Jhering Global: Internationales Symposium zum 200. Geburtstag Rudolf von Jherings (1818–1892) [1 ed.] 9783737011808, 9783847111801


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Jhering Global: Internationales Symposium zum 200. Geburtstag Rudolf von Jherings (1818–1892) [1 ed.]
 9783737011808, 9783847111801

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Beiträge zu Grundfragen des Rechts

Band 35

Herausgegeben von Stephan Meder

Stephan Meder / Christoph-Eric Mecke (Hg.)

Jhering Global Internationales Symposium zum 200. Geburtstag Rudolf von Jherings (1818–1892)

Mit 2 Abbildungen

V&R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Brill | V&R unipress, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Brill Wageningen Academic, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Universitätsprofessor Rudolph von Jhering. Fotografie: Wilhelm Grape 1884, Göttingen. © Privatbesitz (Stephan Meder). Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-5405 ISBN 978-3-7370-1180-8

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Michael Kunze Ein großer Jurist. Eine Persönlichkeit. Jhering biografisch skizziert . . . .

9

Viola Heutger Rudolf von Ihering, Deventer Honigkuchen und Schiedammer Jenever. Zeitzeugnisse aus den Niederlanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

Tomasz Giaro Jhering and Politics

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

András Földi Aspekte der Jhering-Rezeption in Ungarn . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

Anton Rudokvas Jhering’s Influence on Russian Legal Thought . . . . . . . . . . . . . . . .

97

Marcos Augusto Maliska Die Rezeption Jherings in Brasilien. Tobias Barreto und die „Recife-Schule“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Benjamin Herzog Rudolf von Jherings Wirkungen auf die Anwendungs- und Auslegungslehre in Brasilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 David M. Rabban Jhering’s Influence on American Legal Thought . . . . . . . . . . . . . . . 147

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Inhalt

Stephan Meder Rudolf von Jhering and the ‘jurisprudence of concepts’: was Jhering wrong to bring his predecessors’ teachings into disrepute? . . . . . . . . . 167 Okko Behrends Jhering heute! Seine Wirkung als Jurist, Rechtsdenker und Rechtshistoriker der Historischen Rechtsschule . . . . . . . . . . . . . . . 185 Christoph-Eric Mecke Jherings Rechtsdenken im Kontext der zeitgenössischen Natur- und Sozialwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Autorenverzeichnis

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307

Vorwort

Der vorliegende Band enthält elf Beiträge zum wissenschaftlichen Werk Rudolf von Jherings (1818–1892) und zu dessen internationalen Rezeption bis in die Gegenwart. Jhering gehört neben Savigny zu den ganz wenigen Vertretern deutschsprachiger Rechtswissenschaft, deren Rechtsdenken die Jurisprudenz auch außerhalb des deutschen Sprachraums in europäischen Ländern und darüber hinaus im globalen Kontext bis heute beschäftigt. Dieser Umstand war für die Herausgeber im Jahre 2016 bereits Anlass für die Edition des Tagungsbandes „Savigny global 1814. Vom ‚Beruf unsrer Zeit‘ zum transnationalen Rechts des 21. Jahrhunderts“. „Jhering global“ bildet die natürliche Fortsetzung. Wie schon der Band „Savigny global“ ist auch der vorliegende Band „Jhering global“ aus einer gleichnamigen internationalen Tagung hervorgegangen. Die Tagung hat im September 2018 an der Leibniz Universität Hannover stattgefunden. Die meisten Tagungsbeiträge sind in den vorliegenden Band eingegangen, weitere Beiträge sind in der Zeit nach der Tagung noch hinzugekommen. Den Auftakt zu diesem Band machen (werk-)biographische Beiträge mit auch internationalen Bezügen zu Rudolf von Jhering als Privatperson, politisch denkenden Menschen und Wissenschaftler (Kunze, Heutger, Giaro). Im Anschluss an den Beitrag von Viola Heutger werden zwei bisher unveröffentlichte Briefe Jherings publiziert, die dieser an niederländische Kollegen geschrieben hat. Es folgen länderorientierte Beiträge zur Rezeption von Jherings Werk in Ungarn und Russland (Földi, Rudokvas) sowie auf dem nord- und südamerikanischen Kontinent (Maliska, Herzog, Rabban). Den Abschluss bilden drei Beiträge zur rechts- und wissenschaftsgeschichtlichen Einordnung von Jherings Werk und dessen Bedeutung für das heutige Rechtsdenken (Meder, Behrends, Mecke). Die Herausgeber danken ausdrücklich dem „Drents Archief“ im niederländischen Assen für die Genehmigung zum Abdruck der unveröffentlichten Jhering-Handschriften. Im Juni 2023

Die Herausgeber

Michael Kunze

Ein großer Jurist. Eine Persönlichkeit. Jhering biografisch skizziert

Johann Wolfgang Goethe ärgerte sich darüber, dass seine naturwissenschaftlichen Forschungen nicht ernst genommen wurden. In dem Roman „Lotte in Weimar“ lässt Thomas Mann den großen Dichter grummeln: „Wer sagt euch, dass nicht die Poesie die Liebhaberei ist und der Ernst bei ganz was anderem, nämlich beim Ganzen?“1 Ebenso warf man dem großen Juristen Rudolf von Jhering vor, abseits der Jurisprudenz zu dilettieren.2 Das beruhte auf einem ähnlichen Missverständnis. Alles, was Jhering machte, machte er mit demselben Ernst. Nach eigener Aussage liebte er die Rechtswissenschaft, aber kaum weniger wichtig nahm er Musik, Philosophie, Geschichte, Literatur, Kochkunst und Pädagogik. All diese Interessen und Beschäftigungen gehörten zum „ganzen“ Jhering, Ausdruck einer Persönlichkeit, die sich nicht auf den „Juristen als solchen“3 reduzieren lässt. Er sprühte vor Geist, interessierte sich für alles und jeden, erwies sich als belesen und schlagfertig, strahlte Charisma aus, war selbstsicher, kontaktfreudig, frei von Attitüde, unfähig der Heuchelei. Wo er erschien, gab es keine Langeweile. Schon als Student bildete er den Mittelpunkt jeder Gesprächsrunde. In den Pausen des Juristentags umringte ihn eine Schar von Richtern, Anwälten und Professoren, die an seinen Lippen hing. Was er in seiner ostfriesisch gefärbten Redeweise unverblümt und bildhaft von sich gab, sorgte meistens für Kopfnicken und Gelächter. Natürlich sprach er von seiner Arbeit als juristischer Hochschullehrer und Schriftsteller, aber mit gleicher Begeisterung über Beethoven und Wagner, seinen Weinkeller, neue Romane und Biografien, 1 Thomas Mann: Lotte in Weimar. Stockholm (Bermann-Fischer) 1939. Siebtes Kapitel. „Schuster, bleib bei deinem Leisten. Ja, wenn man ein Schuster wäre. Die aber schwätze, man werde der Poesie untreu und verzettele sich in Liebhabereien. Wer sagt euch, daß nicht die Poesie die Liebhaberei ist und der Ernst bei ganz was anderem, nämlich dem Ganzen? Dummes Gequak, dummes Gequak!“ 2 Ernst Eck: Zur Feier des Gedächtnisses von B. Windscheid und R. v. Jhering. Berlin (Carl Heymann) 1893, S. 35. 3 Das berühmte Diktum von Bernhard Windscheid, dass Entscheidungsmotive „nicht Sache des Juristen als solchem“ seien, findet sich in Oertmann (Hrsg.), Bernhard Windscheid, Gesammelte Reden und Abhandlungen, Leipzig (Duncker & Humblot) 1904.

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die aktuelle Politik, interessante Theaterabende und seine Gemüsebeete. Kollegen, die nur über Rechtsprobleme reden konnten, schätzte er gering. Für ihn war die Rechtswissenschaft kein Reservat der Erleuchteten. Sie gehörte zum Leben, und dem Leben sollte sie dienen. Zur Welt kam Rudolf Caspar Jhering am 22. August 1818 im ostfriesischen Aurich. Seine Familie gehörte zum Beamtenpatriziat; seine Ahnenreihe reicht Jahrhunderte zurück.4 Fast alle Vorfahren waren Juristen, einige berühmt und verdienstvoll, viele in hoher politischer Stellung. Mit sieben verlor er seinen Vater, der Notar und Abgeordneter der Hannoveraner Ständekammer gewesen war.5 Seine Mutter, eine standesbewusste Aristokratentochter und strenggläubige Protestantin, versuchte Überforderung durch Strenge auszugleichen. Von ihr erhielten er und seine fünf Geschwister reichlich Mahnungen und Warnungen, wenig Wärme und Zärtlichkeit.6 Rudolfs Onkel, ein Landpastor, brachte dem Jungen während eines Sommerurlaubs Lesen, Schreiben und Rechnen bei. Das verkürzte dessen Zeit in der Grundschule, die der Auricher Kantor betrieb. In Ostfriesland war die Schule noch Sache der Kirche. Als wichtigstes Schulbuch diente die Bibel. Doch es gab auch „Weltkunde“ an Hand eines anderen Buches, das „Der Deutsche Kinderfreund“ hieß. Verfasst von einem Berliner Pastor, enthielt es Gedanken der Aufklärung des 18. Jahrhunderts in einer für Kinder verständlichen, aber nie kindertümelnden Form.7 Der Neunjährige erfuhr, dass die Menschen nach der Vertreibung aus dem Paradies in großer Unsicherheit lebten. Da dachten die Vernünftigsten unter den Hüttenbewohnern, dass das ein elender Zustand sei, und sie machten unter sich aus, was jeder tun und lassen durfte. Diese Regeln nannte man das Recht. Da sich nun einige Störenfriede an diese Vereinbarungen nicht halten wollten, bestimmten die Vernünftigen gewisse Personen, die dafür sorgen sollten, dass die Gesetze befolgt werden. Diese Personen nannte man die Obrigkeit, der alle anderen zum Gehorsam verpflichtet waren. Nach zwei Jahren wechselte Rudolf von der Kantorschule auf das Auricher Ulrichsgymnasium. Bis zur Tertia unterrichteten ihn dort evangelische Geistli-

4 Heinrich Tebbenhoff: Stets dem Vaterland treu gedient. Die Geschichte der Iherings im Wandel der Zeiten. Heimatkunde und Heimatgeschichte. Beilage der Ostfriesischen Nachrichten. Nr. 2–11. Jahrgang 1971. 5 Johann Christian Hermann Gittermann: Biographie des Herrn Georg Albrecht Jhering. Aurich 1865 (Separatdruck aus „Neuer Nekrolog der Deutschen“, Dritter Jahrgang 1825, Zweites Heft, Ilmenau). 6 Michael Kunze: Das unsichtbare Recht. Rudolf von Jhering und seine Zeit. München (C.H. Beck) 2024. 7 Friedrich Philipp Wilmsen: Der Deutsche Kinderfreund. Ein Lesebuch für Volksschulen. Berlin (Reimer) 1802 und zahlreiche spätere Auflagen.

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che.8 Sie erlebten den kleinen Jhering als nicht sonderlich fleißigen und oft unaufmerksamen Schüler, der mühelos lernte und Begabung für die lateinische Sprache erkennen ließ. Nach dem Anschluss Ostfrieslands an das Königreich Hannover sorgte eine Schulreform dafür, dass Rudolf in den oberen Klassen studierte Gymnasiallehrer erhielt. Zwei von ihnen übten prägenden Einfluss auf ihn aus. Der eine, Carl Siedhoff, war das Muster eines von der Romantik geprägten Intellektuellen. Er sammelte Volkslieder und beschrieb ostfriesische Bräuche, fing mit den Schülern seltene Vögel und sezierte Schlangen. Der andere, Wilhelm Reuter, hatte bei Schleiermacher und Hegel studiert. Von ihm übernahm der Gymnasiast Jhering die Vorstellung, dass sich in Natur und Geschichte eine göttliche Wahrheit verbirgt, die zu entdecken Aufgabe der Wissenschaft ist. Durch die gründliche Lektüre von Lessings „Erziehung des Menschengeschlechts“ vermittelte ihm dieser Lehrer die Vorstellung einer von Gott überwachten Entwicklung der Menschheit zu Freiheit und Selbstbestimmung.9 In dem Heranwachsenden setzte sich ein Bild historischen Fortschritts fest, der in Stufen zu immer höherer Vollkommenheit führt. Was er in den kommenden Jahrzehnten erlebte, schien dieses Modell zu bestätigen. Mit siebzehn legte Jhering die Reifeprüfung ab.10 Die Familientradition verlangte, dass er die Rechte studiert und wie seine Vorfahren höherer Beamter wird. Dazu hatte der fantasievolle, lesehungrige Abiturient wenig Lust.11 Er träumte davon, Schriftsteller zu werden. Angeregt von Jean-Paul-Lektüre verfasste er Humoresken. Nur halbherzig begann er 1836 im frühlingsheiteren Heidelberg mit dem Studium der Rechte. Er hörte den legendären Friedrich Justus Thibaut, aber sein Vorbild wurde ein älterer Kommilitone namens Friedrich Hebbel. Den traf er nach zwei weitgehend verbummelten Semestern in München wieder. Von Hebbel bekam Jhering Lob für seine literarischen Versuche und die Adresse eines Redakteurs, den er anschreiben sollte. Derart ermutigt, gab der 19jährige das Studium ganz auf. Nach Aurich schrieb er, dass er beschlossen habe, Literat zu werden. Eine Abschrift seiner ersten Novelle legte er bei. Die Mutter war außer sich. Sie orderte den auf Abwege geratenen Sohn umgehend nachhause zurück. Mahnungen und Drohungen zwangen ihn zur Zusage, in Göttingen ernsthaft mit dem Studieren zu beginnen. „Damit“, schrieb 8 H. v. Kleist: Kleine Beiträge zur Geschichte der Ulrichsschule zu Aurich. Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterlandische Altertümer zu Emden. 15. Band, 2. Heft, Emden (W. Heynel) 1905, S. 285. 9 Wilhelm Reuter: Lessings Erziehung des Menschengeschlechts. Darlegung des Gehaltes und des Zweckes; Erörterung und Prüfung im Lichte der heiligen Schrift und der Geschichte. Leipzig (J.C. Hinrichs) 1881. 10 Niedersächsisches Staatsarchiv Aurich: Rep. 140 I / Nr. 68 / Vol. II („Protocoll über die Maturitätsprüfung“ vom 18. 3. 1836). 11 SUB Göttingen, Handschriftenabteilung: Nachlass Jhering, COD.MS. Jhering 9:1, braunes Notizbuch, S. 18.

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er Jahrzehnte später, „war für mich der Gedanke einer Literatenexistenz für immer abgethan, denn in Göttingen war dafür gesorgt, daß derselbe keine weitere Nahrung fand…“.12 So sah er das rückblickend. Als er nach Göttingen fuhr, hatte er seinen Traum vom Dichterleben aber noch nicht aufgegeben. Aus zwei Gründen verwarf er ihn. Erstens entdeckte er sein Interesse an der Jurisprudenz. Nämlich im PandektenPraktikum des jungen Extraordinarius Heinrich Thöl, mit dem Jhering sich anfreundete. Bei der Anwendung auf lebensnahe Fälle erhielten die juristischen Begriffe und Dogmen plötzlich Sinn und Gestalt für ihn.13 Zweitens erhielt er in Göttingen Besuch von einem abgerissenen Landstreicher, den er für einen Bettler hielt, bevor er in ihm Friedrich Hebbel erkannte. So wollte er nicht enden. Arm zu sein, hätte er ertragen, nicht aber, verachtet zu werden. Fortan hielt er die Literatenexistenz nicht mehr für erstrebenswert. Ihn tröstete die Aussicht, als Beamter nebenbei schriftstellern zu können. Mit dem Studium konnte es ihm nun nicht schnell genug gehen. Zweimal arbeitete er gründlich das ganze Corpus Juris durch, Puchtas aufgeschlagenes Pandekten-Lehrbuch daneben.14 Nach vier Semestern meldete er sich zum Beamtenexamen an. Das hannoversche Ministerium ließ ihn aber nicht zu. Der Grund: Vor ihm war bereits sein älterer Bruder Beamter geworden, und nur ein Mitglied ostfriesischer Familien konnte in den höheren Staatsdienst treten.15 Auf Rat seines Gymnasiallehrers Wilhelm Reuter entschloss sich Jhering zur Hochschulkarriere. Die Mutter war dagegen. Ihr schien das Leben eines Universitätslehrers kaum besser als eine Literatenexistenz. Ihr Sohn, bestimmte sie, müsse Advokat werden. Er ging nach Berlin. „Jeder steht da in der Welt, wo er stehen will,“ sagte er.16 Nicht irgendein Hochschuldozent, ein berühmter Gelehrter wollte er werden. Der Zufall kam ihm zu Hilfe. Aus der Studentenzeit kannte Reuter einen Juraprofessor in Berlin. Er hieß Friedrich Rudorff und war der engste Vertraute von Friedrich Carl von Savigny, dem König der deutschen Jurisprudenz. Das Empfehlungsschreiben des Gymnasiallehrers öffnete das Tor zur wichtigsten Professorenschmiede Deutschlands. Rudorff gefiel der junge Ostfriese. Er wurde sein Mentor und Doktorvater. Sein Rat lautete, das Advokatenexamen

12 Mitteilung Jherings an Emil Kuh, wörtlich abgedruckt in dessen Biographie Friedrich Hebbels. 1. Band. Wien und Leipzig (Wilhelm Braumüller) 1877, S. 355–361. 13 Rudolf Jhering: Civilrechtsfälle ohne Entscheidungen. Erstes Heft. Leipzig (Breitkopf & Härtel) 1847, Widmung und Vorrede S. VIII. 14 SUB Göttingen, Handschriftenabteilung: Nachlass Jhering, COD.MS. Jhering 8, 9; Stiftung Preußischer Kulturbesitz Berlin, Handschriftenabteilung: Nachlass Jhering, 2 h 1870, Nr. 7. 15 Helene Ehrenberg (Hrg.): Rudolf von Jhering in Briefen an seine Freunde. Leipzig (Breitkopf & Härtel) 1913. S. 214f. 16 Stiftung Preußischer Kulturbesitz Berlin, Handschriftenabteilung: Nachlass Jhering, 2 h 1870, Nr. 7. S. 16.

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ganz zu vergessen und sich voll auf die Wissenschaft zu konzentrieren.17 Damit war Rudolf der Mutter gegenüber gerechtfertigt. Mit 23 promovierte er, sechs Monate danach erwarb er die Venia Legendi. Inzwischen hatte Savigny die Fakultät verlassen, um Minister zu werden. Seinem Nachfolger Georg Friedrich Puchta imponierte Jherings juristische Kreativität. Endlich ein junger Rechtswissenschaftler, der den Mut hatte, „ausgetretene Wege“ zu verlassen!18 Jhering fühlte sich verstanden. Schon lange, bevor er Puchta kennenlernte, hatte er dessen Schriften bewundert. Nun schloss er sich ihm an und weihte ihn in das Projekt ein, von dem er sich den Durchbruch in die erste Reihe akademischer Juristen versprach. Er wollte ein Buch über den Geist des römischen Rechts schreiben.19 Erinnern wir uns daran, was man im 19. Jahrhundert unter „Recht“ verstand. Nicht eine Summe geltender Gesetze, sondern einen in Jahrhunderten gewachsenen Teil der Kultur, der sich wandelt, aber nicht willkürlich verändert werden kann. Nicht der Gesetzgeber machte das Recht, sondern das Recht gab dem Gesetzgeber auf, was er zu machen hatte. Auf die Frage, wie Recht entsteht, hatte Friedrich Carl von Savigny geantwortet, es entwickle sich ähnlich wie die Sprache, „unbewusst“ aus „dem Volksgeist“. Organisch wie eine Pflanze, die wächst und sich verändert, und wie sie Bestandteil der Schöpfung. Gott selbst, glaubte man, habe dem Menschen das Gefühl für das Richtige mitgegeben, nämlich mit der Stimme des Gewissens. Da die Existenz Gottes unbestritten war, fragte die Wissenschaft nicht weiter. Noch Puchta beließ es bei dem Hinweis auf die Zehn Gebote. Zu Jherings Zeit konzentrierte sich die Jurisprudenz auf die geschichtlichen Quellen und die Systematisierung des Rechtsstoffs. Den entnahm man vor allem dem römischen Recht, das man für das vollkommenste hielt. Ihm die Grundprinzipien allen Rechts zu entnehmen, hielt man für eine wichtige Aufgabe künftiger Forschung. In einer Zeit naturwissenschaftlicher Entdeckungen galt es zu beweisen, dass auch das Recht Naturgesetzen folgt. Vor allem aber sah man das Ende der Geltung des römischen oder „gemeinen“ Rechts voraus und wollte sicherstellen, dass alle seine wesentlichen Elemente in die zukünftige Gesetzgebung einfließen. Für Jhering bot sich die Chance, diese im Raum stehende Aufgabe als erster zu lösen. Schon während seines Studiums in Göttingen war er auf die Idee gestoßen. Unter den Büchern, die er sich aus der Universitätsbibliothek geholt hatte, befand sich Gustav Hugos Übersetzung 17 Brief Jherings an Wilhelm Reuter vom 17. Dezember 1840. Upstalsboom-Blätter, VI. Jahrgang. Emden 1916/17. S. 80. 18 Humboldt-Universität Berlin, Handschriftenabteilung: Akte 140 der Juristischen Fakultät („Habilitationen und Nostrificationen der Privatdocenten“), Blatt 73/74. 19 Rudolf Jhering: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Erster Theil. Leipzig (Breitkopf und Härtel) 1852. S. V der Vorrede.

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der historischen „Übersicht über das römische Recht“ von Edward Gibbon. Im Vorwort beschwor Gustav Hugo die Vision von einem noch zu schreibenden Werk „über den Geist des römischen Rechts“. Hugo schwärmte davon, „wie herrlich und schön das römische Recht sich bearbeiten ließe, wenn man die Bahn, die Montesquieu eigentlich nur entdeckt hat, ginge…“20 Jhering war entschlossen, dieser Bahn zu folgen. So zwingend schien ihm die Aufgabe, das er fürchtete, jemand könne ihm zuvorkommen. Doch Puchta gefiel die Idee gar nicht. Das Thema sei zu „allgemein“, sagte er. Womöglich würde ein solches Debüt Jhering den Vorwurf der Oberflächlichkeit einbringen und seinen Ruf für immer verderben. Besser sollte er Dissertation, Habilitation und eine weitere dogmatische Arbeit in einem Buch zusammenfassen und so zeigen, wie außergewöhnlich perfekt er das Pandektenrecht und die juristische Argumentation beherrscht. Davon hatte Puchta als Gutachter im Promotions- und Habilitationsverfahren einen Eindruck gewonnen. Jherings Methode, aus einem obersten Prinzip logisch deduzierend Unklarheiten zu beseitigen, passte in die Jurisprudenz der Zeit. Sie entsprach der produktiven Richtung, der Savigny neuerdings seinen Segen gegeben hatte. Jhering befolgte den Rat, ohne seinen Plan aufzugeben. Der „Geist“ sollte sein zweites Buch werden. Das bisher Geschriebene als Heft verwendend, hielt er Vorlesungen über die „Prinzipien des römischen Rechts“, und zwar publice, also umsonst. Trotzdem hatte er kaum mehr Hörer als in seinen Privatvorlesungen, die er mangels Interesse schließlich ausfallen ließ.21 Mit Honoraren für Kurzkritiken und Aufsätzen für die Berliner Literarische Zeitung hielt er sich über Wasser. Unter anderem schrieb er eine Reihe von Artikeln, in denen er seine Sicht auf die Jurisprudenz seiner Zeit zum Ausdruck brachte.22 Sein Ausblick auf die Zukunft der Rechtswissenschaft folgte weitgehend den Wegmarken, die Savigny und Puchta gesetzt hatten.23 Seine „Abhandlungen aus dem römischen Recht“ blieben weitgehend unbeachtet. Um so überraschender der Karrieresprung, den der Berliner Privatdozent schon ein Jahr nach seiner Habilitation machte. Dafür waren die mit dem Buch bewiesene Kompetenz und die Berliner Habilitation notwendige Vorausset20 Edward Gibbon: Historische Übersicht des römischen Rechts. Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Gustav Hugo. Mit einem Vorwort und einer Würdigung Gustav Hugos neu hrsg. von Okko Behrends. Göttingen (Wallstein) 1996. Dazu auch Ernst Landsberg: Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Abt. III, Hb.2. Aalen (Scientia) 1978. S. 7f. 21 SUB Göttingen, Handschriftenabteilung: Nachlass Jhering, COD.MS. 7:3. 22 SUB Göttingen, Handschriftenabteilung: Nachlass Jhering, COD.MS. 9:1. Kleines braunes Notizbuch. 23 „Die Stellung der Jurisprudenz zur Gegenwart“ und „Die historische Schule der Juristen“. In: Literarische Zeitung. Berlin (Dunker & Humblot) 1844. Eilfter Jahrgang. No. 7 vom 24. Januar 1844. – No. 13 vom 14. Februar 1844. – No. 26 vom 30. März 1844. – No. 27 vom 3. April 1844. – No. 34 vom 27. April 1844. – No. 36 vom 4. Mai 1844.

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zungen, doch zu seiner Berufung führte die Empfehlung von zwei Schweizer Bekannten aus der Göttinger Studentenzeit24. Sie schlugen ihn im Frühjahr 1845 für den Basler Lehrstuhl für römisches Recht vor. Durch die Annahme übersprang Jhering die Stufe eines Extraordinarius, er wurde sofort ordentlicher Professor.25 Auch seine nächste Station verdankte er einer persönlichen Beziehung. Sein Göttinger Lehrer und väterlicher Freund Heinrich Thöl lehrte inzwischen in Rostock. Als er hörte, wie unwohl sich sein Schüler in Basel fühlte, sorgte er dafür, dass er sein Kollege wurde.26 Kurz vor Antritt der neuen Stellung heiratete Jhering eine Freundin seiner jüngeren Schwester namens Helene Hoffmann. Mit ihr verlebte er eine unbeschwerte, von vielen fröhlichen Abenden in angeregtem Kreis erheiterte Zeit in der norddeutschen Hafenstadt, wo er selten mehr als vier Studenten unterrichtete.27 Am Weihnachtsabend 1846 hatte seine 22jährige Frau eine Fehlgeburt. Danach wollte sie nicht mehr in Rostock bleiben. Ihr zuliebe erkundigte er sich, ob in Kiel irgendwann der Lehrstuhl für römisches Recht frei werden würde. Von dieser Anfrage erfuhr der Kurator der Kieler Universität und veranlasste ohne weitere Nachfrage Jherings Berufung. Die Übersiedlung wurde auf den Herbst 1848 verschoben, weil Helene wieder schwanger war. Man wollte keine weitere Fehlgeburt riskieren. Inzwischen war in Deutschland die Revolution ausgebrochen. Seit Mitte März hielten in Rostocks Bierkellern erhitzte Männer aufrührerische Reden und sangen vaterländische Lieder. Dass sich einige Professoren darunter befanden, empörte Jhering.28 Um den „Pöbel“ in Schach zu halten, taten sich die „Gemäßigten“ zu einer Bürgerwehr zusammen und patrouillierten jeweils zu zweit in Waffenrock und Käppi, bewaffnet mit Muskete und Seitengewehr, durch die Rostocker Altstadt. Dafür war Jhering nicht zu haben. Auch nicht für den Rostocker Konstitutionellen Verein, zu dessen Gründern Freund Thöl gehörte. Die politische Entwicklung verfolgte Jhering mit Interesse, da er ein feuriger Befürworter der deutschen Einigung war. Für die Radikalen, wie man die Demokraten nannte, hatte er keinerlei Verständnis. Seine Stimme gehörte den konstitutionellen Liberalen, die im kurzlebigen ersten deutschen Parlament die gemäßigt konservative Casino-Partei bildeten. Es fiel auf, dass er nicht aktiv 24 Emanuel Burckhardt und Rudolf Johann Jakob Bachofen. 25 Staatsarchiv Basel: Z 11 (Erziehungsakten). – Für die Berufung ausschlaggebend war ein sehr positives Gutachten von Johann Jakob Bachofen, abgedruckt in: Johann Jakob Bachofen. Gesammelte Werke. Hrg. von Harald Fuchs u. a. – Band X (Briefe) Basel-Stuttgart 1967; Nr. 29, S. 51f. 26 Archiv der Universität Rostock: Acta personalia Rudolph Jhering. 27 Karl Alfred Hall (Hrg.): Erinnerungen einer alten Rostockerin an Rudolf von Ihering. In: Göttinger Jahrbücher 1955/56, S. 85–92. 28 Erinnerung eines mit „T“ zeichnenden ehemaligen Studenten im Unterhaltungsblatt der Berliner Neuesten Nachrichten Nr. 328 vom 2. 7. 1882. Leicht verändert nachgedruckt in der 1. Beilage des Berliner Courier Nr. 86 vom 18. 7. 1882, S. 2.

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wurde. Ein Freund und Kollege, der Historiker Karl Hegel, meinte, Jhering halte sich heraus, weil er als Jurist Rücksicht auf Gesetz und Ordnung nehmen müsse. Der wahre Grund war jedoch eine persönliche Tragödie, die ihn blind und taub für alles andere machte. Im April brachte seine Frau einen gesunden Jungen zur Welt, doch kurz darauf starb sie und wenig später auch das Kind. Jhering war am Boden zerstört. Die erfolgreichen März-Aufstände ermutigten die Schleswig-Holsteiner zur Erhebung gegen die Dänen. Das verzögerte Jherings Umzug nach Kiel. Erst im Sommer 1849 trat er dort seine neue Stellung an. Sich nach Häuslichkeit sehnend, ging er eine neue Ehe ein. Ida Frölich war die Tochter eines Advokaten aus Schleswig, den er vor Jahren zufällig auf einer Reise durch die Schweiz kennengelernt hatte.29 Obwohl er das Manuskript seines Werks über den Geist des römischen Rechts noch bei weitem nicht fertiggestellt hatte, bot er das Projekt nun einem Verlag an.30 Vermutlich wollte er sich damit selbst unter Druck setzen. Sechs Jahre war er nun Professor. In dieser Zeit hatte er außer einer Fallsammlung für seine praktischen Übungen31 und der Herausgabe des Lehrbuchs eines verstorbenen Kieler Kollegen32 nichts veröffentlicht. Unbekannt war er aber nicht mehr in der Fachwelt. Nach und nach hatte er mit führenden Rechtswissenschaftlern Kontakte geknüpft, teilweise brieflich, teilweise durch Begegnungen. Seiner Persönlichkeit gelang es fast immer, bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Unter anderem war er der Freund von Karl Friedrich Gerber geworden. Als dieser den Lehrstuhl für deutsches Recht an der Universität Gießen angeboten bekam und erfuhr, dass dort auch ein Professor für römisches Recht gesucht wurde, schlug er Jhering vor. Der nahm 1852 den Ruf an, hauptsächlich, um in Gießen gemeinsam mit Gerber eine neue juristische Richtung auszurufen.33 Gerber entschied sich allerdings im letzten Moment gegen Gießen, um nach Tübingen zu gehen. Trotz dieser Enttäuschung erwies sich die hessische Kleinstadt als glückliche Wahl für Jhering. Hier entstanden alle vier veröffentlichten Teile des „Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung“. Mit Gerber kam es trotz räumlicher Trennung zu einer engen 29 Briefe Jherings an Gerber vom 12.11./5. 12. 1849 und 23. Mai 1850. Mario G. Losano: Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber. Teil 1. Ebelsbach (Gremer) 1984. S. 3–6 und 9– 13. – Brief Jherings an den Advokaten Frölich vom 7. 5. 1849 in Helene Ehrenberg (Hrg.): Rudolf von Jhering in Briefen an seine Freunde. Leipzig (Breitkopf & Härtel) 1913. S. 3–6. 30 Ehrenberg, Briefe, S. 8. 31 Rudolf Jhering: Civilrechtsfälle ohne Entscheidungen. Zu akademischen Zwecken herausgegeben. Leipzig (Breitkopf und Härtel) 1847. 32 Niels Nikolaus Falck: Juristische Encyklopädie, auch zum Gebrauch bei akademischen Vorlesungen. Nach des Verfassers Tode herausgegeben von Rudolf Jhering. Fünfte, verbesserte Ausgabe. Leipzig (Verlags-Magazin) 1851. 33 Briefe Jherings an Gerber vom 13. 6. 1851, 31. 7. 1851 und 8. 8. 1851. Losano, Jhering – Gerber. Teil 1. (FN 29) S. 21–27 und S. 30–32.

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Zusammenarbeit. Gemeinsam gründeten die beiden als Organ ihrer dogmatischen Methode die „Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts“. In dem glänzend formulierten Programm dieser Zeitschrift forderte Jhering eine „productive Jurisprudenz“, welche die bisherige „receptive“ Richtung ablösen müsse.34 Die eigene Publikation zwang ihn zu Beiträgen, die diesem Programm entsprachen. Sie begründeten seinen Ruf als Dogmatiker. Was er propagierte, war nicht eigentlich neu. Er dachte nur Puchtas Theorien weiter, indem er die „logische“ Behandlung des Rechts auf die Spitze trieb. Die Erläuterung dieser Methode erfolgte im ersten Band des „Geist“.35 Freilich ermahnte er sich und seine Leser wiederholt, darüber das „Leben“ nicht aus den Augen zu verlieren. Von der Erforschung der „Mathematik des Rechts“ versprach er sich einen Dienst am Leben.36 Die Konstruktionsjurisprudenz, meinte er, würde auf aktuelle Fragen der Praxis jederzeit eine definitiv gültige Antwort geben können. Bei seiner Ankunft in Gießen bestand die Familie aus ihm, seiner Frau Ida und dem einjährigen Hermann. In den folgenden Jahren wuchs sie um die Tochter Helene und die Söhne Friedrich, Albrecht und Rudolf. Jhering war ein strenger, aber liebevoller Vater. Schon in Rostock hatte er sich einen Flügel gekauft, an dem er häufig saß. Seine Kinder mussten alle ein Musikinstrument erlernen.37 Unzufrieden mit dem Niveau des lokalen Musiklebens, engagierte er sich im Gießener Musikverein. Dank Jhering, schwärmten Musikbegeisterte noch 30 Jahre später, erlebte das Gießener Musikleben damals einen „nie gekannten“ Aufschwung.38 Auf einen Ruf an eine größere Universität wartete er vergebens. Er träumte davon, irgendwann in Heidelberg zu lehren. Mit seinen Gießener Freunden, zu denen ein Musiker, ein Chemiker und ein Physiker gehörten, spielte er mindestens einmal in der Woche Whist und Hombre. Sein Weinkeller wurde gerühmt. Die Zahl der auswärtigen Kollegen, die in Gießen Halt machten, um ihn zu treffen, wurde von Jahr zu Jahr größer. Die meisten kannten Jhering von den seit 1860 stattfindenden Treffen des Juristentags, den er mitbegründet

34 Rudolf Jhering: Unsere Aufgabe. In: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Erster Band (1857), Abhandlung I (S. 1–52), S. 4. Der Artikel erschien bereits 1856. Nachdruck in: Rudolf von Jhering: Gesammelte Aufsätze aus den Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Jena (Gustav Fischer) 1881. 35 Rudolf Jhering: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Bd. I, Leipzig (Breitkopf & Härtel) 1852. S. 26ff. 36 Ebenda, S. 46. 37 „In meinem Haus herrscht die musikalische Wehrpflicht.“ Rudolf Leonhard, Ein Nachruf für Jhering und Windscheid. S. 254. 38 Friedrich von Jhering: Zur Gießener Wirksamkeit Rudolf von Jherings. In: Rudolf von Jhering (1852–1868). Briefe und Erinnerungen. Berlin 1904 (H.W. Müller), S. 89.

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hatte und jährlich vorbereitete. Auch seine regelmäßigen Kuraufenthalte führten zu engen persönlichen Kontakten mit führenden Rechtswissenschaftlern.39 Im Dezember 1858 wurde ihm eine Spruchsache zur Begutachtung vorgelegt. Es ging um die teilweise doppelt verkaufte Ladung eines untergegangenen Schiffs.40 Der Verkäufer forderte den Kaufpreis vom ersten Käufer, dessen Anspruch er durch den zweiten Verkauf verletzt hatte. Zur Begründung verwies er auf einen dogmatischen Aufsatz, der genau diesen Fall im Sinne des Klägers entschieden hatte. Der Autor des Aufsatzes war Jhering. Jetzt nannte sein Rechtsgefühl die damals theoretisch gefundene Lösung falsch. Im Ringen um die Entscheidung erwies sich dieses kaum fassbare Gefühl als überlegen. Jhering verwarf seine frühere Meinung. Eine dogmatische Begründung für seinen neuen Standpunkt zu finden, fiel ihm nicht schwer.41 Sein Gewissen als Wissenschaftler konnte sich damit freilich nicht beruhigen. Er wusste ja, dass er die Entscheidung nicht deduziert, sondern instinktmäßig getroffen und nachträglich abgesichert hatte. Seine in Jahren gewachsene Überzeugung von der Mathematik des Rechts war von einem Gefühl besiegt worden. Er nahm sich vor, dem Phänomen auf die Spur zu kommen. Was machte das Rechtsgefühl so stark, dass es die Logik des Rechts widerlegen konnte?42 Auf dem Hessischen Juristentag fasste er wenig später seine ersten Überlegungen dazu in Thesen.43 Doch bis er seine Antwort publizierte, sollte ein Jahrzehnt vergehen. Die Zeit in Gießen endete mit einem weiteren Schicksalschlag. Im September 1867 starb seine zweite Frau, die Mutter seiner fünf Kinder. Sie hatte seit Jahren an Tuberkulose gelitten, und doch war es ein Schock für Jhering, zum zweiten Mal Witwer zu werden.44 Als er kurz darauf den Ruf erhielt, den Wiener Lehrstuhl für römisches Recht zu übernehmen, akzeptierte er sofort. In Wien konnte er erstmals den Ruhm genießen, den ihm der Publikumserfolg seines Werks über den Geist des römischen Rechts verschafft hatte. Bis zu 400 Zuhörer kamen zu seinen Vorlesungen. Die höchsten Kreise der Wiener Gesellschaft bemühten sich um ihn. Mit Kindern und Bediensteten lebte und arbeitete er in 39 Max Rümelin: Rudolf von Jhering. Rede gehalten bei der akademischen Preisverleihung am 6. November 1922. Tübingen (J.C.B. Mohr) 1922. 40 SUB Göttingen, Handschriftenabteilung: Nachlass Jhering, COD.MS. 8,10. 41 Rudolf Jhering: Beiträge zur Lehre von der Gefahr beim Kaufcontract. In: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Dritter Band (1859), S. 291– 326. 42 Okko Behrends: Das „Rechtsgefühl“ in der historisch-kritischen Rechtstheorie des späten Jhering. Ein Versuch zur Interpretation und Einordnung von Jherings zweitem Wiener Vortrag. In: Okko Behrends (Hrsg.): Rudolf von Jhering. Über die Entstehung des Rechtsgefühls. Mit einer Vorbemerkung und einem anschließenden Interpretations- und Einordnungsversuch. Napoli (Joveni) 1986. S. 55–184. 43 SUB Göttingen, Handschriftenabteilung: Nachlass Jhering, COD.MS. Jhering 16:8. 44 Brief Jherings an Gerber vom 4. 9. 1867. Losano, Jhering – Gerber. Teil. 1. (FN 29) S. 634f.

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einer geräumigen und ruhigen Wohnung in Wien-Landstraße. Seine kulturellen, insbesondere musikalischen Bedürfnisse wurden befriedigt wie nie zuvor. Sein Glück war vollkommen, als seine Kinder akzeptierten, dass er deren Erzieherin Luise Wilders zu seiner dritten Ehefrau machte. Die Hochzeit fand im Sommer 1869 statt.45 Ein halbes Jahr später schlug die Stimmung um. Jhering klagte über das Wiener Klima. Das meinte er nicht nur meteorologisch. Seine Unzufriedenheit hatte einerseits mit der politischen Entwicklung zu tun – die von ihm lange erhoffte deutsche Einigung stand bevor, und zwar ohne Österreich. Andererseits quälte er sich mit der Arbeit am „Geist“. Er kam nicht weiter. Verantwortlich machte er die Ablenkungen der Stadt und die „Wiener Luft“. In Wahrheit konnte er das anstehende Kapitel über die „Allgemeine Theorie der Rechte“ nicht schreiben, weil sich seine Überzeugung geändert hatte.46 Vollends schmetterte ihn die Nachricht nieder, bei der Neubesetzung des endlich vakant gewordenen Lehrstuhls in Heidelberg übergangen worden zu sein. Statt ihm hatte Bernhard Windscheid den Ruf erhalten.47 Im Sommer 1870 brach der Krieg zwischen Deutschland und Frankreich aus. Fiebernd vor Begeisterung über die militärischen Erfolge der wiedervereinten Deutschen wurde Jhering zum ergebenen Bewunderer Bismarcks.48 Für die österreichische Neutralitätspolitik fand er nur Worte des Abscheus. Während der Wiener Jahre änderte sich seine Überzeugung von der Natur des Rechts. Um eine Abkehr von Logik und Systematisierung ging es nicht. Nur den Glauben an die absolute Unfehlbarkeit logischer Schlussfolgerungen im Recht hatte er verloren. Dahin war die Illusion, mit Begriffen rechnen zu können. Die Ernüchterung hatte zur Folge, dass er sich von seinem Vorbild Puchta löste und zum ersten Mal völlig eigenständig theoretisierte. Seine neue Überzeugung entstand fast zufällig. Für den „Geist“ waren die substantiellen „Momente des Rechts“ abzuhandeln. Dabei stieß er auf den Zweck. So interessant schien ihm dessen Einfluss auf die Rechtsgestaltung, dass er unabhängig vom „Geist“ eine längere Abhandlung über das Zweckmoment im Recht schreiben wollte. Beim Nachdenken darüber kam er zu dem Schluss, dass es sich beim Zweck nicht bloß 45 Dazu Herbert Hofmeister: Jhering in Wien. In: Rudolf von Jhering. Beiträge und Zeugnisse aus Anlass der einhundertsten Wiederkehr seines Todestages am 17. 9. 1992, herausgegeben von Okko Behrends. Göttingen (Wallstein Verlag) 1992. S. 38–48. 46 SUB Göttingen, Handschriftenabteilung: Nachlass Jhering, COD.MS. Jhering 19:1 (Große schwarze Mappe). 47 Brief Jherings an Oskar Bülow vom 11. Oktober 1870. Staatsbibliothek zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung. Sammlung Darmstädter. Bülow 2 h 1880. 48 Briefe Jherings an Gerber vom 27. März 1870 und 14. Juli 1870. Losano, Jhering – Gerber. Teil 1. (FN 29) S. 662 bzw. 671. – Briefe Jherings an Oskar Bülow vom 9. August, 23. August, 15. September, 9. November 1870, 31. Januar und1 4. Februar 1872. Stiftung Preussischer Kulturbesitz Berlin. Handschriftenabteilung: Sammlung Darmstädter. Bülow 2 h 1880.

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um ein „Moment“ des Rechts handelte. Vielmehr glaubte er, den „Urgrund“ entdeckt zu haben, das „oberste gestaltende Princip“ des subjektiven Rechts.49 Uns Heutigen fällt schwer zu verstehen, welches Wagnis Jhering mit der Propagierung dieser Idee einging. Da er den Rechtsbegriff nicht mehr wie die übrige Jurisprudenz direkt aus dem menschlichen Willen erklärte, sondern als Schutz von „Interessen“ beschrieb, verstieß er gegen eine ungeschriebene Regel. Nach ihr waren außerjuristische Zwecke nicht Sache der Rechtswissenschaft. Von den Vertretern und Anhängern der „Pandektistik“, zu denen außer ihm so gut wie alle deutschen Professoren, Richter und Anwälte gehörten, konnte Jhering nur Ablehnung erwarten. Er war nicht länger besser als andere, er war anders als diejenigen, welche sich für besser hielten. Vielleicht wählte er deshalb den frontalen Angriff. Die herrschende, von ihm nun abgelehnte konstruktive Methode erklärte er für grundfalsch.50 Aus Wien erlöste ihn Heinrich Thöl. Sein alter Freund lehrte nun wieder in Göttingen. Von dort richtete er namens des Rektorats eine Voranfrage an Jhering. Der stellte atemberaubende Bedingungen.51 Das jetzt zuständige preußische Ministerium in Berlin wollte ihn aber auf jeden Fall haben und ging auf alle Forderungen ein. „Wie freue ich mich,“ meinte Jhering, als der Wechsel nach Göttingen feststand, „wenn ich mich dort ganz so, wie einst in Gießen, in meinen Geist einspinnen kann – das soll mir eine Lust und Freude sein, die mich für alles, was ich sonst entbehre, schadlos halten wird.“52 Er bereitete schon seine Übersiedlung vor, als man ihn im Frühjahr 1872 einlud, vor der Wiener Juristischen Gesellschaft einen Vortrag zu halten. Als Thema wählte er die Bedeutung der Rechtsverwirklichung. Dafür fand er einen Titel, der in die Zeit passte: „Kampf ums Recht“. Zum Essay überarbeitet, ging der Vortrag als kleine Broschüre in den Druck.53 Unerwartet traf die Schrift einen Nerv der Bildungsbürger. Auflage um Auflage erschien, zahlreiche Übersetzungen folgten. Innerhalb kurzer Zeit machte das Buch Jhering zu einem der bekanntesten deutschen Rechtswissenschaftler. Mit seiner Popularität kam die oft vermisste akademische Anerkennung. Auf einmal trafen „unausgesetzte Berufungen“ ein, unter anderem aus Berlin und dem langersehnten Heidelberg.54 Doch Jhering hatte sich für Göttingen entschieden und blieb dabei. Wien entließ 49 SUB Göttingen, Handschriftenabteilung: Nachlass Jhering, COD.MS. Jhering 5:1–4; 7:2; 8:3; 14:4,7,8,9; 15:3; 16:1,4,6,8,9,11; 17:2. 50 Rudolf von Jhering: Der Besitzwille. Zugleich eine Kritik der herrschenden juristischen Methode. Jena (Gustav Fischer) 1889. S. XII. 51 Brief Jherings an Gerber vom 10. Oktober 1871. Losano, Jhering – Gerber. Teil 1. (FN 29) S. 684f. 52 Brief Jherings an Bernhard Windscheid vom 31. März 1872. Ehrenberg Briefe, S. 279. 53 Rudolf von Jhering: Der Kampf ums Recht. Wien (G.J. Manz) 1872. 54 Brief an Oskar Bülow vom 16. Juni 1872. Ehrenberg Briefe S. 283.

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ihn mit einer noblen Geste: Kaiser Franz Joseph erhob den scheidenden Professor zum Dank für erwiesene Dienste in den erblichen Ritterstand.55 Anfang Juli 1872 bezog der geadelte Mitfünfziger eine Villa in Göttingen, die in einer Gartenlandschaft vor der Stadt lag.56 Hier entstand der „Zweck im Recht“, Jherings Versuch, seine neue Auffassung wissenschaftlich zu begründen. Um die Entstehung gesellschaftlicher Normen zu beschreiben, glaubte er ein Panorama der menschlichen Entwicklung ausbreiten zu müssen. Dass er sich zu viel vorgenommen hatte, mochte er sich nicht eingestehen. Er hielt an dem Vorsatz fest, nach dem Abschluss vom „Zweck im Recht“ den noch fehlenden Teil vom „Geist des römischen Rechts“ zu liefern. Trotzdem nahm er sich auch noch Zeit für zahlreiche andere schriftstellerische Aufgaben wie Gutachten, Vortragsmanuskripte und dogmatische Abhandlungen. Über mangelnde Produktivität konnte er wirklich nicht klagen. Auch sonst ging es ihm besser denn je. Sein exorbitantes Göttinger Gehalt wurde durch Honorare für Gutachten und Hörgelder noch vermehrt. Die Kollegen achteten ihn. Sein Ruhm lockte Studenten aus aller Welt an, hervorragende Talente und einflussreiche Adelige. Die Universität gab ihm alle Freiheiten, die er wünschte. Zu seinem siebzigsten Geburtstag kamen Gratulanten und Grußadressen aus allen Himmelsrichtungen. In vielen Zeitungen des In- und Auslands erschienen Würdigungen seines Lebenswerks. Bismarck gratulierte mit persönlichen Zeilen. Sich selbst schenkte Jhering eine umfangreiche Monographie mit dem Titel „Der Besitzwille“.57 Das klang harmlos, doch das Buch war eine Kampfschrift. Am zentralen juristischen Thema des 19. Jahrhunderts, dem Besitz, glaubte Jhering die Überlegenheit seiner „realistische Methode“ beweisen zu können. In einem Alter, in dem andere sich im Glanz früherer Leistungen sonnen, wurde er aktiver denn je. Neben der Weiterarbeit an seinen beiden unvollendeten Hauptwerken schrieb er Artikel für juristische und populäre Zeitschriften, den ersten Teil einer Entwicklungsgeschichte des römischen Rechts und eine fast 500seitige „Vorgeschichte der Indoeuropäer“58. Doch sein Körper ließ ihn zunehmend im Stich. Unterleibsschmerzen und Atemnot quälten ihn. Seine Ärzte verschwiegen ihm, dass er unter Darmkrebs litt. Sie behandelten ihn mit Äthertropfen und Cham-

55 Österreichisches Staatsarchiv, AVA: Bestand Unterrichtsministerium 4 Jus Jhering. Adelsakte Jhering 1872. 56 A. Arndt: Bergmanns Haus und Garten. In: Göttinger Monatsblätter, Jahrgang 1984, Heft 5. S. 9f (10). 57 Jhering: Besitzwille (FN 50). 58 Rudolf von Jhering, Entwicklungsgeschichte des römischen Rechts. Einleitung. Verfassung des römischen Hauses. Aus dem Nachlass herausgegeben von Victor Ehrenberg. Leipzig (Breitkopf & Härtel) 1894. – Rudolf von Jhering: Vorgeschichte der Indoeuropäer, aus dem Nachlass herausgegeben von Victor Ehrenberg. Leipzig (Breitkopf & Härtel) 1894.

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pagner. Am späten Nachmittag des 17. September 1892 starb Rudolf von Jhering an Herzversagen, trotz aller Vorzeichen überraschend. Bleibt die Frage nach seinem internationalen Ruhm und die interdisziplinäre Beachtung seiner Forschungen. Grund sind nicht seine beachtlichen Leistungen als Dogmatiker, obwohl er auf diesem Gebiet in die erste Reihe gehört. Seine Breitenwirkung und seinen Erfolg über die Grenzen der deutschen Jurisprudenz hinaus verdankt Jhering drei Werken, von denen eines eine Gelegenheitsschrift ist und zwei unvollendet blieben: „Kampf ums Recht“, „Geist des römischen Rechts“ und „Zweck im Recht“. Was diese Bücher besonders macht, ist neben dem Inhalt ihr Stil. Mit zwanzig hatte Jhering davon geträumt, ein berühmter „Literat“ zu werden.59 Als Juraprofessor verwirklichte er diesen Traum. Sein schriftstellerisches Talent ermöglichte ihm, anschaulich und lebendig zu schreiben. So entstanden Fachbücher, die Literatur sind. Vor allem deshalb haben sie ein breites Publikum erreicht, und das weit über den deutschen Sprachraum hinaus. Die Jurisprudenz seiner Zeit schätzte seine dogmatischen Arbeiten weit mehr, mit den drei genannten Werken konnte sie nicht viel anfangen. Der „Geist“ wurde bei seinem Erscheinen von der Fachpresse ignoriert. „Kampf“ und „Zweck“ nannten nicht wenige Kollegen unwissenschaftlich. Von der leichten Lesbarkeit schloss man auf einen seichten Inhalt.60 Dabei hat es dieser Inhalt in sich. Seit über 100 Jahren regt er zu juristischen Monografien an. Als Biograf möchte ich hinzufügen, dass sich in Jherings Schriften die Zeit spiegelt. Da entdecke ich Gedanken der Aufklärung aus seinem Schullesebuch. Im „Geist“ finde ich den Traditionsglauben der Romantik, Spuren von Hegels Dialektik und Idealismus, die Weltsicht aus Lessings „Erziehung des Menschengeschlechts“ und den Realismus der Bismarckzeit. Aus allen drei Werken leuchtet der Fortschrittsoptimismus einer Welt, die Zeuge einer rasanten Entwicklung von Technik, Physik und Chemie war. Jherings Denken ist Teil einer Kultur, die aus einem schönen Traum erwachend aufhört zu beten und zu träumen und den „Realismus“ entdeckt. Weil dieser Gelehrte mehr war als ein auf die Pandekten fixierter „Stockjurist“, konnte er das Jahrhundert in seine Wissenschaft tragen. Ihm war das bewusst. „Ich habe die Luft meiner Zeit eingeatmet, ohne im Stande gewesen zu sein, über jeden Atemzug Buch zu führen; ich weiß nur, dass ich alles, was ich geben werde, der Zeit verdanke, in der ich lebe, ich fühle mich nur als

59 Nach dem Vorbild Friedrich Hebbels. Kuh (FN 10). 60 Ernst Eck: Zur Feier des Gedächtnisses von B. Windscheid und R. von Jhering, Vortrag gehalten in der juristischen Gesellschaft zu Berlin am 17. December 1892, Berlin (C. Heymann) 1893. S. 33.

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Punkt, in dem der Gedankenstoff der Zeit vorübergehend persönlich Gestalt gewonnen hat.“61

61 Rudolf von Jhering. Der Zweck im Recht, Zweiter Band, Leipzig (Breitkopf & Härtel) 1883. S. 176.

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Rudolf von Ihering, Deventer Honigkuchen und Schiedammer Jenever. Zeitzeugnisse aus den Niederlanden

Zeitungsberichte, akademische Reden, Briefwechsel1 und die Ankündigungen von Bucherscheinungen bezeugen, dass Rudolf von Jhering in den Niederlanden kein Unbekannter war.2 Sein Name wird dort oft Ihering geschrieben, also in der älteren deutschen Schreibweise.3 Seine Werke wurden gelesen und Fachzeitschriften, allgemeine Zeitungen und Jahrbücher berichteten regelmäßig über Neuerscheinungen Jherings4, seine juristischen Ansichten und von seinen Besuchen in den Niederlanden.5 Seine humorvollen Schriften wurden geschätzt und anerkennend wurde vom „geistreichen“ Jhering berichtet.6 In vielen Berichten über Jhering wird auf seine ostfriesische Herkunft verwiesen und so kommt es, dass er eigentlich als halber Holländer wahrgenommen wird.

1 Jhering nutzte wie viele seiner Zeitgenossen das Briefeschreiben zum Aufbau und zum Erhalt eines weitreichenden wissenschaftlichen Netzwerkes und seine Briefwechsel mit Kollegen im Ausland würden leicht einen Band füllen, wie jene bereits erschienen in der Reihe Juristische Briefwechsel des 19. Jahrhunderts, herausgegeben von B. Dölemeyer und A. Mazzacane im Vittorio Klostermann Verlag; Frankfurt am Main. 2 Mein besonderer Dank geht an Bastiaan D. van der Velden, Open Universiteit in Heerlen, für das Mitdenken, Archive besuchen und die Unterstützung bei der Literatursuche und Auswertung. 3 Jhering benutzte selber die Schreibweise Jhering. 4 So wurde zum Beispiel im Weekblad van het Regt am 1. April 1872, No. 3436, 4, angekündigt: Ihering-, Hofr. Prof. R., Geist des römischen Rechts, auf den verschiedenen Stufen seiner Entwickelung, 3 Thl., 1 Abtd. 2 verb. Aufl., gr. 8°., 334 Seiten. 5 So ist ein Gegenbesuch bei Sybrand Jan Hingst in Amsterdam belegt (P. R. Feith, ‚Levensbericht van Mr. S.J. Hingst‘, Jaarboek van de Maatschappij der Nederlandse Letterkunde, 1890, 102) und die Teilnahme an der Dreihundertjahr-Feier der Universität Leiden und zwei weitere Reisen. 6 Im Weekblad van het Regt vom 19. Februar 1892, No. 6138, 4, wurde die Dissertation von P. H. Loeff besprochen. Die Rezension beginnt mit einem Verweis auf den „geistreichen“ Jhering, der in seiner von skeptischem Humor kribbelnden Schrift „Scherz und Ernst in der Jurisprudenz“ vermerkt: „dasz man erst den Glauben an die Theorie vollständig verloren haben muss um ohne Gefahr sich ihrer bedienen zu können“. Anschliessend folgen kritische Worte zum Theorieglauben des Dissertanten. Der Verfasser der Besprechung ist J. Limburg.

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Jhering: ein Ostfriese Seine ostfriesische Abstammung machte Jhering zu einem Brückenbauer par excellence zwischen der deutschen und niederländischen Rechtswissenschaft. Die Geburtsstadt Jherings, Aurich7, war in der Zeit Napoleons nämlich zunächst von 1807 bis 1810 unter holländischer Verwaltung. Am 11. November 1807 wurde Ostfriesland Teil des Königreichs Holland und auch das holländische Steuersystem wurde eingeführt. Der Vater Jherings, Rudolph Georg Albrecht Jhering (1779–1825), war Jurist und übersetzte und veröffentlichte die niederländischen Steuergesetze.8 Seine Abhandlung Kurze Uebersicht der sämmtlich in dem Königreich Holland bestehenden Abgaben9 wurde seine Dissertation. Er promovierte mit der Schrift an der weit entfernt gelegenen juristischen Fakultät der Universität Erlangen zum Dr. jur. und im Jahre 1809 wurde er Direktor der Abteilung für Erbschaftssteuer in Ostfriesland. Leider fand sich für seine Expertise nur kurze Zeit Verwendung. Zusammen mit dem Königreich Holland wird Ostfriesland bereits 1810 in das Kaiserreich Frankreich eingegliedert. Nach den Niederlagen von Napoleon nimmt Preußen 1813 Besitz von Ostfriesland. Im Rahmen der Verhandlungen des Wiener Kongresses wurde Ostfriesland dann Teil des Königreichs Hannover.10 Die holländische Periode war nur von kurzer Dauer, wird sich aber doch prägend auf die Familie Jhering ausgewirkt haben. Aufgrund seiner Arbeit wird Jherings Vater mit der niederländischen Sprache vertraut gewesen sein und dadurch wird vielleicht auch der Sohn einen leichteren Zugang zur niederländischen Sprache gehabt haben, wenn dieser auch zu einer Zeit geboren wurde, in der Aurich nicht mehr zu den Niederlanden gehörte. Michael Kunze weist nach, dass im Leseclub im Auricher Gasthof „Schwarzer Bär“ auch holländische Journale auslagen.11 Die Grenznähe der Stadt Aurich sorgte für einen Austausch mit dem Nachbarland.

7 Aurich war die Hauptstadt des Arrondissements Ostfriesland. 8 Weitere Angaben zur Geschichte der Familie Jhering und zur Beamtenschaft von Aurich sowie der wechselhaften Geschichte von Aurich bei M. Kunze, Rudolf von Jhering, Ein Forschungsbericht, in Der Kampf ums Recht, Luf/Ogris (Hg.), Berlin, 1995, 127ff. 9 Georg Albrecht Ihering, Kurze Uebersicht der sämmtlichen in dem Königreiche Holland bestehenden Abgaben, Aurich, Tapper 1808, 272 Seiten. Für eine kurze Schrift weist sie eine beachtliche Länge auf. In seiner Einleitung sagt G.A. Ihering: „Da das Departement Ostfriesland dem Königreiche Ноlland jetzt einverleibet ist, und mit dem ersten Januar 1809 dasselbe Abgaben-System darin eingeführet werden soll; so ist es jedem Einwohner dieses Departements wichtig, dasselbe einigermaßen vorher in einer kurzen Übersicht kennen zu lernen, und ist die Erleichterung dieser Kenntnifs der Zweck dieser Blätter.“ 10 Neuer Nekrolog der Deutschen, Ilmenau: Voigt 1825, Teil 2, 1147f. 11 M. Kunze, Rudolf von Jhering, Ein Forschungsbericht, in Der Kampf ums Recht, Luf/Ogris (Hg.), Berlin, 1995, 128 und 129.

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Weekblad van het Regt Eine Fülle von Einträgen12 zum Namen Jhering findet man im Weekblad van het Regt.13 Das Weekblad14 erschien direkt nach dem Inkrafttreten des neuen Bürgerlichen Gesetzbuches der Niederlande seit 1839 und war eine Zeitschrift mit einer völlig neuen Konzeption. Die Zeitschrift beinhaltete zumeist einen Leitartikel, Gerichtsentscheidungen sowie Besprechungen von Büchern. Daneben finden sich vermischte kleine Beiträge und Mitteilungen und sogar hin und wieder übersetzte Auszüge von Beiträgen aus fremdsprachlichen Fachzeitschriften. Ab und zu ziert ein fremdsprachliches Zitat den Auftakt eines Artikels, insgesamt erschien das Weekblad aber rein auf Niederländisch, nur sehr selten findet sich ein deutsches Zitat, welches mehrere Zeilen vereinnahmt. Auf der letzten Seite der dünnen, meist vier oder acht Seiten umfassenden Zeitschrift sind in der Regel einige Anzeigen zu finden, zumeist von Buchhändlern, die hier auch auf deutsche neuerschienene Bücher hinweisen. Das renommierte Weekblad van het Regt, welches sich im Untertitel Rechtskundiges Neuigkeiten- und Annoncenblatt nannte, berichtete auf verschiedenste Weise über die Werke Rudolf von Jherings.

Besonders beachtete Werke in den Niederlanden Jherings Werke wurden bereits schnell nach dem Erscheinen in den Niederlanden angekündigt, hin und wieder auch besprochen und weniges wurde auch übersetzt. Allerdings war Jhering zunächst nicht sehr bekannt in den Niederlanden15, erst mit seiner Schrift über den Kampf ums Recht wächst auch seine Bekanntheit in den Niederlanden und in den 1870iger Jahren ist er dann sehr geschätzt und hat in kürzester Zeit seinen Platz neben Savigny erobert. Einige seiner Werke waren in den Niederlanden besonders populär.

12 In der königlichen Bibliothek in Den Haag findet sich eine große Sammlung niederländischer Zeitschriften und Zeitungen. Viele von ihnen wurden in den vergangenen Jahren auch digital zugänglich gemacht, was zu einer Erleichterung bei der Recherche führt: www.delpher.nl. 13 1884 änderte die Zeitschrift ihren Namen. Der Titel veränderte von Weekblad van het regt in ‚Het Weekblad van het Recht, rechtskundig nieuws- en advertentieblad‘. Noch lange wurde es allerdings weiterhin als Weekblad zitiert. 14 Das Weekblad erschien, anders als sein Name suggeriert, zweimal und zuweilen auch dreimal in der Woche. Es berichtete über alle Rechtsbereiche und druckte Entscheidungen, nicht nur des Höchstgerichtes (Hoge Raad), ab. Die Zeitschrift etablierte sich schnell und war hoch angesehen. 15 Später werden allerdings auch seine frühen Werke sehr beachtet.

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Der Kampf ums Recht Eine Vorrangstellung hat der Kampf ums Recht. Bei weitem ist es Jherings am meisten besprochene Schrift und dies nicht nur in den Niederlanden. Der Kampf ums Recht16 wurde in den Niederlanden eingehend diskutiert und ist das einzige Buch Jherings, welches nicht nur teilweise ins Niederländische übersetzt wurde, sondern komplett. Die Königliche Akademie der Wissenschaften lud kurz nach Erscheinen zu einer Sitzung am Montag, den 12. Januar 1874, ein. Bei diesem Treffen trug R.T.H.P.L.A. van Boneval Faure (1826–1909), Professor für Zivilund Handelsrecht sowie Zivilprozessrecht an der Universität Leiden, eine Analyse des Kampfs um das Recht von Jhering vor.17 Innerhalb eines Jahres nach Erscheinen der Erstausgabe erlebte das Werk bereits seine dritte Auflage. Diese dritte Auflage wurde durch G.A. van Hamel (1842–1917) ins Niederländische übersetzt.18 Einen Auszug aus dem Vorwort zur dritten Auflage stellte Van Hamel übersetzt als Nachschrift an das Ende seines Buches mit dem Titel „De strijd om het recht.“. Der Pastorensohn Gerardus Antonius van Hamel war ein Strafrechtsjurist und betonte in seinem Vorwort vor allem den Wert der Schrift auch für den juristischen Laien. Er hob hervor, dass Jhering sein Werk einer Dame gewidmet habe19 und man wirklich hoffen solle, dass die Schrift eine weite Verbreitung finden werde. In Deutschland sei ein breites Publikum erreicht worden, was zwei schnell verkaufte Auflagen beweisen würden. Durch eine Übersetzung hoffe er, dass Jherings frische Ideen auch im Kreise der juristischen Laien nun gut zugänglich seien.20 Die niederländische Titelseite beinhaltet auch ein deutsches Zitat und so ist dort auf Deutsch zu lesen: „Im Kampfe sollst Du Dein Recht finden.“ Die Übersetzung fand gleich viel Anklang und wurde auch umgehend besprochen. In De Gids erscheint eine lange Rezension von Van Boneval Faure21, der

16 Als Vortrag gehalten am 11. März 1872 bei der Wiener Juristischen Gesellschaft. Siehe auch H. Hofmeister, Jhering in Wien, in Der Kampf ums Recht, Luf/Ogris (Hg.), Berlin, 1995, 22ff. 17 Dieser war ein Experte auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts und Autor eines einschlägigen Handbuchs. R. de Boneval Faure, Het Nederlandsche burgerlijke procesrecht, Leiden, W.T. Werst, 1871 und er war der Herausgeber der Nieuwe Bijdragen voor regtsgeleerdheid en wetgeving. 18 De strijd om het recht, door Dr. Rudolf van Ihering, hoogl. in de rechtsgeleerdheid aan de universiteit te Göttingen, naar de derde uitgave vertaald door G. A. van Hamel, Leiden, Hazenberg, 1874, 104 Seiten. 19 Gewidmet der Ehefrau seines Kollegen von Littrow. 20 De strijd om het recht, door Dr. Rudolf van Ihering, hoogl. in de rechtsgeleerdheid aan de universiteit te Göttingen, naar de derde uitgave vertaald door G. A. van Hamel, Leiden, W.T. Werst, 1874, III. 21 R.T.H.P.L.A. van Boneval Faure, Besprechung von Dr. Rud. von Jhering, der Kampf um’s Recht. Dritte veränderte und vermehrte Auflage. Wien, 1874. Dr. Rud. von Jhering, de strijd

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Jherings Werk, wie bereits zuvor erwähnt, schon in der Akademie der Wissenschaften vorgestellt hatte. De Gids ist bis heute eine hoch angesehene kulturelle und literarische Zeitschrift und wurde und wird nicht nur von Juristen gelesen, sondern erreicht einen breiten Leserkreis.22 Van Boneval Faure weist darauf hin, dass obwohl das Werk in kürzester Zeit zwei weitere Auflagen erhalten habe, es doch im niederländischen Raum noch nicht so wahr genommen wurde.23 Daher habe er wiederholt um eine Übersetzung gefragt und jene des Juristen Hamel sei sehr gelungen.24 Van Boneval Faure ruft die Leser auf, Jherings Ideen am eigenen Gerechtigkeitssinn und der eigenen Lebenserfahrung zu testen. Wiederholt weist der Rezensent darauf hin, dass die Lektüre nicht nur dem Juristen anzuraten sei. Mit einem Germanismus beschreibt er sie als lesenswert auf Grund ihrer „frischheid“.25 Die Übersetzungsleistung Hamels wird nicht weiter gewürdigt26 und eigentlich handelt es sich bei dieser 24 Seiten langen Arbeit Van Boneval Faures um eine Besprechung des Originalwerkes und nicht um eine tatsächlich kritische Betrachtung der Übersetzung. Die Übersetzung vom Kampf ums Recht27 wurde im Jahr ihres Erscheinens auch im Weekblad28 besprochen. Fast eine ganze Spalte wird der Besprechung 1874 eingeräumt. Das Buch sei für den Rechtsidealisten verfasst und auch für die deutschen Damen, die im höchsten Grade avanciert und emanzipiert seien, so der Rezensent. In Jherings Vaterland habe die Schrift zu viel Kritik geführt, da sie eine Prozesssucht unterstütze. Auch aus niederländischer Sicht sieht man die Ansichten Jherings als eine Goldgrube für Anwälte und Staatsanwälte. Jherings Bildsprache verwende oft Figuren aus der medizinischen Welt. Diese Besprechung wie auch jene von Van Boneval Faure setzten sich zum größten Teil mit dem Inhalt des Originalwerkes auseinander, der Übersetzer wird auch hier in nur wenigen Zeilen bedacht. Van Hamel sei es gelungen, das Büchlein nicht nur in gutes und fließendes, sondern sogar verständliches Holländisch zu übersetzen.

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om het recht; naar de derde uitgave, vertaald door Mr. G.A. van Hamel. Leiden, W.T. Werst, 1874. De Gids. Jaargang 38 (1874), 201–225. https://de-gids.nl/geschiedenis und Remieg Aerts, Piet Calis, Wiel Kusters e.a.: De Gids sinds 1837. De geschiedenis van een algemeen-cultureel en literair tijdschrift, De Bezige Bij, Amsterdam, 1987. De Gids. Jaargang 38, 1874, 201–225, 202. De Gids. Jaargang 38, 1874, 203. De Gids. Jaargang 38, 1874, 203. In Wien erschien dann bereits bei Manz die vierte Auflage. In seiner Vorrede zur vierten Auflage weist Jhering auf die holländische Übersetzung von Dr. van Hamel hin. Hier wurde im Weekblad van het Regt am 13. Juli 1874, No. 3734, 4 auf die Übersetzung der dritten Auflage hingewiesen. De strijd voor het recht, door Dr. Rudolf van Ihering, hoogl. in de rechtsgeleerdheid aan de universiteit te Göttingen, naar de derde uitgave vertaald door G. A. van Hamel, Leiden, Hazenberg, 1874, 104 Seiten. Weekblad 13. Juli 1874, No. 3734, 4.

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Die niederländischen Juristen dürften ihm dankbar sein, dass er ihnen die Gelegenheit biete so viele sonderbare Dinge und auch gute Sachen kennen zu lernen. Der Text schließt mit einem Satz, mit dem man heute sofort ins Kreuzfeuer der Kritik geraten würde: „Was unsere niederländischen Damen betrifft, so befürchten wir, dass die schwere deutsche Kost für sie zu schwer zu verdauen sein wird, und wir wagen es nicht einmal, den Text zu empfehlen.“ Leider verrät noch nicht einmal ein Kürzel den Verfasser der Besprechung. Der Kampf ums Recht wirkt in den Niederlanden weit über das Jahr 1874 hinaus. Bei einer jährlichen Berichterstattung der Akademie im Jahr 1887 geht man auf den Standpunkt Jherings ein, dass das Verteidigen unserer Rechte unsere heilige Pflicht sei. In Bezug auf persönliche Rechte wird allerdings Zurückhaltung gefordert, wenn es um institutionelle Rechte geht, wie um die Rechte der Königlichen Akademie der Wissenschaften. Ein jedes Mitglied sei angehalten sich für die Rechte der Akademie einzusetzen, wenn nicht höhere Interessen dagegen stehen würden.29

Scherz und Ernst in der Jurisprudenz und Das Trinkgeld Andere Werke werden nur kurz und knapp in der ursprünglichen Version erwähnt.30 Dagegen wurde zum Beispiel das kleine Werk Scherz und Ernst in der Jurisprudenz tatsächlich besprochen.31 Nachdrücklich wurde daraufhin gewiesen, dass dies ein Werk sei, welches sicher mehr allgemeine Bekanntheit verdiene. Verfasser dieser Rezension war S.J. Hingst (1834–1890), der sich von Anfang an intensiv mit den Schriften Jherings auseinandergesetzt hatte. Jherings kleine Schrift über das Geben von Trinkgeld wurde auch in den Niederlanden reflektiert. Diese Schrift schaffte nicht nur eine Erwähnung in einer juristischen Zeitschrift, sondern das weit verbreitete Algemeen Handelsblad berichtete mit einer Zusammenfassung darüber und erreichte ein breites Leserpublikum.32

29 Verslagen en mededelingen der Koninklijke Akademie van Wetenschappen. Afdeling Natuurkunde, 1887, 306. 30 So Weekblad van het Regt am 9. September 1880, No. 4538, 4, Rechtsgelehrte Ausgaben: Deutsche Literatur: Ihering, Prof. R., Die Jurisprudenz des täglichen Lebens, Jena. 31 Weekblad van het Regt vom 26. Mai 1885, No. 5152, 4: Rudolf von Jhering, Schertz und Ernst in der Jurisprudenz, door Mr. S. J. Hingst. 32 Algemeen Handelsblad, ‚Duitsche Kroniek. Fooien‘, 1. April 1882.

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Die Vorliebe für Jheringzitate, seine Bildsprache und Wortschöpfungen Immer wieder werden Jheringzitate auf Deutsch in niederländische Aufsätze und sogar in Nachrufe33 eingeflochten, so zum Beispiel der schöne Ausspruch „Selbst die Logik fügt sich dem Interesse“.34 Jheringsche Wortschöpfungen werden in der Originalsprache übernommen und nehmen zum Teil mehrere Zeilen in Beschlag.35 Jherings Bildersprache wurde auch gerne wiedergegeben und ebenso seine anschaulichen Beispiele, viele der Anatomie entlehnt. Man kann sagen, dass zu einer guten niederländischen Rede in Politik und Wissenschaft ein Verweis auf Jhering, verbunden mit einem Zitat, gehörte. Der berühmte Politiker Abraham Kuyper36 (1837–1920) verwies in seiner ersten Rede im Jahr 1914 in der Ersten Kammer37 auf Jherings Zweck im Recht.38 Der Privatrechtsprofessor Paul Scholten setzte sich in seiner Antrittsrede in Amsterdam im Jahr 1907 über den Wert des Rechts intensiv mit den Ansichten Savignys und Jherings auseinander.39 In seiner Antrittsrede an der Universität Leiden im Jahr 1897 sprach P.A. Tichelaar (1861–1913) über das römische Recht und die historische Schule und wies darauf hin, dass es Jhering war, der die Römischrechtler daran erinnerte, das römische Recht in seiner ständigen Entwicklung zu sehen.40

Im Austausch mit Kollegen Einige niederländische Kollegen suchten den persönlichen Kontakt zu Jhering. Der Beginn war zunächst entweder ein Brief oder das Zusenden einer Schrift. Aus diesen Kontakten entstanden Bekanntschaften zu Jhering als geistigen Vater oder Kollegen und es entsprossen Freundschaften mit dem unterhaltsamen und gewandten Jhering. Einige der Beziehungen wirken wie ein Schüler-Lehrer33 Necrologie Mr. D’ Ablaing, Weekblad van het Regt vom 14. Juni 1889, No. 5718, 3, dort war zu lesen: Das bekannte Wort von Ihering: „durch das römische Recht über dasselbe hinaus“ war das seine geworden. 34 Ein langer Leserbrief von C. L. Kooiman, Weekblad van het Regt vom 13. Februar 1905, No. 8170, 3. 35 Weekblad van het Regt vom 22. Juni 1896, No. 6817, 4. 36 A. Kuyper war auch der Gründer der Vrijen Universiteit in Amsterdam. 37 Vergleichbar mit dem deutschen Bundesrat. 38 Handelingen Eerste Kamer, 7. Januar 1914. Vaststelling der begrooting van NederlandschIndië voor het dienstjaar 1914, 127. 39 Eine Zusammenfassung der Rede ist im Algemeen Handelsblad, 7. Oktober 1907, 10 zu finden. 40 Het Nieuws van den Dag, 7. Oktober 1897, 2.

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Verhältnis. Die niederländischen Wissenschaftler ließen sich gerne von Jhering inspirieren. Das Netzwerk, welches über die Grenzen entstand, umfasste mehrere Generationen von Juristen und beschränkte sich nicht nur auf Professorenkollegen, sondern auch Richter und Anwälte gehörten zum Kreis der Jhering Zugeneigten.

Des Amorie van der Hoeven Als Anhänger von Jhering galt Martinus des Amorie van der Hoeven (1824–1868), der in Amsterdam der Nachfolger von Jacob van Hall41 (1799–1859) war. Er gab Vorlesungen in den Institutionen und den Digesten, der römischen Rechtsgeschichte, dem bürgerlichen Recht und im Prozessrecht. Amorie van der Hoeven rezensierte auch den ersten Teil des Geistes des Römischen Rechts im Jahr 1852 in der juristischen Zeitschrift Nieuwe Bijdragen.42 Er pries Jhering unter dem Hinweis und in Anlehnung an dessen eigene Worte43 mit dem Ausspruch, dass durch den Autor des Werkes die Historische Schule sich freigemacht hätte von jeder Art der Beschränkung und Einseitigkeit. Nun sei sie über sich hinausgewachsen.44 Des Amorie van der Hoeven war der Lehrer von Hingst.

Hingst Als ein wirklicher niederländischer Schüler Jherings kann Sybrand Jan Hingst angesehen werden. Geboren am 11. August 1834, studierte Hingst später Jura in Amsterdam und vertiefte sich im römischen Recht und war schon jung ein Anhänger von Savigny und der Historischen Schule.45 Er war der Verfasser der Schrift Proeve eener geschiedenisch der historische school op het gebiet van het privaatrecht in Duitschland.46 Diesen Versuch einer Geschichte der historischen Schule im Privatrecht in Deutschland reichte er 1859 als Dissertation in Utrecht 41 Van Hall war einer der Mitbegründer der Nieuwe Bijdragen voor Regtseleerdheid en Wetgeving. 42 Siehe das Lebensbild Amorie van der Hoevens und auch dort wird noch einmal auf seine Begeisterung für Jhering hingewiesen, P.R. Feith, Levensschets van Mr. M. des Amorie van der Hoeven, Jaarboek van de Maatschappij der Nederlandse Letterkunde, 1870, 464 und 467. 43 Siehe auch P.R. Feith, Levensschets van Mr. M. des Amorie van der Hoeven, Jaarboek van de Maatschappij der Nederlandse Letterkunde, 1870, 467. 44 M. des Amorie van der Hoeven, Geist des Römischen Rechts von Rudolph von Jhering, Nieuwe Bijdragen, 1852, 484–487. 45 Siehe H.P.G. Quack, Herinneringen uit de levensjaren van Mr. H. P. G. Quack, 1834–1913, Amsterdam. 46 Erschienen bei Müller in Amsterdam im Jahr 1859.

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ein.47 Am 13. Dezember 1859 erhielt er den Doktorgrad. Die Schrift umfasst 175 Seiten und ist damit umfangreicher als die Dissertationen seiner Zeit. Windscheid rezensierte das Werk und wies auf den unermüdlichen Fleiß des Autors hin und die umfangreiche Literaturauswertung, die Hingst vorgenommen hatte. Auch wurde erwähnt, dass es vor Hingst in Deutschland noch kein vergleichbares Werk gegeben habe, welches sich um eine Aufbereitung der Geschichte der historischen Schule bemühte.48 Windscheid sprach die Hoffnung aus, dass die gesamte Arbeit ins Deutsche übersetzt werde49 und übersetzte selber den Teil der Arbeit von Hingst, der sich mit dem Ruf nach Gesetzgebung in Deutschland befasste.50 Eine spätere Übersetzung der Arbeit erfolgte aber leider nicht, einige Autoren zitierten die Arbeit noch und bis heute ist sie in den Regalen einiger Universitätsbibliotheken zu finden und wurde inzwischen digitalisiert.51 Hingst sendete seine Dissertation an Rudolf Jhering und so entwickelte sich zwischen den beiden eine Freundschaft. Jhering las Niederländisch. Als Ostfriese war ihm die Sprache ja gut zugänglich.52 Hingst besuchte Jhering in Deutschland und Jhering besuchte ihn wiederum in Amsterdam.53 Bei diesem Besuch in Amsterdam war auch der Vizepräsident des Hoge Raad zugegen und dieser beschrieb in seinem Nachruf auf Hingst den berühmten Gelehrten Jhering als gesellig und unterhaltsam.54 Hingst verfolgte allerdings keine rein wissenschaftliche Laufbahn. Er wurde zunächst Rechtsanwalt und arbeitete seit 1862 als Richter. Er war seit 1875 einer der Redakteure der Nieuwe Bijdragen voor Regtseleerdheid en Wetgeving (Neue Beiträge zur Rechtswissenschaft und Gesetzgebung)55 und bereits seit 1864 Mitar47 B. D. van der Velden, Savigny und die historische Schule, Savigny Global, Konferenzband, Universität Hannover, Mecke/Meder (Hg.), V&R unipress, Göttingen, 2016, 370ff. 48 Siehe B. D. van der Velden, Savigny und die historische Schule, Savigny Global, Konferenzband, Universität Hannover, Mecke/Meder (Hg.), V&R unipress, Göttingen, 2016, 371ff mit weiteren Nachweisen. 49 B. Windscheid, Proeve eener geschiedenis, in Kritische Vierteljahresschrift für die Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 2, 1860, 307ff. 50 Mit weiteren Nachweisen bei B. D. van der Velden, Savigny und die historische Schule, Savigny Global, Konferenzband, Universität Hannover, Mecke/Meder (Hg.), V&R unipress, Göttingen, 2016, 373. 51 Weitere Nachweise bei B. D. van der Velden, Savigny und die historische Schule, Savigny Global, Konferenzband, Universität Hannover, Mecke/Meder (Hg.), V&R unipress, Göttingen, 2016, 374 und 379. 52 P.R. Feith, ‚Levensbericht van Mr. S.J. Hingst‘, Jaarboek van de Maatschappij der Nederlandse Letterkunde, 1890, 103. 53 Jaarboek van de Maatschappij der Nederlandse Letterkunde, 1890, 102. 54 P. R. Feith, Levensbericht van Mr. S. J. Hingst, in Levensberichten der afgestorvenen medeleden van de Maatschappij der Nederlandsche Letterkunde te Leiden over het jaar 1889–1890, Leiden, Brill 1890, 103. 55 Diese Zeitschrift wurde seit 1826 zunächst durch die Amsterdamer Professoren den Tex und van Hall herausgegeben.

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beiter bei dieser Zeitschrift.56 Hingst publizierte auch als Anwalt und Richter und schrieb richtungweisende Beiträge zum Verhältnis zwischen dem Gesetz und dem lokalen Gewohnheitsrecht.57 Er wurde 1883 als Richter an den Hoge Raad, dem höchsten Gerichtshof der Niederlande, berufen.58 Hingst schrieb unter anderem eine Rezension zu Jherings Scherz und Ernst in der Jurisprudenz.59 Überdies übersetzte er auch Teile des Werkes. So erschien eine niederländische Version der Vertraulichen Briefe über die heutige Jurisprudenz von einem Unbekannten.60 Zudem verfasste Hingst eine Besprechung der Civilrechtsfälle ohne Entscheidung in den Nieuwe Bijdragen im Jahr 1870.61

Van Lier Die Vielseitigkeit und Kreativität von Jhering sprach die Kollegen in den Niederlanden an und inspirierte sie, ihm nach zu tun und Neuerungen im eigenen Land einzuführen. Die Niederlande waren nach der Einführung des Zivilgesetzbuches reich an juristischen Zeitschriften. Der Hauptredakteur der Zeitschrift Paleis van Justitie, E. van Lier (1834–1903), ließ sich von den Civilrechtsfällen ohne Entscheidungen von Jhering begeistern und schuf eine neue auffallende Rubrik in seiner Zeitschrift. Die Rubrik hieß juristische Phantasien (Juridische Fantasieën) und ähnelt sehr den Civilrechtsfällen ohne Entscheidungen.62 Van Lier arbeitete Jherings Fälle aber auch um, so dass sie besser in das niederländische Umfeld und zum geltenden niederländischen Recht passten.63 Im Hauptberuf war Van Lier Anwalt in Amsterdam.

56 Jaarboek van de Maatschappij der Nederlandse Letterkunde, 1890, 98. 57 B. D. van der Velden, Savigny und die historische Schule, Savigny Global, Konferenzband, Universität Hannover, Mecke/Meder (Hg.), V&R unipress, Göttingen, 2016, 373. 58 Jaarboek van de Maatschappij der Nederlandse Letterkunde, 1890, 97. 59 Erschienen in den Nieuwe Bijdragen voor regtsgeleerdheid en wetgeving, siehe den Verweis in Weekblad van het regt, 25. Mai 1885, No. 5151, 4. 60 Nieuwe Bijdragen, 1867, 541–570. Jhering selber war diese Übersetzung bekannt und sie ist auch in seinem Nachlass in Göttingen zu finden, Jhering, Rudolf von, Vertrauliche Briefe über die heutige Jurisprudenz / von einem Unbekannten = medegedeeld door een ongenoemde. – Sonderdruck, o.O., o. J. – 30 S. (geh.). – niederländisch, Sonderdruck aus: Nieuwe Bijdragen voor Regtsgeleerdheid en Wetgeving. Deel XVII, Stuk 4, Nachlass Rudolf von Jhering, Göttingen). Leider war es nicht möglich den 47 Seiten langen Catalog der Bibliothek des verstorbenen Prof. Dr. Rudolf v. Jhering in der Bibliothek Unter den Linden, Berlin, einzusehen, um festzustellen, wie viele Bücher niederländischer Provenienz in seinem Besitz waren. 61 Nieuwe Bijdragen, 1870, 443–445. 62 Het Paleis van Justitie: populair weekblad voor binnen- en buitenlandsche rechtspleging. Leider war es nicht möglich diese Zeitschrift ausfindig zu machen und einzusehen. 63 Siehe auch C. J. H. Jansen, De wetenschappelijke beoefening van het burgerlijke recht in de lange 19e eeuw, Wolters Kluwer, Nijmegen, 2015, 112–113.

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Molengraaff Der Professor für Handelsrecht und Zivilprozessrecht in Utrecht, Willem L.P.A. Molengraaff (1858–1931), liess sich von Jherings Schrift über den Rechtsschutz gegen Rechtsverletzungen beeinflussen.64 Seine Abhandlungen zur Sorgfaltsnorm flossen später in das richtungsweisende Urteil Lindenbaum/Cohen65 des Hoge Raad zur unerlaubten Handlung ein.66 Molengraaff erinnerte sich in einem Nachruf, dass Jherings Abhandlungen zur Jurisprudenz des täglichen Lebens und die Civilrechtsfälle ohne Entscheidungen ihn und Kollegen wie Hendrik Lodewijk Drucker67 (1857–1917), ein Professor für Römisches Recht und Rechtsgeschichte aus Leiden (und zuvor in Groningen), beeinflusst und zu abendfüllenden Diskussionen angeregt hatten. Jherings Schriften führten bei diesen Kollegen zu einer sozialen Sichtweise auf das Recht und letztendlich auch zur Herausgabe des Rechtsgeleerd Magazijn.68

Weitere niederländische Nachfolger Jherings Jherings Beiträge über den Besitzschutz69 inspirierten auch P.R. Feith (1837– 1909) 70. In seiner Dissertation setzte er sich mit den Ansichten Jherings zur culpa auseinander. Nach seiner Promotion wirkte Feith als Richter und war 1908–1909 Vizepräsident des Hoge Raad.

64 Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen Römischen Rechts und deutschen Privatrechts, 1885, 155ff. 65 ECLI:NL:HR:1919:AG1776 (Lindenbaum/Cohen). 66 Weitere Nachweise bei C. J. H. Jansen, De wetenschappelijke beoefening van het burgerlijke recht in de lange 19e eeuw, Wolters Kluwer, Nijmegen, 2015, 198 und 199. 67 Siehe zur Beziehung von Drucker und Jhering auch J.H.A. Lokin, Der scherzhafte und ernsthafte Jhering, in Rudolf von Jhering (1818–1892), Jhering heute, Uitgave van de Stichting „Het Groningsch Rechtshistorisch Fonds“, Groningen 2018, 127–129 sowie C.J.H. Jansen, Rudolf von Jhering (1818–1892) und Der Zweck im Recht (1877/1883) in den Niederlanden, in Rudolf von Jhering (1818–1892), Jhering heute, Uitgave van de Stichting „Het Groningsch Rechtshistorisch Fonds“, Groningen 2018, 27. 68 Molengraaff, ‚In memoriam H.L. Drucker‘ in: Rechtsgeleerd Magazijn, 1917, 375–392, hier 377. Siehe auch C. J. H. Jansen, De wetenschappelijke beoefening van het burgerlijke recht in de lange 19e eeuw, Wolters Kluwer, Nijmegen, 2015, 210. 69 Jena 1869. Siehe dazu auch E.F. Verheul, Die Rezeption des Besitzbegriffs Jherings im niederländischen Recht in Rudolf von Jhering (1818–1892), Jhering heute, Uitgave van de Stichting „Het Groningsch Rechtshistorisch Fonds“, Groningen 2018, 209ff. 70 P. R. Feith, De leer der culpa in de verbindtenissen – Specimen juridicum inaugurale de culpae praestatione in obligationibus, dissertation Utrecht, erschienen in Amsterdam 1859. Feith war auch ein Mitarbeiter der Nieuwe Bijdragen voor regtsgeleerdheid en wetgeving.

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Mit dem Besitzbegriff Jherings setzte sich auch der Urheber des modernen Bürgerlichen Gesetzbuches der Niederlande, E.M. Meijers, auseinander.71 J.P. Moltzer (1850–1907), Professor für Zivilrecht und Zivilprozessrecht in Amsterdam, fand sein Dissertationsthema dank der Anregungen in Jherings Schrift über die Reflexwirkung oder die Rückwirkung rechtlicher Tatsachen auf dritte Personen.72 Er promovierte mit einer Schrift über den Vertrag zugunsten Dritter. Jherings Standpunkt, dass die Schuld und nicht der Schaden zu einer Ersatzpflicht führen, wurde von dem später in Amsterdam berufenen Professor für Römisches Recht, Bürgerliches Recht und Grundlagen des Rechts (wijsbegeerte van het recht) Paul Scholten (1875–1946) in seiner Dissertation73 aus dem Jahr 1899 widerlegt.74 H. Dooyeweerd verwies auf Jhering in Bezug auf Fragen der Mode und die Frage, inwieweit Mode Standesunterschiede sichtbar macht. Dabei nahm er wiederholt auf Jherings Schrift über den Zweck im Recht Bezug.75 Die Civilrechtsfälle ohne Entscheidungen bildeten auch eine Anregung für den Lehrbetrieb in den Niederlanden. W.H. Drucker76 (1887–1933) und P. A. Tichelaar (1861–1913) in Leiden benutzten diese in ihren Vorlesungen. Die Jurisprudenz des täglichen Lebens wurde in der Lehre in Amsterdam und Leiden eingesetzt.77 W.H. Drucker und J.A. Levy setzten sich eingehend mit Jherings Werk Der Zweck im Recht auseinander.78

71 Unter Bezugnahme auch auf durch Jhering beeinflusste Entscheidungen des Hoge Raad, siehe E.F. Verheul, Die Rezeption des Besitzbegriffs Jherings im niederländischen Recht in Rudolf von Jhering (1818–1892), Jhering heute, Uitgave van de Stichting „Het Groningsch Rechtshistorisch Fonds“, Groningen 2018, 212. Verheul geht auch auf die Ansichten Scholtens und Van Kans zu Jherings Besitzbegriff ein, 213ff. 72 J.P. Moltzer, De overeenkomst ten behoeve van derden, 1876. 73 P. Scholten, Schadevergoeding buiten overeenkomst en onrechtmatige daad (1899), Nachdruck Amsterdam 1999, 7 und 21. 74 Zu Feith, Moltzer und Scholten siehe mit weiteren Nachweisen C. J. H. Jansen, De wetenschappelijke beoefening van het burgerlijke recht in de lange 19e eeuw, Wolters Kluwer, Nijmegen, 2015, 199. 75 H. Dooyeweerd, De wijsbegeerte der wetsidee. Boek III. De individualiteits-structuren der tijdelijke werkelijkheid (1936), S. 532 und 533. 76 Siehe auch J.H.A. Lokin, Der scherzhafte und ernsthafte Jhering, in Rudolf von Jhering (1818– 1892), Jhering heute, Uitgave van de Stichting „Het Groningsch Rechtshistorisch Fonds“, Groningen 2018, 129, FN 59. 77 Weitere Nachweise bei C. J. H. Jansen, De wetenschappelijke beoefening van het burgerlijke recht in de lange 19e eeuw, Wolters Kluwer, Nijmegen, 2015, 210. 78 Siehe dazu C.J.H. Jansen, Rudolf von Jhering (1818–1892) und Der Zweck im Recht (1877/ 1883) in den Niederlanden, in Rudolf von Jhering (1818–1892), Jhering heute, Uitgave van de Stichting „Het Groningsch Rechtshistorisch Fonds“, Groningen 2018, 27 und 31ff. Jansen weist auch den Einfluss Jherings auf die Professoren Siccama (Utrecht), Cohen (Groningen) und van der Vlugt (Leiden) nach.

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Drei noch nicht edierte Briefe Jherings in den Niederlanden Es gibt viele Briefe von Jhering, die bereits ediert wurden. Die meisten Originale liegen an verschiedenen Orten in Deutschland. Aber auch in den Niederlanden befinden sich Briefe. Diese versendete Jhering an Kollegen in den Niederlanden. Drei Briefe Jherings schlummern im Archiv von Drenthe (Drents Archief), beziehungsweise in der Universitätsbibliothek in Utrecht und im Archiv in Haarlem. Bei allen drei Briefen in deutscher und französischer Sprache fällt auf, dass sie in Schönschrift geschrieben wurden und wesentlich leichter zu lesen sind als Jherings handschriftliche Notizen, die als teilweise kaum lesbar bewertet werden79, oder auch als Briefe an Kollegen und Freunde in Deutschland. Diese Briefe von Jhering in den Niederlanden sind noch nicht veröffentlicht. Die beiden deutschsprachigen sollen hier näher vorgestellt werden.

Gratama: eine Gratulation zur Antrittsvorlesung Im Archiv von Drenthe in Assen80 liegt ein Brief, den Jhering nach Groningen gesendet hatte. In diesem Brief gratuliert Jhering seinem Kollegen Gratama zu dessen Antrittsvorlesung an der Universität Groningen und bedankt sich für die Zusendung der Rede. Gratamas Antrittsvorlesung trug den Titel Juris naturalis hac nostra aetate studio und wurde am 11. Oktober 1860 gehalten. Die gedruckte Abfassung umfasst 26 Seiten. Jhering wurde in ihr dreimal erwähnt. Bernard Jan Gratama (1822–1886) stammte aus einer Familie von Juristen. Sein Vater, Sibrand Gratama, war Richter und Bürgermeister von Assen gewesen. Sein Grossvater war auch Jurist und gab in Groningen ab 1809 das Regtsgeleerd magazijn van Gratama heraus. 1858 erhielt Gratama eine Professur in Groningen und lehrte dort bis 1884. Im Gegensatz zu Jhering war er Strafrechtler. Jhering antwortete auf die erhaltene Schrift anlässlich der Antrittsvorlesung am 16. Juni 1861 freundlich. Hochverehrter Herr College ! Die Übersendung Ihrer Oratio de J.N. Studio an einen Ihnen persönlich Unbekannten enthält eine so grosse Freundlichkeit, dass ich schon aus diesem Grunde nicht unterlassen könnte, Ihnen meinen Dank dafür zu sagen. Doppelt aber fühle ich den Trieb dazu, da diese kleine Schrift mir einen Genuß gewährt, wie so wenig Blätter es seit Jahren nicht 79 Siehe dazu auch M. Kunze, Rudolf von Jhering, Ein Forschungsbericht, in Der Kampf ums Recht, Luf/Ogris (Hg.), Berlin, 1995, 125ff. 80 Dort im Archiv zu finden unter 0753 Familie Gratama, 183 Oratio de juris naturalis hac nostra aetate studio door B.J. Gratama, 1860; 3 exemplaren, waarbij een brief van dr. Rudolf Jhering te Giessen.

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gethan haben – denn leider steht bei den meisten unserer neueren juristischen Schriften der Inhalt in einem schreienden Missverhältnis zu ihrem Umfange, während die Ihrige auf zwei Bogen einen reichen Gedankenstoff enthält, dargestellt in einer gedrängten Form, wie sie nur das Resultat vieljährigen Nachdenkens über den Gegenstand sein kann. Ihre Oratio ist mir ganz aus der Seele geschrieben, und ich darf behaupten, dass an dem Wohlgefallen, das ich an ihr empfinde, der Umstand, dass sie meiner so ehrenvoll gedenkt, ohne allen Einfluss geblieben ist. In einigen Jahren werde ich Gelegenheit haben, bei Ausarbeitung einer mir von den Historischen Commission in München aufgetragen Geschichte der neueren deutschen Jurisprudenz ähnliche Ideen aus zu sprechen, namentlich über die frühere Bedeutung des Naturrechts, die histor. Schule u.s.w., wie Sie, und ich werde dann nicht verfehlen, die Aufmerksamkeit des deutschen Publikums auf Ihre Schrift zu lenken, die der selben in so hohem Grade würdig ist. Vielleicht wird mir im September die Gelegenheit, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen, indem Familienverhältnisse mich nach meiner Vaterstadt Aurich in Ostfriesland rufen werden und ich sehr wünsche, zum zweiten Mal in meinem Leben meinen Rückweg durch Holland zu machen. In dieser freudigen Aussicht empfiehlt sich Ihrem ferneren Wohlwollen Ihr ergebenster Dr. Rud. Jhering. Giessen 16 Juni 186181

Auch hier macht Jhering wieder eine Anspielung auf seine Vaterstadt Aurich und ihre Nähe zu den Niederlanden. Dieser Brief ist der einzige nachweisliche Kontakt zur Universität Groningen zu Jherings Lebzeiten. Im Jahr 2018 erinnerte man sich in Groningen an Jhering und beging die Jhering-Tage, welche am 5. Oktober 2018 in Groningen stattfanden und mit einer Reise nach Aurich und einer Kranzniederlegung bei Jherings Geburtshaus82 am 6. Oktober 2018 abgeschlossen wurden.83

Nieuwe Bijdragen: eine Aufforderung Jherings an den Herausgeber Jhering nahm erfreut die Übersetzungen seiner Werke zur Kenntnis und setzte sich gerne für deren Verbreitung ein. So hat er zum Beispiel in seiner bei Manz erschienen vierten Auflage seines Buches „Der Kampf ums Recht“ im Vorwort darauf hingewiesen, in welchen Sprachen das Werk bis dahin bereits erschienen war. 81 Transkribiert von Autorin. Der Brief liegt im Archiv in Drenthe. 82 Dokumentiert mit einem schönen Foto in Rudolf von Jhering (1818–1892), Jhering heute, Uitgave van de Stichting „Het Groningsch Rechtshistorisch Fonds“, Groningen 2018, 229. 83 „Jhering Tage“ am 5. und 6. Oktober in Groningen-Aurich aus Anlass der zweihundertsten Wiederkehr des Geburtstages Rudolf von Jherings (1818–1892). Aus diesem Anlass erschien Rudolf von Jhering (1818–1892), Jhering heute, Uitgave van de Stichting „Het Groningsch Rechtshistorisch Fonds“, Groningen 2018.

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Jhering schrieb zur Verbreitung seiner Schriften selber Herausgeber juristischer Zeitschriften an. Dies beweist ein Brief von ihm an Baron Barthold Jacob Lintelo de Geer van Jutphaas (1816–1903), Professor für Römisches Recht in Utrecht und Mitherausgeber und Gründer der Nieuwe Bijdragen voor Regtsgeleerdheid en Wetgeving. Dieser Brief liegt in Utrecht in der Universitätsbibliothek.84 Hoch geehrter Herr, Ich übergebe Ihnen anbei die französische Übersetzung einer Schrift von mir mit der Bitte, von dem Erscheinen eine Anzeige derselben in den Nieuwe Bijdragen zu veranlassen. Der Übersetzer (der das Werke auf eigene Kosten herausgegeben hat) hat mich ersuchet mich für die Verbreitung der Schrift zu interessieren, und ich glaube, seinen Zweck zu fördern, wenn ich sie Ihnen mit der vorgetragenen Bitte zustelle. Mit größter Hochachtung Ihr ergebenster Dr RuJhering. Göttingen, 7. November 187585

Bei diesem Brief ist ein Vermerk der Bibliothek zu finden, dass auch in Utrecht die Werke Jherings unter Ihering zu finden sind. Bedauerlicher Weise wurde das übersetzte Werk selber nicht benannt. 1875 erschienen nämlich zwei französische Übersetzungen: Rudolf von Jhering, Du fondement de la protection possessoire. Revision de la théorie de la possession übersetzt von: Octave de Meulenaere, Gent 1875 sowie Rudolf von Jhering, Le combat pour le droit übersetzt von: AlexandreFrançois Meydieu, Vienne 1875. So wird nicht deutlich, ob es sich um die Schrift zum Besitz oder um die andere zum Kampf ums Recht handelt.86

Ein Versuch Jhering nach Leiden zu holen Ein Jahr vor Erscheinen der Dissertation von Hingst und während seiner Zeit in Giessen erhielt Jhering im Sommer 1858 eine Anfrage aus Leiden von seinem Kollegen Van Assen, Professor für Römisches Recht und geltendes Recht. Van Assen sendete Jhering eine Anfrage auf Latein, ob er nicht sein Nachfolger

84 Utrecht, UB: Verzameling: De Geer van Jutphaas, port. 18, Brief van R. von Jhering hoogleraar aan Barthold Jacob Lintelo de Geer van Jutphaas (1816–1903) Ein herzlicher Dank ergeht an Wiebe Boumans von der Universitätsbibliothek Utrecht für das Einscannen und der Bibliothek für das zur Verfügung stellen des Briefes. 85 Transkribiert von Autorin. Es handelt sich um einen Brief von R. von Jhering an Baron Barthold Jacob Lintelo de Geer van Jutphaas (1816–1903) Sammlung: De Geer van Jutphaas, port. 18. Göttingen, 1875. Universitätsbibliothek Utrecht. 86 In den Bijdragen wird zwar wiederholt auf Jhering verwiesen, aber eine Ankündigung einer französischen Übersetzung konnte bislang noch nicht gefunden werden.

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werden wolle, da sein Lehrstuhl vakant werde.87 Van Assens nahm informell mit Jhering Kontakt auf und bat um Verschwiegenheit. Ein wirkliches Angebot der Universität lag folglich nicht vor. Dennoch war es natürlich für Jhering eine Ehre und Überraschung aus dem Ausland eine Anfrage zu erhalten und er erwog die Vor- und Nachteile eines Umzuges in die Niederlande. Einige Kollegen aus den Niederlanden kannte er bereits und so waren ihm Arbeitsbedingungen und Umstände geläufig. Jhering orientierte sich am Gehalt seines Kollegen De Wal88, der eetwa 8000 Fl. erhielt. Jhering selber fand das Gehalt recht hoch, schätzte aber die Kaufkraft weniger hoch ein als in Giessen. In Giessen verdiente er damals 1900 FL.89 Zu dieser Zeit war Jhering sechs Jahre in Giessen, hatte mehrere kleine Kinder und hoffte wohl auf einen Ruf an eine der grösseren deutschen Universitäten wie Heidelberg, Bonn oder Göttingen.90 Jhering berichtet in einem Brief an Windscheid, dass diese Anfrage aus Leiden der erste Brief seines Lebens war, den er auf Latein erhalten habe.91 Weiter schreibt er: „Es wäre toll von mir, wenn ich es täte, und doch hat der Gedanke etwas ungemein Reizendes für mich, und meine Frau lässt gar nicht ab, mir zuzureden. Die Einnahme ist brilliant, Mynheer de Wall92, der mich im vorigen Sommer besuchte, mein zukünftiger Kollege und, wie es scheint, nicht ohne Einfluss auf jene Anfrage, gab die seinige auf 8000 fl. an. Allein, dafür sind auch die Preise in Holland brilliant, und was hilft es dann? Doch der Geldpunkt würde mich gar nicht bestimmen. Aber das Klima! Vortrag in lateinischer Sprache (Pegasus im Joch!)! Erlernen von Holländisch und Französisch, um beides sprechen zu können! Keine Berge, statt dessen Kanäle und Treckschuiten und 87 Van Assen (geb. 1788) verstarb bald darauf am 13. September 1859. Seit 1821 wirkte er als Professor in Leiden. Van Assen war ein Schüler von Tiedemann, der wiederum eine Brieffreundschaft mit Savigny pflegte. Siehe V. Heutger, Friedrich Carl von Savigny im Spiegel der niederländischen Fachliteratur des 19. Jahrhunderts, Savigny Global, Konferenzband, Universität Hannover, Mecke/Meder (Hg.), V&R unipress, Göttingen, 2016, 355–364. 88 J. de Wal, auch er war einer der Mitarbeiter der Nieuwe Bijdragen voor regtsgeleerdheid en wetgeving. 89 Brief an Gerber vom 15. Dezember 1858, M. G. Losano I, Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber, Verlag Rolf Gremer, Ebelsbach, 1984, 301. Bei den Berufungsverhandlungen hatte er allerdings 3000 Gulden vom damaligen Kanzler Birnbaum gefordert und diese wurden ihm auch gewährt. Weitere Nachweise bei Michael Kunze, „Lieber in Gießen als irgendwo anders …“: Rudolf von Jherings Gießener Jahre, Baden Baden, Nomos, 2018, S. 13. FN 15. 90 Siehe das Lebensbild von M. Kunze in Rudolf von Jhering, Beiträge und Zeugnisse (Hg Okko Behrends), 1992, 15, 17 und die Aussage im Brief an Gerber vom 15. Dezember 1858, 301. 91 Brief an Windscheid vom 21. Juli 1858, in Rudolf von Jhering in Briefen an seine Freunde, Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1913, 93–95. 92 Teile der Bibliothek von de Wal sind in der Königlichen Bibliothek in Den Haag zurechtgekommen. In vielen Büchern Jherings, die dort ausleihbar sind, ist noch ein Verweis oder ein Eintrag erkennbar, die die Bücher de Wal zuordnen. So zum Beispiel „Die Bedeutung des römischen Rechts für die moderne Welt, Leipzig 1865“ und der „Geist des römischen Rechts, Leipzig, 1852 Erster Theil“ und „Geist des römischen Rechts, Leipzig, 1854 Zweiter Theil“. Manchmal sind es handschriftliche Vermerke, Einlagen oder ein „E libris J. de Wal. Jur. Prof.“.

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t’Tjagertjes, Tonpfeifen, Schnirdammer „Jenever“, Deventer Honigkuchen93 usw. Nein! ich bleibe doch lieber in Giessen. Hätte meine Frau mich nicht abgehalten, so hätte ich bereits abgeschrieben. – Hier am Orte habe ich nur dem ehemaligen Holländer Birnbaum94 darüber gesprochen, Mynheer van Assen wünscht strenge Verschwiegenheit, also sage auch Du niemandem etwas davon, Du kannst begreifen, dass es den Holländern empfindlich sein würde, wenn je etwas darüber verlautete, dass man ihnen einen Korb gegeben, und mein von Assen hat nicht einmal offiziellen Auftrag mich zu befragen. Also Silentium!“95

Mit dem Schnirdammer Jenever ist der Schiedammer Jenever gemeint. Mit einer Treckschuit fuhr schon Mozart durch die Niederlande. Für diese Art der Fortbewegung wurde neben dem Wasserweg ein Pfad angelegt, auf dem das den Kahn ziehende Pferd lief. Der Reiter auf dem Pferd wurde jagertje genannt. Durch ihn zog das Pferd den Kahn und jagte so das Schiff vorwärts. Jhering schrieb in gleicher Angelegenheit an Gerber: „Allein der Gedanke an das holländische Klima und Phlegma bestimmte mich sofort abzulehnen“.96

Gerber gegenüber erschwieg er, dass seine Frau gerne nach Leiden gegangen wäre. Die Verweise auf die positive Einstellung seiner Frau gegenüber der Anfrage aus Leiden finden sich nur in einem Brief an Windscheid vom 21. Juli 1858. Letztendlich lehnte Jhering die Anfrage van Assens noch im Herbst 1858 ab. Die Ablehnung ging einher mit Bleibeverhandlungen und Jhering erhielt als Ergebnis den Titel Geheimer Justizrat und blieb noch einige Jahre in Giessen.97 Selber bezeichnete er seine Professur in Giessen zur Zeit der Leidener Anfrage als

93 Bis heute steht der Deventer Honigkuchen in enger Verbindung zu den Juristen in den Niederlanden, da der juristische Verlag Wolters Kluwer seine Autoren zu Weihnachten mit einem Paket Honigkuchen aus Deventer, dem Stammsitz des Verlages, erfreut. 94 Johann Michael Franz Birnbaum (1792–1877) war ein Kollege in Giessen. Dieser war von 1817 bis 1830 Professor in Löwen gewesen. Ihm ist die Gründung der Zeitschrift Themis mit zu verdanken. Anlässlich der Trennung von Belgien und Holland kehrte er nach Deutschland zurück. 1835 bis 1840 hielt er Vorlesungen in Utrecht. Siehe M. G. Losano II, Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber, Verlag Rolf Gremer, Ebelsbach, 1984, 340 und 341. Jhering hielt die Rede zur Feier seines fünfzigjährigen Professorenjubiläums am 24. Juni 1867. Das Schuldmoment im römischen Privatrecht, Eine Festschrift, Giessen, Verlag von Emil Roth, 1867. 95 Brief an Windscheid vom 21. Juli 1858, in Rudolf von Jhering in Briefen an seine Freunde, Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1913, 94–95. 96 Brief an Gerber vom 15. Dezember 1858, M. G. Losano I, Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber, Verlag Rolf Gremer, Ebelsbach, 1984, 301. 97 Briefe an Gerber vom 15. Dezember 1858 und 12. Dezember 1860, M. G. Losano I, Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber, Verlag Rolf Gremer, Ebelsbach, 1984, 301, 393.

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den bequemsten Posten der Welt, der zudem mit einer außerordentlich hohen Besoldung dotiert war.98

Goudsmit und die Jahrbücher Bereits zu Giessener Zeiten war Jhering zusammen mit Gerber Herausgeber der Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen Römischen Rechts und deutschen Privatrechts. Auch Einsendungen aus den Niederlanden erreichten die beiden Herausgeber. Am 11. August 1860 berichtet Jhering in einem Brief an Gerber, dass er eine Einsendung von Goudschmidt aus Leiden erhalten habe.99 Jhering hatte den Namen eingedeutscht. Es handelt sich um Joël Emanuel Goudsmit (1813–1882). Von 1858 bis 1882 war dieser Ordinarius für Römisches Recht in Leiden, eben genau auf dem Lehrstuhl, den Van Assen Jhering angetragen hatte.100 Die beiden Gelehrten sollten sich 15 Jahre später beim Dies an der Universität Leiden 1875 begegnen.

Ein Besuch in Leiden im Jahr 1875 zum dreihundertjährigen Bestehen der Universität Unter den beruflichen Kontakten Jherings zu niederländischen Universitäten kann jener zur Universität in Leiden als der engste beschrieben werden. Eine Vertiefung fand anlässlich der Dreihundert-Jahrfeier der Universität statt, zu der Jhering anreiste. Diese Festtage sollen hier Revue passieren, um die Atmosphäre aufleben zu lassen, die Jhering 1875 in Leiden antraf. Das dreihundertjährige Bestehen der Universität Leiden wurde sehr groß gefeiert und Jhering nahm, wie viele andere Vertreter ausländischer Universitäten, an den Festlichkeiten 1875 teil. Er kam als Gast aus Göttingen und war schon am festlichen Auftakt am Vortag dabei.101

98 Weitere Nachweise bei D. Klippel, Rudolf von Jhering an der Ludwigs-Universität Giessen in Rudolf von Jhering, Beiträge und Zeugnisse (Hg. Okko Behrends), 1992, 32, 35. Siehe auch den Brief an Gerber vom 15. Dezember 1858, M. G. Losano I, Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber, Verlag Rolf Gremer, Ebelsbach, 1984, 301. 99 Brief an Gerber, 11. August 1860, M. G. Losano I, Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber, Verlag Rolf Gremer, Ebelsbach, 1984, 385. 100 Bezüglich der Ernennung von Goudsmit siehe: A.A. de Pinto Levensbericht J.E. Goudsmit. in: Jaarboek van de Kon. Akademie van Wetenschappen. (1882). Amsterdam, 80. 101 H.P.G. Quack, In de Leidsche senaatskamer 8 Februari 1875, 6. Sonderdruck aus De Gids, 1875, No. 3, 561–580. Algemeen Handelsblad, 9. Februari 1875, ‚Het Academiefeest. II. Leiden, Zondagnacht.‘

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Leiden war zu dieser Zeit eine kleine Universitätsstadt, die für den Tourismus noch nicht sehr erschlossen war. Die wenigen Gasthäuser am Ort hätten gar nicht alle Gäste aufnehmen können. So kam es, dass die ausländischen Gäste bei Kollegen vor Ort untergebracht waren und die Tageszeitung veröffentlichte, wer bei wem untergebracht war.102 Rudolf von Jhering wurde bei seinem Kollegen Prof. van Boneval Faure untergebracht. Am Sonntagabend, dem 7. Februar 1875 saß schon eine große Gruppe beieinander und jener, zuvor erwähnte, Professor Goudsmit aus Leiden hob das Glas zum Gruße und prostete dem berühmten deutschen Gast zu.103 Goudsmit huldigte der deutschen Rechtswissenschaft. Rudolph von Jhering erwiderte den Gruß auf Deutsch unter Verweis darauf, dass er des Lateinischen nicht so mächtig sei wie ein Student aus Leiden und dass Latein in Deutschland im akademischen Alltag auch nicht mehr so oft wie in den Niederlanden zur Anwendung käme.104 Er bezeichnete sich als halben Holländer, als einen Ostfriesen, um anschließend zu erläutern, dass die Rechtswissenschaft dem klassischen Boden der Niederlande unendlich viel zu verdanken habe und in Deutschland die Entwicklung der Wissenschaft erst vor kurzem eingesetzt habe. Außerdem stünden die niederländischen Studierenden in keiner Weise hinter den Deutschen zurück und überhaupt möge man sich als eine große wissenschaftliche Familie verstehen. Auch lobte er das fließende Latein, dass seine Vorredner gesprochen hatten.105 Professor Rosenstein reagierte später auf die Worte Jherings und wies darauf hin, dass es in jeder Familie wünschenswert sei, dass alle Mitglieder eine große Individualität an den Tag legen mögen, diese auch immer zu bewahren sei und die niederländische Unabhängigkeit wichtig sei.106 Der eigentliche festliche Anlass wurde am Montag, dem 8. Februar 1875, einem klaren Wintertag begangen. Damals wie heute spielten die Feierlichkeiten 102 Leydse Courant, 5. Februar 1875. 103 Es muss feuchtfröhlich zugegangen sein. So berichtet das Handelsblad: Jhering hob auch das Glas wies daraufhin, dass die Leidener Flaschen bei diesem Anlass noch besser seien als die guten in seiner Jugend und trinke auf das Wohl der Kollegen in Leiden. Die Zeitungen in Holland und auf Java berichteten darüber in einer weiteren Folge der Berichterstattung über das grosse Fest. Siehe ‚Leiden’s eeuwfeest. Maandag 7 Februari. (Vervolg.)‘ Algemeen Handelsblad, 11. Februar 1875, auch in: Java-Bode, 25. März 1875. 104 Algemeen Handelsblad, 9 februari 1875, ‚Het Academiefeest. II. Leiden, Zondagnacht.‘ Nach dem Bericht des Handelsblads fand die Aussprache zwischen Goudsmit und Jhering am Sonntagabend statt. Der Javabode platziert die Begegnung auf den dies selbst, welcher am Montag stattfand. Siehe auch Surinaamsche Courant, 11. März 1875, 3. 105 Javabode, 23. März 1875, 4. 106 Javabode, 23. März 1875, 4. Eher als ein Kritiker Jherings kann auch J.A. Levy (1836–1920) beschrieben werden. Nachweise bei C.J.H. Jansen, Rudolf von Jhering (1818–1892) und Der Zweck im Recht (1877/1883) in den Niederlanden, in Rudolf von Jhering (1818–1892), Jhering heute, Uitgave van de Stichting „Het Groningsch Rechtshistorisch Fonds“, Groningen 2018, 27–29.

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sich an der Gracht Rapenburg ab. Im Akademiegebäude liegt auch der Senatssaal. Die Räumlichkeiten sind nicht sehr weitläufig und die Treppen schmal. Fahrzeuge hielten vor dem Gebäude und Gelehrte in schwarzen Gewändern entstiegen ihnen und eilten in einer langen Reihe zum Senatssaal. Das dreihundertjährige Bestehen wurde mit Wissenschaftlern aus der ganzen Welt gefeiert, so waren unter den Gästen Deutsche, Briten, Belgier, Schweizer, Russen, Österreicher, Ungarn, Portugiesen und Dänen.107 Insgesamt 26 deutsche Professoren von 18 Universitäten waren angereist. Diese deutsche Gruppe war die größte unter den anwesenden internationalen Gästen. Die einheimischen Professoren in ihren schwarzen Togen und die Gäste, die zum Teil in farbigen nationalen Amtstrachten erschienen, nahmen ihre Ehrenplätze im Senatssaal ein und wurden mit Applaus begrüßt. Der Saal war bis zum letzten Platz gefüllt.108 Der Willkommensgruß „salvete omnes“ und die Ansprachen wurden auf Latein gehalten. Der Festredner war Matthias de Vries (1820–1892), ein sehr angesehener Professor der Fakultät für Literatur, der in schönstem Latein den Anwesenden zusprach.109 In seiner Rede erinnerte de Vries an den Ruhm der Universität Leiden im 16. und 17. Jahrhundert und an die Rolle der Universität als Verteidigerin der freien Wissenschaften. Studierende aus vielen Ländern studierten dort und aus den europäischen Ländern kamen auch die Professoren, die in Leiden lehrten. Von den 70.000 Studierenden, die die niederländische Alma Mater besucht hatten, kam ein großer Teil aus dem Ausland. Daher feiere man auch ein gemeinsames Fest zusammen mit den ausländischen Gästen.110 Im Anschluss an die Rede überbrachten die Gäste die Grußworte ihrer Universitäten zumeist auch auf Latein und überreichten dem Prorektor schriftliche Urkunden der Wertschätzung. Es folgte eine Ansprache des Althistorikers Ernst Curtius (1814–1896) von der Universität Berlin. Er wies darauf hin, dass es neben Griechenland und Italien der Senatssaal von Leiden sei, der für Philologen ein heiliger Platz sei. Curtius überreichte im Anschluss auch noch ein Grußwort der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Der Marburger Professor Karl Friedrich Hermann ergiff anschließend das Wort und trug ein selbstverfasstes Gedicht über die Geschichte der Universität und der Stadt Leiden vor. Es folgte der Rektor der Universität Bonn, der eine Festgabe voll Lob über die Universität Leiden und ihren Einsatz für die Philologie überreichte. Jhering überbrachte zusammen mit seinem Kollegen, dem Anatomen und Pathologen Jakob Henle, die Grußworte aus Göttingen. 107 H.P.G. Quack, In de Leidsche senaatskamer 8 Februari 1875, 2. Sonderdruck aus De Gids, 1875, No. 3. 108 Javabode, 23. März 1875, 4. 109 H.P.G. Quack, In de Leidsche senaatskamer 8 Februari 1875, 4. Sonderdruck aus De Gids, 1875, No. 3. 110 H.P.G. Quack, In de Leidsche senaatskamer 8 Februari 1875, 5. Sonderdruck aus De Gids, 1875, No. 3.

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Alle Länder zogen mit ihren Abgeordneten am Prorektor vorbei. Die Belgier wiesen noch darauf hin, dass der Prorektor richtigerweise die Belgier nicht zu den Ausländern gerechnet habe, da beide Länder, die Niederlande und Belgien, doch in Geist und Wissenschaft eins und nur politisch geteilt seien.111 Die Portugiesen verkörperten das weite entfernte fast schon karibische Element unter den vielen Gästen. Die Schweizer Delegation, vertreten durch Moritz Heyne aus Basel sprach die verbindende Funktion des Rheins an, der in der Nähe von Leiden fließt und in Basel entspringe und beide Länder verbinde und so teile man auch Denken und Gefühl. Immer habe zwischen beiden Nationen ein Austausch von Gelehrten stattgefunden. So sei Erasmus in Basel gewesen und Virtriarius und Wyttenbach lehrten in den Niederlanden. Man erinnerte an den Orientalisten J.H. Hottinger, der auf der Reise von Zürich nach Leiden sein Leben verlor und in der Limmat ertrank. Um ihn doch noch nach Leiden zu bringen, brachte man ein Bildnis von ihm nach Leiden. Jhering wird diese Begegnungen wohl auch als eine der wenigen Momente großen internationalen Austauschs genossen haben. Leiden war Mitte des 19. Jahrhunderts sicher eines der wichtigen Zentren wissenschaftlicher Netzwerke. Im Anschluss nahm wieder der Prorektor de Vries das Wort und bedankte sich. Alle Gaben seien ein Unterpfand des heiligen Verbundes beinahe aller europäischen Akademien, die in brüderlicher Liebe gemeinsam nach Wahrheit und Freiheit strebten. Rückbetrachtend wird es wirklich etwas Besonderes gewesen sein, im Jahr 1875, also wenige Jahre nach dem deutsch-französischen Krieg deutsche und französische Wissenschaftler wieder beieinander zu sehen. Über das Fest in Leiden wurde in ganz verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen berichtet. Sogar bis in die Kolonien in Niederländisch-Indien im Java Bode und in Surinam im Surinaamsche Courant gelangten die Informationen, natürlich wie damals üblich mit einigen Wochen Verspätung.112 Dieses internationale Fest wird bei Jhering einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben, sind doch die niederländischen akademischen Bräuche bis heute höchst unterschiedlich im Vergleich zu den deutschen.

111 H.P.G. Quack, In de Leidsche senaatskamer 8 Februari 1875, 9. Sonderdruck aus De Gids, 1875, No. 3. 112 Surinaamsche Courant, 11. März 1875, 3 und Javabode, 23. März 1875, 3–4.

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Andauernde Verbundenheit zwischen Jhering und Leiden Die Verbundenheit der Universität von Leiden zu Jhering ist heute noch bei einem Blick in den Universitätskatalog zu spüren. Viele seiner Werke sind zum Teil in vierfacher Ausfertigung im Katalog zu finden. Außerdem wurden auch fast alle französischen Übersetzungen angeschafft. Dies ist eigentlich eine Bestätigung dessen, was Jhering sagte, dass er bei der Annahme eines Rufes in die Niederlande auch sein Französisch verbessern müsse. Im 19. Jahrhundert war es noch gängig, Französisch zu lesen, und für die Niederlande und das spätere Belgien wurden viele deutsche Werke ins Französische übersetzt.

Mitglied der königlichen niederländischen Akademie der Wissenschaften Ein Jahr vor dem Dies in Leiden wurde Jhering zum Mitglied der königlichen niederländischen Akademie der Wissenschaften (KNAW) berufen. Ein Bericht des Innenministers über die königliche Ermächtigung zur Ernennung neuer Mitglieder stammt vom 4. Mai 1874113 und vermerkt die Ernennung von „R. von Ihering te Göttingen“ und den Hinweis, dass die genannten Herren nun benachrichtigt werden dürfen.114 Am 14. Mai 1874 bedankt Jhering sich auf Französisch115 für die Ehre in die Akademie berufen worden zu sein. Der Brief, der heute im Archiv in Haarlem liegt, ist an den Sekretär der Akademie J.C.G. Boot gerichtet. Es erstaunt, dass Jhering auf Französisch antwortet. Leider ließ es sich nicht festzustellen, in welcher Sprache die Mitgliedschaft Jhering angetragen wurde. Zu jener Zeit war Latein noch durchaus eine gängige Gelehrtensprache in den Niederlanden und Jhering wusste auch von der Verbreitung seiner Schriften in den Niederlanden, die ja fast alle in der Originalsprache gelesen wurden. So hätte er sein Antwortschreiben an die Akademie durchaus auch auf Deutsch schreiben können. Latein scheint er als aktive Sprache vermieden zu haben, wie die Reaktion auf die auf Latein gehaltene Anfrage Van Assens zeigt. Ebenso ließ er sich auch anlässlich seines Besuchs in Leiden nicht verleiten, Grußworte auf Latein zu äußern, und auch auf die von Gratama auf Latein verfasste Schrift antwortete er 113 Die Auflistung der nationalen und der beiden ausländischen Mitglieder liegt im Nationalen Archiv in Den Haag, Toegang: 2.04.08 Inventarisnummer 703 und 704. Jhering wird zusammen mit Max Müller aus Oxford ernannt. Koninklijke Adademie der Wetenschapen an den Innenminister vom 24. April 1874, Nr. 3, archiviert am 25. April 1874, Nr. 43. 114 Noord-Hollands Archief Haarlem. Toegang 64 (Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen (KNAW) te Amsterdam, Korrespondenz KNAW 1851–1940. 115 Der Brief wirkt sehr bemüht und ist in Schönschrift geschrieben. Jhering bedankte sich in einem ungelenken Französisch für die Ehre der Mitgliedschaft in der Akademie.

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auch Deutsch. Es ist zu vermuten, dass es Jhering diplomatischer und weltmännischer erschien, auf Französisch zu antworten. Jhering wurde zum ausländischen Mitglied ernannt. Er übernahm damit den Platz, den zuvor Friedrich Carl von Savigny inne gehabt hatte. .116 Die Akademiemitglieder hatten sich vor seiner Ernennung im selben Jahr bereits mit dem Gedankengut Jherings anfreunden können, da im Januar desselben Jahres, wie bereits erwähnt, Van Boneval Faure einen Vortrag zum Kampf ums Recht in der Akademie gehalten hatte. Es ist zu vermuten, dass es auch Van Boneval Faure war, der sich um die Aufnahme Jherings in der Akademie bemüht hatte, war er doch sehr vertraut mit dessen Schriften und konnte dessen Ansehen im In- und Ausland gut einschätzen. Es wird sicher beide Gelehrte erfreut haben, dass sie sich anlässlich der großen Feier in Leiden sahen und Jhering im Hause Van Bonevals Faure weilen durfte.

Wie oft war Jhering in den Niederlanden? Jhering wuchs in einer nah an der niederländischen Grenze gelegenen Gegend auf. Dennoch wird er nicht sehr oft in den Niederlanden gewesen sein. In dem oben wiedergegebenen Brief an Gratama verweist Jhering auf eine Rückreise von Giessen nach Aurich, die ihn durch die Niederlande führte. Er spricht seinen Wunsch aus, diese Reiseroute noch einmal anzutreten. Daraus können wir schließen, dass Jhering bis zum Jahr 1861 einmal in den Niederlanden gewesen ist. Jhering reiste im Frühjahr 1868 noch einmal nach Holland und verblieb dort eine Woche.117 Ob diese Reise auch mit einem Besuch bei Hingst zusammenfiel, wissen wir nicht. Im Jahr 1875 war er dann zum Dies der Universität Leiden wieder in den Niederlanden und im Jahr 1878 begab sich Jhering gemeinsam mit seinem Kollegen Stobbe auf eine zwölftägige Kunst- und Kulturreise nach Belgien und in die Niederlande und besuchte während dieser Reise auf jeden Fall Amsterdam.118 116 Siehe zum Wirken Savignys in den Niederlanden: V. Heutger, Friedrich Carl von Savigny im Spiegel der niederländischen Fachliteratur des 19. Jahrhunderts, Savigny Global, Konferenzband, Universität Hannover, Mecke/Meder (Hg.), V&R unipress, Göttingen, 2016, 355– 364 und Friedrich Carl von Savigny und die Rezeption seiner Ideen in den Niederlanden, Liber amicorum Christoph Krampe zum 70. Geburtstag, Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen. Neue Folge (FRA), Band 68, Reichard/Armgardt/Klinck (Hg.), Duncker&Humblot, Berlin, 2013, 135–146. 117 Brief an Gerber, 2. Mai 1868, M. G. Losano I, Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber, Verlag Rolf Gremer, Ebelsbach, 1984, 640 und Arnhemsche Courant, 7. September 1869, ‚De Juristentag te Heidelberg. Heidelberg, 29. August 1869‘ mit einem Verweis auf Jherings Besuch im Vorjahr. 118 Brief Stobbes an Jhering vom 21. März 1878, SBPK, Darmstadt 1924, 138.61.

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In seinen Briefen erwähnt er keine weiteren Reisen in die Niederlande. Es ist daher anzunehmen, dass es bei vier Reisen in das Nachbarland blieb. Allzu oft hat er folglich die Niederlande nicht besucht und keiner der Aufenthalte war von längerer Art. Ein Stück Niederlande trug er aber dennoch in sich. Gegenüber Gerber beschreibt er sich als „Bild eines ächten Holländers“, wenn er sich um halb 7 Uhr wieder am Arbeitstisch sitzend mit Tee und Tabak zu tiefsinnigen Ideen anfeuere.119

Literaturaustausch Schaut man sich die lange Liste der Werke an, die Gerber und Jhering in ihren Briefen besprechen, so handelt es sich nur um deutschsprachige Werke. Dennoch schreibt Jhering andernorts, nämlich in seinem Jahrbuch auch über die holländische Schule120. Dort kommt er zu einem ziemlich vernichtenden Urteil: „Die gelehrtesten rechtshistorischen Untersuchungen früherer Zeiten, wie z. B. der ganzen holländischen Schule, haben das wahrhafte Verständniß des römischen Rechts – ich meine darunter nicht das rechtshistorische sondern das juristische um nichts gefördert, sie haben den juristischen Sinn, der allein dieses Verständnisses fähig ist, vielleicht mehr unterdrückt und auf Abwege geleitet, als erweckt.“

Weiter heißt es: „Wenn daher die römische Rechtsgeschichte unter den Händen von SAVIGNY, PUCHTA, KELLER. u. A. eine ganz andere Gestalt gewonnen hat, als unter den Händen von HUGO und den Frühern, namentlich den Holländern nebst HEINECCIUS und BACH, so liegt der Grund nicht darin, daß jene Männer auf den Schultern ihrer Vorgänger standen, sondern darin, daß sie für die Rechtsgeschichte ein juristisches Auge mitbrachten.“

Diese harten Worte werden in der Dissertation von Evers über Bijnkershoek zitiert.121 Cornelis van Bijnkershoek war der große Denker des 18. Jahrhunderts und eine Kritik an ihm traf den Volksgeist und verletzte den niederländischen Nationalstolz.122 Evers setzt sich mit dem Urteil Jherings auseinander, welches

119 Brief an Gerber, 25. November 1855, M. G. Losano I, Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber, Verlag Rolf Gremer, Ebelsbach, 1984, 173. 120 In Gerber und Ihering, Jahrbücher für die Dogmntik des heut. röm. und dentschen Privatrechts, Jena 1857, 22 und 23. 121 C. Evers, Cornelis van Bynkershoek, Zijn leven und zijne geschriften, Leiden, Hazenberg, 1869, 175ff. 122 Siehe zu dieser Periode und dem nationalen Denken im 19. Jahrhundert L. Jensen, De verheerlijking van het verleden : helden, literatuur en natievorming in de negentiende eeuw, Nimwegen, 2016, vor allem ab 207ff..

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dieser in den Jahrbüchern 1857 über die Niederländer fällte123, und weist darauf hin, dass Savigny milder geurteilt habe.124 Nach den Begegnungen mit Hingst, dem Austausch von Mitgliedern der Königlichen niederländischen Akademie der Wissenschaften125, den Erfahrungen mit der Universität Leiden und den Reisen in die Niederlande bleibt es zu vermuten und zu hoffen, dass Jhering sein Urteil aus jungen Jahren revidierte. Seine Äußerungen beim Dies in Leiden, die hoffentlich nicht nur höfliche Floskeln waren, verstärken diese Hypothese.

Der Nachruf auf Jhering in den Niederlanden Die Nachricht über Jherings Ableben drang schnell auch in die Niederlande. Zunächst wurden nur einige Zeilen im Weekblad der Todesnachricht im Jahre 1892 gewidmet.126 Sie beginnt mit der Feststellung, dass ein „Fürst der Rechtswissenschaft“ verschieden sei, und weist den Leser daraufhin, dass das Weekblad ein praktisch ausgerichtetes Juristenblatt sei, welches daher keinen langen Nachruf veröffentlich könne. Diese Aufgabe überlasse man den rechtsgelehrten Zeitschriften. Dennoch wurden einige Werke Jherings noch einmal voller Wertschätzung genannt und besonders wird auf Jherings Schreibstil hingewiesen. Er wird als genialer Autor von juristischen Klassikern gefeiert.127 An den Tod Jherings wurde auch noch einmal anlässlich des Todes von Bernhard von Windscheid erinnert.128 Die Beerdigung Jherings war der letzte öffentliche Auftritt Windscheids. Dieser hatte die beschwerliche Reise aus Leipzig als letzten Gruß für seinen Freund Jhering angetreten. Die beiden Ge-

123 Die kritische Sicht von sowohl Savigny wie auch Jhering auf die holländische elegante Schule ist immer wieder ein Anstoss für niederländische Wissenschaftler und wird wiederholt besprochen. Siehe stellvertretend für viele G.C.J.J. van den Bergh, Die holländische elegante Schule. Ein Beitrag zur Geschichte von Humanismus und Rechtswissenschaft in den Niederlanden 1500–1800 (Ius Commune. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main; Sonderhefte, 148), Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 2002. Und auch die Besprechung des Werkes in Pro Memorie, 5.1 (2003) 203 von Theo Veen. 124 C. Evers, Cornelis van Bynkershoek, Zijn leven und zijne geschriften, Leiden, Hazenberg, 1869, 177. 125 So zum Beispiel mit Boneval Faure. 126 Weekblad van het recht vom 23. September 1892, No. 6231, 4. 127 Siehe für Anmerkungen zu seinem Nachlass auch M. Kunze, Rudolf von Jhering. Ein Forschungsbericht in, in Der Kampf ums Recht, Luf/Ogris (Hg.), Berlin, 1995, 125f. 128 Weekblad van het Regt vom 31. Oktober 1892, No. 6247, 4. An Windscheid und Jhering gemeinsam wird noch einmal am 20. Januar 1893, No. 6282, 4, erinnert.

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lehrten waren bis in den Tod eng verbunden.129 An die beiden großen Juristen und deren kurz auf einander folgenden Tod wird wiederholt erinnert.130 Der Jurist Köhler wurde gerügt, als er es wagte, Jhering und Windscheid als Geister zu bezeichnen, die nicht ersten Ranges gewesen seien.131 Mit Verzögerung wird dem Juristen Jhering in den Niederlanden später noch einmal gedacht. Eine Erinnerung an Jhering wird vier Jahre nach seinem Tod, am 8. Mai 1896, im Weekblad unter der Rubrik „Vermischtes“ veröffentlicht. So widmet das Weekblad Jhering fast eine ganze Spalte, in der ein Beitrag aus der deutschen Juristenzeitung vom 1. März 1896 wiedergegeben wird. Nicht übersetzt, also auf Deutsch abgedruckt, erinnert der Sekretär der Universität Giessen an seine Zusammenarbeit mit Jhering.132

Jhering: Ostfriese und Europäer Jhering war ein großer Europäer, der über die deutschen Grenzen hinweg agierte133 und dem Dankbezeugungen und Anerkennungen aus dem Ausland zukamen.134 So war er Honorarmitglied der russischen Universitäten Kazan, Moskau und Petersburg.135 Einen Ruf der Universität Strassburg lehnte er ab. Neben anderen Auszeichnungen erhob Kaiser Franz Josef ihn in den erblichen Ritterstand136, und unter anderen, die königliche niederländische Akademie der Wissenschaften in Amsterdam ernannte ihn 1874 zum ausländischen Mitglied. 129 M. Kunze, Rudolf von Jhering, Ein Forschungsbericht, in Der Kampf ums Recht, Luf/Ogris (Hg.), Berlin, 1995, 148. 130 Siehe auch den Nachruf von R. Leonhard, Ein Nachruf für Jhering und Windscheid, Rechtsgeleerd Magazijn 1893, 249ff. 131 Weekblad van het Regt vom 3. August 1893, No. 6366, Seite 4 (diese Nummer fehlt leider in der Sammlung der Königlichen Bibliothek in Den Haag, sie kann glücklicherweise aber digital aufgerufen werden in der Maastrichter Sammlung: https://weekblad.archive.libra ry.maastrichtuniversity.nl). 132 Weekblad van het Regt vom 8. Mai 1896, No. 6798, Seite 4. Eine Erinnerung an Rudolf Jhering und „wie Jhering arbeitete“. 133 So war er als Ostfriese auch bekannt in den Niederlanden und kommt sogar im alternativen historische Canon der Niederlande vor: K. Huisman, Friesland heeft zijn eigen verhaal, Pleidooi voor een niet-Randstedelijke geschiedeniscanon, Leeuwarden, Sterk, 2007, 22. 134 Eher skurril ist die Verwendung eines Jheringzitats aus dem Zweck im Recht in einem kleinen niederländischen Büchlein der Erotik mit vielen Bildern, welches auch in der königlichen niederländischen Bibliothek in Den Haag vorhanden ist. R. Jhering, De voelhoren der kuisheid, erschienen bei Sjolsea, Amsterdam 2004. 135 M. G. Losano II,1984, 308. 136 Die Verleihung des Leopold Ordens erfolgte mit allerhöchster Entschliessung vom 30. März 1872 durch Kaiser Franz Joseph. Siehe auch auch H. Hofmeister, Jhering in Wien, in Der Kampf ums Recht, Luf/Ogris (Hg.), Berlin, 1995, 28f. Jhering beantragte die mit der Ordensverleihung verbundene Berufung in den Adelsstand am 5. April 1872.

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Das International Institute of Social History in Amsterdam, welches direkt der Königlichen Akademie der Wissenschaften unterstellt ist, zeigt seine Wertschätzung für Jhering bis heute und verwahrt in der dortigen Bibliothek zahlreiche Werke von Jhering.137 Schlägt man diese auf, so findet sich in einigen der Vermerk, dass sie vom Verfasser zugesendet worden seien.138 Mehrsprachig und viel gereist war er, und dies spiegeln auch seine Fallsammlungen wider mit Fällen, die in Amsterdam spielen, die einen Distanzkauf behandeln oder ein Schiff erwähnen, das nach New York ablegt. Jhering agierte bereits Mitte des 19. Jahrhunderts global und unterhielt ein grenz- und disziplinüberschreitendes wissenschaftliches Netzwerk. Jherings juristische Fähigkeiten wurden in den Niederlanden früh erkannt139, wie die informelle Anfrage Van Assens bei Jhering bereits im Jahr 1858 beweist. Damals allerdings hoffte Jhering auf den Ruf einer bedeutenden Universität im deutschsprachigen Raum und lehnte den Ruf nach Leiden daher ab. Die Beziehung zu den Niederlanden blieb aber bestehen und verfestigte sich im Laufe der Jahrzehnte. Jhering schrieb sich in die Herzen der Niederländer mit seinen kleinen Schriften, die für ein breites Publikum bestimmt waren.140 Unvergesslich wurde er in den Niederlanden durch seine Werke, die zum Teil erst im Alter entstanden141 und gesellschaftliche Fragen auf eine eingängliche Weise diskutieren.

137 Teil des KNAW Humanities Clusters. 138 In der Bibliothek finden sich die folgenden Werke Jherings mit ex dono: Der Kampf um’s Recht in der 5. Auflage aus dem Jahr 1877, Der Zweck im Recht, Vom Geist und Ungeist der Zeit, Der Besitzwille: zugleich eine Kritik der herrschenden juristischen Methode. Sowie verschiedene Ausgaben gesammelter Aufsätze aus den Jahrbüchen für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. 139 Siehe auch J.H.A. Lokin, Der scherzhafte und ernsthafte Jhering, in Rudolf von Jhering (1818–1892), Jhering heute, Uitgave van de Stichting „Het Groningsch Rechtshistorisch Fonds“, Groningen 2018, 127. 140 Zu seiner kritischen Sicht auf seine eigene Biographie in Bezug auf seine römischrechtlichen Forschungen siehe auch J.H.A. Lokin, Der scherzhafte und ernsthafte Jhering, in Rudolf von Jhering (1818–1892), Jhering heute, Uitgave van de Stichting „Het Groningsch Rechtshistorisch Fonds“, Groningen 2018, 126. 141 Bei Savigny war es dagegen andersherum. Als junger Jurist schrieb er seine Erfolgsschrift über den Beruf unserer Zeit zur Gesetzgebung und festigte damit seinen Ruf. Allerdings was diese Schrift auch eine der wenigen, die sich an ein breiteres Publikum wendete. Jhering dagegen verstand es im Alter weite Gruppen der Bevölkerung für sich einzunehmen.

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Abbildung 1: Brief an Gratama

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Abbildung 2: Brief von 1875

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Jhering Young and Old The history of human thought, legal thought not excepted, is frequently represented as a linear succession of authors who differ from one another only in so far as later thinkers always possess acumen surpassing that of their forebears. Some of them have even come to be thought of as two distinct persons: young and old, simple and clever. This is true in particular of one of the most famous German lawyers – whose membership in the global juristic hall of fame is also secure – Rudolf Jhering or, after 1872, when a title of hereditary nobility was conferred on him in Vienna, Rudolf von Jhering (1818–1892). Jhering is traditionally considered to be initially a conceptual jurist, the inventor of the so called jurisprudence of concepts (Begriffsjurisprudenz), and in the second phase of his life, after his famous turnaround (Umschwung) of 1 January 1859,1 a sociological jurist, the spiritual father of the jurisprudence of interests (Interessenjurisprudenz). We are not going to delve deeper into this problem. We propose rather to study Jhering from the point of view of politics. In this respect, too, we may say that there were two Jherings: first, the young apolitical scholar and then, in time, the old political thinker. During his youth, which passed in the quiet, narrow-minded age of Biedermeier, Jhering was a devotee of two famous German Pandect-law specialists: Friedrich Carl von Savigny (1779–1861) and Georg Friedrich Puchta (1798–1846). In consequence, he was an apparently apolitical scholar with a liberal background.2 But in contrast to Savigny and Puchta, Jhering did not regard the resuscitation of Roman law as his mission in life. Already by the 1850s, as a young conceptual jurist, Jhering contrived to cite the ancient sources exclusively as 1 Okko Behrends, Jherings “Umschwung”, Zeitschrift der Savigny-Stiftung. Romanistische Abteilung 134 (2017) 539, 545–48; Christoph-Eric Mecke, Begriff des Rechts und Methode der Rechtswissenschaft bei Rudolf von Jhering, Göttingen 2018, 14–15. 2 James Q. Whitman, The Legacy of Roman Law in the German Romantic Era, Princeton 1990, 214.

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additional decoration and reassurance for those incredulous people who always sought testimonial support.3 So the young Jhering engaged, in the manner of all early Pandectists, in pure private law analysis without taking into consideration any interaction with the economy and the state. In hindsight, he complained in his 1889 treatise on possession (Der Besitzwille) that he was unable to recall a single case in which Savigny, in his possession theory, employed the word “economic” (wirtschaftlich). In fact, Savigny refused dogmatically – with the exception of the moral principle (sittliches Prinzip), which tends in any case to find application in family law rather than patrimonial law – to adopt in his private law a principle of public economy (staatswirtschaftliches Prinzip).4 But even in his later years Jhering is traditionally defined in the international secondary literature as a typically liberal German lawyer of the 19th century.5 His model of private law is that of law tailored for the abstract free individual who, within the modern continental system, represents for Jhering the sole and unitary legal subject. From this point of view Jhering was even described as being a kind of executor (Vollstrecker) of the French Revolution on German soil6 or – according to the judgement of Nietzsche – an “old fashioned follower of the teleology of the Enlightenment”.7 As a specialist in pure private law, the young Jhering considered himself neither more nor less than a true legal scholar who did not care about the political consequences of his juristic doctrines and theories.8 As a result, he never, even in his old age, participated in the process of the codification of German private law that had been efficiently postponed by Savigny in the first half of the 19th century. However, the development of the civil code for Germany began eventually in 3 Jhering, Unsere Aufgabe, Jherings Jahrbücher 1 (1857) 39; id., Mitwirkung für fremde Rechtsgeschäfte (1858), Jherings Jahrbücher 2 (1858) 134–35; id., Beiträge zur Lehre von der Gefahr beim Kaufcontract, Jherings Jahrbücher 3 (1859) 478–79; cf. Tomasz Giaro, Römische Rechtswahrheiten. Ein Gedankenexperiment, Frankfurt a.M. 2007, 582. 4 Jhering, Der Besitzwille. Zugleich eine Kritik der herrschenden juristischen Methode, Jena 1889, 487; Savigny, System des heutigen römischen Rechts, vol. I, Berlin 1840, 54; see Giaro, Rechtswahrheiten (nt. 3) 602. 5 Mario G. Losano, Le concezioni politiche di Rudolf von Jhering in una lettera inedita ad Heinrich von Treitschke, Differenze 9 (1970) 179–80; Gerd Kleinheyer, Jan Schröder, Deutsche und europäische Juristen aus neuen Jahrhunderten, 4th ed., Heidelberg 1996, 224. 6 Fritz Sturm, Brennpunkte einer Ellipse: Savigny und Jhering, in: Drei Vorträge zum Privatrecht, Graz 2001, 52, following Wesenberg and Wesener. 7 Okko Behrends, Rudolph von Jhering 1818–1892. Ein Durchbruch zum Zweck des Rechts, in: Fritz Loos (ed.), Rechtswissenschaft in Göttingen. Göttinger Juristen aus 250 Jahren, Göttingen 1987, 236. 8 Fryderyk Zoll, Rudolf Jhering. Wspomnienie pos´miertne, Przegla˛d Prawa i Administracji 1892, 529; Erik Wolf, Grosse Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, 4th ed., Tübingen 1963, 650, 655.

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1874, predominantly under the influence of Jhering’s contemporary and friend Bernhard Windscheid (1817–1892). But already by 1848 Biedermeier was over. It appears that politics entered into Jhering’s life for the first time in the guise of the First Schleswig War which was fought between the German rebels inhabiting the Duchy and Denmark from 1848 to 1852. Jhering was then professor in Kiel (1849–1851); however, he did not go as a volunteer to the front. The Second Schleswig War of 1864 found him in Gießen, which was his next university posting (1851–1868).9 This time he assumed the role of German patriot, organizing in support of the Germans of Schleswig-Holstein a small troop of combat-ready students.10 The second half of Jhering’s life was marked by such processes as intense industrialization, growing social conflicts, and a number of political shocks. In consequence, in the legal world, such phenomena as social jurisprudence and publicization of private law emerged. And so it was that at the end of his life, exactly three years before his death, in a letter of 1889 addressed to the judge Ernst Neukamp (1852–1919), Jhering fully acknowledged the growing role of the mass society, discarding explicitly Windscheid’s type of private law, which was engineered for individuals (auf Individuen berechnet).11

Two early letters to Glaser and Windscheid In 1866, Jhering, now 48 years old, had been in service for 14 years as professor at the law faculty of a small, insignificant university at Gießen, the capital of Upper Hesse, a province in the Grand Duchy of Hesse-Darmstadt. Before and after 3 July 1866, the date of the victory of Prussia over Austria at Königgrätz (Czech: Hradec Králové), Jhering, who as a supporter of so-called Greater Germany (Grossdeutschland) strictly opposed Bismarck’s Realpolitik, wrote two letters which are usually cited in handbooks of German and general European history to illustrate the nationalist tumult in Europe.12 In a letter to his Austrian friend, Professor Julius Glaser (1831–1885), written on 1 May 1866, Jhering denounced Bismarck’s war against Austria as “incited so shamelessly and with such horrifying frivolity”. However, after the Prussian 9 Michael Kunze, “Lieber in Gießen als irgendwo anders …”: Jherings Gießener Jahre, Baden Baden 2018, 30. 10 Mario G. Losano, Studien zu Jhering und Gerber, Teil 2, Ebelsbach 1984, 20–21. 11 Helene Ehrenberg (ed.), Rudolf von Jhering in Briefen an seine Freunde, Leipzig 1913, 419 (cf. Dino Pasini, Saggio sul Jhering, Milano 1959, 109–110); likewise Eugen Huber, System und Geschichte des schweizerischen Privatrechts, vol. IV, Basel 1893, 299–300; cf. Giaro, Rechtswahrheiten (nt. 3) 592. 12 Frank B. Tipton, A History of Modern Germany since 1815, Berkeley-Los Angeles 2003, 123.

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victory over Austria, in a letter to his German friend Bernhard Windscheid, written on 19 August 1866, Jhering praised Bismarck as “Germany’s political messiah”.13 According to Jhering, Bismarck lifts “us all out of a state of impotence and ignominy”, giving “to the name of Germany in Europe a luster and a tone that it has not had for a thousand years”.14 Despite Jhering having written to Glaser that he “would rather cut off [his] hand than use it in such a disgusting operation as Prussian policy … against Austria”,15 just a few months later he was praising Bismarck’s Realpolitik as “an indispensable means to an end”. And Jhering continued in his praise of Bismarck – “a man of action like that is worth a hundred men of liberal principles and of powerless honesty!”16 Ultimately, Jhering’s zealous fervor for the unification of Germany overpowered any objections relating to the means employed. It seems that Bismarck’s victory over Austria, even if realized in the framework of the so-called Lesser Germany solution, excluding Austria, originally in no way favored by Jhering, awakened his taste for participation in the political life of Greater Germany.17 As a matter of fact, in the very first elections to the lower house of the general German parliament (Reichstag), held in 1867, Jhering ran for the party of National Liberals (Nationalliberalen). Alas, he lost by a narrow margin in the run-off election, with 7667 votes as against 7675 votes for the merchant Isaac Brons.

The birth of imperial science However, questions of grand foreign politics at the international level enter Jhering’s life first of all with the Franco-Prussian war of 1870–1871. Soon thereafter, in 1872, the University of Strasbourg became a German imperial university (Reichsuniversität) endowed with a decisively political function and bearing the name of Kaiser Wilhelm. After the good old Reichspatriotismus, related to the traditions of the Holy Roman Empire, had been substituted by the new one,18 the good old German legal science (Rechtswissenschaft) became

13 Ihering, Two Letters. Sources of The Making of the West, Vol. II: Since 1500: Peoples and Cultures. Comp. Katharine J. Lualdi. Vol. II, Boston 2012, 176–77. 14 Jhering, Two Letters (nt. 13) 177–178. 15 Ihering, Two Letters (nt. 13) 176. 16 Ihering, Two Letters (nt. 13) 178; Wolfgang Pleister, Persönlichkeit, Wille und Freiheit im Werke Jherings, Ebelsbach 1982, 311. 17 William Seagle, Rudolf von Jhering or Law as a Means to an End, The University of Chicago Law Review 13 (1945) 78–79. 18 Cf. Otto Dann, Nation und Nationalismus in Deutschland 1770–1990, 3rd ed., München 1996, 186–88.

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– according to the witty title of a monograph by Bernd Schlüter – imperial science (Reichswissenschaft). As a matter of fact, directly after the foundation of the German Empire (Reichsgründung) on 18 January 1871, German legal scholarship found itself in proximity to the monarchic power of the House of Hohenzollern.19 Jhering at first persevered in his self-elected scholarly role as a pure private law specialist. He did not express any interest in a chair at the Strasbourg law faculty, albeit not for strictly political reasons, but rather – so he complains in a letter to Oskar Bülow (1837–1907) dated 28 October 1871 – on account of the lack of tolerable dwellings in the city and suitable spaces to go for refreshing walks.20 In his famous pamphlet “The Struggle for Law” (Der Kampf ums Recht), written at the time of the Franco-Prussian War, but published only in 1872, Jhering affirms that “private law, and not constitutional law, is the real school of political development”.21 He reveals a more specific instance of this private law only few pages further on, where he declares sympathy for the debtor to be a sign of a “weak age” (schwache Zeit), whereas the “strong age” (kräftige Zeit) protects first of all the rights of the creditor, even if the consequence is the perdition of the debtor.22 Since 1852, when he published the first volume of “The Spirit of Roman Law” (Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung) in its first edition, Jhering had underlined that the fundamental principle of Roman law was “national egotism” finding expression in a “religion of self-promotion”.23 He tried to find in Roman law the precursors of modern commercial law,24 and sometimes he succeeded. For instance, his famous juristic discovery, the institution of fault in the formation of contract (culpa in contrahendo), is at odds with Roman civil law and betrays rather the influence of a commercial law spirit. But soon Jhering embraces a more statist worldview. In the first volume of “Law as Means to an End” (Zweck im Recht), published in the first edition in 1877, Jhering defines the State as “the unique source of law”.25 Consequently, he defines law as the totality (Inbegriff) of coercive norms (Zwangsnormen) which are in force in a state.26 From the genetic point of view, according to Jhering, law is a 19 Bernd Schlüter, Reichswissenschaft, Frankfurt a.M. 2004, 472. 20 Ehrenberg (ed.), Rudolf von Jhering (nt. 11) 266–67; cf. Sturm, Brennpunkte (nt. 6) 26 who argues that Jhering refused a formal offer from Strasbourg. 21 Jhering, Der Kampf ums Recht, Wien 1872, 73. 22 Jhering, Kampf (nt. 21) 88; cf. Tilman Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, Tübingen 2001, 40–41. 23 Jhering, Geist des römischen Rechts, vol. I, 5th ed., Leipzig 1891, 318–340. 24 Whitman, Legacy (nt. 2) 215–16, 221–28. 25 Jhering, Der Zweck im Recht, vol. I, Leipzig 1877, 319; Neil Duxbury, Jhering’s Philosophy of Authority, Oxford Journal of Legal Studies 27.1 (2007) 38. 26 Jhering, Zweck I, 1877 (nt. 25) 318–19.

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product of force or power (Gewalt). Moreover, law is essentially force itself, but force which became conscious of the necessity of measure (Maß).27 In the same first volume of “Law as Means to an End”, Jhering accordingly challenged the truth value of legal rules. As stated by Julius von Kirchmann’s (1802–1884) famous pamphlet of 1848 “The Worthlessness of Jurisprudence as Science” (Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft),28 legal dogmatics could not withstand comparison with true sciences, such as botany or zoology, even if only by virtue of the frequent changes of its subject of study. In contrast to the laws of science, which are verifiable in terms of truth (Wahrheit), Jhering proposed to qualify legal rules exclusively in terms of validity (Geltung) and to evaluate them only in terms of their correctness (Richtigkeit).29 In this sense, according to Jhering, law is not contrary to force, but merely an accidental aspect (accidens) of force.30 The homegrown monarchical principle, which presupposed the simple unity of state power vested in the King, was traditionally opposed in Germany to the foreign idea of the separation of powers, born out of the French Enlightenment. However, the monarchical principle remained absolutely dominant in German public law scholarship during the 19th century, and even longer, until the end of the First World War.31 Jhering, who gave this theory a somewhat formalistic twist, can also be counted among its main followers.

Self-limitation of state power In one of his late works, namely the second edition of the first volume of “Law as Means to an End” published in 1884, Jhering confronts the old paradox, formulated already by the Roman satiric poet Juvenal. In reference to the problem of surveillance of an unfaithful wife, Juvenal asked very pertinently: who will guard the guards themselves, who will control the controllers (Satura VI, 347–48)? A similar question was formulated by the Roman orator Fronto (De eloquentia 2,6): who will correct the injustice of the administration of justice (ius iniustum corrigere)? This neatly identifies the problem that nobody is authorised to judge the judges and to coerce the apparatus of coercion.32 27 Jhering, Zweck I, 1877 (nt. 25) 251–52, 322; cf. Pasini, Saggio (nt. 11) 56–59. 28 Darmstadt 1969, 17, 25. On his influence upon Jhering cf. Mecke, Begriff (nt.1) 442–62. 29 Jhering, Zweck I, 1877 (nt. 25) 428–29; cf. Pasini, Saggio (nt.11) 139; Giaro, Rechtswahrheiten (nt. 3) 43, 76–77; Mecke, Begriff (nt.1) 463–64, 476. 30 Jhering, Zweck I, 1877 (nt. 25) 252. 31 Schlüter, Reichswissenschaft (nt. 19) 402–410; Lukas Prakke, On the Rise and Decline of the Monarchical Principle, European Constitutional Law Review 6 (2010) 268–92. 32 Riccardo Guastini, Quindici lezioni di diritto costituzionale, 2nd ed., Torino 1992, 181–82.

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Since Jhering sees law in terms of power, and as there can be no power superior to the state, the chain of coercion must stop there. Some scholars underline that Jhering’s theory is not in reality narrowly focused on coercion by the state, but upon that rooted in the legal culture, represented by social instances and legal scholarship.33 However, it seems that Jhering is thinking here indeed in terms of state coercion and interrupts its chain in the person of the monarch, by whose hands is wound the mechanism of the state clock.34 Jhering, who rejected the principle of the separation of powers, does not mention in this context the role of the parliament.35 Jhering discusses, however, the independence of courts which – according to the traditional liberal postulation of Trennung von Justiz und Verwaltung – should be separated from administration. Moreover, he discusses “the limitation of the self-restriction of state power through statutes” (Grenzen der Selbstbeschränkung der Staatsgewalt durch das Gesetz). Nevertheless, he emphasizes that the norm is essentially unable to bind its producer.36 As an admirer of the Empire founder (Reichsgründer), Chancellor Bismarck, and the Hohenzollern dynasty, he excluded from the outset any notion of coercion of the monarch, or even so much as any external limitation of his competencies.37 The ruler is the only person within the state apparatus who is entitled to exercise coercion against his subjects without suffering it himself. In this context Jhering struggles with the old paradox of “self-directed imperatives” (Imperative an sich selber) and in the end rejects the strict rule of law according to which the statutes are directly binding upon the judiciary (Gesetzesbindung) as a “false belief” (falscher Glaube). Moreover, he considers himself with clear conscience entitled to sacrifice, if necessary, the venerated criminal law principle of “no punishment without a statute” (nulla poena sine lege) at the altar of the “emergency law of society” (Notrecht der Gesellschaft).38 Jhering’s theory of the self-limitation of power was accepted particularly in countries where the parliamentary constitution was little known and scarcely practiced, especially in the Russian Empire, where it was embraced by such 33 Okko Behrends, War Jhering ein Rechtspositivist?, in id. (ed.), Privatrecht heute und Jherings evolutionäres Rechtsdenken, Köln 1993, 134. 34 Jhering, Zweck I, 1884, 327. 35 Ulrich Stelkens, Rechtssetzungen von europäischen und nationalen Verwaltungen, in: Grundsatzfragen der Rechtssetzung und Rechtsfindung, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 71 (2012) 374–75. 36 Jhering, Zweck I, 1877 (nt. 25) 377–413 (separation), 413–426 (borders), 338 (norm producer). 37 Jhering, Zweck I, 1884 (nt. 34) 327; cf. Schlüter, Reichswissenschaft (nt. 18) 408. 38 Jhering, Zweck I, 1884 (nt. 34) 327, 332, 358 (Pasini, Saggio, nt.11, 59–61, 145–46), 422, 429 (Ulrich Falk, Von Dienern des Staates und von anderen Richtern, in: Andre Gouron (ed.), Europäische und amerikanische Richterleitbilder, Frankfurt a. M. 1996, 277); Giaro, Rechtswahrheiten (nt. 3) 576.

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renowned legal thinkers as, for instance, Boris Chicherin (1828–1904) and Nikolai Korkunov (1853–1904).39 A somewhat more important historical consequence of Jhering’s theory was, however, that it prompted Georg Jellinek (1851– 1911) to develop much more thoroughly, in his “General Theory of the State”, a theory of the self-limitation of the state through statutes.40

Two late letters to Treitschke and Bismarck In his pamphlet “The Struggle for Law”, written during the Franco-Prussian War of 1870–1871, but delivered as a lecture in Vienna and published there only in 1872, Jhering speaks from the standard viewpoint of a private law specialist. However, he defends here explicitly the Bismarckian approach to solving international policy problems. In one characteristic passage of the pamphlet he declares that “a nation which allowed itself to be deprived of one square mile of its territory by its neighbor, which looked upon such a violation of law in silence … would have signed its own death sentence”.41 The reader of these lines gains the uncomfortable impression that in the course of time the initially liberal Jhering became more and more authoritarian. For instance, in his Zweck monograph he recommends careful administrative monitoring of associations (Überwachung des Vereinswesens)42 and criticizes the “excessively permissive approach taken by the authorities in the policing and censorship of the theatre” (zu wenig streng gehandhabte Theaterpolizei und Theaterzensur); moreover, he condemns a series of couplets as “true sources of moral poison” (wahre moralische Giftquellen).43 Jhering’s conservative approach is confirmed by two late letters, one to a rightwing German historian Heinrich von Treitschke (1834–1896) and the other to the Iron Chancellor, Otto von Bismarck. Jhering’s letter to Treitschke was written on 24 March 1883, but was published by Mario Losano only after nearly a century, i. e. as late as 1970.44 Not only was Treitschke far from progressive, as Losano

39 On Chicherin cf. Angelika Nußberger, Caroline von Gall (eds.), Rechtsphilosophisches Denken im Osten Europas, Tübingen 2015, 94–98; on Korkunov cf. Julia Stanek, Rosyjski realizm prawny. Psychologiczno-socjologiczna szkoła prawa, Warszawa 2017, 40–41. 40 Peter Landau, Rechtsgeltung bei Georg Jellinek, in: Stanley L. Paulson, Martin Schulte (eds.), Georg Jellinek. Beiträge zu Leben und Werk, Tübingen 2000, 305–307; Pietro Costa, The Rule of Law: a Historical Introduction, in Costa, Zolo (eds.), The Rule of Law. History, Theory, Criticism, Dordrecht 2007, 98–102. 41 Jhering, Kampf (nt. 21) 25; cf. Duxbury, Jhering’s Philosophy (nt. 25) 46. 42 Jhering, Zweck I, 1877 (nt. 25) 315. 43 Jhering, Zweck II, 1883, 394; cf. Falk, Von Dienern (nt. 38) 276. 44 Losano, Concezioni politiche (nt. 5) 192–95.

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acknowledges, but even unabashedly reactionary, nationalist and anti-Semitic.45 In the period 1871–1878 he belonged to the National Liberal Party, the same for which Jhering unsuccessfully ran in the first elections to the Reichstag in 1867. Even in the era when international political correctness was not yet the order of the day, Treitschke’s chauvinism made a strong impression. He affirmed generally the cultural inferiority of African people, which made them susceptible of extermination; moreover, as a bitter enemy of the British Empire, Treitschke promoted the development of German colonial dominions. Jhering adopted a somewhat similar stance in the 1877 first edition of the first volume of Zweck, in which he did not credit black people (Neger) with any “sentiment of law” (Gefühl des Rechts), since they were accustomed to considering all violence suffered as a force of nature.46 Likewise, in harmony with Treitschke and without mercy for the indigenous people, Jhering stated in the second, 1866 edition of the first volume of “The Spirit of Roman Law” that the Anglo-Saxons were entitled to wheedle the American Indians out of their estates, since land belongs always to the subject who is able to cultivate the fields.47 It is sufficient to compare these startling statements of Jhering, who handles the social practices of other cultures in such a dismissive and condescending manner, with the type of deeper engagement already evident in the work of the founding father of legal anthropology, Sir Henry Sumner Maine.48 His seminal book “Ancient Law” was published as early as 1861. Moving to the constitutional law, it comes as no surprise that Treitschke rejected any doctrine of the separation of powers, characterized by him as the “idle play of discernment” (müssiges Spiel des Scharfsinns).49 Jhering, who highly appreciated Treitschke, even citing him in “The Spirit of Roman Law”,50 rejected this doctrine as well. Moreover, Jhering extolled Treitschke’s “German History,” which frequently denigrates other nations – first of all Eastern Europeans,51 but also “the perfidious British, the bigoted French and the … uncultured Americans”52 – as a “source of patriotism for our youth”. Jhering affirms on this occasion, adhering 45 Tomasz Giaro, Vor-, Mit und Nachdenker des Madagaskar-Plans, Rechtshistorisches Journal 19 (2000) 136–38, 156–63. 46 Jhering, Zweck I, 1877 (nt. 25) 347; id., Zweck I, 1884 (nt. 34) 394; id., Zweck I (1893) 392. 47 Jhering, Geist des römischen Rechts, vol. I, 2nd ed., Leipzig 1866, 7; cf. Repgen, Soziale Aufgabe (nt. 22) 40. 48 Edward Beasley, The Victorian Reinvention of Race, Routledge 2010, 114–115. 49 Heinrich von Treitschke, Politik, vol. II, Leipzig 1898, 2–3; cf. Schlüter, Reichswissenschaft (nt. 18) 408. 50 Jhering, Geist II.1, 5th ed., Leipzig 1894, 30. 51 Giaro, Vor-, Mit und Nachdenker (nt. 45) 156–63. 52 Andreas Dorpalen, Heinrich von Treitschke, Journal of Contemporary History 7.3–4 (1972) 30.

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closely to his idol, that “the intelligent bureaucracy has given much more to Prussia than constitutionalism did”.53 The second important political letter of the late Jhering, written on 15 September 1888, was a letter of thanks addressed to Otto von Bismarck, who had congratulated Jhering on the latter’s 70th birthday. Jhering describes here the sudden change in his political – and possibly juristic – attitude, calling it an Umschwung (turnaround), thus using exactly the same term he had adopted at the beginning of 1859 to describe his definitive disappointment with the jurisprudence of concepts. The second Umschwung was of a political nature: it happened when Emperor Wilhelm I of Hohenzollern awakened from sleep Jhering’s faith in the German State and Monarchy.54 Jhering, who was never particularly scrupulous about the legality of constitutional practice,55 describes this psychological change after the foundation of the German Empire at the beginning of 1871 in the following way: “Having seen the bland glorification of principles and dead formulae (öde Verherrlichung von Prinzipien und toten Formeln) I now hope to see the blessings brought by having a great leading personality” (Segen einer gewaltigen Persönlichkeit). The social corollary was the opening of the German legal system to politics and its instrumentalization in the service of the State.56 German lawyers came to see their professional identity not as an autonomous class of scholars cultivating private law independently of the State, but as part and parcel of the State and its process of law-making.

Jhering’s Realjurisprudenz In the already cited letter of 15 September 1888, the same letter of thanks addressed to Bismarck who had felicitated Jhering on his 70th birthday, Jhering even attributed his own legal ideas to Bismarck. On this occasion Jhering remarked, namely, with modesty that he had merely carried out in his limited sphere of jurisprudence (innerhalb seiner beschränkten Sphäre) the inspiring ideas expressed by his idol in his realistic politics (nur den Anregungen gefolgt ist, die der

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Losano, Concezioni politiche (nt. 5) 194–95. Ehrenberg (ed.), Rudolf von Jhering (nt. 11) 442–43; cf. Falk, Von Dienern (nt. 38) 274–75. Cf. Mecke, Begriff (nt. 1) 165–72. Hans-Peter Haferkamp, Die sogenannte Begriffsjurisprudenz im 19. Jahrhundert – reines Recht?, in: Otto Depenheuer (ed.), Reinheit des Rechts, Springer 2010, 96–97; id., The Science of Private Law and the State in 19th Century Germany, The American Journal of Comparative Law 56 (2008) 681.

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große Meister der Realpolitik ihm gegeben hat).57 However, the relationship between Jhering and Bismarck was neither limited to this one-sided veneration, nor restricted to a private matter between two gentlemen. This late self-characterization of Jhering did not remain without consequences. As early as 1906 Ernst Landsberg (1860–1927), a constitutionalist renowned rather as a historian of German legal scholarship, who completed the monumental “Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft” inaugurated by his teacher Roderich von Stintzing (1825–1883), had coined the term Realjurisprudenz. The term referred to the reflection of the Bismarckian Realpolitik in the unabashed domain of juristic argumentation and decision-making.58 A parallel between Rudolf von Jhering and Otto von Bismarck was drawn also in 1921 by Ernst Zitelmann (1852–1923).59 The excessive ‘cult of practice,’ which caught hold of German legal scholarship in private law under the influence of Jhering during the 1880s and 1890s, was very timidly criticized only by some isolated German jurists, including civil law specialists Rudolf Leonhard (1851–1921), Ernst Immanuel Bekker (1827–1916) and Paul Ernst Emil Sokolowski (1860–1934).60 All these jurists, who were active around the turn of the century, saw themselves already not as followers of the traditional Pandect-law doctrine, but rather as members of the new group of modern civil law specialists. However, the majority of German legal scholars eagerly applied the fashionable catchphrases of Jhering. In this way, Rudolf Sohm (1841–1917), a famous canon lawyer, historian of German law, and member of the commission for the second project on the German civil code BGB, defended the project against the critique of Leon Petraz˙ycki (1867–1931). Sohm undermines the ideal of love, promoted by Petraz˙ycki, with the help of Jhering’s terminology, inspired by his metaphor of struggle for law: “Law gives me arms to fight for my right. How could it be reconcilable with love!” (Das Recht gibt mir Waffen zum Kampf ums Recht. Wie wäre das mit der Liebe verträglich!).61 As a matter of fact, Petraz˙ycki was one of the earliest critics of the practical twist given to German scholarship on private law by Jhering.62 Particularly in his 57 Ehrenberg (ed.), Rudolf von Jhering (nt. 11) 444; Seagle, Rudolf von Jhering (nt. 17) 88; Pleister, Persönlichkeit (nt. 16) 24, 139. 58 Behrends, Rudolph von Jhering 1818–1892 (nt. 7) 230 nt. 4. 59 Ernst Zitelmann, Die Neugestaltung des Rechtsstudiums, Berlin-Leipzig 1921, 5–6. 60 Rudolf Leonhard, Das neue Gesetzbuch als Wendepunkt der Privatrechtswissenschaft, Breslau 1900, 8–9; Ernst Immanuel Bekker, Ernst und Scherz über unsere Wissenschaft, Leipzig 1892, 95; Paul Sokolowski, Die Philosophie im Privatrecht, vol. I, Halle 1902, 3. 61 Rudolf Sohm, Über den Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich in zweiter Lesung, Gruchots Beiträge 39 (1895) 765. 62 Tomasz Giaro, La ‘Civilpolitik’ di Petraz˙ycki o dell’amore nel sistema decentralizzato, Index 23 (1995) 120–22; Marcin Zielin´ski, Der Transfer juristischen Gedankenguts innerhalb Eu-

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papers published in 1896 after his return from Berlin to Russia, Petraz˙ycki criticized Jhering explicitly as an exponent of the intellectual and moral reaction which constituted a juristic counterpart to the Realpolitik of the Iron Chancellor Bismarck, based upon cynical materialism and the cult of brute force.63 The practical and opportunistic Jhering is contrasted by Petraz˙ycki with the sublime and principled Savigny.64 Some scholars even believe that Petraz˙ycki’s Civilpolitik as a whole was formulated in opposition to Jhering’s interest theory.65 According to Petraz˙ycki, Jhering’s theory of interests elevates a particular point of view, namely the perspective of only one party in a legal relationship, to the high rank of a theory. As a matter of fact, adopting Jhering’s definition of subjective rights as mere interests means, in reality, assuming the perspective of private advantage instead of the perspective of national economy. In this way, the analytical horizon is restricted to the narrow perspective of the right-holder. However, his interest is always correlated with a loss on the opposite side, the existence and interest of which are consistently ignored by Jhering.66 In the same way, Jhering ignored the general interest of the national economy. In particular, the legal responsibility for damages, envisaged by Jhering exclusively from the viewpoint of the possibly full protection of the private interest of the subject damaged, restores the equilibrium and in this way settles the case only in the private dimension of a legal relationship between the parties. However, this equilibrium is paid for by the national economy as a whole, which suffers losses in the form of wasted time and social energy, costs of litigation and interruptions in the processes of production and distribution.67 Moreover, according to Petraz˙ycki, Jhering degraded such essential topics of legal scholarship and legal philosophy as the problem of the binding force of customary law in the age of codification, the proper construction of legal personhood, and the historical reasons for the emergence of possessory protection, to trivial questions of everyday court practice. He accounted for them by reference to such banal factors as the scope of judicial process, the alleviation of the

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ropas, Hamburg 2007, 155–57; Florian Kolbinger, Im Schleppseil Europas?, Frankfurt a.M. 2004, 211–23; Piotr Szymaniec, Criticism of Jhering’s concepts in Petraz˙ycki’s Philosophy of Law, Transformacje Prawa Prywatnego 4 (2017) 53–58. Leon Petraz˙ycki, Wste˛p do nauki polityki prawa, Warszawa 1968 (papers of 1896–97) 80, 97, 397; id., Prawo a sa˛d, Warszawa 1936 (papers of 1901) 7–8; cf. Andrzej Walicki, Legal Philosophies of Russian Liberalism, Oxford 1967, 227. Petraz˙ycki, Wste˛p (nt. 63) 33–34, 196–97, 418, 433, 441 (Jhering); ebd. 422; id., Zagadnienia prawa zwyczajowego, Warszawa 1938 (papers of 1898), 70 (Savigny). G. Landau, Die Voraussetzungen der psychologischen Rechtslehre L. v. Petrazickis, Philosophie und Recht 2 (1922–23) 104; Karl Olivecrona, Is a Sociological Explanation of Law Possible?, Theoria 14 (1948) 168. Petraz˙ycki, Wste˛p (nt. 63) 389–91, 392–94, 405; id., Die Lehre vom Einkommen, vol. II, Berlin 1895, 506. Petraz˙ycki, Wste˛p (nt. 63) 287–90; id., Teoria prawa i pan´stwa, vol. II, Warszawa 1960, 581–84.

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burden of proof and other “microscopic procedural simplifications”. Jhering’s theory rested on a “shallow, banal, and vulgar concept of law, which results in making the legal worldview crude”.68 Jhering’s ideology has more recently been criticized in Germany as founded upon the concept of law deprived of law’s idea (Rechtsbegriff ohne Recht).69 According to these critics, the endpoint of Jhering’s analysis is a formalization and hollowing out of the concept of law, accompanied by the reduction to meaninglessness of private law as an autonomous category. The pragmatic and teleological Jhering is to this day placed in opposition to the systematic and principled Savigny. A recent German monograph on the application and interpretation of law in Portugal and Brazil situates itself at the same time as a “pleading for more Savigny and less Jhering,” in other words, for more historical and systematic construction undertaken at the expense of “ends and values” with their capacity to obscure.70

68 Petraz˙ycki, Wste˛p (nt. 63) 415, 421–422; id., Zagadnienia (nt. 64) 17. 69 Knut W. Nörr, Eher Hegel als Kant. Zum Privatrechtsverständnis im 19. Jahrhundert, Paderborn 1991, 42, 53. 70 Benjamin Herzog, Anwendung und Auslegung von Recht in Portugal und Brasilien: Eine rechtsvergleichende Untersuchung aus genetischer, funktionaler und postmoderner Perspektive, Tübingen 2014, 135–48, 719–25.

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Aspekte der Jhering-Rezeption in Ungarn*

1. „Der Drang des Lebens hat das Recht mit seinen Anstalten hervorgetrieben und unterhält dasselbe in unausgesetzter äußerer Wirklichkeit. (…) Die Rechtssätze sind abstrahirt aus einer Betrachtung der Lebensverhältnisse und bestimmt, die denselben innewohnende Natur auszusprechen und sie ihnen zu sichern.“ Diese beiden Zitate aus dem I. Band des Geistes des römischen Rechts1 waren das Motto des Antrittsvortrags von Pál Hoffmann an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften an einem Herbstmontag, dem 12. Oktober 1863.2 Das Thema war „Das Wesen des Rechts“.3 Hoffmann war damals Professor des Römischen Rechts und Kirchenrechts an der Rechtsakademie von Kaschau (ung. Kassa, heute Kosˇice in der Slowakei), zwei Jahre später (1865) erhielt er aber den Lehrstuhl für Römisches Recht an der Universität von Pest (heute Budapest).4 * Der Verfasser bedankt sich in besonderem Maße bei Frau Prof. Inge Hanewinkel und bei Herrn Prof. Stephan Meder für die freundliche Einladung zur Tagung „Jhering Global“ sowie zu dem vorliegenden Band. Für die sprachliche Verbesserung des Texts sei Herrn Prof. Christoph-Eric Mecke auch an dieser Stelle herzlich gedankt. 1 Rudolf von Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, I, Leipzig 1852, 13, 25. 2 Pál Hoffmann, A jog lénye [= Das Wesen des Rechts], Pest 1864, ii. 3 Hoffmann (Fn. 2), 57 fasste das Wesen des Rechts in fünf Thesen zusammen: (1) die mit dem göttlichen Willen übereinstimmende menschliche Freiheit; (2) die Gleichheit; (3) der Nationalgeist; (4) die organische Ausgestaltung; (5) der Organismus der Rechtsverhältnisse. Hoffmann, ebd. 8, Fn. 2 kritisierte Grotius, weil letzterer Gott nicht für unerlässlich für das Recht hielt. Hoffmann kritisierte auch die übertriebene Spezialisierung der Wissenschaften, wobei die Naturwissenschaften insbesondere im Verhältnis zur Philosophie erheblich an Bedeutung gewannen. Hoffmann, ebd., 2, Fn. 1 zitiert diesbezüglich auch Goethe („Man kann in den Naturwissenschaften über manche Probleme nicht gehörig sprechen, wenn man die Metaphysik nicht zu Hülfe ruft…“). Konsterniert berichtet Hoffmann, ebd. darüber, dass sich die deutschen Naturwissenschaftler positiv zur Theorie von Darwin verhalten; vgl. diesbezüglich die entgegengesetzte Bemerkung von Gusztáv [Szászy-] Schwarz, Új irányok a magánjogban [= Neue Richtungen im Privatrecht], Budapest 1911, 132. 4 Zur Person s. zusammenfassend Gábor Hamza, Entstehung und Entwicklung der modernen Privatrechtsordnungen und die römischrechtliche Tradition, Budapest 2009, 397; neuerdings derselbe, Orígen y desarrollo de los ordenamientos iusprivatistas modernos en base de la

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Jherings Name war damals den ungarischen Fachkollegen, vorzugsweise aufgrund der ersten drei „Bände“5 des Geistes wohlbekannt. Dies ist etwa einem damals gängigen Universitätslehrbuch zu entnehmen, wo unter den führenden Werken zum römischen Recht auch die ersten drei Bände des Geistes aufgezählt wurden.6 Immerhin erwähnt der Verfasser dieses Lehrbuchs, der namhafte Strafrechtler und Rechtsphilosoph Tivadar Pauler Jhering nicht im Haupttext und hebt stattdessen nur die Namen von Gustav Hugo, Christian Gottlieb Haubold, Savigny und Puchta hervor. Pauler bemerkt, dass diese Männer für die Jurisprudenz wieder eine so glänzende Epoche gegründet hätten, die mit der Epoche von Cujacius zu vergleichen sei.7 Zu dieser Zeit war also der Name von Jhering in Ungarn bekannt, seine Bedeutung war aber noch nicht klar erkannt.8 Um zum Jhering-Motto bei Hoffmann noch kurz zurückzukehren, so sei darauf hingewiesen, dass der gut gebildete, aber wenig unabhängig denkende Romanist und Zivilist Hoffmann als Savignyaner galt.9 In den Fußnoten des vorliegenden Werkes zitierte Hoffmann mehrere Pandektisten, auf Jhering hat er aber, im Gegensatz zu seinem Eingangsmotto, kein weiteres Mal hingewiesen. Sein JheringMotto stellte auf diese Weise ein ziemlich frühes, aber ein bisschen seltsames Zeichen der Jhering-Rezeption in Ungarn dar.10

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tradición del Derecho romano, Santiago de Compostela 2022, 347; ausführlicher ders., Hoffmann Pál, in: ders. (Hg.), Magyar jogtudósok [= Ung. Rechtsgelehrten], I, Budapest 1999, 51ff. Formell handelt es sich um die ersten zwei Bände des Geistes: I (1852), II.1 (1854), II.2 (1858). Tivadar Pauler, Jog- és államtudományok encyclopaediája [= Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaften], 2. Aufl., Pest 1862, 60. In der ersten Auflage von 1851 wurde Jhering noch nicht erwähnt. Es ist zu bemerken, dass einen solchen Kurs in Gießen auch Jhering selber hielt, s. Diethelm Klippel, Rudolf von Jhering an der Ludwig-Universität in Gießen, in: Okko Behrends (Hg.), Rudolf von Jhering. Beiträge und Zeugnisse, 2. Aufl. Göttingen 1993, 34. Pauler (Fn. 6), 59. Die günstige Auswertung der Historischen Schule seitens Paulers wiederholt sich (natürlich) auch in der 4. verb. und verm. Aufl. seines Werkes von 1871 (S. 63). Hoffmann (Fn. 2), 20 beschreibt die Größe der deutschen Historischen Schule auf die Weise, dass sie das Niveau der Römer fast überhole. Vgl. Katalin Gönczi, Die Historische Schule in Ungarn, in: S. Meder / C.-E. Mecke (Hg.), Savigny Global, Göttingen 2016, 213ff., 226, wo aber das oben erwähnte Lehrbuch von Pauler nicht berücksichtigt worden ist. Elemér Pólay, A pandektisztika és hatása a magyar magánjog tudományára [= Die Pandektistik und ihr Einfluss auf die ung. Privatrechtswissenschaft], Szeged 1976, 114, Fn. 144. Bezüglich der Bedeutung des Jhering-Mottos bei Hoffmann nimmt Hamza, Hoffmann Pál (Fn. 4), 55 an, dass Hoffmann dadurch für die in seiner Zeit nicht mehr existierende Einheit der Historischen Schule auftrat. Für diese Auslegung spricht, dass Jhering bereits 1857, im I. Band seiner Jahrbücher eine Art Antihistorismus angekündigt hat. Immerhin schien Jhering 1863 noch zur historischen Schule zu gehören und sein Ausscheiden wurde erst mit dem vierten Bande (III.1.) des Geistes im J. 1865 eindeutig, s. neuerdings Inge Kroppenberg, Die Plastik des Rechts. Sammlung und System bei Rudolf v. Jhering, Berlin 2015, 16ff. Deshalb nehme ich meinerseits an, dass die Jhering-Zitate dem Hoffmann einfach gefielen, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil sie im Einklang mit seinen „organischen“ Gedanken standen.

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2. Gut zehn Jahre später erschienen in Ungarn die Zeichen der Zeit für eine Jhering-Rezeption eindeutig günstiger. Dafür sorgten nicht zuletzt die Übersetzungen. Die erste ungarische Übersetzung des Kampfes ums Recht ist bereits 1874 veröffentlicht worden, also nur zwei Jahre nach der Wiener Erstauflage.11 Dadurch gehört das Ungarische zu jenen Sprachen, in die Der Kampf ums Recht am frühesten übersetzt worden ist. Nur die englische Übersetzung erschien früher.12 Die Übersetzer waren zwei Budapester Jurastudenten, die die Idee wahrscheinlich von dem wohl informierten Budapester Eggenberger-Verlag erhielten, der später auch Jherings Schrift Die Jurisprudenz des täglichen Lebens in ungarischer Übersetzung herausgegeben hat.13 Diese Übersetzung des Kampfes ums Recht wurde mit einem Vorwort des namhaften Professors Gusztáv Wenzel versehen.14 187515 bzw. 188616 erschienen die beiden berühmten Übungsbücher von Jhering auf ungarisch. Die Übersetzer waren Jherings Schüler, nämlich Mihály

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Darüber hinaus wollte Hoffmann wohl seine gründliche Vertrautheit mit der neuesten deutschen Literatur zeigen. Jherings Name klang damals, etwa dank dem Lehrbuch von Pauler, bereits auch in Ungarn elegant, seine Werke waren aber damals vermutlich nur noch wenigen ungarischen Juristen bekannt. R. Jhering, Küzdelem a jogért, Budapest 1874. Diese Übersetzung (von Lajos Ballai und Vilmos Lippe) ist selbst in Ungarn kaum bekannt. Eine wichtige Ausnahme bildet neuerdings die Erwähnung seitens Lajos Vékás, Fejezetek a magyar magánjogtudomány történetébo˝l [= Einige Kapitel aus der Geschichte der ung. Privatrechtswissenschaft], Budapest 2019, 75. Das Vergessen der erwähnten Übersetzung von 1874 ist der Tatsache zuzuschreiben, dass Der Kampf ums Recht 1907 neu übersetzt (von dem heute so gut wie unbekannten Cézár Szilassy) und in einer populären Reihe en gros herausgegeben wurde. Auszugsweise (und mit kleineren Verbesserungen) wurde diese neuere Übersetzung in einer rechtsphilosophischen Anthologie (Csaba Varga [Hg.], Jog és filozófia [= Recht und Philosophie], Budapest 1981, 2. Aufl. 1998, 3. Aufl. 2001) veröffentlicht. Diese Anthologie beginnt eben mit Exzerpten aus dem Kampf ums Recht (1–21). Siehe dazu Behrends (Fn. 5), 71. Siehe dazu Fn. 15 unten. Bei Behrends (Fn. 5), 71 wird diese Übersetzung irrig G. Wenzel zugeschrieben. Wenzel wies in seinem Lehrbuch A magyar magánjog rendszere [= System des ung. Privatrechts], 2. Aufl. Bd. II, Budapest, 1874, 7f. in der im Geiste von Savigny angelegten Darstellung des Besitzrechts zusätzlich auch auf Jherings Monographie Über den Grund des Besitzesschutzes, Jena 1868 [2. Aufl. 1869] hin (aber nur bibliographisch, und zwar neben den Werken von E. Gans und A. Randa). Ziemlich früh, und zwar 1875 hat Mihály Biermann (1848–1889) die ung. Übersetzung der Jurisprudenz des täglichen Lebens (1873) veröffentlicht (Jhering, A jogtudomány a mindennapi életben, Budapest 1875). Dieses Buch stellte das erste römischrechtliche Übungsbuch in Ungarn dar, so Gusztáv [Szászy-] Schwarz in: Jhering, Magánjogi esetek [übers. u. ergänzt v. G. Sch.], Budapest 1886, 5. Biermann war ein Hörer von Jhering in Göttingen (nicht identisch mit Johannes Biermann, der 1907 Briefe Jherings herausgegeben hat). Jhering, Der Zweck im Recht, II (3. Aufl.), Leipzig 1898, 501 nannte M. Biermann „mein Freund und ehemaliger Zuhörer“. Biermann war Professor des römischen Rechts an der Rechtsakademie von Hermannstadt (ung. Nagyszeben, heute Sibiu in Rumänien), s. Hamza, Entstehung (Fn. 4), 376.

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Biermann (Die Jurisprudenz des täglichen Lebens) und Gusztáv [Szászy-] Schwarz17 (Civilrechtsfälle ohne Entscheidungen), die in Göttingen Jherings Hörer gewesen waren und danach in Ungarn Professoren des römischen Rechts wurden. Mittels dieser Übersetzungen wurde die praxisorientierte Unterrichtsmethode von Jhering in Ungarn noch zu Jherings Lebzeiten rezipiert. Ein weiterer ungarischer Schüler von Jhering,18 Mór Kiss veröffentlichte 1883 eine von Jhering inspirierte Rechtsfallsammlung. Im Vorwort beschreibt er Jherings Übungsbücher als würdig, weltberühmt zu sein.19 Das Buch von Kiss steht zu den römischen Quellen in dem Sinne näher, dass Kiss überall antike römische Szenen mit römischen Personennamen präsentierte. Kiss gab im Anhang zu jedem Rechtsfall die einschlägigen Quellenstellen an. Dieser Methode von Kiss folgte u. a. das zuerst 1971 erschienene Übungsbuch von Róbert Brósz und György Diósdi.20 Das zuerst im Jahre 2000 veröffentlichte 16 Im Vorwort der ung. Ausgabe der Jurisprudenz des täglichen Lebens sah Biermann vor, dass er, abhängig vom Erfolg des Buches auch die berühmten Civilrechtsfälle ohne Entscheidungen von Jhering übersetzen werde. Diese Aufgabe hat aber nicht er, sondern Schwarz (Fn. 15) erfüllt. Schwarz stellte im Vorwort fest (S. 6), dass Jherings Civilrechtsfälle von den Studenten höhere Fachkenntnisse erfordern als das Übungsbuch von Mór Kiss von 1883 (dazu s. unten), das für die Anfänger geeignet sei. Vgl. neuerdings Michael N. Rempel, Jherings Juristisches Kabinett, Hamburg 2018, 10. Die ung. Version der Civilrechtsfälle (1886, 2. Aufl. 1901, 3. Aufl. 1905) wurde an der Universität von Budapest (vorzugsweise an den von Schwarz mit Begeisterung gehaltenen Pandektenpraktika) mehr als drei Jahrzehnte lang benutzt. 17 G. Schwarz ist seit 1912 als G. Szászy-Schwarz bekannt (vgl. Fn. 22 unten). 18 Mór Kiss (1857–1945) war ein jüngerer Hermannstädter Kollege von Biermann. Später wurde er Professor des römischen Rechts an der Universität von Klausenburg (ung. Kolozsvár, heute Cluj-Napoca in Rumänien). Kiss studierte nicht nur bei Jhering in Göttingen, sondern auch bei Windscheid in Leipzig sowie an mehreren weiteren deutschen Jurafakultäten. Zur Person s. Hamza, Entstehung (Fn. 4), 397. 19 Mór Kiss, A Corpus Iuris Civilisbo˝l kiszemelt magánjogi esetek gyu˝jteménye [= Sammlung von aus dem Corpus Iuris Civilis ausgewählten Fällen], Budapest 1883, 6. Zu erwähnen ist noch Márton Szentmiklósi, Magánjogi esetek [= Privatrechtliche Fälle], Budapest 1902. Der Römischrechtler Szentmiklósi stellte sein Übungsbuch aufgrund der ungarischen sowie der deutschen Rechtsprechung zusammen, im Vorwort zitiert er aber mit großem Respekt den Schlussgedanken des Vorworts von Jherings Civilrechtsfällen. 20 Róbert Brósz / György Diósdi, Jogesetgyu˝jtemény a római jogi forrásaiból [= Rechtsfallsammlung aus den Quellen des römischen Rechts], Budapest 1971; s. ähnlich Róbert Brósz, Római jogi gyakorlatok [= Römischrechtliche Übungen], Budapest 1979 [u. zahlr. Nachdr.]. Róbert Brósz (1915–1994) war Budapester Professor des römischen Rechts und galt als ein „wissenschaftliches Urenkelkind“ von Jhering (über Géza Marton und Gusztáv SzászySchwarz). Zur Person von Brósz s. den Nachruf von Gábor Hamza in Iura 45 (1994), 195ff. Verglichen mit dem von Jhering selbst stammenden oder von ihm inspirierten älteren ungarischen Übungsbüchern liegt eine auffallende Eigenschaft der Sammlung von Brósz und Diósdi darin, dass sie die einzelnen Tatbestände fast so kurz und knapp darstellten, wie sie in den entsprechenden römischen Quellentexten vor uns stehen. Im Hintergrund dieser Lösung stehen grundsätzlich zwei Ursachen. Einerseits wollte Brósz als ehemaliger Schüler von De Francisci und Albertario (Rom 1940/41) zu den Quellen am weitgehendsten zurückkehren. Andererseits schien es im Rahmen der für alle Jurastudenten des ersten Studienjahres obli-

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Casebook von Éva Jakab21 weicht aber von dieser Methode ab und folgt vielmehr dem Muster der Casebooks von Herbert Hausmaninger. Dementsprechend präsentiert Jakab überall die Quellentexte auf lateinisch sowie in eigener ungarischer Übersetzung. Dadurch wird den Studenten ab sofort auch die Entscheidung mitgeteilt und daher geht ein großer didaktischer Vorteil der jheringschen Methode verloren, wobei es nämlich eben die Studenten selber sind, die die jeweilige Entscheidung herausfinden müssen. 3. Das Auftreten des oben en passant als Übersetzer der Civilrechtsfälle erwähnten Gusztáv Schwarz’ aus dem Jahre 1884 führte, wenn auch nicht uno ictu, doch zu einem Durchbruch in der Jhering-Rezeption in Ungarn. Gusztáv Schwarz, in den Adelsstand erhoben seit 1912 als Gusztáv Szászy-Schwarz bekannt,22 ist seit langer Zeit (bereits zu seinen Lebzeiten) als der „ungarische Jhering“ bekannt und anerkannt, und zwar auch in Deutschland. Dieses epitheton ornans begegnet etwa in dem bekannten 1992 von Okko Behrends herausgegebenen Band, wo ein Aufsatz von Szászy-Schwarz als „Ein zeitgenössisches Essay des ‚ungarischen Jherings‘“ aus Jherings Nachlass zum ersten Mal abgedruckt worden ist.23 Wie etwa Philipp Heck, so war auch Gusztáv Schwarz im Jahre 1858 in Pest (heute Budapest) geboren, und zwar in einer jüdischen Familie.24 Seine Groß-

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gatorischen römischrechtlichen Seminarübungen (insbesondere damals, als es nur eine Stunde pro Woche gab) unmöglich, die Rechtsfälle so vertieft zu besprechen, wie es bei Jhering oder aber etwa bei seinen ungarischen Schülern noch gewöhnlich war. Siehe diesbezüglich Róbert Brósz, Bekämpfung versteinerter Vorurteile und andere aktuelle Aufgaben im Unterricht des römischen Rechts, Acta Jur. et Pol. Szeged 17 (1970), 219ff. Immerhin weist Bernát Besnyo˝, Szászy-Schwarz Gusztáv emlékezete [= Andenken an G. Sz.-Sch.], Budapest 1933, 19 darauf hin, dass Szászy-Schwarz seine Pandektenpraktika nicht nur für die besonders begabten, sondern für alle Jurastudenten anbot und die Rechtsfälle dabei nicht improvisatorisch gelöst wurden, sondern bereits in den vorherigen Wochen angekündigt wurden, damit sich die Studenten vorbereiten können. Éva Jakab, Forum Romanum, Szeged 2000 [u. mehrere Nachdr.]. Trotz der hohen staatlichen Anerkennungen erwarb Szászy-Schwarz die Mitgliedschaft in der Ungarischen Akademie der Wissenschaften erst im Mai 1918, obwohl er früher mehrmals, zuerst bereits 1903 für eine Mitgliedschaft empfohlen worden war, siehe Akadémiai Értesíto˝ [= Anzeiger der UAdW] 14/4 (1903), 226. Gusztáv Szászy-Schwarz, Rudolph von Jhering und sein nächstes Buch, in: Behrends (Fn. 5), 49ff. Es handelt sich um eine ursprünglich Ungarisch (1884 in der Zeitung Nemzet, später inhaltlich im Band Új irányok [Fn. 3], 352ff.) veröffentlichte Besprechung von Schwarz über den 1883 erschienenen II. Bd. des Zwecks (mit meritorischem Ausblick auf weitere Hauptwerke von Jhering). Der ungarische Text wurde für Jhering von Schwarz höchstpersönlich ins Deutsche übersetzt. In demselben Band hat Okko Behrends auch eine kurze Schrift von János Zlinszky über Szászy-Schwarz (57–58) herausgegeben. Ohne die Jhering-Rezeption in Ungarn Juristen jüdischer Herkunft zuschreiben zu wollen, fällt es auf, dass dabei anfangs die Juristen jüdischer Herkunft überrepräsentiert waren. Jüdischer Herkunft waren bereits die ersten ungarischen Übersetzer des Kampfes ums Recht,

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eltern waren noch arme Leute, sein Vater war aber ein erfolgreicher self-made man, der Bankdirektor wurde.25 Seine Kinder wurden teilweise Ärzte bzw. Juristen. Ein älterer Bruder von Gusztáv Schwarz, nämlich Artur Schwarz wurde ao. Univ.-Prof. der Neurologie.26 Als Sohn von Artur Schwarz wurde 1886 jener Andreas B. Schwarz geboren, der später als Professor des Römischen Rechts sowie des Zivilrechts in Zürich, in Freiburg im Breisgau und in Istanbul bekannt wurde.27 Wie der junge Jhering ursprünglich nicht Rechtsgelehrter, sondern Staatsbeamter werden wollte, so wollte ursprünglich auch der junge Gusztáv Schwarz nicht unbedingt Jurist, sondern etwa Journalist werden.28 Da ihn auch das Recht

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aber auch etwa der oben erwähnte Mór Kiss. Das ungarische Judentum wurde mit dem Gesetz Nr. XVII von 1867 emanzipiert. Bis dahin konnten die Juden in Ungarn nur sehr schwierig (wenn überhaupt) Juristen werden, s. ausführlicher Ferenc Eckhart, A Jog- és Államtudományi Kar története [= Geschichte der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät], Budapest 1936, 336f.; Géza Komoróczy, A zsidók története Magyarországon [= Geschichte der Juden in Ungarn], Pozsony [Bratislava] 2012, I, 825, II, 89ff. Wollen wir von diesem durchaus sensiblen Aspekt absehen, so lässt sich doch eindeutig festlegen, dass in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in Ungarn einerseits die konservativen, die nationalen Rechtstraditionen bevorziehenden Juristen, andererseits die progressiv denkenden, sich für die zeitgenössische ausländische Rechtswissenschaft interessierenden Juristen einander gegenüberstanden. Die Jhering-Rezeption war offenbar von der letzteren Gruppe zu erwarten. Es ist immerhin zu bemerken, dass Szászy-Schwarz die nationalen Traditionen des ungarischen Rechts gut kannte sowie respektierte und ihr Beibehalten in vernünftigem Maße befürwortete, siehe dazu Szladits (Fn. 25), 17ff. Vgl. diesbezüglich Gustav von Szászy-Schwarz, Das bürgerliche Gesetzbuch für Ungarn, Jh. Jb. 68 (1919), 327–418, insbesondere 378. In diesem Zusammenhang ist die Mitteilung von Katalin Gönczi, G. Sz.-Sch. in: Michael Stolleis (Hg.), Juristen. Ein biographisches Lexikon, München 2001, 616 zu sehen, nach der Szászy-Schwarz „aus einer Bankiersfamilie“ stammte. Vgl. Károly Szladits, Szászy-Schwarz Gusztáv emlékezete [= Andenken an G. Sz.-Sch.], Kecskemét 1934, 4; so auch István Sándor, Szászy-Schwarz Gusztáv munkássága [= Das Oeuvre von G. Sz.-Sch.], Acta Fac. Pol.-iur. Univ. Budapest. 48 (2011), 179. Szladits bemerkt ebd. (S. 4), dass er Informationen über die biographischen Einzelheiten von Andreas B. Schwarz (vgl. Fn. 27) erhielt. Vgl. Béla Kempelen, Magyar zsidó családok [= Ung. jüdische Familien], II, Budapest 1937, 86. Vgl. Gábor Hamza, András Bertalan Schwarz, der auch international hochangesehene Romanist, Papyrologe und Privatrechtler (1886–1953), Annales Univ. Budapest. 41–42 (2000– 2001), 215ff. Zu den Ähnlichkeiten zwischen Jhering und Szászy-Schwarz auf der Ebene des persönlichen Charakters (z. B. Leidenschaftlichkeit, Perfektionismus, sehr breiter Interessenkreis einschließlich etwa der Musikliebe, gesteigertes Interesse auch für die praktischen Fragen), der Laufbahn (neben der akademischen Tätigkeit intensive und dauernde Pflege auch des „ius in praxi“, Erhebung in den Adelsstand, was beide genossen haben) sowie des Oeuvre (z. B. unvollendete, aber von „darstellerischer Kraft“ [so Behrends] geprägte Werke) s. Szladits (Fn. 25), 13, 16; József Szabadfalvi, Szászy-Schwarz Gusztáv szerepe a hazai Jhering-recepcióban [= Die Rolle von G. Sz.-Sch. in der Jhering-Rezeption in Ungarn], in: János Frivaldszky / Béla Pokol (Hg.), Rudolf von Jhering és jogelméletének hatása [= Rudolf von Jhering und die Auswirkung seiner Rechtstheorie], Budapest 2011, 235. Unter den Gründen der Bedeutung von Jhering sowie von Szászy-Schwarz wird bei Szladits (S. 16) auch hervor-

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interessierte, studierte er Jura an der Universität Budapest.29 Nach seiner Promotion (1882) verzichtete Schwarz darauf, Journalist zu werden und ließ sich an ausländischen Jurafakultäten fortbilden. Der Ruhm von Jhering veranlasste ihn, das Jahr 1883/84 in Göttingen zu verbringen, wo er ein hervorragender und beliebter Schüler von Jhering wurde.30 Schwarz durfte mit Jhering manchmal spazieren gehen, oft wurde er sogar als Gast in Jherings Wohnhaus in der Bürgerstraße empfangen.31 Anlässlich eines Spazierganges auf dem Göttinger Stadtwall fragte Schwarz seinen Meister, was den eigenartigsten Zug seines wissenschaftlichen Talents bilde. Jhering antwortete: „Meine Abstraktionsfähigkeit“.32 Später meinte Schwarz, dass die Genialität von Jhering vorzugsweise mit seinen drei persönlichen Charakterzügen zu erklären seien, nämlich mit dem praktischen Sinn, mit der kühnen Naivität und mit der ungestümen Neugier.33

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gehoben, dass die beiden die Kühnheit hatten, auch irrige, sogar ungenaue Folgerungen zu ziehen, vgl. Schwarz (Fn. 3), 275. Als Jurastudent hat Schwarz mit verschiedenen Arbeiten Geld verdient, u. a. schrieb er sehr gute Musikkritiken für Zeitungen. Es war nämlich ein Prinzip seines Vaters, dass die Söhne bereits während ihrer Universitätsstudien Geld verdienen sollten. Siehe Szladits (Fn. 25), 6. Immerhin bemerkt Besnyo˝ (Fn. 20), 104, dass Schwarz seit seiner früher Kinderzeit „luxuriöses Leben“ gewohnt war. Szladits (Fn. 25), 6; Besnyo˝ (Fn. 20), 4. Wie von Szladits, ebd. festgestellt, hat Jhering als akademischer Lehrer dem jungen kongenialen Schwarz die Richtung seiner Karriere bestimmt und hat ihn vor Verzettelung geschützt. Schwarz hörte ansonsten auch gern die Vorlesungen von Gustav Hartmann sowie von Heinrich Thöl und Rudolf Leonhard, s. Szladits (Fn. 25), 7. Über Thöl sagte Schwarz (Fn. 3), 107, dass er eigentlich sein eigenes Denkmal darstellte und noch die leibnizsche Tradition vertrat. Über Hartmann stellte Schwarz ebd. 122 mit Respekt (und mit Hinweis auf Hartmanns Monographie „Die Obligation. Untersuchungen über ihren Zweck und Bau“ [Erlangen 1875]) fest, dass der Gesichtspunkt des Zwecks von ihm ins Schuldrecht eingeführt worden ist. Szladits (Fn. 25), 7. Die Tatsache, dass sich Jhering zu Schwarz so freundlich hielt, ist um so mehr hervorzuheben, da Jhering ansonsten (mindestens in Gießen) den Zuhörern als „unnahbar“ galt und höchstens seine Kinder ihn beim Spazieren gelegentlich begleiten durften, s. Michael Kunze, Rudolf von Jhering – ein Lebensbild, in: Behrends (Fn. 5), 15, 18. Schwarz (Fn. 3), 327. Schwarz (Fn. 3), 270. Ebd. 275 stellt Schwarz fest, dass die Naivität Jhering die Fähigkeit verlieh, kühn ganz originelle Gedanken zu entwickeln. Schwarz fügt (ebd. 278) zu, dass die Vorteile des Charakters von Jhering gleichzeitig auch Nachteile bildeten: wegen seiner Neugier für andere Dinge konnte Jhering seine großen Werke nicht vollenden. Die Gedanken des nicht geschriebenen V. Bandes des Geistes wurden in Jherings Vorlesungen mündlich mitgeteilt und sind von Schwarz aufgrund seiner eigenen Vorlesungsnotizen veröffentlicht worden, siehe Schwarz ebd. 302ff. Zur Naivität von Jhering vgl. Okko Behrends, Rudolph von Jhering (1818–1892). Der Durchbruch zum Zweck des Rechts, in: Fritz Loos (Hg.), Rechtswissenschaft in Göttingen, Göttingen 1987 [zitiert aufgrund der Zweitveröffentlichung in: Gábor Hamza (Hg.), Studien zum römischen Recht in Europa, Budapest 1992], 77. Merkwürdigerweise meint Besnyo˝ (Fn. 20), 91, dass bei Szászy-Schwarz die Naivität fehlte. Ebd. wird bemerkt, dass Jherings Tugenden teilweise damit zusammenhängen, dass er „unter den Bauern seiner friesischen Heimat“ aufwuchs (so auch Schwarz [Fn. 23], 51). Dies ist kei-

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Jhering gab Schwarz am Ende des Göttinger Studienjahres nicht nur eine ausnehmend schöne schriftliche Würdigung der Tugenden seines ungarischen Schülers,34 sondern schenkte ihm auch ein photographiertes Porträt mit der folgenden Widmung: „Die Kopie zum Andenken an das Original in der schmerzlichen Stunde des Abschieds“.35 Schwarz kehrte 1884 von Göttingen begeistert nach Budapest zurück und widmete sein weiteres Leben vorzugsweise dem Zweck, Jherings Lehren zu verbreiten.36 Noch in demselben Jahre habilitierte sich Schwarz an der Universität von Budapest mit der Schrift „Kritik des ‚animus domini‘“.37 Dieses Thema war deshalb wichtig, weil damals in Ungarn sowohl in der Romanistik als auch in der Zivilistik die Besitzlehre von Savigny vorherrschte und darüber hinaus der Besitzschutz des Besitzers (im Sinne „detentor“) de lege ferenda umstritten war.38 Schwarz begründete seinen Ruhm mit seiner Habilitationsschrift gegen Savignys Besitzlehre, gleichzeitig trug er dadurch in besonderem Maße zu der Rezeption von Jherings Lehren in Ungarn bei. Die Habilitationsschrift von Schwarz wurde von den Göttinger Pandektenvorlesungen von Jhering inspiriert. Aufgrund dieser Vorlesungen konnte Schwarz die Jheringsche Kausaltheorie darlegen, die Jhering selbst erst 5 Jahre später in der 1889 erschienenen Monographie „Der Besitzwille“ ausführlicher darlegen konnte.39 Unbegründet war die damalige Verdächtigung einiger neidischer Kollegen, wonach Jhering die ersten Schriften von Schwarz über die Kausaltheorie als eine Verletzung seines geistigen Eigentums empfunden hätte. Einer-

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neswegs wortwörtlich zu verstehen. Für die wahren (sehr günstigen und jedenfalls urbanen) Umstände der Erziehung des jungen Jherings s. Behrends (hier oben), 68; Kunze (Fn. 31), 11ff. Eckhart (Fn. 24), 607. Szladits (Fn. 25), 7 berichtet darüber, dass Jhering Schwarz einen seiner besten Schüler nannte und meinte, dass Schwarz im eventuellen Weiterleben seiner Lehren eine wichtige Rolle spielen werde. Szladits (Fn. 25), 7. Soeben in Budapest angekommen (bereits am 19. April 1884) hielt Schwarz vor dem Ungarischen Juristenverband einen Vortrag über die Kritik der vorjheringschen Pandektistik (unter dem Titel „Neue Richtungen im Privatrecht“), s. Gábor Hamza, Szászy-Schwarz Gusztáv, in: Gábor Hamza (Hg.), Magyar jogtudósok [= Ung. Rechtsgelehrten], II, Budapest 2001, 77; Szabadfalvi (Fn. 28), 235. Gusztáv [Szászy-] Schwarz, Az „animus domini“ birálata. Adalék az uralkodó birtoktan revisiójához [= Kritik des „animus domini“. Beitrag zur Revision der herrschenden Besitzlehre], 1884, veröffentlicht in der Magyar Igazságügy [= Ungarisches Justizwesen], 23 (1885), 110–121, 207–222, 345–358. Elemér Pólay, Jherings Besitztheorie und die ungarischen privatrechtlichen Kodifikationsversuche, in: Festgabe für Ulrich von Lübtow, Berlin 1970, 627ff.; Béla Pokol, Jhering jog-, morál- és társadalomelmélete [= Rechts-, Moral- und Gesellschaftstheorie von Jhering], in Frivaldszky/Pokol (Fn. 28), 43. Jhering (Fn. 14). In diesem Werke (S. 185) betont Jhering noch die Rolle des „Eigenthumsinteresses“ und weist auf die Rolle der causa „nur tangentiell“ hin, so Elemér Pólay, Ursprung, Entwicklung und Untergang der Pandektistik, Szeged 1981, 80.

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seits sandte Jhering zur Habilitation von Schwarz der Budapester Jurafakultät einen Unterstützungsbrief zu,40 andererseits wies Jhering in der Vorrede zum „Besitzwillen“ auf das Werk von Schwarz ohne Kritik hin.41 Im Übrigen folgte Schwarz seinem Meister bereits in seiner Habilitationsschrift nicht unkritisch, vielmehr arbeitete er von Jherings Lehren ausgegangen seine eigene Besitztheorie aus. Neben anderen Einzelheiten42 lässt sich hier besonders hervorheben, dass laut Schwarz der Besitz entschieden als subjektives Recht aufzufassen ist. Diese Ansicht ist in der Begründung des Entwurfs zum neuen ungarischen ZGB von 2013 expressis verbis dargelegt.43 40 Szladits (Fn. 25), 7; Szabadfalvi (Fn. 28), 234. Dieser Brief ist wahrscheinlich dem in dem Ungarischen Landesarchiv 1956 entstandenen Feuer zum Opfer gefallen (freundliche Auskunft von Júlia Varga, frühere Direktorin des Universitätsarchivs der Eötvös-Loránd-Universität). 41 Jhering, Der Besitzwille, Jena 1889, viii. Vgl. Besnyo˝ (Fn. 20), 54; Elemér Pólay, Jhering birtoktana és a magyar jogi romanisztika [= Jherings Besitzlehre und die ung. juristische Romanistik], Acta Jur. et Pol. Szeged. 16 (1969), 16f. Immerhin ist es zu bemerken, dass Schwarz in seiner Habilitationsschrift nicht auf die Göttinger Vorlesungen von Jhering oder auf sonstige Inspirationen seitens Jherings hingewiesen hat. Außer der 2. Aufl. des Grundes des Besitzesschutzes (35ff., 149, 159, 209, s. dazu Schwarz [Fn. 37], 117, 216, 219, 222) hat Schwarz den Savigny-Nachruf von Jhering (Jh. Jb. 5 [1861], 355, s. dazu Schwarz, ebd. 117) sowie Jherings Dissertation De hereditate possidente (Berolini 1842), § 4 (s. dazu Schwarz, ebd. 219) zitiert. Tatsächlich hätte der junge Schwarz in seiner Habilitationsschrift auf seinen Göttinger Meister deutlicher hinweisen können. 42 Zur Weiterentwickelung kam es teilweise bereits in der Habilitationsschrift von 1884, teilweise in späteren Aufsätzen, s. zusammenfassend Schwarz (Fn. 3), 363–528. Vgl. Pólay (Fn. 41), 6, 27ff. Szászy-Schwarz erkannte an, dass der Besitzschutz vorzugsweise für die wahrscheinlichen Eigentümer bestimmt war, fügte aber zu, dass ein anderer wichtiger Grund des Besitzschutzes bei den Römern die Sicherung der öffentlichen Ordnung war. SzászySchwarz stellte fest, dass weder die Theorie von Savigny noch die von Jhering alle Tatbestände gut erklären, es gebe nämlich noch weitere Gründe des Besitzschutzes, die die beiden Theorien übersehen hätten. Dazu gehörten auch ethische Gesichtspunkte (bei der res religiosa und bei dem filius familias), wirtschaftliche Aspekte (die Mieter galten nicht als zuverlässig) und rechtstechnische Erwägungen (der gewaltsame Besitzer hatte keinen Besitzschutz dem vorigen Besitzer gegenüber, damit der „Dejiciens“ [nämlich derjenige, der die Sache durch verbotene Eigenmacht erlangt hat], nicht die bequeme Position des Beklagten genieße). Szászy-Schwarz hielt es ferner für eine Übertreibung, dass Jhering keinen Unterschied zwischen dem Willen des dominus und des conductor sah, und stimmte in dieser Hinsicht der Kritik von Johannes E. Kuntze, Zur Besitzlehre. Für und wider Rudolf von Ihering, Leipzig 1890 zu. Szászy-Schwarz wies auch darauf hin, dass obwohl Der Besitzwille ein großes und originelles Werk darstellte, sein Grundgedanke doch nicht völlig neu war, dieser wurde nämlich von Pernice, Bekker und hauptsächlich von Dernburg, aber teilweise auch von Jherings eigenen Schülern, so z. B. von Reuling vorbereitet. Siehe Schwarz (Fn. 3), 344ff. 43 Siehe die Begründung zu den §§ 5:1ff. des Gesetzes Nr. V von 2013. Vgl. Attila Menyhárd, Dologi jog [= Sachenrecht], 2. Aufl., Budapest 2010, 405ff., wo Jherings Besitzlehre aufgrund des Besitzwillens als maßgebende Lehre zusammenfassend dargestellt ist. Vgl. András Földi, Historic and dogmatic problems of the triad of proprietary rights, in Scritti Generoso Melillo, I, Napoli 2009, 358, Fn. 14. Es ist immerhin zu bemerken, dass Szászy-Schwarz die subjektiven

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Letzten Endes stellte Schwarz fest, dass unser Denken über den Besitz ungeachtet der Tatsache, dass Jhering nicht in allen Fragen Recht hatte, doch von ihm bestimmt wird und seit Jherings Auftreten auch die Savignyaner anders denken sollten.44 Die Habilitationsschrift sowie weitere Aufsätze von Schwarz über die Besitzlehre lösten einen lebhaften und dauernden Streit in der ungarischen Romanistik aus. Im Laufe dessen wurde die Besitzlehre von Jhering mehrheitlich übernommen.45 Nach seiner Habilitation hielt der sich auch als sehr erfolgreicher Budapester Rechtsanwalt betätigende Schwarz an der Universität von Budapest römischRechte unter den Oberbegriff der „juristischen Lagen“ einordnete, wozu auch der objektive Schutz zugunsten eines Interesses in der Form von Befehl oder Verbot, das Gestaltungsrecht sowie die Anwartschaft gehören, s. Gusztáv Szászy-Schwarz, Parerga. Vegyes jogi dolgozatok [= Parerga. Vermischte Schriften juristischen Inhalts], Budapest 1912, 400. 44 Schwarz (Fn. 3), 42ff. 45 Zu diesem Streit s. zusammenfassend Pólay (Fn. 41), passim; András Földi, Adalékok a történeti jogi iskola a magyar jogi romanisztikára gyakorolt hatásának kérdéséhez [= Zur Frage des Einflusses der Historischen Schule auf die ung. juristische Romanistik], in András Sajó (Hg.), Befogadás és eredetiség a jogban és a jogtudományban [= Rezeption und Originalität im Recht und in der Rechtswissenschaft], Budapest 2004, 14ff. Zur Rezeption der Jheringschen Besitztheorie trug früh auch der oben bereits erwähnte M. Kiss bei, und zwar mit einem 1890 veröffentlichten Aufsatz, s. Pólay (Fn. 41), 8. Pólay, ebd. 29 stellt fest, dass Jherings Besitzlehre in Ungarn mit der höchsten Präzision nicht in den Werken von Szászy-Schwarz, sondern im berühmten Lehrbuch seines Schülers, Géza Marton, A római magánjog elemei. Institúciók [= Elemente des römischen Privatrechts. Institutionen], Debrecen 1922, 7. Aufl. Budapest 1957, wiedergegeben worden ist. Zu Marton s. Béla Szabó, G. M. in Stolleis (Fn. 25), 424f. Die Jheringsche Besitzlehre wird in Ungarn neuerdings vorzugsweise von Ferenc Benedek / Attila Pókecz Kovács, Római magánjog [= Römisches Privatrecht], 6. Aufl. Pécs 2018, 165ff. dargelegt, nota bene, der namhafte Pécser Professor Ferenc Benedek (1926–2007) galt notorisch als ein begeisterter Jheringianer. – Unter den Reaktionen der Savignyaner nahm eine Sonderstellung der zweite Antrittsvortrag von P. Hoffmann ein, den er anlässlich der Erlangung der ordentlichen Mitgliedschaft in der Ungarischen Akademie der Wissenschaften am 4. April 1892, also wenige Monate vor Jherings Tode hielt, s. Pál Hoffmann, A birtoki jogtan kétségei [= Zweifeln um die Besitzlehre], Budapest 1892. Hoffmann, ebd. 10 stellte mit ironischen Worten fest, dass die gegen die Besitzlehre von Savigny dargelegten Ansichten nicht fundiert seien. Diese einseitige Stellungnahme richtete sich vorzugsweise wohl gegen Schwarz, der sich als Schüler von Jhering mit einer Schrift gegen die Theorie des animus domini 8 Jahre früher habilitierte. Hoffmanns Stellungnahme war aber kontraproduktiv: sein Kollege Tamás Vécsey führte nämlich in der nächsten Auflage seines Lehrbuches Jherings Besitzwillen in der 1. Fn. des einschlägigen Kapitels an, und zwar mit der Bemerkung, dass „die entgegengesetzte Richtung Savignys Besitztheorie gegenüber auf die allermächtigste Weise [Kursivierung von mir – A. F.] von Jhering vertreten wird“, s. Tamás Vécsey, A római jog institutiói [= Institutionen des römischen Rechts], 3. Aufl. Budapest 1893, 290, Fn. 1. Vécsey folgte früher der Besitzlehre von Savigny und änderte seine Ansicht erst infolge der Habilitationsschrift von Schwarz ab, vgl. Pólay (Fn. 41), 8. Immerhin ist die Feststellung von Pólay, ebd. 26 (unkritisch übernommen von Pokol [Fn. 39], 44) bedenklich, nach der Vécsey ein „Jheringianer“ geworden wäre, s. nuancierter Gábor Hamza, Tamás Vécsey, in Hamza (Fn. 10), 66ff.; Földi (hier oben), 26. Auch Pólay selber erkennt an (ebd. 31), dass die Besitzlehre von Vécsey infolge Jherings Einflusses (bloß) eklektisch wurde.

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rechtliche Kurse im Geiste von Jhering. Namhaft geworden sind besonders seine Pandektenpraktika, an denen weitgehend die Jheringsche Unterrichtsmethode zur Geltung kam, die den jungen Schwarz in Göttingen für sein ganzes Leben überwältigte.46 1894 wurde Schwarz Ordinarius für römisches Recht an der Universität von Budapest (ab 1900 auch für Handels- und Wechselrecht) und beendete seine erfolgreiche Advokatenkarriere. 1911 veröffentlichte er eine monographische Studie über Jhering,47 die in Ungarn bis heute nicht übertroffen worden ist.48 Schwarz versah die sich in dem Zweck entfaltende Auffassung von Jhering mit mehreren Qualifizierungen. Wenn Schwarz sagte, dass Jhering einen Utilitarismus entwickelte, der abweichend von den Lehren von Jeremy Bentham und Herbert Spencer die Priorität des Gemeinnutzens betonte,49 ist er „quellenmäßig“ verfahren, weil auch Jhering selber seine Theorie etwa im II. Band des Zwecks als „objektiven [bzw. gesellschaftlichen] Utilitarismus“ bezeichnete.50 Anderswo wird Jherings Auffassung bei

46 So Szladits (Fn. 25), 7. In den Pandektenpraktika von Jhering lernte Schwarz den jungen Theodor Kipp kennen, der ebenfalls ein beliebter Schüler von Jhering war, s. Szladits (Fn. 25), 7, Fn. 4, 19. Schwarz (Fn. 3), 320 berichtet darüber, dass Jhering seine Pandektenpraktika montags sowie mitwochs um 12.00 Uhr abhielt. Behrends (Fn. 33), 131 bemerkt aber, dass Jherings Pandektenpraktika im Sommerhalbjahr 1892 (!) auch freitags [von 12.00 bis 13.00 Uhr] abgehalten wurden. Die Begeisterung von Schwarz für Jhering hängte auch damit zusammen, dass das Niveau des Unterrichts an der Budapester Jurafakultät damals in vielerlei Hinsicht niedrig und jedenfalls von den Bedürfnissen des praktischen Lebens sehr weit entfernt war. Eben deshalb veröffentlichte Szászy-Schwarz bereits ab 1883 zahlreiche Aufsätze, in denen er die Reform des Rechtsunterrichtes, vorzugsweise die Einführung der obligatorischen Seminarübungen anmahnte, s. Szászy-Schwarz (Fn. 43), 275ff. [= Pál Horváth (Hg.), Studia dedicata seminariis Universitatis, Budapest 2006, 12ff.]. 47 Gusztáv [Szászy-] Schwarz, Jhering Rudolf és mu˝ve [= R. J. und sein Oeuvre], in: Schwarz (Fn. 3), 263–359. Diese umfangreiche Studie wurde in sechs Teilen in der französischen Sprache veröffentlicht: Rodolphe Ihering et son oeuvre, in: Revue de Hongrie 12 (1913), 16– 40, 153–165, 206–221, 286–307, 386–402, 440–461, zitiert nach Vékás (Fn. 11), 69, Fn. 22. Auf Deutsch liegt diese schöne Studie leider nicht vor. Eine vorherige Teilveröffentlichung dieser Studie erschien unter dem gleichen Titel in der Zeitschrift Budapesti Szemle 142 (1910), 376– 406. Als Grundlage dieser Schriften galt ein 1908 im Ungarischen Juristenverband gehaltener Vortrag. 48 So neuerdings etwa Szabadfalvi (Fn. 28), 239. Was die seitdem entstandene ungarische Jhering-Literatur angeht, sind insbesondere die Forschungen von Pólay (Fn. 9, 38, 39, 41, 101), Hamza (Fn. 36), Szabadfalvi (Fn. 28, 82), Béla Szabó (Rudolf von Jhering, in Miklós Szabó [Hg.], Fejezetek a jogbölcseleti gondolkodás történetébo˝l [= Einige Kapitel aus der Geschichte des rechtsphilosophischen Denkens], Miskolc 2004) und Pokol (Fn. 38, 100) hervorzuheben. 49 Schwarz (Fn. 3), 354. 50 Siehe die Vorrede des Zwecks (Fn. 15), II, xxi, s. auch 212. Schwarz (Fn. 3), 111ff. stellte fest, dass Jherings utilitaristisch-teleologische Einstellung zwar übertrieben, aber doch notwendig war, um die Übertreibungen der Historischen Rechtsschule abschaffen zu können. Wenig überzeugend ist die Meinung von Pokol (Fn. 38), 45f., wonach Szászy-Schwarz von Jherings Lehren grundsätzlich nur die im Geist dargelegten pandektistischen Gedanken angenommen hätte.

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Schwarz als „praktischer Idealismus“51 bezeichnet, in dem der Egoismus des Individuums mit dem Gemeinnutzen auf glückliche Weise kombiniert wird.52 Schwarz stellte ferner fest, dass Jhering zusammen mit Brinz eine neue, praktische Dogmatik bzw. eine allgemeine Rechtslehre geschaffen hat.53 Laut Schwarz gab Jhering mit seinem Zweck den ersten Impuls zur Wiedergeburt der vernunftrechtlichen bzw. der rechtsphilosophischen Richtung. „Jhering war der erste unter den Romanisten des 19. Jh., der die letzte Periode seines Lebens der von der offiziellen Schule verbannten Rechtsphilosophie widmete.“54 Während sich der oben mehrmals erwähnte Hoffmann noch 1892 ganz feindlich der Theorie von Darwin gegenüber äußerte,55 wies Schwarz mehrmals darauf hin, dass die Ausarbeitung des Evolutionsgedankens als ein unvergängliches Verdienst von Savigny und der Historischen Rechtsschule zu betrachten sei mit besonderer Rücksicht darauf, dass dadurch die Rechtswissenschaft die Naturwissenschaften überholt habe.56 Schwarz sprach mit noch größerer Sympathie über die mehrfachen und tiefen Zusammenhänge zwischen dem Darwinismus und den Jheringschen Lehren.57 Dem auch in Ungarn bekannten Zeitgeist58

51 Zu Jherings Idealismus vgl. Behrends (Fn. 33), 92. 52 Schwarz (Fn. 23), 53. Siehe dazu auch Szabadfalvi (Fn. 28), 240. Zum Einfluss von Bentham auf Jhering s. auch Barna Horváth, Angol jogelmélet [= Englische Rechtstheorie], Budapest 1943, 249f., 336f., 417f.; Pólay (Fn. 9), 80; Ders. (Fn. 39), 92. Es ist hierbei zu bemerken, dass Horváth’s umfangreiche Monographie (657 S.) über die englische Rechtstheorie noch im Jahre1943 (!) und zwar von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben wurde. 53 Nach Schwarz (Fn. 3), 109ff. wurde eine neuere dogmatische Richtung (eigentlich die Zweckjurisprudenz) besonders von Jhering und Brinz geprägt. Diese neue Dogmatik ist dank dem Zweckgedanken praktischer, exakter und universeller, als es die früheren Richtungen waren (Hervorhebungen von Schwarz). Der Zweckgedanke stammte eigentlich von Brinz, wurde aber später von Jhering zum Zentralbegriff gemacht. Hätte Jhering sein Buch Über den Grund des Besitzesschutzes (1868) 10 Jahre später geschrieben, so hätte der Titel nach Schwarz „Über den Zweck des Besitzesschutzes“ gelautet (Schwarz ebd.). Schwarz (Fn. 3), 118 bemerkt diesbezüglich, dass die ratio legis von den älteren Pandektisten (von Savigny aber auch etwa von Windscheid) mit dem Wort „Grund“ übersetzt wurde. Schwarz, ebd. 262 meinte, dass die Rolle der Pandektenwissenschaft in der Zukunft der allgemeinen Rechtslehre zukommen werde. Vgl. Szabadfalvi (Fn. 28), 246. 54 Schwarz (Fn. 3), 145. 55 Siehe Fn. 3 oben. 56 Schwarz (Fn. 3), 132. Vgl. immerhin Behrends (Fn. 33), 86. 57 Schwarz (Fn. 23), 54. Ohne Grund spricht Pokol (Fn. 38), 46 von der „taktischen Vorsichtigkeit“ von Szászy-Schwarz der Theorie von Darwin gegenüber. Der Zusammenhang zwischen den beiden Theorien liegt nicht nur im Kampf unter den Tieren bzw. unter den Menschen gegeneinander, sondern vorzugsweise darin, dass sich die bestangepassten species bzw. die bestangepassten Rechtseinrichtungen durchsetzen, s. Behrends (Fn. 33), 65, 89. 58 Siehe etwa Die Tragödie des Menschen des ungarischen Schriftstellers Imre Madách (1860), wo (insbesondere im Akt XIII) der Kampf als Zweck des Lebens erscheint.

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enstprechend gefiel Schwarz der Gedanke des Kampfes in besonderem Maße.59 Der „Kampf“ war später offenbar ein Lieblingswort auch etwa für Ödön Kuncz, namhafter Handelsrechtler in der Zwischenkriegszeit und Anhänger der Interessenjurisprudenz, der 1939 ein schönes Buch unter dem Titel Kampf um das Wirtschaftsrecht veröffentlicht hat.60 Schwarz hat Jherings Lehre über die culpa in contrahendo grundsätzlich übernommen, aber gleichzeitig dessen Konstruktion objektivisiert.61 Die Jheringsche Theorie der culpa in contrahendo ist im neuen ungarischen ZGB von 2013 in der von Schwarz objektivisierten Form rezipiert worden.62 Schwarz hat die Zweckvermögenstheorie von Brinz weiterentwickelt, und zwar mittels des Jheringschen Interessengedankens.63 Hier lässt sich bemerken, dass der „ungarische Jhering“ natürlich ein begeisterter Anhänger seines Göttinger Meisters war, aber dass er auch Brinz und Bekker in besonderem Maße schätzte. Schwarz hat scherzhaft bemerkt, dass Brinz, Bekker und Jhering eine „HäretikerDreifaltigkeit“ der klassischen Pandektistik gegenüber bildeten.64 59 Schwarz (Fn. 3), 273, 318 meinte, dass sich auch das robuste, sanguino-cholerische Temperament von Jhering mit der Gewalt befreundete, während ihn sowohl der historische „Quietismus“ von Savigny und Puchta als auch der nebelhafte Begriffskultus der Hegelianer irritierte; so auch Schwarz (Fn. 23), 51. Vgl. Kunze (Fn. 31), 22; Herbert Hofmeister, Jhering in Wien, in Behrends (Fn. 5), 45. 60 Ödön Kuncz, Küzdelem a gazdasági jogért [= Kampf um das Wirtschaftsrecht], Budapest 1939. 61 Schwarz (Fn. 3), 346. 62 Siehe § 6:115 (Abs. 2 und 3) des Gesetzes Nr. V von 2013. Im früheren ung. ZGB (Gesetz Nr. IV von 1959) wurde die Haftung für culpa in contrahendo nur in Bezug auf Dritte geregelt (§ 238, Abs. 2). Vgl. Lajos Vékás, Haftung aus Verschulden beim Vertragsabschluss im ungarischen Privatrecht, in: Rudolf Welser (Hg.), Haftung aus Verschulden beim Vertragsabschluss in Zentral- und Osteuropa, Wien 2012, 221ff. Vgl. aus der früheren Literatur Géza Marton, Les fondements de la responsabilité civile, Paris 1938, 416. 63 Szászy-Schwarz entwickelte in seiner Monographie A jogi személyek magyarázata [= Analyse der juristischen Personen], Budapest 1906 — auf deutsch G. [Szászy-] Schwarz, Rechtssubjekt und Rechtszweck: Eine Revision der Lehre von den Personen, in: Archiv für bürgerliches Recht 32 (1908), 12–139 — die Zweckvermögentstheorie von Brinz vorzugsweise in dem Sinne weiter, dass er auch das Vermögen der natürlichen Personen als Zweckvermögen auffasste. Die deutsche Version wurde teilweise positiv beurteilt von Andreas von Tuhr, Der allgemeine Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, I, Leipzig 1910, 374f. Tuhr lehnte aber letzten Endes die Theorie von Szászy-Schwarz ab. Für günstige ausländische Beurteilungen von Hans Albert Fischer (Gießen) und von August Egger (Zürich) s. Besnyo˝ (Fn. 20), 89f. Siehe eine Liste weiterer ausländischer Zitierungen bei Sándor (Fn. 25), 161, Fn. 91. Vgl. auch Szabadfalvi (Fn. 28), 238. 64 Wie Schwarz (Fn. 3), 102 schreibt, ist das Pandektenlehrbuch von Bekker so originell, dass Bekker ähnlich wie Donellus auch mehrere Jahrhunderte später noch zitiert werden würde. Bekker habe sehr gute Fragen stellen können und er sei der letzte große Pandektist oder der letzte große Jurist der Neuzeit überhaupt, nach dem nur Epigonen kommen könnten, so Schwarz ebd. Wie Schwarz (Fn. 23), 54 bemerkt, sei „das Schwierigste in allen Dingen nicht die Antwort, sondern die richtige Fragestellung“. Jhering gelangte aber nicht nur zu neuen

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4. Die ungarischen Rechtsphilosophen entdeckten Jhering seit 1885,65 ihnen folgten noch im 19. Jahrhundert die Philosophen sowie die Sprachwissenschaftler.66 Die Zitierung seitens der Sprachwissenschaftler hängte nicht zuletzt damit zusammen, dass Jhering, als er sprachvergleichendes Material zum II. Band des Zwecks sammelte, Angaben zur ungarischen Terminologie der Höflichkeit von dem Budapester Professoren der klassischen Philologie, Emil Thewrewk von Ponor ersuchte.67 Jhering sandte dann, wohl am Ende des Sommers 1883 Thewrewk den Korrekturabzug des einschlägigen Kapitels des Zwecks zu. Thewrewk hielt darüber bald, noch in Oktober 1883, einen Vortrag in der Ungarischen Philologischen Gesellschaft, dessen Text sozusagen sofort in einer damals führenden Zeitung,68 später auch in einer ungarischen sprachwissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlicht worden ist.69 Thewrewk würdigte Jhering als den berühmten Verfasser solcher namhaften Werke wie z. B. der Geist des römischen Rechts, die sowohl mit ihrer Gründlichkeit als auch mit ihrer Scharfsinnigkeit hervorragen. Dank dieser Besprechung hat Jherings Zweck die ungarischen Sprachwissenschaftler zu weiteren Reflexionen über die Sprache der Höflichkeit inspiriert.70 5. Der Erfolg des von Szászy-Schwarz geleisteten Durchbruchs war überhaupt nicht selbstverständlich gewesen. Viele angesehene ungarische Juristen der Zeit blieben Savignyaner71 oder aber waren zumindest Jherings Lehren gegenüber zurückhaltend eingestellt. Dennoch ist es seit etwa dem Anfang des 20. Jahrhunderts in der ungarischen juristischen Fachliteratur allmählich üblich ge-

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Forschungsergebnissen, sondern zeigte auch neue Richtungen bezüglich des Zwecks sowie der Methode der Forschung auf. Zu der von Szászy-Schwarz erwähnten „Häresie“ vgl. Kroppenberg (Fn. 10), 44. Szabadfalvi (Fn. 28), 225ff. László Lechner, Spencer Herbert ethikája [= Die Ethik von H. Spencer], Athenaeum 4/1 (1895), 68, mit Hinweisen auf Jherings Zweck, II, 103f., 204. Auf die Hilfe von Thewrewk (sowie von M. Biermann) wies Jhering im Zweck (Fn. 15), II, 220 explizit hin. Auf auffallende Art und Weise hielt Pokol (Fn. 38), 57 es aber nicht für wichtig, die Namen der Jhering einst behilflichen „ungarischen Gelehrtenkollegen“ (so pauschal Pokol) zu erwähnen oder auf die weiteren ungarischen Wortbeispiele von Jhering (außer dem von ihm [ebd. 57] angeführten einzigen Beispiel) hinzuweisen, dazu Zweck (Fn. 15), II, 220ff., 501, 506, 674, 681, 700f. Pokol erwähnt auf S. 65 Jherings Bezugnahme auf die ungarische Sprache überhaupt nicht, obwohl er hier darüber berichtet, wie viele Sprachen Jhering bezüglich der Sprache der Höflichkeit berücksichtigt habe. Emil Thewrewk von Ponor, in der Nemzet, 12. Oktober 1883. Ders., Az udvariasság nyelvéro˝l [= Über die Sprache der Höflichkeit], in: Magyar Nyelvo˝r 26/1 (1897), 9ff. Zsigmond Simonyi, Az udvariasság nyelvéro˝l [= Über die Sprache der Höflichkeit], in: Magyar Nyelvo˝r 40/1 (1911), 149ff. Zum regressiven Fortleben der Besitzlehre von Savigny in Ungarn bis 1945 s. Pólay (Fn. 41), passim.

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worden, Jherings Werke zu zitieren. Selbst in Lehrbüchern würdigte man ihn immer öfter als einen der größten Juristen der Neuzeit. 6. Zum Erfolg der Jhering-Rezeption in Ungarn trugen in erheblichem Maße die Rechtsphilosophen bei. Im Jahre 1908 feierte der angesehene Strafrechtler und Rechtsphilosoph Ferenc Finkey Jhering als den „Grotius der modernen, dogmatisch orientierten Rechtsphilosophie“.72 Der führende ungarische Rechtsphilosoph seiner Zeit, Gyula Moór, stellte 1923 fest, dass Jhering mit seinem Zweck die teleologische Methode der Rechtswissenschaft begründet habe. Er bemerkte ferner, dass Jhering ebenfalls als ein Vertreter der utilitaristisch-psychologischen Soziologie zu betrachten sei.73 Die rechtsphilosophische Beurteilung von Jhering in Ungarn wurde danach bis etwa 1948 durch die eindeutig positive Bewertung von Moór bestimmt.74 Das Auftreten des einflussreichen Moórs war nicht zuletzt deshalb sehr wichtig, weil der 1920 erfolgte Tod des „ungarischen Jherings“ ein tragischer Verlust sowohl für die Pandektistik im allgemeinen als auch für die Weiterführung der Lehren von Jhering in Ungarn war. 7. Der von vielen als der größte ungarische Privatrechtler aller Zeiten angesehene Béni Grosschmid (auch als Beno˝ Zsögöd bekannt, 1851–1938) blieb Jhering gegenüber auffallend gleichgültig. Als Budapester Professor des Privatrechts (seit 1890) war Grosschmid ein Kollege und guter Freund von Szászy-Schwarz.75 Grosschmid war ein genialer und von Hause aus nationalkonservativer Jurist, der die Ansprüche seiner Zeit doch klar erkannte und auf ganz originelle und kreative Art und Weise reflektierte.

72 Ferenc Finkey, A tételes jog alapelvei és vezérlo˝ eszméi [= Grundprinzipien und leitende Ideen des positiven Rechts], I, Budapest 1908, 295. 73 Gyula Moór, Bevezetés a jogfilozófiába [= Einführung in die Rechtsphilosophie], Budapest 1923, 37. Vgl. Pokol (Fn. 38), 15. Barna Horváth, A jogelmélet vázlata [= Grundrisse der Rechtsphilosophie], Budapest 1937, 216 geht sogar so weit, Jhering als Wegbereiter der soziologischen Rechtstheorie zu bezeichnen. Horváth (Fn. 52), 514, 535, 539 und 558 hat bezüglich des Einflusses von Jhering u. a. auf Frederick Pollock und Roscoe Pound hingewiesen. Für weitere Details der Jhering-Rezeption seitens der ungarischen Rechtsphilosophen s. Fn. 109 unten. 74 Szabadfalvi (Fn. 28), 229f. 75 Zur Person s. etwa Béla Szabó, B. G. in Stolleis (Fn. 25), 264f. Zur Freundschaft von Grosschmid und Szászy-Schwarz s. Besnyo˝ (Fn. 20), 103; Szladits (Fn. 25), 8. Tamás Lábady, A magyar magánjog (polgári jog) általános része [= Allgemeiner Teil des ung. Privatrechts (Zivilrechts)], Budapest 2000, 91 bemerkt, dass Grosschmid und Szászy-Schwarz gelegentlich auch als „der ungarische Savigny“ und „der ungarische Jhering“ einander gegenübergestellt werden. Diese Analogisierung ist zwar anschaulich, aber in Bezug auf Grosschmid irreführend, s. diesbezüglich zutreffend Besnyo˝ (Fn. 20), 103ff.; Szladits (Fn. 25), 12f.

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Grosschmid hat in seinen Werken auf Jhering nur ganz selten hingewiesen.76 Er vermied die Erwähnung des Namens von Jhering auch dann, als er Jherings Besitzlehre77 oder dessen Lehre von der culpa in contrahendo erörterte.78 Erstaunlicherweise arbeitete aber auch Grosschmid eine Interessentheorie aus. Diesbezüglich bemerkte Grosschmid in seinem zuerst 1898 erschienenen Hauptwerk, dass „Einige“ das subjektive Recht als „geschütztes Interesse“ definieren.79 Unter „Einigen“ ist offenbar vor allem Jhering zu verstehen, der die subjektiven Rechte im IV. Band des Geistes (1865) als „rechtlich geschützte Interessen“ definierte.80 Grosschmids Schüler, der ebenfalls angesehene Zivilist Károly Szladits, meinte, dass Grosschmid seine Theorien im allgemeinen und damit auch seine Interessentheorie unabhängig von Jhering und überhaupt von der deutschen Literatur ausgearbeitet habe, weil ihn die Diskussionen in der zeitgenössischen deutschen Literatur nicht interessierten.81 Diese Ansicht herrscht in der ungarischen Literatur bis heute vor.82 Der erwähnte anonyme Hinweis von Grossch76 Wenn Grosschmid in seinem monumentalen Hauptwerk Fejezetek kötelmi jogunk körébo˝l [= Einige Kapitel aus dem Kreise des ung. Schuldrechts], 2. Aufl. I–II, Budapest 1932–1933 ausnahmsweise Jhering zitiert, dann weist er (ebd. I, 83, Fn. 78) auf Jherings Aufsatz Beiträge zur Lehre von der Gefahr beim Kaufcontract, Jh. Jb. 4 (1860), 366ff. hin, und zwar nur im Hinblick darauf, dass zwischen den res fungibiles und der praestatio generica kein notwendiger Zusammenhang bestehe. Dieser Hinweis ist aber so sporadisch, dass darüber nicht einmal seine besten Schüler wie etwa Károly Szladits, Festrede veröffentlicht in der Studienreihe des Ungarischen Juristenverbands Magyar Jogászegyleti Értekezések 1933/1, 19 oder Besnyo˝ (Fn. 20), 102 Kenntnis nahmen. Diese Verfasser nahmen nämlich an, dass sich im Werk von Grosschmid gar kein Jhering-Zitat befinde. Tatsächlich gibt es im vorliegenden Werk von Grosschmid wohl nur noch zwei weitere und in gewissem Sinne seltsame Hinweise auf Jhering, nämlich ein unten zu erwähnender anonymer Hinweis (I, 83) und ein anderer Hinweis, wo nur Jherings Name, aber nicht der Titel seines in Bezug genommenen Werkes angeführt wird (I, 11). 77 Grosschmid (Fn. 76), I, 220f, 300, 378. 78 Ebd. 237, 254, 597, 600f, 612. 79 Grosschmid (Fn. 76), I, 659. Merkwürdigerweise gibt es dabei gar keinen Hinweis auf den Ursprung dieser Definition. Eine ähnliche Definition des subjektiven Rechts taucht bereits in Beno˝ Zsögöd [= Béni Grosschmid], Magyar magánjogi jegyzetek [= Notizen zum ung. Privatrecht], Budapest 1890 auf, zitiert von Szabadfalvi (Fn. 28), 236, Fn. 45. 80 Jhering, Geist, III.1. § 20, 3. Aufl. 1877, 328. 81 Károly Szladits, Grosschmid és a magyar kötelmi jog [= Grosschmid und das ungarische Schuldrecht], Jogászegyleti Értekezések 1936, 11 behauptete, dass Grosschmid die Interessentheorie in einer Zeit zur Kunst der Rechtsanwendung entwickelte, als diese Theorie selbst in Deuschland noch in statu nascendi war. 82 Gyula Eörsi, A tulajdonjog fejlo˝dése [= Entwicklung des Eigentumsrechts], II, Budapest 1951, 312; Pólay (Fn. 9), 150; Emilia Weiss, Grosschmid Béni, in Gábor Hamza (Hg.), Magyar jogtudósok [= Ung. Rechtsgelehrten], III, Budapest 2006, 104; Szabadfalvi (Fn. 28), 236; Lajos Vékás, Magánjogi kérdések jogelméleti megközelítésben Peschka Vilmos mu˝veiben [= Rechtstheoretische Annäherung privatrechtlicher Fragen in den Werken von Vilmos Peschka], Jogtudományi Közlöny 2017/5, 205; József Szabadfalvi, Múltunk öröksége [= Das

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mid auf die Jheringsche Definition des subjektiven Rechts spricht aber gegen diese Ansicht.83 Grosschmids Verhältnis zu Jhering ist um so weniger verständlich, als er andere deutsche Juristen und eine außergewöhnlich hohe Anzahl sowohl rechtshistorischer als auch ausländischer Quellen und Literatur oft und gerne zitierte.84 Jedenfalls scheint Grosschmids seltsame Haltung Jhering gegenüber forschungsbedürftig zu sein.85 8. Der oben erwähnte Károly Szladits galt als der führende ungarische Privatrechtler seiner Zeit. In seinem maßgebenden Lehrbuch sowie in dem von ihm Erbe der ungarischen Vergangenheit], Budapest 2016, 32. Szabadfalvi formuliert neuerdings vorsichtiger, siehe ders., ‚A magyar magánjogtudomány jogbölcseleti alapjai‘. Peschka Vilmos nézeteinek rekonstrukciója [= „Die rechtsphilosophischen Grundlagen der ung. Privatrechtswissenschaft“. Rekonstruktion der Auffassung von Vilmos Peschka], in: Acta Fac. Pol.-iur. Univ. Budapest. 53–54 (2016–2017) [erschienen 2019], 60. 83 Besnyo˝ (Fn. 20), 102 meinte prononciert, dass Grosschmids Erörterungen über die Rolle des Interesses den Einfluss von Jhering widerspiegeln und hielt das Fehlen der Zitierung für irrelevant. Siehe ähnlich, obwohl etwas vorsichtiger László Asztalos, Grosschmid Béni helye a magyar civilisztikában [= Der Platz von B. G. in der ung. Zivilistik], in: Acta Fac. Pol.-iur. Univ. Budapest. 26 (1984), 211. Immerhin ist zu bemerken, dass Grosschmid zur Darlegung seiner Interessentheorie terminologisch gar keine deutschen Quellen benutzen musste. Das genuin ungarische Äquivalent des Wortes „Interesse“ (érdek) lässt sich nämlich als Hauptwort spätestens im Jahre 1829 nachweisen, siehe András Földi, „False friends“ and some other phenomena reflecting the historical determination of the terminology of Hungarian private law, in: International Journal for the Semiotics of Law 33 (2020), 742, Fn. 33 mit weiterer Literatur. 84 In seinem angeführten Hauptwerk (Fn. 76) zitiert Grosschmid etwa Windscheid mindestens hundertsiebenmal. Es ist zu erwähnen, dass sich der außerordentlich gebildete und vielseitige Grosschmid auch etwa mit dem klassischen athenischen Intestaterbrecht eingehend beschäftigte. 85 Asztalos (Fn. 83), 199f. hielt es wortwörtlich für „seltsam“, dass Grosschmid Jhering bezüglich der Interessentheorie nur „in Klammern“ erwähnte (in der Tat auf anonyme Weise – A. F.), während er auf Jhering mit Nachdruck im Hinblick auf das Handelsrecht hinwies (Magánjogi tanulmányok [= Privatrechtliche Studien], I, Budapest 1901, 722, ohne die Anführung eines Werkes). Letzteres verband Grosschmid allerdings mit der Kritik, dass Jhering eine allzu große Bedeutung dem Zusammenhang zwischen dem ius gentium und dem Handelsrecht zugeschrieben hätte. Bei Salamon Beck, Érdekeszme-töredékek [Fragmente aus der Interessentheorie], in: Glossza Grosschmid Béni Fejezetek kötelmi jogunk körébo˝l c. mu˝véhez [= Glosse zum B. G.’s Werk „Einige Kapitel aus dem Kreise des ung. Obligationenrechts“], II.1. Budapest 1933, 60 ist die folgende merkwürdige Wendung (ohne Kommentar) zu lesen: „der an den Werken von Werbo˝czy, Arndts und Regelsberger geschulte, sich mit Windscheid auseinandersetzende und den Namen von Jhering nicht erwähnende Grosschmid“. Der geniale Grosschmid hatte zweifellos einen ganz ungewöhnlichen menschlichen Charakter, den sein Neffe, Sándor Márai, in seinen Bekenntnissen eines Bürgers (1934, Nachdr. Budapest 1997, 96ff.) mit Bewunderung beschrieben hat. Es ist noch zu bemerken, dass Grosschmid als Jurastudent in den Jahren 1871/72 in Wien studierte (wo er 1872 auch als Jurist promoviert wurde, vgl. Eckhart [Fn. 24], 599.). Das bedeutet also, dass Grosschmid noch Jherings berühmte Vorlesungen an der Universität Wien hätte hören können.

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herausgegebenen, bis heute nicht übertroffenen Handbuch des ungarischen Privatrechts wies er darauf hin, dass Jhering durch die Betonung des Zweckgedankens eine neue Epoche der Rechtswissenschaft öffnete.86 Szladits hob auch anderswo hervor, dass sowohl Jhering als auch Szászy-Schwarz als Vertreter der „Zweckjurisprudenz“ gelten.87 Szladits legte fest, dass als Prinzipien des Privatrechts den wichtigsten Zwecken des Rechts entsprechend die Vernunftmäßigkeit, die Gerechtigkeit und die Rechtssicherheit gelten.88 Wenn auch Szladits diesbezüglich auf Jhering nicht hingewiesen hat, lässt sich der Einfluss der Jheringschen Lehren durchaus wahrnehmen.89 Ein anderer hervorragender ungarischer Zivilist des 20. Jahrhunderts, Endre Nizsalovszky, wies in einer eingehenden Studie über die Interessenjurisprudenz im Jahre 1933 darauf hin, dass Jhering als ein wichtiger Wegbereiter der Interessenjurisprudenz zu betrachten sei.90 Nizsalovszky zitiert auch einen weniger bekannten, aber um so wichtigeren Hinweis von Philipp Heck, nach dem „[k]ein Jurist, der sein Studium ernst nimmt, es versäumen sollte, diese glänzende Darstellung der älteren Methode zu lesen“. Es handelt sich um das Kapitel „Die Theorie der juristischen Technik“ im III. Bd. des Geistes.91

86 Károly Szladits in ders. (Hg.), Magyar magánjog [= Ung. Privatrecht], I, Budapest 1941, 112. Béla Szabó schreibt über Szladits in: Stolleis (Fn. 25), 618, dass Szladits die fortschrittlichen Lehren der originellen Gedankenwelt von Grosschmid erfolgreich mit der Interessentheorie von Szászy-Schwarz vereinigt habe. Lábady (Fn. 75), 258 hebt hervor, dass Szladits die Interessentheorie von Jhering übernommen habe. 87 Szladits (Fn. 25), 9f.; Pólay (Fn. 41), 7. 88 Szladits (Fn. 86), I, 41. Die Rechtssicherheit gilt als eine Verallgemeinerung der von Jhering betonten „Verkehrssicherheit“, deren Anführung in der ungarischen Zivilistik nach wie vor gang und gäbe ist. 89 László Asztalos, A civilisztika oktatásának és tudományának fejlo˝dése a budapesti egyetemen 1945–1970 [= Entwicklung des Unterrichtes und der Wissenschaft der Zivilistik an der Univ. Budapest], Budapest 1973, 14 weist darauf hin, dass bei Szladits neben dem Einfluss von Grosschmid auch derjenige von Szászy-Schwarz (wir können hinzufügen: dadurch auch der Einfluss von Jhering) feststellbar ist. 90 Endre Nizsalovszky, Az érdekkutató jogtudomány [= Die interessenforschende Rechtswissenschaft], Debrecen 1933 verwendet diese Formulierung zwar nicht, jedoch gilt dies als die Quintessenz seiner Erörterungen, s. insbesondere ebd. 5. Nizsalovszky, ebd. 16 bemerkt, dass der Gegensatz zwischen der Begriffsjurisprudenz und der Interessenjurisprudenz nicht überschätzt werden sollte, weil ein wirklich wesentlicher Unterschied vielmehr zwischen diesen beiden Richtungen einerseits und der freirechtlichen Schule bzw. der reinen Rechtslehre von Hans Kelsen andererseits zu konstatieren ist. Vgl. neuerdings Judit Balogh, Nizsalovszky Endre, in Béla P. Szabó (Hg.), A Debreceni Tudományegyetem jogtanárai [= Die Juraprofessoren der Universität von Debrecen], II, Debrecen 2006, 135; Behrends (Fn. 33), 98. 91 Philipp Heck, Grundriss des Schuldrechts, Tübingen 1900, 474, Fn. 3, zitiert von Nizsalovszky (Fn. 90), 2. Fn. 3. Neuerdings hat Pokol (Fn. 38), 13 die Aufmerksamkeit auf dieses Kapitel des Geistes gelenkt. Auch Jhering selbst hielt dieses Kapitel in einem Brief an Windscheid für das beste, was er (bis 1860) geschrieben hat, s. Kunze (Fn. 31), 17.

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9. Hier ist zu bemerken, dass sich in der ungarischen Rechtsliteratur keine einheitliche Bezeichnung der von Jhering im Zweck begründeten wissenschaftlichen Richtung durchgesetzt hat, wie dies auch in der deutschen Literatur der Fall ist. Wie oben erwähnt, formulierte bereits Szászy-Schwarz mehrere einander ergänzende Qualifizierungen der Lehre von Jhering, ohne eine von ihnen als die maßgebliche hervorzuheben.92 Auch deshalb konnte sich die oben zitierte zutreffende Qualifizierung von Nizsalovszky in Ungarn weit verbreiten, laut der Jhering als „Wegbereiter der Interessenjurisprudenz“ zu bezeichnen ist.93 Diese Qualifizierung führte zur Ausgestaltung von verschiedenen weiteren Bezeichnungen. Der bekannte Romanist, Zivilist und Privatrechtshistoriker Elemér Pólay betrachtete Jhering als „caput et finis der dritten, nämlich der interessenforschenden Richtung der Pandektistik“.94 Andere Forscher meinen dagegen, dass Jhering der Begründer der (wohl gegen die Pandektistik gerichteten) Interessenjurisprudenz gewesen sei.95 Jherings Richtung wird ansonsten oft als „Interessentheorie“96 bzw. als „Zweckjurisprudenz“ apostrophiert.97

92 Siehe Fn. 49ff. oben. 93 So etwa Hamza, Entstehung (Fn. 4), 195; László Kecskés, A polgári jog fejlo˝dése a kontinentális Európa nagy jogrendszereiben [= Die Entwicklung des Zivilrechts in den großen Rechtssystemen des kontinentalen Europas], 2. Aufl. Budapest 2009, 323. Ähnlich auch Szabadfalvi (Fn. 28), 232, der bemerkt, dass der (von Nizsalovszky geprägte) ungarische Ausdruck érdekkutató jogtudomány (wortwörtlich ‚interessenforschende Rechtswissenschaft‘) eine geglückte Bezeichnung der Interessenjurisprudenz darstellt. 94 Pólay (Fn. 39), 94. Diese Einschätzung ist in Ungarn auch heute verbreitet, s. etwa András Földi / Gábor Hamza [aufgrund des Werkes von Róbert Brósz und Elemér Pólay], A római jog története és institúciói [= Geschichte und Institutionen des römischen Rechts], 26. Aufl. Budapest 2022, 136; Hamza, Entstehung (Fn. 4), 194f. Dabei wird die Frage oft übersehen, ob Jhering nach seinem „Umschwung“ noch immer ein Pandektist bzw. ein Romanist der Historischen Rechtsschule blieb. Insoweit gibt es diesbezüglich nicht einmal in der deutschsprachigen Fachliteratur eine communis opinio doctorum, s. nämlich bejahend etwa Behrends (Fn. 33), 96, verneinend aber z. B. Hofmeister (Fn. 59), 38. Zu betonen ist jedenfalls der Satz Unius positio non est alterius negatio, s. Okko Behrends, Jhering, Rudolf von, HRG 2. Aufl. Bd. II, Berlin 2012, Sp. 1369. 95 Diese Qualifizierung erschien zuerst wohl bei Eörsi (Fn. 82), I, 350, der hier von der „Schule der Interessentheorie“ sprach, später etwa bei László Ujlaki, A méltányosság a polgári jogban [= Die Billigkeit im Zivilrecht], Budapest 1990, 186 und Kálmán Kulcsár, Jogszociológia [= Rechtssoziologie], Budapest 2002, 27. 96 Besnyo˝ (Fn. 20), 16 sprach mit Blick auf die zeitliche Abfolge der Publikationen wohl unabhängig von Nizsalovszky von der „Interessentheorie“ Jherings. Diese Bezeichnung begegnet dem Leser später oft in der ungarischen Rechtsliteratur, s. z. B. Lábady (Fn. 75), 236, 253. 97 Dementsprechend sprechen mehrere ungarische Verfasser wie etwa Lábady (Fn. 75), 236 nicht nur von der „Interessentheorie“ Jherings, sondern auch von seiner „Zwecktheorie“. Jhering wird seitens der ungarischen Rechtstheoretiker oft als einer der Begründer der Rechtssoziologie erwähnt, öfter wird aber Jhering in Ungarn als Begründer der teleologischen Rechtswissenschaft betrachtet, vgl. Fn. 73f. oben.

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Pólay hat, hier Szászy-Schwarz folgend, auch darauf hingewiesen, dass Jhering eine allgemeine Rechtslehre geschaffen habe, die von einer kritisch-teleologischen Methode bestimmt werde. Laut Pólay versuchte Jhering das Wesen des Rechts auf einer neuen philosophischen Grundlage zu definieren.98 Diese nur wenige Jahre nach dem Erscheinen des wichtigen Aufsatzes von Helmut Schelsky (1972) publizierte Auswertung in Ungarn ist auch heute noch bemerkenswert.99 Neuerdings hebt der Rechtheoretiker, Soziologe und Politologe Béla Pokol hervor, dass es Jherings Verdienst sei, die Jurisprudenz zu einer echten Gesellschaftswissenschaft entwickelt zu haben. Diesen Schritt ging Jhering zuerst mit dem IV. Bd. des Geistes, während im Zweck bereits eine gesellschaftswissenschaftliche Rechtsheorie begründet wird, die auch als Quelle der Theorie der Soziologie gelten kann.100 10. Jhering wurde auch in den dunkelsten Jahren des Stalinismus von den führenden ungarischen Juristen dieser Zeit zitiert.101 Der Preis dafür war, dass man Jherings Lehren ideologisch kritisieren musste. Eine marxistische Kritik der Lehren von Jhering und überhaupt der Pandektisten war (auch) in Ungarn bis zur Wende von 1989 obligatorisch.102 98 Pólay (Fn. 39), 89f. Pólay, ebd. bemerkt, dass Jhering seine allgemeine Rechtstheorie nur bezüglich der Rechtsentstehung auszuarbeiten vermochte, nicht aber bezüglich der Rechtsanwendung. Was den philosophischen Wert des Oeuvre von Jhering angeht, folgte Pólay nicht der strengen Kritik von Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. Göttingen 1967, 451–453. Aufgrund der damals jüngeren Literatur (insbesondere aufgrund der Studien in dem von Franz Wieacker und Christian Wollschläger herausgegebenen Band „Jherings Erbe“, Göttingen 1970) zählte Pólay (Fn. 39), 92ff. die folgenden philosophischen Quellen der Jheringschen Lehren auf: Hegel, Bentham, Austin, Comte, Hufeland, Darwin, Stirner. 99 Helmut Schelsky, Das Jhering-Modell des sozialen Wandels, in: Jb. f. Rechtssoz. u. Rechtstheorie 3 (1972), zitiert und gewürdigt von Behrends (Fn. 33), 65f. Pokol (Fn. 38) lässt (auch) diese Studie außer Acht. 100 Béla Pokol, A jogtudomány társadalomtudományosodása [= Die Gesellschaftswissenschaftlichung der Rechtswissenschaft], in Mátyás Bódig / Zsolt Zo˝di (Hg.), A jogtudomány helye, szerepe és haszna [= Platz, Rolle und Nutz der Rechtswissenschaft], Budapest 2016, 59. Vgl. Béla Szabó, Rudolf von Jhering: A juriszprudencia mint tudomány: Bécsi székfoglalója alapján [= R. v. J.: Die Jurisprudenz als Wissenschaft aufgrund des Wiener Antrittsvortrags von Jhering], in: János Frivaldszky (Hg.), A jogi gondolkodás mérföldkövei [= Meilensteine des juristischen Denkens], Budapest 2012, 296ff. 101 In der bis heute letzten vollständigen, aber zwangsläufig überholten Gesamtdarstellung des ungarischen Zivilrechts von Miklós Világhy und Gyula Eörsi (Magyar polgári jog [= Ung. Zivilrecht], I–II, Budapest 1962) nennt M. Világhy (1916–1980) die „Interessentheorie“ von Jhering mit Hinweis auf den Zweck die wirksamste „neue Richtung“ (I, 40). Hierbei lässt sich die Wirkung von Szászy-Schwarz wahrnehmen, der von Világhy, ebd. 47 ebenfalls mit großem Respekt erwähnt wird. 102 Pólay (Fn. 39), 89; s. auch Tamás Balázs, Pandektisztika a marxista értékelés tükrében [= Die Pandektistik im Spiegel der marxistischen Auswertung], Budapest 1988. Früher warf Róbert Brósz, Nem teljes jogú polgárok a római jogforrásokban [= Nichtvollberechtigte Bürger nach

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Gyula Eörsi, ein führender Zivilist und Komparatist seiner Zeit kritisierte Jhering bereits in seiner 1951 erschienenen Monographie als einen Vertreter des sich entfaltenden Monopolkapitalismus, fand aber gleichzeitig auch schöne Worte, um Jherings Tugenden anzuerkennen.103 Ausführlicher würdigte Eörsi Jhering in seinem 1979 auf Englisch veröffentlichten Hauptwerk Comparative Civil (Private) Law und zwar mit mehreren wortwörtlichen Zitaten aus dem Zweck.104 Elemér Pólay begann anlässlich des Jhering-Jubiläums von 1968, sich mit dem Oeuvre und Einfluss von Jhering eingehend zu beschäftigen. Er hat in mehreren Aufsätzen dargestellt, wie Jherings Besitzlehre in Ungarn allmählich rezipiert wurde.105 1976 veröffentlichte Pólay eine Monographie über die Pandektistik.106

den römischen Rechtsquellen], Budapest 1964, 16 Jhering (Geist, IV) vor, dass er ein Streben der Römer nach Gleichheit der Menschen behauptete und die Lage der Frauen im antiken Rom allzu positiv darstellte. 103 Gyula Eörsi (1922–1992), einer der bedeutendsten ungarischen Zivilisten und Komparatisten und überhaupt der Rechtsgelehrten des sozialistischen Zeitalters, fand 1951 (Fn. 82), I, 272, II, 299ff. wohlwollende Worte sowohl zu Jhering als auch zu Szászy-Schwarz, kritisierte aber beide Juristen als Vertreter des (sich entfaltenden) Monopolkapitalismus. Eörsi, ebd. II, 300 stellte auch fest, dass der Zweckmäßigkeitsgedanke in dem imperialistisch gewordenen Frankreich bereits als reaktionär, in dem gegen 1900 immer noch halbfeudalen Ungarn hingegen als progressiv erschien. Diese Kritik klingt auch deshalb seltsam, weil die Zweckvermögenstheorie von Szászy-Schwarz 1907 eben deswegen kritisiert wurde, dass sie wegen der Abschaffung des traditionellen Eigentumsbegriffs falsch und auch gefährlich gewesen sei, insofern sie ganz nah zu den sozialistischen Lehren gestanden habe (so Gy. Demkó in der ung. Zeitschrift Religio 1907, zitiert von Szabadfalvi [Fn. 28], 238, Fn. 53; Sándor [Fn. 25], 163). Hier kann ich der Versuchung nicht widerstehen, ein Missverständnis von Eörsi zu erwähnen, das nicht der Komik entbehrt. An einer Stelle (I, 164) seiner Monographie (Fn. 82) führte Eörsi eine Anmerkung von Jherings Zweck an, und zwar aufgrund der französischen Ausgabe (Jhering, L’évolution du droit, trad. O. Meulenaere, Paris 1901, chap. VIII, § 215, S. 344), obwohl er auch die deutsche Sprache sehr gut beherrschte. Es handelte sich um ein von Jhering zitiertes Ulpianfragment (D. 11.7.14.5), wo von jenen ornamenta die Rede war, die aufgrund des Testaments eines kargen „Geizhalses“ (so Jhering) zusammen mit den erdlichen Überresten des Verstorbenen bestattet werden sollten. In der französischen Übersetzung fand Eörsi den Ausdruck „avec ses valeurs“ vor und legte den Gedanken von Jhering (der seinerseits schlechthin über die Vernichtung der „Werthpapiere und Kostbarkeiten“ sprach, s. Zweck, I, 1877, 509) in dem Sinne aus, dass jemand „zusammen mit allen seinen Vermögensgegenständen“ zu bestatten gewesen wäre. 104 Eörsi wiederholte seine These über den Zusammenhang von Jherings Lehren mit dem sich entfaltenden Monopolkapitalismus auch in seinem – manchmal als der „sozialistische Zweigert/Kötz“ beschriebenen – Comparative civil (private) law, Budapest 1979, 166f., 245f., würdigte aber dieses Mal mit größerem Respekt die wissenschaftlichen Verdienste von Jhering. 105 Siehe z. B. Elemér Pólay, Der Einfluss der Besitzlehre Savignys und Jherings auf die Literatur der ungarischen Zivilistik im XIX. Jahrhundert, in: Acta Jur. et Pol. Szeged. 17 (1970), 81ff.; ders., Beiträge zu Jherings Besitzlehre, in: Wieacker/Wollschläger (Fn. 98), 192ff.; ders. (Fn. 38).

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Dabei fasste Pólay die Lehren von Jhering in einem selbständigen Kapitel zusammen,107 und stellte ausführlich Jherings Einfluss auf die ungarische Privatrechtswissenschaft dar. 11. Die Jhering-Rezeption erreichte in Ungarn einen neueren Höhepunkt 2009, als an der Katholischen Universität von Budapest eine Tagung unter dem Titel Rudolf von Jhering und die Auswirkung seiner Rechtstheorie veranstaltet wurde. Der entsprechende Tagungsband ist 2011 erschienen.108 Die Aufsätze umfassen thematisch über die Rechtstheorie und die Rechtssoziologie109 hinausgehend auch das Zivilrecht110 sowie das Strafrecht.111 Dieser Band ist ein Zeichen dafür, dass die heutigen ungarischen Rechtsphilosophen Jhering neu entdecken.112 Hervorzuheben ist dabei die umfangreiche Studie von Béla Pokol, die seit der monographischen Studie von Szászy-Schwarz die ausführlichste Zusammenfassung des Oeuvre von Jhering in der ungarischen Fachliteratur darstellt.113

106 Pólay (Fn. 9), 158 S. Der erste Teil (über die Pandektistik selbst, 1–86) liegt auch auf Deutsch vor, s. ders. (Fn. 39), 99 S. Der zweite Teil über die ungarische Entwicklung (87–158) ist nur auszugsweise auf Deutsch veröffentlicht worden, s. ders., Einfluss der Pandektistik auf die ungarische Privatrechtswissenschaft, in: Acta Juridica Acad. Sci. Hung. 19 (1977), 175–196, zu Jherings Einfluss s. ebd. insbesondere 191ff. 107 Pólay (Fn. 39), 81ff. stellt die Jheringschen Lehren bezüglich (u. a.) der folgenden Rechtseinrichtungen dar: juristische Personen (als Rechtssubjekte gelten die hinter den juristischen Person stehenden natürlichen Personen, aber bei den vorübergehend subjektslosen Vermögen ist die Zweckvermögenstheorie von Brinz anzunehmen), Rechtsgeschäfte (Jhering gilt als Wegbereiter der Erklärungstheorie), Besitz (s. oben, Fn. 37ff.), Haftung (einschließlich der culpa in contrahendo sowie der culpa in eligendo; Jhering erkannte, dass die Schuldhaftung dabei bedenklich ist), Erbrecht (hier blieb Jhering bis 1871 ein Anhänger von Puchta). 108 Frivaldszky/Pokol (Fn. 11), 263 S. Dieser Tagungsband enthält elf Studien sowie eine Einleitung von János Zlinszky. 109 In dem vorliegenden Tagungsband (Fn. 11) beschäftigen sich mit der Rechtsphilosophie von Jhering insbesondere Pokol (Fn. 38) und Péter Szilágyi (145–191), mit Jherings Einfluss auf die angloamerikanische Rechtssoziologie Zsolt Nagy (193–209). Hier lässt sich bemerken, dass der namhafte Rechtssoziologe Kálmán Kulcsár Jherings Bedeutung für die Rechtssoziologie hochschätzte. Mit Hinweis auf Julius Stone, The province and function of law, Sydney 1946, 313 stellte Kulcsár (Fn. 95), 45 fest, dass Jhering als eine Brücke zwischen dem Rechtsdenken des 19. und des 20. Jh. gilt. Kulcsár, ebd. 153 würdigte auch den erheblichen Einfluss von Jhering auf Roscoe Pound mit Hinweis auf Nathan Roscoe Pound, Mechanical jurisprudence, CLR 8 (1908), 605, 610. 110 Siehe vorzugsweise den Aufsatz von Péter Bónis über die abstrakten Rechtsgeschäfte (115– 123). 111 Siehe den Aufsatz von Mihály Filó über Franz von Liszt bzw. über sein Marburger Programm (249–257). 112 Siehe insbesondere Pokol (Fn. 38, 100); Szabadfalvi (Fn. 28); ders., Szászy-Schwarz Gusztáv jogbölcseleti nézetei [= Die rechtsphilosophischen Ansichten von G. Sz.-Sch.], Jogtudományi Közlöny 2010/3, 115ff. 113 Pokol (Fn. 38), 11–66.

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In diesem Tagungsband erschien eine schöne Studie von Zoltán Csehi,114 der sich u. a. mit den ethischen und psychologischen Aspekten von Jherings Oeuvre beschäftigt, und zwar mit besonderer Rücksicht auf den Kampf ums Recht. Mit Hinweis auf eine Abhandlung von Coing stellt Csehi fest, dass Jeremy Bentham aufgrund der Gegenüberstellung von pleasures and pains die Priorität der „Wonne und Lust“ gab, Jhering demgegenüber den von der Rechtsverletzung ausgelösten Schmerz bei der Geltendmachung der Rechte für ausschlaggebend hielt.115 Immerhin sprach auch Jhering über die Rolle der Lust, und zwar besonders im II. Bd. des Zwecks, worauf in demselben Tagungsband Pokol hingewiesen hat.116 Wir können zum Begriffspaar pleasures and pains aufgrund einer Cicero-Stelle (De legibus, 1.15.42) auch jene Möglichkeit hinzufügen, dass als Grund der Rechtsordnung auch die Liebe unter den Menschen in Betracht kommen kann: „Nam haec nascuntur ex eo quod natura propensi sumus ad diligendos homines, quod fundamentum iuris est.“ Dieses Cicero-Zitat wird in einer 2007 erschienenen Monographie von Alberto Donati angeführt, der den ganzen einschlägigen Gedankengang von Cicero als Argument gegen Jherings „philosophischen Nihilismus“ (so Donati) verwendet.117 Gábor Hamza hat in seinem nur auf Deutsch dreimal (!) herausgegebenen magnum opus auf viele Beispiele des globalen Einflusses von Jherings Lehren hingewiesen.118 114 Zoltán Csehi, A jheringi „Küzdelem a jogért“ eszmeisége napjaink magánjogában [= Die Ideenwelt des jheringschen „Kampfs ums Recht“ im Privatrecht der Gegenwart], in: Frivaldszky/Pokol (Fn. 28), 125ff. Csehi, ebd. 125, Fn. 1 bemerkt mit Hinweis auf Wolfgang Fikentscher / Ulrich Himmelmann, Rudolph von Iherings Einfluß auf Dogmatik und Methode des Privatrechts, in: Gerhard Luf / Werner Ogris (Hg.), Der Kampf ums Recht. Forschungsband aus Anlaß des 100. Todestages von Rudolf von Jhering, Berlin 1995, 95, Fn. 1, dass Jherings Name in der Form „Ihering“ geschrieben werden sollte. Siehe demgegenüber Kunze (Fn. 31), 24, Fn. 1; Behrends (Fn. 94), Sp. 1366. Zu Schreibweisen Rudolf/Rudolph s. auch Behrends (Fn. 33), 68. 115 Csehi (Fn. 114), 135, mit Hinweis auf Helmut Coing, Benthams Bedeutung für die Entwicklung der Interessenjurisprudenz und der allgemeinen Rechtslehre, in: ARSP 54 (1968). Schwarz (Fn. 3), 272 nannte diesen Gedanken als das schönste Moment des Kampfs ums Recht. 116 Jhering, Zweck (Fn. 15), II, 200. Vgl. Pokol (Fn. 38), 63. 117 Alberto Donati, Diritto naturale e globalizzazione, Roma 2007, zitiert von János Frivaldszky / András Karácsony, Jog, jogosultság, ero˝szak. Jogfilozófiai kérdésfeltevések Jhering tanai nyomán [= Recht, Rechtsbefugnis, Gewalt. Rechtsphilosophische Fragenstellungen aufgrund der Lehren von Jhering], in: Frivaldszky/Pokol (Fn. 28), 97. Jherings Bezichtigung als Nihilist ist übrigens nicht neu, s. Behrends (Fn. 33), 59f., 105; Kroppenberg (Fn. 10), 44. Frivaldszky/Karácsony (hier oben) bleiben in diesem Streit neutral. 118 Hamza, Entstehung (Fn. 4), 428 weist auf den Einfluss von Jhering in Schweden, insbesondere auf die Rolle des Jhering-Schülers Ivar Afzelius hin; ebd. 531f. wird die Rolle von Sergej A. Muromtzeff (1850–1910) in der Jhering-Rezeption in Russland reflektiert. Siehe auch ebd. 621, 720.

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Unlängst hat der führende ungarische Zivilist, Professor Lajos Vékás, der auch in Deutschland und anderswo gut bekannte Vater des neuen ungarischen ZGB von 2013, ein schönes Buch über die größten ungarischen Privatrechtler veröffentlicht. Im Kapitel über Gusztáv Szászy-Schwarz hat Vékás die wichtigsten Gedanken der oben bereits gewürdigten Studie von Szászy-Schwarz über Jhering meisterhaft zusammengefasst. Vékás stellt fest, dass die großartige Studie einerseits die aufrichtige Begeisterung des Schülers für den geliebten und hochverehrten Meister bezeugt, andererseits die wissenschaftlichen Feststellungen von Szászy-Schwarz über Jherings Oeuvre auch heute gelten.119 12. Man kann natürlich darüber diskutieren, ob Jherings Lehren in der ungarischen Fachliteratur der Gegenwart in zufriedenstellendem Maße präsent sind. Die ungarischen Romanisten weisen auf Jhering natürlich ex officio hin,120 aber auch die ungarischen Zivilisten, Rechtstheoretiker sowie etwa die Strafrechtler führen Jherings Werke oft an.121 Auf dem Hintergrund der Reflexionen in der

119 Vékás (Fn. 11), 65–80; zur Würdigung der Jhering-Studie von Szászy-Schwarz (Fn. 47) siehe 69–76. 120 Im Rahmen dieses Beitrags ist es nicht möglich gewesen, Jherings bedeutenden Einfluss auf die ungarische Romanistik darzustellen, beispielsweise seien doch einige Einzelheiten erwähnt. Das Kapitel „Reich und Arm im altrömischen Zivilprozess“ von Jherings „Scherz und Ernst in der Jurisprudenz“ (Leipzig 1884, 175ff.) hat Forschungen zu den legis actiones inspiriert, s. András Földi, Megjegyzések a legis actiók kérdéséhez [= Anmerkungen zur Frage der legis actiones], in: Acta Fac. Pol.-iur. Univ. Budapest. 29 (1987), 47ff.; János Zlinszky, Gedanken zur legis actio sacramento in rem, in SZ Rom. Abt. 106 (1989), 106ff. Gábor Hamza, Comparative law and Antiquity, Budapest 1991, 47 lenkte die Aufmerksamkeit auf Jherings Vorgeschichte der Indoeuropäer [aus dem Nachlaß hrsg. von Viktor Ehrenberg], Leipzig 1894. Manchmal werden in Ungarn auch weniger bekannte romanistische Studien von Jhering inhaltlich reflektiert. So hat sich z. B. im Jahre 2005 die Verfasserin einer von Nadja El Beheiri betreuten Studentenarbeit mit Jherings Aufsatz Das angebliche gesetzliche Zinsmaximum beim foenus nauticum, in: Jh. Jb. 19 (1881) kritisch auseinandergesetzt, s. Krisztina Szabó, Fenus nauticum, http://www.debrecenijogimuhely.hu/archi vum/otdk_kulonszam/fenus_nauticum/. Nicht nur pro forma ist zu erwähnen, dass die (deutschsprachigen) Ausgewählten Schriften von János Zlinszky unter dem von Jhering (Geist, I, 14) stammenden Titel „Durch das römische Recht aber über dasselbe hinaus“ erschienen sind (Hg. Nadja El Beheiri, Budapest 2008). 121 Jherings Schuldmoment (1867) wurde auch in den Lehrbüchern des „sozialistischen“ ungarischen Strafrechts im Haupttext mit inhaltlicher Bezugnahme angeführt, s. Imre Békés in József Földvári (Hg.), Magyar bünteto˝jog. Általános rész [= Ung. Strafrecht. Allgemeiner Teil], Budapest 1980, 83, und es wird in der ungarischen Fachliteratur auch bis heute oft zitiert (s. etwa Filó [Fn. 111], 254). Auch Jherings berühmte Studie über die culpa in contrahendo (Jh. Jb. 1861) wird oft zitiert, die laut Béla Szabó, Rudolf von Jhering (Fn. 48), 114 das glänzendste Beispiel der Anwendung der Jheringschen Methode darstellt. Auch Jherings Besitztheorie hat nicht völlig ihre einst hervorragende Anziehungskraft verloren, s. Fn. 43 oben.

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heutigen ungarischen Rechtsliteratur,122 in der Rechtsprechung,123 aber auch in der allgemeinen Literatur124 lässt sich als eine Tatsache feststellen, dass in Ungarn seit mehr als 100 Jahren bis heute kaum ein anderer ausländischer Jurist größeres Ansehen als Jhering genießt. Dementsprechend haben die schönen und lehrreichen Worte von Gusztáv Szászy-Schwarz keineswegs ihre Aktualität verloren: [Laut Szászy-Schwarz war Jhering ein allzu originelles und unruhiges Talent dazu, dass er eine Schule hätte gründen können, wie Savigny, man konnte nämlich Jhering nicht nachahmen. Er schuf keine vollendete Gesamtdarstellung, wie Windscheid. Er drängte nicht in das Tiefste der Begriffe ein, wie Brinz. Nach alledem kommt aber Szászy-Schwarz doch zu der folgenden brillianten Schlussfolgerung:] „[…] hätte es Windscheid nicht gegeben, so könnten ihn, mindestens einigermaßen, Wächter, Brinz und Dernburg ersetzen. Hätte es Brinz nicht gegeben, so würden einige Edelsteine aus der Krone der Rechtswissenschaft ausfallen (z. B. die Zweckvermögenstheorie oder ein ganz klarer Begriff des Rechtsgeschäfts125). Wenn es aber Jhering nicht gegeben hätte, so würde unter unserem Fuße ein Stück Boden, wo wir stehen, schwankend und würde ein Stück Plafond über unserem Kopf, wohin wir schauen, wankend, weil Jhering, wenn auch er manchmal fehlgriff, doch für uns die Richtung gezeigt hat.“126 122 Die führende rechtswissenschaftliche Datenbank in Ungarn („Jogkódex“), in der u. a. Texte von Urteilen, Kommentaren sowie von juristischen Zeitschriften digitalisiert sind, gibt für den Namen von Jhering in der Periode von 2000 bis 2022 nicht weniger als 202 (mit dem anders geschriebenen Suchwort „Ihering“ insgesamt 214) Treffer (Stand: 26. 09. 2022). Dabei hat Savigny zwar mehr Treffer (443), aber es gibt für solche Namen wie Windscheid (114), Dernburg, Brinz, Schmitt, Wieacker, Larenz, Coing, Roscoe Pound, Hart, Dworkin, Rawls usw. viel weniger Treffer. 123 Siehe die Hinweise auf Jherings teleologische Methode in der Stellungname Nr. 1/2009. (X.09.) des Zivilkollegs des Pécser Tafelgerichts sowie in der Entscheidung Nr. M.61/2012/4 des Gyulaer Arbeitsgerichts. 124 1914 erschien in Budapest das Stichwort „Rudolf Jhering“ im X. Band des angesehenen Révai-Lexikons, wo Jhering als der bedeutendste Rechtsgelehrte der Neuzeit bezeichnet wurde, dessen Einfluss sogar denjenigen von Savigny übertreffe, da er tiefer als alle anderen Juristen die Ursachen der Rechtsentwicklung erforscht habe. Um noch ein Beispiel jüngeren Datums zu erwähnen, führte unlängst ein ungarischer Journalist einen Gedanken von Jhering über die Lüge als eine uralte menschliche Eigenschaft an, und zwar aufgrund einer 1933 veröffentlichten Schrift des namhaften ungarischen Juristen Rusztem Vámbéry (1872– 1948), s. Benedek Várkonyi in der renommierten Wochenschrift Élet és Irodalom, Jahrg. 63, Nr. 14 (5. April 2019). Zur Person von Vámbéry s. Hamza (Fn. 119), 75. Der Schriftsteller János Kenedi, ebd. Jahrg. 47, Nr. 15 (11. April 2003) hat Jherings Gedanken über Michael Kohlhaas aus dem Kampf ums Recht zitiert, und zwar aufgrund von Thomas Manns Essay Kleist and his stories, der zuerst als Vorwort zum folgenden Band erschienen ist: Heinrich von Kleist, The Marquise of O— and other stories, New York 1960. 125 Zur hervorragenden Bedeutung der Rechtsgeschäftslehre von Brinz s. Schwarz (Fn. 3), 222. 126 Schwarz (Fn. 3), 359 (dt. Übersetzung von A. F.). Diese schöne Würdigung, die die Schlusssätze der großen Jhering-Studie von Szászy-Schwarz enthält, wird auch bei Pólay (Fn. 39), 139; Szabadfalvi (Fn. 28), 241 und Vékás (Fn. 11), 76 wörtlich zitiert.

Anton Rudokvas

Jhering’s Influence on Russian Legal Thought

1.

Jhering and Imperial Russia

The importance of Jhering for Russia could be well characterized by an interesting remark made by Jhering himself. In a letter to the editor of the Russian translation of his book Der Zweck im Recht [Purpose in Law], Jhering wrote: “It seems to me that nowhere are my thought and ideas as sensitively understood as in Russia. Russian students were the first foreigners to attend my lectures. […]I can therefore say that there is no other country with which I have closer relations than I do with Russia”1.

Another interesting fact is that three Russian universities – St. Petersburg Imperial University, Moscow Imperial University and Kazan Imperial University – awarded Jhering the degree of doctor honoris causa2. Russian translations of Jhering’s works outnumbered those of any other contemporary representative of German legal science and it would appear – although there has been no specific quantitative analysis – that Jhering had the highest citation index in Russia of all the German authors of his time. Let us take a brief look at the existing Russian translations of Jhering’s works: A Russian translation of Jhering’s opinion on the claim of the founders of a railway to the Central Society of Railways in Switzerland was published under the title Interes i pravo [Interest and Law] in the appendix to Journal of The Demidov Juridical Lyceum in 1880–18813. 1 Rudolf Jhering, Pismo R. Jheringa k russkim izdateljam ego knigi “Cel ’v prave” [Letter from R. Jhering to the Russian editors of his book Der Zweck im Recht] in: Zˇurnal Grazˇdanskogo i Ugolovnogo Prava 1882, Book 2, Zametki, p. 1f. 2 Igor Jurievicˇ Kozlihin, Rudolf von Jhering, in: Rudolf von Jhering, Izbrannie Trudi [Selected Works], Vol. I, St. Petersburg, 2006, pp. 7–11. 3 Rudolf Jhering, Interes i pravo 1) Pravosposobnost ucˇreditelej 2) Interes i parvo 3) Nepreodolimaja sila. Prilogenija. 1. Passivnie dejstvija prav. 2. Zel v prave. , [ Interest and Law 1) The Legal Capacity of the Founders of a Legal Person 2) Interest and Law 3) Force majeure.

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Der Zweck im Recht (424 pages) was published in Russian translation of its first part in 18814 [Russian title Cel ’v prave]. The treatise Der Kampf ums Recht [The Struggle for Law] was translated into Russian several times [Russian title Bor’ba za pravo]. In 1874 it was published in two different translations simultaneously. The translation by Nikolaj Volkov appeared as a separate edition in Moscow5, while the translation by Dmitrij Suhodolskij appeared in the Juridical Herald6. A translation by Serghej Ginzburg was published as a separate edition in Kiev in 18937. In the same year, a translation by O. Vert, edited by Mitrofan Sveshnikov, was published in St. Petersburg8. This edition was reprinted three years later, in 18969. In 1895 translation by Ivan Jurovskij was published from 11th German edition10, then reprinted in 190811. In 1901 a translation by Grigorij Ershov was published, based on the 13th German edition12. It was reprinted in 190413 and 190714. In 1912 a translation by Vsevolod Lojko was published, based on the 17th German edition15.

4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

Appendices. 1. Passive action of rights. 2. Purpose in Law. ], transl. by Alexander Borzenko, in: Vremennik Demidovskogo Juridicˇeskogo Liceja, 1880, Book 23, pp. 1–149; 1881, Book 24, pp. 130–268. Rudolf Jhering, Cel ’v prave, [Purpose in Law], transl. by V. P. Lizkij, N. V. Muravijev, N. F. Deruzˇinskij, ed. V. P. Lizkij, St. Petersburg, 1881. Rudolf Jhering, Bor’ba za pravo [The Struggle for Law], transl. by Nikolaj Volkov, Moscow, 1874. Rudolf Jhering, Bor’ba za pravo [The Struggle for Law], transl. by Dmitrij Suhodolskij, published in the journal Juridical Herald, 1874. Rudolf Jhering, Bor’ba za pravo [The Struggle for Law], transl. by Serghej Ginzburg, Kiev, 1893. Rudolf Jhering, Bor’ba za pravo [The Struggle for Law], transl. by O. Vert, St. Petersburg, 1893. Rudolf Jhering, Bor’ba za pravo [The Struggle for Law], transl. by O. Vert, St. Petersburg, 1896. Rudolf Jhering, Bor’ba za pravo [The Struggle for Law], transl. by Ivan Jurovskij, St. Petersburg, 1895. Rudolf Jhering, Bor’ba za pravo [The Struggle for Law], transl. by Ivan Jurovskij, St. Petersburg, 1908. Rudolf Jhering, Bor’b za pravo [The Struggle for Law], transl. by Grigorij Ershov from the 13th German edition, Moscow, 1901. Rudolf Jhering, Bor’ba za pravo [The Struggle for Law], transl. by Grigorij Ershov from the 13th German edition, St. Petersburg, 1904. Rudolf Jhering, Bor’ba za pravo [The Struggle for Law], transl. by Grigorij Ershov from the 13th German edition, Moscow, 1907. Rudolf Jhering, Bor’ba za pravo [The Struggle for Law], transl. by Vsevolod Lojko from the 17th German edition, St. Petersburg, 1912.

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The publications of these editions were accompanied by ten reviews in legal periodicals16. In 1875 the first part of Der Geist des römischen Rechts [The Spirit of Roman Law], without indication of the author of the translation was edited in Saint Petersburg after the 3th German edition17. Znacˇenie rimskogo prava dlja novogo mira [The Importance of Roman Law for the New World]18, an extract from Der Geist des römischen Rechts, was published in 1875 as a separate 16-page pamphlet. Its appearance prompted the publication of three reviews in legal periodicals19. In 1896 an excerpt from Jhering’s Entwickelungsgeschichte des römischen Recht (a posthumous edition of drafts of Jhering’s work on the history of Roman law, published in 1894 by Victor Ehrenberg) , translated by Sergej Zavadskij, was published in The Journal of the Ministry of Justice under the title O zadacˇe i metode istorii prava [On the Purpose and Methodology of the History of Law]20. The first volume of Jhering’s fundamental work Der Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung [The Spirit of Roman Law in the Different Stages of its Development] was published in Russian translation in 1875 (303 pages)21. Its publication was greeted by five reviews in legal periodicals22.

16 Juridicˇeskaja Gazeta, 1893, No. 97, p. 34; Review by S. Speranskij in Russkie Vedomosti, 1895, No. 350, p. 4; Review by V. Gribovskij, in Zˇurnal Sankt-Peterburgskogo Juridicˇeskogo Obshestva, 1895, Vol. 9, reviews, 8–10; 1896, Vol. 6, pp. 17–18; Russkoe Bogatstvo, 1896, Vol. 1, pp. 92–95; See also: Nikolaj Alexandrovicˇ Poletaev, Shakespeare i Jhering, ili cˇto takoe borba za pravo? [Shakespeare and Jhering, or What is the Struggle for Law?]; St. Petersburg, 1900; Eugenij Vladimirovicˇ Vas’kovskij, Bor’ba protiv bezzakonija [The Struggle Against Lawlessness], in: Odesskie Novosty, 1898, No. 4283, p. 2. 17 Rudolf Jhering, Duh rimskogo prava na razlichnich stupenijah ego razvitija [The Spirit of Roman Law at Various Stages of its Development] , Part 1, St. Petersburg, 1875. 18 Rudolf Jhering, Znacˇenie rimskogo prava dlja novogo mira [The Importance of Roman Law for the New World], St. Petersburg, 1875. 19 Review by Sergej Andreevicˇ Muromcev in: Zˇurnal Grazˇdanskogo i Ugolovnogo Prava, 1876, Vol. 7–8, pp. 1–41; Review by Kallinik Andreevicˇ Mitjukov in Universitetskie Izvestija, 1877, Vol. 2, pp. 29–47. 20 Rudolf Jhering, O zadacˇe i metode istorii prava [On the Purpose and Methodology of the History of Law], transl. by Sergej Zavadskij, in: Zurnal Ministerstva Justizii, 1896, Book 2, pp. 141–157. 21 Rudolf Jhering, Duh rimskogo prava na razlicˇnih stupenjah ego razvitija [The Spirit of Roman Law in the Different Stages of its Development], 1875. 22 Review by Nikolaj Michajlovicˇ Korkunov, in Birzˇevie Vedomosty, 1875, No. 291; in Zˇurnal Grazˇdanskogo i Ugolovnogo Prava, 1876, Vol. 3, pp. 273–274; Review by Sergej Andreevicˇ Muromcev, in Znanie, 1876, Vol. 8, pp. 47–49; Review by M. M -ov, in Novoe Vremja, 1875, No. 259; Sudebnij Vestnik, 1875, No. 259.

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In 1860 The Journal of the Ministry of Justice published extracts from Jhering’s writings on legal formalism, compiled and translated by Constantine Zarevskij23. In 1881 Nikolaj Deruginskij published his translation of Jhering’s Jurisprudenz des taglichen Lebens [The Jurisprudence of Everyday Life] based on the 4th German edition24. Three years later, in 1883, Sergej Muromcev edited a translation by Vladimir Ognev of Jhering’s Zivilrechtsfälle ohne Entscheidungen [Unresolved Civil–Law Cases], based on the 4th German edition25. Taking into consideration that after the death of Jhering his colleague Ferdinand Regelsberger continued the publication of this collection, but radically revised it in connection with the adoption of the German civil code (BGB), a new Russian translation from the 10th German edition was prepared and published thanks to the efforts of two Russian civilists – the same Vladimir Ognev and Ivan Novizkij26. The Russian translation of Jhering’s treatise Über den Grund des Besitzschutzes [On the Grounds for the Protection of Possession] in its second edition was published in Moscow in 188327. In 1895 a famous Russian civil law specialist, Eugen Vas’kovskij, published an abbreviated version of the book of Jhering Der Besitzwille: Zugleich eine Kritik der herrschenden juristischen Methode [The Will to Possess: And at the Same Time Criticism of the Prevailing Legal Method] under the title Teoria vladenija [The Theory of Possession]28. Each of these publications received one review in legal periodicals29. Vaskovskij explained his publication of a digest rather than a complete translation on the grounds that, on the one hand, such a translation would be useful for legal

23 Rudolf Jhering, O suchestve juridicˇeskogo formalizma voobshe. Ponatie formalnogo i neformalnogo juridicˇeskogo dejstvija. Istoricˇeskie pricˇini formalisma [On the Essence of Legal Formalism in General. The Concept of Formal and Informal Legal Action. The Historical Causes of Formalism], compiled and transl. by Constantine Zarevskij, in: Zurnal Ministerstva Justizii, 1860, Book 6, p. 361–404. 24 Rudolf Jhering, Jurisprudenzija obidennoj zˇizni [The Jurisprudence of the Everyday Life] transl. by Nikolaj Deruginskij from the 4th German edition, 1881. 25 Rudolf Jhering, Grazˇdansko-pravovie casusi bez recˇenij [Unresolved Civil-Law Cases], edited by Sergej Muromcev, transl. by Vladimir Ognev based on the 4th German edition, 1883. 26 Rudolf Jhering, Grazˇdansko-pravovie casusi bez recˇenij [Unresolved Civil-Law Cases], edited by Sergej Muromcev, transl. by Vladimir Ognev and Ivan Novizkij based on the 10th German edition, Moscow, 1908. 27 Rudolf Jhering, Ob osnovanii zachiti vladenija [On the Grounds for the Protection of Possession], Moscow, 1883. 28 Rudolf Jhering, Teoria vladenija [The Theory of Possession], abbreviated translation by Eugen Vas’kovskij, 1895. 29 Review in: Juridicˇeskij Vestnik, 1876, Vol. 6–7, pp. 1–16; Vol. 8–9, pp. 17–48; Review by D.F. in Zˇurnal Sankt-Peterburgskogo Juridicˇeskogo Obshestva, 1895, Vol. 1, pp. 21–22.

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practitioners, and on the other, practitioners would not read so voluminous a work even if it were translated into Russian in its entirety of 540 pages30. In 1883, Jakob Rosenberg published his translation of Jhering’s 66-page pamphlet Trinkgeld [Tips] (Russian title Na vodku (obicˇnaja prosba rabocˇih) [The Problem of Payment of Gratuity to Employees on Their Request])31. The publication received one review in the Judicial Newspaper32. In 1896 Vladimir Hessen published his translation of “Historical and social foundations of ethics” – an essay published by Rudolf von Jhering first in Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, 1882, 1, and then – in the second volume of his “Purpose in Law” as its introduction33. It may therefore be concluded that Jhering exercised a great influence on Russian legal thinking, both from the point of view of the theory, history and philosophy of law, and (to a lesser degree) of certain practical civil-law issues. As a contemporary Russian author, Andrej Meduscevskij, rightly states, there were three main ideas of Jhering which had a strong influence on legal thinking in Russia. The first was Jhering’s criticism of the core idea of the ‘Historical School’ of Jurisprudence founded by F. K. Savigny: that the formation of positive law was a manifestation of the spirit of a nation34. The dominance of Savigny’s doctrine at Russian universities met with strong criticism from those Russian lawyers who dreamt of a radical modernization of Russian law through westernization; that is, through adopting legal ideas from Western Europe. These Russian jurists found a model of argumentation to support their plans in Jhering’s theory of the reciprocation of legal cultures as the main factor in lawmaking. The said theory, in its turn, was closely connected with the hypothesis of the real existence of a universal law based on pure rationality and therefore absolutely acceptable to the whole world. The second of Jhering’s ideas which found ready acceptance in Russia was his criticism of Savigny’s view of the development of law as an evolutionary process of self-development, comparable with the growth of a plant or the development of a language. As is well known, Jhering postulated – on the contrary – that any legal development was a result of the influence of various extra-legal factors, which determined the interests to be protected by positive law. This reasoning was taken 30 Jhering, Teoria vladenija [The Theory of Possession] i–ii. 31 Rudolf Jhering, Na vodku (obicˇnaja prosba rabocˇih) [The problem of payment of gratuity to employees on their request], transl. by Jakob Rosenberg, 1883. 32 Review in Sudebnaja Gazeta, 1883, No. 14, p. 17. 33 Rudolf Jhering, Istoriko-obchestvennie osnovi etiki [Historical and social foundations of ethics], transl. by Vladimir Hessen, Saint Petersburg, 1896. 34 Andrej Nicolaevicˇ Meduscevskij, Istoria Russkoj Sociologyi [The History of Russian Sociology], Moscow, High School, 1993, p. 71.

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up with enthusiasm in Russia inter alia because many interests of various important social classes and groups in the Russian Empire remained unprotected or were protected imperfectly by the existing positive law35. The third of Jhering’s ideas which had a great resonance in the Russian context was his thesis that law is the fruit of a purposeful struggle by interested people for a new, better law to replace an old one. The enthusiastic adoption of this thesis by Russian intellectuals can be explained by the fact that they felt themselves obliged to struggle for social progress in the Russian Empire and Jhering’s doctrine provided them with legitimization of their struggle36. The importance of these ideas of Jhering for the thinking of the Russian intellectuals of the epoch and the impact of the conclusions which they drew from them could be well characterized by the following curious fact: The subheading of the Russian edition of Jhering’s book Der Kampf ums Recht was the motto ‘Im Kampfe sollst du dein Recht finden’ [‘You shall gain your right in the struggle!’]. This motto was borrowed as a slogan by the Socialist Revolutionary Party37, the most radical and influential political entity on the left of the political spectrum in Tsarist Russia38. The motto first appeared in January 1902 in the newspaper Revolutionary Russia – the central organ of the party. It is also widely represented on extant party posters. The Socialist Revolutionaries were a party of intellectuals with a left-liberalist ideology. Despite that, they were strongly supported by the peasants. Since the peasantry formed the absolute majority of the population of pre-Revolutionary Russia, the Socialist Revolutionaries prevailed in popularity over the Communists until the Revolution of 1917. In their purposeful struggle for a new legal order, the Socialist Revolutionaries widely practiced terrorist tactics and assassinated a large number of Imperial state officials. In October 1917, the left wing of the Socialist Revolutionary Party supported the Bolsheviks in the overthrow of the liberal Provisional Government and became part of the first Communist government, until 1918 when they failed to organize an overthrow of the Bolsheviks. It is no accident that among the lawyers who adhered to radical left views and sought to create a new revolutionary theory of law, there were many members of the Socialist Revolutionary Party and their sympathizers39. This is one (though 35 Meduscevskij, Op. cit., p. 72. 36 Meduscevskij, Op. cit., 72. 37 Vadim Serov, Enziklopedicˇeskij slovar krilatih slov i viragenij [Encyclopedic Dictionary of Winged Words and Expressions], Moscow, Lockid-Press, 2003. 38 For the Socialist Revolutionary Party, see e. g.: Oliver Henry Radkey, The Sickle Under the Hammer: The Russian Socialist Revolutionaries in the Early Months of Soviet Rule. Columbia University Press, 1964. 39 Anton Alexandrovicˇ Ivanov, “Sovetskaja” “juridicˇeskaja” “nauka”: put k pravu [“Soviet” “Legal” “Science”: The Road to Law], in: Zakon, 4, 2018, p. 113.

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not the only) reason why it could justly be said that Jhering became a spiritual grandfather of the Russian Revolution, no less than Karl Marx or Friedrich Engels. But let us turn to the influence of Jhering’s views on academic jurisprudence and sociology in Imperial Russia. The first name to be mentioned in the list of those Russian academic lawyers who were greatly influenced by the ideas of Jhering is Nikolaj Djuvernua, a professor of Roman Law and of Russian Civil Law. During his legal studies at Vienna University (1869–1871), Djuvernua was greatly impressed by Jhering. He not only continued to develop Jhering’s ideas over the course of his life, but also polemicized against them. Djuvernua’s criticism of Jhering’s views appears very similar to the denunciation of the German philosophers by the Frenchman Alfred Fouillée in his book L’idee moderne du droit en Allemagne, en Angleterre et en France, published in 187840. Fouillée insisted that German philosophers were guilty of equating law with the violence used to apply it. At first glance Djuvernua’s own texts appear to be in line with the ideas of Savigny’s ‘Historical School’, despite the fact that these were already old-fashioned in his day. But he somewhat modified this approach by trying to combine the typical ‘Historical School’ idea of the development of law as an organic process with the idea of codification, insisting that the best of the contemporary codes were the product of organic development. He tried to prove the existence of a common civil tradition, which had spread throughout Europe (including Russia) through the reception of legal ideas, in an organic process of legal development, and which had culminated in the adoption of civil codes. In this he demonstrated loyalty to Jhering’s ideas about the universalism of law and the mutual influence of legal cultures as the main factor in the improvement of law41. In his program essay of 1872 ‘The importance of Roman law for Russian lawyers’ Djuvernua proclaimed Jhering to be the greatest representative of the contemporary trend in German legal scholarship42. In his description of borrowings in law, and above all of the so-called ‘reception of Roman law’, Djuvernua used the metaphor of the ‘transplanted plant’. This figure of speech allowed him to avoid a serious debate about the ‘legal transplant’ as an irritant to the recipient legal system. 40 Alfred Fouillée, L’idee moderne du droit en Allemagne, en Angleterre et en France [The Modern Idea of Law in Germany, England and France], 1878. 41 See also e. g.: Anton Rudokvas, Dyuvernua, Excerpt of the Course of Lectures on Civil Law, in: The Formation and Transmission of Western Legal Culture. 150 Books that Made the Law in the Age of Printing / ed. Dauchy, S., Martyn, G., Musson, A., Pihlajamäki, H., Wijffels A., Springer, 2016, 414–416. 42 Nikolaj Djuvernua, Znacˇenie rimskogo prava dlja russkih juristov [The Importance of Roman Law for Russian Lawyers], 1872.

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Russian champions of the doctrines of natural law demonstrated a view of Jhering’s ideas that was more or less the same as that of Djuvernua. In his book The Historical School of Law, its Origin and its Fate, published in 189643, the most famous Russian theorist of law, Paul Novgorodzev, who was strongly devoted to the idea of natural law, noted that the universalism of Jhering’s ideal of law and his historical approach could contribute a new basis for the revival of natural law doctrines. On the other hand, Novgorodzev denounced the pragmatism of Jhering’s vindication of the struggle for law and the irrelevance of morality to his arguments. He certainly could not accept as justifiable such statements as, for example: “Law can be renewed only by rejection of its past. For the Law is Saturn devouring his own children. This is why the course of history is marked by the ruins of the old institutions and often by streams of blood”44.

Bearing in mind that Jhering regarded any obstacle to the desirable renewal of law as unnatural and therefore illegitimate, it is understandable that the natural lawyers, on the one hand, were afraid of Jhering’s theories, while the revolutionary socialists, on the other hand, were inspired by them (as we demonstrated above). Another Russian pupil of Jhering was Serghej Muromtsev (1850–1910), who was not only a professor of Roman law at the Imperial Moscow University but also president of the first parliament of Tsarist Russia and later an advocate. Muromtsev adopted with enthusiasm Jhering’s concept that legal development was a result of the influence of various extra-legal factors which determined the interests to be protected by the positive law. Pursuing this idea, he insisted on the necessity of studying law as a sociological phenomenon. Thus Muromtsev, inspired by Jhering, became a founder of the sociology of law in Russia. Muromtsev published inter alia two books on Roman law: Civil Law of Ancient Rome45 and The Reception of Roman Law in the West46. In these writings he applied methods of retrospective sociology to explain the practical historical reasons for the formation of concrete civil institutions in Rome and, later, in Western Europe. This approach to studying Roman law clearly echoes Jhering’s discourse in his famous book The Spirit of Roman Law. Muromtsev was probably 43 Paul Novgorodzev, Istoricheskaja shkola juristov, eje proishozhdenie i sudba. Opit charakteristiki osnov shkoli Savigny v ih posledovatelnom razvitii [The Historical School of Lawyers, its Origin and its Fate. The practice of the basic tenets of the Savigny school as they were later developed’ ], Moscow University printing house, 1896, p. 130ff. 44 Novgorodzev, Op. cit., p. 113. 45 Sergej Andreevicˇ Muromtsev, Grazˇdanskoe pravo Drevnego Rima [Civil Law of Ancient Rome], Moscow, 1883. 46 Sergej Andreevicˇ Muromtsev, Rezepzija rimskogo prava na Zapade [The Reception of Roman Law in the West], Moscow, 1886.

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the most renowned adherent of Jhering in Russia and openly called himself a Jheringianist47. Following Jhering’s example, his Russian pupil used the comparative method in his studies and wrote as a social historian rather than as a pure lawyer. Above all, he regarded law as the fruit of revolutionary innovations which were, to a very high degree, reflective and determined by social progress48. Muromtsev did not manage to create his own school. However, he did find a like-minded contemporary in Jurij Stepanovicˇ Gambarov (1850–1926), a professor of civil law. In his essay ‘The Purposes of Contemporary Jurisprudence’49 and later in his manual of Russian civil law, Gambarov insisted that ‘jurisprudence, like sociology – at least in its theoretical aspect – is searching for the rules of development of social life’50. Gambarov thought it was impossible to study law as a discipline isolated from the other aspects of social life and therefore presented law as an integral part of the latter, stating that ‘law and life, life and law are indivisible and are always interacting with each other’51. Such a starting point produced the conclusion that law should be studied only as sociology. Gambarov often referred to Jhering’s views as a basis for his own innovative methodology of civil law studies. Another important follower of Jhering in Imperial Russia was Nikolaj Michailovicˇ Korkunov (1853–1904), a professor of the theory of law. His book on the general theory of law (first published in 1886)52 was translated into a number of foreign languages and was much influenced by the ideas of Jhering, some of which Korkunov assimilated unchanged and some of which he amended. It is curious that he was, at the same time, a political conservative (in other words, a monarchist) and his writings on the theory and philosophy of law were aimed at substantiating the doctrine of ‘lawful autocracy’53.

47 Sergej Andreevicˇ Muromcev, O konservatisme rimskoj jurisprudencii [On the Conservatism of Roman Jurisprudence], Moscow, 1875, p. 3. 48 For more about Muromcev’s views see, e. g. A. D. Rudokvas, A. S. Kartsov The Development of Civil Law Doctrine in Imperial Russia Under the Aspect of Legal Transplants (1800–1917) in Rechtswissenschaft in Osteuropa. Studien zum 19 und frühen 20 Jahrhundert. Studien zur europäische Rechtsgeschichte Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte. Vol. 248; Rechtskulturen des modernen Osteuropa. Traditionen und Transfers, ed. Zoran Pokrovac, Vol. 5, Frankfurt am Main, 2010, pp. 316–319. 49 Jurij Stepanovicˇ Gambarov, Zadacˇi sovremennogo pravovedenia [The Purposes of Contemporary Jurisprudence], 1907. 50 Jurij Stepanovicˇ Gambarov, Grazˇdanskoe pravo. Obshaja chast. [Civil Law. General Part], St. Petersburg, 1911. 51 Gambarov, Op. cit. 52 Nikolaj Michailovicˇ Korkunov, Lekzii po obshej teorii prava [Lectures on the General Theory of Law], 1886. 53 Nikolaj Ivanovicˇ Kareev, Osnovi Russkoj Sociologyi [Foundations of Russian Sociology], St. Petersburg, Izdatel’stvo Ivana Limbakha, 1996, p. 122.

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Among those lawyers who improved the sociology of law in Imperial Russia, referring to Jhering as to their source of inspiration, Nikolaj Andreevicˇ Gredeskul (1804–1941) – another professor of civil law – should also be mentioned. Despite being a civil law specialist, Gredeskul paid great attention to the general theory of law. In his essay ‘The Sociological Study of Law’54, published in 1900, he divided law, as an object of study, into three disciplines: dogmatics of law, history of law, and sociology of law. The latter was the most important, in his view, because it was the only means by which the other two could be improved. He stated that jurists should proceed along the path of the sociological study of law ‘through Jhering but beyond and above him!’55 – an obvious paraphrase of the famous slogan of Jhering himself: ‘Through Roman law but beyond and above it!’

2.

Impact of Jhering on Communist Russia

Although Jhering was not included in the list of Communist prophets and founders after the Russian Revolution of 1917, he continued to play an important role in legal discourse. It is enough to mention the fact that a famous theorist of law of the early Soviet era in Russia, Petr Ivanovicˇ Stucˇka (1865–1932), shared Jhering’s understanding of law and referred to him while formulating his concept of Soviet law. In his book The Revolutionary Role of Law and the State56, Stucˇka begins the chapter entitled ‘Law – Revolution’ with a quotation from Jhering in the form of an epigraph: “Revolution has nothing in common with the legal point of view; from the legal point of view, any revolution is unconditionally to blame”57.

But he then goes on to quote the last part of the Jhering’s statement: “In fact, if such an opinion were the last word of science, it would spell the doom of every revolution. … But in certain cases, force sacrifices the law and saves life … and the verdict brought in by history remains final and conclusive.”58

54 Nikolaj Andreevicˇ Gredeskul, Soziologicˇeskoe izucˇenie prava [Sociological Study of Law], St. Petersburg, 1900. 55 Gredeskul, p. 11. 56 Petr Ivanovicˇ Stucˇka, Revoljucionnaja rol’ prava i gosudarstva [The Revolutionary Role of Law and the State] in: Stucˇka P. I. Isbrannie proizvedenija po marksistsko-leninskoj teorii prava [Stucˇka P. I. Selected Papers on the Marxist-Leninist Theory of Law]. Riga: Latvian State Publishing House, 1964. pp. 43–222. See the German edition: Die revolutionäre Rolle von Recht und Staat / Petr I. Stucˇka, translated and introduced by Norbert Reich, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1969. 57 Stucˇka, Op. cit., 132. 58 Stucˇka, Op. cit., 134.

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Although he immediately notes that, in such a loyal subject as Jhering, this statement was nothing more than rhetoric, Stucˇka nevertheless goes on to say: He was probably the most outstanding figure among the lawyers of the past century, at least in the science of Roman law. A confirmed political conservative, a lawyer whose stance, at bottom, was that of the bourgeois class, a bright master of style yet a muddleheaded philosopher, he nevertheless excited a true revolution in legal science, perhaps by his habit of calling things by their proper names, something most unusual for a lawyer. Certainly, he was an opponent of anarchy, which would appear to make him also the enemy of revolution. But in fact, for him, revolution was not a synonym for anarchy, because he understood revolution not as a denial of all order, but only as a negation of the existing order. He shared the opinion of Charles Darwin and stated that his Roman law studies had totally validated the latter’s theoretical conclusions. But on the other hand, he gave as good grounds for both Darwin’s theory and Roman law as for the religious idea of divine intent.59

To Stucˇka’s mind, Jhering incomparably described the beginnings of law in his comparison of the archaic Roman myths with the materials of Roman law. He cites, with obvious pleasure, the exact wording from Jhering’s Spirit of Roman Law: “Those bandits and adventurers, who had been exiled from their own world, established the original order of Ancient Rome relying exclusively on their fists and swords […] Human sweat and blood, in the smell of which the genesis of every law occurs, are normally concealed by the aureole of the divine origin of the latter. The contrary was the case for Rome. The times failed to eliminate the traces of sweat and blood which are the nature of law”60.

These striking quotations are followed, with equal pleasure, by quotations from The Struggle for Law: The struggle reaches the highest level of intensity when the interests have formed an accrued right. Here two parties are opposed to each other and each of them is standing under the holy banner of law: one of them under the banner of historical law, the law of the past, the other under the banner of the law which is coming into being, the renewed right of mankind to existence. The Law is Saturn, devouring his own children… The collapse of the old legal rules and the birth of the new rules are often at the cost of so much blood61.

Stucˇka comments on these quotations thus:

59 Stucˇka, Op. cit., 140. 60 Stucˇka, Op. cit., 141. 61 Stucˇka, Op. cit., 140.

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“If we abandon mere rhetoric about the holy law and substitute for it the struggle of two classes for their vital interests in the sphere of production of their material life, the picture is vivid enough”62.

Thus, it is obvious that Stucˇka sympathized with Jhering and derived inspiration from his writings, even if the Soviet lawyer could not avoid arguing against a bourgeois theorist. For Stucˇka, law was a system (or order) of social relations which corresponded to the interests of the dominating social class and over which the organized force of this class stood guard. It is not difficult to understand that this definition is a kind of synthesis of the Marxist theory of the class struggle with Jhering’s doctrine of the struggle for law aimed at the protection of the relevant social interests. No-one who is a connoisseur of Jhering’s doctrines could be surprised at such synthesis. In 1896, the famous Russian theorist of law Paul Novgorodzev had already noted in his above-mentioned book The Historical School of Law, its Origin and its Fate that Jhering turned in his later writings, such as The Purpose in the Law, from the liberal defence of individual freedom to the ‘doctrine of state socialism’63. In other words, in Jhering’s view, individual self-determination as the purpose of progressive legal development gave way to the general weal. At the end of the day, it was here that Jhering found the ultimate basis of the legal order, providing it with moral justification and vitality. In his treatise ‘Purpose in Law’, Jhering proclaimed the general weal to be the foundation of all moral principles and therefore declared the guaranteeing of better conditions of social life to be the ultimate aim of the very existence of law. There were other important features of Jhering’s doctrine which coincided with the doctrines of Marxism and therefore of Russian Communism. These were: The idea of purposeful struggle as the locomotive power of the progressive historical process The idea of the determination of legal development by social, economic, and other extra-legal factors The idea of progressive development as a dialectical denial of the past by the present and of the present by the future, the future overcoming the present by way of struggle and synthesis

62 Stucˇka, Op. cit., 140. 63 Novgorodzev, Op. cit., pp. 132–133.

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The belief in the objective existence of a universal social ideal which should be the final goal of social progress for human civilization. That is why the same Novgorodzev stated that, despite some differences, the general sense of Jhering’s doctrines was rather similar to the doctrines of Marx and Engels64. Certainly, Jhering never operated with the concept of class struggle. But on this point the theorists of law of Communist Russia felt themselves free to repeat the slogan of their pre-revolutionary predecessors: ‘Through Jhering but beyond and above him!’ On the other hand, they were delighted with Jhering’s view of the possibility of harmonious coexistence between individual interest and the general weal, because this thesis was a cornerstone of the Communist doctrine. So here, once again, we can stress that from the point of view of legal theory, Jhering was a spiritual grandfather of the Russian Revolution. The paradox of early Soviet jurisprudence was that, on the one hand, it had to be revolutionary, that is, innovative. On the other hand, Marx and Engels had not written much about law as such, being more concerned with political economy, sociology and philosophy. Thus it was often the case that Soviet scholars (who were the alumni and often the old professors of the pre-Revolutionary universities) could not find an appropriate starting point from which to construct a new revolutionary doctrine of law. Such a doctrine had to offer a complete alternative to the traditional mainstream, which had been declared to be relicts of bourgeois legal scholarship. This was why the Soviet lawyers had to look for innovative approaches in the texts of those Western authors who, on the one hand, were marginal to the mainstream of Western legal scholarship but whose doctrines, on the other hand, could somehow be interpreted through the prism of Communist ideology. Stucˇka characterized this very phenomenon in metaphorical form in the Preface to the first edition of his book The Revolutionary Role of Law and the State: But young people are still quite firmly in the clutches of their old teachers and diligently repeat their bourgeois legal wisdom, only now garnished with the sauce of ‘class’. Just as that Spanish painter had to sign his picture ‘It’s a rooster!’, we sometimes have to carefully hang the label ‘Soviet law’ on our legal theories. For the sake of appearances! In science, as in life, we are still too much in the habit of simply renaming streets instead of reconstructing them, and of repainting the old rotten walls in red instead of fundamentally rebuilding them65.

64 Novgorodzev, Op. cit., p. 135, note 9. 65 Stucˇka, Op. cit., 54.

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It is worth noting, for example, that some concrete constructs proposed in the publications of the Soviet civil law specialists in the 1920s–1930s were borrowed mutatis mutandis from Germany, not from the so-called Pandectists, whose ideas had also predominated in pre-Revolutionary Russia, but from the texts of Germanists who wanted to provide an alternative to the classical Romanistic doctrinal constructions of the Pandect law doctrine66. The same happened in the theory of law. Attempting to provide an innovative Communist theory of law as a substitute for bourgeois legal theory, the Soviet legal theorists turned to the texts of Jhering or of Léon Duguit as the enfants terribles of bourgeois legal scholarship. Many other Soviet specialists in the humanities did the same thing when they were faced with a lack of sources for pushing ahead with the revolutionary reconstruction of their disciplines. This tendency finally disappeared after the Second World War, partly as a result of the fact that at this time Stalin began the ideological battle against socalled ‘cosmopolitism’, that is, against the widespread tendency among Soviet intellectuals to seek their sources of inspiration abroad. It was partly also the result of the natural, gradual disappearance of the alumni of the old Imperial universities from Soviet professorships. Those who came to replace them often did not have sufficient language skills to borrow anything from abroad, and were not interested in doing so because the revolutionary demand for innovation which had previously existed was by then exhausted. This process can be observed in the Soviet theory of law. Foreign authors (including Jhering) became less and less popular and in the last decades of the life of the Soviet Union, citations of foreign authorities almost vanished from Soviet legal literature. But the process of the decline of the devotion of Russians to Jhering was rather contradictory, as can be nicely characterized by a historical anecdote narrated in the memoirs of the famous Soviet (and contemporary) civil law specialist Academician Tolstoj, and in some other sources. During the above-mentioned campaign against cosmopolitism, announced by Stalin, a group of colleagues condemned a prominent civil law specialist, Academician Venediktov, for cosmopolitism, because in his books he often referred to the publications of Jhering and other foreign jurists. In the context of those times a condemnation could result in expulsion from the university and even arrest for a political crime. But it so happened that, at the same time, a voluminous book by Venediktov entitled Socialist State Property67 had been 66 See e. g. Anton Rudokvas IL Diritto Romano e la Privatistica Russa in: Nel Mondo del Diritto Romano. Convegno ARISTEC. Roma 10–11 Ottobre 2014 / a cura di L. Vacca, Napoli, Jovene Editore, 2017, p. 278ff. 67 Anatolij Vasilievicˇ Venediktov, Gosudarstvennaja Socialisticˇeskaja Sobstvennost [Socialist State Property], 1948. See also its Italian edition: Anatolij Venediktov, La proprietà socialista dello Stato. Traduzione italiana di Vera Dridso e Rodolfo Sacco, 1953.

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nominated for, and was then awarded, the Stalin Prize. It was the very book in which the author had referred so much to Jhering and other foreign lawyers. Venediktov therefore continued to teach at the university, and his persecutors now had to praise him68.

3.

Conclusion

It seems that, although Rudolf Jhering is not forgotten in today’s Russia, his impact on Russian legal culture is nevertheless much diminished. Despite the old Russian pre-revolutionary translations of Jhering’s texts being recently republished69, with the exception of a few works from the pens of specialists in the theory of law, specifically devoted to certain particular aspects of his creative heritage, neither lawyers nor legal theorists usually refer to the works of Jhering when discussing topical problems of today. An exception was the discussion, during the second post-Soviet recodification of civil law in Russia, which began in 2012 and is still in progress, of the need to implement possessory remedies in the Civil Code of the Russian Federation, since the promoters of this idea appealed, among other things, to the doctrine of Jhering on the reasons for protection of possession as such70. A few appeals to Jhering’s doctrine of culpa in contrahendo were also made in recent years, in the context of the implementation in Russian law of precontractual liability.71 But nothing more. Sic transit gloria mundi.

68 Jurij Kirillovicˇ Tolstoj, Iz Perezˇitogo [From Experience], 8th ed. St. Petersburg, 2018, pp. 189– 190. 69 Rudolf von Jhering, Izbrannie Trudi [Selected Works], Vol. I–II, St. Petersburg 2006. 70 See e. g.: Anton Rudokvas, Possession and Possessory Remedies in the Draft Modifications to the Civil Code of the Russian Federation in the Mirror of Jhering’s Doctrine of Possession, Transformacje Prawa Prywatnego, 4 (2017), pp. 51–59. 71 In this regard a couple of new translations of Jhering’s articles on the concept of culpa appeared, which had never been published in Russian before. These are: Rudolf Jhering, Culpa in contrahendo, ili vozmechenie ubitkov pri nedejstvitel’nosti ili nezakljucˇennosti dogovorov [Culpa in contrahendo, or Damages in case of voidness or imperfection of the contact], transl. and commented by Mikhail B. Zhuzhzhalov, in: Vestnik Grazˇdanskogo Prava, 2013, Volume 13, issue 3, p. 190–311 (after the German edition: : Rudolf Jhering. Culpa in contrahendo oder Schadenersatz bei nichtigen oder nicht zur Perfection gelangten Verträgen // Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Bd. 4. Jena, 1861. S. 1–112); Rudolf Jhering. Sostavljajuchaja vini v rimskom ˇcastnom prave [The element of fault in Roman private law], transl. by Mikhail B. Zhuzhzhalov, in: Pravovedenie, 2023, Volume 67, issue 2, p. 216–257. https://doi.org/10.21638/spbu25.2023.205 (after the German edition: Rudolf Jhering. Das Schuldmoment im römischen Privatrecht: eine Festschrift. Seinem hochverehrten Collegen Johann Michael Birnbaum zur Feier seines fünfzigjährigen Professorenjubiläums am 24. Juni 1867. Giessen Verlag von E. Roth. 1867).

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Die Rezeption Jherings in Brasilien. Tobias Barreto und die „Recife-Schule“

Einführung Die Rezeption von Rudolf von Jhering in Brasilien erlaubt viele Analysen, insbesondere im Bereich des Zivilrechts, des Einflusses von Jhering auf das brasilianische Zivilgesetzbuch von 1916, der Besitzertheorie usw. Dieser Artikel weicht jedoch vom Zivilrecht ab und vorstellt die Beziehung zwischen Jhering und Brasilien durch die große Figur von Tobias Barreto (1839–1889) sowie auch unter Hinweis auf die private Geschichte des ältesten Sohnes des großen deutschen Juristen, Hermann von Jhering (1850–1930), der 1880 nach Brasilien auswanderte. Jhering wurde in Brasilien von Silvio Romero eingeführt, der ihn 1875 in seiner Doktorarbeit an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zitierte. Die französische Übersetzung von „Der Kampf um′s Recht“ aus dem Jahr 1875 machte den Namen Jhering in Brasilien bekannt, was Hermann bei seiner Ankunft in Brasilien überraschte. Durch seine Beherrschung der deutschen Sprache konnte Tobias Barreto Jherings Werk umfassender verstehen und seine Ideen in Brasilien über sein berühmtes Buch hinaus verbreiten. Tobias Barreto suchte im Jherings Werk nach den Grundlagen für sein monistisches Weltbild, das Metaphysik als erklärendes Beispiel für Normativität ablehnte. Dieser Artikel beabsichtigt nicht, die aktuelle Relevanz von Jherings Denken für das brasilianische Recht zu diskutieren. Er beschränkt sich auf die Analyse der Rezeption der Arbeit von Jhering im 19. Jahrhundert. Der Artikel ist in drei Teile gegliedert. Die erste beschäftigt sich mit Tobias Barreto und der RecifeSchule, um dem Leser der deutschen Sprache Informationen über Tobias Barreto und die juristischen und philosophischen Gedanken dieser brasilianischen Schule des 19. Jahrhunderts zu vermitteln. Der zweite Teil beschäftigt sich mit Aspekten des persönlichen Lebens von Jhering im Zusammenhang mit der Auswanderung von Hermann von Jhering nach Brasilien. Im dritten und letzten Teil wird die Rezeption von der Jherings Arbeit in Brasilien durch Tobias Barreto und die Recife-Schule analysiert.

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1.

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Tobias Barreto und die „Recife-Schule“

Im Gegensatz zu Spanischamerika, wo noch in der Kolonialzeit Universitäten gegründet wurde, bildeten die Portugiesen ihre Elite in Coimbra. So wurden Hochschulen in Brasilien nur in der Phase der Unabhängigkeit geschaffen. Die Universitäten sollten erst im 20. Jahrhundert gegründet werden. Die ersten Hochschulen wurden 1808 mit der Ankunft der portugiesischen Königsfamilie in Brasilien gegründet. In diesem Jahr entstanden die Schulen für Chirurgie und Anatomie in Salvador und Rio de Janeiro und die Maritime Akademie in Rio de Janeiro. Zwei Jahre später wurde die Königliche Militärakademie gegründet. Ihnen folgte die Fakultät der Landwirtschaft im Jahre 1814 und die Königliche Akademie für Malerei und Skulptur.1 Mit dem Reichsgesetz vom 11. August 1827 wurden die ersten beiden Rechtsfakultäten in Brasilien, in Olinda, in der Provinz Pernambuco, und in São Paulo, geschaffen. Die Fakultät in Olinda folgte der Tendenz zum Formalismus. Die Idee, eine nationale intellektuelle Autonomie Brasiliens zu schaffen, wurde fallen gelassen. Die immer noch starke Verbindung mit Portugal verhinderte die Entwicklung eines genuin brasilianischen Rechtsdenkens. Der Rechtsfakultät blieb in der Stadt Olinda bis zum Jahr 1854, als sie nach Recife verlegt wurde. Die Rechtswissenschaftliche Fakultät von Recife war verantwortlich für die juristische und politische Bildung der Elite der nördlichen Provinzen Brasiliens. Weit davon entfernt, eine Umgebung der kritischen und reflektierenden Bildung der nationalen Realität zu haben, reproduzierte der dortige Unterricht ein formales juristisches Wissen, das zur Bildung einer echten brasilianischen Rechtskultur wenig beigetragen hat. Es war diese Umgebung, die der junge Student Tobias Barreto de Menezes antraf, als er sich im juristischen Studiengang einschrieb. Tobias Barreto de Menezes wurde am 7. Juni 1839 in der Provinz Sergipe geboren. Tobias schloss im Alter von 15 Jahren den Lateinkurs ab. Nach einer Zeit als Lateinlehrer in Sergipe erhielt er einen bezahlten Urlaub von sechs Jahren, um sein Studium fortzusetzen. Tobias zog in die Provinz Bahia, um sich zum Priester weiht zu lassen. Nach einem einzigen Tag im Kloster verwarf er diese Idee jedoch wieder. 1864 schrieb er sich als Student an der Rechtsfakultät von Recife ein.2 Als Bohemien und Liebhaber von Tänzen und Serenaden sang und spielte Tobias Barreto in bewundernswerterweise Gitarre und war eher uninteressiert an praktischen Dingen. Als er in die Rechtswissenschaften Fakultät eintrat, wandte 1 Antônio Carlos Pereira Martins. Ensino superior no Brasil: da descoberta aos dias atuais, in: Acta Cir. Bras., Band 17, Erg. 3, (2002). 2 Hermes Lima, Tobias Barreto (a época e o homem). 2. Aufl. São Paulo: Companhia Editorial Nacional, 1957, S. 1–7; Márcio Luiz do Nascimento. Primeira Geração Romântica versus Escola do Recife: trajetórias de intelectuais da Corte e dos intelectuais periféricos da Escola do Recife, unv. Diss., Universidade de São Paulo 2010, S. 147.

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er sich an Castro Alves, den Dichter der Sklaven. Sie wurden Freunde, jeder mit seiner Gruppe. Castro Alves von aristokratischem Temperament, Tobias als Plebejer. Sie duellierten sich zunächst in Versen und brachen endgültig miteinander, nachdem ein Artikel von Tobias den Dichter beleidigt hatte.3 Als Jurastudent zeichnete sich Tobias durch sein Talent aus und übernahm eine Führungsrolle in der philosophischen Rebellion der Studierenden angesichts des dort herrschenden eklektischen Geistes. Tobias erneuerte ab 1865 den akademischen Journalismus und begann „über Doktrinen zu debattieren, die nicht mehr zu den uninteressanten rhetorischen Mustern passen“.4 Die großen Zeitungen waren zu konservativ, um die Lebhaftigkeit und Rebellion junger Menschen zu verstehen oder gar zu begrüßen. Noch während des Studiums heiratete er die Tochter eines Obersten, der mehrere Engenhos in der Gemeinde Escada besaß. Die Heirat erfolgte auch in der Hoffnung von Tobias auf große soziale Vorteile. Mit dem Abschluss des Studiums und die Schwierigkeiten, sich in Recife beruflich zu etablieren, zog Tobias 1871 mit der Familie nach Escada, wo er zehn Jahre in der kleinen Stadt blieb. Tobias Interesse an deutscher Kultur begann in Escada. In dieser kleinen Stadt lernte Tobias als Autodidakt die deutsche Sprache und kam in direkten Kontakt zu deutschsprachigen Publikationen. Bereits 1875 gab er in der Zeitung bekannt, er biete einen Kurs in deutscher Sprache und Literatur an. In Escada veröffentlichte er auch die Zeitung „Deutscher Kampfer“. Das ruhige Landleben ermöglichte Tobias, das Studium deutscher Autoren zu vertiefen und seine literarische Produktion aufrechtzuerhalten.5 Nach zehn Jahren in der kleinen Stadt kehrte Tobias nach Recife zurück und agierte intensiv im kulturellen Leben der Stadt. 1882 nahm er an einem öffentlichen Auswahlverfahren für eine Privatdozentur an der Juristischen Fakultät teil. Man erkannte im Auswahlverfahren die intellektuelle Größe von Tobias. Sein Eintritt in die Rechtswissenschaftliche Fakultät führte auch zu einer Emanzipation der brasilianischen Mentalität in der Fakultät, die bis dahin „in der Theologie des Naturrechtes, in allen Abgründen des Konservatismus versunken“ war.6

3 Hermes Lima, Tobias Barreto, S. 10–13. 4 Hermes Lima, Tobias Barreto, S. 19. 5 1875 gab es Anzeigen für den Verkauf von Büchern von Tobias Barreto in den Zeitungen von Recife und Rio de Janeiro. Arnaldo Sampaio de Moraes Godoy, Tobias Barreto. Uma Biografia Intelectual do Insurreto Sergipano e sua Biblioteca com Livros Alemães no Brasil do Século XIX. Curitiba: Juruá, 2018, S. 74. „Estudos Alemães“ und „Um discurso em Mangas de Camisa“ sind unter anderem Arbeiten aus der Zeit von Escada. 6 José Pereira da Graça Aranha, O meu próprio romance. Rio de Janeiro: Companhia Editora Nacional, 1931, S. 149–150.

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Die führende Rolle von Tobias in der Juristischen Fakultät hatte direkten Einfluss auf die sogenannte Recife-Schule, eine juristische, poetische, kritische und philosophische Bewegung, die sich zwischen 1860 und 1880 entwickelte und eine breite Ideendebatte einleitete mit dem Ziel der Öffnung für neue philosophische Strömungen.7 Die Schule von Recife brachte Intellektuelle zusammen, die sich der Zentralisierung der politischen und gesellschaftlichen Macht im Süden des Landes entgegengesetzten. Sie forderten auch die intellektuelle Autonomie der Nation sowie eine Neudefinition der Machtaufteilung zugunsten einer größeren Pluralität von Ideen. In diesem Sinne wurden die Pluralität und die multikulturelle Dimension Brasiliens betont. Die akademische Reflexion verlangte andere Quellen. Tobias Barreto war ein Autor, der dem damals noch dominierenden französischen Denken das deutsche Denken entgegensetzte. Er kritisierte scharf brasilianische Intellektuelle in seinen Schriften. Tobias spielte eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des deutschen Denkens im Brasilien des 19. Jahrhunderts. Sein Ziel war die geistliche Entwicklung Brasiliens, die Öffnung neuer Horizonte für das nationale Denken und die Stärkung der kulturellen Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland.8 Der Einfluss des deutschen Denkens auf Tobias kann man auch an seinen Thesen ablesen, die er im öffentlichen Auswahlverfahren an der Juristischen Fakultät vorgelegt hatte. Für den Naturrechtskurs, der heute den Fächern „Einführung in die Rechtswissenschaft“ und „Rechtsphilosophie“ entsprechen würde, behauptete er monistisch zu sein und lehnte die Metaphysik als Erklärungsinstanz der Normativität ab. Er war interessiert am Monismus von Ludwig Noiré, am juristischen Darwinismus von Rudolf von Jhering und dem Evolutionismus von Ernst Haeckel.9 In der ersten These argumentierte Tobias, dass „nur Monismus uns von allen philosophischen Systemen die wahre Auffassung vom Recht geben kann“. Dies war ein deutlicher Einfluss von Ludwig Noiré (1829–1889) auf den brasilianischen Denker, insbesondere sein 1875 veröffentlichtes Werk „Der monistische Gedanke. Eine Konkordanz der Philosophie Schopenhauers, Darwins, Robert Mayers und Lazarus Geigers“. Laut Noiré findet das menschliche Denken in drei sich wechselseitig ergänzenden theoretischen Ansätzen seine Einheit, nämlich erstens in der Darwin7 „Die Recife-Schule war kein starrer Satz von Prinzipien, eine endgültige Systematisierung von Ideen, sondern eine progressive philosophische Orientierung, die nicht jeden daran hinderte, selbst zu forschen und eigene Ideen zu haben, solange sie wissenschaftlich orientiert sind“. Clóvis Bevilaqua, História da Faculdade de Direito do Recife. 2. Auf. Brasília: INL, 1977, S. 375. 8 Lilian de Abreu Pessoa, Aspectos do Pensamento Alemão na Obra de Tobias Barreto, unv. Diss., Universidade de São Paulo 1985. 9 Arnaldo Sampaio de Moraes Godoy, Tobias Barreto, S. 86.

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schen Evolutionstheorie, zweitens im Prinzip der Energieerhaltung des Physikers Julius Robert von Mayer und drittens in der Theorie des Willens von Schopenhauer. Die mächtige Revolution des Denkens würde ihren Ursprung in Kant haben, dem größten revolutionären Denker seit Spinoza. Seine Kritik der reinen Vernunft war gleichbedeutend mit einer Kritik der dogmatischen Philosophie. So wie die Französische Revolution im politischen Bereich alle bisherigen Machtstrukturen und Autoritäten beseitigte, zerstörte Kant alle bis dahin geglaubten Gewissheiten. Die Welt ist nur eine Erscheinung, Trug, es gibt keine objektiven Wahrheiten, alles verwandelt sich in die beiden Anschauungsformen von Zeit und Raum. Zum Ding an sich führt kein Weg. Schopenhauer glaubte jedoch, diesen Weg gefunden zu haben. „Die Welt ist nicht nur meine Vorstellung, sie ist auch mein Wille“, so sein wichtiger Satz, mit dem er der Philosophie einen neuen Weg eröffnete, auf welchem sie durch eine schmale Pforte zu dem Ding an sich gelangen könnte.10 Dieser Wille, glaubt Noiré, ist aber nichts Metaphysisches, sondern etwas ebenso Natürliches, wie alles Übrige. Das große Rätsel der Welt beginnt sich zu lichten und wir erkennen deutlich, was es mit den beiden mysteriösen Anschauungsformen von Zeit und Raum für eine Bewandtnis hat. Diese klare Erkenntnis ist das Fundament der wahren Philosophie, welche ihre Anregung mächtig gefördert hat, und welcher die Zukunft gehört, sie heißt Monismus.11 Das Buch von Noiré, das Tobias Barreto stark beeinflusst hat, zeigt die Grundlinien dieser neuen Weltanschauung mit dem Ziel, zur Erneuerung von Gedankenformen beizutragen. Ihre Grundanschauung, von der sie ausgehen, kann so kurz formuliert werden: „wie es nur Eine Art der Bewegung gibt, wenn sie uns auch noch so verschieden in ihrer Erscheinung sich darstellt, so gibt es auch nur Eine Art der Empfindung. Die Unterschiede sind nur Gradunterschiede; es sind also alle Erscheinungen von Bewegung und Empfindung durch sich selber und nur durch sich messbar. Alle Begriffe des Menschen haben eine Doppelseitigkeit, welche sich auf die Doppeleigenschaft aller Wesen zurückführen lässt“.12

10 Ludwig Noiré, Der monistische Gedanke. Eine Konkordanz der Philosophie Schopenhauers, Darwins, Robert Mayers und Lazarus Geigers. Leipzig: Verlag von Veit & Comp., 1875, S. IX–X. 11 Ludwig Noiré, Der monistische Gedanke, S. XXIII–XXIV. 12 Ludwig Noiré, Der monistische Gedanke, S. XXIV. Das Ziel des monistischen Denkens ist nach Ernst Haeckel (1834–1919) ein zweifaches Ziel. Einerseits beabsichtigt es, „eine Vorstellung von der rationalen Auffassung der Welt zu vermitteln, die durch den jüngsten Fortschritt der einheitlichen Naturerkenntnis als logische Notwendigkeit auferlegt wird“. Andererseits will es eine „Verbindung zwischen Religion und Wissenschaft herstellen und so zum Verschwinden des Gegensatzes beitragen, der in diesen höheren Bereichen des menschlichen Denkens so schlecht etabliert war“. [Ernst Haeckel, O Monismo. Übersetzung von Fonseca Cardoso. Porto: Livraria Chardon, 1908, S. 9].

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Mit seiner zweiten These kritisierte Tobias Barreto das metaphysische Rechtsverständnis und argumentierte, dass das Recht auch den Gesetzen der natürlichen Selektion unterliege. Es ist eindeutig auf den Einfluss von Jhering zurückzuführen, wenn Tobias schreibt, dass „das Recht weder rein metaphysische Entität ist noch eine Abstraktion, die aus den Evolutionsgesetzen resultiert, die immer noch im Ungewissen liegen, sondern einfach die Disziplin der sozialen Kräfte, das Prinzip der legalen Selektion im Existenzkampf“.13 In seiner dritten These widerlegte Tobias Barreto zeitgenössische Ansätze der Frühsoziologie. Seine Soziologiekritik ist als Teil seiner allgemeinen Kritik an August Comtes Positivismus zu verstehen. Barreto schreibt: „Ich glaube nicht an die Existenz einer Sozialwissenschaft. Trotz aller rhetorischen Ausdrücke und Proteste bestehe ich im Gegenteil auf meiner alten These: Soziologie ist nur der Name eines Anspruchs, der so hoch wie unerreichbar ist“.14

2.

Jhering und Brasilien. Eine Familiengeschichte

Jherings Beziehung zu Brasilien beschränkt sich nicht nur auf seinen Einfluss auf das brasilianische Rechtsdenken. Vielmehr hatte sie noch eine weitere private Dimension, deren Grundlagen durch die Auswanderung seines ältesten Sohnes Hermann von Jhering (1850–1930) im Jahr 1880 gelegt wurden. Als Jhering im Jahr 1868 an die Wiener Rechtsfakultät berufen wurde, begann Hermann auf Anraten des berühmten Naturforschers Rudolph Leuckart (1822– 1898) Medizin in Gießen zu studieren. Hermann war sehr interessiert an der Zoologie, aber er stimmte Hermann Leuckart zu, dass ein guter medizinischer Hintergrund eine ausgezeichnete Grundlage für einen zukünftigen Zoologen sein würde, weil das berufliche Schicksal dieser Karriere unberechenbar und ein Brotstudium notwendig sei.15 Jhering und sein Sohn Hermann standen damals in eine Beziehung, die von großer Wertschätzung getragen war. Jhering war stolz auf seinen Sohn sowohl wegen seiner intellektuellen als auch seiner persönlichen Eigenschaften. Auf einen Brief an Windscheid antwortete Jhering: „Dein Urteil über meinen ältesten Sohn freut mich sehr. Er ist ein ausgezeichneter und lieber Mensch, ein kluger

13 Tobias Barreto, Estudos de Direito I. Rio de Janeiro: J.E. Solomon; Sergipe: Diário Oficial, 2012, S. 56. 14 Tobias Barreto, Variações Anti-Sociológicas, in. Estudos de Direito, Campinas: Bookseller, 2000, S. 11. 15 Mario G. Losano, Um precursor da ecologia no Brasil: Hermann von Jhering, in. Revista USP 13, (1992), S. 92.

Die Rezeption Jherings in Brasilien. Tobias Barreto und die „Recife-Schule“

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und hemmungsloser Student, gleichzeitig mit vielen Interessen, einem soliden Charakter und einem großen Herzen“.16 Hermann bereitete sich auf eine typisch deutsche akademische Karriere vor. Nach dem Medizinstudium in Berlin und Göttingen widmete er sich dem Studium der Zoologie und Geologie. In Göttingen promovierte er 1873 im Fachbereich Medizin und 1876 in Philosophie. 1878 wurde er zum Privatdozenten für Zoologie in Leipzig ernannt.17 Jhering sprach mit Bewunderung über seinen Sohn und berichtete in Briefen an seine Freunde über das Studium seines Sohnes in Berlin, Göttingen, Leipzig und Neapel. Seiner Meinung nach sollte Hermann eine akademische Karriere in Deutschland aufbauen. Plötzlich jedoch, 1880, gab Hermann die Sicherheit der deutschen Universitätswelt auf, um in tropischen Ländern zu forschen. Zu dieser Veränderung schrieb Hermann: „Nach Ostern 1880 unterbrach ich meine akademische Laufbahn, um nach Brasilien auszuwandern“.18 Jhering missbilligte die Entscheidung seines Sohnes. In einem Brief schrieb er: „Mein Sohn hat den Fehler gemacht, nach Brasilien zu gehen. Das hat mir viel Sorge bereitet. Hier in unserem Land würde er eine schöne Zukunft haben. […] Ich werde ihn vielleicht nie wiedersehen“.19 In einem anderen Brief heißt es: „Ich habe eine der schwierigsten Zeiten meiner Existenz durchgemacht, eine meiner bitteren Erfahrungen. Tatsächlich hat mir mein ältester Sohn, auf den ich so viel Hoffnung hatte, gegen die alle Liebe, die ich ihm immer gezeigt habe, und alle Opfer, die ich für ihn gebracht habe, die schmerzlichste Wunde meines Lebens zugefügt. Sie wissen, dass er geheiratet hat und Leipzig verlassen hat, um in den Süden Brasiliens zu ziehen“.20 Im Laufe der Zeit akzeptierte Jhering die Entscheidung seines Sohnes. In einem Brief schrieb er: „Meine Kinder sind wohlauf. Der ältere, der vor zwei oder drei Jahren für mich eine große Sorge war, […] ist derzeit in Brasilien, wo er eine gute Perspektive auf eine befriedigende Zukunft hat“. In einem anderen Brief schrieb Jhering noch einmal über seinen Sohn: „Mein ältester Sohn Hermann fühlt sich in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit ausgefüllt und seine Existenz ist dank seiner Arbeit als Naturforscher gesichert“.21 1888 sah Jhering den Sohn wieder. Er schrieb: „Nächstes Jahr, anlässlich meiner siebzig Jahre, werde ich das Glück haben, alle meine Kinder um mich zu sehen. Mein ältester Sohn wird mit der ganzen Familie aus Brasilien kommen“.22 16 17 18 19 20 21 22

Mario G. Losano, Um precursor da ecologia no Brasil, S. 92. Mario G. Losano, Um precursor da ecologia no Brasil, S. 93. Mario G. Losano, Um precursor da ecologia no Brasil, S. 93. Mario G. Losano, Um precursor da ecologia no Brasil, S. 94. Mario G. Losano, Um precursor da ecologia no Brasil, S. 94. Mario G. Losano, Um precursor da ecologia no Brasil, S. 95. Mario G. Losano, Um precursor da ecologia no Brasil, S. 95.

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Hermann von Jhering lebte mehr als vierzig Jahre in Brasilien und zeichnete sich durch Leistungen im Bereich der Zoologie aus. Sein nach Rudolf von Jhering benannter Enkelsohn Rodolpho von Jhering (1883–1939) brillierte später auf dem Gebiet der Biologie. Als Hermann von Jhering 1880 in Brasilien ankam, war Tobias Barreto in voller intellektueller Aktivität. Dennoch wurde bisher kein Briefwechsel zwischen beiden gefunden. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Tobias Barreto die Anwesenheit Hermann Jherings in Brasilien verborgen geblieben wäre. Das gilt umso mehr, als Hermann von Jhering und Tobias Barreto einen gemeinsamen Freund hatten, Karl von Koseritz, der damals einer der bekanntesten deutschen Siedler in Südbrasilien war.23 Während Hermann den Namen Jhering nach Südbrasilien trug, trugen Tobias Barreto und die Recife-Schule zur Vermittlung des Rechtsdenkens des deutschen Juristen im Norden in den Rechtsfakultäten bei. Die Popularität Rudolf von Jherings in Brasilien erregte die Aufmerksamkeit von dessen Sohn Hermann. Er schrieb: „Obwohl ich schon lange gewusst hatte, dass der Name meines Vaters unter Juristen bekannt war, war ich doch überrascht, dass dies auch in Brasilien passierte“.24 Sogar während einer Audienz bei dem brasilianischen Kaiser Dom Pedro II., die Hermann nach seiner Ankunft in Brasilien gewährt wurde, fragte der Kaiser von Brasilien nach Hermann Jherings Vater.

3.

Die Rezeption von Iherings Werk in Brasilien. Tobias Barreto und die „Recife-Schule“

Rudolf von Jhering gilt als der deutsche Autor, der das juristische Denken von Tobias Barreto am stärksten beeinflusst hat. Nach Mitteilung von Tobias Barreto wurde Rudolf von Jhering durch Silvio Romero (1851–1914) in Brasilien bekannt. Romero hatte Jhering bereits 1875 in seiner Doktorarbeit an der Rechtsfakultät von Recife zitiert. Tobias Barreto bemerkte, dass dieses Zitat aber nicht wie von Romero angegeben aus Jherings erstem Hauptwerk „Der Geist des römischen Rechtes“ stammte, nach Barreto ein „gewissenhaftes Werk, in dem Jhering mit den überlieferten Traditionen in Bezug auf die Strenge und Härte des römischen Rechts brach und sich gleichzeitig auch gegen das ganze Geklingel germanischer Sittlichkeitsmelodien wandte, das heißt die alte von Tacitus abgeleitete Illusion einer mustergültigen Vollkommenheit der Gebräuche bei den alten Deutschen

23 Mario G. Losano, Um precursor da ecologia no Brasil, S. 90. 24 Mario G. Losano, Um precursor da ecologia no Brasil, S. 96.

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auflehnte“.25 Das Zitat stammt in Wahrheit aus Jherings berühmter Schrift „Der Kampf um’s Recht“, einer nach Barreto „zuweilen zweifellos nicht weniger tiefgründigen und gut durchdachten Schrift, in der die Darwinische Vorstellung vom „struggle for life“ aus dem Bereich der Natur in den Bereich der Gesellschaft transportiert wird“.26 Die französische Übersetzung von „Der Kampf um’s Recht“ von 1875 machte den Namen Jherings in Brasilien allgemein bekannt. Tobias Barretos Kenntnis der deutschen Sprache ermöglichte ihm, nicht nur diese Schrift, sondern auch alle anderen Werke Jherings im Original zu lesen und zu zitieren. Dabei unternahm er keine systematische und deskriptive Untersuchung von Jherings Arbeit, sondern er unterzog Jherings Konzeption vielmehr einer schwerpunktmäßig punktuellen Analyse und schöpferischen Fortbildung durch eigene Gedanken.27 Jhering, dessen Werk Tobias Barreto gefangen nahm, war derjenige Autor, der Barretos monistische Weltanschauung begründete und die Metaphysik als Erklärungsinstanz der Normativität ablehnte. Zur Beziehung zwischen Darwinismus und Recht zitiert Tobias Barreto Jhering selbst: „Ich wage es nicht, ein Urteil über die Genauigkeit der darwinistischen Theorie zu fällen, aber es ist sicher, dass die Ergebnisse, zu denen ich gekommen bin, sie auf vollständigste Weise bestätigen“.28

Dennoch gilt für Barreto „das alte Recht, das heißt die alte Auffassung, nach der die Rechtssphäre außerhalb der Natur liegt und nichts mit den Gesetzen der Evolution der physischen Welt zu tun hat“, und „es besteht kein Zweifel, dass sie weit davon entfernt ist, zur darwinistischen Theorie assimiliert zu werden.“29 An dieser Stelle gehen Barreto und Jhering überein, denn auch für Barreto ist „Recht“ vor allem eine soziale Disziplin, das heißt eine Disziplin, die die Gesellschaft als die Summe ihrer Mitglieder untersucht, um das höchste Ziel des Rechts zu erreichen, nämlich die harmonische Koexistenz aller ihrer Mitglieder.30 Nach Jhering führt nur das Interesse zum Verständnis des Rechts und das Recht

25 Tobias Barreto, A Jurisprudência da Vida Diária. In. Estudos de Direito. Campinas: Bookseller, 2000, S. 463. 26 Tobias Barreto, A Jurisprudência da Vida Diária, S. 463. 27 João Maurício Adeodato, O Sério e o Jocoso em Jhering (Uma Visão Retórica da Ciência Jurídica), in. João Maurício Adeodato (Herg.). Jhering e o Direito no Brasil. (Seminário Nacional em Comemoração ao Centenário de seu Falecimento). Recife: Editora Universitária, 1996, S. 92. 28 Tobias Barreto, Sobre uma Nova Intuição do Direito. In. Estudos de Direito. Campinas: Bookseller, 2000, S. 82. 29 Tobias Barreto, Sobre uma Nova Intuição do Direito. In. Estudos de Direito. Campinas: Bookseller, 2000, S. 83. 30 Tobias Barreto, Introdução ao Estudo do Direito, in. Estudos de Direito, S. 135.

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zum Frieden. Frieden ist Ausdruck eines Wettbewerbs um die Einrichtung eines modus vivendi, um den die Parteien kämpfen. Auf diese Weise erzwingt sich die Gewalt eine Grenze, die sie respektieren will, sie schafft sich eine Norm, die sie zu befolgen verspricht. Diese Regel, der sie zugestimmt hat, ist das Recht.31 Zeitgenössischer Hintergrund dieser Gedanken Jherings sind die Entdeckungen auf dem Gebiet der Biologie und der Wissenschaften im Allgemeinen. Nach Auffassung des brasilianischen Zivilrechtlers Clovis Bevilaqua hat man es „zweifellos im ‚Der Kampf um’s Recht‘ mit der Anwendung einer Idee zu tun, die die wesentliche Quelle der darwinistischen Konzeption ist“.32 Die monistische Auffassung findet sich auch in Jherings Werk „Der Zweck im Recht“, denn nach Jhering „geschieht nach der Lehre von zureichenden Grunde nichts in der Welt von selbst (causa sui), sondern alles, was geschieht, das heißt jede Veränderung in der Sinnenwelt ist die Folge einer vorangegangenen andern, ohne die sie selber nicht eingetreten sein würde. Diese durch unser Denken postulierte und durch die Erfahrung bestätigte Tatsache bezeichnen wir bekanntlich als Kausalitätsgesetz. Dieses Gesetz besteht auch für den menschlichen Willen, denn auch die Tätigkeit des Willens fällt unter den Begriff des Geschehens. Ohne zureichenden Grund ist eine Bewegung des Willens ebenso undenkbar wie die Bewegung der Materie; Freiheit des Willens in dem Sinn, dass der Wille sich spontan ohne irgendeinen treibenden Grund in Bewegung versetzen könne, ist der Münchhausen, der sich selber bei seinen Haaren aus dem Sumpf zieht“.33 Jhering erneuert hier die Methodologie des Rechts. Savigny war der erste, der über eine Methodologie des Rechts sprach, eine Methode, die dem juristischen Denken eine wissenschaftliche Grundlage gibt. Er vertraute auf das wissenschaftliche Paradigma der sogenannten Geistwissenschaften, die zu der Zeit ein methodisches Bewusstsein ihrer Autonomie gegenüber den bereits etablierten Naturwissenschaften entwickelten. Jhering bricht nicht mit der Historischen Schule, aber das Paradigma, das er einführt, ist nicht mehr das der Geisteswissenschaften, sondern dasjenige der Naturwissenschaften. Jhering schlägt eine Annäherung an das Recht als einen objektiven Organismus der menschlichen Freiheit vor, als ein Produkt der Natur, auf das eine naturhistorische juristische Methode Anwendung finden müsse.34 Das Recht ist nach Jhering weder auf den abstrakten Inhalt der Gesetze reduziertn noch auf die geschriebene Gerechtigkeit. Ihre objektive Verwirklichung ist Teil des Lebens, denn das Recht ist das Produkt der Handlungen der sozialen 31 Rudolf von Jhering, A evolução do Direito (Der Zweck im Recht). Lisboa: José Bastos, s.d., S. 173. 32 Rudolf von Jhering, A Luta pelo Direito. São Paulo: Martin Claret, s.d. 33 Rudolf von Jhering, A evolução do Direito (Der Zweck im Recht), S. 13. 34 Aurélio Wander Bastos, O Homem Jurídico ou o Direito de Lutar ou Cem Anos Depois de Rudolf von Jhering, in. João Maurício Adeodato (Herg.). Jhering e o Direito no Brasil, S. 10–11.

Die Rezeption Jherings in Brasilien. Tobias Barreto und die „Recife-Schule“

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Kräfte. Der Zweck des Rechtes ist der Schutz der Interessen und die Konvergenz der Interessen über den gleichen Zweck erhöht die Zusammenarbeit und die Schaffung bestimmter Institutionen, wie den Staat, den Handel und die Gesellschaft.35 Obwohl Tobias Barreto für Jhering „tiefste Bewunderung“ empfand, wurde der große deutsche Jurist nicht verschont von Barretos Kritik. Dieser positionierte sich klar gegen die Existenz der Soziologie. Nach Tobias „ist die Soziologie […] nur der Name eines Anspruchs, der so hoch wie unerreichbar ist“.36 Interessanterweise findet sich diese Sichtweise auch immer noch heute in der juristischen Fakultät der Bundesuniversität von Pernambuco, die als „Tobias Haus“ bekannt ist. Der Lehrstuhl für Rechtssoziologie befindet sich daher auch bis heute nicht an der Rechtsfakultät, sondern an der Sozialwissenschaftsfakultät der Universität.37 Die Ablehnung der Soziologie durch eine so offene Persönlichkeit wie Tobias Barreto ist schwer zu verstehen, vor allem unter Berücksichtigung der Anerkennung der Leistungen von Tobias Barreto auf dem Gebiet der Rechtsphilosophie und bei deren Überwindung eines naturgesetzlichen Evolutionismus zugunsten eines Evolutionismus, der den Wandel im Recht nicht als unerbittlichen Ablauf von Kausalgesetzlichkeiten, sondern als einen gesellschaftlichen Prozess mit Widersprüchen, Fortschritten und Rückschritten versteht.38 Tobias argumentierte, dass es keinen Gegensatz zwischen Staat und Gesellschaft gebe. Daher kritisierte er Jhering, obwohl „diese Kritik [laut Tobias] nur auf Knien gemacht werden kann“.39 Im zweiten Band von Jherings Werk „Der Zweck im Recht“ hat dieser nach Barreto „die Gesellschaft zu sehr als eigenständiges Subjekt mit eigenen Gesetzen und eigener Entwicklung schematisiert; er trägt dazu bei, den Glauben an einen autonomen Organismus der Gesellschaft zu stärken, der dem staatlichen Organismus gegenübergestellt oder gar überlagert wird“.40 Gleichzeitig glaubt Barreto zwar, dass dies möglicherweise gar „nicht das Ziel des berühmten Juristen“ gewesen sei und insofern nur ein falscher Schein über Jherings Vorstellungen zum Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft entstanden sei, aber – insoweit bekräftigt er seine Kritik – auch „das ist genug, um die weniger sorglosen Leser zu

35 Eros Roberto Grau. A jurisprudência dos Interesses e a Interpretação do Direito. In. João Maurício Adeodato (Herg.). Jhering e o Direito no Brasil, S. 73 e 75. 36 Tobias Barreto. Variações Anti-Sociológicas. In. Estudos de Direito, S. 11. 37 João Maurício Adeodato. O Positivismo Culturalista da Escola do Recife, in. Novos Estudos Jurídicos, Band 8, Nr 2, (Mai/August 2003), S. 325. 38 João Maurício Adeodato, O Positivismo Culturalista da Escola do Recife, S. 309. 39 Tobias Barreto, Variações Anti-Sociológicas, in. Estudos de Direito, S. 61. 40 Tobias Barreto, Variações Anti-Sociológicas, in. Estudos de Direito, S. 60.

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Marcos Augusto Maliska

stören“.41 Tobias Barreto führt als Beispiel Jherings „doppelte Dreiteilung einer Rechtsordnung, eines Rechtsgesetzes und einer mechanischen Nötigung der Staatsgewalt einerseits sowie einer moralischen Ordnung, eines Sittengesetzes und eines psychologischen Zwanges der Gesellschaft andererseits“ an.42 Nach Barreto kann eine solche Doppelkonstruktion zum „falschen Dualismus von Staat und Gesellschaft als autonome und unabhängige Entitäten führen, der der den Naturwissenschaften angegliederten und von der Politik abgesonderten Idee einer Soziologie den Boden bereitet“.43 Diese Passage in Jherings Werk ist jedoch nach der Lesart von Barreto ein „Versehen“ des Meisters, dem deutlich die Ausführungen „im ersten Teil des Werkes [sc. gegenüberstehen], wo er die schöne Theorie der Hebel der sozialen Mechanik entwickelte“, die zeige, „dass sein Gesellschaftskonzept sich nicht für die Bildung einer bestimmten Wissenschaft mit den Attributen der exakten Wissenschaft im Sinne der positivistischen Schule eignet“.44 Barreto freute sich sehr über Jherings Buch „Die Jurisprudenz des täglichen Lebens“, das 1873 in Jena veröffentlicht wurde und dem Barreto einen gleichnamigen Artikel widmete. Nach Barreto kann man das Buch als „eine Übung in der juristischen Gymnastik bezeichnen“.45 Nach Tobias stellt Jhering mit diesem Buch „einen langen Rechtsfragebogen vor“, der geeignet sei, „Ratlosigkeit bei sehr kompetenten Juristen“ hervorzurufen: „Der Autor lässt die Rechtsfälle, die er schildert, völlig unentschieden, was das Interesse am Buch verdoppelt“.46 Nach Barreto könnten vielleicht jemand einwenden, dass ein Buch über das tägliche Leben nur Frivolität sei, das heißt ein Buch, das ein Bündel Kleinigkeiten als eine kostbare Sache präsentiert.47 Aber Jhering, so bemerkt Tobias ironisch, „hat seine Arbeit zum akademischen Gebrauch entworfen und ausgeführt. Wenn diese oder jene seiner Fragen die Größe eines Rätsels der Sphinx in den Augen eines jeden Meisters annehmen, so ist das nicht seine Schuld“.48 Auch Barreto selbst hatte eben dieses Ziel, wie es in seinem Kommentar zum Buch Jherings zum Ausdruck kommt, nämlich „die neugierige Aufmerksamkeit junger Männer zu erregen, die mehr als das tägliche Brot unseres armen Geisteslebens begehren. […] Ich wünsche, dass sich aus dieser geringen Wertschätzung für eines der Produkte der reichen deutschen juristischen Literatur etwas mehr Begeisterung entwickele für den hohen wissenschaftlichen Geist dieses vorbildlichen Landes, 41 42 43 44 45 46 47 48

Tobias Barreto, Variações Anti-Sociológicas, in. Estudos de Direito, S. 61. Tobias Barreto, Variações Anti-Sociológicas, in. Estudos de Direito, S. 61. Tobias Barreto, Variações Anti-Sociológicas, in. Estudos de Direito, S. 63. Tobias Barreto, Variações Anti-Sociológicas, in. Estudos de Direito, S. 63. Tobias Barreto, A Jurisprudência da Vida Diária, S. 465. Tobias Barreto, A Jurisprudência da Vida Diária, S. 466. Tobias Barreto, A Jurisprudência da Vida Diária, S. 469. Tobias Barreto, A Jurisprudência da Vida Diária, S. 469.

Die Rezeption Jherings in Brasilien. Tobias Barreto und die „Recife-Schule“

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diese gleichzeitig heroische und denkende Nation, die aus unserer Sicht wie ich schon sagte, den alten Mythos von Pallas Athene, der Göttin der Kriegskunst und der Weisheit, der Wissenschaft mit Helm verkörpert“.49

49 Tobias Barreto, A Jurisprudência da Vida Diária, S. 469–470.

Benjamin Herzog*

Rudolf von Jherings Wirkungen auf die Anwendungs- und Auslegungslehre in Brasilien

I.

Einführung

Im Jahr 1924 erschien die Erstauflage eines Werkes, das sich in der Folgezeit zu einem bedeutenden Werk zur Anwendung und Auslegung von Recht1 in der brasilianischen Zivilrechtslehre entwickeln sollte. Im Vorwort konstatierte der Autor nicht nur eine Forschungslücke, sondern macht auch unmissverständlich klar, wie diese Forschungslücke gefüllt werden soll: „[S]urgiu, prevaleceu e entrou em declínio, pelo menos parcial, a Escola Histórica. […] [F]oi-se transformando gradativamente no Sistema Histórico-Evolutivo, ou só Evolutivo afinal, graças ao influxo do credo jurídico-filosófico evangelizado por Ihering e defundido pelos mestres contemporâneos mais preclaros.“2

Carlos Maximiliano läutet mit seinem Werk „Hermenêutica e Aplicação do Direito“ damit nicht nur einen Wendepunkt für die brasilianische Rechtsanwendungs- und Auslegungslehre ein – und zwar hin zu einer materiellen, an Zwecken und wertegetragenen Prinzipien orientierten Anwendungslehre. Er lässt auch keinen Zweifel daran, wer „Gewährsmann“3 dieses Wendepunkts ist: Rudolf von Jhering. Dieser Beitrag beleuchtet überblicksartig die Wirkungen Jherings auf die Anwendungs- und Auslegungslehre in der brasilianischen Zivilrechtswissen* Syndikusrechtsanwalt (Berlin). Zuvor Rechtsanwalt in Brüssel und Case Handler bei der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission. Promotion an der Ruprecht-KarlsUniversität Heidelberg und DAAD-Stipendiat in Brasilien und Portugal. Für Literaturhinweise danke ich herzlich Prof. Dr. Christian Baldus, Heidelberg. 1 Im deutschsprachigen Sprachraum ist es üblich, von „Methodenlehre“ zu sprechen, wobei gewöhnlich aber lediglich die Auslegung von Gesetzen gemeint ist. „Anwendung und Auslegung von Recht“ berücksichtigt – breiter – auch die Einbeziehung von Anwendung von Rechtsprinzipien ohne unmittelbaren Anknüpfungspunkt an ein konkretes Gesetz. 2 Maximiliano, Carlos, Hermenêutica e aplicação do direito, 3. Aufl. São Paulo 1941, S. 9 (Prefácio da primeira edição de Novembro 1924). 3 Meder, Stephan, Rudolf von Jhering und der Aufstand gegen den rechtswissenschaftlichen Formalismus, in: JZ 2019, S. 689–696 (S. 696).

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Benjamin Herzog

schaft.4 Die Formulierung „Wirkungen“ ist bewusst gewählt. Denn wir wissen weder, was Jhering für die Anwendungs- und Auslegungslehre wollte, noch wissen wir, ob diejenigen, die sich auf Jhering berufen, auch in seinem Namen sprechen.

II.

Jherings „Wandlung“ in Europa

Die Forschung um die Bedeutung Jherings für die Rechtstheorie und Rechtsdogmatik ist noch nicht abgeschlossen (und wird es vermutlich niemals sein). Vor einiger Zeit war es üblich, vereinfacht von einer „Wandlung“ Jherings zu sprechen, wonach er zunächst als Verfechter einer Begriffsjurisprudenz5 und dann als ihr erbitterter Gegner einzuordnen war.6 Plakatives Ventil einer solchen „Wandlung“ war ein Brief Jherings an Bernhard von Windscheid, in dem er selbst schrieb, „eine merkwürdige Umwandlung [s]einer ganzen Anschauung durchlebt“7 zu haben. Das Ergebnis der „Wandlung“ war eine am Zweck orientierte Rechtsdogmatik: Der Rechtssatz, so später in Bezug auf Jhering, müsse „gerade auch in seiner sozialen Funktion gesehen werden […], und er ist deshalb seinem Sinn nach bezogen auf einen sozialen Zweck“8. Auf der anderen Seite mehren sich die Stimmen, die entweder eine solche „Wandlung“ Jherings für überinterpretiert halten9 oder aber eine gewisse „Zwiespältigkeit“ bei Jhering

4 Für Details vgl. Herzog, Benjamin, Anwendung und Auslegung von Recht in Portugal und Brasilien. Eine rechtsvergleichende Untersuchung aus genetischer, funktionaler und postmoderner Perspektive. Zugleich ein Plädoyer für mehr Savigny und weniger Jhering, Tübingen, 2014, S. 494ff. Rezensionen dazu: Nordmeier, Carl Friedrich, RabelsZ 79(2015), S. 678–283; Martinez, Foro 18 (2015), S. 499–508; Medina, Francisco Sabadin, Revista de Direito Civil Contemporâneo, n. 3, v. 7, S. 678–683; Egídio, Mariano Melo, Interpretatio Prudentium I (2016), S. 347–352. Zusammenfassung abrufbar unter: https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/voll textserver/17350/. 5 Ob es jemals eine solche „Begriffsjurisprudenz“ überhaupt gab, ist zweifelhaft. Vgl. etwa Meder, Stephan, Rechtsgeschichte, 4. Aufl. , Köln u. a. 2011, S. 314 f. Dazu auch Haferkamp, Hans-Peter, Georg Friedrich Puchta und die „Begriffsjurisprudenz“, Frankfurt am Main 2004; Henkel, Thomas: Begriffsjurisprudenz und Billigkeit. Zum Rechtsformalismus der Pandektistik nach G. F. Puchta, Böhlau u. a. 2004; Mecke, Christoph-Eric: Begriff und System des Rechts bei Georg Friedrich Puchta, Göttingen 2009. 6 Larenz, Karl, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Berlin u. a. 1960, S. 42–47: „2. Iherings Wendung zu einer pragmatischen Jurisprudenz“. In der portugiesischen Übersetzung: „A viragem de Jhering“, vgl. Metodologia da Ciência do Direito, trad. Sousa e Brito, José de/Veloso, José António, Lissabon 1978, S. 46–53. 7 Ehrenberg, Helene (Hrsg.): Rudolf von Jhering in Briefen an seine Freunde. Mit zwei Abbildungen, Leipzig, 1913, S. 173–180 (S. 176). 8 Larenz, Fn. 6, S. 47. 9 Hofer, Sibylle: Freiheit ohne Grenzen? Privatrechtstheoretische Diskussionen im 19. Jahrhundert, Tübingen 2001.

Jherings Wirkungen auf die Anwendungs- und Auslegungslehre in Brasilien

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erkennen.10 Denn (selbstverständlich) war schon seit jeher jeder Rechtssatz auf einen sozialen Zweck bezogen und wollte auch Jhering nicht den Richter zum Gesetzgeber machen.11 Diese – zugegeben für den Rechtshistoriker äußerst interessante Streitfrage – ist für die Anwendungs- und Auslegungslehre vor deutschen Gerichten heute nahezu irrelevant. Denn ein Richter in Regensburg weiß, dass er sich nur mit dem Argument, ein Rechtssatz müsse „seinem Sinn nach bezogen auf einen sozialen Zweck“ sein, angreifbar macht. Ihm kann vorgeworfen werden ( jedenfalls dann, wenn er sonst nichts für sein Auslegungsergebnis in die Waagschale wirft) einen „sozialen Zweck“ zu behaupten (oder: zu erfinden).12 Der Richter in Regensburg wird daher nicht darum herum kommen, zu prüfen, ob sein Auslegungsergebnis vom Wortlaut noch erfasst, sich gesetzessystematisch begründen lässt und (im weiteren Sinne) historisch auch belastbar ist13. Wenn dies nicht der Fall ist, wird er es schwer haben, sein Ergebnis allein mithilfe eines (behaupteten) „sozialen Zwecks“ erfolgreich zu begründen. Denn das teleologische Element fügt sich heute nur in ein Gesamtsystem der Anwendungs- und Auslegungsmethodik ein, welches die im 19. Jahrhundert herausgebildeten Extreme der Jhering’schen Lehre jedenfalls teilweise wieder neutralisiert.

10 Meder, Fn. 3, S. 690f. und S. 696. 11 Vgl. Meder, Fn. 3, S. 691 und S. 696. 12 Die Missbrauchsanfälligkeit des sog. teleologischen Elements der Auslegung ist offensichtlich, wenn man es nicht als „Mittel“ sondern als „Ziel“ der Auslegung begreift. Denn das Ziel, den (objektiven) Zweck einer Norm zu bestimmen, kann als nichts anderes als „eine der richterlichen Machterweiterung nützliche Fiktion“ gesehen werden, vgl. Höpfner, Clemens/ Rüthers, Bernd: Grundlagen einer europäischen Methodenlehre, in: AcP 209 (2009), S. 1– 36 (S. 7). Vgl. auch Meder, Stephan, Grundprobleme und Geschichte der juristischen Hermeneutik, in: Senn, Marcel/Fritschi, Barbara, Rechtswissenschaft und Hermeneutik. Kongress der Schweizerischen Vereinigung für Rechts- und Staatsphilosophie, 16. und 17. Mai 2008. Universität Zürich, Stuttgart 2009, S. 19–37 (S. 34): „Die ‚objektive Methode‘ […] verschleiert die Tatsache, dass durch ‚eigene‘ Wertung neues ius non scriptum entstanden ist, indem sie suggeriert, die Entscheidung sei durch Auslegung staatlicher Gesetze getroffen worden. Aus der Sicht des Richters hat die ‚objektive Methode‘ freilich den Vorteil, dass sie ihn davon entlastet, die im Wege eines Urteils neu geschaffene Norm als solche zu begründen.“ 13 Baldus, Christian, Historische und vergleichende Auslegung im Gemeinschaftsprivatrecht. Zur Konkretisierung der „geringfügigen Vertragswidrigkeit“, in: ders./MüllerGraff, Peter-Christian (Hrsg.): Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht. Zur Leistungsfähigkeit der deutschen Wissenschaft aus romanischer Perspektive, München 2006, S. 1–24.

130 1.

Benjamin Herzog

Jherings „Zweckdenken“ in der Spätpandektistik

Unabhängig davon, in welche Epoche man Jhering einordnet, ob man ihm die oben beschriebene „Wandlung“ attestiert und welche Bedeutung man einzelnen seiner Äußerungen beimisst, ist eines nicht von der Hand zu weisen: Jhering gründet seine Rechtstheorie nicht, wie noch Savigny14, auf (subjektive) Willen, sondern (objektive) Interessen oder Zwecke: „[D]er Wille ist nicht der Zweck und die bewegende Kraft der Rechte; der Willens- und Machtbegriff ist nicht im Stande, das praktische Verständnis der Rechte zu erschließen.“15 „Wäre der Wille eine logische Potenz, so würde er dem Begriffszwange nachgeben müssen, aber er ist ein sehr reales Wesen, das man mit bloßen logischen Deduktionen nicht aus der Stelle bringt, es gehört ein realer Druck dazu, ihn in Bewegung zu versetzen. Dieser reale Drücker ist für den menschlichen Willen das Interesse.“16

Jherings Eintreten für „Zweck“ und „Interesse“ ist alles andere als eine Kleinigkeit. Denn (scheinbar) objektive Zwecke und Interessen sind nicht das gleiche wie Freiheit ermöglichende Willen.17 Es ist daher schon nicht ganz falsch zu behaupten, dass Jhering damit eine „von Kant explizit fundamental abweichende Privatrechtstheorie“ eingeführt hat, die von einem Richtungswechsel weg von einer „apriorisch-deontologischen“ und hin zu einer „konsequentialistisch-teleologischen“ Basis gekennzeichnet ist.18 Denn Savigny waren

14 Savignys Verständnis von Anwendungs- und Auslegungslehre ist hingegen auch noch an die Aufklärung angelehnt. Der Rückgriff auf (äußere) „Zwecke“ als Hilfsmittel von Anwendung und Auslegung wird grundsätzlich abgelehnt. Das Rechtsverhältnis, welches bei Savigny als mittlere Abstraktionsebene zwischen Lebenssachverhalt und Norm dient, ist eng an den kategorischen Imperativ angelehnt: Es beruht (nur) auf der Übereinstimmung von subjektiven Willen und nicht auf einem äußeren Zweck. Einzig bei der extensiven Auslegung hat Savigny vorsichtig den Zweck des Gesetzes als Grenze zugelassen. Dabei handelt es sich jedoch um eine Ausnahme von der Regel, nach der äußere Zwecke grundsätzlich keine Rolle für die Auslegung spielen dürfen. 15 Jhering, Rudolph, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Dritter Theil, Erste Abtheilung, 2. Aufl. Leipzig, 1871 S. 327. 16 Helfer, Christian (Hrsg.): Jhering, Rudolph von, Der Zweck im Recht, 1. Band, 4. Aufl. , Leipzig 1904, S. 37 f. 17 Die Übereinkunft von Willen findet nicht im rechtsfreien Raum statt, sondern nach Regeln. Diese Regeln sind über Jahrhunderte hinweg entwickelt worden und finden ihren Niederschlag in einem System, welches nach außen als Gesetz (oder Kodifikation) starr erscheint, im inneren jedoch eine „inhaltlich strukturierte, wertungssensible und diskussionsoffene Kasuistik“ (Baldus, Christian, § 3: Gesetzesbindung, Auslegung und Analogie: Grundlagen und Bedeutung des 19. Jahrhunderts, in: Karl Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre. Handbuch für Ausbildung und Praxis, 3. Auflage, Berlin, 2014, S. 22–52, Rn. 10) in sich trägt. 18 Unberath, Hannes: Der Nachhall der metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre im System des heutigen römischen Rechts, in: ZSStRG (GA) 127 (2010), S. 142–187 (S. 182).

Jherings Wirkungen auf die Anwendungs- und Auslegungslehre in Brasilien

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„Zweckgedanken“ fremd.19 Für ihn war der Rückgriff auf einen „Zweck“ missbrauchsanfällig und gefährlich.20 Auch Kiefner stellt fest, dass sich der Zweck, „dem Kant und ihm folgend Savigny so entschieden die Tür gewiesen hatte“, mit Jhering desto massiveren Wiedereintritt in die Rechtstheorie verschafft hat.21 Ähnlich formuliert Lahusen bezüglich Jherings Zweck-Werk: „Der Zweck, den Savigny im Anschluss an Kant aus dem Recht verbannen wollte […], kehrt erst im letzten Viertel des Jahrhunderts – dann aber umso wirkmächtiger – zurück. […] Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts bricht über Savignys wissenschaftliches Erbe ein Sturm herein […].“22

Es wird sich zeigen, dass dieser Sturms bis über den Atlantik nach Brasilien reichte, wo er noch wirkmächtiger war als in Europa.

2.

Das teleologische Element als „Programm“ der Auslegung

Aber welche praktischen Auswirkungen hatte Jherings „Zweckdenken“ konkret in Europa? Jhering selbst hat nicht zu Anwendungs- und Auslegungslehre im engeren Sinne publiziert. Seine Aussagen zum „Zweckdenken“ fanden in spätpandektistischen Schriften, die sich mit der Anwendungs- und Auslegungslehre befassten, aber natürlich Widerhall. Hervorzuheben ist dabei Josef Kohler, dessen Aussagen zur Anwendungs- und Auslegungslehre exemplarisch dafür stehen könnten, wie das „teleologische Element“ der Auslegung, so wie es im deutschen Rechtsraum heute bekannt ist, Einzug gehalten hat. In seinem Lehrbuch heißt es – in Abkehr zu Kant und Savigny –, man dürfe: „auf das Zweckbestreben des Gesetzes eingehen und berücksichtigen, welche Absichten, Wünsche und Befürchtungen die Welt erregten, als man das Gesetz gab und damit einem Bedürfnis der sozialen Welt entgegenzukommen suchte. […] Daraus ergibt sich auch, daß die Auslegung des Gesetzes keineswegs immer gleich bleiben darf. […] Eine solche Ansicht verkennt völlig die Zwecke des Gesetzes und macht es von einem Mittel des Heils zu einem Gegenstand der Welterkenntnis. Das Gesetz aber ist ein Mittel des Heils, ein Mittel, um menschliche Zwecke zu erreichen, die Kultur zu fördern, die kulturfeindlichen Elemente zurückzuhalten, die Kräfte der Nation zu entwickeln. […]

19 Anders Baldus, Fn. 17, Rn. 51. 20 Herzog, Fn. 4, S. 71 und S. 89–96. 21 Kiefner, Hans, Der Einfluss Kants auf Theorie und Praxis des Zivilrechts im 19. Jahrhundert, in: Blühdorn, J./Ritter, J. (Hrsg.): Philosophie und Wissenschaft. Zum Problem ihrer Beziehungen im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1968, S. 3–25 (S. 23 f.). 22 Lahusen, Benjamin: Alles Recht geht vom Volksgeist aus. Friedrich Carl von Savigny und die moderne Rechtswissenschaft, Berlin 2013, S. 130.

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Auf solche Weise kann das Gesetz elastisch werden, den verschiedenen wechselnden Erfordernissen entsprechen und eine segensreiche Wirksamkeit entfalten […].“23

Diese Auffassung zur Bedeutung des „Zweckbestreben des Gesetzes“ kann als Ausgangspunkt jedenfalls für eine extreme Haltung bzgl. der Bedeutung eines teleologische Elements gelten. War es bei Savigny nicht existent, ist es nun – im Sinne von Jhering oder nicht – zu einer Art Programm auserkoren worden, bestimmte Ergebnisse der Auslegung zu erreichen. Die Veränderbarkeit der Zwecke bzw. das „Kultur fördernde“ oder „soziologische“ Element, welches Kohler beschreibt, sollte in Brasilien später in einer sog. „historisch-evolutiven“ Methode gipfeln. Der Nachteil von „Programm“ und „Evolution“ liegt aber darin, dass diese erst geschrieben oder postuliert werden müssen. Notwendigerweise hat daher derjenige, der sie (vermeintlich) auserkoren hat, ein Machtinstrument in der Hand. Wenn es kein „Programm“ gibt, stehen die Normen, die man auslegt, in erster Linie für sich selbst. Dem Auszulegenden obliegt es, eben diese Normen zu interpretieren. Ihm obliegt es nicht, ihnen einen „Zweck“ anzudichten. Hinzu kommt im demokratischen Rechtsstaat, dass der Gesetzgeber nur die Normen verabschiedet, nicht auch das (vermeintlich) dazugehörige „Programm“. Dazugehörige „Programme“ können behauptet werden, die Normen selbst nicht.

3.

Zwischenstand: Jherings Bärendienst

Im krassen Gegensatz zu Savigny sah Jhering den Zweck als „alleinigen Schöpfer des ganzen Rechts“24. Die Auswirkungen auf die Anwendungs- und Auslegungslehre zeigen sich in einem Erstarken des teleologischen Elements. Wenn man dem „Zweckdenken“ aufgrund seiner Missbrauchsanfälligkeit aber ablehnend gegenüber steht, hat Jhering damit der Anwendungs- und Auslegungslehre eher einen Bärendienst gebracht. Was also bleibt? Man wird einige von Jherings Überlegungen in gewisser Weise auch als Ausgangspunkt für Freirechtsschule und Interessenjurisprudenz sehen müssen. Das Freirecht hat (äußere) Regel-Systematik und „Formalismus“ als Feindbild erkannt und beschrieben.25 Später fanden inneres und äußeres System wieder zueinander, in dem das „äußere“ System durch ein „inneres“ ergänzt wurde: bei Philipp Heck durch die Ordnung der Konfliktentscheidungen, bei Karl Larenz durch den sog. „Typus“ und bei Claus-Wilhelm Canaris durch „allgemeine

23 Kohler, Josef, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Erster Halbband, Berlin 1904, S. 126 f. 24 Helfer (Hrsg.), Fn. 16, S. V. 25 Vgl. auch Meder, Fn. 3, S. 691.

Jherings Wirkungen auf die Anwendungs- und Auslegungslehre in Brasilien

133

Rechtsprinzipien“.26 Es fragt sich nur, ob all das – rückblickend betrachtet: vielleicht ausgelöst (oder jedenfalls mit-ausgelöst) durch Jhering – notwendig war? Oder hatte nicht schon Savigny in gewisser Weise erkannt, dass man sehr wohl zwischen äußerem System (den Gesetzen) und einem innerem System (den Rechtsverhältnissen) trennen kann? Ist nicht dieses Verständnis sogar in einem europäischen Zivilrechtsbuch kodifiziert?27 Ist nicht das, was – nach Jhering – viele Juristen in mühevoller Arbeit erarbeitet haben, nicht – vor Jhering – eine Selbstverständlichkeit28 gewesen? Jedenfalls wirkte Jhering nach – nicht nur im Inland, sondern vor allem auch im Ausland29, nicht zuletzt in Brasilien.

III.

Jherings Wirkungen in Brasilien

Jherings Wirkungen in Brasilien sind selbstverständlich vor den spezifischen kulturellen und historischen Umständen zu verstehen. Hervorzuheben dabei ist die typischen Situation eines Einwanderungslandes, in dem eine Vielzahl von unterschiedlichen politischen und damit auch rechtskulturellen Einflüssen aufeinandertreffen. Gewiss blieb Brasilien, auch nach seiner formalen Unab26 Herzog, Fn. 4, S. 190–228. Der Nachteil von „allgemeinen Rechtsprinzipien“ gegenüber einer „Ordnung von Konfliktentscheidungen“ ist jedoch, dass es auch ein einzelnes Prinzip nicht vermag, belastbare Lösungsansätze für die Streitfragen der Anwendung und Auslegung von Recht zu liefern. Denn wenn man am Ende Prinzipien ohnehin im gegenseitigen Zusammenspiel sehen muss, befindet man sich an der gleichen Stelle wie beispielsweise bei Hecks Konfliktentscheidung. Entscheidungsgrundlage ist – im Sinne Hecks gesprochen – die hinter dem Konflikt stehende Interessenlage. Es ist mithin also etwa bei Canaris nicht das allgemeine Rechtsprinzip, das die Entscheidungsgrundlage für den Konfliktfall liefert, sondern erst das Zusammenspiel verschiedener Rechtsprinzipien. Damit verlagert sich das entscheidungserhebliche Moment von dem bei Canaris als rational und als überprüfbar proklamierten Prinzip zu der Entscheidung, welches Prinzip im Konfliktfall Oberhand gewinnen soll. Larenz’ Typus ist geschichtlich vorbelastet, vgl. Larenz, Karl, Typologisches Rechtsdenken. Bemerkungen zu V. Tuska: Die Rechtssysteme, in: ARSP 34 (1940/41), S. 20–30 (S. 20), ders. , Neubau des Privatrechts, in: AcP 145 (1939), S. 91–107 (S. 98 f.), ders. , Über Gegenstand und Methode des völkischen Rechtsdenkens, Berlin 1938, S. 46. Dazu Kokert, Josef, Der Begriff des Typus bei Karl Larenz, Berlin 1995. Neu zu Karl Larenz, aus brasilianischer Sicht und einschl. der Wirkungen in Brasilien: Rodrigues Junior, Otavio Luiz, Distinção sistemática e autonomia epistemológica do direito civil contemporâneo e dos dos direitos fundamentais, Faculdade de Direito de São Paulo, São Paulo, 2017, S. 41 ff. 27 Zum 2. Titel des Allgemeinen Teils des portugiesischen Zivilgesetzbuches vgl. Herzog, Fn. 4, S. 439ff. 28 Zum inneren System auch Baldus, Fn. 17, Rn. 23 m.w.N. 29 Zum Einfluss in Frankreich vgl. etwa Francois Gény: „Le but crée le droit de tout entier“, in : Méthode d’interprétation et droit privé positif. Essai critique, Band 2, 2. Aufl. Paris, Nachdruck 1954, S. 90. Zum direkten Einfluss Jherings in den USA vgl. auch Meder, Fn. 3, S. 692.

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hängigkeit von Portugal 1822, mit Portugal rechtskulturell verbunden.30 Aber auch französische und deutsche Einflüsse spielten von nun an eine entscheidende Rolle. Die beiden ersten Juristischen Fakultäten des Landes, die – heute entlang der BR-116 – mehr als 2.600 km voneinander entfernt liegen, beheimateten Wissenschaftler, die entweder lusitanischer Traditionen oder aber frühpandektistischer bzw. französischer Traditionen anzuhängen schienen. In Olinda/ Recife entstand eine starke Bewegung in Anlehnung an deutsche Rechtswissenschaftler31, die u. a. in Arbeiten zu Gesetzesentwürfen eines Zivilgesetzbuches in Anlehnung an Arbeiten zum BGB gipfelten.32 Gleichzeitig aber gewannen – vor allem in den Rechtsgebieten, in denen die politischen Einflüsse naturgemäß eine größere Rolle spielen müssen – mit dem Übergang zur ersten Republik 1889 französische und U.S.-amerikanische Einflüsse zu wachsen (insbesondere in den republikanischen Hochburgen Minas Gerais und São Paulo). Die Folge war ein Schmelztiegel an rechtstheoretischen Positionen zur Anwendungs- und Auslegungslehre, die notwendigerweise in Konflikte münden mussten.33 Auch die Verabschiedung von mühevoll erarbeitete Normen zur Anwendungs- und Auslegungslehre in der Einführung zum Zivilgesetzbuch von 1916 führte insofern nicht zu Klarheit. Im Gegenteil: Das Streben nach Akzeptanz für diese Normen war aufgrund der verschiedenen Einflüsse vielleicht von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Brasilien stand (insofern) nicht nur zwischen dem BGB und dem Code Napoléon, sondern trug auch immer noch seine lusitanistische Tradition mit sich.

30 Mit Gesetz vom 20. Oktober 1823 wurde angeordnet, dass die portugiesischen Ordenações Filipinas sowie Einzelgesetze und -Dekrete, welche bis zu dem Stichtag 25. April 1821 von portugiesischen Königen erlassen worden waren, in Brasilien bis zur Verabschiedung von neuen Gesetzen Geltung behielten. Das portugiesische Recht blieb also in Kraft, es wurde aber die Erarbeitung einer Zivilrechtskodifikation angestrebt. Bis zur Verabschiedung einer Zivilrechtskodifikation sollte es aber fast hundert Jahre dauern. 31 Zum (geringen) Einfluss Savignys in Brasilien vgl. Herzog, Benjamin, Die Rezeption von Savignys Methodenlehre in Brasilien und Portugal, in: Meder, Stephan/Mecke, ChristophEric (Hrsg.), Savigny global 1814–2014, „Vom Beruf unsrer Zeit“ zum transnationalen Recht des 21. Jahrhunderts, Göttingen, 2016, S. 381–394 (S. 385ff.). Zu Tobias Barreto, der auch Jhering las, vgl. in diesem Band: Maliska, Marcos Augusto, Die Rezeption Jherings in Brasilien. Tobias Barreto und die „Recife-Schule“. 32 Rodrigues Junior, Otavio Luiz, A influênicia do BGB e da doutrina alemã no direito civil brasileiro do século XX, in: Revista dos Tribunais, São Paulo, RT, v. 938, S. 79–155. 33 Herzog, Fn. 4, S. 544–570.

Jherings Wirkungen auf die Anwendungs- und Auslegungslehre in Brasilien

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Jhering als Gewährsmann34 einer Neuausrichtung der Anwendungs- und Auslegungslehre

Auf dieses eklektizistische Bild zur Anwendungs- und Auslegungslehre folgte ein nicht fernliegender Schritt: die Notwendigkeit eines Überwindens der sogenannten „traditionellen Schulen“ wurde avisiert. Nur acht Jahre nach Inkrafttreten der Normen zur Anwendungs- und Auslegungslehre in der Einführung zum Zivilgesetzbuch von 1916 veröffentlicht Carlos Maximiliano das in der Einführung erwähnte Werk zur Anwendungs- und Auslegungslehre – und thematisiert darin die Normen betreffend die Anwendungs- und Auslegungslehre fast überhaupt nicht. Vielmehr konzentriert er sich darauf, eine hiervon unabhängige Anwendungs- und Auslegungslehre zu erarbeiten. Geleitet wird er dabei vom sogenannten „Evolucionismo Teleológico“, einer seiner Ansicht nach auf Jhering zurückgehenden Strömung. In seinen Analysen stützt sich Maximiliano maßgeblich auf diejenigen Autoren, die ihrerseits zweifelsohne von Jhering beeinflusst worden sind: die freirechtlichen Autoren Rumpf, Wurzel und Gmür, darüber hinaus Josef Kohler, und schließlich auch einige italienische Autoren wie Ferrara, Jandoli und Coviello. Zudem bezieht er sich auch auf französische Autoren der „libre recherche scientifique“, wie insbesondere François Gény.35 Was aber bedeutet dieser „Evolucionismo Teleológico“ im Einzelnen? Er speist sich zunächst aus seiner Abgrenzung. So unterscheidet Maximiliano eine „primitive traditionelle“ und eine „moderne“ Methode der Anwendungs- und Auslegungslehre, wobei die „moderne“ Methode insofern als „teleologisch“ bezeichnet werden könne, als die Interpretation mehr auf das Ergebnis abziele. Hier konstatiert Maximiliano, dass Jhering der „verdadeiro chefe“ dieser Schule sei. Als „soziologisch“ könne die „moderne“ Schule insofern bezeichnet werden, als sie den Richter in die Pflicht nehme, den Text im Einklang mit den „necessidades“ einer Gesellschaft anzuwenden; und schließlich könne die „moderne“ Schule als „contemporânea“ insofern bezeichnet werden, als weniger auf die Vergangenheit geschaut werden müsse, als auf die Zukunft.36 In der Praxis musste für Carlos Maximiliano damit eine Stärkung dessen einhergehen, was wir heute im deutschen Sprachraum als „teleologisches Ele34 Meder, Fn. 3, S. 696. 35 François Gény bezeichnet Jhering als jemanden, der unter den deutschen Rechtswissenschaftlern die abstrakte Logik hinterfrage, vgl. Méthode d’interprétation et droit privé positif. Essai critique, Band 1, 2. Aufl. Paris, Nachdruck 1954, S. 187. Zu Jherings Einfluss auf Gény vgl. auch Baldus, Christian, Les lectures de François Gény: la doctrine française et l’Ecole des Pandectes, in: Cachard, Olivier/Licari, François-Xavier/Lormant, François (Hrsg.): La pensée de François Gény, Paris 2013, S. 37–48 (S. 37 f. und S. 40 ff.). 36 Vgl. Maximiliano, Fn. 2, S. 71.

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ment“ bezeichnen würden: Da es sich bei der Rechtswissenschaft vornehmlich um eine „normative oder finalistische“ Wissenschaft handele, so Maximiliano, müsse die Auslegung notwendig teleologischer Natur sein.37 Der Zweck einer Norm sei nicht konstant, absolut, ewig und einzigartig. Gerade das mache die Normativität von Recht aus. Im Recht fänden sich „os fins da vida do homem em sociedade“.38 Hierin liege die Stärke der „historisch-evolutiven“ Schule, und zwar in Abgrenzung zur „traditionellen“ Schule, die auf dem Willen aufbaute: „O dogma tradicional da vontade foi substituito pelo dogma histórico-evolutivo do escopo“.39 Der praktische Zweck sei wichtiger als juristische Logik.40 Die sog. „historisch-evolutiven Schule“ hatte in der Folge von Maximiliano eine große Bedeutung.41 Die von Maximiliano so bezeichnete „traditionelle Schule“ hat sich hingegen als wahres Feindbild entwickelt. Es ist nicht ganz fernliegend, dass jedenfalls der Ursprung für den Aufbau eines solchen Feindbildes im deutschen Rechtsraum lag. Jherings „Zweckdenken“ hat zu einem Bruch mit der frühpandektistischen Tradition in Brasilien geführt. Diese Entwicklung gelangte nicht nur direkt (über u. a. Kohler) nach Brasilien, sondern vor allem auch „über Eck“ aus Frankreich und Italien42. Der Aufbau eines Feindbildes „traditionelle Schule“ ist aber dann verheerend, wenn es dazu führt, dass der Rückgriff auf die Anwendungs- und Auslegungslehre des 19. Jahrhunderts per se verhindert wird, weil sie deren Vertreter als Repräsentanten einer „längst vergangenen Epoche“ stigmatisiert. Durch die Kappung dieses historischen Potentials, welches zweifellos auch in den Werken 37 38 39 40 41

Maximiliano, Fn. 2, S. 189. Maximiliano, Fn. 2, S. 190. Maximiliano, Fn. 2, S. 191. Maximiliano, Fn. 2, S. 193. Vgl. die sich wohl nach Maximiliano als gängig durchgesetzte Bezeichnung bei Campos, Carlos: Hermenêutica Tradicional e Direito Scientifico, Bello Horizonte, 1932, S. 127 ff.; Andrade, Christiano José de: Hermenêutica Jurídica no Brasil, São Paulo 1991, S. 22 ff.; Montoro, André Franco: Introdução à Ciência do Direito, 25. Aufl. São Paulo 2000, S. 377 und Silveira, Alípio, Hermenêutica Jurídica. Seus princípios fundamentais no Direito Brasileiro, Vol. 1, São Paulo S. 227 ff. , der dieser „Methode“ u. a. Joseph Kohler (Lehrbuch des Buergerlichen Rechts, vol. 1, S. 124 ff.) zuordnet. 42 Zum Einfluss der Spätpandektistik auf die italienische Zivilrechtswissenschaft vgl. Ranieri, Filippo: Einige Bemerkungen zu den historischen Beziehungen zwischen deutscher Pandektistik und italienischer Zivilrechtswissenschaft: Die Lehre des Rechtsgeschäfts zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert, in: ders. , Das Europäische Privatrecht des 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 2007, S. 149–166, S. 163: „italienische Begriffsjurisprudenz“. Zur sog. „Begriffsjurisprudenz“ in Italien vgl. auch Christian Baldus: „Das Phantom der ‚Begriffsjurisprudenz‘ wurde auch in Italien zur Zielscheibe der jüngeren Generation. Es wäre erhellend zu sehen […] welche der ‚Begriffsjurisprudenz‘ zugerechneten Autoren deren Kritiker eigentlich gelesen haben.“, Rezension zu Nardozza, Massimo, Tradizione romanistica e ‚dommatica‘ moderna. Percorsi della romano-civilistica italiana nel primo Novecento, Turin, 2007, in: ZSStRG (RA) 128 (2011), S. 725–732 (S. 728 f.).

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der brasilianischen Wissenschaft des 19. Jahrhunderts steckt, wird auch der brasilianischen Zivilrechtswissenschaft ein Bärendienst erwiesen. Nicht nur wegen des Verlust des historischen Potentials an sich, sondern auch deshalb, weil es somit anderen Teildisziplinen der Rechtswissenschaft den Einbruch in die Zivilrechtswissenschaft erleichtert. Mit der (indirekten) Rezeption Jherings durch Carlos Maximiliano ging damit nicht nur eine Schwächung der pandektistischen Tradition in Brasilien, sondern auch eine Schwächung der Anwendungs- und Auslegungslehre an sich einher. In Zukunft wird sich der Schwerpunkt von einer prinzipiell ergebnisoffenen formalen Auslegungsdogmatik zu einer materiellen, an externen und scheinbar wertegetragenen Prinzipien orientierten Anwendungslehre verschieben.

2.

Art. 5 Lei de Introdução ao Código Civil von 1942 und die starke Stellung der Justiz gegenüber der Legislative

Schon nach weniger als 30 Jahren wurden die Anwendungs- und Auslegungsregeln der Einführung zur Zivilrechtskodifikation von 1916 reformiert. Mit dem Lei de Introdução ao Código Civil von 194243 (LICC/1942) wurde eine Revision der Einführung zum Zivilgesetzbuch von 1916 vorgenommen, die in Form des neu eingeführten Art. 5 LICC/1942 erhebliche Änderungen für die Anwendungsund Auslegungslehre mit sich gebracht hat. Die Gesetzgebungsmaterialien zu dieser Reform sind nicht veröffentlicht. Die Gründe des Gesetzgebers sind also allenfalls mittelbar erforschbar. Insbesondere in Hinblick auf Art. 5 LICC/1942 geht der Neufassung allerdings, so teilweise die brasilianische Wissenschaft44, ein Umschwenken der richterlichen Praxis und der Wissenschaft in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts vor. Die Verabschiedung selbst fällt in die Zeit des politischen Wandels von Republik zu Diktatur: Der Gouverneur des Bundesstaates Rio Grande de Sul, Getúlio Vargas, gelangte im Wege eines Staatsstreiches mit Hilfe des Militärs an die Regierung und proklamierte den „Estado Novo“ unter dem Vorwand, einen kommunistischen Staatsstreich nur so verhindern zu können. Neben Zensur und 43 Am vorletzten Tag ihrer Amtszeit hat die Regierung Lula da Silva mit dem Gesetz Nr. 12.376 vom 30. 12. 2010 den Titel des 1942 in Kraft getretenen Gesetzes in „Lei de Introdução às normas do Direito Brasileiro“ (LINDB/2010) geändert. Einziger Regelungsinhalt des Gesetzes war also die Änderung des Titels. Eine inhaltliche Änderung der Anwendungsnormen ging mit dieser Reform nicht einher. 44 Silveira, Alípio: A interpretação das leis em face das concepções políticas, in: Direito. Doutrina, Legislação e Jurisprudência, Vol. XXIV (1943), S. 103–126 (S. 122 f.); Melo, António Valemça de: Os arts. 4.º e 5.º da Lei de Introduçãoao Código Civil, in: Direito. Doutrina, Legislação e Jurisprudência, Vol. XXV (1944), S. 79–94 (S. 86 f.).

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Unterdrückung der Opposition war die Diktatur Getúlio Vargas’ aber auch durch Maßnahmen gekennzeichnet, die bis heute als Errungenschaft in Brasilien gelten. Die Ergebnisse der zentralistisch betriebenen Stärkung der Arbeiterschaft wie der Mindestlohn (salário mínimo) und die Konsolidierung der Arbeitsgesetze (Consolidação das Lei do Trabalho) prägen auch heute noch die brasilianischen Gesellschaft. Insgesamt entsprach es dem Zeitgeist, sein Handeln am Wohl von Gesellschaft und Nation auszurichten, ganz im Gegensatz zur republikanischen Idee einer dezentralistischen Staatsorganisation und individuellen Freiheit im Staat.45 Dieser Zeitgeist dürfte auch vor der Neuausrichtung der Normen der Anwendungs- und Auslegungslehre nicht halt gemacht haben, insbesondere in Hinblick auf die Einführung einer bis dato vorbildlosen Vorschrift: Art. 5 LICC(1942): „Na aplicação da lei, o juiz atenderá aos fins sociais a que ela se destina e às exigências do bem comum.“ Übersetzung: „Der Richter hat bei der Anwendung des Gesetzes die damit verfolgten sozialen Ziele und die Interessen der Allgemeinheit zu berücksichtigen.“46

Der deutsche Rechtswissenschaftlicher schaut zunächst auf den Wortlaut dieser Norm und stellt sich die Frage, was genau insbesondere mit dem „fim social“ gemeint ist. In Brasilien hat man mit Inkrafttreten des Art. 5 LICC/1942 aber eher versucht, eine Einordnung in die aktuelle wissenschaftliche Diskussion um die Anwendung und Auslegung von Recht vorzunehmen. Franzen de Lima etwa meinte, dass sich in dieser Vorschrift die „orientação moderna pela feição sociológica da interpretação“ niederschlage und nennt als Vertreter dieser Strömung Gény und Kohler.47 Ebenfalls auf Gény, aber auch auf Maximiliano verweisend, ordnet Pereira Art. 5 LICC/1942 der „método histórico evolutivo“ zu.48 Dass der Gesetzgeber sich mit Art. 5 LICC/1942 „direkt oder indirekt“ zum „sistema histórico-evolutivo“ bekannt habe, stellt auch Limongi França fest.49 Von anderen wird Art. 5 LICC/1942 mit einem Element der Auslegung in Ver45 Dazu auch Rodrigues Junior, Fn. 26, S. 98–100. 46 Schmidt, Jan Peter, Zivilrechtskodifikation in Brasilien. Strukturfragen und Regelungsprobleme in historisch-vergleichender Perspektive, Tübingen 2009, S. 424. 47 Lima, João Franzen de, Curso de Direito Civil Brasileiro, Vol. 1, 7. Aufl. Rio de Janeiro 197, S. 116 f. 48 Pereira, Caio Mário da Silva, Instituições de Direito Civil, Vol. I. , 23. Aufl. Rio de Janeiro 2009, S. 173: „Numa linha de equilíbrio, a que se filiou o art. 5o da nossa Lei de Introdução ao Código Civil, inspirado pela modernização da hermenêutica, o intérprete há de buscar o entendimento real da norma jurídica em função da sua utilidade e das sua adaptação às injunções da vida social contemporânea de sua aplicação […].“ 49 França, Rubens Limongi: Hermenêutica Jurídica, 8 a edição (Atualizador Antonio de S. Limongi França), São Paulo 2008, S. 34.

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bindung gebracht, wobei in der Regel insofern auf das teleologische Element verwiesen wird, als es auf den „sozialen Zweck“ der Vorschrift ankommen solle.50 Silveira sieht von Art. 5 LICC/1942 sowohl die „método teleológico“ als auch die moderate Spielart der „método histórico-evolutivo“ erfasst.51 Neben diesen Belegen für solche „Wirkungen“ Jherings, ist – wie vermutlich in anderen Teilen der Welt auch – eine gewisse Begeisterung für Jherings Schriften zu beobachten: Seine politische Kampfschrift „Der Kampf ums Recht“ und sein juristisches Standardwerk „Der Zweck im Recht“52 haben in Brasilien insgesamt große Beachtung gefunden.53 Die behauptete sog. „Wandlung“ Jherings hat über die Larenz-Übersetzung54 in das brasilianische Schrifttum gefunden. Interessanterweise werden aber auch heute noch Jherings Schriften und Art. 5 LICC/1942 in Verbindung gebracht. So heißt es mitunter, dass der Kampf, von dem Jhering spreche, der Kampf der Gerichte sei.55 Ausdrücklich in Bezug auf Art. 5 LICC/1942 wird es bisweilen auch bemängelt, dass dieser noch nicht mit Jhering in Verbindung gebracht worden sei.56 Mit einer so offen formulierten Norm wie Art. 5 LICC/1942 geht auch eine Stärkung der brasilianischen Justiz gegenüber der Legislative einher. Einer der ersten, der den Gewaltenteilungsgrundsatz im Zusammenhang mit Art. 5 LICC/ 1942 kommentiert hat, war Oskar Tenorio:

50 In diesem Sinne etwa Amaral, Francisco, Direito Civil. Introdução, 7. Aufl. Rio de Janeiro u. a. 2008, S. 123: „[A] interpretação teleológica […] investiga a finalidade social da lei, isto é, os interesses predominantes ou os valores que, com ela, se pretende realizar: a justiça, a segurança, o bem comum, a liberdade, a igualdade, a paz social, como aliás dispõe o art. 5º da Lei de Introdução ao Código Civil.“; Diniz, Maria Helena: Compêndio de Introdução à Ciência do Direito. Introdução à Teoria Geral do Direito, à Filosofia do Direito, à Sociologia do Direito e à Lógica Jurídica. Norma Jurídica e Aplicação do Direito, 21. Aufl. São Paulo 2010, S. 441; Dimoulis, Dimitri: Manual de Introdução ao Estudo de Direito, 3. Aufl. São Paulo 2010, S. 150; Ferraz Junior, Tercio Sampaio, Introdução ao Estudo do Direito. Técnica, Decisão, Dominação, 6. Aufl. São Paulo 2008, S. 265. 51 Zunächst in: Silveira, Alípio, A Hermenêutica Jurídica segundo o actual Lei de Introdução ao Código Civil, São Paulo 1946, S. 23. Ausdrücklich auch später in: Hermenêutica Jurídica. Seus princípios fundamentais no Direito Brasileiro, Vol. 1, São, S. 60. 52 Portugiesische Übersetzung (Tradução: Hoffman, Heder K.): Jhering, Rudolf von, A finalidade do Direito, 2 Bände, Campinas, 2002. Vgl. dazu auch Rückert, Joachim: Der Geist des Rechts in Jherings „Geist“ und Jherings „Zweck“, in Rechtsgeschichte 5 (2004), S. 128–149 (S. 135 ff). 53 Vgl. auch Marques, Cláudia Lima, Contratos no Código de Defesa do Consumidor. O novo regime das relações contratuais, 5. Aufl. São Paulo 2005, S. 210 ff. , die in diesem Zusammenhang von einer durch Jhering eingeleiteten „nova concepção social do contrato“ und einer „socialização da teoria contratual“ spricht. 54 „A viragem de Jhering“, vgl. Fn. 6, S. 46–53. 55 Neto, Nagibe de Melo Jorge: O Controle Jurisdiscional das Póliticas Públicas. Concretizando a Democracia e os Direitos Sociais Fundamentais, Salvador de Bahia, 2008, S. 81. 56 Guerra Filho, Willis Santiago: Teoria da Ciência Jurídica, São Paulo 2009, S. 65 f.

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„O direito positivo brasileiro […] [d]eu ao Juiz a missão de, na aplicação da lei, apreciar a sua finalidade social e as exigências do bem comum. Confiou ao juiz a missão de vencer os óbices criados por leis prenhes de individualismo. Instorou-se o govêrno dos juízes, sem que possamos falar, entretanto, em oligarquia ou ditadura judiciária.“57

Diese Aussagen sind aus deutscher Sicht bemerkenswert: Eine „Regierung der Richterschaft“ (governo dos juizes) sei installiert worden, die, einstweilen (entretanto), nicht als richterliche Oligarchie oder Diktatur verstanden werden dürfe. Tenorio geht mit der Aufgabenzuweisung an die Gerichte, die vom Gesetzgeber erlassenen Gesetze an den Erfordernissen des Gemeinwohls zu prüfen, einen entscheidenden Schritt über das deutsche Verständnis von Gewaltenteilung hinaus. Dieses Verständnis hat auch die weiteren politischen Veränderungen in Brasilien (Redemokratisierung 1945; Militärdiktatur 1964–1985; Geltung der demokratischen Verfassung von 1988) „überlebt“.58 Bereits Maximiliano, der selbst Richter war59, hatte ausführlich dazu Stellung genommen, dass die „historischevolutive“ Schule der Auslegung nicht das Gewaltenteilungsprinzip verletze. Und auch heute, unter Geltung der demokratischen Verfassung von 1988, liest man immer wieder, dass es Aufgabe der Judikative sei, die brasilianische Gesellschaft mitzugestalten.60 Sie habe eine „co-responsabilidade“61 wahrzunehmen, die teilweise so weitgehend charakterisiert wird, dass sie sich in einer „politização da jurisdição“62 niederschlagen müsse. Auch die Bundesjustiz selbst scheint sich einer „politischeren“ Aufgabe annehmen zu wollen. Eine Richterin des Superior Tribunal de Justiça (STJ) weist darauf hin, dass die Rechtsprechung mit ihren Urteilen zum sozialen Frieden beitrage und der „kalte Buchstabe“ des Gesetzes „enorme Ungerechtigkeiten“ hervorbringen könne.63 Ob diese Ausführungen übertrieben sind oder exemplarisch für die brasilianische Justiz stehen, mag dahinstehen.64 Sie belegen jedenfalls, zu welchen „Wirkungen“ Jherings Aussagen fähig sind. 57 Tenorio, Oscar: Lei de Introdução ao Código Civil Brasileiro, 2. Aufl. Rio de Janeiro 1955, S. 162. 58 Zu den gesellschaftlichen Veränderungen im 20. Jahrhundert – zwischen „publicização à privatização do Direito?“ –, einschließlich der entsprechenden Entwicklungen in Brasilien, Rodrigues Junior, Fn. 26, S. 97–124. 59 Veloso, Zeno, Comentários à lei de introdução ao Código civil – artigos 1 a 6, 2ª edição, Belém, 2006, S. 120. 60 „[P]apel do Poder Judiciário na construção da sociedade brasileira“, Neto, Fn. 55, S. 24. 61 Ferraz Junior, Tercio Sampaio, O Judiciário frente à divisão dos poderes: um princípio em decadência?, in: RTDP, n. 9, S. 40–48 (S. 45). 62 Leite, Glauco Salomão: A politização da jurisdição constitucional: uma análise sob a perspectiva da teoria dos sistemas de Niklas Luhmann, in: RDCI, N. 64 (2008), S. 151–185. 63 Entre direito e a realidade, in ConJur (Hrsg.): Anuário da Justiça 2010, São Paulo 2010, S. 30–31. 64 Differenzierend Schmidt, Fn. 46, S. 457ff.

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3.

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Die Verfassung von 1988, das Direito „Civil-Constitucional“ und Gegenbewegungen

Die im Vergleich zu Deutschland größere Rolle des brasilianischen Richters ist aber nicht monokausal auf die Entwicklungen der zivilrechtlichen Methodendiskussion und Art. 5 LICC/1942 zurückzuführen. Vielmehr spielt insbesondere die Verfassung von 1988 eine Rolle, welche – im Unterschied zum Grundgesetz – als sog. dirigierende Verfassung beschrieben wird.65 Ausgangspunkt sind dabei Vorschriften in der brasilianischen Verfassung, aus denen abgeleitet wird, dass auch die Justiz bestimmten Zielen – etwa, eine freie, gerechte und solidarische Gesellschaft aufzubauen (vgl. Art. 3 Abs. III CF/1988) – verpflichtet sei. In Brasilien ist daher dem Ermessensspielraum des Gesetzgebers eine deutliche Schranke gesetzt. Die Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle der Gesetzgebung durch die Gerichte wird wesentlich gestärkt.66 Auch gegründet auf die 1959 erschienene Schrift Konrads Hesses „Die normative Kraft der Verfassung“ hat sich in Brasilien parallel eine Diskussion entwickelt, die dem Verfassungsrecht insgesamt mehr Einfluss zuschreiben wollte. Insbesondere sog. Verfassungsprinzipien dienen als Einbruchstellen für die Interpretation des Zivilrechts mithilfe von mehr oder weniger konkreten „Werten“ der Verfassung. Verfassungsrechtliche Normen (und damit auch Prinzipien) sollen dem Gesetzgeber nicht mehr nur Grenzen aufweisen, sondern müssten als „fundamento conjunto de toda a disciplina normativa infraconstitucional“ verstanden werden, „como princípio geral de todas as normas do sistema“67. Die Verfassungsprinzipien erwachsen somit für die Vertreter des sog. Direito Civil-

65 Silva, Jorge Cesa Ferreira da: Der Diskriminierungsschutz im brasilianischen Vertragsrecht, in: Neuner, Jörg (Hrsg.): Grundrechte und Privatrecht aus rechtsvergleichender Sicht, Tübingen 2007, S. 290–309 (S. 300 f.); Sarlet, Ingo Wolfgang, Die Einwirkungen der Grundrechte auf das brasilianische Privatrecht, in: Neuner, Jörg (Hrsg.): Grundrechte und Privatrecht aus rechtsvergleichender Sicht, Tübingen 2007, S. 81–104 (S. 91); vgl. darüber hinaus Sarmento, Daniel, Ubiqüidade Constitucional: Os Dois Lados da Moeda, in: Neto, Cláudio Pereiro de Souza/ ders. (Hrsg.): A Constitucionalização do Direito: Fundamentos Teóricos e Aplicações Específicas, Rio de Janeiro 2007, S. 113–148 (S. 124 f. und S. 140), der aber auch den Begriff „Rahmenverfassung“ hinterfragt. 66 Sarlet, Fn 65, S. 91. Mello Alleixo fordert – wohl eher vom Grundgesetz inspiriert –, dass die Aufgabe der brasilianischen Judikative vordringlich darin liege, die Untätigkeit des Gesetzgebers auf ihre materielle Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen und etwaige Rechtslücken zu schließen, vgl. Aleixo, Pedro Scherer de Mello: Das Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, in: Neuner, Jörg (Hrsg.): Grundrechte und Privatrecht aus rechtsvergleichender Sicht, Tübingen 2007, S. 311–327 (S. 319). 67 Moraes, Maria Celina Bodin de: A caminho de um Direito Civil Constitucional, in: RDCiv, ano 17, n. 65, jul.-set. 1993 (erstmals veröffentlicht in Estado, Direito e Sociedade, vol. 1, 1991), S. 21–32 (S. 28).

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Constitucional68 zu „Fundamenten“ eines „zivil-verfassungsrechtlichen“ Systems.69 Nur folgerichtig ist dann aber auch, dass auch die Auslegung von „der Kraft der Prinzipien“ dominiert wird, was sich durch eine „opção por uma interpretação principiológica“70 auszeichne. Prinzipiologische Interpretation ist notwendigerweise auch Verfassungsinterpretation71, und nicht mehr nur Interpretation des Zivilrechts. Die Gefahr des Verlusts der Eigenständigkeit des Zivilrechts ist es dann auch, welche heute in Brasilien gesehen wird. Rodrigues Junior spricht insofern von „sobreinterpretação ou reinterpretação“ von zivilrechtlichen Normen ausgehend von Verfassungsnormen und der „Erhöhung der Menschenwürde zu einem funktionalistischen Element des Zivilrechts“.72

IV.

Ergebnisse

Die oben beschriebene, vermeintlich nur den Rechtshistoriker zu interessierende Streitfrage (Hat Jhering eine „Wandlung“ erfahren?) mag für den Richter in Rio de Janeiro von größerer Bedeutung sein als für den Richter in Regensburg. Denn der Richter in Rio de Janeiro, der sich auf Art. 5 LICC/1942 und Verfassungs68 Neben Maria Celina Bodin de Maraes vor allem auch Gustavo Tepedino und Luiz Edson Fachin, vgl. Herzog, Fn. 4, S. 687 ff. Sehr kritisch aber neuere Stimmen wie z. B. Neves, Marcelo, A Constitucionalização Simbólica, São Paulo 2007, S. 90 f.; Sarmento, Daniel, Ubiqüidade Constucional: Os Dois Lados da Moeda, in: Neto, Cláudio Pereiro de Souza/ ders. (Hrsg.): A Constitucionalização do Direito: Fundamentos Teóricos e Aplicações Específicas, Rio de Janeiro 2007, S. 113–148 (S. 140); Dimoulis, Dimitri, Neoconstitucionalismo e Moralismo Jurídico, in: Sarmento, Daniel (Org.): Filosofia e Teoria Constitucional Contemporânea, Rio de Janeiro 2009, S. 213–226; ausführlich Rodrigues Junior, Fn. 26, S. 307–367 („O que não é Constitucionalização do Direito Civil“) m. w. N. 69 Vgl. auch Santiago, Marcus Firmino: Dos códigos para às constituições: breve discussão sobre os princípios gerais de direito e a nova hermenêutica jurídica, in: RDCI, ano 16, n. 64, jul.-set. 2008, S. 223–244 (S. 239 f.). 70 Grau, Eros, Ensaio e discurso sobre a Interpretação Aplicação do Direito, 5. Aufl. São Paulo 2009, S. 207 und 210. 71 „Ao fazerem referência à Constituição, fazem referência também aos princípios, apesar de toda interpretação constitucional corretamente situada ser uma interpretação principiológica.“, Neves, Gustavo Kloh Müller: Os princípios entre a teoria geral do direito e o Direito Civil Constitucional, in: Ramos, Carmen Lucia Silveira/Tepdino, Gustavo/Barboza, Heloisa Helena/Gediel, José Antônio Peres/Fachin, Luiz Edson/Moraes, Maria Celina Bodin de (Org.): Diálogos sobre Direito Civil: construindo uma racionalidade contemporânea, Rio de Janeiro u. a. 2002, S. 3–21 (S. 14); „A normatividade dos princípios e suas potencialidades na interpretação constitucional tem sido […] a marca do Direito nas últimas décadas.“, Barroso, Luís Roberto, Interpretação e Aplicação da Constituição. Fundamentos de uma Dogmática Constitucional Transformadora, 7. Aufl. São Paulo 2009, S. 164 f. 72 Rodrigues Junior, Fn. 26, S. 309ff. und S. 318ff.

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prinzipien berufen kann, muss sein Anwendungs- und Auslegungsergebnis nicht so begründen wie der Richter in Regensburg. Wortlaut, Systematik und Geschichte spielen in Rio weniger eine Rolle als in Regensburg. So jedenfalls die vorläufige Hypothese. Ausgehend davon lässt sich fragen, ob der Richter, egal ob in Regensburg oder in Rio de Janeiro, mit „Zweckgedanken“ Jherings nicht vorsichtiger sein sollte (1.) und ob er sich überhaupt auf „den“ Jhering berufen kann (2.).

1.

Gefahren einer Übersteigerung von Jherings „Zweckgedanken“

Es wurde bereits angedeutet, dass Jhering vermutlich nicht so weit von seiner Vorgängern entfernt war, wie es bisweilen angenommen oder behauptet wird. Es wäre daher vielleicht nicht zu kühn, zu behaupten, er hätte sich gegen die Diffamierung seiner Vorgänger als „Positivisten“73 sogar zur Wehr gesetzt.74 Insofern könnte sein Einstehen für den „Zweckgedanken“ womöglich nur eine Akzentverschiebung gewesen sein, die in einem ganz spezifischen Kontext sogar auch notwendig war. Das Problematische des „Zweckgedankens“ liegt aber in seiner Missbrauchsanfälligkeit, die Jhering in seiner ganzen Ausprägung vielleicht nicht sehen konnte. Der „Zweckgedanke“ bildet einen Einbruchstelle für Rechtspolitik.75 In ihm steckt ein gewisses Verschleierungspotential. Mithilfe des teleologischen Elements kann der Rechtsnorm eine Zweckrichtung zugeschrieben werden, ohne diese zu begründen. „Zweck“ und „Werte“ können nur im Schein der Objektivität erscheinen. In Wahrheit kann in ihnen aber die rechtspolitische Ansicht des Rechtsanwenders stecken. Dies trifft nicht nur auf das teleologische Element im Rahmen Auslegung zu76, auch behauptete „Prinzipien“ bergen ein gewisses Verschleierungspotential. Sie können nur scheinbar Grundwerte widerspiegeln und mit ihnen kann nur scheinbar eine inhaltliche Begründung geliefert werden. Eine Berufung auf sie kann in Wahrheit richterliche Eigenwertungen verschlei-

73 „Positivisten“ gab es nicht, und schon gar nicht gehörte Savigny dazu. Vgl. Herzog, Fn. 4, S. 105–108 und S. 118–123 m.w.N. 74 Vgl. dazu auch Meder, Fn. 3, S. 695f. 75 Vgl. auch Meder, Fn. 3, S. 692: „Die Geschichte lehrt, dass die Jurisprudenz bei einer Preisgabe des formalen Rechts Übergriffen durch Politik, Ethik oder Werte hilflos ausgeliefert ist.“ 76 Vgl. auch Höpfner/Rüthers, Fn. 12, S. 7 f.; Herzberg, Rolf D. , Kritik der teleologischen Gesetzesauslegung NJW 1990, S. 2525–2530 (S. 2527); Rückert, Joachim/Seinecke, Ralf, Zwölf Methodenregeln für den Ernstfall, in: dies. (Hrsg.): Methodik des Zivilrechts – von Savigny bis Teubner, 2. Aufl. Baden-Baden 2012, Rn. 32–75 (Rn. 56).

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ern.77 Denken in der Relation von „Zweck“ und „Mittel“ kann vorschnell sein.78 Vermeintliche Zweckgedanken kann jeder formulieren. Nur der Jurist wird es aber bewältigen können, eine Norm in ihren historischen und systematischen Zusammenhang zu setzen.

2.

Schlussfolgerungen für die Rezeption – Jhering global?

Diese Missbrauchsanfälligkeit des „Zweckgedankens“ konnte mithilfe der Rechtsvergleichung erarbeitet werden: Eben weil wir nicht nur das Beispiel „Regensburg“, sondern auch das Beispiel „Rio“ im Blick haben, können wir deutlicher sehen, was es heißt, bestimmte Ideen zu Ende zu denken. Wir können sehen, wohin es führen kann, wenn der „Zweckgedanke“, der auf Jhering zurück gehen mag, übersteigert wird. Wichtig ist dabei aber auch, dass der „Zweckgedanke“, wie er sich aus Sicht des deutschen Rechtswissenschaftlers in der Praxis in Brasilien darstellt, eben nicht „Jherings Zweckgedanke“ sein muss. Er geht nur auf ihn zurück. „Jhering global“ sollte daher auch nur in diesem Sinne verstanden werden. „Jhering global“ kann daher verständlicherweise nicht heißen, als könne man eine Idee Jherings, herausgelöst aus dem ganz spezifischen Kontext, in dem er entwickelt wurde (die deutschen Staaten im 19. Jahrhundert), in einen anderen, wiederum ganz spezifischen Kontext (Brasilien zu Beginn des 21. Jahrhunderts), transplantieren. Legal transplants gibt es in dieser Form nicht. Denn das, was von Jhering in Brasilien zu Beginn des 21. Jahrhunderts angekommen ist, ist Produkt von Kompromissen, Verwirrungen, (sprachlich bedingten) (Fehl-)Interpretationen, Manipulationen und Verflechtungen. Andererseits ist es an sich nicht illegitim, Rezeption zu nutzen. Dass Rechtskulturen über den Tellerrand schauen, ist wichtig und wünschenswert. Für den deutschen Rechtswissenschaftler sollten die brasilianischen Erfahrungen, sollten sie auf den ersten Blick noch so sehr abstoßend wirken, nicht „Exzesse“ seiner eigenen kulturellen Erfahrung sein, sondern die legitime eigene Erfahrung einer anderen Rechtskultur. Sie könnten ihm ein Beispiel sein, aber nur für die eigene

77 Kramer, Ernst A. , Juristische Methodenlehre, 3. Aufl. München u. a. 2010, S. 251; Rüthers, Thomas (Begr.)/Fischer, Christian/Birk, Axel, Rechtstheorie. Begriff, Geltung und Anwendung des Rechts, 6. Aufl. München 2011, S. 449 f. 78 Vgl. auch Fritz von Hippel, der die Notwendigkeit differenzierter Lösungen als einen „Prozeß, der natürlich viel Arbeit, Überlegung, Erforschung und guten Willen kostet“, beschreibt und dem das „vorschnelle Denken in der Relation von ‚Zweck‘ und ‚Mittel‘“ gegenüberstellt, Die Perversion von Rechtsordnungen, Tübingen 1955, S. 121 ff.

Jherings Wirkungen auf die Anwendungs- und Auslegungslehre in Brasilien

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Kultur.79 Sie dürfen kein Argument sein, die eigene Erfahrung in „richtiger“ Weise zu exportieren. Für den brasilianischen Rechtswissenschaftler hingegen sollte Rezeption nicht damit einhergehen, sich (versteift) auf das vermeintlich „Richtige“ zu konzentrieren, sondern offen und ehrlich mit Ansätzen aus anderen Rechtskulturen zu experimentieren.

79 Zur Rolle der Rechtsvergleichung als Mittel zur „Rehabilitation“ vgl. Beneduzi, Renato, Actio und Klagerecht bei Theodor Muther, Heidelberg, 2016.

David M. Rabban

Jhering’s Influence on American Legal Thought

Rudolph von Jhering has influenced American legal thought since the late nineteenth century, though the nature of his influence has varied over time. In this essay, I proceed chronologically. I begin with the late nineteenth-century American legal scholars who admired Jhering as part of the great tradition of German legal scholarship they viewed as a model for their own. Like American scholars in numerous disciplines during this period, many of them had studied as postgraduates in Germany. Jhering himself declared in an 1881 letter to his German colleague, Oskar von Bülow: “my writings are widely read even in the United States, and a review of my book, The Ends of Law, is the most brilliant which has ever appeared about any of my works.”1 I then address Jhering’s substantial influence on Oliver Wendell Holmes, Jr. and Roscoe Pound, two of the most important figures in the history of American legal thought. I focus on Holmes’s famous book, The Common Law, published in 1881, and Pound’s development of “sociological jurisprudence” in the decade before World War I. Jhering also influenced both adherents and critics of the “legal realism” that emerged in the 1920s and 1930s, which many perceive as an extension of sociological jurisprudence. Scholars in the United States often applied to American law their understanding of Jhering’s position that the prevailing overemphasis on deductive logic and abstract legal theory should be replaced by a social theory of law consciously designed to promote the present public interest. They relied on Jhering as well in analyzing technical legal doctrine, as I point out in discussing classic articles on contract law by Lon Fuller in the 1930s and Friedrich Kessler in the 1960s. Kessler emigrated to the United States as a refugee from Nazi Germany in the 1930s after receiving his legal education in Germany. Citation counts provide rough but revealing information about Jhering’s general influence in the United States. The HeinOnLine listing of citations in 1 Konrad Zweigerd and Kurt Siehr, Jhering’s Influence on the Development of the Comparative Method, 19 American Journal of Comparative Law 215, 225 and n.2 (1971) (translating from Rudolph von Jhering in Briefen an seine Freunde 366, 369 (1913)).

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“core US Legal Journals” since 1850, for example, contains 1,326 of Jhering. The totals for Maine, Savigny, and Maitland are higher: 2,212 of Maine, 3,478 of Savigny, and 11,382 of Maitland. But the totals for other nineteenth-century German scholars are substantially lower: 119 of Sohm, 88 of Brunner, 49 of Windscheid, 28 of Puchta, 19 of Gneist, and 3 of Bruns. Jhering was cited 17 times before 1900, when only a few American law reviews existed. Citations of him have remained quite constant since 1900: roughly 500 between 1900 and 1950, roughly 600 between 1950 and 2000, and roughly 200 since 2000. Yet since the 1950s, American legal scholars typically have examined Jhering’s influence on their predecessors without relying on him in developing their own thought. I doubt that the vast majority of current American legal scholars who do not study the history of legal thought would recognize Jhering’s name.

Nineteenth-century American Scholars The importance of German legal scholarship as a model for the first generation of professional legal scholars in the United States is well captured in an address in 1901 on “The Vocation of the Law Professor” by James Barr Ames, the Dean of the Harvard Law School. Between college and law school at Harvard, Ames studied at German universities in 1869 and 1870. He joined the faculty of Harvard Law School in 1873. Signifying the start of the transformation of Harvard into a serious academic law school, Ames was the first professor appointed solely on the basis of his academic record and without any previous experience in practice.2 In his address three decades after his initial appointment, Ames urged American legal scholars to follow “the modern spirit of historical research.”3 They should produce treatises on every important branch of the law “exhibiting the historical development of the subject and containing sound conclusions based upon scientific analysis.”4 Discovering the origins of legal doctrines, he added, could help clarify current law.5 As models, Ames cited Pollock and Maitland’s recent History of English Law and the work of several German legal scholars: Savigny, Windscheid, Jhering, and Brunner.6 Ames characterized American legal scholars as “distinctly poor” compared to the Germans, though he recognized some admirable exceptions. He attributed this scholarly poverty to

2 David M. Rabban, Law’s History: American Legal Thought and the Transatlantic Turn to History 51 (2013). 3 James Barr Ames, Lectures on Legal History and Miscellaneous Legal Essays 365 (1913). 4 Id. at 366. 5 Id. at 368. 6 Id. at 364.

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“the absence of a large professional class.”7 Praising the recent development of university law schools in the United States in contrast to England,8 Ames nevertheless lamented that while some American law schools were composed almost entirely of full-time faculty, most were not. Among all law professors in the United States, three-fourths were active practitioners or judges. Yet to produce the historically based legal scholarship he advocated, the job of a law professor must be a vocation, as in Germany, not an avocation of busy lawyers.9 The resulting scholarship, in addition to improving the legal education of students, would provide guidance to the judge and the legislator.10 The best modern codes, Ames observed, are found in Germany, the country where full-time professors produced outstanding scholarship. He urged Americans to resist the current “spirit of codification” until they developed comparable scholarship along the lines he recommended.11 Munroe Smith, an eminent American professor who taught history and law at Columbia University and became President of the American Political Science Association, wrote at length about Jhering in his articles entitled “Four German Jurists,” published in the important journal, Political Science Quarterly, between 1895 and 1901, and later collected in a book.12 After graduating from Columbia Law School in 1877, Smith studied law in Germany with Jhering and the other three German jurists he included in his articles: Bruns, Windscheid, and Gneist. Observing that all four had passed away, Smith called his articles “a duty of scholastic piety” to the memory of these great teachers, adding that a description of their work would present to American readers “the movement of German jurisprudence in the nineteenth century.”13 Smith devoted substantially more attention to Jhering than to the other three. Though written over a century ago, these articles may remain the most comprehensive and thoughtful treatment of Jhering in English. Jhering, Smith maintained, had reached a larger general public than any other contemporary legal writer, even more than Henry Maine. Observing that many of Jhering’s works had been translated into French and Spanish, Smith regretted that only one of his books, The Struggle for Law, had been translated into English, and that the translation was poor.14 Though Smith covered Jhering’s entire career,

7 8 9 10 11 12 13 14

Id. at 365. Id. at 354–60. Id. at 361–62. Id. at 364–68. Id. at 368. Munroe Smith, A General View of European Legal History and Other Papers (1927). Id. at Id. at 110–11. Id. at 133.

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he focused the years between 1868 and 1888. Summarizing Jhering’s work during this period, Smith wrote: “Against the will as the source of law and of rights he had set the goal of the will, the end to be attained. Against the individual interest he had set, as the creator of the whole social order, the social interest. Against the theory of the historical school, which treated all legal development as a process not merely organic but largely unconscious, he had insisted on the reflective and conscious character of legal progress, even in its early stages.”15

Smith described Jhering as the leader of the reaction against Savigny’s historical theory and the German “historical school in the Romanistic field.”16 Even though Jhering’s volumes on The Spirit of the Roman Law “marked an epoch in legal historigraphy” and had not been translated into English, Smith treated them relatively briefly because so much had already been written about them.17 He observed that in these volumes Jhering was one of the first to use the comparative method, rejecting the narrow national approach of the historical school. By focusing on topics Roman law shared with other legal systems rather than on its distinctively national elements, Jhering, in effect, wrote a general treatise on primitive law.18 Jhering used his study of Roman law to criticize the overemphasis on the role of logic in law by prior German scholars and to reformulate the conception of a right, previously viewed as an exercise of will, into to a legally protected interest.19 Smith discussed Jhering’s subsequent book on Possessory Intentions as a further attack on abstract legal theory20 before turning to a lengthy treatment of Zweck im Recht, a title Smith translated as “teleology of law” even though he believed the German word zweck had no precise English equivalent.21 The volumes in this project, Smth asserted, constituted a system of sociology as well as a system of legal philosophy, covering economics, politics, and ethics as well as law.22 Jhering maintained that social interests are the basis of morals and repeatedly emphasized social rather than individual perspectives.23 Smith described Jhering’s famous book, The Struggle for Law, which had been translated into fourteen languages by 1880, as a preparatory work for Zweck im Recht, and described its main point as advocating the duty of an individual to

15 16 17 18 19 20 21 22 23

Id. at 167. Id. at 128. Id. at 173. Id. at 115, 173–74. Id. at 138. Id. at 139. Id. at 151. Id. at 155. Id. at 156.

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assert his rights for the sake of society, not just for himself.24 Among Jhering’s contributions to “constructive jurisprudence,” Smith identified his article “culpa in contrahendo” about contract law as the most influential and devoted several pages to discussing it.25 Smith interspersed opinionated comments and criticism of Jhering throughout his generally admiring discussion of his work. Writing about Jhering’s agitation against the abstract jurisprudence to which he previously adhered, Smith agreed with Jhering’s own acknowledgement that he displayed the zeal of a convert.26 Smith added that a convert “naturally exaggerates the sinfulness of his unregenerate years, and Jhering’s self-accusation must be taken with more than a grain of salt.”27 Jhering’s important work on the law of possession, Smith concluded, was “not fully worked out.”28 Zweck im Recht is “almost tedious” in presenting its main arguments, whereas its digressions are “invariably interesting” and “the most readable parts of the book.”29 Despite the book’s “constant condemnation of the individualistic point of view,” Jhering “has by no means wholly emancipated himself from it.”30 The Struggle for Law “is one-sided,” typical of “books that make an impression.”31 Much more favorably, Smith considered Jhering a better scholar than his famous near contemporary, Henry Maine. Pointing out that both Jhering and Maine used the comparative method and approached primitive law more as social historians than as legal historians, Smith concluded that Jhering’s depiction of early society and his theories about it are far more persuasive than Maine’s.32 Whereas Ames associated Jhering with the general excellence of German legal scholarship and Smith summarized his work for an American audience, Christopher G. Tiedeman, another important late nineteenth-century American legal scholar, relied on Jhering in developing his own ideas. Like Ames and Smith, Tiedeman studied law in Germany, spending almost two years there after college in 1877 and 1878 before returning to the United States to attend Columbia Law School. During a short but prolific career, he taught at several American law schools.33 His major work of constitutional interpretation, an extended essay published in 1890 entitled “The Unwritten Constitution of the United States,” reflects Jhering’s influence. Tiedeman’s main point was that “the great body of American constitutional law cannot be found in the written instruments, which 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33

Id. at 163. Id. at 195–99. Id. at 133. Id. at 134. Id. at 141. Id. at 160. Id. at 157. Id. at 163. Id. at 174–77. Rabban, supra note 2, at 57.

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we call our constitutions.” Rather, it is “unwritten” in the legal sense of that term, “to be found in the decisions of the courts and the acts of the National and State legislatures, constantly changing with the demands of the popular will.”34 The “present possessors of political power,” not the people who originally framed and voted for the Constitution, determine its interpretation. “The present popular will,” Tiedeman maintained, “must indicate which shade of meaning must be given to the written word.”35 He devoted most of his book to proving these claims through specific examples of the “mutations” of American constitutional law without constitutional amendments.36 In his introductory chapter, Tiedeman quoted Jhering while stressing that the “change in the prevalent sense of right is not the quiet, smooth, uneventful development, which is found to prevail in the growth of a language, and which is claimed by the jurists of the Savigny-Puchta school to prevail in the growth of a system of jurisprudence.” “On the contrary,” he asserted, “the history of the law demonstrates conclusively, by a host of examples, that every modification of an existing principle of law, as well as every new principle of law, is never firmly fixed in the jurisprudence of a country except after a vigorous contest of opposing forces.”37 Tiedeman followed this statement with footnote quoting in German from Jhering’s Der Kampf ums Recht.38 Later in his book, Tiedeman again included a footnote to Jhering to support the proposition that “in the earlier stages of the development of a system of jurisprudence, when the knowledge of the meaning of words is crudest and least certain, greater stress is laid in interpretation upon the letter of the law than in the more advanced judicial age.” The footnote translated into English a passage from Jhering’s Der Geist des Romischen Rechts, adding that Jhering’s “elaborate elaboration of the metaphysical origins” of this point “is not only attractive for its beauty, but also for its value to the jurist.”39 Associating the United States with “the more advanced judicial age,” Tiedeman observed that if it is possible for a court to find two or more shades of meaning in the written word, “it does not enforce that shade of meaning which was intended by the lawgiver, but that shade which best reflects the prevalent sense of right.”40

34 Christopher G. Tiedemann, The Unwritten Constitution of the United States 45 (reprint edition 1974) (original edition 1890). 35 Id. at 144. 36 Id. at 45. 37 Id. at 11–12. 38 Id. at 12 n.1. 39 Id. at 145 and 145 n.1. 40 Id. at 149.

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Holmes Jhering’s influence on Oliver Wendell Holmes, Jr., who far more than any other late nineteenth-century legal scholar remains an important figure today, seems substantially greater than Holmes himself acknowledged. Many consider The Common Law, the book published by Holmes in 1881, the most significant work about law ever written by an American. Holmes referred to Jhering twice in the text and several more times in footnotes, about the same rate that he cited other German scholars, including Beseler, Brunner, Bruns, Gans, Puchta, Savigny, Sohm, and Windscheid. Jhering probably had a much greater impact on Holmes than these direct citations indicate. As numerous commentators have observed, Holmes expressed some of the major themes of The Common Law in language that closely resembles passages in Jhering’s Spirit of Roman Law, which Holmes read in French translation in 1879. And numerous scholars have also observed that Holmes was generally reluctant to recognize the influence of others on his thought.41 At the beginning of his chapter on “possession,” Holmes included Jhering as part of his fundamental criticism of German scholars of Roman law. Holmes complained that the theory of possession “has fallen into the hands of the philosophers, and with them has become a corner-stone of more than one elaborate structure.” He particularly criticized the “a priori doctrines of Kant and Hegel,” which “are worked out in careful correspondence with German views of Roman law.” He added that “most of the speculative jurists of Germany, from Savigny to Jhering,” had been professors of Roman law who were “profoundly influenced if not controlled by some form of Kantian or post-Kantian philosophy.” This “special bent to German speculation,” he concluded, “deprives it of its claim to universal authority.”42 Holmes’s criticism that German scholars of Roman law, including Jhering, had unfortunately extended the a priori doctrines of Kant and Hegel must be understood in relation to his central claim that over the history of the English common law external and objective standards had replaced moral and individualistic ones. Holmes believed that German metaphysical thought, particularly as expressed by Kant and Hegel, reflected sentimental moralizing about individual freedom, autonomy, and will. He maintained that German legal scholars found these features in their study of Roman law while falsely assuming 41 See, e. g., Mark DeWolfe Howe, Justice Oliver Wendell Holmes: The Proving Years, 1870–1882, at 71–72, 84–85; G. Edward White, Justice Oliver Wendell Holmes: Law and the Inner Self 115, 146, 194 (1993); Matthias Reimann, Holmes’s Common Law and German Legal Science, in The Legacy of Oliver Wendell Holmes Jr. 97–98, 102–04, 252 n.65, 258 n.110, 260–61 n.145 (Robert W. Gordon editor 1992). 42 Oliver Wendell Holmes, Jr., The Common Law 163 (1963 edition) (original edition 1881).

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that their conclusions applied to all legal systems. According to Holmes, the English common law derived mostly from Germanic sources, which not only were free from the moral and individualistic theories the German Romanists attributed to Roman law but expressed external and objective standards.43 This English common law, Holmes asserted, “is a far more civilized system than the Roman.”44 In his pathbreaking 1963 intellectual biography of Holmes, Mark DeWolfe Howe observed that Holmes never gave any indication that “Jhering had uttered protests no less vigorous than his own against the beatitude of logic and sanctity of will in German legal thought.” Howe claimed without supporting authority that Holmes “evidently saw that Jhering shared his own suspicion of the metaphysical foundations on which his fellow countrymen had built their jurisprudence and their interpretations of legal history.” But Howe acknowledged that Holmes did not seem “willing to recognize that Jhering was, to a very considerable extent, his philosophical ally.”45 More critically, Mathias Reimann maintained in 1992 that Holmes not only depicted Jhering “as another unremarkable representative of the despised German logic,” but so “heavily distorted” the views of Savigny and Kant as well that his depiction of their thought amounted to “outright misrepresentation.”46 Holmes, Reimann concluded, “did not misunderstand Savigny, Kant, and Jhering as essentially stupid formalists but instead made a purposeful decision to present them in that manner” to advance his own views.47 Holmes’s only other textual reference to Jhering occurred a few pages later while tracing the analysis of possession by the German “speculative jurists.” Holmes called Jhering a genius, who “took an independent start” from the previous views of Bruns, Gans, Puchta, and Windscheid. Jhering, Holmes asserted in a single sentence, “said that possession is ownership on the defensive; and that, in favor of the owner, he who is exercising ownership in fact (i. e. the possessor) is freed from the necessity of proving title against one who is in an unlawful position.” Despite his respect for Jhering, Holmes declared in the next sentence that subsequent work by Bruns effectively refuted Jhering’s view.48 Other than these two textual comments about Jhering, Holmes only referred to him in several footnote citations to The Spirit of Roman Law about technical matters regarding the law of possession,49 voidable contracts,50 and successions.51 43 44 45 46 47 48 49

See Rabban, supra note 2, at 253–58. Holmes, supra note 42, at 163. Howe, supra note 41, at 152. Reimann, supra note 41, at 103. Id. at 104. Holmes, supra note 42, at 165. Id. at 166 n.11.

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The note about successions included the comment that since writing about this subject in an earlier article Holmes had the satisfaction of finding his statement about a feature of Roman law “worked out with such detail and learning” by Jhering “that I cannot do better than refer to” Jhering’s book. Yet careful to maintain his own originality, Holmes added that Jhering “does not seem to have been led to the conclusions which it is my object to establish.” Beyond these few explicit references to Jhering in The Common Law, scholars have detected substantial influences unacknowledged by Holmes. Comparing Holmes’s early articles with chapters derived from them in The Common Law, Patrick Kelley maintained in a footnote that Holmes added conceptual material based on his intervening reading of Jhering’s The Spirit of Roman Law. These new concepts included the view that legal development occurs through the “unarticulated implementation of social policies” and the emphasis on “formal realisability or the effectiveness of the law in achieving its ends.” The strong similarities between Jhering and the new material in The Common Law, which Kelley asserted but did not quote, convinced him of “direct borrowing” by Holmes.52 Most intriguingly, the central themes announced in the famous opening paragraph of The Common Law contain language that is very similar to passages in Jhering’s The Spirit of Roman Law. In perhaps the best known sentence ever written by an American legal scholar, Holmes maintained: “The life of the law has not been logic: it has been experience.” He added: “The felt necessities of the time, the prevalent moral and political theories, intuitions of public policy, avowed or unconscious, even the prejudices which judges share with their fellow-men, have had a good deal more to do than the syllogism in determining the rules by which men should be governed. The law embodies the story of a nation’s development through many centuries, and it cannot be dealt with as if it contained only the axioms and corollaries of a book of mathematics.”53

Howe observed that this language resembled Jhering’s objections to the excess of logic in German legal thought and provided a general citation to Jhering.54 Peter Stein, the eminent English legal scholar of Roman and comparative law, more specifically compared the same sentences by Holmes to a different passage from Jhering, citing to the French edition that Holmes read. As translated into English by Stein in his 1979 article entitled “Logic and Experience in Roman and Com-

50 Id. at 258 n.25. 51 Id. at 276 n.34. 52 Patrick J. Kelley, A Critical Analysis of Holmes’s Theory of Contract, 75 Notre Dame Law Review 1681, 1690 n.26 (2000). 53 Holmes, supra note 42, at 5. 54 Howe, supra note 41, at 155.

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mon Law,” Jhering wrote: “The desire for logic that turns jurisprudence into legal mathematics is an error and arises from misunderstanding law. Life does not exist for the sake of concepts but concepts for the sake of life.” Despite what Stein himself called this “remarkably similar” language, he felt it was only possible to guess whether Holmes was consciously or unconsciously thinking of Jhering.55 Stein was more interested in pointing out that Holmes was applying to the common law points Jhering had made about Roman law, but the clear parallels between Holmes and Jhering, observed by both Howe and Stein, suggest that at least unconscious borrowing is more a probability than a guess. Another well-known passage at the end of Holmes’s opening paragraph closely parallels Jhering. “The substance of the law at any given time nearly corresponds, so far as it goes, with what is then understood to be convenient; but its form and machinery and the degree to which it is able to work out desired results, depend very much upon its past.”56 Holmes later elaborated that over time the original reasons that gave rise to a rule disappear, prompting the substitution of some “new ground of policy” to reconcile the rule “with the present state of things.”57 Able lawyers “know too much to sacrifice good sense to a syllogism” and find “new reasons more fitted to the time” to explain them.58 In an article published in 1954, Jerome Frank, the controversial legal realist, quoted parallel passages from Jhering while noting how much Holmes owed to others.59 Quoting parallel passages from Jhering and Holmes at greater length in a subsequent article, Frank concluded that Jhering’s influence on Holmes “seems undeniable,” though he did not “mean at all to imply that Holmes plagiarized.”60 Revealingly, in both articles Frank quoted a “condensed translation” of roughly thirty pages from Jhering by William G. Hammond, which appeared in an appendix to a book Hammond edited in 1880 and may still be the most accessible version in English. Hammond himself was another important late nineteenth-century American legal scholar who studied law in Germany. In Hammond’s translation, Jhering maintained that the Romans “never adhered blindly to the letter, but constantly kept in view the reason of the case, and the needs of practical life, and knew how to interpret statutes in conformity with these.” They “had too sound sense to sacrifice to” the letter “their own con55 Peter Stein, Logic and Experience in Roman and Common Law, 59 Boston University Law Review 433, 437 and 437 n.4 (1979). 56 Holmes, supra note 42, at 5. 57 Id. at 8. 58 Id. at 32. 59 Jerome Frank, A Conflict with Oblivion: Some Observations on the Founders of Legal Pragmatism, 9 Rutgers Law Review 425, 443 n.87 (1954). 60 Jerome Frank, Civil Law Influences on the Common Law – Some Reflections on “Comparative” and “Contrastive” Law, 104 University of Pennsylvania Law Review 887, 893 (1956).

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victions and practical interests.”61 Rather, “under the guise of interpretation,” they “twisted and turned” the law into “the shape in which they wished to have it,”62 to “adapt” it “to the wants and claims of the times.”63 Citing but not quoting from the full text in German that Hammond condensed, Reimann observed that the “striking” similarly in language allows the conclusion that “a direct influence is at least possible.”64 As with the opening sentences of Holmes’s first paragraph, I believe the similarities in ideas and language indicate more a probability than a possibility. Throughout his writings, Holmes portrayed law as the result of social struggle within society, the view Jhering had previously emphasized in his Der Kampf ums Recht. Unlike Tiedeman, who cited Jhering while taking this position, Holmes did not. Yet in this instance, as Reimann observes, Holmes may not have been influenced by Jhering. Holmes had focused on the role of struggle in his earliest articles, before he read Jhering, and both Jhering and Holmes probably derived their views about struggle in legal development from Darwin’s earlier work on the biological “struggle for life.”65

Pound’s Sociological Jurisprudence Whereas Jhering probably had substantially more influence on Holmes than Holmes acknowledged, Roscoe Pound expressly and repeatedly emphasized his reliance on Jhering in the articles that brought him to academic preeminence during the decade before World War I. Pound learned German at a young age while growing up in Lincoln, Nebraska. His mother began teaching him German when he was six, his family employed a German-speaking maid, and he attended a Methodist Sunday school in a German-speaking community in Lincoln.66 As a young law professor, he read widely in German legal literature, which he cited extensively throughout his work. Pound invoked Jhering both in criticizing prior American legal thought and in developing his own sociological jurisprudence as an alternative designed to promote drastically needed reform in American society. He called Jhering’s work “of

61 William G. Hammond, Note F, The Interpretatio of the Roman Jurists, in Francis Lieber, Legal and Political Hermeneutics 260, 270 (William G. Hammond editor 1880). 62 Id. at 271. 63 Id. at 272. 64 Reimann, supra note 41, at 103. 65 Id. at 102. 66 David Wigdor, Roscoe Pound: Philosopher of the Law 6–13 1974).

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enduring value for sociological jurisprudence.”67 Bemoaning that jurisprudence remained “last in the march of the sciences away from the method of deduction from predetermined conceptions,” he applauded Jhering for being the “pioneer in superseding” the prior “jurisprudence of conceptions” by “a jurisprudence of results.”68 Pound clearly viewed Jhering’s career as a scholar and reformer in Germany as a model for what he wanted to accomplish in the United States. Although Pound cited Jhering in many of his publications, he wrote most directly about him in one of his three ambitious articles entitled “The Scope and Purpose of Sociological Jurisprudence,” published in the Harvard Law Review in 1911 and 1912, soon after he joined the Harvard law faculty. Calling Jhering the leader of the group who began a “radical change in jurisprudence” by turning “their attention from the nature of law to its purpose,” Pound declared that Jhering’s work was “as epoch-making” as the prior scholarship of Savigny. Although a great Romanist himself, Jhering saw “the futility of the jurisprudence of conceptions which the historical school had built upon the classical Roman law, and stood for a jurisprudence of actualities.”69 He adopted a “teleological method,” committed to studying the purposes and ends of law, not simply how it had developed.70 Believing that “the Romanist legal science of the historical jurists in Germany was coming to be out of touch with practical life,” Jhering sought to test legal precepts by their results in practical application, “and not solely by logical deduction from principles discovered by historical study of Roman and Germanic law.”71 As a consequence of this teleological method, Pound observed, Jhering focused on interests rather than rights. In contrast to previous theories of law, which attempted to harmonize individual wills “to leave the greatest possible scope for free action,” Jhering had a “social theory of law.” It treated law as “something created by society through which the individual found a means of securing his interests, so far as society recognized them.”72 Under this view, law is made rather than found.73 Pound admiringly observed as well that Jhering was able to see the “juristic possibilities” of the most trivial aspects of everyday life.74 While discussing Jhering’s views, Pound emphasized their implications for American law. He maintained that much of the American common law, like the 67 Roscoe Pound, The Scope and Purpose of Sociological Jurisprudence II, 25 Harvard Law Review 140, 146 (1912). 68 Roscoe Pound, Mechanical Jurisprudence, 8 Columbia Law Review 605, 610 (1908). 69 Pound, supra note 67, at 140. 70 Id. at 140–41. 71 Id. at 142. 72 Id. at 143. 73 Id. at 144. 74 Id. at 141.

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interpretation of Roman law by the German historical jurists, was similarly “derived by deduction from historical premises which had lost their value and hence much of their meaning for the society of today.” He mentioned liberty of contract, assumption of risk, and the right to follow a lawful calling as examples of outmoded common law.75 The jurists ridiculed by Jhering, who in a heaven of juristic concepts sat “before a machine which brought out of each conception its nine hundred and ninety-nine thousand nine hundred and ninety-nine logical results, have their counterpart in American judges who insist upon a legal theory of equality of rights and liberty of contract in the face of notorious social and economic facts.”76 Jhering’s view “of law as a means toward social ends,” his insistence that “abstract considerations do not suffice to justify legal rules,” and his requirement that jurists “keep in touch with life,”77 Pound indicated, undermined the decisions of these American judges and pointed the way to different results, which would enable legal justice to implement social justice. After observing that the details of the intellectual movement begun by Jhering are found in Europe, which placed them outside the scope of his own project, Pound emphasized that Jhering’s method “marks an era in the modern science of law,”78 implying that it applies broadly, including in the United States. And in observing that Jhering’s theories influenced “the reform movement that led to the downfall of the Romanists of the historical school,”79 Pound indicated that he hoped these theories could help him reform American law. Pound was exceptionally well read. He relied on many intellectual sources in developing his own sociological jurisprudence. In addition to Jhering and many other German legal scholars, he invoked leading figures in French legal thought. He borrowed as well from Americans in disciplines outside the law, particularly philosophical pragmatism and the emerging social sciences. Pound looked for intellectual support wherever he could find it. Throughout his many articles, Pound stressed that the social problems of early twentieth-century America could only be solved by tempering the individualism of American life and law with more attention to collective social interests. I suspect Pound would have taken this position, as did many Americans in the progressive movement during the early twentieth century, had he not read any of this literature. But in developing his sociological jurisprudence to translate this position into a theory for legal reform, Pound relied on Jhering more than on anyone else. Largely through Pound, Jhering’s ideas became well known among American legal scholars. The widely read book by Judge Benjamin Cardozo published in 75 76 77 78 79

Id. at 142. Id. at 146. Id. at 146–47. Id. at 142. Id. at 145.

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1920, The Nature of the Judicial Process, praised the sociological study of law, which he traced to “Jhering’s great contribution to the theory of jurisprudence,” the “conception of the end of the law as determining the direction of its growth.”80 Cardozo relied heavily on Pound throughout the book. “Thoughts that seem fairly obvious today,” Cardozo accurately wrote Pound, “have become part of the common stock of ideas for American lawyers and judges as a result, in large measure, of your efforts.”81 Pound derived many of those thoughts from Jhering. Worrying that some Americans had distorted Jhering, the respected legal philosopher, Morris Cohen, warned in an article in the Harvard Law Review in 1916 that Jhering’s attack on the purely logical analysis of law had given rise to “the forces of anti-intellectualism” in American legal thought.82 Jhering himself, Cohen stressed, recognized the importance of logic in legal analysis even as he emphasized other factors. Citing specific sections of Jhering’s Geist, Cohen maintained that Jhering devoted significant portions of his great work “to a logical analysis of the method and general ideas of the law.”83 Jhering, like other major writers including Pound, provided examples of “the abuse of legal logic” rather than “the breakdown of logic itself.”84 “Imitators or followers,” Cohen observed, “seldom possess the many-sided catholicity of the pioneer or master.”85 And “the new, more zealous crusaders against legal ideology,” in the United States as well as in Germany, “are less cautious” than Jhering “and are inclined to deny all value to logic and general principles.”86 In place of logic, these zealous crusaders variously proposed common sense, experience, a sense of justice, “the as yet to be established science of sociology,” and the “will of the dominant class” to explain the legal system. But Cohen maintained that “without the aid of a logical legal technique,” none of these alternatives “can elaborate the laws of gifts, sales, mortgages, or determine the precise liability of a railroad company to those who use its sleeping car service.”87

80 Benjamin N. Caradozo, The Nature of the Judicial Process 64 (2010 edition) (original edition 1921). 81 Wigdor, supra note 66, at 233. 82 Morris R. Cohen, The Place of Logic in the Law, 29 Harvard Law Review 622 (1916). 83 Id. 84 Id. at 636. 85 Id. at 622. 86 Id. at 622–23. As examples, Cohen cited Wüstendorfer and Fuchs in Germany, and Bentley and Brooks Adams in the United States. Id. at 623 n. 5. 87 Id. at 623.

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Legal Realism Jhering’s influence and alleged radical exaggerations of it persisted in debates about legal realism in the 1920s and 1930s, which many viewed as a continuation and reformulation of Pound’s sociological jurisprudence, itself largely derived from Jhering. Felix Cohen’s “Transcendental Nonsense and the Functionalist Approach,” a classic of legal realism published in the 1935 Columbia Law Review, began by describing, in greater detail than had Pound, Jhering’s ridicule of the heaven of juristic concepts. Some fifty years ago a great German jurist had a curious dream. He dreamed that he died and was taken to a special heaven reserved for the theoreticians of the law. In this heaven one met, face to face, the many concepts of jurisprudence in the absolute purity, freed from all entangling alliance with human life. […] Here one found a dialectichydraulic-interpretation press, which could press an indefinite number of meanings out of any text or statute […]. The boundless opportunities of this heaven of legal concepts were open to all properly qualified jurists, provided only they drank the Lethean draught which induced forgetfulness of terrestrial human affairs. But for the most accomplished jurists the Lethean draught was entirely superfluous. They had nothing to forget.88

Jhering’s dream, Cohen added, “has been retold, in recent years, in the chapels of sociological, functional, institutional, scientific, experimental, realistic, and neorealistic jurisprudence.” Cohen closed his introduction by announcing that his article would address the extent to which “contemporary legal thought moves in the pure ether” of the “heaven of legal concepts” described by Jhering.89 Limiting his analysis to the United States, Cohen cited examples of “transcendental nonsense” in corporate law, trademark law, public utility law, and the constitutional doctrine of due process of law. But he maintained that the “age of the classical jurists,” who fit Jhering’s description of the “theological jurisprudence of concepts,” was happily over. He called the recent Restatement of Law by the American Law Institute “the last long-drawn-out gasp” of this “dying tradition.” The best contemporary young scholars, Cohen observed, “are not interested in ‘restating’ the dogmas of legal theology.” Unlike the classical thinkers of the past, he predicted, “the creative legal scholars of the future will not devote themselves […] to the taxonomy of legal concepts and to the systematic explication of principles of ‘justice’ and ‘reason’ buttressed by ‘correct’ cases.” Rather, they will look to the “actual facts of judicial behavior,” making greater use of statistical methods, and seeking to map “the hidden springs” of decisions, including “the 88 Felix S. Cohen, Transcendental Nonsense and the Functional Approach, 35 Columbia Law Review 809 (1935). 89 Id.

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social forces which are represented on the bench.” They will also “look behind the traditionally accepted principles of ‘justice’ and ‘reason’ to appraise in ethical terms the social values at stake in any choice between two precedents.”90 These methods, incorporating material previously considered “non-legal” from psychology, economics, and political theory,91 would contribute to the “functional approach” he contrasted in his title with the “transcendental nonsense” described in Jhering’s heaven of legal concepts. In an article on “Fifty Years of Jurisprudence” written in 1938, Pound himself addressed the frequent assertion that legal realism derived from sociological jurisprudence. “All twentieth-century thinking as to the judicial process,” Pound declared, “has been influenced deeply by Jhering.”92 More specifically, he acknowledged that the development by sociological jurisprudence “of Jhering’s attack on the jurisprudence of conceptions and the application of that attack to American case law” undoubtedly contributed to the general skepticism of the next generation of American legal scholars identified as legal realists.93 So far as the legal realists thought of law functionally, urged attention to the effects of social background on legal doctrines and institutions, urged psychological study of judicial processes, and emphasized the importance of just solutions in individual cases, they were following the lead of the sociological jurists.94 But Pound criticized realists whose skepticism extended to questioning “the role of legal precepts in administering justice, and the possibility of objectivity in the judicial process.”95 In a previous article in 1931, Pound similarly praised the new legal realists for “carrying on the best traditions of the last generation” by following Jhering’s “demand for a jurisprudence of actualities,” which “led to looking at legal precepts and doctrines and institutions with reference to how they work or fail to work, and why.” He admired their “advance” in examining the extent to which judges are not logical or rational. But he protested that many realists ignored entirely the logical and rational elements of law.96 “Radical neo-realism,” Pound sadly observed, “seems to deny that there are rules or principles or conceptions or doctrines at all.”97 Instead, he hoped that “a new realism will build on Jhering” by pursuing the “belief that the administration of justice may be improved by

90 91 92 93 94 95 96 97

Id. at 833. Id. at 834. Roscoe Pound, Fifty Years of Jurisprudence, 51 Harvard Law Review 777, 792 (1938). Id. at 790–91. Id. at 791. Id. at 791–92. Roscoe Pound, The Call for a Realist Jurisprudence, 44 Harvard Law Review 697, 706 (1931). Id. at 707.

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intelligent effort” and recognizing that “the test of a legal precept or doctrine or institution is how and how far it helps to achieve the end of the legal order.”98 Hermann Kantorowicz, the eminent German jurist who left Nazi Germany to teach at the New School for Social Research in New York, reached similar conclusions to Pound in an article published in 1934. He called Jhering “the fountain head”99 for the sociological movement in law that included the legal realists. The “moderate” branch of legal realism, he observed, held views that were comparatively new at the beginning of the twentieth century, but had become almost universally accepted, at least in theory. They viewed law as both a body of rules and a body of judicial decisions, and they treated legal science as both a rational and a sociological science. But Kantorowicz identified a “radical” branch that had produced the recent “astonishing growth” of the realist movement. As a matter of substantive theory, the radicals believed that “the law is not a body of rules but of facts.” As a matter of formal theory, they believed that “legal science is not a rational but an empirical science.”100 Kantorowicz asserted that these theories are not untrue but are “exaggerations” of the truth.101 He observed that he himself had been inaccurately praised for these exaggerations even though he believed that they threatened the future of legal scholarship. He urged the radicals to abandon these theories, to confine themselves to the moderate doctrines that could be traced to Jhering, and to continue “their excellent research work which does not presuppose their untenable postulates and does not clash with their tenable ones.”102

The Theory of Contract Law Apart from debate about legal realism, two major American legal scholars, Lon Fuller and Friedrich Kessler, relied heavily on Jhering in classic articles about the theory of contract law. Beyond the evidence of Fuller’s articles, Robert Summers, himself a major scholar of contract law and jurisprudence, reported in an article published in 1996 that he had seen Fuller’s own copy of Jhering’s Der Zweck, which included many marginal notes by Fuller.103 Duncan Kennedy, a leading 98 Id. at 710. 99 Hermann Kantorowicz, Some Rationalism About Realism, 43 Yale Law Journal 1240, 1241 (1934). 100 Id. at 1242. 101 Id. at 1240. 102 Id. at 1242. 103 Robert S. Summers, Rudolf von Jhering’s influence on American legal theory – A selective account, in Jherings Rechtsdenken: Theorie und Pragmatik in Dienste evolutionärer Rechtsethik 61, 70 (Herausgegeben von Okko Behrends 1996).

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figure in the critical legal studies movement in the United States since the 1970s and the author of major articles about Fuller, confessed that he had not realized the extent of Fuller’s reliance on Jhering until Kennedy, led by Fuller’s citations, read Jhering’s The Spirit of Roman Law in French translation, the same translation Holmes had read a century earlier. Jhering’s work impressed Kennedy as “unutterably brilliant,” so much better than Fuller’s discussion of the same issues that Kennedy’s previous admiration of Fuller was “greatly reduced.”104 The opening sentences of Fuller’s two-part article on “The Reliance Interest in Contract Damages,” published in the 1936–1937 volume of the Yale Law Journal and co-authored with his student, William Perdue, evokes Jhering’s Der Zweck without citing him.105 “The proposition that legal rules can be understood only with reference to the purposes they serve,” Fuller and Perdue wrote, “would today scarcely be regarded as an exciting truth. The notion that law exists as a means to an end has been commonplace for at least half a century.” They went on to observe, however, that the “respectability, and even triteness,” of this proposition had not led to “pervasive application in practice,” especially in the law of damages, the subject of their article.106 Fuller and Perdue favorably cited Jhering’s “pioneering article on culpa in contrahendo,” pointing out that the “negative interest” in Jhering’s terminology corresponded to the reliance interest. Jhering maintained that this interest should be the measure of recovery in situations that could be called “not-quite” contracts.107 When one party is at fault in a situation that is “not quite” a contract, the other, “innocent” party should be able to recover for “any actual change of position in reliance” on the faulty behavior. By compensating the reliance interest, Fuller and Perdue approvingly declared, “we stop halfway between full contract liability (expectation interest) and a denial of liability altogether.”108 In textual notes in the second part of their article, Fuller and Perdue further commented on Jhering’s treatment of culpa in contrahendo.109 Fuller’s subsequent article, Consideration and Form,110 also relied on Jhering in discussing the function of formality in the contractual doctrine of consideration. Summers as well as Kennedy concluded that Jhering’s original treatment was superior.111 104 Duncan Kennedy, From the Will Theory to the Principle of Private Autonomy: Lon Fuller’s “Consideration and Form,” 100 Columbia Law Review 94, 104 and 104 n.29 (2000). 105 L.L. Fuller and William R. Perdue, Jr., The Reliance Interest in Contract Damages: 1, 46 Yale Law Journal 52 (1936). See Summers, supra note 103, at 71. 106 Fuller and Perdue, supra note 105, at 52. 107 Id. at 86. 108 Id. at 87. 109 L.L. Fuller and William R. Perdue, The Reliance Interest in Contract Damages: 2, 46 Yale Law Journal 373, 380 n.1, 411 n.208, 416 n.219 (1937). 110 Lon L. Fuller, Consideration and Form, 41 Columbia Law Review 799 (1941). 111 Summers, supra note 103, at 74.

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Whereas Fuller and Perdue discussed culpa in contrahendo in the course of their articles on the reliance interest in contract damages, Friedrich Kessler and his student, Edith Fine, placed this concept originated by Jhering at the center of their major article comparing its use in civil countries and in the United States. Kessler, like Kantorowicz, came to the United States as a refugee from Nazi Germany in the 1930s. He was a professor at Yale Law School when he published this article in the Harvard Law Review with Fine in 1964. Although American cases did not use the term culpa in contrahendo, Kessler and Fine discovered, “its underlying philosophy of responsibility for ‘blameworthy’ conduct has found expression in numerous ways.”112 While civil law countries used it largely “to mitigate the will theory,” the American common law “has employed it as one of its weapons to soften the rigor of the objective theory of contracts.”113 Commenting on this “magisterial article,” Grant Gilmore, Kessler’s Yale colleague and fellow professor of contract law, found its assertion that American law was reaching results consistent with the civil law theory of culpa in contrahendo “conclusively proved.”114 Reminiscent of Kantorowicz’s criticism of the “exaggerations” of Jhering’s insights by the “radical” branch of legal realism, Gilmore maintained that Kessler, thanks to his training as a civilian in Germany in the 1920s and early 1930s,115 was one of the few American scholars of his generation who managed to reject the prevailing doctrinal orthodoxy without succumbing to the temptation to endorse “antidoctrine as salvation.” According to Gilmore, Kessler believed that if old theories no longer work, new theories should replace them.116 Rather than turning to antidoctrine, Kessler turned to Jhering’s theory of culpa in contrahendo. Before 1900, Jhering was a well-known model for American legal scholars, some of whom had studied law in Germany, including with Jhering himself. The most enduring work of legal scholarship ever written by an American, Oliver Wendell Holmes, Jr.’s The Common Law, published in 1881, reflects Jhering’s substantial influence, though Holmes himself often did not acknowledge it. Roscoe Pound, whose development of sociological jurisprudence before World War I transformed American legal scholarship, graciously and repeatedly indicated how much his own major themes derived from Jhering. Legal realists of the next generation saw themselves as extending Pound’s sociological jurisprudence, recognized its roots in Jhering, and memorably invoked Jhering himself. Eminent 112 Friedrich Kessler and Edith Fine, Culpa in Contrahendo, Bargaining in Good Faith, and Freedom of Contract: A Comparative Study, 77 Harvard Law Review 401, 448 (1964). 113 Id. at 437. 114 Grant Gilmore, Friedrich Kessler, 84 Yale Law Journal 672, 678 (1975). 115 Id. at 673. 116 Id. at 681.

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German law professors who emigrated to the United States as refugees from Nazi Germany in the 1930s applied Jhering’s ideas to scholarly and judicial developments in the United States. Though citations of Jhering by American scholars have continued at a relatively constant rate since World War II, most occur while assessing his influence on previous American scholars rather than as a living source for current legal analysis. Many of the recent scholars who cite Jhering, in contrast to their predecessors who often knew German, are only able to read him in translation. My strong impression is that most American legal scholars today have never even heard of Jhering. An important influence on American legal thought in the past, he is now largely unknown.

Stephan Meder

Rudolf von Jhering and the ‘jurisprudence of concepts’: was Jhering wrong to bring his predecessors’ teachings into disrepute?

David M. Rabban, in his lecture on “Jhering’s Influence on American Legal Thought”, referred to Jhering’s objections against the ‘jurisprudence of concepts’ and the problem of legal formalism.1 This prompted a lively debate on whether 19th century jurisprudential formalism characterised by a detachment from real life and a mechanical application of the law did, in fact, exist. Up to now there has been a widespread perception that Jhering was the first jurist to develop a new method of jurisprudentially penetrating and overcoming social reality. However, this perception of the history of jurisprudence has been called into question for quite some time now, not just in Germany but also in the United States, and this now begs the question: is it possible that Jhering’s critical view of the jurisprudence of concepts inaccurately portrayed his predecessors’ teachings? The following study is an attempt to provide an answer to this question.

I.

Jurisprudential formalism

For more than 150 years the German history of jurisprudence has followed a trajectory that led from the strict formalism of the Pandectist school to postpositivist concepts of methodology. Its abbreviated version is as follows: Savigny was probably the most important jurist of the 19th century. His Historical School of Jurisprudence shaped our scientific field and is still having an impact on it today. On the other hand, Savigny was also a pioneer in jurisprudential formalism, a type of legal positivism that demands strict law and is characterised by a detachment from real life and a mechanical application of law. Jhering, in his work Zweck im Recht [Law as a Means to an End] published in 1877, was the first to develop a new method of jurisprudentially penetrating and overcoming social reality in Bourgeois society.

1 Cf. David M. Rabban, Jhering’s Influence on American Legal Thought (in this volume).

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The positivist concept is known to have been characterised by a certain degree of vagueness, with many also suspecting that legal positivism was far less positivist in nature than philosophical positivism. In order to avoid such irritations, Franz Wieacker felt compelled to make the following clarification: Savigny’s jurisprudential positivism “had its roots in the formalism of Kant’s epistemology” and “it would really be better to call it legal-scientific formalism”.2 Criticism of jurisprudential formalism can conceal a diverse range of ideas and motivations, as can be seen when looking back at history. At the beginning there was the term “jurisprudence of concepts”, which is generally known to have been coined by Jhering and adopted at an early stage by the German Free Law School (Freirechtsschule). After the turn of the 20th century it became widely used outside of Germany too.

II.

Jhering’s attacks on the ‘jurisprudence of concepts’

The prelude was Jhering’s obituary of Savigny, published in 1861, the year of Savigny’s death.3 Even at that stage, it already contained some of the most important elements of Jhering’s critique of law. Savigny had, in his view, caused “theory and practice to become alienated” and had underestimated “the importance of the human drive” in the formation of law; Jhering also disapproved of the “apparatus of general ideas that Savigny felt compelled to set in motion against his opponents”.4 In the Vertrauliche Briefe über die heutige Jurisprudenz [Confidential letters concerning contemporary jurisprudence] (1861–1866), initially published anonymously, and in the Plaudereien eines Romanisten [Confabulations of a Romanicist] (1880) Jhering extended his critique further. The treatise that gained most notoriety and which he himself considered to be a ‘fantasy’, was a satirical review of the jurisprudence of concepts; it was published a few years later under the title Im juristischen Begriffshimmel [In the heaven of legal concepts].5 In the

2 Franz Wieacker translated by Tony Weir, A History of Private Law in Europe, Oxford University Press 1995, reprinted 2003, p. 342 (emphasis in the original). 3 Jhering, Friedrich Karl von Savigny, in: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts 5 (1861), pp. 354–377. Again in: id., Gesammelte Aufsätze aus den Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts in drei Bänden, vol. 2 (1882), pp. 1–21. 4 Jhering, Savigny (fn. 3), pp. 13, 14, 10; id., Der Kampf ums Recht (1872), 5th edition (1977), pp. 7–9 (criticising the comparison between law and language; “only the law, i. e. the deliberate […] act of the state” could truly develop and reform law). 5 The texts (with a final chapter entitled “Back to Earth”) were included in Scherz und Ernst in der Jurisprudenz. Eine Weihnachtsgabe für das juristische Publikum [Fun and gravity in ju-

Rudolf von Jhering and the ‘jurisprudence of concepts’

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form of dialogues, Jhering described the philosophy of Kant, which viewed “the world, which you had hitherto believed to be perceiving” as existing only as a “notion” that appeared as “forms of your subjective view”.6 The concepts that originated from these “forms” were “not compatible with life, they require a world of their own, where they alone exist and remain detached from all contact with life”.7 According to Kant, legal action did, in fact, put into practice a rule of reason whose subject was “not encountered outside the concept”.8 As a consequence, freedom was “a concept that is purely based on reason and for which there is no experience that could be offered as an example”.9 By opposing the incompatibility of concepts and real life, Jhering initially targeted a type of “idealism” that sought as much as possible to ban empiricism from law. Under the premisses of a philosophy that followed the concepts of reason, even the circumstances of an individual case could not embarrass the law. Accordingly, even Kant was forced to accept, for instance, that rigorous law is often rigorous injustice (summum ius summa est iniuria).10 Jhering’s objections to the ‘jurisprudence of concepts’ did not stop at a critique of Kant’s philosophical idealism. In fact, he went one step further and equated it with the thinking of some of the leading minds of the Historical School of Jurisprudence. In doing so, he anticipated an approach that Wieacker would later place at the centre of his own critique of formalism.11 Moreover, Jhering’s writings contained many other aspects that are still seen as labels of jurisprudential formalism even today. This included the accusation that conceptual jurists were liable to simply deduce their decisions based on concepts without making any impact assessments.12 The equation of jurisprudence and mathematics and the

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risprudence. A Christmas gift for a juristic readership], 1884 (the 9th edition, published in 1904, was used for the purposes of this paper). Juristischer Begriffshimmel, in: Scherz und Ernst (fn. 5), pp. 247–333, 247. Juristischer Begriffshimmel (fn. 6), p. 251. Some passages refer to “philosophical idealism, which perceives the real world as mere illusion, a mere notion of the subject” (loc. cit. p. 274). Another passage states that the “mons idealis” bestows upon “the theoretician the gift of ideal thinking”, which is based on the ability “to free oneself from the conditions of putting into practice the legal concepts that one is reflecting upon” (loc. cit., p. 273). “Like an eagle soaring into the clouds”, the conceptual jurist soars “into the regions of ideal thinking, where he plunges into the pure ether of thought, unconcerned with the real world, which lies below him and is far removed from his gaze” (loc. cit., p. 274). The frequent use of terms like “real” and “real world” must have attracted considerable interest amongst early legal realists (see below VI). Kant, Kritik der reinen Vernunft, 2nd edition (1787), B 504, 506. Kant, Metaphysik der Sitten (1797), in: Werkausgabe, vol. VIII, 10th edition (1993), p. 326. Metaphysik der Sitten (fn. 9), p. 342 (see below VII 1). See quote in fn. 2 above. Jhering discussed the topic particularly under the heading ‘lack of practical relevance’, cf. Juristischer Begriffshimmel (fn. 6), p. 253 (rule of legal logic and pure science), p. 273 (questions of application are disregarded) and p. 274 (restriction to logical thinking).

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Stephan Meder

accusation of scholasticism and positivism were also part of this early critique.13 Otherwise, so Jhering believed, the jurisprudence of concepts was based on the notion that law was nothing but a system bound by logic, which developed its principles independent of social reality. From there it was but a short step towards the mos geometricus, which would later also be associated with the theory of formalism and, in particular, with the critique of the Historical School of Jurisprudence.14

III.

Intermediate result

In his critique of the ‘jurisprudence of concepts’ Jhering put forward some of the essential arguments that the opponents of legal formalism, also sometimes known as formalist law, formalist jurisprudence or formalist logical method, would later adopt. Admittedly, Jhering very rarely used the term “formalist” in this sense, though he did speak of the “formal independence of law” and sometimes of “formalism”.15 However, he usually associated these with questions of form and the strict observance of form as found, for example, in formal regulations. It is now widely accepted that Jhering’s thoughts on the function of form in law and its links with freedom were a milestone in the study of legal history. Their culmination was the famous maxim: “Form is the sworn enemy of arbitrariness and the twin sister of freedom”.16 In Jhering’s thinking, “form” was by no means always used in a derogatory sense. He even defended formal constraints in law against attack by certain critics. His opinion on ‘conceptual formalism’, however, was implacable. We must therefore be careful to distinguish between “form in law” and the “jurisprudence of concepts”. Jhering’s critique of the Historical School of Jurisprudence was well received in scientific circles. He was soon celebrated as the “most formidable champion” of a movement that had turned jurisprudence back on its feet to stand once again on its social foundations.17 He found support in his objection to the fact “that jurisprudence, much like logic and mathematics, is a formal science that simply

13 Juristischer Begriffshimmel (fn. 6), p. 274; Inaugural lecture in Vienna (1868), in: Okko Behrends (ed.), Ist die Jurisprudenz eine Wissenschaft? (1998), pp. 19–92, 52–54. 14 See e. g. Wieacker, A history of private law in Europe (fn. 2), p. 318 (stating that “the scientific concept was cut loose from actual life and existed merely in the intellect.”). 15 Jhering, Geist des römischen Rechts, Zweiter Theil, Erste Abtheilung (1854), 4th edition (1880), e. g. § 24 (p. 22); Zweiter Theil, Zweite Abtheilung (1858), 4th edition (1883), § 45 (pp. 470, 480); § 45a (pp. 504, 519). 16 Geist des römischen Rechts, Zweiter Theil, Zweite Abtheilung (fn. 15), § 45 (p. 471). 17 Julius Ofner, Studien sozialer Jurisprudenz (1894), p. 17.

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develops the forms of human thinking and […] lacks reality”.18 However, Jhering found it very difficult to disengage himself from formalist ideas. This can be seen, for instance, in the fact that he had considerable reservations regarding the material elements of law. Whilst he admitted, in Geist des Römischen Rechts, that “the material contents of the law” had “a deep impact on its realisation”, he also felt that the jurist had “no power” over its material appropriateness and that such power, in fact, lay exclusively with the lawmaker. Though, he stated, his method had its own appropriateness, it was not of a material but rather of a “formal nature”.19 Scholars have wondered how this “ambivalence” could be explained. According to Rudolf Müller-Erzbach, it may have “originated in part from the fact that Jhering was less inclined towards proceeding systematically”.20 The explanation put forward by French sociologist Georges Gurvitch was less cordial in that he felt that Jhering’s “only merit” lay in the fact that he had “opposed his predecessors’ theories”.21

IV.

The critique of jurisprudential formalism put forward by the Free Law School

Given Jhering’s wavering between condemnation and laudation of “formalism”, he probably would have rejected the radical anti-formalist approach advocated by the Free Law School.22 The Free Law School did, in fact, follow its own specific goals. It evolved not least in reaction to the notion of a strict application of law, which apparently attracted many followers immediately after the German Civil Code came into force.23 Nevertheless, Jhering’s legal criticism was of central

18 Karl Georg Wurzel, Das juristische Denken (1904), p. 6 (our emphasis). This led to a demand for more judicial freedom, which would later be adopted by the Free Law School as the most radical trend in the contemporary Methodenstreit, or methodological dispute. 19 Jhering, Geist des römischen Rechts, Zweiter Theil, Zweite Abtheilung (fn. 15), § 38, p. 325 (emphasis in the original). 20 Rudolf Müller-Erzbach, Die Hinwendung der Rechtswissenschaft zum Leben und was sie hemmt (1939), p. 21 (he also sometimes referred to the “inner strife of the 19th century”). 21 Georges Gurvitch, Grundzüge der Soziologie des Rechts (1940), 2nd edition (1974), p. 73 (for more on Jhering’s rejection of the comparison between law and language see the references in footnote 4). 22 Cf. e. g. Ernst Fuchs, Jhering und die Freirechtsbewegung (1918/19), in: id., Gerechtigkeitswissenschaft (1965), pp. 181–191, 185–186 (stating that Jhering himself had adhered too closely to formalism and had therefore not gone far enough). 23 See, for instance, the famous description of the “prevailing ideal conception of the jurist” and his “thinking machine”, the “national code of law” in Gnaeus Flavius, Der Kampf um die Rechtswissenschaft (1906), p. 7. The Free Law School called for a return to a case law that was modelled on the role of the Roman praetor with an open commitment to a judge’s right to

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importance to the Free Law School. The starting point was the claim that Jhering had set in motion the renunciation of a “so-called jurisprudence of letters or of concepts that does not concern itself with the needs of real life”.24 Whilst the Free Law School, therefore, drew on the term “jurisprudence of concepts”, it also sought out alternatives and found those in terms such as “pandectology”, “formalist jurisprudence” or “formalist logical method”. It must be lauded for being the first movement to assess the term “formalism” in greater detail, though it essentially came to the same conclusions as Jhering. Some keywords may suffice here: deduction, subsumption, geometry, conceptual mathematics, logic, determinism, positivism, scholasticism, the tendency to be overly theoretical, detachment from real life, lack of social reality, idealism.25 It should be emphasised here that these labels were not just attached to authors from the Historical School and proponents of the Pandectist movement but also to the German Civil Code of 1900 and the practice of prevailing law: “As a formal logical method, formalism […] has contaminated the entire practice of law”.26

V.

Anti-formalism as an instrument for enforcing the ideology of a ‘new’ worldview

Claims of formalism and positivism, albeit inadvertently, played into the hands of National Socialist jurists. They had a completely new and hitherto unknown interest in discrediting 19th century achievements: it was their desire, under the banner of an “anti-formalist” approach, to help establish their new “worldview” as unopposed as possible.27 However, Jhering’s critique of formalism was still

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make law, which was seen as an expression of a sociological legal theory, e. g. Ernst Fuchs, Was will die Freirechtsschule? (1929), in: Gerechtigkeitswissenschaft (fn. 22), pp. 21–63. E. g. Hermann U. Kantorowicz, Rechtswissenschaft und Soziologie (1911), in: Thomas Würtenberger (ed.), Rechtswissenschaft und Soziologie (1962), pp. 117–144, 125f.; id., Was ist uns Savigny?, in: Recht und Wirtschaft 1 (1912), pp. 47–54, 53f.; id., Iherings Bekehrung, in: Deutsche Richterzeitung 6 (1914), Sp. 84–87; Ernst Fuchs, Juristischer Kulturkampf (1912), p. 4; id., Jhering und die Freirechtsbewegung (fn. 22); Eugen Ehrlich, Die juristische Logik, in: Archiv für civilistische Praxis, 115 (1917), pp. 125–439, cited from the 2nd edition (1918), pp. 135, 295. E. g. Kantorowicz, Rechtswissenschaft und Soziologie (fn. 24), p. 120; Ehrlich, Die juristische Logik (fn. 25), pp. 134f., 294f.; Fuchs, Begriffsjurisprudenz (1912), in: Gesammelte Schriften über Freirecht und Rechtsreform, ed. by Albert S. Foulkes, vol. 2 (1973), pp. 43–60, 50f. The Free Law School also provided a key to understanding Wieacker’s critique of jurisprudential formalism in A history of private law in Europe (fn. 2), p. 5f. Ernst Fuchs, Begriffsjurisprudenz (fn. 25), p. 51. See e. g. the paragraph “Nineteenth-Century Juristic Positivism as a Combination of Decisionist and Statute Thinking” by Carl Schmitt, On the Three Types of Juristic Thought (2004), pp. 63–71, which, however, mentions more 17th and 18th century authors than Pandectists. The

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remembered by some even during the Nazi period. Ernst Forsthoff, for instance, who graduated under Carl Schmitt and published a work entitled Der totale Staat [The total state] in 1933, said that Jhering, in his Zweck im Recht of 1877, was the first jurist “to develop a new method of jurisprudentially penetrating and overcoming social reality in Bourgeois society”.28 Alongside the jurisprudence of concepts and the detachment from real life other labels now began to gain traction, such as ‘liberal’, ‘individualistic’, ‘Roman’, ‘un-German’ or ‘alien’. The ‘jurisprudence of concepts’ was contrasted with a new collective, German, national and social jurisprudence, which used “public feeling” to institutionalise the emotionality of a ‘legal community’. The idea was to cancel out the basic principles of the German Civil Code, which was deemed alien because it had originated from Roman thinking, by tasking the judge with instilling the very same meaning into the norms, which he would then, by way of a petitio principii, extract as a result. The formidable Nazi ideologue Roland Freisler, for instance, made the following demand of criminal judges: “The criminal judgement of an offence should immediately follow from the common public feeling.” According to Freisler, this provision was “revolutionary from the point of view of criminal law” and showed to what extent “the powers of reformation” were forced to carve out a way of escaping “their entombment under the rubble of a dissenting, liberal and individualistic past and the judicial positivism that resulted from it”.29 It is apparent that the judicial Hercules as he was promoted by Freisler was in fact a weakling, who under orders from above was forced to help a certain ideology to become established. History has taught us that jurisprudence is completely at the mercy of political, ethical and moral violations when formal law is abandoned. We need only recall the terrible consequences of the Nazi period, during which the principle of abstract equality was discharged, and the legal practice of dispossession was justified by the heteronomously determined “public feeling”, which allowed for ‘shortfalls’ of Schmitt’s portrayal were later rectified by Wieacker, Der Stand der Rechtserneuerung auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts, in: Karl August Eckhardt (ed.), Deutsche Rechtswissenschaft (1937), pp. 3–27 (which contains a demand for the replacement of the “formal principle” and Pandectist science with “concrete regulations” based on “independent material basic principles”). Similarly also Larenz, Der Vertrag als Gestaltungsmittel der völkischen Ordnung, in: Vertrag und Unrecht (1937), pp. 31–36 (the contract as a “scope for design” that is “a priori dedicated and characterised by racial order”). 28 Forsthoff, Hermeneutische Studien, in: Recht und Sprache (1940), pp. 18–44, 23. The usurpation of Jhering’s idea of purpose was mainly reflected upon in the years following the Second World War, cf. Fritz von Hippel, Die Perversion von Rechtsordnungen (1955): even the question of the purpose of law (the service to the “racial order” as an example) “involves the greatest possible perversions of law” (p. 122). 29 Roland Freisler, Ein Reich – ein Recht, in: Deutsche Justiz, 103 (1941), pp. 478–496, 479.

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formal legal positions to be removed. The vocabulary had in part already been provided by the Free Law School. Kantorowicz, for instance, had recommended that judges, instead of using the “jurisprudence of letters and concepts”, should follow the “sociological path”: “It should be noted, however, that this relies on a healthy and popular feeling rather than ‘unworldly’ sentiment and on straightforward reason rather than theoretical knowledge. Not everything that can and must be learnt, can or must be taught as part of academic science.”30 Of course, Kantorowicz could not have known that the Nazi study regulations (1935), just over 20 years later, would attempt to cultivate a new type of jurist, who would no longer be a “bookworm” and would, before the second state exam, live in a camp where the colours would be hoisted in the mornings and field exercises were part of the day.31

VI.

The debate on formalism in the US

Jhering’s critique of formalism was also very well received in the United States of America. Roscoe Pound, for instance, said: “Ihering was the pioneer in the work of superseding this jurisprudence of conceptions (Begriffsjurisprudenz) by a jurisprudence of results (Wirklichkeitsjurisprudenz).”32 Pound also highlighted the independence of the Historical School of Jurisprudence from the philosophy of idealism: “If we adopt an idealistic interpretation of legal history and conceive of the development of law as a gradual unfolding of Kant’s idea of right […], we shall understand the position of the historical school.”33 Jhering’s deep impact on American legal thinking has often been emphasised: if you want to understand 30 Rechtswissenschaft und Soziologie (fn. 24), p. 127 (emphasis in the original). See also Fuchs, Gefühlsjurisprudenz (1912), in: Gesammelte Schriften (fn. 25), pp. 61–74, 67. 31 For more on this see Meder, Rechtsgeschichte, 6th edition (2017), pp. 415–421, 426. 32 Roscoe Pound, Mechanical Jurisprudence, in: Columbia Law Review 8 (1908), pp. 605–623, 610 (emphasis of German terms in the original). In the same paper, Pound also referred to H. Kantorowicz’ critique of formalism (ibid., p. 607). Elsewhere he stressed that Jhering had been the first to cast doubt upon the “logical deductions” of the Historical School of Jurisprudence, which drove a wedge between the jurist and “the actual life of today”, The Spirit of the Common Law (1921), pp. 203–205. For more on this see David M. Rabban, Law’s History (2013), p. 114. 33 Pound, The Spirit of the Common Law (fn. 32), p. 153. Like Pound, Albert Kocourek mainly referred to Jhering’s “Scherz und Ernst in der Jurisprudenz” (fn. 5), Formal Relation between Law and Discretion, in: Illinois Law Review IX (1914), pp. 225–245, 235 (Jhering’s critique “has no special relation to code countries”). The term “jurisprudence of concepts” is explained by Kocourek as follows: “In its worst sense, it attempts to apply a rigorous logic to new situations […] The lawyer and the judge who operate with legal ideas in this blind denial of the facts, well may be compared to ‘the physician who preferred that his patients should die by rule rather than recover contrary to it’” (ibid., p. 238). Similarly also Benjamin N. Cardozo, The Nature of the Judicial Process (1921), pp. 102.

Rudolf von Jhering and the ‘jurisprudence of concepts’

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the social function of law, you must read Jhering’s Zweck im Recht “page for page”.34 The actual trailblazer of the American “revolt against formalism” was, of course, the long-time judge and legal theoretician Oliver Wendell Holmes.35 The fact that Holmes, who recorded his reading habits, read Jhering is common knowledge.36 He mainly protested against the classical legal thinking of Christopher Columbus Langdell, who served as Dean of the Faculty of law in Harvard for 25 years. According to Holmes, Langdell viewed jurisprudence as a science that defined immutable principles, from which the judge could derive his decisions by applying the rules of logic.37 The “revolt against formalism” was again given a boost by a series of papers published in the early days of the Critical Legal Studies movement. Duncan Kennedy and Morton J. Horwitz, for instance, were opposed to attempts to separate law from social reality by limiting it to logical thinking and word-for-word fidelity.38 Admittedly, new voices have recently entered the debate casting doubt on “the caricature of Langdell as a simplistic formalist”, for instance. They dispute the notion that the protagonists of classical legal thought viewed law as a closed system determined by deduction and logic. More in-depth studies of Langdell’s works, they claim, showed that the critics of formalism could base their arguments on no more than a tiny section of his work.39 Another question that is also now being raised is what motivations and goals the critics of formalism were 34 Arthur F. Bentley, The Process of Government. A Study of Social Pressures (1908), pp. 56–90, 57. See also the chapter entitled “Jhering and the Kingdom of Justice on Earth” in Jerome Frank, Law and the Modern Mind (1931), pp. 217–221, 279–280; Felix S. Cohen, The Legal Conscience (1960), p. 113 (“surely von Jhering’s critique of the jurisprudence of concepts gave a worthy start to the labors of Holmes, Oliphant, Llewellyn, and even Jerome Frank”). 35 Morton White, Social Thought in America. The Revolt Against Formalism (1949), pp. 15–18; Mathias W. Reimann, Holmes’ Common Law and German Legal Science, in: Robert W. Gordon (ed.), The Legacy of Oliver Wendell Holmes Jr. (1992), pp. 72–114, 101–104; Brian Z. Tamanaha, A Realistic Theory of Law (2017), pp. 19–21 (with a comparative appraisal of the approaches of both Holmes and Jhering). 36 References in Gerhard Casper, Juristischer Realismus und politische Theorie im amerikanischen Rechtsdenken (1967), p. 14; Reimann, Holmes’ Common Law and German Legal Science (fn. 35), pp. 101–104. 37 Oliver Wendell Holmes, Book Notice, Review of Langdell, in: American Law Review XIV (1880), pp. 233–235. 38 Duncan Kennedy, Legal Formality, in: Journal of Legal Studies 2 (1973), pp. 351–398. Kennedy’s understanding of “formality” involves the “mechanical application of rules” (p. 358), with Jhering serving as an important source (pp. 353, 355, 360); Morton J. Horwitz, The Rise of Legal Formalism, in: American Journal of Legal History 19 (1975), pp. 251–264 (with a particular emphasis on American developments). The word “critical” in the Critical Legal Studies movement was chosen by its founders mainly in reference to the critique of legal formalism. 39 Roman J. Hoyos, Beyond Classical Legal Thought: Law and Governance in Postbellum America (1865–1920), in: Sally E. Hadden, Alfred L. Brophy (eds.), A Companion to American Legal History (2013), pp. 86–104, 89.

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hoping to achieve. The main thesis is that the accusation of formalism was in fact often more closely linked to certain ideological and political needs of the critics themselves rather than to the works that were being criticised.40 One of the many inconsistencies in the accusation of formalism, the theory goes, is that the authors that were being criticised were in fact often of the opinion that they themselves had struggled with formalism and had successfully overcome it.41 The fact that leading members of the Historical School of Jurisprudence also shared this view will be outlined in more detail below.

VII.

Was Jhering wrong to bring the teachings of his predecessors into disrepute? For example Savigny

Although Jhering’s thesis that the Historical School had alienated law from its social conditions gathered a rapidly growing number of followers after 1861, there were also dissenting voices. Bernhard Windscheid, for instance, gave the following outline of the epochal change in jurisprudence that Savigny had instigated: originating from the rationalism of the law of reason, jurisprudence “had become rigid and unyielding”. It had failed to recognise that all formation of law must be seen as a product of the prevailing societal “needs and interests”. Savigny recovered “law from a cold and foggy cave, where it sat on its lonely throne” and returned it to “the warm and nurturing earth”, where it could “suckle on life”. Taking an historical perspective on law was not the “actual standout trait” of the Historical School of Jurisprudence. Its “core” was, rather, its inclination to view law not as a “set of rules of arbitrary origin or as an immovable dogma” but as “the cloak” that “the real conditions create for themselves”. As a consequence, law is “in a constant state of flux” and its “historical treatment” just “one solitary consequence” of this view.42 Savigny did, in fact, believe that he had, by virtue of his critique of the law of reason, successfully overcome the formalism of secular natural law and that his demand for a realignment of theory and practice had succeeded in putting law back on its feet from having previously been turned on its head. By taking recourse to real life, he hoped to once again instil in law a degree of empiricism that the law of reason, with its political positivism, had taken from it. The Romanicist Ernst Immanuel Bekker was of the same view and drew on Savigny’s 40 Hoyos, Beyond Classical Legal Thought (fn. 39), p. 89; Tamanaha, Beyond the FormalistRealist Divide. The Role of Politics in Judging (2010), p. 45. 41 Tamanaha, Beyond the Formalist-Realist Divide (fn. 40), p. 44. 42 Windscheid, Zum Gedächtnis von Savigny (1879), in: id., Gesammelte Reden und Abhandlungen, ed. by Paul Oertmann (1904), pp. 81–99, 84f. Similarly also Tamanaha, A Realistic Theory of Law (fn. 35), p. 18: “Savigny’s theory of law has two central planks: law is the product of society and law is constantly evolving in connection with changes in society.”

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distinction between the technical and political elements of law. He warned against reducing law to its technical element and stressed the importance of seeing its connection “with the whole life of the people”. In this way, jurisprudence, he claimed, would be “pushed into the centre of social sciences”.43 Such voices, however, were never heard in the period before the Second World War or during the years around 1968, when the critique of formalism gained momentum in these parts too.44 The picture we have painted of 19th century jurisprudence has only begun to change. Recent works on legal history have denied that Windscheid or Puchta, for instance, represented a pointedly formalist approach. But how formalistic was Savigny’s legal thinking? Were the accusations against him justified? Possible suitable means to carry out a litmus test for formalism and ‘positivism’ might include equity (aequitas) and interpretation. After all: the more a jurisprudential approach excludes equity and interpretation, the more formal it is. And vice versa, the greater the space that is given to equity and interpretation by a particular jurisprudential approach, the more material it is.

43 Ernst Immanuel Bekker, Recht muss Recht bleiben (1896), p. 42 (Savigny, Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 1814, p. 12: we see the political element in “the connection between law and the life of the people in general”). See also Okko Behrends, Geschichte, Politik und Jurisprudenz in Savignys System des heutigen römischen Rechts, in: FS Wieacker (1985), pp. 257–321, 284–301 (on the political element of law); Jürgen Habermas, Der Philosoph als wahrer Rechtslehrer, in: Kritische Justiz 1989, pp. 138–146, 143–145 (Savigny’s distinction between the political and technical elements of law still “makes perfect sense today”). 44 E. g. Wieacker, A history of private law in Europe (fn. 2), p. 342; Bernd Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung (1968), p. 10; Rudolf Wiethölter, Rechtswissenschaft (1968), pp. 73, 178. The following, more recent works are also worth mentioning: Claus-Wilhelm Canaris: Wandlungen des Schuldvertragsrechts – Tendenzen zu seiner “Materialisierung”, in: Archiv für civilistische Praxis, 200 (2000), pp. 273–364; Reinhard Singer, Das Sozialmodell des Bürgerlichen Gesetzbuches im Wandel, in: Stefan Grundmann et al. (eds.), FS 200 Jahre Humboldt-Universität Berlin (2010), pp. 981–1013. A special feature, of course, is the fact that in Germany, scholars with a wide variety of political views took a critical approach to formalism, whilst in the late 1960s and 1970s in the US the criticism was mainly put forward by “leftist legal historians and theorists” who were “motivated by contemporary political concerns”, Tamanaha, Beyond the Formalist-Realist Divide (fn. 40), p. 45. Moreover, the dividing line in these parts is placed between “formal” and “material”, whilst in the US, formalism is countered by realism. However, one common denominator is probably the fact that the term “material” can also be used as a cipher for the real social context, cf. Habermas, Faktizität und Geltung (1994), pp. 300f.

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Savigny’s idea of equity

Savigny’s legal criticism was directed against 17th and 18th century political positivism, which could be used to justify even extremely unjust law and which attempted to silence all those control mechanisms that were traditionally subsumed under the term aequitas. Bodin was the first to hide the principle of equity behind the order of the sovereign.45 Hobbes, Pufendorf, Thomasius and especially Kant also discounted the principle of equity, because, they claimed, a judge could not “pronounce judgement based on undetermined conditions”.46 Empiricism, in particular, was banned when Kant stated that those who acted legally were implementing a rule of reason, the subject of which “does not exist except by way of a concept”.47 Whilst Kant, therefore, accepted the fact that summum ius can be summa iniuria, Savigny distinguished between a “pure” principle of law, which creates formal jurisdictions, and a “mixed” principle of law, by virtue of which material points of view can also be brought to bear. With reference to advanced Roman jurisprudence, he claimed that law could not exist without structural formalism, but that this formalism required a corrective force called aequitas.48 These “two elements of law” quite often “diverge to form a certain dichotomy, antagonise and restrict each other, in order to perhaps later resolve themselves as parts of a higher entity”.49 In this conflict between formal and material elements Savigny thus saw a basic precondition for all law.50 45 Jean Bodin, Sechs Bücher über den Staat (1576), ed. by Peter Cornelius Mayer-Tasch (1981), I 8 (p. 231). 46 Kant, Metaphysik der Sitten (fn. 9), pp. 341–342. 47 See the references cited above in fn. 8–10 (Kant, in particular, represented the type of formalism on which the Historical School of Jurisprudence had declared war). 48 Friedrich Carl von Savigny translated by William Holloway, System of the Modern Roman Law (1867), § 15 (pp. 40–45); § 22 (pp. 84–96); § 59 (pp. 320–335). Savigny was by no means the only jurist to believe that aequitas could also be used to make room for social and thus material points of view within law. Similar (and in some cases extended) approaches were also taken by other 19th century authors such as Puchta and in particular Baron, Regelsberger and Dernburg, cf. Meder, Aequitas und ius strictum in der Historischen Rechtsschule und Pandektistik, in: Matthias Armgardt, Hubertus Busche (eds.), Recht und Billigkeit (forthcoming). 49 Savigny, System (fn. 48), § 15 (pp. 40–45). In more detail Okko Behrends, Struktur und Wert (1990), in: id., Institut und Prinzip, vol. I (2004), pp. 55–89, 58–60. Material elements can be incorporated via many other channels, especially considering that equity ultimately functions as an umbrella term for several phenomena. Savigny mentions various examples besides aequitas, including naturalis ratio, natural reason or ius gentium: publica utilitas, ratio utilitatis, good faith, moral standards (boni mores) and other abstract legal terms (ibid., pp. 55–66). 50 Jhering, on the other hand, was quite opposed to the concept of equity. In later years, he only marginally toned down his views expressed in 1844, according to which “aequitas could result in the entire law being thrown into disarray”, see the references in Aequitas und ius strictum (fn. 48).

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Nevertheless, the idea that “equity was eliminated as a category of law” in the 19 century still prevailed, even after 1968. The only proof deemed necessary was a reference to the authority of Kant, whose distinction between “law and morality as independent spheres” was claimed to have been widely accepted in the 19th century.51 Under the premise of a formal jurisprudence that is dependent on philosophical idealism, this statement obviously appears to make sense. As a consequence, it would take quite some time for legal historians to become suspicious of the theory of formalism. th

2)

Savigny’s doctrine on interpretation

The same applies to interpretation: the more restrictive its use, the more formal it becomes. The theory of the sources of the law of reason, which only recognises formal law, tends to urge caution in the use of interpretation or even completely excludes its use. We may remember Hobbes’ indignation with regard to the arbitrariness of interpreting jurists or the outright ban on commentating which was introduced in the 1794 General State Laws for the Prussian States.52 Enlightened absolutism and political positivism are geared towards restricting the judge to the letter or the wording of the law. This has resulted in Savigny’s model of jurisprudential hermeneutics also being accused of taking a formalist approach. His hermeneutics, its opponents claim, cannot meet the challenges of modern jurisprudence because it reduces judges to the level of “enforcers of the law” and their judgments to “mechanical copies of the phase of life that is being judged”.53 This criticism does not take into account that Savigny removed the prevalence of “the letter” from the teaching on interpretation by introducing his doctrine on the four canones. In this, all four elements have the same status and simply serve as resources that allow jurists to ‘freely’ determine the lawmaker’s “thinking”.54 Generally speaking, Savigny never tired of stressing the productive side of in51 Clausdieter Schott, Aequitas cerebrina, in: FS Hans Thieme (1977), pp. 132–160, 139. 52 Cf. Chapter 26 in Leviathan (1651). Similar statements were made by the founder of classic utilitarianism, Jeremy Bentham, whom Jhering admired: “But when the judge dares to arrogate to himself the power of interpreting the laws, that is to say, of substituting his will for that of the legislator, every thing is arbitrary” (Works, Part II, 1838, p. 325). 53 E. g. Ernst Forsthoff, Hermeneutische Studien (fn. 28), pp. 23–31. Similarly Hans-Georg Gadamer in Wahrheit und Methode (1960), whose arguments against Savigny’s hermeneutics largely depended on Forsthoff (for more on this see Meder, Mißverstehen und Verstehen, 2004, pp. 1–8). 54 Benjamin Herzog outlined the advantages of this approach over purpose and teleology, Anwendung und Auslegung von Recht (2014), pp. 723–725, 749–750. Similarly also Tomasz Giaro, Jhering and Politics (in this volume).

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terpretation. After all, he claimed, the “thinking” must be reconstructed before any law can be applied “if it is intended to interfere in life”.55 The recourse to “life” indicates that his hermeneutics were open to empiricism, which resulted in a considerable expansion of the subject of interpretation, and a displacement of the focus from the lawmaker’s intentions to the individuality of the interpreter and to social reality. It should therefore come as no surprise that terms like art, tact, feeling or power of judgement are mentioned quite frequently in Savigny’s writings. In this, too, he differed from Jhering, who paid far less attention to either hermeneutics or to the doctrine of interpretation.

VIII. Excursus: the rebirth of the ‘jurisprudence of concepts’ thanks to Legal Tech? With his caricature of the Historical School of Jurisprudence Jhering painted a picture of the history of science that was as effective as it was skewed. This is not to deny that there have been various movements over the decades that gave too much priority to the conceptuality of law – which, incidentally, was by no means disputed by Jhering.56 The willingness to exaggerate the technical element is unbroken to this day, as shown by complaints about so-called ‘vulgar dogmatism’, or about pallid jurists that are trained to gravitate towards subsumption and are incapable of reflecting the methodological preconditions of their ‘science’. Another area that is criticised is the lack of focus on the fundamentals in university courses in view of the competition from commercial revision books and students’ expectations that the immense amounts of subject matter, much like arithmetic, can simply be ‘learned by rote’. One topic that must be viewed as separate from such issues, which have probably always existed to a greater or lesser degree, is linked with the growing influence of algorithms.

55 Savigny, System (fn. 48), e. g. § 32 (pp. 166–171). His interpretations therefore always include developments of the law, where material elements play a role (aequitas hermeneutica), e. g. System (fn. 48), § 37, pp. 185–194. Whilst Puchta’s teaching on interpretation differed from that of Savigny, he also granted a degree of freedom to the interpreter that a formalist would never allow. 56 Cf. Jhering, Wieder auf Erden, in: Scherz und Ernst (fn. 5), pp. 335–425, 347: “Every jurisprudence operates with the use of concepts, and juristic and conceptual thinking are synonymous. In that sense every jurisprudence is a jurisprudence of concepts” […]. The term ‘jurisprudence of concepts’ refers to “the aberration of today’s jurisprudence which, whilst disregarding the practical final purpose and the conditions of the applicability of the law, views it as nothing but an object, against which logical thinking, left to its own devices and carrying with it its own appeal and purpose, can put itself to the test – an arena of logical evolution, for intellectual gymnastics, where the biggest intellectual virtuoso wins the day”.

Rudolf von Jhering and the ‘jurisprudence of concepts’

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For centuries, humanity has dreamed the dream of “ex machina law”. The idea of the rule of law and of the principle that judges are bound by the law, impartiality and the hope for a rationalisation and simplification of law make the judicial subsumption automaton appear to be the best-case scenario. This, however, overlooks the fact that the term “subsumption automaton” only came into use as part of the critique of formalism and is as negative in its connotations as was Jhering’s “law apparatus” or Max Weber’s “statute automaton”, into which “the records along with the costs and fees are fed and which then spits out the verdict together with a set of more or less valid arguments”.57 All these ‘machines’ are caricatures of a type of formalisation, where the judge in applying the law should simply repeat what has already been settled in law. A far more serious phenomenon, on the other hand, is a new ‘machine’ whose functions are currently discussed under keywords such as “autonomous technical systems”, “Legal Technology” or “Legal Tech”. Much like the controversial model of a legal syllogism, the application of law based on algorithms also reduces judgements to a purely formal act. In this, the term “formalisation” has a double meaning, on one hand as a transformation from natural to formal language and on the other as a digital judgement in law cases. As regards the proprium of digital judgements, the technologically informed field of jurisprudence tends to fall back on a terminology, which was already used in the context of the jurisprudence of concepts, with deduction, syllogism, logic, determinism and mathematics being the watchwords that appear to be experiencing a new upswing in the era of digitalisation.58 This once again opens up the chasm that the critics of formalism have been trying to overcome for more than 150 years. Perhaps today they would align themselves with Jhering and say that terms that have been transformed by codes “are not compatible with life”. It is in fact the case that codes lack an instrument that could check the results – for example an ethical compass like equity – on the basis of which summum ius can be prevented from becoming summa iniuria. Also, how would algorithms be capable of making interpretations in order to do justice to the context-based nature of language and to the legal openness of norms? Initial attempts have already been made to assess the concept of digital judgements under methodological points of view. Wolfgang Hoffmann-Riem made the excellent suggestion that, given the “necessarily deterministic structure 57 Max Weber, Der staatliche Herrschaftsbetrieb als Verwaltung, in: Wirtschaft und Gesellschaft (1922), 5th edition (1980), pp. 825–837, 826. 58 Kyriakos N. Kotsoglou, Subsumtionsautomat 2.0., in: JuristenZeitung, 9 (2014), pp. 451–457, 452f.; Wolfgang Hoffmann-Riem, Verhaltenssteuerung durch Algorithmen, in: Archiv des öffentlichen Rechts, 142 (2017), pp. 1–42, 15–17; Gabriele Buchholtz, Legal Tech, in: Juristische Schulung, 2017, pp. 955–960, 958; Susanne Hähnchen, Robert Bommel, Digitalisierung und Rechtsanwendung, in: JuristenZeitung, 73 (2018), pp. 334–340, 339f.

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of algorithmic selections”, Legal Tech should be seen as a new movement “perhaps towards a ‘digital neo-positivism’”. This would result in a “rejection of more complex ‘post-positivist’ concepts in methodology”.59 The debate, therefore, revolves around the variations of ‘positivism’, a key concept in the history of law. As we know there is not just one but many types of positivism. We should therefore ask: what does ‘positivism’ mean? What are the ‘positive elements’ of digital neo-positivism? How would one characterise the positive elements in the old positivisms? And to what extent do post-positivist concepts wish to abandon the positive? The traditional tools of interpretation could be used to simply continue the familiar trajectory: the (old) positivism of the 19th century, which has been denounced as a jurisprudence of concepts or subsumptive positivism, would have been followed by the critique of formalism and by post-positivist concepts of concretion which, in turn, may now soon be replaced by digital positivism. Does this mean that we are about to experience a renaissance of the jurisprudence of concepts, a relapse into 19th century pandectology and subsumptive positivism? Of course, the answer is no, even just by virtue of the fact that the Pandectist who would pursue an extreme form of subsumptive positivism and jurisprudence of concepts has yet to be discovered. However, this does not change the fact that the belief in the legend remains intact. This is the reason why extreme caution is advised. When we use the term ‘positivism’ while assessing these new phenomena we run the risk of perpetuating misinterpretations and alienating jurisprudence even more from its 19th century foundations than it already was. To preclude this risk, less dazzling terms such as “digital formalism” or “legal neoformalism” would be preferable.

IX.

Summary

Jhering correctly saw that a legal philosophy that is based on terms of reason inevitably runs counter to the requirements of a modern legal practice. This applies particularly to the law of reason with its epistemologically founded attempts to limit law to its formal element. However, there are not just epistemological, but also constitutional reasons why most proponents of natural law try as much as possible to prohibit material points of view. After all, the regard for the demands of life called for by Jhering would claim a freedom of discretion for the individual jurist that would never be compatible with the concept of sovereignty that is held in such high esteem by enlightened absolutism.

59 Hoffmann-Riem, Verhaltenssteuerung durch Algorithmen (fn. 58), p. 17.

Rudolf von Jhering and the ‘jurisprudence of concepts’

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It is advisable to divide Jhering’s legal criticism into two independent spheres of thought. As for his critique of philosophical idealism, it can be welcomed wholeheartedly. Kant’s monomial doctrine of the sources of law is as inadequate at dealing with the problems of modern legal practice as were the teachings of Hobbes, Pufendorf or Bodin. However, this insight must be distinguished from the claim that the Pandectists were committed to philosophical idealism. There is no evidence in the sources to support this. The Historical School conceded a certain freedom of discretion to jurisprudence, which it had been denied by Kant and other proponents of secular natural law. Its openness towards the concept of equity, their sophisticated theory of interpretation and, last but not least, their pluralistic theory of the sources of law may serve as examples to show that the Historical School was independent of Kant’s legal philosophy.60 At the same time this might be the more in-depth reason for Jhering’s “conflicting nature”. Whilst it is true that he fought against closer links being forged between jurisprudence and social reality, he was also an ardent admirer of Bismarck and a defender of a statist theory of the sources of law. As a consequence, the gateways that he had opened to “life” were very quickly closed again: jurists, he felt, had no power over material fairness, which was purely in the hands of the lawmaker.61 Therefore, the problem lies in the fact that Savigny’s multi-part doctrine of the sources of law with its differentiation between the technical and political elements not only exceeds the ‘jurisprudence of reality’ as demanded by Jhering, but is also more ‘modern’, particularly in view of the latest insight into a “variety of legally limited factors of control”.62 The question that was raised at the beginning, whether it is possible that Jhering’s depiction of his predecessors’ teachings had been unfounded, can be answered very clearly. By accusing them of pursuing a ‘jurisprudence of concepts’, Jhering overshot the mark and wrongfully brought his predecessors’ teachings into disrepute. This is not to deny that he achieved greatness in many areas in his field. Despite all the ambivalence and misconstructions, the same can 60 For more on the fundamental differences between the legal thinking of Savigny and Kant see Meder, Doppelte Körper im Recht (2015). 61 Jhering, Geist des römischen Rechts (fn. 15), § 38, p. 325 (see above, Chapter III, fn. 19); Kampf ums Recht (fn. 4), pp. 7–9. A certain degree of ambivalence can also be seen in the fact that Jhering believed that the results should be monitored whilst he was at the same time opposed to equity, which is such an important aspect in assessing the consequences of a judgment. More examples could be cited. 62 “Vielfalt rechtlich legitimierter Steuerungsfaktoren” wording in German by Hoffmann-Riem, Verhaltenssteuerung durch Algorithmen (fn. 58), p. 17. More ‘modern’ too because Savigny viewed the relationships between the formal and material, or between the technical and political elements as a complex interplay and fundamental condition of all law. His legal theory transcended the traditional divisions, the resolution of which has recently once again been called for, cf. e. g. Tamanaha, Beyond the Formalist-Realist Divide (fn. 40).

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be said for his critique of formalism. It is too early yet to foresee whether algorithms will in future determine legal judgments to such an extent that the critics of formalism will once again call for a return to the ‘real world’. What is certain, however, is that Jhering would be an important source of reference for them.

Okko Behrends

Jhering heute! Seine Wirkung als Jurist, Rechtsdenker und Rechtshistoriker der Historischen Rechtsschule*

Vorbemerkung: Die Suche nach dem Geist des römischen Rechts I. Jherings Deutung der Anfänge des römischen Rechts – eine Interpretation im Geiste Puchtas 1. Puchtas alttestamentliche Rechtslehre 2. Jherings ältestes römisches Recht – ein System von Berechtigungen 3. Ein Goldenes Zeitalter der Selbsthilfe 4. Jherings Glaube an „naturhistorisch“ gegebene berechtigende Rechtskörper – eine nur scheinbare Säkularisierung der Genealogie der Begriffe Puchtas 5. Jherings Freiheitspathos II. Jherings Umschwung – eine Neugründung seines Rechtsglaubens 1. Die Erfahrung, die Jhering in die Krise führte 2. Jherings neuer Glaube: Es gibt eine sich in den Lebensverhältnissen zeigende, dem gut ausgebildeten Juristen erkennbare, von einer höheren Sphäre in sie hineingelegte Gerechtigkeit 3. Die Preisgabe des republikanischen Prinzips durch Puchta und Jhering 4. Der Republikanismus des römischen Rechts – die große Kontinuität 5. Der Abweg in den Etatismus

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* Hier zuerst meinen herzlichen Dank für einen großen wissenschaftlichen Freundschaftsdienst: Cosima Möller hat nicht nur, unterstützt durch ihre Mitarbeiter Matthias Morguet und Caspar Manntz, den ihr im Dezember 2019 übersandten Text sorgfältig Korrektur gelesen, sondern auch den sehr hilfreichen, rasch umsetzbaren Vorschlag gemacht, ihn für die am 15. Dezember 2019 abgelieferte Endfassung durch eine Gliederung zu erschließen und übersichtlich zu machen. Zu der jetzt endlich erfolgten Publikation des Textes nur kurz. Die Abhandlung ist, da auf sie bereits Bezug genommen worden ist (vgl. die Postille Fn. 1), zwar noch einmal gründlich durchgesehen und in Kleinigkeiten berichtigt, aber nicht mehr wesentlich verändert oder erweitert worden. Die einzige Ausnahme gilt der Berücksichtigung der mir nach langem vergeblichen Bemühen dank der kollegialen Freundlichkeit von Matthias Reimann, Ann Arbor, endlich zugänglich gewordenen Besprechung des ersten Bandes des Zwecks im Recht, von der Jhering in einem Brief vom 11. November 1881 sagt (R. v. Jhering in Briefen an seine Freunde [1913] S. 369): „[…] selbst in Nordamerika haben sich meine Schriften einen weiten Leserkreis erobert, eine Beurteilung meines Zwecks im Recht in einer amerikanischen Zeitschrift ist die glänzendste, welche je über irgend eine meiner Schriften erschienen ist.“ Sie stammt von einem kundigen Anonymus und ist in ihren klaren, im letzten Abschnitt IV § 3 ausschnittsweise zitierten Urteilen für die Wirkung Jherings in den USA sehr aufschlussreich. Die bislang unbekannte Fundstelle ist The National Quarterly Review, NY 1880 S. 203–205. Vgl. S. 247.

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6. Der Kaufpreis in den beiden hellenistischen Jurisprudenzen Roms: Das Entgelt für die Sache oder für die vom Verkäufer hinsichtlich der Sache gewahrte, vermögenswirksame Treuhand oder Einstandspflicht 7. Die Repräsentativität des Unterschieds zwischen Berechtigungen und Inpflichtnahmen im klassischen Kauf und die beiden dem Recht notwendigen Logiken 8. Die Epoche der beiden hellenistischen Jurisprudenzen – die „erfüllte Zeit“ III. Jherings abschließende Deutung des Geistes des römischen Rechts – die Bewertung seines Gesamturteils und seiner daraus gezogenen Folgerungen für den Wert berechtigender Begriffe 1. Jherings Urteilsgrundlage und Zielsetzung 2. Die radikale Preisgabe der berechtigenden Formbegriffe, darunter derjenige der Person 3. Die Entthronung des berechtigenden Begriffes zugunsten der im Namen der Gerechtigkeit Interessen anerkennenden und schützenden Staatsmacht 4. Die „Genußtheorie“ – die Leugnung des Begriffs einer formalen gemeinnützigen Rechtsträgerschaft IV. Zur Wirkungsgeschichte der Jheringschen Deutung des „Geistes des römischen Rechts“ 1. Eine notwendige Unterscheidung: Jhering als selbstständiger Rechtsdenker und Jurist. Jhering als Historiker des römischen Rechts 2. Jherings Wirkung auf die Disziplin der Romanistik 3. Jhering als Inspirator des „Freirechts“ und des „legal realism“ 4. Der Staatsbegriff Jherings 5. Fazit: Der Versuch des „Romanisten“ Jhering, den ihn zuvor dominierenden Begriffen des römischen Rechts im Gegenzug gedankliche Realität abzusprechen – ein Phänomen seiner Wissenschaftsbiographie Postille

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Vorbemerkung: Die Suche nach dem Geist des römischen Rechts Gerne nehme ich die Gelegenheit wahr, mich an der Publikation „Jhering global“ zu beteiligen, nachdem ich, anders als im Fall des so erfolgreichen Vorgängers „Savigny global“ aus familiären Gründen an der Vortragsveranstaltung selbst nicht habe teilnehmen können. Ich kann sie nutzen, die Ergebnisse zweier umfangreicher, bereits angekündigter Arbeiten über Jhering mitzuteilen und weiterzuführen, die aus Gründen, die unmittelbar mit der Komplexität des Themas „Jhering“ zu tun haben, zugunsten anderer Arbeiten liegen geblieben sind1. Denn es zeigte sich bei deren Ausarbeitung immer deutlicher, dass, um zu einen abgewogenen Urteil über Jhering zu gelangen, der in lebenslanger Auseinandersetzung mit dem römischen Recht zu dem großen, die Welt ebenso bereichernden wie erschütternden Juristen und Rechtsdenker geworden ist, es nicht nur hilfreich, sondern letzten Endes unerlässlich ist, ein möglichst umfassendes 1 Sie sind in meiner Rezensionsmiszelle „Jherings Umschwung“, SZ Rom. Abt. 123 (2017) S. 551 Anm. 49 genannt.

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Urteil über das Recht zu gewinnen, als dessen letzter in der Welt des Rechts zu Weltruhm gelangter Vertreter er sprach. Der Versuch, das im Rahmen jener Arbeiten zu leisten, erwies sich am Ende als nicht durchführbar, da es sie gesprengt hätte. Alle dort begonnenen Ansätze fordern eigenständige Untersuchungen. Hier ist denn auch inzwischen einiges in diesem Zusammenhang Nützliches geschehen, auf das ich für die folgenden Ausführungen, wo nötig auch ausdrücklich, verweisen darf 2. In das Zentrum dieses Artikels möchte ich Jherings berühmteste und folgenreichste Worte stellen, in deren Aussage sein großes, Torso gebliebenes Hauptwerk „Der Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung“3 nicht nur kulminiert, sondern auch endet. Wenn man ihre Wirkung bedenkt, kann man die Frage stellen, ob je von einem Juristen einflussreichere Worte gesprochen worden sind. Geist des römischen Rechts III,1 § 59 S. 311 „Das Leben ist nicht der Begriffe, sondern die Begriffe sind des Lebens wegen da. Nicht was die Logik, sondern was das Leben, der Verkehr, das Rechtsgefühl postulirt, hat zu geschehen, möge es logisch nothwendig sein oder unmöglich sein.“

Die beiden Sätze werfen aus der Perspektive der Gegenwart drei eng miteinander verbundene Fragen auf. Was hat Jhering zu dieser Antithese gebracht, die Begriffe so scharf dem im Rechtsverkehr vom Rechtsgefühl beurteilten Leben gegenüberzustellen und sie dann so einseitig zu Lasten der Logik der Begriffe zu entscheiden? Bedeuten diese Sätze ferner, dass das Unternehmen, den „Geist“ des römischen Rechts zu erfassen, das Jherings Leben bis zu seinem Ende begleitet hat, mit einem Erfolg endete, so dass wir in ihnen diesen Geist selbst sprechen hören? Wie ist schließlich die überaus weitreichende Wirkung dieser 2 Auf der einen Seite steht die Studie zur Stellung des Individuums im Verlauf der römischen Rechtsgeschichte, „Die Person im Recht. Zu den philosophischen und religiösen Quellen eines antiken und modernen Fundamentalbegriffs“, in: Kurt Seelmann (Hrsg.), Menschenrechte. Begründung – Universalisierbarkeit – Genese (2017) S. 188–221, auf der anderen Seite die Darstellung der Staatsgründungslehre des klassischen römischen Rechts in dem Beitrag „Die Große und die kleine Conventio“, Index 45 (2017) S. 401–442, die ein Frucht einer umfangreichen Besprechung in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen 269 (2017) S. 194–230; 270 (2018) S. 48–73 war, in der auch die vorklassische Staatsgründungslehre sowie die Verfassungslehre des Prinzipats berücksichtigt sind. Hinweisen möchte ich auch auf den Beitrag „Die Regel und die Religion im Recht“, Index 45 (2017) S. 805–824. – Zu weiteren Ergänzung darf ich jetzt noch auf dem Symposionsband „Forschungen von Okko Behrends revisited“ (2020), der auch ein à jour gebrachtes Schriftenverzeichnis enthält, und auf mein Lehr- und Lernbuch „Römisches Recht“ (2022) verweisen, jeweils näher nachgewiesen in der „Postille“ Fn. 1 und 10. 3 Ich zitierte das Werk, dessen Druckfassung in vier Bücher vorliegt (Band I, II 1, II,2, III,1). nach der vierten, mir aus Franz Wieackers Bibliothek überkommenden Auflage: I (1878), II,1 (1880), II,2 (1883), III,1 (1888). Von der 5. und letzten Auflage ist nur der erste Band (I 1891) noch zu Jherings Lebzeiten 1818–1892) erschienen.

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Worte vom heutigen Standpunkt aus zu würdigen? Diese drei Fragen werden den folgenden Ausführungen eine gewisse Gliederung geben, sind aber so eng miteinander verbunden, dass sie stets auch mehr oder weniger gleichzeitig in den Blick treten werden. Unter den beiden zunächst folgenden, der ersten Frage geltenden Gliederungspunkten möchte ich zunächst zeigen, dass jene Worte aus dem vorletzten Paragraphen des Geistes zum Ausdruck bringen, dass Jhering sich von der Art, in der er als Schüler Puchtas den Geist des römischen Rechts zu erfassen versucht hat, in eine extreme Haltung hat führen lassen, aus der ihm, als er sie als verfehlt erkannte, ein anderer Ausweg als die radikale Negation des bisher Geglaubten nicht möglich war.

I.

Jherings Deutung der Anfänge des römischen Rechts – eine Interpretation im Geiste Puchtas

1.

Puchtas alttestamentliche Rechtslehre

Für den wissenschaftlichen Weg Jherings war es entscheidend, dass er als junger Dozent alsbald unter den prägenden Einfluss Puchtas, des bedeutendsten, aber alles andere als getreuen Schülers Savignys geriet4. Von Puchta, dem er den in jener Zeit bereits konzipierten „Geist des römischen Rechts“ verehrungsvoll widmen wird5, übernimmt er den Gedanken, dass der höchste Geltungsgrund des Rechts ein die Menschen durch Berechtigungen ermächtigender Gott ist. Es ist ein Geltungsgrund, der sich, wie zu zeigen sein wird, von der objektiv geistigen Art, in der Savigny den Rechtsverhältnissen des römischen Rechts eine göttliche Legitimation gibt, fundamental unterscheidet und einen Bruch vollzieht, der dem römischen Recht letztlich einen neuen, nicht mehr antiken und nicht mehr aus vorchristlicher Zeit stammenden Ursprung gibt.

4 In meinem Vortrag „Rudolph von Jhering (1818–1892)“, veröffentlicht in: Fritz Loos (Hrsg.), „Rechtswissenschaft in Göttingen. Göttinger Juristen aus 250 Jahren“ (1987) S. 229–269, dessen Ziel, den späten Jhering vom Vorwurf des Sozialdarwinismus zu befreien, seine volle Gültigkeit behält, ist die Rolle Puchtas noch ganz verkannt (vgl. S. 246). Richtiggestellt ist sie bereits in der wissenschaftsgeschichtlichen Einordnung, die ich der Erstpublikation des Jhering-Vortrags „Ist die Jurisprudenz eine Wissenschaft?“ (1998, 2. Aufl. 2009) mitgegeben habe. Vgl. a. a. O. S. 108ff. Puchtas Bedeutung steht auch im Mittelpunkt der Analyse des „Umschwungs“ in der oben Anm. 1 genannten Rezensionsmiszelle und in der Würdigung „Rudolf von Jhering. Ein Kampf um Recht und Gerechtigkeit“, in: Christiane Freudenstein (Hrsg.), Göttinger Stadtgespräche (2016) S. 113–120. 5 Die Widmung lautet: „Dem Andenken des großen Meisters Georg Friedrich Puchta“.

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Puchtas hierfür ausschlaggebende, in seinen als „Geschichte des Rechts“ konzipierten „Institutionen“ entwickelte Lehre6 ist sehr klar und lässt sich leicht skizzieren. Sie gilt der Grundlegung eines Systems subjektiver, eine Gesellschaft freier Menschen ermöglichender Berechtigungen. Im Zentrum steht nach seinen Worten (Institutionen § 7 S. 16f.) der „Rechtssatz“, dass jedem „in der Person des ersten Menschen die Herrschaft über die Erde gegeben ist“. Als „Rechtssatz“ mache er einem jeden, der „seinen Antheil an den Gütern der Welt begehrt“, klar, dass „die Bahn zu diesem Ziel“ ausschließlich diejenige sei, „die ihm das Recht eröffne.“ Die Rechtlichkeit der Güterordnung wird damit auf die göttliche Ermächtigung Adams zurückgeführt, die er stellvertretend für alle anderen Menschen empfangen hat. Folgerichtig betont Puchta daher auch, dass darin „keine moralische Vorschrift“ liege. Denn „die wahre Moral“ erkenne, so Puchta, indem sie das Recht überwinde, „die äußeren Güter als Spreu“. Dagegen begründe die Herrschaft über die Güter die menschliche Freiheit, die dem Menschen die Wahl zwischen Gut und Böse erlaube. Zur Rechtfertigung dieser Sicht weist Puchta mit den „ältesten unserer heiligen Schriften“ erneut auf das Alte Testament7. Puchtas (§ 33 S. 101) „Genealogie der Begriffe“ gibt dann dem die Menschen berechtigenden Adamitismus einen alle nur denkbaren Berechtigungen systematisch umfassenden Inhalt. An einem beschränkten dinglichen Recht vorgeführt, sieht er sie wie Savigny, der als erster von einer „Genealogie der Begriffe“ gesprochen hat, als „lebendige Wesen“ an, unterscheidet sich aber von Savigny dadurch, dass er sie nicht, wie es die römischen Quellen vormachen, als unter Menschen entstehende Rechtsverhältnisse wahrnimmt8, sondern als Berechti6 Das zweibändige Werk hat einen Doppeltitel. Im ersten Titel, der auf das in diesem Zusammenhang Entscheidende und im ersten Band Behandelte hinweist, stellt es sich vor als „Geschichte des Rechts bey dem römischen Volk, mit einer Einleitung in die Rechtswissenschaft“, auf der nächsten Titelseite nennt es sich schlicht „Cursus der Institutionen“. Benutzt habe ich die fünfte Auflage (I 1856), die, wie schon die zwei vorhergehenden von Jherings Doktorvater Rudorff besorgt wurde und sich in den herangezogenen Teilen von der Erstfassung von 1841 nicht wesentlich unterscheidet. 7 Vgl. dazu § 1 Abschnitt A „Von der Freiheit“ S. 1: Der Mensch ist danach teils ein „Naturwesen“ und als solches „das vollkommenste Tier“, teils ein „geistiges Wesen“, als welchem ihm „die Möglichkeit gegeben sei, sich selbst zu etwas zu bestimmen, ein Wille, eine Wahl.“ „In dem Geist der ihm gegebenen Freiheit“ liege „die Ähnlichkeit mit Gott, welche schon die ältesten unserer heiligen Schriften dem Menschen beilegt“. Da der Mensch frei sei, seine Freiheit zu missbrauchen, bestehe sie in der „Wahl zwischen Gutem und Bösem“. Folgerichtig sagt Puchta (§ 2 S. 3) von Hegel, der nur das „Vernünftige“ als „wirklich“ gelten lasse: „beraubt uns der Freiheit.“ 8 Vgl. Beruf S. 29. Für die römischen Juristen sind danach „die Begriff und Sätze ihrer Rechtswissenschaft“ „wirkliche Wesen, deren Daseyn und Genealogie ihnen durch langen vertrauten Umgang vertraut geworden ist“. Es ist ein „Daseyn“, wie Savignys wenig später mit einem berühmten Satz betont, in Gestalt einer vom geregelten Gegenstand nicht trennbare Formgebung: „Das Recht nämlich hat kein Daseyn für sich, sein Wesen vielmehr ist das Leben der Menschen selbst, von einer bestimmten Seite angesehen.“ Vor Augen hatte Savigny die in den

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gungen, die, aus einer höheren Sphäre kommend und sich Stufe um Stufe herabsenkend, sich bei den Berechtigten konkretisieren. Überall konstituieren sie als ermächtigte Willensherrschaft gedachte subjektive Rechte9. Beides sind Vorstellungen, die zu erkennen geben, dass beiden, Savigny wie Puchta, ebenso wie später auch Jhering, die Erscheinung der berechtigenden Rechtsinstitute des römischen Rechts stets ein Geheimnis geblieben ist. Aus dieser umfassenden, aus höherer Sphäre in der Welt wirksam werdenden Genealogie der Begriffe, für die Puchta noch ein nicht leicht deutbares Bild liefert, das Form und Inhalt zusammenführt10, folgt für ihn die (S. 101/2) „Nothwendigkeit in den Rechtsbildungen, ihre Vernunft, die Eigenschaft des Rechts als eines Systems“. Im Ergebnis gelangt Puchta auf diese Weise zu einem System der subjektiven Berechtigungen, für deren Freiheit und Sicherheit gewährende Kraft er poetisch inspirierte Worte findet, die ich hier gerne einrücke, auch um die Faszination, die von Puchta auf den jungen Jhering ausgegangen sein muss, verständlich zu machen. G.F. Puchta, Geschichte des Rechts bey dem römischen Volk mit einer Einleitung in die Rechtswissenschaft = Cursus der Institutionen (vgl. Anm. 6) S. 49 „An der Thätigkeit der Personen hebt das Recht das hervor, daß sie eine Unterwerfung von Gegenständen ist, eine Herrschaft gewährt, aber diese Herrschaft wird verschieden nach den Gegenständen, es entsteht eine Mannigfaltigkeit von Rechten, die der Mensch erwerben kann: Eigentum, Forderung, Gewalten11. So geht der Zug des Rechts nach einer Gleichheit, die der rechtlichen Anschauung der Dinge ein hartes und kaltes Ansehen gibt, und der weichen Phantasie, der spielenden Lust der Gefühle unheimlich erscheint. Die Vielseitigkeit des menschlichen Wesens wird im Recht zu dem farblosen Begriff der Person zusammengezogen, es läßt den Quellen verbreitete Vorstellung, dass Rechtsverhältnisse wie Obligationen oder Klagen geburtsartig durch ein parere (gebären) oder nasci (geboren werden) entstehen. Vgl. nur Ulpian 4 ad edictum D 2,14,7 pr. und § 2. 9 Christoph-Eric Mecke, Begriff und System des Rechts bei Georg Friedrich Puchta (2009), S. 687 ff, und 750ff. 10 Puchta unterscheidet a. a. O. (S. 101) in den sich ausdifferenzierenden Konkretisierungen den höheren Rechtsbegriff, der erzeugt und den er wegen der Zeugungskraft „männlich“ nennt, von dem erzeugten, der neue lebendige Elemente aufnimmt. Auf diese Weise gelangt er zu dem Satz: „Der Vater der Rechtsinstitute ist das Princip des Rechts, die Mutter der Stoff, die Mannigfaltigkeit der Menschen und Dinge“. Was man sich dabei näher denken soll, sagt er nicht. 11 Wir sagen heute zu dem, was Puchta hier meint, „Sorge“, um die elterliche „Gewalt“ auf eine gute Ausübung festzulegen, ändern damit aber nichts an dem Dualismus zwischen Zuständigkeit und Ausübung. Die Eltern verlieren nicht ihr „Sorgerecht“, wenn sie ihrer Erziehungsaufgabe nicht in bestmöglicher Weise gerecht werden. In der Ausübung der staatlichen Gewalt begegnet das gleiche. Die Polizei verliert nicht ihre Zuständigkeit, wenn sie bei einem Einsatz das Verhältnismäßigkeitsprinzip sorgfältiger hätte beachten müssen. In beiden Fällen kommt zum Ausdruck, dass das Recht zu einer unmittelbaren Verhaltenssteuerung nicht fähig ist, sondern darauf angewiesen ist, in wertend zu bestimmenden Fällen haftbar machende Verantwortung zu begründen.

Jhering heute! Seine Wirkung als Jurist, Rechtsdenker und Rechtshistoriker

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Reichtum der äußeren Natur zu dem gleichmachenden Begriff der Sache einschwinden, und für den gesammten, unendlich mannigfaltigen Verkehr der Menschen reichen ihm die Begriffe Forderung und Verbindlichkeit aus. Aber das Recht will nach seinen Früchten beurtheilt werden. Unter dieser kalt anzufühlenden Decke regt und bewegt sich warmes Leben in aller seiner Mannigfaltigkeit, nicht gehindert oder unterdrückt, sondern gefördert und geschirmt. Das was dem überschwänglichen Gefühl als ein Raub an dem Reichthum des mannigfaltigsten Daseyns erscheint, ist gerade das Element, welches den Untergang der Individualitäten verhindert. Die rechtliche Ordnung ist dem Verstand zu vergleichen, der in dem üppigen Durcheinander des Waldes die Bäume und Gesträuche richtet und lichtet, die einander zu ersticken drohen, und dessen Thätigkeit doch einen kindlichen Unmuth zu erregen nicht verfehlt.“

2.

Jherings ältestes römisches Recht – ein System von Berechtigungen

Was Jhering im „Geist“ vorlegt, ist der Versuch, Puchtas alttestamentliche Grundlegung des römisches Recht in eine Art Geschichte des römischen Rechts einzuführen. Er geht dabei so vor, dass er anstelle der ursprünglichen Ermächtigung des Menschen, sich die Erde untertan zu machen, die „Selbsthilfe“ als ein Berechtigungen erzeugendes Prinzip postuliert, das im Fall Roms kraft einer besonderen, den Römern mitgegebenen moralischen Qualifikation die Fähigkeit hat, aus Gewalt Recht zu erzeugen. Ferner setzt er an die Stelle von Puchtas geheimnisvoller Genealogie der Begriffe die nicht weniger geheimnisvolle Lehre der berechtigenden „Rechtskörper“ Auf beide Elemente werde ich gleich etwas näher eingehen. Zunächst aber noch ein Wort zu Jhering in diesem Vorgehen zum Ausdruck kommenden, von ihn keineswegs verborgen gehaltenen grundsätzlichen Abhängigkeit von Puchta. Er macht sie dadurch deutlich, dass er im § 8 des Geistes, den er „Die römische Kosmogonie des Rechts“ überschreibt, für die Deutung dieser Schöpfungsgeschichte die annalistische (Geist I S. 94) „Sage“ zum Ausgangspunkt nimmt, der zufolge die Gründer Roms „Räuber und Individuen“ und so ein bloßes „Aggregat“ von Menschen gewesen seien, und dann als Bestreben dieser Überlieferung benennt (I S. 99), „die ursprüngliche Bevölkerung als eine durch nichts verbundene Masse einzelner Individuen“ darzustellen und „letzteren die moralische Ausstattung vom ‚ersten Menschen‘ zu geben“.12 Indem er dann „die innere Unwahrscheinlichkeit der Sage“ auf das (S. 100) „wahre Sachverhältniß“ zurückführt, das darin bestanden habe, dass die Gründer Roms „Auswanderern“ zu

12 Dass Jhering mit dem in Anführungsstriche gesetzten Ausdruck „ersten Menschen“ Adam meint, ist eindeutig. Das im Text Folgende wird das nur weiter bestätigen. Der Ausdruck im Vorwurf, sich wie der „erste Mensch“, d. h. ungehobelt, zu benehmen, stammt aus einer ganz anderen Weltsicht.

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vergleichen seien, „die eine Gemeinschaft, in der sie bereits standen“ „mitbringen“, so dass die (S. 101) „Römische Rechts- und Staatsbildung“ eine „secundäre“ sei, nämlich „auf Grundlage und aus den Mitteln bereits vorhandener Bildung“ erfolgt sei, gelingt es ihm, Puchtas in dessen Werktitel „Geschichte des Rechts bey (!) dem römischen Volk“ (oben Anm. 6) zum Ausdruck gebrachten Gedanken zu übernehmen, dass das römische Recht älter ist als Rom, also letztlich als etwas gedacht werden kann, das unmittelbar zur Schöpfung ist. Jherings bezeichnendes Gesamturteil über die annalistische, die Gründungstaten mehrerer Könige aufzählende Ursprungsgeschichte Roms lautet, sie habe als (S. 98) „Schöpfungsgeschichte der römischen Welt“ „eine gewisse Ähnlichkeit mit der alttestamentlichen Kosmogonie“, weil sie „wie an jenen biblischen Schöpfungstagen“ jene ganze Welt „aus einem Nichts“ hervorgehen und die „einzelnen Theile derselben h i n t e r e i n a n d e r und a b g e s o n d e r t “ zur Existenz gelangen lasse. In diesem Zusammenhang ist der diese Gründung beherrschende, Puchta verpflichtete Gedanke entscheidend, dass den Römern auf diese Weise eine „moralische Ausstattung“ mitgegeben wurde, die vom „ersten Menschen“ (vgl. Anm. 12) stamme.

3.

Ein Goldenes Zeitalter der Selbsthilfe

Dieser Gedanke hat es Jhering ermöglicht, für das von ihm für grundlegend erklärte „zweite System“ gewissermaßen ein Goldenes Zeitalter der Selbsthilfe zu postulieren und alle Berechtigungen aus ihrer mit innerer Notwendigkeit von einem „moralischen“ Willen getragenen Betätigung hervorgehen zu lassen. Denn die Geltung dieses freiheitlichen Systems folgt einem göttlichen, die Menschen in ihrem Verhalten leitenden Prinzip. Im § 5 des „Geistes“ führt er dessen (S. 61) „Einheit“ und „Planmässigkeit“ auf eine „freie That Gottes und der Menschen“ zurück und erkennt in der so erfassten Geschichte des Rechts „die lenkende Hand Gottes“ und in seiner „Ordnung“ einen „glänzendere Beweis der göttlichen Weltleitung“ als in „allem, was man der äußeren Natur entnehmen kann“. Es war eine Denkweise, die es Jhering durch ihren durchgehaltenen Individualismus, nicht einmal vom Ansatz her erlaubte, eine historische Staatsgründungslehre ins Auge zu fassen13. In die Geschichte des römischen Rechts führte er seine Denkweise durch die Konturierung einer eigenen, systematischen Entwicklungsstufe ein, in der ihre Prinzipien in Reinheit verwirklicht gewesen seien. Dabei war ihm als Schüler Puchtas klar, dass das auf diese Weise gewonnene System nicht eigentlich geschichtlicher, sondern in Wahrheit, dogmatisch-

13 Zu diesem nie überwundenen Defizit in Jherings Rechtsdenken zusammenfassend Abschnitt IV § 4.

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theoretischer und damit letztlich überhistorischer Art war14. Im Einzelnen unterscheidet Jherings Entwicklungsbild zur Gewinnung dieses Systems insgesamt drei Systeme. Das „erste System“ hat, wie er im „Plan der folgenden Darstellung“ (§ 6 VI S. 80–85) mit nicht mehr als drei Sätzen ausspricht (S. 81), nur den Sinn, von Anfang an zu verdeutlichen, dass die Römer den „Ausgangspunkt“ ihres Rechts bereits mitbringen, und zwar – als Einwanderer (siehe oben) – aus der „Periode der ursprünglichen Gemeinsamkeit aller indogermanischer Völker“. Für das „dritte System“, das aus der Periode der hohen und späten Republik stammende Recht, das Savignys Gegenstand war und in dem wir heute die Hinterlassenschaft der beiden hellenistischen, jeweils durch ein weltoffenes ius gentium gekennzeichneten Jurisprudenzen erkennen, die in den beiden Rechtsschulen des Prinzipats fortwirken15, beschränkt sich Jhering, der nie dazu kommen wird, es zu erforschen, anstelle einer näheren „Charakteristik“, die ihm nicht möglich erscheint (S. 85), auf einige kennzeichnende Hinweise. Das römische Recht nehme in diesem dritten System einen „kosmopolitischen“, „supranationalen“ Charakter an und bilde sich als „internationales Recht“ aus. Infolge einer mit dem „Denationalisierungsprocess“ einhergehenden „Abnahme der Willensstärke“ sei im „dritten System“ an die Stelle der „moralischen Qualifikation“, die den „Rigorismus der starren römischen Consequenz und Einseitigkeit“ gerechtfertigt habe, die „höchste intellektuelle Begabung“ getreten, die durch „freiere, geistigere Erfassung und Behandlung des Rechts“ auf den „festen unverwüstlichen Grundlagen, die ihr überliefert waren“, ein „Meisterstück der juristischen Kunst“ aufgeführt habe, „wie die Welt desgleichen nicht kennt“. Jherings Darstellung gilt im Folgenden allein dem „zweiten System“. Von seinen „festen unverwüstlichen Grundlagen“, die einem noch im vollgültigen Sinn moralisch qualifizierten Volk das ihm angemessene Recht gegeben hätten, schreibt er im § 6 S. 82 (die Hervorhebungen gehören wie stets in diesen Zitaten Jhering): „Der Gedanke, von dem das ganze Privatrecht durchdrungen ist, ist der der Autonomie des Individuums, die Idee, daß das individuelle Recht nicht dem Staat seine Existenz verdankt, sondern aus eigener Machtvollkommenheit existirt, seine Berechtigung in sich selber trägt. Das privatrechtliche Princip ist in den rechtlichen Abstractionen so auf 14 Vgl. aus der Vorrede zur zweiten Auflage des 1. Bandes (1866), die insofern in den späteren Auflagen bewahrt wurde (Hervorhebungen hier wie auch sonst von Jhering): „Mein Augenmerk ist nicht das r ö m i s c h e , sondern d a s Recht, erforscht und veranschaulicht am römischen. M.a.W. meine Aufgabe ist mehr rechtsphilosophischer und dogmatischer Art als rechtshistorischer“. Die Klarheit, mit der hier der Geschichte des Rechts ein Platz „über“ der Ereignisgeschichte angewiesen wird, folgt Puchtas Vorstellung einer (vgl. oben Anm. 6): „Geschichte des Rechts bey dem römischen Volk“. 15 Vgl. die Nachweise oben Anm. 2.

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die Spitze getrieben, daß es dem Staatsprincip Hohn zu sprechen, und der Gedanke des subjectiven Willens sich zur Entfesselung der reinen subjectiven W i l l k ü r verirrt zu haben scheint. Nie hat es wohl ein Recht gegeben, in dem die abstracte Formulirung dessen, was geschehen k o n n t e und d u r f t e , sich von dem, was wirklich g e s c h a h , so weit entfernte. Wo die Festigkeit und Selbstbeherrschung der Individuen so wie die Macht der öffentlichen Meinung dem M i ß b r a u c h der Freiheit wehrt, braucht letztere nicht ängstlich beschnitten zu werden. Das ganze römische Privatrecht und ebenso das Staatrecht16 dieser Zeit ist getragen durch die Voraussetzung, daß der Inhaber einer privatrechtlichen oder öffentlichen Gewalt dieselbe würdig gebrauchen werde. Jene Gewalten werden daher nicht durch das Recht selbst beschränkt, sondern dem Inhaber bleibt überlassen, je nach dem Bedürfniss des einzelnen Falls sie nach ihrer äußersten Wucht zur Anwendung zu bringen oder die durch Billigkeit, Zweckmässigkeit, Staatsinteresse u.s.w. gebotene Mäßigung aus freier Selbstberrschung zu beachten.“

Folgerichtig kommen in diesem Rechtsbild rechtliche Verhaltenswerte, welche die Rechtsausübung mit Rechtszwang moderieren oder beschränken, nicht vor. Im Goldenen Zeitalter der Selbsthilfe ist das nicht nötig. Jhering versucht insofern in der ihr gewidmeten breiten Darstellung an Evidenzen zu appellieren17. Wenn er vorbereitend grundsätzlich lehrt, dass Gewalt dem Recht nicht notwendig widerspreche18, weil die älteste Form des „Rechtsgefühls“ sich auf die durch Tatkraft erworbene „e i g e n e Berechtigung“ richte19, zeigt sich deutlich, dass er auf diese Weise der adamitischen Ermächtigung eine säkulare Ursprungsgestalt gibt. Die Berechtigungen, die so entstehen, sind reine Geschöpfe eines ermächtigt gedachten Willens, der sich als solcher vor keiner weiteren Instanz zu rechtfertigen braucht.

16 An dieser die Staatsgewalt grundsätzlich über das Recht stellenden Sicht wird Jhering auch in seiner zweiten Phase festhalten. Ich verweise insofern noch einmal auf die Zusammenfassung Abschnitt IV § 4. 17 Vgl. den Abschnitt „Das System der Selbsthülfe“, Geist I §11 S. 118–167. Die Möglichkeit des Satzes (S. 118: „Mit Selbsthülfe hat ein jedes Recht begonnen“ leitet Jhering aus der „natürlichen Organisationskraft der Rechtsidee“ ab. Im entwickelten Recht erscheine dann die Selbsthilfe häufiger in symbolischen, Widerstand ausschließenden Gewaltritualen. 18 Geist I § 10 S. 108: „Ist denn unsere strenge Scheidung von Recht und Gewalt in der That eine richtige ?“ 19 Geist I § 10 S. 109: „Was die Thatkraft geschaffen , dem drückt das Rechtsgefühl seinen Stempel auf, macht es zum Theil der Person selbst Der erste Ansatz des Rechtsgefühls ist das Gefühl der e i g e n e n Berechtigung, gestützt auf die Bewährung der eigenen Kraft und gerichtet auf die Bewahrung der Früchte derselben.“

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4.

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Jherings Glaube an „naturhistorisch“ gegebene berechtigende Rechtskörper – eine nur scheinbare Säkularisierung der Genealogie der Begriffe Puchtas

Die berechtigenden „Rechtskörper“20 Jherings sind der Versuch, mit Hilfe einer neuartigen, in gewissem Maße anschaulichen Kategorie für das „zweite System“ alle berechtigenden Institute des römischen Rechts, so wie es Puchta für seine „Genealogie der Begriffe“ vorgemacht hatte, genetisch zu erklären. Auch sie „historisierte“ er, so wie er zuvor die adamitische Ermächtigung Puchtas mit der Selbsthilfetheorie in die empirisch denkbare Welt herabgezogen hatte. Diesmal versucht er es durch eine „naturhistorische“ Behandlung21, indem er sie, in mehr biologischer als chemischer Bildersprache, der Kreuzung und Vermehrung für fähig erklärte22 und so zu berechtigenden Grundfiguren des Rechtsdenken erhob. Sie senken sich nicht mehr wie in Puchtas „Genealogie der Begriffe“ aus „väterlicher“ Höhe ordnend in die menschlichen Verhältnisse herab, sondern sind dem informierten juristischen Auge in den Verhältnissen unmittelbar wahrnehmbar. Daher nennt er als Gewährsmann für ihre Einordnung als „lebendige Wesen“ auch Savigny, nicht Puchta23. Eine echte „Säkularisierung“ der Puchtaschen Genealogie der Begriffe sind die „Rechtskörper“ nur „terminologisch“, durch die Bildersprache. Denn die „Natur“, die eine solche ausdifferenzierten 20 Vgl. den Abschnitt „Die juristischen Körper“, Geist II,2 § 41 S. 360–398. Beispiele sind etwa (S. 369) das Eigentum, die Obligation und die Dienstbarkeit. 21 In Wahrheit sind sie keineswegs Schöpfungen einer Naturgeschichte, wie Jhering meint (vgl. die folgende Anm. 22 u. 23), sondern spezifisch Leistungen der jüngeren hellenistischen Jurisprudenz, die in die zweite Hälfe des von Jhering vernachlässigten „dritten Systems“ fällt. Sie sind damit Teil der Lehre von der institutio aequitatis, der sich mit der „Großen Conventio“, der Zusammenkunft zur Staatlichkeit vollziehenden „Einrichtung des Rechtszustandes“, der nicht nur Bürgerrecht und Eigentum hervorbringt, sondern auch spezieller berechtigende Institute bereitstellt wie z. B. Nießbrauch, Dienstbarkeiten und Obligationen (vgl. Gaius II 14; 22; 38; III 89). Dass diese Institute wegen ihrer gedanklichen Gegenwärtigkeit den res corporales als res incorporales an die Seite gestellt wurden (Gaius II 14; Inst. II 2; Cicero, Topica 5,26–26), hat Jherings Vorstellungen und spätere Wortwahl sicherlich beeinflusst. Vgl. dazu die Literatur oben Anm. 2. 22 Biologische Bilder verwendet Jhering im ersten Band des Geistes im ersten großen Entwurf der „höheren Jurisprudenz“, mit der er das institutionelle Denken der klassischen Jurisprudenz einzufangen versucht. Eingeführt hat er diese Jurisprudenz im ersten Band des Geistes unter dem einen längeren Abschnitt vereinenden Seitentitel „Logischer Organismus des Rechts“ (Geist I S. 36–43). Dort spricht er von „Rechtsinstituten“ oder „Rechtsbegriffen“, mit denen die „Rechtssätze“ in einen „höhern Aggregatzustand“ treten. Auf S. 40 heißt es dann: „die Begriffe sind productiv, paaren sich und zeugen neue.“ Chemische Metaphern verwendet Jhering Geist II,2 § 39 S. 335. Die berechtigenden Rechtsinstitute oder Rechtskörper nennt er dort § 39 S. 344 „s e l b s t ä n d i g e Rechtskörper“. 23 Der Hinweis auf Savigny als Gewährsmann der Vorstellung eines lebendigen Daseins der von Jhering als Rechtskörper definierten Institute findet sich Geist II, 2 § 41 S. 360 Anm. 506 und S. 384.

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Denkfiguren hervorbringen kann, bleibt ein Mythos, der seine religiöse Prägung nicht verleugnet24. Jhering hat auf diese Weise mit der Lehre von den „Rechtskörpern“ Puchtas Genealogie der Begriffe zwar selbständig fortgebildet, sich aber darum doch nicht aus ihrem Bannkreis befreit, vielmehr Puchta, wie er bekennt, im Ergebnis an Rigorismus eher noch überboten. Für die Gesinnung, die ihn in dieser Epoche geführt hatte, können wir auf Jherings eigene Schilderung zurückgreifen. Er sei, so bekennt er, ein „Fanatiker der logischen Methode“ gewesen, und zwar aufgrund zweier Irrtümer, „als ob die Begriffe, bloss weil sie einmal da sind, die Geltung unumstößlicher Wahrheiten beanspruchen können“

und „als ob die Begriffe, wie sei einmal angenommen sind, einen Anspruch auf schlechthinnige Annahme aller in ihnen liegenden Konsequenzen erheben dürfen.“25

Was in dieser offenherzigen Selbstkritik fehlt, ist allerdings die Freilegung der religiösen Hintergründe, die ihn einst zu diesem rückhaltlosen Begriffsglauben bestimmten. Hier gibt es nur Andeutungen.26. Seine obigen Worte um die religiöse Dimension zu ergänzen, ist, wenn man Jherings innere Entwicklung verstehen will, von entscheidender Bedeutung.

24 Jherings Wortwahl (vgl. Geist II, 2 § 41 S. 358–362) ist kennzeichnend dafür, dass ihm tatsächlich die historische Herkunft der Rechtsinstitute oder Rechtskörper mangels Erforschung des „dritten Systems“ ein vollständiges Rätsel geblieben ist: Auf der „naturhistorischen (!) Methode“ beruhe „das Geheimniß (!) der Jurisprudenz“. Eine „höhere Jurisprudenz“ (er deutet sie am Ende [S. 389] als die „national-römische Philosophie“) bediene sich ihrer, um die in einer „Naturgeschichte“ hervorgebrachten „Rechtkörper“ zu finden, welche die imperative Rechtsform des Gebotes oder Verbots, die Sache der „niederen Jurisprudenz“ sei, auf eine höhere berechtigende Ebene heben. 25 Vgl. Scherz und Ernst in der Jurisprudenz (1924)13 S. 344. Zuvor hatte er geschrieben (S. 338), dass es eine Zeit gegeben habe, „wo Puchta mir als Meister und Vorbild der richtigen juristischen Methode galt, und wo ich so tief in derselben befangen war, dass ich das Vorbild hätte überbieten können“. Es könne „kaum jemand ein solcher Fanatiker der logischen Methode gewesen sein, als ich zu jener Zeit“. Die Kennzeichnung als Methode trifft nicht den Kern. Es geht um eine glaubenserzeugte Rechtsontologie, in der er damals auf seine selbstständige Weise Puchta folgte. 26 So, wenn er schreibt (Scherz und Ernst a. a. O. S. 342), er habe sich damals „in die höhere Welt der in sich ruhenden Begriffe“ retten wollen, „an welche die Macht des Gesetzgebers nicht heranreiche“ und dass er jetzt als jemand schreibe (S. 340), „der selber jahrelang unter dem Bann gestanden“ habe, „von dem er andere befreien“ wolle.

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5.

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Jherings Freiheitspathos

Jhering war in seiner ersten Epoche kein Fanatiker im landläufigen Sinn. Vielmehr war es wie bei seinem Lehrer Puchta die Vereinigung von großer Freiheitsliebe und starker Glaubenskraft, die ihn zu der Überzeugung gebracht hat, dass sich in den berechtigenden Begriffen des in seiner Moralität noch als rein betrachteten „zweiten Systems“ , wie erwähnt, eine „freie That Gottes und der Menschen“ verwirkliche. Wie bei Puchta steht „Gott“ hier für das höchste Prinzip eines seinem Ursprung nach vorstaatlichen Rechts, das dem je einzelnen Menschen zugewandt, ausschließlich von der Freiheit des Einzelnen her gedacht ist. Wie in der Genealogie der Begriffe Puchtas liegen in den Berechtigungen, wie sie Jhering jetzt „naturhistorisch“ von „Rechtskörpern“ zugeteilt sieht, Ermächtigungen Gottes. In diesem ursprünglichen Denken Jherings hat daher jeder einzelne Begriff, der freie Menschen berechtigt, eine unvergleichliche Würde. Ihnen zur Geltung zu verhelfen, war daher für Jhering eine „religiöse“, sein Rechtsgewissen erfassende Pflicht. Eine besondere Hervorhebung verdient, dass sich in dieser von Puchta übernommenen und selbstständig verarbeiteten Sicht, in der, wie gezeigt, das den Einzelnen ermächtigende, auf den biblischen Schöpfungsmythos zurückgeführte Recht für die Welt ein ursprüngliches Goldenes Zeitalter der Freiheit begründete, keinerlei Konzession an die Art findet, in der die biblische Geschichte den Eintritt Adams in die wirkliche Welt erklärt. Das folgt bei aller adamitischer Einseitigkeit immer noch dem die Rezeption des römischen Rechts tragenden Grundmotiv der justinianischen Kodifikation, die das römische Recht in Aufnahme des Leitgedankens der konstantinischen Wende zwar als Schöpfung der christlichen Trinität interpretierte, aber ausschließlich und ohne jede biblische Beimengung aus ihrem Wirken in der mit der Gründung der Stadt Rom beginnenden römischen Geschichte herleitete. Justinian hat auf diese Weise das römische Recht in der Tradition Konstantins nicht inhaltlich, aber geltungstheoretisch „christianisiert“ und mit einer dieser Religion gleichgewichtigen Glaubenskraft ausgestattet, die einem eigene Buch, dem Corpus Iuris, nicht der Bibel galt und wie schon früh ausgesprochen wurde, eine Unterordnung des weltlichen Recht unter das kirchliche Recht ausschloss27. Wenn daher Jhering, der

27 Vgl. die entsprechenden Literaturnachweise unten Anm. 52 und den in der schönen Arbeit von Peter Landau, Der Archipoeta – Deutschlands erster Dichterjurist, München 2011 S. 42 zitierte Satz „Antiquitate et tempore prius est ius forense et humanum quam ius ecclesiasticum et divinum“ (Nach Alter und Geltungszeit hat das in der Gerichtspraxis geltende menschliche Recht den Vorrang vor dem kirchlichen und göttlichen Recht.), der das zwischen 1165 und 1190 entstandenen Lehrbuch zum Decretum Gratiani einleitet und nach dessen ersten drei Worte es zitiert wird (Landau S. 25). Der Satz spricht aus, was Justinian in seine

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einst mit dem Gedanken gespielt hat, Theologie zu studieren, bei einer Gelegenheit in die Rubrik „Religion?“ eines Fragebogens hineinschrieb: „Romanist!“ war das erheblich mehr als ein Scherz28. Hier liegt denn auch der Grund, warum ein scheinbar trivialer Fall, in dem er sich nicht mehr imstande sah, der Konsequenz des berechtigenden Begriffes zu folgen, ihn in Gewissensqualen versetzte und am Ende zu einer Revolution seiner Denkungsart, genauer: zur Anerkennung eines anderen höchsten göttlichen Prinzips der Rechtsgeltung zwang. Es ging, fern von jeder Selbstinszenierung, darum, eine bisherige Glaubensgewissheit preiszugeben und sein Rechtsgewissen unter eine neue höchste Führung zu stellen29.

II.

Jherings Umschwung – eine Neugründung seines Rechtsglaubens

1.

Die Erfahrung, die Jhering in die Krise führte

In einem frühen Aufsatz hatte er unter Bezugnahme auf eine Stelle, die aufgrund unverschuldeten Untergangs der Sache den Verkäufer freistellte, obwohl dieser sie zuvor an einen Dritten noch einmal verkauft hatte, gelehrt, dass die Anwendung des Satzes „nach Perfektion des Kaufvertrags trägt der Käufer die (Preis-)Gefahr“ bei einem zweifachen Verkauf dazu führt, dass der Verkäufer zwei Kaufpreise erhält, also von jedem der Käufer den Kaufpreis verlangen kann. Jene Stelle30 sagt das nicht, wie Jhering später auch anerkennt31. Aber auf die

Kodifikation hineingelegt und die Rezeption des römischen Rechts bis in die Historische Rechtsschule hinein begleitet hat. 28 Von dem ursprünglichen Studienplan Jherings berichtet Friedrich Hebbel, der mit ihm 1837 in nähere Berührung kam. Siehe „Friedrich Hebbels Tagebücher“, I (1904). hrsg. von Hermann Krumm S. 113. Die Rubrik stammt aus einem von Jhering selbst entworfenen kurzen Fragebogen, mit dem er anlässlich seiner Kandidatur zum Reichstag 1867 seinem Mitkonkurrenten Lammers für eine Zeitungswerbung „alles Schöne, was sich denkbarerweise“ von ihm sagen lasse, mitteilt. Vgl. Rudolf v. Jhering in Briefen an seine Freunde, hrsg. von Helene Ehrenberg (1912) S. 214. 29 Zu den zahlreichen, höchst authentischen Selbstzeugnissen vgl. meine Rezensionsmiszelle (oben Anm. 1) S. 542ff. 30 Das Fragment Paulus 16 quaestionum D 18,4,21 ist eines von den ganz wenigen, die in der neuen Digestenübersetzung Behrends/Knütel/Kupisch/Seiler von einer längeren Fußnote begleitet sind. Es lehrt unstrittigerweise, dass der Verkäufer, wenn die Sache nach dem Zweitverkauf unverschuldet untergeht, dem Erstkäufer nur im Fall des Verzugs, der auch für Zufall haften lässt, einstehen muss. Da ein Verzug nicht gegeben war, lehrt der Jurist, dass der Verkäufer dem Käufer weder auf den aus dem zweiten Verkauf erlösten Kaufpreis noch für den Wert der Sache haftet. Die Gründe sind jedenfalls nachvollziehbar. Eine verkaufte Sache bleibt im Vermögen des Verkäufers, so dass zweite Verkauf ein Eigenschäft ist; ein Zweit-

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anspruchsvolle Stelle selbst und ihre Aussage kommt es auch nicht an. Entscheidend ist, was den jungen Jhering dazu motiviert hat, jene Lehre in sie hineinzutragen. Was ihn damals so entscheiden ließ, war sein damaliger Rechtsglaube, der ihn in seinem Gewissen band und von ihm verlangte, der Konsequenz der Begriffe zu folgen. Die Konsequenz, die Jhering empfand, lässt sich bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen: Wenn, was unzweifelhaft ist, die gleiche Sache mehrfach verkauft werden kann, und dann, was ebenso unzweifelhaft ist, die Obligationen auf Zahlung des Kaufpreises und Lieferung der Sache mehrfach entstehen, dann erscheint es auf den ersten Blick logisch zwingend, dass dann, wenn die betreffende Sache vor Übergabe beim Verkäufer ohne dessen Verschulden untergeht, der Satz periculum est emptoris für alle Käufer die gleiche Folge haben muss: Sie alle trifft mit Abschluss des Kaufvertrages die Preisgefahr, sie alle müssen zahlen. So dachte der junge Jhering, indem er bewusst der „Consequenz“ den Vorrang vor den ihm auch damals keineswegs verborgen gebliebenen Einwendungen des Rechtsgefühls gab32. Im kritischen Rückblick sprach er später von einer „absoluten Auffassung des Kaufpreises“33, womit er treffend herausstellte, dass diese Entscheidung den Kaufpreis, der mehrfach gefordert werden kann, aus dem Gegenseitigkeitsverhältnis löst, die eine Sache, die nur einmal vorhanden ist, mit dem durch sie zu erzielenden Kaufpreis verbindet. Das ist, wenn man den Kaufpreis relativ als eine der Kaufsache inhärente Gewinnmöglichkeit ansieht, nur einmal möglich. Als Jhering dann als Gießener Hochschullehrer in einem entsprechenden Rechtsfall um ein Gutachten gebeten wurde – eine Part an einem bald danach untergegangenen Schiff war zweimal verkauft worden –, konnte er seines damals erfolgreich unterdrückten Rechtsgefühls nicht mehr Herr werden und fand nach langer qualvoller Selbstprüfung, die er mit sich und seinem juristischen Gewissen ausmachte, nicht nur mit Hilfe eines dem Kaufrecht aufgepfropften Gedanken eine Möglichkeit, der der früheren Konsequenz entgehen konnte – der Kaufpreis sei von der Norm periculum est emptoris als Sachversicherung ausgestaltet, die der Verkäufer gemäß dem Verbot der Mehrfachversicherung nur gegenüber einem der Käufer geltend machen könne34 –, sondern sah sich auch zu einer

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verkauf ist keine Handlung, die den Untergang der Sache schuldhaft (vorsätzlich oder fahrlässig) herbeiführt. – Von der Preisgefahr ist in der Stelle nicht die Rede. Vgl. die Rezensionsmiszelle oben Anm. 1 S. 541f. Veröffentlicht in den „Abhandlungen aus dem römischen Recht“, Leipzig 1844 mit bewusster Parteinahme für die (S. 71) „juristische Consequenz“. Vgl. auch meine Rezensionsmiszelle (oben Anm.1) S. 542. „Über den Sinn des Satzes: Der Käufer trägt die Gefahr, mit besonderer Beziehung auf den Fall des mehrfachen Verkaufs“. Jherings Jahrbücher 3 (1859) S. 477. In dem in der vorhergehenden Anmerkung zitierten Aufsatz nennt Jhering den Kaufpreis (S. 474) „eine durch Gesetz dem Verkäufer zugebilligte Versicherungssumme“. Das ist eine

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grundsätzlichen Neubestimmung seiner Rechtsgesinnung bestimmt, zu dem, was er mit der damaligen Sprache, die mit dem Wort die Peripetie in der Laufbahn eines Helden bezeichnen konnte, seinen „Umschwung“, seinen „Umschwung zum Besseren“ nannte35.

2.

Jherings neuer Glaube: Es gibt eine sich in den Lebensverhältnissen zeigende, dem gut ausgebildeten Juristen erkennbare, von einer höheren Sphäre in sie hineingelegte Gerechtigkeit

Die neue Denkungsart, die nicht weniger tief begründet war als die abgelegte und ihn fortan auch nicht weniger antrieb, bestand darin, dass das, was er fortan am Recht als das Höchste verehrte, nicht mehr das berechtigende Begriffssystem war, das den Menschen eine umfassende, in seine Verantwortung gelegte Freiheit gewährt, sondern das, was nach dem konkreten Urteil des Rechtsgefühls des vom Recht erzogenen Menschen den Lebensverhältnissen eine ihnen gerecht werdende Ordnung gibt. Der Entstehung und Verfeinerung dieses Rechtsgefühls im Lauf der Menschheitsgeschichte hat Jhering dann später einen seiner schönsten Vorträge gewidmet, in dem sich ein auf seine Schulzeit zurückgehender Einfluss Lessings spiegelt36. Es ist erneut ein großes ermächtigendes Rechtsprinzip, diesmal eines, dessen Ziel nicht mehr die Erzeugung von Räumen selbstverantwortlicher individueller Freiheit, sondern die Ermöglichung richtigem, rechtliche Gehalte verwirklichenden Handelns ist37. Die letzte Quelle der Gegenwart dieser ermächti-

gänzlich kaufrechtsfremde Erfindung, wie man nicht nur daran erkennt, dass Jhering ohne Rücksicht auf die Frage, welchem Käufer gegenüber sich der Verkäufer pflichtwidrig verhalten hat, dem Verkäufer die freie Wahl lässt, wer von beiden (oder mehreren) ihm den „Versicherungsschaden“ begleichen muss (vgl. dazu auch die Rezensionsmiszelle [oben Anm. 1] S. 554 mit Anm. 55), sondern auch daran, dass ein solcher Gesetzgeber eine – alles andere als vorbildliche – Fiktion ist: Die Übernahme einer zusätzlichen Gefahr gehört grundsätzlich in den Bereich der Vertragsfreiheit und muss sich irgendwie in der Gegenleistung spiegeln. 35 Dazu meine Rezensionsmiszelle S. 546. 36 Ich meine den von mir herausgegebenen und mit einer Interpretation versehenen Vortrag „Über die Entstehung des Rechtsgefühls“, Neapel 1986. In ihm zeigt sich der Einfluss von Lessings religionsphilosophischem Hauptwerk „Die Erziehung des Menschengeschlechts (1780)“, mit dem ihn sein Auricher Gymnasiallehrer Wilhelm Reuter vertraut gemacht hatte, am deutlichsten. Vgl. dazu Heinrich Janssen, Wilhelm Reuter, der Lehrer Rudolf Jhering, in: Behrends (Hrsg.), R. v. Jhering, Beiträge und Zeugnisse (1992)2, S. 29f. 37 Was ganz fehlt, ist die Vorstellung, dass Rechtsordnungen verfassungsrechtliche, allen Rechtsanwendungen voraufgehenden und verpflichtende Gründungstaten voraussetzen. Vgl. zu jenem schon mehrfach erwähnten Defizit Jherings die schon erwähnte Zusammenfassung Abschnitt IV § 4.

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genden Instanz im menschlichen Gewissen nennt Jhering in dem erwähnten Vortrag „Gott in der Geschichte“38. Wenn wir uns jetzt erneut den beiden, in das Zentrum dieser Studie gestellten Sätzen zuwenden, dann erkennen wir sofort, dass Jhering in ihnen von dem für seine innere Entwicklung bestimmend gewordenen Inhalt seiner Wende spricht, und zwar zunächst in einer Formel, die dem feinfühlig urteilenden Kantorowicz Recht gibt, der in Jherings Glaubenswechsel, natürlich mutatis mutandis, ein „Damaskus“ eines Juristen, einen religiöse Tiefenschichten berührenden, existentiellen Gesinnungswandel diagnostizierte,39. „Das Leben ist nicht der Begriffe, sondern die Begriffe sind des Lebens wegen da. Nicht was die Logik, sondern was das Leben, der Verkehr, das Rechtsgefühl postulirt, hat zu geschehen, möge es logisch nothwendig sein oder unmöglich sein.“

Denn der erste Satz, der im Tonfall der Verkündigung einer neuen Wahrheit auftritt, enthält unverkennbar eine Anspielung auf den neutestamentlichen Satz (Markus 2,27): „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht, und nicht der Mensch um des Sabbats willen“. Auch der zweite Satz, der der Achtung vor dem, was logisch notwendig oder unmöglich ist, eine entschiedene Absage erteilt und die Wahrheit des Rechts allein in den Anforderungen des „Lebens“ findet, ordnet sich in den großen Kontext dieser Assoziation ein. Dieser Kontext war in gewisser Weise vorgezeichnet, weil Jhering sich zuvor für das von ihm mit Leidenschaft verehrte höchste Rechtsprinzip, das um der individuellen Freiheit willen unverbrüchliche Begriffsstrenge forderte, auf die Genesis, den Anfang des Alten Testaments, berufen hatte. Von daher war es nur folgerichtig, dass Jhering in seiner radikalen Wende und Abkehr von solcherart „Gesetzlichkeit“ eine Analogie zum Neuen Testament empfand. Eine ganz andere Frage ist, ob nicht beide Analogien in dem, was sie postulieren und bewirken, verfehlt sind, da das Recht weder in Gewährung von Freiheit noch im richtigen, konkret „fühlbaren“ Werten folgenden Handeln aufgeht, vielmehr notwendig aus beiden zusammengesetzt ist, so dass eine höchste Geltungsinstanz, die entweder nur das eine oder nur das andere will, jeweils dem Wesen des Rechts widerspricht. Die Erfahrung lehrt denn auch, dass das Recht beides hervorbringen muss, formale gesicherte Freiheit und unmittelbar verhaltensleitende Werte. Das Recht muss mit anderen Worten für den Menschen eine objektivierte Ordnung schaffen, die ihm sowohl Freiheit gewährt als auch 38 Jhering beendet den Vortrag über das – sich verfeinernde – Rechtsgefühl mit den Worten (a. a. O. S. 54): „Der Fortschritt unseres Sittlichen, das ist die Quintessenz der ganzen sittlichen Idee, das ist Gott in der Geschichte.“ 39 So auch Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (1967)2 S. 451, die Einschätzung von Hermann Kantorowicz, Iherings Bekehrung, Deutsche Richterzeitung 6 (1914) S. 84–87 teilend.

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Werte durchsetzt, die in begründeter Weise diese Freiheit in Anspruch nehmen und in ihrer Ausübung begrenzen kann. Ein solches dualistisches Rechtsverständnis setzt aber ein Gemeinwesen, eine Republik, voraus, und eine Gerichtsbarkeit, die diesen Dualismus zu handhaben versteht. Die Relation zwischen einem Einzelnen und einem einzigen höchsten Prinzip, das ihn entweder nur mit Räumen seiner Willensfreiheit (Puchta und der jüngere Jhering) ausstattet oder nur schutzwürdige „Interessen“ gewährt (so wie es, wie wir im Abschnitt IV noch genauer sehen werden, der Jhering des Umschwungs in seiner „Befreiungsargumentation“ am Ende des „Geistes“ lehren wird), kann das nicht leisten.

3.

Die Preisgabe des republikanischen Prinzips durch Puchta und Jhering

Es war denn auch Puchtas Abkehr vom republikanischen Prinzip, das von Savigny stets festgehalten wurde, das Jhering durch seine radikalisierende Säkularisierung des Adamitimus in die Krise geführt hat. Und es war Jherings Festhalten an einer höchsten Instanz, die nur einer einzigen Wertsetzung fähig ist, die ihn gehindert hat, zu Savigny zurückzukehren. Wäre Jhering ein Schüler Savignys geworden, hätte er von ihm gelernt, dass das von ihm beiseitegelassene, in beiden Entwürfen republikanisch denkende „dritte System“ den eigentlichen Reichtum des römischen Rechts ausmacht und in seinem Dualismus selbstverständlich auch dem Verkäufer entgegenzutreten vermochte, der meinte, das Gefahrtragungsrecht könne ihm vermöge mehrerer Verkäufe gleich mehrere Kaufpreise für eine einzige untergegangene Sache verschaffen. Savigny stand fest in der Tradition des römischen Rechts, wenn er einerseits im zweiten, das erste zusammenfassenden Vorwort seines „System des heutigen römischen Rechts“, mit dem er den Beruf seiner Zeit für Rechtswissenschaft einlöste, die religiös argumentierende Rechtfertigung gab, damit (System VII p. VI); „auch auf diesem Feld Das, was Gott anderen Zeiten und Völkern an geistiger Entwicklung beschieden hat, unserm Volke nicht fremd bleibe, daß es ihm vielmehr zur Erhöhung der eigenen Kraft und zur Erweiterung seines geistigen Besitzes zubereitet und dargeboten werde.“

und andererseits im Beruf den spezifisch republikanischen und damit auch entschieden nicht biblischen, vielmehr vorchristlichen Ursprung dadurch betonte, dass die für ihn maßgebenden Juristen, deren Werke er vor allem nutzte, die heute sogenannten spätklassischen Juristen der Endphase des Prinzipats40 40 Beruf S. 33 nennt er „das Zeitalter des Papinian und Ulpian als das vornehmste“. Diese Juristen, zu denen er auch Paulus rechnet (S. 34), repräsentieren die (S. 31) „hohe Bildung der

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sind. Als solche sind sie für Savigny – und er urteilt hier durchaus richtig – Erben der Republik. Denn (Beruf S. 31): „Der Stoff ihrer Wissenschaft den Juristen dieser Zeit schon gegeben, größtentheils noch aus der Zeit der freyen Republik. Aber nicht blos dieser Stoff, sondern auch jene bewundernswürdige Methode selbst hatte ihre Wurzel in der Zeit der Freyheit.“

Was Savigny mit der den Stoff organisierenden Methode meint, in der es die Römer zur Meisterschaft gebracht hätten, entnimmt er seinen Quellen, wo sie sich als Spätfolge einer nach dem republikanischen Prinzip lebenden Gesellschaft bewahrt haben. Daher kann er das Recht in den zwischenmenschlichen Verhältnissen der Lebenswirklichkeit sehen, in der sie (Beruf S. 30), „der lebendigsten Anschauung“ zugänglich „entstehen und sich verändern“. Wie im „System“ näher ausgeführt, meint er die durch Rechtsinstitute qualifizierten Rechtsverhältnisse der von ihm bearbeiteten Epoche, die diese Anschauung ermöglichen, indem sie dem das Recht Anwendenden sowohl die in ihnen entstehenden Rechte als auch die sie bedingenden Inpflichtnahmen erkennen lassen, ein Dualismus, den Savigny dann auch durch den Unterschied zwischen dem reinen Rechtselement der Freiheit und dem gemischten Rechtsbegriff, welcher die Freiheit auf vielfältige, wertgeleitete Weise in Pflicht zu nehmen erlaubt, dem Ansatz nach theoretisch zutreffend expliziert41. Diese Methode, die den Blick auf die dualistisch geordneten Lebensverhältnisse richtet, ist für Savigny im Vergleich zum Stoff, den er in seinem „heutigen römischen Recht“ verarbeitet, das wichtigere Element und, anders als die oft überlebten und ungültig gewordenen Inhalte des positiven römischen Rechts, uneingeschränkt vorbildlich: Habe sich die Jurisprudenz einmal mit den wertvoll gebliebenen Gehalten des römischen Rechts diese Methode angeeignet, könne das römische Recht der Geschichte übergeben werden42. Die entscheidende, theoretische Sicherheit gebende Grundlage dieser methodischen Blickrichtung ist, dass für Savigny Recht sich dem republikanischen Rechtswissenschaft bey den Römern im Anfang des dritten Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung“. 41 System I S. 53 „Am reinsten und unmittelbarsten“ zeige sich „die sittliche Natur des Rechts“ in der „Anerkennung der überall gleichen und sittlichen Würde und Freyheit des Menschen“ und in der „Umgebung dieser Freiheit durch Rechtsinstitute“. „Mittelbar und in gemischtere Natur“ erscheine „das allgemeine Rechtselement“ wo Werte des Zusammenlebens ihre Forderungen stellen. Eine Aufarbeitung der entsprechenden römischen Theoriebildungen lag nicht auf Savignys Weg, der vom Blick auf das „Geistige“, nicht auf das „Historische“ bestimmt war. 42 Daher schreibt er im Beruf S. 133 „Ist einmal Rechtswissenschaft auf die hier beschriebene Weise Gemeingut der Juristen geworden, so haben wir in dem Stand der Juristen wiederum ein Subject für lebendiges Gewohnheitsrecht, also für wahren Fortschritt, gewonnen ; das römische Recht können wir dann der Geschichte übergeben.“

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Prinzip folgend von Anfang an in Verhältnissen zwischen Menschen verwirklicht. Die „Erzeugung des Rechts“ erscheint ihm daher (System I S. 21) eine „gemeinschaftliche That“, die immer schon vollbracht ist, wenn Menschen rechtlich zusammenleben. Daher setzt Savigny auch keinen vorrechtlichen Naturstand oder einen republikanischen Gründungsmythos an43. Sein Republikanismus ist vielmehr menschheitlich und gewissermaßen uranfänglich gemeint. Das geistige Medium, in dem das dualistische Recht gilt, das er „Volksgeist“ nennt, ist ihm konkretisierter „Menschengeist“ höheren Ursprungs, nämlich dem römischen Volk kraft einer Art Offenbarung zuteilgeworden. Daher sind die verschiedenen Rechtsordnungen auch grundsätzlich gleichwertig, indem sie die Bestimmung haben, nicht nur den jeweiligen Bürgern, sondern allen Menschen, die dessen bedürfen, Rechtsschutz zu gewähren44. Savignys Formulierung, dass (System I S. 29; die Hervorhebungen sind von ihm) „der Staat ursprünglich und naturgemäß i n einem Volk, d u r c h das Volk , und f ü r das Volk entsteht“ hat denn auch nicht zufällig in dem berühmtesten neuzeitlichen Bekenntnis zu dem einer höheren Quelle zugeschriebenen und zugleich universal gedachten republikanischen Prinzip ein Echo gefunden. Abraham Lincoln gab es nach dem die Sklaverei beendenden Bürgerkrieg ab und verkündete die Entschlossenheit: „that the nation shall, under God, have a new birth of freedom, and that the government of the people, by the people, and for the people shall not perish from the earth“45. Ein spezifisch verfassungspolitischer gegen die Monarchie gerichteter Republikanismus war dabei Savigny fremd. Entscheidend ist ihm, dass die Gerichtsbarkeit den vom republikanischen Prinzip geforderten freiheitlichen, Berechtigungen wertgeleitet in Anspruch nehmenden Rechtszustand unter den Menschen gewährleistet46. 43 „Vielmehr wird jedes Volk, sobald es als solches erscheint, als Staat erscheinen, wie auch dieser gestaltet sein möge.“ System I S. 23. Der Begriff „Staat“ ist hier in einer Weise verwendet, die es ausschließen soll, dass „in dem Leben der Völker“ „eine Zeit vor Erfindung des Staats vorkäme“, in der das Privatrecht eine „unvollkommene Natur hätte (Naturzustand)“, da, wie es vorher heißt, das Privatrecht erst „im Staat, durch Aufstellung des Richteramts, Leben und Wirklichkeit“ erhält. 44 Von diesem Grundgedanken ist Savignys im achten und letzten Band des Systems (VIII, 1849) vorgelegtes Internationales Privatrecht getragen (vgl. a. a. O. S. 32), das er im Bewusstsein seines damals (Vorrede p. IV) „unfertigen, aber hoffnungsreichen Zustandes“ in Auseinandersetzung vor allem mit der damaligen internationalen Literatur und nicht zuletzt dem „treffliche Werk von Story“. den ( a. a. O. S. 9) Commentaries on the Conflict of Laws, Boston 18412 verfasst hat. 45 Zum Zusammenhang zwischen Savignys geistigem Republikanismus und Lincolns auf eine erneuerte verfassungspolitische Integration gerichteter Gettysburg Address von 1863 zuerst in meiner Studie „Mommsen Glaube“ von 2005, jetzt in: O. Behrends, Zur römischen Verfassung. Ausgewählte Schriften, hrsg, von Martin Avenarius und Cosima Möller, (2014) S. 340ff. 46 Seine gegen den Republikanismus gerichteten Ausführungen System I S. 30 f, muss man im Zusammenhang mit den Erfahrungen der französischen Revolution bewerten. Wenn man

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4.

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Der Republikanimus des römischen Rechts – die große Kontinuität

Mit dieser Haltung, die ein „weltliches“, im Kern „privatrechtliches“ System, das dem freiheitlich kooperierenden Zusammenleben der Menschen dient, religiös rechtfertigt, repräsentiert Savigny in gewisser Weise den Geist der gesamten Geschichte des römischen Rechts. Denn die Einordnung eines solchen, dem Menschen existentiell notwendigen Rechts in eine „religiöse“ Weltsicht hat es in der Tat von Anfang begleitet. So sah die Gründungsidee seiner agrarischen Ursiedlungen das den Frieden unter den Menschen wahrende Ius als notwendige Bedingung des „auguralen“, die Verhältnisse „segnenden“ Götterfriedens47. Die ersten hellenistische, vom stoischen Rechtsglauben geprägte Jurisprudenz lehrte, dass das von ihr vertretene Recht, das die Menschheit in individuelle Stadtstaaten gliederte und sie gleichzeitig durch ein universales ius gentium in einer freiheitlichen Verkehrsgesellschaft zusammenhält, in Annäherung verwirklicht, was die göttliche Providenz für die Menschheit vorgesehen hat48. Die sie zur Zeit Ciceros ablösende skeptische Jurisprudenz vertrat ein gleicherweise weltoffenes, nun aber von einem zivilisatorischen ius gentium geprägtes Recht, das als ius humanum ausschließlich der menschlichen Fähigkeit verdankt wird, aus einem gewalterfüllten Naturzustand herauszutreten und mit den Staaten der Welt einen Rechtszustand herzustellen. Die sie tragende ratio iuris wies dem – mit der religio, dem Verehrung fordernden Gefühl der Abhängigkeit gleichgesetzten – ius divinum im Leben einer Civitas einen eigenen, eindeutig abgetrennten Ort neben den in allen seinen Aspekten als menschliche Schöpfung verstandenen, unter der Gleichheitsprinzip der aequitas stehenden ius humanum an und schloss damit jede Beeinflussung des Rechts aus der Sphäre der Religion aus49. Die Verfassungsgründung des Augustus führte beide Traditionen durch den Gedanken zusammen, dass alles Recht einen höheren, vor aller republikanischen Staatsgründung liegenden Ursprung habe und die Aufgabe seiner Gewährleistung daher ihrer höchsten Legitimation nach beim vom ius divinum berufenen sieht, wie in den noch vorhandenen konstitutionellen Monarchien Europas das republikanische Prinzip des Zusammenlebens in höchster Achtung steht, kann man Savignys damaliger Sicht eine gewisse Berechtigung nicht absprechen. 47 Vgl. zuletzt die Studie „Die Gärten in der römischen Feldordnung. Zu den siedlungsgeschichtlichen Grundlagen des römischen Bodeneigentums“ in: Eberhard Knobloch/ Cosima Möller (Hrsg.), „In den Gefilden der römischen Feldmesser“ (2014) S. 5–48. Zusammenfassend jetzt in dem in der Postille Fn. 9 zitiertem Lehrbuch „Römisches Recht“ S. 47ff. 48 Dazu den Beitrag Che cos’ era il ius gentium antico?, in: Tradizione romanistica e Costituzione I (2006) 481–514 = O. Behrends, Scritti „italiani“ (2009) S. 435–468 und die oben Anm. 2 genannten Arbeiten. 49 Vgl. meinen Artikel „Der Ort des Ius divinum, Vom klassisch-republikanischen Rechtssystem des skeptischen Rationalismus zur Rechtsquellenlehre des religiös legitimierten Kaisertums“, in: Festschrift für Christoph Link (2003) S. 557–585.

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Kaiser liege, dass seine Wahrung aber als Ordnung der Zivilgesellschaft eines Weltreiches den von ihm ermächtigen Juristen, den Organen der Gerichtsbarkeit und den nach dem Recht lebenden Menschen übertragen werden könne50. Justinian nahm in seiner Kodifikation, die das römische Recht für die neuzeitliche europäische Geschichte rezeptionsfähig gemacht hat, das augusteische Prinzip, dass eine weltliche, von Hause aus republikanische Ordnung auf eine höheren Geltung zurückgeführt werden kann, auf und gab ihr in einem kreativen Fortdenken des Sinnes der konstantinischen Wende eine Interpretation, die Christentum und römisches Recht als zwei selbstständige Traditionen miteinander verband, indem er das römische Recht zu einer weltlichen Schöpfung der den Menschen meinenden Trinität erklärte, die sich nicht der biblischen, sondern allein der römischen, mit Romulus beginnenden und in ununterbrochener Kontinuität zu ihm selbst hinabführenden, römischen Geschichte bedient habe. Mit aller Klarheit hat Justinian damit die Konsequenz aus der Tatsache gezogen, dass es verfehlt und widersprüchlich gewesen wäre, eine Religion, deren sie legitimierende Geschichte mit aller Glaubenskraft und voller Erwartung ein baldiges jenseitiges Reich verhieß, mit der Aufgabe zu belasten, eine „ewige Dauer“ verheißende diesseitige Rechtsordnung zu rechtfertigen51. Savignys Volksgeistlehre nahm diese „trinitarische“ Rechtfertigung, die dem rezipierten römischen Recht eine von den Aussagen der christlichen Offenbarungsreligion unabhängige, aber gleichwohl „religiös“ fundierte Geltung verlieh, in der Weise auf, dass er, wie schon bemerkt, lehrte, dass das römische Recht auf einer dem römischen Volk widerfahrenden Wahrheitsoffenbarung beruhe, die, wie die Rezeption beweise, der Staatsmacht nicht bedürfe und die aufzunehmen jedem Staatsvolk gut tue und die es in seiner normativen Rolle, als gleichberechtigter Teil der Menschheitsgesellschaft an deren freiheitlichem Zusammenleben mitzuwirken, kräftigen und bestärken werde.52

50 Siehe meine Arbeiten Princeps legibus solutus, Festschrift für Christian Starck (2007) S. 3–20, jetzt in: Zur römischen Verfassung (oben Anm. 40) S. 493–512 und „Die Republik und die Gesetze in den Doppelwerken Platons und Ciceros“, in: Politisches Denken. Jahrbuch 2008 S. 133–184 = Zur röm. Verf. S. 512–558. 51 Zu dieser Eschatologien abweisenden Wirkung des Römischen Rechts bekennt sich die kaiserliche, die Kodifikation in Kraft setzende constitutio Tanta § 23 (16.12. 533): leges … in omne aevum valituras. Dass die griechische Übersetzung (Justinian war muttersprachlich Lateiner) const. Δέδωκεν § 23 βιβλία ει᾿ς τὸν λοιπὸν (!) ἁπάντα κρατοῦντα χρόνον mit dem Hinweis auf die übrige (!) ganze Zeit, in der die Rechtsbücher gelten sollen, eine bewusste Milderung darstellt, ist möglich. 52 Vgl. O. Behrends, Savignys Geistigkeit und der Geist der justinianischen Kodifikation, in: St. Meder/ Ch.-E. Mecke (Hrsg.), Savigny Global (1814–2014) S. 25–62 sowie die zusammenfassenden Artikel im Lexikon für Kirchen- und Religionsrecht I (2019): Codex Justinianus (Sp. 509–511) und Corpus Iuris Civilis (Sp. 531–532).

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5.

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Der Abweg in den Etatismus

Die Rechtsgeltungslehre Puchtas wie die des späteren Jhering hat mit dieser Tradition in folgenreicher Weise gebrochen. Denn beide begriffen die Privatrechtsverhältnisse nicht mehr als geistige, sich in den Lebensverhältnissen zwischen Menschen zeigende Ordnungen, die gleichermaßen Rechte wie Pflichten aufzunehmen fähig sind, sondern als Gewährungen einer höchsten Gewalt, die im Adamitismus Puchtas einseitig Berechtigungen gewährte, in Jherings Gegenentwurf, in dem das konkrete wertende Rechtsgefühl das primäre Organ der Rechtserfahrung wurde, am Ende ebenso einseitig über die Anerkennung schutzwürdiger Interessen entschied. Mit der ihnen zeitgenössischen idealistischen Philosophie verbindet beide Entwürfe von ihrem Ursprung keine Gemeinschaft, eine Verbindung schafft nur der Gedanke eines höchsten wollenden Prinzips, das den Menschen sagt, was das Recht für ihr Leben bedeutet. Da Puchta sich, wie erwähnt, gegen Hegels Vernunftrecht wendet, käme in Betracht, dass er deswegen beim Alten Testament und Adam Zuflucht gesucht hat, weil er anders keine Möglichkeit sah, sich gegen die Hegelsche, eine Fernwirkung der französischen Revolution bildende Vernunftreligion zu wehren. Es war, wenn er so gedacht hat, ein großer Fehler. Denn seine Entscheidung bedeutete die Preisgabe des republikanischen Prinzips, des einzigen wahren Gegenmittels gegen den seit 1789 so mächtig gewordenen, den – von Philosophie belehrten „Staat“ – zum Organ der Vernunft erhebenden Etatismus53. Hätte Puchta sich nicht in diesem zentralen Punkt von Savigny abgewendet, hätte er Jhering nicht zu dem Versuch verleitet, etwas nicht Historisierbares zu historisieren. Vielmehr wäre durch die fortdauernde Wirkung Savignys Jherings hohe analytische Begabung auf etwas Historisierbares gelenkt worden, auf die von Savigny mit Recht für zentral erklärte Jurisprudenz der hohen und späten Republik und des Prinzipats, die Jhering als „drittes System“ zutreffend konturiert, aber beiseitegelassen hat. Savigny hatte ihm insofern so gut wie alles zu tun übriggelassen. Zwar hatte Savigny im „Programm“ den Zusammenhang, der die Kaiserzeit mit der Republik verbindet, einer in Betracht zu ziehenden „Geschichte“ zugewiesen, daraus aber, da seiner Vorstellung nach sich das Recht zu allen Zeiten „durch dieselbe

53 Puchtas Zurückweisung Hegels (oben Anm. 7) war begründet, erfolgte aber mit ungeeignetem Mittel. Savignys nicht minder berechtigte Zurückweisung der Kantischen Rechtslehre hatte dagegen mit dem Hinweis, dass die Jurisprudenz eine Disziplin ist, die man studiert haben muss, um in ihr mitreden zu dürfen, das richtige Wort gefunden. Dass Kants Verständnis des Rechts in der Tat ganz ungenügend war und ist, zeige ich in der Studie „Kants Taube und der luftleere Raum der reinen praktischen Vernunft“, Gedächtnisschrift für Theo Mayer-Maly (2011) S. 53–82.

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innere unsichtbare Kraft“ entwickelt54, keinen Impuls für wahrhaft historische, die Epochen und ihre Juristen individualisierende Arbeit gezogen55. Vielmehr waren für ihn folgerichtig sämtliche römischen Juristen, ja alle Juristen, die es ihnen gleichtun, Angehörige einer einzigen „Schule“, nämlich die ihrer im rechten Geiste betriebenen Profession56. Wenn sich Jhering daher schon als Privatdozent auf Savignys Spuren mit seiner Tendenz der historisierenden „Säkularisierung“ des von ihm sogenannten „dritten Systems“ angenommen und mit der Anschauung der Rechtsverhältnisse erforscht hätte, wie sie Savignys Methode fordert, dann hätte er jenen seinen „Umschwung“ auslösenden Irrtum, in den ihn Puchtas Einseitigkeit geführt hatte, vermeiden können, und wäre dann nicht gezwungen gewesen, im Gegenzug in gleicher Einseitigkeit ein „Rechtsgefühl“ zur höchsten Instanz zu erklären, das ihm auch kaufrechtsfremde, letztlich in den Bereich der Beliebigkeit führende Argumente erlaubte (vgl. Anm. 34).

6.

Der Kaufpreis in den beiden hellenistischen Jurisprudenzen Roms: Das Entgelt für die Sache oder für die vom Verkäufer hinsichtlich der Sache gewahrte, vermögenswirksame Treuhand oder Einstandspflicht

Dem römische Kaufrecht, in das der Satz periculum est emptoris (die Preisgefahr trifft den Käufer) schon von der ersten hellenistischen Jurisprudenz eingeführt worden ist, war eine „absolute Auffassung des Kaufpreises“, die, wie Jhering erkannt hat, seinen ältere Ansicht bestimmt hatte, von der er sich aber auch in der Versicherungslösung nicht wirklich befreit hatte (siehe noch einmal Anm. 34), zutiefst fremd.

54 System I S. 41 schreibt er: „Wenn im Fortgang der Zeit ganz neue Rechtsinstitute zum Bedürfniß werden“, so könnten „dem bestehenden Recht diese neuen Elemente durch dieselbe innere, unsichtbare Kraft eingefügt werden, welche ursprünglich das Recht erzeugte.“ 55 Beruf S. 31. Aus der Bemerkung, dass die „hohe Bildung der Rechtswissenschaft bey den Römern im Anfang des dritten Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung“ „etwas so merkwürdiges“ sei, „daß wir auch die Geschichte derselben in Betracht ziehen müssen“, folgt nichts, was auf eine historische Erklärung gerichtet wäre. 56 Man kann diesem überhistorischen Gedanken Schönheit und eine gewisse, die Juristen verpflichtende normative Wahrheit nicht absprechen. Savigny schreibt Beruf S. 125 über das, was er für die Zukunft von dem „Studium des Rechts“, wie er es empfiehlt, erwartet. Was es enthält, soll „Gemeingut aller Juristen werden, die mit Ernst und mit offenem Sinn für ihren Beruf arbeiten wollen. Es soll also eine lebendige Schule entstehen, so wie sämtliche Römische Juristen, nicht blos die Sabinianer und ebenso die Proculianer für sich, in der That Eine (sic!) große Schule gebildet haben.“

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Der vorklassische Tauschkauf 57 war ein wechselseitiges, schuldrechtliches Treuhandverhältnis, das erst von der Fides, dann von der Bona fides beherrscht wurde, und den jeweiligen Leistungsgegenstand als Treugut mit Abschluss des Geschäfts dem Vermögen des anderen nach Gefahr (periculum) und Vorteil (commodum) zuordnete. Es verlangte in diesem Rahmen vom Verpflichteten, alles zu tun, den noch in seinen treuen Händen verbliebenen Gegenstand dem Berechtigten zu verschaffen. Hatte der Treupflichtige das nach allen Seiten geleistet, hatte er seine Vertragstreue bewährt, auch wenn der Leistungsgegenstand bei ihm ohne sein Verschulden unterging. Da der andere Teil dadurch von seiner Treupflicht nicht entlastet wurde, galt periculum est emptoris, damals des Tauschpartners. Er musste seine Leistung erbringen. Der nochmalige Verkauf der gleichen Sache an einen Dritten war in diesem System ein Treuverstoß, da er die Pflicht verletzte, dem Käufer die Sache treuhänderisch vorzuhalten. Folglich verlor ein solcher Verkäufer das Recht auf die Gegenleistung58. Der klassische Geldkauf führte in das Kaufrecht auf beiden Seiten die institutionelle Berechtigungsform der Obligation ein, die den Verkäufer auf den Kaufpreis, den Käufer auf die Sache berechtigte. Es war auf beiden Seiten ein festes, die Berechtigungen formalisierendes Erfüllungsprogramm, das den auf der einen oder anderen Seite gemachten Gewinn sicherte. Solche Obligation waren als Erfüllungsprogramm auch bedingbar, eine Möglichkeit, die der vorklasssische Treuhandkauf nicht kannte59. Der Satz periculum est emptoris blieb bestehen, hatte aber nichts mit der Erfüllung der neuen, berechtigenden Obligationen zu tun, sondern entfaltete 57 Für die näheren Nachweise des Folgenden darf ich auf meinen Artikel verweisen: „Der Übergang der Preisgefahr nach klassischem und vorklassischem Recht“, in: Luigi Garofalo/ Lihong Zhang, Diritto romano fra tradizione e modernità (2017) S. 25–42. 58 Der Verstoß ist evident, wenn die Sache, wie in dem Anm. 30 zitierten Fragment der Fall, bereits an den dritten übergeben worden ist. Bei zwei unerfüllten Rechtsgeschäften konnte der Richter entscheiden, wem gegenüber der Verkäufer die Treuhandpflichten erfüllt oder ob er nach Lage der Dinge darin gegenüber beiden versagt hat. Da schon die ältere Fides Nützlichkeiten (utilitates) nach dem Treuhandprinzip zuordnete (vgl. Cicero, de officiis I 7,22 und III 17,69/70), konnte der Käufer seinerseits wahrscheinlich generell auf den vom Dritten gezahlten Kaufpreis zugreifen, da sein Verkäufer mit dem bereits ihm zugeordneten utile erzielt hatte, eine Möglichkeit, die jenes viel erörterte, ja auch in der neuen Digestenübersetzung umstrittene Fragment in typisch spätklassisch vermittelndem Stil für Sonderfälle zulässt. 59 Proculus, der Leiter der nach ihm benannten Schule, die im Prinzipat den klassischen Geldkauf verteidigt hat, lehrte folgerichtig, dass die Preisgefahr erst mit Bedingungseintritt überging (vgl. Ulpian 33 ad edictum D 18,6,8 pr.), während der hochklassische Sabinianer Gaius, der die Abkehr seiner Schule vom treuhänderischen Tauschkauf lehrte (III 138), anfügt, dass nunmehr auch nicht mehr bezweifelt werde, dass ein Kauf bedingt werden könne. Die Aussage ( Gaius III 146 a. E) ist bezeichnend: Ein formales Erfüllungsprogramm kann man bedingen, eine Treuzusage nicht. Denn eine vom Eintritt einer Bedingung abhängig gemachte Loyalität ist erst einmal keine.

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seine Wirkung im Recht der im Synallagma stehenden klageförmig sanktionierten, vertraglichen Einstandspflichten, die danach bestimmt wurden, auf was der eine dem anderen im Fall der Nichterfüllung nach dem aequum et bonum einstehen (lat.: praestare) müsse60. Das war auf Seiten des Verkäufers das ex bona fide, nach der menschlichen Vertragstreue bestimmte rem praestare61, auf Seiten des Käufers dagegen das Einstehenmüssen für den gegebenenfalls um Verzugszinsen vermehrten Kaufpreis62. Auf dieser Ebene ist nur von Pflichten die Rede. Die Fortdauer der Gefahrtragungsregel erklärt sich denn auch in dieser Ordnung ganz analog. Das rem praestare, „das dem Käufer für die Sache Einstehen“, das sich in dieser Lehre nur auf die der Sache selbst nach ihren Eigenschaften innewohnenden Gefahren bezog, nicht auf die ihr von außen drohenden Risiken63, war im Fall des Untergangs der Sache erfüllt, wenn der Verkäufer, wie es jetzt präzisierend heißt, weder mit der Leistung im Verzug war noch ihren Untergang schuldhaft bewirkt hatte64. Er war damit von seiner Einstandspflicht frei, nicht dagegen der Käufer, der weiterhin auf den Kaufpreis haftete. Auch diese synallagmatische Argumentation war nur dem Käufer gegenüber möglich, dem der Verkäufer die Sache vorgehalten hatte. Mit einem Weiterverkauf an einen Dritten hatte gegenüber dem ersten Käufer seine Pflicht zum rem praestare nicht gewahrt. Der hochklassische Jurist Julian veranschaulicht dieses Recht, wenn er den Übergang der Preisgefahr mit der Fiktion der Übergabe der Sache begründet. Auch eine solche Fiktion, die nur gilt, wenn der Verkäufer seine nach dem bonum et aequum geforderten Pflichten erfüllt hat, ist gedanklich nur einem einzigen Käufer gegenüber möglich65. 60 Vgl. Gaius III 137. 61 Vgl. Ulpian 32 ad edictum D 19,1,11,2 Et in primis rem praestare venditorem oportet 62 Der eingeklagte Kaufpreis galt nicht mehr der Erfüllung der Obligation. Sie war durch die Prozessbegründung konsumiert. Gaius III 180. Für den Kaufpreis galt jetzt wie für die Zinsen generell und alle Einstandspflichten (Hermogenian 2 iuris epitome D 19,1,49,1): non sint in obligatione, sed officio iudicis praestentur. 63 Im Fall der Verwirklichung einer äußeren Gefahr (ordnungspolizeiliche Zerstörung der Sachen, Diebstahl) geht die Preisgefahr nach Servius, dem Julian zustimmt, nur nach Übergabe oder bei Annahmeverzug über. Vgl. Paulus 3 Alfeni (!) epitomarum D 18,6,13 und 15 (Alfenus ist ein Schüler des Servius, der hier wie regelmäßig dessen Lehren referiert) mit Julian 3 ad Urseium Ferocem D 18,6,14. Weitere innere Gefahren sind Sterblichkeit des Sklaven (vgl. unten Anm. 65) und die Brandgefahr bei einem Haus (vgl. Alfenus 2 digestorum D 18,6,12). Eine äußere Gefahr ist dagegen die Konfiszierung. Der Julian-Schüler African 8 quaestionum D 19,2,33 entscheidet einen solchen Fall entsprechend. 64 Vgl. oben Anm. 30 und Paulus bei Labeo 2 pithanon D 19,1,54 pr a.E. 65 Julian 15 digestorum D 18,5,5,2 Mortuo autem homine perinde habenda est venditio ac si traditum fuisset. (Ist der Sklave verstorben, ist der Verkauf so anzusehen, als ob er übergeben worden wäre.) Das vereinfachende Bild war möglich, weil Julian gegen Servius die Klagbarkeit und damit auch die Einstandspflicht in den Begriff der Obligation hineingenommen hatte. Vgl. Gaius III 179; Paulus 2 institutionum D 44,7,3 pr. Seitdem enthielt die Obligation beides, Erfüllungsprogramm und Einstandspflicht.

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Die Repräsentativität des Unterschieds zwischen Berechtigungen und Inpflichtnahmen im klassischen Kauf und die beiden dem Recht notwendigen Logiken

Der im klassischen Kaufrecht subtil durchgeführte Unterschied zwischen den formal berechtigenden Obligationen und den wertend bestimmten Einstandspflichten, der heute in den Unterschieden fortlebt, die man zwischen primärem und sekundärem Schuldverhältnis und zwischen Haupt- und Nebenpflichten macht, drückt en miniature etwas Grundsätzliches aus. Der darin aufscheinende Dualismus zwischen formalen Berechtigungen und verkehrsrechtlichen Inpflichtnahmen war im Prinzip für beide hellenistische Rechtssysteme auch im Großen konstitutiv. In beiden bilden die Berechtigungen den Kern der die Freiheit sichernden Privatrechtsordnung. Sie sind aber stets in eine von Verhaltenswerten konstituierte, gerichtliche gewährleistete, menschliche Verkehrsgesellschaft eingebettet, die ihnen nicht nur die Durchsetzung sichert, sondern sie auch zu kontrollieren und ergänzen zu erlaubt. In dem älteren hellenistischen System waren die Berechtigungen solche des eigennützigen ius strictum, dagegen die Werte, die ihrer Durchsetzung, ihrer Ergänzung und ihrer Kontrolle dienten, die des treuhänderischen Vertrauensprinzips, erst der Fides und später der Bona fides66. In dem jüngeren hellenistischen System ergaben sich die Berechtigungen aus den Instituten der institutio aequitatis, aus der „Einrichtung“ des Rechts, während die Verhaltenswerte von der Kategorie der naturalis aequitas bereitgestellt wurden67. Der berühmte Spruch, dass der Prätor iuris civilis adiuvandi, corrigendi et supplendi gratia, d. h. zu Durchsetzung, Berichtigung und Ergänzung des berechtigenden Ius civile tätig wird, drückt den gleichen Dualismus auch für die Kaiserzeit aus68. Jherings Forderung: „Nicht was die Logik, sondern was das Leben, der Verkehr, das Rechtsgefühl postulirt, hat zu geschehen, möge es logisch nothwendig sein oder unmöglich sein.“ hat gegenüber solchen differenzierten Systemen, die ihre praktische Tauglichkeit in der Wahrung der beiden Seiten des Rechts hinrei66 Zu den beiden Kardinalstellen Cicero, de officiis I 7,20–23 und III 17,69/70 die oben Anm. 48 angeführte Studie Che cos’ era il ius gentium antico und jetzt das Lehrbuch (oben Anm. 2) S. 74ff. 67 Vgl. zu diesem das klassische Edikt bestimmenden Dualismus, dessen älteste Zeugnisse Cicero, De inventione II 22,65–68; II 53,160–54,162 ; Partitiones oratoriae 37,129–131und Topica 23,90 sind, meine oben Anm. 2 angeführte Untersuchung „Die Grosse und die kleine Conventio“ sowie den Artikel „Das Geheimnis des klassischen römischen Rechts. Menschliche Freiheit und Würde in schützenden, friedlichen Wettbewerb erlaubenden Formen“, in: Byoung Jo Choe (Hrsg,), Law, Peace and Justice (2007) S. 3–72. 68 Papinian 2 definitionum D 1,1,5. Die Erläuterung, dass der Prätor insofern propter utilitatem publicam handelt, betont die universale, menschliche Nützlichkeit dieser Tätigkeit.

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chend bewiesen haben, keinen rechten Sinn. Denn argumentative Logik ist in beiden Bereichen, dem berechtigenden wie dem in Pflicht nehmenden, gefordert. Nicht ohne Grund gibt es denn auch zwei Logiken, die Klassenlogik, die auf Aristoteles zurückgeht und auf substantivische Formbegriffe Anwendung findet, und die Aussagenlogik, die der Stoa verdankt wird und mit ihrer Wenn-DannStruktur auch handlungsleitende Werte zu konkretisieren erlaubt69. Die erste Logik steht im Hintergrund, wenn aus der Klasse der Obligationen, die zur Oberklasse der Vermögensrechte gehört, eine Kaufpreisforderung nach ihren Tatbestandsvoraussetzungen hergeleitet wird. Nur führt diese Herleitung, wenn ein Jurist sie vornimmt, anders als bei Aristoteles, dessen Klassenlogik, ein platonisches Erbe, im Bereich der nach Gattung und Art herunterdifferenzierten Formen blieb70, auf eine konkrete Einzelfallberechtigung herunter, auf das, was Cicero auch in diesem Fall eine pars der Wirklichkeit nennt71. Die zweite Art der Logik wird der Sache nach angewendet, wenn ein zwischenmenschlicher Wert wie die Verkehrssorgfalt als geltend postuliert und aus dessen Geltung dann die ihm entsprechende Schlussfolgerungen gezogen werden, etwa dass bei gefährlichem Tun den Verkehr schützende Vorkehrungen getroffen werden müssen. Die Logik, d. h. folgerichtiges Denken, ist daher stets notwendig, wenn es gilt, berechtigende Formen oder wertende Inpflichtnahmen zu begründen oder auch wertend den Umfang einer berechtigenden Form für das Zusammenleben angemessen zu begrenzen, wofür Jhering ein glänzendes Beispiel geliefert hat, indem er erfolgreich gelehrt hat, dass der Grundstückseigentümer bestimmte Nutzungen des Luft- und Erdraums über und unter seinem Grundstück nicht

69 Zu den beiden Logikarten überaus klärend Heinrich Scholz, Abriss der Geschichte der Logik (1959)2 S. 31: „in der Aristotelischen Logik treten nur Formen auf“. Sie ist damit eine „n i c h t elementare Logik“. Die „elementare Logik“ ist die „Aussagenlogik“, die auf die Stoa zurückgeht. 70 Das bekannte Beispiel des modus Barbara: „Alle Menschen sind sterblich, Sokrates ist ein Mensch. Also ist Sokrates sterblich“ überschreitet bekanntlich die Grenzen der aristotelischen Logik. Denn ein Einzelmensch ist kein bloßer Begriff und bildet als empirisches Individuum keine Klasse. 71 Cicero lehrt daher in seiner dem jungen Juristen Trebatius gewidmeten Schrift Topica in bemühter Weise (vgl. Top. 5,23; 6,30–7,31; 8,33–34), dass die divisio, die Begriffsklassen nach Gattung (genus) und Art (species, forma) ordnet, und die partitio, die einen Gegenstand der Wirklichkeit in Teile (partes) zerlegt, zwar getrennt sind, aber für das Denken zusammengehören. Sie treffen sich, wenn eine Begriffsform auf einen Teil der Wirklichkeit angewendet wird. Als partitio behandelt Cicero daher auch, wenn aus vorentschiedenen Fällen des dolus geschlossen wird, dass auch der vorliegende Fall der den wertenden dolus-Vorwurf begründenden Verhaltensdefinition aliud actum aliud simulatum genügt. Vgl. Topica 9,40. Die partes sind dann die unter einen konkretisierten Wert gebrachten Einzelfälle.

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verhindern kann, weil der Umfang des Grundeigentums nach Oben und Unten durch sein Nutzungsinteresse begrenzt ist72. Das „logisch Unmögliche“, das Jhering am Ende nennt, steht auf einem anderen Blatt. Damit meint er nicht die Schlussfolgerungen, sondern die Begriffe selbst, die zu eng bestimmt waren und deswegen das Richtige nicht ermöglichten. Nichts hindert die herrschende Meinung, die über sie bestimmt, sie sachgemäß zu erweitern. Das ist keine Frage der Logik, sondern eine Frage der Begriffsbildung. Da Jhering sich über die Herkunft der Begriffe mangels Studium der beiden hellenistischen Rechtswissenschaften nie Klarheit verschafft hat – sie ist ihm auch in seiner späteren Phase genauso geheimnisvoll geblieben wie sie seinem Lehrer Puchta und eben auch Savigny erschienen war – hat er zwischen dem Vorhandensein der Begriffe in der Überlieferung, die eine Folge ihrer Anerkennung ist und auf Definitionen zurückgeht, und dem mit ihnen folgerichtig Umgehen, für das die Logik zuständig ist, nicht hinreichend klar unterschieden. Wenn er an anderer Stelle, auf die wir später eingehen werden73, dem Begriff den Vorwurf macht, sich zum Demiurgen, d. h. zu einer die Schöpfung verderbenden Kraft aufgeschwungen zu haben, wirft er ihm letztlich vor, selber zu denken. In der Tatsache, dass er einen solchen Gedanken überhaupt fassen kann, zeigt sich die mangelnde Unterscheidung zwischen Anerkennen und dann mit dem Anerkannten verlässlich und berechenbar Umgehen am deutlichsten. Letztlich erinnert Jherings Absage an die Logik an die menschenfreundliche Warnung des Mephistopheles: „Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, Des Menschen allerhöchste Kraft … so hab’ ich dich schon unbedingt“. Es ist in der Tat für eine Jurisprudenz höchst bedenklich, das zu tun. Wie soll Recht als Gegenstand vernünftigen Wissens ohne die Pflicht zur Logik, zu folgerichtigem Denken, überhaupt möglich sein und seine Aufgabe erfüllen können, durch berechtigende, Freiräume schaffende Ordnungen die Zukunft berechenbar zu machen und durch wertgeleitete Verhaltensbindungen dem Leben unter Menschen Erwartungssicherheit zu geben? Es wird an dieser Stelle einmal mehr deutlich, dass Jhering, der selbst in seinen Argumentationen stets um höchste Kohärenz bemüht war, mit seiner Absage an die Logik keiner Einsicht, sondern einem aus seinem Gesinnungswandel herrührenden tiefen Trauma Ausdruck gegeben hat. Als Ausdruck eines dauerhaft nachwirkenden Traumas sind denn auch die vorhergehenden Worte: „Das Leben ist nicht der Begriffe, sondern die Begriffe 72 Das Interesseprinzip des § 905 Satz BGB geht bekanntlich zurück auf einen Artikel Jherings in den später nach ihm benannten Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Vgl. Band 6 (1863) S. 89. 73 Vgl. Abschnitt III § 3.

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sind des Lebens wegen da“ einzuordnen. Das ist nicht deswegen geboten, weil sie etwas Falsches sagen. Denn dass das Recht dem Leben dient, ist ihm in die Wiege gelegt und die entscheidende Frage, die an das Recht gerichtet wird, ist nicht, ob es das tut, sondern wie es das tut, ob in wohltätiger oder den Menschen schädlicher Weise. Das hat mit der Beschaffenheit der Begriffe zu tun und nichts mit der Frage, dass sie in beiden Fällen in das Leben eingreifen. Die Einordnung der gesamten Äußerung als Quintessenz einer inneren Entwicklung ist auch deswegen nötig, weil der Satz mit dem Anspruch auftritt, etwas unerhört Neues zusagen. Das trifft genau so wenig zu: Jedes Recht „dient“ dem Leben. Jhering kann der Aussage denn auch nur deswegen das Pathos eines Durchbruchs zu neuer, bisher unbekannter Freiheit beilegen, weil er sich in ihnen von dem Glauben an die von Puchta adamitisch und damit alttestamentlichschöpfungsgeschichtlich hergeleiteten, einseitig Freiheit begründenden Formbegriffen befreit.

8.

Die Epoche der beiden hellenistischen Jurisprudenzen – die „erfüllte Zeit“

Vor diesem Hintergrund gewinnen auch die schon erwähnten neutestamentlichen Anklänge in Jherings „Umschwung“, die ihn als ein „Damaskus“ zu deuten erlauben, einen Sinn. Die darin liegende eigentümliche Vorstellung, dass in der Neuzeit sich eine Erneuerung der religiösen, auf das Recht ausstrahlenden Grundeinstellungen noch einmal wiederholen und zu Höherem führen müsse, war schon an Savigny herangetreten und von ihm zurückgewiesen worden, als er an Jacob Grimm schrieb, er wolle sich mit der „Ansicht, dass wir jetzt erst in einer Zeit der Wiedergeburt leben [1. Petr. 1,3] und, wie in einem neuen Licht wandeln [Röm. 6,4; dort: „in einem neuen Leben“], zu welchem alles vorige nur das Judenthum gewesen ist“ nicht behelfen74. Im Beruf wird er sich wenige Jahre später ähnlich äußern und den „geschichtliche Sinn“ gegen derlei „Hochmuth“ wenden75. 74 Brief an Jacob Grimm vom 14. Juli 1808, Stoll, Der junge Savigny (1927) S. 334. Die Nachweise der Bibelzitate verdanke ich meinem Nachbarn, dem Alttestamentler Rudof Smend. Zur Herkunft jener Gesinnung bemerkt Savigny in Form einer Art Begründung seiner Ablehnung nur „dazu ist mir Schleiermacher zu gut“. Damit dürfte Schleiermacher jedenfalls als Quelle des Zitats ausfallen. Das ist auch die Meinung von Joachim Ringleben, den ich in seiner Eigenschaft als Vorsitzenden der Schleiermacher-Kommission der Göttinger Akademie konsultieren konnte. 75 Er stellt Beruf (1814) S. 4/5 fest, dass es eine „gränzenlose Erwartung von der gegenwärtigen Zeit“ gegeben habe, die „man keineswegs zu etwas geringerem berufen glaubte, als zur wirklichen Darstellung einer absoluten Vollkommenheit“. Was das in „Religion und Staatsverfassung“ bewirkt habe, sei bekannt. Es sei aber, wie Savigny hoffnungsvoll bemerkt, überall „geschichtlicher Sinn“ erwacht, neben dem jener „bodenlose Hochmuth“ keinen Raum finde.

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Es ist eine unmittelbare Unterstützung Savignys, wenn Fritz Schulz in seiner großartigen, in der Emigration geschriebenen „Geschichte der römischen Rechtswissenschaft“ in der gewissenhaften Arbeit der römischen Juristen des Prinzipats, in deren Intensität und Verantwortungsgefühl sich jeder moderne Privatrechtsjurist wiederfinden kann, mit einem Pauluswort die „Fülle der Zeit gekommen“ (Galater 4,4 ἤλθεν τὸ πλήρωμα τοῦ χρόνου) sah, d. h. in ihr einen nicht mehr wirklich überbietbaren, sondern nur noch im Wandel der Zeiten unter veränderten Umständen auf ähnliche Weise mit gleichem Erfolg wiederholbaren Höhepunkt menschlicher Privatrechtskultur erkannte76. Er zitiert nicht nur Paulus, sondern hebt das Zitat auch dadurch hervor, dass er im Sachregister unter dem ungewöhnlichen Stichwort „Fülle“ ausdrücklich auf es verweist. Zuvor hatte er von Jherings Doktorvater Rudorff, Röm. Rechtsgeschichte I 364, dessen Zitierung des Paulusworts, Römer 11, 33 angeführt, das in der Verwendung durch Rudorff an den römischen Juristen die Tiefe des reichen Wissens wie die Tiefe der Erkenntnis des Gerechten rühmt: ὦ βάθος πλοῦτου καὶ σοφίας καὶ γνώσεως δικαίου. Wohlgemerkt: In beiden Fällen sind die Zitate bezogen auf ein durch und durch weltliches Recht und von ihrem eigenen eschatologischen Kontext ganz und gar befreit. In diesem Zusammenhang preisen sie allein ein Recht und eine Gerechtigkeit, die der Fortdauer der Welt zu dienen bestimmt sind. Der konfrontierende Vergleich macht deutlich, worauf Jherings am Ende seines „Geistes“ erhobene Forderung, die Wahrheit des Rechts nicht mehr in seinen Begriffen, sondern im „Leben“ zu suchen, im Ergebnis hinausläuft: Auf eine grundsätzliche Entwertung des von ihm beiseitegelassenen „dritten Systems“, dessen ausgewogene, dem Zusammenleben eine immanent fortbildungsfähige geistige Ordnung gebende Begrifflichkeit dem „heutigen römischen Recht“ Savignys und seinen bis heute wirkenden Prägungen zugrundeliegt.

– Beachtenswert durch seine biblische Metaphorik ist in diesem Zusammenhang auch der letzte warnende Absatz, mit dem Savigny den Abschnitt 8 „Was wir thun sollten wo keine Gesetzbücher sind?“ abschließt (S. 134): „Als das Jüdische Volk am Berg Sinai das göttliche Gesetz nicht erwarten konnte, machte es aus Ungeduld ein Goldenes, und darüber wurden die wahren Gesetztafeln zerschlagen“. Die wahren Gesetzestafeln sind in dieser Metapher die Gehalte des römischen Rechts, das Goldene Kalb der von an Vollkommenheiten glaubenden Philosophen beratene Gesetzgebungsstaat (vgl. Beruf S. 7). 76 Geschichte der römischen Rechtswissenschaft (1961) S. 148. Das Werk, das, auf deutsch geschrieben, zuerst in einer von Zulueta besorgten Übersetzung „History of Roman Legal Science“ erschienen und dann in seiner Originalfassung aufgrund der Initiative seines ehemaligen, ihm treu gebliebenen Schülers Werner Flume erschien, hat als erstes die Notwendigkeit erkannt, eine eigene hellenistische Epoche der römischen Rechts anzusetzen, ohne allerdings sich deren historischen Ursprungsbedingungen zuzuwenden. Daher blieb es gegenüber dem, was sie hervorgebracht hat, am Ende bei einem platonischen, mit neutestamentlichen Zitaten illustrierten θαυμάζειν.

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Damit ist dann auch zugleich die Frage beantwortet, die den beiden ersten Abschnitten gestellt war, was denn Jhering zur Aufstellung jener hochtönenden Forderungen gebracht hat. Wir können jetzt festhalten: Es war die innere Notwendigkeit, sich von der einseitigen Prägung durch Puchta zu befreien. Nicht die Analyse des zur vollen Reife gekommenen „Geistes des römischen Rechts“ hat ihm diese Worte eingegeben, sondern das nie aufgegebene Bedürfnis, dem einen höchsten ermächtigenden Prinzip, dem er in seiner ersten Phase gefolgt war, eine gleiches hohes ermächtigendes, der Richtung seines Umschwungs Recht gebendes Prinzip entgegenzustellen. Das „dritte System“ hätte ihm das nicht bieten können. In dessen Dualismus hätte er nur eine durchgehende Mäßigung und Ergänzung des Freiheitsprinzips durch Werte des Zusammenlebens gefunden.

III.

Jherings abschließende Deutung des Geistes des römischen Rechts – die Bewertung seines Gesamturteils und seiner daraus gezogenen Folgerungen für den Wert berechtigender Begriffe

1.

Jherings Urteilsgrundlage und Zielsetzung

Die Frage, der wir uns jetzt wie eingangs angekündigt zuwenden wollen, geht dahin, ob uns in den eingangs zitierten Sätzen: „Das Leben ist nicht der Begriffe, wegen da …“ der „Geist des römischen Rechts“ entgegentritt und damit den Anspruch ausdrückt, dass das Unternehmen, ihn zu erfassen, mit einem Erfolg geendete ist. Sie ist durch das Vorstehende bereits präjudiziert und letztlich schon beantwortet. Es widerspricht aller Erfahrung, dass der Versuch, eine Sicht, die durch Radikalisierung falsch geworden ist, durch Radikalisierung ihres Gegenteils zu berichtigen, das Wahre erfasst. Es spricht nicht dafür, dass es etwas Gutes bewirkt, wenn aufgrund dessen nunmehr die für das Recht Verantwortlichen darauf verpflichtet werden, statt rückhaltlos formale Berechtigungen zu achten stets überall allein dem Forum ihres Rechtsgefühls zu folgen und in den Fällen des Lebens stets nur die konkrete Gerechtigkeit zu suchen. Es kommt hinzu, dass niemand beanspruchen kann, den Geist des römischen Rechts erfasst zu haben, der sich mit der Zeit seiner höchsten Reifung nicht beschäftigt hat. Im Bewusstsein, dass er infolge seiner Beschränkung auf das „zweite System“ die eigentliche intellektuelle Blütezeit des römischen Theoriebildungen, die in das „dritte System“ fallen, nie behandelt hat, schreibt Jhering, er werde sich (S. 315):

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„keineswegs auf das ältere Recht beschränken, denn das meiste von dem, was wir hier finden werden, hat auch für neuere seine Geltung behalten, soweit dies nicht der Fall, werde ich im dritten System darauf zurückkommen [Das ist nie geschehen! O.B.].“

In der Sache erklärt Jhering damit, dass er für seine abschließenden Urteile über den „Geist des römischen Rechts“ der Bearbeitung des „dritten Systems“ nicht bedürfe, da das Meiste in ihm gleichgeblieben sei. Daher stört es ihn nicht, dass Gegenstand des für sein letzte Wort über den „Geist des römischen Rechts“ so wichtigen § 59 die (S. 302) „Rechte des älteren Privatrechts“ und (S. 306) „die alten Rechtsbegriffe“ sind. Um so wichtiger ist es, Jhering in den in diesen letzten Paragraphen entfalteten Argumentationen aufmerksam zu folgen. Sie liefern insofern aufschlussreichen Stoff. Das gilt sowohl für den programmatisch überschrieben § 59 „Die Aufgabe, Antheil der juristischen Logik im Recht“, als auch für die abschließenden §§ 60 und 61, in denen er, wie er ankündigt (S. 315), aufgrund einer „Materialkritik der römischen Rechtstheorie“ eine „Allgemeine Theorie der Rechte“ vorlegt. Wir werden sehen, dass er in diesen Abschnitten nicht um ein abgewogenes Verständnis bemüht ist und weder als methodisch interessierter Jurist noch als Rechtshistoriker, sondern ganz einseitig als der Jhering des Umschwungs vorgeht, der mit den formell berechtigenden Rechtsbegriffen des römischen Rechts gewissermaßen noch eine Rechnung offen hat, und zwar eine, die ihm auf diesen Seiten als so hoch erscheint, dass sie nur dadurch beglichen werden kann, dass er im Rahmen dieser Abrechnung den formal berechtigenden Begriffen grundsätzlich die Legitimität entzieht. Die auf diesen Seiten bewiesenen Einseitigkeit zeigt sich für den Methodiker Jhering daran, dass er die Einsichten seiner älteren Phase, die in seinem Werk ihren Platz behauptet haben, einfach übergeht und nicht als das behandelt, was sie sind, als für die berechtigende Seite des Rechts gültige Erkenntnisse. Das gilt für eine seiner schönsten Aussagen (II,2 § 45 S. 471) „Die Form ist die Zwillingsschwester der Freiheit, die geschworene Feindin der Willkür“, in der, obschon bei ihm auf die formbedürftigen Rechtsgeschäfte bezogen, eine allgemeine Wahrheit liegt77. Das gilt ebenso von dem, was er noch zu Beginn des letzten Bandes des Geistes (III, 13 § 48 S. 10) zum Lobe der Begriffsklarheit des römischen Rechts und vor allem von der schönsten und originellsten Erkenntnis seiner älteren Phase, dass nämlich die Erfassung des Rechts nach berechtigenden Begriffen, wie sie ebenso dem modernen Klagenschutz wie dem Anspruchsaufbau 77 Robert Summers, ein lebenslanger, allzu früh der Wissenschaft entzogener Freund, dessen letztes Werk, das voller Jhering-Zitate ist: „Form and Function in a Legal System. A General Study“ [2006], der Rehabilitierung der Form galt, zitierte sie gerne in der, wie ich glaube, von ihm selbst stammenden englischen Version: „Form is the twin-sister of liberty and the sworn enemy of the arbitrary.“

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studentischer Übungsarbeiten zugrunde liegt, im Vergleich zum Denken in Verhalten einfordernden Gesetzesbefehlen den Unterschied zwischen einer Höheren und einer Niederen Jurisprudenz markiert (vgl. oben Anm. 22 und 23). Dem römischen Recht war diese freiheitliche Sichtweise, die von den Rechtsträgern ausging, auf allen seinen Stufen selbstverständlich. Jhering musste sie einem Denken abgewinnen, das Recht primär in der Befehlsrelation sieht, was er mit Recht als einen „niedrigeren“ Zugang erkannte. Von alledem ist auf den letzten Seiten des „Geistes“ nicht mehr die Rede. Was wir dort lesen, lässt am Ende von den formalen Rechtsbegriffen, mit deren Gewährleistung der durch sie Berechtigte grundsätzlich erst einmal fest rechnen können muss, nichts übrig. Als Rechtshistoriker zeigt sich Jhering auf diesen Seiten schon dadurch einseitig kritisch, wenn über manche Rechtssätze, die er in den Quellen findet, nur noch den Kopf schüttelt und sie skurril findet, etwa wenn der letzte vorklassische Jurist lehrt und damit die Zustimmung des ihn zitierenden Prinzipatsjuristen findet, dass die Bewegung eines Baumes anders als die Wand den vollen Besitz der Bodenstelle verhindert, auf dem er steht, und damit ausschließt, dass der Grundstückseigentümer durch eine Art negative Ersitzung die Bodenstelle von einer Servitut befreien kann78. Natürlich darf man eine solche Distinktion verwerfen. Aber Jhering hat Unrecht, wenn er glaubt, dass es sich um eine Einzelfallentscheidung handelt, hinter der sich kein kohärentes Denken verbirgt79. Und selbstverständlich ist es berechtigt, den von der gesamten römischen Jurisprudenz vertretenen Satz, dass der Mensch nur entweder testamentarisch oder testamentlos beerbt werden kann, aufzugeben und ein Testament auch für Teile des Nachlasses anzuerkennen, aber eine solche Fortentwicklung verlässt nicht die Denktradition, die beide Formen ordnungspolitisch unterscheidet, sondern entwickelt sie fort.80 Denn sinnvolle Rechtsfortbildung wiederlegen nicht die Begrifflichkeit des Rechts, sondern beweisen ihre Tauglichkeit, nicht zuletzt in Fällen, in denen das römische Recht neuere Regelungen bewusst abgelehnt hat, also sie durchaus denken konnte und eine Reihe von Substitutionsformen ent78 Vgl. Jherings Urteil Geist III § 59 S. 312 Anm. 431a lautet: „streife ans Wunderliche“. Die entscheidende Aussage der Stelle ( Pomponius 26 ad Quintum Mucium D 8,2,7) lautet Mucius ait, et recte, qui non ita in suo loco maneret arbor, quemadmodum paries, propter motum naturalem arboris. 79 Für die vorklassische Lehre war die leblose Wand ein Mittel des Menschen, durch die er den Boden nutzte, der lebendige Baum nutzte den Boden selber und schloss daher den Menschen von der Nutzung und vom vorklassisch als Usus definierte Besitz aus. Vgl. meine Studie „Die lebendige Natur eines Baumes und die menschliche Struktur eines Bauwerks“ in: Festschrift für J.G. Wolf (2000) S. 1–51. 80 Vgl. Jhering ebda S. 313. Die Unterscheidung geht auf XII tab. V 2 zurück, wo die Erbfolge ohne Testament (ab intestato) als Ausnahme behandelt wird. Ihre uns fremd gewordene Schärfe mag damit zusammenhängen, dass die testamentarische Erbfolge aktiv und passiv ein den Römern vorbehaltenes hochformales ius proprium war.

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wickelt hat. Wenn, um zwei Beispiele zu nennen, Savigny den Quellen die von ihnen abgelehnte unmittelbare Stellvertretung abgetrotzt hat81 oder Mühlenbruch das gleiche für eine nur noch Einigung verlangende Forderungszession geleistet hat82, dann ist damit in beiden Fällen eine große rechtskulturelle Tradition kraftvoll fortgebildet und zugleich als solche vorausgesetzt und genutzt. Die Folgezeit ist denn auch Jhering in dem, was als entschieden destruktive Tendenz dieser Seiten erscheint, nicht gefolgt, beginnend bei dem Eigentumserwerb durch Spezifikation, den erst die zweite hellenistische Jurisprudenz gelehrt hat und den Jhering hier besonders scharf und ohne jede Verständnisbemühung kritisiert. Sein Bestreben, diesen Eigentumserwerbsgrund durch das Arbeitsprinzip zu ersetzen, hat sich nur als kleine Modifikation durchgesetzt. Das BGB ist bei der Sachlogik geblieben, dass eine Sache, die neu auf die Welt kommt, dem gehört, der sie hergestellt hat, und erhebt lediglich zur Voraussetzung, dass der Wert der Arbeit nicht „erheblich geringer“ sein darf als der des Materials83.

2.

Die radikale Preisgabe der berechtigenden Formbegriffe, darunter derjenige der Person

Das waren bis zu einem gewissen Grade Präliminarien. Sehr ernst wird es, wenn Jhering in seiner Kritik an formal ordnenden Begriffen auch fundamentale Konzepte wie (Geist III 1 S. 315) „die juristischen Kategorien der Person, Sache, Handlung u. s.w.“ in Frage stellt, weil „die letzten Quellen der römischen Rechtsbegriffe in psychologischen und praktischen, ethischen und historischen Gründen 81 Dazu grundlegend Franz Josef Hölzl, Friedrich Carl von Savignys Lehre von der Stellvertretung (2002). 82 Klärend Klaus Luig, Zur Geschichte der Zessionslehre (1967). Der Denkstil einer Dogmatik, die lehrt, dass Forderungen als unkörperliche Gegenstände nicht so übergeben werden können wie körperliche Sachen (Gaius II 28; 14), wird nicht verlassen, wenn man für Forderungen eine vertragliche Übertragung anerkennt. 83 Vgl. § 950 Abs. 1 Satz 1 und Jhering loc. cit. S. 313. Verständnislosigkeit zeigt Jhering, wenn er die von ihm in Anm. 433 angeführte klassische Theorie, die den originären Eigentumserwerb an die Neuheit anknüpft, mit der Bemerkung kritisiert, dass dann auch „die bloße Zerstörung der Sache Eigentum geben“ müsse. Die Trümmerteile einer zerstörten Sache sind heute wie damals durch ihre Herkunft definiert. Sie sind Trümmerteile dieser Sache und nichts Neues. Die Spezifikation feierte dagegen den homo faber, der die Welt der Dinge durch neue Formen (species) vermehrt, während die vorklassische Theorie (sie übergeht Jhering ganz) alle Gestaltungen, die der Mensch dem Stoff verleiht, in diesem bereits providentiell enthalten sieht und ihre Ergebnisse dem Stoffeigentümer zuspricht. Einen pointierten Zugang zu den beiden tiefgreifend verschiedenen Sichtweisen gibt mein Aufsatz „Das Kunstwerk in der Eigentumsordnung“, Gedächtnisschrift für Jörn Eckert (2008) S. 66–100 Auf dieses Recht passt der Terminus Sachlogik. Denn es geht in diesem Fall nicht primär um Logik im Sinne folgerichtiger Rede, sondern primär um eine aus menschlicher Perspektive definierte, entweder skeptisch oder gläubig gefasste Ontologie.

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gesucht werden müssen“, und daran anschließend in konsequenter Weiterführung dieser Begründung ihre Geltungskraft von „ethischen, psychologischen, wirtschaftlichen, legislativpolitischen (!) Kategorien“ ersetzt sehen will. Die an erster Stelle stehende Preisgabe der Kategorie der Person, die seit der zweiten hellenistischen Rechtslehre als die Gestalt des berechtigten Menschen im Zentrum des Rechtssystems steht, und zwar mit einem bis heute andauernden Erfolg, ist besonders gravierend und kennzeichnend. Sie zeigt, zu welchen gefährlichen Extremen Jhering auf den letzten Seiten des „Geistes“ durch die Radikalität, mit der er seine Selbstberichtigung betreibt, geführt wird. Der fundamentale Satz, dass jeder Mensch Person und daher rechtsfähig und vom Recht zu schützen ist, wird Motiven der sich in Gesetzen betätigenden Politik überlassen, die nicht mehr an Recht gebunden ist, sondern sich durch das legitimieren kann, was Ethik, Psychologie und Ökonomik einer jeweiligen Zeit ihr in ihrer legislativen Tätigkeit abverlangen können. Gewiss hat Jhering die Folgen, die ich am Anfang meiner eingangs zitierten Studie zur Person genannt habe84, auch nicht in Ansätzen bedacht. Es bleibt aber doch in der Sache eine schwere Verirrung, gemildert nur dadurch, dass Jhering hier nicht als Rechtshistoriker und Jurist spricht, sondern als ein durch seine Krise traumatisierter Rechtstheoretiker. Der Begriff der Person ist vom Bild des „sprechenden Gesichts“ abgeleitete. Er stammt aus dem Theaterwesen und gibt jedem, dem die Natur mit seinem Gesicht eine zum Sprechen eingerichtete „Maske“ verliehen hat, ein von inneren Gefühlen und Gedanken bewegtes, ihn individualisierenden Antlitz. Er erklärt auf diese Weise nicht nur gleichzeitig Gleichheit wie Verschiedenheit des Menschen zu Grundprinzipien der menschlichen Gesellschaft, sondern hebt zugleich den Menschen aus der Biologie heraus. Denn allein der Mensch vermag in Anerkennung jener Grundprinzipien eine vernunftgeleitete, institutionelle Formen und rechtsethischen Werten anerkennende Rechtsordnung hervorzubringen und in der ersten und zweiten Person sprechend und hörend in den Verhältnissen zwischen dem Ich und Du und dem Wir und Ihr eine Gesellschaft zu bilden, die Gleichheit und Verschiedenheit gewährleistet. Die dritte Person des Es bleibt einerseits für alles, was der Mensch beherrscht. Dass anderseits der humane Skeptizismus, auf den diese Lehre zurückgeht, auch im Verhältnis zum Göttlichen nur die dritte Person kennt, hebt mit Nachdruck hervor, dass die Verantwortung für das Recht allein dem Menschen obliegt85. Es ist daher wahrlich nichts Geringes, wenn Jhering an dieser

84 Vgl. den Nachweis der Studie oben Anm. 2. 85 Die Begründung für das Ausgeführte findet sich in dem Aufsatz „Die Person im Recht“ a. a. O. S. 201ff., die Folgen für die Staatsgründungslehre in dem Aufsatz „Die Große und die kleine Conventio“. Vgl. oben Anm. 2.

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Stelle, getrieben von dem Streben, sich von Puchta zu befreien, in großer Einseitigkeit versucht hat, diesen zentralen Begriff für entbehrlich zu erklären86. Die Preisgabe der Grundbegriffe „Sache“ (res) und „Handlung“ (actio, factum)87 ist nicht minder verwerflich und kennzeichnend. Sie nimmt dem sich in der historischen Kontinuität bewegenden Rechtsdenken den Blick auf die elementaren Lebenssituationen der Menschen, in denen sie sich in ihren Verhältnissen zu den Sachen durch deren Beherrschung allererst Existenzräume schaffen und sich durch ihre Handlungen rechtlich und tatsächlich entfalten und verantwortlich machen. Es ist denn auch gewiss kein Zufall, dass Jhering an dieser Stelle im Wesentlichen, nur im letzten Glied etwas abgewandelt, die drei Begriffe verwirft, von denen – es sind die Person, die Sache sowie Forderung und Verbindlichkeit – Puchta in jener früher zitierten poetischen Stelle sagt, dass sie die „kühl anzufühlende Decke“ bilden, die den „Untergang der Individualitäten verhindert“ und unter der sich „warmes Leben in aller seiner Mannigfaltigkeit“ bewegt, „nicht gehindert oder unterdrückt, sondern gefördert und geschirmt“. Der von Jhering an die Stelle gesetzte Legislativpolitik, welche die Staatsmacht ins Spiel bringt, zeigt dabei, dass seine Wende ihn zu einer in keiner Weise mehr kontrollierbaren Ermächtigung der Staatsgewalt geführt hat.88 Von dem kulturanthropologischen Grundmotiv des von Jhering unerforscht gelassenen „dritten Systems“, dass das Recht überall auf die Leistung der in ihren Gliederungen zur Staatlichkeit zusammengetretenen Menschheit zurückführt, die sich und ihres gleichen als berechtigten Personen von einem leistungsfähigen und universalen Privatrecht in ihrer Freiheit und ihrem Verkehr geschützt sehen wollen, ist nichts geblieben. Ähnlich kritikwürdig ist es, wenn Jhering es zu Beginn des § 59 befremdlich findet, dass auf (S. 303) „die Rechte des alten Vermögensrechts“ „der Wechsel der Dinge keine Macht gehabt zu haben“ scheine und wir „bis auf den heutigen Tag“ „mit denselben Begriffen des Eigenthums, Besitzes, der Servitut, Obligation, der 86 Umso beachtlicher die Rücknahme im Kampf um’s Recht. Vgl. unten Anm. 104. 87 In klassischer Terminologie ist die actio die menschliche Handlung, die Rechtswirkungen erzeugt, seien sie rechtsgeschäftlich oder prozessuale (vgl. Proculus bei Paulus 32 ad edictum D 17,2,65 pr), das factum dagegen als beschreibbare Handlung ein Attribut der Person, aufgrund derer sich der Mensch verantwortet (vgl. Cicero, de inventione I 25,36), und zwar im klassischen Recht mit den Mitteln der auf sein Handeln, d. h. in factum, konzipierten Klagformulare. Die in den Institutionen des Gaius durchgeführte Dreigliederung persona, res, actio bewahrt das noch recht deutlich. Die res sind die Vermögensrechte, die vor allem durch rechtsgeschäftliche actiones erworben werden. Die Kategorie actio ist zwar bei Gaius kaiserzeitlich auf Klagformen beschränkt, bewahrt aber die ursprüngliche Bedeutung in ihrem Hauptunterschied, der darin besteht, dass die Klagformulare entweder in ius konzipiert sind und Berechtigungen durchsetzen oder in factum und dann für Verhalten verantwortlich machen. 88 Vgl. dazu noch zusammenfassend die kritische Würdigung IV § 4 „Jherings Staatsbegriff“.

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erbrechtlichen Universalsukzession, des Legats“ operierten, „die bereits vor zweitausend oder mehr Jahren den altrömischen Juristen dienten“. Jhering hat zwar natürlich Recht, wenn er meint, dass diese Begriffe nicht, wie er in seiner ersten Phase geglaubt hat, einer höheren, naturhistorisch gedeuteten Genealogie verdankt werden, die ihnen nicht nur eine ein für alle Mal geltende Form verleiht, sondern auch strikte Konsequenz in ihrer Durchsetzung fordert. Aber diese notwendige Selbstkritik berechtigt ihn nicht, die Kontinuität im Wandel zu beklagen oder gar zu leugnen. Gewiss waren diese Berechtigungsformen immer wieder erforschungswürdigen und berichtenswerten Veränderungen und sie konzeptionell unterschiedlich bestimmenden Einordnungen unterworfen. Dass aber andererseits ein römischer Jurist sie in ihrer heutigen Gestalt sofort wiedererkennen würde und umgekehrt ein heutiger Jurist sie in ihrer damaligen, ist gewiss und am Ende nicht überraschender als bei anderen Artefakten des Menschen, seien sie körperlich wie Häuser, Straßen, Wasserleitungen und Werkzeuge, seien sie gedanklich-unkörperlich wie die Ordnungsbegriffe der alexandrinischen Grammatik, die erst die lateinische, dann die deutsche Sprache „auf den Begriff“ gebracht hat. Die Unverwechselbarkeit und Gestaltbarkeit der jeweiligen Gegenwart wird, wenn man derlei zugibt, nicht in Frage gestellt, sondern allererst erkennbar und verantwortbar.

3.

Die Entthronung des berechtigenden Begriffes zugunsten der im Namen der Gerechtigkeit Interessen anerkennenden und schützenden Staatsmacht

Jhering, der das nicht berücksichtigt, bekämpft im § 59 die Rechtsbegriffe als etwas, was sie in der Zivilisationsgeschichte selbst nie, wohl aber in seinen Puchtas Lehren „säkularisierenden“ Augen gewesen sind, nämlich als eigenständige Kräfte, die das Recht hervorgebracht haben. Daher kann er schreiben, was so wohl noch niemand vor ihm gedacht hat (S. 309): „Da schwingt sich denn der Begriff zur Rolle des Demiurgen auf: Er hat die Welt des Rechts gemacht. Er regiert sie.“ Der Demiurg ist eine manichäische Gestalt, der für eine übereilte und daher missglückte Schöpfung die Verantwortung trägt. Entsprechend charakterisiert Jhering dessen Werk als (S. 308) „Blendwerk der juristischen Dialektik“, dem ein (S. 311) „Cultus des Logischen“ gewidmet ist. Daher auch die Erlösung verheißende Aufforderung (S. 311) „Brechen wir den Bann, mit dem der Irrwahn uns gefangen hält.“ Bedenklich an dieser Polemik ist nicht, soweit Jhering mit ihr nur das eigensinnige Festhalten mancher Kollegen am Buchstaben des rezipierten römischen Rechts kritisiert, zutiefst verfehlt ist es aber, dass er auf diesen Seiten den Rechtssicherheit gewährenden Sinn formaler Begrifflichkeit der Berechtigungen leugnet und den Begriffen, indem er an ihre Stelle nur situationell

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greifbare Werte setzt, die Kraft nimmt, die Grundbedingungen der menschlichen Existenz zuverlässig zu schützen. Die Folgerungen aus diesem destruktiven Ansatz zieht Jhering in den folgenden §§ 60 und 61. Sie sind dadurch vereint, dass sie die Räume der Freiheit und Verantwortlichkeit erzeugenden Formen des Rechts zugunsten zweier naturalistischer Kräfte leugnen, der „Macht“ und des „Interesses“. Der § 60 beginnt mit der Frage (S. 317) „Was ist das Recht?“ und erklärt in der Antwort, dass es eine Schöpfung sei, die von der „Macht“ nicht nur die Form, sondern in Gestalt der von der Macht für schutzwürdig erklärten Interessen auch den Inhalt erhalte. Eine Kontrolle der Interessenwahl der Macht gibt es auf diesen Seiten nicht. Von dem Zusammenwirken zuverlässig definierter Berechtigungen und der den berechtigten Menschen soziales Verhalten abfordernden Werten, die in der Tradition des römischen Rechts geholfen haben, aus der Welt einen bewohnbaren Ort zu machen, ist nicht mehr die Rede. Für die Form des Rechts gibt Jhering vielmehr eine radikal positivistischnaturalistische, in der Behandlung der selbst gesetzten Prämissen streng logische Deduktion. Das (S. 318) „Wesen des Rechts, was immerhin auch seine Aufgabe, sein Ziel, sein Inhalt sein möge“ bestehe „in der Ve r w i r k l i c h u n g , die Voraussetzung dazu aber ist Macht, das Organ und der Träger der Macht aber der Wille. Erst durch ihn werden die Rechts g e d a n k e n – die des Gesetzgebers im Gesetz, die des Volks im Gewohnheitsrecht – zu R e c h t s s ä t z e n , zu wirklichem, wahrhaftigem Recht erhoben, d. h. zu einer Macht, die das Leben gestaltet und beherrscht; ohne diese Bethätigung ihrer praktischen Kraft durch unausgesetzte constante Verwirklichung wären sie Gedanken, Ideen, Ansichten, wie alle andern, aber keine Rechtssätze“.

Die Definition gibt eine strikt auf die tatsächliche Anwendung gerichtete „rule of recognition“ (Herbert Hart) wieder. Allein an der Verwirklichung erkennt man, was irgendwo in der Welt Recht ist. Das ist eine radikale Naturalisierung, die das Kriterium des Normativen allein im faktisch Realisierten finden will, wird aber von Jhering gleichwohl zur Grundlage der „Dogmatik“ des Rechts erklärt89. Die Art, in der Jhering das von einem Recht geschützte „Interesse“ bestimmt, ist nicht weniger naturalistisch. Er schreibt dazu in heute etwas ungewohnt gewordener Terminologie (S. 331):

89 Daher fährt er fort: „Für die d o g m a t i s c h e Darstellung des Rechts reicht diese Auffassung, welche die für jene allein wichtigen Momente des Rechts: den Charakter der Positivität und Realität treffend wiedergibt, vollkommen aus“. Recht, wie es die Lehrbücher darstellen sollten, ist danach, was die Gerichte tatsächlich tun. Zu einem berühmten Echo dieser Sicht gleich noch unten S. 240 mit Anm. 135.

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„ jedes in Thesi zugelassene Recht den Ausdruck eines vom Gesetzgeber nach dem Standpunkt s e i n e r (Hervorhebung wie stets von Jhering) Zeit für schutzfähig und schutzbedürftig anerkannten Interesses.“

Der von der gesetzgebenden Macht anerkannte Interessegehalt ist hier als Inhalt des Rechts an die Stelle der den Personen ein ungehindertes Leben ermöglichenden Freiräume Puchtas getreten. Es ist eine Neubestimmung des subjektiven Rechts durch das Interesse, deren Definition er kurz zuvor gegeben hatte90. Der naturalisierende Sinn dieser Definition wird vollends sichtbar, wenn Jhering wenig später ausführt, was sie „in Hypothesi“, d. h. in Anwendung auf eine konkrete Berechtigung des Lebens, bedeutet. Hier erörtert Jhering wenig später die Frage, ob jemand Inhaber eines Rechts sein kann, der der Wahrnehmung des von ihm geschützten Interesses gar nicht fähig ist, z. B. ein Blinder, der die Fernsicht, die eine Dienstbarkeit sichert, gar nicht genießen kann91. Er verweist für deren Beantwortung der Frage auf den folgenden, nie erschienenen Band92. Wir werden indes gleich sehen, dass er bereits im Vorangegangenen die Voraussetzungen für eine durchaus problematisch ausfallende Antwort formuliert hatte. Zunächst fällt ins Auge, dass nach Jherings Worten der Einzelne auf die Entscheidung, was von der gesetzgebenden Macht seiner Zeit als schutzwürdiges Interesse anerkannt wird, nicht den geringsten Einfluss hat. Vielmehr schlägt Jhering hierzu erstaunlich radikale, ungemildert rousseauistische Töne an. Indem er den das Recht verwirklichenden Machtwillen als den Allgemeinen Willen definiert93, kommt er zu dem Ergebnis, dass (S. 319) „der individuelle Wille“, der sich im Kreis seiner rechtlichen Interessen bewegen wolle, dies „n u r i n s o w e i t könne, als er durch den allgemeinen gedeckt ist“. Dem folgen Sätze, 90 S. 328 „Recht sind rechtlich geschützte Interessen.“ „Jedes Recht des Privatsrechts ist dazu da, daß es dem Menschen irgend einen Vortheil gewähre, seine Bedürfnisse befriedige, seine Interessen, Zwecke fördere.“ 91 S. 333: Dort führt er aus: Nachdem er „die Bedeutung des Interesses für das Recht i n T h e s i entwickelt“ habe, stelle sich die Frage, ob das was „in abstracto“ gelte, „nämlich dass das Interesse den Zweck und die Voraussetzung des Rechts bildet“, „sich auch i n H y p o t h e s i wiederholen müsse, so dass z. B. die bestellte Wegegerechtigkeit nur dann zu Recht bestehe, wenn sie für den Berechtigten von nachweisbarem Interesse sei“. Das im Text genannte Beispiel hatte Jhering schon auf S. 329 angeführt, wo er mit der gleichen Frage, die „Aussichtsgerechtigkeit für einen Blinden“ der „Berechtigung zum Besuch eines Concerts für einen Tauben“ an die Seite stellt. Das Hauptbeispiel ist die Gerechtigkeit genannte Servitut, die – bezeichnend für Jherings Fixierung auf seinen ehemaligen Lehrer – auch Puchta für seine Genealogie der Begriffe verwendet hatte. 92 Er schreibt: „Es scheint mir jedoch passender, diese Frage zunächst auszusetzen [dazu in der Fn. 455a: S den folgenden Band], um vorläufig in der Entwicklung des Rechtsbegriffs weiter fortzufahren.“ 93 S. 318 „Die Bezeichnung des Rechts im objectiven Sinn als des „allgemeinen Willens“ gibt in formaler Beziehung das Wesen desselben in einer Weise wieder wie sie nicht kürzer und treffender gedacht werden kann.“

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die den Stil ruhiger Analyse verlassen und unerschrocken aufzeigen, was es bedeutet, wenn die volonté générale über die zulässigen Interessen entscheidet. „Nur soweit dies Congruenzverhältniß reicht, kommt die Macht, mit der jener ausgerüstet ist, auch diesem zugute, schlägt das objective Recht zum subjectiven Recht nieder, darüber hinaus offenbart sich die Ohnmacht des individuellen Willens, indem die Macht des allgemeinen Willens ihn zu Boden wirft (!). In diesem Sinn kann man das Recht als ‚concrete Einheit des Staatsund Einzelwillens‘ (Kierulff) bezeichnen als ein in der Privatpersonen concret und lebendig gewordenes Stück des allgemeinen Willens.“

Wen ein höchster Wille zu Boden wirft, wird entweder vernichtet oder zu einer unfreiwilligen Proskynese gezwungen. Und natürlich tut man gut daran, wenn es denn einen solchen Willen gibt, ihn zu verehren, was Jhering in diesen eine über dem Recht stehende Macht postulierenden Worten ersichtlich tut. Er beschränkt jene Macht auch nicht darauf, in den individuellen Menschen vorhandene Interessen anzuerkennen oder nicht, sondern gibt ihr auch die Kraft, Rechte zu verleihen, die der Einzelne in casu nicht haben und nutzen kann. Insofern schreibt er: Daraus, dass (S. 319/320) „mein Wille sich nicht weiter erstrecken kann, als der allgemeine“ folge nicht, „dass letzterer nicht weiter kann, als der meinige, m.a.W. daß ich nicht ein Recht haben kann, dass nicht in meinem eigenen, sondern im Willen des Gesetzes seinen Grund hat.“

Damit begründet Jhering die Rechtsfähigkeit von Geschäftsunfähigen, von Geisteskranken und Kindern, und hätte damit gewiss auch die Aussichtsgerechtigkeit des Blinden begründen können, hat aber davon wohl Abstand genommen, weil ein Allgemeinwille, der ein fehlendes physisches Vermögen ersetzt, dem auf diesen Seiten verfolgten Naturalismus denn doch diametral widersprochen hätte. Im Hinblick auf die den geistig Behinderten vom Gesetz gewährte Rechtsfähigkeit betont Jhering nachdrücklich, dass hier eine verpflichtende Aufgabe des Staates vorliegt. Seine bewegten Worte, die ich in der Anmerkung im Auszug wiedergebe94, ändern aber nichts daran, dass seine auf diesen Seiten entwickelte Rechtstheorie, die der Macht die Anerkennung der rechtlichen geschützten Interessen überlässt, letztlich auch diese Entscheidung zur Disposition des Gesetzgebers stellt. Was im übrigen den nur als Macht

94 S. 322 schreibt er: „Nicht wegen willkührlicher Laune des Gesetzgebers, sondern in Anerkennung des Anspruchs, den jedes menschliche Wesen auf der Stirn trägt“ hätten „jene Personen ihr Recht“. Bei ihnen sei „das Bedürfniß, das mit der thierischen Natur des Menschen unabweisbar gesetzt ist, und dessen Befriedigung in der gesicherten Form des Rechts einer der ersten Zwecke aller subjectiven Rechte ist“, nicht weniger vorhanden als bei allen anderen. Und „je weniger ihnen selber die Fähigkeit innewohnt für die Befriedigung desselben Sorge zu tragen, um so mehr ist dies Aufgabe des Staates.“

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wahrgenommenen Staat dazu legitimiert, über das Bestehen von rechtlich schutzwürdigen Interessen zu entscheiden, wird von Jhering nicht erörtert. Jherings allgemeiner Wille, der schutzwürdige Interessen in gesetzgeberischer Form als „Rechte“ anerkennt, begründet letztlich eine Theorie des Privatrechts, in der die berechtigenden Formen alle Bedeutung verloren haben. Das zeigt sich auch darin, dass Jhering als Form der rechtlich geschützten Interessen jedenfalls für das römische Recht, an dem er seine Theorie entwickelt, allein die von der staatlichen Gerichtsbarkeit zum Erfolg geführte Klage anerkennen will. Die formal definierten Berechtigungen, die mit der Klage geltend gemacht werden, finden bei ihm keinen Platz mehr95. Allerdings kann er nicht umhin anzuerkennen, dass die damalige – Savignys Aufarbeitung des dritten Systems folgende – Rechtswissenschaft anders dachte, erklärt aber die Tatsache, dass sie, wie die heutige, vom materiellen Recht her denkt, durchaus zu Unrecht als eine Folge einer Abkehr vom römischen Recht96.

4.

Die „Genußtheorie“ – die Leugnung des Begriffs einer formalen gemeinnützigen Rechtsträgerschaft

In der Genusstheorie, die Jhering im § 61 vorstellt, dem letzten seines Torso gebliebenen Werkes. hat seine auf diesen Seiten verfolgte Abwendung von der Rechtsform und seine Hinwendung zum naturalistisch-fühlbaren Leben ihren schärfsten Ausdruck gefunden. Die Existenzform der als geschützten Interessen definierten Rechte ist für Jhering hier der Genuss, der entweder in tatsächlicher Weise durch Benutzung des Zugeordneten (S. 334f.) oder durch „ideale oder juristische Genußformen“, die dessen Wert im Rechtsverkehr gebrauchen. Auf die zweite Möglichkeit bezieht sich der Satz (S. 337): „Alle Rechtsgeschäfte, die der Eigentümer abschließt, sind Akte, durch die er g e n i e ß t .“ (S. 337). Aus dieser Definition zieht Jhering dann mit unerbittlicher Logik die Folge, dass die Juristische Person kein Rechtsträger sei:

95 Vgl Geist III, 1 § 60 S. 327, 338ff. 353. 96 III,1 § 61 S. 353: „Unser heutiger Standpunkt ist ein anderer geworden (!), das Fundament unserer heutigen wissenschaftlichen Systematik bildet nicht die Klage, sondern das Recht. Aber freilich fehlt noch viel an der consequenten Durchführung desselben; mit dem einen Fuß stehen wir auf dem römischen, mit dem anderen auf dem modernen Boden“. Das Urteil über das römische Recht ist unrichtig. Es genügt ein Blick auf das in die drei Titel persona, res, actio gegliederte System des Gaius um zu erkennen, dass die primären Attribute der Person (vgl. Cicero, de inventione I 24,35–25,36) Status (persona) und Vermögensgegenstände (res) sind. Dann erst folgt das Klagrecht (actio), das entweder Berechtigungen verfolgt oder wegen eines Verhaltens (factum) in Anspruch nimmt.

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Geist III,1 § 61 S. 342 „Die juristische Person als solche ist völlig genußunfähig, sie hat keine Interessen und Zwecke, kann also auch keine Rechte haben, denn Rechte sind nur da möglich, wo sie ihre Bestimmung erreichen, d. h. dem berechtigten Subject dienen können – ein Recht, das in der Person des Berechtigten nie diesen seinen Zweck zu erfüllen vermag, ist ein Unding, ein Widerspruch gegen die Grundidee des Rechtsbegriffs.“

Natürlich hat Jhering mit der Schlußfolgerung für sich genommen Recht: Etwas, was lediglich im Denken existiert, vermag nicht, wozu eine biologische Existenz notwendig ist. Aber daraus folgt nicht, dass (S. 343) „die einzelnen Mitglieder“ der Einheit oder Körperschaft, die man Juristische Person nennt, „die wahren Rechtssubjecte“ sind. Auch die Prämisse, dass ein Rechtsträger nicht als das von menschlichen Bedürfnissen freies Geschöpf zweckhaft ordnenden Rechtsdenken gedacht werden kann, ist alles andere als überzeugend. Und mit römischer Rechtsgeschichte und dem Geist des römischen Rechts hat diese Argumentation nun schon gar nichts zu tun. Es zeigt sich hier vielmehr erneut, dass es Jherings Bestreben ist, sich restlos (S. 342) „aus der Befangenheit des juristischen Formalismus“ zu lösen und allein einen „realen Sinn und Zweck des ganzen Verhältnisses“ an die Stelle zu setzen, das ihn einseitig übertreiben lässt. Die universitas, die Rechtsfigur überindividueller Rechtsträgerschaft der jüngeren hellenistischen Rechtswissenschaft, die, aus dem öffentlichen Recht kommend, sowohl die Zuständigkeit des populus Romanus an allen res publicae als auch die der Gemeinden mit Selbstverwaltung und die der anerkannten societates publicae und Kollegien an ihren vermögenswerten Gegenständen regelte und, wie Jhering richtig feststellt, diese nicht als Eigentum, sondern als Zuständigkeit sui generis fasste97, hat, was Jhering nicht erwähnt, die Trennung zwischen Rechtsträger und den die „Einheit“ bildenden Mitgliedern mit besonderer, bis heute beispielgebender Schärfe herausgestellt98. 97 Geist III,1 S. 347 § 61 Fn. 476 sagt er ganz richtig: „Das Eigenthum ist nicht die einzige Form des ‚Gehörens‘“ und weist dann zutreffend darauf hin, dass die Quellen von den Gegenständen, die „universitatis esse creduntur“ (= von denen man annimmt, dass sie einer „Einheit“ gehören) gleichzeitig sagen; „nullius in bonis esse creduntur“ (= man nimmt an, dass sie in niemandes Vermögen sind). Jhering ist nur durch seine Prägung daran gehindert, in diesen Quellen geistige Bemühungen von historisch bedingten Individuen zu erkennen, die, wie er selbst, um eine bestmögliche Formulierung des Rechts bemüht waren, aber auch theoretische Gründe dafür hatten, dass sie nur dem Menschen Besitz und das als Recht auf den Besitz definierte Eigentum zuerkannten. Zur Herkunft dieser auch in der folgenden Anm. mitgeteilten Lehre vgl. die oben Anm. 2 zitierte Rezension. 98 Ulpian 10 ad edictum D 3,4,7,1 lehrt mit unüberbietbarer Klarheit: Si quid universitati debetur, singulis non debetur: nec quod debet universitas, singuli debent (Wenn etwas der Einheit geschuldet wird, wird es nicht den je Einzelnen geschuldet, und was die Einheit schuldet, schuldet nicht der je Einzelne.).Wäre Jhering nicht so sehr mit seinem Lebensthema beschäftigt gewesen, hätte er gewiss die außerordentliche Zweckmäßigkeit dieser Unterscheidung herausgearbeitet.

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Die ältere hellenistische Theorie, die Körperschaften aus Selbständigen (corpora ex distantibus) annahm, deutete zwar auch deren Sachvermögen als Eigentum und Besitz, unterschied aber nicht weniger, beginnend beim Verhältnis der Bürger zum Gemeinwesen, zwischen den beiden Ebenen: Was der selbstständige Bürger an Eigentum hatte und an Besitz sich zu verschaffen strebte, war seinem privaten Eigennutz überlassen. Was dagegen der aus selbständigen Bürgern gebildeten und von ihrer verfassungsmässigen Teilhabe getragenen Körperschaft zustand, diente den Zwecken der Republik und damit dem Gemeinwohl. Diesen fundamentalen Gegensatz zwischen den Interessen der Selbstständigen und dem der Republik, der entsprechend für andere Körperschaften gilt99, musste, wie die Geschichte lehrt, nicht erst jene ältere Theorie entdecken, wurde aber durch eine Sensibilierung, die er in der Mitte des 2. Jh. in einer Fortentwicklung der ersten hellenistischen Jurisprudenz zugunsten der Destinatäre erfuhr, nach seinen gegensätzlichen Werten so verpflichtend herausgearbeitet, dass es über die Frage, wie mit dem ager Romanus zu verfahren sei, ob er der freien Okkupation durch privates Kapital überlassen oder gemeinwohlbezogen für die Ansiedlung landloser Plebejer herangezogen werden müsse, zu einer Konfrontation kam, die von den Vertretern des eigennützigen Prinzips gewaltsam gelöst wurde und Rom in der Folge in einen mehrere Generationen dauernden, immer wieder blutig ausgetragenen Gegensatz von Optimaten und Popularen stürzte. Erst Augustus hat ihn durch eine tolerante, pluralistischen Antworten Raum gebenden Stabilisierung des Dualismus zwischen Eigennutz und Ansprüchen der Gesellschaftlichkeit, der in einem Gemeinwesen nun einmal ausgehalten werden muss, für eine lange nachwirkende, die damaligen Möglichkeiten nutzende Friedensperiode beenden können100. Dass Jhering auf diesen Seiten sich nicht des allbekannten Unterschieds erinnerte, der zwischen dem verantwortlich zu bestimmenden Gemeinwohl, dessen Hebung ohne klare öffentliche Zuordnung der dafür erforderlichen Mittel nicht möglich ist, und den Privatvermögen besteht, die sich ohne klare formale Ge99 Das gedankliche Verhältnis zwischen der vom klassischen Staatsrecht für den populus Romanus vorausgesetzten und im klassischen Edikt für die Gemeinden und andere Personeneinheiten geregelten universitas einerseits und dem dem vorklassischen ius civile angehörenden corpus ex distantibus andererseits ist in der Kaiserzeit eines der Ergänzung: Die aus dem ius publicum kommende universitas wird durch die privatrechtlichen Elemente des corpus ex distantibus bereichert. Vgl. dazu den zweiten Teil der in Anm. 2 genannten Rezension GGA 270 (2018) S. 48–73. 100 Die maßgebende Beteiligung der jüngeren Form der ersten hellenistischen Jurisprudenz an diesem die römischen Verhältnisse zutiefst erschütternden Vorgang habe ich zuerst nachgewiesen in der Studie „Tiberius Gracchus und die Juristen seiner Zeit – die römische Jurisprudenz gegenüber der Staatskrise des Jahres 133 v. Chr.“ Jetzt in O. Behrends, Zur römischen Verfassung. Ausgewählte Schriften, hrsg. von Martin Avenarius und Cosima Möller (2014) S. 17–98.

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währleistung weder entfalten noch für die Zwecke des Gemeinwohls als leistungsfähige Besteuerungsobjekte in Anspruch nehmen lassen, zeigt nur noch einmal, wie sehr er hier auf das Ziel fixiert war, den Berechtigungen jene gedankliche Form zu nehmen, der er einst exzessiv gehuldigt hatte. Hier liegt denn auch der Grund, warum bei ihm nur noch die vitalen Kräfte „Macht“ und „Interesse“ übriggeblieben sind. Sie nehmen bei ihm die Plätze ein, die in Puchtas Genealogie der Begriffe zwei geistige Elemente eingenommen hatten, der göttliche Urheber der adamitischen Ermächtigung und die durch sie für berechtigt erklärten menschlichen Personen. Als verbindendes Element bleibt nur, dass auch Jherings Blick, so radikal verschieden er ist, allein auf die Begründung privater Berechtigungen gerichtet ist. Was gänzlich fehlt, ist das Bewusstsein, dass das Privatrecht, das in allen Staaten die Zivilgesellschaft begründet, zugleich sowohl Geschöpf als auch in seinen Personen, die in Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit und Verwaltung Aufgaben des Verfassungslebens übernehmen, Träger der Staatlichkeit ist. In Savignys spirituellem Republikanismus war das noch gegenwärtig, allerdings ohne jeden ernsthaften Versuch, diesen Republikanismus aus der römischen Geschichte zu legitimieren. Puchtas Griff auf die Schöpfungsgeschichte des Alten Testaments, die ihn befähigte, das Privatrecht von Ermächtigungen her zu denken, die jeweils einzelnen Menschen zugeteilt werden, brach dagegen jede Brücke zu Lehren ab, die das Recht aus dem Zusammentritt (coetus) oder der Zusammenkunft (conventio) der Menschen101 zur Staatlichkeit herleiten, bewahrte aber die der Freiheit dienende formale Begrifflichkeit des römischen Rechts. Jhering vertiefte nach seinem „Umschwung“ den Bruch, indem er diese Begrifflichkeit einseitig delegitimierte und an die Stelle der berechtigten Person den mit Bedürfnissen ausgestatteten, aber in der Anerkennung ihrer Schutzwürdigkeit von der Staatsmacht abhängigen Menschen setzte. Er entging auch nicht der Gefahr, dem Staat angesichts dessen, was er gegenüber Puchta ersetzte, ein weit über das richtige Maß hinausgehendes, im Prinzip auf jegliche Kontrolle durch das Recht verzichtendes Vertrauen entgegenzubringen102. 101 Der vorklassische coetus multitudinis iuris consensu et utilitatis communione societatus (Cicero, de re publica I 25,39; von coire; vgl. coire societatem) erfasst den Bürgerverband als eine näher bestimmte Gesellschaft, eine societas publica, welche die Menschheitsgesellschaft in einer sie erhaltenden Weise gliedert (Cicero, de officiis III 17,69; I 7,22; I 17,93), die conventio erzeugt dagegen mit der universitas civium eine communio, eine ebenso weltoffene, aber individualistische Rechtsgemeinschaft, wie sie nicht zufällig im Verhältnis von Miteigentümern stellvertretend (bis heute) bewahrt ist. Denn das moderne, hoch individualistische Bruchteilseigentum, dem jedes gesellschaftliche Element fehlt, geht auf Servius Sulpicius Rufus zurückgeht, der es gegen Q. Mucius Scaevola durchgesetzt hat. Vgl. Paulus 21 ad edictum D 50,16,25,1. 102 Ich verweise insofern noch einmal auf die Zusammenfassung Abschnit IV § 4 „Jherings Staatsbegriff.“

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Die Antwort, die auf die diesem Abschnitt gestellte Frage gegeben werden muss, ist damit eindeutig. Jherings „Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung“, literarisch ein Meisterwerk und immer wieder ungemein geistvoll und reich an Einsichten, die zu bedenken und oft auch zu beachten sind, gibt an seinem Ende nicht dem Geist des römischen Rechts das Wort. Er hat ihn vielmehr gründlich verfehlt und in jenen in den Mittelpunkt dieses Beitrags gestellten Worten nicht ihn, sondern seine eigene Befindlichkeit sprechen lassen. Letztlich hat er in diesem Werk, das Torso geblieben ist und das „dritte System“, die rechtswissenschaftliche Epoche des römischen Rechts unbearbeitet gelassen hat, in jeweils glaubensstarker Weise zwei Einseitigkeiten verfolgt, die mit der römischen Geschichte so gut wie nichts zu tun haben, erst die Apotheose des selbstständigen Individuums, das seiner Tatkraft vertraut und darin von den ihn ermächtigenden, als „Rechtskörper“ interpretierten Rechtsformen ermutigt wird, dann das ernüchternde Bild eines Menschen, der in allen seinen Lebensbedürfnissen und Interessen davon abhängt, dass der Staat als Gesetzgeber und Inhaber der Gerichtsgewalt sie als schutzwürdig anerkennt.

IV.

Zur Wirkungsgeschichte der Jheringschen Deutung des „Geistes des römischen Rechts“

1.

Eine notwendige Unterscheidung: Jhering als selbstständiger Rechtsdenker und Jurist, Jhering als Historiker des römischen Rechts

In diesem letzten Teil möchte ich noch wie zu Beginn angekündigt in kurzen Umrissen der Frage nachgehen, wie es auf die Nachwelt gewirkt hat, dass Jhering, sein Unternehmen, den Geist des römischen Rechts zu bestimmen, in jenen hier noch einmal wiedergegebenen Worten kulminieren ließ: Das Leben ist nicht der Begriffe, sondern die Begriffe sind des Lebens wegen da. Nicht was die Logik, sondern was das Leben, der Verkehr, das Rechtsgefühl postulirt, hat zu geschehen, möge es logisch nothwendig sein oder unmöglich sein.

und in der Folge dann das, worauf ein Mensch berechtigt sein kann, als seine erlebbaren „Interessen“ bestimmt hat, deren Anerkennung die Macht des über das „Gerechte“ entscheidenden Gesetzgeber ausspricht. Die Frage zielt mit dieser näheren Bestimmung allein auf die Wirkung, die Jhering als „Romanist“ gehabt hat, als letzter großer Vertreter der von Savigny eröffneten, von Puchta weitergeführten Tradition, die im römischen Recht das durch eine höhere Herkunft beglaubigte Recht selbst zu finden glaubte, und zwar im scharfen Unterschied zu

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Wirkung, die Jhering unabhängig davon als selbstständiger Rechtsdenker und Jurist gehabt hat. Diese grundsätzliche Unterscheidung ist, wenn man dem Gesamtwerk Jherings gerecht werden will, dringend geboten. Jhering hat so gut wie unabhängig von seiner durch eine tiefe Krise erschütterten Bemühungen um eine Gesamtdeutung des römischen Rechts, die er in dem Torso gebliebenen „Geist“ verfolgt hatte, mit dem „Zweck im Recht“, dem er sich, das Projekt des Klärung des Geistes vermeintlich nur unterbrechend, in Wahrheit aber aufgebend, zugewandt hatte, eine Rechtslehre vorgelegt, die, mit eigenem Urteil gewürdigt, für jede Rechtskultur, deren Prinzipien nicht in Richtung Inhumanität weisen, sondern an dem allgemeinen Streben nach einer humanen Rechtskultur teilhaben, bedeutende Einsichten und Forderungen enthält103. Das Gleiche gilt für die Vorträge „Kampf ums Recht“, „Entstehung des Rechtsgefühls“ und „Ist die Jurisprudenz eine Wissenschaft?“, die den „Zweck“ vorbereiten. Der „Kampf ums Recht“ wird nach Jhering nicht gegen das Recht, sondern von selbstbewussten Menschen um der uneingelösten Werte des Rechtes willen geführt, und zwar nicht aus Eigennutz, sondern aus moralischer Selbstachtung und um des allgemeinen gesellschaftlichen Nutzens des Rechts willen. Kennzeichnend ist, dass er in dieser Schrift, die in ihrer Suche nach materialer Gerechtigkeit seinem „Umschwung“ verdankt wird, die Interessentheorie ausdrücklich zugunsten der Achtung vor der Selbständigkeit der Person zurücknimmt104. Und was Helmut Schelsky, den Leitgedanken der „Entstehung des Rechtsgefühls“ zusammenfassend, treffend das „Jhering-Modell des sozialen Wandels durch Recht“ nennt105, ist getragen von einem normativen Prinzip einer evolutionären Rechtsfortbildung, das dem geltenden Recht darin Achtung erweist, dass es seine Kenner durch die in ihm verkörperten Werte selbst mit einem „Rechtsgefühl“ genannten Urteilsvermögen ausstattet, das sie mit besonderer Klarheit die Stellen erkennen lässt, in denen es verbessert werden kann oder muss. Wissenschaftsfähig schließlich ist folglich für Jhering das Recht nicht als 103 Vgl. meine zusammenfassende Würdigung im Anschluss an die Publikation des JheringVortrags „Über die Entstehung des Rechtsgefühles“ (oben Anm. 36) S. 57–184. Weiterführend dazu auch der gehaltvolle Beitrag von Cosima Möller, Die juristische Konstruktion im Werke Rudolf von Jherings – vom universellen Rechtsalphabet zur juristischen Schönheit, Juristenzeitung 72 (2017) S. 770–777. 104 Kampf um’s Recht (1880) 6. Aufl. S. 38: „ das Recht ist nach meiner eigenen Definition nichts anderes als ein rechtlich geschütztes Interesse. Aber der Willkür gegenüber, die ihr Hand gegen das Recht erhebt, verliert jene materialistische Betrachtung ihre Berechtigung, denn der Schlag, den sie dem Recht versetzt, trifft in und mit letzterem auch die Person.“ S. 20 „In dem Recht besitzt und vertheidigt der Mensch seine moralische Daseinsbedingung – ohne Recht sinkt er auf die Stufe des Tieres herab . Behauptung des Rechts ist demnach eine Pflicht der moralischen Selbstbehauptung.“ 105 Veröffentlicht mit dem Untertitel „Ein wissenschaftsgeschichtlicher Beitrag“ im Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 3 (1972) S. 47–86.

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ein blosser Inbegriff positiver Regelungen, sondern nur mit Einschluss der Kenntnis sämtlicher Bedingungen, die ihnen geistiges Leben verleihen. Am Ende geben die lapidaren Formeln, die Jhering im „Zweck im Recht“ gefunden hat: „Ich bin für mich da!“ „Die Welt ist für mich da!“ „Ich bin für die Welt da!“, gestärkt durch den Satz „Der Mensch ist Selbstzweck“106, der notwendigen und vom Recht zu bewahrenden Unterscheidung zwischen Selbstständigkeit und Gesellschaftlichkeit des Menschen und dem ihr entsprechenden, zutiefst dualistischen Verhältnis von Berechtigung und wertgeleiteter Inpflichtnahme einen gültigen Ausdruck107. Jherings Forderung vivat iustitia ut floreat mundus108 spricht daher gerade auch in dem, was sie implizit verneint, mit unvergleichlicher Klarheit aus, was es bedeutet, dass in dem von ihm überblickten Geschichtsverlauf ein Recht, das seine Geltung einem eigenen, selbstständigen Stück Menschheitsgeschichte verdankt, einer eschatologischen Religion an die Seite gestellt worden ist, um sie in dem Glauben an die Fortdauer der Welt zu stärken. Auch auf die praktische Jurisprudenz, wie sie sich in Lehre, Wissenschaft, Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit zeigt, hat Jhering bis auf den heutigen Tag letztlich nur bereichernd gewirkt, auch weil er in der konkreten Arbeit nie ernsthaft in Versuchung stand, die Logik im Recht aufzugeben oder gering zu achten. Die berechtigte Forderung Jherings, bei der Anwendung der Form- und Wertbegriffe stets den Zweck und die damit berührten Interessen zu berücksichtigen oder, wie man später gerne sagte, in ihnen Wertentscheidungen zu sehen, schwächte deren Geltung nicht, sondern stärkte sie. Desgleichen wurden die großartigen Entdeckungen Jherings, auf deren mit Recht immer im bewundernden Ton gehaltenen Zusammenstellungen ich hier verweisen kann109, von der Jurisprudenz dankbar entgegengenommen, und zwar dank der ihnen innewohnenden logischen Kraft regelmäßig als etwas, was selbstständig erfasst und fortgedacht werden konnte. Das zeigt das deutsche BGB, in dessen Kodifikation, Anwendung und Reform sich Jherings Rechtsgedanken mehrfach niederge-

106 Zweck I2 S. 67; siehe dazu meinen Beitrag „Jhering ein Rechtspositivist?“ in: O. Behrends, Jherings Rechtsdenken. Theorie und Pragmatik im Dienste evolutionärer Rechtsethik (1996) S. 238ff. 107 Wenn J.F. Kennedy seinen jugendlichen, in einem ihnen Sicherheit gebenden Gemeinwesen lebenden Mitbürgern zurief: „Ask not what your country can do for you – ask what you can do for your country“, ist das ganz in Jherings Geist. 108 Vgl. Zweck I2 S. 423 sowie S. 87ff. 109 Man lese nur den aus eigenster Erfahrung urteilenden Beitrag von Uwe Diederichsen, Jherings Rechtsinstitute im deutschen Privatrecht der Gegenwart, in: O. Behrends, Jherings Rechtsdenken (oben Anm. 106) S. 175–200. Nicht unerwähnt bleibe daneben die monumentale Darstellung von Wolfgang Fikentscher, Rudolf von Jhering, in: Methoden des Rechts III (1976) S. 101–282.

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schlagen haben, nicht zuletzt an der Entwicklung von Jherings berühmtester Entdeckung, der culpa in contrahendo110. Für die Figur der zu dieser Entdeckung gehörenden, auch Vertrauensschaden genannten negativen Interesses mag das an einem besonderen, in einen benachbarten Rechtskreis führenden Beispiel gezeigt werden, in dem das Phänomen der zu selbstständigem Denken führenden Kraft fruchtbarer Rechtsgedanken besonders anschaulich herausgestellt ist, nämlich an dem Aufsatz von Lon L. Fuller „The Reliance Interest in Contract Damages“111, in dem Jhering sowohl als Autor des „Zwecks“112 wie auch als analytisch präziser Urheber jenes Begriffes gedacht wird113, und der dann selber im dortigen Vertragssystem eine durchschlagende Wirkung gehabt hat114. In all den genannten und zahlreichen weiteren, hier ungenannt bleibenden Zusammenhängen steht Jherings Rang und Geltung als grundlegend bedeutender Rechtslehrer auf festem Grund. An dieser Stelle sei daher auch in einigen wenigen Zitaten eingerückt, wie die in der Sternchenfußnote am Anfang dieses Beitrags erwähnte anonyme, 1880 in der National Quarterley Review NY erschienen Besprechung (vgl Anm. 112) des ersten Bandes des Zweckes die wertvollen Tendenzen herausarbeitet, die Jhering als selbständiger Rechtsdenker seiner Prägung durch das römische Recht verdankt.

110 Zu dem, was das römische Recht des „dritten Systems“ zu dieser Entdeckung in ihrer differenzierten Urfassung beigetragen hat, grundlegend Byoung Jo Choe, Culpa in contrahendo bei Rudolf von Jhering (1991). Die volle Entfaltung ihrer prinzipiellen Möglichkeiten bietet jetzt aufgrund des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vp, 26. 11. 2001 (BGBl- 1 S. 3138), in Kraft getreten im 1. 1. 2002, der § 311 Abs. 2 Ziff. 1–3 BGB. 111 Yale Law Journal 52 (1936) S. 46. 112 Die ersten Sätze lauten: The proposition that legal rules can be understood only with reference to the purpose they serve would today scarcely be regarded as an exciting truth. The notion that law exists as a means to an end has been commonplace for at least half a century. Fuller bezieht sich mit der Zeitangabe auf das Erscheinungsjahr des „Zwecks“ (I 1887, II 1883), das in den USA alsbald eine Besprechung erhielt, die Jhering in einem Brief aus dem Jahre 1881 (R. v. Jhering in Briefen an seine Freunde, 1913, S. 369) die beste nennt, die einem seiner Werke zuteil geworden sei (vgl. meine Sternchenfußnote am Anfang dieses Beitrags) und offensichtlich nicht auf die Übersetzung von Isaac Hussik, Law as a Means to an End, die 1913 als 5. Band der Modern Legal Philosophy Series erschien. 113 A. a. O. S. 86: „In his pioneering article on culpa in contrahendo, Jhering suggested that the reliance interest (in his terminology, the negative interest) ought to be the proper measure of recovery in a series of situations which we may call ‚not quite‘ contracts.“ Der „Nicht ganz-“ oder „Fast-Vertrag“ entspricht dem hochklassischen Quasi-Kontrakt. 114 In dem Artikel von Hudec, Restating the Reliance Interest, Cornell Law Review 67 (1982) S. 67 heisst es: „No scholarly work during the period between the first and second Restatement of Contracts (1931–1981) had more impact on the law of contract than … “. Robert S. Summers, dem ich dieses und die obigen Zitate verdanke, bemerkt dazu in seinem Beitrag Rudolf von Jhering’s Influence on American Legal Theory, in: O. Behrends (Hrsg.), Jherings Rechtsdenken (1996) S. 72: „This is my opinion as well“.

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„Man exists in a dual relation, for himself as an individual, and for others as a member of society. There is no arbitrary division in society into sovereign and subjects, as in the systems of Austin and Bentham. The government is simply a portion of the community to whom has been entrusted the task of executing the design of the State. Justice is another name for the common interest; it is that rule by which all may stand as prosper.“

Das abschließende Urteil gibt mit Recht Jhering, ohne in einer kritiklose Apotheose zu verfallen, als Rechtsdenker die Ehre: „His work is undoubtedly the most profound and satisfactory contribution to the science of legal philosophy, since the days of Austin and Bentham.“

und macht damit implizit deutlich, dass jemand, der sich wie Jhering in seinen beiden Phase in den zutiefst republikanischen Denkformen des römischen Rechts bewegt hat, den Denkern der monarchisch-etatistischen Tradition überlegen ist. Soweit zu den unleugbaren Verdiensten Jherings. Entschiedene Kritik ist dagegen am Platz, wenn wir auf Jhering als Historiker und Interpreten des römischen Rechts, als mit den Quellen kämpfenden „Romanisten“ sehen. Hier ist es gerade auch unter dem Gesichtspunkt der Wirkungsgeschichte wichtig herauszustellen, dass die Aussagen der Abschlussparagraphen des Geistes anders als die zahlreichen gültig gebliebenen Leistungen des Rechtsdenkers und Juristen Jherings nicht der gedanklichen Durchdringen der Gegenstandes verdankt werden, sondern, wie an dieser Stelle erneut betont sei, Früchte eines wissenschaftsbiographisch erklärlichen und insofern durchaus subjektiven Rehabilitationswillens waren, der eine ihm unterlaufene, als fehlerhaft erkannte Deutung des römischen Rechts durch deren Gegenteil berichtigen wollte: Hatte er das römische Recht bisher als individuelle Freiheit sichernde Form begriffen, die sich nur dem Denken erschließt, bestand es jetzt aus von der Staatsmacht anerkannten Interessen. Und war bisher die Staatsgewalt, die das Recht gewährleistete, an Vernunftformen gebunden, so war sie nunmehr in der Frage, welche Lebensbedürfnisse sie anerkennen und schützen wollte, grundsätzlich frei. Niemals hätte eine auf diese Weise entstandene Deutung des römischen Rechts kritiklos nach Art einer Offenbarung rezipiert werden dürfen, und erst recht nicht zu einer Erklärung dessen herangezogen werden dürfen, was Recht überhaupt ist. Dort, wo dies beides gleichwohl geschah, hat das, wie Iredell Jenkins seinerzeit mit Recht beklagte, zu einer Einseitigkeit geführt, die Jherings Gesamtwerk nicht gerecht wird115. Sie ist umso ungerechter als Jhering sogar im „Geist“ selbst, wo er sich nicht im Bann seiner Befreiungsargumentation bewegt, eine vermittelnde Formel gefun115 In dem Artikel Rudolf von Jhering, Vanderbilt Law Review 14 (1960) S. 169–190.

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den hat, die das Verhältnis von formal definierten Berechtigungen und ihren wertend zu bestimmenden Ausübungsbedingungen im Prinzip richtig erfasst116. Das Gebot, sich an den Rechtsdenker und Juristen Jhering zu halten und den Historiker Jhering kritisch zu sehen, ändert aber nichts daran, dass Jhering an den Wirkungen, welche jene eingangs zitierten, weithin tönenden Worte am Ende des Geistes in der Durchführung ihrer Aussagen ausgelöst haben, nicht unschuldig ist. Im historischen Urteil hat er es zu verantworten, dass jeder, der die abschließenden Paragraphen des Geistes las, glauben durfte, dass das römische Recht, das in seinem Bemühen um Ausgewogenheit erfolgreichste Privatrechtssystem, das die menschliche Zivilisation hervorgebracht hat, im Wesentlichen nur aus drei Elemente bestand, dem „Leben“, einer staatlichen „Macht“, die über dieses Leben wachte, und drittens den „Interessen“ der Menschen, die von dieser „Macht“, soweit sie sie anerkennt, geschützt wurden. Von dem, was den Rechtszustand in der Tradition des römischen Rechts ausmacht, hat nichts überlebt. Der Mensch ist nicht mehr eine mit eigenverantwortlichen Freiräumen ausgestattete Person, gesichert durch eine von ihm kraft des republikanischen Prinzips mitgetragenen Rechtsordnung. Es gibt auch nicht mehr die Rechtswerte, kraft derer die Freiheit jedes Einzelnen in durchdachter, den sozialen Frieden gewährleistender Weise in Anspruch genommen und in ihrer Ausübung beschränkt werden kann. An die Stelle getreten ist ein extrem vereinfachtes Rechtsbild, von dem etwas ungemein Verführerisches ausging, insbesondere durch die leidenschaftliche, Jhering durchaus bewusste Subjektivität117, mit der in ihm im Namen des Geistes des römischen Rechts mit hoher Gelehrsamkeit und unvergleichlicher Sprachgewalt das Recht des Lebens über eine überholte Begrifflichkeit gestellt wird. Die Folgen waren entsprechend und sollen jetzt noch kurz an zwei Beispielen ver116 Ich meine die später eingefügte Fußnote Geist II, 2 S. 387 Anm. 528a, in der sich der Jhering des „Umschwungs“ unbefangen äußert: „das meine ich nicht , als ob die utilitas vor der ratio juris verstummen müsste, aber das meine ich allerdings und daran halte ich fest, dass die Jurisprudenz anhand der ratio juris überall so weit voranschreiten soll, bis ihr die utilitas in den Weg tritt und Protest einlegt.“ Angemerkt sei nur, dass die klassische ratio iuris, die wir in ihrer ältesten Gestalt bei Cicero, Partitiones oratoriae 37, 129–130 finden, als Gesamtsystem von Hause aus beide Elemente umfasst, sowohl die berechtigende aequitas civilis, die mit der institutio aequitatis zusammenfällt, als auch die aequitas naturalis, welche die Ausübung der Berechtigungen gewährleistet, kontrolliert und ihre Zahl wo nötig durch Inpflichtnahmen ergänzt. Es ist das die Erneuerung des vorklassischen Dualismus, die den Begriff der utilitas hervorgebracht hat, als die Bezeichnung dessen, worin der im Rechtszustand lebende Mensch kraft seines „Vermögens“ im weitesten Sinn dem jeweils anderen nützlich wird. Vgl. Cicero, de officiis I 7,22. 117 Jhering schreibt im Jahre 1880 an seinen Freund Bülow (R. v. Jhering in Briefen an seiner Freunde. hrsg. von Helene Ehrenberg [1913] S. 361) „wenn ich jetzt Sachen von mir aus früherer Zeit lese, habe ich das Gefühl einer überfließenden Subjektivität – gegenwärtig bin ich kühler und kälter und damit zugleich objektiver geworden.“

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anschaulicht werden, zunächst an der Wirkung Jherings auf die Romanistik, auf die der Erforschung des römischen Rechts gewidmeten Disziplin, dann an der weit gravierenderen auf die Freirechtsbewegung und den legal realism.

2.

Jherings Wirkung auf die Disziplin der Romanistik

Die Wirkungen in der professionellen Romanistik, der Universitätslehre des römischen Rechts, waren durchschlagend, und zwar in einer auffallend epigonalen, Jhering zu einer unbestrittenen Autorität erhebenden Weise. Zeugnisse für das im Folgenden an einigen wenigen repräsentativen Beispielen Aufgezeigte begegnet man in der heutigen romanistischen Literatur auf Schritt und Tritt. Die willensstarke, einer Staatlichkeit nicht bedürftige Selbsthilfe, die der älteren Phase Jherings entstammte, aber durch den Glauben, dass das Recht der Gewalt anvertraut werden darf 118, der jüngeren Phase verwandt und ihr als Frühform integrierbar war, blieb trotz aller Mäßigungsversuche das Ursprungsprinzip aller römischen Berechtigungen119. Nicht weniger auffällig sind die Folgen, die es gehabt hat, dass Jhering das „dritte System“ unerforscht gelassen hat. Man tat es ihm nach und ließ die Quellen, die diese Epoche mittlerweile zu erschließen erlaubt haben, einfach beiseite. Die Stelle, in der Cicero ausführlich und technisch über die von ihm in seiner Jugend gelernte systematische, von der stoischen Philosophie geprägte Jurisprudenz der maiores berichtet, wurde zu einer bloßen Meinung Ciceros herabgestuft und ganz unaufgearbeitet gelassen120, nachdem ältere Stimmen sie gar für unecht erklärt hatten121. Die zahlreichen Quellen, in denen Cicero weiter 118 Dass Jhering das Vertrauen in die richtige Handhabung der Gewalt, die seine Selbsthilfetheorie trägt, von Anfang an auch auf die Inhaber der Staatsmacht übertragen hat, zeigen seine unten IV § 4 angefüheten Darlegungen. 119 Vgl. statt aller Kaser, Röm. Privatrecht I (1971)2 S. 222; Kaser/Hackl., Röm. Zivilprozessr (1996) S. 28 ff; Franz Wieacker, Römisches Recht I S. 251ff spricht ausdrücklich (vgl. das Register) von eine gemäßigten „Selbsthilfetheorie“. Entscheidend ist, dass diese Lehre infolge ihres unhistorischen Ursprungs, wie immer man sie mäßigen mag, dem römischen Recht, anders als es ein siedlungsgeschichtlicher Ansatz kann, einen historischen Anfang nicht zu geben vermag. 120 Max Kaser loc.cit. S. 204 Anm. 15 zitiert Cicero, de officiis III 17,69, das den komplexen Systementwurf der maiores wiedergibt, lediglich für das, was „bei Cicero“ das ius gentium war. Das ist mehr als oberflächlich, Cicero bezeugt seine Lehrzeit in der ersten hellenistischen Jurisprudenz in der Schrift Laelius I 1 und schildert, drauf gestützt, ausführlich deren systematische Ergiebigkeit in dem im Jahre 91 spielenden Dialog De oratore I,43,193–45,200, nachdem er dort zuvor deren Ablösung durch die Rechtslehre der philosophische Rhetorik Philons angekündigt hatte (I 42,190), wie sie sein Weggefährte Servius dann verwirklicht hat (Brutus 41,151–42,151). 121 So tatsächlich Beseler, Bulletino di diritto romano 39 (1931) S. 334 f und Fritz Schulz a. a. O. S. 88; dagegen dann auch Kaser, Ius gentium (1993) S. 14, eine Schrift, die zum ersten Mal

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berichtet, dass später die philosophische Rhetorik der skeptischen Akademie, deren Studium ihn zum bedeutendsten Redner der römischen Zivilisation gemacht hat, seinen Weggefährten Servius Sulpicius Rufus von einem guten Redner zum schlechthin bedeutendsten, nämlich ganz neue Grundlagen legenden Rechtswissenschaftler Roms werden liess, wurden nicht ernst genommen122. Beides schließt sich zu einem einfachen Gesamtbefund zusammen: Wer, ermächtigt durch Jherings Beispiel, das erste hellenistische System Roms nicht zur Kenntnis nehmen will, dem verschließt sich auch das Verständnis des zweiten und damit am Ende überhaupt der Blick für die rechtswissenschaftliche Gehalte des römischen Rechts. Die Größe der entwickelten römischen Jurisprudenz wurde folgerichtig in die unmittelbare Tätigkeit der Fallrechtslösungen verlegt und einer mythischen, der Leitung durch Begriffe nicht bedürftigen, letztlich „naturhistorischen“ Fähigkeit zu lebensrichtigen Entscheidungen zugeschrieben.123 Wurde einem Juristen dieses „dritten System“ Jherings von den Quellen allzu deutlich eine Prägung durch Philosophie zugesprochen, konnte das zum Anlaß werden, entgegen den Quellen die Frage zu stellen, ob er denn überhaupt ein wahrer Jurist gewesen sei124. Was die hellenistischen Philosophien hervorgebracht hatten und in den beiden kaiserzeitlichen Rechtsschulen fortwirkte, galt als „Vulgärphilosophie“, Schulmeisterwisssen, das dem wahren Juristen nichts sagt und ihn nur stören kann, und daher auch gern für interpoliert, d. h. von einer schwächer gewordenen Zeit in die Quellen hineingetragen, erklärt wurde125. Das schöne, um die berechtigte Person zentrierte, in allen modernen Privatrechtskodifikationen nachwirkende Institutionensystem wurde als eine scholastische Unterströmung gedeutet126. Und wenn die Überlieferung mitteilt, dass auch die führenden spätklassischen Juristen Ulpian und Paulus, wie es auch die heutigen Professoren vielfach tun, zu Beginn ihrer Laufbahn Lehrbücher geschrieben haben, wurde das zum Anlass genommen, an der Authentizität dieser Werke zu

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124 125 126

anerkannt wurde, dass der titelgebende Begriff eine zentrale rechtshistorische Frage stellt, mochte auch, sie aufzugreifen, Kaser selbst, wie er feststellte, im Rahmen jener am Ende seines Lebens verfassten Monographie nicht mehr möglich sein. Cicero, Brutus 41,151–42,151; De legibus I 6,17; Philipp. IX, 5, 10/11. Zu den in diesen Fragen mittlerweile erreichten Klärungen vgl. nur die Literatur oben Anm. 2. Kaser schreibt etwa Röm. Privatr. I2 S. 182: „Die römischen Juristen gewinnen ihre Fallösungen aus iher Anschauung der praktischen Rechtsfälle, nicht aus einer rechtsdogmatischen Theorie “. Eine Grundlegung dieser Sicht versuchte Kaser in seiner Schrift „Zur Methode der römischen Rechtsfindung“ (1962). So Franz Wiacker a. a. O. S. 535 zu Sempronius sophus ( = σοφός), dem Begründer der ersten hellenistischen Jurisprudenz: „War er überhaupt praktizierender Jurist?“ Vgl. stellvertretend die durch das Registerstichwort „Vulgärphilosophie“ erschließbaren Stellen in der Monographie von Martin Schermaier, Materia. Beiträge zur Frage der Naturphilosophie im klassischen römischen Recht (1992). Werner Flume. Die Bewertung des Institutionensystems des Gaius, Savigny Zeitschr. Rom. Abt. 79 (1962) S. 1–27.

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zweifeln127. Am Ende sah sich die Romanistik unter dem Einfluss von Jhering vor die Aufgabe gestellt aufzuzeigen, dass die Zeiten geirrt haben, die dem römischen Recht im Großen und Kleinen systematisches Rechtsdenken entnehmen zu dürfen geglaubt hatten. Das neue Instrument, dass sie zu diesem Zweck in die Hand nahm und generationenlang handhabte, war die Textkritik. Sie erlaubte, für unecht zu erklären, was dem vereinfachten Rechtsbild, das von Jhering herrührte, widersprach. Diese Methode wird heute, da von Anfang an überlieferungskritisch unhaltbar, nicht mehr geübt, ist aber, wie Rückfälle zeigen, nicht zuverlässig verabschiedet, weil die von Jhering herrührende Gründe ihrer Anwendung nicht überwunden sind128. Soweit in Kürze zu Jherings Wirkung auf die Rechtsgeschichte

3.

Jhering als Inspirator des „Freirechts“ und des „legal realism“.

Das über Menschenschicksale entscheidende Recht selbst ist betroffen, wo Jherings am Ende des Geistes erhobene Forderung, dass das Recht allein dem Leben und den ihm auftretenden Bedürfnissen zu dienen habe, zur Maxime der praktischen, Rechtsprechung und Gesetzgebung beherrschenden Jurisprudenz wird. Denn das bedeutet, dass den Berechtigungen zuweisenden Rechtsbegriffen gegenüber den von der Macht bevorzugten Interessen jede Achtung entzogen wird. Ich habe an anderer Stelle das hier Mögliche an einem Extremfall, am Weg des Freirechts, der radikalen, Jherings Aussagen im Geist beim Wort nehmenden Schwester der Interessenjurisprudenz in das nationalsozialistische Freirecht aufgezeigt und kann darauf verweisen129. Der dort beschriebene Vorgang stellt vor Augen, dass die Preisgabe der „Logik“ im Recht, so lebensfreundlich sie 127 Fritz Schulz, Geschichte der röm. Rechtswissenschaft S. 207: „An der Echtheit darf man zweifeln.“ Das Institutionenlehrbuch Ulpians war für Schulz eine (S. 208 Anm. 1) „nachklassisch weströmische Arbeit“, andere von ihm angeführte Stimmen nahmen „byzantinische“ Herkunft an. 128 Vgl. zu einem solche meine oben Anm. 2 zitierte Rezension GGA 269 (2017) S. 124f. 129 „Von der Freirechtsbewegung zum konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenken“, in: Ralf Dreier u. Wolfgang Sellert (Hrsg.), Recht und Justiz im „Dritten Reich“ (1989) S. 34–79. Ergänzend kann ich jetzt auf F.A. Hayek, Die Verfassung der Freiheit (20054, zuerst 1971) S. 321 hinweisen, wo mit Recht gesagt wird, dass das Ziel der Freirechtsschule, „den Richter so weit wie möglich von den Fesseln fester Regeln zu lösen und ihn einzelnen Fällen auf Grund seines ‚Gerechtigkeitssinnes‘ entscheiden zu lassen“ „die Willkür des totalitären Staats vorbereitete“. Hayek verweist dafür auf F. Fleiner, Wandlungen der demokratischen Idee, in: Ausgewählte Schriften und Rede (1941) S. 438, wo mit gleicher Diagnose die „Freirechtsschule“ zu den Richtungen innerhalb der deutschen Rechtswissenschaft gezählt wird, „die geglaubt haben, dem Rechte zu dienen, indem sie die Gesetzestreue durchbrachen“. Zutreffend auch Hayeks Hinweis auf den parallelen „Rechtsrealismus“ in den Vereinigten Staaten.

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auftritt und so gutgläubig sie am Anfang von den ersten Vertretern des Freirechts aufgenommen wurde, das Recht an seiner Wurzel preisgibt, nämlich seine Aufgabe in Frage stellt, in seinen berechtigenden Formen dem freien Leben jedes einzelnen zu dienen und in allen Ansprüche, die es an ihn stellt, den freien Menschen zu respektieren. Jede die Geschichte des Rechts durchdenkende Erfahrung bestätigt, dass dem „Leben“, d. h. dem Zusammenleben der Menschheit, so am besten gedient ist. Und ohne „Logik“, ohne die verantwortlich ordnende Vernunft, ist dieses Ziel nicht erreichbar. Es sei daher angesichts der universalen Bedeutung des damit berührten Themas erlaubt, in einem kleinen Exkurs der Frage nachzugehen, ob die berühmte Feststellung von Oliver Wendell Holmes, Jr., The life of the law has not been logic, it has been experience.

die er an den Anfang seines Werkes „The Common Law“ trifft, ein Echo auf Jherings Worte ist, die am Ende des „Geistes“ das Leben über die Logik stellen und ob er daher mit ihnen die Problematik teilt, dem Recht in seinem geschichtlichen Verlauf seine primär dem Menschen Berechtigungen zuweisende Wirkung zu nehmen. Beides scheint mir zuzutreffen. Holmes nennt in dem Werk Jhering „a man of genius“130, zitiert wenig später den „Geist“ in der französischen Übersetzung131, und spielt in seinem berühmten Artikel „The Path of the Law“ an einer Stelle deutlich auf eine in diesen Zusammenhang gehörende kritische Äußerung Jherings an132. Und auch die Art, in der Holmes die Kräfte beschreibt, die im Leben wirksam werden, geht ersichtlich von dem, was Jhering sagt, aus, indem er nur noch ein wenig überbietet133. Folgerichtig fehlt dem, was Holmes

130 The Common Law (1881, reprint 1991) S. 208: „Jhering, to be sure, a man of genius“. Die vergewissernde Formulierung ist gewählt, weil Holmes an dieser Stelle – es geht um eine besitzrechtliche Frage – nicht Jhering, sondern seinem, auch von Jhering sehr geschätzten Zeitgenossen (vgl. Geist I S. 21) Bruns Recht gibt. 131 The Common Law S. 210 Anm.1: „But see Ihering, Geist d. Röm.R. § 62, French tr. IV. p. 51“. Siehe auch M.D. Howe, Justice Oliver Wendell Holmes, Jr., The Proving Years (1957) S. 152. 132 10 Harvard Law Review 10 (1897) S 465 nennt er den Glauben eine fallacy, dass ein gegebenes Systems wie das des Rechts can be worked out like mathematics from some general axioms of conduct. Die Nähe zu Jherings Worten (Geist III § 59 S. 311) über den „Cultus des Logischen, der die Jurisprudenz zu einer Mathematik des Recht heraufzuschrauben gedenkt“ ist evident. Das sei, so Jhering und natürlich mit Recht, „eine Verirrung“, die „auf einer Verkennung des Wesens des Rechts“ beruhe, der er, wie seine Äußerung Geist III 13, S. 10 zeigt, selbst erlegen war. 133 Common Law S. 1 The felt necessities of the time, the prevalent moral and political theories, intuition of public policy avowed or unconscious, even the prejudices which judges shares with their fellowmen, have had a good deal more to do than syllogism in determining the rules by which men should be governed. Mit der Relevanz der Vorurteile überbietet Holmes Jhering, sonst gibt er, wie der Vergleich mit dem Ausspruch The life of law has not been logic, it has been experience, dasselbe wie Jhering.

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danach als Substanz des Rechts nennt, jeder normative Anspruch134. Auch die berühmte Formulierung im Path of the Law in dem Jherings Positivismus des Realisierten das Recht vorhersagbar macht, wirkt wie ein Überbieten135. Robert Summers hat in der Frage, ob Holmes Jhering gefolgt ist, auf die Bedeutung Jeremy Benthams hingewiesen, dies aber sogleich zutreffend dadurch relativiert, dass Jhering den in der angelsächsischen Welt erfolgreichen, subjektiven Utilitarimus Benthams ablehne, da Jhering die Zwecke des Rechts, die beim Einzelnen als dessen Interessen erscheinen, sozial definierte und daher auch von der Anerkennung der im Gemeinwesen herrschenden Macht abhängig machte136. Die Spezifizität und Beweiskraft der aufgewiesenen Übereinstimmungen werden durch diese zutreffende Feststellung nicht beeinträchtigt. Dass im übrigen bei Rezeptionen das Rezipierte nicht unverändert bleibt, sondern entweder überboten oder vereinfacht zu werden pflegt, zeigt auch eine Generation später Roscoe Pound, dessen „Spirit of the Common Law“ unverkennbar an Jherings Geist des Römischen Rechts anklingt, wenn er mit vielen in den USA ausdrücklich auf Jherings Interessentheorie aufbaut137. In Übereinstimmung mit Jhering und Holmes sieht er die Wirklichkeit des Rechts in seiner faktischen Durchsetzung138, nicht in der normativen gedanklichen Ordnung, bestimmt dann aber als das Ziel des Rechts tatsächlich vereinfachend und an Benthams „größtes Glück der größten Zahl“ anklingend, das „größte Zahl von Interessen mit dem geringsten Reibungsverlust“ zu verwirklichen139.

134 Common Law S. 1/2 The substance of the law at any given time pretty nearly corresponds, so far at it goes, with what is then understood to be convenient. Der Zeitgebundenheit dessen, was für zweckmäßig gehalten wird, entspricht bei Jhering die Anerkennung der Interessen nach den Umständen der Zeit. Radikaler S. 41: The first requirement of a sound body of law is, that it should correspond with the actual feelings and demands of the community, whether right or wrong. 135 A. a. O. (Anm. 131) S. 461 „The prophecies what the court will do in fact and nothing more pretentious is what I mean by the law.“ Denn diese Aussage entspricht dem, was Jhering in den obigen Zitat S. 223 mit Anm. 89 „Dogmatik“ nennt. 136 In „Jhering’s influcence“ loc.cit. (Anm. 115) S. 68 mit treffendem Hinweis auf Jhering, Zweck II (1883) S. 123–213. 137 Er sagt in dem Aufsatz „Enforcement of Law“, Green Bag 30 (1908) S. 403, dass er es vorgezogen habe, auf Jherings Interessentheorie aufzubauen (to build on Jhering’s idea of interests). 138 Vgl. Roscoe Pound, The Scope and Purpose of Sociological Jurisprudence, Harvard Law Review 25 (1912) S. 514 : „The life of the law is in its enforcement.“ Als faktische, wertfreie Deskription ist der Standpunkt möglich. Unter normativen Gesichtspunkten ist ihm entgegenzuhalten, dass ein rechtskräftiges Fehlurteil, dem niemand folgt, dem von der Rechtswissenschaft zu pflegenden Recht nicht angehört. Auch hier steht Jherings DogmatikBegriff im Hintergrund. Vgl. oben S. 223 mit Anm. 89. 139 Roscoe Pound, Jurisprudence III (1959) S. 331: „the most interests with the least friction“. Zitiert nach Robert Summers a. a. O. S. 70. Die Familienähnlichkeit mit Benthams principle of the greatest happiness of the greatest number ist unübersehbar.

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Jhering bestimmt dagegen die Interesse objektiver und sieht in ihnen das umfassende gesellschaftliche, die Menschen bestimmende. von der Staatsgewalt verantwortete Bewegungsprinzip. Iredell Jenkins und ihm zustimmend Robert Summers haben sogar den Eindruck gewinnen können, dass in Jherings Denken unbewusst ein Stück Naturrecht nachwirkt140. Tatsächlich beruft sich Jhering im „Geist“ für den Grundsatz, dass das Privatrecht dazu da sei, dass es „dem Menschen einen Vortheil gewähre, seine Bedürfnisse befriedige, seine Interessen, seine Zwecke fördere“, so dass „von jedem Recht der Mensch der Destinatär sei“, auf den Satz (§ 60 S. 326 Anm. 446): omnes fructus natura hominum causa comparavit (alle Früchte hat die Natur um der Menschen willen bereitgestellt),

der in der Mitte des 2. Jh. v. Chr., d. h. in der ersten Hälfte des von Jhering unerforscht gelassenen „dritten Systems“ einer eigentumsrechtlichen Streitfrage eine menschenrechtliche Lösung zu geben vermochte141. Er wurde noch in der Kaiserzeit zitiert, weil auch in der „wiederhergestellten“, d. h. unter die Obhut der Kaiser gestellten Republik, der Gedanke lebendig geblieben war, dass die Güter, um deren Zuordnung gestritten werden kann142, ihren letzten Ursprung in der alles umfassenden „Natur“ haben. Letztlich liegt aber in dem durch dieses Zitat illustrierten Hinweis der beiden Autoren nur, dass die auf den letzten Seiten des „Geistes“ von Jhering entwickelte dem „Leben“ dienende Staatsmacht, die über die Anerkennung der Interessen, auch der vitalsten, entscheiden kann, eine Gewalt der „Natur“ ist, die, wie diese, an nichts Normatives gebunden ist. 140 Iredell Jenkins (oben Anm. 115) S. 173f. Robert Summers a.a.O (oben Anm. 114) S. 68 schreibt mit Verweis auf Jenkins von Jhering: „he does reveal at various points a deep faith in the power of contextual practical reason. The faith is perhaps reminiscent more of natural law theory than of utilitarianism and Interessenjurisprudenz.“ 141 Das Fragment D 22,1,28,1 stammt aus dem zweiten Buch der Res cottidianae sive aurea (Alltägliche Rechtsverhältnisse und Goldene Prinzipien) des hochklassischen Rechtslehrers Gaius. Zu dem Fall die folgende Anm. 142 Es ging um eine Frage, die mutatis mutandis bis zum 18. 12. 1865 auch in den Südstaaten der USA gestellt werden konnte, nämlich, wem das Kind einer Sklavin in Nießbrauch gehört, dem Eigentümer oder dem Nießbraucher. Da ein Mensch als Destinatär aller Früchte niemals selbst Frucht sein könne, lautete die siegreiche Antwort: Dem Eigentümer. – Die zweite hellenistische Jurisprudenz, deren Skeptizismus das Naturrecht ablehnte, erreichte das gleiche Ergebnis mit dem Satz, dass Frucht nur ist, was der Art nach von der fruchttragenden Sache verschieden ist, wie der Apfel vom Baum. Denn die Hervorbringung des „Gleichen“, wodurch sich eine Spezies vermehrt, bringe keine Früchte hervor, sondern neue „Exemplare“ der Gattung. Dadurch entgingen den Nießbrauchern auch die Tierjungen, eine begriffliche Folge, die eine kaiserzeitliche Mittelmeinung ganz im Sinne Jherings im Interesse der Nießbraucher zu vermeiden wusste. Zu alledem zuerst in meiner Studie „Prinzipat und Sklavenrecht“ von 1980, jetzt in O. Behrends, Institut und Prinzip, hrsg. von Martin Avenarius, Meyer-Pritzl und Cosima Möller (2004) S. 417–455.

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Der Staatsbegriff Jherings

Jhering verdeutlicht seinen Staatsbegriff in einem Abschnitt des „Zwecks“, wenn er dort ausführt, dass die „Staatsgewalt“ ein „Gut“ ist, bei dem „man nur, wie bei jedem Gut, um die Möglichkeit des heilsamen Gebrauchs offen zu halten, die des Missbrauchs in Kauf nehmen müsse“143. Dass Jhering über die Möglichkeiten, die diese Definition eröffnete, anders als heute über das volle Maß an Anschauung noch nicht gebot, ändert nichts an dem gefährlichen Potential seiner Darlegungen. Dieser keinerlei Werten unterstellte Staatsbegriff ist zugleich eine Konstante seines Denkens. Denn Jhering ist über den Versuch, das den freien Menschen ermächtigende adamitische Prinzip Puchtas zu „historisieren“, schon in seinen Anfängen für Rom zur Anerkennung eines omnipotenten Machtstaates gelangt und dabei auch geblieben, als er diesem höchsten Prinzip eine neue „sozialstaatliche“ Aufgabe gab. In seinen Anfängen geschah es fast im Vorübergehen. Um den von ihm geschilderten Beginn Roms aus der Aggregation adamitischer, „moralisch“ zum Leben in einer Selbsthilfewelt befähigter Einzelner mit dem Staatsbegriff zu verbinden, lehrte er (Geist I S. 177), dass der Staat, als solcher eine „Naturnothwendigkeit“, nach altrömischen Vorstellung nicht „etwas von den Individuen völlig Verschiedenes“ gewesen sei, sondern nichts anderes „als die Gemeinschaft sämtlicher Individuen“. Ihr Prinzip sei (S. 178) „das Verhältnis der Coordination der Einzelnen, wie es für jede Gemeinschaft das Ursprüngliche“ sei. Irgendeine Autorität, der sich die Gemeinschaft unterordnet, gab es hier noch nicht. Wie man Jhering ergänzen darf, bedurfte es ihrer in diesem Goldenen Zeitalter der Selbsthilfe auch noch nicht. Vielmehr sei eine „Unterordnung des Einzelnen unter eine höhere Gewalt erst im Heerwesen zur Erscheinung“ gelangt und erst „von hier auf die übrigen Einrichtungen übertragen“. Dazu heißt es resümierend: „Eine unabweisbare Nothwendigkeit schließt hier das Verhältnis der Coordination aus und setzt das der Subordination an die Stelle“. Das Ergebnis dieser konstruktiven Argumentation ist ein omnipotenter Militärstaat, weswegen Jhering auch erklärt, dass in Rom (I S. 264) „der Krieg nicht ein Ausnahmezustand, sondern die Regel“ gewesen sei. Historisch ist das ein krasses Fehlurteil. In Wahrheit war in Rom in der Tradition seiner ursprünglichen, um Götterfrieden bemühten Auguralreligion der Friedenszustand, der durch die ursprünglich augural gebundene iurisdictio gewährleistet wurde, die Regel. Rechts- und Kriegszustand waren auf das Schärfste geschieden. Das im Friedenskreis „zu Hause“, domi, die Verhältnisse ordnende ius war mit der militärischen Befehlsgewalt des imperium, das im Kriegsbereich, 143 Zweck Im Recht I S. 422. Zitiert und eingeordnet von Hayek a.a.O (Anm. 126) S. 326 in dem großen Kapitel 16: „Der Verfall des Rechts“. Vgl. dazu auch das oben Anm. 129 Gesagte.

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militiae, galt und unbeschränkt Gehorsam verlangte, ganz und gar unvereinbar und erlosch, sobald der Feldherr in den Friedenskreis zurückkehrte144. Jherings „Normalzustand Krieg“ ist ein ganz und gar unhistorisches Konstrukt, nichts als eine Konsequenz seiner These, hoheitliche Obrigkeit sei allererst als ein Produkt militärischer Subordination entstanden. Ein reines Konstrukt ist auch der omnipotente Sozialstaat, der sich ergibt, wenn die Gesetzgebungsmacht Verfügungsgewalt über alle Interessen der ihr untergebenen Menschen zugeschrieben wird. Für beide ist der Grund derselbe, nämlich das Postulat, dass die Menschen mit der Staatlichkeit, der Jheringschen „Naturnothwendigkeit“, unter ein einziges höheres Prinzip treten. in dem ersten Entwurf, in dem im Privatrecht ein moralisch sicher führenden Selbsthilfeprinzip herrscht, unter das Militärkommando, dass die Menschen zu einer „Schlachtordnung“ zusammenstellt145, in dem zweiten unter ein providentielles Prinzip, dem die Menschen den Schutz aller ihrer Lebensgüter verdanken. Was vor allem fehlt, ist, wie nur noch einmal betont sei, das vom römischen Recht auf seinen (von Jhering vernachlässigten) hellenistischen Entwicklungsstufen zur Reife gebrachte „republikanische Prinzip“, demzufolge die Menschen überall zur Staatlichkeit der civitates zusammenkommen, um ihre Lebensgüter und deren fremdnützige Bewegung im Rechtsverkehr nach Maßgabe einer von ihrer Einsicht anerkannten Rechtsordnung von Jurisdiktionsmagistraten geschützt zu sehen, und zwar nicht nur für sie jeweils als Bürger, sondern zugleich für alle Menschen der Oikumene, die dessen im universalen Rechtsverkehr bedürfen. Und so wie unter den Privaten dem Schutz der Berechtigungen der Personen in den Rechtsverhältnissen durch deren treuhänderisch oder rechtsethisch begründete Inpflichtnahmen ergänzt wird, so erlaubt eine solche von den Bürger getragene Verfassung auch rechtlich geord144 Die Höchstmagistrate der Republik waren domi Erben der friedlich-auguralen regia potestas (Livius II 1,7) und hatten dort als solche auspicium iudiciumque (Cicero, de legibus III 3,10), d. h. die Fähigkeit, die auguralen Zeichen zu deuten und Recht zu sprechen, nicht aber das militärische imperium, das nur militiae bestand. Die Verallgemeinerung des imperium zur staatlichen Gewalt wird der hellenistischen Jurisprudenz verdankt, die aber daran festhielt, dass deren primäre Aufgabe die Sicherung des Frieden verbürgenden Recht ist. Näher zu alledem in dem Anm. 2 angeführten Sammelband „Zur Römischen Verfassung“ in den Abhandlungen II (S. 99ff.), V (S. 225ff.) und VI (S. 311ff.). – Die Römer betrachteten den Krieg anders als die Griechen, Kelten, Germanen und viele andere Völker nicht als Erfüllung eines Heldenlebens, sondern als die Aufgabe des Wehraufgebots, in höchst disziplinierter Weise eine dem Feind vorgeworfene Verletzung des Rechts zu beseitigen. 145 Vgl. Geist I S. 247 „Die erste vom Staat eingeführte mechanische Ordnung ist die S c h l a c h t o r d n u n g .“ Vergröbernd danach und hier nur in den beiden ersten Sätzen wiedergegebenen Rudolf Sohm, Institutionen. Geschichte und System des heutigen Privatrechts (1920)16 S. 25 „Das Recht ist die Schlachtordnung des Volkes f ü r d e n K a m p f u m s D a s e i n . Der Zeuger des Rechts ist der Krieg.“ In der von Ludwig Mitteis gründlich bearbeiteten, 1949 erschienenen 17. Auflage dieses außerordentlich einflussreichen Lehrbuches sind diese schauerlichen Sätze und die sie einbettende Sicht beseitigt.

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nete Inpflichtnahmen für das Gemeinwohl, nicht nur in Gestalt des Wehraufgebotes, sondern vor allem durch Steuern. Diese Gemeinwesen sind daher weder Militärstaaten noch Sozialstaaten, sondern soziale, weltoffene Rechtsstaaten. Folgerichtig fehlt in Jherings Rechtsdenken auch jeder Ansatz zu einer Verfassung, welche die Staatsgewalt auf die Gewährleistung des Rechtszustandes verpflichtet. Daher hat er es auch versäumt, wie ich schon bei anderer Gelegenheit festgestellt habe, alle staatliche Gewalt an sein Modell des sozialen Wandels durch Recht zu binden und unter das von ihm als Rechtsdenker für das Privatrecht formulierten Prinzip der tunlichsten Optimierung des Rechts zu stellen146.

5.

Fazit: Der Versuch des „Romanisten“ Jhering, den ihn zuvor dominierenden Begriffen des römischen Rechts im Gegenzug gedankliche Realität abzusprechen – ein Phänomen seiner Wissenschaftsbiographie

Die Frage, wie Jherings den „Geist“ abschließendes Wort, in dem das Leben über die Logik gestellt wird, auf die Folgezeit gewirkt hat, ist damit endgültig beantwortet: In einer entschieden revisionsbedürftigen Weise. Er vertritt in ihm letztlich eine wissenschaftsfeindliche Sicht, die, geboren, wie im Vorstehenden immer wieder betont worden ist, aus einem wissenschaftsbiographischen Trauma, das im Ergebnis mit dem berühmt gewordenen älteren Versuch Kirchmanns, dem Recht die Wissenschaftlichkeit abzusprechen, in erstaunlichem Maße übereinstimmt. Beide Standpunkte, der spätere Jherings wie des ältere Kirchmanns verlagern das Recht übereinstimmend in das nur noch in situationellen Einzelfällen begegnende Leben und machen es so mit einem grundsätzlichen Anspruch zur Lehrmeisterin dessen, der zu entscheiden hat.147 Das ist in beiden Fällen verfehlt und führt geraden Wegs in den rechtlichen Nihilismus. Das Recht, das Wissen verwaltet, das über Berechtigungen und Pflichten der Menschen bestimmt und beide berechenbar macht, stammt nicht aus Bewe146 In meinem Artikel „Der Zweck im Recht“ in: Serge Dauchy et alii (edd.), The Formation and Transmission of Western Legal Culture. 150 Books that Made the Law in the Age of Printing (2016) S. 125. 147 Der lehrreiche Artikel von Claes Peterson, Theorie und/oder Praxis. Zur Diskussion zwischen Julius Herrmann Kirchmann und Friedrich Julius Stahl über die Wertlosigkeit der Rechtswissenschaft in Theorie und Praxis, in: Rechtswissenschaft als juristische Doktrin = Rättshistoriska Studier 25 (2011) S. 213–232 zitiert aus Kirchmanns Schrift „Über die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft“ (1848) die Definition, die dort dem „Wissen“ des Rechts gegeben wird: „es ruht in den dunklen Regionen des Gefühls, des natürlichen Takts, es ist nur ein Wissen des Rechts in dem einzelnen Falle.“ Diese Worte beschreiben, was Jhering bei seinem „Umschwung“ empfand und den Kernpunkt seiner Wirkung.

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gungen des konkreten „Lebens“ – dann wäre es Teil der antropologischen Soziobiologie –, sondern hat seinen Ort im ordnenden, menschlichen Denken, im „Logos“ des Menschen und seiner Anwendung durch die Logik. Das Recht ist damit Teil der nach objektivierbaren Einsichten strebenden Bemühungen der Menschen, die man Philosophie nennt, und zwar ihres „praktischen“, für das menschliche Zusammenleben maßgebenden und insofern mit Einsichtigen rechnenden Teils. Der Jhering des „Zwecks“, der im „Geist“ einmal mit zutreffender Intuition das Recht die „national-römische Philosophie, die Philosophie der praktischen Zwecke“148 nennt, hat in überzeugender Weise dargetan, dass die Erfahrung mit Recht Form- und Wertbegriffe hervorbringen kann, an deren grundsätzlicher Richtigkeit, d. h. praktischer Wahrheit149, kein Einsichtiger zweifelt150. Die verschiedenen Wege, auf denen solche dem Zusammenleben nützliche Grundbegriffe gefunden werden, prägen ihnen zwar feine, stets erwähnenswerte Unterschiede auf. Sie ändern aber nichts daran, dass ihre jeweiligen Zwecke, seien sie Freiheiten gewährend oder in Pflicht nehmend, im kulturanthropologischen Kern im Wesentlichen die gleichen sind und nach ihrer regelnden Wirkung vergleichbar erlebt werden. Da auch die einfachste Rechtsregel den Anspruch erhebt, auf Einsicht zu beruhen oder jedenfalls auf einem Streben danach, und ihn auch erheben muss, um Einsichtige zu überzeugen und den Rechtszwang, so weit wie möglich, auf die Ausnahmen zu beschränken, ist das Wort Philosophie hier in einer sehr elementaren und zugleich dem Zweck des Rechts entsprechend in einer ausschließlich immanenten, auf die richtige Ordnung des Lebens der Menschen bezogenen Bedeutung verwendet. Dass seine Begriffen nur vermöge 148 Diese Zusammenfassung vorbereitend beschrieb er ihre Bedeutung für die Römer Geist II,2 1. Aufl. (1858) S. 414 als: „das Gebiet, an dem ihre Philosophie zum Durchbruch“, in der 4.Aufl. (1883) S. 414 fülliger als: „das durch die praktische Richtung des Römervolkes bestimmte geistige Gebiet, auf dem das, was an philosophischem Sinn und Trieb in ihm war, zum Vorschein und zur Entfaltung kam“. Historisch konkretisiert beschreibt Jhering damit unbewusst die Gesinnung, die den ersten plebejischen Pontifex Sempronius sophus, consul 303 v. Chr, und seine Nachfolger zur Aneignung der stoischen Philosophie gebracht hat, zunächst in deren auf Antisthenes zurückgehender Frühform (vgl. Diogenes Laertes VI 14), und dann Generationen später den Cicerofreund Servius Sulpicius Rufus und seine Gesinnungsgenossen zu derjenigen der skeptisch-humanistischen des Philon von Larissa. Immer ging es um eine Philosophie der praktischen Zwecke, die als solche Jurisprudenz hervorbrachte und auf universale Eudämonologie gerichtet war. 149 Richtigkeit ist die „Wahrheit“ menschlicher Artefakte, deren Normativität ihre Lebensnützlichkeit einschließt. Ein Haus, das ein Architekt nach den Regeln der Archiktektur und entsprechend den Bedürfnissen der künftigen Bewohner errichtet hat, ist „richtig“ und ein „wahres Haus“. Das gleiche gilt für eine verlässliche, staatliche, dem Zusammenleben wohltuende Rechtsordnung. Schon Aristoteles kennt dieses (vermutlich schon ältere Paradigma), wenn er, Nikom. Ethik 1094a, 26f, die „Politik“, die Lehre, nach der eine Polis errichtet wird, die „mächtigste und architektonischste“ der Künste nennt. 150 So grundlegend in seiner Schrift „Über die Entstehung des Rechtsgefühls“ (oben Anm. 36 und 105).

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der Anschauung der Lebensverhältnisse Inhalt habem, ordnet sie nicht dem Leben unter, sondern zeigt umgekehrt an, dass sie das Leben regeln und lebbar machen. Das ist der Sinn des Satzes: omne ius hominum causa constitutum (alles Recht ist um der Menschen willen in Geltung gesetzt. Weil dieses Recht dem Menschen als kraft seiner Vernunft von Natur aus rechtsfähige Person gilt und ihn als solchen voraussetzt151, fährt der zitierte römische Jurist fort, dass er deswegen zunächst von der Rechtsstellung der Person handeln muss, auf die alles Recht, das berechtigende wie das in Pflicht nehmende, bezogen ist152. Diesen von Menschen für Menschen hergestellten Rechtszustand zu wahren, ist die oberste Pflicht der von den Bürgern des jeweiligen Gemeinwesens getragenen Gerichtsbarkeit, in klassischer Tradition, in der jener Jurist spricht, die des Edikts. Hier, in diesem dualistischen System, liegt der höchste Wert jeder Staatlichkeit, nicht in der Gewalt, zu der sie fähig und berechtigt ist, wenn es gilt, den Rechtszustand gegen Gewalt zu verteidigen153. Daher war und ist es falsch, ein höchstes Machtprinzip zu postulieren, das, über dem Recht stehend, alles Recht allererst generiert und dann folgerichtig den ihm widersprechenden Begriff Person, der die einsichtigen Menschen zu Schöpfern und Trägern des Rechts macht, als scheinbar substanzlose „Logik“ abzuschaffen. Dass die Menschen Recht daran tun, indem sie sich von sich selbst einen Begriff machen, sich als des Rechts fähige Personen sehen und alle, denen staatliche Gewalt anvertraut wird, an das ihre Rechtsstellung sichernde und ein fruchtbares Zusammenleben gewährleistende Recht gebunden sehen wollen, wird heute wohl kein Einsichtiger mehr bezweifeln. 151 Auch der Sklave war für Servius eine rechtsfähige Person und daher fähig einen gültigen, ihn verpflichtenden Vertrag zu schließen. Vgl. Servius bei Gaius III 179. Seine dem Gläubiger gefährliche Vermögenslosigkeit und Prozessunfähigkeit folgt aus seiner Unterordnung unter fremden Besitz und Eigentum, d. h. aus dem kriegsrechtlich begründeten Rechtstatus der servitus, von dem es ausdrücklich heißt, dass er der Natur widerspricht, d. h. sie beschränkt, aber nicht aufhebt. Vgl. Florentin 1 institutionum D 1,5,4 pr. Der Sklave bleibt Person. 152 Hermogian iuris epitomarum D 1,5,2 Cum igitur hominum causa omne ius constitutum sit, primo de personarum statu et post de ceteris, ordinem edicti perpetui secuti dicemus. (Da also alles Recht um der Menschen willen in Geltung gesetzt ist, werden wir zuerst von der Rechtsstellung der Person und dann, der Ordnung des Ständigen Edikts folgend, von den übrigen Gegenständen sprechen.) Das „igitur – also“ bezieht sich auf das vorhergehende Fragment Gaius 1 institutionum D 1,5,1 Omne ius quo utimur vel ad personas pertinet vel ad res vel ad actiones. Da sowohl die Vorstellung einer institutio, einer Einrichtung des Rechts (Cicero, Topica 23,90) als auch die Zentralstellung des Ständigen Edikts (Cicero, de legibus I 5,17; Pomponius lb sg enchridii D 1,2,2,44), das den berechtigenden und verpflichtenden Attributen der Person (Cicero, De inv. I 24,34–25,36) zur Geltung verhelfen, auf die zweite hellenistische Jurisprudenz zurückgeht, gibt die Fragmentenfolge der Digesten Justinians hier einen deutlichen historischen Fingerzeig. 153 Auch im privaten Leben symbolisieren die Befugnisse der Notwehr, des Notstandes und der erlaubten Eigenmacht nicht die höchste Stufe dessen, was der Einzelne in der Rechtsordnung darf, sondern drücken aus, dass das Recht als existenzsichernde Friedensordnung in äußerste Grenzsituationen nicht hineinreicht.

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Postille Bemerkungen zur Zitierweise des „Geistes“ und zur Begriffsbildung in der Pandektistik Die auffällige Tatsache, dass die vorliegende Jhering-Publikation nach langjähriger Verzögerung nicht, wie angekündigt, unter vier1, sondern jetzt unter zwei Herausgebernamen erscheint, habe ich mit einer gewissen Erleichterung registriert. Denn die Herausgeberschaft der beiden Ausgeschiedenen hätte unvermeidlich die Aussage enthalten, dass die Art des Jhering-Bildes, das zur Zeit von der Plattform der Abteilung „Römisches und Gemeines Recht“ des Göttinger Instituts für Grundlagen des Rechts propagiert wird, in irgendeiner Form eine Gutheißung erfahren hätte. Dieser Fehlschluss ist jetzt glücklicherweise nicht mehr möglich. Jenes Jhering-Bild liegt vor in der Publikation Inge Kroppenberg, Die Plastik des Rechts, Sammlung und System bei Rudolf von Jhering, Lectiones inaugurales 11 Berlin 2015 Es malt einen Jhering, der sich als Sammler plastischer, definierte Regelungen enthaltender Rechtsbegriffe betätigt und sich als solcher zugleich durch ein ganz und gar entspanntes Verhältnis gegenüber der Frage ihrer logischen Wertigkeit ausgezeichnet habe. Jhering sei „ein Aristokrat des Arguments“ gewesen: „Wenn es nicht mehr überzeugte, ließ er es fallen“.2 Das, was Jherings weltwirksame und zugleich alles andere als unproblematische Bedeutung ausmacht, die ungeheuer dramatische, von ihm intensiv erlebte und leidenschaftlich mitgeteilte Wucht seiner Wende von einem Juristen, der an Begriffsgläubigkeit nicht zu überbieten war, zu einem Juristen, der sich nur noch den sich stellenden Lebenszwecken verpflichtet fühlte – eine Wende, die Hermann Kantorowicz Jherings „Bekehrung“ und Franz Wieacker sein „Damaskus“ 1 Auf den ersten Seiten meiner Antwort auf die Beiträge in der von Cosima Möller, Martin Avenarius, Rudolf Meyer-Pritzl herausgegebenen Publikation „Das römische Recht – eine sinnvolle, in Auguralreligion und hellenistischen Philosophien wurzelnde Rechtswissenschaft? Forschungen von Okko Behrends revisited“ (Göttingen 2020), auf denen ich die Ergebnisse der im Vorstehenden nun endlich gedruckt vorliegenden Studie resümiere, werden nach Rücksprache mit den damaligen Herausgebern noch vier genannt, nämlich in der Form (a. a. O. S. 99 Anm. 4): „Inge Kroppenberg, Stephan Meder, Nikolaus Linder, Christoph-Eric Mecke (Hrsg.), Jhering global (im Druck)“. Dazu ist nur noch zu bemerken, dass die Erstgenannte mittlerweile Hanewinkel heißt. 2 Vgl. dazu und zum Folgenden die Nachweise in meiner der zitierten Antrittsvorlesung gewidmeten Rezensionsmiszelle „Jherings Umschwung“, Savigny-Zeitschrift, Rom. Abt. 134 (2017) S. 539–557.

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genannt haben und die in der vorliegenden Untersuchung noch einmal analysiert und weiter geklärt worden ist3 – kommt in diesem Bild nicht vor. Es ist ohne ein Wort der Begründung gelöscht. Die darin liegende Vereinfachung der wissenschaftsbiographischen Aufgabe, die nicht einmal Jhering selbst Gehör gewährt, hat ihre Entsprechung darin, dass Jherings „Geist des römischen Rechts“, in dessen Bänden und Auflagen sich diese Wandlung vollzogen hat, konsequent nur in der ersten Auflage zitiert wird, ein Vorgehen, das Jhering als einen stationären Denker erscheinen lässt. Solch ein Vorgehen würde man methodisch auch einer Seminararbeit nicht durchgehen lassen. Daran wird auch mitgewirkt haben, dass Nikolaus Linder, der die Entstehung der Schrift als Mitarbeiter der damaligen Frau Kroppenberg begleitet hat, von seiner wissenschaftlichen Herkunft kein Romanist ist und sich daher niemals mit dem für das römische Recht kennzeichnenden, stringenten Denken vertraut gemacht hat, das den Jhering der ersten Phase so einseitig und folgenreich in seinen Bann geschlagen hatte. So erklärt sich wohl auch ein stehengebliebener, eklatanter Fehler in der Wiedergabe des für Jherings „Damaskus“ entscheidenden Gutachten, in dem es gegen die Handschrift Jherings, aber eben auch gegen die in den Quellen evidente institutionelle Logik des römischen Rechts heißt: Ein Kaufvertrag lässt sich „a u c h ohne“ ein Objekt abschließen, statt wie richtig „n i c h t ohne“.4 Fremdheit gegenüber dem antiken römischen Recht begründet gewiss mildernde Umstände. Auch ein Nichtromanist wie Joachim Rückert hat keinen Zugang zu Jherings biographischer, als „Umschwung“ deklarierter Wende gefunden, wenn er meint, Jherings leidenschaftliche, eine methodische Krisenerfahrung dokumentierende Äußerungen als substanzlose Selbstinszenierungen interpretieren zu dürfen5. Dass verunglückte Zitierweise das Jhering-Bild um das wissenschafts-biographische Zentralereignis verkürzen kann, zeigt sich auch in Hans-Peter Haferkamps Beitrag in der Festschrift für Jens Peter Meincke, in der er die Analyse des Schenkungsbegriffs der Pandektenwissenschaft paradigmatisch für die – in ihrer Problematik gleich näher zu beleuchtende – Frage heranzieht, wie deren 3 Die in ihr erzielten Ergebnisse sind denn auch grundlegend geworden für den Anfang und den Tenor meiner Eason-Weinmann-Lecture „The Spirit of the Roman Law Re-evaluated“, gehalten am 21. Oktober 2021 am Eason-Weinmann Center for International and Comparative Law, Tulane Law School, New Orleans. Sie wurde vom Center ins Internet gestellt und ist zur Veröffentlichung bestimmt. 4 Vgl. die Miszelle S. 556. 5 Vgl. den Nachweis in der Miszelle S. 539 Anm. 5. Auch der spätere Artikel „Das Methodenorakel Rudolf von Jhering (1818–1892)“, AcP (2019) S. 457–487 zeigt schon in der Überschrift mehr Abschätzigkeit als analytisches Verständnis.

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Vertreter Begriffe gebildet haben6. Obwohl Haferkamp a. a. O. S. 130 Anm. 13 betont, im Folgenden den „Geist“ nach der 3. Auflage 1871 zu zitieren, zitiert er ihn S. 139 mit Rückverweisung auf Anm. 13 allein aus der ersten Auflage. Dem Leser wird auf diese Weise nicht weniger der Eindruck vermittelt, dass es für Jhering einen Umschwung nicht gegeben habe, dass es vielmehr für ihn dauernd ein Ziel geblieben sei, „der Herrschaft des Rechtsgefühls ein Ende zu machen“ und zu diesem Zweck eine Welt von allein kraft ihrer Form herrschenden begriffsstrengen „Rechtskörpern“ zu konstruieren. Das Maß an Unvertrautheit mit Jherings innerer Biographie ist auch in dem Fall unüberbietbar7. Bemerkenswerterweise findet sich übrigens auch in einer älteren sehr gründlichen Untersuchung Haferkamps – in ihr wird ausführlich dargestellt, dass die Verwandlung des § 242 BGB, der vom Wortlaut her nur eine angemessene Interpretation des geschuldeten Leistungsinhalts fordert, in eine Generalklausel, die u. a. einer unzulässiger Rechtsausübung entgegentritt, auf den Einfluss der vom Reichsgericht auch nach Inkrafttreten des BGB in der Sache festgehaltenen excptio doli generalis zurückgeht8 – auf S. 6 das gleiche vereinfachte Jhering-Bild, obwohl die 4. von den Spuren exzessiver Begriffsgläubigkeit längst gereinigten Auflage des „Geistes“ angeführt wird. Jhering erscheint auch in diesem Beitrag ungebrochen als Formalist, der von „situativen Eingriffen“ der Gerichte, wie sie die neuzeitliche exceptio doli generalis ihrem antiken Vorbild folgend, z. B. im Fall der evident rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung eines nicht valutierten, formal gültigen Zahlungsversprechen (Gaius IV 116) ermöglichte, mit Entschiedenheit nichts habe wissen wollen. Der Jhering der Wende, der betont der berechtigenden ratio iuris nur noch solange zu folgen bis ihr die utilitas, der mitmenschlichgesellschaftliche Zweck des Rechts, in den Weg tritt und die Rechtsausübung unzulässig macht9, ist ausgeblendet. In diesem Fall hat Haferkamp nicht unrichtig zitiert, sondern übersehen, dass es Jhering in dem Abschnitt „Der Formalismus“, den er mit den berühmten Ausspruch „Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit“ einleitet, allein um die 6 „Zur Konstruktion des Schenkungsbegriffs in der Pandektenwissenschaft des 19. Jahrhunderts“, Festschrift für Jens Peter Meincke (2015) S. 129–141 mit der methodischen Einführung: „Wie bildeten Pandektenwissenschaftler im 19. Jahrhundert Begriffe?“ 7 Alles, was Haferkamp S. 139ff. zitiert, ist in der 3. Auflage beseitigt. Vgl. die näheren Nachweise in der Rezensionsmiszelle S. 545 Fn. 24. Bezeichnend für die Unvertrautheit ist, dass Haferkamp nicht erkennt, dass Jhering, wenn er 1861 im ersten seiner anonymen Briefe den Konstruktionsjuristen bei „nächtlicher Weile und Lampenschein“ tätig sieht, auf bezaubernde Weise Selbstkritik übt. 8 Hans-Peter Haferkamp, Die exceptio doli generalis in der Rechtsprechung des Reichsgerichts vor 1914, in: Ulrich Falk, Heinz Mohnhaupt (Hrsg,), Das Bürgerliche Gesetzbuch und seine Richter. Zur Reaktion der Rechtsprechung auf die Kodifikation des deutschen Privatrects (1896.1914) Frankfurt 2000 S. 1–31. 9 Vgl. Fußnote 116 der dieser Postille voraufgehenden Abhandlung.

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– bei Nichtbeachtung Unwirksamkeit auslösende – Form der Rechtsgeschäfte geht und es seinen Grund hat, dass Jhering in den unmittelbar vor den von Haferkamp für seine Interpretation angeführten Sätze auf der Suche nach dem „für den Begriff des formellen Geschäfts“ bedeutende „legislativen Motiv der Form“ als Ergebnis der Suche die immer noch gültigen Antworten gibt: „Sicherstellung des Beweises, Ausschließung von Uebereilung“. Doch jetzt zu der im Beitrag zum Schenkungsbegriff aufgeworfenen Frage nach der Begriffsbildung in der Pandektistik, und zwar des Näheren zu der sich in ihr zeigenden, dem Nichtromanisten im antikrechtlichen Sinne verzeihlichen, aber die Urteilsfähigkeit doch sehr einschränkende Unvertrautheit mit den Vorbedingungen der Pandektistik. Denn nach der Art ihrer Begriffsbildung zu fragen, verkennt, dass die auf Juristenschriften verweisenden Pandektenfragmente und die sie begleitenden weiteren antiken Rechtsquellen an ihre Bearbeiter nicht so sehr die Aufgabe stellten, neue Begriffe zu schaffen, sondern die in ihnen in Fülle vorhandenen Begriffe – man nehme nur einmal Justinians Institutionen in die Hand – in eine den neuen Sinnbedürfnissen entsprechenden Weise zu bestimmen und zu ordnen. Dass die infolge ihres Rechtsglaubens unhistorisch denkende Historische Rechtsschule die Frage nicht beantworten konnte, warum es so viele Kontroverse gab: Wird der Mensch mit dem ersten Atemzug oder mit dem ersten Schrei rechtsfähig? Ist der Besitz ein Rechtsverhältnis oder eine Tatsache? Ist das Eigentum Aneignung des Nützlichen (proprietas) oder Herrschaft über einen Körper (dominium)? Ist Erfüllung einer Obligation Befriedigung oder Bewirkung eines formalen Leistungsprogramms? Haftet man deliktisch auch für unterlassene Gefahrenabwendung oder nur für schädigendes Tun? ändert nichts daran, dass die Pandektistik diese in ihrer Deutung umstrittenen Begriffe, ebenso wie viele andere, die uns vertraut geblieben sind, vorfand. Diesen Konzepten gegenüber, deren verschiedene Prägungen allesamt eine antike Genese haben10, von einer pandektistischen Begriffsbildung zu sprechen, ist nur in 10 Zu den genannten Kontroversen und den beiden für sie jeweils verantwortlichen, das uralte

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dem eingeschränkten Sinn berechtigt, dass danach gefragt werden kann und muss, welche Wahlen die Pandektisten jeweils unter den ihnen durch die Quellen an die Hand gegebenen Möglichkeiten getroffen haben, z. B. in Bezug auf den Besitzbegriff. So verschieden er bei Savigny, Puchta und Jhering, um nur sie zu nennen, ausfällt, so ist er doch bei ihnen allen von den Quellen übernommen, und zwar in einer Weise, dass ihre Interpretationen gedanklich verbunden bleiben und zugleich für die Erfassung des von ihnen mitbestimmten komplexen Besitzbegriffes des BGB hilfreich sind. Wegen der Genese dieser Wissenschaft sollten im Übrigen entsprechende Untersuchungen grundsätzlich – nicht nur beim Besitz, dessen monographische Behandlung Savignys Ruhm begründet hat – mit dem eigentlichen Begründer der Historischen Rechtsschule Savigny begonnen werden. Haferkamp, der das in seiner Studie nicht beachtet und nach Hugo gleich zu Puchta übergeht und für Savigny in dessen Abteilung nur einen (a. a. O. S 138) „kurze Blick“ übrig hat, lässt sich dadurch für sein Thema entgehen, was das soeben Gesagte unterstreicht, da es exemplarisch deutlich macht, dass die pandektistische Arbeit am römischen Recht in der Art, wie sie sich mit ihren Quellen auseinandersetzte und sie entweder übernahm oder verwarf oder eigenständig fortbildete, bis heute lehrreich geblieben ist. In der Art, wie Savigny mit dem Schenkungsbegriff seiner Quellen umgegangen ist, zeigt sich das in besonders eindrucksvoller Weise. Denn Savigny ü b e r n a h m den Begriff der donatio, v e r w a r f mit Entschiedenheit die klassische Einordnung der Schenkung als Rechtsgrund der Übereignung (iusta causa traditionis)11 und lehrte in unüberbietbarer Selbständigkeit, dass die Schenkung wie der Vertrag in den Allgemeinen Teil gehört, wenn auch anders als dieser beschränkt auf das Vermögensrecht12. Das BGB ist ihm zwar in dieser systematischen Frage nicht gefolgt: Die Handschenkung steht, so sehr ihre Definition derjenigen Savignys folgt13, als Vindikationsmodell verfeinernden Philosophien siehe jetzt Okko Behrends, Römisches Recht. Von den Anfängen bis heute. Im Überblick (Göttingen 2022) S. 112ff. sowie S. 74 ff und S. 82ff. 11 System IV S. 2: „Justinians Institutionen setzen sie unter die Erwerbungsarten des Eigenthums; offenbar einseitig und willkührlich“. Er verweist allein auf Inst. II 7 und übergeht Stellen wie Gaius II 20 und Paulus 21 ad edictum D 41,1,31 pr., die für die institutionell-ediktale Tradition eine allgemeine iusta causa Lehre bezeugen. Deren theoretischen Rang bezeugt uns Cicero, Topica 16, 31 mit den zur klassischen causa-Lehre gesprochenen Worten in arte constantia est. In einer Kunstlehre wie dem Recht kommt den in ihr für den Eigentumsübergang festgelegten Ursachen die gleiche Beständigkeit zu wie gesicherten Naturursachen, z. B. dass die Verabreichung eines tödlichen Giftes eine causa mortis setzt. 12 Vgl. System IV S. 3 Fußnote c. 13 Vgl. § 516 Abs. 1 BGB mit der Definition System IV S. 4 Entscheidend ist stets die als unentgeltlich gewollte Bereicherung des Vermögens des Beschenkten auf Kosten des Vermögens des Schenkers.

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Vereinbarung eines Behaltensgrundes im Schuldrecht. Aber Savignys eigenwillige Behandlung des Schenkungsrechts hat gleichwohl einen tiefen Einfluss auf das BGB ausgeübt, nämlich indem es ihm mit dem Abstraktionsprinzip das zentrale Alleinstellungsmerkmal unter den romanistischen Kodifikationen verschaffte. Denn indem Savigny der Schenkung den Charakter eines – in Rom die Übereignung auslösenden, heute sie bereicherungsrechtlich rechtfertigenden – Rechtsgrundes nahm, hat er sie auf eine abstrakte Einigung über eine unentgeltliche, von einem Vermögen zu einem anderen gehenden sachenrechtliche Wertbewegung reduziert und daraus den abstrakten dinglichen Vertrag der sachenrechtlichen Einigung verallgemeinert. Felgenträger hat insofern in einer kleinen, aber dichten Monographie unter Heranziehung einer Reihe von Vorlesungsnachschriften alles Notwendige nachgewiesen14. Am Anfang steht Savignys Irrtum, dass dann, wenn jemand eine Münze in den Hut eines darob erfreuten Bettlers wirft und dementsprechend grundsätzlich bei jeder Handschenkung, zwischen den Beteiligten kein den Eigentumsübergang rechtfertigender Vertrag zustande kommt. Er kann das nur, indem er gegen die Quellen die iusta causa auf den Übereignungswillen reduziert, der vertraglich angenommen wird. Die folgenden Auszüge genügen, um die entsprechende Entwicklung seines Denkens nachzuzeichnen. Vorlesungsnachschrift von G.G. Burchardi SS 1815/1816 Felgenträger S. 33 „Wenn einer einem Bettler ein Stück Geld gibt , findet nur ein einziges factum statt, es ist kein Vertrag“. Ebenda Felgenträger S. 34 „die Absicht des Gebers macht den Beschenkten zum Eigenthümer, nichts anderes. Justa causa müssen wir also nur nennen, die Absicht des Eigentümers mit der Tradition das Eigenthum zu übertragen“. Vorlesungsnachschrift eines Unbekannten ohne Semesterangabe von 1827 Felgenträger S. 36 „Traditio ist ganz allgemein und nothwendig ein Vertrag, insofern sie nur dann Eigenthum überträgt, wenn beide Partheien ihren Willen übereinstimmend ausdrücken.“

Das einzige factum, das nach Savigny im Bettlerfall stattfindet, ist die Tradition, die nach ihrem vertraglichen Zweck Eigentum überträgt. Dass er damit die iusta causa donationis übersehen hat, ist evident und wird ihm, wie schon gesagt, vom BGB, das den Rechtsgrund der Schenkung anerkennt, quittiert. Es folgt ihm aber 14 Wilhelm Felgenträger, F.C. von Savignys Einfluss auf die Übereignungslehre. Abhandlungen der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen (1928), insbesondere S. 33.

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in der Übernahme des abstrakten dinglichen Vertrags, der durch die „Verwerfung“ der iusta causa donationis begründet worden ist, und korrigiert deren Nichtachtung nur dadurch, dass es diese iusta causa, wie ebenfalls schon gesagt, als einen vertraglichen Behaltensgrund anerkennt. Zu Savignys Irrtum hat beigetragen, dass Savigny nach Ausweis des Quellenregisters seines Systems die vorklassischen Quellen zur Schenkung, die für die Übereignungswirkung statt nach objektiven Rechtsgründen nach den Beweggründen fragen und hier zwischen reiner Freigebigkeit und einem den anderen verpflichtenden Geschäftswillen unterscheiden, nicht herangezogen und in keiner Weise zur Geltung hat kommen lassen, und zwar aus gutem Grund. Es wäre mit der Reinheit seiner Rechtsgeschäftslehre, in der die in ihr wirkende Willenserklärung stets nur auf eine Rechtsfolge gerichtet war15, nicht vereinbar gewesen, den Rechtsfolgewillen der vorklassischen Tradition folgend dualistisch auszulegen und dem menschlichen Willen im Recht die Wahl zwischen unbedingter Freigebigkeit, die allein als eigentliche Schenkung anerkannt wird16, und Eigennutz zu geben, der eine Übereignung teilweise oder ganz in ein eigennütziges „Geschäft“, ein negotium, verwandelt17. Wer diese hier angedeuteten Zusammenhänge als antikrechtlicher Romanist überblickt, kann sich über das Urteil, das kürzlich als Zusammenfassung der Ergebnisse des Züricher Rechtshistorikertages geäußert worden ist, dass uns die Denkweise der Historischen Schule fremd geworden sei, nur wundern. Sie ist unsere eigene geworden und geblieben, und zwar gerade auch dort, wo sie sich gegenüber ihren Quellen selbständig gezeigt hat. Es gibt zu denken, dass die mildernden Umstände, die Nicht-Romanisten oder auf die Wirkungsgeschichte des römischen Rechts beschränkte Privatrechtshistoriker für sich in Anspruch nehmen können, wenn sie über die Wirkungen des antiken römischen Rechts sprechen, auch für diese Nachricht gelten. Es ist ein Befund, der geradezu die Frage aufwirft, ob wir hier eine eigenartige Neuauflage

15 Vgl. System III S. 98ff. 16 Julian 17 digestorum D 39,5,1 pr sagt als Schulhaupt der hochklassischen Sabinianer, dass im eigentlichen Sinn als Schenkung bezeichnet wird (hoc proprie donatio appellatur), die der Schenker aus keinem anderen Beweggrund (nullam aliam causam facit) als um einer Freigebigkeit und Großzügigkeit willen (quam ut liberalitatem et munificentiam exerceat.) Vgl. dazu die folgende Fußnote. 17 Erfolgt die Schenkung unter einer Auflage (den geschenkten Sklaven nach fünf Jahren freizulassen; das Geschenkte bei Gesundung des Schenkers zurückzugeben), liegt eine vom Leistenden ausgehende negotium genannte Pflichtenbestimmung vor. Vgl. Ulpian 71 ad edictum D 39,5,18, pr u. § 1; siehe auch Paulus 6 ad leg Jul et Pap D 39,6,35,3. Auf die gleiche Weise wird vorklassisch nicht nur die Rückgabepflicht des indebitum solutum begründet (Julian 39 digetorum D 12,33), sondern letztlich alle rechtsgeschäftlichen Pflichten aus Vertrag. Vgl. Paulus 72 ad edictum D 45,1,83 pr.; Gaius III 91; III 106.

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des unsere Vor- und Vorvorväter einst bewegenden Gegensatzes zwischen Romanisten und Germanisten vor uns haben. Denn der Verfasser der Zeitungsnotiz18 Peter Oestmann ist als Rechtshistoriker kein Romanist, sondern als Schüler von Wolfgang Sellert insbesondere mit gehaltvollen Arbeiten zur mittelalterlichen Rechtsgeschichte hervorgetreten. Und das Referat, auf dass er sich in der Hauptsache beruft, stammt von Hans Peter Haferkamp, der wie gesehen der Wirkungsgeschichte des römischen Rechts ohne Blick auf das antike Vorbild nachgeht19. Ich habe mich im Übrigen damals bei Haferkamp erkundigt, ob es nach seiner Kenntnis irgendeinen Zusammenhang zwischen der ihm unterlaufenen, Jherings innere Biographie zudeckenden, einseitigen – lediglich von einer protestatio facto contraria begleiteten – Zitierung der 1. Auflage des Geistes und der Tatsache besteht, dass die im gleichen Jahr publizierte Göttinger Antrittsvorlesung im Ergebnis nichts anderes tut, vielmehr aufgrund der gleichen, in ihrem Fall offengelegten Zitatbeschränkung Jhering auf der Stufe eines Begriffsjuristen festhält, der sich von allen Einflüssen des wertenden Rechtsgefühls tunlichst befreien möchte. Die Antwort ging dahin, dass er keinerlei Verbindung sieht, begleitet von der Versicherung, dass ihm die Unterschiede der Auflagen sehr bewusst seien und er offenbar nicht aufgepasst habe. Von der heutigen Frau Hanewinkel, die im Unterschied zu Hans Peter Haferkamp eine durch gründliche Quellenarbeit ausgewiesene antikrechtliche Romanistin ist20, gibt es demgegenüber bisher keine näheren Äußerungen dazu, wie sie sich zu diesem schweren methodischen Fehler und zu der deswegen notwendig gewordenen, vernichtenden Kritik verhält, die der unter ihrem Namen erschienenen Publikation zuteil wurde. Vielmehr verwendet sie die Schrift, wie aus der Selbstdarstellung der Abteilung hervorgeht, weiterhin als Nachweis, dass sie in der Jhering-Forschung eine gewichtige Stimme ist. Sie scheint aber immerhin das Bewusstsein zu haben, dass das nur vertretbar ist, wenn sie mit der bisher in Göttingen betriebenen Jheringforschung, die mit Franz Wieacker be18 Frankfurter Allgemeine Zeitung, Mittwoch 24. August 2022 Nr. 196 S. 12 (www.faz.net/-gsf -avghe). 19 Auf dessen Publikation darf man gespannt sein. Nach Oestmann Wiedergabe hätten die Pandektisten, die bekanntlich nicht nur von der Freirechtsbewegung als exzessiv begriffsstreng charakterisiert worden sind, in Wahrheit sich, „wenn es hart auf hart kam, eher auf ihr Rechtsgefühl als auf verbindliche Dogmatik“ verlassen. Auch hier scheint der Jhering der Wende übersehen zu sein, der ja in die Selbstkritik an der eigenen Begriffsgläubigkeit seine Zeitgenossen herzhaft und mit Beispielen einschließt. 20 Das zeigt vor allem ihre Mainzer Dissertation des Jahres 2000, die 2001 in den Forschungen zum Römischen Recht, Band 48 unter dem Titel „Die Insolvenz im klassischen römischen Recht. Tatbestände und Wirkungen außerhalb des Konkursverfahren“ erschien und im gleichen Jahr verdientermaßen im Rahmen des Premio Boulvert, Neapel, mit einem Preis der Universität Nizza ausgezeichnet wurde.

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gonnen hatte (er fühlte sich in Lob wie in Kritik Jhering sehr nahe), entschieden bricht und sie tunlichst, so gut es geht, aus ihrem Blickfeld entfernt. Dass es dabei, wie sichtbar geworden ist, in dem Versuch, Jhering auf der Stufe eines formal entscheidenden, das „Rechtsgefühl“ überflüssig machenden, „Rechtskörper“ verehrenden Juristen festzuhalten und auf diese Weise zu übergehen, was seine historische Bedeutung ausmacht, eine merkwürdige, entweder rein zufällige oder noch ungeklärte Parallele gegeben hat, mag dauerhaft ein Geheimnis bleiben. Insofern sich aber darüber hinaus auch eine grundsätzliche Kritik an der Überzeugung abzeichnet, dass das heutige Recht ohne die Leistungen der Historischen Rechtsschule und die von ihr bearbeiteten rechtswissenschaftliche Tradition Roms nicht wirklich verstanden werden kann, wird darauf zu seiner Zeit zurückzukommen sein.

Christoph-Eric Mecke

Jherings Rechtsdenken im Kontext der zeitgenössischen Natur- und Sozialwissenschaften

1.

Grenzüberschreitungen: Der zweifache Wissenschaftspionier

Zwei Male in seinem langen Wissenschaftlerleben, einmal Mitte der 1850er Jahre und ein zweites Mal Ende der 1870er Jahre, war Jhering wie elektrisiert in – wie er selbst schreibt – der „Art von Begeisterung und Fanatismus“1 eines Wissenschaftspioniers, der jenseits jahrelanger Mühen kleinteiliger Pandektenexegese und „Mikrologie“ in der Quellenforschung seiner Kollegen2 den „Stein des Weisen“ auf dem Gebiet seiner Wissenschaft entdeckt zu haben glaubte. Beide Male berührten die „Entdeckungen“3, wie Jhering sie bezeichnete, nichts Geringeres als die Grundfesten seiner Wissenschaft, nämlich jeweils eine der beiden von Jhering lebenslang unterschiedenen Seiten des Rechts. Die eine Seite bildete nach Jherings eigenen Worten die „Form“, „Structur“4, „Logik“5 des Rechts, die

1 Jhering in einem Brief vom 29. Juli 1856 an Bernhard Windscheid, abgedruckt in: Helene Ehrenberg (Hrsg.), Rudolf von Jhering in Briefen an seine Freunde, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1913, Aalen 1971, Nr. 20, S. 64–68 (67). 2 Zu „einem gewöhnlichen Pandektenhengsten“ sah sich Jhering nie berufen, wie seine Briefe an Kollegen bezeugen. Die „lederne[n] jurist[ischen]“ oder „civilistische[n] Versuche“ zeitgenössischer Pandektisten (undatierter Brief an Carl Friedrich von Gerber vermutlich aus der zweiten Jahreshälfte 1859), abgedruckt in: Mario G. Losano, Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber. Teil 1, Ebelsbach 1984, Nr. 115, S. 335–341 (339) sowie die „Mikrologie“ reiner Quellenexegese überließ er lieber den „ledernen Gesellen“ der Pandektistik [vgl. Jherings Brief an Gerber vom 7. August 1854, abgedruckt in: Losano (aaO), Nr. 36, S. 114–118 (117)]. Vgl. dazu Christoph-Eric Mecke, Rudolf von Jhering. Anonym publizierte Frühschriften und unveröffentlichte Handschriften aus seinem Nachlaß. Mit Textsynopsen, Erläuterungen und werkgeschichtlicher Einordnung, Göttingen 2010, S. 82f. 3 Rudolf Jhering, Unsere Aufgabe (1856), in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 1 (1857), S. 1–52 (19). 4 Rudolf Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung, Leipzig 1858, § 41, S. 390 et passim. 5 Rudolf Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Erster Theil, Leipzig 1852, § 3, S. 27.

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Christoph-Eric Mecke

andere hingegen die „Substanz“6, den „Stoff“7, „Zweck“8 bzw. das „Zweckmoment“, das – so schreibt wohlgemerkt der junge Jhering – „(… nicht bloß [für das] rechtsphilosophische, sondern auch [für das] praktisch-juristische) Verständniß“ eines Rechtsinstituts unerlässlich sei.9 Von der ersten Entdeckung und dem mit ihr auch emotional verbundenen Ausnahmezustand Jherings geben uns seine Briefe an Kollegen Zeugnis. In einem Brief vom 29. Juli 1856 an den geschätzten, aber so ganz unenthusiastischen Kollegen Bernhard Windscheid, der – das ganze Gegenbild von Jhering – nicht auf grenzüberschreitende Pionierleistungen, sondern durch systematisch geduldige Arbeit an den Pandekten auf pragmatisch-lebensnahe Lösungen im Einzelfall10 orientiert war, schreibt der noch nicht 38jährige Jhering11: „Produktive Tätigkeit der Jurisprudenz ist die Losung meines ganzen Strebens und Wirkens, und wenn mir noch 10 Jahre verstattet sind, um meine Ideen über so viele Punkte auszusprechen, so wird das ungleich klarer hervortreten. […] versetzen Sie sich in die Lage eines Menschen, der […] durch die ausschließliche Beschäftigung mit dem Gegenstand in eine Art von Begeisterung und Fanatismus geraten ist […].“12

Da Windscheid keinesfalls – wie damals Jhering – die „Form“ des Rechts, nämlich die „Konstruktion der Rechte“ durch rechtsdogmatische Begriffe über die „Substanz“, den Inhalt der Rechtsnormen stellen wollte, war er sogar öffentlich zur Zielscheibe Jherings geworden. In seinem Brief an Windscheid versuchte sich 6 R. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 1 (1857), S. 13; ders., Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung, Leipzig 1858, § 41, S. 409. 7 Rudolf Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Erster Theil, Leipzig 1852, § 3, S. 26; ders., Unsere Aufgabe (1856), in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 1 (1857), S. 14, 17; ders., Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung, Leipzig 1858, § 38, S. 338, 340, 346; § 40, S. 380; § 41, S. 386, 408 et passim. 8 Rudolf Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung, Leipzig 1858, § 41, S. 392. 9 Rudolf Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung, Leipzig 1858, § 41, S. 391 (Hervorhebung im Original). 10 Davon geben uns einen nachhaltigen Eindruck die schönen Fallstudien zu Windscheid von Ulrich Falk, Ein Gelehrter wie Windscheid: Erkundungen auf den Feldern der sogenannten Begriffsjurisprudenz, 2. unveränderte Auflage Frankfurt a.M. 1999. Seit 1862 betreute Windscheid jahrzehntelang die vielen Auflagen seines mehrbändigen Pandektenlehrbuchs, das für mehrere Juristengenerationen die Funktion eines jeweils akribisch auf den neuesten Stand von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft gebrachten Pandektenkommentars hatte. 11 Geboren wurde Jhering am 22. August 1818. 12 So Jhering über sich selbst in seinem Brief an Bernhard Windscheid, abgedruckt in: Helene Ehrenberg (Hrsg.), Rudolf von Jhering in Briefen an seine Freunde, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1913, Aalen 1971, Nr. 20, S. 64–68 (67).

Jherings Rechtsdenken im Kontext

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Jhering damit zu entschuldigen, dass er „der Wissenschaft glaubte einen Dienst erweisen [zu müssen], wenn ich, persönliche Rücksichten zum Opfer bringend, einem – erlauben Sie den Ausdruck! – Aufrührer mit der Keule und dem Schwert entgegentrat […].“13 Es sollten aber nicht mehr viele Jahre vergehen, bis Jhering seit den 1860er Jahren die eigene „Ueberschätzung“14 der juristischen Logik, also der formalen Seite des Rechts erkannte und damit die zeitweise verabsolutierte Rolle der wissenschaftlichen Rechtsdogmatik für die juristische Entscheidungspraxis wieder relativierte. Nicht mehr die „Logik“ allein sollte entscheiden, sondern nur diejenige „Logik“, deren Ergebnisse auch vor der inhaltlich aufgefassten „substantiellen Idee der Gerechtigkeit und Sittlichkeit“15 bestehen können. Bekanntlich hat Jhering diese werkbiographisch viel beschriebene Selbstkorrektur – übrigens nur zum Teil mit Recht – unter dem von ihm später geprägten Schlagwort der „Begriffsjurisprudenz“ auch gleich noch zur notwendigen Selbstkorrektur der gesamten zeitgenössischen Pandektistik erklärt.16 Aber nicht diese Korrektur auf dem Gebiet der Rechtsdogmatik hat Jhering als seine zweite Entdeckung verstanden. Bei aller Selbstkritik über die eigene Verabsolutierung der „Theorie der juristischen Technik“ hat er diese abgesehen von ein paar späteren Zusätzen und Streichungen in späteren Auflagen auch nicht grundlegend überarbeitet.17 Vielmehr hat sich Jhering bei seiner zweiten Entdeckung ausgerechnet ganz auf das konzentriert, was ihm noch bei der Formulierung einer Theorie der „naturhistorischen“ bzw. „höheren Jurisprudenz“ der Begriffe als Teil der wissenschaftlich „niederen Jurisprudenz“18, also als untauglicher, weil ständig veränderbarer Wissenschaftsgegenstand erschienen war, nämlich auf die 13 Jhering in seinem Brief vom 29. Juli 1856 an Bernhard Windscheid, abgedruckt in: Helene Ehrenberg (Hrsg.), Rudolf von Jhering in Briefen an seine Freunde, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1913, Aalen 1971, Nr. 20, S. 64–68 (67). 14 Rudolf Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung, Zweite Auflage, Leipzig 1869, § 41, S. 345 Fn. 506a; Rudolf von Jhering, Der Besitzwille. Zugleich eine Kritik der herrschenden juristischen Methode, Jena 1889, S. 198 Fn. 2. 15 Rudolf Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung, Zweite Auflage, Leipzig 1869, § 41, S. 345 Fn. 506a. Vgl. auch unten Fußnote 129. 16 Rudolf von Jhering, Scherz und Ernst in der Jurisprudenz. Eine Weihnachtsgabe für das juristische Publikum (1884), unveränderter reprographischer Nachdruck der 13. Auflage 1924, Darmstadt 1988, S. 337, 345–347. 17 Helmut Coing, Der juristische Systembegriff bei Rudolf von Ihering, in: Jürgen Blühdorn/ Joachim Ritter (Hrsg.), Philosophie und Rechtswissenschaft. Zum Problem ihrer Beziehung im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1969, S. 149–171 (158, 170), wonach Jhering in seinem Werk „Der Zweck im Recht“ nicht „zu einer abschließenden neuen juristischen Methode“ komme. Das hatte Jhering mit diesem Werk aber auch gar nicht beabsichtigt. 18 Rudolf Jhering, Unsere Aufgabe (1856), in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 1 (1857), S. 1–52 (8f.).

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Christoph-Eric Mecke

Rechts- und anderen Sozialnormen seiner Zeit und deren inhaltliche Genese durch konkrete menschliche Zwecke. Werkbiographisch betrachtet sind die Entdeckung des Formelements und die Entdeckung des Zweckelements des Rechts beide Male begleitet von einer Phase höchster persönlicher Anspannung Jherings. Jhering wird erfasst von einem Arbeitsrausch sowohl bei der Formulierung der Theorie der naturhistorischen Methode 1855/56 als auch gut zwanzig Jahre später bei dem Beginn seiner Untersuchungen zum Mechanismus der inhaltlichen Genese von Rechts- und Sozialnormen. Beide Male ist Jhering selbst davon überzeugt, jeweils als Wissenschaftspionier etwas Neues und über seinen Tod hinaus Bleibendes geleistet zu haben. Die Formulierung einer auf der „naturhistorischen“ Anschauungsweise des Rechts beruhenden allgemeinen „Theorie der juristischen Technik“19 bezeichnet er 1855 als das in der zeitgenössischen Literatur und in seinem bisherigen eigenen Werk „Wichtigste“, „Beste“20 und „Bedeutendste“, das er geschaffen habe, und dies zudem, wie er behauptet, bei Fehlen „aller Vorarbeit“ anderer.21 Ebenso meinte er knapp dreißig Jahre später im Vorwort zum zweiten Band seines Werks „Der Zweck im Recht“ über seine Untersuchungen zur inhaltlichen Genese von Normen „zuerst hier der Wissenschaft ein Gebiet erschlossen“ zu haben, das sie bisher nie betreten hat und dabei eine wissen19 Rudolf Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung, Leipzig 1858, §§ 37–41, S. 321–414. Ausgearbeitet hat Jhering diese zentralen Passagen zur Theorie der naturhistorischen Methode bereits um 1855. Vgl. dazu Jhering in seinem Briefen vom 14. Oktober 1854 an Gerber, abgedruckt in: Mario G. Losano (Hrsg.), Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber. Teil 1, Ebelsbach 1984, Nr. 37, S. 118–122 (121), sowie Jherings Brief vom 2. Januar 1855 an Gerber, abgedruckt in: Losano, aaO, Nr. 39a, S. 132–135 (133f.), wo Jhering Gerber gegenüber seiner Überzeugung Ausdruck verleiht, dass „mein Kapitel über die Technik das bedeutendste im ganzen Werk werden wird […].“ Dies „wird, wie ich Dir schon früher sagte […] mir je länger, je mehr klar. Ich selbst erblicke darin den ersten Versuch, die Jurisprudenz zum Bewußtsein ihrer selbst [sic!] zu bringen, und wenn alles andere von mir vergessen und beseitigt sein sollte, so meine ich, muß dieses Kapitel meinen Namen wenigstens noch so lange erhalten, als die Jurisprudenz nicht das, was ich hier gebe, sich vollständig zu eigen gemacht hat. […] Es gärt jetzt seit einiger Zeit so sehr in mir, […] daß ich mit Macht an die Realisierung unsers Planes der Herausgabe einer juristischen Zeitschrift denke“ (aaO, S. 133f.). Das erste Heft dieser Zeitschrift, nämlich der „Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts“, sollte mit Jherings berühmtem Programmaufsatz „Unsere Aufgabe“ zur Theorie der naturhistorischen Methode zu Beginn des ersten Heftes im April 1856 erscheinen. Zusammen mit den vorbezeichneten Passagen im dritten Band über den „Geist des römischen Rechts“ lagen damit alle Schlüsseltexte zu Jherings Theorie der naturhistorischen Methode vor. 20 So Jhering in seinem Brief vom 14. Oktober 1854 an Gerber, abgedruckt in: Mario G. Losano (Hrsg.), Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber. Teil 1, Ebelsbach 1984, Nr. 37, S. 118– 122 (121). 21 So Jhering in seinem Brief vom 15. August 1860 an Bernhard Windscheid, abgedruckt in: Helene Ehrenberg (Hrsg.), Rudolf von Jhering in Briefen an seine Freunde, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1913, Aalen 1971, Nr. 37, S. 122f (123).

Jherings Rechtsdenken im Kontext

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schaftliche „Ausbeute […] gewonnen“ zu haben, die „zu den ergebnissreichsten meines ganzen Lebens“ gehört.22 Während er sich dazu in den 1880er Jahren in die aus seiner Sicht „niedersten Regionen des täglichen Lebens“23 begeben hat, hatte Jhering dagegen in den 1850er Jahren gemeint, mit der von ihm sogenannten „höheren“ Jurisprudenz in die höchsten Regionen der Wissenschaft vom Recht vorgedrungen zu sein, nämlich in dessen „höheren […] Aggregatzustand“24. Zwischen dem Niedersten und dem Höchsten fehlte es Jhering offensichtlich an wissenschaftlicher Anziehungskraft. Beide „Entdeckungen“25 Jherings einerseits in der Rechtsdogmatik bei der Analyse und juristischen Konstruktion von Rechtsbegriffen, die keinen praktischen Nutzen verfolge, und andererseits in der Rechts- und Sozialphilosophie, die „keinen praktisch dogmatischen Zweck verfolgt“26, haben Jhering bei den Zeitgenossen allerdings auch nicht wenig Kritik und teilweise sogar Spott eingebracht. „Hätte der Verf. doch einige dieser Körperchen als Muster beigelegt!“27 So witzelte 1856 in einer Rezension zu Jherings programmatischen Aufsatz „Unsere Aufgabe“ der anonyme Rezensent, nach Ernst Landsberg handelte es sich um Karl Georg Bruns,28 über Jherings „Vorstellung eines juristischen Körpers“ in der „naturhistorischen Untersuchung“29 des Rechts. Andere wie Johannes Emil Kuntze sprachen von „einer krankhaften und missbräuchlichen“, im Grunde nur „auf civilistische Künsteleien hinauslaufenden transcendentalen Spiritualistik“30. Savigny nahestehende Vertreter der Historischen Rechtsschule wie August Friedrich Rudorff konnten der von Jhering „der niedern [sic!] Naturwissenschaft entlehnten Terminologie“ in einer juristischen Methodologie nur mit Unverständnis begegnen.31 Kaum besser urteilten Fachgenossen zwanzig 22 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. XII. 23 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. XIII. 24 R. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 1 (1857), S. 1–52 (8) (Hervorhebung im Original). 25 R. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 1 (1857), S. 1–52 (18). 26 R. v. Jhering, Der Zweck im Recht. Erster Band, Leipzig 1877, S. VII. 27 Anonymus, Rezension zu „Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Herausg. von C.F. v. Gerber u. R. Jhering, 1. Bd. (In 3 Heften) 1. Heft, Nr. 1 ‚Unsere Aufgabe‘, Jena 1856“, in: Literarisches Centralblatt für Deutschland, Heft Nr. 50 vom 13. 12. 1856, Sp. 800f. (800). 28 E. Landsberg, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft. Dritte Abtheilung. Zweiter Halbband, Noten von E. Landsberg. Fortsetzung zu der Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, erste und zweite Abteilung, von R. Stintzing, 2. Neudruck der Ausgabe, München 1910, Aalen 1978, S. 339 (Note 10). 29 R. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 1 (1857), S. 1–52 (10). 30 J.E. Kuntze, Der Wendepunkt der Rechtswissenschaft; ein Beitrag zur Orientierung über den gegenwärtigen Stand- und Zielpunkt derselben, Leipzig 1856, S. 23, 25. 31 A.F. Rudorff, Römische Rechtsgeschichte. Erster Band. – Rechtsbildung, Leipzig 1857, S. VII.

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Jahre später über Jherings zweites Hauptwerk „Der Zweck im Recht“. Sogar noch posthum heißt es in einem öffentlichen Nachruf auf Jhering und den kurz nach diesem verstorbenen Bernhard Windscheid in der Berliner Juristischen Gesellschaft: „Nicht minder peinlich aber wirkt die weitere Wahrnehmung, dass in dem Buche ‚Der Zweck im Recht‘ der juristische Meister sich auf einem Gebiet bewegt, auf dem er doch mehr Dilettant als Sachkenner ist und bleibt.“32

Diese Kritik mündete in den Vorwurf wissenschaftsdisziplinärer Grenzüberschreitung33. Jhering war sich dessen bewusst, ging aber jeweils getragen vom Hochgefühl des Wissenschaftspioniers mit diesen Vorwürfen sowohl in den 1850er als auch in den 1870er und 1880er Jahren selbstbewusst um. So hat er in der Vorrede zum ersten Band über den „Zweck im Recht“ 1877 selbst davon gesprochen, dass er sich „auf ein Gebiet versetzt [sehe], auf dem ich Dilettant bin.“34 Und doch – so ergänzt er 1883 in der Vorrede zum zweiten Band – „darf [ich] ohne Selbstüberhebung behaupten, dass ich zuerst hier der Wissenschaft ein Gebiet erschlossen habe, das sie bisher nie betreten hat“35: „In einer andern Lage befindet sich der Mann, der ein bereits urbar gemachtes Terrain bestellt, in einer andern, wer es erst urbar zu machen hat. […] Kurz die erste Bearbeitung und Einführung einer Lehre steht unter völlig andern Gesetzen, als die spätere Behandlung derselben, und dies bitte ich bei der Beurtheilung meiner Untersuchungen nicht ausser Acht zu lassen – wer mit fertigen Begriffen und Anschauungen operirt, kann und soll sich bei der Darstellung durch andere Rücksichten leiten lassen, als wer sie erst zu begründen hat […].“36

Ganz ähnlich hatte Jhering auch schon knapp dreißig Jahre zuvor in einer scharfen Replik gegen August Friedrich Rudorff dessen Kritik einer unzulässigen Anleihe an der Terminologie der „niedern Naturwissenschaft“ zurückgewiesen: „Die ‚Terminologie der niedern Naturwissenschaft für die höhere Jurisprudenz‘ verwandt zu haben – von diesem Vorwurf kann ich mich allerdings nicht lossprechen. Aber daß ich sie mit der ‚durch ihre Festigkeit und Eigenthümlichkeit unschätzbaren Rechtssprache vertauscht hätte‘, damit hat es doch eine etwas andere Bewandniß. Wer alte Begriffe statt mit alten Ausdrücken mit neuen, selbstfabricirten bezeichnet, ist ein Narr, und die Welt nimmt von seinen Umtauschungsversuchen keine Notiz. In einer andern Lage aber befindet sich der, welcher neue Begriffe und Anschauungen vorzu-

32 E. Eck, Zur Feier des Gedächtnisses von B. Windscheid und R. v. Jhering. Vortrag gehalten in der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 17. December 1892, Berlin 1893, S. 37. 33 Vgl. die Nachweise unten Fn. 195. 34 R. v. Jhering, Der Zweck im Recht. Erster Band, Leipzig 1877, S. VII. 35 R. v. Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. XII. 36 R. v. Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. XVf.

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tragen hat, bestände das Neue auch nur darin, daß er etwas bereits Vorhandenes auf eine bestimmte einzelne Wissenschaft überträgt.“37

Diese werkbiographischen Koinzidenzen zwischen Jhering als rechtsdogmatischem Theoretiker juristischer Begrifflichkeit und Konstruktion in seiner Frühzeit und Jhering als frühsoziologischem Theoretiker der sozialen Genese von Norminhalten in seiner Spätzeit sind durch die noch von Jhering selbst angestoßene Kritik an der Begriffsjurisprudenz und die Diskussion im 20. Jahrhundert um die Zweiteilung seines Werkes in zwei angeblich ganz unvereinbare Werkphasen vollkommen in den Hintergrund geraten. Dabei finden beide Teile und Phasen von Jherings Werk ihren wissenschaftshistorischen Kontext im Übergang der deutschsprachigen Wissenschaft von einer nur enzyklopädischen und systematisierend deduktiven Wissenschaftsmethode unter dem Wissenschaftsparadigma der Philosophie des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts hin zu einer induktiv-forschenden Wissenschaft unter dem neuen Wissenschaftsparadigma der Naturwissenschaften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Grund genug, einmal etwas genauer auf Jherings „Entdeckungen“ im Kontext der zeitgenössischen Wissenschaften zu blicken, die ihn in seinen eigenen Augen zweimal in seinem Leben zum Wissenschaftspionier machten und – so seine privat geäußerte persönliche Hoffnung – auch für die Nachwelt aus der langen Reihe der „ledernen Gesellen“ in der Pandektistik38 heraushoben.

2.

Jherings Theorie der naturhistorischen Methode und die zeitgenössischen Naturwissenschaften

Jherings Ausführungen zur naturhistorischen Methode als Gegenstand der sogenannten höheren Jurisprudenz39 sind heute allein schon durch die auf uns eigentümlich wirkende Terminologie untrennbar mit Jherings Namen verbunden. Das war aber nicht immer so. Schon bevor Jhering die Theorie der juristischen Technik formulierte, war die „naturhistorische“ Terminologie von den zeitgenössischen Naturwissenschaften längst auf andere Wissenschaften, darunter auch auf die Rechtswissenschaften, übertragen worden.40 Seine Ausarbeitung der Theorie der juristischen Technik lässt sich mit Hilfe von Briefen ziemlich 37 R. Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung, Leipzig 1858, S. VIII, Xf. 38 Vgl. Jherings Äußerungen oben Fn. 2 sowie Fn. 19. 39 Vgl. die in Fn. 19 angeführten Belege für die insoweit maßgeblichen Texte Jherings. 40 Dazu und zum Folgenden eingehend Christoph-Eric Mecke, Begriff des Rechts und Methode der Rechtswissenschaft bei Rudolf von Jhering, Göttingen 2018, S. 442–519, ferner auch schon ders., Objektivität in Recht und Rechtswissenschaft bei G.F. Puchta und R. v. Jhering, in: ARSP 94 (2008), S. 147–168 (159–163).

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genau auf das Jahr 1855 und die erste Hälfte des Jahres 1856 datieren. Jherings bekannter Programmaufsatz „Unsere Aufgabe“ als Auftaktbeitrag für die zusammen mit Gerber herausgegebenen „Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts“ erschien bereits im April 1856 im ersten Heft der Jahrbücher, das zusammen mit weiteren Heften 1857 als erster Band der Jahrbücher herausgegeben wurde.41 Zu diesem Zeitpunkt waren auch die für den dritten Band des „Geist des römischen Rechts“ geschriebenen Abschnitte zur Theorie der juristischen Technik aufgrund der damaligen Praxis sukzessiver Drucklegung längst gedruckt, auch wenn der Band selbst erst im Jahre 1858 auf dem Buchmarkt erschien. Aber schon 1854 hatte Burkhard Wilhelm Leist eine bereits von ihm sogenannte „höhere“ Jurisprudenz der „bei uns viel“, aus Sicht von Leist zu „viel besprochene[n]“, weil überbewerteten „juristische[n] Interpretationslehre“ gegenübergestellt42. Wie Jhering und zuvor auch schon Puchta, aber vollkommen anders als Savigny sah Leist nicht auf dem Gebiet der juristischen Hermeneutik die Hauptprobleme rechtswissenschaftlicher Arbeit in Theorie und Praxis des Rechts, sondern auf dem Gebiet juristischer Konstruktion, die auch er bereits mit der Arbeit des Naturwissenschaftlers verglich: „Dagegen muß ich noch der anderen Frage mich zuwenden, nach welchen Regeln es der Wissenschaft möglich ist, mit Rechtssätzen, die wir zunächst als gegebene und ihrem Inhalte nach erkannte voraussetzen, weiter zu operiren, und damit das Recht allmälig immer weiter auszubauen. Es handelt sich dabei für den Juristen um eine ähnliche Stellung, wie sie der Chemiker einnimmt, der, nachdem er die Stoffe zunächst rein dargestellt hat, sie nun wieder in immer neuen Combinationen mit einander in Contact bringt, um zu sehen ob sie gleichgültig neben einander verharren, ob sie einander abstoßen, oder endlich sich anziehen und Verbindungen mit einander eingehen, die nun wieder als neue Stoffe zu dem Kreise der bisherigen hinzutreten, um in immer wieder neuen Combinationen eine stets wachsende Zahl von Stoffen hervorzurufen.“43

Noch ein Jahr früher, 1853, hatte auch schon Alois Brinz gemeint, man „könnte diese Richtung die naturhistorische nennen.“44 Von daher ist es kaum verwunderlich, dass Jhering Ende 1854 während seiner Vorbereitungen an den Arbeiten zur juristischen Technik zunehmend nervös wurde. Am 2. Januar 1855 schreibt er an seinen damaligen Freund und Mitstreiter im Geiste Carl Friedrich Gerber: 41 Mario G. Losano (Hrsg.), Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber. Teil 1, Ebelsbach 1984, Nr. 52, S. 180 Fn. 5 a.E. 42 Burkhard Wilhelm Leist, Ueber die dogmatische Analyse Römischer Rechtsinstitute, Jena 1854, § 25, S. 99f. 43 Burkhard Wilhelm Leist, Civilistische Studien auf dem Gebiete dogmatischer Analyse. Erstes Heft. Ueber die dogmatische Analyse Römischer Rechtsinstitute, Jena 1854, § 25, S. 99f. 44 Alois Brinz, Rezension zu „Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts. Von Friedrich Carl von Savigny. Erster Band. Berlin […] 1851“, in: Kritische Blätter civilistischen Inhalts. In zwanglosen Heften, Nr. 3, Erlangen 1853, S. 1–58 (2).

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„Ich kann es nicht länger ertragen, daß mir einer nach dem anderen zuvorkommt, und in den jüngst erschienenen Schriften habe ich so manche Anklänge (und mehr als das) an eigene Ideen gefunden, daß ich mich nicht mehr bezwingen kann“.45

Jherings damalige Sorge war aus seiner Sicht verständlich, wenn auch letztlich in der Sache nicht wirklich begründet. Die im naturhistorischen Geist geschriebenen Arbeiten seiner Konkurrenten setzten nämlich entweder bereits an bei einer Untersuchung der „Physis“ der dem Recht zugrundeliegenden „Lebensverhältnisse“, wie zum Beispiel bei Leist46, oder aber sie suchten sogar nach einer neuen juristischen Methode oder zumindest einer „Reformirung der Methodik“47 in der Rechtsdogmatik. Nicht so Jhering! Ihm ging es im Kern um die methodentheoretische Reflexion derjenigen juristischen Methode, die bereits die römischen Juristen auf dem Höhepunkt der Rechtskultur des Altertums angewendet haben sollen, und zwar – so lautete das noch auf den juristischen Humanismus des 16. Jahrhunderts zurückreichende Narrativ der Historischen Rechtsschule – auf eine angeboren intuitiv-virtuose Weise48, aber eben daher auch noch ohne jede wissenschaftliche Selbstreflexion. Eben diese methoden-theoretische Selbstreflexion wollte der junge Jhering durch eine konsistente Theorie der juristischen Methode im 19. Jahrhundert nachliefern. Bekanntlich tat Jhering dies im Geiste und mit der Sprache der zeitgenössischen Naturwissenschaften, nämlich als „Forscher“, wie die direkt aus der damals aktuellen Diskussion in der Chemie entlehnten Stichworte lauten, der „mit Lust und Freude an Entdeckungen“49 „eine naturwissenschaftliche Untersuchung, eine chemische Analyse des Objekts“ vornimmt50 und im Experiment den „Stoff“ „wie bei der Folter“, so ergänzt Jhering übrigens noch in einem Zusatz von 188351, „zum Geständniß zwingt“52, die physikalisch-chemischen „Eigenschaften 45 Jherings Brief vom 2. Januar 1855 an Gerber, abgedruckt in: abgedruckt in: Mario G. Losano (Hrsg.), Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber. Teil 1, Ebelsbach 1984, Nr. 39a, S. 132– 135 (134). 46 Burkhard Wilhelm Leist, Civilistische Studien auf dem Gebiete dogmatischer Analyse. Drittes Heft. Ueber die Natur des Eigenthums, Jena 1859, S. XIX. 47 So Johannes Emil Kuntze, Der Wendepunkt der Rechtswissenschaft; ein Beitrag zur Orientierung über den gegenwärtigen Stand- und Zielpunkt derselben, Leipzig 1856, S. 11 (Hervorhebung im Original). 48 Vgl. dazu den Beitrag von Stephan Meder in: Tilmann Altwicker, Francis Cheneval und Matthias Mahlmann (Hrsg.), Rechts- und Staatsphilosophie bei G.W. Leibniz, Tübingen 2020, S. 261–282. 49 R. Jhering, Unsere Aufgabe, in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 1 (1857), S. 1–52 (18). 50 So Jhering in seinem Brief vom 17. Juli 1852 an Gerber, abgedruckt in: Mario G. Losano (Hrsg.), Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber. Teil 1, Ebelsbach 1984, Nr. 17, S. 51–55 (51). 51 Rudolf von Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung, Vierte Auflage, Leipzig 1883, § 41, S. 385.

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und Kräfte“ der „Rechts-Körper“53 durch „Reagentien“54, also durch „Zersetzung des Stoffs“ in der „Chemie des Rechts“55 bestimmt, die Körper „in einzelne Atome auflöst und sodann […] wieder zusammensetzt“56 zu neuen „juristische[n] Körper“ mit neuen Eigenschaften.57 Ganz ähnlich hat es auch schon im zehn Jahre zuvor erschienenen programmatischen Aufsatz zur „naturwissenschaftliche[n] Methode“ von Rudolf Virchow gelautet, wonach der Wissenschaftler „die Natur durch das Experiment zur Beantwortung einer Frage […] zwingen“ könne.58 Die „Anwendung der naturhistorischen Methode auf die Welt des Geistes“, wie es Jhering auch noch am Ende seines Lebens im wohlgemerkt affirmativen Sinne ausdrückt, bei der sich das „Object“, der Wissenschaftsgegenstand, seien dieser nun das Recht oder – wie in Jherings späteren Untersuchungen – auch nichtrechtliche Normen der Sitte, der „Wissenschaft gerade so gegenüber stellt, wie der Naturforscher der Natur“59, dies alles findet ebenso wie die Tatsache, dass der junge Jhering mit seinen fast gleichaltrigen juristischen Kollegen in einen Wettlauf der Veröffentlichung zu diesen Fragen geriet, zwar nicht seine Ursache, wohl aber seinen Anlass in Julius Hermann von Kirchmanns berühmten Vortrag

52 Rudolf Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung, Leipzig 1858, § 41, S. 411. 53 R. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 1 (1857), S. 1–52 (10); ders., Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung, Leipzig 1858, § 41, S. 388, 395 (Hervorhebung im Original). Vgl. auch später R. v. Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung, 3. Auflage, Leipzig 1875, § 41, S. 384, wo Jhering in einem neu eingefügten erläuternden Zusatz die „plastisch abgerundeten Körper“ als die „Incarnation“ einer „Masse von Rechtssätzen“ bezeichnet. 54 Rudolf Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Erster Theil, Leipzig 1852, § 3, S. 30. Vgl. Christoph-Eric Mecke, Begriff des Rechts und Methode der Rechtswissenschaft bei Rudolf von Jhering, Göttingen 2018, S. 492 m.w.N. zu dieser auch später beibehaltenen Sichtweise Jherings. 55 Rudolf Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung, Leipzig 1858, § 39, S. 361, 372, 378 (Hervorhebung im Original); ders., Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Dritter Theil. Erste Abtheilung, Leipzig 1865, §§ 49–55, S. 12–228. 56 Rudolf Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung, Leipzig 1858, § 39, S. 377. 57 R. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 1 (1857), S. 1–52 (11) – Hervorhebung im Original; ders., Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung, Leipzig 1858, § 41, S. 412f. 58 Rudolf Virchow, Die naturwissenschaftliche Methode und die Standpunkte in der Therapie, in: Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medicin. Band 2 (1848), S. 3–37 (7f.). 59 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. 100, 102.

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„Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft“60. Rhetorisch glänzend, aber in der Sache provokativ einseitig wirkte Kirchmanns Vortrag, gehalten im Spätherbst 1847 und noch im selben Jahr gleich zweimal publiziert61, in der zeitgenössischen deutschsprachigen Rechtswissenschaft wie die Lunte am Ölfass. Das belegen nicht nur sofort erscheinende Gegenschriften, darunter die bedeutendste von Friedrich Julius Stahl62, sondern in den folgenden Jahren auch zahlreiche programmatische Versuche zur Erneuerung der zeitgenössischen Rechtswissenschaften, die man als kaum kaschierte Antworten und Gegenentwürfe zu dem von Kirchmann gezeichneten Bild der Rechtswissenschaften verstehen kann und – speziell im Falle Jherings – wohl sogar verstehen muss. Kirchmanns Kritik verfing unter den Zeitgenossen nämlich keineswegs nur aufgrund der rhetorischen Begabung des Redners und dessen Hang zu aufsehenerregender Provokation. Nachhaltige Wirkung konnte sie nur deswegen entfalten, weil sie bei den vor allem jüngeren Zeitgenossen Kirchmanns bereits vorhandene Zweifel am zeitgenössischen Zustand der Rechtswissenschaften im Allgemeinen und an der wissenschaftstheoretischen Zeitgemäßheit von deren Methoden im Besonderen geschickt aufnahm, zuspitzte und in die provozierend hoffnungslose Schlussfolgerung für die gesamte Rechtswissenschaft münden ließ: „Das Resultat, das ich biete, ist niederschlagend und betrübend“ und – nach Kirchmann – auch gar nicht vom „einzelnen Stande“ der Juristen zu beheben, sondern allenfalls von „der Nation im Ganzen“63. Das war nichts weniger als eine Bankrotterklärung für die zeitgenössische Rechtswissenschaft und alle ihre Vertreter! Vordergründig war der Generalangriff Kirchmanns nur gegen die Historische Rechtsschule gerichtet, und zwar gegen deren „verkehrtesten Resultate“64, gegen 60 Julius Hermann von Kirchmann, Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Ein Vortrag, gehalten in der juristischen Gesellschaft zu Berlin, Berlin 1848. 61 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. VII, 127. 62 Friedrich Julius Stahl, Rechtswissenschaft oder Volksbewußtsein? Eine Beleuchtung des von Herrn Staatsanwalt von Kirchmann gehaltenen Vortrags: Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, abgedruckt in: Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 48–77. Vgl. im Übrigen Carl Retslag, Apologie der Jurisprudenz, Berlin 1848; Adolf Friedrich Rudorff, Kritik der Schrift des Staatsanwalts v. Kirchmann über: Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, Berlin 1848; Adolph Schönstedt, Die Bedeutung der Jurisprudenz als Wissenschaft, Magdeburg 1848. 63 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 44. 64 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 16.

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deren Lebensfremdheit und Geschichtslastigkeit, ebenso wie gegen deren theoretische Prämissen, wozu ein normativer Begriff des Volks gehöre im Unterschied zum wahren „natürliche[n] Recht“65, „das in dem Volke lebt“66. Ferner war der Angriff gerichtet gegen die Behauptung einer Vertretung des Volks durch die Rechtsgelehrten und gegen die Überzeugung von einer geschichtlichen Kontinuität der Rechtsentwicklung sowie endlich gegen die Annahme der Historischen Rechtsschule, dass das geltende Pandektenrecht ein wissenschaftstauglicher Gegenstand sein könne, da es ein inneres System auszeichne, dessen Entdeckung der Pandektenwissenschaft möglich sei. Vor allem dieser zuletzt genannte Vorwurf zielte ins Allgemeine gewendet auf noch viel mehr als eine Kritik von Schulen und Ausrichtungen innerhalb der zeitgenössischen Rechtswissenschaft. Er zielte nämlich in Wahrheit auf die Frage nach der Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz selbst. Die Antwort auf diese Frage war damals keine theoretische Nebensächlichkeit, sondern berührte im Zeichen des seit Ende des 18. Jahrhunderts objektivierten Begriffs der Wissenschaft im Allgemeinen und damit auch der von nun an so genannten „Rechtswissenschaft“ den Kern des Selbstverständnisses vieler zeitgenössischer Rechtsgelehrter. Seitdem die Historische Rechtsschule an die Stelle des von Kant als subjektive Einbildung entlarvten Naturrechts das geltende Recht als ein nicht mehr bloß inhaltlich zufälliges Konglomerat von Regeln, sondern als Ausdruck eines inneren Systems und damit als tauglichen Gegenstand von Wissenschaft (wieder-)entdeckt hatte, war die Frage nach der Wissenschaftlichkeit oder – so disziplinübergreifend der zeitgenössische Sprachgebrauch – der wissenschaftlichen „Würde“ bzw. des „Rangs“67 der Wissenschaft unter allen anderen Wissenschaften nicht mehr derart eindringlich gestellt worden wie jetzt um die Mitte des Jahrhunderts. Das war kein Zufall. Mit dem Zusammenbruch der großen Welterklärungssyteme idealistischer Philosophie und den verspätet auch in Deutschland in der Lebenswelt der Zeitgenossen ganz praktisch spürbar werdenden Erfolgen der Naturwissenschaften, die sich von einer idealistischen Naturphilosophie im Stile Schellings zu induktiv-empirisch vorgehenden Grundlagen- und Forschungswissenschaften nach englischem und französischem Vorbild entwickelten, begannen die Naturwissenschaften die durch die Entzauberung der zeitgenössischen Philosophie freigewordene Leerstelle einer Leitwissenschaft, eines Wis65 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 7. 66 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 38. 67 Vgl. dazu Christoph-Eric Mecke, Objektivität in Recht und Rechtswissenschaft bei G.F. Puchta und R. v. Jhering, in: ARSP 94 (2008), S. 147–168 (150) m. w. N.

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senschaftsparadigmas für alle anderen Wissenschaft zu füllen. Auf das für alle Wissenschaften maßgebende philosophische Wissenschaftsparadigma zu Beginn des 19. Jahrhunderts folgte in Deutschland gegen Mitte des 19. Jahrhunderts ein naturwissenschaftliches Wissenschaftsparadigma. Unter diesem neuen naturwissenschaftlichen Wissenschaftsparadigma, an dem sich fortan sämtliche andere Wissenschaften, mithin auch die Rechtswissenschaften, im Hinblick auf ihren eigenen Anspruch auf den „Rang“ und die „Würde“ einer Wissenschaft zu messen begannen, war die Verunsicherung jüngerer Vertreter der Rechtswissenschaft im Hinblick auf ihr künftiges wissenschaftliches Selbstverständnis mit den Händen zu greifen. Genau in diese Wunde legte Kirchmann seine Finger, wenn er an erster Stelle neben der Mathematik die Erfolge der empirischen Wissenschaften und hier der Naturwissenschaften rühmt, die „der Menschheit die glänzendsten Dienste geleistet“ hätten mit vielen für das Leben nützlichen Leistungen wie etwa der Entdeckung der Wirkung von Mineralstoffen für die Pflanzenernährung68 durch Justus von Liebig69, „ihre Schöpfungen gränzen an das Wunderbare […] über die Wogen des Weltmeeres, in die Tiefen der Erde haben sie den Menschen geleitet; Kanäle, Eisenbahnen, Telegraphen haben die Entfernungen beinahe aufgehoben; Mikroskope haben in die Wunder der kleinsten Natur geführt, und die Teleskope die Räume des Himmels aufgeschlossen, der Lichtstrahl ist zum treuen Zeichner geliebter Züge gemacht. Auch die andern Wissenschaften sind nicht zurückgeblieben. Die Psychologie hat wesentlich die Kunst der Erziehung unterstützt, die Methode des Unterrichts verbessert; Mnemonik, Phrenologie bieten ihre Dienste an. Was sind dagegen die Leistungen der Rechtswissenschaft?“70

An dem rhetorischen Charakter dieser Frage, auf die es keine überzeugende Antwort mehr zu geben schien, lässt Kirchmann in seinem Vortrag keinen Zweifel: „Welcher Abstand zeigt sich hier für die Jurisprudenz gegen die NaturWissenschaften […].“71 Entscheidend für die durchschlagende Wirkung von Kirchmanns Vortrag war aber die Tatsache, dass er es nicht beließ bei einer bloßen Kontrastierung der Nützlichkeit der Wissenschaften im überholten 68 Hermann Klenner, in: Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 107. 69 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 19f. 70 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 40. 71 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 18.

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pragmatischen Geist des Wissenschaftsdenkens der Aufklärung. Kirchmann ging vielmehr noch einen entscheidenden Schritt weiter, der damals junge und für die erneuerten Naturwissenschaften offene Zeit- und Fachgenossen wie Jhering geradezu elektrisieren musste und der Mitte der 1850er Jahre vermutlich auch zum Geburtshelfer wurde für Jherings „naturhistorische“ Auffassung des Rechts als Gegenstand erneuerter Rechtswissenschaft. Kirchmann kritisiert in seinem Vortrag nämlich nicht lediglich die eine oder andere in der Rechtswissenschaft angewandte Methode, sondern er bestreitet unter dem neuen Wissenschaftsparadigma der Naturwissenschaften schlicht und endgültig die Wissenschaftstauglichkeit des Gegenstandes der Rechtswissenschaft, also des Rechts als solchen. Während für die Jurisprudenz „nur der Irrthum, das Mangelhafte aller Art der Gegenstand ist, dem die Jurisprudenz sich beinahe ausschließlich zuwendet und leider, zuzuwenden gezwungen ist“72, wie Kirchmann mit Rekurs auf die auch zu seiner Zeit noch herrschende vor-savignysche Stellenhermeneutik konstatiert, ständen „dagegen die Naturwissenschaften“ in wissenschaftlicher „Hoheit […] da. Nur das natürliche, das ewige, das nothwendige ist ihr Gegenstand“ und eben nicht – wie für die Rechtswissenschaft – das „positive Gesetz“, das „in seiner letzten Bestimmtheit baare Willkühr“ sei.73 Nicht willkürlich und damit auch wissenschaftstauglich sind für Kirchmann unter dem naturwissenschaftlichen Wissenschaftsparadigma nur noch Tatsachen, nicht mehr Ideen, nur noch Verhaltensweisen, nicht mehr Normen. Es sei daher vollkommen unabhängig vom jeweiligen Inhalt eines Gesetzes schon allein die unklare kategoriale „Gestalt des positiven Gesetzes, jene Zwittergestalt von Sein und Wissen, die zwischen dem Recht und der Wissenschaft sich eindrängt und beide mit ihren verderblichen Wirkungen bedeckt.“74 Nicht einmal das von Kirchmann sogenannte „natürliche Recht“, nämlich das „Recht, wie es in dem Volke lebt und von jedem Einzelnen in seinem Kreise verwirklicht wird“75, kann der Rechtswissenschaft danach einen der physischen Natur ebenbürtigen Wissenschaftsgegenstand liefern, und dies auch keineswegs nur deswegen, weil sich das „natürliche Recht“ im Laufe der 72 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 30. 73 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 21, 30. 74 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 19. 75 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 7.

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Zeiten durch die „höhere Kultur, die Theilung der Arbeit, der Verwickelung der Verhältnisse“ in „alle[n] Völkern“ den Gesetzen „beugen“ müsse.76 Vielmehr – und dies relativiert Kirchmanns vorstehende Reminiszenz an die entwicklungsgeschichtlichen Thesen der Historischen Rechtsschule von der Teilung der Arbeit zwischen Juristen und Laien entscheidend77 – versteht Kirchmann sogar das „natürliche Recht“ bei näherer Betrachtung nicht mehr als Ausdruck eines geschichtsevolutionär wirkenden normativen Willens des Volks, sondern als eine gleichermaßen veränderliche wie auch inhaltlich zufällige Tatsache, ein momentanes Gefühl, eine zufällige Gewohnheit, die keiner wissenschaftlichen Untersuchung der Wahrheit zugänglich seien. „Das Gefühl ist [aber] nie und nirgends ein Criterium der Wahrheit; es ist das Produkt der Erziehung, der Gewohnheit, der Beschäftigung, des Temperaments, also des Zufalls.“78

Auf dieser Grundlage wird die „Veränderlichkeit des natürlichen Rechts“ des Volks im vollständigen Gegensatz zum entwicklungsgeschichtlichen Ansatz der Historischen Rechtsschule vom bisherigen Garanten für die Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz zu einer „höchst nachtheilige[n]“ Eigenschaft für dessen Wissenschaftstauglichkeit.79 Nicht besser stehe es mit dem „positiven Gesetz“, denn – und die folgend zitierten berühmten Zeilen aus Kirchmanns Vortrag hat der junge Jhering für so wichtig erachtet, dass er sie nach der Lektüre von Kirchmanns Vortragsschrift sogar handschriftlich exzerpierte80: 76 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 20. 77 Dagegen sieht Alf Ross, Theorie der Rechtsquellen. Ein Beitrag zur Theorie des positiven Rechts auf Grundlage dogmenhistorischer Untersuchungen, Leipzig/Wien 1929, S. 207 in Kirchmanns Vortragsschrift nur „eine radikale Fortsetzung des Ausgangspunktes der historischen Schule“, nämlich „eine Fortsetzung“ der Auffassungen „Georg Beselers, der wenige Jahre vorher behauptet hatte, daß ‚das Juristenrecht‘ oft im Widerstreit zu dem Volksrecht stehe.“ Damit übergeht Ross aber nicht nur Kirchmanns Ablehnung von fundamentalen Prämissen der Historischen Rechtsschule, sondern auch die viel weitergehende wissenschaftstheoretische Dimension von Kirchmanns Überlegungen, nämlich die kompromisslose Bestreitung dessen, was die Historische Rechtsschule erstmals in der Geschichte der Neuzeit begründet hatte, die Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz des geltenden Rechts. 78 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 18. 79 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 12f. 80 Vgl. Jherings handschriftliches Exzerpt in seinem wissenschaftlichen Nachlass, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Nachlass Rudolf von Jhering (1818– 1892), http://hans.sub.uni-goettingen.de/nachlaesse/Jhering.pdf, Cod. Ms. Jhering 8: 7, 2, Bl. 3.

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„Die Unkenntniß, die Nachlässigkeit, die Leidenschaft des Gesetzgebers ist ihr Objekt81. Selbst das Genie weigert sich nicht, dem Unverstande zu dienen; zu dessen Rechtfertigung all’ seinen Witz, all’ seine Gelehrsamkeit aufzubieten. Die Juristen sind durch das positive Gesetz zu Würmern geworden, die nur von dem faulen Holze leben; von dem gesunden sich abwendend, ist es nur das kranke, in dem sie nisten und weben. Indem die Wissenschaft das zufällige zu ihrem Gegenstande macht, wird sie selbst zur Zufälligkeit; drei berichtigende Worte des Gesetzgebers und ganze Bibliotheken werden zu Makulatur.“82

Wie ein Katalysator hatte Kirchmanns Vortragsschrift 1848 damit offenbar den auch bei vielen anderen Fachgenossen vorhandenen „heimliche[n] Zweifeln“83 beredten Ausdruck gegeben. Kirchmann ahnte oder wusste das, wenn er sich am Ende seines Vortrags direkt an diejenigen wandte, die „die gleiche Ueberzeugung mit mir jetzt oder später nach weiterer Prüfung“ teilen.84 Was Kirchmann zu 81 An dieser Stelle hat Jhering in seinem Exzerpt aus Kirchmanns 1848 veröffentlichten Vortragsschrift noch die Worte hinzugefügt: „(d[er] meist[e]n juristische[n] Schrifte[n]“. 82 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 23. Noch zwanzig Jahre später, als Jhering die im Unterschied zu Kirchmann allerdings bejahte Frage „Ist die Jurisprudenz eine Wissenschaft?“ zum Thema seiner Wiener Antrittsvorlesung machte, hallen die von Jhering einst exzerpierten Worte Kirchmanns noch nach: „Welch unsicherer Besitz, den ein Federstrich […] uns entziehen kann. […] Welch’ kümmerliche Wissenschaft, […] die keinen Werth mehr hat, wenn man die Gränze hinter sich hat: eine österreichische, preußische, bairische Rechtswissenschaft! Es ist wahr, meine Herren, dieser Vorwurf bezeichnet eine Schattenseite der Jurisprudenz […]. Dieses Moment des Positiven lastet schwer auf der Jurisprudenz“ [R. Jhering, Ist die Jurisprudenz eine Wissenschaft? Jherings Wiener Antrittsvorlesung vom Freitag, den 16. Oktober 1868. Aus dem Nachlaß herausgegeben und mit einer Einführung, Erläuterungen sowie einer wissenschaftsgeschichtlichen Einordnung versehen von Okko Behrends, Göttingen 1998, S. 19–92 (49f.)]. Dass Jhering von diesem Vorwurf jedoch das römische Recht ausnehmen wollte, belegen vom Herausgeber der Antrittsvorlesung mitgeteilte handschriftliche Zusätze in Jherings Vortragsmanuskript (aaO, S. 50 Fn. 41). 83 Alf Ross, Theorie der Rechtsquellen. Ein Beitrag zur Theorie des positiven Rechts auf Grundlage dogmenhistorischer Untersuchungen, Leipzig/Wien 1929, S. 206, 209, wonach Kirchmanns Vortragsschrift zwar einerseits ein „Ärgerniß“ unter den Fachgenossen auslöste, die sich in ihrem Selbstverständnis als Wissenschaftler getroffen fühlten, andererseits aber „in der kommenden Zeit […] bestimmend auf das rechtstheoretische Denken wirkte.“ Von Bedeutung war Kirchmanns Vortrag nicht nur da, wo man sich zu seiner eigenen Zeit (vgl. oben Fn. 62) oder in späteren Zeiten, etwa in der Freirechtsjurisprudenz zu Beginn des 20. Jahrhunderts, unmittelbar auf ihn bezog [vgl. nur Theodor Sternberg, J.H. v. Kirchmann und seine Kritik der Rechtswissenschaft, Berlin/Leipzig 1908; dazu die Rezension von Friedrich Julius in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 48 (1909), S. 473–476; Max Rumpf, Volk und Recht, Oldenburg 1910], sondern auch da, wo man sich – wie etwa im Falle des jungen Jhering – auch ohne Nennung von Kirchmanns Namen bemühte, dessen Schlussfolgerung der Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft zu widerlegen. Vgl. dazu weiter im Text. 84 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 44.

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diesem Zeitpunkt nicht wusste, war die Tatsache, dass sich – soweit ersichtlich – keiner seiner Fachgenossen, die wenigstens teilweise seine Diagnose über den gegenwärtigen Zustand der Rechtswissenschaft teilten, öffentlich auch zu Kirchmanns Schlussfolgerung, nämlich der Behauptung der Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft bekannten. Im Gegenteil übernahmen diejenigen, die in den 1850er Jahren die Rechtswissenschaft an einem „Wendepunkt“85 stehen sahen und – wie Jhering 1852 – einen „Umschwung“ bzw. eine „Regeneration der Jurisprudenz“86 für erforderlich hielten, mit Kirchmanns Fragen gerade nicht auch dessen Antworten87. Stattdessen versuchten sie die Werthaftigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft auch unter dem neuen Wissenschaftsparadigma zu begründen. Eben dies betrachtete auch Jhering 1856 als „Unsere Aufgabe“ der Zeit. Jherings eigene Antwort auf Zweifel an der Wissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft im Zeichen des Wissenschaftsparadigmas der Naturwissenschaften war die „naturwissenschaftliche Untersuchung, eine chemische Analyse des Objekts“, des Rechts, als Wissenschaftsgegenstand, und dies disziplinübergreifend nicht nur in „meinem römischen Recht“, sondern ebenso etwa im „Staatsrecht“.88 Direkt nahm Jhering auf die durch die Induktivmethode erneuerten Naturwissenschaften Bezug: „Es gab vor noch nicht langer Zeit eine Weise des naturwissenschaftlichen Studiums, die mit der noch heutzutage üblichen Methode des juristischen die größte Ähnlichkeit hatte – man studirte die Natur nicht aus sich selbst, sondern aus Aristoteles, Plinius, das Recht nicht aus sich selbst, sondern aus Ulpian und Paulus. Die Naturwissenschaft hat 85 Eine ganze Monographie widmete dieser Frage Johannes Emil Kuntze, Der Wendepunkt der Rechtswissenschaft; ein Beitrag zur Orientierung über den gegenwärtigen Stand- und Zielpunkt derselben, Leipzig 1856. Aus derselben Generation der um 1820 geborenen jüngeren Rechtsgelehrten wie Kuntze und Jhering stammte auch Windscheid, der im Hinblick auf die Überwindung des Gegensatzes zwischen Romanisten und Germanisten in der Privatrechtswissenschaft die rhetorische Frage gestellt hatte: „Wer kann es läugnen, dass gerade jetzt die Wissenschaft des römischen Rechts sich in einem […] Wendepunkt befindet?“ Wie dieser „Wendepunkt“ aussehen sollte, darüber waren allerdings die Auffassungen denkbar unterschiedlich. 86 So Jhering in seinem Brief vom 17. Juli 1852 an Gerber, abgedruckt in: Mario G. Losano, Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber. Teil 1, Ebelsbach 1984, Nr. 17, S. 51–55 (51f.). wo Jhering direkt auf die durch die Induktivmethode erneuerten Naturwissenschaften Bezug nimmt. 87 In diese Richtung selbst noch für die eigene Zeit um 1930 auch schon Alf Ross, Theorie der Rechtsquellen. Ein Beitrag zur Theorie des positiven Rechts auf Grundlage dogmenhistorischer Untersuchungen, Leipzig/Wien 1929, S. 209. Vgl. zum Ganzen im Übrigen ChristophEric Mecke, Objektivität in Recht und Rechtswissenschaft bei G.F. Puchta und R. v. Jhering, in: ARSP 94 (2008), S. 147–168 (160); ders., Begriff des Rechts und Methode der Rechtswissenschaft bei Rudolf von Jhering, Göttingen 2018, S. 444–451. 88 Jhering in seinem Brief vom 17. Juli 1852 an Gerber, abgedruckt in: Mario G. Losano, Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber. Teil 1, Ebelsbach 1984, Nr. 17, S. 51–55 (51).

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sich von dieser Verirrung und geistigen Sklaverei frei gemacht, für unsere Jurisprudenz steht die Zeit des Umschwunges bevor […].“89

In eben diesem Sinne hatte bereits vier Jahre zuvor Kirchmann gefordert: „Wie viel besser wäre die Rechtswissenschaft daran, könnte sie, wie die Naturwissenschaften, unmittelbar an den Gegenstand herantreten“ statt nur über den „Umweg, diese trübe Brille“ der Quellenzeugnisse des römischen Rechts, die ohnehin „so dürftig und mager fließen.“90 Hatte Kirchmann in seinem Vortrag die zeitgenössische Rechtswissenschaft unter der Ägide der Historischen Rechtsschule dafür kritisiert, dass sie „sich dem Fortschritt des Rechts gern feindlich entgegenstellt“ und selbst da noch, wo sie „dem Fortschritt nach[gibt] […] doch […] die Bildungen der Gegenwart in die wohlbekannten Kategorien erstorbener Gestalten zu zwängen“ suche,91 räumt Jhering in seiner Programmschrift „Unsere Aufgabe“ ein, dass dies „ein durchaus berechtigter Vorwurf“ sei. Fast bis in den Wortlaut hineingehend kritisiert er wie Kirchmann das „Romanisiren […], wo der [sc. neuere] Rechtsstoff mit Verkennung seiner eigenthümlichen juristischen Natur unter den römischen Begriff gezwängt wird.“92 Anders als Kirchmann sieht Jhering aber in der Tendenz der Pandektenwissenschaft zum „Romanisiren“ nicht einen Beleg für die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, sondern lediglich einen Beleg für „eine wirkliche Verirrung der juristischen Construction“93, also für eine Konstruktion, die nicht de lege artis nach den Regeln der naturhistorischen Methode zustande gekommen sei. Dass Jhering mit seinen programmatischen Schriften zur naturhistorischen Methode in der Rechtswissenschaft unter dem Einfluss dieses neuen Wissenschaftsparadigmas stand und vor allem sein Programmaufsatz „Unsere Aufgabe“ als kaum kaschierte direkte Antwort auf Kirchmanns Frontalangriff auf die zeitgenössischen Rechtswissenschaften zu verstehen ist, belegen bis in einzelne Formulierungen hinein Jherings Ausführungen zur naturhistorischen Methode. Dem Vorwurf Kirchmanns, dass „die Wissenschaft […] bei der fortschreitenden Entwicklung immer zu spät [kommt], niemals kann sie die Gegenwart errei89 Jhering in seinem Brief vom 17. Juli 1852 an Gerber, abgedruckt in: Mario G. Losano, Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber. Teil 1, Ebelsbach 1984, Nr. 17, S. 51–55 (51). 90 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 16. 91 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 14. 92 R. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 1 (1857), S. 1–52 (44). 93 R. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 1 (1857), S. 1–52 (44).

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chen“94, und dass daher das vom Gesetzgeber erlassene positive „Recht […] der Wissenschaft ewig voraus“95 sei, setzt Jhering die genau gegenteilige Behauptung entgegen, dass „die naturhistorische Behandlungsweise der Wissenschaft“ es dieser sogar „möglich macht, mit ihren Antworten den [sc. aktuellen] Fragen der Praxis voranzueilen“ und damit der Wissenschaft das von Kirchmann behauptete „demüthige Loos erspart, sich lediglich durch die Praxis zu neuen Entdeckungen anregen zu lassen, und so zu sagen, hinter ihr her zu hinken.“96 Der „Vergleich mit der Naturwissenschaft“ führt Jhering zum allgemeinen Ideal wissenschaftlicher Forschung auch auf dem Gebiet der Rechtsdogmatik, bei der es nicht mehr „ein unmittelbar praktischer Zweck“ sein müsse, „welcher die Untersuchung veranlaßte und leitete“, sondern dass „ein rein wissenschaftliches Interesse“ ausreiche und dann nur „die Lust und Freude an Entdeckungen den Forscher“ weitertreibt, selbst dann, wenn dieser im Extremfall „vielleicht […] nie auf eine […] unmittelbare praktische Verwerthung hoffen“ könne.97 Den Vorwurf Kirchmanns, dass sich die Jurisprudenz, gemeint war insbesondere die Pandektenwissenschaft, „dem Fortschritt des Rechts gern feindlich entgegengestellt“ und selbst da, wo einmal „die Wissenschaft dem Fortschritt nach[gibt], […] ihr doch die vorherrschende Neigung [bleibt], die Bildungen der Gegenwart in die wohlbekannten Kategorien erstorbener Gestalten zu zwängen“98, nimmt Jhering ohne Nennung von Kirchmann auf („durchaus berechtigter Vorwurf“) und distanziert sich selbst vom „Romanisiren“, bei dem neuzeitlicher „Rechtsstoff mit Verkennung seiner eigenthümlichen juristischen 94 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 13. 95 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 22. 96 R. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 1 (1857), S. 1–52 (18f.). 97 R. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 1 (1857), S. 1–52 (17f.). Nur wenige Jahre später formuliert ganz ähnlich auf der Grundlage des naturwissenschaftlichen Wissenschaftsparadigmas, das sowohl Jherings als auch Kirchmanns Argumentation zugrunde liegt, der Mediziner und Physiker Hermann von Helmholtz: „Wer bei der Verfolgung der Wissenschaft nach unmittelbarem praktischen Nutzen jagt, kann ziemlich sicher sein, dass er vergebens jagen wird. […] Der einzelne Forscher muss sich belohnt sehen durch die Freude an neuen Entdeckungen, als neuen Siegen des Gedankens über den Stoff […]“ [Hermann von Helmholtz, Ueber das Verhältnis der Naturwissenschaften zur Gesammtheit der Wissenschaft. Akademische Festrede gehalten zu Heidelberg beim Antritt des Prorectorats 1862, wieder abgedruckt in: ders., Vorträge und Reden. Erster Band, Fünfte Auflage, Braunschweig 1903, S. 159–185 (182)]. 98 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 14.

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Natur unter den römischen Begriff gezwängt wird.“99 Für Jhering war dies im Unterschied zu Kirchmann allerdings kein Argument gegen Rechtswissenschaft schlechthin, sondern nur gegen die Pathologie des „Romanisirens“ in der Pandektistik seiner Zeit. Wenn es Kirchmann als „Aufgabe der Jurisprudenz“ der Jurisprudenz bezeichnet, dass „[…] dieselbe […] ihren Gegenstand zu verstehen, seine Gesetze zu finden, zu dem Ende die Begriffe zu schaffen, die Verwandtschaft und den Zusammenhang der einzelnen Bildungen zu erkennen und endlich ihr Wissen in ein einfaches System zusammen zu fassen“ habe100, gibt er im Grunde die Aufgabenbeschreibung, die später Jhering mit seinem Programmaufsatz „Unsere Aufgabe“ und der Formulierung der universalen Gesetze der juristischen Technik im dritten Band seines Werks über den „Geist des römischen Rechts“ verfolgen sollte. Wenn Kirchmann schließlich den „Ballast vergangener Bildungen“ kritisiert, der „eine Masse der besten Kräfte“ der Juristen absorbiere und fordert, dass „die Rechtswissenschaft […], wie die Naturwissenschaften, unmittelbar an den Gegenstand herantreten“ solle,101 dann entspricht dem genau der von Jhering beschriebene „Charakter einer naturhistorischen Untersuchung“, bei der der Jurist „wie der Naturforscher die naturhistorischen Objecte klassificirt, die sämmtlichen juristischen Körper“ zum unmittelbaren Gegenstand der „naturhistorischen“ Forschung macht: „wir bringen den Stoff nicht bloß in eine andere Ordnung, sondern wir gestalten ihn um.“102 Einige Jahre zuvor hatte Jhering in seinem bereits vorzitierten Brief von 1852 Gerber für seine Schrift „Über öffentliche Rechte“ ganz im Sinne der Kritik von Kirchmann mit den Worten gelobt: „Es ist dasselbe hier am Staatsrecht vorgenommen, was ich an meinem römischen Recht erstrebe – eine naturwissenschaftliche Untersuchung, eine chemische Analyse des Objekts. […] Es gab vor noch nicht langer Zeit eine Weise des naturwissenschaftlichen Studiums, die mit der noch heutzutage üblichen Methode des juristischen die größte Ähnlichkeit hatte – man studirte die Natur nicht aus sich selbst, sondern aus Aristoteles, Plinius, das Recht nicht aus sich selbst, sondern aus Ulpian und Paulus. Die Naturwissenschaft hat sich von dieser Verirrung und geistigen Sklaverei frei gemacht, für

99 R. Jhering, Unsere Aufgabe, in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 1 (1857), S. 1–52 (44) – Hervorhebung im Original. 100 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 9. 101 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 16. 102 R. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 1 (1857), S. 1–52 (10f.).

Jherings Rechtsdenken im Kontext

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unsere Jurisprudenz steht die Zeit des Umschwunges bevor, und […] ich selbst [fühle] in mir den Beruf […], für diesen großen Zweck mitzuwirken.“103

Jherings seit den 1850er Jahren erhobene Forderung, sich auch in der Rechtswissenschaft dem Recht als Untersuchungsgegenstand so gegenüberzustellen wie die Naturwissenschaft der Natur, ist bereits eine programmatische Aussage unter dem neuem Wissenschaftsparadigma der Naturwissenschaften und nimmt Kirchmanns Kritik auf, dass der methodisch grundlegende „Gegensatz zwischen Objekt und Wissenschaft […] von der neueren Philosophie“, nämlich der Philosophie des Deutschen Idealismus, sträflicherweise „aufzuheben versucht worden“104 sei. Zwar war nach dem Niedergang der Systemphilosophie des Idealismus in der zeitgenössischen Wahrnehmung der Glaube an einen singulären Wahrheitsbegriff vorerst noch ungebrochen, aber an die Stelle der Frage nach der Wahrheit des Systems trat nun die Frage nach der Wahrheit der wissenschaftlichen Methode. Wichtiger Schrittmacher war hier die Chemie. Diese hatte auch Jhering unmittelbar vor Augen – und das seit seinem Wechsel 1852 nach Gießen sogar im wahrsten Sinne des Wortes. In Gießen wohnte er schräg gegenüber vom damals wohl modernsten chemischen Laboratorium in Deutschland, damals noch eine der ganz wenigen naturwissenschaftlich-technischen Einrichtungen auf westeuropäischem Niveau im nicht nur ökonomisch-industriell, sondern auch – das eine bedingt das andere – naturwissenschaftlich-technisch rückständigen Deutschland. Erkämpft hatte das Gießener Laboratorium, das zum Vorbild für Laboratorien in ganz Deutschland wurde, der damals schon berühmte Chemiker Justus von Liebig.105 Noch zwanzig Jahre später setzt Jhering Liebig und seinem Laboratorium öffentlich ein Denkmal: „Die Agriculturchemie von Liebig hat der 103 Jherings Brief vom 17. Juli 1852 an Carl Friedrich Gerber, abgedruckt in: Mario G. Losano, Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber. Teil 1, Ebelsbach 1984, Nr. 17, S. 51–55. 104 Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 7. Ein – zum Zeitpunkt seines Vortrags allerdings kaum noch strittiger – Abgesang auf die Philosophie des Deutschen Idealismus war es, wenn Kirchmann „jenen großen Denkern“ philosophisch schlecht kaschierte Inkonsequenz vorwarf, da sie die „vermeintliche Identität des Seins und Wissens […] nur in der Spitze ihres Systems festgehalten“ hätten, während „im weiteren Fortgange desselben […] auch bei ihnen jener Gegensatz wieder hervor[trat].“ In ironischer Wendung direkt gegen Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, §§ 247–250 gerichtet kritisiert Kirchmann: „[…] die Natur bleibt ein objektives, auch wenn sie nicht Natur, sondern: Idee, in der Form des Anders-Sein genannt wird.“ (Kirchmann, aaO, S. 8). 105 Eberhard Schmauderer, Die Stellung der Wissenschaften zwischen chemischer Forschung und chemischer Industrie im 19. Jahrhundert, in: Technikgeschichte in Einzeldarstellungen, Nr. 11: Geschichte der Naturwissenschaften und Technik im 19. Jahrhundert, Düsseldorf 1969, S. 37–93 (44f., 57); Jost Weyer, Geschichte der Chemie. Band 2. 19. und 20. Jahrhundert, Berlin/Heidelberg 2018, S. 23.

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Landwirthschaft Dienste geleistet, für die jeder Massstab fehlt – sie ist entstanden in dem Laboratorium der Universität Giessen.“106 Von den Kämpfen Liebigs, der sich in den 1830er Jahren bezeichnenderweise in Frankreich vom Naturphilosophen zum experimentellen Forscher bekehren ließ und mit dem Jhering in Gießen auch gleich in Kontakt trat, zeugt noch dreißig Jahre später Jherings Rechtfertigung der Ausgabe von Steuermitteln für kostspielige technische Forschungseinrichtungen.107 Liebig war – wie der kaum minder berühmte Mediziner Rudolf Virchow – auch ein begnadeter Popularisator seiner Wissenschaft – übrigens auch dies ein wichtiger Aspekt der sich nach 1840 öffnenden Naturwissenschaften in Deutschland, die geradezu ein Gegenentwurf zum elitären Gelehrtengeist hergebrachter Wissenschaften waren. Die seit 1840 zunächst in einer bekannten überregionalen Tageszeitung, später gesondert veröffentlichten „Chemischen Briefe“ Liebigs, die sich – übrigens wie Jherings eigene nicht pandektistische Schriften – an den sogenannten „gebildeten Laien“ richteten,108 dürfte auch Jhering gelesen haben, etwa den siebten Brief zur damals umstrittenen chemischen Atomtheorie auf der Suche nach den einfachsten „Körpern“ der Materie und deren Verbindungen zu Molekülen.109 In der Folge suchten unter dem damals noch einheitlichen Wissenschaftsparadigma als Maßstab für die Wissenschaftlichkeit einer Disziplin nicht nur Juristen, sondern auch Wissenschaftler anderer Disziplinen bis hin zu Sprachwissenschaftlern und Historikern nach der „Chemie“ und den „Körpern“ ihres Wissenschaftsgegenstands.110 Auch nach Liebigs baldigem Weggang nach München blieb Jhering durch Liebigs Schüler ständiger Gast im chemischen Laboratorium. Zu seinen – wie Jherings Söhne berichten – „intimsten Freunden“ gehörten in den Gießener Jahren bis 1868 die Chemiker Hermann Kopp und Heinrich Will sowie der Physiker Heinrich Buff und der Zoologe Rudolf Leuckart. Mit Kopp besucht Jhering 1860 ein „Kolleg über physikalisch-chemische Probleme und Meteoro-

106 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Erster Band, Leipzig 1877, S. 544. 107 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Erster Band, Leipzig 1877, S. 543f. 108 Justus Liebig, Chemische Briefe [Sechste Auflage Leipzig/Heidelberg 1878]. Mit einer Einleitung herausgegeben von Hans-Werner Schütt, Hildesheim/Zürich/New York 2003. 109 Justus Liebig, Chemische Briefe [Sechste Auflage Leipzig/Heidelberg 1878]. Mit einer Einleitung herausgegeben von Hans-Werner Schütt, Hildesheim/Zürich/New York 2003, S. 65, 67f. („Siebenter Brief“): „Eine sehr alte Vorstellung über die Natur der Materie, die sogenannten atomistische […]. Ein Körper besteht nach dieser Ansicht aus sehr kleinen Körpertheilchen […].“ 110 Dieter Stephanitz, Exakte Wissenschaft und Recht. Der Einfluß von Naturwissenschaft und Mathematik auf Rechtsdenken und Rechtswissenschaft in zweieinhalb Jahrtausenden. Ein historischer Grundriß, Berlin 1970, S. 149f.. 1555f., Christoph-Eric Mecke, Begriff des Rechts und Methode der Rechtswissenschaft bei Rudolf von Jhering, Göttingen 2018, S. 480 Fn. 2358 m.w.N.

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logie“111. Im Jahre 1864 ist er ausweislich der Tagungsliste Teilnehmer der „Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte“112, ein – heute würde man sagen – Großkongress mit der damals fast unvorstellbaren Zahl von über tausend aktiven Wissenschaftlern sowie deren Begleitpersonen. Zum kurz vorher in Braunschweig stattfindenden Juristentag zu fahren mag er sich hingegen nicht mehr entschließen. So schreibt er am 24. Juni 1864 an Julius Glaser: „Ich habe mich jetzt entschieden, dass ich den diesjährigen Juristentag nicht besuchen werde. […] Da nun im September in Gießen die Naturforscher Versammlung Statt finden wird, welche mich nicht weniger als ein irgendein Mitglied in Anspruch nehmen wird, so mag ich nicht kurz vorher den J.[uristen] T.[ag] mitmachen, überhaupt werde ich ihn von jetzt an wohl etwas seltener besuchen, mein Interesse hat etwas nachgelassen […].“113

Tatsächlich war für Jhering die Bezeichnung der juristische Methode als „naturhistorische“ bzw. „naturwissenschaftliche“114 und der „Vergleich mit der Naturwissenschaft […] keine müßige Spielerei“.115 Vielmehr war Jhering nicht nur mit Fachkollegen wie Johannes Emil Kuntze, sondern auch mit führenden Naturwissenschaftlern seiner Zeit wie Liebig in der Chemie, Virchow in der Medizin oder Helmholtz in der Physik116 selbst noch nach der allgemeinen Diskreditierung der Naturphilosophie davon überzeugt, dass es „wie in der Natur so auch in der moralischen Welt“117 neben wesentlichen Unterschieden auch gemeinsame Gesetzmäßigkeiten und analoge Erscheinungsformen geben müsse, mithin auch Sätze der Wissenschaft, die für „die physische wie die moralische

111 Bernd Klemann, Jherings Wandlung, in: Heinz Mohnhaupt (Hrsg.), Rechtsgeschichte in den beiden deutschen Staaten (1988–1990). Beispiele, Parallelen, Positionen, Frankfurt am Main 1991, S. 130–150 (147ff.) m. w. N. 112 Amtlicher Bericht über die neun und dreissigste Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Giessen im September 1864. Herausgegeben von den Geschäftsführern Werner und Leuckart, Giessen 1865, S. 43. 113 Vgl. Jherings Brief vom 24. Juni 1864 an Julius Glaser, abgedruckt in: Mario G. Losano, Der Briefwechsel Jherings mit Unger und Glaser, Ebelsbach 1996, Nr. 6, S. 78–81 (79). 114 Vgl. zur Synonymität beider Begriffe im zeitgenössischen wissenschaftlichen Sprachgebrauch Christoph-Eric Mecke, Begriff des Rechts und Methode der Rechtswissenschaft bei Rudolf von Jhering, Göttingen 2018, S. 515f. Fn. 2565. 115 Rudolf Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung, Erste Auflage, Leipzig 1858, § 41, S. 389. 116 Hermann von Helmholtz, Ueber das Verhältnis der Naturwissenschaften zur Gesammtheit der Wissenschaft. Akademische Festrede gehalten zu Heidelberg beim Antritt des Prorectorats 1862, wieder abgedruckt in: ders., Vorträge und Reden. Erster Band, Fünfte Auflage, Braunschweig 1903, S. 159–185 (164f.) zu „berechtigten Ansprüche[n] der Philosophie“ bei der „Kritik der Erkenntnisquellen“ der Naturwissenschaften und der Feststellung des „Maasstab[s] der geistigen Arbeit“. 117 Rudolf Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Erster Theil, Zweite Auflage, Leipzig 1866, § 3, S. 44.

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Welt […] gleichmäßig“118 gelten. Aus derselben Geisteshaltung heraus warnte mit Virchow in der zeitgenössischen erneuerten Medizin sogar ein herausragender Protagonist der neuen „naturwissenschaftlichen Methode“119 vor allzu „crassem Empirismus“120. Auch die induktiv-experimentell vorgehenden Naturwissenschaften und die Medizin befanden sich noch im Umbruch. Der Arzt und Naturwissenschaftler Ludwig Büchner, Bruder des Dichters Georg Büchner, verlor noch 1855 nach Veröffentlichung seines Buchs „Kraft und Stoff“ in Tübingen die Lehrbefugnis aufgrund – so die Begründung des Senats der Universität – „einer äußerst niedrigen und rohen materialistischen Weltansicht.“121 Auch nach der Ablösung der Naturphilosophie durch die erneuerten experimentell forschenden Naturwissenschaften waren viele Naturforscher der Zeit nach wie vor von der „metaphysischen Bedeutung“ ihrer experimentell erlangten Forschungsergebnisse überzeugt,122 da sie die Naturgesetze noch als Ausfluss allgemeinerer, Natur und Geist umfassender Gesetzmäßigkeiten begriffen. Auf diesem Hintergrund der zeitgenössischen Wissenschaften, deren Vertreter aus allen Disziplinen noch von einem einheitlichen Wissenschaftsbegriff ausgingen, würde man es sich zu einfach machen, wenn man pauschal nur von einer naturhistorischen „Verirrung“123 Jherings sprechen wollte. Von einer wissenschaftstheoretischen „Verirrung“ lässt sich allenfalls durch eine ahistorisch rückwirkende Zugrundelegung der kategorialen Unterscheidung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften sprechen, die aber Mitte des 19. Jahrhunderts 118 Rudolf Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Erster Theil, Leipzig 1852, § 5, S. 55, 71; ders., Rudolf Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Erste Abtheilung, Leipzig 1854, § 27, S. 64f.; § 29, S. 87 über die Sätze, die für „die physische wie die moralische Welt […] gleichmäßig“ gelten. Vgl. auch Rudolf von Jhering, Die Reflexwirkungen oder die Rückwirkung rechtlicher Thatsachen auf dritte Personen (1871), wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Gesammelte Aufsätze aus den Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Band 2, Neudruck der Ausgabe Jena 1882, S. 79–177 (79f.); ders., Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Erster Band, Leipzig 1877, S. 529; ders., Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. 113; ders., Entwicklungsgeschichte des römischen Rechts. Einleitung – Verfassung des römischen Hauses. Aus dem Nachlass herausgegeben, Leipzig 1894, S. 37f. 119 Rudolf Virchow, Die naturwissenschaftliche Methode und die Standpunkte der Therapie, in: Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medicin, Band 2 (1848), Erstes Heft, S. 3–37 (7). 120 Rudolf Virchow, Erinnerungsblätter, in: Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medicin. Band 4 (1852), S. 541–548 (547f.). 121 Susanne Speckenbach, Wissenschaft und Weltanschauung. Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert – eine linguistische Untersuchung von Ludwig Büchners ‚Kraft und Stoff‘, Bremen 1999, S. 7. 122 Erik Wolf, Grosse Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, 4. Auflage Tübingen 1963, S. 624. 123 Dieter Simon, Die Rechtswissenschaft als Geisteswissenschaft, in: Rechtshistorisches Journal 11 (1992), S. 351–366 (354).

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nicht nur unbekannt, sondern vermutlich sogar für die meisten zeitgenössischen Wissenschaftler aller Disziplinen noch unvorstellbar war.124 Die „naturhistorische Methode“ und deren methodentheoretische Reflexion in Jherings „Theorie der juristischen Technik“ hat Jhering daher auch nie als solche verworfen, sondern im Gegenteil später auch bei nichtrechtlichen Normsystemen für anwendbar gehalten. So schreibt Jhering im 1883 erschienenen zweiten Band seines Werks „Der Zweck im Recht“ unter ausdrücklichem Hinweis auf seine „Theorie der juristischen Technik“125 im 1858 erschienenen dritten Teilband seines Werks über den „Geist des römischen Rechts“: „In derselben Weise, wie die Jurisprudenz […] die ursprüngliche Form, in der das Recht historisch zur Erscheinung gelangt: die imperativische des Gebots und Verbots mit einer andern: der begrifflichen vertauscht hat, hat es auch die Ethik mit den sittlichen Imperativen gethan. An die Stelle des ‚Solls‘ der Norm tritt bei ihr das ‚Sein‘ des Begriffs (des sittlichen Gutes[!], der Tugend, der Pflicht, des sittlichen Menschen), die Normen streifen ihre imperativische Form ab und schlagen nieder zu Momenten des Begriffs. Die ganze Darstellung nimmt auf diese Weise den Charakter der Beschreibung einer geistigen Welt an, der sich die Wissenschaft gerade so gegenüber stellt, wie der Naturforscher der Natur.“126

Was Jhering in seinen späteren Jahren tatsächlich als eigene Verirrung anerkennt, ist lediglich die Verabsolutierung der „begrifflichen Auffassungsweise“ als „ausschliessliche Betrachtungsform“ von Normen.127 Eine „reine, unbefangene Hingabe an das Object, [die] Anwendung der naturhistorischen Methode auf die Welt des Geistes“128 allein sollte jetzt nicht mehr ausreichen, seitdem Jhering die normative Verbindlichkeit der Ergebnisse der naturhistorischen Methode grundsätzlich relativiert hatte durch die in der Rechtsdogmatik – in den 1860er Jahren zumindest für Jhering selbst – neue „substantielle Idee der Gerechtigkeit und Sittlichkeit“129. Diese erzwang nun immer die Rückkehr vom rechtlichen

124 Vgl. dazu Christoph-Eric Mecke, Begriff des Rechts und Methode der Rechtswissenschaft bei Rudolf von Jhering, Göttingen 2018, S. 449 Fn. 2231, S. 512–519. 125 Rudolf Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung, Erste Auflage, Leipzig 1858, §§ 38–41. 126 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. 100 (Hervorhebungen im Original). 127 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. 100 (Hervorhebungen im Original). 128 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. 102 (Hervorhebungen im Original). 129 Rudolf Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung, Zweite Auflage, Leipzig 1869, § 41, S. 345 Fn. 506a, wo Jhering seine bisherige „Ueberschätzung der logischen Seite des Rechts“ eingesteht. Später macht Jhering dafür eine ganze Juristengeneration verantwortlich, wobei er verschweigt, dass auch ein Pandektist wie Puchta keinesfalls eine derart rigorose gezielte Ignorierung der

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Begriff zum Inhalt der Norm als notwendigem zusätzlichen Prüfstein für die rechtliche Verbindlichkeit der Ergebnisse der naturhistorischen Methode. Begriffe und aus ihnen abgeleitete Normen, die „nicht nicht-existiren“130 können, also aus rein wissenschaftlichen Gründen gelten müssen, sollte es jetzt nach Jherings Selbstkorrektur nicht mehr geben.131 Entsprechendes gilt auch für die wissenschaftliche Untersuchung nichtrechtlicher Normen. Der „Anwendung der naturhistorischen Methode auf die Welt des Geistes“ sollte auch hier zwar „ihre wissenschaftliche Berechtigung als blosse Form der Darstellung“ keineswegs abgesprochen werden, „allein von der Darstellung ist die Untersuchung und Forschung wohl zu unterscheiden, für letztere aber ist die Rückkehr zu der natürlichen und ursprünglichen Form des Imperativs meines Erachtens unerlässlich.“132 Jhering hält damit entgegen Wilhelm Dilthey zeit seines Lebens an der Möglichkeit einer „Anwendung der naturhistorischen Methode auf die Welt des Geistes“ fest. Wissenschaftsbiographisch betrachtet verliert sie aber durch die Relativierung ihres Erkenntnischarakters maßgeblich an Forschungs- und damit auch Beschäftigungsinteresse für Jhering selbst. Seit den 1860er Jahren war es daher nicht mehr das Gebiet der „Form“, der „Logik“ und der „Struktur“ des Rechts, auf dem Jhering glaubte als Wissenschaftspionier in die Geschichte eingehen zu können. Damit verschob sich sein Forschungsinteresse im Laufe der Jahre seit 1860 maßgeblich.

3.

Jhering Zweckjurisprudenz im Kontext der zeitgenössischen Sozialwissenschaften

In dem Maße, in dem sich der Fokus von Jherings Beschäftigung mit dem Recht von dessen „Form“ und „Structur“ auf dessen „Substanz“ und „Stoff“ verlagerte, trat die Tatsachendimension des Rechts immer stärker in den Vordergrund.133 Jhering selbst schildert dies später als einen Weg von der Entdeckung des „In-

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„substantiellen Idee der Gerechtigkeit“ in der juristischen Fallpraxis zu verantworten hatte wie Jhering selbst in seinen jungen Jahren. R. Jhering, Unsere Aufgabe, in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 1 (1857), S. 1–52 (18). Christoph-Eric Mecke, Objektivität in Recht und Rechtswissenschaft bei G.F. Puchta und R. v. Jhering, in: ARSP 94 (2008), S. 147–168 (164f.). Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. 101 (Hervorhebungen im Original). Im Hinblick auf das altrömische Recht in ferner Vergangenheit hatte Jhering dagegen schon in den ersten Bänden seines seit 1852 erscheinenden Werks „Geist des römischen Rechts“ für sich in Anspruch genommen, das – damals – geltende Recht vom in der Rechtswirklichkeit tatsächlich praktizierten Recht zu unterscheiden. Vgl. dazu weiter folgend im Text.

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teresses“ für die Rechtsentwicklung zum „Zweck“ als „Schöpfer des Rechts“, ja letztlich aller sozialen Normen. So schreibt er gleich zu Beginn der Vorrede zu seinem 1877 erschienenen ersten Band zum Werk „Der Zweck im Recht“: „Die Schrift, von der ich hiermit die erste Hälfte der Oeffentlichkeit übergebe, ist eine Ausläuferin von meinem Werk über den Geist des römischen Rechts. Der letzte Band desselben […], der 1865 in erster Auflage erschien, schloss ab mit einer Grundlegung der Theorie der Recht im subjectiven Sinn, in der ich eine von der herrschenden abweichende Begriffsbestimmung des Rechts im subjectiven Sinn gab, indem ich an Stelle des Willens, auf den jene den Begriff desselben gründete, das Interesse setzte. Dem folgenden Bande war die weitere Rechtfertigung und Verwerthung dieses Gesichtspunktes vorbehalten. Bei der Ausführung kam ich aber über diesen Gesichtspunkt sehr bald hinaus. Der Begriff des Interesses nöthigte mich, den Zweck ins Auge zu fassen, und das Recht im subjectiven Sinn drängte mich zu dem im objectiven Sinn, und so gestaltete sich das ursprüngliche Untersuchungsgebiet zu einem ungleich erweiterten, zu dem des gegenwärtigen Buches: der Zweck im Recht.“134

Dieser schrittweise Übergang von der auf den Willen des Einzelnen zurückgeführten Theorie der subjektiven Rechte zum Begriff der Interessen des Einzelnen als Grundlage jedes subjetiven Rechts zu einer Theorie des objektiven Rechts, die die – häufig gegenläufigen – materiellen und immateriellen Interessen der Einzelnen auf das menschliche Mittel-Zweck-Denken zurückführt, sowie Jherings später erfolgende Erweiterung dieses Ansatzes auf sämtliche Formen von Sozialnormen ist Jhering nicht allein gegangen, so sehr er sich auch in seinen Schriften als gleichermaßen einsamer wie stolzer Entdecker auf einem jahrelang zurückgelegten Forschungsweg darstellt. So schreibt er 1883: „[…] ich darf ohne Selbstüberhebung behaupten, dass ich zuerst hier der Wissenschaft ein Gebiet erschlossen habe, das sie bisher nie betreten hat, und das durch die Ausbeute, die ich gewonnen habe, den Aufenthalt auf demselben vollauf bezahlt gemacht hat. Die Untersuchungen […] gehören zu den ergebnissreichsten meines ganzen Lebens. Freilich auch zu den allermühsamsten. Hätte nicht der Gedanke, dass ich im Dienste der Wissenschaft eine Arbeit ausführe, die nie beschafft worden ist, und die doch gethan werden muss, mich aufrecht erhalten, ich würde nicht die Kraft besessen haben, Jahre lang mich einer Aufgabe zu widmen, die mich in die niedersten Regionen des täglichen Lebens versetzte. […] Die Mühen und Anstrengungen, welche ich dieser Aufgabe gewidmet habe, zählen zu den schwersten Prüfungen meines ganzen Lebens – ich bin unter dem Druck des Kleinen und Kleinsten, das ich zu untersuchen hatte, fast erlegen. Aber […] die Arbeit muss gethan werden, und wer zuerst ihr begegnet, und in der Lage ist, sie beschaffen zu können, m u s s sie verrichten – seine individuelle Neigung hat er der Wissenschaft zum Opfer zu bringen.“135

134 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Erster Band, Leipzig 1877, S. V. 135 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. XIIf.

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Jhering zelebriert hier geradezu den im 19. Jahrhundert noch neuen Typus des forschenden Wissenschaftlers, der seine persönlichen „Neigungen“ und – bis zum Umschwung nach dem legendären Doppelverkaufs-Fall von 1859 – auf dem Gebiet der naturhistorisch aufgefassten Rechtsdogmatik sogar seine persönlichen Gerechtigkeitsvorstellungen im Dienste der „Tyrannei der Consequenz“136 gegenüber einer mit Objektivitätsanspruch auftretenden Wissenschaft zurückstellen muss.137 Als ein den Naturwissenschaften seiner Zeit ebenbürtiger Forscher auf dem Gebiet der sozialen Tatsachen sah sich Jhering selbst „[…] in einer andern Lage […] [als] der Mann, der ein bereits urbar gemachtes Terrain bestellt, in einer andern, wer es erst urbar zu machen hat. […] Ich meinerseits hätte nichts mehr gewünscht, als dass ich mein eigener Nachfolger gewesen wäre […].“138

Zweifel sind hier angebracht, und zwar sowohl was die Person Jherings betrifft als auch die Sache. Sein „eigener Nachfolger“ hätte Jhering wohl kaum wirklich sein wollen, Epigonentum und „lederne“139 Fleißarbeiten auf bekanntem Terrain waren ihm zeitlebens zuwider. Aber auch bei der fortschreitenden Entdeckung der neuen Schlüsselbegriffe seiner Arbeiten nach 1860 auf dem Terrain von „Interesse“ und „Zweck“ hatten schon andere vor Jhering gewirkt. Das betrifft zunächst den Begriff des Interesses. In damals hergebrachter Weise verstanden entstammte er im Zivilrecht dem Schadensersatzrecht und bezeichnete das aus dem Schaden folgende Kompensationsinteresse.140 Darüber hinaus war der Begriff des Interesses zwar auch in der Rechtsentstehungslehre der Historischen Rechtsschule bekannt, aber dies nur mit negativer Konnotation. So heißt es noch Mitte des 19. Jahrhunderts bei Puchta über die „wahre Bewegung des Rechts“ in der geschichtlichen Entwicklung:

136 Rudolf Jhering, Handschriftliche Aufzeichnungen „Bemerkungen 6[.] Juni 1841“, aufbewahrt im wissenschaftlichen Nachlass Jhering, Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Signatur: Cod. Ms R. v. Jhering, Kasten 14:13, Bl. 17r. 137 Vgl. zum Ganzen Christoph-Eric Mecke, Objektivität in Recht und Rechtswissenschaft bei G.F. Puchta und R. v. Jhering, in: ARSP 94 (2008), S. 147–168 (165), ders., Begriff des Rechts und Methode der Rechtswissenschaft bei Rudolf von Jhering, Göttingen 2018, S. 14f., 23, 617, 619. 138 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. XV. 139 Vgl. oben Fn. 2. 140 So berichtet Jhering in seinem Brief an Gerber vom 2. Januar 1855, abgedruckt in: Mario G. Losano, Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber. Teil 1, Ebelsbach 1984, Nr. 39a, S. 132–135 (134): „[…] ich habe das Material und Gerippe zu einer Lehre vom Interesse seit Jahren liegen, und nur der ‚Geist‘ hat mich verhindert, die Sache zu publizieren […].“ Die Manuskripte zu dieser Lehre vom Schaden existieren noch im wissenschaftlichen Nachlass Jherings in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, wurden aber nie veröffentlicht.

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„Dem, welcher nicht als Glied des Volks sich fühlt, sondern als Einzelner sich ihm gegenüberstellt, und seine isolirten Interessen geltend macht, wird sie [sc. die Bewegung des Rechts] als ein Stillstand erscheinen, sei es daß er um dieses Stillstandes willen das Recht preist […] oder daß er es anklagt, weil es seinen individuellen Interessen nicht fröhnt.“141

Die „isolierten Interessen“ Einzelner hatten aus dieser Sicht der Historischen Rechtsschule keine konstruktive, sondern nur eine destruktive Bedeutung für die Rechtsentstehung. War aus der Sicht von Savigny oder Puchta doch deren maßgebliche Voraussetzung für die Möglichkeit der Entstehung von Recht eine „gemeinsame Ueberzeugung des Volks“142 und gerade nicht die „Interessen“ Einzelner oder einzelner Gruppen des Volks, die den gesamten Volksgeist nicht nur nicht repräsentieren können, sondern ihn sogar bedrohen. Die Bedeutung von – in heutiger Terminologie – kollektiven Verkehrsinteressen für die Inhalte des Rechts haben zwar auch Vertreter der Volksgeistlehre der Historischen Rechtsschule keineswegs geleugnet. Aber sie verwendeten dafür in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht den in der Rechtsentstehungslehre negativ konnotierten Begriff des Interesses zur Bezeichnung von allen unterschiedlichen Verkehrsinteressen, sondern Ausdrücke wie „Bedürfnisse“ oder „Exigenzen des Verkehrs“143 einer bestimmten Zeit, die allen Zeitgenossen in einem Volk gemeinsam seien. So misst etwa Puchta ausdrücklich „wirthschaftliche[n] Rücksichten auf die Bildung von Rechtssätzen Einfluß“ bei: „Sie gehören zu den Bedürfnissen, denen die Gestaltung der Rechtsinstitute entsprechen muß.“144 Daran knüpft auch zunächst der junge Jhering an, wobei er im Gegensatz zu den Vertretern der Volksgeistlehre den in der Rechtsentstehungslehre bisher verpönten Begriff des Interesses auch schon vor 1860 in nicht mehr nur negativer Konnotation verwendet als Ausdruck für legitime Verkehrsinteressen, das „praktische Bedürfniß“, die „Interessen des Lebens“145, die auf das Recht einwirken. Jhering sieht damit in den 1850er Jahren in den „Interessen“ zwar bereits einen wenigstens aus rechtshistorischer Sicht unleugbaren Faktor für die faktische Rechtsbildung, aber auch er sieht zu dieser Zeit noch die „Idee des Rechts“ als ständig bedroht durch das „lebendige Recht der Wirklichkeit“:

141 Georg Friedrich Puchta, Cursus der Institutionen. Band 1, Leipzig 1841, § 19, S. 47. 142 Friedrich Carl von Savigny, Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Heidelberg 1814, S. 8, 11; Georg Friedrich Puchta, Rezension zu „Volksrecht und Juristenrecht. Von D. Georg Beseler […] Leipzig, 1843“, in: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik. Erster Band, Berlin 1844, Sp. 1–30 (10f.). 143 Georg Friedrich Puchta, Pandekten. Zweite sehr vermehrte Ausgabe, Leipzig 1844, § 280, S. 394. 144 Georg Friedrich Puchta, Cursus der Institutionen. Band 1, Leipzig 1841, § 23, S. 55. 145 Rudolf von Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung, Leipzig 1858, § 44, S. 487, 489.

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„Denn jenes ist hineingestellt mitten in die Strömung des Lebens, in den Kampf erbitterter Partheien und aufeinanderprallender Gegensätze, ausgesetzt dem Sturm der Leidenschaften, die hier toben, bestimmt, den Anforderungen, Interessen, Bestrebungen des Lebens gerecht zu werden. Welche Schwierigkeiten findet die der Idee des Rechts zukommende Selbständigkeit hier vor, um sich geltend zu machen, welche Schwankungen statt jenes ruhigen Gleichgewichts, in dem das Recht der Idee sich befindet!“146

Ungeachtet aller Kampf-Rhetorik des jungen Rechtshistorikers Jhering in den 1850er Jahren im Hinblick auf die fernen Zustände des altrömischen Rechts bedurfte es von hier aus noch eines großen Schritts über den von Jhering in den 1860er Jahren formulierten neuen Begriff der in jedem subjektiven Recht „geschützten Interessen“147 zum „Kampf [sc. der Interessen] beim Werden des Rechts“ im objektiven Sinn, von dem – so Jhering dann 1872 – die „herrschende Savigny-Puchta’sche Theorie von der Entstehung des Rechts […] uns […] nichts zu berichten“ wisse.148 Die „Idee des Rechts“ als „ewiges Werden“, bei dem das „Gewordene […] dem neuen Werden weichen“ muss, denn – so der faustische Gedanke – „– –‚ Alles, was entsteht, Ist werth, dass es zu Grunde geht.‘149 […], vergegenwärtigt uns […] das Recht in seiner historischen Bewegung[,] das Bild des Suchens, Ringens, Kämpfens, kurz der gewaltsamen Anstrengung“150, was „das Machtverhältnis der sich gegenüberstehenden Kräfte […] wie beim Parallelogramm der Kräfte“ widerspiegelt.151 Selbst diametral gegenläufige „unzählige Sonderinteressen“152 einzelner Individuen oder Interessengruppen und der Austrag dieser Interessengegensätze im politisch-gesellschaftlichen Kampf 146 Rudolf von Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Erste Abtheilung, Leipzig 1854, § 24, S. 21. 147 Rudolf Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Dritter Theil. Erste Abtheilung, Leipzig 1865, § 60, S. 316f. et passim. 148 Rudolf von Jhering, Der Kampf um’s Recht, Wien 1872, S. 12, wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Der Kampf ums Recht. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg / Berlin 1992, S. 1–100 (12). 149 Bei dieser bildungsbürgerlichen Anspielung auf Goethes Faust ist es bezeichnend, dass Jhering ausgerechnet die Worte von Mephistopheles, des zerstörenden „Geist[s], der stets verneint“, als Sinnbild für den desillusionierten neuen Realismus auf dem Gebiet der Rechtsentstehung wählte [Goethes Faust. Herausgegeben und erläutert von Erich Truns, Dritte Auflage, Hamburg 1954, S. 47 (Faust. Erster Teil, Verse 1338, 1340)]. 150 Rudolf von Jhering, Der Kampf um’s Recht, Wien 1872, S. 9–21, wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Der Kampf ums Recht. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg / Berlin 1992, S. 1–100 (16). 151 Rudolf von Jhering, Der Kampf um’s Recht, Wien 1872, S. 16, wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Der Kampf ums Recht. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg / Berlin 1992, S. 1–100 (14). 152 Rudolf von Jhering, Der Kampf um das Recht. Vortrag des Hofrates Professor Jhering. Gehalten in der Wiener Juristischen Gesellschaft am 11. März 1872, wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Der Kampf ums Recht. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg / Berlin 1992, S. 113–131 (115).

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spielten für Jhering 1872 nicht mehr wie noch in der Volksgeistlehre der Historischen Rechtsschule eine destruktive, die Entstehung des Rechts aus der gemeinsamen Volksüberzeugung verhindernde, sondern genau umgekehrt eine konstruktive, die Entstehung und Entwicklung des Rechts erst ermöglichende Rolle. Hatte noch Puchta 1841 in gut naturrechtlicher Tradition gewarnt vor dem „bellum omnium contra omnes“ durch ein von ihm als Grundsatzproblem des Rechts erkanntes „mächtiges Streben nach Individualisirung“ in der Natur des Menschen, durch dessen „Drang, sich von dem Mitseienden zu unterscheiden“, sowie dessen Hang „zum Stolz, zur Selbstsucht und zum Haß“153, so heißt es 1872 bei Jhering schlicht und umissverständlich: „Der Kampf ist […] nicht etwas dem Recht Fremdes, sondern er ist mit dem Wesen desselben unzertrennlich verbunden, ein Moment seines Begriffs.“154 „[…] das Recht als Zweckbegriff, mitten hineingestellt in das chaotische Getriebe menschlicher Zwecke, Bestrebungen, Interessen […].“155

Die Bedeutung dieses Kategorienwechsel bei der Rechtsbildung ausgehend von der „Gemeinschaft“ hin zur atomisierten „Gesellschaft“, wie Ferdinand Tönnies den Gegensatz in seinem 1887 erschienenen frühsoziologischen Werk „Gemeinschaft und Gesellschaft“156 auf den Begriff gebracht hat, ist kaum zu überschätzen. Den Weg von der Gemeinschaft des Volks als übergeschichtlichem Träger der Rechtsbildung im Sinne der Historischen Rechtsschule157 zur sozio153 Georg Friedrich Puchta, Cursus der Institutionen. Band 1, Leipzig 1841, § 8, S 17. 154 Rudolf von Jhering, Der Kampf um’s Recht, Wien 1872, S. 5, wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Der Kampf ums Recht. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg / Berlin 1992, S. 1–100 (8). 155 Rudolf von Jhering, Der Kampf um’s Recht, Wien 1872, S. 21, wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Der Kampf ums Recht. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg / Berlin 1992, S. 1–100 (16). 156 Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie, Neudruck der 8. Auflage 1935, Darmstadt 1991, S. 7–33 („Theorie der Gemeinschaft“) sowie S. 34–70 („Theorie der Gesellschaft“). Im Hinblick auf das Recht hat Tönnies selbst allerdings sowohl der „Gemeinschaft“ etwa im Familienrecht als auch der „Gesellschaft“ etwa im Obligationenrecht eine rechtsbildende Funktion eingeräumt und daher im Hinblick auf die Inhalte des Rechts, nicht etwa die Rechtsbildung, noch ähnlich wie Savigny oder Puchta [Georg Friedrich Puchta, Cursus der Institutionen. Band 1, Leipzig 1841, §§ 21–27 („System der Rechtsverhältnisse“)], zwei „Rechtsmassen“ in jeder Rechtsordnung unterschieden. „Die beiden Rechtsmassen, aber entfalten ihr Wesen erst in dem mittleren Gebiete, dem des Eigentumsrechtes, wo sie auch einander notwendigerweise begegnen.“ (aaO, S. 154). 157 Vgl. nur Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts. Erster Band, Berlin 1840, §§ 9, 10 über die der Geschichte vorgegebene und die Geschichte übergreifende kulturelle „Gemeinschaft des Denkens und Thuns“ (S. 21), Ausdruck einer „geistigen Gemeinschaft“ (S. 19), die gleich einem „Naturganzen“ (S. 30) „auch die ganze Zukunft in sich schließt, also ein unvergängliches Daseyn hat“ (S. 31). Dieses zwar in der Geschichte handelnde, aber selbst der Geschichte vorgegebene „ideale Volk“ (S. 31) sei der wahre „Sitz der Rechterzeugung“ (S. 19), da es aufgrund seines vorausgesetzten „Gesammtwillens“, dem

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logisch aufgefassten Gesellschaft, die „nichts ist als die Summe der Individuen“158 und in der jeder „Einzelne […] in die Lage kommt, sein [sc. individuelles] Recht behaupten zu müssen“, um dadurch „zur Verwirklichung der Rechtsidee auf Erden“159 beizutragen, ist Jhering aber nicht allein gegangen. Durch den Bentham-Übersetzer und Vermittler in Deutschland Friedrich Eduard Beneke war Jhering mit Jeremy Benthams Verbindung von Normen mit dem Begriff des Interesses vertraut.160 Der Staatsrechtler, Ökonom und Frühsoziologe Lorenz von Stein hat bereits 1850 das „Princip der Gesellschaft“ in einem „System der [sc. antagonistischen] Interessen“ gesehen.161 Dagegen meinte 1861 der greise Leopold Warnkönig noch ganz im Geist der Volksgeistlehre der Historischen Rechtsschule, dass „Interessen (also also das Princip des Nutzens)“ für das Recht nicht maßgebend sein könnten, „denn das Recht ist etwas uninteressirtes“.162 In demselben Jahr stellt aber der junge Heinrich von Treitschke den „abstrakten […] Sätzen“ der Wissenschaft die empirischen Interessenantagonismen in der „Gesellschaft“ gegenüber: „Das Netz unseres Verkehrs hat so enge Maschen, daß sich notwendig tausend Kollisionen der Rechte und der Interessen ergeben […].“163

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„gemeinsamen Volksgeist“ (S. 24), rechtlich gesehen eine „wahre Persönlichkeit“ sei mit der vom Handeln der Individuen zu unterscheidenden eigenen „Fähigkeit zu handeln“ (S. 23). Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Erster Band, Dritte durchgesehene Auflage, Leipzig 1893, S. 511, noch nicht in der ersten Auflage von 1877, aber schon Rudolf von Jhering, Der Kampf um’s Recht, Wien 1872, S. 1–100 (72). „Eine Nation [sic!] ist schliesslich schon nur die Summe aller einzelnen Individuen […].“ Dagegen ausdrücklich früher Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts. Erster Band, Berlin 1840, § 10, S. 30 gegen eine solche „verworrene“ Auffassung des Volks als „Gesamtheit aller in einem Staate gleichzeitig lebenden Individuen“. Rudolf von Jhering, Der Kampf um’s Recht, Wien 1872, S. 9, wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Der Kampf ums Recht. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg / Berlin 1992, S. 1–100 (9). Dieter Stephanitz, Exakte Wissenschaft und Recht. Der Einfluß von Naturwissenschaft und Mathematik auf Rechtsdenken und Rechtswissenschaft in zweieinhalb Jahrtausenden. Ein historischer Grundriß, Berlin 1970, S. 181 sowie eingehend Steffen Luik, Die Rezeption Jeremy Benthams in der deutschen Rechtswissenschaft, Köln/Weimar/Wien 2003, S. 160ff. insbesondere auch zu Jhering und dessen Bentham-Rezeption (aaO, S. 189–208). Lorenz von Stein, Geschichte der socialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage. Erster Band, Leipzig 1850, S. XLI (Hervorhebungen im Original). Leopold von Warnkönig, Die Wiederauferstehung des Naturrechts oder kritische Ueberschau der drei neuesten Lehrbücher, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 3 (1861), S. 241–282 (275). Heinrich von Treitschke, Die Freiheit (1861), wieder abgedruckt in: Ausgewählte Schriften von Heinrich von Treitschke. Erster Band, Leipzig 1907, S. 1–47 (17f.). Auf diese Schrift hat im Zusammenhang mit Jhering bereits Wolfgang Pleister, Persönlichkeit, Wille und Freiheit im Werke Jherings, Ebelsbach 1982, S. 63f. hingewiesen. Diese Besprechung Treitschkes von John Stuart Mills Abhandlung „On Liberty“ dürfte Jhering, der aus der deutschen Übersetzung von Mills Schrift zitierte, gekannt haben (vgl. Christoph-Eric Mecke, Begriff des

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Zu einem Zeitpunkt, als die Historische Rechtsschule noch gesellschaftliche Interessenantagonismen nur als für die Rechtsbildung destruktive Parteiegoismen hatte begreifen können,164 sah Wilhelm Arnold im Jahre 1865 praktisch zeitgleich mit Jhering eine unmittelbare Verbindung zwischen gesellschaftlichen Interessenantagonismen und der Rechtsbildung und wies den hergebrachten pauschalen Hinweis der Historischen Rechtsschule, dass das Recht sich immer den sich geschichtlich wandelnden „Bedürfnissen“ des Lebens anzupassen und weiterzuentwickeln habe, als analytisch unbrauchbare Floskel zurück. Gab es doch niemals „die“ Bedürfnisse des Lebens und gab es 1865 vor allem auch keine Einigkeit mehr darüber, welchen Personen die Befugnis zu einer Bestimmung der jeweiligen „Bedürfnisse“ der Zeit zu übertragen waren. Dass dafür in einer entwickelten arbeitsteiligen Verkehrsgesellschaft nicht die Juristen als selbsternannte Vertreter der „Volksüberzeugung“ infrage kommen könnten,165 war jüngeren Juristen wie Jhering oder Arnold 1865 bereits vollkommen klar. So heißt es bei Arnold: „Allein wir kommen mit der Regel, daß das Recht den Bedürfnissen des wirthschaftlichen Lebens sich anzuschließen und zu folgen habe, gar nicht einmal vorwärts. Denn nur unter ganz einfachen Verhältnissen, wo alle Angehörige des Volkes denselben Beruf treiben und etwa mit eigener Hand den Boden bauen, besteht eine Uebereinstimmung und Gemeinschaft der Interessen. […] Sobald aber die nationale Arbeit sich theilt, verschiedene Stände sich ausbilden und das Einkommen aller aus Grundrente, Arbeitslohn und Capitalzins zusammengesetzt ist, besteht das wirtschaftliche Leben aus einer Menge sich kreuzender, widerstreitender und entgegengesetzter Interessen […]. Der Kaufmann verlangt Handelsfreiheit, der Fabrikant Zölle, der Adel will Privilegien des Grundbesitzes, der Bürger und Bauer Rechtsgleichheit, der Eine geschlossene Güter, der Andere freie Theilbarkeit und Veräußerlichkeit, hier wird Beschränkung, dort Erweiterung der Autonomie gefordert. […] Die Gesetzgebung muß also die […] AnRechts und Methode der Rechtswissenschaft bei Rudolf von Jhering, Göttingen 2018, S. 403 Fn. 2033). 164 Vgl. dagegen schon 1845 kritisch Max Stirner, Der Einzige und sein Eigentum. Mit einem Nachwort herausgegeben von Ahlrich, Stuttgart 2011, S. 232 (Hervorhebungen im Original): „Also das Volk, – die Menschheit oder die Familie-, haben […], wie es scheint, Geschichte gespielt: kein egoistisches Interesse sollte in diesen Gesellschaften aufkommen, sondern lediglich allgemeine, nationale oder Volksinteressen, Standesinteressen, Familieninteressen und ‚allgemein menschliche Interessen‘. Wer aber hat die Völker, deren Untergang die Geschichte erzählt, zu Fall gebracht? Wer anders als der Egoist, der seine Befriedigung sucht!“ Nach Christian Helfer, Jherings Gesellschaftsanalyse im Urteil der heutigen Sozialwissenschaft, in: Franz Wieacker / Christian Wollschläger (Hrsg.), Jherings Erbe. Göttinger Symposion zur 150. Wiederkehr des Geburtstages von Rudolph von Jhering, Göttingen 1970, S. 79–88 (85 mit Fn. 20) hat Jhering die Erstausgabe von Stirners Buch besessen und ihm seine „Ansicht über das Wirken des Egoismus in der Welt […] wahrscheinlich entlehnt und fortentwickelt“. 165 Vgl. dazu Jan Schröder, Savignys Spezialistendogma und die ‚soziologische‘ Jurisprudenz, in: Rechtstheorie 7 (1976), S. 23–52 (25).

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sprüche gegen einander abwägen, ihre größere oder geringere Berechtigung untersuchen und hiernach ihre Entscheidung treffen. Diese wird bald vermittelnd, bald zu Gunsten der einen oder anderen Partei ausfallen. Aber wie sie auch ausfallen möge, sie wird nothwendig auf Leben und Verkehr zurückwirken […].“166

Eine interessenjuristische Perspektive avant la lettre! Von da aus war es kein großer Schritt mehr zu Jherings „Zweck im Recht“: „Der Begriff des Interesses nöthigte mich, den Zweck ins Auge zu fassen, und das Recht im subjectiven Sinn drängte mich zu dem im objectiven Sinn, und so gestaltete sich das ursprüngliche Untersuchungsobject zu einem ungleich erweiterten, zu dem des gegenwärtigen Buches: der Zweck im Recht.“167

Eine sozialphilosophisch fundierte Begründung des „Zweckbegriff[s]“ und dessen Bedeutung für die rechtlichen und nichtrechtlichen Sozialnormen hat Jhering nach eigenem Bekunden in der Philosophie seiner Zeit zwar nicht gefunden. „Gern hätte ich denselben von Andern entlehnt und auf den von ihnen gewonnenen Resultaten weiter fortgebaut, aber ich überzeugte mich, dass sie mir dasjenige, was ich suchte, nicht gewährten. Das Beste, was mir bei meinem Suchen begegnet ist, sind meines Erachtens die Ausführungen von Trendelenburg in seinen logischen Untersuchungen, meisterhaft nach Form und Inhalt. Aber die Höhe und Weite, in der hier die Aufgabe erfasst wird: der Zweck als weltbildendes Princip, warf mir für den beschränkten Gesichtspunkt, unter dem ich den Zweck zu betrachten hatte: die Bedeutung desselben für den menschlichen Willen nichts ab […].“168

Aber die Verteidigung der Welt des zweckgerichteten menschlichen Handelns gegenüber dem auf die unbelebte Welt beschränkten Kausalitätsbegriff findet Jhering beim zeitgenössischen Naturrechtsphilosophen Trendelenburg. Was Jhering bei Trendelenburg nachahmenswert fand, war zunächst die Herangehensweise, die beginnt mit einer Beobachtung des Einzelnen anstelle der Begründung eines Systems, aus dem das Einzelne deduziert wird. So heißt es bei Trendelenburg: „Es erheben sich auch in der neuesten Zeit Systeme neben Systemen; und weil sie alle das Ganze und aus dem Ganzen das Einzelne eigenthümlich zu verstehen meinen, theilen sie kaum einige feste Punkte mit einander und haben fast gar keinen gemeinsamen Boden. Jedes fängt mit dem Ganzen von Neuem an […] Wir versuchen den umgekehrten Weg. Es bleibt immer der Trieb alles menschlichen Erkennens darauf gerichtet, das Wunder der göttlichen Schöpfung durch ein nachschaffendes Denken zu lösen. Wenn diese Aufgabe im Einzelnen begonnen wird, so treibt das Einzelne von selbst weiter; denn mit derselben Macht, mit welcher alles aus dem Grunde hervorge-

166 Wilhelm Arnold, Cultur und Rechtsleben, Berlin 1865, S. 117f. 167 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Erster Band, Leipzig 1877, S. V. 168 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Erster Band, Leipzig 1877, S. VIf.

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stiegen, weisen die Dinge rückwärts zu dem Grunde wieder hin. Wo das Einzelne scharf beobachtet wird, offenbart es an sich die Züge des Allgemeinen.“169

Diese methodischen Vorgaben macht auch Jhering sich zu eigen: Scharfe „Beobachtung des Einzelnen“ auf dem Gebiet sozialer Normen, „nachschaffendes Denken“ wie es sich bei Jhering vor allem in seinen vielen etymologischen Erklärungsversuchen zu Normbegriffen170 äußert und systematisches Aufsteigen und Herabsteigen bei der Systematisierung des Ganzen, wobei Jhering hier in seinem Verständnis von „Dialektik“ wie zahllose Juristengenerationen vor ihm schlicht die hergebrachte Begriffspyramide im Sinn hat, nicht etwa die an Hegel anknüpfende Bewegungsdialektik von Trendelenburg171. So schreibt Jhering zum „dialektischen Theil“ seiner Untersuchungen zum eigenen Zweckdenken: „Und nicht minder sorgsam und ängstlich bin ich verfahren in Bezug auf den dialektischen Theil meiner Aufgabe: die genaue Feststellung und Abgrenzung der Begriffe und den Nachweis ihrer systematischen Gliederung zu einem höheren Ganzen. Ich habe meine Aufgabe ganz so zu lösen gesucht, als ob sie juristischer Art wäre, und ich glaube hierbei durch die That gezeigt zu haben, in welchem Masse und mit welchem Vortheil sich die juristische Methode selbst bei Dingen nicht juristischer Art verwerthen lässt […].“172

Bereits im Vorwort zum ersten Band seines Werks „Der Zweck im Recht“ heißt es: „Die Schwierigkeit […] steckte für mich gerade in dem Aufbau des Ganzen: der Entdeckung des richtigen Zusammenhangs, wie sich eins zum andern fügt, der logischen Gliederung der einzelnen Theile, der durch keine Sprünge unterbrochenen Begriffsentwickelung, die vom Einfachsten ausgehend schrittweise zum Höheren gelangt. Auf dies systematische oder dialektische Element habe ich die äusserste Sorgfalt verwandt, und ich habe zu dem Zwecke im streng logischen Fortschritt der Entwicklung eine Menge von Punkten und Fragen berührt, lediglich um sie zu berühren, d. h. lediglich um den Punkt zu bezeichnen, wo sie in den Gesamtzusammenhang des Rechts eingreifen.“173

Aber nicht nur methodisch inspiriert Trendelenburg Jhering, sondern auch inhaltlich.174 Nicht ohne Grund verweist Jhering selbst auf Trendelenburgs Aus169 Adolf Trendelenburg, Logische Untersuchungen. Erster Band, Dritte vermehrte Auflage, Leipzig 1870, S. 2. 170 Vgl. nur zum Beispiel Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. 28ff., S. 39ff., 44 zur Etymologie des Sittlichen und des Takts: „Das Wort Takt weist uns etymologisch auf das Gefühl zurück, es ist das lateinische tactus (von tangere = fühlen, berühren, betreffen). […].“ 171 Adolf Trendelenburg, Logische Untersuchungen. Erster Band, Dritte vermehrte Auflage, Leipzig 1870, S. 36–129 („Die dialektische Methode“). 172 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. XIV. 173 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Erster Band, Leipzig 1877, S. IX. 174 Vgl. dazu auch schon Wolfgang Pleister, Persönlichkeit, Wille und Freiheit im Werke Jherings, Ebelsbach 1982, S. 249–260, für den Trendelenburg aber „nur in sehr äußerlicher

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führungen175 zum „Zweck“ und dessen Verhältnis zum „Willen“.176 Ohne die durch die induktive Forschungsmethode erneuerten Naturwissenschaften auf ihrem Gebiet infrage zu stellen findet Jhering nämlich bei einem der bekanntesten zeitgenössischen Philosophen Schützenhilfe bei der von ihm geradezu bekenntnishaft beschworenen Aufrechterhaltung der „Fahne des ideal Sittlichen“177 in einer „realitätshungrigen“ Zeit, in der der „antimetaphysische, mechanistische Geist“ der Naturwissenschaften und der „Einfluß der aus Westeuropa einströmenden Philosophie des Materialismus und Positivismus“ mit einigen Jahrzehnten Verspätung seit der Jahrhundertmitte auch in Deutschland um sich griff.178 „Die Naturwissenschaft ist in ihrer Anschauung ungehindert, aus eigenem Bedürfnis ihren grossen erfolgreichen Weg zu gehen; wer sie hindern wollte, mühte sich nicht bloss vergeblich ab, sondern hätte auch nicht das Vertrauen zu der Vernunft in der Weltordnung, welche die Wissenschaft erforscht.“179

In Trendelenburg fand Jhering insoweit einen Geistesverwandten unter den Philosophen, der ebenfalls das Sittliche nicht in der faktischen Naturgesetzlichkeit aufgehen lassen wollte, ohne aber die Existenz der Naturgesetzlichkeit überhaupt bestreiten zu wollen. Trendelenburgs vermittelnde Lösung war die kategoriale Unterscheidung zwischen kausalen Ursache-Wirkungszusammenhängen in der unbelebten Natur und der Möglichkeit zweckgerichteten Handelns in der belebten Natur.180

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Weise […] auf Jhering eingewirkt hat.“ (S. 256). Jherings inhaltliche und teilweise sogar fast wörtliche Anlehnungen an Trendelenburg im Hinblick auf die eigene Positionierung und Verteidigung des teleologischen Denkens und Handelns gegenüber den Lehren Darwins und Häckels sprechen allerdings für sich, soweit es um die philosophische Grundlegung des Begriffs des Zwecks geht. Adolf Trendelenburg, Logische Untersuchungen. Zweiter Band. Dritte vermehrte Auflage, Leipzig 1870, S. 1–94 („Der Zweck“), 95–142 („Der Zweck und der Wille“), 143–166 („Die realen Kategorien aus dem Zweck“). Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Erster Band, Leipzig 1877, S. VII mit Hinweis auf Trendelenburgs „Logische Untersuchungen“, Band 2, in der dritten Auflage 1870, S. 14ff. Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. XXII. Dieter Stephanitz, Exakte Wissenschaft und Recht. Der Einfluß von Naturwissenschaft und Mathematik auf Rechtsdenken und Rechtswissenschaft in zweieinhalb Jahrtausenden. Ein historischer Grundriß, Berlin 1970, S. 151; Joachim Rückert, Autonomie des Rechts in rechtshistorischer Perspektive, Hannover 1988, S. 57 mit Fn. 195; Steffen Luik, Die Rezeption Jeremy Benthams in der deutschen Rechtswissenschaft, Köln/Weimar/Wien 2003, S. 160– 168. Adolf Trendelenburg, Logische Untersuchungen. Erster Band, Dritte vermehrte Auflage, Leipzig 1870, S. 92. Zwar ist Trendelenburgs Zweckbegriff noch viel weiter gefasst als Jherings auf das menschliche Handeln beschränkter Zweckbegriff. Aber auch Trendelenburg differenziert zwischen dem zweckgerichteten Handeln von Tieren und Menschen: „Aber in den Thieren ist der treibende Gedanke sich noch selbst verborgen. Der zum Grunde liegende Zweck wird

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„So will man z. B. aus der Vergeudung der Lebenskeime in der Natur beweisen, dass kein innerer Zweck die Bildung des Lebens regiere, sondern nur die Gunst des Zufalls sie möglich mache […]. Daher soll nur die wirkende Ursache und der Zufall im Kampf der wirkenden Ursachen um das Dasein das letzte Bestimmende sein; ein Thor, meint man, wer bei dieser einfachen Betrachtung […] an einen innern Zweck in dem Vorgang des Lebens glaubt. […] Schon öfter ist der Kampf um das Dasein als der strenge Hintergrund des Lebens beachtet. […] Aber es hinderte […] nicht, darin das Walten einer göttlichen Macht zu erkennen. […] Dass die Forschung nach einem Plan nicht die Erkenntniss zwiespältig macht und die Frage nach dem Zweck keinen Dualismus hervorbringt, leuchtet aus der Einheit ein, die der Zweck erstrebt. Seine Erkenntniss kürzt keine Erkenntniss der Kräfte, aber begründet in ihnen eine Anschauung höherer Einheit. So ist der Monismus der Materie, die Alleinherrschaft der wirkenden Kräfte, die sich auf dem Sturz des Idealen aufbauen will, ein zu frühes Siegeslied. Aus den versuchten Betrachtungen mag hervorgehen, dass der deutsche [sic!] Darwinismus, der den Zweck in die wirkende Ursache will untergehen lassen, ihn nicht wegschafft, sondern selbst voraussetzt. Was er von dem Kampf um das Dasein als Erreger der Kräfte darthut, fügt sich als Mittel in den Zweck ein.“181

Eben dies beschäftigte auch Jhering. Ging es doch um nichts weniger als die Abwehr eines Naturalismus mit wissenschaftlichem Geltungsanspruch auch auf dem Gebiet des menschlichen Handelns und der dieses Handeln steuernden Sozialnormen, darunter der Normen des Rechts. Der von Trendelenburg so genannte „deutsche Darwinismus“ hatte in den 1870er Jahren vor allem einen Namen, nämlich den Namen des Mediziners, Zoologen und Philosophen Ernst Häckel. Dieser hatte seit den 1860er Jahren maßgeblich zur Verbreitung des Darwinismus in Deutschland beigetragen, auf dieser Grundlage einen „Monismus“ naturgesetzlicher und gesellschaftlicher Entwicklung propagiert und damit dem Sozialdarwinismus den Weg geebnet. Diesen Weg nicht zu gehen, ohne gleichzeitig die Kausalitätsgesetze in der Natur und die Einheit aller Wissenschaften infrage zu stellen, das war die sowohl von Trendelenburg als auch von Jhering empfundene Herausforderung der Zeit. Bei Trendelenburg findet Jhering die Richtung einer als zeitgemäß empfundenen Argumentation bei der Vertei-

blind begehrt […] Weiter kommen sie [sc. die Tiere] nicht, indem sie für die Selbsterhaltung arbeitend und kämpfend oder mit den reichlich gebotenen Lebensbedingungen spielend, ihr Dasein blind verbringen. Anders der Mensch, dessen Wesen es ist, dass er denke und dass das Denken das Begehren und Empfinden durchdringe und zu sich in die Höhe ziehe. Durch das Denken ist er des Allgemeinen fähig und dies bewusste Allgemeine hebt den Menschen über das Thier […]. Im Gegensatz gegen das blind Organische der Natur bezeichnen wir, was aus dieser eigenthümlichen Quelle fliesst, als ethisch“ [Adolf Trendelenburg, Logische Untersuchungen. Zweiter Band. Dritte vermehrte Auflage, Leipzig 1870, S. 106 (Hervorhebung im Original)]. 181 Adolf Trendelenburg, Logische Untersuchungen. Erster Band, Dritte vermehrte Auflage, Leipzig 1870, S. 92f.

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digung des Sittlichen unter Anerkennung des Kausalen, wenn er 1877 im ersten Band über den „Zweck im Recht“ schreibt: „Es ist der Gegensatz des Causalitäts- und Zweckgesetzes […]. Kein Philosoph der Gegenwart wird einen solchen Gegensatz zugeben, und mit vollem Recht. Es gibt nur eins von Beiden: entweder ist die Ursache die bewegende Kraft der Welt, oder es ist der Zweck. Nach meinem Glauben ist es der Zweck. Der Zweck vermag das Causalitätsgesetz aus sich zu entlassen, nicht aber das Causalitätsgesetz den Zweck. Oder deutlicher gesprochen: die Annahme eines Zweckes in der Welt, was für mich, der ich beschränkt genug bin mir den Zweck nicht ohne einen bewussten Willen denken zu können, gleich bedeutend ist mit der Annahme von Gott – also die Annahme eines von Gott gesetzten Zweckes in der Welt oder des göttlichen Zweckgedankens verträgt sich nach meinem Dafürhalten vollkommen mit der Statuirung des strengsten Causalitätsgesetzes. Mag letzteres arbeiten ganz so, wie die extremste Linke des Darwinismus es lehrt, unerbittlich zermalmend, was sich nicht halten kann im Kampf des Daseins, mit der Monere beginnend und ohne weitern Schöpfungsakt alles aus sich gebärend von einer Stufe zur andern fortschreitend bis zum Menschen – – wenn ich den Felsblock in Bewegung setze auf dem Gipfel des Berges, dass er hinabfalle ins Thal, war es nicht der Zweck, der das Causalitätsgesetz erst in Bewegung gesetzt hat?“182

Ebenso hatte vorher auch schon Trendelenburg darauf bestanden, „den Antrieben, welche [durch] die Erfahrung“ erkennbar werden, und „der wirkenden Ursache“ nach den Gesetzen der Kausalität „den Zweck (der causa efficiens die causa finalis) als das eigentlich Princip überzuordnen […],“183 welches „dem Schein der nackten Kräfte das Gegengewicht hält.“184 Ohne Häckels monistische Lehre „von der Monere bis zu“ dem Menschen und die damit verbundenen rein naturgesetzlich aufgefassten Abläufe der „naturhistorischen Entwickelungsgeschichte des […] Lebens überhaupt“185 zu bestreiten, versuchte Trendelenburg diese unter Rückgriff auf die Philosophiegeschichte und hier insbesondere Leibniz186 entscheidend zu relativieren durch

182 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Erster Band, Leipzig 1877, S. Xf. 183 Adolf Trendelenburg, Logische Untersuchungen. Zweiter Band. Dritte vermehrte Auflage, Leipzig 1870, S. 95. 184 So Adolf Trendelenburg, Naturrecht auf dem Grunde der Ethik, Zweite ausgeführte Auflage, Leipzig 1868, § 18, S. 25 zur „teleologischen Betrachtung zum Ursprung“ der Normen im Gegensatz zur „mechanischen Weltanschauung (der Weltanschauung der blinden Kräfte)“ in der „Physik“. 185 Adolf Trendelenburg, Logische Untersuchungen. Zweiter Band. Dritte vermehrte Auflage, Leipzig 1870, S. 92. 186 Vgl. in diesem Zusammenhang auch schon zum Verhältnis zwischen Jhering und Leibniz Christoph-Eric Mecke, Die Rezeption des Rechtsdenkens von Gottfried Wilhelm Leibniz bei Gustav Hugo (1764–1844) und Rudolf von Jhering (1818–1892), in: Rechts- und Staatsphilosophie bei G. W. Leibniz, herausgegeben von Tilmann Altwicker, Francis Cheneval und Matthias Mahlman, Tübingen 2020, S. 283–304 (300f.).

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sein Beharren auf dem „Walten einer göttlichen Macht“187, eines „ewigen Ursprungs“188 ungeachtet aller anzuerkennenden Naturgesetzlichkeiten: „Leibniz, der den Menschen noch nicht durch das Affengeschlecht hindurch zur Monere zurückführte, […] that einmal eine Aeusserung, die dahin geht, dass Gott in Adam die Weltgeschichte dachte und wollte. […] Leibniz, dem sich der Begriff des Zweckes und die Macht in der Reihe der wirkenden Ursachen harmonisch stimmte, würde heute […] den Gedanken, den er von Adam fasste, erweiternd […] vor der Monere stehen geblieben sein und in ihr einen grösseren Plan lesen und bewundern. Einen Zufall, eine Begünstigung durch den Zufall würde er nicht zugeben […].“189

Die Auflösung der Entwicklungsgeschichte in bloße Zufälle wollte auch Jhering auf keinen Fall zugeben und schreibt in offensichtlicher Anlehnung an Trendelenburg: „Ich meinerseits masse mir kein Urtheil über die Richtigkeit der Darwinschen Theorie an […]. Aber wenn die Richtigkeit derselben mir auch felsenfest stände, ich wüsste nicht wie mich dies in meinem Glauben an einen göttlichen Zweckgedanken nur im geringsten beirren sollte. In der Monere, die nach Häckel mit Nothwendigkeit zum Menschen führen soll, hat Gott den Menschen vorausgesehen, […] oder wie Leibnitz bereits sagte, in Adam hat Gott das ganze Menschengeschlecht vorgebildet und gewollt. Mit der monistischen Auffassung, zu der ich mich hiermit bekenne, steht die Annahme eines doppelten Gesetzes für die Welt der Erscheinung: des Causalitätsgesetzes für die unbelebte und des Zweckgesetzes für die belebte Schöpfung im Mindesten nicht im Widerspruch. Beide finden in dem Zweckgesetz als höchstem weltbildenden Princip ihre Einheit.“190

Für Jhering war damit das „Zweckgesetz“ auf der Höhe seiner Zeit philosophisch abgesichert. Die Ausführung dieses Gedankens im Hinblick auf die Normen des Rechts und später auch die nichtrechtlichen Sozialnormen hat Jhering in den beiden Bänden seines Werks „Der Zweck im Recht“ begonnen, allerdings nie vollendet. Jhering wusste, dass er sich – notgedrungen wie er meinte – in den 1870er und 80er Jahren an gesellschaftstheorischen Problemen versucht, er selbst spricht zeittypisch von „socialer Mechanik“191, die „meinem Berufswissen fern“ liegen192.

187 Adolf Trendelenburg, Logische Untersuchungen. Zweiter Band. Dritte vermehrte Auflage, Leipzig 1870, S. 93. 188 Adolf Trendelenburg, Logische Untersuchungen. Zweiter Band. Dritte vermehrte Auflage, Leipzig 1870, S. 92. 189 Adolf Trendelenburg, Logische Untersuchungen. Zweiter Band. Dritte vermehrte Auflage, Leipzig 1870, S. 89f. 190 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Erster Band, Leipzig 1877, S. XIf. 191 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Erster Band, Leipzig 1877, S. 100ff. („Die sociale Mechanik oder die Hebel der socialen Bewegung“). 192 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. 75.

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Schon Zeitgenossen sprachen daher von einer „Grenzüberschreitung“ in Jherings Werk.193 Soweit es die Grenzüberschreitung zur Fachphilosophie betraf, hat sich Jhering – wie oben erwähnt – selbst freimütig als fachlicher „Dilettant“194 bezeichnet, ein Wort, das von seinen Kritikern im 19. und 20. Jahrhundert nur zu gern in allzu pauschaler Anwendung aufgenommen wurde.195 Jhering selbst hat dieses Wort vor allem auf seine lückenhafte Kenntnisse neuzeitlicher Philosophie bezogen, die für einen zeitlebens an den „Grundtrieben“196 und „allgemeinen Ideen“197 des Rechts interessierten Gelehrten in der Tat erstaunlich waren und ihn auch große Vertreter der Philosophie erst im Alter entdecken ließen.198 Soweit Jherings „Grenzüberschreitungen“ aber auch nichtrechtliche Sozialnormen einbezogen und zum Beispiel nach „dem Grade ihrer verpflichtenden

193 Felix Dahn, Die Vernunft im Recht, Berlin 1879, S. 218f.: „Wir vermißten den historischen und psychologischen Nachweis, daß sie die […] Begriffe der ‚Gesellschaft‘, des Verkehrs und des Rechts irgendwo und irgendwann in der […] Weise entwickelt haben. […] hat nicht das Werk gerade mit dieser Grenzüberschreitung gethan was recht, ja was unumgänglich war? Durfte denn (methodisch) eine so gewaltige Arbeit auf die Darstellung allein verwendet werden, wie sich die Begriffe des gesellschaftlichen Verkehrs verhalten, ohne dabei die Frage zu berühren, wie sich diese Begriffe entwickelt haben? Das hieße ja an die Stelle der viel mißbrauchten ‚organischen Staatslehre‘ lediglich die Fiction eines ‚Mechanismus‘ der Gesellschaft setzen, von welchem man wieder nicht sagen könnte, wie er denn geworden.“ (Hervorhebungen im Original). 194 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Erster Band, Leipzig 1877, S. VIIf.: „Die Aufgabe […] hat mich auf ein Gebiet versetzt, auf dem ich Dilettant bin. […] Möge sie [sc. die Vertreter der Philosophie] verwerfen oder berichtigen, was der philosophische Naturalist an unreifen Ideen zu Tage bringt.“ 195 So heißt es noch in Jherings Todesjahr im bereits zitierten Nachruf von Ernst Eck, Zur Feier des Gedächtnisses von B. Windscheid und R. v. Jhering. Vortrag gehalten in der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 17. December 1892, Berlin 1893, S. 37 in einer für den Anlass des Vortrags ungewöhnlichen Schärfe: „Nicht minder peinlich aber wirkt die weitere Wahrnehmung, dass in dem Buche ‚Der Zweck im Recht‘ der juristische Meister sich auf einem Gebiet bewegt, auf dem er doch mehr Dilettant als Sachkenner ist und bleibt.“ Vgl. auch Franz Wieacker, Artikel „Jhering“, in: Die großen Deutschen. Deutsche Biographie, herausgegeben von Hermann Heimpel u. a., Band 5, Berlin 1957, S. 331–340 (337) (methodischer „Dilettantismus“) und Christian Helfer, Rudolf von Jhering als Rechtssoziologe. Eine Erinnerung zum 150. Geburtstag, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1968, S. 553–571 (558) („Musterstück eines gelehrten Dilettantismus“). 196 Rudolf Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Erste Abtheilung, Leipzig 1854, § 23, S. 19. Zum Ausdruck „Grundtriebe“ Christoph-Eric Mecke, Begriff des Rechts und Methode der Rechtswissenschaft bei Rudolf von Jhering, Göttingen 2018, S. 277f. Fn. 1359. 197 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Erster Band, Leipzig 1877, S. VIII. 198 So berichtet Christian Helfer, Rudolf von Jhering als Rechtssoziologe. Eine Erinnerung zum 150. Geburtstag, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1968, S. 553–571 (570 Fn. 94) leider ohne weiteren Angaben von einer Notiz Jherings in dessen Göttinger Nachlass über John Locke: „Ich muß zu meiner Beschämung gestehen, daß mir derselbe früher unbekannt war […].“ Vgl. auch die weiteren Hinweise bei Helfer, aaO, S. 563f.

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Kraft […] als Gewohnheit, Brauch und Sitte“199 systematisierten, übrigens ein Ansatz, den Jhering zwar noch nicht als Soziologe des geltenden Rechts, aber als Historiker des altrömischen Rechts durch seine Unterscheidung des in damaliger Zeit juristisch geltenden Rechts und des dagegen nur nach „graduelle[r] Differenz in der Stärke des Pflichtgefühls“200 festzustellenden „thatsächliche[n] Rechts“201 bereits in den 1850er Jahren verfolgte,202 wäre es nach dem zutreffenden Urteil von Christian Helfer aber vermessen, Jhering in einer Zeit, in der sich die Sozialwissenschaften erst im Wissenschaftsbetrieb zu etablieren begannen, als Dilettanten zu bezeichnen: „Es ist nicht fair, Jhering als Philosophen kritisch abzumustern, in einem Fach also, in dem er nicht zuhause war […]. Für Soziologen aber bietet das Material, das er für seine Theorie des Sittlichen erschlossen hat, und oft auch dessen eigenwillige Deutung eine Fülle wichtiger Ansätze. […] Dieser Abstieg vom hohen Gedankenflug des Stubengelehrten in die Niederungen der empirischen Sozialforschung ist in der Tat für einen Juristen seiner Zeit ganz ungewöhnlich gewesen.“203

In der Tat gehören die Pioniere der Rechtssoziologie wie Eugen Ehrlich (1862– 1922) mit seinem Grundlagenwerk zur „Soziologie des Rechts“204 oder auch der – wie Jhering – aus der Historischen Rechtsschule stammende Rechtssoziologe Valtazar Bogisˇic´ (1834–1908)205, der über Jhering hinausgehend bereits sozialempirische Feldforschung mit Hilfe von Fragebögen und Interviews betrieb, 199 Christian Helfer, Rudolf von Jhering als Rechtssoziologe. Eine Erinnerung zum 150. Geburtstag, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1968, S. 553–571 (563). 200 Rudolf Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Erste Abtheilung, Leipzig 1854, § 25, S. 27. 201 Rudolf Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Erster Teil, Leipzig 1852, § 3, S. 17f. (Hervorhebung nicht im Original). 202 Vgl. zum Ganzen Christoph-Eric Mecke, Begriff des Rechts und Methode der Rechtswissenschaft bei Rudolf von Jhering, Göttingen 2018, S. 142–157, 179–182, 636. 203 Christian Helfer, Rudolf von Jhering als Rechtssoziologe. Eine Erinnerung zum 150. Geburtstag, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1968, S. 553–571 (563). 204 Eugen Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, München / Leipzig 1913, S. 11: „Es hat nie eine Zeit gegeben, wo das vom Staate als Gesetz verkündete Recht das einzige Recht gewesen wäre, auch nicht für die Gerichte und andere Behörden, und es war daher immer eine Unterströmung vorhanden, die dem außerstaatlichen Rechte eine entsprechende Stellung zu verschaffen suchte. In der festländischen Rechtswissenschaft ist sie zweimal mächtig zum Durchbruch gelangt; bei den Naturrechtslehrern des XVII. und XVIII. Jahrhunderts und bei den Begründern der historischen Schule, bei Savigny und Puchta. […] Beiden ist es gemeinsam, daß sie nicht blindlings das als Recht hinnehmen, was der Staat ihnen als Recht bezeichnet, daß sie das Wesen des Rechts wissenschaftlich zu ergründen suchen. Beide gelangen dazu, den Ursprung des Rechts außerhalb des Staats zu verlegen : die einen in die menschliche Natur, die anderen in das Rechtsbewußtsein des Volkes. Beide haben ihre Gedanken nicht zu Ende gedacht.“ 205 Stephan Meder, Valtazar Bogisˇic´ und die Historische Schule. Rechtssoziologische und rechtsethnologische Folgerungen aus Savignys Rechtsquellenlehre, in: Spomenica Valtazara Bogisˇic´a / Gedächtnisschrift für Valtazar Bogisˇic´. Band 1, Beograd 2011, S. 517–537 (517f.).

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einer neuen Generation an. Dasselbe gilt für Max Weber (1864–1920), der Jhering während seiner Studienzeit in Göttingen zwar nicht gehört hat, aber in seinem Grundlagenwerk der allgemeinen Soziologie „Wirtschaft und Gesellschaft“ (1921/22 posthum) auf Jherings systematisierende Unterscheidung zwischen Normen des „Brauchs“ und der „Sitte“ kurz eingeht und „die betreffenden Abschnitte aus Jherings ‚Zweck im Recht‘ (Band II) [als] noch heute lesenswert“ bezeichnet.206 Abgesehen von Theodor Schelskys kongenialer Anknüpfung an Jherings Theorie der sittlichen Evolution207 hat die Fachsoziologie Jhering als Vorläufer der Soziologie aber bis heute weitgehend ignoriert und keinesfalls als Ahnherr oder Wissenschaftspionier ihres Faches wahrgenommen.208 Dabei gebe es zumindest wissenschaftsgeschichtlich betrachtet einiges zu untersuchen und zwar auch im so reichen Detail von Jherings Untersuchungen. „An Stoff habe ich es nicht fehlen lassen […]“, schickt Jhering im Vorwort dem ersten Band zum „Zweck im Recht“ voraus.209 Im Vorwort zum zweiten Band lautet es dagegen in einem Anflug von Selbstkritik: „Ob ich nun, wenn man einmal die Aufgabe selber als in den Rahmen meiner Untersuchung über das Sittliche fallend anerkennt, des Guten zu viel gethan habe, ist eine Frage, deren Beantwortung von Seiten urtheilsfähiger Leser ich ohne Bangen entgegensehe. Mit allgemeinen Gesichtspunkten ist bei einer Lehre, die gänzlich erst aus dem Rohen heraus zu gestalten ist, wenig ausgerichtet, es bedarf der Wucht des Materials, um die Gesichtspunkte zu begründen und eindringlich zu machen. Darum habe ich mein Augenmerk unausgesetzt darauf ausgerichtet, an Detail so viel herbeizuschaffen, als ich nur irgend vermochte.“210

206 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Fünfte, revidierte Auflage von Johannes Winckelmann, Tübingen 1985, S. 15. Vgl. aber auch zu nicht nur terminologischen Unterschieden zwischen Weber und Jhering im Hinblick auf die Normen der „Sitte“ Christian Helfer, Rudolf von Jhering als Rechtssoziologe. Eine Erinnerung zum 150. Geburtstag, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1968, S. 553–571. 207 Helmut Schelsky, Das Jhering-Modell des sozialen Wandels durch Recht. Ein wissenschaftsgeschichtlicher Beitrag, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Band 3 (1972), S. 47–86 sowie dazu eingehend Okko Behrends, Das ‚Rechtsgefühl‘ in der historischkritischen Rechtstheorie des späten Jhering. Ein Versuch zur Interpretation und Einordnung von Jherings zweitem Wiener Vortrag, in: Rudolf von Jhering, Ueber die Entstehung des Rechtsgefühles mit einer Vorbemerkung und einem anschliessenden Interpretationsund Einordnungsversuch von Okko Behrends, Napoli 1986, S. 55–184. 208 Ungeachtet dessen ist Jhering nach Christian Helfer, Jherings Gesellschaftsanalyse im Urteil der heutigen Sozialwissenschaft, in: Franz Wieacker / Christian Wollschläger (Hrsg.), Jherings Erbe. Göttinger Symposion zur 150. Wiederkehr des Geburtstages von Rudolph von Jhering, Göttingen 1970, S. 79–88 (79) zu den „Founding Fathers“ der Soziologie zu zählen. 209 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Erster Band, Leipzig 1877, S. VIII. 210 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. XIIIf.

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Die akribische Sammlung von „Detail[,] so viel“ als „ich nur vermochte“, erfolgte bei Jhering aber selbstredend noch ausschließlich am Schreibtisch und war – was den Zugriff und die Auswahl des Materials angeht – ein zeit- und milieubedingt beschränkter Blick auf die „reale“ Welt. Dieser Blick drang nur soweit in die von Jhering sogenannten „niedersten Regionen des täglichen Lebens“211 vor, als dies für einen gut situierten Professor seiner Zeit schicklich war, also ungefähr bis zur Ebene der Kutscher und Kellner. In diesen Kreisen soll übrigens Jherings in einer populären Monatsschrift veröffentlichte Studie zum Trinkgeld212 „bekannt gewesen“213 sein, vielleicht auch gerade deswegen, weil sie weniger eine soziologische Untersuchung zur Sitte als zu einer von Jhering empfundenen „Un-Sitte“, also Ausdruck eines persönlichen Ärgernisses war.214 Bei dem nach Jherings eigenen Worten „Tappen und Tasten“ auf dem „unbekannten Terrain“215 der „realen Welt“216, die – davon war Jhering zeitlebens überzeugt – das Sittliche, nämlich die bewusste Selbstbeschränkung der Gewalt durch Recht und Moral, im Laufe der Zeiten notwendigerweise hervorbringt, erkundigt sich Jhering zwar durchaus auch bei Kollegen anderer Fachrichtungen – möglicherweise aber bei den Falschen, so etwa im Falle der Untersuchung des Ursprungs der Umgangsformen beim Leipziger Sinologen Hans Georg Conon von der Gabelentz oder beim Budapester Altphilologen Emil Thewrewk von Ponor217. Sie konnten fachlich fundierte Auskunft geben über die etymologische Genese von Begriffen, nicht aber über soziale Wirkungsmechanismen der Gegenwart. Hier blieb Jhering doch der Historiker, der auch die Erklärung des Gegenwärtigen in den – hier sprachlich-etymologischen218 – Ursprüngen der Vergangenheit suchte.

211 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. XIII. 212 Rudolf von Jhering, Das Trinkgeld, in: Westermann’s illustrierte deutsche Monatshefte. Ein Familienbuch für das gesamte geistige Leben der Gegenwart, LII (1882), S. 83–100. 213 Christian Helfer, Rudolf von Jhering als Rechtssoziologe. Eine Erinnerung zum 150. Geburtstag, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1968, S. 564. 214 Treffend Christian Helfer, Rudolf von Jhering als Rechtssoziologe. Eine Erinnerung zum 150. Geburtstag, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1968, S. 564 zu der „in den Begriff [sc. der Unsitte] gebrachte[n] Wertung“, durch die dieser Begriff „nicht nur unnötig subjektiv belastet [wurde], sondern Jhering auch verführt worden [ist], aus der nüchtern soziologischen Betrachtung auszubrechen und mit dem harten Maßstab der Unsitte zumal Verhaltensweisen abzustrafen, die ihm persönlich Ärgernis erregten.“ 215 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. XV. 216 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. XXII. 217 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. 384 Anm.* 218 Nach Christian Helfer, Jherings Gesellschaftsanalyse im Urteil der heutigen Sozialwissenschaft, in: Franz Wieacker / Christian Wollschläger (Hrsg.), Jherings Erbe. Göttinger Symposion zur 150. Wiederkehr des Geburtstages von Rudolph von Jhering, Göttingen 1970, S. 79–88 (87): „[…] an die Arbeiten älterer Etymologen erinnernd, die von der Sirene des Gleichklangs sich zu haltlosen Ableitungen verführen ließen.“

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Zwar hat Jhering auch auf Gebieten Material gesammelt, die nur wenige Jahre später tatsächlich Gegenstand der Untersuchungen von bekannten Mitbegründern der Soziologie wurden. Zu nennen wären zum Beispiel auf dem Gebiet der Mode, mit der sich Jhering im erstmals 1883 erschienenen zweiten Band seines Werks „Der Zweck im Recht“ beschäftigt,219 die Untersuchungen von Werner Sombart „Wirtschaft und Mode“ (1902)220 oder Georg Simmels „Philosophie der Mode“ (1905)221. Eine Nachwirkung Jherings oder auch nur ein Hinweis auf Jhering ist hier aber nicht zu festzustellen. Selten haben Begründer der Fachsoziologie auf Jhering verwiesen, und wenn sie es getan haben, dann so wie der vorzitierte Max Weber nur sehr allgemein. Einen möglichen Grund und auch in Jherings Zeit bereits erkennbaren Einwand gegen seine frühsoziologischen Ansätze hat dieser – allerdings ungewollt – selbst angesprochen, wenn er 1883 schreibt, ihm sei es darum gegangen „an Detail so viel herbeizuschaffen, als ich nur irgend vermochte, nicht, weil ich letzterem als solchem einen Werth beigelegt hätte, sondern weil und insofern es Zeugniss ablegt für die Richtigkeit der von mir aufgestellten allgemeinen Gedanken“222, von denen er „aufs festete überzeugt“ war,223 nämlich der Zweckbedingtheit aller sozialen Normen im Sinne einer „in großartig-monomaner Übersteigerung auf nur eine normerzeugende Kraft reduzierte Theorie der Rechtsentstehung“224. Jhering suchte nach eigenem Bekunden bis zur physischen Erschöpfung im „Kleinen und Kleinsten“225 tatsächlich nur Material, das zu seiner These, „dass der Zweck alles gemacht hat“226, passte oder eben passend gemacht wurde. Die Soziologie ist da im 20. Jahrhundert vorsichtiger geworden.227 219 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. 227–238 („Die Mode“), S. 307–325 („Die Tracht“). 220 Werner Sombart, Wirthschaft und Mode. Ein Beitrag zur Theorie der modernen Bedarfsgestaltung Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens. Einzel-Darstellungen für Gebildete aller Stände. Zwölftes Heft, Wiesbaden (J. F. Bergmann) 1902, S. 1–23. 221 Georg Simmel, Philosophie der Mode, in: Moderne Zeitfragen, Nr. 11, herausgegeben von Hans Landsberg, Berlin o .J. (1905), 5–41, wieder abgedruckt in: Georg Simmel, Philosophische Kultur. Gesammelte Essais, Leipzig 1911, 29–64. 222 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. XIV. 223 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. 98. 224 Christian Helfer, Rudolf von Jhering als Rechtssoziologe. Eine Erinnerung zum 150. Geburtstag, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1968, S. 553–571 (562) im Anschluss an die zeitgenössische Kritik von Felix Dahn (in nachstehender Fußnote): „Der Vorwurf scheint nicht unbegründet, daß im wesentlichen nur an die Stelle des bekämpften Mythos organischer Rechtsentwicklung ein anderer, der des Zwecks, gesetzt ist. Um den Nachweis zu versuchen, dass das Recht eine reine Zweckschöpfung sei, hätte Jhering aus einem großen ethnographischen und rechtshistorischen Material geduldig die in der verwirrenden Fülle von Kausalabläufen als wiederkehrend erkennbaren Normbildungsprozesse isolieren und auf typische Verursachungen hin untersuchen müssen.“ 225 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. XIII. 226 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. XVII.

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4.

301

Schluss

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Jhering, der zeitlebens wie die meisten Gelehrten seiner Generation noch von einem einheitlichen Wissenschaftsbegriff für alle damals bekannten Fachwissenschaften ausging, sich lebenslang als Wissenschaftspionier verstanden hat. Allerdings haben sich im Laufe seines Lebens die Wissenschaftsgegenstände, denen er im Sinne des Wissenschaftsparadigmas der zeitgenössischen Naturwissenschaften hinreichend Forschungspotential beimaß, grundlegend geändert. In den 1850er Jahren war es noch das Gebiet der Rechtsdogmatik, auf dem er zunächst glaubte, auch jenseits der zukunftsweisenden erneuerten juristischen Hermeneutik Savignys eine wissenschaftliche „höhere“ Jurisprudenz durch Anwendung der „naturhistorischen“ Methode auf die Welt des Geistes etablieren zu können. Als er 1858/59 erkannte, dass wissenschaftliche Wahrheit nicht einmal ein Mindestmaß an Richtigkeit im Sinne inhaltlicher („substantieller“) Gerechtigkeit garantiert und daher immer noch der nachfolgenden nicht wissenschaftlich individualisierbaren Kontrolle bedarf, verlegte er seinen Entdeckerfokus wieder von Begriffen auf Normen. Allerdings tat er dies nicht – was nach seinen Umschwung von einer wissenschaftsgläubigen zu einer wissenschaftskritischen Haltung in der Rechtsdogmatik nahegelegen hätte – durch eine etwa an Savigny anknüpfende Theorie der juristischen Hermeneutik zur Anwendung von Rechtsnormen im Einzelfall. Stattdessen unternahm er wieder auf die Quellen des Rechts zurückgehend den Versuch eines Nachweises seiner These von der Zweckbestimmtheit aller Inhalte von Rechtsnormen, später auch nichtrechtlichen Sozialnormen. Die Zeit war offenbar noch nicht reif für eine Erneuerung der juristischen Hermeneutik. Wenn Jhering gegen Ende seines Lebens öffentlich feststellte, dass er die Luft seiner „Zeit eingeathmet“ habe, „ohne im Stande gewesen zu sein, über jeden Athemzug Buch zu führen“, dann war das gerade in seinem Fall wohl mehr als nur ein banaler Allgemeinplatz. Offenbar hat er gespürt, dass er mit beiden sich abwechselnden Forschungsfokussen zunächst auf den Rechtsbegriffen und später auf der Genese von Rechts- und Sozialnormen in seinem Wissenschaftsleben tatsächlich selbst jeweils einen „Punkt“ in der Wissenschaftsgeschichte bildete, in dem – wie es Jhering in Bezug auf sich selbst formulierte – „der Gedankenstoff der Zeit vorübergehend persönliche Gestalt angenommen“ hat.228

227 Christian Helfer, Jherings Gesellschaftsanalyse im Urteil der heutigen Sozialwissenschaft, in: Franz Wieacker / Christian Wollschläger (Hrsg.), Jherings Erbe. Göttinger Symposion zur 150. Wiederkehr des Geburtstages von Rudolph von Jhering, Göttingen 1970, S. 79–88 (86). 228 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1883, S. 172f.

Autorenverzeichnis

Professor Dr. Dr. h.c. Okko Behrends (Göttingen) Professor Dr. András Földi (Budapest / Ungarn) Professor Dr. Tomasz Giaro (Warszawa / Polen) Dr. Benjamin Herzog (Berlin) Professorin Dr. Viola Heutger (Aruba / Niederlande) Dr. Michael Kunze (Hamburg) Professor Dr. Marcos Augusto Maliska (Curitiba / Brasilien) ao. Professor Dr. Christoph-Eric Mecke (Zielona Góra / Polen) Professor Dr. Stephan Meder (Hannover) Professor Dr. David M. Rabban (Austin / USA) Professor Dr. Anton Rudokvas (Staatliche Universität St. Petersburg / Russland)

Personenregister

Andrade, Christiano José de 136 Arnold, Wilhelm 289f. Assen, Mynheer van 7, 37, 39–42, 46, 51 Barreto, Tobias 113–118, 120f., 123–125, 134 Bekker, Ernst Immanuel 67, 79, 83, 176f. Biermann, Mihály 73f., 84 Bismarck, Otto von 19, 21, 59f., 63f., 66– 68, 183 Boneval Faure, R.T.H.P.L.A. van 28f., 43, 47, 49 Djuvernua, Nikolaj 103f. Drucker, Hendrik Lodewijk Fuller, Lon

35f.

147, 163–165, 233

Gény, François 133, 135, 138 Glaser, Julius 59f., 279 Goudsmit, Joël Emanuel 42f. Gratama, Bernard Jan 37, 46f., 54 Häckel, Ernst 292–295 Hamel, Gerardus Antonius van 28f. Hebbel, Friedrich 11f., 22, 198 Hingst, Sybrand Jan 25, 30, 32–34, 39, 47, 49 Hobbes, Thomas 178f., 183 Hoeven, Amorie van der 32 Jhering, Hermann von 113, 118, 120 Jhering, Rudolph Georg Albrecht 26

Kant, Immanuel 69, 117, 130f., 153f., 168f., 174, 178f., 183, 207, 268 Kantorowicz, Hermann U. 163, 165, 172, 174, 201, 247 Kessler, Friedrich 147, 163, 165 Kirchmann, Julius Hermann von 62, 244, 266–277 Kohler, Josef 131f., 135f., 138 Langdell, Christopher Columbus 175 Larenz, Karl 95, 128, 132f., 139, 173 Leuckart, Rudolph 118, 278f. Liebig, Justus von 269, 277–279 Maximiliano, Carlos 127, 135–138, 140 Molengraaff, Willem Leonard Pieter Arnold 35 Muromtsev, Serghej 104f. Nizsalovszky, Endre

88f.

Petraz˙ycki, Leo von 67–69 Pólay, Elemér 72, 78–82, 84, 86, 88–92, 95 Pound, Roscoe 85, 92, 95, 147, 157–163, 165, 174, 240 Puchta, Georg Friedrich 12–14, 17, 19, 57, 72, 83, 92, 128, 148, 152–154, 177f., 180, 185, 188–193, 195–197, 202, 207f., 213f., 216, 221f., 224, 229f., 242, 251, 263f., 268, 273, 281f., 284–287, 297 Pufendorf, Samuel von 178, 183 Reuter, Wilhelm

11–13, 200

306 Romero, Silvio

Personenregister

113, 120

Savigny, Friedrich Carl von 7, 12–14, 27, 31–34, 40, 47, 49, 51, 57f., 68f., 72f., 78– 80, 82–85, 91, 95, 101, 103f., 122, 128, 130–134, 143, 148, 150, 152–154, 158, 167f., 172, 176–180, 183, 186, 188–190, 193, 195, 202–208, 213–215, 219, 226, 229f., 237, 247, 251–253, 261, 264, 285– 289, 297, 301 Scholten, Paul 31, 36 Stucˇka, Petr 106 [Szászy]-Schwarz, Gusztáv 26, 71, 73–85, 88–95

Tenorio, Oskar 139f. Thomasius, Christian 178 Treitschke, Heinrich von 58, 64f., 288 Trendelenburg, Friedrich Adolf 290–295 Virchow, Rudolf

266, 278–280

Wall, Mynheer de 40 Wendell Holmes, Oliver, Jr. 147, 153, 165, 175, 239 Windscheid, Bernhard 9, 17, 19f., 22, 33, 40f., 49f., 59f., 74, 82, 87f., 95, 118, 128, 148f., 153f., 176f., 257–260, 262, 273, 296

Sachregister

Abstraktionsprinzip 252 Adamitismus 189, 207 Aussagenlogik 212 Begriffsbildung in der Pandektistik 247, 250 Begriffsjurisprudenz ( jurisprudence of conceptions) 57, 66, 88, 128, 136, 172, 174, 258f., 263 Classical Legal Thought 175f. Communist law 109f. Critical Legal Studies 164, 175 Darwinismus 82, 116, 121, 293f. Direito Civil–Constitucional 141f. Estado Novo 137 Etatismus 185, 207 Evolucionismo Teleológico

135

Forscher 89, 265, 275, 278, 284 Freirecht 132, 172, 186, 238f. Freirechtsschule 132, 168, 172, 238 Fülle der Zeit 215 Gefahrtragung beim Kauf 18, 58, 86, 198– 200, 202, 208–210 Geist des römischen Rechts 13f., 16–18, 21f., 25, 32, 40, 61, 65, 71, 84, 99, 130, 170f., 183, 185–188, 216f., 227, 230, 235, 240, 248, 257–260, 263–266, 276, 279– 283, 285f., 296f.

Genealogie der Begriffe 185, 189–191, 195–197, 224, 229 Genußtheorie 186, 226 Gerechtigkeit, substantielle 259, 281f., 301 Gesellschaft 11, 18, 20, 22, 28, 63, 84, 121, 123f., 135, 138, 140f., 181, 189, 203, 220, 229, 262, 267, 286–289, 296, 298 Gettysburg address 204 Gewaltenteilung 140 Götterfrieden 205, 242 Gründungsmythos 204 Interesse(n) 9, 12, 14f., 20, 30f., 76, 80, 86f., 115, 119, 121, 123f., 130, 138f., 186, 202, 207, 222–235, 238, 240f., 243, 275, 279, 283–290 Interessentheorie 86–90, 231, 240 jurisprudence of conceptions 158, 162, 174 Jurisprudential Formalism 167–169, 171f. Jurisprudential Hermeneutics 179 Jurisprudenz des täglichen Lebens 30, 35f., 73f., 124 Jurisprudenz, produktive 14, 258 Kampf um’s Recht 28, 51, 121f., 221, 231, 286–288 Kausalität 294 Kausaltheorie (beim Besitz) 78 Klassenlogik 212 legal realism 238

147, 161–163, 165, 186, 236,

308

Sachregister

Legal Tech 180–182 Linguisten 84, 278 Logik 18f., 31, 135f., 172, 186f., 201, 211– 213, 217, 219, 226, 230, 232, 238f., 244– 246, 248, 257, 259, 282 Methode, historisch-evolutive 132 Methode, naturhistorische 260, 263, 266, 274, 281f. Militärdiktatur 140 monarchical principle 62 Monismus 116f., 293 Naturalismus 225, 293 Natur des Rechts 19, 203 Naturwissenschaft 71, 82, 122, 124, 261– 263, 265, 268–270, 273–280, 284, 288, 292, 301 nineteenth-century American legal scholars 147 Ordenações Filipinas

134

Pandektenpraktika 74f., 81 Pandektistik 20, 72, 78, 83, 85, 89–92, 128, 136, 178, 250, 257, 259, 263, 276 Realjurisprudenz 66f. Rechtsgefühl 18, 187, 194, 199–201, 207f., 211, 216, 230f., 245, 249, 254f., 298 Rechtsinstitut 190, 195f., 203, 208, 232, 258, 264, 285 Rechtskörper 185, 191, 195–197, 230, 249, 255 Recife-Schule 113f., 116, 120, 134 Roman law 57, 61, 65, 99, 103f., 106f., 150, 153–156, 158f., 164, 178, 248

Schule, historisch-evolutive 136, 140 self-limitation of power 63 separation of powers 62f., 65 Socialist Revolutionary Party 102 sociological jurisprudence 147, 157–159, 161f., 165, 240 Sozialnormen 260, 283, 290, 293, 295f., 301 summum ius summa est iniuria 169 Teleologie 58, 69, 81, 85, 89f., 95, 129–132, 135f., 139, 143, 150, 158, 179, 292, 294 theory of contract law 163 theory of law 102, 105f., 110f., 147, 158, 175f. Trinität 197, 206 Umschwung Jherings 57, 66, 89, 185f., 188, 198, 200, 202, 208, 214, 216f., 229, 231, 235, 244, 247–249, 273f., 277, 284, 301 Volk 189f., 192f., 202, 204, 206, 215, 223, 243, 268, 270–272, 285, 287–289, 297 Weltanschauung, monistische 121 Wissenschaftsparadigma 263, 269f., 273– 275, 277f., 301 Zweckdenken 130–132, 136, 291 Zweck im Recht 21–23, 31, 35f., 43, 50f., 61, 73, 97f., 122f., 130, 139, 150f., 167, 173, 175, 185, 231f., 242, 244, 259–262, 266, 278, 280–284, 288, 290–292, 294– 296, 298–301

Beiträge zu Grundfragen des Rechts Herausgegeben von Stephan Meder

Die drei Grundfragen des Rechts, die vor gut zweihundert Jahren der Rechtsgelehrte Gustav Hugo formulierte – »Was ist Rechtens?«, »Wie ist es Rechtens geworden?« und »Ist es vernünftig, daß es so sey?« – stellen sich bis heute. Die Frage nach dem geltenden Recht zielt heute nicht nur auf dessen Prinzipien und Regeln, sondern auch auf das Verhältnis von Gesetz und Recht, juristischer Geltung und sozialer Wirklichkeit. Die Frage nach der Geschichte des Rechts betrifft auch das sich wandelnde Verhältnis zwischen den Rechtsquellen sowie das Verhältnis von Tradition und Gegenwartsbezug der Rechtsinhalte. Die Frage nach den richtigen Inhalten des Rechts bezieht sich heute vor allem auf das rechtliche Verhältnis zwischen der größtmöglichen Freiheit des Einzelnen und dem notwendigen Mindestmaß sozialer Gleichheit und Gemeinwohlbindung des Rechts. So sind die Grundfragen des Rechts niemals von lediglich theoretischer Bedeutung, sondern haben einen unmittelbar praktischen Bezug zur Rechtsentstehung, Rechtsauslegung und Rechtsanwendung. Antworten auf diese Fragen versuchen aus unterschiedlichen Perspektiven die Beiträge dieser Reihe zu geben. Weitere Bände dieser Reihe: Band 41: Robin Leon Gogol Kolonialrecht und Provenienzforschung Untersuchung einer kamerunischen Federkrone 2023, 217 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8471-1630-1 Band 40: Stephan Meder (Hg.) Geschichte und Zukunft des Urheberrechts III 2022, 278 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8471-1453-6 Band 39: Susanne Beck / Stephan Meder (Hg.) Jenseits des Staates? Über das Zusammenwirken von staatlichem und nicht-staatlichem Recht 2021, 230 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8471-1367-6 Band 38: Christian Holzmann Die »Fehleridentität« bei der Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums unter besonderer Berücksichtigung des Insolvenzverfahrens 2022, 211 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8471-1359-1 Band 37: Janina Schaffert Der familienrechtliche Ausgleichsanspruch Die Geschichte einer Fehlkonstruktion 2021, 200 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8471-1257-0 Band 36: Christoph Sorge Abhängige Autoren Rechtsdiskurse um angestellte und arbeitnehmerähnliche Urheber in der Weimarer Republik – ein Blick zurück nach vorn 2020, 161 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8471-1213-6

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