nicht das Amt streitig gemacht haben, in das sie sich von Gott eingesetzt zu sein wähnte. Yoder kann unter dem Gesichtspunkt der Königsherrschaft Christi sagen: »Erst die eschatologische Ausrichtung macht frei von der Welt und für die Welt.«32 Diese Öffnung zur Welt macht den missionarischen Charakter der Gemeinde aus: Die Welt wird angesprochen und eingeladen, sich in die Gemeinschaft derer zu begeben, die sich zu Jesus Christus bekennen, das Zeugnis der Gemeinde zu hören und sich der Herrschaft Gottes in Jesus Christus zu unterstellen. Es ist nicht nur das Wort der Gemeinde, das eine missionarische Kraft entfaltet, sondern auch die eschatologisch aus­ gerichtete Existenz oder Gestalt der Gemeinde selbst. »By means of this common life, the Gospel takes a visible and social form different from that of the world – the ›world‹ being a term that designates those strucures that refuse or resist the good news of the church.«33 Wenn Gemeinde zur sichtbaren Gestalt des Evangeliums wird, dann ist sie auch die Wirklichkeit, in der jetzt schon vorweggenommen ist, wie die Welt eigentlich gedacht war und in der Zukunft des göttlichen Reiches werden wird. Die Gemeinde ist Prototyp einer von Gott gewollten Gesellschaft. Hier deutet sich bereits an, dass der Akzent, den Yoder auf die Ethik bzw. Praxis der Täufer legt, nicht eine Verschiebung von der Theologie zur Ethik meint, sondern zum Ausdruck bringt, dass Ethik selbst Theologie ist. Yoder hat den Separatismus, in den sich die Täufer mit der Brüderlichen Vereinigung von Schleitheim (1527) zurückzogen, 30 31 32 33

Ebd., 185. Ebd., 169 und 182 f. Ebd., 185. John Howard Yoder, Täufertum und Reformation im Gespräch, 178; Neal Blough, Introduction, S. xlix.

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anders gedeutet, als dieser üblicherweise verstanden wird – sowohl von Gegnern als auch von Nachfahren der Täufer. Separatismus bzw. Absonderung war nicht Abbruch der Beziehungen zur »Welt« oder, wie Peter Blickle meinte, »Exodus aus der Geschichte«34, vielmehr umgekehrt eine Botschaft an die Welt. Darauf hat Yoder bereits mit der Kapitelüberschrift »Die Gemeinde in ihrem Dasein für die Welt« hingewiesen, und das hat Neal Blough mit der Erläuterung verdeutlicht, dass Yoder diese Gemeinde als den »Motor«35 der Geschichte begreift, d. h. dass die Gemeinde der Geschichte Gestalt, Richtung und Sinn verleiht. In dieser Deutung des täuferischen Separatismus, der kein Rückzug, sondern der offensive Ausdruck neuer reformatorischer Einsicht ist, kann der Fortschritt der historischen Forschungen Yoders gegenüber der Täuferforschung Harold S.  Benders gesehen werden. Hier wurden die Grundlagen für eine »Anabaptist Vision« gelegt, die den Beitrag des Täufertums zur Reformationsgeschichte umsichtiger herausarbeitet und theologisch ansprechender gestaltet als bisher.

Kritik Inzwischen hat die Täuferforschung ihren Lauf genommen und ist in manchem auf grundlegende Weise über Yoders Deutungen hinweggegangen. Das ist vor allem in der sogenannten revisionistischen Täuferforschung geschehen und wird in einer mehr kulturgeschichtlich akzentuierten Betrachtungsweise heute in der Genderforschung und in der Volkskulturgeschichtsschreibung fortgesetzt.36 Zunächst hat sich der Blick geweitet und die Ge34 Peter Blickle, Reformation im Reich, Stuttgart 21992, 127. 35 Neal Blough, Introduction, S. xlvii. 36 James M. Stayer, Werner O. Packull und Klaus Deppermann, From ­Monogenesis to Polygenesis. The Historical Discussion of Anabaptist Origins. In: Mennonite Qarterly Review 49, 1975, 83–122; Marion ­Kobelt-Groch, Aufsässige Töchter Gottes. Frauen im Bauernkrieg und in den Täuferbewegungen. Frankfurt/M./NewYork 1993; Sigrun Haude, Gender Roles and Perspectives Among Anabaptist and Spiritualistic Groups, in: John D. Roth/James M. Stayer (Hg.), A Companion to Ana-

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sichtspunkte in die Untersuchungen mit einbezogen, die von einer Betrachtungsweise, die sich mit starkem Interesse auf die theologischen Aspekte des Täufertums und auf ihre Bedeutsamkeit für eine konfessionelle Standortbestimmung in der Gegenwart konzentriert hat, vernachlässigt oder überhaupt nicht berücksichtigt wurden: die politischen, sozialen und kulturellen Gesichtspunkte, die neben dem theologischen Gesichtspunkt dafür gesorgt haben, dass das Täufertum sich als eine religiöse, soziale und kulturelle Erscheinung in ihrem spezifischen historischen Umfeld zu erkennen gibt. Methodisch bedeutet das, dass mehr danach gefragt wird, was die Täufer einst waren, als nur danach, was sie wollten. Eigentlich hätte das Yoders Interesse an der Sichtbarkeit der Gemeinde entgegenkommen müssen. Sichtbar sind nämlich nicht die Absichten der Täufer, sondern das Ergebnis, zu dem diese Absichten geführt haben. Sichtbar ist auch, was sich trotz der Absichten bzw. unabhängig von ihnen eingestellt hat. Absichten und Motive lassen sich nur auf Grund des Ausdrucks erkennen, den sie hinterlassen; doch der Ausdruck ist mit ihnen nicht identisch. Er ist in der Regel weniger eindeutig, weniger reichhaltig und weniger genau. Wenn Yoder die Sichtbarkeit der Gemeinde theologisch so stark auflädt, wie er es getan hat und im Kontext der Diskussion um die Einheit der Kirche sogar noch verstärkt tun wird, dann stellt sich hier ein ernstes Problem. Wird die Gemeinde der Täufer als Heilsgemeinde beschrieben, d. h. als Gemeinde, in der das Heil bereits verwirklicht ist, müsste sie in ihrer sichtbaren Wirklichkeit weniger zweideutig sein, als eine alternative Gemeinschaft zur Gesellschaft der gefallenen Schöpfung sein dürfte. Die Historizität, die Yoder für das Heilsgeschehen (mitsamt der Sichtbarkeit der Gemeinde)  reklamiert, vermag nicht das inkarnierte Heil zur Geltung zu bringen. Was sich zeigt, ist immer nur der defizitäre Ausdruck der »mes­sianischen Gemeinde«, solange sie im Kontext der gefallenen Schöpfung lebt. Hier sollen die alten Schlachten nicht noch einmal geschlagen werden, zumal Yoder, wie bereits angedeutet wurde, das Arbeitsbaptism and Spiritualism, 1521–1700, Leiden 2007, 425–465. Anselm Schubert, Täufertum und Kabbalah. Augustin Bader und die Grenzen der Radikalen Reformation, Gütersloh 2008.

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feld der historischen Täuferforschung bald nach dem Erscheinen der beiden monographischen Untersuchungen verlassen hat. Er hat sich danach nur noch gelegentlich zu neueren Forschungen geäußert und sich stattdessen theologischen Problemen auf intensive und oft auch innovative Weise zugewandt. Selbst bei seiner Deutung des Separatismus lässt sich fragen, ob sie einem historischen oder vielleicht nicht doch  – wie die Verwendung des Theologumenons von der Königsherrschaft Christe zeigt  – einem theologischen Urteil aus der Gegenwart folgt. Yoder hat sich mit dem Täufertum beschäftigt, um sich für seine Kritik am Zustand der eigenen Kirche einen soliden historischen Maßstab zu erarbeiten und um die Impulse zur Er­ neuerung der Kirche nicht aus dem Bereich nie erreichbarer Ideale beziehen zu müssen. Er wollte seine Theologie auf die realisierte Gestalt neutestamentlicher Vorgaben und auf Muster im Täufertum des 16. Jahrhunderts gründen. Anders als Harold S.  Benders »Anabaptist Vision«, in der, wie Yoder meinte, das Täufertum zur Idealität entrückt sei, verstand er die »Anabaptist Vision« als Ausdruck einer zu verschiedenen Zeiten potentiell realisierbarer, teilweise realisierter, auf jeden Fall einer im 16. Jahrhundert unter den Täufern trotz mancher Unzulänglichkeiten verwirklichten Kirche. Allein die »Sichtbarkeit« dieser Kirche, an der Yoder so viel liegt, schließt die Annahme ein, dass sie historisch Gestalt angenommen habe und die Erinnerung daran auch in der Gegenwart als realisierbarer Reformimpuls eingesetzt werden könne. Wenn es stimmt, wie immer wieder beteuert wird, dass die theologische Arbeit Yoders mit seinen historischen Studien begonnen und in ihnen ihren Grund gefunden hat, dann muss diese historische Basis nicht nur um ihrer selbst, sondern auch um der Theologie willen überprüft werden. 1. Kritisiert wurde an Yoders Täuferdeutung vor allem, dass er die Trennung Zwinglis von den späteren Täufern zeitlich in den Dezember 1524 gelegt hat und nicht schon, als Zwingli unter dem Eindruck des entschiedenen Willens der Obrigkeit, die Beschlüsse der Oktoberdisputation von 1523 noch nicht auszuführen, Kompromissbereitschaft gegenüber obrigkeitlicher Politik 41 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

gezeigt hatte. Das Gespräch zwischen beiden sei aber, wie Yoder zu beobachten meinte, noch nicht abgebrochen worden. Dennoch habe sich Zwingli damals schon auf eine Theokratie zu­ bewegt, während die späteren Täufer den Weg in eine von obrigkeitlicher Macht freie Kirche zu beschreiten begannen. James M. Stayer ist Hinweisen von Gerhard Goeters nachgegangen und hat den ersten, deutlich erkennbaren Riss zwischen Zwingli und seinen radikaleren Gefolgsleuten bereits im Streit um den Kirchenzehnten im Juli 1523 gesehen, der sich in Bemühungen der Zürcher Landgemeinden um politische und religiöse Autonomie entzündete. So konnte Stayer die Anfänge der Täufer im reformierten Kongregationalismus erkennen, freilich in einer Trennung von der Obrigkeit in Zürich, aber nicht von der Obrigkeit im Dorf.37 Die Zürcher Täufer, die mit Prädikanten auf der Landschaft verkehrten, haben deren Entsetzen über die Weigerung des Zürcher Rates und Zwinglis geteilt, den Gemeinden auf der Landschaft das Recht zu eigener Gemeindereformation zu gewähren. Darin meinten sie, den unzulänglichen, ja, gott­losen Charakter der allgemeinen Zürcher Reformationsbemühungen entdeckt zu haben und sich dem Rat und Zwingli widersetzen zu müssen. Vieles spricht also dafür, die Trennung nicht an der Frage nach dem Verhältnis von Kirche und weltlicher Obrigkeit festzumachen, sondern an der Weigerung der Radikalen, das Vertrauen auf eine »gottlose« Obrigkeit zu setzen. So lässt sich auch der nach der Oktoberdisputation vorgebrachte Vorschlag der Radikalen, den Rat abzuwählen und einen neuen, an der Heiligen Schrift orientierten, also einen gläubigen Rat zu wählen, um der Reformation in der Stadt zum Sieg zu verhelfen, besser erklären als bisher, ebenso die aktive Beteiligung Konrad Grebels und anderer Täufer an den bäuerlichen Auseinandersetzungen auf der Zürcher Landschaft und die Unterstützung der Schwarz­ 37 James M. Stayer, Die Anfänge des schweizerischen Täufertums im reformierten Kongregationalismus, in: Hans-Jürgen Goertz (Hg.), Umstrittenes Täufertum 1525–1975. Neue Forschungen, Göttingen 21977, 19–49. J. F. Gerhard Goeters, Die Vorgeschichte des Täufertums in Zürich, in: Studien zur Geschichte und Theologie der Reformation. Festschrift für Ernst Bizer, hg. von L. Abramowski/J. F. Gerhard Goeters (Hg.), Neukirchen 1969, 239–281.

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wälder Erhebungen durch Balthasar Hubmaier aus Waldshut.38 Der »Weg in die Absonderung« war keineswegs geradlinig von der Oktober­disputation über den Vollzug der ersten Glaubenstaufe im Januar 1525 zur Zusammenkunft der Täufer in Schleitheim 1527 verlaufen.39 Die Entscheidung für eine abgesonderte Gemeinde fiel erst nach leidvoller Verfolgung der Täufer durch die Züricher Obrigkeit und wurde als Versuch dargestellt, einen Weg aus der Krise zu finden.40 2. Wenn Yoder die Trennung der späteren Täufer von Zwingli vor dem Hintergrund einer ursprünglich gemeinsam angestrebten Ekklesiologie untersucht, die sich durch die Bereitschaft der Gemeindeglieder zum Gespräch miteinander auszeichnet, dann wird verständlich, dass die endgültige Trennung so weit wie möglich hinausgeschoben wurde – also auch über die gewöhnlich als Trennungszäsur angenommene Oktoberdisputation von 1523 hinaus. Auf diese Weise konnte der Gesprächscharakter der Gemeinde um so deutlicher herausgearbeitet werden. In den frühen Quellen gibt es nur selten Hinweise auf Gespräche oder gar auf die ekklesiologische Bedeutung von Gesprächen, hervor stechen vielmehr Nachrichten von Streitigkeiten, besonders von antiklerikalen Aktionen wie Beschimpfung und Verhöhnung von Priestern, Mönchen und Nonnen, wie Übertretungen des Fastengebots, Bilderstürme und Predigtstörungen, Verweigerung der Zehntabgaben und der Säuglingstaufe – antiklerikale Worte, Gesten und Aktionen. Das waren eher Rituale des Streits als Instrumente einer Gesprächskultur. Davon wurden auch die Disputationen bzw. Religionsgespräche jener Zeit in Mitleidenschaft gezogen, die einberufen wurden, um Frieden zu stiften, 38 Hans-Jürgen Goertz, Aufständische Bauern und Täufer in der Schweiz, in: ders., Radikalität der Reformation, Göttingen 2007, 323–342. 39 So noch Andrea Strübind, Eifriger als Zwingli. Die frühe Täuferbewegung in der Schweiz. Berlin 2003, bes. pointiert 576. 40 Klaus Deppermann, Die Straßburger Reformatoren und die Krise des oberdeutschen Täufertums im Jahre 1527, in: Mennonitische Geschichtsblätter 25, 1973, 24–41.

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Ruhe und Ordnung zu wahren oder herzustellen. Nur selten lag die Initiative bei den Täufern. Darüber täuschen die verallgemeinernden Schlussfolgerungen hinweg, die Yoder aus dem historischen Material zieht. Die Zürcher Taufdisputation unmittelbar vor den ersten Taufen im Januar 1525 wurde vom Zürcher Rat anberaumt, auch die Grüninger Disputation 1525 ging auf eine obrigkeitliche Initiative zurück, das gilt ebenso für die Disputation in Bern 1528 und die Disputation mit Hans Pfistermaier 1531. Oft endeten diese Disputationen mit Ausgrenzung, Vertreibung oder Verfolgung des unterlegenen Gesprächspartners oder mit einem erzwungenen Widerruf wie bei Pfistermaier, so gut wie nie mit Annäherung oder Konsens. Nicht selten wollten die Täufer, indem sie Gespräche forderten, die Verfolgungssituation hinauszögern oder ihr ganz entgehen. Sicherlich mag auch die Absicht eine Rolle gespielt haben, sich im Gespräch tatsächlich rechtfertigen zu können und den Gesprächspartner, der sich in den meisten Fällen schon als Gegner gezeigt hatte, zu überzeugen oder auf die eigene Seite zu ziehen. Noch war die Situation im reformatorischen Aufbruch unausgeglichen und im Fluss: Streit bestand neben Dialog, Aggressivität neben Friedfertigkeit, Verständnis für den anderen neben Rechthaberei, Solidarität neben unerbittlicher Aufkündigung der Gemeinschaft. Das war, modern gesprochen, keine Zeit des herrschaftsfreien Dialogs. Yoder selbst hat gezeigt, wie unterschiedlich Begegnungen und Gespräche damals sein konnten, wie unterschiedlich auch die Motive waren, Gespräche zu suchen und zu führen. Er hat auch gezeigt, dass diese Gespräche nur selten das Zeug hatten, daraus ein theologisches Strukturelement der Kirche zu konstruieren oder umgekehrt diese Gespräche als Derivate dieses Strukturelements zu begreifen. Selten finden sich in den Quellen auch genaue Beschreibungen, wie die Täufer die Heilige Schrift in Gesprächen ausgelegt haben, und wo darauf angespielt wird, ist es kaum möglich, sich einen Eindruck von einer Auslegung zu verschaffen, die in geordneten, die Erkenntnis vertiefenden Bahnen verlaufen wäre. Die Gemeindeglieder haben zumeist gern ihren »Lesern«, Predigern und Sendboten zugehört oder sich Konkordanzen anvertraut, die unter ihnen kursierten, so dass sie keine Veranlassung sahen, sich in mühsamen Gesprächen den Sinn der Heiligen 44 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

Schrift selber zu erarbeiten.41 Ebenso ist die Bannpraxis nicht immer so angewandt worden, wie Yoder sie beschrieben hat. Sie büßte schnell ihren dialogischen Charakter ein und wandte das antiklerikale Potential des reformatorischen Aufbruchs, die Kirche von klerikalen Missständen zu reinigen, auf ebenso heftige und aggressive Weise nach Innen an, um die Gemeinden sauber zu erhalten. Oft führte das zu unbarmherziger Ausgrenzung, zu Spannungen zwischen den Gemeindeleitern und Gemeindegliedern und zu Spaltungen in den Gemeinschaften.42 Die ekklesiologische Qualifikation des Gesprächs und die konkreten Bemühungen um eine Erneuerung der Kirche klafften gewöhnlich weit auseinander, so dass Vorsicht geboten ist, von der Gesprächs­ praxis her das Täufertum als eine legitime, wenn nicht sogar eine allen anderen Kirchen überlegene reformatorische Gemeinschaft zu erschließen und das am Gespräch orientierte Gemeindeverständnis als normatives Muster für ökumenische Gespräche der Kirchen heute zu empfehlen. 3. Schließlich ist zu fragen, ob nach der Einsicht in die geschichtlich gebundene und zeitlich begrenzte Geltung von Wahrheitserkenntnis und sittlichen Werten, die im Historismus gewonnen wurde, tatsächlich von der normativen Kraft des frühen Täufertums im Sinne der Grebel-Sattler-Linie gesprochen werden kann. Was Yoder in seinen historischen Untersuchungen zum Täufertum postulierte, hat er in einer einst stark umstrittenen Vortragsserie über Anabaptist Vision and Mennonite Reality (1970) bestätigt und den Maßstab so hoch angesetzt, dass 41 C. Arnold Snyder (Hg.), Biblical Concordance of the Swiss Brethren 1540, Kitchener, Ont./Scottdale, PA, 2001; Hans-Jürgen Goertz, Variationen des Schriftverständnisses unter den Radikalen. Zur Vieldeutigkeit des Sola-Scriptura-Prinzips. In: Ders., Radikalität der Reformation, 199. Ders., Die »gemeinen« Täufer: einfache Brüder und selbstbewusste Schwestern, in: Ders., Radikalität der Reformation, 363–376, bes. 365 f. 42 Hans-Jürgen Goertz, Zucht und Ordnung in nonkonformistischer Manier. Kleruskritik, Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung in den Bewegun­gen der Täufer. In: Ders, Antiklerikalismus und Reformation. Sozialgeschichtliche Untersuchungen. Göttingen 1995, 103–114.

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fast alle Versuche der Täufer oder Mennoniten in den nachreformatorischen Jahrhunderten bis in die Gegenwart dahinter zurückbleiben mussten und dem Urteil verfielen, der ursprünglichen, mit dem neutes­tamentlichen Zeugnis übereinstimmenden Vision und Praxis der frühen Täufer untreu geworden zu sein. Nicht Kontinuität, sondern Diskontinuitat zwischen der »Anabaptist Vision« und der »Mennonite Reality« charakterisiert, wie Yoder meint, die Situation der Gegenwart. Begründet wird diese Beobachtung mit den Anleihen (»borrowings«) bei anderen Konfessionen oder kirch­lichen Entwicklungen der eigenen Tage, die dafür verantwortlich seien, dass sich die täuferische Identität veränderte. Verdrängt wurden: »Free church choice, Fraternal process, renunciation of power, Mission, Refusal of war, reconciling intervention«.43 Selbst Benders Anabaptist Vision, so sehr sie zum ursprüng­lichen Täufertum wieder zurückfand, verfiel in Yoders Augen der Praxis, das täuferische Erbe durch Anleihen bei anderen Kirchen verändert und so nicht das Reformpotential dieser Vision in der Gegenwart genutzt zu haben. »It was the Presbyterian ­v ision of the seminary trained men, with the right theology, who will introduce this right theology to the churches by preaching and teaching and competently leading.«44 Offensichtlich ist Yoder hier der Meinung, dass der Reformimpuls von außen bzw. autoritär an die mennonitischen Gemeinden herangetragen wird, aber nicht aus innergemeindlicher, vom göttlichen Geist durchwirkter Kommunikation erwächst. Mit der Berufung auf die täuferischen Gründerväter ist es nicht getan. »Even a concentration of study on the history is itself a Presbyterian kind of approach. To find your identity in your founders, in your history, in original Anabaptism, is itself already a reformation stancel and not a radical free church stance.«45 Der Rückverweis auf den täuferischen Ursprung wird von den 43 John H. Yoder, Anabaptist Vision and Mennonite Reality, in: A. J. Klassen (Hg.), Consultation on Anabaptist-Mennonite Theology, Fresna, CA, 1970, 4. Kritisch zu diesem Aufsatz: John D. Roth, Living Between the Times. »Anabaptist Vision and Mennonite Reality« Revisited. In: Mennonite Quarterly Review 69, 1995, 323–335. 44 John Howard Yoder, Anabaptist Vision and Mennonite Reality, 26. 45 Ebd., 26.

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inzwischen erworbenen Gemeinde­strukturen absorbiert und um seine Wirkung gebracht. Die Gemeinden sind weit entfernt von einer »voluntary« und »missionary community«, sie sind immer noch ein »kleines Corpus Christianum«, wie Yoder sagt, »in our fundamental structures incompatible with it (the Ana­baptist vision)«.46 Nicht mit dem Rückverweis auf die frühen Täufer ist der Normativität des Täufertums Genüge getan, sondern mit einer Veränderung der Gemeinden aus dem Geist des Täufertums, der sich am »model of Jesus«47 bzw. an der Gemeinde des Neuen Testaments orientiert und allen strukturellen Anleihen anderswo eine Abfuhr erteilt hat. Normativ am Täufertum ist also, dass es in seiner gemeindlichen Existenz dem Ruf Jesu gefolgt ist. Hier zeigt sich ein Problem, dessen sich Yoder nicht recht bewusst geworden ist: Er knüpft die Normativität, die ja sowohl im Neuen Testament als auch im Täufertum eine konkrete Gestalt gefunden hatte, also auch historisch zu erfassen sein muss, im Grunde an das historische Urteil der Nachgeborenen. Doch ein solches Urteil ist eher hypothetischer als affirmativer ­Natur, es ist und bleibt umstritten und in höchstem Grade unsicher.48 Es ist nicht in der Lage, die Autorität einer Norm, und sei es auch einer vom »model of Jesus« abgeleiteten, für sich zu beanspruchen. Was allgemein im Hinblick auf die Theologie gilt, die das Modell des historischen Jesus expliziert, gilt auch für das frühe Schweizer Täufertum, das zur normativen Gestalt des Täufertums im 16. Jahrhundert erklärt wird. Yoder meint nicht, dass diesem Täufertum nachträglich Normativität zugesprochen wird, sondern dass diese Normativität eine historische Spur aus sich heraus hinterlassen hat: Es hat sich als normatives Täufertum, neben anderen, keinesfalls normativen Formen täuferischer Bewegungen, historisch entwickelt: von der Gründung der Gemeinde im ersten Vollzug der Glaubenstaufe im Januar 1525 in Zürich zur Brüderlichen Vereinigung in Schleitheim 1527. 46 Ebd., 25, 28. 47 Ebd., 23. 48 Hans-Jürgen Goertz, Unsichere Geschichte. Zur Theorie historischer Referentialität. Stuttgart 2001.

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­Darüber hinaus hat sich dieses Bekenntnis im Täufertum angeblich auch weiter durchgesetzt. Das ist ein historisches Urteil, und es ist damit zu rechnen, dass andere Historiker das anders sehen und dass sie das tatsächlich auch anders gesehen haben. So kam beispielsweise C. Arnold Snyder zu folgendem Ergebnis: »Thus to posit a general influence of Schleitheim on the Anabaptist movement as a whole is to ignore the evidence arguing for widespread rejection of key Schleitheim teachings among the South German and Melchiorite Anabaptist branches.«49 Überhaupt wurde mit der These vom polygenetischen Ursprung des Täufertums die Suche nach einem »eigentlichen«, d. h. normativen Täufertum ungemein erschwert, wenn nicht sogar für aussichtslos erklärt. Schließlich ist eine neue Einschätzung der Rolle, die Balthasar Hubmaier im frühen Schweizer Täufertum spielte, von Arnold Snyder vorgeschlagen und ausführlich begründet worden. ­Yoder hatte diesen Täufertheologen aus dem normativen Täufertum aussortiert, während Snyder ihm eine entscheidende Bedeutung für die Formationsjahre des Täufertums in der Schweiz zuschreibt.50 Diese Beispiele genügen, um das Urteil, die Grebel-Sattler-Linie sei der Inbegriff des normativen Täufertums, das sich schließlich mehr oder weniger durchgesetzt hat, zu problematisieren oder zu erschüttern. Yoder ist einer Auseinandersetzung mit der nachfolgenden Forschung, wie bereits angedeutet wurde, bewusst aus dem Weg gegangen  – bis auf erste Reaktionen auf Robert Waltons Kritik an der These, dass nicht die Täufer, sondern Zwingli einen Wende­punkt in der frühen Reformationsentwicklung herbeigeführt habe, auf Klaus Deppermanns Einwände gegen die Deutung der Brüderlichen Vereinigung von Schleitheim und auf James M. Stayers revisionistische Interpretation des Verhältnisses der 49 C. Arnold Snyder, The Influence of the Schleitheim Articles on the Anabaptist Movement: An Historical Evaluation, in: Mennonite Quarterly Review 63, 1989, 343. 50 C. Arnold Snyder, Swiss Anabaptism: The Beginnings, 1521–1525, in: John D. Roth/James M. Stayer (Hg.), A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 45–81. Ders., The Birth and Evolution of Swiss Anabaptism 1520–1530, in: Mennonite Quarterly Review 80, 2006, 501–644.

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Täufer zur obrigkeitlichen Schwertgewalt.51 Doch er hat sich, wie seinen Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution (1983), Skripten für die Lehrveranstaltungen zu Krieg, Frieden und Revolution am Goshen College, zu entnehmen ist, von dieser Kritik nicht unbeeindruckt gezeigt. In seiner Nacherzählung der frühen Reformationsereignisse in Zürich (»by way of narrative«) hat er Veränderungen an seinen beiden Täuferbüchern – allerdings stillschweigend – vorgenommen. Darauf hat kürzlich C. Arnold Snyder in der Einleitung zur englischen Übersetzung dieser Bücher hingewiesen.52 Yoder hat jetzt die regionalen Unterschiede im Täufertum beachtet und vor allem die Überschneidungen im scheizerischen und oberdeutschen Täufertum berücksichtigt, aber doch auch die deutlich erkennbaren Eigenarten angesprochen. Damit hat er sich nicht schon die Polygenesis-These zu eigen gemacht, aber sich doch in ihre Nähe bewegt. Thomas Müntzer und der Bauernkrieg werden enger an das frühe Täufertum herangerückt und nicht wie bei Harold S. Bender brüsk abgewiesen oder aus weiteren Überlegungen zum Täufertum ausgeschieden. Müntzer wird als Ansprechpartner des Grebelkreises im Ringen um den richtigen Weg zur Reformation gewürdigt; und die Bauern in ihrem Aufbegehren gegen die weltlichen Obrigkeiten in derselben Frontstellung wie die frühen Täufer gesehen. Im Täufertum ist die Auseinandersetzung um den Gebrauch und die Ablehnung der Schwertgewalt noch nicht abgeschlossen, beide Positionen stehen bei denen, die die neue Praxis der Taufe vereint, noch nebeneinander. In Schleitheim sind die Befür­worter der obrigkeitlichen Schwertgewalt nicht anwesend, so dass es nicht der 51 John Howard Yoder, The Evolution of the Zwinglian Reformation, in: Mennonite Quarterly Review 43, 1968, 95–122; John Howard Yoder, Der Kristallisationspunkt des Täufertums, in: Mennonitische Geschichtsblätter 1972, 35–47; s. auch Klaus Deppermann/John Howard Yoder, Ein Briefwechsel über die Bedeutung des Schleitheimer Bekenntnisses, in: Mennonitische Geschichtsblätter, 1973, 42–52; John Howard Yoder, Anabaptists and the Sword Revisited: Systematic Historiography and Undogmatic Nonresistants, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 85, 2, 1974, 126–139. 52 John Howard Yoder, Anabaptism and Reformation in Switzerland, S. xxxviii.

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konkrete Dialog war, der zu Entscheidungen gegen den Gewaltgebrauch geführt hat, wohl aber waren es die Ir­ritationen und Verunsicherungen der Anwesenden über den weiteren Weg ihrer Reformation, die miteinander besprochen wurden und in einem Konsens zu einer eindeutigen Ablehnung von Gewalt und Teilnahme an obrigkeitlichen Ämtern geführt haben. Schließlich hat Yoder sich zurückhaltender zur Frage nach der Normativität des frühen Täufertums für die Theologie in der Gegenwart geäußert. Das Täufertum wird nicht als Norm betrachtet, die über die Identität christlicher Existenz entscheidet und wacht53, sondern als ein Modell, in dem die biblischen Forderungen verwirklicht wurden und das als solches in der eigenen theologischen Arbeit bedacht werden muss. Norm ist das Leben Jesu, Yoder spricht zwar von dem »model of Jesus«, aber gleichzeitig auch von »the normativeness of the model of Jesus«54. In Täufertum und Reformation im Gespräch (1968) hieß es schon, »dass der irdische Weg des Menschen Jesus für den Gehorsam eines jeden Christen maßgebend sein soll.«55 Jesus ist, wie er gelebt hat, Norm, das Täufertum ist eine spätere vorbildliche Verwirklichung dieser Norm. Diese Abmilderung, dass das Täufertum nur ein Modell sei, ergibt sich für Yoder als Konsequenz, die er aus der Beobachtung zieht, dass im frühen Täufertum noch Gewaltbereite und Friedfertige nebeneinander am Werk waren bzw. das frühe Täufertum noch keine »Einheit« darstellte.56 Im Begriff des Modells impliziert nicht notwendigerweise theologische Verbindlichkeit, das Modell zeigt, wie etwas gestaltet werden könnte, aber nicht um des Heils willen gestaltet werden muss. Vielleicht hat Yoder gemeint, dass es im Fahrwasser der Theologie Karl Barths unangemessen sei, heilsnotwendige Normativität an eine von Menschen gestaltete Institution zu binden, da das Heil einzig und allein in der Of53 John Howard Yoder, Anabaptist Vision and Mennonite Reality, 26: »To find your identity in your founders, in your history, in original Anabaptism, is itself already a reformation stance and not a radical free church stance«. Vgl. dazu Mark Tiessen Nation, John Howard Yoder, 41 f. 54 John Howard Yoder, Christian Attidudes to War, Peace, and Revolution, (Kap. 10, 165–200), 186. 55 John Howard Yoder, Täufertum und Reformation im Gespräch, 187. 56 Ebd., 168.

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fenbarung Gottes und dem freien Walten des göttlichen Geistes begründet ist. Doch so wie Yoder hier argumentiert, verwischt er letztlich die Grenze zwischen Norm und Modell, so dass norma normata schnell zur norma normans aufgeladen werden kann. Es ist nicht das frühe Täufertum allgemein, das als normativ zu gelten hat, wohl aber gibt es in diesem Täufertum eine Gruppe, die mit ihrem Verzicht auf Gewalt der in Jesus verkörperten Normativität eines christlichen Lebens gefolgt ist. Im Umkehrschluss muss das heißen: Wer nicht bereit ist, Jesus zu folgen, kann nicht ein Glied am Leib Christi sein. Das ist der Sinn des Dualismus, wie er in den Schleitheimer Artikeln formuliert wurde. Mit dieser Argumentation hat Yoder die Gründe für die Kritik an seiner theologisch aufgeladenen Interpretation des frühen Täufertums abgemildert und darauf hingewiesen, dass es nicht der Rekurs auf die eigenen konfessionellen Anfänge ist, der über die Rechtmäßigkeit des christlichen Lebens entscheidet, sondern der Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes und dem Wirken des Heiligen Geistes heute. Im Grunde hat sich aber nicht viel gegenüber der früheren Rede vom normativen Täufertum geändert – eigentlich nur, dass es nicht das frühe Täufertum insgesamt ist, das einen Maßstab für eine Reform der Kirche darstellt, sondern nur das friedfertige Täufertum der Grebel-Sattler-Linie. Die Grenze zwischen Norm und Modell ist nicht genau genug gezogen worden. Letztlich entspringt das Problem der Normativität, wie Yoder es diskutiert, seinem dezidierten Verständnis von Geschichte. Geschichte wird von ihm nicht so verstanden, wie das in der allgemeinen Geschichtswissenschaft geschieht, sondern theologisch bzw. christologisch. In einem seiner letzten Aufsätze mit dem Titel Historiography as a Ministry to Renewal (1997) hat er die Bedeutung der Inkarnation Jesu so gedeutet: »that in the concrete historical reality of the life and death and rising of Jesus, the otherwise invisible God hat been made known normatively (…). It follow(s) that it must be in the language of concrete history that from then on truth must be communicated, and validated«.57 57 John Howard Yoder, Historiography as a Ministry to Renewal, in: David B. Eller (Hg.), From Age to Age: Historians and the Modern Church, Brethren Life and Thought 43, 3 und 4, 1997, 216.

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Yoder lässt keinen Zweifel daran, dass die »Aufgabe des Historikers« eine »christologische Aufgabe« sei. Eine solche Aufgabe kann also nur von einem Theologen wahrgenommen werden und nicht von einem Allgemeinhistoriker, der nicht in der Kirche Jesu Christi verwurzelt und nicht ihrer Ordnung verpflichtet ist. Die Geschichte, mit der sich der Allgemeinhistoriker befasst, ist nicht die Geschichte, in der Gott durch Jesus Christus wirksam ist. Diese erschließt sich nur demjenigen, der im Gehorsam des Glaubens Jesus nachfolgt. Unter Hinweis auf diesen Aufsatz hat J. Alexander Sider kürzlich unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, dass es Yoder um »history as theology« gegangen sei, »nicht eigentlich um Geschichte im Dienst der Theologie, sondern um das Erzählen von Geschichte als einem theo­ logischen Unternehmen aus eigenem Recht«58. Yoders Umgang mit Geschichte setzt einen doppelten Begriff von Geschichte voraus: Eine Geschichte, die auf Grund der Inkarnation Gottes in Jesus eine Geschichte in Gang setzt, die sich ontologisch von der Geschichte der gefallenen Schöpfung unterscheidet und die sich »in der Vollkommenheit Christi« vollzieht. Das eine ist eine Geschichte, die jetzt schon im »neuen Äon« abläuft und von dem Christusereignis her interpretiert wird (z. B. die Geschichte des Volkes Gottes, die mit Abraham beginnt)59, das andere ist die Geschichte im »alten Äon«. Dieser Geschichte konnte Yoder gelegentlich auch den Charakter von Geschichte überhaupt absprechen – sie sei nicht Geschichte, sondern Chaos. Im Grunde war das nicht eine Überzeugung, die sich Yoder erst am Ende seines Lebens einstellte, sondern von Anfang an auch seine Täuferstudien leitete und die Abkehr von der Täuferforschung deshalb auch nicht als einen Bruch in seinem Denken erscheinen lässt. Earl Zimmermann hat darauf hingewiesen, dass Yoder eigentlich nur zur historischen Arbeit am Täufertum gekommen sei, 58 J. Alexander Sider, Constantine and the Myths of the Fall of the Church: An Anabaptist View, in: Mennonite Quarterly Review 85, 631. – Siehe auch ders., To see History Doxologically: History and Holiness in John Howard Yoder’s Ecclesiology, Grand Rapids, Mich., 2011. 59 John C. Nugent, A Yoderian Rejoinder to Peter Leithart’s Defending Constantine, in: Mennonite Quarterly Review 2011, 557 f.

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weil er an einer europäischen Universität keinerlei Möglichkeit sah, eine theologische Dissertation aus dem Geist des Täufertums zu schreiben. So versuchte er mit einer Dissertation über die Entstehungsgeschichte des Täufertums in der Schweiz, sich den Forderungen einer evangelischen Fakultät zu beugen, im Grunde aber hat er das historische Täufertum als Brunnenstube der Theologie heute beschrieben: »In this way, he was able at least partly to work around the barrier to his desire to do a theolo­gical dissertation.«60 Wichtig ist, dass Yoder das frühe Täufertum in Täufertum und Reformation im Gespräch nicht als eine fest gefügte, kohärente Gemeinschaft beschreibt61, sondern mehr als eine Bewegung, in der noch unterschiedliche, kaum miteinander zu vereinbarende Positionen im Streit liegen oder im Gespräch sind, einen Ausweg aus einer zerrissenen Reformationssituation zu finden. Im frühen Täufertum ist also noch alles im Fluss.62 Noch ist die endgültige Gestalt des Täufertums nicht gefunden. Sie stellt sich für Y ­ oder erst um 1540 ein, nachdem der Anspruch der gewalt­ bereiten Täufer erloschen ist und die friedfertigen Täufer allein zurückgeblieben sind. Abgesehen davon, dass es historisch wohl zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu einer gleichförmigen Ge­meinschaft der Täufer in der Schweiz, in Mähren und in den Niederlanden gekommen ist, fehlt dem Bewegungsbegriff Y ­ oders doch ein entscheidendes Moment. Reformatorische Bewegung ist eine gemeinschaftliche Form der Agitation, in der tatsächlich noch alles im Werden ist, über religiöse Inhalte, soziale Kritik, strategische Richtung und Reformziele noch verhandelt wird. Reformatorische Bewegung ist noch nicht verwirklichte Reformation. In dieser Bewegung ist Vielfalt und Heterogenität am Werk, aus einer Bewegung entstehen mehrere Bewegungen, sie 60 Earl Zimmermann, Practicing the Politics of Jesus, 141. 61 John Howard Yoder, Täufertum und Reformation im Gespräch, 180. 62 Selbst Thomas Müntzer wird später noch von Yoder ein Mitspracherecht bei der Entstehung des Täufertums zugestanden. Das geht über das eigene Urteil in: John Howard Yoder, Täufertum und Reformation im Gespräch (Register), und Harold S.  Bender weit hinaus: John ­Howard Yoder, Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 178 f.

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verändern und korrigieren sich gegenseitig, sie überlappen sich, sie trennen sich voneinander und gehen verschiedene Wege. Sie können sich auch gegeneinander richten. So ist es wohl nicht unangemessen, von einer Bewegungsvielfalt in der frühen Reformationszeit zu sprechen – einer noch nicht eingelösten Forderung nach Reformation.63 Was schließlich entsteht, ist am Anfang und mittendrin noch nicht sichtbar, sondern erst, wenn eine Bewegung ihr Ziel erreicht hat und die Gestalt einer rechtlich begründeten Institution (evangelische Landeskirchen) oder eine konfessionelle Gestalt geduldeter Gemeinden (Täufer) annimmt. Das lässt auf die theologische Forderung nach der Sichtbarkeit der Gemeinde, wie sie im frühen Täufertum eingelöst worden sein soll, ein bedenkliches Licht fallen. Auf den ersten Blick sieht es zwar so aus, als würde Yoder sich diesem Modell einer Bewegung mit offenem Ausgang verpflichtet wissen, wenn er meint, dass im Laufe der frühen Erfahrungen und Auseinandersetzungen erst allmählich das friedfertige Täufertum zu einer reifen Gestalt gelangt sei. Doch genau betrachtet ist dieses Täufertum bei Yoder nicht etwas Neues und ganz Anderes, das in diesem Bewegungsprozess schließlich entstanden ist, sondern etwas, das von Anfang an, ja auch zuerst schon da und allenthalben sichtbar war. Was den Eindruck der Vielfalt im frühen Täufertum erweckt, müsste nach Yoder erst noch hinzugekommen sein, nachdem sich das friedfertige Täufertum in der Schweiz bereits in Ansätzen ausgebildet hatte. Auch in Münster ging es zunächst friedfertig zu, das ist Yoder sehr wichtig, bevor alles in ein apokalyptisches Furioso umschlug.64 So treten Menschen hinzu, die vom Geist der mittelalterlichen Mystik ergriffen worden waren, oder solche, die aus der Tradition der spätmittelalterlichen Apokalyptik geschöpft haben, oder wie Balthasar Hubmaier ein immer noch von der katholischen Theologie bestimmtes Denken weitertrug.65 63 Hans-Jürgen Goertz, Eine »bewegte« Epoche. Zur Heterogenität reformatorischer Bewegungen, in: ders., Radikalität der Reformation, 23–53. 64 John Howard Yoder, Christian Attitudes, 194. 65 Ebd., 190. Im Grunde folgt Yoder hier einem Argumentationsmuster, das er schon vorher eingesetzt hat, um den täuferischen Identitätsverlust der nordamerikanischen Mennoniten (Mennonite Church) zu diagnostizieren. Die ursprüngliche Identität wurde verändert oder zer-

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Im Anschluss an die These vom polygenetischen Täufertum wäre es wohl konsequent, nicht von einer schon seit den Anfängen kohärenten Theologie der Täufer zu sprechen, sondern von Fragmenten täuferischer Theologie, deren Impulse hier und dort aufgenommen und unter den Täufern oder zwischen Täufern und Reformatoren diskutiert wurden, von Impulsen, die über die Jahrhunderte hin fortgewirkt haben und sicherlich auch heute im ökumenischen Gespräch eine Rolle zu spielen vermögen. Historisch wäre es aber verfehlt zu behaupten, dass die Kohärenz des Täufertums durch das allmähliche Ausscheiden einst zum frühen Schweizer Täufertum hinzugetretener anderer Traditionselemente bewährt und verfestigt worden wäre. Allenfalls könnte gesagt werden, dass sich die ursprüngliche Tendenz zu einem Dualismus von Gemeinde und Welt verstärkt hat. Yoder spricht von einer »solidification of the polarization« durch apokalyptische Impulse, durch die besondere Inkarnationslehre Melchior Hoffmans, durch die verstärkte Verfolgung und das Abbrechen oder Erlöschen der Gespräche zwischen Täufern und Reformatoren. Darin sieht er keine Bestätigung oder Verdeutlichung des Dualismus, wie er in den Schleitheimer Artikeln ausgebildet worden war. »The dualism that we have in Schleitheim Article IV (»Separation from the abomination that the devil has planted in the world«) is not the fixed, firm and confident dualism of the ghetto or the community withdrawing to the desert. It is the tense missionary dualism representing in the midst of the world a position which the world cannot tolerate. It is expressed mostly in directly biblical language. The specific points at which we are called to be seperate from the world are precise, specific, i. e. items for which reason can be given one by one. There is no geographic isolation, withdrawal, emigration. There is no systematic exclusion of whole blocs of culture. Certain specific things »which the devil has planted in the world«, we are not to do. So this is a pragmatic, biblical, occasionalistic separation.«66 Die Suche nach einer setzt, indem Anleihen aus jeweils anderen zeitgenössischen kirchlichen Entwicklungen vorgenommen wurden (John Howard Yoder, Anabaptist Vision and Mennonite Reality, 1970, 15). 66 John Howard Yoder, Christian Attitudes, 193.

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Theologie des historischen Täufertums steckt noch in den Anfängen, während es schon seit einiger Zeit respektable Entwürfe einer Theologie heute gibt, die aus dem Geist des Täufertums schöpfen.67

67 Vgl. die Selbstdarstellungen mennonitischer Theologen in: Menno­ nitische Geschichtsblätter 2006, 9–145; vgl. auch Art. »Theologie« von Hans-Jürgen Goertz, Pieter Post und Marlin Jeschke, in: Mennoni­ tisches Lexikon, Bd. 5, 2011: www.mennlex.de.

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III. Die Einheit der Kirchen Seit ihrem Auftreten galten die Täufer Jahrhunderte lang als Unruhestifter und als Abtrünnige vom rechten Glauben der Kirche, der römisch katholischen Kirche wie den protestantischen Kirchen. Die Täufer wurden als Ketzer und Aufrührer verfolgt. Die Gefahr, die von ihnen ausging, schien für Ruhe, Ordnung und Einheit des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation so groß gewesen zu sein, dass die katholischen und evangelischen Reichsstände gemeinsam gegen die Täufer rechtlich vorgingen und deren Aktivitäten mit dem so genannten Wiedertäufermandat des Zweiten Speyerer Reichstags 1529 unter Strafe stellten, im Extremfall auch mit der Todesstrafe ahndeten. Die Täufer taten wenig, um den Verdacht zu entkräften, sie würden Streit suchen und sich von einer Praxis trennen, die ein einigendes Band der Zugehörigkeit zum Corpus Christianum, dem kirchlichwelt­lichen Gemeinwesen darstellte: von der Säuglingstaufe. John Howard Yoder hat den Spieß umgedreht und in den Täufern die Bewahrer der christlichen Einheit, ja, die »veritable proponents of ecumenical Christianity« gesehen. Separatisten waren nicht die Täufer, sondern die Kirchen, die sich von den weltlichen Obrigkeiten fördern und stützen ließen. »If, with the New Testament, we understand the unitiy of the church as  a universal bond of faith, we can understand that the real sectarianism, in the biblical sense of unchristian divisiveness, was the formation of churches bound to the state and identified with the nation.«1 Ihnen ging es um die Einheit des »Leibes Christi«, der in ihren Gemeinden eine sichtbare Gestalt angenommen hatte. Diese Einheit trat nicht erst ins Bewusstsein der Gemeindeglieder, als sich Spaltungen und Trennungen unter ihnen ankündigten oder vollzogen, diese Einheit war vielmehr der Ausdruck der göttlichen Zusage, dass alle 1 John Howard Yoder, The Royal Priesthood. Essays Ecclesiological and Ecumenical. Hg. von Michael G. Cartwright, Scottdale, PA, 1998, 156.

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eins seien in Christo (Röm 12, 5). Wenn Yoder von dem »Imperativ der christlichen Einheit« sprach, dann war das ein Imperativ, dem der Indikativ christlicher Einheit bereits zu Grunde lag. »The unity of Christians is a theological imperative first of all in the sense that its reasons arise out of the basic truth commitments of the gospel and the church’s intrinsic mission.«2 Das ist eine Einheit, die letztlich in der Einheit zwischen Gott und Christus gründet (Joh 17), die es im Chaos der »Welt« nicht geben und die ihren Ursprung nicht in den Anstrengungen der Menschen haben kann. So gesehen stehen die Täufer auf der Grundlage reformatorischer Heilserkenntnis und sehen in der biblischen Forderung, die Einheit des Leibes Christi zu wahren, nichts anderes, als ein Geschenk Gottes in dankbarem Gehorsam anzunehmen. Zu den Problemen, die Einheit der Gemeinde zu Korinth zu wahren, schreibt Yoder: »Christian unity is not to be created, but to be obeyed.«3 John H.  Yoder hat seine Forschungen zum schweizerischen Täufertum von Anfang an mit der Frage nach der Einheit der Kirchen verknüpft, wie sie sich ihm in zahlreichen Gesprächen stellte, die er und die Concern-Gruppe mit Vertretern der Friedenskirchen, des Internationalen Versöhnungsbundes, evangelischer Bruderschaftskreise und ökumenischer Einrichtungen führten. Die Dringlichkeit des ökumenischen Imperativs hat ihn sicherlich dazu bewogen, die Entstehungsgeschichte des Täufertums unter ökumenischen Gesichtspunkten zu betrachten und seiner mennonitischen Kirche mit Hilfe ihres täuferischen Ursprungs nahezulegen, sich der ökumenischen Bewegung zu öffnen. Gleichzeitig hat er sich bemüht, die Beratungen um die Einheit der Kirchen mit konstruktiven Impulsen aus dem Gemeindeverständnis der Täufer zu versorgen. Zunächst geschah das noch in enger Anlehnung an historische Beispiele, wie in The 2 Ebd., 291. 3 John Howard Yoder, The Ecumenical Movement and the Faithful Church, 21.  Dieser Satz wird richtig verstanden, wenn bedacht wird, dass Yoder im Gehorsam der Nachfolge Christi einen Ausdruck des Heils selbst sieht. Einheit wird also nicht von Menschen geschaffen, sondern ist eine Gabe Gottes (s. u. 55, Anm. 124).

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Ecumenical Movement and the Faithful Church (1958), dann aber verselbstständigten sich die historischen Impulse und nahmen immer mehr den Charakter systematisch-theologischer Argumente an. Das zeigt sich sehr deutlich in den Beiträgen, die in die Aufsatzsammlung The Royal Priesthood (1994/1998) aufgenommen wurden. Sie umspannen sein gesamtes Schaffen. Die Frage nach der Einheit der Kirche hat sich Yoder von Anfang an in doppelter Hinsicht gestellt: einmal als Antwort auf Defizite an ökumenischer Aufgeschlossenheit in der eigenen Kirche (vor allem der Mennonite Church in den USA) und zum anderen als kritische Anfrage an die Beratungen über Konzeption, M ­ ethode und Ziel der Gespräche um die Einheit der Kirche in verschiedenen Gremien und Institutionen der ökume­nischen Bewegung. 1. In The Ecumenical Movement and the Faithful Church beschäftigt sich Yoder mit dem Problem, das sich den Gemeinden in der Tradition des Täufertums mit der ökumenischen Be­ wegung stellt. Manche Gemeinden in Nordamerika haben sich auf die eine oder andere Form ökumenischer Gespräche oder Kooperationen eingelassen, andere Gemeinden haben die Tendenz zur Errichtung einer Superkirche verurteilt und vor einer Be­teiligung an ökumenischen Zusammenkünften oder Vereinigungen gewarnt. Insgesamt schien die Situation unter den Mennoniten in Nordamerika ungeklärt zu sein. Dem Ökumenischen Rat der Kirchen hat sich keine der nordamerikanischen Mennonitenkonferenzen bisher angeschlossen. So entschloss sich ­Yoder, zunächst über die Bemühungen um die Einheit der Kirchen in der ökumenischen Bewegung zu informieren: sowohl über die historischen Wurzeln dieser Bemühungen als auch über die konkreten Vorschläge, Trennungen zwischen den Kirchen zu überwinden, und schließlich über die organisatorischen Versuche, Gespräche oder gemeinsame Aktivitäten in der Praxis zu institutionalisieren. Dieser Bericht, der ausgesprochen kritisch ausgefallen ist, endet mit dem Urteil, dass es weder den Kirchen von den ökumenischen Konzilen bis ins 19.  Jahrhundert noch den Gesprächsansätzen und Organisationen innerhalb der ökumenischen Bewegung seit dem letzten Jahrhundert gelungen sei, auf 59 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

den biblischen Imperativ befriedigend zu antworten, die Einheit der Kirche zu wahren oder wiederherzustellen, wo es zu Trennungen gekommen war. Am wenigsten erfolgreich waren diese Bemühungen, wo die Macht der weltlichen Obrigkeit genutzt wurde, die Einheit der Kirche zu erhalten oder zu erzwingen. Der ökumenischen Bewegung, die 1948 in die Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Amsterdam eingemündet war, wird zwar eine gute Absicht nachgesagt, aber im Grunde doch ein Versagen auf der ganzen Linie bescheinigt. Im Anschluss an dieses negative Urteil stellt Yoder die Frage, ob die Täufer, die den weltlichen Obrigkeiten ein Mitspracherecht in der Kirche bestritten und im Untergrund oder am Rande der Gesellschaft zu überleben versuchten, denn nicht eine bessere Antwort auf die Frage nach der Einheit der Kirche gegeben hätten als die Kirchen, die später in der ökumenischen Bewegung den Ton angeben sollten. Das Kriterium, an dem Erfolg oder Misserfolg gemessen wurde, hatte Yoder bereits im Titel dieser Broschüre angedeutet: Ökumenische Bewegung und Glaubensgehorsam der Kirche (»Faithful Church«). Damit wollte er sagen, dass die Einheit der Kirche nicht entsteht, wenn die Kirchenführer einander mit Wohlwollen und gegenseitigem Verständnis begegnen, sich gegenseitig über ihre jeweiligen Lehrunterschiede informieren und nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner suchen, der sie zu manchen Fragen von öffentlichem Interesse mit einer Stimme reden lässt oder zu gemeinsamem Handeln ermuntert. Die Einheit, die biblisch geboten ist, kann seiner Meinung nach nur bewahrt und gefördert werden, wenn sie aus der Kirche entspringt, die im Gehorsam ihrem Herrn Jesus Christus nachfolgt und Differenzen nach einem mühevollen Prozess der Versöhnung hinter sich lässt. Was für die glaubensgehorsame Gemeinde gilt, ist auch für die Bemühungen um eine Beseitigung kirchentrennender Lehre und Praxis gültig. Es darf nicht der einfache Weg beschritten werden, solche Differenzen kleinzureden, es muss auch hier einander zugemutet werden, sich einem Prozess gegenseitiger Ermahnung auszusetzen, der zur Versöhnung führt. Mark Thiessen Nation, der Biograph Yoders, sprach von einer »reconciling admonition«4. 4 Mark Thiessen Nation, John Howard Yoder, 97.

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So wird die Einheit der Kirchen in einer »faithful church«, einer jetzt schon gelebten brüderlichen Gemeinschaft in der Nachfolge Jesu entstehen. Sie wird auf dem Feld der Bewährung des Glaubens, der Praxis, eher als im Bereich der Lehre anzustreben sein. Vor diesem Kriterium haben alle großen Kirchen versagt, urteilte Yoder, einzig und allein den Täufern des reformatorischen Aufbruchs sei die Einsicht zugewachsen, in der versöhnten und um Versöhnung ringenden Gemeinde den Wurzelboden für die Einheitsbemühungen der Kirchen zu erkennen. So formuliert er auf herausfordernde Weise, dass es gute Gründe gebe, in den Täufern »the first ecumenical movement« nach den Gemeinden des Neuen Testaments zu sehen.5 Von Anfang an hätten die einstigen Schüler Ulrich Zwinglis sich bemüht, sich trotz abweichender Auffassungen über den Gang der Reformation nicht von der Kirche zu trennen, die Zwingli in Zürich anführte. »If there is a break within the church, between the unfaithful church and the faithful church, the initiative must come from the unfaithful side. God has taken the initiative to reconcile the world to Himself. If there is a break, it comes from the world’s refusal, not from God.«6 Auf keinen Fall darf die glaubensgehorsame Kirche es aufgeben, sich in Gesprächen und geordneten Verfahren der Kirchenzucht um die Ungehorsamen in den eigenen Reihen zu bemühen. Sie wird nicht darum herumkommen, ungehorsame Gemeindeglieder aus der kirchlichen Gemeinschaft auszuschließen, aber sie wird niemals die Initiative ergreifen, die Kirche zu verlassen, um ihres Glaubens in aller Abgeschiedenheit zu leben. Das ist die Schlussfolgerung, die Yoder aus seinen frühen Studien zum Täufertum in der Schweiz für die ökumenische Problematik seiner Tage zog. Auf den ersten Blick klingt dieses Urteil anmaßend, als ob das Bemühen um die Einheit der Kirchen, das in den großen Kirchen in Gang gekommen ist, theologisch kontraproduktiv gewesen sei und die Trennungen der Konfessionen eher gefestigt als überwunden habe. Um diesen Eindruck konfessioneller Arroganz zu vermeiden, hat Yoder auf unmissverständliche Weise zum Aus5 John Howard Yoder, The Ecumenical Movement, 33. 6 Ebd., 33.

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druck gebracht, dass auch die »faithful church« nicht vor Verfehlungen gefeit oder zumindest dass es den Mennoniten kaum gelungen sei, dem Anspruch der glaubensgehorsamen Kirche, wie zu erwarten gewesen wäre, gerecht zu werden. »No Biblical Christian can affirm that he, his congregation, or his ­broader brotherhood is fully faithful.«7 Am wenigsten sei das geschehen, wenn sie meinten, die Täufer hätten sich von der Kirche der Ungläubigen getrennt, um selber eine Kirche der Glaubenden errichten zu können. So sehr das Prinzip »break-to-be-faithful«8 von Mennoniten im Lauf der Zeiten genutzt wurde – im Grunde die Übernahme eines antitäuferischen Vorwurfs  –, um ihre eigene konfessionelle Existenz zu rechtfertigen, so wenig hatten sich die Täufer diesem Prinzip, wie Yoder in seiner Dissertation immer wieder gezeigt hat, verpflichtet. Im Gegenteil: »Alone among the churches of the Reformation, the Anabaptists refused to accept division as final and came back again and again to discuss.«9 Wenn es die Absicht der Broschüre The Ecume­nical Movement and the Faithful Church (1958) war, die Mennoniten davon zu überzeugen, sich an der ökumenischen Bewegung ihrer Tage konstruktiv zu beteiligen, dann verdankt sich das Bild vom Täufertum als der »ersten ökumenischen Bewegung« in der neueren Geschichte nicht eigentlich einem Anflug von konfes­ sioneller Arroganz, sondern dem Bedürfnis, den eigenen Mennonitengemeinden den Spiegel vorzuhalten, ihre ökumenische Unentschlossenheit oder Unsicherheit zu kritisieren und sie davon zu überzeugen, dass gerade sie von ihrer konfessionellen Herkunft her und ihrer Art, die Heilige Schrift ohne einen konfes­ sionell oder wissenschaftstheoretisch verengten Blick zu lesen, die besten Gründe hätten, sich nicht nur an den ökumenischen Gesprächen zu beteiligen, sondern in ihnen sogar voranzugehen. Die Täufer scheint Yoder von der Kritik auszunehmen, zumindest deren theoretische Einsicht in den ökumenischen Charakter der Gemeinde. Seinen eigenen Gemeinden redet er aber ins Gewissen und fordert sie dazu auf, dem Weg ihrer täuferischen 7 Ebd., 17. 8 Ebd., 31. 9 Ebd., 34.

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Väter zu folgen, den falsch Unterrichteten und Suchenden zu helfen und bereit zu sein, sich eventuell auch belehren zu lassen. »The question is whether, following the example of the New Testa­ment and the Anabaptists, we will give to misinformed and seeking believers the help they are looking for and which only the heirs of the Anabaptist tradition can give; and whether we will seek, as this tradition itself demands, whatever correction, admonition, and instruction may be received from the encounter with fellow confessors of the Lord’s name under the norm of Scripture and the guidance of His Spirit.«10 Die Normativität der Schrift hat Yoder im Sinne des »Biblischen Realismus« verstanden. Ist der biblische Text erst einmal nach exegetischer Arbeit in seiner Aussage gesichert, muss er verstanden werden, wie er dasteht. Das Neue Testament wird als eine Einheit gefasst, ist jedoch eine Einheit der Erzählung von Jesus »as opposed to a flat unity in which every text in every part of the Bible is to be read in exactly the same way as every other text«.11 Dass von Jesus erzählt wird, ist Sinn und Kriterium 10 Ebd., 43. 11 Craig A. Carter, The Politics of the Cross, 64 (s. 63, Anm. 10 eine Definition des Biblischen Realismus). Yoder selbst hat sich in seinem Vorwort zur 2. Auflage von The Politics of Jesus (1994) nur zögerlich und unbestimmt zu seinem Umgang mit der Heiligen Schrift geäußert. Einerseits legt er auf die Feststellung Wert, dass er sich die exegetische Forschungsarbeit seiner Zeit zunutze gemacht, aber nicht eigenständige Exegesen präsentiert habe, und andererseits sah er im »Biblischen Rea­ lismus« ein Konzept, das sich »aller Werkzeuge der literarischen und historischen Kritik bediente, ohne sich von der traditionellen Schulwissenschaft fesseln zu lassen oder zuzulassen, dass der Kirche die Schrift weggenommen wird« (4). Dabei verschweigt Yoder nicht, dass er einen selektiven, von systematischen Erwägungen bestimmten Gebrauch von den Ergebnissen der neutestamentlichen Wissenschaft gemacht hat. Vgl. zum Schriftverständnis auch: John Howard Yoder, To Hear the Word, Eugne, OR, 2001. Hier wird deutlich, wie sehr er sich dagegen sperrt, sein Schriftverständnis konzise auf den Begriff zu bringen. So ist er beispielsweise der Meinung, dass der Begriff »Biblical Realism« einst sinnvoll war, aber dass es inzwischen nicht ratsam sei, ihn weiterhin zu benutzen (125, Anm. 133). In To Hear the Word of God findet sich auch die instruktive, sehr persönliche Antwort auf die Kritik, die ­Yoder vor allem von seiten des Fundamentalismus und des theolo-

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aller biblischen Schriften. Im sogenannten Biblischen Realismus sieht Yoder »a commitment to a constant recourse to the entire testemony of the New Testament«; auch geht es darum, die Botschaft der Bibel »on its own terms« zu verstehen; so ist die freikirchliche Weise, das Neue Testament zu lesen, der wahrhaft ökumenische Umgang mit der Schrift.12 Yoder versucht alles zu vermeiden, was den Sinn der Schrift verstellen könnte bzw. sie nicht so aufnimmt, wie sie selbst sich versteht. So lehnt er jeden Interpretations­ansatz ab, der die Schrift subjektiven Erkenntnismöglichkeiten unterwirft, ihre Aussagen durch die Reflexion auf das menschliche Erkenntnisvermögen einschränkt oder die Autorität der Hei­ligen Schrift durch eine Inspirationslehre gegen jeden Zweifel an der göttlichen Legitimität der biblischen Texte von vornherein sichert. Das eine ist im theologischen Liberalismus und das andere im Fundamentalismus seiner Meinung nach der Fall. Er schließt sich Paul Minear an und plädiert dafür, »to find a way to let the object of investigation dictate the method of interpretation«.13 Im Vollzug der Interpretation stellt sich also nach und nach die Methode ein, die sich als Weg erweist, die Schrift zu ver­ stehen, wie sie verstanden werden will. In ihren verschiedenen gischen Liberalismus widerfahren ist. Durchgängig ist das Argument, dass er sich in seinem Schriftgebrauch, wie er seiner Politics of Jesus zu Grunde liegt, von den Kritikern missverstanden fühlt: The Utility of Being Misunderstood, 47–70. Leider vermittelt Yoder den Anschein, dass Missverständnisse nicht an sich produktiv sind und neue Einsichten eröffnen können, sondern dass sie ihm die Chance bieten, sich selber auf sehr differenzierende Weise noch einmal zu erklären.   Problematisch ist nicht eigentlich die Weigerung Yoders, sich methodisch auf den Begriff bringen oder sich eindeutig verstehen zu lassen, problematisch ist die von ihm jeweils eingesetzte Exegese einzelner Bibelstellen für ihre systematische Verwendung. So müssten seine Aus­ sagen von Fall zu Fall im Lichte fachwissenschaftlicher Exegese eigentlich immer wieder neu diskutiert werden. Dafür wäre eine kritische Untersuchung zum Schriftgebrauch Yoders hilfreich. Eine solche Untersuchung steht allerdings noch aus. 12 John Howard Yoder, The Royal Priesthood, 238; ders., The Message of the Bible on It’s own Terms, in: Ders., To Hear the Word, 125–144. 13 John Howard Yoder, The Message of the Bible on It’s own Terms, 143.

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literarischen Gattungen wird in unterschiedlichen Situationen und kulturellen Bereichen in wechselnder Begrifflichkeit immer wieder von Jesus Christus erzählt. Seine Geschichte ist das Herzstück jeder neutestamentlichen Schrift. So sehr Yoder sich dafür einsetzt, die Schrift zu verstehen, wie sie verstanden werden will, ist das hermeneutische Problem damit aber nicht gelöst. Es geht doch nicht darum zu verstehen, wie der Autor des biblischen Textes seinen eigenen Text verstanden hat, sondern darum, wie derjenige verstehen kann, was der Autor verstanden hat bzw. zu verstehen geben will. Doch dessen kann sich niemand sicher sein, da zwischen der Intention eines Autors und dem sprachlichen Ausdruck, den dieser fand, grundsätzlich eine Differenz besteht. Es ist immer nur der Ausdruck, der verstanden wird, nicht verstanden wird die Intention, die ihm zu Grunde liegt. Kein Autor weiss, ob er mit den sprachlichen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, tatsächlich getroffen hat, was er sagen wollte. Außerdem hat Yoder zu wenig darüber nachgedacht, dass der biblische Text in der jeweiligen geschichtlichen Situation des Rezipienten auf unterschiedliche Weise verstanden wird. Ohnmächtige lesen ihn anders als Mächtige, Beherrschte anders als Herrscher, Gläubige anders als Ungläubige. Nicht einmal die Differenz, wie Karl Barth sie zwischen dem Wort Gottes und der Heiligen Schrift annahm, wonach die Schrift nur das Echo, die Antwort oder die Bezeugung des göttlichen Wortes sei14, hat Yoder theologisch ausreichend in Rechnung gestellt. Der Konnex zwischen dem Wort Gottes, von dem Barth spricht, und dem Wort der Schrift ist bei Yoder enger als bei Barth. Es ist, als ob das Wort Gottes und das Wort der Schrift ineinander fielen, zumal sich, wie Yoder meint, im exegetischen Bemühen und im Gespräch der Gemeinde um das biblische Wort – und nicht schon vorher, wie im Fun­damentalismus de­ kretiert wird  – die Autorität dieses Wortes einstellt. Eigentlich kann das nur die Autorität des göttlichen Wortes selbst sein: »It is truely the action of God himself which is the founda­tion of our

14 Karl Barth, Einführung in die evangelische Theologie, Zürich 21963, 34–44.

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knowing about him«.15 Das bedeutet, dass Yoder in der Tätigkeit der Propheten und Apostel, den Autoren der Heiligen Schrift, Gott am Werk sieht und übersieht, dass das Wort Gottes, das den Menschen anspricht, etwas Anderes ist als die Bezeugung dieses Wortes durch den Menschen. Das gilt nicht erst für den Menschen, der die Heilige Schrift liest, sondern auch schon vorher für diejenigen, die sie geschrieben haben. Yoders Hermeneutik überfordert nicht nur die Möglich­keiten der biblischen Texte, sich von den Beschränkungen menschlicher Erkenntnis frei zu machen, sondern auch jeden Leser der Heiligen Schrift. Die Einheit des biblischen Kanons zu erkennen, ist genauso schwer, wie die Einheit der Kirchen anzustreben. Das Bedürfnis, seine eigene Kirche auf das ökumenische Gespräch einzustellen, hat Yoder auch später begleitet und ihn veranlasst, in Gemeindezeitschriften immer wieder für das ökume­ nische Engagement zu werben und von 1965 bis 1971 in dem Interchurch Relations Committee seiner Kirche besonders aktiv mitzuarbeiten.16 2. Yoder geht seiner Kirche mit gutem Beispiel voran und spricht nicht nur mit Vertretern anderer Kirchen, wenn es sich ergibt oder nicht vermeiden lässt, er sucht auch von sich aus das Gespräch und nutzt die Gelegenheiten, mit ihnen über den grundsätzlichen Charakter des Bemühens um die Einheit der Kirchen nachzudenken. Das zeigen die Aufsätze zu Ecumenical Per­spectives und zu Ecumenical Responses, die Michael G. Cartwright in The Royal Priesthood (1994/98) zusammengestellt hat.17 Die meisten dieser Aufsätze wurden vor einem nichtmennoni­ tischen Publikum gehalten und entfalten die Gedanken, die sich schon in der frühen Broschüre finden, in unterschiedlichen Situationen. Außerdem setzte er sich selber mit dem Wechsel seiner Lehrtätigkeit von einem mennonitischen Seminar an die katho­lische Universität Notre Dame in Indiana (1977–1997) einer 15 John Howard Yoder, The Message of the Bible on It’s own Terms, 132 f. 16 Mark Thiessen Nation, John Howard Yoder, 99. 17 John Howard Yoder, The Royal Priesthood, 1998, vor allem die Teile II und III.

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Situation aus, die ihn fortwährend nötigte, sich mit römischkatholischen Gesprächspartnern auseinanderzusetzen. In manchem, z. B. dass die Kirche in ihrer Sichtbarkeit die Einheit der Christen in der Welt repräsentiert, fühlte er sich der katho­lischen Theologie näher als den Theologen der evangelischen Kirchen, ebenso in der Frage nach der Bedeutung des irdischen Jesus für die Sozialethik der Kirche.18 Immer wieder war Yoder auch als Beobachter, Berater und Redner auf ökumenischen Konferenzen, besonders auch des Ökumenischen Rates der Kirchen, anzutreffen. Wie Cartwright zu Recht feststellt, folgt Yoder seinem eigenen Ansatz von der Unfertigkeit der »faithfull Church« und versucht, diese Kirche mit Partnern, die sich auf ihre Weise der Einheit der Kirche verpflichtet haben, zu jeweils anderen Zeiten, an anderen Orten und in wechselnden Situationen im nie en­ denden und immer wieder neu einsetzenden Gespräch sichtbar werden zu lassen – solange die Gemeinde Christi auf dem Weg zu ihrer Vollendung im Reich Gottes ist.19 Auf Augenhöhe mit den Gesprächspartnern aus anderen Kirchen wirbt Yoder für die Einheit der Kirchen, wie sie in einem bestimmten, nur in täuferischen Traditionen gepflegten Kirchenverständnis, nämlich der »faithfull church«, verankert ist, ja, sich in konkretem Vollzug des Gemeindelebens immer wieder Ausdruck verschafft, über die Grenzen lokaler und konfes­ sionell fixierter Gemeinden hinausgreift und alle einschließt, die auf das Versöhnungswerk Gottes in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi antworten und daraus für sich und ihre Beziehungen zu allen Mitchristen praktische Konsequenzen ziehen. Sicherlich war diese enge Verknüpfung der ökumenischen Frage mit der Ekklesiologie partikularer Traditionen für zahlreiche Gesprächspartner ungewohnt, gleichzeitig aber bestach sie auch durch eine faszinierende Konsequenz. So wurden Y ­ oders Überlegungen zur Einheit der Kirche – wenn auch nicht mit offener Begeisterung  – gewöhnlich als ein Alternativkonzept zu 18 Vgl. Stanley Hauerwas, Rez. von John Howard Yoder, The Politics of Jesus, in: Christian Century, Okt. 1993 (In: Ted Grimsrud, Peace Theology: http://peacetheology.net/anabaptist-convictions/hauerwas-on-jhy/, 3). 19 Ebd., 41 (Introduction).

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den langwierigen Diskussionen um den Charakter kirchlicher Einheit und den Weg, Trennungen zu überwinden und Einheit zu erreichen, begrüßt und diskutiert, vor allem dort, wo die Einsicht wuchs, dass die gegenseitige Erläuterung der eigenen Lehranschauungen und -traditionen keinen rechten Fortschritt in den Bemühungen um kirchliche Einheit brachten, sondern die Trennungen gelegentlich noch verschärften. Begrüßt wurden ­Yoders Überlegungen auch dort, wo auf die Konvergenz unterschiedlicher Glaubensvorstellungen und ekklesiologischer Konzepte gesetzt und Hoffnung auf eine Bewegung aufeinander zu geweckt wurde, eine konkrete Annäherung aber zu weit in die Zukunft hinausgeschoben worden war, als dass sie jetzt schon in der Lage gewesen wäre, die Kirchen aus der Verkapselung ihrer jeweils eigenen konfessionellen Identität ausbrechen zu lassen. Am ehesten kam die Strategie eines konziliaren Verständigungsprozesses dem Modell Yoders nahe, in dem die theologische Qualität des Gesprächs erkannt worden war – des Gesprächs, in dem Gemeinde entsteht und sich erhält. Solange aber dieser Verständigungsprozess von Vertretern der Kirchenleitungen oder der Kirchenhierarchie maßgeblich geführt wurde, fehlte dem Gespräch seine Verankerung im konkreten Leben der Gemeinde. Im übrigen war Yoder der Meinung, dass es verfehlt sei, mit der Diskussion strittiger Lehrstücke zu beginnen und davon Fortschritte zu erwarten, sondern dass der Einstieg in der Praxis der Gemeinde gesucht werden müsse. Nicht die Lehre, wohl aber die Praxis sei »the most important test of faith«20, das aber bedeutete: »Unity does not mean that we approve of the present belief and behavior of another Christian; it means that we lay upon him the claims which Christ lays upon those who confess His name; we ask of him Christian obedience, Biblical baptism, separation from the world, and the rest of what the Gospel implies.«21 Damit wird von den Gesprächspartnern aus anderen Kirchen erwartet, sich der Tradition der Freikirche zu öffnen, mehr noch, aus der eigenen, an Lehre, Bekenntnis und Predigt orientierter Tradition auszusteigen. In seinem wohl wichtigsten Aufsatz zur 20 John Howard Yoder, The Ecumenical Movement, 40. 21 Ebd., 36.

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Ekklesiologie, der schon früh unter dem barthianisch anmutenden Titel The Otherness of the Church (1959) erschien, hat ­Yoder die staatskirchliche Tradition, auch die Nachwirkungen des »konstantinischen« Erbes in feinen Verästelungen großkirchlicher Predigt, Öffentlichkeitsarbeit und instituioneller Strukturen einer abweisenden Kritik unterzogen und den steilen Satz formuliert: »The true church is the free church«.22 Auch wenn ­Yoder seine eigene Kirche und die freikirchliche Tradition, die von den Täufern freigesetzt wurde, ebenso einer harschen Kritik unterzogen hat, bleibt doch nicht zu übersehen, dass das täuferische Konzept einer »true ecumenical church« das Reservoir ist, aus dem Yoder Inhalt, Funktion und Strategie des Gesprächs bezieht. Wohl wird beklagt, dass dieses Konzept trotz besseren Wissens nicht immer verwirklicht wurde, das Konzept selbst aber wird von ihm nicht in Frage gestellt. Ganz im Gegenteil, es wird mit den Aussagen des Neuen Testaments identifiziert und deshalb zur Norm für alle ökumenischen Gespräche heute. Die »wahre Kirche« ist kein unerreichbares Ideal kirchlicher Gemeinschaft, das angestrebt werden sollte. Sie ist auch nicht die »unsichtbare« Kirche, die seit Augustin über den prekären Zustand einer Kirche aus Gläubigen und Ungläubigen auf Erden hinwegtrösten musste, oder die »ecclesia invisibilis« der Re­ formatoren, die ihnen ein gutes Gewissen gab, der weltlichen Obrigkeit das Kirchenregiment anzuvertrauen und den Landsherrn zum »Notbischof« zu erklären. Die »wahre« Kirche war in den Augen Yoders die »sichtbare« Kirche. Sie unterschied sich grundlegend von der »Welt«, die als »structured unbelief, rebellion taking with it a fragment of what should have been the Order of the Kingdom« beschrieben wird.23 Nur eine Kirche, die nichts als Kirche ist (»Let the church be the church«24), vermag der Herrschaft Christi über Kirche und Welt einen sichtbaren Ausdruck zu verleihen und widersetzt sich jedem Versuch, diese Herrschaft ins Unsichtbare zu verlegen. Was an den Kirchen im Traditions-

22 Ebd., 64. 23 Ebd., 62. 24 John Howard Yoder, The Royal Priesthood, 168.

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gefälle des Konstantinismus25 sichtbar ist, kann nur das Gemisch aus Geistlichem und Weltlichem sein, aus Anhänglichkeit an Gott und Rebellion gegen ihn, ein Widerspruch, von dem keine Kraft ausgehen kann, der »Welt« den Willen Gottes zu verkündigen, wie sie sich ihn selber nicht verkün­digen kann. Eine solche Kraft kann nur aus dem »Anderssein« der Kirche erwachsen, denn wo die Revolte gegen den Glauben Eingang gefunden hat, kann Einheit weder sein noch entstehen: »revolt is not a principle of unity«.26 Das sind starke Sätze, die jedem Gesprächspartner aus einer anderen als der freikirchlichen Tradition den Mut nehmen müssen, selbst überhaupt noch etwas aus dem eigenen theologischen Fundus zum ökumenischen Gespräch beisteuern zu können, es sei denn, die eigene Tradition zu verlassen und sich in eine Tradition einzuüben, die einst von den eigenen Kirchen aufs Schärfste bekämpft worden war.

Kritik 1. Aus vier Gründen ist die Art, wie Yoder den »ökumenischen Imperativ« formuliert hat, mehr als problematisch: Erstens dürfte es problematisch sein, den Gesprächspartner auf die in der eigenen Tradition ausgebildete Ekklesiologie hinüberziehen zu wollen, denn das Kirchenverständnis, vor allem wenn es um die »ecclesia visibilis« geht, ist mit zivilisatorischen, kulturellen und wirtschaftlichen Traditionen so eng verknüpft, als dass ein theo­ logischer Traditionswechsel von der geforderten Radikalität ohne gravierende Brüche mit den ganz normalen, eigentlich religiös indifferenten Existenzbedingungen eines jeden Gläubigen kaum zu vollziehen wäre. Es geht bei Kirchentrennungen ja nicht nur um das rein theologisch konzipierte Kirchenverständnis, sondern auch, und vielleicht sogar entscheidend, um den eher mit soziologischen und psychologischen Kategorien zu erfassenden Habitus der Gläubigen, nicht nur um kirchliche Bekennt25 S. die Beiträge in Mennonite Quarterly Review 85, 2011, 551–655. 26 John Howard Yoder, The Royal Priesthood, 57.

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nisse, sondern vor allem auch um Konfessionskultur. Für den Gesprächspartner aus großkirchlichen Traditionen müsste sich mehr ändern, vielleicht sogar ein Menschentyp, als für den Partner aus freikirchlichen Traditionen. Der eine müsste mit der Unfertigkeit seiner »faithful church«, gelegentlich auch ihren Verfehlungen, im ökumenischen Gespräch zu Rande kommen und den Weg des Heils weitergehen, der grundsätzlich aber nicht in Zweifel steht. Unmissverständlich und unerbittlich sind die letzten Sätze in The Ecumenical Movement and the Faithful Church: »The question raised by Mennonite contacts with the World Council of Churches is not whether we will fellowship with unbelievers. The question is whether, following the example of the New Testament and the Anabaptists, we will give to misinformed and seeking believers the help they are looking for and which only the heirs of the Anabaptist Tradition can give; and whether we will seek, as this tradition itself demands, whatever correction, admonition, and instruction may be received from the encounter with fellow confessors of the Lord’s name under the norm of Scripture and the guidance of His Spirit.«27 Das aber heißt, Gläubige die in einer anderen konfessionellen Tradition stehen müssten sich ihren ekklesiologischen Irrtum eingestehen und auf den Weg des anderen hinüberwechseln. Doch eine der­maßen ungleiche Anforderung widerspräche dem Geist eines brüderlichen Dialogs, in dem die Einheit der Kirche heranwachsen könnte. ­Yoder hat gelegentlich bemerkt, wie unfair es gewesen sei, dass die reformierten Prädikanten den täuferischen Gesprächspartnern vor dem Eintritt in die Diskussion einzelner Glaubensanschauungen, bestimmte hermeneutische Regeln, z. B. die gleichwertige Berufung sowohl auf alt- als auch auf neutestamentliche Stellen, abzuringen versuchten, da mit solchen Regeln bereits über Erfolg oder Misserfolg des Gesprächsausgangs über Wesen und Gestalt der Taufe entschieden worden wäre. Die Argumentation mit dem alttestamentlichen Bundesgedanken war ein starkes Argument für die Kindertaufe, zumal wenn es mit der neutestamentlichen Vorstellung vom Bund Gottes mit seinem Volk 27 John Howard Yoder, The Ecumenical Movement and the Faithful Church, 43.

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verknüpft wurde, während die Berufung auf die neutestamentliche Taufpraxis für die Glaubenstaufe der Täufer sprach, aber gegen den korporativen, die gesamte Existenz des Menschen umfassenden Aspekt des göttlichen Heilshandelns an Überzeugungskraft einbüßte.28 Mit dem Kriterium der »faithful church« schafft Yoder nun seinerseits eine Gesprächsvoraussetzung, die den großkirchlichen Gesprächspartner von vornherein be­ nachteiligt, indem sie ihn auf die Grundzüge einer Ekklesiologie festlegt, die ihm fremd ist, und seinen Gesprächsbeitrag aus dem Fundus seiner eigenen konfessionellen Tradition von vornherein abwertet. Wie die Täufer einst müsste er bereits als »Verlierer«, zumindest aber als »Angeschlagener« in die Gespräche einwil­ligen. Ähnlich kritisch hat Paul Martens das ökumenische En­gagement Yoders beurteilt: »it just may be that instead of building ecumenical relations, Yoder has merely renewed lines of division, or worse, created new nomenclature for denuncia­ tion.«29 Wer die Ökumenizität der Freikirche in einer solchen Ausschließlichkeit herausstellt, wie Yoder es getan hat, muss mit einem solchen Urteil rechnen. Es wiegt um so schwerer, als es im Traditionsgefälle täuferisch-mennonitischer Gemeinden selbst gefällt wurde. 2. Das schließt die Forderung nach der Sichtbarkeit der »wahren Kirche« aus, ein Ideal zu postulieren, auf das sich die unterschiedlichen Kirchen zubewegen könnten, jede in dem Gefühl, auch die andere Kirche müsse sich bewegen und sich aus dem Wurzelgrund ihrer bisherigen konfessionellen Iden­tität herauslösen. Da die »wahre Kirche« aber bereits existiert hat und die Tradition, die sich ihrer Existenz verdankt, immer noch wirksam ist, wenn auch oft in entstellter und reformbedürftiger Weise, haben die Kirchen aus anderen Traditionen keine Chance, gesprächsweise zu experimentieren und die Gestalt der eigenen Kirchen nach und nach erst noch gemeinsam zu finden. In der ökumeni-

28 John Howard Yoder, Täufertum und Reformation im Gespräch, 33–43. 29 Paul Martens, The Heterodox Yoder, Eugene, OR, 2012, 121.

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schen Diskussion ist gelegentlich davon gesprochen worden, dass es nicht jetzt schon möglich sei, ein bestimmtes Kirchenkonzept zu realisieren, die Schritte auf eine Einheit der Kirchen hin aber jetzt schon den Charakter einer ekklesialen Realität annehmen könnten. Eine solche Realität wäre dann das Milieu, aus dem die »wahre Kirche« entstehen könnte: eine »réalité eccle­siale« oder eine »pneumatische« Wirklichkeit, wie sie gelegentlich in ökumenischen Gesprächen genannt wurde – eine unverfügbare Realität, die zumindest nicht so sicher und fordernd als eine soziale Realität zu bestimmen ist, wie Yoder es getan hat. 3. Bemerkenswert ist die Art, wie Yoder argumentiert. Zunächst sieht es so aus, als habe er sich mit wachem Interesse seinen Gesprächspartnern zugewandt und sei auf deren Probleme und Lösungsargumente eingegangen. Auch ist nicht von der Hand zu weisen, dass er immer wieder neue Gesprächspartner und neue Gesprächssituationen suchte, um sich zu artikulieren, vielleicht sogar sich immer wieder auch neu zu erfahren. Doch dieser Eindruck trügt. Wer seinen Denkweg überblickt, wird Earl Zimmermann zustimmen, dass man vergeblich nach einem tieferen Wandel in seiner Theologie oder einer klaren Revision einer früheren Position Ausschau hält.30 Yoder bleibt sich im Grunde gleich, auch wenn es richtig ist, dass eine thematische Erweiterung in seinem Denken zu beobachten ist, vor allem auch eine wechselnde Schwerpunktbildung der Themen, die er in Vor­ trägen und Aufsätzen behandelt (s. Kap. V). Ein Beispiel, das bereits besprochen wurde, ist der ziemlich abrupte Wechsel von historischer zu systematisch theologischer Arbeit. Aber auch dieser Wechsel ist nicht grundsätzlicher Art, sondern eher ein von vornherein angelegter gleitender Übergang. A. James Reimer wird schon Recht haben, wenn er in seiner sehr persönlich ge­ haltenen Gedenkrede auf Yoder sagt: »He had an admirable assurance of the rightness of his reading of the biblical materials and history. He gave the impression of one who had never substa­nially

30 Earl Zimmermann, Practicing the Politics of Jesus, 171.

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changed his mind on anything. I have often wondered whether Yoder could have written once what his teacher Karl Barth wrote three times for the Christian Century ›How I have changed my mind‹.«31 Eine solche Beobachtung erstaunt um so mehr, als die zentrale, theologisch aufgeladene Bedeutung des »Gesprächs« eigentlich eine andere Haltung gegenüber dem Gesprächspartner erwarten ließe. Der Grund, so nachhaltig auf der bereits erarbeiteten Meinung zu beharren, ist nicht so sehr im Überzeugtsein vom Ergebnis seines Denkens zu suchen, sondern eher in der Art und Weise, wie er den Gesprächspartner in seine Argumentation hineinzieht und ihn nötigt, seine eigenen Fragen, Prämissen und Begriffe im Laufe des Gesprächs aufzugeben. Hier müssen einige Beispiele genügen. Typisch soll für Yoder gewesen sein, seine fragenden Studenten oder seine Gesprächskollegen oft darauf hingewiesen zu haben, dass sie ihre Fragen falsch gestellt hätten und ein Gespräch nur sachgemäß verlaufen könne, wenn die Frage umgedeutet werde. Hier unterscheidet sich die Gesprächsstrategie mit christlichen Gesprächspartnern nicht von derjenigen mit nichtchristlichen, deren Begrifflichkeit vom Evangelium her, wie gleich noch zu zeigen ist, mit neuen Inhalten konfrontiert wird. Das aber bedeutet, dem Partner die Richtung eines Gesprächs aufzunötigen, anstatt ihn mit Argumenten dahin zu führen, selber einzusehen, dass die Ausgangsfrage tatsächlich revidiert werden müsste, oder eine Situation zu schaffen, in der beide Gesprächspartner auf einmal zu einer Frage geführt werden, die sich ihnen zu Beginn des Gesprächs noch nicht stellen konnte. Das aber bedeutet auch, dem Gesprächspartner zu verstehen zu geben, dass seine Argumente noch nicht dem Evangelium genügen, dessen Sinn sich aber einem selbst schon ershlossen hat  – eine seltsame Ausgangsposition für ein Gespräch. Wo das Gespräch so dominiert wird, wie Yoder es häufig mit dem angeblich evidenten Recht des Evangeliums auf seiner Seite tat, wird die Prämisse, beide Gesprächspartner könnten verändert aus dem Gespräch hervorgehen, von vornherein missachtet. Der eine muss 31 A. James Reimer, Mennonites and Classical Theology. Dogmatic Foundations for Christian Ethics. Kitchener, Ont., und Scottdale, Pa., 2001, 302.

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seine konfessionelle Identität aufgeben, während der andere sich, falls er hinter den Anforderungen seiner Kirche zurückgeblieben ist, nur in Reue auf seine Identität zurückbesinnen muss. Zu Fragen theologischer Methode, d. h. hier zu Fragen der Gesprächsführung, hat Yoder sich nur zögerlich geäußert, im Grunde hat er jede Methode abgelehnt, da sie ihm das theologische Gespräch zu gängeln scheint, den unterschiedlichen Situationen nicht gerecht wird, in denen ein theologisches Wort gesprochen werden muss, und die vorgängige Verwurzelung der theologischen Arbeit in der Gemeinde missachtet: »The life of the community is prior to all possible methodological distillations.«32 Earl Zimmermann hat auf eine späte, privat geäußerte Stellungnahme Yoders zu methodischen Problemen in einem Memo für seinen späteren Biographen Mark Thiessen Nation aus dem Jahr 1991 hingewiesen, die auf den ersten Blick den Vorwurf der Gesprächsgängelung widerlegt. »The first thing Yoder wrote to Nation was that he was willing to take on issues in the categories of others, unfolding the critique of the other’s view from their own structure rather than beginning with his own »correct« position. He understood this as being consistent with his rejection of any foundationalism, which would impose on others the right language or the right place to start.«33 Das scheint mir aber eher eine taktische als eine strategische Antwort auf die Frage nach der Gesprächführung zu sein. Es ist die Beschreibung der Eröffnung eines Gesprächs, das aber unter der Bedingung einer besonderen ekklesiologischen Qua­ lifizierung des Gesprächs zustande gekommen ist. Außerdem ist es ein Gespräch unter Christen, nicht ein Gespräch mit Vertretern anderer Religionen, anderer Weltanschauungen, Agnostikern oder Atheisten. Im Grunde werden mit denjenigen, die sich nicht zu Jesus Christus bekennen, keine Gespräche geführt. 32 John Howard Yoder, Walk and Word: The Alternatives to Methodo­ logism: Religious Practice and the Future of Theological Truth, in: ­Stanley Hauerwas, Nancey Murphy und Mark Nation (Hg.), Theology Without Foundations, Nashville, Tenn., 1994, 82. Vgl. Craig A. Carter, The Politics of the Cross, 62, S.127, 235. Vgl. Chris K. Huebner, A Precarious Peace, 59 f, 103–105 u.ö. 33 Earl Zimmermann, Practicing the Politics of Jesus, 180.

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Ihnen gegenüber wird ein »Zeugnis« abgelegt, wie es bezeichnenderweise im Titel seiner bedeutenden kleinen Schriften aus seiner theologischen Frühzeit heißt: »The Christian Witness to the State« (1964). »Zeugnis« ist jedoch etwas anderes als »Gespräch«. Gegen jede Beteuerung des Gegenteils ist das Gespräch, wie Yoder es in der Regel führt, ein bereits reglementiertes Gespräch. Das Gespräch mit Gleichgesinnten ist nicht identisch mit einem Gespräch mit Außenstehenden; und selbst das Gespräch mit Gleichgesinnten vermittelt dem Gesprächspartner, nicht immer Gleicher unter Gleichen zu sein, sondern wie im Fall des nach der Regel Christi ablaufenden Disziplinarprozesses ist der Partner, nachdem er sich etwas zu Schulden kommen ließ, in einer unterlegenen Gesprächsposition. Er muss Einsicht zeigen und seinen Irrtum bereuen. Dass in jeder Begegnung von Menschen immer auch »Welt« (Ungehorsam) mit im Gespräch ist, wird in Yoders Gesprächskonzept nicht durchschlagend genug bedacht, wohl gelegentlich festgestellt, aber nicht so, dass die theologische bzw. ekklesio­ logische Qualität des Gesprächs dadurch grundsätzlich in Frage gestellt würde. Erst später hat Yoder  – allerdings eher beiläufig und theologisch nicht weiter ausgeführt – von einer »positive doctrine of fallibility« gesprochen und davon, dass jede »existing church is not only fallible but in fact peccable«.34 Diese Aussage müsste eigentlich die so klar und fordernd vorgetragenen Überlegungen zur Sichtbarkeit der Kirche in Zweifel ziehen, denn eine solche »wahre« Kirche könnte noch nicht existiert haben und müsste kaum etwas anderes als nur ein Idealbild gewesen sein. Doch das widerspräche der Nachhaltigkeit, mit der Yoder an der Konzeption der »sichtbaren« Kirche von Anfang bis zum Schluss festgehalten hat. Entweder hat er sich mit dem Argument der Fallibilität der Kirche in einen Selbstwiderspruch verwickelt oder die Fallibilität der Kirche weniger schwer gewichtet als die Sündhaftigkeit der »Welt« und Gott im Umgang mit der Kirche weniger zugemutet als im Umgang mit der »Welt«. Später hat Yoder das Argument, man dürfe den Hinweis auf das Versagen der Kir-

34 John Howard Yoder, The Priestly Kingdom, 5.

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che nicht überbewerten, zwar gegen diejenigen in seiner eigenen Kirche eingesetzt, die nicht anerkennen wollen, dass Konflikte und ihre Überwindung die Grundstruktur der Gemeinde aus­ machen. Doch so, wie er es sagt, ist es höchst bedenklich: »We fall short of gospel faith when we overdue our sense of failure – as if our message depended on our goodness instead of God’s«.35 Im Grunde hat Yoder hier die Begründung, die Luther für seine Formel vom »simul iustus et peccator« gegeben hat, gegen die Rechtfertigungslehre des Reformators selbst gewendet und auf diese Weise den Heilscharakter der Gemeinde möglichst unversehrt präsentiert. Die Kirche, wie er sie beschreibt, kann nicht der Kritik ausgesetzt werden. Selbst wenn Yoder versucht hätte, die Partner im ökumenischen Dialog auf gleiche Augenhöhe zu stellen, indem er seine ekklesiologische Konzeption nicht auf eine bestimmte Konfession festschreibt, so steht der Hinweis auf die Reformbedürftigkeit der Kirchen hin zu einer Radikalen Reformation doch im Widerspruch zu seiner Absicht. An diesem Punkt herrscht mehr Konfusion als Klarheit. Typisch für Yoder ist, dass er die Begrifflichkeit, in der sein Partner die Probleme erörtern möchte, oft von vornherein verändert. In der Diskussion beispielsweise um das Verhältnis von Theologie und Revolution, das eine Weile die ökumenischen Gespräche beschäftigt hat, macht Yoder unmissverständlich klar, dass es dabei nicht um den allgemein verständlichen Inhalt der Revolution gehen könne, sondern um die »originale« Revolution, eine bereits von Gott herbeigeführte oder herbeizuführende Revolution. Oder wenn von einer politischen Theologie die Rede ist, nicht eine Politik gemeint sein könne, wie Menschen sie einsetzen, um ihre Probleme untereinander zu regeln, es handelt sich dabei einzig und alleine um die »Politik Jesu«, die ganz andern Zielen verpflichtet ist, als Menschen sie sich von sich aus vor­ stellen. Gleichheit, Demokratie und Sozialismus, wie sie säkular verstanden werden, sind nicht Gleichheit, Demokratie und Sozialismus, wie sie Grund und Sinn, so wird Yoder später sagen, 35 John Howard Yoder, The War of the Lamb. The Ethics of Nonviolence and Peacemaking. Herausgegeben von Glen Stassen, Mark Thiessen ­Nation und Matt Hamsher, Grand Rapids, MI, 2002, 186.

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in den sakramentalen Praktiken der Kirche gefunden haben.36 In der Inkarnation sieht Yoder nicht zum Ausdruck gebracht, wie intensiv Gott sich mit der gefallenen und geschundenen Kreatur solidarisch erklärt, sondern die Offenbarung dessen, »wie Gott den Menschen will«.37 Oder schließlich, wenn Yoder über den »Krieg des Lammes« nach der Offenbarung des Johannes spricht, hat das überhaupt nichts mit »Krieg« zu tun, wie Menschen untereinander um Macht ringen und Kriege führen, sondern mit dem Gegenteil, der Herrschaft Jesu Christi, die Frieden bedeutet: Das Lamm siegt in aller Schwachheit. »Vicit Agnus Noster« ist der Untertitel von Yoders Politics of Jesus (1972). Yoder besetzt die Begriffe neu. Die Frage muss entstehen, ob der Gesprächspartner mit seinen Problemen tatsächlich ernst genommen wird, ob Yoder sich auf ein Gespräch einlässt, das seinen Namen verdient, oder ob er nicht eine Strategie missionierender Über­ zeugungsarbeit verfolgt. Ein Beleg dafür könnte die Ausein­ andersetzungsstrategie sein, die er gegenüber Reinhold Niebuhr in der Diskussion um den christlichen Pazifismus eingesetzt hat. Um zur eigenen theologischen Einsicht zu gelangen, weigert er sich, Niebuhr auf dessen eigenem Terrain zu begegnen, so sehr er versucht, Niebuhr gerecht zu werden.38 Niebuhr rechnet nicht mit der Wirkung des Heiligen Geistes in der Kirche, der zum Triumph über die Sünde führen kann. Doch: »Sin is vanquished every time a Christian in the power of God c­ hooses the better instead of the good, obdience instead of necessity, love instead of compromise, brotherhood instead of veiled self­ interest. No insistence on »maintaining the tension« between 36 John Howard Yoder, Sacrament as Social Process: Christ the Transformer of Culture, in: The Royal Priesthood, 370. Vgl. neuerdings auch Branson Parler, The Forest and the Trees. Engaging Paul Martens’ The Hererodox Yoder. The Englewood Review of Books, 2012, 22.  (http:// commons.wikipedia.org/wiki/File:Kellerwald_004.jpg). 37 John Howard Yoder, Die Politik Jesu, 17, Anm. 8. 38 John Howard Yoder and J. Lawrence Burkholder vom 12.  Juni 1996 (JHY papers, box 11, Archives of Mennonite Churches): »But when you ­agress to meet Niebuhr on his own ground rules, having to make agape a ­disincarnate ethical principle for use without faith, you’ re lost before you start.« Zit. n. Earl Zimmernann, Practicing the Politics of Jesus, 61.

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the good and the possible, whether derived from systemtic considerations or sociological observation, can change this reality. That this triumph over sin is incomplete changes in no way the fact that it is possible, and that if God calls us to deny ourselves, accept suffering, and love our neighbors, that too is possible.«39 Yoder konsultiert erst die biblischen Aussagen über die soziale und politische Einstellung Jesu und konfrontiert das Ergebnis seiner exegetisch gewonnen Einsicht in einem zweiten Schritt mit der sozialen Wirklichkeit seiner Tage und den sozialethischen Argumenten Niebuhrs.40 So wird ihm Niebuhrs Position zur Folie der Kritik, aus der heraus er eine eigene Postion in dieses theologische Gespräch einführt. Damit setzt er sich aber zu seiner ursprünglichen Gesprächskonzeption in Widerspruch, dass sich die Wahrheit der biblischen Offenbarung nämlich allererst im Gespräch erschließt, in dem die Positionen beider Partner voll zur Geltung kommen, ohne vorher schon beschnitten worden zu sein. So wird gar nicht erst darum miteinander gerungen, ob nicht Niebuhrs Spannung zwischen dem Guten und dem Mög­ lichen doch auch einen Anhaltspunkt in der Heiligen Schrift haben könnte. Hier wird vielmehr so getan, als stünde die Wahrheit bereits fest und als ob das Gespräch nur noch dazu dient, jemanden mit einer zuvor gewonnenen Wahrheit zu konfrontieren und von ihr zu überzeugen. Auch hier wird das Gespräch zu missionarischer Überzeugungsarbeit. So ist es nur konsequent, wenn Yoder auch dem »Gespräch« selbst eine Bedeutungsänderung zumutet. Es ist nicht das normale Gespräch unter Menschen, das von der Freiheit der Gesprächspartner ausgeht bzw. einem »herrschaftsfreien« Dialog (Jürgen Habermas), in dem sich die Partner auf die Regeln des Gesprächs, wenn es welche geben soll, in beiderseitigem Einvernehmen geeinigt hätten. Es ist vielmehr das Gespräch, in dem beide Partner sich von vornherein dem Wort Gottes unterstellt haben müssten, dessen Sinn sie eigentlich noch nicht kennen, wenn die Theologie des Gesprächs einen 39 John Howard Yoder, Reinold Niebuhr and Christian Pacifism, 116. 40 Ein Beispiel: John Howard Yoder, Die Politik Jesu. Vicit Agnus Noster, Schwarzenfeld 22012, 71–87, bes. 74. John Howard Yoder, Reinhold Niebuhr and Christian Pacifism, 101–117.

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Sinn haben soll, und sich bemühen, den Weg der Nachfolge Jesu im Gehorsam gemeinsam zu gehen. Das aber heißt doch, dass die Partner sich bereits auf eine Ekklesiologie eingestellt hätten, die Yoder als Modell für die Einheit der Kirchen nicht nur vorgeschlagen, sondern zwingend vorausgesetzt hat. Das entspräche durchaus einem Gesprächsverständnis missionarischer Überzeugungsarbeit, aber nicht dem Ansatz eines Gesprächs unter gleichwertigen Partnern und gleichwertigen Argumentations­ voraussetzungen, denn die Einheit der Kirche, die von den Kirchen angestrebt wird, ist die in der Kirche bereits realisierte Einheit, wie sie zur Voraussetzung des Gesprächs erklärt wurde. Wenn die Gemeinde in der Tradition der Täufer nun schon die »ecumenical church« ist, dann heißt das, dass nicht gemeinsam nach einem neuen Modell kirchlicher Einheit gesucht wird, sondern, wie bereits oben gesagt wurde, dass den Gesprächspartnern der täuferisch-mennonitischen Gemeinden zugemutet wird, ihre eigene konfessionelle Tradition zugunsten der täuferischen zu wechseln, die allerdings nicht mehr als eine konfessionell-partikulare, sondern als eine allgemein kirchliche, insofern sie der neutestamentlichen Norm entspricht, verstanden wird. Vielleicht ist das auch der Grund, warum Yoder nicht auf einem Beitritt der nordamerikanischen Mennoniten zum Ökumenischen Rat der Kirchen bestanden hat. Es gäbe ja kaum einen Sinn, sich einer Gesprächsdisziplin zu unterwerfen, die nicht der Disziplin der eigenen Kirche entspricht. 4. Es ist wohl angebracht, die Sichtbarkeit der »wahren« Kirche einzuklagen, wenn dadurch sichergestellt wird, dass Kirche mehr und etwas anderes ist als eine beliebige gesellschaftliche Institution: nämlich in ihrem Anderssein (»otherness«) auf ihre Wurzeln im Heilsgeschehen hinweist, das ihren symbolischen Ausdruck in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi gefunden hat und als konkrete Gemeinschaft derer, die Jesus nachfolgen, jetzt schon ansatzweise die Art menschlicher Sozialisation zu erkennen gibt, die als Antwort auf die Verheißung des Reiches Gottes verständlich wird. Eine Gemeinschaft, die im Erwartungshorizont der vollkommenen Herrschaft Gottes lebt, wird nach 80 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

innen und nach außen anders reden, sich anders organisieren, sich anders verhalten und anders handeln als die vielen Gemeinschaften, Verbände, Gesellschaften und Staaten, die aus eigener Kraft zum Wohl oder Verderben der Menschheit tätig sind. Dieses Anderssein der Kirche ist nicht etwas, das nur geglaubt werden kann, sondern das gesehen wird. Dass sich jemand der Führung durch den Heiligen Geist anvertraut, wird nur im Glauben erkannt, dass jemand aber Waffen zu Pflugscharen umschmiedet und sich weigert, sich am Handwerk des Krieges zu betei­ligen, ist vor aller Augen sichtbar. In diesem Sinne ist verständlich, dass Yoder auf so prononcierte Weise die Sichtbarkeit der »faithful church« betont. Als Vorschein des Reiches Gottes ist die Kirche eine »messianische Gemeinschaft«, die hier keine »bleibende Stadt« hat (Hebr 13, 14), sondern einer Zukunft entgegengeht, die jetzt schon Heimat ist, um ein Wort Ernst Blochs abzuwandeln, in der noch niemand war.41 Die Frage ist nur, ob die Rede von der Sichtbarkeit der Kirche, wie Yoder sie konzipiert hat, nicht trotz aller guten Absichten doch ein Hindernis auf dem Weg zur Einheit der Kirchen darstellt. Wie die römisch katholische Kirche, deren Sichtbarkeit sich in der Hierarchie des Klerus manifestiert, sich die Einheit der Kirchen letztlich nur so vorstellen kann, dass alle anderen Kirchen in ihren Schoß zurückkehren, ist es mit dem Modell Yoders von der Sichtbarkeit der wahren Kirche nicht anders: Die Einheit der Kirche ist nur vorstellbar, wenn die Kirchen sich den »Free Church Ecumenical Style«42 zu eigen machen und auf dem Weg der Täufer in die Zukunft weiter schreiten. Der eschatologische Charakter der »faithful church« kommt so aber nicht voll zur Geltung, so sehr Yoder ihn auch betont. Eine solche konfessionelle Hartnäckigkeit als ökumenische Perspektive anzubieten, ist tatsächlich mehr als problematisch. Am Ende der Tage wird nicht nur das Reich Gottes sein, sondern zunächst auch das Weltgericht. Es gilt sowohl der »Welt« als auch der Kirche. Die Trennung, die im Weltgericht zwischen den Auserwählten und den Verdammten vorgenommen wird, relativiert jetzt schon

41 Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Bd. 3, Berlin 1959, 489. 42 John Howard Yoder, Royal Priesthood, 231.

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die Trennungen der Kirchen: Sie haben keinen Bestand.43 Für jede Kirche und jede kirchliche Tradition gilt aber, dass erst in diesem Gericht Scheidungen auf endgültige Weise in ihnen vorgenommen werden und erst danach die Einheit der Kirchen sichtbar wird. Noch ist selbst die »faithful church« eine angefochtene und in sich zerrisene Kirche. Der Christ ist wie jeder Mensch, die Kirche wie jede andere menschliche Gemeinschaft auf die Gnade Gottes angewiesen. Sie durchbricht Schranken, Mauern und Grenzen, die Menschen aufrichten und festlegen. Sie durchwirkt Sichtbares und Unsichtbares. Nicht nur die Trennungen der Kirchen werden relativiert, sondern auch der Weg zur Einheit der Kirchen über die in der Sichtbarkeit der Kirche bereits zum Ausdruck gebrachte Einheit. Die von Menschen realisierte Einheit der Kirchen als Akt des Glaubensgehorsams ist noch nicht der letzte Schluss der Weisheit. Zu wenig hat Yoder bedacht, dass die Wege Gottes unerforschlich sind und in das Geheimnis göttlicher Kreativität führen.44 Vor solchen apodiktisch geäusserten Urteilen hätte Yoder eigentlich eine Einsicht bewahrt haben können, die er selber in seinem Buch über Karl Barth and the Problem of War dargelegt hat45, nämlich dass jede theologische Aussage im Konditional abgefasst werden müsse, also hypothetischer Natur sei. Mit seiner Art zu argumentieren und Gespräche zu führen, hat er sich aber zu seinem eigenen Vorsatz in Widerspruch gesetzt. Er hätte viel gelassener und gesprächsoffener in den ökumenischen Dialog eingetreten sein können und sich manche Enttäuschung darüber erspart, nicht so gehört worden zu sein, wie er erwartet hatte. Offen­sichtlich hat er nicht mit der Spannung zwischen hypothe­tischer Redeweise und der Festlegung auf eine verbindliche Norm christlichen Sprechens, Verhaltens und Handelns gerechnet.

43 Edmund Schlink, Ökumenische Dogmatik. Grundzüge, Göttingen 1983, 686. 44 In Anlehnung an Gordon D. Kaufman, In Face of Mystery. A Constructive Theology. Cambridge, Mass./London 1995. 45 John Howard Yoder, Karl Barth and the Problem of War, 18.

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IV. Theologie des Friedens Der dritte Ton, den John Howard Yoder schon in der Entstehungszeit seiner Theologie anschlug und immer stärker werden ließ, war die Frage nach einer Theologie des Friedens, um es vorweg zu sagen, eine radikale Weise, über den Frieden nachzudenken und eine kompromisslose Friedfertigkeit von denjenigen zu erwarten, die sich entschlossen haben, Jesus nachzufolgen. Damit nahm Yoder eine Besonderheit der täuferisch-mennonitischen Tradition auf, begann sie aber so intensiv im Gespräch mit dem theologischen und ethischen Denken seiner Zeit zu erörtern, dass die konfessionelle, separatistisch eingeengte Verkapselung der Forderung nach Wehrlosigkeit gesprengt und ihr Aufmerksamkeit in der weiteren theologischen Öffentlichkeit entgegengebracht wurde. Nicht alle Mennoniten sind Yoder gefolgt. Die einen haben sich daran gestoßen, dass er sich zu sehr auf die Diskussion um Krieg und Frieden in der allgemeinen Öffentlichkeit und der akademischen Theologie eingelassen und den herkömmlichen Separatismus der Gemeinden aufgeweicht hat; und die anderen haben die Art, wie er die Verantwortung der Kirche für die Gesellschaft artikuliert hat, immer noch als unzu­reichend empfunden, um die Verschlossenheit des Separatismus zu überwinden. Den einen ist er zu weit gegangen und den anderen nicht weit genug. Bereits während der Arbeit am frühen Täufertum ist Yoder klar geworden, dass die Merkmale der »Anabaptist Vision«, wie Bender sie zusammengestellt hatte, noch enger miteinander verknüpft waren, als gewöhnlich angenommen wurde. Das gilt vor allem für das Friedenszeugnis der Täufer. Friedfertigkeit ist keine ethische Maxime neben anderen Maximen moralischen Verhaltens, kein Teil  eines Ganzen, sondern das Ganze selbst. Sie ist die Haltung, die sich aus dem Frieden ergibt, der sich in der Existenz der Gemeinde Jesu Christi auf Erden manifestiert und eine Friedensgemeinde entstehen lässt: Schalom Gottes in dieser 83 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

Welt. Yoder hat nicht nach einer Lösung zwischen diesen beiden Positionen gesucht  – zwischen Guy F. Hershbergers War, Peace and Non-Resistance (1944/1991) auf der einen und J. Lawrence Burk­holders The Problem of Responsibility from the Perspective of the Mennonite Church (1989) auf der anderen Seite.1 Er ist vielmehr den Weg der Täufer im ökumenischen Horizont seiner eigenen Tage noch einmal gegangen. Das hat seinen Argumenten für den christlichen Pazifismus eine Frische gegeben, die er aus dem Reservoir der abgenutzten und gelegentlich auch verschlissenen Gedanken der eigenen Tradition nicht erhalten hätte. Erst mit den Veröffentlichungen Yoders, vor allem mit The Christian Witness to the State (1957), den Aufsätzen in The Original Revolution (1971) und mit The Politics of Jesus (1972), in dem seine frühen Gedanken zur Reife gelangt waren, ist das täuferisch-mennonitische Friedenszeugnis zu einem stark diskutierten Beitrag zur Ethik bzw. Sozialethik der christlichen Kirchen herangereift. Angelegt war das Friedensverständnis Yoders schon vor diesen Veröffentlichungen, und es hat sich grundsätzlich nicht mehr verändert, sondern nur noch an argumentativer Fülle und Schärfe zugenommen. So dürfte es erlaubt sein, sie in die Analyse des formativen Grundakkords seiner Theologie mit einzubeziehen. Es wurde bereits erwähnt, dass die Eschatologie für die Antwort auf die Frage nach der Einheit der Kirchen besonders bedeutsam ist. Das gilt nun auch für die Theologie des Friedens, wie Yoder sie konzipiert hat. In beiden Fällen rückt die Gemeinde Jesu Christi in das Licht, das vom vollendeten Reich Gottes am Ende der Tage jetzt schon auf die Gegenwart fällt. In dieser Gemeinde, sofern sie ihrer Vollendung entgegengeht, sieht Yoder die soziale Gestalt des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, die vorwegnimmt, was Gott mit der Welt insgesamt im Sinn hat. Sie ist das Volk Gottes, das heute schon ist, »wozu die Welt letztlich 1 Vgl. Arne Rasmusson, Historicizing the Hisoricist: Ernst Troeltsch and Recent Mennonite Theology, in: Stanley Hauerwas, Chris K. Huebner, Harry J. Huebner und Mark Thiessen Nation (Hg.), The Wisdom of the Cross. Essays in Honor of John Howard Yoder, Grand Rapids, Ind., 1999, S.213–248.HG

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berufen ist.«2 So wird die Gemeinde Jesu Christi zum Prototyp des Reiches Gottes und geht der Vollendung dieses Reiches entgegen. Sie hat sich um Jesu Christi Leben, Tod und Auferstehung gebildet, sich der Herrschaft Jesu Christi unterstellt und erwartet Christus als den Messias am Ende der Tage.3 Sie ist »mes­sianische Gemeinschaft«4, und alles, was in ihr geschieht, wie Menschen miteinander das Wort Gottes hören und auslegen, wie sie das Abendmahl miteinander feiern, wie sie sich zu den Herausforderungen ihrer Zeit verhalten, wie sie sich untereinander helfen und wie sie miteinander handeln, ist jetzt schon von der messianischen Zukunft geprägt. Jeder Gewalt abzusagen und sich friedfertig zu verhalten, ist Ausdruck dieser Friedensgemeinde in einer Welt der Feindseligkeit und des Unfriedens. Dieses eschatologische Gemeindekonzept muss noch einmal genauer betrachtet werden, um den Pazifismus, wie Yoder ihn vertrat, auch in seinen Nuancen und Weiterungen zu verstehen. Gemeinde ist eine Schöpfung Gottes im »neuen Äon«, der mit der Menschwerdung Jesu Christi, seinem Leben und Wirken, seinem Tod, seiner Auferstehung und der Verheißung seiner Wiederkehr heraufgeführt wurde. Dieser »neue Äon« hat den »­a lten Äon«, d. h. die Welt, wie sie durch Sünde und Abfall von Gott gekennzeichnet ist, abgelöst und nimmt in der Gemeinde Jesu Christi auf Erden eine sichtbare Gestalt an. Auch wenn der »alte Äon« noch bis zum Jüngsten Tag weiter besteht, vermag er seine Macht nicht mehr zu entfalten, ohne nicht in Spannung zu der Macht zu geraten, die vom »neuen Äon« ausgeht. Im Tod Jesu am Kreuz und der Antwort Gottes auf diesen Tod in der Aufer­stehung Jesu ist die Macht des »alten Äons« gebrochen. In der kosmologischen Sprache des Neuen Testaments ausgedrückt, sind die feindlichen Mächte bezwungen und besiegt. Hier legt Yoder auf eine doppelte Feststellung Wert: Erstens ist die Verhaftung des Menschen im »alten Äon« durch den 2 John Howard Yoder, The Priestly Kingdom. Social Ethics as Gospel, Notre Dame, Ind., 1984, 92. 3 Z. B. John Howard Yoder, Politik Jesu, 95. 4 John Howard Yoder, Nevertheless: Varieties of Religious Pacifism, Scottdale, Pa., und Waterloo, Ont.,1992 (erstmals 1971), 133–138.

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Ungehorsam charakterisiert, mit dem der Mensch auf das Heil reagiert, das Gott ihm anbietet, während der Mensch, der am »neuen Äon« partizipiert, Gott gehorsam ist und sein Verhalten und Handeln auf den Willen Gottes ausrichtet. Der Akzent, den Yoder auf das Begriffspaar »Gehorsam« und »Ungehorsam« legt, um die Differenz zwischem altem und neuem Äon zu deuten, geht sicherlich auf den Einfluss Karl Barths zurück und bringt zum Ausdruck, dass die »Welt« als Inbegriff des »alten Äons« in relationaler Begrifflichkeit zu fassen ist, d. h. sie wird durch das Verhältnis des Ungehorsams definiert, in dem Menschen zu Gott stehen, und die »Gemeinde Jesu Christi« wird als Verhältnis beschrieben, in dem Menschen sich Gott gegenüber vorfinden und miteinander umgehen: als eine mit Gott und miteinander versöhnte Gemeinschaft, die in einem Gehorsamsverhältnis zu Gott steht.5 Versöhnte stehen in einem anderen Verhältnis zu Gott und untereinander als Unversöhnte. Zweitens liegt Yoder daran, das neue Verhältnis nicht als innere Befindlichkeit oder als Hoffnung auf einen Zustand zu beschreiben, der sich erst noch einstellen wird, sondern als konkreten, sichtbaren Ausdruck hier und jetzt, nicht in erster Linie als subjektive Befindlichkeit, sondern als Jüngerschaft, d. h. Nachfolge Christi in der Gemeinschaft der Glaubenden.6 Die Konkretion erfährt das neue Gottesverhältnis in der Gemeinschaft, die um Jesus entstand: »He gathered His people around His word and His will. Jesus created around Himself a society like no other society mankind had ever seen.« Das war keine feste Organisation, auch nicht eine rituelle Gottesdienstversammlung, sondern mehr »a new way of life to live«, z. B. »a new way to deal with offenders – by forgiving them«, »a new way to deal with violence – by suffering«, »a new way to deal with money – by sharing it«, »a new way to deal with problems of leadership – by drawing upon the gift of every member, even 5 Ähnlich hat Earl Zimmermann diese Eigenart der Begrifflichkeit Yoders beschrieben: Yoder habe nicht zwischen »realms of reality« im Sinne einer »metaphysical distinction« unterschieden, sondern zwischen denjenigen, die Jesus als ihren Herrn bekennen, und denjenigen, die es nicht tun (Earl Zimmermann, Practicing the Politics of Jesus, 191). 6 John Howard Yoder, Die Politik Jesu, 203 f.

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the most humble«, »a new way to deal with a corrupt society – by building a new order, not smashing the old« und schließlich »a new attitude toward the state and toward the ›enemy nation‹«7. Um es am letzten Beispiel zu verdeutlichen: Nicht was der Staat an und für sich ist, sondern was er in seinem Verhältnis zu Gott ist oder im Verhältnis der Gemeindeglieder zu ihm, ist hier für das Denken Yoders entscheidend. Die Verhältnisse finden ihren sichtbaren Ausdruck in erster Linie im Verhalten und Handeln der Gemeindeglieder und erst in zweiter Linie in den institutionellen Formen, die sie sich geben. Verhältnisse können also erkannt und beschrieben werden, ebenso der Wandel, dem sie unterliegen. So überrascht es nicht, wenn Yoder immer wieder und mit Nachdruck von der Sichtbarkeit der messianischen Gemeinde hier und jetzt spricht und sie von den Verhältnissen absetzt, die in der »Welt« herrschen. Damit folgt er den Täufern des 16. Jahrhunderts, die auf ihre Weise versucht hatten, die Kirche der wahrhaft Gläubigen zu verwirklichen und sich nicht darauf einließen, wie es in der Tradition der augustinischen Spiritualismus gang und gäbe war, zwischen einer Kirche aus Gläubigen und Ungläubigen, Gehorsamen und Ungehorsamen (­ecclesia visibilis) und einer Kirche der wahrhaft Gläubigen (ecclesia invisibilis) zu unterscheiden: der empirischen Gestalt der Kirche und dem geglaubten Wesen der Kirche. Obwohl einige Täufer, wie Balthasar Hubmaier beispielsweise, den Akzent nicht nur auf die äußere (Wasser)-Taufe legten, sondern diese von der inneren Taufe her dachten, wird aber der Kirchenbegriff nicht in die augustinisch-spiritualistische Denktradition einbezogen – selbst bei Hubmaier nicht.8 Auf diese Weise wird die Gemeinde aufgewertet. Sichtbar ist sie nicht nur als eine Schöpfung des göttlichen Wortes (creatura verbi), auch nicht nur als eine Gemeinschaft, in der das Wort Gottes verkündigt und vom göttlichen Heil in Kreuz und Auf7 John Howard Yoder, The Original Revolution. Essays on Christian Pacifism. Scottdale, Pa., 1971, 28 f. 8 Vgl. Christof Windhorst, Täuferisches Taufverständnis. Balthasar Hubmaiers Lehre zwischen traditioneller und reformatorischer Theologie, Leiden 1976, 226–235.

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erstehung Jesu Christi Zeugnis vor aller Welt abgelegt wird. Die Gemeinde ist in ihrer Existenz das Zeugnis selbst oder »the good news«, wie Yoder später in Body Politics (1992/2001) sagen wird, ist sie »Nachricht und Kommunikation«.9 Damit wird weiter gesagt, dass das Heil sich nicht in der Religiosität des einzelnen Menschen erschöpft, sondern sich korporativ Ausdruck verschafft. »The church does communicate to the world what God plans to do, because it shows that God is beginning to do it.«10 Diesen Satz hat Matthias Zeindler so interpretiert: »Heil ist in einem fundamentalen Sinn sozial, und Soteriologie entsprechend in einem fundamentalen Sinn Ekklesiologie.«11 Er hat darauf hingewiesen, dass auch hier das Medium, nämlich die Gemeinde, die Botschaft sei, und Yoders vor allem in seiner Aufsatzsammlung For the Nations (1997) oft geäußerte Vorstellung von der Kirche als dem Heil so erläutert: »Wenn Sünde darin besteht, dass lebensförderliche Beziehungszusammenhänge zerstört werden, dann besteht Heil präzis darin, dass Gott neue lebens­ förderliche Beziehungszusammenhänge schafft und erhält.«12 In diesem Sinne hat Yoder in seinem Aufsatz über die Original Revolution davon gesprochen, dass die Kirche in ihrer Existenz »a deep social change« sei und sozialer Wandel deshalb auch nicht von irgendwelchen gesellschaftlichen Kräften in dieser Welt herbeigeführt werde, sondern von der Kirche: »if it lives faithfully, it is also the most powerful tool of social change«.13 Nur die Gemeinde definiert den »sozialen Wandel« und nur sie bringt ihn zustande. Hatte er zunächst noch gesagt, dass das Volk Gottes 9 John Howard Yoder. The Royal Priesthood, 91; ders., Die Politik des Leibes Christi. Als Gemeinde zeichenhaft leben. Schwarzenfeld 2011, 133. 10 John Howard Yoder, in Royal Priesthood, 126. 11 Matthias Zeindler, Die Kirche des Kreuzes – John H. Yoders Ekklesiologie als Modell von Kirchesein in einer pluralistischen Gesellschaft, in: Hanspeter Jecker (Hg.), Jesus folgen in einer pluralistischen Welt. Impulse aus der Arbeit John Howard Yoders. Weisenheim am Berg 2001, 68. 12 Ebd. 68. 13 John Howard Yoder, The Original Revolution, 31.

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die »neue Welt auf ihrem Weg sei«, wird er später sogar sagen: »Der Leib Christi ist die Welt zu ihrer Erneuerung.«14 Im Umkehrschluss heißt das: Was Kräfte in der von der Gemeinde unterschiedenen Gesellschaft leisten, um sozialen Wandel zu er­ reichen, mögen hier und da Verbesserungen sein, sind aber nicht Formen des Wandels, der grundsätzlich Neues schafft. So ist nach Yoder Soteriologie nicht nur Ekklesiologie, sondern Ekklesiologie ist auch Sozialethik – und Sozialethik wird zum Evangelium bzw. umgekehrt das Evangelium wird zur Sozialethik. So ist der Untertitel der Aufsatzsammlung Yoders zum Priestly Kingdom (1984) zu verstehen: Social Ethics as Gospel. Diese keryg­ matische Ausrichtung der Sozialethik wird im einzelnen in dem scharfsinnigen Aufsatz Why Ecclesiology is Social Ethics (in: The Royal Priesthood, 1998, ursprünglich 1980), vor allem im Gespräch mit Karl Barth, ausführlich erläutert und wurde bereits in dem langen Aufsatz »A People in the World« (1967) auf eindrucksvolle Weise vorweggenommen: »The political novelty that God brings into the world is  a community of those who serve instead of ruling, suffer instead of inflicting suffering, whose felloship crosses social lines instead of reinforcing them. This new Christian community in which the walls are broken down not by human idealism or by democratic legalism but by the work of Christ is not only a vehicle of the gospel or only a fruit of the gospel; it is the good news. It is not merely the agent of mission or the constituency of a mission agency. This is the mission.«15 Die Kirche vermittelt nicht die Botschaft, sondern ist die Botschaft. Botschaft und Medium sind untrennbar miteinander verbunden.16 Hier wird zwar der Anschein erweckt, als sei die Theologie auf Ethik reduziert worden, wer jedoch der Vorstellung folgt, dass die Gemeinde Jesu Christi nicht nur auf das Heil verkündigend hinweist, sondern in eschatologischer Sicht bereits antizipiertes Heil ist, wird sich daran nicht stoßen, dass zwischen Ethik und Theo14 John Howard Yoder, Royal Priesthood, 373; ders., Die Politik des Leibes Christi, 137. 15 John Howard Yoder, The Royal Priesthood, 91 (zur Entstehung dieses Aufsatzes s. 65). 16 John Howard Yoder, Die Politik des Leibes Christi, 41.

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logie nicht getrennt wird.17 Der Akzent, den Yoder auf die Ethik legt, erklärt sich aus der Tatsache, dass Theologie in dem Raum verwurzelt ist, in dem ihr »Gegenstand« seine heilsame Wirkung entfaltet, und das heißt, dass Theologie vor allem und zuerst die »concrete practices of the church community« bedenkt.18 Auf seine Weise bewegt sich Yoder hier sehr deutlich in Rufnähe zur Theologie Karl Barths. Trutz Rendtorff hat die Zuordnung von Dogmatik und Ethik, die in der protestantischen Theologie der Neuzeit methodisch auseinander getreten waren, bei Barth genau untersucht.19 Einer­ seits hat Barth die Ethik in die Dogmatik hineingezogen, und andererseits hat er der Dogmatik einen ethischen Sinn ver­liehen. So gesehen ist Dogmatik also immer auch schon oder vor allem zuerst theologische Ethik. Das dürfte Yoder angezogen und bestärkt haben, den ethischen Akzent täuferischer Frömmigkeit in die Diskussionen um eine Theologie des Friedens einzubringen und weiter zu entwickeln. Barth hatte allerdings noch deutlich zwischen einer impliziten Ethik, also im Rahmen der Gotteslehre dogmatisch expliziert, und einer expliziten Ethik, von dogmatischen Arbeitsgängen in der Kirchlichen Dogmatik bewusst abgesetzt, unterschieden. Diese Arbeitsteilung hat Yoder nicht vorgenommen. Er hat sich vielmehr so intensiv auf die Ethik konzentriert, dass der Anschein entstehen konnte, als habe 17 Vgl. Thomas Finger, Did Yoder Reduce Theology to Ethics?, in: Gayle Gerber Koontz/Ben Ollenburger (Hg.), A Mind Patient and Untamed: Assessing John Howard Yoder’s Contributions to Theology, Ethics, and Peacemaking, Telford, PA, 2004, 187–204. Kritisch zuletzt in dem Sinn, dass Theologie in Ethik aufgelöst wird: Paul Martens, The Heteroldox Yoder, Eugene, OR, 2012. Anders Branson L. Parler, Spinning the Liturgical Turn: Why Yoder Is Not an Ethicist. In: Radical Ecumenicity: Pursuing Unity and Continuity after John Howard Yoder, hg. von John C. Nugent, Abilene, TX, 2010, 173–192. 18 Chris K. Huebner, A Precarious Peace. Yoderian Explorations on Theology, Knowledge, and Identity. Waterloo, Ont./Scottdale, PA., 2006, 59 f. 19 Trutz Rendtorff, Der ethische Sinn der Dogmatik. Zur Reformulierung des Verhältnisses von Dogmatik und Ethik bei Karl Barth, in: Trutz Rendtorff (Hg.), Die Realisierung der Freiheit. Beiträge zur Kritik der Theologie Karl Barths, Gütersloh 1975, 119–134.

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er es nicht für nötig gehalten, sich explizit um die klassischen Themen der Theologie bzw. der Gotteslehre, wie sie in jeder Dogmatik behandelt werden, zu bemühen. Sie werden bei ihm nur zur Sprache gebracht, sofern sie die Tatsache zu unterstreichen vermögen, dass in der Ethik das gesamte Heil zum Ausdruck gebracht wird, das Gott den Menschen zugeeignet hat. So fallen in seinem Denken Ethik und Ekklesiologie ineinander, Ekklesiologie wird zu theologischer Sozialethik, weil Kirche das Heil ist, in dem der Mensch zu Gott konkret in Beziehung gesetzt ist und ihm dort begegnet. Auch darin kann Yoder sich von Barth bestätigt fühlen: Gott wird von Barth als handelndes, sich selbst bestimmtes Subjekt beschrieben, d. h. Gott wird den Menschen in seinem Handeln offenbar  – nirgendwo sonst.20 Für Yoder heisst das, dass im Handeln der Kirche, in ihren Praktiken und Sakramenten, wie er seine verstreuten Bemerkungen später in Body Politics (1992) zusammenführte, Handeln Gottes sichtbar wird. Unter diesem Gesichtspunkt kann die Kirche bereits zum Heil in dieser Welt und die Praktiken der Kirche können »gute Nachricht und Anzeichen, dass die Verwirk­lichung der neuen Welt schon begonnen hat« werden.21 Den tieferen Zusammenhang der theologogischen Ethik mit der Gotteslehre hat Yoder allerdings nicht rezipiert. Dieser Zusammenhang liegt, wie Rendtorff gezeigt hat, in der Problematik der neuzeitlichen Subjektivität begründet, mit der sich Barth konfrontiert sah. Angesichts der Relativierung und des Verfalls der Werte im Traditionsgefälle von Aufklärung und Historismus ist der selbstbestimmte Mensch nach Barth nicht in der Lage, ethische Kriterien für richtiges Handeln zu finden, um sich selbst zu verwirklichen. So wird die Selbstbestimmng des Menschen zur Illusion. Nicht das menschliche Subjekt vermag sich selbst zu bestimmen, sondern allein das Subjekt, das Gott ist. Diese Selbst­ 20 Ebd., 125. Rendtorff zitiert Karl Barth, Kirchliche Dogmatik II/1, 305: »Gott ist der, der nicht nur allein in seiner Tat zu finden ist, sondern der darum in seiner Tat zu finden ist, weil er allein in seiner Tat der ist, der er ist.« 21 John Howard Yoder, Die Politik des Leibes Christi, 92.

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bestimmung besteht darin, dass Gott sich dem Menschen zuwendet und ihm die Freiheit gewährt, sich nun seinerseits selbst zu bestimmen und sein Handeln nach den Geboten Gottes auszurichten. R ­ endtorff betont, dass Barth das Subjektproblem seiner Zeit aufgriff und im Umkehrschluss eine Lösung in der Gotteslehre suchte. Yoder versuchte indessen im Ergebnis göttlichen Handelns, d. h. in der von Gott geschaffenen Gemeinschaft mit den Menschen einen Weg für richtiges Handeln zu finden. Das Subjektproblem des neuzeitlichen Menschen wird ausgeblendet bzw. wird in einem korporativen Heilsverständnis aufgelöst: explizit in dem bereits erwähnten Rechtfertigungskapitel in Yoders Politik Jesu (2012). Barth hingegen hat, wie Rendtorff sagt, »die ethische Problematik entschlossen an die Klärung des Subjektes« gebunden.22 Das ist auch der Grund, wie später zu zeigen sein wird, warum Barth dem individuellen Glaubensverständnis eine höhere Bedeutung zuerkennt, als Yoder es tut, und warum die Kirche nicht als Heil begriffen wird. So erklärt sich nach Rendtorff, dass »an der Ethik etwas anderes zum Problem wird, was nicht mit ihrem ethischen Sinn identisch ist« und sich aus der »Begründung des Zusammenhangs von ›Ethik‹ und Sündenfall« ergibt: »Die Gnade Gottes protestiert gegen alle vom Menschen aufgerichtete Ethik als solche.«23 Diese theologische Wendung des Subjekt­problems wird noch einmal bedacht werden müssen, wenn Yoder nach Wegen einer Kooperation in Sachen Frieden mit Menschen sucht, die sich nicht der Kirche, sondern der Weisheit der Ge­sellschaft verbunden wissen (s. Kap. V). Im Zentrum des Kirchenbegriffs, wie Yoder ihn gefasst hat, steht das Kreuz Christi. Das ist in einem doppelten Sinn gemeint. 1. Der Tod Jesu am Kreuz, wie er von seinen Jüngern aufge­ nommen wurde, bringt die Solidarität Gottes mit den Menschen zum Ausdruck, die sich von ihm abgewandt, mehr noch, die sich ihm mit aller Macht widersetzt hatten und immer noch widersetzen. Diese Solidarität zeigt sich darin, dass Jesus den Weg ans Kreuz ohne Gegenwehr (»gewaltfrei«) gegangen ist. Unsolida22 Trutz Rendtorff, Der ethische Sinn der Dogmatik, 126. 23 Ebd., 126.

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risch wäre, sich nichts gefallen zu lassen und seine eigene Über­ legenheit auszuspielen. Den Willen, selbst den bösen Willen eines anderen nicht zu brechen, zeugt von Nachsicht und Zuneigung. Sich dem Staat beispielsweise zu unterstellen, ist, wie wir sehen werden, eine neue Weise, dessen Macht nicht anzuerkennen, also im Sinne Jesu Christi zu handeln, der die feindseligen Mächte in dieser Welt bereits besiegt hat. 2. Nachdem die Jünger von der Auferstehung des Gekreuzigten erfahren hatten, begannen sie, den Tod Jesu nicht als das Ende des Lebens, sondern als den Anfang eines neuen Lebens zu begreifen und den Mut zu fassen, Jesus in derselben leidensbereiten und friedfertigen Weise nachzufolgen und den Weg eines neuen Lebens in der Hoffnung auf die Vollendung des göttlichen Reiches zu gehen, das mit der Verkündigung, dem Tod und der Auferstehung Jesu Christi entstanden war (»präsentische Escha­ tologie«). In dieser Nachfolge verwirklicht und erhält sich Kirche, wie sie sich von der Welt mit ihren klaren Konturen ethischen Verhaltens absetzt und sich ihr als Heilsbotschaft, die schon Heil ist, doch auf sichtbare Weise auch zuwendet. Diese Kirche muss damit fertig werden, dass sie zwar eine Gemeinschaft ist, die es vorher so noch nicht gegeben hat, aber noch nicht ist, was in Zukunft aus ihr werden wird. Sie lebt noch in der Spannung, in der alter und neuer Äon nebeneinander, zwar getrennt, aber doch aufeinander bezogen, bis zum Ende der Tage jeweils ihre Wirkung entfalten. Nicht die Fülle des Neuen, auch nicht mehr die Herrschaft der Sünde, wohl aber das »Noch nicht« ist die Signatur der Kirche. Über diesen »futurischen« Aspekt der Eschatologie wird noch weiter nachzudenken sein. Möglicherweise ist er von Yoder nicht stark genug berücksichtigt worden. Die Theologie Yoders konzentriert sich auf den Weg Jesu ans Kreuz. Jesu gewaltfreies Verhalten, seine Gesten und ­Taten mussten Widerstand hervorrufen, da sie den poltisch-religiösen Ambitionen der Herrschenden zuwiderliefen, und schließlich mit dem Tod bestraft werden. Nicht der Tod am Kreuz, wohl aber die Verkündigung der Auferstehung des Gekreuzigten bestätigte den Jüngern, dass Jesu gewaltfreies Verhalten aus Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes gewählt worden war und, wie 93 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

Yoder in seinem Abschnitt über das Königreich, das kommen wird, in seiner Politik Jesu nicht müde wird zu beteuern, dass der Verzicht auf Gewalt, für den Jesus sich entschlossen hatte, sowohl für die Juden als auch für die römische Besatzungsmacht politische Relevanz besaß und unter politischen Gesichtspunkten seine Hinrichtung rechtfertigte.24 Das ist der Grund, warum Yoder soviel Wert darauf legt, die Aufmerksamkeit des theo­ logischen und ethischen Denkens auf das Leben des irdischen ­Jesus zu richten und sich von seiner Art anregen zu lassen, die Lebens­probleme, die sich den Menschen stellen, zu bewältigen. Im Leben Jesu, im Verhalten und den Gesten der Gewaltfreiheit, findet Yoder die Grundzüge einer Ethik, die nicht von den Bedürfnissen der Menschen her konzipiert wird, sondern vom Heil, das sich im Kreuz Jesu und in der Nachfolge Jesu auf dem Weg der Gewaltfreiheit durchsetzt. Gegenüber den wissenschafts­ theoretisch bemühten Begründungen der theologischen Ethik in den Lehrbüchern verschiedener Konfessionen ist die Begründung Yoders einfach und provokativ zugleich: »we can be doing gospel social ethics if we are telling the story of Jesus.«25 Letztlich wurzelt diese Begründung in der Christologie, wie Yoder sie im Anschluss an Karl Barth versteht. Sie konzentriert sich nicht nur auf den auferstandenen und erhöhten Herrn, sondern schließt auch das Wirken Jesu auf dem Weg zum Kreuz mit ein. Für ­Yoder ist der irdische, d. h. historische Jesus, unmissverständlich der erhöhte Christus der Gemeinde. In der Geschichte Gottes mit den Menschen ist der eine nicht vom anderen zu trennen. In­karnation Jesu, Auferstehung und Erhöhung fallen ineinander. Aus diesem Grund ist auch die Frage, warum der christliche Pazifismus für Yoder nicht eine Frage der Ethik unter anderen Fragen, sondern mit dem Verständnis des Lebens Jesu und des Heils aufs Engste verknüpft ist, das sich als Gemeinde Jesu Christi verwirklicht. Nicht der christologische Akzent sei das Bedeutsame an der Theologie Yoders, meinen Stanley Hauerwas und Alexander Sider, sondern dass er sich weigerte, Christo­logie 24 John Howard Yoder, Politik Jesu, 60. 25 John Howard Yoder, Why Ecclesiology Is Social Ethics: Gospel Ethics Versus the Wider Wisdom, in: ders., Royal Priesthood, 109.

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von der Nachfolge Jesu zu trennen. Die Nachfolge Jesu wurde nicht nur mit der Christologie begründet, sie war auch mehr als eine sich aus dem Heil ergebende Praxis des Christen: »For Yoder, salvation is the obedient life of the disciple of Jesus.«26 So wird die Kirche nicht nur ein »Vorgeschmack« des Reiches Gottes, sie kann auch ein Vorgeschmack des Friedens sein, »for which the world is made«.27 Höher kann der Stellenwert nicht eingeschätzt werden, den das Problem des Friedens bei Yoder einnimmt: Theologie ist Friedenstheologie oder sie ist keine Theologie. Um zu erklären, warum die Kirche ihre eschatologisch geprägte Ethik, also auch die im Zentrum der »messianischen Gemeinschaft« verankerte Friedenstheologie, nicht durchhielt und die Differenz zwischen dem alten und dem neuen Äon ein­ebnete, hat Yoder von Anfang an und immer wieder das Argument von der »konstantinischen Wende« bemüht. Seiner Meinung nach haben bereits die frühen Täufer, die sich an der Urgemeinde orientierten, um ihre Reformbemühungen zu rechtfer­tigen, den Niedergang der Kirche in der zunehmenden »Verweltlichung« gesehen, die unter der Herrschaft des römischen Kaisers K ­ onstantin des Ersten eingeleitet wurde und aus der verfolgten Minderheit christlicher Gemeinden erstaunlich schnell die offizielle Religion des römischen Reiches werden ließ.28 Yoder räumt ein, dass diese Rolle den christlichen Gemeinden nicht plötzlich aufgezwungen worden sei, sondern die Bereitschaft, eine solche Rolle zu übernehmen, sich schon seit 200 nach Christus in den christlichen Gemeinden ausgebildet und in Konstantin nur ihr »Symbol« gefunden habe: »he stands for a new era in the history of Christianity«.29 Hier kann nicht näher auf das historische Argument eingegan26 John Howard Yoder, Preface to Theology: Christology and Theological Method, Grand Rapids, Mich., 2002, Einleitung von Stanley Hauerwas und J. Alexander Sider, 15 und 21. Zur Verankerung der Ethik in der in der Christologie bei Yoder s. neuerdings: Branson L. Parler, Things Hold Together. John Howard Yoder’s Trinitarian Theology of Culture. Harrisonburg, VA, und Waterloo, Ont., 2012, 101–132. 27 John Howard Yoder, The Priestly Kingdom, 94. 28 John Howard Yoder, Täufertum und Reformation im Gespräch, 70. 29 John Howard Yoder, The Constantinian Sources of Western Social Ethics, in: ders., The Priestly Kingdom, 135.

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gen, es sollen zunächst nur einige theologische Aspekte herausgestellt werden, die Yoder mit dieser Zäsur in der frühen Geschichte der christlichen Kirche verbindet und für die Preisgabe einer kompromisslosen Friedensstrategie verantwortlich macht. Erstens diagnostiziert er, dass die ursprüngliche, eschatologisch begründete Differenz zwischen Kirche und Welt aufgegeben wurde und mit dieser Differenz auch die Sichtbarkeit der Kirche. Sobald aus einer religiösen Minderheit eine Mehrheit wird, verschwinden die Grenzen zwischen Kirche und Welt. Die Kirche wird »unsichtbar« (ecclesia invisibilis), sichtbar ist nur der Kaiser als Repräsentant eines christlichen Reiches (eines corpus mixtum aus Gläubigen und Ungläubigen) und der Klerus, der die poli­ tische Herrschaft stützt und über den bis ins Mittelalter hinein die Kirche definiert wird (»Wo der Priester ist, ist Kirche«). Zweitens kann die Kirche nicht mehr als moralische Instanz wirksam sein und die Norm christlichen Verhaltens gegenüber der »Welt« bestimmen. Sie kann nicht diejenigen zum Glaubensgehorsam verpflichten, die nicht bereit sind, Jesus Christus als ihren Herrn zu bekennen; und deshalb sollten wir von ihnen nicht »the kind of moral performance« erwarten, »which would ­appropriately be the fruit of our faith«.30 Dieses Argument ergibt sich aus einer Situation, in der die Nachfolger Christi sich unter eschatologischen Gesichtspunkten als eine gesellschaft­liche Minderheit vorfinden. Drittens hat die Kirche mit dem Seitenwechsel, wie Yoder meint, es zwar nicht aufgegeben, sich als moralische Instanz zu verstehen, wohl aber hat sie den Inhalt der Moral verändert, nämlich den Gebrauch der Gewalt und den Kriegsdienst legitimiert und mit der Preisgabe ihrer eschato­ logisch motivierten Identität die Kontrolle über den Lauf der Geschichte übernommen, anstatt sie Gott selber zu überlassen. Viertens hat Yoder darauf hingewiesen, dass sich die Verbindung von Kirche und weltlicher Obrigkeit im Laufe der Zeit gewandelt, mit der Reformation die Kirche ihre Autonomie ganz an die welt­ liche Obrigkeit verloren habe, aber nach der Aufklärung im Zuge der Säkularisation noch die konstaninische Grundeinstellung 30 John Howard Yoder, The Original Revolution, 122.

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fortgesetzt und jeweils neue Modelle einer Partnerschaft mit der Macht entwickelt und die Kontrolle über die Geschichte, sogar mit der obrigkeitskritischen Befreiungstheologie oder der Theologie der Revolution, weiterhin ausgeübt wurde.31 Max ­Weber hat von einem »ehernen Gehäuse der Hörigkeit« gesprochen, in dem der moderne Kapitalismus die Menschen gefangen hält, hier und an vielen anderen Stellen hat Yoder eine Geschichte der Hörigkeit dem Staat gegenüber auf seine Weise formelhaft nachgezeichnet, die er unter Anspielung auf Martin Luther gelegentlich die »Gefangenschaft« der Kirche nannte.32 Anders als Weber hat Yoder darauf vertraut, dass die Kirchen, die sich auf den Weg des Kreuzes begeben, darauf verzichten, die Kontrolle über den Verlauf der Geschichte zu übernehmen, und die Führung der Menschheit durch die Geschichte Gott selber überlassen wird. Wer die eschatologische Differenz zwischen Kirche und Welt als Reflex der Äonenwende so stark betont, wie Yoder es seit den Anfängen seiner theologischen Arbeit am Täufertum, an der Einheit der Kirche und am christlichen Friedenszeugnis getan hat, und mit der Sichtbarkeit der Kirche als Wirklichkeit des Heils in dieser Welt verbindet, musste mit dem Vorwurf rechnen, die allgemeine Gesellschaft mit ihren Problemen »außerhalb der Vollkommenheit Christi« (Schleitheimer Artikel) allein zu lassen und sich nolens volens unverantwortlich zu verhalten. So entzündete sich auch sehr bald eine Diskussion über das rechte Verständnis von Verantwortung der Christen für die Gesellschaft. Theologen, die Einwände gegen Yoders angeblichen Mangel an Verantwortung oder sogar gegen seine selbst erklärte »Unverantwortlichkeit« erhoben, waren vor allem Gordon D. Kaufman, J. Lawrence Burkholder und Rodney Sawatsky.33 Auf diese 31 John Howard Yoder, The Constantian Sources, 143. Vgl. auch Ders., Constantinianism Old and New, in: ders., Revolutionary Christianity. The 1966 South American Lectures, Paul Martens u. a. (Hg.), Eugene, OR, 2011, 135–145. 32 Fernando Enns, Friedenskirche in der Ökumene, 160. 33 Gordon D. Kaufman, Nonresistance and Responsibility and Other Mennonite Essays, Newton, Ks., 1979 (11958); Rodney J. Sawatsky/Scott Holland (Hg.), Limits of Perfection: A Conversation with J. Lawrence Burkholder, Waterloo, Ont.,/Kitchener, Ont., 21996. John Richard Burk-

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Kontroverse um die gesellschaftliche Verantwortung ist Mark Thiessen Nation in seiner Biographie Yoders ausführlich eingegangen. Er hat darauf hingewiesen und immer wieder betont, dass Yoder hier eine Problematik aufgenommen habe, die in der ökumenischen Bewegung diskutiert wurde: die Verantwortung der Kirchen in der Gesellschaft bzw. das Modell der »verantwortlichen Gesellschaft«.34 Ebenso treffend hat er aber bemerkt, dass Yoder sich diese Begriffsdiskussion nicht einfach aufdrängen ließ, als sei es darum gegangen, sich zwischen Verantwortung und Verantwortungslosigkeit zu entscheiden. Die Verantwortung, wie sie in der allgemeinen Diskussion gemeint war, werde nach Yoder einzig und allein mit dem Ziel erörtert, dem Nutzen des Staates bzw. der Nation zu dienen, im Grunde also ein Verhalten zu fördern, das unter dem Gesichtspunkt der Äonenwende dem Reich Gottes zuwider läuft und das sich die Kirche nicht zueigen machen dürfe. Unter diesem Gesichtspunkt sei Verantwortung also geradezu unverantwortlich. Verantwortung, die sich der Gesellschaft wirklich annähme, müsste anders aus­sehen. Sie äußert sich nicht darin, dass die Kirche dem Staat oder der Nation nach dem Munde redet und, wenn beide sich einen Nutzen davon versprechen, auch die Anwendung von Gewalt gegen die Feinde im Inneren und im Äußeren rechtfertigt, sondern dass sie dem Staat gegenüber ein kritisches Zeugnis ablegt. So hatte Y ­ oder seine frühen Gedanken in seiner programmatischen Schrift The Christian Witness to the State (1964) zusammengefasst. Alles käme darauf an, dem Staat zu sagen, was Gott für die »Welt« in Kreuz und Auferstehung Jesu getan habe, und was er, am Modell der Kirche ablesbar, mit der »Welt« noch vorholder/Barbara Nelson Gingerich (Hg.), Mennonite Peace Theology: A Panorama of Types, Akron, PA, 1991. Leo Driedger/Donald D. Kraybill (Hg.), Mennonite Peacemaking: From Quietism to Activism, Scottdale, PA, 1994. James C. Juhnke, The Mennonite Tradition of Cultural En­gagement, in: Mennonite Theology in Face of Modernity. Essays in ­Honor of Gordon D. Kaufman, Alain Epp Weaver (Hg.), Newton, KS, 1996, ­23–36. 34 Mark Thiessen Nation, John Howard Yoder, 151. Vgl. John Howard ­Yoder, Die Politik Jesu, 169–173. Ebenso ders., Love and Responsibility, in: ders., Revolutionary Christianity, 72–83.

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habe. Dieses Verständnis von Verantwortung erläuterte Yoder in seinem Aufsatz über Anabaptist Dissent und, wie Mark Thiessen Nation referierte, vor allem in der Auseinandersetzung mit dem Ethik-Konzept Reinhold Niebuhrs: »Of course, according to pacifist belief, there exists a real Christian responsibility for the social order, but that responsibility is a derivative of Christian love, not contradictory and self-defining ethical norm.«35 Im Grunde ist Yoder in dieser Diskussion um die gesellschaftliche Verantwortung der Kirchen oder der Christen genauso verfahren, wie im Hinblick auf die Begriffe »Politik«, »Revolution« oder »Demokratie« bereits bemerkt wurde. Er hat diesen Begriffen einen eigenen Inhalt gegeben und sie den Gesprächspartnern regelrecht aus der Hand genommen bzw. ihnen eine andere Diskussion zugemutet. Was gilt, wird in der Kirche entschieden, nicht in der »Welt«. Es wurde bereits gesagt, dass Yoder den Separatismus der Schleitheimer Artikel (1527) nicht im traditionellen Sinn eines Rückzugs aus der »Welt« oder einer »Weltflucht« interpretierte. Was beide Bereiche aufeinander bezieht, ist die Herrschaft Jesu Christi sowohl über die Kirche als auch über die »Welt«, besonders herausgestellt wird dabei der Staat als Exponent der gefallenen Schöpfung. Hier bringt Yoder zum Zuge, was er bei Oskar Cullmann über die präsentische Eschatologie im Neuen Testament und die Herrschaft Jesu Christi über die Kirche, die Mächte in der Welt und den Staat gelernt hat.36 In diesem Sinn hat er auch den Dualismus der Schleitheimer Artikel, in dem der einander ausschließende Kontrast zwischen der Gemeinschaft mit Christus und der Gemeinschaft mit Belial besonders scharf zum Ausdruck gebracht wurde (Art. 4), neu gedeutet, vielleicht sogar abgewandelt, wenn er den steilen Begriff des Dualismus durch den milderen der »Dualität« ersetzt, der ein Beziehungsverhältnis zwischen Kirche und Welt nicht ausschließt, vor allem aber durch 35 John Howard Yoder, The Anabaptist Dissent: The Logic of the Place of the Disciple in Society, Concern 1, Scottdale, Pa., 1954; und ders., Reinhold Niebuhr and Christian Pacifism, in: Mennonite Quarterly Review 29, 1955, 113; ebenso ders., Love and Responsibility, 72–83. 36 Earl Zimmermann, Practicing the Politics of Jesus, 114–121.

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die Unterscheidung von »Mächten«, dämonisch unsichtbar wirkenden Kräften in der Welt, und Staat den weltlichen Obrigkeiten noch einen kleinen Rest von Moralität (»basic ethical minimum«) zutraut und sie darauf anspricht (»to be more just«).37 Gleichzeitig wechselte Yoder die Begrifflichkeit von »nonresistance« zu »nonviolence«, was ihm einen aspektreicheren Umgang mit dem Staat ermöglicht hat.38 In der Kirche ist Christus Herr derjenigen, die mit Gott und den Glaubensenossen versöhnt sind und dieses wiederhergestellte Einvernehmen auch in ihrem Verhalten und Handeln vor aller Welt zu erkennen geben. In der Welt ist er Herr, sofern sein Heilsangebot allen Menschen verkündigt und dem Staat beispielsweise Zeugnis davon abgelegt wird, dass Gott ihm aufträgt, die Guten zu schützen und die Bösen zu strafen (Röm 13, 4), auch dass die Mittel der Gewalt nicht dazu angetan sind, Frieden in dieser Welt herzustellen und zu erhalten. Dieses Zeugnis abzulegen, ist Aufgabe der Kirche, und da sie als messianische Gemeinschaft das Zeugnis selbst ist, wird sie sich nicht in die obrigkeitlichen bzw. staatlichen Angelegenheiten direkt einmischen; sie wird alles daran setzen, nicht in der Politik des Staates aufzugehen; sie wird sich weigern, den Herrschenden dabei zu helfen, die Geschichte unter Kontrolle zu halten, da Gott allein die Gescichte lenkt und zum Ziel führt. Mit diesem Zeugnis werden die Herrschenden ermahnt, Unordnung und Chaos in ihrem Gemeinwesen einzudämmen, sie werden aber nicht genötigt, die Welt mit den Mitteln zu regieren, die in der Kirche zu Barmherzigkeit, Versöhnung und Friedfertigkeit führen. Der Moralkodex der Christen kann nicht denjenigen, die »außerhalb der Vollkommenheit Christi« leben, aufgedrängt werden. Das würde den Respekt vor deren Entscheidungsfreiheit verletzen. Mit einem solchen Zeugnis regiert die Kirche nicht über den Staat oder mit dem Staat, sondern gibt zu verstehen, dass Gott auch mit denje37 Mark Thiessen Nation, John Howard Yoder, 167; ebenso Earl Zimmermann, Practicing the Politics of Jesus, 119 f – »We can ask the state to live up to its own concept of justice« (121). 38 Vgl. Gayle Gerber Koontz, Peace Theology in Transition: North American Mennonite Peace Studies and Theology, 1906–2006, in: Mennonite Quarterly Review 81, 82.

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nigen noch Geduld hat, die sein Heilsangebot ausschlagen, und sie teilweise sogar in seinen Dienst stellt. Indem die Kirche bleibt, was sie ist, nimmt sie, wie Yoder meint, tatsächlich Verantwortung wahr. »The most effective way to contribute to the pre­ servation of society in the old aeon is to live in the new.«39 Die Kirche sucht das »Wohl der Stadt« (Jer 29, 7), auch wenn ihr Ziel ein ganz anderes ist: immer mehr in das Reich Gottes hineinzuwachsen. Diese Verantwortung signalisiert »soziale Präsenz« und hat sich in einer »relative improvement of the society« zu bewähren, nicht die großen Ziele gesellschaftlicher Veränderung planmäßig zu verfolgen, sondern kleine Schritte zu gehen, hier und da etwas zu verbessern – wo Not am Mann ist und gewaltsame Lösungen verhindert werden können.40 In seiner späteren Aufsatzsammlung For the Nations (1997) wird diese Art, Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen, genauer als früher erläutert und vertieft. Hier spricht Yoder gelegentlich auch von dem »jere­ mianischen Modell«, das als Paradigma für die Diasporaexistenz von Juden und Christen gleichermaßen gilt und die Haltung der Christen zur Welt der Heiden präfiguriert.41 In diesem Modell kommt das Verhältnis der Flüchtlingsgemeinde zu dem Land zum Ausdruck, das ihr Gastrecht gewährt, und der Imperativ, diesem Land zu dienen, soweit die eigene Identität dadurch nicht verletzt wird. Die Fremdexistenz ist keine beziehungslose Existenz, umgekehrt, die Beziehung zu gesellschaftlichen Institutionen suchen, ist ihr geradezu aufgetragen – allerdings ohne in der Gesellschaft des Gastgeberlandes aufzugehen. Darin sieht Yoder einen Auftrag, der beiden nützlich ist: »denn in ihrem Wohl liegt euer Wohl« (Jer 29, 7).42 39 John Howard Yoder, The Original Revolution, 87. 40 John Howard Yoder, For the Nations, 197 und 118. Gegen Ende seines Lebens hat sich Yoder intensiv mit der Möglichkeit beschäftigt, Konflikte zu erkennen, zu verändern und auf diese Weise zu entschärfen, so dass eine Eskalation der gewalttätigen Lösungen vermieden werden kann: s. Mark Thiessen Nation, John Howard Yoder, 169–188: »­Toward a Theology of Conflict Transformation«. 41 John Howard Yoder, See How they Go with the Face to the Sun, in: ders., For the Nations, 66–73. 42 Vgl. A. James Reimer, Mennonites and Classic Theology, 300–317.

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Kritik John H. Yoder hat den Grundakkord seiner Theologie mit bestechender Konsequenz aufgebaut, die Themen eng miteinander verknüpft und tief in der theologischen Arbeit seiner frühen Jahre in Europa verankert: in der Täuferforschung Harold S. Benders, der Kirchlichen Dogmatik Karl Barths und den neutestamentlichen Untersuchungen Oscar Cullmanns. So ist es ihm gelungen, aus der Position einer Minderheitenkirche heraus eine Friedenstheologie zu entwerfen, die aus dem Schattendasein eines konfessionellen Sondermerkmals ins Rampenlicht theologischer Auseinandersetzung trat und sich in die Beratungen innerhalb der ökumenischen Bewegung einzumischen vermochte. Hier wurde sie bereitwillig zu Rate gezogen und hat ihre Wirkung über seinen Tod hinaus bis in die inzwischen vorläufig abgeschlossene »Dekade zur Überwindung von Gewalt« entfaltet, die vom Zentralrat des Ökumenischen Rates der Kirchen ausgerufen wurde.43 Obwohl die Einflüsse Karl Barths und Oscar Cullmanns stark sind, hat Yoder doch etwas Eigenes geschaffen. Er ist den letzten Schritt, den Barth sich zu einem radikalen Pazifismus einzuschlagen weigerte, allein gegangen, und er hat die Grenzen des Gehorsams gegenüber dem Staat im Neuen Testament wesentlich enger gezogen, als Cullmann es tat. Schließlich hat er die eigene Kirche bedrängt, ihren traditionellen Separatismus aufzugeben, der in einer apolitischen Haltung erstarrt war, und ihre Öffentlichkeitsarbeit gegenüber dem Staat auf konstruktive Weise neu zu gestalten. Was Yoder von seinen theologischen Lehrern und seiner eigenen Kirche unterschied, war sein Bemühen, die Theologie konsequenter als diese aus einem neuen, in der eschatologischen Differenz der Äonenwende wurzelnden Verständnis von der christlichen Gemeinde als einer »neuen Kreatur« zu konzipieren. Das ist eine Gemeinde, die sich dem Frieden verdankt, den Gott mit den Menschen geschlossen hat, in der Frieden herrscht und die Frieden schafft – einen Frieden, der höher ist als alle Vernunft (Phil 4, 7). 43 Fernando Enns, der zu den Initiatoren dieser Dekade gehört und Delegierter der deutschen Mennoniten ist, hat Yoder ein breites Kapitel in seiner Dissertation gewidmet: Friedenskirche in der Ökumene, 1­ 56–200.

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Im Zentrum der Theologie Yoders steht das eschatologisch qualifizierte Verständnis von der Sichtbarkeit der Gemeinde, d. h. die Gemeinde ist als Gemeinschaft der Versöhnten erkennbar: für die Mitglieder der Gemeinde genauso wie für die Außenstehenden. Die Christen verhalten sich anders, sie reden von anderem und handeln anders. Sie lieben die Feinde, verzichten auf die Ausübung von Zwang und verweigern sich jeder Art von Gewaltanwendung. Das ist unübersehbar. Muss das aber heißen, dass die »Otherness of the Church« eine empirisch fassbare Sozialgestalt des Evangeliums ist, also verwirklichtes Heil in der Welt oder nicht doch nur das Ergebnis der allein im Glauben wahrnehmbaren, nicht objektivierbaren eschatologischen Differenz zwischen dem alten und dem neuen Äon? Sicherlich ent­ stehen soziale Beziehungen und Strukturen, die von denjenigen geschaffen werden, die an Jesus Christus glauben und ihn als ihren Herrn bekennen, aber sind das soziale Strukturen, die sich dem Glauben der Gemeindeglieder gegenüber verselbstständigen und für sich als eine soziologisch fassbare Größe existieren? Heißt es im Apostolischen Glaubensbekenntnis nicht, dass eine heilige christliche Kirche geglaubt werde, und suggeriert die Sichtbarkeit, wie Yoder sie postuliert, nicht eine Konkretheit der Kirche, die als Institution des Neuen Äons als solche von jedermann in dieser Welt jetzt schon wahrgenommen werden könnte? Hier stellen sich Fragen, und hier muss die Kritik an Yoders Konzeption einer Friedenstheologie und Friedens­k irche einsetzen. 1. »Sichtbarkeit« heißt, dass die christliche Gemeinde eine politische Mission in dieser Welt zu erfüllen hat, wenn auch nicht einen politischen Auftrag im Sinn der gefallenen Schöpfung, sondern in der Form eines Zeugnisses gegenüber der »Welt«, das von der Heilstat Gottes in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi abgegeben wird. Politisch ist nicht nur der Auftrag, nach außen in die Gesellschaft hinein zu wirken, politisch ist vor allem und zuerst, das Leben der »messianischen Gemeinschaft«, die sich als neue Gesellschaft darstellt, im Inneren zu regeln (s. später John Howard Yoder, Body Politics, 1992). 103 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

Entzündet hat sich die Diskussion um die »Sichtbarkeit« der Kirche bei Yoder am theologiegeschichtlichen Dualismus von ecclesia visibilis und ecclesia invisibilis, wie er die Auseinandersetzung zwischen Ulrich Zwinglis mit den frühen Täufern in der Schweiz bestimmte. Yoder meinte, dass Augustin, auf den dieser Dualismus wohl zurückgeht, die sichtbare Kirche allerdings noch als »wahre Kirche« verstand, obwohl in ihr Ungläubige und Gläubige in der Sakramentsgemeinschaft miteinander verbunden waren. Erst mit der Reformation sei die sichtbare Kirche als »selbständige soziologische Körperschaft aufgehoben bzw. in den Staat aufgesogen« worden.44 Um die Selbstständigkeit der christlichen Gemeinde gegenüber der weltlichen Obrigkeit sicherzustellen, hat Yoder die sichtbare Gemeinde mit den Grundattributen der Kirche ausgerüstet – und das so sehr, dass er die Kirche zur Gemeinschaft des Heils hochstilisiert hat. In der Art, wie er das zum Ausdruck bringt, liegt sicherlich ein Problem. Die Kirche ist zwar als eine »neue Schöpfung« auf den Plan getreten, aber immer »noch nicht« in ihrer Vollendungsgestalt präsent. Wohl ist es sinnvoll, auf der »Sichtbarkeit« der Kirche zu bestehen, da mit ihr etwas »Neues« in die Welt gekommen ist, doch in den Begriff der »Sichtbarkeit« müsste mehr, als es bei Yoder geschehen ist, das »Noch nicht« und das »Provisorische« hineinreflektiert werden. Im Verhalten, Reden und Handeln der Kirche müsste bezeugt werden, dass in ihr wirksam ist, was über sie auf ihre Vollendung im Reich Gottes hinausweist. Das hat Otto Weber, der reformierte Dogmatiker im Gefolge Karl Barths, auf paradoxe Weise so zum Ausdruck gebracht: Die Kirche »trägt eine Verheißung in sich, die sie in ihrem greifbaren Da-Sein und So-Sein überschreitet. Der Glaube (credo ­ecclesiam) hat es mit ihr, mit der sichtbaren Gemeinde zu tun. Aber er ergreift damit die Verheißung und den Anspruch, unter denen allein sie Gemeinde ist. Sie ist nicht ›unsichtbar‹. Aber sie ist ›unsichtbar‹ das, was sie sichtbar ist.«45 Diese paradoxe Redeweise schützt die 44 John Howard Yoder, Täufertum und Reformation im Gespräch, 146 f. 45 Otto Weber, Grundlagen der Dogmatik, Zweiter Band, Neukirchen (Kreis Moers) 1962, 603. – Anders bringt Paul Tillich diese Paradoxie zum Ausdruck: »Das Paradox der Kirchen besteht darin, daß sie auf

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Gemeinde davor, ihren Charakter einer eschatolo­gischen Existenz zu verlieren. Das aber heißt, dass nur so die Spannung zwischen dem alten und dem neuen Äon wirklich aufrecht erhalten bleibt und nicht nur die »Welt«, sondern auch die Kirche und ihr Ethos, also die »Zweideutigkeit« (Paul Tillich) ihres Redens, Verhaltens und Handelns, immer noch unter dem Gericht Gottes stehen und die Kirche nicht unbekümmert um das Gericht der verheißenen Vollendung im Reich Gottes entgegen geht. In aller Zweideutigkeit, Gericht und verheißener Vollendung, ist die Kirche mit der »Welt« solidarisch, wie Jesus Christus in Kreuz und Auferstehung mit der gesamten Schöpfung solidarisch war und ist. Über die sichtbare Kirche kann nur auf eine gebrochene Weise gesprochen werden  – und das wird bei Yoder vermisst. Richtig war, dass er in relationaler Weise von der Kirche sprach, von einer Gemeinschaft derjenigen, die sich zu Jesus Christus der einen Seite an den Zweideutigkeiten des religiösen Lebens und des Lebens im allgemeinen teilnehmen, daß sie aber auf der anderen Seite an dem unzweideutigen Leben der Geistgemeinschaft teilhaben« (Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd. 3, Stuttgart 1966, 194). – Offensichtlich hat Yoder sich über die Warnung Karl Barths hinweggesetzt: »Sollte das, was sie (die Kirche) ist, mit dem direkt identisch sein, als was sie allgemein sichtbar ist, ja, sollte sie selbst ihre konkret geschichtliche Gestalt für ihr Sein halten, mit diesem gleichsetzen, abstrakt in dieser existieren wollen, dann wehe ihr!« (Karl Barth, Kirchliche Dogmatik IV, 1, 734). Oder: »Ist das, was sie ist, ihr Geheimnis, ihr geistlicher Charakter, nicht ohne Manifestationen und Analogien in ihrer allgemein sichtbaren Gestalt, so gibt es doch keine solchen allgemein sichtbaren Manifestationen und Analogien, in denen sie sich unzweideutig darstellen würde« (ebd., 733). – In seiner Ökumenischen Dogmatik (1983) hat Edmund Schlink darauf hingewiesen, »dass die Gemeinschaft der wahrhaft Glaubenden, der Heiligen, der lebendigen Glieder des Leibes Christi innerhalb der irdischen Kirche besteht. Zugespitzt kann man sagen: auch wenn die unsichtbare Kirche bis zum jüngsten Tag in der sichtbaren Kirche verborgen ist, (…) ist doch auch nach reformatorischem Verständnis die unsichtbare Kirche in der sichtbaren Kirche sichtbar. Denn wo das Evangelium verkündet und die Sakramente gespendet werden, dürfen wir darauf vertrauen, daß dies nicht ohne Frucht des Glaubens, der Rechtfertigung und des neuen Gehorsams bleibt, wenngleich erst der wiederkommende Christus die Wirklichkeit dieser Früchte endültig offenbar machen wird« (Edmund Schlink, Ökumenische Dogmatik, 687).

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bekennen, also in einem Gehorsamsverhältnis zu ihm stehen (Gehorsam ist ein Beziehungsbegriff), doch mehr als problematisch ist, wenn die Gemeinde zugleich als das jetzt schon realisierte Heil verobjektiviert bzw. ontologisiert wird. Im Grunde hat Yoder hier seinen eigenen Ansatz unterminiert: »The differences between Christian ethics for Christians and a Christian ethic for the state is therefore due to duality not of realms or levels but of responses.«46 Diese Antworten oder Bekenntnisse beziehen sich hier im Grunde nicht auf Verhaltensweisen und Verhältnisse, sondern auf Herrschaftsbereiche, die auf unterschiedliche Weise unter Jesus Christus stehen. Sie erhalten, wie sich weiter unten noch genauer zeigen wird, die Weihe eines ontologisch objektivierten Status. 2. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Yoder ein korporatives Heilsverständnis vertreten hat. Die Kirche ist Heil, in­ sofern sich in ihr eine »neue Art menschlichen Zusammen­lebens realisiert«.47 In dieser Gemeinschaft, die gelegentlich auch als »a new Peoplehood« umschrieben wird, finden die Gläubigen zu einer neuen Identität und einem »way of life«, der sich grund­ legend von der Art unterscheidet, wie Menschen in der »Welt« leben. Mit der Partizipation an dieser Gemeinschaft steht und fällt das Heil der Menschen. Wie sein neutestamentlicher Lehrer Oscar Cullmann hat Yoder das Heil nicht an der Erfahrung des Einzelnen orientiert, sondern an der objektiv ­vorgegebenen Heilsgeschichte bzw. der Kirche als messianischer H ­ eilsgemeinde.48 Damit glaubte er einer existentialistisch, an der Geschichtlichkeit oder der Subjektivität des Menschen orientierten Theologie ausweichen zu können. Was die Reformatoren mit der 46 John Howard Yoder, The Christian Witness to the State, 32. Anders sieht es Fernando Enns, Friedenskirche in der Ökumene, 195: »Es konnte gezeigt werden, wie Yoder konsequent ontologische Aussagen im Blick auf die Definition von Kirche verweigert.« 47 Matthias Zeindler, Die Kirche des Kreuzes, 69. 48 Vgl. Karl Heinz Schlandraff, Neutestamentliche Theologie in heilsgeschichtlicher Perspektive: http//www.afet.de/etm 199/Cullmann.htm.

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Rechtfertigung des Sünders aus Gnaden allein beschrieben, einer individualistisch ausgerichteten Kategorie des theologischen Denkens, hat Yoder im Anschluss an die frühen Täufer korporativ gefasst. In den lutherischen und reformierten Kirchen wurde den Menschen das Heil in Wort und Sakrament zugesprochen, die Kirchen waren die Institutionen, in denen dafür gesorgt wurde und in denen das geschah. Die Kirche diente dem Heil. »Der klassische Protestantismus sieht die Rechtfertigung aus Gnade durch den Glauben als den Dreh- und Angelpunkt des Evangeliums. Wenn wir dem zustimmen, müssen wir dann nicht die Ethik, die Paulus von den Judenchristen übernommen und mit den Heidenchristen geteilt hat, als Überbleibsel eines überlebten, zum Untergang verurteilten Systems ansehen?«49 Mit dem Hinweis auf die kosmische und soziale Dimension der Rechtfertigung bei Paulus erhält dieses Lehrstück bei Yoder eine andere, nämlich eine ekkle­siologische Bedeutung.50 Im Täufertum war die Kirche bzw. die Gemeinde selbst das Heil, in das derjenige, der dieser Gemeinde durch die Taufe und die Verpflichtung, sich der Disziplin der Gemeinde zu unterstellen (letzteres für Yoder wichtiger als die Taufe), beitrat. Für die Täufer wurde die Gemeinde zu einer Lebensgemeinschaft (»God’s people gathered as a unit, a people, gathered to do b ­ usiness in His name«51). Chris K. Huebner begriff die Kirche in der Nachfolge Yoders als den Ort, »where we learn to model our lives in Christ«52, während sie für die großkirchlichen Reformatoren eine Gemeinschaft war, in 49 John Howard Yoder, Die Politik Jesu, 238. 50 Ebd., 239 f Damit ersetzt Yoder nicht die am glaubenden Individuum orientierte Rechtfertigungslehre durch die Ekklesiologie, sondern verweist sie nur auf den zweiten Rang (Politik Jesu, 252). Davon wird auch die Christologie in Mitleidenschaft gezogen. Sie tritt längst nicht so deutlich in den Mittelpunkt der theologischen Überlegungen, wie ­Branson L. Parler, Things Hold Together, 2012, sie beschrieben hat: »Yoder’s New Testament Christology« (Kap. 4, 101–132). 51 John Howard Yoder, The Original Revolution, 31. Im Zitat weiter: »to find what it means here and now to put into practice this different ­qualtiy of life which is God’s promise to them and to the world and their promise to God and service to the world.« 52 Chris K. Huebner, A Precarious Peace, 211.

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der die rechte Lehre gepflegt und das Wortes Gottes verkündigt wurde. Yoder hat hier eine krasse Gegensätzlichkeit konstruiert: Die Reformatoren haben im Zuge des sich fortsetzenden Konstantinismus in der Gemeinde einen »preaching post« ge­sehen und nicht »a distinguishable fellowship in society«.53 Die Annahme des Wortes war nicht Grundbestandteil ekklesiologischer Re­f lexion, wie es nach Yoder im Täufertum der Fall war. Schließlich hatte das individualistisch ausgerichtete Heilsverständnis die Möglichkeit eröffnet, die Kirche als eine »Organisation« der kerygmatischen Glaubensvermittlung in das landesherr­ liche »Kirchenregiment« zu integrieren und ihre Selbstständigkeit vollends zu verlieren, wie Yoder meinte, während die den ganzen Menschen erfassende, komplexere Lebensgemeinschaft als »Volk Gottes« auf der Selbstständigkeit der Gemeinde gegenüber der obrigkeitlich-weltlichen Herrschaft bestand und um die Freiheit der Kirche von jeder obrigkeitlichen Einflussnahme rang. Es stellt sich die Frage, ob das korporative Heilsverständnis, das seinen Niederschlag in einer den Menschen ganz und gar vereinnahmenden Ekklesiologie findet, dem biblischen Befund und auch der täuferischen Aufforderung zur Nachfolge Jesu Christi gerecht wird. Gerade in einer Zeit, in der die allgemeine Akzeptanz des Christentums stark nachgelassen hat, fällt das Licht, wie der Neutestamentlicher Ernst Käsemann meinte, auf den Einzelnen: »Im Ernstfall steht Christus immer dort, wo der einzelne Christ sich bewährt. Es gilt so zu leben, daß alles fallen kann und darf außer dem einen, nämlich Jesu Wort: Du aber folge mir nach.«54 Darüber hinaus weist Käsemann auf konkrete Beispiele der Begegnung Jesu mit einzelnen Menschen hin: »Er ist scheinbar ziellos unterwegs, zieht aber dabei gleichsam magnetisch die an, die seiner Hilfe bedürfen. Er lässt sie merkwürdigerweise hinterher auch wieder laufen, statt, wie die Frommen seiner Zeit und die Gemeinde nach Ostern, feste lokale Gruppen zu grün53 John Howard Yoder, The Radical Revoluton in Theological Perspective, in: ders., For the Nations, 114. 54 Ernst Käsemann, Theologen und Laien, in: ders, Exegetische Versuche und Besinnungen, 2. Bd., Göttingen 21968, 292.

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den. Er ist ganz dem Augenblick hingegeben, als wäre das allein wichtig. Mir scheint, dass dieser Sachverhalt sich überall dort wiederholen wird, wo jemand in Jesu Nachfolge steht.«55 Diese Beobachtung eines Exegeten des Neuen Testaments scheint mir um so bemerkenswerter zu sein, als Yoder immer wieder von der »Gemeinde« spricht, die Jesus während seines Erdenlebens um sich sammelt, von der »messianischen Gemeinschaft«, die nicht erst nach der Auferstehung Jesu Christi bzw. mit der Ausgießung des Heiligen Geistes zu Pfingsten entsteht, sondern bereits vorher auf dem Weg Jesu ans Kreuz. Das war angeblich auch eine Gemeinde, der bereits von Jesus eine feste Ordnung der Konfliktbewältigung und Selbstreinigung gegeben worden war – un­ bekümmert um die Differenz zwischen genuinen Jesusworten und sogenannter Gemeindebildung, d. h. einer von späteren Erfahrungen her konzipierten Darstellung der Evangelien.56 Gegen die Gewohnheit der Mennoniten, die Gemeinde gegen das Individuum auszuspielen, hatte bereits in Yoders Forma­ tionsphase Gordon D. Kaufman kritische Einwände erhoben und darauf hingewiesen, dass die Gemeinde, wenn sie nicht als ein »physical«, sondern als ein »social organism« gefasst wird57, nicht in der rigorosen Weise von der Welt getrennt sei, wie das bei ­Yoder der Fall ist. Als soziale Körperschaft setzt sie sich aus Individuen zusammen, die nicht nur in der Kirche, sondern auch in anderen sozialen, beruflichen, politischen und kulturellen Zusammenhängen oder »societies« leben, die sie prägen und denen sie verpflichtet sind. Gerade im Wirken der Individuen vermag die christliche Botschaft tief in die gesellschaftlichen Zusammenhänge hineinzuwirken und die Kirche sich als die Kraft zu erweisen, die Gott nutzt, um die Gesellschaft in das Reich Got-

55 Ebd., 293. 56 Vgl. Günter Bornkamm, Die Binde- und Lösegewalt in der Kirche des Matthäus, in: ders, Studien zum Matthäus-Evangelium, hg. von Werner Zager, Neukirchen-Vluyn 2009, 79–93. – Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus, 3.  Teilband: Mt 18–25, Zürich, Düsseldorf und Neu­ kirchen-Vluyn 1997, 37–60. 57 Gordon D. Kaufman, The Christian in Church and World, in: ders., Nonresistance and Responsibility, 106.

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tes zu verwandeln.58 Daraus folgt, »that the kind of ecclesiastical imperialism which demands that the individual disciple make his decisions exclusively in terms of the concrete norms of the empirical living church is unacceptable«. Daran schließt Kaufman das deutliche Urteil an: »The existing church can no longer be regarded as the norm-giving society, the society to which and in terms of which one’s life is oriented; it now becomes relativised to being one of the societies which so functions.«59 Diese Verhältnisbestimmung von »Kirche und Welt« entspricht dem eschatologischen Vorbehalt bzw. der Spannung, in der auch die Kirche zwischen altem und neuem Äon lebt und dem Gericht Gottes genauso entgegengeht wie die »Welt«. Davon wurde bereits im ersten Abschnitt dieser kritischen Bemerkungen gesprochen. Gerade darin, dass die Kirche  – nicht nur, weil Individuen in ihr versagen und sie beschädigen können  – grundsätzlich ein Pro­ visorium ist, wird sie in die Lage versetzt, etwas zum Heil der Menschen in dieser Welt auszurichten. Die Kirche hat ihre Existenz im Verhalten und Handeln der Menschen, die von Gottes Heil ergriffen sind, und wenn dieses Verhalten und Handeln dem Gericht Gottes nicht entnommen werden kann, dann ist auch die »Kirche als Heil« (Matthias Zeindler) nicht vor dem Gericht gefeit. Sie ist also noch nicht die Vollendung dessen, was mit der 58 Ebd., 108: Kirche als »instrument through which God is transforming the world«. Günstiger wurde die theologische Behandlung des Individuums bei Yoder von Paul Martens, The Heterodox Yoder, 72–79, be­ urteilt: »Just because Yoder proclaims a social gospel, however, does not mean that the individual becomes irrelevant. In fact, the opposite is the case. One of the major premises in his account of witness is that all communication is addressed to individuals and call for individual response, even communication through mass media. For this reason, when a Christian speaks to a statesman, the Christian must always remember that he or she is speaking to a person« (74). Es kann aber kein Zweifel bestehen, dass das Individuum in der Theologie Yoders von der Gemeinschaft geprägt ist, in der das Heil realisiert wird, und sein Zeugnis gegenüber Staat und Gesellschaft unter einem korporativ zu verstehenden Imperativ erfolgt. Inhalt und Wirkung des christlichen Zeugnisses gegenüber Staat und Gesellschaft orientieren sich am korporativen Heil, nicht am Heil, das vor allem und zuerst dem Individuum widerfährt. 59 Gordon D. Kaufman, The Christian in Church and World, 109.

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Proklamation der Herrschaft Gottes einst begann. Aus ihr kann noch etwas ganz anderes werden. Noch kennt niemand die ganze Wahrheit über die Kirche; es ist der Heilige Geist, der erst noch in alle Wahrheit führen wird (Joh 10), und erst dann werden wir wissen, auch wenn wir als »neue« Individuen jetzt schon »in die soziale Erneuerung der heilenden Gemeinschaft« eingebunden sind60, was wir wirklich sind bzw. sein werden. Wird das Gericht Gottes, dass jedem Menschen  – und auch der Kirche  – noch bevorsteht, nicht in die Beschreibung der Kirche als der Verwirk­lichung des Heils unter irdischen Bedingungen mit hineinreflektiert, dann wird der Kirche gerade die reale Sichtbarkeit genommen, um die es Yoder doch ging. Aus der Kirche wird dann ein Idealbild von Kirche. Genau das aber wollte Yoder nach seiner Kritik an Harold S. Benders »Anabaptist Vision« vermeiden. Offensichtlich lässt sich die Äonenwende, in der das »Unbedingte« in das »Bedingte« (Paul Tillich) eingebrochen ist, nicht in der eindeutigen Sprache des Seienden, d. h. auch Sichtbaren, sondern nur in paradoxaler Redeweise beschreiben. Nur im Paradox findet die »otherness of the church« ihren, dem menschlichen Erkenntnis- und Fassungsvermögen adäquaten Ausdruck. 3. In der Tradition des Täufertums, das den theologischen Schwerpunkt auf den Glaubensgehorsam und die Glaubenspraxis legt und sich stärker an dem Leben Jesu orientiert, von dem in den Evangelien berichtet wird, als an der Rechtfertigungslehre der paulinischen Briefe, steht auch das Bemühen Yoders, den Sinn der christlichen Botschaft so zu erfassen, wie er sich im irdischen Jesus zu erkennen gibt. Nirgendwo kommt das in seinen Ver­öffentlichungen deutlicher zum Ausdruck als in seinem berühmt gewordenen Buch über The Politics of Jesus (1972). In diesem Buch untersucht er nicht politische Auffassungen Jesu, auch nicht den politischen Aspekt, der neben anderen Aspekten das Denken und Wirken Jesu bestimmt, sondern den Grundinhalt der göttlichen Offenbarung, der in der irdischen Existenz Jesu zum Vorschein kommt – und dieser Inhalt ist »politisch«. Jesus 60 Ebd., 101.

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verkündigt »eine neue Haltung, die bußfertige Menschen mitten in der Welt einnehmen sollen: seine Wortwahl und das Bild, das er von den Dingen, die da kommen müssen, zeichnete, sind wesentlich mehr »politisch« als »existenziell« oder kultisch.«61 So wird Soteriologie zur Sozialethik, wie zuvor schon die Ekklesiologie, die aus der Tatsache entstanden war, dass Jesus eine »neue Gesellschaft« um sich entstehen ließ, zur Sozialethik wurde. Paul Martens nannte diese Akzentuierung in The Politics of ­Jesus einen denkerischen Prozess der »Priorization of Politics« und widmete ihm in seinem Buch über The Heterodox Yoder (2012) ein eigenes Kapitel.62 Mit der Deutung des irdischen Jesus, wie er sich auf kompromisslos friedfertige Weise in die politischen Angelegenheiten seiner Tage eingemischt hat, indem er eine andere Politik betrieb, steht und fällt die Friedenstheologie John Howard Yoders. Indem Yoder den irdischen Jesus nach seiner Haltung zu Gewaltanwendung und Gewaltfreiheit, zu Krieg und Frieden, ins­ gesamt zu seiner Einstellung gegenüber weltlichen Obrigkeiten befragt, hat sich Yoder in den Problembereich hinein bewegt, der seit dem 19. Jahrhundert von der Leben-Jesu-Forschung und im 20. Jahrhundert von der Diskussion um den historischen Jesus bearbeitet wurde. Er hat in den konkreten Situationen, in denen Jesus stand und sich verhalten musste, nach der Norm ethischen Verhaltens und Handelns gesucht und der Sozialethik auf diese Weise, wie er meinte, zu biblischer Eindeutigkeit verholfen, die sie vorher nicht ausgezeichnet habe.63 Da Jesus bisher kein »Modell für die Ethik« war, war es im Detail auch bedeutungslos, »wer er war und was er tat«.64 Genau das wollte Yoder ändern, wenn er in Politik Jesu daran ging, neutestamentliche Forschung und Überlegungen zur Sozialethik miteinander zu verbinden, so unterschiedlich diese Forschungsbereiche nach Inhalt und Methode auch sind. Ein Problem, das hier beobachtet wurde, ist, dass Yoder allzu leichtfertig zwischen »staatlichen« und »gesell61 62 63 64

John Howard Yoder, Die Politik Jesu, 112. Paul Martens, The Heterodox Yoder, Eugene, OR, 2012, 54–86. John Howard Yoder, Die Politik Jesu, 7–20. Ebd., 18.

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schaftlichen« Aspekten hin und her schwankt, ja, es unterlässt, zwischen beiden zu unterscheiden. Es ist schon ein Unterschied, ob die Obrigkeit und die römische Besatzungsmacht gemeint sind oder die gesellschaftlichen Schichten, Armut und Reichtum, die familiären bzw. beruflichen Verhältnisse, zu denen Jesus Stellung bezogen hat. Sozialethik ist mehr als eine Ethik, die sich auf den Staat bezieht und muss die unterschiedlichen Bereiche der Sozialisation der Menschen genau beachten: Familie, Beruf, Wirtschaft, Kultur, Gesellschaft, Staat.65 So stark das Interesse an konkreten Entscheidungen im Verhalten und Handeln Jesu ist, ist es doch nicht der »historische Jesus« der neutestamentlichen Forschung, dem die Aufmerksamkeit Yoders gilt. Er anerkennt zwar die Bedeutung dieser Forschung, aber er meint, sie für das Problem, die Relevanz Jesu für die Sozialethik zu erweisen, nicht weiter berücksichtigen zu müssen. Er interessiert sich dafür, wie die »kanonischen« Evan­gelien Jesus im konkreten Leben sehen, und das heißt, Yoder trennt nicht wie die historisch-kritische Forschung zwischen dem, was über Jesus als konkretem Menschen historisch herausgefunden und ausgesagt werden kann, und dem Jesus, wie er im Glauben der Jünger und seiner Nachfolger erkannt und dargestellt wird. Bewusst brüskiert er den von Martin Kähler auf den Begriff gebrachten Unterschied zwischen dem »sogenannten historischen Jesus« und »geschichtlichen, biblischen Christus«, wenn er formuliert: »Der historische Jesus ist der Christus des Glaubens«.66 Dass in den Evangelien der Christus, an den geglaubt wird, mit dem Jesus identifiziert wird, der einst auf Erden wandelte, ist unbestritten. Doch dass der Glaube erwiesenermaßen ein anderes Bild von Jesus zeichnet als die geschichtswissenschaft­liche Expertise zu erkennen vermag, darf nach der langen religionswissenschaftlichen und altertumsgeschichtlichen Arbeit am Neuen Testament nicht so schnell abgetan werden, wie ­Yoder es tut, 65 Vgl. John H. Redekop, A Critique of John Howard Yoder’s Classic Analysis of Church – State Relations, unveröfftl. Skript, Juli 2011. 66 John Howard Yoder, Die Politik Jesu, 118. Martin Kähler, Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus, Leipzig 1982, erw. Aufl., München 1956.

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vor allem nicht, wenn er die Bedeutung der Menschwerdung Jesu für den christlichen Glauben so stark betont. Ob der irdische Jesus tatsächlich einen Pazifismus vertreten hat, wie er später im Christentum eine Rolle spielen sollte, ist exegetisch überhaupt nicht ausgemacht.67 Doch nicht nur die Vernachlässigung des Unterschieds von historischem Jesus und geglaubtem Christus, ja die bewusste Identifikation von historischem Jesus und geglaubtem Christus, belastet die Begründung der Sozialethik im Leben Jesu, sondern auch dass Yoder die redaktionellen Interessen der Evangelienschreiber bei der Darstellung Jesu zu wenig beachtet und nicht bemerkt, wie stark das Bild, das im Lukas­ evangelium gezeichnet wird, von den Jesus-Bildern der anderen Evangelisten abweicht, so dass die Annahme eines quasi homogenen kanonischen Jesus-Bildes eine Illusion genannt werden muss.68 Bereits John Zimmermann hat auf dieses Problem in Y ­ oders Politics of Jesus hingewiesen und eingewandt, dass es Jesus bei den übrigen Synoptikern wohl eher darum gegangen sei, vor der Gefahr des Reichtums für das geistliche Leben der Menschen zu warnen, als eine Neuverteilung des Eigentums in Aussicht zu stellen, wie sie Lukas vorgeschwebt haben mag.69 Was Zimmermann hier an Yoder auszusetzten hat, dass das Eigen­ gewicht der lukanischen Redaktion gegenüber dem »kanonischen Jesus« zu wenig beachtet wurde, dürfte sich auch auf Jesu Einstellung zum Problem der Politik und Gesellschaft verallgemeinern lassen. Auch hierfür gilt der Hinweis, den Zimmermanns gegeben hat, dass in Politik Jesu auf den Evangelisten ­Lukas im Vergleich mit den anderen Evangelisten überpropor­ tional häufig zurückgegriffen wird (meine Zählung: Mt 35, 67 Vgl. Gordon D. Kaufman, Jesus and Creativity, Minneapolis, MN, 2006, 118, Anm. 27 (Lit.). 68 Zur Problematik des Kanons vgl. John Howard Yoder, The Authority of the Canons, in: ders., To Hear the Word, 85–106. Die Deutung des irdischen Jesus von der johanneischen Logos-Chistologie her, wie Branson L. Parler, Things Hold Together, 2012, 101 ff, entschärft nicht gerade die Problematik, in die Yoder geraten ist. 69 John Zimmermann, Yoder’s Jesus and Economics: The Economics of Jesus or the Economics of Luke? In: Mennonite Quarterly Review 78, 2003, 437– 450.

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Mk 15, Lk 70 und Joh 12 Mal). Daraus lässt sich folgern, dass ­Yoder eher einem lukanischen Jesus-Bild als einem »kanonischen« folgt. Angesichts der Forschungssituation liegt die Beweislast bei denjenigen, die ein einheitliches Bild vom »kanonischen Jesus« zeichnen, und nicht bei denjenigen, die Risse in diesem Bild entdecken und davon ausgehen, dass die Gestaltungskraft der einzelnen Evangelisten das Jesusbild auf jeweils unterschiedliche Weise bestimmt. Bereits die stark umstrittene Auslegung der Gleichnisse Jesu und die damit verbundene Suche nach der »ipsissima vox Jesu« über das nahe herbeikommende oder bereits angebrochene Königreich Gottes hätte aufhorchen lassen und eine intensive Diskussion dieser exegetischen Problematik zur Folge haben müssen. Allein das schon ist eine gründ­liche Diskussion wert: Ist das Reich Gottes nur nahe herbeigekommen oder ist es bereits im Erzählen der Gleichnisse angebrochen, so dass dem Kreuz, dem Jesus entgegen geht, schon der Schrecken genommen wäre? Mit dem redaktionsgeschichtlichen Defizit und der Weigerung, sich auf die Frage nach dem historischen Jesus wirklich einzulassen, ist die exegetische Grundlage für das sozialethische Argument Yoders und die Verankerung des »radikalen Pazifismus« in der Existenz Jesu zerrüttet. Zerrüttet ist die Begründung für diesen Pazifismus, nicht der Pazifismus selbst. Im Grunde versteht Yoder unter dem irdischen Jesus, der den Weg der Gewalt­ losigkeit eingeschlagen habe und damit nicht nur Vorbild, sondern auch Norm für das Verhalten und das Handeln der Christen ist, den auferstandenen Jesus Christus: »if you follow the risen Jesus, you don’t hate or kill. You don’t have to defend yourself.«70 Yoder sagt es selbst, der irdische Jesus ist für ihn der auferstandene Jesus, auch wenn in seinen Schriften nur wenig von der Auferstehung gesprochen wird71, also nicht der historische im allgemeinen Sinn von Geschichte, sondern der geglaubte Jesus Christus. Dass damit auch das Argument der Inkarnation in Mit70 John Howard Yoder, The Anabaptist Shape of Liberation, S. 339. 71 Craig A. Carter, The Politics of the Cross, 236: »Yoder believed in the bodily resurrection of Jesus Christ as an event in history (…). However, ­Yoder talked a great deal about the cross, especially in The Politics of ­Jesus, without so much as mentioning the resurrection.«

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leidenschaft gezogen ist, wurde bereits erwähnt. Die Menschwerdung des Gottessohnes kann erst nach der Auferstehung Jesu von den Toten geglaubt werden, die Aussagen über das irdische Leben, sofern es sich dabei um die Auslegung konkreter Situationen handeln soll, sind aber Aussagen über Jesu Weg ans Kreuz, und das ist Gottes Weg in die Weltgeschichte – »und also unter der ganzen Belastung, in der ganzen Gefahr aller Weltgeschichte«, wie Karl Barth schrieb.72 Der Lehrer hat von der »neuen Geschichte« Jesu »innerhalb der Weltgeschichte« gesprochen73, ­Yoder dagegen entwertet die Weltgeschichte, wenn er die Bedeutung der »neuen« Geschichte herausstellt. Weltgeschichte ist nach ­Yoder nicht eigentlich Geschichte, sondern Widerstand gegen Gott und Chaos, Geschichte ist der Weg, den Jesus ans Kreuz gegangen ist und den das »Volk Gottes« bereits zurückgelegt hat und weiterhin zurücklegen wird. Nur in dieser Geschichte kann die Auf­ erstehung Jesu für Yoder ein historisches Ereignis gewesen sein74, aber nicht in der Geschichte, wie Juden und Römer den Kreuzestod Jesu auf Golgatha gesehen haben. So bleibt es nicht aus, dass Yoders Absicht, die Menschwerdung Jesu für seine sozial­ ethischen Überlegungen besonders ernst zu nehmen, nicht recht verschlägt. Die Tiefe und Schwere der Solidarität Jesu mit den Menschen, seine Gottverlassenheit, wie Barth sie beschrieben hat, kommt nicht so zum Ausdruck, wie es der Fall sein müsste.75 Jesus identifiziert sich im Grunde nicht mit dem gefallenen Menschen, sondern zeigt, wie der Mensch sein soll. Inkarnation heißt eigentlich, dass Jesus ist, wie Menschen wirklich sind: wahrer Mensch und nicht der wahre Mensch. Das wird in der ganz an72 Karl Barth, KD IV, 1, 236. 73 Ebd., 166. 74 Darin hat Craig A. Carter offensichtlich kein Problem gesehen: The Politics of the Cross, 236. 75 Ebd., 236: Jesus schreit mit dem Menschen – »besser, ganz anders als jeder andere Mensch wissend, wieviel Anlaß dazu da ist, so zu schreien: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« (Mk. 15,34). Deus pro nobis heißt zunächst schlicht: daß Gott die Welt, den Menschen, in der grenzenlosen Not seiner Situation nicht allein gelassen hat, sondern eben diese Not auch als seine eigene tragen wollte und auf sich genommen hat, eben in dieser Not also mit ihm schreit.«

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ders konzipierten Ethik Gordon D. Kaufmans deutlicher, wenn er sagt: »no Christian has the right to avoid »dirty« situations which might soil his hands or wound his person (…). Christian love always takes responsibility for the sinful situation.«76 Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass vom pazifistisch eingestellten Christen verlangt werden darf, auch diejenigen zu unterstützen, die guten Gewissens tun, »what you think is wrong«.77 Damit entfällt die zwingende Forderung Yoders, in jedem Fall auf eindeutig ungebrochene Weise zur gebotenen Friedfertigkeit zu stehen. 4. Mit diesen kritischen Einwänden gerät auch in Bedrängnis, wie Yoder das Verhältnis zwischen Kirche und Staat beschrieben hat: Zum einen ist es das Argument von der »konstantinischen Wende«, das sein Urteil über die Lage der Kirchen in der Welt von Anfang an geprägt hat; und zum anderen ist es die Fest­ stellung, dass sich die Verantwortung der Kirchen und des einzelnen Christen für das weltliche Gemeinwesen bzw. den Staat grundsätzlich auf das »Zeugnis der Kirche« gegenüber dem Staat beschränkt, um die Kirche nicht durch ein intensiveres poli­ tisches oder soziales Engagement mit dem Staat »gemein« zu machen und zum Handlanger der gefallenen Schöpfung werden zu lassen. Der Hinweis auf die »konstantinische Wende« zieht sich wie eine Litanei durch das gesamte Werk Yoders. Mit diesem Hinweis verbindet er die Vorstellung, dass die Kirche mit dem politischen Vorgehen Kaiser Konstantins und seiner Nachfolger nicht nur zur offiziellen Religion des Römischen Reiches erklärt wurde, sondern mit ihrer Einwilligung in den Rollenwechsel aus einer verfolgten zu einer an der Herrschaft beteiligten Kirche wurde. Damit aber sei sie von dem ursprünglichen, von Jesus und den Aposteln intendierten Charakter der christlichen Kirche als einer 76 Gordon D. Kaufman, The Context of Decision: A Theological Analysis, New York 1961, 94 f, zit. Nach Gayle Gerber Koontz, Peace Theology in Transition, 83. 77 Gayle Gerber Koontz, Peace Theology in Transition, 83.

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friedfertig-leidensbereiten, den Messias erwartenden Gemeinschaft, die jetzt schon das Reich Gottes antizipiert und sich dadurch grundsätzlich von der gefallenen Schöpfung unterscheidet, abgefallen. Galt es einst, Geistliches und Weltliches voneinander zu trennen, wurde es jetzt miteinander vermischt. War die Kirche als eine »neue Schöpfung« sichtbar vor aller Welt, verliert sie nun ihre geistlich-eschatologischen Konturen und geht im weltlichen Reich auf. Sie wird unsichtbar. Was von ihr bleibt, ist ein ­corpus mixtum aus Gläubigen und Ungläubigen. Das aber bedeutet, dass die Maßstäbe für das Verhalten und Handeln der Christen nicht mehr in der Ethik der messianischen Gemeinschaft gesucht wurden, sondern in dem Recht und den Anordnungen des Staates. Das Verhalten und Handeln der Kirche und ihrer Mitglieder richteten sich nach dem aus, was dem Staat nützt, ihn stärkt und erhält. So kam es unter den Christen dazu, sich am Dienst im Heer zu beteiligen und den Krieg als Mittel der Politik zu be­jahen. Die Kirche verließ den Weg der Gewaltlosigkeit und gab sich dazu her, die Macht und Schwertgewalt des Kaisers zu unterstützen, wie sie es umgekehrt zuließ, dass der Kaiser sich angeblich in die inneren Angelegenheiten der Kirche einmischte – bis in die Formulierungen des Glaubensbekenntnisses von Nicea. Der Kirche sei das ebenso wenig bekommen, meint Yoder, wie dem Staat: »This confusion leads to the paganization of the church and the demonization of the state«.78 Oft wurde die Frage gestellt, ob Yoder die konstantinische Wende historisch angemessen dargestellt und beurteilt habe, wenn er die Frage nach der Normativität der frühen Kirche mit ihr verknüpfte. Dieses Problem ist zuletzt noch einmal von ­Peter J. Leithart in Defending Constantine (2010) erörtert worden.79 Er hat darauf hingewiesen, dass in der frühen Christenheit nicht nur friedfertige Gemeinden existiert hätten, sondern dass es auch Christen gegeben habe, die in einem positiveren 78 John Howard Yoder, The Original Revolution, 67. 79 Peter J. Leithart, Defending Constantine: The Twilight of an Empire and the Dawn of Christendom, Downers Grove, Ill., 2010. Vgl. auch ders., Defending Defending Constantine: Or, the Trajectory of the Gospel, Mennonite Quarterly Review 85, 4, 2011, 643–655.

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Verhältnis zum Römischen Staat standen, gelegentlich auch im Heer dienten, und die unter Konstantin eine Chance erhielten, ihr christliches Selbstverständnis auszuleben und ihren missionarischen Einfluss auf die Welt auszuüben, sich von den heidnischen Zwängen nach und nach zu befreien und die Gesellschaft im Sinne der christlichen Botschaft menschlicher als bisher zu gestalten. Darauf hatte kurz zuvor Christine Mühlenkamp in ihren Studien zur Grenze zwischen christlichen Gemeinden und paganer Gesellschaft in vorkonstantinischer Zeit (2008) hingewiesen und gezeigt, wie Gemeinden, die sich rigoros von der heidnischen Gesellschaft abgrenzten (Tertullian), neben einem weiteren Spektrum von Gemeinden bestanden, die in der Taufe »die religiöse Grenze zum Heidentum« zwar ebenso deutlich sahen und eine Beteiligung am Kaiser- und Opferkult ablehnten, aber auf unterschiedliche Weise doch nach »graduellen Abstufungen in der Observanz gegenüber dem alltäglichen Abgrenzungs­ gebot« suchten.80 Die These vom Abfall oder Niedergang der Kirche ist daher in diesen Studien kein Thema, und die Frage des Kriegsdienstes stellt sich dort weniger brisant, wo den Christen die Möglichkeit gegeben ist, überhaupt nicht zu töten – wie in Zeiten des Friedens beispielsweise. Schließlich wird festgestellt, dass die Forderungen, die Tertullian vertrat, im Grunde ein Ideal beschrieben, das »als solches nie verwirklicht und von der Mehrheitskirche auch gar nicht angestrebt wurde«.81 Gleichzeitig hat Leithart auf Beispiele eines christlichen Pazifismus nach ­Konstantin hingewiesen. Da die Situation sowohl vor als auch nach Konstantin ambivalent war, was die Einstellung zu Krieg und Frieden betraf, könne von einer »Wende« (»shift«) nur bedingt die Rede sein, denn was bereits vorhanden war, habe sich fort­setzen können  – mehr nicht. »There was certainly  a shift. After Constantine, when the Roman emperors began to look to 80 Christine Mühlenkamp, »Nicht wie die Heiden«. Studien zur Grenze zwischen christlicher Gemeinde und paganer Gesellschaft in vor­ konstantinischer Zeit. Münster 2008, 202. 81 Ebd., 203. Hinweis auf Soldaten, die zum Katechumenat zugelassen wurden: 173. Das betrifft die Soldaten, die bereits seit längerem im Militärdienst standen, nicht auf Christen, die in den Militärdienst ein­treten wollten und einen Eid hätten leisten müssen.

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the church for ethical guidance, the church began to be more overt in making the discriminating decisions that characterize the »just war« tradition. But the shift is more plausibly a result of a change in the church’s political position than a result of a fundamental theological modification.«82 Indem Yoder die »konstantinische Wende« im Sinne eines Abfalls von der Kirche gedeutet habe, wie Jesus sie als »messianische Gemeinschaft« konträr zu jeder weltlichen, ganz und gar nicht friedfertigen Politik angeblich in die Welt gesetzt habe, sei er dem historischen Tatbestand nicht gerecht geworden und habe seine Ekklesiologie an einer Chimäre orientiert, als ob nicht schon im Zeugnis des Neuen Testaments der Weg der Kirche in die Kirche Konstantins – zumindest als reale Möglichkeit – angelegt gewesen sei. So hat Leithart der Theologie Yoders nicht nur Mangel an historischem Urteilsvermögen, sondern auch eine fehlerhafte oder falsche Exegese des Neuen Testaments vorgeworfen – zum Beispiel, wenn Yoder das Schwert in Röm 13 als das Symbol der Polizeigewalt, aber nicht als die Waffe deutete, mit der Kriege geführt werden.83 Gegen diese Vorwürfe hat John C. Nugent, der kein Mennonit ist, den Angegriffenen in einem »Yoderian Rejoinder« in Schutz genommen und vor allem darauf hingewiesen, dass es Yoder mit der Rede von der »konstantinischen Wende« nicht um die Person Kaiser Konstantins gegangen sei, auch nicht um die Frage, ob ein Christ in der Lage sein könne, ein obrigkeit­liches Leitungsamt auszuführen, sondern dass Konstantin für ihn ein »Symbol einer epochalen Wende«, wie Yoder selbst schrieb, oder eine »mythic cipher« gewesen sei84 und mit dem Argument einer fehlerhaften historischen und exegetischen Analyse überhaupt nicht getroffen werde.85 Nugent hat herausgestellt, Yoder habe sich nicht von der täuferischen Vorstellung einseitig leiten lassen, dass die Kirche seit Konstantin von der Urkirche abgefal82 Peter J. Leithart, Defending Constantine, 278. Weiter: »In short, the story of the church and war is ambiguity before Constantine, ambiguity after, ambiguity right to the present« (278). 83 Ebd., 265 f. 84 John Howard Yoder, Priestly Kingdom, 135; ders., Primitivism, 82. 85 John C. Nugent, A Yoderian Rejoinder to Peter J. Leithart’s Defending Constantine,, in: Mennonite Quarterly Review 85, 4, 2011, 564–566.

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len sei, er habe vielmehr in der »konstantinischen Wende« nur den sehr deutlichen Ausdruck der Kirche gesehen, wie sie sich im Prozess, in dem Gott seinem Volk Gestalt verlieh, gegen die ursprünglichen Absichten Gottes verhielt (von Abraham bis in die Gegenwart): »1. Formation of  a People: from Abraham to the Judges, 2.  Deformation of  a People: from Monarchy to its Collapse, 3. Re-Formation of a People: from Jeremiah to the Early Church and Centering on Christ, 4. Re-Deformation of a People: from the Apologists through the Reformation, 5. Re-Re-Formation of a People: from the Radical Reformation through the Contemporary Free Church Tradition«.86 Freilich hätte Nugent sehen müssen, dass diese Art von »’ecclesial’ historiography«87 nicht mit dem Begriff von Historiographie kompatibel ist, den Leithart meint, und die Einwände Leitharts damit nicht aus der Welt geräumt sind. Doch mit dem Hinweis auf diesen »ekklesia­len« Begriff von Geschichte dürfte sich zeigen lassen, dass es ­Yoder gar nicht um eine allgemein nachvollziehbare historische Interpretation des Faktums »konstantinische Wende« ging, sondern um die theologische Bewertung der Kräfte in der Kirche, die mit dieser Wende aus der weiteren Entwicklung der Kirche ausgeschaltet wurden, und der Kräfte, die sich durchgesetzt haben. Ausgeschaltet wurden diejenigen, in denen sich für Yoder die Normativität der Kirche verkörpert hatte. So ähnlich hat sich Alexander Sider geäussert: »The fundamental question asked by Yoder’s historical theology concerning the so-called ›Constantian shift‹ was not ›did a shift occur?‹ but how do we judge which ›change(s) should be welcomed as revelatory and which should be denounced as betrayal‹.«88 Die Frage nach der »Normativität« der Kirche lässt sich für Yoder nicht historisch im allgemeinen Sinn entscheiden, sondern nur im Glauben, obwohl er in seiner Art, theologisch zu argumentieren, den Glaubensaspekt mit dem historischem Aspekt identifiziert, so wie der irdische, d. h. dann wohl auch historische Jesus im Sinne Yoders eigentlich der 86 Ebd., 567. 87 Ebd., 567. 88 J. Alexander Sider, Constantine and Myths of the Fall of the Church: An Anabaptist View. In: Mennonite Quarterly Review 85, 4, 2011, 633.

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auf­erstandene, geglaubte Jesus Christus wie auch der präexistente Christus ist. Unter dem Gesichtspunkt einer dezidiert theologischen Geschichtsbetrachtung wird verständlich, warum Yoder sich historisch nicht sehr intensiv darum bemüht hat, das sich im Laufe der Jahrhunderte verändernde Verhältnis von Kirche und Staat genau zu untersuchen. Er hat es nur angedeutet und in allen Metamorphosen, vom Konstantinlob des Eusebius bis zur Theologie der Revolution, dasselbe Denkmuster immer wieder entdeckt: die Vermischung von Göttlichem und Weltlichem, »disavowal and apostacy«, Versuche, die Kirche zu reformieren, aber nicht radikal zu erneuern. Das hat nicht dazu geführt, den Konstantinismus der Kirche zu überwinden, wie er meinte, sondern stets nur neue Formen dessen zu erfinden, »what Jesus had rejected«.89 So werden aber die Nuancen, Kehrtwenden oder Zäsuren ein­geebnet, die in Bereichen zum Vorschein kommen, die nicht unmittelbar mit der Entwicklung des »Volkes Gottes« zusammenhängen, dieses Volk aber nicht unberührt lassen, wenn es dabei ist, sich in dieser Welt zu orientieren. Hier hat Yoder den Spalt übersehen, der sich auch im Säkularen öffnen und durch den der Messias kommen könnte. Sider meint, dass Yoder nicht nur recht großzügig und un­ genau mit der historischen Entwicklung der Kirche umgegangen sei und es versäumt habe, aus der komplexen und komplizierten Situation der frühen Christenheit die notwendigen theologischen Konsequenzen zu ziehen, sondern dass er mit seinem »non-Constantinianism« seine Beziehung zur Vergangenheit »heimlich« (besser wohl: unbewusst) selber konstantinisiert habe, »just insofar as the past needs to be clear and usuable as Constantinian in order for an ecclesiological alternative to emerge«.90 Radikaler 89 John Howard Yoder, Priestly Kingdom, 144 und 145. Vgl. auch John Howard Yoder, Constantianism Old and New, in: ders, To Hear the Word, 135–145. 90 J. Alexander Sider, To See History Doxologically. History and Holiness in John Howard Yoders’s Ecclesiology. Grand Rapids, Mich., und Cambridge, England, 2011, 201. Sider widmet ein ganzes Kapitel dem Konstantinianismuskonzept Yoders: 97–132. Eine problemgeschichtlich orientierte Analyse, die zwischen historischem Befund und theologischer Verwendung des Konzepts heute zu vermitteln versucht.

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kann die Kritik an Yoders Umgang mit dem Konstantinismusvorwurf nicht formuliert werden. 5. In den frühen Jahren hat Yoder besonders mit seiner kleinen Schrift The Christian Witness to the State (1964) die Aufmerksamkeit vieler auf die Bedeutsamkeit des christlichen Pazifismus in der Zeit des Kalten Krieges, des militärischen Wett­ rüstens und der Bedrohung durch den Einsatz von Atomwaffen gelenkt.91 In dieser Situation sah er die Aufgabe der Kirchen darin, sich in keiner Weise dazu herzugeben, den Krieg zu rechtfertigen, und sei es in der Form des sogenannten gerechten Krieges, der von Regierungen geführt wird, um die Bürger vor Angriffen feind­licher Staaten zu schützen. In der Nachfolge Christi müsste jede Anwendung von Gewalt und jeder Krieg geächtet werden. Selbst in der Grenzsituation, in der zu den Waffen gegriffen werden sollte, um sich schützend vor die Schwachen zu stellen und ein größeres Übel zu verhindern, wie Karl Barth trotz seiner grundsätzlich pazifistischen Überzeugung forderte, dürfe der friedfertige Christ keinen Kompromiss eingehen, auch nicht ausnahmsweise mit Gewalt drohen oder zu den Waffen rufen. So hat Yoder seinem theologischen Lehrer in der sogenannten Grenzfall-­Debatte offen widersprochen und ihm vorgeworfen, den ursprünglich eingeschlagenen Weg verlassen zu haben, alle theologischen Aussagen christologisch zu begründen. Mit dem Argument des Grenzfalls habe er die Einschränkung einer pazifistischen Haltung, zu der er sich aber grundsätzlich entschlossen hatte, mit Argumenten gerechtfertigt, die das göttliche Versöhnungs­handeln Gottes in Jesus Christus als ein in sich widersprüchliches Handeln darstellen und das göttliche Tötungsverbot aufweichen musste: mit kasuistischen Argumenten, die nicht die letzten Möglich­keiten friedensbildender Maßnahmen ausloteten oder mit dem Argument des »kleineren Übels«, das angeblich geeignet sei, das Schlimmste zu verhindern. In einem 91 John Howard Yoder, Karl Barth and the Problem of War, Nashville, Tenn., und New York 1970. Vgl. Craig A. Carter, The Politics of the Cross, 83–88.

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unveröffentlichten Beitrag hat Marco Hofheinz die kritischen Argumente Yoders gegen Barths eingeschränkten Pazifismus im einzelnen geprüft und sowohl die Nähe beider Theologen zueinander als auch die Missverständnisse, die beiden (Yoder mehr als Barth) in der Beurteilung des jeweils anderen unterlaufen sind, her­ausgestellt. Grundsätzlich ist die Übereinstimmung beider im christologischen und ekklesiologischen Charakter des Pazifismus größer als der Vorbehalt Yoders gegenüber dem »Grenzfall«Argument oder dem Vorbehalt Barths gegenüber einer verabsolutierenden Forderung, unter keinen Umständen zu Mitteln kriegerischer Auseinandersetzung greifen zu dürfen. Hofheinz hat erwähnt, dass Yoder sich in seiner Rede vor der Karl Barth Society 1995 in voller Übereinstimmung mit Barth so geäussert hat: »The Words were my own, but I think the postition expressed was the Barthian one I have been describing here, when a lifetime ago I read in a lecture: ›Christ’s vicory over the world is to be dated not AD 311 or 312 but AD 20 or 30. That church will partake most truly of his triumph that follows him most faithfully in that warfare whose weapons are not carnal but mighty. The church will be most effective where it abondons effectiveness and intelligence for the foolish weakness of the cross, in which are the wisdom and the power of God. The Church will be most deeply and lastingly responsible for those in the valley of the shadow of death when it is the city set in the hill‹.«92 In seiner späteren Habilitationsschrift unterzieht Marco Hofheinz die kritischen Argumente Yoders gegen Barths Begründung des »Grenzfalls« einer noch strengeren Kritik und weist Yoders Vorbehalte gegenüber Barth a limine ab. Hofheinz konnte zeigen, dass gerade auch die Grenzfallbegründung aus den Quellen der Christologie erarbeitet wurde, wie Barth sie in der Kirchlichen Dogmatik entwickelt hatte und wie sie auf die Zustimmung Yoders gestoßen war.93 92 Marco Hofheinz, On Wearing Steel Helmets and Berets: John ­Howard Yoder’s Critique of Karl Barth’s Attitude toward Pacifism, 1998, 17 (Dieser Beitrag wurde mir vom Vf. freundlicherweise zur Verfügung g­ estellt). 93 Marco Hofheinz, »Er ist unser Friede«. Die christologische Grund­ legung der Friedensethik Karl Barths. Habilitationsschrift im Fach Systematische Theologie, Theologische Fakultät der Universität Bern, 2009 (erscheint 2014 im Druck), 314 u.ö.

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Es gibt gute Gründe, in der Art und Weise, wie Barth die Frage des Grenzfalls diskutiert, den Hinweis zu erkennen, dass Jesus Christus dem Menschen auch im Grenzfall als Gebot erscheint, nicht zu töten, dass dieses Gebot aber doch »unverfügbar und insofern Geheimnis« bleibt.94 Mit seiner Kritik am angeblich nicht zuende gedachten Pazifis­ mus Barths hat Yoder sich Vorwürfen ausgesetzt, sich gegenüber den Nöten der Gesellschaft im Kriegsfall unverantwortlich zu verhalten. Solche Vorwürfe waren bereits vorher von Reinhold Niebuhr und unter nordamerikanischen Mennoniten vor allem von Gordon D. Kaufman und J. Lawrence Burkholder geäußert worden.95 Yoder hat sich verteidigt und die Zeugnispflicht der Kirche gegenüber dem Staat als einen Akt der Verantwortung gegenüber dem Gemeinwesen beschrieben. Die Frage ist, ob sich die Verantwortung der Kirchen darauf beschränken darf oder nicht auch noch andere Formen, Verantwortung zu übernehmen, gesucht werden müssen. Um diese Frage beantworten zu können, muss zunächst Yoders Staatverständnis kritisch erörtert werden. Yoder hat sich in seiner Interpretation des biblischen Obrigkeits- oder Staatsverständnisses an Oscar Cullmanns Beiträgen zur Eschatologie bzw. Heilsgeschichte und zum Staat im Neuen Testament (1955/1961) orientiert und die Auffassung von der Königs­herrschaft Christi über Kirche und Welt übernommen, wie sie auch von Karl Barth und evangelischen Bruderschaftskreisen nach dem Zweiten Weltkrieg vertreten wurde, um das Verhältnis von Kirche und Staat nach den Erfahrungen der Bekennenden Kirche unter dem totalitären Regime des National­ sozialismus in kritischer Wendung gegen eine Zwei-Reiche- oder Zwei-Regimentenlehre neu zu bestimmen, also gegen die Vorstellung, der Staat sei eine Schöpfungsordnung Gottes oder er sei von Gott eingesetzt worden, um das drohende Chaos unter den Menschen nach dem Sündenfall zu bannen und die von Gott geschaffene Welt zu erhalten. Mit der Vorstellung von der Königs94 Ebd., 311. 95 Siehe zu dieser Diskussion: Mark Thiessen Nation, John Howard Yoder, 145–188; neuerdings vor allem Earl Zimmermann, Practicing the Politics of Jesus, 60–62 (zu Burkholder).

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herrschaft Christi, wie Cullmann sie beschrieben hat96, wird davon ausgegangen, dass in Tod und Auferstehung Jesu Christi die »Mächte« bereits besiegt seien, die die Menschen beherrschen und auch hinter den Obrigkeiten dieser Welt stehen, so dass von ihnen keine Gefahr mehr für die Menschheit ausgehen könne, selbst wenn sie immer noch gegen Gott rebellieren, und die Kirche jetzt schon die Gemeinschaft ist, in der das Reich Gottes angebrochen ist und sich einst vollenden wird. An dieser Vorstellung findet Yoder wichtig, dass sich der Staat auf keine eigene, auch nicht auf eine ihm von Gott verliehene Dignität berufen und darin seinen Anspruch auf den Gehorsam der Christen begründen könne. Das zu tun, sei ihm nur möglich, weil Gott die Herrscher in ihrem Amt gewähren ließe, um »die Bösen zu strafen und die Guten zu schützen« (Röm 13, 4). Die Obrigkeiten gehören weiterhin zur gefallenen Schöpfung, während die Kirche sich als »neue Schöpfung« verstehen kann. Der Staat ist, mit Cull­ mann zu sprechen, ein »Provisorium« und tut oft, was Christen nicht tun: Er nimmt Rache an den Bösen, während Christen dem Bösen in Liebe begegnen (Röm 12, 14 ff).97 Damit ist die Interpretation von Röm 13 umschrieben, wie Yoder sie in The Politics of Jesus (1972) im Gespräch mit der selektiv wahrgenommenen neutestamentlichen Exegese seiner Zeit kurz vorgetragen hat.98 In diesem Buch hat er sich in einem eigenen Kapitel über »Christus und die Macht« auf die Ausführungen Hendrik Berkhofs in Christ and the Powers (niederl. 1962/engl. 21977) gestützt und auf diese Weise die Ausführungen Cullmanns verstärkt.99 Die Obrigkeiten verfügen über keinerlei Autorität, die es ihnen ermöglichte, von den christlichen Untertanen irgendetwas 96 Zur Theologie Oscar Cullmanns s. Karl Heinz Schlaudraff, »Heil als Geschichte«? Die Frage nach dem heilsgeschichtlichen Denken, dargestellt anhand der Konzeption Oscar Cullmanns, Tübingen 1988. 97 Oscar Cullmann, Der Staat im Neuen Testament, 40. 98 John Howard Yoder, Die Politik Jesu, Kap.  10: Jedermann sei untertan: Römer 13 und die Autorität des Staates«, 217–236. Diese Bemerkung steht in einer von Yoder öffentlich nicht wahrgenommenen Spannung zu der von Leithart kritisierten Interpretation der Staatsgewalt in Röm 13 als Polizeigewalt (s. Anm. 83). 99 Ebd., 156–160.

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zu fordern, was diese vor ihrem Gewissen nicht verantworten könnten, etwa andere zu verletzen oder zu töten. Die Aufgabe der Obrigkeit ist, ständig über dem Recht zu wachen, Böse zu strafen und Gute zu beschützen. Darauf muss sie angesprochen werden, nicht dass sie die ethischen Forderungen zu erfüllen habe, die in der Heilsgemeinschaft gelten, sondern dass sie nur ein Mindestmaß an Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit, die sogenannten »mittleren Axiome« (nicht Offenbarungsinhalte, sondern an der Offenbarung orientierte weltliche Begriffsinhalte), durchzusetzen hat: z. B. nicht Liebe und Barmherzigkeit, sondern nur Gerechtigkeit und Mitgefühl.100 Erfüllt sie diese Aufgabe nicht, kann sie allerdings von den Untertanen nicht zur Rechenschaft ge­zogen oder gar verworfen werden. Wenn die Obrigkeit eine »Dienerin für dich zum Guten« genannt wird, ist das nach Yoder »ein Urteilsmaßstab«, aber nicht »die Beschreibung einer Tatsache«, gemeint ist wohl, nicht die Definition einer Institution.101 Der Imperativ, sich der Obrigkeit unterzuordnen, kann nicht bedeuten, ihr gehorsam sein müssen. Das zu fordern, hat die Obrigkeit kein Recht. Sie kann sich auf kein Herrschaftsrecht berufen, das ihr von Gott verliehen worden wäre. Von Gott ›eingesetzt‹ zu sein, bedeutet nur, von ihm in seinen Plan nach dem Sündenfall ›eingeordnet‹ zu sein.102 Das ist ein starkes Argument, das gegen die Auffassung des Staates als Schöpfungsordnung ins Feld geführt werden konnte. Sich dem Staat unter­ zuordnen, bedeutet nicht, sich die eigene Entscheidungsfreiheit im politischen Bereich nehmen zu lassen: »Der Kriegsdienst­ 100 A. James Reimer, Mennonites and Classical Theology, 298. Ein Problem entsteht in Bezug auf die Forderungen, Frieden zu schaffen oder zu erhalten. Diese Forderung zählt bei Yoder offensichtlich sowohl für die Kirche als auch für den Staat. Hier versagt das Argument von den »mittleren Axiomen«. Der Frieden, den Gott meint, ist zwar nicht der Frieden, der im Bereich des Staates gilt, aber dennoch lässt sich der Frieden nicht in zwei unterschiedliche Bedeutungsaspekte zerlegen. Jeder Christ muss den politischen Frieden aus vollem Herzen begrüßen und unterstützen in demselben Maße wie den Frieden in der Kirche. 101 John Howard Yoder, Die Politik Jesu, 230. Vgl. vorher schon: John ­Howard Yoder, The Christian Witness to the State, 77–79 (The State »as Such«). 102 John Howard Yoder, Die Politik Jesu, 227.

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verweigerer aus Gewissensgründen, der sich seiner Regierung widersetzt und doch in ihrem Herrschaftsbereich bleibt und die von ihr verhängten Strafen auf sich nimmt, oder der Christ, der die Verehrung des Kaisers verweigert und sich doch von diesem Kaiser töten läßt, ordnet sich unter, ohne jedoch zu gehorchen.«103 So sieht Yoder in dem klassischen biblischen Text über die Obrigkeit keine Forderung, die den Christen in einen Widerspruch zu den Seligpreisungen in Mt 5 brächte, sondern die Behauptung seiner Selbstständigkeit und Freiheit gegenüber der Obrigkeit, wie Yoder apodiktisch formuliert hat: »Christen, die sich der Obrigkeit unterordnen, behalten ihre moralische Unabhängigkeit und ihr Urteilsvermö­gen.«104 Sie folgen einem »way of life«, wie er in der messianischen Gemeinschaft ermöglicht wurde und erwartet wird: keinen Zwang auszuüben, Versöhnung anzustreben, einander in der Not zu helfen, Feinde zu lieben und Frieden zu schaffen. ­Yoder bedrückt nicht die Frage, ob es in Verhältnissen der Unter­ordnung, auch wenn sie freiwillig erfolgt, möglich ist, diesen »way of life« auch wirklich in aller Reinheit durchzuhalten. Oscar Cullmann hat sich das neutestamentliche Obrigkeitsverständnis von der paulinischen Konzeption der Herrschaft Jesu Christi über Kirche und Welt erarbeitet und von diesem Ansatz her eine widerspruchsfreie Linie von Jesu irdischem Wirken über die paulinische Paränese in Röm 13 zur Charakterisierung des weltlichen Herrschers als dem »Tier aus dem Abgrund« in der Johannesoffenbarung 13 gezogen. Besonders problematisch ist, wenn Cullmann den theologischen Befund der Überwindung der »Mächte«, wie Paulus sie andeutete, auf das irdische Leben Jesu zurück bezieht. Wie sollte das zu denken sein, wenn diese Überwindung sich doch erst in Tod und Auferstehung Jesu vollzogen hat? Auf dem Weg zum Kreuz hat sie sich ja noch nicht ereignet haben können. Vielleicht wurde sie auf diesem Weg erwartet, aber als eine bereits realisierte Voraussetzung konnte sie noch nicht wirksam gewesen sein. In all dem ist Y ­ oder seinem neutestamentlichen Lehrer gefolgt. Nur hier und da hat 103 Ebd., 233. 104 Ebd., 229.

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er die Akzente ein wenig verstärkt oder erweitert. So engt ­Yoder den Spielraum ein, innerhalb dessen die Obrigkeit sich noch in dem Rahmen bewegt, den Gott ihr zugewiesen hat. Ihr Auftrag wird nicht erst verfehlt, wenn sie den Christen zumutet, den Kaiser zu verehren und das Bekenntnis zu Jesus als dem Herrn zu leugnen, sondern schon überall dort, wo sie ihre Untertanen zwingt und ihnen zumutet, ihren eschatologisch ausgerichteten Lebensstil aufzugeben. Damit hat Yoder die Dualität von Kirche und Staat deutlicher profiliert als Cullmann und sich letztlich geweigert, zwischen solchen Regierungen zu unterscheiden, die mehr, und solchen, die weniger als göttliche Ordnung gelten können.105 Außerdem hat Yoder die Einstellung Jesu zur römischen Be­ satzungsmacht negativer eingeschätzt als sein exegetischer Lehrer. Cullmann sah in der Kreuzigung Jesu durch die Besatzungsmacht einen Justizirrtum, während Yoder darin die Konsequenz sah, die jede weltliche Obrigkeit aus der versöhnenden, eschatologisch qualifizierten »Politik« Jesu ziehen musste.106 ­Yoder wollte unter allen Umständen sicherstellen, dass es nichts an der weltlichen Obrigkeit gäbe, das den Christen hätte nötigen können, ihr verpflichtet zu sein. Mit der Ermahnung, der Obrigkeit untertan zu sein, wollte Paulus nichts über das Wesen der weltlichen Herrschaft aussagen. Er wollte die Christen vielmehr von der Fixierung auf vom Staat geradezu weglenken und auf den Gehorsam hinweisen, den nicht der Staat, sondern nur Gott fordern könne. Genauer als Cullmann achtet Yoder darauf, keine Gemeinsamkeit zwischen den Christen und der Obrigkeit entstehen zu lassen, ebenso auch darauf, dass der Tyrannenmord als ultima ratio, der ja ohne Anwendung von Gewalt nicht zustande kommen könnte, keine Option für Christen sei – ein Gedanke, der in den Erfahrungen mit Diktaturen oder totalitären Regimes in der ersten Hälfte des 20.  Jahrhunderts von Christen ernsthaft bedacht wurde und mit Hilfe der Rede von der Königsherrschaft Christi zu einer verantwortbaren Option wurde. Schon 105 John Howard Yoder, Die Politik Jesu, 225 f, ders., The Christian Witness to the State, 76. 106 Vgl. die kritischen Bemerkungen bei Earl Zimmermann, Practicing the Politics of Jesus, 122–133; hier noch weitere Beispiele.

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früher hatte Yoder auch den letzten Vorbehalt gegen einen radikalen Pazifismus zurückgewiesen, einen Vorbehalt, an dem Karl Barth festgehalten hatte, um die militärische Anwendung von Gewalt nicht auszuschließen, wenn dadurch größeres Blutvergießen vermieden werden könne.107 In einer Fußnote bemerkt Yoder, dass die Unterordnung der Christen unter die Obrigkeit im Grunde Rebellion gegen jede weltliche Herrschaft sei: »›Unterordnung‹ ist gerade die christliche Form der Rebellion. In ihr teilen wir Gottes Geduld mit einem System, das wir grundsätzlich ablehnen.«108 Damit kehrt er, wie so oft, die Begriffe einfach um. Normalerweise heißt Unterordnung, sich einer Autorität gehorsam zu fügen, hier bedeutet sie, die Geduld Gottes mit den Obrigkeiten zu respektieren, deren Legitimität man von Grund auf ablehnt. Verstrickt Yoder sich hier nicht in einen Widerspruch? Sich mit der Geduld Gottes zu solidarisieren, indem man sich der Obrigkeit unterordnet, eine christliche Form der Rebellion zu nennen, müsste doch auch als gewaltlose Rebellion die Funktionsfähigkeit des Staates, an der Gott ja liegt, unterminieren. Doch das kann Paulus mit seiner Paränese nicht gemeint haben. Offensichtlich ist Yoder von dem Bedürfnis, die grundsätzliche Aversion gegen den Staat noch deutlicher zum Ausdruck zu bringen, als Oscar Cullmann es getan hat, in diesen Widerspruch hineingedrängt worden. 6. Insgesamt bleibt Yoder in seiner Auslegung von Röm 13 auf der Linie seines Lehrers Oscar Cullmann und zieht sich die Kritik zu, die einst schon gegen diesen erhoben wurde. Die Auffassung von der Königsherrschaft Christi, so hilfreich sie war, die schöpfungstheologisch begründete Zwei-Regimentenlehre zu überwinden, hat die wechselvolle, stark voneinander abweichende oder oft auch antagonistische Bestimmung des Verhältnisses von Kirche und Staat – nicht nur im Laufe der Geschichte, sondern schon im Neuen Testament selbst – in den Verwicklungen mit politischen, sozialen, wirtschaftlichen und 107 John Howard Yoder, Karl Barth and the Problem of War, 1970, 64–74. 108 John Howard Yoder, Die Politik Jesu, 225, Anm.342.

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allgemein kulturellen Problemen nicht intensiv genug nachgezeichnet, sondern mit einer kosmologisch-metaphysisch konzipierten Auffassung der Weltherrschaft Christi von diesen Problemen abstrahiert. Das muss nicht generell von dem Konzept der Königsherrschaft Christi gelten, wie das Beispiel Ernst Wolfs zeigt.109 Yoder jedenfalls hat – trotz seiner gegenteiligen Beteuerungen – ein normatives (zeitloses) Raster über historische Entwicklungen und Differenzierungen gelegt, das alles, was Menschen sich auf unterschiedliche Weise und zu verschiedenen Zeiten zum Verhältnis von Kirche und Staat gedacht haben, übergangen oder niviliert hat. Earl Zimmermann hat durchaus Recht, wenn er unter Anspielung auf eine intensiv elaborierte Literatur sagt: »The issue is more complex than getting the theology right.«110 Auch hat er Recht, wenn er sich weder von Cullmann noch von Yoder überzeugen ließ, dass es nur eine biblische Haltung des Christen zur weltlichen Obrigkeit gebe: »The New Testament did not have a univocal understanding of how Christians should relate to the state.«111 Wichtig ist nicht nur der kritische Hinweis darauf, dass die neutestamentliche Exegese genügend Argumente geliefert hat, die es verbieten, das Obrigkeitsverständnis im Neuen Testament zu harmonisieren. Bedeutsam dürfte auch die Tatsache sein, dass die These von den »Mächten«, wie Oscar Cullmann sie zur Begründung der Lehre von der Königsherrschaft Christi herausgearbeitet hat, von den meisten Exegeten seiner Zeit stark angefochten oder gar in Zweifel gezogen wurde. Eigenartigerweise hat sich Yoder mit dieser Kritik, wie sie in dem berühmten Forschungsbericht zusammengefasst und pointiert vor­getragen wurde, den Ernst Käsemann unter dem Titel Römer 13, 1–7 in unserer Generation (1979) vorgelegt hat, nicht gründlich genug auseinandergesetzt. Das Problem, das sich der Forschung vor allem gestellt hat, ist die lange Zeit liegengebliebene Frage, ob die 109 Ernst Wolf, Die Königsherrschaft Christi und der Staat, in: Werner Schmauch und Ernst Wolf, Königsherrschaft Christi, Theologische Existenz heute, Heft 64, München 1968, 20–61. 110 Earl Zimmermann, Practicing the Politics of Jesus, 122. 111 Ebd., 127.

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»exousiai« in Röm 13, 1 auf die gefallenen Mächte bezogen werden darf, die in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi überwunden sind, aber dennoch weiterhin gegen Gott rebellieren, oder ob dieser Begriff, in seinem technischen Sinn wie üblich, nicht nur die Institutionen bzw. Behörden des Reiches meint. Für Cullmann und Yoder hängt am Zusammenhang zwischen den Mächten und der weltlichen Obrigkeit viel, denn erstens ist die Überwindung der Mächte als Begründung für die Königsherrschaft Christi über Kirche und Staat anzusehen und zweitens markiert die Aktivität der Mächte trotz ihrer Überwindung die Grenze zwischen Kirche und Staat: Wer am Heil in der Kirche teilhat, kann nicht an der Herrschaft im Staat beteiligt sein (obwohl der Staat ja auch, was nicht als Problem gesehen wird, unter der Herrschaft Christi steht). Für Yoder heißt das, dass der Staat von Gott zwar nicht gestiftet, wohl aber »geordnet« wird, um das Werk der Rache in dieser Welt auszuführen, das heißt die Bösen zu strafen. Der Christ nimmt davon Abstand. Er stiftet Frieden und schafft Versöhnung. So lässt sich auf dem Hintergrund der Vorstellung von den Mächten der christologische und eschatologische Charakter des Verhältnisses von Kirche und Staat aus Röm 13 herauslesen. Genau das aber hat Ernst Käsemann in seinem Forschungsbericht und später auch in seinem Kommentar zum Römerbrief bestritten. Erstens vermag er keinen Anhaltspunkt im Text von Röm 13 zu erkennen, der es erlauben würde, die »exousiai« auf die Mächte zu beziehen, die hinter der Obrigkeit stünden, und zweitens weist er darauf hin, dass die echten Paulusbriefe, anders als beispielsweise der Hebräerbrief (Hebr 1,14), »von Engelmächten nur als der Gemeinde und dem Glauben feindlichen oder mindestens bedrohlichen Gewalten sprechen, nicht als Dienern am Werk der gött­lichen Schöpfung«.112 Eine solche Aussage wäre nur möglich gewesen, wenn der Sieg Jesu Christi über die Mächte bereits endgültig errungen worden wäre und »die Engelmächte damit in seinen Dienst gestellt« wä112 Ernst Käsemann, An die Römer, Tübingen 1973, 337. So äußert sich auch Ernst Wolf, Königsherrschaft Christi, 41: »Aber das Neue Testament sagt damit nicht aus, daß der erhöhte Christus die entmachteten Mächte als neue Werkzeuge in seinen Dienst genommen habe.«

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ren. Doch nach Röm 8, 37 ff und 1Kor 15,24 ff wird der endgültige Sieg Christi über seine Feinde erst von der Parusie erwartet.113 Vorerst vermag die Erhöhung Christi den Glaubenden nur »eine gewisse Hoffnung in ihrer irdischen Anfechtung« zu geben, und Käsemann fährt fort: »Eine himmlische Regierung mit Hilfe der Engelsmächte ist bei Pls. (Paulus) undenkbar.«114 Die Tat­ sache, dass Yoder sich mit dieser exegetischen Beobachtung nicht auseinandersetzt und aus dem Eingeständnis Cullmanns115, die Annahme von den Mächten hinter der Obrigkeitsauffassung in Röm 13 sei eine Hypothese, keine Konsequenzen gezogen hat, all das spricht nicht gerade für die Stärke seiner Interpretation. Die eigene Deutung des christlichen Staatsverhältnisses mit der Hypothek einer Hypothese zu belasten, ist insofern misslich, als sie die Verbindlichkeit, mit der er sein theologisches Argument vorträgt, und die Konsequenz, die er daraus für den Gehorsam des Christen zieht, entwertet.116 An dieser uneingestandenen Hypo­these hängt viel. Für eine Theologie, die das Thema des Friedens mit dieser exegetischen Hypothese so eng verknüpft, wie Yoder es tut, muss das besonders prekär sein. Sowohl für Cullmann als auch für Yoder liefert die Auffassung von den Mächten, die in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi 113 So hat später auch Jürgen Moltmann, übrigens im Beisein John Howard Yoders, argumentiert und die Verwendung der Exousiai-Vorstellung bei Karl Barth kritisiert. Getroffen haben muss das auch Yoders Vorstellungen, wie er sie von Oscar Cullmann und Hendrik Berkhof übenommen hat. Jürgen Moltmann, Barth’s Doctrine of the Lordship of Christ and the Experience of the Confessing Church, in: Williard M. Swartley (Hg.), The Politics of Discipleship and Discipleship in Politics. Jürgen Moltmann Lectures in Dialogue with Mennonite Scholars, Eugene, OR, 2006, 32: »According to 2 Corinthians 15:28 God will make everything subject to his Christ in the future; then the Son will hand the kingdom over to his Father. That Christ is the Lord signifies for Paul that he must rule »until all his enemies lie under his feet.« Only then, when the lordship of the crucified becomes God’s, will the lordship of all earthly lords, rulers and authorities, along with death, be destroyed.« 114 Ernst Käsemann, An die Römer, 337. 115 Oscar Cullmann, Der Staat im Neuen Testament, 81. 116 Ernst Käsemann, Römer 13, 1–7 in unserer Generation, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 56, 1959, 358 f.

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überwunden seien und von Gott gebraucht werden, um für Ordnung in dieser Welt zu sorgen, die theologische Begründung für die Ermahnung, der Obrigkeit untertan zu sein. Yoder spricht davon, dass die Mächte, die Gott gebraucht, den Charakter von »Struktur« tragen und der Wirkungsraum sind, in dem die Gehorsamsforderung an die Christen erhoben wird und zu erfüllen ist.117 Das aber heißt, dass der Vorwurf, hier werde die Herrschaft Christi letztlich zu einem kosmisch-metaphysischen Geschehen objektiviert118 – Cullmann spricht von der »Begründung der paulinischen Paränese in einem ontologisch zu verstehenden christologischen Bekenntnis«119 –, nicht nur Cullmann, sondern auch Yoder trifft. »Daß Jesus siegt«, in dieser Aussage Christoph Blumhardts sieht Yoder »eine Erklärung über das Wesen des Kosmos und den Sinn der Geschichte, von der sowohl unsere Beteiligung als auch unsere Verweigerung aus Gewissensgründen Autorität und Verheißung erhalten.«120 Auch ­Yoder ontologisiert die Herrschaft Christi und den Heilscharakter der Kirche. Das wird mit der Rede von der »Sichtbarkeit« der 117 John Howard Yoder, Politik Jesu, 153–158. Zur engen Verknüpfung zwischen Kirche und Staat vgl. auch John Howard Yoder, Nachfolge Christi, 14: »Der Auftrag der Gemeinde, die Überwindung des Bösen, ist der übergeordnete Auftrag; derjenige des Staates, das Böse in Schranken zu halten, hat nur deswegen einen Sinn, weil die Gemeinde ihren Dienst tut.« Das Verständnis der Gemeinde und das Verständnis des Staates sind in der Argumentation Yoders teilweise als spiegelbildlicher Kontrast gegenseitig fixiert (Liebe und Gewaltlosigkeit hier, Rache und Gewalt dort). 118 Ernst Käsemann, Römer 13, 1–7 in unserer Generation, 353–358. Derselbe Vorwurf gilt Karl Barth, der sich eng an Cullmanns Interpretation von den Mächten, die hinter Röm 13 stehen, angeschlossen hat: »Die Umwandlung urchristlicher in Metaphysik ist nicht zuerst philosophisch, sondern theologisch erfolgt, und sie ist jederzeit dort möglich und unvermeidlich, wo man Gottes Herrschaft und Handeln von seinem Worte löst und sich in Ereignissen und Bereichen objektivieren läßt« (369). Zu O. Cullmann s. auch Ernst Wolf, Königsherrschaft Christi, 38. 119 Oscar Cullmann, Der Staat im Neuen Testament, 85. Cullmann gibt Käse­mann gegenüber zwar zu, dass Röm 13 ein paränetischer Text sei, meint aber, dass Paränese und ontologisches Verständnis der Christusherrschaft einander nicht ausschließen (86). 120 John Howard Yoder, Die Politik Jesu, 177.

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Kirche besonders deutlich zum Ausdruck gebracht. Die Sichtbarkeit der Kirche markiert die Grenze zwischen Kirche und »Welt«. Vordergründig mag es so sein, dass die Unansprechbarkeit der »Welt« für die Verkündigung des Evangeliums und ihre Weigerung, sich zu Christus zu bekennen, diese Grenze sichtbar machen, wie Yoder meint, dass es diese Grenze jedoch tatsächlich gibt, wird allein mit der Vorgegebenheit des Heils in der kirch­ lichen Gemeinschaft begründet. So überträgt sich letztlich der ontologisch-metaphysische Grundzug der Kirche als messianische Heilsgemeinde auf den Bereich, in dem die weltliche Obrigkeit tätig ist. Obwohl Y ­ oder es nicht zu diesem Seinscharakter der weltlichen Herrschaft kommen lassen möchte – das spricht er in The Christian Witness to the State sehr deutlich aus und wiederholt es in der Politik Jesu121 – mit der Bedeutung, die er den Mächten in der Interpretation von Röm 13 zugesteht, ist das jedoch nicht zu vermeiden. Da dachte Cull­mann offensichtlich konsequenter. Yoder hat zwar eine »De­ontologisierung« des Staates angestrebt122, unter der Voraussetzung, dass die Christusherrschaft in der Gemeinde sichtbar wird, den Bereich staatlicher Wirksamkeit begrenzt123 und das Handeln in ihm auf Grundbedürfnisse des menschlichen Zusammen­lebens ausrichtet, kombiniert mit der Lehre von den Mächten, konnte ihm das aber nicht gelingen – 121 John Howard Yoder, The Christian Witness to the State, 75. John Howard Yoder, Die Politik Jesu, 226: »Der Apostel macht eine moralische Aussage und keine metaphysische.« 122 Fernando Enns, Friedenskirche in der Ökumene, 228. 123 Merkwürdigerweise hat sich Yoder den Hinweis Cullmanns entgehen lassen, dass 1Kor 6, 1 ff den Wirkungsbereich des Staates eingrenzt, Röm 13 nur im Zusammenhang mit dieser Stelle richtig zu verstehen sei und umgekehrt (Oscar Cullmann, Der Staat im Neuen Testament, 44 ff). Offensichtlich lässt sich eine solche Begrenzung des Staates aus Röm 13 allein nicht herauslesen. Für Cullmann jedenfalls gab das die Vorstellung von der Überwindung der Mächte allein nicht her – anders für Yoder. Seine objektiv zu verstehende Trennung von Kirche und Welt setzt die eschatologische Vorstellung von der Überwindung der Mächte, die bereits geschehen ist, voraus. In Cullmanns Buch spielt die Spannung zwischen präsentischer und futurischer Eschatologie hinsichtlich der Mächte eine größere theologische Rolle als in der Argumentation Yoders, der sich stärker auf die präsentische bezieht.

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es sei denn, dass das Sein der Heilsgemeinde allein zugeschrieben wird, nicht aber der gefallenen Schöpfung. Das wiederum würde den Vorwurf der Ontologisierung, der hier erhoben wird, nicht widerlegen, sondern nur bestätigen. 7. Die Alternative zur kosmisch-metaphysischen oder o ­ ntologischen Überhöhung des Obrigkeitsverständnisses bzw. des Raumes, in dem Christen sich zur Obrigkeit verhalten, wäre die Annahme, dass die Forderung des Gehorsams und die Antwort des Christen darauf ihre Begründung im Vollzug von Ruf und Antwort finden, theologisch gesprochen im Wirken des Heiligen Geistes, das sich nicht »objektivieren« lässt, oder im Zuspruch des Heils durch das göttliche Wort der Vergebung und die Verheißung des Heils in den Nöten und Widrigkeiten konkreter Situationen. »Die wirklich charismatische Gemeinde«, meint Ernst Käsemann, vernimmt Gottes Forderung dort und bewährt sich als solche mitten in irdischer Angefochtenheit und Niedrigkeit«.124 Das Heil verschafft sich Geltung in den Situationen, in denen die Menschen gerade stehen. Die Alternative zum ontologischmetaphysisch begründeten Heilsverständnis ist ein performatives Heilsverständnis. »Das mittel aber ist Christus, welchen nyemand mag warlich erkennen, es sey dann, das er im nachfolge mit dem leben« – diese performativ konzipierte Auffassung von religiöser Erkenntnis, wie Hans Denck sie im Blick auf die Nachfolge Jesu konzipiert hat125, müsste Yoder als ein täuferischer Denkansatz eigentlich auch für die Wahrnehmung des Heils im Zuspruch von Vergebung und im Angebot von Versöhnung im Ohr geklungen haben. Im Grunde rächt sich hier seine Abwertung des religiösen Individualismus, der seiner Meinung nach über verschiedene Stadien religiöser Frömmigkeit bis hin zur Existentialtheologie die Einsicht in den korporativen Charakter christlicher Existenz verdeckt oder verdrängt habe.126 Ist es aber nicht gerade so, dass der Heilszuspruch an den Einzelnen ergeht und 124 Ernst Käsemann, An die Römer, 344. 125 Hans Denck, Schriften 2, Walter Fellmann (Hg.), Gütersloh 1956, 45. 126 John Howard Yoder, Die Politik Jesu, 153 f, Anm. 237.

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sich erst in diesem Zuspruch für ihn die Erkenntnis einstellt, schon jetzt zum Volk Gottes zu gehören, aber noch nicht im vollendeten Reich Gottes zu leben? Wenn Yoder meint, dass sich der Kern der christlichen Botschaft vom Heil in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi im Verhältnis von Kirche und Welt zeigt, dann hätte es ihm eigentlich auffallen müssen, dass Paulus in Röm 13 nicht die Gemeinde zu Rom allgemein anspricht, sondern die einzelnen Gemeindeglieder und sie ins rechte Verhältnis zur welt­lichen Obrigkeit zu setzen versucht. Im Denken Y ­ oders wird das Individuum von der Gemeinde getrennt, und erst in einem zweiten Schritt auf sie bezogen. Eine andere Form, dieses Verhältnis zu denken, wäre, im Individuellen eine Dimension des Korpora­tiven und im Korporativen eine Dimension des Individuellen zu entdecken. Das würde der Situation, Kirche noch in diesem Äon zu sein, gerechter werden, als die Dualität von Kirche und Welt, wie Yoder sie ontologisierend konstruiert hat. Ernst Käsemann hat in Röm 13 eher eine beiläufige, theo­ logisch längst nicht so aufgeladene Paränese zum Verhalten der Christen gegenüber der weltlichen Obrigkeit gesehen. Die Begrifflichkeit in Röm 1–7 weist nicht auf eine kosmisch-eschatologische Vorstellungswelt hin, sondern auf die »Ausdruckweise hellenistischer Administration«, auch wird nicht vom »Staat als solchem oder dem römischen Imperium« gesprochen, wie dieser Text als grundsätzliche Aussage christlicher Lehre verstanden wurde, sondern »von den verschiedensten lokalen und regionalen Behörden, und zwar weniger als Institutionen, mehr in ihren Organen und Funktionen vom Steuereinnehmer über die Polizei zu den Magistratsangestellten und römischen Delegaten hin«. Öffensichtlich meint Paulus hier den »Kreis von Machtträgern, mit denen der kleine Mann in Berührung kommen kann und hinter denen er die regionale oder zentrale Verwaltung sieht«.127 Das nimmt dem locus classicus christlicher Staatslehre seine doktrinäre Weihe und lässt ihn zu einer schlichten Anweisung werden, wie sich die Christen in Rom in konkreter Situation zu verhalten haben. Dieser Text fordert die Christen nicht auf, zwischen einer guten und einer schlechten Obrigkeit 127 Ernst Käsemann, An die Römer, 338 f.

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zu unterscheiden und sich der Obrigkeit zu fügen. Käsemann ist wie Yoder der Meinung, dass jede Obrigkeit genommen werden muss, wie sie ist, und gegenüber jeder Obrigkeit ohne jeden Unterschied gilt, sich ihr unterzuordnen. Wie Yoder meint auch Käse­mann, dass das Kennzeichen der Regierenden die »vorhandene Macht« sei, »die als solche unvermeidbar Schrecken und Angst hervorruft«.128 Wie human sich die Obrigkeit auch zeigen mag, sie gehört zur gefallenen Schöpfung. Beiden gemeinsam ist die Auffassung, dass Röm 13 zu Unrecht so hoch stilisiert wurde. Käsemann nimmt diesem Briefabschnitt das theologische Gewicht. Der Text ist nur eine Paränese, die in die Alltäglichkeit der römischen Gemeinde hineingesprochen wurde und die Gemeindeglieder vielleicht vor einem Enthusiasmus bewahren wollte, der auf die obrigkeitlichen Behörden mit rigoroser Abstinenz reagiert oder ihnen mit einem Gestus moralischer Überlegenheit begegnet. Yoder lädt diesen Briefabschnitt zwar theologisch auf, weiss aber, dass dieser Text »nicht im Mittelpunkt der neutestamentlichen Staatslehre« steht.129 Dennoch wird die neutestamentliche Staatsauffassung, vor allem auch Röm 13, in seinen Schriften zu einer Norm, die nicht nur die Geschichte der Kirche von Konstantin d. Gr. bis in die Gegenwart in ein negatives Licht rückt, sondern das kompromisslose Friedenszeugnis der Kirchen auch theologisch zur radikalen Forderung christlicher bzw. kirchlicher Existenz werden lässt. Das zeigt sich ganz besonders, wenn Yoder über die Auf­ gaben spricht, die Christen dem Staat gegenüber wahr­zunehmen haben. Es ist nicht die liebevolle Zuwendung, die sich verausgabt und dem Staat, selbst wenn er seine von Gott »geordnete« Funktion nicht erfüllt und sich als Feind Gottes erweist, bis zur Selbstentäusserung in die Niederungen der obrigkeitlichen Selbst­behauptung folgt, um ihm behilflich zu sein, Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten; es ist nicht diese Selbstentäusserung, die ­Yoder vom Christen gefordert sieht, sondern die Distanz zum Exponenten der gefallenen Schöpfung, auch wenn Gott 128 Ebd., 342. 129 John Howard Yoder, Die Politik Jesu, 218. Hier folgt Yoder seinem Lehrer Oscar Cullmann, Der Staat im Neuen Testament, 1961.

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ihn in seinen Dienst nimmt. Die Kirche hat sich nicht in die Geschäfte des Staates einzumischen, um nicht in den Konflikt zu geraten, zwischen dem Gebrauch von Machtmitteln und dem Ruf in die gewaltfreie Nachfolge Jesu Christi wählen zu müssen. Was ihr hier zu tun bleibt, ist, mit ihrer gesamten Existenz ein Zeugnis dem Staat gegenüber von der Vergebung der Sünden und der liebenden Zuwendung Gottes zum Menschen in Kreuz und Auferstehung Christi abzulegen, ihn ebenso zu belehren, wenn er die ihm von Gott gesetzten Grenzen überschreitet und den Christen zumutet, sich an Aktivitäten zu beteiligen, die das Leben der Menschen gefährden und vernichten. Mit dem Kirchenvater Origenes ist Yoder der Meinung, »daß die Christen durch ihre Verkündigung, ihre Fürbitte und ihre Nachfolge im Leiden und im Dienst der Nächstenliebe nicht weniger, sondern gerade mehr für die menschliche Solidarität leisten, und damit für den Staat, als die Amtsträger selbst.«130 So ist der Staat aufgefordert, sich in der Existenz der Kirche zu spiegeln, seine Defizite zu erkennen und dem Vorbild einer von Gott gemeinten Gesellschaft zu folgen. Hier und da darf der Christ, wie Yoder meint, in Bereichen, die von staatlicher Machtausübung nicht so recht tangiert werden, auch aktiv mithelfen, etwa »Pionierdienste tun auf jenen Gebieten, mit denen der Staat aus Mangel an Ideen oder Interessen nicht fertig wird (wie z. B. im Hilfswerk, Freiwilligendienst, Vermenschlichung in der Behandlung von Nerven- und Geisteskrankheiten usw.)«.131 Für allen praktischen Einsatz gilt ein Kriterium: »Ob der Christ, der im Staat dem Gemeinwohl dienen will, als verantwortlicher Christ handelt, wird sich daran entscheiden, ob er die Freiheit noch besitzt, auszuscheiden, wo sein Amt von ihm ein unchristliches Handeln verlangen würde.«132 Das Engagement der Christen im obrigkeitlichen Bereich ist auf diese Weise stark eingeschränkt und der Zugriff der Obrigkeiten auf die Christen begrenzt. Die Verwurzelung der Christen in ihrer Heilsgemeinschaft reguliert ihr Verhalten auch in jenen Be130 John Howard Yoder, Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, Basel 1964, 23. 131 Ebd., 33. 132 Ebd., 34.

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reichen, die zur gefallenen Schöpfung gehören. Was würde Yoder auf die Frage antworten, wenn der barmherzige Samariter aus dem Gleichnis Jesu nicht auf die Bedürfnisse dessen eingegangen wäre, der unter die Räuber gefallen war, sondern sich nach den Forderungen gerichtet hätte, die dem Ethos seiner eigenen Gemeinschaft – wie der Priester und Levit es taten – entsprungen waren. Das wäre keine Frage, die aus dem Geist einer Situa­ tionsethik entspränge, d. h. einer Ethik, die ihre Normen, wie Yoder meinte, woanders suchte als in dem Evangelium von Jesus Christus. Das wäre vielmehr eine Frage, die sich jedem stellt, der gezwungen ist, auf eine konkrete Not zu reagieren – und die ge­fallene Schöpfung ist eine in Not geratene Schöpfung. Solche Fragen drängen sich auf, wenn das Verhalten und Handeln der Christen von einer ontologisch oder metaphysisch ausgerichteten Ekklesiologie normiert werden. Es ist zwar richtig, dass Yoder den Bereich, in dem C ­ hristen außerhalb der Kirche Verantwortung übernehmen und damit auch Einfluss auf die Gesellschaft ausüben sollten, erweitert hat, neben karitativer Hilfe auch in Krisengebieten und in Konfliktsituationen den Ausbruch von Gewalt einzuschränken oder eine Gewalteskalation zu verhindern – alles aber mit friedlichen Mitteln. Er ging in seinen späten Jahren sogar soweit, Konflikt und Aggression als conditio humana zu respektieren und beide auch zur Grundstruktur der Gemeinde als Auftrag anzuerkennen, einerseits nach innen versöhnte Gemeinschaft zu leben und sich andererseits nach außen an der Konfliktlösung in gesellschaft­ lichen Bereichen zu beteiligen (s. Kap. V).133 Dennoch blieb auch hier das Engagement der Gemeindeglieder im Rahmen des Zeugnisses. Sie sollten belehren und auf Grenzen hinweisen, inner133 John Howard Yoder, The War of the Lamb, Teile II und III. Vgl. Mark Thiessen Nation, John Howard Yoder, 169–188: »Towards a Theology of Conflict Transformation«. Schon früher hat Yoder gelegentlich gemeint, dass es geboten sei, »in ethical discourse beyond the borders of faith« zu kooperieren (vgl. John Howard Yoder, Radical Reformation Ethics in Ecumenical Perspective, in: The Priestly Kingdom, 110). Das nannte er »do ethics for the world«, in der es darum geht, gemeinsam Wege zur »rejection of violence« zu gehen; doch er lässt keinen Zweifel an der Priorität einer Ethik »apart from the context of faith«.

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halb deren der Staat eine von Gott begrenzte, aber auch angeordnete Macht auszuüben hatte, und sie sollten sich vorbildlich verhalten oder mit ihrem eigenen Handeln zur Nachahmung anregen. Ebenso sollten die Aktivitäten zur Konfliktbewältigung ihre Grenze da finden, wo von ihnen eine Zustimmung zur Macht- und Gewaltausübung verlangt wurde. Darin sah Gordon D. Kaufman in seiner indirekten Auseinandersetzung mit Yoders Witness to the State jedoch eine Einengung der christlichen Liebespflicht. Dasselbe könnte auch für Yoders spätere Empfehlungen gelten, in Konfliktsituationen zu vermitteln. Kaufman ist davon überzeugt, dass sich der Auftrag der Christen in dieser Welt nicht im Zeugnis vor der Welt erschöpft: »But simply witnessing to the truth as we see the truth does not exhaust the responsibilities of the Christian disciple toward his fellows.«134 Liebe ist mehr. Christus, in dem ein »model of love« gesehen wird, verkündigt nicht nur das Heil wie die Propheten des Alten Testaments, sondern kam selbst in die menschliche Gesellschaft, »to share in the grief and sin of human existence«.135 Hier zeigt sich ein gravierender Unterschied zu Yoders Art, die Verantwortung der Christen gegenüber der Welt bzw. dem Staat zu bestimmen. Kaufman orientiert dieses Verhältnis am Verständnis der Liebe im Neuen Testament, einer Liebe, auf die sich der Pazifst berufen kann, aber die auch jedem Versuch von vornherein widersteht, die pazifistische Haltung jemandem zuzumuten oder aufzudrängen, der Gründe vorbringt, sie ablehnen zu müssen.136 134 Gordon D. Kaufman, Nonresistance and Responsibility, 67. 135 Ebd., 67. 136 Ebd., 72: »If we truly love the other, we cannot forsake him even when he decides in a way which we take to be wrong and sinful; we must continue to love him as a person and attempt to help him live up to his own insights even when those insights contradict ours. That is to say, we must support him as a person who in the integrity of his own convictions and the depth of his own conscience has come to a decision and is now following out a course of action which we think to be wrong. Again God’s love must be our model. God does not forsake man even when he decides against him und pursues a course of action which is sinful and disobidient. In his faithfulness God continues to love the sinner and seeks to redeem him.« Vgl. auch Hans-Jürgen Goertz, Art. Ethik, in: www.mennlex.de (2013).

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Yoder orientiert dieses Verhältnis an der Gemeinde, in der sich das Heil verwirklicht und die das Verhalten und ­Handeln des Christen außerhalb der Heilsgemeinschaft normiert. Sicherlich weiß Yoder, was Liebe ist und dass sie in der Liebe zum Feind, der die Existenz des Liebenden bedroht, ihren eigentlich Ausdruck findet. Doch diese Liebe ist die von der sichtbaren Gemeinde her normierte Liebe nicht. Sie ist vielmehr jene Liebe, die wohl in der Gemeinde wirksam ist, aber zugleich jene, die jede Konkretion in der Gemeinde auch transzendiert und auf die Welt ausgreift und hier erst ihren eigentlichen Sinn erhält. Wird Liebe vor allem und zuerst in der Gemeinde erfahren und in einem zweiten Schritt dann auch den Menschen und Institutionen außerhalb der Gemeinde zugewendet, wird dem Wirken des Heiligen Geistes in der Welt seine Unmittelbarkeit genommen. Die Liebe, auch und gerade die Feindesliebe, wird im Neuen Testament als ein Akt verstanden, in dem Gott dem Sünder begegnet und in dem derjenige, dem das widerfahren ist, seinen Mitmenschen in der Kirche und außerhalb der Kirche begegnet. So einfühlsam und so tief an der Bedürftigkeit des Mitmenschen orientiert kann die Liebe, mit der die Gemeinde als Kollektiv sich um diejenigen außerhalb der Gemeinde bemüht, nicht sein. Sie wird versuchen, die Nichtchristen in ihre Gemeinschaft zu rufen, sie wird ihnen aber, wenn sie dem Ruf nicht folgen, nicht im einzelnen in Liebe so nachgehen, dass sie sich ihnen gleich macht. Sie wird ihrer Liebe vielmehr die Gestalt des Respekts geben. Sie respektiert den Staat, indem sie ihn Staat sein lässt und nicht in ihn hineinregiert und mit ihm den Gang des Weltgeschehens unter ihre Kontrolle zu bringen versucht. Die Liebe lässt die Welt auf eine radikale Weise Welt sein. Diese respektvolle ­Distanz wird auch denjenigen gegenüber eingehalten, die sich mit der gefallenen Schöpfung bzw. mit dem Staat identifizieren. Liebe aber ist mehr als Respekt. Sie geht nicht despektierlich mit dem Mitmenschen um, aber sie durchbricht den Vor­ behalt dem anderen gegenüber, der in Yoders Dualität von Kirche und Welt, auch wenn er es bestreitet, herrscht. So kann Kaufman schließlich sagen: »Love does more than simply witness to its own convictions: love has real concern for the other as he actually is, not simply as I happen to think that he ought to 142 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

be.«137 Offensichtlich ist es das ontologisch orientierte Verständnis der Heilsgemeinschaft, das diese Dimension der Liebe blockiert. Yoder meint zwar, dass die von ihm nachgezeichnete »Lehre von der hohen Würde und der unersetzlichen Aufgabe der Gemeinde in der Welt und für die Welt«, wenn sie ernst genommen würde, »im Zeugnis und Liebesdienst, in der Verschiedenheit von der Welt und in der Hingabe für die Welt in ganz anderem Maße sichtbar werden müsste, wessen Jünger wird sind«.138 Eingespannt in das ontologisch orientierte Verständnis der Heilsgemeinschaft zeigt sich aber, wie unterschiedlich das Verständnis der Liebe und Hingabe an die Welt bei Yoder und Kaufman sind. Im Grunde sprengt die Liebe Gottes zu den Menschen jeden Versuch, das Heil an die Sichtbarkeit der Kirche zu binden, wie Yoder es tat. Die Existenz der Gemeinde hat ihren Ursprung im Heil und dient dem Heil. Aber das Heil selbst ist sie nicht.139 8. Ein Problem, das Yoder immer wieder beschäftigt hat, ist die Frage, wie verbindlich das neutestamentliche Staatsverständnis mit den Konsequenzen für das Friedenszeugnis der Kirche in der Gegenwart sein könne. Wer Yoder anlastet, er habe kein Gespür für die Wandlungsprozesse im Verhältnis von Kirche und Staat im Laufe der Geschichte, erhebt diesen Vorwurf zu Unrecht, denn Yoder weiß sehr wohl, dass der Staat von heute nicht mit dem Staat von damals gleichgesetzt werden kann. Ihm geht es hauptsächlich um die Frage, »ob diese vielen Änderungen so zu werten sind, dass durch sie das Neue Testament ungültig wird«.140 Der Staat hat sich zwar verändert, in manchem auch verbessert, der Untertan ist zum Staatsbürger aufgestiegen und 137 Gordon D. Kaufman, Nonresitance and Responsibility, 68. Vgl. John Howard Yoder, Love and Responsibility, in: Revolutionary Christianity, 72–83. 138 John Howard Yoder, Nachfolge, 35. 139 Kaufman beschreibt die Differenz zu Yoder so: Yoder geht von einer Differenz zwischen Kirche und Welt als einer »objective dichotomy« aus, während er von einer »subjective dichotomy« spricht (Gordon D. Kaufman, Nonresistance and Responsibility, 79. 140 John Howard Yoder, Nachfolge, 24.

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ist in die politischen Prozesse stärker eingebunden als früher, die Freiheitsrechte sind erweitert und der Ruf nach Gleichberechtigung ist in manchen Bereichen nicht umsonst erhoben worden, geblieben aber ist die »Schwertgewalt« des Staates, d. h. die Legitimität des Staates, sich mit Mitteln der Macht zu erhalten und gelegentlich auch zu erweitern. So sehr sich für den Christen die Betätigungsräume außerhalb der Kirche auch vergrößert haben, letztlich sind sie aber prekär geblieben und können schnell wieder in die Maschinerie der Macht gezogen und pervertiert werden. Solche Überlegungen bestärken Yoder immer wieder, vor allem in Diskussionen mit Vertretern jener Kirchen, die einer staatskirch­lichen Tradition entstammen, an der Gültigkeit des neutestamentlichen Staatsverständnisses für die Gegenwart festzuhalten, ja, in ihm »das Evangelium, die freimachende, bevollmächtigte Frohbotschaft Gottes in Christo« zu sehen.141 Staatsverständnis meint hier nicht die korrekte Beschreibung dessen, was Staat ist, sondern vor allem und zuerst die Haltung, die Christen zum Staat einnehmen. So wird verständlich, warum das sich in diesem Staatsverständnis äußernde Friedenszeugnis ins Zentrum der christlichen Botschaft, also auch der Theologie und Ethik Yoders gerückt ist. Wenn schon von Vornherein feststeht, dass der Staat »außerhalb der Vollkommenheit Christi« steht (Schleitheimer Bekenntnis), dann bleibt nicht aus, dass die kleinen oder großen Ver­ änderungen und Verbesserungen im weltlichen Gemeinwesen für das Verhalten und Handeln der Christen kaum zu Buche schlagen. Vielleicht sind es aber Veränderungen ganz anderer Art als die­jenigen, die Yoder beschrieben oder wie er sie beschrieben hat, die es geraten sein lassen, das Verhältnis von Kirche und Staat bzw. die Einstellung des einzelnen Christen zum Staat heute nicht mehr in der Sprache und mit den inhalt­lichen Vorstellungen des Neuen Testaments zum Ausdruck zu bringen. 141 Ebd., 36. – Hier bewegt Yoder sich ganz in der Nähe seines neutestamentlichen Mentors Oscar Cullmann, Der Staat im Neuen Testament, 1: »Das Problem »Christentum und Staat« ist vielmehr mit dem Evangelium so eng verknüpft, daß es gleichzeitig mit ihm auftaucht. Das Evangelium selbst stellt und beantwortet die Frage.«

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Die Zäsuren in der Entwicklung des westlichen Christentums hat Yoder oft kursorisch beschrieben: die Konstantinisierung der Kirche, das Corpus christianum im Mittelalter, in dem der ­K lerus der Kirche und die weltlichen Herrscher um die Vorherrschaft im Abendland rangen und es dem Klerus gelungen war, die geistliche und teilweise auch politische Führung zu übernehmen, die Zeit der Reformation, in der sich die Abhängigkeit der Kirche von politischer Herrschaft verstärkt hatte, in der aber auch das Täufertum mit seiner Forderung entstanden war, Kirche und Obrigkeit strikt voneinander zu trennen, und schließlich die sich anbahnende Emanzipation des weltlichen Gemeinwesens von der Kirche, die sogenannte Säkularisation. War die Gesellschaft im Gefolge der Politik Konstantins d. Gr. nach und nach christianisiert worden, so begann mit der Aufklärung und den ihr folgenden politischen Revolutionen in Europa ein Prozess der Entchristlichung des öffentlichen Lebens.142 Wie immer sich das Verhältnis von Kirche und Staat bzw. Gesellschaft in jenen epochalen Veränderungen oder Umbrüchen gestaltete, sei eines angeblich konstant geblieben: der Zug, den Yoder mit Konstantinisierung des Christentums bezeichnet hatte, zeigte in allen Varianten immer wieder ein und dasselbe Gesicht. Gemessen an dem Staatsverständnis des Neuen Testaments war das in den Augen Yoders ein »Abfall« von der urchristlichen Norm, keine geradlinige Entwicklung in das zunehmende Elend des Christentums hinein, sondern eine Vielzahl von erruptiven Einbrüchen und Erneuerungsversuchen des Christentums sozusagen auf stationärer Basis »außerhalb der Vollkommenheit Christi«. Denken wir daran, dass Yoder das profane Verständnis von Geschichte durch die mit dem Anbruch des neuen Äons einsetzende neue Geschichte ersetzte, dann wird verständlich, warum die abendländische Entwicklung des Christentums bis in die Gegenwart hinein nichts anderes als die Verkleidung des immerwährenden Abfalls von der urchristlichen Norm der Heilsgemeinschaft war: eine Geschichte ohne Telos. Sinn und Ziel hat für Yoder nur die Geschichte des Volkes Gottes, das jetzt schon die Präfiguration des Reiches Gottes und in den Spannungen zwischen dem al142 Zum Beispiel: Ebd., 23–32.

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ten und dem neuen Äon selbst schon neue Schöpfung ist und der Vollendung entgegen geht. Hier stellt sich nicht nur die Frage, ob diese Skizze vom Abfall der christlichen Kirche den einzelnen Etappen der Kirchengeschichte gerecht wird, sondern auch dem neutestamentlichen Verständnis von der Einstellung der frühen christlichen Gemeinden zum Staat. Dieses Verständnis war, wie Ernst Käsemann deutlich gezeigt hat, ein präzises Eingehen der Christen auf die konkreten Einrichtungen des weltlichen Gemeinwesens und eine Antwort auf die Forderungen des Staates, wie sie die kleinen Gemeinden in ihrer gesellschaftlichen Isolation im alltäglichen Leben beiläufig oder mit bewusster Strenge erreichten. Es war nicht ein abstraktes Staatswesen, das ihnen gegenüberstand, es waren vielmehr konkrete Personen, zumeist Verwaltungsbeamte, die die Macht des Kaisers in ihrem Alltag repräsentierten und vor allem erst einmal die Belange der »iustitia civilis« wahrnahmen (Röm 13, 4). Die Christen reagierten also auf den Staat in seiner geschichtlichen Konkretion. Von ihm setzten sie sich ab, sofern er von ihnen Loyalität forderte, die ihrer Meinung nach Gott allein fordern könne, und ihm unterstellten sie sich, sofern er ihnen nichts abverlangte, was gegen die Grundanschauungen ihres Glaubens gerichtet war, sondern in ihnen das »Vertrauen gegenüber der iustitia civilis« nährte.143 In Röm 13 ging es genau genommen nicht um das abstrakte Verhältnis von Kirche und Staat, es ging einzig und allein um die Art und Weise, wie der einzelne Christ der weltlichen Obrigkeit in seinem Alltag zu begegnen hatte. Röm 13 gibt also selber den Hinweis, auf die konkrete Ausgestaltung der Obrigkeiten in verschiedenen Epochen zu achten und von diesen Konkretionen her das Obrigkeits- bzw. Staatsverständnis der Christen angesichts der Verkündigung der christ­lichen Botschaft immer wieder aufs Neue zu formulieren – nicht angesichts eines Staatsverständnisses, das in den Rang des Evangeliums erhoben wird, wie es bei Yoder geschieht, sondern das sich im Hören auf das Wort Gottes in der Gegenwart nahe legt. 143 W. Schrage, Die Christen und der Staat, 1971 (zit. n. Ernst Käsemann, An die Römer, 342).

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Wenn Yoder meint, dass letztlich unsere Zustimmung zur Heiligen Schrift die Anwendung des biblischen Staatsverständnisses in unserer Zeit fordert, dann wäre das allenfalls so, wenn ein solches Staatsverständnis mit exegetischen Mitteln eindeutig ermittelt werden könnte. Doch das ist nicht der Fall. Abgesehen davon muss die Situation, in der das biblische Staatsverständnis eine Rolle spielen soll, jeweils genauer bestimmt werden, als es in Yoders kursorischem Überblick über die Geschichte des Christentums geschehen ist. Wie sich das Staatsverständnis der frühen Christen an den konkreten Erfahrungen mit der Obrigkeit ihrer Tage gebildet hat, so werden es grundsätz­ liche Erfahrungen mit dem Staatsverständnis unserer Zeit sein, die danach verlangen, das Verhältnis der Christen bzw. der Kirchen zum Staat aus der Perspektive des christlichen Glaubens neu zu formulieren. Was im Neuen Testament unter Staat verstanden wurde, ist nicht der Staat, mit dem es Christen heute zu tun haben. Die epochale Zäsur, die heute noch das Staatsverständnis bestimmt, wird von der Schwelle zwischen Vormoderne und Moderne markiert. In der Zeit der Aufklärung und am Vorabend der Französischen Revolution, besonders deutlich dann im 19. Jahrhundert, verlor die aristotelische Definition, wonach das Gemeinwesen »sive res publica (Staat) sive societas civilis (Gesellschaft)« sei, ihre Überzeugungskraft. In dieser Formel von »Staat und Gesellschaft« wurde die Einheit des Gemeinwesens selbstverständlich von der Obrigkeit bzw. dem Herrscher her gedacht und fand ihren auf die Spitze getriebenen Ausdruck in der Proklamation des absolutistischen Monarchen: »L’état c’est moi«. Dagegen begehrte das Bürgertum auf und forderte immer deut­ licher politische Mitbestimmungsrechte, bis es ihm gelang, sich im Zuge der Revolution selbst zum Souverän des Staates zu erheben. Jetzt tauchten die Probleme auf der Tagesordnung der Politik auf, die das Bürgertum bewegten, d. h. Probleme der Gesellschaft und nicht die typischen Probleme der Staatsführung. Auch wurden diese Probleme in zunehmendem Maße nicht mehr vom Monarchen bewältigt, sondern von den Untertanen, die zu Staatsbürgern geworden waren und sich eine eigene, von ihnen 147 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

gewählte Regierung gaben. Der Prozess zu dieser demokratischrepublikanischen Entwicklung des Staatswesens war nicht einfach und auch nicht geradlinig, führte aber grundsätzlich dazu, die Distanz zwischen Herrschern und Beherrschten aufzulösen und die Partizipation aller Menschen an dem Geschick und dem Wohlergehen des Staates zu erreichen. Yoder ist zwar auf diese Veränderung eingegangen und hat die Verbesserungen gewürdigt, die von demokratischen Verfassungen der Staaten herbeigeführt wurden, er hat der Demo­k ratie aber keine grundsätzlich verändernde Wirkung auf das biblische Staatsverständnis der Christen zugebilligt.144 Auch der demokratische Staat bleibt letztlich auf Zwang und Gewalt fixiert. ­Yoder hat nicht erkannt, dass mit dieser grundstürzenden Erweiterung der politischen Partizipation der Ansprechpartner für den Christen im Hinblick auf staatliche Angelegenheiten ein anderer geworden ist. Wenn der Christ als Staatsbürger vom Staat angesprochen wird, spricht er genaugenommen sich selber an. Gegenüber dem Staat, wie Paulus ihn in Rom erfährt, ist der moderne Staat etwas ganz anderes und schließt Erfahrungen ein, für die eine neue, eine andere als die biblische Sprache gefunden werden muss. Es sind auch neue Lebenswelten, die sich in den Problemen des Staates zu Wort melden und nach Antworten verlangen. Im gesellschaftlichen Bereich werden Initiativen gegen den Staat oder kritisch zum Staat entwickelt, die den Staat zu humanerem Handeln bewegen, als es im vormodernen Staat möglich war. Über den gesellschaftlichen Bereich vermitteln sich auch die Impulse, die von Christen zu Versöhnung und Frieden für das Wohlergehen des gesamten Gemeinwesens ausgehen. So haben sich mit der neuzeitlichen Trennung von Staat und Gesellschaft die Verhältnisse derart geändert, dass es schwierig wird, sie mit den von Paulus in Röm 13 verwendeten Kategorien direkt zu erfassen. Sollte das biblische Staatsverständnis tatsächlich als 144 John Howard Yoder, Nachfolge, 31 f. – Ders., Karl Barth and the Problem of War, 109; Yoder lehnte Barths Beobachtung ab, dass die »­novelty of democracy has effected a change in the role of the Christian« oder »that we must add to the New Testament view of the state the new fact that democracy is a product of Christianity«.

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Zeiten überspannendes Evangelium zu verstehen sein, hätte ­Yoder sehr viel mehr Übersetzungsarbeit leisten müssen, als er es in der von ihm selbst gewählten Tradition des »biblischen Realismus« getan hat. Yoder hat die neuzeitliche Trennung von Staat und Gesellschaft überhaupt nicht gebührend zur Kenntnis genommen und den Mechanismus der Kontrolle der Staatsführung durch die Bürger nicht stark genug gewürdigt, auch nicht deren Möglichkeiten, Einfluss auf die Regierungen auszuüben. Er hat auch nicht stark genug in Rechnung gestellt, dass die Kirchen sich verfassungspolitisch immer mehr als gesellschaft­liche, denn als staatskirchliche Institutionen zu begreifen lernen mussten. Die kritische Distanz zwischen Kirche und Staat fand in der Trennung von Kirche und Gesellschaft eine säkulare Entsprechung, andererseits rückte die Kirche näher mit der Gesellschaft zusammen. Yoder verkennt diese Situation, in der sich die Kirchen vorfinden, milder gesagt, er sieht sie in der Perspektive der Konstantinischen Wende und vermischt allzu sehr staat­ liche und gesellschaftliche Probleme miteinander. Er übersieht, dass die Differenz zwischen Kirche und Gesellschaft heute vielleicht einerseits stärker und andererseits schwächer betont werden muss, also: die Differenz innerhalb der Differenz von Kirche und Staat. Es ist alles komplizierter geworden als zur Zeit des Neuen Testaments und der Täufer im 16.  Jahrhundert. Bereits die Obrigkeitsvorstellung der Täufer war eine andere als die­ jenige, die in Röm 13 vorausgesetzt wurde. Otto Brunner nannte den spätmittelalterlichen Staat einen »Personenverbandsstaat«, der aus dem mittelalterlichen Lehnswesen herausgewachsen sei, in dem der Herr dem Gefolgsmann Land als Existenzgrundlage übergab und ihm Schutz vor den Feinden gewährte.145 Die Forderungen und Zwänge, die mit dem Gefolgschaftsdienst der alteuropäischen Verfassung verbunden waren, regelten, ideal­ typisch gesprochen, das Verhältnis zwischen christlichem Herrn und christlichem Gefolgsmann. »Schutz« und »Dienst« waren nicht die Merkmale, in denen das Verhältnis der frühen Christen zur heidnischen Obrigkeit seinen Ausdruck fand. Die Zu­ mutungen und Zwänge, die vom Kaiser- und Opferkult Roms 145 Vgl. 51.

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ausgingen, waren andere. Sie nötigten die Christen, ihr Bekenntnis zu Gott als dem Herrn über Leben und Tod aufzugeben. Das geforderte Verhältnis zum Staat war ein direkter Angriff auf die Grundlagen des christlichen Glaubens. So gravierend der Unterschied zwischen Paulus und den Täufern war, was ihre Einstellung zum Staat betraf, so gravierend war auch der Unterschied zwischen vormodernem und modernem Staat. Die Bezugsgröße »Staat« hat sich für die Christen unter den Bedingungen neuzeitlicher Subjektivität noch einmal geändert und muss theologisch neu bedacht werden. 9. Mit der Moderne hat sich manches geändert, das abgesehen vom neuen Staatsverständnis für das Problem von Kirche und Staat heute bedeutsam geworden ist: Vor allem ist das Individuum in seiner Bedeutung für die Gestaltung der Welt aufgewertet worden, und die Schwierigkeiten, in die Gesellschaft, Staat, Kirche und Kultur geraten sind, werden vor dem offenen Horizont der Zukunft bedacht. Das Individuum fügt sich nicht nur in die bestehenden Strukturen der Welt ein, sondern bildet sie selber in einem Prozess von Internalisierung des Vorgefundenen und Externalisierung des Vorgestellten aus, so dass das Vorgestellte sich als Realität verobjektiviert.146 Auf diese Weise vermag das Individuum auch seine religiösen Vorstellungen in den Aufbau der Gesellschaft einzubringen. Es steht der sozialen Welt nicht gegenüber. Da es sie mitgestaltet hat, ist diese Welt ein Teil seiner selbst. Damit hat sich auch die Anrede des Staates an seine Bürger (sie sind jetzt nicht mehr Untertanen) geändert. Es werden nun die Individuen angesprochen und nicht mehr die Gruppen oder Verbände bzw. die so genannten Stände, denen sie ange­hören. Für die Gemeinden der Mennoniten beispielsweise hieß das, dass ihr Verhältnis zu den weltlichen Obrigkeiten nicht mehr auf dem Wege der privilegierten Duldung oder des ausnahmsweise gewährten Schutzes geregelt wurde. Das Gruppenprivileg wurde 146 Vgl. Peter Berger und Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. München 1969.

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vielmehr allmählich ausgehöhlt und sowohl für den Staat als auch die privilegierte Gruppe zum Problem. Die Mennoniten sahen darin eine neuerwachte Feindseligkeit der staatlichen Behörden gegenüber ihrem religiösen Sonderstatus in der Gesellschaft, während die Obrigkeiten ihr Vorgehen als einen Akt politischer Fürsorge rechtfertigten, die Sondergruppen mehr als bisher in den neuzeitlichen Staat zu integrieren und sie unter den Schutz eines zuverlässigen Rechts zu stellen und von der Willkür privilegierter Garantie zu befreien. So begann sich die Freiheit des Gewissens eines jeden einzelnen Menschen auch in den Gemeinden durchzusetzen, in denen einst das Gruppenbewusstsein konstitutiv war und den Gläubigen alle relevanten, vor allem die Beziehung zur Obrigkeit regelnden Entscheidungen abnahm. Es ist keine Frage, dass das Individuum stärker als früher ins Zentrum des gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens geraten ist. Schließlich hat sich die »Anthropologie« zu einer eigenen wissenschaftlichen Disziplin an den Universitäten herausgebildet. Ohne das besondere Interesse an der Individualität des Menschen, seiner neuzeitlichen Subjektivität, wäre es nicht zu so enormen Fortschritten in Medizin, Hygiene, Technik, Verbesserung der Arbeitsbedingungen etc. gekommen. Ja mehr noch, es wäre kaum die Einsicht herangewachsen, dass staatliche und gesellschaftliche Institutionen und Strukturen, die das Leben der Menschen bestimmen, nicht objektiv gegeben und den Menschen aufgezwungen, sondern von den Menschen selbst erzeugt worden seien. Deshalb können sie nicht nur kritisiert, sie können von ihnen auch verändert werden. Immer stärker ist das Bewusstsein gewachsen, dass der Mensch zum Schöpfer der guten Verhältnisse geworden ist und weiterhin bleiben wird, ebenso auch, dass der Mensch sich überfordert und auf anmaßende Weise in der Lage ist, die Welt zu zerstören. Die Gefahr der Selbstzerstörung der Menschheit durch den Einsatz von atomaren Waffen war ein wichtiger Impuls für Yoder, das neutestamentliche und täuferische Friedenszeugnis zu erneuern. Da er aber kein positives Verständnis von neuzeitlicher Individua­ lität und Subjektivität entwickelt hatte, ist ihm entgangen, wie intensiv jeder Mensch befähigt ist, auch die gehorsamen Glieder des Volkes Gottes, sowohl an der Heraufkunft dieser Gefahr 151 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

als auch an der Möglichkeit, sie dort, wo sie aufgekommen ist – und nicht von außen her – zu bannen oder zu beseitigen. Hier hat Yoder kein Gespür für die Zweideutigkeiten der menschlichen Existenz und für die Schwierigkeiten, in die jede ethische Forderung die Menschen bringt, entwickelt.147 Das Zeugnis, das der Christ dem Staat gegenüber ablegt, legt er auch sich selber gegenüber ab, in dem Widerspruch, in dem er zum Staat steht, steht er auch zu sich selbst. Tief verwickelt ist die neuzeitliche Subjektivität in einen Selbstwiderspruch, aus dem sie alleine nicht herausfinden wird. Hier zeigt sich, wie misslich es war, dass Yoder den religiösen Individualismus herunterstufte, die Rechtfertigungslehre in der lutherischen Ausprägung als Herzstück des Evangeliums ablehnte und von seinem ontologischen Verständnis der Heilsgemeinschaft her einseitig korporativ oder kommunal auslegte.148 Allein die rechtfertigende Zuwendung Gottes zum Menschen kann aus diesem Selbstwiderspruch, in den der Mensch sich gebracht hat und immer wieder bringt, herausführen. Die Rechtfertigung aus Gnade allein ist ungeteilt. Es gibt keine Rechtfertigung für den Christen, der sich in den Niederungen der gefallenen Schöpfung die Hände schmutzig gemacht hat, und für den Nichtchristen, dem das Heil Gottes widerfährt. Es gibt nur die Rechtfertigung des Sünders oder des Gottlosen – das ist angesichts der gnädigen Zuwendung Gottes zu den Menschen sowohl der eine als auch der andere. Wer das verstanden hat, wird nicht das Geschäft in den Niederungen der Gesellschaft den­ jenigen überlassen, die das Angebot des göttlichen Heils bisher ausgeschlagen haben. Er wird sich mit allen solidarisch erklären, die dabei sind, sich dort einzusetzen, wo menschenunwürdige Verhältnisse herrschen oder wo solche Verhältnisse verhin147 Vgl. auch A. James Reimer, Mennonites and Classical Theology, 295. 148 John Howard Yoder, Die Politik Jesu, S.237–253. Obwohl Yoder in The Christian Witness to the State, 22–25, in einem eignen Abschnitt »The Relationship Between the Church’s Social Witness and Her Testimony to Individuals« das Problem von korporativer und individueller Heilszuwendung bewusst ist, bleibt es dabei, dass er von der Heilsgemeinschaft her das Individuum in ein Verhältnis zu Gott und zum Staat setzt. Die innere Verwicklung beider Dimensionen wird nicht intensiv genug bedacht.

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dert werden können. »Die christliche Hoffnung muss unter den Verhältnissen der Gegenwart und den neuen Möglichkeiten, die wir haben, die erhoffte Zukunft in das Elend der Gegenwart hineinziehen und zur praktischen Initiative der Überwindung des Elends finden.«149 Noch einmal: Alles was der Mensch tut, tut er für andere und für sich, alles was er tut, tut er nicht nur anderen an, sondern auch sich selbst. Mit der neuzeitlichen Subjektivität wird nicht nur das Individuum aufgewertet; das Individuum wird auch die Praxis, die Ideen und Visionen, Sehnsüchte und Hoffnungen fordernd auf dem Feld nahe legen, auf dem der Mensch erfolgreich ist oder versagt. Das gilt auch für den Praxisbezug des Glaubens. Genauer gesagt: Glauben und Handeln lassen sich nicht voneinander trennen – eine Einsicht, die schon im Täufertum bedeutsam war. Das Handeln folgt nicht aus dem Glauben, sondern entsteht im und mit dem Glauben. Im Akt des Glaubens wird der Mensch, biblisch gesprochen, zur neuen Kreatur – und mit ihm, alles was zu seiner Umwelt gehört, zumindest in seinen Augen potentiell zur neuen Schöpfung. Die Gemeinde ist ihm als heilbringende Gemeinschaft, deren sakramentale Praktiken ein Paradigma für das Leben der Gesamtgesellschaft darstellen150, nicht nur vor­ gegeben, sie entsteht mit einem jeden, der ihr zugehört, auch immer wieder neu. Das heißt auch, dass sein Handeln in den Niederungen der Politik nichts beim Alten oder Schlechten bleiben lässt, er sucht vielmehr nach Wegen, aus dem Schlechten herauszuführen und mehr und mehr Humanität in den zwischenmenschlichen Beziehungen zu erreichen, als bisher möglich war. Die entsagungsvolle Mitwirkung der Christen in Staat und Gesellschaft erinnert den Staat daran, dass er diese Aufgabe nicht vernachlässigen oder aus den Augen verlieren darf. Wenn in solchen Zusammenhängen vom Wächteramt der Kirche gesprochen wird, dann ist genau dies gemeint. Der Separatismus der Kirche gegenüber der Welt ist heute die Weigerung, sich das Gesetz des Handelns und ihre Handlungsziele in der gefallenen Schöp149 Jürgen Moltmann, Ekklesiologie, unveröffentl. Vorlesungsnachschrift, Tübingen 21969, 144. 150 John Howard Yoder, Die Politik des Leibes Christi, 24 und 88.

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fung von denjenigen aufdrängen zu lassen, die mit Gewalt ver­ suchen, ihre eigenen Absichten durchzusetzen und die Handlungsziele anderen aufzudrängen. Das ist anders gedacht als Yoders Versuch, das Friedenszeugnis in einer ontologisch konzipierten Heilsgemeinschaft zu verankern. Das Verhältnis zwischen Kirche und Welt ist enger, die Liebe zur Welt verständnisvoller und intensiver, als Yoders Schriften zu erkennen geben.151 Wehrlosigkeit und Friedfertigkeit waren nicht »Prinzipien« einer Ethik, sie ergaben sich vielmehr als Einstellung, Haltung oder »way of life« (Yoder) aus der Zugehörigkeit des Glaubenden zum »Volk Gottes«. Das hat Yoder klar und deutlich herausgearbeitet. Doch diese Zugehörigkeit sucht sich nicht vor allem und zuerst ihren Ausdruck in einem Lebensstil, der den Einzelnen in der Gemeinschaft aufgehen lässt und ihm das Bewusstsein der Individualität nimmt, sondern findet diesen Ausdruck in der rechtfertigenden Begegnung mit Gott, um Thomas Müntzer zu zitieren, »in der Nacht, wenn die Trübseligkeit am höchsten ist«.152 Verknüpft mit der Rechtfertigung sola gratia, in der das Verhältnis zwischen Gott und Mensch einen neuen Ausdruck erhält, entsteht der berechtigte Eindruck, dass sich mit der Rechtfertigung das Leben des Gerechtfertigten von Grund auf verändert und der Frieden, den Gott mit diesem geschlossen hat, auch 151 Ein Beleg für Yoders Defizit: »I do not know what I would do if some insane or criminal brute were to attack my wife or my child. But I do know that what I should do must be defined by what God my Father did when his only begotten Son was beeing threatened and by what Abraham, that human father in the faith, was ready to sacrifice out of obedience (…). My readiness to accept that kind of love as my duty is founded not in craving for heroism, in self-confidence, in pious enthusiasm, in masochism, nor in the contemplation of my moral strength, but in confession of the nature of the God who has revealed himself in Jesus Christ« (John Howard Yoder, Love and Responsibility, in: ders., Revolutionary Chritianity, 83). Übrigens ist die Zusammenstellung von Jesus Christus am Kreuz und Abraham, der bereit ist, seinen Sohn zu opfern, insofern misslich, als Gott es ist, der Abraham auffordert, seinen Sohn zu opfern. Das Spannungsverhältnis zwischen Liebe und Gehorsam ist so noch nicht theologisch ausreichend reflektiert. 152 Thomas Müntzer, Schriften und Briefe. Kritische Gesamtausgabe, hg. von Günther Franz, Gütersloh 1968, 425.

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alle Beziehungen, in denen der Gerechtfertigte steht, verändert und zum Ausdruck des Schalom Gottes in dieser Welt werden lässt. Das heißt, dass der Gerechtfertigte, wie Luther in einem anderen Zusammenhang sagen konnte, dem Anderen zum Christus wird: sich für ihn einsetzt, ihm dient, wie Jesus den Menschen gedient hat, und äußerstenfalls für ihn sein Leben riskiert. Das tut er nicht aus Treue zu einem ethischen Prinzip, sondern das ist der Effekt seiner gerechtfertigten Existenz, wo immer er anderen begegnet. Wird der Zusammenhang von Rechtfertigung und Friedfertigkeit so verstanden, im jeweils neu sich ereignenden Akt göttlichen Handelns verankert, dann wird der Imperativ, Frieden in dieser Welt zu schaffen, zu einer sich immer wieder neu stellenden Aufgabe. So wie der Gerechtfertigte darauf angewiesen bleibt, dass ihm immer wieder aufs Neue vergeben wird, stellt sich ihm der Auftrag, Frieden zu schaffen, wo Unfrieden herrscht, in jeder Situation, in der er gerade steht, neu. So kann es durchaus sein, dass ein und dieselbe Reaktion oder Initiative in einer Situation zum Frieden führt und in einer anderen – trotz guter Absichten – nichts oder das Gegenteil bewirkt. Wird der einzelne Christ von Gleichgesinnten unterstützt, kann es ihm leicht fallen, für den Frieden zu wirken. Wird er in einer prekären Situation, in der das Leben eines anderen auf dem Spiel steht, vor die Wahl gestellt, gewaltlos zu reagieren und den anderen allein bzw. ihn umkommen zu lassen oder sich mit gewaltsamen Mitteln rettend vor ihn zu stellen, dann stürzt er selber in tiefe Gewissensnot und Verzweiflung – eine Situation, in der nur Gott sein Unvermögen und Versagen vergeben kann. Wie zu handeln ist, kann nicht die Gemeinde ein für alle Mal entscheiden, darüber muss das einzelne Gemeindeglied sozusagen vor Ort selber zu einer Entscheidung finden. Frieden entsteht nicht, wenn der Einzelne der Forderung eines Ethos oder eines Kollektivs gehorcht, sondern wenn er unter dem Wort und Zuspruch Gottes Wege findet, die dahin führen, wo der Friedfertige wie derjenige, der Unfrieden säht, merkt, dass beide auf den Schalom Gottes angewiesen sind und beide daran mitwirken, Oasen des Friedens in dieser Welt zu schaffen – der eine religiös motivierte, der andere von humaner Säkularität bestimmte. Solche Oasen sind also nicht nur die messianischen Gemeinschaften, wie Yoder sie ontologisch-metaphysisch überhöht 155 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

beschrieben hat, solche Oasen sind auch alle Gemeinschaften, die unter Christen und Nichtchristen entstehen, auch unter Nichtchristen allein, um Frieden unter den Menschen zu schaffen und zu erhalten. Der Schalom Gottes wird allen angeboten, und alle sind in der Lage, in der einen oder anderen Weise, nicht nur freudig oder abweisend, sondern auch experimentell oder zweifelnd, zu antworten. Der Friede, der höher ist als alle Vernunft, trennt die Menschen nicht voneinander. Er lässt sie vielmehr das Gespräch über ihre Situation in einer friedlosen Welt miteinander suchen und ihre Schwierigkeiten, darauf zu antworten, miteinander besprechen. Der eine ist auf den anderen angewiesen: solidarisch in der Erfahrung, dass es nicht einfach ist, eine klare und wirksame Entscheidung zu treffen, den Menschen, die in Not sind, zu dienen und sich gleichzeitig dem Imperativ zu verpflichten, alles zu unterlassen, was einer radikalen, kompromisslosen Friedfertigkeit widerspricht; solidarisch in dem Bemühen, sich gegenseitig zu beraten und erste Schritte miteinander zu gehen, die zu den Oasen des Friedens in dieser Welt führen. Um es noch einmal deutlich auf den Punkt zu bringen: Eine solche Solidarität mit allen, die um den Frieden in der Welt besorgt sind, ist allerdings nur möglich, wenn ein Gedanke auf­ gegriffen wird, den Jürgen Moltman den Friedenskirchen einst ins Stammbuch geschrieben hat, nämlich theologisch zwischen dem Frieden, den Gott allen Menschen anbietet, und der Gewaltlosigkeit als der gehorsamen, aber nicht immer gelingenden Antwort des Menschen auf dieses Angbot zu unterscheiden: »Jesus is not primarily concerned with nonviolence but with the peace of God on earth. The only means for testifying to and spreading this peace of God on this violent earth is indeed nonviolence.«153

153 Jürgen Moltman, A Response to the Responses, in: Williard Swartley (Hg.), The Politics of Discipleship and Discipleship in Politics, 124.

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V. Erweiterte Dialoge John Howard Yoder hat sich die Grundlagen seiner Theologie sehr früh erarbeitet und später, wie allgemein angenommen wird, seine ganze Kraft darauf verwandt, sie im Gespräch mit unterschiedlichen Partnern zu erweitern und zu vertiefen. Er hat sie auch in wechselnden Situationen immer wieder aufs Neue zur Sprache gebracht. Auf diese Weise wollte er den systematischen Zwängen theologischer Arbeit entgehen und deutlich zum Ausdruck bringen, wie intensiv die Theologie im kirchlichen Leben verankert ist, wenn sie bei ihrer Sache bleibt und sich nicht von säkularen Bemühungen vereinnahmen lässt. Solche Bemühungen haben ihren Ursprung, wie er meint, im Abfall der Kirche von ihrer eschatologisch bestimmten Differenz zur »Welt«. So hat sich seine Theologie kaum verändert. Stets hat er darauf geachtet, sich in wechselnden Situationen seiner theologischen Rede nicht aus dem Gleis werfen zu lassen. So sehr er sich weigerte, ein System seiner Theologie zu errichten, bleibt doch zu spüren, dass die Entfaltung seiner Gedanken einer inneren Logik folgte und dass er seinen Gesprächsraum mit strategischer Stringenz erweiterte. Paul Martens hat kürzlich auf die Spannungen und Widersprüche hingewiesen, die sich bei einer konsequenten historischgenetischen Untersuchung der Veröffentlichungen Yoders nicht übersehen lassen und zum Anlass genommen werden könnten, seine Texte teilweise anders zu lesen, als es in der Rezeption seiner Gedanken bisher geschehen ist. Freilich räumt Martens ein, dass es keine »radical seismic events« gegeben habe, »that change the face of his thought overnight«1, sondern dass sich Yoders Gedanken langsam und zunehmend über die Zeit hin veränderten. Wichtig jedoch sei nicht die Feststellung, ob Yoder seine Meinung geändert, sondern was er verändertert habe. Darauf hat kürzlich auch Branson Parler hingewiesen: »The young Yoder 1 Paul Martens, The Heterodox Yoder, 9, Anm. 25.

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was willing to draw absolute hard and fast divisions between his view and elements of a broader Christian tradition; the mature Yoder is not.«2 Einerseits lässt sich eine beachtenswerte Konstanz in den meisten Kerngedanken beobachten, und andererseits veränderte er seine Einstellung zur Theologie der alten Kirche und weitete seine Gedanken zur Problematik, wie die Kirche sich zur Welt verhält. Vor allem um das Verhältnis von Kirche und Welt geht es in diesem Abschnitt über die »erweiterten Dialoge«. An vier Beispielen  – (1) der Diskussion um den gerechten Krieg, (2) um die Theologie der Befreiung, (3) der Aufforderung, sich in der Nachfolge Christi an der Bewältigung von Konflikten in der Gesellschaft zu beteiligen und (4) mit poli­tischen Praktiken der Kirche auf die »Welt« einzuwirken, soll gezeigt werden, wie Yoder sich Zugang zu diesen neuen Räumen verschafft hat. Auch soll noch einmal danach gefragt werden, ob er mit diesen Weiterungen tatsächlich nur auf die Kritik reagiert hat, die ihm hier und da begegnet war, verdeutlicht, ausgearbeitet und bestätigt hat, was schon im Grundakkord seiner Theologie zu hören war, oder ob er seiner Theologie nicht vielleicht doch eine andere Wendung und einen anderen Inhalt gegeben bzw. ob er die Chancen genutzt oder vertan hat, ihr nicht nur Fülle, sondern auch breitere Überzeugungskraft zu verleihen.3

2 Branson Parler, The Forest and the Trees, 11. 3 Hinzugezogen werden könnte auch der Dialog, den Yoder in den letzten Jahren seines Lebens mit Vertretern des Judentums geführt hat. In vielem bestätigen die Einsichten, die er in diesem Dialog vorträgt oder gewinnt, den Grundakkord seiner Theologie, in manchem, vor allem der christologischen Problematik, die sich in der Annäherung zwischen Judentum und Christentum stellt, wie Yoder sie im Auge hat, öffnen sich aber Diskussionsräume, deren Erörterung hier zu weit führen würde. Das ist der Grund, warum dieses Dialogfeld ausgeblendet wird. Vgl. vor allem John Howard Yoder, The Jewish-Christian Schism Revisited, hg. von Michael Cartwright und Peter Ochs, Grand Rapids, MI, 2008. Dazu vgl. neuerdings, Paul Martens, The Heterodox Yoder, 87–115.

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1. Dialog um den gerechten Krieg Solange Yoder damit beschäftigt war, die Grundlagen einer christlichen Friedenstheologie zu erarbeiten und in den ökumenischen Beratungen zu Gehör zu bringen, lehnte er die Lehre vom gerechten Krieg a limine ab und sah in ihr sogar das besondere Merkmal einer »unfaithful church« und den Grund, warum die Kirchen nicht zu einer Einheit untereinander finden würden. Die Lehre vom gerechten Krieg, die in der Tradition der Staats- und Volkskirchen erfunden wurde, von Ambrosius und Augustin bis Thomas von Aquin, und sich über das Mittelalter und die Reformation hinaus über Francisco de Vitoria und den Jesuiten Francisco Suarez, die lutherischen, reformierten und anglikanischen Bekenntnisse bis in die Gegenwart erhalten hat, schloss nämlich die Konsequenz ein, dass Christen in kriegführenden Staaten verpflichtet seien, gegeneinander zu Felde zu ziehen und das Gebot, die Einheit der Kirche zu wahren, missachten würden. In The Christian Witness to the State (1964) schrieb Yoder in aller Deutlichkeit: »That there can be a just war in the Christian sense of the word, just or righteous is of course excluded by definition; we can make the point only negatively. When the conditions traditionally posed for a just war are not fulfilled, then a war is unjust to the point that even a state, resolved to use violence, is out of order in its prosecution.«4 Diese Einschätzungen des gerechten Krieges hat er in seiner Einleitung zu den Aufsätzen in The Ori­ginal Revolution (1971) zwar vorsichtiger, aber doch ohne Abstriche wiederholt. Sie seien angesichts der atomaren Bedrohung »increasingly inadequate as sources of moral guidance and are beginning to look as if they never were adequate«.5 Damit meint er jeden traditionellen Zugang zum Krieg. Dass der gerechte Krieg eine Option christlicher Rechtfertigung bestimmter Kriege sein könne, bleibt für Yoder bis zu seinem Ende ausgeschlossen. Um es mit eigenen Worten zu formulieren: Ein Krieg kann niemals gerecht sein, denn jeder Krieg, ob als Angriff oder als Verteidigung, bedroht das Recht auf Leben und zerstört Leben. 4 John Howard Yoder, The Christian Witness to the State, 48 f. 5 John Howard Yoder, The Original Revolution, 8. 

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Jemanden um dieses elementare Recht zu bringen, ist ungerecht: Es nimmt dem einen, was der andere für sich beansprucht, sichert oder rücksichtslos erkämpft. Dafür gibt es keine Rechtfertigung – weder in der Argumentation der Christen noch der Nichtchristen. Dass die Argumente, die im Laufe der Geschichte für den »gerechten Krieg« zusammengetragen wurden, jedoch hilfreich sein können, den Frieden zu mehren, auch wenn sie nicht in der Lage sind, den Krieg zu verhindern, deutete Yoder aber bereits in The Christian Witness to the State (1964) an und führte das in When War Is Unjust. Being Honest in Just-War Thinking (1984/1996) und in den Aufsätzen, die später in The War of the Lamb (2009) zusammengestellt wurden, weiter aus.6 Erst als Yoder aber vollends klar geworden war, dass es vielen Befürwortern der Lehre vom gerechten Krieg nicht darum ging, den Krieg zu rechtfertigen, sondern seine hemmungslose Zerstörungswut einzudämmen und nach Wegen einer Politik des Friedens zu suchen, begann er in diesen Theologen nicht mehr Gegner eines christlichen Pazifismus zu sehen, sondern seriöse Partner im ökumenischen Dialog und Verbündete auf dem Weg, sich für den Frieden zwischen den Staaten und bei Kriegsausbruch für einen schnellen Friedensschluss einzusetzen. Darin sah Yoder einen gemeinsamen Boden für einen Dialog zwischen christlichen Pazifisten und Theoretikern des gerechten Krieges. Geradezu euphorisch hat Yoder formuliert: »When honest, both will reject most wars, most causes, and most strategies being prepared and implemented.«7 Eigentlich lehnen radikale Pazi­f isten nicht die meisten, sondern alle Kriege ab. Hier hat Yoder im 6 John Howard Yoder, When War is Unjust. Being Honest in Just-War Thinking, Eugene, OR, 2001 (ursprünglich 1996). Ders., The War of the Lamb, Grand Rapids, Mich., 2009, 83–121 (Kap. 6–9, die als Vorträge geschrieben oder als Beiträge für den geplanten Band The War of the Lamb entstanden waren). S. auch einige Kapitel in: Ders., Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 55–120 und 455–484 (hier wird diskutiert, wie sich die Frage nach dem »gerechten Krieg« vor allem im Zusammenhang mit dem Vietnam-Krieg neu stellte). Vgl. auch Ders., The Values and Limits of the Just War, in: ders., Revolutionary Christianity, 84–91. 7 John Howard Yoder, When War is Unjust, 69.

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Überschwang der Gefühle unbedacht argumentiert und sich mit weniger, als er sonst forderte, zufrieden gegeben. Mit der Zuwendung zu Problemen einer Theorie vom »gerechten Krieg« verfolgt Yoder eine doppelte Absicht. Zum einen will er die Beobachtungen nutzen, auf die von den Theoretikern ­dieser Theorie hingewiesen wurde, um einen Krieg als ultima ­ratio stichhaltig zu rechtfertigen. Diese Beobachtungen könnten helfen, die Argumente der Friedenskirchen, die gegen den Krieg sprechen und eine pazifistische Haltung nahe legen, in dem Gewirr militaristischer und pazifistischer Argumente noch deutlicher herauszustellen. Nicht dass Yoder seinen Pazifismus ermäßigt hätte, hat ihm unter Lutheranern und besonders unter katholischen Sozialethikern Aufmerksamkeit verschafft, sondern dass er als Pazifist darauf bestand, alle Argumente genau zu prüfen, die für eine Rechtfertigung des Krieges angeführt werden könnten.8 Zum anderen hat Yoder seine Aufgabe darin gesehen, die Bemühungen derjenigen Theoretiker des »gerechten Krieges« zu unterstützen, die den Sinn ihrer Theorie nicht so sehr in einer vom Evangelium her begründeten Legitimation des Ver­ teidigungskrieges sehen, sondern letztlich in dem Dienst, Frieden zu wahren oder Frieden zu schaffen. Statt von einem »gerechten« Krieg, sprechen sie eher von einem »zu rechtfertigenden« Krieg (»justifiable), d. h. nicht bestimmte Kriege seien gut und zu rechtfertigen, sondern gut sei, dass solche Kriege unter bestimmten Umständen zur Schadensbegrenzung geführt werden müssten: »that they limit the violence for which they will soberly accept responsibility to the minimum evil necessary to establish a just peace«.9 Einen Krieg zu rechtfertigen, bedeutet nicht, dass er nicht Ausdruck von Sünde sei – im Gegenteil: »Justifiable is Not Sinless«, lautet eine Zwischenüberschrift.10

8 Charles P. Lutz, Foreword to the First Edition, und Drew Christiansen, Afterword: A Roman Catholic response, in: John Howard Yoder, When War is Unjust. Being Honest to Just-War Thinking, Eugene, OR, 1996, S. XI–XX, und 102–117. 9 John Howard Yoder, When War Is Unjust, 5.  10 Ebd., 17.

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So sehr Yoder sich bemüht hat, auf die Argumente zum »gerech­ten Krieg« einzugehen, hat er doch eher das Gespräch mit den Theoretikern gesucht, die an ihrer eigenen Theorie zu zweifeln begonnen haben, als mit den Vertretern, die am ursprüng­ lichen Ansatz dieser Theorie festhalten, trotz aller Einwände, den einen oder anderen Krieg doch zu legitimieren. Sie wollten also nicht die schlimmen Folgen der Kriegsvorbereitung oder der Kriegsführung einschränken, sondern die Kriegsabsicht ihrer Regierung und den Wehrwillen der Soldaten unter bestimmten Umständen stärken. Dieser Gefahr ist die Theorie des gerechten Krieges in der Geschichte oft erlegen, je länger, je mehr. Sie ist gegen ihre ursprüngliche Intention genutzt worden, im Grunde jeden Krieg, den die Herrschenden führten, zu rechtfertigen. Dass Yoder mit den selbstkritischen Theoretikern des gerechten Krieges als ein pazifistischer Exzerzitienmeister ins Gespräch zu kommen versuchte (im Grunde eine Neuauflage seiner früheren Diskussion um den sogenannten Grenzfall mit Karl Barth) und nicht mit denjenigen, die diese Theorie pervertiert haben, ist sicherlich ein Manko und lässt einen Schatten auf seine Gesprächsbereitschaft allen gegenüber fallen. Zu begrüßen ist da­gegen die Tendenz, die Probleme in den Grauzonen zwischen Gewaltanwendung und Gewaltverzicht tiefer als bisher auszuloten. ­Yoder hat sich Fragen des »just policing« beispielsweise geöffnet, d. h. denen Schutz mit Hilfe militarischer Macht zu gewähren, die gewaltsamen Auseinandersetzungen ausgeliefert sind, und auch die säkularen Bewegungen gewaltloser Aktion wohl­wollend zu betrachten. Die Beschäftigung mit der Theorie vom »gerechten Krieg« hat darüber hinaus die Argumente sensibilisiert, die zu einem differenzierten Nachdenken über den vielschichtigen und variantenreichen Begriff der »Gerechtigkeit« geführt haben und bald zu einer Konzeption des »gerechten Friedens« verbunden werden sollten.11 So ist die Frage nach dem »gerechten Krieg« zu einem »Case of Mutual Learning« geworden.12 An der grundsätz11 Ebd., 23 (»just peacemaking«). Vgl. Fernando Enns, Ökumene und Frieden. Bewährungsfelder ökumenischer Theologie. Neukirchen-Vluyn 2012, 207–216. 12 John Howard Yoder, War of the Lamb, 83.

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lichen, ekklesiologisch ausgerichteten Friedenskonzep­tion hat sich allerdings nichts geändert. Die Diskussion einer Theorie des gerechten Krieges hat zweifellos viele Menschen in der veränderten militärischen Situation der jüngsten Vergangenheit sensibilisiert (Korea- und Vietnamkrieg, Golfkrieg und nukleare Aufrüstung) und ihre Nähe zum christlichen Pazifismus entdecken lassen. Dass dieser Pazifismus, so wie Yoder ihn biblisch begründet hat, der einzige Maßstab sei, an dem Kriege zu messen seien, in Zweifel gezogen werden müsse, hat sich in dieser Diskussion nirgends angedeutet. Das Gesprächsfeld hat sich erweitert, und vielleicht wäre Yoder in dieser späteren Situation auch verständnisvoller mit Karl Barth umgegangen, nicht jedoch haben sich die theologischen Überlegungen zu einer Theologie des Friedens in ihrer eschatologisch-ekklesiologischen Dimension grundsätzlich verändert. Vielleicht hat Yoder sich so sehr auf die Theorie des gerechten Krieges einlassen können, weil sich die militärische Situation im Laufe der Zeit so zielstrebig auf totale Zerstörung hin entwickelt hatte, dass es eigentlich kaum noch möglich ist, Gründe für einen »gerechten« Krieg zu finden. Der Pazifismus, den Yoder vertrat, legte sich in dieser Situation fast schon von selbst nahe. Er brauchte nicht noch besonders begründet zu werden, oder anders gesagt: Die Diskussion um den gerechten Krieg war für Yoder zur nützlichen Sprache geworden, das Anliegen des christlichen Pazifismus in der »weiteren Gesellschaft« zu kommunizieren und, wovor Yoder früher zurückgeschreckt wäre, ethische Forderungen für die Allgemeinheit (»public ethic«) und nicht nur für die christliche Kirche zu formulieren.13 Das ist in der Tat eine neue Wendung im Denken Yoders, zu bedauern ist allerdings, dass er diese hinzugewonnenen Einsichten nicht noch einmal mit den schon früher erarbeiteten Grundlagen seines christlichen Pazifismus durchdacht hat. In der Auseinandersetzung mit der Theorie vom gerechten Krieg 13 Glen Harold Stassen, Introduction, in: John Howard Yoder, The War of the Lamb, 11 (»public ethic«). Es ist ein »ethical minimum«, das bleibt, auch wenn Menschen in Gesellschaft und Staat sich Gott widersetzen oder sich ihm nicht zuwenden: Earl Zimmermann, Practicing the Politics of Jesus, 119.

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steht der christliche Pazifismus mit keinem Wort zur Diskussion. So haben Yoder und die katholischen Bischöfe in Nordamerika vor allem eines gemeinsam: Die Fragen, die sich radikalen Pazifisten wie Yoder angesichts moderner Kriegsführung stellen, sind die Fragen, mit denen auch die Bischöfe in Challenge of Peace (1994) ringen: »serious questions remain about whether modern war in all ist savagery can meet the hard test set by the just war tradition«.14 Gemeinsam sind den Bischöfen und Pazifisten nicht nur die Fragen, sondern wohl auch die Antwort: Die Realität des modernen Krieges – und nicht erst theologische Erwägung – verbietet jeden Versuch, ihn ethisch zu rechtfertigen. 2. Diskussion um die Theologie der Befreiung Über das Problem der Gewalt hat Yoder zunächst im Hinblick auf Obrigkeit, Staat und Krieg nachgedacht und die Grundlagen seiner Theologie des Friedens als antimilitaristische Reaktion der Kirche auf den Staat entwickelt. Den Christen sei es unter keinen Umständen erlaubt, sich an der Kriegsführung, auch nicht an der politischen Drohung mit Krieg oder an anderen Formen der Kriegsvorbereitung ihrer Regierungen zu beteiligen, und den Herrschenden sei das Zeugnis des Evangeliums so auszurichten, dass sie den Krieg als einen Verstoß gegen Jesu Gebot der Feindesliebe und gegen das Fünfte Gebot des Dekalogs begreifen und niemanden zwingen, mit der Waffe in der Hand zu kämpfen. Soviel Yoder den Argumenten später abgewinnen konnte, die im Nachdenken über einen »gerechten Krieg« eine Affinität zu seinen pazifistischen Überlegungen aufwiesen, hat er grundsätzlich den Versuchungen widerstanden, seinen radikalen Pazifismus aufweichen zu lassen. Seit den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts begannen sich die Probleme in den Vordergrund der öffentlichen Diskussion zu schieben, die nicht um den Kalten Krieg mit seiner atomaren Bedrohung, sondern im Bereich der Gesellschaft, vor allem auch in der Dritten Welt, entstanden waren und zu Unruhen 14 John Howard Yoder, When War is Unjust, S., 117 (zit. von Drew Christiansen).

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führten. Die Gespräche, die im Ökumenischen Rat der Kirchen besonders konzentriert geführt wurden, kreisten um das Modell der »verantwortlichen Gesellschaft«, um die »Theologie der Revolution« und um die »Theologie der Befreiung«. In einem aufschlussreichen Kapitel seines Unterrichtsbuchs Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution (1983) hat Yoder diese neue Gesprächssituation unter historischen und problemgeschichtlichen Gesichtspunkten genau beschrieben: vor dem Hintergrund revolutionärer Entwicklungen vom Tyrannenmord im späten Mittelalter über die nordamerikanische Revolution 1776, in der sich die nordamerikanischen Kolonien von der englischen Krone trennten, die Französische Revolution, die zwar vorerst scheitertete, aber doch zum Prototyp bürgerlicher Revolutionen wurde, die Oktoberrevolution 1917 in Russland bis zu revolutionären Bewegungen und Erhebungen in Lateinamerika.15 In diesem Kapitel hat Yoder sich weniger mit den Ursachen und Entstehungsbedingungen gesellschaftlicher Unruhen und revolutionärer Angriffe auf die jeweiligen Obrigkeiten bzw. Staatsregierungen beschäftigt als vielmehr mit den Argumenten, die Kirchen und ihre Theologen zu unterschiedlichen Zeiten fanden, um dieses revolutionäre Aufbegehren der Bevölkerung zu verstehen, zu kritisieren oder zu rechtfertigen. Damit hatte sich für die theologische Arbeit allgemein, aber gerade auch in den Historischen Friedenskirchen, ein neuer Diskussionsraum geöffnet, in dem sich Fragen sozialer Gerechtigkeit mit der Problematik einer Friedensethik so verbanden, dass die Grundlagen einer Theologie des Friedens noch einmal durchdacht werden mussten – dieses Mal nicht unter dem Gesichtspunkt der Rolle, die dem Staat nach Röm 13 zugewiesen worden war, sondern unter dem Gesichtspunkt, die leidendende Bevölkerung von der Bedrückung durch jede Form von Herrschaft zu befreien, von staatlicher Herrschaft genauso wie von der Herrschaft sozialer und wirtschaftlicher Eliten.

15 John Howard Yoder, Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution: Ecumenical Theologies of Revolution and Liberation, 511–538 (Kap. 22). Vgl. auch John Howard Yoder, The Wider Setting of Liberation Theology, in: Review of Politics 52, 1990, 285–296.

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Gegenüber früheren Äußerungen zu revolutionären Bestrebungen gegen bestehende Herrschaft geht Yoder in neueren Beiträgen wesentlich intensiver auf die Motive und Argumente der Revolutionäre und der Theologen ein, die sie unterstützen. Wie im Falle der Theorie vom »gerechten Krieg« wendet er den Argumenten, die in ähnlicher Weise von einer »gerechten Revolution« handeln, nun mehr Aufmerksamkeit zu als früher und stellt sich grundsätzlich sogar auf die Seite derer, die ins Unrecht gesetzt wurden und keinen anderen Ausweg aus ihrer bedrückten Lage sehen, als zu revolutionären Mitteln zu greifen. Auch hier lotet er, wie im Falle des »gerechten Kriegs«, den Handlungsspielraum genau aus, der zwischen gewaltsamer Aktion und gewaltfreier Agitation besteht und ermahnt die Revolutionäre jeglicher Couleur, gewaltfreie Mittel einzusetzen, sollten diese noch nicht genügend berücksichtigt worden sein. Aufs Ganze gesehen meint er gute Gründe zu haben, den Ausgang gewaltsamer Beseitigung eines Herrschaftssystems skeptisch zu beurteilen, da oft nur ein Gewaltregime durch ein anderes ausgewechselt und Unterdrückung, Ausbeutung und Ungerechtigkeit nicht aus der Welt geschafft werden. Die Tendenz, gewaltfreie Aktionen und das letzte Mittel kriegerischer Auseinandersetzung, wie im Falle des »gerechten Kriegs«, zu brutalem Kreuzzug ausarten zu lassen, ist ebenso realistisch, wie die Tendenz, dass die siegreichen Revolutionäre nicht in der Lage sind, das Gemeinwesen, das sie an sich gerissen haben, zu verwalten und »might do more harm than good, even though their goals were righteous«.16 Im Grunde ist Yoder der Meinung, dass jede Form revolutionärer Befreiung, so sehr sie auch unter dem Segen der Kirche stehen mag, Konstantinianismus in neuer Form sei. »To get over one kind of Constantine you adopt another.«17 Revolutionäre verfolgen die Absicht, den Gang der Geschichte zu unterbrechen und der Geschichte eine neue Richtung zu geben. Was beim Alten bleibt, ist jedoch der Ehrgeiz, den Lauf der Geschichte zu beherrschen  – nach Yoder ein konstantini-

16 Ebd., 521. 17 Ebd., 525.

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scher Grundzug politischer Weltgestaltung, der sich bis in die Gegenwart auf die eine oder andere Weise durchgehalten hat. Verbunden mit der Ausübung von Gewalt, entweder von Grund auf oder als ultima ratio, ist Revolution als Handlungsziel keine Option für Christen, die sich einem Leben in der Nachfolge verpflichtet wissen und Gott nicht in die Arme fallen, um sich für das Schicksal der Welt unentbehrlich zu machen. Die Revolutionen, wie sie das moderne Geschichtsbild prägen, sind alles andere als die »original Revolution«, die Gott allein heraufgeführt hat und zum Ausdruck seiner Herrschaft immer wieder werden lässt. Sympathischer als die Entwürfe einer »Theologie der Revolution« sind Yoder die Bemühungen um eine »Theologie der Befreiung«. Die Anwälte einer »Theologie der Befreiung« haben der »Theologie der Revolution« nichts Neues hinzugefügt, meint Yoder, wohl aber atmet die Befreiungstheologie einen anderen Geist: den Geist des lateinamerikanischen Kontinents, der keine Reformation kannte, und des Katholizismus, dessen Frömmigkeit nicht von Aufklärung, Säkularisation und Modernismus korrumpiert sei. Im Gegensatz zur Sprache der »Theologie der Revolution« kommt die Sprache der Befreiungstheologie in Lateinamerika »from a deeper involvement in a worse situation«.18 Allein das sichert ihr schon eine größere Aufmerksamkeit und appelliert an das Mitgefühl. Andererseits trifft die Botschaft der Befreiung auf Gesellschaften, die von einem rigiden Konstantinianismus geprägt sind. Gleichzeitig lebt hier eine Tradition fort, in der sich christlicher Glaube mit Naturrecht und Common sense fest verbunden hat. So ist der Boden, wie einst für Aristoteles bei Thomas von Aquin, in neuerer Zeit für Grundgedanken von Karl Marx und seine Solidarität mit den Armen hier aufnahmebereiter als in Ländern mit protestantischer Tradition. Davon geht eine starke Überzeugungskraft für die Theologie der Befreiung aus. »It was partly the outsider Marx who has enabled liberation theologians to restate what the Law and the Prophets had been saying for centuries, largely unheard, about God’s partisan­

18 Ebd., 533.

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ship for the poor.«19 Doch eine Aufnahme marxistischer Gesellschaftstheorie hält sich bei Yoder in Grenzen. Es ist eher die Analyse der Situation, der er etwas abzugewinnen vermag, nicht jedoch den Prognosen gesellschaftlicher Entwicklung. Am Beispiel der Befreiungstheologie, wie Gustavo Gutiérrez sie entwickelt hat, weist Yoder darauf hin, dass die Befreiungstheologen sich besonders sorgfälig mit den unterschiedlichen Formen der Gewalt auseinandergesetzt hätten, mit institutioneller (staatlicher) Gewalt und struktureller (gesellschaftlicher) Gewalt. Gegen diese Formen der Gewalt hätten sie die Gewalt der Befreiung gesetzt, und angesichts der Gewalt von Staat und gesellschaftlichen Kräften hätten sie angeblich keine Wahl zu entscheiden, ob sie diese Gewalt anwenden sollten oder nicht. Diese Form der Gewalt ist ihnen letztlich vom allgemeinen Gewalt­ system aufgenötigt worden.20 Im Grunde unterscheidet sich diese Argumentation, wie Yoder ausführt, nicht vom Rekurs auf die ultima ratio der Gewaltanwendung in der Theorie vom gerechten Krieg oder der gerechtfertigten Revolution. Entscheidend für die Beurteilung der Befreiungstheologie aus pazifistischer Sicht ist die Gewaltfrage, so schwer Yoder sich auch damit tut, die Situation der lateinamerikanischen Länder nach ihrer langen Zeit kolonialer Unterdrückung und klerikaler Bevormundung der Laien mit dieser Frage zu konfrontieren. Doch die ultima ratio einer Befreiung mit Mitteln der Gewalt erscheint ihm, gemessen am Verhalten Jesu angesichts der Versuchungen in der Wüste und der zelotischen Ambitionen, die römische Fremdherrschaft mit aufständischer Gewalt abzuschütteln, als eine Versuchung, die es strikt abzulehnen gilt. »This is the time and place to observe that the more clearly one brings into focus 19 John Howard Yoder, For the Nations, 93. Vgl. auch John Howard ­Yoder, Politics. Liberating Images of Christ. In: ders., War of the Lamb, 172: »If, however, by »Marxism« we mean sobriety about the reality of class ­interest, if we mean the recognition that where one’s treasure is there one’s heart will also be, and if we mean  a moral bias in favor of the ­underdog, then that cannot be what is wrong with liberation theology.« Ders., Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 535 ff 20 John Howard Yoder, Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 526.

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the notion of morally justified armed insurrection, the more it becomes clear that Jesus was tempted by such an option and rejected it.«21 Sodann kritisiert Yoder jene Befreiungstheologen, die den schnellen Erfolg der Befreiung signalisieren. Nicht das singuläre Ereignis des Exodus der gefangenen Israeliten aus Ägypten durch das Rote Meer dürfe zur Metapher für die Be­freiung heute verabsolutiert werden. Zur Befreiungsgeschichte gehören auch das Exil und die Diaspora, am wichtigsten für das Thema der Befreiung ist aber der Kreuzestod Jesu und die Diaspora, in der die Anhänger der Befreiungstheologie fortan leben mussten: »Cruci­fixion and diaspora, not conquest and revenge, are thus the shape of the liberty through which Jesu’s victory frees human­ kind.«22 Das aber bedeutet, dass Freiheit, die Gott meint, vor allem und zuerst zur Annahme von Leiden und Tod führen wird und sich in beidem zu bewähren hat. Unter Befreiung versteht Yoder den immer noch anhaltenden Prozess, dass Menschen gerufen sind, Volk Gottes auf dieser Erde zu werden. Diesem Volk wird zugemutet, sich den Strukturen der Unfreiheit zu widersetzen und sich gleichzeitig in die Situation der Unfreiheit zu fügen, solange sich auf gewaltfreie Weise nichts ändern lässt. Die Hoffnung der Christen gründet sich nicht auf eine unmittelbare Absetzung tyrannischer Herrscher, sondern auf »the total transformation of human relationships through the hidden lordship of Christ.«23 Freilich dürfte es schwierig sein, diese Einsicht zu vermitteln, da die Grenze von Gewaltlosigkeit zu Gewalt kaum genau bestimmt werden kann. Gewalt, mit der anderen nach dem Leben getrachtet wird, kann gelegentlich eine mildere Form von Gewalt sein als Gewalt, die jemanden mit psychischen Mitteln zu beeinflussen versucht und kaum als ein gewaltsamer Akt erkannt wird. In solchen Situationen dürfte es nicht möglich sein, 21 John Howard Yoder, The War of the Lamb, 170. 22 John Howard Yoder, Politics. Liberating Images of Christ. In: ders., The War of the Lamb, 172 (ursprünglich 1991). Vgl. vorher schon John ­Howard Yoder, Exodus and Exile: Two Faces of Liberation, in: Crosscurrents, Herbst 1974, 297–309. 23 Vgl. John Howard Yoder, For the Nations, 116: »The Church Accepts Living Under an Unjust Social Order« (Zwischenüberschrift im Aufsatz: »The Radical Revolution in Theological Perspective«).

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genau zu bestimmen, wann Widerstand zu leisten ist, der gewaltlos ist, oder Widerstand, der die Grenze zur Gewalttätigkeit bereits überschritten hat. Hier steht der konsequente Pazifist in einer einsamen Entscheidungssituation, in der er – wie der Theologe der Befreiung – nicht über die Ablehnung der Gewalt, sonern darüber nachdenken muss, was Gewalt in konkreten Situationen überhaupt sei, und sich selbst auch fragen muss, ob er noch in der Nachfolge Christi steht oder sich dem Imperativ zu konsequenter Friedfertigkeit bereits entzogen hat. So steht dieser Pazifist den Befreiungstheologen wohl oft näher als dem Leibild des Friedfertigen, wie Yoder es entworfen hat. Trotz der Vorbehalte, die er gegenüber der Befreiungstheo­ logie hegt, lobt Yoder die Einsicht, die Befreiungstheologie im Zentrum einer jeden Theologie zu verankern, sofern jede Theologie im Grunde eine Theologie der Befreiung ist, oder anders gesagt, keine Theologie es sich leisten könne, nicht Theologie der Befreiung zu sein.24 Einer ähnlichen Argumentationsfigur war die Begründung des Friedens gefolgt. Auch er wurde im Zentrum der Theologie verankert. So kann Yoder die Befreiungstheologen daran erinnern, ihre am »gerechten Krieg« orientierte Argumentation noch einmal zu überprüfen und von diesem Zentrum her, in dem sich Freiheit und Frieden als Verhaltens- und Handlungsweisen Gottes miteinander verbinden, von der ultima ratio der Gewaltanwendung, um Schlimmeres zu vermeiden, Abstand zu nehmen, so dass es auf keinen Fall möglich ist, die Befreiungstheologie letztlich mit einer einfachen Zustimmung zum Aufstand (»with simple approval of insurrection«) zu identifizieren.25 Wohl ist dem Christen aufgetragen, sich für die Befreiung der Menschen einzusetzen, sie jedoch unter gar keinen Umständen zu erzwingen, denn nicht sie sind die Subjekte der Befreiung, sondern Gott allein, der sein Volk in die Freiheit geführt hat und immer noch führt. Yoder versucht das so zu formulieren, dass er den Befreiungstheologen nicht in den Rücken fällt: »There are liberation theologians who do not believe that violence is morally wrong in all times and places, but who do strongly believe that 24 Ebd., 532. 25 Ebd., 532.

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it is tactically wrong now and in the foreseeable future in Latin America and is for that reason wrong now.« Yoder erwähnt auch jene, wie Helder Camara und den Nobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel, die davon überzeugt sind, dass Gewalt niemals eine Option für Nachfolger Jesu Christi sei, und dennoch »affirm revolution or liberation as the purpose of God for his world, to affirm God’s preferential option for the poor, and to confirm the necessary linkage of action and reflection in valid theology.«26 Das ist eine Gratwanderung, die Yoder selbst mit seiner eigenen Friedenstheologie als Befreiungstheologie unternommen hat. Auch im Gespräch mit Theologen der Befreiung gewinnt ­Yoders Theologie an Volumen und Weite, und es bekommt einer Sozial­ ethik gut, wenn sie die Binnenräume einer theologischen Auseinandersetzung gelegentlich verlässt und sich auch mit den wissenschaftlichen Analysen beschäftigt, die zur Diagnose der Situation beizutragen vermögen, in der pazifistische Einstellungen auf dem Spiel stehen. Doch wie in seiner Annäherung an die Theoretiker der Vorstellung vom »gerechten Krieg« ändert sich auch hier nichts an seinem bereits im Grundakkord der Anfangszeit angeschlagenen Ton. Seine Überlegungen zur Friedenstheologie sieht er an keiner entscheidenden Stelle ernstlich in Frage gestellt. Solange er davon überzeugt ist, dass Gewaltlosigkeit letztlich im »grain of the universe« angelegt ist und sich schließlich auch durchsetzen wird, ein Gedanke der sich bereits in Politics of Jesus (1972) ankündigte und danach in ihm weiterarbeitete, stellt der Rekurs der Befreiungstheologen auf die ultima ratio der Gewaltanwendung keine Anfechtung für ihn dar. Stattdessen nutzt er die Gelegenheit, die Vertreter der Befreiungstheologie darüber aufzuklären, dass sie eigentlich schon den Weg einer pazifistisch orientierten Theologie betreten hätten und ihn nun nur noch konsequent fortsetzen müssten. In diesem Sinne sieht Yoder sich an der Seite der Befreiungstheologie und vermag ihr sehr viel mehr abzugewinnen, als dem westlichen demokratischen Liberalismus, der mit seinen Freiheitsimpulsen zwar die Welt in vielem verbessert habe, aber dem Rest der Welt etwas Falsches verspreche. »It is tied to the wealth and power and the cheap fuel of 26 Ebd., 532.

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the West. Its alliance with modernity and secularization is going to be self-defeating. It is not the same thing as the gospel.«27 Das sind starke Worte, die aber dem Vorwurf einer Ontologisierung des göttlichen Heilshandelns ausgesetzt sind, was auch die Rede von »grain of the universe« bestätigen wird (s. u. Anm. 45), und ihre Überzeugungskraft deshalb nur bedingt zur Geltung bringen können. 3. Konfliktlösung in Kirche und Gesellschaft Wie bereits oben angedeutet wurde, hat Yoder einen d ­ oppelten Diskurs geführt: einmal in und mit der Gemeinde Jesu Christi und zum anderen mit der »Welt«. In beiden Fällen ging es um ethische Fragen. Zunächst hatte er sich darum bemüht, die »Otherness of the church« klar und deutlich herauszuarbeiten, die Kirche als messianisch orientierte Alternative zu Staat und Gesellschaft zu beschreiben und Gemeinsamkeiten zwischen Kirche und Welt, auch die Möglichkeiten, sich als Christ an den Geschäften der Politik zu beteiligen, so gering wie möglich erscheinen zu lassen. Das hat ihm den Vorwurf eingebracht, die politischen und gesellschaftlichen Probleme der Menschen auf unverantwortliche Weise sich selber zu überlassen. Gegen diesen Vorwurf hat er sich zwar zur Wehr gesetzt, aber seine Kritiker, auch aus der eigenen friedenskirchlichen Tradition, nicht überzeugen können. So hat er gegen Ende seines Lebens die Beiträge, in denen er sich für ein gesellschaftliches Engagement der Christen einsetzte, in dem Aufsatzband For the Nations (1997) zusammengefasst und den Begriff der gesellschaftlichen Verantwortung noch einmal eindringlicher und präziser als bisher zur Geltung gebracht. Das ist bereits im Zusammenhang mit dem Verhältnis der Gemeinde zum Staat angedeutet worden. Dabei hat sich zweierlei gezeigt: einmal dass sich der Auftrag der Kirche in dieser Welt keineswegs in der Funktion, nur ein Zeugnis gegenüber dem Staat mit ihrer Verkündigung und ihrer bloßen Existenz abzulegen, erschöpft, sondern dass auch aktive Zusammenarbeit gesucht wird, und zum anderen dass die Dualität von 27 Ebd., 533.

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Kirche und Welt, wie Yoder sie unter dem Gesichtspunkt der Königsherrschaft Christi beschrieben hat, einen Zugang zu den Problemen, den ebenso erfolgreichen wie auch verzweifelten Bemühungen der »Welt«, mit diesen Problemen fertig zu werden, erschwert oder gelegentlich auch verstellt. Mit seinen Überlegungen zum Konflikt als einem Phänomen der conditio humana und den vielfältigen Versuchen in Kirche und Gesellschaft, damit sachgemäß umzugehen, hat Yoder die Weichen für einen gemeinsamen Diskurs mit allen Kräften, vor allem den wissenschaftlichen Disziplinen, wie Soziologie, politische Wissenschaft und Psychologie, gestellt. Diese Überlegungen haben in dem Aufsatzband ihren besonderen Niederschlag gefunden, der unter dem Titel The War of the Lamb (2009) zusammengestellt und posthum veröffentlicht wurde. Offensichtlich hat sich Yoder den Vorwurf zu Herzen genommen, er habe die gesellschaftlichen Probleme zu sehr auf Distanz gehalten und sich nicht intensiv genug auf das Menschlich-Allzumenschliche eingelassen: auf die Höhen und Tiefen, die Zweideutigkeiten und Widersprüche menschlicher Existenz. Wenn er jetzt von dem naturgegebenen Befund konfliktbeladener Sozialisation spricht und meint, dass Konflikte in der Gemeinde Christi genauso wie in der Gesellschaft immer wieder auftreten und zur conditio humana zu zählen sind, auf die sich der Nichtchrist genauso wie der Christ einstellen müsse, dann müsste sich aus dieser Feststellung ein weites Feld gemeinsamer Diagnose und ähnlicher Vorschläge ergeben, Konflikte zu lösen und möglicherweise bereits auf dem Vorwege zu verhindern. Konflikte treten in verschiedenen Bereichen auf: in Kirche, Gesellschaft und Staat, auch in zwischenmenschlichen Beziehungen, die den Bereich des Privaten nicht verlassen, und in den Beziehungen der Staaten zueinander. Konflikte sind allgegenwärtig. Das hat Yoder bedacht und Beispiele aus verschiedenen Bereichen in seine Argumentation eingeführt. So scharf er zwischen der Kirche und den Bereichen trennt, die außerhalb der Kirche liegen, so wenig hat er seine frühere Neigung revidiert, die Bereiche außerhalb der Kirche differenziert zu betrachten. Immer noch vermischt er Staatliches und Gesellschaftliches miteinander, die Aggressivität beispielsweise, die sich in zwischenstaat173 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

lichen Beziehungen vor allem in militärischen Konflikten entlädt und auf eine atomare Vernichtung nicht nur der kriegführenden Staaten, sondern der gesamten Welt zusteuert, mit der Aggres­ sivität, die zu feindseligen Unruhen zwischen ethnischen oder religiösen Gruppen in einem Staat führen oder zu Aufständen unterdrückter gesellschaftlicher Schichten gegen die Autorität des Staates. Werden diese Bereiche nicht differenziert betrachtet, ist es nicht möglich, der Entstehung von Konflikten gerecht zu werden. Ob ein Staat mit militärischer Gewalt auf einen feindlichen Aggressor von außen reagiert oder ob gesellschaftliche Gruppen versuchen, sich von existentiell tief greifenden Konflikten zu befreien bzw. Bedingungen zu schaffen, unter denen sich die alten Konfliktfelder allmählich verändern oder auflösen, verleiht den Konflikten ihren besonderen, jeweils anderen Charakter und fordert zu recht verschiedenen Reaktionen heraus. Abgesehen davon lassen sich Konflikte nicht immer eindeutig als politische oder gesellschaftliche erkennen. Oft brechen Konflikte im gesellschaftlichen Bereich auf und setzen sich im politischen fort bzw. führen zu kriegerischen Auseinandersetzungen, die eine ganze Nation oder Teile eines Kontinents in Mitleidenschaft ziehen. Oft ist es auch umgekehrt, dass Kriege bestimmte gesellschaftliche Gruppen besonders stark treffen oder die Verfassung eines Staates von Grund auf verändern. Für beide Möglichkeiten liefert der Erste Weltkrieg den Beleg: die sogenannte FischerKontroverse um die Ursachen des Kriegsausbruchs 1913 und der Übergang von der Monarchie zur Republik 1919. Yoder hat zwar angefangen, die staatlichen und gesellschaftlichen Konflikt­felder genauer zu betrachten, um darauf theologisch angemessener als bisher antworten zu können; und doch verwischt der Hinweis auf die ultima ratio militärischer Gewalt, die zur Lösung von Konflikten zumeist auch angewandt wird, die Unterschiede der Konfliktfelder und der Möglichkeiten, sie zu verändern oder zu beseitigen. Ebenso bleibt Yoder bei der einst scharf gezogenen Grenze zwischen Kirche und Staat bzw. Gesellschaft. So nützlich seine neueren Überlegungen zum Umgang mit Konflikten im kirch­ lichen und nichtkirchlichen Bereich, wie wir sehen werden, auch sind, nehmen sie doch nicht eigentlich zur Kenntnis, wie inten174 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

siv gesellschaftliche Konflikte in den Sozialisationsformen und Praktiken der Kirche präsent sind, und umgekehrt, wie stark kirchliche Probleme, z. B. auch die Auslegung der Heiligen Schrift, gesellschaftliche und in ihrer Folgerung auch politische Konflikte verursacht haben, in ihnen weiterwirken und auf die Kirche zurückschlagen. Besonders deutlich ließ sich das an den Konfessionskriegen vergangener Jahrhunderte oder neuerlich am Irland-Konflikt ablesen. Yoder spricht zwar von den »cross references« zwischen den religiösen Problemen, mit denen sich die Theologie beschäftigt, und den gesellschaftlichen sowie politischen Problemen, die in der wissenschaftlichen Konfliktforschung behandelt werden28, er versäumt es aber, darauf zu achten, dass diese »cross references« nicht Beziehungen zwischen zwei strikt voneinander getrennten Bereichen (hier Kirche und dort Welt) sind, sondern in jedem Bereich schon immer wirksam sind: gesellschaftliche Probleme ziehen die kirchliche Gemeinschaft in Mitleidenschaft und geistliche Probleme zeichnen sich nicht selten in dem einen oder anderen Gesellschaftskonflikt ab. Wenn Kirche als eine versöhnte Gemeinschaft verstanden wird, wie Yoder sie immer wieder beschreibt, dann muss diese Gemeinschaft in und aus einer Konfliktsituation der Menschen entstanden sein, und wenn der Konflikt zum Leben der Kirche gehört, wie Yoder meint, ja, von der Gerechtigkeit Gottes selbst provoziert wird, sofern in seinem Namen »the wrongness of sin« proklamiert wird29, dann ist der Versöhnungsprozess der Kirche noch nicht abgeschlossen. Immer noch ist der Imperativ zur Versöhnung in ihr aktuell, d. h. auch der Imperativ, mit der Anwesenheit gesellschaftlicher Probleme in ihrer eigenen Mitte auf evangeliumsgemäße Weise umzugehen. In den Aufsätzen zur Problematik der Konfliktlösung sind es drei Themenbereiche, die Yoder interessieren: einmal wie mit Konflikten in der Kirche umgegangen wird, dann wie Konflikte in der Gesellschaft behandelt werden und schließlich wie sich ein Christ an der Lösung von Konflikten in der Gesellschaft betei­ ligen kann. 28 John Howard Yoder, The War of the Lamb, 225. 29 Ebd., 139, s. auch 220, Anm. 12.

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(1) Dass die theologischen Entscheidungen zum Themenbereich der Konfliktbewältigung in der Kirche fallen, ist für Yoder unbestritten. Hier wiederholt er seine frühen Gedanken zur Ekklesiologie und bringt noch einmal die »Regel Christi« (Mt 18, ­15–18) bzw. die von der Gemeinde geübte Kirchenzucht ins Spiel. Das führt Yoder erneut in seinem Aufsatz über Conflict from the Perspective of Anabaptist History and Theology aus.30 Der Umgang mit Konflikten in der Gemeinde unterscheidet sich grundlegend von jeder Art, Konflikte in der Gesellschaft zu lösen. Hier geht es nicht darum, Lösungen auf dem Weg kompromiss­bereiter Kommunikation zu suchen, d. h. das Kriterium für die Lösung in der Person zu lokalisieren, die aufgerufen ist, sich wieder mit der Gemeinde auszusöhnen, und der Person, die verletzt worden ist, sondern sich gemeinsam einer Wahrheit auszusetzen, die außerhalb aller am Versöhnungsprozess beteiligten Personen existiert: »My brother or sister and I can be reconciled because we recognize an authority sovereign over both of us.«31 Yoder attestiert der Wahrheit, die im Versöhnungsprozess wirkt, »Objektivität« und lässt keinen Zweifel daran, dass jede andere Art der Konfliktlösung in einen »unhealthy exaggerated respect of the self« führt, gemeint ist wohl die Selbstüberschätzung neuzeitlicher Subjektivität.32 Auf solchem Wege kann es nicht zu einem wirklichen sozialen Wandel kommen, meint Yoder, ein solcher Wandel ist nur möglich, wenn die Freiheit des anderen unter einer über beiden stehenden Wahrheit gewahrt wird und wenn der eine sich unter diesem Gesichtspunkt für den anderen verantwortlich weiß, d. h. nicht davor zurückschreckt, ihn auf die Verbindlichkeit dieser Wahrheit hinzuweisen. Diese gegenseitige Verantwortung füreinander wird in dem Begriff des »Bundes« zum Ausdruck gebracht, schweißt die wieder versöhnten Gemeindeglieder zu einem gemeinsamen Leben zusammen, wie es außerhalb der Gemeinde nicht möglich ist. So wird der Imperativ, Konflikte zu überwinden, zu einer Frage des Gehorsams gegenüber dem neuen Leben unter der Wahrheit, die diesem Bund zugrunde 30 Ebd., 141–150. 31 Ebd., 144. 32 Ebd., 144.

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liegt.33 Unter dieser Wahrheit haben Zwang und Gewalt in dem Versuch, Konflikte zu lösen und zu überwinden, überhaupt keinen Platz. Wohl wird es zu manchem Kompromiss kommen, der allen weiterhilft. Wichtig jedoch ist, dass ein solcher Kompromiss als eine Wirkung des Heiligen Geistes gesehen wird und nicht als ein Kompromiss, wie er im weltlichen Bereich unter Menschen ausgehandelt wird und allein dem guten Willen der Konfliktpartner entspringt.34 So hat sich Yoder schon früher die »messianische« Gemeinde als Paradigma des sozialen Wandels dargestellt, und daran kann er im Zusammenhang mit der Problematik des Konflikts nahtlos anknüpfen. Sozialer Wandel ist in seinen Augen das Ergebnis eines Prozesses, in dem Konflikte aufgelöst werden. Gemeinde, gewaltlose Überwindung von Konflikten und sozialer Wandel: das zieht sich als roter Faden durch alle Konfliktaufsätze hindurch. Es ist, als ob Yoder diese drei Phänomene geradezu miteinander identifiziert. Besonders eindrucksvoll deutet das bereits der Titel eines dieser Aufsätze an: The Church and Change. Violence Versus Nonviolent Direct Action.35 Interessant ist auch, wie Yoder die Frage der Vermeidung von Konflikten behandelt. Auf keinen Fall darf Konflikten aus dem Weg gegangen werden, denn damit wäre nichts gelöst und niemand mit anderen versöhnt worden. Ziel ist die versöhnte Gemeinschaft. Danach richtet sich der Umgang mit Konflikten in der Gemeinde allein.36 (2) Yoder scheut sich nicht, sich auf die Argumente der Konfliktforschung einzulassen, obwohl sie die Gewaltanwendung als ­ultima ratio zur Überwindung von Konflikten nicht ausschließen oder von der Aggressivität als der natürlichen Gegebenheit menschlicher Selbstbehauptung ausgehen. Einerseits sind das Beobachtungen, die seine pazifistische Position in Frage stellen, und andererseits bemüht sich Yoder zu zeigen, dass diese soziologischen und psychologischen Befunde eine Entscheidung gegen 33 34 35 36

Ebd., 145. Ebd., 140. Ebd., 151–163. Ebd., 137–140.

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die gewaltsame Konsequenz nicht ausschließen. Selbst Vertreter der Konflikt- oder Aggressionsforschung vermögen die Situationen mit Umsicht zu beschreiben, in denen es nicht zu einem zerstörerischen Ausbruch menschlicher Urkräfte kommt, sondern Einsicht und Erschrecken vor der letzten Konsequenz einen solchen Ausbruch verhindern. Um so mehr werden Pazifisten ihre Hoffnungen gerade darauf setzen: »We can then accept this reading of the human constitution and still not be driven fatally away from the ability to relate nonviolently«.37 Auch neuere Überlegungen zur Sicherheitspolitik in weltwei­ tem Maßstab, die in der politischen Wissenschaft nicht nur eine deskriptive, sondern auch mit besonderer Überzeugungskraft eine normative Disziplin sehen, etwa mit dem Untertitel einer gewichtigen Studie von Robert Johannsen angedeutet: Moving from the Balance of Power to World Security, vermag Yoder Züge politisch moralischer Werte zu sehen, die das Neue Testament einst als »part of participation in the nature and work of Jesus« beschrieben hat.38 Diese Koinzidenz mit biblischer Aussage gibt Yoder das gute Gewissen, die Erkenntnisse der K ­ onfliktforschung nicht zu übergehen oder auf sich beruhen zu lassen. Bemerkenswert ist schließlich, um ein letztes Argument anzuführen, dass Yoder dem Einsatz der UN-Friedenstruppen in militärischen Krisengebieten und Konfliktsituationen etwas Positives abgewinnen kann, obwohl es sich dabei um militärische Einsätze handelt. Diese Truppen stehen zwar unter Waffen, sind aber doch in der Lage, die Vorzüge, ja, die moralische Pflicht, die Waffen nicht einzusetzen, zu verstehen. Ihnen kann »the case against violence« verständlich gemacht und sogar zugemutet werden, »to obey rules that forbid them to use their weapons«.39 Einem Verzicht auf Waffengewalt zu folgen, wenn der Befehl dazu erlassen wird, ist ein ebenso großes Risiko für die Soldaten, wie mit militärischer Gewalt einzugreifen. Mit dem Verzicht auf Waffengewalt sind zwar keine Kriege zu gewinnen und auch kein Frieden herzustellen, wohl aber können die feindlich ein37 Ebd., 134. 38 Ebd., 133. 39 Ebd., 131.

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ander gegenüberstehenden Truppen auseinander gehalten und Situationen stabilisiert werden, in denen Friedensprozesse einsetzen können, die zu einem guten Ende führen. So nützlich diese Aufgabe der UN-Truppen für die Wiederherstellung des Friedens in den Augen Yoders ist, kann aber doch keine Rede davon sein, dass er einen solchen Friedenseinsatz einem Christen in der Tradition der Friedenskirchen zumuten würde, wie überhaupt Christen kaum ermutigt werden, sich an den Aktionen anderer zur Konfliktlösung, Konfliktüberwindung oder Konfliktverhinderung außerhalb der Kirche intensiv zu beteiligen. Wichtig ist Yoder offensichtlich zunächst nur, solche Aktionen zur Kenntnis zu nehmen und jede Aktion zu begrüßen, die unsere zerstrittene und streitbare Welt der Versöhnung und dem Frieden ein Stück näher bringt und aus der Geschichte zu lernen beginnt, dass die Menschen weitaus mehr dafür getan haben, Gewalt zu vermeiden und militärischen Maßnahmen aus dem Wege zu gehen, als auf sie ohne Rücksicht auf Verluste hinzuwirken.40 Insgesamt fällt nun ein günstigeres Licht auf die Bereiche des gesellschaftlichen Lebens außerhalb der Gemeinde Jesu Christi, auch auf Erkenntisse, die sich aus der allgemeinen Geschichte gewinnen lassen. Grundsätzliches aber lässt sich für eine Theologie des Friedens nicht in diesem erweiterten Raum lernen, da bleibt Yoder bei seinen biblisch begründeten Einsichten. Ein Argument ist allerdings neu. Es entzündet sich an der Frage, wie es kommt, dass die Ungläubigen verstehen können, was die Christen eigentlich mit der Forderung einer gewaltlosen Überwindung von Konflikten meinen und warum sie teilweise jedenfalls in der Lage sind, auf ihren eigenen Vorteil zu verzichten, der sich auf die Durchsetzungsfähigkeit mit Gewalt zu stützen versteht, und sich der Aufforderung öffnen, die Veränderung der Welt zum Besseren gewaltfreien Aktionen zuzutrauen. Yoder ist der Meinung, dass die Überzeugungskraft, die von den gegenwärtigen Aktionen des gewaltfreien Widerstands wie den Be­ wegungen Mahatma Gandhis oder Martin Luthers Kings, Nelson Mandelas oder Lech Walesas ausgeht, auch bei denen politisch zu wirken beginnt, die deren historische Herkunft aus dem Wir40 Ebd., 128 f

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ken Jesu Christi nicht anerkennen, denen diese Einsicht aber in ihre eigene Sprache übersetzt oder sogar in das analytische In­ strumentarium der »Ivy League social science« übertragen werden kann.41 Gewaltlosigkeit wird den Christen als Art und Weise offenbart, »how things really are«, und kann nicht diejenigen ausschließen, denen diese Einsicht noch nicht zuteil geworden ist. Das beschwerliche, entsagungsvolle Leben der Gewaltlosigkeit geht auch für sie wie für diejenigen, die das Kreuz Jesu bewusst auf sich nehmen, einer verheißungsvollen Zukunft ent­ gegen, »because it goes with the grain of the universe (Struktur des Universums)«.42 Insofern kann Yoder von der »effectivness of nonviolence« sprechen.43 Auf den ersten Blick ist das eine über­ raschende Aussage und lässt vermuten, dass Yoder die strikte Trennung von Kirche und Welt nicht mehr so aufrecht erhält, wie er es zunächst getan hat. Auf den zweiten Blick aber ist zu vermuten, dass Yoder hier die ontologische Bestimmung der Gemeinde Jesu Christi, wie sie sich ihm aus der kosmologischen Vorstellung vom Sieg Christi über die Mächte nolens volens ergab, auf die kosmologische Einbindung aller Menschen übertragen hat. Auch wenn sich den Ungläubigen »the grain of the universe« noch nicht erschlossen hat, stehen sie doch unter ihrer Wirkung. Es ist deren quasi ontologisch festgeschriebenes Schicksal, sich jetzt schon auf dem Weg zu befinden, den der auferstandene Christus nach der leidvollen Erfahrung des Kreuzes bereits siegreich gegangen ist. Branson Parler hat Yoder in diesem Punkt so verstanden: »if  a Christian finds non-Christians promoting relatively good patterns of peace, working against the death penalty, or advocating the importance of human dignity, should the Chris41 Ebd., 179, unter Hinweis auf Gene Sharp, Exploring Nonviolent Alternatives and the Politics of Nonviolent Action, Boston, Mass., 1970. Vgl. das lange Kapitel über »The Lessons of Nonviolent Experience« in: John Howard Yoder, Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, ­487–507. 42 Ebd., 179. – »Suffering love is not right because it »works« in any calculable short-run way (although it often does). It is right because it goes with the grain of the universe, and that is why in the long run nothing else will work« (62). 43 Ebd., 11 u. ö.

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tian veer away from promoting these things or decry those nonChristians who do promote them? Yoder would say no, so long as the Christian is anchored in a vision of the universe centered on the Crucified and Risen Lamb.« Das heißt, die Menschen leben in einem »cosmos whose logos is Jesus«.44 Das ist zwar eine Aussage, die unter dem Eindruck der Offenbarung gemacht wird, ist also nicht das jeder menschlichen Vernunft zugängliche Naturrecht, das mit der »grain of the universe« identifiziert wird. Doch wenn die Offenbarung eine Einsicht über das Universum vermittelt, dann kommt der Theologe nicht umhin, in dieser Aussage die Beschreibung eines objektiven Befunds, also eine Seins­aussage über den Zustand und die Zukunft der gesamten Menschheit zu sehen, zumindest derjenigen, die sich dem Experiment aus­setzen, ohnmächtiger Erfahrung mit Gewaltlosigkeit mehr als jeder Art von Gewalt zuzutrauen, das Leben zu bessern. Die Ontologisierung der Gemeinde hat die Solidarität des Christen mit der gefallenen Menschheit nicht tief genug begriffen. Die ontologisch zu verstehende »grain of the universe«, die sich nicht der Vernunft, sondern nur als göttliche Offenbarung dem Menschen erschließt, vereinnahmt im Grunde die Menschen außerhalb der »messianischen Gemeinschaft« für ein ethisches Handeln, das jetzt schon dazu beiträgt, das Reich Gottes herbeizuführen, obwohl sie soweit nicht denken und das auch gar nicht wollen. Der Christ sollte sich zwar freuen, Verbündete zur Überwindung von Konflikten ohne Gewaltanwendung zu finden, er sollte aber nicht nach einer ontologischen Begründung für dieses Verhalten des Gottlosen suchen.45 Das würde dem Gottlosen die Frei44 Branson Parler, The Forest and the Trees, 18 f. 45 Vgl. zur Deutung des Begriffs »grain of the universe« im Zusammenhang mit der Erörterung des Topos vom Naturrecht (natural law) bei Yoder: Paul Martens, With the Grain of the Universe: Reexamining the Alleged Nonviolent Rejection of Natural Law, unveröffentl. – Den Zusammenhang von Schöpfung (creation) und Erlösung (redemption) bei Yoder hat neuerdings untersucht: Branson L. Parler, Things Hold ­together. John Howard Yoder’s Trinitarian Theolgy of Culture, Harrisonburg, VA, 2012. Parler arbeitet heraus, dass Yoder »presents an ­ontology of peaceful power in which the Powers were created to be ­dynamic servants of peace and flourishing«, S. 228. Allerdings erkennt

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heit eigener Entscheidung für oder gegen das Heilsangebot Gottes bzw. das Bekenntnis zu Jesus Christus nehmen, an dem Yoder gewöhnlich soviel liegt. (3) Die Frage, die Yoder im Zusammenhang mit der Konfliktproblematik besonders interessiert hat, ist, ob ein Christ sich mit Menschen gemeinsam sozial engagieren könne, mit deren Motiven und Zielen sozialen Handelns er letztlich nicht übereinstimmt. Er gab folgende Antwort: Niemand könne erkennen, ob ein soziales Ereignis, das die menschlichen Verhältnisse zum Besseren wendet, einen transzendenten, im Glauben erfassten Ursprung habe oder im Rahmen der gefallenen Schöpfung einfach geschehen sei: ein sozialer Wandel nach dem anderen. Unter diesem Gesichtspunkt gäbe es keinen Grund, sich vom sozialen Engagement anderer zu distanzieren. Die sozialen Verbesserungen der einen unterscheiden sich nicht von denjenigen der anderen. Wohl aber werden Christen, die mit dem transzendenten Ursprung mancher Ereignisse rechnen, in der Lage sein, nach bisher noch unerkannten Möglichkeiten sozialen Handlungsbedarfs Ausschau zu halten und Möglichkeiten zu entdecken, die anderen verborgen bleiben bzw. gar nicht in den Sinn kommen.46 Insofern bliebe der sozialen Welt etwas vorenthalten, wenn Christen sich nicht in ihr engagierten und beispielsweise dazu beitrügen, gesellschaftliche Konflikte auch außerhalb der Gemeinde Christi zu lösen. Es ist für Yoder also überhaupt keine Frage, dass Christen sich daran beteiligen sollten, Konflikte nicht nur in der Kirche, sondern auch in der Gesellschaft lösen zu helfen. Konflikten aus dem Wege zu gehen, sei nicht mit dem biblisch geforderten Versöhnungsauftrag zu vereinbaren. Andererseits kann von Christen nicht erwartet werden, dass sie im gesellschaftlichen Bereich nach anderen ethischen Maximen handeln als in der Gemeinde Parler nicht den problematischen Aspekt einer solchen theologischen Ontologie. Diese Abhandlung ist mir erst während der Korrekturarbeiten an dieser Untersuchung zu Gesicht gekommen, so dass eine gründliche Auseinandersetzung mit Parlers Yoder-Interpretation hier nicht mehr geleistet werden konnte. 46 Ebd., 196 ff

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Jesu Christi. So schwierig es sei, zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit genau zu trennen, werden Christen in Konfliktsituationen den Weg der Gewaltlosigkeit gehen, sei es, dass sie selber in den Konflikt direkt involviert sind oder dass sie zwischen Konfliktparteien zu vermitteln versuchen. Einen Konflikt unter Anwendung von Gewalt lösen zu wollen, wäre unter Umständen zwar erfolgreich, würde auf Dauer aber keine Lösung sein, denn Gewaltanwendung achtet den Nachbarn, dem die ganze Liebe gelten soll, nicht als Person und schafft auf diese Weise nur neue Konflikte. So vermag der Friedensauftrag, unter dem der Nachfolger Christi steht, in eine gesellschaftliche Situation direkt einzugreifen und auf eine Verbesserung der menschlichen Verhältnisse hinzuwirken. Das ist mehr, als nur ein Zeugnis von der Versöhnung abzulegen, die Gott in Jesu Kreuz und Aufer­stehung den Menschen anbietet. In der Nachfolge Jesu sehen Christen ihre Aufgabe darin, nicht zu herrschen, sondern zu dienen  – nicht nur in der Kirche, sondern auch im gesellschaftlichen Alltag. Für den Prozess der Konfliktlösung bedeutet das, dass der Christ seinen Beitrag zur Bereinigung oder Überwindung von Konflikten darin sieht, die Konfliktsituation nicht zu beherrschen und auf diese Weise den anderen, selbst wenn er den Konflikt verursacht haben sollte, ins Unrecht zu setzen, sondern ihm behilflich zu sein, den Weg zur Versöhnung zu finden. Das sind in freier Paraphrase zwei Möglichkeiten für den Christen, sich im gesellschaftlichen Konfliktfall zu verhalten und Verantwortung im nichtkirchlichen Bereich zu übernehmen – nicht um sein Gewissen zu salvieren, sondern um ein menschenwürdiges Leben für alle zu erwirken. So hat Yoder es verstanden, die Verantwortung des Christen für die Gesellschaft, die er zunächst auf das Zeugnis vom göttlichen Heil in einer heillosen Welt eingeschränkt hatte, zu weiten und auf jeweils neue Weise zur Geltung zu bringen. Konflikte aufzulösen und zu überwinden, ist eine Möglichkeit, gestaltend auf die Gesellschaft einzuwirken. Sie gehört zu einem weiteren Kranz von Einflussmöglichkeiten, die unter dem Schlagwort »Effective Peacemaking Practises« zusammengefasst werden.47 47 So die Überschrift der Sektion mit den Konfliktaufsätzen: ebd., 123.

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Yoder lässt keinen Zweifel daran, dass der Prozess der Konfliktlösung, der einerseits sein Ziel in der versöhnlichen Wiederherstellung einer beschädigten Gemeinschaft hat und andererseits eine Gemeinschaft voraussetzt, die jedem einzelnen Mitglied hilft, den in ihr geltenden »way of life« einzuüben und auf Versöhnung hinzuwirken, am Paradigma der »messianischen Gemeinschaft« gebildet und beurteilt wird. Eine solche Gemeinschaft aber ist die im Konflikt befindliche in der Gesellschaft außerhalb der Kirche nicht. Der Christ muss also in einer sozialen Welt agieren, die nicht seine Welt ist. Er ist zwar angehalten, die im Glauben akzeptierten Regeln auch in der »Fremde« zu beachten, er kann dort aber nicht damit rechnen, dass der Konfliktpartner so reagiert, wie es in der kirchlichen Gemeinschaft sachgemäß wäre. In der gesellschaftlichen Konfliktsituation ist nicht der eine Partner dem anderen gegenüber verantwortlich, wie das Yoders Meinung nach in der Kirche der Fall ist.48 Damit entfällt eine prinzipielle Voraussetzung christlichen Verhaltens und Handelns. Der christliche Konfliktpartner ist in der konkreten Situation auf sich allein gestellt, er kann sich redlich darum bemühen, alles gewaltfrei und dienend zum Besten zu führen, er ist aber angefochten und hilflos, wenn der von ihm in seiner kirchlichen Gemeinschaft erlernte Verständigungsprozess mit dem Konfliktpartner anders abläuft als erwartet, wenn der Partner sich sperrt, im Kompromiss vielleicht das Beste noch für sich her­ auszuholen versucht oder sich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt fühlt, wenn zuviel Rücksicht und Dienstbereitschaft von ihm verlangt werden oder wenn er bemerkt, dass er einem mis­ sionarischen Handeln des christlichen Partners zum Opfer gefallen ist, erst dann als ein konzilianter Partner anerkannt zu sein, wenn er sich der Gemeinschaft anschließt, die über das einzig wahre Verständnis von Konfliktüberwindung verfügt. So kann der Christ mit seinen guten Absichten scheitern und im Scheitern den Mut verlieren, mit seinen Regeln durchhalten zu können, vielleicht um des lieben Friedens willen nachzugeben oder in Kompromisse zu flüchten, die nicht immer mit Gewaltfreiheit und Dienstbereitschaft kompatibel sind und ihn schlimmsten48 Ebd., 145.

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falls an dem nichtchristlichen Partner schuldig werden lassen. Er könnte ihm die Versöhnung und den Frieden vorenthalten, die er ihm in Aussicht gestellt hatte. Diese bittere, den Einzelnen möglicherweise treffende Konsequenz im Prozess der Konfliktlösung hat Yoder nicht eigentlich bedacht. Doch erst in der Verzweiflung am Scheitern könnte sich den Konfliktpartnern die Erfahrung erschließen, dass sie beide in gleicher Weise auf Hilfe angewiesen sind. Der Christ ist in der gesellschaftlichen Konfliktsituation nicht der »barmherzige Samariter« und der nichtchristliche Partner derjenige, der unter die Räuber gefallen ist. Beide sind sie unter die Räuber gefallen und warten auf denjenigen, der nicht an ihnen vorbeigeht. Im Gleichnis vom Barmherzigen Samariter ist es wohl derjenige, der dieses Gleichnis erzählt. Mit der Hinwendung zur Forschung, die gesellschaftliche Konflikte analysiert, hat Yoder sicherlich mehr Realitätsfülle für seine theologische Argumentation gewonnen und den Vorwurf, er sei mit seiner Friedenstheologie nicht in der Lage, Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen, ein wenig entkräftet. Wie aber gezeigt werden konnte, öffnet er sich der wissenschaftlichen Konfliktanalyse nicht so, dass er sie als Frage begreift, auf die seine Theologie eine Antwort zu suchen hätte. Die Antwort, wie mit Konflikten umzugehen sei, ist bereits in seinem Kirchenverständnis gefallen und wird über die Betrachtung dessen, wie das einzelne, an Konflikten in der Gesellschaft beteiligte Gemeindeglied sich zu verhalten und zu handeln habe, in einem zweiten Schritt auf die besondere Situation »außerhalb der Vollkommenheit Christi« hin so gegeben, dass der Christ den Anspruch seiner Herkunft nicht verleugnet und dem Anspruch des konkreten gesellschaftlichen Konfliktfalls gerecht zu werden versucht. Das heißt, dass in diese Antwort die »Tatsache« der Äonenwende hineinreflektiert wird, der die Gemeinde ihre Existenz verdankt und den die Gesellschaft nicht zur Kenntnis nimmt. Der Einzelne agiert in dem Bereich der gefallenen Schöpfung, wie Yoder die Gesellschaft bzw. auch den Staat sieht, zwar als jemand, der am Heil in der Kirche partizipiert, aber dem im gesellschaftlichen Bereich die heillosen Zustände dieser Welt als Einzelnem begegnen und ihm ein Verhalten und Handeln abverlangen, die ihn in seinen alten, inzwischen überwundenen Zustand 185 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

zurück zu ziehen drohen. Im gesellschaftlichen Konflikt als angefochtene Existenz auf den Konfliktpartner einzugehen, ist etwas anderes, als den gestrauchelten Bruder oder die Schwester in die versöhnte Gemeinschaft zurück zu holen. Er steht auf einmal da, wo derjenige steht, der Gottes Heilstat in Jesus Christus ablehnt. Beide sind sie auf die Zuwendung des Heils immer wieder aufs Neue angewiesen und wissen, dass es weder dem einen noch dem anderen gelingen kann, aus dem Konflikt Heil entstehen zu lassen. Wenn das gelingt, dann liegt das ebenso wenig an denjenigen, die jetzt schon am Heil in der Gemeinde partizipieren, noch an denjenigen, die sich bereit finden, so gut es geht, auf ihr angebliches Recht und auf gewaltsame Lösungen zu verzichten. Eine erfolgreiche Überwindung von Konflikten bedeutet nicht automatisch, dass alle Beteiligten dem Modell christlicher Konfliktlösung entsprochen hätten, und auch nicht, dass Christen den ethischen Imperativ ohne jegliche Abstriche befolgt hätten. Yoder hätte mit der Entscheidung, sich intensiver als früher mit gesellschaftlichen Konflikten zu beschäftigen, die Situation des einzelnen Gemeindegliedes von den Anforderungen konkreter gesellschaftlicher Verhältnisse her noch einmal neu bedenken und die Spannung zwischen der Existenz in der Gemeinde Jesu Christi und der Existenz des Christen außerhalb der Gemeinde vielleicht zum Ausgangspunkt seines theologischen Denkens machen müssen. In dieser Spannung  – und nicht erst wenn sie gelöst ist – entsteht und bewährt sich der Glaube an Jesus Christus. Im Grunde tritt hier noch einmal zutage, dass es nicht gut war, die Rechtfertigungslehre, wie sie von den Reformatoren des 16. Jahrhunderts als »Herzstück« des christlichen Glauben wieder entdeckt worden war, aus den Überlegungen zur Ekklesiologie zu verdrängen. Sie wurde in der Tat einer letztlich onto­ logisch konzipierten Lehre von der Kirche geopfert. Das kann jetzt an dem überraschend eingeführten Begriff »the grain of the universe« noch einmal verdeutlicht werden. Wurde das Heil zunächst zu apodiktisch und exklusiv an die Sichtbakeit der Kirche gebunden, wird es jetzt mit der prälapsarischen Ordnung des Universums verknüpft und offenbarungspositivistisch ontolo­ gisiert. Was den Glaubenden über den Gang des Universums als 186 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

Offenbarungswahrheit enthüllt wird, wird zwar von den Ungläubigen nicht, wie in der Tradition des Naturrechts, erkannt, aber dennoch gilt die Wahrheit von der gewaltfreien Entwicklung des Universums auch ihnen, ja, sie »arbeitet« für sie – gleichsam hinter ihrem Rücken. Auch die gewaltfreien Aktionen derjenigen, die sich außerhalb der Kirche dafür entschieden haben, werden trotz ihres Verzichts auf Gewalt oder gerade deswegen zu einem siegreichen Ende geführt. Das könnte zwar kerygmatisch verheißen werden, darf aber nicht ontologisch festgeschrieben bzw. als gegeben vorausgesetzt werden. Geschieht das, wird Zwang auf die Ungläubigen ausgeübt, wie Yoder ihn expressis verbis eigentlich ablehnt. Sie werden einem ontologisch begründeten Heilsplan unterworfen und dafür eingesetzt, die Entscheidung der Christen für die Gewaltfreiheit als »way of life« zu bestätigen: Der Weg der Gewaltfreiheit ist nicht nur möglich, er ist auch richtig. Die Ohnmacht gewaltfreier Aktionen, das Kreuz, wird sich mit unabding­barer, der Ordnung des Universums eingeprägter Konsequenz als Macht erweisen. Es ist, als ob sich die Räume zwischen den Bereichen »innerhalb der Vollkommenheit Christi« und »außerhalb der Vollkommenheit Christi« weiten und der theologischen Reflexion neue Möglichkeiten eröffnen, sich sach- und problembezogener zu artikulieren, als die bereits oft angesprochene Dualität der Bereiche es bisher zuließ. Yoder nutzt aber die Gelegenheit nicht, die Differenz zwischen Gott und Welt in den Differenzen dieser Welt, in den wirklich unüberwindbaren Konflikten der Menschen aufzusuchen – einer Welt, die von Menschen verbessert, aber auch verunstaltet wird. 4. Die Politik der Gemeinde Christi wird von der Gesellschaft beobachtet Auf der Suche nach einer Sprache, die das christliche Friedenszeugnis über den kirchlichen Bereich hinaus auch in der weiteren Gesellschaft kommuniziert, hat Yoder die Theorie des gerechten Kriegs untersucht und sich auf Probleme der gesellschaftlichen Konfliktlösung eingelassen. In beiden Fällen ging die Initiative von den Mitgliedern der Kirche aus, das Evangelium nicht nur 187 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

vor aller Welt zu bezeugen, sondern das Leben in der Gesellschaft auch mit zu gestalten. Mit den Aufsätzen, die Yoder zu Body Politics (1992) veröffentlichte, geht es um dieselben Fragen: Wie kann das Evangelium als »public ethic« verstanden und in der Gesellschaft wirksam werden? Dieses Frageinteresse wird im Untertitel der deutschen Übersetzung nicht zur Geltung gebracht, so dass der Eindruck entstehen könnte, es handele sich um eine erneute Studie zum Verständnis der christlichen Gemeinde.49 Erstens sind es hier nur die »Praktiken« der Gemeinde, also Ordnungen oder Sakramente, die neu untersucht werden. Doch wenn es stimmt, dass »the church is, what the church does«50, dann ist Body Politics tatsächlich auch mehr als nur ein Anhang zur Ekklesiologie, nämlich eine Ekklesiologie in nuce, die das soziale Gefüge der Gemeinde Jesu Christi beschreibt. Und zweitens geht es im Untertitel des Originals um diese Praktiken »before the Watching World«, also wie sie von der »Welt« beobachtet werden können. Hier hat Yoder die vorhin erwähnte Initiative umgekehrt: Es ist die »Welt«, die auf die Gemeinde Christi schaut und sie beobachtet, und es ist in dieser Schrift nicht so sehr die Gemeinde, die sich einen Reim auf die Welt macht und nach Wegen sucht, ihre Botschaft zu kommunizieren. Es ist die »Welt«, die in der Lage ist zu erkennen, was in der Kirche vor sich geht, und Schlüsse aus ihrer Beobachtung für ihr eigenes Leben zu ziehen. Sie vermag zu erkennen, was in der Gemeinde anders ist als in den verschiedenen Formen weltlicher Sozialisation, in Staat und Gesellschaft, und was vielleicht besser gemacht werden könnte, vielleicht sogar so, wie es sich in Body Politics zeigt oder wie sich ihr die Gemeinde Jesu Christi mit ihrem prophe­ 49 John Howard Yoder, Die Politik des Leibes Christi. Als Gemeinde zeichenhaft leben. Edition Bienenberg, Schwarzenfeld 2011. Im Hinblick auf die späten Schriften Yoders ist das Urteil, dass Yoder an der Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz des Evangeliums nur beiläufig, aber nicht zentral interessiert gewesen sei, wohl nicht ganz angemessen (Vorwort von Lukas Amstutz, 13). – Engl. Ausgabe: John Howard ­Yoder, The Body Politics – Five Practices of the Christian Community Before the Watching World, Nashville, TN, 1992, und Scottdale, PA, 2001. 50 Paul Martens, The Heterodox Yoder, 65.

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tischen Wort jetzt schon als »the beginning of the transformation of the cosmos« präsentiert.51 Mit keinem Wort wird hier angedeutet, die »Welt« habe etwas nicht richtig, ja, überhaupt nicht verstehen können, weil sie von sich aus keinen Zugang zur Realität habe, die sich göttlicher Offenbarung allein verdankt. Was in der Kirche geschieht, »läßt sich in Begriffen sozialer Prozesshaftigkeit beschreiben, die sich problemlos in nicht-religiöse Äquivalente übertragen lassen, die Soziologen beobachten können. Auch Menschen, die den Glauben nicht teilen oder der Glaubensgemeinschaft nicht beitreten, können davon lernen.«52 Weil ­Yoder davon ausgeht, dass die »Welt« das soziale Verhalten und die Politik der Gemeinde Christi verstehen könne, hilft er der Kirche, den Grund ihrer Existenz im Evangelium auf unmissverständliche Weise zum Ausdruck zu bringen. Dieses Evangelium gilt nicht nur der Kirche, sondern aller Welt, wie Jesus Christus nicht nur Herr der Kirche, sondern auch Herr der Welt ist. Was für die Kirche und was in ihr gilt, das gilt auf analoge Weise auch für die »Welt« und in ihr. Den Begriff der Analogie hat Yoder aus Karl Barths berühmter Schrift Christengemeinde und Bürger­ gemeinde (1946) entlehnt, ohne Barth allerdings in allem zu folgen.53 Wie sein Lehrer nimmt auch Yoder an, dass das Ethos der Gemeinde nicht auf direkte Weise das Reservoir ethischer Forderungen an die Welt sein könne, letztere aber auch nicht ohne Rekurs auf dieses Ethos gedacht werden können. Der Grund ist für Barth wie für Yoder die Vorstellung von der Herrschaft Christi in Kirche und Welt. Es ist dieser Herrschaftsanspruch Christi, der Yoder je länger je mehr veranlasst hat, den Einfluss der christlichen Ethik auf die gesellschaftlichen Entwicklungen direkter und ungebrochener als früher zu thematisieren. In den formativen Jahren seiner Theologie hatte Yoder die Theorie der »Mittleren Axiome« bemüht, um zwischen christ­ licher Ethik und gesellschaftlichem Handeln zu vermitteln. Liebe und Barmherzigkeit wurden auf niederem Niveau von Gerechtigkeit und Fairness verwirklicht. So wenigstens waren die Men51 John Howard Yoder, For the Nations, 28.  52 John Howard Yoder, Die Politik des Leibes Christi, 136. 53 John Howard Yoder, Karl Barth and the Problem of War, 100.

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schen außerhalb der Kirche in der Lage zu verstehen, welcher Imperativ sich für alle Welt aus Liebe und Barmherzigkeit ergab, wie sie im Evangelium angeboten wurden. Jetzt tauscht Yoder diese Theorie gegen die Denkfigur der »Analogie« aus.54 Gemeinsames Brotbrechen im Abendmahl fordert zu wirtschaftlicher Solidarität in der Gesellschaft heraus. Solche Entsprechungen exemplifiziert Yoder an weiteren vier, teils ritualisierten Handlungsweisen (»Praktiken«) der Kirche. Er geht davon aus, dass sich soziale Prozesse, wie sie in der Kirche ablaufen, in nichtreligiöse Begriffe übersetzen lassen: »Die Vielfalt der Gaben ist ein Modell zur Ermächtigung der Niedrigen, zur Abschaffung hierarchischer Strukturen im sozialen Prozess [Kap. 4]. Geistgeleiteter Dialog ist das Fundament der demokratischen Idee [Kap. 5]. Die Empfehlung vom Binden und Lösen ist Grundlage von Konfliktlösung und Bewusstseinsbildung [Kap. 1]. Die Taufe veranschaulicht interethnische Akzeptanz, und das Brotbrechen feiert wirtschaftliche Solidarität [Kap. 2].«55 Diese Handlungsweisen hat Yoder aus biblischen Texten erhoben und herausgestellt, dass göttliches und menschliches Handeln in ihnen zusammenfallen. Das gilt für Taufe und Abendmahl ebenso wie für Urteilsfindung, Gabenvielfalt, Redefreiheit und Konfliktlösung in der Kirche. Unter diesem Gesichtspunkt kann Yoder von der Kirche als einem »Sakrament« sprechen und den Kultus der Gemeinde von ihrer sozialen Bedeutsamkeit her auch denjenigen verständlich machen, die außerhalb der Gemeinde in der weiteren Gesellschaft leben: »Durch Dialog zur Versöhnung kommen, Brot miteinander teilen, zwei kulturelle Überlieferungen in eine neue Gemeinschaft münden lassen, ist in keiner Weise mysterienhaft. Dazu braucht es keine esoterische Einsicht (…). Alle drei lassen sich in einen säkularen oder pluralistischen Bezugsrahmen übersetzen.«56 Sie lassen sich nicht nur übersetzen, sondern legen sich auch den Außenstehenden selbst, sofern sie das Leben in der Kirche aufmerksam beobachten, als Imperative für die Gestal54 Zum Wechsel von Mittleren Axiomen zu Analogien s. neuerdings: Paul Martens, The Heterodox Yoder, 65–79. 55 Ebd., 128 f. 56 Ebd., 88 f.

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tung ihrer Gesellschaft nahe. Im Medium der Analogie wird von Außenstehenden verstanden, was Christen mit den besonderen sozialen Prozessen in ihrer Kirche der »Welt« bezeugen wollen, was die »Welt« vielleicht ohnehin schon von ihnen ererbt hat oder wohin es mit ihr hinauslaufen könnte. Deutlicher als von Analogien sollte vielleicht von Affinitäten zwischen christlichen Praktiken und Maximen gesellschaftlicher Gestaltung gesprochen werden, die sich jedem fast von selbst zu erkennen geben und direkter, unmittelbarer auf die Gesellschaft einwirken, als Mittlere Axiome oder Analogien es vermöchten. Wenn Yoder gelegentlich davon spricht, dass die Frage nach der Übersetzbarkeit christlicher Werte nicht die relevante Frage im Verhältnis von Kirche und Gesellschaft sei, dann erschwert das zunächst den Einblick in seine Argumentation, wo er gerade expressis verbis davon sprach, dass das christliche Ethos, in nichtreligiöse Begriffe übersetzt, jedermann zugänglich gemacht werden müsse. Mit dieser Korrektur der Frage unterstreicht Yoder im Grunde nur den Gedanken, dass die gesellschaftliche Wirkung der Kirche vom Evangelium und nicht von den Bedürfnissen der Gesellschaft her gedacht werden muss.57 Mehr als früher gelingt es Yoder auf diese Weise, eine Kommunikation zwischen Kirche und Welt über den Auftrag zur Gestaltung der Gesellschaft herzustellen, Wege zu gemeinsamer Aktion zu finden und es nicht bei einem konfrontativen Evangeliumszeugnis gegenüber Staat und Gesellschaft zu belassen. Staat und Gesellschaft werden nicht mehr nur an ihre eschatologisch begründete Hinfälligkeit erinnert, sondern auch positiv in das Heilsgeschehen einbezogen, das sich jetzt schon in der Kirche zu realisieren beginnt – nicht zuletzt in den Praktiken der Kirche. So gelingt es Yoder mit dem Hinweis auf die Analogie oder die Mustergültigkeit sozialer Prozesse in Kirche und Gesellschaft, das Defizit zwischen christlichem Ethos und mittleren Axiomen einzuschränken und Muster sozialer Praktiken aus dem Bereich der Kirche ohne zu starke Abstriche für die gesellschaftliche Entwicklung zu Gerechtigkeit und Frieden zu nutzen. Gleichzeitig bleibt es aber auch bei der Überlegenheit der escha-

57 John Howard Yoder, For the Nations, S.23 f.

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tologisch qualifizierten Gemeinde gegenüber der sich um humanere Entwicklungen bemühenden Gesellschaft. Yoder hat keinen Zweifel daran gelassen, dass der Leib Christi, der in der Kirche sichtbar in Erscheinung tritt, in seinem politischen Handeln »die Welt unterwegs zu ihrer Erneuerung« sei, ebenso entschieden hat er auch festgestellt, dass jede dieser Handlungsweisen »über die Kirche hinaus in die Welt wirken und unserer allgemeinen menschlichen Hoffnung Gestalt geben kann«. Die Kirche steht für die Welt ein. Es ist ihr »Anderssein« (»otherness«), auf das Yoder stets hinwies, das zum Heil in der Welt und für die Welt wird: »Eine Kirche, die nicht auf fundamentale Weise gegen die Welt ist, hat nichts, was es wert wäre, der Welt und für die Welt zu sagen.«58 Auf diese zielgerichtete Differenz kommt es an. Auch mit Body Politics meint Yoder wohl, »auf eine tiefe Logik im Wesen der Dinge«59 gestoßen zu sein – also auch hier auf »the grain of the universe«. Yoder begnügt sich nicht mit einer Verkündigung der Königsherrschaft Christi, er behauptet ihre ontologisch fixierte Tatsächlichkeit, wie Auferstehung Jesu Christi und die aus der Überwindung der kosmischen Mächte hervorgehende Gemeinde Christi auf Erden eine ontologisch zu erfassende Tatsache sind.60 Daran ändert sich auch nichts, wenn gesagt wird, dass der Ungläubige nicht in der Lage sei, diese Tatsache von sich aus zu erkennen, sondern diese ihm in der Offenbarung erschlossen werden muss. Den Schlüssel, »to which kinds of causation, which kinds of community-building, which kinds of conflict management, go with the grain of the cosmos«, hält Jesus allein in Händen.61 Doch die Entwicklung dieses unter der Herrschaft Christi stehenden Kosmos ist die Entwicklung des Seins. Gelegentlich hat Yoder den Begriff der »onto­ cracy« aufgenommen, um das Denksystem des frühen Konstan58 Ebd., 138. 59 Ebd., 139. 60 Vgl. auch Paul Martens, The Heterodox Yoder, 33: »If we can return, for a moment, to the work of Christ, Yoder is also willing to claim that the resurrection is both an onological and psychological affirmation that vindicates the way of discipleship since ›Death couldn’t hold him down (Acts 2:24)‹.« 61 Zit. nach Paul Martens, The Heterodox Yoder, 84.

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tianismus zu charakterisieren: »Things are ruled by the way they are«.62 Damit sind die Dinge der gefallenen Schöpfung gemeint, und damit will Yoder auch ein theologisches Denken beschrieben wissen, das die Erkenntnis der Natur bzw. des natür­lichen Rechts zur Grundlage einer Ethik macht, die im Römischen Reich für Christen und Nichtchristen gleichermaßen Geltung beanspruchte. Wohl lehnt Yoder diese naturrechtlich begründete Herrschaft des Seins ab, sofern sie von den Christen erwartet, in bestimmten Fällen gegen Jesu Gebot der Feindesliebe zu verstoßen, Ungläubige irgendwelchen Zwängen auszusetzen oder Gegner zu zu töten. Doch die Denkform behält er im Grunde bei. Sobald das Naturrecht auf dem Wege der Offenbarung als göttliches Recht erkannt wird, ist der Sinn, den Gott der Ordnung des Seins eingestiftet hat, von den Gläubigen als eine Seinstatsache zu verstehen: Was Gott mit der Welt vorhat, wird sich tatsächlich einstellen. Ernst Bloch sprach gelegentlich von der »Ontologie des Noch-nicht«, des noch nicht eingelösten Seins, das aber jetzt schon die Grundlage eines von Hoffnung getragenen Lebens ist. Yoder hat so etwas wie eine »Ontologie des Schon-jetzt« entwickelt, dessen Vollendung aber noch aussteht. Das Sein des Menschen, ob er es wahrnimmt oder nicht, wird zwar von der eschatologischen Vollendung her gedacht, es ist aber das Sein, das seine Gestalt bereits in Tod und Auferstehung Jesu Christi sowie in der Gemeinde gefunden hat, die Jesus einst ins Leben rief. Unter der Perspektive des Heils ist es das Sein, das der »grain of universe« bereits eingeschrieben ist. Jesus Christus ist der »logos who created the grain of the universe« und ist deshalb auch, wie Branson Parler Yoder versteht, »the ontological and epistemological key of reality«.63 Unumstößlich ist: Nicht Gewalt, sondern Gewaltlosigkeit regiert die Welt und wird sich durchsetzen. Und so könnte Yoder sagen: Die Dinge werden auf eine Weise regiert, wie sie sind, aber eben nicht in ihrem gefallenen, sondern von Gott ursprünglich gemeinten und erneuertem Sinn. Das wäre eine von der Offenbarung her qualifizierte Herrschaft des Seins. Im Werk 62 John Howard Yoder, Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 45. 63 Branson Parler, The Forest and the Trees, 26.

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Yoders ist das keine kerygmatisch zugesprochene Verheißung, auf die der Glaube bauen darf, sondern eine ontologische Aussage, die sich auf Fakten bezieht, die mit der Ordnung des Seins gesetzt sind. Was im Evangelium wahr ist, ist mutatis mutandis auch in der Welt wahr.64 Gemeint ist hier die Tatsache der Vergebung. Sie wird nicht nur in der Kirche, sondern – wohl auf andere Weise – auch in der Welt praktiziert werden können. Dennoch lässt sich auch mit dieser Weiterung seiner theologischen Gedanken keine Revision des theologischen Ansatzes erkennen. So unbefangen und offen Yoder jetzt auch mit anderen auf sozialethischem Gebiet zu kommunizieren vermag, die mit eigenen, abweichenden Vorstellungen Staat und Gesellschaft gestalten, so wenig hält er hinter dem Berg, dass der Ansatz des christlichen sozialethischen Zeugnisses »eine andere Gestalt hat«, die sich aus dem Zeugnis der Glaubensgemeinschaft herleitet und im »grain of the universe« verankert ist, nämlich die im Kreuz Jesu begründete Gestalt des Friedens.65 Ebenso wenig ist es ihm allerdings auch gelungen, eine mögliche Kritik an der Ontologisierung seiner eschatologisch qualifizierten Ekklesiologie im Keim zu ersticken. Letztlich aber verwischt die Denkfigur, die Yoder zur Annahme der »grain of the universe« geführt hat, die Differenz zwischen Kirche und Welt, an der Yoder doch von Anfang an so viel liegt. Die Art, wie Yoder das Heil in der Sprache der Ontologie zum Ausdruck bringt, könnte tatsächlich darauf hinauslaufen, dass er die Tür  – gegen seine erklärte Absicht  – für eine »supersessive secular ethic« bzw. eine »secularization of the gospel« geöffnet hat66 – das aber nicht erst, wie Paul Martens

64 John Howard Yoder, Die Politik des Leibes Christi, 45: »Das gilt für das Evangelium und mutatis mutandis auch für die Welt.« Genauer ist der Originaltext: »true« passt besser zu Yoders Argumentation als »gilt«. Yoder wusste wohl zwischen »kerygmatischen« und »ontologischen« Aussagen zu unterscheiden; die »ontologischen« Aussagen wurden jedoch bevorzugt eingesetzt, wenn es galt, den Zusammenhang von Schöpfung und Erlösung zum Ausdruck zu bringen: s. Branson L. ­Parler, Things Hold Together, 145 ff. 65 John Howard Yoder, Die Politik des Leibes Christi, 137. 66 Paul Martens, The Heterodox Yoder, 142.

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meint, mit der »Prioritization of Politics«67 seit the Politics of Jesus (1972), sondern von Anfang an. Alle Weiterungen seines späteren Denkens kehren stets zu dem Grundgedanken zurück, dass sich das Heil für die Welt in der Sichtbarkeit der Gemeinde Jesu Christi auf Erden jetzt schon verwirklicht. Die Weiterungen suchen nur neue Gesprächspartner und Anwendungsgebiete; die theologischen Argumente ­Yoders sind nicht mehr so stark wie früher auf Kritik und Rechtfertigung der eigenen konfessionellen Tradition fixiert, sie vertiefen auch hier und da die theologische Begründung des Friedenszeugnisses, eigentlich aber nehmen sie nichts von den anfänglich gefassten Grundentscheidungen seiner Theologie zurück. Auch für Body Politics gilt die Kritik, die Jürgen Moltmann an der mangelnden Unterscheidung zwischen dem Frieden Gottes und der Gewaltlosigkeit der Menschen in der Nachfolge Christi geäußert hat. Kritische Einwände, denen Yoder sich zu Genüge ausgesetzt sah, haben den Ansatz seiner Friedenstheologie nicht verändert.

67 Ebd., 54–84.

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VI. Kirche und Welt – Differenz und Beziehung Mit dieser kritischen Untersuchung soll das theologische Werk John Howard Yoders nicht geschmälert werden. Er war tatsächlich ein Theologe, der sich zum Anwalt eines »unsicheren Friedens« machte, wie Chris K. Huebner unlängst in seinen Yoderian Explorations on Theology, Knowledge, and Identity (2006) formulierte1, und vor allem seiner Kirche half, sich anderen Kirchen gegenüber zu öffnen und das eigene Friedenszeugnis in den relevanten Diskussionen um Frieden und Gerechtigkeit weltweit zur Geltung zu bringen. Sicherlich hat ein konsequenter Pazifismus hier zu Klärungen beigetragen – mehr als Modelle eines verwaschenen Pazifsmus. Doch so unsicher der Frieden ist, den Menschen herzustellen vermögen, so selbstbewusst und sicher hat Yoder den pazifistischen Imperativ, wie er sich aus seinem Evangeliumsverständnis ergibt, begründet. Im Grunde fallen bei ihm Indikativ und Imperativ als Gaben Gottes zusammen2: der Frieden, den Gott schenkt, und die gehorsame Erfüllung des Imperativs, wie sie in der Gemeinde Jesu Christi als der »messianischen Gemeinschaft« auf dem Weg in das Reich Gottes verwirklicht wird. Wohl sind in den Schriften Yoders Hinweise auf die Unzulänglichkeiten und Verletzlichkeiten in den Kirchen zu finden, die sich als »messianische« Gemeinschaften auf dem Weg in das Reich Gottes wähnen. Doch solche Eingeständnisse sind theologisch längst nicht so grundsätzlich gefasst, als dass sie die Gewissheit des Heils, das in der »messianischen Gemeinschaft« jetzt schon verwirklicht ist, erschüttern könnten. So beschreibt 1 Chris K. Huebner, A Precarious Peace. Yoderian Explorations on Theology, Knowledge, and Identity. Waterloo, Ont., und Scottdale, Pa., 2006. 2 Vgl. die Interpretation der Bergpredigt Jesu bei Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus, 1. Teilband, Zürich und Neukirchen-Vluyn 1985, 218.

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Yoder im Zusammenhang mit dem Einsatz der Gemeinde, sich helfend in Konflikten der Gesellschaft zu engagieren, »vulnerability« beispielsweise als »readiness to be shot at from both sides«.3 Das ist kein bedauerliches Fehlverhalten, sondern eine bewusst eingenommene Position, die dem Ziel dient, eine versöhnte Gemeinschaft zu leben. Unzulänglichkeit und Versagen (failure) sind etwas anderes. Das hat A. James Reimer bestätigt, wenn er schreibt: »There is little room for personal or group failure within the messianic community.«4 Wie Yoder in Jesus nicht »den« Menschen sieht, wie er ist, sondern wie er sein soll, so sieht er in der Gemeinde, die Jesus angeblich schon zu Lebzeiten gestiftet hat und in der er nach seiner Auferstehung präsent ist, nicht eigentlich einen Hinweis auf das Heil, das Gott der gesamten Menschheit erst noch zuwenden wird, sondern die partikulare oder exklusive Verwirklichung des Heils, an der jetzt schon Menschen teilhaben, die sich zu Jesus Christus bekennen und das Friedenszeugnis vor aller Welt kompromisslos ablegen. Diese Teilhabe versteht Yoder als praktischen Vollzug der neuen Schöpfung in der Gemeinde, und in dieser Teilhabe findet auch die Ethik des Friedens ihre Begründung. Mit Recht, wiewohl aus anderen Gründen, als ich sie mit dem Hinweis auf die eigentümliche Entwertung der Rechtfertigungsbotschaft benannt habe, hat James Reimer von einem »ethischen Reduktionismus« in der Theologie Yoders gesprochen, dem die Dimensionen mystischer Frömmigkeit, Spiritualität und Sakramentalität abhanden gekommen sind; und er hat darauf bestanden, die Ethik breiter und tiefer im trinitarischen Gottesverständnis des Neuen Testaments und der Alten Kirche zu verankern.5 Ähnlich ist die Kri3 John Howard Yoder, The War of the Lamb, 187. Vgl. auch Chris K. Huebner, A Precarious Peace, Kap. 6: »Globalization, Theory, and Dialogical Vulnerability: John Howard Yoder and the Possibility of a Pacifist Espistemology«, 97–113. 4 A. James Reimer, Mennonites and Classical Theology, 298. Ein Gespür für das Versagen des Individuums hat Yoder wohl eher, unversehrt scheint ihm dagegen die Gemeinde, wie er sie beschreibt, selbst zu sein. Freilich kennt er Gemeinden, die vom Heil abgefallen sind, wie er in Anabaptist Vision and Mennonite Reality, 1970, 1–46, beschrieben hat. 5 A. James Reimer, Mennonites and Classical Theology, 290 und 296.

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tik, die Paul Martens kürzlich mit dem Vorwurf der »Prioritiza­ tion of Politics« an Yoder geäußert hat.6 Craig A. Carter hat Yoder gegen den Vorwurf des Reduktionismus in Schutz genommen und den äußeren Anschein reduzierter Wahrnehmung der theologischen Fülle christlicher Lehre in den Schriften Yoders mit dem Argument erklärt, Yoder habe sich vor allem und zuerst darauf konzentriert, was in der theologischen Arbeit der Kirchen vernachlässigt worden sei, und dabei die Selbstverständlichkeiten wie die individuellen Formen der Frömmigkeit nicht eigens mehr thematisiert.7 Yoder hat sich zwar gelegentlich bemüht, die christologische Tradition der Alten Kirche in seiner Theologie zu berücksichtigen, sie jedoch nicht immer mit seiner Akzentuierung der sozialethischen Komponente des Evangeliums theologisch verknüpft. Hätte er das getan, wäre die beobachtete Ontologisierung des Gemeindeverständnisses und die metaphysisch-kosmologische Überhöhung des Staatsverständnisses beispielsweise vermieden worden. Yoder hat zwar nicht die Theologie der Ethik geopfert, so war der Vorwurf Reimers auch nicht gemeint, wohl aber hat er sich geweigert, die Theologie als Idee von der Gestalt, die sie annimmt, zu trennen. In diesem Sinne hat er Theologie als Ethik getrieben. Aus der Sicht seines ontologisch konzipierten Heils in der Gemeinde, die er sich als »a sociolo­ gical, cultural, and political entity in its own right«, d. h. als eine »alternative community« zur Welt, vorstellt8, ist das nur konsequent. Die Theologie, die ihm vorschwebte und die er in konzentrierten Arbeitsgängen schon früh in seiner akademischen Laufbahn mit dem Grundakkord aus Täufertum, Einheit der Kirche und Friedenszeugnis erarbeitete, hat er in den Grundzügen beibehalten und nur um einige Aspekte erweitert sowie im kritischen Gespräch mit theologischen Vertretern anderer Kirchen gestärkt. Der Gesichtspunkt, unter dem Yoder seinen theo­ logischen Grund­a kkord entwickelte, wird in einer seiner mar6 Paul Martens, The Heterodox Yoder, 54–86. 7 Craig A. Carter, The Politics of the Cross, 126–129. – Gegen den Vorwurf des Reduktionismus vgl. neuerdings: Branson Parler, The Forest and the Trees, 10 f, 13; und ders., Things Hold Together, 2012. 8 Chris K. Huebner, A Precarious Peace, 91.

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kantesten Formulierungen in Anlehnung an Karl Barths »sociology (!) of the community around the Word from the central place of confession« so beschrieben: »Using this particular point of entry to initiate our critique of Christendom enables us to see that the most important error of the Christendom vision is not first of all its acceptance of an ethic of power, violence, and the crusade; not first of all its transference of eschatology into the present providence with God working through Constantine and all his successors in civil government, not its appropriation of pagan religiosity that will lead into sacerdotalism and sacramentalism, not its modeling church hierarchy after Roman admistration, nor any other specific vice derived from what changed about the nature of the church with the epoch of Constantine. Those were all mistakes, but they were derived from the mis­definition of the place of the people of God in the world. The fundamental wrongness of the vision of Christendom is its illegitimate takeover of the world: its ascription of a Christian loyalty or duty to those who have made no confession and, thereby, its denying to the non-confessing creation the freedom of unbelief that the nonresistance of God in creation gave to  a rebellious humanity.«9 Ausgangs- und Fluchtpunkt seines theologischen Denkens ist die Dualität von Gottesvolk und »Welt«. Wer sich zu Christus als dem Herrn bekennt, gehört dem Volk Gottes an, wer sich nicht zu ihm bekennt, der Welt. Im Bekenntnis tritt die Differenz zutage. Volk Gottes und Welt stehen sich allerdings nicht beziehungslos gegenüber. Das Volk Gottes sucht vielmehr die Beziehung zur Welt, indem es nicht nur mit seinem Wort, sondern auch mit seiner Existenz bezeugt, dass die Völker der Welt ihr Heil unter der endgültigen Herrschaft Christi finden werden – einer Herrschaft, die in der »nonresistance of God in creation« gründet, sofern sie in der »the grain of the universe« zu ihrer Vollendung hin angelegt ist.10 Dem »grain of the universe« ist auch der Frieden, wie Yoder ihn theologisch konzipiert hat, eingeschrieben.

9 John Howard Yoder, The Royal Priesthood, 109. 10 Branson Parler, The Forest and the Trees, 19 und 26 (Jesus als Logos des Kosmos).

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In Differenz und Beziehung zeigt sich, dass das Volk ­Gottes sich nicht aus dem Gegenüber zur Welt versteht, die politische, soziale und kulturelle Welt hier und die unpolitische, gesellschaftlich zurückhaltende und kulturell oft abstinente Kirche dort, sondern dass mit der angebrochenen Herrschaft Christi in der Kirche eine neue kulturelle Option begründet ist, eine neue andere Art, politisch wirksam zu sein.11 Politik aber ist die Bemühung, mit dem Leben in dieser Welt fertig zu werden – und zwar auf gewaltfreie, friedfertige Art und Weise. Diese Politik bezieht sich nicht nur auf die inneren Beziehungen im neuen Volk Gottes, sondern berührt auch diejenigen, die sich entschlossen haben, außerhalb dieses Volkes zu bleiben. Die Differenz sorgt dafür, dass in der Beziehung weder die »Welt« das Volk Gottes vereinnahmt, noch das Volk Gottes die »Welt«, indem es den Herrschenden beispielsweise vorschreibt, wie sie zu regieren hätten. Dieses Volk kann nicht vorschreiben, sagt Yoder, sondern nur Zeugnis von einer anderen als in der »Welt« gängigen Politik ablegen  – mehr nicht. Und in der Beziehung ist dafür gesorgt, dass das Volk Gottes sich nicht in sich selbst zurückzieht und die »Welt« ihrem Schicksal überlässt, als gefallene Schöpfung im Chaos unterzugehen. So sehr Differenz und Beziehung miteinander verknüpft sind, lässt Yoder aber keinen Zweifel daran, dass es die in aller Sichtbarkeit vor der »Welt« existierende Gemeinschaft des Heils ist, die diese Beziehung sucht und auf diese Weise ein Zeugnis von der Geduld Gottes mit der gefallenen Schöpfung ablegt. Die Initiative liegt bei der Kirche als dem »Vorgeschmack« des Reiches Gottes, und der Bereich, in dem sich das Heil auch für die »Welt« einstellen wird, ist nicht der Bereich von Staat und Gesellschaft, sondern die Kirche, in der das Heil jetzt schon angebrochen ist und als neue Beziehung unter den Menschen in Erscheinung tritt. Die Dominanz in der Beziehung von Kirche und »Welt« liegt, wie Yoder es sieht, bei der Kirche als einer onto­logisch zu begreifenden Gemeinschaft des Heils. Sicherlich hätte Yoder sich gegen dn Ontologievorwurf zur Wehr gesetzt und darauf hingewiesen, dass die Mitglieder der Gemeinde nicht im Besitz des Heils seien oder über das Heil verfügten; wohl aber bestand er 11 Chris K. Huebner, A Precarious Peace, 60.

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darauf, dass es die leibhaftige, sichtbare Gemeinschaft des Heils sei, die sie aufgenommen hat, deren ethische Forderungen sie zu erfüllen haben und die sich mit ihrer Taufe und in der Nachfolge Christi als neue Schöpfung Gottes inmitten der gefallenen Schöpfung erweist – nicht verborgen, sondern vor aller Welt sichtbar als alternative, vorbildliche Gemeinschaft, als eine Gemeinschaft, deren Glieder miteinander versöhnt sind, im Frieden miteinander leben und Frieden mit denjenigen suchen, die ihnen feindselig begegnen, ebenso für den Frieden wirken, wo andere sich gewaltsam zerstören. Einer solchen Gemeinschaft anzugehören, ist eine befreiende Erfahrung, alle Last um die Sorge des eigenen Heils ist abgenommen, und im Heil geborgen zu sein, ist eine Erfahrung, brüderlicher und schwesterlicher Gemeinschaft, die vor Einsamkeit, Angst und Verzweiflung bewahrt und zum Unterpfand für die Errettung am Jüngsten Tage wird. In dieser neuen Gemeinschaft leben zu dürfen, wird immer wieder als Heil erfahren und, wie Yoder es sehen würde, als jetzt schon erfülltes Leben. Das klingt tröstlich und zeugt von der befreienden Kraft des Evangeliums. Das ist gar keine Frage. Andererseits stellt diese ontologisch begründete und festgelegte Gestalt des Heils als Gemeinde, für jedermann sichtbar, den Einzelnen unter einen enormen Zwang, mit seiner menschlichen Existenz, mit den Sorgen und Nöten, den Leiden und Begierden, den Zweifeln und Unzulänglichkeiten dieser Heilsgemeinschaft zu genügen und ihrer würdig zu sein. Zu erfahren, dass die Freiheit, die diese Gemeinschaft gewährt, auch zur Unfreiheit wird – darauf vermag ­Yoders Ekklesiologie, die nicht nur Lehre von der unter dem Wort Gottes versammelten menschlichen Gemeinschaft, sondern auch und zuerst Evangelium ist, das jeden Einzelnen auch direkt erreichen möchte, keine tröstliche Antwort zu geben. Der ontologische Grundzug seiner Ekklesiologie könnte der Grund dafür sein. Das Evangelium lässt sich ontologisch nicht festschreiben, es sprengt vielmehr jede Art von Ontologie: eine säkular-philosophische ebenso wie eine theologisch begründete, eine Lehre vom Sein, das, wenn es denn Sein ist, das Sein aller sein muss, aber die Differenz, die das Heil markiert, verwischt. Wohl erfährt der Einzelne in der Kirche die Zusage des Heils, aber die Kirche selbst ist nicht das Heil. Sie ist eine besondere Ge201 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

meinschaft, die ihr Zentrum nicht in sich selbst, sondern in Jesus Christus und ihre Identität, die sich ihr erst im vollendeten Reich Gottes ganz erschließen wird, noch »außer sich« hat. In gewisser Weise ist sie tatsächlich außer sich (»ekstatisch«) und nicht von dieser Welt. Aber sie ist, worauf John D. Roth in einer grundsätzlichen Kritik an Yoder hingewiesen hat, Gemeinde Jesu Christi »zwischen den Zeiten« und lebt in der Spannung zwischen dem, was gerade ist, und dem, was noch kommen wird.12 Sicherlich ist die Gemeinde Christi auf Erden mehr und anderes als die Summe der einzelnen Glieder der Gemeinde; und doch ist sie genauso unfertig, wie jedes Gemeindeglied unfertig ist. Ihr ontologischer Status, wenn es einen Sinne haben sollte, davon zu sprechen, ist das »Noch nicht« und nicht schon das »Jetzt« des verwirklichten Heils. Sowohl der Einzelne als auch die Gemeinde sind zutiefst auf die Gnade Gottes angewiesen. Yoders Theologie weist eine erstaunliche Geschlossenheit auf, die auf den ersten Blick besticht und jede Kritik erschwert – zumal sie Aussagen enthält, die, aus ihrer ontologischen Verklammerung gelöst, auf überraschend frische Weise von der viva vox evangelii zeugen. A. James Reimer hat zu Recht bemerkt, dass Yoders besondere Gabe scharfsinniger Argumentation zunächst jeden ins Unrecht setzt, der mit ihm in ein kritisches Gespräch treten möchte. Sein erster Einwand ist, er sei nicht recht verstanden worden, und sein zweiter, die Position des Kritikers sei in sich inkonsistent und müsse, bevor weiter miteinander gesprochen werde, erst einmal zurecht gerückt werden.13 ­Yoder war zwar dialogbereit, aber stets unter eigenen Bedingungen, vielleicht um den eigenen Zweifel an der Konsistenz und Geschlossenheit seiner Theologie zu kompensieren. So lehnte er einen methodologischen Letztbegründungsanspruch der Theologie ab, doch seine »antifoundationalist arguments« waren wohl selbst, wie Chris K. Huebner meinte, eine eigene Form von letzter

12 John D. Roth, »Living Between the Times«, 332. 13 A. James Reimer, Mennonites and Classical Theology, 302. Vgl. John Howard Yoder, The Utility of Being Misunderstood, in: ders., To Hear the Word of God, 47–70.

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Begründung.14 Ähnliche Inkonsistenzen finden sich immer wieder in seinen Schriften. So wollte er es vermeiden, die Gemeinde ontologisch zu bestimmen15, und hat sie doch in den Kategorien einer ontologisch objektivierten Befindlichkeit beschrieben, und so meinte er, eine ontologische Bestimmung des Staates zu vermeiden und nicht vom »Wesen« des Staates zu sprechen, schließlich aber konnte er sich der Konsequenz des Cullmannschen Staatsverständnisses nicht entziehen und hat den Staat von der Heilsgemeinschaft als der Herrschaft Christi her ontologisiert, ihm einen Auftrag zugewiesen und seine Grenzen bestimmt, d. h. er hat dem Staat gesagt, was er nicht ist, damit aber auch, was er tatsächlich ist: eine von Jesus Christus entmachtete Institution auf Erden. Ähnlich wie Cullmann konnte er von einer neutestmentlichen »Lehre« vom Staat sprechen, womit er eigentlich seiner Zurückhaltung gegenüber einer Einflussnahme auf das Selbstverständnis und die Geschäfte des Staates widersprach. Er lehnte es ab, Macht auf andere auszuüben, um sie zur Annahme seiner eigenen Meinung zu bewegen, doch die Strategie seiner Gespräche lief in der Regel darauf hinaus, dass »we want people to have to believe, what we say.«16 Von seinem argumentativen Scharfsinn ging gelegentlich eine suggestive Macht aus. Er bemühte sich, Polarisierungen zu vermeiden, die sich oft durch das Argument von Theorie und Antitheorie ergeben, hat aber doch vehementen Widerspruch mit seiner engen Verknüpfung von Evangelium, Ekklesiologie und Friedenszeugnis hervorgerufen. Er führte Gespräche, zugleich aber war er verschlossen, eine »intellectual sphinx«, wie Reimer aus eigener Erfahrung mit­teilte.17 Selten hat Yoder sich dem Gesprächspartner wirklich ausgeliefert, und nur selten ist er ihm bis in die Niederungen des miss­lingenden Lebens gefolgt, in denen beide wirklich aufeinander angewiesen waren. 14 Chris K. Huebner im Gespräch mit S. Hauerwas, in: The Wisdom of the Cross, 403. 15 John Howard Yoder, The Royal Priesthood, 110. 16 Zit. N. Peter C. Blum, Foucault, Genealogy, Anabaptism: Confessions of an Errant Postmodernist, in: Peter Dula und Chris K. Huebner (Hg.), The New Yoder, Eugene, OR, 2010, 96. 17 A. James Reimer, Mennonites and Classical Theology, 301.

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Obwohl Yoder viel von Karl Barth gelernt hatte, wie in der Literatur zu Yoder immer wieder beteuert wird, fehlte ihm doch das Gespür für Dialektik. Allerdings war Barth selber inzwischen von seinen »dialektischen« Anfängen abgerückt und hatte sich einer Denkform zugewandt, die supranaturalistisch-metaphysischen Einstellungen Vorschub leistete (»Neoorthodoxie«), und er hat sogar eine »theologische Ontologie« entwickelt, ohne dass er die dialektische Denkform allerdings grundsätzlich aufgegeben hätte. Nirgendwo taucht der für die Theologie der Neuzeit so eminent wichtige Begriff der Dialektik bei Yoder in den Registern seiner Bücher auf. Er hat sich auch nicht mit der Tradition des dialektischen Denkens wirklich beschäftigt, ebenso wenig gründlich genug mit dem Existentialismus und den theologischen Herausforderungen, die davon für die Theologie ausgingen. Das komplizierte Auseinandersetzungsfeld zu Dia­lektik, Paradox, Symbol und Ontologie, auf dem sich Karl Barth, Paul Tillich und Martin Heidegger begegneten, wurde von Yoder nicht betreten. Er wies auch Martin Luthers dialektisch zu verstehende Aussage vom »simul iustus et peccator« entschieden zurück, war aber selbst wohl eine zutiefst dialektische, zwischen Arroganz und Demut schwankende, eine mit Anfechtungen ringende Existenz, die sich schließlich genötigt sah, sich in einem Disziplinarprozess wegen sexueller Zudringlichkeiten in seiner Kirche zu verantworten.18 Ebenso hat er sich gelegentlich mit al18 Siehe die Berichterstattung von Tom Price in: Elkhart Truth, Elkhart, Ind., 12.–16. Juli 1992. Vgl. auch die spätere Diskussion: Ted Grimsrud, Word and Deed: The Strange Case of John Howard Yoder, in: http:// thinkingpacifism.net/2010/12/30/word-and-deed-the-strange-case-ofjohn-howard-yoder. Der serielle Charakter seiner sexuellen Zudringlichkeit gegenüber Frauen und der bewusste Verzicht auf »coital sexual intimacy« könnten auch so erklärt werden, dass er sich in einer neuen Ordnung menschlicher Beziehungen wähnte, die von menschlicher Nähe und liebevollem Umgang der Geschlechter miteinander geprägt ist, wie sie in der Ordnung des »alten Aeons« nicht zu erwarten sind, wohl aber in der »messianischen Gemeinschaft«, wie Yoder die Kirche versteht. Eine solche Deutung würde der bereits beobachteten Ontologisierung der Ekklesiologie entsprechen. Übrigens ist eine solche Ausweitung des christlichen Liebesgebots auf den sexuellen Bereich auch an den Rändern des Täufertums im 16. Jahrhundert zu beobachten: z. B.

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ler Entschiedenheit gegen eine Ontologiesierung theologischer Aussagen gewandt, wohl nicht bemerkt hat er jedoch, wie Barth gerade in jenen Jahren, in denen Yoder dessen Vorlesungen hörte, dazu ansetzte, die Ontologie im Zentrum der Theologie zu verankern. Nachweislich hat Yoder die Vorlesung gehört, die zum Band IV/2 der Kirchlichen Dogmatik (KD) geführt hat.19 Hier wird die in KD IV/1 aufgeworfene Problematik der Ontologie vor allem im Abschnitt über die »wirkliche Kirche« weiter behandelt.20 Möglicherweise hat er Anregungen dieses ontolo­gischen Denkens im Spätwerk Barths dennoch  – bewusst oder unbewusst – aufgenommen und in sein Denken eingearbeitet – freilich nicht in der komplizierten Begrifflichkeit der ontologischen Denktradition, auf die Barth sich bezog, sondern indem er eigene Gedanken weiterführte und zu vertiefen versuchte. Das soll mit einigen Hinweisen auf Yoders »pazifistische Erkenntnislehre« abschließend erläutert werden. Karl Barth hat »Ontologie« und »Metaphysik«, sofern sie eine Wirklichkeit auf den Begriff zu bringen versuchen, die vom Menschen geschaffen und von ihm auch allgemein erkannt werden werden kann, verworfen und die Theologie davor gewarnt, Ontologie sein zu wollen. Er lehnt eine von der Theologie unabhängige oder dieser vorauslaufende Ontologie entschieden ab. In diesem Sinne finden sich auch bei Yoder gelegentlich Bemerkungen, die ein negatives Urteil über Ontologie fällen und an Barths Aversionen gegen die philosophische Ontologie erinnern könnten. in der Träumersekte von Uttenreuth oder in Gruppen mitteldeutscher Täufer (»Blutsfreunde«). Mit dieser Deutung würde der Vorwurf gegen Yoder, dass Theologie und Leben, deren Einheit er so stark betont hat, tatsächlich auseinanderbrechen und eventuell die Glaubwürdigkeit seiner Theologie beschädigen, in ein neues Licht rücken. Im »neuen Leben«, das in der »messianischen Gemeinschaft« bereits angebrochen sei, haben die sexuellen Beziehungen einen neuen Charakter angenommen, und in der bürgerlichen Sexualethik zu verharren, wäre umgekehrt geradezu ein Indiz für die Trennung von Theologie und Leben. Es könnte durchaus so gewesen sein, dass Yoder das mit seinem Verhalten andeuten wollte. Doch wie auch immer der »Fall Yoder« erklärt wird, er bleibt ein Problem. 19 Mark Thiessen Nation, John Howard Yoder, 18, Anm. 70. 20 Karl Barth, Kirchliche Dogmatik IV/2, 695–724.

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Andererseits hat Barth in seinen späteren Bänden der Kirch­ lichen Dogmatik von einer Ontologie gesprochen, die sich allein durch die Offenbarung in Jesus Christus erschließt und deshalb auch theologisch bedacht werden muss. Mit dieser Problematik hat sich Wilfried Härle in seiner Untersuchung zur Ontologie im Spätwerk Karl Barths mit dem Titel Sein und Gnade (1975) gründlich auseinandergesetzt. Die theologische Onto­logie Barths bezieht sich auf eine Wirklichkeit, die dem mensch­lichen Bewusstsein entgegensteht. Sie ist dem Menschen nicht allgemein zugänglich, weil sie nicht so in sein Bewusstsein eingeht, dass sie in oder aus ihm heraus erfasst werden könnte. Sie erschließt sich allein in der Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Barth denkt vom Sein Gottes her, das das Sein des Menschen einschließt. So ist das Sein Gottes, wie Härle für Barths Ontologie herausgearbeitet hat, Akt, Beziehung und Freiheit. Gott ruht nicht in sich, sondern ist, könnte gesagt werden, in Aktion, er ist nicht für sich, sondern sucht die Beziehung; er ist nicht gebunden, sondern frei in der Art seines Handelns und in der Wahl der Beziehungen. Zunächst bezieht sich das Sein auf die Trinität, dann auf die Menschen und den Raum, in dem Gott ihnen begegnet (Kosmos), und schließlich auf das Nichtige bzw. die Sünde. Im Hinblick auf den Menschen heißt das: Der Mensch ist von Gott zur Beziehung mit Gott erwählt. Gott hat sich entschieden, ihn in seinen Bund aufzunehmen. So besteht die ontolo­ gische Bestimmung des Menschen darin, Bundesgenosse Gottes zu sein. Im Hinblick auf den Kosmos heißt das: die geschaffene Welt wird zu dem Raum, in dem Gott den Bund mit dem Menschen schließt. Ontologie, wie Barth sie versteht, ist nicht die Art und Weise, wie der Mensch sein Sein von sich aus versteht, sondern wie es von Gott her verstanden wird, nicht wie der Mensch sich selbst erkennt, sondern wie er von Gott erkannt wird. Dem Sein des Menschen entspricht eine bestimmte Art, von Gott, von seiner eigenen Bestimmung und von der Welt Kenntnis, ja, unbezweifelbares Wissen zu erlangen. Der theologischen Ontologie entspricht eine theologische Epistemologie bzw. Noetik. Wichtig ist für Barth, dass der Mensch sein Sein nicht in irgend einer Abstraktion erkennt, sondern in aller Konkretheit: in 206 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

der Person Jesu Christi bzw. so wie Gott sich Menschen in dieser Person zuwendet: in Gnade. Härle bringt das so auf den Punkt: »Das einheitliche, umfassende Prinzip der Ontologie Barths ist Jesus Christus, der seinerseits vom Begriff »Gnade« aus interpretiert und verstanden wird. Ist dies richtig, so kann Barths Ontologie in einem weiteren (und letzten) Schritt als eine Ontologie der Gnade charakterisiert werden.«21 Daraus ergibt sich, dass der Mensch dazu bestimmt ist, in der Konkretheit seiner Lebensbezüge auf diese Gnade Gottes in Dankbarkeit zu antworten, das aber heißt vor allem und zuerst, darauf zu hören, was Gott ihm in Jesus Christus zu sagen hat, und im Gehorsam anzunehmen, wozu er gerufen ist, nämlich im Bunde mit Gott zu leben. So hat die Ontologie Barths in der Christologie ihren Grund gefunden und einen soteriologischen Charakter angenommen. Auf diese Weise ist theologische Ontologie eine Ontologie des Heils für den Menschen. Härle zitiert zusammenfassend Barth selbst: »Gnade ist das Sein und Sich­ verhalten Gottes, das sein Gemeinschaft suchendes und schaffendes Tun auszeichnet als bestimmt durch seine eigene, freie Neigung, Huld und Gunst, die durch kein Vermögen und durch keinen Rechtsanspruch der Gegenseite bedingt, aber auch durch keine Unwürdigkeit und durch keinen Widerstand dieser Gegenseite gehindert ist, sondern jede Unwürdigkeit und jeden Widerstand zu überwinden kräftig ist.«22 Barth unterscheidet das Sein je nachdem, worauf es sich bezieht: auf Gott, den Menschen oder das »Nichtige« bzw. die Sünde. Gottes Sein ist Gnade, das Sein des Menschen bzw. das geschöpfliche Sein ist »begnadigtes Sein«, und das Sein des Nichtigen ist Sein, dem das Sein Gottes mit siegreichem Widerstand begegnet, es ist gnadenwidriges und deshalb zu überwindendes Sein.23 Hier ist wichtig, dass das »begnadigte Sein« einerseits am Sein Gottes partizipiert und andererseits der Gnade Gottes bedürftig ist. Es ist »ambivalent«. So wird der Abstand zwischen 21 Wilfried Härle, Sein und Gnade, 299. 22 Karl Barth, Kirchliche Dogmatik II, 1, 396 f, zit. bei Wilfried Härle, Sein und Gnade, 300. 23 Wilfried Härle, Sein und Gnade, 302–313.

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Schöpfer und Geschöpf gewahrt, und so wird sichergestellt, dass alles, was Menschen sind und tun, nicht das Heil selbst ist, sondern, wenn es gelingt, ihm allenfalls nur entspricht.24 Härle hat das so formuliert: »Das geschöpfliche Sein ist nicht Gnade, sondern es ist, indem es Gnade empfängt.«25 Gleichzeitig hat er darin auch den Grund gesehen, warum Barth dem lutherischen »simul iustus et peccator« nicht von Herzen zustimmen konnte. Ihn störte, dass iustus-Sein und peccator-Sein quasi gleichwertig nebeneinander gestellt würden, während die Sünde doch durch die Gnade schon überwunden sei, d. h. als der von »vornhinein, ontologisch Begnadigte kann der Mensch nicht Sünder sein, denn das Begnadigtsein schließt das Sündersein aus«. Das aber ist nicht die einzige Aussage dazu. Härle fährt fort: »Als der von vornherein, ontologisch Begnadigte muß der Mensch Sünder sein, denn das Begnadigtsein setzt das Sündersein voraus.«26 Die Ambivalenz des geschöpflichen Seins ist auf diese Weise dialektisch zu verstehen und ontologisch festgeschrieben. Auf die Frage, ob es nicht eine Ontologie »being in sin« und eine Ontologie »being in grace« geben müsse, hat Barth in einem Table Talk geantwortet: »No, there ist only one ontology for all men«.27 Das ist eine Dialektik innerhalb des ontologisch gefassten Offenbarungsgeschehens, nicht wie sie in allgemeiner Philosophie oder in der Theologie Paul Tillichs beispielsweise als Denkform genutzt wird. Angesichts dieser ontologisch verstandenen gnädigen Zuwendung Gottes zu den Menschen ergibt sich für den Menschen als Antwort zweierlei: Er ist aufgerufen, das im Worte Gottes hörbar werdende Heil anzuerkennen und daraus in aller Dankbarkeit Konsequenzen zu ziehen. Anerkennung und Dankbarkeit sind ein deutlicher Reflex des Menschen auf die Gnade, die ihm widerfahren ist. Was daraus entsteht, das Handeln der Menschen und die Tätigkeiten, die zum Aufbau der Kirche führen und das Leben der Kirche ausmachen, ist gehorsame Antwort auf das ihm widerfahrene Heil, aber nicht das Heil selbst. 24 25 26 27

Ebd., 310. Ebd., 310. Ebd., 309. Ebd., 308, Anm. 156.

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Da sich hier eine grundlegende Differenz zu Yoders Ekklesio­ logie andeutet, soll in aller Kürze auf Barths Kirchen- bzw. Gemeindeverständnis eingegangen werden. Kirche ist das Werk des Heiligen Geistes: »Der Heilige Geist ist die belebende Macht, in der Jesus, der Herr, die Christenheit in der Welt auferbaut als seinen Leib, d. h. als seine eigene irdisch-geschichtliche Existenzform, sie wachsen läßt, erhält und ordnet als die Gemeinschaft seiner Heiligen und so tauglich macht zur vorläufigen Darstellung der in ihm geschehenen Heiligung der ganzen Menschenwelt.«28 So gesehen wird das »Sein der Gemeinde« (Überschrift eines Abschnitts in KD IV/1) innerhalb der Ontologie der Gnade thema­ tisiert. Andererseits bedient sich der Heilige Geist der Tätigkeit des Menschen, um Kirche zu errichten und zu erhalten. Kirche wird zum Ereignis in dem, was Menschen als Antwort auf die Gnade, die ihnen widerfahren ist, tun. Dadurch wird Kirche allenthalben sichtbar und kann in allen ihren Äußerungen und Praktiken wahrgenommen werden. Unter diesem Gesichtspunkt partizipiert die Kirche am Sein des »begnadigten Geschöpfs«. Da der Mensch aber immer auch noch auf die Gnade angewiesen ist, bringt Barth hier schließlich das Sein des Nichtigen bzw. der Sünde ins Gespräch. Die Sünde ist zwar in Jesus Christus überwunden, aber in und an den Gläubigen bis zum Endgericht weiterhin wirksam. Immer noch gehört die Kirche der »Welt des Fleisches« und der Welt des »gefallenen Menschen« an. So ist das Postualt der Sichtbarkeit zwar ontologisch begründet, gleichzeitig jedoch gegenüber dem Sein der Kirche defizitär: »Sollte das, was ist, mit dem direkt identisch sein, was sie allgemein sichtbar ist, ja, sollte sie selbst ihre konkret geschichtliche Gestalt für ihr Sein halten, mit diesem gleichsetzen, abstrakt in dieser existieren wollen, dann wehe ihr!«29 Dass die Kirche also trotz der vom Heiligen Geist intendierten Sichtbarkeit ein »eigenartiges« Sozialgebilde im »Ganzen der menschlichen Kultur« ist, leuchtet ein, ebenso dass Barth ihr das Prädikat abspricht, »einzig­artig« zu sein.30 Eigenartig ist sie, sofern der Heilige Geist in ihr wirkt, wenn auch 28 Karl Barth, Kirchliche Dogmatik IV/2, Zürich 1964, 695. 29 Karl Barth, Kirchliche Dogmatik IV/1, Zürich 1960, 734. 30 Ebd., 728.

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nicht von jedermann erkennbar; nicht einzigartig ist sie, weil sie ambivalent bzw. zweideutig bleibt. Dennoch bleibt die Kirche »Vorgeschmack des Reiches Gottes« und in vielem auch Vorbild für ethisches Verhalten in der gefallenen Schöpfung zwischen den Zeiten, aber sie geht mit diesem Auftrag – vor allem angesichts ihres Versagens in konkreten Situationen – demütiger um, als es in der Geschichte der großen und kleinen Kirchen oft geschah. Barth sprach gelegentlich von der »besonderen« Sichtbarkeit der Kirche. Damit meinte er die menschlichen Aktivitäten, die sich als die »guten Werke« ausweisen und zum Wohl der Menschen beitragen. Wo diese »besondere« Sichtbarkeit zu wünschen übrig lässt, ist wirkliche Kirche aber unsichtbar. Es fehlt das Geistgewirkte, was bleibt, ist, was in der irdisch-geschicht­ lichen Raum jedermann erkennbar ist: die Zweideutigkeit der Kirche. Abfinden kann sich die Kirche damit nicht. Sie muss um die pneumatische Dimension ihrer Existenz wissen und wird ohne Rücksicht darauf, ob das von außen her verstanden werden kann oder nicht, davon ihr Bekenntnis ablegen.31 Wirk­ liche Kirche ist nicht unsichtbar neben oder hinter ihrer Sichtbarkeit, sondern unsichtbar in ihr. Aus diesem Grunde instistiert Barth trotz seines entschiedenen Hinweises auf die Sichtbarkeit der Kirche darauf, mit dem Apostolischen Glaubensbekenntnis zu sprechen: credo ecclesiam. Wirkliche Kirche ist Gegenstand des Glaubens. Für den Nichtglaubenden ist Kirche nur sichtbare, für den Glaubenden ist sie sichtbare und geglaubte Kirche ineins: »das credo ecclesiam schließt in sich den kritischen Vorbehalt gegenüber ihrer ganzen irdisch-geschichtlichen Gestalt, es stellt sie in Frage, es negiert sie aber nicht, es bedeutet also nicht die Flucht in ihre unsichtbare Idee. Im Gegenteil: Wird es als Vorbehalt ernst genommen, dann ist es geradezu die Aufforderung und Erlaubnis, den unvermeidlichen Schritt in die Sichtbarkeit nicht zu scheuen, sondern resolut zu tun; credo ecclesiam bedeutet dann, dass die Kirche sich selbst in der Welt des Irdischen und Sicht­ baren in aller Demut, aber auch getrost, von ihrer dritten Dimension her zugleich gerichtet und aufgerichtet, ernstnehmen darf.«32 31 Ebd., 732 f. 32 Ebd., 737.

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Wie Barth hat auch Yoder seine theologischen Grundaus­ sagen ontologisch fundiert, freilich ohne sich das selber einzugestehen und ohne sich mit den Überlegungen Barths zur Ontologie der Gnade zu beschäftigt, geschweige sich damit kritisch ausein­andergesetzt zu haben. Auch hat er die ontologisch gefassten Aussagen nicht auf das breite Spektrum der theologischen Themen insgesamt bezogen, sondern nur auf die Ekklesiologie und ihre Deutung als »social ethics« – auf das Kernstück seiner theologischen Arbeit. Gemeinsam hat Yoder mit Barth auch eine theologische Erkenntnislehre, die sich von der allgemeinen philosophischen Epistemologie der Neuzeit absetzt, ja, ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen versucht. Yoder weigert sich, den Erkenntnisanspruch der Wissenschaften anzuerkennen und die theologische Erkenntnis in die Grenzen der Vernunft zu weisen. Wie Barth lässt sich auch Yoder den Weg, Wirklichkeit und Sein zu erkennen, vom Gegenstand her geben, auf den sich theologisches Denken zu beziehen hat. Es geht darum, Sein und Wirklichkeit, alles was war, ist und sein wird, allein aus der Perspektive der Offenbarung Gottes in Jesus Christus zu erkennen und auf diese Weise unbezweifelbar sicheres Wissen über die Bestimmung des Menschen und seiner Welt zu erlangen. Offenbarung und Wahrheit sind dem Menschen vorgegeben, nicht vermischt mit menschlichem Bewusstsein. Alles andere wäre eine Erkenntnisweise, die von der Offenbarung und Wahrheit Gottes nur das zu erkennen zuließe, was menschliches Bewusstsein zu denken ermöglicht. Das aber würde der Offen­ barung und Wahrheit Gottes Gewalt antun und diese nicht für sich sprechen lassen. So hat Yoder eine Art »pazifistischer Epistemologie« entwickelt und das Denken, das zur Erkenntnis über Sein und Wirklicheit führt, wie sie sind, mit Ethik verbunden: vor allem und zuerst mit einem Verhalten, das ihren Ausdruck in der »Geduld« (»patience«) findet. Ein ungeduldiger, vorschneller Zugriff auf Probleme und Lösungen ist der Wahrheitsfindung abträglich. Er tut der Wahrheit Gewalt an, ebenso den Menschen, mit den gemeinsam um Wahrheit gerungen wird. Ausführlich hat Yoder über den Facettenreichtum der Geduld im Erkenntnisprozess geschrieben, vor allem wenn es darum geht, die richtigen ethischen Entscheidungen zu treffen. In der Ethik wird die Geduld 211 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

geradezu zur »Methode« erhoben. Yoder hat auf eindrucksvolle Weise gezeigt, welche Erkenntnisräume sich ihr öffnen, in denen ethische Forderungen entstehen und bedacht werden müssen, und wie nützlich sie ist, um der Wahrheit, die Gott für die Menschen bereit hält, näher zu kommen, gelegentlich sogar bis zur vorläufigen Zurückstellung der eigenen Einsichten, um sich ja nicht zu voreilig um Erkenntnismöglichkeiten zu bringen.33 Nur aus einer Haltung der Gewaltfreiheit heraus ist es möglich, zur Erkenntnis über die Absichten Gottes mit den Menschen, über das Heil, das den Menschen zugedacht ist, zu gelangen und sich darüber auch untereinander zu verständigen. Allderings darf die Geduld nicht als Bemühung des Menschen aus eigenen Stücken verstanden werden. Sie ist geschenkte Geduld auf dem Weg der Heilsgeschichte zu ihrem Ende hin. Das aber heißt: Um die Geduld als Methode im Erkenntnisprozess einsetzen zu können, muss sich bereits die Einsicht nahegelegt haben, dass der Weg zur Wahrheitsfindung selbst die Botschaft der Wahrheit ist, um deren Erkenntnis erst noch gerungen wird. Das aber einem Gesprächspartner zu vermitteln, der davon erst noch überzeugt werden muss, dürfte schwierig sein. Dass Geduld in der Regel weiter führt als Ungeduld, ist eine allgemein zugäng­liche Erfahrung. Wer aber entscheidet darüber, wann Geduld sich erschöpft bzw. wann auf eine Entscheidung zum Handeln nicht mehr gewartet werden kann? Gerade ethische Entscheidungen dulden oft keinen Aufschub. Jetzt sei noch einmal an die Rede von der »grain of the universe« erinnert, die Yoder in die Ordnung des Seins mit »non­ violence« zu einem gedeihlichen Umgang der Menschen untereinander und mit ihrer Welt eingeschrieben sah. Hier wird deutlich, wie sehr seine theologische Erkenntnislehre einer onto33 John Howard Yoder, »Patience« as Method in Moral Reasoning: Is an Ethic of Discipleship »Absolute«?, in: Stanley Hauerwas, Chris K. ­Huebner, Harry J. Huebner und Mark Thiessen Nation (Hg.), The Wisdom of the Cross. Essays in Honor of John Howard Yoder, Grand ­Rapids, Mich., und Cambridge, Engl., 1999, 24–42. Vgl. dazu Ted Grimsrud, Pacifism and Truth: The Theological Ethics of John Howard Yoder, in: Mennonite Quarterly Review 77, 3, 2003, 403–415, ebenso: Christian J. Early und Ted Grimsrud (Hg.), A Pacifist Way of Knowing: John H ­ oward Yoder’s Nonviolent Epistemology, Eugene, OR, 2010.

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logisch begründeten Offenbarungswahrheit entspricht. Der Weg der Gewaltlosigkeit, den Gott für den Gang der Welt von Anfang bis zum Ende gewählt hat, wird besonders da sichtbar, wo er als »way of life« eingeübt wird: in der Kirche, die das Heil ist. In ihr und in den Praktiken, die in ihr gepflegt werden, ist die »neue Schöpfung« bereits angebrochen und – wenn Yoder richtig verstanden wird – ist das der Raum, in dem Versöhnung zustande kommt und Frieden gestiftet wird: die messianische Gemeinschaft, die diejenigen prägt, die in die Nachfolge Christi getreten sind, und neben der diejenigen, die sich ihr versagen, dem eigenen Gericht entgegengehen. Das hat Yoder nicht als Botschaft formuliert, sondern als Tatsache, die in den Strukturen der Schöpfung verankert ist und über allem Zweifel erhaben ist. Im Grunde hat Yoder sich damit in einen Selbstwiderspruch ver­wickelt: eine Epistemologie als Grundlage sanfter Geduld mit denjenigen, die anderer Meinung sind, ist in den Sog des Seins, wie es nun einmal so und nicht anders ist und kommen wird, hineingerissen worden. Eine Geduld, an deren Ende unausweichlich der Sieg steht (Kap. V, Anm. 42), ist problematisch. Sie kostet nicht viel. So kann Geduld schnell in Nötigung umschlagen, aus einer versöhnten Gemeinschaft kann eine Gemeinschaft werden, die nicht alle einbezieht, die sich auf ihre Weise auch darum bemühen zu erkennen, auf welchem Wege das Humanum in den Nöten dieser Welt noch gerettet werden könne. Barth hat mit seiner theologischen Ontologie die Botschaft vom Heil in Jesus Christus zwar als unbezweifelbare und unumstößliche, sich aus der Konsequenz des Seins schlechthin ergebende Wahrheit präsentiert, aber mit seiner Deutung ambivalenter Sichtbarkeit der Kirche den Raum offen gehalten, in dem alle, die dazugehören und noch abseits stehen, in Not und Versagen, in Verzweiflung und Hoffnungs­losigkeit miteinander der Gnade immer noch bedürftig sind. Barth hat die ontologische Verhärtung der Sichtbarkeit der Kirche, sofern deren Ambivalenz aufgehoben wird, durch den Glauben, der sich in actu immer wieder als der Gnade bedürftig erweist, zur Unsichtbarkeit des göttlichen Geistwirkens in der Kirche hin offen gehalten und das credo ecclesiam als Antwort auf das Wort der Vergebung der Sünden und als Bitte um Ver­gebung gedeutet. Yoder versteht den Glau213 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

ben wie Barth auch sonst vor allem und zuerst als einen Gehorsamsakt des Menschen: als Antwort auf den Ruf zur Nachfolge Christi in der Heilsgemeinschaft, ja, Glaube und Gehorsam sind eines, d. h. in gehorsamer Nachfolge entseht und erhält sich der Glaube. Im Unterschied zu Barth, der am ambivalenten Charakter von Glaube und Gehorsam stets festhielt, ist Glaube bei Yoder an die Gemeinde gebunden, deren Heilscharakter sich in ihren Praktiken, d. h. wiederum Akten des glaubenden Gehorsams zeigt. Glaube und Gehorsam sind nicht ambivalent. Der Einfluss Barths, soweit Yoder ihn auf sein Denken zuließ, hielt sich gerade auch im Hinblick auf die Ekklesiologie in Grenzen.34 So wird »nonviolence«, wenn sie bereits in die Ordnung des Seins eingeschrieben und in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi offenbart ist, zu einer eindeutigen ethischen Anweisung, die befolgt werden muss, die sich aber auch durchsetzen wird, wenn sie nicht befolgt wird. Während Barths Glaubensverständnis die Annahme einer solchen ontologisch begründeten Zwangsläufigkeit vermeidet, führt sie bei Yoder zu der bereits kritisierten Ontologisierung der Kirche als Heil und den Schwierigkeiten, das Postulat einer Offenheit und Gewaltfreiheit des Gesprächs auch wirklich einzulösen. Wohl wäre zu fragen, ob über die Ambivalenz und Unsicherheit des Friedens mit Friedfertigen und Unfriedfertigen zu sprechen, nicht nützlicher für den Frieden in der Welt wäre, als mit einem ontologisch festgelegten Begriff von Frieden in die Gespräche zu gehen. Härle hat seine ausführliche Analyse der Ontologie der Gnade, wie Barth sie entworfen hatte, in die Kritik ein­ münden lassen, dass im notwendig ablaufenden Prozess der Gnade der »Entscheidungs­charakter menschlichen Existierens und Sich­verhaltens (…) nahezu bedeutungslos«35 wird. Mehr noch als Barth müsste diese Kritik die uneingestandene Ontologie des Heils treffen, wie Yoder sie in seiner Ekklesiologie auf den Begriff brachte. Die eindeutige Sichtbarkeit der Kirche, die in den Praktiken, also dem Sichverhalten der Gemeindeglieder Ge34 Vgl. ähnlich auch Michael G. Cartwright in der Einleitung zu John Howard Yoder, The Royal Priesthood, 18; Earl Zimmermann, Practic­ ing the Politics of Jesus, 112 ff 35 Wilfried Härle, Sein und Gnade, 327.

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stalt annimmt, hat ihn zu einer Ontologie geführt, die es schwer macht, an eine in den Tiefen des Seins ersehnte Solidarität der Brüder in Not, ratloser Christen wie Nichtchristen, zu glauben. Mit seinen ontologisch eingefärbten Überlegungen  – selbst wohl in der bedenklichen Tragweite kaum bemerkt – wollte Y ­ oder die grundsätzliche Differenz zwischen Kirche und Welt zum Ausdruck bringen. Das ist ihm auf eindrucksvolle Weise gelungen, nicht gelungen ist ihm aber, die Differenz zwischen Essenz und Existenz, wie sie für das ontologische Denken grundlegend ist, durchzuhalten. Er hat das »begnadigte Sein des Geschöpfs«, das sich dem Sein der göttlichen Gnade verdankt und vom Sein des Nichtigen, wie Karl Barth gezeigt hat, affiziert ist und auch das Kirchenverständnis prägt, zur Existenz werden lassen und die Spannung zwischen Essenz und Existenz aufgelöst. So ist aus der zwischen Gnade und Sünde schwankenden Kirche eine Gemeinschaft des Heils geworden. In dieser Gemeinschaft ist die Sünde, was die allgemeine Sichtbarkeit der Kirche angeht, bereits gebrochen. Die Kirche ist nicht nur für den Christen die Gemeinschaft, die dem Leben in der Nachfolge Christi Gestalt verleiht, sondern präsentiert sich auch für die Nichtchristen, wie Yoder meint, als das sichtbar gewordene Heil, das von ihnen in dieser Welt beobachtet werden kann. So aber musste sich ein­stellen, was Paul Martens veranlasst hat, vom »heterodoxen« (notabene nicht häretischen) Yoder zu sprechen, nämlich dass sich der sichtbare Bereich in Politik und sozialem Wandel erschöpft bzw. dass dieser Bereich mit der Beschreibung von sozialer Gestalt und politischem Verhalten erschöpfend erfasst ist. Das auf Erden sichtbar gewordene Heil wird zu einer Arena »of social ethics, of prac­tices, of politics«, alle anderen Bereiche und Dimensionen sind »irrelevant when one wants to claim that Christ is Lord«.36 Martens geht sogar einen Schritt weiter und meint, dass Yoder damit die Königsherrschaft Christi über die Welt in eine Form säkularer Ethik transponiert habe.37 Vielleicht trifft das die Ab36 Paul Martens, The Hetrodox Yoder, 144. 37 Ebd., 146. Einen ähnlichen Gedanken, allerdings in anderer Wertung, äußerte kürzlich auch Daniel Colucciello Barber, Epistemological Violence, Chrisitanity, and th Secular, in: Peter Dula und Chris K. Huebner (Hg.), The New Yoder, 291 ff.

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sicht Yoders nicht immer, aber zumindest geben die Gedanken in Body Politics (1992) Anlass zu einer solchen Beobachtung. Anlass zu grundsätzlicher Kritik schließlich ergibt sich aus der beobachteten Fehlkonstruktion der theologischen Ontologie Yoders. Sie hält die angestrebte Differenz von Kirche und Welt nicht durch. Der ontologische Akzent, den Karl Barth seiner Kirchlichen Dogmatik verliehen hat, ist eine Argumentationsweise, die Autonomie bzw. Souveränität Gottes zur Geltung zu bringen: In seinem Sein ist Gott autonom, alles, was Menschen im Zug der Aufklärung über die Autonomie des Subjekts gesagt haben, wird zur Unfreiheit und zur Anmaßung, es wird zum Bedingten und Begrenzten und bleibt in der Heteronomie stecken, aus der sie sich befreien wollte. Mit dieser radikalen Umkehr oder Überbietung begrifflicher Inhalte, wie sie auch bei Yoder beobachtet wurde, hat Barth auf die Herausforderung neuzeitlicher Subjektivität geantwortet, ja, er hat sie seinerseits herausgefordert, andererseits hat er sich auch von ihr anregen lassen, eine Theologie für die Moderne zu entwickeln, wie es sie in dieser Weise noch nicht gab. Radikale Autonomie Gottes ist der Titel eines faszinierenden, in der Yoder-Forschung noch unbeachteten Aufsatzes, in dem Trutz Rendtorff schon vor längerer Zeit eine ansprechende, für viele auch überraschend neue Interpretation des theologischen Projekts vorlegte, das Barth vom Anfang bis zum Ende seines akademischen Lebens verfolgte.38 Rendtorff meint, dass Barth sich nicht gegen den geistigen, politischen, sozialen und reli­giösen Triumph der Aufklärung mit vormodernen, trotzig auf kirchlichem Wahrheitsanspruch beharrenden Argumenten gewandt hat, sondern dass er den Weg der Aufklärung noch einmal  – konsequenter und radikaler  – gegangen sei. Er hat das Thema der Autonomie des Menschen, das in der Aufklärung zur Deutung einer neuen Zeit ausgearbeitet wurde, nicht verworfen, sondern aufgegriffen und einer neuen Antwort zugeführt. Was einst aufhorchen ließ, klingt inzwischen nicht mehr so ungewöhn38 Trutz Rendtorff, Radikale Autonomie Gottes. Zum Verständnis der Theologie Karl Barths, in: ders., Theorie des Christentums. Historischtheologische Studien zu seiner neuzeitlichen Verfassung. Gütersloh 1972, 161–181.

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lich. Den Historismus, traditionellerweise als Gegenbewegung zur Aufklärung verstanden, hat der Philosoph Herbert Schnädel­ bach neuerlich als Aufklärung der Aufklärung beschrieben; und Michel Foucault hatte sich entschlossen, nach den vielen Jahren einer Diskussion für und wider die Aufklärung die Errungenschaften der Aufklärung, auch einer »Dialektik der Aufklärung« (Max Horkheimer und Theodor W. Adorno), den Weg der Aufklärung noch einmal anders zu gehen. Doch so radikal und schroff wie Karl Barth hat niemand über die Aufklärung auf­ geklärt. Radikal ist die Differenz zwischen der Autonomie Gottes und der Subjektivität des Menschen zur Sprache gebracht worden; umfassend ist die Revision der theologischen Tradition, sofern es Barth darum geht, »aus der Ökonomie des christlichen Denkens alles das auszuscheiden, was dem grundlegenden christo­ logischen Prinzip widerspricht oder nicht in vollem Einklang mit ihm steht«39; und radikal ist der Schnitt, mit dem Barth die Kirche von der Christologie trennt. Oder anders gesagt: Die christologische Deutung der Kirche zielt darauf ab, dass die Kirche nicht »irgend ein eigenes Gewicht im Zusammenhang der Welt­ geschichte Gottes erhalten kann«.40 Sie ereignet sich immer wieder neu und ist nicht mehr, wie Rendtorff auf eine Stelle am Schluß der Kirchlichen Dogmatik (IV/3) hinweist, als »Spiegelung, Reflex, Illustration, Echo«.41 Kirche, wie sie in dieser modernen Welt existiert, ist Antwort auf das Sein, das Gott in seiner Beziehung zum Menschen in Jesus Christus hergestellt hat und immer noch herstellt. Aus der modernen Autonomieforderung, wie Barth sie theologisch verarbeitet hat, ergibt sich nach Rendtorff zweierlei: Die Kirche kann »sich selbst nur in der Unendlichkeit einer permanenten Aufgabe an der Welt erfassen« und, damit der Auftraggeber der Kirche seinen eigenen autonomen Weg geht, bedeutet das christologische Prinzip »potentiell die Liquidation, die Auflösung der Kirche«.42 Damit ist nicht 39 40 41 42

Ebd., 174. Ebd., 178. Ebd., 177 (Karl Barth, Kirchliche Dogmatik IV/3, 871). Ebd., 178.

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die Preisgabe der konkreten Kirche in der Welt gemeint, sondern ihre Neuorientierung an der Autonomie Gottes. Die Kirche scheidet nicht aus dem Gang der Weltgeschichte aus, sie erhält nur einen anderen Stellenwert als bisher. Gemeinsam mit Barth hat Yoder das starke Interesse, das Gottesverhältnis des Menschen nicht vom Menschen her zu denken, sondern von der Beziehung her, die Gott in Tod und Auf­erstehung Jesu Christi in aller Souveränität zum Menschen hergestellt hat. Gemeinsam ist beiden die Betonung der christologisch begründeten Differenz im Gottesverhältnis. Diesen Akzent hat Yoder von seinem Lehrer in Basel aufgenommen und auf eigene Weise mit der Differenzerfahrung der Täufer (und seiner eigenen kirchlichen Tradition) verbunden, die ihren Ausdruck in der Absonderung der Kirche von der Welt fand. So wurde aus Gott, der für Barth der Ganz Andere war, die »Otherness of the church«. Die Kirche wurde  – über den Gedanken der Königsherrschaft Christi – zum Heil in der Welt und erhielt dadurch ihre besondere Aufgabe in der Geschichte Gottes mit der Welt zugewiesen. So intensiv Yoder immer wieder den christologischen Akzent betont, wie Karl Barth ihn gesetzt hat, so ist doch erstaunlich, wie rigoros er sich, ohne darüber genau nachgedacht zu haben, über die Konsequenz hinweggesetzt hat, die Barth aus diesem Akzent für die Ekklesiologie zog. Letztlich ist es nicht mehr die Christologie, die zur Mitte und zum Bezugspunkt seiner Theologie wird, sondern die Ekklesiologie, wie sie sich ihm in freikirchlicher Tradition nahe legte. Yoder sah Barth auf dem Wege zu einem freikirchlichen Gemeindeverständnis, vielleicht hat ihn das bestärkt, seine Ekklesiologie so hartnäckig auszuarbeiten und den Weg des Lehrers weiter und zu Ende zu gehen, wie die Täufer seiner Meinung nach einst den Weg der Reformatoren, vor allem Ulrich Zwinglis, weiter und zu Ende gingen. Wenn Barth mit seiner Theologie der Autonomie Gottes eine Antwort auf das Autonomiebedürfnis des modernen Menschen zu geben und eine Theologie nicht gegen die Moderne, sondern für die moderne Welt zu entwickeln versuchte, so ist Yoder ihm darin nur bedingt gefolgt. In manchem mutet Yoders Theologie tatsächlich modern an: vor allem wenn er die Trennung von Kirche und Welt betont, den politischen Charakter der Botschaft 218 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

Jesu Christi herausstellt und nach einem neuen, im Friedenszeugnis zum Ausdruck gebrachten Verhältnis der Kirche zur Welt sucht. Doch mit der Art, wie er die Kirche in dieser Welt als die hier schon vorweggenommene, sich grundsätzlich nicht mehr verändernde Heilsgemeinschaft verabsolutiert, bleibt er hinter den Bemühungen Barths um eine Theologie für moderne Zeiten zurück. So wird vielleicht auch verständlich, wie Paul Martens auf die Idee kommen konnte, in Yoders »Prioritization of P ­ olitics« so etwas wie ein Zugeständnis an die säkularisierte Ethik der Moderne zu sehen (s. Anm. 37). Mit seiner Ekklesiologie hat Yoder sich aber sehr weit von Barth entfernt. Selbst wo die Ekklesiologie Yoders in einigen Zügen eine gewisse Nähe zur katholischen Ekklesiologie aufweist, scheint sie mit ihrer ontologisch konzipierten Sichtbarkeit der Heilsgemeinschaft (»Kirche ist eine sichtbare Gesellschaft«) in der Welt dem Ersten Vatikanischen Konzil (1870) näher zu stehen als der Kirchenkonstitution des Zweiten Vaticanums (1964).43 Es dürfte wohl eher Barth als Yoder sein, der die Welt anregt, noch einmal über sich selbst nachzudenken und vielleicht darauf zu hören, was von der Autonomie Gottes zu erhoffen ist. Die kritischen Einwände, die gegen Yoders Theologie er­hoben werden, sind gravierend und ziehen auch das so klar und fordernd in der Struktur des Universums bzw. der Ordnung des Seins verankerte Verständnis vom Frieden in Mitleidenschaft. Das heißt freilich nicht, dass Yoders Theologie fortan der Vergessenheit preisgegeben werden könnte. Der Hinweis auf die Sichtbarkeit der Kirche und ihr radikales Friedenszeugnis, auf ihr Bemühen, eine Institution der Freiheit und des Friedens zu sein, ist so nachhaltig formuliert worden, dass er nicht wieder aus der Diskussion verschwinden, sondern theologisch noch einmal anders bedacht werden sollte – in einer Weltgesellschaft, in der sich alle christlichen Kirchen in der Situation einer Minderheit wieder finden und gelernt haben, darauf zu verzichten, in irgendeiner Weise den Glauben und ein aus dem Glauben fließendes oder ihm entsprechendes Verhalten zu erzwingen. An dieser Ein43 Josef Neuner und Heinrich Roos, Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung, hg. von Karl Rahner, Regensburg 71965, 230.

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sicht hat Yoder viel gelegen. Doch in der heutigen Situation werden die Kirchen sich nicht darauf beschränken, die Quelle der Wahrheit über das Heil und den Gang der Geschichte in der Partikularität ihres Ursprungs zu sehen, d. h. im Wirken Jesu, wie es in seiner Historizität nur ungefähr und provisorisch erkannt werden kann, und in ihrer konfessionellen Existenz, die von menschlicher Unzulänglichkeit und Eigenwilligkeit gezeichnet ist. Sie werden auch auf die säkulare Einsicht reagieren, dass sich die Wahrheit nicht in ihrer Ganzheit zu erkennen gibt, ein Schlag gegen den Anspruch jeder traditionellen Ontologie, sondern nur in Teilen; und alle, die sich um Wahrheit bemühen, werden das unter dem »Zwang zur Häresie«44, nämlich geteilter Wahrheit, tun. Eine Gemeinde, die sich in der Wahrheit weiß, wie sie in Tod und Auferstehung Jesu Christi offenbart ist, wird auf den Geist warten, auf den Tod und Auferstehung Jesu Christi über sich hinaus­weisen. Geduldig zu warten, ist eine Haltung, die Yoder immer wieder gefordert, ja, geradezu zur Methode erhoben hat.45 Solche Geduld aber heißt im Kontext neuzeitlicher Subjektivität, in der Hoffnung zu leben, die ganze Wahrheit erst noch vor sich zu haben. Es ist »der Geist der Wahrheit, der in alle Wahrheit leiten wird« (Joh 16, 13). Doch die Gemeinde wird jetzt schon hinter sich lassen, was sie bedingt und begrenzt, sogar auch, was sie für die Welt sichtbar macht. Sie wird sich nicht auflösen und sich irgendwo in der Säkularität verlieren, aber sie wird sich selbst als unfertig und provisorisch betrachten und sich dem Geist öffnen, der weht, wo er will und wohin er sie führen wird. Nicht in ihrer ontologischen Fixierung, wie sie bei Yoder zu beobachten ist, sondern in ihrer messianischen Erwartung, dass alles noch einmal ganz anders sein wird, entspricht sie dem für Yoder zentralen Bekenntnis von der Herrschaft Christi über Kirche und Welt.

44 Peter Berger, Zwang zur Häresie. Religion in der pluralistischen Gesellschaft. Frankfurt/M. 1980. 45 John Howard Yoder, »Patience« as Method in Moral Reasoning, ­24–42. Siehe auch den Titel der Biographie von Mark Thiessen Nation, John Howard Yoder. Mennonite Patience, Evangelical Witness, Catholic Con­ victions, 2006.

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Nachwort John Howard Yoder hat einen zwiespältigen Eindruck hinter­ lassen. Zunächst hat er diejenigen stark beeinflusst, die sich in der Nachkriegszeit um einen aktuellen Beitrag zum Frieden in der Welt aus dem Geist der Historischen Friedenskirchen bemüht haben. Stark war auch der Eindruck, den er auf Diskussionspartner der Friedensgespräche im Rahmen der P ­ uidoux Theological Conferences und verschiedener Beratungsgremien des Ökumenischen Rates der Kirchen ausübte. In Nordamerika erhob er sein Wort während des Vietnamkrieges und den Aktionen der Bürgerrechtsbewegung unter Martin Luther King. Auch das hat ein Echo über die Gemeinden der nordamerikanischen ­Mennoniten hinaus gefunden und ihm Gehör in zahlreichen Denominationen, vor allem in evangelikalen Kreisen, verschafft. Die jüngeren Theologen im nordamerikanischen Mennoniten­ tum knüpfen häufig an die Überlegungen Yoders zur Friedenstheologie an und führen sie teilweise kritisch weiter. Dieser Trend zeigt sich vor allem in den zahlreichen Veröffent­lichungen, die nach dem Tod Yoders erschienen sind. Weniger Resonanz hat er allerdings in konservativen Mennonitengemeinden gefunden. Ihnen muteten die Akzente, die Yoder auf die politische Deutung des Evangeliums und die ökumenische Herausforderung legte, zu modern an. Theologen aus Mennonitengemeinden, die einer liberaleren Tradition verpflichtet sind, ging Yoders friedenstheologisches Engagement dagegen nicht weit genug. Sie kritisierten die Distanz, die Yoder zur Übernahme unmittelbarer Verantwortung der Gemeindeglieder in Staat und Gesellschaft forderte, und sie störten sich an einer wenig aufgeschlossenen Art, die Theologie aus dem Geist des Täufertums in moderner Kultur und Zivilisation zur Sprache zu bringen. Dennoch werden Yoders Schriften ebenso in diesen Gemeinden gelesen wie auch in den Gemeinden, die stärker als andere von erwecklicher Frömmigkeit geprägt sind. Yoder ist zweifellos zum theologischen Allgemeingut der Mennoniten in Nordamerika geworden. 221 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

Besondere Aufmerksamkeit hat Yoder auch unter Theologen verschiedener Konfessionen gefunden, die an anderen Universitäten lehrten und sich von seiner eigenwilligen theologischen Denkkraft angezogen fühlten. Zu diesen Theologen zählten vor allem der Methodist Stanley Hauerwas und der Baptist James McClendon. Sie haben ihn in den höchsten Tönen gelobt und ihm die Türen vor allem in die evangelikal geprägten Seminare und Universitäten geöffnet. Im Zuge der Beratungen auf der Ebene des Ökumenischen Rates der Kirchen und nationaler  ökumenischer Institutionen, zu denen er häufig eingeladen  oder hinzugezogen wurde, hat Yoder intensive Gespräche mit reformierten, lutherischen und katholischen Theologen vom Fach gesucht und sich bei vielen zu einem unentbehrlichen Gesprächspartner entwickelt, an dessen Theologie sich abzu­ arbeiten lohnte, wie er sich umgekehrt vor allem von lateinamerikanischen Theologen anregen und in theologisches Neuland führen ließ. In der Schweiz, in Frankreich und Deutschland, wo Yoder einst begonnen hatte, sich die Grundlagen seiner Theologie zu erarbeiten, hat die neuere Beschäftigung mit seinem Werk nur zögerlich eingesetzt: zunächst mit den Bienenberg-Studien J­ esus nachfolgen in einer pluralistischen Gesellschaft (2001) und mit einem umfangreicheren Teil  in der Dissertation von Fernando Enns in Friedenskirche in der Ökumene (2003). Zunehmend wird Yoders Beitrag zur Friedenstheologie auch in evangelikal beeinflussten Kreisen aufgenommen: Johannes Reimer, Die Welt umarmen (2012).1 In den deutschen Fachzeitschriften zu Theologie und Ethik spielt Yoder überhaupt keine Rolle. Möglicherweise werden die Ergebnisse der bilateralen Konfessionsgespräche, die Mennoniten mit dem Reformierten und dem Lutherischen Weltbund sowie der römisch-katholischen Kirche führen, dazu anregen, die prononciert vorgetragenen friedenstheologischen Argumente, die in diese Gespräche eingegangen sind, auch aus systematisch-theologischen Gründen ins Gespräch zu ziehen 1 Johannes Reimer, Die Welt umarmen. Theologie des gesellschaftsrelevanten Gemeindebaus. Transformatuionsstudien, Bd.  1, Marburg 2009.

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und weiterzudenken.2 Dazu wird auch die Diskussion um die Friedensethik Karl Barths beitragen, die Marco Hofheinz in seiner Berner Habilitationsschrift untersucht hat und demnächst veröffentlichen wird, gleichfalls die Dissertation über die Hermeneutik John Howard Yoders, mit der Joel Driedger erst kürzlich an der Universität Marburg promoviert wurde.3 Erst kürzlich hat der Aufsatzband über The New Yoder (2010) gezeigt, dass Yoders Theologie das Zeug hat, auch für profane Intellektuelle interessant zu sein, die keine Theologen sind, aber die unkonventionelle Art Yoders zu schätzen wissen, eingefahrene Denkgewohnheiten aufzulösen und eigenwillige Antworten auf gesellschaftliche und kulturelle Probleme zu suchen. Ebenso hat dieser Band gezeigt, dass Yoder von jüngeren Theologen mit philosophischen und theologischen Problemlagen ins Gespräch gebracht werden kann, mit denen er es selber einst noch nicht zu tun hatte: mit Michel Foucault, Jacques Derrida, Michel de ­Certeau, Paul Virillo und Edward Said. Das könnte ein verheißungsvoller Anfang sein, auf einem langen Weg mit Yoder die Zwänge seiner uneingestandenen Ontologie, in der sein Friedenszeugnis letztlich verankert ist, zu überwinden (also mit Yoder gegen Yoder) und den Anschluss für eine fruchtbare Auseinandersetzung christlicher Theologen mit den Bemühungen aller krea­tiven Menschen um ein menschenwürdiges, vor Selbstzerstörung zu bewahrendes Leben zu schaffen.

2 Fernando Enns, Heilung der Erinnerungen – befreit zur gemeinsamen Zukunft. Mennoniten im Dialog. Berichte und Texte ökumenischer Gespräche auf nationaler und internationaler Ebene. Frankfurt/M. 2008. 3 Marco Hofheinz, »Er ist unser Friede«. Die christologische Grundlegung der Friedensethik Karl Barths, Bern 2010.

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Literatur 1. Bücher und Aufsätze John Howard Yoders Bücher und kürzere Abhandlungen The Ecumenical Movement and the Faithful Church, Focal Pamphlet Series 3, Scottdale, PA, 1958. The Christian and Capital Punishment, Newton, KS, 1961. Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, Basel 1964. The Christian Witness to the State, Newton, KS, 1964. Täufertum und Reformation in der Schweiz. I. Die Gespräche zwischen Täufern und Reformatoren 1523–1538. Karlsruhe 1962; engl.: ­A nabaptism and Reformation in Switzerland. An Historical and Theological A ­ nalysis of the Dialogues Between Anabaptists and Reformers, Part I, Kitchener, Ont., 2004. Täufertum und Reformation im Gespräch. Dogmengeschichtliche Unter­ suchung der frühen Gespräche zwischen schweizerischen Täufern und Reformatoren. Zürich 1968; engl.: A Dogmatic-Histo­rical Analysis of the Early Dialogues Between the Swiss Anabaptists and Reformers, Part II, in: Anabaptism and Reformation. Karl Barth and the Problem of War, Nashville, TN/New York 1970, neuerdings: Karl Barth and the Problem of War and other Essays on Barth, hg. von Mark Thiessen Nation, Eugene, OR, 2003. The Original Revolution: Essays on Christian Pacifism, Scottdale, PA, 1971. The Politics of Jesus: Vicit Agnus Noster, Grand Rapids, MI, 1972; 21994; dt.: Die Politik Jesu – der Weg des Kreuzes, Maxdorf 1981; Die Politik Jesu. Vicit Agnus Noster. Schwarzenfeld 22012. The Legacy of Michael Sattler, herausgegeben, Scottdale, PA, 1973. The Schleitheim Confession, übers. und herausgegeben, Scottdale, PA, 1973. Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution. Companion to Bainton. Goshen und Elkhart, Ind., 1983 (Privatdruck); Theodore J. Koontz/Andy Alexis-Baker (Hg.), Grand Rapids, MI, 2009. The Priestley Kingdom: Social Ethnics as Gospel, Notre Dame, IN, 1984. The Fullness of Christ: Paul’s Vision of Universal Ministry, Elgin, IL, 1987. Freedom and Discipleship: Liberation Theology in an Anabaptist Perspective, John Howard Yoder/Daniel Schipani (Hg.), Maryknoll, N. Y., 1989. Nevertheless. The Varieties and Shortcomings of Religious Pacifism, verb. Auflage, Scottdale, PA, 1992. Body Politics: Five Practices of the Christian Community before the Watching World, Scottdale, PA, 1992 und 2001; dt.: Die Politik des Leibes Christi. Als Gemeinde zeichenhaft leben. Schwarzenfeld 2011. The Royal Priesthood: Essays Ecclesiological and Ecumenical, Michael G. Cartwright (Hg.), Grand Rapids, MI, 1994.

224 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

Authentic Transformation. A New Vision of Christ and Culture. Gemeinsam herausgegeben mit D. Yeager and Glen Stassen, Nashville, TN, 1994. When War is Unjust: Being Honest in Just-War Thinking, verb. Aufl., Maryknoll, NY, 1996, Eugene, OR, 22001. For the Nations: Essays Public and Evangelical, Grand Rapids, MI/Cambridge, Engl., 1997. To Hear the Word, Eugene, OR, 2001. Preface to Theology: Christology and Theological Method, Stanley Hauerwas/Alexander Sider (Hg.), Grand Rapids, MI, 2002. The Jewish-Christian Schism Revisited, Michael Cartwright/Peter Ochs (Hg.), Grand Rapids, MI, 2008. The War of the Lamb. The Ethics of Nonviolence and Peacemaking, Glen Stassen/Mark Thiessen Nation/Matt Hamsher (Hg.), Grand Rapids, MI, 2009. Nonviolence. A Brief History: The Warsaw Lectures, Paul Martens/Matthew Porter/Myles Werntz (Hg.), Waco, TX, 2010. A Pacifist Way of Knowing. John Howard Yoder’s Nonviolent Episte­mology. Christian E. Eearly/Ted Grimsrud (Hg.), Eugene, OR, 2010. Revolutionary Christianity: The 1966 South American Lectures, Paul Martens/Mark Thiessen Nation/Matthew Porter/Myles Werntz (Hg.), Eugene, OR, 2012.

Aufsätze Die wichtigsten Aufsätze, die John Howard Yoder zunächst in Zeitschriften und Sammelbänden veröffentlicht hat, sind in seine eigenen Aufsätzbände, auch in die posthum erschienenen, aufgenommen worden. Sie werden hier nicht aufgeführt; zusammengestellt werden nur einige separat veröffentlichte Aufsätze. Reinhold Niebuhr and the Christian Pacifism, in: Mennonite Quarterly Review 29, 1955, 101–107. The Prophetic Dissent of the Anabaptists, in: Guy F. Hershberger (Hg.), The Recovery of the Anabaptist Vision. A Sixtieth Aniver­sary Tribute to Harold Bender. Scottdale, PA, 1957, 93–104; dt. Ders., Der prophetische Dissent der Täufer, in: Guy F. Hersh­berger (Hg.), Das Täufertum. Erbe und Verpflichtung, Stuttgart 1963, 89–100. The Nature of the Unity We Seek: A Historic Free Church View, in: Religion and Life 26, 2, 1957, 215–222. The Hermeneutics of the Anabaptists, in: Mennonite Quarterly Review 41, 1967, 291–308. Binding and Loosing, in: Concern 14, 1967, 2–32. The Evolution of the Zwinglian Reformation, in: Mennonite Quarterly Review 43, 1968, 95–122. Anabaptist Vision and Mennonite Reality, in: A. J. Klassen (Hg.), Consultation on Anabaptist-Mennonite Theology, Fresna, CA, 1970, 1–46. Der Kristallisationspunkt des Täufertums, in: Mennonitische Geschichtsblätter 1972, 35–47.

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Briefwechsel über die Bedeutung des Schleitheimer Bekenntnisses mit Klaus Deppermann, in: Mennonitische Geschichtsblätter 1973, 42–52. The Sword Revisited: Systematic Historiography and Undogmatic Nonresistants, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 85, 2, 1974, 126–139. The Disavowal of Constantine: An Alternative Perspective on Interfaith Dialogue, in: W. Wegner/W. Harrelson (Hg.), Aspects of Interfaith Dialogue: Ecumenical Institute for Advanced Theological Studies Yearbook: 1975– 1976. Tantur/Jerusalem 1979, 47–68. The Authority of the Canon, in: Willard Swartley (Hg.), Essays of ­Biblical Interpretation: Anabaptist – Mennonite Perspectives, Elkhart, Ind., 1984, 265–290. The Wider Setting of Liberation Theology, in: Review of Politics 52, 1990, 285–296. Walk and Word: The Alternatives to Methodologism: Religious Practice and the Future of Theological Truth, in: Stanley Hauerwas u. a. (Hg.), Theology Without Foundations, Nashville, Tenn., 1994, 77–90. Historiography as  a Ministry to Renewal, in: David B. Eller (Hg.), From Age to Age: Historians and the Modern Church, in: B ­ rethren Life and Thought 43, 3, und 4, 1997, 216–228.

2. Monographien über John Howard Yoder Joel Andrew Zimbelman, Theological Ethics and Politics in the Thought of Juan Luis Segundo and John Howard Yoder, Ph. Diss. University of Virginia, Charlottesville, VA, 1986. Philip LeMasters, The Import of Eschatology in John Howard Yoder’s Critique of Constantinianism, San Francisco, CA, 1992. Kenneth P. Hallahan, The Social Ethics of Nonresistance: The Writ­ings of Mennonite Theologian John Howard Yoder Analyzed from a RomanCatholic Perspective, Ph. Diss. The Catholic University of America, Washingston D. C., 1997. Stanley Hauerwas u. a. (Hg.), The Wisdom of the Cross: Essays in ­Honor of John Howard Yoder, Grand Rapids, MI, 1999. Nigel Goring Wright, Disavowing Constantine: Mission, Church and the Social Order in the Theologies of John Howard Yoder and Jürgen Moltmann, Carlisle, Engl., 2000. Craig A. Carter, The Politics of the Cross: The Theology and Social Ethics of John Howard Yoder, Grand Rapids, MI, 2001. Fernando Enns, Friedenskirche in der Ökumene. Mennonitische Wurzeln einer Ethik der Gewaltfreiheit, Göttingen 2003, bes. Teil III, 156–200. Mark Thiessen Nation, John Howard Yoder. Mennonite Patience, Evangelical Witness, Catholic Convictions, Grand Rapids, MI/Cambridge, Engl., 2006. Chris K. Huebner, A Precarious Peace: Yoderian Explorations on Theology, Knowledge, and Identity, Scottdale, PA, 2006. Earl Zimmermann, Practicing the Politics of the Jesus. The Origin and Sig-

226 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

nificance of John Howard Yoder’s Social Ethics. Telford, PA/Scottdale, PA, 2007. Joon-Sik Park, Missional Ecclesiology in Creative Tension: H. Richard Niebuhr/John Howard Yoder, New York 2007. Paul Doerksen, Beyond Suspicion: Post-Christian Protestant P ­ olitical Theology in John Howard Yoder and Oliver O’Donovan, Eugene, OR, 2009. Peter J. Leithart, Defending Constantine: The Twilight of an Empire and the Dawn of Christendom, Downer’s Grove, IL, 2010. Alexander J. Sider, To See History Doxologically: History and Holiness in John Howard Yoder’s Ecclesiology, Grand Rapids, MI, 2011. Paul Martens, The Heterodox Yoder, Eugene, OR, 2012. Branson L. Parler, Things Hold Together: John Howard Yoder’s Trinitarian Theology of Culture, Scottdale, PA, 2012.

3. Aufsätze und Abbhandlungen über John Howard Yoder Aufsätze, die in Sammelbänden veröffentlicht sind, werden hier in der Regel nicht einzeln aufgeführt. Charles Pinches, Christian Pacifism and Theodicy: The Free Will D ­ efense in the Thought of John Howard Yoder, in: Modern Theology 5, 3, 1989, 239–255. John D. Roth, Living Between the Times. ›The Anabaptist Vision and Menno­ nite Reality‹ Revisited, in: Mennonite Quarterly Review 69, 1995, 323–335. A. James Reimer, Mennonites, Christ and Culture: The Yoder-Legacy, in: Conrad Grebel Review 16, 2, 1998, 5–14. Chris K. Huebner, Mennonites and Narrative Theology: The Case of John Howard Yoder, in: Conrad Grebel College 16, 2, 1998, 15–38. Duane K. Friesen, Toward  a Theology of Culture. A Dialogue with John Howard Yoder and Gordon Kaufman, in: Conrad Grebel ­Review 16, 2, 1998, 39–64. William Klassen, John Howard Yoder and the Ecumenical Church, in: Conrad Grebel Review 16, 2, 1998, 77–81. John W. Miller, In the Footsteps of Marcion: Notes Towards an Understanding of John Howard Yoder’s Theology, in: Conrad Grebel Review 16, 2, 1998, 82–92. Alain Weaver Epp, Parables of the Kingdom and Religious Plurality: With Barth and Yoder Toward a Nonresistant Public Theology, in: Mennonite Quarterly Review 73, 1998, 411–440. Ted Grimsrud, John Howard Yoder: A Faithful Teacher of the Church, in: The Mennonite 3, 1998, 8–9. Marco Hofheinz, On Wearing Steel Helmets and Berets: John Howard Yoder’s Critique of Karl Barth’s Attitude toward Pacifism, 1998, 1–17 (unveröffentlicht). Stanley Hauerwas u. a. (Hg.), The Wisdom of the Cross. Essays in H ­ onor of John Howard Yoder. Grand Rapids, MI/Cambridge, Engl., 1999.

227 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

A. James Reimer, Theological Orthodoxy and Jewish Christianity: A Personal Tribute to John Howard Yoder, in: Stanley Hauerwas u. a. (Hg.), The Wisdom of the Crosss, 430–448. Allain Epp Weaver, Missionary Christology: John Howard Yoder and the Creeds, in: Mennonite Quarterly Review 73, 4, 2000, 423–439. Hanspeter Jecker (Hg.), Jesus folgen in einer pluralistischen Welt. Impulse aus der Arbeit von John Howard Yoder. Bienenberg Studien, Weisenheim am Berg 2001. Donald F. Durnbaugh, John Howard Yoder’s Role in »The Lordship of Christ Over Church and State« Conferences, in: Mennonite Quarterly Review 77, 2003, 371–386. Ted Grimsrud, Pacifism and Truth: The Theological Ethics of John Howard Yoder, in: Mennonite Quarterly Review 77, 2003, 403–415. Margaret R. Pfeil, John Howard Yoder’s Pedagogical Approach: A Just War Tradition with Teeth and a Hermeneutic Peace, in: Mennonite Quarterly Review 76, 2003, 181–188. John Zimmermann, Yoder’s Jesus and Economics of Jesus or the Economics of Luke?, in: Mennonite Quarterly Review 2003, 437–450. J. Denny Weaver, The John Howard Yoder Legacy: Whither the S­ econd Generation?, in: Mennonite Quarterly Review 77, 2003, 451–471. Gayle Gerber Koontz/Ben C. Ollenburger (Hg.), A Mind Patient and Untamed: Assessing John Howard Yoder’s Contributions to Theology, Ethics, and Peacemaking, Telford, PA, 2004. Thomas Finger, Did Yoder Reduce Theology to Ethics?, in: Gayle G ­ erber ­Koontz/Ben C. Ollenburger (Hg.), A Mind Patient and U ­ ntamed, 318–339. Harry Huebner, The Christian Life as Gift and Patience: Why Yoder Has Trouble with Method?, in: Gayle Gerber Koontz/Ben C. Ollenburger, A Mind Patient and Untamed, 23–38. Arne Rasmusson, The Politics of Diaspora: The Post-Christendom Theologies of Karl Barth and John Howard Yoder, in: L. ­Gregory Jones/Reinhard Hütter/C. Rosalee Velloso Ewell (Hg.), God, Truth, and Witness: Engaging Stanley Hauerwas, Grand Rapids, MI, 2005, 88–111. Alain Weaver Epp, John Howard Yoder’s Alternative Perspective on ChristianJewish Relations, in: Mennonite Quarterly Review 79, 2005, 295–328. P. Travis Kroeker, Is  a Messianic Political Ethic Possible? Recent Work by and about John Howard Yoder, in: Journal of Religious Ethics 33, 1, 2005, 141–174. Paul Martens, The Problematic Development of the Sacraments in the Thought of John Howard Yoder, in: Conrad Grebel Review 24, 3, 2006, 65–77. Jeremy Bergen/Anthony G. Siegrist (Hg.), Power and Practices: Engag­ing the Work of John Howard Yoder, Scottdale, PA, 2009. Marco Hofheinz, »Er ist unser Friede«. Die christologische Grund­legung der Friedensethik Karl Barths. Habilitationsschrift im Fach Systematische Theologie, Theologische Fakultät der Universität Bern (2009), Göttingen 2014 (im Druck) (u. a. zwei ausführliche Kapitel über Nachfolge bei Barth und Yoder und über die Grenzfall-Debatte zwischen Barth und Yoder).

228 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

John C. Nugent (Hg.), Radical Ecumenicity: Pursuing Unity and Continuity after John Howard Yoder, Abilene, TX, 2010. John C. Nugent, A Yoderian Rejoinder to Peter J. Leithart’s Defending Constantine, in: Mennonite Quarterly Review 85, 4, 2011, 564–566. Mark Thiessen Nation, The Ecumenical and Cosmopolitical Yoder, in: Conrad Grebel Review, Herbst 2011, 73–87. Peter Dula/Chris K. Huebner (Hg.), The New Yoder, Eugene, OR, 2010. Christian E. Early/Ted Grimsrud (Hg.), A Pacifist Way of Knowing: John Howard Yoder’s Nonviolent Epistemology, Eugene, OR, 2010 (Prolog und Epilog).

4. Bibliographie und Index theologischer Begriffe Inzwischen liegt eine Bibliographie der Veröffentlichungen John ­Howard Y ­ oders vor, ebenso seiner unveröffentlichten Arbeiten und der Literatur zu seiner Biographie und Theologie: Mark Thiessen Nation, A Comprehensive Bibliography of the Writ­ings of John Howard Yoder, in: Mennonite Quarterly Review 71, 1997, 93–145 (auch als Separatdruck). Mark Thiessen Nation, Supplement to »A Comprehensive Biblio­graphy ot the Writings of John Howard Yoder«, in: Stanley Hauerwas u. a. (Hg), The Wisdom of the Cross, 472–491. John Nugent/Jason Vance/Branson L. Parler: www.yoderindex.com

5. Allgemeine Literatur Karl Barth, Kirchliche Dogmatik IV/1, Zürich 1960; IV/2, 1962. Clarence Bauman, Gewaltlosigkeit im Täufertum. Eine Untersuchung zur theologischen Ethik des oberdeutschen Täufertums der Reformationszeit, Leiden 1968. Peter Berger/Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, München 1969. Peter Berger, Zwang zur Häresie. Religion in einer pluralistischen Gesellschaft, Frankfurt/M. 1980. Gerald Biesecker-Mast, Separation and the Sword in Anabaptist Persuasion, Telford, PA/Scottdale, PA, 2006. Peter Blickle, Reformation im Reich, Stuttgart 21992. Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Bd. 3, Berlin (Ost) 1959. Peter C. Blum, Foucault, Genealogy, Anabaptism: Confessions of an Errant Postmodernist, in: Peter Dula/Chris K. Huebner (Hg.), The New Yoder, 90–105. Günter Bornkamm, Die Binde- und Lösegewalt in der Kirche des Matthäus, in: ders., Studien zum Matthäus-Evangelium, Werner Zager (Hg.), Neukirchen-Vluyn 2009, 79–93.

229 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

John Richard Burkholder/Barbara Nelson Gingerich (Hg.), Mennonite Peace Theology: A Panorama of Types, Akron, PA, 1991. Oscar Cullmann, Der Staat im Neuen Testament, Tübingen 21961. Klaus Deppermann, Die Straßburger Reformatoren und die Krise des oberdeutschen Täufertums im Jahre 1527, in: Mennonitische Geschichtsblätter 25, 1973, 24–41. Paul G. Doerksen/Karl Koop (Hg.), Made Strange for the Nations: ­Essays in Ecclesiology and Political Theology, Eugene, OR, 2011. Leo Driedger/Donald D. Kraybill (Hg.), Mennonite Peacemaking: From Quietism to Activism, Scottdale, PA, 1994. Angus Dun/Reinhold Niebuhr, God Wills Both Justice and Peace, in: Christianity and Crisis, Juni 1955, 75–78. Fernando Enns (Hg.), Heilung der Erinnerungen – befreit zur gemeinsamen Zukunft. Mennoniten im Dialog. Berichte und Texte ökumenischer Gespräche auf nationaler und internationaler Ebene, Frankfurt/M. 2008. – Ökumene und Frieden. Bewährungsfelder ökume­nischer Theologie, Neukirchen-Vluyn 2012. – /Scott Holland/Ann K. Riggs (Hg.), Seeking Cultures of Peace. A Peace Church Conversation, Teford, PA/Genf, CH/Scottdale, PA, 2006. Heinold Fast, Bullinger und die Täufer. Ein Beitrag zur Historio­graphie und Theologie im 16. Jahrhundert, Weierhof (Pfalz) 1959. – (Hg.), Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz, Bd. 2, Zürich 1973. – »Die Wahrheit wid euch freimachen.« Die Anfänge der Täuferbewegung in Zürich in der Spannung zwischen erfahrener und verheißener Wahrheit, in: Mennonitische Geschichtsblätter 1975, 7–33. – Puidoux 1955–1969: A Report of a Dialogue about Theological Foundation of  a Christian Peace Witness, in: ­Donald F. Durnbaugh (Hg.), On Earth Peace: Discussions on War/Peace I­ssues Between Friends, Men­ nonites, Brethren and European Churches, 1955–1975, Elgin, Ill., 1978, 319–328. Thomas N. Finger, A Contemporary Anabaptist Theology. Biblical, Historical, Constructive. Downers Grove, Ill., 2004. Hans-Jürgen Goertz, Theology and History. A Major Problem of Anabaptist Research, in: Mennonite Quarterly Review 53, 1979, ­177–188. –, Zucht und Ordnung in nonkonformistischer Manier. Kleruskritik, Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung in den Bewegungen der Täufer, in: ders., Antiklerikalismus und Reformation. Sozial­geschichtliche Untersuchungen. Göttingen 1995, 103–114. –, Unsichere Geschichte. Zur Theorie historischer Referentialität, Stuttgart 2001. –, Eine »bewegte Epoche«. Zur Heterogenität reformatorischer Bewegungen, in: ders., Radikalität der Reformation, 23–53. –, Aufständische Bauern und Täufer in der Schweiz, in: ders., Radikalität der Reformation. Aufsätze und Abhandlungen, Göttingen 2007, 323–342. –, Variationen des Schriftverständnisses unter den Radikalen. Zur Vieldeu-

230 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

tigkeit des Sola-Scriptura-Prinzips, in: ders., Radikalität der Reformation, 188–215. –, Die »gemeinen« Täufer: einfache Brüder und selbstbewusste Schwestern, in: ders., Radikalität der Reformation, 363–376. –, Deutschland 1500–1648. Eine zertrennte Welt, Paderborn 2004. – /Pieter Post/Marlin Jeschke, Art. Theologie, in: Mennonitisches Lexikon, Bd. V (www.mennlex.de). –, Art. Ethik, in: Mennonitisches Lexikon, Bd.V (www.mennlex.de). J. F. Gerhard Goeters, Die Vorgeschichte des Täufertums in Zürich, in: Studien zur Geschichte und Theologie der Reformation. Festschrift für Ernst Bizer, Luise Abramowski/J. F. Gerhard Goeters (Hg.), Neukirchen-Vluyn 1969, 239–281. Ted Grinsrud, Against Empire: A Yoderian Reading of Romans, in: Sharon L. Baker/Michel Hardin (Hg.), Peace be with You: Christ’s Benediction Amid Violent Empires, Eugene, OR, 2010, 120–137. Wilfried Härle, Sein und Gnade. Die Ontologie in Karl Barths Kirchlicher Dogmatik, Berlin/New York 1975. Sigrun Haude, Gender Roles and Perspectives Among Anabaptist and Spiritualistic Groups, in: John D. Roth/James M. Stayer (Hg.), A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 1521–1700, Leiden 2007, 42–465. Stanley Hauerwas u. a. (Hg.), Theology Without Foundations, Nashville, Tenn., 1994. Stanley Hauerwas, With the Grain of the Universe: The Church’s W ­ itness and Natural Theology. Grand Rapids, MI, 2001. Nathan Hershberger, Power, Tradition, and Renewal: The Concern Movement and Fragmentated Institutionalization of Mennonite Life, in: Mennonite Quarterley Review 87, 2013, 155–186. Chris K. Huebner/Tripp York (Hg.), The Gift of Difference: Radical Orthodoxy, Radical Reformation, Winnipeg, Man., 2010. Reinhard Hütter (Hg.), Selig sind die Friedfertigen. Ein Entwurf christlicher Ethik. Neukirchen-Vluyn 1995. Martin Kähler, Der sogenannte historische Jesus und der geschicht­liche, biblische Christus, Leipzig 1982. Ernst Käsemann, Römer 13, 1–7 in unserer Generation, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 56, 1959, 316–376. –, Theologen und Laien, in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen, 2. Bd., Göttingen 31968, 290–302. –, An die Römer, Tübingen 1973. Gordon D. Kaufman, The Context of Decision: A Theological Ana­lysis, New York 1961. –, Nonresistance and Responsibility and Other Mennonite Essays, Newton, KS, 1979. –, In Face of Mystery. A Constructive Theology, Cambridge, Mass./London 1995. –, Jesus and Creativity, Minneapolis, MN, 2006. Albert Keim, Harold Bender, 1887–1962, Scottdale, PA/Waterloo, Ont., 1998.

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Personen- und Sachregister Personen Abraham  52, 121, 154 Adorno, Theodor  217 Ambrosius 159 Amstutz, Lukas  188 Aquin, Thomas von  159, 167 Augustin  69, 104 Bader, Augstin  40 Barber, Daniel Colucciello  215 Barth, Karl  11, 13, 15, 19–22, 24, 38, 50, 65, 74, 82, 86, 89–91, 94, 102, 104 f, 116, 123–125, 130, 133 f, 148, 162,163, 189, 199, 204–207, 209, 211, 214–219, 223 Bauman, Clarence  27, 36, Bender, Harold S.  17–19, 26–28, 31, 39, 41, 46, 49, 53, 102, 111 Berger, Peter  150, 220, Bergsten, Torsten  27 Berkhof, Hendrik  126, 133 Biesecker-Mast, Gerald  28 Blickle, Peter  39 Bloch, Ernst  81, 193 Blough, Neal  27, 38 f Blum, N. Peter  203 Blumhardt, Christoph  134 Bornhäuser, Christoph  28 Bornkamm, Günter  109 Bullinger, Heinrich  27, 31 Burkholder, J. Lawrence  12, 17, 78, 84, 97, 125 Camara, Helder  171 Campar, Valentin  33 Carter, Craig A.  22, 63, 75, 115 f, 123, 198 Cartwright, Michel G.  23, 57, 66 f, 158, 214 Certeau, Michel de  223

Cox, Harvey  13 Cullmann, Oskar  19, 38, 99, 102, 106, 125 f, 128–135, 138, 144, 203 Denck, Hans  136 Deppermann, Klaus  39, 43, 48 f Derrida, Jacques  223 Driedger, Joel  8, 223 Driedger, Leo  98 Dun, Angus  20 Durnbaugh, Donald F.  22 Early, Christian J.  17, 121, 212, Endgericht 209 Enns, Fernando  8, 97, 102, 106, 135, 162, 222 f, Esquivel, Adolfo Perez  171 Eusebius v. Caesarea  122 Fast, Heinold  22, 27, 30 f, 37, 46, 158, 163, 191, Finger, Thomas  90 Foucault, Michel  203, 217, 223 Gandhi, Mahatma  179 Gericht  82, 105, 110 f, 213 Gilkey, Langdon  13 Gingerich, Barbara Nelson  98 Goertz, Hans-Jürgen  28, 30, 42 f, 45, 47, 54, 56, 141 Goeters, J. F. Gerhard  42 Grebel, Konrad  10, 17 f, 29 f, 42, 45, 48, 51 Grimsrud, Ted  67, 204, 212 Gutiérrez, Gustavo  168 Härle, Wilfried  206–208, 214 Haude, Sigrun  39

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Hauerwas, Stanley  7, 22, 67, 75, 84, 94 f, 203, 212, 222 Heidegger, Martin  204 Hershberger, Nathan  18 Hertzler, Hans Adolf  8 Hoffman, Melchior  55 Hofheinz, Marco  8, 124, 223 Horkheimer, Max  217 Horst, Irvin B.  28 Huebner, Chris K.  75, 84, 90, 107, 196–198, 200, 202 f Huebner, Harry  84,212 Hubmaier, Balthasar  27, 31, 43, 48, 87 Jeschke, Marlin  56 Johannes 78 Johannsen, Robert  178 Jüngel, Eberhard  13 Juhnke, James C.  98 Kähler, Martin  113 Käsemann, Ernst  108, 131–134, 136–138, 146 Kaufman, Gordon D.  13, 17, 82, 97 f, 109 f, 114, 117, 125, 141–143 Keim, Albert  17 f, 26 f, 194 King, Martin Luther  179, 221 Klassen, William  28 Kobelt-Groch, Marion  39 Konstantin, Kaiser  95, 117, 119 f, 138, 145 Koontz, Gayle Gerber  90, 100, 117 Krajewski, Ekkehard  27 Kraus, Norman  17 Kraybill, Donald D.  98 Leithart, Peter J.  118–121 Loewen, Harry  8 Luckmann, Thomas  10 Lukas 114 Luther, Martin  77, 97, 155, 179, 204, 221 Lutz, Charles P.  161 Luz, Ulrich  109, 196

Mandela, Nelson  179 Mantz, Felix  27 Marpeck, Pilgram  28 Martens, Paul  8, 72, 78, 90, 7, 110, 112, 157 f, 181, 188, 190, 192, 194, 198, 215, 219 McClendon, James  222 Miller, John W.  17 Minear, Paul  64 Moltmann, Jürgen  13, 133, 153, 195 Müntzer, Thomas  35, 49, 53, 154 Mühlenkamp, Christine  119 Nation, Mark Thiessen  8, 17, 22, 24–26, 60, 66, 75, 77, 84, 98–101, 125, 140, 205, 212, 220 Neuner, Josef  219 Niebuhr, Reinhold  12, 20 f, 24, 78 f, 99, 125 Nugent, John C.  52, 90, 120,121 Ollenburger, Ben  90 Origenes 139 Oyer, John  28 Packull, Werner O.  39 Pannenberg, Wolfhart  13 Parler, Branson L.  78, 90, 95, 107, 114, 157 f, 180–182, 193 f, 198 f Paulus  107, 128–130, 133, 137, 148, 150 Peachey, Paul  17, 27 Pfistermaier, Hans  44 Post, Pieter  56 Rasmusson, Arne  84 Redekop, Calvin W.  17 f Redekop, John H.  113 Rendtorff, Trutz  90–92, 216 f Reimer, A. James  18, 73 f, 101, 127, 152, 197, 202 f Reimer, Johannes  222 Ross, Heinrich  219 Roth, John D.  8, 39, 46, 48, 202 Said, Edward  223

235 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

Sattler, Michael  30, 45, 48, 51 Sawatsky, Rodney J.  97 Schäuffele, Wolfgang  28 Schlaudraff, Karl Heinz  126 Schlink, Edmund  82, 105 Schnädelbach, Herbert  217 Schrage, W.  146 Schubert, Anselm  40 Sharp, Gene  180 Sider, J. Alexander  52, 94 f, 121 f Simons, Menno  28 Snyder, C. Arnold  45, 48 f Stayer, James M.  39, 42, 48 Strübind, Andrea  43 Stassen, Glen Harold  77, 163 Suarez, Francisco  159 Swartzentruber, A. Orley  17

Toews, Paul  17, 28 Virillo, Paul  223 Vitorio, Francisco de  159 Walesa, Lech  179 Weber, Otto  104 Weber, Max  97 Wiebe, Christoph  8 Windhorst, Christof  87 Wolf, Ernst  131 f, 134

Tillich, Paul  13, 104 f, 111, 204, 208

Zeindler, Matthias  88, 106, 110 Zimmermann, Earl  17–22, 28, 52 f, 73, 75, 86, 99 f, 125, 129, 131, 163, 214 Zimmermann, John  114 Zwingli, Ulrich  10, 19, 23, 29–34, 41–43, 48, 61, 104, 218

Sachen Aufgeführt werden vor allem die Begriffe, die das theologische Denken John Howard Yoders bestimmen und dazu beitragen, seine Argumente kritisch zu erörtern. Nicht aufgenommen werden die Begriffe, die über die Maßen häufig vorkommen: Frieden, Gemeinde, Gemeinschaft, Geschichte, Gesellschaft, Gespräche, Gewalt, Gott, Jesus Christus, Kirche, Kreuz und Auferstehung Jesu Christi, Krieg, Politik, Reformation, Revolution, Staat, Täufer, Täufertum, Theologie, Welt. Abendmahl  18, 85, 190 Äon  37, 52, 85 f, 93, 95, 103, 105, 110, 137, 145 f Äonenwende  97 f, 102, 111, 185 Anabaptist Vision  17, 26, 28, 31, 39, 41, 45–47, 0, 83, 111, 197 Analogien  105, 189–191 Apokalyptik 54 apokalyptisch 55 Apostel  66, 135 Aufklärung  91, 96, 145, 147, 167 Bann  34 f Befreiungstheologie  97, 167–170, 171,

Bekenntnis  16, 48, 68, 106, 129, 134, 150, 159, 182, 199, 210, 220 Bibel 64 biblischer Kanon  66 biblischer Realismus  63 f, 149 Binden und Lösen  190 Bürgerrechtsbewegung 221 Bund  32, 71, 176, 206 Christologie  94 f, 107, 124, 207, 217 f christologisch  51, 123 f, 134, 158, 217 f Concern  17–19, 58, 99, 142

236 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

Constantinian  97, non-constan­ tinian 122

Exegese  64, 120, 126, 131, exousiai (s. auch Mächte) 132 f

Demokratie  77, 99, 148 Deontologisierung 135 Differenz  5,12, 65, 86, 95–97, 102 f, 109, 143, 149, 157, 187, 192, 194, 196, 199– 201, 209, 215–218 Dogmatik  11, 22, 82, 90–92, 102, 104 f, 124, 205–207, 209, 216 f Dualismus  32, 37, 1, 55, 99, 104 Dualität  99, 129, 137, 142, 172, 187, 199

Feindesliebe  10, 20, 142, 164, 193 Freikirche  23, 68, 72 Friedensethik  8, 13, 20, 22, 124, 165, 223 Friedensgemeinde  83, 85 Friedenskirche  97, 102 f, 106, 135, 222 Friedenstheologie  11, 95, 102 f, 112, 159, 171, 185, 195, 221 f Friedenszeugnis  9, 12, 16, 19, 21 f, 36, 83 f, 97, 138, 143 f, 151, 154, 187, 195–198, 203, 219, 223 friedfertig  54, 85, 118 Friedfertigkeit  11, 14, 18, 24 f, 28, 35, 44, 83, 100, 117, 154–156, 170 Fundamentalismus 63–65

ecclesia invisibilis  69, 87, 96, 104 ecclesia visibilis  70, 87, 104 Einheit der Christen  67 Einheit der Kirche  11 f, 24 f, 36, 40, 59 f, 67, 71, 80 f, 97, 159, 198 Einheit des Leibes Christi  35, 58 Einheit der Gemeinde  34, 58 Einheit der Kirchen  5, 9, 11, 17, ­23–25, 57–59, 61, 66 f, 73, 80–82, 84, 159 Einheit, christliche  57 f, kirchliche  9, 14 Ekklesiologie  13, 31, 43, 67, 69 f, 72, 80, 88 f, 91, 107 f, 112, 120, 140, 153, 176, 186, 189, 194, 201, 203 f, 209, 211, 214, 218 f, ekklesiologisch  43, 45, 107, 71, ­75–77, 107 Erlösung  181, 194 Eschatologie  84, 93, 99, 125, 135 eschatologisch  37 f, 81, 85, 89, ­95–97, 102 f, 105, 110, 118, 129, 132, 135, 137, 157, 163, 191, 193 f Essenz 215 Ethik  8, 10 f, 15, 36, 38, 84, 89 f, 91 f, 94 f, 99, 107, 112 f, 117 f, 140 f, 144, 154, 189, 193, 197 f, 211, 215, 219, 222 evangelikal  221 f Evangelium  74, 89, 105, 109, 140, 144, 149, 161, 187–191, 194, 196, 201, 203

Geduld  101, 130, 200, 211–213, 220 gefallene Schöpfung  40, 42, 103, 117 f, 126, 136, 138, 140, 142, 152, 182, 185, 193, 200 f, 210 Gehorsam  35–37, 50–52, 58, 60, 80, 86, 93, 102, 105 f, 121, 127, 129 f, 133, 136, 154, 176, 207, 214 gerechter Krieg (s. auch just war) 158–164, 166, 168, 170 f Gerechtigkeit  31, 31, 127, 162, 165, 175, 189, 191, 196 Gespräch (Struktur der Gemeinde)  24, 28, 30–34, 36 f, 43, 45, 57–82 (bes. 65, 68, 74) gewaltfrei  7, 92, 184 Gewaltfreiheit  10, 2, 94, 112, 183 f, 187, 212, 214 gewaltlos  130, 155, 170, 177, 179 Gewaltlosigkeit  27, 35 f, 115, 118, 134, 156, 169, 171, 180 f, 183, 193, 195, 213 Glaube(n) 21, 57, 70, 81, 103 f, 107, 113, 121, 132, 153, 167, 182, 184, 186, 189, 194, 213 f, 219 glauben  33, 103, 215 Glaubenstaufe  10, 30, 43, 47, 72

237 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

Glaubensgemeinschaft  189, 194 Glaubensverständnis  92, 214 Gnade  82, 92, 107, 152, 202, 206– 209, 211, 213–215, Goshen College  13, 18, 49 grain of the universe  22, 171 f, 180 f, 186, 192–194, 199, 212 Grenzfall  22, 123–125, 162 Heiliger Geist  78, 81, 109, 111, 142, 177, 209 Heilige Schrift  10, 30, 33 f, 36, 42, 44 f, 62–66, 79, 147, 175 Heiligung  22, 209 Heilsgeschichte  106, 125, 212 Heilsgemeinschaft  127, 139, 142 f, 145, 152, 154, 201, 203, 214, 219 heilsgeschichtlich  106, 126 Hermeneutik  66, 32, 223 hermeneutic community  21 hermeneutisches Problem  65 Herrschaft Gottes  38, 80, 111 Herrschaft Jesu Christi  21, 37, 78, 85, 99, 128 Historische Friedenskirchen  7, 9, 11,12, 15, 19–22, 165, 221 Historismus  43, 91, 217 historischer Jesus  94,113, 121, 223 Imperativ  58, 60, 70, 101, 110, 127, 155 f, 170, 175,176, 186, 190, 196 Indikativ  58, 196 Individualität  151, 154 individualistisch  107 f individuell  92, 137, 198 Individuum  107, 109 f, 137, 150–153 Inkarnation  51 f, 78, 94, 115 f Internationaler Versöhnungsbund  17, 58 irdischer Jesus  67, 94, 111 f, 114 f jeremianisches Modell  101 just policing  160 just war  120, 159–161, 164 Kindertaufe 71

Kirche als Heil  110, 214 Kirche der Brüder (Church of the Brethren) 9, 17 Königsherrschaft Christi  38, 41, 125, 129–132, 134, 173, 192, 215, 218 Konflikt  22, 34, 77, 101, 139 f, ­173–178, 182–186 Konstantinismus (Konstantinia­ nismus) 13, 108, 122, 166 f konstantinisches Erbe  68 konstantinische Wende  95, 117–121, 149 Kosmos  134, 192, 199, 206, (cosmos: 181, 189, 192) kosmisch  134, 136 f Krieg des Lammes  78 Kriegsdienst  15, 24, 96 Kultur  36, 113, 150 209, 221 Liberalismus  64, 171 Liebe  20, 28, 32, 84, 126 f, 134, 141–143, 154, 183, 189 f Macht  21, 42, 60, 78, 85, 92, 97, 118, 126, 138, 141 f, 144, 146, 187, 203, 209 Mächte  85, 93, 99 f, 121, 128, 132– 135 Mennonite Church  54, 59, 84 Mennoniten  8 f, 12, 15–17, 33, 46, 54, 59, 62, 80, 83, 102, 109, 125, 150 f, 221–223 Mennonitengemeinden  18 f, 2, 26 f, 62, 221 Menschwerdung Jesu Christi  85, 114, 116 messianische Gemeinschaft (Gemeinde)  38 81, 85, 95, 100, 103, 109, 118, 120, 128, 181, 184, 196, 204 f, 213 messianische Heilsgemeinde  106 Messias  85, 118, 122 Metaphysik  134, 205 Methode  59, 64, 75, 112, 212, 220 Mission  46, 58, 89, 103

238 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

missionarisch  28, 37 f, 119, 184 missionierend 37 mittlere Axiome  127, 189, 191 Moderne  27, 97, 147 f, 150, 167, 216, 218 f Modernismus 167 Nachfolge Jesu bzw. Christi  18, 22, 28, 35, 58, 61, 80, 86, 94 f, 108, 123, 134, 136, 139, 158, 170, 183, 195, 201, 213–215 Naturrecht  167, 181, 187, 193 neue Kreatur  102, 153 neue Schöpfung  32, 104, 118, 126, 146, 153, 197, 201, 213 nonkonform 13 Norm  47, 50 f, 63, 69, 71, 80, 82, 96, 99, 110, 112, 115, 138, 140, 145 normativ  47, 51 Normativität  47, 50 f, 63, 118, 121 Obrigkeitsverständnis, neutestamentliches  128, 131 Ökumene  25, 97, 102, 106, 135, 162, 222 ökumenisch  9–11, 16, 19 f, 23–25, 28, 45, 55, 58 f, 61 f, 64, 66,70, 71 f, 81 f, 84, 105, 159 f, 162, 221, 223 Ökumenische Bewegung  23, 58–60, 98, 102 Ökumenischer Rat der Kirchen  16, 19 f, 59, 80, 102, 165, 221 f Ontologie  182, 193 f, 201 f, 204–209, 211, 213–216, 220, 223 ontologisch  52, 106, 134–136, 140, 143, 152, 154 f, 180 f, 184, 186 f, 192, 194, 198, 200 f, 203, 205 f, 208 f, 211, 213,214, 215 f, 219 f Ontologisierung  103 (ontologisiert), 136, 172, 181, 194, 198, 204, 214 Ordnung  34 f, 37 f, 44 f, 52, 57, 102, 129, 134, 138, 186–188, 193 f, 204, 212, 214, 219 Original revolution  77, 84, 87 f, 96, 101, 107, 118, 159, 167

politisch  103, 111 f, 178 f, 200 Polizei 137 Polizeigewalt  120, 126 Praktiken  33, 78, 91, 153, 158, 175, 188, 190 f, 209, 213 f Praxis  38, 46, 49, 57, 59–61, 68, 95, 153 Puidoux Theological Conferences  19, 221 Quäker (Society of Friends) 9, 17, 19 radikal  13, 29, 32, 122, 138, 156, 216 f Radikale (der Reformation) 40, 42, 45 Radikaler Pazifismus  7 f, 102, 115, 130, 164 radikale Reformation  40, 77, 121, 140 radikale Revolution  169 Radikalität 70 Rat (Magistrat) 42, 44 Rebellion  69 f, 130, 199 Rechtfertigung  105, 107, 152, 154 f, 159–161, 195 Rechtfertigungslehre  11, 77, 107, 111, 152, 186 Regel Christi  34, 76, 176 Reich Gottes  21, 67, 81, 84, 98, 101, 104 f, 115, 118, 126, 137, 181, 196, 202 Revolte 70 Säkularisation  96, 145, 167, (secularization  172, 194) Säuglingstaufe  43, 57 Sakramente  105, 188 Schleitheimer Bekenntnis (Artikel, Brüderliche Vereinigung) 30 f, 47 f, 97, 99, 144 Schöpfung  85, 87, 99, 105, 132, 140, 181, 194, 213 Schriftverständnis 63 Separatismus  17, 38 f, 41, 83, 99, 102, 153 Separatisten 57

239 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327

separatistisch 83 sichtbar  9, 32, 34, 37 f, 40, 54, 57, 67, 69 f, 76, 81 f, 85–87, 91, 93, 96, 104 f, 111, 118, 135, 142 f, 192, 201, 209 f, 213–215, 219 f Sichtbarkeit  40 f, 54, 67, 72, 76, 80–82, 87, 96, 97,103, 104, 111, 134 f, 143, 195, 200, 209 f, 213– 215, 219 simul iustus et peccator  77, 204, 208 sola gratia  154 sola scriptura  45 Solidarität  44, 92, 116, 139, 156, 167, 181, 190, 215 solidarisch  78, 105, 152, 156 Soteriologie  88 f, 112 soteriologisch 207 sozialer Wandel  88, 177, 182 Sozialethik  8, 22, 67, 84, 89, 91, ­112–114, 171 Staatslehre (Röm. 13), neutestament­ liche  137 f Staatsverständnis (biblisches, neutestamentliches)  143–145, 147 f Sünde (sin) 21, 78 f, 85, 88, 93, 141, 161, 175, 208, 206–209, 215 Sünder  142, 208 Täuferforschung  27–29, 39, 41 52, 102 Taufe  29–32, 44, 49, 71, 87, 107, 119, 190, 201 Theologie der Befreiung  158, 164 f, 167, 170, Theologie der Revolution  97, 122 165, 167 Ungehorsam  36 f, 76, 86 Universität Basel  9, 16, 218 Universität Notre Dame  16, 66

Universum  181, 186 f, 219 Unterordnung  128, 130, unterordnen  38, 128 Urgemeinde 95 Vaticanum 219 Verantwortung  12, 15, 20, 83, ­97–99, 101, 117, 125, 139–141, 172, 176, 183, 185, 221 Vernunft  13, 102, 156, 181, 211 versöhnte Gemeinde (Gemeindeglieder) 61, 176 Versöhnte  86, 103 versöhnte Gemeinschaft  24, 35, 86, 140, 175, 177, 186, 197, 213 Versöhnung  24, 60 f, 100, 128, 132, 136, 148, 175, 179, 183–185, 190, 213 Verweigerung des Wehr- oder Kriegsdienstes  15, 134 Volk Gottes  52, 84, 88, 108, 116, 122, 145, 151, 154, 164, 199 f Vollkommenheit Christi  35–37, 52, 97, 100, 144 f, 185, 187 Wahrheit  7, 30, 79, 111, 176 f, 187, 211–213, 220 Wehrlosigkeit  11, 35, 83, 154 weltliche Obrigkeit  10, 24, 29, 32, 36–38, 41–43, 60, 69, 96, 104, 113, 127–132, 134 135, 136–138, 145– 147, 149, 151, 164 Weltgericht 81 Wort Gottes  33, 51, 65 f, 79, 87, 146, 210 Zeugnis  19, 38, 46, 76, 88, 98, 100, 110, 117, 120, 139, 141, 143, 152, 164, 172, 183, 194, 200 Zivilisation 221

240 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570326 — ISBN E-Book: 9783647570327