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German Pages 314 [315] Year 2023
Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 343
Insolvenzbezogene Pflichten von Unternehmensleitung und Beratern nach der sog. Restrukturierungsrichtlinie RL (EU) 2019/1023 und dem StaRUG
Von
Helge Krüger
Duncker & Humblot · Berlin
HELGE KRÜGER
Insolvenzbezogene Pflichten von Unternehmensleitung und Beratern nach der sog. Restrukturierungsrichtlinie RL (EU) 2019/1023 und dem StaRUG
Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 343
Insolvenzbezogene Pflichten von Unternehmensleitung und Beratern nach der sog. Restrukturierungsrichtlinie RL (EU) 2019/1023 und dem StaRUG
Von
Helge Krüger
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat diese Arbeit im Jahre 2021 als Dissertation angenommen.
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© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI Books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 978-3-428-18658-7 (Print) ISBN 978-3-428-58658-5 (E-Book)
Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Meiner Familie
Vorwort Diese Arbeit will die nationale Debatte um insolvenzbezogene Geschäftsleiterpflichten um eine europarechtliche Perspektive ergänzen. Ausgangspunkt der Betrachtung ist stets die sogenannte Restrukturierungsrichtlinie. Die europarechtliche Perspektive führt zu neuen Ansichten bei Fragen wie dem Umfang der Berücksichtigung von Gläubigerinteressen bei Geschäftsleiterpflichten und der Anwendung des Überschuldungstatbestandes auf Rechtsträger mit natürlichen Personen als Vollhafter. Das Interesse an dem Thema entstand Ende 2018 während einer Station als Referendar bei einer Einheit der Generaldirektion Justiz der Europäischen Kommission in Brüssel, welche die Restrukturierungsrichtlinie maßgeblich verantwortete. Ich danke Herrn Prof. Dr. Stefan Smid für die Betreuung der Arbeit und das Erstvotum. Herrn Prof. Dr. Mark Zeuner danke ich für das Zweitvotum. Größter Dank gilt meiner Frau, die mich immer motivierte und mir die Freiräume schuf, diese Arbeit fertig zu stellen. Ihr ist diese Arbeit ebenso gewidmet wie unseren beiden Söhnen. Ebenso danke ich meinen Eltern, die durch ihre Unterstützung diese Dissertation mit möglich gemacht haben. Die Arbeit wurde im April 2021 als Dissertation bei der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel eingereicht. Das Rigorosum fand am 4. Februar 2022 statt. Kiel, Dezember 2022
Helge Krüger
Inhaltsverzeichnis A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Forschungsziel und Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Die Umsetzung des präventiven Restrukturierungsrahmens durch den deutschen Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 III. Die Begriffe der Restrukturierung und Sanierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung nach der Restrukturierungsrichtlinie und dem StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I. Adressat der Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Begriff des Schuldners in der Restrukturierungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . 25 a) Unternehmerisches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 b) Unternehmerische Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 c) Weitere Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Der „Schuldner“ im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 a) Allgemeine Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 b) Einzelunternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 c) Juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 aa) Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 bb) Vereine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 cc) Genossenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 dd) Stiftungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 ee) Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 ff) Juristische Personen des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 d) Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit/Gesamthandsgemeinschaften 38 aa) Offene Handelsgesellschaften und Kommanditgesellschaften . . . . . . . 38 bb) Gesellschaften bürgerlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 cc) Partnerschaftsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 dd) Stille Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 ee) Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) . . . . . . . . 40 ff) Partenreederei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 gg) Erbengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 hh) Gütergemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 e) Freie Berufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
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Inhaltsverzeichnis f) Sonstige Rechtsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 aa) Vorgründungsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 bb) Vorgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 g) Die Regelungen des StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 h) Der insolvenzstrafrechtliche Begriff des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3. Der Begriff der „Unternehmensleitung“ in der Restrukturierungsrichtlinie . . 46 a) Die Unternehmensleitung bei nicht-natürlichen Unternehmensträgern . . . 46 b) Problemfall: Einzelunternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 4. Adressaten der insolvenzbezogenen Pflichten im deutschen Recht . . . . . . . . . 50 5. Der Begriff des Unternehmers in der Restrukturierungsrichtlinie . . . . . . . . . . 52 II. Zeitpunkt der Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1. Europarechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 a) Keine materielle Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 b) Das Missbrauchsrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 c) Finanzielle Schwierigkeiten und nichtfinanzielle Schwierigkeiten . . . . . . . 58 aa) Betriebswirtschaftliche Definition der Unternehmenskrise . . . . . . . . . 60 (1) Strategiekrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 (2) Produkt- und Absatzkrise und Erfolgskrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 (3) Liquiditätskrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 (4) Zeitlicher Verlauf der Krisenstadien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 (5) Abgrenzung zur Katastrophe und singulären Ereignissen . . . . . . . 64 (6) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 bb) Maßnahmen zur Bewältigung einer Unternehmenskrise . . . . . . . . . . . 65 (1) Strategisches Krisenmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 (2) Operatives Krisenmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 (3) Liquiditätskrisenmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 aa) Der frühestmögliche Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 bb) Der spätestmögliche Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2. Ansätze zur Bestimmung der wahrscheinlichen Insolvenz im deutschen Recht 74 a) Die Unternehmenskrise im früheren Eigenkapitalersatzrecht . . . . . . . . . . . 74 b) Erheblicher Verlust des Eigenkapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 c) Keine festgelegte Schwelle für den Begriff der wahrscheinlichen Insolvenz 78 d) Verfehlung weiterer betriebswirtschaftlicher Ziele als wahrscheinliche Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 e) Bestandsgefährdung nach §§ 321 Abs. 1 S. 3, 322 Abs. 2 S. 3 HGB . . . . . 81 f) Beihilferechtlicher Begriff des „Unternehmens in Schwierigkeiten“ . . . . . 82 g) Drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 aa) Zweck der drohenden Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 bb) Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
Inhaltsverzeichnis
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cc) Die drohende Zahlungsunfähigkeit als wahrscheinliche Insolvenz im Sinne der RRiL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 dd) Verhältnis zum Überschuldungstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (1) Beibehaltung des Überschuldungstatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (2) Begrenzung der insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognose . . . . 104 (3) Gesetzliche Vermutung einer positiven Fortbestehensprognose . . . 105 (4) Verlängerung der Insolvenzantragsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (5) Zwischenergebnis: Zweistufige Prüfung der wahrscheinlichen Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 ee) Abgrenzung zur Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 h) Die Umsetzung im SanInsFoG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 4. Exkurs: Beteiligung der Gerichte am präventiven Restrukturierungsrahmen 124 a) Vergleichsverfahrensmodell vs. Vertragshilfemodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 aa) Vergleichsverfahrensmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 bb) Vertragshilfemodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 cc) Die Umsetzung durch das StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 b) Bescheinigungen im Sinne von § 270d Abs. 1 S. 1 InsO im StaRUG . . . . 127 c) Prüfungsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 1. Art. 19 RRiL als Mindestprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 2. Pflicht zur Prüfung der wahrscheinlichen Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Auswirkungen auf die Unternehmensleitung im deutschen Recht . . . . . . . 132 aa) GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 bb) Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 cc) Die Regelungen des StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 dd) Personenhandelsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 (1) Allgemeine Pflichten der geschäftsführenden Gesellschafter . . . . . 135 (2) Bindung an den Gesellschaftszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (3) Pflicht zur Buchführung und Bilanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 ee) Einzelkaufmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 b) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 3. Art. 19 lit. a RRiL: Die Berücksichtigung der Interessen der Gläubiger, Anteilsinhaber und sonstigen Interessenträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Auslegung von Art. 19 lit. a RRiL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 aa) Shareholder- vs. Stakeholderansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 bb) Die einzelnen Interessenträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 cc) Die insolvenzspezifische Risikosituation der Gläubiger . . . . . . . . . . . . 142 dd) Mindestschutz durch die Berücksichtigung der Interessen nach Art. 19 lit. a RRiL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
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Inhaltsverzeichnis b) Die Regelungen des StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 aa) Das StaRUG im Regierungsentwurf SanInsFoG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 bb) Ausreichende Umsetzung im StaRUG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 c) Auswirkungen auf das deutsche Unternehmensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 aa) GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 bb) Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 cc) Personenhandelsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 dd) Einzelkaufmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 4. Auswirkungen von Art. 19 RRiL auf die gesellschaftsrechtliche Binnenorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 5. Art. 19 lit. b RRiL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Auslegung von Art. 19 lit. b RRiL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 aa) Sanierungsprüfung und Umsetzung der Sanierung . . . . . . . . . . . . . . . . 162 bb) Erhalt der Sanierungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 b) Die Stellung der Anteilsinhaber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 d) Das deutsche Unternehmensrecht vor dem Hintergrund des Art. 19 lit. b RRiL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 aa) GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (1) Sanierungsprüfung und -durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (a) Außerhalb des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens 169 (b) Bei Inanspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (2) Zeitpunkt der Sanierungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (3) Vermögenserhaltungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (a) Anknüpfung an die Zahlungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (b) Anknüpfung an die Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung nach § 43 Abs. 1 GmbHG und § 43 Abs. 1 StaRUG
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(c) Anknüpfung an die Vorschriften zur Kapitalerhaltung . . . . . . . 183 (d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (4) Pflicht zur Inanspruchnahme des präventiven Restrukturierungsrahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 (5) Einbindung der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 (a) Weisungsrechte der Gesellschafter und Ermessen der Geschäftsleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 (b) Information der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (6) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 bb) Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (1) Sanierungsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (2) Vermögenserhaltungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
Inhaltsverzeichnis
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cc) Personenhandelsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 dd) Einzelkaufmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 e) Zwischenergebnis zu Art. 19 lit. b RRiL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 6. Art. 19 lit. c RRiL: Bestandsgefährdende Geschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 a) Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 b) Zeitlicher Anwendungsbereich von Art. 19 lit. c RRiL . . . . . . . . . . . . . . . . 213 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 d) Das deutsche Unternehmensrecht vor dem Hintergrund des Art. 19 lit. c RRiL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 aa) Das StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 bb) GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 (1) Existenzvernichtungshaftung nach §§ 826, 830 BGB . . . . . . . . . . . 217 (2) Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG und § 43 StaRUG . . . . . . . . . . 223 (3) Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . 227 (4) Zahlungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 (5) Innenhaftung als ausreichende Umsetzung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 (6) Haftungsfreiräume nach der sog. Business-Judgement-Rule . . . . . 235 (7) Haftungsbegrenzungen und -erleichterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (8) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 cc) Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 (1) Sorgfaltspflicht nach § 93 Abs. 1 S. 1 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 (a) Besonderheiten im faktischen Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 (b) Exkurs: Qualifizierte Nachteilszufügung . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 (c) Besonderheiten im Vertragskonzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 (d) Eingliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 (2) Keine Existenzvernichtungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (3) Insolvenzantrag wegen Überschuldung und drohender Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 (4) Zahlungsverbot nach § 92 Abs. 2 S. 3 AktG a. F., § 15 Abs. 5 InsO 252 (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 dd) Personenhandelsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 ee) Einzelkaufmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 e) Zwischenergebnis zu Art. 19 lit. c RRiL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 7. Exkurs: Umsetzung von Art. 19 RRiL im europäischen Ausland . . . . . . . . . . 264 a) Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 b) Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 8. Die Einführung von Frühwarnsystemen nach der RRiL . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 a) Pflicht zur Einführung interner Frühwarnsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 b) Pflicht zur Nutzung externer Frühwarnsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 c) Krisenfrüherkennung nach § 1 StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
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Inhaltsverzeichnis d) Frühwarnsysteme im StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
C. Insolvenzbezogene Pflichten der Berater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 I. Die Berater als Früherkennungssystem nach Art. 3 Abs. 2 lit. c RRiL . . . . . . . . 277 1. Rechtsgrundlage der Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 2. Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 4. Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 5. Bewertung und Umfang der Hinweispflicht nach § 102 StaRUG . . . . . . . . . . 281 6. Sonstige Haftung gegenüber den Gläubigern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 7. Haftung des Steuerberaters gegenüber dem Organwalter . . . . . . . . . . . . . . . . 283 II. Insolvenzbezogene Pflichten von Sanierungsberatern nach der RRiL . . . . . . . . . 284 III. Anfechtungsrisiken im Zusammenhang mit dem SRR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 I. Adressat der Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 II. Zeitpunkt der Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 III. Inhalt der insolvenzbezogenen Pflichten nach Umsetzung der RRiL . . . . . . . . . 293 IV. Die insolvenzbezogenen Pflichten der Berater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. Abb. Abs. a. E. AEUV a. F. AG AktG Alt. Anh. AO Aufl. BayObLG BB Bd. BeckOK BeckRS Begr. BFH BGB BGBl. BGH BGHZ BRAO BT Dr. bzgl. bzw. DB DCGK d. h. Diss. DNotZ DStR DZWIR EBOR EGHGB EL engl. EStG ESUG
andere Auffassung am angegebenen Ort Abbildung Absatz am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Aktiengesellschaft Aktiengesetz Alternative Anhang Abgabenordnung Auflage Bayerisches Oberstes Landesgericht Betriebs-Berater Band Beck’scher Online-Kommentar Beck-Rechtsprechung Begründer Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundesrechtsanwaltsordnung Drucksache des Deutschen Bundestages bezüglich beziehungsweise Der Betrieb Deutscher Corporate Governance Kodex das heißt Dissertation Deutsche Notar-Zeitschrift Deutsches Steuerrecht Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht European Business Organization Law Review Einführungsgesetz zum HGB Handelsgesetzbuch Ergänzungslieferung englisch Einkommensteuergesetz Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen
16 etc. EU EuGH EUV EuzW EWG EWiR EWiV EWIV-AG
Abkürzungsverzeichnis
et cetera Europäische Union Europäischer Gerichtshof Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Erwägungsgrund Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Gesetz zur Ausführung der EWG-Verordnung über die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung ff. folgende Fn. Fußnote GbR Gesellschaft bürgerlichen Rechts gem. gemäß GenG Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften GewO Gewerbeordnung GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ggf. gegebenenfalls GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH & Co. KG Gesellschaft mit beschränkter Haftung & Compagnie Kommanditgesellschaft GmbHG Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbHR GmbH-Rundschau (siehe GmbH) grds. grundsätzlich GWR Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht HdB Handbuch HGB Handelsgesetzbuch h. L. herrschende Lehre h. M. herrschende Meinung Hrsg. Herausgeber Hs. Halbsatz i. d. R. in der Regel i. d. S. in diesem Sinne IDW Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. i. E. im Ergebnis i. H. v. in Höhe von insb. insbesondere InsO Insolvenzordnung i. S. im Sinne i. S. v. im Sinne von i. V. m. in Verbindung mit JZ JuristenZeitung KAGB Kapitalanlagegesetzbuch Kap. Kapitel KG Kommanditgesellschaft KGaA Kommanditgesellschaft auf Aktien KWG Gesetz über das Kreditwesen LG Landgericht
Abkürzungsverzeichnis lit. MüAnwHdB MüHdBGesR MüKo m. w. N. NJOZ NJW NJW-RR npoR Nr. NZG NZI OHG OLG PAO PartGG RDG RefE RegE Rn. RRiL
Rs. Rspr. Rz. S. SanInsFoG SE Slg. sog. SRR StaRUG StB StGB ThürOLG u. a. UGB UmwG URG Urt. v. Var.
17
lateinisch littera Münchener Anwalts Handbuch Münchener Handbuch des Gesellschaftsrecht Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Online Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Neue Jursitische Wochenschrift – Rechtsprechungs-Report Zeitschrift für das Recht der Non Profit Organisationen Nummer Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Patentanwaltsordnung Gesetz über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger Freier Berufe Rechtsdienstleistungsgesetz Referentenentwurf Regierungsentwurf Randnummer Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) Rechtssache Rechtsprechung Randziffer Seite Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts Societas Europaea/Europäische Gesellschaft Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts Erster Instanz sogenannt(e) Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz) Steuerberater Strafgesetzbuch Thüringer Oberlandesgericht und andere Österreichisches Unternehmensgesetzbuch Umwandlungsgesetz Österreichisches Unternehmensreorganisationsgesetz Urteil vom Variante
18 vgl. VO Vorb. vs. WM WPg ZGR ZHR ZIK ZInsO ZIP ZPO zust.
Abkürzungsverzeichnis vergleiche Verordnung Vorbemerkung versus Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht Die Wirtschaftsprüfung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Insolvenzrecht und Kreditschutz Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozessordnung zustimmend
A. Einführung I. Forschungsziel und Vorgehen Zum 20. Juni 2019 trat die Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) in Kraft.1 Unter anderem sollen durch diese Richtlinie europaweit einheitliche Mindeststandards für vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren geschaffen werden.2 In der RRiL wird dieses Sanierungsverfahren als präventiver Restrukturierungsrahmen bezeichnet. Im deutschen Recht wurde der präventive Restrukturierungsrahmen durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts, das sog. SanInsFoG, vom 22. Dezember 2020 umgesetzt. Das SanInsFoG enthält ein Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz), das sog. StaRUG. Dieser im StaRUG geregelte Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen3 dient der Umsetzung des präventiven Restrukturierungsrahmens im Sinne der RRiL. Die Einführung des präventiven Restrukturierungsrahmens hat vielfältige Reaktionen bei denjenigen hervorgerufen, die sich mit den Themen Sanierung und Insolvenz beschäftigen. Die Schwerpunkte der Diskussionen liegen dabei auf den Fragen, wie ein solches vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren effektiv und passgenau im deutschen Recht umgesetzt werden kann. Neben den Regelungen zum präventiven Restrukturierungsrahmen enthält die RRiL in Art. 19 RRiL eine Vorschrift zu den Pflichten der Unternehmensleitung im vorinsolvenzlichen Bereich. In der Debatte erhält diese Vorschrift, die im Kern eine gesellschaftsrechtliche Vorschrift ist, nicht dieselbe Aufmerksamkeit. Dies jedoch zu Unrecht. Diese Arbeit untersucht in Teil B., welche Auswirkungen sich infolge der Umsetzung von Art. 19 RRiL im deutschen Recht auf die vorinsolvenzlichen Pflichten 1 Im Folgenden wird Richtlinie (EU) 2019/1023 als Restrukturierungsrichtlinie oder RRiL bezeichnet. 2 Vgl. EWG 12 und 13 RRiL; es handelt sich also um eine mindestharmonisierende Richtlinie; vgl. dazu auch noch den Kommissionsentwurf COM (2016) 723 final, S. 19: „verbindliches Instrument in Form einer Richtlinie, mit der ein harmonisierter Mindestrahmen geschaffen wird“. 3 Im Folgenden als SRR abgekürzt.
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A. Einführung
der Unternehmensleitungen ergeben. Dazu wird zuerst geklärt, wer von einer Umsetzung der Pflichten aus Art. 19 RRiL im deutschen Recht als Adressat betroffen ist (Leitfrage „Wer?“). Zu welchem Zeitpunkt die in Art. 19 RRiL geregelten Pflichten nach ihrer Umsetzung im deutschen Recht eingreifen (Leitfrage „Wann?“) und schließlich welche inhaltlichen Auswirkungen sich auf die Pflichten der Unternehmensleitungen im deutschen Recht in Folge einer Umsetzung der RRiL ergeben (Leitfrage „Was?“). Zur Beantwortung der jeweiligen Leitfragen wird jeweils im ersten Schritt eine Auslegung der einschlägigen Bestimmungen der Restrukturierungsrichtlinie vorgenommen und dann erörtert, welche Auswirkungen sich bei einer effektiven Umsetzung der RRiL nach Maßgabe der hier vorgenommenen Auslegung im deutschen Recht ergeben würden und inwieweit eine Umsetzung im deutschen Recht bereits erfolgt ist. Wo es erforderlich ist, werden Vorschläge für eine effektive Umsetzung unterbreitet. Die Betrachtung der insolvenzbezogenen Geschäftsleiterpflichten vor dem Hintergrund der Umsetzung RRiL verspricht dabei eine europarechtlich fundierte Möglichkeit zur Konkretisierung dieser Pflichten. Der Maßstab sowohl für die Auslegung der Restrukturierungsrichtlinie als auch für die Beurteilung der Auswirkungen der Umsetzung im deutschen Recht ist stets die effektive Förderung von Restrukturierungen zur Vermeidung von Insolvenzen sowie als wirksamer Beitrag zu einer funktionierenden Kapitalmarktunion.4 Bei Anwendung dieses Maßstabes ergeben sich in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL teils erhebliche Änderungen der insolvenzbezogenen Pflichten der Unternehmensleitungen im deutschen Recht. Trotz der rechtsformunabhängigen Anwendbarkeit der RRiL beschränkt sich diese Arbeit bei der Ausarbeitung der Pflichten der Unternehmensleitung auf die in der Praxis wichtigsten Rechtsformen der Aktiengesellschaft, der GmbH, der Personenhandelsgesellschaften und des Einzelkaufmanns. In Teil C. werden die Änderungen der insolvenzbezogenen Pflichten der Berater des Schuldners untersucht, die sich in Folge der Umsetzung der RRiL ergeben.
II. Die Umsetzung des präventiven Restrukturierungsrahmens durch den deutschen Gesetzgeber Die RRiL ist als Instrument der kooperativen-zweistufigen Rechtsetzung5 ausschließlich an die jeweiligen Mitgliedstaaten gerichtet und muss entsprechend Art. 288 Abs. 3 AEUV durch diese umgesetzt werden. Zum 1. Januar 2021 ist das
4 Ähnlich Korch, ZHR 2018, 440, 442: „[…] möglichst viele Unternehmen und Arbeitsplätze zu erhalten und die Sanierung weitest möglich zu erleichtern“ mit kritischer Würdigung dieses Ansatzes; zu dem Ziel eine funktionierende Kapitalmarktunion durch eine stärkere Harmonisierung zu schaffen, vgl. EWG 8 RRiL. 5 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 288 AEUV Rn. 23.
II. Umsetzung des Restrukturierungsrahmens durch dt. Gesetzgeber
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SanInsFoG in Kraft getreten und mit ihm die im StaRUG enthaltenen Regelungen zur Umsetzung des präventiven Restrukturierungsrahmens aus der RRiL. Der Verabschiedung des SanInsFoG ist ein Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 19. September 2020 vorausgegangen.6 Am 4. Oktober 2020 folgte der darauf aufbauende Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz.7 Das SanInsFoG geht dabei im Grundsatz von einem funktionsfähigen deutschen Insolvenzrecht und einer funktionierenden Praxis außergerichtlicher Sanierungsbemühungen aus. Es versucht lediglich, die Lücke zu schließen, die dadurch entsteht, dass erfolgversprechende und für alle Beteiligten vorteilhafte, außergerichtliche Sanierungsbemühungen am Widerstand einzelner Beteiligter scheitern können. Um in diesen Fällen die Kosten eines Insolvenzverfahrens zu vermeiden, wie etwa den Insolvenzbeschlag, die Verfahrenskosten und die Folgekosten der Publizität, soll ein Verfahren zur Verfügung stehen, welches das Sanierungsvorhaben gegen den Widerstand einzelner Beteiligter notfalls zwangsweise durchsetzen kann.8 Dieses vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren wird im StaRUG geregelt. Zur Abstimmung des vorinsolvenzlichen Verfahrens mit dem Insolvenzverfahren sind zudem verschiedentliche Änderungen der Insolvenzordnung, insbesondere der Insolvenzeröffnungsgründe, erforderlich geworden.9 Hinsichtlich der Umsetzung von Art. 19 RRiL haben sich zwischen dem SanInsFoG und dem vorausgegangenen Regierungsentwurf des SanInsFoG erhebliche Änderungen ergeben. §§ 2, 3 StaRUG RegE sah vor, dass ab dem Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit die Geschäftsleiter die Interessen der Gläubigergesamtheit vorrangig zu berücksichtigen haben.10 Beschlüsse und Weisungen der Überwachungsorgane und anderer Organe sollten unbeachtlich sein, soweit sie der gebotenen Wahrung der Gläubigerinteressen entgegenstehen (§ 2 Abs. 2 S. 2 StaRUG RegE). Die Verletzung der Pflicht sollte zu einer Innenhaftung gemäß § 3 StaRUG RegE führen. Ab Inspruchnahme des SRR, genauer, ab Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache gemäß § 33 Abs. 3 StaRUG RegE, sollte die Verletzung der Pflichten gemäß § 45 StaRUG RegE zu einer Außenhaftung gegenüber den Gläubigern führen. Die §§ 2 und 3 des StaRUG RegE sind ersatzlos entfallen. Das geltende StaRUG sieht nunmehr in § 43 StaRUG eine Innenhaftung gegenüber dem 6
Im Folgenden RefE SanInsFoG. BT Dr. 19/24181; im Folgenden RegE SanInsFoG. Der RegE SanInsFoG enthält neben Regelungen zur Umsetzung des präventiven Restrukturierungsrahmens gemäß der RRiL auch Regelungen, die durch die Evaluation des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7. Dezember 2011 veranlasst sind, sowie Regelungen, die der Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19 Pandemie dienen, vgl. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 1 ff. 8 Vgl. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 85 f. 9 Siehe Art. 5 Nr. 8 bis Nr. 11 SanInsFoG; dazu etwa RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 196. 10 Dazu RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 105 ff.; Brinkmann ZIP 2020, 2361, 2364. 7
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A. Einführung
Schuldner vor, wenn die Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Rechtsträger nicht darauf hinwirken, dass der Schuldner die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreibt und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger wahrt (§ 43 Abs. 1 S. 1 StaRUG). Vor diesem Hintergrund ist die Umsetzung des präventiven Restrukturierungsrahmens, insbesondere von Art. 19 RRiL, in das deutsche Recht zu beurteilen.
III. Die Begriffe der Restrukturierung und Sanierung Vorweg soll noch eine Begriffsbestimmung der für diese Arbeit zentralen Begriffe der Restrukturierung und Sanierung erfolgen. Die RRiL definiert den Begriff der Restrukturierung in Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 RRiL als „Maßnahmen, die auf die Restrukturierung des Unternehmens des Schuldners abzielen und zu denen die Änderung der Zusammensetzung, der Bedingungen oder der Struktur der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten eines Schuldners oder jedes anderen Teils der Kapitalstruktur gehört, etwa der Verkauf von Vermögenswerten oder Geschäftsbereichen und, wenn im nationalen Recht vorgesehen, der Verkauf des Unternehmens als Ganzen sowie alle erforderlichen operativen Maßnahmen oder eine Kombination dieser Elemente“.
Die RRiL knüpft den Begriff der Restrukturierung also an das Unternehmen, als Gesamtheit von Vermögensgegenständen und Rechtsbeziehungen, an. Im Rahmen einer Restrukturierung werden an diesen Rechtsbeziehungen und Vermögensgegenständen Änderungen vorgenommen. Der Begriff umfasst sowohl die finanzielle wie auch ausdrücklich die operative Restrukturierung. Der Restrukturierungs-Begriff der RRiL knüpft hingegen nicht an den jeweiligen Unternehmensträger als rechtliches Zuordnungssubjekt dieser Gesamtheit von Vermögensgegenständen und Rechtsbeziehungen an. Karsten Schmidt formuliert: „Jedes Unternehmen ist einem Unternehmensträger in der Weise zugeordnet, dass alle einzelnen zum Unternehmen gehörenden Rechtspositionen in ihrer unteilbaren Ganzheit dem Unternehmensträger zustehen.“11
Das StaRUG selbst enthält keine Definition der Begriffe Sanierung oder Restrukturierung. Das StaRUG zielt, wie die RRiL, mit der Restrukturierung auf die Vermeidung von Insolvenzen ab. Das Unternehmen als Gesamtheit von Vermögensgegenstände und Rechtsverhältnissen ist mangels ausreichender Individualisierung und Publizität jedoch nicht rechtsfähig und damit auch nicht insolvenzfähig.12 Insolvent im Sinne des deutschen Rechts kann nur der jeweilige Unternehmensträger als Rechtssubjekt sein. Die Restrukturierung im Sinne der RRiL stellt damit lediglich das Mittel zur Vermeidung der Insolvenz des Unternehmensträgers dar. Art. 1 Abs. 1 lit. a RRiL formuliert, dass der präventive Restrukturierungsrah11 Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 24; zum Unternehmensträger als Zurechnungsubjekt auch Karsten Schmidt, in: MüKo HGB, Vorb. § 1 Rn. 9. 12 Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 24.
III. Die Begriffe der Restrukturierung und Sanierung
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men zur Verfügung steht, „um die Insolvenz abzuwenden und die Bestandsfähigkeit des Schuldners sicherzustellen“. Die Formulierung in Art. 1 Abs. 1 lit. a RRiL zeigt, dass grundsätzlich durch den präventiven Restrukturierungsrahmen die Bestandsfähigkeit des Schuldners als Unternehmensträger gesichert werden soll und nicht die Bestandsfähigkeit des schuldnerischen Unternehmens. Diese Wertung wird durch Art. 4 Abs. 1 RRiL bestätigt. In Art. 4 Abs. 1 RRiL heißt es: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Schuldner bei einer wahrscheinlichen Insolvenz Zugang zu einem präventiven Restrukturierungsrahmen haben, der es ihnen ermöglicht, sich zu restrukturieren, um eine Insolvenz abzuwenden und ihre Bestandsfähigkeit sicherzustellen, unbeschadet anderer Lösungen zur Abwendung einer Insolvenz, wodurch Arbeitsplätze geschützt werden und die Geschäftstätigkeit weitergeführt wird.“
Art. 4 Abs. 1 RRiL stellt in dem 2. Halbsatz damit zugleich klar, dass andere Lösungen zur Abwendung einer Insolvenz, durch die Arbeitsplätze geschützt werden und die Geschäftstätigkeit weitergeführt wird, neben einer Restrukturierung im Sinne der RRiL weiterhin zulässig sind. Zwar wird auch bei der Regelung im 2. Halbsatz auf die „Abwendung einer Insolvenz“ abgestellt, zugleich wird aber klargestellt, dass diese dem Zweck dient, die Geschäftstätigkeit weiterzuführen und Arbeitsplätze zu sichern. Daraus folgt, dass neben der Restrukturierung im Sinne der RRiL, die dem Zweck der Beseitigung oder Vermeidung von Insolvenzgründen beim Schuldner als Unternehmensträger dient, auch Maßnahmen zulässig bleiben, die auf einen Fortbestand des Unternehmens („Geschäftstätigkeit weitergeführt“) gerichtet sind, während der Unternehmensträger als bloßes Zuordnungsobjekt für das Unternehmen nicht fortbesteht. Daraus folgt insbesondere die Zulässigkeit einer vorinsolvenzlichen übertragenden Sanierung. Solche Maßnahmen werden zwar nicht von der RRiL erfasst13, sie sind jedoch weiterhin unabhängig von der RRiL zulässig, da sie ebenfalls dabei helfen eine Zerschlagung des Gesellschaftsvermögens zu verhindern und damit den Verlust von Arbeitsplätzen, Know-How und Kompetenzen vermeiden. Sie haben damit die von der RRiL erwünschten Effekte.14 Da die Restrukturierung im Sinne der RRiL an das Unternehmen selbst anknüpft, gleicht sie dem Begriff der Sanierung, die umschrieben wird als Gesamtheit aller Maßnahmen, die geeignet und erforderlich sind, ein Unternehmen aus einer Situation herauszuführen, in der sein Fortbestand gefährdet ist.15 Auch diese Beschreibung der 13 So auch Westpfahl, ZRI 2020, 157, 158 f.; das StaRUG geht von der Zulässigkeit einer übertragenden Sanierung aus, vgl. § 90 Abs. 2 StaRUG. 14 Vgl. dazu EWG 2 RRiL; in dem Kommissionsvorschlag COM (2016) 723 final enthielt Art. 4 RRiL noch keine entsprechende Ausnahme, Eidenmüller, EBOR 2017, 273, 288 ff., kritisiert daher, dass der Vorschlag übertragende Sanierungen vernachlässige bzw. verhindere. 15 So Wellensiek, NZI 2002, 233; der Begriff der Sanierung wird jedoch ebenfalls nicht einheitlich verwendet, vgl. dazu etwa Prütting, ZIP 2013, 203, 204; Zipperer/Vallender, NZI 2012, 729, 732 zum Sanierungsbegriff in § 270b Abs. 1 S. 1 InsO „Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Schuldners“; vgl. dazu auch Meyland, S. 171 ff.
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A. Einführung
Sanierung knüpft an das Unternehmen selbst und nicht an den Unternehmensträger an. Bezieht man den Begriff der Sanierung auf den Schuldner bzw. Unternehmensträger so wird damit die Vermeidung oder Beseitigung von Insolvenzgründen beschrieben. Die Sanierung des Unternehmens dient der Sanierung des Unternehmensträgers. Die Begriffe Restrukturierung und Sanierung werden in dieser Arbeit weitgehend synonym verwendet. Das StaRUG verwendet die Begriffe ebenfalls ohne weitergehende Abgrenzung.16 Die Restrukturierung soll die nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 RRiL zulässigen (unternehmensbezogenen) Maßnahmen erfassen, die ergriffen werden, um eine Insolvenz des Unternehmensträgers zu verhindern. Auch der Begriff der Sanierung soll unternehmensbezogenen Maßnahmen beschreiben, die letztlich auf das Ziel hin getätigt werden, die Insolvenz des Unternehmensträgers zu vermeiden. Wird hingegen ausdrücklich von der Sanierung des Schuldners gesprochen, so ist die Beseitigung oder Vermeidung von Insolvenzgründen gemeint, welche durch eine Restrukturierung im Sinne der RRiL oder durch eine (unternehmensbezogene) Sanierung erfolgt.
16
So auch der RegE StaRUG, vgl. Deppenkemper, ZIP 2020, 2432.
B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung nach der Restrukturierungsrichtlinie und dem StaRUG I. Adressat der Pflichten Art. 19 RRiL verpflichtet die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die „Unternehmensleitung“ bei einer wahrscheinlichen Insolvenz mindestens bestimmte Interessen und Notwendigkeiten gebührend berücksichtigt. Als Betroffene der Regelungen der RRiL sind neben der Unternehmensleistung noch der „Schuldner“ (Art. 1 Abs. 1 lit. a RRiL) und der „Unternehmer“ (Art. 1 Abs. 1 lit. b; Art. 20 RRiL) zu nennen. Diese Begriffe sollen im Folgenden näher erläutert werden. 1. Begriff des Schuldners in der Restrukturierungsrichtlinie Der Begriff des Schuldners wird in der Restrukturierungsrichtlinie nicht definiert. Daher ist eine Auslegung der Restrukturierungsrichtlinie erforderlich. Der „Schuldner“ im Sinn der Restrukturierungsrichtlinie ist der Adressat der Regelungen zum präventiven Restrukturierungsrahmen. Nach Art. 1 Abs. 1 lit. a der Restrukturierungsrichtlinie soll der präventive Restrukturierungsrahmen „Schuldnern in finanziellen Schwierigkeiten bei einer wahrscheinlichen Insolvenz zur Verfügung stehen, um die Insolvenz abzuwenden und die Bestandsfähigkeit des Schuldners sicherzustellen“.
Dass sowohl natürliche als auch juristische Personen als Schuldner in Betracht kommen, ergibt sich aus Art. 1 Abs. 4 UAbs. 2 der Restrukturierungsrichtlinie, welcher vorsieht, dass die Anwendung der Vorschriften zum präventiven Restrukturierungsrahmen auf juristische Personen beschränkt werden kann. Bei dem Begriff der juristischen Person handelt es sich um einen europarechtlichen Begriff mit einer eigenständigen Auslegung.1 Die juristische Person im Sinne der RRiL kann daher alle Gebilde erfassen, die nach nationalem Recht fähig sind, selbst Träger von Rechten und Pflichten zu sein, beispielsweise die deutschen Personengesellschaften. Da der präventive Restrukturierungsrahmen die Insolvenz des jeweiligen Schuldners verhindern soll, ist eine Insolvenzfähigkeit des Schuldners nach nationalem Recht erforderlich.
1 Vgl. zur autonomen Auslegung EuGH, Urt. v. 23. 3. 2006 – C-465/04 Honyvem Informazioni Commerciali Srl/Mariella De Zotti = EuGH EuZW 2006, 341 Rn. 17 f.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Weitere Anhaltspunkte zur Konkretisierung des Begriffs ergeben sich aus Erwägungsgrund 1 der Restrukturierungsrichtlinie.2 Dieser besagt die Restrukturierungsrichtlinie ziele darauf ab, „dass bestandsfähige Unternehmen und Unternehmer, die in finanziellen Schwierigkeiten sind, Zugang zu wirksamen nationalen präventiven Restrukturierungsrahmen haben“.
Die Richtlinie verwendet an dieser Stelle nicht den Begriff des Schuldners und weicht insoweit von Art. 1 Abs. 1 lit. a RRiL ab. Doch sie nennt die Zielgruppe der Regelungen zum präventiven Restrukturierungsrahmen und kann damit zur Auslegung des Begriffs des Schuldners insoweit herangezogen werden. Aus EWG 1 kann daher gefolgert werden, dass der Begriff des Schuldners eine „unternehmerische“ Betätigung erfordert. Ein Unternehmer ist nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 der Restrukturierungsrichtlinie „eine natürliche Person, die eine gewerbliche, geschäftliche, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeit ausübt“.3 Die englische Fassung der Restrukturierungsrichtlinie spricht an dieser Stelle von „a natural person exercising a trade, business, craft or profession“. Die Definition des Unternehmers in Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 der Restrukturierungsrichtlinie kann aus den folgenden Gründen jedoch zur Bestimmung des Begriffs des Schuldners nicht ohne weiteres herangezogen werden. Systematisch ist der Begriff des Schuldners von demjenigen des Unternehmers abzugrenzen. Der Schuldner ist das zentrale Rechtssubjekt in Titel II der Restrukturierungsrichtlinie, die den präventiven Restrukturierungsrahmen regelt. Der „Unternehmer“ ist hingegen der Adressat der Vorschriften in Titel III der Restrukturierungsrichtlinie, welche die Regelungen zur sog. zweiten Chance enthält (Entschuldung und Tätigkeitsverbote). Um die „unternehmerische“ Tätigkeit des Schuldners zu bestimmen, ist es erforderlich den Schwerpunkt darauf zu legen, wie eine bestimmte Tätigkeit ausgeführt wird. Damit die Tätigkeit des Schuldners als „unternehmerisch“ gelten kann, muss sie in einer Art und Weise ausgeführt werden, aus der sich Risiken für die betroffenen Shareholder und Stakeholder, wie bspw. Gläubiger und Arbeitnehmer, ergeben, deren Schutz der präventive Restrukturierungsrahmen dient.4 Bei der Be2 Erwägungsgründe sind zwar ein nicht verbindlicher Teil des Unionsrechts, dienen jedoch als Auslegungshilfe, dazu EuGH (Sechste Kammer), Urt. v. 29. 4. 2004 – C-298/00 P = BeckRS 2004, 76116 Rn. 97 m. w. N.; EuGH, Rs. C 493/06 Slg. 2007 I-11321 Rn. 28; die Unverbindlichkeit betont der Gemeinsame Leitfaden des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission für Personen, die an der Abfassung von Rechtstexten der Europäischen Union mitwirken, Nr. 10.1, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/content/techleg/DE-leitfaden-fuerdie-abfassung-von-rechtstexten.pdf; abgerufen am 9. 9. 2020. 3 Definitionen aus dem verfügenden Teil eines Unionsrechtsaktes beziehen sich auch auf die Erwägungsgründe, vgl. Nr. 14.1 Abs. 2 des Gemeinsamen Leitfadens des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission für Personen, die an der Abfassung von Rechtstexten der Europäischen Union mitwirken, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/content/tech leg/DE-leitfaden-fuer-die-abfassung-von-rechtstexten.pdf. 4 Siehe Erwägungsgrund 2 und 3 der RRiL.
I. Adressat der Pflichten
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stimmung des Begriffs des Schuldners ist zu berücksichtigen, dass der präventive Restrukturierungsrahmen, insbesondere auch kleinen und mittleren Unternehmen zur Verfügung stehen soll.5 Die Definition des Unternehmers nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 der Restrukturierungsrichtlinie kann daher auch nicht dazu führen, dass der Begriff des Schuldners auf die in Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 RRiL explizit genannten Bereiche beschränkt wird und daher beispielsweise Schuldner, die karitative, soziale oder künstlerische Tätigkeiten ausüben grundsätzlich nicht als Schuldner in Betracht kommen. Als Beispiele sind natürliche oder juristische Personen zu nennen, die ein Theater, einen Pflegedienst oder eine Kindertagesstätte betreiben. Je nachdem wie diese Tätigkeiten ausgeübt werden, können sie durchaus als „unternehmerisch“ gelten und damit die Voraussetzung für eine Einordnung als Schuldner erfüllen. Denn solche Tätigkeiten können erhebliche Insolvenzrisiken beinhalten, deren Vermeidung der präventive Restrukturierungsrahmen dient. a) Unternehmerisches Handeln Die als Schuldner erfassten natürlichen und juristischen Personen müssen also unternehmerisch tätig sein. Nicht jede Beteiligung einer natürlichen oder juristischen Person am Wirtschaftsleben ist für eine unternehmerische Tätigkeit ausreichend, die zu einer Einordnung als Schuldner im Sinne der RRiL führt, sondern die Beteiligung muss auf eine Art und Weise erfolgen, die diejenigen Risiken hervorruft, welche der präventiven Restrukturierungsrahmen vermindern soll. Es ist mithin eine risikobezogenen Auslegung des Begriffs des Schuldners vorzunehmen. Für die Auslegung des Begriffs der unternehmerischen Tätigkeit können die europarechtlichen Rechtsgrundlagen der Restrukturierungsrichtlinie als erste Orientierung herangezogen werden. Die Richtlinie stützt sich auf Art. 53 AEUV, der eine Gesetzgebungskompetenz für das Europäische Parlament und den Europäischen Rat für die Ausübung und Erleichterung der Niederlassungsfreiheit schafft, sowie auf Art. 114 AEUV, der eine Gesetzgebungskompetenz für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes schafft. Der sachliche Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit wird entscheidend durch das Kriterium der „selbständigen Erwerbstätigkeit“ (Art. 49 Abs. 2 AEUV) bzw. des „Erwerbszwecks“ (Art. 54 AEUV) bei Gesellschaften bestimmt.6 Die Selbständigkeit ist jedem unternehmerischen Handeln immanent und grenzt bei natürlichen Personen zu einer Tätigkeit als Arbeitnehmer ab, bei welcher die Person nicht auf eigene Rechnung arbeitet und damit kein unternehmerisches Risiko trägt. 5
Vgl. EWG 7 und 17 der RRiL. Die Begriffe werden gleichlaufend ausgelegt, siehe nur Tiedje, in: von der Groeben/ Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 54 AEUV Rn. 22. 6
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Durch das Kriterium des „Erwerbszwecks“ werden Marktakteure vom Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit ausgenommen, die lediglich soziale, kulturelle, karitative oder religiöse Zwecke verfolgen und nicht darauf ausgelegt sind, am wirtschaftlichen Wettbewerb teilzunehmen.7 Soweit diese Akteure jedoch erwerbsorientiert handeln, ist ihr Handeln von der Niederlassungsfreiheit erfasst.8 Möglich ist damit auch ein partielles Berufen auf die Niederlassungsfreiheit.9 Gewinnmaximierung ist für einen Erwerbszweck nicht erforderlich.10 Ausreichend ist vielmehr die Entgeltlichkeit der Tätigkeit, welche nicht zwingend kostendeckend sein muss.11 Ein so verstandener Erwerbszweck ist auch für einen Schuldner im Sinn der Restrukturierungsrichtlinie erforderlich. Die entgeltliche Leistungserbringung ist der Kern jeglichen unternehmerischen Handelns. Das Risiko, dass die Gegenleistung für die eigene Leistung ausbleibt, ist das Risiko, welches der Unternehmer trägt.12 Der Erwerbszweck scheidet aus bei einem Entgelt, welches unwesentlich oder völlig untergeordnet ist.13 Allein die Entgeltlichkeit eines Angebots begründet jedoch noch keine ausreichenden Risiken, die eine Anwendung des präventiven Restrukturierungsrahmens erfordern. Beispielsweise bietet derjenige, der den Nachlass seiner Eltern im Rahmen eines Hausverkaufs veräußert, Waren gegen Entgelt an. Ein Schuldner im Sinn der Restrukturierungsrichtlinie ist er damit noch nicht. Die Entgeltlichkeit eines Angebots ist also erforderlich für die Qualifikation als Schuldner, reicht aber allein nicht aus. b) Unternehmerische Struktur Die Niederlassungsfreiheit erfasst beispielsweise auch Religionsgemeinschaften, Sportvereine, vermögensverwaltende Stiftungen, Maler14, Schriftsteller und Musikschaffende, die mit Erwerbszweck am Markt teilnehmen.15 Diese können jedoch aus teleologischen Gründe (d. h. insbesondere mit Blick auf die verwirklichten Risiken der jeweiligen Tätigkeit) nur unter bestimmten Bedingungen als Schuldner im 7
Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 2 f. Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 13. 9 Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 15. 10 Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 13. 11 Ludwigs, in: Dauses/Ludwigs, HdB des EU-Wirtschaftsrechts, E. I. Grundregeln Rn. 64; Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 12, der auf einen „Austauschprozess“ von Leistung und Gegenleistung abstellt; Tiedje, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 49 AEUV Rn. 62 „Eine Erwerbstätigkeit liegt bei jedem Tun vor, für das eine Gegenleistung – im Regelfall ein Entgelt – erbracht werden soll.“ 12 Zur Niederlassungsfreiheit Tiedje, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 49 AEUV Rn. 62. 13 Tiedje, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 49 AEUV Rn. 62. 14 EuGH, Urt. v. 18. 6. 1985 – 197/84 = BeckRS 2004, 72178. 15 Zu diesen Beispielen Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 13 und Ludwigs, in: Dauses/Ludwigs, HdB des EU-Wirtschaftsrechts, E. I. Grundregeln Rn. 18. 8
I. Adressat der Pflichten
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Sinne der RRiL gelten. Die Restrukturierungsrichtlinie will Schuldnern einen präventiven Restrukturierungsrahmen zur Verfügung stellen, um rentablen Marktteilnehmern in der Krise frühzeitig die Restrukturierung als Alternative zum Insolvenzverfahren anzubieten. „Restrukturierung“ im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie sind gemäß Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 der Restrukturierungsrichtlinie Maßnahmen, „die auf die Restrukturierung des Unternehmens des Schuldners abzielen und zu denen die Änderung der Zusammensetzung, der Bedingungen oder der Struktur der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten eines Schuldners oder jedes anderen Teils der Kapitalstruktur gehört, etwa der Verkauf von Vermögenswerten oder Geschäftsbereichen und, wenn im nationalen Recht vorgesehen, der Verkauf des Unternehmens als Ganzen sowie alle erforderlichen operativen Maßnahmen oder eine Kombination dieser Elemente“.
Die Restrukturierungsrichtlinie setzt also ein „Unternehmen des Schuldners“ voraus, welches Gegenstand der Restrukturierung sein kann. Bestandteil der oben genannten unternehmerischen Tätigkeit muss also zusätzlich zum Erwerbszweck (verstanden als entgeltliches Angebot von Leistungen) eine Struktur sein, im Rahmen derer dieser Erwerbszweck dauerhaft verfolgt wird. In den Worten der Restrukturierungsrichtlinie wird diese dauerhafte Struktur als das „Unternehmen des Schuldners“ bezeichnet. Das Unternehmen ist die Gesamtheit der dem Schuldner als Unternehmensträger zugeordneten Vermögensgegenstände und Rechtsbeziehungen.16 Anhaltspunkte für eine solche Struktur sind beispielsweise das Vorhandensein von Umlauf- und Anlagevermögen, die Beschäftigung von Arbeitnehmern, das Anmieten von Räumlichkeiten oder der Abschluss von Finanzierungs- oder Werbeverträgen. Das Bestehen einer solchen Struktur ist aus zwei Gründen erforderlich: Erstens wird durch die dauerhafte Struktur das Risiko für Gläubiger erhöht, da der Schuldner Investitionen in diese Struktur tätigt und damit Kapital bindet, welches nicht mehr zur Begleichung seiner Verbindlichkeiten verwendet werden kann (sog. Investitionsrisiko).17 Das Risiko für die Gläubiger besteht darin, dass die Auflösung dieser Kapitalbindung Transaktionskosten (und ggf. erhebliche Verluste) verursacht. Es besteht außerdem darin, dass Verbindlichkeiten bedient werden müssen (Arbeitsverträge, Miete, usw.), deren Gegenwert nicht realisiert werden kann, wenn die angebotene Leistung des Unternehmers nicht in ausreichendem Umfang nachgefragt wird. Der zweite Grund, warum eine Struktur erforderlich ist, besteht darin, dass erst das Bestehen einer Struktur, die auf eine gewisse Dauer angelegt ist, eine Restrukturierung dieser Struktur ermöglicht. Durch dieses Kriterium werden also Fälle abgegrenzt, in denen das Vorhaben von vornherein auf eine einmalige Teilnahme am Wirtschaftsleben ausgerichtet ist. Eine bloß einmalige Teilnahme am Wirtschafts16
Zum Begriff des Unternehmensträgers Karsten Schmidt, in: MüKo HGB, Vorb. § 1 Rn. 9. Dazu Leuschner, npoR 3/2016, 99, 100; Leuschner, Das Konzernrecht des Vereins 2011, S. 147 f. 17
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
leben ist hingegen unschädlich, wenn die Struktur des Vorhabens auf eine dauerhafte Teilnahme ausgerichtet ist. Ein bestimmter Umfang der unternehmerischen Tätigkeit, etwa gemessen an Kennzahlen wie Umsatz oder Arbeitnehmern, ist nicht erforderlich.18 Die Restrukturierungsrichtlinie gibt keinen Schwellenwert vor, ab welchem beispielsweise Gläubigerinteressen besonders schützenswert sind. Vielmehr wird das abstrakte Insolvenzrisiko, welches jeder unternehmerischen Betätigung immanent ist, erfasst. Es sind nur solche Fälle auszuscheiden, in denen die Struktur, in deren Rahmen der Erwerbszweck verfolgt wird, von so geringem Umfang ist, dass ein Investitionsrisiko völlig ausgeschlossen ist. Allzu strenge Maßstäbe sollten hier nicht angesetzt werden, um eine effektive Umsetzung des Unionsrechts zu gewährleisten (Art. 4 Abs. 3 EUV). Einem Missbrauch der Werkzeuge des präventiven Restrukturierungsrahmens wird wirksam durch andere Mechanismen vorgebeugt, beispielsweise durch die gerichtliche Kontrolle der Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen (Art. 6 Abs. 1 RRiL). c) Weitere Kriterien Eine Prüfung der Bestandsfähigkeit des Schuldners ist nach dem Willen des europäischen Gesetzgebers eine bloß optionale Voraussetzung für den Zugang eines Schuldners zum präventiven Restrukturierungsrahmen. Art. 4 Abs. 3 der Restrukturierungsrichtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten eine Bestandsfähigkeitsprüfung beibehalten oder einführen können und damit den Zugang zu dem präventiven Restrukturierungsrahmen beschränken können.19 Die Bestandsfähigkeit ist daher kein zwingendes Merkmal des Begriffs „Schuldner“ im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie. Ebenso wenig sind die finanziellen Schwierigkeiten, welche der Erwägungsgrund 1 der Restrukturierungsrichtlinie nennt, ein Merkmal des Begriffs „Schuldner“. Zum einen stellt der Erwägungsgrund 28 der Restrukturierungsrichtlinie klar, dass der Anwendungsbereich des präventiven Restrukturierungsrahmens unter bestimmten Voraussetzungen auch auf nichtfinanzielle Schwierigkeiten erstreckt werden kann. Zum anderen wird dem Risiko einer missbräuchlichen Verwendung des präventiven Restrukturierungsrahmens dadurch Rechnung getragen, dass der Zugang zu dem Restrukturierungsrahmen bloß in Fällen der wahrscheinlichen Insolvenz gewährt wird. Das Missbrauchsrisiko wird also durch dieses Tatbestandsmerkmal aus Art. 4 Abs. 1 der Restrukturierungsrichtlinie erfasst.20 18 Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 13 sagt, dass für die Niederlassungsfreiheit das generierte Einkommen keine bestimmte Größe haben muss. 19 Dazu auch Erwägungsgrund 26 der Restrukturierungsrichtlinie; Sämisch, ZInsO 2020, 2520 hält eine solche Bestandsfähigkeitsprüfung für notwendig, um Missbrauch zu vermeiden. 20 Der Zweck, einen Missbrauch des Restrukturierungsrahmens durch das Merkmal der wahrscheinlichen Insolvenz zu vermeiden, wird in Erwägungsgrund 24 der Restrukturierungsrichtlinie hervorgehoben.
I. Adressat der Pflichten
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Nach Art. 1 Abs. 2 der Restrukturierungsrichtlinie sind bestimmte Schuldner vom Anwendungsbereich der Restrukturierungsrichtlinie ausgenommen. Dies betrifft insbesondere Finanzunternehmen nach Art. 2 Abs. 2 lit. a) bis f) und „öffentliche Stellen“ nach Art. 2 Abs. 2 lit. g) der Restrukturierungsrichtlinie. Eine grenzüberschreitende unternehmerische Tätigkeit ist nicht erforderlich. In Erwägungsgrund 11 der Restrukturierungsrichtlinie wird klargestellt: „Selbst rein nationale Insolvenzen können durch den sogenannten Dominoeffekt von Insolvenzen Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts haben, wenn die Insolvenz eines Schuldners weitere Insolvenzen in der Lieferkette auslöst.“
d) Zusammenfassung Der Begriff des Schuldners lässt sich nunmehr wie folgt präzisieren: Ein Schuldner ist jeder insolvenzfähige Rechtsträger, der selbstständig im Rahmen einer auf Dauer angelegten Struktur an einem Markt Leistungen gegen Entgelt anbietet.
Die RRiL führt mit ihrem risikobezogenen Ansatz dazu, dass sie sich nicht auf bestimmte Rechtsträger oder Rechtsformen festlegt, sondern sie trifft Regelungen für ein rechtsformunabhängiges Unternehmens-Restrukturierungsrecht. 2. Der „Schuldner“ im deutschen Recht Als Ausgangspunkt bleibt, dass es sich bei dem Begriff des Schuldners in der RRiL um einen autonom auszulegenden Begriff des europäischen Rechts handelt.21 Im Folgenden soll dargestellt werden, welche Rechtssubjekte im deutschen Recht unter den Begriff des Schuldners fallen können und in einem zweiten Schritt, welchen konkreten Ansatz das StaRUG gewählt hat. Die allgemeinen Ausführungen dazu, ob bestimmte Rechtsträger als Schuldner im Sinne der RRiL anzusehen sind, können zur näheren Konkretisierung des Schuldnerbegriffs im StaRUG dienen und dabei helfen, die Frage zu beantworten, wer den SRR in Anspruch nehmen darf. Es werden daher erst allgemein die Schuldnereigenschaften der einzelnen Rechtsträger untersucht und dann wird dargestellt, welche konkreten Voraussetzungen das StaRUG aufstellt. a) Allgemeine Voraussetzungen Den äußeren Rahmen für die Anwendbarkeit des präventiven Restrukturierungsrahmens im deutschen Recht bildet § 11 InsO. Dieser bestimmt diejenigen Rechtssubjekte, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet werden kann. 21 Vgl. zur autonomen Auslegung unionsrechtlicher Begriffe EuGH (Fünfte Kammer), Urt. v. 7. 8. 2018 – C-61/17, C-62/17, C-72/17 (Bichat u. a./Aviation Passage Service Berlin GmbH & Co. KG) = EuZW 2018, 953 Rn. 29 m. w. N.
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Der präventive Restrukturierungsrahmen dient der Vermeidung von Insolvenzen durch eine frühzeitige Restrukturierung. Die Insolvenzfähigkeit nach § 11 InsO ist damit die Mindestanforderung, die ein Schuldner im deutschen Recht erfüllen muss, um als Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie zu gelten. b) Einzelunternehmer Für die RRiL ist die unternehmerische Tätigkeit entscheidend für den Zugang zum PRR. Der Archetyp des Unternehmers ist der Einzelunternehmer. Die RRiL will insbesondere auch den KMUs Zugang zu einer Restrukturierung ermöglichen.22 Diese sind ebenfalls häufig als Einzelunternehmung organisiert. Der Einzelunternehmer soll daher als Ausgangspunkt dienen, für die Untersuchung der Frage, wer als Schuldner im deutschen Recht in Betracht kommt. Der kaufmännische Einzelunternehmer, der ein Handelsgewerbe im Sinne von § 1 Abs. 1 HGB betreibt, kann Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie sein. Der deutsche Kaufmannsbegriff kann also eine erste Hilfestellung zur Konkretisierung des Begriffs des Schuldners im deutschen Recht sein. Denn derjenige, der ein Handelsgewerbe im Sinne von § 1 Abs. 1 HGB betreibt, erfüllt jedenfalls den Begriff des Schuldners. Die Ausübung eines Handelsgewerbes im Sinne von § 1 Abs. 2 HGB erfüllt sowohl die Voraussetzung der unternehmerischen Tätigkeit als auch diejenige der unternehmerischen Struktur. Letzteres ergibt sich aus dem Erfordernis des in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetriebs. Liegt ein solcher Geschäftsbetrieb vor, ist davon auszugehen, dass auch ein Investitionsrisiko vorliegt, welches die Anwendung der Restrukturierungsrichtlinie rechtfertigt. Bei dem Betrieb eines Gewerbes im Sinne von § 1 Abs. 2 HGB müsste im Einzelfall geprüft werden, ob auch eine Schuldnereigenschaft im Sinne der RRiL vorliegt. Entscheidend ist, ob im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit ausreichend Investitionsrisiken verwirklich sind. Dies kann im Einzelfall auch ohne einen in kaumännischer Art und Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb im Sinne von § 1 Abs. 2 HGB der Fall sein. Ein Gewerbebetrieb ist nach der deutschen Rechtsprechung jeder berufsmäßige Geschäftsbetrieb, der von der Absicht dauernder Gewinnerzielung beherrscht ist.23 Die Gewinnerzielungsabsicht ist nach herrschender Ansicht in der Literatur jedoch für einen Gewerbebetrieb nicht erforderlich. Ausreichend ist das planmäßige marktorientierte Angebot einer entgeltlichen Leistung.24 Die Planmäßigkeit der entgeltlichen Angebotstätigkeit, welche für eine gewerbliche Tätigkeit gefordert wird25, kann sich mit mit dem Vorhandensein einer unterneh22
Vgl. EWG 17 f. RRiL; dazu auch Smid, NZI-Beilage 2021, 64 f. BGH, Urt. v. 18. 1. 1968 – VII ZR 101/65 = NJW 1968, 639; BGH, Urt. v. 22. 4. 1982 – VII ZR 191/81 = NJW 1982, 1815. 24 Dazu Karsten Schmidt, in: MüKo HGB, § 1 Rn. 31 m. w. N.; Roth, in: K/K/R/D, HGB, § 1 Rn. 6 ff. 25 Vgl. Karsten Schmidt, in: MüKo HGB, § 1 Rn. 30. 23
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merischen Struktur decken, die Investitionsrisiken birgt und daher Voraussetzung für den Schuldner im Sinne der RRiL ist. Zwingend gleichzusetzen sind die beiden Voraussetzungen nicht. So kann beispielsweise der Ebay Powerseller, der seine eigene äußerst umfangreiche Stempelsammlung (weit über 100.000 Stück) über einen langen Zeitraum fast täglich online verkauft, die Voraussetzungen für eine gewerbliche Tätigkeit erfüllen, ohne gleichzeitig Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie zu sein, da keine unternehmerische Struktur vorliegt.26 Die Eintragung in das Handelsregister kann für sich genommen hingegen nicht als Beleg für eine Schuldnereigenschaft genommen werden. In das Handelsregister wird beispielsweise auch die EWIV eingetragen (§ 2 Abs. 2 EWIV-AG). Diese erfüllt jedoch keineswegs in jedem Fall die Voraussetzungen des Schuldnerbegriffs.27 Teile der Literatur sprechen ihr sogar die Fähigkeit ab, ein Gewerbe zu betreiben.28 Ein weiteres Beispiel ist die Partenreederei nach § 489 ff. HGB a. F. Diese konnte nach h. M. nicht in das Handelsregister eingetragen werden.29 Soweit es noch existierende Partenreedereien gibt30, können diese jedoch als Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie anzusehen sein. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Rechtsträgern, die das deutsche Recht nicht als Kaufmann einordnet, welche jedoch als Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie anzusehen sind. Erforderlich ist mithin eine Betrachtung des jeweiligen Rechtsträgers, ob dieser als Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie anzusehen ist. Der Kaufmannsbegriff bietet dabei eine erste Orientierung, mehr aber auch nicht. c) Juristische Personen aa) Kapitalgesellschaften Der Begriff des Schuldners aus der Restrukturierungsrichtlinie erfasst die juristischen Personen des deutschen Privatrechts, also insbesondere AG, GmbH, KGaA und SE. Die Selbständigkeit als Merkmal der unter B. I. 1. d) herausgearbeiteten Definition ist bei juristischen Personen stets erfüllt. Dies gilt unabhängig von einer Einbindung in Konzernstrukturen. Das Merkmal der Selbständigkeit dient insbe26 OLG Frankfurt a. M., Beschluss v. 21. 3. 2007 – 6 W 27/07 = NJOZ 2007, 2069 zu dem Begriff des Unternehmers in § 14 BGB. Ob der vom OLG Frankfurt a. M. entschiedene Fall einen Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie betrifft, kann nicht abschließend beurteilt werden. Dafür könnte bspw. sprechen, dass der Betroffenen in dem Verfahren seinen Online-Shop bewirbt und dafür Verbindlichkeiten eingegangen ist. Dies bleibt jedoch unklar, da das Gericht maßgeblich auf Dauer und Umfang der Verkaufstätigkeit abstellt. 27 Dazu unter B. I. 2. c) ee). 28 Karsten Schmidt, in: MüKo HGB, § 1 Rn. 47. 29 Kindler, in: E/B/J/S, HGB, § 1 Rn. 75; Weipert, in: MüHdBGesR, Bd. I, § 87 Rn. 30. 30 Die Partenreederei wurde abgeschafft. Für bestehende Partenreedereien gelten die bisherigen Vorschriften fort, Herber, in: MüKo HGB, EGHGB Art. 71 Rn. 2 f.
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sondere dazu, bei natürlichen Personen eine Abgrenzung zwischen Arbeitnehmern und unternehmerisch tätigen Personen vorzunehmen.31 Zudem sind Kapitalgesellschaften auf Geschäftsgewinn ausgerichtet.32 Die auf Dauer angelegte entgeltliche Leistungserbringung, welche für den Begriff des Schuldners wesentlich ist, stellt das Mittel zur Erreichung dieses Zweck dar. Kapitalgesellschaften könnten damit stets als Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie eingeordnet werden. Die Investmentaktiengesellschaft im Sinne von § 1 Abs. 11 Alt. 1, §§ 139 ff. KAGB ist gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. c RRiL vom Anwendungsbereich der RRiL ausgenommen. bb) Vereine Im Gegensatz zu den Kapitalgesellschaften ist der Zweck von nicht wirtschaftlichen Vereinen nach § 21 BGB nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet. Im Rahmen des sogenannten Nebenzweckprivilegs können nicht wirtschaftliche Vereine im Sinne von § 21 BGB jedoch einen Geschäftsbetrieb unterhalten und damit ihren ideellen Zweck fördern, indem sie Mittel zur Förderung des Zwecks generieren oder den Zweck unmittelbar durch einen Geschäftsbetrieb verwirklichen.33 Auf die Größe und den Umfang des Geschäftsbetriebes kommt es nach der Rechtsprechung des BGH nicht ausschließlich an für die Frage, ob der unterhaltene Geschäftsbetrieb dem Nebenzweckprivileg unterfällt.34 Ob die wirtschaftliche Betätigung Selbstzweck ist, wie bei Kapitalgesellschaften, oder bloß einem ideellen Hauptzweck zugeordnet ist, wie bei einem eingetragenen Verein, macht aus Sicht der Restrukturierungsrichtlinie keinen Unterschied. Entscheidend ist, dass durch das planmäßige entgeltliche Anbieten von Leistungen die Interessen von Gläubigern und sonstigen Stakeholdern berührt werden. Der BGH stellt in der Entscheidung vom 16. Mai 2017 – II ZB 7/16 = NJW 2017, 1943, 1945 Rz. 31 hinsichtlich der geschäftlichen Tätigkeit eines eingetragenen Vereins fest, „dass bei einer nach außen gerichteten Betätigung Gläubigerinteressen in besonderem Maße berührt werden“. Soweit ein Verein nach § 21 BGB im Rahmen des Nebenzweckprivilegs durch das entgeltliche und planmäßige Angebot von Leistungen unternehmerisch tätig ist, kann er daher als Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie angesehen werden. Aus Sicht des Gläubigerschutzes ist dabei auch unerheblich, ob der Verein seine Leistungen externen Dritten oder seinen eigenen Mitgliedern anbietet. Im letzten Fall
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Karsten Schmidt, in: MüKo HGB, § 1 Rn. 27. Vgl. BGH, Beschluss v. 16. 5. 2017 – II ZB 7/16 = NJW 2017, 1943, 1944 Rz. 25. BGH, Beschluss v. 16. 5. 2017 – II ZB 7/16 = NJW 2017, 1943. BGH, Beschluss v. 16. 5. 2017 – II ZB 7/16 = NJW 2017, 1943, 1945 Rz. 29.
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spricht man von einem sog. internen Markt.35 Auch wenn der Verein seine Leistungen nur an seine Mitglieder anbietet, besteht beispielsweise für die Lieferanten des Vereins ein Ausfallrisiko, wenn der Verein an diesem (internen) Markt keinen ausreichenden Umsatz erwirtschaften kann. Vom deutschen handelsrechtlichen Gewerbegriff werden teilweise Leistungen ausgenommen, die zum Zweck der Selbstversorgung ausschließlich an Mitglieder erbracht werden (sog. reines Mitgliedergeschäft).36 Je nach Ausgestaltung kann auch bei einem reinen Mitgliedergeschäft eine unternehmerische Struktur verwirklicht sein, die als Voraussetzung für die Einordnung als Schuldner im Sinne der RRiL erforderlich ist.37 Dass ein grenzüberschreitendes Angebot nicht erforderlich ist für die Anwendung Restrukturierungsrichtlinie, wurde bereits unter B. I. 1. c) dargelegt. Die steuerrechtliche Gemeinnützigkeit eines Vereins, aber auch anderer juristischer Personen nach §§ 51 ff. AO, spielt für die Einordnung als Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie keine Rolle. In der BGH-Entscheidung vom 16. Mai 2017 – II ZB 7/16 = NJW 2017, 1943, 1945 wird die Gemeinnützigkeit als Indiz dafür gewertet, dass der Verein nicht auf einen Geschäftsbetrieb ausgerichtet sei. In der Praxis führt die Gemeinnützigkeit der Vereine zu einem verstärkten Gläubigerschutz, da § 55 Abs. 1 Nr. 1 AO gemeinnützigen Vereinen untersagt, den Mitgliedern des Vereins Gewinnanteile zuzuwenden. Dies führt dazu, dass Vereine regelmäßig viel Eigenkapital vorhalten. Da die Mitglieder zudem kein Gewinninteresse verfolgen, besteht für Vereine in der Regel kein Anreiz unternehmerische Risiken einzugehen.38 Im Ergebnis schützt die Gemeinnützigkeit daher Gläubigerinteressen. Für die Anwendung der Restrukturierungsrichtlinie ist jedoch der Befund ausreichend, dass durch die unternehmerische Betätigung der Vereine Gläubigerinteresse berührt sind, sei es auch in geringem Umfang aufgrund von Mechanismen, wie etwa den Folgen einer steuerrechtlichen Gemeinnützigkeit. Die Einordnung der unternehmerischen Tätigkeit als bloßen Nebenzweck zu einem vereinsrechtlich zulässigen Hauptzweck ist für die Anwendung der Restrukturierungsrichtlinie unerheblich. Für die Schuldnereigenschaft im Sinne der RRiL wäre es nicht ausreichend, dass ein Verein eine Beteiligung an einem anderen Rechtsträger hält, welcher selbst ein Unternehmen betreibt.39 Die Risiken für die Gläubiger bündeln sich in dem 35 Zur Abgrenzung von äußerem und innerem Markt Leuschner, in: MüKo BGB, §§ 21, 22, Rn. 42; bezgl. des Gewerbebegriffs in § 1 HGB Karsten Schmidt, in: MüKo HGB, § 1 Rn. 28. 36 Zu dem Begriff Karsten Schmidt, in: MüKo HGB, § 1 Rn. 28. 37 Vgl. Körber, in: Oetker, HGB, § 1 Rn. 20; vgl. auch Reuter, npoR 2015, 199, 202, der danach differenziert, ob die Mitgliederbeziehung „kundenähnlich“ ist; Karsten Schmidt, in: MüKo HGB, § 1 Rn. 28: planmäßiges und dauerhaftes Anbieten von entgeltlichen Leistungen an einem Markt entfällt bei reinem Mitgliedergeschäft, da die Mitglieder bei einer reinen Selbstversorgung keine Marktgegenseite darstellen. 38 Leuschner, npoR 3/2016, 99, 100. 39 Grundlegend zu dieser Konstellation BGH, Urt. v. 29. 9. 1982 – I ZR 88/80 (sog. ADACUrteil).
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Rechtsträger, an welchem die Beteiligung besteht. Der unternehmensbetreibende Rechtsträger ist mithin selbst als Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie zu betrachten. Die Restrukturierungsrichtlinie findet damit Anwendung, wenn aufgrund der unternehmerischen Tätigkeit und unternehmerischen Struktur ein abstraktes Insolvenzrisiko besteht. Wenn ein solches abstraktes Risiko für die Gläubiger entscheidend ist, kann man die Fragen stellen, ob bei Vereinen, deren Kosten durch den Staat übernommen werden, überhaupt von einer unternehmerischen Tätigkeit gesprochen werden kann, da die Gläubiger hier kein Risiko haben und der Verein selbst auch kein unternehmerisches Risiko trägt.40 Für die Einordnung als Schuldner im Sinne der RRiL kommt es aber nicht auf das konkrete Ausfallrisiko an, sondern darauf, ob abstrakt Insolvenzrisiken bestehen aufgrund einer unternehmerischen Tätigkeit und einer unternehmerischen Struktur. Ob eine Insolvenz konkret droht oder aufgrund der Bonität möglicher Finanziers ausgeschlossen ist, schlägt sich in der Frage nieder, ob Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen zu gewähren ist aufgrund einer wahrscheinlichen Insolvenz. Vereine gemäß § 21 BGB sind daher dann als Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie zu betrachten, wenn sie im Einzelfall eine Tätigkeit ausüben, die die Voraussetzungen der oben genannten Definition des Schuldners erfüllt. cc) Genossenschaften Die Genossenschaft ist gemäß § 17 Abs. 1 GenG eine juristische Person. § 1 des Genossenschaftsgesetzes beschreibt das Wesen der Genossenschaft so: „Gesellschaften von nicht geschlossener Mitgliederzahl, deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern (Genossenschaften).“
Wesentliches Merkmal einer Genossenschaft ist also die Förderung ihres Zwecks durch einen Geschäftsbetrieb. Dieser wird als „planmäßige, auf Dauer angelegte unternehmerische Tätigkeit unter Zusammenfassung von sachlichen, personellen und organisatorischen Mitteln“ verstanden.41 Die unternehmerische Tätigkeit ist auch hier im Sinne einer anbietenden Tätigkeit an einem Markt zu verstehen.42 Die Genossenschaft erfüllt damit die Merkmale des Schuldners im Sinne der Restrukturierungslinie. Dies gilt auch, wenn der Geschäftsbetrieb sozialen oder kulturellen Belangen dient. Denn die Gläubigerinteressen werden durch den Geschäftsbetrieb unabhängig davon berührt, welchem Zweck dieser dient. Genossenschaften sind damit stets als Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie zu betrachten. 40 41 42
Dazu Schauhoff/Kirchhain, ZIP 2016, 1857, 1862; Reuter, npoR 2015, 199, 203. Fandrich, in: Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, Genossenschaftsgesetz, § 1 Rn. 21. Vgl. Geibel, in: Henssler/Strohn, GesR, GenG, § 1 Rn. 11.
I. Adressat der Pflichten
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dd) Stiftungen Aufgrund des Ausschlusses für öffentliche Stellen in Art. 1 Abs. 2 lit. g) der Restrukturierungsrichtlinie wird nur die rechtsfähige Stiftung des Privatrechts, die in den §§ 80 ff. BGB geregelt ist, in diese Untersuchung einbezogen. Auch eine Stiftung kann Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie sein. Dabei ist insbesondere an die sog. unternehmensverbundenen Stiftungen zu denken. Bei der sog. Unternehmensträgerstiftung betreibt die Stiftung selbst ein Unternehmen.43 Die Zulässigkeit eines Stiftungszweck, der auf den Betrieb eines Unternehmens gerichtet ist, ist umstritten.44 Da die Stiftung für den Betrieb eines Unternehmens nicht als praktikable Alternative zu Kapitalgesellschaften und Genossenschaften anzusehen ist, deren zwingende Bestimmungen durch die Stiftung unterlaufen werden könnten, soll die Möglichkeit ein Unternehmen zu betreiben, für Stiftungen nicht eingeschränkt werden.45 Die praktische Relevanz von Unternehmensträgerstiftungen ist äußerst gering. In der Literatur wird die Eignung von Stiftung zum Betrieb eines Unternehmens mangels Vorschriften, die den Rechtsverkehr schützen, bezweifelt.46 Entscheidend für die Frage, ob Stiftungen Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie sein können, ist jedoch, dass die rechtliche Möglichkeit von Unternehmensträgerstiftungen besteht und Stiftungen damit selbst planmäßig und dauerhaft an einem Markt Leistungen anbieten können. Liegt ein solcher Fall vor, sind Gläubigerinteressen berührt sind und die Stiftung ist als Schuldner einzuordnen. Abzugrenzen von der Unternehmensträgerstiftung ist die Beteiligungsträgerstiftung, welche lediglich Anteile an einem weiteren Rechtsträger hält, der das Unternehmen betreibt.47 Ebenso wie bei einem Verein führt die bloße Beteiligung an einem anderen unternehmerisch tätigen Rechtsträger nicht zur Schuldnereigenschaft. Eine unternehmerische Tätigkeit in Form eines planmäßigen und dauerhaften Anbietens von Leistungen an einem Markt wird durch die Beteiligung nicht begründet. Stiftungen kommen daher im Einzelfall als Schuldner in Betracht, abhängig von ihrer konkreten wirtschaftlichen Betätigung. ee) Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Versicherungsunternehmen im Sinne des Artikels 13 Nummer 1 und 4 der Richtlinie 2009/138/EG, sind nach Art. 1 Abs. 2 lit. a) der Restrukturierungsrichtlinie vom Anwendungsbereich der Restrukturierungsrichtlinie ausgeschlossen und 43
Weitemeyer, in: MüKo BGB, § 80 Rn. 198. Weitemeyer, in: MüKo BGB, § 80 Rn. 200. 45 Vgl. Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Stiftungsrecht“, S. 15; Weitemeyer, in: MüKo BGB, § 80 Rn. 200. 46 Weitemeyer, in: MüKo BGB, § 80 Rn. 200 m. w. N. 47 Weitemeyer, in: MüKo BGB, § 80 Rn. 198. 44
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
daher nicht als Schuldner anzusehen. Nach Artikel 13 Nummer 1 der Richtlinie 2009/138/EG ist ein Versicherungsunternehmen „ein direktes Lebensversicherungsoder Nichtlebensversicherungsunternehmen, das eine Zulassung gemäß Artikel 14 erhalten hat“. Nach Art. 4 der Richtlinie 2009/138/EG sind jedoch bestimmte Versicherungsunternehmen aufgrund des Volumens vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/138/EG ausgenommen, sodass auch der Ausschluss nach Art. 1 Abs. 2 lit. a) RRiL nicht greifen würde. Grundsätzlich kommen VVaG als Schuldner in Betracht. Im Einzelfall ist zu prüfen, ob die Ausnahme nach Art. 1 Abs. 2 lit. a) der Restrukturierungsrichtlinie einschlägig ist, was unter anderem von der Höhe der jährlich verbuchten Bruttoprämieneinnahmen abhängt (Art. 4 Abs. 1 lit. a RL 2009/138/EG). ff) Juristische Personen des öffentlichen Rechts Die juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind aufgrund der Ausnahme in Art. 2 Abs. 2 lit. g der Restrukturierungsrichtlinie nicht als Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie anzusehen. § 12 InsO regelt zudem die Insolvenzunfähigkeit bestimmter öffentlich-rechtlicher Körperschaften. d) Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit/Gesamthandsgemeinschaften § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO regelt die Insolvenzfähigkeit von Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, namentlich der OHG, KG, Partnerschaftsgesellschaft, GbR, Partenreederei und Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung. aa) Offene Handelsgesellschaften und Kommanditgesellschaften Bei der OHG und der KG ist der Zweck der Gesellschaft laut § 105 und § 161 HGB auf den Betrieb eines Handelsgewerbes im Sinne von § 1 Abs. 2 HGB gerichtet. Nach § 1 Abs. 2 HGB ist ein Handelsgewerbe jeder Gewerbetrieb, es sei denn, dass das Unternehmen nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert. Ein Gewerbebetrieb ist nach der deutschen Rechtsprechung jeder berufsmäßige Geschäftsbetrieb, der von der Absicht dauernder Gewinnerzielung beherrscht ist.48 Die Gewinnerzielungsabsicht ist nach herrschender Ansicht in der Literatur jedoch für einen Gewerbebetrieb nicht erforderlich. Ausreichend ist das marktorientierte Angebot einer entgeltlichen Leistung.49 Handelsgesellschaften, wie die OHG und KG sind damit Rechtssubjekte, die im Rahmen einer dauerhaften wirtschaftlichen Struktur entgeltliche Leistungen an 48
BGH, Urt. v. 18. 1. 1968 – VII ZR 101/65 = NJW 1968, 639; BGH, Urt. v. 22. 4. 1982 – VII ZR 191/81 = NJW 1982, 1815. 49 Dazu Karsten Schmidt, in: MüKo HGB, § 1 Rn. 31 m. w. N.; Roth, in: K/K/R/D, HGB, § 1 Rn. 6 ff.
I. Adressat der Pflichten
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einem Markt anbieten. Handelsgesellschaften können damit stets als Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie betrachtet werden. Ausgenommen vom Anwendungsbereich der RRiL sind gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. c RRiL50 sog. Investmentkommanditgesellschaften i. S. v. § 1 Abs. 11 Alt. 2 KAGB, §§ 124, 149 KAGB.51 bb) Gesellschaften bürgerlichen Rechts In der GbR schließen sich Personen zur Förderung eines gemeinsamen Zwecks zusammen (§ 705 BGB). Bei der GbR wird zwischen der Außen- und der Innengesellschaft unterschieden. Die Außengesellschaft tritt selbst nach außen im Rechtsverkehr auf. Sie ist selbst rechtsfähig und kann selbst ein Gesellschaftsvermögen bilden und Verbindlichkeiten begründen.52 Im Gegensatz dazu vereinbaren die Beteiligten bei der Innengesellschaft, dass diese als solche nicht am Rechtsverkehr teilnimmt, sodass ihr auch keine Rechtsfähigkeit zukommt.53 Nach der vorzugswürdigen h. M. hält die Innengesellschaft auch kein eigenes gesamthänderisch gebundenes Vermögen.54 Einigkeit besteht soweit, dass eine Innengesellschaft ihren Gesellschaftszweck nach § 705 BGB nicht darauf ausrichtet, werbenden Kontakt mit Dritten aufzunehmen. Die Innengesellschaft kann daher das erforderliche Investitionsrisiko nicht verwirklichen und kommt als Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie nicht in Betracht. Die sog. Außen-GbR kommt grundsätzlich als Schuldner in Betracht. Der vertragliche Zusammenschluss zur Förderung des gemeinsamen Zwecks kann Grundlage der dauerhaften Struktur sein, wie sie der Begriff des Schuldners im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie fordert. Ob die unternehmerische Struktur einen ausreichenden Umfang hat und der gemeinsame Zweck darauf gerichtet ist, Leistungen gegen Entgelt an einem Markt anzubieten kommt auf den Einzelfall an. Liegen diese Voraussetzungen vor, so kann die GbR Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie sein. Die Insolvenzfähigkeit der (Außen-)GbR ist durch § 11 Abs. 1 InsO anerkannt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass wenn die GbR ein Handelsgewerbe im
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Art. 1 Abs. 2 lit. c RRiL verweist auf Art. 4 Abs. 2 und 7 der Verordnung EU 575/2013, der wiederum auf Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie EU 2009/65/EG verweist. 51 Zur Investmentkommanditgesellschaft siehe Grunewald/Brungs, in: MüKo HGB, Anhang § 161 Rn. 1 ff., insb. Rn. 5. 52 Heute ganz h. M.; siehe insbesondere BGH, Urt. v. 29. 1. 2001 – II ZR 331/00 = NJW 2001, 1056; BGH, Beschluss v. 18. 2. 2002 – II ZR 331/00 = NJW 2002, 1207; Schäfer, in: MüKo BGB, § 705 Rn. 300. 53 Schäfer, in: MüKo BGB, § 705 Rn. 287. 54 BGH, Urt. v. 13. 6. 1994 – II ZR 38/93 = BGHZ 126, 226, 234; BGH, Urt. v. 29. 11. 2011 @ II ZR 306/09 = NZG 2012, 222, 224; Schäfer, in: MüKo BGB, § 705 Rn. 288; für ein Gesamthandsvermögen der Innengesellschaft Beuthien, NZG 2001, 161, der auch die Rechtsfähigkeit der Innengesellschaft bejaht.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Sinne von § 1 Abs. 2 HGB betreibt, sie eine OHG darstellt und damit bereits Schuldner im Sinne der RRiL sein kann. Die GbR als Schuldner im Sinne der RRiL ist also möglich, wird jedoch eher die Ausnahme darstellen. cc) Partnerschaftsgesellschaften Nach § 1 Abs. 1 des PartGG ist die Partnerschaft eine Gesellschaft, „in der sich Angehörige Freier Berufe zur Ausübung ihrer Berufe zusammenschließen. Sie übt kein Handelsgewerbe aus. Angehörige einer Partnerschaft können nur natürliche Personen sein“.
Bei der Partnerschaftsgesellschaft handelt sich also um eine Personengesellschaft, in der sich Freiberufler zum Zweck ihrer Berufsausübung zusammenschließen. Insofern stellt die Partnerschaftsgesellschaft eine Sonderform der GbR dar. In diesem dauerhaften Rahmen bieten die Gesellschafter ihre freiberuflichen Dienstleistungen gegen Entgelt an. Die Partnerschaftsgesellschaft kann daher als Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie anzusehen sein, wenn eine ausreichende unternehmerische Struktur vorhanden ist, was regelmäßig der Fall sein wird.55 dd) Stille Gesellschaft Die in den §§ 230 ff. HGB geregelte stille Gesellschaft ist eine Sonderform der GbR in Form der sog. Innengesellschaft.56 Die stille Gesellschaft ist daher nicht selbst Rechtsträger und hat auch kein eigenes Gesellschaftsvermögen.57 Sie ist nicht insolvenzfähig.58 Als Schuldner im Sinne Restrukturierungsrichtlinie kommt die stille Gesellschaft daher nicht in Betracht. ee) Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) Die Rechtsgrundlage für die EWIV ist die EWG-Verordnung 2137/85 des Rates vom 25. Juli 1985 (EWIV-VO). In Deutschland gilt ergänzend das Gesetz zur Ausführung der EWG-Verordnung über die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung vom 14. 4. 1988 in der Fassung vom 22. 6. 1998 („EWIV-AG“). 55 Vgl. auch die Bestrebungen des sog. Mauracher Entwurfs zu Öffnung der Personenhandelsgesellschaften für freie Berufe, dazu Schäfer, ZIP 2020, 1149, 1153. 56 Siehe dazu bereits unter B. I. 2. c) bb). 57 Karsten Schmidt, in: MüKo HGB, § 230 Rn. 7. 58 Prütting, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 11 Rn. 54.
I. Adressat der Pflichten
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Nach § 1 des EWIV-AG sind die Vorschriften der offenen Handelsgesellschaft auf die EWIV anzuwenden soweit nicht die EWIV-VO gilt. Der deutsche Gesetzgeber qualifiziert die EWIV damit als Personengesellschaft. Aufgrund der in Art. 19 EWIV-VO vorgesehenen Möglichkeit zur Fremdgeschäftsführung wird die EWIV als Personenhandelsgesellschaft mit Fremdgeschäftsführung eingeordnet.59 Erforderlich für die Gründung einer EWIV sind stets mindestens zwei Mitglieder aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten, sodass ein grenzüberschreitender Bezug besteht (vgl. Art. 4 EWIV-VO). Die Insolvenzfähigkeit der EWIV folgt aus der Anwendung der OHG-Regeln, aus § 11 EWIV-AG sowie aus Art. 36 S. 1 EWG-Verordnung 2137/85. Nach Art. 3 EWIV-VO hat die Vereinigung den Zweck, „die wirtschaftliche Tätigkeit ihrer Mitglieder zu erleichtern oder zu entwickeln sowie die Ergebnisse dieser Tätigkeit zu verbessern oder zu steigern; sie hat nicht den Zweck, Gewinn für sich selbst zu erzielen. Ihre Tätigkeit muß im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Tätigkeit ihrer Mitglieder stehen und darf nur eine Hilfstätigkeit hierzu bilden“.
Die EWIV soll also lediglich zur Unterstützung ihrer Mitglieder tätig werden und soll nicht aus eigenem Gewinninteresse tätig werden.60 Die EWIV unterliegt daher einigen Restriktionen. Sie darf beispielsweise nicht mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigen und sich nur in begrenztem Umfang an anderen Unternehmen beteiligen (Art. 3 der EWIV-VO). Die unterstützende Tätigkeit für die Mitglieder schließt jedoch eine unternehmerische Tätigkeit im Sinne der hier vertretenen Auslegung des Schuldnerbegriffes der RRiL nicht aus. Die Unterstützung für ihre Mitglieder kann die EWIV auch in Form eines dauerhaften und planmäßigen entgeltlichen Angebots an einem internen Markt gewähren.61 Dass die Kunden der EWIV ihre eigenen Mitglieder sind, steht dabei nicht entgegen.62 Die unternehmerische Tätigkeit der EWIV kann ein Mittel zur Erfüllung des Zwecks sein, ihre Mitglieder zu unterstützen.63 Möglicherweise stellen auch die erbrachten Dienstleistungen für die Mitglieder, für welche diese einen Beitrag zahlen, eine ausreichende anbietende Tätigkeit dar.64 Liegt eine entgeltliche anbietende Tätigkeit durch die EWIV vor, wird ein abstraktes Insolvenzrisiko für die Gläubiger der EWIV geschaffen, sodass die Anwendung der Restrukturierungsrichtlinie angemessen ist. 59
Pathe, in: MüAnwHdB Personengesellschaftsrecht, § 28 Rn. 51. Vgl. Pathe, in: MüAnwHdB Personengesellschaftsrecht, § 28 Rn. 52. 61 Karsten Schmidt, in: MüKo HGB, § 1 Rn. 47, spricht wegen Art. 3 Abs. 2 EWIV-VO der EWIV das Recht ab einen Gewerbebetrieb zu betreiben. 62 Vgl. zur ähnlichen Situation bei Vereinen, die auf einem internen Markt ihre Leistungen anbieten, B. I. 2. b) bb). 63 Die Diskussion ähnelt derjenigen um die Nebentätigkeit von Vereinen, siehe dazu B. I. 2. b) bb). 64 Vgl. zur Niederlassungsfreiheit Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 14. 60
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Die EWIV kann somit im Einzelfall ein Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie sein. ff) Partenreederei Die Partenreederei wurde abgeschafft. Gemäß Art. 71 Abs. 1 des EGHGB bleiben die Vorschriften des §§ 489 bis 509 HGB a. F. jedoch für Partenreedereien (und Baureedereien) in Kraft, die vor dem 25. April 2013 entstanden sind. § 489 Abs. 1 HGB a. F. definierte die Partenreederei folgendermaßen: „Wird von mehreren Personen ein ihnen gemeinschaftlich zustehendes Schiff zum Erwerb durch die Seefahrt für gemeinschaftliche Rechnung verwendet, so besteht eine Reederei.“
Die Partenreederei ist eine Gesamthandsgemeinschaft.65 Der Erwerbszweck ist konstitutives Merkmal. Durch den Erwerb des Schiffes liegt eine ausreichende unternehmerische Struktur vor. Sie ist daher stets als Schuldner nach der Restrukturierungsrichtlinie einzuordnen. Dass der Partenreederei nach umstrittener Auffassung die Kaufmannseigenschaft abgesprochen wurde und sie daher nicht ins Handelsregister eingetragen werden konnte66, steht dem nicht entgegen. gg) Erbengemeinschaft Bei der Erbengemeinschaft handelt es sich um eine auf Auseinandersetzung gerichtete Gesamthandsgemeinschaft (§ 2032 BGB). Sie ist als solche nicht rechtsfähig, insbesondere wird die Rechtsprechung des BGH zur Rechtsfähigkeit der (Außen-)GbR nicht auf die Erbengemeinschaft übertragen.67 Durch einen Erbfall kann ein Unternehmen im Rahmen einer Erbengemeinschaft fortgeführt werden, welches zuvor bspw. von einem Einzelkaufmann betrieben wurde. Zwar ist die Erbengemeinschaft auf Auseinandersetzung gerichtet. Die Fortführung eines ererbten Unternehmens durch die Erbengemeinschaft ist jedoch zeitlich nicht begrenzt.68 Die Erbengemeinschaft wird durch die Fortführung des ererbten Unternehmens nicht zur Handelsgesellschaft. Als Inhaber des Unternehmens und als Kaufleute sind nach herrschender Ansicht die einzelnen Erben (in gesamthänderischer Verbundenheit) zu betrachten.69 Die Erbengemeinschaft ist nach überwie-
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Körber, in: Oetker, HGB, § 1 Rn. 79. Vgl. dazu Körber, in: Oetker, HGB, § 1 Rn. 79 m. w. N. 67 BGH, Urt. v. 11. 9. 2002 – XII ZR 187/00 = NJW 2002, 3389; BGH, Urt. v. 29. 1. 2001 – II ZR 331/00 = NJW 2001, 1056. 68 BGH, Urt. v. 21. 5. 1955 – IV ZR 7/55 = BGHZ 17, 299; dazu Karsten Schmidt, NJW 1985, 2785, 2787. 69 Körber, in: Oetker, HGB, § 1 Rn. 83; Kindler, in: E/B/J/S, HGB, § 1 Rn. 77; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 1 Rn. 37 f.; Roth, in: K/K/R/D, HGB, § 1 Rn. 22; a. A. Karsten Schmidt, in: MüKo HGB, § 1 Rn. 52. 66
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gender Ansicht nicht rechtsfähig70 und der Gesetzgeber hat sie in § 11 InsO unerwähnt gelassen und ihr damit die Insolvenzfähigkeit abgesprochen. Damit kommt sie nicht als Schuldnerin im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie in Betracht. Als Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie ist damit der jeweilige Erbe als Kaufmann zu betrachten. Dieser Einordnung steht es nicht entgegen, dass § 11 Abs. 2 Nr. 2 InsO das Sondervermögen eines Nachlaß für selbstständig insolvenzfähig erklärt. Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie muss ein eigenständiger Rechtsträger sein, der auch Adressat der Rechte und Pflichten der Restrukturierungsrichtlinie sein kann, sodass ein insolvenzfähiger Nachlass ebenfalls nicht als Schuldner im Sinne der RRiL in Betracht kommt. Aufgrund des teilkollektiven Charakters des präventiven Restrukturierungsrahmens (und des SRR nach StaRUG), wäre es aber denkbar, dass ein Erbe eine Restrukturierung betreibt, die sich auf bestimmte Nachlassverbindlichkeiten beschränkt. hh) Gütergemeinschaft Nach dem Beschluss des Bayerischen Oberlandesgerichts vom 25. Juli 1991 – BReg. 3 Z 16/91, können Eheleute gemeinschaftlich in Gütergemeinschaft ein Unternehmen betreiben. Die Gütergemeinschaft der Eheleute wird dadurch aber nicht Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie. Mangels Rechtsfähigkeit und ausreichender Möglichkeiten zur Vertretung im Rechtsverkehr ist nicht die Gütergemeinschaft selbst die Betreiberin des Unternehmens.71 Vielmehr sind die jeweiligen Eheleute selbst Betreiber des Unternehmens und damit auch Kaufleute im Sinne des HGB.72 Sie können in dieser Eigenschaft den Begriff des Schuldners erfüllen, wenn die konkrete Tätigkeit eine ausreichende unternehmerische Struktur aufweist. Dass das Gesamtgut einer Gütergemeinschaft selbst insolvenzfähig ist gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO steht dem nicht entgegen. Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie können nur die Ehegatten als eigenständige Träger von Rechten und Pflichten sein, nicht jedoch ein (insolvenzfähiges) Sondervermögen, welches nicht Träger von Rechten und Pflichten ist.
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BGH, Beschluss v. 17. 10. 2006 – VIII ZB 94/05 = NJW 2006, 3715; Rechtsfähigkeit der unternehmenstragenden Erbengemeinschaft bejahend Karsten Schmidt, NJW 1985, 2785, 2788 f. 71 Karsten Schmidt, in: MüKo HGB, § 1 Rn. 51. 72 Karsten Schmidt, in: MüKo HGB, § 1 Rn. 51.
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e) Freie Berufe Nach deutschem Recht betreiben die freien Berufe kein handelsrechtliches Gewerbe und können daher nicht Kaufleute im Sinne des HGB sein.73 Diese Entscheidung des deutschen Gesetzgebers ist wiederholt kritisiert worden.74 Die freien Berufe erbringen selbständig und planmäßig entgeltliche Leistungen an einem Markt. Sie erfüllen damit die Kriterien des handelsrechtlichen Gewerbebegriffs. Sie können auch den Begriff des Schuldners im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie erfüllen. Die erforderliche unternehmerische Tätigkeit liegt aufgrund der entgeltlichen Leistungserbringung am Markt vor. In der Regel wird auch eine ausreichende unternehmerische Struktur vorhanden sein. Dass auch bei freien Berufen erhebliche Investitionsrisiken bestehen, welche die Einordnung als Schuldner rechtfertigen, verdeutlicht anschaulich das Urteil des OLG Düsseldorf 10. Dezember 1987 – 5 U 148/87, welches eine Arztpraxis mit technischen Anlagen und beschäftigten Fachkräften betrifft. Dieses Risiko besteht unabhängig davon, ob das deutsche Recht eine Arztpraxis als handelsrechtliches Gewerbe anerkennt oder aus historischen Gründen die Einordnung als Gewerbe ablehnt.75 f) Sonstige Rechtsformen aa) Vorgründungsgesellschaften Die Vorgründungsgesellschaft ist ein Zusammenschluss mehrerer Rechtssubjekte zu dem Zweck, die Gründung einer juristischen Person zu betreiben. Tritt diese Vorgründungsgesellschaft zweckwidrig bereits nach außen in Erscheinung und verfolgt den Zweck der zukünftigen Kapitalgesellschaft, kann sie als Gesellschaft bürgerlichen Rechts insolvenzfähig sein.76 In diesem Fall besteht auch die Möglichkeit, dass sie als Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie einzuordnen ist. Ob dies der Fall ist, wird davon abhängen, ob die entfaltete unternehmerische Tätigkeit bereits in einer ausreichend unternehmerischen Struktur erfolgt, welche Risiken für Gläubiger der Gesellschaft birgt. bb) Vorgesellschaft Die Vorgesellschaft besteht nach Abschluss des Gesellschaftsvertrages einer Kapitalgesellschaft bis zu dem Zeitpunkt, in welchem die konstitutive Eintragung der Gesellschaft erfolgt. Die Vorgesellschaft ist eine Gesellschaft eigener Art, die 73
Zur Anwalts-KG BGH, Urt. v. 18. 7. 2011 @ AnwZ (Brfg) 18/10 = NJW 2011, 3036; zu einer Softwareentwicklungs-KG BayObLG, Beschluss v. 21. 3. 2002 – 3Z BR 57/02 = NZG 2002, 718. 74 Karsten Schmidt, in: MüKo HGB, § 1 Rn. 32. 75 Dazu Roth, in: K/K/R/D, HGB, § 1 Rn. 13a. 76 Prütting, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, Stand 86. EL Dezember 2020, § 11 Rn. 18.
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dem Recht der zukünftigen Kapitalgesellschaft unterliegt.77 Sie nimmt schon vor Eintragung ihre Tätigkeit auf. Nach der Eintragung geht das Vermögen der Vorgesellschaft auf die eingetragene juristische Person über. Die Vorgesellschaft ist als eigenes Rechtssubjekt insolvenzfähig nach deutschem Recht.78 Damit kommt sie als Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie grundsätzlich in Betracht. Für die Einordnung als Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie ist entscheidend, in welchem Umfang die Vorgesellschaft bereits ihre unternehmerischen Tätigkeiten entfaltet. Zu prüfen ist, ob der Rahmen, in dem sie ihre Tätigkeit entfaltet, bereits einen ausreichenden Umfang aufweist, bspw. Mietverträge und Arbeitsverträge abgeschlossen oder ist eine Betriebs- und Geschäftsausstattung angeschafft wurde. g) Die Regelungen des StaRUG Das StaRUG knüpft nicht an bestimmte Merkmale aus dem deutschen Recht, wie etwa die Kaufmannseigenschaft an, sondern nimmt eine eigene Begriffsbestimmung vor. Schuldner ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG eine restrukturierungsfähige Person. § 30 StaRUG, der mit „Restrukturierungsfähigkeit“ überschrieben ist, bestimmt in Abs. 1 Satz 1, dass die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens von jedem „insolvenzfähigen Schuldner“ in Anspruch genommen werden können. Der Begriff der Restrukturierungsfähigkeit wird in § 30 StaRUG nicht konkretisiert. Letztlich wird man davon ausgehen können, das nach dem deutschen Modell die Insolvenzfähigkeit nach § 11 InsO entscheidend und ausreichend ist für den Anwendbarkeit des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens.79 Nach § 30 Abs. 1 S. 2 StaRUG gilt das für natürliche Personen nur, soweit diese unternehmerisch tätig sind. Damit wählt der Gesetzgeber einen pragmatischen Ansatz, der dazu führt, dass Einzelfallprüfungen lediglich bei natürlichen Personen auftreten können, wenn zu klären ist, ob und inwieweit diese „unternehmerisch“ tätig sind im Sinne von § 30 Abs. 1 S. 2 StaRUG. Die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens sind dann auch beschränkt auf die unternehmerische Tätigkeit der natürlichen Personen, wie sich auch aus und § 4 S. 2 StaRUG ergibt. Eine solche Prüfung der „unternehmerischen“ Tätigkeit entfällt bei anderen insolvenzrechtsfähigen Rechtssubjekten, sodass der deutsche Ansatz über die Vorgaben der RRiL hinausgeht. Theoretisch müsste es daher bspw. auch für reine Besitzgesellschaft, etwa in Form der (Außen-)GbR möglich sein, den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen in Anspruch zu nehmen. Zur Bestimmung der unternehmerischen Tätigkeit nach § 30 Abs. 1 S. 2 StaRUG könnte auf die Definition in Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 RRiL zurückgegriffen werden, nach der ein „Unternehmer“ eine natürliche Person ist, „die eine gewerbliche, geschäft77 78 79
Gummert, in: MüHdBGesR, Bd. I, § 14 Rn. 15. Prütting, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, Stand 86. EL Dezember 2020, § 11 Rn. 19. Vgl. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 133.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
liche, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeit ausübt“. Zwar stellt der „Unternehmer“ nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 RRiL den Adressaten der Regelungen zur Restschuldbefreiung nach der RRiL dar. Die in Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 RRiL genannten Tätigkeitbereiche stellen jedoch Ausprägungen der oben beschriebenen Voraussetzungen für die Schuldnereigenschaft dar, weil sie alle die entgeltliche Leistungserbringung an einem Markt gemeinsam haben, welche für unternehmerisches Handeln kennzeichnend ist. Folgt man dem Ansatz einer europarechtlichen Bestimmung des Begriffs der unternehmerischen Tätigkeit kann ergänzend auf die Ausführungen unter B. I. 1. a) verwiesen werden. Bei Forderungen, die nicht eindeutig der unternehmerische Sphäre zuzuordnen sind, muss, um Missbrauch zu vermeiden, eine Anwendung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens ausscheiden. h) Der insolvenzstrafrechtliche Begriff des Schuldners Die Insolvenzdelikte der §§ 283 ff. StGB sind Sonderdelikte eines Schuldners. Dieser Begriff des Schuldners ist jedoch von demjenigen in der RRiL abzugrenzen. In der strafrechtlichen Literatur ist der Schuldner derjenige, wer für die Erfüllung einer Verbindlichkeit haftet.80 Damit sind bspw. auch die Gesellschafter einer OHG aufgrund ihrer akzessorischen Haftung für Gesellschaftsschulden erfasst. Ein solches Verständnis des Schuldnerbegriffs ist im Rahmen der Umsetzung der RRiL nicht angezeigt. Die RRiL nimmt, wie das deutsche Insolvenzrecht, den einzelnen Rechtsträger in den Blick und nicht wirtschaftliche Einheiten (wie etwa Konzerne oder auch die wirtschaftliche Einheit aus Gesellschafter und Personengesellschaft).81 Dieser rechtsträgerbezogene Ansatz ergibt sich für das deutsche Insolvenzrecht aus § 11 Abs. 1 S. 1 InsO. 3. Der Begriff der „Unternehmensleitung“ in der Restrukturierungsrichtlinie a) Die Unternehmensleitung bei nicht-natürlichen Unternehmensträgern Die Unternehmensleitung ist Betroffener der Pflichten aus Art. 19 RRiL, wie sich schon aus dem Titel des Artikels „Pflichten der Unternehmensleitung bei einer wahrscheinlichen Insolvenz“ ergibt. Art. 19 der Restrukturierungsrichtlinie ist Teil des präventiven Restrukturierungsrahmens für Schuldner, der in Titel II der Restrukturierungsrichtlinie geregelt ist.
80
Petermann, in: MüKo StGB, § 283 Rn. 39. Vgl. Thole, in: Flöther, Konzerninsolvenzrecht, § 2 Rn. 1; allgemein zur Konzerninsolvenz im deutschen Recht Specovius/von Wilcken, in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-HdB, § 95 Rn. 13. 81
I. Adressat der Pflichten
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Die Unternehmensleitung besteht aus denjenigen Personen, die die Geschäfte des Schuldners führen und Managemententscheidungen treffen können.82 Bei Schuldnern, die keine natürlichen Personen sind, ist die Unternehmensleitung das jeweilige Vertretungsorgan des Rechtsträgers bzw. die jeweiligen Organwalter; bei Selbstorganschaft die zur Vertretung berechtigten Gesellschafter.83 Darüber hinaus können je nach nationaler Ausgestaltung einzelner Rechtsformen auch (nicht geschäftsführende) Gesellschafter Entscheidungen treffen, die die Führung der Geschäfte der Gesellschaft betreffen. Die RRiL scheint sich bezüglich des Begriffs der Unternehmensleitung jedoch auf die jeweiligen Vertretungsorgane und Organwalter zu beziehen und die Anteilinhaber nicht mit einzubeziehen. Systematisch spricht schon die unterschiedliche Behandlung in Art. 12 (Anteilsinhaber) und Art. 19 RRiL (Unternehmensleitung) für diese Unterscheidung. Auch der Begriff der „directors“ in der englischen Fassung der RRiL ist im angelsächsischen Rechtskreis das Vertretungsorgan des Schuldners. Zwar wird in EWG 71 gesagt, dass die Unternehmensleitung es vermeiden müsse, Transaktionen unter Marktwert zuzustimmen. Ein solches Zustimmungserfordernis klingt als würde es auf nicht geschäftsführungsbefugte Gesellschafter abstellen, die bestimmte Transaktionen genehmigen müssen und diese zustimmungsbefugten Gesellschafter damit in den Begriff der Unternehmensleitung einbeziehen. Gemeint ist, dass das jeweilige Vertretungsorgan solche Geschäfte nicht vereinbaren soll, wie sich aus der englischen Sprachfassung ergibt (engl. „avoid agreeing to transactions at below market level“). Dies schließt jedoch nicht aus, dass Gesellschafter oder sogar Dritte, die wie ein Unternehmensleiter auftreten und die in der jeweiligen nationen Rechtsform vorgesehenen Befugnisse des Unternehmensleiters ausüben, von Art. 19 RRiL erfasst sein können (faktische Direktoren oder faktische Organe).84 Ökonomisch ist es sinnvoll, diejenigen Personen durch Anreize zu einer frühzeitigen Insolvenzvermeidung anzuhalten, die das Insolvenzrisiko erkennen können und auch einen Einfluss ausüben können, dieses zu reduzieren.85 Unter Umständen kann daher eine Abgrenzung zwischen legitimer Ausübung von Gesellschafterrechten und unrechtmäßiger Einflussnahme auf die Unternehmensleitung erforderlich sein.86 Diese Abgrenzung und die Bestimmung der konkreten Voraussetzungen, unter denen ein 82 Vgl. EWG 71; Tresselt, in: Schmidt, Sanierungsrecht Rn. 194; Naumann, NZI-Beilage 2017, 35 zum Kommissionsentwurf COM (2016) 723 final. 83 Ähnlich wohl auch H.-F. Müller, ZGR 2018, 56, 60, der zwar beispielsweise den Vorstand eines Idealvereins ausnimmt, womit gemeint sein dürfte, dass dieser bereits kein Schuldner im Sinne der RRiL ist und folglich auch nicht der Vorstand den Pflichten des Art. 19 RRiL unterliegt. 84 Vgl. zu der Rechtsfigur des faktischen Geschäftsführers in verschiedenen europäischen Rechtsordnungen Haas, NZI 2006, 494, 496; im deutschen Recht kämen etwa die GmbHGesellschafter in Betracht. 85 Spindler, JZ 2006, 839, 847. 86 Vgl. Spindler, JZ 2006, 839, 847 f.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Gesellschafter (ausnahmsweise) als Unternehmensleiter zu qualifizieren ist und damit Art. 19 RRiL unterfällt, ist den Mitgliedstaaten vorbehalten. In EWG 36 des Kommissionsentwurfs COM (2016) 723 final vom 22. 11. 2016 heißt es noch: „Zur Unternehmensleitung im Sinne dieser Richtlinie sollten die Personen gehören, die für Entscheidungen über die Führung des Unternehmens zuständig sind.“
Die Anknüpfung an die Zuständigkeit, anstatt an das tatsächliche Treffen der Entscheidungen, könnte darauf hindeuten, dass lediglich die regulären Organe von Art. 19 RRiL erfasst sein sollen. In den Erwägungsgründen für die RRiL findet sich diese Formulierung jedoch nicht mehr. Vor dem Hintergrund, dass derjenige, der die tatsächliche Kontrolle ausübt, auch den entsprechenden Pflichten unterworfen sein sollte, ist es angebracht auch faktische Organe als Unternehmensleitung im Sinne der RRiL zu erfassen. Faktisches Organ kann im deutschen Recht sein, wer Handlungen, die üblicherweise der Geschäftsführung zuzurechnen sind, im Außenverhältnis wahrnimmt.87 Eine völlige Verdrängung des eigentlichen Unternehmensleiters ist dafür nicht erforderlich.88 Solche faktischen Organe sind nach § 15a InsO auch zur Stellung des Insolvenzantrags verpflichtet, soweit eine entsprechende Antragspflicht besteht.89 Sie sind auch als Betroffene von Art. 19 RRiL anzusehen, da sie die Verantwortung im Unternehmen tragen und die Geschicke der Gesellschaft mitbestimmen. b) Problemfall: Einzelunternehmer Problematisch ist, wie der Begriff der Unternehmensleitung bei natürlichen Personen, die unternehmerisch tätig sind, zu verstehen ist. Bei natürlichen Personen als Schuldnern im Sinne der RRiL, im deutschen Recht etwa der Einzelkaufmann, wäre diese Person zugleich als Unternehmensleitung anzusehen. Selbstverständlich leitet der Einzelkaufmann sein eigenes Unternehmen. Der Begriff der Unternehmensleitung scheint jedoch eine Trennung zwischen dem Schuldner als Unternehmensträger und den handelnden Organen als Unternehmensleitung vorauszusetzen. Eine solche Trennung liegt bei einem Einzelunternehmer nicht vor. Dieser verwaltet kein fremdes Vermögen zu unternehmerischen Zwecken, sondern setzt sein eigenes Vermögen unternehmerisch ein. Zwar ist auch im Unternehmen der natürlichen Person eine Dezentralisierung durch Schaffung einer Handlungsorganisation90 mittels rechtsgeschäftlicher Vollmachten möglich und gerade im Bereich des Handelsrechts ausdrücklich vorgesehen (etwa die Prokura nach § 54 HGB). Eine not87
Vgl. BGH, Urt. v. 21. 3. 1988 – II ZR 194/87 = NJW 1988, 1789; Karsten Schmidt/ Herchen, in: Karsten Schmidt, InsO, § 15a Rn. 17. 88 Vgl. BGH, Urt. v. 21. 3. 1988 – II ZR 194/87 = NJW 1988, 1789. 89 BGH, Urt. v. 21. 3. 1988 – II ZR 194/87 = NJW 1988, 1789; Karsten Schmidt/Herchen, in: Karsten Schmidt, InsO, § 15a Rn. 17; Schmidt/Gundlich, DStR 2018, 198, 199. 90 Zu dem Begriff vgl. John, S. 74 ff.
I. Adressat der Pflichten
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wendige Handlungsorganisation91, die zu einer zwingenden Trennung zwischen dem Schuldner und seinen Vertretern bzw. Organen führen würde, liegt bei der unternehmerisch tätigen, natürlichen Person jedoch nicht vor. Anders als bei juristischen Personen, bei denen eine Handlungsorganisation durch Organe notwendig ist und eine entsprechende Pflichtenbindung im Innenverhältnis erforderlich ist, um die Interessen der „Personen hinter der Person zu wahren“92, könnte man argumentieren, dass es einer solchen Pflichtenbindung (bzw. entsprechenden Handlungsanreizen im Sinne von Art. 19 RRiL) bei der unternehmerisch tätigen, natürlichen Person nicht Bedarf, da hier auf den ersten Blick keine Interessen von „Personen hinter der Person“ zu wahren sind. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Pflichten des Art. 19 RRiL überhaupt auf unternehmerisch tätige, natürliche Person anwendbar sein sollen. Zweifel daran könnten auch aufkommen wegen Art. 19 lit. a RRiL der lautet, dass die Unternehmensleitung bei einer wahrscheinlichen Insolvenz gebührend die Interessen der Gläubiger, Anteilsinhaber und sonstigen Interessenträger zu berücksichtigen habe. Da Anteilsinhaber bei einer natürlichen Person als Schuldner nicht existieren, scheint die Bestimmung für solche Schuldner unpassend. Hingegen erscheint die Berücksichtigung von Gläubigerinteressen auch für eine natürliche Person als Schuldner möglich, sodass Art. 19 lit. a RRiL insoweit einen sinnvollen Anwendungsbereich hätte. Ebenso passen die übrigen in Art. 19 RRiL geregelten Pflichten nach Art. 19 lit. b und c RRiL bei einer natürlichen Person als Schuldner. Zudem zeigt Art. 12 Abs. 3 RRiL, dass es nach dem Verständnis der RRiL auch bei natürlichen Personen als Schuldner zu einer Trennung zwischen Anteilsinhabern und Unternehmensleitung bzw. Schuldner kommen könnte. Art. 12 Abs. 3 RRiL sieht nämlich vor, dass die Bedeutung des Begriffs des grundlosen Verhinderns oder Erschwerens im Sinne von Art. 12 RRiL angepasst werden kann, abhängig davon, ob der Schuldner eine natürliche Person ist. Daraus folgt, dass es auch bei natürlichen Personen Anteilsinhaber im Sinne der RRiL geben kann. Im deutschen Recht könnte man hier etwa an die atypische stille Beteiligung an einem einzelkaufmännischen Unternehmen denken, die regelmäßig so ausgestaltet ist, dass der stille Gesellschafter an Gewinn und Verlust des Unternehmens ebenso wie an der Unternehmenswertsteigerung Teil nimmt und im Gegenzug bestimmte Kontroll- und Mitbestimmungsrechte erhält. Insbesondere mit Blick darauf, dass die RRiL Restrukturierungen von KMUs ermöglichen will93, sollte der Anwendungsbereich von Art. 19 RRiL auch Einzel91 Vgl. zu dem Begriff der (notwendigen) Handlungsorganisation John, S. 74 ff.; zum volljährigen nicht entmündigten Mensch als organisierte Rechtsperson John, S. 107 ff. 92 Vgl. John, S. 132; dieser geht davon aus, dass über die interne Handlungsorganisation die „Interessen der vermögensmäßigen Träger“ der juristischen Person geltend gemacht werden. Er hat dabei noch vornehmlich die Mitglieder der juristischen Person und ggf. Arbeitnehmervertreter im Blick; vgl. dazu auch John, S. 116 und 219. Vor dem Hintergrund der RRiL wären in die Betrachtung weitere Stakeholder, insbesondere die Gläubiger, einzubeziehen. 93 Vgl. dazu Smid, NZI-Beilage 2021, 64 ff.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
unternehmer erfassen. Zwar gibt es bei dem Einzelunternehmer keine Trennung zwischen Unternehmensträger und den handelnden Organen. Mit Blick auf die schutzwürdigen Interessen der in Art. 19 lit. a RRiL ist das jedoch nicht entscheidend. Entscheiden ist, dass diejenigen Personen, welche zum Nachteil der in Art. 19 lit. a RRiL genannten Personen in Krisensituationen handeln können, bestimmten Anreizen nach Art. 19 RRiL unterworfen werden. Die Gefährdung der beteiligten Stakeholder resultiert dabei nicht lediglich aus der Trennung zwischen Unternehmensträger und den handelnden Organen, sondern aus der unternehmerischen Tätigkeit selbst, die im insolvenznahen Bereich erfolgt. Eine solche unternehmerische Tätigkeit kann sowohl durch den Einzelkaufmann als auch durch sonstige Rechtssubjekte als Unternehmensträger erfolgen. Es zeigt sich, dass auch bei der unternehmerisch tätigen, natürlichen Person Interessen zu schützen sind von „Personen hinter der Person“. Im vorinsolvenzlichen Bereich handelt es sich hier maßgeblich um die Gläubiger. Zum Schutz der beteiligten Stakeholder, insbesondere der Gläubiger, und damit auch zur effektiven Förderung von Restrukturierungen erfasst der Anwendungsbereich von Art. 19 RRiL daher auch unternehmerisch tätige Einzelpersonen. Da die Anreize, welche nach Art. 19 RRiL erforderlich sind, bei Einzelunternehmer nicht in Form von Pflichten gegenüber dem Schuldner geschaffen werden können, ist über andere Anreize nachzudenken, die ähnliche Effekte haben, wie beispielsweise im deutschen Recht die Anwendung des Überschuldungstatbestandes auf Einzelunternehmer.94 Ob die Unternehmensleitung zugleich als „Unternehmer“ im Sinn der RRiL anzusehen ist, hängt davon ab, ob die speziellen Voraussetzungen dieses Begriffs erfüllt sind, insbesondere die persönliche Haftung für Verbindlichkeiten des Unternehmens.95 4. Adressaten der insolvenzbezogenen Pflichten im deutschen Recht Die Umsetzung von Art. 19 RRiL würde damit alle unternehmerisch tätigen natürlichen Personen sowie sämtliche Organe bzw. Organwalter der übrigen Rechtsträger betreffen und darüber hinaus faktische Organe. Die Vorschriften, welche in Folge der Umsetzung der RRiL erlassen wurden, haben allerdings einen engeren persönlichen Anwendungsbereich. Das StaRUG enthält bestimmte insolvenzbezogene Geschäftsleiterpflichten in den §§ 42, 43 i. V. m. § 32 sowie § 57 StaRUG. Der persönliche Anwendungsbereich dieser Pflichten ist begrenzt auf Geschäftsleiter von juristischen Personen oder Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit im Sinne des § 15a Abs. 1 S. 3, Abs. 2 InsO. Das StaRUG versteht unter dem Begriff der Geschäftsleiter nach § 1 Abs. 1 StaRUG die Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs einer juristischen Person. In § 1 Abs. 2 StaRUG 94 95
Dazu B. III. 6. d) ee). Dazu B. I. 5.
I. Adressat der Pflichten
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wird der Begriff auf Geschäftsleiter der zur Geschäftsführung berufenen unmittelbaren oder mittelbaren Gesellschafter erweitert, wenn für die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit keine natürliche Person als unmittelbare oder mittelbare Gesellschafterin haftet. Konsequenterweise müsste die Überschrift von § 43 StaRUG daher „Haftung der Organwalter“ lauten und nicht „Haftung der Organe“.96 Den Begriff der Unternehmensleitung verwendet das StaRUG nicht. Vorschriften für die geschäftsführenden Gesellschafter von Personengesellschaften oder den Einzelkaufmann sind nicht vorgesehen. Dies mag mit Blick auf Art. 1 Abs. 4 UAbs. 2 RRiL, welcher eine Beschränkung der Vorschriften des präventiven Restrukturierungsrahmens auf juristische Personen ermöglicht, mit der RRiL vereinbar sein.97 Es ist auch insofern konsequent, da der Gesetzgeber bei der Umsetzung von Art. 19 RRiL davon ausging, dass Umsetzungsvorschriften für natürliche Personen und Rechtsträger mit natürlichen Personen als Vollhafter aufgrund der Anreizwirkung der persönlichen Haftung nicht erforderlich sind.98 Diese grundsätzliche Annahme ist allerdings unzutreffend, wie in dieser Arbeit gezeigt wird.99 Als Adressaten der insolvenzbezogenen Pflichten in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL sind also jedenfalls die Mitglieder der Vertretungsorgane der haftungsbeschränkten Unternehmensträger anzusehen. Nach der hier vertretenen Auffassung müssten aber auch Vertreter der nicht haftungsbeschränkten Unternehmensträger sowie der Einzelkaufmann selbst bestimmten Anreizen unterworfen werden, um die Vorgaben aus Art. 19 RRiL wirksam und vollständig umzusetzen. Dies wird später noch ausgeführt. Eine haftungsbewehrte Ausdehnung der insolvenzbezogenen Pflichten auf Überwachungsorgane, wie etwa noch in § 2 Abs. 2 StaRUG RegE vorgesehen, enthält das StaRUG nicht mehr, auch nicht für den Zeitraum nach Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache. Die Ausdehnung auf Überwachungsorgane war nach der RRiL nicht zwingend vorgesehen, aber insbesondere eine konsequente Folge des dualistischen Systems im deutschen Aktienrecht, welches eine Trennung von Leitung und Überwachung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat vorsieht100 sowie eine Folge des erheblichen Einflusses der GmbH-Gesellschafter auf den Geschäftsführer in der GmbH. Soweit das Geschäftsleiterermessen in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL beschränkt wird, muss dies zur effektiven Förderung von Restrukturierungen auch für die zuständigen Überwachungsorgane gelten. Dies gilt trotz der Streichung der §§ 2, 3 StaRUG RegE.
96 Die Vorschrift ist grundsätzlich etwas umständlich formuliert, vgl. Smid, ZInsO 2021, 117, 119. 97 RefE SanInsFoG, S. 111; RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 103. 98 RefE SanInsFoG, S. 111; RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 103. 99 Vgl. dazu insb. B. III. 6. d) dd). 100 Vgl. dazu von der Linden, in: Beck’sches HdB der AG, § 25 Rn. 2.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
5. Der Begriff des Unternehmers in der Restrukturierungsrichtlinie Nachdem die für den präventiven Restrukturierungsrahmen und die Pflichten aus Art. 19 RRiL wichtigen Begriffe des Schuldners und der Unternehmensleitung erläutert wurden, soll abschließend noch der Begriff des Unternehmers betrachtet werden. Der Begriff des Unternehmers ist in Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 der Restrukturierungsrichtlinie definiert als „eine natürliche Person, die eine gewerbliche, geschäftliche, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeit ausübt“. Der insolvente Unternehmer ist der Adressat der Regelungen zur zweiten Chance, also eines der drei großen Themenfelder der Restrukturierungsrichtlinie. Art. 1 Abs. 1 lit. b RRiL beschreibt den Themenkomplex der zweiten Chance, der in Titel III („Entschuldung und Tätigkeitsverbote“) der Restrukturierungsrichtlinie geregelt ist, als solche „Verfahren, die zur Entschuldung insolventer Unternehmer führen“. Der Unternehmer ist damit vom „Schuldner“ im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie abzugrenzen. Der „Schuldner“ ist das Ziel der Vorschriften zum präventiven Restrukturierungsrahmen und damit das zentrale Subjekt in Titel II der Restrukturierungsrichtlinie. Dennoch besteht eine Schnittmenge zwischen den Begriffen insoweit als der Begriff des „Schuldners“ auch (unternehmerisch tätige) natürliche Personen erfasst. Die natürliche Person, die als Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie anzusehen ist, ist immer auch ein Unternehmer nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 der Restrukturierungsrichtlinie. Darüber hinaus erfasst der Begriff des Unternehmers auch natürliche Personen, die nicht Schuldner im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie sind. Eine teleologische Auslegung der Definition in Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 RRiL ergibt, dass ein Unternehmer derjenige ist, der die unternehmerischen Entscheidungen trifft und zugleich für wesentliche Teile der Schulden des Unternehmens haftet und daher das Risiko des Scheiterns trägt.101 Eine ggf. mittelbare102 Gesellschafterstellung ist nicht zwingend erforderlich, wird häufig jedoch vorliegen. Das Merkmal der Entscheidungsbefugnis ist wichtig, denn den Entscheidungsträger trifft regelmäßig das Risiko eines Tätigkeitsverbots bei einer Insolvenz des Unternehmens (dazu Art. 22 RRiL).103 Ohne eine Möglichkeit, auf die Geschicke des Unternehmens Einfluss zu nehmen, kann auch nicht von einer unternehmerischen Betätigung gesprochen werden. Zum an101
Vgl. Erwägungsgrund 73 der Restrukturierungsrichtlinie. Im deutschen Recht könnte man an eine GmbH & Co. KG denken, in welcher der Geschäftsführer der Komplementär GmbH selbst nicht Gesellschafter der KG ist 103 Vorschriften zu „Berufsverboten“ finden sich im deutschen Recht bspw. in § 70 StGB, in §§ 6 GmbHG und 76 AktG sowie in §§ 35 und 12 GewO; die folgenden Vorschriften knüpfen mittelbar an die Insolvenz an. §§ 7 Nr. 9 und 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO, §§ 14 Nr. 9 und 21 Abs. 2 Nr. 8 PAO, § 12 Abs. 2 S. 1 RDG, §§ 34b Abs. 4 Nr. 2, 34c Abs. 2 Nr. 2, 34i Abs. 2 Nr. 2 und 34f Abs. 2 Nr. 2 GewO; dazu RegE eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens BT Dr. 19/21981, S. 21. 102
I. Adressat der Pflichten
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deren ist das Merkmal der Haftung für wesentliche Verbindlichkeiten des Unternehmens entscheidend, sei es aufgrund von Gesetz oder Vertrag.104 Bei natürlichen Personen, die unternehmerisch tätig sind, ist stets die natürliche Person selbst als Unternehmer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 der Restrukturierungsrichtlinie anzusehen. Diese betreibt das Unternehmen selbst und ist auch Inhaber der Verbindlichkeiten. Die Definition des Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 der Restrukturierungsrichtlinie ist auch dann erfüllt, wenn eine natürliche Person als Vertreter einer juristischen Person unternehmerische Entscheidungen trifft und zugleich für einen wesentlichen Teil der Verbindlichkeiten des Unternehmens haftet, sei es aufgrund von Gesetz oder Vertrag. Die natürlichen Personen, auf welche diese Voraussetzungen zutreffen, sind als Unternehmer tätig im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 der Restrukturierungsrichtlinie. Aufgrund der unternehmerischen Entscheidungen im Rahmen der Vertretung105 des Unternehmensträgers trägt die natürliche Person das Risiko eines Tätigkeitsverbots. Die Anwendung der Entschuldungsregeln ist durch die persönliche Haftung für einen wesentlichen Teil der Verbindlichkeiten des Unternehmens gerechtfertigt. Unproblematisch erfasst sind die Gesellschafter von Personengesellschaften, die in Selbstorganschaft tätig werden. Hier gilt im deutschen Recht eine durch Gesetz angeordnete akzessorische Haftung für die Schulden der Gesellschaft, etwa nach § 128 HGB. Ebenfalls erfasst ist der Geschäftsführer einer GmbH, unabhängig von einer Stellung als Gesellschafter, der aufgrund vertraglicher Verpflichtungen, etwa einer Bürgschaft, für einen wesentlichen Teil der Gesellschaftsschulden haftet. Der reine Bürge, der weder Geschäftsführer noch Gesellschafter ist, scheidet hingegen mangels Entscheidungsbefugnis als Unternehmer im Sinne der RRiL aus. Auch der beherrschende Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft, der lediglich aufgrund einer Bürgschaft für die wesentlichen Verbindlichkeiten des Unternehmens persönlich haftet, ist als Unternehmer erfasst, da er das wirtschaftliche Risiko trägt und aufgrund seiner beherrschenden Stellung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen kann.106 Der Erwägungsgrund 79 steht dem nicht entgegen. Dieser Erwägungsgrund nennt Anhaltspunkte für eine Unredlichkeit eines Unternehmers. Zu berücksichtigen sein könnte dabei laut Erwägungsgrund 79 „die Erfüllung von Pflichten im Zusammenhang mit einer wahrscheinlichen Insolvenz, die den Unternehmenseignern als Mitgliedern der Geschäftsführung obliegen“. Daraus kann nicht abgeleitet werden, 104
Denkbar sind auch Konstellationen, in denen der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft persönlich einen Kredit aufnimmt und diesen an seine Kapitalgesellschaft weiterreicht; vgl. zur Einbeziehung vertraglicher Haftung für das deutsche Recht der Restschuldbefreiung Karsten Schmidt, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, S. 1199, 1215 f. 105 Ggf. bloß mittelbare Vertretung, etwa im Fall der GmbH & Co. KG. 106 Zuzugeben ist, dass zumindest im deutschen Recht den Gesellschafter eine Kapitalgesellschaft nicht das Risiko einer gewerberechtlichen Untersagung bzw. des Widerrufs einer Erlaubnis trifft, da entsprechende Tätigkeitsverbote sich gegen die Kapitalgesellschaft selbst oder gegen deren Organe richten, vgl. Marcks, in: Landmann/Rohmer, GewO, § 35 Rn. 65 und § 34c Rn. 64.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
dass ausschließlich Mitglieder der Geschäftsführung, die zugleich Unternehmenseigner sind, als Unternehmer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 der Restrukturierungsrichtlinie in Betracht kommen. Der Erwägungsgrund 79 beschreibt an dieser Stelle einen häufigen Typ des Unternehmers, nämlich den geschäftsführenden Gesellschafter. Dieser steht jedoch nur pars pro toto für sämtliche Unternehmer im Sinne von Art. 2 Abs.1 Nr. 9 der Restrukturierungsrichtlinie mit dem Zweck diese Unternehmer von Mitgliedern der Geschäftsführung abzugrenzen, die (etwa mangels persönlicher Haftung für die Verbindlichkeiten des Unternehmens) nicht zugleich als Unternehmer einzuordnen sind, aber dennoch den Pflichten aus Art. 19 RRiL unterliegen. Dass die Restrukturierungsrichtlinie mit dem Begriff des Unternehmers keine Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Geschäftsführer und Mitglieder der Unternehmensleitung haben will, ergibt sich aus Erwägungsgrund 73.107 Die in diesem Erwägungsgrund erwähnten Geschäftsführer und Mitglieder der Unternehmensleitung sind – in Abgrenzung zum Unternehmer im oben dargestellten Sinn – solche Personen, die lediglich die Vertretung der juristischen Person wahrnehmen ohne zugleich für einen wesentlichen Teil der Verbindlichkeiten zu haften. Die Haftung für einen wesentlichen Teil der Verbindlichkeiten des Unternehmens grenzt also den reinen Geschäftsleiter vom Unternehmer im Sinne der RRiL ab. Zusammenfassend kann man sagen, dass als Unternehmer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 RRiL anzusehen ist, wer als Vertretungsorgan oder/und (ggf. mittelbarer) Gesellschafter Einfluss auf das Unternehmen hat und zugleich für einen wesentlichen Teil der Verbindlichkeiten haftet. Letztlich stellt sich die Abgrenzungsfrage in der Umsetzung in das deutsche Recht nicht in der Schärfe, da das Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens die verkürzte Restschuldbefreiung auf sämtliche natürliche Personen anwendet und eine Abgrenzung zu „Unternehmern“ daher nicht erforderlich ist.108 Die unterschiedlichen Begriffe des Schuldners (als Adressat des PRR) und des Unternehmers (als Adressat des Entschuldungsverfahren) führen in der deutschen Umsetzung allerdings dazu, dass die unternehmerisch tätig natürliche Person ihre unternehmerischen Verbindlichkeiten restrukturieren kann im SRR nach StaRUG. Die Verbindlichkeiten, welche nicht mit einer unternehmerischen Tätigkeit in Zusammenhang stehen, sind hingegen Rechtsverhältnisse, die einer Restrukturierung nicht zugänglich sind (§§ 4 Abs. 2, 30 Abs. 1 S. 2 StaRUG). Die erforderlich Abgrenzung wird in der Praxis oftmals nicht vorgenommen werden könne, sodass der Zugang für Einzelunternehmer zum SRR erheblich eingeschränkt ist.109 Eine 107 Die offizielle deutsche Übersetzung der Restrukturierungsrichtlinie ist an dieser Stelle unvollständig; Unionsrecht ist unter Berücksichtigung aller Sprachfassungen auszulegen, dazu EuGH, Slg. 1969, 419 Rn. 3 – Stauder; EuGH, Slg. 1988, 3845 Rn. 15 – Moksel; EuGH, Urt. v. 27. 1. 2005 – C-188/03 Irmtraut Junk/Wolfgang Kühnel = EuZW 2005, 145. 108 Siehe dazu BT Dr. 19/21981, S. 15. 109 Vgl. Smid, NZI-Beilage 2021, 64, 65 f.
II. Zeitpunkt der Pflichten
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Restschuldbefreiung für sämtliche Verbindlichkeiten, die unternehmerischen sowie die privaten, kann hingegen weiterhin nur im Insolvenzverfahren erlangt werden. Im Ergebnis stehen die Einzelunternehmer also vor der Wahl, nur die unternehmerischen Verbindlichkeiten zu restrukturieren (soweit diese abgrenzbar sind) oder auf den SRR zu verzichten und in das Insolvenzverfahren zu gehen.110
II. Zeitpunkt der Pflichten Der Zeitpunkt, zu dem der Schuldner gemäß Art. 4 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie Zugang zu einem präventiven Restrukturierungsrahmen haben soll und an den nach dem Wortlaut des Art. 19 der Restrukturierungsrichtlinie auch die Pflichten der Geschäftsleitung anknüpfen, ist die „wahrscheinliche Insolvenz“ (engl. „likelihood of insolvency“). Dieser Begriff wird gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. b RRiL im Sinne des nationalen Rechts verstanden. Dem deutschen Gesetzgeber steht daher bei einem entscheidenden Merkmal der Restrukturierungsrichtlinie ein Gestaltungspielraum zur Verfügung. Zunächst soll der europarechtliche Rahmen zur Bestimmung des Begriffs der wahrscheinlichen Insolvenz dargestellt werden. Dabei erfolgen auch Ausführungen zum betriebswirtschaftlichen Begriff der Krise und ihrer Bewältigung. Dies dient dazu den Kontext zu verdeutlichen, in welchem der präventive Restrukturierungsrahmen regelmäßig Anwendung finden soll. Danach werden verschiedene Ansätze präsentiert, die im deutschen Recht als Anknüpfung für die „wahrscheinliche Insolvenz“ diskutiert wurden und der vom deutschen Gesetzgeber im StaRUG gewählte Ansatz untersucht. Dabei wird sich mit Blick auf die Pflichten der Geschäftsleiter im deutschen Recht zeigen, dass die Anknüpfung an die drohende Zahlungsunfähigkeit als Zeitpunkt der veränderten Pflichten der Geschäftsleiter, eine kontinuierlich Vorausschau der Geschäftsleiter im Hinblick auf krisenhafte (Liquiditäts-)Entwicklungen erforderlich macht sowie eine entsprechende Dokumentation, um mögliche Haftungsrisiken im Nachhinein zu reduzieren, wenn eine retrograde Ermittlung des Zeitpunkts der veränderten Pflichten erforderlich ist. Die Anforderungen an die Prognose krisenhafter Entwicklungen und die Dokumentation zur rechtssicheren, retrograden Ermittlung des Zeitpunkts dürften insbesondere KMUs, für welche die RRiL vor allem gedacht ist, vor besondere Herausforderungen stellen, da diese oftmals keine ausreichende Buchführung oder ein entsprechend ausgebautes finanzwirtschaftliches Controlling haben.111 110
Smid, NZI-Beilage 2021, 64, 66, weist daher mit Blick auf EWG 84 RRiL auf eine mögliche Richtlinienwidrigkeit des § 32 Abs. 1 S. 2 StaRUG hin, in den Fällen, in denen private und berufliche Schulden nicht sinnvoll getrennt werden können. 111 Vgl. dazu auch Smid, NZI-Beilage 2021, 64, 65.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
1. Europarechtlicher Rahmen Bestimmte Grenzen des Begriffs der wahrscheinlichen Insolvenz ergeben sich aus dem Sinn und Zweck sowie aus der Systematik der Restrukturierungsrichtlinie.112 Diese sollen im Folgenden aufgezeigt werden. a) Keine materielle Insolvenz Der präventive Restrukturierungsrahmen soll die unnötige Liquidation eines bestandsfähigen Schuldners verhindern.113 Aus Art. 1 Abs. 1 lit. a Restrukturierungsrichtlinie ergibt sich, dass der Restrukturierungsrahmen zu diesem Zweck darauf abzielt, die Insolvenz des Schuldners abzuwenden. Die englische Fassung spricht in Art. 4 Abs. 1 der Restrukturierungsrichtlinie von „preventing insolvency“ und „avoiding insolvency“. Der Begriff der „Insolvenz“ ist gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. a RRiL im Sinne des nationalen Rechts zu verstehen. Wie sich aus Erwägungsgrund 24 der Restrukturierungsrichtlinie ergibt, ist damit die materielle Insolvenz gemeint. In Erwägungsgrund 24 heißt es „Ein Restrukturierungsrahmen sollte zur Verfügung stehen, bevor ein Schuldner nach nationalem Recht insolvent wird, das heißt, bevor der Schuldner nach nationalem Recht die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Gesamtverfahrens erfüllt, das die Insolvenz des Schuldners voraussetzt […].“
Insolvenz liegt nach der Restrukturierungsrichtlinie also vor, wenn die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens erfüllt sind. Wie diese Voraussetzungen genau bestimmt sind, wann also eine (materielle) Insolvenz vorliegt, bleibt den Mitgliedstaaten überlassen. Damit ist festzuhalten, dass die Eröffnung einer präventiven Restrukturierung möglich sein muss, bevor eine materielle Insolvenz nach nationalem Recht vorliegt. Da auch der Begriff der Insolvenz nach Art. 2 Abs. 2 lit. a RRiL nach nationalem Recht zu verstehen ist, können die Mitgliedstaaten für die Zwecke der Anwendbarkeit des präventiven Restrukturierungsrahmens bestimmen, welche bestehenden Insolvenzeröffnungsgründe die Einleitung eines präventiven Restrukturierungsrahmens ausschließen und welche Eröffnungsgründe nach nationalem Recht ggf. sogar als wahrscheinliche Insolvenz im Sinne der RRiL anzusehen sind. Dadurch ist nicht ausgeschlossen, dass während des präventiven Restrukturierungsverfahrens die materielle Insolvenz nach nationalem Recht eintritt. Dies ergibt sich aus Art. 7 Abs. 1 der Restrukturierungsrichtlinie, welcher die Verpflichtung, nach nationalem Recht einen Insolvenzantrag zu stellen, für die Dauer einer Aus112
Von einer Ober- und Untergrenze des Begriffs der wahrscheinlichen Insolvenz geht auch Freitag, ZIP 2019, 541, 546 aus; auch Begriffe, deren Bestimmung dem nationalen Recht vorbehalten sind, unterliegen bei der Umsetzung einer „rahmenhaften Bindung“, Riesenhuber, in: Europäische Methodenlehre, § 10 Rn. 4. 113 Erwägungsgrund 2 der Restrukturierungsrichtlinie; kritisch zur Umsetzung dieses Zwecks in der RRiL Korch, ZHR 2018, 440, 471 ff.
II. Zeitpunkt der Pflichten
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setzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen nach Art. 6 RRiL suspendiert. Zudem setzt Art. 7 Abs. 7 RRiL die Möglichkeit voraus, dass während der Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen nach Art. 6 RRiL die nationalen Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens eintreten. Die Mitgliedstaaten haben nach Art. 7 Abs. 3 RRiL lediglich das Recht, eine Ausnahme von der Suspendierung der Insolvenzantragspflicht im Fall der Zahlungsunfähigkeit vorzusehen. Aus dem Zweck, den Eintritt der Insolvenz zu vermeiden, folgt, dass ein präventives Restrukturierungsverfahren nicht bei Vorliegen der materiellen Insolvenz eingeleitet werden darf. Insoweit ist die Forderung nach einem „substantiellen Unterschied“114 zwischen materieller Insolvenz und wahrscheinlicher Insolvenz berechtigt.115 Die Einleitung eines präventiven Restrukturierungsverfahren im Zustand der materiellen Insolvenz, hat zudem geringere Erfolgsaussichten und erhöht damit lediglich die potentiellen Schäden der Stakeholder, da das Unternehmensvermögen weiter dezimiert wird.116 Ein Abstandsgebot derart, dass der präventive Restrukturierungsrahmen nicht zu einem Zeitpunkt weiter genutzt werden darf, in dem der Schuldner materiell insolvent ist, lässt sich aus der RRiL hingegen nicht ableiten. Dies betrifft den Fall, dass die materielle Insolvenz erst nach Einleitung des Restrukturierungsverfahrens eintritt. Dass die weitere Nutzung des präventiven Restrukturierungsrahmens nach Eintritt der materiellen Insolvenz nicht zulässig sein sollte, kann jedoch aus Gründen der Gläubigergleichbehandlung sinnvoll sein. Ist der Schuldner materiell insolvent überwiegt der Schutz der Gläubigergleichbehandlung gegenüber dem Ziel, ein bestandsfähiges Unternehmen durch Restrukturierungsmaßnahmen zu erhalten. Der Schuldner hat sozusagen seine Chance zur (weitgehend eigenverantwortlichen) Restrukturierung nicht wahrnehmen können. Es sollte dann das Insolvenzverfahren greifen, welches im deutschen Recht auch noch weitere Sanierungsmöglichkeiten bereithält und nicht zwingend zur Liquidation führt. Auf diese Weise wird eine klare Abgrenzung zwischen Restrukturierungsverfahren und Insolvenzverfahren ermöglicht. Eine Meinung in der Literatur plädierte daher auch dafür, dass der deutsche Gesetzgeber, die Möglichkeit einer Ausnahmeregelung nach Art. 7 Abs. 3 RRiL nutzt.117 Der deutsche Gesetzgeber hat sich mit § 32 Abs. 3 StaRUG für eine Pflicht zur Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung entschieden, die gemäß § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG zur Aufhebung der Restrukturierungssache führen kann.118
114 Für ein Abstandsgebot im Sinne eines substantiellen Unterschieds zwischen der wahrscheinlichen Insolvenz und der materiellen Insolvenz Freitag, ZIP 2019, 541, 546. 115 Zu dem Verhältnis von Überschuldungstatbestand und wahrscheinlicher Insolvenz siehe B. II. 2. g) cc) und B. II. 2. g) dd). 116 Vgl. EWG 3 RRiL a. E. 117 Frind, BB 2019, 2381, 2382; Stohrer, ZInsO 2018, 660,664; wohl auch Flöther, ZInsO 2019, 1582, 1584. 118 Dazu RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 138 ff.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
b) Das Missbrauchsrisiko Erwägungsgrund 24 der Restrukturierungsrichtlinie sagt: „[…] Um einen Missbrauch der Restrukturierungsrahmen zu verhindern, sollten die finanziellen Schwierigkeiten des Schuldners auf eine wahrscheinliche Insolvenz hinweisen, und der Restrukturierungsplan sollte die Insolvenz des Schuldners abwenden und die Bestandsfähigkeit des Unternehmens sicherstellen können.“119
Der Restrukturierungsrahmen sieht die Möglichkeit für erhebliche Eingriffe in Rechte einzelner Dritter vor, bspw. durch den in Art. 11 RRiL geregelten cross-class cram-down oder die Aussetzung von Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen nach Art. 6 RRiL. Diese sind nur gerechtfertigt, weil eine Insolvenz wahrscheinlich ist, welche dann durch den Restrukturierungsplan im Interesse aller Stakeholder und des Schuldners selbst abgewendet wird.120 Der Begriff der wahrscheinlichen Insolvenz bewirkt damit insofern einen Schutz von Gläubigerinteressen als nicht bei jeglichen finanziellen Schwierigkeiten Einschränkungen von deren Rechten erfolgen können. Vor dem Hintergrund des Missbrauchsrisikos darf der Begriff der wahrscheinlichen Insolvenz nicht zu sehr ausgehöhlt werden. Die Kriterien, die zur Bestimmung dieses Zeitpunkts herangezogen werden, müssen einen deutlichen Bezug zu einer zukünftigen Insolvenz haben, weil sonst Gläubigerinteressen ohne ausreichende Rechtfertigung beschränkt werden. Zudem ist eine Berücksichtigung der Gläubigerinteressen nach Art. 19 lit. a RRiL erst dann gerechtfertigt, wenn auch eine hinreichende Gefährdung ihrer Interessen aufgrund der wirtschaftlichen Lage gegeben ist. c) Finanzielle Schwierigkeiten und nichtfinanzielle Schwierigkeiten Aus Art. 1 Abs. 1 lit. a RRiL ergibt sich, dass die „finanziellen Schwierigkeiten bei einer wahrscheinlichen Insolvenz“ eines Schuldners entscheidend sind für den Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen. Dagegen ist in Art. 4 RRiL, der die Verfügbarkeit des präventiven Restrukturierungsrahmens regelt, nur von einer wahrscheinlichen Insolvenz die Rede. Erwägungsgrund 28 der RRiL stellt wiederum nur auf die finanziellen Schwierigkeiten eines Schuldners ab. Der Begriff der wahrscheinlichen Insolvenz wird in dem Erwägungsgrund nicht erwähnt. Es ist daher zu klären, welche Bedeutung die „finanziellen Schwierigkeiten“ für die „wahrscheinliche Insolvenz“ haben. Eine wahrscheinliche Insolvenz wird stets 119 Beispiele für eine missbräuchliche Verwendung des US-amerikanischen Chapter 11Verfahrens bei Müller, S. 257; zu marktwirtschaftlichen Fehlanreizen des Chapter 11-Verfahrens, wenn die Bestandsfähigkeit durch ein Sanierungsverfahren nicht sichergestellt wird, vgl. Korch, ZHR 2018, 440, 450 ff. 120 Vgl. Art. 4 Abs. 1 RRiL sowie Erwägungsgrund 24 der Restrukturierungsrichtlinie.
II. Zeitpunkt der Pflichten
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„finanzielle Schwierigkeiten“ voraussetzen.121 Hingegen kann der unscharfe Begriff „finanzielle Schwierigkeiten“ auch ohne einen Zusammenhang zu einer zukünftigen Insolvenz stehen. Restrukturierungen, die keinen Bezug zu einer zukünftigen Insolvenz aufweisen, sollen jedoch nicht von der RRiL erfasst sein. Ebensowenig sollen solche Restrukturierungen durch die besonderen Krisenpflichten des Art. 19 RRiL gefördert werden. Erwägungsgrund 28 der Restrukturierungsrichtlinie sieht darüber hinaus die Möglichkeit vor, dass eine wahrscheinliche Insolvenz auch durch Schwierigkeiten nichtfinanzieller Art ausgelöst wird (bspw. verliert der Schuldner einen wichtigen Auftrag). Diese Schwierigkeiten nichtfinanzieller Art müssen „mit der tatsächlichen und erheblichen Gefahr verbunden sein, dass ein Schuldner gegenwärtig oder in Zukunft seine Verbindlichkeit bei Fälligkeit nicht begleichen kann“.122
Auch bei den nichtfinanziellen Schwierigkeiten in Erwägungsgrund 28 ist damit letztlich die (zukünftige) Zahlungsunfähigkeit des Schuldners entscheidend. Aus EWG 28 folgt, dass bei hinreichend konkreten Anzeichen für zukünftige finanzielle Schwierigkeiten, diese bereits jetzt eine präventive Restrukturierung rechtfertigen können. Erwägungsgrund 28 gibt damit die Möglichkeit, den Anwendungsbereich des präventiven Restrukturierungsrahmens auf einen Zeitraum zu erweitern, in dem die finanziellen Schwierigkeiten noch nicht eingetreten sind, sondern aufgrund aktueller nichtfinanzieller Schwierigkeiten erst zukünftig zu erwarten sind und in der Folge eine wahrscheinliche Insolvenz bewirken. Die Begriffe „finanzielle Schwierigkeiten“ und „nichtfinanzielle Schwierigkeiten“ in Zusammenhang mit der „wahrscheinlichen Insolvenz“ beschreiben bestimmte krisenhafte Situationen eines Unternehmens. Im Folgenden wird dargelegt, welche Arten von Unternehmenskrisen durch diese Begriffe beschrieben werden. Deren Vorliegen könnte die Anwendung des präventiven Restrukturierungsrahmens sowie die Anwendung besonderer Pflichten der Unternehmensleitung rechtfertigen.123
121 Freitag, ZIP 2019, 541, 547, versteht die Merkmale der wahrscheinlichen Insolvenz und der finanziellen Schwierigkeiten als kumulative Voraussetzungen für den Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen. 122 Erwägungsgrund 28 der Restrukturierungsrichtlinie. 123 Vgl. zum betriebswirtschaftlichen Krisenbegriff bspw. Schluck-Amend/Walker, GmbHR 2001, 375, 376; zum Begriff der Krise im deutschen Recht auch Huber, ZInsO 2018, 1761, 1763 f. m. w. N.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
aa) Betriebswirtschaftliche Definition der Unternehmenskrise Die Krise von Unternehmen ist ein Thema, welches bereits viel Aufmerksamkeit erfahren hat. Dementsprechend vielfältig sind die Ansätze zur Definition und Beschreibung von Unternehmenskrisen.124 Unternehmenskrisen können anhand verschiedener Kriterien unterteilt werden.125 Zieht man den Lebenszyklus eines Unternehmens heran, so können Gründungskrisen, Wachstumskrisen und Alterskrisen unterschieden werden. Stellt man auf die tatsächliche Entwicklung eines Unternehmens ab, während der die Krise auftritt, können Wachstums-, Stagnations- und Schrumpfungskrisen unterschieden werden. Häufig wird anhand der Krisenursachen unterschieden, ob es sich um exogene (aus der Unternehmensumwelt stammende) oder endogene (aus dem Unternehmen selbst stammende) Krisen handelt. Bei den exogenen Unternehmenskrisen wird zudem zwischen sog. strukturellen Krisen, die durch einen langfristigen Strukturwandel ausgelöst sind, und den markbedingten Krisen, ausgelöst durch vorübergehende Marktschwankungen, unterscheiden.126 Zudem kann hinsichtlich des Zeitdrucks zwischen akuten und latenten Krisen unterschieden werden. Gängig in der Betriebswirtschaftslehre ist zudem eine Einteilung nach den durch die Krise bedrohten Zielen des Unternehmens.127 Die zuletzt genannte Beschreibung soll nun näher dargestellt werden, um eine Grundlage zu haben, auf welcher die Auslegung des Begriffs der finanziellen und nichtfinanziellen Schwierigkeiten aus der Restrukturierungsrichtlinie erfolgen kann. Zugleich können aus der Beschreibung der Unternehmenskrise auch die Möglichkeiten zu ihrer Bewältigung abgeleitet werden. Die Bewältigung von Unternehmenskrisen wird vielfach auch als Sanierung oder Turnaround-Management bezeichnet.128 In den Worten der Restrukturierungsrichtlinie stellt die Bewältigung einer Unternehmenskrise eine Restrukturierung dar. Durch die Beschreibung der Art der Unternehmenskrise ergeben sich daher Anhaltspunkte dafür, welche Restrukturierungsmaßnahmen im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 der Restrukturierungsrichtlinie zur Bewältigung einer Unternehmenskrise ergriffen werden können. Das Verständnis der verschiedenen Stadien einer Unternehmenskrise ist damit auch erforderlich, um bestimmen zu können, welche Pflichten der Unternehmensleitung und ggf. auch Dritten in dem jeweiligen Stadium zur Bewältigung der Unternehmenskrise obliegen können.
124 Einen Überblick über die betriebswirtschaftliche Forschung zur Krise bieten Bundy/ Pfarrer/Short/Coombs, Journal of Management, Bd. 43/6, 2017, S. 1 ff. 125 Vgl. zum Folgenden Müller, S. 53 ff. 126 Müller, S. 67 f. 127 Müller, S. 53. 128 Vgl. Müller, S. 16.
II. Zeitpunkt der Pflichten
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Müller beschreibt die Unternehmenskrise wie folgt: „Eine Unternehmungskrise ist ein von der betroffenen Unternehmung ungewollter, zeitlich begrenzter Prozess, durch den – Aufbau und Nutzung von Erfolgspotentialen, wie z. B. Marktanteile oder ein KnowHow-Vorsprung (Strategische Krise), – die Erreichung von Erfolgszielen, wie etwa Umsatz- oder Rentabilitätszielen (Erfolgskrise) oder – die Aufrechterhaltung der Liquidität der Unternehmung bzw. die Vermeidung der Überschuldung (Liquiditätskrise) dauerhaft und nachhaltig bedroht werden, so daß die Existenz der gesamten Unternehmung oder wesentlicher, selbständig operierender Teile von ihr (Divisions, Sparten, Geschäftsbereiche usw.) ernsthaft gefährdet ist.“129
Eine Krise besteht also dann, wenn die Ziele gefährdet sind, die für die Existenz des Unternehmens, also für das weitere Tätigwerden der Unternehmung am Markt entscheidend sind.130 Die Ziele sind typischerweise131 i) die Vermeidung von Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit, ii) die Erzielung einer Mindestrendite sowie iii) der Aufbau und Erhalt von Erfolgspotential, d. h. der produkt- und marktspezifischen Voraussetzungen, die zur Realisierung der Erfolgsziele, bspw. Gewinn- und Rentabilitätsziele, erforderlich sind. (1) Strategiekrise Die Strategiekrise ist gekennzeichnet durch eine Bedrohung des Erfolgspotentials eines Unternehmens. Das Erfolgspotential beschreibt die Fähigkeit eines Unternehmens, erfolgreich am Markt zu bestehen. Es beruht auf den produkt- und marktspezifischen Ressourcen, die ein Unternehmen besitzen muss, um erfolgreich am Markt zu operieren.132 Es besteht im Wesentlichen aus zwei Kernelemente: Erstens, dem Aufbau einer dominierenden Wettbewerbsposition, also einem hohen relativen Marktanteil.133 Zweitens, dem Erreichen einer führenden Produktqualität. Diese umfasst nicht nur die Fertigung des Produktes, sondern ebenso seine Vermarktung (Akquisition, Auftragsabwicklung, Distribution, Lieferzeit, After-Sale-Service).134 Anzei-
129
Müller, S. 15. Müller, S. 33 f. 131 Müller, S. 34. 132 Müller, S. 36 ff. 133 Der relative Marktanteil beschreibt das Verhältnis des eigenen Marktanteils zu demjenigen des stärksten Konkurrenten, Müller, S. 36 Fn. 3. 134 Müller, S. 38. 130
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
chen für ein bestehendes Erfolgspotential sind bspw.135 umfangreiche Auftragsbestände, ein weitreichender Arbeitsvorrat, ein fester Kundenstamm, gute Referenzen aufgrund erledigter Aufträge, gutes Image durch bewährte Produkte, ein anerkannt führender Technologiestatus, Patente und Lizenzen, eine leistungsfähige Forschungs- und Entwicklungsabteilung, ein hervorragendes Verkäuferteam, eine eingespielte Auftragsabwicklung, ein schlagkräftiger Vertrieb, ein weitverzweigtes Servicenetz. Alle diese Faktoren beschreiben eine gute Wettbewerbsposition und eine hohe Produktqualität, welche kennzeichnend sind für das Erfolgspotential eines Unternehmens. Als der Strategiekrise vorgelagerte Phase der Unternehmenskrise wird in der Literatur noch die sog. Stakeholderkrise genannt. Dabei handelt es sich um ein sehr frühes Krisenstadium. Stakeholder sind verschiedene Gruppen, die ein Interesse an der Entwicklung des Unternehmens haben, bspw. die Arbeitnehmer, Kreditinstitute, Gläubiger, Überwachungsorgane, Anteilseigener oder Träger des öffentlichen Interesses (etwa Kommunen). Wenn Konflikte zwischen diesen Gruppen oder innerhalb dieser Gruppen zu existenzbedrohenden Blockaden führen, liegt eine Stakeholderkrise vor. So können bspw. Konflikte unter den Anteilseignern die Entwicklung und Umsetzung einer Unternehmensstrategie blockieren.136 Strategiekrisen sind für die Unternehmensleitung und Dritte häufig schwierig zu erkennen. Zwar zeigen sich Strategiekrisen bereits in einem wachsenden Widerstand im Markt, sinkenden Erfolgskennzahlen (etwa Marktanteil) und bspw. einer Abwanderung von qualifiziertem Personal (also dem Erfolgspotential des Unternehmens). Bilanzielle Auswirkungen liegen in der Regel jedoch noch nicht vor. Oftmals wird das Unternehmen noch Gewinne erwirtschaften.137 Es ist auch möglich, dass das Unternehmen selbst noch wächst, jedoch weniger schnell als der Gesamtmarkt und somit Marktanteile verloren gehen.138 (2) Produkt- und Absatzkrise und Erfolgskrise Wenn konkrete Erfolgsziele dauerhaft und nachhaltig bedroht sind, liegt eine Erfolgskrise vor. Eine weitere Differenzierung der drei oben genannten Krisenstadien (Strategie-, Erfolgs- und Liquiditätskrise) stellt die sog. Produkt- und Absatzkrise dar. Diese folgt auf die Strategiekrise und ist gekennzeichnet durch einen starken Rückgang der Nachfrage für die Produkte des Unternehmens. Es bauen sich Lagerbestände auf und die erhöhte Kapitalbindung führt zu einer verschlechterten Liquidität. Die Produktund Absatzkrise stellt damit eine frühe Phase der Erfolgskrise dar. Bis zu Beginn der
135 136 137 138
Aufzählung nach Müller, S. 44. Zur Stakeholderkrise Niemann, in: Bork/Hölzle, HdB Insolvenzrecht, Kap. 28 Rn. 16 ff. Niemann, in: Bork/Hölzle, HdB Insolvenzrecht, Kap. 28 Rn. 20 ff.; Müller, S. 55. Vgl. Haghani, NZI-Beilage 2019, 20, 21.
II. Zeitpunkt der Pflichten
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Produkt- und Absatzkrise kann das Unternehmen noch ohne größere Schwierigkeiten Finanzmittel im Wege der Innen- oder Außenfinanzierung generieren.139 Ohne gegensteuernde Maßnahmen entwickelt sich die Produkt- und Absatzkrise zu einer Erfolgskrise, in welcher das Eigenkapital infolge des Umsatzrückgangs nach und nach vermindert wird.140 Die Erfolgskrise zeigt sich bereits deutlich in den Finanzkennzahlen (wie etwa einer gesunkenen Eigenkapitalquote oder einem verschlechterten betrieblichen Ergebnis)141 Die Erfolgskrise ist für Dritte erkennbar und führt zu einer Verschlechterung der Kreditwürdigkeit des Unternehmens.142 Während die Liquidität in diesem Stadium durch geschickte Disposition noch aufrechterhalten werden kann (und somit eine Liquiditätskrise vermieden wird), ist eine nachhaltige Sanierung ohne neues Kapital (ggf. durch Aufnahme neuer Gesellschafter) nicht mehr möglich.143 (3) Liquiditätskrise Aufgrund der schlechten Ertragslage ist die Aufrechterhaltung der Liquidität bedroht.144 Über „kurz oder lang“145 droht die Zahlungsunfähigkeit und/oder die Überschuldung. Die Liquiditätskrise ist anhand eines verschlechterten Cash-Flows und einer Statusbilanz zu erkennen. Symptome sind der Verzicht auf die Ausnutzung von Skonto, die Begleichung von Rechnung erst nach Mahnungen oder nach gerichtlichen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. (4) Zeitlicher Verlauf der Krisenstadien Die drei Krisenarten stehen in einer zeitlichen Abfolge. Die einzelnen Phasen sind jedoch nicht immer klar voneinander abzugrenzen. Die Mehrheit der Unternehmenskrisen (etwa 60 %146) beginnt mit einer Strategiekrise, bei welcher nach und nach das Erfolgspotential schwindet. Dies führt zu einer Erfolgskrise, welche 139 Groß, WPg 2010, 119, 129; Niemann, in: Bork/Hölzle, HdB Insolvenzrecht, Kap. 28 Rn. 23. 140 Niemann, in: Bork/Hölzle, HdB Insolvenzrecht, Kap. 28 Rn. 23. 141 Groß, DStR 1991, 1572. 142 Groß, WPg 2010, 119, 129 f.; Niemann, in: Bork/Hölzle, HdB Insolvenzrecht, Kap. 28 Rn. 25. 143 Groß, WPg 2010, 119, 130; Niemann, in: Bork/Hölzle, HdB Insolvenzrecht, Kap. 28 Rn. 26. 144 Niemann, in: Bork/Hölzle, HdB Insolvenzrecht, Kap. 28 Rn. 27, spricht von einer akuten Bedrohung; Müller, S. 54 davon, dass dem Unternehmen über „kurz oder lang“ die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung drohen. 145 So wörtlich Müller, S. 54; Zabel, in: HRI, § 3 Rn. 30 „Zahlungsunfähigkeit droht“; zeitlich enger: Niemann, in: Bork/Hölzle, HdB Insolvenzrecht, Kap. 28 Rn. 27, spricht von einer akuten Gefahr der Zahlungsunfähigkeit; ebenso Gras, in: MüAnwHdB Insolvenz und Sanierung, § 2 Rn. 5; Schluck-Amend, in: MüAnwHdB GmbH-Recht, § 23 Rn. 4, spricht von einer unmittelbar drohenden oder bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit. 146 60 % nach Müller, S. 56.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
letztlich in eine Liquiditätskrise mündet.147 Bei etwa 30 % der Unternehmenskrisen stellen operative Probleme beispielsweise in der Finanzierung oder im Absatz, solche Hindernisse für die Erreichung der Erfolgsziele dar, dass sich das Unternehmen trotz eines bestehenden Erfolgspotentials (keine Strategiekrise) in einer Erfolgskrise befindet. Ausnahmsweise (etwa 10 %) kann es auch bei bestehendem Erfolgspotential (keine Strategiekrise) und guter Ertragslage (keine Erfolgskrise) zu einer Liquiditätskrise kommen. Gründe können bspw. Fehler in der Finanzplanung oder plötzliche Veränderungen in Absatz- oder Beschaffungsmärkten, wie die Insolvenz eines wichtigen Kunden, sein.148 (5) Abgrenzung zur Katastrophe und singulären Ereignissen Der Begriff der Unternehmenskrise kann noch von dem Begriff der „Katastrophe“ abgegrenzt werden.149 Die Katastrophe stellt ein außerökonomisches Ereignis dar, welches die Funktionsfähigkeit des Unternehmens bedroht (bspw. Naturkatastrophen oder technische Katastrophen wie Brände oder der Ausfall von Informationssystemen). Solche Katastrophen können zu einer Unternehmenskrise führen, wenn Betriebsabläufe dauerhaft gestört werden oder die finanziellen Mittel, um die Katastrophe zu beheben, nicht vorhanden sind. Es gibt eine Vielzahl weiterer singulärer Ereignisse, die eine Unternehmenskrise auslösen können, etwa streikbedingte Betriebsunterbrechungen, Rechtstreite, der Ausfall von Schlüsselpersonal oder kaum vorhersehbare Marktveränderungen.150 Diese Ereignisse können den Beginn einer Unternehmenskrise markieren oder auch im Verlauf einer krisenhaften Entwicklung als ein Symptom der Unternehmenskrise auftreten.151 (6) Zwischenergebnis Die Stadien einer Unternehmenskrise können somit grob eingeteilt werden in die regelmäßig aufeinander folgenden Strategie-, Erfolgs- und Liquiditätskrisen. Eine differenziertere Unterteilung unterscheidet die folgenden Phasen: – Stakeholderkrise, – Strategiekrise, – Produkt- und Absatzkrise, – Erfolgskrise, – Liquiditätskrise. 147 148 149 150 151
Müller, S. 54; Groß, DStR 1991, 1572. Müller, S. 55 und 217. Die folgende Darstellung beruht auf Müller, S. 46 ff. Müller, S. 48; siehe zu solchen „Ereigniskrisen“ auch Seibt, BB 2019, 2563. Zu weiteren Symptomen einer Unternehmenskrise vgl. Müller, S. 320.
II. Zeitpunkt der Pflichten
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In jede dieser Phasen einer Unternehmenskrise sind bestimmte Maßnahmen erforderlich, um die existenzbedrohende Situation abzuwenden. Die Unternehmenskrise ist als Prozess zu verstehen. Singuläre Ereignisse können eine Unternehmenskrise (häufig in Form einer reinen Liquiditätskrise) auslösen. bb) Maßnahmen zur Bewältigung einer Unternehmenskrise Der Zeitraum für Maßnahmen der Krisenbewältigung bevor die Insolvenz des Unternehmens eintritt kann grob mit lang- (Strategiekrise), mittel- (Erfolgskrise) und kurzfristig (Liquiditätskrise) beschrieben werden.152 Erkennbar sind Krisen häufig umso leichter je weiter sie bereits fortgeschritten sind und je weniger Zeit noch für Gegenmaßnahmen bleibt.153 Werden durch eine Unternehmenskrise mehrere Unternehmensziele bedroht, hat die Geschäftsleitung Prioritäten zu setzen. Die Bewältigung einer Liquiditätskrise hat dabei immer Vorrang vor Maßnahmen zur Wiedererlangung des unternehmerischen Erfolgs und Absicherung des Erfolgspotentials. Langfristig können die meisten Krisen jedoch nur bewältigt werden, wenn über liquiditätssichernde Maßnahmen hinaus auch operative Probleme behoben werden und die strategische Ausrichtung der Unternehmung überprüft wird.154 Übergeordnetes Ziel der Krisenbewältigung ist die Wiederherstellung oder Sicherung der Ertragskraft des Unternehmens.155 Nur ein Unternehmen, dass langfristig stabile Erträge erwirtschaftet, ist wettbewerbsfähig und kann am Markt bestehen. Die Restrukturierungsrichtlinie spricht von der Bestandsfähigkeit des Unternehmens. Voraussetzung dafür, stabile Erträge zu erwirtschaften, ist ein ausreichendes Erfolgspotential, welches in Erfolgsgrößen (Umsatz, Gewinn) umgesetzt wird. Nebenbedingung für die Wiederherstellung bzw. Sicherung der Ertragskraft ist stets das Aufrechterhalten der Liquidität und die Vermeidung einer Überschuldung. Abhängig davon, welches Unternehmensziel durch die Krise bedroht ist, sind unterschiedliche Maßnahmen zur Bewältigung einer Unternehmenskrise erforderlich. Dabei müssen die verschiedenen Maßnahmen ggf. miteinander verbunden werden, um eine vollständige Krisenbewältigung zu erreichen. Allgemein gesagt ist zur Überwindung von Strategiekrisen ein strategisches Krisenmanagement erforderlich. Zur Überwindung von Erfolgskrisen ein operatives
152 153 154 155
Müller, S. 54. Müller, S. 321. Müller, S. 55; Groß, DStR 1991, 1572. Müller, S. 50.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Krisenmanagement und zur Überwindung einer Liquiditätskrise ein liquiditätssicherndes Krisenmanagement.156 (1) Strategisches Krisenmanagement Das strategische Krisenmanagement zur Absicherung oder Wiederherstellung des Erfolgspotentials hat drei verschiedenen Stoßrichtungen157: – Absicherung des bisherigen Erfolgspotentials, d. h. vorhandene Märkte konsolidieren durch Kostensenkungen oder Qualitätssteigerungen, – Erschließung neuer, zukunftsorientierter Komponenten des Erfolgspotentials, d. h. Erschließung neuer Märkte, – Verzicht auf obsolete und damit nutzlos gewordene Bestandteile des Erfolgspotentials, d. h. Aufgabe bisheriger Märkte. (2) Operatives Krisenmanagement Das operative Krisenmanagement dient der Wiederherstellung oder Absicherung des Erfolgs (im Sinne von Erfolgszahlen wie Umsatz, Ergebnis, Rentabilität) indem es entweder eine Krisenstrategie mit Bezug auf den jeweiligen Markt umsetzt oder operative Probleme behebt, die der Realisierung des Erfolgspotentials einer bestehenden Strategie entgegenstehen.158 Das operative Krisenmanagement besteht daher vor allem darin, das strategische Konzept durch konkrete Einzelmaßnahmen umzusetzen. Das kann die folgenden Bereiche betreffen: – Produktionspolitik (Fertigungstrukturen und -abläufe), – Materialwirtschaft/Logistik, – Finanzierungspolitik, – Personalwesen, – Innovationspolitik, – Marketing-Mix (Produkt- und Sortimentsgestaltung, Preise und Konditionen, Serviceleistungen, Distributionskanäle, Kundenkommunikation). Im Fokus des operativen Krisenmanagements stehen häufig Maßnahmen zur Kostensenkung (bspw. Umschuldung, Personalabbau oder Abbau von Lagerbestände durch „Just-In-Time“-Lieferung) und Effizienzsteigerung (intelligente Fertigungsverfahren) sowie zur Verbesserung der Produktqualität (bspw. Auftragsabwicklung oder Projektmanagement).159 Gesteuert wird die Umsetzung der Strategie 156
Müller, S. 57. Nach Müller, S. 71. 158 Müller, S. 205. 159 Vgl. auch Niemann, in: Bork/Hölzle, HdB Insolvenzrecht, Kap. 28 Rn. 36 f.; Groß, DStR 1991, 1572, 1575. 157
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im Rahmen des operativen Krisenmanagements durch konkrete bereichsspezifische Vorgaben, wie z. B. Aufwendungen/Erträge im Bereich des Finanzwesens, Absatzmengen und Umsatzerlöse im Bereich des Vertriebs oder Durchlaufzeit und Stückzahlen im Bereich der Produktion.160 Zielt das operative Krisenmanagement auf die Beseitigung einer temporären Störung des Absatzes, etwa aufgrund konjunktureller Schwächen, können Maßnahmen wie Kurzarbeit, Rücknahme von Leiharbeit, Abbau von Zeitguthaben oder Verkürzung der Wochenarbeitszeit ausreichend sein.161 (3) Liquiditätskrisenmanagement Liegt eine Liquiditätskrise vor (etwa aufgrund eines langfristigen Verfalls des Erfolgspotentials des Unternehmens oder aufgrund eines singulären Ereignisses) müssen kurzfristig Maßnahmen ergriffen werden, um den Liquiditätsengpass zu überbrücken und/oder die Überschuldung zu beseitigen oder zu vermeiden. Die Beseitigung von Liquiditätsengpässen kann unter anderem erfolgen durch162: Ausgabenkürzungen, spätere Zahlung von Verbindlichkeiten (aufgrund von Vereinbarungen mit Gläubigern), verbesserten Forderungseinzug, kurzfristige Aktivierung von Liquidität im Anlage- und Umlaufvermögen, kurzfristige Bankkredite, Vereinbarung von Abschlagszahlungen und Anzahlungen durch Kunden. Um dauerhafte Liquiditätsprobleme zu überwinden, kommen typischerweise die folgenden Maßnahmen in Betracht:163 Aufnahme neuer Kredite, die Umwandlung von kurzfristigen in langfristige Verbindlichkeiten oder die Veräußerung größerer Vermögenswerte (ggf. Sale and Lease Back). Die Beseitigung oder Vermeidung einer Überschuldung erfolgt indem die Kapitalstruktur eines Unternehmens neu angeordnet wird. Dazu kommen regelmäßig folgende Maßnahmen in Betracht:164 – Kapitalherabsetzung und anschließende Kapitalerhöhung, – Umwandlung von Forderungen in Haftkapital, – Sanierungszuschüsse der Inhaber bzw. Gesellschafter, – Sanierungsfusionen, – weitere Maßnahmen wie kapitalersetzende Darlehen durch Gesellschafter, Kapitalzufuhr durch den Mutterkonzern, Eintritt neuer (Minderheits-)Gesellschafter.
160 161 162 163 164
Müller, S. 207 ff. Niemann, in: Bork/Hölzle, HdB Insolvenzrecht, Kap. 28 Rn. 38. Müller, S. 219; Niemann, in: Bork/Hölzle, HdB Insolvenzrecht, Kap. 28 Rn. 35. Müller, S. 221 f. Nach Müller, S. 222 ff.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
d) Zwischenergebnis Die Begriffe „finanzielle“ und „nichtfinanzielle“ Schwierigkeit können auf Grundlage der vorgenommenen, betriebswirtschaftlichen Beschreibung einer Unternehmenskrise weiter konturiert werden. Die finanziellen Schwierigkeiten im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie erfassen die Phasen einer Unternehmenskrise, in welcher konkrete Erfolgsziele (wie Umsatz oder Gewinn) existenzgefährdend bedroht sind oder eine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung abgewendet werden muss. Die nichtfinanziellen Schwierigkeiten können eine Bedrohung des Erfolgspotentials im Sinne einer Strategiekrise darstellen. Damit können im Ausgangspunkt sowohl Strategie, Produkt- und Absatz, Erfolgskrisen und Liquiditätskrisen als relevante Stadien einer Unternehmenskrise für die RRiL in Betracht kommen.165 Es muss jedoch stets ein hinreichender Bezug zu einer wahrscheinlichen Insolvenz bestehen, um die Eingriffe in die Rechte Dritter sowie die Anwendung der Krisenpflichten aus Art. 19 RRiL zu rechtfertigen. Es wurde kritisiert, dass Unternehmenssanierungen oftmals den strategischen Bereich vernachlässigen und sich auf die finanzielle und gesellschaftsrechtliche Neuordnung konzentrieren sowie auf die Durchführung operativer Maßnahmen.166 In eine ähnliche Richtung deutet auch die Definition des Begriffs Restrukturierung in Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 RRiL, welche insbesondere finanzielle und operative Maßnahmen hervorhebt. Mit dem Verkauf eines Geschäftsbereichs wie er in Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 RRiL genannt ist, können jedoch auch strategische Maßnahmen erfasst sein. aa) Der frühestmögliche Zeitpunkt Die Kategorisierung der verschiedenen Phasen einer Unternehmenskrise hat gezeigt, dass der Zeitpunkt, in welchem eine Unternehmenskrise zum einen bereits deutlich erkennbar ist, zum anderen aber noch ausreichend Zeit und Möglichkeiten zu ihrer Bewältigung bestehen, die Phase einer Produkt- und Absatzkrise ist. In dieser Phase sind Erfolgsziele wie Umsatz, Gewinn, Rentabilität existenzgefährdend bedroht. Diese Phase kann bereits eintreten, mehrere Jahre bevor die Krise dem betroffenen Unternehmen bewusst wird.167 Maßnahmen zur Krisenbewältigung könnten zu diesem Zeitpunkt durchaus sinnvoll ansetzen. Zweifelhaft ist jedoch, ob ein ausreichender Bezug zu einer wahrscheinlichen Insolvenz besteht, sodass ein Missbrauch des präventiven Restrukturierungsrahmens ausgeschlossen ist und die Unternehmensleitung bereits einer besonderen Pflichtenbindung unterworfen werden kann. Man könnte die zu diesem Zeitpunkt ergriffenen Maßnahmen zur Krisenbewältigung als rein operative und strategische Maßnahmen einordnen, die mangels hinreichend konkretem Bezug zu einer wahrscheinlichen Insolvenz nicht
165 166 167
So auch Hermanns, ZInsO 2018, 2273, 2276 f. Müller, S. 284. Vgl. die Darstellung von Gras, in: MüAnwHdB Insolvenz und Sanierung, § 2 Rn. 7.
II. Zeitpunkt der Pflichten
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mit den Mitteln des präventiven Restrukturierungsrahmens erfolgen sollen.168 Zwar zielen auch Maßnahmen zur Beseitigung einer reinen Erfolgs- oder Strategiekrise letztlich immer auf die Beseitigung existenzbedrohender Entwicklungen. Dennoch ist zweifelhaft, ob bei einer reinen Erfolgs- oder Strategiekrise davon gesprochen werden kann, dass eine Insolvenz wahrscheinlich ist, da keine insolvenzbegründenden Unternehmensziele bedroht sind, wie etwa die Aufrechterhaltung der Liquidität und die Vermeidung einer Überschuldung. Beispielsweise kann nicht jede Verschlechterung der Umsatzzahlen – mag sie auch erheblich sein – zur Eröffnung des präventiven Restrukturierungsrahmens und der Anwendung von Art. 19 RRiL führen. Die Verletzung von Umsatz-, Gewinn- oder Rentabilitätszielen und Kennzahlen wie Auftragseingänge, Vertriebsstatistiken und Lagerstatistiken können als Kennzeichen für eine Produkt- und Absatzkrise dienen. Für sich genommen können sie jedoch keinen ausreichenden Bezug zu dem Eintritt einer Insolvenz herstellen.169 Noch schwieriger ist es, im Zeitpunkt einer reinen Strategiekrise den Bezug zu einer wahrscheinlichen Insolvenz herzustellen, da der Zeithorizont bis zum Eintritt der Insolvenz regelmäßig noch sehr lang ist. Dies steigert das Missbrauchsrisiko und erschwert die Vorhersage der existenzgefährdenden Entwicklung bis hin zur Insolvenz erheblich. Unter der Prämisse, dass das einzelne Krisenstadium ein Kennzeichen für den Grad der Bedrohung des Unternehmens ist170, besteht zudem keine Notwendigkeit, einem Schuldner in einer Strategiekrise zur strategischen Neuausrichtung seines Unternehmens die Werkzeuge der Restrukturierungsrichtlinie zur Verfügung zu stellen und eine Restrukturierung durch besondere Pflichten der Unternehmensleitung zu fördern.171 Die einzelnen Krisenstadien sind jedoch nicht immer eindeutig voneinander zu trennen und verschwimmen teilweise. Ist es im Zeitpunkt bspw. einer Produkt- und Absatzkrise aufgrund des sinkenden Umsatzes mit betriebswirtschaftlichen Methoden (etwa Finanzplan und Liquiditätsrechnung) möglich, ein Liquiditätsproblem zu prognostizieren, könnte ein ausreichender Bezug zu einer Insolvenz vorliegen. Je nachdem wie man den Zeithorizont bei einer Liquiditätskrise definiert (akute Zahlungsschwierigkeiten oder auch mittelfristige bis langfristige Zahlungsschwierigkeiten), liegt sogar bereits eine Liquiditätskrise vor. Entscheidend ist somit nicht die Bezeichnung des Krisenstadiums, sondern, ob in der jeweiligen Lage des Unternehmens auf betriebswirtschaftlicher Grundlage ein ausreichender Bezug zu einer künftigen Insolvenz hergestellt werden kann, der 168 Freitag, ZIP 2019, 541, 547; für die Anknüpfung an eine Produkt- und Absatzkrise Lange/Swierczok, BB 2019, 514, 516. 169 Zu den Schwierigkeiten, Kennzahlen aus der Produkt- und Absatzkrise als Frühwarnsystem für Insolvenzen zu verwenden, siehe Hermanns, ZInsO 2018, 2273, 2278 f. 170 Niemann, in: Bork/Hölzle, HdB Insolvenzrecht, Kap. 28 Rn. 32. 171 Neuberger, ZIP 2019, 1549, 1555 lässt eine Strategiekrise ausreichen für eine wahrscheinliche Insolvenz; spätestens aber bei einer Produkt- und Absatzkrise soll eine wahrscheinliche Insolvenz vorliegen; siehe auch Neuberger, ZInsO 2018, 2053, 2060.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Eingriffe in die Rechte der Stakeholder und ggf. der Shareholder ebenso rechtfertigt wie die Förderung der Restrukturierung durch besondere Anreize für die Unternehmensleitung.172 Dies ist der Kern des Begriffs der finanziellen Schwierigkeiten in Verbindung mit dem Begriff der wahrscheinlichen Insolvenz. Die wahrscheinliche Insolvenz im Sinne der RRiL ist damit nicht mit einem bestimmten Krisenstadium gleichzusetzen. Der wahrscheinlichen Insolvenz liegt vielmehr ein juristischer Krisenbegriff zugrunde, der sich auf das Vorliegen bzw. auf die Absehbarkeit oder Prognostizierbarkeit von Insolvenzgründen bezieht. Der frühestmögliche Zeitpunkt für eine wahrscheinliche Insolvenz im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie ist damit der Zeitpunkt, in welchem ein betriebswirtschaftlich fundierter Zusammenhang zu einer Insolvenz belegbar ist. Anhand welcher Kriterien dieser Zusammenhang hergestellt wird, ist europarechtlich nicht vorgeschrieben. Um dem Missbrauch des präventiven Restrukturierungsrahmens vorzubeugen und zugleich wichtige Restrukturierungsfälle nicht aus dem Anwendungsbereich auszunehmen, ist die Bestimmung der Art und Weise der Prognose, welche durch den nationalen Gesetzgeber bestimmt wird, der entscheidende Punkt. Hier ist denkbar, eine konkrete Prognose des Eintritts der materiellen Insolvenz (Zahlungsunfähigkeit) zu verlangen oder abstrakt an die Verfehlung betriebswirtschaftlicher Ziele (Gewinn, Umsatz, Rentabilität) oder an Kriterien, wie etwa eine Unterbilanz, eine bestimmte Eigenkapitalquote oder die fiktive Schuldentilgungsdauer anzuknüpfen, die jedoch einen belastbaren Zusammenhang mit einer Insolvenz aufweisen müssen.173 Es ist damit ausnahmsweise auch denkbar, dass die wahrscheinliche Insolvenz bereits im Zeitpunkt einer fortgeschrittenen Strategiekrise vorliegt, wenn sich zeigt, dass dem Schuldner bei einer Fortführung dieser Strategie in Zukunft die Zahlungsunfähigkeit droht. Zu bedenken ist dabei, dass der Begriff der wahrscheinlichen Insolvenz in der RRiL in zweifacher Hinsicht als Anknüpfungspunkt dient. Zum einen stellt er den Zugangstatbestand für den präventiven Restrukturierungsrahmen dar. Zum anderen stellt die wahrscheinliche Insolvenz nach Art. 19 RRiL den Anknüpfungspunkt für Pflichten der Geschäftsleitung dar. Je weiter man also die wahrscheinliche Insolvenz fasst, um den Anwendungsbereich des präventiven Restrukturierungsrahmens für Restrukturierungsfälle zu eröffnen, desto weitergehende Pflichten zur Prüfung dieses Anwendungsbereichs legt man der Unternehmensleitung auf und erweitert somit ihre potentielle Haftung. Wenn der Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen an die belastbare Prognose von Insolvenzgründen geknüpft wird, wird die jeweilige Unternehmensleitung nicht ungebührlich belastet, denn die Überwachung des Ein172
Vgl. auch Hermanns, ZInsO 2018, 2273, 2276 „Notwendigkeit einer Verlagerung weg von juristischen Definitionen hin zu einer betriebswirtschaftlichen nachvollziehbaren Argumentation“. Der RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 90 stellt ebenfalls darauf ab, dass der Eingriff in Gläubigerrechte erst durch eine Gefährdung der vollständigen Befriedigung der Gläubigeransprüche zu rechtfertigen ist. 173 Dazu unter B. II. 2. d).
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tritts von Insolvenzgründen, soweit dies betriebswirtschaftlich möglich ist, stellt eine Kernaufgabe von Unternehmensleitungen dar. Wie sogleich zu zeigen ist, führt die Anknüpfung an die drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 InsO im deutschen Recht dazu, dass eine Liquiditätsprognose (sowie eine entsprechende Dokumentation dieser Prognose) über einen Zeitraum von regelmäßig 24 Monaten und möglicherweise sogar länger erforderlich ist. Das kann bei KMUs, die eine besondere Zielgruppe der RRiL darstellen, zu Problemen führen, da diese oftmals nicht über eine ausreichende Buchhaltung oder finanzwirtschaftliche Controlling-Instrumente verfügen und sollte insoweit als Anlass für alle Geschäftsleiter genommen werden, ihre Pflicht zur kontinuierlichen, wirtschaftlichen Selbstprüfung ernst zu nehmen. bb) Der spätestmögliche Zeitpunkt Wird die krisenhafte Unternehmensentwicklung erst in einem fortgeschrittenen Krisenstadium entdeckt und/oder werden erst zu diesem Zeitpunkt Gegenmaßnahmen ergriffen, ist der Zeitraum bis zum Eintritt der Insolvenz kürzer. Dies erleichtert die Prognose des existenzbedrohenden Verlaufs der Krise bis zur Insolvenz. Zugleich wird der zeitliche und oftmals auch der finanzielle Spielraum174 für Maßnahmen zur Bewältigung der Unternehmenskrise kleiner. Die präventive Restrukturierung nach der Restrukturierungsrichtlinie stellt Schuldnern ein bestimmtes Instrumentarium zur Restrukturierung bereit (insb. den Restrukturierungsplan). Es stellt sich die Frage, ob es einen Zeitpunkt gibt, nach dem eine materielle Insolvenz so kurz bevorsteht, dass eine präventive Restrukturierung nach der Restrukturierungsrichtlinie nicht mehr zielführend ist und die Anwendung des präventiven Restrukturierungsrahmens daher von vornherein nicht mehr in Betracht kommt (letztmöglicher Zeitpunkt).175 Aus der Restrukturierungsrichtlinie kann eine solche Einschränkung des Begriffs der wahrscheinlichen Insolvenz (der durch die nationalen Gesetzgeber zu bestimmen ist) nicht hergeleitet werden.176 Das Ziel der Restrukturierungsrichtlinie, die materielle Insolvenz abzuwenden (vgl. Art. 4 Abs. 1 der Restrukturierungsrichtlinie), kann mit dem Mittel des präventiven Restrukturierungsrahmens erreicht werden, solange die materielle Insolvenz nicht eingetreten ist. Es ist denkbar, dass die nationalen Gesetzgeber dennoch eine entsprechende Beschränkung des letztmöglichen Zeitpunkts einführen, bspw. in der Form, dass eine wahrscheinliche Insolvenz nur vorliegt, wenn der Schuldner in den nächsten 174 Dazu etwa Niemann, in: Bork/Hölzle, HdB Insolvenzrecht, Kap. 28 Rn. 26 sowie Müller, S. 64. 175 Freitag, ZIP 2019, 541, 546 leitet aus der Restrukturierungsrichtlinie ein „Abstandsgebot“ ab dergestalt, dass „zwischen der bloßen Wahrscheinlichkeit der Insolvenz und der Insolvenz selbst ein substanzieller Unterschied bestehen muss“. 176 A. A. Philipp/Andersch/Henn, INDAT-Report 03/2019, S. 30, die aus der RRiL ein Abstandsgebot ableiten mit dem Argument, dass zu spät eingeleitete Restrukturierungen meistens scheitern.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
6 Monaten nicht insolvent wird. Eine solche Beschränkung würde die Gefahr reduzieren, dass insolvente Unternehmen versuchen, die Insolvenz zu umgehen, indem sie sich im Rahmen der präventiven Restrukturierung Zeit verschaffen. Über den Umweg des präventiven Restrukturierungsrahmens könnten auf diese Weise Werte vernichtet werden, die bei dem direkten Weg in das Insolvenzverfahren den Gläubigern zur Verfügung gestanden hätten. Zudem ist der präventive Restrukturierungsrahmen auf eine frühzeitige Restrukturierung rentabler Unternehmen angelegt, sodass es naheliegend erscheint, den Anwendungsbereich auf einen bestimmten Zeitraum vor Eintritt der materiellen Insolvenz zu begrenzen. Damit würde sozusagen die Vermutung aufgestellt, dass ein Unternehmen, welches bspw. in den nächsten 6 Monaten den Eintritt der materiellen Insolvenz erwartet, nicht mehr sanierungswürdig ist im Rahmen der Restrukturierungsrichtlinie. Mit Blick auf das deutsche Recht ist zu berücksichtigen, dass auch im Insolvenzverfahren noch eine Sanierung unter der Leitung des jeweiligen Insolvenzverwalters möglich ist. Weitaus häufiger ist jedoch die Liquidation des Unternehmens.177 Gegen die Beschränkung des Begriffs der wahrscheinlichen Insolvenz auf einen bestimmten Zeitraum vor Eintritt der materiellen Insolvenz spricht, dass eine Unternehmenskrise von den Verantwortlichen oftmals erst in einem fortgeschrittenen Stadium erkannt wird oder Uneinigkeit in der Beurteilung von Warnsignalen besteht wird und dass selbst wenn die Umstände der Krise erkannt werden, Maßnahmen zur Krisenbewältigung aufgrund fehlender Einsicht in den Ernst der Situation erst in einem noch späteren Zeitpunkt ergriffen werden.178 Dies gilt hauptsächlich für Strategie- und Erfolgskrisen.179 Will der Schuldner bei akuten Liquiditätsschwierigkeiten Maßnahmen zur dauerhaften Beseitigung des Liquiditätsproblems (oder sogar zur Behebung einer zugrundeliegenden Erfolgs- und Strategiekrise) ergreifen, könnte ihm dies aufgrund einer Ausschlussfrist verwehrt sein. Solche Maßnahmen könnten durchaus im Rahmen eines Restrukturierungsplanes erfolgen. Ist abzusehen, dass der Schuldner innerhalb der nächsten sechs Monate seine Rechnungen nicht bezahlen kann und will er den präventiven Restrukturierungsrahmen nutzen, müsste er aufgrund der Ausschlussfrist eine Finanzierung organisieren, die den Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit auf einen Zeitpunkt außerhalb der Ausschlussfrist verschiebt. Diese Finanzierung müsste in Erwartung der zukünftigen (verschobenen) Insolvenz gewährt werden, um den Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen zu ermöglichen, ohne selbst den Schutz des präventiven Restrukturierungsrahmens zu genießen. Ein solche „Zugangsfinanzierung“ müsste damit vor einer Zwischenfinanzierung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Nr. 8 RRiL erfolgen. Ob sie gewährt wird, wäre angesichts der zeitnah eintretenden Insolvenz fraglich. Erst nach erfolgter „Zugangsfinanzierung“ könnte der Schuldner die Liquiditätsprobleme (und möglicherweise weitere 177 178 179
Icks/Kranzusch, IfM-Materialien, Nr. 195, S. 35 m. w. N. Müller, S. 331 f. Müller, S. 323.
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Schritte zur Überwindung einer zugrundeliegenden Strategie- und Erfolgskrise) im Rahmen des präventiven Restrukturierungsrahmens mit einer dauerhaften Lösung angehen. Eine übermäßig ausgedehnte Frist, die die Anwendung des präventiven Restrukturierungsrahmens ausschließt, könnte die Nutzung dieses europarechtlichen Werkzeugs in wichtigen Anwendungsfällen blockieren und damit sogar möglicherweise gegen die Pflicht des Mitgliedstaates zur wirksamen Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie verstoßen (Art. 4 Abs. 3 EUV). Zwar ist der Begriff der wahrscheinlichen Insolvenz im Sinne des nationalen Rechts zu verstehen. Trotzdem sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, „im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnung alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu gewährleisten“.180
Zu dem Zeitpunkt einer akuten Liquiditätskrise ist es Krisenunternehmen oftmals nur noch schwer möglich, neue Mittel im Wege der Außenfinanzierung aufzubringen. Neue kurzfristige Finanzierungen wären für ein Krisenunternehmen leichter verfügbar, wenn diese Finanzierung im Rahmen des präventiven Restrukturierungsrahmens etwa als Zwischenfinanzierung gewährt würden. Besteht die Liquiditätskrise in Form einer drohenden Überschuldung könnte die Bewältigung der Krise ebenso im Rahmen eines Restrukturierungsplans nach Art. 8 ff. der Restrukturierungsrichtlinie erfolgen, in welchem Maßnahmen zur Neuordnung der Kapitalstruktur des Schuldners beschlossen werden. Wenn ein Schuldner bei einer zukünftigen Zahlungsunfähigkeit innerhalb der nächsten 6 Monate auf Basis einer Reinvermögensvorschau eine rechnerische Überschuldung erwartet, wäre eine präventive Restrukturierung nach der Restrukturierungsrichtlinie bei einer entsprechenden Ausschlussfrist nicht möglich. Auch hier besteht jedoch ein möglicher Anwendungsfall für den präventiven Restrukturierungsrahmen. Eine starre Beschränkung des Anwendungsbereichs des präventiven Restrukturierungsrahmens während eines begrenzten Zeitraums vor Eintritt der materiellen Insolvenz kann also mögliche sinnvolle Restrukturierungen verhindern. Zwar ist das Bedürfnis nach einer klaren Abgrenzung zur materiellen Insolvenz, sowie die Erwägung, dass der späte Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen zur Verschleppung eines erforderlichen Insolvenzverfahrens führt, anzuerkennen. Nach der hier vertretenen Auffassung für das deutsche Recht erfolgt die Abgrenzung zwischen der materiellen Insolvenz und der wahrscheinlichen Insolvenz aber durch eine Abstimmung der beiden Begriffe aufeinander, die erfolgversprechende Restrukturierungen fördert und bei fehlenden Restrukturierungsaussichten, die zügige Einleitung eines Insolvenzverfahrens sicherstellt. Entscheidender Tatbestand ist dabei die Fortbestehensprognose im Rahmen der Überschuldung nach 180 EuGH, Urt. v. 10. 4. 1984 – Rs 14/83 = NZA 1984, 157; Calliess/Kahl/Puttler, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn. 56.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
§ 19 Abs. 2 S. 1 InsO.181 Dass der Begriff der wahrscheinlichen Insolvenz gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. b der Restrukturierungsrichtlinie im Sinne des nationalen Rechts zu verstehen ist, darf nicht zu einer unzweckmäßigen Beschränkung des Anwendungsbereichs der Restrukturierungsrichtlinie führen. Vielmehr soll den Mitgliedstaaten dadurch ermöglicht werden, den Zeitpunkt des Zugangs zum präventiven Restrukturierungsrahmen mit den nationalen Insolvenzverfahren und Insolvenzgründen in Einklang zu bringen. Dies ist dem Gesetzgeber im StaRUG zumindest mit Blick auf die haftungsbeschränkten Rechtsträger gelungen.182 2. Ansätze zur Bestimmung der wahrscheinlichen Insolvenz im deutschen Recht Der Begriff der wahrscheinlichen Insolvenz ist gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. b der Restrukturierungsrichtlinie im Sinne des nationalen Rechts zu verstehen. Der europäische Gesetzgeber hat durch die Zielsetzung der Restrukturierungsrichtlinie und die Art der bereitgestellten Werkzeuge zur Restrukturierung den Rahmen für die Ausfüllung des Begriffs vorgegeben. Innerhalb dieses Rahmens kann zur Bestimmung des Begriffs der wahrscheinlichen Insolvenz im deutschen Recht auf verschiedene bereits existierende Konzepte zurückgegriffen werden. Der Ansatz des StaRUG sowie weitere diskutierte Ansätze werden nachfolgend dargestellt. a) Die Unternehmenskrise im früheren Eigenkapitalersatzrecht Im Rahmen der früheren Rechtsprechung zur Gleichsetzung von Gesellschafterleistungen mit haftendem Eigenkapital hat der BGH entschieden, dass eine solche Gleichsetzung dann gerechtfertigt ist, wenn „unabhängig von den Konkursvoraussetzungen […] die Gesellschaft im Zeitpunkt der Leistung von dritter Seite keinen Kredit zu marktüblichen Bedingungen hätte erhalten können und deshalb ohne die Leistung hätte liquidiert werden müssen“.183
Die für die Zwecke des Eigenkapitalersatzrechts gefundene Beschreibung der Krise knüpft also an die Kreditunwürdigkeit des Unternehmens an. Eine Gesellschaft wird als kreditunwürdig angesehen, wenn sie nicht in der Lage ist, aus eigener Kraft – insbesondere unter der Nutzung eigener Vermögenswerte als Kreditsicherheit – einen Kredit zu marktüblichen Konditionen zu erhalten.184 Für eine Kreditaufnahme wären also Leistungen von Dritten, wie etwa eine Bürgschaft erforderlich. Ein ordentlicher Kaufmann würde – nach der Wertung des § 32a GmbHG a. F. – in dieser Situation Eigenkapital zuführen. Führte der Gesellschafter in dieser Situation hin181
Dazu unter B. II. 2. g) dd) (5). Siehe dazu B. II. 2. h). 183 BGH, Urt. v. 24. 3. 1980 – II ZR 213/77 = ZIP 1980, 361, 362. 184 Vgl. Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, Rn. 22 ff.; Fuhrmann/ Potsch, DStR 2012, 835, 836. 182
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gegen Fremdkapital zu und versuchte damit, sich auf eine Position als Gläubiger zurückzuziehen, wurde das zugeführte Fremdkapital wie Eigenkapital behandelt. Der bis zum 31. 10. 2008 gültige § 32a GmbHG a. F. lautet: „Hat ein Gesellschafter der Gesellschaft in einem Zeitpunkt, in dem ihr die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute Eigenkapital zugeführt hätten (Krise der Gesellschaft), stattdessen ein Darlehen gewährt, so kann er den Anspruch auf Rückgewähr des Darlehens im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft nur als nachrangiger Insolvenzgläubiger geltend machen.“
Bei der im Eigenkapitalersatzrecht zur Bestimmung der Unternehmenskrise herangezogenen Kreditunwürdigkeit handelt es sich jedoch nur um einen Reflex der krisenhaften Entwicklung in dem Unternehmen. Die (drohende) Verfehlung von existentiellen Zielen der Unternehmung, also die Unternehmenskrise in dem oben geschilderten (betriebswirtschaftlichen) Sinn, führt zur Kreditunwürdigkeit. Liegt die Kreditunwürdigkeit vor, kann sie den Verlauf der Unternehmenskrise maßgeblich beeinflussen und die Sanierungsoptionen stark einschränken.185 Sobald die Produktund Absatzkrise für Dritte erkennbar wird, ist eine Kreditaufnahme für das Krisenunternehmen nur noch unter erschwerten Bedingungen möglich. Neue Kredit werden oftmals nur noch unter Auflagen vergeben, wie bspw. Vorlage eines Sanierungskonzepts, Zuführung von Eigenmitteln, Absicherung durch (Landes-) Bürgschaften, Sanierungsbeiträge der Arbeitnehmer und Unterstützung der Geschäftsführung durch Beratung und Krisenmanagement.186 Praktisch dürften Maßnahmen zur Krisenbewältigung häufig erst in dieser Phase eingeleitet werden, da der Anstoß zu Maßnahmen der Krisenbewältigung oftmals von Banken oder Kontrollorganen der Gesellschaft kommt.187 Zu diesem Zeitpunkt ist die Unternehmenskrise jedoch häufig schon fortgeschritten und wertvolle Ressourcen zur Bewältigung der Krise sind bereits nicht mehr vorhanden. Den Zeitpunkt der wahrscheinlichen Insolvenz auf den Zeitpunkt der Kreditunwürdigkeit zu legen, würde damit den Spielraum zur Restrukturierung einschränken. Ein Krisenunternehmen, welches noch Vermögenswerte zur Verfügung hat, die der Besicherung einer Finanzierung dienen können und daher noch Fremdkapital zu marküblichen Konditionen bekommt, hat deutlich größere Handlungsoptionen bei der Bewältigung der Krise. Erlaubt man den Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen schon vor Eintritt der oben dargestellten „Krise“, könnte ein Unternehmen also trotz der Möglichkeit zur marktüblichen Fremdfinanzierung bereits auf den präventiven Restrukturierungsrahmen zurückgreifen. Ob die Anwendung des präventiven Restrukturierungsrahmens in dieser Situation angemessen ist, muss im Spannungsfeld zwischen dem Risiko des Missbrauchs und dem Mehrwert einer Anwendung des präventiven Restrukturierungsrahmens für Maßnahmen der Krisenbewältigung entschieden werden. 185 186 187
Dazu Groß, WPg 2010, 119, 129 ff. Groß, WPg 2010, 119, 130. Müller, S. 323.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Dem Missbrauch des präventiven Restrukturierungsrahmens wird in solchen Fällen dadurch vorgebeugt, dass stets eine solide Prognose der Insolvenz erforderlich ist.188 Diese muss geprüft werden bevor Gläubiger- oder Eigentümerrechte eingeschränkt werden. Falls eine Restrukturierung in dieser Phase Eingriffe in Gläubigerrechte erfordert, bietet die Restrukturierungsrichtlinie ausreichend Schutz, da ein Eingriff nicht ohne behördliche oder gerichtliche Kontrolle erfolgt. So ist eine entsprechende Kontrolle etwa für die Aussetzung von Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen gemäß Art. 6 Abs. 1 Abs. 2 der Restrukturierungsrichtlinie möglich. Nach Art. 10 Abs. 1 lit. a RRiL sind Restrukturierungspläne, die die Forderungen oder Beteiligung ablehnender betroffener Parteien beeinträchtigen von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde zu bestätigen. Zudem besteht auch ein Bedürfnis für die Anwendung des präventiven Restrukturierungsrahmens schon vor dem Eintritt der Kreditunwürdigkeit. Die Fälle, in denen eine Insolvenz prognostizierbar ist, ohne dass zugleich bereits die Kreditunwürdigkeit vorliegt, mögen selten sein, dennoch sind sie möglich, sodass ein Abstellen auf die Kreditunwürdigkeit, diese Fälle unnötigerweise aus dem Anwendungsbereich ausschließen würde. In der beschriebenen Lage, in der das Unternehmen noch zu marktüblichen Konditionen Fremdkapital aufnehmen kann, kann es sinnvolle Maßnahmen zur Krisenbewältigung treffen (operative Umstrukturierungen, Investitionen, Aufgabe von Geschäftsfeldern). Solche Maßnahmen sind vom Begriff der Restrukturierung in Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 der Restrukturierungsrichtlinie erfasst. Solche Restrukturierungen könnten zusätzlich durch den Schutz der neuen Finanzierung nach Art. 17 und der sonstigen Transaktionen nach Art. 18 der Restrukturierungsrichtlinie unterstützt werden, sodass die Anwendung des präventiven Restrukturierungsrahmens hier angemessen ist. Die wahrscheinliche Insolvenz auf einen Zeitraum zu begrenzen, in dem das Unternehmen bereits kreditunwürdig ist, würde also einen Teil der sinnvollen Restrukturierungen vom Anwendungsbereich der präventiven Restrukturierungsrahmens ausschließen.189 Zudem ist für die Bestimmung der wahrscheinlichen Insolvenz die Sicht des Unternehmens entscheidend und nicht die Sicht eines externen Dritten, sodass es auch aus diesem Grund zweifelhaft erscheint, auf die Kreditunwürdigkeit abzustellen. Dies gilt insbesondere, wenn die wahrscheinliche Insolvenz den Anknüpfungspunkt für gesellschaftsrechtliche Pflichten nach Art. 19 RRiL darstellt.
188 RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 90 lehnt die Anknüpfung an § 32a Abs. 1 GmbHG a. F. auch wegen der Unbestimmtheit des Krisenbegriffs ab. 189 Das Kriterium der „rechtlichen Unternehmenskrise“ befürwortend Rauscher/Leichtle/ Mucha/Schäffler/Wagner, ZInsO 2016, 2420, 2421 bezgl. des Richtlinienentwurfs der Europäischen Kommission COM (2016) 723 final v. 22. 11. 2016; für eine Anknüpfung an den Krisenbegriff des § 32a GmbHG Hölzle, ZIP 2020, 585, 593; ablehnend Brinkmann, in: Festschrift Karsten Schmidt, 2019, S. 153, 162 f.
II. Zeitpunkt der Pflichten
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b) Erheblicher Verlust des Eigenkapitals Das deutsche Kapitalgesellschaftsrecht knüpft Pflichten der Geschäftsleitung an bestimmte bilanzielle Entwicklungen. Gemäß § 30 Abs. 1 S. 1 GmbHG darf das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft nicht an die Gesellschafter ausgezahlt werden. Das Auszahlungsverbot greift, wenn das Aktivvermögen abzüglich der Verbindlichkeiten der Gesellschaft das Stammkapital nicht mehr deckt. In diesem Fall liegt eine sog. Unterbilanz vor.190 Gemäß § 49 Abs. 3 GmbHG bzw. § 92 Abs. 1 AktG für die AG muss die Geschäftsleitung unverzüglich eine Gesellschafterversammlung einberufen, wenn die Hälfte des Stammkapitals (bzw. Grundkapitals) verloren ist. Damit ist gemeint, dass das Reinvermögen der Gesellschaft höchstens die Hälfte des Stammkapitals deckt.191 Es liegt also eine Unterbilanz in Höhe der Hälfte des Stammkapitals vor.192 Den Zeitpunkt der wahrscheinlichen Insolvenz auf den Eintritt der Unterbilanz im Sinne von § 30 Abs. 1 S. 1 GmbHG oder § 49 Abs. 3 GmbHG zu legen, hätte den Vorteil, dass dieser Zeitpunkt eindeutig ermittelt werden kann. Wenn, wie im Fall des § 49 Abs. 3 GmbHG, die Hälfte des Stammkapitals verloren wurde, kann von einer fortgeschrittenen Erfolgskrise im oben beschriebenen Sinn ausgegangen werden. Eine über die bloße Feststellung der Unterbilanz hinausgehende ausdrückliche Beschreibung des krisenhaften Verlaufs bis hin zur Insolvenz kann unterbleiben, da der hälftige Verlust des Stammkapitals im Regelfall ausreicht zur Begründung der wahrscheinlichen Insolvenz. Dies zeigt zugleich, dass ein Abstellen auf das Vorliegen einer Unterbilanz dem Zweck der Restrukturierungsrichtlinie, eine frühzeitige Restrukturierung zu ermöglichen, nicht gerecht wird. Wenn das Stammkapital nicht mehr gedeckt ist, hat die Unternehmenskrise bereits wichtige Ressourcen zur Restrukturierung aufgezehrt.193 Erfolgversprechenden, frühzeitigen Restrukturierungen würde damit der Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen abgeschnitten. Zudem ist die Unterbilanz auf Kapitalgesellschaften mit ihrem garantierten Stamm- bzw. Grundkapital zugeschnitten. Die Anknüpfung an das Entstehen einer Unterbilanz basiert auf der Pflicht zur laufenden Überwachung der finanziellen Lage der jeweilige Kapitalgesellschaft und setzt eine Bilanzierung voraus.194 Die Restrukturierungsrichtlinie hat jedoch einen rechtsformunabhängigen Anwendungsbereich und soll insbesondere auch kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zu einem präventiven Restrukturierungsrahmen verschaffen. 190
Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 30, Rn. 14 ff. Liebscher, in: MüKo GmbHG, § 49 Rn. 57. 192 Für die Unternehmergesellschaft sieht § 5a Abs. 4 GmbHG vor, dass die Gesellschafterversammlung bei drohender Zahlungsunfähigkeit einzuberufen ist. 193 Siehe auch Liebscher, in: MüKo GmbHG, § 49 Rn. 55, der die Einberufung nach § 49 Abs. 3 GmbHG ein mäßig effizientes Frühwarnsystem nennt. 194 Liebscher, in: MüKo GmbHG, § 49 Rn. 56. 191
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Zwar wäre es auch für andere Rechtssubjekte als Kapitalgesellschaften theoretisch denkbar, zur Bestimmung der wahrscheinlichen Insolvenz eine Schwelle für das Eigenkapital zu definieren, bei deren Unterschreiten eine wahrscheinliche Insolvenz vorliegt. Abgesehen davon, dass es mangels eines gesetzlich vorgeschriebenen Garantiekapitals praktisch schwierig wäre, eine angemessene Schwelle zu definieren, wäre eine Vielzahl der von der Restrukturierungsrichtlinie betroffenen Rechtsubjekte nicht jederzeit in der Lage eine so verstandene Unterbilanz (im erweiterten Sinne) festzustellen. Nach § 241a HGB sind Kaufleute, die an den Abschlussstichtagen von zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren nicht mehr als jeweils 600.000 Euro Umsatzerlöse und jeweils 60.000 Euro Jahresüberschuss aufweisen, von einer Buchführungspflicht und der Erstellung eines Inventars befreit.195 Nach § 242 Abs. 4 HGB sind sie ebenfalls von der Pflicht zur Aufstellung eines Jahresabschlusses befreit. Auch die steuerrechtliche Buchführungs- und Bilanzierungspflicht nach § 141 AO gilt nur für Gewerbetreibende196 und Land- und Forstwirte mit einem Umsatz von über 600.000 Euro oder einen Gewinn über 60.000 Euro im Jahr. Freiberufler197 können als Alternative zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 S. 1 EStG ihr Betriebsergebnis auf Grundlage einer EinnahmenÜberschussrechnung ermitteln (§ 4 Abs. 3 EStG).198 Die wahrscheinliche Insolvenz an eine bestimmte Eigenkapitalquote zu knüpfen, würde daher zu einer teilweise erheblichen Erweiterung der Buchhaltungspflichten führen. Aus diesem Grund ist auch die Anknüpfung an eine Überschuldung nach Fortführungswerten zur Bestimmung der wahrscheinlichen Insolvenz im Sinne der RRiL abzulehnen.199 Festzuhalten ist, dass der erhebliche Verlust von Eigenkapital zwar rechtsformunabhängig ein starkes Anzeichen für eine fortgeschrittene Unternehmenskrise darstellt. Den Begriff der wahrscheinlichen Insolvenz ausschließlich mit dem erheblichen Verlust des Eigenkapitals gleichzusetzen, ist jedoch aus den genannten Gründen nicht zweckmäßig. Zum einen setzt dieser Zeitpunkt zu spät an, um alle erfolgversprechenden Restrukturierungen zu erfassen. Zum anderen ist für einen Teil der Schuldner die Feststellung einer Unterbilanz (im weiteren Sinne) nicht praktikabel. c) Keine festgelegte Schwelle für den Begriff der wahrscheinlichen Insolvenz Dass der präventive Restrukturierungsrahmen vollständig ohne materielle Zugangsvoraussetzungen in Anspruch genommen werden kann, vergleichbar dem 195
Kritisch dazu Schulze-Osterloh, DStR 2008, 63, 71. Der steuerrechtliche Gewerbebegriff ist rechtsformunabhängig, vgl. Cöster, in: Koenig, AO, § 141 Rn. 5. 197 Freiberufler erzielen Einkünfte aus selbstständiger Arbeit gemäß § 18 EStG, sodass § 141 AO nicht für sie gilt. 198 Dazu Grashoff, Grundzüge des Steuerrechts, Rn. 70. 199 So aber Westpfahl, ZRI 2020, 157, 167. 196
II. Zeitpunkt der Pflichten
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englischen scheme of arrangement200, lässt sich mit der RRiL nicht vereinbaren, welche die „wahrscheinliche Insolvenz“ als Voraussetzung nennt, damit die Werkzeuge des präventiven Restrukturierungsrahmens Anwendung finden können.201 Ebenso muss ein bestimmter Zeitpunkt feststellbar sein, ab dem Art. 19 RRiL Anwendung findet. d) Verfehlung weiterer betriebswirtschaftlicher Ziele als wahrscheinliche Insolvenz Geht man davon aus, dass die wahrscheinliche Insolvenz dann vorliegt, wenn auf betriebswirtschaftlich fundierter Grundlage eine Insolvenz prognostiziert werden kann, so hätte der deutsche Gesetzgeber unter Ausübung seines Umsetzungsspielraums auch die qualifizierte Verfehlung von Umsatz-, Gewinn- oder Rentabilitätszielen oder sonstigen Unternehmenskennzahlen als ausreichend für den Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen erachten können. Offensichtlich ist ein Unternehmen, welches dauerhaft Verluste schreibt, auf kurz oder lang von einer Insolvenz bedroht. Es gibt jedoch Situationen, in denen ein Unternehmen Verluste erzielt, obwohl es einen positiven Cashflow erwirtschaftet, etwa weil die erzielten Einnahmen die Abschreibungen (und damit die erforderlichen Ersatzinvestitionen) nicht decken.202 Ein solches Unternehmen ist mangels ausreichender Investitionen nicht dauerhaft wettbewerbsfähig. Solange der Cash-Flow positiv ist, sind jedoch keine Insolvenzgründe ersichtlich. Ebenso führt die dauerhafte Verfehlung einer bestimmten Rentabilität zu einer Existenzgefährdung, sodass es denkbar wäre, an die Verfehlung dieses Unternehmensziels den Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen zu knüpfen. Erwirtschaftet ein Unternehmen geringere Renditen als seine Wettbewerber, wird es auf Dauer nicht in der Lage sein in dem gleichen Maß zu investieren und damit weiter gegenüber den Wettbewerbern abfallen.203 Bestehende Eigenkapitalgeber werden ihr Engagement über kurz oder lang beenden.204 Die Anknüpfung an eine angemessene Rentabilität ist aber schon aus dem Grund nicht zweckmäßig, dass die Angemessenheit oftmals nur im Vergleich mit den Wettbewerbern bestimmt werden kann. Dies ist oftmals mangels ausreichender Informationen nicht möglich und führt gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen zu großem Aufwand. Im Gegensatz dazu kann die eigene 200
Siehe dazu etwa Paulus, ZIP 2011, 1077 f.; Walker/Mielke//Bombe, ZIP 2018, 815, 818. Gegen den Verzicht auf eine Eintrittsschwelle mit verfassungsrechtlichen Bedenken Müller, ZGR 2018, 56, 62; a. A. Sax/Ponseck/Swierczok, BB 2017, 323, 325 noch zum Kommissionsentwurf zur Restrukturierungsrichtlinie aus dem Jahr 2016; auch Stanghellini/Mokal/ Paulus/Tirado, Best Practices in European Restructuring, S. 26 sprechen sich gegen eine Zugangsschwelle aus und schlagen als Schutz gegen missbräuchliche Einleitung eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle auf Antrag vor. 202 Vgl. F & A zu IDW S 6, S. 35; sowie Hermanns, ZInsO 2018, 2273, 2275. 203 Vgl. F & A zu IDW S 6, S. 36. 204 Vgl. F & A zu IDW S 6, S. 36 f. 201
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Zahlungsunfähigkeit stets aus eigenen Daten bestimmt werden. Zudem besteht bei der Anknüpfung an betriebswirtschaftliche Ziele das Problem, dass der Verlauf bis zu einer tatsächlich eintretenden Insolvenz nicht konkret dargelegt werden müsste. Vielmehr würde die abstrakte (wenn auch häufig nicht unbegründete) Vermutung aufgestellt, dass bei der Verfehlung der genannten Unternehmensziele eine Insolvenz zukünftig eintritt. Ob diese abstrakte Vermutung ausreichend ist, um vor dem Hintergrund einer wahrscheinlichen Insolvenz Eingriffe in die Rechte von Stakeholdern zu rechtfertigen und um als ausreichender Schutz vor Missbrauch zu dienen, hängt maßgeblich von den festgelegten Kriterien ab. Im österreichischen Recht wird ein Reorganisationsbedarf für Unternehmen gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 1 des Unternehmens-Reorganisationsgesetzes (URG)205 vermutet, wenn die Eigenmittelquote weniger als 8 % beträgt206 und die fiktive Schuldentilgungsdauer207 mehr als 15 Jahre beträgt. Eigenkapitalquote und fiktive Schuldentilgungsdauer sind (Frühwarn-)Indikatoren für eine mögliche Insolvenz.208 Verschlechterungen dieser Werte können auf eine mögliche Überschuldung oder zukünftige Zahlungsunfähigkeit hindeuten.209 Es handelt sich also bei diesen Kennzahlen um Anknüpfungspunkte für eine abstrakte Insolvenzgefahr. Ein konkreter Bezug zu Insolvenzgründen besteht nicht.210 Europarechtlich ist die Heranziehung von Kriterien, die nur eine abstrakte Insolvenzgefahr aufweisen, zulässig.211 Zweckmäßig für die Bestimmung der wahrscheinlichen Insolvenz im deutschen Recht sind sie nicht. Zum einen sind die Kriterien vergangenheitsorientiert und lassen somit die zukünftigen Entwicklungen des Schuldners außer Acht. Ein Vorteil der Anknüpfung an abstrakte Kriterien wie Eigenkapitalquote und fiktive Schuldendauer wäre, dass der Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt gewährt würde, etwa im Vergleich zu einer Anknüpfung an die drohende Zahlungsunfähigkeit, welche regelmäßig erst später 205 Bundesgesetz über die Reorganisation von Unternehmen, in: Kraft getreten am 1. 10. 1997, BGBl. I Nr. 114/1997, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 43/2016. 206 Die Eigenmittelquote bestimmte sich nach § 23 URG wie folgt: „Prozentsatz, der sich aus dem Verhältnis zwischen dem Eigenkapital (§ 224 Abs. 3 A UGB) einerseits sowie den Posten des Gesamtkapitals (§ 224 Abs. 3 UGB), vermindert um die nach § 225 Abs. 6 UGB von den Vorräten absetzbaren Anzahlungen andererseits, ergibt.“ 207 Die fiktive Schuldentilgungsdauer bestimmt sich nach § 24 Abs. 1 URG wie folgt: „Zur Errechnung der fiktiven Schuldentilgungsdauer sind die in der Bilanz ausgewiesenen Rückstellungen (§ 224 Abs. 3 B UGB) und Verbindlichkeiten (§ 224 Abs. 3 C UGB), vermindert um die im Unternehmen verfügbaren Aktiva nach § 224 Abs. 2 B III Z 2 und B IV UGB und die nach § 225 Abs. 6 UGB von den Vorräten absetzbaren Anzahlungen, durch den Mittelüberschuss zu dividieren.“ 208 Vgl. Mohaupt, S. 100 ff. 209 Zu dem statistischen Zusammenhang zwischen Eigenkapitalquote und Insolvenzrisiko vgl. Mohaupt, S. 101. 210 So kann die Vermutung des Reorganisationsbedarfs nach § 26 Abs. 1 URG auch widerlegt werden durch ein Gutachten eines Wirtschaftstreuhänders, der den konkreten Reorganisationsbedarf verneint. 211 Dazu bereits oben unter B. II. 1. d) aa).
II. Zeitpunkt der Pflichten
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einsetzen wird. Der lediglich abstrakte Zusammenhang der genannten Kriterien zur zukünftigen Insolvenz erhöht jedoch das Missbrauchsrisiko. So könnten Schuldner Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen erhalten, bei denen eine Insolvenz nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, die jedoch branchenbedingt die definierten Zugangsvoraussetzungen betreffend Eigenkapitalquote und fiktive Schuldentilgungsdauer erfüllen. Zudem ist zu bedenken, dass die wahrscheinliche Insolvenz als Anknüpfungspunkt für Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL dient. Um den Zeitpunkt der Pflichtenbindung zu bestimmen, muss die Unternehmensleitung das Vorliegen einer wahrscheinlichen Insolvenz kontinuierlich prüfen.212 Rechtsformunabhängig wäre die Unternehmensleitung dann dazu verpflichtet, fortlaufend ihre Eigenkapitalquote und ihre fiktive Schuldentilgungsdauer zu bestimmen. Dies ist gerade für kleine Unternehmen ein unverhältnismäßiger Aufwand, zumal ggf. nicht einmal eine handelsrechtliche Pflicht zur Bilanzierung und Buchführung besteht. Es ist anzumerken, dass § 22 des österreichischen URG nur für Unternehmensleitungen von juristischen Personen und Personengesellschaften ohne persönlich haftenden Gesellschafter gilt, § 22 Abs. 1 und 2 URG. Zur Bestimmung der wahrscheinlichen Insolvenz im deutschen Recht wurden diese abstrakten Kriterien daher zu Recht nicht herangezogen. Die Prognose der zukünftigen Zahlungsfähigkeit erscheint dagegen als unabhängig von der Größe und Rechtsform des Schuldners verhältnismäßig einfach zu bestimmendes Kriterium. Jede ordnungsgemäß handelnde Unternehmensleitung sollte einen Überblick darüber haben, ob das Unternehmen auch in Zukunft fähig ist, seine Verbindlichkeiten zu bedienen. Zwar ist ein Zusammenhang zwischen einer zu geringen Eigenkapitalausstattung und der Insolvenzanfälligkeit anerkannt. Es bereitet jedoch erhebliche praktische Schwierigkeiten die angemessene Eigenkapitalquote für sämtliche Unternehmensträger mit ihrer jeweiligen Größe und ihren branchenspezifischen Eigenheiten zu bestimmen. e) Bestandsgefährdung nach §§ 321 Abs. 1 S. 3, 322 Abs. 2 S. 3 HGB Nach § 321 Abs. 1 S. 3 HGB hat der Abschlussprüfer im Rahmen seines Prüfungsberichts solche Tatsachen zu berichten, „die den Bestand des geprüften Unternehmens oder des Konzerns gefährden oder seine Entwicklung wesentlich beeinträchtigen können“. Bei der Zusammenfassung des Ergebnisses der Abschlussprüfung in dem Bestätigungsvermerk nach § 322 HGB ist gemäß § 322 Abs. 3 S. 3 HGB gesondert auf Risiken einzugehen, die den Fortbestand des Unternehmens oder eines Konzernunternehmens gefährden. Wesentliche Beeinträchtigungen der Entwicklung sind in § 322 Abs. 2 S. 3 HGB nicht erfasst. Eine Bestandsgefährdung liegt vor, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Unternehmen seinen Geschäftsbetrieb nicht mehr fortführen kann und damit die 212
Dazu unter B. III. 2.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Gefahr einer Insolvenz oder einer Liquidation besteht.213 Eine konkrete Gefährdung des Bestandes (etwa durch die Kündigung von Krediten oder die Uneinbringlichkeit wesentlicher Forderungen) ist nicht erforderlich.214 Tatsachen, die den Bestand gefährden können, sind beispielsweise:215 Erhebliche laufende Verluste, keine kostendeckende Fertigung, Liquiditätsengpässe, Kündigung von Krediten, Preisverfall oder Wegfall von Absatzmärkten, gravierende Preisänderungen auf den Beschaffungsmärkten, gravierende Fehlinvestitionen sowie die Unterlassung notwendiger Investitionen. Auch die Bestandsgefährdung im Sinne von §§ 321 Abs. 1 S. 3, 322 Abs. 2 S. 3 HGB könnte als wahrscheinliche Insolvenz im Sinne der RRiL dienen.216 Stellt man auf die Bestandsgefährdung im Sinne von §§ 321 Abs. 1 S. 3, 322 Abs. 2 S. 3 HGB als wahrscheinliche Insolvenz ab, so steht der präventive Restrukturierungsrahmen tendenziell früher zur Verfügung. Nach der hier vertretenen Ansicht ist jedoch der konkrete Bezug zu Insolvenzgründen für eine wahrscheinliche Insolvenz erforderlich, um die Eingriffe in die Rechte der Beteiligten zu rechtfertigen. Kann ein solcher nicht dargelegt werden, etwa weil eine konkrete Gefährdung des Bestandes durch das bestandsgefährdende Ereignis (bspw. ein Preisverfall oder Wegfall von Absatzmärkten) nicht gegeben ist, kann die Bestandsgefährdung nach §§ 321 Abs. 1 S. 3, 322 Abs. 2 S. 3 HGB nicht als wahrscheinliche Insolvenz im Sinne der RRiL dienen. Kann dagegen ein entsprechender Zusammenhang dargelegt werden, so rechtfertigt der zukünftige Eintritt des Insolvenzgrundes die Anwendung des präventiven Restrukturierungsrahmens, nicht hingegen der Auslöser für die insolvenzbegründende Entwicklung. f) Beihilferechtlicher Begriff des „Unternehmens in Schwierigkeiten“ Hölzle217 möchte den beihilferechtlichen Begriff des Unternehmens in Schwierigkeiten als praxiserprobte Definition für die wahrscheinliche Insolvenz im Sinne der RRiL zugrundelegen. Ein Unternehmen in Schwierigkeit liegt nach der Begriffsbestimmung der Europäischen Kommission unter folgenden Voraussetzungen vor:218 „a) Im Falle von Gesellschaften mit beschränkter Haftung (25): Mehr als die Hälfte des gezeichneten Stammkapitals (26) ist infolge aufgelaufener Verluste verlorengegangen. Dies 213
So Ebke, in: MüKo HGB, § 321 Rn. 44 m. w. N. Vgl. Böcking/Gros/Rabenhorst, in: E/B/J/S, HGB, § 321 Rn. 21. 215 Aufzählung nach Ebke, in: MüKo HGB, § 321 Rn. 44. 216 So Müller, ZGR 2018, 56, 63 f.; Müller, ZIP 2020, 2253, 2254 f. 217 Hölzle, ZIP 2017, 1307, 1310 f., allerdings noch zu dem Kommissionsentwurf COM (2016) 723 final; dagegen Müller, ZGR 2018, 56, 63 f. 218 Vgl. Mitteilung der Kommission – Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nicht finanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten (2014/C 249/01) Rz. 19 – 24, abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1599729022780& uri=CELEX:52014XC0731(01); abgerufen am 10. 9. 2020. 214
II. Zeitpunkt der Pflichten
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ist der Fall, wenn sich nach Abzug der aufgelaufenen Verluste von den Rücklagen (und allen sonstigen Elementen, die im Allgemeinen den Eigenmitteln des Unternehmens zugerechnet werden) ein negativer kumulativer Betrag ergibt, der mehr als der Hälfte des gezeichneten Stammkapitals entspricht. b) Im Falle von Gesellschaften, bei denen zumindest einige Gesellschafter unbeschränkt für die Schulden der Gesellschaft haften (27): Mehr als die Hälfte der in den Geschäftsbüchern ausgewiesenen Eigenmittel ist infolge aufgelaufener Verluste verlorengegangen. c) Das Unternehmen ist Gegenstand eines Insolvenzverfahrens oder erfüllt die im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf Antrag seiner Gläubiger. d) Bei einem Unternehmen, das kein KMU ist, lag in den vergangenen beiden Jahren i) der buchwertbasierte Verschuldungsgrad über 7,5 und ii) das Verhältnis des EBITDA zu den Zinsaufwendungen unter 1,0. Im Rahmen der vorliegenden Leitlinien kann für neu gegründete Unternehmen keine Rettungs- oder Umstrukturierungsbeihilfe gewährt werden, und zwar auch dann nicht, wenn ihre anfängliche Finanzsituation prekär ist. Dies gilt insbesondere für neue Unternehmen, die aus der Abwicklung oder der Übernahme der Vermögenswerte eines anderen Unternehmens hervorgegangen sind. Ein Unternehmen gilt grundsätzlich in den ersten drei Jahren nach Aufnahme seiner Geschäftstätigkeit als Neugründung.“
Selbstverständlich müsste lit. c entfallen, da die wahrscheinliche Insolvenz nicht bei bereits eingetretener Insolvenz vorliegen kann.219 Der Vorschlag würde die Zugangsvoraussetzungen zum präventiven Restrukturierungsrahmen und die Pflichten nach Art. 19 RRiL an der jeweiligen Rechtsform des Schuldners bzw. an der Unternehmensgröße ausrichten. Dies hätte den Vorteil, dass kein Schuldner Anforderungen zur Bestimmung der wahrscheinlichen Insolvenz ausgesetzt ist, die er nicht bewältigen kann. Allerdings ist anzumerken, dass auch die Feststellung des Verlustes der Hälfte der ausgewiesenen Eigenmittel nicht für jedes KMU ohne weiteres zu leisten ist, insbesondere, wenn keine handels- oder steuerrechtliche Bilanzierungspflicht vorliegt. Vor dem Hintergrund der erheblichen Eingriffe in Rechte der Stakeholder und ggf. Shareholder, hat die Anknüpfung an den Verlust von Eigenmitteln nach der hier vertretenen Auffassung zudem keinen hinreichenden Bezug zu einer Insolvenz, sodass dies allein noch nicht die Einleitung des präventiven Restrukturierungsverfahren und die Pflichten nach Art. 19 RRiL rechtfertigen kann. g) Drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO Das StaRUG knüpft den Zugang zum SRR an die drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 InsO, wie sich aus etwa § 29 Abs. 1 StaRUG ergibt.220 Im Folgenden soll zunächst allgemein die Eignung dieses Tatbestandes als Anknüpfungspunkt untersucht werden. Später werden, darauf aufbauend, Einzelfragen behandelt, die sich im Zusammenhang mit der konkreten Umsetzung im StaRUG ergeben.
219 220
Hölzle, ZIP 2017, 1307, 1311. Dazu auch RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 90 und 131 f.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Eine Anknüpfung an bilanzielle Kriterien (bspw. bestimmte Finanzkennzahlen oder der Verlust des Eigenkapitals) erfolgt nicht. Diese haben zwar gegenüber der Anknüpfung an eine Liquiditätsprognose den vermeintlichen Vorteil, dass sie leichter festzustellen sind. Wie bereits gezeigt, ist die Anknüpfung an bilanzielle Kriterien jedoch insoweit problematisch, da sich nur schwer allgemeingültige Kriterien für die verschiedenen Unternehmensträger aufstellen lassen (angemessene Höhe des Eigenkapitals in den jeweiligen Branchen?) und zum anderen aufgrund der rechtsformübergreifenden Anwendung des StaRUG und der RRiL zu berücksichtigen ist, dass bestimmte Rechtsträger, insbesondere KMUs, zu denen Einzelunternehmen und Freiberufler häufig gehören221, oftmals keine entsprechende Buchhaltung aufweisen, die ihnen die Bestimmung der erforderlichen Finanzkennzahlen ermöglicht. Man denke etwa an den Freiberufler, der lediglich eine EinnahmenÜberschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG erstellt. Trotz der Probleme, die mit der Anknüpfung an eine Liquiditätsprognose verbunden sind (Ausdehnung der Prognose- und Dokumentationspflichten), ist diese daher gegenüber der bilanzbezogenen Anknüpfung zweckmäßiger. Die Anforderungen an die Prognose der drohenden Zahlungsunfähigkeit müssen im Einzelfall auf die Verhältnisse des jeweiligen Unternehmensträger angepasst werden, um unverhältnismäßige Anforderungen an die Unternehmensleitung insbesondere von KMUs zu vermeiden. aa) Zweck der drohenden Zahlungsunfähigkeit Die drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO ist ein Eröffnungsgrund für ein Insolvenzverfahren gemäß § 16 InsO. Der Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit ist darüber hinaus für das Anfechtungsrecht relevant, da § 133 Abs. 1 S. 3 InsO eine Vermutung zu Lasten des Anfechtungsgegners bezgl. der Kenntnis der vorsätzlichen Gläubigerbenachteiligung durch den Schuldner aufstellt, wenn dem Anfechtungsgegner die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners bekannt war. Zudem ist die drohende Zahlungsunfähigkeit ein Tatbestandsmerkmal der Insolvenzstraftaten nach §§ 283, 283d StGB. Die strafrechtliche drohende Zahlungsunfähigkeit unterscheidet sich jedoch in der konkreten Ausgestaltung aufgrund ihrer unterschiedlichen Zielrichtung von dem zivilrechtlichen Begriff.222 Zweck des § 18 InsO ist, dem Schuldner die frühzeitige Möglichkeit zu geben, vor dem Eintritt der materiellen Insolvenz „verfahrensrechtliche Gegenmaßnahmen“ zu deren Vermeidung einzuleiten.223 Der Eröffnungsantrag kann zu diesem Zweck mit Sanierungsmaßnahmen etwa nach § 270d InsO verbunden werden. Durch die Möglichkeit einer frühzeitigen Antragstellung durch den Schuldner sollen zudem die
221 222 223
Vgl. Smid, NZI-Beilage 2021, 64, 65. Pape, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 18 Rn. 1. Begr. RegE BT Dr. 12/2443, 114 f.
II. Zeitpunkt der Pflichten
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Erfolgsquoten in Insolvenzverfahren erhöht und die Insolvenzverschleppung reduziert werden.224 Schon hier zeigt sich eine gewisse Ähnlichkeit in der Stoßrichtung der RRiL und dem Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Ziel ist es jeweils, durch frühzeitige Gegenmaßnahmen die Zahlungsunfähigkeit (bzw. Überschuldung) und damit die zwingende Einleitung eines Insolvenzverfahrens zu verhindern. Der deutsche Gesetzgeber ist bislang den Weg einer Restrukturierung innerhalb des Insolvenzverfahrens gegangen. Auch wenn die Umsetzung der RRiL nicht innerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt, kann die drohende Zahlungsunfähigkeit als Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der wahrscheinlichen Insolvenz im Sinne der RRiL genutzt werden. bb) Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit Dem Schuldner droht die Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 S. 1 InsO, „wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen“. Voraussichtlich bedeutet nach der Begr. RegE BT Dr. 12/2443, S. 115, dass der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlicher sein muss als deren Vermeidung. Damit ist eine Wahrscheinlichkeit über 50 % gemeint.225 Zur Bestimmung der drohenden Zahlungsunfähigkeit ist nicht das Vorliegen der differenzierten Voraussetzungen des § 17 InsO in der Zukunft zu prognostizieren226, sondern entsprechend dem Wortlaut des § 18 Abs. 2 InsO zu prüfen, ob in der Zukunft ein Zustand eintritt, in dem nicht alle zum Zeitpunkt der Prognoseerstellung bestehenden Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt ihrer jeweiligen Fälligkeit erfüllt werden können.227 Zur Ermittlung der drohenden Zahlungsunfähigkeit werden alle Verbindlichkeiten herangezogen, die innerhalb des Prognosezeitraums von in der Regel von
224 Karsten Schmidt, in: Karsten Schmidt, InsO, § 18 Rn. 5; eine frühzeitigere Verfahrenseröffnung ist auch der genannte Zweck bei Pape, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 18 Rn. 1, der zur Begründung auf die Begründung im RegE BT Dr. 12/2443, 115 zu § 23 RegE bzw. § 19 InsO abstellt. 225 Karsten Schmidt, in: Karsten Schmidt, InsO, § 18 Rn. 21; Pape, in: Kübler/Prütting/ Bork, InsO, § 18 Rn. 9; Leithaus, in: Andres/Leithaus, InsO, § 18 Rn. 4; Bußhardt, in: Braun, InsO, § 18 Rn. 5; Mock, in: Uhlenbruck, InsO, § 18 Rn. 26; Wolfer, in: BeckOK InsO, § 18 Rn. 24. 226 Siehe etwa Mönning, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 18 Rn. 23; Bremen, in: GrafSchlicker, InsO, § 18 Rn. 9 f.; Ganter, NZI 2012, 985, 986. 227 Karsten Schmidt, in: Karsten Schmidt, InsO, § 18 Rn. 12; Mock, in: Uhlenbruck, InsO, § 18 Rn. 26 ohne die Beschränkung auf die bereits bestehenden Verbindlichkeiten; eine drohende Zahlungsunfähigkeit etwa wegen bloß erwarteter erheblicher Schadensersatzansprüche ist daher nach herrschender Auffassung nicht möglich, zu diesem Missbrauchsszenario im Rahmen des US-amerikanischen Chapter 11 Verfahrens vgl. Müller, S. 257.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
24 Monaten gemäß § 18 Abs. 2 S. 2 InsO zu einer Zahlungspflicht führen werden.228 Dabei sind grundsätzlich auch zukünftige Verbindlichkeiten erfasst. Dies betrifft zum einen Verbindlichkeiten, die noch nicht fällig sind oder die von einer Gegenleistung abhängen. Ist der Rechtsgrund für diese Verbindlichkeiten im Prognosezeitpunkt bereits gelegt, sind die daraus resultierenden Zahlungspflichten zu berücksichtigen, auch wenn die Verbindlichkeiten noch nicht fällig sind oder von einer Gegenleistung abhängen (bspw. zukünftige Löhne, Mieten, Rentenansprüche oder Versicherungsprämien aus bestehenden Arbeits-/Miet- oder Versicherungsverträgen ebenso wie Schadensersatzansprüche, wenn diese dem Grunde nach bereits bestehen).229 Der Eintritt der Fälligkeit innerhalb des Prognosezeitraums muss überwiegend wahrscheinlich sein.230 Fraglich ist darüber hinaus, ob die (prognostizierte) Unfähigkeit, zukünftige Verbindlichkeiten zu erfüllen, die im Zeitpunkt der Prognoseerstellung noch nicht bestehen (zukünftige Lieferverträge, geplante Investitionen, zukünftige Steuern), zur drohenden Zahlungsunfähigkeit führen kann. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob zukünftige Verbindlichkeiten und die daraus resultierenden Liquiditätsabflüsse für die Frage zu berücksichtigen sind, ob die im Prognosezeitpunkt bereits bestehenden Verbindlichkeiten in Zukunft bedient werden können. Die beiden Fragen werden oftmals nicht deutlich unterschieden. Die letztere Frage wird einhellig bejaht.231 Eine umfassende Finanzplanung kann zukünftige Verbindlichkeiten und daraus resultierende Liquiditätsabflüsse nicht unberücksichtigt lassen.232 Dass die zukünftigen (noch nicht bestehenden) Verbindlichkeiten für die Frage der Erfüllbarkeit bestehender Verbindlichkeiten zu berücksichtigen sind, ergibt sich auch aus Begr. RegE BT Dr. 12/2443, 115, wo es heißt: „In die Prognose, die bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit anzustellen ist, muß die gesamte Entwicklung der Finanzlage des Schuldners bis zur Fälligkeit aller bestehenden Verbindlichkeiten einbezogen werden; in diesem Rahmen sind neben den zu erwartenden Einnahmen auch die zukünftigen, noch nicht begründeten Zahlungspflichten mit zu berücksichtigen.“
Es ist zu beachten, dass die Begründung ausdrücklich davon spricht, dass die zukünftigen Verbindlichkeiten „in diesem Rahmen“ zu berücksichtigen sind, also im 228
Pape, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 18 Rn. 6 ff.; Leithaus, in: Andres/Leithaus, InsO, § 18 Rn. 4; Bußhardt, in: Braun, InsO, § 18 Rn. 10; Mock, in: Uhlenbruck, InsO, Rn. 46 ff. 229 BGH, Beschluss v. 5. 2. 2015 – IX ZR 211/13 = ZInsO 2015, 841. 230 BGH, Urt. v. 5. 12. 2013 – IX ZR 93/11 = NZI 2014, 259, 260; BGH, Urt. v. 22. 11. 2012 @ IX ZR 62/10 = NZI 2013, 129. 231 Pape, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 18 Rn. 7, 8; Drukarczyk, in: MüKo InsO, § 18 Rn. 57 ff.; Burger/Schellberg, BB 1995, 261, 264. 232 Entgegen Schröder, in: Hamburger Kommentar InsO, § 18 Rn. 6 ist das auch nicht aus der BGH-Rspr. zu den sog. Passiva II abzuleiten. Vielmehr betont BGH, Urt. v. 5. 12. 2013 – IX ZR 93/11 = NZI 2014, 259, 260 auch die Einbeziehung der gesamten Finanzlage des Schuldners.
II. Zeitpunkt der Pflichten
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Rahmen der Frage, ob die bereits bestehenden Verbindlichkeiten zukünftig nicht erfüllt werden können, was dann eine drohende Zahlungsunfähigkeit zur Folge hätte. Für die Frage, ob im Zeitpunkt der Prognoseerstellung bestehende Verbindlichkeiten zukünftig bedient werden können, sind Rückstellungen für (zweifelhafte und/oder streitbefangene) Verbindlichkeiten, bei denen Höhe und Fälligkeit offen sind, zu berücksichtigen, wenn der Eintritt der Fälligkeit überwiegend wahrscheinlich ist.233 Die Höhe ist ggf. zu schätzen.234 Zu erwartende Verluste, die sich jedoch noch nicht realisiert haben, sind nicht zu berücksichtigen.235 Unterschiedlich beurteilt wird hingegen die erste Frage, ob die prognostizierte Unfähigkeit, noch nicht existente, also zukünftige entstehende Verbindlichkeiten zu erfüllen, als drohende Zahlungsunfähigkeit zu werten ist. Eine Ansicht stellt zur Bestimmung der drohenden Zahlungsunfähigkeit darauf ab, ob alle (und somit auch zukünftig entstehende) in dem Prognosezeitraum fällig werdenden Verbindlichkeiten zu ihrer jeweiligen Fälligkeit bedient werden können (im Folgenden: weite drohende Zahlungsunfähigkeit).236 Diese Ansicht kann für sich in Anspruch nehmen, dass sie dem prognostischen Charakter der drohenden Zahlungsunfähigkeit möglichst umfassend gerecht wird. Die Gegenansicht stützt die drohende Zahlungsunfähigkeit nur auf die prognostizierte Unfähigkeit bereits bestehende Verbindlichkeiten (und nicht zukünftig entstehende) zu erfüllen (im Folgenden: enge drohende Zahlungsunfähigkeit).237 Auch die Gegenansicht berücksichtigt (entsprechend dem oben dargestellten Willen des Gesetzgebers) bei der Prognose der Illiquidität jedoch die Zahlungsabflüsse aus den zukünftig entstehenden Verbindlichkeiten.238 Dieser letzten Ansicht war jedenfalls vor Inkrafttreten des SanInsFoG und der damit einhergehenden Änderung von § 18 Abs. 2 InsO für die Auslegung von § 18 InsO zuzustimmen. Sie setzte den Willen des Gesetzgebers um, welcher darin bestand, eine (drohende) Zahlungsunfähigkeit auch aufgrund von bestehenden Verbindlichkeiten zu begründen, die noch nicht fällig sind.239 Eine darüber hinausgehende Ausdehnung der drohenden Zahlungsunfähigkeit mit der Begründung, dass eine innerhalb des Prognosezeitraums erst entstehende Verbindlichkeit bei ihrer Fälligkeit nicht erfüllt werden kann, lässt sich dem Gesetz (und der dazugehörigen Be233
Pape, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 18 Rn. 8. Mock, in: Uhlenbruck, InsO, § 18 Rn. 56; offen gelassen durch BGH, Urt. v. 22. 5. 2014 – IX ZR 95/13 = DStR 2014, 1559 Rz. 33; zur Bewertung streitiger Verbindlichkeiten siehe auch Schmidt/Roth, ZInsO 2006, 236, 239 f. 235 Pape, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 18 Rn. 7. 236 Mock, in: Uhlenbruck, InsO, § 18 Rn. 19, 20; Bremen, in: Graf-Schlicker, InsO, § 18 Rn. 10; wohl auch Pape, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 18 Rn. 9; Bußhardt, in: Braun, InsO, § 18 Rn. 10; 237 Karsten Schmidt, in: Karsten Schmidt, InsO, § 18 Rn. 16 „Befriedigungserwartung bezüglich schon bestehender Verbindlichkeiten“; Burger/Schellberg, BB 1995, 261, 264; wohl auch Leithaus, in: Andres/Leithaus, InsO, § 18 Rn. 4 „ausgehend von den bestehenden Zahlungsverpflichtungen bei deren künftiger Fälligkeit“. 238 Karsten Schmidt, in: Karsten Schmidt, InsO, § 18 Rn. 16 und 25. 239 Begr. RegE BT Dr. 12/2443, S. 114. 234
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
gründung) nicht entnehmen. Zudem könnte für die die engere Auslegung angeführt werden, dass das Insolvenzrecht die aktuellen Gläubiger schützt. Eingriffe in die Rechte der aktuellen Gläubiger sind legitim, wenn die Finanzplanung ergibt, dass ihre bestehenden Forderungen voraussichtlich nicht vollständig befriedigt werden. Zukünftige Gläubiger sind nicht von dem Schutz des Insolvenzrechts, hier des Eigenantrages wegen drohender Zahlungsunfähigkeit, erfasst.240 Die drohende Zahlungsunfähigkeit auf die Unerfüllbarkeit erst noch entstehender Forderungen zu stützen, stellt jedoch einen Schutz der bloß potentiellen Gläubiger dar. Der praktische Unterschied zwischen der engen und der weiten Auffassung besteht darin, dass bei der engen Auffassung der Prognosezeitraum durch die späteste Fälligkeit einer bestehenden Verbindlichkeit begrenzt wird.241 Bei der weiten Auffassung könnten auch Fälligkeiten einbezogen werden von Verbindlichkeiten, die erst noch entstehen. Die Bestimmung des Prognosezeitraums war bis zum Inkrafttreten des StaRUG ebenfalls umstritten. Vorzugswürdig war die Auffassung, dass als theoretischer Ausgangspunkt keine absolute Begrenzung erfolgt.242 Eine solche war aus dem Gesetz nicht zu entnehmen und wurde auch den unterschiedlichen Lebenssachverhalten nicht gerecht.243 Der Gesetzgeber hat nun in § 18 Abs. 2 S. 2 InsO geregelt, dass in aller Regel ein Prognosezeitraum von 24 Monaten zugrunde zu legen ist. In Einzelfällen kann auf einen kürzeren oder längeren Prognosezeitraum abzustellen sein.244 Bislang wurde die Prognose häufig auf das laufende und das kommende Geschäftsjahr bezogen, da im Regelfall nur für diesen überschaubaren Zeitpunkt eine realistische Prognose erstellt werden kann. Lagen die Dinge ausnahmsweise anders, wurde auch bislang ein längerer Zeitraum der Prognose zugrunde gelegt (bspw. wenn langfristige Verbindlichkeiten aufgrund einer auslaufenden und nicht verlängerten Finanzierung in 3 Jahren nicht bedient werden können). Diesen Ansatz hat der Gesetzgeber nun kodifiziert. Liegt der Zeitpunkt der prognostizierten Zahlungsunfähigkeit außerhalb der 2 Jahre wird oftmals ein erhöhter Begründungsaufwand erforderlich sein, um eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit darzulegen.245 240
Vgl. Burger/Schellberg, BB 1995, 261, 264. Karsten Schmidt, in: Karsten Schmidt, InsO, § 18 Rn. 16; vgl. auch OLG München, Urt. v. 21. 3. 2013 – 23 U 3344/12 = NZI 2013, 542, 544; Prognosezeitraum grds. unbegrenzt bei Mock, in: Uhlenbruck, InsO, § 18, Rn. 24; auch Vertreter einer weiten drohenden Zahlungsunfähigkeit stellen zur Begrenzung des Prognosezeitraums auf die späteste Fälligkeit einer bestehenden Verbindlichkeit ab, vgl. Pape, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 18 Rn. 9; ebenso Bremen, Graf-Schlicker, InsO, § 18 Rn. 12. 242 Karsten Schmidt, in: Karsten Schmidt, InsO, § 18 Rn. 27; Drukarczyk, in: MüKo InsO, § 18 Rn. 57 ff.; Mock, in: Uhlenbruck, InsO, § 18 Rn. 22 ff. 243 Drukarczyk, in: MüKo InsO, § 18 Rn. 60, 61. 244 RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 196. 245 Vgl. Mock, in: Uhlenbruck, InsO, § 18 Rn. 24. 241
II. Zeitpunkt der Pflichten
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In der Praxis wurde schon vor Inkrafttreten kaum ein Unterschied zwischen den verschiedenen Auffassungen zur drohenden Zahlungsunfähigkeit gemacht. Dies ergibt sich insbesondere aus einem Vergleich mit der Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO. Diese ist Voraussetzung für den Insolvenzeröffnungsgrund der Überschuldung. Die Prognose soll eine Aussage darüber treffen, ob dem Schuldner „ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, die im Planungshorizont jeweils fälligen Verbindlichkeiten bedienen zu können. Sie ist eine reine Zahlungsunfähigkeitsprognose“.
So formuliert es der IDW S 11 Rn. 60. Dieser Formulierung liegt eine weite drohende Zahlungsunfähigkeit zugrunde. Es soll ein wertendes Gesamturteil über die Lebensfähigkeit des Unternehmens in der vorhersehbaren Zukunft getroffen werden.246 In Rn. 94 des IDW S 11 wird klargestellt, dass drohende Zahlungsunfähigkeit bei einer negativen Fortführungsprognose vorliegt. „Dabei sind im Zusammenhang mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit die gleichen Anforderungen an die Fortbestehensprognose zu stellen wie bei dem Insolvenztatbestand der Überschuldung.“247
Die Praxis unterscheidet also in methodischer Hinsicht nicht zwischen drohender Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 InsO und der Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO. Auch wenn die Überschuldung nach § 19 InsO und die drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 InsO nunmehr durch unterschiedliche Prognosezeiträume voneinander abzugrenzen sind248, spricht der methodische Gleichlauf bei der Bestimmung dafür, dass auch bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit sämtliche, also auch zukünftige Verbindlichkeiten zu berücksichtigen sind. Durch die Festlegung auf einen regelmäßigen Prognosezeitraum von 24 Monaten wird der Streit entschieden, ob noch nicht bestehende Verbindlichkeiten bei der Prognose zu berücksichtigen sind. Wie bereits dargestellt, besteht der wesentliche Unterschied zwischen den Auffassungen darin, dass die späteste Fälligkeit einer Verbindlichkeit den Prognosehorizont eingrenzt. Die Begründung zum RegE des SanInsFoG nennt als eine von mehreren Auffassung zur Bestimmung des Prognosehorizonts ausdrücklich diese Ansicht.249 Die Festlegung auf einen 24-monatigen Prognosehorizont bedeutet daher zugleich die Entscheidung, dass alle Verbindlichkeiten innerhalb dieses Horizonts bei der Finanzplanung zu berücksichtigen sind, ob sie zum Zeitpunkt der Planung bereits bestehen oder nicht. Dies entspricht auch dem Zweck, durch eine umfassende vorausschauende Finanzplanung Restrukturierungen zu fördern.
246 247 248 249
IDW S 11 Rn. 59. IDW S 11 Rn. 94. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 196 f. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 196.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
cc) Die drohende Zahlungsunfähigkeit als wahrscheinliche Insolvenz im Sinne der RRiL Das StaRUG versteht die wahrscheinliche Insolvenz im Sinn der RRiL als drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 InsO.250 Die drohende Zahlungsunfähigkeit stellt eine Form der Liquiditätskrise in dem oben dargestellten betriebswirtschaftlichen Sinn dar, da das Unternehmen sich in einem Zustand befindet in dem das betriebswirtschaftliche Ziel der Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit bedroht ist. Die drohende Zahlungsunfähigkeit liegt damit innerhalb des europarechtlichen Rahmens. Eine weit verstandene drohende Zahlungsunfähigkeit, unter Berücksichtigung sämtlich (auch zukünftiger Verbindlichkeiten) wird dem Zweck der RRiL gerecht. Die weit verstandene drohende Zahlungsunfähigkeit setzt die Idee einer Prognose der Finanzlage des jeweiligen Schuldners umfassend um.251 Die Begrenzung auf bereits bestehende Verbindlichkeiten bei der Auslegung von § 18 InsO wurde auf den historischen Willen des deutschen Gesetzgebers zurückgeführt. Vor dem Hintergrund der RRiL kann jedoch nun eine Neubewertung vorgenommen werden. Die Bestimmung der wahrscheinlichen Insolvenz als weite drohende Zahlungsunfähigkeit stünde im Einklang mit Erwägungsgrund 28 der RRiL, wo von der tatsächlichen Gefahr die Rede ist, „dass ein Schuldner gegenwärtig und in Zukunft seine Verbindlichkeiten nicht begleichen kann“. Zwar kann diese Formulierung auch im Sinne einer engen drohenden Zahlungsunfähigkeit verstanden werden, sodass nur bestehende Verbindlichkeiten erfasst wären. Vor dem Hintergrund, eine möglichst frühe Restrukturierung zu ermöglichen, gibt es jedoch keinen Anlass für diese Beschränkung. Im Ergebnis kann bei der Prognose der Zahlungsunfähigkeit grundsätzlich auch die späteste Fälligkeit einer noch zu begründenden Verbindlichkeit einbezogen werden. Theoretisch könnte damit ein Zustand entstehen, in welchem alle im Zeitpunkt der Prognoseerstellung bestehenden Verbindlichkeiten vollständig erfüllt sind und die drohende Zahlungsunfähigkeit somit (ausschließlich) auf die Nichterfüllung einer neu entstandenen Verbindlichkeit gestützt wird. Abgesehen davon, dass dieser Fall eher theoretisch erscheint, da sich bestehende und neu entstehende Verbindlichkeiten in der Praxis häufig überlappen werden, stimmt er mit den der RRiL zugrundeliegenden Wertungen überein. Anders als beim Insolvenzverfahren steht bei einer Restrukturierung nicht der Schutz der aktuellen Gläubiger im Vordergrund. Vielmehr geht es um den Erhalt bestandsfähiger Unternehmen und damit auch um den Schutz zukünftiger Gläubiger, der Anteilsinhaber und der „Wirtschaft insgesamt“, wie in Erwägungsgrund 2 der RRiL formuliert wird. Die Existenzsicherung der bestandsfähigen Unternehmen wird durch eine präventive Restrukturierung auf Kosten der bestehenden Gläubiger und ggf. der Anteilseigener umgesetzt. 250
Kritisch zur Anknüpfung an die drohende Zahlungsunfähigkeit mit Verweis auf die Diskussion zur (zu spät einsetzenden) Einberufungspflicht des Geschäftsführers einer UG nach § 5a Abs. 4 GmbHG Neuberger, ZInsO 2018, 2053, 2059. 251 Vgl. Karsten Schmidt, in: Karsten Schmidt, InsO, § 18 Rn. 16.
II. Zeitpunkt der Pflichten
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Durch eine weite drohende Zahlungsunfähigkeit wird eine niedrigere Zugangsschwelle für den präventiven Restrukturierungsrahmen geschaffen, was sich fördernd auf Restrukturierungen auswirken kann. Die Folge ist, dass drohende Zahlungsunfähigkeit theoretisch vorliegen kann, obwohl eine 100 % Befriedigungserwartung zugunsten der bestehenden Gläubiger gegeben ist.252 Dies ist ein grundsätzlicher Unterschied zur Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO, ebenso wie zur engen drohenden Zahlungsunfähigkeit, die lediglich die Befriedigungserwartung der bestehenden Verbindlichkeiten betrachtet. Die Einschränkungen eines Insolvenzverfahrens werden damit gerechtfertigt, dass für die bestehenden Gläubiger (in ihrer Gesamtheit) keine 100-prozentige Befriedigungserwartung mehr besteht. Bei der weit verstandenen drohenden Zahlungsunfähigkeit als Zugangsvoraussetzung zum SRR hätten die aktuellen Gläubiger trotz einer theoretisch vollständigen Befriedigung, Einschnitte in ihre Rechte hinzunehmen, um die Fortführung des bestandsfähigen Unternehmens zu sichern. Die Fortführung der Geschäftstätigkeit als Zweck des präventiven Restrukturierungsrahmens nennt auch Art. 4 Abs. 1 RRiL. Die Fortführung der Geschäftstätigkeit ist jedoch nicht gleichzusetzen mit dem Erhalt des bestehenden Geschäftsbetriebes, also dem Erhalt des status quo, sondern beinhaltet darüber hinaus auch die Fortführung des Geschäftsbetriebes nach einer Restrukturierung, d. h. eines ggf. geschrumpften oder möglicherweise (im Rahmen einer strategischen Neuausrichtung) erweiterten Geschäftsbetriebes. Um den Geschäftsbetrieb zu erhalten, sind also auch zukünftige Verbindlichkeiten zu berücksichtigen, die im Rahmen einer Restrukturierung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 RRiL anfallen können. Dem Missbrauch einer frühzeitigen, präventiven Restrukturierung wird durch Folgendes vorgebeugt: Erstens muss ein Schuldner die Entstehung zukünftiger Verbindlichkeiten (und deren Fälligkeit) mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 + X % darlegen.253 Darüber hinaus wird nach Art. 8 Abs. 1 lit. h RRiL eine Begründung gefordert, in der erläutert wird, warum eine begründete Aussicht besteht, dass der Restrukturierungsplan die Insolvenz des Schuldners verhindern und die Bestands252 Dies würde aber den recht theoretischen Fall voraussetzen, dass alle zum Zeitpunkt der Prognoseerstellung bestehenden Verbindlichkeiten vollständig bedient werden und erst danach eine neu entstandene Verbindlichkeit fällig wird, welche nicht bedient werden kann. Hier zeigt sich wiederum, dass der Unterschied zwischen weiter und enger drohender Zahlungsunfähigkeit insbesondere in der Bestimmung des Prognosezeitraums liegt, da dieser Zeitraum bei der engen drohenden Zahlungsunfähigkeit mit der spätesten Fälligkeit einer bestehenden Verbindlichkeit endet. 253 Für eine entsprechende Auslegung der wahrscheinlichen Insolvenz auch Eidenmüller, EBOR 2017, 2 273, 279; gegen die Angabe einer Wahrscheinlichkeit Skauradszun, KTS 2019, 161, 166; dieser will aber die ernsthafte Wahrscheinlichkeit, dass der Schuldner in Zukunft seine fälligen Verbindlichkeiten nicht begleichen kann, als wahrscheinliche Insolvenz im Sinne der RRiL annehmen; vgl. auch zur Fortbestehensprognose bei § 19 InsO Bitter, in: Scholz, GmbHG, Vorb. § 64 Rn. 61, für den die künftige Zahlungsunfähigkeit nach vernünftigem menschlichen Ermessen gesichert sein muss. Dadurch soll eine Spekulation auf Kosten der Gläubiger ausgeschlossen werden.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
fähigkeit des Unternehmens gewährleisten wird. Dies wurde im StaRUG durch § 14 Abs. 1 StaRUG und eine Stellungnahme durch den Restrukturierungsbeauftragten nach § 76 Abs. 4 StaRUG zu der Erklärung des Schuldners umgesetzt.254 Zudem lässt sich die in Art. 4 Abs. 3 RRiL vorgesehene Bestandsfähigkeitsprüfung auch als Fortbestehensprognose im Sinne von § 19 Abs. 2 S. 1 InsO verstehen.255 Die prognostizierte Bestandsfähigkeit des Schuldners stellt – neben einer mehrheitlichen Zustimmung der Gläubiger zu dem Restrukturierungsplan – eine Möglichkeit zur Legitimation des Eingriffs in die Rechte der bestehenden Gläubiger dar. Dabei muss stets das Kriterium des Gläubigerinteresses nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 RRiL (siehe auch § 26 StRUG) gewahrt werden. Eine weitere Missbrauchskontrolle kann von staatlicher Seite etwa bei Anordnung der Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen nach Art. 6 RRiL erfolgen. So prüft eine staatliche Stelle bei der Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen, ob die Aussetzung zur Unterstützung der Verhandlung über einen Restrukturierungsplan dient und ob die Aussetzung erforderlich ist. Will sich ein Schuldner lediglich von lästigen Gläubigern befreien, liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Die entsprechenden Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung im StaRUG sind in § 51 StaRUG geregelt. Die wahrscheinliche Insolvenz im Sinn RRiL kann also als eine weit verstandene drohende Zahlungsunfähigkeit verstanden werden, die vorliegt, wenn überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Schuldner gegenwärtige oder zukünftig entstehende Verbindlichkeiten bei ihrer jeweiligen Fälligkeit nicht begleichen kann.256 Auf die Höhe der ungedeckten Verbindlichkeit kommt es dabei nicht an. Die überwiegende Wahrscheinlichkeit ist, einer Auslegung von Drukarczyk zu § 18 InsO folgend, gegeben, „wenn die kumulierte Wahrscheinlichkeit für nicht deckbare Finanzplandefizite größer ist als die für mindestens ausgeglichene Finanzpläne“.257 Für die Entstehung zukünftiger Verbindlichkeiten und die Fälligkeit bestehender und zukünftiger Verbindlichkeiten ist ebenfalls eine Wahrscheinlichkeit von 50 % + x zu fordern. Der Prognosezeitraum wird im Einzelfall so weit reichen wie eine betriebswirtschaftlich belastbare Prognose möglich ist.258 Nach § 18 Abs. 2 S. 2 InsO wird er regelmäßig 24 Monate betragen. Zugleich ist der Prognosehorizont auch an den Zweck der Prognose und die Situation des jeweiligen Schuldners anzupassen. Die Prognose muss insoweit angemessen sein. Das bedeutet, dass bei kleineren und mittleren Unternehmen andere Anforderungen an die Prognose zu stellen sind als bei großen Unternehmen. Zudem 254
Dazu RegE SanInsFoG BT Dr. 24181, S. 120. Vgl. RegE SanInsFoG BT Dr. 24181, S. 91. 256 Für die Bestimmung der wahrscheinlichen Insolvenz als drohende Zahlungsunfähigkeit auch Frind, BB 2019, 2381, 2385, 257 Drukarczyk, in: MüKo InsO, § 18 Rn. 51. 258 So für den Prognosezeitraum der Fortbestehensprognose nach § 19 InsO OLG Schleswig, Urt. v. 11. 2. 2010 – 5 U 60/09 = NZI 2010, 492, 493; Karsten Schmidt, in: Karsten Schmidt, InsO, § 19 Rn. 49. 255
II. Zeitpunkt der Pflichten
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ist zu unterscheiden, ob die Prognose der wahrscheinlichen Insolvenz dem Nachweis des Zugangstatbestands im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der RRiL dient oder im Rahmen der Pflichten nach Art. 19 der RRiL erstellt wird. Um eine möglichst frühzeitige Restrukturierung zu ermöglichen, sollte dem restrukturierungswilligen Schuldner, der den Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen sucht, ausnahmsweise für die Prognose einer (weit verstandenen) Zahlungsunfähigkeit die Wahl eines erweiterten Prognosehorizonts eingeräumt werden.259 Als absolute Grenze für einen Prognosehorizont kann die sog. Fortführungsfähigkeit nach IDW S 6 dienen. Diese liegt vor, wenn im Planungszeitraum die Finanzierung des Schuldners mit überwiegender Wahrscheinlichkeit sichergestellt ist, d. h. die Zahlungsfähigkeit aufrechterhalten bleibt. Der Prognosezeitraum beträgt abhängig von Branche, Geschäftsmodell und Krisenstadium regelmäßig drei bis fünf Jahre. Damit geht er über den Prognosezeitraum der insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognose nach § 19 InsO von nunmehr 12 Monaten sowie denjenigen der drohenden Zahlungsunfähigkeit von regelmäßig 24 Monaten hinaus.260 Die Fortführungsfähigkeit (Stufe 1 des IDW S 6) wird bestimmt durch eine insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose nach § 19 InsO, deren Prognosehorizont auf den Zeitraum eines Sanierungskonzepts nach IDW S 6 erstreckt wird.261 Die Bestimmung der wahrscheinlichen Insolvenz als Zahlungsunfähigkeitsprognose mit einem (im Ausnahmefall) derart weit verstandenen Prognosehorizont ermöglicht frühzeitige Restrukturierungen. Zugleich wird der Begriff der wahrscheinlichen Insolvenz ernst genommen und so einem Missbrauch vorgebeugt, indem auf Basis eines in der Praxis erprobten Instruments die zukünftige Zahlungsunfähigkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit prognostiziert wird.262 Mit § 18 Abs. 2 S. 1 InsO ist der erweiterte Prognosehorizont vereinbar, wenn es sich um eine ausnahmsweise Abweichung von dem regelmäßigen Prognosehorizont handelt. Da ein weit gefasster Prognosehorizont zugleich mehr Möglichkeiten für Missbrauch bietet und von der in § 18 Abs. 2 S. 2 InsO aufgestellten Regel abweicht, sind die Annahmen, die einer fehlenden Fortführungsfähigkeit auf Basis einer 3-(bis maximal 5-)Jahres-Prognose zugrunde liegen, besonders kritisch zu prüfen. Die Fortführungsfähigkeitsprognose steht auch kleinen und mittleren Unternehmen zur Verfügung. Der Zeitraum von drei bis fünf Jahren ist dabei als Option für restrukturierungswillige Schuldner zu verstehen, bei denen eine Zahlungsunfähigkeit im Rahmen des regelmäßigen Prognosehorizonts von 24 Monaten noch nicht eintritt. Nicht hingegen ist sie als eine 259
Für eine Erweiterung des Prognosehorizonts bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit auch Dahl/Linnenbrink, NZI-Beilage 2019, 45, 46. 260 F & A zu IDW S 6, S. 27 und 35. 261 IDW S 6 Rn. 17 und 18. 262 Vgl. auch Eidenmüller, ZIP 2014, 1197, der das Risiko einer rechtsmissbräuchlichen Einleitung eines strategischen Insolvenzverfahrens durch das manipulative Herbeiführen eines maßgeblichen Insolvenzgrundes für gering hält; siehe aber auch Westermann, NZG 2015, 134, 137, der darauf hinweist, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit durch nichtwirtschaftliche Schwierigkeiten, etwa durch einen Streit der Gesellschafter ausgelöst werden kann.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
kontinuierliche Pflicht für sämtliche Schuldner zu verstehen, die Zahlungsströme der nächsten drei bis fünf Jahre zu prognostizieren. Auch für den Fall, dass geprüft wird, ob die Voraussetzungen des Art. 19 RRiL erfüllt sind und daher bestimmte Pflichten für die Unternehmensleitung greifen, ist das betriebswirtschaftliche Mögliche unter Berücksichtigung der Größe des Schuldners entscheidend. Regelmäßig muss eine solche Prognose nun den in § 18 Abs. 2 S. 2 InsO genannten Horizont erfassen. Die drohende Zahlungsunfähigkeit im Sinne von § 18 InsO stellt insgesamt einen sinnvollen Anknüpfungspunkt für die wahrscheinlichen Insolvenz im Sinne der RRiL dar.263 Nach den Änderungen durch das SanInsFoG ist die drohende Zahlungsunfähigkeit nicht auf die bestehenden Verbindlichkeiten zu beschränken (was in der Folge zu einer Fortbestehensprognose nach § 19 InsO mit erweitertem Prognosehorizont führt). Zudem ist der Prognosehorizont im Rahmen des betriebswirtschaftlich Möglichen an die Zwecke der RRiL und auf den jeweiligen Schuldner anzupassen: Steht der Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen im Vordergrund kann die Prognose nach der hier vertretenen Auffassung ausnahmsweise auf bis zu drei bis fünf Jahren erstreckt werden, wie es im Rahmen der Fortführungsfähigkeit nach IDW S 6 geschieht. Steht die Pflichterfüllung nach Art. 19 RRiL im Vordergrund ist ein kürzerer Prognosehorizont ausreichend. Regelmäßig wird der Prognosehorizont 24 Monate umfassen, wie es § 18 Abs. 2 S. 2 InsO vorsieht. Wird innerhalb dieses Zeitraums eine Zahlungsunfähigkeit prognostiziert sind existenzielle Ziele der Unternehmung bedroht und den Unternehmensleitern stehen besondere rechtliche Werkzeuge, wie ein eigenverwaltetes Insolvenzverfahren und der SRR, zur Verfügung. Der Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO bleibt als Eröffnungsgrund für ein Insolvenzverfahren bestehen. Das führt dazu, dass bei einer negativen Solvenzprognose (und dem Fehlen einer Zahlungsunfähigkeit und ggf. Überschuldung) sowohl der SRR genutzt werden kann, als auch ein Regelinsolvenzverfahren eingeleitet oder ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung mit oder ohne Schutzschirm nach § 270d InsO beantragt werden kann. Dieses Nebeneinander von mehreren Verfahren ist zu begrüßen, da es die Sanierungsoptionen für Schuldner erhöht und damit der Absicht der Restrukturierungsrichtlinie, Sanierungen zu fördern, gerecht wird. Auf den ersten Blick scheint EWG 24 der RRiL dagegen zu sprechen, dass der Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit beibehalten wird. EWG 24 besagt, dass der präventive Restrukturierungsrahmen zur Verfügung stehen soll, „bevor ein Schuldner nach nationalem Recht insolvent wird, das heißt, bevor der Schuldner nach nationalem Recht die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Gesamtverfahrens erfüllt, das die Insolvenz des Schuldners voraussetzt und in der Regel den vollständigen 263 A. A. Müller, ZGR 2018, 56, 61 f.; gegen eine Anknüpfung an die drohende Zahlungsunfähigkeit wegen der Missbrauchsmöglichkeiten aufgrund der zu erstellenden Prognose Neuberger, ZIP 2019, 1549, 1551.
II. Zeitpunkt der Pflichten
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Vermögensbeschlag gegen den Schuldner sowie die Bestellung eines Verwalters zur Folge hat“.
Die Voraussetzungen für ein Verfahren, wie es EWG 24 beschreibt, sind zwar erfüllt, wenn § 18 InsO als Eröffnungsgrund für ein Regelinsolvenzverfahren beibehalten wird. Dennoch sind die Erwägungen des EWG 24 in Bezug auf die drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO nicht einschlägig. § 18 InsO setzt zeitlich vor der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit an und gibt dem Schuldner frühzeitig die Möglichkeit, „verfahrensrechtliche Gegenmaßnahmen“ zu deren Vermeidung einzuleiten.264 Dasselbe Konzept liegt dem präventiven Restrukturierungsrahmen zugrunde. Zudem begründet die drohende Zahlungsunfähigkeit keine Pflicht zum Einleiten eines Insolvenzverfahrens, sondern lediglich ein Recht des Schuldners.265 Die drohende Zahlungsunfähigkeit kann damit nicht das Vorliegen einer wahrscheinlichen Insolvenz im Sinne der RRiL ausschließen266 und den Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen verhindern. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. a RRiL den Mitgliedstaaten vorbehalten bliebt, zu bestimmen, was unter „Insolvenz“ zu verstehen ist, sodass die drohende Zahlungsunfähigkeit davon ausgenommen sein kann. Denkbar wäre auch gewesen, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit lediglich als Eröffnungsgrund für Regelinsolvenzverfahren abgeschafft wird, jedoch weiterhin als Eröffnungsgrund für Verfahren in Eigenverwaltung bestehen bleibt. Damit könnte man EWG 24 RRiL gerecht werden, da die Eigenverwaltung, die in EWG 24 genannten Voraussetzungen nicht erfüllt. Auch das Regelinsolvenzverfahren hält jedoch gewisse Sanierungsinstrumente bereit, wie etwa § 113 und §§ 124 ff. InsO.267 Die Entscheidungsmöglichkeiten des Schuldners, auf eine bestimmte betriebswirtschaftliche Situation mit bestimmten verfahrensrechtlichen Maßnahmen zu reagieren, sollten im Zuge der Umsetzung der RRiL nicht unnötig eingeschränkt werden. Die Beibehaltung der drohenden Zahlungsunfähigkeit als Insolvenzeröffnungsgrund ist daher zu begrüßen. Die wahrscheinliche Insolvenz als drohende Zahlungsunfähigkeit zu begreifen, ist systematisch stimmig in Bezug auf die bereits bestehenden Sanierungsmöglichkeiten nach dem ESUG. Der Restrukturierungsplan nach der RRiL ist im Wesentlichen vergleichbar mit dem deutschen Insolvenzplan.268 Man könnte den Restrukturierungsplan als europarechtliches Äquivalent zum deutschen Insolvenzplan begreifen (was nicht ein Nebeneinander beider Verfahren im deutschen Recht ausschließt).269 Möchte der Schuldner in Eigenverwaltung, ggf. unter der Inanspruch264
Begr. RegE BT Dr. 12/2443, 114 f. So auch RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 91. 266 Ausführlich zur Zulässigkeit der drohenden Zahlungsunfähigkeit als wahrscheinliche Insolvenz im Sinne der RRiL Brinkmann, in: Festschrift Karsten Schmidt, 2019, S. 153, 163 ff. 267 Siehe dazu allgem. Madaus, Der Insolvenzplan, S. 47 f.; Smid, ZInsO 2020, 266, 269. 268 Vgl. auch RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 91. 269 So auch Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 226, 242. 265
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
nahme des Schutzschirms nach § 270d InsO, eine Sanierung vorbereiten, kann er dies, wenn drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegen, also bei Tatbeständen, die der Zahlungsunfähigkeit vorgelagert sind. Den Schuldnern einen Restrukturierungsplan nach der RRiL zu einem Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen, in denen ihnen auch ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung mit dem Zweck einer Sanierung zur Verfügung steht, ist angemessen. Im Ergebnis wird die bereits getroffene gesetzgeberische Wertung zu der Frage, wann ein Unternehmen in solchen wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt, dass Einschnitte bei den Rechten der Stakeholder gerechtfertigt sind, übernommen. Dieser Zeitpunkt soll nach der RRiL möglichst früh erfolgen, um noch ausreichend Spielraum für Sanierungen zu haben. Dabei muss man berücksichtigen, dass der Eröffnungsgrund der Überschuldung eine deutsche Besonderheit darstellt und bereits dazu dient, eine im Vergleich zur Zahlungsunfähigkeit frühzeitige Verfahrenseröffnung zu gewährleisten. Wenn also die wahrscheinliche Insolvenz im deutschen Recht auf einen Zeitpunkt gelegt wird, in welchem auch eine Überschuldung nach § 19 InsO vorliegen könnte, ist das mit Blick auf die RRiL unproblematisch, solange sich die Tatbestände nicht überschneiden.270 Das Verhältnis der wahrscheinlichen Insolvenz zum Überschuldungstatbestand muss daher genauer geklärt werden. dd) Verhältnis zum Überschuldungstatbestand Wenn die wahrscheinliche Insolvenz in Form der drohenden Zahlungsunfähigkeit im Ergebnis eine Fortbestehensprognose nach § 19 InsO darstellt, ist die Frage zu klären, wie sich der so verstandene Tatbestand der wahrscheinlichen Insolvenz zum Insolvenztatbestand der Überschuldung nach § 19 InsO verhält. Europarechtlich ist vorgegeben, dass der Zutritt zum präventiven Restrukturierungsrahmen gewährt werden soll, bevor der Schuldner materiell insolvent ist. Enthält die wahrscheinliche Insolvenz eine Fortbestehensprognose nach § 19 InsO mit angepasstem Prognosezeitraum, könnte man annehmen, dass es mindestens schädliche Überlappungen zwischen den Tatbeständen der Überschuldung nach § 19 InsO und der wahrscheinlichen Insolvenz gibt.271 Die Forderung von EWG 24, dass der präventive Restrukturierungsrahmen zur Verfügung stehen sollte, „bevor der Schuldner nach nationalem Recht die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Gesamtverfahrens erfüllt, das die Insolvenz des Schuldners voraussetzt“, wäre damit 270
Vgl. auch RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 91. Eine Wiederherstellung der Ertragsfähigkeit der Gesellschaft ist für die Fortbestehensprognose nicht erforderlich, da ansonsten nicht operativ tätigen Gesellschaften stets die Fortbestehensprognose zu versagen wäre, unabhängig davon, ob sie über ausreichend Finanzmittel verfügen, um (ggf. über Jahre hinweg) ihre Verbindlichkeiten zu begleichen; für diese Ansicht auch Mock, in: Uhlenbruck, InsO, § 19 Rn. 220; Drukarczyk/Schüler, in: MüKo InsO, § 19 Rn. 73; Karsten Schmidt, in: Karsten Schmidt, InsO, § 19 Rn. 46; a. A. Amtsgericht Hamburg, Beschluss v. 2. 12. 2011 @ 67c IN 421/11 = NZI 2012, 85, 86 f.; Wolf, DStR 2009, 2682, 2383 f.; Dahl, NZI 2008, 719, 720; zur Ertragsfähigkeit siehe auch Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, 1985, S. 30, 111, LS 1.2.6. 271
II. Zeitpunkt der Pflichten
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regelmäßig nicht erfüllt.272 Die Tatbestände lassen sich jedoch in zweierlei Hinsicht voneinander abgrenzen. Durch die Änderungen des SanInsFoG wurde der Prognosehorizont der Überschuldung gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 InsO auf 12 Monate begrenzt. Die drohende Zahlungsunfähigkeit hat nach § 18 Abs. 2 S. 2 InsO nunmehr einen regelmäßigen Prognosehorizont von 24 Monaten. Eine Überschneidung kann sich daher nur noch innerhalb der ersten 12 Monate ergeben. Bei näherer Betrachtung ist auch das nicht zutreffend, denn die Zahlungsunfähigkeitsprognose im Rahmen der wahrscheinlichen Insolvenz und die Fortbestehensprognose nach § 19 InsO haben unterschiedliche Funktionen und unterscheiden sich daher auch in ihrer tatsächlichen Durchführung.273 Die Zahlungsunfähigkeitsprognose dient zur Rechtfertigung, dass der jeweilige Schuldner den präventiven Restrukturierungsrahmen nutzen darf und legitimiert damit die Eingriffe in die Rechte der Stakeholder. Die Fortbestehensprognose beurteilt die Lebensfähigkeit des Schuldners. Die Effekte hinreichend konkreter Restrukturierungsmaßnahmen sind daher bei der Fortbestehensprognose stets zu berücksichtigen.274 Ob der Schuldner lebensfähig im Sinne von § 19 InsO ist, hängt auch davon ab, ob eine geplante Restrukturierung erfolgversprechend ist.275 Bei der Zahlungsunfähigkeitsprognose können die Effekte der geplanten Restrukturierung hingegen nicht berücksichtigt werden.276 Ansonsten könnte man zu dem absurden Ergebnis gelangen, dass der Zugang zu einer Restrukturierung versagt wird, weil diese erfolgversprechend ist und damit eine zukünftige Zahlungsunfähigkeit verhindert wird.277 Eine Abgrenzung zwischen der drohenden Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung ist daher möglich, indem im Rahmen der Zahlungsunfähigkeitsprognose mögliche Sanierungsmaßnahmen berücksichtigt werden oder eben unberücksichtigt bleiben.278
272 Für eine Abschaffung des § 19 InsO oder zumindest der Antragspflicht daher Dahl/ Linnenbrink, NZI-Beilage 2019, 45, 46; Piekenbrock, NZI-Beilage 2019, 47, 48. 273 Vgl. auch RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 91; Brinkmann, in: Festschrift Karsten Schmidt, 2019, S. 153, 166 f. 274 Vgl. IDW S 11 Rn. 67; Tresselt, in: Schmidt, Sanierungsrecht Rn. 44; Karsten Schmidt, ZIP 1080, 233, 235; Uhlenbruck, ZIP 1980, 73, 76. 275 Vgl. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 91; einschränkend zur Berücksichtigung mittels cram-down erzwungener Sanierungsbeiträge bei der Überschuldungsprüfung wegen § 32 Abs. 3 StaRUG RefE Thole, ZIP 2020, 1985, 1992; zur Abgrenzung von drohender Zahlungsunfähigkeit und Fortbestehensprognose auch Frind, BB 2019, 2381, 2385. 276 RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 91; auf Grund derselben Erwägung unterscheiden sich im Ergebnis auch die Prognosen der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO und der Überschuldung nach § 19 InsO; vgl. dazu Frind, BB 2019, 2381, 2385 f.; zu Unterschieden bei der insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognose und der handelsrechtlichen Fortführungsprognose vgl. BGH, Urt. v. 26. 1. 2017 – IX ZR 285/14 = NZI 2017, 312. 277 Vgl. Brinkmann, NZI 2019, 921, 923; a. A. Piekenbrock, NZI-Beilage 2019, 47, 48. 278 Bork, ZIP S 1, S 13 vertritt, dass eine Abgrenzung zwischen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung besonders durch die Wiedereinführung des herkömmlichen zweistufigen Überschuldungsbegriffs erreicht werden könnte.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Zugleich ist zu berücksichtigen, dass die 6-Wochen-Frist nach § 15a Abs. 1 S. 2 InsO mit objektivem Vorliegen der Überschuldung beginnt.279 Das Vorliegen der Überschuldung setzt voraus, dass Sanierungsmaßnahmen nicht (mit überwiegender Wahrscheinlichkeit) zu einem Erfolg führen können. Um dies zu ermitteln, wird in der Regel eine Sanierungsprüfung erfolgen. Für diese hat das antragspflichtige Organ 6 Wochen Zeit ab Vorliegen der Überschuldung. Wenn ein Schuldner somit eine zukünftige Zahlungsunfähigkeit erkennt, bleibt ihm noch Zeit unverzüglich Sanierungsoptionen zu prüfen, um eine negative Fortbestehensprognose zu beseitigen, etwa unter Inanspruchnahme des SRR. Bestehen erfolgversprechende Sanierungsoptionen, so liegt keine Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung vor mangels negativer Fortbestehensprognose und zugleich ist der Weg in den präventiven Restrukturierungsrahmen eröffnet. Bestehen keine Sanierungsoptionen, besteht eine Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages und der Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen ist verwehrt. Wenn der präventive Restrukturierungsrahmen die Instrumente bereitstellt, um eine negative Fortführungsprognose in eine positive zu wandeln und die zu ergreifenden Maßnahmen innerhalb dieses Restrukturierungsrahmen ihre Legitimation durch eine Gläubigermehrheit beziehen280, wird letztlich auch die positive Fortführungsprognose durch die Gläubigermehrheit validiert und wird dadurch weiter abgesichert. (1) Beibehaltung des Überschuldungstatbestandes Damit ist gezeigt, dass der Überschuldungstatbestand und der Tatbestand der wahrscheinlichen Insolvenz, verstanden als weite drohende Zahlungsunfähigkeit, durchaus nebeneinander existieren können. Die bloße Möglichkeit, die beiden Tatbestände aufeinander abzustimmen, ist jedoch nicht ausreichend. Es wird kritisiert, dass die Existenz des antragspflichtigen Überschuldungstatbestandes erfolgversprechende Restrukturierungen verhindert.281 Daher sind Gründe zu nennen, die eine Beibehaltung des antragspflichtigen Überschuldungstatbestands rechtfertigen. Die Kritik am antragspflichtigen Überschuldungstatbestand in Bezug auf Restrukturierungen beruht auf folgenden Erwägungen. Der Schuldner, der eine Zahlungsunfähigkeit prognostiziert hat, welche zugleich zu einer Überschuldung nach § 19 InsO führt, muss gemäß § 15a InsO unverzüglich, spätestens aber innerhalb von vormals 3 Wochen, nunmehr 6 Wochen, einen Insolvenzantrag stellen. Um eine 279 Steffek, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 15a Rn. 64; Karsten Schmidt/Herchen, in: Karsten Schmidt, InsO, § 15a Rn. 32; für ein Anknüpfen an ein „zutage treten der Krisensituation“ etwa Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 164 m. w. N.; Tresselt, in: Schmidt, Sanierungsrecht Rn. 45; auf die subjektive Kenntnis stellt noch ab BGH, Urt. v. 9. 7. 1979 – II ZR 118/77 = NJW 1979, 1823, 1827; BGH, Urt. v. 29. 11. 1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 185 = ZIP 2000, 184 = NJW 2000, 668 zu § 64 Abs. 2 a. F. lässt Erkennbarkeit ausreichen. 280 Vgl. zur Umsetzung der RRiL als sog. Vertragshilfeverfahren Madaus, DB 2019, 592. 281 Andersch/Philipp, NZI 2017, 782, 784.
II. Zeitpunkt der Pflichten
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Fortführung über diesen Zeitraum hinaus und eine Restrukturierung zu ermöglichen, muss der Schuldner innerhalb dieser Frist die Insolvenzgründe beseitigen, d. h. in Bezug auf den Überschuldungstatbestand durch Restrukturierungsbemühungen wieder eine positive Fortbestehensprognose herstellen oder die rechnerische Überschuldung beseitigen.282, 283 Restrukturierungsbemühungen stehen daher unter erheblichem Zeitdruck. Stellt sich bei einer gescheiterten oder einer gar nicht erst zustande kommenden Restrukturierung im Nachhinein heraus, dass keine positive Fortbestehensprognose bestand, weil eine Sanierung nicht überwiegend wahrscheinlich war, besteht für die Organe des Schuldners das Risiko der Insolvenzverschleppungshaftung. Zwar ist dem Schuldner bei der Erstellung der Fortbestehensprognose ein Beurteilungsspielraum (ex-ante Sicht eines ordentlichen Geschäftsleiters) einzuräumen284, sodass das Haftungsrisiko für Prognosen reduziert ist. Die Haftung gewinnt ihre Brisanz jedoch aus der Beweislastverteilung.285 Aus der Formulierung „es sei denn“ in § 19 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 InsO folgt eine Beweislastumkehr, welche dazu führt, dass das in Anspruch genommene Organ die Tatsachen für eine positive Fortführungsprognose darlegen und beweisen muss. Im Zivilprozess stellt die handelsbilanzielle Überschuldung ein Indiz für eine rechtliche Überschuldung dar.286 Über die rechnerische Überschuldung hinaus muss der Anspruchsteller die Handelsbilanz auf mögliche stille Reserven oder sonstige nicht aus der Bilanz ersichtliche Vermögenswerte überprüfen und erläutern, warum solche nicht vorhanden sind. Hat der Anspruchsteller diese Voraussetzungen erfüllt, trägt das Organ eine sekundäre Beweislast für die stille Reserven und sonstige nicht ersichtliche Vermögenswerte.287 Ist die Überschuldung dargelegt, muss sich der Anspruchsgegner durch eine positive Fortführungsprognose entlasten. Der Schuldner muss also (ggf. nach Jahren) Umstände darlegen und beweisen, die zu einer positiven Fortführungsprognose zum damaligen Zeitpunkt führen.288 Geht es um die Frage, ob eine Insolvenzverschleppung durch ein Organ des Schuldners schuldhaft erfolgte, so
282
Vgl. Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 15a Rn. 18. Hier zeigt sich, dass der derzeitige sog. zweistufige modifizierte Überschuldungstatbestand sanierungsfreundlicher ist, als der bis 2008 geltende Überschuldungstatbestand. Da allein die positive Fortbestehensprognose den Tatbestand der Überschuldung in der 2008 gültigen Fassung nicht entfallen ließ, bestand nicht die Möglichkeit, durch eine erfolgversprechende Sanierung eine positive Fortbestehensprognose herzustellen, sodass die Antragspflicht entfällt, vgl. dazu BT Dr. 16/10600, S. 21; OLG Naumburg, Urt. v. 20. 8. 2003 – 5 U 67/ 03 auf Grundlage des bis zum in Kraft treten des FMStG geltenden Überschuldungsbegriffs; zu den Anforderungen an die Erstellung einer Fortbestehensprognose Goette, DStR 2016, 1684. 284 BGH, Urt. v. 6. 6. 1994 – II ZR 292/91 = DStR 1994, 1054; BGH, Urt. v. 12. 2. 2007 – II ZR 308/05 = DStR 2007, 816 Rz. 16; Goette, DStR 2016, 1752, 1757. 285 Andersch/Philipp, NZI 2017, 782 f. 286 BGH, Urt. v. 16. 3. 2009 – II ZR 280/07 = NZI 2009, 490 Rz. 10. 287 BGH, Urt. v. 16. 3. 2009 – II ZR 280/07 = NZI 2009, 490 Rz. 10. 288 BGH, Urt. v. 18. 10. 2010 – II ZR 151/09 = NZG 2010, 1393; Mock, in: Uhlenbruck, InsO, § 19 Rn. 53 ff. 283
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
ist ab dem Zeitpunkt der Erkennbarkeit einer rechnerischen Überschuldung eine schuldhafte Insolvenzverschleppung zu vermuten.289 Oftmals wird eine Liquiditätsplanung unter Berücksichtigung der Restrukturierungsmaßnahmen das Bestehen einer positiven Fortführungsprognose belegen können. Die Unterlagen müssen stets eine Prüfung der geplanten Restrukturierung auf Plausibilität und insb. Realisierungschancen ermöglichen. Insoweit kann auf die Anforderungen des BGH an Sanierungskonzepte zurückgegriffen werden. Dieser fordert, dass „ein schlüssiges, von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgehendes Sanierungskonzept vorlag, das mindestens in den Anfängen schon in die Tat umgesetzt war und die ernsthafte und begründete Aussicht auf Erfolg rechtfertigte“.290
Das Kriterium, dass ein Sanierungskonzept mindestens in den Anfängen schon in die Tat umgesetzt sein muss, ist im Rahmen der Frage, ob Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen gewährt werden kann, weit zu verstehen und erfordert nicht, dass schon rechtswirksame Sanierungsbeiträge erfolgt sind.291 Wird das Sanierungskonzept noch intern erarbeitet und soll bspw. schon eine Stabilisierungsanordnung nach § 49 f. StaRUG beantragt werden, ist auch nicht erforderlich, dass bereits Verhandlungen mit Gläubigern aufgenommen worden sind, wobei solche im Regelfall kurz bevorstehen werden.292 Vielmehr ist zu fordern, dass „zielstrebige Bemühungen um eine dauerhafte Überwindung der Krise“293 bereits eingeleitet sind. Diese Bemühungen müssen sich aus den Unterlagen ergeben. Solange keinen entgegenstehende Anzeichen bekannt sind, kann von einen Sanierungsbeitrag der Beteiligten ausgegangen werden, wenn dies für die Beteiligten im Vergleich zur Insolvenz die wirtschaftlich bessere Option darstellt.294 Zur Lösung der Kritikpunkte am Überschuldungstatbestand werden verschiedene Ansätze vorgetragen. Es wird gefordert, den Überschuldungstatbestand vollständig
289 BGH, Urt. v. 29. 11. 1999 – II ZR 273/98 = NZI 2000, 120, 121; Mock, in: Uhlenbruck, InsO, § 19 Rn. 56. 290 BGH, Urt. v. 12. 5. 2016 – IX ZR 65/14 = NZI 2016, 636 Rz. 15. 291 Es handelt sich hier im Kern um dieselbe Frage, die sich auch in Bezug auf die Fortbestehensprognose gemäß § 19 InsO stellt, nämlich wie konkret bestimmte Sanierungsmaßnahmen sein müssen, damit sie zu einer positiven Fortbestehensprognose führen; vgl. dazu auch Bitter/Hommerich/Reiß, ZIP 2012, 1201, 1208, nach denen die Sanierungspraxis eine positive Fortbestehensprognose dann annimmt, wenn ernsthaft Verhandlungen mit den Gesellschaftsgläubigern geführt werden, die nach allgemeiner Geschäftserfahrung eine Lösung erwarten lassen, mit der die Fortexistenz des Unternehmens gesichert wird. 292 Zum möglichen zeitlichen Ablauf einer Restrukturierung vgl. Philipp/Andersch/Henn, INDat-Report 03/2019, S. 33. 293 Solche konnte der BGH in dem Urt. v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83 = NJW 1984, 1893 gerade nicht feststellen. 294 Fischer, NZI 2016, 665, 668 f.
II. Zeitpunkt der Pflichten
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zu streichen.295 Denkbar wäre auch, ein bloßes Antragsrecht für den Schuldner bei Überschuldung vorzusehen und zugleich die Haftung für Zahlungen nach Eintritt der Überschuldung beizubehalten (vormals §§ 64 GmbHG, 92 II i. V. m. § 93 III Nr. 6 AktG, § 130a HGB; nun § 15b InsO).296 Für den Überschuldungstatbestand wird traditionellerweise angeführt, dass er als Ausgleich für die beschränkte Haftung erforderlich sei.297 Hintergrund ist, dass im Zustand der Überschuldung ein Anreiz für Schuldner besteht, riskante unternehmerische Maßnahmen zu veranlassen. Der Schuldner spekuliert hier nicht mehr auf Kosten seines Vermögens oder auf Kosten des Eigenkapitals. Das Risiko tragen im Zustand der Überschuldung nämlich die Gläubiger, welche jedoch nicht an dem Gewinn beteiligt sind.298 Es ist jedoch festzustellen, dass auf Grundlage des derzeit gültigen modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriffs ein effektiver Schutz der Gläubiger durch die Sicherung einer Mindesthaftungsmasse, welche die bestehenden Schulden deckt, nicht gewährleistet ist. Entscheidendes Merkmal bei dem derzeit gültigen Überschuldungsbegriff ist die Fortführungsprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO, welche die Erfüllung der Gläubigerforderungen in den Vordergrund rückt und die Deckung der Schulden durch ein Aktivvermögen zurücktreten lässt. Die Kompensation der fehlenden persönlichen Haftung durch die Sicherstellung einer gewissen Haftungsmasse kann für die Beibehaltung des Überschuldungstatbestands – jedenfalls in seiner derzeitigen Form – daher nicht entscheidend sein. Der Überschuldungstatbestand hat jedoch insofern eine ordnungspolitische Funktion als er die Organe der Schuldner zu einer stetigen Überprüfung der Fortführungsmöglichkeiten anhält.299 Die strafbewehrte Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrag nach § 15a InsO sowie die sog. Zahlungsverbote nach § 15b InsO knüpfen an das Vorliegen einer Überschuldung an. Um den strafrechtlichen und zivilrechtlichen Folgen zu entgehen, sind die Geschäftsleiter daher angehalten, fortlaufend das Vorliegen einer Überschuldung zu überprüfen. Streicht man die Antragspflicht und sieht lediglich ein Antragsrecht vor, würde weiterhin ein Anreiz zur (freiwilligen) Stellung eines Insolvenzantrags bestehen, nämlich in Form der zivilrechtlichen Zahlungsverbote. Dieser wäre weniger ausgeprägt, da eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO sowie eine strafrechtliche Haftung wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht entfallen 295 Andersch/Philipp, NZI 2017, 782, 784; allgemein zur Abschaffung des Überschuldungstatbestandes Egner/Wolff, AG 1978, 99. 296 In diese Richtung Piekenbrock, NZI-Beilage 2019, 47, der zusätzlich die Wiedereinführung des bilanziellen Überschuldungsbegriffs und eine Abschaffung der drohenden Zahlungsunfähigkeit fordert. Der Überschuldungstatbestand soll nach dieser Auffassung auch als Eröffnungsgrund für den präventiven Restrukturierungsrahmen dienen. 297 Siehe dazu Bork, ZIP 2019, S1 m. w. N. 298 Brinkmann, NZI 2019, 921, 922. 299 Vgl. auch RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 196; Bork, ZIP 2019, S1, S2 und S12.
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würde. Zwar ist der Nachweis eines Quotenschadens für den Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO oftmals nur schwer zu führen.300 In der Praxis liegt der Schwerpunkt daher auf der Haftung nach §§ 64 GmbHG, 92 II i. V. m. § 93 III Nr. 6 AktG, § 130a HGB a. F. Dennoch würde ein starker Anreiz für den Schuldner entfallen, die weitere Teilnahme am Rechtsverkehr zum Schutz der Gläubiger zu unterlassen.301 Dies gilt unabhängig von der tatsächlichen Effektivität der strafrechtlichen Rechtsdurchsetzung.302 Wird die Überschuldung beibehalten, besteht ein Anreiz für Geschäftsleitungen, Maßnahmen zur Restrukturierung zu prüfen.303 Bei einer positiven Fortbestehensprognose, kann die Überschuldung abgewendet werden. Daher sind (Restrukturierungs-)Maßnahmen zur Verwirklichung einer positiven Fortbestehensprognose zu prüfen. In der Praxis werden häufig Stand-still-Vereinbarungen mit Gläubigern oder Patronatserklärungen verwendet, um die drohende Zahlungsunfähigkeit abzuwenden und damit eine positive Fortbestehensprognose herzustellen.304 Dieser restrukturierungsfördernde Effekt des Überschuldungstatbestandes ist zu begrüßen. Dem Überschuldungstatbestand wird diejenige Funktion zugesprochen, welche in ausländischen Rechtsordnungen bestimmten Frühwarnsystemen bei Unterschreiten einer Mindestkapitalschwelle zukommt.305 Die mit dem Überschuldungstatbestand verbundenen Haftungsrisiken sind jedoch zu reduzieren, um die positive Wirkung zu unterstützen und zugleich zu vermeiden, dass die Antragspflicht zum Abbruch erfolgversprechender Restrukturierungen führt. Vor diesem Hintergrund ist die Verlängerung der Antragsfrist bei Überschuldung nach § 15a Abs. 1 S. 2 InsO auf 6 Wochen zu begrüßen.306 Zudem wird zugunsten einer Antragspflicht vorgetragen, dass dadurch ein Schutz vor einer zu optimistischen Beurteilung der Sanierungschancen erfolge.307 Dem ist zuzustimmen. Die mögliche Haftung bietet einen Anreiz, plausible und nachvollziehbare Sanierungskonzepte zu erstellen. Durch die Antragspflicht wird der Schuldner außerdem zu einer fortlaufenden Überprüfung der Sanierung angehalten. Stellt sich während der Sanierung heraus, dass die Sanierungschancen nicht mehr bestehen, schlägt die ursprünglich positive Fortbestehensprognose um in eine negative und der Schuldner ist zur Stellung eines Insolvenzantrages verpflichtet bzw. 300
Piekenbrock, NZI-Beilage 2019, 47, 48. Vgl. Bork, ZIP 2019, S1, S12. 302 Referierend Brinkmann, NZI 2019, 921, 922. 303 Ähnlich Frind, NZI 2018, 431, 433; vgl. auch Karsten Schmidt, ZIP 1985, 713, 721, der eine Anwendung des Überschuldungstatbestandes auf Personengesellschaften fordert und von einer sanierungsfördernden Wirkung dieser Maßnahme ausgeht; vgl. auch Fritz/Scholtis, BB 2019, 2051, 2057. 304 Bitter/Hommerich/Reiß, ZIP 2012, 1201, 1204. 305 Dazu Haas, Gutachten E zum 66. DJT, E 111. 306 Dazu RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 193. 307 Brinkmann, NZI 2019, 921, 923. 301
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nach Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache gemäß § 32 Abs. 2 StaRUG zur Anzeige der Überschuldung. Dies setzt die fortlaufende Prüfung der Finanzlage des Schuldners unter Berücksichtigung des Restrukturierungskonzepts voraus. Auf diese Weise wird auch während der Umsetzung der Restrukturierung für einen präventiven Gläubigerschutz gesorgt. Zudem kann durch den antragspflichtigen Überschuldungstatbestand im Rahmen der Prüfung der Fortbestehensprognose die Vermeidung existenzgefährdender Handlungen im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL erreicht werden, da Maßnahmen die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Insolvenz führen, nicht geeignet sind, eine negative Fortbestehensprognose zu beseitigen und daher unterbleiben müssen.308 Der Überschuldungstatbestand kann außerdem als Anknüpfungspunkt für Pflichten externer Berater dienen. Im Rahmen der Erstellung eines Jahresabschlusses ist ein Ansatz von Fortführungswerten nur zulässig, wenn dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen, § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB. Daher muss eine Fortführungsprognose erstellt werden, die die Bewertung der Vermögensgegenstände zu Fortführungswerten rechtfertigt und damit der Bilanzwahrheit dient. Rechtliche Gegebenheiten im Sinne von § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB, die zu einer negativen Fortführungsprognose führen können, sind das Vorliegen von Insolvenzgründen, wie etwa der Überschuldung nach § 19 InsO. Aus § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB folgt eine gesetzliche Vermutung, die von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit ausgeht.309 Bestehen bei dem Berater, der für den Schuldner einen Jahresabschluss aufstellen soll, jedoch ernsthafte Zweifel hinsichtlich der Fortführung der Unternehmenstätigkeit und lassen sich diese Zweifel auch nicht durch konkrete Umstände ausräumen, so darf der Berater keine Fortführungswerte zugrunde legen. Vielmehr muss die Unternehmensleitung eine explizite Fortführungsprognose erstellen, die dann einer Bewertung nach Fortführungswerten zugrunde gelegt werden kann. Indizien, die die Fortführung in Frage stellen, sind insbesondere solche, die auf einen Insolvenzgrund hindeuten. In Betracht kommen erhebliche Verluste, eine zu geringe Eigenkapitalausstattung oder Liquiditätsschwierigkeiten. Insbesondere das Vorliegen einer bilanziellen Überschuldung kann eine tatsächliche Gegebenheit sein, die einer Fortführung entgegensteht und sie kann Anlass geben, eine insolvenzrechtliche Überschuldung zu prüfen, denn die handelsrechtliche Überschuldung ist ein Indiz für die insolvenzrechtliche Überschuldung.310
308 Vgl. dazu insbesondere B. III. 6. d) bb) (3) für die GmbH und B. III. 6. d) dd) für die Personenhandelsgesellschaften. 309 Vgl. etwa BGH, Urt. v. 26. 1. 2017 – IX ZR 285/14 = DStR 2017, 942 Rz. 29; zu der Pflicht, bei Anzeichen für eine Bestandsgefährdung eine Fortführungsprognose zu erstellen, Groß, WPg 2010, 119, 130. 310 BGH, Urt. v. 26. 1. 2017 – IX ZR 285/14 = DStR 2017, 942 Rz. 33 f.; zur Indizwirkung der Handelsbilanz vgl. BGH, Urt. v. 7. 3. 2005 – II ZR 138/03 = DStR 2005, 1150, unter II.1.; BGH, Urt. v. 27. 4. 2009 – II ZR 253/07 = DStR 2009, 1384 Rn. 9a.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Der Überschuldungstatbestand kann damit in Verbindung mit den Prüfungs- und Hinweispflichten von Beratern ein geeignetes Frühwarnsystem im Sinne von Art. 3 Abs. 2 lit. c der Restrukturierungsrichtlinie darstellen, welches wiederkehrend im Rahmen der Erstellung eines Jahresabschlusses greift. Im Rahmen der von der Geschäftsleitung zu erstellenden Fortführungsprognose kann diese auch Restrukturierungsoptionen unter dem präventiven Restrukturierungsrahmen in Betracht ziehen. Der Überschuldungstatbestand leistet also – auch in Form des modifizierten zweistufigen Überschuldungstatbestandes – einen Bestandteil zum präventiven Gläubigerschutz. Dies mag nicht in erster Linie an einer früheren Verfahrenseröffnung aufgrund der Überschuldung liegen, welche auf Grund der Fortbestehensprognose durchaus möglich wäre, aber praktisch selten ist, sondern liegt maßgeblich an den Prüfungspflichten der Organe und ihrer Berater, welche an den Überschuldungstatbestand anknüpfen. Zudem stellt die insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose einen Hebel dar, um von einem außergerichtlichen Restrukturierungsverfahren in das (verpflichtende) gerichtliche Insolvenzverfahren zu wechseln. Solange eine positive Fortbestehensprognose aufgrund überwiegend wahrscheinlicher Sanierungsoptionen besteht, kann die präventive Restrukturierung betrieben werden. Kippt die Fortbestehensprognose in eine negative Prognose ist das Insolvenzverfahren einzuleiten. Zudem setzt der Überschuldungstatbestand einen Anreiz dazu, existenzgefährdendes Verhalten zu unterlassen.311 Dies gilt auch nach der Begrenzung der Fortbestehensprognose gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 InsO auf ein Jahr. Inwieweit durch diese Begrenzung Haftungslücken entstanden sind und wie diese ggf. zu schließen sind, wird im Lauf der Arbeit noch erörtert.312 (2) Begrenzung der insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognose Bis hierhin ist gezeigt, dass der Überschuldungstatbestand neben dem Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit fortbestehen kann und dass es gute Gründe für die Beibehaltung des Überschuldungstatbestandes gibt. Ein weiterer Ansatz, dem das SanInsFoG gefolgt ist, möchte daher den Überschuldungstatbestand beibehalten und schlägt vor, die Frist für die Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO auf 12 Monate zu beschränken.313 Dadurch soll nach dem RegE SanInsFoG auch eine Abgrenzung zur drohenden Zahlungsunfähigkeit erreicht werden.314 Die Begrenzung hat außerdem den Effekt, dass ein 311
Vgl. dazu B. III. 6. d) bb) (2). Dazu B. III. 5. d) aa) (3) (b) und B. III. 6. d) bb) (2); vgl. auch BT Dr. 19/25353, S. 6, wo betont wird, dass das Bedürfnis nach Gläubigerschutz, das mit der Rückbildung der von der Verkürzung des Prognosezeitraums betroffenen gläubigerschützenden Haftungsnormen einhergeht, durch die gesellschaftsrechtlichen Haftungsnormen aufgefangen wird. 313 Brinkmann, NZI 2019, 921, 924; kritisch dazu Bitter, ZIP 2021, 321, 324, 335 „Anweisung zur Blindheit“; Bitter, GmbHR, R 16, R 17; Gehrlein, GmbHR 2021, 183, 189. 314 RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 197. 312
II. Zeitpunkt der Pflichten
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Schuldner, der eine Zahlungsunfähigkeit für einen Zeitpunkt außerhalb dieser Frist prognostiziert, Restrukturierungsbemühung frei von dem Druck einer möglichen Antragsfrist einleiten kann, bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nur noch 12 Monate entfernt ist („Restrukturierungsfenster“).315 Zu klären ist, wie mit Unternehmensleitern umzugehen ist, die trotz des Fehlens jeglicher Sanierungsaussichten ihr Unternehmen solange Fortführen, bis die zukünftige Zahlungsunfähigkeit innerhalb der nächsten 12 Monate eintritt und daher eine Antragspflicht besteht. Diese Fortführung kann zu einer Erhöhung des Ausfallrisikos der Gläubiger führen, die mangels erfolgversprechender Sanierungsoptionen unzulässig ist.316 Bei einer Zahlungsunfähigkeit, die innerhalb des Zeitraums von 12 Monaten eintritt, bleibt der Antragsdruck bestehen. Zwar soll der präventive Restrukturierungsrahmen frühzeitig eingreifen. Die Praxis zeigt jedoch, dass Gegenmaßnahmen oftmals erst zu einem späten Zeitpunkt eingeleitet werden, sodass ein Bedürfnis für Restrukturierungen nach dem Restrukturierungsrahmen auch innerhalb des Zeitfensters von 12 Monaten besteht. Restrukturierungen, auch unter Nutzung des SRR sind innerhalb dieses Zeitrahmens nicht ausgeschlossen, da, wie bereits dargelegt wurde, die Sanierungsmaßnahmen bei der Fortbestehensprognose zu berücksichtigen sind. Der Vorschlag läuft darauf hinaus, die Antragspflicht für den Überschuldungstatbestand in ihrer grundsätzlich gewünschten Anreizwirkung teilweise zu beschneiden, um die aus dem Überschuldungstatbestand resultierenden Haftungsrisiken, die den gewünschten Restrukturierungen im Weg stehen, zu verringern. Der Anreiz für Unternehmensleitungen ernsthafte Sanierungsbemühungen einzuleiten, wenn eine drohende Zahlungsunfähigkeit über 12 Monate entfernt liegt, wird durch den Vorschlag reduziert. Zugleich wird auch die Gefahr von unseriösen Sanierungsmaßnahmen (Spekulationsgeschäfte) in diesem Zeitraum erhöht sowie das Risiko, dass eine Fortführung ohne jegliche Sanierungsmaßnahmen bis zum Eintritt der Antragspflicht erfolgt. Dies könnte in Konflikt mit Art. 19 RRiL stehen. Hier muss durch eine entsprechende Auslegung gesellschaftsrechtlicher Vorschriften, bspw. § 43 Abs. 1 GmbHG, gegengesteuert werden.317 Die Verkürzung der Prognosepflicht könnte auch dazu führen, dass sich Geschäftsleiter in der Praxis darauf beschränken, die Zahlungsunfähigkeit für die nächsten 12 Monate zu prognostizieren (3) Gesetzliche Vermutung einer positiven Fortbestehensprognose Eine weitere diskutierte Möglichkeit war die Einführung einer widerleglichen, gesetzlichen Vermutung nach § 292 ZPO für eine positive Fortbestehensprognose in 315 316 317
Brinkmann, NZI 2019, 921, 924. Dazu B. III. 5. d) aa) (5) (a). Dazu B. III. 6. d) bb) (2).
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
§ 19 Abs. 2 InsO, wenn der präventive Restrukturierungsrahmen in Anspruch genommen wird, wie es von Frind gefordert wurde.318 Voraussetzung dafür, dass der präventive Restrukturierungsrahmen genutzt werden kann, wäre ein gerichtlich zu überprüfender Bestandsfähigkeitsnachweis im Sinne von Art. 4 Abs. 3 RRiL. Dieser Vorschlag beruht auf der Annahme, dass eine erfolgversprechende Restrukturierung zu einer positiven Fortbestehensprognose führt. Der Vorschlag führt zu einem „sicheren Hafen“ für Geschäftsleiter, wenn der präventive Restrukturierungsrahmen in Anspruch genommen wird. Wächter für diesen sicheren Hafen wären die Gerichte, die über den Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen aufgrund einer Bestandsfähigkeitsprüfung entscheiden. Die Bestandsfähigkeitsprüfung ist daher zwingend erforderlich.319 Sie legitimiert die Vermutung einer positiven Fortbestehensprognose. Der sichere Hafen führt zu einem starken Anreiz für Geschäftsleiter, Restrukturierungsoptionen auszuloten und erfolgversprechende Restrukturierungen umzusetzen.320 Dieser durch nationales Recht geschaffene Anreiz würde den Anreiz für Gläubiger, sich an einer Restrukturierung zu beteiligen ergänzen, welcher durch die Privilegierungen nach Art. 17 und 18 RRiL geschaffen wird. Wird der Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen durch eine gerichtliche Entscheidung gewährt und scheitert die Restrukturierung im weiteren Verlauf, entfaltet die Vermutung ihre Wirkung. Auch bei der Haftung wegen Zahlungsverboten wird das Haftungsrisiko für die Geschäftsleiter reduziert, indem sie sich bezgl. einer möglichen Überschuldung nicht entlasten müssen, sondern diese durch den Anspruchsteller nachgewiesen werden muss. Bei Ansprüchen nach § 823 Abs. 2 i. V. m. § 15a InsO führt die Vermutung einer positiven Fortbestehensprognose dazu, dass mangels Überschuldung nicht von einer Antragspflicht auszugehen wäre, bis zu dem Zeitpunkt, für den der Anspruchssteller den Beweis des Gegenteils erbringt. Die Vermutung einer positiven Fortbestehensprognose hätte daher durchaus restrukturierungsfördernde Wirkungen. Die Regelung eines sicheren Hafens hätte dazu geführt, dass der Schuldner weiterhin seine Restrukturierungsbemühungen nachvollziehbar dokumentieren muss, um für den Fall, dass der sichere Hafen nicht erreicht wird (also der Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen abgelehnt wird oder etwa ein Antrag auf Bestätigung eines Restrukturierungsplan gar nicht erst gestellt wird, weil die Restrukturierung nicht zustande kommt), Tatsachen für eine bis dahin bestehende positive Fortbestehensprognose darlegen und beweisen zu können. Nur in den Fällen, in denen die Restrukturierung also vor Inanspruchnahme des präventiven Restrukturierungsrahmens scheitert, wären die Haftungsrisiken für 318
Frind, BB 2019, 2381, 2386 f. Zur Prüfung der Bestandsfähigkeit durch die Gerichte siehe B. II. 4. c); grundsätzliche Zweifel an der Eignung von Gerichten oder unabhängigen Dritten, die Bestandsfähigkeit angemessen zu beurteilen, hat Korch, ZHR 2018, 440, 454. 320 Vgl. dazu Madaus, DB 2019, 592, 593. 319
II. Zeitpunkt der Pflichten
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Geschäftsleiter unverändert geblieben. Die Einführung der Vermutung hätte daher prophylaktische Anträge auf Maßnahmen des präventiven Restrukturierungsrahmens in der Verhandlungsphase begünstigen können. Einem Missbrauch wäre dadurch vorgebeugt worden, dass jede Maßnahme ihre spezifischen Voraussetzungen hat (bspw. muss die Aussetzung einer Vollstreckungsmaßnahme „erforderlich“ sein nach Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 RRiL, siehe auch § 51 Abs. 1 Nr. 4 StaRUG) und das Gericht muss stets das Vorliegen einer wahrscheinlichen Insolvenz prüfen. (4) Verlängerung der Insolvenzantragsfrist Vorgeschlagen wurde auch, die maximale Länge der Antragsfrist für den Tatbestand der Überschuldung deutlich zu verlängern, etwa auf 3 Monate321, um den Schuldnern mehr Zeit zur Erarbeitung eines Restrukturierungskonzepts zu gewähren. Der Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen würde Schuldnern damit erleichtert. Der Anreiz zur Prüfung von Restrukturierungsmaßnahmen bliebe bestehen, ohne dass durch die Insolvenzantragspflicht erfolgversprechende Bemühungen unterbunden werden. Es bliebe also bei einer unverzüglichen Antragstellung, spätestens müsste der Antrag bei Vorliegen einer Überschuldung jedoch nach 3 Monaten gestellt werden. Auch auf diese Weise würde ebenfalls eine Art „Restrukturierungsfenster“ in das deutsche Recht integriert. Ein Schutz vor Missbrauch wird dadurch gewährleistet, dass weiterhin eine kurze Antragfrist bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit besteht, auch während der schon laufenden ausgedehnten Antragsfrist für Überschuldung. Diesem Ansatz ist das SanInsFoG ebenfalls gefolgt, allerdings mit einer Begrenzung der Frist gemäß § 15a Abs. 1 S. 2 InsO auf 6 Wochen. Die Verlängerung der Insolvenzantragsfrist bringt Folgeprobleme mit sich.322 Um den Effekt der verlängerten Antragsfrist nicht zu unterlaufen, müsste man zugleich das Risiko einer Haftung wegen Verletzung der Zahlungsverbote in § 15b InsO bzw. §§ 64 GmbHG, 92 II i. V. m. § 93 III Nr. 6 AktG, § 130a HGB a. F. für die Schuldner verringern. Im Grundsatz wendet die Rechtsprechung die Zahlungsverbote ab dem Eintritt der Insolvenzreife an.323 D. h. auch wenn der Geschäftsleiter aufgrund der 3Wochen Frist noch keinen Insolvenzantrag stellen muss, so muss er doch das Gesellschaftsvermögen sichern, falls die Sanierungsbemühungen scheitern. Dies würde auch gelten, wenn man die Antragsfrist auf mehrere Monate oder Wochen ausdehnt. Nach dem Eintritt der Insolvenzreife ist im Ausgangspunkt jede getätigte Zahlung zu erstatten. Nach § 64 S. 2 GmbHG, § 92 Abs. 1 S. 1 AktG und § 130a Abs. 1 S. 2 HGB a. F. (jetzt § 15b Abs. 1 InsO) hafteten die Geschäftsleiter aber nicht für Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäfts321
So wohl Andersch im Rahmen des Workshops „Überschuldung – Quo vadis?“, veranstaltet von der HGgUR am 1. 10. 2019 in der Universität Heidelberg, zitiert nach Brinkmann, NZI 2019, 921 Fn. 26. 322 So auch Brinkmann, NZI 2019, 921, 924. 323 BGH, Urt. v. 16. 3. 2009 – II ZR 280/07 = NZI 2009, 490, 491 Rz. 12.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
leiters vereinbar sind. Für diese Voraussetzungen war das jeweilige Organ beweisbelastet. Bspw. muss es im Prozess darlegen und beweisen, dass die Beauftragung eines Sanierungsberater zur Abwendung von Nachteilen für die Masse erforderlich und sachdienlich war und dass dem gezahlten Honorar eine angemessene Gegenleistung gegenüberstand, die den Interessen der Gläubigergesamtheit diente.324 Zur Entschärfung der Haftung hat das SanInsFoG die Zahlungsverbote in § 15b InsO einer neuen Regelung zugeführt. Im Grundsatz bleibt es bei dem Verbot von Zahlungen nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung (§ 15b Abs. 1 S. 1 InsO). Ebenso bleibt die Ausnahme bestehen, dass dies nicht für Zahlungen gilt, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind (§ 15b Abs. 1 S. 2 InsO). Diese Ausnahme wird in § 15b Abs. 2 und 3 InsO durch ein zeitlich abgestuftes Modell konkretisiert. Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang und während der Antragsfrist nach § 15a Abs. 1 S. 2 InsO erfolgen, sind zulässig, solange die Antragspflichtigen Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung eines Insolvenzantrags mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreiben (§ 15b Abs. 2 S. 2 InsO). Wer als Geschäftsleiter also während der Antragsfrist um eine Restrukturierung bemüht ist, kann seinen Geschäftsbetrieb trotz materieller Insolvenz ohne Haftungsrisiko weiterführen. Durch die Anpassung der Zahlungsverbote nach § 15b InsO wurde das Haftungsrisiko während der verlängerten Antragsfrist verringert und damit wird zu einer Förderung von Restrukturierungen beigetragen. (5) Zwischenergebnis: Zweistufige Prüfung der wahrscheinlichen Insolvenz Der Tatbestand der Überschuldung wird mit guten Gründen beibehalten.325 Die wahrscheinliche Insolvenz als drohende Zahlungsunfähigkeit und die Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO beruhen beiden auf einer Liquiditätsprognose. Da die Fortbestehensprognose nach § 19 InsO die Effekte einer Restrukturierung auf die Fähigkeit, Verbindlichkeiten zu erfüllen, berücksichtigt, lässt sie sich von der Prognose im Rahmen der wahrscheinlichen Insolvenz abgrenzen und kann neben ihr bestehen. Die Überschneidung der Tatbestände wurde durch die Anpassung der Prognosezeiträume durch das SanInsFoG weiter reduziert. Solange ein Restrukturierungskonzept mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die zukünftige Zahlungsunfähigkeit abwendet, liegt aufgrund der positiven Fortbestehensprognose keine Überschuldung vor, sondern eine wahrscheinliche Insolvenz im Sinne der RRiL und damit die Berechtigung zur Nutzung des präventiven Restrukturierungsrahmens. Dass bei einem erfolgversprechenden Restrukturierungskonzept zugleich eine wahrscheinliche Insolvenz bzw. drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegen soll, mag widersprüchlich erscheinen, erklärt sich aber, wie bereits gezeigt, dadurch, dass der Tatbestand der wahrscheinlichen Insolvenz die Frage 324 325
BGH, Beschluss v. 5. 2. 2007 – II ZR 51/06 = NZG 2007, 678 Rz. 4. A. A. für eine vollständige Streichung Andersch/Philipp, NZI 2017, 782, 784.
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beantwortet, wann ein Schuldner den präventiven Restrukturierungsrahmen nutzen darf.326 Da diese Abgrenzung zwischen wahrscheinlicher Insolvenz und Überschuldung maßgeblich auf der Fortbestehensprognose nach § 19 InsO beruht, ist es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Fortbestehensprognose als eigenständiges Merkmal des Überschuldungstatbestandes beibehalten wird. Nur indem eine positive Fortbestehensprognose bejaht wird und auf diese Weise die Antragspflicht beseitigt wird, ist der Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen möglich. Die oftmals kritisierte Fokussierung auf die Liquiditätsprognose im Rahmen der Überschuldung327 leistet also einen Beitrag zur Förderung von Restrukturierungen. Für den Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen und den Begriff der wahrscheinlichen Insolvenz ergibt sich aus diesen Überlegungen eine zweistufige Prüfung328 : Erstens ist zu fragen, ob der Schuldner in Zukunft zahlungsfähig sein wird (bzw. ob eine drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt). Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob ein antragspflichtiger Insolvenzgrund vorliegt. Nur wenn die drohende Zahlungsunfähigkeit zu bejahen und ein antragspflichtiger Grund zu verneinen ist, liegt eine wahrscheinliche Insolvenz im Sinn der RRiL vor und der Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen darf gewährt werden. Der Unterschied zwischen den beiden Stufen besteht insbesondere mit Blick auf den Tatbestand der Überschuldung darin, dass auf Stufe 1 die Effekte einer geplanten Restrukturierung nicht zu berücksichtigen sind, auf der zweiten Stufe sind sie hingegen zu berücksichtigen. Die zweistufige Prüfung führt dazu, dass ein Schuldner den präventiven Restrukturierungsrahmen nutzen kann, wenn er in Zukunft seine fälligen Rechnungen nicht begleichen kann und zugleich im Zeitpunkt der Prognoseerstellung nicht materiell insolvent ist. Der Dreh- und Angelpunkt für die Abgrenzung der Tatbestände und den Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen ist (zumindest für haftungsbeschränkte Rechtsträger) die Fortbestehensprognose des Überschuldungstatbestandes. Ist diese positiv kann eine Restrukturierung im präventiven Restrukturierungsrahmen betrieben werden. Ist die Fortbestehensprognose negativ wird in der Regel die Überschuldung vorliegen und das Insolvenzverfahren ist einzuleiten. Die Fortbestehensprognose hängt wesentlich von der (ggf. erzwungenen) Bereitschaft der Beteiligten zu Restrukturierungsbeiträgen ab. Von der Antragspflicht für den Überschuldungstatbestand geht damit ein Anreiz zur Prüfung und Umsetzung von Restrukturierungen aus, der wünschenswert ist. Zugleich muss das Haftungsrisiko für Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppungshaftung reduziert werden. Dies 326 Ähnliche vermeintliche Widersprüche ergeben sich etwa bei § 270b InsO a. F., der eine Überschuldung, mithin eine negative Fortbestehensprognose, als Tatbestandsmerkmal nennt, und zugleich eine nicht offensichtlich aussichtslose Sanierung fordert, vgl. dazu Meyland, S. 170. 327 Vgl. etwa Drukarczyk/Schüler, in: MüKo InsO, § 19 Rn. 40. 328 In diese Richtung wohl auch Frind, BB 2019, 2381, 2385.
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wurde mit dem SanInsFoG durch die Begrenzung der Fortbestehensprognose auf 12 Monate sowie die Verlängerung der Antragsfrist auf 6 Wochen erreicht. Durch die Begrenzung der Fortbestehensprognose auf 12 Monate wurde aber zugleich der Anreiz für Sanierungsbemühungen außerhalb dieses Zeitraums reduziert und das Risiko für spekulative Sanierungsversuche oder schlichte Untätigkeit erhöht. Die entstandenen Schutzlücken müssen durch eine entsprechende Auslegung der gesellschaftsrechtlichen Vorschriften geschlossen werden, ohne die bezweckte Förderung von Restrukturierungen zu unterlaufen. Wie dies insbesondere mit Blick auf Art. 19 RRiL erfolgen könnte, ist Teil von III. dieser Arbeit.329 ee) Abgrenzung zur Zahlungsunfähigkeit Wie sich schon aus der soeben dargestellten zweistufigen Prüfung der wahrscheinlichen Insolvenz ergibt, kann eine wahrscheinliche Insolvenz nur vorliegen, wenn zugleich ausgeschlossen ist, dass eine materielle Insolvenz nach deutschem Recht vorliegt. Dass eine Überschuldung nach § 19 InsO und der Tatbestand der wahrscheinlichen Insolvenz abgrenzbar sind, wurde bereits dargelegt. Zu klären ist noch das Verhältnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit als wahrscheinliche Insolvenz im Sinne der RRiL zur Zahlungsunfähigkeit. Auch hier wird sich zeigen, dass die beiden Tatbestände auf Grundlage der oben dargestellten zweistufigen Prüfung für den Tatbestand der wahrscheinlichen Insolvenz miteinander vereinbar sind. Als erste, noch sehr grobe Abgrenzung kann festgestellt werden, dass die wahrscheinliche Insolvenz im Sinne der RRiL auf einer zu prognostizierenden zukünftigen Zahlungsunfähigkeit (§ 18 Abs. 2 InsO) beruht. Es geht um die Fähigkeit des Schuldners, in der Zukunft entstehende und fällige Verbindlichkeiten bedienen zu können. Die Zahlungsfähigkeit beruht hingegen auf der Fähigkeit bereits entstandene und fällige Forderungen bedienen zu können, § 17 Abs. 2 S. 1 InsO.330 Die Zahlungsunfähigkeit ist von der bloßen Zahlungsstockung abzugrenzen. In seinem Grundsatzurteil vom 24. Mai 2005 entschied der BGH: „1. Eine bloße Zahlungsstockung ist anzunehmen, wenn der Zeitraum nicht überschritten wird, den eine kreditwürdige Person benötigt, um sich die benötigten Mittel zu leihen. Dafür erscheinen drei Wochen erforderlich, aber auch ausreichend. 2. Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10 Prozent seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10 Prozent erreichen wird. 3. Beträgt die Liquiditätslücke des Schuldners 10 Prozent oder mehr, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder 329
Siehe etwa B. III. 5. d) aa) (3) (b) und B. III. 6. d) bb) (2). Zur Abgrenzung der Tatbestände vgl. auch BGH, Urt. v. 19. 12. 2017 – II ZR 88/16 = NJW 2018, 1089 Rz. 45 f. 330
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fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.“331
Die Grenze von 10 % wird damit als widerlegliche Vermutung für oder gegen eine Zahlungsunfähigkeit eingeführt. Für den Fall, den der 3. Leitsatz beschreibt, wird zur Konkretisierung gefordert, dass der Schuldner die Lücke innerhalb der nächsten 3 Monate, spätestens innerhalb der nächsten sechs Monate (vollständig oder fast vollständig) schließt.332 Zur Methodik der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit entschied der BGH: „In die zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit aufzustellende Liquiditätsbilanz sind auf der Aktivseite neben den verfügbaren Zahlungsmitteln (sog. Aktiva I) die innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel (sog. Aktiva II) einzubeziehen und zu den am Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten (sog. Passiva I) sowie den innerhalb von drei Wochen fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten (sog. Passiva II) in Beziehung zu setzen.“333
Für die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit werden also auch zukünftige Verbindlichkeiten, nämlich solche, die innerhalb eines Zeitraums von drei Wochen entstehen und fällig werden, berücksichtigt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den oben dargestellten Leitsätzen um Regelvermutungen handelt, die auch den Nachweis des Gegenteils zulassen. Es ist daher bspw. möglich, dass trotz einer Liquiditätslücke von 10 % oder mehr am Ende des 3-Wochen-Zeitraums, der Schuldner nicht zahlungsunfähig ist im Sinne von § 17 InsO, weil eine Prognose, die über den 3-Wochen-Zeitraum hinausgeht, ergibt, dass die Lücke demnächst beseitigt wird. Nach dem oben dargestellten Verständnis der Zahlungsunfähigkeit ist also auch zur Bestimmung der Zahlungsunfähigkeit eine prognostische Finanzplanung erforderlich.334 Diese kann unter Umständen mehrere Monate umfassen.335 Aus der Grundsatzentscheidung des BGH ergeben sich für die Zahlungsunfähigkeit drei Prüfungsschritte.336 Erstens ist anhand eines Liquiditätsstatus zu prüfen, ob die am Stichtag vorhandenen liquiden Mittel ausreichen, um die am Stichtag fälligen Verbindlichkeiten zu bedienen. Ist das nicht der Fall muss zweitens eine Finanzplanung die Liquiditätsentwicklung für den Drei-Wochen-Zeitraum prognostizieren, um abzugrenzen, ob es sich bei der Unterdeckung am Stichtag lediglich um eine Zahlungsstockung handelt. Besteht am Ende der 3-Wochen-Frist weiterhin 331
BGH, Urt. v. 24. 5. 2005 – IX ZR 123/04 = NZI 2005, 547. Vgl. IDW S 11 Rn. 16. 333 BGH, Urt. v. 19. 12. 2017 – II ZR 88/16 = NJW 2018, 1089 Rz. 32 f.; der Streit um die Einbeziehung der sog. Passiva II dürfte damit entschieden sein, auch wenn es sich um ein Urteil des II. Zivilsenats handelt; zur Erstellung einer Liquiditätsbilanz und den Nachteilen einer solchen Bilanz gegenüber einem Finanzplan vgl. Eilenberger, in: MüKo InsO, § 17 Rn. 20 ff. 334 Vgl. Drukarczyk, in: MüKo InsO, § 18 Rn. 20. 335 IDW S 11 Rn. 16 geht von einem Zeitraum von drei bis sechs Monaten aus, in welchem eine Liquiditätslücke von 10 % oder mehr geschlossen werden muss. 336 Drukarczyk, in: MüKo InsO, § 18 Rn. 22. 332
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eine Unterdeckung ist der Prognosehorizont der Finanzplanung zu erweitern, um zu prüfen, ob die Deckungslücke wieder beseitigt werden kann. Ein entscheidender Unterschied zwischen der zukünftigen Zahlungsunfähigkeit im Sinne einer wahrscheinlichen Insolvenz und der bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit ist damit, dass am Beurteilungsstichtag bereits eine Unterdeckung vorliegen muss, wenn eine Zahlungsunfähigkeit festgestellt werden soll. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut von § 17 Abs. 2 S. 1 InsO, welcher von „fälligen Zahlungspflichten“ (bezogen auf den Beurteilungsstichtag) spricht.337 Die vom BGH betriebene Erweiterung der Betrachtung auf einen 3-Wochen-Zeitraum und ggf. darüber hinaus schreibt nur die Entwicklung der am Stichtag bereits bestehenden Unterdeckung fort, um eine Abgrenzung zur Zahlungsstockung zu ermöglichen. Besteht am Beurteilungsstichtag hingegen keine Unterdeckung, sondern tritt diese beispielsweise innerhalb einer Frist von 3 Wochen (oder eben später) ein, ist der Schuldner lediglich drohend zahlungsunfähig nach § 18 InsO und ggf. wahrscheinlich insolvent im Sinne der RRiL.338 Dass am Beurteilungsstichtag bereits eine Unterdeckung vorliegt (und somit die erste Stufe bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit zu bejahen ist) schließt jedoch nicht aus, das an diesem Beurteilungsstichtag eine drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Dazu folgendes Beispiel: Am Beurteilungsstichtag besteht eine Unterdeckung von 5 %. Diese wächst bis zum Ende der 3-Wochen-Frist auf 10 % an (zweite Stufe der Zahlungsunfähigkeitsprüfung ist ebenfalls zu bejahen). In den nächsten zwei Monaten ab dem Stichtag ist jedoch sicher zu erwarten, dass diese Lücke wieder geschlossen werden kann (und den Gläubigern ein Zuwarten zumutbar ist). Zugleich ergibt die Finanzplanung, dass in sieben Monaten erneut eine Lücke (in beliebiger Höhe) auftreten wird. Eine Zahlungsunfähigkeit liegt hier nicht vor, da die am Stichtag bestehende Lücke nur vorübergehend ist. Es handelt sich mithin um eine Zahlungsstockung. Zugleich liegt eine drohende Zahlungsunfähigkeit vor aufgrund des in sieben Monaten auftretenden Finanzplandefizits. Fest steht auch, dass in den Fällen, in denen eine Zahlungsunfähigkeit bejaht wird, eine drohende Zahlungsunfähigkeit ausscheidet. Dazu folgendes Beispiel: Ein am Ende der Drei-Woche-Frist bestehendes Defizit in Höhe von 5 %, welches bereits am Stichtag bestand, wächst auf 15 % innerhalb der nächsten zwei Monate an. In diesem Fall ist der Schuldner zahlungsunfähig. Drohende Zahlungsunfähigkeit kommt nicht in Betracht. 337
Es war außerdem der Zweck der Einführung der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO, die am Stichtag noch nicht fälligen Verbindlichkeiten mit in die Betrachtung einzubeziehen, vgl. Begr. RegE BT Dr. 12/2443, 114. 338 BGH, Urt. v. 19. 12. 2017 – II ZR 88/16 = NJW 2018, 1089 Rz. 45 spricht von einer „bereits am Stichtag vorhandene(n) Liquiditätslücke“; Mönning/Gutheil, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 17 Rn. 35 ff.; Leithaus, in: Andres/Leithaus, InsO, § 17 Rn. 2; deutlich auch Ganter, NZI 2012, 985, 987; unklar Mock, in: Uhlenbruck, InsO, § 17 Rn. 30, der es ausreichen lässt, wenn Verbindlichkeiten, die innerhalb der 3-Wochen-Frist fällig werden, zu einem Defizit führen.
II. Zeitpunkt der Pflichten
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Offen bleibt die Frage, wie es zu werten ist, wenn der Schuldner dauerhaft eine geringfügige Liquiditätslücke aufweist.339 Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Prognosehorizont im Rahmen der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO begrenzt ist (3 bis maximal 6 Monate), auch um die Abgrenzung zu den anderen Eröffnungstatbeständen zu gewährleisten. Die Zulässigkeit einer solchen dauerhaften, geringfügigen Liquiditätslücke wird abgelehnt.340 Wäre eine solche Lücke zulässig, würde das eine dauerhafte Zahlungsstockung ermöglichen.341 Dies kann dazu führen, dass einige Gläubiger dauerhaft keine Befriedigung erhalten, ohne dass ein Insolvenzverfahren zulässig ist. Damit wird zwar ein Insolvenzgrund für den Fall bejaht, dass nur eine geringfügige Liquiditätslücke besteht. Dies wäre jedoch nicht unangemessen, da diese Lücke nicht bloß eine vorübergehende ist. Daher würde auch kein unverhältnismäßiger Eingriff in eine grundrechtlich geschützte Positionen des Schuldners vorliegen durch die Bejahung einer Antragspflicht.342 Der BGH scheint hingegen eine unwesentliche dauerhafte Liquiditätslücke zuzulassen, wenn er in dem dritten Leitsatz des oben zitierten Urteils davon spricht, dass die Liquiditätslücke demnächst lediglich „fast vollständig beseitigt“ wird.343 Zu beachten ist, dass der BGH als weitere Voraussetzung nennt, dass den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist. Auch der zweite Leitsatz des oben zitierten Urteils deutet an, dass eine dauerhafte Liquiditätslücke nur dann problematisch ist, wenn sie mehr als 10 % beträgt. Der RegE Drucksache 12/2443 thematisiert ebenfalls die Aspekte der Dauerhaftigkeit und der Geringfügigkeit. Auf S. 114 wendet sich der RegE zum einen gegen die Interpretation einer über Wochen oder gar Monate fortbestehende Illiquidität als rechtlich unerhebliche Zahlungsstockung. Zugleich wird aber festgestellt, dass „ganz geringfügige Liquiditätslücken außer Betracht bleiben müssen“ für die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit. Ebenso stellt die RegE Drucksache 12/2443, S. 114 darauf ab, ob es für die Gläubiger nachteilig ist, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinauszuzögern. Die Zuläs339 Ob dieser dauerhaften, geringfügigen Liquiditätslücke eine Liquiditätslücke von 10 % oder mehr am Ende des Drei-Wochen-Zeitraums vorausging oder die Lücke am Ende des DreiWochen-Zeitraums unter 10 % betrug, ist vorerst nicht entscheidend. 340 IDW S 11 Rn. 17 für den Fall, dass am Ende des Drei-Wochen-Zeitraums eine Unterdeckung von unter 10 % besteht und diese dauerhaft nicht beseitigt werden kann; so auch Steffan, in: Oppenländer/Trölitzsch, GmbH-Geschäftsführung, § 38 Rn. 12 ff. 341 Die Gesetzesbegründung zur Einführung des Tatbestandes der Zahlungsunfähigkeit wendet sich ausdrücklich gegen die Interpretation einer über Wochen oder gar Monate fortbestehende Illiquidität als rechtlich unerhebliche Zahlungsstockung, vgl. BT Dr. 12/2443, S. 114. Zugleich wird festgestellt, dass „ganz geringfügige Liquiditätslücken außer Betracht blieben müssen“. 342 Dazu BGH, Urt. v. 24. 5. 2005 – IX ZR 123/04 = NZI 2005, 547, 549, der eine Unverhältnismäßigkeit ebenfalls nur bei einer „vorübergehenden Unterdeckung von wenigen Prozent“ bejaht. 343 Zabel/Pütz, ZIP 2015, 912, 917; der BGH hat den Fall im Blick, dass am Ende des DreiWochen-Zeitraums eine 10 % Lücke (oder größer) besteht oder diese in der folgenden Zeit (fast vollständig) geschlossen wird. Auch hier geht es letztlich um die Zulässigkeit einer dauerhaften geringfügigen Liquiditätslücke.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
sigkeit einer dauerhaften, geringfügigen Zahlungslücke könnte also bejaht werden, wenn man die Geringfügigkeit der Zahlungslücke betont. Zugleich könnte sie verneint werden, wenn man die Dauerhaftigkeit der Zahlungslücke in den Vordergrund rückt. Entscheidend muss sein, was sowohl RegE als auch der BGH erwähnen, ob in diesen Fällen die Eröffnung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens für die Gläubiger (und sonstigen Stakeholder) vorteilhaft ist. Auch wenn ein Schuldner dauerhaft unfähig ist, einen Gläubiger zu befriedigen, kann es angemessen sein, diesen Gläubiger auf die Einzelzwangsvollstreckung zu verweisen.344 Schuldner, die eine dauerhafte Liquiditätslücke aufweisen, sind mindestens Sanierungsfälle.345 Letztlich ist zu entscheiden, ob eine dauerhafte, geringfügige Liquiditätslücke ein Zeichen für ein insolvenzreifes Unternehmen ist, sodass eine Zahlungsunfähigkeit zu bejahen ist, die zur Antragspflicht führt, oder ob bei einer dauerhaften, geringfügigen Liquiditätslücke noch weitere Sanierungsoptionen zu erwägen sind. Für die deutliche Nähe zur Insolvenzreife spricht, dass die Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO zum Beurteilungsstichtag bereits eine Liquiditätslücke voraussetzt. Die dauerhafte, geringfügige Liquiditätslücke ist eine Fortschreibung der zum Stichtag bezogenen Unfähigkeit, fällige Verbindlichkeiten zu bedienen. Trotzdem sind mögliche Sanierungsoptionen nicht zu vernachlässigen, da auch eine vorzeitige Einleitung des Insolvenzverfahrens nicht im Interesse der Stakeholder ist. Da es sich nur um eine geringfügige Liquiditätslücke handelt, sind Sanierungen nicht von vornherein ausgeschlossen.346 Insbesondere vor dem Hintergrund der Umsetzung der RRiL sollte eine Auslegung gewählt werden, die Sanierungen etwa im Rahmen des SRR ermöglicht. Dies kann geschehen, indem geringfügige, dauerhafte Liquiditätslücke nicht als Zahlungsunfähigkeit im Sinne von § 17 InsO eingeordnet werden, sondern als drohende Zahlungsunfähigkeit, sodass der Zugang zum SRR theoretisch möglich ist (insb. wenn keine Überschuldung vorliegt). Hintergrund dieser hier bevorzugten Auslegung, die den Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit einschränkt, ist, dass im Rahmen der Umsetzung der RRiL Restrukturierungen ermöglicht werden sollen, um dadurch Insolvenzen zu vermieden. Der Anwendungsbereich der Insolvenzeröffnungsgründe ist daher, soweit dies wirtschaftlich vertretbar ist, einzuschränken, um den Anwendungsbereich für Restrukturierungen zu eröffnen. Dies ist insbesondere bei dauerhaften, geringfügigen Liquiditätslücken der Fall.347 344
Vgl. auch Mönning/Gutheil, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 17 Rn. 17 ff. Siehe Eilenberger, in: MüKo InsO, § 17 Rn. 22a – 22c. 346 Dieser Gedanke liegt wohl auch Eilenberger, in: MüKo InsO, § 17 Rn. 16 zugrunde, wenn er anführt, dass die Hinnahme von geringfügigen Liquiditätslücken ggf. die Fortführung des Unternehmens durch planmäßigen Umbau der gesamten Finanzstruktur des Schuldners im Rahmen eines Insolvenzplans unterlaufe. 347 Vgl. aber zur unzulässigen Vermeidung des Insolvenzverfahrens zum Zwecke der Sanierung Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 15a Rn. 16. 345
II. Zeitpunkt der Pflichten
115
Das heißt, dass eine Liquiditätslücke, die am Ende des 3-Wochen-Zeitraums besteht, nur dann zur Zahlungsunfähigkeit und damit zu einer Antragspflicht führt, wenn absehbar ist, dass die Lücke in den nächsten 3 Monaten nicht unter 10 % betragen wird. Beträgt die Lücke innerhalb der nächsten drei Monate348 jedoch weniger als 10 %, könnte auch eine wahrscheinliche Insolvenz im Sinne der RRiL vorliegen. Eine Zahlungsunfähigkeit liegt in diesem Fall nicht vor, wenn das Zuwarten den Gläubigern zumutbar ist.349 Diese Auslegung knüpft an das oben zitierte Urteil des BGH an und setzt die Grenze für eine geringfügige Liquiditätslücke bei 10 % an.350 Um Restrukturierungen zu fördern, ermöglicht diese Auslegung eine dauerhafte Zahlungsstockung vor dem Hintergrund, dass die Lücke nur eine geringfügige ist. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass dieses Verständnis der Eröffnungsgründe flankiert wird durch einen besonderen Gläubigerschutz, der sich in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL ergibt.351 Im Zusammenspiel mit dem antragsbewehrten Überschuldungstatbestand, welcher diese Sachverhalte ebenfalls erfassen kann, ist diese Wertung angemessen. Im Fall der dauerhaften, geringfügigen Liquiditätslücken sollte der Schuldner also von der Antragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit befreit werden und ihm sollte die Pflicht zur Prüfung und Umsetzung von Restrukturierungsmaßnahmen auferlegt werden. Die Befreiung der Schuldner von einer Antragspflicht bei dauerhaften, geringfügigen Liquiditätslücken ist nur gerechtfertigt, wenn die Schuldner zugleich verpflichtet sind, Maßnahmen zur dauerhaften Beseitigung dieser (geringfügigen) Liquiditätslücken, etwa im Rahmen des präventiven Restrukturierungsrahmens, zu prüfen. Stellt der Schuldner während der Prüfung fest, dass er die dauerhafte, geringfügige Liquiditätslücke nicht beseitigen kann, dann hat das für die Antragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit keine Auswirkungen, da eine dauerhafte, geringfügige Liquiditätslücke (nach der hier vertretenen Ansicht) nicht als Zahlungsunfähigkeit zu werten ist. In diesem Fall liegt aber eine negative Fortführungsprognose nach § 19 InsO und damit (eine Überschuldung vorausgesetzt) eine Antragspflicht nach § 15a i. V. m. § 19 InsO vor.352 Durch die Prognose der Liquidität weisen der Tatbestand der Überschuldung und die Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO Gemeinsamkeiten auf.353 Die Zahlungsunfähigkeitsprognose bezieht sich im ersten Schritt nur auf eine Frist von 3 Wochen. 348
Wohl ab Ende des 3-Wochen-Zeitraums. A. A. wohl die h. M., vgl. IDW S 11 Rz. 17; Frind, BB 2019, 2381, 2386. 350 Nach der hier vorgenommenen Auslegung ist eine Liquiditätslücke „fast vollständig“ geschlossen im Sinne des oben zitierten 3. Leitsatzes, wenn die Lücke unter 10 % beträgt. 351 Vgl. etwa B. III. 5. d) aa) (5) (a). 352 Hier zeigt sich erneut, dass der Überschuldungstatbestand mit seiner Fortbestehensprognose einen wichtigen Beitrag zum Gläubigerschutz leistet; in diese Richtung auch Frind, BB 2019, 2381, 2386, der Restrukturierung unter Fortgeltung des Überschuldungstatbestandes als dauerhafte Beseitigung der „Bugwelle“ an Schulden, welche nach dem Begriff der Zahlungsunfähigkeit zulässig ist, begreift. 353 So auch Mock, in: Uhlenbruck, InsO, § 17 Rn. 19. 349
116
B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Wie gezeigt wurde, kann es aber erforderlich sein, auch einen längeren Zeitraum von 3 (ggf. 6 Monaten) in die Prognose mit einzubeziehen. Da sich die Prognosen daher zum Teil überschneiden, erfolgt die Abgrenzung der Tatbestände anhand der Rechtsfolgen, die an bestimmte Prognoseergebnisse geknüpft sind: Ergibt die Liquiditätsprognose für die nächsten 3 bis 6 Monate nach Ablauf der 3-Wochen-Frist eine Unterdeckung von 10 % oder mehr, greift die Antragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit. Ob die Zahlungslücke innerhalb des Prognosezeitraums der Fortbestehensprognose nach § 19 InsO (nunmehr 12 Monate) vollständig geschlossen werden kann, ist unerheblich. Die Antragsfrist wegen Zahlungsunfähigkeit besteht auch in diesem Fall. Grund dafür ist, dass bereits am Beurteilungsstichtag eine Liquiditätslücke besteht, die sich in den nächsten 3 (ggf. 6) Monaten nicht zu einer geringfügigen Lücke entwickelt. In diesen Fällen ist das Unternehmen nicht als sanierungswürdig einzustufen. Davon abzugrenzen ist der Fall, dass in drei bis sechs Monaten ab Beurteilungsstichtag eine Liquiditätslücke eintritt, ohne dass bereits am Beurteilungsstichtag selbst eine solche vorliegt. Hier kommt eine Zahlungsunfähigkeit nicht in Betracht. Eine Antragspflicht aufgrund von §§ 19, 15a InsO wäre hingegen denkbar. Besteht am Beurteilungsstichtag eine Liquiditätslücke, die sich in den nächsten 3 (ggf. 6) Monaten zu einer geringfügigen Lücke entwickelt (also weniger als 10 %), kommt hingegen nach der hier vertretenen Auffassung eine Antragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit nicht in Betracht. In diesem Fall ist der Schuldner grundsätzlich als sanierungswürdig zu betrachten und im Rahmen der Fortbestehensprognose ist zu prüfen, ob sich die Lücke innerhalb des längeren Prüfungszeitraums der Fortbestehensprognose schließt bzw. ob sie durch Restrukturierungsmaßnahmen beseitigt werden kann. Aus der geschilderten Abgrenzung zwischen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung folgt auch, dass es für Geschäftsleiter von Interesse sein kann, eine Liquiditätslücke von 10 % oder mehr, deren Eintritt für einen Zeitpunkt nach dem Ablauf der 3-Wochen-Frist prognostiziert ist, auf eine geringfügige Liquiditätslücke zu verringern354, um die Antragspflicht zu beseitigen und sich Sanierungsoptionen zu erhalten. Wenn es Geschäftsleiter innerhalb der Frist zur Stellung des Insolvenzantrags nach § 15a InsO gelingt, die prognostizierte Zahlungslücke auf eine unter 10 % zu senken, also in den Bereich der Geringfügigkeit, entfällt der Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit und mit ihm die Antragspflicht.355 Eine Übersicht einiger Konstellationen, die sich aus der hier vertretenen Abgrenzung der Eröffnungsgründe ergeben, bietet die folgende Darstellung:
354
Dann liegt nach der hier vertretenen Auffassung eine „fast vollständige“ Schließung der Liquiditätslücke im Sinne des oben zitierten 3. Leitsatzes des BGH, Urt. v. 24. 5. 2005 – IX ZR 123/04 = NZI 2005, 547 vor. Wenn die Liquiditätslücke also weniger als 10 % beträgt, ist sie lediglich geringfügig und damit fast vollständig geschlossen. 355 Dies gilt natürlich nur, wenn nicht zugleich der Eröffnungsgrund der Überschuldung gegeben ist, vgl. Steffek, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 15a Rn. 70.
II. Zeitpunkt der Pflichten Höhe der Liquiditätslücke am Beurteilungsstichtag
Höhe der Liquiditätslücke am Ende des 3-WochenZeitraums
Höhe der Liquiditätslücke innerhalb einer weiteren Frist von 3 Monaten
Höhe der Liquiditätslücke nach 12 Monaten356
Höhe der Liquiditätslücke nach 24 Monaten
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117 Besteht ein Antragsrecht bzw. eine Antragspflicht am Beurteilungsstichtag?
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Zahlungsunfähigkeit (–); Drohende Zahlungsunfähigkeit (+); Überschuldung ggf.357 (+); Zahlungsunfähigkeit (–); Drohende Zahlungsunfähigkeit (–); Überschuldung (–)358; Zahlungsunfähigkeit (+); Drohende Zahlungsunfähigkeit (–); Überschuldung (–); Zahlungsunfähigkeit (+); Drohende Zahlungsunfähigkeit (–); Überschuldung ggf. (+); Zahlungsunfähigkeit (–); Drohende Zahlungsunfähigkeit (+); Überschuldung (–);
356 Besteht am Ende des Zeitraums eine Liquiditätslücke in Höhe von 0 % wird eine positive Fortbestehensprognose unterstellt. Dies ist aus Vereinfachungsgründen zulässig, da die Fortbestehensprognose im Kern eine Liquiditätsprognose ist, vgl. Karsten Schmidt, in: Karsten Schmidt, InsO, § 19 Rn. 53. 357 Abhängig von der rechnerischen Überschuldung. 358 Die positive Fortbestehensprognose kann ggf. durch eine Restrukturierung im Rahmen des präventiven Restrukturierungsrahmens erreicht werden.
118
B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Diese Auslegung der Zahlungsunfähigkeit führt zu klaren und für die Praxis handhabbaren Grenzwerten. Der Gläubigerschutz wird durch die Antragspflicht im Falle erheblicher Liquiditätslücken gewahrt. Im Fall geringfügiger Liquiditätslücken359 besteht keine Antragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit, sondern es wird im Zusammenspiel mit dem (beizubehaltenden) Überschuldungstatbestand die Prüfung von Restrukturierungen ermöglicht. Eine wahrscheinliche Insolvenz im Sinn der RRiL und damit der Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen kann dann vorliegen, wenn eine nach dem soeben dargestellten Verständnis ausgelegte Zahlungsunfähigkeit nicht vorliegt. Dies wäre im Rahmen der 2-stufigen Prüfung für die wahrscheinliche Insolvenz zu ermitteln. Bei der vorgenommenen Auslegung zeigt sich auch, dass das oftmals geforderte Abstandsgebot der wahrscheinlichen Insolvenz zur materiellen Insolvenz nicht rein zeitlich zu bestimmen ist,360 sondern auch durch qualitative Faktoren, wie etwa die Höhe der Liquiditätslücke. Das Abstandsgebot bedeutet also, dass die Tatbestände der wahrscheinlichen Insolvenz und die Eröffnungsgründe nach deutschem Recht klar voneinander abzugrenzen sind.361 Einem so verstandenen Abstandsgebot wird die hier vorgenommene Auslegung gerecht. Tritt während der Inanspruchnahme des präventiven Restrukturierungsrahmens die Zahlungsunfähigkeit ein, sollte im Sinne des Abstandsgebots der präventive Restrukturierungsrahmen beendet werden, insb. also eine Aussetzung der Suspendierung der Antragspflicht im Rahmen der Ausnahmeregelung nach Art. 7 Abs. 3 RRiL bzw. nach der Regelung des StaRUG eine Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG nach erfolgter Anzeige gemäß § 32 Abs. 3, § 42 Abs. 2 S. 2 StaRUG erfolgen.362, 363 359 Die Geringfügigkeit wird auf Grundlage des BGH, Urt. v. 24. 5. 2005 – IX ZR 123/04 = NZI 2005, 547 angenommen, wenn eine Lücke kleiner 10 % ist. Um den Gläubigerschutz mehr zu betonen, könnte auch ein geringerer Grenzwert vorgesehen werden. 360 Zu diesem Ansatz etwa Philipp/Andersch/Henn, INDat-Report 03/2019, S. 31. 361 In diese Richtung wohl auch Freitag, ZIP 2019, 541, 546; Flöther/Wilke, NZI-Beilage 2019, 80. 362 Auch der Regierungsentwurf des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) enthielt ursprünglich die Regelung, dass das Verfahren beendet wird, wenn Zahlungsunfähigkeit eintritt, vgl. § 270b Abs. 3 Nr. 1 InsO-RegE in BT Dr. 17/5712, S. 12 und 41. Nach dem geltenden § 270d Abs. 4 S. 1 InsO ist die eingetretene Zahlungsunfähigkeit lediglich anzuzeigen. Für eine Prüfung im Einzelfall Birnbreier, NZI-Beilage 2019, 35, 36. 363 Art. 7 Abs. 3 RRiL kann mit Blick auf das deutsche Recht so ausgelegt werden, dass auch eine Ausnahme für den Überschuldungstatbestand nach § 19 InsO möglich ist. Auch bei dem Überschuldungstatbestand ist ein (entscheidendes) Merkmal, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, „fällig werdende Verbindlichkeiten“ zu begleichen. Da die Überschuldung als Insolvenzeröffnungsgrund in Europa eine Ausnahme darstellt, ist anzunehmen, dass Art. 7 Abs. 3 RRiL die Überschuldung nicht ausnehmen wollte. Insbesondere der Vergleich der aktuellen Fassung von Art. 7 Abs. 3 RRiL mit der Fassung von Art. 7 Abs. 3 des Kommissionsentwurfs COM (2016) 723 final macht deutlich, dass nicht mehr die aktuelle Zahlungsunfähigkeit während der Aussetzung gemeint ist, sondern die Unfähigkeit, etwaige fällige
II. Zeitpunkt der Pflichten
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Der zahlungsunfähige Schuldner ist nicht mehr sanierungswürdig im SRR und es sind Maßnahmen zur Sicherung des Schuldnervermögens zugunsten der Gläubiger einzuleiten. h) Die Umsetzung im SanInsFoG Das StaRUG knüpft den Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen gemäß § 29 Abs. 1 StaRUG an die drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 InsO.364 Das SanInsFoG ist bemüht, den SRR nach dem StaRUG möglichst reibungslos in das bestehende System einzufügen. Dazu nimmt es Änderungen an den Insolvenzantragsgründen vor, insbesondere Änderungen zur Abgrenzung der Überschuldung nach § 19 InsO von der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO.365 Um eine Überschneidung der Eröffnungsgründe nach § 18 InsO und § 19 InsO zu reduzieren, wird der Prognosezeitraum für die Überschuldung auf 12 Monate begrenzt und der Prognosehorizont für die drohende Zahlungsunfähigkeit auf in der Regel auf 24 Monate festgelegt.366 In Ausnahmefällen kann auf einen kürzeren oder längeren Prognosezeitraum abzustellen sein.367 Innerhalb des Zeitraums von 12 Monaten ist die Fortführungsprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO von der Zahlungsunfähigkeitsprognose nach § 18 Abs. 2 InsO dadurch abzugrenzen, dass bei der insolvenzrechtlichen Fortführungsprognose Restrukturierungsbemühungen, welche mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erfolgversprechend sind, zu berücksichtigen sind, wohingegen solche Restrukturierungsbemühungen bei der Prognose der drohende Zahlungsunfähigkeit nicht zu berücksichtigen sind.368 Insoweit stimmt das SanInsFoG vollständig mit der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung überein. Grundsätzlich ist das SanInsFoG davon überzeugt, dass der antragsbewehrte Überschuldungstatbestand beizubehalten ist, da dieser die Geschäftsleiter zu einer Verbindlichkeiten zu bedienen. Wechselt während der Inanspruchnahme des präventiven Restrukturierungsrahmens die Fortbestehensprognose von positiv zu negativ, so wäre das Restrukturierungsverfahren zu beenden und ein Insolvenzantrag zu stellen. Dies erscheint angemessen, da in der Fortbestehensprognose die Sanierungschancen abgebildet sind. Besteht keine überwiegende Sanierungschance mehr, so ist ein Insolvenzverfahren einzuleiten. Ansonsten besteht die Gefahr, dass während der Aussetzung die Unternehmensleitung und die Gesellschafter auf Kosten der Gläubiger spekulieren; vgl. dazu auch H.-F. Müller, ZGR 2018, 56, 67. Der RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 145 begründet die Anzeigepflicht des Schuldners bei Überschuldung damit, dass die Fortbestehensprognose im Kern eine Bestandsfähigkeitsprüfung im Sinne von Art. 4 Abs. 2 RRiL darstellt. Bei negativer Fortbestehensprognose und damit einhergehender fehlender Bestandsfähigkeit liegen die Voraussetzungen für die Restrukturierung nicht mehr vor. 364 Vgl. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 90, 132, 137. 365 RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 91, 94. 366 Dazu RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 91, 94, 196 f. 367 RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 196 f. 368 RefE SanInsFoG, S. 212; RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 91.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
wirtschaftlichen Selbstprüfung anhält, die der Krisenabwehr dient.369 Zudem markiere der Zeitpunkt der Eintritt der Überschuldung eine hinreichend schwere Gläubigergefährdung, an welche kollektiv wirkende Maßnahmen, wie ein Insolvenzverfahren, geknüpft sein sollten.370 Um Restrukturierungen zu fördern, wird durch das SanInsFoG die Antragsfrist bei Überschuldung auf sechs Wochen verlängert.371 Zugleich wird durch den neuen § 15b Abs. 2 S. 2 InsO angeordnet, dass das Zahlungsverbot nach § 15b Abs. 1 S. 1 InsO nicht verhindert, dass die Unternehmensleiter während der verlängerten Antragsfrist Maßnahmen zur Beseitigung der Überschuldung prüfen und vorbereiten.372 Auch die Möglichkeit, den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen im ersten Schritt auf der Grundlage eines Grobkonzeptes nutzen zu können, wie § 31 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG es vorsieht, wirkt restrukturierungsfördernd. Dieser Ansatz, den Überschuldungstatbestand aufgrund der damit einhergehenden Selbstprüfungspflichten beizubehalten und gleichzeitig seine unzweckmäßigen Wirkungen zu begrenzen, ist zu begrüßen. Ob der Zugang zum Restrukturierungsrahmen bei Überschuldung tatsächlich verwehrt ist, könnte aufgrund der kodifizierten Zugangs- und Aufhebungsvoraussetzungen des StaRUG – trotz der Äußerungen im RegE SanInsFoG – bezweifelt werden. Eine ausdrückliche Regelung enthält das StaRUG dazu nicht. Nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG soll eine Restrukturierungssache aufgehoben werden können, wenn der Schuldner den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung anzeigt. Nach Hs. 2 der Norm kann das Gericht jedoch von einer Aufhebung absehen, wenn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit Blick auf den erreichten Stand der Restrukturierungssache offensichtlich nicht im Interesse der Gläubiger liegen würde. Es erscheint daher denkbar, dass ein Schuldner trotz bestehender Überschuldung nach § 19 InsO eine Restrukturierungssache anhängig macht und das Gericht die Restrukturierungssache in bestimmten, angemessenen Fällen letztlich nicht aufhebt. Man könnte hingegen auch argumentieren, dass § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG nur Fälle erfassen soll, in denen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit erst nach Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache eintreten.373 Dafür spricht zum einen die klare Wertung der RRiL, dass der präventive Restrukturierungsrahmen nicht bei materieller Insolvenz in Anspruch genommen werden soll sowie Gesichtspunkte des Gläubigerschutzes. Bei Eintritt der genannten Insolvenzgründe besteht ein Bedürfnis für ein Kollektivverfahren nach der Insolvenzordnung. Thole374 weist darauf hin, dass § 51 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG (bzw. § 55 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG-RefE) als Voraussetzung für den Erlass einer Stabilisierungsanordnung nur nennt, dass der Schuldner „noch 369 370 371 372 373 374
Vgl. RefE SanInsFoG, S. 211 f.; RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 196 f. Vgl. RefE SanInsFoG, S. 212; RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 196 f. Dazu RefE SanInsFoG, S. 210 f.; RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 193 f. Dazu RefE SanInsFoG, S. 210; RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 194. Vgl. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 162. Thole, ZIP 2020, 1985, 1992.
II. Zeitpunkt der Pflichten
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nicht drohend zahlungsunfähig“ ist, der Antrag also zu früh komme, ohne dass der zu späte Antrag geregelt sei. Eine ähnliche Fragestellung gibt es bei § 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG, der davon spricht, dass die Bestätigung eines Restrukturierungsplanes zu versagen ist, „wenn der Schuldner nicht drohend zahlungsunfähig ist“. Ob hier ebenfalls „noch nicht“375 gemeint ist, ist offen.376 § 29 Abs. 1 StaRUG besagt, dass die Instrumente des SRR zur nachhaltigen Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 18 Abs. 2 InsO in Anspruch genommen werden können. Man könnte argumentieren, dass im Umkehrschluss die Instrumente nicht zur Beseitigung einer Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit in Anspruch genommen werden können soll. Die Begründung des RegE SanInsFoG, BT Dr. S. 132 zu § 31 StaRUG RegE (jetzt § 29 StaRUG) nennt als Voraussetzung für die Anwendung der Verfahrenshilfen des SRR nur die „drohende, aber nicht nicht eingetretene Zahlungsunfähigkeit“. Eine Inanspruchnahme des SRR bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit scheidet damit aus. Zur Überschuldung äußert sich die Begründung des RegE an dieser Stelle hingegen nicht. Aus § 29 Abs. 1 StaRUG lässt sich daher nicht ableiten, dass überschuldete Unternehmen keinen Zugang zum SRR haben sollen. Diejenigen Unternehmen, bei denen zwar eine Zahlungsunfähigkeit innerhalb der nächsten 12 Monate droht, können den SRR unter bestimmten Umständen dennoch nutzen, nämlich dann, wenn sich diese zukünftige Zahlungsunfähigkeit mit den Instrumenten des SRR mit überwiegender Wahrscheinlichkeit beheben lässt und somit mangels negativer Fortbestehensprognose keine Überschuldung im Sinne von § 19 InsO vorliegt. In diesen Fällen wäre weder eine Anzeige nach § 32 Abs. 3 StaRUG erforderlich, noch kommt das Gericht überhaupt in die Situation, über eine Aufhebung der Restrukturierungssache zu entscheiden, solange die positive Fortbestehensprognose besteht. Unternehmen, die auch unter Berücksichtigung der Möglichkeiten des SRR keine positive Fortbestehensprognose begründen können, sollen hingegen keinen Zugang zum SRR haben.377 Machen solche Unternehmen eine Restrukturierungssache anhängig, müsste sofort eine Anzeige nach § 32 Abs. 3 StaRUG erfolgen und die Restrukturierungssache wäre durch das Gericht aufzuheben. § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG würde folglich auch den Fall erfassen, dass die Überschuldung bereits vor Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache vorlag, sodass dann regelmäßig eine Aufhebung der Restrukturierungssache erfolgen kann.378 § 51 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG würde ausschließlich den Fall betreffen, dass die zukünftige Zahlungsunfähigkeit außerhalb des Zeitraums gemäß § 18 Abs. 2 InsO 375
Thole, ZIP 2020, 1985, 1992. Ggf. könnte auch gemeint sein, dass der Schuldner „nicht mehr“ oder „nicht ausschließlich“ drohend zahlungsunfähig ist, weil er bereits (zusätzlich) überschuldet ist im Sinne von § 19 InsO. 377 Vgl. auch RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 90. 378 So i. E. auch Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 9. 376
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
liegt. § 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG wäre so zu verstehen, dass der Schuldner nicht drohend zahlungsunfähig ist, weil die drohende Zahlungsunfähigkeit noch nicht vorliegt. Liegt bereits eine Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO vor oder eine Überschuldung nach § 19 InsO, dann muss das Gericht die Restrukturierungssache in der Regel aufheben. Die gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans kann dann nicht mehr erfolgen. Tritt der Sonderfall des § 33 Abs. 2 Nr. 1 Hs. 2 StaRUG ein, wäre das Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung aufgrund der gerichtlichen Entscheidung unschädlich. Diese Auslegung entspricht der oben dargestellten zwei-stufigen Prüfung der wahrscheinlichen Insolvenz im Sinne der RRiL, da im ersten Schritt jedenfalls die drohende Zahlungsunfähigkeit vorzuliegen hat (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG „noch nicht drohend zahlungsunfähig“). Eine Überschuldung darf hingegen in der Regel nicht vorliegen, sonst erfolgt die Aufhebung der Restrukturierungssache (Ausnahmen können sich aus § 32 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG ergeben). Bei der Prüfung der Überschuldung sind sowohl vor Anhängigkeit der Restrukturierungssache als auch danach die Effekte des SRR bei der Fortbestehensprognose zu berücksichtigen sind. Für den Fall, dass die zukünftige Zahlungsunfähigkeit erst in 12 bis 24 Monaten eintritt, sichert die Anzeigepflicht nach § 32 Abs. 4 StaRUG i. V. m. der Pflicht zur Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 32 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG ein ähnliches Ergebnis und zwar unabhängig davon, ob es sich bei dem Schuldner um einen haftungsbeschränkten Unternehmensträger handelt. Nach § 32 Abs. 4 StaRUG muss der Schuldner dem Gericht anzeigen, wenn das Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung hat. Dies kann unter anderem der Fall sein, wenn die drohende Zahlungsunfähigkeit nicht durch Sanierungsbeiträge abgewendet werden kann. Im Kern hat hier also auch eine Bestandsfähigkeitsprüfung bzw. die Erstellung einer Fortbestehensprognose unter Berücksichtigung der Sanierungsmöglichkeiten zu erfolgen. 3. Zwischenergebnis Der deutsche Gesetzgeber muss bei der Bestimmung der wahrscheinlichen Insolvenz die europarechtlichen Rahmenbedingungen beachten. Dazu zählen insbesondere, dass die Insolvenz bislang noch nicht eingetreten sein darf. Was unter Insolvenz zu verstehen ist, bleibt jedoch dem deutschen Gesetzgeber vorbehalten. Außerdem muss der Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen einen hinreichenden Bezug zu einer zukünftigen Insolvenz haben, um Missbrauch vorzubeugen und den Eingriff in die Rechte der Beteiligten zu rechtfertigen. Innerhalb des dem nationalen Gesetzgeber eingeräumten Spielraums kann er diese Aspekte gewichten und eine Lösung finden, die sich in das deutsche Insolvenzrecht integrieren lässt.
II. Zeitpunkt der Pflichten
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Für einen frühzeitigen Eintritt in den präventiven Restrukturierungsrahmen spricht insbesondere, dass Unternehmen in einem frühen Krisenstadium (etwa Produkt- und Absatzkrise) noch ausreichende Mittel zur Verfügung stehen, um eine erfolgreiche Krisenbewältigung umzusetzen. Ein zu später Zugang würde einen Großteil der erfolgversprechenden Restrukturierungen verhindern und damit dem Zweck der RRiL nicht gerecht. Zugleich muss der Begriff der wahrscheinlichen Insolvenz ernst genommen werden. Einem Missbrauch des präventiven Restrukturierungsrahmens kann nur wirksam vorgebeugt werden, wenn der Schuldner eine mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eintretende zukünftige Insolvenz auf betriebswirtschaftlicher Grundlage begründen kann. Ein angemessener Ausgleich zwischen diesen Interessen liegt darin, den Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen an die Prognose der Fähigkeit zu knüpfen, bestehende und künftige Verbindlichkeiten zu begleichen. Die Motivation der Gläubiger, sich auf Verhandlungen mit dem Schuldner einzulassen, wird auch erst dann vorliegen, wenn ein konkreter Ausfall ihrer Forderungen droht. Das StaRUG knüpft den Zugang an die drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 InsO und legt damit einen regelmäßigen Prognosehorizont von 24 Monaten zugrunde. Dem Schuldner ist hinsichtlich des Prognosehorizonts ein möglichst weiter Spielraum einzuräumen, um frühzeitige Restrukturierungen zu ermöglichen, sodass der Prognosehorizont im Ausnahmefall bis zu 5 Jahren betragen können sollte, wie es im Rahmen der Fortführungsfähigkeitsprüfung nach IDW S 6 geschieht. Der Prognosehorizont hängt im Einzelfall von der Situation des Schuldners ab. Der Prognosehorizont für den Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen und im Rahmen der Pflichten nach Art. 19 RRiL muss nicht zwingend gleich angelegt sein. Im Rahmen der Umsetzung der RRiL durch das SanInsFoG scheint der Gesetzgeber aber von einem einheitlichen Begriff der wahrscheinlichen Insolvenz im Sinne der RRiL auszugehen. Die wahrscheinliche Insolvenz ist stets als drohende Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 Abs. 2 InsO zu verstehen. §§ 2 und 3 StaRUGRegE knüpften bestimmte Geschäftsleiterpflichten noch ausdrücklich an die drohende Zahlungsunfähigkeit an. Zwar wurden diese Vorschriften gestrichen. Eine möglicherweise entstehende Verkürzung des Gläubigerschutzes durch die Streichung dieser Vorschriften sowie durch die Begrenzung des Überschuldungstatbestandes auf 12 Monate soll nach dem Verständnis des Gesetzgebers durch gesellschaftsrechtliche Vorschriften aufgefangen werden.379 Um die Verkürzung zu kompensieren, muss der Schutz der Gläubiger durch gesellschaftsrechtliche Vorschriften folglich ebenfalls an die drohende Zahlungsunfähigkeit anknüpfen. Für die Pflichten nach Art. 19 RRiL hat der deutsche Gesetzgeber in seiner Umsetzung nach der hier vertretenen Auffassung also ebenfalls an die drohende Zahlungsunfähigkeit angeknüpft. Dieser Zeitpunkt ist angemessen. Durch die Prognose der drohenden Zahlungsunfähigkeit wird der verantwortlichen Unternehmensleitung kein unverhältnismäßiger Aufwand auferlegt. Von jedem redlichen 379
BT Dr. 19/25353, S. 6.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Unternehmensleiter kann verlangt werden, dass die Fähigkeit, die eigenen Verbindlichkeiten zu erfüllen, fortlaufend beobachtet und für die Zukunft prognostiziert wird. Für den Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen ist die wahrscheinliche Insolvenz im Sinn der RRiL in 2 Schritten zu ermitteln: Erstens ist zu fragen, ob mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in Zukunft die bestehenden und noch entstehenden fälligen Verbindlichkeiten beglichen werden können. Zweitens, ob bereits am Beurteilungsstichtag der Tatbestand eines antragspflichtigen Eröffnungsgrundes erfüllt ist. Zur Beantwortung der zweiten Stufe ist festzuhalten, dass der Überschuldungstatbestand beizubehalten ist. Bei der erforderlichen Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO sind die Effekte einer Restrukturierung zu berücksichtigen, sodass sich diese Prognose von derjenigen, die auf Stufe 1 der Prüfung der wahrscheinlichen Insolvenz vorzunehmen ist, unterscheidet. Die Begrenzung des Prognosezeitraums und die Ausdehnung der Antragspflicht bei Überschuldung sind insoweit zu begrüßen, dass sie die restrukturierungshindernde Wirkung des Überschuldungstatbestandes verringern. Zugleich ist aber zu berücksichtigen, dass die dadurch entstehenden Lücken durch eine entsprechende Auslegung gesellschaftsrechtlicher Vorschriften, insbesondere mit Blick auf Art. 19 RRiL, geschlossen werden müssen. Eine Antragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit sollte im Fall von lediglich geringfügigen Liquiditätslücken nicht bestehen, sodass in diesen Fällen der Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen möglich ist. 4. Exkurs: Beteiligung der Gerichte am präventiven Restrukturierungsrahmen Die Beteiligung der Gerichte am präventiven Restrukturierungsrahmen soll nach der RRiL auf das erforderliche und angemessene Maß beschränkt werden.380 Zwar kann der präventive Restrukturierungsrahmen gemäß Art. 4 Abs. 5 UAbs. 1 RRiL sowohl aus gerichtlichen als auch außergerichtlichen Teilen bestehen. In Art. 4 Abs. 7 RRiL ist aber geregelt, dass der präventive Restrukturierungsrahmen (nur) auf Antrag zur Verfügung steht. Dies ist insbesondere der Fall bei der Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragen nach Art. 5 Abs. 3 lit. c RRiL, der Gewährung eines Moratoriums nach Art. 6 RRiL und seiner Folgen nach Art. 7 RRiL, der Bestätigung eines Restrukturierungsplans nach Art. 10 RRiL und ggf. dem Schutz von Finanzierungen und sonstigen Transkationen im Zusammenhang mit dem Restrukturierungsplan. Bei wesentlichen Bestandteilen des präventiven Restrukturierungsrahmens ist somit eine Beteiligung von Gerichten zwingend erforderlich oder kann zumindest vorgesehen werden.381 380
EWG 29 der RRiL. Vgl. Freitag, ZIP 2019, 541, 545; allgem. zur Rolle der Gerichte auch Vallender, NZIBeilage 2019, 71. 381
II. Zeitpunkt der Pflichten
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a) Vergleichsverfahrensmodell vs. Vertragshilfemodell Für die Einführung des präventiven Restrukturierungsrahmens werden verschiedene Ansätze vorgeschlagen, welche auf einen Beitrag von Madaus zurückgehen. 382 Es wird unterschieden zwischen dem sog. Vergleichsverfahrensmodell und dem sog. Vertragshilfemodell. Beide Modelle haben gemeinsam, dass sie von einer Verhandlungsphase und einer Phase der Bestätigung des verhandelten Restrukturierungsplans ausgehen. aa) Vergleichsverfahrensmodell Das Vergleichsmodell orientiert sich an dem früheren deutschen Vergleichsverfahren nach der Vergleichsordnung. Im Vergleichsverfahrensmodell wird der präventive Restrukturierungsrahmen in einem gerichtlichen Verfahren umgesetzt. Der Schuldner stellt in der Verhandlungsphase einen Antrag auf Eröffnung des Verfahrens. Wird das Verfahren eröffnet, treten mit Eröffnung auch die Wirkungen des präventiven Restrukturierungsrahmens kollektiv ein (bspw. Verbot von Vollstreckungsmaßnahmen, insolvenzbezogenen Kündigungen und der Ausübung von Zurückbehaltungsrechten, welche gegenüber allen Gläubigern allein aufgrund der Eröffnung des Restrukturierungsverfahrens wirken). Einzelne Gläubiger könnten beantragen, dass sie von diesen kollektiven Wirkungen ausgenommen werden. Begehrt der Schuldner nach Abschluss der Verhandlungsphase die Bestätigung eines Restrukturierungsplanes kann er einen entsprechenden Antrag an das Gericht stellen. Kommt es nicht zum Abschluss eines Restrukturierungsplanes ist das Verfahren zu beenden und ggf. ein Insolvenzverfahren einzuleiten. bb) Vertragshilfemodell Im Vertragshilfemodell383 gibt es hingegen kein einheitliches, gerichtliches Verfahren, an dessen Eröffnung Maßnahmen mit kollektiver Wirkung geknüpft sind. Vielmehr kann der Schuldner gezielt einzelne Maßnahmen, die ihn bei der Verhandlung mit Gläubigern unterstützen, bei dem Gericht beantragen (bspw. Aussetzung von Einzelvollstreckungen, Unwirksamkeit von Kündigung, Einsetzung eines Restrukturierungsbeauftragten als Mediator). Er muss dann für die jeweilige Maßnahme den Nachweis der wahrscheinlichen Insolvenz beibringen. Auch die Planbestätigung wirkt nicht kollektiv, sondern nur bezgl. der beteiligten Gläubiger. Ist eine Bestätigung des Restrukturierungsplanes erforderlich (etwa wegen der Beein382 Die folgende Darstellung beruht im Wesentlichen auf Madaus, DB 2019, 592; dazu Friedemann/Scholtis, BB 2019, 2051; Frind, BB 2019, 2381, 2387; siehe auch Freitag, ZIP 2019, 541, 545 f. 383 Madaus, DB 2019, 592, 594 legt einen weiten Begriff der Vertragshilfe zugrunde, um zu beschreiben, dass der Restrukturierungsplan mit optionaler Unterstützung des Gerichts zustande kommen kann; zu dem klassischen Begriff der Vertragshilfe siehe etwa Finkenauer, in: MüKo BGB, § 313 Rn. 140 ff.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
trächtigung ablehnender Beteiligter oder zum Schutz neuer Finanzierungen), legt der Schuldner dem Gericht den angenommenen Plan vor. Die Rolle des Gerichts beschränkt sich darauf, zu überprüfen, ob der Plan ordnungsgemäß zustande gekommen ist und der Minderheitenschutz verwirklicht ist. Eine zusätzliche Prüfung der wahrscheinlichen Insolvenz im Sinne einer Sanierungsfähigkeit und -würdigkeit würde bereits durch die Zustimmung der Gläubiger zum Plan gewährleistet. Daher sind hohe Mehrheitserfordernisse erforderlich. Nach einem Vorschlag von Madaus384 könnte die Umsetzung des Vertragshilfemodells durch Regelungen an verschiedenen Stellen erfolgen, je nachdem um welche Maßnahme es sich handelt. So könnte bspw. ein Vollstreckungsstopp in der ZPO geregelt werden und die Unwirksamkeit von Lösungsklauseln und Zurückbehaltungsrechten in der InsO. cc) Die Umsetzung durch das StaRUG Das StaRUG folgt einem Vertragshilfemodell (Stichwort: SRR als modulares Verfahren).385 Der sanierungswillige Schuldner kann die einzelnen Elemente nach einer Anzeige gemäß § 31 StaRUG je nach Bedarf und unabhängig voneinander in Anspruch nehmen. Diese Entscheidung des Gesetzgebers ist zu begrüßen. Die Ausgestaltung des SRR knüpft an das in der Praxis übliche Vorgehen an, eine außergerichtliche Lösung mit den Beteiligten zu finden und die Werkzeuge des SRR mildern die Schwächen dieser rein außergerichtlichen Verhandlungen ab.386 Dabei ist zu bedenken, dass schon die Möglichkeit der Inanspruchnahme des präventiven Restrukturierungsrahmens eine verhaltenssteuernde und restrukturierungsfördernde Wirkung haben dürfte. In der Verhandlungsphase entfaltet des Vertragshilfemodell seine Anreizwirkung optimal, wenn es gar nicht erst zu einer Inanspruchnahme des präventiven Restrukturierungsrahmens durch den Schuldner kommt. Ist es erforderlich, kann sich der Schuldner passgenau der jeweiligen Werkzeuge bedienen, welche zur Lösung des konkreten Problems während der Restrukturierungsverhandlungen erforderlich sind. Der SRR bleibt neben der Eigenverwaltung mit ihren zum Teil kollektiv wirkenden Maßnahmen bestehen ergänzt damit die Möglichkeiten zur Sanierung sinnvoll.387 Durch die Umsetzung des präventiven Restrukturierungsrahmen als Vertragshilfeverfahren können im Idealfall Restrukturierungen ohne den Aufwand der Inanspruchnahme von Gerichten gefördert werden. Dies könnte gerade KMUs zu Gute kommen. Die Anreize können ihre Wirkung dann voll entfalten, wenn alle Beteiligten über die Werkzeuge des präventiven Restrukturierungsrahmens gut informiert sind, was die Bedeutung von Checklisten und Leitlinien für Restrukturierungen, wie sie etwa in Art. 8 Abs. 2 RRiL vorgesehen sind, hervorhebt. In der Bestätigungsphase entlastet das Vertragshilfemodell die Gerichte von der umfassenden Prüfung des Sanierungskonzepts (vgl. dazu § 63 Abs. 1 Nr. 3 und 384 385 386 387
Madaus, DB 2019, 592, 595. Vgl. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 89. So auch Fritz/Scholtis, BB 2019, 2051, 2052. Madaus, DB 2019, 592, 595 ff.
II. Zeitpunkt der Pflichten
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Abs. 2 StaRUG) und überträgt die Entscheidung über die Tragfähigkeit der Restrukturierung im Wesentlichen den Beteiligten.388 Das Vergleichsverfahrensmodell hätte sich mit seinen kollektiven Wirkungen zumindest teilweise mit der Eigenverwaltung und dem Schutzschirmverfahren nach §§ 270d InsO überschneiden können, sodass hier eine Abstimmung der Verfahren erforderlich gewesen wäre. Im Vergleichsverfahrensmodell wäre zudem eine unnötige Beteiligung der Gerichte erfolgt, um kollektive Wirkungen des präventiven Restrukturierungsrahmens herzustellen, die im konkreten Einzelfall gar nicht erforderlich sind. Das Vergleichsverfahrensmodell wäre damit über die auf das erforderliche und angemessene Maß beschränkte Beteiligung der Gerichte hinausgegangen, wie sie in EWG 29 vorgesehen ist. Scheitert die Sanierung im Rahmen des SRR, besteht (theoretisch) für die Geschäftsleitung noch die Möglichkeit eine Sanierung im Insolvenzverfahren zu versuchen. Liegen die Voraussetzungen des §§ 270 InsO vor, so kann das Insolvenzverfahren auch in Eigenverwaltung durchgeführt werden. Der Missbrauch des Schutzschirmverfahrens durch mehrfache, aufeinanderfolgende Sanierungsversuche muss verhindert werden. Dazu tragen die neu gefassten Zugangsvoraussetzungen von § 270a InsO bei. b) Bescheinigungen im Sinne von § 270d Abs. 1 S. 1 InsO im StaRUG Wenn ein Gericht die Eintrittsvoraussetzungen in den präventiven Restrukturierungsrahmen prüfen muss, stellt sich die Frage, ob eine Bescheinigung entsprechend § 270b Abs. 1 S. 3 InsO a. F. (Neuregelung in § 270d InsO) durch den Antragsteller vorgelegt werden darf. Durch eine solche Bescheinigung kann dem Gericht ein Teil der seiner Prüfung abgenommen werden. Die Frage wird hier vor dem Hintergrund der Umsetzung des präventiven Restrukturierungsrahmen als Vertragshilfemodell behandelt und betrifft daher insb. die Inanspruchnahme von Maßnahmen in der Verhandlungsphase, da in der Bestätigungsphase die gerichtliche Prüfung der wahrscheinlichen Insolvenz aufgrund der mehrheitlichen Annahme des Restrukturierungsplan durch die Beteiligten in den Hintergrund tritt.389 Dennoch ist auch das Restrukturierungsgericht nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG verpflichtet, von Amts wegen die drohende Zahlungsunfähigkeit zu prüfen, wenn die gerichtliche Bestätigung eines Restrukturierungsplans beantragt ist.390 Dabei wird sich das Restrukturierungsgericht maßgeblich auf die Stellungnahme des Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 76 Abs. 4 S. 1 StaRUG zu der Erklärung des Schuldner nach § 14 Abs. 1 StaRUG verlassen. 388
Gegen eine Übertragung dieser betriebswirtschaftlichen Prüfung auf die Gerichte auch Thole, NZI-Beilage 2019, 61, 63; gegen eine grundsätzliche Beteiligung des Gerichts Brinkmann, Festschrift Karsten Schmidt, 2019, S. 153, 160 f. 389 Vgl. Madaus, BB 2019, 592, 595. 390 Vgl. dazu etwa AG Köln, ZIP 2021, 806.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Nach § 270b Abs. 1 S. 3 InsO a. F. hatte der Schuldner im Rahmen des sog. Schutzschirmverfahrens „eine mit Gründen versehene Bescheinigung eines in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers oder Rechtsanwalts oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation vorzulegen, aus der sich ergibt, dass drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, aber keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt und die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist“.
Das Gericht bestimmte nach § 270b Abs. 1 S. 1 InsO a. F. eine Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans und konnte nach § 270b Abs. 2 S. 3 InsO a. F. i. V. m. § 21 Abs. 1 und 2 S. 1 Nummer 1a, 3 bis 5 InsO vorläufige Maßnahmen anordnen, insbesondere die Untersagung und einstweilige Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 InsO. Die Situation bei dem sog. Schutzschirmverfahren ist damit vergleichbar mit der Beantragung eines Moratoriums nach Art. 6 RRiL bzw. einer Stabilisierungsanordnung nach § 49 StaRUG. Es wäre daher zu überlegen gewesen, ob eine § 270b Abs. 1 S. 3 InsO a. F. vergleichbare Bescheinigung auch für Maßnahmen des präventiven Restrukturierungsrahmens, etwa in der Verhandlungsphase der Restrukturierung für einen Antrag auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung (§ 49 f. StaRUG) zweckmäßig wäre. Das StaRUG sieht eine entsprechende Bescheinigung nicht vor. Dem Antrag auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung sind nach § 49 StaRUG bestimmte Unterlagen und Erklärungen beizufügen, wie der Entwurf eines Restrukturierungskonzepts oder -plans und ein Finanzplan über 6 Monate. Das Gericht prüft vor Erlass der Anordnung selbst, ob der vorgelegte Restrukturierungsplan schlüssig ist, wobei sich die Prüfung auf offensichtliche Mängel beschränkt (§ 51 Abs. 1 UAbs. 2 StaRUG). Zudem wird geprüft, ob die Planung auf unzutreffenden Tatsachen beruht, die Restrukturierung aussichtslos ist, der Schuldner noch nicht drohend zahlungsunfähig ist oder die beantragte Anordnung nicht erforderlich ist, um das Restrukturierungsziel zu verwirklichen (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 StaRUG). Das Gericht kann einen Restrukturierungsbeauftragten bestellen, um die entsprechenden Prüfungen als Sachverständiger vorzunehmen (§ 73 Abs. 3 StaRUG). Eine Bescheinigung in dem vorgenannten Sinne ist im StaRUG gemäß § 74 Abs. 2 S. 2 StaRUG nur insoweit relevant, dass sie das Gericht an einen Vorschlag des Schuldners hinsichtlich des Restrukturierungsbeauftragten bindet, wenn die Bescheinigung ergibt, dass der Schuldner die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 und 2 StaRUG erfüllt. Die Rolle des Restrukturierungsbeauftragten ist von erheblicher Bedeutung für das Restrukturierungsverfahren, sodass ein bindendes Vorschlagsrecht durchaus kritisch zu sehen ist. Dass sich das Gericht durch den Restrukturierungsbeauftragten als Sachverständigen eines externen, ökonomischen Sachverstandes bedienen kann, soweit es dies für erforderlich hält und sich so Entlastung verschaffen kann, ist grundsätzlich zu begrüßen. Zugleich wird das mögliche Risiko von Gefälligkeitsbescheinigungen als Zugangsvoraussetzung für den SRR reduziert. Eine gewisse Nähe des Restruk-
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turierungsbeauftragten zum Schuldner ist in der Gestaltung des StaRUG dennoch angelegt, was die besondere Bedeutung der Unparteilichkeit des Amtes des Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 75 Abs. 4 S. 2 StaRUG für die Praxis in den Vordergrund rückt. c) Prüfungsprogramm Das Zusammenspiel aus Aufhebungsgründen nach § 33 StaRUG (flankiert durch die Anzeigepflichten des Schuldners nach § 32 StaRUG) und den jeweiligen Voraussetzungen der einzelnen Verfahrenshilfen zwingt das Gericht stets eine Prüfung der wahrscheinlichen Insolvenz im Sinne der RRiL vorzunehmen, nämlich ob schon drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt und noch keine materielle Insolvenz eingetreten ist. Dafür ist es auf die vom Schuldner beigebrachten Unterlagen und Erklärungen verwiesen, auf die in Folge der Anzeigepflicht erhaltenen Informationen sowie auf die Unterstützung durch den Restrukturierungsbeauftragten. Eine Prüfung des Restrukturierungskonzepts erfolgt nur beschränkt. Insbesondere auf Schlüssigkeit (§ 51 Abs. 1 UAbs. 2 StaRUG, § 63 Abs. 2 StaRUG) oder offensichtliche Untauglichkeit (§ 63 Abs. 1 S. 3 StaRUG) oder von vornherein bestehende Aussichtslosigkeit (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) sowie darauf, ob es von unzutreffenden Tatsachen ausgeht (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG). Nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG prüft das Gericht die Vorschriften über den Inhalt des Plans. Dies umfasst auch die nach § 14 Abs. 1 StaRUG erforderlich Erklärung zu den Aussichten, durch den Plan die drohende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen und die Bestandsfähigkeit des Schuldners wieder herzustellen.391 Dafür spielt die Stellungnahme des Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 76 Abs. 4 S. 1 StaRUG zu der Erklärung des Schuldner nach § 14 Abs. 1 StaRUG eine besondere Rolle. Von einer eigenständigen Prüfung der Zweckmäßigkeit soll das Gericht berechtigterweise freigehalten werden. Der Restrukturierungsplan erhält seine Legitimation im Ausgangspunkt durch die mehrheitliche Zustimmung der Planbetroffenen. Das Gericht soll Verfahrensvorschriften kontrollieren (§ 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) sowie einen Missbrauch verhindern, insbesondere indem die Zugangsvoraussetzungen der drohenden Zahlungsunfähigkeit geprüft wird (§ 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG, § 51 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG). Dass die Gerichte möglichst wenig mit der Prüfung der Erfolgsaussichten der Restrukturierung befasst werden, entspricht auch dem Ansatz bei der Bestätigung eines Insolvenzplans nach den §§ 248 ff. InsO. Im Rahmen der Aufhebung einer Restrukturierungssache muss das Gericht jedoch auch die Erfolgsaussichten der geplanten Restrukturierung beurteilen, um entscheiden zu können, ob eine Insolvenzreife, etwa wegen Überschuldung nach § 19 InsO mangels positiver Fortbestehensprognose, besteht (§ 33 Abs. 2 Nr. 1 391
Dazu RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 162.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
StaRUG) oder das angezeigte Restrukturierungsvorhanden keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 33 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG). Letzteres stellt im Kern ebenfalls eine Fortbestehensprognose unter Berücksichtigung der Sanierungseffekte dar, die das Gericht vornehmen muss.392
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL In dem Bewusstsein der rechtsformunabhängigen Geltung von Art. 19 RRiL beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen auf die in der Praxis besonders relevanten Unternehmensträger AG, GmbH, Personenhandelsgesellschaften und den Einzelkaufmann. Aufgrund der erhöhten Praxisrelevanz und den Besonderheiten, welche mit der Organisationsverfassung der GmbH mit Blick auf Art. 19 RRiL einhergehen, liegt der Schwerpunkt der Ausführung auf der GmbH. 1. Art. 19 RRiL als Mindestprogramm Die Pflichten der Unternehmensleitung sind in der RRiL in einem eigenen Kapitel 5 geregelt. Dieses Kapitel enthält wiederum nur den Art. 19 RRiL, der mit „Pflichten der Unternehmensleitung bei einer wahrscheinlichen Insolvenz“ überschrieben ist. Art. 19 RRiL formuliert, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen sollen, „dass die Unternehmensleitung bei einer wahrscheinlichen Insolvenz mindestens Folgendes gebührend berücksichtigt: a) die Interessen der Gläubiger, Anteilsinhaber und sonstigen Interessenträger, b) die Notwendigkeit, Schritte einzuleiten, um eine Insolvenz abzuwenden, und c) die Notwendigkeit, vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten zu vermeiden, das die Bestandsfähigkeit des Unternehmens gefährdet.“
Diese Norm ist zusammen mit den Erwägungsgründen 70 und 71 der RRiL zu lesen. In EWG 70 wird deutlich, dass die RRiL den Spielraum der Geschäftsleiter betroffener Schuldner durch den Pflichtkatalog nicht zu sehr einschränken wollte. Hier heißt es: „Um die präventive Restrukturierung weiter zu fördern, muss gewährleistet sein, dass Unternehmensleitungen nicht davon abgehalten werden, vertretbare Geschäftsentscheidungen zu treffen oder vertretbare wirtschaftliche Risiken einzugehen, vor allem wenn dies die Aussichten auf eine Restrukturierung potenziell bestandsfähiger Unternehmen verbessert.“
392 Vgl. zur Ähnlichkeit von Fortbestehensprognose und Bestandsfähigkeitsprüfung auch RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 145.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Der Geschäftsleitung soll auch in Krisensituationen nicht das Heft des Handelns aus der Hand genommen werden, indem detaillierte Vorgaben für bestimmte Pflichten gemacht werden. Vielmehr soll die Geschäftsleitung weiterhin im Rahmen ihres unternehmerischen Ermessens tätig sein. Dies ergibt sich auch aus einem Vergleich mit dem Kommissionsvorschlag aus dem Jahr 2016. Dieser formulierte im damaligen Art. 18 schärfer: „Die Mitgliedstaaten erlassen Vorschriften, um sicherzustellen, dass die Unternehmensleitung bei einer drohenden Insolvenz verpflichtet ist, a) sofort Schritte einzuleiten, um die Verluste für Gläubiger, Arbeitnehmer, Anteilseigner und sonstige Interessenträger zu minimieren; b) den Interessen der Gläubiger und sonstigen Interessenträger gebührend Rechnung zu tragen; c) angemessene Schritte einzuleiten, um eine Insolvenz abzuwenden; d) vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten zu vermeiden, das die Rentabilität des Unternehmens gefährdet.“
Als eine Art „Mindestprogramm“ gibt Art. 19 RRiL jedoch bestimmte Eckpfeiler für die Ausübung des Ermessens vor sowie einige vorinsolvenzliche Pflichten, die als Mindestanforderungen an das Handeln der Unternehmensleitung von den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der RRiL zu berücksichtigen sind. 2. Pflicht zur Prüfung der wahrscheinlichen Insolvenz Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL sollen bei Vorliegen einer wahrscheinlichen Insolvenz greifen. Damit die Unternehmensleitung ihren Pflichten aus Art. 19 RRiL nachkommen kann, muss ihr das Vorliegen der wahrscheinlichen Insolvenz bekannt sein. Daraus ergibt sich für die Mitgliedstaaten die Pflicht einen Anreiz zu schaffen, dass die Unternehmensleitung kontinuierlich die wirtschaftliche Situation des Unternehmens überprüft, um das Vorliegen der wahrscheinlichen Insolvenz bestimmen zu können. Bestimmt man die wahrscheinliche Insolvenz im deutschen Recht als eine Form der drohenden Zahlungsunfähigkeit, ist somit stets eine Prognose der Zahlungsunfähigkeit für in der Regel 24 Monate vorzunehmen. Diese stetige Zahlungsunfähigkeitsprüfung dient der Förderung von Restrukturierungen und damit auch der Vermeidung von Insolvenzen. Für Schuldner, bei denen die Überschuldung nach § 19 InsO einen Eröffnungsgrund darstellt, besteht eine solche Pflicht im deutschen Recht derzeit bereits, da in der derzeitigen Form des Überschuldungstatbestandes eine negative Fortführungsprognose erforderlich ist, um die Überschuldung zu bejahen. Die Geschäftsleiter sind verpflichtet, diese Voraussetzungen der Eröffnungsgründe fortlaufend zu prüfen. Eine Solvenzprognose ist auch aufgrund der Zahlungsverbote nach § 64 S. 1 und S. 3 GmbHG, § 92 Abs. 2 S. 1 und S. 3 AktG und § 130a Abs. 1 S. 1 und S. 3 HGB a. F. bzw. § 15b Abs. 1 und 5 InsO bei bestimmten Gesell-
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schaftsformen erforderlich.393 Die RRiL gilt jedoch rechtsformunabhängig. Für Schuldner, bei denen die Überschuldung nach § 19 InsO keinen Eröffnungsgrund darstellt, kann nicht auf die Insolvenzantragspflicht rekurriert werden, um eine Pflicht zur kontinuierlichen, wirtschaftliche Selbstprüfung zu begründen. Zudem ist die Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 InsO durch das SanInsFoG auf 12 Monate begrenzt worden. Die wahrscheinliche Insolvenz im Sinne der RRiL in Form der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 InsO setzt jedoch einen Prognosezeitraum von 24 Monaten voraus. a) Auswirkungen auf die Unternehmensleitung im deutschen Recht Im Folgenden soll untersucht werden, welche Änderungen sich bei einer konsequenten Umsetzung durch die mit Art. 19 RRiL eingeführte Pflicht zur Prüfung der wahrscheinlichen Insolvenz im deutschen Gesellschaftsrecht ergeben. Trotz der rechtsformunabhängigen Geltung der RRiL, beschränken sich die folgenden Ausführungen auf das Recht der GmbH, der Aktiengesellschaft, der Personenhandelsgesellschaften und den Einzelunternehmer, da es sich bei diesen um die praktisch relevantesten Gesellschaftsformen handelt. Dazu wird der aktuelle Stand der bestehenden Pflichten bei den jeweiligen Unternehmensträgern dargestellt und möglicher Umsetzbedarf vor dem Hintergrund der Umsetzungsmaßnahmen im StaRUG geschildert. aa) GmbH-Recht Im Kapitalgesellschaftsrecht sind fortlaufende Überwachungspflichten der Unternehmensleitung bereits anerkannt. Diese Überwachungspflicht umfasst zum einen eine Pflicht zur kontinuierlichen Selbstkontrolle. Daneben ist eine Pflicht zur Risikofrüherkennung anerkannt, welche mit der Ausstrahlungswirkung von § 91 Abs. 2 AktG begründet wird.394 Die Auswirkungen der RRiL auf die Einführung von Frühwarnsystemen wird unter B. III. 7. behandelt. In diesem Abschnitt steht die Pflicht zur kontinuierlichen wirtschaftlichen Selbstprüfung im Vordergrund. Die Geschäftsführer trifft eine Pflicht, laufend die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft zu kontrollieren.395 Das umfasst auch die Vornahme regelmäßiger Solvenzprüfungen.396 Die Pflicht gilt fortlaufend unabhängig von dem Vorliegen einer Krise. Je gefährdeter die GmbH ist, desto mehr verschärfen sich jedoch die Prüfungspflichten.397 Inhalt und Umfang der Selbstprüfung hängt von der Art und der 393
Für die GmbH Bork, ZIP 2011, 101, 103. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 103. 395 BGH, Urt. v. 6. 6. 1994 – II ZR 292/91 = BGHZ 126, 181 – 201; Sinz, in: Schmidt/ Uhlenbruck, Rn. 1.116, 1.191 f.; Veil, ZGR 2006, 374, 377. 396 Karsten Schmidt, GmbHR 2007, 1, 6. 397 Sinz, in: Schmidt/Uhlenbruck, Rn. 1.192. 394
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Größe des jeweiligen Unternehmens ab.398 Die Selbstprüfungspflicht wird abgeleitet aus einer Gesamtschau derjenigen Vorschriften, die bestimmte Pflichten des Geschäftsführers für den Fall einer wirtschaftlichen Schieflage der Gesellschaft normieren, also §§ 5a Abs. 4, §§ 30, 43 Abs. 3, §§ 43a, 49 Abs. 2 und 3, § 64 GmbHG a. F. (jetzt § 15b InsO) und § 15a Abs. 1 InsO.399 Um diese Pflichten erfüllen zu können, muss der Geschäftsführer laufend über die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft informiert sein. Auch die Pflicht zur Rechnungslegung nach § 41 GmbHG i. V. m. §§ 238 ff. HGB stellt historische betrachtet eine Pflicht zur wirtschaftlichen Selbstkontrolle dar.400 Die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns erfordert es daher, sich ständig ein Bild über die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft zu machen. Die Pflicht zur wirtschaftlichen Selbstprüfung kann folglich auch auf § 43 Abs. 1 GmbHG gestützt werden.401 In § 1 StaRUG wurde zudem ausdrücklich eine Pflicht zur Krisenerkennung für Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Rechtsträger festgeschrieben, die als Klarstellung der bereits bestehenden Krisenfrüherkennungspflichten anzusehen ist.402 Im Rahmen der Umsetzung von Art. 19 RRiL ausdrücklich eine Pflicht zur wirtschaftlichen Selbstprüfung einzuführen, wäre nicht zwingend erforderlich. Die ohnehin vorzunehmende Solvenzprognose kann nunmehr auch dem Zweck dient, den Eintritt der wahrscheinlichen Insolvenz im Sinne der RRiL als Zugangsvoraussetzung für den SRR nach StaRUG sowie als Anknüpfungspunkt für einen veränderten Pflichtenkatalog zu bestimmen. Der Prognosehorizont wird regelmäßig 24 Monate umfassen, um die in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL bestehenden Pflichten erfüllen zu können. bb) Aktienrecht Im Aktienrecht ist ebenfalls anerkannt, dass den Vorstand eine kontinuierliche Pflicht zur finanziellen Selbstüberwachung trifft.403 Die Überwachungspflicht gilt unabhängig von der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens, sie verschärft sich jedoch, wenn sich das Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet. Wie bei der GmbH wird die Pflicht zur finanziellen Selbstkontrolle auf die allgemeine Sorgfaltspflicht des Vorstands nach § 93 Abs. 1 S. 1 AktG gestützt sowie auf spezifische (insolvenzrechtliche oder gesellschaftsrechtliche) Organpflichten, etwa § 92 Abs. 1 AktG, § 15b und § 15a InsO. In § 91 Abs. 2 AktG ist ebenfalls eine Pflicht normiert, Maßnahmen zur Früherkennung bestandsgefährdender Entwick398
Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 63. Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 63; Bork, ZIP 2011, 101, 102. 400 Bork, ZIP 2011, 101, 102. 401 Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 63; Mohaupt, S. 117. 402 RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 103 f. 403 Fleischer, in: beck-online.Großkommentar, AktG, § 93 Rn. 72 f.; Bork, ZIP 2011, 101, 102; Seibt, ZIP 2013, 1597, 1598. 399
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
lungen zu ergreifen. Von dieser Vorschrift geht eine „Ausstrahlungswirkung“ auch auf andere (haftungsbeschränkte) Unternehmensträger aus.404 Wie auch im GmbH-Recht ist die Pflicht zur Prüfung der wirtschaftlichen Lage der AG somit kein Novum, sondern es handelt sich um einen bereits bestehenden Teil des Pflichtenkatalogs eines Vorstands. Nach Umsetzung der RRiL dient die Pflicht zur ständigen wirtschaftlichen Selbstprüfung zusätzlich dem Zweck, den Zeitpunkt der wahrscheinlichen Insolvenz im Sinne der RRiL zu erkennen, um den sich aus der Umsetzung von Art. 19 RRiL ergebenden Pflichten Folge zu leisten. Da die wahrscheinliche Insolvenz als drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO verstanden wird, ist regelmäßig ein Prognosehorizont von 24 Monaten erforderlich. cc) Die Regelungen des StaRUG Zusammenfassend kann an dieser Stelle bereits festgehalten werden, dass sich bei Rechtssubjekten, die einer Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages unterliegen, keine wesentlichen Änderungen durch die RRiL für die Unternehmensleitungen in Bezug auf die Pflicht zur ständigen wirtschaftlichen Selbstprüfung ergeben.405 Gerade für diese Unternehmensträger sieht das StaRUG jedoch eine explizite Regelung zur Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement vor. § 1 Abs. 1 StaRUG lautet: „Die Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs einer juristischen Person (Geschäftsleiter) wachen fortlaufend über Entwicklungen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können. Erkennen Sie solche Entwicklungen, ergreifen sie geeignete Gegenmaßnahmen und erstatten den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen (Überwachungsorganen) unverzüglich Bericht. Berühren die zu ergreifenden Maßnahmen die Zuständigkeiten anderer Organe, wirken die Geschäftsleiter unverzüglich auf deren Befassung hin.“
§ 1 Abs. 2 StaRUG erweitert den Anwendungsbereich von § 1 Abs. 1 StaRUG auf sämtliche haftungsbeschränkten Unternehmensträger. Durch die Vorschrift werden die ohnehin bestehenden Krisenfrüherkennung- und reaktionspflichten bei Geschäftsleitern haftungsbeschränkter Rechtsträger klarstellt und die Pflicht zur kontinuierlichen wirtschaftlichen Selbstprüfung festgeschrieben.406 Grundsätzlich muss der Unternehmensleiter eine Prognose erstellen, soweit ihm das betriebswirtschaftlich möglich ist. Da die drohende Zahlungsunfähigkeit nach der hier vertretenen Auffassung auch den Anknüpfungspunkt für die Pflichten 404
Vgl. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 103. Dies gilt auch für den Verein und die Stiftung, soweit diese zur Stellung eines Insolvenzantrages verpflichtet sind nach § 42 Abs. 2 BGB und § 86 BGB. Ebenso gilt das für die Vorgesellschaft, insbesondere dann, wenn man die Überschuldung nach § 19 InsO für anwendbar hält; dafür Karsten Schmidt, in: Karsten Schmidt, InsO, § 19, Rn. 9; Haas, DStR 1999, 985, 986; dagegen Altmeppen, ZIP 1997, 273, 274; Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 11 Rn. 41. 406 RefE SanInsFoG, S. 111; RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 103 f. 405
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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darstellt, die sich in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL ergeben, muss ein Geschäftsleiter nunmehr regelmäßig mindestens den Zeitraum der drohenden Zahlungsunfähigkeit prognostizieren, soweit ihm das möglich ist. Für Unternehmensträger mit persönlich haftenden Gesellschaftern und Einzelkaufleute ist § 1 StaRUG nicht anwendbar. Das ist mit Blick auf die Umsetzung von Art. 19 RRiL unschädlich, da die bestehenden Regelungen im deutschen Recht zur persönlichen Haftung, etwa § 128 HGB, einen ausreichenden Anreiz zur wirtschaftlichen Selbstprüfung bei diesen Unternehmensträgern bieten und damit als Umsetzung für Art. 19 RRiL ausreichend sind.407 Inwieweit darüber hinaus Pflichten zur wirtschaftlichen Selbstprüfung bei nicht haftungsbeschränkten Unternehmensträgern bestehen soll im Folgenden dargestellt werden. dd) Personenhandelsgesellschaften (1) Allgemeine Pflichten der geschäftsführenden Gesellschafter In den Blick genommen werden sollen hier die Personenhandelsgesellschaften, bei denen (zumindest mittelbar) eine natürliche Person als unbeschränkt persönlich haftender Gesellschafter vorhanden ist. Ist dies nicht der Fall gelten nach § 15b Abs. 6 InsO und § 15a InsO bestimmte Organpflichten, die denjenigen bei einer Kapitalgesellschaft entsprechen, sodass schon aus diesem Grund auch bei diesen Personengesellschaften eine Pflicht zur ständigen wirtschaftlichen Selbstprüfung angenommen werden kann. Unterstellt, dass eine natürliche Person als Vollhafter vorhanden ist, bestehen bei der OHG und der KG (und ebenfalls bei der GbR als Grundform der Personengesellschaften) keine entsprechenden Pflichten zur Stellung eines Insolvenzantrages nach § 15a InsO oder zum Unterlassen masseschmälernder Zahlungen. Nach § 15 Abs. 1 InsO besteht ein Recht zur Stellung eines Insolvenzantrages. Wenn die Pflicht zur wirtschaftlichen Selbstprüfung aus der Erfüllung spezifischer Organpflichten, wie der Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages folgt, so könnte man argumentieren, dass ohne eine entsprechende Organpflicht auch die zugrundeliegende Pflicht zur wirtschaftlichen Selbstprüfung nicht besteht. Die ordentliche und gewissenhafte Unternehmensführung (vgl. § 43 Abs. 1 GmbHG und § 93 Abs. 1 S. 1 AktG) erfordert die ständige wirtschaftliche Selbstprüfung nicht als Selbstzweck, sondern damit spezifische Organpflichten erfüllt werden können. Zudem ist eine ausdrückliche Statuierung einer allgemeinen Sorgfaltspflicht des Unternehmensleiters wie im Kapitalgesellschafts- im Personenhandelsgesellschaftsrecht nicht erfolgt. Vielmehr ergeben sich die Pflichten des geschäftsführenden Gesellschafters aus dem Gesellschaftsverhältnis selbst. Alle Gesellschafter einer Personengesellschaft sind aufgrund der aus dem Gesellschaftsvertrag folgenden Treuepflicht verpflichtet, die Interessen der Gesellschaft zu wahren. Dies gilt insbesondere bei Ausübung des Rechts (und der Pflicht) zur Geschäftsführung, welches unei407
Vgl. auch RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 103.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
gennützig zugunsten der Gesellschaft ausgeübt werden muss.408 Der geschäftsführende Gesellschafter ist verpflichtet, den Gesellschaftszweck durch den Betrieb eines Handelsgewebes zu verfolgen.409 Aus dieser übergeordneten „Generalpflicht“410 folgen eine Vielzahl von Einzelpflichten, wie bspw. die sorgfältige Auswahl von Hilfspersonen, das Verbot der privaten Ausnutzung von Geschäftschancen, die Beachtung der internen Kompetenzordnung und viele weitere.411 (2) Bindung an den Gesellschaftszweck Eine Pflicht zur ständigen Prüfung der wirtschaftlichen Situation (in Form einer Liquiditäts- bzw. Solvenzprognose) könnte aus dieser Bindung der geschäftsführenden Gesellschafter an den Gesellschaftszweck folgen. Um den Gesellschaftszweck zu fördern, darf und muss der geschäftsführende Gesellschafter alle nach verständigem Ermessen notwendigen und möglichen Maßnahmen ergreifen, die nach den Gepflogenheiten eines verständigen Kaufmanns geboten sind.412 Dieser Maßstab ist erkennbar weit. Um den laufenden Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten, muss ein Geschäftsführer jedenfalls einen Überblick darüber haben, ob bestehende Verbindlichkeiten bedient werden können. Eine Prognose, ob das Unternehmen innerhalb der nächsten 24 Monate ausreichende Einnahmen erwirtschaftet, um die zukünftig erforderlichen Ausgaben zu bestreiten, geht jedoch darüber hinaus. Man könnte argumentieren, dass der Gesellschaftszweck es erfordert, sämtliche Maßnahmen zu ergreifen, die den Betrieb des Handelsgeschäfts auch in Zukunft zu gewährleisten. In diese Richtung geht auch die Verpflichtung des geschäftsführenden Gesellschafters, Geschäftschancen für die Gesellschaft zu nutzen.413 Diese Verpflichtung dient der Realisierung des zukünftigen Erfolgspotentials des Unternehmens. Um dieses Potential zu realisieren, muss die Geschäftsleitung prognostizieren, ob das Unternehmen in Zukunft in der Lage sein wird, seine Verbindlichkeiten zu bedienen und rentabel zu wirtschaften. Ein regelmäßiger Prognosehorizont von 24 Monaten kann auch bei Personenhandelsgesellschaft angemessen sein. Im Interesse der Gesellschaft ist die Geschäftsführung auch verpflichtet, zu prüfen, ob zukünftig Insolvenzgründe eintreten werden, welche einen Gläubigerantrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens rechtfertigen könnten. Die Entscheidung über die Fortführung eines Unternehmens liegt zwar sowohl außerhalb einer Krise als auch bei Vorliegen der materiellen Insolvenz bei den Gesellschaf408 Vgl. BGH, Urt. v. 23. 9. 1985 – II ZR 257/84 = NJW 1986, 584 (für die OHG); BGH, Urt. v. 8. 5. 1989 – II ZR 229/88 = NJW 1989, 2687 (für die KG); BGH, Urt. v. 4. 12. 2012 – II ZR 159/10 = NZG 2013, 216 (für die GbR); Karrer, in: MüAnwHdB Personengesellschaftsrecht, § 14 Rn. 16 und 154. 409 Vgl. Rawert, in: MüKo HGB, § 114 Rn. 56. 410 So Drescher, in: E/B/J/S, HGB, § 114 Rn. 33. 411 Dazu Drescher, in: E/B/J/S, § 114 Rn. 33; Rawert, in: MüKo HGB, § 114 Rn. 43. 412 Vgl. BGH, Urt. v. 13. 1. 1954 – II ZR 6/53 = BeckRS 1954, 31081199. 413 Vgl. zur Verpflichtung des Erwerbs eines Grundstücks für die Gesellschaft BGH, Urt. v. 23. 9. 1985 – II ZR 257/84 = NJW 1986, 584, 585.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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tern.414 Den Gesellschaftern ist es also möglich, das Unternehmen trotz absehbarer Insolvenz ohne Restrukturierungsmaßnahmen fortzuführen oder sogar nach Eintritt der materiellen Insolvenz fortzuführen. Daraus folgt aber nicht, dass der Eintritt einer zukünftigen Insolvenz nicht durch die geschäftsführenden Gesellschafter beobachtet und prognostiziert werden müsste. Zum einen kann nach Eintritt der materiellen Insolvenz das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft durch einen Fremdantrag nach § 14 InsO eingeleitet werden und der Gesellschaftszweck dadurch in Frage gestellt werden. Zum anderen sollen die Gesellschafter in die Lage versetzt werden, mögliche Restrukturierungsmaßnahmen (soweit diese in ihre Zuständigkeit fallen) zu beschließen, um das Fortbestehen der Gesellschaft zu sichern und damit dem (durch die Gesellschafter definierten Gesellschaftszweck) zu dienen. Daher ist eine Prognose der drohenden Zahlungsunfähigkeit auch bei Gesellschaften ohne Insolvenzantragspflicht eine aus dem Gesellschaftszweck folgende Pflicht der Geschäftsführung. Zeichnen sich Insolvenzgründe ab, so verschärft sich die Prüfungspflicht der geschäftsführenden Gesellschafter, ebenso wie bei einer Kapitalgesellschaft.415 Mit der in dieser Arbeit befürworteten Anwendung des Überschuldungstatbestandes aus § 19 InsO in Verbindung mit einer Antragspflicht auf Personengesellschaften mit natürlichen Personen als unbeschränkt haftenden Gesellschaftern416, würde die Selbstprüfungspflicht als Organpflicht auf eine weitere Grundlage gestellt, die außerhalb des Gesellschaftsverhältnisses liegt, und damit aufgewertet und insbesondere durch die mit der Insolvenzantragspflicht verbundenen Straftatbestände nach § 15a Abs. 4 InsO sowie durch das allgemeine Insolvenzstrafrecht nach §§ 283 ff. StGB auch härter sanktioniert. Eine zwingende Konsequenz aus der RRiL ist eine solche Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Überschuldungstatbestandes mit Blick auf die Selbstprüfungspflicht jedoch nicht. Der RRiL ist mit Blick auf die aus Art. 19 RRiL folgende wirtschaftliche Selbstprüfungspflicht damit genüge getan, dass der geschäftsführende Gesellschafter im Rahmen seiner Geschäftsführung verpflichtet ist, eine wirtschaftliche Selbstprüfung vorzunehmen und bei Verletzung dieser Pflicht ggf. nach § 280 Abs. 1 BGB i. V. m. dem Gesellschaftsvertrag haftet. Letztlich wird die wirtschaftliche Selbstprüfung bei Personengesellschaften auch durch die unbeschränkte, persönliche Haftung sichergestellt, die einen Anreiz dafür bietet, ständig die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens zu verfolgen.
414
OLG München, Urt. v. 21. 3. 2013 – 23 U 3344/12 = NZG 2013, 742; Ehrlich, in: Breithaupt/Ottersbach, § 2 Rn. 55. 415 Ehrlich, in: Breithaupt/Ottersbach, § 2 Rn. 55. 416 Dazu insbesondere im Rahmen der Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL, siehe B. III. 6. d) dd).
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
(3) Pflicht zur Buchführung und Bilanzierung Buchführung und Bilanzierung sind Maßnahmen der Geschäftsführung.417 Die handelsrechtliche Buchführungspflicht ist in § 238 Abs. 1 HGB normiert. Die Pflicht zur Erstellung einer Bilanz ergibt sich aus § 242 HGB. Die Buchführung und Bilanzierung ermöglicht einen Überblick über das Vermögen des Kaufmanns und über die Veränderungen des Vermögens. Zu diesem Zweck werden laufend die Geschäftsvorfälle dokumentiert.418 Historisch betrachtet handelt es sich bei Buchführung und Bilanzierung um ein Instrument der Selbstinformation des Unternehmers.419 Eine Pflicht zur ständigen Selbstprüfung und ggf. zu einer zukunftsbezogenen Solvenzprüfung lässt sich aus der Buchführungs- und Bilanzierungspflicht jedoch gerade nicht ableiten. Zwar muss die Buchführung gemäß § 238 Abs. 1 S. 2 HGB so beschaffen sein, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Lage des Unternehmens vermitteln kann sowie über dessen Geschäftsvorfälle. Insbesondere der Wortlaut „Lage des Unternehmens“ könnte auch die zukünftige Liquidität umfassen. Aus dem systematischen Zusammenhang mit § 238 Abs. 1 S. 1 HGB, der auf die Lage des Vermögens abstellt, sowie mit der Pflicht zur Aufstellung einer Bilanz, die ebenfalls vergangenheitsorientiert ist, ergibt sich aber, dass hier eine vermögensbezogene Betrachtung erfolgen soll, die einen status quo wiedergibt und eine vermögensbezogene Rückschau ermöglicht, nicht jedoch eine Prognose erfordert. (4) Zwischenergebnis Die Geschäftsführer einer Personenhandelsgesellschaft sind verpflichtet, die wirtschaftliche Situation des Unternehmens zu prognostizieren.420 Diese Pflicht folgt aus der Bindung an den Gesellschaftszweck. Die persönliche Haftung stellt einen weiteren Anreiz zur Prognose der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dar. Die bestehenden Regelungen stellen daher eine ausreichende Umsetzung der aus Art. 19 RRiL folgenden Selbstprüfungspflicht dar. ee) Einzelkaufmann Die Begründungen für die oben dargelegten im deutschen Recht bereits bestehenden Pflichten zur wirtschaftlichen Selbstprüfung beruhen im Wesentlichen auf 417
BGH, Urt. v. 29. 3. 1996 – II ZR 263/94 –, BGHZ 132, 263 – 278 = ZIP 1996, 926; Kersting, BB 2008, 790, 793. 418 Böcking/Gros/Wirth, in: E/B/J/S, HGB, § 238 Rn. 21. 419 BGH, Urt. v. 13. 4. 1994 – II ZR 16/93 = ZIP 1994, 867, 871. 420 Für die Geschäftsführung der Partnerschaftsgesellschaften gelten nach § 6 Abs. 3 PartGG die §§ 110 bis 116 Abs. 2 HGB, §§ 117 bis 119 HGB entsprechend. Damit sind auch die geschäftsführenden Gesellschafter einer Partnerschaftsgesellschaft zur Prognose der wirtschaftlichen Situation mit Blick auf den Gesellschaftszweck verpflichtet. Daher stellt die RRiL insofern bei der Partnerschaftsgesellschaft ebenfalls keine Erweiterung der Pflichten dar.
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der Trennung des verpflichteten Organs vom Rechtsträger. Das Organ ist aufgrund seiner internen Pflichtenbindung bzw. seiner Bindung an den Gesellschaftszweck zur ständigen wirtschaftlichen Selbstprüfung verpflichtet. Der Einzelkaufmann unterliegt keiner entsprechenden Pflichtenbindung. Vielmehr wird aufgrund der persönlichen Haftung angenommen, dass dieser zur Vermeidung seiner persönlichen Haftung stets die wirtschaftliche Situation seines Unternehmens prüft. Bereits in wirtschaftlich stabilen Zeiten hat der Einzelkaufmann aufgrund der Eigenhaftung ein ausreichendes Interesse daran, die Überlebensfähigkeit seines Unternehmens, insbesondere also die Fähigkeit, zukünftige Verbindlichkeiten zu bedienen, zu prognostizieren. Gerät das Unternehmen in eine Krise wird der Einzelkaufmann umso mehr im Blick haben, wie sich die wirtschaftliche Situation seines Unternehmens zukünftig entwickelt, um die persönliche Haftung und die ihn persönlich treffende Insolvenz zu vermeiden. Eine Pflicht des Einzelkaufmanns zur Prognose seiner wirtschaftlichen Lage gibt es also nicht. Die persönliche Haftung stellt jedoch einen ausreichenden Anreiz dafür dar, dass der Einzelkaufmann eine kontinuierliche Selbstprüfung vornimmt und kann daher als ausreichende Umsetzung dienen.421 b) Zwischenergebnis Sowohl bei Kapitalgesellschaften als auch bei Personen(handels-)gesellschaften besteht als Teil der Geschäftsführungsaufgabe bereits eine Pflicht zur wirtschaftlichen Selbstprüfung, um die Notwendigkeit von Restrukturierungsmaßnahmen zur Abwendung einer Insolvenz beurteilen zu können. Die jeweiligen Pflichten der Unternehmensleiter beruhen auf spezifischen Organpflichten, wie z. B. der Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages bei Überschuldung oder lassen sich auf den Gesellschaftszweck zurückführen. § 1 StaRUG normiert für haftungsbeschränkte Unternehmensträger nunmehr ausdrücklich die Pflicht zur Selbstprüfung. Diese Regelung stellt mit Blick auf die bestehenden Pflichten nur eine Klarstellung dar. Beim Einzelkaufmann besteht keine Pflicht zur ständigen wirtschaftlichen Selbstprüfung. Die persönliche Haftung des Einzelkaufmanns für die im Rahmen seines Unternehmens begründeten Schulden, stellt jedoch einen ausreichenden Anreiz dar, stets eine entsprechende wirtschaftliche Selbstprüfung vorzunehmen.
421 Im Gegensatz dazu dient die persönliche Haftung nicht als ausreichende Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL, dazu unter B. III. 6. d) ee).
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
3. Art. 19 lit. a RRiL: Die Berücksichtigung der Interessen der Gläubiger, Anteilsinhaber und sonstigen Interessenträger a) Auslegung von Art. 19 lit. a RRiL aa) Shareholder- vs. Stakeholderansatz Art. 19 lit. a RRiL fordert, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Unternehmensleitung bei einer wahrscheinlichen Insolvenz mindestens die Interessen der Gläubiger, Anteilsinhaber und sonstigen Interessenträger gebührend berücksichtigt. EWG 71 der RRiL stellt klar, dass die RRiL nicht darauf abzielt, eine Rangfolge zwischen den verschiedenen Parteien festzulegen, deren Interessen gebührend zu berücksichtigen sind. Es stehe den Mitgliedstaaten jedoch frei, eine solche Rangfolge festzulegen. Ein sog. „shift of fiduciary duties“, mit dem häufig ein Vorrang der Gläubigerinteressen vor den Shareholderinteressen bezeichnet wird422, wird durch die RRiL nicht zwingend angeordnet. Art. 19 lit. a RRiL nennt ausdrücklich die Anteilsinhaber als zu berücksichtigende Interessengruppe neben den Gläubigern und sonstigen Interessenträgern. Art. 19 lit. a RRiL möchte also sicherstellen, dass die Interessen aller genannten Beteiligten (in noch näher zu bestimmendem Ausmaß) Berücksichtigung finden. Eine „gebührende Berücksichtigung“ fordert somit nur eine Art Mindestschutz für die Interessen der jeweiligen Gruppe. Dieser Mindestschutz muss aber stets, also unabhängig von einem Vorrang einer der beteiligten Gruppen verwirklicht sein. Die RRiL enthält damit weder eine Festlegung auf ein stakeholder-value Konzept (im Sinne eines stetigen Ausgleichs der verschiedenen Interessen)423, noch dagegen. Auch bestimmte Varianten des shareholder-value Ansatzes sind nach der RRiL nicht ausgeschlossen, da auch der shareholder-value Ansatz trotz grundsätzlicher Ausrichtung an den Interessen der Anteilseigner eine Berücksichtigung der Interessen der Stakeholder zulässt, sofern dies langfristig der Maximierung des Ertragswertes des Unternehmens dient.424 Lediglich eine strikte Orientierung an den Interessen der Shareholder, ohne jegliche Berücksichtigung sonstiger Interessen scheidet nach RRiL aus. Wichtiger als die Frage, ob abstrakt einem shareholder- oder stakeholder422 Vgl. etwa Seibt, ZIP 2013, 1597, 1599; ausführlich zur Entwicklung dieses Konzepts in England Mohaupt, S. 256 ff., die auch darauf hinweist, dass der Stellenwert der Gläubigerinteressen im englischen Recht keineswegs geklärt ist (S. 263 f.). 423 Ebenso Korch, ZGR 2019, 1050, 1059 f.; vgl. zur sog. Ausgleichslösung Klöhn, ZGR 2008, 110, 130. 424 Zu berücksichtigen ist dabei, dass auch das shareholder-value-Modell eine Berücksichtigung der Interessen der stakeholder zulässt, solange dies dazu führt, dass langfristig der Ertragswert des Unternehmens maximiert wird, vgl. Mohaupt, S. 57 f.; eine Variante des shareholder-value-Ansatzes, der die Berücksichtigung anderer Interessen zulässt, wenn diese den Gesellschafterinteressen dienen, wird als enlightened shareholder-value bezeichnet, vgl. dazu Mohaupt, S. 59 f.; Fleischer, in: beck-online.Großkommentar, AktG, § 76 Rn. 38.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Modell zu folgen ist, ist jedoch, ob sich aus der Berücksichtigung bestimmter Interessen, konkrete Handlungspflichten für die Unternehmensleitung ergeben. Fest steht, dass die Berücksichtigung der verschiedenen Interessen erst ab dem Zeitpunkt der wahrscheinlichen Insolvenz greift. Die RRiL möchte also keine grundsätzliche Aussage zu der Leitung von Unternehmen im Interesse der Stakeoder Shareholder treffen, sondern nur eine Aussage zu den vorinsolvenzlichen Pflichten der Unternehmensleitung. bb) Die einzelnen Interessenträger Eine Unternehmenskrise wirkt sich nicht nur auf die Inhaber des Schuldners (Shareholder) aus. Oftmals sind durch eine Unternehmenskrise eine Vielzahl weiterer Interessenträger betroffen.425 Als relevante Gruppe von Interessenträger nennt Art. 19 lit. a RRiL explizit die Gläubiger. Klassischerweise sind damit Fremdkapitalgeber und Lieferanten erfasst. Dass die RRiL die Arbeitnehmer als Gläubiger betrachtet, ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 2 RRiL, der „Gläubiger – einschließlich, wenn im nationalen Recht vorgesehen, Arbeitnehmern“ neben den Anteilsinhabern als „betroffene Parteien“ definiert, wenn deren Forderungen von einem Restrukturierungsplan unmittelbar betroffen sind. Auch EWG 43 geht in diese Richtung: „Die von einem Restrukturierungsplan betroffenen Gläubiger, einschließlich der Arbeitnehmer […].“ Außerdem nannte die Vorgängervorschrift Art. 18 lit. a in dem Kommissionsentwurf aus dem Jahr 2016 die Arbeitnehmer noch ausdrücklich. Ebenso können bestimmte öffentliche Stellen als Gläubiger erfasst sein, wenn sie konkrete Ansprüche gegen den Schuldner haben, etwa Steuerbehörden oder Sozialversicherungsträger. Neben den Gläubigern und den Anteilsinhabern nennt Art. 19 lit. a RRiL die „sonstigen Interessenträger“. Der Begriff wird in der RRiL nicht näher bestimmt.426 Es ist zu beachten, dass Art. 19 RRiL die insolvenzbezogenen Pflichten der Unternehmensleitung erfasst und nicht allgemeine Pflichten für die Leitung eines Unternehmens aufstellen möchte. Vor diesem Hintergrund ist auch der Begriff der „sonstigen Interessenträger“ auszulegen. Bei einer zu weitgehenden Auslegung dieses Begriffs besteht die Gefahr, dass sich aufgrund der möglicherweise stark 425
Müller, S. 50. Der Ausdruck wird erneut in Art. 23 RRiL verwendet, wenn es darum geht, dass die Mitgliedstaaten Ausnahmeregelungen erlassen können, „mit denen der Zugang zur Entschuldung verwehrt oder beschra¨ nkt wird, die Vorteile der Entschuldung widerrufen werden oder la¨ ngere Fristen fu¨ r eine volle Entschuldung beziehungsweise la¨ ngere Verbotsfristen vorgesehen werden, wenn der insolvente Unternehmer bei seiner Verschuldung – wa¨ hrend des Insolvenzverfahrens oder wa¨ hrend der Begleichung der Schulden – gegenu¨ ber den Gla¨ ubigern oder sonstigen Interessentra¨ gern unredlich oder bo¨ sgla¨ ubig im Sinne der nationalen Rechtsvorschriften gehandelt hat“. Art. 4 Abs. 6 RRiL spricht außerdem von „einschlägigen Interessenträgern“ (engl. „relevant stakeholders“) vor dem Hintergrund, dass diesen ein ausreichender Zugang zu einer staatlichen Überprüfung der Restrukturierungsmaßnahmen gewährt werden soll. 426
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
differierenden Interessen der „sonstigen Interessenträger“ aus Art. 19 lit. a RRiL keine konkreten Maßgaben für die Unternehmensleitung ableiten lassen und Art. 19 lit. a RRiL damit vollständig ohne Aussagegehalt und Wirkung bleibt. Der Begriff der Interessenträger bzw. „stakeholder“ bezeichnet in der Managementtheorie verschiedene Anspruchsgruppen wie Eigenkapitalgeber, Fremdkapitalgeber, Kunden, Lieferanten und die allgemeine Öffentlichkeit.427 Jede dieser Gruppen leiste spezifische Investitionen in die Gesellschaft. So spezialisieren sich beispielsweise Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit für die Gesellschaft und Abnehmer und Verbraucher richten ihren Betrieb bzw. Haushalt auf die Produkte der Gesellschaft ein.428 Eine im Stakeholder-Interesse handelnde Unternehmensleitung maximiert den Wert aller dieser spezifischen Investitionen und ist daher allen diesen Gruppen gegenüber zur Sorgfalt und Loyalität verpflichtet. Da Art. 19 lit. a RRiL mit den Anteilseignern und Gläubigern bereits zwei wichtige Gruppen von Stakeholdern nennt, ist der Begriff „sonstige Interessenträger“ als Auffangtatbestand zu verstehen, der insbesondere die Öffentlichkeit bzw. den Staat sowie die Kunden erfassen kann. Alle diese Gruppen können ein Interesse an einer Insolvenzvermeidung des Schuldners haben. cc) Die insolvenzspezifische Risikosituation der Gläubiger Die Verhaltenspflichten nach Art. 19 lit. a RRiL können mit Blick auf die Risiken bzw. Interessen der jeweiligen Beteiligten näher bestimmt werden, denn letztlich dient die Vermeidung der Insolvenz diesen Beteiligten. Der Schwerpunkt der folgenden Ausführungen liegt auf der Risikosituation der Gläubiger.429 Für die Gläubiger des Schuldners stellt sich die Risikosituation wie folgt dar430: Die Gläubiger sind, erstens, einem Ausfallrisiko ausgesetzt, welches darin besteht, dass der Schuldner wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten bei Fälligkeit die Forderung nicht mehr vollständig erfüllen kann. Zweitens wird der Gläubiger versuchen, sein Ausfallrisiko durch geeignete Informationen über den Schuldner abzuschätzen und unterliegt insoweit einem Informations- bzw. Bewertungsrisiko. Dies gilt insbesondere, wenn die Forderung begründet wird, aber auch im weiteren Verlauf der Geschäftsbeziehung. 427 Fleischer, in: beck-online.Großkommentar, AktG, § 76 Rn. 29; anschaulich zu den Interessengruppen einer Unternehmung auch Müller, S. 308. 428 Klöhn, ZGR 2008, 110, 140. 429 Die Berücksichtigung von verschiedenen Interessengruppen bei der Unternehmensleitung im Sinne eines stakeholder-value-Ansatzes wird auf verschiedene Begründungen gestützt. Gerade im Vorfeld einer Insolvenz tritt die Begründung hervor, dass die Unternehmensleitung stets dem Träger des Residualinteresses verpflichtet sei und auch die Gläubiger in Insolvenznähe die Träger des Residualinteresses an einer Gesellschaft sein können, vgl. Klöhn, ZGR 2008, 110, 136 ff.; vgl. auch RegE SanInsFoG BT Dr., S. 108; kritisch dazu Schäfer, ZIP 2020, 2164, 2166; Kuntz, ZIP 2020, 2423. 430 Die nachstehenden Ausführungen zu der Risikosituation folgen Haas, Gutachten E zum 66. DJT, E 15 f.; zu den Risiken von Gläubigern vgl. auch Mülbert, EBOR 2006, 257, 366.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Drittens ist der Gläubiger nach der Entstehung seiner Forderung dem Risiko ausgesetzt, dass der Schuldner insolvenzverursachende Handlungen vornimmt und damit die Rückzahlung gefährdet. Dieses Risiko besteht während des gesamten Verlaufs der Geschäftsbeziehung. Im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz ergibt sich die spezielle Problematik, dass die Anteilseigner und die Unternehmensleiter eine erhöhte Risikobereitschaft aufweisen, um die bevorstehende Insolvenz abzuwenden und sich daher zu einer „Alles-oder-Nichts“-Strategie431 veranlasst sehen (engl. „gambling for resurrection“/„betting the bank’s money“).432 Denn sie selbst haben in dieser Situation oft wenig oder nichts mehr zu verlieren, während ihnen die Gewinne bei erfolgsreichem Ausgang des riskanten Geschäfts zugute kommen. Auch die Unternehmensleiter selbst müssen bei Eintritt der Insolvenz um ihre Anstellung und Reputation fürchten, sodass sie dazu neigen, riskante Geschäfte einzugehen.433 Die Gläubiger tragen hingegen die Verluste in der Form der weiteren Verringerung der Insolvenzmasse, wenn das riskante Geschäft keinen erfolgreichen Ausgang nimmt. An den Gewinnen sind sie hingegen nicht beteiligt.434 In welchen Bereichen sich eine „gebührende Berücksichtigung der Interessen“ nach Art. 19 RRiL auswirkt, kann mit Blick auf diese Risiken bestimmt werden: Dem Ausfallrisiko kann im vorinsolvenzlichen Bereich durch eine Pflicht zur Überwachung der Vermögenssituation begegnet werden. Diese Überwachungspflicht ist Voraussetzung für sämtliche Maßnahmen der Krisenbewältigung sowie ggf. für die Stellung von Insolvenzanträgen, wenn das nationale Recht solche vorsieht. Sie besteht somit bereits vor Eintritt der wahrscheinlichen Insolvenz und dient gerade dazu, diese zu erkennen. Liegt eine wahrscheinliche Insolvenz vor, so kann das Ausfallrisiko der Gläubiger dadurch reduziert werden, dass die Unternehmensleitung prüft, welche Maßnahmen geeignet sind, die Insolvenz abzuwenden und die geeigneten Maßnahmen auch umsetzt. Diese Sanierungspflicht der Unternehmensleitung ergibt sich zugleich als Folge der Anordnung in Art. 19 lit. b RRiL. Die Sanierungspflicht kann also sowohl auf Art. 19 lit. a RRiL als auch auf lit. b RRiL gestützt werden, wobei lit. b die spezielle Ausprägung darstellt. Die Sanierungspflicht wird daher auch bei Art. 19 lit. b RRiL erörtert. Dem Ausfallrisiko wird zudem durch Art. 19 lit. c RRiL Rechnung getragen. Zwar hat sich im Zustand einer wahrscheinlichen Insolvenz das Ausfallrisiko bereits erhöht. Einer weiteren Erhöhung durch bestandsgefährdende Maßnahmen wird jedoch durch Art. 19 lit. c RRiL vorgebeugt. Zugleich dient Art. 19 lit. c RRiL der Reduzierung des Risikos, dass der Schuldner insolvenzverursachende Handlungen vornimmt. Nach dieser Norm hat die 431
Vgl. Davies, EBOR 2006, 302 ff.; Mohaupt, S. 194 f. Eidenmüller, ZIP 2014, 1197, 1200; Teichmann, NJW 2006, 2444, 2447; differenzierend Kuntz, ZIP 2021, 597, 598 ff. 433 Vgl. Klöhn, ZGR 2008, 110, 150; Kuntz, ZIP 2021, 597, 598 ff. 434 Allgemein zum sog. gambling for resurrection Klöhn, in: MüKo InsO, § 15a Rn. 35 ff. und § 276a Rn. 9 (jeweils mit einem Beispiel). 432
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Unternehmensleitung vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten zu vermeiden, welches die Bestandsfähigkeit des Unternehmens gefährdet. Wie bereits dargelegt können bestimmte Maßnahmen im Interesse der Gesellschafter und der Unternehmensleitung liegen, während sie die Interessen der Gläubiger verletzen (sog. „gambling for resurrection“). Art. 19 lit. c RRiL trifft für diesen Interessenkonflikt eine Sonderregelung für bestandsgefährdende Maßnahmen. Das Informations- und Bewertungsrisiko der Gläubiger besteht auch, möglicherweise sogar gerade im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz. Art. 19 lit. b und c RRiL adressieren das Informations- und Bewertungsrisiko der Gläubiger nicht. Ob aus Art. 19 lit. a RRiL Pflichten der Unternehmensleitung abgeleitet werden können, die das Informations- und Bewertungsrisiko der Gläubiger adressieren, hängt von der Auslegung von Art. 19 lit. a RRiL ab. Dazu im Folgenden. dd) Mindestschutz durch die Berücksichtigung der Interessen nach Art. 19 lit. a RRiL Im Folgenden soll der aus Art. 19 lit. a RRiL folgende Mindestschutz für die genannten Beteiligten untersucht werden. Was dieser Mindestschutz mit Blick auf die Gläubiger bedeutet, ist nicht festgelegt: Unabhängig davon ob und wessen Interessen ein Vorrang einzuräumen ist, könnte als absolutes Minimum des Gläubigerschutzes zum einen darauf verwiesen werden, dass die gesetzlichen Regeln, welche zum Schutz der Gläubiger bestehen (etwas Kapitalerhaltungsvorschriften) im Rahmen der Legalitätspflicht beachtet werden. Diese Auslegung von Art. 19 lit. a RRiL gerät jedoch an die Grenzen bei Rechtsformen, die solche Regeln zur Kapitalerhaltung etwa aufgrund der persönlichen Gesellschafterhaftung nicht vorsehen. Zudem müsste geklärt werden, wie der entsprechende Mindestschutz für die übrigen in Art. 19 lit. a RRiL genannten Beteiligten rechtsformübergreifend aussehen soll.435 Ein einheitlicher Mindestschutz für alle Stakeholder wird durch die Anknüpfung an Kapitalerhaltungsregeln und Haftungsregeln folglich nicht verwirklicht. In dieser Arbeit wird daher die Ansicht vertreten, dass Art. 19 lit. a RRiL die Unternehmensleitung als Mindestanforderung dazu anhält, ihre Entscheidung darauf auszurichten, dass der Bestand des Unternehmens gewahrt wird. Durch eine wirksame Bestandserhaltung wird sämtlichen Beteiligten gedient, die in Art. 19 lit. a RRiL genannt werden. Der präventive Restrukturierungsrahmen möchte bestandsfähige Unternehmen erhalten und so unnötige Insolvenzen vermeiden.436 Ein Unternehmen, bei dem Aussicht auf eine erfolgreiche Sanierung besteht ist, bestandsfähig. Durch die Sanierung soll das langfristige Überleben des Unternehmens sichergestellt werden. Das 435 436
Auf die sich ggf. widersprechenden Interessen weist Smid, ZInsO 2019, 2081, 2085 hin. EWG 2 der RRiL.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Unternehmen soll wieder rentabel arbeiten können und damit auf dem Markt bestehen können. Ein rentables Unternehmen kann die Forderungen seiner Gläubiger befriedigen, kann die langfristige Versorgung mit Produkten für seine Kunden gewährleisten und eine Rendite für seine Anteilseigner erwirtschaften, es stellt Arbeitsplätze bereit und zahlt Steuern. Der Erhalt des Schuldners und damit zugleich des von diesem betriebenen Unternehmens ist daher das Minimalziel aller Beteiligten.437 Unabhängig davon, welchen Interessen im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz der Vorrang einzuräumen ist, kann als Mindestanforderung an das Handeln der Unternehmensleitung daher gesehen werden, dass diese den Bestand des Schuldners durch die Vermeidung von Insolvenzgründen sichert. Bei allen Handlungen der Unternehmensleitung muss also der Bestand des Schuldners gewahrt werden. Nach der hier befürworteten Auslegung kann Art. 19 lit. a RRiL somit ein konkreter Gehalt entnommen werden, welcher der Förderung von Restrukturierungen dient: Handlungen und Unterlassungen, die den Bestand des Schuldners beeinträchtigen, sind für die Unternehmensleitung nach Eintritt der wahrscheinlichen Insolvenz unzulässig. Der Umfang der zulässigen, gegebenenfalls sogar gebotenen, sowie der unzulässigen Handlungen und Unterlassungen wird bei Art. 19 lit. b und c RRiL dargestellt, die insoweit Ausprägungen des in Art. 19 lit. a RRiL normierten Grundsatzes sind, dass die Unternehmensleitung im Zustand der Insolvenz den Bestand des Schuldners zu erhalten hat. Die Bestandserhaltungspflicht wird darauf gestützt, dass dadurch die Interessen sämtlicher genannter Interessenträger in einem Mindestmaß gewahrt werden. Aus der Bestandserhaltungspflicht folgt, dass bestimmte Handlungen und Unterlassungen für die Unternehmensleitung im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz unzulässig sind. Diese Einschränkung der Unternehmensleitung, die zuvor bspw. im Interesse der Shareholder Projekte zur Unternehmenswertsteigerung realisierte, welche aufgrund von Art. 19 RRiL aufgrund ihrer bestandsgefährdenden Risikostruktur nun unzulässig sind, könnte als Zurücksetzung der Anteilseigner und damit zugleich als die Einräumung eines Vorranges zugunsten der übrigen Stakeholder, insbesondere der Gläubiger, kritisiert werden. Ein Vorrang bestimmter Interessen soll nach EWG 71 gerade nicht festgelegt werden. Es ist anzuerkennen, dass die Shareholder durch die Pflichten der Unternehmensleitung gegebenenfalls schlechter gestellt werden, da nicht mehr das Projekt realisiert werden kann, welches die größte Unternehmenswertsteigerung mit sich bringt. Darauf ist jedoch zu erwidern, dass die Schlechterstellung bestimmter Stakeholdergruppen im Vergleich zu dem Zustand vor einer wahrscheinlichen Insolvenz durch die RRiL nicht untersagt wird und sogar in ihr selbst angelegt ist. Denn Art. 19 lit. c RRiL möchte ausdrückliche Anreize zur Vermeidung von bestandsgefährdendem Verhalten schaffen und beschränkt damit Unternehmensleitungen bezüglich bestimmter Maßnahmen, die im Interesse der 437 Vgl. Mohaupt, S. 208; Veil, ZGR 2006, 374, 394 zur Zulässigkeit hochspekulativer Geschäfte; vgl. auch Müller, S. 57.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Shareholder und der maximalen Unternehmenswertmaximierung unter Umständen zu ergreifen wären. Die Schlechterstellung einer Stakeholdergruppe stellt also keine Anordnung eines unzulässigen Vorranges einer anderen Stakeholdergruppe dar. Zugleich wird bei der Ausrichtung auf den Erhalt des Bestandes des Schuldners, wie sie nach der hier vertretenen Auslegung von Art. 19 lit. a RRiL erforderlich ist, keine der betroffenen Stakeholdergruppen völlig unberücksichtigt gelassen. Die gebührende Berücksichtigung sämtlicher in Art. 19 lit. a RRiL genannten Interessenträger erfolgt, indem jede Gruppe von Interessenträger mit ihrem Minimalziel, der Bestandserhaltung, berücksichtigt wird und nicht dadurch, dass keine Gruppe von Interessenträgern schlechter gestellt wird im Vergleich zu der Situation vor Eintritt der wahrscheinlichen Insolvenz. Die Ausrichtung der Unternehmensleitung auf den Erhalt des Schuldners gilt unabhängig davon, ob den Gläubigern ein konkreter Ausfall droht oder möglicherweise andere Haftungsmassen als der Schuldner selbst zur Verfügung stehen (etwa Bürgen, persönlich haftende Gesellschafter). Es ist zwar anzuerkennen, dass die RRiL gerade mit Blick auf ein hohes Ausfallrisiko in Insolvenzen geschaffen wurde, um unter anderem grenzüberschreitende Investitionen und den Binnenmarkt zu fördern und letztlich auch zu einer Kapitalmarktunion beizutragen.438 Aus EWG 2 der RRiL sowie der Tatsache, dass Art. 19 lit. a RRiL neben den Gläubigern auch sonstige Interessenträger nennt, ergibt sich aber, dass das Ausfallsrisiko der Gläubiger nicht der allein maßgebliche Gesichtspunkt für den präventiven Restrukturierungsrahmen ist. EWG 2 der RRiL stellt darauf ab, dass auch der Verlust von Arbeitsplätze, Know-how und Kompetenzen verhindert werden soll. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die RRiL rechtsformübergreifend Anwendung findet. Damit greifen die Vorgaben des Art. 19 RRiL auch bei Gesellschaften mit persönlich haftenden Gesellschaftern, sodass das Ausfallrisiko im Einzelfall deutlich reduziert oder beseitigt sein kann.439 Wenn der Erhalt des bestandsfähigen Unternehmens im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz nicht allein der maximalen Befriedigung der Gläubiger dient, wird durch die RRiL letztlich ein Eigeninteresse des jeweiligen Unternehmens auf Bestandserhaltung anerkannt, in welchem die Mindestinteressen sämtlicher Interessenträger vereinigt sind. Die Bestandserhaltungspflicht führt nicht dazu, dass Maßnahmen wie eine übertragende Sanierung mit anschließender Liquidation unzulässig sind. Zum einen sieht die RRiL in Art. 4 Abs. 1 Hs. 2 RRiL selbst vor, dass Maßnahmen, die Arbeitsplätze erhalten und die Fortführung der Geschäftstätigkeit und damit den Bestand des Unternehmens unabhängig von seinem Rechtsträger sichern neben dem präventiven Restrukturierungsrahmen weiterhin zulässig sind. Zum anderen handelt es sich bei der übertragender Sanierung um eine Verwertung des Unternehmens.440 438
Vgl. EWG 7, 8 und 9 RRiL. In der deutschen Insolvenzpraxis führt die persönliche Haftung jedoch häufig nicht zu einer beachtenswert höheren Befriedigungsquote, vgl. Haas, DStR 1999, 985, 986. 440 Vgl. Wellensiek, NZI 2002, 233, 234. 439
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Diese kann den Unternehmensinhabern ebensowenig wie die Liquidation des Unternehmens untersagt sein, vorausgesetzt es wird ein angemessener Kaufpreis erzielt. Die Verwertung des Unternehmens bleibt neben der Restrukturierung stets als Handlungsoption bestehen. Dies gilt auch in der wahrscheinlichen Insolvenz. So können die Gesellschafter die Liquidation beschließen oder es kann eine (außerinsolvenzliche) übertragende Sanierung durchgeführt werden, welche eine angemessene Gegenleistung für die zu übertragenden Assets vorsieht.441 Wird eine angemessene Gegenleistung vereinbart, so wird das Ausfallrisiko der Gläubiger durch die übertragende Sanierung nicht weiter erhöht.442 Auch die Interessen der übrigen Stakeholder werden bei einer übertragenden Sanierung gewahrt, da zumeist der wirtschaftlich vertretbare Teil der Arbeitsplätze erhalten wird. Ebenso werden Know-How und Kompetenzen nicht vernichtet, sondern auf einen anderen Rechtsträger transferiert, der dann befreit von den Schulden weiterarbeiten kann. Durch eine seriöse übertragende Sanierung kann damit den Zielen des präventiven Restrukturierungsrahmens ebenfalls gedient sein.443 Die RRiL bietet den präventiven Restrukturierungsrahmen als zusätzliche Option an, will aber weitere Optionen, bei denen die Interessen der Beteiligten ebenfalls soweit möglich gewahrt werden, nicht untersagen. Zusammenfassend kann man sagen, dass die nach Art. 19 lit. a RRiL geforderte gebührende Berücksichtigung sämtlicher genannter Interessenträger als Mindestanforderung an die Unternehmensleitung eine Ausrichtung ihres Handelns auf den Fortbestand des Schuldners fordert, da dies unabhängig von einem Vorrang der einzelnen Interessen ein Mindestziel aller Interessenträger darstellt. Nimmt man das Interesse am Erhalt des Schuldners als gemeinsames Minimalziel aller Stakeholder und richtet daran die Anforderungen an die Unternehmensleitung aus, so lassen sich aus Art. 19 lit. a RRiL keine Handlungspflichten der Unternehmensleitung mit Blick auf das Informationsrisiko der Gläubiger ableiten, beispielsweise in der Form, dass Gläubiger oder andere Stakeholder über das Vorliegen einer wahrscheinlichen Insolvenz zu informieren sind. Eine entsprechende Informationspflicht würde dem Erhalt des Unternehmens nicht unmittelbar dienen. Sie könnte sich sogar bestandsgefährdend auswirken, da möglicherweise Lieferanten die Geschäftsbeziehung beenden wollen oder die Lieferbedingungen sich verschlechtern oder Kunden keine Anzahlungen mehr leisten wollen.444
441 Zur sanierenden Übertragung als eine Form der Verwertung vgl. Wellensiek, NZI 2002, 233, 234. 442 Vgl. den besonderen Anfechtungsschutz bei übertragender Sanierung nach § 90 Abs. 2 StaRUG. 443 Vgl. EWG 2 und 16 RRiL. 444 Im deutschen GmbH-Recht wird angenommen, dass der Geschäftsführer nicht einmal berechtigt sei, Gläubiger über eine bedrohliche finanzielle Lage zu informieren, SchluckAmend, in: MüAnwHdB GmbH-Recht, § 23 Rn. 85; Roßkothen, S. 335.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
b) Die Regelungen des StaRUG aa) Das StaRUG im Regierungsentwurf SanInsFoG Der RegE SanInsFoG sah zur Umsetzung von Art. 19 lit. a RRiL in § 2 Abs. 1 StaRUG RegE noch eine Pflicht der Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Unternehmensträger vor zur Wahrung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger ab dem Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Weisungen und Beschlüssen von Überwachungsorganen erklärte § 2 Abs. 2 S. 2 StaRUG RegE für unbeachtlich, soweit sie der gebotenen Wahrung der Gläubigerinteressen entgegenstehen. Der RegE entschied sich also dafür, einen Vorrang von Gläubigerinteressen ab dem Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit anzuordnen, obwohl dies durch die RRiL nicht zwingend geboten ist.445 Grund dafür war, dass ab dem Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit eine vollständige Erfüllung der Gläubigerforderungen gefährdet ist und zugleich durch das Insolvenzverfahren oder die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in die Rechte der Gläubiger eingegriffen werden kann.446 Den Möglichkeiten der Unternehmensleitung, auf die Interessen der Gläubiger einzuwirken, sollte als Korrektiv eine Berücksichtigung der Gläubigerinteressen gegenüberstehen.447 Die Regelung war zudem im Zusammenhang mit der Verkürzung des Prognosehorizonts der Überschuldung auf 12 Monate gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 InsO RegE zu sehen.448 Eine zukünftige Zahlungsunfähigkeit, welche außerhalb dieses Prognosezeitraums eintritt, führt nach der Änderung von § 19 InsO durch das SanInsFoG nicht mehr zu einer Insolvenzantragspflicht, sodass eine Fortführung des Unternehmens in diesem Zustand nicht mehr als Insolvenzverschleppung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 15a, 19 InsO sanktioniert wird. Ebenso finden die Zahlungsverbote (vor der Änderung durch das SanInsFoG § 64 S. 2 GmbHG und § 92 Abs. 2 S. 1 AktG, nunmehr § 15b Abs. 1 InsO) keine Anwendung mehr. Die dadurch entstehende Schutzlücke für die Interessen der Gläubiger sollte durch § 2 StaRUG RegE geschlossen werden. Der RegE sah die Gläubigerinteressen als Leitlinie für das Geschäftsleiterermessen im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit.449 Vom Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit an sollte die Interessen der Gläubiger vorrangig zu berücksichtigen sein und nur soweit ein Konflikt mit den Interessen der übrigen Beteiligten nicht besteht, sollten die Interessen dieser Beteiligten ebenfalls zu berücksichtigen sein.450 Das Gläubigerinteresse ist in erster Linie auf die Erfüllung der bestehenden Forderungen gerichtet. Im Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfä445 446 447 448 449 450
Schmidt, EuZW 2020, 955 „überschießende Umsetzung“. RefE SanInsFoG, S. 113; RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 105. RefE SanInsFoG, S. 113; RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 105. RefE SanInsFoG, S. 113; RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 105. Vgl. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 106 f. RefE SanInsFoG, S. 115; RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 106 f., 108.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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higkeit hat sich das Ausfallrisiko bereits zu einem Teil realisiert. In diesem Zustand ist das Gläubigerinteresse darauf gerichtet, dass das Ausfallrisiko durch den Schuldner (wieder) verringert wird oder es sich zumindest nicht durch Maßnahmen der Geschäftsleitung weiter erhöht. Der RegE SanInsFoG sprach von „legitimen Haftungserwartungen der Gläubigerschaft“.451 Diese sollte der Geschäftsleiter im Rahmen seines Ermessens berücksichtigen. Dass es in erster Linie um das Ausfallrisiko der Gläubiger geht, wird auch dadurch deutlich, dass die Gesamtheit der Interessen der Gläubiger zu wahren war.452 Diesen ist bei aller Heterogenität doch gemeinsam, dass sie ihre Forderungen weitestmöglich realisieren wollen.453 Der RegE ging davon aus, dass eine Geltung der in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG kodifizierten Business-Judgement-Rule für die Entscheidungen des Geschäftsleiters im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht gilt.454 Dennoch stand dem Geschäftsleiter weiterhin ein Ermessenspielraum für unternehmerische Entscheidungen zu. Rechtstechnisch sollte sich dieser jedoch von nun an aus § 2 Abs. 1 S. 2 StaRUG RegE ergeben. Der Ermessensspielraum des Geschäftsleiters im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit war nach der Vorstellung der RegE eher vergleichbar mit dem unternehmerischen Ermessen eines Insolvenzverwalters, der als Leitlinie stets das Verfahrensziel des § 1 InsO verfolgt, nämlich die (bestmögliche) Befriedigung der Gläubiger. Daher verweist der RegE BT Dr. 19/24181, S. 107, zur Darstellung der Grenzen des Geschäftsleiterermessens auf das BGH, Urt. v. 12. 3. 2020 – IX ZR 125/17 Rz. 27 f., welches das unternehmerische Ermessen eines Insolvenzverwalters bei Unternehmensfortführung betrifft. Die ersten drei Leitsätze dieses Urteils lauten: 1. Maßstab aller unternehmerischen Entscheidungen des Insolvenzverwalters im Rahmen einer Betriebsfortführung ist der Insolvenzzweck der bestmöglichen gemeinschaftlichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger sowie das von den Gläubigern gemeinschaftlich beschlossene Verfahrensziel – Abwicklung des Unternehmens, Veräußerung oder Insolvenzplan – als Mittel der Zweckerreichung. 2. Der dem Insolvenzverwalter bei unternehmerischen Entscheidungen zustehende Ermessensspielraum ist überschritten, wenn die Maßnahme aus der Perspektive ex ante angesichts der mit ihr verbundenen Kosten, Aufwendungen und Risiken im Hinblick auf die Pflicht des Insolvenzverwalters, die Masse zu sichern und zu wahren, nicht mehr vertretbar ist. 3. § 93 I 2 AktG ist nicht entsprechend auf die Haftung des Insolvenzverwalters bei unternehmerischen Entscheidungen anzuwenden.
Der RegE beschränkte sich darauf, die Berücksichtigung der in Art. 19 lit. a RRiL genannten Interessen anzuordnen. Eine ausdrückliche Umsetzung von Art. 19 lit. b 451
RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 107; siehe auch RefE SanInsFoG, S. 114. Ähnlich Thole, ZIP 2020, 1985, 1987 zum RefE SanInsFoG. 453 Dabei wird nicht verkannt, dass die Risikoneigung von Gläubigern unterschiedlich ausgeprägt sein kann; vgl. zu Insolvenzgläubigern Korch, ZIP 2020, 1596, 1597 f. 454 Vgl. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 107 „Im Unterschied zu der sogenannten business judgment rule“. 452
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
und c RRiL erfolgte nicht. Wie gezeigt wurde, ist das auch nicht zwingend, da es sich bei Art. 19 lit. b und c RRiL um Ausprägungen von Art. 19 lit. a RRiL handelt. Um eine ausreichende Umsetzung von Art. 19 lit. b und c RRiL sicherzustellen, hätten diese Tatbestände bei der Auslegung des Merkmals der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger in § 2 Abs. 1 S. 1 StaRUG RegE berücksichtigt werden müssen. Nach dem RegE verengt sich das Ermessen der Geschäftsleiter je näher der Eintritt der zukünftigen Zahlungsunfähigkeit liegt. Liegt die Fälligkeit einer voraussichtlich nicht erfüllbaren Forderung noch zwei Jahre in der Zukunft, so steht dem Geschäftsleiter zur Wahrung der Interessen der Gläubigerschaft (und zur Erfüllung der berechtigten Haftungserwartung der Gläubiger) ein breiter Ermessensspielraum zu. Im Rahmen dieses Ermessens kann der Geschäftsleiter zur Wahrung der Gläubigerinteressen bspw. verlustträchtige Geschäftstätigkeiten einstellen oder verlustbringende Unternehmensteile veräußern.455 Konkrete Handlungs- oder Unterlassungspflichten lassen sich laut RegE aufgrund der Anknüpfung an das Gläubigerinteresse in diesem Stadium regelmäßig noch nicht begründen.456 Das Ermessen sollte sich jedoch graduell verdichten und letztlich zu konkreten Handlungspflichten verengen, etwa zu Massesicherungspflichten, wenn die Zahlungsunfähigkeit unmittelbar bevorsteht.457 Solange keine Zweifel an der Refinanzierungsfähigkeit der Schuldnerin bestehen, sollte die Unternehmensleitung nicht zu konkreten Maßnahmen veranlasst sein458, da in diesem Fall kein Risiko für die Gläubiger bestehe. Ab dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache sah § 45 StaRUG RegE eine Außenhaftung der Geschäftsleiter vor, wenn diese gegen die in § 2 StaRUG normierte Pflicht zur Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit verstoßen. bb) Ausreichende Umsetzung im StaRUG? § 2 StaRUG RegE sowie die daran anknüpfende Haftungsnorm des § 3 StaRUG RegE sind im StaRUG ersatzlos entfallen. Ein Grund war das unklare Verhältnis zu den im Gesellschaftsrecht verankerten Sanierungspflichten.459 Die Gefährdung der Gläubiger im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit ebenso wie die Macht der Geschäftsleiter, „Entscheidungen zu treffen, die sich zulasten der Gläubiger als Residualberechtigte am Unternehmensvermögen auswirken“460, ist selbstverständlich durch die Streichung nicht entfallen. Das StaRUG normiert daher in § 43 Sta455 456 457 458 459 460
RefE SanInsFoG, S. 113; RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 105. RefE SanInsFoG, S. 114; RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 105. RefE SanInsFoG, S. 113; RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 105. RefE SanInsFoG, S. 114; RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 105. BT Dr. 19/25353, S. 6. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 105.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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RUG eine dem § 2 Abs. 1 S. 1 StaRUG RegE entsprechende461 Verpflichtung der Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Unternehmensträger ab dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache, die gemäß § 31 Abs. 3 StaRUG mit der Anzeige der Restrukturierungssache eintritt. Die Geschäftsleiter der haftungsbeschränkten Unternehmen müssen nach § 43 Abs. 1 S. 1 StaRUG darauf hinwirken, dass der Schuldner die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreibt und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger wahrt. Die Geschäftsleiter sollen also bei der Ausübung ihrer Organstellung die Interessen der Gläubiger wahren. Die zum RegE des StaRUG geschilderten Erwägungen können daher bei der Auslegung dieser Norm teilweise Anwendung finden. Eine Beschränkung der Weisungsbefugnis der Überwachungsorgane wie sie § 2 Abs. 2 StaRUG RegE vorsah, findet sich im StaRUG auch ab Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache nicht mehr. Die Gefährdung der Gläubiger besteht jedoch bereits ab dem Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit und nicht erst ab Rechtshängigkeit der Rechtstrukturierungssache, an welche § 43 StaRUG aknüpft. Die Beschränkung der Pflicht zur Wahrung der Gläubigerinteressen auf den Zeitraum ab Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache verwundert umso mehr als der RegE noch ausdrücklich davon spricht, dass die Macht der Geschäftsleiter zur Beeinträchtigung der Gläubiger als Residualberechtigte am Unternehmensvermögen ab dem Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit, „unabhängig davon besteht, ob die Sanierung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens, unter Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens oder außerhalb eines gerichtlichen Forums verfolgt wird“.462
Es bedürfe daher einer allgemeinen Regelung, die allein an den Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit anknüpft.463 Eine solche allgemeine Regelung gibt es im StaRUG nicht mehr. Die Streichung der §§ 2, 3 StaRUG RegE und die Beschränkung der Berücksichtigung der Gläubigerinteressen auf den Zeitraum ab Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache erfolgte jedoch unter der Annahme, dass dadurch keine Lücken im Gläubigerschutz entstehen, da „das Bedürfnis nach Gläubigerschutz, das mit der Rückbildung der von der Verkürzung des Prognosezeitraums betroffenen gläubigerschützenden Haftungsnormen einhergeht, durch die gesellschaftsrechtlichen Haftungsnormen aufgefangen wird“.
Die Kompensationsfunktion, welche ursprünglich §§ 2, 3 StaRUG RegE zugedacht war, soll nun – zumindest außerhalb des SRR – durch gesellschaftsrechtliche 461
Vgl. BT Dr. 19/25353, S. 8. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 105; kritisch zur Einordnung der Gläubiger als Residualberechtigte Schäfer, ZIP 2020, 2164, 2166; Kuntz, ZIP 2020, 2423. 463 RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 105. 462
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Haftungsnormen erfolgen.464 Inwieweit das der Fall ist, wird im Zusammenhang mit Art. 19 lit. b und lit. c RRiL erläutert. Die Regelung des § 43 StaRUG wird ebenfalls im Zusammenhang mit Art. 19 lit. b RRiL näher erläutert. Nach der Streichung von §§ 2, 3 StaRUG RegE und der Einführung von § 43 StaRUG besteht eine ausdrückliche Berücksichtigung der Gläubigerinteressen nur noch ab Rechtshängigkeit einer Restrukturierungssache im Sinne von § 31 Abs. 3 StaRUG. Dies ist systematisch insoweit stimmig (insbesondere im Hinblick auf Möglichkeiten zur Einwirkung auf die Interessen der Gläubiger), als auch in der Eigenverwaltung, die insbesondere für Sanierungszwecke genutzt wird, anerkannt ist, dass sich die Geschäftsführung am Interesse der Gläubiger auszurichten hat.465 Dennoch wird Art. 19 RRiL dadurch nicht umfassend umgesetzt. Nicht ganz eindeutig ist, ob im SRR die Gläubigerinteressen vorrangig oder gleichrangig zu den übrigen Interessen zu behandeln sind. Der Wortlaut von § 32 Abs. 1 S. 1 StaRUG und § 43 Abs. 1 S. 1 StaRUG lässt beide Auslegungen zu. Für einen Vorrang könnte sprechen, dass § 43 Abs. 1 S. 1 StaRUG „inhaltlich unverändert“, so BT Dr. 19/25353, S. 8 an die Formulierung aus § 2 Abs. 1 StaRUG RegE und § 32 Abs. 1 StaRUG (bzw. § 34 Abs. 1 S. 1 StaRUG RegE) anknüpft. Das dabei § 2 Abs. 4 StaRUG RegE nicht übernommen wurde, schadet nicht, da durch diese Norm nur klargestellt werden sollte, dass auch andere Interessen berücksichtigt werden können, soweit kein Konflikt besteht.466 Mit Blick auf die Umsetzung von Art. 19 lit. a RRiL ist im Rahmen des Bestandsschutzes (innerhalb und außerhalb des SRR) eine gleichrangige Berücksichtigung der Gläubigerinteressen gegenüber den Interessen der übrigen Beteiligten gefordert. Letztlich wäre die Entscheidung zwischen einer gleichrangigen und einer vorrangigen Berücksichtigung obsolet, wenn aus ihr keine konkreten Handlungspflichten oder -verbote abgeleitet werden. § 32 Abs. 1 S. 2 und S. 3 StaRUG nennen beispielhaft bestimmte Handlungsverbote. Insbesondere habe der Schuldner Maßnahmen zu unterlassen, „welche sich mit dem Restrukturierungsziel nicht vereinbaren lassen oder welche die Erfolgsaussichten der in Aussicht genommenen Restrukturierung gefährden. Mit dem Restrukturierungsziel ist es in der Regel nicht vereinbar, Forderungen zu begleichen oder zu besichern, die durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden sollen.“
In dieser Arbeit wird die Auffassung vertreten, dass dem Schuldner weiterhin ein Ermessensspielraum verbleibt, der jedoch begrenzt ist soweit eine Maßnahme (Handlung oder Unterlassung) den Bestand gefährdet.467 Dieser Ermessensspielraum und seine Grenze gelten auch nach §§ 32, 43 StaRUG innerhalb des SRR. Die in § 32 464 Zu dem Zusammenhang zwischen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung mit Blick auf eine sog. shift of fiduciary duties vgl. auch Bitter, ZIP 2021, 312, 322. 465 BGH, Urt. v. 26. 4. 2018 – IX ZR 238/17 = NJW 2018, 2125 Rz. 20; Klöhn, in: MüKo InsO, § 276a Rn. 5 m. w. N. 466 RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 108. 467 Zu dem Begriff der bestandsgefährdenden Maßnahmen vgl. B. III. 6. c); zu § 43 Abs. 1 StaRUG siehe auch B. III. 5. d) aa) (3) (b).
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Abs. 1 S. 2 StaRUG genannte Gefährdung der Restrukturierung ist als eine das Ermessen begrenzende Bestandsgefährdung zu verstehen, denn wenn im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit die Restrukturierung gefährdet wird, ist der gesamte Bestand des Schuldners gefährdet. Indem die Bestandsgefährdung vermieden wird, werden die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger gewahrt. Damit sind den Geschäftsleitern insbesondere sämtliche Maßnahmen untersagt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass sich das Ausfallrisiko der (Gesamt-)Gläubiger weiter erhöht. Ebenso ist eine Fortführung ohne jegliche Sanierungsaussichten untersagt, da auch diese das Ausfallrisiko ebenfalls weiter erhöht wird. Letzteres wird bereits durch die Anzeigepflichten nach § 32 StaRUG und die daran anknüpfende Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 33 StaRUG umgesetzt. Ginge man von einem Vorrang der Gläubigerinteressen ab Inanspruchnahme des SRR aus, so könnte man auch vertreten, dass nicht nur die überwiegend wahrscheinliche Erhöhung des Ausfallrisikos468 unzulässig ist, sondern es darüber hinaus geboten ist, die geringstmögliche Beeinträchtigung des Ausfallrisikos anzustreben. Dadurch würden aber wirtschaftlich vernünftige Risiken und damit letztlich auch die Durchführung lohnenswerter Restrukturierungen unterbunden. Das StaRUG setzt die nach der RRiL erforderliche Berücksichtigung von Gläubigerinteressen somit nur partiell um. Nämlich personell beschränkt auf die Geschäftsleiter von haftungsbeschränkten Unternehmensträgern und zeitlich beschränkt auf die Inanspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen. In Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL muss es Anreize zur Berücksichtigung von Gläubigerinteressen im Rahmen des Bestandserhaltes jedoch für sämtliche Unternehmensleiter und bereits ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit geben. c) Auswirkungen auf das deutsche Unternehmensrecht Im Folgenden soll betrachtet werden, inwieweit sich die erforderliche Berücksichtigung der Gläubigerinteressen im Rahmens des Bestandserhalts auf das deutsche Unternehmensrecht auswirkt. Ausführungen zu konkreten Handlungspflichten bzw. -verboten bleiben dabei den Ausführungen im Zusammenhang mit Art. 19 lit. b und c RRiL vorbehalten. aa) GmbH Für die GmbH wird überwiegend angenommen, dass das Unternehmensinteresse vorrangig durch die Interessen der Gesellschafter bestimmt wird und diese daher auch bei der Leitung des Unternehmens durch den Geschäftsführer entscheidend
468
Vgl. dazu B. III. 6. a).
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
sind.469 Dieser Vorrang galt bislang auch im Vorfeld der Insolvenz.470 Stets von der Unternehmensleitung zu beachten sind gesetzliche Vorgaben und die Satzung der Gesellschaft. Das interessenmonistische Modell wird vor allem damit begründet, dass die Geschäftsführerhaftung abgesehen von den Fällen des § 43 Abs. 3 GmbHG zur Disposition der Gesellschafter steht (§ 46 Nr. 6 und 8 GmbHG) sowie damit, dass das Kapital der GmbH oberhalb der Stammkapitalziffer nach der gesetzlichen Konzeption zur freien Verfügung der Gesellschafter steht. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Geschäftsführer bislang gegenüber den Gesellschaftern weitgehend weisungsabhängig ist.471 Der Vorrang der Gesellschafterinteressen bestand auch bislang nicht unbeschränkt. Jedenfalls ab Eintritt der materiellen Insolvenz472 und im Zusammenhang mit sog. existenzvernichtenden Eingriffen ist eine Berücksichtigung der Gläubigerinteressen angezeigt und insoweit die Dispositionsbefugnis der Gesellschafter eingeschränkt.473 Ebenso sind bestandsgefährdende Geschäfte nicht uneingeschränkt zulässig, was ebenfalls als eine Berücksichtigung von Gläubigerinteressen zu werten ist. Da die RRiL keine Reihenfolge für die zu berücksichtigenden Interessen festlegen will, ist ein interessenmonistisches Modell grundsätzlich zulässig. Das StaRUG hat sich ab Inanspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen, welche mit der Anzeige nach § 31 StaRUG beginnt, für eine Pflicht der Geschäftsleiter zur Wahrung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger entschieden (§ 43 Abs. 1 S. 1 und § 32 Abs. 1 S. 1 StaRUG). Jedenfalls ab der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache gilt im GmbH-Recht somit nicht mehr ein interessenmonistisches Modell. Die Umsetzung von Art. 19 RRiL soll als Minimum dazu führen, dass sich die Geschäftsführung an der Bestandserhaltung ausrichtet. Mit der Anordnung einer Wahrung der Gläubigerinteressen wird diese Vorgabe im SRR umgesetzt. Denn eine erfolgreiche Wahrung der Gläubigerinteressen führt zur Vermeidung von Insolvenzen und erhält den Bestand des Unternehmens. Jedoch muss die Pflicht zur Bestandserhaltung in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL auch vor Inanspruchnahme des SRR gelten, nämlich ab drohender Zahlungsunfähigkeit. Dazu enthält das StaRUG keine Regelung. Ab drohender Zahlungsunfähigkeit sind der 469 Vgl. BGH, Urt. v. 31. 1. 2000 – II ZR 189/99 = NJW 2000, 1571; Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 19; Klöhn, in: Bork/Schäfer, GmbHG § 43 Rn. 5; a. A. OLG Zweibrücken Urt. v. 22. 12. 1998 – 8 U 98/98 = NZG 1999, 506, 507; OLG Naumburg, Urt. v. 30. 11. 1998 – 11 U 22/98 = NZG 1999, 353, 354 („Wahrung der Belange der Gesellschaftsgläubiger“); Ziemons, in: M/H/L/S, GmbHG, § 43 Rn. 150. 470 Korch, ZGR 2019, 1050, 1057. 471 Vgl. Klöhn, in: Bork/Schäfer, GmbHG, § 43 Rn. 3. 472 Vgl. BGH, Urt. v. 9. 7. 1979 – II ZR 118/77 (Herstatt) = NJW 1979, 1823 II 1 lit. d. 473 Klöhn, in: Bork/Schäfer, GmbHG, § 43 Rn. 5; Mohaupt, S. 266.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Geschäftsführung nach der hier vertretenen Auffassung im Interesse der Bestandserhaltung bestimmte Maßnahmen untersagt und gewisse Pflichten auferlegt, was im Zusammenhang mit Art. 19 lit. b und lit. c RRiL erläutert wird. Der Vorrang der Gesellschafterinteressen wird daher im Interesse der Bestandserhaltung in bestimmtem Umfang eingeschränkt. Darin könnte zumindest ein leichter Übergang zu einem Interessenpluralismus (und insofern auch ein shift of fiduciary duties474) gesehen werden, auch wenn zu berücksichtigen ist, dass die Gesellschafter und der Geschäftsführer auch im interessenmonistischen Modell nicht befugt sind, andere Interessen völlig außer Acht zu lassen.475 Solange diese Begrifflichkeiten nicht mit konkreteren Vorgaben für die Geschäftsleiter verbunden werden, sind sie letztlich jedoch belanglos. Inwieweit die Dispositionsbefugnis der Gesellschafter mit Blick auf die Pflicht zum Bestandserhalt des Unternehmens und eine Wahrung der Gläubigerinteressen eingeschränkt ist, wird bei Art. 19 lit. b und lit. c RRiL als spezielle Ausprägungen von Art. 19 lit. a RRiL erläutert.476 bb) Aktiengesellschaft Die herrschende Meinung im Aktienrecht geht davon aus, dass der Vorstand im Rahmen seines Leitungsermessens einen interessenpluralistischen Ansatz zu verfolgen hat, also die Interessen der Aktionäre, Gläubiger, Arbeitnehmer sowie des Gemeinwohl stets in Ausgleich bringen muss.477 Ein großer Teil der Literatur spricht sich jedoch für einem Vorrang der Gesellschafterinteressen aus und berücksichtigt die Interessen der übrigen Stakeholder durch eine Ausrichtung der Unternehmensleitung auf den langfristigen Unternehmenserfolg sowie einen Schutz der Stakeholder durch Markt- und Reputationseffekte sowie durch spezielle Gesetze, etwa im Arbeits-, Sozial- und Umweltrecht.478 Zudem wird der interessenpluralistische Ansatz dafür kritisiert, dass er die Gefahr für opportunistisches Verhalten des Vorstandes im Eigeninteresse erhöhe, da ein Rechenschaftsvakuum entstehe und zudem Gläubiger häufig bereits eigene Schutzvorkehrungen treffen können.479 Zwischen dem moderaten Shareholder-Value-Ansatz und dem interessenpluralistischen Ansatz bestehen in aller Regel jedoch nur geringe Differenzen.480 474
In diese Richtung wohl auch Ehret, in: Braun, StaRUG, § 1 Rn. 10. Vgl. dazu etwa Klöhn, in: Bork/Schäfer, GmbHG, § 43 Rn. 5. 476 Dazu B. III. 5. d) aa) (5) (a) und B. III. 6. d) bb) (2). 477 Vgl. Präambel Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK) v. 16. 12. 2019; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 30; Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, GesR, AktG, § 76 Rn. 10; Goette, ZGR 2008, 436, 447. 478 Fleischer, in: beck-online.Großkommentar, AktG, § 76 Rn. 31 ff.; Spindler, in: MüKo AktG, § 76 Rn. 80; Grigoleit, in: Grigoleit, AktG, § 76 Rn. 19 ff.; Seibt, ZIP 2013, 1597. 479 Klöhn, ZGR 2008, 110, 146 und 154. 480 Spindler, in: MüKo AktG, § 76 Rn. 78. 475
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Die RRiL enthält, wie bereits ausgeführt wurde, keine Festlegung in der Frage in wessen Interesse das Unternehmen im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz zu führen ist. Auch im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit besteht daher grundsätzlich der Interessenpluralismus fort. Durch § 43 Abs. 1 und § 32 Abs. 1 StaRUG wird auch der Vorstand einer Aktiengesellschaft zur Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit verpflichtet, wenn er den SRR in Anspruch nimmt. Für die Aktiengesellschaft ist auch im SRR von einem Interessenpluralismus auszugehen. Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt ist die Ausrichtung der Unternehmensleitung von Aktiengesellschaft, GmbH und den übrigen haftungsbeschränkten Unternehmensträgern nun einheitlich geregelt. Der von Art. 19 lit. a RRiL angeordnete Mindestschutz durch Ausrichtung auf den dauerhaften Erhalt des Unternehmens wird im Aktienrecht bereits anerkannt. Als Grenze des Leitungsermessens eines Vorstandes wird der dauerhafte Bestand bzw. die dauerhafte Rentabilität genannt.481 Die aus Art. 19 lit. a RRiL abgeleitete Bestandserhaltung wäre damit bereits nach bislang geltendem Recht gewahrt. Dies gilt auch für den Zeitraum vor Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache. Bei der Aktiengesellschaft besteht daher auch für den Bereich außerhalb des SRR nur ein geringer Umsetzungsbedarf für Art. 19 lit. a RRiL. Es wird vertreten, dass der Vorstand bei einem grundsätzlichen Vorrang der Aktionärsinteressen sein Leitungsermessen jedenfalls dann überschreitet, wenn er verschiedene Gläubigergruppen ohne sachliche Rechtfertigung prozedural ungleich behandelt oder materielle Vor- bzw. Nachteile gewährt bzw. zumutet und dadurch das Risiko signifikant erhöht wird, dass ein Sanierungskonzept nicht erfolgreich umgesetzt werden kann.482 Diese Auslegung des Leitungsermessens des Vorstands wird durch Art. 19 lit. a RRiL und die Fokussierung auf den Bestandserhalt gestützt, unabhängig davon ob man einen grundsätzlichen Vorrang der Aktionärsinteressen im Aktienrecht anerkennt. Die weiteren, konkreten Auswirkungen der Pflicht zur Bestandserhaltung werden bei Art. 19 lit. b und lit. c RRiL erörtert, die speziellen Ausprägungen der von Art. 19 lit. a RRiL angeordneten Ausrichtung der Unternehmensleitung auf den Erhalt des Unternehmens im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz darstellen. cc) Personenhandelsgesellschaften Der Streit um das Unternehmensinteresse, also um die Frage in wessen Interesse, das Unternehmen zu führen ist, wird bei den Kapitalgesellschaften als juristische Personen, die unabhängig von ihren Gesellschaftern existieren, geführt.
481
Fleischer, in: beck-online.Großkommentar, AktG, § 76 Rn. 27 m. w. N.; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 34; Weber, in: Hölters, AktG, § 76 Rn. 19; Baums, ZGR 2011, 218, 232. 482 Seibt, ZIP 2013, 1597, 1599.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Bei Personengesellschaften ist grundsätzlich die Identität von Gesellschafter- und Gesellschaftsinteresse anerkannt.483 Dies folgt maßgeblich aus dem Prinzip der persönlichen Haftung bei Personengesellschaften, welchem durch das Prinzip der Selbstorganschaft Rechnung getragen wird.484 Die Geschäftsführung hat stets im Interesse der Gesellschaft und damit im Interesse der durch den Gesellschaftsvertrag verbundenen Gesellschafter zu erfolgen. Die Berücksichtigung gesellschaftsfremder Interessen bei der Leitung einer Personengesellschaft ist nicht vorgesehen. Die Berücksichtigung der Interessen der übrigen Stakeholder, welche Art. 19 lit. a RRiL vorschreibt, erfolgt lediglich mittelbar, indem durch die persönliche Außenhaftung der Gesellschafter ein Anreiz für diese geschaffen wird, im eigenen Interesse erforderliche Sanierungen rechtzeitig vorzunehmen und verlustträchtige Aktivitäten zu unterlassen. Die persönliche Haftung führt zu einem Anreiz für die Gesellschafter, im Interesse der Bestandserhaltung zu handeln. Zugleich wird durch die persönliche Haftung das Insolvenzverursachungsrisiko reduziert.485 Die persönliche Haftung bewirkt hingegen keine bemerkenswerte Begrenzung des Ausfallrisikos der Gläubiger, da sich die Insolvenzquoten für ungesicherte Gläubiger trotz der persönlichen Gesellschafterhaftung bei Personengesellschaften nicht wesentliche von denen bei Kapitalgesellschaften ohne eine solche Haftung unterscheiden.486 Durch die persönliche Haftung und die damit verbundene Reduzierung des Insolvenzverursachungsrisikos werden jedoch Restrukturierungen gefördert wie es die RRiL vorsieht. Der Wortlaut von Art. 19 lit. a RRiL ist weit gefasst, sodass der von einer unbeschränkten, persönlichen Außenhaftung der Gesellschafter ausgehende Anreiz eine gebührende Berücksichtigung der übrigen Stakeholderinteressen im Sinne von Art. 19 lit. a RRiL darstellt, indem er die Unternehmensleitung zu bestandserhaltenden Maßnahmen anhält. Was im Kapitalgesellschaftsrecht oftmals gefordert wird, die persönliche Haftung als Anreiz für Verhaltenssteuerung, ist insoweit dem Personengesellschaftsrecht bereits immanent. Das StaRUG sieht eine Anwendung der § 43 StaRUG auf nicht haftungsbeschränkte Rechtsträger487 nicht vor. Ebensowenig sollte die Berücksichtigung der Gläubigerinteressen nach § 2 StaRUG RegE für nicht haftungsbeschränkte Rechtsträger geltend. Dies wurde mit der Anreiz- und Steuerungswirkung der persönlichen Haftung begründet.488 Letztlich hängt die Effektivität der Umsetzung von Art. 19 RRiL bei den Personengesellschaften von der Stärke der Anreizwirkung der persönlichen Haftung in Bezug auf das Insolvenzverursachungsrisiko ab. Ist dieser Anreiz weniger stark 483
Vgl. Rawert, in: Müko HGB, § 114 Rn. 23. Vgl. Enzinger, in: Müko HGB, § 109 Rn. 19. 485 Haas, DStR 1999, 985, 986. 486 Haas, DStR 1999, 985, 986. 487 Personengesellschaften, die einer Antragspflicht nach § 15a InsO unterliegen, gelten als haftungsbeschränkt. 488 RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 103. 484
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
ausgeprägt, so führt die persönliche Haftung lediglich zu einer (meist geringfügigen) Kompensation des entstandenen Schadens im Nachhinein. Die konkreten Auswirkungen der persönlichen Haftung und die Tauglichkeit der davon ausgehenden Anreizwirkungen zur Umsetzung von Art. 19 RRiL werden bei den speziellen Tatbeständen des Art. 19 lit. b und c RRiL untersucht.489 § 32 Abs. 1 StaRUG ordnet ebenfalls eine Pflicht zur Wahrung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger an. Da sich § 32 StaRUG nur an den Schuldner richtet, sind auch nicht haftungsbeschränkte Unternehmensträger seine Adressaten. Für die Geschäftsleiter von haftungsbeschränkten Rechtsträgern gilt § 32 Abs. 1 StaRUG ohnehin aufgrund der Legalitätspflicht, sodass § 43 Abs. 1 StaRUG insoweit nur eine Klarstellung darstellt, dass eine Verletzung dieser Pflicht zur persönlichen Haftung führen kann.490 Für die Gesellschafter nicht haftungsbeschränkter Unternehmensträger und für den Einzelkaufmann hat § 32 Abs. 1 StaRUG keine besonderen Haftungsfolgen, sondern die entscheidende Rechtsfolge für diese Unternehmensträger liegt darin, dass bei einer (schwerwiegenden) Verletzung der Pflicht zur Wahrung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger, die Restrukturierungssache aufgehoben werden kann gemäß § 33 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG. Die besonderen Befugnisse und Einwirkungsmöglichkeiten auf die Interessen der Gläubiger im SRR sollen auch Unternehmen ohne Haftungsbeschränkung nur dann zur Verfügung stehen, wenn sie die Interessen der Gläubiger wahren. Eine Haftung für die Verletzung der Gläubigerinteressen hätte bei den ohnehin persönlich haftenden Gesellschaftern keinen Mehrwert. dd) Einzelkaufmann Der Einzelkaufmann wirtschaftet mit dem eigenen Vermögen. Ihm obliegt daher nicht die treuhänderische Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen, wie etwa dem Geschäftsführer einer GmbH.491 Der Einzelkaufmann kann letztlich frei mit seinem Vermögen und damit auch mit dem Unternehmen verfahren. Eine rechtlich bindende Berücksichtigung von Drittinteressen existiert nicht. Eine solche wird lediglich mittelbar über die persönliche Haftung des Einzelkaufmanns hergestellt, welche nach der gesetzgeberischen Vorstellung dazu führt, dass insolvenzverursachende Maßnahmen unterlassen werden und bestandserhaltende Maßnahmen ergriffen werden. Die Berücksichtigung der Interessen der Gläubiger ist daher nach dem StaRUG für den Einzelkaufmann ebensowenig wie für die Personengesellschaften verpflichtend. Eine Verletzung von § 32 Abs. 1 StaRUG kann jedoch zur Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 33 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG führen. Wie bereits bei den Personenhandelsgesellschaften dargelegt wurde, kann die persönliche Haftung als Instrument zur Umsetzung von Art. 19 lit. a RRiL dienen. 489 490 491
Siehe B. III. 6. d) dd) und B. III. 5. d) cc). Vgl. BT Dr. 19/25353, S. 8. Vgl. Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 10.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Ob sie tatsächlich ausreichend ist, um auch die weiteren Alternativen von Art. 19 RRiL umfassend und effektiv umzusetzen, wird bei Art. 19 lit. b und c RRiL besprochen. 4. Auswirkungen von Art. 19 RRiL auf die gesellschaftsrechtliche Binnenorganisation Es ist eine grundsätzliche Frage, ob sich die Pflichten, welche sich in Folge der Umsetzung des Art. 19 RRiL ergeben, in das vorhandene Kompetenzgefüge des jeweiligen Rechtsträger einfügen oder Änderungen an diesem erfordern. Der Wortlaut von Art. 19 RRiL ist mit der Formulierung „gebührend berücksichtigen“ ausreichend weit, um beide Interpretationen zuzulassen. Es stellen sich Fragen wie z. B., ob ein Unternehmensleiter Weisungen der Gesellschafter missachten muss, wenn diese zur Vereitelung einer erfolgversprechenden Sanierung führen oder sich in sonstiger Weise bestandsgefährdend sind. Nimmt man an, dass die Pflichten der Unternehmensleitung in das bestehende Kompetenzgefüge einzufügen sind, dann endet die Pflichtenbindung in der Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL dort, wo die Rechte der jeweiligen Gesellschafter nach nationalem Recht beginnen. Legt man die Pflichten in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL weitergehend aus, so könnten sie zu einer Beschneidung der bestehenden nationalen Gesellschafterrechte zum Zweck der Förderung von Restrukturierungen führen. Dem Zweck, Restrukturierungen durch Pflichten der Unternehmensleitung zu fördern, wäre mit beiden Auslegungen gedient, jedoch in unterschiedlichem Ausmaß. Dass die Anteilsinhaber in der Regel selbst nicht als Teil der Unternehmensleitung den Pflichten des Art. 19 RRiL unterliegen, wurde bereits oben erläutert.492 Art. 19 RRiL richtet sich an die Unternehmensleitung und nicht an die Gesellschafter, sodass es auf den ersten Blick angemessen erscheint, dass die Gesellschafter durch diese Vorschrift nicht in ihren Rechten beschränkt werden. Um einen größtmöglichen Effekt durch Art. 19 RRiL zu erzielen, müssen nach der hier vertretenen Auffassung jedoch Gesellschafterrechte eingeschränkt werden, da die Gesellschafter sonst die Sanierungsbemühungen der Unternehmensleitung (je nach Rechtsform in unterschiedlichem Ausmaß) vereiteln könnten oder unseriöse Sanierungsmaßnahmen anstoßen könnten.493 EWG 71 sagt, dass die Richtlinie „die nationalen Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Entscheidungsprozesse in einem Unternehmen unberührt lassen“ sollte. Man könnte dies so verstehen, dass der europäische Gesetzgeber einen Eingriff in das Kompetenzgefüge der nationalen Gesellschaften vermeiden wollte, wobei der Begriff der „Entscheidungsprozesse“ nicht zwingend in diese Richtung auszulegen ist. Für eine solche Vermeidung von Eingriffen in die Binnenorganisation 492
Siehe oben B. I. 2. g). Vgl. dazu für die GmbH Korch, ZIP 2020, 446, 448 f., der das Thema mit Blick auf die Gesellschafter beleuchtet. 493
160
B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
könnte man auch anführen, dass die RRiL gemäß EWG 71 nicht darauf abzielt, „eine Rangfolge zwischen den verschiedenen Parteien festzulegen, deren Interessen gebu¨ hrend beru¨ cksichtigt werden mu¨ ssen“. Eine extensive Auslegung der Pflichten der Unternehmensleitung im Interesse der Restrukturierung könnte als eine Bevorzugung der Interessen der Stakeholder über die Interessen der Anteilsinhaber zum Zeitpunkt der wahrscheinlichen Insolvenz aufgefasst werden.494 Man könnte daher aus EWG 71 den Schluss ziehen, dass die Förderung einer Restrukturierung durch die Pflichten des Art. 19 RRiL nur in dem Ausmaß erfolgt, wie es nach der vorgegebenen nationalen, gesellschaftsrechtlichen Binnenorganisation möglich ist. Bei dieser Auslegung würde Art. 19 RRiL einen geringeren Effekt haben, da die Gesellschafter im Rahmen ihrer Kompetenzen die aus der Umsetzung von Art. 19 RRiL folgenden Pflichten wieder beseitigen könnten. Dieser (geringere) Effekt wäre wiederum in denjenigen Rechtsformen deutlicher spürbar, in denen die Unternehmensleitung unabhängig von den jeweiligen (letzt-)entscheidungsbefugten Inhabern agiert, da dann eine Einschränkung der Wirkungen des Art. 19 RRiL durch die Inhaber aufgrund der rechtsformspezifischen Binnenorganisation nicht zu befürchten ist. In der deutschen AG könnte eine Umsetzung von Art. 19 RRiL damit größere Wirkung entfalten, während sie beim Einzelkaufmann mangels Trennung zwischen Unternehmensleitung und Inhaber praktisch wirkungslos wäre, wenn der Einzelkaufmann kein Interesse an einer Restrukturierung zeigt (Art. 19 lit. b RRiL) oder bestandsgefährdende Maßnahmen (Art. 19 lit. c RRiL) vornehmen möchte. Bei Personengesellschaften und auch bei der GmbH wären effektive Förderungen von Restrukturierungen in Folge einer Umsetzung von Art. 19 RRiL bei dieser Auslegung nur in geringem Ausmaß zu erwarten, da die Unternehmensleitung stets von der Entscheidung der Inhaber abhängig wäre.495 Selbst bei der AG könnte ein Vorstand zu seiner Haftungsentlastung Beschlüsse der Hauptversammlung herbeiführen, die dem Sinn und Zweck von Art. 19 RRiL vollständig entgegenstehen. Wären Eingriffe in die Binnenorganisation zur Umsetzung von Art. 19 RRiL völlig ausgeschlossen, könnte die Norm somit nicht effektiv zur Förderung von Restrukturierungen beitragen. Einen geringen Effekt würde Art. 19 RRiL damit nur dort entfalten, wo die Unternehmensleitung weitgehend unabhängig von den Gesellschaftern agiert, also insbesondere bei der AG. Wie sich zeigen wird, besteht jedoch gerade in dieser Rechtsform der geringste Umsetzungsbedarf hinsichtlich Art. 19 RRiL. Nach der hier vertretenen Auslegung ergibt sich daher die Zulässigkeit von Eingriffen in die gesellschaftsrechtliche Binnenorganisation, soweit es zur Wahrung des aus Art. 19 lit. a RRiL abgeleiteten Minimalziels, den Bestand des Unternehmens zu erhalten, erforderlich ist. Maßnahmen, die der Bestandserhaltung entge494
Es ist darauf hinzuweisen, dass die nach der hier vertretenen Auffassung aus Art. 19 lit. a RRiL folgenden Bestandserhaltungspflicht jedoch als Minimalziel aller Stakeholder gerade keine Bevorzugung einzelner Stakeholder darstellt. Auch die Einschränkung der Wahrnehmung Interessen bestimmter Interessengruppen durch die Unternehmensleitung ist nicht gleichzusetzen mit der Einräumung eines Vorrangs zugunsten einer anderen Interessengruppe. 495 Vgl. auch RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 107.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
161
genstehen, sind unzulässig und je nach Rechtsform der Disposition der Gesellschafter entzogen.496 Dies dient der effektiven Förderung von Restrukturierungen. Die Ausrichtung der Unternehmensleitung auf den Erhalt des Bestandes des Schuldners hat somit auch gegenüber den Gesellschaftern Bestand, um den Mindestschutz aller Stakeholdergruppen zu gewährleisten. Auch wenn sich sämtliche Gesellschafter für die bestandsgefährdende Maßnahme aussprechen, darf die Unternehmensleitung diese nicht durchführen. Ansonsten würde Art. 19 lit. a RRiL völlig leer laufen. Die Ausrichtung auf den Bestandserhalt entspricht der berechtigten Verkehrserwartung der Beteiligten, die auch gegenüber einer Entscheidung der Anteilseigner Vorrang hat, den Bestand des Unternehmens nicht zu wahren. Für die Gläubiger hat sich im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz ihr Ausfallrisiko bereits erhöht. Durch Art. 19 lit. a RRiL wird nun die berechtigte Erwartung geschützt, dass die Unternehmensleitung das Ausfallrisiko nicht gezielt durch Maßnahmen, die dem Bestandserhalt des Unternehmens entgegenstehen, weiter erhöht. Dies ist selbst in einem System der sog. shareholder primacy, welches grundsätzlich den Anteilseignern den Vorrang einräumt, keine unangemessene Beeinträchtigung der Anteilseigner, da das wohlverstandene Interesse der Anteilseigner ebenfalls auf die langfristige Maximierung des Ertragswertes des Unternehmens gerichtet ist und dafür ist der Erhalt des Bestandes des Schuldners ebenfalls Voraussetzung.497 Stets steht es den Gesellschaftern frei, die werbende Tätigkeit zu beenden und das Unternehmen in ein Liquidations- bzw. Insolvenzverfahren zu überführen. Solange sie diesen Weg jedoch nicht wählen, darf die Unternehmensleitung als ausführendes Organ im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz, Maßnahmen, welche die Bestandserhaltung beeinträchtigen, nicht umsetzen. Wenn keine Sanierungschancen für das Unternehmen bestehen, etwa aufgrund einer fehlenden Bereitschaft der Gesellschafter, erforderliche Beiträge zu leisten, ist das Unternehmen nicht bestandsfähig. Solche Unternehmen sind auch nach der RRiL möglichst frühzeitig zu liquidieren.498 Ein Eingriff in die gesellschaftsrechtliche Binnenorganisation kann nach der RRiL also insoweit gerechtfertigt sein, als es für die jeweiligen Gesellschafter nicht möglich sein darf, ein nicht bestandsfähiges Unternehmen weiter zu betreiben. Die Pflicht zur Bestandserhaltung führt unter Berücksichtigung der Rechte der Gesellschafter dazu, dass eine Unternehmensleitung im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz in erster Linie verpflichtet ist, das Ausfallrisiko der Gläubiger, welches sich aufgrund der wahrscheinlichen Insolvenz bereits zum Teil realisiert hat, 496
(5) (a).
Näher zur Einschränkung der Weisungsbefugnis bei der GmbH unter B. III. 5. d) aa)
497 Zur sog. shareholder primacy vgl. Klöhn, ZGR 2008, 110, 130; zum Konzept des Shareholder-Value, welches auf langfristige Maximierung des Ertragswertes des Unternehmens gerichtet ist, Mohaupt, S. 56 f. 498 EWG 3 RRiL: „Gleichzeitig sollten nicht bestandsfähige Unternehmen ohne Überlebenschance so schnell wie möglich abgewickelt werden.“
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
durch Sanierungsmaßnahmen zu verringern und als ultima ratio schnellstmöglich durch eine Abwicklung zu „konservieren“. Keinesfalls darf das Ausfallrisiko durch Handlungen im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz weiter erhöht werden (bspw. durch Mitwirkung an einem existenzvernichtenden Eingriff, durch Spekulationsgeschäfte oder die schlichte Unternehmensfortführung ohne Aussicht auf Sanierung); dies gilt auch bei einem Einverständnis der Gesellschafter.499 Welchen Maßnahmen die Unternehmensleitung nach der Umsetzung von Art. 19 RRiL ab dem Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu unterlassen hat und welche Maßnahmen zu ergreifen sind, wird im Folgenden bei Art. 19 lit. b und lit. c RRiL dargestellt. 5. Art. 19 lit. b RRiL a) Auslegung von Art. 19 lit. b RRiL aa) Sanierungsprüfung und Umsetzung der Sanierung Art. 19 lit. b RRiL gibt vor, dass die Mitgliedstaaten dafür sorgen müssen, dass im Fall einer wahrscheinlichen Insolvenz die Geschäftsleitung mindestens die Notwendigkeit gebührend berücksichtigt, Schritte einzuleiten, um eine Insolvenz abzuwenden. Die in Art. 19 lit. b RRiL genannte „Notwendigkeit“, Schritte zur Insolvenzvermeidung einzuleiten, folgt aus dem Anwendungsbereich von Art. 19 RRiL, nämlich aus der Tatsache, dass die Insolvenz des Schuldners bereits wahrscheinlich ist. Das Tatbestandsmerkmal „gebührende Berücksichtigung“ ermöglicht es, die Pflichten der Unternehmensleitung auf die Situation des jeweiligen Schuldners mit seinen rechtsformspezifischen Eigenheiten abzustimmen. Aus Art. 19 lit. b RRiL können daher verschiedene insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung abgeleitet werden, die von der Sanierungsprüfung, über die Information der Gesellschafter, die Herbeiführung entsprechender Beschlüsse und die Sicherung des zur Sanierung erforderlichen Vermögens bis hin zur Durchführung einer Sanierung, gegebenenfalls sogar entgegen dem Willen der Gesellschafter, reichen können. EWG 70 RRiL enthält eine beispielhafte Aufzählung von Schritten zur Insolvenzvermeidung, die eine Unternehmensleitung ergreifen könnte: „Inanspruchnahme professioneller Beratung unter anderem zu Restrukturierung und Insolvenz, etwa durch Nutzung von Frühwarnsystemen, soweit vorhanden; Schutz der Vermögenswerte des Unternehmens, um einen möglichst hohen Wert zu sichern und den Verlust wesentlicher Vermögenswerte zu verhindern; Analyse der Struktur und der Funktionen des Unternehmens, um die Bestandsfähigkeit zu prüfen und die Ausgaben zu senken; keine Vornahme der Arten von Transaktionen für das Unternehmen, die Gegenstand einer In499 Zu diesen Punkten im Einzelnen unter Art. 19 lit. b und c RRiL; vgl. dazu auch RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 106 f., der mit Blick auf den Schutz der Gläubigerinteressen eine Beschränkung der Weisungsbefugnis der Gesellschafter vorsah.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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solvenzanfechtungsklage werden könnten, es sei denn, es gibt einen triftigen wirtschaftlichen Grund dafür; Fortsetzung der Geschäftstätigkeit, wenn dies unter den gegebenen Umständen sinnvoll ist, um einen möglichst hohen Wert als fortgeführtes Unternehmen zu sichern; Führung von Verhandlungen mit den Gläubigern und Einleitung präventiver Restrukturierungsverfahren.“
Aus Art. 19 lit. b RRiL folgt nicht, dass die Mitgliedstaaten eine Pflicht zur Inanspruchnahme des präventiven Restrukturierungsrahmens oder zur zwingenden Durchführung von anderen Sanierungsmaßnahmen für die Unternehmensleitung vorschreiben müssen.500 Dies ergibt sich schon aus dem deutlich abgemilderten Wortlaut der RRiL im Vergleich zu dem Kommissionsentwurf, welcher noch vorsah, dass die Mitgliedstaaten Vorschriften erlassen, um sicherzustellen, dass die Unternehmensleitung bei einer drohenden Insolvenz verpflichtet ist, angemessene Schritte einzuleiten, um die Insolvenz abzuwenden (Art. 18 lit. c des COM (2016) 723 final). Die RRiL beschränkt sich als Mindestanforderung darauf, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, einen Anreiz dafür zu schaffen, dass die Unternehmensleitung sich gebührend zur Insolvenzvermeidung veranlasst sieht. Dies folgt auch daraus, dass die RRiL rechtsformübergreifend Anwendung findet. Bei einer Kapitalgesellschaft können im Vergleich zu einer Personengesellschaft aufgrund der persönlichen Haftung der geschäftsführenden Gesellschafter völlig unterschiedliche Instrumente als Anreize zur Verwirklichung der insolvenzvermeidenden Handlungen dienen. Auch wenn Art. 19 RRiL mit „Pflichten der Unternehmensleitung“ überschrieben ist, führt das nicht dazu, dass die einzelnen Tatbestände von Art. 19 RRiL in jeder nationalen Rechtform, durch eine explizite Pflicht umgesetzt werden müssten. Art. 19 RRiL schreibt im Gegensatz zu Art. 18 lit. c des COM (2016) 723 final gerade nicht mehr vor, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Vorschriften zu erlassen. Grundsätzliches Ziel der Pflichten der Unternehmensleitung ist die effektive Förderung von Restrukturierungen: Das Ziel von Art. 19 lit. b RRiL ist daher, dass die Unternehmensleitung sich jedenfalls dazu veranlasst sieht, zu prüfen, ob ein Handeln aufgrund der Krisensituation erforderlich ist. Zudem sollte sich die Unternehmensleitung grundsätzlich dazu veranlasst sehen, erfolgversprechende Maßnahmen auch umzusetzen. Dies folgt aus dem Ziel, erfolgversprechende Sanierungen bestandsfähiger Unternehmen effektiv zu fördern. Als erster Schritt nach dem Erkennen einer wahrscheinlichen Insolvenz muss eine Problemanalyse durch die Unternehmensleitung in Form einer Sanierungsprüfung erfolgen. Eine solche Sanierungsprüfung umfasst die Sanierungsfähigkeit und die möglichen Maßnahmen der Sanierung; falls erforderlich, ist die Hilfe von Beratern in Anspruch zu nehmen.501
500 501
So auch Westpfahl, ZRI 4/2020, 157, 165. Vgl. Veil, ZGR 2006, 374, 379.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Sind Sanierungsmaßnahmen erforderlich und möglich, muss die Unternehmensleitung angehalten sein, die Umsetzung der Maßnahmen zu veranlassen. Abhängig von der Rechtsform kann diese Veranlassung darin bestehen, den Gesellschaftern die erforderlichen Maßnahmen zu präsentieren und einen Beschluss über die Maßnahmen herbeizuführen. Insoweit folgt aus Art. 19 lit. b RRiL eine (rechtsformspezifische) Pflicht zur Information der Gesellschafter. Die Pflicht, erforderliche Sanierungsmaßnahmen auch umzusetzen, kann also die Verpflichtung enthalten, die Gesellschafter zu informieren und diese zu einer Entscheidung über Sanierungsmaßnahmen zu bewegen.502 Zu diesem Zweck ist die Unternehmensleitung verpflichtet, die Entscheidung der Gesellschafter über die Sanierungsmaßnahmen im Rahmen der Sanierungsprüfung vorzubereiten. Soweit die Unternehmensleitung rechtsformabhängig nicht zur Einbindung der Gesellschafter verpflichtet ist, muss sie gemäß Art. 19 lit. b RRiL jede erfolgversprechende Chance zur Sanierung wahrnehmen. Eine Untätigkeit der Unternehmensleitung würde zur Vereitelung der Sanierungschance führen und wäre nicht mit der effektiven Förderung von Sanierungen vereinbar. Soweit die Unternehmensleitung auf die Mitwirkung der Gesellschafter bei der Sanierung angewiesen ist, ist festzustellen, dass die Gesellschafter selbst nicht den Pflichten aus Art. 19 RRiL unterworfen sind. D. h. sie könnten eine erforderliche Mitwirkung an der Sanierung, etwa im Rahmen einer Kapitalerhöhung, grundsätzlich verweigern. Das setzt der Sanierungspflicht der Unternehmensleitung erhebliche praktische Grenzen. Je nach nationaler Umsetzung können die Gesellschafter jedoch in den Restrukturierungsplan mit einbezogen werden.503 Wenn eine Sanierungsoption ohne die Beteiligung der Gesellschafter nicht gegeben ist, diese jedoch ihre Beteiligung ablehnen, besteht tatsächlich keine Sanierungschance, die die Unternehmensleitung im Interesse sämtlicher Stakeholder schützen muss. Die Unternehmensleitung muss dann mögliche Insolvenzantragspflichten prüfen, soweit solche nach nationalem Recht vorgesehen sind. Aus Art. 19 lit. b RRiL folgt also, dass für die Unternehmensleitung ein Anreiz bestehen muss, jede mögliche Sanierungschance zu ergreifen und soweit es ihr rechtlich und tatsächlich möglich ist, diese auch umzusetzen.504 bb) Erhalt der Sanierungsfähigkeit Als notwendige Schritte im Sinne von Art. 19 lit. b RRiL, die der Abwendung einer Insolvenz dienen, werden in EWG 70 als Beispiele unter anderem genannt: Schutz der Vermögenswerte des Unternehmens, um einen möglichst hohen Wert zu sichern und den Verlust wesentlicher Vermögenswerte zu verhindern; keine Vornahme der Arten von Transaktionen fu¨ r das Unternehmen, die Gegenstand einer 502 503 504
Vgl. dazu Veil, ZGR 2006, 374, 387 f. Dazu unter B. III. 5. b); vgl. auch die Umsetzung in § 2 Abs. 3 StaRUG. Zu den rechtlichen Grenzen vgl. etwa B. III. 5. d) aa) (5) (a).
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Insolvenzanfechtungsklage werden könnten, es sei denn, es gibt einen triftigen wirtschaftlichen Grund dafür; sowie die Fortsetzung der Geschäftstätigkeit, wenn dies unter den gegebenen Umständen sinnvoll ist, um einen möglichst hohen Wert als fortgeführtes Unternehmen zu sichern. EWG 71 spricht davon, dass wenn dem Schuldner die Insolvenz droht, die berechtigten Interessen der Gläubiger vor Managemententscheidungen zu schützen sind, die sich auf die Zusammensetzung des Schuldnervermögens auswirken können, insbesondere wenn diese Entscheidungen eine weitere Wertminderung des Vermögens bewirken könnten, das für Restrukturierungsmaßnahmen oder für die Verteilung an die Gläubiger zur Verfügung steht. Vor diesem Hintergrund folgt aus Art. 19 lit. b RRiL eine Pflicht für die Mitgliedstaaten, einen Anreiz für die Unternehmensleitung zu schaffen, den Bestand des schuldnerischen Vermögens zu erhalten und den Wert des bestehenden Vermögens zu sicher, soweit dies erforderlich ist, um Restrukturierungen zu fördern oder das Ausfallrisiko der Gläubiger nicht zu vergrößern. Diese Pflicht ergänzt die Pflicht zur Sanierungsprüfung. Im Kern geht es darum, die Grundlagen für eine potentielle Sanierung zu erhalten.505 Dies kann beispielsweise durch Eilmaßnahmen geschehen, wie die kurzfristige Aufnahme von Überbrückungskrediten, durch operative Maßnahmen oder durch das Unterlassen bestimmter Zahlungen oder bestimmter Transaktionen, wenn diese die Chancen auf eine Sanierung verschlechtern. Es kann je nach Einzelfall aber ebenso durch eine Fortführung des Unternehmens erfüllt werden. Der Anwendungsbereich dieser „Werterhaltungspflicht“ kann sich daher mit Art. 19 lit. c RRiL überschneiden, der verlangt, die Notwendigkeit zu berücksichtigen, vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten zu vermeiden, welches die Bestandsfähigkeit des Unternehmens gefährdet. Stellt man nur auf den Wortlaut von Art. 19 lit. b und lit. c RRiL ab, könnte man versuchen, die beiden Tatbestände danach abzugrenzen, dass bei lit. b ein aktives Handeln erforderlich ist, bei lit. c RRiL hingegen ein Unterlassen bestimmter Handlungen von der Unternehmensleitung gefordert wird. Gegen diese Abgrenzung spricht jedoch, dass EWG 70 als Schritt zur Vermeidung von Insolvenzen fordert, Transaktionen zu unterlassen, die Gegenstand einer Anfechtungsklage werden können. Letztlich stellen die verschiedenen Alternativen von Art. 19 RRiL beide Ausprägung der Bestandserhaltung dar und sind nicht klar voneinander zu trennen. Zwischen den einzelnen Alternativen von Art. 19 RRiL bestehen vielmehr Überschneidungen und Wechselwirkungen. So sind die in Art. 19 lit. c RRiL erfassten Maßnahmen auch unter Art. 19 lit. b RRiL zu fassen. Das Unterlassen von bestandsgefährdenden Maßnahmen kann also zugleich ein Teil der Werterhaltungspflicht sein. Die Werterhaltungspflicht nach Art. 19 lit. b
505 Vgl. auch Naumann, NZI-Beilage 2017, 35, 36 zum Kommissionsentwurf COM (2016) 723 final, der als Beispiel für eine Sicherungsmaßnahme die Inventarisierung und Bewertung des Vermögens nennt.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
(und lit. c) RRiL stellt zugleich eine Berücksichtigung der Share- und Stakeholderinteressen nach Art. 19 lit. a RRiL dar. Wird ein Unternehmen im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz ohne Sanierungschancen fortgeführt, wird Vermögen, welches für eine Sanierung oder ggf. für eine Verteilung an die Gläubiger zur Verfügung steht, weiter dezimiert.506 Entsprechend erhöht sich das Ausfallrisiko der Gläubiger durch die Fortführung ohne Aussicht auf Sanierung. Solche nicht bestandsfähigen Unternehmen sind so schnell wie möglich abzuwickeln.507 Die fehlenden Sanierungschancen können dabei sowohl auf einer Sanierungsunwilligkeit der Beteiligten, insbesondere der Gesellschafter beruhen, als auch auf einer objektiven Sanierungsunfähigkeit des Unternehmens. Die Fortführung ohne Aussicht auf Sanierung verstößt daher gegen Art. 19 lit. b und lit. c RRiL, sodass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Anreize zu schaffen, die das verhindern. b) Die Stellung der Anteilsinhaber Die konkreten Sanierungsmaßnahmen, welche der Unternehmensleitung nach dem präventiven Restrukturierungsrahmen zur Verfügung stehen, hängen auch davon ab, wie der nationale Gesetzgeber die Rechtsstellung der Anteilsinhaber in einem Verfahren nach dem präventiven Restrukturierungsrahmen ausgestaltet. Art. 12 RRiL ist damit von Bedeutung. Dieser macht Vorgaben für die Stellung der Anteilsinhaber im präventiven Restrukturierungsverfahren. Anteilsinhaber ist nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 RRiL „eine Person, die eine Beteiligung an einem Schuldner oder an einem Unternehmen des Schuldners hält“. In der englischen Fassung der RRiL wird in Art. 12 RRiL der Begriff „Equity holder“ verwendet und nicht der Begriff „shareholder“. Entscheidend ist damit nicht die gesellschaftsrechtliche Position, sondern die bilanzielle Bewertung der Beteiligung als Eigenkapital.508 Gemäß Art. 12 RRiL soll sichergestellt werden, dass die Anteilsinhaber die Annahme und Bestätigung (Abs. 1) und die Umsetzung (Abs. 2) eines Restrukturierungsplanes nicht grundlos verhindern oder erschweren dürfen. Die RRiL überlässt die genaue Regelung der Rechtsstellung der Anteilsinhaber den Mitgliedstaaten. Art. 12 Abs. 1 RRiL ermöglicht den Mitgliedstaaten, die Anteilsinhaber entweder den Regelungen der Art. 9 bis 11 RRiL zu unterwerfen, sie also in das Verfahren zur Entstehung des Restrukturierungsplanes einzubeziehen oder alternativ sie nicht einzubeziehen, sie dafür aber einem (durch die Mitgliedstaaten näher ausgestalteten) Obstruktionsverbot zu unterwerfen.509 Wenn die Anteilsinhaber nicht in den Anwendungsbereich der Art. 9 bis 11 RRiL einbezogen werden, 506
Dazu EWG 71 RRiL. Vgl. EWG 3 RRiL. 508 Mock, NZI 2016, 977, 980; Sax/Ponseck/Swierczok, BB 2017, 323, 327. 509 Zu den Vor- und Nachteilen einer Einbeziehung der (GmbH-)Gesellschafter vgl. Korch, ZIP 2020, 446 ff. 507
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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können ihre Rechte durch den Restrukturierungsplan nicht verkürzt werden. Sie haben nach Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 RRiL auch kein Stimmrecht. Die Einbeziehung könnte zu einer effektive Förderung von Restrukturierungen führen.510 Wie Korch511 zutreffend herausgearbeitet hat, wäre dann ggf. eine Beschränkung der Weisungsbefugnis der (GmbH-)Gesellschafter erforderlich. Diesen Weg ging der RegE StaRUG mit § 2 Abs. 3 StaRUG RegE.512 Diese Regelung ist im StaRUG entfallen. Nach der hier vertretenen Auffassung sind die Gesellschafter in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL in ihrer Dispositionsbefugnis dennoch beschränkt soweit der Bestandserhalt des Unternehmens betroffen ist. Gegen die Einbeziehung der Anteilsinhaber in den Restrukturierungsplan wurden verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht.513 Diese beruhen insbesondere darauf, dass die Mitgliedschaftsrechte im Zeitpunkt einer wahrscheinlichen Insolvenz noch werthaltig sein können, da eine realistische Sanierungschance bestehen muss, um überhaupt in den Anwendungsbereich des präventiven Restrukturierungsrahmens zu gelangen. Ein Entzug der Rechte, möglicherweise ohne Kompensation, könnte daher zu diesem Zeitpunkt mit Art. 14 GG und Art. 9 GG in Konflikt geraten. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass ggf. ein Entzug der Anteile ohne die Zustimmung der betroffenen Anteilsinhaber ausschließlich durch den Restrukturierungsplan erfolgen könnte.514 Die Verbindung der Sanierungsbeiträge der Gesellschafter mit dem Restrukturierungsplan könnte auch über eine Bedingung sichergestellt werden.515 Die verfassungsrechtlichen Bedenken werden jedoch insb. durch das Schlechterstellungsverbot und die angemessene Beteiligung an dem Planwert nach § 27 Abs. 1 StaRUG verringert. Der RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 113 geht davon aus, dass verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestehen, wenn die wahrscheinliche Insolvenz im Sinne der RRiL als drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO verstanden 510 Gegen eine Einbeziehung der Anteilsinhaber Korch, ZIP 2020, 446, 448 ff., der sich ausführlich zu den Vor- und Nachteilen einer Einbeziehung äußert; Müller, ZGR 2018, 56, 73 (zum Kommissionsentwurf COM 2016 723 final); Seibt/Treuenfeld, DB 2019, 1190, 1197; für eine Einbeziehung der Anteilsinhaber Sax/Ponseck/Swierczok, DB 2017, 323, 327; Spahlinger, NZI-Beilage 2019, 69, 70; Thole, NZI-Beilage 2019, 61, 64; Westpfahl/Knapp, in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rn. 278 und 277 a. E. für ein Recht zur Vorlage eines Restrukturierungsplans durch die Unternehmensleitung auch ohne zustimmenden Gesellschafterbeschluss, wenn die gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen wertlos sind. 511 Korch, ZIP 2020, 446 für die GmbH. 512 Dazu RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 113; RefE SanInsFoG S. 115 und 121 f. 513 Dazu Seibt/Treuenfeld, DB 2019, 1190, 1197; Westpfahl/Knapp, in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rn. 297 ff.; Korch, ZIP 2020, 446, 448 Fn. 15. 514 Vgl. dazu etwa Seibt/Treuenfeld, DB 2019, 1190, 1197; um dies zu ermöglichen sieht die RRiL in Art. 32 Ausnahmen von der grundsätzlich auch in Sanierungssituationen bestehenden Zuständigkeit einer Hauptversammlung für Kapitalmaßnahmen, welche in der sog. Gesellschaftsrechtsrichtlinie geregelt ist (RL EU 2017/1132), vgl. Art. 68, 72 und 73 der RL EU 2017/ 1132. 515 Müller, ZGR 2018, 56, 74; Korch, ZIP 2020, 446, 451.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
wird, weil bei Vorliegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit vergleichbare Eingriffe in die Rechte der Anteilsinhaber nach § 225a InsO im Rahmen eines Insolvenzplans möglich sind. Die potentielle Einbeziehung der Gesellschafter kann diese zu Sanierungsbeiträgen bewegen und so zur effektiven Förderung von Sanierungsmaßnahmen beitragen. Ein weiterer Anreiz zur Förderung von Sanierungsmaßnahmen kann durch die Anwendung des antragsbewehrten Überschuldungstatbestandes nach § 19 InsO sichergestellt werden: Bestehen im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz lediglich Sanierungsoptionen unter Einbeziehung der Gesellschafter, so haben diese einen Anreiz zu freiwilligen Zugeständnissen, um die Stellung eines Insolvenzantrages wegen Überschuldung nach § 19 InsO aufgrund einer negativen Fortbestehensprognose zu vermeiden. Verweigern die Gesellschafter eine erforderliche Mitwirkung an einer erfolgversprechenden Restrukturierung dann kippt die positive Fortbestehensprognose in eine negative, da die bestehenden Sanierungsoptionen nicht mehr umsetzbar sind. Zwar wäre eine Antragspflicht wegen Überschuldung nach § 42 Abs. 1 StaRUG während der Rechtshängigkeit der Rechtstrukturierungssache suspendiert. Zum einen wird der Zugang des Schuldners zum präventiven Restrukturierungsrahmen bei Bestehen einer Überschuldung allerdings verwehrt, zum anderen hat bei Eintritt einer Überschuldung während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache eine Anzeige und im Anschluss daran regelmäßig eine Aufhebung der Restrukturierungssache durch das Gericht gemäß § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StaRUG zu erfolgen. Soweit die Insolvenzantragspflicht nicht suspendiert ist, ist der Geschäftsführer ist zur Antragsstellung verpflichtet. Entgegenstehende Weisungen sind unbeachtlich. Häufige Folge einer erforderlichen, aber dennoch unterlassenen Beteiligung der Gesellschafter wäre das Insolvenzverfahren, da in diesen Fällen oftmals eine Überschuldung nach § 19 InsO vorliegen würde. Rationale Gesellschafter werden daher die Option einer erfolgversprechenden Sanierung vorziehen, um den Kontrollverlust im Insolvenzverfahren und die Kosten des Insolvenzverfahrens zu vermeiden. Im Insolvenzverfahren könnte zudem eine zwangsweise Beteiligung der Gesellschafter im Rahmen eines Insolvenzplans nach §§ 217 S. 2, 225a InsO erwirkt werden. Es zeigt sich wiederum, dass der Überschuldungstatbestand zur Förderung von Restrukturierungen beitragen kann und dass das dargestellte Zusammenspiel von wahrscheinlicher Insolvenz im Sinne einer drohenden Zahlungsunfähigkeit und dem Überschuldungstatbestand zu interessengerechten Lösungen führt. Die Möglichkeiten der Gesellschafter, eine Sanierung zu verhindern, sind zudem durch die Möglichkeit der gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung nach § 26 StaRUG eingeschränkt. Die Durchbrechung der absoluten Prioritätsregel nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG zugunsten fortführungsnotwendiger Gesellschafter trägt ebenfalls zu einer effektiven Restrukturierung bei. Durch die zulässige Einbeziehung der Gesellschafter in den SRR kann im Einzelfall eine positive Fortbestehensprognose auch ohne die freiwillige Beteiligung der Gesellschafter geschaffen werden.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Die Möglichkeit eines cross-class cram down sowie der Überschuldungstatbestand wirken als sich ergänzende Instrumente, um erforderliche Sanierungsbeiträge von den Gesellschaftern beizubringen. c) Zwischenergebnis Für die Unternehmensleitung müssen nach Art. 19 lit. b RRiL im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz Anreize geschaffen werden, die Grundlagen für eine bestmögliche Sanierung zu schaffen (Sanierungsprüfung), zu erhalten (Werterhaltung) und eine erforderliche und erfolgversprechende Sanierung auch umzusetzen, was auch die Pflicht zur Information der entscheidungsbefugten Gesellschafter enthalten kann. Dafür müssen die Mitgliedstaaten rechtsformspezifische Lösungen finden. d) Das deutsche Unternehmensrecht vor dem Hintergrund des Art. 19 lit. b RRiL Im Folgenden sollen die Auswirkungen der Umsetzung von Art. 19 lit. b RRiL auf das deutsche Unternehmensrecht untersucht werden. Dabei ist zu klären, inwieweit die Anforderungen des Art. 19 lit. b RRiL durch das StaRUG umgesetzt sind und welche weiteren Regelungen zur Umsetzung von Art. 19 lit. b RRiL beitragen können. Trotz der rechtsformunabhängigen Geltung der RRiL, beschränken sich die Ausführungen auf das Recht der GmbH, der Aktiengesellschaft, der Personenhandelsgesellschaften und des Einzelkaufmanns, da es sich bei diesen um Gesellschaftsformen handelt, die für die Praxis relevant sind und von diesen Rechtsformen auch Rückschlüsse auf andere Rechtsformen gezogen werden können. Der Schwerpunkt der Ausführungen liegt bei der GmbH, da diese Rechtsform häufig genutzt wird und die Binnenorganisation der GmbH eine große Einflussnahme der Gesellschafter ermöglicht. aa) GmbH (1) Sanierungsprüfung und -durchführung (a) Außerhalb des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens Für das deutsche Recht ist die Anerkennung einer Pflicht zur Durchführung von erfolgversprechenden Sanierungen nichts Neues.516 Bereits vor Inkrafttreten des StaRUG wurde aus der Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung (§ 43 Abs. 1 GmbHG bzw. § 93 Abs. 1 S. 1 AktG) für Unternehmensleiter von Kapitalgesellschaften gefolgert, dass diese in einer Krise eine Sanierungsprüfung durchzuführen 516 Vgl. BGH, Urt. v. 9. 7. 1979 – II ZR 118/77 = NJW 1979, 1823; Uhlenbruck, ZIP 1980, 73, 77; Seibt, ZIP 2013, 1597, 1598 f.; Bork, ZIP 2011, 101, 107; Frege, NZI 2006, 545, 546.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
haben und erfolgversprechende Sanierungsmaßnahmen auch umsetzen müssen.517 Konkrete, gesetzliche Anforderungen an eine Sanierungsprüfung gibt es nicht. Der Umfang hängt vom Einzelfall ab.518 Die Sanierungsprüfung umfasst regelmäßig eine Aufnahme des Ist-Zustandes, eine Analyse der Krisenursachen und die Entwicklung von Handlungsoptionen zur Überwindung der Krise, insbesondere die Prüfung, ob der Eintritt von Insolvenzgründen vermieden werden kann.519 Von einer Sanierungsfähigkeit ist auszugehen, wenn der Vergleich eines Fortführungs- mit einem Zerschlagungskonzept ergibt, dass der Fortführungswert größer ist als der Zerschlagungswert.520 Falls erforderlich, ist externer Sachverstand hinzuzuziehen. Ggf. hat die Geschäftsführung Sofortmaßnahmen zum Erhalt der Sanierungsfähigkeit zu treffen. Die inhaltlichen Anforderungen von Art. 19 lit. b RRiL decken sich mit der schon bestehenden Sanierungspflicht.521 Eine unterlassene Sanierungsprüfung kann zur Haftung der Geschäftsleiter führen.522 Ein entsprechender Anspruch wird nur unter Schwierigkeiten gerichtlich durchsetzbar sein, da dargelegt und bewiesen werden müsste, dass Sanierungsmöglichkeiten bestanden und diese umsetzbar waren und die eingetretene Insolvenz verhindert hätten.523 Dennoch stellt die potentielle Haftung einen ausreichenden Anreiz zur Umsetzung von Art. 19 lit. b RRiL dar. Die Regelung des § 1 Abs. 1 S. 2 StaRUG, welche anordnet, dass die Geschäftsleiter juristischer Personen geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen müssen, wenn sie bestandsgefährdende Entwicklungen erkennen, ist eine Klarstellung der allgemeinen Sanierungspflicht aus § 43 Abs. 1 GmbHG. § 1 Abs. 1 S. 2 StaRUG greift nicht erst ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit, sondern bereits davor. Die Norm kann dennoch als teilweise Umsetzung von Art. 19 lit. b RRiL dienen, da sie erst recht ab drohender Zahlungsunfähigkeit greift. Ein weiterer Anreiz zur Sanierungsprüfung im Sinne von Art. 19 lit. b RRiL folgt daraus, dass bei einer drohenden Zahlungsunfähigkeit (zumindest wenn diese 12 Monate oder weniger entfernt liegt) häufig zugleich eine Überschuldung nach § 19 InsO vorliegen wird, welche die Geschäftsführung dazu verpflichtet, Maßnahmen zur Wiederherstellung einer positiven Fortbestehensprognose (oder zur Beseitigung der rechnerischen Überschuldung) zu ergreifen. Durch die Festlegung der Fortbestehensprognose gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 InsO auf 12 Monate ist dieser Anreiz eingeschränkt worden. Zuvor wurde bei der Fortbestehensprognose regel517 Veil, ZGR 2006, 374, 378; Bork, ZIP 2011, 101, 106; ausführlich zur Sanierungsprüfung Schluck-Amend, in: MüAnwHdB GmbH-Recht, § 23 Rn. 28 ff. 518 Vgl. Fischer, NZI 2016, 665, 673. 519 Bork, ZIP 2011, 101 106 f.; ausführlich Wanner, S. 100 ff. 520 Wanner, S. 102. 521 Tresselt, in: Schmidt, Sanierungsrecht, Rn. 203. 522 Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2364 spricht von einer „Reorganisationsverschleppungshaftung“. 523 Vgl. Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2364.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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mäßig das laufenden und kommende Geschäftsjahr zugrunde gelegt. Liegt die zukünftige Zahlungsunfähigkeit außerhalb des Zeitraums von 12 Monaten entfällt für Geschäftsführer nunmehr der starke Anreiz, den antragspflichtigen Eröffnungstatbestand der Überschuldung zu beseitigen. Zwar ist der Geschäftsführer auch gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG, § 1 Abs. 1 S. 2 StaRUG gehalten, Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen. Diese Pflichten unterliegen jedoch, anders als die Pflicht zur Insolvenzantragsstellung, der Disposition der Gesellschafter und bieten daher einen geringeren Gläubigerschutz und leisten einen weniger starken Beitrag zur effektiven Förderung von Restrukturierungen. Wird der Geschäftsführer außerhalb des SRR angewiesen, eine erforderliche und erfolgversprechende Sanierung zu unterlassen, ist diese Weisung wirksam, soweit dadurch nicht durch die Pflicht zur Bestandserhaltung verstoßen wird.524 Eine wirksame Weisung kann aufgrund einer daraus resultierenden negativen Fortbestehensprognose jedoch zu einer Insolvenzantragspflicht führen. Bei der Auswahl der Gegenmaßnahmen und der Umsetzung der Sanierung kommt den Geschäftsleitern ein Beurteilungsspielraum zu.525 Grundsätzlich sind im deutschen GmbH-Recht damit ausreichende Ansätze vorhanden, um die Geschäftsführer einer GmbH zur Sanierungsprüfung und Umsetzung der Sanierung zu veranlassen. (b) Bei Inanspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens Die beiden dargestellten Ansätze zur Umsetzung der aus Art. 19 lit. b RRiL folgenden Sanierungspflicht greifen unabhängig von der Inanspruchnahme des SRR. Sobald dieser in Anspruch genommen wird, greifen die Sonderregeln des StaRUG, insb. § 32 Abs. 1 S. 1 und §§ 42, 43 Abs. 1 StaRUG. Nach diesen sind die Geschäftsleiter verpflichtet, die konkrete Sanierung mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers zu betreiben und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren. Wird diese Pflicht verletzt haften die Geschäftsleiter nach § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG persönlich gegenüber dem Unternehmen. Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages wird durch eine Anzeigepflicht ersetzt. Die Pflichten der Geschäftsleiter nach § 43 StaRUG sind von den Pflichten des Schuldners nach § 32 StaRUG abzugrenzen. Aufgrund der Legalitätspflicht sind Geschäftsleiter jedoch verpflichtet, auch die Pflichten, welche den Schuldner treffen, zu berücksichtigen.526 Die Pflicht zur Prüfung und ordnungsgemäßen Umsetzung der konkreten Sanierung folgt ab Inanspruchnahme des SRR also speziell aus § 32 Abs. 1 S. 1 und
524 525 526
Vgl. B. III. 5. d) aa) (5) (a). Vgl. auch RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 104. So auch Thole, ZIP 2020, 1985, 1987.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
§ 43 Abs. 1 S. 1 StaRUG.527 Die Normen stellen einen Teil der Umsetzung von Art. 19 lit. b RRiL dar, welcher jedoch auf die Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Rechtsträger und auf den Zeitraum ab Inanspruchnahme des SRR beschränkt ist. (2) Zeitpunkt der Sanierungspflicht Der genaue Zeitpunkt, ab welchem die Sanierungspflichten nach § 43 Abs. 1 GmbHG greifen, ist umstritten.528 Teilweise wird auf das Vorliegen einer betriebswirtschaftlichen Krise abgestellt und daran die Pflicht geknüpft, Maßnahmen zur Überwindung der Krise einzuleiten.529 Teilweise wird davon ausgegangen, dass eine solche Pflicht einsetzt, wenn Anzeichen für eine Unternehmenskrise erkannt werden oder hätten erkannt werden müssen.530 Liegt eine solche drohende Unternehmenskrise vor, dann sind die Unternehmensleiter verpflichtet, geeignete Maßnahmen zur Vermeidung dieser drohenden Krise zu ergreifen.531 Mit anderen Worten sind die Unternehmensleiter verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um den Eintritt einer Unternehmenskrise zu verhindern.532 Ist die Krise dann eingetreten, sind sie verpflichtet, Maßnahmen zu ihrer Bewältigung zu ergreifen. Für die RRiL ist die Krise eingetreten, wenn die wahrscheinliche Insolvenz im Sinne der RRiL vorliegt. Im Vorfeld der wahrscheinlichen Insolvenz greifen nach der Konzeption der RRiL Frühwarnsysteme, die Umstände erkennen können, die zu einer wahrscheinlichen Insolvenz führen können (mithin zum Eintritt der Krise), Art. 3 Abs. 1 RRiL.533 Die RRiL setzt damit später an als die Sanierungspflichten der Unternehmensleiter deutscher Kapitalgesellschaften, welche aus der Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung folgen. Die RRiL macht Vorgaben zu den Pflichten der Unternehmensleitung von Schuldnern im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz. Sie sieht aber keine allgemeinen Pflichten zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung vor, welche etwa umfassen, dass Maßnahmen ergriffen werden, um den absehbaren Eintritt einer wahrscheinlichen Insolvenz bzw. einer Unternehmenskrise zu verhindern. Funktionell treten an diese Stelle die Frühwarnsysteme nach Art. 3 RRiL, welche durch die RRiL aber nicht als Pflichten der Unternehmensleitung ausgestaltet sind.534 527 Birnbreier, NZI-Beilage 2021, 25, 26 f. leitet aus § 43 StaRUG eine „organisatorische Verantwortung des Organs für einen zumindest in technischer Hinsicht fehlerfreien Ablauf des Restrukturierungsverfahrens“ ab; für eine beispielshafte Auflistung weiterer Pflichtverletzungen innerhalb des SRR vgl. Smid, ZInsO 2021, 117, 120 ff. 528 Vgl. insb. Mohaupts 3-Phase-Modell einer Krise, S. 294 ff. 529 Schluck-Amend/Walker, GmbHR 2001, 375, 376 f. 530 Seibt, ZIP 2013, 1597, 1598 f.; Bork, ZIP 2011, 101, 107. 531 Vgl. Mohaupt, S. 160 f. 532 Bei AGs korreliert diese Pflicht mit der Pflicht zur Einrichtung von Frühwarnsystemen nach § 91 Abs. 2 AktG, vgl. Seibt, ZIP 2013, 1597, 1599. 533 Zur Einführung von Frühwarnsystemen nach der RRiL siehe B. III. 7. 534 Dazu siehe unten B. III. 7.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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§ 1 Abs. 1 S. 2 StaRUG knüpft die Pflicht zur Einleitung von Gegenmaßnahmen an den Zeitpunkt, in dem bestandsgefährdende Entwicklungen erkannt werden. Ab diesem Zeitpunkt greift die allgemeine Sanierungspflicht. Die Geschäftsleiter sind also nach deutschem Unternehmensrecht schon im Vorfeld einer Krise zu Maßnahmen verpflichtet sein, die der Vermeidung von Krisen dienen. Sobald die Krise in Form der drohenden Zahlungsunfähigkeit vorliegt, ist die Unternehmensleitung aufgrund ihrer Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung in Verbindung mit § 1 Abs. 1 StaRUG verpflichtet, eine Sanierungsprüfung durchzuführen. Zu dem Zeitpunkt, an welchem die Anreize zur Sanierung nach Art. 19 lit. b RRiL greifen müssen, also bei Vorliegen einer wahrscheinlichen Insolvenz, greifen also die bereits existierenden Sanierungspflichten nach § 43 Abs. 1 GmbHG. Eine Änderung des Zeitpunkts der Sanierungspflichten der Geschäftsführer erfolgt durch die RRiL nicht. Liegen Insolvenzeröffnungsgründe vor, dann endet die Sanierungspflicht des Geschäftsführers nach § 43 Abs. 1 GmbHG nicht. Die Sanierungspflicht tritt vielmehr neben die Insolvenzantragspflicht bzw. das Insolvenzantragsrecht bei § 18 InsO.535 Die Sanierungspflicht aus Art. 19 lit. b RRiL liegt hingegen nur bis zum Eintritt von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung vor, da die RRiL der Vermeidung eben dieser materiellen Insolvenz dient und der präventive Restrukturierungsrahmen auch nur zur Anwendung kommt, wenn gerade keine materielle Insolvenz vorliegt. (3) Vermögenserhaltungspflicht Wie bereits dargestellt folgt aus Art. 19 lit. b RRiL nicht nur die Pflicht einen Anreiz zu schaffen, für die Prüfung und Umsetzung einer Restrukturierung. Zugleich besteht als Grundlage für die Sanierung eine Pflicht, das erforderliche Vermögen für die Restrukturierung oder, falls eine solche nicht möglich ist, für eine Verteilung an die Gläubiger zu erhalten.536 Die möglichen Ansätze für eine Umsetzung sollen nun dargestellt werden. (a) Anknüpfung an die Zahlungsverbote Die Pflicht nach Art. 19 lit. b RRiL, das Vermögen des Schuldners für eine potentielle Sanierung zu erhalten, könnte ihre Entsprechung in den Zahlungsverboten des deutschen Gesellschaftsrecht finden, welche von nun an in § 15b InsO geregelt sind. Die Überführung der Zahlungsverbote aus den jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Fachgesetzen dient der Rechtsvereinfachung und leichteren Auffindbarkeit.537 Inhaltliche Änderungen sind im Ausgangspunkt damit nicht verbunden.538 Nach 535 536 537 538
Schluck-Amend, in: MüAnwHdB GmbH-Recht, § 23 Rn. 86. Siehe insbesondere EWG 71 S. 1 RRiL. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 96. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 194.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
§ 15b Abs. 1 und Abs. 4 InsO sind Mitglieder des Vertretungsorgans zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft geleistet werden. Dies gilt nicht von Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind (§ 15b Abs. 1 S. 2 InsO). Davon umfasst sind Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes dienen (§ 15b Abs. 2 S. 1 InsO). Diese Konkretisierung stellt eine Abweichung zum vorherigen Verständnis der sog. Zahlungsverbote dar, welche lediglich eine sog. Notgeschäftsführung im Rahmen der Massesicherungspflicht erlauben sollten.539 Ob eine Zahlung im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgt, hängt nach den neuen Regelungen insbesondere davon ab, ob die Frist zur Stellung eines Insolvenzantrages bereits läuft oder schon abgelaufen ist. Zahlungen, die während der Antragsfrist nach § 15a Abs. 1 S. 2 InsO erfolgen, sind zulässig, solange die Antragspflichtigen Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung eines Insolvenzantrags mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreiben (§ 15b Abs. 2 S. 2 InsO). Nach der Stellung eines Insolvenzantrages bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelten Zahlungen auch dann als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar, wenn diese mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters vorgenommen wurden (§ 15b Abs. 2 S. 3 InsO). Ist die Antragsfrist verstrichen, ohne dass ein Insolvenzantrag gestellt wurde, so sind die Zahlungen in der Regel nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar (§ 15b Abs. 3 InsO). Nach § 15b Abs. 4 S. 1 InsO wird die Erstattungspflicht der Geschäftsleiter auf den Schaden begrenzt, welcher der Gläubigerschaft entstanden ist. Dies stellt ebenfalls eine wesentliche Änderung zur vorherigen Rechtslage dar.540 Das Zahlungsverbot nach § 15b Abs. 1 InsO knüpft erkennbar an das Vorliegen der materiellen Insolvenz an. Zur Verhinderung der Insolvenz, wie es die RRiL beabsichtigt, greift dieses Zahlungsverbot also „zu spät“ ein. Von dieser potentiellen Haftung soll ein Verhaltensanreiz für den Geschäftsführer ausgehen, frühzeitig einen Insolvenzantrag zu stellen oder die materielle Insolvenz umgehend zu beseitigen.541 § 64 S. 1 GmbHG a. F. diente dem Schutz der Gläubigergesamtheit an der gemeinschaftlichen Befriedigung, indem der Geschäftsführer angehalten wird, die (zu verteilende) Masse zu erhalten.542 Der BGH formuliert: „Der Zweck der Vorschrift besteht darin, Masseverkürzungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens zu verhindern und für den Fall, dass der Geschäftsführer seiner Massesicherungspflicht nicht nachkommt, sicherzustellen, dass das Gesellschaftsvermögen wieder 539
Brünkmans, ZInsO 2020, 1, 16. Dazu Brünkmans, ZInsO 2020, 1, 17 f. 541 Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 3. 542 BGH, Urt. v. 26. 3. 2007 – II ZR 310/05 = ZIP 2007, 1006; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 10. 540
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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aufgefüllt wird, damit es im Insolvenzverfahren zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger zur Verfügung steht.“543
Es besteht somit eine Art Werterhaltungspflicht (bzw. Masseerhaltungspflicht), die jedoch auf das zukünftige Insolvenzverfahren und dessen Ziel ausgerichtet ist. Der Zweck des Insolvenzverfahrens ist nach § 1 InsO die (größtmögliche) gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger. Die Unternehmenssanierung stellt nur ein Mittel zu diesem Zweck dar.544 Aufgrund dieser Zwecksetzung und des zeitlichen Anwendungsbereichs von § 64 S. 1 GmbHG a. F. bzw. § 15b Abs. 1 InsO kann diese Norm nur eingeschränkt als Umsetzung der Werterhaltungspflicht aus Art. 19 lit. b RRiL dienen. Von ihr geht höchstens der Anreiz für Geschäftsleiter aus, es nicht bis zur materiellen Insolvenz kommen zu lassen, um so das Risiko einer Haftung zu vermeiden. Eine Norm, welche eine unmittelbareren Beitrag zur Förderung von Restrukturierungen durch den Erhalt des erforderlichen Vermögens leisten kann, ist § 15b Abs. 5 InsO. Die Verpflichtung zur Erstattung bestimmter Zahlungen trifft die Mitglieder des Vertretungsorgans für Zahlungen an Gesellschafter, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten, es sei denn, dies war auch bei Beachtung der in § 15b Abs. 1 S. 2 InsO bezeichneten Sorgfalt nicht erkennbar (§ 15b Abs. 5 InsO). Es wäre möglich, in § 15b Abs. 5 InsO eine Umsetzung von Art. 19 lit. b RRiL zu sehen. Der zeitliche Anwendungsbereich der Norm greift früher ein als derjenige von § 15b Abs. 1 InsO. Zugleich wird der inhaltliche Anwendungsbereich auf Zahlungen an die Gesellschafter beschränkt. Die Vermögenssicherungspflicht aus Art. 19 lit. b RRiL gilt jedoch umfassend, nicht nur in Bezug auf Zahlungen an die Gesellschafter, sodass § 15b Abs. 5 InsO bzw. § 64 S. 3 GmbHG a. F., unabhängig von dem umstrittenen Zweck und Anwendungsbereich der Norm545, allenfalls als ein Ausschnitt der Werterhaltungspflicht betrachtet werden kann. Insbesondere die Pflicht, Ausschüttungen an die Gesellschafter, welche die Zahlungsunfähigkeit herbeiführen, zu unterlassen546, kann jedoch als Teil der Umsetzung einer Vermögenserhaltungspflicht zur Förderung einer Sanierung angesehen werden. Dieses situative Ausschüttungsverbot kann als Bestandteil der Vermögenserhaltungspflicht nach Art. 19 lit. b RRiL angesehen werden. Da § 15b Abs. 5 InsO bzw. § 64 S. 3 GmbHG a. F. an 543
BGH, Urt. v. 15. 3. 2016 – II ZR 119/14 = NJW 2016, 2660 Rn. 15; ob darüber hinaus auch die Gläubigergleichberechtigung geschützt ist, wird unterschiedlich beurteilt: dafür BGH, Urt. v. 16. 3. 2009 – II ZR 280/07 = NZG 2009, 550, 551; OLG Hamburg, Urt. v. 9. 11. 2018 – 11 U 136/17 = ZIP 2019, 416, 418; dagegen Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 4a; Otte, KTS Bd. 63, S. 22. 544 H. M.; vgl. Ganter/Bruns, in: MüKo InsO, § 1 Rn. 85 m. w. N. 545 Zum Anwendungsbereich des § 64 S. 3 GmbHG a. F. BGH, Urt. v. 9. 10. 2012 – II ZR 298/11 = ZIP 2012, 2391; sowie Altmeppen, in: Altmeppen, GmbHG, § 64 Rn. 73 ff.; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 6 f. 546 Zu diesem Anwendungsfall von § 64 S. 3 GmbHG a. F. vgl. Altmeppen, in: Altmeppen, GmbHG, § 64 Rn. 89 f.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit und damit an die Bestandsfähigkeit des Unternehmens anknüpft, kann diese Norm ebenfalls als Teil der Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL betrachtet werden.547 (b) Anknüpfung an die Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung nach § 43 Abs. 1 GmbHG und § 43 Abs. 1 StaRUG Darüber hinaus kann die Werterhaltungspflicht auch an die Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung nach § 43 Abs. 1 GmbHG sowie nach § 43 Abs. 1 S. 1 StaRUG ab Inanspruchnahme des SRR angeknüpft werden.548 In der Praxis wird der Haftung aus § 43 Abs. 2 GmbHG in der bisherigen Auslegung aufgrund der schwierigen Beweisbarkeit von konkreten Pflichtverletzungen und konkreten Schäden eine eher geringe Bedeutung zugesprochen.549 Handlungen der Geschäftsführung, welche dazu führen, dass eine bestehende Sanierungsfähigkeit beseitigt wird, verstießen schon vor der Einführung des StaRUG und der Umsetzung der RRiL gegen den Gesellschaftszweck und damit gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung. Sie stellen ebenfalls einen Verstoß gegen die Interessen der Gläubigergesamtheit dar. Der Geschäftsführer darf zum Schutz des Gesellschaftsvermögens bspw. nicht auf realisierbare Forderungen verzichten oder Forderungen verjähren lassen; er darf keine nutzlosen Verträge abschließen550 oder Arbeitnehmer unentgeltlich überlassen.551 Ebensowenig darf er der Gesellschaft zugunsten der Gesellschafter Kapital entziehen und auf diese Weise ihre Zahlungsunfähigkeit herbeiführen. Letzteres folgt zum einen ausdrücklich aus § 64 S. 3 GmbHG a. F. bzw. § 15b Abs. 5 InsO, aber ebenso aus der Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung.552 Der BGH hat entschieden, dass ein Unternehmensleiter zudem ständig prüfen muss, ob die weitere Teilnahme an einem Cash-Pool-System aufgrund der Bonität der Beteiligten Risiken für die Gesellschaft birgt und ggf. die Verträge kündigen muss oder Sicherheiten verlangen.553 Die dargestellten Einzelpflichten, welche aus der Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung folgen, greifen unabhängig von einer wahrscheinlichen Insolvenz der jeweiligen Gesellschaft. Zum Teil knüpfen sie sogar an die wahrscheinliche Insolvenz eines Geschäftspartners als Auslösetatbestand an, so etwa bei der Kündigung von Kreditverträgen in einem 547
Dazu auch B. III. 6. d) bb) (4) (a). Auch Kruth/Jakobs, DStR 2019, 999 sprechen von Werterhaltungsinteressen (der Gesellschafter), denen die Geschäftsführung ausgesetzt ist. 549 Schulz, NZI 2020, 1073, 1074. 550 Vgl. BGH, Urt. v. 21. 2. 2005 – II ZR 112/03 = DStR 2005, 659; vgl. zur Vergabe ungesicherter Kredite an einen mittelbaren Gesellschafter bei der AG OLG Hamm, Urt. v. 10. 5. 1995 – 8 U 59/94 = ZIP 1995, 1263. 551 Vgl. BGH, Urt. v. 11. 12. 2003 – IX ZR 336/01 = NZI 2004, 253; weitere Beispiele für Pflichtverletzungen nach § 43 Abs. 1 GmbHG bei Bitter, ZInsO 2018, 557, 559 f. 552 Vgl. Altmeppen, in: Altmeppen, GmbHG, § 64 Rn. 90; der Vorteil einer Anknüpfung an § 64 S. 3 GmbHG gegenüber einer Herleitung aus § 43 GmbHG besteht darin, dass § 64 S. 3 GmbHG nach der hier vertretenen Auffassung ein Leistungsverweigerungsrecht gewährt. 553 BGH, Urt. v. 1. 12. 2008 – II ZR 102/07 = NJW 2009, 850. 548
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Cash-Pool-System. Diese Pflichten gelten jedoch auch bzw. sogar erst recht im Fall der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft selbst.554 Die aus § 43 Abs. 1 GmbHG abgeleitete Werterhaltungspflicht kann auch dazu führen, dass der Geschäftsführer wichtige Transaktionen darauf prüfen muss, ob diese mit einer möglichen Sanierung vereinbar sind und ob sie dem Erhalt der Sanierungsfähigkeit dienen.555 Zudem muss er Anstrengungen auf die Realisierung von Aktivposten verwenden (bspw. Forderungseinzug), um eine Grundlage für die Sanierung zu schaffen. Ggf. sind geplante Investitionen zu unterlassen oder zu verschieben, wenn diese das für eine Sanierung erforderliche Vermögen aufzehren. Auch die dauerhaft unveränderte Fortführung eines verlustträchtigen Geschäftsmodells führt zu der Vernichtung von Vermögensverwerten des Schuldners, sodass eine solche (möglicherweise teilweise) Fortführung im Einzelfall unzulässig sein kann. In der Regel ist wird es wirtschaftlich vernünftig sein, das Unternehmen kurzfristig bis zu einer Entscheidung (der Gesellschafter) über eine Sanierung fortzuführen und in der Zwischenzeit ein besonderes Augenmerk auf den Erhalt der Sanierungsfähigkeit zu legen.556 Bei den Entscheidungen zum Erhalt der Sanierungsfähigkeit wird es sich regelmäßig um unternehmerische Entscheidungen handeln, die von einer Haftungsprivilegierung erfasst sein können.557 Für den Zeitraum ab Inanspruchnahme des SRR bestimmen §§ 43 Abs. 1 und § 32 Abs. 1 StaRUG nunmehr, dass der Geschäftsleiter die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreibt und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger wahrt.558 In dieser Generalklausel gehen die bereits zu § 43 Abs. 1 GmbHG geschilderten Einzelpflichten auf. Darüber hinaus wird der bestehende Pflichtenkatalog weiter konkretisiert. § 32 Abs. 1 S. 2 bestimmt ausdrücklich, dass Maßnahmen zu unterlassen sind, die sich mit dem Restrukturierungsziel nicht vereinbaren lassen oder welche die Erfolgsaussichten der in Aussicht genommenen Restrukturierung gefährden. Zur Konkretisierung dieser Pflicht wird in dieser Arbeit der Maßstab der Bestandsgefährdung herangezogen.559 554
Zu der Intensivierung der Geschäftsführerpflichten (hier Überwachungspflicht) in der Krise vgl. BGH, Urt. v. 15. 10. 1996 – VI ZR 319/95 = NJW 1997, 130, 132; Haas, Gutachten E zum 66. DJT, E 124 f. 555 Zur Pflicht, die Sanierungsfähigkeit bis zu einem Beschluss der Gesellschafter zu erhalten vgl. Wanner, S. 105; vgl. zur AG auch Seibt, ZIP 2013, 1597, der in der Krise von einer Pflicht zur akuten Bestandserhaltung ausgeht. 556 Selbst nach Eintritt der materiellen Insolvenz werden im Rahmen von § 64 S. 1 GmbHG Zahlungen als mit der Sorgfalt eines Geschäftsmannes vereinbar angesehen, wenn sie der Sanierung dienen, so OLG Düsseldorf, Urt. v. 17. 6. 1999 – 6 U 65/97 = NZG 1999, 1066, 1068. 557 Vor Einführung des StaRUG wohl entsprechende Anwendung von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG; zur GmbH-spezifischen Variante der Business-Judgement-Rule vgl. auch BGH, Beschluss v. 14. 7. 2008 – II ZR 202/07 = NJW 2008, 3361. 558 Die Regelungen treten neben die bestehenden Zahlungsverbote. Die Fortgeltung der Zahlungsverbote im SRR ergibt sich aus § 89 Abs. 3 StaRUG. 559 Zur Bestandsgefährdung im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL siehe B. III. 6. a) und B. III. 6. d) bb) (2).
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Die Gefährdung der Restrukturierung im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit bedeutet stets auch eine Bestandsgefährdung des Schuldners, welche in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL unzulässig sein muss. Für die Bestandsgefährdung ist das Ausfallrisiko der Gläubigergesamtheit von entscheidender Bedeutung, da mit dem Ausfall der Gläubiger die Insolvenz des Schuldners einhergeht. Der Unternehmenswert oder das Ergebnis des Schuldners ist für die Gläubiger von nachrangigem Interesse, solange ihre Forderungen bedient werden.560 Verschiebungen in der Risikostruktur einer Schuldnerin durch hochspekulative Geschäfte oder durch den Austausch von sog. „low risk assets“ durch „high risk assets“561 wirken sich zulasten der Gläubiger aus, welche an dem vergrößerten Gewinnpotential nicht teilnehmen, aber die erhöhten Verlustrisiken tragen. Der RegE räumte den Geschäftsleiter grundsätzlich ein weites Ermessen bei der Bewältigung der Unternehmenskrise ein. Zugleich wurde aber festgestellt, „dass Risiken nicht mehr in demselben Maß eingegangen werden dürfen, wie dies vor Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Fall ist“.562 Ginge man von einem strengen Vorrang der Gläubigerinteressen ab Inanspruchnahme des SRR aus, dürfte die Geschäftsleitung keinerlei Maßnahmen treffen, welche das Ausfallrisiko der Gläubiger und damit zugleich die Gefährdung des Bestands des Schuldners potentiell erhöhen. Maßnahmen wären nur noch zulässig, wenn sie das Ausfallrisiko verringern oder zumindest konservieren. Der RegE SanInsFoG BT Dr. S. 106 spricht (im Zusammenhang mit § 2 StaRUG RegE) davon, dass die Geschäftsleiter gehalten sind, Maßnahmen zu unterlassen, welche geeignet sind, die im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit angelegte Gefährdung der Gläubigerinteressen weiter zu vertiefen. Ein zu strenges Verständnis von den zulässigen Risiken bei der Wahrung des Gesamtgläubigerinteresses würde aber dazu führen, dass erfolgversprechende Sanierungsmaßnahmen unterbleiben. Gerade im vorinsolvenzlichen Bereich stehen häufig keine Handlungsalternativen zur Verfügung, bei denen es sich ausschließen lässt, dass sich das Ausfallrisiko vergrößert.563 Die RRiL will vertretbare wirtschaftliche Entscheidungen und entsprechende Risiken im Rahmen einer Restrukturierung nicht unnötig einschränken.564 Maßnahmen, die nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger erhöhen, sollten daher zulässig sein. Ansonsten zwingt man im vermeintlichen Interesse der Gläubigerschaft das Unternehmen mangels Sanierungsalternativen in ein Insolvenzverfahren. Solche Maßnahmen verletzen nicht die Pflicht zur Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit nach § 43 Abs. 1 StaRUG.
560 Grundlegend zu den gegenläufigen Interessen von Anteilseignern (Aktionären) und Gläubigern, Klöhn, ZGR 2008, 110, 112 ff.; sowie Mohaupt, S. 246 ff. 561 Klöhn, ZGR 2008, 110, 115. 562 RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 107. 563 Vgl. Adolffs, Festschrift Baums, 31, 38. 564 EWG 70 RRiL.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Stehen zwei Maßnahmen zur Verfügung, die beide nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Erhöhung des Ausfallrisikos der Gläubiger zur Folge haben, ist die Umsetzung mit Blick auf die Gläubigerinteresse grundsätzlich möglich. Fraglich ist, ob nach § 43 Abs. 1 StaRUG von den beiden alternativen Maßnahmen, diejenige gewählt werden muss, die mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit zur Erhöhung des Ausfallrisikos führt. Dies könnte man bejahen, wenn man den bestmöglichen Schutz der Gläubigerinteressen aus § 43 Abs. 1 StaRUG herausliest, was hier jedoch abgelehnt wird, da nur eine (Mit-)Berücksichtigung der Gläubigerinteressen im Rahmen des Bestandsschutzes erforderlich ist. Zum anderen könnte man als Erwägung anführen, dass eine höhere Gefährdung der Gläubigerinteressen zulässig ist, wenn diese nicht ausschließlich erfolgt, um den Anteilseignern einen Vorteil zukommen zu lassen. Die RRiL spricht in EWG 71 davon, dass es notwendig sei sicherzustellen, dass die Unternehmensleitung es vermeidet, Maßnahmen zu treffen, die eine unfaire Bevorzugung eines oder mehrerer Interessenträger zur Folge haben.565 Vor diesem Hintergrund ist auch die Klarstellung in § 43 Abs. 1 S. 3 StaRUG zu verstehen, dass keine Forderungen bedient oder besichert werden sollen, die im Restrukturierungsplan gestaltet werden sollen. Letztlich können höhere Gewinne, die mit einer größeren Gefährdung der Gläubigerinteressen einhergehen, auch dem langfristigen Bestandserhalt des Unternehmens dienen und damit mittelbar wiederum auch den Gläubigern. Solange dem Gesamtbild der Maßnahme nach keine reine Spekulation vorliegt und die Wahrscheinlichkeit für die Erhöhung des Ausfallrisikos unter 50 % liegt, ist die Maßnahme daher zulässig. Um den Ermessenspielraum der Unternehmensleitung nicht zu weit einzuschränken und effektive Restrukturierungen zu fördern, besteht ein Auswahlermessen hinsichtlich der beiden Maßnahmen, sodass sich die Unternehmensleitung grundsätzlich auch für die Maßnahme entscheiden kann, die eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Erhöhung des Ausfallrisikos zur Folge hat. Die Geschäftsleitung muss jedoch in diesem Fall nachweisen können, warum sie sich für die verstärkte Gefährdung der Gläubigerinteressen entschieden hat, damit eine unfaire Bevorzugung insbesondere der Anteilinhaber ausgeschlossen werden kann. Dies wäre Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Haftungsfreiraums nach § 93 Abs. 1 S. 2 AktG (mit entsprechender Geltung bei der GmbH). Soweit ein Ermessen besteht, ist auch die Dispositionsbefugnis der Gesellschafter nicht beschränkt. Liegt hingegen eine „unfaire“ Bevorzugung einzelner Beteiligter, insbesondere der Anteilsinhaber, vor, ist die Maßnahme unzulässig. Dies kann auch der Fall sein bei dem Verkauf von Gesellschaftsvermögen an Gesellschafter unter Marktwert oder dem Ankauf von Gegenständen von Gesellschaftern über Marktwert.566 Solche Maßnahme verstoßen gegen die oben dargestellte aus Art. 19 lit. a und b RRiL folgende Vermögenserhaltungspflicht und damit zugleich gegen die nach § 43 565
duties. 566
Kuntz, ZIP 2021, 597, 604 f. hält dies für einen zentralen Punkt des sog. shift of fiduciary Ein Beispiel zu dem letztgenannten Fall liefert Mohaupt, S. 254.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
StaRUG zu berücksichtigenden Gläubigerinteressen.567 Nicht marktkonforme Transaktionen mit den Gesellschaftern zulasten des Gesellschaftsvermögens oder die Bevorzugung einzelner Gläubiger müssen daher unterbleiben nach § 43 Abs. 1 StaRUG. Diese Norm ergänzt damit insbesondere im GmbH-Recht den oftmals als lückenhaft kritisierten Gläubigerschutz, welcher in erster Linie an das Stammkapital anknüpft. Bei einer entsprechenden Auslegung könnten die Geschäfte mit den Gesellschaftern auch durch § 15b Abs. 5 InsO erfasst werden. Außerhalb des SRR findet § 43 Abs. 1 StaRUG keine Anwendung, obwohl Art. 19 RRiL an die wahrscheinliche Insolvenz anknüpft und damit nach dem Verständnis des deutschen Gesetzgebers also bereits ab drohender Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 InsO Wirkung entfalten soll. Die Vermögenserhaltungspflicht wird außerhalb des SRR und auch ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit durch die allgemeine Sorgfaltspflicht des Geschäftsführers nach § 43 Abs. 1 GmbHG umgesetzt. Diese Pflichten unterliegen in weitem Umfang der Disposition der Gesellschafter. Eine Wahrung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger außerhalb des SRR wurde im StaRUG nicht angeordnet. Vor dem Hintergrund der Umsetzung von Art. 19 RRiL sind die Gläubigerinteressen jedoch auch außerhalb des SRR durch die Geschäftsführer insofern zu wahren, als dass jegliches bestandsgefährdendes Verhalten ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu unterlassen ist. Dagegen ließe sich einwenden, dass der Schutz der Gläubiger dadurch im Ergebnis außerhalb und innerhalb des SRR mit Blick auf die Geschäftsleiterpflichten gleich ausgestaltet ist, obwohl die Möglichkeiten zur Einwirkung auf die Gläubigerinteressen nach Inanspruchnahme des SRR höher sind. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass es eine Vielzahl von Möglichkeiten für die Geschäftsleitung gibt, die Gläubigerinteressen zu beeinträchtigen und es dafür nicht erforderlich ist, den SRR in Anspruch zu nehmen. Maßgebliche Zäsur für die Gefährdung der Gläubigerinteressen ist vielmehr die drohende Zahlungsunfähigkeit. Da eine Inanspruchnahme des SRR freiwillig ist, führt die drohende Zahlungsunfähigkeit nicht zwangsläufig zu einem erhöhten Schutz für die Gläubiger durch eine Pflichtenbindung der Geschäftsleitung nach § 43 StaRUG. Den erforderlichen Mindestschutz nach Art. 19 RRiL zur Förderung von Restrukturierungen an die Inanspruchnahme des SRR zuknüpfen ist daher unzureichend. Zumindest der Bestandsschutz des Schuldners als Mindestschutz für sämtliche Beteiligten ist in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL ab drohender Zahlungsunfähigkeit und damit auch außerhalb des SRR zu gewährleisten. Dies erfolgt durch eine Auslegung von § 43 Abs. 1 GmbHG und eine entsprechende Beschränkung der Dispositionsbefugnis der Gesellschafter ab drohender Zahlungsunfähigkeit. Durch diese Auslegung wird das Defizit in der Umsetzung von Art. 19 RRiL kompensiert, welches darin besteht, dass die Berücksichtigung der Gläubigerinteressen (hier verstanden als Bestandsschutz) ausdrücklich erst ab Inanspruchnahme des SRR angeordnet wurde. Dagegen kann auch nicht eingewendet werden, dass der 567
Vgl. auch Weber/Dömmecke, in: Braun, StaRUG, § 43 Rn. 6.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu unbestimmt ist, um eine Anpassung der Pflichten der Geschäftsleitung daran zu knüpfen. Grundsätzlich ist die Prognose der drohenden Zahlungsunfähigkeit zumutbar, schließlich muss diese Prognose auch für die Inanspruchnahme des SRR erfolgen. Zudem führt die Berücksichtigung des Bestandsschutzes nicht zu einem Vorrang der Gläubigerinteressen, wie noch im StaRUG RegE vorgesehen, sondern zu einer (gleichrangigen) Mitberücksichtigung. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Regelung des § 43 Abs. 1 StaRUG zwar nur innerhalb des SRR gilt. Die Norm enthält nach dem hier vertretenen Verständnis jedoch Wertungen, die in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL bereits ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit gelten müssen.568 Im Rahmen des Bestandschutzes sind also auch außerhalb der Inanspruchnahme des SRR Gläubigerinteressen zu wahren. Dies führt zu einer Beschränkung des Ermessensspielraums der Geschäftsleitung durch eine entsprechende Auslegung von § 43 Abs. 1 GmbHG.569, 570 Eine Verletzung dieser Pflicht führt wie bei § 43 Abs. 1 S. 2 und 2 StaRUG nach Inanspruchnahme des SRR zu einer Innenhaftung, die nur eingeschränkt verzichtbar ist. Unter die Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung nach § 43 Abs. 1 GmbHG, § 43 Abs. 1 StaRUG lässt sich mit Blick auf den Erhalt der Sanierungsfähigkeit auch die Pflicht fassen, anfechtungsrelevante Transaktionen zu unterlassen, wie sie aus EWG 71 RRiL abgeleitet werden kann. Der Hintergrund ist, dass einzelne Beteiligte nicht zulasten der anderen und damit zulasten der gesamten Restrukturierung bevorzugt werden sollen. Zwar kennt das deutsche Recht keine explizite Pflicht solche Transaktionen zu unterlassen. Maßstab für die Zulässigkeit einer Transaktion im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit ist nach dem oben herausgearbeiteten Maßstab gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG, § 43 Abs. 1 StaRUG der Bestandsschutz, der zugleich zu einer Wahrung der Gläubigerinteressen führt, da bestandsschützende Maßnahmen das Ausfallrisiko der Gesamtgläubiger nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erhöhen dürfen. Für einen Teil der anfechtbaren Zahlungen haftete der Geschäftsführer zwar bereits unter den Voraussetzungen des § 64 S. 1 GmbHG a. F. bzw. § 15 b InsO. In der Praxis hat der Insolvenzverwalter die 568 A. A. Birnbreier, NZI-Beilage 2021, 25, 26; wohl gegen einen shift of fiduciary duties bereits ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit Kunz, in: Kluth/Harder/Harig/Kunz, Restrukturierungsrecht, § 3 Rn. 100 ff.; für einen sog. shift of fiduciary duties ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit Weitzmann, in: Pannen/Riedemann/Smid, StaRUG, § 1 Rn. 27. 569 Für eine Berücksichtigung von Gläubigerinteressen im Rahmen von § 43 GmbHG, § 93 AktG auch Bitter, ZIP 2021, 312, 322; Gehrlein, BB 2021, 66, 67. 570 Im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit wird für die Erfüllung vertraglicher Verbindlichkeiten ein Ermessenspielraum anerkannt, vgl. Zöllner/Noack, in: Baumbach/ Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 43 Rn. 23b. Die herrschende Lehre nimmt für die Verletzung vertraglicher Pflicht stets ein unternehmerisches Ermessen an; sie ordnet die Erfüllung also nicht der Legalitätspflicht zu, vgl. etwa Beurskens, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 13; Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 40.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Wahl, ob er im Interesse der Insolvenzgläubiger den Geschäftsführer in Anspruch nimmt oder Anfechtungsansprüche nach den §§ 129 ff. InsO geltend macht.571 Beide Möglichkeiten dienen aber nicht dem Erhalt der Sanierungsfähigkeit und damit der Insolvenzprophylaxe, sondern der nachträglichen Auffüllung der Insolvenzmasse. Zukünftig könnte der Geschäftsführer auch für anfechtbare Zahlungen haften, wenn diese bestandsgefährdend sind. Entscheidendes Kriterium muss wieder die Veränderung des Ausfallrisikos der Gläubiger in Folge der Zahlung sein. Aus der Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung nach § 43 Abs. 1 GmbHG und § 43 Abs. 1 StaRUG ergibt sich also ab drohender Zahlungsunfähigkeit eine Vermögenserhaltungspflicht, die dem Erhalt der Sanierungsfähigkeit dient. Die in § 43 Abs. 1 StaRUG angeordnet Pflicht zur Wahrung der Gläubigerinteressen wird hier als Bestandsschutz verstanden. Außerhalb des SRR wird dieser Bestandsschutz durch eine entsprechende Auslegung von § 43 Abs. 1 GmbHG erreicht. Auf diese Weise wird Art. 19 lit. b RRiL umfassend umgesetzt. Die Haftung aus § 43 Abs. 2 GmbHG steht im Grundsatz aber unter dem Vorbehalt, dass kein Beschluss der Gesellschafter vorliegt, welcher den Geschäftsführer zu der Handlung anweist und daher haftungsbefreiende Wirkung hat. Die Haftung und die entsprechende Dispositionsbefugnis der Gesellschafter wird jedoch wie bei § 43 Abs. 2 S. 1 StaRUG beschränkt, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist. § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG enthält eine entsprechende Formulierung für die Ersatzansprüche bei Verstoß gegen § 30 GmbHG. Klöhn schreibt dazu: „Zur Gläubigerbefriedigung erforderlich ist der Schadensersatzanspruch, wenn zum Zeitpunkt der Handlung des Geschäftsführers zu erwarten ist, dass zumindest ein Gläubiger bei Fälligkeit seiner Forderung nicht aus dem Gesellschaftsvermögen voll befriedigt werden kann.“572
Im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit ist diese Voraussetzung stets erfüllt. Verstößt also ein Geschäftsleiter gegen die Pflicht zum Bestandserhalt ist, indem er das Ausmaß der drohenden Zahlungsunfähigkeit vergrößert, kann eine entsprechende Weisung seinen Schadensersatzanspruch nicht entfallen lassen. Dies gilt innerhalb des SRR wie auch außerhalb des SRR ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit.573 Zwar betrifft § 43 Abs. 2 S. 1 StaRUG ausdrücklich nur den Verzicht auf Ersatzansprüche. Die Einschränkung der Dispositionsbefugnis der Gesellschafter im Bereich der Bestandsgefährdung muss jedoch auch die vorherige Weisung bzw. einen Beschluss umfassen, wenn sie effektiv zur Förderung von Restrukturierungen beitragen will und Art. 19 RRiL effektiv umsetzen soll.
571
BGH, Urt. v. 18. 12. 1995 – II ZR 277/94 = ZIP 1996, 420. Klöhn, in: Bork/Schäfer, GmbHG, § 43 Rn. 63. 573 Vgl. auch B. III. 5. d) aa) (5) (a); Weitzmann, in: Pannen/Riedemann/Smid, StaRUG, § 1 Rn. 27. 572
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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(c) Anknüpfung an die Vorschriften zur Kapitalerhaltung Neben der Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung stellen auch die Kapitalerhaltungsvorschriften nach §§ 30 f. GmbHG einen Ausschnitt der Vermögenserhaltungspflicht nach Art. 19 lit. b RRiL dar. Anknüpfend an den Schwellenwert des Stammkapitals verbietet § 30 Abs. 1 GmbHG Auszahlungen an die Gesellschafter im Interesse des Gläubigerschutzes. Damit überschneiden sich die Kapitalerhaltung nach § 30 GmbHG und der Vermögensschutz im Sinne von Art. 19 RRiL in ihrer Schutzrichtung, wobei § 30 GmbHG aufgrund der Begrenzung auf das Stammkapital lediglich eine Art Minimalschutz darstellt. Zudem wird durch die Kapitalerhaltung nach § 30 GmbHG kein Liquiditätsschutz gewährleistet, da nach § 30 Abs. 1 S. 1 GmbHG ein Gesellschafterdarlehen auch aus Vermögen gewährt werden darf, welches zur Deckung des Stammkapitals erforderlich ist, wenn eine vollwertiger Rückgewähranspruch besteht. Aufgrund dieser bilanziellen Betrachtung scheidet ein Schutz der Liquidität nach § 30 GmbHG aus. Einen Sonderfall der Kreditgewährung aus den nach § 30 GmbHG gebundenen Mitteln stellt § 43a GmbHG dar, der eine Kreditgewährung an den Geschäftsführer und leitende Angestellte vollständig untersagt. Insoweit wird neben der Kapitalerhaltung auch ein gewisser Liquiditätsschutz sichergestellt.574 Mit ihren begrenzten Anwendungsbereichen könnten §§ 30 f. GmbHG und § 43a GmbHG grundsätzlich weitere Ausschnitte der Vermögenserhaltungspflicht darstellen. Der Beitrag zur Umsetzung von Art. 19 RRiL ist allerdings ein sehr mittelbarer. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Vorschriften keinen expliziten Bezug zu einer zukünftigen Zahlungsunfähigkeit haben. Es kann daher Fällen geben, in denen eine Ausschüttung nach § 30 GmbHG untersagt ist, ohne dass eine drohende Zahlungsunfähigkeit besteht; das gleiche gilt umgekehrt. Ebenso können eine zukünftige Zahlungsunfähigkeit und das Bestehen einer Unterbilanz zusammenfallen. §§ 30 f. GmbHG leisten damit nur in Teilen einen Beitrag zur Umsetzung von Art. 19 lit. b RRiL. (d) Zwischenergebnis Insgesamt gibt es eine Vielzahl von einzelnen Regelungskomplexen in GmbHRecht, die für verschiedene Aspekte einer Vermögenserhaltungspflicht im Sinne von Art. 19 lit. b RRiL in Betracht kommen. Diese bestehen aus einem dem Ermessen des Geschäftsführers und der Disposition der Gesellschafter entzogenen Fundament, welches sich an dem Schwellenwert des Stammkapitals orientiert. Darüber hinaus, sozusagen als zweite Stufe, besteht eine im Ausgangspunkt im Ermessen des Geschäftsführers stehende umfassende Vermögensschutzpflicht, welche aus der Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung folgt und die nicht an die interne Kapitalstruktur der Gesellschaft geknüpft ist. Die Vermögensschutzpflicht wird ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit modifiziert, da von nun an sämtliche Zahlungen 574 Zum Verhältnis von Kapitalschutz und Vermögensschutz vgl. Ekkenga, in: MüKo GmbHG, § 30 Rn. 12.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
und sonstige Transaktionen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger erhöhen, unzulässig sind. Diese Regeln werden flankiert durch das liquiditätsbezogene Zahlungsverbot nach § 64 S. 3 GmbHG a. F. bzw. § 15b Abs. 5 InsO und dem Verbot von existenzvernichtenden Eingriffen575 in das Vermögen, welche sich ebenfalls als Teil der Werterhaltungspflicht begreifen lassen. Insgesamt könnte man die Ausführungen zur Vermögenserhaltungspflicht auch auf Art. 19 lit. c RRiL stützen, der Anreize zur Vermeidung bestandsgefährdender Geschäfte schaffen will. Dass die einzelnen Regelungen nicht explizit an eine drohende Zahlungsfähigkeit im Sinne einer wahrscheinlichen Insolvenz nach der RRiL anknüpfen, schadet nicht. Die Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung ist durch ihre Einzelfallabhängigkeit ausreichend flexibel und kann damit insbesondere auch die Fälle bei Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit erfassen. Bei einer entsprechenden Auslegung können die Sorgfaltspflichten aus § 43 Abs. 1 GmbHG und § 43 Abs. 1 StaRUG eine umfassende Umsetzung von Art. 19 lit. b RRiL gewährleisten. § 64 S. 3 GmbHG a. F. bzw. § 15b Abs. 5 InsO sollte nach der hier vertretenen Auffassung mit dem Prognosehorizont der drohenden Zahlungsunfähigkeit synchronisiert werden, um zu erreichen, dass sämtliche Zahlungen an die Gesellschaft, die innerhalb der nächsten 24 Monate eine zukünftige Zahlungsunfähigkeit vergrößern, unzulässig sind.576 Der Schutz des Vermögens wird in der vorinsolvenzlichen Phase dann schwerpunktmäßig durch am Einzelfall orientierte, haftungsbewehrte Pflichten der Geschäftsführer gewährleistet. (4) Pflicht zur Inanspruchnahme des präventiven Restrukturierungsrahmens Eine Pflicht zur Inanspruchnahme des präventiven Restrukturierungsrahmens folgt aus der RRiL und dem StaRUG nicht. Die RRiL sieht den präventiven Restrukturierungsrahmen als einen möglichen Schritt zur Vermeidung der Insolvenz an, wie sich aus der Aufzählung möglicher Schritte zur Vermeidung der Insolvenz aus EWG 70 RRiL ergibt. Für die Umsetzung von Art. 19 lit. b RRiL folgt daraus, dass der Geschäftsführer den präventiven Restrukturierungsrahmen als mögliche Option in seine Sanierungsprüfung mit einzubeziehen hat. Ein Vorrang vor anderen Optionen wird nicht festgelegt.577 Solange alternative Sanierungsoptionen keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür beinhalten, dass sich das Ausfallrisiko der Gläubiger weiter erhöht, besteht ein Auswahlermessen, ob eine außergerichtliche Sanierung, eine Sanierung im Insolvenzverfahren oder im SRR angestrebt wird. Ein Vorrang bestimmter Verfahren besteht nicht. Zu berücksichtigen sein kann auch, dass eine außergerichtliche Sa575 576 577
Diese werden mit Blick auf Art. 19 lit. c RRiL behandelt unter B. III. 6. d) bb) (1). Dazu unter B. III. 6. d) bb) (4). Vgl. auch Korch, ZGR 2019, 1050, 1074.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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nierung oftmals günstiger ist und mit einem geringeren Imageschaden verbunden ist als das Insolvenzverfahren.578 Eine Inanspruchnahme der übrigen Sanierungsinstrumente, bspw. eines ESUG-Verfahrens, dürfte nur in Betracht kommen, wenn der Erfolg einer Sanierung im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen von vornherein aussichtslos erscheint, kollektiv wirkende Maßnahmen zur Sanierung erforderlich sind oder bestimmte Rechtsverhältnisse gestaltet werden sollen, deren Gestaltung im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen gemäß § 4 StaRUG ausgeschlossen ist. Da der Begriff der Insolvenz nach Art. 2 Abs. 2 lit. a RRiL nach nationalem Recht zu bestimmen ist und nach der hier vertretenen Auffassung die Eröffnungstatbestände erfasst, bei denen ein Fremdantrag möglich ist, also § 17 und § 19 InsO, wäre es für eine Unternehmensleitung möglich, eine Sanierung auch im Insolvenzverfahren zu betreiben und damit Art. 19 lit. b RRiL gerecht zu werden, wenn dies betriebswirtschaftlich die zweckmäßigste Alternative darstellt. Im deutschen Recht käme etwa ein Schutzschirmverfahren nach § 270d InsO in Betracht wegen drohender Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO. Eine Pflicht zur Einleitung eines Stabilisierungs- und Restrukturierungsverfahrens entgegen dem Willen der Gesellschafter scheidet aus, da die Kompetenz der Gesellschafter für die Einleitung eines solchen Verfahrens nicht beschränkt wird.579 Inwieweit die Gesellschafter in ihrer Dispositionsbefugnis dennoch eingeschränkt sein können wird im folgenden Kapitel erläutert. (5) Einbindung der Gesellschafter (a) Weisungsrechte der Gesellschafter und Ermessen der Geschäftsleitung Wie bereits festgestellt wurde, beabsichtigt die RRiL keine grundsätzlichen Eingriffe in die Binnenorganisation der nationalen Rechtsformen. Will man den Pflichten von Art. 19 RRiL jedoch (irgend-)eine Wirkung verleihen, so kann man sie nicht vollständig zur Disposition der Gesellschafter stellen. Die Dispositionsbefugnis war bereits vor Umsetzung der RRiL im Hinblick auf die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages wegen Überschuldung nach § 19 InsO eingeschränkt. Weisen die Gesellschafter den Geschäftsführer an, bestehende Sanierungsoptionen nicht wahrzunehmen, kann dies aufgrund einer negativen Fortbestehensprognose zu einer Insolvenzantragspflicht führen. Soweit keine Insolvenzantragspflicht vorliegt, ist die Weisungsbefugnis grundsätzlich nicht eingeschränkt. Die Gesellschafter könnten nach der Festlegung der Fortbestehensprognose auf 12 Monate gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 InsO also im Zustand der drohenden 578 Für einen Vorrang der außergerichtlichen Sanierung Seibt, ZIP 2013, 1597, 1599; unter Hinweis auf die Kosten- und Publizitätsvorteile einer außergerichtlichen Sanierung auch Wellensiek, NZI 2003, 233, 237. 579 RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 106, der sogar noch von einem Vorrang der Gläubigerinteressen aufgrund von § 2 StaRUG RegE ausging.
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Zahlungsunfähigkeit eine Sanierung solange unterbinden bis eine Insolvenzantragspflicht vorliegt. Dies würde dem aus Art. 19 lit. b RRiL folgenden Gebot für den deutschen Gesetzgeber entgegenstehen, effektive Anreize zur Förderung von Restrukturierungen zu schaffen. Anknüpfungspunkt für eine Einschränkung der Dispositionsbefugnis ist die aus Art. 19 lit. a RRiL abgeleitete Pflicht zum Bestandserhalt als gemeinsames Minimalziel aller Stakeholder eines Unternehmens sowie spiegelbildlich dazu die Unzulässigkeit bestandsgefährdender Maßnahmen nach Art. 19 lit. c RRiL. Anknüpfungspunkt für die Einschränkung der Dispositionsbefugnis der Gesellschafter im SRR ist die Berücksichtigung der Gläubigerinteressen und die unverzichtbare Haftung nach § 43 Abs. 1 und 2 StaRUG. Aufgrund des in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL erforderlichen Bestandsschutzes muss darüber hinaus bereits ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit eine Wahrung der Gläubigerinteressen erfolgen. Die in § 43 Abs. 1 GmbHG konkretisierte Pflicht zur Sanierungsprüfung nach Art. 19 lit. b RRiL umfasst, dass alle erforderlichen Schritte zur Umsetzung einer Sanierung durch die Unternehmensleitung ergriffen werden. Ohne eine Weisung oder einen Beschluss der Gesellschafter ist der Geschäftsführer somit ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach diesen Normen zu einer bestmöglichen Sanierung verpflichtet. Die Reichweite der Pflichten der Unternehmensleitung sind jedoch abhängig von der jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Binnenorganisation. Bei der GmbH sind die Gesellschafter als „Herren der Gesellschaft“ zu den grundlegenden Entscheidungen befugt. Die Entscheidung darüber, ob eine Sanierung durchgeführt werden soll, obliegt grundsätzlich den Gesellschaftern.580 Die Restrukturierungsmaßnahmen betreffen oftmals grundlegende Entscheidungen im operativen und finanzwirtschaftlichen Bereich, welche die Kompetenzen der Geschäftsführung übersteigen.581 Als Alternative zur Restrukturierung können die Gesellschafter jederzeit auch die Auflösung der Gesellschaft nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG beschließen.582 Im Ausgangspunkt bleiben auch nach der Umsetzung von Art. 19 RRiL die Gesellschafter für eine Sanierung zuständig. Wenn die Kompetenzen der Gesellschafter im Rahmen einer Sanierung betroffen sind, hat der Geschäftsführer einer 580 Haas, Gutachten E zum 66. DJT, E 108 f.; Veil, ZGR 2006, 374, 380; Mohaupt, S. 165 f.; Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271, 272. 581 Veil, ZGR 2006, 374, 380. 582 Vgl. BGH, Urt. v. 1. 2. 1988 – II ZR 75/87 = DNotZ 1989, 14; BGH, Urt. v. 13. 12. 2004 – II ZR 206/02 = NZI 2005, 237 (keine Pflicht gegenüber den Gläubigern, das Unternehmen fortzuführen). Die Frage, ob die Gesellschafter das Unternehmen trotz wirtschaftlicher Krise unverändert weiterbetreiben dürfen, wird bejaht, vgl. Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 43 Rn. 36; Gutachten E zum 66. DJT, E 114 f.; Schluck-Amend, in: MüAnwHdB GmbH-Recht, § 23 Rn. 25 a. E.; wohl auch Karsten Schmidt, in: Scholz, 11. Aufl. 2015, GmbHG, § 60 Rn. 12; a. A. Altmeppen, ZIP 1999, 881, 882 f. für den Fall der materiellen Unterkapitalisierung.
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GmbH auch nach § 43 Abs. 1 GmbHG weiterhin die Entscheidung der Gesellschafter über eine Restrukturierung vorzubereiten und einen Beschluss darüber herbeizuführen. Lehnen diese eine Restrukturierung ab, hätte der Geschäftsführer nach bislang herrschender Ansicht im deutschen Recht grundsätzlich das Unternehmen bis zur Insolvenzreife fortzuführen.583 Die Grenzen der Weisungsbefugnis der Gesellschafter ergeben sich aus der Legalitätspflicht, sodass eine Weisung unzulässig ist, wenn ihre Durchführung zu einem Gesetzesverstoß führt, bspw. die Auszahlung führt zur Zahlungsunfähigkeit gemäß § 64 S. 3 GmbHG a. F. oder das Unterlassen eines Insolvenzantrages trotz bestehender Antragspflicht. Darüber hinaus dürfen Weisungen auch nicht gegen die Treuepflicht der Gesellschafter und gegen die guten Sitten verstoßen.584 Nunmehr ist die Dispositionsbefugnis der Gesellschafter darüber hinaus in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL beschränkt.585 Dies gilt jedoch nur soweit eine bestimmte Handlung oder ein Unterlassen als Bestandsgefährdung einzuordnen ist. Ein Beispiel für ein solches verpflichtendes Unterlassen wäre nach der hier vertretenen Auffassung, dass bestandsgefährdende Geschäfte im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht mehr vorgenommen werden dürfen.586 Ein Ermessen der Geschäftsleitung besteht insoweit nicht. Entsprechend besteht auch keine Dispositionsbefugnis der Gesellschafter. Eine konkrete Handlungspflicht würde etwa bestehen, wenn es sich um die letzte bzw. einzige Chance auf Sanierung handelt. Diese dürfte die Geschäftsführung auch bei entgegenstehenden Weisungen und Beschlüssen der Gesellschafter nicht verstreichen lassen und die dann Gesellschaft ohne Sanierung weiterführen (dazu noch im Folgenden). Soweit der Unternehmensleitung bei der Sanierung jedoch noch ein Ermessen zusteht, kann dieses Ermessen durch Weisungen und Beschlüsse der Gesellschafter 583 Vgl. Veil, ZGR 2006, 374, 375; Karsten Schmidt, ZIP 1980, 328, 329 f.; Mohaupt, S. 166; a. A. Altmeppen, ZIP 1999, 881, 882 f. nimmt eine Pflicht des Geschäftsführers an, die Gesellschafter über eine unzureichende Kapitalausstattung und die daraus folgenden Handlungsalternativen „Sanieren oder Liquidieren“ hinweisen; Altmeppen lässt offen, ob sich der Geschäftsführer zum Ausschluss der Haftung auf eine (unzulässige) Weisung der Gesellschafter zur Fortführung der Gesellschaft berufen kann; vgl. aber Altmeppen, in: MüKo AktG Anh. § 317 Rn. 50, der den Grundsatz anerkennt, dass Gesellschaft bis zur Insolvenzreife fortgeführt werden darf; Westpfahl/Knapp, in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rn. 277 nehmen an, dass eine Weisung, keinen Restrukturierungsplan vorzulegen, dann unwirksam ist, wenn sie einen existenzvernichtenden Eingriff darstellt; diese Auffassung scheint von einem sehr weiten Begriff des existenzvernichtenden Eingriffs auszugehen. Fraglich ist, was aus dieser Auffassung folgt: Wäre die Weisung unwirksam und ein Restrukturierungsplan möglich, so müsste der Geschäftsführer diesen ohne die Unterstützung der Gesellschafter bzw. sogar gegen ihren Willen ausarbeiten und umsetzen. 584 Mohaupt, S. 220 f. 585 Ähnlich Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 69; a. A. Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 126 f.; Guntermann, WM 2021, 214, 219. 586 Vgl. für die GmbH etwa B. III. 6. d) bb) (2).
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konkretisiert werden. Insbesondere können die Gesellschafter grundsätzlich zwischen mehreren Sanierungsoptionen wählen. Maßgeblich für die Bestimmung der Bestandsgefährdung als Grenze der Dispositionsbefugnis ist die Veränderung des Ausfallrisikos der Gläubiger, welches sich im Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit bereits teilweise realisiert hat, durch die jeweilige Handlung oder das jeweilige Unterlassen.587 Grundsätzlich besteht ein Ermessen hinsichtlich der konkreten Umsetzung einer Sanierung. Die Grenze des Ermessens besteht in der Bestandsgefährdung, welche sich am Ausfallrisiko der Gläubiger orientiert. Dies lässt sich damit begründen, dass die Unternehmensleitung im Sinne der oben geschilderten Vermögenserhaltungspflicht, das für eine Sanierung erforderliche Vermögen bzw. das Vermögen, welches im Falle einer Insolvenz zur Verfügung steht, bewahren soll bzw. Maßnahmen zu unterlassen hat, die Erfolgsaussichten einer Restrukturierung gefährden.588 Im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit führt jede überwiegend wahrscheinliche Vergrößerung des Ausfallrisikos der Gläubiger zu einer Gefährdung der Erfolgsaussichten der Restrukturierung und damit zu einer Bestandsgefährdung. Ist zwar nicht auszuschließen, dass sich das Ausfallrisiko der Gläubiger erhöht, kann eine Erhöhung jedoch auch nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit angenommen werden (Wahrscheinlichkeit der Erhöhung des Ausfallrisikos unter 50 %), hängt der Umfang des Ermessenspielraums vom jeweiligen Einzelfall ab. Im Zweifel muss die Maßnahme jedoch zulässig sein, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Erhöhung des Ausfallrisikos nicht gegeben ist und auch sonst nicht zu erkennen ist, dass einem Beteiligten durch die Maßnahme Sondervorteile zufließen sollen. Der Spielraum für Restrukturierungen sollte hier nicht übermäßig eingeschränkt werden. Wird eine erforderliche und erfolgversprechende Sanierung im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht durchgeführt, erhöht dieses vollständige Unterlassen der Sanierung das bereits zum Teil eingetretene Ausfallrisiko der Gläubiger weiter. Soweit also eine erfolgversprechende Möglichkeit zur Sanierung besteht, muss diese grundsätzlich wahrgenommen werden. Hier ist jedoch zu differenzieren: Jedenfalls sind solche Maßnahmen zu ergreifen, die ohne die Einleitung eines Insolvenz- oder Restrukturierungsverfahrens durchgeführt werden können. Solche Maßnahmen können die Gesellschafter nicht vollständig durch Weisungen oder Beschlüsse untersagen, wenn die daraus folgende Untätigkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erhöht. Hinsichtlich der Auswahl der konkreten Sanierungsmaßnahme besteht ein Ermessen und insoweit auch ein Weisungsrecht.
587
Dazu auch B. III. 6. a). Vgl. EWG 71 RRiL; vgl. dazu auch die Pflichten des Schuldners nach § 32 StaRUG, die über die Legalitätspflicht auch von der Geschäftsleitung zu berücksichtigen sind. 588
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Nach der Gesetzbegründung zum StaRUG RegE sollen hingegen Organkompetenzen im Zusammenhang mit der Beantragung eines Insolvenzverfahrens im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit oder im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Instrumentarien des Stabilisierungs- und restrukturierungsrahmen von der Einschränkung der Dispositionsbefugnis unberührt bleiben.589 Soweit eine Sanierung also nur innerhalb solcher Verfahren möglich ist, bleibt die Kompetenz zur Einleitung solcher Verfahren grundsätzlich bei den Gesellschaftern. Befindet sich der Schuldner in einer Situation, in der eine Sanierung nur unter Inanspruchnahme des Insolvenzverfahrens oder des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens möglich ist, die Gesellschafter eine solche Sanierung jedoch ablehnen, stellt sich die Frage, wie sich die Geschäftsleitung zu verhalten hat. Beispielsweise könnte man sich vorstellen, dass eine drohende Zahlungsunfähigkeit in 15 Monaten vorliegt, welche aber im Rahmen einer Sanierung beseitigt werden könnte. Wird diese Sanierungschance nicht genutzt, so wäre in 3 Monaten (Beginn der 12-Monats-Frist gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 InsO) Insolvenzantrag wegen Überschuldung mangels positiver Fortbestehensprognose zu stellen. Grundsätzlich haben die Unternehmensleiter im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit im deutschen Recht nach § 18 InsO ein Antragsrecht, jedoch keine Antragspflicht. Die Einleitung des Restrukturierungsverfahren nach StaRUG ist ebenfalls nicht verpflichtend. Das OLG München590 hat entschieden, dass es einem Geschäftsführer nicht gestattet ist, ohne zustimmenden Gesellschafterbeschluss einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestützt auf den Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO zu stellen. Begründet wurde das insbesondere damit, dass durch das Insolvenzverfahren der Gesellschaftszweck geändert würde, sodass ein Grundlagengeschäft vorliegt und daher die Kompetenzen der Gesellschafter betroffen seien.591 Ein Abstellen auf eine etwaige Änderung des Gesellschaftszwecks zur Begründung der Gesellschafterkompetenz kann bezüglich Maßnahmen im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nicht überzeugen, da der Zweck der Gesellschaft weiterhin die Gewinnerzielung ist, sie also weiterhin eine werbende Gesellschaft darstellt. Ebensowenig erfolgt eine Auflösung der Gesellschaft durch Einleitung von Restrukturierungsmaßnahmen.592 Zweifellos handelt es sich jedoch bei Sanierungsmaßnahmen oftmals um Maßnahmen von außerordentlicher Tragweite. Die Gesellschafter könnte ihre Rechtsposition vollständig verlieren, was dafür spricht ihnen die Entscheidungsbefugnis zuzusprechen. 589 RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 106, allerdings noch zum gestrichenen § 2 Abs. 2 StaRUG RegE. Nach der Streichung des Vorranges der Gläubigerinteressen ab drohender Zahlungsunfähigkeit sollte das aber umso mehr gelten. 590 OLG München, Urt. v. 21. 3. 2013 @ 23 U 3344/12 = NZI 2013, 542; dazu Brinkmann, ZIP 2014, 197, 204; für die Erforderlichkeit eines Gesellschafterbeschlusses bei GmbH und Personengesellschaften auch Karsten Schmidt, in: InsO, § 18 Rn. 31; Geißler, ZInsO 2013, 919, 923, der unter anderem einen erst-recht-Schluss aus der Einberufungspflicht bei hälftigem Verlust des Stammkapitals nach § 49 Abs. 3 GmbHG zieht; a. A. Hölzle, ZIP 2013, 184. 591 Leinekugel/Skauradszun, GmbHR 2011, 1121, 1124 f. 592 Balthasar, NZI-Beilage 2021, 18, 21.
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Wenn die Gesellschafter die Einleitung eines Insolvenzverfahren mit dem Zweck der Sanierung oder die Nutzung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen ablehnen, könnte der Geschäftsführer also trotz drohender Zahlungsunfähigkeit verpflichtet sein, das Unternehmen bis zum Eintritt der materiellen Insolvenz fortzuführen. Die Fortführung ohne Aussicht auf Sanierung stellt nach der hier vertretenen Auffassung aber einen Verstoß gegen die aus Art. 19 lit. b RRiL abgeleitete Werterhaltungspflicht dar. Durch die Fortführung kann sich das Ausfallrisiko der Gläubiger weiter erhöhen. Auch das StaRUG geht davon aus, dass die Gläubiger vor Leitungsentscheidungen geschützt werden müssen, mit denen eine Krise verschleppt wird.593 Liegt der Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit innerhalb des neu eingeführten 12-Monats-Horizonts wird die Fortführung durch die Antragspflicht bei Überschuldung unterbunden, soweit diese auf den jeweiligen Rechtsträger anwendbar ist. Ohne eine Chance auf Sanierung kann keine positive Fortbestehensprognose begründet werden, mag die fehlende positive Fortbestehensprognose auch daraus resultieren, dass die Gesellschafter die einzige Sanierungsmöglichkeit vereiteln. Liegt der Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit jedoch außerhalb des 12-Monats-Horizonts würde die Fortführung nicht mehr durch die Antragspflicht unterbunden. Auch für diesen Zeitraum besteht jedoch ein Schutzbedürfnis für die Gläubiger, welches mit der Dispositionsbefugnis der Gesellschafter abzuwägen ist. Für diesen (Ausnahme-)Fall könnte man erwägen, ob die Geschäftsführer verpflichtet sind, die bestehende Haftungsmasse im Interesse der Gläubiger zu konservieren, indem mittels Eigenantrag nach § 18 InsO ein Insolvenzverfahren eingeleitet wird. Dem kann nicht pauschal entgegen gehalten werden, dass das Antragsrecht aus § 18 InsO damit zu einer Antragspflicht umgewandelt würde, denn es besteht weiterhin ein Antragsrecht, wenn das Insolvenzverfahren beschritten werden soll, um (bei vorhandener Sanierungschance) eine Restrukturierung, etwa in Eigenverwaltung zu betreiben. Eine Antragspflicht nach § 18 InsO bzw. ein sich zur Handlungspflicht verdichtendes Geschäftsleiterermessen, welches zur Wahrnehmung des Antragsrechts aus § 18 InsO verpflichtet, könnte hingegen bestehen, wenn die einzige Sanierungschance durch die Gesellschafter vereitelt wird. Wertungsmäßig kommt diese Entscheidung der Gesellschafter einem Liquidationsbeschluss gleich und hätte für den Geschäftsführer zur Folge, dass er zwar die angestrebte Sanierung (bspw. in Form der Eigenverwaltung) nicht durchführen darf, jedoch ein (Regel)Insolvenzverfahren einleiten müsste trotz entgegenstehenden Weisungen oder Beschlüssen. Dies lässt sich mit Blick auf das Ausfallsrisiko der Gläubiger begründen: Im Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit hat sich bereits ein gewisses Ausfallrisiko realisiert. Die Gläubiger können berechtigterweise erwarten, dass der Schuldner das Ausfallsrisiko nicht bewusst übermäßig weiter erhöht. Bestehen keinerlei Sanierungsoptionen oder können bestehende Sanierungsoptionen aufgrund der Weisung der Gesellschafter oder ihrer fehlenden Mitwirkung nicht genutzt werden können, wäre die Fortführung unzulässig. Die Fortführung in einem 593
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solchem Zustand erhöht ebenfalls das Ausfallrisiko. Die Gesellschafter stehen mithin im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit vor der Entscheidung entweder das bereits eingetretene Ausfallrisiko zu „konservieren“ durch Einleitung eines Liquidationsverfahrens oder bestehende Sanierungschancen zu nutzen. Der Geschäftsführer wäre dann nicht verpflichtet, zum Zweck der Reduzierung des Ausfallrisikos der Gläubiger entgegen den Weisungen der Gesellschafter ein Insolvenzverfahren, etwa in Form der Eigenverwaltung, oder ein Restrukturierungsverfahren zu betreiben. Vielmehr hätte der Wille der Gesellschafter, eine Sanierung unter Nutzung des Insolvenzverfahren oder des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nicht durchzuführen, zur Folge, dass ein (Regel-)Insolvenzverfahren mit dem Zweck eingeleitet wird, das Ausfallrisiko zu konservieren. Dabei wird nicht verkannt, dass ein Insolvenzverfahren mit Kosten (direkten und indirekten) verbunden ist. Dennoch ist es als Verfahren zur Sicherung der gleichmäßigen und bestmöglichen Gläubigerbefriedigung konzipiert und enthält dafür wirksame Instrumente. Für den Fall, dass die Gesellschafter trotz einer drohenden Zahlungsunfähigkeit eine Sanierung vollständig ablehnen, würden die Gläubigerinteressen folglich durch die Einleitung einer Regelinsolvenz gewahrt und der Dispositionsfreiheit der Gesellschafter entsprechend eingeschränkt. Gegen die Annahme einer sich verdichtenden Handlungspflicht der Geschäftsleiter zur Nutzung des Antragsrecht aus § 18 InsO spricht, dass der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit noch über 12 Monate entfernt liegt, sodass nur eine geringere Gefährdung der Gläubigerinteressen vorliegt. Außerdem hat sich der Gesetzgeber bewusst gegen einen Interessenvorrang der Gläubiger ab drohender Zahlungsunfähigkeit entschieden. Dennoch stellt die Fortführung ohne Sanierungsaussichten eine Erhöhung des Ausfallrisikos dar und überschreitet damit die Grenze der Bestandsgefährdung, welche für die Dispositionsfreiheit der Gesellschafter nach der hier vertretenen Auffassung in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL gilt. Die Weisung zur Fortführung ohne Sanierungschance ist also unzulässig. Um dem Geschäftsführer in Folge der Unzulässigkeit der Weisung eine legitime Handlungsoption zu schaffen, kann er dann das Regelinsolvenzverfahren beantragen oder soweit Sanierungsmöglichkeiten außerhalb dieser Verfahren bestehen, diese auch entgegen einer Weisung und ohne entsprechenden Gesellschafterbeschluss durchführen.594 Auch außerhalb des SRR besteht folglich mit der Grenze der Bestandsgefährdung ein ausgeprägter Gläubigerschutz, welcher zulasten der Dispositionsfreiheit der Gesellschafter geht. Dies ist dem deutschen Recht jedoch nicht fremd, so stellen etwa die Zahlungsverbote nach § 15b Abs. 5 S. 1 InsO eine ähnliche Wertung auf, jedoch ausschließlich bezogen auf Zahlungen an Gesellschafter. Wie gezeigt wurde kann der Bestand einer Gesellschaft jedoch nicht nur durch Zahlungen an Gesellschafter gefährdet werden.
594 Balthasar, NZI-Beilage 2021, 18, 21 f. verweist ebenfalls auf Art. 19 RRiL als Begründung für eine Kompetenz der Geschäftsleitung.
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Solange trotz der Vereitelung einer bestimmten Sanierungschance durch die Gesellschafter weiterhin andere (mit Blick auf die Erhöhung des Ausfallrisikos der Gläubiger zulässige) Sanierungschancen bestehen, ist die Gesellschaft weiterzuführen und der Geschäftsführer muss den Weisungen der Gesellschafter Folge leisten. Er muss sich dann auf die Umsetzung der übrigen Sanierungschancen konzentrieren. Die Entscheidung der Gesellschafter, eine bestehende Sanierungschance nicht zu nutzen, liegt insoweit innerhalb ihrer Kompetenz und ist zu respektieren. Rationale Gesellschafter werden eine erfolgversprechende Chance auf Sanierung regelmäßig nicht vereiteln wollen. Die hier vorgenommene Auslegung der Geschäftsleiterpflichten und die korrespondierenden Einschränkungen der Dispositionsbefugnis der Gläubiger soll insbesondere dazu beitragen, eine völlige Untätigkeit im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu verhindern und letztlich dazu beitragen, dass Schritte ergriffen werden, um die Insolvenz zu vermeiden, wie es Art. 19 lit. b RRiL vorsieht. Zumindest soll das bestehende Ausfallrisiko konserviert werden. Wird der Geschäftsführer angewiesen eine bestehende Sanierungschance noch nicht wahrzunehmen, also noch weiter zuzuwarten, hängt die Zulässigkeit dieser Weisung wiederum davon ab, ob, mit welcher Wahrscheinlichkeit und in welchem Umfang sich durch das Zuwarten das Ausfallrisiko der Gläubiger weiter erhöht. Ist durch das Zuwarten nicht mit einer Erhöhung des Ausfallrisikos zu rechnen, steht es den Gesellschaftern frei anzuordnen, die Sanierung erst später durchzuführen. Ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass sich durch die verschobene Sanierung das Ausfallrisiko der Gläubiger erhöht, wäre eine entsprechende Weisung unzulässig und der Geschäftsführer müsste die Sanierungsmaßnahmen durchführen. Die Grenze wäre hier wiederum nur erreicht, wenn die Sanierung die Einleitung eines Insolvenzverfahrens oder die Nutzung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens erfordern. Den Gesellschaftern bleibt die Entscheidung vorbehalten, ob sie eine erfolgversprechende Sanierungschance nutzen wollen oder die (zwangsweise) Einleitung eines Insolvenzverfahrens in Kauf nehmen. Ebenso können die Gesellschafter auch im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit stets die Liquidation beschließen. Die Kompetenz der Gesellschafter, über das Ende des Schuldners als werbende Gesellschaft durch Liquidation oder durch Einleitung eines Insolvenzverfahrens zu entscheiden, wird nicht in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL eingeschränkt. Die Wahrung der Gläubigerinteressen im Rahmen des Bestandsschutzes führt jedoch dazu, dass der Entschluss, die einzige Sanierungschance im Insolvenz- oder Restrukturierungsverfahren nicht zu nutzen, als Entschluss für das Ende der werbenden Gesellschaft zu werten ist. All diese Erwägungen beruhen auf dem auch von der RRiL in EWG 3 geteilten Gedanken, dass bestandsfähige Unternehmen werden fortgeführt sollen (nach erfolgreicher Restrukturierung), nicht bestandsfähige Unternehmen (also solche ohne
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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hinreichend wahrscheinliche Sanierungschancen oder mit sanierungsunwilligen Gesellschaftern) unmittelbar liquidiert werden sollten. Dieser Gedanke wird auch durch die Antragspflicht bei Überschuldung umgesetzt, wenn die drohende Zahlungsunfähigkeit innerhalb von 12 Monaten eintritt.595 Tritt die drohende Zahlungsunfähigkeit in 12 bis 24 Monaten ein, wird dieser Gedanke nach der hier vertretenen Ansicht dadurch umgesetzt, dass sich das Leitungsermessen des Geschäftsführers so verdichtet, dass er verpflichtet ist, einen Insolvenzantrag nach § 18 InsO zu stellen, wenn sich die Gesellschafter weigern, die einzige bestehende Sanierungschance innerhalb eines Insolvenz- oder Restrukturierungsverfahrens zu nutzen und dadurch den Bestand der Gesellschaft gefährden bzw. das Ausfallrisiko der Gläubiger erhöhen. Bestehen Sanierungsmöglichkeiten außerhalb solcher Verfahren, hat der Geschäftsführer diese auch entgegen den Weisungen der Gesellschafter wahrzunehmen. Treffen die Gesellschafter eine Wahl zwischen mehreren Sanierungsmöglichkeiten, so hat der Geschäftsführer Folge zu leisten, solange die konkrete Wahl keine Bestandsgefährdung darstellt. Der Überschuldungstatbestand ist damit zur Förderung von Restrukturierungen im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz weiterhin von Bedeutung, da die Geschäftsführer darauf hinarbeiten müssen, eine positive Fortbestehensprognose durch Sanierungsmaßnahmen zu bewahren und auch die Gesellschafter einen Anreiz haben, erfolgversprechende Sanierungschancen zu unterstützen, da ansonsten ein Insolvenzverfahren die Folge ist. Durch den Überschuldungstatbestand wird sichergestellt, dass zumindest die letzte Chance auf Sanierung nicht folgenlos verstreichen kann, denn dies hätte eine negative Fortbestehensprognose zur Folge. Die Business-Judgement-Rule findet auf die Erstellung der Fortbestehensprognose keine Anwendung, da es sich bei der Erstellung nicht um eine unternehmerische Entscheidung im Sinne der Business-Judgement-Rule handelt.596 Der Geschäftsführer kann nicht nach freiem Ermessen entscheiden, ob er eine positive Fortbestehensprognose bejaht. Der BGH hat dem Geschäftsführer lediglich einen „gewissen Beurteilungsspielraum“ zugebilligt.597 Wenn eine Sanierung von der Beteiligung der Gesellschafter abhängt, stehen diese aufgrund des Überschuldungstatbestandes somit vor der Wahl, die Sanierung zu ermöglichen oder sich klar gegen eine Sanierung trotz zukünftiger Zahlungsunfähigkeit zu positionieren, was letztlich zur Einleitung eines Insolvenzverfahrens führt. Wollen die Gesellschafter eine Sanierung damit vereiteln, dass sie den sanierungswilligen Geschäftsführer abberufen, beugte dem § 2 Abs. 3 StaRUG RegE vor. Diese Norm ist ersatzlos entfallen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass ein neuer Geschäftsführer bei fehlenden Sanierungsoptionen ebenfalls einer Insolvenzan595
Vgl. allgem. zu den Insolvenzgründen als Spiegelbilder von Normativbestimmungen für Unternehmensträger Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 41 f. 596 Fischer, NZI 2016, 665, 667. 597 BGH, Urt. v. 6. 6. 1994 – II ZR 292/91 = NJW 1994, 2220, 2224; Fleischer, ZGR 2004, 437, 459 f.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
tragspflicht unterliegen würde. Ggf. werden die Gesellschafter durch die Abberufung selbst zur Stellung des Insolvenzantrags verpflichtet gemäß § 15a Abs. 3 InsO. Innerhalb des SRR mit seinen besonderen Möglichkeiten zur Beeinträchtigung der Gläubigerinteressen gilt die Einschränkung der Dispositionsbefugnis der Gläubiger ebenfalls. Die überwiegend wahrscheinliche Erhöhung des Ausfallrisikos ist auch hier die Grenze der Dispositionsbefugnis der Gesellschafter, denn sie verstößt nach der hier vertretenen Auffassung gegen die ausdrücklich festgeschriebene Pflicht zur Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit nach § 43 Abs. 1 S. 1 StaRUG.598 Zwar hat der deutsche Gesetzgeber eine dem § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG entsprechende Norm nicht eingefügt, welche die haftungsbefreiende Wirkung von Gesellschafterbeschlüssen entfallen lässt, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist.599 Die Einschränkung der Dispositionsbefugnis lässt sich jedoch an § 43 Abs. 2 StaRUG anknüpfen, der § 9b GmbHG nachgebildet ist.600 § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG normiert eine Haftung der Geschäftsführer gegenüber dem Schuldner. Nach § 43 Abs. 2 S. 1 StaRUG ist diese Haftung unverzichtbar, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist. Dadurch wird die Dispositionsbefugnis der Gläubiger über die Haftung und die von ihr ausgehende Anreizwirkung im Interesse der Gläubiger eingeschränkt. Der Rechtsausschuss ließ sich bei § 43 Abs. 2 S. 1 StaRUG von „den Grundsätzen, denen gesellschaftsrechtliche Haftungsansprüche bei der Verletzung gläubigerschützender Pflichten unterliegen“601 leiten. Soweit die Haftung unverzichtbar ist, sollte sie im Interessen der effektiven Förderung von Restrukturierungen auch hinsichtlich vorausgehender Weisungen der Dispositionsbefugnis der Gesellschafter entzogen sein. Daraus folgt, dass Weisungen, welche die Sanierung beeinträchtigen und damit die Interessen der Gläubigergesamtheit verletzen können, unwirksam sind. Als Maßstab für die unzulässige Beeinträchtigung der Gläubigerinteressen gilt hier ebenfalls die überwiegend wahrscheinliche Erhöhung des Ausfallrisikos, mithin die Bestandsgefährdung. Die Einschränkung der Dispositionsbefugnis im SRR lässt sich auch durch einen systematischen Vergleich mit der Eigenverwaltung begründen, in welcher die Dispositionsbefugnis der Gesellschafter im (vorrangigen) Interesse der Gläubiger ebenfalls eingeschränkt ist (§ 276a Abs. 1 S. 1 InsO). Diese Einschränkung gilt nach § 276a Abs. 3 InsO bereits in der vorläufigen Eigenverwaltung, welche ab drohender Zahlungsunfähigkeit in Anspruch genommen werden kann. Angesichts dieser Erwägungen muss die Dispositionsbefugnis der Gesellschafter ab drohender Zahlungsunfähigkeit eingeschränkt sein, obwohl die Norm des § 2 Abs. 2 S. 2 StaRUG 598
Zweifelnd zum Umfang der Dispositionsbefugnis von Gesellschaftern (Konzernsachverhalte) nach Inanspruchnahme des SRR auch Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 106. 599 Scholz, ZIP 2021, 219, 224; Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 106. 600 Vgl. auch Bitter, ZIP 2021, 312, 334, der ebenfalls die Dispositionsbefugnis der Gesellschafter über den Anspruch aus § 43 StaRUG ablehnt. 601 BT Dr. 19/25353, S. 8.
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RegE, welche noch ausdrücklich eine Einschränkung der Weisungsbefugnis vorsah, im StaRUG keine Entsprechung gefunden hat.602 Den besonderen Gefährdungsmöglichkeiten für die Gläubigerinteressen insbesondere aufgrund der Stabilisierungsanordnung begegnet das StaRUG mit der besonderen Haftungsvorschrift des § 57 StaRUG. Letztlich wird in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL das Verhältnis zwischen Gläubigerschutz und Dispositionsfreiheit der Gesellschafter teilweise modifiziert, um Restrukturierungen effektiv zu fördern oder zumindest den Ausfall der Gläubiger zu reduzieren und damit auch zu der angestrebten europäischen Kapitalmarktunion beizutragen. (b) Information der Gesellschafter Das deutsche GmbH-Recht sieht bereits vor, dass der Geschäftsführer nach § 49 Abs. 2 GmbHG verpflichtet ist, eine Gesellschafterversammlung einzuberufen, wenn es im Interesse der Gesellschaft erforderlich erscheint. Dies ist dann der Fall, wenn der Gesellschaft ohne die Durchführung einer Gesellschafterversammlung nicht unerhebliche Nachteile drohen.603 Die Norm erfasst zwei Fallgruppen604: Erstens ist die Gesellschafterversammlung einzuberufen, wenn die Maßnahme in die alleinige Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung fällt. Zweitens in dem Fall, dass die Maßnahme zwar grundsätzlich eine Geschäftsführungsmaßnahme darstellt, jedoch aufgrund ihrer besonderen Bedeutung von den Gesellschaftern zu beschließen ist. In diese letzte Fallgruppe fallen Maßnahmen zur Restrukturierung eines Unternehmens bei Vorliegen einer zukünftigen Zahlungsunfähigkeit.605 Aufgrund der besonderen finanziellen Lage, sind diese Maßnahmen von existenzieller Bedeutung für die Gesellschaft.606 Mit der Einberufung muss der Geschäftsführer die 602 Ähnlich Bitter, ZIP 2021, 312, 335, wobei dieser eine „(vorrangige) Berücksichtigung der Gläubigerinteressen“ annimmt. 603 Liebscher, in: MüKo GmbHG, § 49 Rn. 48. 604 Vgl. Altmeppen, in: Altmeppen, GmbHG, § 49 Rn. 14. 605 Zu verschiedenen Maßnahmen, die in die Fallgruppe fallen, Schindler, in: BeckOK GmbHG, § 49 Rn. 40; Altmeppen, in: Altmeppen, GmbHG, § 49 Rn. 14. 606 Ebenso wird von der h. M. ein Beschluss der Gesellschafter für die Stellung eines Insolvenzantrages bei drohender Zahlungsunfähigkeit für erforderlich gehalten und daher eine entsprechende Einberufung nach § 49 Abs. 2 GmbHG. Dies wird jedoch oftmals auch damit begründet, dass es sich nicht nur um eine Geschäftsführungsmaßnahme handele, sondern um ein Grundlagengeschäft, welches den Gesellschaftszweck ändere. Eine Änderung des Gesellschaftszwecks liegt bei der Inanspruchnahme des präventiven Restrukturierungsrahmens jedoch nicht vor; vgl. OLG München, Urt. v. 21. 3. 2013 – 23 U 3344/12 = ZIP 2013, 1121, 1124 (zur KG); LG Frankfurt a. M., Urt. v. 10. 9. 2013 – 3 – 09 O 96/13 = NZI 2013, 986; Karsten Schmidt, in: Karsten Schmidt, InsO, § 18 Rn. 31; Liebscher, in: MüKo GmbHG, § 49 Rn. 48; Schröder, in: HmbKomm-InsO, § 18 Rn. 17; Westpfahl/Knapp, in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rn. 277: Westermann, NZG 2015, 134, 136; a. A. Hölzle, ZIP 2013, 1846, 1849 f.; Eidenmüller, ZIP 2014, 1197, 1203; Gessner, NZI 2018, 185, 188 für den Fall, dass der Insolvenzantrag zwar im Gesellschaftsinteresse liegt, die Gesellschafterinteressen aber davon abweichen.
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zur Vorbereitung der Gesellschafter erforderlichen Informationen mitteilen.607 Als Teil der Informationspflicht gegenüber den Gesellschafters muss der Geschäftsführer diese auch auf mögliche Fehler in einem beschlossenen Sanierungskonzept hinweisen.608 Die Pflicht des Geschäftsführers nach § 49 Abs. 2 GmbHG wird ergänzt durch § 1 Abs. 1 S. 2 StaRUG. Beide Normen können als Umsetzung von Art. 19 lit. b RRiL betrachtet werden.609 Neben § 49 Abs. 2 GmbHG besteht noch eine strafbewehrte Pflicht zur Einberufung der Gesellschafter bei hälftigem Verlust des Stammkapitals nach §§ 49 Abs. 3, 84 Abs. 1 GmbHG. § 49 Abs. 3 GmbHG soll als Frühwarnsystem dienen, um rechtzeitig erforderliche Maßnahmen zur Sanierung oder ggf. zur Liquidation einzuleiten, bevor eine materielle Insolvenz eintritt.610 Der Geschäftsführer muss nach Eintritt der Voraussetzungen von § 49 Abs. 3 GmbHG ohne schuldhaftes Zögern die Versammlung einberufen und die zur Beurteilung der Vermögenssituation notwendigen Informationen übersenden. Ein Entscheidungsermessen wird ihm diesbezüglich nicht zugebilligt.611 Da § 49 Abs. 3 GmbHG allgemein als untaugliches Instrument der Krisenvorsorge gesehen wird612, hätte man erwägen könne, zur Umsetzung der aus Art. 19 lit. b RRiL folgenden Pflicht des Geschäftsführers zur Information der Gesellschafter und zur Herbeiführung eines Gesellschafterbeschlusses, den Zeitpunkt der Einberufung von § 49 Abs. 3 GmbHG auf die drohende Zahlungsunfähigkeit zu legen. Zudem hätte der Gesetzgeber eine Klarstellung vornehmen können, dass der Geschäftsführer mit der Einberufung über die Möglichkeiten der Sanierung zu informieren hat.613 Eine Umsetzung von Art. 19 lit. b RRiL in § 49 Abs. 3 GmbHG hätte gegenüber einer Umsetzung in § 49 Abs. 2 GmbHG den Vorteil gehabt, dass § 49 Abs. 3 GmbHG die Pflicht ausdrücklich benennt und nicht lediglich auf eine richtlinienkonforme Auslegung angewiesen ist.614 Damit wäre auch eine Verdopplung der „krisenbedingten“ Einberufung vermieden.615 Eine solche kann sich jetzt auch im Zusammenspiel mit § 1 Abs. 1 S. 2 StaRUG ergeben. Es wird dabei nicht übersehen, dass ein leicht objektivierbares Merkmal in der aktuellen Version des § 49 Abs. 3 GmbHG durch ein mit 607
Liebscher, in: MüKo GmbHG, § 49 Rn. 62. Haas, Gutachten E zum 66. DJT, E 114. 609 Den Zusammenhang zwischen Sanierungsprüfung und Information der Gesellschafter betont auch Veil, ZGR 2006, 374, 382. 610 Liebscher, in: MüKo GmbHG, § 49 Rn. 55. 611 Liebscher, in: MüKo GmbHG, § 49 Rn. 62. 612 Siehe dazu etwa Haas, Gutachten E zum 66. DJT, E 111 f.; Altmeppen, in: Altmeppen, GmbHG, § 49 Rn. 17; Liebscher, in: MüKo GmbHG, § 49 Rn. 55. 613 Zweifelnd bezgl. des Beitrages zum Gläubigerschutz durch feste Vorgaben für die Informationspflicht des Geschäftsführers ggü. den Gesellschaftern Haas, Gutachten E zum 66. DJT, E 114. 614 Vgl. auch Müller, ZGR 2018, 56, 83. 615 Vgl. dazu für die AG auch Seibt/Treuenfeld, DB 2019, 1190, 1198. 608
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Prognoseunsicherheiten belastetes Merkmal ausgetauscht worden wäre.616 Wenn aufgrund der Haftung und der strafrechtlichen Drohung eine Information der Gesellschafter aufgrund von Prognoseunsicherheiten eher früher als später erfolgt, wäre das jedoch zu begrüßen gewesen. Zudem wird es bei der „Schwesternorm“ § 92 Abs. 1 AktG überwiegend für zulässig erachtet, dass der Vorstand von einer Einberufung der Hauptversammlung absieht, wenn er aussichtsreiche Sanierungsgespräche führt, sodass auch das vermeintlich objektive Merkmal durch ein Ermessen des Vorstandes aufgeweicht wird.617 In Folge der Umsetzung von Art. 19 lit. b RRiL in § 1 Abs. 1 StaRUG und § 49 Abs. 2 GmbHG könnten sich Änderungen der bestehenden Dispositionsbefugnis der Gesellschafter über die Einberufungspflichten ergeben. Bezüglich § 49 Abs. 2 GmbHG ist die statutarische Abdingbarkeit umstritten.618 Die fehlende Disponibilität wird mit der Leitungsfunktion der Geschäftsführer und dem Schutz von Minderheitsgesellschaftern begründet.619 Bezüglich § 49 Abs. 3 GmbHG ist die fehlende Disponibilität anerkannt und wird damit begründet, dass die Norm nicht ausschließlich die Gesellschafter schütze, sondern darüber hinaus auch einem besonderen (öffentlichen) Interessen diene, dessen Bedeutung der Gesetzgeber durch die Strafnorm des § 84 GmbHG anerkannt habe.620 Die Strafbarkeit nach § 84 Abs. 1 GmbHG entfällt zwar, wenn alle Gesellschafter einwilligen. Eine solche Einwilligung ist jedoch praktisch kaum möglich.621 Außerdem endet die Pflicht des Geschäftsführers zur Information, wenn alle Gesellschafter auf andere Weise Kenntnis erlangen.622 Dies ist insbesondere bei 1-Personen-GmbHs relevant. Hier scheidet zwar eine Strafbarkeit aus. Der Zweck, dass das entscheidungsbefugte Organ die erforderlichen Informationen erhält, wird jedoch erreicht. Möglich ist außerdem eine Strafbarkeit nach § 84 Abs. 2 GmbHG bei fahrlässiger Unkenntnis der wirtschaftlichen Situation. In Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL ist nach der hier vertretenen Auffassung ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit eine Pflicht zur Wahrung der Gläubigerinteressen im Rahmen des Bestandsschutzes anzuerkennen. Diesem nicht disponiblen Bestandsschutz dient auch die Einberufungspflicht nach § 49 Abs. 2 GmbHG. Eine statutatorische Abbedingung der Information aus § 49 Abs. 2 616
Zu der Objektivierbarkeit der Fortbestehensprognose im Rahmen von § 19 InsO vgl. Fischer, NZI 2016, 665, 67. 617 Fleischer, in: beck-online.Großkommentar, AktG, § 92 Rn. 12; kritisch dazu Kühnberger, DB 2000, 2077, 2085. 618 Dafür Liebscher, in: MüKo GmbHG, § 49 Rn. 70; Römermann, in: M/H/L/J, § 49 Rn. 142; dagegen Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 49 Rn. 22; Altmeppen, in: Altmeppen, GmbHG, § 49 Rn. 25. 619 Altmeppen, in: Altmeppen, GmbHG, § 49 Rn. 25. 620 Liebscher, in: MüKo GmbHG, § 49 Rn. 71; Römermann, in: M/H/L/J, § 49 Rn. 144; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 49 Rn. 22. 621 Liebscher, in: MüKo GmbHG, § 49 Rn. 18. 622 Liebscher, in: MüKo GmbHG, § 49 Rn. 14.
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GmbHG führt jedoch nicht zu einer fehlenden Bestandsfähigkeit des Unternehmens, sondern schränkt ggf. die Reaktionsmöglichkeiten der Gesellschafter ein. Die Information der Gesellschafter mag insbesondere mit Blick auf § 49 Abs. 3 GmbHG unter dem Gesichtspunkt des (reflexiven) Gläubigerschutzes wünschenswert sein, jedoch kann die fehlende Abdingbarkeit nicht auf eine Umsetzung von Art. 19 RRiL gestützt werden, da die Informationspflichten nicht dem zwingenden Bereich der Bestandserhaltung unterliegen. Eine fehlende Gesellschafterinformation hat keine unmittelbare Erhöhung des Ausfallrisikos zur Folge, die vergleichbar ist mit hochrisikoträchtigen Geschäften, existenzvernichtenden Eingriffen oder der Fortführung ohne jegliche Aussicht auf Sanierung. Bei der Informationspflicht handelt es sich lediglich um einen Zwischenschritt zur erfolgreichen Sanierung, dessen Unterbleiben in der Regel nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger erhöht. (6) Zwischenergebnis Für den GmbH-Geschäftsführer ergibt sich aus § 43 Abs. 1 GmbHG und § 49 Abs. 2 GmbHG sowie § 1 Abs. 1, § 32 Abs. 1 und § 43 StaRUG in Folge der Umsetzung von Art. 19 lit. b RRiL Folgendes: Er muss den Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit erkennen und den Gesellschaftern mitteilen. Er muss eine Sanierungsprüfung durchführen und bei einer möglichen und erforderlichen Sanierung diese durchführen oder auf einen Beschluss der Gesellschafter über die Sanierung hinwirken und diesen vorbereiten. Bei positivem Beschlussergebnis muss er die Sanierung umsetzen. Bestehende Sanierungschancen und insbesondere das dazu erforderliche Vermögen des Schuldners hat er zu bewahren. Im Rahmen der Sanierungspflicht und der Vermögenserhaltungspflicht hat die Geschäftsleitung ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren. Dies erfolgt indem die Geschäftsführung ihr Verhalten auf den Bestandserhalt des Schuldners ausrichtet und sämtliche Maßnahmen unterlässt, die das Ausfallrisiko der Gläubiger, das im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit bereits teilweise eingetreten ist, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit weiter erhöhen. Diese Pflicht zum Bestandserhalt gilt als Mindestschutz für alle am Schuldner Beteiligten Personen unabhängig von der Nutzung des SRR ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Bei Maßnahmen, die nicht mit überwiegender zu einer Erhöhung des Ausfallrisikos führen (Wahrscheinlichkeit unter 50 %) besteht ein Ermessen zur effektiven Förderung von Restrukturierungen. Soweit ein Ermessensspielraum besteht ist auch die Dispositionsbefugnis der Gesellschafter nicht eingeschränkt. Die Fortführung des Unternehmens ohne jegliche Sanierungschancen verstößt gegen die Werterhaltungspflicht nach § 43 Abs. 1 GmbHG und ist unzulässig. Ebenso ist es unzulässig, Sanierungsmaßnahmen, die ohne eine Beteiligung der Gesellschafter und ohne Einleitung eines Insolvenz- oder Restrukturierungsver-
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fahrens vorgenommen werden können, zu unterlassen, wenn dies mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einer Erhöhung des Ausfallrisikos der Gläubiger führt. Entgegenstehende Beschlüsse und Weisungen der Gesellschafter sind unwirksam. Die Gesellschafter bleiben allerdings befugt, über die Einleitung von Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren zu entscheiden. Entscheiden sie sich jedoch gegen eine Sanierung innerhalb eines solchen Verfahrens und handelt es sich um die einzige erfolgversprechende Sanierungschance, so kann der Geschäftsführer ausnahmsweise verpflichtet sein, ein (Regel-)Insolvenzverfahren einzuleiten, um das bestehende Ausfallrisiko der Gläubiger zu konservieren. Dies wird erreicht durch die Antragspflicht bei Überschuldung nach § 19 InsO, wenn die Zahlungsunfähigkeit innerhalb der nächsten 12 Monate eintritt oder nach der hier vertretenen Auffassung durch eine Pflicht zur Nutzung des Insolvenzantragsrechts nach § 18 InsO, wenn die drohende Zahlungsunfähigkeit mehr als 12 Monate entfernt liegt. Die Anforderungen, die in Folge der Umsetzung von Art. 19 lit. b RRiL an den Geschäftsführer einer GmbH gestellt werden, sind damit erfüllt. Das StaRUG stellt nur eine teilweise Umsetzung von Art. 19 RRiL dar, weil es die Pflicht zur Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit auf die Inanspruchnahme des SRR begrenzt, obwohl die eigentliche Gefährdung der Gläubigerinteressen mit Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit beginnt. bb) Aktiengesellschaft (1) Sanierungsprüfung Eine Pflicht des Vorstandes, geeignete Sanierungsmaßnahmen einzuleiten im Fall einer drohenden Bestandsgefährdung wurde für das deutsche Recht schon vor Inkrafttreten des StaRUG anerkannt.623 Der Inhalt der Sanierungspflicht entspricht im Kern derjenigen des Geschäftsführers einer GmbH624, denn auch die Sanierungspflicht des Vorstands ergibt sich aus der Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung, für das Aktienrecht geregelt in § 93 Abs. 1 S. 1 AktG. Der Vorstand ist also verpflichtet, die Ursachen der Krise aufzuklären, zu prüfen, ob eine Sanierung möglich ist und geeignete Maßnahmen zu entwerfen und alles Erforderlich zur Umsetzung zu unternehmen.625 Zugleich ist er gemäß § 93 Abs. 1 S. 1 AktG dazu verpflichtet, die Sanierungsfähigkeit während der Sanierungsprüfung zu erhalten. Bei den unternehmerischen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Sanierung kommt dem Vorstand die Business-Judgement-Rule nach § 93 Abs. 1 S. 2 AktG zugute.626
623 Vgl. BGH, Urt. v. 9. 7. 1979 – II ZR 118/77 (Herstatt) = NJW 1979, 1823 II. 1. lit. d; Seibt, ZIP 2013, 1597, 1598 f.; Jenal, in: Beck/Depré, § 33 Rn. 16. 624 Dazu oben unter B. III. 5. d) aa) (1). 625 Vgl. Baums, ZGR 2011, 218, 252. 626 Schuster, ZGR 2010, 325, 337.
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Weitere Krisenpflichten des Vorstands ergeben sich aus § 92 AktG. Ergibt sich bei Aufstellung der Jahresbilanz oder einer Zwischenbilanz oder ist bei pflichtmäßigem Ermessen anzunehmen, dass ein Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals besteht, so hat der Vorstand gemäß § 92 Abs. 1 AktG unverzüglich die Hauptversammlung einzuberufen und ihr dies anzuzeigen. In § 92 Abs. 2 AktG a. F. waren die Zahlungsverbote für die AG geregelt, welche nach Eintritt der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit greifen (§ 92 Abs. 2 S. 1 AktG a. F.) bzw. Zahlungen an Aktionäre erfassen, die zur Zahlungsunfähigkeit führen (§ 92 Abs. 2 S. 3 AktG a. F.). Diese Normen gehen nun in § 15b InsO auf. Bei der Beurteilung der Auswirkungen von Art. 19 lit. b RRiL auf die Pflichten des Vorstands ist die aktienrechtliche Binnenorganisation zu beachten. Im Gegensatz zum Geschäftsführer der GmbH leitet der Vorstand die Gesellschaft gemäß § 76 Abs. 1 AktG unter eigener Verantwortung. Die von Art. 19 lit. b RRilL geforderten Schritte zur Abwendung der Insolvenz müssen unter Beachtung dieser Binnenorganisation ergriffen werden. Mit Blick auf Art. 19 lit. b RRiL folgt aus § 76 Abs. 1 i. V. m. § 93 Abs. 1 AktG, dass der Vorstand (spätestens) bei einer wahrscheinlichen Insolvenz im Sinne der RRiL, also einer drohenden Zahlungsunfähigkeit, selbstständig die Sanierungsprüfung durchzuführen und erforderliche Maßnahmen auch selbstständig umzusetzen hat. Eine Einbindung der Aktionäre über die Hauptversammlung ist neben § 92 Abs. 1 AktG gemäß § 121 Abs. 1 Var. 3 AktG erforderlich, wenn das Wohl der Gesellschaft es erfordert. Eine daraus folgende Pflicht, die Hauptversammlung in einer Unternehmenskrise einzuberufen und über etwaige Sanierungsmaßnahmen zu informieren wird jedoch abgelehnt.627 § 121 Abs. 1 Var. 3 AktG setzt eine Kompetenz der Hauptversammlung voraus, begründet eine solche jedoch nicht.628 Die RRiL führt nicht zu einer Erweiterung der Kompetenzen der Hauptversammlung.629 Vielmehr sind die nationalen Gesetzgeber gehalten, die Kompetenzen von Hauptversammlungen einzuschränken, um Restrukturierungen zu vereinfachen, wie sich etwa aus den Änderungen nach Art. 32 RRiL an der Gesellschaftsrechtsrichtlinie EU 2017/1132 ergibt.630 Eine Einbindung der Hauptversammlung ist bei einer Sanierung erforderlich, wenn die geschriebenen Kompetenzen der Hauptversammlung nach § 119 AktG berührt sind, sowie dann, wenn Sanierungsmaßnahmen unter die sog. Holzmüller/Gelantine-Doktrin des BGH fallen.631
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Spindler, in: MüKo AktG, § 92 Rn. 15; Schuster, ZGR 2010, 325, 332. Kubis, in: MüKo AktG, § 121 Rn. 9. 629 Vgl. auch Seibt/Treuenfeld, DB 2019, 1190, 1195. 630 Dazu Korch, ZIP 2020, 446, 451. 631 Zu dieser ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenz vgl. BGH, Urt. v. 25. 2. 1982 – II ZR 174/80 = NJW 1982, 1703 (Holzmüller); BGH, Urt. v. 26. 4. 2004 – II ZR 155/02 = NJW 2004, 1860; Hoffmann, in: beck-online.Großkommentar, AktG, § 119 Rn. 25 ff.; ggf. bei der Veräußerung wesentlicher Beteiligungen oder Verlegung des tatsächlichen Sitzes in das Ausland. 628
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Der Vorstand ist aufgrund seiner Haftung nach § 93 Abs. 2 AktG angehalten, eine erfolgversprechende Sanierung durchzuführen, auch wenn dies nicht dem Interesse des Mehrheitsaktionärs oder sogar des (personenidentischen) Alleinaktionärs im Falle einer 1-Personen-Gesellschaft entspricht. Etwaige entlastende Hauptversammlungsbeschlüsse (§ 93 Abs. 4 AktG), die zur Untätigkeit hinsichtlich der Sanierungsmaßnahmen führen, könnten nach § 241 Nr. 3 oder Nr. 4 AktG unwirksam sein.632 Das Leitungsermessen wird im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit entsprechend den bei der GmbH dargestellten Grundsätzen zur Bewahrung der Gläubigerinteressen und dem Erhalt des Unternehmens eingeschränkt.633 Risiken dürfen also durch den Vorstand nur beschränkt eingegangen werden, insbesondere sind stets die Auswirkungen auf das Ausfallrisiko der Gläubiger zu prüfen. Maßnahmen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausmaß einer drohenden Zahlungsunfähigkeit vergrößern, sind unzulässig. Eine Entlastung könnte auch nicht durch den Aufsichtsrat oder einen Beschluss der Hauptversammlung herbeigeführt werden. Auch ohne die Änderungen in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL hätten bei einer entsprechenden Auslegung im deutschen Aktienrecht ausreichende Anreize zur Umsetzung von Art. 19 lit. b RRiL bestanden. Zu nennen wären etwa die Ansprüche, welche die Gläubiger nach § 93 Abs. 5 AktG gegen den Vorstand geltend machen können, welche ebenfalls nicht der Dispositionsbefugnis der Aktionäre unterliegen, wie sich aus § 93 Abs. 5 S. 3 AktG ergibt. Die Ersatzansprüche bestehen allerdings nur bei gröblicher Pflichtverletzung nach § 93 Abs. 5 S. 2 AktG. Eine Bestandsgefährdung, also Maßnahmen die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausmaß einer bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit vergrößern, können häufig eine solche gröbliche Pflichtverletzung darstellen. Bei Bestehen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit (innerhalb der nächsten 12 Monate) ist der Vorstand außerdem gehalten, Sanierungsmaßnahmen zu ermitteln, zu schützen und wahrzunehmen, um den Eintritt einer negativen Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO und damit regelmäßig auch eine entsprechende Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 S. 1 InsO zu vermeiden. Lehnen die Aktionäre die Zustimmung zu einer Maßnahme gemäß § 119 AktG ab, welche für die Sanierung erforderlich ist, wird dem Vorstand aufgrund einer negativen Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 InsO oftmals nur die Möglichkeit bleiben, einen Insolvenzantrag zu stellen. Die Einleitung eines Insolvenzverfahrens etwa aufgrund drohender Zahlungsunfähigkeit zum Zwecke der Sanierung sowie die Nutzung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen entscheidet der Vorstand in eigener Verantwortung. Ihm ist es daher möglich bspw. zu Sanierungszwecken ein Eigenverwaltungsverfahren 632 633
Vgl. dazu auch Schäfer, in: MüKo AktG, § 241 Rn. 70. Siehe dazu etwa B. III. 5. d) aa) (5) (a).
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
einzuleiten oder den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen zu nutzen, wenn diese die einzigen erfolgversprechenden Sanierungschancen darstellen. Zwar ist vor der Einleitung eines Insolvenzverfahrens die Zustimmung des Aufsichtsrates einzuholen, da dieser im Insolvenzverfahren und insbesondere im Schutzschirmverfahren seine Kompetenzen verliert.634 Eine Verweigerung der Zustimmung wäre jedoch unzulässig soweit sie gegen die Pflicht zum Bestandserhalt verstößt. In Folge der Umsetzung von Art. 19 lit. b RRiL erfolgt also keine wesentliche Erweiterung der aus § 93 Abs. 1 S. 1 AktG abgeleiteten Sanierungspflicht. Da der Vorstand der AG grundsätzlich weisungsunabhängig handelt, sind auch keine wesentlichen Eingriffe in die aktienrechtliche Binnenorganisation erforderlich zur effektiven Umsetzung von Art. 19 lit. b RRiL. Ab Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache folgt die Sanierungspflicht zugleich aus § 43 Abs. 1 StaRUG. Wesentliche Änderungen ergeben sich für den Vorstand auch hieraus nicht. Der Vorstand ist gehalten im Interesse der Gläubiger bestimmte Risiken nicht mehr einzugehen. Dazu gehören insbesondere solche, die das Ausfallrisiko der Gläubiger mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erhöhen. Bei Maßnahmen, die nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger erhöhen, ist der Bestandserhalt gewährleistet und es besteht ein Auswahlermessen. (2) Vermögenserhaltungspflicht § 93 Abs. 1 S. 1 AktG und § 43 Abs. 1 StaRUG i. V. m. Art. 19 lit. b RRiL erfordern, dass das Vermögen des Unternehmens im Interesse einer möglichen Sanierung geschützt wird. Der Vorstand ist nach diesen Normen verpflichtet, bestehende Sanierungschancen nicht dadurch zu gefährden, dass er Vermögen verschwendet bzw. auf eine Weise einsetzt, die nicht dem Sanierungszweck dient. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass das Aktienrecht das Problem des Erhalts des Unternehmensvermögens dadurch entschärft, dass ein Transfer von Unternehmensvermögen an die Gesellschafter nur ausnahmsweise möglich sein soll. Die aus der Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung abgeleitete Pflicht zum Erhalt des für eine Sanierung erforderlichen Vermögens zielt zwar nicht ausschließlich auf Transkationen zwischen Unternehmen und Gesellschaftern, jedoch stellt dies eine besonders bedeutsame Fallgruppe dar. Nach § 57 Abs. 1 S. 1 AktG dürfen die 634 Karsten Schmidt, in: Karsten Schmidt, InsO, § 18 Rn. 31; soweit eine Zustimmung der Hauptversammlung für erforderlich gehalten wird, siehe dazu referierend Rokas, S. 149, wäre eine Verweigerung ebenfalls unwirksam. Vor dem Hintergrund, dass die RRiL effektive Restrukturierungen fördern will, scheint eine verpflichtende Befragung der Hauptversammlung jedoch nicht angezeigt. Zudem würde die Verweigerung der Zustimmung einer Sanierung im Insolvenzverfahren nach der hier vertretenen Auffassung, falls keinerlei anderweite Sanierungsoptionen bestehen, zur zwingenden Einleitung eines Regelinsolvenzverfahrens führen, um das Ausfallrisiko der Gläubiger zu konservieren, sodass die Aktionäre ohnehin ihren Rechtsverlust zu befürchten hätten. Vor dem Hintergrund der eigenverantwortlichen Leitung der AG durch den Vorstand ist daher davon auszugehen, dass dieser ohne Befragung der Hauptversammlung eine Sanierung im Insolvenzverfahren betreiben darf; für eine Kompetenz der Hauptversammlung Schäfer, ZIP 2020, 1950, 1951 f.; Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2236.
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Einlagen nicht an die Aktionäre zurückgewährt werden. Die Norm wird weit ausgelegt und verbietet jede wertmäßige Beeinträchtigung des Gesellschaftsvermögens, die wegen der Mitgliedschaft aller oder einzelner Aktionäre erfolgt, sofern sie nicht aus dem Bilanzgewinn geleistet wird oder sonst gesetzlich zugelassen ist.635 Leistungen, die entgegen den Vorschriften des Aktiengesetzes an die Aktionäre erfolgen, sind von diesen gemäß § 62 Abs. 1 AktG zurückzugewähren. Üblicherweise wird festgestellt, dass die durch § 57 AktG bewirkte Kapitalerhaltung nicht vorrangig der Insolvenzprophylaxe dient, sondern in erster Linie den Befriedigungsvorrang der Fremdkapitalgeber vor den Eigenkapitalgebern sichert.636 Im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit schützt die Kapitalerhaltung und die daran anknüpfende Vorstandshaftung nach § 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG jedoch auch die Sanierungsfähigkeit der Gesellschaft, in dem die Gesellschaft vor Ausplünderungen durch die Gesellschafter bewahrt wird.637 Die Kapitalerhaltung ist nach § 57 Abs. 1 S. 4 AktG jedoch eingeschränkt, da die Rückgewähr eines Aktionärsdarlehens nicht von § 57 Abs. 1 S. 1 AktG erfasst ist. Die Rückgewähr von Aktionärsdarlehen war bislang lediglich durch das Insolvenzrecht gemäß § 135 InsO sanktioniert, wenn die Rückzahlung im Jahr vor der Stellung des Antrags auf Insolvenzeröffnung erfolgte. Eine weitere Grenze für die Zahlungen an Aktionäre stellte § 92 Abs. 2 S. 3 AktG a. F. dar, der Zahlungen an Aktionäre untersagt, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten.638 Jedenfalls dann, wenn die Zahlung eine bereits vorliegende Liquiditätslücke vergrößert, stellt sie eine Bestandsgefährdung nach Art. 19 RRiL dar, sodass § 92 Abs. 2 S. 3 AktG a. F. bzw. § 15b Abs. 5 InsO als Umsetzung von Art. 19 lit. b (und lit. c) RRiL verstanden werden kann. Dies gilt insbesondere für das Leistungsverweigerungsrecht, welches aus § 92 Abs. 2 S. 3 AktG a. F. bzw. § 15b Abs. 5 InsO folgt639, welches effektiv dem Erhalt von Vermögen dienen kann, welches für die Sanierung erforderlich ist. Mit Blick auf eine effektive Förderung von Sanierungen und die Wahrung von Gläubigerinteressen kann dem Vorstand nunmehr im Einzelfall auch nach § 93 Abs. 1 S. 1 AktG oder § 43 Abs. 1 StaRUG untersagt sein, Aktionärsdarlehen im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit zurückzuzahlen oder Ausschüttungen an die Aktionäre vorzunehmen, wenn dadurch die Sanierungschancen verschlechtert werden und sich das Ausfallrisiko für die Gläubiger mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erhöht. (3) Zwischenergebnis Aufgrund der Binnenorganisation der Aktiengesellschaft ergeben sich in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL keine wesentlichen Änderungen. Der Vorstand ist bereits nach geltendem Recht zur bestmöglichen Sanierung und auf den Erhalt des 635 636 637 638 639
Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 57 Rn. 2 m. w. N. Haas, Gutachten E zum 66. DJT, E 127; Rokas, S. 169. Vgl. Haas, Gutachten E zum 66. DJT, E 127. Vgl. Kleindiek, GWR 2010, 75, 76. Vgl. zu § 64 S. 3 GmbHG a. F. BGH, Urt. v. 9. 10. 2012 – II ZR 298/11 = ZIP 2012, 2391.
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Bestandes des Schuldners verpflichtet. Das Aktienrecht hält auch ausreichende Anreize dafür bereit, dass das Vermögen für eine Sanierung bewahrt wird. Ab dem Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit tritt in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL und der entsprechenden Auslegung der Geschäftsführungspflichten nach § 93 Abs. 1 S. 1 AktG und § 43 Abs. 1 StaRUG die Bestandserhaltung in den Vordergrund und beschränkt das Vorstandsermessen insoweit, dass das Ausfallrisiko der Gesamtheit der Gläubiger nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erhöht werden darf. cc) Personenhandelsgesellschaften In Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL soll rechtsformunabhängig eine Berücksichtigung der Interessen der Gläubiger sowie sonstiger Stakeholder durch Anreize für die Unternehmensleiter geschaffen werden. Im Recht der Personenhandelsgesellschaften trägt die persönliche Haftung der Gesellschafter, etwa nach § 128 HGB, zum Gläubigerschutz bei, indem sie einen Anreiz setzt, insolvenzverursachende Handlungen zu unterlassen und bestandserhaltende Maßnahmen im Eigeninteresse vorzunehmen. Die persönliche Haftung setzt auch einen Anreiz dafür, im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz den Fokus auf die Sanierung des Unternehmens zu legen und Vermögen, welches für eine Sanierung erforderlich ist, zu erhalten. Aus diesem Grund verzichtet das StaRUG darauf, die Pflicht zur Wahrung der Interessen der Gläubiger nach § 43 StaRUG auch auf Unternehmensträger mit persönlich haftenden Gesellschaftern oder den Einzelkaufmann auszudehnen.640 Der Teil der Bestandserhaltung, welcher darauf gerichtet, die Sanierung zu betreiben und ihre Grundlagen zu erhalten (Art. 19 lit. b RRiL) wird daher im Personengesellschaftsrecht ausreichend umgesetzt.641 Bei der derzeitigen Gesetzeslage bleibt es den Gesellschaftern unbenommen, das Unternehmen auch ohne Aussicht auf Sanierung fortzuführen oder der Gesellschaft Vermögen zu entziehen und die damit ggf. einhergehende erhöhte persönliche Haftung in Kauf zu nehmen. Es wurde festgestellt, dass Art. 19 lit. b RRiL im Kapitalgesellschaftsrecht durch eine haftungsbewehrte Pflicht der Unternehmensleitung umgesetzt wird, eine Sanierungsprüfung durchzuführen und erfolgversprechende Sanierungen umzusetzen. Die Wahrung der Gläubigerinteressen führt im Kapitalgesellschaftsrecht jedoch dazu, dass die Auswahl der Sanierungsmaßnahmen insoweit beschränkt ist, dass bestimmte Veränderungen des Ausfallrisikos der Gläubiger unzulässig sind. Dies gilt ebenso für Personengesellschaften, die einer Insolvenzantragspflicht aus § 15a InsO unterliegen. Die Pflichten der Geschäftsleitung bei diesen Personengesellschaften ist vergleichbar mit den Pflichten der Geschäftsleitung einer GmbH.642 Bei den nicht 640
Vgl. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 103. Zur Wirksamkeit der persönlichen Haftung als Anreiz, bestandsgefährdende Maßnahmen zu unterlassen, siehe B. III. 6. d) dd). 642 Vgl. dazu B. III. 5. d) aa) (1). 641
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haftungsbeschränkten Rechtsträgern schafft die Einführung einer persönlichen Haftung hingegen keinen zusätzlichen Anreiz. Neben der Steuerungswirkung der persönlichen Haftung, ergibt sich ein Anreiz im Sinne von Art. 19 lit. b RRiL auch im Personengesellschaftsrecht aus der haftungsbewehrten Pflicht zu ordnungsgemäßen Geschäftsführung, deren Verletzung nach § 280 BGB i. V. m. mit dem Gesellschaftsvertrag zu einem Schadensersatzanspruch gegen den geschäftsführenden Gesellschafter führen kann.643 Der Maßstab des BGH für eine ordnungsgemäße Geschäftsführung lautet, dass der geschäftsführende Gesellschafter alle nach verständigem Ermessen notwendigen und möglichen Maßnahmen ergreifen muss, die nach den Gepflogenheiten eines verständigen Kaufmanns geboten sind.644 Jedenfalls überwiegend erfolgversprechende Sanierungschancen zu nutzen, ist davon erfasst, was für die Umsetzung von Art. 19 lit. b RRiL ausreicht. Darüber hinaus bestehen auch in der Personengesellschaft Berichts- und Warnpflichten der geschäftsführenden Gesellschafter, die zu Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft führen können, wenn durch ihre Verletzung eine Sanierung vereitelt wurde.645 Bei Billigung des Verhaltens durch die übrigen Gesellschafter entfällt zwar die Haftung.646 Die persönliche Haftung der Gesellschafter setzt aber einen Anreiz dafür, Verhalten des geschäftsführenden Gesellschafters gerade nicht zu billigen, welches zur Vereitelung von überwiegend erfolgversprechenden Sanierungsmaßnahmen führt. Über die geschilderten Anreizwirkungen hinaus ist es nicht erforderlich, im Recht der Personengesellschaften Regeln aufzustellen zur Umsetzung von Art. 19 lit. b RRiL. dd) Einzelkaufmann Die persönliche Haftung des Einzelkaufmanns bietet, wie bei den Personengesellschaften, einen ausreichenden Anreiz dafür, dass erfolgversprechende Sanierungschancen geprüft und umgesetzt werden und das Vermögen, welches für die Durchführung solcher Maßnahmen erforderlich ist, erhalten wird. Sanierungsmaßnahmen mit einer überwiegenden Erfolgswahrscheinlichkeit wird der Einzelkaufmann im Eigeninteresse zur Vermeidung der persönlichen Haftung ergreifen. Die persönliche Haftung stellt mit Blick auf Art. 19 lit. b RRiL einen ausreichenden Anreiz zur Insolvenzvermeidung dar.647 Spezielle Umsetzungsmaßnahmen für Art. 19 lit. b RRiL sind in Bezug auf den Einzelkaufmann daher nicht erforderlich. 643 Allgem. zur Haftung des geschäftsführenden Gesellschafters Karrer, in: MüAnwHdB Personengesellschaftsrecht, § 14 Rn. 158. 644 Vgl. BGH, Urt. v. 13. 1. 1954 – II ZR 6/53 = BeckRS 1954, 31081199. 645 Vgl. Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 199, 419 f. 646 Karrer, in: MüAnwHdB Personengesellschaftsrecht, § 14 Rn. 170. 647 Anders bei der Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL, dazu unter B. III. 6. d) ee).
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e) Zwischenergebnis zu Art. 19 lit. b RRiL Aus Art. 19 lit. b RRiL folgt die Pflicht, einen Anreiz zur Sanierungsprüfung und zur Umsetzung überwiegend erfolgversprechender Sanierungsmaßnahmen zu setzen. Zugleich soll das für eine Sanierung erforderlich Vermögen bewahrt werden. Dies dient dem aus Art. 19 lit. a RRiL abgeleiteten Bestandsschutz. Bei den nicht haftungsbeschränkten Unternehmensträgern wird dieser Anreiz zur Wahrnehmung und Sicherung solcher Sanierungschancen durch die persönliche Haftung ausreichend sichergestellt. Bei haftungsbeschränkten Unternehmensträgern folgt ein entsprechender Anreiz aus der haftungsbewehrten Verpflichtung zur sorgfältigen Unternehmensführung gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 AktG sowie § 43 Abs. 1 und § 32 Abs. 1 StaRUG. Diese Normen dienen als maßgebliche Anknüpfungspunkte für eine Umsetzung von Art. 19 lit. b RRiL. Durch § 43 Abs. 1 S. 1 StaRUG wird für die Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Unternehmensträger festgelegt, dass die Restrukturierung im SRR unter Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit erfolgen muss. Daher muss die Geschäftsleitung bei Ausübung ihres Ermessens das Ausfallrisiko der Gläubiger berücksichtigen (insb. bei Investitions- und Restrukturierungsentscheidungen) und auf diese Weise den Bestand des Schuldners wahren. Maßnahmen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubigergesamtheit erhöhen, sind im Interesse des Bestandserhaltes unzulässig. Soweit ein Geschäftsleiterermessen besteht, kann dieses, je nach Einflussmöglichkeiten der Gesellschafter in der jeweiligen Rechtsform, auch durch die Gesellschafter gelenkt werden. Die Sanierungspflicht und die Ausrichtung auf den Bestandserhalt folgen aus der Umsetzung von Art. 19 RRiL und sind daher nicht beschränkt auf die Inanspruchnahme des SRR, sondern gelten – über § 43 StaRUG hinaus – ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Die Kompetenz der Gesellschafter zur Einleitung von Insolvenzverfahren und des SRR wird grundsätzlich nicht beschränkt. Um das Ausfallrisiko der Gläubiger zu bewahren bzw. zu konservieren, kann die Geschäftsleitung einer GmbH jedoch verpflichtet sein, auf Grundlage von § 18 oder § 19 InsO ein Insolvenzverfahren einzuleiten, wenn ansonsten keinerlei Sanierungsoptionen bestehen und eine Fortführung ohne Sanierungsmaßnahmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einer Erhöhung des Ausfallrisikos der Gläubiger führt. Maßnahmen zur Sanierung außerhalb solcher Restrukturierungsverfahren hat die Geschäftsleitung der GmbH auch entgegen der Weisung der Gesellschafter umzusetzen, wenn das Unterlassen jeglicher Maßnahmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einer Erhöhung des Ausfallrisikos führt. Zur Bestimmung der Veränderungen des Ausfallrisikos kann ein Liquiditätsplan erforderlich sein.648 Insbesondere bei (liquiditätswirksamen) Maßnahmen, wie der 648 Vgl. auch Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 70, die mit Blick auf die Inanspruchnahme der BJR feststellen: „Die Implementierung einer 24-Monate-Liquiditätsplanung stellt somit spä-
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geplanten Rückführung von (Gesellschafter-)Darlehen oder der Begleichung sonstiger Verbindlichkeiten. Mögliche Folgen wie Schadensersatzansprüche und Kündigungen sind ebenfalls in die Betrachtung miteinzubeziehen. Wenn der Austausch bestimmter Assets (Aktivtausch) mit einer Veränderung der Risikostruktur einhergeht, kann auch ein Überschuldungsstatus zu Liquidationswerten erforderlich sein, um die Veränderung des Ausfallrisikos zu bestimmen. 6. Art. 19 lit. c RRiL: Bestandsgefährdende Geschäfte a) Auslegung Nach Art. 19 lit. c RRiL sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, sicherzustellen, dass die Unternehmensleitung bei einer wahrscheinlichen Insolvenz die Notwendigkeit gebührend berücksichtigt, vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten zu vermeiden, das die Bestandsfähigkeit des Unternehmens gefährdet. Neben dem Anreiz zur Durchführung von Sanierungen (Art. 19 lit. b RRiL) ist dies der zweite Teil des aus Art. 19 lit. a RRiL abgeleiteten Bestandsschutzes. Art. 19 lit. c RRiL soll das Risiko insolvenzverursachender Handlungen durch die Unternehmensleitung verringern und damit einer Erhöhung des im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz bereits zum Teil eingetretenen Ausfallrisikos vorbeugen. EWG 71 spricht davon, dass wenn dem Schuldner die Insolvenz droht, die berechtigten Interessen der Gläubiger vor Managemententscheidungen zu schützen sind, die sich auf die Zusammensetzung des Schuldnervermögens auswirken können, insbesondere wenn diese Entscheidungen eine weitere Wertminderung des Vermögens bewirken könnten, das für Restrukturierungsmaßnahmen oder für die Verteilung an die Gläubiger zur Verfügung steht. Es sei daher notwendig, sicherzustellen, dass die Unternehmensleitung es vermeidet, vorsätzliche oder grob fahrlässige Handlungen vorzunehmen, die auf Kosten der Stakeholder649 zu persönlichen Vorteilen (der Unternehmensleitung) führen und, dass die Unternehmensleitung es vermeidet, Transaktionen unter Marktwert zuzustimmen oder Maßnahmen zu treffen, die eine unfaire Bevorzugung eines oder mehrerer Interessenträger zur Folge haben (EWG 71 der RRiL). Der Kommissionsentwurf von 2016 stellt in EWG 36, welcher dem EWG 71 in der RRiL vorausging, klar, dass zur Unternehmensleitung im Sinne der RRiL alle Personen gehören sollen, die für Entscheidungen über die Führung des Unternehmens zuständig sind. Dies beruht auf dem Gedanken, dass derjenige, der Einfluss auf das Unternehmen hat, diesen Einfluss auch zu seinen Gunsten missbrauchen kann. testens seit Inkrafttreten des StaRUG eine zentrale Aufgabe im Unternehmen dar.“; die Bedeutung von Dokumentation und Planung betont auch Arens, GWR 2021, 64, 66. 649 Die deutsche Übersetzung der RRiL spricht an dieser Stelle von Anteilsinhaber (= shareholder), gemeint sind jedoch Stakeholder wie sich aus der englischen Fassung und aus dem Kontext ergibt, da EWG 71 im vorherigen Satz den Schutz der Gläubigerinteressen hervorhebt.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Vor dieser unzulässigen Einflussnahme sind die Gläubiger zu schützen. Je nach Rechtsform können daher auch die Gesellschafter eines Schuldners von der Norm erfasst sein bzw. sie können zumindest mittelbar in ihren Kompetenzen eingeschränkt werden, insbesondere in ihrem Recht, auf die Unternehmensleitung (etwa durch Weisungen) einzuwirken.650 Zugleich ist bei der Auslegung von Art. 19 lit. c RRiL nach EWG 70 RRiL zu berücksichtigen, dass die Unternehmensleitung nicht davon abgehalten werden darf, vertretbare Geschäftsentscheidungen zu treffen oder vertretbare wirtschaftliche Risiken auch in der Krise einzugehen, vor allem wenn dies die Aussichten auf eine Restrukturierung potentiell bestandsfähiger Unternehmen verbessert. Die Grenze zwischen den vertretbaren Risiken und den im Interesse der Stakeholder und insbesondere der Gläubiger nicht mehr vertretbaren Handlungen und Risiken zieht die RRiL durch Art. 19 lit. c RRiL bei der Bestandsgefährdung. Zu klären ist, was unter einer Bestandsgefährdung im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL zu verstehen ist: Die RRiL will die Liquidation bestandsfähiger Unternehmen verhindern. Daher soll die Insolvenz des unternehmenstragenden Schuldners durch eine Restrukturierung vermieden werden.651 In der Regel wird folglich der Bestandsschutz des Unternehmens mit einem Schutz vor dem Eintritt der Insolvenz bei dem unternehmenstragenden Rechtsträgers einhergehen.652 Zu bedenken ist aber, dass die nach Art. 19 lit. a RRiL zu berücksichtigenden Interessen in dem Unternehmen als Sachgesamtheit zusammenlaufen. Das Verbot der Gefährdung des Bestandes des Unternehmens kann daher auch als ein Verbot der Gefährdung der Interessen der Beteiligten Stakeholder verstanden werden. Bei Gestaltungen, in denen die Interessen sämtlicher Stakeholder in angemessenen Ausgleich gebracht wurden, kann der Bestandserhalt des Unternehmens daher trotz Liquidation des unternehmenstragenden Rechtsträgers sichergestellt sein, sodass eine solche Maßnahme nicht bestandsgefährdend im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL wäre. Als Beispiel könnte man eine außerinsolvenzliche, übertragende Sanierung nennen, bei der ein angemessener Betrag für die Gläubiger erzielt wird und die Interessen der übrigen Stakeholder durch den Fortbestand des Unternehmens bei dem übernehmenden Rechtsträger gesichert sind. Diese Fälle dürften aber die Ausnahme darstellen, sodass im Folgenden die Bestandsgefährdung als die Erhöhung der Gefahr des Eintritts der Insolvenz des unternehmenstragenden Schuldners verstanden werden kann. Entscheidend für den Eintritt der Insolvenz ist die Befriedigung der Gläubiger des Unternehmens. Als bestandsgefährdend im Sinne von
650 Vgl. zu der Anwendung von gläubiger-bezogenen Pflichten auf einen erweiterten Personenkreis Spindler, EBOR 2006, 339, 346. 651 Vgl. EWG 2 RRiL. 652 Enger zum deutschen Recht Mohaupt, S. 232, die eine Bestandsgefährdung bzw. -vernichtung nur bei Gefährdung der Fortführungsaussichten annimmt und auf die Möglichkeit einer Fortführung und Sanierung auch im Insolvenzverfahren verweist.
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Art. 19 lit. c RRiL ist damit die weitere Erhöhung des in der wahrscheinlichen Insolvenz bereits teilweise eingetretenen Ausfallrisikos der Gläubiger zu sehen. Die Bestandsgefährdung kann aus der Handlung selbst oder auch im Zusammenspiel mit weiteren Tätigkeiten des Unternehmens resultieren. Entscheidend für die Bestimmung der Bestandsgefährdung ist der Grad der Wahrscheinlichkeit, mit welchem die Maßnahme das Ausfallrisiko der Gläubiger weiter erhöht. Bei der Entscheidung, welches Maß an Risiko nach der RRiL untersagt ist, ist zu berücksichtigen, dass wirtschaftliches Handeln häufig mit der Eingehung von Risiken verbunden ist und bestandsgefährdende Risiken in der Regel nicht völlig ausgeschlossen werden können.653 Im „worst case-Szenario“ wird sich das Risiko einer Insolvenz aufgrund einer Maßnahme ggf. im Zusammenspiel mit anderen Faktoren, wie der Entwicklung bestimmter Rohstoffpreise oder Absatzmärkte, des Zinsniveaus oder der Konjunktur, häufig nicht vollständig ausschließen lassen. Insbesondere in einer wirtschaftlichen Krise werden kaum Handlungsalternativen vorliegen, die völlig risikofrei sind. Ein Verbot jeglicher bestandsgefährdenden Maßnahmen stellt daher eine erhebliche Beschränkung der unternehmerischen Betätigung dar, die jedenfalls in Zeiten des normalen Geschäftsbetriebes den Charakter unternehmerischen Handelns verkennt. In der Krise könnten jedoch andere Maßstäbe gelten. Der Wortlaut von Art. 19 lit. c RRiL enthält keine Einschränkung, sodass man davon ausgehen könnte, dass im Interesse der Gläubiger jede Maßnahme zu unterbleiben hat, die potentiell bzw. abstrakt bestandsgefährdend wirkt. Vertretbare wirtschaftliche Risiken im Sinne der RRiL wären damit nur solche, die zu keinerlei Bestandsgefährdung führen, also insbesondere keinerlei Verschlechterung der Risikoposition der Gläubigergesamtheit beinhalten. Für einen Ausschluss jeglicher bestandsgefährdenden Maßnahmen spricht auch, dass die Grenze zwischen zulässigen und unzulässigen Bestandsgefährdungen oftmals schwer zu ziehen ist. Aus Erwägungsgrund 70 folgt jedoch, dass bei Geschäftsentscheidungen eine Abwägung zwischen den Aussichten auf Verbesserung einer Restrukturierung und den wirtschaftlichen Risiken zu erfolgen hat. Vertretbare wirtschaftliche Risiken sollen zulässig sein, wenn dies die Aussichten auf eine Restrukturierung verbessert. Eine solche Verbesserung wird man jedenfalls bei Maßnahmen, die eine Erfolgswahrscheinlichkeit von über 50 % haben, annehmen können. Diese Maßnahmen führen also mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit dazu, dass die zukünftige Zahlungsunfähigkeit abgewendet wird bzw. das Ausfallrisiko der Gläubiger reduziert wird. Außerdem wäre die gewünschte Abwägung nicht erforderlich, wenn nur Maßnahmen zulässig wären, die keinerlei Insolvenzrisiko bergen. Eine solche strenge Auffassung, die auch geringe Eintrittswahrscheinlichkeiten als unzulässig ansieht, würde erheblich dazu beitragen, dass Sanierungsversuche, die überwiegend erfolgversprechend sind, nicht umgesetzt würden. Dies kann nicht die Absicht der 653 Vgl. zum deutschen Aktienrecht Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 63, der als Beispiel die Erschließung neuer Märkte nennt, was ggf. auch eine Strategie zur Krisenbewältigung sein kann.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
RRiL sein, welche Restrukturierungen fördern möchte. Zum gebührenden Schutz der Gläubiger sind damit nur solche Maßnahmen unzulässig, die eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür haben, dass sich in Folge ihrer Realisierung das bereits teilweise eingetretene Ausfallrisiko weiter erhöht.654 Letztlich wird eine genaue Bestimmung der Wahrscheinlichkeiten nicht immer möglich sein, sodass nicht von einer strengen Grenzen im Sinne von 50 % + x ausgegangen werden kann. Insbesondere bei Maßnahmen, bei denen die Verlust- und Erfolgschancen nahezu ausgeglichen sind, muss berücksichtigt werden, ob die Maßnahme dazu dient, persönliche Vorteile für bestimmte Stakeholder, insbesondere die Anteilseigner, zu generieren. Dies wird sich oftmals nur aus einer Gesamtschau der Umstände ergeben. Ein Szenario, in dem die Unternehmensleitung den Großteil des Vermögens in der Erwartung starker Preissteigerungen in bestimmte Assets investiert, etwa Rohöl oder hochvolatile Cryptowährungen, um damit die finanzielle Schieflage des Unternehmens zu beseitigen, wäre das auch dann unzulässig, wenn tatsächlich mit 60 bis 70 % Wahrscheinlichkeit entsprechende Preissteigerungen zu erwarten sind, aber mit 30 bis 40 % Wahrscheinlichkeit ein so erheblicher Kursverfall eintritt, dass das Vermögen des Unternehmens danach nahezu aufgebraucht ist. Zu solchen Maßnahmen kann die Unternehmensleitung im Interesse der Gesellschafter verleitet sein, wenn deren Anteile aufgrund der wahrscheinlichen Insolvenz bereits wertlos sind oder alsbald mit einem vollständigen Wertverlust zu rechnen ist und das Insolvenzrisiko daher maßgeblich die Gläubiger trifft.655 Eine Erwägung für die Beurteilung der Zulässigkeit könnte sein, ob vergleichbare Maßnahmen auch in wirtschaftlich stabilen Zeiten ergriffen worden wären. Maßnahmen mit einem negativen Erwartungswert sind stets als unzulässig anzusehen.656 Im Ergebnis sind auch Projekte mit einem positiven Erwartungswert unzulässig, wenn das darin enthaltene Ausfallrisiko bzw. der Eintritt der Insolvenz überwiegend wahrscheinlich ist und der positive Erwartungswert nur aufgrund eines weniger wahrscheinlichen aber sehr hohen Gewinns resultiert.657 Baums spricht hier mit Bezug auf das deutsche Aktienrecht von einem Vorrang des Bestandserhalt vor dem Ziel der Unternehmenswertsteigerung, welches grundsätzlich durch Projekte mit positivem Nettobarwert verfolgt wird.658 Erlaubt bleiben müssen weiterhin Maßnahmen, die zwar bestandsgefährdend im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL sind, wenn jede andere Maßnahme mit gleicher oder höherer Wahrscheinlichkeit zur Insolvenz führt und voraussichtlich zu einem höheren Schaden für die Stakeholder,
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Korch, ZGR 2019, 1050, 1061 f. versteht Art. 19 lit. c RRiL als ein Verbot sachgrundloser Bestandsgefährdungen. 655 Vgl. zu diesem Beipiel auch Mohaupt, S. 250 f. 656 Zur Berechnung eines Erwartungswertes vgl. Jungmann, in: Festschrift Karsten Schmidt, 2009, S. 831, 839 f. Fn. 54. 657 Vgl. zum deutschen Aktienrecht Baums, ZGR 2011, 218, 232, 238 f., 253. 658 Baums, ZGR 2011, 218, 253.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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insbesondere die Gläubiger führt.659 Eine solche Maßnahme ist trotz ihrer Bestandsgefährdung wirtschaftlich vernünftig und fördert die Chance auf eine Restrukturierung soweit, wie es in der konkreten Situation noch möglich ist. Eine solche Maßnahme ist daher unter den gegebenen Umständen eine „vertretbare Geschäftsentscheidung“ (EWG 70 RRiL), die dazu dient „Verluste möglichst gering zu halten“ (ebenfalls EWG 70 RRiL). Wichtig ist, dass die überwiegende Wahrscheinlichkeit aufgrund von konkreten Tatsachen zu belegen ist und nicht lediglich auf abstrakte Erwägungen abgestellt werden kann. Bei Maßnahmen, die nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger vergrößern und daher nicht bestandsgefährdend im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL sind, ist das Ermessen der Unternehmensleitung grundsätzlich nicht eingeschränkt.660 Das heißt, dass sich die Unternehmensleitung gemessen an Art. 19 RRiL auch für ein riskanteres Projekt entscheiden könnte, welches einen höheren Gewinn erwarten lässt und weniger riskante Projekte mit niedrigeren Gewinnen ablehnen kann, solange die Grenze der Bestandsgefährdung nicht überschritten ist. Würde man den Ermessensspielraum der Unternehmensleitung auch in diesem Bereich einschränken, würde das eine Bevorzugung der Gläubigerinteressen darstellen, die von der RRiL nicht gewollt ist. Art. 19 lit. c RRiL erfasst insbesondere zwei wichtige Konstellationen, die in insolvenznahen Situationen auftreten. Einerseits das sog. gambling for resurrection, andererseits den insolvenzverursachenden Eingriff in das Unternehmensvermögen. Die Konstellation der Fortführung ohne Sanierungsaussichten wurde bereits im Zusammenhang mit Art. 19 lit. b RRiL erläutert661, obwohl diese ebenfalls zu einer unzulässigen Erhöhung des Ausfallrisikos führen kann und damit als bestandsgefährdend im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL anzusehen ist. Der insolvenzverursachende Eingriff zielt darauf ab, Vermögen oder Erwerbschancen einseitig zu Lasten bestimmter Gruppen umzuverteilen, indem bspw. Vermögensgegenstände aus dem Unternehmen abgezogen werden, ohne dafür eine adäquate Gegenleistung zu erbringen. Er kann aber auch in dem Entzug von Geschäftschancen oder in der Übernahme von Schulden durch das Unternehmen liegen. Alle diese Handlungen sind erfasst, wenn es um den Schutz der Zusammensetzung des Schuldnervermögens zur Ermöglichung von Restrukturierungen geht, wie EWG 71 es vorsieht. Es handelt sich bei diesen Maßnahmen nicht um unternehmerische Maßnahmen, die vorrangig der Bestandserhaltung dienen, sondern um Maßnahmen, die dazu führen, dass Vorteile für bestimmte Personengruppen, meist die Gesellschafter, erzielt werden.
659 Gedanke von Baums, ZGR 2011, 218, 255 f. zu den Pflichten des Vorstandes der deutschen AG. 660 Enger für das deutsche Aktienrecht wohl Baums, ZGR 2011, 218, 254. 661 Siehe insb. B. III. 5. d) aa) (5) (a).
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Das sog. gambling for resurrection beschreibt besonders riskante Verhaltensweisen in wirtschaftlichen Schieflagen eines Unternehmens, die sich insbesondere zu Lasten der Gläubiger auswirken, da diese im Vergleich zu den Gesellschaftern, deren Anteile oftmals erheblich im Wert gemindert sind, mehr zu verlieren haben, falls das Risiko eintritt.662 Erfasst davon sind solche Maßnahmen, die (ex-ante) die eingetretene Insolvenzwahrscheinlichkeit nicht beseitigen, sondern die ernsthafte Gefahr des Eintritts der Insolvenz in Kauf nehmen. Soweit solche Maßnahme mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger weiter erhöhen sind sie von Art. 19 lit. c RRiL erfasst. Der Unterschied zwischen dem sog. gambling for resurrection und den insolvenzverursachenden bzw. existenzvernichtenden Eingriffen liegt darin, dass das sog. gambling for resurrection mit dem Ziel erfolgt, das Unternehmen unter hohen Risiken zu retten, wohingegen insolvenzverursachende Eingriffe nicht im Interesse des Fortbestands des Unternehmens erfolgen. Die Unzulässigkeit des insolvenzverursachenden Eingriffs folgt aus der unmittelbaren Erhöhung des Ausfallsrisikos der Gläubiger, ggf. sogar aus der unmittelbaren Herbeiführung der Insolvenz. Potentielle Chance für das Unternehmen sind mit dem insolvenzverursachenden Eingriff nicht verbunden. Die Unzulässigkeit des sog. gambling for resurrection folgt ebenfalls aus einer unzulässigen Erhöhung des Ausfallsrisikos. Die Unzulässigkeit der Erhöhung folgt jedoch aus einer unausgewogenen Chance-RisikoVerteilung zwischen Gläubigern und Gesellschaftern. Die Verschiebung von Risiken auf die Gläubiger führt zu unerlaubten Vorteilen der Anteilsinhaber, wie sie die RRiL vermeiden will.663 Schlichtes Missmanagement ist hingegen von Art. 19 lit. c RRiL nicht erfasst. Unzulässige Umverteilungen im Vorfeld der Insolvenz, die zu persönlichen Vorteilen der Unternehmensleitung, Gesellschafter oder anderer Stakeholder führen, sollen nach dem oben genannten Maßstab für Bestandsgefährdung unterbunden werden.664 Die Fortführung ohne Sanierungsaussichten enthält ebenfalls eine unzulässige Bevorzugung der Gesellschafter. Realisiert sich ihre unwahrscheinliche Hoffnung auf einen guten Ausgang kommt das den Gesellschaftern zugute. Die Verluste aufgrund der Fortführung tragen hingegen die Gläubiger. Die Fortführung stellt also ebenfalls eine unzulässige Spekulation auf Kosten der Gläubiger dar.665 662 Dazu Veil, ZGR 2006, 374, 393 ff.; Klöhn, in: MüKo InsO, § 15a Rn. 35; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG Vorb. § 64 Rn. 28; Thole, ZIP 2007, 1590, 1594; Baums, ZGR 2011, 218, 244 m. w. N.; Fleischer, ZGR 2004, 437, 446 f.; differenzierend Kuntz, ZIP 2021, 597, 598 ff. 663 Vgl. EWG 71 RRiL. 664 Kuntz, ZIP 2021, 597, 604 ff. bemüht für diesen Zweck eine Erweiterung des Inhalts der Treuepflichten der Geschäftsleiter. 665 Vgl. dazu auch Bitter/Kresser, ZIP 2012, 1733, 1740 f., die Fälle der absehbaren Aufzehrung der Vermögenssubstanz durch eine Anwendung des Überschuldungstatbestandes nach § 19 InsO auffangen wollen. Dies wird nach der Verkürzung der Fortbestehensprognose auf 12 Monate schwerlich möglich sein, sodass eine Lösung bei den Geschäftsleiterpflichten, etwa nach § 43 Abs. 1 GmbHG, ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu suchen ist; a. A.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Der aus Art. 19 RRiL folgende Bestandsschutz führt dazu, dass es Anreize geben muss, solche Maßnahmen zu unterlassen. Ob man dabei auf Art. 19 lit. b oder lit. c RRiL abstellt, kann letztlich offen bleiben. Beide stellen Ausprägungen des Bestandsschutzes ab dem Zeitpunkt der wahrscheinlichen Insolvenz dar. b) Zeitlicher Anwendungsbereich von Art. 19 lit. c RRiL Art. 19 lit. c RRiL findet nur im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz Anwendung. Außerhalb der wahrscheinlichen Insolvenz im Sinne von Art. 19 RRiL werden bestandsgefährdende Geschäfte grundsätzlich nicht von Art. 19 lit. c RRiL untersagt. Nimmt also die Unternehmensführung eines „gesunden“ Unternehmens eine Maßnahme vor, die im Prognosezeitraum der wahrscheinlichen Insolvenz (2 Jahre bei Anwendung von § 18 Abs. 2 InsO) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einer Insolvenz führt, könnte man argumentieren, dass Art. 19 lit. c RRiL nicht greift. Werden solche Maßnahmen der Unternehmensleitung gesunder Unternehmen untersagt, geht es nicht um die konkrete Förderung von Restrukturierungen von Schuldnern, die sich in finanziellen Schwierigkeiten befinden, sondern um eine allgemeinere Form des präventiven Gläubigerschutzes, der jedoch nicht von der RRiL umfasst ist. Eine Unzulässigkeit solcher Maßnahmen kann sich unabhängig von der RRiL aus dem nationalen Recht ergeben.666 Gegen die Zulässigkeit solcher Maßnahmen spricht, dass die Maßnahme nach der Umsetzung, soweit möglich, ggf. wieder beseitigt werden müsste, da spätestens dann eine wahrscheinliche Insolvenz im Sinne der RRiL vorliegt und Art. 19 RRiL und damit auch die Sanierungspflicht nach Art. 19 lit. b RRiL greift. Zudem könnte man gegen die Zulässigkeit solcher Maßnahmen argumentieren, dass eine wahrscheinliche Insolvenz im Sinne der RRiL bereits in dem Moment vorliegt, in dem sich die Unternehmensleitung zur Durchführung der bestandsgefährdenden Maßnahme entschließt und damit im selben Moment die Entschließung unzulässig wird, da die Voraussetzungen von Art. 19 lit. c RRiL vorliegen. Diese Auslegung wirkt etwas formalistisch und hätte einen sehr weiten Anwendungsbereich der Norm zur Folge, da im Ergebnis sämtliche Maßnahmen mit überwiegender Insolvenzwahrscheinlichkeit untersagt sind und das unabhängig von der aktuellen wirtschaftlichen Situation des Unternehmens. Die Entscheidung einer Unternehmensleitung, die aus einem gesunden Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in den kommenden zwei Jahre vorsätzlich einen Insolvenzfall macht, ist praktisch wohl nicht besonders relevant. Bitter, ZIP 2021, 312, 324, teleologisch Reduktion der 12-Monats-Frist; Gehrlein, GmbHR 2021, 183, 189, der auch Umstände außerhalb des 12-Monats-Zeitraum berücksichtigen will. 666 Wie bspw. im deutschen Aktienrecht, da der Vorstand bei einer überwiegenden Insolvenzwahrscheinlichkeit einer Maßnahme regelmäßig nicht davon ausgehen kann, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln im Sinne von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Sofern es der Unternehmensleitung eines gesunden Unternehmens nach dem Recht der jeweiligen Rechtsform erlaubt ist, ein bestandsgefährdendes Risiko einzugehen, will Art. 19 lit. c RRiL hier keine Vorwirkung entfalten und diese Maßnahmen untersagen. Gesunden Unternehmen können daher bspw. auch Maßnahmen, die trotz überwiegender Insolvenzwahrscheinlichkeit einen positiven Nettobarwert aufweisen, zulässig sein. Insbesondere Start-Up-Unternehmen können aufgrund strategischer Zwänge gehalten sein trotz einer ausgeglichenen Liquiditätsprognose für 2 Jahre eine Alles-oder-Nichts-Entscheidung zu treffen und dabei ein Risiko einzugehen, welches sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit realisiert. Die Haftungsbeschränkung bestimmter Rechtsträger dient gerade dazu, solche unternehmerischen Entscheidungen zu fördern. Solange eine drohende Zahlungsunfähigkeit nicht vorliegt, blieben diese Entscheidungen im Rahmen der bislang geltenden Vorschriften, zulässig. Erst wenn sich das Risiko verwirklicht hat und in Folge der Umsetzung die drohende Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist, muss die Unternehmensleitung weitere bestandsgefährdende Maßnahmen, also eine überwiegend wahrscheinliche Vergrößerung des Ausfallrisikos, unterlassen. Ab diesem Zeitpunkt wirkt sich die Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL aus. c) Zwischenergebnis Als bestandsgefährdende Maßnahme ist damit jede Handlung oder jedes Unterlassen zu verstehen, welches mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das (aufgrund der wahrscheinlichen Insolvenz bereits vorliegenden) Risiko des Eintritts der Insolvenz weiter erhöht und damit zugleich das Ausfallrisiko Gesamtheit der Gläubiger weiter erhöht. Das betrifft insbesondere die Unzulässigkeit von Spekulationsgeschäften, existenzvernichtenden Eingriffen und die Fortführung ohne Sanierungsaussichten, soweit diese zu einer überwiegend wahrscheinlichen Erhöhung des Ausfallrisikos der Gläubiger führen. Der im Bestandsschutz enthaltene Gläubigerschutz führt dazu, dass nicht bestandsfähige Unternehmen schnellstmöglich liquidiert werden sollen, um das Ausfallrisiko der Gläubiger nicht weiter zu erhöhen.667 Dieser gläubigerschützende Aspekt, der über die reine Förderung von Restrukturierungen hinausgeht, lässt sich damit begründen, dass die RRiL einen Beitrag zu einer europäischen Kapitalmarktunion leisten will.668 Mit Bezug auf das deutsche Recht heißt das, dass jede Handlung oder Unterlassung als bestandsgefährdend im Sinne von Art. 19 lit. a und lit. c RRiL anzusehen ist, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausmaß einer (bereits eingetretenen) drohenden Zahlungsunfähigkeit vergrößert.669 Dies umfasst insbesondere 667
Insbesondere EWG 71 und EWG 3 der RRiL. Vgl. EWG 8 RRiL. 669 Vgl. auch RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 106 zu § 2 StaRUG RegE, der davon spricht, dass eine (vorrangige) Berücksichtigung der Gläubigerinteressen bedeuten 668
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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unzulässige Risikogeschäfte, existenzgefährdende Eingriffe in das Unternehmensvermögen und die Fortführung ohne jegliche Sanierungsaussichten. Aus Art. 19 lit. c RRiL folgt eine Pflicht für den Gesetzgeber im deutschen Recht sicherzustellen, dass solche Bestandsgefährdungen vermieden werden. d) Das deutsche Unternehmensrecht vor dem Hintergrund des Art. 19 lit. c RRiL aa) Das StaRUG Die Verpflichtung zur Wahrung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger nach § 43 Abs. 1 S. 1 StaRUG für die Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Unternehmensträger dient als Anreiz zur Vermeidung bestandsgefährdender Geschäfte im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL. § 43 Abs. 1 StaRUG knüpft an die allgemeinen Sorgfaltsmaßstäbe an und konkretisiert diese für die Restrukturierung im SRR. Nach § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG dürfen keine Handlungen vorgenommen werden, die die Restrukturierung gefährden. In Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL ist dies so zu verstehen, dass keine Maßnahmen vorgenommen werden dürfen, welche das Ausfallrisiko der Gläubiger mit überwiegender Wahrscheinlichkeit weiter erhöhen und auf diese Weise den Bestand des Unternehmens und damit auch die Restrukturierung gefährden. Maßnahmen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger erhöhen, können nicht zum Erfolg der Restrukturierung beitragen. Aufgrund der bereits vorliegenden drohenden Zahlungsunfähigkeit führt eine Gefährdung der Restrukturierung auch zu einer Bestandsgefährdung. Das StaRUG kann aufgrund seines zeitlich und personell begrenzten Anwendungsbereichs jedoch nur einen Teil der Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL darstellen. Art. 19 RRiL soll ab Eintritt der wahrscheinlichen Insolvenz Wirkung entfalten. Nach der deutschen Umsetzung also Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 InsO. Zudem erfasst Art. 19 RRiL sämtliche Unternehmensträger, wohingegen § 43 StaRUG nur für haftungsbeschränkte Unternehmensträger gilt. Daher werden nachfolgend weitere Ansätze untersucht, die als Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL außerhalb des StaRUG sowie für nicht haftungsbeschränkte Rechtsträger dienen können. Nach der hier vertretenen Auffassung folgt aus Art. 19 RRiL, insbesondere aus Art. 19 lit. a und lit. c RRiL, dass bestandsgefährdendes Verhalten bereits ab Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu unterlassen ist, denn mit diesem geht eine Vertiefung der Gefährdung der Gläubigerinteressen einher, die in der wirtschaftlichen Krise unzulässig ist. Um eine ausreichende Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL zu gewährleisten, muss daher schon ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit eine
kann, „Maßnahmen zu unterlassen, welche geeignet sind, die im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit angelegte Gefährdung der Gläubigerinteressen weiter zu vertiefen“.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Wahrung der Gläubigerinteressen bei Ausübung des Geschäftsleiterermessens erfolgen.670 Dies hat insbesondere eine Beschränkung des Ermessens bei Risikogeschäften zur Folgen. Der RegE BT Dr. S. 107 sagt (mit Blick auf § 2 StaRUG RegE): „Allerdings bringt es der auf den Schutz der Gläubigerinteressen gerichtete Schutzzweck mit sich, dass Risiken nicht mehr in demselben Maß eingegangen werden dürfen, wie dies vor Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Fall ist. Daher ist die Ausübung des unternehmerischen Ermessens nicht mehr am Wohl des Unternehmens aus der Perspektive der Anteilsinhaber allein, sondern an den legitimen Haftungserwartungen der Gläubigerschaft auszurichten. Deren Interessen ist im Zweifel der Vorrang einzuräumen.“
Der in § 2 StaRUG RegE noch vorgesehene Vorrang der Gläubigerinteresse ist im StaRUG entfallen. In Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL ergibt sich eine Pflicht zur Wahrung der Gläubigerinteressen, welche allerdings nicht auf einen Vorrang der Gläubigerinteressen hinausläuft, sondern auf eine gleichrangige Mitberücksichtigung im Rahmen der Bestandserhaltung. Die erforderliche Wahrung der Gläubigerinteressen führt in diesem Rahmen zu einer Einschränkung bei der Eingehung von Risiken. Diese Einschränkung dürfte allerdings weniger weitgehend sein, als sie bei Geltung des § 2 StaRUG RegE gewesen wäre Die Auffassung, dass bestandsgefährdende Maßnahmen im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL im Interesse des Bestandsschutzes auch außerhalb des SRR untersagt sind, wird auch durch die Erwägung des RegE gestützt, dass die im RegE vorgesehene vorrangige Berücksichtigung der Gläubigerinteressen als Korrektiv für die Beschränkung des Anwendungsbereichs der Überschuldung dienen sollte.671 Denn die Antragspflicht bei Überschuldung führt auch dazu, Bestandsgefährdungen auch gegen den Willen der Gesellschafter zu unterbinden.672 Durch die Verkürzung der Fortbestehensprognose gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 InsO wird dieser Anreiz beschränkt. Als Korrektiv dient ab dem Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit die Pflicht zum Bestandserhalt, welche es untersagt, dass Ausfallrisiko der Gläubiger mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erhöhen. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 88 (zu § 2 StaRUG RegE) stellt vor dem Hintergrund der Verkürzung der Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO fest: „Die Pflicht zur Wahrung der Gläubigerinteressen wirkt (…) als notwendiges Korrektiv für die Einwirkungsmöglichkeiten des Schuldners auf die Befriedigungsaussichten der Gläubiger und für den ökonomischen Befund, dass angesichts der bereits bestehenden Gefährdung der Gläubigerinteressen die Gläubiger dem Risiko ausgesetzt sind, künftige Verluste zu tragen haben.“ 670 Kuntz, ZIP 2021, 597, 610 hält die Umsetzung von Art. 19 RRiL für europarechtswidrig und schlägt als Lösung die analoge Anwendung von § 43 StaRUG vor; vgl. zur Wahrung von Gläubigerinteressen auch Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 68; Arens, GWR 2021, 64, 66; siehe dazu auch B. III. 3. b) bb). 671 Vgl. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 88 sowie BT Dr. 19/25353, S. 6. 672 Vgl. dazu insb. B. III. 6. d) bb) (3).
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Später wird festgestellt, dass die Pflicht zur Wahrung der Gläubigerinteressen die Geschäftsleiter unabhängig davon treffen soll, ob der Schuldner bspw. den SRR in Anspruch nimmt.673 Diese Aussage beruht auf der Einsicht, dass eine Berücksichtigung der Gläubigerinteressen ab dem Zeitpunkt erforderlich ist, ab welchem eine erhöhte Gefährdung dieser Interessen vorliegt. Das ist der Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Ab diesem Zeitpunkt muss im Rahmen des Bestandsschutzes eine Wahrung der gefährdeten Interessen erfolgen. Dies gilt unabhängig davon, ob der im RegE vorgesehene Vorrang der Gläubigerinteressen nunmehr im StaRUG entfallen ist, denn eine gleichrangige Berücksichtigung im Rahmen des Bestandsschutzes als Mindestschutz wird dadurch nicht obsolet. Nach Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache tritt gemäß § 42 Abs. 1 S. 2 StaRUG bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung eine Anzeigepflicht an die Stelle der Antragspflicht nach § 15a InsO. Die nicht rechtzeitige Antragsstellung hat nach § 42 Abs. 3 StaRUG eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe zur Folge. Ebenso kann sie zu einer Binnenhaftung gegenüber der Schuldnerin nach § 43 Abs. 1 S. 3 StaRUG sowie gemäß § 823 Abs. 2 BGB zu einer Außenhaftung gegenüber einzelnen Gläubiger führen.674 Diese Regelungen schließen eine Schutzlücke, welche durch die Suspendierung der Antragspflicht ab Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache gemäß § 42 Abs. 1 S. 1 StaRUG entsteht. Hinsichtlich der nicht haftungsbeschränkten Unternehmensträger geht der RegE noch ausdrücklich davon aus, dass es für diese aufgrund der Steuerungs- und Anreizwirkung der persönlichen Haftung nicht erforderlich sei, entsprechende Vorgaben zur Berücksichtigung der Gläubigerinteressen zu erlassen.675 Wie später ausgeführt wird, stellt die Anreizwirkung der persönlichen Haftung in Krisensituationen nicht in jedem Fall eine ausreichende Berücksichtigung der Gläubigerinteressen sicher.676 bb) GmbH Ein Anreiz zur Vermeidung von bestandsgefährdenden Geschäften im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL kann im GmbH-Recht neben den §§ 43 und 32 StaRUG von verschiedenen Rechtsgrundlagen ausgehen. (1) Existenzvernichtungshaftung nach §§ 826, 830 BGB Die sog. Existenzvernichtungshaftung könnte als Teil der Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL dienen.
673 674 675 676
RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 88. So auch Thole, ZIP 2020, 1985, 1990 zum RefE SanInsFoG. Vgl. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 103. Siehe dazu B. III. 6. d) dd).
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Die Existenzvernichtungshaftung in Gestalt der Innenhaftung nach § 826 BGB677, 678 richtet sich gegen die Gesellschafter und nicht gegen den Geschäftsführer. Dieser kann jedoch Teilnehmer an der Existenzvernichtung sein nach § 830 BGB.679 Die Gesellschafter werden bei dem existenzvernichtenden Eingriff häufig auf die Mitwirkung des Geschäftsführers angewiesen sein, etwa bei der Aufhebung wichtiger Verträge oder der Übertragung betriebsnotwendiger Aktiva. Die existenzvernichtende Handlung durch den Geschäftsführer stellt dann zugleich eine Pflichtverletzung nach § 43 Abs. 2 GmbHG dar und kann § 64 S. 3 GmbHG a. F./§ 15b Abs. 5 InsO erfüllen.680 Anspruchsinhaber bei der Existenzvernichtungshaftung nach § 826 BGB ist die Gesellschaft und sind nicht die Gesellschaftsgläubiger. Voraussetzung der Existenzvernichtungshaftung nach § 826 BGB ist ein kompensationsloser Eingriff in das zur vorrangigen Befriedigung der Gläubiger dienende Gesellschaftsvermögen, der zur Insolvenz führt oder diese vertieft.681 Der Eingriff lässt also die zukünftige Fähigkeit des Unternehmens, seine Verbindlichkeiten zu bedienen, unberücksichtigt und entzieht zum Vorteil der Gesellschafter und zulasten der Gläubiger das Gesellschaftsvermögen („Selbstbedienung“ der Gesellschafter682), was die Sittenwidrigkeit begründet.683 Der Eingriff kann während des normalen Geschäftsbetriebes der Gesellschaft erfolgen oder auch im Vorfeld der Insolvenz sowie in der Liquidation der Gesellschaft.684 Erfasst sind sämtliche wirtschaftliche Maßnahmen, die zum Zusammenbruch des Unternehmens beitragen, etwa Übernahme von Schulden, Veräußerungen unter Wert, Abzug zentraler Mitarbeiter und sonstigem Know-How, oder Vernichtung einer Forderung durch rechtskräftiges Urteil.685 Haftungsrelevant ist auch eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen, die zu-
677 BGH, Urt. v. 28. 4. 2008 – II ZR 264/06 = NJW 2008, 2437 – Gamma. Zur Entwicklung der Existenzvernichtung vgl. Liebscher, in: MüKo GmbHG, Anhang zu § 13 Rn. 519 ff. 678 Es ist zu unterscheiden, zwischen der reflexartigen Schädigung der Gläubiger durch Schädigungen des Gesellschaftsvermögens, welche zu einer Binnenhaftung nach § 826 BGB führt, und der direkten Schädigung der Gläubiger durch eine materielle Unterkapitalisierung der GmbH, welche in diesem Fall keine taugliche Schuldnerin darstellt und ggf. eine Außenhaftung der Gesellschafter gegenüber den Gläubigern nach § 826 BGB zur Folge hat, vgl. Altmeppen, in: Altmeppen, GmbHG, § 13 Rn. 77 f. 679 Vgl. BGH, Urt. v. 24. 7. 2012 @ II ZR 177/11 = NJW-RR 2012, 1240 Rz. 14. 680 Zu einem möglichen Koordinierungsbedarf zwischen den verschiedenen Haftungsgrundlagen Strohn, ZHR 173 (2009), 589 ff. 681 BGH, Urt. v. 16. 7. 2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 ff. = NJW 2007, 2689 ff. – Trihotel. 682 BGH, Urt. v. 16. 7. 2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 ff. = NJW 2007, 2689 Rz. 28 – Trihotel. 683 Vgl. Altmeppen, in: Altmeppen, GmbHG, § 13 Rn. 90. 684 Vgl. zur Erstreckung auf das Liquidationsstadium BGH, Urt. v. 9. 2. 2009 – II ZR 292/07, BGHZ 179, 344 = NJW 2009, 2127 – Sanitary und BGH, Urt. v. 23. 4. 2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 = NZG 2012, 667 – Wirtschaftsakademie. 685 Liebscher, in: MüKo GmbHG, Anhang zu § 13 Rn. 537.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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sammengenommen den Bestand des Unternehmens gefährden.686 Auch die Belastung des Unternehmens mit unvertretbaren Risiken wird teilweise als existenzvernichtender Eingriff eingestuft.687 Der Eingriff muss eine Insolvenz hervorrufen oder eine bereits bestehende Insolvenz vertiefen. Die Existenzvernichtungshaftung besteht damit aus einer verhaltensbezogenen Komponente (sittenwidriger, kompensationsloser Eingriff) und einer erfolgsbezogenen Komponente (Verursachung der Insolvenz).688 Im Kern dient die Existenzvernichtungshaftung als Anreiz zur Verhinderung einer „wilden“ Liquidation.689 Sie ergänzt den durch §§ 30 ff. GmbHG vermittelten Kapitalschutz.690 Durch sie wird ein von den Gesellschaftern losgelöstes Bestandsinteresse des Unternehmens anerkannt.691 Auf objektiver Ebene fällt die Existenzvernichtungshaftung somit unter Art. 19 lit. c RRiL, da ein existenzvernichtender Eingriff, der zur Insolvenz führt, objektiv stets bestandsgefährdendes Verhalten im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL darstellt.692 Durch die Haftung nach §§ 826, 830 BGB wird ein Anreiz gesetzt, insolvenzverursachendes und damit zugleich bestandsgefährdendes Verhalten zu vermeiden, wie es Art. 19 lit. c RRiL vorsieht. Art. 19 lit. c RRiL soll die Sanierungspflicht nach Art. 19 lit. b RRiL ergänzen, indem bestandsgefährdende Handlungsalternativen der Geschäftsleitung durch bestimmte Anreize verringert werden und nur seriöse Sanierungen als Handlungsalternativen verbleiben. Die Existenzvernichtungshaftung setzt einen solchen Anreiz, Maßnahmen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in die Insolvenz führen, zu unterlassen, um die entsprechende Haftung zu vermeiden. Objektiv kann die Existenzvernichtungshaftung daher teilweise als Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL dienen.
686
Liebscher, in: MüKo GmbHG, Anhang zu § 13 Rn. 538. Liebscher, in: MüKo GmbHG, Anhang zu § 13 Rn. 556; Lutter/Banerjea, ZIP 2003, 2177, 2178; Bitter, WM 2011, 2131, 2136 f.; Haas, WM 2003, 1929, 1935; Roth, NZG 2003, 1081, 1083, der den Schutz der Gläubiger vor unternehmerischer Waghalsigkeit als tieferen Sinn der Durchgriffshaftung begreift; wohl auch Vetter, ZIP 2003, 601; a. A. Altmeppen, in: Altmeppen, GmbHG, § 13 Rn. 84, der auf den fehlenden Vorsatz bei riskanten Geschäften hinweist; Drygala, Festschrift Hopt, S. 541, 546, der sich auf BGH, Urt. v. 13. 12. 2004 – II ZR 256/02 stützt. Dieses Urteil nimmt wirtschaftlich unvernünftige Handlungen vom Anwendungsbereich des existenzvernichtenden Eingriffs aus, schließt damit aber nicht zugleich aus, dass das Eingehen bestandsgefährdender Risiken grundsätzlich erfasst sein kann, falls das Eingehen solcher Risiken die erforderliche Rücksichtnahme auf die Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens vermissen lässt, etwa im Fall des sog. gambling for resurrection; ist das Eigenkapital hingegen überwiegend aufgezehrt verneint Drygala selbst die Zulässigkeit spekulativer Geschäfte mit Bezug auf Gläubigerinteressen. 688 Vgl. Hoffmann, NZG 2002, 68, 69. 689 Liebscher, in: MüKo GmbHG, Anhang zu § 13 Rn. 522; Bitter, ZInsO 2018, 625, 640. 690 Vgl. Weller, DStR 2007, 116, 117 f. 691 Weller, DStR 2007, 116, 120 f. 692 Dies gilt zumindest für den Fall der Insolvenzverursachung, im Gegensatz zur Insolvenzvertiefung. Denn bei der Insolvenzvertiefung ist die Gesellschaft bereits insolvent und Art. 19 RRiL greift mangels Vorliegen einer wahrscheinlichen Insolvenz nicht ein. 687
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Auf subjektiver Ebene ist vorsätzliches Handeln erforderlich in Bezug auf die Umstände, die die Sittenwidrigkeit des Handelns begründen sowie in Bezug auf den kompensationslosen, insolvenzverursachenden Eingriff.693 Die Sittenwidrigkeit liegt in der Regel in der rücksichtlosen Selbstbedienung am Gesellschaftsvermögen zum eigenen Vorteil.694 Für die Teilnahme des Geschäftsführers an dem existenzvernichtenden Eingriff des Gesellschafters nach § 830 BGB ist ein doppelter Gehilfenvorsatz erforderlich, der sowohl die Beihilfehandlung als auch den sittenwidrigen existenzvernichtenden Eingriff selbst umfasst.695 Der Geschäftsführer muss daher vorsätzlich in Bezug darauf handeln, dass „die faktische dauerhafte Beeinträchtigung der Erfüllung der Verbindlichkeiten die voraussehbare Folge des Eingriffs sei“.696 Zudem muss er das Insolvenzrisiko in seinen Vorsatz aufgenommen haben. Eventualvorsatz in Form einer Billigung der Insolvenz ist ausreichend. Bei einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Insolvenz aufgrund des Eingriffs eintritt, handelt er stets vorsätzlich. Bei einer ganz geringen Wahrscheinlichkeit für den Eintritt einer Insolvenz (etwa ausgelöst durch unerwartete gesamtwirtschaftliche Entwicklungen), scheidet vorsätzliches Handeln aus. Ist der Eintritt der Insolvenz infolge des Eingriffs nicht überwiegend wahrscheinlich, aber auch nicht ganz gering, ist entscheidend, ob aus dem Eingriff Vorteile für die Gesellschaft folgen, die den Eingriff rechtfertigen können.697 Verkennt der handelnde Gesellschafter (oder der teilnehmende Geschäftsführer) die Möglichkeit des Eintritts einer Insolvenz fahrlässig oder sogar grob fahrlässig, scheidet eine Haftung gemäß § 826 BGB aus.698 Die Beschränkung der Existenzvernichtung auf vorsätzliches Handeln wird zwar kritisiert699, es handelt sich jedoch um gefestigte, höchstrichterliche Rechtsprechung. Nach Art. 19 lit. c RRiL soll auch grob fahrlässiges Verhalten vermieden werden, welches zu einer Bestandsgefährdung führt. In subjektiver Hinsicht bleibt die Existenzvernichtungshaftung damit hinter Art. 19 lit. c RRiL zurück und kann damit nicht als alleinige Umsetzung dienen. Diese Lücke könnte jedoch durch § 43 GmbHG, § 43 StaRUG und § 64 S. 3 GmbHG a. F./§ 15b Abs. 5 InsO geschlossen werden.
693 Vgl. Liebscher, in: MüKo GmbHG, Anhang zu § 13 Rn. 525; für eine Haftung auch bei grober Fahrlässigkeit vgl. Schwab, ZIP 2008, 341, 348 ff., der die Existenzvernichtungshaftung an § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 73 Abs. 1 GmbHG analog anknüpfen möchte. 694 Liebscher, in: MüKo GmbHG, Anhang zu § 13 Rn. 566 ff.; riskante wirtschaftliche Aktivitäten, die jedoch dem Betrieb dienen sollen, sind hingegen nicht erfasst. 695 Liebscher, in: MüKo GmbHG, Anhang zu § 13 Rn. 599. 696 BGH, Urt. v. 16. 7. 2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 ff. = NJW 2007, 2689 Rz. 30 – Trihotel; betrifft den Vorsatz des handelnden Gesellschafters. 697 Liebscher, in: MüKo GmbHG, Anhang zu § 13 Rn. 542 und 570. 698 Zum Teil werden diese Fälle als von der Existenzvernichtungshaftung erfasst angesehen, dazu Hübert, S. 212 f. m. w. N. 699 Siehe etwa Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Anh. § 318 AktG Rn. 37 und 44.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
221
Die Haftung nach §§ 826, 830 BGB führt dazu, dass die Vermögensnachteile der Gesellschaft, welche durch den Eingriff verursacht wurden, ausgeglichen werden müssen, wobei sämtliche zur Tabelle angemeldete Forderungen zuzüglich der Kosten des Insolvenzverfahrens die Obergrenze für die Haftung darstellen, wenn ohne den Eingriff sämtliche Gläubiger befriedigt worden wären.700 Führt die Rückgewähr der entzogenen Mittel zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens, so kann sich der Schaden auf die Kosten des (vorläufigen) Insolvenzverfahrens beschränken.701 In der Regel wird der Anspruch in der Praxis dazu dienen, das Vermögen der Gesellschaft und damit die verteilungsfähige Insolvenzmasse aufzufüllen. Selten wird infolge der Durchsetzung des Anspruchs eine insolvente aber grundsätzlich bestandsfähige Gesellschaft wieder auf den Erfolgspfad zurückgeführt werden. Das Ziel von Art. 19 lit. c RRiL ist es hingegen, zu vermeiden, dass bestandsfähige Gesellschaften überhaupt insolvent werden, und bei solchen Gesellschaften eine Restrukturierung zu fördern. Der Anspruch nach §§ 826, 830 BGB leistet dazu insoweit einen Beitrag, als dass ein Anreiz gesetzt wird, kompensationslose Eingriffe in das Gesellschaftsvermögen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in die Insolvenz führen, unterlassen werden, da sie im Nachhinein persönlich von den Beteiligten wieder ausgeglichen werden müssen. Die Anreizwirkung des Haftungsanspruchs nach §§ 826, 830 BGB wird flankiert durch weitere Instrumente zur Vermeidung bestandsgefährdender Maßnahmen, wie bspw. die nachfolgend geschilderten Minderheitenrechte und Einschränkungen der Weisungsbefugnis der Gesellschafter. Geht einer bestandsgefährdenden Maßnahme ein Gesellschafterbeschluss voraus und gibt es Minderheitsgesellschafter, so können diese den Beschluss anfechten bzw. die Nichtigkeit feststellen lassen und es bestehen Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gegen den Eingriff, die im Wege der action pro socio geltend gemacht werden können.702 Über den Minderheitenschutz wird somit auch ein mittelbarer Gläubigerschutz erreicht. Aus Sicht der Gläubiger ist das jedoch insofern unbefriedigend, da ihr Schutz davon abhängt, dass Minderheitsgesellschafter vorhanden sind und diese gegen die Maßnahmen vorgehen. Zugleich sind Weisungen der Gesellschafter nach § 37 GmbHG, die darauf angelegt sind, das zur Gläubigerbefriedigung erforderliche Vermögen vorsätzlich sittenwidrig zu schädigen, unwirksam und damit für den Geschäftsführer nicht bindend.703 Dies galt bereits vor Inkrafttreten des StaRUG. Weisungen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in die Insolvenz führen, waren schon bislang unbeachtlich, wenn durch ihre Befolgung rechtlich geschützte Dritt- bzw. Gläubi-
700 701 702 703
Förster, in: BeckOK BGB, § 826 Rn. 116. Römermann, in: MüAnwHdb GmbH-Recht, § 20 Rn. 217. Liebscher, in: MüKo GmbHG, Anhang zu § 13 Rn. 617. Beurskens, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 20.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
gerinteressen verletzt werden.704 Dies ist insbesondere bei Vorliegen einer Sittenwidrigkeit der Fall. Problematisch bei der Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL durch §§ 826, 830 BGB bleibt der Fall der Spekulationsgeschäfte, für welche Art. 19 lit. c RRiL entsprechende Anreize fordert. Ein Sittenwidrigkeitsurteil lässt sich bei Spekulationsgeschäften nicht ohne Weiteres begründen, bspw. wenn die Maßnahmen einen positiven Erwartungswert haben, da sie ein enormes Gewinnpotential aufweisen, aber zugleich mit einer überwiegenden Insolvenzwahrscheinlichkeit verbunden sind.705 Ein „Selbstbedienungselement“ der Gesellschafter liegt bei Spekulationsgeschäfte nicht vor, sodass ein Einordnung als existenzvernichtender Eingriff gemäß § 826 BGB nach dem BGH ausscheidet.706 Nach Art. 19 lit. c RRiL wäre das Spekulationsgeschäft im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz jedoch zu unterlassen, da es sich um eine unzulässige Spekulation auf Kosten der Gläubiger handelt, welche ihr Ausfallrisiko erhöht. Es wäre denkbar, mit Blick auf Art. 19 lit. c RRiL solche unzulässigen Spekulationen auf Kosten der Gläubiger zumindest im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz bzw. drohenden Zahlungsunfähigkeit ebenfalls als sittenwidrig einzustufen und die entsprechende Weisung als unzulässig anzusehen sein. Dann wäre bspw. die Weisung zu exzessiven Marketingausgaben unter erheblicher Belastung des Cash-Flows im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit sittenwidrig, wenn diese in der überwiegend wahrscheinlichen Erwartung erfolgt, dass dadurch keine erheblichen Umsatzsteigerungen erzielt werden und daher das Ausfallrisiko der Gläubiger vergrößert wird. Im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz wäre eine solche Maßnahme (im Sinne eines gambling for resurrection) nach Art. 19 lit. c RRiL zu unterlassen. Der Sittenwidrigkeit könnte entgegenstehen, dass sich die Maßnahme in der Gesamtschau als Rettungsversuch darstellt.707 Im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit sind Rettungsversuche jedoch zu unterlassen, sofern diese übermäßig auf Kosten der Gläubiger erfolgen sollen. Erfolgen sie auf Kosten der Gläubiger im Sinne eines gambling for resurrection, könnten sie damit sittenwidrig anzusehen sein und wären dann unzulässig. Der Geschäftsführer ist nicht dazu 704 OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 7. 2. 1997 – 24 U 88/95 = NJW-RR1997, 736, 737 spricht von einer „geradezu greifbaren Wahrscheinlichkeit“, dass der Konkurs gedroht hätte; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 37 Rn. 18; nicht ausreichend für einen existenzvernichtenden Eingriff und damit auch für entsprechende Weisungen sind kaufmännisch unvernünftige Entscheidungen, also schlichtes Missmanagement, vgl. BGH, Urt. v. 13. 12. 2004 – II ZR 256/ 02 = NZG 2005, 214, 215. 705 Vgl. allgemein zur Zulässigkeit solcher Maßnahmen im Aktienrecht Baums, ZGR 2011, 218, 232, 238 f., 253; allgemein zur Sittenwidrigkeit Liebscher, in: MüKo GmbHG, Anhang zu § 13 Rn. 566 ff.; die sittenwidrige Selbstbedienung kann auch in der Vereitelung von Ansprüchen der Gesellschaft gegen den Gesellschafter durch Herbeiführung eines Versäumnisurteils bestehen, vgl. BGH, Urt. v. 9. 2. 2009 – II ZR 292/07, BGHZ 179, 344 = DStR 2009, 915, 916 – Sanitary. 706 BGH, Urt. v. 28. 4. 2008 – II ZR 264/06 = NJW 2008, 2437 – Gamma; a. A. Bitter, ZInsO 2018, 625, 639; Bitter, WM 2001, 2133, 2141; Roth, NZG 2003, 1081, 1082. 707 Vgl. Bitter, ZInsO 2018, 625, 639 Fn. 727.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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verpflichtet, sittenwidrige Weisungen zu befolgen, die Drittinteressen derart verletzten und ihn selbst einer Haftung aussetzen würden. Dadurch würde der Vermeidung von bestandsgefährdendem Verhalten im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL Rechnung getragen. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Existenzvernichtungshaftung nach §§ 826, 830 BGB einen beschränkten Bereich von Art. 19 lit. c RRiL erfasst. Insbesondere im Zusammenwirken mit der Unzulässigkeit existenzvernichtender Weisungen wird bestandsgefährdendes Verhalten im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL insoweit vermieden als die Bestandsgefährdung durch sittenwidriges Handeln verursacht wird. Aufgrund der Beschränkung auf vorsätzliches, sittenwidriges Handeln kann die Existenzvernichtungshaftung nach §§ 826, 830 BGB jedoch nicht als alleinige Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL dienen. Bei Maßnahmen und Weisungen mit hohem Insolvenzrisiko und einer damit einhergehenden Spekulation zulasten der Gläubiger ist die Einordnung als sittenwidrige Schädigung unklar und sie sind nach dem BGH nicht von der Existenzvernichtungshaftung erfasst. Diese stellen jedoch einen wichtigen Bereich von Art. 19 lit. c RRiL dar. Für die Umsetzung wäre daher eine entsprechende Auslegung des Begriffs der Sittenwidrigkeit erforderlich, die Spekulationsgeschäfte einbezieht und ein vorsätzliches Handeln bereits dann annimmt, wenn die Maßnahme mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einer Erhöhung des Ausfallrisikos der Gläubiger führt. Hier wird jedoch befürwortet, die umfassende Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL auf alternative Ansätze zu stützen, insbesondere auf die Haftung für die Verletzung der Sorgfaltspflicht nach § 43 GmbHG und § 43 StaRUG sowie auf den antragspflichtigen Überschuldungstatbestand. (2) Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG und § 43 StaRUG Die Beteiligung an einem existenzvernichtenden Eingriff im Sinne von § 826 BGB stellt einen Verstoß gegen die Sorgfalt eines ordnungsgemäßen Geschäftsmannes dar und ist dem Geschäftsführer daher nach § 43 Abs. 1 GmbHG untersagt. Nach Rechtshängigkeit einer Restrukturierungssache greift § 43 StaRUG. Ein Verstoß löst die Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG aus.708 Entsprechende Weisungen der Gesellschafter haben keine entlastende Wirkung.709 Inwieweit es dem Geschäftsführer jenseits des existenzgefährdenden Eingriffs gestattet ist, bestandsgefährdende Maßnahmen vorzunehmen, ist umstritten.710 Zum Teil wird vertreten, dass die Eingehung von bestandsgefährdenden Risiken stets
708
Ziemons, in: M/H/L/S, GmbHG, § 43 Rn. 537. Vgl. auch B. III. 5. d) aa) (5) (a). 710 Vgl. Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 94 (für eine Prüfung im Einzelfall); Redeke, ZIP 2010, 159 (für eine Zulässigkeit abstrakter Bestandsgefährdungen mit prozeduralen Schutzvorkehrungen); Lutter, GmbHR 2001, 301, 305; eine Darstellung des Streitstandes enthält auch Adolff, Festschrift Baums, S. 31, 33 ff. 709
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
sorgfaltswidrig ist und daher zu unterbleiben hat.711 Nach einer weiteren Auffassung ist die Eingehung der bestandsgefährdenden Risiken zwar nicht per se sorgfaltswidrig, aber die Unternehmensleiter kommen nicht in den Genuss der BusinessJudgement-Rule.712 Überwiegend wird vertreten, dass im konkreten Einzelfall zu überprüfen ist, ob die Maßnahme vertretbar war unter Berücksichtigung von Chancen und Risiken sowie der grundsätzlichen Unternehmenssituation, insbesondere der Tatsache, ob nicht bestandsgefährdende Alternativen zur Verfügung stehen.713 Die Prüfungspflichten der Unternehmensleitung intensivieren sich, je größer das eingegangene Risiko ist. Maßnahmen mit einer überwiegenden Insolvenzwahrscheinlichkeit müssen regelmäßig zu unterbleiben.714 Adolff715 weist darauf hin, dass gerade in Krisensituationen die Unternehmensleitung eine Existenzgefährdung nicht begründet, sondern Maßnahmen treffen muss, um eine eingetretene Existenzgefährdung zu beheben, was jedoch nur möglich ist, indem weitere existenzgefährdende Risiken eingegangen werden. Jedenfalls Zahlungen, die nach § 64 S. 3 GmbHG a. F. bzw. § 15b Abs. 5 InsO zur Zahlungsunfähigkeit führen und daher untersagt sind, stellen eine Verletzung von § 43 Abs. 1 GmbHG und § 43 Abs. 1 StaRUG dar. Der Geschäftsführer muss dann nicht lediglich die unzulässige Zahlung zurückerstatten, sondern haftet auch für die Folgeschäden.716 Der BGH spricht davon, dass die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen nicht in unverantwortlicher Weise überspannt werden dürfe.717 In einer weiteren Entscheidung stellt der BGH fest, dass der Handlungsspielraum der Unternehmensleitung überschritten ist, wenn aus der Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters das hohe Risiko eines Schadens unabweisbar sei und 711
OLG Düsseldorf, Beschluss v. 9. 12. 2009 – I-6 W 45/09 = ZIP 2010, 28, 32; Mertens/ Cahn, in: Kölner Kommentar AktG, § 93 Rn. 87; Lutter, GmbHR 2001, 301, 305. 712 Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 54. 713 In diese Richtung Adolff, Festschrift Baums, S. 31, 37; Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 94; Redeke, ZIP 2010, 159, 160; Bitter, WM 2001, 2133, 2136, der mit Blick auf die ökonomische Funktion der Haftungsbeschränkung für die Zulässigkeit effizienter Projekte trotz eines (begrenzten) Risikos einer Existenzgefährdung eintritt; Drygala, Festschrift Hopt, S. 541, 554 f. mit Einschränkungen für systemrelevante Gesellschaften. 714 ThürOLG Jena, Urt. v. 8. 8. 2000 – 8 U 1387/98 = NZG 2001, 86, 87 („naheliegende Möglichkeit“ einer Schädigung des Bestandes); Redeke, ZIP 2010, 159, 160 (Verbot von überwiegend wahrscheinlicher Bestandsgefährdung); Baums, ZGR 2011, 218, 238, 255 zum Aktienrecht mit der Einschränkung, dass jede andere Alternative mit der gleichen oder höheren Wahrscheinlichkeit gleichfalls die Insolvenz auslöst und voraussichtlich zu größeren Schäden für die Gläubiger führt; für eine Würdigung der Maßnahme im Einzelfall wohl BGH, Urt. v. 4. 7. 1977 – II ZR 150/75 = NJW 1977, 2311, 2311 715 Adolff, Festschrift Baums, S. 31, 38. 716 Strohn, ZHR 173 (2009), 589, 590. 717 BGH, Urt. v. 21. 4. 1997 – II ZR 175/95 = BGHZ 135, 244, 253 – ARAG/Garmenbeck; das Urteil betrifft grundsätzlich unternehmerische Risiken, nicht jedoch bestandsgefährdende Geschäfte.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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keine vernünftigen geschäftlichen Gründe dafür sprächen, es dennoch einzugehen.718 Der BGH nimmt also eine Einzelfallprüfung vor, ob die Risiken in der konkreten Situation zu rechtfertigen sind. Bei bestandsgefährdenden Risiken wird die Rechtfertigung umso schwieriger sein. Nach diesem Maßstab ist es nicht grundsätzlich ausgeschlossen, bestandsgefährdende Maßnahmen einzugehen, insbesondere um eine bereits eingetretene Bestandsgefährdung zu beseitigen. Maßnahmen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Insolvenz herbeiführen oder eine bestandsgefährdende Entwicklung verstärken, dürften regelmäßig unzulässig sein. Der BGH hat entschieden, dass ein schwieriges Geschäftsumfeld nicht als Rechtfertigung für eine besonders risikoreiche (nicht konkret bestandsgefährdende) Kreditvergabe dienen kann.719 Wirtschaftlich schwierige Zeiten können also nicht als Rechtfertigung dafür dienen, dass besonders hohe Risiken eingegangen werden. Vor dem Hintergrund der Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL kann der Maßstab weiter dahin konkretisiert werden, dass im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit sämtliche Handlungen unzulässig sind, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger weiter erhöhen und daher bestandsgefährdend sind. Die Auffassungen, welche kategorisch die Eingehung jeglicher bestandsgefährdender Maßnahmen ablehnen, können im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz im Sinne der RRiL ebenfalls keinen Bestand haben, da die RRiL vertretbare wirtschaftliche Entscheidungen erlaubt, während sie zugleich Maßnahmen untersagt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger erhöhen. Maßnahmen, die keine überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Bestandsgefährdung bergen, sind je nach Einzelfall zulässig, um die Chance auf eine Sanierung zu wahren. Maßnahmen, die wegen enormer Gewinnchancen einen positiven Erwartungswert aufweisen zugleich aber überwiegenden Insolvenzwahrscheinlichkeit beinhalten, dürfen im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz im Sinne der RRiL nicht mehr ausgeführt werden.720 Solche Maßnahmen verstoßen gegen Art. 19 lit. c RRiL. Entsprechende Weisungen der Gesellschafter nach § 37 GmbHG sind unwirksam und haben keine haftungsbefreiende Wirkung. Dies gilt unabhängig von einer Sittenwidrigkeit dieser Maßnahmen und Weisungen, sodass ab dem Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit eine Beschränkung der Handlungsfreiheit der Geschäftsführer und Gesellschafter über den Bereich der Existenzvernichtung im Sinne von § 826 BGB hinaus erfolgt.721 Die Unwirksamkeit einer Weisung kann im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit, die innerhalb der nächsten 12 Monate eintritt, auch mit Blick auf § 19 718
BGH, Urt. v. 3. 12. 2001 – II ZR 308/9 = DStR 2002, 597, 598. BGH, Urt. v. 21. 3. 2005 – II ZR 54/03 = DStR 2005, 933, 935. 720 Vgl. zu solchen Maßnahmen im Aktienrecht Baums, ZGR 2011, 218, 232, 238 f., 253. 721 Vgl. auch Klöhn, in: Bork/Schäfer, GmbHG, § 43 Rn. 63, der zur Begründung der Unwirksamkeit auf die rechtlich geschützten Drittinteressen abstellt. 719
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
InsO begründet werden. Die Maßnahmen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger weiter erhöhen, sind nicht geeignet, die im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit gegebenenfalls vorliegende, negative Fortbestehensprognose zu beseitigen. Anstatt die angewiesene Maßnahme umzusetzen, muss der Geschäftsführer daher einen Insolvenzantrag stellen, soweit keine Sanierungsmaßnahmen vorhanden sind, die ohne eine überwiegende Erhöhung des Ausfallrisikos der Gläubiger auskommen. Auch im subjektiven Bereich erfasst die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes die Vermeidung von vorsätzlichem und grob fahrlässigem bestandsgefährdendem Verhalten im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL. Damit ist die Lücke, die bei der Existenzvernichtungshaftung im subjektiven Bereich festgestellt wurde, geschlossen. Auf die Privilegierungen der Business-Judgement-Rule können sich die Geschäftsleiter nicht verlassen, wenn es um gezielte Eingriffe in das Vermögen der Gesellschaft geht, denn dann liegt zweifelsfrei kein Handeln zum Wohle der Gesellschaft vor. Wenn ein Geschäftsführer grob fahrlässig die exzessiven und damit bestandsgefährdenden Risiken verkennt, die mit einer Maßnahme einhergehen, oder sie sogar vorsätzlich in Kauf nimmt, ist ihm die Berufung auf die Business-Judgement-Rule ebenfalls verwehrt. Zugleich schützt die Business-Judgement-Rule die Geschäftsführer in dem Bereich, in dem Restrukturierungsmaßnahmen keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Erhöhung des Ausfallrisikos haben, wo die zur Verfügung stehenden Sanierungsoptionen allerdings sämtlich ein gewisses, wenn auch nicht überwiegendes Insolvenzrisiko, beinhalten.722 Die Anwendung der Business-Judgement-Rule auf solche Maßnahme ist geboten, da sie zur Förderungen erfolgversprechender Restrukturierungen beiträgt.723 Geht man von einer Unzulässigkeit von Maßnahmen aus, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einer Erhöhung des Ausfallrisikos der Gläubiger führen, wird Art. 19 lit. c RRiL vollständig von § 43 Abs. 1 und 2 GmbHG sowie § 43 Abs. 1 und 2 StaRUG erfasst. Eine entsprechende Auslegung dieser Normen gewährleistet Bestandsschutz ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit und führt zu einer Wahrung der Gläubigerinteressen.724 Das Geschäftsleiterermessen wird entsprechend eingeschränkt, insbesondere für Spekulationsgeschäfte, die mit Blick auf die Existenzvernichtungshaftung nach §§ 826, 830 BGB noch erlaubt sein könnten. Entsprechende Weisungen sind im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit unzulässig und befreien den Geschäftsführer nicht von seiner Haftung. Diese all722
Adolff, Festschrift Baums, 2017, S. 31, 37, Fall der „hard choices“. Spindler, EBOR (2006) 7, 33, 352. 724 Vgl. zur Berücksichtigung von Gläubigerinteressen bei den allgemeinen Geschäftsleiterpflichten nach Inkrafttreten des StaRUG auch Bitter, ZIP 2021, 321, 322; Gehrlein, BB 2021, 66, 67; Kuntz, ZIP 2021, 597, 610 bevorzugt eine analoge Anwendung von § 43 StaRUG auf den Zeitraum ab drohender Zahlungsunfähigkeit; beschreibend Kunz, in: Kluth/Harder/Harig/ Kunz, Restrukturierungsrecht, § 3 Rn. 100 ff. 723
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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gemeine Einschränkung der Dispositionsbefugnis der Gesellschafter ergibt sich in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL und dem danach erforderlichen Bestandsschutz. Teile dieser allgemeinen Einschränkung der Dispositionsbefugnis Gesellschafter (nämlich Verzicht und Vergleich) sind für den Zeitraum ab Inanspruchnahme des SRR in § 43Abs. 2 StaRUG explizit geregelt. Neben die Umsetzung von Art. 19 RRiL durch eine entsprechende Auslegung der allgemeinen Sorgfaltspflichten der Geschäftsleiter tritt der Anreiz, der aus der Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung nach §§ 15a Abs. 1 S. 1, 19 InsO folgt. (3) Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung Die Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung gemäß §§ 15a Abs. 1 S. 1, 19 InsO kann ebenfalls dazu führen, dass bestandsgefährdende Geschäfte im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz im Sinne der RRiL unterlassen werden. Die wahrscheinliche Insolvenz liegt bei drohender Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 InsO vor. Bestehen zugleich keinerlei Möglichkeiten, die zukünftige Zahlungsunfähigkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durch Restrukturierungsmaßnahmen abzuwenden und tritt die drohende Zahlungsunfähigkeit innerhalb der nächsten 12 Monate ein, besteht eine negative Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO, bei welcher es sich im Kern um eine Liquiditätsprognose handelt und die sich insofern mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit überschneidet. Maßnahmen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger erhöhen können in diesem Zustand nicht zu einer positiven Fortbestehensprognose führen.725 Das Bestehen einer (rechnerischen) Überschuldung vorausgesetzt, folgt aus §§ 15a, 19 InsO dann eine Insolvenzantragspflicht. Die Unternehmensleitung muss ohne schuldhaftes Zögern Insolvenzantrag stellen, anstatt zu versuchen, mit bestandsgefährdenden Geschäften das Unternehmen noch zu retten. Der Anreiz zum Unterlassen der bestandsgefährdenden Geschäfte wird durch die als Außenhaftung ausgestaltete Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO und die Zahlungsverbote nach § 64 S. 1 GmbHG a. F. bzw. § 15b Abs. 1 InsO, welche ab Eintritt der Überschuldung greifen, verstärkt. Durch den Überschuldungstatbestand wird der Unternehmensleitung zudem untersagt, das Unternehmen ohne Aussicht auf Sanierung weiterzuführen, was einen Verstoß gegen die aus Art. 19 lit. b RRiL abgeleitete Werterhaltungspflicht und zugleich eine Bestandsgefährdung nach Art. 19 lit. c RRiL darstellen kann, wenn die Fortführung das Ausfallrisiko der Gläubiger mit überwiegender Wahrscheinlichkeit weiter erhöht.726 Durch den antragsbewehrten Überschuldungstatbestand wird im
725
Vgl. Pape, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 19 Rn. 37. Vgl. allgem. zur Funktion des Überschuldungstatbestandes bei der Fortführung ohne Aussicht auf Sanierung auch Bitter/Kresser, ZIP 2012, 1733, 1741. Die gläubigerschützende Funktion, welche Bitter/Kresser dem Überschuldungstatbestand in seiner alten Form beimessen, muss nach der Verkürzung der Fortbestehensprognose durch eine entsprechende 726
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit (binnen 12 Monaten) letztlich die Entscheidung der Unternehmensleitung forciert, Sanierungen vorzunehmen (das Ausfallrisiko also zu verringern) oder die Fortführung einzustellen (das Ausfallrisiko also zu konservieren). Damit verhindert der antragsbewehrte Überschuldungstatbestand, dass das Ausfallrisiko im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit (binnen 12 Monaten) weiter erhöht wird. Der antragsbewehrte Tatbestand der Überschuldung nach § 19 InsO und insbesondere die ständige Prüfung der Fortbestehensprognose trägt damit im Rahmen ihres von nun an zeitlich beschränkten Geltungsbereichs zur Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL bei. Insbesondere werden hochspekulative Geschäfte zulasten der Gläubiger oder die Fortführung ohne Aussicht auf Sanierung bei einer negativen Fortbestehensprognose unterbunden.727 Die Antragspflicht bei Überschuldung trägt also maßgeblich zu einer Förderung von seriösen Sanierungen bei. Während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache greift zwar nicht die Antragspflicht bei Überschuldung, jedoch bleibt die Wahrung der Gläubigerinteressen durch § 43 Abs. 1 StaRUG sichergestellt. Zudem wird die Antragspflicht durch eine Anzeigepflicht nach § 32 Abs. 3 S. 2 StaRUG bei Eintritt der Überschuldung ersetzt. Die Ausrichtung auf den Bestandserhalt, welche sich insbesondere in einer ausreichenden Wahrung der Gläubigerinteressen niederschlägt, gilt also im SRR sowie außerhalb. Entscheidend ist der Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit.728 Aufgrund der auf den Bestandsschutz gestützten Beschränkung der Dispositionsbefugnis der Gesellschafter sind hochspekulative Geschäfte zu unterlassen und entsprechende Weisungen und Beschlüsse der Gesellschafter unwirksam. Für den Zeitraum von 12 Monaten, der auch nach dem SanInsFoG noch von der Überschuldung erfasst ist, verhindert bereits die Antragspflicht bei Überschuldung, dass entsprechende Maßnahmen angewiesen und durchgeführt werden. Der geschilderte Auslegung der Geschäftsleiterpflichten ab drohender Zahlungsunfähigkeit erreicht werden; a. A. Bitter, ZIP 2021, 312, 324, teleologisch Reduktion der Frist. 727 Aus dem BGH, Urt. v. 19. 9. 1994 – II ZR 237/93 = NJW 1994, 3288, 3290 ergibt sich, dass eine Gesellschaft so geführt werden muss, „daß sie, wenn nicht unvorhergesehene Entwicklungen eintreten, ihren Verbindlichkeiten nachkommen kann“; maßgeblicher Gesichtspunkt ist nach der hier im Anschluss an Bitter, WM 2001, 2133, 2137, vertretenen Auffassung die unzulässige Kostenexternalisierung zulasten der Gläubiger, die bei solchen riskanten Maßnahmen, ebenso wie bei der Betriebsfortführung ohne Sanierungsaussichten, vorliegt. Diese unzulässige Kostenexternalisierung, welche häufig in insolvenznahen Situation aufgrund des verminderten Eigenkapitals vorliegt (sog. gambling for resurrection), wird durch die Antragspflicht bei Überschuldung und die entsprechende Einschränkung der Dispositionsbefugnis der Gesellschafter hinsichtlich von Maßnahmen untersagt, die zu einer negativen Fortbestehensprognose und einer daraus resultierenden Antragspflicht führen. Vgl. dazu auch Haas, WM 2003, 1929, 1935 Fn. 97, der darauf hinweist, dass die (Gesellschafter-)Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung und wegen Spekulation auf Kosten der Gläubiger zwei Seiten derselben Medaille seien. Durch den Überschuldungstatbestand wird damit auch eine Fortführung im Zustand der materiellen Unterkapitalisierung unterbunden. 728 Vgl. auch Weitzmann, in: Pannen/Riedemann/Smid, StaRUG, § 1 Rn. 27.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Anreiz zur Vermeidung einer negativen Fortbestehensprognose wurde durch die Festlegung der Fortbestehensprognose auf 12 Monate begrenzt. Im darüber hinausgehenden Bereich wird der Bestandsschutz bzw. die Vermeidung von Bestandsgefährdungen durch eine entsprechende Auslegung der allgemeinen Geschäftsleiterpflichten nach § 43 Abs. 1 GmbHG und § 43 Abs. 1 StaRUG erreicht sowie durch eine entsprechende Einschränkung der Dispositionsbefugnis der Gesellschafter.729 Das gilt insbesondere mit Blick auf die Fortführung ohne Sanierungsaussichten und Spekulationsgeschäfte, die wohl weder von der geltenden Rechtsprechung zur Existenzvernichtungshaftung nach § 826 BGB noch von den sog. Zahlungsverboten erfasst sind. Die in dieser Arbeit vorgenommene Auslegung der Geschäftsleiterpflichten versucht, die Lücke zu schließen, die durch die Verkürzung der Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO auf 12 Monate entstanden ist. Im Zusammenspiel aus §§ 15a, 19 InsO und § 43 GmbHG, § 43 StaRUG soll eine umfassende Umsetzung von Art. 19 RRiL ab dem Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit erreicht werden. (4) Zahlungsverbote Die Zahlungsverbote nach § 64 S. 3 GmbHG a. F. bzw. § 15b Abs. 5 InsO wurden bereits im Zusammenhang mit der Umsetzung von Art. 19 lit. b RRiL besprochen. Ebenso können sie als Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL angesehen werden. Voraussetzung für § 15b Abs. 5 InsO ist, dass die Zahlungsunfähigkeit, also eine Unterdeckung der Liquiditätsbilanz, noch nicht eingetreten ist.730 Der Normbefehl von § 15b Abs. 5 InsO steht nicht zur Disposition der Gesellschafter, was dem aus Art. 19 lit. a RRiL folgenden Mindestschutz entspricht, der für den Bereich der Bestandsgefährdung gilt. Dass § 15b Abs. 5 InsO der Insolvenzprophylaxe dient wird zum Teil anerkannt.731 Es ist zuzugestehen, dass die Insolvenzprophylaxe nicht übermäßig kräftig erscheint, wenn eine Zahlung erst unzulässig ist, wenn sie zur Insolvenz führt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass § 15b Abs. 5 InsO auch bei bereits eingetretener Überschuldung greift. Insofern besteht Anspruchskonkurrenz mit § 64 S. 1 GmbHG a. F. bzw. § 15b Abs. 1 InsO.732 Der Beitrag zur Insolvenzprophylaxe kann jedoch 729 Vgl. BT Dr. 19/25353, S. 6: „Zwar werden die an die Überschuldung knüpfenden Haftungs- und Sanktionsnormen künftig an Gewicht verlieren, da der Anwendungsbereich des Überschuldungstatbestands infolge der Verkürzung des relevanten Prognosezeitraums auf zwölf Monate nicht unerheblich eingeschränkt wird. Der Ausschuss geht aber davon aus, dass das Bedürfnis nach Gläubigerschutz, das mit der Rückbildung der davon betroffenen gläubigerschützenden Haftungsnormen einhergeht, durch die gesellschaftsrechtlichen Haftungsnormen aufgefangen werden wird.“ 730 Mätzing, in: BeckOK GmbHG, § 64 Rn. 83. 731 Knof, DStR 2007, 1536, 1541; Greulich/Bunnemann, NZG 2006, 681, 684; a. A. Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG § 64 Rn. 6 Sicherung der vorrangigen Befriedigung der Gläubiger. 732 Müller, in: MüKo GmbHG, § 64 Rn. 177.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
erhöht werden, indem die einzelnen Tatbestandmerkmale der Norm, etwa der Begriff der Zahlung und die Kausalität, weit ausgelegt werden. Eine solche weite Auslegung könnte durch einen Rückgriff auf Art. 19 RRiL europarechtlich gestützt werden. Bei einer entsprechend weiten Auslegung würde die Norm im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit wie ein Ausschüttungsverbot wirken, ähnlich wie die unter Rückgriff auf Art. 19 RRiL aus § 43 Abs. 1 GmbHG, § 43 Abs. 1 StaRUG abgeleitete Vermögenserhaltungspflicht. Die Leistung auf fällige Gesellschafterforderungen hat der BGH vom Anwendungsbereich der Norm ausgenommen, da die jeweilige fällige Forderung bereits bei der Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit nach § 64 S. 1 GmbHG a. F. zu berücksichtigen sei und daher kein Schutzbedürfnis für solche Leistungen bestehe.733 Es ist richtig, dass Zahlungen auf fällige Gesellschafterverbindlichkeiten bereits nach § 64 S. 1 GmbHG a. F. sanktioniert sein können. Wo § 64 S. 1 GmbHG a. F. mangels Deckungslücke hinsichtlich der bestehenden fälligen Verbindlichkeiten (einschließlich sämtlicher Forderungen von Gesellschaftern) keine Anwendung findet, verbleibt ein Anwendungsbereich für § 64 S. 3 GmbHG a. F. bzw. § 15b Abs. 5 InsO, wenn diese Zahlung, die nicht unter § 64 S. 1 GmbHG a. F. fällt, zu einer Deckungslücke bei zukünftig (entstehenden und) fällig werdenden Verbindlichkeiten führt.734 Um den Erhalt der Sanierungsfähigkeit möglichst umfassend zu gewährleisten, sollten keinerlei Mittel an die Gesellschafter fließen, die in Zukunft dafür benötigt werden, Verbindlichkeiten der Gesellschaft gegenüber sonstigen Gläubigern zu begleichen.735 Auch der Kausalitätszusammenhang zwischen Zahlung und Zahlungsunfähigkeit sollte weit verstanden werden. Nach derzeit herrschender Meinung muss die Zahlungsunfähigkeit nach dem normalen Verlauf der Dinge überwiegend wahrscheinlich sein.736 Eine Mitursächlichkeit der Zahlung für die Zahlungsunfähigkeit ist ausreichend.737 Die Zahlung muss sich als „Weichenstellung ins Aus“ darstellen.738 Die Herbeiführung einer zukünftigen Liquiditätslücke soll unterbunden werden. Die unzulässige Bestandsgefährdung nach Art. 19 lit. c RRiL liegt nach der hier vertretenen Auffassung vor, wenn sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit bereits teilweise eingetretene Ausfallrisiko der Gläubiger in Folge der Zahlung weiter erhöht. Zahlungen, die eine weitere Erhöhung eines bereits teilweise eingetretenen Ausfallrisikos zu Folge haben, sind als Ausschnitt von ebenfalls von § 15b Abs. 5 InsO erfasst. Solche 733
BGH, Urt. v. 9. 10. 2012 – II ZR 298/11 = ZIP 2012, 2391. Kleindiek, GWR 2010, 75, 76; a. A. Altmeppen, in: Altmeppen, GmbHG, § 64 Rn. 83. 735 Vgl. Kleindiek, GWR 2010, 75, 76. 736 Knof, DStR 2007, 1580, 1582; Greulich/Bunnemann, NZG 2006, 681, 685; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 133; Kleindiek, GWR 2010, 75, 77; kritisch Mätzing, in: BeckOK GmbHG, § 64 Rn. 82; a. A. H.-F. Müller, in: MüKo GmbHG, § 64 Rn. 193, der eine ex ante mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit fordert. 737 Mätzing, in: BeckOK GmbHG, § 64 Rn. 82. 738 So Greulich/Bunnemann, NZG 2006, 681, 685. 734
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Zahlungen führen die Zahlungsunfähigkeit zwar nicht erstmalig herbei. Sie sind jedoch erfasst, da es inkonsequent wäre, nur diejenige Zahlung an Gesellschafter zu erfassen, die erstmalig dazu führt, dass eine zur Zahlungsunfähigkeit führende Liquiditätslücke vorliegt und jede darauffolgende Vergrößerung dieser Lücke zuzulassen. Zumindest in diesen Fällen können die Zahlungsverbote als eine teilweise Umsetzung von Art. 19 RRiL dienen. Soweit eine Liquiditätslücke noch nicht vorliegt und erst durch die Zahlung eine Liquiditätslücke begründet wird, die voraussichtlich in einer zukünftigen Zahlungsunfähigkeit resultiert, kann hingegen nicht auf Art. 19 RRiL abgestellt werden, welcher erst ab Eintritt der wahrscheinlichen Insolvenz, also nach Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit gilt. Der Begriff der Zahlung sollte jegliche liquiditätswirksamen Leistungen der Gesellschaft an die Gesellschafter bzw. gleichstehende Dritte umfassen.739 Um die Sanierungsfähigkeit der Gesellschaft wirksam zu erhalten, sollte auch die Weggabe von Gegenständen, die kurzfristig liquidierbar sind, erfasst werden.740 Gegen einen umfassenden Schutz des Vermögens könnte auch die Begründung von Verbindlichkeiten durch den Geschäftsführer verstoßen, sodass diese auch von § 64 S. 3 GmbHG a. F. bzw. § 15b Abs. 5 InsO erfasst sein sollten. Auch die Eingehung neuer Verbindlichkeiten kann zur Zahlungsunfähigkeit führen.741 Als Kompensation für den weiten Zahlungsbegriff sind liquiditätsrelevante Zuflüsse bei der Gesellschaft, die als Gegenleistung erbracht werden, stets zu berücksichtigen.742 Wenn solche Gegenleistung erbracht werden, wird insoweit die Sanierungsfähigkeit der Gesellschaft nicht angetastet. Der Gesellschaft steht für Zahlungen nach § 64 S. 3 GmbHG a. F. ein Leistungsverweigerungsrecht zu.743 Systematisch wird eingewendet, dass eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit den Schuldner nicht befreit, erst recht eine bloß drohende Zahlungsunfähigkeit nicht zur Leistungsverweigerung führen könne. Außerdem sei nicht einzusehen, warum die Rechtsfolgen von § 64 S. 1 und S. 3 GmbHG a. F. trotz gleichem Regelungsansatz zu unterschiedlichen Rechtsfolgen führen sollen und es sei nicht nachvollziehbar wie ein Erstattungsanspruch gegen den Geschäftsführers zu einer Einrede der Gesellschaft führen solle.744 Stützt man einen weit verstandenen § 64 S. 3 GmbHG a. F. bzw. § 15b Abs. 5 InsO zumindest in Teilen 739
Kleindiek, GWR 2010, 75, 76. Ebenso Lorys, S. 244; a. A. Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 127. 741 Vgl. Terlau, in: MüAnwHdB GmbH-Recht, § 10 Rn. 124. 742 Greulich/Rau, NZG 2008, 284, 287. 743 BGH, Urt. v. 9. 10. 2012 – II ZR 298/11 = ZIP 2012, 2391; H.-F. Müller, in: MüKo GmbHG, § 64 Rn. 197; vgl. auch Karsten Schmidt, in: Schmidt/Uhlenbruck, Rn. 11.159, der § 64 S. 3 GmbHG vor dem Hintergrund der Nähe der Norm zum sog. Eigenkapitalersatzrecht als „echtes Zahlungsverbot“ im Interesse des präventiven Gläubigerschutzes bezeichnet und Rn. 11.164: Leistungsverweigerungsrecht als „Hauptakzent“ der Regelung; a. A. Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 142; Altmeppen, in: Altmeppen, GmbHG, § 64 Rn. 87. 744 Zu diesem Kritikpunkt Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 142; Altmeppen, in: Altmeppen, GmbHG, § 64 Rn. 87. 740
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
auf die Umsetzung von Art. 19 RriL, so könnte man ein Leistungsverweigerungsrecht mit dem Argument begründen, dass der Erhalt der Sanierungsfähigkeit durch eine solches Leistungsverweigerungsrecht effektiv sichergestellt werden kann. Ein Erstattungsanspruch, der ausschließlich darauf gerichtet ist, die Insolvenzmasse aufzufüllen, erfüllt diesen Zweck nicht in gleicher Weise. Das Verbot der Ausübung von Leistungsverweigerungsrechten wesentlicher Vertragspartner des Schuldners nach Art. 7 Abs. 4 RRiL zeigt, dass die RRiL Einschränkungen der Vertragsbeziehungen zum Zwecke der Restrukturierung anerkennt. Das Verbot nach § 64 S. 3 GmbHG a. F. kann auch durch eine Weisung der Gesellschafter nicht außer Kraft gesetzt werden (vgl. § 15b Abs. 4 InsO, der anordnet, dass die Erstattungspflicht trotz Vorliegen eines entsprechenden Gesellschafterbeschlusses bestehen bleibt). Mit Blick auf die RRiL lässt sich das mit der Erwägung begründen, dass § 64 S. 3 GmbHG a. F., § 15b Abs. 5 InsO an die Bestandsgefährdung anknüpfen und somit dem zwingenden Mindestschutz aller Beteiligten Stakeholder unterfällt, welcher der Disposition der Gesellschafter entzogen ist. Der Erstattungsanspruch setzt ein Verschulden des Geschäftsführers voraus. Einfache Fahrlässigkeit ist zur Begründung der Haftung ausreichend.745 Nach Art. 19 lit. c RRiL sind nur vorsätzliche oder grob fahrlässige Maßnahmen untersagt. Die Regelung geht somit im Verschuldensmaßstab über die Anforderungen von Art. 19 lit. c RRiL hinaus. Hinsichtlich des zeitlichen Anwendungsbereichs ist anzumerken, dass § 15b Abs. 5 InsO im Gegensatz zu § 43 Abs. 1 GmbHG bereits vor dem Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit greift. Wie bereits dargelegt, sollten in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL erst recht Zahlungen ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit, welche das Ausfallrisiko weiter vergrößern, erfasst sein. Die Zahlungsverbote greifen während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache nur eingeschränkt. Ab dem Zeitpunkt, in dem der Eintritt der materiellen Insolvenz angezeigt wird, gelten die Zahlungen gemäß § 89 Abs. 3 StaRUG als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar. Eine Ausnahme gilt lediglich für Zahlungen, die bis zu der absehbar zu erwartenden Entscheidung des Restrukturierungsgerichts über die Aufhebung des Verfahrens zurückgehalten werden können, ohne dass damit Nachteile für eine Fortsetzung des Restrukturierungsvorhabens verbunden sind (§ 89 Abs. 3 S. 2 StaRUG). Zusammenfassend kann man sagen, dass § 64 S. 3 GmbHG a. F. bzw. § 15 b Abs. 5 InsO ausschnittsweise zur Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL beitragen können. Jedenfalls sobald eine drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt, müssen Leistungen an die Gesellschafter, die eine zukünftige Liquiditätslücke vergrößern, auch mit Blick auf Art. 19 RRiL unterbleiben. Solche Leistungen sind bestandsgefährdend im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL. Im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit sollten Leistungen an die Gesellschafter regelmäßig als mitursächlich für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit angesehen werden. Bei einer entsprechenden Auslegung kann § 64 S. 3 GmbHG a. F. bzw. § 15b Abs. 5 InsO zur 745
H.-F. Müller, in: MüKo GmbHG, § 64 Rn. 196 und 158.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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effektiven Sanierung einen Beitrag leisten, ohne das erhebliche Änderungen erforderlich sind. Der Gesellschaft würden keine Mittel zugunsten ihrer Gesellschafter mehr entzogen, die für eine Sanierung erforderlich sind. Durch diese Auslegung von § 64 S. 3 GmbHG a. F., § 15b Abs. 5 InsO wird im Rahmen der Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL die Finanzierungsverantwortung der Gesellschafter in der Krise betont. Dieses Ergebnis ließe sich allerdings auch über eine entsprechende Auslegung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung unter Wahrung der Interessen der Gläubiger nach § 43 Abs. 1 GmbHG und § 43 StaRUG erreichen. (5) Innenhaftung als ausreichende Umsetzung? Die in dieser Arbeit favorisierte Anknüpfung an die Geschäftsleiterpflichten zur Umsetzung von Art. 19 RRiL führt zu einer Innenhaftung, was sich auf den Rechtsgrund dieser Pflichten zurückführen lässt. Die Pflichten sind Teil der ordnungsgemäßen Geschäftsführung, die gegenüber der Gesellschaft zur Verwirklichung des Gesellschaftszwecks geschuldet ist. Die Haftung ist gerichtet auf Ausgleich des der Gläubigerschaft entstandenen Schadens, also auf Ersatz des Gesamtgläubigerschadens.746 Dieser wird als Schaden der Gesellschaft gewertet, da jeder (Vermögens-)Verlust, den die Gläubiger tragen, „die Krise vertieft und der Unternehmensträger sich weiter von dem Zustand entfernt, der es ihm erlaubt, außerhalb eines Insolvenzverfahrens weiter seinem Zweck nachzugehen“.747 Der Schaden liegt also in einer Verschlechterung der Sanierungsaussichten, welche durch die Verminderung des Vermögens des Schuldners in Folge der fehlgeschlagenen, unzulässigen Maßnahme eintritt. Die Verminderung des Vermögens führt zur unzulässigen Erhöhung des Ausfallrisikos der Gläubiger. Der Geschäftsführer muss denjenigen Betrag erstatten, der zur Wiederherstellung des vor der Maßnahme vorhandenen Ausfallrisikos der Gläubiger führt. Primär dient die Haftung als Anreiz zur Vermeidung entsprechender Maßnahmen und Unterlassungen. Im Einzelfall kann durch eine zeitnahe Realisierung der Haftung bei entsprechender Leistungsfähigkeit des Anspruchsgegners auch eine ggf. verlorene Sanierungschance wieder hergestellt werden. Befindet sich der Schuldner (ggf. nach vorinsolvenzlicher Sanierung) bereits in der Insolvenz, so ist der Anspruch durch den Insolvenzverwalter geltend zu machen. Außerhalb der Insolvenz unterfällt die Geltendmachung dem Aufgabenkreis der Gesellschafter nach § 46 Nr. 8 GmbHG. Der neue § 71 Abs. 2 Nr. 6 GVG sieht eine streitwertunabhängige Zuständigkeit der Landgerichte vor für Ansprüche die gegen Mitglieder der Geschäftsleitung des Schuldners aufgrund des StaRUG erhoben werden. 746
RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 108. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 108; vgl. zu dem Schaden der Gesellschaft vor dem Hintergrund der Abgrenzung von § 43 GmbHG zu § 64 GmbHG a. F. Bitter, in: Scholz, GmbHG, § 64 Rn. 32 ff., mit einer Darstellung von Weiss, Insolvenzspezifische Geschäftsführerhaftung, S. 48 ff. 747
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Die (geringe) verhaltenssteuernde Wirkung einer Innenhaftung wird kritisiert.748 Sie ist als Anreiz zur Umsetzung von Art. 19 RRiL jedoch ausreichend. Die gesetzgeberische Entscheidung für eine Innenhaftung in § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG ist stimmig mit der hier vertretenen Auslegung, dass die Umsetzung von Art. 19 RRiL durch eine Berücksichtigung des Bestandsschutzes bei den Geschäftsleiterpflichten erfolgt. Der Bestandsschutz dient dem Schuldner selbst und mittelbar allen weiteren Beteiligten. Systematisch wäre ein unmittelbarer Schutz der Gläubiger jedenfalls ab dem Zeitpunkt zu rechtfertigen, ab welchem nur noch die Gläubigerinteressen auf dem Spiel stehen, die Anteile der Gesellschafter also nicht mehr werthaltig sind. Dieser Fall wird oftmals vorliegen, wenn eine negative Fortbestehensprognose besteht und das Vermögen die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, mithin also eine Überschuldung nach § 19 InsO vorliegt. Zu diesem Zeitpunkt ist es nicht mehr überwiegend wahrscheinlich, dass die Forderungen der Gläubiger aus fortgeführtem Geschäftsbetrieb heraus vollständig bedient werden und das bestehende Vermögen der Gesellschaft reicht ebensowenig aus, um bei Liquidation sämtliche Forderung vollständig zu erfüllen. Erfolgversprechende Restrukturierungschancen bestehen keine mehr. Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt scheint eine verstärkte Berücksichtigung der Gläubigerinteressen daher angezeigt. Ab Vorliegen einer Überschuldung nach § 19 InsO besteht jedoch bereits eine Außenhaftung für den Geschäftsführer wegen Insolvenzverschleppung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO und der präventive Restrukturierungsrahmen könnte wegen der materiellen Insolvenz gerade nicht mehr in Anspruch genommen werden. Tritt die Überschuldung während der Inanspruchnahme des SRR ein, so kann die Verletzung der Anzeigepflicht nach § 32 Abs. 3 StaRUG zu einer Außenhaftung nach § 823 Abs. 2 BGB führen. Diese Außenhaftung des Unternehmensleiters erfasst auch die Fälle, auf welche Art. 19 lit. b und c RRiL abzielen. Wenn der Unternehmensleiter (ggf. mit Zustimmung der Gesellschafter) das Unternehmen weiterführt ohne erfolgversprechende Sanierungschancen zu nutzen (Art. 19 lit. b RRiL) oder das Unternehmen fortführt, um mit Spekulationsgeschäften, die Sanierung zu betreiben (Art. 19 lit. c RRiL), dann besteht bereits eine Außenhaftung, da in diesen Fällen die Fortführung aufgrund einer negativen Fortbestehensprognose und damit einhergehender Überschuldung gemäß §§ 19, 15a InsO bzw. nach den Vorschriften des StaRUG untersagt ist. Sucht man Argumente, die für eine Außenhaftung sprechen, so könnte man anführen, dass eine Außenhaftung das Schutzniveau für die in Art. 19 lit. a RRiL genannten Beteiligten durch einen verstärkten Anreiz erhöht und somit eine noch weitergehende Berücksichtigung der Stakeholderinteressen im Sinne von Art. 19 lit. a RRiL bewirkt.749 748 Veil, ZGR 2006, 374, 380; zu dem Sonderproblem der masselosen Insolvenzen vgl. Burgard/Gundlach, ZIP 2006, 1568, 1569. 749 Vgl. Spindler, in: HdB Vorstandsrecht, § 13 Rn. 1; Veil, ZGR 2006, 374, 380.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Zudem könnte man argumentieren, dass eine „gebührende Berücksichtigung“ der Gläubigerinteressen im Sinne von Art. 19 RRiL durch eine Außenhaftung besser verwirklicht wird, da die individuelle Situation der jeweiligen Gläubiger durch eine Außenhaftung besser erfasst wird als bei einer Binnenhaftung.750 Auch die Gruppe der Gläubiger ist nicht völlig homogen. Es kann Gläubiger geben, die mit einer vermögensschädigenden Handlung einverstanden sind, da sie davon ausgehen, dass sie nur dann ein Befriedigung ihrer Forderungen erwarten können, wenn die Gesellschaft Risiken eingeht und sie außerdem die ersten sind, die von einem positiven Verlauf der Maßnahme profitieren.751 Zustimmenden Gläubigern sollte eine Haftung der Unternehmensleitung nicht zugute kommen. Andere Gläubiger können etwa besonders schutzbedürftig sein, da ihnen die Möglichkeiten zur Eigensicherung fehlen, etwa Dienstleistungsgläubiger.752 Vor dem Hintergrund einer Umsetzung von Art. 19 RRiL ist das durch die Innenhaftung bestehende Schutzniveau jedoch ausreichend. Zum einen ist durch Art. 19 RRiL nur ein Mindestschutz gewährleistet. Die RRiL fordert außerdem keine Außenhaftung. EWG 71 sagt, dass die Mitgliedstaaten die Bestimmungen des Art. 19 RRiL umsetzen können sollten, „indem sie sicherstellen, dass Justiz- oder Verwaltungsbehörden bei der Beurteilung, ob ein Mitglied der Unternehmensleitung für Verletzungen der Sorgfaltspflicht haftbar zu machen ist, die Bestimmungen dieser Richtlinie zu den Pflichten der Unternehmensleitung berücksichtigen“.
Wem gegenüber diese Sorgfaltspflichten bestehen, bleibt dabei offen. Die Sorgfaltspflichten nach § 43 Abs. 1 GmbHG und § 43 Abs. 1 StaRUG bestehen nur gegenüber der Gesellschaft. Eine Änderung dieser bestehenden Konzeption, dass die Gläubiger nur mittelbar durch vorinsolvenzliche Geschäftsführerpflichten geschützt sind, ist aufgrund der RRiL also nicht geboten. Außerdem wäre angesichts von umfassenden D&O-Versicherungen und der Vereinbarung von Freistellungsansprüchen mit der Gesellschaft auch die Erhöhung der Anreizwirkung nur eingeschränkt gegeben.753 Zudem ist zu berücksichtigen, dass gerade von der Insolvenzverschleppungshaftung bei Überschuldung, welche als Außenhaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO ausgestaltet ist, bereits eine Anreizwirkung ausgeht. (6) Haftungsfreiräume nach der sog. Business-Judgement-Rule Die anerkannten Haftungsfreiräume bei Ausübung des unternehmerischen Ermessens bestehen auch nach Umsetzung von Art. 19 RRiL grundsätzlich fort. Jedoch 750
Vgl. Bitter, WM 2001, 2133, 2140. Vgl. Davies, EBOR (2006) 7, 301, 307. 752 Bitter, WM 2001, 2133, 2140 f. 753 Spindler, in: HdB Vorstandsrecht, § 13 Rn. 32 mit Blick auf die deliktische Haftung wegen Verkehrspflichtverletzungen. 751
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
werden dem weiten unternehmerischen Ermessen durch die Ausrichtung auf den Bestandsschutz ab dem Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit Grenzen gezogen, welche auch nicht durch die Anwendung der Business-Judgement-Rule (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG analog) überwunden werden können. Bestandsgefährdendes Handeln liegt nach Umsetzung von Art. 19 RRiL außerhalb des Ermessens der Geschäftsleitung (und ebenso außerhalb der Dispositionsbefugnis der Gesellschafter), sodass die Business-Judgement-Rule keine Anwendung findet. Soweit keine bestandsgefährdenden Maßnahmen im Sinne von Art. 19 RRiL vorgenommen werden, bleibt die Business-Judgement-Rule anwendbar. Dies gilt innerhalb der SRR sowie außerhalb des SRR. Auch die Restrukturierung im SRR stellt im Kern eine unternehmerische Entscheidung dar.754 Das Geschäftsleiterermessen wird in Folge der Umsetzung somit nur punktuell begrenzt soweit eine Bestandsgefährdung im Sinne von Art. 19 RRiL vorliegt. So gilt insbesondere für die Wahrung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger nach § 43 Abs. 1 S. 1 StaRUG nach der hier vertretenen Auffassung nicht die Business-Judgement-Rule, soweit der Bereich der Bestandsgefährdung betroffen ist.755 Verstoßen die Geschäftsführer gegen ihre Pflicht zum Unterlassen bestandsgefährdender Maßnahmen (Art. 19 lit. c RRiL) oder zur ordnungsgemäßen Prüfung und Durchführung einer Sanierung (Art. 19 lit. b RRiL), führt das im Rahmen der dargestellten Umsetzung zu einer Haftung insbesondere nach § 43 Abs. 1 und 2 GmbHG sowie nach § 43 Abs. 1 und 2 StaRUG. Diese Haftungsvorschriften stellen die erforderlichen Anreize zur Vermeidung bestandsgefährdender Maßnahmen im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL dar. Art. 19 lit. c RRiL zielt darauf ab, vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten zu vermeiden, welches die Bestandsfähigkeit des Unternehmens gefährdet. Die Norm konkretisiert damit den aus Art. 19 lit. a RRiL abgeleiteten Bestandsschutz. Zur Umsetzung von Art. 19 RRiL wird eine entsprechende Auslegung der Vorschriften zu den Geschäftsleiterpflichten §§ 43 Abs. 1 GmbHG und 43 Abs. 1 StaRUG befürwortet, die vor allem dazu führt, dass ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit sämtliche Handlungen oder Unterlassungen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Erhöhung des Ausfallrisikos der Gläubiger führen, unzulässig sind.756 Hinsichtlich des Verschuldensmaßstabs gehen die Umsetzungsvorschriften über die Anforderungen des Art. 19 lit. c RRiL hinaus, welcher fordert, dass vorsätzliche und grob fahrlässige Bestandsgefährdungen vermieden werden. Da ein Pflichtverstoß eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Erhöhung des Ausfallrisikos der Gläubiger voraussetzt, werden Vorsatz oder zumindest grobe Fahrlässigkeit häufig vorliegen. Die § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG und § 57 StaRUG lassen ebenfalls eine einfache Fahrlässigkeit ausreichen.
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Vgl. dazu auch Scholz, ZIP 2021, 219, 224. Vgl. auch Weber/Dömmecke, in: Braun StaRUG, § 43 Rn. 8 mit Verweis auf die Legalitätspflicht. 756 Ähnlich Bitter, ZIP 2021, 321, 322. 755
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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(7) Haftungsbegrenzungen und -erleichterungen Eine Haftungsbegrenzung bzw. -erleichterung des Geschäftsführers in der Satzung oder im Anstellungsvertrag ist laut Rechtsprechung möglich.757 Die Grenze bilden Vorsatz (vgl. § 276 Abs. 3 BGB), die Regeln zur Kapitalerhaltung und unverzichtbare Ersatzansprüche gemäß § 43 Abs. 3 GmbHG.758 Der BGH möchte einen Gleichlauf der Disponibilität der Geschäftsführerhaftung mit der Verzichtsmöglichkeit der Gesellschafter herstellen.759 Gemäß § 46 Nr. 6 und 8 GmbHG steht es den Gesellschaftern frei, Haftungsansprüche gegen die Geschäftsführer geltend zu machen oder auf sie zu verzichten. Eine vorherige Beschränkung stellt nur eine andere Form des Verzichts dar. Eine Grenze besteht nur bei den von § 43 Abs. 3 GmbHG erfassten Ansprüchen, also die Ansprüche wegen Verletzung der Kapitalerhaltung nach § 30 ff. GmbHG.760 Die herrschende Literaturmeinung stimmt darin überein, dass jedenfalls bei den Regeln, die ebenfalls dem in § 43 Abs. 3 GmbHG festgeschriebenen Kapitalschutz dienen, ein Verzicht und damit auch eine vorherige Beschränkung analog § 43 Abs. 3 S. 2 und S. 3 GmbHG unwirksam ist, etwa bei §§ 9a, 9b, 43a, 64 GmbHG, § 15a InsO und dem existenzvernichtenden Eingriff.761 Eine analoge Anwendung von § 43 Abs. 3 S. 2 und S. 3 GmbHG auf sämtliche gläubigerschützende Vorschriften, etwa die Buchführungspflicht nach § 41 GmbHG oder die Pflicht zur Einberufung bei Verlust der Hälfte des Stammkapitals nach § 49 Abs. 3 GmbHG, ist umstritten.762 Soweit die Umsetzung der Pflichten aus Art. 19 RRiL dem zwingenden Kern aus Art. 19 RRiL dient, muss dieser der Disposition der Gesellschafter entzogen sein. Dies gilt insbesondere für die Haftung im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit wegen hochriskanter Spekulationsgeschäfte, wegen existenzvernichtender Eingriffe und wegen einer Fortführung ohne bestehende Sanierungschancen, welche nach der hier vertretenen Auffassung wesentliche Fallgruppen des aus Art. 19 RRiL abgeleiteten Bestandsschutzes darstellen. Teilweise sind diese Bereiche bereits aufgrund der dargelegten Auswirkungen von § 15a InsO i. V. m. § 19 InsO sowie dem Verbot existenzvernichtender Eingriffe und § 15b InsO der Disposition der Gesellschafter entzogen.
757
BGH, Urt. v. 16. 9. 2002 – II ZR 107/01 = NJW 3777 f.; sehr str., vgl. für einen umfassenden Überblick Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 298 ff. 758 Vgl. Klöhn, in: Bork/Schäfer, GmbHG, § 43 Rn. 76 und 63; Fleischer, BB 2011, 2435, 2438; Hoffmann, NJW 2012, 1393, 1397. 759 BGH, Urt. v. 16. 9. 2002 – II ZR 107/01 = NJW 3777 f.; dazu auch Klöhn, in: Bork/ Schäfer, GmbHG, § 43 Rn. 76. 760 BGH, Urt. v. 7. 4. 2003 – II ZR 193/02 = NZG 2003, 528 f. 761 Fleischer, BB 2011, 2435, 2438; Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 301; Klöhn, in: Bork/Schäfer, GmbHG, § 43 Rn. 76; Beurskens, in: Baumbach/Hueck; GmbHG, § 43 Rn. 40; dieser lehnt in Rn. 41 auch eine Erleichterung durch Verzicht auf grobe Fahrlässigkeit ab. 762 Dazu Fleischer, BB 2011, 2435, 2438.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
(8) Zwischenergebnis Die Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL im GmbH-Recht kann an verschiedene Tatbestände angeknüpft werden. Die Anreizwirkungen, welche von der Haftung für existenzvernichtende Eingriffe und von § 64 S. 3 GmbHG a. F., § 15b Abs. 5 InsO ausgehen, können bei entsprechender Auslegung als teilweise Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL dienen. Beide Normen bieten in ihrem jeweiligen Anwendungsbereich eine effektive Umsetzung insofern, als diese Bereiche der Dispositionsbefugnis der Gesellschafter entzogen sind. Insbesondere Spekulationsgeschäfte auf Kosten der Gläubiger sind jedoch nicht erfasst. § 43 Abs. 1 und 2 GmbHG sowie § 43 Abs. 1 und 2 StaRUG bieten bei entsprechender Auslegung eine umfassende Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL. Der antragsbewehrte Insolvenzgrund der Überschuldung bietet in seinen – nunmehr beschränkten Anwendungsbereich – ebenfalls eine effektive Umsetzung von Art. 19 RRiL, die der Disposition der Gesellschafter entzogen ist. Soll der Geschäftsführer hochriskante Spekulationsgeschäfte zur Sanierung der Gesellschaft vornehmen oder soll der Geschäftsführer das Unternehmen ohne Sanierungsaussichten fortführen, so sind diese Maßnahmen nicht geeignet, eine negative Fortbestehensprognose zu beseitigen, mit der häufigen Folge, dass bei rechnerischer Überschuldung ein Insolvenzantrag zu stellen ist. Der antragspflichtige Überschuldungstatbestand, insbesondere die kontinuierliche Prüfung der Fortbestehensprognose spielt bei der Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL daher eine wichtige Rolle. Der Überschuldungstatbestand bewirkt eine Vorverlagerung der materiellen Insolvenz im Vergleich zur Zahlungsunfähigkeit, die zu einer Einschränkung der Dispositionsbefugnis der Gesellschafter führt und damit zugleich Sanierungen fördert oder einen Anreiz setzt, bestandsunfähige Unternehmen frühestmöglich zu liquidieren. Damit dient der Überschuldungstatbestand dem aus Art. 19 RRiL abgeleiteten Bestandserhalt. Die Verkleinerung des Anwendungsbereichs der Überschuldung kann durch eine entsprechende Auslegung der Geschäftsleiterpflichten und eine entsprechende Beschränkung der Dispositionsbefugnis der Gesellschafter im Rahmen der Bestandserhaltung ausgeglichen werden. cc) Aktiengesellschaft Im Aktienrecht bestehen verschiedene Anreize für die Unternehmensleitung bestandsgefährdende Geschäfte zu vermeiden. Die Ansatzpunkte sind vergleichbar mit denjenigen bei der GmbH, wobei insbesondere die Weisungsfreiheit des Vorstandes nach § 76 Abs. 1 AktG zu Unterschieden führt. Aufgrund der Weisungsfreiheit spielt die Einschränkung der Dispositionsfreiheit der Gesellschafter eine geringere Rolle als bei der GmbH. Hier zeigt sich wieder, dass die Umsetzung von Art. 19 RRiL in denjenigen Gesellschaften größere Auswirkungen hat, bei denen die Gesellschafter größeren Einfluss auf die Unternehmensleitung haben.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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(1) Sorgfaltspflicht nach § 93 Abs. 1 S. 1 AktG Die Frage, ob Vorstände von Aktiengesellschaften dazu berechtigt sind, bestandsgefährdende Geschäfte zu tätigen, ist seit längerem Gegenstand von Diskussionen. Insbesondere im Zuge der Finanzmarktkrise ab 2008 ist diese Frage wieder verstärkt diskutiert worden.763 Für eine Übersicht zu der Diskussion kann im Wesentlichen auf die oben gemachten Ausführungen zur GmbH verwiesen werden. Die Diskussion dreht sich insbesondere darum, wann Geschäfte zulässig sind, die zwar nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit den Bestand bedrohen, aber dennoch ein geringes bzw. ein nicht auszuschließenden Restrisiko oder ein nicht quantifizierbares Risiko der Bestandsgefährdung in sich tragen.764 Weitgehende Einigkeit besteht hingegen insoweit als das Maßnahmen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Insolvenz des Gesellschaft führen, unzulässig sind.765 Ein Vorstand darf bei solchen Maßnahmen nicht annehmen, zum Wohle der Gesellschaft im Sinne von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG zu handeln.766 Gerade auf solche Maßnahmen zielt Art. 19 lit. c RRiL ab. Die dargestellte Konkretisierung der Sorgfaltspflicht nach § 93 Abs. 1 AktG in Verbindung mit der Haftung nach § 93 Abs. 2 AkG stellt damit einen ausreichenden Anreiz zur Vermeidung bestandsgefährdender Geschäfte im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL dar. Da der Vorstand die Gesellschaft gemäß § 76 Abs. 1 AktG unter eigener Verantwortung leitet und die Einflussnahmemöglichkeiten der Aktionäre begrenzt sind, stellt die Pflichtenbindung des Vorstandes bereits eine ausreichende Umsetzung dar. Der geschilderte Sorgfaltsmaßstab gilt insbesondere in der Unternehmenskrise, also jedenfalls ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG folgt auch eine Pflicht des Vorstandes seine Organisation so einzurichten, dass die ihm obliegenden Pflichten bei einer Delegation der Vorstandstätigkeiten auf den nachfolgenden Ebenen beachtet werden, also auch auf diesen Ebenen keine Geschäfte mit einer überwiegenden Insolvenzwahrscheinlichkeit vorgenommen werden.767 (a) Besonderheiten im faktischen Konzern Wird ein Unternehmen von einem anderen Unternehmen beherrscht (vgl. § 17 AktG), so greifen spezielle Schutzmechanismen für Minderheitsaktionäre und Gläubiger des beherrschten Unternehmens. Als herrschendes Unternehmen im Sinne von § 17 AktG bezeichnet der BGH daher jeden Gesellschafter, unabhängig von seiner Rechtsform, einschließlich natürlicher Personen, bei dem zu seiner Beteiligung an der Gesellschaft wirtschaftliche Interessenbindungen außerhalb der Ge763
Vgl. Drygala, Festschrift Hopt, S. 541 ff.; Redeke, ZIP 2010, 159. Vgl. etwa Drygala, Festschrift Hopt, S. 541, 553. 765 Vgl. Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 64; Baums, ZGR 2011, 218, 238, 255; Redeke, ZIP 2010, 159; Lutter, ZIP 2009, 197, 199. 766 Baums, ZGR 2011, 218, 238, 255. 767 Vgl. Baums, ZGR 2011, 218, 266 ff. 764
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
sellschaft hinzutreten, die stark genug sind, um die ernste Besorgnis zu begründen, der Gesellschafter könne um ihretwillen seinen Einfluss zum Nachteil der Gesellschaft geltend machen.768 Es ist also zwischen reinen Privataktionären und „Unternehmensaktionären“ zu unterscheiden.769 Die Beherrschung muss gesellschaftsrechtlich vermittelt sein. Bei einer Mehrheitsbeteiligung an einer AG wird eine Beherrschung nach § 17 Abs. 2 AktG vermutet. Hintergrund ist, dass ein Mehrheitsaktionär gemäß § 101 AktG die Zusammensetzung des Aufsichtsrates und damit mittelbar gemäß § 84 AktG auch die Zusammensetzung des Vorstandes beeinflussen kann. Es wird davon ausgegangen, dass die Mitglieder der Verwaltungsorgane daher ihr Handeln an dem Interesse des Mehrheitsaktionärs ausrichten.770 Einen unmittelbaren Einfluss auf die Unternehmensleitung in der Art, dass dieser Weisungen erteilt werden könnten, wird durch die faktische Beherrschung jedoch nicht begründet. Der Vorstand leitet die Gesellschaft weiterhin unter eigener Verantwortung gemäß § 76 AktG. Der oben geschilderte Pflichtenmaßstab für bestandsgefährdende Maßnahmen bleibt daher bestehen. Nachteilige Maßnahmen kann der Vorstand jedoch unter den Voraussetzungen des § 311 AktG vornehmen. Als Nachteil im Sinne von § 311 AktG ist jede Minderung oder konkrete Gefährdung der Vermögens- oder Ertragslage der Gesellschaft zu verstehen.771 Grundsätzlich stellt jede Nachteilszufügung durch den Vorstand eine Pflichtverletzung nach § 93 Abs. 1 AktG dar.772 Trotz der Nachteiligkeit der Maßnahme darf der Vorstand die Maßnahme aber unter den Voraussetzungen von § 311 AktG durchführen, ohne eine Haftung nach § 93 AktG befürchten zu müssen. Er muss dann jedoch prüfen, ob ein Konzerninteresse die Maßnahme rechtfertigt und das herrschende Unternehmen zum Ausgleich fähig und willig ist.773 Ggf. hat der Vorstand auf einen sofortigen Nachteilsausgleich zu bestehen oder die veranlasste Maßnahme hat sogar gänzlich zu unterbleiben. Insbesondere bei der Vergabe von Kredite mit einem konkreten Ausfall- oder Liquiditätsrisiko hat der Vorstand die Auszahlung zu verweigern.774 Das System des Nachteilsausgleichs nach §§ 311, 317 AktG geht davon aus, dass die Nachteile quantifizierbar und einzeln auszugleichen sind. Ist der Nachteil einer Maßnahme nicht quantifizierbar ist die Einflussnahme stets rechtswidrig und der 768
BGH, Urt. v. 13. 10. 1977 – II ZR 123/76 = NJW 1978, 104; BGH, Urt. v. 23. 9. 1991 – II ZR 135/90 = NJW 1991, 3142; vgl. auch BAG, Urt. v. 8. 3. 1994 – 9 AZR 197/92 = NJW 1994, 3244; BSG, Urt. v. 27. 9. 1994 – 10 RAr 1/92 = NJW-RR 1995, 730. 769 Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 15 Rn. 6 ff. 770 Bayer, in: MüKo AktG, § 17 Rn. 25 ff. 771 Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 311 Rn. 39. 772 Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 311 Rn. 40. 773 Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 311 Rn. 78. 774 Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 311 Rn. 47, 62a, 78.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Vorstand der abhängigen AG darf sie nach § 93 Abs. 1 AktG nicht vornehmen.775 Tut er es doch, macht er sich bei einem bezifferbaren Schaden (ggf. nach § 287 ZPO) schadensersatzpflichtig.776 Nach § 318 Abs. 1 S. 1 AktG haftet der Vorstand des abhängigen Unternehmens neben dem herrschenden Unternehmen und seinen gesetzlichen Vertretern als Gesamtschuldner, wenn er seine Berichtspflichten aus § 312 AktG verletzt. Mittelbar dient die Haftung der Durchsetzung von § 311 AktG.777 Aus § 317 AktG folgt darüber hinaus ein Recht der außenstehenden Aktionäre bei einer nach § 311 AktG unzulässigen Veranlassung, Unterlassung von dem herrschenden Unternehmen zu verlangen kann.778 Der Anspruch richtet sich allerdings gegen die herrschende Gesellschaft und nicht gegen den Vorstand der abhängigen Gesellschaft. Dieser haftet nach § 93 AktG nur auf Schadensersatz bei Vornahme unzulässiger Maßnahmen.779 Auch im faktischen Konzern sind dem Vorstand nach § 93 Abs. 1 und 2 AktG also insbesondere Maßnahmen untersagt, die ernsthaft den Bestand der Gesellschaft in Frage stellen, etwa weil ein Ausgleich der nachteiligen Maßnahme nicht zu erwarten ist. Die Möglichkeit eines Ausgleichs, welcher eine Bestandsgefährdung im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL ausschließt, ist von dem Vorstand der beherrschten Gesellschaft stets selbständig zu prüfen nach § 93 Abs. 1 AktG. Flankiert wird diese Haftung durch § 318 AktG. Im faktischen Konzern ist die Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL also über den weiterhin geltenden Sorgfaltsmaßstab des § 93 Abs. 1 AktG gewahrt. Nachteilige Maßnahmen, die nicht ausgeglichen werden, erhöhen im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit regelmäßig das Ausfallrisiko der Gläubiger. Sie sind daher bestandsgefährdend und damit unzulässig. (b) Exkurs: Qualifizierte Nachteilszufügung Ist der Schaden der abhängigen Gesellschaft auch nicht unter Rückgriff auf § 287 ZPO bezifferbar, spricht man von der Zufügung eines qualifizierten Nachteils. Weil sich die einzelnen Nachteilszufügungen nicht isolieren und in ihren Folgen bewerten lassen, kann es in dem von § 311 AktG verfolgten System des Einzelausgleich zum Schutz des Minderheitsaktionäre und Gläubiger der abhängigen Gesellschaft zu Lücken kommen.780 Teilweise wird daher bei der Zufügung eines qualifizierten Nachteils vertreten, dass der abhängigen Gesellschaft ein Anspruch gegen die herrschende Gesellschaft analog § 302 AktG zusteht.781 Qualifizierte Nachteile 775
Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 311 Rn. 43. Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 311 Rn. 79 und 43; Anh. § 317 Rn. 23. 777 Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 318 Rn. 1. 778 Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 311 Rn. 19 f. 779 Altmeppen, in: MüKo AktG, § 317 Rn. 48. 780 Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Anh. § 317 Rn. 5. 781 Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Anh. § 317 Rn. 23; a. A. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 302 Rn. 7, § 1 Rn. 29 f., § 317 Rn. 9a, der vor776
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
können etwa in der Übernahme erheblicher, unkalkulierbarer finanzieller Risiken, etwa durch die Bestellung von Sicherheiten liegen oder in der Vergabe ungesicherter Darlehen, durch die Verlagerung von Geschäftschancen auf andere Unternehmen oder durch unvertretbare Investitionen, wenn diese Maßnahmen zu einer Bedrohung der Existenz des Unternehmens führen.782 Geht die beherrschte Gesellschaft lediglich abstrakte Risiken der Bestandsgefährdung ein, so liegt weder eine Pflichtverletzung nach § 311 AktG noch die Zufügung eines qualifizierten Nachteils vor.783 Die Zufügung von qualifizierten Nachteilen durch den Vorstand der abhängigen Gesellschaft stellt für diesen eine Pflichtverletzung nach § 93 Abs. 1 AktG mit entsprechenden Haftungsfolgen dar.784 Zugleich haben außenstehende Aktionäre Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gegen konkrete, unzulässige Maßnahmen, welche sich auch gegen den Vorstand der abhängigen Gesellschaft richten können.785 Die Zufügung qualifizierter Nachteile, die eine Bestandsgefährdung im Sinne von Art. 19 lit c RRiL darstellen, sind somit nach § 93 Abs. 1 AktG unzulässig. Art. 19 lit. c RRiL wird auch in dieser Hinsicht ausreichend durch die Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung umgesetzt. (c) Besonderheiten im Vertragskonzern Eine Aktiengesellschaft kann auf vertraglicher Grundlage ihre Leitung einem anderen Unternehmen unterstellen. Es handelt sich dabei um einen sog. Beherrschungsvertrag nach § 291 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 AktG. Es kann sich auch verpflichten, seinen ganzen Gewinn an ein anderes Unternehmen abzuführen im Rahmen eines sog. Gewinnabführungsvertrages nach § 291 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 AktG. Werden solche Unternehmensverträge geschlossen spricht man von einem Vertragskonzern. Die weiteren Unternehmensverträge nach § 292 AktG bleiben bei der folgenden Betrachtung unberücksichtigt, da die Unternehmensverträge nach § 291 AktG den deutlichsten Eingriff in die Organisation der Aktiengesellschaft darstellen. Nach § 291 Abs. 1 AktG gelten Leistungen bei Bestehen eines Beherrschungsoder Gewinnabführungsvertrages nicht als Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschrift des § 57 AktG und die Regelungen zur Gewinnverwendung nach §§ 58, 60 AktG.786 rangig ein Beweisproblem sieht, welches durch umfassende Anwendung des § 287 ZPO im Rahmen von § 317 AktG, zu lösen sei; ebenso Altmeppen, in: MüKo AktG, Anh. § 317 Rn. 22 ff., der den Jahresverlust als pauschalierten Schaden zulassen will. 782 Beispiele aus Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Anh. § 317 Rn. 15. 783 Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 311 Rn. 51b. 784 Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Anh. § 317 Rn. 23. 785 Krieger, in: MüHdBGesR, § 70 Rn. 153; Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, Anh. § 317 Rn. 27 f.; § 317 Rn. 19 f. 786 Wobei insb. § 58 Abs. 4 AktG auch als eine Regelung zur Kapitalerhaltung gesehen werden kann, vgl. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 58 Rn. 5.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Nach den §§ 300 ff. AktG werden die abhängige Gesellschaft und deren Gläubiger durch Vorschriften zur Rücklagenbildung (§ 300 AktG), zum Höchstbetrag der Gewinnabführung (§ 301 AktG), zur Verlustübernahme durch die herrschende Gesellschaft (§ 302 AktG) und zum Gläubigerschutz bei Beendigung eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages (§ 303 AktG) geschützt. Durch die Regelungen der §§ 304 – 307 ff. AktG werden die außenstehenden Aktionäre geschützt, insb. durch Ausgleichszahlungen (§ 304 AktG) oder das Recht zur Veräußerung ihrer Anteile (§ 305 AktG). Einen erheblichen Eingriff in die Verfassung der Aktiengesellschaft stellt § 308 Abs. 1 S. 1 AktG dar. Nach dieser Norm ist es dem herrschenden Unternehmen gestattet bei einem bestehenden Beherrschungsvertrag dem Vorstand der abhängigen Gesellschaft, Weisungen hinsichtlich der Leitung der Gesellschaft zu erteilen.787 Nach § 308 Abs. 2 S. 1 AktG ist der Vorstand der abhängigen Gesellschaft verpflichtet, die Weisungen zu befolgen. § 76 Abs. 1 AktG wird insoweit eingeschränkt. Wird eine zulässige Weisung nicht befolgt, können die Vorstandsmitglieder nach einer Ansicht persönlich haftbar gemacht werden788 oder nach anderer Ansicht zumindest von der haftenden abhängigen Gesellschaft nach § 93 Abs. 2 AktG in Regress genommen werden.789 Werden keine Weisungen erteilt, hat der Vorstand des abhängigen Unternehmens dieses weiterhin in eigener Verantwortung gemäß § 76 Abs. 1 AktG zu führen und die Leitung an den Interessen des abhängigen Unternehmens auszurichten und nicht etwa an Konzerninteressen.790 Die Weisungsbefugnis ist umfassend und kann sich grundsätzlich von originären Führungsaufgaben bis hin zu Weisungen im Tagesgeschäft erstrecken.791 Existenzvernichtende Weisungen sind jedoch nach herrschender Meinung auch im Vertragskonzern unzulässig.792 Die Regelungen des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages, insbesondere § 302 ff. AktG, gehen von dem Fortbestand des beherrschten Unterneh787 Weisungsbefugnis nach § 308 AktG wird von der h. M. als unverzichtbares Merkmal eines Beherrschungsvertrages gesehen, vgl. OLG München, Beschluss v. 18. 7. 2012 – 7 AktG 1/12 = AG 2012, 802, 803; Hüffer, in: Hüffer/Koch, AktG, § 291 Rn. 11; a. A. Altmeppen, in: MüKo AktG, § 291 Rn. 96 ff. 788 Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 308 Rn. 67; Seibt/Cziupka, AG 2015, 721, 722. 789 Altmeppen, in: MüKo AktG, § 308 Rn. 66 mit dem Argument, dass die Vorstandsmitglieder nicht Vertragspartner des Beherrschungsvertrages sind. 790 Seibt/Cziupka, AG 2015, 721, 722. 791 Hüffer, in: Hüffer/Koch, AktG, § 308 Rn. 12. 792 OLG Düsseldorf, Beschluss v. 7. 6. 1990 – 19 W 13/86 = ZIP 1990, 1333; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 308 Rn. 19; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbHKonzernrecht, § 308 Rn. 60 ff.; Altmeppen, in: MüKo AktG, § 302 Rn. 37 ff., Anh. § 308 Rn. 119 ff.; Liebscher, in: MüKo GmbHG, Anh. § 13 Rn. 644; Seibt/Cziupka, AG 2015, 721, 724 mit einer Differenzierung zwischen absoluter und relativer Weisungsschranke; a. A. Koppensteiner, in: Kölner Kommentar AktG, § 308 Rn. 50, 54; Veil/Walla, in: beck-online.Großkommentar, AktG, § 291 Rn. 83, § 308 Rn. 34, welche die fehlende Konturierung des Begriffs der existenzgefährdenden Weisung kritisieren und anführen, dass Verlustausgleichspflicht und Abschlagszahlungen für einen ausreichenden Schutz sorgen.
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mens aus. Während der Abhängigkeit ist das abhängige Unternehmen daher lebensfähig zu halten.793 Das herrschende Unternehmen soll sich den nach § 304 AktG erforderlichen kontinuierlichen Ausgleichszahlungen an außenstehende Aktionäre nicht dadurch entziehen können, dass es das abhängige Unternehmen in die Insolvenz treibt.794 Für die Zeit nach Beendigung der Abhängigkeit wird eine Pflicht des herrschenden Unternehmens, dafür zu sorgen, dass das abhängige Unternehmen lebensfähig ist, überwiegend abgelehnt.795 Zur Begründung wird angeführt, dass existenzgefährdende Maßnahmen, die sich erst nach Ende des Beherrschungsvertrages auswirken einem nicht hinnehmbaren Prognoserisiko unterliegen, welches zu einer Unsicherheit über die Zulässigkeit der jeweiligen Weisung führt.796 Weisungen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Insolvenz der Gesellschaft während des Bestandes des Beherrschungsvertrages führen, sind also unbeachtlich. Beispiele sind etwa797 Abzug von Liquidität, die Einstellung lebenswichtiger Produktionen oder vielversprechender Entwicklungen, die Übertragung der ertragreichsten Betriebszweige auf andere Konzernunternehmen, die Unterlassung unerlässlichen Erneuerungsinvestitionen, besonders benachteiligender Effektenaustausch, Kredite an andere Konzernunternehmen ohne ausreichende Sicherheiten oder zu ungünstigen Konditionen sowie die Aufnahme von Krediten unter Belastung des Gesellschaftsvermögens im Interesse anderer Konzernunternehmen. Stets muss der Eintritt der Insolvenz aufgrund dieser Maßnahmen überwiegend wahrscheinlich sein, wobei die Pflicht zum Verlustausgleich nach § 302 AktG zu berücksichtigen ist.798 Nach einer Gegenansicht sind existenzgefährdende Weisung zwar nicht unzulässig, sie führen im Ergebnis aber nicht zu einer Existenzgefährdung, da die Verlustausgleichspflicht und eine Pflicht zu unterjährigen Abschlagszahlungen auf diese Verlustausgleichspflicht den Eintritt der materiellen Insolvenz im Sinne von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung verhindern.799 Da das herrschende Unternehmen die Risiken der abhängigen Gesellschaft vollumfängliche trage, könne sie auch existenzgefährdende Weisung erteilen, bspw. also hochspekulative Geschäfte anordnen.800 Bestehen Zweifel an der Fähigkeit zum Verlust793
OLG Düsseldorf, Beschluss v. 7. 6. 1990 – 19 W 13/86 = ZIP 1990, 1333, 1337. Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 308 Rn. 61. 795 Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 308 Rn. 65; Seibt/Cziupka, AG 2015, 721, 728; a. A. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 7. 6. 1990 – 19 W 13/ 86 = ZIP 1990, 1333, 1337. 796 Seibt/Cziupka, AG 2015, 721, 728. 797 Beispiele nach Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 308 Rn. 62. 798 Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 308 Rn. 61, 64; wenn die Maßnahmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Insolvenz erst nach Vertragsende auslösen, ist die Maßnahme ebenfalls unzulässig, vgl. Emmerich, in: Emmerich/ Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 308 Rn. 65. 799 Vgl. Veil/Walla, in: beck-online.Großkommentar, AktG, § 308 Rn. 34. 800 Vgl. Veil/Walla, in: beck-online.Großkommentar, AktG, § 291 Rn. 83; vgl. dazu auch Hüffer, in: Hüffer/Koch, AktG, § 308 Rn. 19. 794
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ausgleich, soll der Vorstand der abhängigen Gesellschaft zudem berechtigt sein, die Weisung nicht zu befolgen.801 Im Ergebnis ähnelt diese Auffassung der zuvor geschilderten. Nach einer weiteren Gegenauffassung sind existenzgefährdende Weisungen zulässig, wenn das Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird.802 Es hat also eine Abwägung durch den Vorstand der abhängigen Gesellschaft zu erfolgen. Insbesondere könne sich das herrschende Unternehmen auf Kosten des abhängigen Unternehmens bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten retten. Entscheidend ist, dass der Existenzgefährdung ein kompensierender Vorteil auf Konzernebene gegenübersteht (relative Unzulässigkeit803).804 Der Gläubigerschutz sei ausreichend über §§ 302 und 303 AktG gewahrt. Zudem habe die abhängige Gesellschaft das Recht, nach § 297 AktG den Unternehmensvertrag bei existenzbedrohenden Weisungen aus wichtigem Grund zu kündigen, insbesondere wenn die Folgen der nachteiligen Weisung aufgrund der fehlenden Solvenz des herrschenden Unternehmens nicht ausgeglichen werden und der Gesellschaft daher die Zahlungsunfähigkeit droht.805 Einig dürften sich alle Auffassungen darin sein, dass aus §§ 93 Abs. 1 und § 310 Abs. 1 AktG folgt, dass der Vorstand stets prüfen muss, ob eine Weisung den Bestand der Gesellschaft bedroht.806 Nach der Auffassung einer relativen Unzulässigkeit muss er darüber hinaus noch mit Vorteilen der Weisung auf Konzernebene abwägen und kann zu dem Ergebnis kommen, dass die Existenzgefährdung gerechtfertigt ist und er die Weisung deshalb zu befolgen hat. Diese Auffassung verneint jegliches Eigeninteresse der abhängigen Gesellschaft und ist daher mit Art. 19 lit. c RRiL unvereinbar, soweit bei der abhängigen Gesellschaft bereits eine drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Geht man von einer grundsätzlichen Unzulässigkeit existenzgefährdender Weisungen aus, besteht keine Folgepflicht für den Vorstand und Art. 19 lit. c RRiL ist gewahrt. Der Haftungsfreiraum der Business Judgement-Rule steht dem Vorstand bei seiner Prüfung und Entscheidung über Zulässigkeit und die Befolgung der Weisung nicht zu, denn existenzgefährdende und damit unzulässige Weisungen verstoßen gegen die Legalitätspflicht.807 Jedoch hat er einem umfangreichen Beurteilungsspielraum hinsichtlich des Vorliegens einer Bestandsgefährdung.808 Geht man davon 801
Vgl. Veil/Walla, in: beck-online.Großkommentar, AktG, § 308 Rn. 34. Koppensteiner, in: Kölner Kommentar AktG, § 308 Rn. 50 ff. 803 Terminologie angelehnt an Seibt/Cziupka, AG 2015, 721, 724. 804 Dazu auch Seibt/Cziupka, AG 2015, 721, 724. 805 Koppensteiner, in: Kölner Kommentar AktG, § 308 Rn. 54; vgl. auch Cahn/v. Spanneberg, in: beck-online.Großkommentar, AktG, § 57 Rn. 39 zur Darlehensgewährung an die herrschende Gesellschaft, wenn Zweifel an der Solvenz dieser Gesellschaft und damit an ihrer Fähigkeit zum Verlustausgleich bestehen; zum Kündigungsrecht auch Seibt/Cziupka, AG 2015, 721, 731. 806 Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 308 Rn. 66; Koppensteiner, in: Kölner Kommentar AktG, § 308 Rn. 66. 807 Seibt/Cziupka, AG 2015, 721, 722. 808 Seibt/Cziupka, AG 2015, 721, 731. 802
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aus, dass solche existenzgefährdenden Weisungen grundsätzlich zulässig sind und daher auch eine Folgepflicht besteht, nimmt aber zugleich an, dass es wegen unterjähriger Abschlagszahlungen und dem Verlustausgleich nach § 302 AktG im Ergebnis nicht zu einer Insolvenz kommen kann, so liegt eine Bestandsgefährdung im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL ebenfalls nicht vor und der Vorstand kann die Weisung befolgen. Er muss dann jedoch dafür sorgen, dass der Anspruch auf Verlustausgleich und die darauf zu leistenden Abschlagszahlungen die überwiegend wahrscheinliche Erhöhung des Ausfallrisikos der Gläubiger verhindern. Als Prognosehorizont zur Bestimmung der Bestandsgefährdung wird ein Zeitraum von zwei Jahren bzw. das laufende und kommende Geschäftsjahr angesetzt.809 Nur innerhalb dieses Zeitraums sei es dem Vorstand möglich, verlässliche und tatsachenbasierte Prognosen zu erstellen. Der Prognosezeitraum wird nur dann erweitert, wenn es sich um Fälle einer offensichtlichen Bestandsgefährdung handelt.810 Der Prognosezeitraum wird in Folge der Änderung von § 18 Abs. 2 InsO in der Regel 2 Jahre betragen. Im Ergebnis muss der Vorstand der abhängigen Gesellschaft also prüfen, ob in den nächsten zwei Jahren aufgrund der Weisung die Zahlungsunfähigkeit droht oder sich eine bestehende Liquiditätslücke weiter erhöht. Damit wäre der Maßstab für die Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL auch im Vertragskonzern gewahrt. Führt die Weisung zu einer Bestandsgefährdung, die erst nach Ende des Beherrschungsvertrages eintritt811, wird überwiegend angenommen, dass solche Weisungen zulässig sind, da die Prognose über einen Zeitraum, der länger als der Beherrschungsvertrag selbst läuft, zu unsicher ist und daher dem Vorstand nicht zugemutet werden kann.812 Da die Rechtslage jedoch ungeklärt ist, wird der vorsichtig handelnde Vorstand auch mögliche Bestandsgefährdungen nach Beendigung des Vertrages berücksichtigen.813 Unter Berücksichtigung von Art. 19 lit. c RRiL muss der Vorstand zumindest nach Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit prognostizieren, ob mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger weiter erhöht wird und daher eine Bestandsgefährdung im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL vorliegt. Er darf keine Maßnahmen vornehmen, die innerhalb des Prognosehorizont von 2 Jahren zu einer weiteren, überwiegend wahrscheinlichen Erhöhung des Ausfallrisikos der Gläubiger führen. Dies gilt auch, wenn die drohende Zah-
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Seibt/Cziupka, AG 2015, 721, 727 ff. Zur Begründung wird auch auf einen Gleichlauf mit der Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 InsO, der Solvenzprognose aus § 92 Abs. 2 S. 3 AktG a. F. und den Prognosezeitraum bei der Risikoberichterstattung nach § 289 Abs. 1 S. 4 HGB abgestellt. 810 Seibt/Cziupka, AG 2015, 721, 728 f. 811 Wegen § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 KStG werden Gewinnabführungsverträge in der Regel mit einer Mindestlaufzeit von 5 Jahren abgeschlossen. 812 Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 308 Rn. 65; Seibt/Cziupka, AG 2015, 721, 725. 813 Seibt/Cziupka, AG 2015, 721, 730 f.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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lungsunfähigkeit nach dem Ende des Vertrages eintritt. Entsprechende Weisungen sind unzulässig. Nach Art. 19 lit. c RRiL muss also auch im Vertragskonzern ein Anreiz bestehen, dass der Vorstand den Erhalt seiner Gesellschaft den Interessen des herrschenden Unternehmens vorzieht, wenn aufgrund der Weisung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in den nächsten zwei Jahren eine bereits eingetretene drohende Zahlungsunfähigkeit vergrößert wird. Dies gilt unabhängig davon, ob in diesem Zeitraum der Unternehmensvertrag endet. Bei der Prüfung sind die mögliche Verlustausgleichspflicht und ggf. Abschläge auf diese Pflicht zu berücksichtigen, soweit man eine Pflicht zu solchen Abschlägen anerkennt.814 Dies wird durch die Prüfpflicht des Vorstands bezüglich der Zulässigkeit von Weisungen nach §§ 93 Abs. 1 und § 310 Abs. 1 AktG sichergestellt. Unzulässige Weisungen sind nicht zu befolgen. Dazu gehören in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL insbesondere diejenigen Weisungen, die nach Eintritt einer drohenden Zahlungsunfähigkeit innerhalb der nächsten zwei Jahre das Ausfallrisiko der Gläubiger mit überwiegender Wahrscheinlichkeit weiter erhöhen. Ggf. muss der Vorstand zur Verhinderung der Bestandsgefährdung den Beherrschungsvertrag kündigen. Die Gründe für eine Bestandsgefährdung können darin liegen, dass die Weisung einen nicht ausgleichsfähigen Nachteil mit sich bringt. Außerdem kann die Solvenz des herrschenden Unternehmens und damit die Fähigkeit zum Verlustausgleich zweifelhaft sein. Denkbar wäre auch eine Weisung, das abhängige Unternehmen trotz absehbarer materieller Insolvenz bis zu deren Eintritt fortzuführen und damit bestehende Sanierungschancen zu unterlassen. Eine solche Weisung kann als bestandsgefährdend im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL qualifiziert werden mit der Folge, dass der Vorstand sie nicht beachtet und die entsprechenden Sanierungsmaßnahmen im Rahmen seiner eigenständigen Leitung §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG ergreifen muss. Auf diese Weise kann die von der RRiL bezweckte Förderung von Restrukturierung durch die Begründung von Pflichten der Unternehmensleitung des abhängigen Unternehmens effektiv erreicht werden. Im Ergebnis folgt aus Art. 19 lit. c RRiL, dass im Vertragskonzern, sobald der Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz im Sinne der RRiL vorliegt, das Bestandsinteresse der abhängigen Gesellschaft den Interessen des 814 Es ist umstritten, ob die abhängige Gesellschaft aufgrund des Unternehmensvertrages Abschlagszahlungen auf die später fällig werdende Verlustausgleichspflicht verlangen kann, wenn ihre Zahlungsfähigkeit ernsthaft bedroht ist. Im Gesetz sind solche Abschlagszahlungen nicht vorgesehen. Zudem sei der Vertragskonzern nur auf den Erhalt der Substanz und den Schutz vor existenzgefährdenden Leitungsmaßnahmen ausgerichtet. Das abhängige Unternehmen sei hingegen nicht vor allgemeinen wirtschaftlichen Risiken geschützt (Liebscher, in: MüKo GmbHG, Anh. § 13 Rn. 867). Die Ansicht, welche solche Abschlagszahlungen bejaht, leitet aus der Verlustübernahmepflicht des § 302 AktG eine umfassende Garantie zum Erhalt des abhängigen Unternehmens ab; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 308 Rn. 19, § 302 Rn. 13; Altmeppen, in: MüKo AktG, § 308 Rn. 36 f., 74; Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, § 302 Rn. 41; Veil/Walla, in: beck-online.Großkommentar, AktG, § 308 Rn. 34; Priester, ZIP 1989, 1301, 1307 f.; a. A. OLG Hamburg, Urt. v. 24. 7. 1987 – 11 U 182/86 = NJW-RR 1988, 46, 47 f.; Krieger, in: MüHdBGesR, § 71 Rn. 75; Deilmann, in: Hölters, AktG, § 302 Rn. 23; Liebscher, in: MüKo GmbHG, Anh. § 13 Rn. 867.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
herrschenden Unternehmens insoweit vorgeht; der Vorstand nach §§ 76 Abs. 1, § 93 Abs. 1 AktG also zum Erhalt des Bestands der abhängigen Gesellschaft verpflichtet ist. Die Auffassung, die eine Existenzgefährdung im Konzerninteresse zulässt, kann vor diesem Hintergrund keinen Bestand haben. Aus Art. 19 lit. c RRiL lässt sich hingegen nicht ableiten, dass im Vertragskonzern das herrschende Unternehmen stets zur Abwendung einer drohenden Insolvenz in dem Sinne verpflichtet ist, dass es die erforderlichen liquiden Mittel bei einer drohenden Zahlungsunfähigkeit bereitstellt. Im Vertragskonzern hat Art. 19 lit. c RRiL die Wirkung, dass der Vorstand der abhängigen Gesellschaft vor bestandsgefährdender Einflussnahme zu schützen ist bzw. das Anreize für ihn bestehen müssen, auch im Vertragskonzern die weitere Gefährdung des Bestandes seiner abhängigen Gesellschaft zu unterlassen, sobald die drohende Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist. Dies wird durch die Unzulässigkeit der entsprechenden Weisung und die darauf bezogene Prüfpflicht des Vorstandes erreicht. Art. 19 lit. c RRiL fordert nicht dazu auf, im Vertragskonzern eine Existenzgarantie in dem Sinne abzugeben, dass das herrschende Unternehmen unabhängig von einer existenzbedrohenden Einflussnahme sämtliche wirtschaftliche Risiken des abhängigen Unternehmens übernimmt.815 Eine derartige Pflicht zur ausreichenden Kapitalisierung bzw. „Nachschusspflicht“ ist durch die RRiL nicht vorgesehen. (d) Eingliederung Nach § 319 und § 320 AktG kann eine Aktiengesellschaft in eine andere Gesellschaft, die sog. Hauptgesellschaft, eingegliedert werden. Die Eingliederung dient dazu, die Tochter-AG als rechtlich selbständige Einheit fortzuführen, zugleich aber eine umfassende Leitung über sie auszuüben.816 Ähnlich wie im Vertragskonzern ist die Hauptgesellschaft daher berechtigt, dem Vorstand der eingegliederten Gesellschaft Weisungen zu erteilen (§ 323 Abs. 1 AktG). Während das Weisungsrecht aufgrund eines Beherrschungsvertrages gemäß § 308 Abs. 1 S. 2 AktG nachteilige Weisungen zulässt, solange sie den Belangen des herrschenden Unternehmens oder konzernverbundenen Unternehmen dienen, besteht eine solche Einschränkung hinsichtlich des Konzerninteresses für das Weisungsrecht nach § 323 AktG nicht. Ein Eigeninteresse der eingegliederten Gesellschaft wird nur noch in sehr eingeschränktem Umfang anerkannt, sodass die Hauptgesellschaft über das Weisungsrecht umfassenden Zugriff auf das Vermögen der eingegliederten Gesellschaft erhält.817 Die Eingliederung kommt somit der Verschmelzung nahe, ohne auf die rechtliche Selbständigkeit zu verzichten.818 Nach § 323 Abs. 2 AktG finden die §§ 57, 58, 60 AktG keine Anwendung. Zum Schutz der Gläubiger gewährt § 321 AktG diesen ein Recht, Sicherheit für die vor der Eingliederung bestehenden For815 816 817 818
Zu der Unterscheidung vgl. Liebscher, in: MüKo GmbHG, Anh. § 13 Rn. 867. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 319 Rn. 1. Grunewald, in: MüKo AktG, Vorb. § 319 Rn. 3. Grunewald, in: MüKo AktG, Vorb. § 319 Rn. 3.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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derungen zu verlangen. Gemäß § 324 Abs. 3 AktG besteht eine Verlustausgleichspflicht der Hauptgesellschaft. Außerdem haftet die Hauptgesellschaft gemäß § 322 AktG von der Eingliederung an für sämtliche Verbindlichkeiten der eingegliederten Gesellschaft als Gesamtschuldner. Aufgrund der Gläubigerschutzmechanismen, insbesondere der Haftung der Hauptgesellschaft für die Verbindlichkeiten der eingegliederten Gesellschaft, hält ein Teil der Literatur auch existenzbedrohende und -vernichtende Weisungen der Hauptgesellschaft für zulässig.819 Andere wenden ein, dass jedenfalls gesetzeswidrige Weisungen unzulässig seien und daher mit Blick auf § 92 Abs. 2 AktG a. F., § 15b InsO existenzgefährdende oder -vernichtende Weisungen unzulässig seien.820 Nach § 323 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 308 Abs. 2 S. 1 AktG ist der Vorstand der eingegliederten Gesellschaft grundsätzlich verpflichtet, Weisungen der Hauptgesellschaft zu befolgen. Ob die Folgepflicht des Vorstandes der eingegliederten Gesellschaft bei nachteiligen Weisungen auch dann besteht, wenn die Verlustausgleichspflicht der Hauptgesellschaft voraussichtlich nicht erfüllt werden kann, ist umstritten.821 Wer existenzgefährdende und -vernichtende Weisungen zulässt, müsste konsequenterweise eine Folgepflicht auch bei fehlendem Verlustausgleich bejahen.822 Die Ansicht, welche existenzgefährdende und -vernichtende Weisungen und eine entsprechende Folgepflicht bejaht, ist jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht mit einer Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL vereinbar. Maßnahmen, die ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger weiter erhöhen, sind unzulässig. Art. 19 lit. c RRiL erkennt im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz ein Eigeninteresse des jeweiligen Schuldners an dem Erhalt seines Bestandes an, um Restrukturierungen zu fördern und damit die Interessen sämtlicher in Art. 19 lit. a RRiL genannter Beteiligter zu berücksichtigen.
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Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 323 Rn. 2; Grunewald, in: MüKo AktG, § 323 Rn. 3; Krieger, in: MüHdBGesR, § 74 Rn. 48; offen Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 323 Rn. 3; die Unterscheidung zwischen existenzbedrohend und existenzvernichtend ist letztlich nur eine Frage der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Insolvenz. 820 Grigoleit/Rachlitz, in: Grigoleit, AktG, § 323 Rn. 4; Singhof, in: beck-online.Großkommentar, AktG, § 323 Rn. 2, der auf das fortbestehende Eigeninteresse der eingegliederten Gesellschaft verweist; streitig ist, ob § 92 Abs. 2 S. 3 AktG Anwendung findet: Dagegen Grunewald, in: MüKo AktG, § 323 Rn. 3; dafür Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, § 323 Rn. 2. 821 Für eine Folgepflicht Grunewald, in: MüKo AktG, § 323 Rn. 9; dagegen Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 323 Rn. 6; Grigoleit/Rachlitz, in: Grigoleit, AktG, § 323 Rn. 4. 822 So Grunewald, in: MüKo AktG, § 323 Rn. 9, die als Grenze erst die vorsätzliche und damit sittenwidrige Gläubigerschädigung zieht; anders jedoch Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 323 Rn. 6.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Einen starken Anreiz zum Schutz des Bestandes der eingegliederten Gesellschaft stellt die Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung gemäß § 15a Abs. 1 S. 1 InsO, § 19 InsO dar. Sobald eine zukünftige Zahlungsunfähigkeit innerhalb der nächsten 12 Monate vorliegt, sind Maßnahmen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger weiter erhöhen, unzulässig, da sie nicht geeignet sind, die negative Fortbestehensprognose zu beseitigen. Vielmehr ist ein Insolvenzantrag zu stellen, wenn zugleich eine rechnerische Überschuldung vorliegt. Bei der Prüfung der Fortbestehensprognose ist die Fähigkeit zum Verlustausgleich der Hauptgesellschaft zu berücksichtigen. Die Tatsache, dass den Gläubiger nach § 322 AktG eine weitere Haftungsmasse zur Verfügung steht, wird nur insofern berücksichtigt, als dass mögliche Deckungszusagen bei der Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO berücksichtigt werden. In dem Zeitraum, in welchem die Überschuldung nicht greift, also bei Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit in 13 bis 24 Monaten, ist ein ausreichender Bestandsschutz durch eine eingeschränkte Befolgungspflicht zu gewährleisten. Wenn die Weisung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einer weiteren Erhöhung des bereits teilweise eingetretenen Ausfallrisikos führt und damit den Bestand des eingegliederten Unternehmens gefährdet, ist sie unzulässig. Das Ausfallrisiko ist hier bezogen auf den jeweiligen Unternehmensträger festzustellen, dessen Bestand gefährdet ist. Die gesamtschuldnerische Haftung mag das Ausfallrisiko der Gläubiger senken, wenn die Hauptgesellschaft zur Erfüllung der Forderungen fähig und willig ist. Zu einer Restrukturierung und einem Bestandserhalt der eingegliederten Gesellschaft trägt sie jedoch nicht unmittelbar bei. Dies wäre nur der Fall, wenn die Hauptgesellschaft Liquidität oder Vermögen bereitstellt. Der Vorstand der eingegliederten Gesellschaft muss daher auch nicht prüfen, wie erfolgversprechend ein Vorgehen der Gläubiger gegen die Hauptgesellschaft ist und wie sich dieses Vorgehen auf ihr Ausfallrisiko auswirkt, sondern er prüft nur, wie sich bestimmte Handlungen oder Unterlassungen auf das Ausfallrisiko der Gläubiger in Bezug auf sein Unternehmen auswirken. Dabei kann er Zahlungszusagen der Hauptgesellschaft, die gegenüber seinem Unternehmen abgegeben wurden, berücksichtigen. Die Verkleinerung des Anwendungsbereichs der Überschuldung nach § 19 InsO wird also wiederum durch gesellschaftsrechtliche Vorgaben ausgeglichen. Die stärkere Berücksichtigung der Gläubigerinteressen ab dem Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit ist erforderlich, da trotz der gesamtschuldnerischen Haftung Situationen entstehen können, in denen die Hauptgesellschaft durch Weisungen an die eingegliederte Gesellschaft auf Kosten der Gläubiger spekuliert, nämlich dann, wenn sie zum Ausgleich der Forderungen nicht fähig ist und daher trotz der ihrer Haftung nichts zu verlieren hat. Eine besondere Gefährdung besteht in dieser Konstellation – im Vergleich zu der ähnlichen Konstellation bei Personenhandelsgesellschaften – darin, dass der zweite Gesamtschuldner (die Hauptgesellschaft) aufgrund ihrer Rechtsform nur beschränkt haftet. Das durch Art. 19 RRiL anerkannte Bestandsinteresse des Unternehmens, als Gesamtheit der Interessen der geschützten Stakeholder, schränkt die Einflussnahme der Hauptgesellschaft auf die eingegliederte Gesellschaft im Zustand der drohenden
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 InsO bei bestandsgefährdenden und erst recht bestandsvernichtenden Weisungen im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL ein. Die bestandsgefährdenden Maßnahmen im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL gehen in dem oben geschilderten Umfang über die nach § 15b InsO unzulässigen Zahlungen an Gesellschafter hinaus. (2) Keine Existenzvernichtungshaftung Die Rechtsprechung des BGH zur Existenzvernichtungshaftung nach § 826 BGB bei der GmbH ist nicht uneingeschränkt auf die AG übertragbar, da im aktienrechtlichen Konzernrecht spezielle Tatbestände bestehen, die bestandsgefährdende Sachverhalte erfassen können, namentlich die Haftung des herrschenden Unternehmens nach § 317 AktG.823 Das herrschende Unternehmen ist verpflichtet, Nachteile, die der abhängigen AG im Rahmen der faktischen Leitungsmacht zugefügt wurden, auszugleichen. Solche Nachteile können beispielsweise der Abschluss eines langfristigen Vertrages sein, ohne erforderlich Anpassungsklauseln zum Schutz der abhängigen Gesellschaft.824 Ebenso kommen Maßnahmen der Konzernfinanzierung in Betracht, beispielsweise die Gewährung von Krediten mit hohem Ausfallrisiko. Wird die Grenze des kaufmännisch vertretbaren Risikos überschritten und es entsteht eine existenzgefährdende Bedrohungen etwa aufgrund hoher Ausfallrisiken oder des Entzugs von Liquidität kann ein Schadensersatz des herrschenden Unternehmens nach § 317 AktG die Folge sein825 oder nach anderer Ansicht ein Ausgleich nach den Grundsätzen über die Zufügung qualifizierter Nachteile.826 Daneben besteht im Aktienrecht eine Schadensersatzhaftung nach § 117 AktG, für denjenigen, der seinen Einfluss auf die Gesellschaft dazu nutzt, dass diese zu ihrem Schaden oder zum Schaden ihrer Aktionäre handelt. Die Norm erfasst jede Art von Einfluss, der geeignet ist, das Führungspersonal der Gesellschaft zu schädigenden Handlungen zu veranlassen. Nach § 117 Abs. 2 AktG haftet neben dem Einflussnehmenden auch der Vorstand, wenn er pflichtwidrig gehandelt hat und sich nicht exkulpieren kann. Daneben haftet der Vorstand weiterhin nach § 93 AktG. Im Anwendungsbereich des § 311 AktG tritt § 117 AktG jedoch zurück. Die praktische Relevanz von § 117 AktG ist daher gering.827 Ein Unterschied zwischen § 93 und § 117 AktG besteht darin, dass der Vorstand nach § 117 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 AktG den Aktionären direkt haftet und nicht nur der Gesellschaft wie dies bei § 93 AktG der Fall ist. Ein grundsätzlich möglicher Rückgriff auf § 826 BGB wird neben § 117 AktG und § 317 AktG bzw. den Grundsätzen über die qualifizierte Nachteilszufügung 823 824 825 826 827
Dazu Altmeppen, in: MüKo AktG, Anh. zu § 317 Rn. 13, 46. Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 311 Rn. 51b. Altmeppen, in: MüKo AktG, Anh. zu § 317 Rn. 46. Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 311 Rn. 47a. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 117 Rn. 1 f., 10.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
oftmals überflüssig sein.828 Theoretisch denkbar ist jedoch, dass der Vorstand wegen einer Beteiligung an einem existenzgefährdenden Eingriff nach §§ 830, 826 BGB haftbar gemacht wird. Die Relevanz der Existenzvernichtungshaftung und von § 117 AktG für die Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL ist jedoch gering, da die Pflichten des Vorstands nach § 93 AktG die Sachverhalte der Existenzvernichtungshaftung ohnehin erfassen und entsprechende Handlungen des Vorstandes daher unzulässig sind. Art. 19 lit. c RRiL wird auf diese Weise ausreichend umgesetzt. (3) Insolvenzantrag wegen Überschuldung und drohender Zahlungsunfähigkeit Die Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung gemäß §§ 15a, 19 InsO kann einen weiteren Anreiz dafür bieten, dass bestandsgefährdende Geschäfte im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit unterlassen werden. Besteht eine drohende Zahlungsunfähigkeit innerhalb der nächsten 12 Monate, ist durch den Vorstand zu prüfen, ob Maßnahmen ergriffen werden können, die das Eintreten einer negativen Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO verhindern. Maßnahmen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Insolvenz herbeiführen oder die bestehende Entwicklung verstärken, müssen dabei unberücksichtigt bleiben. Bestehen ausschließlich solche bestandsgefährdenden Optionen, verhindert die Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO, dass diese ergriffen werden.829 Vielmehr ist ohne schuldhaftes Zögern ein Insolvenzantrag zu stellen. Außerhalb des Anwendungsbereichs der Überschuldung sind bestandsgefährdende Maßnahmen im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL dem Vorstand bereits nach seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung nach § 93 Abs. 1 S. 1 AktG untersagt. Liegt die Zahlungsunfähigkeit noch mehr als 12 Monate entfernt und führt eine Fortführung des Unternehmens mangels Sanierungsaussichten mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Erhöhung des Ausfallrisikos der Gläubiger, so muss der Vorstand zur Konservierung des Ausfallrisikos einen Insolvenzantrag nach § 18 InsO stellen.830 (4) Zahlungsverbot nach § 92 Abs. 2 S. 3 AktG a. F., § 15 Abs. 5 InsO Für den beschränkten Bereich der Zahlungen an Gesellschafter kann das Zahlungsverbot nach § 15b Abs. 5 InsO ebenfalls einen Beitrag zur Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL leisten. Aufgrund des Zahlungsverbotes muss der Vorstand stets 828 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 1 Rn. 30; Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, Anh. § 317 Rn. 5a; Krieger, in: MüHdBGesR, § 70 Rn. 142. 829 Zu erwägen ist, ob auch im Rahmen der Fortführungsprognose nach § 19 Abs. 2 InsO der Ausnahmefall zu berücksichtigen ist, dass jede Handlungsalternative mit gleicher oder höherer Wahrscheinlichkeit die Insolvenz herbeiführt und zu höheren Schäden bei den Gläubigern führt, dazu Baums, ZGR 2011, 218, 255 f. Allerdings wird in der Regel der Schaden für die Gläubiger bei Durchführung und Misserfolg der Maßnahme höher sein als bei Unterlassen der Maßnahme und sofortiger Antragsstellung. 830 Vgl. dazu B. III. 5. d) aa) (5) (a).
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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prüfen, ob eine Zahlung zu einer Bestandsgefährdung des Schuldners führt, ob also durch die Zahlung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Insolvenz verursacht wird. Das Zahlungsverbot hat damit eine vergleichbare Wirkung wie die im Vertragskonzern bestehende Prüfungspflicht des Vorstands bei bestandsgefährdenden Weisungen und die daraus folgende Pflicht, die Handlung zu unterlassen.831 Zahlungen im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit, die eine bereits eingetretene Liquiditätslücke weiter vergrößern, sollten in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL jedenfalls unzulässig sein.832 Ein weit verstandenes Zahlungsverbot833 kann Entnahmen der Gesellschafter verhindern und damit den Bestand des Unternehmens sichern und zu einer Restrukturierung beitragen. Da Zahlungen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Insolvenz herbeiführen oder eine eingetretene Entwicklung verstärken, dem Vorstand auch nach § 93 Abs. 1 S. 1 AktG untersagt sind, hat das Zahlungsverbot mit Blick auf die Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL nur eine eingeschränkte Bedeutung.834 (5) Zwischenergebnis Im Aktienrecht wird Art. 19 lit. c RRiL umfassend und effektiv durch § 93 Abs. 1 und 2 AktG i. V. m. § 76 Abs. 1 AktG umgesetzt. Nach dieser Vorschrift ist es dem Vorstand untersagt, im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit existenzvernichtende Eingriffe vorzunehmen und hochriskante Spekulationsgeschäfte vorzunehmen, welche das Ausfallrisiko der Gläubiger mit überwiegender Wahrscheinlichkeit weiter erhöhen. Die aufgrund der Legalitätspflicht des Vorstandes zu beachtende Antragspflicht wegen Überschuldung nach §§ 15a, 19 InsO bietet ebenfalls einen Anreiz, solche Maßnahmen zu unterlassen sowie dafür, eine Fortführung ohne Sanierungsaussichten zu unterlassen, wenn der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit innerhalb der nächsten 12 Monate erfolgt. Um die Lücke zu schließen, welche die Verkürzung der Fortbestehensprognose auf 12 Monate nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO hinterlässt, ist dem Vorstand im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 InsO auch außerhalb dieses Zeitraums eine Fortführung ohne Sanierungsaussichten untersagt, wenn sich dadurch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger erhöht. Der aus § 93 Abs. 1 und 2 AktG folgende Anreiz besteht auch im faktischen Konzern fort. Im Vertragskonzern führen § 93 Abs. 1 und § 310 AktG zu einer Prüfpflicht hinsichtlich der bestandsgefährdenden Wirkungen von Weisungen. Wird im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit eine Weisung erteilt, die das Ausfallrisiko der Gläubiger mit überwiegender Wahrscheinlichkeit weiter erhöht, ist die 831
Vgl. Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 308 Rn. 63. 832 Dazu bereits unter B. III. 6. d) bb) (4). 833 Dazu bereits zum GmbH-Recht unter B. III. 5. d) aa) (3) (a). 834 Zu dem zweifelhaften Anwendungsbereich von § 92 Abs. 2 S. 3 AktG a. F. neben § 93 AktG und der Existenzvernichtungshaftung siehe auch Altmeppen, ZIP 2013, 801.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Weisung unzulässig und damit nicht zu befolgen. Aufgrund der eigenverantwortlichen Leitung des abhängigen Unternehmens muss der Vorstand Sanierungsmaßnahmen umsetzen. Ansichten, die eine Existenzvernichtung aus übergeordneten Konzerninteressen rechtfertigen, verstoßen gegen die Pflicht zur Bestandserhaltung im Sinne von Art. 19 lit. a und c RRiL, da nach diesen Ansichten bei einer entsprechenden Weisung des herrschenden Unternehmens kein Anreiz für die Unternehmensleitung besteht, dass bestandsgefährdende Verhalten im Interesse aller Beteiligten zu unterlassen. Die Unzulässigkeit von existenzvernichtenden und bestandsgefährdenden Weisungen gilt auch für die eingegliederte Aktiengesellschaft. Bei diesen besteht zwar eine gesamtschuldnerische Haftung der Hauptgesellschaft. Solange dieses Haftungspotential jedoch nicht dadurch realisiert wird, dass die Bestandsgefährdung der eingegliederten Gesellschaft abgewendet wird, rechtfertigt die bloße Möglichkeit einer Inanspruchnahme nicht die Bestandsgefährdung des eingegliederten Unternehmens. Eine vergleichbare Situation besteht bei den Personen(handels)gesellschaften. dd) Personenhandelsgesellschaften Die Gesellschafter von Personengesellschaften können grundsätzlich bewusst verlustträchtige und sogar bestandsgefährdende Geschäfte eingehen.835 Die persönliche Haftung dient als Anreiz dafür, dass keine übermäßigen Risiken eingegangen werden und dient damit auch dem Gläubigerschutz.836 Die effektive Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL hängt davon ab, wie ausgeprägt dieser Anreiz zur Vermeidung insolvenzverursachender Maßnahmen ist. Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass die Gesellschaften zur Vermeidung ihrer persönlichen Haftung keine Geschäfte vornehmen, die gegen den Bestand des Unternehmens gerichtet sind. In wirtschaftlich stabilen Zeiten kann davon ausgegangen werden, dass dieser Anreiz funktioniert und keine bestandsgefährdenden Maßnahmen mit einem übermäßig hohen Insolvenzrisiko ergriffen werden. Es kann jedoch Situation geben, in denen die Anreizwirkung der persönlichen Haftung versagt und die Gesellschafter daher geneigt sein können, bestandsgefährdende Risiken einzugehen und so die (Vermögens-)Situation des Unternehmens und die Befriedigungsaussichten der Gläubiger zu verschlechtern.837 Solche Situationen können insbesondere im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit auftreten. Es sind Situationen denkbar, in denen die Verbindlichkeiten des Unternehmens den möglichen Verwertungserlös aus dem Unternehmensvermögen sowie aus dem 835
Drygala, Festschrift Hopt, S. 541, 545. Vgl. Haas, DStR 1999, 985, 986; Drygala, Festschrift Hopt, S. 541, 545 nennt auch noch die Einstimmigkeit als Korrektiv gegen unwirtschaftliche Maßnahmen. 837 Vgl. dazu auch Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 11 Rn. 248 a. E.; Poertzgen, ZInsO 2014, 165, 170 ff. 836
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Vermögen der persönlich haftenden Gesellschafter übersteigen. Die Verbindlichkeiten des Unternehmens übersteigen also die Summe des Vermögens der persönlichen haftenden Gesellschafter und des Unternehmensvermögens (insb. bei Verwertung in der Insolvenz). Tritt dann der Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit ein, ist es also überwiegend wahrscheinlich, dass das Unternehmen auf Basis des derzeitigen Geschäftsmodells in Zukunft seine Verbindlichkeiten nicht mehr bezahlen kann, ist folglich das gesamte Privatvermögen der Gesellschafter gefährdet bzw. bei wirtschaftlicher Betrachtung den Gläubigern zugeordnet. Um ihren Ausfall soweit wie möglich zu reduzieren, sind die Gläubiger sowohl auf das Unternehmensvermögen als auch auf das Vermögen der Gesellschafter angewiesen. Klar ist, dass die Gesellschafter, um die persönliche Haftung und damit den Verlust ihres Privatvermögens zu vermeiden, überwiegend erfolgversprechende Sanierungschancen nutzen werden.838 Bestehen hingegen lediglich übermäßig riskante Sanierungschancen, werden die Gesellschafter auch diese nutzen wollen, da sie bei Untätigkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ohnehin den Verlust ihres gesamten Vermögens befürchten müssen aufgrund der bereits eingetretenen drohenden Zahlungsunfähigkeit. Eine weitere Verringerung des Gesellschaftsvermögens bei einem Fehlschlag des bestandsgefährdenden Projekts führt hingegen nicht zu einer Risikoerhöhung der Gesellschafter (fehlende „downside“ des Geschäfts für die Gesellschafter), da die Verbindlichkeiten des Unternehmens das Gesellschafts- und Gesellschaftervermögen (jeweils zu Liquidationswerten) übersteigen und somit beides ohnehin zur Befriedigung der Gläubiger vollständig genutzt werden muss. Liegt ein solche Situation vor, haben die Gesellschafter durch die Eingehung des übermäßigen Risikos also nichts zu verlieren, während sich für die Gläubiger das Ausfallrisiko erhöht, da durch das bestandsgefährdende Geschäft mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Gesellschaftsvermögen weiter dezimiert wird und der Verlust nicht durch das Gesellschaftervermögen ausgeglichen werden kann.839 Aus Sicht der Gläubiger wäre es in dieser Situation daher angemessen, dass die Gesellschafter unverzüglich die Liquidation einleiten und das noch vorhandene Gesellschaftsvermögen für die Verteilung an die Gläubiger sichern. Im Grunde genommen stellt diese Situation eine personengesellschaftsrechtliche Form des sog. gambling for resurrection dar, in welcher die Gesellschafter alles auf eine Karte setzen.840 Der Anreiz zum Eingehen übermäßiger Risiken könnte zudem dadurch verstärkt werden, dass den Gesellschaftern eine Restschuldbefreiung zugute kommt, welche gemäß Art. 21 RRiL grundsätzlich nach höchstens 3 Jahren erteilt werden soll.
838
Dazu mit Blick auf Art. 19 lit. b RRiL bereits unter B. III. 6. d) dd). Vgl. dazu auch Karsten Schmidt, in: 100 Jahre KO, S. 247, 264 Fn. 106; Haack, S. 26 f., der von einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Kapital- und Personengesellschaften im Hinblick auf die Anwendung des Überschuldungstatbestandes ausgeht. 840 Vgl. zu dem Begriff des sog. gambling for resurrection Mohaupt, S. 194 ff. 839
256
B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
In einem solchen Szenario verliert die persönliche Haftung ihren Anreiz, insolvenzverursachende Handlungen der Gesellschafter zu unterbinden.841 Eine vollständige und wirksame Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL im Personengesellschaftsrecht ist daher zweifelhaft, wenn ausschließlich auf die Anreizwirkung der persönlichen Haftung zur Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL gesetzt wird.842 Eine Möglichkeit, dem Anreiz zum Eingehen übermäßiger Risiken im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz auch bei persönlich haftenden Gesellschaftern entgegen zu wirken, besteht darin, den Überschuldungstatbestand in Verbindung mit einer Insolvenzantragspflicht auch auf Personengesellschaften anzuwenden.843 Stellen die geschäftsführenden Gesellschafter fest, dass eine drohende Zahlungsunfähigkeit innerhalb der nächsten 12 Monate vorliegt, wären sie aufgrund des Überschuldungstatbestands und der darin enthaltenen Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO angehalten, mögliche Sanierungsmaßnahmen zu prüfen. Bestehen Sanierungsoptionen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erfolgversprechend sind, liegt keine negative Fortbestehensprognose vor. Bestehen hingegen nur Optionen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger weiter erhöhen, indem sie das Gesellschaftsvermögen weiter dezimieren, wäre ohne schuldhaftes Zögern Insolvenzantrag zu stellen. Der Überschuldungstatbestand kann in dieser Situation zugleich zu einer Mobilisierung von Gesellschaftervermögen zum Zweck der Restrukturierung führen, welches ansonsten erst in der Insolvenz für eine (meist unzureichende) nachträgliche Kompensation des Schadens zur Verfügung stünde. Unvertretbare bürokratische Belastungen wären durch die Anwendung des Überschuldungstatbestandes nicht zu befürchten. Die Unternehmensleitung ist auch bei Personengesellschaften zur kontinuierlichen wirtschaftlichen Selbstprüfung angehalten und ist lediglich in dem Fall, dass Anzeichen für eine wahrscheinliche Insolvenz bestehen, verpflichtet, detailliertere Prüfungen vorzunehmen. Die Anforderungen an die zu erstellenden Dokumente, wie etwa ein Überschuldungstatus, sollten stets der Größe des Unternehmens angepasst sein. Für die Prüfung der negativen Fortbestehensprognose und ihrer Beseitigung durch mögliche Sanierungsmaßnahmen wird regelmäßig eine aussagekräftige Finanzplanung erforderlich sein. Die Fortführung des Unternehmens ohne die Wahrnehmung bestehender Sanierungschance oder ohne dass überhaupt Sanierungschancen bestehen, verstößt gegen die in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL erforderliche Ausrichtung auf den Bestandserhalt ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit und wäre durch die 841
Zu diesem Anreiz Haas, DStR 1999, 985, 986, Vgl. allgemein zur „praktischen Wirksamkeit“ (effet utile) als Auslegungstopos im europäischen Sekundärrecht Riesenhuber, in: Europäische Methodenlehre, § 10 Rn. 45. 843 Vgl. allgem. zur Anwendung der Überschuldung auf Personengesellschaften Karsten Schmidt, ZIP 1080, 233, 235 f.; Karsten Schmidt, in: 100 Jahre KO, S. 247, 262 ff.; Karsten Schmidt, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. 2000, S. 1199, 1217; Biermann, S. 87 ff., 101 f.; für eine Anwendung auch Haas, in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-HdB, § 89 Rn. 20. 842
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
257
Anwendung des antragsbewehrten Überschuldungstatbestandes untersagt, da in diesem Zustand eine negative Fortbestehensprognose vorliegt. Die Fortführung ohne Sanierung erhöht das mit Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit bereits eingetretene Ausfallrisiko für die Gläubiger weiter und ist daher unzulässig. Da die Unternehmensleitung das Ausfallrisiko mangels Sanierungsoptionen nicht reduzieren kann, muss sie es zumindest konservieren. Hier wird erneut der Gedanke deutlich, dass bestandsfähige Unternehmen (ggf. nach einer Sanierung) fortgeführt werden sollen, nicht bestandsfähige Unternehmen schnellstmöglich abgewickelt werden müssen.844, 845 Nach der Änderung des § 19 InsO gilt dies, wenn der Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit innerhalb der nächsten 12 Monate liegt. Außerhalb dieses Zeitraums würde nach dem geänderten § 19 Abs. 2 S. 1 InsO eine Insolvenzantragspflicht nicht mehr vorliegen. Bei der Fortbestehensprognose wären entsprechend einem Vorschlag von Karsten Schmidt die sog. „Haftungsfähigkeit“ und „Haftungsbereitschaft“ der persönlichen Gesellschafter mit einzubeziehen.846 Auf diese Weise kann das Gesellschaftervermögen für eine Sanierung mobilisiert werden. Das Gesellschaftervermögen wird jedoch nicht in den Überschuldungstatus der schuldnerischen Gesellschaft einbezogen, da es sich um zwei getrennte Haftungsmassen handelt. Entsprechend wird bei der Prüfung des Ausfallrisikos der Gläubigergesamtheit nur das Vermögen des Schuldners und nicht das Vermögen der Gesellschafter als zusätzliche Haftungsmasse mit einbezogen. Der Gesellschafter kann zur Beseitigung der rechnerischen Überschuldung privates Vermögen in die Gesellschaft einbringen. Eine rechtliche Verpflichtung besteht dazu nicht.847 Zwar spielt bei wirtschaftlicher Betrachtung auch das Vermögen der Gesellschafter für die Gläubiger eine Rolle. Eine Einbeziehung der Ansprüche aus persönlicher Haftung nach § 128 HGB in den Überschuldungsstatus hat aber zu unterbleiben, da es sich um Ansprüche der Gläubiger gegen einen vom Insolvenzschuldner verschiedenen Rechtsträger handelt und die Ansprüche lediglich über § 93 InsO in der Insolvenz dem Insolvenzverwalter zur Einziehung zugewiesen werden.848 Die Prüfung sämtlicher Haftungsmasse bzw. 844
Vgl. EWG 3 RRiL. Nimmt man eine entsprechende Antragspflicht für Personenhandelsgesellschaften an, wäre diese nach der Gewährung einer Aussetzung im Sinne von Art. 6 RRiL wegen Art. 7 Abs. 1 RRiL suspendiert. Während der Aussetzung würde die Anreizwirkung der Antragspflicht also wieder entfallen. Sehen sich die Gesellschafter während der Aussetzung zu Spekulationsgeschäften veranlasst und kippt daher die Fortbestehensprognose ins Negative, wären den Gesellschaftern solche Geschäfte während der Aussetzung mangels Anwendbarkeit der Antragspflicht wegen Überschuldung nicht mit Blick auf die Überschuldung verwehrt. Die Spekulationsgeschäfte müssten jedoch zur Aufhebung der Restrukturierungssache durch das Gericht führen. 846 Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 63. 847 Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 62 f. 848 Vgl. Pape, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 19 Rn. 60, der anführt, dass die Gläubigeransprüche nach § 93 InsO erst mit Insolvenzeröffnung dem Insolvenzverwalter zur Einziehung zugewiesen werden. 845
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Sicherheiten der Gläubiger würde die Geschäftsleiter regelmäßig auch vor erhebliche Herausforderungen stellen. Es ist zuzugeben, dass die geschilderte Situation, in welcher die Verbindlichkeiten des Unternehmens das Unternehmensvermögen sowie das Gesellschaftervermögen übersteigen, nicht zwingend aus dem Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz im Sinne einer drohenden Zahlungsunfähigkeit folgt. In Insolvenznähe ist das Eigenkapital im Unternehmen oftmals bereits beträchtlich dezimiert. Aussagen über den Umfang des Gesellschaftervermögens können jedoch aus dem Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens nicht abgeleitet werden. Die Anwendung des Überschuldungstatbestandes könnte also über das Ziel hinausschießen, wenn auch Situationen erfasst werden, in denen die Gesellschafter kein Interesse an übermäßig riskanten Projekten haben, mithin die Anreizwirkung der persönlichen Haftung funktioniert. In einer Situation, in der die Gesellschafter über ausreichend Vermögen verfügen, um damit nach Verwertung des Gesellschaftsvermögens die verbleibenden Verbindlichkeiten zu begleichen, werden sie schon im Eigeninteresse keine bestandsgefährdenden Geschäfte vornehmen, die das Gesellschaftsvermögen weiter schädigen. Sie werden auch im Eigeninteresse Schritte ergreifen, um den Eintritt der zukünftigen Insolvenz zu vermeiden. Die Anwendung des Überschuldungstatbestandes stellt diese im Eigeninteresse vorgenommenen Maßnahmen auf eine rechtliche Grundlage und verleiht ihnen damit mehr Nachdruck, insbesondere durch die strafrechtliche Sanktionierung einer verspäteten Antragsstellung. Die strafrechtliche Sanktionierung ist auch vor dem Hintergrund einer persönlichen Haftung nicht unverhältnismäßig. Wie Karsten Schmidt zutreffend ausführt849 ist die Fortführung einer überschuldeten Personengesellschaft durch ihre Gesellschafter nicht minder strafwürdig als die Fortführung durch den Geschäftsführer einer (Komplementär-)GmbH. Die persönliche Haftung kann dafür sorgen, dass die Überschuldung beseitigt wird, indem die persönliche Haftung bei der Fortbestehensprognose berücksichtigt wird, wenn die Gesellschafter fähig und willens sind, einen Sanierungsbeitrag zu leisten. Liegt hingegen trotz persönlicher Haftung eine negative Fortbestehensprognose vor, weil die persönliche Haftung nicht ausreicht, um die drohende Zahlungsunfähigkeit abzuwenden und alle Gläubiger zu befriedigen, kann die persönliche Haftung keine privilegierende Wirkung haben. Es kann den Gesellschaftern unter Berufung auf eine (unzureichende) persönliche Haftung nicht erlaubt sein, ihr Unternehmen trotz negativer Fortbestehensprognose fortzuführen.850 Eine zivilrechtliche Haftung wegen Insolvenzverschleppung würde hingegen aufgrund der ohnehin unbeschränkten persönlichen Haftung keinen effektiven Anreiz darstellen. Dies gilt allerdings nur für die persönlich haftenden geschäftsführenden Gesellschafter. Eine Haftungserweiterung wäre mit der Insolvenzantragspflicht für die „faktischen Organe“ der Personengesellschaft verbunden, da diese 849 850
Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 62. Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 63 f.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
259
grundsätzlich nicht der persönlichen Haftung unterliegen.851 Für sie würde die Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung ebenfalls gelten und damit auch die Haftung bei Insolvenzverschleppung.852 Ohne eine Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung kann man sich in Bezug auf faktische Organe bei Personengesellschaften die Frage stellen, wie diese dazu angehalten werden, bestandsgefährdende Geschäfte zu vermeiden, wie es Art. 19 lit. c RRiL vorsieht. Da die faktischen Organe die Geschicke der Gesellschaft leiten, sind sie als Unternehmensleitung Adressat der Pflichten von Art. 19 RRiL. Der Anreiz der persönlichen Haftung scheidet als Anknüpfungspunkt für die Umsetzung von Art. 19 RRiL jedoch aus. Rechtspolitisch folgt die Anwendung des Überschuldungstatbestandes auf Personengesellschaften in Verbindung mit der Umsetzung des präventiven Restrukturierungsrahmens dem Maßstab, dass ein gutes Insolvenzrecht Instrumente zur Vermeidung von Insolvenzen bereitstellen muss und wo eine Insolvenz unvermeidbar ist, eine möglichst frühe Verfahrenseinleitung erfolgen muss.853 Dieser Gedanke findet sich auch in EWG 3 der RRiL. Personengesellschaften, aber auch jeder andere Unternehmensträger, darf nur so lange eine werbende Tätigkeit ausüben, wie bei Fortführung oder im Liquidationsfall sämtliche Gläubiger befriedigt werden. Dies wird durch die Anwendung des Überschuldungstatbestandes sichergestellt.854 Dadurch wird zugleich bestandsgefährdendes Verhalten im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL vermieden. Eine persönliche Haftung kann die Betriebsfortführung nur rechtfertigen, solange sie ausreichend ist, um die Gläubiger zu befriedigen. Tatsächlich reicht die persönliche Haftung oftmals nicht aus, um den Ausfall der Gläubiger in der Insolvenz zu kompensieren.855 Mit Blick auf die RRiL kann die persönliche Haftung nur als ausreichende Umsetzung gelten, solange sie wirksam die Vornahme bestandsgefährdender Maßnahmen verhindert. Das ist nur dann der Fall, wenn sie ausreichend ist, um die Gläubiger zu befriedigen. Denn nur dann haben die persönlich haftenden Gesellschafter etwas zu verlieren und werden im Eigeninteresse so handeln, dass auch die Gläubigerinteressen gewahrt werden. In Situationen, in denen die Eigenhaftung keinen ausreichenden Anreiz darstellt, kann eine Fortführung der Gesellschaft durch die Anwendung des Überschuldungstatbestandes unterbunden werden und auf diese Weise Art. 19 lit. c RRiL umfassend umgesetzt werden. 851
Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 62; ein Beispiel für ein „faktisches Organ“ im Personengesellschaftsrecht liefert der sog. Rektor-Fall des BGH, Urt. v. 17. 3. 1966 – II ZR 282/63 = NJW 1966, 1309, dazu Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 65 f.; vgl. zur Erweiterung der Insolvenzverschleppungshaftung auf „Schattendirektoren“ auch Fleischer, ZGR 2004, 437, 461. 852 Zur Insolvenzantragspflicht faktischer Organe vgl. Karsten Schmidt/Herchen, in: Karsten Schmidt, InsO, § 15a Rn. 17. 853 Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 11. 854 Vgl. Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 66; zu den Argumenten des historischen Gesetzgebers für die Nichtanwendung des Überschuldungstatbestandes auf Personengesellschaften vgl. Biermann, S. 74 ff.; dazu auch Haack, S. 19 ff. 855 Vgl. Haas, DStR 1999, 985, 986.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Der Vorschlag, den Überschuldungstatbestand auf Personengesellschaften anzuwenden, hätte nach Änderung des Überschuldungstatbestandes durch das SanInsFoG keine Auswirkungen, wenn die Zahlungsunfähigkeit weiter entfernt liegt als 12 Monate. Für diesen Zeitraum würde den Gesellschafter die Möglichkeit verbleiben, hochriskante Sanierungsmaßnahmen vorzunehmen oder ihr Unternehmen ohne jegliche (Aussicht auf) Sanierung fortzuführen. Dieses Risiko kann den Gläubigern durch die Anwendung des Überschuldungstatbestandes nicht abgenommen werden. Es ist jedoch mit Blick auf den späteren Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und die grundsätzlich bestehende (wenn auch im Einzelfall unzureichende) Gesellschafterhaftung hinnehmbar. Dass sich die Gesellschafter bei einer drohenden Zahlungsunfähigkeit in über 12 Monaten bereits in einer „Nichts-zuverlieren“-Situation befinden, erscheint eher unwahrscheinlich. Bei den haftungsbeschränkten Rechtsträgern wird für diese Situation eine Einschränkung der Dispositionsbefugnis der Gesellschafter befürwortet, da die Haftung der Gesellschafter hier begrenzt ist und es schneller zu einer unzulässigen Spekulation auf Kosten der Gläubiger kommen kann. ee) Einzelkaufmann Für den Einzelkaufmann gelten ähnliche Erwägungen wie für die Personengesellschaften. Grundsätzlich sind ihm bestandsgefährdende Geschäfte nicht untersagt, auch nicht im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Er kann hochriskante Spekulationsgeschäfte vornehmen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Zahlungsunfähigkeit führen oder eine bereits eingetretene drohende Zahlungsunfähigkeit vergrößern. Er kann sein nicht bestandsfähiges Unternehmen ohne Aussicht auf Sanierung bis zum Eintritt der Insolvenz bzw. sogar noch darüber hinaus fortführen. Wie bei den Personengesellschaften dient die persönliche Haftung beim Einzelkaufmann als Anreiz dafür, insolvenzverursachende Handlungen und damit auch bestandsgefährdende Geschäfte nach Art. 19 lit. c RRiL zu unterlassen. Wie bei den Personengesellschaften kann es auch beim Einzelkaufmann zu Situationen kommen, in denen diese Anreizwirkung nicht greift. Wenn die Schulden des Einzelkaufmanns das Vermögen des Einzelkaufmanns übersteigen oder zu erwarten ist, dass dies alsbald geschieht, wäre im Fall einer Insolvenz das gesamte Vermögen des Einzelkaufmanns verloren. Mit übermäßig riskanten Projekten könnte der Einzelkaufmann hingegen versuchen, das Blatt noch zu wenden, ohne fürchten zu müssen bei einem (überwiegend wahrscheinlichen) Fehlschlag noch etwas zu verlieren.856 Als Ausgleich für den fehlenden Anreiz in dieser Situation könnte der Überschuldungstatbestand entgegen § 19 Abs. 1 und 3 InsO auch auf den Einzelkaufmann angewendet werden. Stellt der Einzelkaufmann eine negative Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO fest, muss er Maßnahmen prüfen und umsetzen, um diese 856 Vgl. dazu Davies, EBOR 2006, 7, 301, 306, der sich aber auf Unternehmen mit beschränkter Haftung bezieht.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
261
zu beseitigen oder falls das nicht möglich ist und sein Vermögen die Verbindlichkeiten nicht deckt, Insolvenzantrag stellen.857 Erstellt der Einzelkaufmann einen Überschuldungsstatus muss er abweichend von den handelsrechtlichen Bilanzierungsregeln nach §§ 240 ff. HGB nicht nur die zu seinem Unternehmen gehörenden Vermögensgegenstände aufnehmen, sondern seine sämtlichen Vermögensgegenstände.858 Insoweit wäre der Wortlaut von § 19 Abs. 2 InsO bereits zutreffend, wenn dort von dem Vermögen des Schuldners die Rede ist. Dies wäre auch nur konsequent mit Blick darauf, dass es in der Insolvenz des Einzelkaufmanns keine zwei Vermögensmassen gibt. Der Einzelkaufmann wird stets im Blick haben wie sich die bestehenden Verbindlichkeiten zu seinem gesamten Vermögen verhalten, mit dem er haftet, und nicht lediglich das Verhältnis der Unternehmensverbindlichkeiten zu dem Unternehmensvermögen betrachten. Das Verhältnis der Haftungsmasse zu den Verbindlichkeiten des Einzelkaufmanns ist letztlich auch die für die Gläubiger im Fall einer Insolvenz relevante Frage. Zugleich müsste auch die Fortführungsprognose nach § 19 InsO sämtliche Einnahmen und Ausgaben des Einzelkaufmanns berücksichtigen und nicht lediglich solche aus dem Unternehmen. Betreibt der Einzelkaufmann also bspw. einen Weinhandeln und erwirtschaftet daneben noch Einnahmen aus der Vermietung einer Eigentumswohnung, so sind auch diese Einnahmen zu berücksichtigen. Ebenso sind sämtliche Ausgaben des Einzelkaufmanns in der Prognose zu erfassen, auch diejenigen die nicht seinem Unternehmen zuzuordnen sind. Insoweit müsste der Wortlaut von § 19 Abs. 2 InsO weit verstanden werden, wenn dort von Fortführung des „Unternehmens“ die Rede ist. Entscheidend ist letztlich, ob der jeweilige Schuldner ausreichende Erträge zur Befriedigung seiner sämtlichen Gläubiger erwirtschaftet (Fortbestehensprognose) und ob das gesamte Vermögen des Schuldners zur Befriedigung seiner sämtlichen Gläubiger im Fall der Insolvenz ausreicht (rechnerische Überschuldung). Solange der Einzelkaufmann also in Zukunft sämtliche Gläubiger befriedigen kann oder sein Vermögen im Liquidationsfall zur Befriedigung sämtlicher Gläubiger ausreicht, liegt keine Überschuldung nach § 19 InsO vor.859 Eine Unterscheidung zwischen „Unternehmensgläubigern“ im Sinne von Gläubigern, deren Forderung aus Handelsgeschäften resultieren, und privaten Gläubigern ist nicht vorzunehmen.860 Der Einzelkaufmann kann daher auch wegen einer „privaten“ Verbindlichkeit überschuldet sein im Sinne von § 19 InsO. Die Anwendung des Überschuldungstatbestandes verbunden mit einer Insolvenzantragspflicht auf den Einzelkaufmann stellt eine Möglichkeit zur umfassenden 857 Zur Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung für den Einzelkaufmann vgl. Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 239 ff.; Biermann, S. 87 ff., der Überschuldung jedoch als reine Vermögensinsuffizienz begreift. 858 Vgl. Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 63; Biermann, S. 86. 859 Vgl. Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 239 ff. 860 Vgl. auch Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 237.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
und effektiven Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL und damit zur Förderung von Restrukturierungen auch bei einzelkaufmännischen Unternehmen sowie allgemein zur Vermeidung von Insolvenzen861 im deutschen Recht dar. Andere Ansätze zur effektiven Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL sind de lege lata nicht zu erkennen, insbesondere reicht die persönliche Haftung aufgrund der geschilderten Defizite in Insolvenznähe nicht aus, um Spekulationen auf Kosten der Gläubiger zu unterbinden, ebensowenig wie sie dazu taugt, eine Fortführung des Unternehmens ohne Sanierungsaussichten auf Kosten der Gläubiger zu verhindern. e) Zwischenergebnis zu Art. 19 lit. c RRiL Art. 19 lit. c RRiL stellt eine wesentliche Ausprägung des unter Art. 19 lit. a RRiL herausgearbeiteten Grundsatzes der Bestandserhaltung im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz dar. Nach Art. 19 lit. c RRiL sollen unter anderem Maßnahmen unterbunden werden, die gezielt auf die Vernichtung des Schuldners gerichtet sind, sowie Maßnahmen, die zwar der Rettung des Schuldners vor der Insolvenz dienen sollen, die jedoch aufgrund der bereits eingetretenen wirtschaftlichen Krise eine unverhältnismäßige Belastung der Stakeholder, insb. der Gläubiger, mit den übermäßig hohen Risiken der Maßnahme, darstellen. Auch die Fortführung eines Unternehmens im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz ohne Aussicht auf Sanierung stellt eine Bestandsgefährdung nach Art. 19 lit. c RRiL dar. Alle diese Maßnahmen führen dazu, dass sich das Ausfallrisiko der Gläubiger, welches sich im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit bereits teilweise realisiert hat, weiter erhöht. In Folge der Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL sollen Anreize geschaffen werden, dass solche Maßnahmen vermieden werden. Die Umsetzung wirkt sich bei verschiedenen Unternehmensträgern unterschiedlich aus. Die größten Auswirkungen hat sie dort, wo den Inhabern des Unternehmens aufgrund ihrer persönlichen Haftung weitgehende Freiheiten im Umgang mit diesem Unternehmen zugebilligt werden, also beim Einzelkaufmann und den Personengesellschaften. Wie gezeigt wurde reicht die persönliche Haftung als Anreiz zur Vermeidung bestandsgefährdender Maßnahmen nicht aus zur Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL. Zum einen gibt es Situationen, in denen auch die Gesellschafter bzw. der Einzelkaufmann wirtschaftlich nichts mehr zu verlieren haben und daher verleitet sein können, unverhältnismäßig riskante Geschäfte zu Lasten der Gläubiger einzugehen oder das Unternehmen ohne Sanierung fortzuführen und das Ausfallrisiko der Gläubiger zu erhöhen. Zum anderen gibt es auch bei Personengesellschaften und ggf. dem Einzelkaufmann Unternehmensleiter im Sinne der RRiL, die nicht der persönlichen Haftung unterliegen, nämlich diejenigen Personen, die die Geschäftsführung tatsächlich in Anspruch nehmen ohne dazu berufen zu sein („faktische Organe“). Um einen effektiven Anreiz für die Vermeidung bestandsgefährdenden Verhaltens zu schaffen, wird hier vorgeschlagen, den Tatbestand der 861
Vgl. Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 202 f.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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Überschuldung nach § 19 InsO und eine entsprechende Antragspflicht für sämtliche unternehmenstragenden Schuldner vorzusehen. Im Rahmen der mit der Überschuldung einhergehenden Selbstprüfungspflicht ist die jeweilige Unternehmensleitung dann gehalten zu prüfen, ob innerhalb von 12 Monaten eine Zahlungsunfähigkeit eintritt und falls dies der Fall ist, ob (Sanierungs-)Maßnahmen zur Verfügung stehen, die drohende Zahlungsunfähigkeit abwenden. Stehen lediglich Maßnahmen zur Verfügung, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Insolvenz herbeiführen bzw. die eingetretene Entwicklung verstärken und die damit bestandsgefährdend im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL sind, ist, – eine rechnerische Überschuldung vorausgesetzt – Insolvenzantrag zu stellen. Der antragspflichtige Überschuldungstatbestand zwingt die Gesellschafter auch dazu, zu prüfen, ob ihr Vermögen zum konkreten Bestandserhalt des Schuldners eingesetzt werden kann und soll. Damit verhindert der antragsbewehrte Überschuldungstatbestand, dass die Fortführung des Unternehmens lediglich mit dem abstrakten Verweis auf eine potentielle, persönliche Haftung legitimiert wird. Bei den Kapitalgesellschaften bzw. den haftungsbeschränkten Rechtsträgern ist bestandsgefährdendes Verhalten im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL im Rahmen der Sorgfaltspflichten der Unternehmensleitungen nach § 43 Abs. 1 GmbHG und § 93 Abs. 1 AktG bereits untersagt. Diese Pflichten stehen aber teilweise zur Disposition der Gesellschafter. § 43 Abs. 1 StaRUG stellt eine Spezialregelung für den Zeitpunkt ab Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache dar. In Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL muss bestandsgefährdendes Verhalten bereits ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit vermieden werden. Daher muss eine entsprechende Auslegung der Sorgfaltspflichten der Unternehmensleitungen ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit erfolgen. Bei den haftungsbeschränkten Rechtsträgern wirkt sich Art. 19 lit. c RRiL insbesondere dann aus, wenn die Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung durch Weisungen der Gesellschafter konkretisiert werden kann. Die Weisungen können einer effektiven Restrukturierung entgegenstehen. Solche Weisungen sind im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz im Sinne der RRiL unzulässig, wenn sie gegen die Pflicht zur Bestandserhaltung verstoßen und daher mit Art. 19 RRiL unvereinbar sind. Das ist der Fall, wenn sie mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger erhöhen. Das gilt für die sog. existenzvernichtenden Weisungen, die bereits weitestgehend862 nach geltendem Recht unbeachtlich sind. Es gilt ebenso für Weisungen, die übermäßige Risiken für die schuldnerische Gesellschaft mit sich bringen („gambling for resurrection“) und daher als bestandgefährdend anzusehen sind sowie für die Fortführung im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit ohne Aussicht auf Sanierung. Die letzten beiden Fallgruppen werden im GmbH-Recht, wo entsprechende Weisungen der Gesellschafter grundsätzlich zulässig sind, auch durch den antragsbewehrten Überschuldungstatbestand nach §§ 15a Abs. 1, 19 InsO effektiv umgesetzt. 862 Ausnahmen bestehen nach vereinzelten Auffassungen im Vertragskonzern und bei der eingegliederten Aktiengesellschaft, dazu unter B. III. 6. d) cc) (1) (c) und B. III. 6. d) cc) (1) (d).
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Dem Überschuldungstatbestand und der damit verbundenen Antragspflicht nach §§ 15a, 19 InsO kommt damit bei der Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL im Recht der GmbH, der Personengesellschaften und des Einzelkaufmanns eine wichtige Rolle zu. Diese Wirkung kann dem Überschuldungstatbestand gerade deshalb zukommen, weil der Begriff der wahrscheinlichen Insolvenz im Sinne der RRiL als Zahlungsunfähigkeitsprognose verstanden wird und damit weitgehend mit der Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO synchronisiert wird.863 Nach dem SanInsFoG wird der Anwendungsbereich der Überschuldung durch einen Prognosehorizont von 12 Monaten beschränkt. Zum Ausgleich wird angeordnet, dass die Geschäftsleiter von haftungsbeschränkten Unternehmensträgern die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren haben gemäß § 43 Abs. 1 StaRUG, zumindest ab Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache. Diese zeitliche Begrenzung ist für die Umsetzung von Art. 19 RRiL und eine effektive Förderung von Restrukturierungen unzureichend und wird nach der hier vertretenen Auffassung durch eine entsprechende Auslegung der allgemeinen Geschäftsleiterpflichten haftungsbeschränkter Unternehmensträger korrigiert, sodass eine Wahrung der Gläubigerinteressen bereits ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit erfolgt. Nach der hier vertretenen Auffassung hat diese Pflicht zur Interessenwahrung zur Folge, dass bestandsgefährdende Maßnahmen im Sinne von Art. 19 lit. c RRiL ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu unterbleiben haben. Dies betrifft sämtliche Maßnahmen, die mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass sich die Ausfallrisiken für die Gläubiger erhöhen. Davon umfasst ist auch die Fortführung ohne jegliche Aussicht auf Sanierung, wenn diese das Ausfallrisiko der Gläubiger mit überwiegender Wahrscheinlichkeit weiter erhöht. In dem zuletzt genannten Fall ist zur Sicherung der vorhandenen Masse bzw. zur Konservierung des Ausfallrisikos der Gläubiger ein Insolvenzantrag durch die Geschäftsleiter nach § 18 InsO zu stellen, wenn eine anderweitige Sanierung aussichtslos ist. 7. Exkurs: Umsetzung von Art. 19 RRiL im europäischen Ausland a) Niederlande In den Niederlanden gab es bislang kein effektives, präventives vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren. Zum 1. Januar 2021 ist das Gesetz Wet homologatie onderhands akkoord („WHOA“) (Gesetz über die Bestätigung außergerichtlicher Restrukturierungspläne) in Kraft getreten. Durch das WHOA soll ein zeitund kosteneffizientes, vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren geschaffen werden, welches Elemente des englischen scheme of arrangement, des US-amerikanischen Chapter 11 Verfahrens und der RRiL vereint. Das WHOA wird in das 863 Unterschiede bestehen insoweit, als dass bei der Fortbestehensprognose etwaige Sanierungschancen zu berücksichtigen sind, bei der Bestimmung der zukünftigen Zahlungsunfähigkeit auf Stufe 1 des zweistufigen Begriffs der wahrscheinlichen Insolvenz jedoch nicht, dazu unter B. II. 2. g) dd) (5).
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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niederländische Insolvenzgesetz („Faillissementswet“) aufgenommen. In diesem niederländischen Insolvenzgesetz gab es bislang ein präventives Verfahren für Unternehmensinsolvenzen, welches die Eigenverwaltung drohend zahlungsunfähiger, aber lebensfähiger Unternehmens ermöglichen sollte, das sog. surseance van betaling („Aussetzung von Zahlungen“).864 In diesem wird ein automatisches Moratorium für ungesicherte Gläubiger gewährt. Ein Moratorium für besicherte Gläubiger steht auf Antrag zur Verfügung. Bei unbesicherten Gläubigern können Sanierungsbeiträge (Kürzung von Forderungen, Stundungen) durch einen Restrukturierungsplan auch gegen ihren Willen erwirkt werden. Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen gegen den Willen der Gesellschafter oder ein cross-class cram-down sind nicht vorgesehen. Das Verfahren ist daher nur eingeschränkt praxistauglich und wird als Vorstufe zur Beantragung des primär auf Abwicklung gerichteten Konkursverfahrens („faillissement“) gesehen.865 Das WHOA stellt ebenfalls ein eigenverwaltendes, vorinsolvenzliches Verfahren dar, welches deutlich weitere Möglichkeiten für Eingriffe in die Rechtspositionen Dritter durch einen Restrukturierungsplan bietet, etwa durch einen klassenübergreifenden cram-down.866 Die Gerichtsbeteiligung soll so gering wie möglich ausgestaltet werden und kann sich auf die Bestätigung des Restrukturierungsplans beschränken. Die Einleitung des Verfahrens erfolgt durch die Hinterlegung einer Anzeige beim Gerichtsregister, welche lediglich den formellen Verfahrensbeginn markiert und unabhängig von der Inanspruchnahme weiterer Instrumente, etwa eines Moratoriums, ist. Insoweit weißt das WHOA Ähnlichkeiten mit dem deutschen SRR auf. Das WHOA steht rechtsformunabhängig sämtlichen Unternehmen und unternehmerisch tätigen natürlichen Personen zur Verfügung. Materielle Voraussetzung für die Inanspruchnahme ist, dass redlicherweise von einer zukünftigen Zahlungsunfähigkeit auszugehen ist (vgl. Art. 370 Abs. 1 des Faillissementswet). Es ist darauf hinzuweisen, dass das WHOA keine Umsetzung der RRiL darstellt.867 Vielmehr sollen zur Umsetzung der RRiL Änderungen an dem sog. surseance van betaling („Aussetzung von Zahlungen“) erfolgen.868 Dies hängt zum einen damit zusammen, dass die Ausarbeitung des WHOA schon vor den Arbeiten zur RRiL began. Zum anderen macht sich die Niederlande dadurch unabhängig von der Rechtsprechung des EuGH zur RRiL.869 Nichtsdestotrotz ähnelt das WHOA in vielen Punkten der RRiL, etwa bei den Voraussetzung für ein Moratorium oder den An-
864 Diese und die folgenden Ausführungen zum surseance van betaling beruhen auf Wabl/ Boon, ZIK 2020, 151. 865 Wabl/Boon, ZIK 2020, 151, 152. 866 Diese und die folgenden Ausführungen zum WHOA beruhen auf Wabl/Boon, ZIK 2020, 151, 152 ff. 867 Wabl/Boon, ZIK 2020, 151, 152. 868 Wabl/Boon, ZIK 2020, 151, 152 Fn. 23. 869 Wabl/Boon, ZIK 2020, 151, 152 f.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
forderungen an einen Restrukturierungsplan.870 Gemäß Art. 373 Faillissementswet ist auch eine Vertragsbeendigung möglich, welche das deutsche Recht im SRR nicht mehr vorsieht. Besondere Pflichten der Geschäftsleitung eines Schuldners sehen die Vorschriften zum WHOA in den Art. 369 ff. des Faillissementswet nicht vor. Ab der Anzeige der Restrukturierung gemäß Art. 370 Abs. 3 Faillissementswet sind die Gläubigerinteressen durch Maßnahmen des Gerichts geschützt nach Art. 379 und 380 Faillissementswet. Das Gericht kann etwa einen Aufseher bestellen, der dem Gericht über etwaige Verletzungen der Gläubigerinteressen berichten muss (vgl. Art. 380 Abs. 2 Faillissementswet) oder es kann einen Restrukturierungsexperten bestellen, der für die Planerstellung zuständig ist. Ausdrückliche Geschäftsleiterpflichten enthält das WHOA nicht. Eine Besonderheit im niederländischen WHOA ist, dass gesetzlich klargestellt wird, dass die Geschäftsleitung keine Genehmigung der Anteilsinhaber benötigt, um einen Restrukturierungsplan zu beantragen (Art. 370 Abs. 5 Faillissementswet).871 Damit wird verhindert, dass die Anteilsinhaber erfolgversprechende Restrukturierungen vereiteln. Zur Umsetzung der RRiL sind Änderungen an dem sog. surseance van betaling („Aussetzung von Zahlungen“) in den Art. 214 ff. Faillissementswet geplant.872 Das Verfahren kann durch durch Schuldner eingeleitet werden, wenn zu erwarten ist, dass er nicht mehr in der Lage sein wird, seine Schulden zu bezahlen (Art. 214 Abs. 1 Faillissementswet). Das daraufhin erlassene Moratorium erfasst jedoch nicht die gesicherten Gläubiger oder bevorrechtigte Gläubiger.873 Die maximale Länge beträgt zudem 18 Monate (Art. 223 Abs. 1 Faillissementswet). Der Restrukturierungsplan sieht keine Einteilung in bestimmte Gläubigerklassen vor und sieht auch keine Regelungen zum Mindestinhalt eines Restrukturierungsplans vor.874 Ein klassenübergreifende Mehrheitsentscheidung ist nicht möglich. Dass der Restrukturierungsplan nicht geeignet ist, die Insolvenz des Schuldners zu verhindern, kann ein Grund für eine Ablehnung der Bestätigung des Restrukturierungsplanes nach Art. 272 Abs. 3 Faillissementswet sein.875 Maßgeblich für die Umsetzung der Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL sind voraussichtlich, wie im deutschen Recht auch, die allgemeinen Sorgfaltspflichten der Unternehmensleiter. Insbesondere von Bedeutung ist die allgemeine Haftung der Geschäftsleiter gegenüber den Schuldnern nach Artikel 2:9 (2) des niederländischen Zivilgesetzbuches (Burgerlijk Wetboek, kurz BW). Für eine unsachgemäß Ausführung der ihm zugewiesenen Aufgaben ist ein Unter870
Wabl/Boon, ZIK 2020, 151, 153. Wabl/Boon, ZIK 2020, 151, 154. 872 Wabl/Boon, ZIK 2020, 151, 152 Fn. 23. Bei Abschluss der Arbeit lagen die geplanten Änderungen noch nicht vor. 873 Vgl. dazu sowie zur Unvereinbarkeit mit der RRiL Boon, Country Report, S. 3. 874 Boon, Country Report, S. 6. 875 Boon, Country Report, S. 6. 871
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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nehmensleiter haftbar.876 Diese Haftung setzt jedoch einen schweren Vorwurf der Pflichtverletzung voraus (ernstig verwijt; 2:9 (2) BW).877 Übermäßig große finanzielle Risiken werden als eine solche schwerwiegende Pflichtverletzung angesehen.878 Daneben können deliktische Ansprüche gegen die Unternehmensleiter bestehen (Art. 6:162 (1) BW). In den Niederlanden werden Unternehmensleiter häufig aus deliktischen Pflichtverletzung in Anspruch genommen, insbesondere wenn im insolvenznahen Bereich gehandelt wurde.879 Drei verschiedene Fallgruppen können eine Außenhaftung der Unternehmensleiter gegenüber den Gläubigern begründen880: Erstens, das Eingehen von Verbindlichkeiten in dem Wissen oder fahrlässigen Nichtwissen, dass das Unternehmen nicht fähig sein wird, diese zu begleichen. Zweitens, das bewusste Frustrieren von Ansprüchen der Gläubiger sowie drittens das Durchführen selektiver Zahlungen, die einen Gläubiger auf Kosten eines anderen bevorzugen. Eine spezielle Deliktsvorschrift enthält 2:138 BW für den Fall der Insolvenz. Die Vorschrift findet auf Unternehmensleiter, de-facto Unternehmensleiter und nach 2:149 BW auf Aufsichtsorgane (supervisory directors) Anwendung.881 Nach dieser Vorschrift kann ein Unternehmensleiter für den Ausfall der Gläubiger durch den Liquidator in Anspruch genommen werden, wenn der Unternehmensleiter seine Pflichten offensichtlich verletzt hat und anzunehmen ist, dass sein Verhalten ursächlich für die Insolvenz war. Dies wird im niederländischen Recht für zwei Fälle vermutet, nämlich dann, wenn die Unternehmensleitung es versäumt hat, die jährliche externe Rechnungslegung fristgerecht zu übermitteln (Art. 2:394 BW) oder keine ordnungsgemäße interne Rechnungslegung vorhält (Art. 2:10 BW).882 Das fehlerhafte Verhalten des Unternehmensleiters muss sich innerhalb von drei Jahren vor der Insolvenz ereignet haben.883 Weitere Beispiele für fehlerhaftes Verhalten nach 2:138 BW sind das Treffen einer Entscheidung mit weitreichenden finanziellen Folgen ohne angemessene Vorbereitung und das Vernachlässigen des Kredit-Managements.884 Grundsätzlich folgt das niederländische Recht bei der Unternehmensleitung der Stakeholder-Theorie, sodass die Unternehmensleitung im Rahmen einer interes876
Dazu Gerner-Beuerle/Paech/Schuster, Annex Director’s Duties and Liability, A 616 f. Zur Beweislast bei dieser Haftung vgl. Danninger, S. 165 f. 878 Stephanie ter Brake, International Liability of Corporate Directors, The Netherlands, NET-10. 879 Gerner-Beuerle/Paech/Schuster, Director’s Duties and Liability, S. 65, Fn. 88. 880 Vgl. Gerner-Beuerle/Paech/Schuster, Annex Director’s Duties and Liability, A 618 und A 631. 881 Gerner-Beuerle/Paech/Schuster, Annex Director’s Duties and Liability, A 630. 882 Gerner-Beuerle/Paech/Schuster, Annex Director’s Duties and Liability, A 625. 883 Gerner-Beuerle/Paech/Schuster, Annex Director’s Duties and Liability, A 625. 884 Gerner-Beuerle/Paech/Schuster, Annex Director’s Duties and Liability, A 625. 877
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
senpluralistischen Leitung stets gehalten ist, auch die Interessen der Gläubiger zu berücksichtigen.885 Die deliktische Vorschrift des 2:138 BW sowie die dazugehörigen Vermutungen zulasten der Unternehmensleitung werden als Teil eines „shift of duties“ zugunsten der Gläubigerinteressen im Vorfeld der Insolvenz verstanden, der aus der Tatsache folgt, dass die Gläubiger in dieser Phase oftmals die Residualberechtigten am Unternehmensvermögen sind.886 Insgesamt stellen die deliktische Haftung und die Haftung gegenüber dem Unternehmen ausreichende Anreize zur Umsetzung von Art. 19 RRiL dar. Die Anforderungen von Art. 19 lit. a RRiL werden durch die interessenpluralistische Unternehmensleitung und den shift of duties im Vorfeld der Insolvenz gewahrt. Bestandsgefährdende Maßnahmen nach Art. 19 lit. c RRiL werden im Vorfeld der Insolvenz regelmäßig nicht mit Art. 2:9 BW vereinbar sein und ggf. auch zu einer deliktischen Außenhaftung der Unternehmensleiter führen. Aus Art. 2:9 BW lässt sich auch eine Pflicht ableiten, Restrukturierungsverfahren wie das neue WHOA oder das sog. surseance van betaling nicht zur Schädigung der Gläubiger zu betreiben und dadurch unfaire Vorteile für die Anteilseigner zu generieren. Eine Pflicht zur Einleitung solcher Verfahren besteht nicht. Die Haftung der Geschäftsleiter kann jedoch einen starken Anreiz dafür bieten, Maßnahmen zur Krisenbeseitigung zu prüfen und umzusetzen. b) Österreich In Österreich wird die RRiL durch das Restrukturierungs- und InsolvenzRichtlinie-Umsetzungsgesetz – RIRL-UG umgesetzt.887 In Art. 1 dieses Gesetzes ist eine neue Restrukturierungsordnung (ReO) enthalten, die den PRR umsetzt. § 1 ReO lautet: „Auf Antrag eines Schuldners ist ein Restrukturierungsverfahren einzuleiten, das dem Schuldner ermöglicht, sich zu restrukturieren, um die Insolvenz abzuwenden und die Bestandfähigkeit sicherzustellen.“
Grundsätzlich soll das Restrukturierungsverfahren allen Unternehmen zur Verfügung stehen. Ausgenommen sind Unternehmen aus dem Finanzsektor nach § 2 ReO.888 Zu beachten ist, dass das österreichische Recht auch Freiberufler und Landund Forstwirte als Unternehmer ansieht (vgl. § 4 Abs. 2 und 3 des österreichischen Unternehmensgesetzbuchs, kurz UGB). Die Inanspruchnahme ist an die wahrscheinliche Insolvenz geknüpft (§ 6 Abs. 1 ReO). Diese wird nach § 6 Abs. 2 ReO wie folgt bestimmt: 885
Gerner-Beuerle/Paech/Schuster, Annex Director’s Duties and Liability, A 630. Gerner-Beuerle/Paech/Schuster, Annex Director’s Duties and Liability, A 630. 887 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Fassung des Ministerialentwurfs vom 22. Februar 2021. 888 Vgl. auch 96/ME XXVII. GP – Ministerialentwurf – Erläuterungen, S. 1 886
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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„Wahrscheinliche Insolvenz liegt vor, wenn der Bestand des Unternehmens des Schuldners ohne Restrukturierung gefährdet wäre; dies ist insbesondere gegeben, wenn die Zahlungsunfähigkeit droht oder die Eigenmittelquote 8 % unterschreitet und die fiktive Schuldentilgungsdauer 15 Jahre übersteigt.“
Damit knüpft die ReO an die Bestandsgefährdung eines Unternehmens nach dem UGB sowie an die Kennzahlen des URG an.889 Alternativ wird auch an die drohende Zahlungsunfähigkeit angeknüpft. Tendenziell wird durch die Anknüpfung an bestimmte Finanzkennzahlen ein früherer Zugang gewährt. Zudem setzt die Inanspruchnahme die Bestandsfähigkeit des Unternehmens voraus (vgl. § 7 Abs. 2 ReO), welche jedoch von der Annahme und der Bestätigung des Restrukturierungsplan abhängig sein kann.890 Die Umsetzung des Restrukturierungsverfahren orientiert sich eng an der RRiL. Eine wesentliche Besonderheit stellt das sog. vereinfachte Restrukturierungsverfahren nach § 40 ReO dar, welches Anwendung findet, wenn nur Finanzgläubiger von dem Restrukturierungsplan betroffen sind. Haben mindestens 75 % dieser Gläubiger in jeder Gläubigerklasse zugestimmt, kann unter vereinfachten Voraussetzungen (Bestätigung eines zertifizierten Sachverständigen über u. A. Gewährleistung der Bestandsfähigkeit, ordnungsgemäße Gruppenbildung) eine gerichtliche Planbestätigung erfolgen, die auch ablehnende Gläubiger bindet. Die Umsetzung von Art. 19 RRiL erfolgt in § 1 Abs. 3 ReO. Dieser lautet: „Bei Eintritt einer wahrscheinlichen Insolvenz hat die Unternehmensleitung Schritte einzuleiten, um die Insolvenz abzuwenden und die Bestandfähigkeit sicherzustellen; dabei sind die Interessen der Gläubiger, der Anteilsinhaber und der sonstigen Interessenträger angemessen zu berücksichtigen.“
§ 1 Abs. 3 ReO ist stark an Art. 19 RRiL angelehnt und fasst die einzelnen Tatbestände von Art. 19 RRiL zusammen. Dabei entspricht § 1 Abs. 3 Hs. 1 Var. 1 ReO dem Art. 19 lit. b RRiL. § 1 Abs. 3 Hs. 1 Var. 2 ReO entspricht im Kern Art. 19 lit. c RRiL. § 1 Abs. 3 Hs. 2 ReO entspricht Art. 19 lit. a RRiL. Die dazugehörigen Erläuterungen geben im Wesentlichen die einschlägigen Erwägungsgründe 70 und 71 der RRiL wörtlich wieder.891 Die Erläuterungen stellen darüber hinaus klar, dass der Begriff der Unternehmensleitung „insbesondere den Vorstand einer Aktiengesellschaft und den Geschäftsführer einer GmbH“ umfasst. Welche weiteren Personen als Unternehmensleitung in Frage kommen, lassen die Erläuterungen allerdings offen. Beispielsweise, ob auch die geschäftsführenden Gesellschafter einer Personengesellschaft als Unternehmensleitung anzusehen wären. Die Erläuterungen zum Ministerialentwurf gehen davon aus, dass sich keine inhaltlichen Änderungen der Pflichten der Unternehmensleitung aus § 1 Abs. 3 ReO ergeben. Insbesondere heißt es hier 889 890 891
96/ME XXVII. GP – Ministerialentwurf – Erläuterungen, S. 1 96/ME XXVII. GP – Ministerialentwurf – Erläuterungen, S. 1. 96/ME XXVII. GP – Ministerialentwurf – Erläuterungen, S. 4.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
„Die sich bereits aus dem Unternehmens- und Gesellschaftsrecht ergebenden Verpflichtungen der Unternehmensleitung gelten auch für das Restrukturierungsverfahren. Pflichtwidriges (also fahrlässiges oder vorsätzliches) Verhalten, das die Bestandfähigkeit des Unternehmens gefährdet, kann nach allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Regelungen (vgl. insb. § 84 AktG und § 25 GmbHG) zu einer Haftung der Unternehmensleitung führen.“892
Der österreichische Gesetzgeber scheint den Kern von Art. 19 RRiL, ebenso wie die hier vertretene Auffassung, in der Sicherung der Bestandsfähigkeit zu sehen. Bereits vor Inanspruchnahme des Restrukturierungsverfahrens sind die Unternehmensleiter nach den allgemeinen Sorgfaltspflichten verpflichtet, bestandsgefährdendes Verhalten zu unterlassen und entsprechend eine Sanierung zu betreiben. Die bereits aus den allgemeinen Sorgfaltspflichten abgeleiteten Anforderungen an die Unternehmensleiter gelten dann im Restrukturierungsverfahren fort. Bei der Umsetzung von Art. 19 RRiL spielen die allgemeinen Sorgfaltspflichten und ihre krisenspezifischen Ausprägungen für die Umsetzung von Art. 19 RRiL eine wesentliche Rolle. § 1 Abs. 3 ReO dürfte daneben nur eine Klarstellung darstellen, die jedoch insoweit von Bedeutung ist, da sie den Zeitpunkt der besonderen Krisenpflichten mit der wahrscheinlichen Insolvenz (i. V. m. § 6 Abs. 2 ReO) eindeutig bestimmt. § 1 Abs. 3 ReO stellt damit eine verfahrensunabhängige Anknüpfung für die veränderten Geschäftsleiterpflichten dar, wie es Art. 19 RRiL vorsieht. Eine ausdrückliche verfahrensunabhängige Anknüpfung fehlt im deutschen Recht nach der Streichung von § 2 StaRUG RegE und ergibt sich nur aus den geschilderten sachlichen Erwägungen, insbesondere der besonderen Gefährdungslage für die Gläubiger ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Eine Verpflichtung zur Inanspruchnahme des Restrukturierungsverfahrens besteht im österreichischen Recht nicht. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass das Verfahren auf Antrag des Schuldners zur Verfügung steht. Zum anderen aus den Erläuterungen zum Ministerialentwurf, welche sich auf die Erwägungsgründe zur RRiL beziehen, in welchen die Einleitung eines präventiven Restrukturierungsrahmens als ein möglicher Schritt zur Vermeidung der Insolvenz genannt wird.893 Die Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens kann jedoch gemäß § 21a Abs. 2 ReO eine Haftung nach § 21 Abs. 1 URG der Mitglieder des vertretungsbefugten Organs gegenüber der prüfpflichtigen juristischen Person entfallen lassen, wenn die Mitglieder unverzüglich nach Erhalt des Berichtes des Abschlussprüfers über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vermutung eines Reorganisationsbedarfs (§ 22 Abs. 1 Z 1 URG) die Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens beantragt und das Restrukturierungsverfahren gehörig fortgesetzt haben. Das Restrukturierungsverfahren nach ReO stellt damit eine Alternative zu dem bereits bestehenden (aber wenig genutzten) Reorganisationsverfahren nach URG dar.894
892 893 894
96/ME XXVII. GP – Ministerialentwurf – Erläuterungen, S. 4. 96/ME XXVII. GP – Ministerialentwurf – Erläuterungen, S. 4. 96/ME XXVII. GP – Ministerialentwurf – Erläuterungen, S. 21.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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8. Die Einführung von Frühwarnsystemen nach der RRiL Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 RRiL sieht vor, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, „dass Schuldner Zugang zu einem oder mehreren klaren und transparenten Frühwarnsystemen haben, die Umstände erkennen können, die zu einer wahrscheinlichen Insolvenz führen können, und ihnen signalisieren können, dass unverzüglich gehandelt werden muss.“ Nach Art. 3 Abs. 2 RRiL können die Frühwarnsysteme Folgendes umfassen: „a) Mechanismen zur Benachrichtigung des Schuldners, wenn dieser bestimmte Arten von Zahlungen nicht getätigt hat; b) von öffentlichen oder privaten Organisationen angebotene Beratungsdienste. c) Anreize nach nationalem Recht für Dritte, die über relevante Informationen über den Schuldner verfügen, zum Beispiel Wirtschaftsprüfer, Steuerbehörden oder Sozialversicherungsträger, den Schuldner auf negative Entwicklungen aufmerksam zu machen.“
Um den Zugang zu den Frühwarnsystemen zu erleichtern, sehen Art. 3 Abs. 3 und Abs. 4 RRiL vor, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, „dass die Schuldner und die Arbeitnehmervertreter Zugang zu relevanten und aktuellen Informationen über die Verfügbarkeit von Frühwarnsystemen sowie zu Verfahren und Maßnahmen zur Restrukturierung und Entschuldung haben“. (Abs. 3) und, „dass Informationen über die Verfügbarkeit des Zugangs zu Frühwarnsystemen öffentlich online zur Verfügung stehen und dass diese Informationen insbesondere für KMU leicht zugänglich sind und nutzerfreundlich aufbereitet werden“ (Abs. 4).
Die Frühwarnsysteme sollen einen Anreiz dafür bieten, „bei beginnenden finanziellen Schwierigkeiten frühzeitig zu handeln“.895 Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass je früher ein Schuldner seine finanziellen Schwierigkeiten erkennt, desto besser können geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen werden bzw. bei nicht bestandsfähigen Unternehmen kann ein Abwicklungsverfahren eingeleitet werden.896 Die Nutzung von Frühwarnsysteme wird in EWG 70 RRiL auch als möglicher Schritt zur Abwendung einer Insolvenz durch die Unternehmensleitung aufgezählt. Es stellt sich daher die Frage, ob sich aus der RRiL die Pflicht für Unternehmensleitungen ergibt, Frühwarnsysteme selbst einzuführen und/oder bestehende externe Frühwarnsysteme zu nutzen. a) Pflicht zur Einführung interner Frühwarnsysteme Eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten darauf hinzuwirken, dass die Schuldner eigene, interne Frühwarnsysteme einführen, sieht die RRiL nicht vor.897 Art. 3 RRiL 895
EWG 22 RRiL. Vgl. EWG 22 RRiL. 897 Bzw. eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten darauf hinzuwirken, dass die Schuldner solche Systeme einführen; a. A. Frind, BB 2019, 2381, 2384, der die Pflicht zur Einführung interner Frühwarnsysteme auf Art. 19 lit. b RRiL stützt. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass Art. 19 lit. b RRiL erst im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz greift. 896
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
wendet sich an die Mitgliedstaaten und verpflichtet diese, dem Schuldner einen „Zugang“ zu Frühwarnsystem zu ermöglichen. Aus der Formulierung ergibt sich, dass die RRiL externe Frühwarnsysteme im Blick hat, die der Schuldner dann nutzt. Dies wird auch bei den Beispielen für mögliche Frühwarnsysteme deutlich, die Art. 3 Abs. 2 RRiL nennt. Dabei handelt es sich um Hinweispflichten externer Dritter an den Schuldner oder Beratungsangebote von öffentlichen oder privaten Organisationen bei Anzeichen für wirtschaftliche Schwierigkeiten. Dass die RRiL nicht zu einer Pflicht der Schuldner zur Einführung von Frühwarnsystemen führt, ist auch vor dem Hintergrund erklärbar, dass solche Frühwarnsysteme, auch wenn sie auf die jeweilige Unternehmensgröße angepasst sind, zu administrativem Aufwand und damit zu Kosten führen. Wie sich aus Art. 3 Abs. 4 RRiL ergibt, sollen die Frühwarnsysteme insbesondere auch KMUs zur Verfügung stehen898 und gerade bei diesen Unternehmen dürften die Kosten für ein eigenes Frühwarnsystem, etwa im Sinne von § 91 Abs. 2 AktG, verhältnismäßig stark ins Gewicht fallen. Als Beispiele für externe Frühwarnsysteme in Deutschland werden die sog. „Früherkennungstreppe“ und der Crashtest „Schwachstellen-Früherkennung“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie gesehen.899 Bei beiden handelt es sich um von dem Bundesministerium entwickelte Fragebögen, die den jeweiligen Schuldner auf Schwachstellen in seinem Unternehmen aufmerksam machen sollen, potentielle Gefahren bewerten und dazu anhalten, zu handeln und sich ggf. professionellen Rat zu suchen. Die Fragebögen werden auf der Internetseite des Bundesministeriums zur Verfügung gestellt und sind als Beratungsdienste öffentlicher Organisationen von Art. 3 Abs. 2 lit. b RRiL erfasst.900 Den Mitgliedstaaten steht es im Rahmen der Umsetzung der mindestharmonisierenden RRiL selbstverständlich frei, auch Pflichten zur Einführung von internen Frühwarnsystemen einzuführen. Die Umsetzung von Art. 3 RRiL durch die verpflichtende Einführung interner Frühwarnsysteme ist jedoch nicht möglich. Zwar ist zuzugeben, dass ein umfassendes internes Frühwarnsystem oftmals effektiver ist, als die in Art. 3 Abs. 2 RRiL genannte Frühwarnsysteme. Jedoch enthält Art. 3 Abs. 2 RRiL eine abschließende Aufzählung von externen Frühwarnsystemen, die zur Umsetzung von Art. 3 Abs. 1 RRiL in Betracht kommen.901 Schon der Wortlaut von Art. 3 Abs. 2 RRiL macht deutlich, dass es sich um eine abschließende Aufzählung handelt („Die Frühwarnsysteme können Folgendes umfassen“). Dieser Wortlaut verdient besondere Beachtung vor dem Hintergrund, dass der Kommissionsentwurf COM (2016) 723 final in Art. 3 keine entsprechende Beschränkung vorsah und damit ein viel weiteres Verständnis von Frühwarnsystemen zugrunde gelegt hat. Aus898 Dies lässt sich auch gut an EWG 13 des Kommissionsentwurf COM (2016) 723 final erkennen. 899 Haghani, NZI-Beilage 2019, 20, 22; zu weiteren Beispielen aus dem europäischen Ausland siehe Paulus, NZI 2020, 659, 662. 900 Vgl. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 186; nach Haghani, NZI-Beilage 2019, 20, 22 sollte die Auffindbarkeit noch verbessert werden. Dies wird durch § 104 StaRUG erreicht. 901 A. A. Frind, BB 2019, 2381, 2384.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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weislich EWG 16 des Kommissionsentwurf COM (2016) 723 final waren von diesem weiten Verständnis auch interne Maßnahmen umfasst, wie beispielsweise Buchführungs- und Überwachungspflichten des Schuldners. Solche internen Frühwarnsysteme sind in der RRiL weder in Art. 3 RRiL noch in den Erwägungsgründen enthalten. Die internen Frühwarnsysteme dienen nicht zur Umsetzung, da es sich bei ihnen nicht um ein „Mehr“ im Vergleich zu den externen Frühwarnsystemen handelt, sondern um etwas anderes.902 b) Pflicht zur Nutzung externer Frühwarnsysteme Zu klären ist, ob die Unternehmensleitung aufgrund der RRiL dazu verpflichtet ist, die durch den jeweiligen nationalen Gesetzgeber geschaffenen externen Frühwarnsysteme auch zu nutzen. Die Mitgliedstaaten können im Rahmen der Umsetzung auch eine Pflicht zur Nutzung externer Frühwarnsysteme einführen. Hier soll geklärt werden, ob die RRiL eine solche Pflicht vorsieht oder ob es den Mitgliedstaaten frei steht, eine entsprechende Pflicht aufzustellen. Art. 3 RRiL regelt nur, dass den Schuldnern der Zugang gewährt werden muss, nicht hingegen, dass die Mitgliedstaaten dafür sorgen müssen, dass der Schuldner die Angebote auch wahrnimmt. Zugleich ist klar, dass von den Frühwarnsystemen nur dann eine Wirkung ausgehen kann, wenn sie auch genutzt werden. Art. 3 RRiL scheidet jedoch als Anknüpfungspunkt für eine Pflicht zur Nutzung aus, da dem expliziten Wortlaut nach nur der Zugang und die Verfügbarkeit sichergestellt werden soll. EWG 70 nennt die Nutzung von Frühwarnsystemen als Beispiel für einen Schritt der Unternehmensleitung zur Abwendung einer Insolvenz bei finanziellen Schwierigkeiten. Es ist daher noch zu prüfen, ob sich aus Art. 19 RRiL, der die Pflichten der Unternehmensleitung bei einer wahrscheinlichen Insolvenz regelt, folgt, dass die Mitgliedstaaten für eine Nutzung der Frühwarnsysteme sorgen müssen. Explizit sieht Art. 19 RRiL keine Pflicht zur Nutzung von externen Frühwarnsystemen vor. Möglicherweise ergibt sich eine solche Pflicht aus Art. 19 lit. b RRiL, der Anreize dafür fordert, dass die Unternehmensleitung die Notwendigkeit gebührend berücksichtigt, Schritte einzuleiten, um eine Insolvenz abzuwenden. Grundsätzlich kann die Nutzung eines Frühwarnsystems einen solchen Schritt zur Abwendung einer Insolvenz darstellen. Zu beachten ist jedoch, dass Art. 19 RRiL erst im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz greift. Zweck der Frühwarnsysteme ist es hingegen, dass dieser Zustand erst gar nicht eintritt. Nach Art. 3 Abs. 1 RRiL sollen die Frühwarnsysteme daher „Umstände erkennen können, die zu einer wahrscheinlichen Insolvenz führen“. Befindet sich der Schuldner bereits im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz kann ein Frühwarnsystem gegebenenfalls noch dazu beitragen, dass der Schuldner dies auch tatsächlich realisiert. Der Hauptanwendungsbereich der Frühwarnsysteme liegt also zeitlich vor dem Anwendungsbereich 902 A. A. Paulus, NZI 2020, 659 geht scheinbar davon aus, dass die Pflicht zur Einrichtung interner Systeme zur Umsetzung ausreicht.
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
der Pflichten nach Art. 19 RRiL, der eine wahrscheinliche Insolvenz bereits voraussetzt und dann zur Restrukturierung beitragen soll.903 Eine Pflicht zur Nutzung der Frühwarnsysteme zu dem Zweck eine wahrscheinliche Insolvenz abzuwenden, kann daher nicht auf Art. 19 lit. b RRiL gestützt werden. Soweit bestimmte Frühwarnsystem auch Beratungsangebote enthalten, kann die Unternehmensleitung im Rahmen der aus Art. 19 lit. b RRiL abgeleiteten Sanierungspflicht dazu angehalten sein, diese Teile der Frühwarnsysteme zu nutzen, um beispielsweise kostengünstig eine Problemanalyse zu erhalten. Solche Entscheidungen würden dem unternehmerischen Ermessen der Unternehmensleitung bei Durchführung der Sanierungsprüfung unterliegen. Eine allgemeine Pflicht der Unternehmensleitung zur Nutzung der nach Art. 3 Abs. 1 RRiL bereitzustellenden Frühwarnsysteme lässt sich aus der RRiL folglich nicht ableiten. Die externen Frühwarnsysteme sind nach der RRiL als Angebote an die Schuldner konzipiert. Im Ergebnis ließe sich eine Umsetzung von Art. 3 RRiL dadurch erreichen, dass Dokumente wie die genannte „Früherkennungstreppe“904 unter Berücksichtigung der Voraussetzungen von Art. 3 Abs. 3 und 4 RRiL online verfügbar gemacht werden. Je nach Art des konkreten Frühwarnsystems werden die Mitgliedstaaten im Rahmen der Umsetzung von Art. 3 Abs. 1 RRiL aber Pflichten zur Nutzung von Frühwarnsystemen vorsehen. Hier lässt sich als Beispiel eine etwaige Hinweispflicht von Wirtschaftsprüfern anführen, die im Rahmen der verpflichtenden Jahresabschlussprüfung erfolgt, wie etwa in § 102 StaRUG vorgesehen. Durch die Verpflichtung zur Aufstellung eines Jahresabschlusses, wird die Unternehmensleitung mittelbar auch zur Teilnahme an diesem speziellen Frühwarnsystem verpflichtet. c) Krisenfrüherkennung nach § 1 StaRUG Nach § 1 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 StaRUG sind die Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Unternehmensträger dazu verpflichtet, fortlaufend über die Entwicklungen zu wachen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können. Erkennen die Geschäftsleiter solche Entwicklungen, sollen sie geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen und den Überwachungsorganen unverzüglich Bericht erstatten (§ 1 Abs. 1 S. 2 StaRUG). Mit diesen Normen sollen „Mindestanforderungen an die Überwachung von und den Umgang mit Risiken“ aufgestellt werden.905 Ausweislich der Begründung zum Regierungsentwurf beschränkt sich die Vorschrift darauf, im Interesse der Rechtsklarheit die bereits bestehenden Pflichten zur Krisenfrüherkennung und Krisenreaktion, etwa nach § 91 Abs. 2 AktG und der daran
903 Vgl. auch RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 185: Frühwarnsysteme zielen auf die „Vorphase des Restrukturierungszeitraums“ ab. 904 Dazu Haghani, NZI-Beilage 2019, 20, 22. 905 RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 103.
III. Die Pflichten der Unternehmensleitung nach Art. 19 RRiL
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anknüpfenden Ausstrahlungswirkung für die GmbH, einer positiven Regelung zuzuführen.906 Die Pflicht nach § 1 Abs. 1 StaRUG ist als internes Frühwarnsystem anzusehen und dient damit nicht der Umsetzung von Art. 3 RRiL. Die klarstellende Normierung einer rechtsformübergreifenden Pflicht zur Risikofrüherkennung anlässlich der Einführung des StaRUG ist jedoch zu begrüßen. Sie sollte als Impuls für Geschäftsleiter verstanden werden, das Thema der internen Risikofrüherkennung ernsthaft zu betreiben. Eine ordnungsgemäße Risikofrüherkennung kann als Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Haftungsprivilegierungen der sog. Business-Judgement-Rule entscheidend sein.907 Die internen Frühwarnsysteme sind umso bedeutender, da die externen Frühwarnmechanismen oftmals unzureichend sind, da sie entweder sehr spät greifen, wie die Hinweispflicht der Berater, oder eine Eigeninitiative der Geschäftsleiter voraussetzen, denen es jedoch oftmals an Problembewusstsein mangelt. d) Frühwarnsysteme im StaRUG Der Teil 4 des StaRUG trägt die Überschrift „Frühwarnsysteme“. In § 101 StaRUG ist geregelt, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucher auf seiner Internetseite Informationen über die Verfügbarkeit der von öffentlichen Stellen bereitgestellten Instrumentarien zur frühzeitigen Identifizierung von Krisen bereitstellt. Auf diese Weise wird die Pflicht aus Art. 3 Abs. 1 und 2 RRiL umgesetzt, Zugang zu externen Frühwarnsystemen zu schaffen.908 Die Norm betrifft die in Art. 3 Abs. 2 lit. b RRiL genannten Beratungsdienste. Ein weiteres Frühwarnsystem stellen gemäß Art. 3 Abs. 2 lit. c RRiL die Hinweis- und Warnpflichten von Dritten dar. Im deutschen Recht besteht bereits ein Anreiz für Abschlussprüfer, im Rahmen der Abschlussprüfung den Schuldner auf negative Entwicklungen aufmerksam zu machen. Bei der Abschlussprüfung großer und mittelgroßer Unternehmen im Sinne von § 267 HGB haben die Abschlussprüfer gemäß §§ 321 Abs. 1 S. 2 und 3 HGB zur Beurteilung der Lage des Unternehmens durch die gesetzlichen Vertreter Stellung zu nehmen und über Tatsachen zu berichten, die den Bestand des Unternehmens gefährden können oder die Entwicklung des Unternehmens beeinflussen können.909 In dem Bestätigungsvermerk, der das Ergebnis der Prüfung schriftlich zusammenfasst, hat der Abschlussprüfer gesondert auf Risiken einzugehen, die den Bestand des Unternehmens gefährden (§ 322 Abs. 2 S. 3 HGB). Die Erfüllung dieser Verpflichtungen und die Einhaltung der entsprechenden berufsständischen Vorgaben, stellen externe Frühwarnsysteme im Sinne von 906
RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 103 f. Dazu Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 69 ff. 908 Vgl. auch RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 185. 909 Zu dem Begriff der Bestandsgefährdung siehe oben B. II. 2. e); ausführlich zur sog. Rede- und Warnpflicht des Abschlussprüfers als Teil der Insolvenzprophylaxe Rokas, S. 91 ff. 907
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B. Insolvenzbezogene Pflichten der Unternehmensleitung
Art. 3 RRiL dar.910 Da der deutsche Gesetzgeber die wahrscheinliche Insolvenz als drohende Zahlungsunfähigkeit begreift, sind die Vorgaben nach §§ 321 und 322 HGB geeignet, dem Schuldner Umstände aufzuzeigen, die zu einer wahrscheinlichen Insolvenz bzw. drohenden Zahlungsunfähigkeit führen können, wie Art. 3 Abs. 1 RRiL es voraussetzt. Da gemäß § 316 Abs. 1 S. 1 HGB nur der Jahresabschluss und Lagebericht von großen und mittelgroßen Kapitalgesellschaften im Sinne von § 267 Abs. 1 HGB zu prüfen ist, lässt dieses Frühwarnsystem die kleinen Kapitalgesellschaften außen vor, ebenso wie die nicht haftungsbeschränkten Rechtsträger (vgl. § 264a HGB). Darüber hinaus hat das StaRUG in § 102 StaRUG explizite Hinweis- und Warnpflichten bei der Aufstellung von Jahresabschlüssen normiert. Diese werden in Teil C. dieser Arbeit behandelt.
910 Vgl. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 186; der RegE verweist zudem noch auf eine ähnliche Berichtspflicht bei der Prüfung von Unternehmen von öffentlichem Interesse nach Art. 11 Abs. 2 UAbs. 1 lit. i der Verordnung EU 537/2014 vom 16. April 2014 als weiteres Frühwarnsystem.
C. Insolvenzbezogene Pflichten der Berater In dem dritten Teil dieser Arbeit soll untersucht werden, welche Änderungen der insolvenzbezogenen Pflichten sich für die Berater eines Schuldners in Folge der Umsetzung der RRiL ergeben. Wichtigster Ansatzpunkt für eine Veränderung der Pflichten der Berater nach der RRiL ist die Statuierung bestimmter Beraterpflichten als Frühwarnsystem im Sinne von Art. 3 Abs. 2 lit. c RRiL. Daneben können sich Änderungen der insolvenzbezogenen Beraterpflichten daraus ergeben, dass dem Schuldner bzw. seiner Unternehmensleitung in Folge der Umsetzung der RRiL neue Pflichten auferlegt werden und der Schuldner zur Erfüllung dieser Pflichten einen Berater einschaltet. Hier werden mögliche Problemfelder für Sanierungsberater aufgezeigt.
I. Die Berater als Früherkennungssystem nach Art. 3 Abs. 2 lit. c RRiL Die RRiL sieht in Art. 3 Abs. 2 lit. c RRiL vor, dass Frühwarnsysteme Anreize für Dritte nach nationalem Recht umfassen können, den Schuldner auf negative Entwicklungen aufmerksam zu machen. Bei den Dritten soll es sich um Personen handeln, die über relevante Informationen über den Schuldner verfügen, zum Beispiel Wirtschaftspru¨ fer, Steuerbeho¨ rden oder Sozialversicherungstra¨ ger. Zur Umsetzung dieser Vorgabe regelt § 102 StaRUG: „Bei der Erstellung eines Jahresabschlusses für einen Mandanten haben Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Rechtsanwälte den Mandanten auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes nach den §§ 17 bis 19 der Insolvenzordnung und die sich daran anknüpfenden Pflichten der Geschäftsleiter und Mitglieder der Überwachungsorgane hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und sie annehmen müssen, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist.“
Die potentielle Haftung der Berater ist ein Anreiz dafür, den Schuldner auf wirtschaftliche Fehlentwicklungen aufmerksam zu machen. Die Regelung in § 102 StaRUG stellt lediglich eine Klarstellung der durch den BGH entwickelten Pflichten für Steuerberater bei der Aufstellung eines Jahresabschlusses dar und erweitert die Pflichten auf weitere Berufsgruppen.1 Neue Pflichten sollen sich aus der Klarstellung
1
RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 188.
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C. Insolvenzbezogene Pflichten der Berater
nicht ergeben.2 Die Grundlagen der Haftung sollen im Folgenden kurz beschrieben werden. 1. Rechtsgrundlage der Haftung Die Rechtsprechung des BGH hat sich in den letzten Jahren dezidiert mit der Haftung der Steuerberater beschäftigt. Die Rechtsgrundlage der Haftung des Steuerberaters gegenüber dem Schuldner ist das jeweilige Mandat als schuldrechtliche Beziehung.3 Der konkrete Umfang des Auftrags entscheidet dabei auch über den Umfang der Pflichten des Steuerberaters und dementsprechend über seine Haftung.4 Anspruchsgrundlage ist demnach regelmäßig § 280 Abs. 1 BGB. 2. Pflichtverletzung Noch im Jahr 2013 entschied der BGH, dass ein Steuerberater, der lediglich mit allgemeiner steuerlicher Beratung (monatliche betriebswirtschaftliche Auswertungen, Lohnabrechnungen der Mitarbeiter, Meldungen an das Finanzamt und die Sozialversicherungsträger sowie Erstellung der Jahresabschlüsse und Bilanzen) beauftragt wurde, keine Pflicht habe, den Mandanten auf eine Insolvenzreife hinzuweisen.5 Mit einem Urteil aus dem Jahr 20176 rückte der BGH jedoch von seiner bisherigen Linie ab und erweiterte die Pflichten eines Steuerberaters bei Erstellung eines Jahresabschlusses. Leitsatz 4 der Entscheidung lautet: „Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine GmbH beauftragte Steuerberater hat die Mandantin auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfende Prüfungspflicht ihres Geschäftsführers hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und er annehmen muss, dass die mögliche Insolvenzreife der Mandantin nicht bewusst ist.“
Eine solche Pflicht kommt insbesondere in Betracht, wenn für den Steuerberater offenkundig ist, dass die bilanziell überschuldete Gesellschaft über keine stillen Reserven verfügt. Eine entsprechende Pflicht kann sogar schon bei einer Unterbilanz entstehen.7 Der Hinweis der Steuerberaters muss konkret die Umstände bezeichnen, die Anlass zur Prüfung der Insolvenzreife durch den Geschäftsführer geben, und darf
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RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 188. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 188. 4 BGH, Urt. v. 26. 1. 2017 – IX ZR 285/14 = ZIP 2017, 427 Rz. 45. 5 BGH, Urt. v. 7. 3. 2013 – IX ZR 64/12 = ZIP 2013, 829. 6 BGH, Urt. v. 26. 1. 2017 – IX ZR 285/14 = ZIP 2017, 427. 7 BGH, Urt. v. 26. 1. 2017 – IX ZR 285/14 = ZIP 2017, 427 Rz. 51; dazu Neuberger, ZIP 2019, 1549, 1556 f.; Neuberger, ZIP 2018, 909, 912 Fn. 53. 3
I. Berater als Früherkennungssystem nach Art. 3 Abs. 2 lit. c RRiL
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nicht lediglich pauschal auf die Prüfpflichten des Geschäftsführers hinweisen.8 Der Hinweis ist nicht darauf gerichtet, dass eine Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages besteht, sondern der Steuerberater muss lediglich auf eine entsprechende Prüfpflicht des Geschäftsführers hinweisen.9 Ein Hinweis kann lediglich unterbleiben, wenn der Steuerberater „davon ausgehen darf, dass sein Mandant sich der Umstände, die auf einen Insolvenzgrund hinweisen, bewusst ist und in der Lage ist, die tatsächliche und rechtliche Bedeutung dieser Umstände einzuschätzen. Entscheidend ist, ob der Geschäftsführer der Gesellschaft über das konkrete tatsächliche und rechtliche Wissen verfügt, um sich veranlasst zu fühlen zu überprüfen, ob er das Unternehmen in seiner bisherigen Form fortführen kann.“10
Eine eigenständige Prüfung der Überschuldung muss der Steuerberater nicht vornehmen. Diese hat durch den Geschäftsführer zu erfolgen oder ist von diesem in Auftrag zu geben.11 Führt der Schuldner sein Unternehmen fort, ohne eine entsprechende Prüfung vorzunehmen oder Insolvenzantrag zu stellen, ist der Steuerberater nicht verpflichtet, sein Mandat niederzulegen.12 Der zweite Anknüpfungspunkt für eine Pflichtverletzung des Steuerberaters liegt nach dem BGH in der mangelhaften Erstellung des Jahresabschlusses, da der Steuerberater zu Unrecht von Fortführungswerten ausging.13 Der BGH sagt: „Der mit der Erstellung des Jahresabschlusses beauftragte Steuerberater schuldet grundsätzlich einen den handelsrechtlichen Vorschriften entsprechenden, die Grenzen der zulässigen Gestaltungsmöglichkeiten nicht überschreitenden und in diesem Sinne richtigen Jahresabschluss (vgl. Zugehör, WM 2013, 1965). Gem. § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB ist in einer Handelsbilanz bei der Bewertung von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen, sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen. Von diesen Grundsätzen darf gem. § 252 Abs. 2 HGB nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden. § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB bestimmt schließlich, dass der Jahresabschluss der Kapitalgesellschaft unter Beachtung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalgesellschaft zu vermitteln hat. Angesichts der fachlichen Kompetenz des Steuerberaters erwartet der Mandant, dass der Steuerberater den Jahresabschluss entsprechend dem Inhalt der dem Steuerberater zur Verfügung gestellten Unterlagen und den sonst dem Steuerberater bekannten Umständen vollständig erstellt, Bewertungsfragen – im Zusammenwirken mit dem Mandanten – klärt und bei offenen Fragen über die damit zusammenhängende Problematik aufklärt und eine Entscheidung des Mandanten herbeiführt.“14 8
BGH, Urt. v. 26. 1. 2017 – IX ZR 285/14 = ZIP 2017, 427 Rz. 49. Meixner/Schröder, DStR 2020, 1275, 1276 f. 10 BGH, Urt. v. 26. 1. 2017 – IX ZR 285/14 = ZIP 2017, 427 Rz. 50. 11 BGH, Urt. v. 26. 1. 2017 – IX ZR 285/14 = ZIP 2017, 427 Rz. 47. 12 OLG Schleswig, Urt. v. 29. 11. 2019 – 17 U 80/19 = DStR 2020, 1275, 1276. 13 BGH, Urt. v. 26. 1. 2017 – IX ZR 285/14 = ZIP 2017, 427 Rz. 19 und 44. 14 BGH, Urt. v. 26. 1. 2017 – IX ZR 285/14 = ZIP 2017, 427 Rz. 19; siehe auch RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 187. 9
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C. Insolvenzbezogene Pflichten der Berater
Zwar ist der Steuerberater ohne gesonderte Vereinbarung nicht verpflichtet, eigenständig die Tatsachen zu ermitteln, welche für eine Fortführungsprognose nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB erheblich sind.15 Allerding stellt der BGH auch fest: „Jedoch ist der Jahresabschluss unabhängig vom Umfang der Prüfungspflicht des Steuerberaters stets mangelhaft, wenn er auf der Grundlage der dem Steuerberater übergebenen Unterlagen und Angaben des Unternehmers und der dem Steuerberater – etwa aus einem Dauermandat – bekannten Umstände den handelsrechtlich zulässigen Rahmen überschreitet, also handelsrechtliche Vorgaben verletzt.“16
Die vorliegenden Unterlagen und bekannten Angaben sind also stets mit Blick auf die Vertretbarkeit von Fortführungswerten zu würdigen. Verlangt der Mandant ausdrücklich die Bilanzierung zu Fortführungswerten, so liegt ein werkvertragliche Haftung ebenfalls nicht vor, da der Mandant dann die Verantwortung für den Mangel trägt.17 Die zuerst geschilderte Hinweispflicht des Steuerberaters bezüglich möglicher Insolvenzgründe kann auch dann vorliegen, wenn der erstellte Jahresabschluss mangelfrei war.18 Eine Pflicht der Steuerberater auf eine mögliche Sanierung im SRR hinzuweisen besteht nicht. Schließlich besteht auch keine allgemeine Pflicht der jeweiligen Schuldner, eine Sanierung im präventiven Restrukturierungsrahmen vorzunehmen. Diese zum Steuerberater entwickelten Grundsätze sind auf weitere Berufsgruppen, insbesondere den Wirtschaftsprüfe, zu übertragen.19 3. Rechtsfolgen Der Steuerberater haftet nach der Rechtsprechung des BGH für den Insolvenzverschleppungsschaden, wenn die Gesellschaft tatsächlich früher Insolvenz angemeldet hätte, sofern der Berater seine Hinweispflichten ordnungsgemäß erfüllt hätte.20 Der Schadensersatzanspruch kann aufgrund eines Mitverschuldens des Geschäftsführers, welches der Schuldnerin analog § 31 BGB zugerechnet wird, gemindert oder sogar ganz ausgeschlossen sein.21
15
BGH, Urt. v. 26. 1. 2017 – IX ZR 285/14 = ZIP 2017, 427 Rz. 20. BGH, Urt. v. 26. 1. 2017 – IX ZR 285/14 = ZIP 2017, 427 Rz. 21. 17 BGH, Urt. v. 26. 1. 2017 – IX ZR 285/14 = ZIP 2017, 427 Rz. 38; nach Auffassung der Bundessteuerberaterkammer muss der StB in diesem Fall die Weiterführung des Mandats ablehnen, dazu Kischel-Leibrecht/Metzing, DStR 2018, 1448, 1452. 18 BGH, Urt. v. 26. 1. 2017 – IX ZR 285/14 = ZIP 2017, 427 Rz. 43. 19 OLG Düsseldorf, Urt. v. 20. 12. 2018 – 10 U 70/18 = ZIP 2019, 2122; Gessner, ZIP 2020, 544, 549. 20 BGH, Urt. v. 26. 1. 2017 – IX ZR 285/14 = ZIP 2017, 427 Rz. 52. 21 BGH, Urt. v. 26. 1. 2017 – IX ZR 285/14 = ZIP 2017, 427 Rz. 52. 16
I. Berater als Früherkennungssystem nach Art. 3 Abs. 2 lit. c RRiL
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4. Prozessuales Der Insolvenzverwalter muss im Prozess darlegen und beweisen, dass der unterlassene Hinweis oder die fehlerhafte Bilanzierung zu Fortführungswerten ursächlich waren für die verspätete Insolvenzantragsstellung und den daraus resultierenden Verschleppungsschaden.22 5. Bewertung und Umfang der Hinweispflicht nach § 102 StaRUG § 102 StaRUG knüpft an die geschilderte Rechtsprechung an und stellt die Pflicht zum Hinweis auf mögliche Insolvenzgründe klar. Als Frühwarnsystem, welches den Eintritt einer wahrscheinlichen Insolvenz im Sinne der RRiL, also den Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit, verhindert, ist die Hinweispflicht bedingt geeignet, da sie häufig an einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag (§ 268 Abs. 3 HGB) anknüpfen wird und erst bei Erstellung des Abschlusses greift (und nicht im laufenden Betrieb). In diesem Zustand können bereits Insolvenzgründe nach §§ 17 ff. InsO vorliegen, sodass nicht wirklich eine frühzeitige Warnung erfolgt.23 § 102 StaRUG kann daher nur teilweise kompensieren, dass die als Frühwarnsystem dienenden Pflichten der Abschlussprüfer nach §§ 321 f. HGB nur bei bestimmten haftungsbeschränkten Rechtsträgern greifen. Die Hinweispflicht kann jedoch dazu beitragen, dass Gegenmaßnahmen (zumindest) nach Eintritt der Krise ergriffen werden. Die Klarstellung ist daher zu begrüßen. Die ausdrückliche Einbeziehung sämtlicher Dritter, die an der Erstellung eines Jahresabschlusses beteiligt sind, ist ebenfalls zu begrüßen. Gerade für KMUs ist die Verpflichtung der Steuerberater (und ggf. weiterer Berater) als Impulsgeber für Krisenbewältigungsmaßnahmen eine effiziente Lösung. Die Haftung wird in der Praxis regelmäßig schwer durchzusetzen sein. Dies dürfte der Anreizwirkung, die von einer potentiellen Haftung ausgeht, aber nicht entgegenstehen. Ergänzend zu der Hinweispflicht bei Aufstellung des Jahresabschlusses sieht das SanInsFoG eine Klarstellung vor, dass Handwerkskammern sowie Industrie- und Handelskammern Betriebe zu Fragen der Früherkennung von Unternehmenskrisen und deren Bewältigung beraten können (Art. 19 und 21 SanInsFoG).24 Dieses Beratungsangebot dürfte insbesondere für KMUs interessant sein, da die Beratung kostengünstig zu erlangen ist.
22 Hier wird zum einen darauf hingewiesen, dass die Geschäftsführer dies regelmäßig bestätigen, um sich selbst der Haftung zu entledigen, vgl. Mielke, DStR 2017, 1060, 1063; zum anderen darauf, dass zumeist die vorinsolvenzlichen Jahresabschlüsse bereits nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbeträge aufweisen und daher ein Zusammenhang zwischen der unterlassenen Erstellung des Jahresabschlusses zu Liquidationswerten und dem unterlassenen Insolvenzantrag schwer nachweisbar ist, so Meixner/Schröder, DStR 2020, 1275, 1276. 23 Kritisch auch Weber/Dömmecke, NZI-Beilage 2021, 27, 28. 24 Dazu RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 186.
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C. Insolvenzbezogene Pflichten der Berater
§ 102 StaRUG erfordert, dass die Berater auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes nach §§ 17 bis 19 InsO und die sich daran anknüpfenden Pflichten der Geschäftsleiter hinweisen. Eine Antragspflicht gemäß § 15a InsO besteht nur für die Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO und die Überschuldung nach § 19 InsO. Bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO besteht hingegen ein Antragsrecht. Man könnte daher annehmen, dass § 102 StaRUG nicht lediglich die Insolvenzantragspflichten erfasst, sondern darüber hinaus auch gesellschaftsrechtliche Pflichten von der Hinweispflicht erfasst sind.25 Das würde insbesondere für gesellschaftsrechtliche Pflichten gelten, die an die drohende Zahlungsunfähigkeit anknüpfen. Das könnte die Pflicht zur Berücksichtigung von Gläubigerinteressen betreffen, welche sich in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL ergibt und in einer besonderen Ausprägung in dieser Arbeit vertreten wird. Erkennt man an, dass sich unter Umständen das Geschäftsleiterermessen so verdichten kann, dass auch bei drohender Zahlungsunfähigkeit ein Insolvenzantrag nach § 18 InsO zu stellen ist, erscheint der Verweis auf Pflichten, die an § 18 InsO anknüpfen, zumindest nachvollziehbar. Ob der Gesetzgeber die Pflichten der Berater wirklich so weit ziehen wollte, ist angesichts der unklaren Pflichtenlage zur Berücksichtigung der Gläubigerinteressen ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach Streichung von §§ 2, 3 StaRUG RegE zweifelhaft. Da die Hinweispflicht nach Vorstellung des Gesetzgebers als Frühwarnsystem dienen soll, sind die Berater jedenfalls dazu verpflichtet, auf mögliche Insolvenzgründe, einschließlich der drohenden Zahlungsunfähigkeit, hinzuweisen.26 Denn dann greift die Hinweispflicht früher als wenn man nur an die Überschuldung mit ihrem begrenzten Prognosehorizont anknüpft. Der Hinweis auf die „daran anknüpfenden Pflichten“ im Sinne von § 102 StaRUG ist so zu verstehen, dass der Berater den Geschäftsleiter auf dessen Prüf- und Handlungspflichten27 hinweisen muss, welche bei Vorliegen von Indizien für einen Insolvenzgrund gegeben sind. Der Geschäftsleiter ist selbst zur Prüfung des Vorliegens der Insolvenzgründe verpflichtet. Es ist ebenso die Aufgabe des Geschäftsleiters zu prüfen, ob sich aus § 15a Abs. 1 S. 1 InsO Handlungspflichten für ihn ergeben. Im Rahmen der wirtschaftlichen Selbstprüfung und jedenfalls ab der Umsetzung von Art. 19 RRiL ist der Geschäftsleiter stets verpflichtet zu prüfen, ob eine drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Der Hinweis des Steuerberaters auf (Prüf-)pflichten des Geschäftsleiters nach § 102 StaRUG kann sich also ohne Weiteres auf § 18 InsO beziehen. Ein Hinweis des Steuerberaters auf etwaige Handlungspflichten dürfte sich aber auf die gesetzlich normierten Insolvenzantragspflichten bei Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit nach § 15a Abs. 1 S. 1 InsO beschränken. Dies ist mit aktuellen Wortlaut von § 102 StaRUG vereinbar. Soweit die in § 102 StaRUG erwähnten Pflichten sich auf die drohende Zahlungsunfähigkeit beziehen, handelt es sich um Prüfpflichten der 25 26 27
Vgl. Schmittmann, BB 2021 I. So auch Weber/Dömmecker, in: Braun, StaRUG, § 102 Rn. 7; Sämisch, ZInsO 2021, 169. Vgl. BGH, Urt. v. 26. 1. 2017 – IX ZR 285/14 = ZIP 2017, 427 Rz. 49.
I. Berater als Früherkennungssystem nach Art. 3 Abs. 2 lit. c RRiL
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Geschäftsleitung, auf welche der Steuerberater hinweisen muss. Eine Erweiterung der Hinweispflichten der Berater ist mit § 102 StaRUG folglich nicht verbunden.28 6. Sonstige Haftung gegenüber den Gläubigern Grundsätzliche wäre es auch denkbar, dass ein Steuerberater unmittelbar gegenüber dem Gläubiger haftet. Rechtsgrundlage könnte etwa ein Auskunftsvertrag zwischen dem Gläubiger und dem Steuerberater sein, in dessen Rahmen der Steuerberater schuldhafte falsche Information etwa über die Kreditwürdigkeit des Schuldners an den Gläubiger herausgibt und der Gläubiger erkennbar wesentliche Entscheidungen auf diese Auskunft stützt.29 Ein Rechtsbindungswillen zum Abschluss eines entsprechenden Auskunftsvertrages wird jedoch in der Regel nur dann vorliegen, wenn der Steuerberater ein eigenes wirtschaftliches Interesse verfolgt.30 Daneben kommt eine Haftung des Steuerberaters gegenüber den Gläubigern in Betracht, wenn der Schuldner beim Steuerberater einen Jahresabschluss in Auftrag gibt für den erkennbaren Zweck, diesen einem Kreditinstitut zur Verfügung zu stellen. Der Vertrag mit dem Schuldner hat dann Schutzwirkung zugunsten des Kreditinstituts.31 Bei einer fehlerhaften Erstellung des Jahresabschlusses kommt ein Schadensersatzanspruch in Betracht, der darauf gerichtet ist, den Insolvenzverschleppungsschaden zu ersetzen. Deliktische Ansprüche gegen den Steuerberater, etwa aus §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO kommen nicht in Betracht, da der Steuerberater nicht einer Insolvenzantragspflicht unterliegt. Möglich ist lediglich eine Beihilfe zur Insolvenzverschleppung nach §§ 830, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO.32 7. Haftung des Steuerberaters gegenüber dem Organwalter Der Steuerberater kann auch dem Organwalter, etwa dem Geschäftsführer einer GmbH selbst haften. Rechtsgrundlage wäre ein Vertrag zwischen dem Steuerberater und dem Schuldner als Mandant, der Schutzwirkung zugunsten dem Geschäftsführer entfaltet. Eine direkte vertragliche Beziehung zwischen dem Geschäftsführer selbst und dem Steuerberater besteht regelmäßig nicht. Auf Grundlage der Rechtsprechung des BGHs ist bei solchen Leistungen des Steuerberaters von einer Schutzwirkung zugunsten des jeweiligen Organwalters auszugehen, bei denen die Beraterleistung dazu dient, auch Pflichten des Organwalters zu erfüllen, insb. die haftungsbewehrte 28 Vgl. auch RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 187 f., wo von einer Klarstellung die Rede ist. 29 Meixner, DStR 2018, 1025, 1027. 30 Meixner, DStR 2018, 1025, 1027. 31 Meixner, DStR 2018, 1025, 1028; vgl. dazu auch Kayser, ZIP 2014, 597, 599 ff. 32 Meixner, DStR 2018, 1025, 1028.
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C. Insolvenzbezogene Pflichten der Berater
Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO oder steuerliche Pflichten nach §§ 34, 69, 90 AO.33 Dies ist jedenfalls bei einem Auftrag zur Erstellung eines Gutachtens zur Insolvenzreife des Schuldners der Fall.34 Da der BGH35 wie oben dargestellt auch bei der Erstellung des Jahresabschlusses unter bestimmten Umständen von einer Pflicht des Steuerberaters ausgeht, auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daraus folgende Pflicht zur Prüfung des Geschäftsführers hinzuweisen, ist auch in diesem Fall von einem Drittschutz zugunsten des Geschäftsführers auszugehen.36 Dieser Aspekt dürfte durch die Klarstellung der Hinweispflicht in § 102 StaRUG neue Bedeutung gewinnen und bei einer Inanspruchnahme der Geschäftsleiter zu Regressprozessen gegen die jeweiligen Berater führen.
II. Insolvenzbezogene Pflichten von Sanierungsberatern nach der RRiL Für Sanierungsberater ergeben sich in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL durch das StaRUG und das SanInsFoG einige problembehaftete Fragestellungen. Zum einen müssen sie bei der Beratung von Geschäftsleitern beurteilen, inwieweit die Geschäftsleiter von nun an bei ihren Entscheidungen die Interessen der Gläubiger zu berücksichtigen haben, inwieweit also trotz der Streichung des §§ 2, 3 StaRUG RegE ein sog. shift of fiduciary duties erfolgt. Nach der hier vertretenen Auffassung sind die Gläubigerinteressen ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit im Rahmen der Bestandserhaltung zu berücksichtigen mit den unter B. III. dargestellten Konsequenzen. Eine weitere kritische Frage für Sanierungsberater lautet, ob der Schuldner den SRR noch in Anspruch nehmen darf oder ob er wegen materieller Insolvenz insbesondere in Form der Überschuldung bereits davon ausgeschlossen ist. Bei der Prüfung der Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO sind die überwiegend wahrscheinlichen Effekte der möglichen Sanierung zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt während der Inanspruchnahme des SRR. Hier muss der Berater im Rahmen seines Auftrages prüfen, ob weiterhin eine positive Fortbestehensprognose besteht und ob der Restrukturierung andere Hindernisse entgegenstehen, die eine überwiegende Erfolgsaussicht beseitigen (vgl. § 32 Abs. 4 StaRUG). Denn in diesen 33
Vgl. dazu BGH, Urt. v. 21. 7. 2016 – IX ZR 252/15 = NJW 2016, 3432 Rz. 22 f.; BGH, Urt. v. 13. 10. 2011 – IX ZR 193/10 = DStR, 2012, 720; dazu auch Göbel/Harig, NZI 2019, 492 ff. 34 So ausdrücklich BGH, Urt. v. 21. 7. 2016 – IX ZR 252/15 = NJW 2016, 3432 Rz. 23. 35 BGH, Urt. v. 26. 1. 2017 – IX ZR 285/14 = DStR 2017, 942. 36 So wohl auch Meixner, DStR 2018, 1025, 1028 f.; anders noch BGH, Urt. v. 7. 3. 2013 – IX ZR 64/12 = ZIP 2013, 829, allerdings auf der Grundlage, dass den Steuerberater keine entsprechende Hinweispflicht gegenüber dem Insolvenzschuldner treffe; dazu allgemein auch Kayser, ZIP 2014, 597, 599 ff.
III. Anfechtungsrisiken im Zusammenhang mit dem SRR
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Fällen ist das Restrukturierungsverfahren nach entsprechender Anzeige durch den Schuldner aufzuheben. Eine wichtige Frage dabei ist, wann Sanierungsbeiträge der Beteiligten in die Fortbestehensprognose aufgenommen werden können. Wird die Sanierung ohne überwiegende Erfolgsaussichten (Zahlungsunfähigkeit in 13 bis 24 Monaten) oder im Zustand der Überschuldung (Zahlungsunfähigkeit in 12 Monaten) betrieben, besteht ein Haftungsrisiko für den Sanierungsberater gegenüber seinem Mandanten sowie weiteren Beteiligten unter den engen Voraussetzungen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritten. Hinsichtlich einer Hinweispflicht der Berater ist festzuhalten, dass die Berater zwar als institutionelle Frühwarnsysteme dienen sollen, aber solange weder die gesetzlichen Vorgaben der § 102 StaRUG vorliegen (insb. Erstellung eines Jahresabschlusses durch den Berater), noch eine entsprechende Pflicht aus der vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Schuldner und dem Sanierungsberater abgeleitet werden kann, ist nicht von einer allgemeinen Hinweispflicht der Berater auf mögliche Insolvenzgründe auszugehen. In einem Urteil vom 29. 3. 201937 hat das OLG Frankfurt die Haftung einer Bank, die als Reorganisationsberater tätig war, wegen eines unterlassenen Hinweises auf eine Insolvenzreife insbesondere deshalb abgelehnt, weil die abschließende Leistungsbeschreibung in dem Beratervertrag eine entsprechende Prüfung nicht vorsah und auch die Beratung in rechtlichen Angelegenheiten nicht geschuldet war. Als Vertragsgegenstand war vereinbart, dass die beklagte Bank die Schuldnerin „als Finanzberater im Hinblick auf die geplante finanzielle Reorganisation“ berät. Die Umsetzung der Beraterpflichten der RRiL im StaRUG würde hier nicht zu einer anderen Beurteilung des Pflichtenprogramms des Beraters führen.
III. Anfechtungsrisiken im Zusammenhang mit dem SRR Sanierungsberater unterliegen einem besonderen Risiko, dass die an sie gezahlten Beraterhonorare angefochten werden. Die Sanierungsberater werden regelmäßig in wirtschaftlich schwierigen Zeiten mandatiert und erlangen im Rahmen ihrer Tätigkeit oftmals umfassend Kenntnis über die wirtschaftliche Situation des Schuldners. Im Folgenden sollen die Auswirkungen der Umsetzung der RRiL auf die Anfechtung von Beraterhonoraren dargestellt werden. Die RRiL verlangt gemäß Art. 18 Abs. 1 RRiL, „dass Transaktionen, die angemessen und unmittelbar notwendig für die Aushandlung eines Restrukturierungsplans sind, im Falle einer späteren Insolvenz eines Schuldners nicht deshalb für nichtig, anfechtbar oder nicht vollstreckbar erklärt werden, weil solche Transaktionen die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen, außer es liegen zusätzliche im nationalen Recht festgelegte Gründe vor“. 37
OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 29. 3. 2019 – 8 U 218/17 = ZIP 2019, 1178.
286
C. Insolvenzbezogene Pflichten der Berater
In Art. 18 Abs. 4 lit. b RRiL wird konkretisiert, dass zu den Transaktionen nach Absatz 1 „mindestens die Zahlung von Gebühren und Kosten für die Inanspruchnahme professioneller Beratung in engem Zusammenhang mit der Restrukturierung“
gehören. Der Anfechtungsschutz für Sanierungsberater leistet einen Beitrag zur Förderung von Sanierungen, da Sanierungsberater ohne eine solchen Anfechtungsschutz zurückhaltender damit sein werden, kriselnden Unternehmen ihre Leistungen anzubieten, wenn sie befürchten müssen, dass die gezahlten Honorare im Fall des Scheiterns der Sanierung zurückgezahlt werden müssen. Auf der anderen Seite ist der Gefahr vorzubeugen, dass unter dem Deckmantel des PRR das Vermögen des Schuldners insolvenzfest weiter ausgehöhlt wird und sich einzelne Gläubiger dadurch Sondervorteile verschaffen.38 Die Feinjustierung dieser verschiedenen Interessen bleibt den Mitgliedstaaten durch ihr nationales Anfechtungsrecht vorbehalten. Der Umsetzungsgesetzgeber sieht in § 89 Abs. 1 und Abs. 2 StaRUG sowie in § 90 StaRUG anfechtungsrechtliche Privilegierungen vor. § 89 Abs. 1 StaRUG schließt es aus, dass der Vorsatz einer Gläubigerbenachteiligung für eine bestimmte Rechtshandlung darauf gestützt wird, dass ein an der Rechtshandlung Beteiligter Kenntnis davon hatte, dass die Restrukturierungssache rechtshängig war oder dass der Schuldner Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in Anspruch nahm. Für den Sonderfall, dass das Gericht die Restrukturierungssache nach §33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StaRUG nicht aufhebt, obwohl der Schuldner die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung angezeigt hat, soll auch die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nicht als Indiz für eine gläubigerbenachteiligende Handlung herangezogen werden dürfen. Die Kenntnis der Inanspruchnahme des SRR oder der angezeigten Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung dürfen also nicht mehr als Indiz bei der Ermittlung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes herangezogen werden. Andere Indizien bleiben hingegen im Rahmen der Gesamtwürdigung nach § 286 ZPO zulässig.39 Diese Regelungen zielen auf die Anfechtung nach § 133 InsO.40 § 90 Abs. 1 StaRUG knüpft an den rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplan an und erklärt die Regelungen eines solchen Restrukturierungsplans und Rechtshandlungen, die im Vollzug eines bestätigten Plans erfolgen, nur im Ausnahmefall für anfechtbar, wenn die Bestätigung des Plans auf Grundlage unrichtiger oder unvollständiger Angaben des Schuldners erfolgte und dem anderen Teil dies bekannt war.41 Ausgenommen von diesem anfechtungsrechtlichen „safe harbour“
38 39 40 41
Thole, ZIP 2017, 101, 111. Bork, ZInsO 2020, 2177, 2178. Bork, ZInsO 2020, 2177, 2178. Kritisch dazu Bork, ZInsO 2020, 2177, 2178, 2180 ff.
III. Anfechtungsrisiken im Zusammenhang mit dem SRR
287
sollen Anfechtungen von Gesellschafterdarlehen und dazugehörigen Sicherungen sein (§ 90 Abs. 1 StaRUG). Änderungen der Anfechtungsrisiken bei Beraterhonoraren könnten sich aus diesen Normen ergeben, die ausdrücklich an die Inanspruchnahme des SRR anknüpfen. Dabei dürfte § 89 Abs. 1 und Abs. 2 StaRUG eine größere Rolle spielen als § 90 StaRUG. Denn § 90 StaRUG regelt den Anfechtungsschutz für den Restrukturierungsplan und dessen Vollzug, trifft jedoch keine Regelung für die Leistungen, die im Vorfeld zur Erstellung des Restrukturierungsplanes und der Vorbereitung der Restrukturierung geflossen sind. Für die Anfechtung von Beraterhonoraren sind insbesondere die Tatbestände der § 130 InsO und § 133 InsO relevant. § 130 InsO setzt eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners oder einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus. Da der SRR nach § 29 Abs. 1 StaRUG im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit in Anspruch genommen werden soll, dürfte diese Norm für die Anfechtung von Beraterhonoraren im Zusammenhang mit dem SRR nur im Ausnahmefall Anwendung finden. Möglicherweise könnte die Zahlungsunfähigkeit während einer Sanierung im SRR eintreten. Vorbehaltlich der Regelungen zum Bargeschäft, werden die Beraterhonorare bei Vorliegen der zeitlichen Voraussetzungen von § 130 InsO in diesen Fällen anfechtbar sein, wenn das Gericht die Restrukturierungssache aufhebt und in der Folge des Insolvenzverfahren eröffnet wird. Auch § 89 Abs. 1 und Abs. 2 StaRUG greifen hier nicht, da diese Regelungen lediglich Besonderheiten bei der Ermittlung des subjektiven Tatbestandes im Rahmen von § 133 InsO festlegen42, die bei § 130 InsO nicht einschlägig sind. Mit Art. 18 RRiL ist die Anfechtung nach § 130 InsO vereinbar, da das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit und die zeitliche Nähe zum Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens „zusätzliche im nationalen Recht festgelegte Gründe“ im Sinne von Art. 18 Abs. 1 RRiL darstellen, welche eine Anfechtbarkeit rechtfertigen. Für die Anfechtung von Beraterhonoraren im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme des SRR kommt es also maßgeblich auf § 133 InsO an. Objektiv sind die Leistungen an die Berater jedenfalls als mittelbare Gläubigerbenachteiligung anzusehen.43 Bei der Ermittlung des subjektiven Tatbestandes entfaltet § 89 Abs. 1 und Abs. 2 StaRUG die dargestellten Wirkungen. Grundsätzlich indiziert die Kenntnis des Schuldners und seines Beraters von der drohenden oder eingetretenen Zahlungsunfähigkeit den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und dessen Kenntnis durch den Berater.44 Nach § 89 Abs. 1 StaRUG ist die Inan-
42
Bork, ZInsO 2020, 2177, 2178. Vgl. Thole, ZIP 2015, 2145, 2146 mit Verweis auf BGH, Urt. v. 18. 7. 2002 – IX ZR 480/ 00 = ZIP 2002, 1540. 44 BGH, Urt. v. 3. 4. 2014 @ IX ZR 201/13 = NZI 2014, 650, 653; BGH, Urt. v. 12. 5. 2016 – IX ZR 65/14 = NZI 2016, 636; BGH, Urt. v. 5. 3. 2009 – IX ZR 85/07 = DStR 2009, 1439, 1440; BGH, Urt. v. 7. 9. 2017 – IX ZR 224/16 = NZI 2017, 854, 856. 43
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C. Insolvenzbezogene Pflichten der Berater
spruchnahme des SRR als alleiniges Indiz für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz hingegen unzureichend. Auf der anderen Seite war schon bislang anerkannt, dass das Indiz der Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit widerlegt werden kann, wenn die Zahlungen im Rahmen eines ernsthaften Sanierungsversuchs erbracht werden, der auf Grundlage eines schlüssigen, von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgehenden Sanierungskonzepts basiert.45 Die Rechtshandlung war dann von einem „anfechtungsrechtlich unbedenklichen Willen“46 geleitet. Die Inanspruchnahme des SRR stellt für sich genommen jedoch noch keine ausreichende Begründung für einen anfechtungsrechtlich unbedenklichen Willen dar. Die Anfechtbarkeit hängt vielmehr entscheidend davon ab, ob der Inanspruchnahme ein schlüssiges Sanierungskonzept zugrunde lag, welches die ernsthafte und begründete Aussicht auf Erfolg rechtfertigt.47 Liegt ein solches Sanierungskonzept gar nicht vor oder rechtfertigt es nicht die ernsthafte und begründete Aussicht darauf, die drohende Zahlungsunfähigkeit zu beheben, kann auch die Inanspruchnahme des SRR nicht zu einer anfechtungsrechtlichen Privilegierung führen. Die Inanspruchnahme des SRR beginnt durch die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens nach § 31 Abs. 1 StaRUG. Dieser Anzeige ist gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG ein Restrukturierungsplan beizufügen oder, soweit ein solcher noch nicht vorliegt, ein Restrukturierungskonzept, welches auf Grundlage einer Darstellung von Art, Ausmaß und Ursachen der Krise das Ziel der Restrukturierung sowie die Maßnahmen beschreibt, welche zur Erreichung des Restrukturierungsziels in Aussicht genommen werden. Die Anzeige führt zur Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache nach § 31 Abs. 3 StaRUG unabhängig davon, ob die beigefügten Unterlagen, den Anforderungen entsprechen.48 Auch das Restrukturierungsgericht ist infolge der alleinigen Anzeige nach § 31 StaRUG noch nicht zum Tätigwerden verpflichtet.49 Eine Prüfung des beigefügten Restrukturierungskonzepts erfolgt bei Anzeige der Restrukturierungssache also noch nicht. Die Anzeige allein führt also nicht zur Verringerung der Anfechtungsrisiken, wenn das zugrundeliegender Konzept nicht ernsthafte und begründete Aussicht auf eine Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit rechtfertigt. Dies wäre rückblickend im Anfechtungsprozess zu ermitteln. Die Anfechtungsrisiken für Berater steigen auch dann, wenn die Restrukturierungssache durch das Gericht aufgehoben wird gemäß § 32 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG, weil sich für das Gericht ergibt, dass das angezeigte Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung hat.
45
Bork, ZInsO 2020, 2177, 2178; gegen das weitere Kriterium „in den Anfängen bereits umgesetzt“ vgl. Ganter, ZIP 2015, 1413, 1416. 46 BGH, Urt. v. 21. 2. 2013 – IX ZR 52/10 = ZIP 2013, 894 m. w. N. 47 BGH, Urt. v. 3. 4. 2014 @ IX ZR 201/13 = NZI 2014, 650, 653; zur prozessrechtlichen Einordnung Thole, ZIP 2015, 2145, 2148 ff. 48 RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 135. 49 Vgl. RegE SanInsFoG BT Dr. 19/24181, S. 134.
III. Anfechtungsrisiken im Zusammenhang mit dem SRR
289
Zu klären ist noch unter welchen Bedingungen ausnahmsweise eine Anfechtbarkeit der Beraterhonorare wegen des Vorliegens eines Bargeschäfts nach § 142 InsO entfallen kann. Nach § 142 Abs. 1 InsO ist eine Leistung des Schuldners, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt, nur anfechtbar, wenn die Voraussetzungen des § 133 Absatz 1 bis 3 InsO gegeben sind und der andere Teil erkannt hat, dass der Schuldner unlauter handelte. Voraussetzung für das Bargeschäft ist zunächst, dass durch die Beraterleistung unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in das Vermögen des Schuldners gelangt. Dafür muss in der Regel die Leistungserbringung, die Rechnungsstellung und die Zahlung des Honorars innerhalb von 30 Tagen erfolgen.50 Die Leistung und Gegenleistung müssen zudem marktgerecht sein, um als gleichwertige Gegenleistung eingeordnet zu werden. Die Vergütung muss also angemessen sein.51 Die Leistung des Beraters darf auch nicht fehlerhaft sein.52 Berät der Berater falsch, verkennt er etwa das Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO oder einer Überschuldung nach § 19 InsO oder ist das Restrukturierungskonzept gänzlich ungeeignet, die drohende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen, gelangt keine gleichwertige Gegenleistung in das Vermögen des Schuldners, die ein anfechtungsfestes Bargeschäft begründen könnten. Soweit der Schuldner den Fehler nicht erkannte und daher redlich handelte, könnte ein solches Restrukturierungskonzept dennoch dazu führen, dass bereits der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nach § 133 Abs. 1 InsO entfällt.53 Im Fall der Falschberatung bestehen jedoch andere (Schadensersatz-) Ansprüche des Schuldners gegen den Berater.54 Sind die Voraussetzungen der unmittelbaren und gleichwertigen Gegenleistung erfüllt und liegen außerdem die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 bis 3 InsO (insb. Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und dessen Kenntnis) mangels eines erfolgversprechenden Restrukturierungskonzeptes vor, so hängt die Anfechtbarkeit der Beraterleistung nach § 142 Abs. 1 Hs. 2 InsO davon ab, ob der Schuldner unlauter handelte und der Berater dies erkannt hat. Die Unlauterbarkeit des Schuldners soll dann gegeben sein, wenn es ihm vorrangig nicht um die Befriedigung des Anfechtungsgegners, sondern um die Schädigung der übrigen Gläubiger ging.55 Das ist ein sehr hoher Maßstab, der das Anfechtungsrisiko für Berater deutlich reduziert. Wird im Anfechtungsprozess festgestellt, dass ein schlüssiges und erfolgversprechendes Sanierungskonzept nicht vorlag, kann das Beratungshonorar folglich dennoch anfechtungsfest sein. Entscheidend ist dann, dass die Beratungsleistung nicht 50
Stefanik, ZIP 2019, 1557, 1561. Vgl. Thole, ZIP 2015, 2145, 2153. 52 Vgl. Thole, ZIP 2015, 2145, 2153. 53 Vgl. dazu Ganter, ZIP 2015, 1413, 1416; Thole, ZIP 2015, 2145, 2153. 54 Zum Mitverschulden bei falscher Beratung vgl. Kayser, ZIP 2014, 597, 604. 55 Stefanik, ZIP 2019, 1557, 1561; vgl. demgegenüber zum § 133 InsO a. F. und zum Vorliegen einer bargeschäftsähnlichen Lage OLG Düsseldorf, Urt. v. 9. 7. 2020 – I-12 U 55/19 = ZIP 2020, 2294, 2296 f. 51
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C. Insolvenzbezogene Pflichten der Berater
völlig wertlos für den Schuldner war und sich die Zahlung der Beraterleistung daher als unlauter darstellt.56 Dies dürfte lediglich in den Fällen der Fall sein, in welchen eine Sanierung im SRR offensichtlich aussichtlos ist (oder im Verlauf der Sanierungsbemühungen offensichtlich aussichtslos wird) und die Sanierung dennoch betrieben wird. Ebenso wird unlauteres Handeln in Fällen des kollusiven Zusammenwirkens vorliegen. Denkbar wäre eine Anfechtung von Beraterhonorar etwa in dem Fall, dass der Schuldner und seine Berater einen missbräuchlichen Restrukturierungsplan vorlegen, indem beispielsweise das Ermessen bei der Einbeziehung von Planbetroffenen nach § 8 S. 1 StaRUG missbräuchlich überschritten wird. Wird der Plan daraufhin nicht bestätigt und der Schuldner muss in der Folge das Insolvenzverfahren einleiten, wäre die Anfechtbarkeit trotz Bargeschäft möglich. Die Risiken einer Anfechtung von Beraterhonoraren im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme des SRR können also gering gehalten werden. Solange das Kriterium der Unmittelbarkeit von Leistung und Gegenleistung berücksichtigt wird, dürfte eine Anfechtung selbst bei solchen Restrukturierungskonzepten, die einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nicht entfallen lassen, auf Fälle beschränkt sein, in denen die Mangelhaftigkeit offensichtlich ist oder der Berater und der Schuldner kollusiv zusammenwirken. Diese geringen Anfechtungsrisiken hängen jedoch nicht mit den Neuregelungen im StaRUG zusammen, sondern sind in erster Linie eine Folge der bereits zuvor geltenden §§ 133, 142 InsO. Dies gilt sowohl für Beratungsleistungen, die sich unmittelbar auf die Erstellung des Restrukturierungsplanes beziehen als auch Leistungen, die der Vorbereitung einer Restrukturierung im SRR dienen, bspw. die Aufstellung von Zwischenabschlüssen. Mit Blick auf die Umsetzung von Art. 18 Abs. 1 und Abs. 4 lit. b RRiL sind die deutschen Anfechtungsregeln jedenfalls ausreichend, da neben der Gläubigerbenachteiligung zusätzliche Gründe für eine Anfechtbarkeit, wie etwa ein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nach § 133 Abs. 1 InsO und Unlauterbarkeit nach § 142 Abs. 1 InsO vorliegen müssen.
56
Stefanik, ZIP 2019, 1557, 1561 f.
D. Ergebnis Das Ergebnis auf die Frage, welche Auswirkungen die Umsetzung von Art. 19 RRiL im deutschen Recht auf die insolvenzbezogenen Pflichten der Unternehmensleitung hat, lässt sich anhand der drei eingangs genannten Leitfragen „Wer?“, „Wann?“, „Was?“ strukturieren.
I. Adressat der Pflichten Adressat der in dieser Arbeit näher konkretisierten Pflichten, welche sich aus der Umsetzung von Art. 19 RRiL ergeben, sind die Unternehmensleiter der jeweiligen Schuldner, also die Organwalter der jeweiligen Vertretungsorgane oder die unternehmerisch handelnde natürliche Person selbst. Dabei handelt es sich um diejenigen Personen, die die Geschäfte des Schuldners führen und Managemententscheidungen treffen können. Der Einzelunternehmer ist selbst als Unternehmensleitung anzusehen, da auch für diesen Anreize zum Schutz der in Art. 19 RRiL genannten Beteiligten und damit zur Förderung von Restrukturierungen erforderlich sind. Denn auch der Einzelunternehmer kann durch seine unternehmerische Tätigkeit diejenigen Interessen gefährden, deren Schutz Art. 19 RRiL dient. Bei Schuldnern, die keine natürlichen Personen sind, besteht die Unternehmensleitung aus den Organwaltern des jeweiligen Vertretungsorgans des Rechtsträgers, bei Selbstorganschaft aus den zur Vertretung berechtigten Gesellschaftern. Faktische Organe sind aufgrund ihres tatsächlichen Einflusses von Art. 19 RRiL erfasst. Als Schuldner kommen nach der RRiL sämtliche insolvenzfähigen Rechtsträger in Betracht, die selbstständig im Rahmen einer auf Dauer angelegten Struktur am Markt Leistungen gegen Entgelt anbieten. Der deutsche Gesetzgeber hat bei der Umsetzung lediglich die Insolvenzfähigkeit des jeweiligen Rechtsträgers zur Voraussetzung für die Inanspruchnahme des SRR gemacht. Die Abgrenzungsfrage, ob ein Rechtsträger unternehmerisch tätig ist, stellt sich nur bei natürlichen Personen als Schuldner.
II. Zeitpunkt der Pflichten Der Zeitpunkt der wahrscheinlichen Insolvenz hat nach der RRiL zum einen Bedeutung als Zugangsvoraussetzung für den präventiven Restrukturierungsrahmen. Zum anderen knüpfen die Pflichten nach Art. 19 RRiL an diesen Zeitpunkt an.
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D. Ergebnis
Der deutsche Gesetzgeber versteht die wahrscheinliche Insolvenz als drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 InsO. Die europarechtlichen Rahmenbedingungen sind damit gewahrt und es wurde ein nachvollziehbarer Anknüpfungspunkt sowohl für den Zugang zum SRR als auch für die besonderen Pflichten der Unternehmensleitung im Sinne von Art. 19 RRiL gefunden. Der Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit markiert eine besondere Gefährdungslage für die Gläubiger. Ab diesem Zeitpunkt ist es überwiegend wahrscheinlich, dass ihre Ansprüche nicht mehr vollständig erfüllt werden können. Es ist daher auch konsequent, für eine vollständige Umsetzung von Art. 19 RRiL an diesen Zeitpunkt anzuknüpfen. Art. 19 RRiL fordert Anreize für die Unternehmensleitung ab dem Zeitpunkt der wahrscheinlichen Insolvenz. Art. 19 RRiL stellt gerade nicht auf die Nutzung des präventiven Restrukturierungsrahmens ab und knüpft die besonderen Pflichten nicht an dessen Nutzung. Die Nutzung des präventiven Restrukturierungsrahmens bzw. SRR nach StaRUG stellt nur eine Möglichkeit dar, die wahrscheinliche Insolvenz in Form der drohenden Zahlungsunfähigkeit abzuwenden und damit die Interessen der Beteiligten zu wahren, die in Art. 19 lit. a RRiL genannt sind. Für eine umfassende Umsetzung von Art. 19 RRiL muss daher auf den Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit abgestellt werden. Auf diese Weise können die Geschäftsleiterpflichten dazu beitragen, verschiedene Arten von Sanierungen effektiv zu fördern und nicht nur solche innerhalb des SRR. Der Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen wurde ebenfalls an die drohende Zahlungsunfähigkeit geknüpft. Aus der RRiL ergibt sich, dass die materielle Insolvenz noch nicht vorliegen soll, jedoch auch der Gefahr eines Missbrauchs vorgebeugt werden muss. Das Problem des Missbrauchs spielt in dem Spannungsfeld zwischen einer gewünschten, möglichst frühen Verfahrenseinleitung, welche zur effektiven Förderung von Sanierungen beiträgt, und der Legitimation von Eingriffen in die Rechte Dritter im Rahmen des Sanierungsverfahrens. Um die europarechtlichen Rahmenbedingungen umzusetzen und den Zugang zum SRR auf die im deutschen Recht bestehenden Insolvenzeröffnungsgründe abzustimmen, wird die wahrscheinliche Insolvenz zweistufig geprüft: Die erste Stufe beantwortet die Frage, ob der jeweilige Schuldner „schon“ das präventive Restrukturierungsverfahren nutzen darf. Dies hängt davon ab, ob er aufgrund einer Liquiditätsrechnung nachweisen kann, dass er in Zukunft zahlungsunfähig sein wird. Der regelmäßige Prognosehorizont beträgt 24 Monate. Damit wird die Prüfung der Zugangsvoraussetzung zum präventiven Restrukturierungsrahmen zumindest in Teilen mit der Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO synchronisiert, welche die Unternehmensleiter bestimmter Schuldner bereits vor Umsetzung der RRiL zur kontinuierlichen Selbstprüfung anhielt. Der Unterschied zur Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO besteht darin, dass die Zahlungsunfähigkeitsprognose auf Stufe 1 den status quo aufnimmt ohne Berücksichtigung potentieller Sanierungsmaßnahmen. Auf Stufe 2 der Prüfung der wahrscheinlichen Insolvenz wird geprüft, ob der Schuldner den präventiven Restrukturierungsrahmen „noch“ nutzen darf, ob also bereits materielle Insolvenzgründe vorliegen, die zu einer Einleitung eines
III. Inhalt der insolvenzbezogenen Pflichten nach Umsetzung der RRiL
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Insolvenzverfahrens führen können. Die drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 InsO führt nicht zu einem Ausschluss vom SRR, da diese lediglich ein Antragsrecht für den Schuldner gewährt, um frühzeitige Sanierungen zu ermöglichen. An dem fehlenden Antragsrecht für die Gläubiger zeigt sich, dass keine Gläubigerschutzgesichtspunkte in diesem Eröffnungsgrund verwirklicht sind, die eine präventive Restrukturierung ausschließen. Auf Stufe 2 sind also die Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO und je nach Rechtsform die Überschuldung nach § 19 InsO zu prüfen. Bei der Überschuldung ist die Prüfung der Fortbestehensprognose von besonderer Bedeutung, insbesondere die Frage, ob überwiegend erfolgversprechende Sanierungschancen bestehen, wobei auch die Möglichkeiten des SRR einzubeziehen sind. Bei der Prüfung der Fortbestehensprognose im Rahmen des Überschuldungstatbestandes können überwiegend erfolgversprechende Sanierungschancen eine negative Fortbestehensprognose ausschließen. Liegen keine Zahlungsunfähigkeit und entsprechende Sanierungschancen vor, welche eine positive Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO begründen, kann der Schuldner den präventiven Restrukturierungsrahmen nutzen. Die Fortbestehensprognose im Rahmen des Überschuldungstatbestandes kann also eine maßgebliche Weichenstellung für die Sanierung darstellen. Die damit einhergehende Selbstprüfungspflicht der Geschäftsleiter ist daher von besonderer Bedeutung zur Förderung von Sanierungen. Um die sanierungsfördernde Wirkung des Überschuldungstatbestandes beizubehalten und zugleich die potentiell sanierungsschädlichen Anreize wegen einer potentiellen Haftung aus Insolvenzverschleppung bei Überschuldung zu reduzieren, wurde durch das SanInsFoG der Prognosezeitraum nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO auf 12 Monate begrenzt und die Antragsfrist bei Überschuldung auf 6 Wochen erhöht. Die Verkürzung des Prognosezeitraums hinterlässt eine Schutzlücke, welche durch die entsprechende Auslegung von Geschäftsleiterpflichten geschlossen werden muss.
III. Inhalt der insolvenzbezogenen Pflichten nach Umsetzung der RRiL Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass die Auswirkungen von Art. 19 RRiL umso größer sind, je geringer der Einfluss der Gesellschafter auf die Unternehmensleitung in der jeweiligen Rechtsform ist. Die zentralen Erkenntnisse lassen sich dabei wie folgt zusammenfassen: Nach der hier vertretenen Auslegung bewirkt Art. 19 RRiL einen Mindestschutz aller in Art. 19 lit. a RRiL genannten Beteiligten, der sich darauf beschränkt, Anreize durch die Mitgliedstaaten zu schaffen, das eine Unternehmensleitung im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz, den Bestand des Schuldners erhält. Ein Vorrang bestimmter Interessen soll durch die Restrukturierungsrichtlinie nicht geschaffen werden. Die Ausrichtung auf die Bestandserhaltung dient jedoch dem Minimalziel aller Beteiligten. Dieser Mindestschutz wird in Art. 19 lit. b und lit. c RRiL kon-
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D. Ergebnis
kretisiert, indem Unternehmensleitungen zur effektiven Sanierung angehalten werden sollen und bestandsgefährdende Maßnahmen vermieden werden sollen. Besondere Umsetzungsmaßnahmen für Art. 19 lit. a RRiL selbst sind nicht erforderlich. In Art. 19 lit. b RRiL wird der Mindestschutz dadurch konkretisiert, dass Anreize dafür zu schaffen sind, dass die Unternehmensleitung eine Sanierungsprüfung durchführt und erfolgversprechende Sanierungen, soweit es im Rahmen der jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Binnenorganisation möglich ist, vorbereitet und umsetzt. Es sind auch Anreize dafür zu schaffen, dass das für die Sanierung erforderliche Vermögen bewahrt wird. Die entsprechenden Anreize zur Ermittlung, Bewahrung und Umsetzung erfolgversprechender Sanierungschancen wird bei den geschäftsführenden Gesellschaftern der Personengesellschaften und beim Einzelkaufmann durch die persönliche Haftung ausreichend sichergestellt. Diese Unternehmensleiter werden im Eigeninteresse jede Chance auf eine erfolgversprechende Sanierung wahrnehmen. Nach § 32 Abs. 1 StaRUG werden auch nicht haftungsbeschränkte Rechtsträger verpflichtet, die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers zu betreiben und dabei die Interessen der Gläubiger zu wahren. Verstößt der nicht haftungsbeschränkte Schuldner gegen diese Pflicht, kann das zur Aufhebung der Restrukturierungssache führen. Die Umsetzung von Art. 19 lit. b RRiL im Kapitalgesellschaftsrecht erfolgt maßgeblich über die haftungsbewehrte Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung nach § 43 Abs. 1 und 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 1 und 2 AktG. Aus diesen Normen ergab sich bereits vor Umsetzung der RRiL eine Sanierungspflicht der Geschäftsleiter, welche auch ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit und damit zum Zeitpunkt der wahrscheinlichen Insolvenz im Sinne der RRiL gilt. Aus §§ 32 Abs. 1 S. 1, 43 Abs. 1 StaRUG folgt ebenfalls eine Sanierungspflicht, welche sich speziell auf die anhängige Restrukturierungssache bezieht und die daher ab Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache greift. Die Antragspflicht bei Überschuldung kann ebenfalls einen starken Anreiz zur Durchführung erfolgversprechender Sanierungen bieten, da die Alternative lautet, dass ein Insolvenzantrag zu stellen ist. In Art. 19 lit. c RRiL wird der Bestand des Schuldners durch einen Anreiz für die Unternehmensleitung geschützt, grob fahrlässiges oder vorsätzliches bestandsgefährdendes Verhalten zu vermeiden. In der RRiL dient der Erhalt des Bestands des Schuldners der Vermeidung von Insolvenzen. Die Gefahr einer Insolvenz wird maßgeblich durch den Ausfall der Gläubiger bestimmt. Art. 19 RRiL greift erst nachdem eine wahrscheinliche Insolvenz vorliegt. In diesem Zustand besteht bereits ein gewisses Ausfallrisiko für die Gläubiger. Als bestandsgefährdend sind daher solche Maßnahmen anzusehen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger weiter erhöhen. Durch die Begrenzung auf überwiegend wahrscheinliche Erhöhungen des Ausfallrisikos wird
III. Inhalt der insolvenzbezogenen Pflichten nach Umsetzung der RRiL
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der Bestandsschutz sichergestellt, ohne den Handlungsspielraum der Geschäftsleitung für erforderliche Sanierungsmaßnahme übermäßig zu beschneiden. Nach der deutschen Umsetzung liegt eine wahrscheinliche Insolvenz im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 InsO vor. Das zu diesem Zeitpunkt bereits teilweise eingetretene Ausfallrisiko darf nun nicht mehr mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durch weitere Maßnahmen oder Unterlassungen erhöht werden. Bestandsgefährdende Handlungen stehen einer seriösen Sanierung entgegen, da sie das Vermögen des Schuldners dezimieren und das Ausfallrisiko der Gläubiger in unzulässiger Weise weiter erhöhen. Erfasst von Art. 19 lit. c RRiL sind insbesondere existenzvernichtende Eingriffe in das Vermögen des Schuldners, hochspekulative Geschäfte sowie die Fortführung im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz ohne Sanierungsaussichten. Das Aktienrecht bietet einen Anreiz, bestandsgefährdende Maßnahmen zu unterlassen nach § 93 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 AktG. Dasselbe gilt im Grundsatz für die Geschäftsführer einer GmbH nach § 43 Abs. 1 und 2 GmbHG. Ab Rechtshängigkeit einer Restrukturierungssache treffen §§ 32 Abs. 1 S. 1, 43 Abs. 1 StaRUG in Bezug auf die Restrukturierungssache spezielle Regelungen. Bestandsgefährdende Geschäfte sind auch nach § 32 Abs. 1, 43 Abs. 1 StaRUG unzulässig, da sie die Restrukturierung gefährden können. Als weiterer Anreiz zur Vermeidung bestandsgefährdender Geschäfte dient die Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung nach §§ 15a Abs. 1 S. 1, 19 InsO. Diese zwingt die Unternehmensleiter haftungsbeschränkter Unternehmensträger dazu, von Maßnahmen Abstand zu nehmen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger weiter erhöhen. Diese Maßnahmen sind nicht geeignet, eine positive Fortbestehensprognose zu begründen oder zu erhalten und sind daher unzulässig. Stattdessen ist ein Insolvenzverfahren einzuleiten. Existenzvernichtende Eingriffe, Spekulationsgeschäfte und die Fortführung ohne Sanierungsaussichten können keine positive Fortführungsprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO begründen, wenn sie mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger weiter erhöhen. Insbesondere bei der GmbH, bei der die Gesellschafter grundsätzlich Spekulationsgeschäfte anweisen dürften, führt die Antragspflicht bei Überschuldung dazu, dass bestimmte Spekulationsgeschäfte nicht als Sanierungsoption in Betracht kommen, da sie nicht geeignet sind, die positive Fortbestehensprognose zu erhalten bzw. eine solche zu begründen. In einem solchen Fall ist ohne schuldhaftes Zögern Insolvenzantrag zu stellen. Der antragsbewehrte Überschuldungstatbestand führt daher zu einer effektiven Umsetzung von Art. 19 RRiL, die auch gegenüber den Gesellschaftern Bestand hat. Der Anreiz, der aus der Antragspflicht bei Überschuldung folgt, greift gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 InsO nur, wenn die Zahlungsunfähigkeit innerhalb der nächsten 12 Monate eintritt. Außerhalb dieses Zeitraums muss der erforderliche Bestandsschutz durch eine entsprechende Auslegung der Geschäftsleiterpflichten erreicht werden. Die Auslegung führt dazu, dass nach Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit
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D. Ergebnis
sämtliche Maßnahmen unzulässig sind, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger weiter erhöhen. Insbesondere existenzvernichtende Eingriffe, Spekulationsgeschäfte und die Fortführung ohne Sanierungsaussichten (bis die Insolvenzantragspflicht greift) müssen daher ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung verstoßen, wenn sie mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger weiter erhöhen. In diesem Fall sind sie bestandsgefährdend und in Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL unzulässig. Soweit Maßnahmen den Bestand des Schuldners gefährden, sind sie der Disposition der Gesellschafter entzogen. Der Bestandserhalt dient allen Beteiligten und kann daher nicht ausschließlich zur Disposition der Gesellschafter stehen. Diese Einschränkung für bestandsgefährdende Maßnahmen und Unterlassungen gilt bereits ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit, da ab diesem Zeitpunkt die Ausrichtung auf den Bestandserhalt erfolgen muss. Die Ausrichtung auf den Bestandserhalt geht mit einer Wahrung der Interessen der Gläubiger einher, da deren Ausfallrisiko letztlich über den Bestand des Schuldners und die Einleitung einer Insolvenz entscheidet. Damit sind die Geschäftsleiter bereits ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit verpflichtet, die Interessen der Gläubiger im Rahmen des Bestandserhalt zu wahren. § 32 Abs. 1 und § 43 Abs. 1 StaRUG stellen diese Folge der Umsetzung von Art. 19 RRiL für den Zeitraum ab Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache klar. Als umfassende Umsetzung von Art. 19 RRiL reichen § 32 Abs. 1 und § 43 Abs. 1 StaRUG für sich genommen nicht aus. Die Wahrung der Interessen der Gläubiger ist im Rahmen der Bestandserhaltung unabhängig von der Inanspruchnahme des SRR bereits ab drohender Zahlungsunfähigkeit erforderlich. Diese Berücksichtigung der Gläubigerinteressen im Rahmen des Bestandsschutzes führt bei der Umsetzung von Sanierungen dazu, dass eine Sanierung trotz entgegenstehender Weisung auch dann umgesetzt werden muss, wenn das Unterlassen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Erhöhung des Ausfallrisikos der Gläubiger führt. Solange das nicht der Fall ist, sind die Gesellschafter weiterhin dispositionsbefugt und können beispielsweise auch zwischen mehreren Sanierungsoptionen wählen. Da kein Vorrang der Gläubigerinteressen ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit vorliegt, ist von der Unternehmensleitung nicht stets diejenige Maßnahme zu wählen, die die geringste Beeinträchtigung der Gläubigerinteressen zur Folge hätte. Das Ermessen ist erst beschränkt, wenn die Maßnahme mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubiger erhöht. Eine Durchführung der Sanierung im Rahmen der InsO oder im SRR ist den Geschäftsleitern ohne Zustimmung der Gesellschafter grundsätzlich nicht erlaubt. Besteht jedoch keine andere Sanierungsoption und führt die Fortführung ohne jegliche Sanierungsoption mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Erhöhung des Ausfallrisikos der Gläubiger, so kann der Geschäftsführer ausnahmsweise auch ohne Gesellschafterbeschluss verpflichtet sein, ein Insolvenzverfahren nach § 18 InsO einzuleiten, um das Ausfallrisiko der Gläubiger zu konservieren. Tritt die Zah-
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lungsunfähigkeit in solchen Situationen innerhalb der nächsten 12 Monate ein, wird der Geschäftsführer dazu regelmäßig bereits nach §§ 15a Abs. 1 S. 1, 19 InsO verpflichtet sein, da die ablehnende Haltung der Gesellschafter zu einer negativen Fortbestehensprognose führt. Hier zeigt sich die sanierungsfördernde Wirkung des Überschuldungstatbestandes. Die Gesellschafter werden mittels des Überschuldungstatbestandes vor die Entscheidung gestellt, den Betrieb des Unternehmens einzustellen oder eine Sanierung zu ermöglichen. Geschäftsleiter, die gegen die Pflicht zum Bestandserhalt verstoßen, können sich nicht auf die Business-Judgement-Rule berufen, da sie nicht zum Wohl der Gesellschaft handeln. Das Wohl der Gesellschaft ist ab dem Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit auf den Erhalt des Bestandes gerichtet und vereinigt insoweit die Interessen sämtlicher Beteiligter, die in Art. 19 lit. a RRiL genannt sind. Im Recht der Personengesellschaften und beim Einzelkaufmann wird Art. 19 lit. c RRiL im Ausgangspunkt durch die persönliche Haftung umgesetzt, welche zu bestandswahrenden und insolvenzvermeidenden Maßnahmen im Eigeninteresse anhält. In Insolvenznähe ist die Wirksamkeit dieses Anreizes jedoch eingeschränkt. Wenn die Schulden des Unternehmens das Unternehmensvermögen und das Vermögen der persönlich haftenden Gesellschafter bzw. des Einzelkaufmanns übersteigen, haben diese nichts mehr zu verlieren und können geneigt sein, die wirtschaftliche Schieflage durch hochspekulative Geschäfte zu beenden oder in unbegründeter Hoffnung auf bessere Zeiten das Unternehmen weiterzuführen. Den Verlust tragen jeweils die Gläubiger. Aufgrund dieser Erwägungen kann zur effektiven Umsetzung von Art. 19 lit. c RRiL nicht ausschließlich auf die persönliche Haftung verwiesen werden. Um der Ineffektivität des Anreizes der persönlichen Haftung in diesen Situationen etwas entgegen zu setzen, wird in dieser Arbeit vorgeschlagen, den antragsbewehrten Überschuldungstatbestand nach §§ 15a, 19 InsO auf alle Unternehmensträger, also insbesondere auch die Personenhandelsgesellschaft und den Einzelkaufmann anzuwenden. Aufgrund des Überschuldungstatbestandes wäre es den Personengesellschaften und dem Einzelkaufmann untersagt, im Zustand der wahrscheinlichen Insolvenz hochspekulative Geschäfte mit überwiegender Insolvenzwahrscheinlichkeit zu Lasten der Gläubiger vorzunehmen oder das Unternehmen ohne Aussicht auf Sanierung weiter fortzuführen, denn durch diese Maßnahmen kann keine positive Fortbestehensprognose begründet werden; vielmehr wäre Insolvenzantrag zu stellen. Haben die Gesellschafter ausreichende Mittel für eine Sanierung und sind bereit, diese zur Verfügung zu stellen, wird dies bei der Fortbestehensprognose berücksichtigt. Durch die Antragspflicht bei Überschuldung und insbesondere die kontinuierliche Selbstprüfung für die Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO wird dem Gedanken Rechnung getragen, dass bestandsfähige Unternehmen restrukturiert und fortgeführt werden sollen, nicht bestandsfähige Unternehmen jedoch schnellstmöglich liquidiert werden sollen. Hier zeigt sich erneut die besondere Bedeutung des Überschuldungstatbestandes zur Förderung von Restrukturierungen und der Vermeidung von bestandsgefährdendem
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Verhalten.1 Liegt die drohende Zahlungsunfähigkeit außerhalb des Prognosehorizonts der Überschuldung, würde der Anreiz nicht greifen. Da die Zahlungsunfähigkeit noch weiter entfernt liegt, ist die Gefährdung der Gläubiger geringer. Berücksichtigt man zusätzlich die unbegrenzte, persönliche Haftung der Gesellschafter und des Einzelkaufmanns ist diese verbleibende Schutzlücke hinzunehmen. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Umsetzung von Art. 19 RRiL ab dem Zeitpunkt, in dem die drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt, zu einer Ausrichtung sämtlicher Unternehmensträger auf den Erhalt ihres Bestandes führt und damit sämtliche Maßnahmen untersagt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Ausfallrisiko der Gläubigergesamtheit, welches sich bereits teilweise realisiert hat, weiter erhöhen. Die Geschäftsleiter müssen sicherstellen, dass sie diesen Zeitpunkt durch eine angemessene Liquiditätsplanung bestimmen können.
IV. Die insolvenzbezogenen Pflichten der Berater Die insolvenzbezogenen Pflichten der Berater ändern sich in Folge der Umsetzung der RRiL weniger stark. Im Wesentlichen wird die in der Rechtsprechung bereits anerkannte Hinweispflicht bei Erstellung eines Jahresabschlusses klargestellt und ausdrücklich auf weitere Berufsgruppen angewendet. Für Sanierungsberater stellt sich das Problem, zu bestimmen, inwieweit ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit Gläubigerinteressen zu berücksichtigen sind. Hier bietet diese Arbeit einen aus Art. 19 RRiL abgeleiteten Maßstab. Zudem müssen die Berater die Zulässigkeit der Inanspruchnahme des SRR beurteilen und damit auch die Erfolgsaussichten möglicher Sanierungen. Hier kann auf die Maßstäbe zur Bestimmung einer positiven Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO zurückgegriffen werden. Die Anfechtungsrisiken für Berater im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme des SRR resultieren hauptsächlich aus § 133 InsO. Für diesen Tatbestand hält § 89 StaRUG eine anfechtungsrechtliche Privilegierung bereit. Trotz dieser Privilegierung bleibt auch bei Inanspruchnahme des SRR für die Anfechtbarkeit von Beraterhonoraren entscheidend, ob ein schlüssiges Sanierungskonzept vorliegt, welches die ernsthafte und begründete Aussicht darauf begründet, die drohende Zahlungsunfähigkeit zu beheben. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor oder wurde ansonsten fehlerhaft beraten, können die Anfechtungsrisiken durch Bargeschäfte nach § 142 InsO reduziert werden. Die Grenze ist hier erst bei offensichtlich mangelhaften Sanierungskonzepten oder kollusivem Zusammenwirken des Schuldners und der Berater erreicht.
1 Zur präventiven Wirkung der Selbstprüfung im Rahmen des Überschuldungstatbestandes vgl. auch Karsten Schmidt, AG 1978, 334, 338.
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Stichwortverzeichnis Aktiengesellschaft 199 ff., 238 ff. Anfechtung 285 ff. Ausfallrisiko 105, 142 f., 146 f., 149, 153, 161, 166, 178 f., 181 f., 184, 188, 190 ff., 194, 198, 203, 206, 207, 209 ff., 215 f., 225 f., 227, 228, 230, 236, 241, 246, 249, 252, 255 f., 294 Beraterhaftung 277 ff. Bestandserhaltung/Bestandsgefährdung 82, 144 f., 152, 154, 160, 178, 206, 214 f., 216, 219, 225, 250, 294, 296 Business-Judgement-Rule 149, 199, 226, 235 ff., 245, 275, 297 Dispositionsbefugnis (der Gesellschafter) 185 ff., 296 Drohende Zahlungsunfähigkeit 55, 83 ff., 97, 108, 113 f., 117, 119, 122 f., 134 f., 154, 167, 180, 183, 189, 190, 193, 199, 214, 227, 232, 245, 248, 252 Erfolgskrise 63 Ermessen 187 f., 190, 193, 196 f., 198, 201 f., 206, 211, 216, 226, 235 ff., 274, 282, 290, 298 Existenzvernichtung 217, 226, 229 Fortbestehensprognose 92, 97, 102, 104 f., 109, 119, 124, 168, 185, 190, 193, 216, 226 f., 229, 234, 252, 258 Gambling for resurrection 219, 222, 228, 255, 263
143 f., 211 f.,
Haftung (Geschäftsleiter) 182, 226, 233
99, 105, 108,
IDW S 6 93 Insolvenzantrag 168, 171, 185, 189 f., 199, 201, 227 f., 252, 258, 295 Liquiditätskrise Produktkrise
63, 90 62
Sanierungspflicht 143, 150, 170 ff., 198, 199, 206 Shift of fiduciary duties 140, 152, 155, 179, 181, 268, 284 Spekulationsgeschäft 106, 162, 222, 226, 229, 260, 295 Strategiekrise 61 Überschuldung 102, 104 f., 109, 119, 124, 168, 193, 227 f., 234, 252, 257 Übertragende Sanierung 147 Unterbilanz 77 Vorrang (der Gläubigerinteressen) siehe Shift of fiduciary duties Wahrscheinliche Insolvenz 90, 131 Weisungsrecht 161, 171, 185, 192, 194, 199, 226, 245, 263 Zahlungsunfähigkeit
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