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German Pages 110 [116] Year 1943
G e r h a r d Wolfgang Lüdtke
Irgendwer irgendwie irgendwo in d e r w e i t e n
Welt
Friederichsen, de G r u y t e r & Co Hamburg • 1943
Jnhalt Zum Geleit
i
In den Abruzzen
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Tempel in Segesta
n
Fischer am Ägäischen Meer
17
Fahrt nach Toulouse
25
. . . .
Pierre
35
Kartoffeln auf Korsika . . . .
43
Auktion in Toronto
53
In einer Kirche
59
Charles in Rochester
. . . .
63
Die Augen
67
Er will mich bekehren . . . .
71
Zwischen zwei Welten . . . .
75
Ann
83
Im Imperial-Hotel in Tokio.
.
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Charbin
97
Pionier L
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Zum Qeleit
er Gedanke, die in diesem Buche zusammengefaßten Reiseskizzen zu veröffentlichen, hat mich anfangs erschreckt. Mein Buch »Und Wagen rollen vorbei«, das der Rahmen für einen Teil meiner Erlebnisse in den U S A war, hat aber eine so freundliche Aufnahme gefunden, daß ich mich entschloß, ihm diese Skizzen folgen zu lassen. Sie haben sich von selbst ergeben. Ich hatte das Glück, als Student der Geographie fremde Länder sehen zu können, nicht als Reisender, der reichlich mit Geldmitteln versehen ist, sondern »auf der Walze«. Auf meinem treuen Rad durchquerte ich Frankreich bis zur Riviera, um teils zu Fuß, teils als Mitfahrer freundlicher Autobesitzer nach Paris zurückzukehren. Im März 1938 fuhr und wanderte ich durch Italien bis nach Sizilien, um von Genf aus, wo ich ein Semester studierte, dieses schöne Land noch einmal und auch Korsika zu besuchen. Dann folgte mein Aufenthalt in den U S A als Austauschstudent, und nachBeendigung der Semester war ich wieder »auf der Walze« als »hitchhiker«, der sich einen Arbeitsplatz sucht. I
Lüdtke, Irgendwer
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Diese »Abenteuer«, wenn ich sie so nennen darf, sind eben in dem Buch »Und Wagen rollen vorbei« zusammengefaßt. Nach der Rückkehr aus den U S A über Japan und Rußland wurde ich Soldat und sah als solcher Griechenland. Wenn ich nun jeweils nach der Rückkehr in die Heimat am wohlgedeckten Tisch zu Hause saß, so erzählte ich natürlich von meinen Erlebnissen, und es ergab sich immer wieder, daß einige davon eine besondere Spannung in sich trugen und gern gehört wurden. Diese schrieb ich, um sie selbst nicht zu vergessen und in ihrer Lebendigkeit in der Erinnerung zu behalten, auf. Hier sind sie in einer Auswahl. Ich habe auch hier darauf verzichtet, davon zu sprechen, welche tiefen und bleibenden Eindrücke mir die Kunstwerke gaben, die ich in so großer Fülle gesehen und genossen habe. Ich schildere Menschen, denen ich begegnet bin, und die auf mich als solche wirkten, oft einfache Menschen, die mit der Not des Lebens ringen und über ihren engen Lebenskreis nicht hinaussehen. Dieses Buch ist in erster Linie für junge Menschen bestimmt, die das Abenteuer suchen und lieben. Es soll ihnen zeigen, daß man es nur erleben kann, wenn man den Mut hat, sich hineinzustürzen und dann die Fülle der Eindrücke auf sich wirken zu lassen. 2
Mit Bedacht habe ich der Abrundung wegen auch einige Skizzen, die in den USA spielen, hineingenommen, und solche, die sich aus den Beobachtungen auf der Rückreise von dort ergeben haben. Gerhard Wolfgang Lüdlke
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Jn den
oAbru^en
ie Bahn pustet in die Berge hinein, quert kleinere Bergrücken von einem Tal zum anderen, klettert manchmal an Hängen empor, um dann schleunigst wieder in das bequemere Tal hinabzusteigen. Kleine, enge Täler wechseln ab mit großen, in denen Flüsse dahinziehen. Langsam dringen wir in das Innere der Abruzzen vor, ins »Land der Räuber«, wie ich mich erinnere. Aber diese friedlichen kleinen Städte, die sorgsam bebauten Felder mit ihren dazwischen verstreuten Obstbäumen machen keinen wilden Eindruck, und ich freue mich der Ruhe und Sicherheit, die dieses Land atmet. Auf kleinen Vorhügeln der dahinterliegenden Berge hängen immer wieder Bauerngehöfte, Schlößchen und Festungen, manchmal umgeben von einer Ansammlung von Häusern, manchmal nicht. Fern von jeglichem Verkehr liegen sie da oben. Wie mühsam muß es sein, Tag für Tag und Jahr aus, Jahr ein dort hinauf- und herabzusteigen, ins Tal auf die Felder und vielleicht ins nächste Dorf. Dicht an die hohen Berge gedrängt, gehören sie mehr zu 5
jenen als zum Tal, betonen sie irgendwie, daß sie mit den Bergen verwachsen sein wollen. Von ihren Hochsitzen, den kleinen Nestern, schauen die Menschen hinunter ins Tal, ihr Tal, das sie beherrschen mit ihrer Hände Arbeit, in dem sich das Flüßchen ein wenig hilflos in seinem viel zu breiten Bett dahinschlängelt. Woher nur all das Wasser nehmen, um überall hinzukommen, um all die Steine mitzunehmen, sie zu bespülen, die Steine, die das Flußbett gegenüber der Landschaft erst kenntlich machen! Aber auch seine Zeit würde kommen, im Frühjahr, und dann würde es wieder vor Ubermut nicht wissen, was mit all den Wassern anfangen! Man kann dem Spiel dieses Flüßchens, das die Bahn fast ununterbrochen begleitet, immer zuschauen, wie es sich durch engere Passagen zwängt, plötzlich ein paar Stufen hinunterspringt und dann seine Eile schnell vergißt, um anscheinend sehr viel Zeit zu haben, bis es zum Meere gelangt. Plötzlich wird es knallrot, und, wie tun seinen gelungenen Streich auszukosten, einmal eine andere, eben knallrote Farbe anzunehmen, sonnt es sich behäbig, inmitten einer saftig grünen Landschaft, zwischen flach abfallenden Uferhängen. Es braucht ja nicht jeder zu wissen, daß es die Farbe den Abwässern einer chemischen Fabrik entliehen hat. Bald sehe ich den ersten Schnee, und die Bahn fährt in das Tal von Sulmona, meinem Ziel. — 6
Ich habe die Stadt bald aus den Augen verloren und wandere durch das Tal von Sulmona, den Bergen zu. Ich bin allein und genieße dieses Alleinsein, streife die Erinnerung an das Treiben und geschäftige Hin und Her der Städte langsam von mir ab. Ich bin froh, nur noch schauen zu dürfen, in die Berge, zurück ins Tal, auf die Felder, die kümmerlichen Blumenbüschel am Wegesrand. Ich habe Zeit. Nichts treibt mich, nichts erwartet mich eigentlich, und ich schlendere in den Tag hinein. Die ersten Bauern sind schon auf den Feldern. Nur hie und da einer. Sie reinigen das Feld von Steinen, schichten sie auf einen Haufen, werfen sie auf den Weg, so den ganzen Tag lang. Immer dichter liegen die Steinhaufen herum, und noch immer sieht das Feld aus, als ob es eben erst Steine geregnet hätte. Die Arbeit wird nicht viel Freude machen, denn sie scheint mir so zwecklos. Langsam, ohne Hast schreiten die Bauern gebückt über das Feld. Von Zeit zu Zeit richten sie sich auf — der Rücken schmerzt — schauen in die Berge oder drehen sich nach dem Himmel. Wie spät wird es sein? Gibt es Regen? Sie wiegen einen Stein in ihren Händen und sehen stumm und bewegungslos zu mir herüber. Sie bücken sich wieder zu ihren Steinen. Bald müssen sie ja pflügen. Die kleinen Eselchen warten geduldig auf den Abend. Stundenlang stehen sie fast unbeweglich. 7
Ihr Blick scheint mir traurig, aus kleinen, matten, wäßrigen Augen blinzeln sie mir zu, wenn ich sie zu streicheln versuche. Mir ist, als ob sie darauf warten, und sie trippeln doch zur Seite, wenn ich die Hand nach ihnen ausstrecke. Sie sind Teil des Wesens der Landschaft mit ihren Steinen, die das Arbeiten schwer machen und die Pflüge zerbrechen. Langsam fuhrt der Weg nun in die Berge. Ein Schäfer hockt bei seinen Schafen. Er sieht mir ruhig nach. Plötzlich, ganz unvermittelt stapfe ich durch Schnee. Kleine, kahle Bäumchen strecken ihre armseligen Äste in den Weg. Winter! Alles strahlt Kälte aus. Nur die Sonne steht unverändert, doch wärmt sie nicht mehr. Ich kann von hier aus das ganze Tal überblicken und sehe jetzt so recht, wie schwer jedes Fleckchen Acker dem Berg entrissen ist. Nur die unmitelbare Talsohle erlaubt Felder, hie und da reckt sich ein Stück Feld den Hang hinauf, fallt aber gleich wieder zurück ins Tal. Weiter oben weiden Ziegen auf einem Stückchen Grün. Jetzt fuhrt der Weg über die Kuppe und entzieht mir den Blick in die Vorfrühlingslandschaft. Ich stapfe weiter, Campo de Giove zu, für Stunden vor mir nur blendendes Weiß, unterbrochen von einigen kärglichen Flecken Grün oder Grau. Ich begegnete keinem Menschen, und nichts ließ eine Gefahr von herumlaufenden Wölfen ahnen, 8
deren Vorstellung mir ein AbruzzenjOngling, da er mein Begleiter sein wollte, eingepflanzt hatte. Hoch oben, dicht unter dem Grat, kam mir ein Schäfer entgegen, so zu schließen aus seinem Überwurf, seiner Pelzmütze und seinen hohen Stiefeln. Er mag aber auch sein Leben einem anderen Beruf verschrieben haben. Mich interessierte nur, ob er mir durch Streichhölzer den Genuß einer Zigarette verschaffen könnte. Mit gleichgültiger Miene bot er mir das erbetene Feuer und verbarg seine Arme wieder unter seinem Umhang. Meine weitere Frage nach dem Weg und dem nächsten Bahnhof aber ließ ihn größeres Interesse an mir gewinnen, denn mein Italienisch klang doch sehr nach einem Lehrbuch. Als ich dann noch bejahte, ein »Tedesco« zu sein, versteinerten sichseine Züge plötzlich, nahmen einen kämpferischen, herrischen Ausdruck an, und, nachdem er umständlich seine Hand wieder zum Vorschein gebracht hatte, streckte er sie mir mit einem Kopfwerfen entgegen und sprach langsam und feierlich: »Deutschland und Italien sind befreundet. Dieser Bund wird niemals gebrochen werden. Wir werden uns die Treue halten«. Er sprach das, als wenn hinter ihm die ganze Nation stünde, und ich hörte das Volk Italiens jubeln und schreien und die Aussage ihres einsamen Vertreters bekräftigen. Es war nur ein ärmlicher Schä9
fer, aber seine Haltung war die eines mächtigen Hemchers. Er drückte mir noch einmal die Hand, sah mir fest in die Augen und ging von dannen. Ich setzte meinen Weg fort und hatte nach einiger Zeit auch Gelegenheit, meinen Zigarettenvorrat in Campo de Giove aufzufrischen. Dies kleine Dörfchen lag hoch oben am Hang, machte in seiner Ärmlichkeit den Eindruck, als ob es von dort herunterrutschen wollte, und paßte doch so gut wieder zu dem Eindruck, den ich von den steinigen Feldern mitgebracht hatte. »Wovon leben diese Menschen?«, fragte ich mich immer wieder, denn diese paar Schafe und dieses bißchen Erde können doch keine Lebensgrundlage bieten. Ich beeilte mich, den nächsten Zug nach Sulmona zu nehmen.
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