Independent Verlage am konzentrierten Buchmarkt 9783110422481, 9783110426625

Independent publishers set themselves apart from larger firms by their programmatic focus. However, the rise of digital

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German Pages 353 [354] Year 2016

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Table of contents :
Inhalt
1 Einleitung
1.1 Phänomen Independent Verlage
1.2 Forschungsstand und Forschungsinteresse
1.3 Material, Methode und Untersuchungsdesign
1.3.1 Interviewdesign und Durchführung der Interviews
1.3.2 Codierung des Interviewmaterials
1.3.3 Analyse des Materials nach Pierre Bourdieu (Theorie des literarischen Feldes/Theorie der Praxis – Konzept von Feld, Habitus und Kapital)
1.4 Gliederung und Grenzen der Arbeit
2 Rahmenbedingungen: Deutschsprachige Verlagslandschaft und Buchmarkt heute
2.1 Das literarische Feld
2.1.1 Zwischen den Polen: Möglichkeiten der Positionierung im Feld
2.1.2 Die Struktur der Verteilungen: Kapital
2.1.3 Die Dynamik des Feldes: Bewegung durch Auseinandersetzung
2.2 Der deutschsprachige Buchmarkt: Eine Branche im Umbruch
2.2.1 Unternehmen: Verlage am Markt
2.2.2 Umsatz: Zahlen einer Branche
2.2.3 Lesen: Wo und wer
2.2.4 Bücher: Titelzahlen, Editionsformen und Warengruppen
2.2.5 E-Book: Entwicklung eines neuen Formats
2.3 Neue Technologien und Akteure im Feld: Die Herausforderungen des Strukturwandels
2.3.1 Verschwimmende Grenzen, neue Unternehmenskulturen und Beschleunigung
2.3.2 Buchpreisbindung und Machtverschiebungen zwischen Verlagen und Buchhandel
2.3.3 Veränderungen in der Rezeption und im Bewusstsein für das Urheberrecht
3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika von Independent Verlagen
3.1 Der Habitus als Handlungsmatrix
3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten
3.2.1 Zum Begriff „Independent“: Medienecho, Historie, Querverbindungen
3.2.2 Wie es beginnt: Auslöser, Motive und Gründungsgeschichten
3.2.3 Warum Bücher machen: Von Selbstverständnis, Selbstausbeutung und Selbstverwirklichung
3.2.4 Wirk- und Werkstätten: Räume, Milieu und Netzwerke
3.2.5 Formen und Mittel: Unternehmensorganisation und Finanzierungskonzepte
3.2.6 Inhalte: Programm, Medien, Events
3.2.7 Wege zum Publikum: Vertrieb und Kommunikation
3.2.8 Ressourcen bündeln: Verbände, Kooperationen und gemeinsame Aktionen
Exkurs Beispiele von Zusammenschlüssen in anderen Ländern
3.2.9 Das Label „Independent“: Aspekte, Handling und Branding eines Begriffs
3.2.10 Fazit: Fallstricke und Erfolgsfaktoren, Position und Potenzial von Independent Verlagen im literarischen Feld
4 Independent Verlage im Porträt
4.1 Blumenbar (Berlin/D, erstes Buch: 2002)
4.2 kookbooks (Berlin/D, erstes Buch: 2003)
4.3 Luftschacht (Wien/A, erstes Buch: 2003)
4.4 mairisch (Hamburg/D, erstes Buch: 2006)
4.5 Onkel & Onkel (Berlin/D, erstes Buch: 2007)
4.6 Salis (Zürich/CH, Berlin/D, erstes Buch: 2007)
4.7 Verbrecher Verlag (Berlin/D, erstes Buch: 1995)
4.8 Voland & Quist (Leipzig/Dresden/D, erstes Buch: 2004)
5 Schlussbetrachtung
5.1 Zusammenfassung
5.2 Fünf Kennzeichen von Independent Verlagen
5.3 Ausblick
6 Verzeichnisse
6.1 Abkürzungsverzeichnis
6.2 Tabellenverzeichnis
6.3 Abbildungsverzeichnis
6.4 Literaturverzeichnis
Anhang
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Independent Verlage am konzentrierten Buchmarkt
 9783110422481, 9783110426625

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Lucia Schöllhuber Independent Verlage am konzentrierten Buchmarkt

Lucia Schöllhuber

Independent Verlage am konzentrierten Buchmarkt

Mit freundlicher Unterstützung durch

ISBN 978-3-11-042662-5 e-ISBN (PDF) 978-3-11-042248-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-042256-6 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlagabbildung: © Jim Avignon Satz: Integra Software Services Pvt. Ltd. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Man kann die Poesie nirgends finden, wenn man sie nicht in sich trägt. Joseph Joubert

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist eine aktualisierte Fassung der 2013 an der Universität Leipzig eingereichten Dissertation „Von wegen verlegen. Independent Verlage am konzentrierten Buchmarkt“. Viele der kleinen, bunten Verlage, die ich damals für meine Arbeit interviewt habe, haben sich seither verändert:  Sie haben sich vergrößert, sind umgezogen oder ihre Macherinnen und Macher haben sich anderen Aufgaben zugewandt. Manche haben den Betrieb übergeben, gar eingestellt. Verschwunden ist dennoch nichts: Denn was die engagierten jungen Menschen, die diese Verlage gegründet haben, realisiert haben, das bleibt. Es sind Ideen, die entdeckt worden sind und eine Heimat in den Independent Verlagen gefunden haben, in der sie verstanden und betreut wurden. Das ist in der sich wandelnden Medienlandschaft keine Selbstverständlichkeit. Jeder kann seine Bücher heute selbst publizieren. Verlegen ist einfacher geworden, aber auch beliebiger. Und wie in anderen Wirtschaftszweigen auch ordnet sich heute mit der Digitalisierung die ganze Branche um das Buch neu. Das geschieht nicht zuletzt unter dem Druck von massiver Konzentration und Dynamiken am Markt, die den Doppelcharakter des Buches, Kulturgut und Produkt gleichzeitig zu sein, zunehmend zu Letzterem hin verschieben. Dieses Umfeld und die Herangehensweisen junger Independent Verlage in diesem zu beschreiben war die Aufgabe, der ich mich mehrere Jahre gewidmet habe. Mein Dank gilt an erster Stelle den Verlegerinnen und Verlegern, die ich für diese Arbeit interviewt habe, die sich nicht beirren lassen und auch unter schwierigen Umständen Durchhaltevermögen und Findigkeit beweisen. Auch allen weiteren Personen, die sich für diese Arbeit für Interviews zur Verfügung gestellt haben, möchte ich für ihre Zeit und den wertvollen Input danken. Dank gilt Prof. Siegfried Lokatis und  Prof. Murray Hall, der diese Arbeit stets ermutigend und mit hilfreichen Anregungen begleitet hat, sowie Dr. Julia Gurevitz und Monika Schöllhuber, die ganz praktisch Unterstützung gegeben haben, die Unmengen an Material und Korrekturdurchgängen zu bewältigen. Jim Avignon danke ich für die Gestaltung des Covermotivs – niemand hätte sie besser machen können. Der Republik Österreich gebührt mehrfacher Dank:  Mit der Zuerkennung der DOC-Förderung der Akademie der Wissenschaften war es möglich, das Forschungsvorhaben über den Großteil seiner Dauer zu finanzieren. Dafür und die dort erhaltene  Unterstützung  bedanke ich mich.  Die Verleihung des Theodor-Körner-Preises 2012 war eine weitere Bestärkung und Anerkennung für das

VIII 

 Vorwort

Projekt, für die ich sehr dankbar bin. Der Österreichischen Forschungsgesellschaft danke ich für die Unterstützung mittels Druckkostenzuschuss.  Bei der FazitStiftung bedanke ich mich für das Abschlussstipendium, das mir erlaubte, das Buch in vorliegender Form fertigzustellen. Lucia Schöllhuber Berlin, Oktober 2015

Inhalt 1 1.1 1.2 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3

1.4 2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3

Einleitung   1 Phänomen Independent Verlage   1 Forschungsstand und Forschungsinteresse   4 Material, Methode und Untersuchungsdesign   5 Interviewdesign und Durchführung der Interviews   7 Codierung des Interviewmaterials   9 Analyse des Materials nach Pierre Bourdieu (Theorie des literarischen Feldes/Theorie der Praxis – Konzept von Feld, Habitus und Kapital)   11 Gliederung und Grenzen der Arbeit   13 Rahmenbedingungen: Deutschsprachige Verlagslandschaft und Buchmarkt heute   17 Das literarische Feld   17 Zwischen den Polen: Möglichkeiten der Positionierung im Feld   17 Die Struktur der Verteilungen: Kapital   19 Die Dynamik des Feldes: Bewegung durch Auseinandersetzung   20 Der deutschsprachige Buchmarkt: Eine Branche im Umbruch   22 Unternehmen: Verlage am Markt   22 Umsatz: Zahlen einer Branche   24 Lesen: Wo und wer   29 Bücher: Titelzahlen, Editionsformen und Warengruppen   30 E-Book: Entwicklung eines neuen Formats   34 Neue Technologien und Akteure im Feld: Die Herausforderungen des Strukturwandels   36 Verschwimmende Grenzen, neue Unternehmenskulturen und Beschleunigung   36 Buchpreisbindung und Machtverschiebungen zwischen Verlagen und Buchhandel   40 Veränderungen in der Rezeption und im Bewusstsein für das Urheberrecht   42

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 Inhalt

3

Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika von Independent Verlagen   45 3.1 Der Habitus als Handlungsmatrix   45 3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten   48 3.2.1 Zum Begriff „Independent“: Medienecho, Historie, Querverbindungen   48 3.2.2 Wie es beginnt: Auslöser, Motive und Gründungsgeschichten   63 3.2.3 Warum Bücher machen: Von Selbstverständnis, Selbstausbeutung und Selbstverwirklichung   71 3.2.4 Wirk- und Werkstätten: Räume, Milieu und Netzwerke   83 3.2.5 Formen und Mittel: Unternehmensorganisation und Finanzierungskonzepte   96 3.2.6 Inhalte: Programm, Medien, Events   121 3.2.7 Wege zum Publikum: Vertrieb und Kommunikation   145 3.2.8 Ressourcen bündeln: Verbände, Kooperationen und gemeinsame Aktionen   166 Exkurs Beispiele von Zusammenschlüssen in anderen Ländern   185 3.2.9 Das Label „Independent“: Aspekte, Handling und Branding eines Begriffs   189 3.2.10 Fazit: Fallstricke und Erfolgsfaktoren, Position und Potenzial von Independent Verlagen im literarischen Feld   201 4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8

 223 Independent Verlage im Porträt  Blumenbar (Berlin/D, erstes Buch: 2002)   223 kookbooks (Berlin/D, erstes Buch: 2003)   232 Luftschacht (Wien/A, erstes Buch: 2003)   239 mairisch (Hamburg/D, erstes Buch: 2006)   245 Onkel & Onkel (Berlin/D, erstes Buch: 2007)   252 Salis (Zürich/CH, Berlin/D, erstes Buch: 2007)   258 Verbrecher Verlag (Berlin/D, erstes Buch: 1995)   265 Voland & Quist (Leipzig/Dresden/D, erstes Buch: 2004) 

5 5.1 5.2 5.3

 281 Schlussbetrachtung  Zusammenfassung   281 Fünf Kennzeichen von Independent Verlagen  Ausblick   292

 288

 272

Inhalt 

6 6.1 6.2 6.3 6.4 Anhang    

Verzeichnisse   296 Abkürzungsverzeichnis   296 Tabellenverzeichnis   297 Abbildungsverzeichnis   297 Literaturverzeichnis   299  323

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1 Einleitung Also thanks for sharing – mir reicht der alte Helm völlig. Auch wenn er nicht mehr upgedatet wird. Und alle Programme so langsam und ruckelig laufen, dass es oh my god ist. Aber ich meine: Ich verwende immer weniger Zeit auf so etwas. Eigentlich fahre ich total auf Papier ab (wenn ich das so sagen darf). Ich glaube, die besten Träume sind die gedruckten. Auf rechteckigen Seiten, wo immer das Gleiche steht, nichts überschrieben werden kann und es kein Verfallsdatum gibt. Kaum zu überhören, wo du arbeitest, sagt Fredri. Und damit könnte er Recht haben. Tor Åge Bringsværd: Puder oder Sleeping Beauty in the Valley of the Wild, Wild Pigs. Berlin: Onkel & Onkel, 2006, S. 16.

1.1 Phänomen Independent Verlage Am 31.12.2004 zog die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem Ausblick auf das neue Jahr Bilanz und blickte auf das zu Ende gehende kulturelle Jahr zurück. Für die Buchlandschaft und seine Macherinnen und Macher konstatierte man, dass „die meisten Impulse nicht mehr von Suhrkamp, Hanser, Rowohlt ausgehen, sondern von Neulingen wie Blumenbar“.1 Es war einer der ersten Artikel, die die Aufmerksamkeit auf junge Independent Verlage und deren Beitrag für die Literatur lenkte. Zahlreiche weitere folgten in den Feuilletons von Zeitungen und der Branchenpresse. Wenige Monate später, zur nächsten Leipziger Buchmesse, war mit den jungen, kreativen Kleinverlegern ein neuer Trend ausgemacht. Er hielt an und etablierte sich: Independent Verlage sind heute ein fester Begriff im Literaturbetrieb. Und das, obwohl dort gerade kein Stein auf dem anderen bleibt und sich Verlegerinnen und Verleger plötzlich einer Vielzahl von Herausforderungen gegenübersehen, oftmals mit gemischten Gefühlen. „Während Google, Apple und Wikipedia unbemerkt den Literaturbetrieb aus den Angeln heben, [sind] Verlage und Autoren noch damit beschäftigt, ihre traditionellen Strukturen zu belobhudeln“,2 kritisiert etwa der Literaturprofessor 1 N.N.: Künstler und Politiker aller Länder verewigt euch! In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 306 vom 31.12.2004, S. 37. 2 Mindnich, Lucy: „Das Lesen und Schreiben wird neu formatiert“. Interview mit Stephan Porombka. In: buchreport.de vom 18.9.2012: http://www.buchreport.de/nachrichten/nachrichten_detail/ datum/2012/09/18/das-lesen-und-schreiben-wird-neu-formatiert.htm?no_cache=1&cHash =02e48c9160d168d1bad566f5a570d456&allesanzeigen=1. Stand: 11.8.2015.

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 1 Einleitung

Stephan Porombka den deutschsprachigen Buchmarkt. Die Buchbranche müsse flexibler werden, um im digitalen Wandel nicht den Anschluss zu verlieren. Die in dieser Arbeit untersuchten Verlage sowie eine Vielzahl weiterer junger bzw. strukturähnlicher Verlage gründeten sich genau in dieser Situation und agieren dort mit verhältnismäßig großer Aufmerksamkeit. Sie fallen auf durch Individualität, beginnend bei den Namen, umgesetzt in den Projekten. Independent Verlage von A1 bis zeter und mordio bringen Bücher von Autorinnen und Autoren heraus, die vielfach jung und unbekannt sind. Das Programm, das sich, überwiegend belletristisch, an ungewöhnliche Themen heranwagt, fällt auf. Verlegt werden ambitionierte Texte, selten Mainstream. Gegenwartsliteratur auf hohem Niveau – vor allem bekannt für ihre schwere Verkäuflichkeit. Wo sich Fragen nach Finanzierbarkeit und Selbstverständnis aufdrängen, eröffnen sich oft Einblicke in Balanceakte, die Verlegerinnen und Verleger in ihrer Arbeit vollbringen. Überlebensstrategien, Sichtweisen und Visionen der jungen Verlegerinnen und Verleger werden in diesem Buch dargestellt. Aufgezeigt wird, wie „Independents“ durch engen Kontakt zu Autorinnen und Autoren sowie zur Zielgruppe Erfolg haben können, durch diesen auch sehr nahe an aktuellen Themen sind und Trends aufnehmen und kreieren, was sich in entsprechender Programmgestaltung niederschlägt. Der Ansatz, Literatur ins Leben und an ungewöhnliche Orte zu holen, bzw. die gekonnte Inszenierung von Verlagslabels und Veranstaltungen, die unter dem Motto „Der Text ist nicht die Party. Aber ein Teil davon“ Publikum vor den Türen Schlange stehen lassen, zeigt, dass die Thematik auch von breiterer Relevanz ist. Nämlich insofern, als hier nicht zuletzt aufgezeigt wird, wie das Leitmedium und Kulturgut Buch in der wachsenden Medienpalette des Informationszeitalters neu und zeitgemäß positioniert werden kann. Denn junge, unabhängige Verlage, die in die gegenwärtigen Rahmenbedingungen starten, tun dies unter anderen Vorzeichen als ihre Vorgängerinnen und Vorgänger und agieren auch vielfach anders in der verlegerischen Praxis als am Markt etablierte Unternehmen: „Wir sind schon unter der Bedingung Krise eingestiegen“,3 sagt die Luxbooks-Verlegerin Anette Lux. Im Vergleich zu etablierten Verlagen, wo es viel mehr um Machterhalt und damit auch den Erhalt von Bestehendem geht, bedeutet das ein gänzlich anderes Bewusstsein der Situation. Ohnehin fühle sich nichts klebriger an als Stagnation, so die Verlegerin.4 Und während man vielerorts die

3 Balke, Florian: Wenn nichts mehr geht, muss alles anders werden. In: Frankfurter Allgemeine Online vom 6.1.2013: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/luxbooks-verlag-wenn-nichts-mehrgeht-muss-alles-anders-werden-12015838.html. Stand: 12.6.2015. 4 Ebd.

1.1 Phänomen Independent Verlage 

 3

Existenz von Verlagen generell in Frage gestellt sieht, blickt man im Luxbooks Verlag einmal mehr auch anders auf die Optionen, die der Strukturwandel in sich birgt. Lux’ Partner Kühn fügt hinzu, dass gerade in Zeiten, in denen zwischen vernetzten Menschen mehr Inhalte unterwegs seien als je zuvor, der Verlag als Filtersystem immer wichtiger werde.5 Wie dieses Filtersystem im Umbruchfeld des deutschsprachigen Buchmarktes aussehen kann, der in dieser Arbeit als Machtfeld im Sinne der theoretischen Ausführungen des französischen Soziologen Pierre Bourdieu aufgefasst wird, sollen die folgenden Ausführungen zeigen. Wie sich im Vergleich mit anderen Branchen beobachten lässt, haben sich krisenhafte Zeiten für Independent Labels oftmals als vorteilhaft erwiesen. So könnten sich auch nun, da die Krise bereits seit Jahren anhält, die Chancen für den Erfolg unabhängiger Labels verbessert haben. Ihr Potenzial zu Veränderung und Alternativen soll dabei ausgelotet werden, um nicht zuletzt der Frage nachzugehen, wie sich Bedingungen bei Independent Verlagen formieren, wenn das vorrangige Ziel nicht Profitmaximierung ist, ökonomischer Erfolg aber auch nicht negiert wird. Wie gestaltet sich die Independent-Realität auf programmatischer, kultureller, sozialer und ökonomischer Ebene? Dies sind Fragen, die auf wissenschaftlicher Ebene bislang unbeachtet geblieben sind und die hier genauerer Betrachtung unterzogen werden. Die Definitionsthematik wird dabei immer wieder aufgegriffen. Denn es gibt, so scheint es, keine Definition von Independent Verlagen, die adäquat auf jedes Unternehmen passt, das sich durch diverse Aspekte als „independent“ qualifiziert. Ebenso fehlt ein Konsens darüber, was Independent Verlage konkret und exakt konstituiert. Fest steht schon jetzt: Der Begriff ist kein statischer. Was ein Verleger mit „jung, unverbraucht, wild“6 zusammenfasst, ist der in allen Fällen von Freiheit und persönlichem Anliegen getriebene Zugang, der den Schritt ins Verlagsgeschäft eröffnet. Im nächsten Schritt kommen dann oftmals erst finanzielle Überlegungen. Ein weiterer Independent Verleger fasst zusammen: Es gibt nur Annäherungen. Es gibt keine feste Definition. Also in dem Sinne, in dem das jetzt öffentlich gebraucht wird, seit einiger Zeit – die Independent Verlage: bezieht sich das auf kleine Verlage am Rand, die sich ökonomisch dadurch auszeichnen, dass sie am Rand des Überlebens stehen? So, das tun andere Verlage auch, die größer sind. Es sind vielmehr neu gegründete Verlage aus den letzten Jahren. Wobei natürlich auch gilt: Unabhängige und Independent Verlage gibt es schon lange. Es gibt irgendwie so die Urmutter der Independent Verlage, oder eine der Mütter ist der Wagenbach Verlag. Aber jedenfalls zu Independent zählt der eigentlich wiederum nicht mehr dazu. Weil das ist so ein bisschen ein anderer kultureller Background, eine andere Sozialisation. Dann ist maßgeblich: Wie sind

5 Balke, 2013. 6 Interview A6, Absatz 400.

4 

 1 Einleitung

die Eigentumsverhältnisse? Und da kann man ja immer sagen, das Wort,Unabhängigkeit‘ in ‚Independent‘ bezieht sich auf die Konzernunabhängigkeit, das heißt, es soll ein Verlag sein, der nicht Teil eines Konzerns ist. Die Frage ist: Gibt es eine Umsatzgrenze?7

Bezüglich der oben formulierten Fragen wird sich im Laufe der Ausführungen zeigen, wie allen Auffassungen zahlreiche Interpretationen zugrunde liegen – seitens Verlagen, Verbänden, Wissenschaft und Presse, basierend auf der jeweiligen Motivation und den verfolgten Interessen. In der Praxis scheint die Definition hochgradig davon abzuhängen, wer sie verwendet. Für diese Arbeit wird es – nicht nur deshalb – ein Begriff bleiben, der sich vollständiger Definition entzieht. Die übergeordnete Forschungsfrage: „Was ist ein Independent Verlag?“, wird den Blick vielmehr auf den Habitus der Verlegerinnen und Verleger richten und damit das Phänomen aus dem Kern heraus beschreiben, hin zu dessen verschwimmenden Grenzen.

1.2 Forschungsstand und Forschungsinteresse Beginnt man der Frage nachzugehen, was ein Independent Verlag ist, so fällt bei der Durchsicht von bestehenden Quellen auf, dass es sich dabei, verglichen mit der Aufmerksamkeit, die Independent Verlagen in den letzten Jahren zuteil wurde, um eine empirisch noch wenig erkundete Forschungsfrage handelt. Während sich journalistische Berichte zum „Phänomen Independent Verlage“ häufen, fällt ein Mangel an wissenschaftlichen Arbeiten auf, die darüber hinaus einige Defizite aufweisen. Sowohl Fachliteratur als auch Berichte aus der Branchenpresse bieten zwar richtungweisende Ansatzpunkte, konkrete und ausführliche Aussagen über belletristische Independent Verlage sind bislang jedoch kaum zu finden. Vereinzelte wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Thema liegen zum Teil länger zurück, wie jene von Helmut Volpers und die Diplomarbeit von Albert Sachs.8 Aktuellere hervorzuhebende Diplomarbeiten stammen von Saskia Klinger und Johanna Stiglhuber.9 Diese versammeln jedoch, was nicht 7 Interview A1, Absatz 35. 8 Volpers, Helmut: Alternative Kleinverlage in der Bundesrepublik Deutschland. Geschichte, Struktur, Programmangebot, Produktions- und Distributionsbedingungen. Göttingen: Davids Drucke, 1986; Sachs, Albert: Zwischen Packpapier und Bibliophilie. Zur Geschichte und Situation österreichischer Alternativ-, Klein- und Mittelverlage von 1968 bis 1990. Wien: Diplomarbeit, 1991. 9 Klinger, Saskia: Wettbewerbsstrategien belletristischer Nischenverlage im Rahmen des Konzentrationsprozesses auf dem deutschen Buchmarkt. München: Diplomarbeit, 2008; Stiglhuber, Johanna: Macht und Ohnmacht der Unabhängigen. Independent-Verlage und ihre Verortung in der deutschen und österreichischen Verlagsszene. Wien: Diplomarbeit, 2010.

1.3 Material, Methode und Untersuchungsdesign 

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zuletzt dem Rahmen geschuldet ist, eher Artefakte, als dass sie Gesamtdynamiken beschreiben. Auch enthält der Blick auf Effekte weder Erklärungen noch Ausblicke. Der wissenschaftliche Beitrag von Thomas Meuser u.a. Wie überlebt man gute Bücher?10 stellt auf knappem Raum eine vergleichsweise umfassende Einführung in das Thema dar. Auf wenigen Seiten werden dort Wettbewerbsmöglichkeiten kleiner, unabhängiger Verlage beschrieben. Was allen Berichten und Ausarbeitungen völlig fehlt, ist eine umfassende zusammenhängende Ausleuchtung der Welt dieser Verlage unter Berücksichtigung von Zeit und Raum, kurz: dem Feld, in dem deren Agieren stattfindet. Das in diesem Buch verfolgte Interesse besteht darin, hier anzusetzen und der Frage nachzugehen, welche Bedeutung dem Begriff „Independent Verlag“ in diesem Kontext zukommt und welche Funktionen sie dort einnehmen bzw. welche Charakteristika diese auszeichnen und wie sich deren Agieren konkret gestaltet. Damit soll auch ein erster fundierter Überblick zum Thema gegeben werden, der zugleich aufzeigt, welchen Beitrag diese Verlage für das gesamte Feld leisten sowie auch für die Zukunft des Büchermachens.

1.3 Material, Methode und Untersuchungsdesign Derzeit liegen einige wenige wissenschaftliche Werke vor, die den deutschsprachigen Buchmarkt der Gegenwart sowie die dort stattfindenden Umbrüche beschreiben. Für diese Arbeit wurden vor allem die Beiträge aus dem 2009 erschienen Sammelband Ökonomie der Buchindustrie von Michael Clement, Eva Blömeke und Frank Sambeth verwendet.11 Dem Zeichnen der Rahmenbedingungen bzw. der Beschreibung des aktuellen Buchmarktes diente weiters das Standardwerk Verlagswirtschaft von Wulf D. von Lucius.12 Zur Untermauerung von Beispielen wurden aktuelle branchenspezifische Presseberichte herangezogen,13 Zahlenmaterial wurde dem jährlich erscheinenden Bericht des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Buch und Buchhandel in Zahlen, entnommen.14 10 Meuser, Thomas, et al.: Wie überlebt man gute Bücher? Zur Situation kleinerer unabhängiger Verlage auf dem deutschen Buchmarkt. In: MedienWirtschaft 3/2007, S. 30–39. 11 Clement, Michael/Blömeke, Eva/Sambeth, Frank (Hg.): Ökonomie der Buchindustrie. Herausforderungen in der Buchbranche erfolgreich managen. Wiesbaden: Gabler, 2009. 12 Lucius, Wulf D. von: Verlagswirtschaft. 2. Aufl. Stuttgart: UTB: UVK, 2007. 13 Hier sind vor allem Börsenblatt und buchreport zu nennen, oder etwa auch Anzeiger und Buchmarkt. 14 Börsenverein des Deutschen Buchhandels (Hg.): Buch und Buchhandel in Zahlen 2015. Frankfurt am Main: MVB Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels, 2015. Herangezogen wurden auch die vorangegangenen Ausgaben ab 2009.

6 

 1 Einleitung

Die für diese Arbeit relevante theoretische Literatur stammt überwiegend von Pierre Bourdieu bzw. Sekundärliteratur zu seinem Werk, wobei Bourdieus Die Regeln der Kunst als zentrale Quelle fungierte.15 Zum Kern der Studie bzw. dem eigentlichen Thema, Independent Verlage, liegt bislang kaum Material vor. Gemäß der oben beschriebenen Lage des Forschungsstands basiert diese Arbeit demnach auf verschiedenartigem Forschungsmaterial, das neben der spärlichen Forschungsliteratur zu Independent Verlagen selbst vielfach auf themenbezogene journalistische Artikel zurückgreift. Diese stammen sowohl aus der Branchenpresse als auch aus der branchenunabhängigen Presse.16 Vielfach wurden auch Primärquellen bzw. Belege aus der Verlagspraxis, wie Homepages, Kataloge, Broschüren und Publikationen, verwendet. Zum Teil sind derartige Textquellen kritisch zu beurteilen, da eine objektive Darstellung der relevanten Aspekte oftmals nicht oder nur eingeschränkt gewährleistet ist. Dieser Umstand bleibt stets berücksichtigt, einmal mehr, indem solche Materialen genauso wie Presseartikel lediglich als zusätzliche Belege herangezogen wurden. Vielmehr basiert das methodische Konzept der vorliegenden Arbeit auf dem Ansatz der deskriptiven Feldforschung – wo das Feld selbst Teil des Untersuchungsgegenstandes ist.17 Ein Untersuchungsverfahren, das sich innerhalb der Feldforschung zur Erschließung von Lebensbereichen anbietet, ist das qualitative Interview.18 Mittels dieser Erhebungsmethode wurde das Material gesammelt, auf das sich diese Arbeit überwiegend stützt. Dabei galt es, Akteurinnen und Akteure zu befragen, die eine besondere Stellung innerhalb des Gegenstandsbereiches einnehmen. Mittels Interviews wurde für die vorliegende Arbeit untersucht, was Independent Verlage ausmacht und wie sich ihre Arbeitswelten und Herangehensweisen gestalten. Dafür wurden mehrere Verlagsbeispiele ausgewählt, um vergleichende Schlussfolgerungen ziehen zu können. Die Erkenntnisse dieser Arbeit kommen dabei nicht ausschließlich aus den Interviews mit Independent Verlegerinnen und Verlegern. Zusätzlich zu diesen wurden auch Interviews mit

15 Bourdieu, Pierre: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1999. 16 Branchenpresse: v.a. Börsenblatt, buchreport, Anzeiger und Buchmarkt. Branchenunabhängige Presse: diverse Tages- und Wochenzeitungen, Zeitschriften und Magazine (z.B. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Zeit, Der Spiegel). 17 Vgl. u.a.: Mayring, Philipp: Einführung in die qualitative Sozialforschung. 5. Aufl., Weinheim/ Basel: Beltz, 2002, S. 54–57; Girtler, Roland: Methoden der Feldforschung. 4. Aufl., Wien: Böhlau: UTB, 2001. 18 Vgl. u.a.: Froschauer, Ulrike/Lueger, Manfred: Das qualitative Interview. Zur Praxis interpretativer Analyse sozialer Systeme. Wien: WUV: UTB, 2003.

1.3 Material, Methode und Untersuchungsdesign 

 7

Expertinnen und Experten sowie weiteren Verlegerinnen und Verlegern miteinbezogen, um neben der Innensicht auch eine Außensicht auf das Thema zu erhalten. Auf diese Weise können insbesondere im Zuge einer abschließenden Fallbeurteilung die potenziell subjektiven Aussagen der Verlagsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter kritisch überprüft werden. Ausreichende Dokumentation und damit prinzipielle Wiederholbarkeit sollen die Reliabilität der Studie untermauern. Ausgehend von der übergeordneten Forschungsfrage „Was ist ein Independent Verlag?“ wurde in der Erschließung des Themas ein qualitatives Untersuchungskonzept entwickelt, das in der explorativen Vorgehensweise drei Stufen der Materialerschließung umfasste: 1. Interviewdesign und Durchführung der Interviews 2. Codierung des Interviewmaterials 3. Analyse des Materials nach Pierre Bourdieu

1.3.1 Interviewdesign und Durchführung der Interviews Da es sich um ein junges Forschungsfeld handelt, erwiesen sich nicht zu stark standardisierte Befragungen für das Forschungsinteresse dieser Arbeit als sinnvoll. Für eine möglichst offene Datenerhebung fiel die methodische Wahl deshalb auf halb-/teilstandardisierte Leitfadeninterviews.19 Dieser Befragungstypus ermöglicht ein tief gehendes Gespräch, in dem Expertinnen und Experten fachliche Aussagen, individuelle Bewertungen wie auch Kritik und Verbesserungsvorschläge einbringen können. Umgekehrt ist es durch die offene Fragestruktur möglich, Rückfragen zu stellen und während des Gesprächs nachzuhaken. Für diese Experteninterviews20 wurden zentrale Akteurinnen und Akteure aus Independent Verlagen der deutschsprachigen Buchhandelslandschaft

19 Vgl. u.a. Froschauer/Lueger, 2003, S. 51–79; Helfferich, Cornelia: Die Qualität qualitativer Daten. Manual für die Durchführung qualitativer Interviews. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2005, S. 161–167; Hopf, Christel: Qualitative Interviews. Ein Überblick. In: Flick, Uwe/Kardoff, Ernst von/Steinke, Ines (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. 5. Aufl., Reinbek: Rowohlt, 2007, S. 349–360. 20 Das Experteninterview ist eine Variante des Leitfadeninterviews, mit spezifischen Schwerpunkt auf der Zielgruppe: den Expertinnen und Experten. Diese stehen weniger als „ganze Person“ im Zentrum des Forschungsinteresses, sondern gelten vielmehr als Repräsentantinnen und Repräsentanten für die Handlungs- und Sichtweisen einer bestimmten Gruppe.

8 

 1 Einleitung

(Deutschland, Österreich, Schweiz – in relativer Gewichtung zum Verhältnis der Verlagstätigkeit in den einzelnen Ländern) bzw. deren Umfeld ausgewählt. Das Sampling sah drei Gruppen von Gesprächspartnerinnen und -partnern vor: – 8 Independent Verlegerinnen und Verleger (Belletristik) Kerngruppe. Verlage, die bei der Nennung des Begriffs am häufigsten als solche bezeichnet werden und sich auch selbst so bezeichnen und den Begriff zur Inszenierung nutzen – branchenweite Relevanz und Bekanntheit als „Independent Verlag“. (In der Zitation aus den Interviews mit dem Buchstaben „A“ gekennzeichnet.) – 8 Verlegerinnen und Verleger, die in unabhängigen Verlagen arbeiten (oder arbeiteten), welche jedoch einer anderen Größenordnung/Generation/ Programmschiene angehören; Größtenteils nehmen die Interviewpartnerinnen und -partner auch zusätzliche Funktionen außerhalb des Verlags ein (Verbandsarbeit, betreiben Plattformen etc.). Ränder des Forschungsbereichs, Relativierung und Ergänzung von Sichtweisen, Aufzeigen von Heterogenität und Überschneidungen. (In der Zitation aus den Interviews mit dem Buchstaben „B“ gekennzeichnet.) – 8 Branchenteilnehmerinnen und Branchenteilnehmer (Buchhändler, Autor etc.), die nicht verlegerisch tätig sind. Beschäftigung mit der Thematik bzw. Berührungspunkte an zentralen Arbeitsbereichen von Independent Verlagen. Ergänzung um die Außensicht. (In der Zitation aus den Interviews mit dem Buchstaben „C“ gekennzeichnet.) Das detaillierte Interviewsampling mit Auflistung der Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner sowie weiteren Eckdaten zu den Interviews findet sich im Anhang,21 ebenso der Fragebogen, der für die Durchführung der Interviews entwickelt wurde und als Leitlinie für jedes Gespräch zum Einsatz kam.22 In der Erstellung des Leitfadens wurde auf die SPSS-Methode nach Helfferich zurückgegriffen.23 Dabei wurden offene Fragen in Anlehnung an das Inhaltsverzeichnis bzw. den Kernbereichen des Forschungsinteresses gebildet und in thematischen Blöcken zusammengefasst: Begriff/Definition „Independent“,

21 Siehe Anhang 1 Interviewsampling. 22 Siehe Anhang 2 Interviewdesign. 23 SPSS steht als Abkürzung für die vier methodischen Schritte „Sammeln“, „Prüfen“, „Sortieren“ und „Subsumieren“. In dieser Abfolge in der SPSS-Methode vereint, soll so das Grundprinzip der Offenheit gewahrt werden, während dem Leitfaden gleichzeitig die notwendige Struktur gegeben wird. Vgl. Helfferich, 2005, S. 161–167.

1.3 Material, Methode und Untersuchungsdesign 

 9

Verlegerische Tätigkeit, Buchmarkt heute/Konzentration, Neue Medien und Technologien, Zusammenschlüsse/Kooperationen, Ausblick/Alternativen. In allen Gesprächen bildete das die Grund- und Ausgangslage, die gleichzeitig aber auch unterschiedliche Antworten und Gesprächsverläufe zuließ und damit das Ziel, individuelle Facetten und Sichtweisen einzufangen, erreichte. Den Beginn der Interviews machten meist je einige maßgeschneiderte Fragen, die die besonderen Umstände des jeweiligen Gegenübers zu berücksichtigen suchten. Diese offenen Fragen führten häufig zu unerwarteten Informationen und bewirkten zumeist eine Atmosphäre der Offenheit. Alle Gespräche fanden persönlich statt, die meisten am Arbeitsplatz der Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner, einige auch im Café oder auf der Buchmesse, ein späteres zusätzliches Interview wurde per Telefon geführt. Bei allen Interviewterminen am Verlagssitz wurden Fotos gemacht und eine Gesprächsnotiz zur Atmosphäre verfasst. Die Interviews dauerten je circa eineinhalb Stunden und wurden mit Zustimmung der Interviewpartnerinnen und -partner mit einem Audiogerät aufgezeichnet. Der Interviewzeitraum erstreckte sich vom 3.5.2010 bis zum 8.10.2010. Zwei Interviews wurden in einer früheren Testphase probeweise durchgeführt sowie zwei aufgrund des Bedarfs an zusätzlichem Expertenwissen im Laufe der weiteren Arbeit noch angefügt. In der Gestaltung der Gesprächsatmosphäre galt das Bemühen einem professionellen wie respektvollen Zugang. Mein Verständnis von Independent Verlagen sowie meine vorherigen beruflichen Tätigkeiten in der Verlagsbranche halfen, meine Position als Forscherin zu legitimieren. Die zugrunde liegende Notwendigkeit von Hintergrundwissen im Prozess der Gesprächsanalyse muss an dieser Stelle aber freilich auch als paradox ausgewiesen werden – denn wenngleich unerlässlich, ist diese in ihrer Gültigkeit radikal infrage zu stellen. Anschließend folgte die Transkription der Audioaufnahmen, die mit einem Umfang von mehreren hundert Seiten abgeschlossen wurde.24 Dieser Materialumfang, vor allem aber auch die systematische Darstellung von Ergebnissen aus den Interviews erforderten einen ebenso systematischen Umgang mit dem Material in Hinblick auf eine fruchtbare Analyse:

1.3.2 Codierung des Interviewmaterials Um die Experteninterviews auszuwerten und damit beschreibbar zu machen, wurde ausgehend vom vorliegenden Interviewmaterial und in Hinblick auf

24 Aus Vertraulichkeitsgründen ist dieses Material nicht öffentlich.

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 1 Einleitung

Analysemethoden ein empiriegeleiteter Zugang gewählt, der zur Bildung eines Kategoriensystems führte. Die Bildung von Kategorien bzw. Erstellung von Codes erfolgte somit induktiv.25 Dafür wurde das EDV-Auswertungsprogramm Atlas.ti zu Hilfe genommen.26 Die Interviews wurden in dieses eingespeist und bildeten das Material, aus dem in einem späteren Schritt Auswertungskategorien erarbeitet wurden. Beim mehrmaligen Lesen der dokumentierten Interviews galt das Interesse wiederkehrenden Themen sowie Besonderheiten, die Erwähnung fanden. Diesen wurden Codes zugewiesen. Stichwörter und Themenbereiche, die im Inhaltsverzeichnis ihre Entsprechung finden, wurden festgelegt und als Codes in den Interviews hinterlegt bzw. mit Textpassagen verknüpft. Methodisch entspricht dieses Vorgehen dem Textreduktionsverfahren im Rahmen einer Themenanalyse.27 In der Interpretation der Ergebnisse erlaubte die Auswertung durch dieses empirische Codieren es, strukturiert vorzugehen.28 Verschiedene Sortierweisen erlaubten es, Häufungen und Unterschiede sehr effektiv und klar ersichtlich zu machen und Gemeinsamkeiten zu bündeln: Die Codes enthalten bis zu drei Ebenen und konnten so sehr klar unterschiedlichen Themenbereichen und in der Arbeit schließlich Kapiteln zugewiesen werden.29 Beispiele sind etwa: R_Konzentration, R_Digitalisierung („R“ steht für Rahmenbedingungen) oder C_Setting_Netzwerk_sozial, C_Setting_Netzwerk_Arbeit („C“ steht für Charakteristika). Eine detaillierte Auflistung findet sich im Anhang.30 Dieser Zugang machte eine fokussierte wie umfassende Analyse möglich: Unterschiedliche Kommentare zu Stichwörtern sind so auf einen Blick ersichtlich; auch komplexere Verknüpfungen unterschiedlicher Codes und Themenbereiche konnten mit dem Programm schnell erstellt und veranschaulicht werden. Erst als das Interviewmaterial vorlag und schließlich auch durchgängig wie oben beschrieben geclustert und codiert war, knüpften sich Überlegungen hinsichtlich geeigneter Zugänge an, diesen Erkenntnisgewinn darzustellen und in

25 Vgl. Brosius, Hans-Bernd/Koschel, Friederike: Methoden der empirischen Kommunikationsforschung. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2005, S. 150ff; Rössler, Patrick: Inhaltsanalyse. Konstanz: UVK: UTB, 2005, S. 244f. 26 Homepage atlas.ti: http://www.atlasti.com/de/index.html. Stand: 26.7.2015. 27 Vgl. Froschauer/Lueger, 2003, S. 160–162. 28 Vgl. hierzu auch: Schmidt, Christiane: Analyse von Leitfadeninterviews. In: Flick, Uwe/ Kardoff, Ernst von/ Steinke, Ines (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. 5. Aufl. Reinbek: Rowohlt, 2007, S. 447–456. 29 Analog zu Themen- und Subkategorien. Vgl.: Froschauer/Lueger, 2003, S. 163 f. 30 Siehe Anhang 3 Codierungsdesign.

1.3 Material, Methode und Untersuchungsdesign 

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Verbindung mit einer Theorie zu beschreiben. Dieses Prinzip der Offenheit war dem Erkenntnisinteresse der Thematik geschuldet: Das Prinzip der Offenheit besagt, dass die theoretische Strukturierung des Forschungsgegenstandes zurückgestellt wird, bis sich die Strukturierung des Forschungsgegenstandes durch die Forschungssubjekte herausgebildet hat.31

Dieser empiriegeleitete Ansatz im Rahmen deskriptiver Feldforschung gewährleistet, ähnlich der Grounded Theory,32 von Beginn an tief in die soziale Welt und deren Beschaffenheit einzutauchen – im Gegensatz zu einem theoriegeleiteten Ansatz. In der Forschung befähigt das dazu, die Daten unvoreingenommen und offen zu betrachten, um Parallelen, Beziehungen und Kontexte, letztlich auch Trends, Alternativen und Perspektiven zu erfassen. Prozesse können so erfasst und es kann nachvollziehbar gemacht werden, wie sie zu institutionalisierten Praktiken werden. Themen, die im Material immer wieder auftauchen, enthüllten sich auf diese Weise, wohingegen sie in einem theoriegeleiteten Ansatz unsichtbar geblieben wären. Erst an diesem Punkt erfolgte die Beschäftigung mit geeigneten Theorien, die schließlich zu Pierre Bourdieu führten. Dabei galt von Beginn an, keine Arbeit über Bourdieu, sondern eine mit ihm zu schaffen: Um Dinge klarer beschreiben zu können, als es ohne seine Begrifflichkeiten möglich wäre und tiefer zu blicken und Zusammenhänge zu erkennen, die mittels Abstraktionsmöglichkeit seiner Theorie erläutert werden können – nicht mehr und nicht weniger.

1.3.3 Analyse des Materials nach Pierre Bourdieu (Theorie des literarischen Feldes/Theorie der Praxis – Konzept von Feld, Habitus und Kapital) Das Ziel der deskriptiven Feldforschung – von innen heraus zu verstehen33 – korrespondiert trefflich mit der Theorie Pierre Bourdieus, deren Kennzeichen es

31 Hoffmann-Riem, Christa: Die Sozialforschung einer interpretativen Soziologie – Der Datengewinn. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 32/1980, S. 339–372, S. 343. 32 Die Grounded Theory ist ein sozialwissenschaftlicher Ansatz zur systematischen Auswertung vor allem qualitativer Daten mit dem Ziel der Theoriegenerierung. Dabei werden in einem sich wiederholdenden Prozess der Datenerhebung und -analyse sukzessive Kategorien gebildet und miteinander in Beziehung gesetzt. Vgl. Glaser, Barney/Strauss, Anselm: Grounded Theory: Strategien qualitativer Forschung. 2. Aufl. Bern: Huber, 2008. 33 Vgl. Hussy, Walter/Schreier, Margrit/Echterhoff, Gerald: Forschungsmethoden in Psychologie und Sozialwissenschaften. Berlin/Heidelberg: Springer, 2010, S. 197 f.

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 1 Einleitung

ist, zwischen Objektivismus und Subjektivismus zu vermitteln.34 In beiden Ansätzen ist das Spannungsfeld zwischen Innen- und Außensicht zentral. Die Arbeit mit seiner Theorie erlaubt es, Phänomene und Machtgefüge jenseits von Dichotomien (etwa: Konzernunternehmen – Independent Verlag) zu beschreiben und Beziehungsgefüge darzustellen, die durch Handel geprägt sind – ohne diesen auf ökonomisches Kapital zu beschränken. Ausgehend von der Annahme, dass das soziale Leben durchgängig von Statuskämpfen bestimmt sei, gilt es nach Bourdieu, die Zusammenhänge zwischen Klassenlagen und Klassenpositionen, Geschmacksdispositionen und Lebensstilen aufzuzeigen. Soziale Beziehungen werden dabei als Tauschbeziehungen verstanden und Bourdieus Entwurf beschreibt eine „Ökonomie der praktischen Handlungen“. Neben einem differenzierten Kapitalbegriff (symbolisches, soziales, kulturelles und ökonomisches Kapital) stellt Bourdieu seine Theorie mit den Begriffen „Habitus“, „Praxis“ und „Struktur“ auf. Damit eröffnete sich für diese Arbeit eine Möglichkeit, das Phänomen Independent Verlage in seiner Komplexität zu skizzieren sowie gleichzeitig Schwierigkeiten und Potenziale im aktuellen Kontext zu beleuchten. Bourdieus eigene, in der Praxis durchgeführte Studien befassten sich mit unterschiedlichen soziologischen Feldern. Themenverwandt zum Forschungsfeld der vorliegenden Arbeit hat er seine Theorie selbst anhand einer Studie über das literarische Feld im Frankreich des 19. Jahrhunderts angewandt. In der dazu entstandenen Monografie Die Regeln der Kunst 35 hat Bourdieu aufgezeigt, wie das Umfeld des Autors Gustave Flaubert in seinem Werk Niederschlag findet. Diese Analysetechnik wird in der vorliegenden Arbeit auf Independent Verlage und deren Um- bzw. Agitationsfeld angewandt. Im Rückgriff auf Bourdieus theoretischen Ansatz wird in dieser Arbeit zunächst das Feld beleuchtet: Auf der Makroebene handelt es sich dabei um den deutschsprachigen Buchmarkt der Gegenwart. Auf der Mikroebene soll das konkrete Setting dieser Verlage genauerer Betrachtung unterzogen werden. Die Fragestellung zielt darauf ab, zu ergründen, wie junge Unternehmungen, die Belletristik verlegen, ihre Projekte finanzieren, 34 Mit dem Objektivismus auf der einen Seite versteht Bourdieu das Begreifen der sozialen Realität als externe und objektive Struktur, die die handelnden Akteure missachtet bzw. als Objekte zu Spielbällen der Struktur reduziert. Hierzu kann etwa der Strukturalismus gerechnet werden. Der Subjektivismus steht auf der anderen Seite als Gegenposition, in welcher die soziale Welt das Produkt der Summe der individuellen Handlungen ist. Neu an Bourdieus Theorie ist die dialektische Verschmelzung des objektivistischen und des subjektivistischen Modus zu einer sogenannten Praxeologie – einer Theorie der Praxis, in der die Verknüpfung über das HabitusKonzept erfolgt. Vgl. dazu, auch für das Folgende: Bourdieu, Pierre: Das Paradox des Soziologen. In: Bourdieu, Pierre (Hg.): Soziologische Fragen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2004, S. 83–91. 35 Bourdieu, Pierre: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1999.

1.4 Gliederung und Grenzen der Arbeit 

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gestalten und inszenieren, was unter dem Schlagwort „Independent“ geschieht. Der Fragestellung, welche Bedeutungen und Zuschreibungen diese Bezeichnung in diesem Kontext haben kann, soll – im Unterschied zu einer Definition – ebenfalls nachgegangen werden. In der Interviewanalyse hat sich insbesondere soziales Kapital als zentraler Aspekt herauskristallisiert. In Bourdieus Forschung ist dies der bislang am wenigsten erforschte Kapitaltypus. Seit wenigen Jahren lassen Veränderungen im Aktionsfeld der Verlage, analog zu anderen Feldern, soziale Einflüsse jedoch zunehmend in den Fokus rücken und bieten hier auch Gelegenheit, die Forschung voranzutreiben. Bourdieus Theorie wird in der Arbeit selbst immer wieder dort erläutert, wo der Rückgriff darauf erfolgt, bzw. an den relevanten Stellen dieser Arbeit werden die Begriffe da näher beschrieben, wo sie zur Anwendung kommen.

1.4 Gliederung und Grenzen der Arbeit Buchwissenschaft als interdisziplinäres Fach erlaubt, in Abgrenzung zu einer eindimensionalen Betrachtungsweise, Grenzen zwischen wissenschaftlichen Fachrichtungen zu überwinden und unterschiedliches Wissen rund um das Forschungsgebiet zum und über das Buch zu verknüpfen. Umgekehrt bedeutet die Verknüpfung vieler Aspekte und Disziplinen auf der anderen Seite auch, einem roten Faden rund um die Thematik zu folgen, der nicht jeder verwandten Wissenschaft, von Geschichte und Literaturwissenschaft über Ökonomie hin zu Philosophie und Soziologie etc., bis in die Tiefe gerecht werden kann. Diese Arbeit kann keine betriebswirtschaftlichen Analysen bieten, genauso wenig wie historische Abfolgen herausarbeiten. Für den Zweck bzw. das Forschungsinteresse ist dies auch nicht notwendig. Vielmehr geht es darum, das komplexe Feld Buchmarkt in seinen wesentlichen Punkten und seinen aktuellen Tendenzen zu skizzieren, um im nächsten Schritt die Herangehensweisen von Independent Verlagen nachzuvollziehen und in diesem Feld zu verorten. Die Arbeit gliedert sich in drei große Blöcke. Den inhaltlichen Ausgangspunkt der Arbeit bildet die aktuelle Situation am Buchmarkt. Sie ist der Hintergrund, vor dem die jungen Verlage agieren, und findet besondere Berücksichtigung, weil sie nicht nur die Grundlage der täglichen Verlagsarbeit ist, sondern sich zudem in massivem Umbruch befindet. Digitalisierung und Globalisierung brechen seit wenigen Jahren alte Strukturen auf. Neue Medien bieten der Leserschaft neue Nutzungsmöglichkeiten; Konzentration, Aushöhlung bzw. teilweise sogar Abschaffung des Preisbindungsgesetzes haben das Kulturgut Buch in den letzten Jahren in rasanter Gangart den Gesetzen des unregulierten und stark

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 1 Einleitung

veränderten Marktes unterworfen. Die Branche befindet sich im Strukturwandel und damit viele Unternehmen im Kampf um die wirtschaftliche Existenz, wie Branchenmedien in nahezu jeder Ausgabe aufs Neue belegen.36 Ausgehend von diesem ersten Block, der in Kapitel 2 das Feld beschreibt, werden im nächsten Kapitel 3 die Arbeitswelten von Independent Verlagen beleuchtet, die dort agieren. In diesem zweiten großen Block sollen Parallelen und Gemeinsamkeiten ausgelotet werden. Beginnend mit einem historischen Blick auf den Begriff „Independent“ im Verlagsbereich und anderen Branchen, soll sich dieser Block schließlich ganz auf jene acht Independent Verlegerinnen und Verleger richten, die für diese Arbeit befragt wurden. Ergänzt wird dies um den Blick von Verlegerinnen und Verlegern, die sich zwar durchgängig auch als unabhängig verstehen, aber zumeist nicht als „Independent“ bezeichnet werden, wie auch um jenen von Branchenexpertinnen und -experten. Erörtert werden im Folgenden Gründungsmotive, Selbstverständnis, Räume, Formen und Mittel sowie schließlich auch Inhalte, Vertriebswege und Kooperationsmöglichkeiten sowie Kommunikationsweisen rund um das Label „Independent“. Den Abschluss bildet ein Fazit, das den Blick auf die Fallstricke und Erfolgsfaktoren von Independent Verlagen richtet und neben der Positionierung im Feld nicht zuletzt das Potenzial von Independent Verlagen ausloten will. Dem einzelnen Verlagsfall ist schließlich Kapitel 4 gewidmet. In diesem abschließenden dritten großen Block der Arbeit wird die spezielle Entwicklung und Ausgestaltung der acht Independent Verlage, die im Zentrum der Arbeit stehen, jeweils nachgezeichnet. Die Schlussbetrachtung, in der neben Zusammenfassung und Ausblick auch fünf zentrale Kennzeichen von Independent Verlagen dargelegt werden, schließt den inhaltlichen Teil der Arbeit. Fließen Zitate aus den Interviews in den Text ein, so erfolgt dies anonymisiert. Dies geschieht einerseits aus dem Grund, den persönlichen Raum der Verlegerinnen und Verleger zu respektieren, die mit ihren Unternehmen größtenteils nach wie vor am Markt bestehen,37 aber auch dazu, Parallelen herauszuarbeiten und zu abstrahieren.38 Das sollte insbesondere im Hauptteil der 36 Vgl. z.B.: Börsenblatt 20/2009 vom 20.5.2009 zum Thema der Woche: „Personalabbau“. Oder: buchreport spezial 5/2009 vom 28.4.2009 zum Thema: „Herstellung & Management“ – „Große Herausforderungen, mittlere Chancen“. 37 Zur Forschungsethik in der qualitativen Forschung vgl. Hopf, Christel: Forschungsethik und qualitative Forschung. In: Flick, Uwe/Kardorff, Ernst von/Steinke, Ines (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. 5. Aufl., Reinbek: Rowohlt, 2007, S. 588–600. Zu ethischen Kriterien in der Forschung allgemein vgl. Bortz, Jürgen/Döring, Nicola: Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler. 3. Aufl., Berlin/Heidelberg/New York: Springer, 2003, S. 45 ff. 38 Vgl. Küsters, Ivonne: Narrative Interviews: Grundlagen und Anwendungen. 2. Aufl., Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2009, S. 76.

1.4 Gliederung und Grenzen der Arbeit 

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Arbeit (Kapitel 3) dazu beitragen, auch eine Geschichte von Independent Verlagen zu zeichnen, ohne zu stark auf den einzelnen Fall einzugehen, was für das wissenschaftliche Arbeiten eine zentrale Option der Generalisierung darstellt.39 Fließen formale Informationen, die Entstehungsgeschichten der einzelnen Unternehmen betreffend, aus den Interviews ein, so ist dies vermerkt. Dies ist der Fall für die Kapitel 3.2.2, 3.2.5.4 sowie Kapitel 4. Forschung bewegt sich bewusst in gewissen Grenzen, wie thematischer, zeitlicher oder der Einschränkung auf bestimmte Quellen, Teilaspekte oder Fälle, um überhaupt ein valides Ergebnis zu produzieren und sicherzustellen. Wie jede Forschungsarbeit hat auch diese ihre Grenzen in der persönlichen Erfahrung der Forscherin und deren Energie, Ressourcen oder in der Verfügbarkeit von Daten, Quellen und Interviewpartnerinnen und -partnern. Mit über 2.000 von 2.170 Betrieben alleine in Deutschland bilden kleine Verlage den mit Abstand größten Teil der Unternehmensanzahl der herstellenden Buchbranche.40 Sie alle verdienen unsere Aufmerksamkeit, weil sie bei umgekehrt geringster wirtschaftlicher Bedeutung die Vielfalt sicherstellen, für die diese Arbeit – in eingeschränkter Form – nicht zuletzt auch Bewusstsein schaffen will. Aufgrund der Ressourcen war es notwendig, sich hier auf einen bewältigbaren Blickwinkel auszurichten, der stellvertretend dafür zu stehen vermag. Eine Eingrenzung dieser Studie besteht in der Auswahl und Zahl der interviewten Personen für das Projekt. Im Versuch, verschiedene Typen von Personen zu interviewen – von jungen Independent Verlegerinnen und Verlegern über ältere bzw. Personen, die in größeren Verlagen agieren, bis hin zu Personen, die außerhalb davon agieren und andere Positionen im Feld einnehmen – von Beratung, Handel bis hin zu Schriftstellerei –, wurde zwar eine multiperspektivische Schau angestrebt, dennoch müssen Segmente oder Communitys unberücksichtigt bleiben. Diese Studie fokussiert sich außerdem in erster Linie auf urbane Ballungszentren des deutschsprachigen Raumes, wo aufgrund verfügbarer Räume, Kontakte und Ressourcen die Mehrzahl der Independent Verlage angesiedelt ist. Doch es bleibt zu erwähnen, dass auch hier Abstriche in Kauf genommen werden mussten. Zweifelsfrei gibt es auch außerhalb dieser Zentren eine lebendige Independent-Kultur – in einem weniger urbanen Umfeld, womöglich sogar mit größerer Strahlkraft.

39 Bei der Verwendung der Zitate wird ausgewiesen, ob es sich um eine Independent Verlegerin bzw. einen Verleger handelt (A) oder um Personen der anderen beiden Gruppen (B, C). 40 Gerechnet werden hier steuerpflichtige Buchverlage mit einem Jahresumsatz unter 5 Millionen Euro. Vgl. Börsenverein, 2015, S. 48.

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 1 Einleitung

Da es sich um ein aktuelles Thema handelt, dessen Forschungsfeld in ständiger Bewegung und somit Veränderung ist, Recherchen aber endlich sind, soll hier auch der Forschungsstand ausgewiesen werden: Erhebungen wurden 2010 durchgeführt, Aktualisierungen laufen bis 2015 ein. Es muss an dieser Stelle auch festgehalten werden, dass die Forschungsobjekte der Untersuchung Independent Verlage bilden, nicht aber deren Produkte oder Publikationen, wenngleich sich ihre Macherinnen und Macher in ihrer Betrachtung in erster Linie wegen diesen in Bewegung setzen. Genauso wenig liefert diese Arbeit eine Beschreibung des klassischen unabhängigen oder kleinen Verlags oder bietet Definitionen an. Vielmehr wird hier ein Phänomen unter die Lupe genommen, das durch verstärkte Presse- und brancheninterne Aufmerksamkeit am Feld hervorgebracht wurde und wiederum selbst Neues hervorbringt. Die (Eigen-)Benennung als „Independent Verlag“ von den häufig immer selben Akteurinnen und Akteuren war von Anfang an umstritten – wie in dieser Arbeit immer wieder gezeigt werden wird –, ist aber auch Teil des Phänomens. Dieses genauer zu untersuchen ist das übergeordnete Ziel des vorliegenden Buches – mit Fokus auf ein Forschungsfeld rund um eine kleine Auswahl von Verlagen, die möglicherweise für Größeres stehen und etwas über Verlegen heute und seine Rahmen- bzw. die Entstehungsbedingungen von Literatur aussagen. Die Ausführungen drehen sich dabei um die Prozesse, Aktivitäten sowie die Akteurinnen und Akteure, die diese Projekte verwirklichen, sowie um deren zugrunde liegenden ökonomischen, sozialen und politischen Bedingungen.

2 Rahmenbedingungen: Deutschsprachige Verlagslandschaft und Buchmarkt heute 2.1 Das literarische Feld Um die Genese unterschiedlicher gesellschaftlicher Strukturen zu beschreiben, entwarf Bourdieu das Konstrukt des Feldes. Mit diesem als Basis kann die Entwicklung moderner Gesellschaften als Prozess der Herausbildung spezialisierter Teilbereiche – also etwa des Literaturbetriebs als eines von vielen – nachvollziehbar gemacht werden. Zentrale Elemente der Theorie des literarischen Feldes sind neben der Feldtheorie die Habitus- und die Kapitaltheorie, die ebenfalls auf Bourdieu zurückgehen. Zwischen allen Theorien bestehen komplexe Relationen und Wechselwirkungen, die in ihrer Gesamtheit die Funktionsweisen des literarischen Betriebs zu beschreiben suchen bzw. die „zahlreichen Vermittlungsebenen zwischen der Infrastruktur und dem kulturellen Produkt“.1 Literatur und Kunst werden als soziales Faktum betrachtet. Das Feld bildet die Grundlage, aus dem dieses hervorgeht und in das es eingebettet ist. Der Raum der sozialen Positionen und der Raum der Lebensstile zeichnen sich dort relational ab; dementsprechend können gesellschaftliche Positionen von Institutionen oder Individuen und ihre Lebensstile innerhalb des Feldes verortet werden. Hervorgebracht werden Felder dadurch, als dass sie Notwendigkeiten materieller oder symbolischer Reproduktion bewerkstelligen. Erst wenn sich ein ökonomisches Feld entwickelt hat, das die Befriedigung und Erzeugung von Grundbedürfnissen und die Produktion wie auch die Verteilung materieller Ressourcen sichergestellt hat, werden kulturelle Felder als relativ autonome soziale Mikrokosmen möglich.

2.1.1 Zwischen den Polen: Möglichkeiten der Positionierung im Feld Um den Rahmen abzustecken, werden in der Konstruktion des literarischen Feldes zwei unabhängige, jedoch hierarchisch gestaffelte Prinzipien einander gegenübergestellt, die dieses organisieren bzw. in denen eine Unterscheidung zwischen materieller und symbolischer Produktion vorgenommen ist. Während Ersteres den Warencharakter des Buches in den Fokus rücken, charakterisiert 1 Jurt, Joseph: Das literarische Feld. Das Konzept Pierre Bourdieus in Theorie und Praxis. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1995, S. 74f.

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 2 Rahmenbedingungen: Deutschsprachige Verlagslandschaft und Buchmarkt heute

Letzteres Aussagen über Qualitäten, Bezüge und Eigenschaften des Kulturprodukts Buch oder seiner Macherinnen und Macher. Bezogen auf die Strategien von Produzentinnen und Produzenten können diese Prinzipien auch als zwei Pole ausgemacht werden, zwischen denen tendenzielle Verortungen möglich sind. Am einen Pol findet sich eine ökonomische Logik der literarisch-künstlerischen Industrien, die aus dem Handel mit Kulturgütern einen Handel wie jeden anderen machen, vorrangig auf den Vertrieb, den sofortigen und temporären Erfolg, gemessen zum Beispiel an der Auflage, setzen und sich damit begnügen, sich der vorgängigen Nachfrage der Kundschaft anzupassen (allerdings ist die Zugehörigkeit auch derartiger Betriebe zum Feld daran ersichtlich, daß [sic!] sie die ökonomischen Gewinne einer gewöhnlichen wirtschaftlichen Unternehmung und die symbolischen Gewinne aus den intellektuellen Unternehmungen nur kumulieren können, wenn sie grobschlächtige Formen von Merkantilismus abweisen und es sich versagen, ihre nutzengeleiteten Ziele in ihrer Gänze offenzulegen).2

Der andere Pol beschreibt eine „anti-‚ökonomische‘ Ökonomie der reinen Kunst [.  .  .], die aus einer autonomen Geschichte erwachsene spezifische Produktion und deren eigentümliche Ansprüche privilegiert“.3 Werte der Uneigennützigkeit, Interesselosigkeit kommerzieller und kurzfristiger Ökonomie stehen hier, die Orientierung liegt auf der Akkumulation symbolischen Kapitals „als eines zwar verleugneten, aber anerkannten, also legitimen ‚ökonomischen‘ Kapitals, eines regelrechten Kredits, der in der Lage ist, unter bestimmten Voraussetzungen und langfristig ‚ökonomische‘ Profite abzuwerfen.“4 Bourdieu unterscheidet in diesem Zusammenhang schließlich weiter in Produktzyklen, die „wie ein Gradmesser“ für die Stellung eines Unternehmens der Kulturproduktion im Feld betrachtet werden können. Unternehmen, die dem „kommerziellen“ Pol näher stehen, verfügen dabei tendenziell über kürzere Produktzyklen, die die Risiken durch vorweggenommene Anpassung an die erforschbare Nachfrage zu minimieren trachten und über Kommerzialisierungsnetze und Verfahren der Verkaufsförderung (Werbung, Öffentlichkeitsarbeit usw.) verfügen, mit denen der beschleunigte Eingang der Profite durch eine rasche Zirkulation von zu rascher Veralterung verurteilten Produkten gewährleistet werden soll.5

Analog ist in der Praxis in diesem Zusammenhang davon die Rede, wenn man darüber spricht, wie schnell sich Bücher „drehen“ – je schneller, desto besser 2 Bourdieu, 1999, S. 229. 3 Ebd., S. 228. 4 Ebd., S. 228. 5 Ebd., S. 229.

2.1 Das literarische Feld 

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aus wirtschaftlicher Perspektive. Auch der Trend zu drei Vorschauen, der bei größeren managergeführten Verlagskonzernen seit wenigen Jahren besteht und der das buchhändlerische Jahr von zwei auf drei Produktzyklen umstellt und damit erheblich beschleunigt, ist diesem Pol zuzuordnen. Lange Produktzyklen sind hingegen auf „die Akzeptanz der kulturellen Investitionen immanenten Risiken“6 gegründet: „Mangels eines Marktes in der Gegenwart ist diese gänzlich der Zukunft zugewandte Produktion darauf bedacht, sich einen Lagerbestand an Produkten anzuschaffen, die freilich immer der Gefahr ausgesetzt sind, in den Stand stofflich-materieller Gegenstände zurückzufallen (und als solche, etwa nach Papiergewicht, taxiert zu werden).“7 Es handelt sich bei diesen beiden Polen um zwei Extreme, die in ihrer Absolutheit faktisch nie erreicht werden. Vielmehr dienen sie dazu, ein Feld aufzuspannen, das eine Reihe von möglichen Positionen zwischen den beiden gegensätzlichen Polen eröffnet. Genauso wenig will mit dem Rahmen, der dabei gezeichnet wird, nicht auf ein Feld mit Grenzen verwiesen werden, da dieser Rahmen nicht geschlossen, sondern offen ist.

2.1.2 Die Struktur der Verteilungen: Kapital Auf der einfachsten Ebene bedeuten diese oben stehenden Theorieeckpunkte, ein Feld des Buchmarktes zu zeichnen, das Verlage und ihre kulturelle Produktion zwischen ökonomischem und symbolischem bzw. kulturellem Kapital positioniert. Was im nächsten Schritt damit beschrieben werden kann, ist eine Struktur der Verteilungen. Gemeint sind damit gesellschaftliche Ressourcen, die Bourdieu in der Kapitaltheorie auf vier verschiedene Kapitalsorten abstrahiert hat. Die wichtigste bzw. dominanteste Ressource konzipierte Bourdieu mit dem ökonomischen Kapital, das Geld bzw. Finanzkapital bedeutet. In der Konzeption weiterer Kapitalsorten geht Bourdieu weiter, als es in den klassischen Wirtschaftswissenschaften üblich ist, und auch weiter als Marx, von dem der Begriff des Kapitals entlehnt ist. Bourdieu sieht die Kapitalkategorie bei Marx insofern verkürzt entworfen, als diese soziale Positionen nur in Bezug auf ökonomische Produktionsverhältnisse bestimmt.8 Mit der Entlehnung des Begriffs erweitert Bourdieu diesen also gleichzeitig und beschreibt neben dem ökonomischen auch kulturelles, soziales und symbolisches 6 Bourdieu, 1999, S. 229. 7 Ebd., S. 229. 8 Vgl. Raphael, Lutz: Die Ökonomie der Praxisformen. Anmerkungen zu zentralen Kategorien Pierre Bourdieus. In: Prokla 68/1987, S. 152–171, S. 161 f.

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 2 Rahmenbedingungen: Deutschsprachige Verlagslandschaft und Buchmarkt heute

Kapital. Kulturelles Kapital beschreibt individuelle, offiziell abgesegnete bzw. auch internalisierte Bildungsvorräte – Ausbildung erschafft, Titel bescheinigen es. Soziales Kapital meint das gesamte zwischenmenschliche Beziehungsnetz und entspricht Netzwerken, Kontakten und Freundschaften. Symbolisches Kapital ist schließlich Reputation bzw. die Anerkennung einer Akteurin oder eines Akteurs samt ihrer oder seiner übrigen Kapitalressourcen durch eine größere Anzahl Wahrnehmender und Beurteilender, die im selben Feld agieren. Ehre, Preise und Auszeichnungen vermehren symbolisches Kapital.9 Im Gegensatz zu einer Idee, die das ökonomische Kapital als letztinstanzliche Determinante ausweist, kann Ökonomie so als „die Gesamtheit aller sozialen Austauschprozesse“10 aufgefasst werden. In seiner Verteilung, dem Erwerb und den „Kämpfen“ um Kapital können die Bewegungen im Feld beschrieben werden. Bourdieu folgert hier weiter: [. . .] alle Handlungen, und selbst noch jene, die sich als interesselose oder zweckfreie, also von der Ökonomie befreite verstehen, [sind] als ökonomische, auf die Maximierung materiellen oder symbolischen Gewinns ausgerichtete Handlungen zu begreifen.11

Diese Handlungen bzw. Strategien werden maßgeblich von der Verfügung über die unterschiedlichen Kapitalsorten beeinflusst.

2.1.3 Die Dynamik des Feldes: Bewegung durch Auseinandersetzung So, wie es diesen hier beschriebenen Raum der Stellungen gibt, gibt es auch einen Raum der Werke, der erlaubt, literarische Werke bzw. künstlerische Stellungnahmen zu positionieren.12 Zwischen beiden Räumen besteht eine Homologie. Räumliche Konzepte sollen hier jedoch nicht verkürzt gesehen werden, sondern vielmehr als Vermittlungsinstanzen, die den relationalen Charakter der Bewegungen und Positionen aufzeigen und so weiter die Möglichkeit einer

9 Vgl. Bourdieu, Pierre: Ökonomisches Kapital – kulturelles Kapital – soziales Kapital. In: Kimmich, Dorothee, et al. (Hg.): Kulturtheorie. Bielefeld: transcript, 2010, S. 271–286. 10 Bourdieu, Pierre: Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1976, S. 357. 11 Ebd., S. 357. 12 Bourdieu benutzt den Begriff des Raumes als Metapher für die soziale Welt. In Bezug auf das literarische Feld unterscheidet er dabei insbesondere drei nichtgeografische bzw. nichtphysikalische Raumbegriffe: den Raum der Stellungen/Positionen, den Raum der Möglichkeiten und den Raum der Werke. Vgl.: Bourdieu, 1999, S. 145 ff.

2.1 Das literarische Feld 

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mehrdimensionalen Sicht eröffnen, die die Einzelperson im Feld genauso mit einschließt wie die Metaebene, die über dieses hinausreicht – und diese beiden verbindet: Der Feldbegriff ist [. . .] nicht bloß ein territoriales Konzept. Ein Feld ist ein Kraft- und Machtfeld. Die einzelnen Institutionen können nur verstanden werden, wenn man sie einordnet in das System der objektiven Beziehungen, die den Raum der Konkurrenz bilden, den sie mit anderen Institutionen darstellen. Der Feldbegriff soll die Alternative zwischen interner und externer Analyse überwinden, die entweder bloß die formal autonomen künstlerischen Praktiken betrachten oder diese Formen unmittelbar auf soziale Formationen zurückführen.13

Was hier also einerseits aufgeworfen wird, ist, dass hinter einem Feld eine (unsichtbare) Struktur liegt, die, einem Magnetfeld ähnlich, die Formen einzelner Positionen, Handlungen und Interaktionsbeziehungen, genauso wie die Stellungnahmen, etwa literarische oder künstlerische Werke, bestimmt. Positionen wie Objekte sind mehr oder weniger transformierter Ausdruck symbolischer Systeme. Diese von Max Webers Thesen inspirierte Entdeckung, wie sie etwa in Wirtschaft und Gesellschaft14 dargelegt sind, führte Pierre Bourdieu zur Entwicklung seiner „Theorie der sozialen Praxis“,15 die im Wesentlichen auf den drei zentralen Begriffen Struktur, Habitus und Praxis fußt, die dynamisch miteinander verbunden sind. Dies bedeutet, dass ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis zwischen objektiven Feldstrukturen und Handlungen von Akteurinnen und Akteuren, beschrieben im Begriff des Habitus, besteht: „Der Antrieb steckt in der Verbindung von Habitus und Feld, so dass der Habitus selber das Feld mitbestimmt, was ihn bestimmt.“16 An späterer Stelle wird dies noch genauer auszuführen sein.17 Neben der „unsichtbaren“ Struktur und ihren handlungslenkenden Eigenschaften sind es andererseits also auch die Handlungen der Akteurinnen und Akteure selbst, die in ihrer Praxis die Beschaffenheit der Struktur überhaupt ausmachen und gestalten können. Für das Feld bedeutet dies, dass es kein Gebilde im statischen Sinne sein kann, sondern vielmehr 13 Jurt, 1995, S. 82. 14 Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. 5. Aufl., Tübingen: Mohr Siebeck, 2002 [1922], hier vgl. v.a. Teil I, Kapitel 3: Die Typen der Herrschaft, S. 122–176. 15 Zu einer Gesamtdarstellung der Theorie vgl. insbesondere: Bourdieu, Pierre: Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1976. 16 Bourdieu, Pierre: Sozialer Raum und ‚Klassen‘. Leçon sur la leçon. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1985, S. 75. 17 Vgl. Kapitel 3.1 Der Habitus als Handlungsmatrix.

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 2 Rahmenbedingungen: Deutschsprachige Verlagslandschaft und Buchmarkt heute

Ort dynamischer Prozesse und Raum der sozialen Auseinandersetzung. Abgebildet wird dort somit eine Wirklichkeit, „die alle individuellen und kollektiven Kämpfe umfaßt [sic!], welche die Wirklichkeit bewahren oder verändern wollen, und besonders die, bei denen es um Durchsetzung der legitimen Definition der Wirklichkeit geht und deren symbolische Wirkung dazu beitragen kann, die bestehende Ordnung, d.h. die Wirklichkeit, zu erhalten oder zu untergraben.“18 Kennzeichnend für alle Felder ist in diesem Zusammenhang die antagonistische Beziehung zwischen „Orthodoxen“ und „Häretikern“19: Die Orthodoxen, die in der Regel über das für das Feld charakteristische Kapital, oft monopolartig, verfügen, tendieren zu Strategien der Bewahrung; Häretiker, die neu ins Feld Eintretenden, die zumeist über wenig ökonomisches Kapital verfügen, hingegen zu Strategien der Subversion. Das bedeutet permanente Auseinandersetzung und Bewegung im Feld. Trotz dieser Antagonismen bestehen aber auch fundamentale Interessen, die alle Akteurinnen und Akteure des Feldes teilen, insofern diese an die Existenz des Feldes überhaupt gebunden sind. Denn wer in das Feld und die Auseinandersetzung eintritt, gibt auch seine Einwilligung in dessen Spielregeln. Bourdieu bezeichnet diesen gemeinsamen Glauben an den unbedingten Wert des Spiels mit dem Begriff „illusio“.20 Wie dieses Feld – seine Spiele, Spielerinnen und Spieler sowie Spieleinsätze – ausgestaltet ist, zeigt der Blick auf den deutschsprachigen Buchmarkt.

2.2 Der deutschsprachige Buchmarkt: Eine Branche im Umbruch 2.2.1 Unternehmen: Verlage am Markt Über die Zahl der Unternehmen, die am deutschsprachigen Buchmarkt agieren, existieren sehr unterschiedliche Angaben. Das Adressbuch für den deutschsprachigen Buchhandel verzeichnet rund 24.000 Betriebe in Österreich, Deutschland und der Schweiz, die sich dem herstellenden oder verbreitenden Buchhandel

18 Bourdieu, Pierre: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. 7. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1993, S. 258. 19 Beide Begriffe sind der Weber’schen Religionssoziologie entlehnt. Vgl. Weber, 2002 [1922], Teil II, Kapitel 5: Religionssoziologie (Typen religiöser Vergemeinschaftung), S. 245–381. 20 Weitere Erläuterungen zur „illusio“ vgl. Barlösius, Eva: Pierre Bourdieu. Frankfurt a. M./New York: Campus, 2006, S. 100 f.

2.2 Der deutschsprachige Buchmarkt: Eine Branche im Umbruch 

 23

zurechnen lassen, fast zwei Drittel davon sind – im weitesten Sinne – Verlage.21 Statistikämter zählen im Vergleich dazu rund 2.800 steuerpflichtige Buchverlage in Deutschland.22 Unverhältnismäßig große Unterschiede in den Zahlenangaben gehen auf fehlende Definitionskriterien zurück, die es erlauben, den Begriff des Verlages sehr weit zu fassen. Im weit gefassten Verständnis sammelt der Begriff jede Institution und jedes Unternehmen, das eine Publikation veröffentlicht, dabei kann es sich auch um eine einzige handeln, und so sind in der hohen Zahl des Adressbuchs für den deutschsprachigen Buchhandel auch Universitätslehrstühle, Gebietskörperschaften etc. enthalten, die größtenteils nur sporadisch publizieren. Bedeutend weniger Unternehmen werden ausgewiesen, wenn man professionelles Verlegen im Sinne einer kontinuierlichen Programmarbeit als Kriterium heranzieht, was aber häufig schwer abgrenzbar ist. Im Verlagsführer Österreich wird diese Problematik in der letzten erschienenen Ausgabe beschrieben, und es wurden die Aufnahmekriterien für Verlage in dieser Publikation noch klarer und strikter festgelegt als in der Vergangenheit: Galten bislang die Kriterien „der Verlag hat lieferbare Titel“ und „Verkauf an den Buchhandel mit Rabatt“, haben wir erstmals die gewerberechtliche und aktive Ausübung der Verlagstätigkeit als zusätzliche Voraussetzungen eingeführt. Mit diesen Kriterien wurden – im Vergleich zu den letzten Ausgaben – zu einem Teil etwa Agenturen nicht mehr aufgenommen [. . .], aber auch öffentliche Stellen mit eigenen Schriftenreihen und Anstalten oder Institute, die seit längerem keine Publikationen mehr veröffentlicht haben. Herausgekommen sind schlussendlich 394 Verlage, die wir aus einem recherchierten Grundbestand von über 1700 Firmen herausgefiltert haben.23

In der Schweiz ist die Situation durch die Aufteilung in drei verschiedene Sprachräume noch schwieriger. Der Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband SBVV zählt als der Branchenverband für die deutschsprachige und rätoromanische Schweiz sowie das Fürstentum Liechtenstein aktuell 205 Mitgliedsverlage.24 Im Dachverband der Verlage und Buchhandlungen in Deutschland, dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels, sind 1.790 Mitglieder des „Herstellenden 21 Vgl. MVB Online: Adressbuch für den deutschsprachigen Buchhandel (AdB): http://www. mvb-online.de/verlage/so-bleiben-sie-informiert/adressbuch/adressbuch-des-deutschenbuchhandels-adb.html. Stand: 20.7.2015. 22 Vgl. Wilking, Thomas: Marktübersicht und Marktentwicklung. In: Clement, Michael/ Blömeke, Eva/Sambeth, Frank (Hg.): Ökonomie der Buchindustrie. Herausforderungen in der Buchbranche erfolgreich managen. Wiesbaden: Gabler, 2009, S. 34. 23 Schnepf, Michael (Hg.): Verlagsführer Österreich 2008. Wien: Buchkultur, 2008, S. 9 f. 24 Homepage SBVV – Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband: Mitglieder des SBVV: http://www.sbvv.ch/cgi-bin/swiss_web.exe/show?session_id=295A1685-7265-45ED-96D6927E3CE8D784&page=swiss_mitglieder.html&newsearch=true&navi_id=14&pid1=1&pid2= 14&pid3=-1&pid4=-1. Stand: 22.7.2015.

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 2 Rahmenbedingungen: Deutschsprachige Verlagslandschaft und Buchmarkt heute

Buchhandels“ vertreten.25 Die meisten deutschen Verlage sind mit hoher Wahrscheinlichkeit Mitglieder im Börsenverein des Deutschen Buchhandels, da der Verband eine Reihe von zentralen Funktionen für Verlage erfüllt. Regelmäßige Zahlen und Erhebungen zur Branche kommen ebenfalls von dieser Stelle. Das folgende Kapitel stützt sich auf diese, um einen Überblick über das Feld des Buchmarktes zu geben.

2.2.2 Umsatz: Zahlen einer Branche Der Buchmarkt ist, verglichen mit anderen Branchen, zumindest unter dem Aspekt des Umsatzes von geringer Bedeutung. Mit 9,322 Milliarden Euro Umsatz aller buchhändlerischen Betriebe im Jahr 2014 ist das Umsatzniveau im Vergleich zu den vergangenen Jahren zwar sinkend, aber doch relativ stabil (2013: 9,54 Milliarden Euro, 2012: 9,52 Milliarden Euro, 2011: 9,60 Milliarden Euro, 2010: 9,73 Milliarden Euro, 2009: 9,69 Milliarden Euro),26 liegt im Vergleich aber dennoch deutlich unter dem Umsatz beispielsweise eines einzigen Lebensmitteldiscounters: Aldi Süd setzte 2014 rund 15,5 Milliarden Euro um (2012: 15 Milliarden Euro, 2010: 12,26 Milliarden Euro).27 In der Umsatzentwicklung legen die Verlagshäuser deutlich bessere Zahlen vor als andere Segmente der Buchbranche bzw. diese in ihrer Gesamtheit. Im Jahr 2014 wurde zwar ein leichter Rückgang um 0,7 Prozent verzeichnet, im Langzeitvergleich liegen die Einnahmen der Verlage jedoch auf hohem Niveau. Bis auf einen kleinen Einbruch um die Jahrtausendwende gab es seit 1992 ein kontinuierliches Wachstum.28 Die folgende Tabelle zeigt die Zusammensetzung der Geschäftsarten über die letzten Jahre:

25 Börsenverein, 2015, S. 43. 26 Börsenverein des Deutschen Buchhandels (Hg.): Buch und Buchhandel in Zahlen 2011. Frankfurt am Main: MVB Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels, 2011, S. 5; Börsenverein, 2015, S. 5. 27 N.N.: Aldi und Lidl auf Wachstumskurs in Deutschland. In: WirtschaftsWoche Online vom 14.10.2013 http://www.wiwo.de/unternehmen/handel/aldi-mit-sechs-prozent-mehr-umsatz-aldiund-lidl-auf-wachstumskurs-in-deutschland/8928896.html. Stand: 22.7.2015; N.N.: Aldi Süd verliert Umsatz und steigert Gewinn. In: Media Tribune Online vom 21.3.2011: http://www. mediatribune.de/besitzstaende/aldi-sued-verliert-umsatz-und-steigert-gewinn. Stand: 21.4.2012. N.N.: Discounter müssen kämpfen. In: lebensmittelzeitung.net vom 30.1.2015: http://www. lebensmittelzeitung.net/login/login.php?fg=1&url=http%3A%2F%2Fwww%2Elebensmittelzeitu ng%2Enet%2Fnews%2Ftop%2Fprotected%2FDiscounter%2Dmuessen%2Dkaempfen%5F108883 %2Ehtml%3Fid%3D108883. Stand: 22.7.2015. 28 Börsenverein, 2015, S. 50.

2.2 Der deutschsprachige Buchmarkt: Eine Branche im Umbruch 

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Tab. 2.1: Umsatzentwicklung nach Geschäftsarten 2008–2014 (Veränderungen zum Vorjahr in Prozent).

Bücher Zeitschriften Online-Dienste Sonstige Waren Nebenrechte Anzeigen Insgesamt

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

+0,2 +1,2 +7,1 +2,1 +7,2 +0,4 +0,6

+5,7 −6,1 +20,8 +3,4 +20,1 −14,8 +3,8

+0,3 +0,2 +17,2 +9,1 +3,9 +1,0 +1,5

+0,3 −1,0 +14,0 +15,1 −4,1 +5,9 +1,7

+0,6 −1,4 +14,5 −1,5 −0,5 +1,5 +0,8

+0,8 −0,5 +9,1 −0,7 −6,1 −3,1 +0,8

−0,7 +1,2 +8,8 −4,2 −8,1 −1,0 −0,7

Quelle: Eigendarstellung; nach: Börsenverein des Deutschen Buchhandels: Buch und Buchhandel in Zahlen 2015, S. 48; Börsenverein des Deutschen Buchhandels: Buch und Buchhandel in Zahlen 2013, S. 50.

Erkennbar wird hier, dass vor allem ein Geschäftsfeld das Wachstum der Verlagsbranche trägt: Online-Dienste, gefolgt vom Kernprodukt Buch, das mit kleineren Wachstumsraten bis 2014 jedenfalls stabil bleibt. Aufschlussreiche Zahlen zur Situation der Verlage und ihren Umsätzen liefert die Umsatzsteuerstatistik des Statistischen Bundesamtes. Die Daten liegen allerdings nur bis zum Jahr 2013 vor. Das Bild zeigt: Umsätze der Verlage, die bis zu 5 Millionen Euro Umsatz machen, halten sich auf einem stabilen Niveau und konnten keine Zuwächse verzeichnen, Verlage in der Umsatzgrößenklasse 10–25 Millionen Euro erwirtschafteten ein Plus von 0,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr, und die Verlage der größten Umsatzgrößenklasse von 50 Millionen und mehr verzeichneten ein Umsatzplus von 0,3 Prozent.29 Die Aufschlüsselung der Umsätze der steuerpflichtigen Buchverlage in Deutschland nach unterschiedlichen Größenklassen gibt insbesondere auch Auskunft über den Konzentrationsgrad in der Branche. Deutlich zeigt sich hier eine extrem ungleiche Verteilung von Umsätzen: Verlage mit einem Jahresumsatz von mehr als 50 Millionen Euro erwirtschafteten 2013 68,7 Prozent des Gesamtumsatzes (2012: 68,4 Prozent). Wie die folgende Tabelle zeigt, handelt es sich dabei gerade einmal um 23 Verlage – von 2.170 hier erfassten. Rund 1 Prozent macht also mehr als zwei Drittel des Umsatzes. Das Branchenblatt Buchreport bietet regelmäßig eine Übersicht über die 100 größten Verlage in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Platz 1–5 belegen im Jahr 2014 dieselben Verlage wie in den Jahren zuvor, die einzig untereinander ihre

29 Umsatzsteuerstatistik 2013 des Statistischen Bundesamtes. In: Börsenverein, 2015, S. 53.

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 2 Rahmenbedingungen: Deutschsprachige Verlagslandschaft und Buchmarkt heute

Plätze tauschen: (1) Springer Science+Business Media, Berlin; (2) Random House, München; (3) Westermann Verlagsgruppe, Braunschweig; (4) Franz Cornelsen Bildungsgruppe, Berlin; (5) Klett-Gruppe, Stuttgart. Die Liste der größten Belletristikund Sachbuchverlage führt Random House an, mit 325 Millionen Euro Umsatz im Jahr 2014 und 2.845 Novitäten. 30 Das Gros der Unternehmen – 1.568 Verlage – bewegt sich mit ihrem Umsatzvolumen unter der 500.000-Euro-Schwelle. Ihr Beitrag am Gesamtumsatz beträgt 2,3 Prozent. Das zeichnet das Bild eines massiven Konzentrationsprozesses, wie auch die folgende Tabelle verdeutlicht: Tab. 2.2: Anzahl steuerpflichtiger deutscher Buchverlagea in unterschiedlichen Umsatzgrößenklassen und deren Umsätze (in 1.000 €) 2013.31 Umsatzgrößenklasse von . . . bis . . . € 17.500–50.000 50.000–100.000 100.000–250.000 250.000–500.000 500.000–1 Mio. 1 Mio.–2 Mio. 2 Mio.–5 Mio. 5 Mio.–10 Mio. 10 Mio.–25 Mio. 25 Mio.–50 Mio. 50 Mio. und mehr Insgesamt

Anzahl Verlage

Umsatz in Tausend Euro

Anteil in %

495 377 450 246 201 139 111 65 46 17 23 2.243

15.816 27.405 72.605 87.927 140.346 200.224 339.705 446.559 748.825 610.679 5.891.179 8.581.314

0,2 0,3 0,8 1,0 1,6 2,3 4,0 5,2 8,7 7,1 68,7 100

a inkl. Adressbuchverlage, ohne Unternehmen mit Umsätzen unter 17.500 €, ohne Mehrwertsteuer. Quelle: Eigendarstellung; nach: Börsenverein des Deutschen Buchhandels: Buch und Buchhandel in Zahlen 2015, S. 48. u. S. 53. Nach: Umsatzsteuerstatistik 2013, Statistisches Bundesamt, Landesämter.

Ein ähnliches Bild zeigt sich auf Seiten des Buchhandels: 2013 betrug der Gesamtumsatz der Branche 3,5 Milliarden Euro32 – auf die größte Umsatzklasse mit Jahreseinnahmen von 50 Millionen und mehr entfiel mit 32,7 Prozent ein knappes Drittel 30 N.N.: Die Verlage. Das Ranking der 100. In: Buchreport 4/2012, S. 71 ff. 31 Die Daten liegen bislang nur bis 2013 vor. 32 Die Daten liegen bislang nur bis 2013 vor.

2.2 Der deutschsprachige Buchmarkt: Eine Branche im Umbruch 

 27

davon (2012: 30,7 Prozent; 2011: 28,6 Prozent; 2010: 27,6 Prozent). Dieses Drittel teilen sich neun Unternehmen, die 0,2 Prozent aller Firmen ausmachen.33 Der Wachstumskurs der großen Ketten geht mittlerweile jedoch in die Konsolidierungsphase über, teilweise werden Filialen wieder geschlossen. Der Filialist Thalia überprüft die Rentabilität seiner Geschäfte beständig und gab seit 2012 über 20 Standorte auf. Die zweitgrößte Kette Hugendubel setzt zunehmend auf kleinere Flächen.34 Marktanteile verschieben sich vor allem vom stationären Sortiment hin zum Online-Buchhandel. Bücher zählten zu den ersten Produkten, die ab den 1990er-Jahren über das Internet vertrieben werden. Mit einem Umsatzanteil von 49,2 Prozent (4,58 Milliarden Euro) ist der Sortimentsbuchhandel im Jahr 2014 zwar immer noch der bedeutendste Absatzkanal für Bücher, jedoch seit Jahren im Sinken begriffen. 2006 lag der Anteil des Sortiments noch bei 54,3 Prozent, seit 2011 ist dieser unter der 50-Prozent-Marke. Währenddessen beschleunigte sich die Verschiebung hin zum Online-Handel in den letzten Jahren: Auf den InternetHandel entfallen mittlerweile 16,2 Prozent aller Branchenumsätze, insgesamt 1,51 Milliarden Euro.35 Nachdem 2012 noch ein Umsatzplus von 10,4 Prozent verzeichnet wurde, standen die Jahre danach jedoch unter umgekehrten Vorzeichen  – 2013 -0,5 Prozent. Den größten Teil davon sichern sich große Internet-Anbieter wie Amazon, der derzeit mit weitem Abstand wichtigste Player im Netz. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels schätzt den Umsatz von Amazon auf 2,2 Milliarden Euro, was, hochgerechnet mit den Zahlen des Versandbuchhandelsverbandes, einem Marktanteil von 90 Prozent des Internetbuchhandels in Deutschland entsprechen würde.36 Bücher gehören im Netz mit Abstand zu den populärsten Waren. 2010 nutzten 62 Prozent der Unternehmen, die Bücher verkaufen, das Internet als Vertriebsweg.37 Die Tendenz ist steigend: 2014 ist das Direktgeschäft der Verlage der einzige Vertriebskanal, der einen Zuwachs verzeichnete. Mit 1,5 Prozentpunkten mehr steigerte sich der Marktanteil auf 20,4 Prozent, der einem Umsatz von 1,9 Milliarden Euro entspricht.38 Wenngleich die große Wachstumsphase im

33 Börsenverein, 2015, S. 59 ff. 34 Vgl. Sticht, Christina: Das Ende der großen Flächen. In: Der Handel vom 9.1.2015: https://www. derhandel.de/news/unternehmen/pages/Buchhandel-Das-Ende-der-grossen-Flaechen-10987. html. Stand: 22.7.2015; N.N.: 20 Thalia-Filialen machen dicht. In: Handelsblatt.com vom 25.9.2013: http://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-dienstleister/handelskonzern-douglas-20thalia-filialen-machen-dicht/8846966.html. Stand: 22.7.2015; Börsenverein, 2015, S. 59 f. 35 Börsenverein, 2015, S. 7. 36 Ebd., S. 11. 37 Börsenverein, 2011, S. 8. 38 Börsenverein, 2015, S. 8.

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 2 Rahmenbedingungen: Deutschsprachige Verlagslandschaft und Buchmarkt heute

Online-Geschäft vorbei ist, so ist damit ein klarer Trend im Multichanneling zu verzeichnen. Reagiert wird dabei auf ein „hybrides“ Bestellverhalten von Kundinnen und Kunden, ein Drittel von ihnen kauft Bücher – auch – im Internet. Die gleichzeitige Nutzung verschiedener Bezugsmöglichkeiten ist ein Trend am gesamten Buchmarkt – je nach Situation wird stationär oder im Internet eingekauft, ob beim Verlag direkt, im Webshop einer Buchhandlung oder bei einem Online-Versender, macht dabei keinen Unterschied.39 Bedeutend ist dieser Vertriebsweg vor allem für kleinere Verlage, da durch den Konzentrationsprozess in der Branche und Rationalisierungen im Einkauf auch der Zugang zum Handel zunehmend erschwert ist. Bedingt durch ihre Handelsmacht, sichern sich die großen Sortimente immer bessere bzw. höhere Konditionen bei den Verlagen. Auch Amazon wird so zum immer wichtigeren Vertriebspartner für kleinere Verlage.40 Konstant hoch und weiterhin im Ansteigen begriffen ist das Akquisitionstempo der Branche: Fanden 2010 „nur“ rund 200 Transaktionen in der Verlagsbranche statt, so stieg die Zahl der Übernahmen 2012 auf 246 Übernahmen.41 Das Großereignis des Jahres war in diesem Zusammenhang unbestritten die Zusammenführung von Random House und Penguin, Töchter der Medienkonzerne Bertelsmann und Pearson, zum größten Buchverlag der Welt – „um sich notwendige Investitionen in Wachstumsmärkte und in die Digitalisierung zu teilen“.42 2014 wurden 262 Übernahmen und Beteiligungen deutscher Verlage verzeichnet. Das Gesamtvolumen der Transaktionen (gemessen am Umsatz der Kaufobjekte) betrug 7,1 Milliarden Euro und lag damit deutlich über dem Niveau des Vorjahres (6,2 Milliarden Euro). Allein 45 Prozent der Summe entfallen dabei auf zwei Mega-Deals: die Komplettübernahme von Gruner+Jahr durch Bertelsmann und den Weltbild-Verkauf an Investor Droege. Die Verlagskonzerne Axel Springer und Bertelsmann verzeichneten jeweils 24 Transaktionen, gefolgt von Holtzbrinck und Burda mit jeweils 16.43 Die Umsatzverläufe im Ländervergleich zeigen: 2014 konnte der gesamte deutschsprachige Raum keine Zuwachsraten vorweisen. Im Vergleich zum Vorjahr gingen in Deutschland die Umsätze um 2 Prozent zurück, in Österreich um 3,4 Prozent, in der Schweiz sogar um 4,9 Prozent. Im Ländervergleich zeigt Deutschland relativ kleine Schwankungen im Langzeitindex. In Österreich lag die Umsatzentwicklung in den vergangenen Jahren mehrfach über dem Trend der Nachbarländer, erst seit 2013 fällt die Kurve leicht ab. Die Zahlen der Schweiz zeigen in den letzten Jahren einen deutlichen Einbruch. Darin spiegelt 39 Vgl. Börsenverein, 2013, S. 9. 40 Vgl. Börsenverein, 2011, S. 6 ff. 41 Börsenverein, 2013, S. 11. 42 Ebd., S. 5. 43 Börsenverein, 2015, S. 12.

2.2 Der deutschsprachige Buchmarkt: Eine Branche im Umbruch 

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sich die schwierige Situation durch den Fall der Buchpreisbindung. Im Gegensatz zu Deutschland und Österreich besteht diese in der Schweiz seit wenigen Jahren nicht mehr. Große Ketten gewähren dort Rabatte bis zu 30 Prozent, im Online-Handel zeigt sich ein ähnliches Bild. In nur fünf Jahren ergibt sich so ein Umsatzrückgang von annähernd 15 Prozent.44

2.2.3 Lesen: Wo und wer Verzeichnet das Geschäft mit dem Buch einerseits klar eine zunehmende Verlagerung ins Internet, so gelten speziell Berlin und München als Buchmetropolen, mit einer Reihe von angesiedelten Unternehmen vor Ort: 2014 zählte man 251 Buchläden in Berlin (2012: 237), 130 in München (2012: 143). Als Verlagsstandorte zählen Berlin mit 167 (2012: 188) und München mit 128 (2012: 136) Verlagen auch zu den Städten mit der höchsten Verlagsdichte im deutschsprachigen Raum.45 Die höchste Kaufkraft für Bücher in Deutschland besteht im Rhein-Main-Gebiet und im Münchener Raum.46 Und obwohl Städterinnen und Städter aus einer Fülle von Kulturangeboten wählen können, sind sie es, die mit 65 Prozent (Großstadt mit mehr als 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern) im Jahr 2014 wesentlich mehr (bzw. überhaupt) Bücher erwarben als im Vergleich die Landbevölkerung. Am weitesten klafft die Schere beim Buchkauf im Vergleich von Bildungshintergründen auseinander: mit 53 Prozent bei Verbraucherinnen und Verbrauchern mit Abitur oder Studium, die täglich oder mehrmals in der Woche zum Buch greifen, zu 24 Prozent bei Volks- oder Hauptschulabschluss.47 Rangieren auch Computer- und Internet-Nutzung in der Hitliste der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen seit wenigen Jahren vor dem Bücherlesen, so sind die Werte für das Buch zwar leicht sinkend, aber in Bezug auf die Häufigkeit dennoch relativ stabil im oberen Drittel der Beliebtheitsskala. An erster Stelle steht das Fernsehen, vor dem Lesen kommt schließlich noch: zu Hause gemütlich entspannen, Radio hören, Tageszeitung lesen, mit der Familie beschäftigen, Musik hören, das Internet nutzen, Kochen und Backen, am PC arbeiten, Zeitschriften und Magazine lesen, spazieren gehen, Gäste einladen und Freunde treffen, mit Tieren beschäftigen und Gärtnern.48 Nicht zuletzt erreichen Verlage im Medienzeitalter mehr Leserinnen und Leser als je zuvor. Mit dem Aufkommen neuer 44 Vgl. Börsenverein, 2015, S. 22f.; Börsenverein, 2013, S. 20 f. 45 Börsenverein, 2015, S. 130. 46 Vgl. Ebd., S. 40 f. 47 Ebd., S. 34. 48 Ebd., S. 33.

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 2 Rahmenbedingungen: Deutschsprachige Verlagslandschaft und Buchmarkt heute

Medien hat sich die Mediennutzungszeit binnen 25 Jahren nahezu verdoppelt: von 346 Minuten pro Tag im Jahr 1980 auf 600 Minuten pro Tag im Jahr 2005.49 Die Zeit für Bücher veränderte sich dabei kaum, stieg im selben Zeitraum sogar von 22 auf 25 Minuten pro Tag. Vor allem Frauen widmen sich häufig der Lektüre: Stabile 45 Prozent nutzen täglich oder mehrmals wöchentlich Bücher, bei den Männern sind es 2014 nur mehr 27 Prozent (2012: 30).50 Eine ähnliche Verteilung zwischen den Geschlechtern zeigt sich auch im Bücherkauf: 67 Prozent der Frauen kauften in den vergangenen 12 Monaten ein Buch, bei den Männern waren es nur 53 Prozent. In den Altersstatistiken führen die 40- bis 49-Jährigen mit 64 Prozent, die in den vergangenen Monaten Bücher gekauft haben. Eine Kaufquote von 59 Prozent gilt als erfreulicher Wert bei den 14- bis 19-Jährigen. Allerdings gehören hier nur noch 38 Prozent zu den Intensivnutzern, im Vorjahr waren es noch ganze 6 Prozent mehr.51 Ein unerfreulicher Trend zeichnet sich bei den Nichtlesern ab: deren Anteil hat sich von 16,5 Prozent im Jahr 2006 auf über 19,2 Prozent im Jahr 2012 erhöht und steht 2014 bei sehr hohen 22,8 Prozent.52 2.2.4 Bücher: Titelzahlen, Editionsformen und Warengruppen Wird in Zukunftsprognosen häufig das „Ende der Gutenberg-Ära“53 proklamiert, so zeigt die gegenwärtige Branchenentwicklung ein völlig anderes Bild: Noch nie gab es so viele Bücher wie heute, gemeint sind hier durchaus gedruckte. Im weltweiten Vergleich kann Deutschland auf eine überdurchschnittlich hohe Zahl von Neuerscheinungen und Neuauflagen blicken, deren Zahl sich in den letzten Jahren auch kontinuierlich erhöhte. 2014 ist dieser Wert erstmals deutlich gesunken – auf den niedrigsten Wert der vergangenen zehn Jahre. Die Statistik der Deutschen Nationalbibliografie zählt für 2014 87.134 Erst- und Neuauflagen54:

49 Eimeren, Birgit van/Ridder, Christa-Maria: Ergebnisse der ARD/ZDF Langzeitstudie Massenkommunikation. Trends in der Nutzung und Bewertung der Medien 1970 und 2005. In: Media Perspektiven 10/2005, S. 499 f. 50 Börsenverein, 2015, S. 37; Börsenverein, 2013, S. 35. 51 Börsenverein, 2015, S. 34 ff. 52 Börsenverein, 2015, S. 32, Börsenverein, 2013, S. 30 f. 53 Vgl. McLuhan, Marshall: The Gutenberg Galaxy. London: Routledge and Kegan Paul 1962. Das 1962 erschienene Werk gilt bis heute als Klassiker der Medienwissenschaft und verfolgt die These, dass mit dem Aufkommen der elektronischen Medien das Ende des Buchzeitalters eintritt. 54 Die Titel der PoD-Produktion und E-Books sind aufgrund der Möglichkeit von print oder digitaler Ablieferung der Pflichtexemplare an die Deutsche Nationalbibliothek zurzeit nur in geringen Teilen erfasst.

2.2 Der deutschsprachige Buchmarkt: Eine Branche im Umbruch 

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Tab. 2.3: Neuerscheinungen in Deutschland 2000–2014. Jahr 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

Neuerscheinungen 82.936 85.088 78.896 80.971 86.543 89.869 94.716 96.479 94.276 93.124 95.838 96.273 91.100 93.600 87.134

Quelle: Eigendarstellung; nach: Börsenverein des Deutschen Buchhandels: Buch und Buchhandel in Zahlen 2011, S. 65; Börsenverein des Deutschen Buchhandels: Buch und Buchhandel in Zahlen 2013, S. 80. Börsenverein des Deutschen Buchhandels: Buch und Buchhandel in Zahlen 2015, S. 81.

Was sich in der Tabelle auf den ersten Blick als massiver Einbruch darstellt, bedarf der Erläuterung: Da E-Books und die Print-on-Demand-Produktion nur in geringem Umfang erfasst sind, muss man von einer wesentlich höheren Zahl für 2014 ausgehen. Dieser Umstand gilt zwar auch für die Jahre davor, umgekehrt nimmt aber auch die Bedeutung der elektronischen Produkte für den Buchmarkt zu. Auch der Wachstumsmarkt Self-Publishing findet hier kaum Berücksichtigung. Reine Novitäten von der dargestellten Anzahl sind 84,8 Prozent (2012: 87,8 Prozent). Der Anteil der Übersetzungen beläuft sich auf 12,4 Prozent (2012: 12,7 Prozent), davon 67,6 Prozent aus dem Englischen (2012: 65,5 Prozent) und davon wiederum zwei Drittel in der Belletristik.55 Umgekehrt spielen auch Lizenzvergaben nach wie vor eine große Rolle, wenngleich es hier 2012 einen Einbruch gab und seither die Zahlen im Sinken begriffen sind: Wurden 2001 noch 5.337 Rechte in alle Welt verkauft, so konnten, nach kontinuierlicher Steigerung über die Jahre, im Jahr 2010 8.191 Lizenzvergaben verzeichnet werden. 2012 waren es 6.855, 2014 55 Börsenverein, 2015, S. 81 ff.

32 

 2 Rahmenbedingungen: Deutschsprachige Verlagslandschaft und Buchmarkt heute

sank die Zahl erneut auf 6.443. Nicht nur das Volumen der Verträge schwankt im Zehnjahresvergleich, sondern auch die Lizenzpartner wechseln im Laufe der Zeit immer wieder: Seit fünf Jahren ist China wichtigster Lizenzpartner, 2014 erstmals gefolgt von Frankreich, den dritten Platz teilen sich Polen, Russland und Spanien. Als Exporthit der Deutschen zählt das Kinder- und Jugendbuch.56 Im Inland gehen die meisten Novitäten klar auf das Konto der Belletristik: 32,4 Prozent aller Umsätze (2012: 35 Prozent) und 19,1 Prozent der Erstauflagen (2012: 18,6 Prozent) entfallen auf dieses Segment, insgesamt 14.111 (2012: 14.838 Titel).57 Im Unterschied zu anderen Warengruppen ist in der Belletristik das Taschenbuchformat tonangebend. Im Buchhandel ist die Belletristik der mit Abstand wichtigste Bereich: Tab. 2.4: Umsatzanteilea der Warengruppen nach Editionsformen 2010–2014 (in Prozent). Insgesamt

Hardcover/ Softcover

Taschenbuch

Hörbuch/ Audiobook

2010 2012 2014 2010 2012 2014 2010 2012 2014 2010 2012 2014 Belletristik 33,8 35,0 Kinder- und 15,2 15,6 Jugendbücher Reisen 6,0 6,1 Ratgeber 13,9 13,8 Geisteswissen4,5 4,4 schaften, Kunst, Musik Naturwissen4,7 4,4 schaften, Medizin, Informatik, Technik Sozialwissen2,7 2,5 schaften, Recht, Wirtschaft Schule und 8,8 8,9 Lernen Sachbuch 10,3 9,3 Insgesamt 100 100

32,4 20,6 21,2 19,9 69,9 72,6 69,8 46,4 46,6 42,4 15,8 16,5 16,8 16,2 8,3 8,8 10,0 34,9 37,2 43,2 6,5 7,7 7,8 8,2 14,9 16,7 16,9 18,1 4,7 5,6 5,6 5,8

2,1 6,6 2,0

2,0 5,8 1,7

2,2 6,3 1,5

0,7 8,5 1,7

0,4 7,1 1,5

0,3 6,0 1,3

4,0

6,4

6,0

5,3

0,7

0,4

0,3

0,4

0,3

0,2

2,6

3,1

3,0

3,0

1,7

1,5

1,7

0,5

0,4

0,2

9,2 11,9 12,1 12,2

0,6

0,6

0,3

3,8

3,4

2,5

10,1 11,5 10,5 11,2 100 100 100 100

8,2 100

6,6 100

7,5 100

3,3 100

3,1 100

3,8 100

a nur Sortimentsbuchhandel und Warenhäuser (jeweils Barumsatz); E-Commerce Quelle: Eigendarstellung nach: Börsenverein des Deutschen Buchhandels: Buch und Buchhandel in Zahlen 2013, S. 13; Börsenverein des Deutschen Buchhandels: Buch und Buchhandel in Zahlen 2015, S. 14 (Nach: media control GfK INTERNATIONAL).

56 Börsenverein, 2015, S. 102 ff. 57 Ebd., S. 82 f.

2.2 Der deutschsprachige Buchmarkt: Eine Branche im Umbruch 

 33

Innerhalb des Segments Belletristik können die Umsatzanteile noch weiter aufgeschlüsselt werden: Tab. 2.5: Umsatzanteilea innerhalb der Warengruppe Belletristik 2010–2014 (in Prozent). Insgesamt

Hardcover/ Softcover

Taschenbuch

Hörbuch/ Audiobook

2010 2012 2014 2010 2012 2014 2010 2012 2014 2010 2012 2014 Erzählende Literatur Spannung Science-Fiction, Fantasy Gemischte Anthologien Lyrik, Dramatik Zweisprachige Ausgaben Comic, Cartoon, Humor, Satire Geschenkbuch Insgesamt

49,7 51,7 52,5 48,2 50,5 50,4 51,6 53,3 55,3 43,0 46,0 44,3 27,0 25,9 25,7 20,2 21,5 21,6 32,2 29,3 28,9 32,7 29,6 30,0 8,1 7,5 5,9 6,6 5,8 4,7 9,4 8,9 6,9 7,6 7,6 6,8 0,2

0,2

0,2

0,2

0,1

0,1

0,2

0,2

0,2

0,4

0,2

0,5

1,2 0,8

1,0 0,6

1,0 0,5

1,1 1,4

1,0 1,0

0,9 0,7

1,2 0,3

1,1 0,2

1,1 0,3

2,0 0,4

1,1 0,3

1,0 0,1

6,9

7,1

8,1

8,8

6,9

8,5

4,6

6,7

6,8 12,9 14,4 16,6

6,2 100

6,0 100

6,2 13,6 13,2 13,1 100 100 100 100

0,5 100

0,4 100

0,6 100

0,9 100

0,8 100

0,6 100

a nur Sortimentsbuchhandel und Warenhäuser (jeweils Barumsatz); E-Commerce Quelle: Eigendarstellung nach: Börsenverein des Deutschen Buchhandels: Buch und Buchhandel in Zahlen 2013, S. 15. Börsenverein des Deutschen Buchhandels: Buch und Buchhandel in Zahlen 2015, S. 16. (Nach: media control GfK INTERNATIONAL).

Das Kerngeschäft der Belletristik ist mit Abstand die „Erzählende Literatur“, die die Hälfte aller Belletristik-Titel ausmacht und diese Führungsposition auch über die letzten Jahre ausgebaut hat, mit nun 52,5 Prozent Umsatzanteil im Jahr 2014. Wenngleich die Zahlen rückläufig sind, so liegen Krimis immer noch hoch im Kurs. 2003 verzeichnete das Genre „Spannung“ noch 21 Prozent; 2014 sind es 25,7 Prozent. Die drittgrößte Warengruppe innerhalb der Belletristik ist mittlerweile das Segment Comic, Cartoon, Humor und Satire mit einem Höchstwert von 8,1 Prozent im Jahr 2014.58 Was die beiden vorangegangenen Tabellen belegen, ist, dass sich der Hörbuch-Umsatz stabilisiert und der Zuwachs-Trend, der sich im letzten Jahrzehnt

58 Börsenverein, 2015, S. 15 f.

34 

 2 Rahmenbedingungen: Deutschsprachige Verlagslandschaft und Buchmarkt heute

rund um das neue Format vollzogen hatte, am Ausklingen ist. Grund dafür ist nicht zuletzt eine Verschiebung hin zum körperlosen Hörbuch, das in der Tabelle nicht aufscheint: zunehmend etabliert sich nämlich der Download von Audiofiles im Netz.

2.2.5 E-Book: Entwicklung eines neuen Formats Ein weiteres elektronisches Format und wohl größtes Thema der Branche in den letzten Jahren ist das E-Book. Während dieses bzw. auch digitale Dienstleistungen für Fachverlage schon länger zum Geschäft gehören, entdeckten Publikumsverlage das E-Book mehr und mehr wenn auch mit leichter Verzögerung für sich. Das hängt vor allem auch mit der Entwicklung der Lesegeräte zusammen, wie etwa Amazons Kindle oder Apples Mulitfunktionsgerät iPad, das im Mai 2010 in den Verkauf ging und auf ein breites Publikum abzielt. Begleitet werden die neuen Angebote von Preisoffensiven; zur Urlaubssaison 2011 bot Weltbild einen E-Book-Reader für 79,99 Euro feil. 2012 bot man schließlich mit dem Tolino einen eigenen Reader an. Die beiden umsatzstärksten Buchhandelsfilialisten, DBH (Weltbild/Hugendubel) und Thalia (Douglas), schmiedeten dafür gemeinsam mit der Telekom ein Bündnis gegen die mächtige Konkurrenz Amazon bzw. Apple.59 Die Shops der Allianz (Thalia.de, Hugendubel.de, Weltbild.de und weitere Händler) verkaufen GfK-Berechnungen zufolge inzwischen mehr E-Books als Amazon: Während der Online-Riese 2014 einen Marktanteil von 39 Prozent verzeichnete, lag der Marktanteil der Allianz bei 45 Prozent. Am häufigsten verkauft sich Belletristik, sie macht 84 Prozent aller Umsätze am E-Book-Publikumsmarkt aus (2013: 83 Prozent). Zwei Drittel der Verlage haben E-Books im Programm, von den großen Verlagen sind es 100 Prozent.60 Wenngleich das neue Format in den letzten Jahren die Agenden der Branche dominierte, so geht, was den Umsatz insgesamt betrifft, die Entwicklung des E-Books eher zögerlich voran: 2014 wurde zwar der bislang höchste Wert erreicht, mit 4,3 Prozent hat dieser allerdings nur geringfügig zum Buchumsatz am Publikumsmarkt beigesteuert (2013: 3,9 Prozent; 2012: 2,4 Prozent). Zum Vergleich: In den USA machen digitale Bücher mittlerweile rund 25 Prozent aller Buchumsätze aus. Dass das Interesse an digitaler Lektüre dennoch ausgeprägter ist, als diese Zahlen zunächst nahelegen, zeigt der Blick auf den Absatz: die verkauften 59 Vgl. Börsenverein, 2013, S. 5. 60 Börsenverein des Deutschen Buchhandels: E-Book-Studie 2014: http://www.boersenverein. de/sixcms/media.php/976/Kurzversion_E-Book-Studie2014.pdf. Stand: 22.7.2015.

2.2 Der deutschsprachige Buchmarkt: Eine Branche im Umbruch 

 35

Stückzahlen auf dem E-Book-Markt steigerten sich im Jahresvergleich um gut 15 Prozent. Insgesamt wurden 2014 24,8 Millionen E-Books verkauft, im Vorjahr waren es 21,5 Millionen. Dass der Umsatz mit dem Absatz nicht mithalten kann, hat auch mit der Preisentwicklung für E-Books zu tun. Denn in den letzten Jahren ist das Preisniveau rasant gesunken: von durchschnittlich 10,71 Euro für ein E-Book im Jahr 2010 auf 7,08 Euro im Jahr 2014.61 Gemeinfreie Klassiker, Abo-Modelle sowie auch Gratis-E-Books und Self-Publishing-Titel haben hier Einfluss. Zwar gilt auch für digitale Bücher der feste Ladenpreis, in der Preisgestaltung sind Verlage und SelfPublisher allerdings frei. Und hier geht die Schere weit auseinander: Während Verlage die Preise aktuell circa 20 Prozent unter dem Ladenpreis der gedruckten Ausgabe ansetzen, so liegen die Preise von E-Books von Self-Publishern um ein Vielfaches darunter. Bei den Titeln, die in der Regel ausschließlich als E-Book erscheinen, hat sich aktuell ein Preis von durchschnittlich 3 Euro etabliert – der umgekehrt das allgemeine Wertempfinden für Bücher mitschärft.62 An dieser Stelle bleibt anzumerken, dass der digitale Markt nicht nur von Verlagen, sondern zunehmend von vielen neuen Akteuren bedient wird, etwa von Agenturen, die ihren Autorinnen und Autoren mehr und mehr direkt digitale Publikationskanäle erschließen. Seit wenigen Jahren erhält vor allem SelfPublishing immer mehr Zuspruch: Das Werk muss dabei nicht mehr von einem Verlag akzeptiert werden – die Autorin oder der Autor entscheidet selbst, dass das Werk publiziert wird, und leitet dank einfacher und relativ günstiger Dienstleistungsangebote im Netz, wie etwa Books on Demand, Bookrix oder Kindle Direct Publishing, die Herstellung selbst an. Über die zunehmend wichtiger werdenden Online-Vertriebswege bieten sich auch Möglichkeiten zum Verkauf, ohne auf das stationäre Sortiment angewiesen zu sein, vielfach erscheinen die Bücher als reine E-Books. Der Gewinn aus den Verkäufen muss umgekehrt auch nicht mehr mit Buchhandel und Verlag geteilt werden.63 Für Autorinnen und Autoren bedeutet das, wenn sie etwa bei Amazon (Kindle Direct Publishing) verlegen, eine Steigerung von durchschnittlich 10 Prozent auf bis zu 70 Prozent der Nettoeinnahmen. Dass Self-Publishing in der Branche ernst genommen bzw. auch gepusht wird, bezeugt ein Anerkennungspreis für Werke, die per E-Book oder Print on Demand selbst veröffentlicht werden. derneuebuchpreis.de ist mit 20.000 Euro dotiert und wird seit 2011 auf der Frankfurter Buchmesse vergeben – von epubli.de, der 61 Vgl. Börsenverein, 2015, S. 25 f. 62 Matting, Matthias: Verlegen in der Parallelwelt. In: Die Zeit Online vom 7.5.2014: http://www. zeit.de/kultur/literatur/2014-05/self-publishing. Stand: 22.7.2015. 63 Vgl. Kapitel 2.3 Neue Technologien und Akteure im Feld: Die Herausforderungen des Strukturwandels.

36 

 2 Rahmenbedingungen: Deutschsprachige Verlagslandschaft und Buchmarkt heute

Self-Publishing-Plattform der Verlagsgruppe Holtzbrinck.64 Bereits 2007 gegründet, war sie eine der ersten Plattformen im deutschsprachigen Raum. 2010 startete Neobooks von Droemer Knaur, mittlerweile die größte Dienstleistungsplattform für Self-Publisher mit Verlag im Hintergrund.65 Frühzeitig hat man dort den Trend erkannt und reagiert: Denn betreiben sie nicht selbst solche Plattformen, kommen Verlage in der Rechnung bei Self-Publishing nicht mehr vor.

2.3 Neue Technologien und Akteure im Feld: Die Herausforderungen des Strukturwandels Der Strukturwandel in der Buchbranche ist gekennzeichnet durch die Gleichzeitigkeit von Veränderungen und ihrer Summe. Kennzeichnend für die jüngere Entwicklung in der Buchhandelslandschaft ist jedenfalls, dass die lange Jahre beständigen Wertschöpfungsmodelle zunehmend durchkreuzt und von neuen abgelöst werden. Machtverschiebungen vom herstellenden zum vertreibenden Buchhandel, verändertes Konsum- und Medienrezeptionsverhalten, Marktkonzentration und eine Dynamik, die parallel zur technischen und inhaltlichen Vielfalt des Internets wächst, sind Herausforderungen, denen sich Verlage heute gegenübersehen.66 Ihr Kernprodukt steht unter Druck: Als Informationsmittel ist das Buch langsamer als neue Medien, als Kommunikationskanal starrer, und auch als Handelsgut vielfach aufwendiger. Veränderte Rahmenbedingungen, ausgelöst durch technologische Neuerungen, strukturieren das Geschäft um das Leitmedium der letzten Jahrhunderte neu.

2.3.1 Verschwimmende Grenzen, neue Unternehmenskulturen und Beschleunigung Eine der tiefgreifendsten Veränderungen für die gesamte Buchhandelslandschaft erfolgt durch den seit mittlerweile mehr als einem Jahrzehnt etablierten OnlineVerkauf von Büchern. Vor allem das stationäre Sortiment gerät dadurch unter Druck. Die große Bandbreite des Online-Sortiments, ständige Verfügbarkeit, die 64 Homepage epubli: derneuebuchpreis.de. Der Schreibwettbewerb für innovative Autoren. Verlagsgruppe Holtzbrinck: http://www.epubli.de/specials/schreibwettbewerb. Stand: 22.7.2012. 65 Homepage Neobooks: https://www.neobooks.com/home. Stand: 22.7.2015. 66 Vgl. Roszinsky-Terjung, Arnd: Wettbewerbsanalyse. In: Clement, Michael/Blömeke, Eva/ Sambeth, Frank (Hg.): Ökonomie der Buchindustrie. Herausforderungen in der Buchbranche erfolgreich managen. Wiesbaden: Gabler, 2009, S. 43–57, S. 49.

2.3 Neue Technologien und Akteure im Feld: Die Herausforderungen 

 37

bequeme Lieferung nach Hause und zusätzliche Informationen durch Rezensionen etc. sowie der Vertrieb günstiger gebrauchter oder vergriffener Bücher sind Wettbewerbsvorteile, die das stationäre Sortiment in diesem Umfang nicht bieten kann. Doch die Situation ist noch komplexer und bringt immer wieder neue Facetten zum Vorschein, wie sich an einem Beispiel zeigt: Die gemessen am Umsatz vermutete Nummer eins im Buchhandel ist auch im deutschsprachigen Raum der weltgrößte Online-Händler Amazon.67 In den vergangenen Jahren hat der Internet-Riese seine Unternehmensfelder erweitert, und zum Verkauf angeboten wird neben Medien längst mehr, etwa auch Textilien oder Lebensmittel. Vor allem aber wurde das Handlungsspektrum auch im ursprünglichen Kernbereich – dem Handel mit Büchern – stark ausgeweitet. Beschränkte sich das Unternehmen bislang auf den Online-Verkauf von Büchern, so agiert Amazon seit 2011 auf nahezu allen zentralen Feldern des Buchgewerbes und tritt damit nicht zuletzt als Konkurrent seiner Kunden auf – als Verleger, Einkäufer und Übersetzer von Titeln und auch als digitale Bibliothek. Im Modell von Amazons Bibliothek werden Titel an „Premium-Kunden“, die eine monatliche Gebühr bezahlen, kostenlos „ausgeliehen“. Der Service funktioniert ausschließlich über den E-Reader „Kindle“, der ebenfalls von Amazon angeboten wird. Ein ähnlich abgeschlossenes System wurde mit Kindle Direct Publishing geschaffen: Hier bietet Amazon Autorinnen und Autoren die Gelegenheit, ihre Texte ohne Verlag zu publizieren und über Amazon zu verkaufen. Anschließend können sie auf Amazons Lesegerät, dem Kindle, gelesen werden. Amazon ist mit seinem KDP, vor allem durch die hohen Erträge für Autorinnen und Autoren, zwar mit großem Abstand Marktführer (Schätzungen liegen bei 75 bis 80 Prozent), behält diese aber nur im eigenen Amazon-Kosmos zugänglich, während andere Self-Publishing-Plattformen auch mit anderen Anbietern zusammenarbeiten.68 Die vielfältigen Herausforderungen für Verlage zeigen sich an diesem Beispiel: Grenzen lösen sich auf, Unternehmen wie Einzelpersonen können heute schnell zu Verlegerinnen und Verlegern und zur Konkurrenz werden. Das Geschäft mit dem Buch kann dabei lediglich Teil vornehmlich größerer Unternehmen sein, die mit dem Bild inhabergeführter Verlage nur mehr wenig gemein haben, insofern dort ein Management agiert, das eine völlig andere Sicht auf das vertriebene 67 2014 flossen 11,9 Milliarden Dollar im deutschen Markt. Vgl. Möthe, Alexander: Amazon: Umsatz in Deutschland wächst um über eine Milliarde. In: handelsblatt.com vom 2.2.2015: http:// www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/amazon-umsatz-in-deutschlandwaechst-um-ueber-eine-milliarde/11315112.html. Stand: 22.7.2015. 68 Sasse, Sabine: Die Selfpublishing-Branche boomt. Einige verdienen prächtig, die Mehrheit wenige Euro im Monat. In: tagesspiegel.de vom 11.7.2014: http://www.tagesspiegel.de/medien/ e-books-die-selfpublishing-branche-boomt-einige-verdienen-praechtig-die-mehrheit-wenigeeuro-im-monat-/10188470.html. Stand: 22.7.2015.

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 2 Rahmenbedingungen: Deutschsprachige Verlagslandschaft und Buchmarkt heute

Programm hat, das unter wirtschaftlichem Blick Unternehmenskennzahlen und Gewinnmaßstäben innerhalb eines Produktportfolios standhalten muss. Managerinnen und Manager verantworten fremdes Vermögen, sind also für dessen Wahrung und Mehrung verantwortlich, was durch erfolgsorientierte Klauseln in Anstellungsverträgen noch verstärkt wird.69 Durch die neuen Unternehmenskulturen bzw. Global Player im Wettbewerb gewinnt dieser an Intensität, sodass Geschäftsmodelle etablierter Marktakteure ins Wanken bzw. unter Druck geraten. Der Verleger und Autor buchwissenschaftlicher Publikationen Wulf D. von Lucius beschreibt die Lage so: Der Inhaberverleger und das Familienunternehmen sind heute ungleich weniger das Leitparadigma im Verlagswesen. Sehr viele Firmen haben aus den verschiedensten Gründen in den letzten Jahren aufgegeben, wurden fusioniert oder verkauft. Die Zahl der Verlagsmitglieder im Börsenverein sinkt. [. . .] Mit dem gesellschaftlichen Leitbild der Selbstverwirklichung hat sich eine Situation ergeben, in der junge Menschen ungleich weniger als in den früheren Generationen geneigt oder bereit sind, in die Fußstapfen ihrer Vorfahren zu treten. [. . .] Somit dominieren heute in den meisten Verlagen angestellte Verlagsleiter, vulgo Manager. Deren Professionalität wird in vielen Fällen höher sein als die eines Erben, aber ihre Verweildauer im Unternehmen auch kürzer. Da jeder neue Manager mit neuen Ideen und Prioritäten antritt, kommt eine viel größere Unstetigkeit in die Verlagsführung und in die Verlagspolitik als zuvor. Der neu Eintretende kündigt Verlagsverträge, tauscht Mitarbeiter aus, verändert die Marketingstrategie etc. [. . .] Dies verstärkt sich noch, wenn die Verlagsleitung ein Management-Team ohne starke Leitfigur ist: die permanent erforderlichen Abstimmungsprozesse in einem solchen Team gleichstarker Personen erfordern immer wieder Verfahren des ‚do ut des‘, d.h., Konsistenz und Verlässlichkeit sinken, die Programmpolitik verarmt zum ergebnisorientierten Halbjahresprogramm. [. . .] Es ist also aus diesem schwindenden Gewicht metaökonomischer Zielsetzungen ein Moment der Veränderung zu beobachten, das zwar im Sinne der Kapitaleigner liegen mag, dem System Wissensvermittlung insgesamt aber nicht unbedingt zuträglich sein muss. In extremen Fällen wird der Verlag zum Durchlauferhitzer statt zum lange warm haltenden Speicher. [. . .] Diese Entwicklung lässt sich vielleicht auch im Begriff Nachhaltigkeit fassen, der in der aktuellen wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion eine große Rolle spielt. Der langfristige Unternehmenswert, der für Inhaberunternehmer, die an ihre Nachkommen denken, eine so sehr große Rolle gespielt hat, weicht dem kurzfristigen Shareholder Value. [. . .] Ob man einen Verlag ohne das Leitziel der Nachhaltigkeit und primär unter der Zielsetzung kurzfristiger Ertragsmaximierung führen kann, bleibe dahingestellt. Die Gefahr ist allerdings unübersehbar, dass die Erkenntnis, langfristige Zielsetzungen seien vielleicht doch wichtig, u.U. zu spät kommen kann, wenn die Marktmacht kurzfristig handelnder großer Marktteilnehmer die kleingliedrige Struktur der nachhaltig agierenden Unternehmer an den Rand gedrückt oder vom Markt beseitigt hat.70

69 Vgl. Lucius, Wulf D. von: Strukturwandel im wissenschaftlichen Verlag. In: Soziale Systeme. Zeitschrift für soziologische Theorie 11/2005, S. 35 f. 70 Ebd., S. 35ff.

2.3 Neue Technologien und Akteure im Feld: Die Herausforderungen 

 39

Beispiele wie jene von Amazon machen darüber hinaus deutlich, dass der technologische Wandel auch eine Öffnung des Marktes mit sich brachte: Der weltweit zweitgrößte Buchmarkt steht internationalen Investoren offen, auch branchenfremden. Diesen Umstand markiert André Schiffrin in seinem Buch Verlage ohne Verleger als Zeitenwende im Verlagswesen und spricht dabei von einer Zeit „B.C.“ alias „Before Conglomerates“ alias vor der Geburt der großen Mischkonzerne. „Was wir in den letzten Jahren erlebt haben [. . .], dokumentiert die Anwendung der Markttheorie auf die Verbreitung von Kultur.“71 Diese Tendenz findet bei Bourdieu eine Erklärung: Mit der zunehmenden Professionalisierung kommt es zur Ausdifferenzierung der Felder mit dem Effekt einer beiderseitigen Verdrängung der beiden tendenziellen Pole – die Verdrängung des Kulturellen aus dem Ökonomischen, umgekehrt aber auch des Ökonomischen aus dem Kulturellen.72 Das bedeutet im ersten Fall Konzentrationstendenzen, die im vorangegangenen Kapitel bereits für Buchhandel und Verlage umrissen wurden – 4 von 10 Euro fließen mittlerweile auf das Konto der zehn größten Buchhändler, 1 Prozent der Verlage macht 70 Prozent des Umsatzes. Betroffen ist auch die dritte Säule des Buchhandels, der Zwischenbuchhandel, der als Bindeglied zwischen Buchhandel und Verlagen fungiert: In den vergangenen 40 Jahren sind mehr als zwei Drittel der Barsortimente vom Markt verschwunden, heute gibt es nur noch drei große Unternehmen in Deutschland.73 Zu beobachten ist demnach insgesamt, dass große Häuser, vielfach auch Mischkonzerne, kleine und mittlere etablierte Unternehmen aufkaufen. Lagerkosten, Laufzeiten, Kapital- und Logistikkosten etc. werden genauer durchgerechnet, wo zuvor ein weniger rentables Verfügbarhalten von Titeln bzw. längere Laufzeiten von Büchern gegeben waren. Die Folge ist also auch eine Beschleunigung bzw. eine Spirale der Kurzfristigkeit, in der immer mehr Titel produziert werden, die immer schneller veralten. Umgekehrt, im zweiten Falle, entstehen unter denselben Bedingungen auch eine Vielzahl neuer einfach handhabbarer Self-Publishing-Konzepte, in denen tradierte Modalitäten des Buchhandels sowie teilweise auch Gewinnorientierung häufig eine geringere Rolle gegenüber etwa Selbstverwirklichungsaspekten spielen. Jedenfalls bei manchen Autorinnen und Autoren selbst – die Plattformen, auf denen die E-Books der Self-Publisher eingebettet sind, sind umgekehrt wiederum ausschließlich ökonomisch ausgerichtet und weniger an Qualitätsstandards. Der einzige Filter ist die Auslese durch den Markt, dem man die Texte 71 Schiffrin, André: Verlage ohne Verleger. Über die Zukunft der Bücher. Berlin: Wagenbach, 2000, S. 69. 72 Vgl. Bourdieu, 1999, S. 151ff u. 198f. 73 Barsortimente: KNV, Libri und Umbreit; N.N.: Im Schatten der Eiche. In: buchreport.express 48/2011, S. 12 f.

40 

 2 Rahmenbedingungen: Deutschsprachige Verlagslandschaft und Buchmarkt heute

häufig unbearbeitet überlässt. Denn die Maßstäbe an ihre Werke setzen Autorinnen und Autoren selbst. Die von Bourdieu beschriebene beiderseitige Verdrängung bedeutet nicht zuletzt auch ein Verschwinden von dem, was zwischen den beiden Polen ist und auch in der Branchenpresse, hier bei Rainer Groothuis, Autor, Verleger, Buchgestalter und Kenner der Branche, immer wieder thematisiert wird: Die Mitte wird – mehr oder minder – zerrieben. Es entsteht ein breiter platter Fuß, bei dem die Preiskonkurrenz den finalen Verdrängungs- und Konzentrationswettbewerb befeuert. Oben entwickelt sich ein gesellschaftlicher Kopf, der sich nicht über das Haushaltsnettoeinkommen definiert – es entsteht eine Spitze, die ihr Selbstverständnis über Kultur, Herzensbildung und Welterfahrung findet, die Individualität, Extravagantes, Eigenwilliges sucht.74

2.3.2 Buchpreisbindung und Machtverschiebungen zwischen Verlagen und Buchhandel Diesen oben beschriebenen Umstand versucht man mit dem immer wieder kontrovers diskutierten Instrument der Buchpreisbindung zu entschärfen. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt, stellt dieses eine gesetzliche Regelung dar, die den beiden objektimmanenten, häufig jedoch gegenläufigen Seiten des Buches, nämlich Ware und Kunstwerk zugleich zu sein, gerecht werden will. Den Doppelcharakter von kulturellen Produkten wie dem Buch und ihre NichtDefinierbarkeit unter rein wirtschaftlichen Aspekten bringt Bourdieu im Begriff „biens symboliques“ zum Ausdruck.75 Nicht zuletzt bestimmt gerade dieser spezifische Charakter der Produkte auch die spezifischen ökonomischen Gesetze des intellektuell-künstlerischen Feldes.76 Die Buchpreisbindung dient zur Steuerung des Marktsystems, indem der Preis einschließlich Umsatzsteuer für die Ausgabe eines Buches für den Letztabnahme-Verkauf von Verlagen festzusetzen ist. Damit wird einerseits eine Selektion durch den Markt, also die Festlegung des Preises über Angebot und Nachfrage, andererseits der mögliche Preiskampf unter Verlagen und Buchhandlungen unterbunden. Das soll die Anzahl, vor allem aber die Vielfalt von Büchern sichern, speziell jener, die zwar kulturell wertvoll sind, deren Absatz aber voraussehbar gering ist. Genauso sichert die Buchpreisbindung auch die Anzahl der, überwiegend kleineren, Händler. Europa ist in der Frage der Buchpreisbindung geteilt. In der Schweiz wurde das Gesetz 2007 aufgehoben, was besonders im Internet einen Preiskampf nach 74 Groothuis, Rainer: Es liegt kein Heil im Allerlei. In: Börsenblatt 11/2009, S. 13. 75 Vgl. Jurt, 1995, S. 91. 76 Vgl. ebd., S. 91 f.

2.3 Neue Technologien und Akteure im Feld: Die Herausforderungen 

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sich zog und die Umsatzkurve für Bücher insgesamt auf Sinkmodus umstellte.77 Ein Referendum im März 2012 zielte auf die Wiedereinführung des Gesetzes ab, bestätigte schließlich aber den zuvor getroffenen Entschluss. 56 Prozent hatten gegen die Wiedereinführung gestimmt.78 In Österreich besteht das Gesetz sehr ähnlich wie in Deutschland.79 Und es besteht auch für E-Books: War bei den elektronischen Büchern die Rechtslage lange unbestimmt, so tritt ab 2016 auch für sie die Preisbindung gesetzlich verankert in Kraft.80 Gegenstimmen kritisieren, dass es sich bei der Buchpreisbindung um ein in Gesetzesform gegossenes Kartell handle, das den Preiswettbewerb auf der Händlerebene schwäche sowie auch die Weitergabe von Rabatten an Kundinnen und Kunden verhindere und dafür sorge, dass Verlage, nicht der Markt den Buchpreis bilden.81 Angesichts der immer höheren Rabattforderungen großer Buchhandelsketten, denen Verlage vielfach nachkommen, um nicht ausgelistet zu werden, steht dieser Punkt einmal mehr zur Diskussion, als Renditen von Verlagen ohnehin zugunsten der Ketten in den letzten Jahren geschmälert wurden und Ketten so Einfluss auf die Preisgestaltung nehmen. Argumentiert wird auch, dass die in Verlagen gängige Mischkalkulation unabhängig von der Preisbindung ist und Verlage auch künftig weniger rentable Titel subventionieren werden. Der Vergleich zeigt jedoch, dass in Ländern ohne Preisbindung, wie etwa Großbritannien oder den Vereinigten Staaten, Bestseller und gängige Titel erheblich billiger, Bücher abseits des Mainstreams allerdings größtenteils beträchtlich teurer sind.82

77 Vgl. Kapitel 2.2.2 Umsatz: Zahlen einer Branche. 78 N.N.: 56 % der Schweizer gegen Buchpreisbindung. In: buchreport.de vom 11.3.2012: http:// www.buchreport.de/nachrichten/nachrichten_detail/datum/2012/03/11/das-ist-eine-bittereniederlage.htm?no_cache=1&cHash=037c2d317b9b24015c2fa5797323bea1. Stand: 12.7.2015. 79 Für weitere Ausführungen zur Buchpreisbindung in Europa vgl.: Hanreich, Hanspeter, et al.: Buchpreisregelungen in Europa als Mittel der Kulturpolitik. Wirksamkeit und wohlfahrtsökonomische Bedeutung. Wien: IHS, 2009. 80 N.N.: Preisbindung explizit auch für E-Books. In: boersenblatt.net vom 23.4.2015: http:// www.boersenblatt.net/artikel-gesetzesentwurf_des_wirtschaftsministeriums.957334.html. Stand: 22.7.2015. 81 Zur Debatte in der Schweiz vgl. u.a. Daum, Matthias/Teuwsen, Peer: Der Bücherstreit. In: Die Zeit Online vom 16.2.2012: http://www.zeit.de/2012/08/CH-Buchpreisbindung. Stand: 12.7.2015. Allgemein zu den Nachteilen der Buchpreisbindung vgl. Franzen, Hans/Wallenfels, Dieter/Russ, Christian: Preisbindungsgesetz. Die Preisbindung des Buchhandels. 5. Aufl. München: Beck, 2006, S. 18 ff. 82 Vgl. u.a.: Goldschmitt, Regina: Grenzüberschreitende Buchpreisbindung und internationaler Buchmarkt. In: Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem deutschen Bucharchiv München. Bd. 64. Wiesbaden: O. Harrassowitz, 2000, S. 65 ff.; Möbes, Nancy: Die Preisbindung für Bücher im deutschen Sprachraum unter den Bedingungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts. Leipzig: Diplomarbeit, 2007, S. 59 f.

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 2 Rahmenbedingungen: Deutschsprachige Verlagslandschaft und Buchmarkt heute

Der Blick in die Musikindustrie zeigt, dass sich nach 1972, als die Preisbindung für Tonträger fiel, der Konzentrationsprozess beschleunigte.83 Die Zahl der Fachgeschäfte reduzierte sich drastisch. Mittlerweile vereinen die „Big Three“ – Universal Music Group, Sony Music Entertainment, Warner Music Group – 71,1 Prozent Weltmarktanteil im Plattengeschäft auf sich.84 Das Preisprinzip bedeutet auch hier: Titel, die in den Charts präsent sind, werden preisaggressiv verkauft. Sie dienen oft als „Lockangebot“ und werden zum Einkaufspreis oder sogar darunter abgegeben. Die Preise des übrigen Programms sind hoch und stabil. Neben der Schwierigkeit für Verlage, ihr Produkt den neuen Rahmenbedingungen anzupassen, wird an dieser Stelle noch etwas ganz anderes deutlich: eine Umkehrung des Kräfteverhältnisses zwischen jenen, die Bücher herstellen, und jenen, die mit ihnen handeln. Konditionen wurden lange Zeit von Seiten der Verlage bestimmt, durch die Marktmacht großer Händler hat sich das ins Gegenteil verkehrt – es bedeutet also eine Machtverschiebung von den Produzenten zu den Händlern. Rabattsätze bestimmen heute in der Regel Filialisten, die infolge des Strukturwandels eine dominante Rolle am Markt spielen. Mittlerweile prägen Buchhandelsketten flächendeckend das Bild im stationären Handel, kleine Buchhandlungen sehen sich einer übermächtigen Konkurrenz und massiven Konzentrationstendenzen gegenüber. Im Internet ergibt sich durch die Marktmacht von Amazon ein ähnliches Verhältnis. Große wie kleine Buchhandlungen stellt das Geschäft mit digitalen Inhalten hingegen insofern vor die Schwierigkeit, am neuen Markt überhaupt teilzunehmen, als die traditionellen Funktionen des stationären Buchhandels hier keine Rolle spielen müssen bzw. als Zwischenschritt in der Absatzkette nicht erforderlich sind.

2.3.3 Veränderungen in der Rezeption und im Bewusstsein für das Urheberrecht Während es für den vertreibenden Buchhandel im schnell wachsenden E-BookMarkt vor allen Dingen darum geht, aus dem Geschäft mit digitalen Inhalten nicht ausgeschlossen zu sein, sehen sich Verlage im Handel mit E-Books Veränderungen in der gesamten Wertschöpfungskette gegenüber. Das Unternehmen Verlag wird dabei zunehmend zum „Inhalteanbieter“, der sein Angebot auf verschiedene Weisen und auf unterschiedlichen Plattformen – digital oder gedruckt, 83 Vgl. Wegner, Manfred: Musik und Mammon. Die permanente Krise der Musikkultur. BadenBaden: Nomos, 1999, S. 203. 84 Vgl. Miller, Franz: Die mp3-Story. Eine deutsche Erfolgsgeschichte. München: Hanser, 2015, S. 357.

2.3 Neue Technologien und Akteure im Feld: Die Herausforderungen 

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mobil oder stationär – vertreibt und Inhalte für neue Darbietungsformen adaptierbar macht, vielfach auch ihrer klassischen Präsentationsform enthebt bzw. diese weiterentwickelt. Inwieweit dies tatsächlich auch lukrative Erlösmodelle ermöglicht, ist heute oft noch ungewiss. Die Digitalisierung bedeutet zunächst häufig noch Investition in einen Markt, der sich erst entwickelt – und in dessen Umfeld sich noch weitere Tendenzen beobachten lassen. Zum einen verändert sich die Kulturtechnik des Lesens im Medienumfeld. Stand früher ein höheres Zeitbudget für Bücher und Lesen zur Verfügung, so verteilt sich der Zeitkuchen heute auf immer mehr Freizeit- und Medienangebote. Für das Medium Buch ist dies insofern problematisch, da der kognitive und zeitliche Aufwand beim Lesen von Büchern erheblich höher ist als bei der Rezeption audiovisueller Medien, etwa Videos oder auch Musik. Und so, wie sich durch die neuen elektronischen Medien die Schriftrealität gewandelt hat und Texte nicht mehr ausschließlich in Büchern oder anderen Printprodukten präsentiert werden, haben sich auch Leseimpulse und Leseverhalten verändert. Anstelle von linearer und kontinuierlicher Rezeption eines ganzen Werkes tritt zunehmend eine sogenannte „Menürezeption“. Mediennutzende stellen sich ihr persönliches „Informationsmenü“ selbst zusammen. Lesetechniken wie „Scannen“ und „Zoomen“ erlauben dabei eine gezielte Informationssuche, während „Switchen“ und „Surfen“ zielloses Lesen, hauptsächlich im Internet, bedeuten. Der Trend geht zu kleineren Einheiten, die häufig mehrkanalig sind: Schrift verbindet sich mit optischen und akustischen Zeichen oder wird mit Bildern und Filmen unterlegt.85 Zum anderen geht mit der veränderten Rezeption der neuen elektronischen Produkte auch ein verändertes Bewusstsein für das Urheberrecht einher. So hat etwa die weltweit größte Internet-Suchmaschine Google seit 2004 komplette Bestände amerikanischer Bibliotheken digitalisiert und die Scans für sein Programm „Google Buchsuche“ verwendet. Der größte Teil davon, etwa fünf Sechstel, was mehreren Millionen Exemplaren entspricht, ist urheberrechtlich geschützt, darunter auch über 100.000 deutschsprachige Bücher. Amerikanische Autorenund Verlegerverbände reichten Klage ein und es entstand ein Jahre dauernder Rechtsstreit gegen Google. Beteiligt an der Klage waren Verbände aus der ganzen Welt, auch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der Hauptverband des Österreichischen Buchhandels und die IG Autorinnen Autoren. Der Vorwurf an das Unternehmen lautete Urheberrechtsverletzung – für das Vorgehen des Unternehmens, Bücher zu digitalisieren, eine elektronische Buchdatenbank zu schaffen, 85 Vgl. Schöllhuber, Lucia: Gilt das Rieplsche Gesetz für die Konjunktion Buch/Hörbuch? Gültigkeit und Relevanz der Verdrängungshypothese im Medienzeitalter. Wien: Diplomarbeit, 2006, S. 19 f.

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 2 Rahmenbedingungen: Deutschsprachige Verlagslandschaft und Buchmarkt heute

die per Volltextsuche durchsuchbar ist, und den Userinnen und Usern kurze Ausschnitte der Bücher („Snippets“) ohne Zustimmung der Berechtigten anzeigt. Bibliotheken und Google stellten den Vorwurf in Abrede. Es kam zum Vergleich, bis 2011 der District Court of New York eine Genehmigung des Vergleichs zum „Google Book Settlement“ verweigerte.86 Für das Unterfangen bedeutete dies: zurück an den Start. Doch bringen auch Bücher, die selbst von den Verlagen digital angeboten werden, vielfach Ungewissheiten mit sich, weil das Rechtsempfinden des Kulturpublikums den Interessen von Verlagen und Autorenschaft zunehmend zuwiderläuft und auch politisch kontrovers diskutiert wird bzw. sogar Niederschlag findet in neuen Bewegungen wie der 2006 im Berliner Hackerverein c-base gegründeten Piratenpartei. Diese wurde im bislang erfolgreichsten Jahr 2011 mit 15 Sitzen in das Berliner Abgeordnetenhaus gewählt, zurzeit werden 380 kommunale Mandate von 354 Mitgliedern der Piratenpartei ausgeübt.87 Zentrales Thema der Partei ist der freie Zugang zu Wissen und Kultur und die Wahrung der Privatsphäre – was mit dem von der Partei als überholt bezeichneten Urheberrecht in Konflikt steht. Die geforderte Freiheit im Netz ist eine, die als Freiheit der Konsumentinnen und Konsumenten verstanden werden will – und eine Kampfansage an Verlage, aber auch an die Film- und die Musikindustrie sowie Künstlerinnen und Künstler. Die Forderung nach Freiheit für Rezipierende kommt einer Enteignung der Werkschaffenden und Inhalte-Produzierenden gleich. Verlage reagieren darauf mehr oder weniger erfolgreich mit DRM – Digital Rights Management. Dieses beschreibt Technologien, die Rechteinhaber von Inhalten, etwa E-Books, einsetzen, um Nutzungsvereinbarungen auch technisch sicherzustellen bzw. zu kontrollieren. Dabei kann beispielsweise die Nutzung eingeschränkt und das Erstellen von Raubkopien erschwert werden, aber auch On-Demand-Produkte können angeboten werden.

86 Vgl. Homepage Börsenverein des Deutschen Buchhandels: Google Book Settlement: http:// www.boersenverein.de/de/336588. Stand: 23.8.2015. 87 Homepage Piratenpartei: http://www.piratenpartei.de/. Stand: 23.8.2015.

3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika von Independent Verlagen 3.1 Der Habitus als Handlungsmatrix Wie im vorangegangenen Kapitel deutlich geworden ist, lassen sich durch die quantitative und qualitative Kapitalbestimmung die Positionen von Individuen im sozialen Raum verorten und weiter im Verhältnis zu allen anderen, also in Relationen, die durch Nähe bzw. Entfernung bestimmt sind.1 Im Fall dieser Arbeit sind es Independent Verlage in Bezug zu ihrem Umfeld – dem Buchmarkt und seinen Akteuren. Anknüpfend an diese Beschreibung des Feldes als eine Art Landkarte geht es im Weiteren nun darum, mit welchem spezifischen Ausdruck die Verortung an einer bestimmten Stelle im Feld einhergeht  – nach Bourdieu entspricht dem Raum der sozialen Positionen ein Raum von Lebensstilen.2 Intellektuellen einer bestimmten Epoche ist, nach Bourdieu, bei aller Unterschiedlichkeit ein gemeinsamer Fundus an Erfahrungen, Begriffen und Fragestellungen gemein. Dadurch seien sie untrennbar miteinander verbunden. Der unter ihnen herrschende Konsens im Dissens konstituiere die objektive Einheit des intellektuellen Feldes einer bestimmten Epoche und bedinge die den Intellektuellen dieser Zeit gemeinsamen Fragestellungen.3 Diese These kann so auch auf (Independent) Verlegerinnen und Verleger der Gegenwart angewendet werden. Bourdieu, der sich schon früh gegen die Dichotomie von Objektivismus und Subjektivismus wissenschaftlicher Theorien und Herangehensweisen gewandt hat, verbindet die Handlungs- mit der Strukturebene im Habitus-Konzept. In einem weiteren, wesentlichen Schritt seiner Theorie werden Positionen also in Beziehung zu sozialer Praxis gesetzt. Je näher sich Positionen sind, desto ähnlicher sind sich der Lebensstil, die Vorlieben, die Sozialisationsverläufe und

1 Vgl. Kapitel 2.1. 2 Vgl. Bourdieu, Pierre: Sozialer Raum und ‚Klassen‘. Leçon sur la leçon. Zwei Vorlesungen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1985, S. 21. 3 Vgl. Bourdieu, Pierre: Systems of Education and Systems of Thought. In: International Journal of Social Sciences, 19/1967, S. 338–358, S. 341. Anmerkung: In einem anderen Text weist Bourdieu darauf hin, dass es keine operationelle Entscheidung im positivistischen Sinne darüber gibt, wer ein Intellektueller ist und wer nicht: Bourdieu, Pierre: Rede und Antwort. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1992, S. 159. Zentrales Interesse gilt hier jedoch auch nicht der Frage, inwieweit Verlegerinnen und Verleger Intellektuelle sind, als vielmehr der Konstitution ihrer objektiven Einheit.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

desto wahrscheinlicher kommt es zu Zusammenschlüssen, wie auch im Fall der beschriebenen Independent Verlage zu zeigen sein wird. Das Verhältnis von Position und Lebensstil soll dabei aber keineswegs mechanistisch aufgefasst werden – vielmehr ist es ein offenes und vielfältiges. Anstelle von generalisierenden Beschreibungen können höchstens ähnliche Tendenzen und Gemeinsamkeiten aufgezeigt werden, die ihren Ursprung in individuellen Gedanken, Wahrnehmungen, Äußerungen, Handlungen etc. haben. Deren Ausdruck wird in Bourdieus Theorie als Habitus bezeichnet. Der Habitus als System von Dispositionen inkorporierter Kultur und geronnener Erfahrung ist zunächst das Produkt der Geschichte eines Individuums: Im Habitus eines Menschen kommt das zum Vorschein, was ihn zum gesellschaftlichen Wesen macht: seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder Klasse und die ‚Prägung‘, die er durch diese Zugehörigkeit erfahren hat.4

Der Habitus ist also „leibhaft gewordene Geschichte“,5 einerseits in der äußeren Erscheinung, dem Verhalten und Auftreten eines Menschen beschrieben, wie Körpersprache, Kleidung oder Essgewohnheiten. Viel mehr noch kann der Habitus aber als ein System von dauerhaften Dispositionen der Akteurinnen und Akteure aufgefasst werden – er ist feldspezifischer sozialer Austausch bzw. funktioniert als Handlungsmatrix in einem spezifischem Feld. Der Habitusbegriff kann folglich auch als Komplementärbegriff zum Feld, das „Ding gewordene Geschichte“6 ist, verstanden werden, in dem Sinne, als das Feld die objektiven Bedingungen expliziert, unter denen die verschiedenen Habitusformen hervorgebracht – und rückwirkend im selben Feld auch wieder angewandt werden. Hierbei erschließt sich eine weitere Dimension, die dem Habitus eine Doppelfunktion zukommen lässt. Als gesellschaftliches Produkt bzw. Speicher sozialer Verhältnisse ist der Habitus also einerseits etwas Strukturiertes, in der Vermittlung von sozialer Position und Praxis ist er aber auch strukturierend. An dieser Stelle bzw. mit dieser Doppelfunktion kommt es im Habitus zu einer Aufhebung der Dichotomie von Subjekt und Objekt/Feld – vielmehr bedingen sich diese wechselseitig. Mittels Habitus gibt es demnach Strukturaffinitäten einer Epoche, Generation oder Gruppe zu entdecken. In Anlehnung an Noam Chomskys generative

4 Treibel, Annette: Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart. Opladen: Leske+ Budrich, 1985, S. 210. 5 Bourdieu, 1985, S. 69. 6 Ebd.

3.1 Der Habitus als Handlungsmatrix 

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Grammatik spricht Bourdieu von dieser Struktur des Denkens und Verhaltens als von einer „generativen Grammatik der Handlungsmuster“,7 die auf unterschiedlichste Weisen zum Ausdruck gebracht werden kann, ohne diese jedoch selbst zu bezeichnen. Er vermerkt dazu: Das Wesentliche aber ist, daß [sic!] diese unterschiedlichen Praktiken, Besitztümer, Meinungsäußerungen, sobald sie mit Hilfe der entsprechenden sozialen Wahrnehmungskategorien, Wahrnehmungs- und Gliederungsprinzipien wahrgenommen werden, zu symbolischen Unterschieden werden und eine regelrechte Sprache bilden.8

Analog zur Sprache also, die als ein System von Regeln gelernt zu werden verlangt und Sprecherinnen und Sprecher damit befähigt, diese in unterschiedlichsten Formen zu realisieren bzw. stetig komplexere Zusammenhänge zu artikulieren, verhält es sich auch mit kulturellen Praktiken: „Im Voraus assimilierte Grundmuster“9 bilden ein Ensemble, das kulturelle Praktiken generiert, zum Ausdruck bringen und weiterentwickeln lässt – symbolische Unterschiede als Merkmale der relativen Distinktion im Feld ausbildet, die umgekehrt auf diese spezifische Sprache zurückzuführen sind. Wenn im Folgenden Arbeitswelten und Herangehensweisen von Independent-Verlagen dargestellt werden, so geschieht dies in Hinblick auf obige Ausführungen und auf Basis der Interviews, die mit Akteurinnen und Akteuren geführt wurden. Die Einblicke in deren Praxis bedeuteten in der Analyse demnach ein Erkunden strukturierter Zeichensysteme, die Lebensstile beschreiben. In den individuellen Geschichten geht es darum, die darunter liegende verbindende Sprache zu erkennen und zu beschreiben, die die Individualistinnen und Individualisten sprechen und die deren Handlungsmatrix bildet. Wie oben beschrieben, ist diese stets individuell – je näher sich Individuen jedoch in den Dimensionen Gesamtkapital und Zusammensetzung des Kapitals sind und somit im Feld an nächstliegende Stellen zusammenrücken, umso mehr Gemeinsamkeiten werden sie aufweisen. Die Handlungsmatrizes der Independent Verlage sowie deren spezifisches Kapital in seiner speziellen Zusammensetzung werden im Folgenden unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet.

7 Bourdieu, Pierre: Zur Soziologie der symbolischen Formen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1970, S. 150. 8 Bourdieu, Pierre: Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1998, S. 21 f. 9 Bourdieu, 1970, S. 143.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 3.2.1 Zum Begriff „Independent“: Medienecho, Historie, Querverbindungen 3.2.1.1 New Generation, new Trend: Junge Independent Verlage auf der Medienagenda Berlin, kurz nach der Wende: Daniela Seel und ihr erster Autor lernen sich bei einem Konzert kennen. Jan Böttcher war Sänger der Band, unter den Gästen auch Andreas Töpfer, ein Grafiker. Bald entstand die Idee, einen Verlag zu gründen – als weiteren Zweig des KOOK-Netzwerks, aus dem bereits das Musiklabel entstanden war, zu dem auch Jan Böttchers Band gehörte.10 Dieses Umfeld wurde für den Verlag prägend, da sich daraus überwiegend das Programm speiste, das die Presse fortan euphorisch im Feuilleton besprach. Namen wie Daniel Falb, Alexander Gumz oder Steffen Popp waren dabei nicht nur neu. Es sind auch die Namen von Lyrikern, die der Gattung entsprechend meist nur einen kleinen Kreis von Interessierten erreichen. Doch nicht nur die neuen Namen der Autorinnen und Autoren fanden Anklang in der Presse, vielfach richtete sich das Interesse auch auf den Verlag selbst. Daniela Seel, exemplarisch für eine Independent Verlegerin, interessierte als Person. Wie bei den meisten der jungen Independent Verlage erschien ihr verlegerischer Zugang als einer, der ausnahmeartig auf eine verlegerische Tradition setzt, die in den letzten Jahren zunehmend abhandengekommen war und hier wieder neu und gleichsam unverbraucht auftauchte und einen neuen State of the Art zu erkennen gab – wie zumindest die Presse postulierte.11 Verstärkt seit dem Jahr 2005 wurden Geschichten wie die oben stehende von der Presse herangezogen, um ein Beispiel zu geben von einem neuen verlegerischen Zugang und dem vielfältigen Schaffen kleiner, unabhängiger Verlage. Es interessierte, wie diese ihren Weg am Buchmarkt gehen, der so weit von den großen zementiert scheint – kookbooks’ Stärken und Schwächen zeigten exemplarisch jene einer Vielzahl von kleinen Verlagen auf, die im letzten Jahrzehnt als sogenannte „Independents“ von sich reden machten. Ein prototypischer Pressetitel lautete da etwa „Liebeserklärung an die Kleinen“ und beginnt mit jenem konjunktiven Aspekt von Konzentration und Nischenwachstum zur gleichen Zeit, der in der Berichterstattung häufig

10 Vgl. Preissler, Brigitte: Lebensform Sonnenstudio. In: taz.de vom 15.2.2006: http://www.taz. de/1/archiv/?id=archivseite&dig=2006/02/15/a0275. Stand: 1.7.2015. 11 Vgl. ebd.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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herangezogen wird: „Viele kleine Verlage kämpfen vom breiten Buchmarkt kaum bemerkt ums Überleben. Doch wer genau hinsieht, findet eine Welt der Nischen und seltenen Blüten.“12 Diese Welt des Kleinen und der Vielfalt ist es, die man hinter den kleinen neuen Verlagen vermutet und entdecken will – in Abgrenzung zum Einerlei, das sich in immer stärker sich ausbreitenden Buchhandelsketten stapelt. Neben kookbooks schien es just zum selben Zeitpunkt weitere Verlagsgründungen mit ähnlichem Zugang zu geben – Tropen, Blumenbar, Onkel & Onkel u.v.m. – die fortan auch als Gruppe bzw. neue Generation wahrgenommen wurden. In einem Artikel mit dem – ebenfalls beispielhaften – Titel „Gemeinsamer Tanz aus der Reihe“ spricht der Buchwissenschaftler Stephan Füssel von einem „Gründungsboom“, den er als „eine Gegenreaktion auf die dominante Zusammenballung im Verlagswesen“13 erklärt. In der Presse las man so auch immer häufiger von einem Trend, der sich vor diesem Hintergrund abzeichnete: Eine solche Aufbruchsstimmung gab es noch nie: Ausgerechnet in Zeiten der Buchmarktkrise gibt es plötzlich eine neue Verlegergeneration, eigenwillig, mutig und kreativ. Eine Generation, die ihren eigenen Weg gehen will, unabhängig von den Gesetzen der Großverlage. Eine Gruppe von Individualisten, deren Ideen im Literaturbetrieb bis vor kurzem noch väterlich belächelt wurden [. . .] Sie sollten sich warm anziehen, die Lächler [. . .].14

Was hier in Zusammenhang mit den jungen Verlagsprojekten als neue Generation ausgerufen wird, hat tatsächlich wenig mit einem Verlegerentwurf, wie er noch von Siegfried Unseld verkörpert wurde, zu tun. Namen wie kookbooks, A1, Luftschacht oder Salis klingen bereits anders, als man sie sonst von Verlagen kennt, und sie haben einen anderen Hintergrund – häufig verortet in Ausgehszenen. Blumenbars Gründer etwa kamen aus der Münchner Clubszene und sorgten von Beginn an für Aufsehen durch ungewöhnliche Aktionen – nicht zuletzt aber auch mit ihren Büchern, die Kolleginnen und Kollegen aufhorchen ließen: Wie gelingt es ausgerechnet diesen Rotznasen, sich einen Roman von Hunter S. Thompson zu schnappen und nicht nur damit bundesweit Schlagzeilen zu machen? [. . .] Gibt es einen neuen Trend? Hat die Art des Verlegens etwas mit der Generation zu tun?15

12 Angele, Michael: Liebeserklärung an die Kleinen. In: der Freitag vom 12.3.2009: http://www. freitag.de/autoren/der-freitag/liebeserklarung-an-die-kleinen. Stand: 3.7.2015. 13 Stephan Füssel, zitiert in Meier, Kerstin: Gemeinsamer Tanz aus der Reihe. In: Kölner Stadt-Anzeiger Online vom 7.1.2006: http://www.ksta.de/kultur/gemeinsamer-tanz-aus-derreihe,15189520,13740350.html Stand: 1.7.2015. 14 Ukena, Silja: Die neue Ökonomie. In: Kultur SPIEGEL, 3/2005, S. 24. 15 Edition Nautilus Newsletter: Die neuen Dämonen der Inneren Sicherheit. In: CL. Alternatives Informationsportal vom 23.6.2005: http://www.cl-netz.de/read.php?id=51649. Stand: 2.7.2015.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

So wird in einem Newsletter der Edition Nautilus gefragt – eines kleinen unabhängigen Verlags mit literarischem Programm – von den jungen Verlagsprojekten lediglich durch längere Marktpräsenz unterschieden. Tatsächlich zeichnete sich zu dieser Zeit, im Jahr 2005, ergänzend zu den Medienberichten auch innerhalb der Branche eine verstärkte Beschäftigung mit dem Phänomen ab. Das Thema wurde unter dem Schlagwort „Independent“ aufgegriffen und erhielt zunehmend Aufmerksamkeit durch Berichte und Veranstaltungen aus der Branche, die häufig auch über diese hinausreichten und im gesamten deutschen Bundesgebiet von unterschiedlichen Initiatoren veranstaltet wurden. Angekündigt wird da ein Treffen im Literarischen Salon der Universität Hannover von unabhängigen Verlegerinnen und Verlegern,16 eine andere Veranstaltung lautet: „Neue Verlage in München“,17 die Podiumsdiskussion des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels „Gründerzeit. Independents im Aufwind?“18 war eine der bestbesuchten der Leipziger Buchmesse 2005. Zahlreiche Medien berichteten – zumeist euphorisch. Doch handelte es sich tatsächlich um einen neuen verlegerischen Zugang, um eine Gründerwelle, eine neue Entwicklung? Oder, im Gegensatz dazu, doch eher um ein aufgeblasenes Phänomen, einen medial konstruierten Trend? Die Presse jedenfalls wurde nicht müde, in die immer selbe Lobeshymne einzustimmen – und eine neue Verlegergeneration als etabliert zu bestätigen: Blumenbar, Dörlemann, Kookbooks oder Schirmer Graf und andere, die sich erst seit ein oder zwei Jahren auf dem Buchmarkt tummeln, haben sich etablieren können. Daß [sic!] dieser Markt den Branchengroßen zufolge immer schwieriger wird, scheint die Neuen wenig zu kümmern. Das legt die Vermutung nahe, die wachsende Unberechenbarkeit könnte nicht zuletzt mit schwindenden Rechenkünsten etablierter Verlage zu tun haben, deren Lust am Risiko sich kaum noch aufs Programm bezieht, sondern ganz in einem umfangreichen Apparat aufgeht, von dem die meisten wissen, dass sie ihn sich nicht mehr leisten können. [. . .] Debütanten sucht man bei den großen und mittleren Häusern ohnehin meist vergeblich. [. . .] Der Unterschied zwischen einer verlegerischen Leistung und Vermarktungskünsten gerät in vielen Verlagshäusern zunehmend in Vergessenheit. [Es] werden in erster Linie die kleinen und die jungen Verlage sein, die uns daran erinnern, worin dieser Unterschied besteht.19 16 27.6.2005, Literarischer Salon der Universität Hamburg: Wolfgang Farkas (Blumenbar), Alexander Fest (Rowohlt), Antje Kunstmann (Verlag Antje Kunstmann), Michael Zöllner (Tropen), Lutz Schulenberg (Edition Nautilus). 17 20.7.2005, Literaturhaus München: Ein Gespräch mit Tanja Graf (Schirmer/Graf Verlag), Wolfgang Farkas (Blumenbar), Christian Kill (Liebeskind) über Profilierung auf dem schwierigen Buchmarkt, Neugründungen und dem Konkurrenzkampf von Verlagen. 18 17.3.2005, Leipziger Buchmesse: Podium mit Heinrich von Berenberg (Berenberg Verlag), Thierry Chervel (Perlentaucher), Daniela Seel (kookbooks), Michael Zöllner (Tropen), Klaus Wagenbach (Verlag Klaus Wagenbach). 19 N.N.: Künstler und Politiker aller Länder, verewigt euch! In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 306 vom 31.12.2004, S. 37.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Und als zwanzig Literaturexperten – Feuilletonchefs, Literaturredakteure und Literaturhausdirektoren aus Deutschland – 2008 in einem Ranking des Magazins Cicero die „wichtigsten Verlage“ kürten, schien der Trend einmal mehr besiegelt: kookbooks befand sich auf dem vierten Platz hinter den Traditionshäusern Hanser, S.Fischer und Suhrkamp.20 Über ein Drittel der Liste setzt sich aus Independent Verlagen zusammen, während man renommierte Häuser wie Hoffmann & Campe vergeblich sucht.21 Schnell finden sich die immer selben Namen der Neugründungen überproportional auch auf Listen mit Buchempfehlungen,22 2010 wird von den Verlagen selbst eine solche installiert: die Hotlist.23 Auffallend und interessant dabei ist, dass von der Vielzahl der Verlage, die mit der Beschreibung „Independent“ potenziell gemeint sind, immer dieselben Namen genannt werden und als zusammengehörig dargestellt werden. Blumenbar, kookbooks, Tropen sind jene Verlage, die mit ihren Namen, Zugängen und Inhalten Pate stehen für einen Trend.24 Sie zeigen stellvertretend ihre Gesichter für etwas, was als neue Bewegung beschrieben wird, die sich in Zeiten der Globalisierung und des Identitätsformalismus von der Masse abhebt. Die kleinen Verlage bilden ein Netzwerk, sie veranstalten gemeinsame Partys. Ihnen wird zugeschrieben, sich dem Nachwuchs und jungen Talenten verschrieben zu haben. Nicht zuletzt scheint, was von diesen Verlagen geboten wird, auf der Höhe der Zeit: Ihre Logos kommen aus Designstudios, ihre Cover unterscheiden sich von dem, was man kennt, erinnern an Plattencover

20 Eichel, Christine: Cicero kürt die wichtigsten Buchverlage. In: Cicero. Magazin für politische Kultur vom 12.3.2008: http://www.cicero.de/cicero-kürt-die-wichtigsten-buchverlage/38552. Stand: 14.7.2015. 21 Independent Verlage im Cicero-Ranking: 4. kookbooks, 9. Wallstein, 11. Schirmer/Graf, 12. Blumenbar, 18. Tropen, 19. Steidl, 20. Supposé. 22 Alfred-Kerr-Preisträger empfehlen: McCarthy, Tom: 8 ½ Millionen. Berlin: Diaphanes, 2009; Savater, Fernando: Vom Mut zu denken. Wörterbuch für den mündigen Bürger. Düsseldorf: Artemis & Winkler, 2009; Faldbakken, Matias: Unfun. München: Blumenbar, 2009; Magris, Claudio: Ein Nilpferd in Lund. München: Hanser, 2009; Bendixen, Katharina: Der Whiskyflaschenbaum. Leipzig: Poetenladen, 2009; Rubin, Szilárd: Kurze Geschichte von der ewigen Liebe. Berlin: Rowohlt, 2009. In: N.N.: Bestenliste. Alfred-Kerr-Preisträger empfehlen. In: Börsenblatt, 25/2009, S. 26.   Kuriosester Buchtitel 2010: „An dem Tag, als ich meine Friseuse küsste, sind viele Vögel gestorben“ (Sonderzahl), „Zehn Tipps, das Morden zu beenden und den Abwasch zu beginnen“ (Tropen) „Die Frau, die allein ein ganzer Tisch war“ (Onkel & Onkel). In: N.N.: Shortlist für den kuriosesten Buchtitel steht fest. In: boersenblatt.net vom 23.9.2010: http://www.boersenblatt. net/396743/. Stand: 15.7.2015. 23 Vgl. Kapitel 3.2.8.4. 24 Weitere Verlage sind in diesem Zusammenhang etwa auch: Belleville, Bilger, Echtzeit, Folio, Friedenauer Presse, Liebeskind, Lilienfeld, Milena, Mitteldeutscher Verlag, orange-press, Ventil, Voneinander hören, weissbooks.w und Yedermann.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

und Partyflyer. Wie es einem Trend entspricht, scheint all das genau zum richtigen Zeitpunkt zu kommen – die Verlage erscheinen gleich Hoffnungsträgern in Zeiten, wo der Mainstream das Sagen hat: Anscheinend erhoffen sich so einige Leser und Journalisten von den jungen unabhängigen Verlagen neue Seiten und einen frischen Wind zwischen all der Stapelware von Dan Brown bis Frank Schätzing oder Schirrmacher in den Buchhandlungen.25

Den Verlagen kam diese Euphorie der Presse zugute. Denn vor dem Hintergrund der Ausdifferenzierung am Buchmarkt in große Konzerne und kleine zunehmend selbst publizierende Einheiten ist die Presse nicht zuletzt stärkster Verbündeter im entscheidenden Wecken des Leserinteresses, das zu einem großen Teil auch die Existenzberechtigung dieser Verlage mitbestimmt. Die Presse erschafft Öffentlichkeit. Eine Gruppe von Verlagen hatte es mit Inhalten und ihrem Auftreten geschafft, von dieser wahrgenommen zu werden und unterscheidbar zu sein – auch von den vielen anderen kleinen Verlagen. Durch die konzentrierte Beschäftigung mit der Thematik in der Presse und innerhalb der Branche formte sich die Bezeichnung „Independent Verlage“ zu dieser Zeit. Durch die Selbstbezeichnung und Verwendung des Namens zur Abgrenzung und Inszenierung für gemeinsame Aktionen wurde der Begriff einmal mehr verankert und schnell zum fixen Bestandteil in der Nomenklatur der Verlagsbezeichnungen. Es hatte eine Verselbstständigung des Begriffs und seiner Verwendung stattgefunden, die unter anderem durch Offenheit gekennzeichnet ist: Man fühlt sich zugehörig oder wird als zugehörig erachtet.

3.2.1.2 Going back: Zum Begriff „Independent Verlag“ und seiner Historie Wenngleich es, formal gesehen, diese verlegerische Unternehmensform schon immer gegeben hat, kursieren der neudeutsche Begriff „Independent Verlag“ und seine umgangssprachliche Kurzform „Indies“ erst relativ kurz im deutschsprachigen Raum. Der Anglizismus beschreibt kleine unabhängige Verlage und kann strukturell gesehen bzw. seiner Form nach synonym mit der Bezeichnung des unabhängigen Kleinverlages verwendet werden. In Anbetracht der Genese dieser Verlagsform taucht der zusätzliche Verweis auf die Unabhängigkeit erst relativ spät auf und meint dabei unterschiedliche Beziehungen zu den jeweils wechselnden Bedingungen seiner Umgebung. So soll hier im Folgenden ein 25 Bartels, Gerrit: Die Tageszeitung, zitiert in: Gründerzeit. Independents im Aufwind? Podiumsdiskussion vom 17.3.2005 auf der Leipziger Buchmesse. In: buecher.macher.de: http:// www.buecher-macher.de/aktuell/. Stand: 24.6.2015.

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kurzer Abriss über die Entwicklung professioneller Kleinverlage gegeben werden, besonders im Zusammenhang des expliziten Verweises auf die Unabhängigkeit bzw. „Independence“. Zunächst findet die explizite Ausweisung der Unabhängigkeit im politischen Kontext seine Verwendung. Mit zunehmender Links-Politisierung unterschiedlicher Gesellschaftsschichten sind es die 1960er- bis 1970er-Jahre, mit dem Jahr 1968 als dem Kulminationspunkt der Entwicklungen, in denen der Begriff erstmals auf Verlage angewandt wird.26 Vornehmlich waren dies Verlage, die insofern in Verbindung mit dem Aufbruch standen, als sie geeignete Publikationskanäle für die Verbreitung von Ideen darstellten. Gleichzeitig mit dem Bedarf an diesen Kanälen stieg auch die Anzahl von Neugründungen von Verlagen und Buchhandlungen. „Geistige Aufbruchsstimmung, scharfe politische Debatten und neue Experimentierfreude in der Kunst“27 prägten das Klima, in dem „Independent Verlage“ bzw. unabhängige Verlage erstmals als solche benannt in Erscheinung traten. Vor allen Dingen waren es Autorinnen und Autoren selbst, die, unzufrieden mit Produktions- und Entgeltbedingungen, Verlage gründeten, um von bestehenden Strukturen unabhängig zu sein. Auch viele Verlage, die bislang Zeitschriften herausgegeben hatten, gingen dazu über, vermehrt Bücher zu publizieren. Denn gleichzeitig hatte auch die Vergünstigung von Produktionsmitteln für die Herstellung von Büchern eine tendenzielle Verlagerung von Literaturzeitschriften hin zu Verlagen bewirkt, in denen Autorinnen und Autoren erste Publikationen der Öffentlichkeit präsentierten. Im gemeinsamen Sprachraum war es vor allem Deutschland mit seiner dominierenden Stellung im Verlagswesen, wo diese Entwicklungen begannen und stärker in Erscheinung traten, während Österreich und die Schweiz etwas hinterherhinkten.28 Fokussierte Aufmerksamkeit erhielt die zusätzliche Bezeichnung der Unabhängigkeit professioneller Kleinverlage erneut beginnend mit den 1980er-Jahren. Politische Anliegen gerieten dabei in den Hintergrund, solche, die den Markt und seine Bedingungen thematisierten und vor allem kritisierten, rückten zunehmend in den Mittelpunkt. Die Bewegung entstand diesmal aus dem Literaturbetrieb

26 Vgl. Landerl, Peter: Der Kampf um die Literatur. Literarisches Leben in Österreich seit 1980. Innsbruck: Studienverlag, 2005, S. 35 f. Ausführlichere Informationen zum Thema siehe auch: Füssel, Stephan (Hg.): Die Politisierung des Buchmarktes. 1968 als Branchenereignis. Mainzer Studien zur Buchwissenschaft, Bd. 15. Wiesbaden: O. Harrassowitz, 2007. 27 Isfort, Volker: Verlagsgründung. In: Plinke, Manfred (Hg.): Mini-Verlag. Selbstverlag, Publishing on Demand, Verlagsgründung, Buchherstellung, Buchmarketing, Buchhandel, Direktvertrieb. 6. Aufl., Berlin: Autorenhaus, 2005, S. 39–40. 28 Vgl. Sachs, Albert: Zwischen Packpapier und Bibliophilie. Zur Geschichte und Situation österreichischer Alternativ-, Klein- und Mittelverlage von 1968 bis 1990. Wien: Diplomarbeit, 1991, S. 15.

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selbst heraus.29 Einmal mehr waren es gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, die praktische Auswirkungen im Verlagsgeschäft hatten. Die mit der dominierenden kapitalistischen Dynamik einhergehenden Veränderungen in der Buchbranche waren nun maßgeblich für den Begriff des Independent Verlags geworden – als eine Situation, in der man ein Programm bieten wollte, das insofern als alternativ beschrieben werden kann, als es sich unabhängig von Marktdynamiken generiert und entfaltet. Später ging dies auch mit einem Regionalisierungstrend einher, der mit lokalen und regionalen Themen in den Programmen der Kleinverlage seinen Niederschlag fand.30 Mit Zunehmen der kapitalistischen Dynamik und ihren Begleiteffekten wie Outsourcing von ehemals innerbetrieblichen Professionen (Lektorat, Herstellung etc.) oder der Eingliederung von Verlagen in Mischkonzerne erhielt die zusätzliche Bezeichnung der Unabhängigkeit steigende Bedeutung in den beiden darauffolgenden Jahrzehnten.31 In Österreich löste diese Ökonomisierung, im Unterschied zu Deutschland, verstärkt auch Strukturen ab, in denen Kirche und Staat dominant waren. Entstaatlichung und Ökonomisierung gingen Hand in Hand sowie auch der nachlassende Einfluss der katholischen Kirche, die bis dahin besonders stark im österreichischen Verlagswesen vertreten war.32 Die Ökonomisierung hatte hier immerhin zur Folge, dass sich für kritische Literatur, die in diesem legislativ bzw. kirchlich dominierten Umfeld bislang kaum Chancen hatte, nun bessere Bedingungen zur Veröffentlichung auftaten. Die Kehrseite dieser Ökonomisierung ist wiederum jene, die im vorangegangen Kapitel 2 als Marktkonzentration beschrieben wird. So enthält der Begriff „Independent“ gleichzeitig Aspekte der Tradition und der Dynamik, wie später in diesem Kapitel noch ausgeführt wird. Die kurze Abfolge beider Umgebungsveränderungen und die abgrenzende Bedeutungsgebung für den Begriff des „Independent Verlags“ bringen schließlich auch eine gewisse Ausdifferenzierung unter den kleinen unabhängigen Verlagen mit sich. Heute finden sich Verlage am Markt, deren Entstehungszeitpunkt in beide, sehr unterschiedliche, Umgebungen reicht – und die dem Begriff also seine Bedeutung tendenziell in Abgrenzung zu einer je stärkeren politischen bzw. ökonomischen Abhängigkeit verleihen, wodurch auch ein gewisser Aspekt der Generationenzugehörigkeit zum Tragen kommt. So sehen sich die in dieser Arbeit beleuchteten jüngeren Verlage zumeist auch klar unterschieden von Verlagen, die 29 Vgl. Sachs, 1991, S. 16. 30 Vgl. Landerl, S. 36. 31 Vgl. Lucius, 2005, S. 35ff; Schiffrin, 2000, S. 69. 32 Vgl. Panzer, Fritz/Scheipl, Elfriede: Buchverlage in Österreich. Marktteilnehmer – Buchproduktion – Umfeldbedingungen. Wien: Verlag Buchkultur, 2001, S. 12.

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zwar strukturell ähnlich aufgestellt und sich auch in der Beziehung zum Markt in derselben Situation befinden, aber zu einem früherem Zeitpunkt gegründet wurden. Ein Verleger führt dazu aus: Es gibt so eine Independent-Szene, die wahrscheinlich aus den 70ern und 80ern kommt, wo so ein Geist mitschwingt: Geld verdienen mit etwas ist eigentlich unmoralisch. Und deswegen richten wir uns und unsere Alternativen nicht so ein. [. . .] Denn es hat sich einfach viel geändert. Mainstream und Subkultur, Underground – das gibt es so nicht mehr, wie das mal so ein bisschen strenger voneinander getrennt existierte. Und deswegen ist die Schärfe von dem Begriff Independent eben nicht so gegeben. Also, es gibt jetzt nicht irgendwie die Front der Independent Verlage und dann Konzernverlage – und das sind praktisch so die beiden Gegenspieler. Sondern im Gegenteil: Es ist in unserem Fall so, dass der MainstreamBuchhandel zu den besten Kunden zählt. Also Hugendubel ist ein ganz, ganz wichtiger Partner. Natürlich würden wir uns inhaltlich einem kleinen Independent-Buchladen viel näher fühlen als Hugendubel. Ganz klar. Aber es ist trotzdem so, dass Hugendubel mit am meisten unserer Bücher verkauft. Und das ist auch so in Zusammenarbeit mit Verlagen – da sind so große Häuser wie Random House ganz wichtige Lizenzpartner und können einem unter Umständen als kleinem Verlag näher stehen als ein Verlag aus dem 20er-Verbund der Independent Verlage. Also insofern gibt es ganz verschiedene Blickweisen darauf, die dann zu einem unterschiedlichen Ergebnis kommen.33

Kennzeichnend für diese junge Generation ist – obwohl und weil sich der Begriff „Independent“ in diesem Kontext auf die Marktsituation bezieht, dass es auch ein ausgeprägtes Bewusstsein für diesen Markt und jüngere Käuferschichten gibt. Zugleich ist diese Generation die erste, die auch mit den entsprechenden Fertigkeiten zur veränderten medialen postmodernen Wirklichkeit aufgewachsen ist. Hierzu zählt neben den Wahrnehmungsgewohnheiten der MTV-Generation auch der gekonnte Umgang mit den (Neuen) Medien.34 „Independent“, ein Begriff, der vor allem aus dem Musikbereich bekannt ist, ist dabei kaum zufällig gewählt.

3.2.1.3 Can you hear the music?: Querverbindungen zur Musikbranche Insgesamt tun sich Parallelen überall dahin auf, wo Kunst bzw. Schöpferisches vermarktet wird – Musik, Film, Theater, Mode oder Gaming: In all diesen Bereichen arbeiten Labels mit dem Begriff „Independent“, um auf Entstehungs- und Herangehensweisen des Unternehmens zu verweisen. Der oben erwähnte Musikfernsehsender MTV ist ein Stichwort, das in Bezug auf Independent Verlage auch insofern Relevanz erhält, als sich darin Bezüge 33 Interview A1, Absatz 39. 34 Vgl. Kahlefendt, Nils: Für immer jung. In: Börsenblatt, 38/2005, S. 13.

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zur Umgebung auftun sowie auf Querverbindungen des Begriffes verwiesen wird. Wenn etwa Onkel & Onkel sein Programm als „visuellen Rock ’n’ Roll“35 beschreibt, so werden einmal mehr die Querverbindungen zur Musik deutlich, genauso wie Buchpräsentationen, die junge Verlage als „Book Release“ ankündigen, sprachlich in einer Analogie zu Plattenveröffentlichungen stehen. Es erfolgt damit ein Inhaltstransfer vom Musik- auf den Literatur- bzw. Verlagsbereich. Auch genreübergreifende Stile wie Pop oder Hip-Hop – die schließlich über den Musikstil hinaus einen Lifestyle oder Habitus beschreiben und, was in diesem Zusammenhang relevant ist, auch Übertragungsmöglichkeiten und die Verbindung zwischen unterschiedlichen Lebensbereichen oder Kunstsparten ermöglichen, die über das jeweilige Gebiet selbst hinausgehen. Querverbindungen zu seelenverwandten Bereichen bedeuten hier also auch häufig ein Zusammenwachsen derselben, wie gerade die Programme der jungen Independent Verlage immer wieder zu erkennen geben. Alexander Scholz, Jahrgang 1971, Verleger der Edition Minotaurus, führt das genauer aus: Wir sind nicht mit Büchern, sondern mit Musik groß geworden. Punk, Rock, Social Beat, Underground, was es so gab in den 80ern und Anfang der 90er. Gute Liedtexte gleich gute Lyrik. [.  .  .] Verdichtete Sprache, poetische Brüche, verspielte Gedanken, wahre Gefühle, ironische Konter [. . .]. Seit den Robert-Altman-Filmen ‚Player‘ (1992) und ‚Short Cuts‘ (1993) sei spätestens klar, dass das Erzähl-Zeitalter vorbei ist. [. . .] Text pur, das war letztes Jahrhundert. Heute ist eine Mixtur aller Kunstmittel angesagt. Zur Lyrik oder Erzählung gibt’s edle Grafikdrucke, dazu am besten noch eine Musik-CD, und das alles in modernen Materialien präsentiert.36

Das Zitat belegt, wie Genres hier zusammenfinden, und deutet damit bereits auf ein wesentliches Kennzeichen von jungen Independent Verlagen, als dies entsprechenden Niederschlag im Programm findet.37 In der Zeitschrift Magazin fasst man zusammen: „Alexander Scholz will Gesamtkunstwerke für Freaks machen, jenseits des Massengeschmacks.“38 Bei der Etablierung der Bezeichnung „Independent“, die maßgeblich mit dieser Generation aufkam – obwohl solche Verlage der Form nach lange vorher existierten – hat dieser Umstand ebenfalls gewichtigen Einfluss, genauso wie die Anlehnung an determinierende Faktoren, die dieselben sind in den unterschiedlichen Kulturbranchen, genauso wie Zuschreibungen und Konnotation rund um den Begriff des „Independent“-Labels und wie sie – hier beispielhaft durch einen 35 Homepage Onkel & Onkel: www.onkelundonkel.com/. Stand: 25.7.2015. 36 Alexander Scholz, zitiert in: Thieme, Manuela: Episodenhaft auf Bewährung. In: Das Magazin, 10/2004, S. 41. 37 Vgl. Kapitel 3.2.6.3. 38 Thieme, 2004, S. 41.

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Verleger wiedergegeben – auch in den Interviews immer wieder zum Vergleich herangezogen wurden: Es ist dieses Junge, Unverbrauchte und dieses leicht Rockige. [. . .] Und natürlich – egal ob Independent-Film, -Musik oder -Mode – es sind ja meistens Low-Budget-Produktionen, wo man auch zwangsläufig nicht durch teure Spezialeffekte auffällt, sondern durch unheimliche Kreativität. Sei es in der Themenauswahl, dem, was man dem Publikum bietet. Oder dem, wie man tatsächlich sich selbst und seine Titel inszeniert.39

Generell, und das trifft nicht nur für Independents zu, werden andere Branchen immer wieder zu Vergleichen und Ausblicken herangezogen. Verstärkt in den letzten Jahren des Umbruchs wurden und werden immer wieder Beobachtungen und Analogien zum Musikbereich gezogen, als sich hier so viele ähnliche Punkte berühren, die ihre Entsprechung in der Buchbranche finden.40 Und so ist es interessant, zu sehen, dass man auch in Forschungsarbeiten zum „Independent“Label in der Musikbranche eine Einteilung in unterschiedliche Generationen findet. Deshalb, vor allem aber auch aufgrund der Adaption des Begriffs aus der Musikbranche und den zahlreichen Bezügen, soll hier ein kurzer Einblick in das Auftauchen und die Verwendung der Bezeichnung „Independent“ im Bereich der Musiklabels gegeben werden:41 Zunächst verhält es sich auch in der Musikbranche so, „dass der Sinngehalt von Independent durch äußere und innere Faktoren, die sich reziprok und im historischen Verlauf beeinflussen, bestimmt ist, weshalb die Bedeutung von Independent in unterschiedlichen Ären nicht identisch sein muss“.42 Die Unterscheidung in Generationen erfolgte dort also – analog zur Buchbranche – aufgrund der Veränderungen des Begriffs in den jeweiligen Produktionskulturen unterschiedlicher Zeiträume. Hatten in den 1920er- und 1930er-Jahren noch eine Vielzahl kleiner Unternehmen den Musikmarkt geprägt, so ist diese Kleinstrukturiertheit nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr vorhanden. Stattdessen tauchen zu diesem Zeitpunkt die vier in kurzer Zeit auch marktbeherrschenden Majors auf.43 Die erste 39 Interview A6, Absatz 348. 40 Vgl. etwa Urheberrecht, Vermarktungsmodelle, Payment oder Piraterie. Ein anderes Beispiel ist die Filmbranche: Hier finden sich v.a. Fördermodelle, deren Adaption sich aufgrund der ähnlichen Ausgangslage anbieten und für die Buchbranche diskutiert werden. 41 Vgl., auch für das Folgende: Wicher, Michaela: Independent als Musik- und Produktionskultur – Autonomie und Authentizität zwischen Tradition, Dynamik und Rentabilitätserfordernis. Eine theoretische und pragmatische Aufarbeitung: Münster: Dissertation 2010. 42 Ebd., S. 150. 43 Diese waren: RCA Victor, Decca, Columbia und Capitol. Um Großunternehmen nach heutigem Verständnis handelt es sich dabei aber nicht; derartige Dimensionen treten erst mit den 1980er-Jahren auf.

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Generation, in der Independent-Labels explizit als solche ausgewiesen werden, fällt in diesen (Zeit)raum: das Nordamerika der 1940/50er-Jahre. Bescheinigt wird dieser Generation ein anderes Verhältnis zur Musikkultur, als es bei der Produktionskultur der Majors der Fall ist. Mit dem Auftauchen dieser Majors war nämlich zugleich auch deutlich geworden, dass sich fortan zwei unterschiedliche Produktionskulturen derselben Sache – der Musik – widmen. Independent-Labels wurde dabei zugeschrieben, besser in der Lage zu sein, authentische Produkte herzustellen. Seit dieser ersten Generation gilt: Kleine, unabhängige Marken [. . .] richten sich von vornherein nicht unbedingt an einen großen, allgemeinen Markt (obwohl sie nichts dagegen einzuwenden hätten, einen solchen Markt zu erreichen!), sondern an ein spezielles Publikum, von dem mit einiger Sicherheit angenommen werden kann, dass es die von dem jeweiligen Indie angebotene Musik versteht und somit eine potentielle Käuferschicht darstellt.44

Vielfach wurden die kleinen Labels aus Enthusiasmus betrieben, und vielfach entwickelte sich gerade die Nische auch zur Goldgrube – gerade die Beschränkung auf einen Musikstil verspricht Rentabilität: Man schließt die Lücken nicht berücksichtigter Hörerinteressen, die sich im Angebot der Majors auftun und somit das – hier zumeist noch recht profitable – Nischengeschäft formieren. Parallel dazu entwickelte sich seit den 1940er-Jahren auch eine zweite Bewegung, geprägt von Studierenden und Musikerinnen und Musikern, die nicht mehr einspielen wollten, was das Management ihres Labels von ihnen verlangte. Nicht alle widmeten sich dabei der Nische – von Anfang an gab es Bestrebungen, den Pop-Markt auch von unabhängiger Seite her aufzurollen.45 Um in das Netzwerk kleinerer alternativ geführter Vertriebssysteme gelangen zu können, um schließlich auch mehr Schichten zu erreichen als nur die der weißen mittelständischen „suburbia“ sowie auch wieder in den Hitparaden-Charts mitzumischen, begannen Majors bereits – in den 1960er-Jahren, eigene IndependentLinien zu gründen (oder ihr Programm als „underground“ zu bezeichnen), die sie im eigentlichen Sinne nicht waren. Der Aufwand lohnte sich auch nicht: Fehlendes Gespür, mangelnde Flexibilität und unzulängliche Sachkenntnis auf den Spezialgebieten zeigen auf, wie schwierig es ist, „die künstlerische Mentalität eines Indie nachzuempfinden“46 und von Major-Gefügen in Independent-Gefüge zu gelangen. Die Möglichkeit zum Aufstieg vom Independent-Label zum MajorUnternehmen bestand und besteht bis heute hingegen sehr wohl.47 Der Boom 44 Alsmann, Götz: Nichts als Krach. Die unabhängigen Schallplattenfirmen und die Entwicklung der amerikanischen populären Musik 1943–1963. Drensteinfurt: Huba, 1984, S. 10. 45 Ebd., S. 70. 46 Ebd., S. 118. 47 Vgl. ebd., S. 118 ff.

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dieser ersten Generation der Unabhängigen war vorüber, als sich einige Entdeckungen teils in etablierte Musikformen verwandelten und Majors auch Eingang in Spezialbereiche fanden.48 Für die zweite Generation der Independent-Musiklabels, deren Zeit mit Mitte 1970 bis 1980 datiert wird, wird es zum hervorstechenden Charakteristikum, dass Unabhängigkeit unbedingt mit authentischen Gehalten und Glaubwürdigkeit verknüpft ist, worauf sich die Bipolarität Major/Indie gründet – Indies grenzen sich deutlich von Majors und ihren Vorgehensweisen ab. Chris Cutler, Schlagzeuger der britischen Avantgarde-Band Henry Cow, formuliert dazu prototypisch: In uns reifte die Erkenntnis, daß [sic!] die Widersprüche am wenigsten bei den Hörern lagen, für die wir spielten, sondern im ganzen Apparat der Kommerzkultur und im Geldinteresse der Besitzer und Manipulatoren dieser Kultur. Deshalb hörten wir auf, Kompromisse einzugehen, und wurden unabhängig.49

Empirisch besteht diese bipolare Struktur zwar nicht, aber in Bezug darauf kam es zur Romantisierung einerseits – radikale, alternative und ehrlichere Herangehensweisen der Indie-Labels in deren Produktionsweisen – und einer Überbetonung eines konfliktiven Verhältnisses zwischen Major- und Independent-Labels andererseits. Die Kultur der Punkmusik findet hier etwa ihren Platz. Die Auffassung von Independent-Labels, die unter der Prämisse „um der Musik willen“ gegründet werden und einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Vielfalt leisten, kommt dem jedoch näher – Bipolarität muss nicht zwangsläufig in Form eines Verständnisses im Sinne von Gegenkultur bestehen. Unterschiede können sich jedoch in Bezug auf den musikkulturellen Stellenwert äußern und in einem bestimmten kulturellen Kontext stehen.50 Auch im Bereich der Musik wird in Bezug auf Independent-Labels auf etwas verwiesen, das ganz wesentlich ist und auch den Kern von Bourdieus Theorie bildet: Kreative Praktiken werden durch gemeinsame Überzeugungen, Werte und Wissen koordiniert, wie sie in Independent-Musiklabels schließlich ihren ganz spezifischen Ausdruck finden: [. . .] different genres can imply distinct beliefs, values and ideological positions. Aesthetic identities and creative practices can form part of broader sets of social relationships and cultural practices.51 48 Alsmann, 1984, S. 130. 49 Walter, Klaus: Die Gunst der Stunde Null. Independent, Avantgarde und kleine Labels. In: Kemper, Peter, et al. (Hg.): Alles so schön bunt hier. Die Geschichte der Popkultur von den Fünfzigern bis heute. Leipzig: Reclam, 2002, S. 248–260, S. 251. 50 Vgl. Wicher, 2010, S. 150 ff. 51 Negus, Keith/Pickering, Michael: Creativity, Communication and Cultural Value. London: Sage Publications Ltd., 2004, S. 73.

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Kennzeichnend für diese zweite Generation ist die ideologische Aufgeladenheit, deren wesentliche Eigenschaften in Enthusiasmus und Idealismus bestehen sowie einem Selbstverständnis im Sinne einer Gegenkultur („Anti“ und kommunitär), wenngleich dieses Bild einer homogenen Gruppe durchaus nicht der Realität entspricht. Vielmehr begründet es bereits den „Mythos der IndependentProduktionskultur als Gegenkultur zur Realität“.52 Die oppositionelle Haltung besteht zwar, im Unterschied zur ersten Generation, die Möglichkeit zur Imagebildung – auch katalysiert durch Medien und Wissenschaft – kehrt sich gleichzeitig hervor. Im Herausbilden der dritten Generation der Independent-Labels erhalten vor allem Konnotationen rund um das Thema der Authentizität Relevanz – Zuschreibungen, die auch Major-Labels, die Konzernen angeschlossen sind, nutzen, um Independent- bzw. Alternative-Abteilungen zu installieren und die im Zuge dessen unabhängig von der Produktionsherkunft oft nur mehr ein musikalisches Genre meinen. Es ist der Versuch, Glaubwürdigkeit zu kreieren, der damit auch gleich Fragen aufwirft: This tactic did not necessarily fool the audience, but it did lead to some confusion and debate about the meaning of independence – did it refer to the record label, or a type of music and attitude?53

3.2.1.4 The show must go on: Independent Labels heute So, wie ein Teil der Entwicklung des Begriffs „Independent“ dazu führte, dass Sony heute „Independent-Labels“ betreibt, zeichnete sich auch in der Filmindustrie ein ähnliches Bild ab. Der Begriff des Independent-Filmemachers diente dort vor allen Dingen dazu, sich von Hollywood-Produktionen abzugrenzen. Synchron zu den Entwicklungen in der Musikbranche, aber auch aufgrund der Ungeschütztheit des Begriffs und genauso aufgrund seiner immanenten Eigenschaft, sich einer klaren Definition zu entziehen, kam es schließlich dazu, dass ab Mitte der 1990erJahre die amerikanische Mainstream-Filmindustrie „Independent“ als MarketingLabel zu installieren begann, nachdem Studios übernommen worden waren, die bislang unabhängig vom Mainstream-System agiert hatten, genauso, wie die großen Filmkonzerne begannen, Independent-Abteilungen zu installieren: Hollywood specialty studios try very hard to construct the perfect independent film. They have tried to figure out an equation that labels films as „independent“. Unknown or underappreciated (but nonetheless stellar) actors work with young, fresh directors in quirky, 52 Wicher, 2010, S. 165. 53 Negus, Keith: Producing Pop. Culture and Conflict In The Popular Music Industry. London: Arnold/Hodder Headline Group, 2001, S. 16.

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offbeat films that hit all the major film festivals to build word-of-mouth. [. . .] Hollywood has instituted many of these elements to assemble an infrastructure that can be used to dominate film distribution to all audience niches. Film festivals such as Sundance, Toronto, and Cannes have become all but unreachable for amateur filmmakers hoping to break into the film industry. Instead, they are used as one of several stops within the release strategy of a major studio’s „independence“ film.54

Unter dem Label „Independent“, das genau im Gegensatz dazu stand, wurden mit formelhaften Elementen Filme vermarktet, um auch jene zu erreichen, die ansonsten und eben gerade nicht von Mainstream-Unternehmen erreicht würden.55 Der Begriff wurde ausgehöhlt, seine spezifischen Konnotationen für Marketingzwecke verwendet. Die Nische „Independent“ war eine wie jede andere geworden – ein Genre, mit dem Geld gemacht und das bedient werden will. Analog zu den Entwicklungen in Film und Musik erscheint gerade das starke inhaltliche Argument als jenes, wo die Übergänge vollends fließend ausfallen. Würde ein Buch wie Frédéric Beigbeders Neununddreißigneunzig, erschienen im Rowohlt-Imperium, nicht auch ausgesprochen gut in das Programm von Blumenbar passen? Oder Rudolf Lorenzens Roman Paradies zwischen den Fronten, erschienen im Verbrecher Verlag, nicht etwa in jeden anderen Verlag mit BerlinSchwerpunkt? Beschreiben nicht etwa auch Haruki Murakamis Romane ungewöhnliche Welten und außergewöhnliche Geschichten mit starkem Gegenwartsbezug – also genau das, was die Presse an den jungen Verlagen so hervorstreicht, bedienen aber gleichzeitig ein Millionenpublikum auf der ganzen Welt mit Büchern, die in vielen Sprachen übersetzt und bei den größten Verlagen herausgebracht wurden? Diese Beispiele sind beliebig, derlei gibt es unzählige. Sie veranschaulichen aber deutlich, wie wenig sich der Begriff eindeutig am Inhalt festmachen lässt – auch wenn, und das ist die Crux, Independent-Labels in allen Sparten gerade dafür bekannt sind, Inhalte zu entdecken. Doch wo lässt das jene Akteurinnen und Akteure, die tatsächlich außerhalb des Systems der Großen operieren? Wenn große Firmen Anstrengungen betreiben, mit dem Label „Independent“ Marketing-Kampagnen zu betreiben, so verschieben IndependentUnternehmungen die Grenzen dahingehend, was das Publikum als „Independent“ identifiziert. Gerade die Kommunikation mit dem Publikum, der Community und die persönliche Beziehung sind, was an die Stelle des ökonomischen Kapitals rückt – und in dem Sinne auch nicht nachgeahmt werden kann. 54 Erickson, Mary P.: Co-Opting „Independence“: Hollywood’s Marketing Label. In: Sickels, Robert: The business of entertainment. Volume 1: Movies. Westport, CT: Praeger Press, 2008, S. 129–152, S. 142 f. 55 Vgl. ebd., S. 135.

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Gerade das Fehlen eines Push-Marketings wird dabei zum Zeichen für genuine „Independent-Kultur“, im Gegensatz zum Etikett „Independent“.56 Für eine neue Generation von Independent-Labels muss es folglich zu einer Differenzierung des Begriffs „Independent“ bzw. der Bezugs- und Abgrenzungsfelder von Unabhängigkeit im hier interessierenden verlegerischen Zusammenhang kommen. Denn als Gegenkultur im zuvor beschriebenen Sinne versteht sich diese Generation weniger, auch folgt sie gleich den Major-Labels bzw. Konzernen den Gesetzen des Marktes – man beschreitet den schmalen Grat zwischen einer realistischen Sicht vor dem Hintergrund einer Rentabilitätserfordernis und der gleichzeitigen Infragestellung herkömmlicher kulturindustrieller Vorgehensweisen im neoliberalen Wirtschaftsumfeld. Wesentlich ist dabei die Differenzierung, die sich in der Musik deutlich zeigt, da gerade dort klar zwischen Musik- und Produktionskultur unterschieden werden muss, als „Independent“ mittlerweile von Independents und Majors als musikalisches Genre bedient wird. Das aber ist gerade auch für andere verwandte Felder der kulturellen Produktion aufschlussreich, also etwa die Film- oder Buchbranche, wo sich bei genauerem Besehen diese Duale Kultur genauso abzeichnet und dieses Verständnis aus der Musikbranche übertragen werden kann. Dort bezieht sich „Independent“ im Verlauf der Entwicklungen im Zusammenhang mit Musikkultur auf eine entsprechende zugrunde liegende Haltung – als auch auf eine Produktionskultur, bei der allerdings, und das ist wichtig, eine entsprechende oder zumindest annähernd entsprechende Haltung vorliegt, die ein Major- Label nicht künstlich erzeugen kann, da die Entscheidungsträger und die Eigentümer in erster Linie an ökonomischen Kriterien orientiert sind, wohingegen Independent-Labelbetreiber Eigentümer und Entscheidungsträger sind, deren vorrangiges Interesse die Musik selbst ist.57

Der zentrale Unterschied besteht also in den Identitäten der Produktionskulturen bzw. den Herangehensweisen der Unternehmen. Diese können nicht imitiert, sondern müssen gelebt werden. Inhaltlich können jedoch sehr wohl Elemente dieser Independent-Kultur aufgegriffen und damit auch mit dem Begriff vermarktet werden – von allen Teilnehmern am Markt.58 Der Unterschied liegt einzig in der Authentizität: wie man es macht und warum. Sie bedeutet heute weder Radikalität als Ablehnung von Marktgesetzen noch eine politische Gegenkultur und kennzeichnet nach diesen ersten beiden Stufen eine weitere dritte in der Manifestation von Unabhängigkeit von Buchverlagen.59 56 Vgl. Kapitel 3.2.7.1. 57 Wicher, 2010, S. 194. 58 Vgl. Kapitel 3.2.9.3. 59 Vgl. Kapitel 3.2.1.2.

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3.2.2 Wie es beginnt: Auslöser, Motive und Gründungsgeschichten Gründungsgeschichten bergen vielfach symbolische Kraft in sich, was über die Zeit als symbolisches Kapital im Feld manifest wird. Das Wort „Gründungsmythos“ erzählt davon, und große etablierte Verlage wie Suhrkamp oder Reclam umgibt bis heute eine Aura, die vielfach auf diese Geschichten zurückgeführt werden kann, von denen sie ausstrahlt. In jedem einzelnen Fall setzt sich diese Aura auf einzigartige Weise zusammen, und so sind konkrete Auslöser und Gründungsgeschichten von Verlagen nie auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen – sie alle bergen das jeweils Spezielle in sich, das Anstoß gibt, eine Idee konkret werden zu lassen und ein Projekt zu realisieren. So ist auch jedes einzelne Projekt, das heute zum Verlag wird, begleitet von Ideen und Menschen, eingebettet in die Umstände und die Zeit seiner Entstehung.60

3.2.2.1 Starting 2000: Gründungszeitraum Jahrtausendwende An der Gründung kann man, glaube ich, ganz gut sehen, worauf ein Verlag abzielt und aus welchem Geist und Hintergrund er entstanden ist.61

Verlage wie jener des Verlegers, von dem das oben stehende Zitat stammt, die in dieser Arbeit porträtiert werden, starten rund um die Jahrtausendwende in den deutschsprachigen Buchmarkt. Dieser ist, wie in Kapitel 2 beschrieben, bereits vom Strukturwandel erfasst. Sich in diese Zeit hineinzugründen ist vielfach vom Attribut „mutig“62 begleitet, das die Presse und andere Branchenteilnehmerinnen und -teilnehmer den Jungverlegerinnen und -verlegern bescheinigen. Wenn es Ratschläge vor der Realisation gab, so rieten diese eher davon ab: „Wer nicht

60 Für das folgende Kapitel stammen die Informationen zu den einzelnen Verlagen, falls nicht anders ausgewiesen, aus den Interviews mit den Independent Verlegern bzw. der Independent Verlegerin: Interview mit Wolfgang Farkas (Blumenbar) vom 21.5.2010; Interview mit Daniela Seel (kookbooks) vom 17.5.2010; Interview mit Stefan Buchberger (Luftschacht); Interview mit Daniel Beskos (mairisch) vom 8.10.2010; Interview mit Volker Oppmann (Onkel & Onkel) vom 3.5.2010; Interview mit André Gstettenhofer (Salis) vom 3.6.2010; Interview mit Jörg Sundermeier (Verbrecher Verlag) vom 10.5.2010; Interview mit Sebastian Wolter (Voland & Quist) vom 1.6.2010. 61 Interview A1, Absatz 207. 62 Vgl. z.B.: Ukena, 2005, S. 24; Roos, Martin: Newcomer: Verleger – von wegen verlegen. In: karriere.de, 1.3.2006: http://www.karriere.de/beruf/verleger-von-wegen-verlegen-5283/. Stand: 20.7.2015; Voß, Oliver: Skateboards, Drogen und Döblin. In: Handelsblatt.com, 24.3.2007: http:// www.handelsblatt.com/journal/kultur-lifestyle/skateboards-drogen-und-doeblin;1245323. Stand: 20.7.2015.

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reich ist und einen gesunden Menschenverstand hat, lässt es bleiben“,63 schreibt Vito von Eichborn in einem Kommentar zu Verlagsgründungen, der nichtsdestotrotz ein bejahender ist. Als langjähriger Verleger weiß er: „Manchmal geht auch ein Kamel durchs Nadelöhr.“64 Professionelles Büchermachen und Verkaufen verlangt, immer wieder aufs Neue, mit jedem einzelnen Buch, durch dieses Nadelöhr zu gelangen: mit der Akquise und dem Aufbereiten von Texten, die auf breiteres Interesse stoßen wollen, genauso wie mit dem Anerkennen der Regeln des Marktes, in den es bedeutet einzutreten. Für die jungen Büchermacherinnen und Büchermacher erfolgt dieser Eintritt vielfach ohne bzw. mit wenigen Ressourcen. Zur Verfügung stehendes Geld, das investiert werden will, war in den meisten Fällen nicht vorhanden; in einem Drittel der befragten Verlage konnte auf kleinere Erbschaften zurückgegriffen werden, die den Start ermöglichten. Das Verlagsprojekt selbst, genauso wie die verlegerische Profession, wurde in keinem der befragten Fälle von der Elterngeneration übernommen. Auch ohne den Rückgriff auf bestehende Strukturen wurde die Entscheidung, einen Verlag zu gründen, in den meisten Fällen nicht konkret getroffen. Sie drängte sich vielmehr irgendwann auf, als logische Konsequenz einer Entwicklung, die zu diesem Punkt geführt hatte – im Gegensatz zu einer Idee vom Reißbrett oder einem „Masterplan“.65 An diesem Punkt angelangt, verzeichneten die Lebensläufe der neu in das Feld Eingetretenen in ihrer Summe größtenteils Stationen in Verlagen oder Beschäftigung mit Literatur und Verlagswirtschaft im Studium. Häufig wurde zuvor oder wird weiterhin nebenbei journalistisch gearbeitet. Immer liegt ein überdurchschnittliches Interesse an literarischen Texten und kulturellen Veranstaltungen insgesamt vor.66

3.2.2.2 Veranstaltungen und erste Autorinnen und Autoren So begannen sich die Dinge bei über der Hälfte der Befragten auch mit der Organisation von Veranstaltungen zu entwickeln, die ihrerseits eine Reihe von Gemeinsamkeiten aufwiesen. Meist veranstaltet im halböffentlichen Raum, besteht das Programm der Veranstaltungen aus einer Mischung von Musik, Literatur und Party. Der begleitende Slogan von Blumenbar-Veranstaltungen, „Der Text ist nicht 63 Eichborn, Vito von: Meinung: Und nie auf Buchhändler hören! Verlagsgründung: Tipps für Leute, die partout selbst scheitern wollen. In: boersenblatt.net vom 29.11.2007: http://www. boersenblatt.net/174563/. Stand: 9.7.2015. 64 Ebd., 2007. 65 Vgl. Interview A1, Absatz 3; Interview A7, Absatz 403. 66 Vgl. Interview A1–A8.

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die Party. Aber ein Teil davon“,67 beschreibt treffend, wie dieses Konzept auch später weiterverfolgt wird, wie Literatur ein Aspekt unter vielen sein kann, wenn Menschen – zunächst in ihrer Freizeit – zusammenkommen. Der zwanglose Charakter solcher Veranstaltungen hängt nicht zuletzt mit einem Netzwerk zusammen, das hinter diesen steht und umgekehrt diese hervorbringt. Freundschaften, verbunden durch ähnliche Interessenlagen, verknüpfen Veranstaltende, Künstlerinnen und Künstler sowie das Publikum zu einem Netzwerk, das wiederum Möglichkeiten für gemeinsame Projekte schafft: etwa eine Buchidee, die zum Buch wird und letztlich, über eine Reihe weiterer Schritte, zum Verlag führt. Dieses Umfeld und die ihm innewohnende Prozesshaftigkeit sind prägend für die Entstehung vieler Verlage. An anderen Stellen dieser Arbeit wird zu zeigen sein, wie sich daraus eine Herangehensweise an das Verlegen insgesamt entwickeln kann. Kennzeichnend dafür ist, dass mit diesem Umfeld Autorinnen und Autoren häufig schon zuvor da sind, das heißt, als Bekanntschaften schon da sind, bevor der Entschluss, einen Verlag zu gründen, gefasst oder überhaupt in Erwägung gezogen wird.68 Selbst die konkrete Umsetzung des ersten Buches bedeutet in vielen Fällen nicht zwangsläufig schon die Gründung des Verlages oder geht mit diesem Vorhaben einher. Wenn das in einem Fall fälschlicherweise angegeben wurde – als „Verlag in Gründung“ traten Werner Labisch und Jörg Sundermeier mit dem Verbrecher Verlag an Autoren heran – so war das, um unveröffentlichte Manuskripte lesen zu können. Erst später wird klar, dass dies den Beginn einer Gründungsgeschichte bedeutete, denn die Dinge begannen sich zu verselbstständigen. Dietmar Dath steuerte einen Text bei, den die beiden Studenten nicht nur gut fanden, sondern den der Autor auch tatsächlich verlegt wissen wollte – es entsteht eine Dynamik, die sich von der ursprünglichen Intention der beiden Studenten wegentwickelt. Das erste Buch des Verbrecher Verlages ist diesem „Unfall“ geschuldet; mit leseunfreundlicher Typografie und dem Druck einer unkorrigierten Fassung tritt das erste Buch schließlich auch als solches in Erscheinung. 1995 gehen 700 Exemplare davon in Druck, sie verkaufen sich alle, über die Jahre. Bis wieder ein Buch verlegt wird und die Idee einer Verlagsgründung ernsthaft aufgegriffen wird, dauert es jedoch. Beide, Sundermeier und Labisch, gehen zunächst anderen Tätigkeiten nach. Nach einigen Jahren spitzen sich die Umstände dann wieder zu, zwei interessante Manuskripte führen schließlich auch zum ersten Katalog, mit dem sich der Verbrecher Verlag offiziell im Frühjahr 2000 am Markt präsentiert. 67 Vgl. Nießen, Claudius: Klein aber fein – Die jungen deutschen Verlage. In: Goethe-Institut Online: http://www.litrix.de/magazin/panorama/ueberblick/de15383.htm. Stand: 13.12.2009. 68 Vgl. etwa Blumenbar, kookbooks, Luftschacht, Voland & Quist.

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Kleine, handgemachte Hefte in Auflagen zu 100 Stück waren das Begleitprodukt von Leseabenden mit Texten von Bekannten dreier hessischer Schulkollegen – Daniel Beskos, Peter Reichenbach und Blanka Stolz –, die sich später zum mairisch Verlag formierten, wo den Heften Bücher folgen. Es ist eine Entwicklung, die eine Zeitspanne von zehn Jahren umfasst. Das erste richtige Programm zählt drei Bücher, darunter auch das erste des Autors Finn-Ole Heinrich, die taschen voll wasser, das bis heute ein großer Erfolg ist. Der Autor des ersten Buches von Blumenbar, FX Karl, war ein Freund, der im selben Haus wohnte wie Wolfgang Farkas und Lars Birken-Bertsch. Die beiden WG-Kollegen, die später, 2002, den Blumenbar Verlag gründen sollten, feierten in ihrer Wohnung Feste, die atmosphärisch mehr und mehr zu literarischen Salons wurden. Die Feste wurden größer, und irgendwann – aus Platzgründen – wurden sie an öffentliche Orte verlegt. Neben literarisch Interessierten kamen da Leute unterschiedlicher kultureller Szenen zusammen: Kunst-, Film- und Nachtszene traf aufeinander. Im Programm von Blumenbar spiegelt sich dieses Umfeld von Anfang an wider, aus dieser Szene setzt sich vielfach auch die Autorenschaft des jungen Verlags zusammen. Ähnlich die Entwicklungen beim Wiener Verlag Luftschacht: Das erste Buch, eine Anthologie, erscheint 2003, nachdem Veranstaltungen organisiert worden waren, auf denen man junge Autorinnen und Autoren sowie deren unveröffentlichte Texte kennengelernt hatte – Gedanken über Verkauf oder Vertrieb machten sich die beiden Studienkollegen, Stefan Buchberger und Gabriel Vollmann, erst danach. Zunächst wollte man das Buch machen, sonst nichts. Diese hier beschriebenen, sehr ähnlichen Erfahrungen, wo eines zum anderen kommt, bis eine Art „Aha-Effekt“ schließlich zur kontinuierlichen verlegerischen Tätigkeit führt, beschreibt ein Verleger so: Und deswegen haben wir dann sehr schnell gemerkt: Wenn man jetzt die Bücher richtig druckt, wenn man Rezensionsexemplare verschickt, [. . .] in einer Stadt ist, wo wir parallel auch mit unserer Lesereihe relativ viel Resonanz gekriegt haben . . . Also: Dass man das im Prinzip einfach wirklich machen kann. Und so wurde das dann. Und jedes Halbjahr wieder, also fast jedes, wurde ein neues Programm auf die Beine gestellt. Ja, auf einmal war man da einfach drin.69

Umgekehrt machten zwei andere Studienkollegen, die sich später als Voland & Quist verlegerisch selbstständig machen, vorab Recherchen. In einer ControllingStudie für ein Verlagswirtschaft-Seminar an der Universität Leipzig untersuchten die Studenten Leif Greinus und Sebastian Wolter, wie gewinnversprechend der Verkauf von Büchern, wie erfolgversprechend eine Verlagsgründung aus 69 Interview A4, Absatz 9.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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unternehmerischer Sicht ist. Zahlreichen landläufigen Ratschlägen und Erfahrungen entsprechend riet auch das Ergebnis davon ab, diesen Schritt zu wagen. Einen Auslandsaufenthalt und ein Praktikum später kam es 2004 schließlich dennoch dazu. Das gemeinsame Hobby, Veranstalten von Lesebühnen und Poetry Slams, führte vom einen zum anderen, von der „Live-Literatur“ zum Verlegen der „Live-Literatur“. Auch kookbooks entwickelte sich aus einem Netzwerk junger Menschen mit künstlerischen Ambitionen, die sich Ende der 1990er-Jahre in Berlin begegneten und schließlich, „ohne übergeordnete Struktur“, begannen, Projekte miteinander zu machen. Junge Leute, die an ihren ersten Texten schrieben, taten sich zusammen, um an diesen zu arbeiten. Verbindungen zu Musikerinnen und Musikern oder bildenden Künstlerinnen und Künstlern und das gemeinsame Interesse, erste Erfahrungen in der Öffentlichkeit zu machen, führten auch hier zu Veranstaltungsformaten an der Schnittstelle zwischen Party und junger Kunst und Kultur. Aus Freundschaften und dem Engagement einzelner Personen erwuchsen schließlich Kontinuitäten und auch Foren, um Texte zu diskutieren – zunächst in privaten Wohnungen, schließlich auch zunehmend öffentlich, wie etwa das lauter niemand Literaturlabor. Daniela Seel, die sich von Anfang an mit eigenen Texten beteiligte, schloss dort Bekanntschaften, mit denen sie über internationale Entwicklungen in der Lyrik diskutierte, Entdeckungen und eigene Gedichte besprach, und die später einen Teil der ersten Autorinnen und Autoren bilden sollten. Unter dem Label KOOK wurde zuvor schon Musik herausgebracht oder auch andere Aktionen rund um den Bereich Kunst organisiert. Feste Organisationsformen gab es dabei keine. Mit kookbooks entstand 2003 schließlich eine Schiene, die sich im Verbund von Freundinnen und Freunden gezielt der Literatur, überwiegend Lyrik, widmete. Eine Reihe von Manuskripten aus diesem erweiterten Kreis, aus dem manche schon in anderen Verlagen publiziert hatten, war über die Zeit zusammengekommen, bis es schließlich Zeitdruck gab – die Gunst der Stunde wollte genutzt werden: Jetzt oder nie, wollte man die Buchprojekte nicht auf alle möglichen Verlage zerstreut wissen. Volker Oppmann führte nach einem geisteswissenschaftlichen Studium ein Praktikum zum Büchermachen. Das erste Schlüsselerlebnis, wie Oppmann es nennt, verdankt sich diesem ersten Einblick in die Praxis. Es ist ein umfassender, denn in dem kleinen unabhängigen Verlag, mit einem Team von fünf Leuten, gibt es keine klassische Aufgabentrennung, dadurch umso mehr ein Vertrautwerden mit den vielen Facetten des Verlegens und die Entdeckung: „Genau das ist es. Nichts anderes möchte ich selber auch machen.“ Auf das Praktikum folgt ein Verlagsvolontariat in einem Geschenkbuchverlag, darauf eine freiberufliche Tätigkeit als Bookpacker. Die Dinge spitzen sich zu, als ein Freelancer-Projekt immer wieder auf Eis gelegt wird, der Preis für das Projekt, ursprünglich für einen

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anderen Verlag geplant, stetig weiter nach unten gedrückt wird und Oppmann irgendwann feststellt, dass man die Sache zu diesen Konditionen auch selbst in die Hand nehmen kann. Natural Born Grillers erscheint im Sommer 2007 und erhält gute Presseresonanz. Das erste Buch bestärkt die Idee, im eigenen Verlag weiterzumachen. Volker Oppmann beschreibt als erneutes Schlüsselerlebnis, dass es funktionieren kann, wenn man es selber macht. Der Verlag Onkel & Onkel startet noch im selben Jahr, mit dem Vorhaben, dort ein Programm aus „visuellem Rock ’n’ Roll“ und skandinavischer Literatur zu verlegen. Im selben Jahr wie Onkel & Onkel gründet sich in der Schweiz auch der Salis Verlag. Nach mehreren Jahren in der Musikbranche fällt die Entscheidung zur Umorientierung in die Buchbranche, André Gstettenhofer absolviert eine PRAusbildung und übernimmt die Pressestelle in einem Zürcher Kunst- und Fotobuchverlag. Ähnlich wie bei Volker Oppmann ist es das Arbeiten im kleinen Team, das Einblick in das gesamte Verlagsgeschäft erlaubt – bis hin zu den letzten Wegen auf das Konkursamt. Die ungeplanten äußeren Umstände erfordern auch hier eine Neuausrichtung. Der Verlag muss schließen, Gstettenhofer verliert seine Stelle. Das in den Jahren gewonnene Interesse an der Tätigkeit und die damit verbunden erworbenen Fähigkeiten und Einblicke führen zur Entscheidung, sich selbstständig zu machen – ebenso wie bei Volker Oppmann: nach der Einwerbung von Startkapital, im Alleingang und mit einem Verlag, der im Programm Platz für die eigenen Interessen schafft: populäres Sachbuch und junge Schweizer Literatur. Wenn Inspiration und Anstoß vielfach aus der Tätigkeit in und für andere Verlage kommen bzw. aus dem Verbund von Netzwerken, so ist damit eine Entwicklung – hin zum Entschluss, einen eigenen Verlag zu gründen – beschrieben, die einerseits über Jahre und Generationen eine recht ähnliche zu sein scheint. Der eingangs beschriebene Mut kann jedoch dem Zeitgefüge entsprechend jeweils etwas anderes bedeuten. Wenn Mut heute vor allen Dingen im Zusammenhang mit ökonomischen Bedingungen gedeutet werden muss, so entfallen im Vergleich mit unabhängigen Verlagen, die länger am Markt sind, politische Dimensionen, die den Hintergrund ihrer Verlegerinnen und Verleger und damit auch deren Programme mitprägten und als solche heute nicht mehr existieren. Oder wie ein Verleger einmal mehr betont: „Jeder startet in eine bestimmte Zeit und Umgebung hinein, die ihn auch von der Gründungsphase her prägt.“70

3.2.2.3 Jede Zeit hat ihre Namen: Projekttitel und Verlagsbezeichnungen Christoph Links, ein unabhängiger Verleger, der schon länger im Geschäft ist, gründete seinen Verlag 1989. Dafür hatte er kurz zuvor noch einen Antrag mit 70 Interview B2, Absatz 140.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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wenig Aussicht beim DDR-Kulturministerium gestellt – bis zum Fall der Mauer war das der erforderliche Weg in der DDR. Eine staatliche Lizenz war nötig, die neuen unabhängigen Projekten in der Regel nicht gewährt wurde, zudem sich diese noch einer weiteren massiven Einschränkung gegenübersahen: der Zensur. Der Startimpuls war also, für Autorinnen und Autoren, die bis dahin nicht in der DDR publizieren konnten, weil viele Themen tabuisiert waren und viele Verlage kritische Texte nicht annahmen, ein eigenes Podium zu schaffen und eine Veröffentlichungsmöglichkeit herzustellen. Über die Jahre ist schließlich ein Verlag entstanden, der über die ursprünglichen DDR-Themen hinaus die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts insgesamt in den Blick nimmt und so sein typisches Profil entwickelt hat.71 Beim 1964 gegründeten Wagenbach Verlag erzählt ein Kaninchen vom Hintergrund des Verlegers. Sein Vater hatte es aus den Trümmern des durch den Zweiten Weltkrieg zerstörten Elternhauses gerettet. Das Tier erhält Symbolkraft für Umstände und Erfordernisse der Zeit – die nicht ohne Wirkung auf das Herangehen an das eigene verlegerische Tun bleiben. Im Erzählen dieser Geschichte folgt der Verweis: „Kaninchen sind Überlebenskünstler – nicht von ungefähr sind sie seit Jahrzehnten das Wappentier unserer Taschenbücher.“72 Was für die Wahl des Verlagssignets bzw. von Symbolen gilt, betrifft auch die Wahl der Verlagsnamen. Die Verlage von Klaus Wagenbach und Christoph Links heißen wie sie. Diese Weise der Namensgebung folgt einer Tradition, die man von Belletristikverlagen seit jeher kennt – man denke dabei an: S.Fischer, Suhrkamp, Hanser, Reclam, Kurt Wolff, Rowohlt und eine Reihe weiterer – allesamt Kulturverleger, die mit Person und Name Pate für das Programm stehen, das publiziert wird. Der Verlag Antje Kunstmann oder der Schweizer bilgerverlag sind weitere Beispiele für unabhängige belletristische Publikumsverlage in dieser Tradition der Namensgebung. In Verlagen wie dem Berenberg Verlag oder dem Plöttner Verlag, allsamt unabhängige Verlage mit dem Schwerpunkt Belletristik und ebenfalls gestartet um die Jahrtausendwende, finden sich Fortsetzungen dieser Form der Namenswahl, weissbooks.w enthält den Namen des Verlegers Rainer Weiss. Er hatte den Verlag 2008 gegründet, nach vielen Jahren bei Suhrkamp, wo er zuletzt als Programmgeschäftsführer verantwortlich war.

71 Vgl. Links, Christoph: Zeitgeschichte als Programm. In: Links, Christoph (Hg.): Über unsere Bücher lässt sich streiten. Zehn Jahre Ch. Links Verlag. Berlin: Ch. Links Verlag, 1999, S. 9–33, S. 9 ff. 72 Wagenbach, Klaus: Die Freiheit des Verlegers. Erinnerungen, Festreden, Seitenhiebe. Hg. v. Susanne Schüssler. Berlin: Wagenbach, 2010, S. 15.

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Die Differenz zu ihren Kolleginnen und Kollegen, die von dieser Tradition abweichen, zeigt sich nicht zuletzt darin, Kinder einer anderen Zeit zu sein, samt anderen sozialen Hintergründe – die befragten jungen Independent Verlegerinnen und Verleger sind zur Zeit der Gründung ihrer Verlage zwischen Mitte 20 und Mitte 30. Das trifft auch auf Andreas Rötzer zu, der 2003 Matthes & Seitz neu gründet. Der Verlag trägt den Namen der Verleger Axel Matthes und Claus Seitz, die ihn ursprünglich gegründet hatten. Die Wurzeln führen so auch in die 1970erJahre zurück, wo sich der Verlag mit einem Programm präsentiert, das durchweg mit dieser Zeit einhergeht, in der eine intellektuelle Diskurs- und Debattenkultur gepflegt wird – ambitionierte und philosophische französische Literatur steht im Zentrum. Es handelt sich damit auch um eine Aura, die Andreas Rötzer pflegt, um zeitgemäße Programmelemente erweitert, die im selben Geist stehen: Schriftenreihen in Zusammenarbeit mit akademisch-künstlerischen Institutionen, kulturgeografische Erweiterungen über den frankophonen Sprachraum hinaus, sowie mit dem Bestreben, zunehmend eine breitere Zielgruppe, nicht nur akademisches Lesepublikum, anzusprechen. Mit diesen Beispielen sind Übergänge markiert, Zwischenpositionen im Feld, dessen Zeitdimension hierin besonders deutlich wird. Den Geist ihrer Zeit einzufangen bedeutet bei den hier beleuchteten Verlagen vielfach, Namen zu wählen, die von dieser Form der persönlichen Namensgebung abweichen. Die Namen sind klingend und beinhalten Botschaften, oftmals spiegeln sich Gründungsgedanken und -geschichten wider. Von ihrem organischen Entstehen erzählen demnach Blumenbar oder kookbooks. Genauso, wie die Infrastruktur zum Verlegen geführt hatte und nicht umgekehrt für das Verlegen geschaffen wurde, verhält es sich mit den Namen. Sie waren da, bevor es die Verlage gab. Das Wort Blumenbar stand nach einer Party in der WG der Verlagsgründer in spe an der Wand. KOOK hieß das Künstler-Netzwerk bzw. Label, das zunächst um drei Bands herum gegründet wurde. Der beteiligte Musiker und Performer Howard Katz hatte den Namen aus New York mitgebracht. In Berlin erfuhr er mit den Jahren seine Erweiterung – auf KOOKmusic folgte KOOKread, daraus kookbooks. Der Begriff „kook“ ist ein englischer Slang-Begriff für „Spinner“. mairisch bedeutet im Hessischen „Unkraut“. Salis steht für Salz – es würzt, ist ewig haltbar, man kann es in Wunden streuen. Im lateinischen Ausspruch „Cum grano salis“73 geht es darum, dass man immer kritisch leben sollte. Der Name Voland & Quist tauchte bereits in den Studienzeiten von Leif Greinus und Sebastian Wolter auf – Voland, der mephistophelische Teufel aus Michail Bulgakows Meister und Margarita, steht dem friedensstiftenden Quinten Quist

73 „Mit einem Korn Salz“: die Redewendung geht vermutlich auf Plinius den Älteren zurück.

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aus Harry Mulischs Die Entdeckung des Himmels gegenüber. Auf der Homepage des Verlags liest man dazu: „Mutmaßungen, dass sich die Wesenszüge der Verleger in Voland & Quist widerspiegeln, gab es bereits.“74 Onkel & Onkel ist ein Name, der zu Ehren jener gefunden wurde, die Volker Oppmann das Verlagsprojekt ermöglichten: ein Wahl- und ein tatsächlicher Onkel hatten das Startkapital zur Verfügung gestellt. Luftschacht sollte ursprünglich ein „Musik-Text-PerformanceProjekt“ Anfang/Mitte der 1990er-Jahre heißen. Das dahinter stehende Motto war auch auf das Verlagsprojekt übertragbar, das später schließlich realisiert wurde: „Ein Luftschacht verband Probekeller und Außenwelt. Er versorgte die Künstler mit Sauerstoff, zugleich wurden von ihm die Klänge und Texte, die im Inneren entstanden, nach außen gelassen, veröffentlicht.“75 Die Verlagsnamensgebung verdeutlicht, dass es den jungen Menschen bei der Gründung vielfach um ein generelles Interesse an der Umsetzung kultureller oder künstlerischer Projekte geht. Es sind Leidenschaften und Affinitäten, wie etwa jene für die Sprache, die sich im Verlegen zusammenbringen lassen. Gekoppelt sind diese an eine spezifische Herangehensweise, die schließlich auch Verlegen bedeuten kann, aber eben nicht zwangsläufig muss. Auf die Frage „warum Verlegen?“ lautet in einem Interview die treffende Antwort: „Es hätte auch eine Galerie werden können.“76

3.2.3 Warum Bücher machen: Von Selbstverständnis, Selbstausbeutung und Selbstverwirklichung Zwischen Galeristinnen und Galeristen und Verlegerinnen und Verlegern bestehen zahlreiche Parallelen, da beide Professionen Öffentlichkeit für künstlerische Werke schaffen. In beiden Berufsbildern geht es darum, ein Profil mit einem Stamm von Künstlerinnen und Künstlern zu bilden und zu vermitteln. Es bedeutet die Koordination komplizierter Prozesse, die durch Vielfältigkeit unterschiedlicher Funktionen ausgestaltet sind: beobachten, einschätzen, filtern, Orientierung geben; Inhalte einkleiden, Kunst mit Wirtschaftlichkeit verbinden. Verlag wie Galerie fungieren als Plattform, wo alles zusammenläuft. In höchstem Grade geht es darum, zu kommunizieren, ein Umfeld zu schaffen und zu pflegen, das Künstlerinnen und Künstler sowie deren potenzielle Rezipientinnen und Rezipienten interessiert, anregt und bei gleichzeitiger Profilschärfung an sich bindet. In der individuellen Programmpolitik hängt vieles maßgeblich von den 74 Homepage Voland & Quist Verlag: http://www.voland-quist.de/verlag. Stand: 13.7.2015. 75 Homepage Luftschacht: http://www.luftschacht.com/?id=132. Stand: 13.7.2015. 76 Interview A1, Absatz 15.

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Personen und ihrem individuellen Geschmack ab: Auswahl und Kommunikation basieren darauf – Auswahl erfolgt nach Affinitäten, und was in der Kommunikation differenziert, ist letztlich die Persönlichkeit.

3.2.3.1 Der Blick auf sich: Überzeugung und Authentizität Wenn eine junge Unternehmensperson die Gründung des eigenen Verlags beschreibt und feststellt, dass die Ausgangsbedingungen auch zur Gründung einer Galerie hätten führen können, so wird dazu ergänzt: Es hängt halt an den Personen. Und die Personen [. . .] hatten und haben speziell zu Büchern und zur Literatur einfach eine Art von Leidenschaft, eine Sprachaffinität. Kann man wahrscheinlich gar nicht weiter begründen.77

Diese Leidenschaft oder Affinität ist eine treibende Kraft, die das Projekt, wie im vorangegangenen Kapitel beschrieben, zum Verlag werden lässt. Ohne diesen Antrieb gäbe es das Unternehmen nicht. Das Entdecken von Marktlücken oder Möglichkeiten zu lukrativen Geschäften findet man in anderen Geschäftsfeldern. Die Idee, belletristische Bücher zu machen, erfolgt vielmehr, soweit die Notwendigkeiten des Marktes es erlauben. Beschrieben wird damit auch ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal im Verlegen zwischen den Polen von Konzernstruktur und Selbstverlag. Dieser starke und schwer begründbarer Antrieb, Bücher zu machen, folgt einerseits weniger einem Wirtschaftlichkeitsdiktat, als er vielmehr mit diesem ringt; andererseits geht er aber auch weiter als der Drang nach Selbstverwirklichung im Verlegen von überwiegend selbst verfassten Publikationen. Selbstverlage beschränken sich häufig darauf – mitunter daran zu erkennen, dass das Buch über keine ISBN oder eine verfügt, deren Titelnummer erkennen lässt, dass sich das Potenzial, Bücher zu machen, nach maximal zehn Titeln erschöpft.78 Beweggründe und Affinitäten, die in Independent Verlagen Niederschlag finden, scheinen zwischen diesen Polen angesiedelt bzw. jeweils auch mehr zu sein und einem anderem Antrieb zu 77 Interview A1, Absatz 15. 78 Der dreizehnstellige ISBN-Code, kurz ISBN-13 (bis 2006 ohne EAN-Code: ISBN-10), besteht aus fünf Zahlengruppen, die durch Bindestriche getrennt sind und so in der Reihenfolge Präfix, Ländernummer, Verlagsnummer, Titelnummer und Prüfziffer abgrenzt und ausweisen. Dabei gilt: Je größer die Titelnummer, desto kleiner die Verlagsnummer, desto größer der Titelausstoß. Eine einstellige Titelnummer bedeutet umgekehrt sehr geringen Titelausstoß, da mit dieser Verlagsnummer maximal neun Titel herausgegeben werden können. Weitere Informationen: N.N.: „Internationale Standardbuchnummer“. In: wikipedia.org: https://de.wikipedia.org/wiki/ Internationale_Standardbuchnummer. Stand: 1.6.2015.

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folgen, der den Vorstellungen der Verlegerinnen und Verlegern entspricht; oft am schmalen Grat zwischen Selbstausbeutung und Selbstverwirklichung – zumindest wird es von außen häufig so wahrgenommen: Jemand hat mir vor kurzem gesagt – als er mich gefragt hat, was ich so mache, und ich gesagt habe: „Ja, einen kleinen Verlag betreibe ich“ – und zufälligerweise kam der auch aus der Verlagsbranche, ich kannte ihn nicht. Der meinte: „Als Verleger braucht man ein großes Herz.“ Das fand ich ganz schön. Nämlich im Umgang mit den Autoren, natürlich, in erster Linie. Wo man als kleiner Verlag natürlich dauernd Ansprechpartner ist. Auch die Grenzen zum Privatleben sind bei uns sehr fließend. Man muss bereit sein, wirtschaftlich zurückzustecken, ein großes Risiko in Kauf zu nehmen. Für wenig oder kein Geld zu arbeiten. Ich glaube, wenn man ein Karrieremensch ist, hat man da nicht viel verloren.79

Die Frage nach dem Antrieb, Bücher zu machen zeigte in den Interviews auf, dass die Affinität für Literatur und Sprache bei allen vorliegt; auch, dass sie tatsächlich nicht weiter begründbar ist, als dass etwa angegeben wird, immer schon gern und viel gelesen zu haben. Worte wie „Herz“ und „Liebe“ fallen, Erläuterungen von den Verlegerinnen und Verlegern beschreiben näher: „Wir veröffentlichen nur Herzensangelegenheiten“,80 „Bücher [wie] Freunde, mit denen man gern zusammenlebt“,81 „Man will, dass ein Buch in die Welt kommt“.82 Für Verlegerinnen und Verleger bringt dieser beherzte Zugang in der konsequenten Umsetzung sehr häufig die Schwierigkeit mit sich, sich damit auch in ökonomischen Dimensionen bewegen zu müssen – dort handlungsfähig zu sein und zu bleiben. Im besten Fall werden auch finanziell zufriedenstellende Ergebnisse erreicht, „Herz“ und „Liebe“ verweisen jedoch auch in den Bereich der Ungewissheit; zumal Literatur für einzelne Personen an sich schwer einzuschätzen ist hinsichtlich breiterer Wirkung und Rezeption. Nichts weniger bedeutet aber die tägliche Aufgabe der Verlegerin und des Verlegers. Oft spielt Breitenwirkung aber eben auch nicht die größte Rolle. Und so kann manche Entscheidung, die das Herz trifft, dann auch ökonomisch irrational sein. Es ist der Sog einer Idee, eines Geschmacks, letztlich eines Buchprojekts, das man gut findet – und das man im Verlag zur Verwirklichung bringen möchte. „Er wusste: wir sind verrückt genug“,83 ist die Erklärung eines Verlegers auf die Frage, warum ein Autor, der seine durchgängig erfolgreichen Bücher in anderen – „enorme Vorschüsse“ zahlenden – Verlagen veröffentlichte, einen Roman aber doch nur diesem einen Independent Verlag angeboten hat. Auf die Bedingung, die der Autor stellt – politisch nicht einzugreifen –, lässt 79 Interview A3, Absatz 185. 80 Interview A4, Absatz 183. 81 Interview A2, Absatz 222. 82 Interview A5, Absatz 198. 83 Interview A5, Absatz 212.

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man sich dort, bis auf einen justiziablen Fall, ein. Das Buch präsentiert Rechercheergebnisse aus einem politisch brisanten Umfeld unter Nennung von Namen. Es sind Bücher, die in die Welt wollen, auch wenn es Risiko mit sich bringt, das eingegangen wird: „Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.“84 Literatur zu verlegen bedeutet – außer es handelt sich um sehr bekannte Autorinnen und Autoren – fast immer ein Risiko, meistens mehr ökonomisch als politisch. Lyrik zu verlegen kann dabei fast schon als kalkuliertes Risiko angesehen werden. Denn klar ist: Egal, wie gut man es macht – Profit lässt sich damit in der Regel so gut wie nicht generieren, denn die Zielgruppe erschöpft sich schnell. Erfolge zu landen heißt in diesem Segment keineswegs, dass dies auch in finanzieller Hinsicht zutreffend ist. Für den kookbooks Verlag und seine Verlegerin Daniela Seel bedeutet das eine Realität, die den Arbeitsalltag dauerhaft begleitet. Hier wird fallweise also tatsächlich Geld vorgeschossen für jemanden oder jemandes Buchidee und dabei in Kauf genommen, die eigene finanzielle Situation in Misslage zu bringen. Dieses Bild wird zum Teil von den Verlegerinnen und Verlegern in den Gesprächen bestätigt: Man ist da auch beratungsresistent und hört sich auch nicht an, was die Vertreter sagen. Also, man hört sich das natürlich alles an, man wälzt das auch einmal im Kopf – und dann ignoriert man das.85

3.2.3.2 Der Blick auf die Widmung: Eine Person an ihren Verlag In der Außenwahrnehmung von Independent Verlagen bestätigt sich das Bild der Leidenschaft und Hingabe einer Person an ihren Verlag.86 Häufig auf eindrucksvolle Weise – es ist ein Bild mit starker Wirkung. Die vermittelte Risikobereitschaft im Dienste der Literatur signalisiert zunächst die Vernachlässigung eines Bemühens um ökonomisches Kapital, was sich, bei entsprechender Qualität bzw. Konsekration durch entsprechende Instanzen im Feld der Literatur – wie Buchhandel, Literaturkritik oder Buchpreisjurys – in der Folge aber kompensieren oder vielmehr zunächst einmal ummünzen lässt: in Anerkennung. Diese schlägt schließlich in Form von kulturellem und symbolischem Kapital zu Buche.87

84 Interview A5, Absatz 210. 85 Interview A5, Absatz 206. 86 Interviews B und C. 87 Vgl. Bourdieu, 1999, S. 238 f.

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Dass Independent Verlegerinnen und Verleger die Bücher kennen, die sie verlegen, von diesen überzeugt sind und sich mit ihnen und ihren Autorinnen und Autoren intensiv auseinandersetzen, ist die Wahrnehmung von außen. Und auch etwas, das man hoch anrechnet, bzw. wird dieses Bild als etwas beschrieben, was diese Verlegerinnen und Verleger ausmacht und auszeichnet. Es vermittelt Authentizität und Glaubwürdigkeit – „Die Frage nach der Motivation ist immer entscheidend bei einem Verlag.“88 Im Blick von außen zeigt sich in der Person der Verlegerin bzw. des Verlegers auch Kontinuität, wie eine vertrauensbildende Maßnahme, die durch eine gewisse Geschmackssicherheit Orientierung bieten kann – persönlicher Geschmack, der dem Profil Zusammenhalt gibt; kleinere Programme, die einen individuelleren Umgang bedeuten.89 Independent Verleger und Verlegerinnen sind sich dieses Unterscheidungsmerkmals in der Regel auch bewusst: Also alles, was wir machen, lieben wir auch über alles. Das sind ja auch total wenige Sachen. Deshalb machen wir auch so wenig. Ich glaube, wir kriegen von Agenturen ziemlich viele tolle Manuskripte. Die aber nur zu 80 Prozent toll sind. Und die wir dann ablehnen. Und andere Verlage machen es sofort.90

Nicht selten bedeutet dieser individuelle Umgang bei den kleinteiligen Strukturen von Independent Verlagen eine Authentizität, die sich dahingehend zeigt, dass Verlegerin und Verleger oft jeden anfallenden Arbeitsschritt selbst machen oder zumindest von Anfang bis Ende eines Buchprojekts in dieses involviert sind. Die Verbindung von Verlegerin und Verleger mit deren Programmen ist eine sehr enge. Ab einer gewissen Verlagsgröße können Dinge nicht mehr auf diese Weise bewerkstelligt werden. Behäbigere Apparate, mit festgelegten Formen und Rhythmen, können intuitiven Entscheidungen, die vom Geschmack einer oder weniger Personen geleitet sind, kaum Platz einräumen. Genau darin aber besteht die Möglichkeit einer Filterfunktion, die – hervorgehend aus einer ganzheitlichen Betrachtung und Entscheidungsfindung – eine völlig andere ist als eine, die Kalkulationen standhalten muss und arbeitsteiligen Strukturen und teilverantwortlichen Personen unterliegt. In der Person des Verlegers bzw. der Verlegerin von kleinen bzw. Independent Verlagen ist umgekehrt die Möglichkeit einer bündelnden Figur enthalten, deren Interessen, Fähig- und Fertigkeiten die Literaturauswahl und letztlich den ganzen Verlag prägen. Im Unterschied zu Berufsbeschreibungen wie kaufmännischer Geschäftsführer oder Programmgeschäftsführer, wie 88 Interview B3, Absatz 51. 89 Vgl. u.a.: Interview B3, B5, B8, C1, C7. 90 Interview A4, Absatz 183.

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sie sich durchgängig in größeren Verlagen finden, handelt es sich bei Independent Verlegerinnen und Verlegern nicht um Angestellte. Die Selbstständigkeit, die in jeder Sparte Risiko und Arbeiten auf eigene Verantwortung bedeutet, ist im unabhängigen Verleger bzw. der unabhängigen Verlegerin dadurch gekennzeichnet, dass es sich dabei um eine integrierende Figur handelt, die Kunst und Geld versucht auszubalancieren, beständig das Ganze im Auge behält und gleichzeitig häufig von Anfang bis Ende in all seine Teile – alle Aspekten des Unternehmens mit allem, was anfällt – involviert ist: die Akquise der Buchidee genauso wie die Abwicklung der Buchhaltung, die Kontaktpflege mit Autorinnen und Autoren sowie die Presse, das Einpacken und Versenden von Büchern oder das Betreuen eines Verkaufsstandes bei einer Buchpräsentation. Die Palette reicht von den bodenständigsten bis zu den kreativsten und hochgeistigsten Tätigkeiten; ein Gespür für Psychologie und Diplomatie ist dabei von großem Vorteil, genauso wie Flexibilität und Improvisationstalent.91 Vor allem ist auch eine gewisse Frustrationstoleranz nötig: „Es gibt leichtere Jobs, als einen Verlag hochzuziehen.“92 Selbstausbeutung und Selbstverwirklichung sind Stichwörter, die diese Arbeitsbedingungen bzw. verlegerische Herangehensweise in der Außenwahrnehmung versuchen zu beschreiben und die dort als zentrale Kennzeichen wahrgenommen werden. Fragt man in derlei Zusammenhängen bei den Betroffenen selbst nach, so will vor allem jeder Verleger und jede Verlegerin den Begriff der Selbstausbeutung relativiert wissen. „Wenn es ein leidenschaftliches Produzieren ist, dann frage ich mich nicht, ob es schlimm ist, ob ich jetzt sonntags mal arbeite oder es abends mal lang ist“,93 fasst es ein Verleger zusammen. Ins Blickfeld gerät vielmehr die Frage danach, „es sich leisten [zu] können“,94 das zu machen, was man will. Dazu ein anderer Verleger: Wir machen die Sachen, auf die wir Bock haben. Wir machen sie schön, wir machen sie toll, und wir wollen sie machen, wann wir sie wollen. Und nicht, wann uns der Buchhandel das diktiert. Und diese Freiheit ist schon toll – wenn man sich die leisten kann.95

Denn das romantische Bild des literaturaffinen Verlegenden stößt dort an seine Grenzen, wo es gefragt ist, dauerhaft der Wirklichkeit des Marktes standzuhalten; die Ernsthaftigkeit, mit der das Unternehmen betrieben wird, zeigt sich nicht zuletzt in der Ausdauer, die einer Weihe in den Berufsstand gleichkommt, so auf sie zurückgeblickt werden kann: „Um sich Verleger nennen zu können, muss 91 Vgl. u.a.: Interview A6 u. A7. 92 Interview A6, Absatz 48. 93 Interview A1, Absatz 247. 94 Interview A4, Absatz 147; A5, Absatz 364; A7, Absatz 179; Interview C2, Absatz 47. 95 Interview A4, Absatz 466.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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man eine Zeit lang am Ball bleiben können“,96 beschreibt es ein Verleger, der weiß, wovon er spricht. Bis dahin, dass das Unternehmen – möglicherweise  – Geld abwirft, ist es in jedem Fall ein langer, mehrjähriger Weg. Ein Kollege, Jürgen Christian Kill, der im Jahr 2000 in München die Verlagsbuchhandlung Liebeskind gründete, fasst pointiert zusammen: „Fünf Jahre verdient man als Verleger nichts. Und danach nicht so viel.“97 Es wird demnach von Beginn an beträchtlich an das Durchhaltevermögen von jungen Verlegerinnen und Verlegern appelliert – „das darf man wohl als kleine Kunst betrachten in einer Branche, die ansonsten aus winzigen Summen große Werke zu machen versteht.“98 Und in der Tat ist dies mehr Kennzeichen der Branche, über Generationen hinweg. „Auch Traditionshäuser hatten nicht von Anfang an Erfolg“,99 ergänzt ein Interviewpartner an dieser Stelle. Und führt damit auch zur Frage, inwieweit es Vorbilder gibt, die den jungen Verlegerinnen und Verlegern einen möglichen Weg vorgezeigt haben, Motivation und Orientierung bieten könnten im verlegerischen Selbstverständnis.

3.2.3.3 Der Blick nach außen: Vorbilder und Claims Verlegerpersönlichkeiten des vergangenen Jahrhunderts wird von den jungen Verlegerinnen und Verlegern vielfach Anerkennung entgegengebracht, am prominentesten wird Kurt Wolff genannt.100 Sätze wie die folgenden, die dessen verlegerisches Konzept beschreiben, sind durchaus auch von einem Geist, der mit dem von jungen Independent Verlagen eine Schnittmenge zu bilden vermag: Man verlegt entweder Bücher, von denen man meint, die Leute sollen sie lesen, oder Bücher, von denen man meint, die Leute wollen sie lesen. Verleger der zweiten Kategorie, das heißt Verleger, die dem Publikumsgeschmack dienerisch nachlaufen, zählen für uns nicht – nicht wahr?101

Das Statement beschreibt typischerweise auch, was Kurt Wolff die Bezeichnung als Kulturverleger einbringt. Ein Begriff, mit dem eine Reihe von Verlegern des ausgehenden 19. Jahrhunderts bezeichnet wird, u. a. Samuel Fischer, Eugen 96 Interview B1, Absatz 51. 97 Jürgen Christian Kill, zitiert in: Roos, 2006. 98 Platthaus, Andreas: Stammkapital. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 65 vom 18.3.2005, S. 39. 99 Interview C8, Absatz 182. 100 Vgl. u.a. Interview A3, Absatz 197; Interview A6, Absatz 166. 101 Wolff, Kurt: Autoren, Bücher, Abenteuer. Betrachtungen und Erinnerungen eines Verlegers. Berlin: Wagenbach, 2004, S. 14.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Diederichs, Albert Langen, Bruno Cassirer und Hans von Weber.102 Der Begriff des literarischen Individualverlegers wird häufig synonym verwendet; wie bei Independent Verlagen scheint eine Definition im Sinne von konstitutiven Merkmalen wenig trennscharf. In der Literatur werden jeweils unterschiedliche Aspekte genannt, in ihrer Gewichtung am häufigsten: die starke Bindung der Autorinnen und Autoren an das Unternehmen, die Verlegerpersönlichkeit und dass ökonomische Erwägungen nicht vorrangig bei der Verlagsgründung gewesen seien.103 Parallelen zu Independent Verlagen sind offenkundig. Doch von der Wertschätzung abgesehen wird das Potenzial einer Vorbildfunktion in diesen Verlegerpersönlichkeiten nicht erkannt. Jedenfalls „nicht im Sinne einer Handlungsanweisung“, dazu hätten sich die Ausgangsbedingungen viel zu stark geändert.104 Junge Verlegerinnen und Verleger betreten den Markt heute zunächst zwar über wesentlich niedrigere Einstiegsschwellen, als es Vorgängerinnen und Vorgänger vor über hundert Jahren taten, müssen sich dort aber ganz anders behaupten: sich im Medienangebot mit ihrem Programm durchsetzen, was Konkurrenz nicht mehr nur durch andere Verlage bedeutet, sondern die ganze Palette der Mediengesellschaft umfasst.105 Wenngleich auch an anderer Stelle angeführt wird, dass es gerade oben genannten Kulturverlegern auf Breiten- und Massenwirkung angekommen sei106 – mit seinem Programm Aufmerksamkeit zu erregen bedeutet im neuen Medienumfeld etwas völlig anderes, wie an anderer Stelle noch zu zeigen sein wird.107 Und so steht bei der Nennung von Vorbildern die Kollegenschaft mindestens so hoch im Kurs – für Gestaltung und Programm werden Blumenbar oder kookbooks genannt.˺108 Als erstrebenswert gilt, auch längerfristig eine attraktive Größe zu erreichen: Umsatzgrößen zwischen ein und zwei Millionen Euro oder

102 Vgl. Wittmann, Reinhard: Geschichte des deutschen Buchhandels. Ein Überblick. München: Beck, 1991, S. 279 f. 103 Vgl. Diederichs, Ulf: Was heißt und zu welchem Ende wird man Kulturverleger? Ein weiterer Beitrag zum 100. Geburtstag des Eugen Diederichs Verlags. In: Buchhandelsgeschichte, 3/1996, B97–B120; Schneider, Ute: Die „Romanabteilung“ im Ullstein-Konzern der 20er und 30er Jahre. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, 25/2000, S. 93–114. S. 94; Schneider, Ute: Profilierung auf dem Markt – der Kulturverleger um, 1900. In Berbig, Roland/Lauster, Martina/Parr, Rolff (Hg.): Zeitdiskurse. Reflexionen zum 19. und 20. Jahrhundert als Festschrift für Wulf Wülfing. Heidelberg: Synchron Wissenschaftsverlag der Autoren, 2004, S. 349–362, S. 354 f.; Abret, Helga: Albert Langen. Ein europäischer Verleger. München: Langen Müller, 1993, S. 140. 104 Interview B1, Absatz 37. 105 Vgl. Kapitel 2.3. 106 Vgl. Wittmann, 1991, S. 279 f. 107 Vgl. Kapitel 3.2.7. 108 Vgl. u.a. Interview A7, Absatz 205; Interview A9, Absatz 50.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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für jeden wichtigen Verlagsbereich einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin einstellen zu können. Verlage wie Christoph Links oder Antje Kunstmann werden da als Beispiele mit Vorbildcharakter genannt.109 Vielfach wird auch ergänzt, eine gewisse Unternehmensgröße nicht überschreiten zu wollen, da diese eine andere Form des Arbeitens bedeuten würde, die sich nicht mehr mit dem decken würde, was man sich letztlich unter einem Independent Verlag vorstellt110 – wenn auch sogleich eingeräumt wird, dass nicht klar ist, bis zu welcher Grenze: Ich hätte nicht das Interesse, irgendwann so ein zweiter Rowohlt zu werden. Weil, dann kommt man irgendwann wieder genau in diese Zwänge hinein. Man hat dann plötzlich so einen Riesen-Fixkostenapparat, der gefüttert werden muss. Da steigt natürlich der Zwang zum Thema Wirtschaftlichkeit und zum Thema Bestseller. Das heißt: Da ist man dann wieder an der Stelle, wo man mitlaufen muss, aber nicht mehr selber vorauslaufen kann. Ich weiß nicht genau, wo diese Grenze ist.111

3.2.3.4 Der Blick nach vorne: Wege und Motoren Auch wenn die Absichten inhaltlich ausgerichtet sind und nicht nach Profit: Ökonomisch Erfolg zu haben ist in jedem Fall Motivation und ein Ziel, das alle anstreben. Kapitalistische Bedingungen werden kritisiert, wo sie überdominant erscheinen, im Grunde aber von allen anerkannt. Die von Bourdieu beschriebene „illusio“, die bedeutet, mit dem Eintreten in ein Feld bzw. einen Markt auch dessen Spielregeln zu akzeptieren,112 ist ein Umstand, dessen sich junge Independent Verlegerinnen und Verleger sehr bewusst sind und den sie als Teil ihrer Arbeit begreifen. Zu machen, was man will, und alles dafür zu geben, ist eine Freiheit im verlegerischen Zugang, die man unter Anerkennung marktwirtschaftlicher Bedingungen bereit ist sicherzustellen. In der Regel bedeutet das oft zusätzliche Einkunftsquellen zu erschließen. Weit über zwei Drittel der befragten Verlegerinnen und Verleger gehen über die Arbeit des Verlegens hinaus auch anderen Tätigkeiten nach. Im Selbstverständnis wird dies teilweise sogar mehr als Bereicherung denn als Bürde empfunden.113 Im Hinblick auf den Verlag bedeutet es insofern einen Vorteil, als die anderen Jobs ein Überleben und regelmäßiges Einkommen sichern, was eine freiere Hand in der Verlagsarbeit ermöglicht. Für das Verlegen können so die nötigen Freiräume geschaffen werden, die über ökonomische Begrenzungen hinausführen. Die weiteren Tätigkeiten von 109 Vgl. Interview A9, Absatz 107. 110 Vgl. u.a. Interview A6 und A8. 111 Interview A6, Absatz 30. 112 Vgl. Bourdieu, 1999, S. 68 f., S. 270 f. u. 360–364. 113 Vgl. Interview A4, Absatz 147.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Verlegerinnen und Verlegern weisen insofern starke Ähnlichkeiten auf, als sie alle im publizistischen bzw. kommunikativen, also einem dem Verlegen eng verwandten Bereich liegen: journalistisch für andere Medien – Zeitungen, Zeitschriften, Internet –, moderierend, lektorierend. Verlegerinnen und Verleger sind darüber hinaus manchmal auch selbst künstlerisch tätig. kookbooks-Verlegerin Daniela Seel versteht sich selbst als Dichterin; Jürgen Lagger vom Luftschacht Verlag ist als Autor tätig, genauso wie Jörg Sundermeier und Wolfgang Farkas; manche Verleger schreiben regelmäßig Artikel.114 Wie ein roter Faden zieht sich durch die Interviews in der Frage nach den Beschäftigungsfeldern auch eine Entdeckung im Umgang mit fremdsprachigen Titeln im eigenen Programm – der größte Teil von Übersetzungen ins Deutsche in Independent Verlagen wurde vom Verleger oder von der Verlegerin selbst vorgenommen: Die meisten machen ihre eigenen Lieblingsbücher – was liegt da näher, als die selbst zu übersetzen? Ich denke, selbst hat man da das beste Gespür, in welchem Ton die dann da auf Deutsch rüberkommen sollen.115

Arbeitsaufgaben und -bereiche sind auch deshalb weniger klar konturiert, weil klassische Hierarchien in Independent Verlagen völlig fehlen. Interessant erscheint im Zusammenhang der innerbetrieblichen Zusammenarbeit, dass Independent Verlage rund um das, was klassisch die Person des Verlegers oder die Verlegerin ausmacht, häufig Doppelkonstellationen aufweisen bzw. in solchen starten: Blumenbar, Luftschacht, Verbrecher Verlag, Voland & Quist; aber etwa auch die Münchener Verlage Black Ink und yedermann oder der Düsseldorfer Lilienfeld Verlag, die im selben Zeitraum um die Jahrtausendwende gegründet wurden. Im Fall von mairisch sind es, beispielsweise, sogar drei Personen, gleichberechtigt zwei Verleger und eine Verlegerin, die an der Spitze stehen, sich das Risiko teilen und Entscheidungen gemeinschaftlich treffen. Für das Programm und alles, was sonst im Verlag anfällt, zeichnen mehrere Personen verantwortlich. Häufig dehnt sich das Mitspracherecht in Programmentscheidungen sogar über alle Personen aus, die im Verlag tätig sind.116 In Verlagen von größeren 114 Vgl. u.a. Seel, Daniela: ich kann diese stelle nicht wieder finden. Berlin: kookbooks, 2011; Lagger, Jürgen: Öffnungen – Ein Maßnahmenkatalog. Wien: Droschl, 2005; Sundermeier, Werner: Der letzte linke Student. Berlin: Alibri, 2004; Farkas, Wolfgang, et al. (Hg.): Nachtleben Berlin. 1974 bis heute. Berlin: Metrolit, 2013; Von Volker Oppmann und Wolfgang Farkas stammt eine Vielzahl der Übersetzungen fremdsprachiger Titel in deren Verlagsprogrammen; Jörg Sundermeier schreibt u.a. für die taz, die Berliner Zeitung und Jungle World; Daniel Beskos, Daniela Seel und Wolfgang Farkas veröffentlichten eine Reihe von Artikeln in diversen Zeitungen; Daniel Beskos und Sebastian Wolter schreiben regelmäßig Blogs auf ihren Verlagswebsites. 115 Interview A6, Absatz 81. 116 Vgl. u.a. Interview A1, Absatz 61 und Interview A4, Absatz 157.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Dimensionen ist das nicht mehr möglich; wenngleich der Schritt dahin umgekehrt auch als Erfolg gemessen werden kann, als er in einem Fall die verlegerische Arbeit eines solchen Duos bestätigte. Als Tom Kraushaar und Michael Zöllner das Angebot erhalten, samt Beteiligung in der Klett AG die verlegerische Geschäftsführung von Klett-Cotta zu übernehmen, wird 2008 der Schritt von Berlin nach Stuttgart getan. Ihren Verlag Tropen nehmen sie mit, er wird dort zum Imprint von Klett-Cotta.117 In den Medien wurde der Verlag bis dahin gern zuvorderst beispielhaft als Independent Verlag angeführt, seine Macher zitiert: „Im Vergleich zu Großverlagen machen wir nur Bücher, hinter denen alle Mitarbeiter inhaltlich voll stehen.“118 Nach der Fusion gewährleistet das neue Umfeld zwar nach wie vor eine enge Zusammenarbeit der beiden Verleger – die Mitsprache aller, die ein Verlagsprojekt tragen, verlangt jedoch nach kleineren Einheiten, wenn der Betrieb beweglich bleiben will.119 Eine verlegende Person und deren Vision an der Spitze des Verlages, das findet man in den jungen Independent Verlagen durchgängig nicht bzw. ist die traditionelle Verlegerpersönlichkeit, als bündelnde Kraft und alleinige Entscheidungsinstanz, bei den jungen Verlagen in solcher Form nirgendwo vorhanden. Die vielfältigen Rollen, die in der Person der Verlegerin bzw. des Verlegers zusammenlaufen, wie Repräsentanz oder Akquise von Autorinnen und Autoren, werden gemeinsam übernommen, nach Fähigkeiten manchmal unterschiedlich gewichtet aufgeteilt. Zusammensetzungen aus mehreren Verlegerinnen und Verlegern liegen freundschaftliche Bande zugrunde: „Wahrscheinlich wie man früher mit seinem besten Kumpel eine Band gegründet hat, hat man jetzt eben einen Verlag gegründet.“120 Ein anderer Verleger formuliert es so: „Wenn man das nicht rein geschäftlich, rein ökonomisch ausgerichtet betreiben kann, dann will man wenigstens ein bisschen Pingpong spielen.“121 Was sich in Aussagen wie diesen abzeichnet, ist ein Zugang, der der Arbeit, der man im Verlag nachgeht, mehr abgewinnen will als eben nur Arbeit. Es ist ein Zugang, der stark auf persönliche Beziehungen und Affinitäten setzt – was seinen Ausdruck im speziellen Habitus findet. Flache Hierarchien und auch ein gemeinschaftliches Verlegerverständnis von gleichberechtigt eingeräumten Gestaltungsmöglichkeiten und Verantwortlichkeit sind Teil einer Haltung. Und aufs Neue geben auch hier die Verlagsnamen Hinweise darauf. Die klassische Namensgebung funktioniert einmal 117 N.N.: Tropen Verleger übernehmen Geschäftsführung von Klett-Cotta. In: boersenblatt.net vom 26.10.2007: http://www.boersenblatt.net/170913/. Stand: 10.7.2015. 118 Tom Kraushaar, zitiert in: Voß, 2007. 119 Darin liegt auch ein Unterschied zum Kollektiven – man denke dabei etwa an den in den 1970er-Jahren gegründeten Rotbuch Verlag. 120 Interview A4, Absatz 272. 121 Interview B1, Absatz 117.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

mehr nicht, weil es nicht die eine Person ist, die dem Verlag das Gesicht gibt – und damit auch nicht ihren Namen. Eng geknüpft an die Entstehung können die Verlagsnamen schließlich auch Auskunft darüber geben, mit welcher Herangehensweise das Verlagsprojekt verfolgt wird. Anstelle des eigenen Namens findet vielmehr die Philosophie bzw. ein Motto und sein Klang Ausdruck. Sind die Namen von den Verlagen so gewählt, dass sie vielfach von ihrer Entstehung erzählen, so ist darin auch Bedeutung und Identifikation enthalten. Namen wie kookbooks, Luftschacht, mairisch, Salis oder Verbrecher Verlag bzw. auch asphalt, Echtzeit Verlag oder Ventil, um weitere Independent Verlage aus demselben Gründungszeitraum zu nennen, tragen Statements in sich, die auf Auffassungen von Herangehensweisen schließen lassen. Über das Verlegen als abgeschlossenen Aufgabenbereich weisen diese in der Regel hinaus, beschrieben wird oft eine Lebensform insgesamt. Der Claim „Poesie als Lebensform“ ist einer, mit dem sich kookbooks präsentiert – zu finden auf der Homepage, Vorschauen und einer Reihe von Drucksorten und Flyern des Verlages.122 Es ist die Verbindung von Verlag und Lifestyle, die da in Namen und Statements offensichtlich wird, auch als Abgrenzung zu einem verlegerischen Selbstverständnis verstanden werden will, in dem ein „kultureller Hoheitsanspruch“ mitschwingt oder das Bild eines Prototyps „Alphatier Verleger“ bedient wird.123 Im Gegensatz zu hierarchischen Strukturen ist es der Anspruch eines offenen, unbeschränkten Zugangs. Anstelle von vorgeschriebenen Pfaden zur und in der Handhabe von Literatur bedeutet dieser eine Haltung, die offen ist für unterschiedliche Varianten: Sowohl in Arbeitsweisen und in der Erschließung von Literatur als auch in den Möglichkeiten ihrer Darstellungsformen und Rezeption. Betrachtet vor dem kulturgeschichtlichen Hintergrund, wirkt es wie eine Anpassung der Tätigkeit des Verlegens, wo Tradiertes der Moderne in einen postmodernen Kontext transferiert wird: Handlungsparameter im Sinne einer idealtypischen Vorstellung gibt es hier keine mehr, höchstens derart, dass es keine Einschränkung gibt. Und so sind auch Grenzen fließend – von Literatur und Leben, Arbeit und Freizeit, Räumen, Verlegerpersönlichkeit und Person überhaupt, die in einer Unübersichtlichkeit von zunehmender Masse am Buchmarkt und Individuation von Berufsbiografien eine zeitgemäße Entsprechung findet. Das Verlegen fügt sich in einen Lebensstil insgesamt: Die Titelflut hat unglaublich zugenommen, und niemand kann alle guten Bücher lesen, niemand wird auch nur Kenntnis von allen guten Büchern jemals bekommen können. Und deswegen ist die Orientierung viel schwieriger und es gibt so etwas wie einen absoluten

122 Vgl. Homepage kookbooks: Verlag: http://www.kookbooks.de/verlag.php. Stand: 15.7.2015. 123 Vgl. Interview A2, Absatz 105; Interview A4, Absatz 276.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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literarischen Qualitätsanspruch gar nicht. Sondern viel hat auch mit einer bestimmten Art Lebensstil zu tun. Und wo ich jetzt gerade selber hin will, mich wohlfühle und welches kulturelle Milieu mich gerade interessiert.124

Im Umgang mit Text kann das nicht ohne Wirkung bleiben. Der Zugang stößt Literatur bzw. Kunst überhaupt vom Sockel der Hochkultur. Was umgekehrt auch bedeutet, sie ins Leben zu holen. Der Claim von Blumenbar, „Der Text ist nicht die Party. Aber ein Teil davon“,125 erzählt davon. Kunst durchwirkt die Zeit, Zeit durchwirkt die Kunst: die Arbeit mit Literatur wird zum Lifestyle, zur Haltung insgesamt. Sie drückt sich aus in speziellen Unternehmenskulturen, Lebensformen, Kommunikation – bestimmt die verlegerische Handschrift. Das Programm ist die Äußerung: Wie die Bücher jetzt aussehen, liegt daran, wer wir sind. Und wie die anderen Bücher von anderen Verlagen aussehen, liegt daran, wie die auch sind. Genauso mit den Inhalten und mit den Veranstaltungen oder mit der Autorenauswahl – mit allem.126

3.2.4 Wirk- und Werkstätten: Räume, Milieu und Netzwerke 3.2.4.1 Berlin, Wien, Zürich: Urbaner Raum Verlage und die Gestalt ihrer Bücher werden stets auch von den Räumen mitgeprägt, in denen sie entstehen – wie umgekehrt auch die Orte, an denen Bücher gemacht werden, dadurch geprägt werden. Verlage sind überwiegend im urbanen Raum angesiedelt.127 Für Independent Verlage gilt dies in besonderem Maße. Großstädte wie München, Hamburg und Wien sind Wahlstandorte von vielen Independent Verlagen; allen voran steht die deutsche Bundeshauptstadt Berlin. Kulturell bieten Städte insgesamt durch Größe, Geschichte, Kontakt- und Kommunikationsmöglichkeiten den idealen Rahmen für Verlage. Veranstaltungen und Veröffentlichungen haben bei größerem Angebot bzw. Konkurrenz in Städten eine potenziell größere Reichweite und stoßen auf mehr Resonanz. Gelegenheiten für Veranstaltungen und Anknüpfungspunkte, um sein Publikum zu erreichen, ergeben sich hier vergleichsweise einfach. Die meisten Autorinnen und Autoren leben im urbanen Raum.128 124 Interview A2, Absatz 106. 125 Vgl. Nießen, 2009. 126 Interview A4, Absatz 134. 127 Vgl. Kapitel 2.2.3. 128 Vgl. Stolz, Matthias: Wo leben die meisten Künstler? In: Die Zeit Online vom 16.6.2009: http://www.zeit.de/2009/03/Karte-03. Stand: 18.7.2015.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Für  Verlage ist auch die starke Präsenz von Medienunternehmen in den Großstädten von Bedeutung. Presse und verschiedene Kooperationspartner sind hier angesiedelt. Auch hat es Vorteile, „wenn der Partner in der gleichen Stadt ist, um sich – theoretisch zumindest – jederzeit auch treffen zu können“.129 Urbanität hat darüber hinaus ein größeres Dichteverhältnis von Gegenwärtigkeit, was vor allem für Verlage, die aktuelle Belletristik verlegen, ein wichtiger Faktor ist. Umgekehrt sind Verlage auch für Orte attraktiv, wie etwa das Buhlen der Stadt Berlin um den Suhrkamp Verlag bei dessen Wegzug aus Frankfurt am Main im Jahr 2010 deutlich gemacht hat.130 Ein weiteres Beispiel ist der Umzug des Ueberreuter Verlags von Wien nach Berlin im Jahr 2012.131 Blumenbar und Salis waren beide in anderen Städten gestartet, zogen im selben Jahr schließlich auch aus den Gründen nach Berlin, die für viele Büchermacherinnen und Büchermacher die Stadt anziehend machen: „Berlin ist im Moment die Stadt, wo sich am meisten dreht in Sachen Bücher. [. . .] Viele Indie-Verlage sind hier. Das Netzwerk ist stark, [. . .] und es ist spannend, hier zu schauen, ob ich meine Autoren in Lesungen reinkriege und in Literaturfestivals“,˺132 äußert sich ein Verleger zur Stadt. Und wenn ein Interviewpartner konstatiert: „Der Zeitgeist wird im Moment eben stärker in Berlin formuliert als in Stuttgart“,133 so beschreibt diese Aussage einen Kontext bzw. Bedingungen vor Ort, die für kulturelles Geschehen und Produzieren attraktiv sind.134 In keine andere Stadt sind in den letzten Jahren so viele Künstlerinnen und Künstler aus der ganzen Welt gezogen.135 Kultur, zu der auch das Verlagswesen zählt, wirkt auf den Ort zurück, an dem sie entsteht. Sie ist ein Standortfaktor. Sie wirkt identitätsstiftend, ist ein Imagefaktor und nicht zuletzt auch für die wirtschaftliche Entwicklung von Städten und Regionen von großer Relevanz. Kulturelles Schaffen bzw. Ereignisse, die hinter kulturellen Produkten stehen, sind festgehalten in Geschichten von Menschen, die sich an den jeweiligen Orten befinden bzw. dort lebten. Mit Bourdieus

129 Interview A1, Absatz 79. 130 Vgl. Mueller, Lothar: Suhrkamp zieht nach Berlin: Der Main wird kälter. In: sueddeutsche. de vom 17.5.2010: http://www.sueddeutsche.de/kultur/suhrkamp-zieht-nach-berlin-der-mainwird-kaelter-1.476745. Stand: 18.7.2015. 131 N.N.: Ueberreuter zieht nach Deutschland. In: boersenblatt.net vom 8.11.2011: http://www. boersenblatt.net/461663/. Stand: 15.7.2015. 132 Interview A7, Absatz 173. 133 Interview B4, Absatz 249. 134 Vgl. auch N.N.: Berlin: Lieblingsort der Verlage. In: tagesspiegel.de vom 25.8.2009: http:// www.tagesspiegel.de/kultur/blumenbar-verlag-berlin-lieblingsort-der-verlage/1587274.html. Stand: 22.6.2015. 135 Vgl. Wöbken, Hergen: Studio Berlin. Studie in Kooperation mit dem Neuen Berliner Kunstverein. Berlin: IFSE, 2010, S. 6, S. 11.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Kapitalbegriffen gesprochen ist Kultur zur Akkumulation von allen Kapitalsorten – kulturellem, ökonomischem, sozialem und symbolischem – an bestimmten Orten selbst bzw. insgesamt dienlich.136 Gerade für neue Akteurinnen und Akteure im Feld sind Orte dann interessant, wenn diese sich als Räume auszeichnen, die Gelegenheiten zur Kommunikation bieten und deren Nutzung nicht bis auf den letzten Quadratmeter definiert ist, sondern vielmehr neu definiert werden kann. Im strukturellen Wandel von einer industriellen zu einer „post“-industriellen Gesellschaft, zu dem der digitale Wandel der Buchbranche in Analogie steht, ergeben sich solche Lücken, die durchaus auch räumliche sind und von Kreativen als Experimentierfelder für soziale und kulturelle Initiativen genutzt werden können. Man denke dabei etwa an die wiederbelebte Tabakfabrik im oberösterreichischen Linz als umgewidmete Kulturinstitution137 oder die Zeche Zollverein, die ebenso das ehemalige brachliegende Industriegebiet rund um die deutsche Ruhrstadt Essen wiederzubeleben vermochte. Auch der Literatur- und Buchmarkt ist in der Region Ruhrgebiet verhältnismäßig stark vertreten.138 Im selben, „post“-industriellen Kontext verschwimmen auch „die Grenzen von Produktion, Dienstleistung und Konsum immer mehr, weil neue Technologien ganz neue standort- und zeitunabhängige Produktionsbedingungen ermöglichen“.139 Das macht Standortfragen einmal mehr interessant, weil vieles (etwa Arbeit, Interaktion etc.) dadurch zunehmend auch dem Raum enthoben wird und nicht mehr zwingend an diesen gebunden ist.

3.2.4.2 Kleine Einheiten und familiäre Strukturen Beide Faktoren – Räume, die durch Veränderungen der Arbeits- und gesellschaftlichen Welt insgesamt Veränderung erfahren bzw. frei stehen, und Arbeitsformen, die zunehmend raumunabhängiger werden – geben jungen Independent Verlagen gewissermaßen die räumlichen Rahmenbedingungen ihrer Zeit vor.140 Vom Immobilienmarkt vernachlässigte Quartiere und relativ geringe Mieten sind Anreize, die für kleine, kreative Einheiten in der Ortswahl ausschlaggebend 136 Bourdieu, Pierre: Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Kreckel, R. (Hg.): Soziale Ungleichheiten. Soziale Welt. Sonderband 2. Göttingen: Schwartz, 1983, S. 183– 198, S. 190 f. 137 N.N.: Der Tummelplatz der Kreativen. In: Chef Info, 2/2012, S. 39. 138 Vgl. Ebert, Ralf/Gnad, Friedrich: Strukturwandel durch Kulturwirtschaft. In: APuZ. Aus Politik und Zeitgeschichte. Kulturwirtschaft, 34–35/2006, S. 31–38, S. 34. 139 Kunzmann, Klaus R.: Kulturwirtschaft und Raumentwicklung. In: APuZ. Aus Politik und Zeitgeschichte. Kulturwirtschaft, 34–35/2006, S. 3–7, S. 3. 140 Vgl. Bourdieu, Pierre: Das literarische Feld. In: Pinto, Luis/Schultheis, Franz (Hg.): Streifzüge durch das literarische Feld. Konstanz: UVK, 1997, S. 33–148, S. 48 ff.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

sind. Sieht man Berlin im europäischen Vergleich, so können die Mieten in der deutschen Hauptstadt derzeit (noch) als relativ niedrig eingestuft werden.141 Durch den Mauerfall im Jahr 1989 wurde ungenutzter Raum im wahrsten Sinne des Wortes freigesetzt, der im Gegensatz zu anderen Metropolen Gestaltungsmöglichkeiten bot und damit auch Vielfalt und Variabilität. Neben anfallenden Tätigkeiten, die vielfach ortsunabhängig sind, sind gerade kleine Einheiten von nur einer bzw. wenigen Personen in ihrer Ausgestaltung sehr offen. Das legt andere Formen nahe als das klassische Verlagsbüro. Die Arbeitsräume der untersuchten Verlage gestalten sich allesamt individueller – wo es keine Sekretärin gibt, braucht man auch keinen Arbeitsplatz für eine Sekretärin. kookbooks hat seinen Sitz in der Wohnung von Verlegerin Daniela Seel. Bücher, Vorschauen und Besprechungstisch finden sich hier ebenso wie Privates. Blumenbar ist in einem Setting entstanden, welches das Wohnzimmer, in dem erste Texte auftauchten und wo Lesungen veranstaltet wurden, als räumliches Prinzip über die Jahre beibehält, wie in diesem Kapitel noch an späterer Stelle beschrieben wird. Bei mairisch waren die Bücherkisten im Flur der Wohnung schließlich ausschlaggebend für den Entschluss, ab einer Auflage von 2.000 Exemplaren das Geschäft mit den Büchern zu verlagern, von der Wohngemeinschaft in die Bürogemeinschaft. Der größte Teil der befragten Independent Verlage hat sich für diese Form entschieden: Überwiegend wird der Arbeit in „Coworking Spaces“ nachgegangen – ein Büro gemeinsam mit anderen, meist ebenfalls selbstständig kreativ Tätigen. Manuskripte sichtet Salis-Verleger André Gstettenhofer zwischen einem Architekten und einer Redakteurin. Die Verleger von Verbrecher Verlag, Luftschacht und Voland & Quist haben ihr Büro in Häuserkomplexen mit anderen Kreativen, die sich Kaffeeküche, Toilette etc. teilen. Eine familiäre Atmosphäre und Vertrauensverhältnisse ergeben sich in solchen Konstellationen von selbst, genauso wie Synergien zwischen den unterschiedlichen Kreativen. Die Bürokolleginnen und -kollegen erweisen einander in ihrer Arbeit bei Bedarf auch gegenseitig Dienste, zumeist auf freundschaftlicher Basis. Partnerschaftlichkeit ist ein wesentliches Merkmal der jungen Verlagsprojekte. Wurde bereits im vorangegangen Kapitel 3.2.3 beschrieben, dass die Aufgabe des Verlegers vielfach gemeinsam wahrgenommen wird, so setzt sich dieses partnerschaftliche Agieren über die Verlagsgrenzen hinweg fort, im kulturwirtschaftlichen Setting mit verwandten Tätigkeitsbereichen wie Grafik, Musik u.v.m.142 Auch die Arbeitsräume der Verlage Salis und Matthes & Seitz folgen einem Trend, wie er derzeit in Großstädten zu beobachten ist: Aufgelassene Ladenlokale

141 Vgl. Wöbken, 2010, S. 10 f. 142 Vgl. u.a. Interview A6, Absatz 93; Interview B1, Absatz 117; Interview C3, Absatz 280.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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werden in der Nutzung durch kreative Menschen neu definiert und so auch in Verlage umfunktioniert. Die Schaufenster auf die Straße bedeuten dem Außen auch eine Einladung einzutreten. Bereiche, die bis vor wenigen Jahren noch bestimmten Personenkreisen vorbehalten waren, öffnen sich hier. Solche Modelle bedeuten ein Sichtbar- und Greifbarwerden, gekennzeichnet dadurch, „dass das so eine gewisse Transparenz hat. Dass man weiß, wer sitzt denn da, was für Leute. Und das ist bei großen Verlagen anonymer. [. . .] Was stellt man sich unter Rowohlt vor? Oder so. Das ist schwierig. Aber bei kleinen Verlagen . . . du triffst die Leute ja sogar überall.“143

3.2.4.3 Halb-öffentlicher Raum und „Anfass-Kultur“ Vor seinem Umzug in ein Gemeinschaftsbüro war auch der Verlag Onkel & Onkel in einem Ladenlokal untergebracht, das „Showroom“ genannt wurde und damit explizit auf diese Einladung hindeutete, die sich nicht nur an Autorinnen und Autoren und Freundinnen und Freunde richtete, sondern auch an Passantinnen und Passanten in der belebten Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg, die sich dort die ausgelegten Produkte bzw. Bücher des Verlages ansehen und sich auch mit ihren Macherinnen und Machern unterhalten konnten. Verlegerische Wirkstätten solcher Art beschreiben Räume, die durch Halböffentlichkeit gekennzeichnet sind. Es ergeben sich damit also Arrangements, die wenig mit elitären Räumen gemein haben, zumal diese auch nicht vom Alltag abgetrennt sind. Offenheit und Privatheit finden hier zu einer Art „Anfass“-Kultur zusammen. Ein weiteres Beispiel dafür, wie diese Ausdruck findet, ist der Messeauftritt von mairisch: Der kleine Buchmesse-Stand wird stets mit Retro-Tapete tapeziert – vorbeikommenden Besucherinnen und Besuchern suggeriert dies den Eintritt in ein Wohnzimmer.144 Und tatsächlich zeichnet sich gerade das Kerngeschäft der Verlage, die Beschäftigung mit Literatur an sich, durch eine interessante Ambivalenz aus, die auch gut zu einem Wohnzimmer passt und von einem Verleger so beschrieben wird: Einerseits ist Literatur ein Raum, in den man sich ganz alleine begibt. Sowohl wenn man schreibt, als auch wenn man liest. Das heißt, das Anfertigen von Einsamkeit, die Zurückgezogenheit hat etwas Meditatives. Und zum anderen ist es [. . .] ein Raum, der sehr stark bevölkert ist, von unterschiedlichsten Leuten. Und der ein sozialer Raum ist.145 143 Interview A8, Absatz 191. 144 N.N.: Großmutters letzte Rolle. In: FAZ zur Buchmesse vom 6.10.2010: www.faz.net/ dynamic/buchmesse/Zeitung_zur_Buchmesse-06-10-2010.pdf. Stand: 1.7.2015. 145 Interview A1, Absatz 15.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Was sich hier also auch eröffnet, ist ein Raum für Diskurs, „wo Literatur ein ziemlich guter Anknüpfungspunkt ist, um einzuladen“.146 Literatur muss dabei auch nicht im Zentrum stehen, vielmehr kann es Mittel sein, um Themen zu setzen und so Bezug zwischen den Menschen zu schaffen. „Und es geht auf diese Art ein bisschen einfacher, [. . .]. Es reflektiert das eigene Leben, unter Umständen. Und hat gleichzeitig auch einen Event-Charakter.“147

3.2.4.4 Milieu, Szene und Salons: Verlagskultur Beschrieben wird hier eine Verlagskultur, die kennzeichnend für viele junge Independent Verlage ist. Nahezu alle Independent Verlage, die in dieser Arbeit porträtiert werden, verstehen sich selbst auch als kulturelle Veranstalter. In regelmäßigem Modus bietet kookbooks die Reihe KOOKread an, der Verbrecher Verlag veranstaltet wöchentlich die Verbrecherversammlung. Beide Formate finden in Kreuzberger Bars statt – immer mit Musik und häufig mit mehreren Texten bzw. Autorinnen und Autoren. Häufig sind diese auch aus anderen Independent Verlagen. Verlegerin Daniela Seel etwa bietet dann auf ihrem Büchertisch auch Bücher von beispielsweise Lilienfeld oder mairisch an. Blumenbar hat beim Umzug vom ehemaligen Ostberliner Fernmeldeamt, das ebenfalls von Kreativen umfunktioniert wurde, in das Kreuzberger Aufbauhaus148 neben Büroräumlichkeiten im neuen Kreativzentrum auch einen neuen Veranstaltungsort direkt im Haus, den Prince Charles Club, für sich entdeckt. Die Verbindung von Literatur und Clubkultur hatte man schon zuvor mit der Reihe Hardcover149 begonnen. Poetry Slams, wie sie vielfach von Voland & Quist organisiert werden, weisen ein ähnliches lockeres Arrangement auf, das Ausgehen mit Literatur verbindet. Im mairisch Verlag werden durchschnittlich knapp zwei Veranstaltungen pro Woche organisiert, meist auch mit Musik und häufig in Bars. Diese Räume ziehen nicht nur literarisch Interessierte an, sondern auch Menschen aus der Kunstszene, der Filmszene, vor allem auch aus dem Nachtleben. Literatur ist eingebunden in eine Salon- und Clubkultur, die neben Verlegerinnen und Verlegern auch Musikerinnen und Musiker, Grafikerinnen und Grafiker, DJs und auch Autorinnen und Autoren umfasst bzw. durch das Zusammentreffen in diesen Szenen und Zusammenfinden zu gewissen Milieus erst

146 Interview A1, Absatz 15. 147 Interview A1, Absatz 15. 148 Homepage Aufbauhaus: http://www.aufbauhaus.de/. Stand: 15.7.2015. 149 Homepage Hardcover Club: http://www.hardcover-club.de. Stand: 2.7.2012.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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zu solchen macht: „Für uns, als Verlag jetzt, sind wir ein Teil eines kreativen Bereichs, der halt auch Musik umfassen kann oder. . .“150

3.2.4.5 Reales Forum und hybride Strukturen: Beziehungen zwischen Verlegerund Autorenschaft Was auf oben beschriebene Weise entsteht, ist eine eigene bestimmte Szenerie, die in der Verbindung der unterschiedlichen Szenen vor allem eine starke soziale Komponente hat. Gerade in der Verbindung mit den privaten Räumen entsteht ein spezielles soziales Umfeld, das vielfach durch freundschaftliche Beziehungen gekennzeichnet ist. Settings wie diese laden zum Diskurs ein und bilden reale Foren, in denen Rollen nicht klar definiert sind – was verbindet, ist ein Lebensgefühl, das anstelle einer Definition von Rollen auch viel mehr mit diesen spielt und diese neu kombiniert. Es eröffnet sich ein spannendes Feld, das zum Experimentieren zwischen unterschiedlichen Formen einlädt, sich durch Offenheit auszeichnet und von seiner Umgebung inspiriert ist. Der Ort wirkt auf den Verlag. Und das gilt natürlich auch umgekehrt. Ein Verleger fasst es so zusammen: „Wir werden von unserem Umfeld geprägt und prägen vielleicht auch unser Umfeld.“151 Im Erfassen dieses Settings fällt in einigen Interviews auch der Begriff der „Subkultur“, mit dem versucht wird, diese Umgebung näher zu beschreiben: Also einfach subkulturelle Anbindung, aus der heraus Inhalte entstehen. Aus der heraus dann eben auch Kurzfilme entstehen, aus der heraus die gesamte Musik fast entsteht, die nicht von einem Konzern gecastet ist. Und ich glaube, was mich daran reizt, das sind halt einfach Sachen und Leute, die kreativ und intelligent sind. Die haben einfach Lust, was zu machen. Die haben nicht die Aufgabe gekriegt, was zu machen, sondern die haben Lust, was zu erschaffen, was Kreatives. Und die Inhalte, die dabei rauskommen, die sind sozusagen immer erst mal subkulturell. Weil die nicht in einem Konzern entstanden sind. Die nicht für die Vermarktung entstanden sind, in der Regel. Und wenn ein freier Künstler ein Projekt aufmacht, dann ist erst mal keine Vermarktungsidee dahinter. Sondern in der Regel geht es erst mal um den Inhalt. [. . .] Ich glaube, dass es bei „Independent“ erst mal um die Idee, um den Inhalt geht. Und dann kommt erst alles Weitere. Das ist . . . Mode, Musik, Filme oder kleine Verlage.152

Diese Entwicklung, die so auch in den Gründungsgeschichten beschrieben ist, ist eine, die verbindet – Ideen, unterschiedliche Bereiche und Menschen. Damit ist auch das Verlagsverständnis eines im weitesten Sinne. Übergänge zwischen Verlegerinnen bzw. Verlegern, Autorinnen und Autoren wie auch Leserinnen und 150 Interview A8, Absatz 62. 151 Interview A1, Absatz 63. 152 Interview A4, Absatz 288.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Lesern sind fließend. Poesiefestivals und Poetry Slams, auf denen ein großer Teil der Verlegerinnen und Verleger regelmäßig als Initiatoren aktiv ist, gewinnen viel von ihrem Reiz überhaupt durch diese Vermischung unterschiedlicher Formate. Dieser Verbindung unterschiedlicher Menschen, Szenen und Formen liegen hybride Strukturen zugrunde. Es verschwimmen die Grenzen zwischen Künstlerin bzw. Künstler und Unternehmerin und Unternehmer, aber auch zwischen Freizeit und Arbeit.153 Bei Daniela Seel ist nicht nur die Wohnung Verlag bzw. der Verlag Wohnung – sie ist auch selbst Lyrikerin; und viele Verlegerinnen und Verleger arbeiten in vielfältiger Weise an Buchprojekten mit. Umgekehrt verhält es sich genauso: Autoren von Independent Verlagen, wie Jan Böttcher von kookbooks oder Mirko Hecktor von Blumenbar, sind Journalisten, Musiker bzw. DJs, die häufig das musikalische Rahmenprogramm der Verlagsveranstaltungen gestalten. Bei der Verbrecherversammlung lesen die Verleger aus den verschiedenen Büchern und legen danach Platten auf. Dieses Milieu bildet auch das Netzwerk dieser Verlage. Und diesem messen durchgängig alle Interviewpartner eine große Wichtigkeit bzw. die entscheidende Bedeutung bei – es bildet den roten Faden durch alle Gespräche. Ein Verleger beschreibt es als unverzichtbar für sein Projekt: „Der Verlag wäre nie entstanden und hätte auch keinen Bestand gehabt in den letzten Jahren, weil, das Netzwerk hat eine ganz prägende, tragende Kraft. In verschiedenen Spielarten.“154 Fast bei allen werden Freunde und Familie genannt, die das Projekt von Beginn an unterstützt haben. Es sind familiäre Strukturen, aus denen die Projekte entstehen, die sie tragen und die sie auch ausmachen. Der Verlagsname Onkel & Onkel ist ganz gezielt aus diesem Bewusstsein gewählt, auch im doppelten Sinne – er verweist auf die tatsächliche familiäre Struktur, aus dem das Projekt entstanden ist, aber auch auf die familiäre Struktur, die im Arbeiten und im Kontakt mit Autorinnen und Autoren bzw. Kooperationspartnerinnen und -partnern bestimmend ist. Die sozialen Bindungen unterscheiden sich von Zweckbeziehungen, insofern sie über lange Zeiträume und auch unabhängig vom Verlagsprojekt bestehen: Die Kontinuität, die es dann gibt, ist einfach den einzelnen Personen und dem Engagement der einzelnen Personen geschuldet. Und Freundschaften natürlich. Aber nicht so einer übergeordneten Struktur.155

Dieses bestimmte Umfeld, das vor allem im Zusammenhang mit Veranstaltungen entsteht bzw. gepflegt wird, funktioniert letztlich auch als Ideengeber. Immer 153 Vgl: Mandel, Birgit: Die neuen Kulturunternehmer. Ihre Motive, Visionen und Erfolgsstrategien. Bielefeld: transcript, 2007, S. 22. 154 Interview A1, Absatz 11. 155 Interview A2, Absatz 15 u. 16.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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wieder werden dort neue Kontakte geschlossen und Ideenaustausch findet statt. Bei allen befragten Independent Verlagen findet sich ein Arrangement, das auf diese Weise funktioniert. Es ist ein Pool, in dem man auch Geschäftspartnerinnen und Geschäftspartner findet und aus dem sich auch Inhalte schöpfen lassen, die zu Büchern werden, in dem also auch Stoffe akquiriert werden: „Es ist so, dass wir teilweise auch mit Agenturen zusammenarbeiten. Aber das spielt nicht so eine große Rolle. Wichtiger ist dieses soziale Umfeld, woraus Dinge entstehen.“156 Verlage, die weder Geld für Vorschüsse noch einflussreiche Agenturen aufbringen können, müssen offen und sensibel sein. Und sie brauchen „den Kontakt zum Leben, nicht nur zum literarischen. Brauch[en] Sensibilität für das, was Menschen gerade umtreibt, und Verbindungen zu Autoren, die solche Bücher schreiben“157 – die all das widerspiegeln. In den Verlagen besteht damit zwangsläufig auch ein Bewusstsein für unterschiedliche gesellschaftliche Strömungen und für Neues durch unterschiedliche Andock- und Kombinationsmöglichkeiten von Menschen, Szenen und Inhalten. Es kommt zu Überschneidungen, die im Gegensatz zu Monokulturen stehen. Zum Teil entdeckt man im Verlag und der Einbettung in das offene Netzwerk auch die Möglichkeit, als Verlegerin und Verleger Trends zu entdecken und zu kreieren: Trendscout jetzt nicht im Sinne von automatisch neue Autoren entdecken – das macht jeder Verlag, oder versucht jeder Verlag. Sondern auch, wie man es macht. Indem man sich präsentiert. Und da wiederum auch schnell sein können, wenn irgendeine gute Idee da ist.158

Das Büchermachen ist somit eingebettet in ein größeres Projekt, in dem vor allem auch die spezifische Haltung eine Rolle spielt. Dieser Anspruch an sich selbst richtet sich konsequenterweise auch an Autorinnen und Autoren: Das ist ein ganz wichtiges Kriterium, um für uns als Autor geeignet zu sein. Weil wir einfach dieses Umfeld und dieses Netzwerk haben, und wer einfach nur ein Autor sein will, der irgendwann sein Manuskript an den Lektor schickt und der Verlag sozusagen nur der Dienstleister an den Text ist, damit es irgendwann ein Buch gibt und der Autor aber sonst weiter gar nichts damit zu tun haben will: das sind dann einfach nicht unsere Leute. [.  .  .] Und so was merkt man ja dann irgendwann auch im Umgang mit den Leuten.159

156 Interview A1, Absatz 11. 157 Ukena, 2005, S. 24. 158 Interview A1, Absatz 125. 159 Interview A2, Absatz 79.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Die Beziehung auf Augenhöhe mit den Autorinnen und Autoren ist etwas, das sich in oben beschriebenen Netzwerken wie selbstverständlich ergibt und in den Interviews immer wieder zum Ausdruck gebracht wird: Also, wir kennen die ja auch oft. Da sind auch schon Freundschaften entstanden bei den Autoren. Das sind ähnliche Fragen von . . . der gleiche Humor, die gleiche politische Einstellung, solche Sachen. Also dass man sich einfach sympathisch ist. Ich glaube, das trifft für alle kleinen Verlage zu. Dass man da niemanden verlegt, wo es menschlich nicht so richtig stimmt. Dafür sind die Beziehungen auch zu nah, zwischen Verleger und den Autoren.160

Vielfach stehen die Freundschaften sogar im Vordergrund. „Ein bisschen komisch ist das nur, wenn wir uns treffen, um beispielsweise übers Honorar zu sprechen“,161 beschreibt mairisch-Verleger Daniel Beskos die Situation mit einem Autor. In Freundschaften ist Geld ein heikles Thema, für Independent Verlage ist es das insgesamt. Und so ist diese Atmosphäre, die, mit Bourdieu gesprochen, soziales Kapital darstellt, auch in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung. Denn sie ist imstande, Autorinnen und Autoren an den Verlag zu binden. Das Verbundensein in derart gestalteten Räumen und das Bieten einer „Heimat“162 für deren Texte bedeuten manchmal Alternativen und Möglichkeiten, mangelndes ökonomisches Kapital zu kompensieren. Denn finanzielle Ansprüche von Autorinnen und Autoren in dem Ausmaß zu erfüllen, wie es große Verlage können, ist unmöglich. Manche Independent Verlage zahlen zwar kleine Vorschüsse, aber auch das können nicht alle ihren Autorinnen und Autoren bieten: Das konnten wir nie. Das können wir auch keinem Autor garantieren. Und, es kommt auch immer wieder – und das sage ich den Leuten auch offen – zu leichten Zahlungsverzögerungen. Es gibt Leute, die sind trotzdem treu. Und das hat Gründe.163

Wenn sich – zumeist ebenfalls ökonomisch weniger bemittelte – Autorinnen und Autoren nachsichtig zeigen, so ist das den Vorteilen geschuldet, die sich aus der oben beschriebenen Atmosphäre ergeben. Die intensive Betreuung der Buchprojekte – von der ersten Begegnung bis zur letzten Korrektur, oftmals von der Verlegerin oder dem Verleger selbst erledigt, ist, was Heimat überhaupt erst ermöglicht und was Autorinnen und Autoren Gelegenheit für Austausch gibt und

160 Interview A8, Absatz 315. 161 Albertsen, Maren: Mairisch Verlag. Spannende Geschichten, auf neue Art erzählt. In: Altona Magazin, Nr. 10/2010, S. 49. 162 Vgl. Interview A3, Absatz 31 f.; Interview A9, Absatz 315; Interview B5, Absatz 284; Interview C4, Absatz 159. 163 Interview A5, Absatz 186.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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auch die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen und mitzugestalten. Man will Raum aus Überzeugung geben: Also, wir machen Sachen, die wir lieben. Wir wollen es möglichst schön machen. Und wir wollen, dass unsere Autoren den Raum haben, die Geschichten zu erzählen, die sie erzählen – weil die Geschichten toll sind.164

In großen Verlagen ist es durch verschiedene Ansprechpersonen, aber auch durch geregelte Abläufe und formale Vorgaben vielfach nicht möglich, individuellen Wünschen nachzukommen bzw. etwas Gemeinsames zu erarbeiten. Wenn darin ein maßgeblicher Unterschied zu großen Verlagsapparaten besteht, so ist hier das entscheidende Unterscheidungsmerkmal zu Publikationsmöglichkeiten beschrieben, wie sie in Selbstverlagen und Publishing on Demand bestehen. Werden im einen Fall finanzielle und tendenziell vereinheitlichende Maßstäbe an Buchprojekte angelegt und wenig Gelegenheit für sonstigen Austausch auch unter der Autorenschaft geboten, so werden im anderen Werke größtenteils ungefiltert veröffentlicht. In beiden Fällen handelt es sich um Publikationsmodelle, die zu Lasten literarischer Güte gehen. Interessant erscheint dies insofern, als durch den digitalen Wandel das Verlegen überhaupt zunehmend zur Disposition steht bzw. sich die Frage nach zentralen Kernkompetenzen stellt. Den Verlag als Forum und Filter zu begreifen ist dabei naheliegend. Die besonderen offenen Räume und ihre Ausgestaltung als soziale Treffpunkte verleihen diesen Independent Verlagen zwar keine Trennschärfe, aber eine wesentliche Eigenschaft in der Abgrenzung zu beiden anderen Polen, die, wie in Kapitel 2 beschrieben, tendenziell ökonomisch angetrieben oder aber völlig individualisiert sind.165 Die Verortung von Independent Verlagen im literarischen Feld ist somit an einer Schnittstelle auszumachen: zwischen Privatheit/Selbstverwirklichung und professioneller Teilhabe am Markt/Ökonomie. Als Marktteilnehmer haben Independent Verlage größeren Apparaten gegenüber damit einen entscheidenden Vorteil. Sie verfügen durch die Facette der Authentizität, die Privatheit mit sich bringt, genauso wie die der Greifbarkeit über eine besondere Ausstrahlung, die auch ein größeres Maß an Nähe zu Leserinnen und Lesern bedeutet. Die Zielgruppe ist ein Teil des Netzwerks und des Milieus. Das wird von außen so wahrgenommen: Leute, die Independent-Literatur oder diese Art von Literatur lesen, kennen ihre Verlage. [. . .] Die wissen, wer Onkel & Onkel ist. Das sind so Kultverlage. Wenn du jemanden fragst: 164 Interview A4, Absatz 444. 165 Vgl. Kapitel 2.1.1

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

„Weißt du, wo Dan Brown erschienen ist oder Joostein Garder oder Hertha Müller?“ – das weiß kein Mensch.166

Dieser Faktor ist auch den Verlegerinnen und Verlegern selbst bewusst: Ich seh das ja immer auf Veranstaltungen. Dass Leute Bücher von uns schon kennen oder von den anderen Verlagen, die so um einen drum herum stehen. Und das, glaube ich, fehlt den großen Verlagen. Die haben Fans über ihre Autoren.167

3.2.4.6 On and off: Soziale Netzwerke Um den Kontakt mit der Zielgruppe bzw. dem Netzwerk insgesamt zu halten, sind soziale Netzwerke im Internet, wie beispielsweise Facebook,168 ideal. Sie bilden ab, was oben beschrieben ist. Denn sie sind logische Fortsetzung bzw. auch Ergänzung und Erweiterung der Kommunikation auf Augenhöhe, auch mit dem Publikum. Sie erlauben, den Kontakt kontinuierlich aufrechtzuerhalten. Dieser Kontakt zeichnet sich dadurch aus, dass er Small Talk, Austausch von Befindlichkeiten, Hinweise auf Interessantes und häufig Heiteres enthält und dadurch mit einem offiziellen Unternehmensauftritt wenig gemein hat. Darauf sind solche Netzwerke nicht ausgelegt – Online-Communitys beschreiben eine Gemeinschaft von Menschen, die über das Internet in Kontakt treten und sich untereinander austauschen.169 Zumeist teilen diese ein gemeinsames Interesse, zentral dabei ist die soziale Interaktion. Leserinnen und Leser können bei den Verlagen „Fans“ oder „Freunde“ werden, sich auf der Seite über anstehende Events informieren, Fotos ansehen, Links folgen, vor allem aber kommunizieren  – in Form von kurzen Beiträgen und Statements – und so mit Verlegerinnen und Verlegern und allen anderen, die ebenfalls Teil des Netzwerks sind, in Dialog treten. Alle Independent Verlage beherrschen diese Kommunikation, und alle, die in dieser Arbeit porträtiert werden, sind im sozialen Netzwerk Facebook angemeldet und aktiv. Diesem wird eine große Bedeutung beigemessen. Es „passt perfekt“170 zu Independent Verlagen, wie ein Verleger beschreibt: „Du erreichst dein Publikum ohne Umwege und ohne Kosten.“171 Darüber hinaus sei auch die

166 Interview B3, Absatz 101. 167 Interview A8, Absatz 129. 168 Homepage Facebook: http://www.facebook.com/. Stand: 2.7.2015. 169 Vgl. Schildhauer, Thomas: Lexikon Electronic Business. München u.a.: Oldenbourg, 2003, S. 45 f. 170 Interview A7, Absatz 607. 171 Interview A7, Absatz 609–611.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Generation ausschlaggebend: „Wir sind mit Computern aufgewachsen, wir haben die Affinität, ich glaube, mehr als die älteren Verleger.“172 Und tatsächlich: In den Facebook-Fan-Rankings des Branchenbeobachters Leander Wattig mischten vor allem Independent Verlage von Anfang an oben mit.173 „Man merkt auch: Unsere Leser sind jünger und internetaffin – die haben ja oft auch Jobs oder sind im Studium und sitzen den ganzen Tag vorm Internet. Also, wenn ich die irgendwo erreiche, dann da.“174 Poetenladen ist ein Leipziger Independent Verlag, der zunächst nur im Netz publizierte. Um den Verlag herum baute sich eine Community auf, und mit deren Anwachsen ergab sich schließlich auch der Schritt, die virtuellen Texte auch in gedruckter Form zu publizieren.175 Blumenbar bezog „Fans“ und „Freunde“ auf seiner Facebook-Seite ein, als man vor der Eröffnung des literarischen Nachtclubs auf der Suche nach einem Namen für diesen war. Alle konnten Namensvorschläge für das literarische Event einstellen, wozu vom Verlag auch in einem Posting angespornt wurde: „1. Preis: Ewige Gästeliste plus 1 Bücherpaket.“176 Dies sind nicht nur Beispiele dafür, wie wichtig die virtuelle Community für junge Verlage ist, sondern auch, wie diese als Feedback-Kanal wirkt: [Auf der Buchmesse] haben mich zehn oder zwölf Leute auf unsere Initiative auf Facebook auf unserem Stand angesprochen. Also man kriegt da auch Rückmeldungen direkt ins echte Leben. Und letzte Woche haben wir die Veranstaltung in Berlin gemacht [. . .]. Die Einladung lief im Prinzip nur über diese Facebook-Gruppe. Und da waren 160 Leute da.177

Rückmeldungen, die ins „echte Leben“ hineinreichen, belegen, dass unter „Community“ eben auch mehr als ein allein internetgetriebenes Phänomen zu verstehen ist. Direktkontakte reichen weiter und haben ihre Basis immer noch in der realen Begegnung.178 Denn die sozialen Netzwerke bilden das reale 172 Interview A7, Absatz 613–615. 173 Wattig, Leander: Ranking. Buchverlage bei Facebook nach Anzahl der Fans. In: leanderwattig.de: http://leanderwattig.de/index.php/2009/09/08/ranking-buchverlage-bei-facebooknach-anzahl-der-fans/, http://leanderwattig.de/index.php/2010/01/06/ranking-buchverlagebei-facebook-nach-anzahl-der-fans-nr-5/. Stand: 2.7.2015. 174 Interview A4, Absatz 119. 175 Homepage Poetenladen: http://www.poetenladen.de/. Stand: 4.7.2015. 176 Blumenbar auf Facebook: http://www.facebook.com/Blumenbar#/Blumenbar?v=wall. Stand: 13.12.2009. 177 Interview A4, Absatz 129. 178 Schöllhuber, Lucia: Der Text ist nicht die Party. Aber ein Teil davon. Literatur als Lebensgefühl: Bücher, junge Verlage und ihre Community. In: Henze, Eyk/Zeckert, Patricia F. (Hg.): Flachware. Fußnoten der Leipziger Buchwissenschaft. Leipzig: Plöttner Verlag, 2010, S. 263–275, S. 257.

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Beziehungsgeflecht im besten Falle ab, können es aber weder ersetzen, noch kann es gelingen, wenn diese nur als Werbefläche genutzt werden. Es ist die Weiterführung und Ergänzung des authentischen Austauschs, die Möglichkeit, über diesen hinaus in Kontakt zu bleiben. Solch ein Verständnis von Netzwerken – real und virtuell, und wie es bei allen befragten Independent Verlagen zum Ausdruck gebracht wird – lässt in den unterschiedlichen Räumen und Begegnungen soziales Kapital entstehen.

3.2.5 Formen und Mittel: Unternehmensorganisation und Finanzierungskonzepte 3.2.5.1 Do it yourself Im vorangegangenen Kapital wurden Milieus und Szenen beschrieben, die über die Zeit zu realen Foren wurden, aus denen sich die meisten Independent Verlage heraus entwickelten. Gekennzeichnet sind diese Milieus dadurch, dass Menschen durch gemeinsame Interessen verbunden sind bzw. gemeinsam in unterschiedlichen Projekten tätig werden, die stark mit Kunst, sozialem Leben und Ausgehen verbunden sind. Die Intention, Geld zu verdienen, war, als die Dinge sich zu entwickeln begannen, in keinem Fall ausschlaggebend. Für die weiteren Jahre, in denen die Projekte zu Verlagen bzw. Unternehmungen wurden, blieb dies in mehrerlei Hinsicht bedeutsam, insofern Unternehmenskultur und Unternehmensführung auch Formen und Mittel der jeweiligen Verlage nach sich zogen. Ein Independent Verleger beschreibt das so: Also: viele Sachen funktionieren auch nur, wenn man sie selber macht. Ähnlich wie, was weiß ich, wenn ich jetzt ein Haus baue. Also wenn ich jetzt überall nur Firmen hätte, und muss mir die Sachen einkaufen, dann hätte ich vielleicht einen kleinen Bauwagen an der Ecke stehen. Wenn ich aber ein Netzwerk habe, von Verwandten und Freunden, der eine ist Maurer, der andere ist Fliesenleger und der Dritte macht die Installation, schafft man es dann in viel kürzerer Zeit, sich tatsächlich so eine kleine hübsche Hütte hinzustellen. Was einfach nicht möglich gewesen wäre, wenn man alles rausgegeben hätte. Und das heißt natürlich, man mauert selber an allen Baustellen, im übertragenen Sinne, auch noch ordentlich mit.179

Die Herangehensweisen zeichnen sich dadurch aus, dass sie vom Interesse an der Sache an sich angetrieben werden: „Indietum, das ist auch ein bisschen Dilettantismus – im positiven Sinne. Also, man macht einfach mal.“180 Die erforderlichen 179 Interview A6, Absatz 103–105. 180 Interview A7, Absatz 495.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Arbeitsschritte, die aus Ideen Bücher werden lassen und diese schließlich auch als solche am Markt positionieren, eigneten sich die jungen Verlegerinnen und Verleger in der Regel schrittweise an: „Do-it-yourself ist für unseren Verlag immer das Leitding gewesen“,181 beschreibt ein Independent Verleger den Zugang zu einer Tätigkeit, die neben der leidenschaftlichen Beschäftigung mit Literatur vor allem auch eine Reihe von praktischen und formalen Aufgaben und entsprechende unternehmerische Kenntnisse umfasst. Im Laufe der Zeit „haben wir gelernt, wie man arbeitet: wie arbeitet eine Geschäftsführung, wie macht man seine Steuererklärung. Alles learning by doing natürlich.“182 Alle befragten Verlegerinnen und Verleger befassen sich neben der Auswahl des Programms auch mit Lektorat, Presse, Finanziellem und Bürokratischem, in den meisten Fällen auch mit der Herstellung der Bücher. Kurz: mit allem. Was eine Generation zuvor in diesem Maße noch nicht möglich gewesen wäre, eröffnet sich mit den neuen Rahmenbedingungen, aus denen heraus die Verlage entstehen. Strukturen, die ehemals zementiert schienen, brechen auf; Leidenschaft und Interessen kann nicht nur gefolgt werden, sie können mittlerweile auch sehr professionell und vergleichsweise kostengünstig umgesetzt werden: Das hätte man in einem kleinen Verlag früher gar nicht machen können – ohne Internet, ohne Möglichkeit, sich Texte zu mailen. Inhalte erstellen mit InDesign . . . Das war ja früher . . . QuarkXPress – die Programme allein. Die sind jetzt viel billiger, man kann alles viel einfacher machen. Ich habe schon das Gefühl, dass diese gesamte Kombination dazu führt, dass man auch viel losgelöster vom Buchhandel arbeiten kann und dementsprechend auch nicht mehr so in den Strukturen des Buchhandels denken muss.183

Festgelegte Strukturen sind auch im Arbeitsalltag selbst weniger vorhanden bzw. notwendig, da die kleinen Unternehmen von zumeist ein bis drei Personen diese zur Koordination nicht benötigen. Selbstverantwortliches Arbeiten gewährt Freiräume – in der Wahl des Arbeitsplatzes, der Zeiteinteilung und im Zusammenarbeiten mit anderen –, sodass sich der Arbeitstag in allen Fällen sehr individuell organisiert. Eine klare Linie zwischen Arbeits- und Freizeit kann oft nicht mehr gezogen werden, zumal auch viele Arbeitsbegegnungen freundschaftlich sind, Veranstaltungen und Programm abends veranstaltet werden: „Es ist natürlich keine regelmäßige Bürozeit – und das ist etwas, das ich auch absolut schätze an dieser Art von Unabhängigkeit.“184 „Diese Art von Unabhängigkeit“, die hier

181 Interview A4, Absatz 431. 182 Interview A5, Absatz 55. 183 Interview A4, Absatz 198. 184 Interview A2, Absatz 246–250.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

angesprochen wird, bildet einen großen Unterschied zum Arbeitsalltag der Kolleginnen und Kollegen in größeren Häusern, wie ausgeführt wird: Wo ich weiß, dass ich in einem Großteil der Zeit überhaupt nicht konzentriert genug bin, um an den Sachen tatsächlich zu arbeiten, aber trotzdem so eine Form von Präsenzpflicht habe. [. . .] Oder einfach diese Tatsache, dass man, nur um ein bestimmtes Telefon bedienen zu sollen, dann da herumsitzen muss, obwohl man die Arbeit genauso gut im Park erledigen könnte. Oder, andererseits: wie viel Zeit verloren geht, nur weil man jetzt mit irgendwem tratscht. Oder weil eine Besprechung stattfinden muss, nur um die verschiedenen Bereiche zu koordinieren. Was in noch größeren Organisationen noch viel schrecklicher ist. Und ich weiß das von vielen Kollegen, die eben in großen Verlagen arbeiten, dass sie im Grunde genommen zum Lektorieren im Haus überhaupt nicht kommen. Dass das nur abends oder am Wochenende zu Hause geht oder wenn sie sich halt dann freinehmen vom Verlag.185

Diese freie Art des Arbeitens in Independent Verlagen wird als selbstbestimmt und fokussiert erlebt und auch als ein Aspekt, der das Arbeiten in Independent Verlagen für die Verlegerinnen und Verleger selbst ausmacht.186 Das führt schließlich auch zu Ergebnissen, die von diesem Geist geprägt sind. Vor allem dann, wenn sie in Zusammenarbeit mit Menschen erfolgt, die auf dieselbe unabhängige Weise arbeiten. Ein Verleger beschreibt, wie und wodurch sich dieses Arbeiten von den üblichen Prozessen im Arbeitsalltag unterscheidet: Unabhängigkeit. Darum geht es vor allem. Also es geht darum, unabhängig entscheiden und arbeiten zu können. Und mit der Unabhängigkeit merkt man, in den Projekten, wo man wirklich mit Leuten arbeitet, die alle frei sind, dass man viel besser arbeiten kann. Auch mit Fotografen oder in der Covergestaltung. Als in einem Projekt, wo man von einer tollen Fotografin einkauft. Und, zum Beispiel, ein Foto im Internet entdeckt, bei einer FotografenWebseite. Und dann muss ich eine offizielle Anfrage machen, Tarife verhandeln, alles ist sehr offiziell. Ich muss das Bild einkaufen, das ist total teuer und ich darf an dem Bild nichts verändern, ich darf es nur da verwenden, aber nicht für die Presse – so ungefähr. Wenn man aber mit Leuten arbeitet, die man kennt, wo man sagen kann: „Wir wollen dies und jenes machen“, und der sagt dann: „Klar, dann müsste ich ungefähr so und so viel Geld haben und ich geh morgen dann mal los“ – und dann ist das irgendwann fertig und alle finden es toll. Das wird dann überall gestreut. Und da steht dann auch der Name des Fotografen darunter und das ist dann auch Werbung für ihn. Und das sind halt Sachen, die andere im offizielleren Kontext nicht interessieren. Ich finde aber, je freier diese Projekte entstanden sind, je unabhängiger, desto erfolgreicher sind sie in der Regel auch.187

185 Interview A2, Absatz 250–254. 186 Vgl. u.a. Interview A2, Absatz 160f.; Interview A4, Absatz 292; Interview A6, Absatz 133 ff.; Interview A7, Absatz 453 ff. 187 Interview A4, Absatz 296.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Ein Verleger erzählt in diesem Zusammenhang die Geschichte der Entstehung eines Covers, auf dem ein Hummer abgebildet ist, auf welches er vielfach angesprochen wurde. Er freut sich über die starke Resonanz, denn lange wurde nach einem entsprechenden Bild gesucht – bis schließlich selbst ein Hummer gekauft und der Autor zum Fotografen wurde. Der Grat zwischen „selber machen können“ und „selber machen müssen“ ist jedoch auch ein schmaler. Für den Kollegen eines anderen Verlages bedeutet Doit-yourself manchmal auch Not: Wir kriegen ja auch Bewerbungen für irgendwelche Projektmitarbeiten – sei es von Grafikern, Fotografen usw. – die wir meistens ablehnen müssen. Weil es so viele gibt, mit denen wir schon was gemacht haben. Und die auch bereit sind, für sehr wenig Geld mitzuarbeiten. Was auch notwendig ist. Denn zur Not müssen wir alles selber machen.188

Beziehungen erlauben den meisten Verlagen, Arbeiten auf kostengünstigem Weg abzuwickeln, oft auch im Tausch. Möglich ist dies, weil es sich um freundschaftliche Beziehungen handelt, was in den meisten Interviews besondere Erwähnung findet.189 So, wie viele Independent Verlage aus freundschaftlichen Banden heraus gemeinsam gegründet wurden, bedeutet die Arbeit im Verlag in den meisten Fällen auch ein Arbeiten mit Freundinnen und Freunden: Das ist ein sehr intimes Verhältnis, das man untereinander pflegt. Es ergeben sich natürlich auch immer wieder neue Freundschaften, wird schon langsam nicht mehr zu bewältigen. (lacht) Ich glaube, dass das ein angenehmer Aspekt ist für die Autoren, dass alles sehr direkt abläuft. Das ist auch für mich entscheidend. Wir können auch alles besprechen, bevor irgendwas gemacht wird.190

Aussagen wie diese finden sich in nahezu allen Interviews. Mit der zunehmenden Professionalisierung sind die freundschaftlichen Beziehungen jedoch auch Entwicklungen unterworfen, die nicht immer einfach verlaufen. Wenn durch den Verlag unternehmerische Belange die Beziehungen mehr und mehr verbinden, können Freundschaften auch strapaziert werden, in den Hintergrund geraten oder, wie im Fall von Blumenbar, auf Kosten der weiteren Geschäftsentwicklung gehen. Als der Verlag 2010 von München nach Berlin zieht, trennen sich auch die Wege der beiden Verleger. Lars Birken-Bertsch bleibt in München, Wolfgang Farkas beginnt mit dem Verlag in Berlin eine Neuausrichtung, inklusive einer Vertriebskooperation, die Birken-Bertsch, der nun eine eigene Agentur gründet, 188 Interview A3, Absatz 79. 189 Vgl. Interview 1–12. 190 Interview A3, Absatz 35.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

zuvor noch mitbetreut hatte.191 Auch dies ist ein weiteres Beispiel dafür, welch große Rolle persönliche Beziehungen spielen. Von Interviewpartnerinnen und -partnern, die Independent Verlage von außen wahrnehmen bzw. ihnen partnerschaftlich verbunden sind, werden diese als wesentliches Kennzeichen angeführt. Genannt werden Teamgeist und die Kontinuität, über lange Zeit mit denselben Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern zusammenzuarbeiten – im Unterschied zu größeren Verlagen, wo es vergleichsweise häufig zu Jobwechsel und Fluktuation in der Belegschaft kommt. In der Zusammenarbeit mit Independent Verlagen hat man hingegen über Jahre hinweg immer mit den Entscheidungsträgern bzw. Chefs persönlich zu tun.192 Das erlaubt eine vielfach flexiblere und individuellere Handhabe, die eine Reihe von Vorteilen mit sich bringt. Durch die schlanke Struktur der Unternehmen sind Abläufe vergleichsweise schnell. Das Fehlen eines „Überbaus“, der in Form von Abteilungen organisiert und finanziert werden will, bedeutet in Independent Verlagen auch das Fehlen von großen Fixkostenblöcken, und es bedeutet auch, weniger Sachzwängen unterworfen zu sein. Im Unterschied zu einer gewissen Starrheit und ihren Gesetzmäßigkeiten ist es vielmehr ein Spielraum, der hier erlaubt, schneller zu reagieren und greifbarer zu sein. Eine Folge sind auch schnellere Entscheidungswege, die wiederum Wettbewerbsvorteile bedeuten; vor allem da, wo durch veränderte Marktbedingungen alte Geschäftsmodelle zunehmend unter Druck geraten, wie in Kapitel 2 beschrieben.193 In der Praxis bedeutet Flexibilität: Ein Manuskript, das am Montag kommt, kann am Dienstag gelesen, am Mittwoch besprochen und am Donnerstag unter Vertrag genommen werden, wie ein Verleger erzählt. Er erklärt: In meinem Fall ist es nur eine Person, die mit mir gleichberechtigt den Verlag macht. Und wir entscheiden dann ganz schnell. Das ist einfach, weil wir eben keinen Apparat vorstehen haben. Das ist oft von Vorteil gewesen. Wir müssen niemanden fragen. Es gibt keinen Vertriebschef, keinen Marketingleiter, keine Pressedame. Und so sind wir allein und können alleine agieren. Und das ist das Schöne.194

Kleine Unternehmensgrößen von ein bis vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, häufig unterstützt durch Praktikantinnen und Praktikanten, sind die Regel in Independent Verlagen. Daraus resultierende Schnelligkeit ist ein Vorteil, aber auch die immer lauter werdende Forderung des Marktes. Die Big Player 191 Vgl. N.N.: Lars Birken-Bertsch tritt als Blumenbar-GF zurück und gründet eigene Agentur. In: buchmarkt.de vom 2.2.2010: http://www.buchmarkt.de/content/41316-lars-birken-bertschtritt-als-blumenbar-gf-zurueck-und-gruendet-eigene-agentur.htm. Stand: 3.7.2015. 192 Vgl. Interview C7, Absatz 43. 193 Vgl. Kapitel 2.3. 194 Interview B7, Absatz 30 f.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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am Buchmarkt sind, durch das Prinzip der Gewinnmaximierung, ebenfalls zur Schnelligkeit aufgefordert, verstärkt auch auf anderer Ebene: Die vertriebenen Bücher müssen sich zunehmend schneller innerhalb eines definierten Zeitfensters vermarkten lassen.195 Durch Remissionsvereinbarungen und Überproduktion geht der Neuheitswert immer schneller verloren, begehrte Präsentationsflächen an den Verkaufsstandorten sind zudem Neuwaren und Bestsellern vorbehalten. Dass sich die in solchen Unternehmen tätigen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger „beruflich nicht zuerst als Kunstliebhaber, sondern als betriebswirtschaftlich denkende Manager“196 verstehen, verstärkt den Trend. „Entsprechend positionieren sich die Unternehmen im Markt und verhalten sich gegenüber den Künstlern und möglichen Konkurrenten.“197 Dies wirft die existenzielle Frage auf, wie sich Independent Verlage professionalisieren, finanzieren und schließlich auch auf diesem Markt bestehen.

3.2.5.2 Schritte in die Professionalisierung: „Wir sind kein Hobbyverlag“ Arbeitsweisen differieren in Abhängigkeit von etwaigen Finanzmitteln. Ökonomisch schlechte Ausgangsbedingungen müssen – wie bereits erörtert – keinen Anfang verhindern, sind in der Folge aber oft eine beständige Herausforderung.198 Wenn ein Verlag zunächst aus dem Grund existiert, weil man Lust am Büchermachen empfindet, gestalten sich Wege häufig abseits von Marktmaximen, wenngleich sie auf demselben Markt bestehen müssen, auf dem diese gelten. Ein Verleger beschreibt zunächst die positive Seite: Wir finden es eigentlich super, dass wir aus Spaß arbeiten. Und nicht, weil wir wegen dem Geld müssen. Natürlich müssen sich die Projekte alle rechnen. Die Projekte müssen auch sinnvoll kalkuliert und finanzierbar sein. Das ist auf jeden Fall eine Bedingung. Das funktioniert auch, aber es kann auch sein, dass es zwei Jahre dauert oder drei. Aber das ist egal. Wenn es sich am Ende irgendwie gut gerechnet hat, ist es für uns ein gutes Projekt. Plus: Der Autor ist bezahlt, die Sache ist bezahlt, alle sind bezahlt und haben irgendwie eine gute Zeit gehabt in dem einen Jahr, wo das Buch erschienen ist und gemacht wurde. Und dann auch auf Lesungen präsentiert wurde. Also dafür ist dieses Geld-Ding ein bisschen sekundärer für uns.199

195 Vgl. Kapitel 2.1.1. 196 Zimmermann, Olaf: „Kulturberufe und Kulturwirtschaft – Gegensatz oder Symbiose?“. In: APuZ. Aus Politik und Zeitgeschichte. Kulturwirtschaft, 34–35/2006, S. 24–31, S. 29. 197 Ebd., S. 29 f. 198 Vgl. dazu auch: Ammern, Mark/Bol, Helge: Über die Kunst, klein zu verlegen. 2. Aufl., Duisburg: AutorenVerlag Matern, 2001, S. 61 f. 199 Interview A4, Absatz 163.

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Tatsächlich bezahlen sich viele Independent Verlegerinnen und Verleger selbst keinen Lohn oder nur einen sehr geringen. Auch das geht aus diesem Zitat hervor, und das Bild zeigt: Die Unternehmen tragen sich meist selbst, aber nur in wenigen Fällen auch ihre Betreiberinnen und Betreiber. Die müssen, wie bereits an anderer Stelle beschrieben, häufig noch weiteren Tätigkeiten nachgehen.200 Zumal auch der verlagsinterne Arbeitsaufwand bei einer finanzschwachen Gründung sehr hoch ist: Lektorat, Satz, Druck, Bindung, Marketing, Vertrieb, Finanzund Rechtsprüfung hängen dabei nicht selten an den finanziellen Möglichkeiten einer Einzelperson bzw. müssen von wenigen Personen bewältigt werden. Was sich zunächst aus Freiwilligkeit ergibt, wird mit der Professionalisierung der Unternehmen zunehmend zur Herausforderung. Schließlich braucht es „eine kritische Grundmasse an Titeln, Volumen und an Umsatz, um kontinuierlich im Handel wahr- und auch vom Feuilleton ernst genommen zu werden“,201 erklärt ein arrivierterer Verleger. Den Verlag längerfristig zu positionieren und als Marktteilnehmer anerkannt und in gewissen Kanälen vertreten zu sein, erfordert ein gewisses Standing in der Verlagsbranche. Es geht darum, Kontinuität zu schaffen. Spätestens an diesem Punkt sind kleine Verlage, die im Wachsen begriffen sind, mit der Realität des Marktes konfrontiert. Die Positionierung am Markt erfolgt in der Regel mit einer Reihe von Auslagen, denen zunächst über Monate hinweg keine Einnahmen gegenüberstehen: Autorinnen und Autoren erhalten – in der Regel – Vorschüsse, große Druckaufträge wollen bei Druckereien nicht nur bezahlt, sondern überhaupt angenommen werden. Die Listung bei Barsortimenten – Voraussetzung, um vom Buchhandel überhaupt bestellt werden zu können – erfolgt nicht automatisch. Ein Barsortiment führt zwischen 400.000 bis 600.000 Titel – etwa ein Viertel bis ein Drittel aller lieferbaren Titel.202 Das Interesse besteht nur an solchen, die entsprechend gute Konditionen für die Barsortimente mit sich bringen – durchschnittlich 50 Prozent des Verkaufspreises der Bücher, Zahlungsziele von 180 Tagen sind keine Seltenheit – und die möglichst auch von Auslieferungen bestellt werden können, die von den Verlagen ebenfalls für diese Dienstleistung, die Lagerung etc. bezahlt

200 Vgl. Kapitel 3.2.3.4. 201 Interview B2, Absatz 8. 202 Diese Zahl wurde den jeweils angegebenen lagernden Titelbeständen auf den Homepages der Barsortimente entnommen: Homepage Umbreit: 400.000 lagernde Titel: http://www. umbreit.de/unternehmen/wir-ueber-uns/barsortiment.html. Stand: 23.7.2015; Homepage KNV: rund 500 000 lagernde Titel: http://www.knv.de/_content/page_2057_de.htm. Stand: 23.7.2015; Homepage Libri: 800.000 lagernde Titel: http://home.libri.de/de/home.html. Stand: 23.7.2015; das VLB, Verzeichnis lieferbarer Bücher, gibt zwei Millionen lieferbare Titel mit Stand 23.7.2015 an: Homepage VLB: http://vlb.de/. Stand: 23.7.2015.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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werden müssen. Landet ein Buch schließlich in der Buchhandlung – vermittelt durch Vertreterinnen und Vertreter, die bezahlt werden müssen –, gibt es auch dort bis zu 90 Tage Zahlungsziel. Für Verlage bedeutet es, dass nach Akquise und Vorbereitung des Buchprojekts, Herstellung, Produktion und dem Bezahlen von Dienstleistungen auf dem Weg des Titels in den Handel Geld ausschließlich aus der Kasse genommen wird. Und auch wenn die Bücher verkauft werden, dauert es durch die langen Zahlungsziele noch, bis Geld zurückfließt. Im Falle eines Erfolges kann ein Verlag, der nicht über die ausreichende Liquidität verfügt, sogar in eine Notlage geraten: Eine Neuauflage bzw. ein Nachdruck, der wenige Wochen nach Erscheinen eines Buches erfolgen soll, muss zusätzlich von Geld finanziert werden, das vorgeschossen wird, weil der Rücklauf noch gar nicht im Verlag angekommen ist. Umgekehrt bedeutet das auch: Eine Verdopplung des Umsatzes innerhalb von einem Jahr kann einen Verlag aus genau demselben Grund in die Zahlungsunfähigkeit führen. In den meisten Fällen ist aber das Gegenteil der Fall: „Von Literatur zu leben halte ich für schwierig bis ausgeschlossen“,203 fasst ein Verleger knapp zusammen. Auf der anderen Seite verstehen sich alle in den Interviews befragten Verlegerinnen und Verleger als solche, die sich der Aufgabe nach wenigen Jahren schließlich hauptberuflich widmen und sich mit diesen Bedingungen auseinandersetzen müssen: „Die Gewinnspannen in der Kulturbranche sind einfach so unglaublich niedrig, dass man sehr schnell auch frustriert ist. [. . .] Ich meine, der Verlag war nicht als Job geplant. Und jetzt ist es aber unser Job.“204 Ein Kollege bemerkt: „Wir sind kein Hobbyverlag. Wir leben davon.“205

3.2.5.3 Typisierung von Verlagen und Unternehmensformen Ab wann die Tätigkeit des Verlegens ein längerfristiges Ziel verfolgt und zum Beruf geworden ist, lässt sich kaum ausmachen. Genauso schwierig verhält es sich mit der Typisierung von Verlagen. Sie weist stets logische Schwächen auf – spricht man über Verlagstypen, dann lassen sich Organisationsformen entwickeln, doch nicht für jeden Verlag gelingt die Zuordnung exakt.206 Gemeinsam ist allen Independent Verlagen in dieser Arbeit, dass sie weitestgehend von belletristischen Autorinnen und Autoren bzw. Lyrikerinnen und Lyrikern abhängig sind und dass sie ihre Produkte inhaltlich nur in beschränktem Umfang beeinflussen sowie in der Regel auch nicht selbst erstellen. Hier besteht bereits ein erster erheblicher

203 Interview A6, Absatz 181. 204 Interview A4, Absatz 163. 205 Interview B6, Absatz 92. 206 Vgl. Ammern, 2001, S. 25.

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Unterschied zu anderen Verlagen. Zum einen zu solchen, die ihre Bücher inhaltlich weitgehend oder sogar vollständig selbst erstellen.207 Als Beispiele lassen sich hier etwa die im Internetzeitalter verschwindenden Lexikon- und Wörterbuchverlage anführen. Genauso auch Selbst- oder Eigenverlage, wo Autorin bzw. Autor zugleich Verlegerin bzw. Verleger ist – und die sich häufig auch nicht als verlegerische Unternehmen am Markt positionieren, nicht zuletzt aufgrund eines zu kleinen Programms. Ein weiterer Unterschied besteht zu Verlagen, die im Prinzip nur die Plattform für Autorinnen und Autoren bieten, die auch finanziell den größten bzw. gesamten Teil der Herstellung tragen, weshalb diese Unternehmen auch treffend als „Druckkostenzuschussverlage“ bezeichnet werden. In der Branche selbst werden Letztere nicht als Verlage gewertet. Das liegt daran, dass es noch einen weiteren gewichtigen Unterschied gibt: Man lässt für Geld publizieren statt durch das verlegte Buch Geld zu bekommen.208 Mag das Prinzip im Bereich wissenschaftlicher Literatur aufgrund seiner oft immanenten Unkommerzialisierbarkeit teilweise seine Berechtigung haben, so ist solch ein Vorgehen im Bereich der Belletristik als unseriös einzustufen. Werke, die in Selbstkostenbzw. Druckkostenzuschussverlagen verlegt werden, sind nicht selten solche, die von eingeführten Verlagen nicht angenommen wurden. Autorinnen und Autoren werden von diesen Verlagen zumeist sogar in Kleinanzeigen angeworben – ein Vorgehen, das für seriös agierende Verlage nicht in Frage kommt, da dort vielmehr Qualitätsrisiko und Unwägbarkeiten der Terminplanung vom Unternehmen getragen werden. In erster Linie sind sie aber auch dadurch gekennzeichnet, dass sie jene Produkte, die sie also nur wenig beeinflussen, (vor)finanzieren. Differenziert werden kann weiter in Autorenverlage, in denen sich Autorinnen und Autoren gemeinschaftlich und zum Teil auch sehr professionell ohne Verlegerin oder Verleger organisieren und den Verlag lenken. Dem verwandt ist das Modell des Kollektivverlags, wo die Lenkung des Verlags nicht bei Autorinnen und Autoren oder bei einer Verlegerin bzw. einem Verleger liegt, sondern bei der Gesamtheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, unabhängig von deren Qualifikation, Funktion und Position.209 Gemein ist allen Verlagen, dass sie eine Vermittlerfunktion zwischen Autorinnen und Autoren und deren Leserinnen und Lesern erfüllen. Diese Funktion, die konkret den speziellen Beitrag von Verlagen ausmacht, ist in der Praxis sehr unterschiedlich organisiert – im Grunde können alle Aufgabenbereiche der

207 Vgl. Lucius, 2007, S. 85. 208 Vgl. Schönstedt, Eduard: Der Buchverlag. Geschichte, Aufbau, Wirtschaftsprinzipien. 2. Aufl., Stuttgart: Metzler, 1999, S. 62 f. 209 Vgl. ebd., S. 70.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Buchproduktion (von Lektorat über Herstellung und Marketing bis hin zu Vertrieb) ausgelagert und Verantwortung damit weitergegeben werden. Im Unterschied zu den genannten Verlagsformen ist also festzuhalten, dass Independent Verlage fremde belletristische Buchprojekte auswählen bzw. annehmen und auf eigenes Risiko finanzieren. Das gilt nicht nur für Independent Verlage – Verlage unterschiedlichster Größen und Rechtsformen tun dies. Gerade was die Typisierung von Verlagen betrifft, finden sich in der buchwissenschaftlichen Forschung sehr unterschiedliche und wenig trennscharfe Definitionen. In Bezug auf Independent Verlage sind selbst diese kaum vorhanden. Und wenn, dann werden – von kleinteiligen Dimensionen abgesehen, die sich auf Unternehmensgrößen von Independent Verlagen im Sinne weniger tätigen Personen (meist nur einer) beziehen, die alle Arbeitsschritte selbst verrichten – sehr unterschiedliche Aspekte genannt. Im Wörterbuch des Buches liest man nicht von Independent Verlagen, jedoch von Minipressen, unter denen „kleine Verlage, die z. T. aus Liebhaberei und weltanschaulicher Überzeugung betrieben werden“, verstanden werden, die „alternative Literatur“ publizieren.210 In Der Literaturbetrieb wird auch die finanzielle Unabhängigkeit zu einem „international agierenden Medienkonzern“211 von Independent Verlagen unterstrichen. Nach Richter sind unabhängige Verlage motiviert, „die Welt der Bücher nicht den Konzernen mit ihrer Marktmacht, der Orientierung an hohen Renditen und austauschbarer Stapelware“212 zu überlassen. Die Internet-Enzyklopädie Wikipedia beschreibt einen Independent-Verlag als „einen kleinen, meist jungen Verlag, der unabhängig von Konzernen ist. Der Begriff wurde ursprünglich für kleine Musiklabels verwendet und bezieht sich auf die ökonomische Ebene und auf eine Ästhetik, die das Streben der großen Verlage nach Massenerfolgen und Umsatzmaximierung ablehnt – es ist kein Imprint-Verlag.“213

3.2.5.4 Verschiedene Unternehmensformen von Independent Verlagen Auch in der Betrachtung der juristischen Unternehmensformen von Independent Verlagen zeigt sich keineswegs ein einheitliches Bild. Die Rechtsformen, die sich bei den einzelnen Verlagen finden, sind so verschieden wie diese 210 Hiller, Helmut/Stephan Füssel: Wörterbuch des Buches. 7., grundlegend überarb. Aufl., Frankfurt a. M.: Vittorio Klostermann, 2006, S. 222. 211 Richter, Steffen: Der Literaturbetrieb. Darmstadt: WBG, 2011, S. 82 f. 212 Ebd. S. 83 f. 213 N.N.: Independent-Verlag. In: wikipedia.org: https://de.wikipedia.org/wiki/IndependentVerlag. Stand: 1.7.2015.

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selbst.214 Je nach Größe, Risikofreudigkeit, Kapitalbedarf und -möglichkeiten haben deren Gründerinnen und Gründer sehr unterschiedliche Gesellschaftsformen gewählt: GbR, OG, AG, GmbH & Co. KG. Gerade im Zusammenhang mit dem Label „Independent“ ist dies besonders interessant, da die Wahl der Rechtsform fallweise auch die Implikationen von Kapitalgebern und damit deren Einflussnahme bedeuten kann. Bei einer AG trägt die Eigentümerin bzw. der Eigentümer zwar weniger Risiko, umso mehr können aber auch außenstehende Geldgeber (in diesem Fall die Aktionäre) auf die strategischen Entscheidungen Einfluss nehmen. Auch sind bestimmte Modalitäten an die Rechtsform geknüpft, wie die verpflichtende Veröffentlichung eines Jahresberichts. Im Falle der AG von Salis waren 100.000 Schweizer Franken nötig, um diese als solche eintragen zu lassen. Der größte Teil des Geldes kam von Geschäftspartnern. Eine GbR ist umgekehrt ein Einzelunternehmen, bei dem die Beteiligten auch persönlich, als Privatpersonen, mit vollem Risiko beteiligt sind. Voland & Quist startete in dieser Form, wurde aber später in eine OHG umgewandelt. mairisch und der Verbrecher Verlag haften als GbR mit ihrem privaten Vermögen, genauso wie Luftschacht – der Verlag ist als OG eingetragen, was eine unbeschränkte Haftung mit dem Privatvermögen nach österreichischem Recht bedeutet. In den genannten Fällen war es auch ausschließlich das Privatvermögen, das für das Verlagsprojekt verwendet wurde. Das Startkapital belief sich bei diesen Verlagen auf kleine Summen, die darauf abzielten, das erste Buchprojekt vorzufinanzieren. „Wir haben angefangen mit ein paar Hundert Euro“,215 beziffert ein Verleger die erste Investitionsrunde. Dieses Bild zeigt sich auch bei allen anderen Verlagen, die als GbR oder OG eingetragen sind: Das erste Projekt zu finanzieren erforderte keine großen Ausgaben. mairisch oder der Verbrecher Verlag genauso wie Luftschacht und Voland & Quist starteten ihre ersten Projekte mit dem Geld, das sich die Studenten angespart hatten. Bei der GbR Onkel & Onkel gab es Kapital von Familie, Freunden und Bekannten, die sich am Verlag von Beginn an als Geldgeber beteiligten. Der Verlag kookbooks konnte auf eine Erbschaft zurückgreifen – das Startkapital von 50.000 Euro hatte Daniela Seel nach dem Tod ihres Vaters geerbt. Damit

214 Für das folgende Kapitel stammen die Informationen zu den einzelnen Verlagen, falls nicht anders ausgewiesen, aus den Interviews mit den Independent-Verlegern bzw. der IndependentVerlegerin: Interview mit Wolfgang Farkas (Blumenbar) vom 21.5.2010; Interview mit Daniela Seel (kookbooks) vom 17.5.2010; Interview mit Stefan Buchberger (Luftschacht); Interview mit Daniel Beskos (mairisch) vom 8.10.2010; Interview mit Volker Oppmann (Onkel & Onkel) vom 3.5.2010; Interview mit André Gstettenhofer (Salis) vom 3.6.2010; Interview mit Jörg Sundermeier (Verbrecher Verlag) vom 10.5.2010; Interview mit Sebastian Wolter (Voland & Quist) vom 1.6.2010. 215 Interview A3, Absatz 71.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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lässt sich allerdings gerade mal das erste Jahr überbrücken. Denn wenn Kontinuität in das Geschäft mit dem Büchermachen kommen soll, wird es sehr schnell sehr kapitalintensiv, da es, wie obenstehend beschrieben, in hohem Grade aus Vorfinanzierung besteht und das Geld nur sehr langsam zurückfließt. Wenn es nicht bei dem Erstlingsprojekt bleibt, ist ein Finanzierungsmodell erforderlich, das ein längerfristiges Agieren ermöglicht und das Projekt zum Unternehmen werden lässt. 2007 stieg der Anwalt Peter Smeets als Minderheitsbeteiligter bei Blumenbar ein, der Verlag firmierte fortan als GmbH & Co. KG, die Verleger hafteten nicht mehr mit ihrem Privatvermögen. Ausbau des Programms und der Belegschaft markierten zunächst die positive Entwicklung dieser Veränderung. Das beschränkte Haftungsrisiko erwies sich jedoch nur bis zu einem gewissen Grad als Vorteil. Der Überlebenskampf war auch trotz Investor geblieben und hatte sich erschöpft, wie Wolfgang Farkas in einem Interview beschreibt, als Blumenbar 2012 an den Aufbau Verlag verkauft wird.216 Gerade gravierende Entscheidungen wie diese können nicht ohne Kapitaleigner getroffen werden.

3.2.5.5 Debatten über Geld und Unabhängigkeit In derselben Woche, als die Meldung über den Einstieg eines Investors bei Blumenbar publik wurde, machten in ähnlichen Zusammenhängen auch die Verlage Kein & Aber und Tropen Schlagzeilen. Bei Kein & Aber beteiligte sich der Schweizer Medienunternehmer und Ex-Sat.1-Chef Roger Schawinski.217 Im Fall von Tropen wurde der Verlag zur Imprint-Marke von Klett-Cotta – was für einen Independent Verlag das Ende bedeutet.218 Umgekehrt erhielten die Verleger, Tom Kraushaar und Michael Zöllner, jedoch auch Anteile von Klett-Cotta und stiegen dort als verlegerische Geschäftsführer ein – nahmen Tropen also vielmehr mit in ein neues Geschäftsumfeld. Betriebswirtschaftlich betrachtet, hat hier nichtsdestotrotz ein größeres Unternehmen ein kleines gekauft und das Management ausgetauscht. Im Kreis der Independent Verlage – etwa mit kleinem Stand auf der Buchmesse zwischen den anderen Verlagen oder auf der Party der jungen Verlage – erscheint Tropen nicht mehr. Blumenbar schon, sorgt da aber für Diskussionen.

216 Vgl. Frank, Birgit: Interview mit Blumenbar-Macher Wolfgang Farkas: „Irgendwann erschöpft sich der Kampf“. Radiobeitrag auf Bayern 2: http://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/ zuendfunk/interview-wolfgang-farkas100.html. Stand: 26.6.2012. 217 N.N.: Roger Schawinski beteiligt sich an Kein & Aber. In: boersenblatt.net vom 9.10.2007: http://www.boersenblatt.net/168954/. Stand: 24.7.2015. 218 Vgl. N.N.: Tropen Verleger übernehmen Geschäftsführung von Klett-Cotta. In boersenblatt. net vom 26.10.2007: http://www.boersenblatt.net/170913/. Stand: 10.7.2015.

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In der Presse liest man über den Einstieg von Investoren als dem „dritten Weg“.219 Im Vergleich zu einem Aufkauf durch einen Konzern wie Holtzbrinck oder Random House erlaube dieser professionelleres Arbeiten unter neuen Bedingungen. Zumal die programmatische Hoheit bei den Verlegerinnen und Verlegern bleibt, die auch nach wie vor als Geschäftsführer und Geschäftsführerinnen fungieren. „Aus unserem Kreis suchen inzwischen mehr oder weniger alle einen Investor“,220 wird Jörg Sundermeiers Reaktion auf diese Meldungen im Tagesspiegel zitiert. Doch Möglichkeiten, die für den einen Verlag in Frage kommen, sind für einen anderen ausgeschlossen: „Ich will doch ums Verrecken keinen Investor! Wenn ich was brauche, dann ist das ein Mäzen. Weil eben genau dieser Druck nicht das richtige Instrument ist und der Markt nicht das richtige Instrument, um Qualität zu erzeugen.“221 Pragmatisch fasst ein Kollege zusammen: „Sie müssen ja Geld generieren, irgendwo. Wenn Sie es selber nicht haben, müssen Sie gucken, wo es Menschen gibt, die mit Ihren Zielen einverstanden sind.“222 Bei Banken findet sich dieses Einverständnis in den seltensten Fällen. Während Unternehmen aus anderen Branchen dort um Kredite anfragen, um ihre Unternehmen zu lancieren, stellt sich die Situation für Verlage anders dar. Im Vergleich zu einer Investmentfinanzierung stehen Banken Projektfinanzierung aktuell wenig aufgeschlossen gegenüber – eine Finanzierung für die Entwicklung einer neuen Buchreihe zu erhalten ist vielfach schwieriger als für die Anschaffung einer neuen Maschine.223 In keinem der befragten Fälle wurde die Finanzierung des Verlages über die Bank abgewickelt, was zusätzlich mit Erwartungen an zu geringe Umsätze und Gewinne zusammenhängt. Finanzierungsschwierigkeiten und Kreditklemme bilden die Realität für viele kleine Verlage, die im Kontakt mit Banken zutage tritt: Das ist nicht nur ein Sisyphos-Werk, sondern das ist einfach unmöglich. Die gucken sich die Umsätze an, sagen, „In der Stahlindustrie wären Sie pleite“ – womit sie auch Recht haben. Dann sagen wir: „Wir sind aber nicht die Stahlindustrie.“ Dann sagen die: „Ja, eben.“ [. . .] Mir hat mal ein Banker ganz klar gesagt: Das Problem ist, dass wir das Papier bedrucken. Würden wir das Papier nicht bedrucken, hätte es einen wahren Wert für die Banken. Jetzt haben wir es aber bedruckt – damit haben wir es schmutzig gemacht und

219 Ukena, Silja: Achtung, frische Farbe! In: KulturSPIEGEL, 12/2007, S. 25. 220 Bartels, Gerrit: Wachsen oder sterben. Tropen, Blumenbar: Wie die unabhängigen Verlage ihre Zukunft gestalten. In: tagesspiegel.de vom 3.11.2007: http://www.tagesspiegel.de/kultur/ wachsen-oder-sterben/1085508.html. Stand: 24.7.2015. 221 Interview A2, Absatz 310. 222 Interview B7, Absatz 193. 223 Vgl. Interview B2, Absatz 187.

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dann können wir es nicht mehr verkaufen. [. . .] Deren Denken ist, dass unser Lager nichts wert ist, weil es natürlich auch keine vernünftigen Kalkulationen gibt, wie man das einschätzen soll.224

Das Geld von der Bank würde aber noch ein anderes Problem mit sich bringen, wie es ein Kollege beschreibt: Wenn ich jetzt zum Beispiel zu einer Bank gehe und mir da einen Kredit hole und die dann sagen „Ok, ich will jetzt aber jedes Vierteljahr die Zahlen sehen“, dann wählt man seine Titel schon ganz anders aus. Weil, dann überlegst du dir nicht mehr, was finde ich selber gut und was kriege ich, wenn ich die Arschbacken zusammenkneife und vielleicht dieses Jahr mal nicht in Urlaub fahre [. . .], weil ich es selber gut finde. Sondern: Was muss ich tun, weil ich meine Bankkredite zurückzahlen muss. Oder wenn ich als Sublabel bei einem großen Verlag fungiere. Auch da müssen natürlich die Zahlen stimmen. Also, lässt man sich von den Zahlen regieren oder von den eigenen Ideen? [. . .] Als Independent-Verleger versucht man, sich von den eigenen Ideen regieren zu lassen. Und hat auf der anderen Seite immer auch noch den Blick auf den Taschenrechner oder die Excel-Tabelle und überlegt sich: „Ok. Verdammt! Wie kann es funktionieren?“225

Bei allen befragten Verlagen geht es darum, einen Weg zu finden, der es ermöglicht, die eigenen Ideen zu finanzieren. Ideeller Erfolg und wirtschaftliche Tragfähigkeit liegen in den meisten Fällen aber weit auseinander. „Natürlich braucht es Geld“, konstatiert der unabhängige Verleger Heinrich von Berenberg: „Sie müssen ökonomisch etwas Luft haben, damit Sie Entscheidungen frei treffen können, sonst ist der Druck zu groß. Ich habe das unverdiente Glück, etwas Geld zu haben, sonst hätte ich den Verlag nicht machen können.“226 Dieses „Glück“ bzw. auch die daraus resultierende Freiheit dieser Perspektive findet sich auch bei Bourdieu kommentiert: „Das (geerbte) Geld sichert immer noch am besten die Freiheit vom Geld.“227 Da dieser Umstand jedoch die Ausnahme und nicht die Regel beschreibt, sind Verlage, die dieses Glück nicht haben, zu Alternativen gezwungen, wollen sie im Programm keine Konzessionen machen. Denn wenn Fragen und Meinungen über das Wie der Finanzierung auch in viele Richtungen reichen, so besteht in allen Fällen das zentrale Interesse vielmehr darin, als Programmverantwortliche unabhängig zu agieren und das Programm aus freien

224 Interview A5, Absatz 55. 225 Interview A6, Absatz 187. 226 Heinrich von Berenberg, zitiert in: Gmünder, Stefan: „Wir wollen kein großes Wachstum“. In: derstandard.at vom 21.6.2012: http://derstandard.at/1339638603026/Verlagsportraet-Wirwollen-kein-grosses-Wachstum. Stand: 12.7.2015. 227 Bourdieu, 1999, S. 138.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Stücken zu gestalten. Dabei ist relativ gleichgültig „ob Sie nun Ihr Privatvermögen plündern oder jemand anders sein Vermögen plündern – es ist ja trotzdem erst mal eine Unabhängigkeit“,228 wie ein Verleger lakonisch meint. Auch die Kurt-Wolff-Stiftung sieht in der Herkunft des Geldes weitaus weniger Relevanz, womöglich, weil ohnehin relativ kleine Summen bewegt werden. Als Orientierung wird dort deshalb die Umsatzgröße herangezogen. Um bei der Kurt-WolffStiftung definitorisch als Independent Verlag zu gelten, muss der Jahresumsatz unter der Grenze von fünf Millionen Euro liegen. Von den befragten Verlagen gelangt zwar keiner annähernd in die Nähe dieser Grenze, einverstanden ist man auch mit diesem Maßstab jedoch nur zum Teil. Wie auch bei den Firmenformen ist es schwer, daraus etwas abzuleiten, um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen: Warum soll ich, wenn ich 5,1 Millionen Umsatz im Jahr mache – was ja nichts über den Gewinn aussagt –, nicht mehr unter das Label „Independent“ fallen? Das finde ich vom Denken einfach falsch. [. . .] Es zeugt vor allem auch, in meinen Augen, von überholtem Denken, nämlich: Independent bedeutet, dass man kommerziell letztlich nicht wirklich erfolgreich ist. Und das sehe ich anders. Ich finde, es ist natürlich das Ziel eines Independent Verlags, kommerziell erfolgreich zu sein.229

Tatsächlich bewegen sich Independent Verlage in ihren Umsätzen weit unter dieser Marke – in der kleinsten vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels erfassten Kategorie bis zu 250.000 Euro Jahresumsatz. Die meisten für diese Arbeit untersuchten Verlage liegen bei 100.000 Euro, ein Verlag erreicht die 250.000-Euro-Marke.230 Von Umsatzgrößen abgesehen, besteht zu Konzernen ein wesentlicher Unterschied darin, dass keine Gewinne abgeliefert werden müssen – auch nicht, wenn es Kapitalgeber gibt. Das Geld, das eingenommen wird, bleibt im Verlag. Die Verlage werden offensichtlich nicht nach dem Prinzip der Gewinnmaximierung geführt. Die Haltung, die dahintersteht, beschreibt ein Verleger so: Jedes Buch ist seine eigene Kalkulationsgrundlage. Und man kann nicht mit einer Kalkulationsgrundlage auf Kunst zugehen. Sondern man muss mit Kunst auch eine Kalkulation erstellen. Und das ist eine Haltung, die wir haben. Und die es eben auch erlaubt, dass wir einiges machen. Dass wir eben durchaus Bücher machen, wo wir schon im Vorhinein wissen, wir werden nicht genug verkaufen, um die Unkosten decken zu können. Aber das halten wir jetzt aus, weil das nächste Buch das mitträgt.231

228 Interview A5, Absatz 373. 229 Interview A1, Absatz 39. 230 Vgl. Interview A1–A8. 231 Interview A5, Absatz 196.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Querfinanzierung ist eine Strategie, auf die alle Verlegerinnen und Verleger setzen, um Ideen, die sie gut finden, zu verwirklichen. Eine generelle Alternative bietet diese jedoch auch nicht. Hier ist man vielmehr auf weitere Möglichkeiten angewiesen. Die Diskussionen über Förderungen verlaufen ähnlich polarisierend wie jene über Investoren. Auch sind die Möglichkeiten in Deutschland, Österreich und der Schweiz sehr unterschiedlich. In Österreich gibt es eine staatliche Verlagsförderung, die gestaffelt ist und damit auch vielfach zu einer Wettbewerbsverzerrung beiträgt, auch was die Konkurrenz um Förderansuchen betrifft.232 In der Schweiz gibt es Verlagsprämien, die Druckkostenbeiträge an Publikationen von Schweizer Autorinnen und Autoren gewähren bzw. die an Bedingungen wie die Übersetzung von Schweizer Autorinnen und Autoren gekoppelt sind.233 In Deutschland fördert der Staat weder Verlage noch Autorinnen oder Autoren direkt. 2009 forderte Stefan Weidle, Verleger mit gleichnamigem Verlag und damaliger Vorstand der Kurt-Wolff-Stiftung, eine öffentliche Förderung nach französischem Vorbild: Mittels staatlichen Förderprogramms und steuerlicher Vergünstigungen werden in Frankreich Sortimente unterstützt, die nach einem Auswahlverfahren „unabhängigen Qualitätsbuchhandlungen“ (LiR – Librairie indépendante de référence) gewährt werden, die sich per Antrag bewerben können.234 Die Kriterien hierfür sind Unabhängigkeit und Personalausgaben, die mehr als 12,5 Prozent des Buchumsatzes betragen müssen und als Nachweis für Beratungsqualität gewertet werden. Weidles Idee ging darüber hinaus und wollte, analog zur Förderung des Programmkinos, vielmehr eine Art Prämiensystem für den Buchhandel entwickeln, unter Maßgabe bestimmter Kriterien: Etwa dass die Buchhandlungen noch Einzelbestellungen für Kundinnen und Kunden machen und das Verzeichnis lieferbarer Bücher (VLB) benutzen. Das Förderprogramm zielte also in erster Linie auf den unabhängigen Buchhandel ab, der hier, ganz im Gegensatz zu den Filialisten, als stärkster Verbündeter unabhängiger Verlage gilt. „Wenn die zehntletzte unabhängige Buchhandlung schließt, stirbt der letzte unabhängige Verlag“,235 folgerte Weidle. Der Vorschlag wurde auch den entsprechenden

232 Homepage Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur: Verlagsförderung: http://www.kunstkultur.bka.gv.at/site/cob__60289/currentpage__0/8048/default.aspx. Stand: 13.7.2015. 233 Homepage Pro Helvetia – die Stiftung: Literatur und Gesellschaft: http://www.prohelvetia. ch/Literatur-und-Gesellschaft.2543.0.html. Stand: 13.7.2015. 234 Homepage LiR – Librairie indépendante de référence: http://www.centrenationaldulivre.fr/ fr/libraire/lr_un_label_de_reference/presentation/. Stand: 24.7.2015. 235 Stefan Weidle, zitiert in: Weise, Tamara: Independents: Geld vom Staat? In: boersenblatt. net vom 26.11.2009: http://www.boersenblatt.net/348635/. Download 24.7.2015.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Kulturausschüssen vorgelegt, allerdings vorerst abgelehnt, mit der Argumentation, dass das Buch auf vielfältige Weise gefördert würde, etwa durch die Buchpreisbindung oder den ermäßigten Mehrwertsteuersatz, auch mit finanziellen Hilfen für Übersetzungen oder Organisationen wie die Kurt-Wolff-Stiftung. Auch den Vergleich mit den Programmkinos wollte man nicht gelten lassen, handle es sich doch um Filme, die sonst nicht zu sehen wären, während das gesamte Sortiment des Buchhandels jederzeit bei allen Händlern erhältlich sei – so jedenfalls zunächst die Argumente der zum Zeitpunkt amtierenden KulturausschussVorsitzenden des Bundestages Monika Grütters.236 Auch von Kolleginnen und Kollegen erntete der Vorschlag Kritik. Der Ruf nach dem Staat käme einem Verzicht auf die eigene Verantwortung gleich, als wolle man unter dem „Schutzmantel des Kulturgutes“ einen Existenzschutz für den Verlag insgesamt einfordern – literarischer Geschmack solle aber nicht eine Zwangsabgabe für alle sein. Vielmehr solle freiwillig dafür bezahlt werden.237 Dennoch: Der Vorschlag wurde einige Jahre später wieder aufgegriffen und ging im großen Format, diesmal mit der Unterstützung von Monika Grütters als Staatsministerin für Kultur und Medien, als Deutscher Buchhandlungspreis 2015 erstmals über die Bühne. Ausgezeichnet werden mit dem Preis kleine inhabergeführte Buchhandlungen mit Sitz in Deutschland, „die ein literarisches Sortiment oder ein kulturelles Veranstaltungsprogramm anbieten, die innovative Geschäftsmodelle verfolgen oder sich im Bereich der Lese- und Literaturförderung engagieren“.238 Dafür wurden Gütesiegel in drei Kategorien geschaffen, die mit je 7.000 Euro, 15.000 Euro und 25.000 Euro mehrmals vergeben werden – mit einer Gesamtsumme von knapp einer Million Euro. Partner des Preises sind der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die Kurt-Wolff-Stiftung, deren Lobbyarbeit damit einen vollen Erfolg verbuchen konnte.

3.2.5.6 Finanzierungsalternativen Beziehen sich Definitionsversuche von Independent Verlagen häufig auf die Abgrenzung zu einer Ausrichtung auf Massenerfolg und Gewinnmaximierung, so bedeutet es in der Praxis der Verlage keineswegs ein Handeln abseits ökonomischer Abhängigkeit. Zugeständnisse müssen von allen gemacht werden, und so verlangt es im Verlagsalltag nach Findigkeit und Kreativität im Umgang mit und 236 Weise, Tamara: Im Namen des Volkes. In: Börsenblatt, 48/2009, S. 16 ff. 237 Vgl. u.a. N.N.: Umfrage: Muss der Staat helfen? In: boersenblatt.net vom 26.11.2009: http:// www.boersenblatt.net/348552/. Stand: 24.7.2015. 238 Homepage Deutscher Buchhandlungspreis: http://www.deutscher-buchhandlungspreis. de. Stand: 13.8.2015.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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der Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten. Verlage, die etwa wissenschaftliche Texte publizieren, können noch eher auf Stiftungen und Akademien zurückgreifen, im Bereich der Belletristik ist man jedoch vielfach auf innovativere Konzepte angewiesen: Was anderes bleibt dir ja nicht übrig. [. . .] Gerade wenn man sieht, was das für ein Aufwand ist, tatsächlich ein Buch zu produzieren: von der ersten Idee über das Lektorat, über die Grafik, den Druck und die Distribution. Da entsteht relativ schnell ein riesiger Kostenblock, und man muss ja selber auch noch von irgendwas leben. Und die Einnahmen kommen ja erst dann wieder zurück, wenn die Bücher tatsächlich verkauft werden. Das heißt, die finanzieren sich in der Regel nicht in den ersten Wochen oder Monaten. Sondern die meisten Bücher brauchen zwei, drei Jahre, bis die Kosten wieder drin sind. Und die Zeit muss man irgendwie überbrücken. Das heißt, wer nicht reich geboren ist und sagt „Ich hab hier eine halbe Million und kann einfach mal warten, bis es wieder zurückkommt“, der ist einfach zwangsläufig darauf angewiesen, irgendwelche kreativen Finanzierungskonzepte zu finden. Sei es jetzt über Mischkalkulationen, Buchpatenschaften, Blumenbar-Buchclub-Mitgliedschaften oder Kunst braucht Mäzene.239

Mischkalkulationen sind, wie bereits erwähnt, da möglich, wo es Titel gibt, die so verkaufsstark sind, dass sie weniger gängige Titel mittragen. Eine tragfähige Alternative bietet die unwägbare Strategie jedoch nicht. Wenn diese kommerziellen Standbeine fehlen bzw. nicht ausreichend Geld einbringen, sind Lösungen gefragt, die Geld von außen bringen. Das Finanzierungskonzept von Onkel & Onkel setzte in den ersten Jahren neben der Mischkalkulation – vor allem Geschenk- bzw. Sachbücher tragen den Verlag und belletristische Titel mit – auf ein „Patenprogramm“, das die Analogie, die sich bereits in der Namensgebung findet, fortsetzt. Das Konzept der Buchpatenschaften forderte Interessierte auf, für einzelne Projekte Geld zu spenden, auch kann durch eine kontinuierliche finanzielle Förderung die Arbeit des Verlages unterstützt werden.240 Bei Buchprojekten, wo von Beginn an klar ist, dass keine kommerziellen Erfolge zu erwarten sind, selbst wenn es gut läuft, wurden gezielt Sponsoren oder Festabnehmer vorab gesucht. Blumenbar finanzierte das erste Buchprojekt im Rückgriff auf die Community, aus der der Verlag entstand und auch das erste Buch kam: Eine Art Clubbeitrag wurde von den Gästen der beiden Verlagsgründer, die in ihrer WG regelmäßig Partys veranstalteten, zum Startkapital für FX Karls Debütroman Memomat. Ein einmaliger Beitrag ab 50 Euro konnte dafür in den Förderclub der Blumenbar

239 Interview A6, Absatz 129–137. 240 N.N.: Neugründung: Onkel & Onkel mit erster Verlagsvorschau. In: boersenblatt.net vom 16.1.2008: https://www.boersenblatt.net/artikel-neugruendung.178354.html. Stand: 18.7.2015.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

eingezahlt werden.241 Über 300 Mitglieder ermöglichten so die Produktion des ersten Titels. Im Gegenzug erhielten die Förderer ein signiertes, nummeriertes und speziell verpacktes Exemplar des Verlagserstlings und einen nummerierten Schlüsselanhänger mit dem Verlagslogo, der Vergünstigungen für alle Veranstaltungen verspricht. Kunst braucht Mäzene wurde von Daniela Seel ins Leben gerufen, als im Jahr 2008 eine wirtschaftliche Notsituation entstanden war. Acht Bücher waren in diesem Jahr bei kookbooks erschienen – mehr, als der Verlag verkraften konnte. Die Schulden, die sich bei der Druckerei angehäuft hatten, beliefen sich auf 80.000 Euro. Im engeren Kreis des Netzwerkes KOOK, aus dem kookbooks entstanden war, beratschlagte man und entwickelte gemeinsam die Idee, eine Initiative zu starten, die im Rückgriff auf diesen Kreis als Plattform einerseits und als Geber von einer Reihe von Sammlerobjekten andererseits in die Finanzierungskampagne Kunst braucht Mäzene und eine große Gala im März 2009 in den Berliner Sophiensälen mündete. Dort wurden Autografen, Buchobjekte, Zeichnungen, Fotografien und Sonderdrucke übergeben, die vorab in einer virtuellen Galerie versteigert worden waren.242 Die Aktion brachte mehrere Tausend Euro ein. Nicht zuletzt wollte sie aber auch auf das strukturelle Ungleichgewicht in der Buchlandschaft aufmerksam machen, in der kleine Verlage mit ihren Titeln kaum sichtbar sind. Zumal ist, in den Augen der Verlegerin, die Arbeit der Verlage auch eine gemeinnützige, die demnach vielmehr auf Mäzene angewiesen ist – im Unterschied zu Geldgebern, die etwas für ihr Geld zurückhaben wollen. Tatsächlich kann ein Verlegen ohne Mäzen, gerade im schwierigen Segment Lyrik, das Ende bedeuten. Der preisgekrönte Verlag Urs Engeler Editor stellte 2010 die Produktion ein, nachdem der Mäzen, der die Arbeit jahrzehntelang unterstützt hatte, die finanzielle Zuwendung beendete: Das, was ich auf dem Markt erwirtschaften konnte, entspricht exakt dem, was ich aufwenden musste, um diesen Markt zu erreichen. Ein Nullsummenspiel. [.  .  .] Wenn der Buchhändler ein zweites Exemplar bestellt hätte, hätte ich die Druckkosten bezahlen können. Bei einem weiteren hätte ich sogar einen Lohn für meine Arbeit gehabt. Das sind die Relationen, in denen ich gefangen bin.243

241 Vgl. Homepage Blumenbar (alte Seite): Verlagsgeschichte: http://blumenbar.de/ verlagsgeschichte.php. Stand: 4.10.2010. 242 Homepage Kunst braucht Mäzene: http://kunstbrauchtmaezene.blogspot.de/. Stand: 13.7.2015. 243 Urs Engeler, zitiert in: Kahlefendt, Nils: Interview. Urs Engeler über die literarische Produktivität in Zeiten der Wirtschaftskrise. In: boersenblatt.net vom 29.5.2009: http://www. boersenblatt.net/322365/. Stand: 1.7.2015.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Als sich der Verlag Voland & Quist 2014 aufgrund des Titels Die schönsten Wanderwege der Wanderhure in einem Rechtsstreit wiederfand, wollte man die Entscheidung des Landesgerichts Düsseldorf so nicht hinnehmen. Dem Verlag wurde in einer einstweiligen Verfügung untersagt, das Buch weiterhin unter diesem Titel zu vertreiben, da die zum Holtzbrinck-Konzern gehörige Verlagsgruppe Droemer Knaur die Titelrechte seiner auch verfilmten Bestseller-Reihe Die Wanderhure verletzt sah. Beschieden wurde, dass das Eigentumsgrundrecht von Droemer Knaur höher zu bewerten sei als das Recht auf Kunstfreiheit, im Fall von Voland & Quist: Satirefreiheit.244 Im Independent Verlag wollte man diese Freiheit nicht eingeschränkt sehen, zumal dies bedeute, dass es nicht erlaubt sei, kommerziellen Erfolg in Buchtiteln zu parodieren – was auch der klar kommunizierte Hintergrund von Julius Fischers Textsammlung ist. Die mit der Berufung verbundenen Kosten konnte Voland & Quist allerdings nicht alleine aufbringen. Die Kosten, die der Verlag zu tragen hatte, beliefen sich bereits auf 10.000 Euro und man rechnete damit, dass noch einmal 12.500 Euro benötigt werden würden. Bestärkt durch Unterstützungsbekundungen seitens Kolleginnen und Kollegen in der Branche sowie befreundeter Autorinnen und Autoren und Leserinnen und Leser, initiierten die Verleger Leif Greinus und Sebastian Wolter eine Crowdfunding-Kampagne auf der Plattform Startnext: Mit Urteil vom 27.03.2014 hat uns das LG Düsseldorf verboten, den Titel „Die schönsten Wanderwege der Wanderhure“ für einen satirischen Kurzgeschichtenband von Julius Fischer zu verwenden. Das Gericht hat sich damit gegen die Kunstfreiheit und für die Eigentumsinteressen des „Wanderhuren“-Verlags Droemer Knaur entschieden. Gegen dieses Satireverbot wollen wir in die Berufung gehen, denn kommerzieller Erfolg muss parodierbar bleiben.245

Binnen weniger Wochen sammelte der Verlag über die Plattform 14.700 Euro. Das Geld kam zusammen, indem man dort unterschiedliche Dinge wie signierte oder vergriffene Bücher verkaufte, Dauerkarten für Lesebühnen oder etwa auch Wanderungen mit dem Autor in der Sächsischen Schweiz oder ein Abendessen mit dem Verlagsteam gegen Geld anbot. Der volle Einsatz mit vereinten Kräften machte sich bezahlt: In zweiter Instanz gab man der Auffassung von Voland & Quist Recht. Da der Titel in seiner 244 N.N.: Rechtsposse um Buchtitel: Die Wanderwege der Wanderhure enden vor Gericht. In: Spiegel Online vom 24.2.2014: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/droemer-knaur-gehtgegen-die-schoensten-wanderwege-der-wanderhure-vor-a-955332.html. Stand: 19.7.2015. 245 Homepage Startnext: Wanderhurenstreit: https://www.startnext.com/wanderhurenstreit. Stand: 19.7.2015.

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satirisch-ironischen Formulierung „eine Kombination des heutigen Vergnügens an ‚schönen Wanderwegen‘ mit einer mittelalterlichen ‚Wanderhure‘ schaffe, sei er bereits selbst ‚Kunst‘“, argumentierte das Oberlandesgericht und kippte damit das erstinstanzliche Urteil.246

3.2.5.7 Das Dilemma des Feldes: Dualistische Strukturen Mit einem programmatischen Ansatz in Strukturen zu agieren, die nach streng ökonomischen Gesichtspunkten organisiert sind, entspricht der Realität aller Independent Verlage, und zugleich charakterisiert es auch das Feld des Buchmarktes, wo Kunst auf Kommerz trifft. Zwar wollen Instrumente wie die Buchpreisbindung der Besonderheit des Produktes Buch Rechnung tragen und die Logik der reinen Ökonomie für diesen besonderen Markt entschärfen bzw. in diesen eingreifen. Doch einmal mehr beschreibt auch dies die Dominanz des ökonomischen Kapitals, die eine bestimmende Dynamik am Markt bildet. Die Paradoxie besteht darin, dass die Voraussetzungen für literarische Güte geradewegs unter umgekehrten Vorzeichen angelegt sind. Das spezifische Interesse im literarischen Feld gilt, jedenfalls auf lange Sicht, der Akkumulation symbolischen Kapitals. Desinteresse am ökonomischen zugunsten des künstlerischen Werts literarischer Werke entspricht dem, was Verlagen und ihrem Programm hohes symbolisches Kapital einbringt.247 Das schließt finanziellen Erfolg zwar nicht aus, in jedem Fall aber eine Ausrichtung an diesem. Gemäß diesen beiden gegenläufigen Determinanten teilt Bourdieu das literarische Feld in ein Unterfeld der Großproduktion und ein Unterfeld der eingeschränkten Produktion ein. Im ersten werden die Positionen über den ökonomischen Erfolg bestimmt. Den Produkten entsprechen Bestseller bzw. Bücher in hohen Auflagen. Als Beispiele für Unternehmen gelten hier alle Mischkonzerne und ihre untergeordneten Verlagslabels wie Droemer Knaur, Goldmann und viele andere, die zu 70 Prozent das Sortiment in den Buchhandelsketten abbilden.248 Dieser hohe Prozentsatz ist einmal mehr Beleg für die Dominanz des ökonomischen Kapitals im Feld. Im Unterfeld der eingeschränkten Produktion geht es hingegen darum, Kunst anzuerkennen, die sich in den Texten spiegelt, ungeachtet ihrer ökonomischen Vermarktbarkeit. Während das erste Unterfeld heteronom

246 N.N.: Wege der Wanderhure genießen Kunstfreiheit. In: boersenblatt.net vom 5.8.2014: http://www.boersenblatt.net/809743/. Stand: 19.7.2015. 247 Vgl. Bourdieu, 1999, S. 134 ff. u. 227 ff. 248 Vgl. Kapitel 2.2.2.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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bestimmt ist, nach ökonomischen Parametern, ist das zweite autonom, nach literarischen Parametern, bestimmt.249 Zwar haben diese beiden Pole den Charme einer klaren oppositionellen Einteilung, bedürfen aber einer Modifizierung, da beide Pole nicht in ihrer Einseitigkeit bestehen. Die Big Player der Buchbranche leisten sich zumeist Unternehmensbereiche, die weniger oder gar keinen Gewinn erwirtschaften müssen und von den anderen quersubventioniert werden. Diese kulturellen Inseln sind wichtig für das Selbstverständnis dieser Unternehmen als Teil der Kulturwirtschaft.250

Für Independent Verlage stellt sich die Situation dieser dualistischen Struktur schwieriger dar. Denn die Konzessionen zum anderen Pol hin erfolgen aus existenziellerer Motivation. Das Dilemma besteht darin, dass das autonome, von literarischen Parametern bestimmte Feld in jenem situiert ist, welches von ökonomischen Parametern bestimmt ist. Das Interesse am Büchermachen im Sinne einer Entscheidungsfreiheit im Programm und dessen Positionierung am Markt bedeutet nämlich auch ein automatisches Agieren im Feld mit seiner dominanten Dynamik und damit auch ein Stützen seiner Legitimität. Eine Abgrenzung davon ist zwar auf der inhaltlichen Ebene möglich, geht aber auch mit Einbußen feldspezifischer Anerkennung einher. Auf der Ebene der Form rührt es an die Frage nach dem Bestehen im literarischen Feld überhaupt. Die Feldkräfte, die vom ökonomischen Pol ausgehen, bilden das Zentrum, das seine Anziehungskraft auch auf die Peripherie ausübt. Am Ende müssen sich auch Buchprojekte, die nicht nach ökonomischen Kriterien in das Programm aufgenommen werden, den Anforderungen des Marktes stellen, so sie dort mitspielen wollen. Und so sie dorthin gelangen, stehen die Bücher ungeachtet ihres Charakters, quasi chancengleich nach der Ideologie der freien Marktwirtschaft, neben allen anderen und verfolgen auch dasselbe Ziel. Wenn mit den Büchern, die man macht, kein Geld eingenommen wird, dann gibt es den Laden nicht. Das sind halt die Grenzen von Independents. Also es ist auch mal interessant, sich zu fragen, wie independent ein Verlag ist, der vielleicht auch gar keinen Investor hat und komplett frei in den Entscheidungen.251

Was hier ein Verleger beschreibt, bedeutet in der Konsequenz, dass auch Autonomiebestrebungen an die geltenden Regeln des Feldes gebunden sind. Diese Autonomiebestrebungen zielen auf eine Eigenständigkeit ab, die der belgische 249 Vgl. Bourdieu, 1999, 193 ff. 250 Zimmermann, 2006, S. 30. 251 Interview A1, Absatz 191.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Forscher Paul Aron treffend als „indépendance“ bezeichnet.252 Und diese Eigenständigkeit bedeutet für alle der hier beschriebenen Verlage die freie interessengeleitete Entscheidung über das Programm und Arbeitsweisen, die relativ unabhängig sind von Strukturen, wenngleich sie innerhalb dieser agieren. Einer gemeinsamen Haltung dieser Verlegerinnen und Verleger, die Geld nicht verneinen kann, die Ideen für Bücher und Projekte aber nicht von diesem bestimmen lassen will, liegt zugrunde, dass sie vielmehr bemüht ist, Möglichkeiten auszuloten, da die Frage nach dem einen richtigen Weg dorthin letztlich nur zu ihren Grenzen führen kann. Dass die Suche nach Formen und Möglichkeiten von Finanzierung dabei in unterschiedliche Richtungen gehen, ist nur folgerichtig, da sie alle Versuche darstellen, die dominante Dynamik des ökonomischen Kapitals anzuerkennen, ohne deren Maßstäbe auf die Buchprojekte anzulegen. Bemüht man das Bild einer Welle, so geht es darum, zu versuchen, auf dieser Dynamik zu surfen – und auch im Auge zu behalten, nicht von ihr fortgespült zu werden. Zwei so konträr wirkende Ansätze wie der Ruf nach Förderung und die Suche nach einem Investor sind sich demnach ähnlicher, als es auf den ersten Blick erscheint: Sie sind gleich motiviert, insofern damit versucht wird, ein Programm frei von den Gesetzmäßigkeiten des Marktes zu machen, es später aber auf diesem Markt anzubieten und später eben auch mit seinen Gesetzmäßigkeiten konfrontiert zu sein. Der Totalität wird Pluralität entgegengesetzt, deren Voraussetzung sie auch bildet: „Bei der Ausbildung der Teilfelder an der Peripherie greifen diese also (zwangsläufig) auf inhaltlich heteronome Elemente zurück, um die eigene Autonomie zu erringen.“253 Alternativen im Rahmen der Möglichkeiten zu suchen richtet den Blick auch auf die Zusammensetzung des Kapitals, über das Independent Verlage verfügen. Bei allen befragten Independent Verlagen zeigt sich ein vergleichsweise verschwindend niedriges ökonomisches Kapital, um nicht zu sagen: Kapitalmangel, da bei allen Verlegerinnen und Verlegern nicht zuletzt auch die Bereitschaft vorliegt, geringen bis keinen Lohn für die verlegerische Tätigkeit zu erhalten. Was in den vorangegangenen Kapiteln bereits deutlich geworden ist, zeigt umgekehrt, dass eine starke Verankerung und Prägung der Verlage durch soziale Verbindungen besteht. In allen Fällen erlauben diese Verbindungen, ökonomischen Kapitalmangel zu kompensieren. Ein Verleger beschreibt, wie dies in typischer Weise erfolgt: Das Netzwerk ist das A & O. Wir können als Verlag nur deshalb funktionieren, weil es auch viele Leute gibt, mit denen man persönlich befreundet ist, die die Idee gut finden – und

252 Vgl. Einfalt, 2005, S. 262. 253 Einfalt, 2006, S. 188.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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die dann immer wieder mithelfen. Gerade wenn ich mir jetzt die Grafik anschaue oder den Satz der Bücher, da arbeite ich vor allem mit einem zusammen, inzwischen ein sehr guter Freund. Und viele Sachen laufen auf Freundschaftsebene. Weil, wenn ich damit ein gestandenes Grafikbüro beauftragen würde und die Druckkosten rechnen würde, dann bräuchte ich das Buch gar nicht erst zu machen. Also insofern läuft dann vieles auch auf der Basis: „Du gibst mir die Grafik, ich helfe dir bei dem Auftrag mit den Texten und andersrum.“ Oder dass man [.  .  .] Leuten, die entweder noch im Studium sind oder die gerade fertig werden und erste Projekte suchen, an denen sie sich beweisen, dann die Möglichkeit gibt, das gemeinsam umzusetzen.254

Was hier beschrieben wird, zeigt, wie soziales Kapital mobilisiert werden kann bzw. erlaubt, einen Mangel an ökonomischem Kapital zu kompensieren. Es ist eine Praxis, die für kleine Unternehmen typisch ist, vor allem insofern diese über die hier beschriebenen offenen Strukturen verfügen. Das funktioniert auch in der Beziehung zu Autorinnen und Autoren: „Wir zahlen auch Vorschüsse. Ja. Aber die sind natürlich nicht so hoch wie bei den großen Verlagen. Und ich glaube, wir kompensieren das meistens ganz gut.“255 Vorab beschriebene Beispiele, wie jene vom Blumenbar-Club, Buchpatenschaften, Kunst braucht Mäzene oder Voland & Quists Crowdfunding-Kampagne im „Wanderhurenstreit“, sind darüber hinaus Belege dafür, wie ein Geflecht aus Beziehungen fehlendes ökonomisches Kapital nicht nur zu kompensieren, sondern sogar aufzubringen vermag und nicht zuletzt auch medienwirksam Aufmerksamkeit schaffen kann. Wenn soziales Kapital als eine zentrale Komponente für Independent Verlage den Mangel an ökonomischem Kapital auszugleichen vermag, gelingt das deshalb, weil die Netzwerke eben nicht aus reinem Kalkül bestehen. Man baut auf Leute, die einen gut finden. Man mag vielleicht keinen Bankforderungen gerecht werden, aber dem, was die Gruppe verbindet. Weil die Verlage aus diesen gewachsen sind, ist es letztlich auch wieder möglich, der eigenen Vision zu folgen. Die wichtige Thematik der Unabhängigkeit, welche so stark mit der Frage der Finanzierung gekoppelt ist, die bei genauem Blick aber zeigt, wie unterschiedlich diese aussehen können, lenkt sich also viel mehr auf das soziale Kapital der Beziehungsgeflechte als auf Gesellschafts- oder Finanzierungsformen, da die Organisation des Kapitals indirekt erfolgt – durch Tauschgeschäfte, Kompensation, Arbeitsabläufe oder in direkter Mobilisierung. Das geschieht nicht zuletzt aus vorgegebenen Strukturen, die sich auch so weit verändert haben, weil sich Möglichkeiten dahin verschoben haben. 254 Interview A6, Absatz 91–93. 255 Interview A4, Absatz 47.

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Im  Vergleich zur Verlegergeneration zuvor ging diese Verschiebung einher mit freierem und professionellerem Arbeiten und anderer finanzieller Situiertheit: Diese alte Generation von Verlegern hatte noch die Möglichkeit, sich ihr eigenes Stammkapital zu erwirtschaften. Das ist heute nicht mehr möglich. Punkt. Aus. Geht nicht. Da kann ein Wunder passieren – es ist bei keinem solcher Verlage ein Wunder passiert. Da die Messlatte anzusetzen und das zu vergleichen wäre falsch. Heutzutage kriegt man ja nicht mal einen 10.000-Euro-Kredit, ohne sich privat haftbar zu machen. Wir haben hochwirtschaftlich gearbeitet, trotzdem waren wir für die Bank irgendwie völlig irrelevant. Die haben uns privat auf unser Dispo-Konto mehr Kredit gegeben, als sie jemals für den Verlag rausgerückt hätten. Ich halte es heutzutage nicht für möglich, als einer dieser Verlage so wie früher Kapital zu erwirtschaften. Wenn man sich das nicht bewusst macht, dann kann man nicht überleben.256

Junge Independent-Verlage sind sich dessen bewusst, wie der Rückgriff auf soziales Kapital zeigt. Die Suche nach und das Leben von Alternativen ist in der sich verändernden Struktur angelegt. Auch veränderte Zahlungsbereitschaft, wie sie sich im Musikgeschäft schon länger abzeichnet, begleitet Veränderungen am Feld  – Bezahlung verschiebt sich dort zunehmend in den Bereich der Freiwilligkeit zugunsten anderer Formen der Wertschöpfung wie Rechteverwertung und einer Verlagerung auf Netzwerke.257 Diese bedeuten vielfach: tauschen statt zahlen. Sie bieten aber auch neue Möglichkeiten. Die alternativen Herangehensweisen auf die Veränderungen in der Struktur entstehen zunächst aus Nöten heraus, zeichnen sich aber zunehmend als bestimmende Form ab: „The era of institution-building is over; the future is in networks. The era of project grantmaking is over; the future is in infrastructure.“258 In den Verlagen ist man sich dieser Veränderung bewusst und sieht sie zumeist positiv, wie dieser Verleger: Diese Entwicklung zu kleineren Einheiten, zu Netzwerken, Individualität usw.: das ist ja ein gesellschaftlicher Trend im Grunde, der auch in den Verlagen so abgebildet wird. Nicht mehr Massenprodukte und so, sondern kleinere Einheiten für bestimmte Bedürfnisse, was auch wieder ein Ding ist, das ja auch mit den Auflagen korrespondiert. Da bilden wir Trends ab.259

Die für den Habitus von Independent Verlagen konstituierende Symbolik liegt damit auch in der Findigkeit und dem Spiel mit den Formen, die das ökonomische 256 Interview B1, Absatz 55. 257 Vgl. u.a. Sänger, Julia: Die Renaissance der Musikindustrie. Das Geschäft mit digitalen Werten. Hamburg: Diplomica Verlag, 2013, S. 52–60. 258 Daly, Ann: Richard Florida’s High-class Glasses. In: Grantmakers in the Arts Reader. Vol. 15, 2/2004, S. 3. 259 Interview A8, Absatz 174.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Kapital zulässt. Die verschiedenen Weisen haben alle das Ziel, das eigene Programm zu lancieren – nicht: die eine, richtige Form dafür zu finden, sondern sich unabhängig davon zu machen, was gerade in Formenvielfalt ihren Ausdruck findet. Ökonomisches Kapital ist zwar die Leitwährung im Feld, und wer darüber verfügt, hat – ohne Zweifel – gewisse und große Vorteile. Sein Programm ist damit aber auch heteronom bestimmt und abhängig vom Kapital: Die Erfordernis, den gesamten Apparat zu finanzieren, der wenig Raum für andere Zugänge lässt, sondern vielmehr dazu verpflichtet, bildet auch Grundlage und Umfeld für die Bücher, die auf dieser Basis bzw. in großen Unternehmensgebilden entstehen. Der Handel mit Literatur bzw. Kunst kann demnach auch in diese Dynamik geraten, konstituiert sich aber niemals durch diese. Kurze und lange Produktzyklen verweisen auf die unterschiedlichen Grade. Bestimmend ist aber gerade ihre Unabhängigkeit davon. Die Pluralität im Umgang mit ökonomischem Kapital bedeutet nicht zuletzt auch seine Unterordnung – unter das künstlerische Interesse, das zuvorderst steht. Die Fragen der Gegenwart in literarischen Werken ungeachtet ihrer Kommerzialität zu formulieren und zu lancieren ist ein Ansatz, der von der anderen Seite ausgeht. Er steht im Gegensatz zu einer Orthodoxie, die die aktuelle Dominanz im literarischen Feld bedient – aufbauend auf symbolischem Kapital einer alten Epoche. Verlage mit Konzernstrukturen wie Fischer, Bertelsmann, Rowohlt etc. bauen auf diesem Fundament auf. Independent Verlage verfügen nicht über ein solches Fundament, aber über ein Potenzial, unter aktuellen Gegebenheiten ein neues Modell zu etablieren, das seine Kraft in seiner ausgewiesenen Authentizität hat. Authentizität wird vermittelt im individuellen Habitus und findet Niederschlag im Programm der Verlage. Dieses bildet den Ausbruch aus alten Strukturen genauso ab, wie es getragen ist von jenen, die derselben Generation angehören. Bücher von Independent Verlagen bedeuten alternative Produkte, Vielfalt, Pluralität und Häresie – die der aktuellen Gesetzmäßigkeit des Marktes entgegengesetzt wird.

3.2.6 Inhalte: Programm, Medien, Events Als kleinste am Markt teilnehmende Akteure und in der Belletristik allesamt in einem Programmbereich tätig, der darüber hinaus schwierig zu kalkulieren ist, besteht das Kunststück von Independent Verlagen darin, interessante Inhalte anzubieten, die umgekehrt aber geringer Investitionen ökonomischen Kapitals bedürfen. Aus der Perspektive von Rezipientinnen und Rezipienten bietet man darüber hinaus Inhalte an, die zwischen einer Vielzahl von Medienangeboten

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

stehen. Denn vielmehr ist es das gesamte Medienumfeld, das tagtäglich mit einer unendlichen Fülle an Inhalten aufwartet und in der das Buch Methusalem-gleich hervorsticht. Dass das Buch dabei an der Spitze der „harten“ Freizeitaktivitäten260 steht, die große Konzentration, Fokussierung und mentalen Aufwand bedeuten, stellt in der Medienwahl zudem eher ein hinderliches Kriterium dar. Für Rezipientinnen und Rezipienten besteht vor diesem Hintergrund die erforderliche Fertigkeit zunehmend darin, überflüssige Informationen instinktsicher abzuwehren. Die Fähigkeit zu sortieren wird angesichts der grenzenlosen Fülle an medialen Inhalten immer wichtiger. Nicht zuletzt entspricht dieser Fähigkeit aber auch die ursprüngliche programmatische Funktion von Verlagen. Diesen Entwicklungen gegenüberstehend, nimmt ein Verleger Ausblick auf die in Veränderung begriffene Situation, deren Fortgang auch und gerade auf inhaltlicher Ebene derzeit niemand abzuschätzen vermag: Ich glaube, da ist alles Mögliche vorstellbar. Ich glaube aber auch, dass deutlich wird, dass ein Verlag nicht alleine die Aufgabe hat – ob online oder analog –, Bücher herzustellen, sondern ein Verlag vor allem mehr noch die Bedeutung haben wird, ein wie auch immer geartetes reales Forum zu sein.261

3.2.6.1 Vom Forum zum Programm Wenngleich es an finanziellen Ressourcen in Independent Verlagen in der Regel mangelt – Mangel an Autorinnen und Autoren, die Texte publizieren möchten, gibt es bei keinem der befragten Verlage. Eine Fülle von unaufgeforderten Manuskripten, mehrere pro Woche, treffen bei jedem einzelnen der Verlage ein. Bücher entstehen daraus sehr selten, in den meisten Fällen gar nicht: „Das heißt, wir kriegen natürlich schon Manuskripte. Aber eigentlich rekrutiert sich das oft aus Sachen, die wir selber initiieren.“262 Ähnlich verhält es sich auch mit Agenturen. Nur selten finden angebotene Texte den Weg in das Programm von Independent Verlagen. Alle befragten Verlegerinnen und Verleger werden selbst aktiv, wenn es um die Akquise von Inhalten geht.263 Zum Buch führen verschiedene Wege: „Dann war da ein Freund von mir, der lange schon geschrieben hat, und ich dachte, der müsste veröffentlicht werden – war beim ersten Programm mit dabei.

260 Als „weiche“ Freizeitaktivität gilt umgekehrt etwa das Fernsehen, das dem Rezipienten wenig Aktivität abverlangt. 261 Interview A1, Absatz 165. 262 Interview A4, Absatz 17. 263 Vgl. Interview A1–A8.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Solche Sachen.“264 Eine typische Herangehensweise in der Akquise von Stoffen gibt es nicht, vielmehr ist typisch, was ein Verleger so beschreibt: Da gibt es kein Schema. Das hat sich im Laufe der Zeit so herausgebildet, über die Kontakte, die der Verlag hat. Klar gab es das auch, dass Autoren sich zu uns irgendwie hingezogen fühlten und Sachen angeboten haben. Oder: Dass uns Leute auffallen, die wir auch ansprechen. Aber allermeistens ist es, glaube ich, so – im deutschsprachigen Raum zumindest – dass es über Dritte passiert. Über wie auch immer geartete Empfehlungen oder so, Querverbindungen.265

Wenn in den vorangegangenen Kapiteln bereits an zahlreichen Stellen deutlich geworden ist, dass Independent Verlage in besonderem Maße über ein freundschaftlich-familiäres Netzwerk verfügen, das das Verlagsprojekt zu weiten Teilen mitträgt, so spielt dies in der Akquise von Inhalten einmal mehr eine bedeutende Rolle. Die Räume und die enge Verwobenheit mit dem Umfeld, wie sie in Kapitel 3.2.4 beschrieben wurden, prägen das Programm maßgeblich.266 Regelmäßige Treffen oder Lesungen, bei denen Zusammenkünfte mit unterschiedlichen Menschen immer wieder neue Kontakte ergeben, schaffen so auch einen Pool, aus dem immer wieder Neues kommt. Die Pflege und Verankerung in sozialen Beziehungen ist für viele Verlage auch insofern von zentraler Bedeutung, als dort Inhalte geschöpft werden: Man hat auf den Lesungen wieder andere Autoren, also wirklich über diese Lesungen sehr viele Leute kennengelernt. Und das ist auch so einer der Gründe, warum wir jetzt sehr viele gute und auch freundschaftliche Kontakte haben zu sehr, sehr vielen jungen deutschen Autoren.267

In allen Fällen ergibt sich auf solche Weisen relativ schnell ein fester Stamm an Autorinnen und Autoren, von denen in der Folge dann auch mehrere Bücher verlegt werden. Gerade der Kontakt mit Autorinnen und Autoren eröffnet immer wieder neue Kontakte, da diese wiederum als Multiplikatoren fungieren. Es kommen Vorschläge aus dem Umfeld, das so auch zum Pool für Inhalte wird. Man ist angewiesen auf das, was man dort entdeckt oder was einem zugetragen wird. Das wiederum gilt es zu filtern und daraus ein stimmiges, zum Verlag passendes und auch Erfolg versprechendes Programm zu bauen.268

264 Interview A7, Absatz 53. 265 Interview A1, Absatz 51. 266 Vgl. Kapitel 3.2.4. 267 Interview A4, Absatz 17. 268 Vgl. Interview A1, Absatz 63.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Indem die Veranstaltungen selbst lanciert werden, wird aktiv ein Forum angelegt, das Pool und Community gleichzeitig darstellt, in dem immer wieder Neues entsteht, entdeckt und gemeinsam kreiert wird. Wie zentral diese Veranstaltungen für die Verlage sind, zeigt sich in dem Umstand, dass in vielen Fällen, wie etwa Blumenbar, kookbooks, Luftschacht, mairisch oder Voland & Quist, diese den Beginn der verlegerischen Tätigkeit markieren – in allen Fällen ohne die Intention, dass es irgendwann zum Verlegen führt –, die dann aber auch fortgesetzt werden: Da wir die Veranstaltungen hatten, lag es dann irgendwie nahe, diese Autoren zu verlegen. Es kam halt da zusammen. [. . .] Und wo wir auch schon gesehen haben, was es nicht gibt. Das ist auch entscheidend. Das ist alles ziemlich organisch entstanden.269

Für die Programme bedeutet dieser nahe Kontakt mit unterschiedlichen Menschen ein schnelles Aufnehmen und Abbilden von gegenwärtigen Ideen, Zeitgeist, Authentizität und Aktualität der Stoffe. Das Entdecken von neuen Talenten und Stoffen ist dabei eine Folge, die nicht nur auf organische Weise erfolgt, sondern die auch von außen stark wahrgenommen wird: Ganz wichtig ist das Setzen von Themen, von Trends, und dass die [Independent Verlage] eben viel, viel früher spüren, was kommt: „Wo wird Information benötigt, wo müssen wir etwas zur Verfügung stellen, wo wandern die Interessen hin von Kunden? Welche Trends laufen an, was interessiert vielleicht in den nächsten ein, zwei Jahren? Wo geht es hin?“ Das können Kleinere. [. . .] Weil sie einfach flexibler sind, es sind weniger Leute. Sie haben keinen Riesen-Apparat, sondern sie können auf das, was rundherum, um sie passiert, sehr schnell und flexibel reagieren. Oder in vielen Fällen sind das auch eigene Bedürfnisse, eigene Ideen, die dahinterstecken, die so etwas vorantreiben. So als Beispiel kann man, glaube ich, diese Verlagslandschaft so nehmen, wie es in der Schifffahrt ist: Die großen Tanker, wenn die einmal fahren, dann fahren sie. Aber diese kleinen, flexiblen Boote, das sind dann eher die kleineren Verlage, und die können auf Wellen, auf allem, was kommt, viel, viel einfacher reiten. Und sie müssen ja auch. Weil sie gar keine andere Chance haben zu überleben, wenn sie nicht ständig was neu machen. Also ein größerer Verlag, ich will nicht sagen, dass der jetzt nichts neu machen muss, aber der hat in der Regel ein viel langfristiger angelegtes Programm und kann nur in wenigen Fällen etwas ändern und hat ansonsten schon das nächste Jahr, auch schon Teile des übernächsten Jahres geplant. Das ist in der Regel bei den kleineren Verlagen weniger der Fall.270

Die enge Verbindung zwischen Verleger und Verlegerin, dem Lebensumfeld und dem Programm wird in der „verlegerischen Handschrift“ deutlich. Dort wird

269 Interview A8, Absatz 247–251. 270 Interview C1, Absatz 72–76.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Haltung kommuniziert – das Programm ist die Äußerung eines Habitus. Das Profil erhält dadurch seine spezielle Ausprägung. Die starke Verbindung mit jungen Szenen und Menschen bedeutet, gerade in der Kombination mit kleinen Einheiten, ein Abbilden neuer Themen und neuer Gesichter, vor allem aber von dem, was die Verlegerinnen und Verleger selbst gerade umgibt, beschäftigt oder interessiert: Als wir anfingen, war es natürlich erst mal so, dass wir Bücher gemacht haben für Leute wie uns, weil wir auch gesagt haben, wir wollen natürlich Bücher machen, von denen wir denken, dass sie fehlen. Und wir machen sie, weil sie fehlen. Und weil wir solche Dinge haben wollen. Und wenn wir das Bedürfnis haben, dann wird es auch andere geben, denen es ähnlich geht und die dann unsere Sachen gut finden.271

3.2.6.2 Vom Programm zum Profil Die Inhalte, die sich aus dem eigenen Lebensumfeld schöpfen, entsprechen somit in hohem Grade der eigenen Herangehensweise und Situiertheit. Autorinnen und Autoren sind zum größten Teil im selben Alter, bewegen sich in denselben Räumen, beschäftigen sich mit ähnlichen Themen: „Die Autoren sind zwischen Mitte 20 und Ende 30. Das heißt, es sind natürlich vom Thema her schon so Sachen, die Leute in dem Alter beschäftigen.“272 Ein Kennzeichen aller in dieser Arbeit porträtierten Verlage ist der Programmschwerpunkt auf junge deutschsprachige Literatur. Hierin besteht auch ein wesentlicher Unterschied zu unabhängigen Verlagen, die sich früher gegründet haben. Verlage wie Wallstein, Aviva, Wagenbach, Weidle und viele andere mehr, die durchgängig auch zum Kreis kleiner unabhängiger Verlage gezählt werden können, haben Profile, die sich vielfach auf unterschiedliche Bereiche spezialisiert haben, Nischen gefunden haben und die in Abgrenzung zu den Programmen der hier untersuchten Verlage erkennen lassen, dass das Netzwerk, in das diese eingebunden sind, ein anderes ist. Zwar setzen auch Verlage, die länger auf dem Markt sind, auf das Besondere im Gegensatz zum Gängigen oder Erwartbaren, aber man erkennt, dass sich die Inhalte nicht aus dieser jungen Szene schöpfen. Arrivierte Autorinnen und Autoren finden sich kaum in den Programmen der jungen Independent Verlage; vielmehr besteht ein weiteres Kennzeichen der Programme darin, Debütantinnen und Debütanten zu verlegen. Diese sind auch eine logische Folge im Rahmen der Möglichkeiten, die sich neu eintretenden 271 Interview A2, Absatz 411. 272 Interview A4, Absatz 65.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

und zumeist finanzschwachen Marktteilnehmern eröffnen: „Welcher Verlag will einem schon einen Dichter wegschnappen, so mit dem ersten Buch?“273 Unbekannte Autorinnen und Autoren bedeuten für Verlage immer auch Risiko – man weiß nicht, wie die Texte ankommen, und gerade Erstlingstexte bergen noch ein anderes Risiko, das in der Rezeption so wahrgenommen werden kann: Ich glaube auch, dass man für ganz viele Titel sagen könnte, die sind noch nicht ganz fertig. Also, die hätte man entweder heftig lektorieren müssen oder da hätte der Autor mal noch zwei, drei Jahre älter werden müssen. Also so ein gewisser unreifer Faktor mag im Einzelfall da auch dabei sein. Klar, sobald dann die Reife da ist, ist halt auch der große Verlag vielleicht da.274

In der Tat bedeuten die Herangehensweise und der spezielle Filter von jungen Independent Verlagen häufig auch, als Trendscout zu fungieren. Im besten Falle resultiert daraus, dass ein großer Verlag eine Taschenbuchlizenz von einem Buch erwirbt, in vielen Fällen kann es aber auch das Abwerben von Autorinnen oder Autoren sein bzw. dass die Entscheidung für einen Verlag zugunsten des zahlungskräftigeren ausfällt: Es gibt schon viele Leute, die schreiben. Aber es gibt nicht so viele, die gut schreiben, und um die prügeln sich halt alle Verlage. [. . .] Es gibt öfter den Fall, dass wir einen Autor gerne machen wollen, und klar, wenn der bei einem großen Verlag einen Vertrag kriegt, der dann sagt: „Die Entscheidung ist jetzt gerade zwischen Geld und Engagement.“ Ja. Also, manchmal ist es mühsam.275

Das Engagement, das kleinere Verlage ihren Autorinnen und Autoren oftmals bieten, bedeutet in der Regel eine intensive Betreuung. Für beide Seiten bietet dies nicht zuletzt die Möglichkeit, gemeinsam zu wachsen, was Teil der Philosophie aller befragten Verlage ist. Alle verfügen so auch über Stammautorinnen und Stammautoren, die zeitaufwendig betreut und aufgebaut werden. Die gemeinsame intensive Arbeit am Text ist dabei nicht das Einzige: mairisch etwa unterstützt seine Autorinnen und Autoren auch bei der Suche nach Stipendien und organisiert eine Reihe von Veranstaltungen. Von der Abwicklung in größeren Verlagen ist dieses Vorgehen klar unterschieden: Autorinnen und Autoren in Independent Verlagen werden nicht in A-, B- und C-Kategorien eingeteilt. Um jeden Autor und jede Autorin, um jedes Buch kümmert man sich persönlich. Man kennt die Bücher, die man verlegt, sehr genau. Ein geringer

273 Interview A2, Absatz 58. 274 Interview C5, Absatz 225. 275 Interview A4, Absatz 43.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Programmumfang begünstigt diesen Umstand. Die befragten Verlage publizieren pro Saison vier bis höchstens zehn Bücher. Das erlaubt eine konzentrierte Auseinandersetzung mit den jeweiligen Titeln, die gleichwertig nebeneinanderstehen: „Es gibt bei uns [. . .] das Wort ‚Spitzentitel‘ nicht. Es gibt keinen Spitzentitel.“276 Vielmehr gilt: Es gibt bei uns die Einigung, wenn einem ein Buch nicht passt, ist es egal, ob es dem anderen passt. Und ob es, sozusagen, eine Prognose gibt, dass es 15.000 aus dem Stand verkauft. Wir machen das dann nicht.277

Dieses unbedingte Folgen eigener Haltungen, Affinitäten sowie die Homogenität zwischen Verlegerin und Verleger und deren Autorenschaft ist nicht zuletzt etwas, das auch von außen deutlich wahrgenommen wird, gerade in den Inhalten und im Unterschied zu größeren Verlagshäusern: Was die Independent Verlage auch machen: Die stehen hinter diesem Buch. Und die Verleger der großen Verlage kennen dieses Buch nicht mehr. [. . .] Die großen Publikumsverlage, die machen halt Themen. Die sagen: „Ok. Wir möchten einen historischen Roman haben mit einer weiblichen Protagonistin im 15. Jahrhundert – alles andere nehmen wir nicht.“ Und das gibt’s halt bei Independent Verlagen nicht. Die sitzen nicht da und sagen: „Wir möchten eine Protagonistin haben im 15. Jahrhundert“ – sondern die gucken, was kommt: das Neue, das Besondere.278

Während eine enge Verbindung zwischen Verlegerin bzw. Verleger und Programm in größeren Häusern gar nicht möglich ist, bildet sie bei Independent Verlagen die Regel. Die Verlegerin bzw. der Verleger prägt mit seinen Interessen und Affinitäten das Programm. Nachdem die finanzielle Entbehrung, die die Tätigkeit begleitet, von allen in Kauf genommen wird, erhält die Positionierung mit seinem Programm einmal mehr Authentizität, im Sinne von Glaubwürdigkeit: Und insofern glaube ich, ist neben Persönlichkeit eigentlich Glaubwürdigkeit das viel Wichtigere. Dass jemand weiß, dieser Verlag oder dieser Verleger steht da- und dafür, und da steht er auch dahinter und hängt das Fähnchen nicht nach dem Wind. Also, ich glaube, es ist egal, ob kleiner Verlag oder kleine Buchhandlung: das Wichtigste ist, dass man sich ein eigenes Profil gibt und sagt: „Ok, das und das sind wir. Dafür stehen wir. Ob ihr das mögt oder nicht“ – so ist es. Das ist eine Profilschärfung.279

276 Interview A5, Absatz 163. 277 Interview A5, Absatz 175. 278 Interview C7, Absatz 272 u. 280. 279 Interview A6, Absatz 50.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

3.2.6.3 Inhalte, die das Profil bilden Das Folgen der eigenen Affinitäten ist eine Parallele, die sich bei allen Independent Verlagen findet, und sie macht auch deutlich, wie eng das Programm an die Person der Verlegerin bzw. des Verlegers gekoppelt ist. Die Interessen gehen dabei in unterschiedliche Richtungen. In den Profilen, die sich in der Zusammensetzung der jeweiligen Titel herausstellen, bildet das einende Moment von Independent Verlagen schwerpunktmäßig junge Literatur. Der genauere Blick zeigt darin jedoch Ausdifferenzierungen im Profil auf: Bei Voland & Quist gibt es eine Spezialisierung auf „Live-Literatur“, die meist auf Lesebühnen vorgetragen wird – jedem Buch liegt auch eine CD bei.280 kookbooks verlegt überwiegend junge Lyrik.281 Vielfach finden sich, neben dem Schwerpunkt auf deutschsprachige Literatur, auch Schwerpunkte auf andere Länder: Voland & Quist hat eine Reihe mit kroatischer Literatur. Bei Onkel & Onkel werden norwegische Bücher übersetzt und verlegt.282 Und bei den beiden nicht in Deutschland gegründeten Verlagen, Luftschacht und Salis, stammen die jungen Autorinnen und Autoren überwiegend aus der Heimat Österreich bzw. der Schweiz.283 Salis hat eine Krimireihe, die durchgängig in der Schweiz spielt und auch von Landsleuten verfasst ist.284 In manchen Verlagen, wie kookbooks, Luftschacht, Onkel & Onkel, Salis oder Voland & Quist, finden sich auch Kinderbücher. Ein Drittel, Onkel & Onkel, Verbrecher Verlag und Salis, produziert auch Sachbücher, in der Regel zu aktuellen gesellschaftskritischen Themen, wie etwa bei Salis – mit Büchern wie Ansichten vom Göttlichen. 22 Jugendliche, das den Glauben von Heranwachsenden im säkularisierten Kulturraum beleuchtet, oder Rohstoff – das gefährlichste Geschäft der Schweiz, in dem das Bild einer mächtigen Branche, die zu den größten Globalisierungsgewinnern gehört und deren Geschäfte häufig in riskante Grauzonen führen, beleuchtet wird. Die Bücher im Verbrecher Verlag haben vielfach Zivilcourage, Kulturkritik und Politik im Fokus285 – zum Teil geprägt von linker Geisteshaltung wie etwa Alles falsch. Auf verlorenem Posten gegen die Kulturindustrie oder Und morgen? Extreme Rechte in Sachsen. Bei Onkel & Onkel sind es illustrative Bände und Geschenkbücher.

280 Homepage Voland & Quist: Bücher: http://www.voland-quist.de/buecher/. Stand: 13.7.2015. 281 Homepage kookbooks: Bücher: http://www.kookbooks.de/buecher.php. Stand: 13.7.2015. 282 Homepage Onkel & Onkel: Verlagsprogramm: http://www.onkelundonkel.com. Stand: 13.7.2015. 283 Homepage Luftschacht: Programm: http://www.luftschacht.com/programm/. Stand: 13.7.2015. 284 Homepage Salis: Bücher: http://www.salisverlag.com/titel. Stand: 13.7.2015. 285 Homepage Verbrecher Verlag: Programm: http://www.verbrecherverlag.de/book/list. Stand: 13.7.2015.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Und noch eine weitere Klammer verbindet das Programm von jungen Independent Verlagen: der starke Bezug zu Gegenwart und Gesellschaft und eine Ästhetik, die daraus resultiert und oftmals Ungewöhnliches oder Widersprüchliches verknüpft. Das kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. Bei Voland & Quist-Autor Ahne beispielsweise sehr humorig: Gerade in einer Zeit, in der Terror, Überwachungsstaat und bunte Fernsehillustriertensender den Takt vorgeben, benötigen wir einfach auch mal ein gutes Gespräch in einer Kneipe an der Ecke unserer Wahl. So eine Ecke könnte dieses Buch sein, wenn man zum Beispiel ein Glas Bier danebenstellt oder einen Krug Kamillensaft oder auch bloß ein Schälchen Erdnüsschen.286

Häufig enthalten sind subkulturelle Bezüge, genauso wie ein gewisser moderner Zugang zur Literatur. Wir haben schon den Anspruch, zum einen Strömungen aufzugreifen. Ohne jetzt irgendwelche Nachahmer-Texte zu machen. Aber auch das Risiko einzugehen, Texte, die momentan nicht dem entsprechen, was gerade so gelesen wird. Ich glaube, dass das auch viele schätzen. Dass sich immer wieder Bücher finden lassen, mit denen man nicht gerechnet hätte, vielleicht.287

Das „Mission Statement“, das sich auf der Homepage des Salis Verlags findet, könnte in ähnlicher Weise auch auf den Webseiten der anderen befragten Verlage zu finden sein: Wir glauben einerseits zu wissen, wie die Welt aussieht. Wir finden auf allen Flughäfen neben etwas Lokalkolorit die stets gleichen Shops, Marken und Ketten. Die gleichen Magazine, gleich gekleidete Menschen. Wir stehen andererseits mitten in einer globalisierten Welt mit ihrer unüberschaubaren Vielfalt und stellen fest, dass uns fremde Gepflogenheiten etwas angehen. Wir sprechen pauschal von Kulturen und Gesellschaftsschichten und realisieren, dass sich die einzelnen Individuen kaum je in eine der definierten Kategorien einordnen lassen. Die früheren politischen Utopien aller Seiten sind heute nur noch Makulatur, aber neue, realistische Ansätze sind keine in Sicht. Die Unmöglichkeit, in heutiger Zeit ein umfassend informierter Mensch zu sein, verbindet sich mit der Dringlichkeit, genau ein solcher zu werden, zu einem unlösbaren Dilemma. Um diesem nicht ohnmächtig gegenüberzustehen, brauchen wir Geschichten, die uns spezifische Aspekte verständlich machen, erzählt in einer Sprache, die sich uns auf Anhieb erschließt. Wir wollen eine engagierte Literatur, die sich mit Lust, Schärfe und Präzision mit unserem Leben auseinandersetzt. Wir wollen Sachbücher, die mit Schweiß recherchiert und mit Herzblut geschrieben werden. Wir wollen intellektuell gekitzelt und emotional massiert werden. Wir wollen Relevantes über die Welt und über uns erfahren.288

286 Ahne: Was war eigentlich morgen. Dresden und Leipzig: Voland & Quist, 2008, Klappentext. 287 Interview A3, Absatz 43. 288 Homepage Salis: Über Salis: http://www.salisverlag.com/content/über-salis. Stand: 13.7.2015.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Ohne Zeitgeist als solchen zu benennen, geht aus dem „Mission Statement“ des Salis Verlages deutlich hervor, dass er das verbindende Element in den unterschiedlichen Facetten des Programms bildet und als Grundton nicht nur formgebend, sondern auch inhaltlich in den Themen der Gegenwart und ihrer Interpretation eingefangen werden soll. Gerade im postmodern-kulturellen Kontext kann das sehr genreübergreifend sein. Der im Salis Verlag publizierende Autor Thomas Meyer legt mit Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse beispielsweise einen Roman vor, der, durchsetzt von jiddischer Sprache, eine Verknüpfung von zwei Sprachsphären schafft, die dabei ihre ganz eigene Ästhetik bilden: „Ich war gerade dabei, einen Viererstrauß Bananen zu wägen, und hielt das Handy mit der Schulter ans ojer geklemmt, um die Hände frei zu haben. [.  .  .] Ich fuhr mir mit der hant in den bort, denkend: Jetzt kannst der eigenen Mutter ja schlecht sagen, das mejdl gefelt mir nicht, die sieht aus wie du.“289 Auf inhaltlicher Ebene setzt sich dieses Vereinbaren von Widersprüchlichem fort: eine Geschichte von einem jungen orthodoxen Juden, der sich in eine Gin Tonic trinkende „Schickse“ verliebt, verwebt Zeiten, Kulturen und unterschiedliche Auffassungen. Auch die Bezeichnung „Publishing-Label für visuellen Rock ’n’ Roll“, wie Volker Oppmann seinen Verlag beschreibt, deutet eine Grenzüberschreitung zwischen Genres an. Und weist auch auf eine Ästhetik hin, die im Bildhaften und im Erscheinungsbild der Bücher weitergeht, ohne sich dabei nur auf Illustration zu beziehen, sondern gleichzeitig immer auch auf das geschriebene Wort. Der schüchterne Pornograph, ein Roman von Nikolaj Frobenius über Sexualität und Gesellschaft, wird erzählt aus der Perspektive des zwölfjährigen Simon, der jäh mit der Vorstellungswelt der Erwachsenen konfrontiert wird. „Mehr kann man von Gegenwartsliteratur nicht erwarten“,290 hallte das Echo aus der Presse. Der Roman Puder oder Sleeping Beauty in the Valley of the Wild, Wild Pigs ist ein auf der oberflächlichen Ebene relativ leicht zu lesender Roman, spielt, wenn man will, jedoch auf mehreren Ebenen – nichts ist, wie es vordergründig zu sein scheint und verschiedene Perspektiven sind möglich. Der Autor, Tor Åge Bringsværd, schreibt Bücher für Kinder und Erwachsene, Krimis, Science-Fiction und legt auch mit diesem Buch etwas vor, das irgendwo dazwischen angesiedelt ist und sich nicht eindeutig festmachen lässt. Bevor Volker Oppmann seinen eigenen Verlag hatte, versuchte er, das Buch in anderen Verlagen unterzubringen, was genau deshalb nicht gelang. Man konnte es aufgrund der vielen sehr 289 Meyer, Thomas: Wolkenbruchs wundersame Reise in die Arme einer Schickse. Zürich: Salis, 2012, S. 8 ff. 290 Homepage Onkel & Onkel: Buch des Monats der nordischen Botschaften: http://www. onkelundonkel.com/buch-des-monats-der-nordischen-botschaften/. Stand: 22.7.2015.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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unterschiedlichen gestaltgebenden Elemente wie nordische Literatur, Krimi, Science-Fiction und Gesellschaftssatire nicht einordnen. Und inhaltlich spannt sich der Bogen auch wieder zur eigenen verlegerischen Tätigkeit: Das vom Verleger selbst aus dem Norwegischen übersetzte Buch spielt in einem Oslo der nahen Zukunft, ein gigantischer Vergnügungspark, in dem die Menschen den Segen der modernen Technik genießen und fast alles möglich ist: Wer keine Lust mehr hat, eine Frau zu sein, lebt als Mann, oder umgekehrt. Die Hauptperson „P“ ist ein irrationales Handlungselement in einem Verlag. Die eigentliche Schreibarbeit leisten Computer, P sorgt dafür, dass die Handlungsstränge nicht allzu glatt verlaufen: Auf der Arbeit verwenden wir Bildschirme und Autopiloten. Ich arbeite bei HANDLUNG. Schlage schnelle Entwürfe und kurze Resümees vor, die von anderen ausgeführt werden. Ich meine: Größenteils erledigt der Rechner das für mich. Wir sind so eine Art Team. Ich bin der menschliche Faktor. Ich repräsentiere das Impulsive, das Unberechenbare, das gewisse Etwas. Ich bin dafür verantwortlich, dass nicht alles so save und vorhersehbar wird. Eigentlich kann ich mir also ausdenken, was ich will. Solange es sich nur um die Sehnsucht nach Liebe, Geld und Glück handelt, von denen wir glauben, sie im Alltag finden zu können. Aber ich meine: Junge trifft Mädchen. Mädchen trifft Jungen. Wie spannend kann das schon werden? Wie viele mögliche Variationen gibt es? Und genau in diesem Punkt sind die Maschine und ich in der Regel verschiedener Meinung.291

Gesellschaft, Gegenwart und Zukunft, Bild und Schrift laufen auch in Polymeer: Eine apokalyptische Utopie zusammen. Von der Stiftung Buchkunst wurde es als eines der 25 schönsten deutschen Bücher 2012 ausgezeichnet – in der Rubrik Kinder- und Jugendbuch. Die Jury: „Das ist kein Kinder-Bilderbuch! Die Illustratorin, die mit diesem Buch ihre Diplomarbeit vorlegt, hat für ihre Form innerhalb der sequentiellen Kunst eine neue Bezeichnung erfunden: die,Kultur-Illustration‘.“292 Und tatsächlich: Das ernste Thema Klimakatastrophe wird in diesem Erstlingswerk in ausgeprägt ästhetischer Weise dargestellt – als Science-Fiction-Geschichte, die im Jahr 2043 spielt. Inhaltliche Details finden sich in Schrift und Bild, Elemente sind zum Teil in Leuchtfarbe gedruckt oder im Einband lackiert. Die Form folgt dem Inhalt: Das auf den ersten Griff plastikähnliche Papier besteht zu 60 Prozent aus Recycling- und zu 40 Prozent aus FSC-Fasern. Von Aktualität und Gegenwärtigkeit durchwirkt, ohne modisch zu sein: Viele Bücher haben große und zeitlose Themen zum Inhalt – Zerstörung, Verfall und Tod, Sehnsucht, Liebe, Erinnerung – die im Kontext der gegenwärtigen Realität

291 Bringsværd, Tor Åge: Puder oder Sleeping Beauty in the Valley of the Wild, Wild Pigs. Berlin: Onkel & Onkel, 2008, S. 25. 292 Homepage Alexandra Klobouk: Polymeer: http://www.alexandraklobouk.com/Polymeereine-apokalyptische-Utopie. Stand: 22.7.2015.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

reflektiert werden. In allen hier untersuchten Verlagen finden sich solche Bücher, die Themen und Zeitgeist zusammen denken. In fern bleiben, Ulrike Ulrichs Debütroman bei Luftschacht, werden Transiträume von Lo, der Protagonistin, mit dem ICE, ICN, TGV, Talgo zwischen Hamburg und Zagreb passiert – es geht um Reisen mit unbestimmtem Ziel, über das Nichtankommen-Können, das Nicht-festlegen-Wollen. In einem anderen Buch des Verlags, 23 Tage von Martin Mandler, breitet ein wehleidiger Erzähler das übertrieben große Leid aus, das ihm die 23-tägige Absenz seiner nach London gereisten Freundin Laura beschert. Im Klappentext des Debütromans liest man: Unterlebensgroß wie der Erzähler in Martin Mandlers Debütroman sind viele Menschen seiner Generation, die in das Bewusstsein hineinerzogen worden sind, Großes und Außergewöhnliches leisten zu können. Denen alles möglich erscheint, die aber an genau dieser Anforderung scheitern. Und die irgendwann merken, dass der große Karrierezug nicht stehen geblieben ist. Dass die Berühmtheiten der eigenen Generation schon denen der nächsten weichen. Dass sie verschwinden werden, wie schon so viele vor ihnen, von denen niemand auch nur mehr weiß, dass sie einmal da gewesen sind.293

Auch die Kurzgeschichten von Finn-Ole Heinrich in Gestern war auch schon ein Tag handeln von jungen Menschen im Alter der Verlegerin und der Verleger, die ins Wanken geraten sind. Die erste Geschichte behandelt die Veränderung der Beziehung eines jungen Mannes und seiner schwindenden Hingezogenheit, nachdem seine Freundin nach einem Unfall einen Fuß amputiert bekommen hat, und spannt in diesem Setting einen Bogen auf, der viele Facetten der Lebenswelt von Menschen in seinem Alter umfasst: die veränderte Rolle des Mannes, das Thema Verantwortung, die veränderte Gewichtung von Themen, die Veränderung, worüber und wie man spricht. Es sind die Widersprüchlichkeiten des Alltags, die wie ein Kontrastmittel umso deutlicher die Gegenwart und das Leben in ihr porträtieren. Das Buch Randgruppenmitglied, verfasst vom 1982 im Allgäu geborenen Frédéric Valin, erzählt von kleinen und gescheiterten Leuten, die am Rand stehen. Den Auftakt bildet die Geschichte um einen Krankenpfleger, der gemeinsam mit einem Kollegen darüber nachdenkt, wie man einer todkranken Patientin unauffällig zum Suizid verhelfen könnte. „Konferenznomaden, Tagungshotels, Warteschleifen: Selten findet man so viel Gegenwart in so wenig Text. Mensings Minibar enthält poetische Stenogramme aus unseren Transiträumen“,294 schreibt Stephan Maus im Stern über 293 Mandler, Martin: 23 Tage. Wien: Luftschacht, 2011, Klappentext. 294 Homepage Verbrecher Verlag: Minibar: http://www.verbrecherverlag.de/buch/194. Stand: 22.7.2015.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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das ebenfalls im Verbrecher Verlag erschienene Buch. Die Figuren von Minibar haben auch mit Mitte Dreißig noch das Gefühl, ganz am Anfang zu stehen. Die Protagonisten seiner kurzen und streng durchkomponierten Erzählungen leben in der Großstadt. Sie wohnen in renovierten Altbauwohnungen und anonymen Hotelzimmern, treffen sich auf der Dating-Line zum schnellen Tête-à-Tête und flüchten sich von der schweren Last der Zufriedenheit in die zerbrechliche Welt der eigenen Kindheit. Ähnliche Themen finden sich, zumeist in verdichteter Sprache, bei kookbooks wieder: Titel wie Gegensprechstadt – ground zero, vereinzelt Passanten oder kochanie ich habe Brot gekauft sind lyrische Zeitdokumente, die den Zeitgeist unmittelbar einfangen und bei kookbooks in einer Reihe stehen, in der junge Menschen Gegenwart und Sprache ausloten und verknüpfen. In allen Verlagen finden sich auch Bücher, in denen Extreme im gegenwärtigen Kontext ausgelotet werden. Bei Blumenbar befindet sich Tracey Emin als eine unter vielen: Als eine der einflussreichsten Künstlerinnen der Gegenwart legt sie im Buch Strangeland nieder, wie sie als Tochter einer Britin und eines türkisch-zypriotischen Vaters einen Weg findet, auf dem sie mit fünfzehn das Gefühl hat, schon alles erlebt zu haben: extreme sexuelle Erfahrungen, Gewalt, Schulabbruch, Reisen, den Bankrott des Vaters, die Trennung der Eltern. Zeitlose Themen und aktuelle Diskurse verdichten sich in ihrer Person – Pop, Feminismus, Nachtleben, Kunst, Politik und Liebe. Im selben Verlag findet sich der Autor Matias Faldbakken, der schockt und karikiert, den Finger in Wunden und Risse hält. Das Erzählen geschieht hart an der Grenze und geht inhaltlich meist weit darüber hinweg: die provokante Gesellschaftskritik in Macht und Rebel spielt in einer hyperrealen Gegenwart, in der sexuelles Draufgängertum und Vergewaltigungen, Markenprodukte und Fälschungen, Nazis und Linke zum Verwechseln ähnlich sind. Rebel, ein Nihilist des 21. Jahrhunderts, gehört einem subkulturellen Milieu an. Macht wiederum arbeitet für internationale Konzerne und ist auf Impulse der Szene angewiesen. Die Autorinnen und Autoren bei Blumenbar sehen auf den ersten Blick sehr unterschiedlich aus. Zwischen Autoren wie etwa Murathan Mungan und Airen scheint zunächst kein Zusammenhang zu bestehen, kein Obergriff, der erlaubt, etwas Gemeinsames zu fassen, das doch unter dem Label Blumenbar sehr stimmig zu fühlen ist. Man muss genauer hinsehen, um zu erkennen, was hier zusammenhält: Airen, zum Beispiel, ist jemand, der überhaupt nicht vom Schreiben kommt. Stammend aus einer Arbeiterfamilie, hatte sich der junge Berliner irgendwann dem Clubleben hingegeben, schließlich mit Blogs auch seiner anonymen Community.295 Seinen bürgerlichen Namen kennt man nicht, die Person hinter Airen 295 Airens Blog: live: http://airen.wordpress.com/. Stand: 12.7.2015.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

tritt nie in Erscheinung. Sie bleibt anonym, verschwindet hinter der Kunstfigur des Autors. Ähnlich wie der ebenfalls bei Blumenbar verlegte PeterLicht, der bei öffentlichen Auftritten sein Gesicht verhüllt und so auch ihm verliehene Preise von seinem Verleger Wolfgang Farkas entgegennehmen lässt – etwa 2007, als er im Rahmen des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs den 3Sat-Preis erhält. Es war ein Novum in der über 30-jährigen Geschichte des Wettbewerbs, dass die Kameras während seiner Lesung über das Publikum schwenkten, wo sie sonst auf die Bühne gerichtet sind.296 Die Parallele zu ganz anderen Autorinnen und Autoren im Verlag wie beispielsweise Enim, Faldbakken oder Mungan, einem in Istanbul offen homosexuell lebenden Mann, sind die extremen Positionen, die diese auf die eine oder andere Weise alle einnehmen. Die literarischen Schilderungen in ihren Büchern beschreiben oft extremes Leben. Häufig handelt es sich dabei um die eigene Geschichte oder zentrale Elemente daraus. Die Autorinnen und Autoren selbst sind Outsider, Menschen, die am Rand stehen und häufig auf bestimmte oder radikale Weise ihr Leben und oft auch ihr Schreiben gegen die Konventionen führen. In den seltensten Fällen sind dies klassische Schriftstellerinnen bzw. Schriftsteller. Es sind Musiker, häufig auch Menschen, die journalistisch arbeiten. Oft verbinden sich die verschiedenen Ausdrucksformen und erkunden so einmal mehr Grenzbereiche. Ein Verleger über seine Autorinnen und Autoren: „Es sind oft so Grenzgänger zwischen den Genres. Es ist auch das, was uns interessiert.“297 In den meisten Fällen sind es Menschen, für die literarisches Schreiben ein Teil ihres Lebens und ihrer Arbeit ist, aber nicht der einzige und auch nicht der wichtigste. Häufig handelt es sich etwa um bildende Künstlerinnen und Künstler. Mit dem Schreiben wird vielmehr ein neues Genre bzw. ein weiterer Kanal genutzt, um sich auszudrücken. Das literarische Schreiben ist so Teil eines größeren Werkes – ein Kunstprojekt in einem Prozess, der mehr umfasst und sich nicht einer Sache verschrieben hat.

3.2.6.4 Der erweiterte Inhalt Dieselben Auffassungen, die Autorinnen und Autoren von den Buchprojekten haben, die sie also vielfach auf individuellen Wegen eingebettet sehen, auf denen das Buch eine spezielle Ausdrucksform unter anderen ist, findet man auch in den Verlagen. Der Verlag ist ein Lebensprojekt, dessen Inhalte man nicht auf die 296 Scheloske, Marc: Ingeborg-Bachmann-Preis – Kunstvoller Balanceakt von Licht. In: focus. de vom 2.7.2007: http://www.focus.de/kultur/buecher/tid-6720/ingeborg-bachmann-preis_aid_ 65166.html. Stand: 12.7.2015. 297 Interview A1, Absatz 47.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Bücher beschränkt wissen will. Das Verbinden von Genres, widersprüchlichen oder unterschiedlichen Formaten erschöpft sich demnach auch nicht in Buchinhalten, vielmehr weist das Programm von Independent Verlagen darüber hinaus, wie hier beschrieben wird: Also, die Bücher sind quasi nur die Spitze des Eisbergs, und ganz viel findet unterhalb dessen statt. Also einerseits an Präsentationsformen [.  .  .] oder auch immer wieder neue experimentelle Formate.298

So spricht etwa Blumenbar-Verleger Wolfgang Farkas in einem Interview davon, dass die Bücher des Verlages eingebunden sein sollen in ein Veranstaltungskonzept. Das Konzept sieht vor, Literatur nicht auf ein Produkt zu reduzieren, sondern vielmehr als Teil des sozialen Lebens zu begreifen: „Es soll eine Wechselwirkung zwischen Büchern und Veranstaltungen geben.“299 Mit dem Hardcover Club wollte man dieses Konzept verfolgen und die Elemente Literatur, Theater, Musik und Club an regelmäßigen Veranstaltungsabenden verbinden. Der Auftakt der monatlich geplanten Reihe fand im Dezember 2009 in den Räumen des ehemaligen Fernmeldeamtes Ostberlins statt. Neben dem Gorki Theater war als weiterer Partner auch das WMF mit im Bunde – eine Berliner Club-Plattform, entstanden aus einem Hausbesetzerkollektiv zu Beginn der 1990er-Jahre. Das Prinzip mischte Lesung mit Musik in Clubatmosphäre. Es lasen Alexander Schimmelbusch aus seinem bei Blumenbar erschienenen Roman Blut im Wasser und Leif Randt aus Leuchtspielhaus, erschienen im Berlin Verlag. Der zweite Teil des Abends war Texten und Liedern Leonard Cohens gewidmet. Ab Mitternacht gab es DJ-Sets. Gezählt wurden rund 450 Gäste.300 Trotz des Erfolges gab es nur eine Fortsetzung der Clubreihe, da der Verlag kurz darauf verkauft wurde. Diesem Prinzip folgend gibt es bei vielen jungen Independent Verlagen regelmäßige Veranstaltungsreihen, die unterschiedliche Genres, häufig Literatur und Musik, zusammenbringen. „Dass man den Literaturbegriff nicht nur auf das gedruckte Wort einschränken kann“,301 entspricht einer Haltung, die die meisten Verlegerinnen und Verleger teilen und so auch umgesetzt wissen wollen. Aus der 298 Interview A2, Absatz 78. 299 Wolfgang Farkas, zitiert in: N.N.: Meine wunderbare Blumenbar. In: buchreport.de vom 1.11.2002: http://www.buchreport.de/nachrichten/nachrichten_detail/datum/2002/11/01/meinewunderbare-blumenbar.htm?no_cache=1&cHash=0a621bf4e21ed79fdf987da5f93ddd1a. Stand: 24.7.2015. 300 Vgl. N.N.: Hardcover, der neue literarische Nachtclub Berlins. In: de:bug vom 25.11.2009: http://de-bug.de/medien/archives/hardcover-der-neue-literarische-nachtclub-berlins.html. Stand: 23.7.2015. 301 Interview A4, Absatz 85.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Live-Ecke kommend, zählen Veranstaltungen fast noch mehr als die Bücher zum Inhalt des mairisch Verlages. Aus den Büchern werden Veranstaltungen gemacht. Der Terminkalender auf der Homepage des Verlages zählt fast jeden Monat zwischen fünfzehn und zwanzig Veranstaltungen.302 Im Vergleich: Pro Saison werden durchschnittlich vier Neuerscheinungen herausgebracht. Autoren wie Finn-Ole Heinrich, Benjamin Maack oder Stevan Paul bzw. die Musikformation Spaceman Spiff bringen nicht zuletzt auch ein Potenzial mit, das zunehmend Bedeutung erhält: das Auftreten und Performen in der Öffentlichkeit. Ein Verleger zieht in diesem Zusammenhang einen Vergleich: Das ist ja auch wie in der Musik: Dieser Live-Kontakt, der nicht zu ersetzen ist. Ich glaube, wenn man Autoren hat, die gut vorlesen können oder die vielleicht sogar witzig sind bei ihren Lesungen, macht das wirklich viel aus. Klar, da will man vielleicht auch ein gedrucktes Buch lieber mitnehmen.303

Ein ähnliches Verhältnis wie bei mairisch findet sich bei Voland & Quist – mit circa sechs Neuerscheinungen pro Saison und mehreren Veranstaltungen pro Woche. Den Profilschwerpunkt der Live-Literatur kann man durchaus in dieses Gesamtkonzept eingebunden sehen – die gedruckten Buchinhalte erfordern diesen Rahmen geradezu, der auch bereits da war und gepflegt wurde, bevor es den Verlag gab. Wie viele andere junge Independent Verlage hat sich das Projekt aus einer Veranstaltungskultur heraus gebildet und dies zum Programm werden lassen. So ist es nur konsequent, dies auch weiter zu pflegen – mit zahlreichen Veranstaltungen wie Poetry Slams oder Lesebühnenformaten.304 Diese wirken auch zurück in die Produktion selbst und bilden so auch ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal des Verlages: die CD, die jedem Buch beiliegt. Eine andere Sache, die man sowohl bei Voland & Quist als auch bei mairisch findet, ist der Verlagsblog – ein Inhalt, der von den Verlegern regelmäßig selbst erstellt wird. Neben den statischen Informationen auf der Webseite ist auf deren Startseite der Blog eingebaut – und wechselt regelmäßig. Dort werden anstehende Events angekündigt oder eine Rückschau darauf gegeben. Platz gibt es aber auch für vieles andere: Je nach aktuellem Anlass kann das alles Mögliche sein. Im Rahmen der Diskussion um das Urheberrecht in digitalen Zeiten etwa ein Artikel von Voland & Quist-Verleger Sebastian Wolter: Buchkalkulation – was verdienen Autor und Verlag an Büchern? Leserinnen und Leser des Blogs können

302 Homepage mairisch: Termine: http://www.mairisch.de/termine/. Stand: 28.7.2015. 303 Interview A8, Absatz 139. 304 Homepage Voland & Quist: Termine: http://www.voland-quist.de/termine/. Stand: 28.7.2015.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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dann auch Kommentare posten und mit den Verlegern in Dialog treten. In diesem Fall entstand eine lange, öffentlich einsehbare Diskussion, in der der Verleger nicht nur seinen Standpunkt darlegte, sondern auch viele Fragen beantwortete.305 Das Prinzip ist dem anderer Plattformen ähnlich, die mit Inhalten gefüllt und gemeinsam mit Nutzerinnen und Nutzern erweitert werden – etwa auf Facebook, Twitter, ISSUU oder YouTube. Auch im Blog von mairisch wird Vielfältiges geteilt, wie etwa Inhalte, die nicht direkt mit dem Verlag in Zusammenhang stehen – Videos, die man toll findet, stehen neben selbst verfassten Artikeln bzw. ergänzen diese.306 Das passt auch zum multimedialen Programm – neben gedruckten Büchern findet sich dort auch die Hörspielreihe pressplay, die 25. Veröffentlichung des Verlages feierte man, indem man eine Vinylplatte herausbrachte. Die klassische Buchform ist zwar Schwerpunkt, dem Experimentieren und Erkunden weiterer Formen stehen jedoch alle Verlage offen gegenüber. E-Book-Versionen werden von allen Verlagen angeboten. Aber auch darüber hinaus ist der Zugang offen: [. . .] es gibt manchmal einfach Geschichten, die kann man in anderen Formen besser erzählen. Und manchmal kann man sie als Song oder als Hörspiel einfach anders erzählen, als man es in einem gedruckten Text tut. Ich glaube, die meisten unserer Autoren würden es auf jeden Fall unterschreiben, wenn man sagt, sie sind Geschichtenerzähler.307

Bei Salis findet sich für jeden Monat eine Playlist mit aktuellen Musikerscheinungen.308 Dieses Empfehlen von Inhalten bzw. verwandten Produkten anderer Unternehmen ist ebenfalls kennzeichnend für die meisten Verlage. Analog zum Internet ist es dem „Sharing“ verwandt: Bei KOOKread oder der Verbrecherversammlung handelt es sich um regelmäßige Reihen von kookbooks bzw. dem Verbrecher Verlag, in denen seit Jahren Lesungen und Musik in Baratmosphäre kombiniert werden – in den meisten Fällen auch mit Autorinnen und Autoren anderer Independent Verlage. So wurde etwa auch eine Verbrecherversammlung, im April 2012, Robert Musil gewidmet. Anlässlich dessen 70. Todestages lasen Verleger Jörg Sundermeier und Jan Jenrich im Stammtreffpunkt Club Monarch in BerlinKreuzberg aus Der Mann ohne Eigenschaften – und dankten dem Rowohlt Verlag, wo Musils Gesamtwerk erschienen ist, für die Leserechte. 305 Homepage Voland & Quist: Blog: Was verdienen Autor und Verlag an Büchern? Von Sebastian Wolter am 21.6.2012: http://www.voland-quist.de/verlagsblog/buchkalkulation-wasverdienen-autor-und-verlag-an-buchern/. Stand: 28.7.2015. 306 mairisch-Verlagsblog: Das Neueste aus dem mairisch Verlag: http://blog.mairisch.de/. Stand: 28.7.2015. 307 Interview A4, Absatz 85. 308 Homepage Salis: Playlist: http://www.salisverlag.com/content/playlist. Stand: 7.7.2015.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Wenn bei den Veranstaltungen auch Autorinnen und Autoren lesen bzw. gelesen werden, die nicht aus dem eigenen Verlag sind, so ist das auch ein zentraler Teil des Programms. Wesentlich dabei ist, wie ein Verleger formuliert: „Also, das ist nicht einfach nur: du bietest an, was du lesen willst, und ich sag dann ‚Ja, prima‘. Sondern das ist ja schon auch von uns so ein bisschen kuratiert.“309 Gerade im erweiterten Inhalt kommt das verlegerische Konzept deutlich zur Geltung: Man versteht sich als Forum und Filter. Wenn gegenwärtig Facebook zu einem zentralen Kommunikationskanal geworden ist, so müssen das, analog zu den abgebildeten Gepflogenheiten auf der Plattform, auch längst nicht mehr die eigenen Inhalte sein. Es geht um eine Zusammenstellung und Aufbereitung – und das kann alles umfassen. Die Literaturvermittlung hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Vor allem dahingehend, dass das klassische Format der Lesung um andere Formen der Literaturvermittlung ergänzt wird. An die Stelle der Lesung tritt zunehmend die Performance von Literatur oder neue Settings, die Lesungen aus den gewohnten Räumen holen. Die Entwicklung geht – vor allem in den jungen Independent Verlagen – vielfach weg von der klassischen „Wasserglas-Lesung“ hin zum Event. Wenn Literatur immer auch Seismograf gesellschaftlicher Ereignisse ist, so ist es nur folgerichtig, dass sie auch das Thema der Multimedialität aufgreift – abgebildet in neuen digitalen Formaten, aber auch in der zunehmenden Eventisierung verschiedener Lebensbereiche. Dazu ein Independent Verleger: Es gibt genug Leute, die die Eventisierung beschimpfen. Aber ich würde es gar nicht so schwarz/weiß malen. Es gibt auch Bedürfnisse bei einer Lesung, die früher nicht erfüllt wurden, nämlich dass man sich nicht langweilt, oder dass der Autor schlecht liest . . . und dass man sich das trotzdem anguckt. Ich glaube das ist schwieriger geworden. Insofern ist das eigentlich ein positiver Aspekt, wenn Lesungen auch ein Event sind. Dann ist es auch . . . also, wir konkurrieren ja nicht wie früher untereinander, wir konkurrieren vielmehr mit Konzerten, mit Film, mit allem möglichen.310

Dass die Performance der Literatur zunehmend an Bedeutung gewinnt, wird in allen Interviews unterstrichen. Sie ist Teil unserer Realität und Versuch, Aufmerksamkeit zu schaffen in der Masse. Und gerade in Kombination mit Multimedialität Teil der Realität dieser Generation. Die Veranstaltungen der jungen Verlage könnten so auch prototypisch als Kulisse für die Bücher dienen, die dort verlegt werden: Es ist ihre eigene Lebenswelt und das Feld, aus dem heraus vieles entsteht. Die eingangs beschriebenen

309 Interview A5, Absatz 175. 310 Interview A8, Absatz 62.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Foren, aus denen Inhalte geschöpft werden, sind nicht zuletzt selbst Inhalt. Und es funktioniert auch umgekehrt. Eine Generation, die im Zeitalter der Medien aufgewachsen und situiert ist, ist durch diese geprägt. Und die analogen Produkte, die von diesen hergestellt werden, sind davon auch nicht unbeeinflusst. Puder oder Sleeping Beauty in the Valley of the Wild, Wild Pigs von Tor Åge Bringsværd ist ein Beispiel, wie diese Welt inhaltlich aufgenommen wird. Airen, von dessen Blog bei Blumenbar Ausschnitte zwischen zwei Buchdeckeln gedruckt werden, ebenso. Und auch die Live-Literatur von Voland & Quist folgt diesem Prinzip. Eine starke Ausdrucksmöglichkeit findet sich auch im äußeren Erscheinungsbild der Publikationen. Alle hier untersuchten Verlage legen überaus großen Wert auf Gestaltung. Und so sind auch die Cover ein wichtiger Bestandteil im Inhaltsspektrum der Verlage. Genauso wie besondere Veranstaltungen erlaubt das Erscheinungsbild der Bücher, aus der Masse hervorzustechen. Zum allergrößten Teil werden Hardcover von den kleinen Auflagen, die sich meist zwischen 1.000 und 3.000 Exemplaren bewegen, verlegt, deren Buchumschläge sowohl aufwendige Gestaltung als auch hochwertiges Material erkennen lassen. Die Investition in die wesentlich höheren Herstellungskosten ist nicht zuletzt auch eine in die Markenidentität. Am Beispiel des kookbooks-Verlages zeigt sich in ganz besonderer Weise, wie eine eigene unverkennbare Bildsprache mit dem Verlag verbunden ist. Die in diesem Verbund mit dem Segment Lyrik wohl kleinsten Auflagen werden in ausgesuchten Materialen präsentiert. Transparente Vorsatzblätter, innovative Satzgestaltung und eine qualitätsvolle Klappenbroschur prägen das Erscheinungsbild der kookbooks-Titel. Für die Wiedererkennbarkeit der Bücher zeichnet vor allem der Gestalter, Andreas Töpfer, verantwortlich. Die moderne Optik, die er den kookbooks-Covern verleiht, bringt Gegenwart und unverwechselbare Ästhetik auf beispiellose Weise zusammen, um nicht zu sagen: präsentiert den State of the Art der Covergestaltung und zeigt auf, was hier möglich ist. Denn während das Visuelle, besonders auch die Ästhetik der Grafik seit den 1990erJahren einen massiven Aufschwung erlebte und ihren Niederschlag auf Postern, Flyern, CD- und Plattencovern fand, blieben Bücher davon bislang wenig beeinflusst. Dieser Umstand wird in zahlreichen Interviews erwähnt, und in den Independent Verlagen will man sich davon durchgängig abheben: Und da dann einen Verlag zu machen, der genau das auch in der Grafik aufgreift und deutlich macht. Auch ein Zeichen setzt gegen so billige Trends – also diese unsägliche Masche, einfach nur von Foto-CDs irgendwelche Sachen auf die Cover zu pappen. Und dann passiert es ja regelmäßig, dass in einer Saison mehrere Bücher mit dem gleichen Covermotiv auftauchen. Das ist alles so lieblos und hat überhaupt nix mit dem Inhalt zu tun! Und diese idiotischen Marketingkampagnen, die dann da dran hängen! Und dass die Bücher einfach immer schäbiger wirkten. – Dem was entgegenzuhalten und zu sagen: Bücher sind Kunst.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Man kann ein Buch auch kunstvoll machen. Und man kann das einerseits modernisieren und auf einen aktuellen Stand der grafischen Entwicklung bringen. Und man kann aber trotzdem auf gute alte Traditionen und Qualität setzen.311

So wollen die Verlegerinnen und Verleger in den Interviews auch durchgängig die Gestalterinnen und Gestalter der Cover als Künstlerinnen und Künstler bezeichnet wissen und lehnen die Bezeichnung Grafikerin oder Grafiker für diese ab. Zentral ist für sie ebenso, dass sie die Bücher sehr genau lesen. Die Inhalte finden sich ebenfalls auf dem Cover wiedergegeben und bilden häufig auch ein Versprechen für die Fallhöhe des enthaltenen Textes. Die Coverlinie des Verbrecher Verlages sticht hier heraus, da mit den einheitlich einfarbigen Covers ein demokratisches Prinzip verfolgt werden soll.312 Bei kookbooks finden sich zahlreiche Details aus dem Inhalt auf den Covern, die eine atmosphärische Einbettung liefern, die digitale Elemente und mulitmediale Pararealitäten genauso miteinschließt wie Stimmungen und vielschichtige Ebenen. Das Buch von Monika Rinck, Ah, das Love-Ding! erhielt dafür den Preis der Stiftung Buchkunst als eines der schönsten deutschen Bücher 2006 und war nominiert für den Deutschen Designpreis 2008.313 Die hohen Anforderungen an Gestaltung prädestinieren geradewegs dazu, auch Kinderbücher zu machen. In zwei Drittel der befragten Verlage ergänzen diese das Profil. Bis auf die Titel von Luftschacht haben die Bücher der hier porträtierten Independent Verlage in der Regel übrigens keine Schutzumschläge, was für Hardcover-Bände eher ungewöhnlich ist.

3.2.6.5 Der zwangsläufige Inhalt Wenn in der Covergestaltung von Independent Verlagen gestalterische Gängigkeiten unterlaufen und in Frage gestellt werden,314 so ist dies ein sehr bildliches Beispiel dafür, wie das Spiel am Feld zwischen Häresie und Avantgarde funktioniert. Neu Eintretende bzw. Akteurinnen und Akteure, die über weniger Macht verfügen, 311 Interview A2, Absatz 40 f. 312 Vgl. Fritzsche, Kerstin/Bilger, Wenzel: Vom geklauten Manuskript zum Verlag – der Verbrecher Verlag. In: Goethe-Institut, Juli 2006: http://www.goethe.de/kue/lit/dos/uav/vvg/ de1571546.htm. Stand: 22.7.2011. 313 Außerdem erhielt das Buch auch den Hans-Erich-Nossack-Förderpreis 2006, den Förderpreis zum Kunstpreis Rheinland-Pfalz 2006, den Georg-Glaser-Förderpreis 2004 sowie eine Förderung durch das Lyrik-Stipendium der Stiftung Niedersachsen 2003. Vgl. Homepage kookbooks: Bücher: http://www.kookbooks.de/buecher.php. Stand: 15.7.2015. 314 Vgl. Meuser, 2007, S. 35.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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erhalten kaum andere Möglichkeiten des In-Erscheinung-Tretens als im Kontrast zum vorherrschenden Angebot.315 Das findet – unter anderem – im dargebotenen Inhalt seinen Ausdruck. Für kleine Einheiten ist es nicht ratsam, am Markt dasselbe anzubieten wie große, da sie nicht über dieselbe Schlagkraft verfügen wie diese und ein In-Konkurrenz-Treten sie von Beginn an als die Schwächeren ausweist. Schon alleine des strukturellen Ungleichgewichts wegen sind kleine Verlage daher häufig auf andere Themen ausgerichtet und auch angewiesen als große. Umgekehrt verhält es sich auch so: Manche Themen können von großen Verlagen nicht verlegt werden. Der Apparat ist zu groß für Nischentitel und verlangt nach einer gewissen Masse, um sich zu erhalten. Dieselbe Auflagenhöhe, die in einem kleinen Verlag Gewinn einfährt, kann sich in einem großen Verlag defizitär auswirken. Die Arbeit muss mehr finanzieren, breiter über die Verkaufskanäle gestreut werden und braucht dafür auch andere Bücher. Es gibt Bereiche, von denen große Verlage regelrecht die Finger lassen, unabhängig von der Qualität eines Manu- oder Typoskripts.316 Ein Independent Verleger beschreibt hier die Dynamik, die zwischen Stoff und Unternehmensgröße oszilliert und, je nach Verhältnis, die verlegerische Heimat von Buchprojekten maßgeblich mitbestimmt: Die großen Verlage sind Bestseller-getrieben. Sie müssen Bestseller machen, weil sich sonst der ganze große Apparat nicht finanziert. Und sie brauchen auch Bestseller, um andere Titel, auch qualitativ höherwertige Titel, mitzuziehen. Selbst wenn sie keine Bestseller machen, muss ihr Programm so verkäuflich sein, dass es eine möglichst breite Masse erreicht. Das heißt, die können es sich gar nicht erlauben, etwas zu tun, was völlig aus dem Raster fällt. Das würde bedeuten, sie verkaufen das nicht, und die eigene wirtschaftliche Existenz wäre denen entzogen. Insofern ist es ganz natürlich, dass gerade kleinere Verlage Trends entweder setzen oder erkennen. Und sobald es dann natürlich den Status erreicht, dass es eine gewisse gesellschaftliche Relevanz hat [.  .  .], plötzlich eine kritische Masse da ist, können sich auch größere Verlage erlauben, auf den Trend aufzuspringen. Weil sie wissen: Das Thema ist jetzt in der Gesellschaft etabliert oder so verankert, dass eine entsprechende Aufmerksamkeit auf dem Markt da ist, sodass es sich lohnt, da auch in höheren Auflagen ranzugehen.317

Was hier durchklingt, beschreibt auch, wie über den Inhalt ein unternehmerisches Ziel verfolgt wird, das bedeutet, die machtvolle Position des Unternehmens am Markt zu erhalten und auszubauen, vor allem aber: dass sich diese Macht maßgeblich aus ökonomischem Kapital zusammensetzt und durch dieses 315 Vgl. Bourdieu, 1999, S. 342f u. 357. 316 Das ist z.B. der Fall, wenn sich der Titel nicht klar einem Genre zuordnen lässt oder das Thema zu speziell und die erwartete Zielgruppe damit zu klein ist. Vgl. auch Interview A6, Absatz 130. 317 Interview A6, Absatz 209 f.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

definiert ist. Es bildet ein übergeordnetes Kriterium im Handeln und beeinflusst auch Entscheidungen, die den Inhalt betreffen: Autorinnen und Autoren werden nach Absatzwahrscheinlichkeiten ausgewählt, öfter noch mit konkreten inhaltlichen oder Plot-Vorgaben beauftragt. Die Akquise läuft über Vorschüsse. Umsätze zu halten und zu machen bedeutet weniger, Literatur zu entdecken, und noch weniger, schwierigere oder massenuntaugliche Projekte lancieren zu können. Auflagen unter 6.000 bis 8.000 Exemplaren lohnen sich da meist gar nicht.318 Sind große Verlage häufig Teil größerer Konglomerate bzw. Teil von Mischkonzernen und damit dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit näher als den Visionen einer Person, die diese erst in nächster Konsequenz mit Wirtschaftlichkeit verbinden will, so stößt das Programm kleiner Verlage vielmehr in Lücken bzw. stellt „Mosaiksteinchen“ dar, wie es ein Interviewpartner formuliert, zusammen mit der Bedeutung, die diesen zukommt: Wenn man der Literatur überhaupt einen Erkenntniswert, sagen wir, einen ästhetischen Erkenntniswert zubilligt, dann muss man sie natürlich in ihrer Ganzheit zeigen und nicht nur in ihren Bestsellern. Und diese Ganzheit bedeutet eben viele kleine Mosaiksteinchen. Und diese Mosaiksteinchen liefern die kleinen Independent Verlage, nicht die Großen.319

Was sich hier, auch und gerade bezogen auf den Inhalt, sehr deutlich zeigt, ist das literarische Feld mit seinen Polen. Wenn die Erwartung hoher Auflagen, die auf Masse abzielen, als Kriterium herangezogen wird, das entscheidet, ob ein Titel in das Programm aufgenommen wird, so entspricht diese Vorgehensweise jenem Pol des Feldes, der als Unterfeld der Massenproduktion bezeichnet werden kann: wo Gewinnstatistiken mehr zählen als literarische Meisterschaft oder Anerkennung durch ein Fachpublikum; wo publiziert wird, was am leichtesten konsumiert und am ehesten gekauft wird. Das ist insofern interessant, als in Abgrenzung dazu eine Facette der Begrifflichkeit „Independent“ deutlich wird. Denn sobald man sich an diesem Pol der Massenproduktion feldexternen Ansprüchen beugt und die Arbeit am inhaltlichen Programm einer ökonomischen Profitmaximierungslogik unterstellt wird, wird auch ein Großteil der Unabhängigkeit des Inhalts aufgegeben. Literatur wird hier nicht nach ästhetischen Maßstäben verfasst, ihre Beschaffenheit wird vielmehr vom Massengeschmack diktiert. Sowohl auf die Stoffauswahl als auch auf die formale Gestaltung der literarischen Werke übt dies natürlich großen Einfluss

318 Vgl. Ammern, 2001, S. 45. 319 Vgl. u.a. Interview B4, Absatz 306 f.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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aus, insofern diese wirtschaftlich überformt sind und folglich auch vieles ungeachtet seiner Qualität ausgeschieden wird und Ränder, Randgruppen und Spezialgebiete ohne Berücksichtigung bleiben. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Themen abseits des Mainstreams, Nischen, Grenzgängerinnen und Grenzgänger sowie eine Vielzahl von Debütantinnen und Debütanten finden sich vielfach in den kleinen Unternehmen, die tendenziell am anderen Pol des literarischen Feldes stehen. Dieser ist dergestalt, dass nicht primär ökonomischer Profit, hingegen spezifisch literarisch symbolisches Kapital maßgeblich für das verlegerische Handeln ist. Dieses kann nur dem Inhalt selbst entspringen und zugeschrieben werden – in erster Linie geschieht dies durch Konsekrationsinstanzen, etwa die Presse, Preise oder Institutionen wie die Kurt-Wolff-Stiftung.320 Der Autonomiegrad ist besonders hoch, je mehr die ökonomische Profitmaximierungslogik der Wirtschaft zugunsten einer freien inhaltlichen Programmgestaltung außer Kraft gesetzt ist.321 Der Begriff „Independent“ weist auf diese Autonomie in diesem speziellen Zusammenhang hin. Wenn ökonomisches Kapital nicht im Mittelpunkt des Interesses an Inhalten steht, so erfordert dies Strategien. Denn das Geschäft des Verlegens bedeutet auch, diese Inhalte schließlich auf einem Markt durchsetzen zu müssen, der größtenteils sehr wohl den Regeln des ökonomischen Kapitals unterliegt. Eine Möglichkeit besteht darin, als Akteurin bzw. Akteur finanziell unabhängig zu sein und nicht von der Literaturproduktion leben zu müssen. Dieser Zugang erfordert in den meisten Fällen andere Einnahmequellen, welche die verlegerische Tätigkeit ermöglichen bzw. mitfinanzieren.322 Doch auch aus der ganz speziellen Zusammensetzung des Kapitals, vor allem sozialen Kapitals, und des Milieus ergeben sich alternative Strategien, um inhaltlich relativ frei zu arbeiten. Mehr noch, da diese formgebend für das Programm sind und den Mangel an ökonomischen Ressourcen teilweise auch kompensieren können. Die Themen und Bücher sind so der Struktur geschuldet und bilden diese auch ab. Im Unmittelbaren wird dies offenbar: in den verlegten Texten selbst. Denn es ist das literarische Werk, das ureigentliche Produkt, das „manchmal mehr sogar über die soziale Welt aussagen kann als so manche vorgeblich wissenschaftliche Schrift“.323 Die Zusammensetzung der Programme bzw. auch die Versammlung bestimmter Autorinnen und Autoren in einem Verlag haben

320 Vgl. Kapitel 3.2.8.1 und 3.2.8.4. 321 Vgl. Bourdieu, 1999, 239 f. 322 Vgl. Kapitel 3.2.3. 323 Bourdieu, 1999, S. 66.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

somit die stärkste Aussagekraft über inhaltliche Parameter und Zugänge. Airen, Franz Dobler, Jim Avignon – um nur drei Beispiele zu nennen – sagen als typische Autoren vielfach mehr über Independent-Verlage aus, als es an dieser Stelle getan werden könnte. Wie zuvor in diesem Kapitel beschrieben, stammt eine Vielzahl der Autorinnen und Autoren dieser Verlage aus deren Lebensumfeld, und die Themen handeln zum größten Teil vom Alltag in diesem, den Eigenheiten ihrer Zeit und den Widersprüchlichkeiten der Gegenwart. Aus diesem Schöpfen aus der eigenen Lebensrealität resultiert eine Authentizität, die den Themen und den Buchprojekten immanent ist und die eine Stärke von Independent Verlagen ausmacht. Die Nähe zwischen Independent Verlagen, ihren Autorinnen und Autoren und ihren Leserinnen und Lesern ergibt sich aus der Struktur und formt das Programm – die daraus entstehende Qualität der Authentizität, in der immer auch das Entdecken mitschwingt, ist eine, die nur schwer zu kopieren ist. Dieses sorgfältige Beobachten des eigenen Umfelds, das das freie inhaltliche Arbeiten gewährt, ist häufig aus der Not entsprungen bzw. aus dem, was zur Verfügung steht – an spezifischem Kapital und seiner Zusammensetzung. Nach Bourdieu ist das nur stimmig, denn im literarischen Feld entstehen symbolische Gewinne gerade durch ökonomische Verluste.324 Alle großen Verlage blicken auf Anfänge zurück, die auf Verlegerpersönlichkeiten, deren Visionen und deren spezielles Umfeld und Interagieren mit diesem aufbauen. Und wenngleich sich diese längst – durch veränderte Besitzverhältnisse bzw. Wachstumsentwicklungen – von der ursprünglichen Vorgehensweise entfernt haben, so ist auch in diesen Verlagen von zentraler Wichtigkeit, immer wieder Entdeckungen zu machen und Debütantinnen und Debütanten zu präsentieren. Denn einem literarischen Verlag, der keine neuen Autorinnen und Autoren mehr anzieht, droht über kurz oder lang das Ende. Wenngleich die Analyse von Debüts auch zeigt, dass weniger als 10 Prozent aller Debütantinnen und Debütanten eine zweite Auflage verzeichnen und nur eine verschwindende Minderheit zum Verkaufserfolg wird.325 Ein weiteres Risiko für Verlage besteht darin, dass nur 10 Prozent aller Autorinnen und Autoren langfristig in ihrem Debütverlag bleiben. Autorinnen und Autoren neigen offensichtlich dazu, zu Verlagen vorzustoßen, die hohes symbolisches Kapital versprechen.326 Zum größten

324 Vgl. Bourdieu, 1999, S. 136; Friedrich, Hans-Edwin: Vom Überleben im Dschungel des literarischen Feldes. Über Pierre Bourdieus „Regeln der Kunst“. IASLonline vom 8.5.2001: http://www. iaslonline.lmu.de/index.php?vorgang_id=2070. Stand: 12.7.2015. 325 N.N.: Deutsche Literatur: Analyse literarischer Institutionen. Verlage. In: litde.com: http:// www.litde.com/analyse-literarischer-institutionen/verlage.php. Stand: 20.7.2015. 326 Ebd.

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Teil in Independent Verlagen entdeckt, reduziert sich hier deren Funktion häufig auf die des Filters. Denn bei Erfolg eröffnet sich eine ganz andere Dimension, die für Autorinnen und Autoren interessant wird und für den Verlag Bestehen und Überleben am Markt bedeutet: die des Vertriebs, dessen Möglichkeiten ausschließlich der Dynamik der Ökonomie gehorchen.

3.2.7 Wege zum Publikum: Vertrieb und Kommunikation In den verlegerischen Arbeitsfeldern Vertrieb und Kommunikation327 gelangen Bücher auf verschiedenen Wegen zu den Leserinnen und Lesern. Ideen und Programme finden dort ihre Verbreitung, die verlegerische Kernarbeit erntet dort ihre Früchte. So jedenfalls das theoretische Ideal. In der Praxis sieht es anders aus: Wie zahlreiche Quellen bzw. tägliche Branchenpressemeldungen belegen, stellt dieser Schritt in der langen Kette der verlagsunternehmerischen Etappen gerade für kleinere Verlage die größte Herausforderung dar.328 Im Folgenden wird das Vertriebsnetz des klassischen Buchhandels beschrieben und, ergänzend zu den Ausführungen in Kapitel 2, worin die Herausforderungen für Independent Verlage im Einzelnen bestehen. Vertriebliche Vorgehensweisen im Handel sind tendenziell durch „Push-Vorgehensweisen“ bestimmt, während der Weg über die Presse eine „Pull-Strategie“ im Buchabsatz darstellt. Dieser Weg über die Kommunikation und deren Bedeutung werden im Anschluss dargestellt. Vertriebliche Alternativen für Independent Verlage knüpfen daran an. Den Abschluss bildet eine Analyse dieser vertrieblichen Situation.

3.2.7.1 „Push-Dynamik“: Buchabsatz auf einem scheinbar undurchdringbaren Markt In der Verbreitung ihrer Publikationen steht den kleineren Verlagen zunächst – wie allen anderen Unternehmen auch – ein differenziert organisiertes Vertriebsnetz zur Verfügung, das dreistufig unterschieden werden kann.329 Alle Wege, auf denen Bücher direkt zur Leserin bzw. dem Leser gelangen, werden als direkte Distribution bezeichnet, etwa die Bestellung via Internet. Werden Buchhandlungen

327 Hier als Marketing, Pressearbeit, PR u.Ä. verstanden. 328 Vgl. u.a.: Schiffrin, 2000; Meuser, 2007; sowie eine Vielzahl von Artikeln in den Branchenmedien. 329 Vgl. Heinold, Wolfgang Erhard: Bücher und Büchermacher. Verlage in der Informationsgesellschaft. Heidelberg: C.F. Müller Verlag, 2001, S. 167.

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bzw. Verkaufsstellen direkt vom Verlag beliefert, so spricht man vom einstufigen Vertrieb, während beim zweistufigen Vertrieb die Verlage ihre Bücher an Buchgroßhändler, an die sogenannten Barsortimente bzw. den Zwischenbuchhandel, liefern, welche die Bestellung von und Lieferung an die Endverkaufsstellen abwickeln.330 Diesen vorgeschaltet ist in der Regel noch die jeweilige Auslieferung des Verlags, die alle Titel in der Gesamtauflage aus dem Programm lagert und versendet. Wahl und Gestaltung der Vertriebswege sind zunächst abhängig vom jeweiligen Angebot, das Verlage bieten. Für einen Vertrieb von Büchern, die eine heterogene Leserschaft ansprechen wollen, wie es bei Belletristik der Fall ist, ist eine Buchhandelspräsenz erforderlich. Wenngleich der stationäre Buchhandel aufgrund neuer digitaler Wege zunehmend Anteile abgibt, so ist er nach wie vor der wichtigste Umschlagplatz für Bücher und damit wichtigster Vertriebspartner der Verlage.331 Durch den Strukturwandel in der Branche ist er jedoch, noch stärker als der Verlagsbereich, durch massive Konzentrationstendenzen geprägt.332 Was die Konzentration im Handel für Independent Verlage bedeutet, wird schrittweise in den folgenden Punkten dargestellt.

3.2.7.1.1 Herausforderung: Allgemeine Tendenz der Konzentration im Buchhandel Die Entwicklung in den letzten Jahren erfolgte rasant und war durch das Sterben von kleinen Buchhandlungen bzw. Fusionen zu größeren Gebilden gekennzeichnet. Während zur Jahrtausendwende die zehn erstplatzierten Buchhandelsketten 16 Prozent des gesamten Umsatzes abdeckten, waren es 2006 knapp 27 Prozent.333 Zu diesem Zeitpunkt lautete das selbst erklärte Ziel der Thalia-Gruppe, des Marktführers, der sich zu 100 Prozent im Eigentum der Douglas Holding AG befindet,334 den Marktanteil in Deutschland mittelfristig zu verdoppeln.335 Das hat

330 Vgl. Heinold, 2001, S. 167 f. 331 Vgl. Kapitel 2.2.2. 332 Vgl. Kapitel 2.3. 333 Läsker, Kristina.: Neuer Marktführer im Buchhandel. In: sueddeutsche.de vom 17.8.2006: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/partnerschaft-angekuendigt-neuer-marktfuehrer-imbuchhandel-1.905062. Stand: 22.7.2015. 334 Aktuell wird über Verkaufspläne von Douglas’ Marken, auch Thalia, berichtet. Vgl.: N.N.: Douglas verduftet, Thalia bleibt. In: boersenblatt.net vom 2.6.2015: http://www.boersenblatt. net/artikel-filialisten.966607.html. Stand: 22.7.2015. 335 N.N.: Douglas will Marktanteil im Buchhandel verdoppeln. In: capital.de vom 23.10.2006: http://www.capital.de/unternehmen/100005094.html?eid=100000676. Stand: 22.7.2015.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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man erreicht: Im Vergleich zu 163 Filialen im Jahr 2006 und einem Umsatz von 550 Millionen Euro zeigt die Entwicklung im Jahr 2012 296 Filialen, davon 60 in Österreich und der Schweiz, und einen Umsatz von rund 915,2 Millionen Euro.336 Für das bislang mittelständisch geprägte Bild des Buchhandelsmarktes bedeutete die aggressive Expansionspolitik eine radikale Veränderung in relativ kurzer Zeit. Der Weg zur Marktbeherrschung Thalias zeichnete sich aus durch einen ständigen Wettlauf mit den Nächstgrößeren, der Verlagsgruppe Weltbild und der Mayerschen Buchhandelskette, sowie durch Neueröffnungen im Monatsrhythmus und Übernahmen von Großbuchhandlungen und Buchhandelsketten. Mittlerweile hat der Kurs an Rasanz verloren, das Potenzial scheint für den Moment ausgeschöpft. Vielerorts liest man heute schon wieder vom Ende des Erfolgskurses der Ketten, zahlreiche Filialen werden wieder geschlossen.337 Der Kahlschlag freilich bleibt: Der immense Rückgang unabhängiger kleiner und mittlerer Buchhandlungen ist nicht mehr reversibel, die übermächtige Dominanz am Markt bleibt bei den Ketten, auch wenn sie wanken. Die vielfach größeren Flächen, mit Kaffeeecken, Rolltreppen und hoch gestapelten Buchtürmen, bedeuten jedoch, auch wenn sie es suggerieren, nicht zwangsläufig ein breites Angebot an Büchern. Das Konzept besteht darin, mit möglichst wenigen Titeln möglichst viel Umsatz machen. Hohe Stapel gestalten sich in der Regel aus einem einzigen Buchtitel, dessen Platz dort vom Verlag teuer erkauft wurde. Gerade die Programme kleinerer Verlage sucht man in den Ketten oft vergebens. Denn die Chance, deren Titel und Autorinnen und Autoren im Sortiment der Buchhandelsketten unterzubringen, scheitert an den Vorgehensweisen und Vertriebskonditionen der Ketten, die im Folgenden weiter ausgeführt werden.

3.2.7.1.2 Herausforderung: Veränderung der Bezugsmodelle Aufgrund des verschärften Wettbewerbs ist die buchhändlerische Arbeit heute stark von Rationalisierungsprozessen geprägt, die immer auch die Verringerung des Warenbestandes und der Lieferantenzahl mit sich bringt. Die Bezugsmodelle des Buchhandels haben sich radikal und v. a. für kleine Verlage nachteilig verändert: In der Regel werden zwischen 70 und 90 Prozent des Absatzes eines Verlages über die Barsortimente und den Bucheinzelhandel bzw. direkt über den Bucheinzelhandel getätigt. Größere Mengen werden immer seltener

336 N.N.: Thalia (Buchhandel). In: wikipedia.org: http://de.wikipedia.org/wiki/Thalia_%28 Buchhandel%29. Stand: 22.7.2015. 337 Vgl. Kapitel 2.2.2.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

eingekauft, vor allen Dingen bei den Verlagen; der Großteil der Titel wird mittlerweile vom Zwischenbuchhandel bezogen.338 Im Prozess der Rationalisierung trägt dieser wesentlich zur Beschleunigung bei. Die Barsortimente beliefern ihre Kunden täglich und wickeln die Zahlung in Sammelrechnungen ab. Das erlaubt dem Buchhandel, seine Bestellungen in erheblichem Maße zu rationalisieren, da er Bücher von mehreren Verlagen zentral beziehen kann. Es erlaubt auch, sehr kurzfristig zu agieren bzw. auf Nachfrage zu reagieren, da man die gewünschten Titel seinen Kundinnen und Kunden binnen 24 Stunden bereitstellen kann.339 Nachdem gerade hinter der Anschaffung von Büchern eine spontane Kaufentscheidung steht (Bücher belegen bei Spontankäufen mit 28 Prozent den zweiten Platz, nach Kleidung),340 ist es für den Absatz von Büchern aber zentral, im stationären Buchhandel nicht nur erhältlich, sondern dort auch vorrätig zu sein. Wird nicht nach einem bestimmten Buch gesucht, so findet sich für alles, das nicht ausliegt, eine Alternative im Angebot des Sortiments. Doch auch bei der gezielten Nachfrage nach einem Buch können sich Schwierigkeiten ergeben: In der Regel sind die Buchhandlungen auch mit der Software bzw. Datenbanken ihres Barsortiments ausgestattet. Das ist zunächst praktisch, kann sich gelegentlich aber auch fatal auswirken, wie aus vielen Quellen immer wieder zu bedenken gegeben wird, insofern diese Datenbanken häufig auch wie ein Ersatz für das unternehmensneutrale Verzeichnis lieferbarer Bücher (VLB) genutzt werden,341 wie auch ein Interviewpartner berichtet: Wenn Sie in eine Buchhandlung gehen und die hat das Buch nicht vorrätig, dann schauen die Buchhändler nicht in das Verzeichnis lieferbarer Bücher, wo sie denn dieses Buch bekommen. Sondern jede Buchhandlung hat einen Vertrag mit einem Barsortiment [. . .]. Und dann gucken sie, ob sie dieses Buch in der Datenbank dieses Barsortiments finden. Und wenn es da nicht vorhanden ist – dann muss das Buch wohl vergriffen sein oder noch nicht erschienen?! Es ist auf jeden Fall ein Buch, das für den Buchhändler nicht existent ist.342

338 Lucius, 2007, S.178. 339 Vgl. Bez, Thomas: Wie das Buch ins Regal kommt. ABC des Zwischenbuchhandels. 6. Aufl. Frankfurt am Main: Books on Demand, 2006, S. 6; Heinold, Wolfgang Erhard: Verlage in der Informationsgesellschaft. Heidelberg: C.F. Müller Verlag, 2001, S. 185; Rehm, Sabine: Zwischenbuchhandel. In: Schütz, Erhard (Hg).: Das Buchmarktbuch – der Literaturbetrieb in Grundbegriffen. Reinbek: Rowohlt, 2005, S.408–410, S. 409. 340 Messe Frankfurt: Management Report. So kauft Deutschland. Frankfurt: Messe Frankfurt Exhibition GmbH, 2012, S. 6. 341 Meuser, 2007, S. 36 f. 342 Interview B5, Absatz 59.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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3.2.7.1.3 Herausforderung: Konditionsforderungen der am Feld bestimmenden Big Player Immerhin stellt die Listung in den Katalogen der Barsortimente für kleinere Verlage heute, im Unterschied zu früher, zumeist kein Problem mehr dar.343 Das Verhältnis ist dennoch ein zwiespältiges, wie ein Verleger beschreibt: Für uns ist es natürlich das Schlechteste überhaupt, wenn die Bücher [. . .] über die Barsortimente verkauft werden. Weil natürlich die Rabatte dann viel höher sind, die wir gewähren müssen. Aber besser so als gar nicht.344

Denn durch den Vertrieb über das Barsortiment mindert ein weiterer, erheblicher Rabattposten den Ertrag des Verlages. 50 Prozent Rabatt sind dabei keine Seltenheit. Der Satz enthält in der Regel den Rabatt, der an die Buchhandlungen weitergegeben wird, beim Barsortiment verbleiben schließlich zwischen 10 und 15 Prozent. Das ist jedoch in jedem Fall unterschiedlich geregelt, da die Verträge mit Verlagen und Buchhandlungen einzeln ausgehandelt werden. Das erschwert zum Teil auch Vertriebskooperationen, vor allem bedeutet dies aber: Will man den Forderungen nicht nachkommen, so kann das, wie in der Praxis immer wieder erfolgt, auch zur Auslistung führen – und das Buch wird in sämtlichen Datenbanken dann als nicht lieferbar gemeldet. Diese repressive Geschäftspolitik ist aufgrund der Nachfragemacht der Barsortimente möglich. Es erklärt auch den beständig im Steigen begriffenen Rabattsatz. Sowohl Buchhandel als auch Verlage sind auf den Zwischenbuchhandel angewiesen.345 Das Problem der Auslistung zieht sich dann auch weiter etwa zu Amazon, dem derzeit größten virtuellen Buchhandelspartner. Denn Amazon bezieht von den Verlagen über die Barsortimente. Werden deren, genauso aber auch Amazons Konditionsforderungen nicht erfüllt, heißt es dann auch auf der Webseite von Amazon: „Buch nicht lieferbar/vergriffen/noch nicht erschienen“ – was eine überaus ungünstige und unrichtige Botschaft für den jeweiligen Titel ist. Ähnliche Schwierigkeiten gibt es auch mit den Big Playern im stationären Buchhandel, den Ketten. Vertreterinnen und Vertreter kleinerer Verlage werden dort zumeist gar nicht erst zu Gesprächen eingeladen bzw. vorgelassen, die im Frühjahr und Herbst im Buchhandel üblich sind, um die neuen Programme

343 Meuser, 2007, S. 36. 344 Interview A3, Absatz 231. 345 Über die Umsätze des Zwischenbuchhandels ist offiziell nichts bekannt. Vermutet wird, dass sie die Spitze im Geschäft mit Büchern bilden und weit über denen der Buchhandelsketten liegen. Kolportierte Zahlen belaufen sich auf zwei Milliarden Euro für den gesamten Zwischenbuchhandel.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

vorzustellen. In den Buchhandelsketten mit mehreren Filialen wurde der ehemals traditionelle Verkauf an den Bucheinzelhandel über Vertreterinnen und Vertreter im Zuge der Veränderungen überwiegend durch einen Zentraleinkauf ersetzt, der die Bestände für das gesamte Unternehmen organisiert. Durch die zentrale Einkaufsmacht werden die Bücher jener Verlage, die dort ausliegen, nicht nur mit hohen Rabatten bezogen. Zusätzlich hat sich bei den Großen in den letzten Jahren eine Praxis etabliert, die sich die Präsentation der Bücher immer mehr von den Verlagen mitfinanzieren lässt. Dabei fallen etwa Werbekostenzuschüsse bis in einen fünfstelligen Bereich an, um die Bücher ansprechend in den Läden zu präsentieren. Oder Kosten, die mit der Aufnahme in die Kundenzeitschriften verbunden sind. Auf weitgehendes Unverständnis stieß in diesem Zusammenhang auch der „Vorschlag“ Thalias 2006, die Verlage mögen sich finanziell am Ausbau und der Einrichtung neuer Firmenfilialen beteiligen, wovon aber schließlich abgesehen wurde.346

3.2.7.1.4 Herausforderung: Überproduktion, beschränkter Platz und schnellere Drehzeiten Vor dem bislang skizzierten Szenario stehen kleinere Verlage mit beschränkten Volumina vor einem Dilemma. Möglichkeiten im Vertrieb sind maßgeblich an Auflagenhöhen gekoppelt, die über die jeweilige Präsenz im Handel – der Umfang des Angebots bestimmt dort wesentlich die Nachfrage – bestimmen. Dahinter liegt eine simple Kausalkette: Je höher die Auflage, desto niedriger die Stückkosten, desto niedriger der Ladenpreis, desto höher die Absatzchancen. Für kleine Verlage besteht ein weiteres ökonomisches Problem im Vertrieb also darin, dass sie mit kleineren Auflagen einerseits nicht in den Marktkreislauf der Massenproduktion eintreten können; anderseits auch, dass die Kosten pro Stück höher sind. Der Preis kann jedoch nicht nach Bedarf gestaltet werden, sondern ist im Vergleich mit ähnlichen Produkten festzusetzen.347 In den „Erdgeschossen der Supermärkte im Buchhandelsgeschäft, oder in eigens zur Vermarktung von ‚Restauflagen‘ gegründeten Ketten“ erhält das Problem noch eine zusätzliche Dimension: Dort nämlich werden Buchpreise etabliert, „die jeder produzierenden Arbeit an Büchern spotten“.348 Den Buchhändlerinnen und Buchhändlern kann man dabei keinen Vorwurf machen, wenn 346 Vgl. Kassel, Dieter: Interview mit Thalia-Geschäftsführer Michael Busch: „Verlage sollen sich an Filial-Eröffnungen beteiligen“. In: Deutschlandradio Kultur vom 16.1.2006: http://www. dradio.de/dkultur/sendungen/kulturinterview/458767/. Stand: 22.7.2015. 347 Vgl. Ammern, 2001, S. 66. 348 Ebd., S. 68.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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man beachtet, dass es sich dabei um sogenannte „Ramschgeschäfte“ handelt, in denen die jeweils letzten Geschäfte mit einem Titel gemacht werden. Die Begründung für dieses Problem liegt in der Überproduktion der großen Verlage. Eine mittelfristige Gefahr besteht darin, dass die gesellschaftliche Akzeptanz für angemessene Buchpreise aufgrund dieser verlegerischen Fehlkalkulationen sinkt, in Kombination mit dem gleichzeitig stattfindenden Trend des Selbstverlegens wird dieser Trend weiter befeuert, da die so verlegten Bücher in der Regel mit weitaus niedrigeren Kosten kalkuliert werden können. Selbst wenn ein Verlag die hier beschriebenen Hürden genommen hat und alle Voraussetzungen erfüllt, um ordentlich am System teilzunehmen, so ist dies nur der erste Schritt. Denn nach dem Eintritt in diesen Markt heißt es, mit der Realität umzugehen, die sich auf diesem in sehr unübersichtlicher Weise zeigt. Titelüberangebot trifft dort auf beschränkten Platz und immer schnellere Drehzeiten: das Buhlen um Platzierung auf beschränktem Raum, der nur Platz für wenige bietet angesichts einer zunehmend größeren Masse an jährlichen Neuerscheinungen. Ein Interviewpartner überlegt dazu: Wie viel von den 7.000 kann der [Buchhändler] auslegen? 20? So, wie kann ich den dazu kriegen, als kleiner Verlag auch mein Buch auszulegen? Den da mal kennengelernt, telefoniert, aber die Chance, dass er es auch macht und auch verkauft, ist ja auch nicht so ganz einfach. Das heißt, man muss sich schon etwas einfallen lassen, dass der von den 7.000 ausgerechnet mein Buch nimmt.349

Die in der Branchenpresse vielfach proklamierte Solidarität zwischen kleinen unabhängigen Verlagen und kleinen unabhängigen Buchhandlungen stellt sich nur bedingt als tragfähiges Modell heraus. Denn der anhaltende Konzentrationsprozess im stationären Handel geht vor allem zu Lasten kleiner und mittelständischer Betriebe. Gerade deren Kampf ums Überleben lässt sie oft weniger an ungewöhnliche Buchtitel denken als eben vor allem an gut verkäufliche Massenware. Unbekannte Autorinnen und Autoren und deren Titel zu pushen bedeutet in dieser Situation ein Risiko: „Die ganz kleinen Buchhandlungen haben so abenteuerlich zu kämpfen, dass die nicht mal im Traum daran denken, Bücher von uns ins Sortiment zu nehmen. Aus Liebhaberei werden höchstens einmal ein bis zehn Bücher abgenommen“,350 so der Verleger Axel Dielmann in einem Interview für das Magazin MedienWirtschaft. Erschwerend kommt hinzu, dass Buchhändlerinnen und Buchhändler Geschäfte mit größeren Verlagen häufig reibungsloser abwickeln können. Denn kleine Verlage treffen Remissionen viel

349 Interview B4, Absatz 193 f. 350 Axel Dielmann, zitiert in: Meuser, 2007, S. 36.

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härter als größere, und die Rückgabeabwicklung ist dann mit größeren Verlagen auch häufig einfacher gestaltet. Im steigenden Wettkampf der Filialisten sehen manche jedoch auch eine Chance für kleinere Marktteilnehmer. Ähnlich wie bei kleineren Verlagen liegt eine große Chance dabei in der Nische bzw. Spezialisierung, was sich viele kleine Verlage auch vom stationären Buchhandel wünschen: Ich kann auf 50 Quadratmetern niemals die gleiche Vielfalt bieten, wie das Thalia kann. Auf der anderen Seite, ich gehe ja auch deshalb zu meinem Buchhändler, im Idealfall, weil mich mein Buchhändler kennt und mir was empfiehlt – und dann kaufe ich es auch. Bei Thalia und bei den Großen, da haben wir Verkäufer. Im weitesten Sinne sind das Aushilfskräfte, die von Büchern keine Ahnung haben. Ich geh da hin, wenn ich gezielt was brauche, den neuen Dan Brown oder den neuen Harry Potter. Wenn ich was Spezielles suche, will ich aber einen Buchhändler, der sich damit auskennt. [. . .] Insofern wünsche ich mir von den Buchhändlern, [. . .] sich ein bisschen mehr zu positionieren. Zu sagen: ich muss nicht alles haben, bloß weil ich glaube, ich muss genauso breit aufgefächert sein wie Thalia. Ich bin ein Literaturhändler, ich konzentriere mich auf Belletristik. Ich mache Krimis. Ich mache eine Fantasy-Buchhandlung, eine Kochbuchhandlung. Ich suche mir ein Spezialgebiet, wo ich weiß: da stehe ich dahinter, da kenne ich mich aus, da bin ich richtig gut, da kann mir keiner was erzählen. Das kann ich verkaufen. Und habe halt in der Auslage vorne noch die Spiegel-Bestseller-Liste liegen. Weil, klar: die Dreher braucht man.351

Tatsächlich haben in den vergangenen Jahren auch einige unabhängige Buchhandlungen eröffnet, die auf genau dieses Prinzip setzten.352 Dennoch lässt sich konstatieren, dass die große Tendenz die Marktmacht im Handel immer noch deutlich bei den Ketten konzentriert und sich eine geringe Anzahl von Verlagen den Großteil des Marktes teilt, dessen größter Gewinner der Zwischenbuchhandel ist. Die Vorgehensweisen aller Big Player (sowohl herstellender, vertreibender wie Zwischenbuchhandel) funktionieren nach einer Push-Dynamik, die durch deren Marktmacht schließlich auch den Markt dominiert. Die Massennachfrage ist hart umkämpft. In dieser Dynamik können durch Marketing, Investitionen und Werbebudgets Bestseller geplant und gemacht werden. Kleinverlage können hier einerseits nicht konkurrieren, andererseits sind sie auch anders ausgerichtet. Gegenstand der Konzeptionierung des Buchabsatzes muss in kleinen Verlagen demnach eine andere sein.353 Dabei bieten sich Pull- und alternative Strategien an. 351 Interview A6, Absatz 30 ff. 352 Vgl. u.a. etwa die Buchhandlung ocelot in Berlin: http://www.ocelot.de/blog/category/ store/. Stand: 23.7.2015 oder Lhotzkys Literaturbuffet in Wien: http://www.literaturbuffet.com/. Stand: 23.7.2015. Beide Läden funktionieren auch als Café und heben sich in ihrer Gestaltung von gängigen Buchhandlungen ab. 353 Vgl. auch: Ammern, 2001, S. 57.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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3.2.7.2 „Pull-Strategie“: Presse und Kommunikation Die Kommunikation über Neuerscheinungen und Verlagsprogramme richtet sich einerseits an den Buchhandel, an die Presse und auch direkt an potenzielle Leserinnen und Leser. Die Direktansprache von Presse und Zielgruppe ist für Independent Verlage insofern unerlässlich, als so Interesse und damit Nachfrage geweckt werden können. Dieser Ansatz einer Endverbraucherwerbung entspricht der „Pull-Strategie“ im Gegensatz zur „Push-Strategie“, die sich auf den Verkauf an den Handel konzentriert und die große Verlage vielfach verfolgen, für kleinere Verlage aber aufgrund der damit verbundenen Kosten und wie oben stehend erläutert, kaum realisierbar ist:354 Unser Hauptaugenmerk ist eher Presse, und im Konzernverlag ist das eher Vertrieb [. . .]: Den Buchhändlern Werbemittel zur Verfügung zu stellen etc., dann gibt es drei Reisen bei Bertelsmann zu den Buchhändlern. Also, da wird sehr großer Druck aufgebaut. Im Vertrieb. Und natürlich die ganze Werbung, Werbung, Werbung.355

Bei Independent Verlagen fallen die Werbebudgets gering aus. Mit einem Anteil von 5–10 Prozent des Umsatzes nehmen diese oft nur einen vierstelligen Betrag an. Als kalkulierbarer Kostenfaktor ist das Marketing somit ein vergleichsweise geringer Posten bei kleinen Verlagen.356 Kaum beinhaltet dieser klassische Werbung in Form von in der Regel kostspieligen Anzeigen in Tageszeitungen, Publikumszeitschriften oder anderen Werbeflächen. Vielmehr gilt es, vorhandene Ressourcen effizient einzusetzen und Instrumente auszuwählen, die eine möglichst große Wirkung und Reichweite versprechen, ohne große Investitionen tätigen zu müssen. Die Aktivitäten der meisten kleineren Verlage konzentrieren sich daher mehr auf ausgewählte Medien, die zu Themen, Zielgruppen oder Regionen passen, als auf den Buchhandel. „Unser Hauptvertriebsweg in den Buchmarkt ist die Presse“,357 fasst es ein Independent Verleger zusammen. In allen Interviews wurde die Bedeutung der Presse für den Vertrieb der Bücher betont. Nicht nur aufgrund der eingeschränkten Möglichkeiten, Werbeaktivitäten zu finanzieren, sondern auch aufgrund der Inhalte, die sich in den Programmen der Verlage finden, ergibt sich ein weiterer Punkt für die partnerschaftliche Zusammenarbeit von Presse und Independent Verlagen. „Für ein verlegerisches Gelingen kann [.  .  .] die Qualität der Texte wichtiger sein als

354 Vgl. Meuser, 2007, S. 36. 355 Interview B6, Absatz 112. 356 Vgl. Ammern, 2001, S. 86 f. 357 Interview A4, Absatz 380.

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Kapital“358 – beseelt von dieser Hoffnung, versuchen viele Independent Verlage die Problematik im Vertrieb auf diesem Weg zu bezwingen. Schließlich geht es um etwas, das Bücher zu Kulturgütern macht und nicht nur zu Gegenständen des Warenverkehrs: die Sprache. Das verbindet mit der Presse, die ebenfalls inhaltlich arbeitet – und gerade kleinere Verlage sind so einmal mehr auf diese angewiesen: Ein Verlag wie unserer, in unserer Größe, der braucht die Presse auch noch. [. . .] Wir sind nicht . . . Random House. Die einfach teuer einkaufen, irgendwie teuer Werbung machen und einfach alles mal rausschieben und mal gucken, was geht. Sondern wir arbeiten inhaltlich. Und das ist ja der entscheidende Punkt. All diese Independent Verlage – die arbeiten nicht nur persönlich, sondern auch inhaltlich. Da sind nicht nur über die Verlegerpersönlichkeiten, über die Strukturen, sondern auch über die Bücher Themen zu finden.359

Auf mittlere und lange Sicht steigen die Chancen, einen Kleinverlag ohne finanzielle Mittel am Markt zu etablieren, mit der veröffentlichten Qualität.360 Vor allem in einer Buchhandelslandschaft mit etlichen austauschbaren Titeln erlaubt Qualität, konkurrenzlose Produkte am Markt zu lancieren. Damit die Öffentlichkeit Kenntnis davon erlangt, ist der Kontakt zur Presse zentral. Einmal mehr, da diese auch überzeugt werden muss: Denn in den Verlagsprogrammen finden sich selten bekannte Namen, vielmehr sind es unbekannte Autorinnen und Autoren, und das bedeutet, dass die Überzeugungsarbeit ganz am Anfang steht. Gemeinsam mit hochwertiger Ausstattung und ungewöhnlichen Themen, neuen Gesichtern und Veranstaltungen, die sich abheben, wird das versucht. Die dahinter stehende professionelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit umfasst die Kontaktpflege zur Presse, den Versand von Programmvorschauen, Lese- und Rezensionsexemplaren an den Zwischen- und Einzelhandel sowie an Multiplikatoren. Sofern koordiniert eingesetzt, bleiben die Kosten überschaubar, und darüber hinaus spielt ein gekonntes Agieren auch bei der Bildung des Verlagsimages bzw. eines positiven Produktimages eine bedeutende Rolle.361 Aufbau und Pflege von Kontakten zu den Redaktionen verschiedener Medien, denen Besprechungsexemplare zur Verfügung gestellt werden, in der Hoffnung, 358 Ammern, 2001, S. 20 f. 359 Interview B1, Absatz 431. 360 Vgl. Bourdieu, 1999, S. 228 ff. 361 Vgl. Breyer-Mayländer, Thomas, et al.: Wirtschaftsunternehmen Verlag. Buch-, Zeitschriftenund Zeitungsverlage: Distribution, Marketing, Rechtsgrundlagen, Redaktion/Lektorat. Frankfurt a. M.: Bramann, 2005, S. 175.

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dass dort auf die Titel aufmerksam gemacht wird, sind geradezu überlebensnotwendig, wie ein Verleger hier beispielhaft erklärt: Das Wichtigste eigentlich für mich, oder ausschlaggebend, dass ich das überhaupt gewagt habe, war, dass ich das Presse-Netzwerk habe. Dass ich in Deutschland, in der Schweiz, in Österreich die Journalisten kenne – und dass die mich kennen . . . ohne die Rezensionen, ohne die redaktionelle Berichterstattung kann man das vergessen.362

Persönliche Kontakte und Überzeugungsarbeit sind auch deshalb so wichtig, weil kleinere Verlage anders als große nicht breit streuen können. Das Budget erlaubt keine regelmäßigen Pakete mit Rezensionsexemplaren, die an alle relevanten Redaktionen versendet werden. Genauso ist auch der Platz in den Feuilletons großer Zeitungen oftmals den großen Verlagen vorbehalten, weil diese dort auch Anzeigen schalten, was ein mächtiges Steuerungselement darstellt. Denn auch in der Presse verhält es sich ähnlich wie in der Buchhandlung: Das Missverhältnis von Angebot und Möglichkeiten zu berichten ist immens, der Platz ist begrenzt und begehrt, gemessen an den Tausenden Büchern, die in Frage kommen, um darüber zu berichten, ist er verschwindend gering. Im Prinzip könnte der kleine Raum, der für Buchbesprechungen vorgesehen ist, komplett mit den großen Literaturverlagen – Hanser, Rowohlt, Fischer, Suhrkamp – bestückt werden. Vorteile, um sich hier als Independent Verlag durchzusetzen, bestehen zum Teil in der Generationenverbundenheit, aber auch in den jungen Büchermacherinnen und -machern selbst: Das waren ja Individuen, Persönlichkeiten – sehr unterschiedlicher Art –, sehr bunt und interessant. Da hätte ich mich als Journalist auch daraufgestürzt. Und ich meine, das ist ja nicht anders im Feuilleton. Nur auf einer anderen Ebene.363

Man kommuniziert eben mehr als nur Bücher und deren Inhalte: Kleine Verlage haben gegenüber großen Apparaten den klaren Vorteil, greifbarer zu sein. Neben den Gesichtern der Autorinnen und Autoren sind es auch die Gesichter der Verlegerinnen und Verleger, deren Geschichten und Beweggründe. Während Konzerne gesichtslos bleiben, bündeln Independent Verlegerinnen und Verleger in ihrer Person alles. „Dass das die Presse interessiert, wundert mich überhaupt nicht.“364 Ein Interviewpartner beschreibt, wie es der Verlegerin Daniela Seel gelungen ist, der Verbreitung von Poesiebüchern über ihr Potenzial bei relevanten Zielgruppen

362 Interview A7, Absatz 47. 363 Interview B1, Absatz 431. 364 Interview B1, Absatz 431.

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hinaus Gehör zu verschaffen – indem sie ihre Person in den Dienst der Sache gestellt hat: Das ist ein gutes Beispiel, die Daniela Seel. Die hat eben wahnsinnig viele Interviews gegeben, die hat sich bekannt gemacht. So, dass überhaupt ein Bewusstsein dafür entstehen konnte, dass die existiert. Denn, ich geh ja nicht in den Laden und finde da ihre Bücher. Die muss sich über andere Mittel bekannt machen.365

Gekonnte Kommunikation und Inszenierung verbindet alle in dieser Arbeit porträtierten Verlage. Die überdurchschnittliche Professionalität in der Pressearbeit ist oftmals schon vorgezeichnet durch die Erfahrung, erfolgreiche Veranstaltungen zu machen. Im Falle von Blumenbar-Verleger Wolfgang Farkas ist dies ergänzt um die Ausbildung und Tätigkeit als Journalist, genauso wie bei mairisch-Verleger Daniel Beskos. Salis-Verleger André Gstettenhofer etwa verfügt über eine PR-Ausbildung. Im Verlag mairisch, der unter den hier porträtierten den geringsten Titelausstoß verzeichnet, kümmern sich sogar zwei Personen um die Presse. Diese starke Bemühung der Öffentlichkeitsarbeit ist typisch für die hier Porträtierten und hebt sich von den meisten Verlagen gleicher Größenordnung ab: Es gibt so viele Indie-Verlage, von denen kriegst du einfach nix mit. Die sind nicht präsent. Und wir, ich glaube, wir sind halt auch sonst präsent. Wir sehen uns, wir sprechen miteinander. Und wir kümmern uns auch alle sehr sorgfältig um die Medien.366

In der Kommunikation und Verbreitung der Programme spielen die schon an mehreren Stellen dieser Arbeit thematisierten Veranstaltungen einmal mehr eine Rolle: Denn neben der Presse ist das Publikum ein weiterer, zunehmend bedeutender Multiplikator.367 Gerade im Zusammenhang mit den zahlreichen Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, ist dieser Aspekt von Bedeutung – die Mediennutzung ist zunehmend zerstreuter. In diesem Kontext verlieren auch Rezensionen an Einfluss, während Empfehlungen von Privatpersonen, vor allen Dingen auch im Internet, zunehmend wichtiger werden. Der Umstand wirkt sich für Independent Verlage günstig aus. Mehr als große Verlage sind sie auf den eingeschworenen Kreis eines Spezialpublikums angewiesen. Mehr als große Verlage sind sie aber auch in der Lage, mit diesem Publikum auf Augenhöhe zu kommunizieren und Nähe herzustellen.

365 Interview B4, Absatz 210. 366 Interview A7, Absatz 290. 367 Vgl. Kapitel 3.2.2.2, 3.2.4, 3.2.6.4 sowie 3.2.8.4.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Das Internet bietet dabei eine breite und kostengünstige Plattform, denn für einen relativ geringen Betrag kann dort das gesamte Programm eines Verlages zugänglich gemacht werden.368 Leseproben und einfache Bestellmöglichkeiten regen virtuelle Einkäufe an. Zusätzlich erlauben es Newsletter und soziale Netzwerke, sehr kosten- und zeitsparend über Neuerscheinungen und Veranstaltungen zu informieren. Doch die Internetpräsenz ist viel mehr als eine Werbeplattform – sie erlaubt auch, sich den Kundinnen und Kunden als Unternehmen zu präsentieren, und trägt zur Schärfung des Verlagsprofils bei. Das Internet erlaubt eine Ergänzung zum Vertrieb bzw. zu der Präsentation im Buchhandel, darüber hinaus auch den Aufbau und die Kontaktpflege zur Zielgruppe. Zudem ist der eigene Online-Shop bereits eine Möglichkeit des Direktvertriebs. Diese Form des Vertriebs stellt gerade für Independent Verlage eine ganz wesentliche Alternative dar. Weitere werden im Folgenden vorgestellt.

3.2.7.3 Alternative Wege und Möglichkeiten Wie die Ausführungen in diesem Kapitel deutlich machen, gestaltet sich die vertriebliche Situation für Independent Verlage mit großen wie kleinen Buchhandlungen im stationären Geschäft schwierig. Gerade durch diese schwierigen Bedingungen der klassischen Vertriebswege müssen verstärkt alternative Strategien entwickelt werden, um ausreichende Erlöse zu erzielen. Im Folgenden werden sieben Wege vorgestellt, die in dieser Situation vertriebliche Alternativen für Independent Verlage bieten, unter besonderer Berücksichtigung der sich verändernden Rahmenbedingungen sowie der spezifischen Kapitalausstattung – geringes ökonomisches, aber hohes soziales Kapital – von Independent Verlagen.

3.2.7.3.1 Herstellung Eine Alternative, die mit dem Produktionsvorgang verbunden ist, bieten On-Demand-Verfahren, die Bücher im Digitaldruck erst dann herstellen, wenn Bedarf besteht. Diese verlegerischen dienen zwar nicht dazu, Preise niedrig zu halten, reduzierbar wird dadurch aber immerhin das Risiko, das durch Fehlkalkulation der Auflage besteht.369 Ein guter Kontakt zur Druckerei ist in jedem Fall lohnend, ebenso zur Auslieferung – bei gutem Verhältnis werden dort oft Zahlungsaufschübe gewährt.

368 Vgl. Lucius, 2007, S. 203. 369 Vgl. Ammern, 2001, S. 111.

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Eine Vielzahl von Independent Verlagen wird bei der GVA (Gemeinsame Verlagsauslieferung), 1997 selbst von vier kleinen Verlagen gegründet, ausgeliefert. Sie ist eine der wenigen Auslieferungen, die gerade gegründete Verlage aufnimmt.370

3.2.7.3.2 Kooperationen mit größeren Verlagspartnern Kooperationen stellen eine wesentliche Vertriebsalternative dar, die erlaubt, Synergieeffekte zu nutzen. Hier kann unterschieden werden in Kooperationen mit Partnern aus Nebenmärkten bzw. auch Partnern aus größeren Verlagen sowie Kooperationen, die Ressourcen strukturähnlicher Verlage bündeln. Letztere werden im nächsten Kapitel näher beleuchtet. Beispiele von Kooperationen mit externen Geschäftspartnern werden im Folgenden beschrieben: Blumenbars Wechsel von München nach Berlin war eng verknüpft mit einer Vertriebskooperation. Durch die Partnerschaft mit dem Berlin Verlag, Imprint von Bloomsbury, wurde Blumenbar ab dem Frühlingsprogramm 2010 fortan in ein System eingegliedert, das die bislang drei Vertreter durch zehn vom Berlin Verlag ersetzte. Nachdem sich zuvor auch ein Investor am Verlag beteiligt hatte, um die finanziellen Kapazitäten auszubauen, beschrieb Verleger Wolfgang Farkas diesen alternativen Weg jedoch vielmehr als alternativlos: „Die Alternative hieß wachsen oder sterben.“371 Eine ähnliche Vertriebskooperation besteht auch zwischen dem Berliner Berenberg Verlag und dem größeren unabhängigen Münchner Antje-Kunstmann-Verlag, dessen Vertreter die drei bis vier Bücher pro Saison des Berenberg Verlags in viele vor allem große Läden mitnimmt, in die sie alleine kaum gelangen würden.372 Weitere „Huckepack-Modelle“ bestehen etwa zwischen den Verlagen Campus und Murmann, Dumont und Durelle oder Piper und Westend.373 Neben dem stärkeren Auftritt und Standing im Buchhandel besteht ein weiterer Vorteil im Knowhow-Transfer. Dennoch bleibt dieses Modell immer auch eine Gratwanderung, denn zur Übernahme ist es in dieser Konstellation nur ein kleiner Schritt, und

370 Denn erst wenn eine Backlist vorhanden ist, ist ein Betrieb umsatzbezogen so gefestigt, dass er auch für eine Zusammenarbeit von Relevanz ist. 371 Wolfgang Farkas, zitiert in: Heimann, Holger: Interview mit Blumenbar-Geschäftsführer Wolfgang Farkas. „Die Alternative hieß: wachsen oder sterben.“ In: boersenblatt.net vom 23.11.2010: http://www.boersenblatt.net/174124/. Stand: 28.7.2015. 372 Schäuble, Juliane: Zwischen den Zeilen wird es eng. In: tagesspiegel.de vom 7.10.2007: http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/art271,2394634. Stand: 27.7.2015. 373 N.N.: Kooperationen: Piper und Westend. In: buchmarkt.de vom 26.6.2008: http://www. buchmarkt.de/content/32598-piper-und-westend.htm. Stand: 27.7.2015.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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die Mitnahme der Vorschauen in gemeinsamen Vertretertaschen wird den kleineren Verlagen selbstverständlich auch in Rechnung gestellt.

3.2.7.3.3 Medienkooperationen In Medienkooperationen werden Win-win-Stiuationen geschaffen, indem beispielsweise ein Unternehmen mit hoher Reichweite ein Verlagsprodukt des Kooperationspartners verlosen kann, was dieses umgekehrt bewirbt. Oder, wie im Fall von FM4 und Luftschacht, kommt es zu einer Zusammenarbeit in einem öffentlichkeitswirksamen Projekt: Eine Reihe des österreichischen Radiosenders FM4, die anlässlich des vom Rundfunkunternehmen organisierten Literaturwettbewerbs Wortlaut im Luftschacht Verlag herausgegeben wird, sichert dem Verlag nicht nur ein jährliches Buchprojekt mit fixen Abnahmemengen.374 Im Radiospot des stark beworbenen Wettbewerbs wird auch stets der Verlag genannt – eine Werbemaßnahme mit starker Reichweite, für die im Verlag sonst keine Mittel aufgebracht werden könnten.

3.2.7.3.4 Erschließung von Nebenmärkten Maßnahmen der direkten Kundenansprache und -pflege und Kooperationen mit Partnern außerhalb der Branche haben für kleinere Verlage insofern eine besondere Bedeutung, als sie Wege in Nebenmärkte und den Direktvertrieb eröffnen – wie beispielsweise die Zusammenarbeit zwischen dem Leipziger Reisebuchverlag Admos und der Hotelkette Dorint.375 Sie sichert über eine einmalige Aktion hinaus eine regelmäßige Absatzschiene. In der Kooperation mit ungewöhnlichen Partnern bieten sich eine Reihe solcher alternativer Absatzwege. So gab es beim Berliner Transit Verlag schon Kooperationen mit einem Herrenausstatter, bei kookbooks wurde vereinzelt mit Galerien zusammengearbeitet.376 Als der Bebra Verlag mit seinem Imprint Berlin-Krimi-Verlag startete, wurden die ersten Krimis im Pathologischen Institut der Berliner Charité vorgestellt. Bei den Berliner Kriminächten stellte ein Bestattungsunternehmer seine Räumlichkeiten

374 Homepage Luftschacht: Wortlaut 2015: http://www.luftschacht.com/produkt/zita-bereuterclaudia-czesch-fm4-wortlaut-15-wild/. Stand: 27.7.2015. 375 Plinke, Manfred: Miniverlag. Selbstverlag, Publishing on Demand, Verlagsgründung, Buchherstellung, Buchmarketing, Buchhandel, Direktvertrieb. 6. Aufl., Berlin: Autorenhaus, 2005, S. 169. 376 Meuser, 2007, S. 32–37.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

sowie „Dekorationsmaterial“ in Form von Särgen zur Verfügung und durfte dafür in den Krimibänden inserieren.377

3.2.7.3.5 Spezifische Veranstaltungen und realer Kontakt zur Zielgruppe Der Kontakt zur Zielgruppe ist die stärkste Form, diese an sich zu binden. Vor allem, wenn dieser Kontakt direkt erfolgt. Die bei Independent Verlagen in der Regel bestehende subkulturelle Anbindung kann für den Vertrieb genutzt werden: „Die Leute sind dein Vertriebsweg.“378 Im Vertrieb erhalten soziale Zusammenkünfte und Events einmal mehr Bedeutung, da diese erlauben, sich und seine Bücher zu präsentieren und Kaufanreize zu bieten. Es entspricht einem Geschäftsmodell, das, gerade im Bereich Belletristik, Menschen unterhalten und erst im nächsten Schritt Bücher verkaufen will – analog zum gesellschaftlichen Wandel hin zur Erlebnisgesellschaft379 – im Mittelpunkt steht dort „das individuelle affektive Erlebnis“.380 Events in Form von Buchpräsentationen oder Lesungen nehmen für kleinere Verlage demnach einen hohen Stellenwert ein; die knappen Mittel werden dabei oft sehr kreativ eingesetzt.381 Die hier porträtierten Verlage heben sich auch insofern ab, als die Veranstaltungen nicht, wie es in den meisten Verlagen üblich ist, auf eine Buchpräsentation bei Erscheinen des Buches beschränkt sind. Meist gibt es eine Reihe von Veranstaltungen rund um ein Buch – in verschiedenen Städten im deutschsprachigen Raum – bzw. regelmäßige Veranstaltungen.

3.2.7.3.6 Spezielle Messen für Independent Verlage Messen erlauben Direktkontakte zu knüpfen und zu pflegen, darüber hinaus das Programm zunächst unter dem Aspekt der Kultur zu präsentieren – und im nächsten Schritt auch bekannt zu machen und zu verkaufen. Hier gibt es gerade für kleine Verlage spezielle Messen, die von Interesse sind, wie die bereits seit 1970 bestehende Mainzer Minipressen-Messe382 oder auch diverse DruckkunstMessen. Im Rahmen der Münchener Bücherschau findet seit 2007 alljährlich im

377 Meuser, 2007, S. 37. 378 Interview C3, Absatz 174 f. 379 Schöllhuber, 2010, S. 272. 380 Schulze, Gerhard: Kulissen des Glücks. Streifzüge durch die Eventkultur. Frankfurt a. M./ New York: Campus, 1999, S. 90. 381 Vgl. Kapitel 3.2.6.4. 382 Homepage Mainzer Minipressen-Messe: http://www.minipresse.de/. Stand: 19.7.2015.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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November die Veranstaltung Andere Bücher braucht das Land383 statt. Neben dem Großteil der hier porträtierten Verlage nimmt etwa auch der Münchener Black Ink Verlag teil, um dort Programme, Bücher und Autorinnen und Autoren an drei Tagen vorzustellen. Das nächste Kapitel zeigt darüber hinaus auch die Möglichkeit, wie die Atmosphäre der beiden größten Buchmessen im Frühjahr in Leipzig und im Herbst in Frankfurt am Main gemeinsam im Verbund genutzt werden kann. Weitere Gelegenheiten bieten verschiedene Literaturfestivals, wie das vom Kook-Label mitorganisierte LAN-Festival in Berlin384 oder das 2010 gestartete Literaturfestival andererseits in Hamburg,385 wo junge Gegenwartsliteratur „jenseits etablierter Verlagsstrukturen“ präsentiert wird – aus Verlagen wie beispielsweise Doplpack aus Hamburg, Edition Azur aus Dresden, Fix Poetry aus Hamburg oder GROSSKONZERN aus Berlin. Alljährlich im Sommer lädt das Literarische Colloquium Berlin (LCB) auf seinem Gelände zu Kleine Verlage am Großen Wannsee, einem Zusammentreffen von Independent Verlagen aus dem deutschsprachigen Raum.386 Diese können sich dort mit Ständen, Programmen und Autorenlesungen präsentieren. Auch deren Bücher werden dort verkauft. Was 2006 mit 13 Independent Verlagen begann, ist mittlerweile zu einer festen Größe im Veranstaltungskalender des Hauses und der Buchbranche geworden, 2012 nahmen 22 Verlage teil, 24 im Jahr 2015 – eine willkommene Werbung für diese. Im Unterschied zu den großen Buchmessen steht bei Veranstaltungen wie diesen die Bühne ganz Independent Verlagen zur Verfügung, wie auch die ungeteilte Aufmerksamkeit der Besucherinnen und Besucher – denn große Verlage und Medienkonzerne sind dort nicht anzutreffen. Ähnlich ist das Prinzip hinter Veranstaltungen wie dem 2010 erstmals von Spector Books veranstalteten It’s a Book, It’s a Stage, It’s a Public Place in Leipzig387 oder dem Holy.Shit.Shopping,388 an dem sich etwa die Verlage kookbooks, Reprodukt oder Voland & Quist beteiligen: Das 383 Homepage Literaturhaus München: Andere Bücher braucht das Land: http://www. literaturhaus-muenchen.de/ausstellung/items/124/vars/andere-buecher-braucht-das-land2012.html. Stand: 13.7.2015. 384 Homepage LAN-Festival: http://lan-festival.de/09/. Stand: 19.7.2015. Das Festival fand zwei Mal, 2007 und 2009, statt. 385 Homepage andererseits Literaturfestival: http://www.anderseits-literaturfestival.de/ anderseits-literaturfestival/. Stand: 19.7.2015. 386 Homepage LCB – Literarisches Colloquim Berlin: Archiv: http://www.lcb.de/archiv/index. htm?jahr=15&monat=07. Stand: 19.7.2015. 387 It’s a book, It’s a Stage, It’s a Public Place 2010 auf Facebook: https://www.facebook.com/ events/393390930235/. Stand: 19.10.2013. 388 Homepage Holy.Shit.Shooping: http://www.holyshitshopping.de/. Stand: 19.7.2015.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Konzept hinter dem seit 2004 zweimal jährlich in Berlin, Hamburg, Stuttgart und Köln stattfindenden Kunst- und Designmarkt besteht darin, Mode-, Schmuckund Produktdesign, Kunst, Fotografie, Grafik, Comics und Literatur von Newcomern gemeinsam auszustellen (etwa in der Berliner Kulturbrauerei), Besucherinnen und Besucher können diese so kennenlernen und direkt bei ihnen kaufen. Für Verlage bieten Direktkontakte wiederum die wertvolle Möglichkeit, ihre Zielgruppe kennenzulernen sowie Rückmeldungen zu erhalten.

3.2.7.3.7 Direktvertrieb und virtueller Kontakt zur Zielgruppe Der direkte Verkauf an Endkunden hat den Vorteil, ohne Zwischenschaltung von Barsortiment und Bucheinzelhandel abgewickelt zu werden, was den Erlös aus den abgesetzten Titeln erheblich erhöht, weil keine Rabatte gezahlt werden müssen – je direkter die Distribution erfolgt, desto größer ist der Anteil des Verlages am Umsatz. Direktverkäufe werden in erster Linie über Veranstaltungen, Bestellkarten, Telefon, Fax und Internet getätigt, machen meistens aber kaum mehr als 5 Prozent des gesamten Absatzes aus.389 Hier besteht also durchaus noch Potenzial. Gerade im Zusammenhang mit den in dieser Arbeit bereits skizzierten Entstehungswegen und dem Milieu, das age umgibt, werden hier die Chancen für jüngere kleinere Verlage besonders deutlich. Die meisten Independent Verlage pflegen Publikumsnähe gekonnt über das Internet und nutzen hier vor allem das Web 2.0. Dies bietet eine Ergänzung der Möglichkeit, sehr nah mit potenziellen Leserinnen und Lesern in Kontakt zu kommen sowie auf Augenhöhe mit der Gegenwart und der tatsächlichen Zielgruppe zu kommunizieren. Im Netz wird einmal mehr deutlich, wie die eindimensionale Lieferanten-Kunden-Beziehung eine Auflösung zugunsten von Interessengemeinschaften erlebt – nach dem Prinzip „Vom Content Provider zum Community Publisher.“390 Im Internet kann ein Kundenstamm aufgebaut und gepflegt werden, zudem ist es die einfachste und preisgünstigste Form des Vertriebs, die für den Verlag den größten Gewinn abwirft. Dieser Weg wird in Zukunft und auch in Kombination mit dem ohnehin elektronisch abzuwickelnden Verkauf von E-Books noch mehr Bedeutung gewinnen. Bei Voland & Quist hat man dieses Potenzial erkannt. Die Webseite zählt zu den innovativsten; die Möglichkeiten, die dort ausgeschöpft werden, mit Blogs, zahlreichen Links und einfacher Navigation, befinden sich auf dem derzeitigen State of the Art. Mit der Homepage verhält es sich ähnlich

389 Plinke, 2005, S. 123 ff. 390 Wilking, 2009, S. 22.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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wie mit dem Cover: Es exzellent zu machen muss nicht unbedingt mehr kosten, bewirkt aber einen großen Unterschied. Bei Voland & Quist bestellen bereits mehrere Hundert Privatkunden über das Internet.391 Ein weiterer Direktvertrieb-Ansatz wird ebenfalls von Voland & Quist genutzt, bei dem Autorinnen und Autoren beteiligt werden, indem sie auf den Veranstaltungen ihre Bücher selbst verkaufen. Sie werden dafür wie Buchhändler bzw. Buchhändlerinnen entlohnt. Im Verlag verbleibt über diesen Vertriebsweg ein Absatzanteil von 15 Prozent, und Autorinnen und Autoren eröffnet sich eine zusätzliche Verdienstmöglichkeit.392

3.2.7.4 Ökonomie als Dirigent der Kunst? Im literarischen Feld stellt der Vertrieb jenen Punkt dar, an dem ein Tausch stattfindet und die Umwandlung von Kapital erfolgt: Die künstlerische Arbeit wird zum Produkt und am Markt gegen ökonomisches Kapital angeboten. Der Wert von Produkten bemisst sich in ökonomischem Kapital – Geld ist die Währung, die den Handel mit diesen bestimmt, und über den angesetzten Preis gelangen die Ideen und Geschichten zum Publikum, die von den Verlagen auf diesem Markt angeboten werden. Der Vertrieb – wo die Bücher von den Macherinnen und Machern zum Publikum kommen – ist die zentrale Stelle, an der sich Macht zeigt und manifestiert. Als Verlag auf diesem Markt teilzunehmen bedeutet auch, in Konkurrenz zu treten. Es bedeutet, sich in einen Kampf um die Aufmerksamkeit der Kundinnen und Kunden zu begeben – für Independent Verlage einmal mehr gegen jene, die in Masse produzieren und über ökonomisches Kapital verfügen, das sie nicht nur weitaus potenter auftreten lässt, sondern oft schon darüber entscheidet, wer im beschränkten Raum überhaupt noch auftreten kann. Den Büchern aus Independent Verlagen fehlt es oftmals an Kapitalausstattung und Auflagenhöhe, um sich hier tatsächlich gegen die Arrivierten durchzusetzen. Der Faktor der literarischen Qualität bzw. Güte spielt dabei nur sehr bedingt eine Rolle, insofern es ein Markt ist, wo zunehmend der Produkt-Charakter des Buches im Vordergrund steht und sich der Masse präsentiert. Verstärkt wird dieser Trend dadurch, dass es in diesem Feld zu einer Machtverschiebung gekommen ist, wie man sie schon länger von anderen Branchen kennt: Traditionelle Teilnehmer im Feld, hier Buchhandlungen und Verlage, werden verdrängt von branchenfremden bzw. in der Regel international

391 Meuser, 2007, S. 36 392 Ebd.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

agierenden Mischkonzernen, die als Big Player im Handel mit dem Inhalt des Kernprodukts des Buchhandels nur wenig zu tun haben. So sehr die Geschäftspraktiken dieser Big Player immer wieder kritisiert werden, so sehr sind diese aber auch bestimmend im Feld. Die klassischen Vertriebswege des Buchhandels erhalten dadurch gegenwärtig eine Neuprägung, und sie bergen für kleinere Verlage vor allem zwei stark verzahnte Schwierigkeiten: Zum einen schaffen es Titel aus Independent Verlagen aufgrund von allgemeiner Überproduktion oft gar nicht in die Buchhandlungen und dort noch weniger an exponierte Auslageplätze. Rationalisierungsprozesse sorgen zunehmend dafür, dass Warenbestände gesenkt und die Anzahl der Lieferanten bzw. Verlage verringert wird.393 Das zweite Problem besteht darin, dass jene Systeme, die hohe Reichweite und schnelle Distribution gewährleisten, den Erlös von Verlagen dieser Größenordnung maßgeblich verringern.394 Wie dieses Kapitel gezeigt hat, stehen Verlegerinnen und Verleger also einerseits überdominanten, nahezu undurchbrechbaren vertrieblichen Dynamiken gegenüber. Wie vorangegangene Kapitel gezeigt haben, bewegen sie sich aber umgekehrt auch in einer Welt, die weniger nach systematischen Abläufen funktioniert.395 Das eröffnet Möglichkeiten, wie sie in den alternativen Wegen veranschaulicht wurden. Während am einen Pol ein Markt ist, an dem gehandelt wird – Lizenzen, Auktionen, Vorschüsse, flächendeckende Präsenz an den Verkaufsstellen –, finden sich am anderen Pol Independent Verlage, die sich dieser Dominanz zwar unterordnen müssen, aber entsprechend der Minderausstattung mit ökonomischem Kapital vielfach auf alternative Weisen am Spiel teilnehmen. Dass die Gesetzmäßigkeiten einer ökonomischen Dominanz im Handel mit Büchern und die korrespondierenden Größenordnungen, die große Verlagshäuser hier markieren, nicht dem Habitus von Independent Verlagen entsprechen, zeigt das paradoxe Beispiel, dass sich Erfolge in deren Dimension für einen Independent Verlag regelrecht ruinös auswirken können. Das stellt auch Jörg Sundermeier vom Verbrecher Verlag fest, wenn er über das Sterben von Kleinverlagen spricht: „Die sind alle an Bestsellern verreckt.“396 Denn wenn beispielsweise eine beliebte Literaturkritikerin wie Elke Heidenreich in ihrer TV-Sendung überraschend das Buch eines kleinen Verlags in die Kamera hält, kann es passieren, dass plötzlich 50.000 Exemplare eines Titels gedruckt werden müssen, die vorab mit einer Auflage von 2.000 Exemplaren verbucht war. 393 Vgl. u.a. Kahlefendt, Nils: Kampf der Kleinsendung! In: Börsenblatt, 36/2000, S. 37. 394 Vgl. Plinke, 2005, S. 174. 395 Vgl. Kapitel 3.2.4 und 3.2.6. 396 Jörg Sundermeier, zitiert in: Messmer, Susanne: Die Angst der Kleinen vor dem Erfolg. In: taz.de vom 21.7.2012: http://www.taz.de/!97737/. Stand: 26.7.2015.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Ein Druckauftrag dieser Größe will freilich auch finanziert werden. Dass sich Banken dabei meist wenig hilfreich erweisen, wurde an früherer Stelle bereits beschrieben397 – denn „jeder weiß ja, dass das Geld stark gefährdet ist, das man in solche Unternehmen steckt“,398 wie Rainer Nitsche vom Transit Verlag bekennt. „So kommt es, dass sich Verleger wie Jörg Sundermeier freuen, wenn sich ein Buch mehr als 2.000-mal verkauft hat – dass sie sich aber davor fürchten, einmal wirklich einen richtigen Bestseller zu landen.“399 Hier wird deutlich, wie sich die vertrieblichen Wege von Independent Verlagen als Gratwanderung darstellen. Man agiert zum Teil also in ganz anderen Gefilden – in eigenen Größenordnungen mit ihren eigenen Gesetzen, was wiederum einen eigenen Gestaltungsraum aufgrund geringer Größen eröffnet. Analog zu den Inhalten der Bücher aus Independent Verlagen entsprechen ebenjene Gefilde, in denen sich diese bewegen, Räumen des Übergangs. Wenn also die Themen des Programms Grenzen ausloten und verschiedene Genres verbinden, so erfolgt dies im Vertrieb insofern, als man einerseits als ordentlicher Teilnehmer am Buchmarkt anerkannt ist – mit Auslieferung, Listung im Barsortiment und vorausgehend auch Verkehrs- und ISBN-Nummern oder etwa auch qua Mitgliedschaft im AkV oder der KWS.400 Andererseits unterscheiden sich Independent Verlage aber auch klar von verlegerischen Projekten ohne Kontinuität, Print on Demand oder Self-Publishing.401 Oder etwa auch von jener Vielzahl von Verlagen, die am offiziellen Buchmarkt nicht teilnehmen und den Vertrieb ihrer Bücher alternativ organisieren – beispielsweise über Internet, Veranstaltungen oder über persönliche Kontakte. In der Konsequenz ist der Vertrieb eine Stelle, wo die Verortung von Independent Verlagen im literarischen Machtfeld am deutlichsten zutage tritt. Wenngleich sie am dominanten ökonomischen Pol des offiziellen Buchmarktes nur von geringer Relevanz sind, so ist dieses „Mitspielen“ in diesem Feld doch etwas, das letztgenannten Projekten nicht möglich ist. Diesen gegenüber haben Independent Verlage wesentlich mehr Handlungsspielraum und damit auch eine gewisse Autonomie. Da sich hier oft Motive der gestalterischen Freiheit überschneiden, ist dies sogar ein zentrales Distinktionsmerkmal im Vergleich zu diesen: das der Professionalität. Dasselbe gilt für die Perspektive von der anderen Seite: Vertriebliche Alternativen, die oft auch ungewöhnliche Ansätze zeigen, sind großen Verlagen nicht möglich, da es deren Apparat nicht zulässt. 397 Vgl. Kapitel 3.2.5.5. 398 Rainer Nitsche, zitiert in: Messmer, 2012. 399 Ebd. 400 Vgl. Kapitel 3.2.8.1. 401 Vgl. Kapitel 2.3.1.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Independent Verlage markieren damit auch eine Stelle des Übergangs, an der Transfer möglich ist. Hier ergeben sich neue Möglichkeiten, um die Sache an sich – das Geschäft mit Büchern – weiterzuentwickeln. Gerade vor einem Hintergrund, der sich in starkem Wandel befindet, bedeutet dies, Chancen zu finden und zu nutzen: An dieser Stelle kann experimentiert und „unprofessionelle“ Herangehensweisen können adaptiert und angewendet werden. Gleichzeitig sind Independent Verlage an dieser Schnittstelle auch Teilnehmer am Spiel der Professionellen und Mächtigen und können Innovationen dorthin zurückspielen, wenngleich sie auf der untersten Stufe situiert sind. Was die Autonomie belegt, ist, dass man von der Dynamik eines von Geld dirigierten Literaturhandels auch wieder relativ wenig erfasst ist. Die Abgrenzung von diesen beiden Polen bedeutet schließlich eine Homologie und eine gewisse Gruppenzugehörigkeit untereinander. Im so entstehenden Verbund, der sich zumal in professioneller Herangehensweise und Strukturähnlichkeit konstituiert, ist es nur eine logische Folge, dass die große gemeinsame Schwierigkeit des Vertriebs, die sie ebenfalls konstituiert, zur Gruppe vereint. Auf der Suche nach alternativen Wegen im Feld des Marktes bieten sich schließlich auch Kooperationen zwischen jenen an, zwischen denen eine Nähe im Feld besteht.402

3.2.8 Ressourcen bündeln: Verbände, Kooperationen und gemeinsame Aktionen Wie das vorangegangene Kapitel aufgezeigt hat, besteht die zentrale Schwierigkeit von Independent Verlagen im Vertrieb. Maßgeblich begründet ist diese in geringen Volumina und den dünnen Kapitaldecken, die diese Verlage aufweisen. In der Konkurrenz mit größeren Verlagen wirkt sich das am Buchmarkt einmal mehr nachteilig aus. Das verbindet und legt einen Auftritt im Verbund nahe. Strukturähnliche Verlage weisen verschiedene Anknüpfungspunkte für diverse Zusammenschlüsse auf. Im folgenden Kapitel sollen verschiedene Ausformungen solcher Zusammenschlüsse dargestellt werden: zunächst Verbundangebote offizieller Lobbys, zweitens solche von Branchenmitgliedern, die selbst nicht verlegerisch tätig sind, und drittens schließlich autonome bzw. auf Eigeninitiative beruhende Kooperationen.

402 Vgl. Schilcher, Christian: Der Beitrag von Pierre Bourdieu zur Sozialstrukturanalyse der gegenwärtigen Gesellschaften. Darmstadt: Diplomarbeit, 2001, S. 11 f.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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3.2.8.1 Offizielle Verbände: Arbeitskreis kleinerer unabhängiger Verlage (AkV) und Kurt-Wolff-Stiftung (KWS) Offizielle Verbände und Plattformen sind Netzwerke für Lobbyarbeit. Für kleine Verlage sind diese von großer Relevanz. Mehr als große Verlage sind sie darauf angewiesen, Unterstützung zu bekommen, neben der kulturpolitischen Vertretung beispielsweise auch in betriebswirtschaftlichen oder rechtlichen Belangen. Große Häuser hingegen haben dafür oft eigene Abteilungen. Die Hilfestellung wird von den hier beschriebenen Zusammenschlüssen nicht unbedingt direkt gegeben. Vielmehr sind beide Gruppierungen Knotenpunkte, an denen Kontakte zusammenlaufen und Informationen ausgetauscht werden.

3.2.8.1.1 Arbeitskreis kleinerer unabhängiger Verlage (AkV) Der Arbeitskreis kleinerer unabhängiger Verlage, kurz AkV, besteht seit über 25  Jahren als eine Arbeitsgruppe im Verleger-Ausschuss des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, dem zentralen Lobbyverband für die gesamte – herstellende wie vertreibende – Buchbranche, mit Sitz in Frankfurt am Main. Ziel des AkV ist es, die Interessen seiner Mitglieder innerhalb und außerhalb des Verbands zu vertreten. Dazu zählen insbesondere die Förderung von Kooperationen und Gemeinschaftsaktionen, Information über branchenrelevante Themen und der Erfahrungsaustausch untereinander.403 Der Börsenverein stellt Infrastruktur und Organisation zur Verfügung, Inhalte und Vorgehensweisen bestimmen aber verbandsüblich die Mitglieder. Geleitet wird der AkV von einem Sprecherkreis, der regelmäßig tagt. Schwerpunkte der Arbeit sind alle Belange, die den Arbeitsalltag kleinerer unabhängiger Verlage bzw. der Mitglieder ganz konkret betreffen. Aufgrund der vielfältigen Ausrichtungen der Verlage finden hier unterschiedliche Bedürfnisse Berücksichtigung. Das bunte Bild der unterschiedlichen kleinen unabhängigen Verlage spiegelt sich auch in der Zusammensetzung der rund 400 aktiven Mitglieder des AkV. Sowohl was die Größen der Verlage als auch die verlegten Gebiete betrifft – die von Belletristik über Fachbuch, Sachbuch bis hin zu Wissenschaft reicht –, zeichnet sich der Arbeitskreis durch Heterogenität aus. Die Kriterien für die Mitgliedschaft „sind nicht allein Umsatz oder Titelzahl, sondern, ob ein Verlag wirtschaftlich und organisatorisch unabhängig arbeitet und sich nach seinem Selbstverständnis dieser Gruppierung zugehörig fühlt.“404 Zudem beschränkt sich die Mitgliedschaft auf Börsenverein-Mitglieder. Jährlich findet auch eine Tagung statt, zu der alle Mitglieder eingeladen sind und auf der 403 Homepage Börsenverein des Deutschen Buchhandels: Arbeitskreis kleinerer unabhängiger Verlage (AkV): http://www.boersenverein.de/de/158258. Stand: 4.7.2015. 404 Ebd.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Vorträge, Diskussionsrunden und Workshops die Rolle der kleineren und unabhängigen Verlage beleuchten. Neben den Tagungen werden den Mitgliedern auch Ausstellungsmöglichkeiten auf den Buchmessen in Frankfurt und Leipzig geboten, wo der AkV einen Gemeinschaftsstand betreut. Der AkV versteht sich als Plattform für regelmäßigen Informations- und Erfahrungsaustausch und als Interessenvertretung innerhalb der Verlegerschaft  – gegenüber den anderen Brancheninstitutionen und im Dialog mit dem Sortiment. Der Sprecherkreis fungiert dabei als Sprachrohr und formuliert und forciert die jeweils relevanten Themen. Zentral sind dabei Maßnahmen zur Verbesserung der Marktsituation seiner Mitglieder durch Vermittlung von Branchen-Know-how, Einflussnahme auf Branchengremien und Institutionen, Gemeinschaftsaktionen sowie eine aktive Öffentlichkeitsarbeit. Eines der wichtigsten Anliegen des AkV ist die Verbesserung der Zusammenarbeit mit dem Sortimentsbuchhandel, der als wichtigster Vertriebspartner der Verlage erachtet wird.405

3.2.8.1.2 Kurt-Wolff-Stiftung (KWS) Die nach dem bedeutenden Verleger des Expressionismus und deutschen Kulturverleger Kurt Wolff benannte Stiftung, kurz KWS, wurde im Jahr 2000 von unabhängigen Verlagen und mit der Unterstützung des damaligen Kulturstaatsministers Dr. Michael Naumann mit dem Ziel, eine vielfältige Verlags- und Literaturszene zu fördern, gegründet.406 Neben den Mitgliedsverlagen wird die gemeinnützige Einrichtung vom Börsenverein des deutschen Buchhandels, von der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, vom Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst und der Stadt Leipzig unterstützt sowie auch von der Frankfurter und der Leipziger Buchmesse. Ihr Sitz ist im Haus des Buches in Leipzig. Wie der AkV versteht sich die KWS als Interessenvertretung unabhängiger deutscher Verlage „mit dem Mut zum Risiko“. Unter diesen werden dort Verlage bezeichnet, die weder Konzernverlage noch Druckkostenzuschussverlage sind. Um als solcher per Antrag in den Freundeskreis der Stiftung aufgenommen zu werden, müssen noch weitere Kriterien erfüllt werden: Die Verlage sollen ein regelmäßig erscheinendes literarisches bzw. essayistisches Programm, bestehend aus mindestens vier Titeln pro Jahr, haben und Wert auf eine gute Buchausstattung 405 Homepage, 2015. 406 Für das Folgende: Vgl. Homepage Kurt-Wolff-Stiftung: Die Stiftung: http://www.kurt-wolffstiftung.de/die-stiftung/. Stand: 4.7.2015; Zähringer, Martin: Kurt-Wolff-Stiftung. Interview mit Manfred Metzner. In: Goethe-Institut, August 2006: http://www.goethe.de/kue/lit/dos/uav/kws/ de1658432.htm. Stand: 4.9.2012.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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legen. Zudem müssen sie eine professionelle Struktur der verlegerischen Arbeit aufweisen, zum Beispiel der Vertriebsstrukturen – Vertretung durch eine Auslieferung bei Barsortimenten, eine Verkehrsnummer und Bücher mit ISBN-Nummern. Das Unternehmen muss mindestens seit zwei Jahre am Markt bestehen und darf einen Jahresumsatz von fünf Millionen Euro nicht überschreiten. Der in den vorangegangenen Abschnitten beschriebenen schwierigen vertrieblichen Situation, die damit einhergeht, dass zunehmend nur noch Bücher im Buchhandel präsent sind, die sich unmittelbar wirtschaftlich für die Vertriebspartner rechnen,407 will die Stiftung etwas entgegensetzen. Praktisch umgesetzt wird dies vor allem mit der Verleihung von zwei durch ein Kuratorium ausgewählten Preisen, die jährlich auf der Leipziger Buchmesse stattfindet: Der große Preis, dotiert mit 26.000 Euro, wird für das Lebenswerk, das Gesamtschaffen oder ein herausragendes Verlagsprogramm einer unabhängigen deutschen Verlegerin bzw. eines Verlegers verliehen. Im Jahr 2014 ging dieser an den Verbrecher Verlag. Der kleine Förderpreis zeichnet mit 5.000 Euro vorbildhafte Einzelprojekte aus. Vor allem jüngeren Verlagsunternehmungen wird dieser als Ermutigung zuteil. Von den Verlagen, die in dieser Arbeit porträtiert sind, erhielten diesen bereits kookbooks, mairisch und Voland & Quist.408 Initiativen junger Verlage wie die Hotlist oder der Indiebookday werden mittlerweile ebenfalls von der Kurt-Wolff-Stiftung unterstützt.409 Seit 2015 ist mit Jörg Sundermeier vom Verbrecher Verlag und Leif Greinus von Voland & Quist die jüngere Generation der Independent Verlage auch an der Spitze der Stiftung vertreten. Beide sind stellvertretende Vorsitzende, Britta Jürgs vom Berliner AvivA Verlag löst Stefan Weidle in seiner Rolle als Vorsitzender ab.410 Mitglieder des Freundeskreises der KWS können in den Katalog Es geht um das Buch aufgenommen werden – ein hochwertig gestalteter Vorschaukatalog mit Porträts der Verlage und einer Auswahl aus deren Novitäten und Backlist-Titel. Mit einer Auflage von über 30.000 Exemplaren wird dieser über das Barsortiment KNV, das auch für die Vorrätigkeit aller im Katalog genannten Titel garantiert, und die Auslieferungen Prolit und Sova vertrieben. Der Katalog erscheint seit 2006 jährlich und porträtiert derzeit 65 Verlage.411 407 Vgl. Kapitel 3.2.7 408 Vgl. Homepage Kurt-Wolff-Stiftung: Preisträger: http://www.kurt-wolff-stiftung.de/preistraeger/. Stand: 4.7.2015. 409 Homepage Kurt-Wolff-Stiftung: Partner: http://www.kurt-wolff-stiftung.de/partner/. Stand: 1.7.2015. 410 Homepage Kurt-Wolff-Stiftung: Neuer Vorstand der Kurt-Wolff-Stiftung: http://www.kurtwolff-stiftung.de/neuer-vorstand-der-kurt-wolff-stiftung/. Stand: 1.8.2015. 411 Homepage Kurt-Wolff-Stiftung: Der Katalog: http://www.kurt-wolff-stiftung.de/katalog/. Stand: 1.8.2015.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Mitglieder können an den Verlegertreffen der KWS teilnehmen sowie an den von der KWS organisierten Veranstaltungen, etwa während der Buchmessen sowie zu den Sonderkonditionen der Stiftung an den von der KWS besuchten Auslandsmessen. Darüber hinaus bildet die Stiftung auch ein Netzwerk, das international mit kulturellen Einrichtungen aus dem Verlags- und Bibliothekswesen, dem Buchhandel sowie mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern, Künstlerinnen und Künstlern und Journalistinnen und Journalisten zusammenarbeitet. Sowohl Analysen, Empfehlungen und Konzepte als auch politische Forderungen im Verlagsbereich sind ebenfalls Teil der Arbeit, genauso wie direktes Agieren. Als etwa die Frankfurter Buchmesse die Standmieten eklatant erhöhen wollte, was für viele Verlage das Aus in Frankfurt bedeutet hätte, gab es seitens der KWS eine schnelle Reaktion, indem der Börsenverein eingeschaltet, die Presse mobilisiert und mit der Messe Gespräche geführt wurden. Die Erhöhung der Standmieten konnten zwar nicht verhindert, ihr Ausmaß aber verringert werden.412 Ebenfalls auf Initiative der Kurt-Wolff-Stiftung entstand der Deutsche Buchhandlungspreis, der im Herbst 2015 erstmals von der Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, verliehen wurde. Verschiedene Prämien in Höhe von insgesamt fast einer Million Euro richten sich dabei an einen der wichtigsten Partner unabhängiger Verlage: kleine, inhabergeführte Buchhandlungen.413

3.2.8.2 Verbundangebote von Branchenmitgliedern Im Folgenden werden Verbundmodelle externer Partner aus der Branche – Vertreterinnen und Vertreter, Buchhandel, Auslieferung und Verkaufsplattform – vorgestellt. Dabei wird deutlich, wie sich im Verbund weitere vertriebliche Möglichkeiten auftun, darüber hinaus, wie auf diese Weise sogar ein struktureller Nachteil in ein Qualitätsmerkmal verwandelt wird und vermarktet werden kann.

3.2.8.2.1 Partner 1: Plattformen: Indiebook, 978–3, TUBUK Das seit 2011 bestehende Projekt Indiebook wurde als eine Gemeinschaft von drei Verlagsvertreterinnen gestartet, mit einem Servicebüro in München und einem Internetportal für unabhängige Verlage. Derzeit werden von Nicole Grabert, Judith Heckel und Christiane Krause 58 Verlage aus Deutschland, Österreich und 412 Vgl. Zähringer, 2006. 413 Vgl. Homepage Deutscher Buchhandlungspreis: lungspreis.de. Stand: 13.8.2015, und Kapitel 3.2.5.5.

http://www.deutscher-buchhand-

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

 171

der Schweiz betreut.414 Als „Dienstleister für unabhängige Verlage“ werden die Verlage hauptsächlich gegenüber dem Buchhandel vertreten, der deutschlandweit bereist wird. Die Programme der Verlage werden von den Vertreterinnen dort gemeinsam vorgestellt und verkauft. Informiert wird auch die Presse: Sie erhält alle Vorschauen gebündelt zugesandt, was im Gegensatz zu einer Vielzahl von Einzelsendungen im Allgemeinen begrüßt wird. Etwas später wurde das Team von Indiebook um Martin Stamm erweitert, bei dem die Fäden nun zusammenlaufen. Auch die Plattform wurde 2015 relauncht – mit dem Ziel, „das relevante Portal im Internet für unabhängige Verlage zu werden und das vielfältige Angebot der Independents möglichst umfassend darzustellen“.415 Die vertretenen Verlage sind dort auf eigener Seite mit Kurzbeschreibung vorgestellt, dort steht auch die aktuelle Vorschau bzw. weitere verfügbare Vorschauen der vergangenen Saisonen des jeweiligen Verlags als PDF zur Verfügung sowie jeweils auch die zehn wichtigsten Titel aus der Backlist. Ergänzt um ein Magazin, in dem über das Thema „unabhängige Verlags- und Bücherwelt“ berichtet wird, und eine umfassende Liste unabhängiger Buchhandlungen, bietet das Portal so einen sehr informativen Überblick. Unterstützt wird es durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, die KurtWolff-Stiftung und den Schweizer Verlagsverbund SWIPS. Eine weitere Plattform, die Independent Verlage und ihre Bücher und Autoren präsentiert, ist der 2014 gestartete Informationsdienst 978–3. Dieser wendet sich vornehmlich an Journalistinnen und Journalisten, die sich auf der Homepage registrieren können, um per E-Mail über Novitäten unabhängiger Verlage aus dem deutschsprachigen Raum informiert zu werden. Einen kompakten Überblick bietet auch die Webseite. Aktuell präsentiert sie 35 Verlage mit ausgewählten Neuerscheinungen.416 978-3 ist ein Projekt der Agentur re-book marketing & kommunikation, von der 2007 auf den Buchmessen in Frankfurt und Leipzig auch eine Messezeitung der Independent Verlage herausgegeben wurde. Koordiniert wurde diese von Frank Niederländer, Mitbegründer des bis 2007 bestehenden Independent Verlages Tisch 7, der nun auch 978–3 verantwortet. TUBUK richtete sich bis 2013 direkt an Endkundinnen und Endkunden. Das Unternehmen wurde 2008 von Andreas Freitag gegründet, der die Schwierigkeit der Buchhandelspräsenz von Independent Verlagen aus eigener Erfahrung kannte. Um seinem Verlag, Schwarzer Freitag, wie auch anderen Independent Verlagen eine weitere und gebündelte Vertriebsmöglichkeit zu schaffen, initiierte 414 Homepage Büro Indiebook: http://www.buero-indiebook.de. Stand und Stand: 12.8.2015. 415 Homepage Indiebook: http://www.indiebook.de. Stand: 12.8.2015. 416 Homepage 978-3:http://www.978-3.com. Stand und Stand: 13.7.2015.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

er die Plattform, auf der ausschließlich Bücher von unabhängigen Verlagen präsentiert wurden. Dabei wurde netzgemäß auf das Community-Prinzip gesetzt: Userinnen und User konnten auf der Webseite nicht nur Titel bestellen, sondern auch Rezensionen verfassen, Empfehlungen abgegeben und sogar via E-Mail mit Autorinnen und Autoren Kontakt aufnehmen. 2010 kaufte Julia von dem Knesebeck, der auch das Unternehmen bilandia, eine Agentur für Social-Media-Marketing für Verlage, gehört, TUBUK. Die Plattform wurde vorerst mit der Ursprungsidee weiterbetrieben. 2013 ging man einen Schritt weiter und gründete den E-Book-Verlag TUBUK.digital. Seither werden dort Partnerverlage bei Herstellung und Vertrieb von elektronischen Büchern unterstützt sowie auch eigene Autorinnen und Autoren verlegt.417

3.2.8.2.2 Partner 2: Auslieferungen: GVA & Prolit Die Verlagsauslieferung Prolit liefert schwerpunktmäßig kleine und unabhängige Verlage aus. Die oft formulierte Forderung, Vielfalt zu erhalten und zu stärken, indem unabhängige Verlage und unabhängige Buchhandlungen stärker zusammenarbeiten mögen, ist auch Grundlage des Konzepts des 2006 entwickelten Prolit-Partner-Programms. Damit will das Unternehmen ein „Rundum-sorglos-Paket“ anbieten, das auf diese Allianz von unabhängigen Buchhandlungen und Verlagen setzt und Vielfalt und Rendite im unabhängigen Buchhandel stärkt [. . .] Das „Sortieren“ durch die Sortimenterin selbst, in direkter Zusammenarbeit mit Verlag und Verlagsvertretungen, bleibt kein hehrer Anspruch, es rechnet sich auch (wieder).418

Die erfolgversprechende Botschaft aus dem Prospekt des Programms wird dort auch untermauert: Mittlerweile 1.350 Buchhandlungen nehmen am PartnerProgramm teil, mit verlagsübergreifender Lieferung und Rechnungslegung für 150 teilnehmende Verlage sowie Reiserabatten als Festkondition und Kulanzremission ohne Bearbeitungsgebühr. Partnern werden auch Informationen über Auszeichnungen, Besten- und Bestsellerlisten sowie wichtige Rezensionen via Newsletter zur Verfügung gestellt. Der Blick auf die Webseite zeigt, dass von den in dieser Arbeit porträtierten Verlagen allerdings keiner vertreten wird. Der Grund dafür liegt darin, dass

417 N.N.: TUBUK gründet E-Book Verlag. In: boersenblatt.net vom 22.2.2013: http://www.boersenblatt.net/artikel-digitales.596116.html. Stand: 12.7.2015. 418 Homepage Prolit: Prolit-Partner-Programm 2015: http://prolit.de/UserFiles/File/pdf/PPP2015.pdf. Stand: 26.7.2015.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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alle anderen Verlage, bis auf den bei der LKG (Leipziger Kommissions- und Großbuchhandelsgesellschaft) gelisteten Verbrecher Verlag, bei der GVA (Gemeinsame Verlagsauslieferung) ausgeliefert werden. Die Auslieferung GVA, die 1997 von vier Verlagen gegründet wurde, liefert alle 253 heute vertretenen Verlage gebündelt und auch in gemeinsamer Fakturierung an den Buchhandel aus.419 Selbst beschreibt sich das Unternehmen mit seinem gemeinsamen Auftritt der Verlage „als kleiner, erfolgreicher Konzern der Qualität im deutschen Buchhandel“. Die GVA ist auch offen für neu gegründete kleine Verlage – was bei anderen Auslieferungen oft nicht der Fall ist. Für die GVA sind „Independents“ jene „jungen Verlage, die neuen Schwung ins Gewerbe bringen“.420

3.2.8.2.3 Partner 3: Buchhandelskette: Mayersche Im Jahr 2008 veranstaltete die Buchhandelskette Mayersche einen „Independent Day“, um dezidiert die Zusammenarbeit mit Kleinverlagen zu verstärken. Die Verantwortlichen der Ressorts Einkauf, Vertrieb und Marketing der Mayerschen trafen dabei auf die Vertriebsverantwortlichen der unabhängigen Verlage, die ihre Programme vorstellten. Es kamen 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 99 unabhängigen Verlagen. „Unser Ziel ist natürlich die Optimierung des Sortiments“,421 sagte Mitgeschäftsführer der Mayerschen, Michael Wieser – Gesprächsrunden hatten hierfür die Verbesserung der Zusammenarbeit und Voraussetzungen wie eine Bündelung in den Bereichen Logistik und Vertrieb zum Thema. Und den Wunsch, dass die Verlage ihre Kommunikation bündeln: „Derzeit bekommen wir per E-Mail völlig unstruktierte Informationen von den Verlagen und haben deshalb zum Beispiel alle Newsletter abbestellt.“422 Der Austausch brachte schließlich Optimierung: In einem Pilotprojekt entstand zunächst ein 16-seitiger Folder, der in einer Auflage von 10.000 Stück in den neun größten Filialen gestreut wurde und dem Publikum besonders verkaufsstarke Titel ausgewählter Independent Verlage präsentierte. Entwickelt wurde dieser von Prolit, der als Key-Accounter von 52 Independents gegenüber der Mayerschen auftritt.423 Die Key-Account-Funktion bzw. Mittlerrolle

419 Stand: 27.7.2015. 420 Homepage GVA – Gemeinsame Verlagsauslieferung: http://www.gva-verlage.de/ueberuns/. Stand: 27.7.2015. 421 Michael Wieser, zitiert in: N.N.: Independent Day bei der Mayerschen. In: boersenblatt.net vom 19.5.2008: http://www.boersenblatt.net/188224/. Stand: 5.5.2008. 422 Michael Wieser, zitiert in: Gab, Sabrina: Mayersche ist zufrieden mit dem Independent Day. In: boersenblatt.net vom 10.9.2008: http://www.boersenblatt.net/256831/. Stand: 27.7.2015. 423 Vgl. N.N.: Signale aus der Nische. In: buchreport.express, 43/2009, S. 11.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

durch die Auslieferung Prolit bedeutet für Partnerverlage auch eine Vertretung mit ihren Spitzentiteln auf den Hausbörsen der Mayerschen, auf die sie bis dahin bislang nicht eingeladen worden waren. Außerdem waren ihre Vertreterinnen und Vertreter bis dahin nicht in den Filialen der Mayerschen empfangen worden. In der Weiterentwicklung des Projekts präsentiert die Mayersche bis heute im Rahmen ihrer Reihe „Independent“ in einigen Filialen ausgewählte Bücher aus Independent Verlagen auf spezieller Präsentationsfläche.424

3.2.8.3 Autonome Kooperationen und Auftritte junger Verlage 3.2.8.3.1 Treffen LitWerkstatt Auf Initiative der Verlage kookbooks und Blumenbar fand 2005 ein erstes „Treffen junger Independent-Verlage“ in der LiteraturWERKstatt Berlin statt, das an drei Tagen dem Erfahrungsaustausch und der stärkeren Vernetzung untereinander dienen sollte.425 Der Andrang zum Auftakt war groß – Lesungen, Büchertische und Programm bis spät in die Nacht versammelten Verlage, Autorinnen und Autoren sowie deren Publikum. Statt zunächst wenigen angekündigten Verlagen waren schließlich 20 Verlage auf der Veranstaltung vertreten. Ein weiteres Arbeitstreffen folgte kurz darauf, auf dem Themen wie Kooperationsmöglichkeiten im Vertrieb oder beim Vorschau-Versand besprochen sowie ein gemeinsamer Auftritt auf der Leipziger Messe in Zusammenarbeit mit der Messeleitung beschlossen wurden.426 Auch nach einem gemeinsamen Dachnamen dieser Verlage wurde bei diesem Treffen gesucht: „Independent“.

3.2.8.3.2 Gemeinsamer Vorschauversand Verlagsvorschauen sind im Buchhandel das am häufigsten genutzte Informationsmedium zur Sortimentsplanung, am zweiten Platz stehen Fachmedien und

424 Aufgrund der Kopplung der Reihe „Independent“ an die Auslieferung Prolit stammen die dort präsentierten Titel überwiegend aus anderen Independent-Verlagen als den in dieser Arbeit porträtierten, die fast ausschließlich durch die GVA ausliefern lassen. 425 N.N.: Mehr als 20 Verlage dabei beim Treffen junger Independentverlage in Berlin/Furioser Auftakt. In: buchmarkt.de vom 21.5.2005: http://www.buchmarkt.de/content/17219-mehr-als-20verlage-dabei-beim-treffen-junger-independentverlage-in-berlin-furioser-auftakt.htm?hilite=Verbrecher-Verlag-. Stand: 19.7.2015. 426 N.N.: Arbeitstreffen junger Independent Verlage in Berlin. In: buchmarkt.de vom 13.12.2005: http://www.buchmarkt.de/content/19621-arbeitstreffen-junger-independent-verlage-in-berlin-. htm?hilite=-J%F6rg-Sundermeier-. Stand: 19.7.2015.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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erst am dritten Platz finden sich Vertreterbesuche.427 Der größte Wunsch seitens des Buchhandels zielt dabei auf eine Bündelung des Vorschauversands ab. So verschickt etwa Matthes & Seitz die Vorschau gemeinsam mit der Friedenauer Presse. Acht junge Independent Verlage428 schnürten 2009 selbst ein Paket ihrer acht besten Bücher. In einer Herbstvorschau mit dem Namen Goldader, die an den Buchhandel in Deutschland, Österreich und der Schweiz ausgeliefert wurde, bot man die Titel durch die Auslieferung GVA gebündelt dem Buchhandel an: GOLDADER ist das erste gemeinsame Spitzentitel-Paket der jungen Independent-Verlage mit den 8 besten Büchern für den Herbst 2009. [. . .] GOLDADER ist das perfekte Paket für Ihre Independent-Aktion: zum Ausprobieren, näher Kennenlernen oder Vertiefen Ihres Angebots.429

Das Paket umfasste wahlweise je drei oder je fünf Exemplare jedes Titels plus Aktionsposter mit 45 Prozent Rabatt und drei Monaten Remissionsrecht. Außerdem waren alle Bücher mit Aktionsaufklebern versehen.430 Zwar war Goldader genau solch eine Aktion, wie sie sich der Handel wünscht – das Projekt stieß dennoch auf so wenig Resonanz, dass es keine Wiederholung fand.

3.2.8.4 Rund um die Buchmesse: Leseinsel, Partys, Preise Buchmessen sind kommunikative Großereignisse, und vor allem die beiden großen Messen in Frankfurt und Leipzig zählen zu den wichtigsten weltweit, um sich als Verlag mit seinem Programm zu präsentieren.431 In Leipzig machen die kleinen unabhängigen Verlage knapp die Hälfte der Aussteller aus, was Buchmessedirektor Oliver Zille so erklärt: [. . .] Im Wesentlichen hängt es damit zusammen, dass sie stark unter Druck sind, Öffentlichkeitsarbeit gegenüber ihrem Lese-Publikum zu leisten. Die Konzentration im Buchhandel

427 Vgl. N.N.: Vorschauen: Wichtigstes Instrument. In: boersenblatt.net vom 2.5.2008: http:// www.boersenblatt.net/188224/. Stand: 5.5.2010. 428 Blumenbar, kookbooks, mairisch, Luftschacht, Onkel & Onkel, orange-press, Salis, Voland & Quist. 429 Verlagsvorschau Goldader Herbst, 2009, S. 3. 430 N.N.: Spitzentitel-Paket der jungen Independent-Verlage. In: boersenblatt.net vom 9.6.2009: http://www.boersenblatt.net/324687/. Stand: 19.7.2015. 431 Vgl. Niemeier, Sabine: Funktionen der Frankfurter Buchmesse im Wandel – von den Anfängen bis heute. Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem deutschen Bucharchiv München. Bd. 68. Wiesbaden: O. Harrassowitz, 2001, S. 49 f. und S. 59; Hoffmann, Frank: Die Leipziger Messe. Geschichte und Entwicklungen. München: Grin Verlag 2004, S. 6 f; Ammern, 2001, S. 85.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

führt dazu, dass die kleinen Verlage dort nicht mehr wahrnehmbar sind. Solche Foren wie die Buchmesse sind für sie ein effizientes Instrument, ihr Lese-Publikum und die Medien zu erreichen.432

Bereits im vorangegangenen Kapitel wurde beschrieben, wie sich die Präsenz auf Veranstaltungen und Messen positiv in der Vertriebs- und Pressearbeit auswirkt. Die großen Messen geben hier einen völlig anderen Rahmen vor. Hier treffen seit Jahrhunderten Verlage aller Größen und Länder zusammen, um sich zu präsentieren und die Aufmerksamkeit in der Branche, aber auch von Presse und Publikum zu erhalten.433 Soweit es der finanzielle Spielraum zulässt, sind die Stände der Verlage sehr aufwendig gestaltet. Auch Independent Verlage versuchen, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln aufzufallen – Blumenbar präsentierte sich beim ersten Messeauftritt mit dem ersten und einzigen Titel Memomat und einer Waschmaschine, Onkel & Onkel auf einer Messe mit angeketteten Büchern, nachdem einmal über Nacht der gesamte Stand von Dieben leergeräumt worden war, und der Verlag Lilienfeld mit selbst gebackenen Lilienfeld-Keksen.434 Diese Beispiele zeigen: Auffallen muss nicht teuer sein. Kostengünstige Alternativen sind in jedem Fall gefragt, und kreative Ideen können hier vieles kompensieren. So wählen die meisten Independent Verlage die kleinste Standgröße und manche teilen sich einen Stand. So hatten beispielsweise die beiden Schweizer Independent Verlage Salis und Walde + Graf über mehrere Jahre gemeinsam einen Stand. Im Verbund bzw. dem gemeinsamen Auftritt nach außen ergeben sich viele Möglichkeiten, die vom einzelnen Verlag alleine nur schwer zu realisieren sind. So auch die Idee hinter dem Gemeinschaftsstand des AkV auf den Buchmessen oder der von der KWS organisierten Veranstaltung Wir tanzen aus der Reihe auf der Frankfurter Buchmesse, die jährlich am Messedonnerstag stattfindet. Beteiligt sind dabei die Verlage, mit denen die Stiftung zusammenarbeitet und die ihre Stände auch alle in Halle 4.1 und in den Gängen F und G in unmittelbarer Nähe zueinander haben. Diese abendliche Happy Hour wird auch dazu genutzt, 432 N.N.: Leipziger Buchmesse erwartet 2008 noch mehr kleine Verlage. In: Die Welt Online vom 5.1.2008: http://www.welt.de/welt_print/article1519566/Leipziger_Buchmesse_erwartet_2008_ noch_mehr_kleine_Verlage.html. Stand: 14.7.2015. 433 Die Anfänge der Frankfurter Buchmesse reichen bis ins 15. Jahrhundert. Vgl. Niemeier, 2001, S. 9; Die Geschichte der Leipziger Buchmesse geht in das 17. Jahrhundert zurück. Vgl. Brandsch, Juliane/Herzog, Andreas: Das literarische Leipzig. Kulturhistorisches Mosaik einer Buchstadt. Leipzig: Edition Leipzig, 1995, S. 25. 434 N.N.: ONKEL & ONKEL komplett geplündert. In: boersenblatt.net vom 25.3.2008: http:// www.boersenblatt.net/184366/. Stand: 14.7.2015; N.N.: Gestohlene Bücher: 0. In: Börsenblatt, 43/2009, S. 8.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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den neuen Katalog der KWS und neue Projekte vorzustellen, 2007 etwa die startende Lesereise von assoziierten Verlagen durch die Buchhändlerschulen.435 2015 kam mit dem von Barbara Weile entwickelten Leseforum Die Unabhängigen ein neues Format von der KWS in Kooperation mit der Leipziger Buchmesse hinzu. In der gemeinsamen Pressemitteilung erklärte Oliver Zille, Direktor der Leipziger Buchmesse: „Mit dem Forum wollen wir einen Ort etablieren, der bei Leserpublikum, Medien und dem Buchhandel für unabhängige Verlage und deren Autoren wirbt.“436 In 44 Veranstaltungen präsentierten 37 Verlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ihr Verlagsprogramm sowie auch die Menschen hinter den Kulissen. Auf der Leipziger Buchmesse gibt es mit der Leseinsel für Junge und Unabhängige Verlage einen weiteren markanten Treffpunkt für Independent Verlage, ihre Autorinnen und Autoren und ihr Publikum. Auf allen Messetagen gibt es dort durchgängig Programm aus jenen Verlagen, die rund um die Leseinsel mit ihren Ständen vertreten sind – an die vierzig Veranstaltungen an vier Tagen, organisiert vom Verleger des Verbrecher Verlages, Jörg Sundermeier.437 Seit ihrem Beginn 2006 war die Leseinsel fester Bestandteil der Messe – umgesetzt wurde das Konzept damals von Irina Kramp, Literaturveranstalterin und Buchhändlerin der Connewitzer Verlagsbuchhandlung – der mittlerweile einzigen unabhängigen Buchhandlung der Leipziger Innenstadt.438 Kramp war auch als Organisatorin tätig, als das Konzept 2010 eine Erweiterung fand: Da wurde im voll besetzten Leipziger Lindenfels Westflügel die Premiere von UV – Die Lesung der unabhängigen Verlage mit 300 Besucherinnen und Besuchern gefeiert.439 Die vierstündige Abendveranstaltung im Jugendstil-Ambiente fand auch in den folgenden Jahren eine Fortsetzung und präsentierte dort das Programm jener Verlage, die sich um die Leseinsel Junge Verlage gruppieren. Neben Verlagen, die in diesem Buch porträtiert werden, sind das etwa auch: Connewitzer Verlagsbuchhandlung,

435 Kahlefendt, Nils: Wir tanzen aus der Reihe. In: boersenblatt.net vom 11.10.2007: http:// www.boersenblatt.net/169366/. Stand: 12.7.2015. 436 Homepage Kurt-Wolff-Stiftung: Programm für ‚Die Unabhängigen‘ vorgestellt: http://www. kurt-wolff-stiftung.de/programm-fuer-die-unabhaengigen-vorgestellt/. Stand: 12.7.2015. 437 Faure, Ulrich: Interview mit Jörg Sundermeier. Leseinsel der jungen Verlage ist zurück in Halle 4.1. In: buchmarkt.de, s.t.: http://www.buchmarkt.de/content/33956-.htm. Stand: 12.7.2015. 438 N.N.: Lieblingsbuchhandlungen (2): Connewitzer Verlagsbuchhandlung, Leipzig. Interview mit Irina Kramp und Peter Hinke vom 21.11.2012. In: mairisch Verlagsblog: http://www.mairisch. de/2012/11/21/lieblingsbuchhandlungen-2-connewitzer-verlagsbuchhandlung-leipzig/. Stand: 4.7.2015. 439 Homepage Schaubühne Lindenfels: UV – Die Lesung der unabhängigen Verlage: http://www. schaubuehne.com/index.php?id=eventdetails&no_cache=1&eventID=412&month=1300446000. Stand: 4.7.2015.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Liebeskind, Lilienfeld, Milena, der Mitteldeutsche Verlag und poetenladen. Auf der Homepage der UV wird dazu ausgeführt: Das Gemeinschaftsprojekt soll zeigen, dass es neben der inhaltlichen Vielstimmigkeit Gemeinsamkeiten im Literaturzugang und in der Arbeitsweise der unabhängigen Verlage gibt. Immerhin sind sie es, die mit einem hohen Maß an persönlichem Risiko anspruchsvollen Themen und literarischen Formen weitab vom Mainstream in ihren Programmen eine Heimat geben. Mit UV – Die Lesung der unabhängigen Verlage wird der Gedanke des Lies lieber unabhängig vom Messegelände in die Stadt getragen.440

Der zentrale Gedanke der UV – Die Lesung der unabhängigen Verlage ist das „Miteinander-ins-Gespräch-Kommen“ bzw. das „Miteinander-im-Gespräch-sein“ von Autorinnen und Autoren, Moderatorinnen und Moderatoren und dem Publikum. Das entspricht auch der Idee der Leipziger Buchmesse als Publikumsmesse im Unterschied zur Frankfurter Buchmesse, die eher als Geschäftsmesse gilt. Der Austausch mit der Presse ist auf der Messe ebenfalls von großem Interesse für Verlage, zumal es da Gelegenheiten für persönliche Treffen gibt. Bezüglich der Konkurrenz der Vielzahl von Ausstellern um die Aufmerksamkeit der Presse wurde 2012 auch hier eine Lösung im Verbund gefunden: In Kooperation mit der Leipziger Buchmesse wurden Presse- und Medienvertreterinnen und -vertreter zu Rundgängen eingeladen, die an mehreren Ständen vorbeigeführt wurden und so einen Eindruck von einer Reihe von Independent Verlagen auf einmal erhielten.441 Rundgänge wie diese werden darüber hinaus auch dem Publikum angeboten, die Independent Verlegerinnen und Verleger wechseln sich dabei ab, dies durchzuführen und zu informieren. Mit einer eigenen Messezeitung präsentierten sich Independent Verlagen auf der Leipziger Buchmesse 2007, die mit der Headline „Enthusiasmus alleine reicht nicht“ titelte. Die kostenlose Zeitung fünf null war ein Gemeinschaftsprojekt von 17 Independent-Verlagen, die mit ihren Ständen rund um die Leseinsel Junge Verlage gruppiert sind. Neben Informationen zu Neuerscheinungen aus diesen Verlagen – von Alexander Verlag bis Voland & Quist – enthält die 16-seitige Zeitung auch Beiträge von Gunther Nickel, Lektor des Deutschen Literaturfonds, und Gerrit Bartels, Literaturredakteur des Berliner Tagesspiegel. „Jeder, der unter der Flagge ‚Independent‘ segeln möchte, hat in ,fünf null‘ Gelegenheit, seine

440 Homepage UV – Die Lesung der unabhängigen Verlage: http://www.uv-lesung.de/html/ menu.html. Stand: 8.7.2015. 441 Homepage Leipziger Buchmesse: Pressetermine, 2012: http://www.leipziger-buchmesse. de/LeMMon/Graph1.NSF/Lookup/LBM12_Pressetermine/$FILE/LBM12_Pressetermine.pdf. Stand: 12.9.2012.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Neuerscheinungen vorzustellen“, so Tisch 7-Verleger Frank Niederländer, Redakteur der Zeitung, im Editorial.442 Die Party der jungen Verlage, die am Messefreitag sowohl in Frankfurt als auch in Leipzig an wechselnden Orten, wie der Alten Hauptpost in Leipzig oder der Diamantenbörse in Frankfurt, veranstaltet wird, ist eine weitere gemeinsame Aktion jener Verlage, die auch bei den oben genannten Buchmesse-Aktionen kooperieren. 2005 legte das Format einen fulminanten Start hin – und brachte damit diesen wenigen Verlagen viel Aufmerksamkeit ein. Vor allem in der Presse, wo sich auch der Begriff „Independent“ zunehmend etablierte, wie sich ein Verleger erinnert: Es ist alles über die Partys gekommen. Die waren immer ein Riesen-Erfolg. Ich weiß nicht, ob die was für die Bücher gebracht haben. Aber sie haben auf jeden Fall diese Gruppe von Verlagen bewusst gemacht. Das war ein entscheidendes Identitätsmerkmal.443

Die Strahlkraft des Events hielt und hält an – jedes Jahr nehmen mehr Verlage teil. Nach fünf Jahren sind es über 20, die dort gemeinsam feiern, was mittlerweile weit über das Messepublikum hinaus bekannt ist. Die Party gilt als Ausgehtipp, mit Warteschlangen vor dem Eingang. Angesprochen auf die zahlreichen gemeinsamen Aktionen dieser Verlage, ist es auch diese Party, von der aus der Sicht eines Verlegers alles seinen Ausgang nahm: Im Herbst 2005 war die erste Party der unabhängigen Verlage. [. . .] Danach ging das los, dass in der Presse permanent über diese fünf Verlage berichtet wurde. Und ich glaube, das war eben eine Party, die wirklich cool war. Wo diese ganze Branche, inklusive des Feuilletons, da war, wo was völlig anderes gelaufen ist als zum Beispiel bei den BertelsmannPartys da immer in Frankfurt. Und wo man dann so erst mal gemerkt hat: „Ah, was machen die denn? Die sind ja cool.“444

Auch ein anderer Kollege streicht die Bedeutung der Party für das gemeinsame lose Netzwerk heraus: „Was für uns sehr wichtig war, ist diese Party der jungen Verlage. [. . .] Um das hat sich schon sehr viel aufgebaut. Eben auch das Netzwerk schlussendlich.“445 Tatsächlich brachte das Format eine große Party für junge Menschen auf die Messe, die jedes Jahr mehr Zulauf fand. Das hatte, wie es scheint, gefehlt, wie ein

442 Homepage youpublisher: Messezeitung fünf.null, 21.–25.3.2007: http://www.youblisher. com/p/704117-Messezeitung-fuenf_null/. Stand: 22.7.2015. 443 Interview B1, Absatz 419. 444 Interview A8, Absatz 446. 445 Interview A7, Absatz 264.

Abb. 3.1: Büchertisch UV - Die Lesung der unabhängigen Verlage in der Schaubühne Lindenfels 2011 (Foto: privat).

Abb. 3.2: Logo Hotlist (Abb.: Hotlist).

Abb. 3.3: kookbooks Verlegerin Daniela Seel auf der Mainzer Minipressen-Messe 2011 (Foto: privat).

Abb. 3.4: Flyer Fest der Jungen Verlage, Frankfurter Buchmesse 2009, Vorderseite (Foto: privat).

Abb. 3.5: Flyer Fest der Jungen Verlage, Frankfurter Buchmesse 2009, Rückseite (Foto: privat).

Abb. 3.6: Katharina Hartwell und asphalt & anders Autor Stefan Petermann auf der Leseinsel Junge Verlage auf der Leipziger Buchmesse 2013 (Foto: asphalt & anders).

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Verleger meint: „Die anderen Veranstaltungen sind doch alle ziemlich steif.“446 Von den üblichen Veranstaltungen unterscheidet sich die Party darin, dass dafür keine Einladung erforderlich ist, an der Stelle eines Buffets gibt es DJs und statt der Business- herrscht Clubatmosphäre. Community anstelle von Exklusivität. Es scheint verwunderlich, dass es bislang kein ähnliches Format bzw. Angebot gegeben hatte. Denn nicht zuletzt brachte dieses Event auch Menschen außerhalb des Messegeschehens und der Buchwelt in Kontakt mit dem Verlagsumfeld: Ja, das spricht die eigene Klientel an . . . Vermutlich ist es eine relativ junge, urbane, an aktueller Kultur und Gesellschaft interessierte Leserschaft. Aber es kommen auch Leute von anderen Verlagen auf diese Partys, die vielleicht auch schon ein bisschen älter sind. Oder es kommen auch Leute auf die Independent-Partys, die gar nicht auf der Messe sind. Die sich gar nicht für Literatur interessieren. Sondern die auf eine gute Party gehen wollen. Die sind natürlich genauso willkommen.447

Als 2009 mit der Hotlist448 eine weitere Aktion von Independent Verlagen lanciert wurde, fand diese auf der Party eine Bühne und ihren Höhepunkt. Mit „einem kleinen anarchischen Gegenimpuls“449 reagierte man damit auf den Deutschen Buchpreis, zumal für diesen bislang nie Bücher junger und unabhängiger Verlage nominiert waren. Ein Verleger führt aus: Es ist im Grunde so, dass wir davon ausgehen können, dass wir keine großen Buchpreise kriegen. Weil die Jurys bereits für sich beschlossen haben, dass wir nicht in der Lage sind, den Markt zu bedienen. Und vielleicht gar nicht mal Unrecht haben. Aber es ist, zum Beispiel, völlig unmöglich: Daniela Seel kann den besten Roman des Frühjahrs gemacht haben, sie wird nie den Deutschen Buchpreis kriegen. Selbst wenn er populär ist und alles andere. Und es ist eine junge Frau, die ist aus Afghanistan geflohen und so weiter. Also sie hat sozusagen alles, womit Hanser Millionen machen würde. Daniela aber würde den Preis nicht bekommen. Einfach weil davon ausgegangen wird, dass Daniela ohnehin keine 100.000 [Exemplare] aufstellen kann.450

Preise für einzelne Werke aus Verlagen, die Gegenwartsliteratur publizieren, haben für diese aber umgekehrt immense Wichtigkeit und besonderen Stellenwert: Jeder Preis ist wichtig, sei es jetzt auch nur in so einem kleinen Umfeld und natürlich auch wegen des Geldes, für die Autoren genauso wie für den Verlag. Solange das eben marktwirtschaftlich nicht zu erwirtschaften ist, ist es auch überlebensnotwendig, dass es solche Preise gibt.451 446 Interview A4, Absatz 226. 447 Interview A1, Absatz 145. 448 Nähere Ausführungen zur Hotlist finden sich am Ende dieses Kapitels. 449 Interview A1, Absatz 109. 450 Interview A5, Absatz 130 f. 451 Interview A1, Absatz 299.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Neben finanziellen Gewinnen bedeuten Preise auch wertvolles symbolisches Kapital, das dem Verlagsnamen im Feld, gleich einem Qualitätssiegel, Reputation und Zulauf interessanter Autorinnen und Autoren – kurz: jene Anerkennung, um die alle buhlen – einbringt. Zu den wichtigsten Preisen für Belletristik im deutschsprachigen Raum zählen neben dem Deutschen Buchpreis der GeorgBüchner-Preis oder der Ingeborg-Bachmann-Preis. Anlässlich seiner jährlichen Verleihung in Klagenfurt nahm die Literaturkritikerin Daniela Strigl die Gelegenheit wahr, um medienwirksam mehr Aufmerksamkeit für kleine Verlage zu fordern: Es passiert viel im Windschatten des großen Betriebs, das einfach nicht wahrgenommen wird. Also, es gibt zum Beispiel in Österreich kleine Verlage, die in Deutschland nicht bemerkt werden vom Feuilleton – und umgekehrt. [. . .] Ein Debüt in einem kleinen Verlag findet halb versteckt statt. Und ich finde, dass die Literaturkritik vor allem den Leuten, die ihr erstes Buch vorlegen, eine gewisse Aufmerksamkeit einfach schuldig ist.452

Diese fehlende Aufmerksamkeit war, wie eingehend festgehalten, auch Initiationsgedanke der Hotlist. Initiiert durch den Blumenbar Verlag 2009, in Frankfurt zum Zeitpunkt der Buchmesse ausgerufen, sollte die „spontanistische, rebellische Instant-Aktion“453 ein Gegenstück zum dort vergebenen Deutschen Buchpreis bilden, für den wiederholt und nahezu ausschließlich Titel aus großen Verlagen nominiert waren. Hinzu kommt, dass in der Zeit rund um die Verleihung des Buchpreises schließlich auch in den Medien eine annähernd exklusive Berichterstattung über jene Bücher, die auf der Shortlist des Buchpreises stehen, erfolgt. Weitere Bücher, die zu dieser Zeit erscheinen, werden ungleich schwerer als sonst wahrgenommen, zumal im Rahmen der Buchmesse auch ein Vielfaches an Neuerscheinungen auf den Buchmarkt drängt. Von „dadaistische(r) Geste“ und „rotzfreche(r) Chuzpe“ liest man auf der Seite der Hotlist454 über die Aktion, an der zu Beginn 20 Verlage teilnahmen,455 die das System des

452 Daniela Strigl, zitiert in: Tischer, Wolfgang: Interview mit Bachmann-Jurorin Daniela Strigl: „Die Literaturkritik ist Erstautoren eine gewisse Aufmerksamkeit schuldig.“ Podcast vom 14.7.2011. In: Das Literatur-Café: http://www.literaturcafe.de/interview-mit-literaturkritikerindaniela-strigl/. Stand: 2.8.2015. 453 Interview A1, Absatz 299. 454 Homepage Hotlist: Die Idee der Hotlist: http://www.hotlist-online.com/die-idee-der-hotlist/. Stand: 2.8.2015. 455 Teilnehmende Verlage der Hotlist 2009: bilgerverlag, Blumenbar Verlag, Echtzeit Verlag, Edition Korrespondenzen, Folio Verlag, Friedenauer Presse, Urs Engeler Editor, kookbooks, Liebeskind Verlag, Lilienfeld Verlag, Luftschacht Verlag, mairisch, Matthes & Seitz, Milena Verlag, orange-press, Salis Verlag, Ventil Verlag, Verbrecher Verlag, Voland & Quist, weissbooks.w.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Deutschen Buchpreises und seiner Vergabemechanismen zu umgehen suchten, indem sie ihren eigenen Preis schufen. Mit Unterstützung von Denis Scheck, der die Moderation der ersten Preisverleihung übernahm, wurde erstmals ein Hotlist-Preis an Alexander Schimmelbuschs Buch Blut im Wasser, erschienen im Blumenbar Verlag, verliehen, der durch 3.725 Stimmen, die mittels Online-Abstimmung für die 20 Titel der Verlage abgegeben wurden, ermittelt wurde.456 Auf Qualitätskriterien bei der Auswahl der Titel hatte man bei der ersten Runde ansonsten völlig verzichtet. Nicht abgestimmt mit der Kurt-Wolff-Stiftung, stieß die Aktion, unter anderem, auch dort auf Kritik. Umgekehrt fand die Idee „der Liste von Büchern aus unabhängigen Verlagen“ großen Anklang und ging im darauffolgenden Jahr mit mehr Koordination und 110 Verlagen in die zweite Runde: Die 15 Titel umfassende Liste setzte sich diesmal aus sieben vom Publikum per Internetabstimmung gewählten und acht von einer internationalen und prominent besetzten siebenköpfigen Jury457 nominierten Büchern zusammen. 2011 beteiligten sich 141 Verlage, mit Charlotte Roche458 und Jakob Augstein konnte man zwei prominente Moderatoren für die Preisverleihung gewinnen. 2012 gab es 145 Einreichungen, aus denen zehn Titel, drei vom Publikum und sieben von der Jury gewählte, die Hotlist bildeten. Die folgenden Jahre wurden mit 141 im Jahr 2013 und 143 im Jahr 2014 ähnlich viele Titel eingereicht. 2015 gab es 171 Einreichungen. 2009 und 2010 stiftete die Mayersche Buchhandlung das Preisgeld von 5.000 Euro. Später wurde ein Förderkreis der Hotlist eingerichtet. Die Kurt-Wolff-Stiftung zählt mittlerweile zu den Unterstützern.459 Erstmals wurde im Jahr 2011 zusätzlich der Melusine-Huss-Preis der Hotlist vergeben. Dieser wird von Buchhändlerinnen und Buchhändlern bestimmt und ist mit einem Druckgutschein über 4.000 Euro der Freiburger Graphischen Betriebe dotiert.460

456 Kahlefendt, Nils: Hotlist – Publikumspreis der Independents an Blumenbar-Autor Alexander Schimmelbusch. In: boersenblatt.net vom 17.10.2009: http://www.boersenblatt.net/343683/. Stand: 2.8.2015. 457 Hotlist-Jury 2010: Traudl Bünger (Lit.Cologne, Köln), Christof Hinderer (Osiandersche Buchhandlung, Reutlingen), Thomas Keul (Volltext, Wien), Michael Lemling (Buchhandlung Lehmkuhl, München), Thomas Pletzinger (Autor, Berlin), Monika Schärer (Schweizer Fernsehen, Zürich). 458 Die Moderatorin Charlotte Roche landete 2008 mit ihrem Buch „Feuchtgebiete“ einen Bestseller, der eines der meistdebattierten Bücher des Jahres war, erschienen beim Verlagsriesen Dumont. 459 Homepage Hotlist: http://www.hotlist-online.com/. Stand: 28.7.2015. 460 Ebd.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Die innovativen Aktionen von Independent Verlagen nahmen auch Einfluss, als die Buch Wien als neue internationale Buchmesse konzipiert wurde. Diese startete 2008 in Österreich – mit einem eigenen Bereich, in dem sich Independent Verlage präsentieren, einer independent Nacht im brut im Künstlerhaus, wo im Rahmen der parallel stattfindenden Lesefestwoche auch vier Leseabende mit Autorinnen und Autoren von Independent Verlagen stattfanden.461

Exkurs: Beispiele von Zusammenschlüssen in anderen Ländern Wie das vorangegangene Kapitel gezeigt hat, gibt es in Deutschland unterschiedliche Möglichkeiten der Kooperation und des gemeinsamen Vertriebs von Independent Verlagen. An dieser Stelle soll ein Blick über die Grenzen geworfen werden. Neben zwei weiteren Allianzen im deutschsprachigen Raum, die im Speziellen auf den Buchmarkt in Österreich bzw. der Schweiz zielen, wird auch ein Erfolgs188beispiel aus Großbritannien angeführt.

Österreich: Arbeitsgemeinschaft Österreichische Privatverlage Die Arbeitsgemeinschaft Österreichische Privatverlage wurde 1988 von den Verlegern Erhard Löcker und Alexander Potyka ins Leben gerufen. Im Verbund sollten damit gegen die Dominanz kirchlicher, staatlicher und institutionalisierter Interessenverbände bessere Voraussetzungen für Verlage in Privatbesitz geschaffen werden. Zunächst ging es darum, für diese Verlage ein Sprachrohr und ein Netzwerk zu schaffen, zumal es in Österreich bis heute auch keinerlei Ausbildungsstätten für Verlagsberufe gibt. Neben dem Bekannt- und Sichtbar-Werden lag ein erstes Interesse darin, die Förderpolitik zu verändern. Die Initiative konnte mit dem erklärten Ziel der Einführung der Verlagsförderung schließlich auch einen „epochalen Erfolg für Kultur- und Literaturverlage – nicht nur für die kleinen und unabhängigen übrigens!“462 – verbuchen. Staatliche Unterstützung konnte auch für gemeinsame Aktionen in den Bereichen Vertrieb und Presse- und Öffentlichkeitsarbeit erreicht werden. Diese Unterstützung und die Kooperation

461 Homepage Hauptverband des Österreichischen Buchhandels: Buch Wien 08: http://www. buecher.at/show_content.php?sid=94&detail_id=973. Stand: 10.11.2008. 462 Alexander Potyka, zitiert in: Führer, Bettina: 25 Jahre Picus. Interview mit Dorothea Löcker und Alexander Potyka. In: buecher.at – Hauptverband des Österreichischen Buchhandels vom 19.9.2009: http://www.buecher.at/show_content.php?sid=122&detail_id=1716. Stand: 27.7.2015.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

untereinander haben wesentlich dazu beigetragen, dass einer Reihe der teilnehmenden Verlage „der Sprung vom Klein- und Kleinstverlag zum Unternehmen mit einem gewissen Professionalisierungsgrad gelungen ist“.463 Ein weiteres Hauptaugenmerk der Gruppe, der aktuell 21 Verlage angehören,464 richtet sich nach wie vor auf den Vertrieb und gemeinsame Werbemaßnahmen. Neue Verlage werden indes nicht mehr aufgenommen, da man die Ressourcen und Möglichkeiten, sich in angemessenem Umfang in gemeinsamen Aktionen Presse und Buchhandel zu präsentieren, auch an eine Größe bzw. an eine beschränkte Anzahl an Verlagen gekoppelt sieht. Eine jährliche gemeinsame Aktion ist etwa der Presseabend in der österreichischen Botschaft in Berlin, wo die Verlage ihr Programm eingeladenen Gästen aus der Buchhandels- und Medienbranche präsentieren.465

Schweiz: SWIPS Swiss Independent Publishers, kurz SWIPS, ist eine Plattform mit Sitz in Zürich, der derzeit 22 unabhängige Deutschschweizer Verlage466 angehören. Die Plattform besteht seit 2007, turnusgemäß wird jedes Jahr auf der Jahresversammlung eine neue Präsidentin bzw. ein neuer Präsident gewählt. Am Anfang stand kein Manifest, sondern ein Fest, zu dem 400 Besucherinnen und Besucher kamen. Die Idee begeisterte, schien sie auch genau zum richtigen Zeitpunkt zu kommen, denn SWIPS wurde im selben Jahr gegründet, in dem in der Schweiz die Preisbindung fiel, und nachdem es seit 20 Jahren keinen neuen Zusammenschluss von Verlagen gegeben hatte, die sich aktiv in das kulturpolitische und literarische Geschehen des Landes einbringen.467

463 Panzer, Fritz: Verlagsführer Österreich. Wien: Buchkultur, 1995, S. 16. 464 In der Arbeitsgemeinschaft Österreichische Privatverlage sind die Verlage Adeva, Bibliothek der Provinz, Braumüller, Czernin, Drava, Droschl, Edition Korrespondenzen, Folio, Haymon, Jung und Jung, Löcker, Milena, Otto Müller, Passagen, Picus, Promedia, Ritter, Thomas Sessler, Sonderzahl, Galerie Welz und Wieser vertreten. Stand: 1.7.2015. 465 N.N.: Unabhängige österreichische Verlage präsentieren sich in Berlin. In: buchmarkt. de vom 18.9.2014: http://www.buchmarkt.de/content/59834-unabhaengige-oesterreichischeverlage-praesentierten-sich-in-berlin.htm?hilite=-Hotlist-. Stand: 1.7.2015. 466 Teilnehmende Verlage von SWIPS sind: bilgerverlag, Christoph Merian Verlag, Der gesunde Menschenversand, DÖRLEMANN, Edition 8, edition clandestin, Edition Howeg, edition pudelundpinscher, edition taberna kritika, Futurum Verlag, Lars Müller Publishers, Lenos Verlag, Limmat Verlag, NIMBUS, orte Verlag, Quart Verlag, Rotpunktverlag, Verlag Scheidegger & Spiess, Seismo Verlag, Unionsverlag, verlag die brotsuppe, Verlag Martin Wallimann, Waldgut Verlag & Atelier Bodoni. Stand: 1.7.2015. 467 Vgl. Kahlefendt, Nils: Käpt’n ohne Schiff. In: Börsenblatt, 15/2008, S. 30.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Die rechtlich formlose Vereinigung formuliert gemeinsame Interessen unabhängiger Schweizer Verlage diverser Gattungen und will diese an die Leserinnen und Leser, den Buchhandel, die Medien und die kulturpolitischen Institutionen kommunizieren. Gefordert werden faire Wettbewerbsbedingungen und eine kulturpolitische Strukturförderung, ein selbstbewusster und selbstverständlicher Umgang des Buchhandels und der Medien mit dem breiten Spektrum der Publikationen von Schweizer Verlagen sowie eine entsprechende Präsenz der Autorinnen und Autoren auf Lesebühnen und Festivals. Zu diesem Zweck veranstaltet SWIPS Anlässe rund ums Buch und nimmt an solchen teil. Im Zentrum der aktiven Arbeit stehen demnach Austausch, etwa das monatliche Gespräch zwischen den Verlagen, und öffentliche Auftritte mit ausgestellten Büchern der Mitglieder, wie die BuchBasel, die Solothurner Literaturtage, Zürich liest oder das Luzern Bucht.468 Oder eine Lese- und Partynacht, wie man sie 2008 in Basel veranstaltete und auf der zwölf Autorinnen und Autoren aus zwölf Schweizer Independent Verlagen Texte vortrugen.469

Großbritannien: Independent Alliance Verlage im angelsächsischen Raum sehen sich mit der Herausforderung im Vertrieb noch deutlicher konfrontiert, da es dort keine Preisbindung gibt. Der Fall der Preisbindung im Jahr 1995 und dessen Folgen – eine ausgeprägte Konzentration im vertreibenden wie herstellenden Buchhandel sowie folglich auch der Markteintritt von Supermärkten in das Buchgeschäft470 – war schließlich auch ausschlaggebend für die Gründung der Independent Alliance. Den mächtigen Konzernen, oftmals mit Sitz im Ausland, wollte man im Verbund ebenso mächtig gegenübertreten.471 Nach dem Start im Jahr 2005 konnte dieses Ziel wenige Jahre später erreicht werden: Gemessen am Volumen, stellte die Independent Alliance bereits 2009 den fünftgrößten Verlag in Großbritannien und landete auf diese Weise einen großen Erfolg, während Konkurrenten überwiegend

468 Homepage SWIPS: Chronik: http://swips.ch/chronik/. Stand: 1.7.2015. 469 Kahlefendt, Nils: SWIPS-Lese- und Partynacht in Basel: In: boersenblatt.net vom 18.11.2008: http://www.boersenblatt.net/independent-verlage_.292020.html. Stand: 1.7.2015. 470 Vgl. Goldschmitt, 2000, S. 60ff. 471 Die zehn größten Buchverlage in Großbritannien setzten im 1. Halbjahr 2011 insgesamt 3,1 Millarden Britische Pfund um, umsatzstärkster Verlag war in diesem Zeitraum Hachette UK. Zu den weiteren Verlagen zählen: Random House, Penguin, HarperCollins, Pan Macmillan, Pearson, Bloomsbury, Simon & Schuster, OUP, John Wiley. Vgl.: Homepage Statista: Die 10 größten Buchverlage in Großbritannien nach ihrem Umsatz im 1. Halbjahr 2011: http://de.statista.com/statistik/ daten/studie/196212/umfrage/die-groessten-buchverlage-in-grossbritannien/. Stand: 1.7.2015.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Umsatzeinbußen verzeichneten.472 Schon im Jahr zuvor konnte die Gruppe der unabhängigen Verlage ihren addierten Umsatz um 28 Prozent steigern und verzeichnet 44,9 Millionen Pfund.473 Als die Allianz 2005 gegründet wurde, waren sechs Verlage beteiligt, mittlerweile zählt die Independent Alliance zehn Mitglieder,474 die – mehr oder weniger independent – unter einer gemeinsamen Vision kooperieren: The Independent Alliance is a global alliance of ten UK publishers and their international partners who share a common vision of editorial excellence, original, diverse publishing, innovation in marketing and commercial success.475

Neben soften Faktoren wie einer gelungenen Titelauswahl und freundschaftlicher Verbundenheit zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ist der rasante Aufstieg auch an sehr konkreten Punkten auszumachen. Der große Erfolg der Allianz liegt nicht zuletzt darin, dass die dort verbundenen unabhängigen Verlage bereits durchaus auch im Einzelnen über mittlere Größen verfügen, was sich im Verbund potenziert. Und hier zumal einmal mehr, als diesem eine funktionierende Struktur zugrunde liegt. Die Independent Alliance verfügt über ein Verkaufs- und ein administratives Team, das vom größten Verlag der Gruppe, Faber & Faber, gestellt wird. Mit Buchhandelspartnern wurden spezielle Konditionen ausgehandelt bzw. man verfügt im gemeinsamen Auftreten dem Handel gegenüber über so große Schlagkraft, dass mit den Konditionen, wie sie zu den Konzernen bestehen, mitgehalten werden kann. Unter dem Claim „Celebrating Independence“ stellt der Buchhandelsriese Waterstone’s monatlich wechselnde Titel der Verlage ins Rampenlicht – genau dort will sich die Independent Alliance auch positioniert sehen: Together, the publishers and booksellers are a unique umbrella organisation representing shared core values – Independence, Integrity, Quality and Range – in an increasingly centralised marketplace.476

472 Neilan, Catherine: Indie Alliance becomes fifth biggest publisher. In: thebookseller.com vom 24.1.2010: http://www.thebookseller.com/news/indie-alliance-becomes-fifth-biggest-publisher. html. Stand: 1.7.2015. 473 Sieg, Anja: Indies setzen Trends und arbeiten kooperativ. In: Buchreport 40/2009, S. 56 f. 474 Teilnehmende Verlage der Independent Alliance sind: Atlantic Books, Canongate, David Fickling Books, Faber and Faber, Granta Books, Icon Books, Portobello Books, Profile Books, Serpent’s Tail (ein Imprint von Profile Books), Short Books. 475 Homepage Faber & Faber: Independent Alliance: http://www.faber.co.uk/independent-alliance/. Stand: 27.7.2015. 476 Ebd.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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3.2.9 Das Label „Independent“: Aspekte, Handling und Branding eines Begriffs In der Buchindustrie gibt es verschiedene Varianten des Labellings. So kann etwa das Unternehmen (z. B.: Diogenes), das Produkt (z. B.: GU477) oder der „Star“ (die Autorin, der Autor) Markencharakter besitzen. Im Bereich Belletristik konzentriert man sich in der Regel auf die Themen und auf die funktionale Nutzen-Ebene. Gedacht wird meist in fiktiven Zielgruppen- und Marktdimensionen: Leserinnen und Leser sind häufig nicht bekannt, über Kauf- und Rezeptionsmotive überwiegen Vermutungen die Gewissheiten. Der Mangel an „ZielgruppenInsight-Know-how“ hat so mitunter auch „Durcheinander und Markenunschärfe“ zur Folge.478 Durch ihre besondere strukturelle Position ist das bei Independent Verlagen anders. Eine weitere Besonderheit des Labels „Independent“ ist dabei, dass es weder auf ein Produkt noch einen Star oder ein Unternehmen fokussiert ist, sondern vielmehr auf eine verlegerische Herangehensweise von mehreren, im Feld sich nahe stehenden kleinen Verlagen.

3.2.9.1 An der Schnittstelle: Verortung eines Verlagstypus und seiner Bezeichnung Strukturähnliche Verlage weisen durch gemeinsame Merkmale verschiedene Anknüpfungspunkte für Zusammenschlüsse auf, die zum gemeinsamen Labelling verwendet werden können und auch unterschiedlich mit dem Begriff „Independent“ besetzt werden. Was verbindet, ist die Position im Feld: In den Programmen von Independent Verlagen können auf Inhaltsebene vielfach Themen ausgemacht werden, die Grenzgänge beschreiben, welche analog zur Umwelt von Autorinnen und Autoren, Verlegerinnen und Verlegern nachgezogen bzw. abgebildet werden.479 Wie ein Beleg für eine Position, die im Übergang auszumachen ist, stellen sich auch die Wege zur Leserin und zum Leser dar. Zwischen Schwierigkeiten im klassischen Vertrieb mit seinen handelsüblichen Wegen einerseits und alternativen Absatzmöglichkeiten durch Unternehmensgrößen und Zielgruppennähe andererseits kann die Position an einer Schnittstelle dort einmal mehr markiert werden.480 477 Eine Marke des Verlags Gräfe & Unzer (wofür auch die Abkürzung steht) für Ratgeber-Bücher. 478 Meyer, Andreas: Markenmanagement in der Buchindustrie. In: Clement, Michael/Blömeke, Eva/Sambeth, Frank (Hg.): Ökonomie der Buchindustrie. Herausforderungen in der Buchbranche erfolgreich managen. Wiesbaden: Gabler 2009, S. 159–176, S. 161 ff. 479 Vgl. Kapitel 3.2.6.3. 480 Vgl. Kapitel 3.2.7.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Eine Möglichkeit, an dieser zu agieren, besteht nicht zuletzt darin, die einzelnen Kräfte von Independent Verlagen zu vereinen.481 Wie eingangs erwähnt, bezieht sich das dabei verwendete Label „Independent“ weder auf ein Produkt noch auf einen Star oder ein Unternehmen, sondern auf eine verlegerische Herangehensweise. Auch diese kann an einer Stelle verortet werden, an der Transfer stattfinden kann. Dies erlangt insofern Bedeutung, als durch die Öffnung des Buchmarktes für jedermann eine differenzierte Betrachtung auf verlegerische Herangehensweisen stattfinden muss. Analog zu einer Verortung literarischer Werke, die zwischen den Polen reiner Ökonomie und reiner Kunst oszillieren kann,482 lenkt sich der Blick auf die Strukturiertheit der Unternehmungen und deren professionellen Anspruch, der auf der einen Seite den Aspekt geregelter Abläufe (organisiert in unterschiedlichen Produktionsstufen und entsprechenden Abteilungen) und damit einhergehend relativer Kontinuität, auf der anderen Enthobenheit aus systematischen Abläufen (Verzicht auf Produktionsstufen sowie ein Minimum interagierender und entscheidungsberechtigter Personen) und Diskontinuität bedeuten. Vereinfacht dargestellt, können dabei wieder zwei Pole ausgemacht werden, zwischen denen die verlegerische Herangehensweise von Independent Verlagen erneut einen Schnittpunkt markiert:

Groß- und Konzernverlage

+

IndependentVerlage

Selbstverlage, Projekte einzelner Personen, PoD



Interagierende Personen, Produktionsstufen, Kontinuität Abb. 3.7: Verortung von Independent Verlagen im Feld verlegerischer Herangehensweisen.483 Quelle: Eigendarstellung.

Während auf der linken Seite große Verlage zu finden sind, die hoch professionalisiert sind und den Buchmarkt in seiner altbekannten Gestalt dominieren, finden sich auf der rechten Seite alle Varianten des Selbstverlegens, Publishing on Demand (PoD) bzw. auch unregelmäßigen Verlegens, die v.a. in der 481 Vgl. Kapitel 3.2.8. 482 Vgl. Kapitel 2.1.1. 483 In dieser abstrahierten Breitenbetrachtung befinden sich unterschiedliche, hier nicht dargestellte Verlage je nach Unternehmensgröße in relativer Nähe zu den beiden Polen.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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jüngsten Vergangenheit verstärkt durch alternative Wege neue Absatzmöglichkeiten finden, den altgedienten Gesetzen des klassischen Buchhandels aber kaum folgen, da es sich dabei auch selten um hauptberufliche bzw. langfristige Projekte handelt, was im nunmehr geöffneten Feld möglich geworden ist. Die verlegerische Herangehensweise von Independent Verlagen ist zwischen diesen unterschiedlichen Zugängen zu verorten.484 Anhand von Teilhabe an und Abgrenzung von den beiden Polen erreicht man beiden gegenüber eine gewisse Autonomie bzw. das ganz spezifische Standing im Feld. Diese spezifische Position im Feld zu kommunizieren, zusammen mit der damit verbundenen bzw. dahinter liegenden Herangehensweise und Philosophie, ergibt aus mehreren Gründen Sinn. Es lässt sich damit an Presse, Leserschaft und Buchhandel gleichermaßen vermitteln, um einen Filter anzubieten, der verspricht, professionell und dennoch persönlich im verlegerischen Zugang das Besondere aus der Masse zu sieben. Mit dem Begriff „Independent“ gibt es schließlich auch eine Bezeichnung, mit der das Thema medien- und marktgerecht aufgegriffen werden kann.

3.2.9.2 „Das Label ist ein Filter“ In Bezug auf eine Kommunikation, die auf Vermarktung abzielt, enthält diese Position bzw. die Strukturähnlichkeit der Verlage eine Besonderheit, die sich in unterschiedlichen Facetten zeigt und betonen lässt: Herangehensweisen beider Pole finden an dieser Schnittstelle zur Synthese zusammen, welche die Verknüpfung der vorteilhaften Aspekte beider ermöglicht, ohne die Nachteile zu enthalten. Während also etwa auf beiden Seiten offensichtlich die Gefahr der Beliebigkeit besteht, da das eine auf Masse setzt und das andere in gewissem Sinne unsortiert und ohne Qualitätskontrolle auf den Markt strömt, ergibt sich in der Mitte auch die Möglichkeit einer Alternative, die Independent Verlage mit genau dieser Bezeichnung kommunizieren. Diese Alternative, die im Programm von Independent Verlagen geboten wird, konstituiert sich zunächst in Abgrenzung von den beiden Polen: Selbstverlagen fehlt es vergleichsweise an Professionalität bzw. Kontinuität, insofern sie keine ordentliche Teilnahme am regulären Buchgeschäft aufweisen. Die Apparatur von Konzernen und größeren Verlagshäusern erlaubt hingegen vergleichsweise wenig Experimentelles, genauso wenig wie eine enge Verbindung mit dem Milieu, in dem die Texte entstehen, so wie auch die einende Person der Verlegerin bzw. des Verlegers fehlt. Auch und vor allem eine Community, in die der einzelne Verlag eingebunden ist, besteht in dieser Form an keinem der beiden Pole. Im gleichzeitigen Trend der Unübersichtlichkeit

484 Vgl. dazu auch Kapitel 3.2.7.4.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

und Schnelligkeit, die daraus resultieren, dass beide Pole zunehmend automatischer arbeiten und damit auch mehr Produktionen auf den Markt bringen, entsteht in der Mitte somit die Möglichkeit einer Filterfunktion, die zugleich positive Aspekte beider Pole integrieren kann und auch beinhaltet – also das professionelle Agieren großer Verlage wie den ideengetriebenen Zugang von Selbstverlagen. Die Filterfunktion, bereits in Kapitel 3.2.4 und 3.2.6 beschrieben,485 kann im Label zum kommunizierbaren Qualitätssiegel werden: „Das Label ist ein Filter“,486 beschreibt ein Verleger, „es ist ein Etikett“,487 ein anderer Kollege. Während die Verlage jeweils mit einzelnen kleinen Marken etabliert sind, kommuniziert „Independent“ darüber hinaus ein spezifisches Standing im Feld, das eine spezifische verlegerische Güte bzw. literarische Qualität betont und sich gemeinsam als Dachmarke nutzen lässt, die über die eigene Verlagsmarke hinaus eine Art Qualitätssiegel bedeutet. Gleich einer knappen Zusammenfassung positiver Aspekte und Aufladungen schafft dieses Reduktion von Komplexität, gezielte Aufmerksamkeitslenkung und einen Aufhänger zur Vermarktung. Ähnlich wie „bio“ oder „Made in Germany“ steht es für unterschiedliche Unternehmen und Projekte, die unter einem Dach zusammengefasst sind. Der Effekt dieser ungeschützten wie undefinierten Dachmarke ist: In der kollektiven Anwendung sind verschiedene Aufladungen möglich, genauso wie einende Standards und positive Konnotationen transportiert werden können. Auch in der Abgrenzung zu den beiden extremen Polen können demnach – tendenziell – Gemeinsamkeiten darüber kommuniziert werden, die gewissermaßen die Kernelemente eines Begriffs bilden, dessen Grenzen – gerade an der Stelle des Übergangs – freilich offen bleiben müssen. Gerade hier zeigt sich sehr deutlich, dass „Independent“ Etikett und Label ist, im Unterschied zu einer Definition, die Bedeutungen klar festlegt. In Folge ist das gemeinsame Label verstärkt auch Projektionsfläche, auf die Zuschreibungen projiziert werden können.488 Allen voran Aspekte wie Leidenschaft für die Inhalte und den Mut, diese umzusetzen: „Dinge machen zu wollen, die sich kein anderer traut“,489 bspw. die Kopplung an ein ganz bestimmtes Milieu bzw. eine ganz bestimmte Zielgruppe, die jung, kritisch und urban ist und das Außergewöhnliche sucht.490 Dieser Filter ist damit im Grunde sehr reizvoll für jeden Teilnehmer, der sich im weitesten Sinne dazuzählen könnte oder damit handelt. 485 Siehe insbesondere Kapitel 3.2.4.5 und 3.2.6.1. 486 Interview A8, Absatz 137. 487 Interview A7, Absatz 395. 488 Solche, wie sie etwa schon in Kapitel 3.2.3.2, beschrieben wurden. 489 Interview C5, Absatz 217. 490 Vgl. Kapitel 3.2.4.4.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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3.2.9.3 Kern, Schnittmengen, Aufladungen: Verwendung des Labels „Independent“ durch unterschiedliche Akteure im Feld Gerade weil im Label „Independent“ das Positive zweier sonst unvereinbarer bzw. sehr unterschiedlicher Seiten bzw. Pole vermittelt wird, finden sich auch für Projekte über die Kerngruppe hinaus Anknüpfungspunkte: DIY, aber professionell;491 unkonventionell, aber qualitätsvoll: „Das ist ein Versuch, Image zu transportieren“492 – und genau das ist natürlich spannend mit diesen Konnotationen, und das Image – jung, frisch, frech, unabhängig – ist attraktiv für eine nahezu unendliche Anzahl von Buchprojekten. Um nicht zu sagen: Es ist das Image – neu und wild –, das Leserinnen und Leser zu Entdeckerinnen und Entdeckern macht und das die Perle in einer Flut von Neuerscheinungen, die jeder zu präsentieren versucht, darzustellen sucht. Das erklärt die immer wieder aufflackernden Diskussionen rund um den Begriff. Denn die attraktive Vermarktungsmöglichkeit wird freilich auch genutzt – von Projekten, die mehr oder weniger „Independent“ sind. Nicht zuletzt durch die fehlende Definition des Begriffs steht es schließlich jedem Unternehmen frei, sich damit zu vermarkten, und das wird auch von unterschiedlichen Stellen getan.493 Verstärkt tauchte der Begriff zuletzt auch rund um das Thema Self-Publishing auf, wo Autorinnen und Autoren als „Indies“ bezeichnet werden. Dass ihre E-Books dabei zum größten Teil über das von Amazon hermetisch abgeriegelte Programm Kindle Direct Publishing vertrieben werden, ist dabei nicht von Belang. Denn der Begriff wird hier als Abgrenzung gegenüber Verlagen verwendet – man verlegt ohne sie. Warum gerade jene Verlage, die in dieser Arbeit porträtiert werden, verstärkt mit dem Label „Independent Verlage“ in Verbindung gebracht werden, wird klar, wenn man auf die Beteiligungen sieht, wo die unterschiedlichen Bündelungen von Verlagen unter Verwendung des Begriffs vorgenommen werden.494 Bündelungen durch Marktteilnehmer dienen der Bildung und Vermarktung von Paketen. Dabei ist aber auch klar, dass diese Bündelung und Verwendung des Labels – die ja eben keine Definition ist – dieses Label auch wieder mitschärft. Unterschiedliche Überschneidungsmöglichkeiten sind dabei gegeben, was bedeutet, dass in der Nutzung des Labels ein Bild voller Schnittmengen entsteht,

491 DIY ist die gängige Abkürzung für „Do it yourself“. 492 Interview A8, Absatz 122. 493 Vgl. Kapitel 3.2.8.2. 494 Hierzu zählen etwa Mitgliedschaften in Verbänden oder die Teilnahme an gemeinsamen Aktionen von Independent Verlagen. Vgl. Anhang 4 Independent Verlage im deutschsprachigen Raum.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

je nach Interessenlage und Bündelung von Verlagen werden andere Parameter herangezogen, betont oder vernachlässigt. Weiter bedeutet das, dass Verlage also in unterschiedlicher Zusammensetzung präsentiert werden können und diese in unterschiedlichen Modellen oder auch nur einem einzigen vertreten sein können.495 Ein Verleger dazu: „Also, man muss das einzeln betrachten.“ Und weiter, und das ist wesentlich: „Es gibt einen Kern, der ist fast überall dabei [. . .].“496 Denn natürlich wird dieser Kern, der durch die häufigste Beteiligung an unterschiedlichen Aktionen und Bündelungen teilnimmt, auch am stärksten mit dem Begriff und Label „Independent“ in Verbindung gebracht.497 Es ist kein Zufall, dass es nur seitens offizieller Verbände Definitionen und Eingrenzungen des Begriffs gibt – sie müssen nichts verkaufen. Sieht man sich hingegen die unterschiedlichen Bündelungen genauer an, die mit dem Label „Independent“ auf Verkauf abzielen, so wird klar, dass jede einzelne ihre Grenzen hat, je nachdem, durch welchen Marktteilnehmer die Bündelung vorgenommen wird. Das liegt meist an ganz simplen unternehmerischen Implikationen. Etwa, dass beispielsweise Prolit sein Programm nur aus jenen Verlagen gestalten kann, die auch durch das Unternehmen ausliefern lassen – und schließlich aus diesen auch selbst eine Selektion vornimmt. Anstelle einer Definition stehen MarketingClaims. In solchen Claims wird demnach weniger beschrieben, was unter dem Begriff zu verstehen ist, als vielmehr, was damit verkauft werden soll – wie etwa auch jener Claim der Mayerschen Buchhandlung – der damit das Label auch konnotativ auffüllt: Sie machen schöne Bücher, setzen auf junge, noch zu entdeckende Schriftsteller und bewegen sich mit ihren Inhalten jenseits des Mainstreams: die unabhängigen Verlage. Ihr Programm steht für Entdeckerfreude, Experimentierlust, Wagemut, Kompetenz – und sie sind immer für eine literarische Überraschung gut. Die Liebe zum Buch steht bei allen Entscheidungen an erster Stelle, und die Verlegerinnen und Verleger sind bereit, sich für ihre Titel und Autoren weit aus dem Fenster zu lehnen. Mehr als genug Gründe für uns, Ihnen innerhalb der Mayerschen Initiative „Independent“ regelmäßig die besten Titel zu präsentieren. Entdecken Sie die faszinierende Vielfalt der Bücherwelt und lassen Sie sich zu etwas Besonderem verführen. Sie werden es nicht bereuen!498

495 Vgl. dazu auch Kapitel 3.2.8 und Anhang 4 Independent Verlage im deutschsprachigen Raum. 496 Interview A3, Absatz 121. 497 Vgl. Anhang 4 Independent Verlage im deutschsprachigen Raum. 498 Homepage Mayersche Buchhandlung: http://www.mayersche.de/shop/action/mymagazine/ 39896/independent.html;jsessionid=82BD132FEFEC4595C454B0D236BA653F.www04? aUrl=90001643. Stand: 8.10.2012.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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3.2.9.4 Der Kampf um die Deutungshoheit: „Independent“ als Nomos Durch die Verbindung verschiedener Aspekte unterschiedlicher verlegerischer Herangehensweisen, mit der Möglichkeit des Filters, Qualitätsiegels und Attributen wie „neu, jung, unverbraucht, aufregend“499 schwingt im Label „Independent“ nicht zuletzt auch stark mit, dass es sich hier um den „State of the Art“ des literarischen Geschehens handelt. – Wer will das nicht für sich reklamieren? Wenn also das Label, wie oben stehend, von unterschiedlichen Akteuren im Feld verwendet wird, so ist das zu berücksichtigen. Zwangsläufig führen diese zwar recht ähnlichen, aber doch unterschiedlichen Auffassungen eines Begriffs, der vielfach auch undifferenziert als Label verwendet wird, zumal von unterschiedlichen Seiten, in der Praxis immer wieder zu Diskussionen. Seitens Verlegerinnen und Verlegern sowie der Verbände wird so auch immer wieder auf die Ambivalenz von Aktionen hingewiesen, die die Gefahr einer Aushöhlung des Begriffes in sich bergen. Nicht zuletzt bedient man sich des Begriffs auch von außen, das heißt etwa, die Wahrnehmung der Presse formt ebenfalls am Begriff mit, der dann umgekehrt wieder gelabelt wird.500 Das birgt nicht nur Abgrenzungsprobleme, sondern auch die Gefahr des manipulativen und machtmissbräuchlichen Umgangs: Wer bestimmt, wer dazugehört? Ein Verleger führt dazu aus: Wenn man sagt, man brandet jetzt wirklich so ein Label „Independent Verlage“, da stellt sich im ganz Besonderen die Frage: Wer gehört da eigentlich dazu und wer nicht? Also: Wer darf mitspielen und wer nicht. Und solche Überlegungen sind dann immer schon daran gescheitert, wer ist dann beleidigt, wenn er eben nicht mit dabei ist. Auf der anderen Seite gab es dann solche Aktionen, wie zum Beispiel durch die Mayersche Buchhandlung, die da ganz bewusst auch auf die Independent-Karte gesetzt haben, um sich darüber dann selbst als Filialist, noch mal als kulturell hochwertiger zu positionieren. Indem sie IndependentBücher eingeführt haben und versucht haben, dieses Label so ein bisschen für sich zu vereinnahmen. [.  .  .] Da haben wir, da meine ich jetzt auch die Verlagskollegen, es einfach versäumt, diesen Begriff, der eigentlich auch niemandem gehört, der aber gerade durch Verlage wie kookbooks, Voland & Quist oder Blumenbar einfach in diesem Kontext immer genannt wird, einfach rechtzeitig für uns zu reklamieren. Und zu sagen: „He, das sind wir. Wir haben das ganze Thema vorangebracht. Insofern: Wir nennen uns auch so und arbeiten aktiv mit dem Begriff.“ Man hat da leider Gottes anderen das Feld überlassen und im Endeffekt gehört der Begriff allen und keinem.501

Tatsächlich gehört der Begriff „Independent“ allen und keinem. Was hier von einem Verleger geschildert wird, ist jedoch die damit verbundene Frage der 499 Vgl. Kapitel 3.2.3.2. 500 Vgl. Kapitel 3.2.1.1. 501 Interview A6, Absatz 297–301.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Deutungshoheit des Begriffes. Diese Problematik bzw. der Begriff selbst wird in der Terminologie Bourdieus mit dem Wort „Nomos“ beschrieben – dieses bedeutet eine Art „Grundgesetz“, das sich auf eine spezifische Logik beruft, die in Kämpfen um die Deutungshoheit von den Akteuren durchgesetzt werden soll. Jedes Feld produziert ein gewisses Interesse, und das besteht vor allem darin, den Nomos feldintern durchzusetzen und gegenüber Ansprüchen anderer Felder zu behaupten. Oder in den Worten Bourdieus: „[. . .] seine Definition der wahren Zugehörigkeit zum Feld [. . .] durchzusetzen – die Definition also, die am geeignetsten ist, ihm selbst das Recht zu verleihen, so zu sein, wie er ist.“502 Vereinfacht gesagt, könnte das Grundgesetz des ökonomischen Feldes etwa „Geschäft ist Geschäft“ lauten oder jenes des künstlerischen Feldes „l’art pour l’art“.503 Das kann immer wieder auf Unterfelder heruntergebrochen werden – je weiter der Differenzierungsprozess fortschreitet, umso häufiger entstehen Unterfelder. Und so geht es auch beim Begriff „Independent“ nicht nur um die Festlegung einer feldinternen Sichtweise, sondern viel mehr noch um Durchsetzung eines grundsätzlichen Blickwinkels durch jene Akteure, die den Begriff für sich reklamieren. Wie in diesem Kapitel skizziert, nutzen alle Akteure das Label „Independent“, um den jeweils eigenen Anspruch damit durchzusetzen, der überall ein Qualitätssiegel bedeutet, die Deutungshoheit jene Literatur zu erkennen und zu verbreiten, die den „State of the Art“ bildet, der nichts anderes als literarische Legitimität bedeutet, wie auch Bourdieu beschrieben hat: Im Mittelpunkt literarischer (usw.) Konkurrenzkämpfe steht immer auch das Monopol literarischer Legitimität, [. . .], wer sich Schriftsteller (usw.) nennen darf [. . .], oder, wenn man so will, das Monopol auf die Konsekration von Produzenten oder Produkten.504

Die Problematik – wer sich in der Praxis der Begrifflichkeit bedient –, die oben auch im Zitat des Verlegers beschrieben wird, wird einmal mehr bei Bourdieu verdeutlicht: Machtschwache Felder wie das der Kunst [. . .] können zwar einen eigenen Nomos entwickeln, aber es bleibt stets heikel, diesem Anerkennung außerhalb des eigenen Feldes zu verschaffen und es gegen Ansprüche anderer Felder im eigenen Feld konsequent durchzusetzen. [. . .] So greifen ökonomische Ansprüche, die auf Massenproduktion und Verkaufszahlen setzen, auf das Feld der Kunst über, verlangen eine Relativierung der eingeschränkten, ausschließlich am Nomos l’art pour l’art orientierten Kunstproduktion.505

502 Bourdieu, 1999, S. 353. 503 Barlösius, 2006, S. 94 f. 504 Bourdieu, 1999, S. 354. 505 Barlösius, 2006, S. 96.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Bei aller Mangelausstattung von Independent Verlagen mit ökonomischem Kapital darf gerade im Zusammenhang mit dem Label nicht vergessen werden: Im Unterschied zur Bündelung durch Marktteilnehmer oder Verbände geschieht die Aufladung des Begriffs „Independent“ durch Independent Verlage selbst auf direkteste Weise. Independent Verlage selbst leben, was ein Großteil aller Verlage versucht zu vermarkten. Es ist sogar so, dass vom Nimbus, den dieses Agieren begleitet, auch andere profitieren. Dieser Nimbus wiederum entsteht durch die Haltung, mit der man an die Arbeit geht und die schließlich das spezifische Lebensgefühl vermittelt, mit dem das Label „Independent“ von den Verlagen aufgefüllt wird. Im Kampf um die Deutung des Nomos kann gerade das zum Trumpf werden, wie im Folgenden beschrieben wird.

3.2.9.5 „No emotions – no money“ Labels bieten im unübersichtlichen Überangebot der Waren eine Orientierungsmöglichkeit. Marken entlasten – und das bedeutet einen wesentlichen Vorteil in der komplexer werdenden und zunehmend von Konsum bestimmten Welt. Sind zwei Produkte gleich, entscheidet die Emotion – „Marke [. . .] ist nichts anderes als der einzigartige (und damit überlegene) emotionale Mehrwert eines Produkts oder einer Produktrange.“506 Im besten Falle arbeiten Labels bzw. Marken die bzw. eine Besonderheit des Produkts heraus, um es von anderen unterscheidbar zu machen – das Konzept „Independent“ ist eine „USP“,507 die so verwendet werden kann. Im Falle des Labels „Independent“ ist es die Verortung im Feld mit ihrer spezifischen Herangehensweise und ihrem Milieu, die die Marke auf einzigartige Weise auffüllen kann. Und hierin besteht auch der entscheidende Unterschied in der Frage der Verwendung des Labels „Independent“ durch mehr oder weniger jeden Akteur: Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, ist der Begriff stark mit der Produktionskultur verknüpft,508 da die Produkte selbst bzw. Aspekte davon auch immer wieder kopiert werden und in den Mainstream übergehen. Eine authentische Vermittlung von „Independent“ muss demnach über die Produkte hinaus in einen 506 Meyer, 2009, S. 160. 507 Kurz für „unique selling proposition“ – zentrales Verkaufsargument eines Produkts bzw. einer Leistung, das Einzigartigkeit am Markt bedeutet. Vgl.: Gabler Wirtschaftslexikon Online: USP: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/unique-selling-proposition-usp.html. Stand: 7.7.2015. 508 Vgl. Kapitel 3.2.1.2. Anmerkung: Häusel, Hans-Georg: No emotions – no money. In: Marketing Journal 1–2/2006, S. 28–31.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

größeren Zusammenhang bzw. Prozess eingebunden sein, der u. a. die Entstehungsbedingungen umfasst. Der Vermittlung von Authentizität gehen somit immer auch authentische Räume und Aktionen voraus, wie sie in den vorangegangenen Kapiteln – begonnen mit den Gründungsgeschichten bis hin zur Bündelung von Ressourcen509 – beschrieben wurden und damit auch die ganz spezifische Position im Feld widerspiegeln. Im weiteren Verständnis bedeutet das auch, dass die Vermittlung der Produktionskultur die einzige glaubhafte Etablierung bzw. Pflege des „Independent“-Labels gewährleisten kann – eben weil sie nicht künstlich erzeugt oder kopiert werden kann.510 Die Lenkung des Fokus auf die Produktionskultur liegt dabei gegenwärtig im Trend: Auch andere Branchen zeigen auf, dass Marketing-Claims allein längst nicht mehr ausreichen, um Kundinnen und Kunden von Labeln und den durch sie vertretenen Produkten zu überzeugen. So verwenden Unternehmen seit Kurzem beispielsweise vielfach Zertifikate, die CO2-Neutralisierungen nachweisen, um sich mehr und mehr der Forderung der Konsumentinnen und Konsumenten zu beugen, die nicht nur Transparenz, sondern auch ethisch korrektes Verhalten einfordern.511 Das Produkt soll nicht mehr entkoppelt von der Produktionskultur gesehen werden. Vielmehr wollen Konsumentinnen und Konsumenten zunehmend wissen, woher die Produkte kommen und wie sie entstanden sind – ob sie umwelt- und sozialverträglich seien – das Gefühl muss stimmen.512 Den Umstand, dass das Produkt alleine nicht mehr reicht, fasst Hans Georg Häusel, Experte für Neuromarketing, in den Slogan: „No emotions – no money“.513 Und gerade im Produktionsfeld der Kultur bedeutet das verstärkt auch den Einbezug des sozialen Umfelds. Hier kommt Independent Verlagen das hohe soziale Kapital hinter und in ihren Projekten zugute. Dieses soziale Kapital ist ohne Authentizität gar nicht denkbar bzw. das soziale Kapital erschafft diese Authentizität überhaupt erst, indem diese sich im sozialen Umfeld zeigt und in der zwischenmenschlichen 509 Vgl. Kapitel 3.2.2 bis 3.2.8. 510 Zur Unterscheidung von Musik- und Produktionskultur, welche auch auf alle anderen Bereiche der künstlerischen Produktion übertragen werden kann, vgl. Kapitel 3.2.1.3. 511 Vgl. u. a. Nickel, Volker: Konsumtrend – Die Moralisierung der Märkte. In: Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft, s.t.: http://www.zaw.de/index.php?menuid=0&reporeid=263. Stand: 11.11.2013. 512 Vgl. etwa Homepage Umwelthauptstadt – das Karriere- und Nachhaltigkeitsportal: Nachhaltige Unternehmen: http://www.umwelthauptstadt.de/nachhaltige-unternehmen. Stand: 11.7.2015. 513 Häusel, Hans Georg (Hg.): Neuromarketing. Erkenntnisse der Hirnforschung für Markenführung, Werbung und Verkauf. Planegg: Rudolf Haufe Verlag, 2008. bzw.: Häusel, 2006, S. 28–31.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Interaktion vermittelt wird. Zusammengedacht mit dem Label bedeutet das: Worte und Handeln stimmen überein. Und das entspricht nicht nur einem Trend, sondern auch einem Grundpfeiler erfolgreichen Marketings, denn [. . .] stringente Markenführung ist kein „Knopfdruck-Vorgang“, sondern ein Prozess-Thema. Erfolgreiches Markenmanagement beginnt bei Fragen der ‚Haltung‘ und damit im systematischen Bereich der Unternehmensführung.514

Das Negativbeispiel zeigen hier umgekehrt Skandale von Riesen, die sich dem Prozess der Transparenz, multipliziert durch soziale Medien, nicht entziehen können.515 Denn es darf nicht vergessen werden: In einer durchkommerzialisierten Welt definiert sich das Individuum zunehmend durch Konsumverhalten – Marken helfen dabei, sich zu unterscheiden und sich selbst ein Image zuzulegen.516 Dabei können sich nicht nur Skandale für Unternehmen vernichtend auswirken, sondern genauso Anonymität hinter den Marken. Wo Konsumentinnen und Konsumenten immer mehr ins Zentrum rücken und Labels Identität stiften, kann das Produkt nicht mehr entkoppelt vom Gesamten gesehen werden. Um die Loyalität zur Marke zu erhalten, ist das Image wichtig. Noch mehr, da Produkte und Marken mit ihren identitätsstiftenden Eigenschaften im weiteren Schritt auch Gruppenzugehörigkeit in sogenannten „Brand Communitys“ vermitteln können: Markengemeinschaften basieren auf der besonderen (begeisterten) Wertschätzung eines Konsumguts durch solche Konsumenten, deren Selbstverständnis (zumindest in für sie wesentlichen Teilen) mit ihrer Affinität zu dieser Marke korrespondiert und die diese ihre Leidenschaft mit anderen Liebhabern dieser Marke teilen (wollen).517

514 Meyer, 2009, S. 172. 515 Etwa der Skandal um Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter bei Amazon, der im Jahr 2013 seinen Anfang nahm und dazu führte, dass darüber hinaus das Unternehmen insgesamt und seine Marktmacht in den Fokus der Kritik geriet und viele Konsumentinnen und Konsumenten sowie auch Verlage ihre Konten bzw. Zusammenarbeit kündigten. Befeuert wurde der Skandal mit einem „Shitstorm“ auf der Facebook-Seite des Unternehmens. Mehr dazu: Gernert, Johannes: Skandal um Leiharbeiter. Kunden boykottieren Amazon. In: taz.de vom 17.2.2013: http://www. taz.de/!111213/. Stand: 8.7.2015. 516 Vgl. Pfadenhauer, Michaela: Markengemeinschaften. Das Brand als ‚Totem‘ einer posttraditionalen Gemeinschaft. In: Hitzler, Ronald, et al. (Hg.): Posttraditionale Gemeinschaften. Theoretische und ethnografische Erkundungen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2008, S. 214–227, S. 216. Allgemein zum Thema: Baumann, Zygmunt: Leben als Konsum. Hamburg: Hamburger Edition, 2009. 517 Ebd., S. 216.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Produkte und Labels, die ihren Konsumentinnen und Konsumenten in deren Lebenswelten begegnen, sind hier klar im Vorteil. Independent Verlage geben hier ein mustergültiges Beispiel für das literarische Feld. Sie schaffen Communitys um sich, die das passende Setting für einen Trend bieten, in dem sich das Individuum im Konsumzeitalter oszillierend zwischen dem steigenden Bedürfnis nach Individualisierung einerseits und jenem nach Vergemeinschaftung in der Lebenswelt andererseits seine Identität erschafft: Diese absichtsvolle Selbst-Verortung und Selbst-Inszenierung durch Teilhabe an einer offenkundig kommerziell-kultisch fokussierten sozialen Formation bezeichnet somit vielleicht nicht eine ideal-, sicherlich aber eine prototypische Form der Vergemeinschaftung individualisierter Akteure.518

Das Label steht damit als Symbol für eine Haltung und Verortung – nicht nur mit einer spezifischen verlegerischen Herangehensweise im Feld des Buchmarktes, sondern in direkter Konsequenz auch für jene, die letztlich damit erreicht werden möchten: Leserinnen und Leser. Sie sind hier nicht passive Adressaten einer Marke. Und das ist auch zentral, denn „eine Marke kann nur in der Interaktion mit den Einstellungen und Motiven seiner Kunden erfolgreich werden“.519 Erkenntnisse aus der Werbeforschung zeigen den dialogischen Charakter von Marken auf, der bei Independent Verlagen ganz natürlich dazugehört: Der Subtext von Marken wird keineswegs nur „eingleisig“ über Werbung und Marketing vom Anbieter zum Konsumenten transportiert, sondern vielmehr von Marken-Konsumenten mit- und umgeschrieben.520

Während bei traditionellen Verlagen die Markenführung in der Regel via Autorinnen und Autoren bzw. Produkten erfolgt, geht das Konzept bei Independent Verlagen einen Schritt weiter – bestimmend wird das Milieu insgesamt: die Position im Feld samt ihrer spezifischen Community. Und diese Community bzw. auch das authentische Milieu, das die Marke „Independent“ auflädt, kann nicht beliebig installiert werden. Denn es bedeutet reale Zwiegespräche, Treffen, Zusammenkünfte und Verbindungen zwischen Verlag, Autorinnen und Autoren, Leserinnen und Lesern etc., die in virtuellen Communitys wiederum ihre Erweiterung und Ergänzung finden – im Unterschied zu rein virtuellen Communitys, die keine Rückkopplung im realen Leben haben. In gewisser Weise zeichnet sich hier die 518 Vgl. Pfadenhauer, 2008, S. 218 f. 519 Meyer, 2009, S. 169. 520 Pfadenhauer, 2008, S. 215.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Renaissance einer Salonkultur ab, die in erneuerter Weise Independent Verlage umgibt bzw. von diesen installiert und gepflegt wird, während sie an den beiden Polen komplett fehlt.521 Durch gemeinsame Aktionen, Veranstaltungen und Partys mehrerer strukturähnlicher Verlage heben sich diese vielmehr mit einer großen „Independent“-Community ab. Dieses Setting wird im Zusammenhang mit dem Label einmal mehr bedeutungsvoll, da sich damit glaubwürdig vermitteln lässt: Independent Verlage stellen sich nicht nur vor, was Leserinnen und Leser bewegt, interessiert und was ihre Umgebung ausmacht – kurz: was die Themen sind, die sich schließlich auch in Buchform bringen und wiederfinden lassen – sie wissen es, weil sie dazugehören.

3.2.10 Fazit: Fallstricke und Erfolgsfaktoren, Position und Potenzial von Independent Verlagen im literarischen Feld 3.2.10.1 Risiken und Schwachstellen von Independent Verlagen Die fehlende Definition des Begriffs „Independent Verlag“ geht in der Praxis einher mit Projektionen auch weit entfernt von realen Tatbeständen sowie der aushöhlenden Verwendung durch Großunternehmungen. Für Independent Verlage bedeutet das eine Erschwernis in der Positionierung am Markt. Dort, wo aufgrund der Offenheit des Begriffs „Independent“ dieser für Großunternehmen eine Schiene unter vielen sein kann, um Bücher zu positionieren, ist es für tatsächliche Independent-Unternehmungen oftmals nahezu unmöglich, tatsächlich Fuß zu fassen. Jedenfalls dort, wo sich Titelfülle präsentiert – in großen Buchhandelsketten –, sind Bücher aus Independent Verlagen kaum zu finden, da sie in der Regel meist nicht stapelweise abgesetzt werden. Die Schwierigkeit der Positionierung besteht für Independent Verlage demnach ganz praktisch, am Buchmarkt selbst. Die zunehmende Monopolisierung von Amazon und Grossisten macht den Vertrieb zur größten Herausforderung für Independent Verlage, und Konzentrationsprozesse bergen nach wie vor die größten Risiken. Tendenziell konzentriert sich der Handel immer stärker auf nur wenige große Lieferanten. Das ist praktisch für den Buchhandel, in dessen Arbeit die Bestellungen bei einer Vielzahl von unterschiedlichen Verlagen einen erheblichen Aufwand darstellen, den man nicht nur deswegen gerne minimiert. Je mehr aus einer Hand kommt, desto günstiger sind meist auch die Konditionen. Für Independent Verlage wird es dadurch aber zunehmend schwieriger, im Buchhandel überhaupt präsent zu sein. Ähnlich

521 Vgl. Kapitel 3.2.4.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

verhält es sich mit Remissionen. Sie treffen kleine Verlage nicht nur härter, sie sind oft auch kompliziert und mit großen Betrieben einfacher abzuwickeln. Der Zentraleinkauf großer Buchhandelsketten schlägt in dieselbe Kerbe – hier hat die einzelne Buchhandlung gar nichts mehr zu entscheiden, alles wird flächendeckend, und wiederum günstiger, von einer zentralen Stelle für alle Filialen abgewickelt. Ein weiteres Problem ist, dass gerade in der Situation der Marktkonzentration die Preisgestaltung von den Großen abhängt, die Bücher aufgrund hoher Auflagen zu Niedrigstpreisen anbieten können – ihre Preissetzungen sind aber ausschlaggebend für die Preisgestaltung am gesamten Markt. Für Independent Verlage stellt das ein weiteres Problem dar, denn [g]eringe Auflagen und ein hoher Qualitätsanspruch zählen zu den typischen Merkmalen kleiner Nischenverlage, die wiederum zwangsläufig hohe Produktionskosten und als Folge daraus auch einen mittleren bis hohen Verkaufspreis erzwingen.522

In Kombination mit der ebenfalls aggressiven Rabattpolitik der Zwischenbuchhändler kann das zum undurchbrechbaren Teufelskreis für Independent Verlage werden, da es sich in der Regel noch verheerender auswirkt, wenn den Forderungen nicht Folge geleistet wird. Mit der wachsenden Konsolidierung im Handel droht schließlich auch eine fortschreitende Verdrängung kleiner Buchhandlungen, die zu den wichtigsten Handelspartnern von Independent Verlagen zählen. Die Schwierigkeit, Präsenz im Buchhandel zu erlangen, besteht zwar nicht ganz äquivalent zu einer geringen Präsenz in den Medien – dennoch besteht ein Zusammenhang. Besprechungen in den Medien sind für Independent Verlage zentral. In der strauchelnden Printmedienbranche hat sich jedoch vielerorts schon eine Praxis etabliert, in der sich bezahlte Inserate von Büchern finden, die in derselben oder einer kürzlich erschienenen Ausgabe auch besprochen werden. Aufgrund geringfügiger bis oftmals völlig fehlender Marketingbudgets ist diese fragwürdige Praxis für Independent Verlage in der Regel gar nicht erst möglich. Aber auch für andere Marketingkampagnen bzw. Werbung steht Independent Verlagen so gut wie kein Budget zur Verfügung – man ist damit hochgradig vom Interesse der Medien abhängig, um von dieser Seite Nachfragedruck in die Buchhandlungen zu bringen. Der begrenzte Platz für Buchbesprechungen schließlich erlaubt auch nur eine geringe Auswahl an Büchern. Denn hinzu kommt das Problem der Schnelligkeit, mit der Bücher wieder vom Markt verschwinden.523 Das Interesse der Medien muss somit beständig geweckt werden. Doch was 522 Plinke, 2005, S. 120. 523 Vgl. Interview B7, Absatz 157.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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anfänglich den Weg ins Feuilleton findet, dort unter Umständen auch für gut befunden wird, ist häufig der Gunst der frühen Stunde geschuldet – dem Neuheitswert, auch des Verlages, worauf dann häufig längere Pausen folgen: Gerade da merkt man diese Diskrepanz oft, dass die Medien, die über diese Bücher schreiben, ja oft die Debüts so in den Himmel loben, und das zweite, dritte Buch wird schon kaum mehr besprochen.524

Gilt es für Independent Verlage also einmal mehr, immer wieder mit literarischen Entdeckungen und Sensationen oder ungewöhnlichen Veranstaltungen aufzuwarten, so zählt gerade das Schaffen von Kontinuität zu den größten Schwierigkeiten. Gegenüber einer Vielzahl von Hürden gilt es, Durchhaltevermögen zu zeigen. Und das von Beginn an: Anfängerfehler, beispielsweise in der Kalkulation der Auflage, Unprofessionalität, etwa im Satz oder im Außenauftritt, und mangelnde Managementkenntnisse sind zwar keine zwangsläufige Folge, oft aber Begleiterscheinung von Leidenschaftsprojekten. Das hat auch strukturelle Gründe, die meist in einer recht dünnen Personaldecke zu finden sind – vielfach muten sich die Verlegerinnen und Verleger selbst übermäßig, oftmals alles zu. Und so läuft vieles nebenbei – und führt damit zu einem nächsten Problem: Autorinnen und Autoren im Verlag zu halten bzw. mit den Ressourcen eines Independent Verlages Buchprojekte so erfolgreich wie möglich zu machen und ihnen maximale Präsenz zu verschaffen. Im ungünstigen Fall kann es dann auch noch zu Zahlungsverzögerungen Autorinnen und Autoren bzw. Dritten gegenüber kommen. Der Schwund akquirierter Autorinnen und Autoren ist aber auch in anderer, vermeintlich erfolgreicher Hinsicht noch ein Problem, das ein Verleger so beschreibt: Wenn Sie Autoren groß und bekannt gemacht haben, werden sie dann oft im Scheckbuchverfahren weggekauft, das muss man wissen. Man ist das Trüffelschwein der Branche, und wenn man was Interessantes aufgestöbert hat, dann kommen die Großen und wollen es für sich.525

Das heißt: Autorinnen und Autoren werden in Independent Verlagen entdeckt, groß werden sie dann aber bei anderen, wo Vorschüsse und auch das Prestige großer Namen warten; nicht zuletzt auch stärkere Vertriebskanäle, höhere Auflagen und Marketingkampagnen. Vereinnahmungsversuche von größeren Unternehmen, die gerne die kreativen Ideen und innovativen Potenziale kleiner Verlage aufkaufen, sind kein 524 Interview A4, Absatz 61. 525 Interview B2, Absatz 179–183.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Einzelfall – man denke dabei an den Blumenbar Verlag, der 2012 an Aufbau, oder den Schweizer Bajazzo Verlag, der im selben Jahr an die Verlagsgruppe Beltz verkauft wurde.526 Umgekehrt besteht aber auch ein Risiko in der Aufnahme von Fremdkapital, so man es denn überhaupt bekommt. Banken zeigen sich den Projekten gegenüber in der Regel nämlich überaus verhalten. Die generelle Schwierigkeit der Kostendeckung erhält aber noch eine weitere Facette, insofern das Gewerbe stark durch Vorfinanzierung geprägt ist und Geld im Verlagsgeschäft tendenziell sehr spät zurück in die Verlage kommt. Das wirkt sich gerade am Anfang mit besonderer Härte aus, da zu diesem Zeitpunkt auch noch keine Backlist besteht, deren Absätze neue Projekte zumindest teilweise mittragen. „Planungssicherheit: null“,527 beschreibt ein Verleger knapp eine weitere Konsequenz dieses Umstandes. Generell ist eine finanziell attraktive Position gerade für kleine Verlage mit belletristischer Programmausrichtung äußerst schwer zu erreichen. Die in der Regel dünne Kapitaldecke erzeugt in vielen Fällen eine unsichere und instabile Ertragssituation, vielfach wird dabei auch auf persönliche Kapitalreserven zurückgegriffen – und Selbstausbeutung betrieben. Aufgeben musste aufgrund des Kostendrucks etwa Tisch 7 im Jahr 2007, der bis dahin auch Teil der Gruppe der jungen Independent Verlage war. Wird die Community im nächsten Kapitel als klarer Vorteil von Independent Verlagen ausgewiesen, so birgt die Konzentration auf diese auch eine Gefahr. Nämlich jene, sich in einer zu speziellen Kernzielgruppe bzw. eindeutigen Zielgruppen-Ansprache eine künstliche Decke einzuziehen, wie es ein Interviewpartner beschreibt: [. . .] dass man bedienen will, was bei maximal 2–3000 Lesern liegt. Und damit können Sie auch als kleiner Verlag kein Geld verdienen. [. . .] Man muss sich immer bewusst machen, dass man sich da nicht einengt.528

Wie ein Trost klingt da die Gefahr der Unternehmensexpansion – auch diese kann Risiken bergen. Eine problematische Situation ergibt sich meist dann, wenn das spezielle Profil erweitert wird und der Independent Verlag in einen direkten Wettbewerb mit größeren Anbietern tritt. Das Risiko besteht darin, zwischen die Stühle zu geraten. Das heißt: weder die Vorzüge eines klar definierten Nischenanbieters

526 Vgl. N.N.: Aufbau kauft Blumenbar. In: boersenblatt.net vom 15.3.2012: http://www. boersenblatt.net/522274/. Stand: 22.7.2015; N.N.: Beltz übernimmt Bajazzo. In: boersenblatt.net vom 10.2.2012: http://www.boersenblatt.net/502760/. Stand: 22.7.2015. 527 Interview B1, Absatz 165. 528 Interview B1, Absatz 219.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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noch die Mengen- und Preisvorteile eines Großunternehmens nutzen zu können. Die richtige Größe, vor allem aber den richtigen Absatz zu erlangen bleibt der Balanceakt zwischen Sein und Nichtsein, wie ein Verleger ausführt: Der Markt- oder der ökonomische Zwang, eine Mindestumsatzmarke zu generieren, der betrifft ja jeden Verlag. Der betrifft auch den Independent Verlag. Und das ist die Grenze des Independents. Also, ich kann mir das Zeugs zum Programm hier überlegen – wenn sich das nicht in einem bestimmten Maß verkauft, dann ist der Verlag nicht mehr da.529

3.2.10.2 Vorteile und die USP von Independent Verlagen Individualität und Originalität sind wesentliche Merkmale und auch die größten Vorteile von Independent Verlagen. Damit können sie sich speziell gegenüber Großverlagen abheben, wobei sich gerade der Größenunterschied als Vorteil erweist. Geringerer Kostenaufwand und höhere Flexibilität in den Handlungsabläufen erweisen sich dabei als günstig. Dabei gibt es sehr reizvolle kleine Größen, die etwa in Kombination mit einer Spezialisierung sehr lukrativ sein können: [. . .] im Bereich special interest, wo also ein Verlag eine Nischenproduktion hat. Die stehen auf einem ganz anderen Feld, die brauchen möglicherweise den Handel gar nicht oder sind sehr gut im Handel vernetzt. Eines von beiden, und leben einfach davon, dass sie Nischenproduktionen betreiben. Und solange die das in einer Größenordnung halten, wo sie dann nicht diese nächste Schwelle überschreiten und produzieren müssen, um ihren Kostenapparat zu halten, laufen die auch sehr profitabel und schon seit Jahren echt erfolgreich.530

Aber auch über die Spezialisierung hinaus gibt es noch weitere Ansatzpunkte, die Independent Verlage zu erfolgreichen Playern im Feld machen. Vor allem für den Aufbau von Autorinnen und Autoren bringen kleinere Verlage häufig bessere Voraussetzungen mit als große. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass in den Lektoraten vieler großer Verlage aufgrund der verstärkten Forderung nach marketinggetriebenen Programmen und der ökonomisch gesetzten Anzahl von ca. 50–60 Titeln pro Lektorin bzw. Lektor jährlich kaum Zeit für ein fundiertes Lektorat und für eine intensive Beschäftigung mit Texten sowie Autorinnen und Autoren bleibt.531 Zudem stehen bei kleineren Verlagen aufgrund ihrer flexiblen Strukturen oftmals nicht nur Lektorat und Verlegerin oder Verleger mit den Autorinnen und Autoren in Kontakt, sondern auch Vertrieb und Werbung, was die Abläufe 529 Interview A1, Absatz 191. 530 Interview C1, Absatz 38. 531 Vgl. Ammern, 2001, S. 33 f.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

für die Autorin oder den Autor transparent macht. Die Unternehmenspraxis von allen interviewten Independent Verlagen zeigt, dass sowohl Autorinnen und Autoren als auch der Verlag selbst von den kleinen und übersichtlichen Programmen profitieren, bei welchen nahezu jeder einzelne Titel Aufmerksamkeit erlangt und nicht in der Flut der Neuerscheinungen untergeht, wie es bei größeren Verlagen geschehen kann. Independent Verlage binden Autorinnen und Autoren auch dadurch an sich, dass sie in ihrer Betreuung mehr als die üblichen verlegerischen Basisservices bieten, die sich auch über die Buchprojekte selbst erstrecken. Vor allem Self-Publishing-Projekten gegenüber kann man sich damit auch abheben, insoweit diese durch mangelndes Korrektorat, teilweise sogar völlig fehlendes Lektorat auffallen. Wenn im vorangehenden Kapitel als abschließender Fallstrick die Gefahr der Verwässerung des Profils im Falle einer Expansion des Verlags beschrieben wird, so besteht umgekehrt in der Schärfe des Profils ein deutlicher Vorteil von Independent Verlagen. Nur eine klare Profilbildung erlaubt es, sich von den zunehmend austauschbaren Massenprogrammen vieler großer Verlage abzuheben. Das verdankt sich in starkem Maße der Verlegerpersönlichkeit, die in den kleinen Unternehmen allesamt die treibende Kraft darstellt und die es in diesem Sinne in den managergeführten Konzernverlagen nicht gibt. Für kleinere Verlage ergibt sich hier die Chance, mit einem Programm, das eine „bestimmte Handschrift“ erkennen lässt, entstandene Lücken zu schließen und damit auch kulturelle Maßstäbe zu setzen und zu gestalten. kookbooks ist ein Beispiel dafür, dass inhaltlich mit junger Gegenwartslyrik eine unvergleichliche Heimat für diese Textsorte geschaffen wurde, der in der grafischen Gestaltung durch Andreas Töpfer auch ein optisch korrespondierender wie sofort wiedererkennbarer Rahmen gegeben wurde, wodurch sich das Programm als Ganzes klar abhebt. Neben Schwerpunktbildung im Verlagsprogramm kann also auch eine hochwertige Buchausstattung einen wesentlichen Unterschied bewirken. Aber auch Fokus auf und Pflege einer Zielgruppe und/oder Region bieten Möglichkeiten der Abgrenzung, die Profilschärfung bedeuten. So als Experte in einer attraktiven Nische zu operieren, kann einen sehr erfolgreichen Weg für Independent Verlage darstellen. Für spezialisierte Literatur können die Absatzchancen in kleinen Verlagen sogar größer sein als in großen, da dort die Kanäle viel präziser bekannt sind und genutzt werden können. Das individuelle Angebot kann zukünftig auch Marktchancen erhöhen: Die Marktchancen gerade auch kleiner und mittlerer Verlage – professionelles Handeln vorausgesetzt – werden in den nächsten Jahren weiter wachsen, weil sich der klassische

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Bucheinzelhandel nicht zuletzt mit einem individuelleren Angebot abseits der Bestsellerlisten gegenüber der Konkurrenz der Ketten und Buchdiscounter profilieren muß [sic!].532

Auch hinsichtlich des Vertriebs von Lizenzen an Taschenbuchverlage haben kleinere Verlage mit entsprechendem Programm gute Chancen. Da immer mehr Verlage aufgekauft werden, deren Verwertungsrechte dann innerhalb der großen Konzerne gehalten werden, verringert sich die Zahl der Lizenzgeber auf dem Markt, was eine Lücke bildet, die insbesondere von Independent Verlagen ausgefüllt werden kann, wie auch alle Interviews mit Independent Verlegerinnen und Verlegern bezeugen. Denn gerade junge bzw. neue Stimmen finden sich verhältnismäßig häufig in den Programmen von Independent Verlagen. Diese können sich so als Entdecker vielversprechender neuer Autorinnen und Autoren am Feld positionieren. Direktes Operieren an der Quelle und zudem mit der Fähigkeit ausgestattet zu sein, schnell handeln zu können, wenn es erforderlich ist, sind Merkmale von Independent Verlagen, die dieser Rolle als Trendscout zugutekommen. Lange Entscheidungswege mit mehreren Entscheidungsträgern, wie es sie in großen Verlagen gibt, wirken sich dabei nur störend aus – nicht so in Independent Verlagen. Zeigt sich Personalmangel einerseits als negativer Aspekt, so ist es auch derselbe Umstand, der hier Schnelligkeit gewährleistet und sich so als klarer Vorteil zeigt, wie ein Verleger so beschreibt: „[Ein Independent Verlag] ist ja ein kleines Schnellboot. Und kann gut navigieren.“533 Das bedeutet auch: Vieles kann ausprobiert werden. Während es in großen Unternehmen mit geregelten Stellenbeschreibungen und Abläufen nur wenig Spielraum für experimentelle Zugänge gibt, so besteht bei Independent Verlagen im heuristischen wie spielerischen Prinzip „Trial and Error“ eine große Innovationskraft. Mit weiteren bzw. anderen Fähigkeiten als die Vorgängergeneration ausgestattet, vor allem im Hinblick auf die Digitalisierung, können darüber hinaus vielfach neue Wege einschlagen werden, etwa im Vertrieb. Als Beispiele seien hier der internetbasierte Absatz oder der persönliche Verkauf genannt. Die enge Vernetzung mit Autorinnen, Autoren und Zielgruppe, die in eine Community eingebettet sind, stellt einen weiteren großen Vorteil von

532 Behm, Holger, et al.: Büchermacher der Zukunft. Marketing und Management im Verlag. 2. Aufl., Darmstadt: Primus Verlag, 1999, S. 10. 533 Interview B7, Absatz 32.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Independent Verlagen dar. Anzumerken ist dabei, dass es sich weniger um eine klassische Literatur-Zielgruppe handelt als vielmehr um Personen einer ähnlichen Lebenswelt, in der Literatur ein relevanter Teilaspekt des Lebens ist. Man ist Teil einer Szene, und Themen, aber auch ansprechende Gestaltung der Bücher sind Produkte daraus – die somit zwangsläufig auf Höhe der Zeit sind. Auch wird Know-how vielfach über Szenen generiert. Denn nicht zuletzt stellen diese Szenen auch die Kern-Konsumentinnen und -Konsumenten, die umgekehrt wieder innovative Ideen in die Produktion zurückspielen. Der positive Effekt verstärkt sich, wenn der Verlag bzw. auch eine Gruppe von Verlagen unter dem Label „Independent“ klar auftritt: In der Praxis von Markenpositionierungs-Prozessen in der Buchindustrie hat sich exakt dieser Ansatz als zielführend erwiesen: Konzentration auf die Definition einer Kernzielgruppe, die eine besondere Affinität zu den angebotenen Produkten hat und gleichzeitig attraktiv für andere, umliegende Zielgruppen ist. Ist die Interaktion zwischen den Kernmotiven bzw. Kernwerten der Kernzielgruppe und den Werten der Marke gegeben, führt dies zu einer Aufladung der Marke. Die Folge: Andere Zielgruppen fühlen sich von dieser mit der Marke assoziierbaren Kernzielgruppe angezogen – und sorgen für eine kontinuierlich sich steigernde Durchsetzung und Verbreitung der Marke. Denn, das ist eines der Learnings der neuroökonomischen Forschung, Menschen fühlen sich a priori von Menschen angezogen, im Kontext mit relevanten Marken. Marken werden deshalb zu,Persönlichkeitsmarkierern‘, weil sie für die Zielgruppe zentrale Motive ansprechen.534

Soziale Zusammenkünfte sind dabei der perfekte Rahmen, um die Community zu pflegen und um immer wieder neue Menschen zu erreichen. Veranstaltungen, die sich an alle und nicht nur das an Literatur interessierte Publikum richten, und Umgebungen wie Bars oder Partys bedeuten dabei Rahmenbedingungen, die frei von Einstiegshürden sind. Gerade in diesem Zusammenhang ist auch die Vernetzung unter den Verlagen von Vorteil: „Durch gemeinsames Auftreten können wir mehr bewegen“,535 so Manfred Metzner in der Funktion als Vorsitzender der Kurt-Wolff-Stiftung über Synergieeffekte. Mit ähnlichen Inhalten ist eine vielfältige Zusammenarbeit vor allem in Marketing und Vertrieb möglich. Gerade im Zusammenhang mit einer Szene sind Haltung bzw. Lebensstil wesentlich, die Ausdruck in entsprechenden Inhalten, ästhetischen Covers, aber

534 Meyer, 2009, S. 169. 535 Manfred Metzner, zitiert in: Zähringer, 2006.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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auch Veranstaltungen finden. Der persönliche Kontakt ist durch nichts zu ersetzen. Neue Medien unterstützen dabei aber die Pflege dieser Communitys. Auch eine Positionierung, die für einen bestimmten Stil oder eine Haltung steht, ist für Independent Verlage eher zu erreichen als für große Unternehmen, wie ein Verleger ausführt: Diese Einstellung, mit der man an Sachen herangeht. Also dieses Unverbrauchte, der Elan. Und wo man merkt: Die Leute haben wirklich noch Spaß an dem, was sie machen. Und natürlich die Freiheit, im weitesten Sinne, das tun zu können, was man tun möchte.536

Independent Verlage können so also auch teilweise von der Krise großer Apparate profitieren. Als Alexander Fest seinen kleinen gleichnamigen Verlag aufgab, um zu Rowohlt zu wechseln, wünschte sich bzw. ihm die Berliner Zeitung, „dass sein Aufstieg nicht mit der üblichen Karrieretragik verbunden ist: sich von der eigentlichen Arbeit zu entfernen, die den Erfolg begründet hat“: Die Managementprobleme eines Großverlags – Personalführung, unübersichtliche Kalkulation, delegierte Verantwortung, mithin Sitzungen über Sitzungen – führen dazu, dass Verleger bei Kontaktandrohung ihrer eigentlichen Partner, der Autoren, zu Fluchtreaktionen neigen. Irgendwann werden schwierige Menschen das Letzte, was sie noch gebrauchen können. Das ist dann das Ende eines Großverlegers.537

Hier ganz klar mit einem Gegenprogramm anzutreten ist die die machtvolle USP von Independent Verlagen.

3.2.10.3 Verortung von Independent Verlagen in einem sich wandelnden Umfeld Mit Sicherheit kann die Liste der Fallstricke genauso wie jene der Erfolgsfaktoren noch um weitere Aspekte ergänzt werden. In der Zusammenschau beider Seiten ließe sich jedenfalls das postulieren, was der ehemalige Regierende Bürgermeister Berlins, Klaus Wowereit, einst über seine Stadt gesagt hat, in der kaum

536 Interview A6, Absatz 392. 537 Jähner, Harald: Die Radikalfusion. In: Berliner Zeitung Online vom 1.2.2002: http://www. berliner-zeitung.de/archiv/mit-alexander-fest-gewinnt-rowohlt-einen-neuen-chef-und-berlin-verliert-einen-verlag-die-radikalfusion,10810590,9970490.html. Stand: 2.7.2015.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

zufällig die meisten Independent Verlage angesiedelt sind: „Arm, aber sexy“.538 Ein Verleger beschreibt, wie sich diese Ambivalenz für Independent Verlage gestaltet: Es gibt da so eine Schere zwischen öffentlicher Wahrnehmung und wirtschaftlicher Relevanz. Das heißt, die Independent Verlage haben es geschafft, dass sie anders sind, und haben eine relativ große kontinuierliche Aufmerksamkeit in den letzten Jahren bekommen. Und da, in dem Bereich, was Aufmerksamkeit angeht, das ist ja auch eine Art von Wirkung, da könnte man schon davon sprechen, dass es zu einem gewissen Grad eine neue Verlegergeneration ist. Das wiederum steht aber im Widerspruch dazu, dass die ökonomische Relevanz extrem klein ist. Das heißt: Wenn man es daran misst, was ökonomisch die Verlagslandschaft prägt, dann wäre es ein bisschen übertrieben, von einer neuen Verlegergeneration zu sprechen, weil, das sind dann andere Leute, die da entsprechend dominierend sind.539

In den meisten Independent Verlagen gibt es ein Bewusstsein für ihre wirtschaftliche Randposition einerseits, ihr Auffallen und ihre Fertigkeit, Inhalte und neue Standards zu setzen, andererseits. Gleicht man die Listen der Erfolgsfaktoren mit jenen der Fallstricke ab, verhält es sich – korrespondierend dazu – mit vielen Aspekten so, dass das eine geradewegs zum anderen führt. Als Beispiel kann hier etwa die Rolle als Trendscout genannt werden. Sie beschreibt einen großen Vorzug von Independent Verlagen, nicht zuletzt aber auch einen Effekt des größten Problems, des Kapitalmangels. Genauso ist die Ausgangslage am Buchmarkt einerseits problematisch, andererseits chancenreich für Independent Verlage. Um an das vorangegangene Beispiel anzuknüpfen: große Verlage schnappen den kleinen nicht nur erfolgversprechende Autorinnen und Autoren weg – sie sind geradezu angewiesen darauf. Das verleiht Independent Verlagen im Feld wiederum eine machtvolle Funktion, wie ein Branchenkenner beschreibt: Die Verlagslandschaft in Deutschland ist extrem abhängig von diesen Kleineren, Unabhängigen, weil das die Unternehmen sind, die Autoren und Themen hervorbringen, die dann in der Regel von den größeren Häusern, wenn sie dann laufen, übernommen werden. Aber die Kreativität, die in diesen Häusern herrscht, das würde total fehlen und würde die Vielfalt des Literaturangebots, das wir in Deutschland haben, enorm einschränken. Also letztlich ist es nicht nur der Buchhandel in seiner Vielfalt, diese berühmten fleißigen Tankstellen, die wir da haben, sondern auch die Vielfalt auf der Verlagsseite.540 538 N.N.: Wowereits Berlin-Slogan – „Arm, aber sexy“. In: Focus Online vom 19.10.2006: http:// www.focus.de/politik/deutschland/wowereits-berlin-slogan_aid_117712.html. Stand: 10.7.2015. 539 Interview A1, Absatz 23. 540 Interview C1, Absatz 68.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Ähnlich verhält es sich mit den aktuellen Rahmenbedingungen am Buchmarkt: Die gleichen Mechanismen, die mit der Digitalisierung die Konzentration hervorgebracht haben, haben auch das Entstehen von Independent Verlagen begünstigt bzw. ihre Arbeit erleichtert. Ein Verleger konstatiert: Dass sich jetzt so viel ins Internet verlagert, ermöglicht den Independent Verlagen überhaupt ihr Dasein. Weil, sonst brauchst du einfach viel mehr Geld für alles.541

Die Konzentration auf dem Buchmarkt muss für Independent Verlage demnach eine Fokussierung auf spezifische Kernkompetenzen bedeuten. Mit großen Verlagen in Konkurrenz treten zu wollen ist im Grunde keine echte Option für Independent Verlage, da am Markt eine Professionalisierung hin zum ökonomischen Kapital eingetreten ist, die sich auf einer eigenen Ebene vollzieht, auf der sie ihre eigenen Zwänge für die großen Unternehmen erzeugt – wenn freilich auch mit Einfluss auf die gesamte Umgebung bzw. für Independent Verlage. Ein Branchenteilnehmer beschreibt diese Situation am Beispiel der Titelakquise: Also, ich glaube, dass viel mehr als früher die Titel in den großen Häusern austauschbar geworden sind. [.  .  .] Alle großen Verlage bemühen sich in Auktionen um die gleichen Bücher. Sie kaufen sie sich vor der Nase weg, haben ihre Scouts im Ausland sitzen, haben ihre Kontakte hier mit Agenten. Also, es ist eine Professionalisierung des Gewerbes eingetreten, die eigentlich alle vor die gleiche Situation stellt. Und da gibt es eben inzwischen auch Verlage, die wesentlich mehr Geld bieten können, und das sind eben Rowohlt oder Fischer. Und es gibt Verlage wie Suhrkamp zum Beispiel, die im Moment gar nicht mehr so mitbieten, weil es da um Summen geht, die also wirklich schwindelerregend sind. Diese Professionalisierung hat zur Folge, dass auch für die kleinen Verlage die Lücken kleiner geworden sind.542

Aufgrund der Produktionsrhythmen, die auch notwendig sind, um die großen Apparate zu finanzieren, sind „die großen Verlage [.  .  .] ja wirklich Bestsellergetrieben“,543 beschreibt ein Independent Verleger. Bestseller brauchen diese ebenfalls, um auch qualitativ höherwertige Titel mitzuziehen. Das Programm muss dabei so verkäuflich sein, dass es eine möglichst breite Masse erreicht – einmal mehr in der stärkeren Zusammenarbeit mit dem Handel, der, selbst unter zunehmendem Druck, sich auf möglichst wenige Lieferanten beschränkt, mit

541 Interview A4, Absatz 418. 542 Interview C5, Absatz 37f. 543 Interview A6, Absatz 208.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

denen er direkt Kontakt hat. Der Verleger folgert daraus, dass sich große Verlage in einer ganz anderen Situation am Feld befinden: Das heißt, die können es sich im Grunde gar nicht erlauben, etwas zu tun, was jetzt völlig aus dem Raster fällt. Weil, das würde bedeuten, sie verkaufen das nicht und die eigene wirtschaftliche Existenz wäre denen entzogen. Insofern ist es ganz natürlich, dass gerade kleinere Verlage Trends entweder setzen oder erkennen.544

Tatsächlich sind Independent Verlage in ihrer tendenziellen Funktion als Entdecker von Neuem solchen Dynamiken nicht ausgeliefert, da sie vielmehr, wie oben bereits ausgeführt, eine entscheidende Position an der „Quelle“ innehaben, von der große Verlage auch abhängig sind. In ihrer gesamten Struktur sind beide Verlagstypen damit ganz anders ausgerichtet, Independent Verlage funktionieren dabei teilweise auch abseits der Gesetze des Buchmarktes: Also, man merkt schon, dass man sich, sozusagen, einen neuen Markt parallel davon erschließt, der irgendwie über andere Läden rennt. Dass man diese klassische Struktur noch am Rande kennt, aber kaum mehr wahrnimmt.545

Große und kleine Verlage erfüllen somit unterschiedliche Funktionen am Feld, die andere Herangehensweisen bedingen und produzieren. Der Vorteil der Produktionskultur von Independent Verlagen ist die Möglichkeit, überhaupt außerhalb dieses Spiels agieren zu können. Wenngleich freilich auch hier das Überleben am kapitalistisch bestimmten Markt gesichert werden soll: Im Unterschied zur Produktionskultur von Konzernen gibt es keine das Programm determinierenden Zwänge durch den ökonomischen Imperativ. Für die spezifische Produktionskultur von Independent Verlagen ist dies wesentlich. Die eigene Identität ergibt sich über Differenzsetzungen, die sich auf das Motiv der Gründung und vorhergehende Leitvorstellungen beziehen und sich in entsprechenden Handlungsweisen manifestieren, die schließlich auch die ganz spezielle Position im Feld ausmachen, wie ein Verleger ausführt: Es kommt meistens aus der Nische, es interessiert einige wenige, es wird immer populärer. Und plötzlich ist so eine kritische Masse da, wo sich dann auch größere Verlage erlauben können, auf den Trend aufzuspringen, weil sie wissen, das Thema ist jetzt in der Gesellschaft etabliert oder so verankert, dass da eine entsprechende Aufmerksamkeit auf dem Markt da ist, sodass es sich lohnt, da auch in höheren Auflagen ranzugehen. [. . .] Das macht ja den Reiz aus, Neues zu entdecken und sich andauernd neu zu erfinden.

544 Interview A6, Absatz 208. 545 Interview A4, Absatz 376.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Das heißt: Natürlich ist es frustig, wenn man irgendwann einen Autor aufgebaut hat, und plötzlich merkt man: okay, und jetzt ist es Mainstream, und jetzt fängt sozusagen der Sellout an und es wird kommerzialisiert. Kommerz in dem Sinne ist ja gut, weil, es sorgt für Verbreitung. Es ist aber auch das sichere Zeichen – man soll immer dann gehen, wenn es am schönsten ist. Zu sagen: „Okay, das ist jetzt in der breiten Masse angekommen, aber das ist nicht mein Job. Ich muss jetzt gucken. Ich hab das gute Gefühl, ich habe wieder das richtige Näschen gehabt. Und jetzt gucke ich, wo ist die nächste Mine, die wir anbohren können.“546

An dieser Stelle lässt sich also zusammenfassend konstatieren: Ausgestattet mit unterschiedlichen Schwachstellen und Fertigkeiten bzw. auch Kapitalsorten – was sich gegenseitig bedingt – verfügen alle Verlage am Feld über unterschiedliche Dispositionen. Ein hervorstechendes Merkmal von Independent Verlagen zeigt sich in deren Innovationskraft. Ausdruck findet diese bzw. finden alle alle Dispositionen im ganz spezifischen Habitus. Dieser wurde im Kapitel 3 erkundet und skizziert. Wenn dort eingangs über den Habitus vermerkt wurde, dass er einerseits durch die Struktur geprägt wird und andererseits auf diese einwirkt, so gilt es im nächsten Schritt, einmal mehr die Struktur mit dem Habitus zusammenzudenken, um schließlich dessen Potenzial freizulegen. Das bedeutet an dieser Stelle, noch einmal auf Kapitel 2 zurückzukommen. Die Ausführungen dort, in denen die deutschsprachige Verlagslandschaft und der Buchmarkt mit seinen aktuellen Tendenzen skizziert wurden, lassen hier vor allem zwei Effekte erkennen, die verstärkt deren zugrunde liegende Struktur bilden: Durch die Öffnung des Marktes ist das Angebot erstens unübersichtlicher geworden, Flut und Beliebigkeit kennzeichnen die Buchproduktion, die sich gleichzeitig gegenüber einer sich ständig erweiternden Medienpalette zu behaupten hat. Zweitens wird dabei durch Internationalisierung und Demokratisierung ökonomisches Kapital zunehmend zum Katalysator dieses Prozesses. Im Zuge der Digitalisierung müssen sich Verlage auch auf neue Formen der Übermittlung von Inhalten, z. B. per E-Book, einstellen. Digitale Druckverfahren, Automatisierung und Outsourcing helfen, Kosten bei der Produktion einzusparen. Allerdings ist es von PoD bis zum Direktversand von der Autorin bzw. vom Autor zur Leserin bzw. zum Leser nur noch ein kleiner Schritt. Wenn es so weit ist, werden Verlage ihre Daseinsberechtigung generell erst einmal begründen müssen. Diese Dynamiken führen also nicht zuletzt zur alles entscheidenden Frage, was Verlegen heute überhaupt bedeuten kann – der Umbruch wirft das gesamte Verlagsmetier in der Frage nach seinen Grundfunktionen auf sich selbst zurück.

546 Interview A6, Absatz 208–215.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

3.2.10.4 Praxis und Struktur: Independent Verlage als Mittler Generell erweist sich das Bewegen und Verankert-Sein in unterschiedlichen Welten als förderlich für Independent Verlage. Wie an unterschiedlichen Stellen in dieser Arbeit beschrieben, ist das Operieren an Schnittstellen und folglich auch das Verbinden zweier gegensätzlicher Pole typisch für Independent Verlage.547 Sie besetzen damit die Position eines Gatekeepers – worauf sich die Innovationskraft des Labels zu einem großen Teil auch zurückführen lässt. An dieser Stelle treffen unterschiedliche Herangehensweisen beider Pole aufeinander, etwa, wie jeweils auf das neue Umfeld am Buchmarkt reagiert wird. In der Vermittlung zwischen ihnen können Independent Verlage als Gatekeeper adaptieren und filtern. Hinzu kommt: Was sich am Buchmarkt in einer Tendenz zu Schnelligkeit und Beliebigkeit zeigt, ist eine relativ späte Folge eines Trends, der sich auf allen Konsummärkten zeigt. Analog zu den Aspekten dieses Trends – etwa Flut, Masse, Preisdumping, Geschwindigkeit – bildet sich dazu in jüngster Gegenwart zunehmend auch ein Gegentrend auf allen Märkten aus.548 Denn wenngleich es bestimmende „Regeln“ gibt, die mit ihrer Dynamik die Struktur – in diesem Falle des Buchmarktes – immer wieder reproduzieren, so entsteht mit dieser Dynamik auch eine Sehnsucht nach den Dingen, die dabei auf der Strecke bleiben. Branchenübergreifend setzen die Antworten eines Gegentrends auf das, was diese Sehnsucht freilegt: den Mangel an Langsamkeit, Persönlichem, Authentizität und Exklusivität. Dieser Gegentrend sucht dabei Alternativen, die relativ außerhalb dieser Dynamik operieren. Relativ, weil alle Alternativprojekte im Feld spielen, wo diese Tendenzen des freien Marktes die „Regeln“ bilden, über deren Akzeptanz alle Akteure stillschweigend in der „illusio“ zur Übereinkunft kamen.549 Beschrieben wird damit jedoch auch eine Definition von Erfolg, die diesen nicht allein unter dem Blickwinkel des ökonomischen Kapitals zu erfassen sucht. Erfolgsmodelle anderer Branchen – Carsharing, Couchsurfing, Crowdsourcing550 – führen vor,

547 Vgl. insbesonders Kapitel 3.2.7.4 und 3.2.10.1. 548 Vgl. Kapitel 3.2.10.5. 549 Dieser Effekt wurde bereits an anderer Stelle ausgeführt, vgl. Kapitel 2.1.3. 550 Mit diesen Begriffen sind Möglichkeiten weg von Kaufen und Besitzen hin zum Teilen und Tauschen von Dingen, Wissen, Ressourcen und Erfahrungen beschrieben, begünstigt durch neue Wege, die das Internet eröffnet. Carsharing meint somit, ein Auto zu leihen anstatt es zu kaufen, Couchsurfing eine Form, Wohnungen anstelle von Hotels zu benutzen, Crowdsourcing ist die freiwillige Aufgabenübernahme traditionell interner Teilaufgaben durch User, zumeist über das Internet. Auch das Co-Working, was bedeutet, das Büro mit anderen zu teilen – wie es viele Independent Verlage machen –, fällt in diesen Bereich. Vgl. Homepage Crowdcommunity: http://crowdcommunity.de/. Stand: 12.7.2015.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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wie ein freierer Umgang mit dieser Kapitalsorte gelingen, teilweise sogar ohne diese operiert werden kann.551 Genauso geht der Trend – im Gegensatz zu großen Apparaten – zu kleinen Einheiten: kleine Läden, das handgemachte oder exklusive Produkt und die persönliche Betreuung erleben eine Renaissance. Konsumentinnen und Konsumenten achten immer mehr darauf, woher die Waren kommen und unter welchen Bedingungen sie hergestellt wurden.552 In der Sattheit des Kapitalismus ist die ständige Verfügbarkeit und Masse das Gegenteil vom Besonderen bzw. Erwünschten. „Politik mit dem Warenkorb“553 ist für gewisse Sinus-Milieus ein zunehmend wichtigeres Motiv– zumal es sich bei Büchern auch noch um „veritable Luxusgüter“554 handelt. Ein Interviewpartner erklärt das in Bezug auf das Buchsortiment folgendermaßen: Dass die Leute sich da auch wiederfinden. Man will ja nicht herumgehen und da nur Bestseller finden, sondern man will auch was Besonderes finden. Das Besondere bieten eben oft kleine Verlage.555

Tatsächlich sind die Bücher von Independent Verlagen viel eher in Erlebnis- denn in Konsumwelten zu verorten, wie Kapitel 3 aufgezeigt hat.556 Nicht zuletzt damit zeichnet sich bei jungen Independent Verlegerinnen und Verlegern eine Herangehensweise ab, die direkt auf die Veränderungen im Feld reagiert und ihre Einbettung im Gegentrend der gesamtgesellschaftlichen Umwälzungen findet: Wir haben die durch diese besondere historische Situation entstandenen Lücken gefüllt. [. . .] Also es ist weniger hierarchisiert auf jeden Fall, als es vorher der Fall war, wir versuchen auch, nicht so etabliert zu werden. Aber es ist natürlich trotzdem so, dass wir, einfach nur dadurch, dass wir das seit Jahren gemacht haben, Player geworden sind und jetzt natürlich einen anderen Platz haben als vorher, wo wir sagen konnten, wir sind niemand, wir machen einfach mal. Und das ist ja, was nicht nur die Literatur betrifft, sondern was in anderen Bereichen genauso der Fall ist. Und wo man jetzt mittlerweile eben ganz viel sehen

551 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Crowdfunding – eine Art Schwarmfinanzierung, bei der eine Vielzahl von Personen, zumeist Internetnutzer, für eine Geschäftsidee Geld beisteuern. Weitere Informationen: N.N.: „Crowdfunding“. In: wikipedia.org: http://de.wikipedia.org/wiki/ Crowdfunding. Stand: 12.7.2015.    Der Verlag Voland & Quist nutzte 2014 Crowdfunding, um in einem Rechtsstreit mit Droemer Knaur in Berufung zu gehen – und das vorherige Urteil zu kippen, vgl. Kapitel 3.2.5.6. 552 Das zeigen etwa die steigende Tendenz zu Deklarationen auf den Produkten, der verstärkte Einsatz von Gütesiegeln oder aber auch die steigende Anzahl von Bioprodukten und -läden. 553 Vgl. Lebensmittel, Strom etc. 554 Meyer, 2009, S. 174. 555 Interview C8, Absatz 34. 556 Vgl. insbesondere Kapitel 3.2.4 und 3.2.6.

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kann und das ja auch international schon gesehen worden ist. Was einfach über die Jahre so unterschwellig schon gewirkt hat, in der Mode z. B., was gibt’s da für tolle junge Labels, die jetzt für ihren Bereich vielleicht so was Ähnliches machen wie die Verlage in ihrem Bereich.557

Was hier von einem Independent Verleger beschrieben wird, ist einerseits die besondere Situation im Feld, deren aktuelle Entwicklung der Öffnung dreierlei gebracht hat: niedrige Einstiegsschwellen für Neueinsteiger im Feld genauso wie die Überschwemmung desselben und schließlich die Sehnsucht nach Alternativen – „entstandene Lücken“ der spezifischen historischen Situation. Im Zitat wird aber noch eine weitere wesentliche Facette der Situation im Feld angesprochen: Die in dieser Arbeit porträtierten Independent Verlage sind durch kontinuierliches Wirken im Feld zu „Playern“ geworden. Was mit diesen neuen Entwicklungen im Feld (bzw. in unterschiedlichen Feldern) beschrieben wird, ist nicht zuletzt auch der Reproduktionsprozess des Feldes, den Bourdieu vereinfacht in der Begriffstriade Strukur – Habitus – Praxis zusammengefasst hat.558 Im abstrahierten Schema kann dieser so dargestellt werden: Struktur

Feld / Habitus

Praxis

Abb. 3.8: Soziale Praxis nach Bourdieu. Quelle: Albrecht, Steffen: Netzwerke als Kapital. Zur unterschätzten Bedeutung des sozialen Kapitals für die gesellschaftliche Reproduktion. In: Ebrecht, Jörg/Hillebrandt, Frank (Hg.): Bourdieus Theorie der Praxis: Erklärungskraft – Anwendung – Perspektiven. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2002, S. 199–224, S. 209.

Der hier dargestellte Prozess, wenngleich dynamisch zu verstehen, verläuft zumeist weitaus weniger umwälzend, als sich zunächst vermuten ließe. Denn die Tendenz geht prinzipiell dahin, die ursprüngliche Struktur wiederherzustellen – jedenfalls von jenen, die schon länger über Macht im Feld verfügen. Bourdieu beschreibt diesen Umstand mit dem „Hysteresis-Effekt“, der auf die Trägheit von Strukturen und das Beharrungsvermögen des Habituskonzepts verweist.559

557 Interview A2, Absatz 124–129. 558 Vgl. Kapitel 2.1.3. 559 Vgl. Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1982, S. 238 f.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

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Während die Arrivierten gemäß diesem Hysteresis-Effekt tendenziell an der Erhaltung bestehender Strukturen interessiert sind, insofern diese ja auch ihren Machtstatus bedingen, ist es – um bei Bourdieus Begrifflichkeiten zu bleiben – die „Avantgarde“, die ihrerseits mehr an Machtzuwachs denn -erhalt interessiert ist. Und das bedeutet Veränderung und Erneuerung, häufig in einer Auseinandersetzung zwischen „Orthodoxie und Häresie“.560 Auf die Verlagslandschaft übertragen ist dies genau die Situation, die sich derzeit darstellt: auf der einen Seite Verlage mit Autorinnen und Autoren der kanonisierten (also arrivierten) Avantgarde,561 die jenes spezifische Kapital monopolisieren, das die Grundlage der Macht bildet, woraus sich auch Handeln und Strategien – eben jene der Orthodoxie – ableiten. Strategien der Häresie – in diesem Fall Independent Verlage – korrespondieren hingegen mit Positionen, die (noch) wenig Kapital akkumulieren konnten, indem sie den Bruch mit Bestehendem proklamieren und so die Orthodoxie zur Verteidigung der Doxa562 veranlassen. Das bedeutet des Weiteren auch, daß [sic!] der Anstoß zur Veränderung nahezu definitorisch den Neuzugängern gebührt [. . .], die gleichzeitig am wenigsten spezifisches Kapital besitzen und die in einem Universum, in dem Bestehen Sich-Unterscheiden heißt, also eine unterscheidbare und unterscheidende Stellung innezuhaben, nur insoweit existieren können, wie es ihnen, nicht notwendigerweise willentlich, gelingt, ihre Identität, d. h. ihre Unterschiedlichkeit zu behaupten, bekannt und anerkannt zu machen [. . .], indem sie neue Denk- und Ausdrucksweisen im Bruch mit den geltenden Denkweisen durchsetzen, also geweiht sind, durch ihr „Finsteres“ und „Mutwilliges“ aus der Fassung bringen.563

Die genaue Entsprechung zu Bourdieus Ausführungen findet sich in der Praxis von Independent Verlagen etwa im Lancieren der Hotlist.564 In der Vorgehensweise stark an internetbasierten Abläufen orientiert und kraft des Labels „Independent“ sind junge, kapitalschwache Independent Verlage da einen eigenen Weg abseits zementierter Bahnen im Feld gegangen, um genau dorthin zu gelangen, wo die „Orthodoxie“ ihre Bühne hat. Neben der verhältnismäßig großen Aufmerksamkeit des Bruchs mit deren Doxa gelangte dieser nicht zuletzt auch zur Konsekration:565 im Feld etablierte, kapitalstarke Kooperationspartner, die 560 Vgl. Kapitel 2.1.3. 561 Die arrivierte Avantgarde entspricht der Orthodoxie. 562 Mit der Doxa beschreibt Bourdieu die „Ordnung“ bzw. das Klassifikationssystem oder die Produktionsprinzipien einer „Gruppe“ bzw. eines Pols. Vgl. Bourdieu, 1982, S. 748f. 563 Bourdieu, 1997, S. 87. 564 Vgl. Kapitel 3.2.8.4. 565 Mit „Konsekration“ beschreibt Bourdieu Akte öffentlicher Anerkennung und damit Etablierung im Feld. Vgl. auch Kapitel 3.2.3.2, 3.2.6.5 und 3.2.10.4.

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Buchhandelsketten Mayersche und Orell Füssli, sponserten den Preis. Im Jahr darauf wurde er bereits auf solidere Beine gestellt und ist seither im öffentlichen literarischen Geschehen etabliert. Die Independent Verlage haben damit vorgeführt, wie aus einem Marketing-Gag ein anerkannter und seriöser Preis werden kann. Und damit auch, wie eigenes Handeln Effekte auf die Struktur haben kann, vor allem im Verbund: So sind Beziehungen zwischen Akteuren weniger deshalb interessant, weil Akteure sich wechselseitig Ressourcen zur Verfügung stellen, sondern aufgrund ihres Charakters als Kapital, d. h. aufgrund ihrer Fähigkeit, auf die soziale Praxis einzuwirken, sprich bestimmte Handlungsweisen zu ermöglichen, zu erleichtern oder einzuschränken und damit die gesellschaftliche Reproduktion zu beeinflussen. [. . .] Beziehungen werden dann zu einem Kapital, wenn sie in einem Feld zu Strukturen führen, an denen sich wiederum die soziale Praxis orientiert und so die Strukturen bestätigt.566

3.2.10.5 Transformation durch soziale Praxis: Soziales Kapital als strukturbildende Kraft Sind Beziehungen – wie etwa jene freundschaftlich-kollegialen, die die einzelnen Independent Verlage verbinden – einmal etabliert, können sie als soziales Kapital wiederum auf die Praxis zurückwirken und den Mangel an spezifischem ökonomischem Kapital gemeinsam im Verbund kompensieren. Independent Verlage, und hier insbesondere jene der porträtierten Beispiele, haben gemeinsam dieses soziale Kapital ihrer freundschaftlich-kollegialen Verbindungen nutzbar gemacht: Das Sozialkapital ist die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind; oder, anders ausgedrückt, es handelt sich dabei um Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen.567

Nebenbei erklärt dies übrigens auch, um beim Beispiel der Hotlist zu bleiben, was es mit der Schwierigkeit der Definition des „Independent Verlages“ bzw. dem Lamento strukturähnlicher Verlage, dass immer dieselben unter dem Begriff

566 Albrecht, Steffen: Netzwerke als Kapital. Zur unterschätzten Bedeutung des sozialen Kapitals für die gesellschaftliche Reproduktion. In: Ebrecht, Jörg/Hillebrandt, Frank (Hg.): Bourdieus Theorie der Praxis: Erklärungskraft – Anwendung – Perspektiven. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2002, S. 199–224, S. 209. 567 Bourdieu, 1983, S. 190 f.

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genannt werden, in der Praxis auf sich hat:568 „Akteure, die nicht in diese Netzwerke unter Kollegen eingebunden sind, nehmen periphere Positionen im Feld ein.“569 Man profitiert nämlich auch symbolisch von der Zugehörigkeit – Repräsentanten der Gruppe kommt mehr Gruppen-Sozialkapital zu als anderen Mitgliedern.570 Doch Definitionen sind auch nicht das wesentlich Interessante im Zusammenhang mit Independent Verlagen und ihrem Auftreten. Vielmehr ist es das Strukturierungsprinzip, das kraft des Labels zutage getreten ist und sein Potenzial aufgezeigt hat. Diese Gruppe, deren Ränder also fließend sind, hat mit diversen gemeinsamen Aktionen ihre Wirkmacht im Feld bewiesen. Die Avantgarde ist zum Player geworden, und das einmal mehr in einer Position, die eine zentrale Schnittstelle zwischen den Polen in diesem Feld markiert: Einerseits im Feld etabliert, andererseits aber auch relativ im Konzept des „l’art pour l’art“ verankert – „jener besonderen Art, Kunst zu erleben, die in einer Lebensart, einer Lebenskunst wurzelt“.571 Die Bedeutsamkeit des sozialen Kapitals für Literatur im vom ökonomischen Kapital geprägten Umfeld wird in diesem Zusammenhang – Verlegen als Teil einer Lebensart und dabei auch das Schaffen von Synergien und Kooperationen – im Entwickeln von Alternativkonzepten evident: Durch den latenten Charakter der Verpflichtungen und die Unmöglichkeit, einen Wert für diese anzugeben, bildet das soziale Kapital eine spezifische Handlungslogik aus, die sich grundlegend vom ökonomischen Kalkül unterscheidet.572

Im Fall der untersuchten Gruppe von Independent Verlegerinnen und Verlegern und ihrer Verortung in Zeit und Raum treffen also eine Reihe von Umständen aufeinander, die einerseits die Klassifikation als Avantgarde erlauben, die aber auch, und dem gilt an dieser Stelle das eigentliche Interesse, Möglichkeiten und Potenziale aufzeigen, auf neue Weise im Feld zu agieren und damit umgekehrt auch bestehende Strukturen Veränderungen zu unterziehen – wo der Habitus also nicht (nur) als „opus operatum“ auftritt, d. h. auf sozioökonomische

568 Insbesondere als der Hotlist-Preis erstmals vergeben wurde, kam es u.a. seitens anderer strukturähnlicher Verlage zu Kritik an der Eigenermächtigung der an der Initiative beteiligten Independent-Verlage, das Label für sich zu reklamieren. Vgl. u. a.: Sander, Klaus: Offener Brief: „Eure ‚Hotlist‘ ist eine Farce“. In: boersenblatt.net vom 4.9.2009: http://www.boersenblatt. net/337793/. Stand: 14.7.2015. Vgl. auch Kapitel 3.2.8.4 und 3.2.10.4. 569 Albrecht, 2002, S. 219. 570 Vgl. ebd., S. 205. 571 Bourdieu, 1999, S. 218 f. 572 Albrecht, 2002, S. 207.

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 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

Strukturen reagierend, sondern vor allen Dingen als „modus operandi“ in Kraft tritt, in seiner strukturierenden Weise, und damit eine neue Praxis etabliert. Insbesondere soziales Kapital fungiert dabei in seiner Funktion als strukturbildende Kraft durch die soziale Praxis.573 Das Strukturierungsprinzip erhält gerade in der „besonderen historischen Situation“, die mithin auch das Aufbrechen der Strukturen bedeutet, Relevanz. Denn vergessen wir nicht: Es ist nicht zuletzt auch das Kerngeschäft – die Literatur selbst –, von dem man sich mit der Praxis hin zur reinen Ökonomie und Masse und der Beschleunigung des Prozesses an den Polen entfernt. Eine Lücke, der mit Filter und Forum begegnet werden kann, den Erfolgsfaktoren des Sozialkapitals: Das formelle Sozialkapital ist – gemeinsam mit dem ökonomischen – diejenige grundlegende Kapitalart, die die Erfolgsdimension als wesentliches Unterscheidungsprinzip des Feldes bestimmt. Dabei tendieren die Akteure mit viel sozialem Kapital eher zur literarisch definierten Seite des Erfolgs, also zum kulturellen Pol des Feldes, als zum [sic!] ökonomischen.574

Bei allen Independent Verlagen ist das soziale Umfeld maßgeblich, in so gut wie allen Fällen sogar in der Gründungsfrage mitentscheidend. Weitergeführt wird die soziale Einbindung mit der Lebenswelt der einzelnen Verlage schließlich im Verbund mit anderen gleichen Unternehmen. Das schafft nicht nur Synergien und Möglichkeiten zur Kooperation, sondern auch Vertrauen und Glaubwürdigkeit – im Gegensatz zur Auffassung der anderen als Konkurrenten. Die Szene bietet ein Forum zum Austausch von Erfahrungen. Independent Verlage bieten damit auch Erlebniswelten, die auf mehreren Ebenen funktionieren und nicht konstruiert sind. Das Persönliche spielt dabei eine zentrale Rolle. Der größte Erfolgsfaktor dieser Verlage zeichnet sich in ihrer natürlichen Herangehensweise ab, die Teil eines Lebensentwurfs ist – und damit mehr als ein Job: Es ist die daraus resultierende Authentizität, die sich sowohl in der Herangehensweise als auch in der Thematik selbst zeigt, so wie sie sich auch in den Inhalten offenbart. Diese Authentizität erlaubt umgekehrt auch, die Sehnsucht zu bedienen, die zunehmend auf diesem Markt entstanden ist, wo der Preis, die Masse, die Schnelligkeit, die Selbstdarstellung des Einzelnen alles bestimmt. Mit dem regulären

573 Vgl. Bourdieu, 2002, S. 210. 574 Ebd., 2002, S. 218.

3.2 Gemeinsamkeiten von Individualistinnen und Individualisten 

 221

Teilnehmen am Buchmarkt und da auch mit Auszeichnungen bedacht, bringen sie alles mit, was sie auf dem Feld der Ökonomie als vollwertige Mitglieder auszeichnet, aber in ihrer spezifischen Herangehensweise auch, um etwas Neues im Feld zu etablieren, das der Masse qualitätsvolle Individualität entgegenhält, in gleichzeitiger Abgrenzung zu ungefilterter Selbstverwirklichung, die die Öffnung des Marktes ebenfalls mit sich gebracht hat.575 Mit dieser Antwort auf Flut und Beliebigkeit sind aber auch die verlegerischen Grundfunktionen in Neuüberarbeitung und -adaption gefunden, die sich in der Praxis von Independent Verlagen zeigen: Filter und Forum im veränderten alten und im neuen Medienumfeld zu bieten. Das ist das, was gerade in den Tendenzen der beiden Pole – hin zu Konzentration einerseits und zu Individualisierung andererseits – den Unterschied ausmacht: In der dringlichen Frage nach den verlegerischen Grundfunktionen im neuen Umfeld bewirkt der Habitus von Independent Verlagen eine Praxis, die auf die Struktur Einfluss nimmt, indem sie so unvermittelt Antworten darauf gibt. Denn wie bereits ausgeführt ist der Habitus zum einen „opus operatum“ und folgt damit einem Erzeugungsprinzip von Praxisformen; gleichzeitig wirkt er, im „modus operandi“, auf die Struktur ein und fungiert damit auch als Klassifikationssystem, welches die Unterscheidung und Bewertung der Formen und Produkte leistet. Das ist die Verantwortung, der es nachzukommen gilt – durch im Feld bestätigte Vorgehensweisen, neue Standards zu setzen: Die zu gesamtgesellschaftlicher Anerkennung gelangten Klassifikationsurteile lassen sich aus den Vorgaben eines Lebensstils ableiten, dem es gelungen ist, den Kampf der Klassen für sich zu entscheiden.576

Die Diskussion darum, wer sich „Independent“ nennt, wird damit obsolet – weil die Definition letztlich nur mehr durch den Habitus selbst erfolgen kann. „Independent“ als Referenz auf seine Umgebung kann unter den aktuellen Umständen nur mehr in authentischem Handeln gegeben sein577 – einmal mehr in einer Umgebung, in der alles vermarktet und damit auch irreführend bezeichnet wird, in eben der Unterordnung unter die Vermarktung, die sich über alles andere stellt und eben auch die Sehnsucht evoziert nach Authentizität und Qualität. Interessant ist demnach weniger die Definitionsfrage als

575 Vgl. Kapitel 3.2.10.1. 576 Schilcher, 2001, S. 14. 577 Vgl. Kapitel 3.2.1.4.

222 

 3 Einblicke: Arbeitswelten und Herangehensweisen als Charakteristika

vielmehr die strukturbildende Kraft, die in der Bezeichnung „Independent“ in Erscheinung tritt. Das so benannte Phänomen ist ganz von sozialem Kapital getragen, das sich im Handeln allein zeigt. Independent Verlage haben damit das Potenzial, die Kompetenz und auch die Macht und Verantwortung, die verlegerischen Grundfunktionen im Feld in Erinnerung zu rufen und dabei neu anzupassen – neue Qualitätsstandards zu etablieren, unter Vermittlung zwischen den beiden Polen.

4 Independent Verlage im Porträt 4.1 Blumenbar (Berlin/D, erstes Buch: 2002)

Abb. 4.1: Logo Blumenbar (Abb.: Blumenbar).

Berichte und Porträts über den Blumenbar Verlag gibt es verhältnismäßig viele. Von Beginn an wussten die Macher von Blumenbar, Lars Birken-Bertsch und Wolfgang Farkas, das Projekt in Szene zu setzen wie sonst kaum ein Verlag in dieser Größenordnung. Schon der erste öffentliche Auftritt mit dem ersten und zu dem Zeitpunkt einzigen Buch des Verlages sorgte für Aufmerksamkeit: Mit dem Titel, Memomat von FX Karl, und einer Waschmaschine, die aus dem Siemens-Museum geliehen worden war präsentierte sich Blumenbar 2002 erstmals auf der Frankfurter Buchmesse. Bereits kurz nach der Gründung erhält Blumenbar den BuchMarkt Award 2003. Aus 110 eingereichten Projekten geht die Neugründung als Gold-Gewinner in der Rubrik „Integrierte Markenkommunikation“ für seinen Gesamtauftritt hervor; die Jury hatte einstimmig gewählt und „[. . .] vor allem, dass die Blumenbar eine unverkennbar eigene Handschrift vorführt und wieder einmal beweist, dass auch in der Werbung nie Dagewesenes noch möglich ist“,1 für auszeichnungswürdig befunden. Marketing, Pressearbeit und der Gesamtauftritt des Verlages sowie die Inszenierung der Bücher zählen zu den größten Stärken von Blumenbar. Auch Kolleginnen und Kollegen sind beeindruckt, wie etwa Voland & Quist: Ein Blumenbar-Buch ist immer auf den ersten Blick von anderen zu unterscheiden und sowohl ästhetisch als auch handwerklich sehr sorgfältig gearbeitet. Bücher von Blumenbar nimmt man einfach gern in die Hand.2

1 Homepage Buchmarkt-College: BuchMarkt Award 2003: http://www.buchmarkt-college.de/ downloads/aw_2003.pdf. Stand: 22.7.2015. 2 Fritzsche, Kerstin: „Die mit der CD“: Voland & Quist macht in Dresden und Leipzig „LiveLiteratur“. Interview mit Sebastian Wolter. In: Goethe-Institut, Januar 2007: http://www.goethe. de/kue/lit/dos/uav/vqu/de2022589.htm. Stand: 5.8.2011. Anmerkung: Für das folgende Porträt stammen die Informationen, falls nicht anders ausgewiesen, aus dem Interview mit dem Verleger Wolfgang Farkas vom 21.5.2010.

224 

 4 Independent Verlage im Porträt

Abb. 4.2: Blumenbar Salon in der Münchener Blumenstraße 2003 (Foto: privat).

Eine Reihe von Events, auf denen Independent Verlage sich gemeinsam präsentieren, geht auf Blumenbar als Initiator zurück – etwa die Hotlist oder die Party der jungen Verlage. Von Beginn an spielten Veranstaltungen eine zentrale Rolle. Es gab sie, bevor es den Verlag gab. Nachdem die beiden Verleger Mitte der 1990er zusammen eine Wohngemeinschaft gegründet hatten, veranstalteten sie in ihrer Wohnung immer wieder Partys und literarische Abende bzw. eine Kombination aus beidem.3 Das Prinzip setzte sich von den üblichen Lesungen sowie von den gerade in München aufkommenden Poetry Slams ab. Die Partys schufen eine besondere Atmosphäre und eine neue Form der Zusammenkunft, und damit vor allem auch einen neuen Raum und Angelpunkt für Literatur. Das Prinzip hatte Erfolg, ausreichend Platz bot die Wohnung nur in den Anfängen, später musste man in Cafés und Bars ausweichen. Auf einer dieser Veranstaltungen fand sich nicht nur der erste Roman – Memomat von FX Karl, einem Bewohner desselben Hauses in der Münchner Blumenstraße 3 –, es fanden sich auch der Name des später dafür gegründeten Verlags, der eines Morgen an der Wand stand, und zu einem großen Teil auch die erforderlichen Mittel. Finanziert wurde das erste Buchprojekt von den beiden WG-Kollegen und nunmehr Verlegern Lars Birken-Bertsch und Wolfgang Farkas, 3 Vgl. N.N.: Meine wunderbare Blumenbar. In: buchreport.de vom 1.11.2002: http://www. buchreport.de/nachrichten/nachrichten_detail/datum/2002/11/01/meine-wunderbare-blumenbar. htm?no_cache=1&cHash=0a621bf4e21ed79fdf987da5f93ddd1a. Stand: 24.7.2015.

4.1 Blumenbar 

 225

vor allem aber durch eine Art Clubbeitrag von den Partygästen – 300 Lesebegeisterte zahlten ein. Das Prinzip wurde im Verlag später weiter angeboten. Für 50 Euro jährlich erhielten Mitglieder einen nummerierten Blumenbar-Schlüsselanhänger. Unter Lee Hazelwoods poetischem Motto „Sooner or later we all make the little flowers grow“ konnte man damit die Arbeit des Verlages unterstützen, erhielt im Gegenzug regelmäßig aktuelle Informationen aus dem Verlag sowie freien oder ermäßigten Eintritt für alle Veranstaltungen von Blumenbar.4 Dafür gab es eine Reihe von Gelegenheiten, vor allem auch solche, die über die üblichen Buchpräsentationen von Neuerscheinungen hinausgingen. Die bei Blumenbar „Book Release Party“ genannten Veranstaltungen wurden um weitere Events unterschiedlichster, oft ungewöhnlicher Art ergänzt. Etwa Konzerte des Autors und Musikers PeterLicht oder Veranstaltungen rund um die Buchmessen. 2009 fanden diese in Leipzig in einer temporären Kommune statt, in die die Verlagsbelegschaft mit Autor und Kommune-I-Bewohner Rainer Langhans anlässlich der Messe bzw. Langhans’ kurz zuvor erschienenen Buches Ich bin’s – die ersten 68 Jahre gezogen war. Oder eine Abschiedsfeier für den Autor Airen, von dem – wie auch bei PeterLicht – weder bürgerlicher Name noch Bilder öffentlich bekannt sind. Bevor dieser im Sommer 2010 nach Mexiko übersiedelte, hatte der Verlag im Eiltempo ein Buch mit ihm verlegt. Der bis dahin als Blogger bekannte Airen war ins Rampenlicht geraten, nachdem sich herausgestellt hatte, dass Helene Hegemann für ihren Roman Axolotl Roadkill aus seinem Blog abgeschrieben hatte. Der Bestseller-Roman hatte schon vorab großes Aufsehen erregt; Hegemann, die 17-jährige Autorin, erfuhr dafür starke, überwiegend begeisterte Resonanz in der Literaturkritik. Die folgende Plagiatsdebatte macht sie und ihr Werk vollends und über Wochen zum medienwirksamen Thema.5 Eines, das der Blumenbar Verlag aufgriff, indem man den Blogger bzw. seinen ersten Roman verlegte; aufgrund der Aktualität innerhalb eines Zeitraums, der in der Buchbranche als unmöglich galt. Zwischen dem Kennenlernen von Autor und Verlag und der Auslieferung des Buches lag eine Woche.6 Der Verlag ist bekannt dafür, brandaktuelle Geschehnisse aufzugreifen, um daraus Bücher zu machen oder diese zu inszenieren. Kurz nach dem Erscheinen

4 Vgl. Homepage Blumenbar (alte Seite): http://www.blumenbar.de/. Stand: 21.9.2011. 5 Vgl. u. a.: Schmitz, Thorsten: Der Schattenmann. Skandal um Hegemanns Plagiat. In: sueddeutsche.de vom 17.5.2010: http://www.sueddeutsche.de/kultur/skandal-um-hegemannsplagiat-der-schattenmann-1.61849. Stand: 16.7.2015; Kilb, Andreas: Plagiatsdebatte „Axolotl“: Sie zitiert Airen, und er zitiert Benn und Burroughs. In: faz.net vom 9.2.2010: http://www. faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/plagiatsdebatte-axolotl-sie-zitiert-airen-und-erzitiert-benn-und-burroughs-1938348.html. Stand: 16.7.2015. 6 N.N.: Blumenbar Verlag: Airen mit neuem Buch. In: boersenblatt.net vom 26.2.2010: http:// www.boersenblatt.net/367524/. Stand: 16.7.2015.

226 

 4 Independent Verlage im Porträt

von Olaf Kraemers Roman Ende einer Nacht, der die letzten Stunden von Romy Schneider zum Inhalt hat, kommt es zur einstweiligen Verfügung. Einige Passagen beschreiben eine Nähe von Schneiders Mutter Magda zu Adolf Hitler und zum Nazi-Regime, durch die sich der Witwer Magda Schneiders zur Strafanzeige wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener veranlasst sah. Der Roman durfte vorerst nur in einer geschwärzten Fassung verbreitet werden – das Buch wurde mit einem Aufkleber versehen: „Collector’s Edition. Einstweilige Verfügung: 152 Wörter weniger.“ Auf der Homepage des Verlages fand sich in der Präsentation des Buchtitels neben den üblichen Informationen bis Mitte Oktober 2009 noch der Hinweis auf die Gerichtsverhandlung, nicht zuletzt darauf, dass es sich dabei um eine öffentliche handle, die von jedem besucht werden könne.7 Danach wurden Informationen über den Ausgang der Verhandlung online gestellt: Im Urteil vom 15.10.2009 wurde der Berufung des Blumenbar Verlages gegen die einstweilige Verfügung stattgegeben und damit „der Kunstfreiheit Vorrang vor dem postmortalen Persönlichkeitsrecht“8 der Verstorbenen gewährt. Als 2010 das Buch Deutschland schafft sich ab erschien, in dem Thilo Sarrazin provokante Thesen, vor allem zur Migrationspolitik, darlegte, entbrannte bis über die Grenzen Deutschlands hinaus eine lange andauernde Debatte.9 Als SPD-Mitglied und Finanzsenator hatte Sarrazin in seinem Buch fremdenfeindlichen Vorurteilen eine etablierte Stimme verliehen. Enthaltene Thesen wie jene, dass muslimische Einwandererfamilien überproportional von Sozialleistungen profitierten und keinen Beitrag zum Wohlstand leisteten, wollte man im Blumenbar Verlag nicht als Integrationskritik beschönigt wissen. Als „Gegengift und Pflichtlektüre“ versammelte man für das Buch Manifest der vielen dreißig profilierte Autorinnen und Autoren – unter anderem Feridun Zaimoglu, Deniz Utlu, Ilija Trojanow und Hatice Akyün. Sie schreiben darin über ihr Leben in Deutschland, Heimat und Identität, als Muslim oder Nicht-Muslim. Im Programm von Blumenbar finden sich Bücher, die auf den ersten Blick auf eine heterogene Autorenschaft schließen lassen. Viele wurden ins Deutsche übersetzt, teilweise vom Verleger, Wolfgang Farkas, selbst, so wie etwa der Bestseller des Verlags, Buch der Sehnsüchte von Leonard Cohen. Der steht bei Blumenbar neben der Ausnahmekünstlerin Tracey Enim, dem norwegischen Schockautor

7 Homepage Blumenbar (alte Seite): Olaf Kraemer, Ende einer Nacht. Die letzten Stunden von Romy Schneider: http://www.blumenbar.de/. Stand: 16.10.2009. 8 N.N.: Gericht erlaubt Nazi-Anspielungen in Romy-Roman. Spiegel Online 15.10.2009, http:// www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,655386,00.html. Stand: 16.7.2015. 9 Vgl. u. a.: Lehming, Malte: Kritik von der UN. Thilo Sarrazin und der Rassismus. In: tagesspiegel.de vom 19.4.2013: http://www.tagesspiegel.de/meinung/kritik-von-den-un-thilo-sarrazinund-der-rassismus/8088826.html. Stand: 16.7.2015.

4.1 Blumenbar 

 227

Matias Faldbakken, der Beatles-Ikone John Lennon, dem befreundeten Münchner DJ Mirko Hecktor oder dem journalistischen Täuschungsprofi Tom Kummer, der in den 1990er-Jahren namhafte Zeitungen und deren Publikum mit gefälschten Interviews von Prominenten hinters Licht führte. Was Blumenbar-Autorinnen und -Autoren eint, ist, dass diese mit dem klassischen Bild einer Schriftstellerin bzw. eines Schriftstellers wenig gemein haben. Das literarische Schreiben macht vielmehr einen Teil von deren Leben aus, in vielen Fällen sind es bildende Künstlerinnen und Künstler, die ihrem Schaffen, bei Blumenbar verlegt, eine weitere Ausdrucksform hinzufügen – es sind „Grenzgänger zwischen den Genres“.10 Auf dem schmalen Grat zwischen Ökonomie und Ästhetik waren auch die Verleger von Beginn an Grenzgänger. Als typische Independent Verleger sah man in der Finanzierbarkeit der Projekte eine Herausforderung, die man umgekehrt nicht im Widerspruch zu Unabhängigkeit und Handlungsspielraum verstehen wollte. Die Kapitalbeschaffung für das erste Buch über die Community ist eine Erfolgsgeschichte alternativer Finanzierung, die vom Start weg auch am innovativen Image des Verlags mitformte. 2007, fünf Jahre nach der Gründung des Verlages, beteiligte sich der Frankfurter Unternehmer und Anwalt Dr. Peter Smeets über seine Firma Constantin + Bastian Venture Capital GmbH als Minderheitsgesellschafter bei Blumenbar.11 Von Kolleginnen und Kollegen wurde der Entwicklungsschritt teilweise kritisch aufgenommen, mit Unabhängigkeit schien er schlicht unvereinbar. Im Verlag sah man das genau umgekehrt. Das Ziel der Partnerschaft sei vielmehr die finanzielle Absicherung der verlegerischen Unabhängigkeit, die „zu 100 Prozent“12 erhalten bliebe; das Geld ermögliche eine stärkere Professionalisierung der Arbeit bzw. den Ausbau des Programms – neben Literatur auch Sachbuch – und der Personalstruktur. Auf der Startseite des Verlags wurden kurz darauf dann auch neun Gesichter präsentiert. Stellen für Presse und Vertrieb wurden geschaffen, eine weitere im Lektorat, wo Wolfang Farkas bisher alleine tätig war, und auch eine Auszubildende kam neu in das Team. Chrish Klose, die von Beginn an die auffälligen Cover mit großflächig eingesetzten Farben und grafischen Formen und das unverwechselbare Corporate Design für den Verlag gestaltete, war auch zu sehen, arbeitete aber selbstständig für Blumenbar weiter. Neben dem Investor Dr. Peter Smeets wurde mit Dr. Bernhard von Guretzky

10 Niasseri, Sassan/Zwirner, Heiko: „Uns interessieren die Grenzbereiche“. Interview mit Wolfgang Farkas und Hendrik Rohlf. In: tip 25/2009, S. 14–17, S. 15. 11 N.N.: Independent-Verlag baut Programm aus. Blumenbar mit Investor. In: boersenblatt.net vom 23.11.2007: http://www.boersenblatt.net/174103/. Stand: 16.7.2015. 12 Heimann, 2010.

228 

 4 Independent Verlage im Porträt

auch ein kaufmännischer Geschäftsführer präsentiert.13 Aufgebaut wurden auch Kooperationen mit den Kammerspielen und dem Kunstverein München.14 Zwei Jahre später ist bei Blumenbar erneut alles in Veränderung begriffen. Anfang 2010 trennt sich das Verlegerduo; Lars Birken-Bertsch nimmt freiwillig Abschied, bleibt dem Verlag als Teilhaber und Gründungskommanditist aber verbunden. Wolfgang Farkas leitet den Verlag fortan alleine. Personell deutlich geschrumpft, zieht der Verlag von München nach Berlin.15 Eine Vertriebskooperation mit dem Berlin Verlag war das ausschlaggebende Moment – „ein überlebenswichtiger Schritt. Man kann noch so tolle Bücher produzieren – wenn die Präsenz im Handel nicht stark genug ist, funktioniert auf Dauer kein Verlag“,16 erklärt Farkas im Berliner Stadtmagazin tip, das anlässlich des Umzugs von Blumenbar ein mehrseitiges Interview mit Wolfgang Farkas und dem Lektor Hendrik Rohlf abdruckt. Weitaus größere Aufmerksamkeit spielt im Gespräch jedoch der literarische Nachtclub Hardcover, den Blumenbar mit seiner Ankunft in Berlin startet. Blumenbar will als Label für zeitgemäße Bücher sowie für kulturelle Events verstanden werden. Und so nimmt das, was sich in München über die Jahre als feste Marke, nicht zuletzt im Bereich Veranstaltungen und Nightlife, etablieren konnte, in Berlin seine Fortsetzung. Waren organisierte Lesungen, Konzerte und Clubabende an wechselnden Orten in München stets fester Bestandteil des Verlagsprogramms, will man mit Hardcover nun eine feste Veranstaltungsreihe in größerem Rahmen organisieren. Und auch in München meldet sich Blumenbar kurz nach dem Umzug als Club zurück – mit großer positiver Resonanz vom Szenepublikum der Stadt.17 Die neue Verlagsadresse in Berlin ist ein Büro in der Klosterstraße 44 – im ehemaligen Fernmeldeamt Ost-Berlins. Dort befinden sich auch der WMF-Club, Künstlerateliers sowie ein Saal für Theater- und Konzertveranstaltungen.18 Neben Wolfgang Farkas beziehen der Lektor Hendrik Rohlf, Henriette Gallus für die Pressearbeit und Vertriebsfrau Nike Rasche die neuen Räume. Jedoch nur für kurze Zeit. Zwei Jahr später zieht der Verlag erneut um, mit nochmals verkleinertem Team, bestehend aus Farkas und Rohlf, in das Aufbauhaus, ein neu eröffnetes 13 Vgl. Homepage Blumenbar (alte Seite): http://www.blumenbar.de/buch.php?id=92. Stand: 29.9.2008. 14 N.N.: CLAUS zu Gast bei Blumebar. In: Homepage Börsenverein Bayern s.t.: http://www. boersenverein-bayern.de/de/287228. Stand: 16.7.2015. 15 N.N.: Blumenbar zieht nach Berlin. In: boersenblatt.net vom 19.8.2009: http://www. boersenblatt.net/333937/. Stand: 16.7.2015. 16 Wolfgang Farkas, zitiert in: Niasseri, 2009, S. 15. 17 Sonnabend, Lisa: Auffallen ist Standard. In: Süddeutsche.de vom 3.3.2011: http://www. sueddeutsche.de/muenchen/blumenbar-auffallen-ist-standard-1.1061986. Stand: 16.7.2015. 18 N.N.: Berlin: Lieblingsort der Verlage. In: tagesspiegel.de vom 25.8.2009: http://www.tagesspiegel. de/kultur/blumenbar-verlag-berlin-lieblingsort-der-verlage/1587274.html. Stand: 16.7.2015.

4.1 Blumenbar 

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Abb. 4.3: Blumenbar Verlag in der Berliner Klosterstraße 2010 (Foto: privat).

Kreativzentrum in Berlin-Kreuzberg.19 Neben Büros für Kulturschaffende finden sich dort auch etwa ein Geschäft für Künstlerbedarf, eine Buchhandlung und der Aufbau Verlag. Im Keller des Gebäudes eröffnet kurz nach dem Umzug der Prince Charles Club, ein neues Projekt von Blumenbar. „Book Release Party“ findet jedoch nur eine statt. Um den Verlag wird es ruhig, Programm erscheint kaum mehr. 2011 ist Blumenbar auch nicht auf der Frankfurter Buchmesse vertreten. Auf der folgenden Leipziger Buchmesse 2012 hat Blumenbar keinen Stand, jedoch gibt es am ersten Messetag eine Pressemitteilung aus dem Verlag, die gemeinsam mit dem Aufbau Verlag verschickt worden ist – dieser hat den Verlag übernommen: Der Blumenbar Verlag wird knapp zehn Jahre nach Gründung neu positioniert und als Label für Literatur und Events unter dem Dach des Aufbau Verlags weitergeführt. Wolfgang Farkas, 44, bisheriger Verlagsleiter, ist ab sofort beratend für Blumenbar wie auch für andere Verlage bei Aufbau in den Bereichen Programm und Veranstaltungen tätig. Die verlegerische Verantwortung übernimmt Aufbau-Geschäftsführer René Strien. Das erste neue Programm erscheint im Frühjahr 2013.20

19 Homepage Aufbauhaus: http://www.aufbauhaus.de/. Stand: 16.7.2015. 20 Homepage Blumenbar (alte Seite): Gemeinsame Pressemitteilung von Blumenbar und Aufbau vom 15.3.2012: http://www.blumenbar.de/. Stand: 22.3.2012.

230 

 4 Independent Verlage im Porträt

„Es war nicht unser Wunsch zu verkaufen“, kommentiert Wolfgang Farkas die Meldung, aber „die finanziellen Ressourcen waren die ganzen Jahre über – trotz einiger Verkaufserfolge – sehr dünn gewesen.“21 65 Titel waren während des zehnjährigen Bestehens des Verlages entstanden. Bei Aufbau wollte man mit Blumenbar als Imprint eine Schiene für junge deutsche Gegenwartsliteratur etablieren. „Mit Blumenbar möchte man sich jetzt ein bisschen verjüngen, für frischen Wind sorgen“,22 schrieb die Süddeutsche Zeitung über den Kauf. Die beiden Gründer von Blumenbar hat Aufbau dafür im Haus: Lars Birken-Bertsch hat dort 2011 stellvertretend die Werbeleitung übernommen.23 Und ein Jahr später die Marketingleitung des Metrolit Verlages, der neu aus der Aufbau Verlagsgruppe heraus gegründet wurde.24 Mit im Programm von Metrolit ist auch Walde + Graf. Der Schweizer Independent Verlag ist kurz davor von Aufbau übernommen worden. In einem Kommentar von Sabine Cronau las man darüber im Börsenblatt: „Ein Verlag wie Walde + Graf, der seine Energie in sehr besondere Bücher gesteckt hat, eignet sich auch oder gerade in Zeiten wie diesen als Schmuckstück am Revers einer Verlagsgruppe, die weiter wachsen will – und explizit die hippen (digitalisierten) Städter in den Blick nimmt.“25 Mit dem Bildband Nachtleben Berlin – 1974 bis heute dürfte man diese Zielgruppe erreichen. Es ist eines der ersten Bücher, das bei Metrolit veröffentlicht wird, und gleichzeitig scheint es, als würde sich mit dem „authentischen Portrait der Welthauptstadt des Nachtlebens“26 auch ein Kreis schließen – das umfassende Buchprojekt ist gemeinsam mit zwei weiteren Herausgebern, Stefanie Seidl und Heiko Zwirner, von Wolfgang Farkas realisiert worden. Aufbau Verlag GmbH & Co. KG Blumenbar Verlag GmbH & Co. KG Prinzenstraße 85F 10969 Berlin Deutschland http://www.blumenbar.de/

21 Wolfgang Farkas, zitiert in: N.N.: Aufbau kauft Blumenbar. In: boersenblatt.net vom 27.6.2012: http://www.boersenblatt.net/522274/. Stand: 16.7.2015. 22 Schmitz, Thorsten: Sag mir, wo die Blumen sind. In: Süddeutsche Zeitung vom 15.3.2012, S.3. 23 N.N.: Lars Birken-Bertsch neuer Werbeleiter. In: boersenblatt.net vom 27.6.2011: http://www. boersenblatt.net/447955/. Stand: 16.7.2015. 24 N.N.: Aufbau schickt Metrolit Verlag an den Start. In: buchmarkt.de vom 7.5.2012: http:// www.buchmarkt.de/content/51001-aufbau-haus-schickt-metrolit-verlag-an-den-start-peter-grafstartet-applaus-neu-in-zuerich.htm. Stand: 16.7.2015. 25 Cronau, Sabine: Verlage in Gründerlaune. In: boersenblatt.net vom9.5.2012: http://www. boersenblatt.net/528734/?t=newsletter. Stand: 16.7.2015. 26 Homepage Metrolit Verlag: Nachtleben Berlin – 1974 bis heute: http://www.metrolit.de/ programm/sachbuch/nachtleben-berlin—1974-bis-heute. Stand: 16.7.2015.

4.1 Blumenbar 

 231

Abb. 4.4: Blumenbar Verleger Wolfgang Farkas mit Autorin Erin Cosgrove 2004 (Foto: privat).

Abb. 4.5: Tracey Emin, Strangeland. Blumenbar 2009 (Cover: Blumenbar).

Abb. 4.6: Leonard Cohen, Buch der Sehnsüchte. Blumenbar 2008 (Cover: Blumenbar).

232 

 4 Independent Verlage im Porträt

Abb. 4.7: Olaf Kraemer, Ende der Nacht. Blumenbar 2008 (Cover: Blumenbar).

Abb. 4.8: Hilal Sezgin, Manifest der Vielen: Deutschland erfindet sich neu. Blumenbar 2011 (Cover: Blumenbar).

4.2 kookbooks (Berlin/D, erstes Buch: 2003)

Abb. 4.9: Logo kookbooks (Abb.: kookbooks).

„Poesie als Lebensform“ lautete der Claim, mit dem kookbooks in die Literaturlandschaft startete. Verlagssitz oder „Labor“, wie die Verlegerin es nennt, ist ihre Wohnung in Berlin, wo sich Bücher finden, wo auch immer das Auge hinblickt. Die von kookbooks entstehen auch hier. In Zusammenarbeit mit dem Künstler Andreas Töpfer erhalten diese ihr unverkennbares Erscheinungsbild. Bücher betrachtet Daniela Seel als Kunstwerke – „Sie ist wahrlich eine ‚möglich Macherin‘ Anmerkung: Für das folgende Porträt stammen die Informationen, falls nicht anders ausgewiesen, aus dem Interview mit der Verlegerin Daniela Seel vom 17.5.2010.

4.2 kookbooks 

 233

[sic!] zeitgenössischer Lyrik“,27 würdigt die Jury des Friedrich-Hölderlin-Preises 2011 die verlegerische Tätigkeit Daniela Seels. Allerdings nur als abschließende Randnotiz. Denn den Förderpreis erhielt Daniela Seel für ihren ersten Gedichtband, ich kann diese stelle nicht wiederfinden. Acht Jahre nach Gründung des Verlages steuerte sie selbst Inhalt zum Programm ihres Verlages bei – der auf breites Medienecho und große Begeisterung in der Öffentlichkeit stieß.28 Von der Jury als „Geheimtipp der jüngeren Lyrik“ bezeichnet, stand sie mit den Autoren Alexander Gumz, Mathias Traxler und Rick Reuther im April 2011 erstmals auch als Lyrikerin auf der Bühne des Dock 11 in Berlin-Prenzlauer Berg, um dort gemeinsam Buchpremieren zu feiern – als „Text-Sound-Band, für eine Nacht [. . .] mit Flüstern, Loop und Beat. [. . .] Texte und Musik greifen ineinander, überlagern sich. Es gibt Komplexes, Chaotisches und Mitsingbares, Chor und Kanon und Tralala. Und auch das klassische Solo.“29 Mit auf der Bühne auch kookbooks-Autor Jan Böttcher, mit Liedern und Gitarre. Er gehört neben Alexander Gumz, Karla Reimert, Daniela Seel und Uljana Wolf von Anfang an zum KOOK-Label, das zunächst als „Künstler für Künstler“-Label gegründet wurde und aus dem sehr bald darauf auch der Verlag entwuchs. Offizielles Gründungsjahr von kookbooks ist 2003, im Verbund des KOOK-Labels wurden jedoch schon in den Jahren zuvor die Reihen KOOKmusic und KOOKread veranstaltet, in denen der Verlag wurzelt. Bis heute ist KOOKread eine regelmäßige Veranstaltungsreihe des Verlages, die monatlich im kvartira Nr. 62, einer russischen Kneipe in Kreuzberg, stattfindet. Die Bücher, aus denen Autorinnen und Autoren dort lesen, sind manchmal auch in anderen Independent Verlagen erschienen und können am kleinen Büchertisch gekauft werden – bei Daniela Seel persönlich. Fast alle Tätigkeiten, die im Verlag anfallen, übernimmt sie selbst und finanziert diesen häufig noch quer durch diverse Tätigkeiten für andere Auftraggeber. Nebenher ist sie noch als Literaturkritikerin, Herausgeberin und Lektorin tätig, hält Vorträge, übersetzt und moderiert Lesungen. Daniela Seel ist eine der vielen Frauen, die in der Buchbranche arbeiten – und eine der wenigen, die einen Verlag führen. Für die Rolle der Verlegerin, die im Arbeitsumfeld auf gleicher Ebene nahezu ausschließlich männliche Berufskollegen vorfindet, gibt es demnach wenige Vorbilder. Vielmehr ist sie selbst eines: Liest man in der Presse über bemerkenswerte Independent Verlage, ist kookbooks fast 27 Homepage Bad Homburg: Hölderlin 2011: http://www.bad-homburg.de/sc/Kultur_Bildung/ H%F6lderlin_in_Homburg/H%F6lderlin_2011/5422781.asp. Stand: 18.7.2011. 28 Daniela Seel erhielt für ihren ersten Gedichtband auch den Ernst-Meister-Förderpreis und den Kunstpreis Literatur von Lotto Brandenburg. Bislang wurden ihre Gedichte in 13 Sprachen übersetzt. 29 KOOK-Label: „LEG DAS AB – drei Buchpremieren, ein Lesekonzert“. E-Mail-Newsletter vom 31.3.2011.

234 

 4 Independent Verlage im Porträt

Abb. 4.10: kookbooks auf der Leipziger Buchmesse 2015 (Foto: privat).

Abb. 4.11: Ersteigerungsobjekte der kookgala 2009 (Foto: Alexander Gumz).

4.2 kookbooks 

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Abb. 4.12: kookbooks Verlegerin Daniela Seel feiert zehnjähriges Verlagsjubiläum im Berliner Theaterdiscounter 2013 (Foto: privat).

ausnahmslos zuvorderst dabei. Denn mit dem Very-Special-Interest-Segment Gegenwartslyrik, das den Programmschwerpunkt bildet, kann nur eine schmal bemessene Zielgruppe bedient werden – und damit ist kaum Geld zu machen. Gleichzeitig werden bei den Büchern aber sehr hohe Qualitätsmaßstäbe angelegt, sowohl inhaltlich als auch formal. Binnen kurzer Zeit hat sich kookbooks so „zu einer der wichtigsten Adressen für Lyrik im deutschsprachigen Raum“30 entwickelt. Der Name „Kook“, ein englischer Slangausdruck für „Spinner“, ist dabei im positiven Sinne Programm: Die Utopie eines jungen, innovativen Literaturverlags, die Daniela Seel jetzt realisiert hat, hielten die präpotenten Experten für völlig blauäuig. Nun zeigt uns eine dreißigjährige Verlegerin, dass literarische Leidenschaft eben doch Berge versetzen kann.31

30 Kämmerlings, Richard: Kookbooks in Not. Mäzene statt Investoren. In: faz.net vom 3.3.2009: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/2.1719/kookbooks-in-not-maezene-stattinvestoren-1922495.html. Stand: 16.7.2015; Rebling, Karoline: „Poesie als Lebensform“ – der Kleinverlag kookbooks. In: Goethe-Institut, März 2010: http://www.goethe.de/kue/lit/dos/uav/ kok/de5820096.htm. Stand: 16.11.2013. 31 Braun, Michael: Literatur von morgen. Die Verlegerin Daniela Seel und ihre Kookbooks, In: Neue Zürcher Zeitung Online vom1 7.4.2004: http://www.nzz.ch/article9P9XY-1.280456. Stand: 12.7.2015.

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 4 Independent Verlage im Porträt

Wenn Daniela Seel Autorinnen und Autoren für den Verlag auswählt, will sie immer etwas Neues lernen. Das Unerwartbare zieht sich durch – mit Erzählweisen, die sich aus gewöhnlichen Abläufen befreit haben, und „Formen, die sich dem gewöhnlichen Konsum entziehen“.32 Bereits die ersten 20 bei kookbooks erschienenen Titel setzten in der deutschen Lyrikszene maßgeblich neue Akzente. Zahlreiche Auszeichnungen gab es bereits für Autorinnen und Autoren der ersten Stunde: Daniel Falb erhielt den Lyrikdebütpreis, Ron Winkler den Leonce-und-Lena-Preis, Uljana Wolf den Peter-Huchel-Preis, Steffen Popp den Kranichsteiner Preis sowie Silke Andrea Schuemer den Werner-Serner-Preis – soweit eine Auswahl, die sich bislang von Programm zu Programm kontinuierlich erweitert hat.33 Monika Rincks Essay Risiko und Idiotie wird 2015 mit dem Hotlist-Preis ausgezeichnet. Im Jahr 2006 gab es für ein anderes koookbooks-Buch der Autorin von der Stiftung Buchkunst einen Preis, die den Essay Ah, das Love-Ding als eines der „schönsten Bücher“ des Jahres prämiert hatte.34 2008 erhielt der Verlag die Auszeichnung ein weiteres Mal, für das Kinderbuch Ein Waldwicht fliegt in den Oman von Melanie Laibl und Dorothee Schwab. Dem Buch wurde auch der Österreichische Kinder- und Jugendbuchpreis verliehen, was es für die darauffolgende Zeit zum Bestseller des Verlages machte, mittlerweile ist es vergriffen. Die verlegerische Arbeit selbst wurde auch mit Preisen ausgezeichnet: 2006 erhielt kookbooks den Förderpreis der Kurt-Wolff-Stiftung. Die Jury begründete ihre Wahl damit, dass es dem Verlag „in kurzer Zeit gelungen [ist], in der Buchbranche als junger, risikofreudiger und innovativer Verlag mit professionellem Engagement, seinem Gespür für literarische Talente, seinen sorgfältig gemachten Büchern neue, erfrischende Akzente zu setzen“.35 2007 folgte der HorstBienek-Förderpreis für das verlegerische Engagement.36 Auszeichnungen sind lebensnotwendig für einen Verlag wie kookbooks. Denn im Bereich Lyrik gilt: „Mehr als zweihundert oder dreihundert Exemplare

32 Kuhlbrodt, Detlef: Kleine Brötchen backen. In: taz.de vom 16.5.2013: https://www.taz.de/1/ archiv/digitaz/artikel/?ressort=ku&dig=2013%2F05%2F16%2Fa0100&cHash=a97be9ce41d3b6f 00a8af2320662fca0. Stand: 12.7.2015. 33 Vgl. Homepage kookbooks: Autoren: http://www.kookbooks.de/autoren.php. Stand: 15.7.2015. 34 Ebd. 35 Homepage Kurt-Wolff-Stiftung: Kurt-Wolff-Preis 2006: http://www.kurt-wolff-stiftung.de/ Neuigkeiten2005.html. Stand: 18.7.2015. 36 Vgl. Homepage Bayerische Akademie der Schönen Künste: Pressemitteilung: http://www. badsk.de/presse/presse-pdf.pdf/PresseBienek07.pdf. Stand: 16.7.2015.

4.2 kookbooks 

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verkauft man von einem Band nur sehr schwer [. . .] Und selbst mit dieser Menge sind die Kosten noch nicht gedeckt.“37 Konnten Buchprojekte in den ersten Jahren des Verlags noch im Rückgriff auf eine Erbschaft realisiert werden, sah sich die Verlegerin im Jahr 2008 zunehmend unter finanziellem Druck. Im selben Jahr, in dem das Magazin Cicero nach einer Befragung von zwanzig Literaturexperten kookbooks zum viertwichtigsten deutschsprachigen Verlag gekürt hatte38 und dieser mit acht Neuerscheinungen sein bislang titelstärkstes und damit auch investitionskräftigstes Jahr verzeichnete, befand sich der Verlag in einer wirtschaftlichen Notsituation, die auf Lösung drängte. Über die Jahre hatten sich bei der Druckerei Schulden angehäuft, die nicht mehr bezahlt werden konnten. Gleichzeitig war in der Branche eine Diskussion über Investoren entstanden, was für kookbooks aber nicht in Frage kam – man suchte nach einer anderen Form. Die Idee zur Aktion Kunst braucht Mäzene entstand, und auf einer eigenen Homepage wurde eine Aktion gestartet, in der Autografen, Sonderdrucke, Fotografien und Bilder von befreundeten Künstlerinnen und Künstlern zur Versteigerung angeboten wurden. Bei der Abschlussveranstaltung mit Lesungen und Konzerten, der KOOKgala, die am 1.3.2009 in den Sophiensälen in Berlin stattfand, hatte der Verlag schließlich mehrere Tausend Euro im Tausch „Geld gegen Schönheit“39 eingespielt. Alles konnte weitergehen. Zwei Jahre später zählt der Verlag 46 lieferbare Titel, zwei weitere Jahre später sind es 55 – im selben Jahr, in dem auch das 10-jährige Bestehen von kookbooks gefeiert wird. Im Theaterdiscounter Berlin, wo das Jubiläum stattfindet, präsentiert sich bereits der neue Claim, der seither auch Homepage und Vorschauen ziert: „das amortisiert sich nicht“. Beirren lässt man sich bei kookbooks davon aber nicht: 2015 sind 82 Titel lieferbar, mit im neuen Herbstprogramm auch Daniela Seels zweiter Gedichtband was weißt du schon von prärie. kookbooks Horstweg 34 14059 Berlin Deutschland http://www.kookbooks.de/

37 Porombka, Wiebke: Gedichte unter erschwerten Bedingungen. In: Frankfurter Allgemeine Online vom 8.6.2011: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/themen/land-der-dichter-gedichteunter-erschwerten-bedingungen-1654361.html. Stand: 17.7.2015. 38 Vgl. Eichel, 2008. 39 Homepage Kunst braucht Mäzene: http://kunstbrauchtmaezene.blogspot.com/. Stand: 13.7.2015.

Abb. 4.13: Steffen Popp, Wie Alpen. kookbooks 2004 (Cover: kookbooks).

Abb. 4.15: Katharina Schultens, Gorgos Portfolio. kookbooks 2014 (Cover: kookbooks).

Abb. 4.14: Monika Rinck, Ah, das LoveDing! kookbooks 2006 (Cover: kookbooks).

Abb. 4.16: Daniela Seel, ich kann diese stelle nicht wiederfinden. kookbooks 2011 (Cover: kookbooks).

4.3 Luftschacht 

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4.3 Luftschacht (Wien/A, erstes Buch: 2003) Abb. 4.17: Logo Luftschacht (Abb.: Luftschacht).

Luftschacht brachte 2003 das erste Programm auf den Markt – „5 schmale Paperbackbändchen in kleinsten Auflagen, digital und ausschließlich s/w gedruckt, und von so pragmatischen (und heute selbstverständlichen) Dingen wie Buchhandelsvertretung oder Vertrieb war verlagsintern nicht einmal die Rede.“40 Dabei bestand die Idee für das Projekt schon länger, und noch länger der Name dafür: „Luftschacht stand ursprünglich für ein Musik-Text-Performance-Projekt“, das viele Jahre zuvor angedacht gewesen war.41 Als der Verlag von Stefan Buchberger und Gabriel Vollmann bereits 2001 angemeldet wurde, übernahm man den Namen. Die beiden hatten sich in einem Seminar über Verlegerpersönlichkeiten im Rahmen ihres Germanistik-Studiums in Wien kennengelernt. Buchberger hatte damals nebenher Literaturveranstaltungen mit Musik- und Bildbegleitung organisiert, was schließlich auch gemeinsam fortgesetzt und erweitert wurde: in Event-Projekten mit Musikerinnen und Musikern, Fotografinnen und Fotografen sowie Schauspielerinnen und Schauspielern. Dort lernten die beiden schließlich auch eine Reihe von Autorinnen und Autoren und deren unveröffentlichte Texte kennen. Das erste Buchprojekt war eine Anthologie, autorenmorgen01, die diese versammelte. Mit diesem Band begann auch die Erkundung des Buchmarktes, auf dem beide bislang keinerlei Erfahrungen gesammelt hatten. Mit den ersten Büchern zogen die Neo-Verleger in Wien persönlich von Buchhandlung zu Buchhandlung, was sich zunächst ernüchternd auswirkte. Der Schritt in die Professionalisierung erfolgte schließlich aus einer Mischung aus Ehrgeiz und Neugierde: „Das kriegen wir doch besser hin“ war das Resümee des ersten Programms, und man wollte sich auf mehreren Ebenen, herstellerisch bis betriebsorganisatorisch, verbessern – davon getragen war die Idee zum zweiten Programm.

40 Buchberger, Stefan/Lagger, Jürgen (Hg.): 5. 8 Collagen Poster. Luftschacht: Wien, 2008. 41 Homepage Luftschacht: http://www.luftschacht.com/kontakt/. Stand: 13.7.2015. Anmerkung: Für das folgende Porträt stammen die Informationen, falls nicht anders ausgewiesen, aus dem Interview mit dem Verleger Stefan Buchberger vom 9.6.2010.

240 

 4 Independent Verlage im Porträt

Abb. 4.18: Luftschacht Verleger Stefan Buchberger und Jürgen Lagger mit Autor Lukas Meschik auf der Buch Wien 2009 (Foto: privat).

Abb. 4.19: Luftschacht Verleger Jürgen Lagger und Stefan Buchberger 2007 (Foto: Florian Anrather).

4.3 Luftschacht 

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Jürgen Lagger stieg kurz nach der Verlagsgründung in das Projekt ein, Vollmann nach einigen Jahren wieder aus: „Die Erträge reichten bei weitem nicht für einen, wie dann für drei?“42 Vollmann war hauptberuflich anderswo tätig, im Verlag arbeitete er nebenbei, was irgendwann nicht mehr ging. Mehrere Jahre leiteten Buchberger und Lagger den Verlag zusammen, über weite Strecken begleitet von Stefan Anrather, einem freien Mitarbeiter. Alles läuft sehr direkt ab und wird gemeinsam besprochen, bevor es gemacht wird. 2010 trägt sich der Verlag selbst, die Realisierung von Projekten wird durch die in Österreich bestehende Verlagsförderung unterstützt. Das Büro in Wien-Leopoldstadt teilt sich Luftschacht mit drei Architekten, zwei Fotografinnen und einem Maler. Texte waren von Anfang an da. Auf den Veranstaltungen hat man eine Reihe von jungen Autorinnen und Autoren kennengelernt, die schließlich auch den inhaltlichen Schwerpunkt des Verlages formen: junge deutschsprachige Belletristik, vor allem Romane und längere Erzählungen. Die Inhalte sind auf der Höhe der Zeit, „jenseits enger Grenzen“, teilweise auch provokant. Verlegt wird etwa Illbilly The K.I.T.T., der unter diesem Pseudonym Kolumnen der Know Nothing Gesellschaft im österreichischen Popkultur-Magazin The Gap veröffentlicht, die bei Luftschacht in einem Buch versammelt sind. „Wer ist dieser Perversling?“, liest man auf der Homepage des Magazins.43 „Eine richtige Sau ist er“, liest man

Abb. 4.20: Luftschacht Vorschau Frühjahr 2011 (Abb.: Luftschacht). 42 López, Carolina: Schnapsideen im Luftschacht. In: BuchMarkt, Dezember, 2009, S. 112. 43 Homepage The Gap: Illbilly The K.I.T.T.: http://www.thegap.at/autoren/autor/redakteur/ illbilly-the-kitt/. Stand: 13.7.2015.

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 4 Independent Verlage im Porträt

auf der Seite des Verlages.44 Im Buch werden kleine Begebenheiten des Alltags beschrieben – mit einer gehörigen Prise Sexismus und viel Selbstironie. In den ersten Jahren setzte man im Außenauftritt des Verlagsprogramms durchgängig auf Weiß. Weil die Buchhändler fürchteten, die Bücher könnten schmutzig werden, stellte man allerdings um. Sorgfältig gestaltet finden die Themen der Bücher seither ihre ästhetische Umsetzung auf den Covers: Inhalte auf der Höhe der Zeit, verflochten mit zeitlosen Metathemen wie Verbundensein, Zurückbleiben und Verlassenwerden. Sehnsucht und Suche nach Zerstreuung sind wiederkehrende Motive, die sich innen wie außen auf den Büchern finden. Bei vielen davon handelt es sich um Erstlingswerke. Für diese hat man bei Luftschacht eine glückliche Hand. Denn bei einem großen Teil der Autorinnen und Autoren bleibt es nicht beim Debüt. Vielmehr bedeutet es den Beginn einer längeren gemeinsamen Arbeit, wie die, gemessen daran, relativ kurze Verlagsgeschichte von Luftschacht zeigt. Der Autor Hanno Millesi war von Anfang an dabei und hat seither acht Titel bei Luftschacht publiziert, die begeistert von Sprache und Inhalt rezensiert wurden, vielfach haben sie den Literaturbetrieb und das Schriftstellerdasein selbst zum Thema. Zwei von Millesis Büchern wurden auch als Lizenzen nach Frankreich verkauft. Manfred Rumpl, in der Presse immer wieder als eine der interessantesten Autorenentdeckungen unserer Zeit bezeichnet, zählt mit vier Büchern ebenfalls zum festen Repertoire des Verlages. In seinen Büchern finden sich philosophische Reflexionen über unsere Zeit, in Prosa gegossen, etwa in Fausts Fall. „Ein Roman gegen den Opportunismus und das intellektuelle Geschwätz unserer Zeit“, kündigt die Verlagshomepage das Buch an.45 In diese Reihe gesellen sich vielversprechende Autoren wie Johannes Weinberger, Stephan Alfare oder Alexander Schimmelbusch. Der bekannte Wortakrobat Michael Stavarič hat zwei Kinderbücher bei Luftschacht herausgebracht – eine weitere Programmschiene des Verlages. Weitere Schwerpunkte sind Comics und Graphic Novels. 2008 erschien die erste umfassende Anthologie der österreichischen Comicszene: Perpetuum. Seither hat Luftschacht einen neuen Graphic-Novel-Titel pro Halbjahr im Programm. Sechs Jahre und zwölf Comics später auch die Fortsetzung von Perpetuum: Mobile. Neben Illustrationen von bekannten Künstlern wie Tex Rubinowitz versammelt der Band von Helmut Kaplan diesmal auch Beiträge, die über Österreichs Grenzen hinausgehen. 2011 wurden die Architektur-Titel der aufgelösten Edition Selene in die Backlist übernommen. Unter der Überschrift „Architektur & Bild“ wird die jahrelange 44 Homepage Luftschacht: Illbilly The K.I.T.T. Didgeridoo zum Frühstück. Kolumnen der Know Nothing Gesellschaft: http://www.luftschacht.com/produkt/illbilly-the-k-i-t-t-didgeridoo-zumfruhstuck-kolumnen-der-know-nothing-gesellschaft/. Stand: 13.7.2015. 45 Homepage Luftschacht: Programm: http://www.luftschacht.com/programm/. Stand: 13.7.2015.

4.3 Luftschacht 

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Zusammenarbeit der Edition Selene mit Lehrbeauftragten der Technischen Universität Wien weitergeführt. Bei Lagger findet diese eine fachkundige Betreuung, der Verleger ist nicht nur selbst Schriftsteller, er ist auch studierter Architekt. Einen fixen Programmpunkt bildet die jährlich erscheinende Anthologie zum literarischen Nachwuchswettbewerb Wortlaut des österreichischen Radiosenders FM4. Der für sein ambitioniertes Programm über die Landesgrenzen hinaus bekannte Radiosender bietet jungen Nachwuchs-Autorinnen und -Autoren einmal im Jahr die Gelegenheit, zu einem bestimmten Thema ihre Kurzgeschichten einem großen Publikum zu präsentieren. Auch für den Verlag ist das eine gute Gelegenheit. Denn Luftschacht zählt nicht zu den lautesten unter den Independent Verlagen. Die Kolleginnen vom österreichischen Independent Verlag Milena setzen sich zuweilen weitaus offensiver in Szene, oft machen die beiden Verlage jedoch gemeinsame Sache. Zwischen Gemüseständen und kleinen Gastgärten teilten sie sich im Juni 2011 etwa einen Stand am Wiener Karmelitermarkt, an dem sie Bücher feilboten.46 Ansonsten geht man bei Luftschacht klassischer vor. Mit dem Image eines coolen oder hippen Verlages kann sich Verleger Stefan Buchberger wenig identifzieren: „Wir wurden natürlich öfter damit konfrontiert, dass wir so hip und so cool wären, aber dafür fühlen wir uns überhaupt nicht zuständig. Wir haben anfangs ein bisschen damit kokettiert, mit den Veranstaltungen in den Bars, aber das läuft sich tot, das funktioniert auf Dauer nicht. Ich glaube einfach, das, was wir machen, produzieren, vertreiben und bewerben wir in adäquater Form im Rahmen unserer Möglichkeiten.“47 Image will Buchberger nur über das, was publiziert wird, transportiert wissen. Klar und ehrlich sind schließlich auch seine persönlichen Abschiedsworte, die ab Mai 2014 auf der Homepage des Luftschacht Verlages zu lesen sind, den Jürgen Lagger seitdem alleine führt: Wahrscheinlich wären die meisten Literaturverlage erst gar nicht gegründet worden, wenn ihre Betreiber schon gewusst hätten, worauf sie sich einlassen. Ich behaupte das zumindest für die erste Hälfte der Nullerjahre, als in Deutschland gerade eine Gründungswelle im Gang war – übrigens ein Phänomen, von dem wir damals keine Ahnung hatten. „Junge Verlage“ oder ‚Independents‘ wurden erst mit der Zeit zu festen Schlagworten innerhalb und außerhalb der Branche. Ich spiele darauf an, weil Begriffe wie „Unabhängigkeit“, „Abenteuer“, „Authentizität“ oder das auch heute noch schöne „Sendungsbewusstsein“ – große Worte, die vor 46 Homepage Literaturhaus München: „Heute frisch: besondere Bücher“. Wie unabhängige Verlage ihre Bücher unter die Leute bringen. In: literaturhaus-muenchen.de: http:// www.literaturhaus-muenchen.de/veranstaltung/items/98/vars/andere-buecher-braucht-dasland-2011.html. Stand: 13.7.2015. 47 Stefan Buchberger, zitiert in: Leiner, Veronika: Einfach gute Bücher machen. In: Anzeiger. Das Magazin für die österreichische Buchbranche, Juni 2008, S. 17.

244 

 4 Independent Verlage im Porträt

Abb. 4.21: Illibilly The K.I.T.T., Digeridoo zum Frühstück. Kolumnen der Know Nothing Gesellschaft. Luftschacht 2010 (Cover: Luftschacht).

Abb. 4.23: Giuliano Musio, Scheinwerfen. Luftschacht 2015 (Cover: Luftschacht).

Abb. 4.22: Martin Mandler, 23 Tage. Luftschacht 2011 (Cover: Luftschacht).

Abb. 4.24: Zita Bereuter/Claudia Czesch (Hg.), FM4 Wortlaut 15. WILD. Luftschacht 2015 (Cover: Luftschacht).

4.4 mairisch 

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Selbstbewusstsein (und Naivität) nur so strotzen – auch für die Gründung des Luftschacht Verlags so zentral waren. Sie stehen für den ungestümen Tatendrang, der uns in den ansatzweise wahnsinnigen Gedanken getrieben hat, die Verlegerei neu erfinden zu wollen. [. . .] Für einen so kleinen Verlag mit so hohem Anspruch werden die Bedingungen immer schwierig sein. Der Luftschacht Verlag steht heute allerdings in jeder Hinsicht besser da als je zuvor, und ich bin überzeugt, dass er seine Position in den kommenden Jahren noch weiter festigen wird. [. . .] In der Phase großer Veränderungen, in der sich mit Verzögerung jetzt auch der deutschsprachige Buchmarkt befindet, haben kleine, erfinderische und reaktionsschnelle Verlage nicht sooo schlechte Karten, meine ich. Zumindest dann, wenn sie von einem leidenschaftlichen Verleger angetrieben werden, der unbeirrbar für seine Inhalte brennt, der Bücher und der Literatur wirklich liebt und dem man das auch auf Anhieb glaubt. Jürgen Lagger ist so einer.48 Luftschacht Verlag OG Malzgasse 12/2 1020 Wien Österreich http://www.luftschacht.com/

4.4 mairisch (Hamburg/D, erstes Buch: 2006)

Abb. 4.25: Logo mairisch (Abb.: mairisch).

Offiziell erschien das erste Buch im mairisch Verlag 2006. Tatsächlich aber waren Daniel Beskos, Peter Reichenbach und Blanka Stolz noch Schüler, als sie ihre ersten Bücher verkauften – handgefertigte Begleithefte zu Leseabenden, die sie ab Mitte der 1990er im Kulturzentrum ihres hessischen Heimatdorfes Rodgau nahe Frankfurt veranstalteten. Die Auflagenzahlen erreichten bis zu 100 Stück. Hessisch auch der Name mairisch – er steht für „Unkraut, Wildwuchs“. Der kam aber später, als die Dreierformation zum Studium in größere Städte, Leipzig und Marburg, gezogen war, wo die Lesereihen Fortsetzung fanden. 48 Homepage Luftschacht: Stefan Buchberger verlässt Luftschacht Verlag: http://www. luftschacht.com/stefan-buchberger-verlaesst-luftschacht-verlag/. Stand: 13.7.2015. Anmerkung: Für das folgende Porträt stammen die Informationen, falls nicht anders ausgewiesen, aus dem Interview mit dem Verleger Daniel Beskos vom 8.10.2010.

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 4 Independent Verlage im Porträt

Neben dem Studium begannen Beskos, Reichenbach und Stolz sich mit Hörspielen zu beschäftigen; für ihr gemeinsames Projekt W-Ort, das vom Weggehen aus dem Dorf in die Großstadt handelt, gewannen sie beim 1. Open Ohr Festival den Ohrwurm 2003. Als ihre Hörspiele von mehreren öffentlichen und freien Radios ausgestrahlt wurden, war schließlich Startkapital für erste richtige Publikationen vorhanden. Zudem hatte sich durch das Veranstalten der Lesereihe ein Netzwerk aus Autorinnen und Autoren um die drei gebildet und ein Pool von Texten war entstanden. 2006 startete mairisch, mittlerweile mit Verlagssitz in Hamburg, mit drei Titeln in den Buchmarkt: Roberta Schneiders Ja! panisch, die Anthologie einer Hamburger Lesereihe mit Best-of-Texten Kaffee.Satz.Lesen und Finn-Ole Heinrichs Die Taschen voll Wasser. Das Erzähldebüt war mit 300 Exemplaren gestartet, mehr als das Zehnfache sollte über die nächsten fünf Jahre verkauft werden, begleitet von starker Resonanz in den Medien. Ähnlich verhielt es sich mit Heinrichs darauffolgendem Roman Räuberhände. Für die Coming-of Age-Geschichte, in der der damals 25-jährige Autor Erwachsenwerden und Suche nach Identität thematisiert, findet sich in den zahlreichen Rezensionen nahezu euphorisches Lob. Ausgewählte Pressestimmen lassen sich auf der mairisch-Homepage nachlesen, auch eine Auswahl an Auszeichnungen, die Heinrich für seine Arbeit erhielt – nicht weniger als 15 werden aktuell angeführt, darunter etwa der Deutsche Jugendliteraturpreis 2012 oder der LUCHS 2015. Beliebt ist der Autor nicht zuletzt auch für seine unterhaltsamen Auftritte. Finn und das unsortierte Orchester ist ein Programm, mit dem der Autor zusammen mit anderen Künstlern mit einer Mischung aus Lesung, Konzert, Installation und Performance auf Tour ist. Die Themen weiterer erfolgreicher Titel im mairisch Verlag fallen sehr unterschiedlich aus. In einem der verkaufsstärksten Bücher, Schlaraffenland, versammelt der gelernte Koch Stevan Paul kulinarisch inspirierte Erzählungen mit tieferem Sinn. Ein weiterer Bestseller des Verlages, Die Philosophie des Radfahrens, hat zwei Jahre nach Erscheinen 15.000 verkaufte Exemplare erreicht. Die Idee entwickelte man sofort weiter: Ein Jahr später erschien Die Philosophie des Kletterns, im darauffolgenden Jahr Die Philosophie des Laufens. Autorinnen und Autoren bei mairisch sind durchgängig zwischen Mitte 20 und Ende 30. Die Publikationsformen ihrer Texte will man nicht auf das Buch beschränkt präsentieren. Es geht vielmehr um Literatur in allen Formen, Hörspiele und Songs stehen gleichwertig im Programm neben den Büchern. Überwiegend finden sich da Debütantinnen und Debütanten, die man nicht nur entdecken, sondern im marisch Verlag langfristig aufbauen will. Literarische Neuentdeckungen sind nicht zuletzt ein Begleiteffekt der regen Veranstaltungstätigkeit des Verlages, wo Lesungen als wesentlicher Bestandteil der Arbeit mit und an Literatur begriffen werden; bis zu 200 werden

4.4 mairisch 

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pro Jahr im deutschsprachigen Raum organisiert. Gemeinsam mit dem ähnlich ausgerichteten Verlag Minimal Trash Art wurde von 2003 bis 2008 in Hamburg die monatliche Lesereihe TRANSIT veranstaltet, zu der hatte man „junge Autoren, Musiker, Filmemacher und Fotografen und Innen eingeladen. Neben Texten waren Bilder, Kurzfilme, Flashfilme und/oder elektronische (Live-)Musik zu den jeweiligen Themen zu hören und zu sehen.“49 Die 40 Veranstaltungen wurden meist von mairisch-Verleger Daniel Beskos moderiert. Gefördert wurde die Reihe von der Kulturbehörde Hamburg. Sie vergibt in der Regel keine Druckkostenzuschüsse und unterstützt damit zwar nicht das genuin Literarische, wohl aber Veranstaltungen, in denen Literatur zur Performance wird – dem Trend der Eventisierung folgend. Ähnlich motiviert ist die Idee hinter dem Indiebookday. 2013 wurde diese Initiative von mairisch ins Leben gerufen, die einen Tag im März als Festtag für Bücher aus kleinen Indie-Verlagen erwählt, zum Kauf von diesen ermuntern und ihnen via Social Media verstärkte Aufmerksamkeit verschaffen will: Geht am 21.03.2015 in einen Buchladen Eurer Wahl und kauft Euch ein Buch. Irgendeines, das Ihr sowieso gerade haben möchtet. Wichtig ist nur: Es sollte aus einem unabhängigen/ kleinen/Indie-Verlag stammen [.  .  .]. Danach postet Ihr ein Foto des Covers, des Buches, oder Euch mit dem Buch (oder wie Ihr möchtet) in einem sozialen Netzwerk (Facebook, Twitter, Google+) oder einem Blog Eurer Wahl mit „#Indiebookday“. Wenn Ihr die Aktion gut findet, erzählt davon.50

Die simple Idee, von der man so auf der eigens geschaffenen Homepage liest, war von Beginn an ein voller Erfolg. Schon im darauffolgenden Jahr verbreitete sie sich in weitere Länder in Europa.51 Als fundamentaler Bestandteil in der Zusammenarbeit mit den Autorinnen und Autoren sind Veranstaltungen und das Treten in bzw. Bemühen um Öffentlichkeit auch Teil im Betreuungskonzept. Wenngleich man im mairisch Verlag weder Vorschüsse noch Verkaufshonorare bieten kann, die sich mit denen größerer Verlage messen könnten, so ermöglicht der große Stellenwert der Veranstaltungsorganisation doch gewisse Kompensationsmöglichkeiten. Für die Autorinnen und Autoren werden bis zu 80 Lesungen im Jahr organisiert, die mit 200 bis 400 Euro pro Abend größenteils deren Einkommen einbringen. Gleichzeitig übernimmt man im Verlag die Recherche von Preisen und Stipendien, die zu 49 Homepage TRANSIT – die monatliche Lesereihe in Hamburg: http://www.transit-fuer-alle. de/. Stand: 13.7.2015. 50 Homepage Indiebookday: http://www.indiebookday.de. Stand: 13.7.2015. 51 Campbell, Lisa: Indie Book day backed by bookshops and publishers. In: thebookseller.com vom 12.2.2015: http://www.thebookseller.com/news/indie-book-day-backed-bookshops-andpublishers. Stand: 13.7.2015.

248 

 4 Independent Verlage im Porträt

Abb. 4.26: Indiebookday im mairisch Verlag 2015 (Foto: mairisch).

Abb. 4.27: mairisch Autor Finn-Ole Heinrich und das unsortierte Orchester 2012 (Foto: privat).

4.4 mairisch 

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den jeweiligen Autorinnen und Autoren bzw. deren Texten passen – ähnlich der Funktionsweise einer Agentur. Auch umfassende Pressearbeit zählt dazu. Auf der Homepage des Verlages wird regelmäßig gebloggt und Interviews mit Autorinnen und Autoren, begleitet von vielen Bildern, werden veröffentlicht – alles davon entsteht direkt im Verlag. Die intensive Pflege von Autorinnen und Autoren ist nicht zuletzt deshalb möglich, weil dem kleinen Programm, das verlegt wird, ein verhältnismäßig großes Verlagsteam gegenübersteht, das auch durch den Verlag finanziert werden kann. Die beiden Verleger Daniel Beskos und Peter Reichenbach leben inzwischen vom Verlag. Sie betreuen das Programm in den Bereichen Lektorat und Kommunikation. Blank Stolz, das dritte Gründungsmitglied, ist mittlerweile hauptberuflich in Berlin beschäftigt, betreut aber immer noch den Bereich Kommunikation mit. Weitere vier Personen sind in den Bereichen Presse & Öffentlichkeit, Verlagsassistenz & Lesungen beschäftigt. Die Herangehensweise des Verlages, Öffentlichkeit zu erreichen, die dafür im Unterschied zu anderen Verlagen weniger den Buchhandel als vielmehr die Presse und das Publikum direkt anspricht, passt zum Vorhaben, mairisch als „Deutschlands ersten Verlag für freie Hörspiele“ zu etablieren. 52 Das Nischenkonzept, das neben Belletristik, Sachbüchern und Graphic Novels einen weiteren Schwerpunkt im Programm bildet, wird verfolgt, indem sich der Verlag als einziger der freien Hörspielszene widmet, etwa mit der Anthologienreihe pressplay, die einen kompakten Einblick in das Schaffen der Szene gibt und Newcomer wie Stars darin gebündelt veröffentlicht. Mit der 25. Veröffentlichung machte man sich selbst ein Geschenk: eine Vinylplatte mit Hörspielen und Songs; Songtexte sollen dort als besondere Form der Literatur gewürdigt werden, der Titel Bookends will den Einfluss von Pop auf Literatur, deutschsprachiger Liedtexte auf junge Autorinnen und Autoren und deren Schreiben verdeutlichen. „Und auch den mairisch Verlag gäbe es nicht ohne die Liebe zur deutschsprachigen Musik“,53 liest man in der Beschreibung zum Jubiläumsalbum, das über das KOOK-Label vertrieben wird. Die Haltung ist bei mairisch Prinzip: „Ob Roman, Erzählband, Hörspiel oder Musik: Wir veröffentlichen nur, was uns am Herzen liegt.“54 Dass dieses Prinzip Erfolg hat,

52 Homepage mairisch: http://www.mairisch.de/verlag.htm. Stand: 12.9.2013. 53 Homepage mairisch: Bookends: http://www.mairisch.de/programm/mairisch-verlagbookends/. Stand: 13.7.2015. 54 Homepage mairisch: http://www.mairisch.de/verlag/. Stand: 13.7.2015.

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 4 Independent Verlage im Porträt

beweist nicht nur die mittlerweile zweite Jubiläums-LP About Songs & Books, bei der man bei mairisch 2015 die 50. Veröffentlichung feiert. Auch Auszeichnungen in den letzten Jahren bestätigen, dass der Ansatz in der Arbeit des Verlages seine glaubwürdige Umsetzung findet: 2014 wurde der Verlag mit dem Förderpreis der Kurt-Wolff-Stiftung ausgezeichnet, 2015 gab es den K.-H. Zillmer-Verlegerpreis. Alle zwei Jahre ehrt dieser Personen „für herausragenden verlegerischen Idealismus und verlegerischen Mut“.55 mairisch Verlag Schwenckestraße 68 20255 Hamburg Deutschland http://www.mairisch.de/

Abb. 4.28: mairisch Verleger Daniel Beskos und Peter Reichenbach 2015 (Foto: Andreas Hornoff).

55 N.N.: K.-H. Zillmer-Verlegerpreis an Daniel Beskos und Peter Reichenbach. In: buchmarkt.de vom 16.6.2015: http://www.buchmarkt.de/content/62764-auszeichnungen.htm. Stand: 13.7.2015.

Abb. 4.29: Finn-Ole Heinrich, Räuberhände. mairisch 2007 (Cover: mairisch).

Abb. 4.30: Stevan Paul, Schlaraffenland. mairisch 2012 (Cover: mairisch).

Abb. 4.31: Ilundáin-Agurruza/Austin/Reichenbach (Hg.), Die Philosophie des Radfahrens. mairisch 2013 (Cover: mairisch).

Abb. 4.32: Lisa Kreißler, Blitzbirke. mairisch 2014 (Cover: mairisch).

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 4 Independent Verlage im Porträt

4.5 Onkel & Onkel (Berlin/D, erstes Buch: 2007) Abb. 4.33: Logo Onkel & Onkel (Abb.: Onkel & Onkel).

Onkel & Onkel wurde 2007 in Berlin gegründet. Bereits nach drei Jahren ist das Projekt so weit gediehen, dass es sich selbst trägt. Gründer und Verleger Volker Oppmann führt das auf das Programm zurück, eine Mischung aus Geschenkbuch, illustratorischen Werken wie Bildbänden oder Kalender und Belletristik, mit Schwerpunkt auf skandinavischer Literatur – das einende Element ist der trockene schwarze Humor, bei dem manchmal auch etwas um die Ecke gedacht wird. Das Unternehmen Onkel & Onkel beschreibt der Verleger als ein „verlegerisches Independent-Label für visuellen Rock ’n’ Roll in Schrift und Bild“ – als „ein Labor, Testgelände oder Versuchsfeld für gestalterische Auswüchse aller Art.“56 In den ersten vier Jahren des Verlages „experimentierte“ man so in einem ehemaligen kleinen Ladenlokal am Heinrichsplatz in Berlin-Kreuzberg, wo in der ersten Etage der Arbeitsbereich des Verlages untergebracht war und auf der unteren Etage eine Ausstellungsmöglichkeit. Das aktuelle Programm, knapp 40 Titel umfassend, lag dort aus – jeder war eingeladen, einzutreten. Die gesamte Räumlichkeit wurde als Treffpunkt verstanden – nicht zuletzt auch für das Netzwerk, das um den Verlag besteht. Das Kontakteknüpfen begann für Volker Oppmann nach 20 Semestern Germanistik-Studium, als klar war, dass der nächste Schritt in die Buchbranche führen sollte. Das folgende Praktikum war der erste Kontakt mit dem „Spirit“ unabhängigen Büchermachens, der für Oppmann zum Schlüsselerlebnis werden sollte – Rogner & Bernhard, ein Berliner Verlag, dessen Wurzeln in der 68er-Bewegung fußen, bezeichnet sich selbst als „der erstaunliche Verlag“,57 und sein provokantes und abseitiges Selbstverständnis inspirierte Oppmann bei der Konzeption seines eigenen Verlages. Es folgte noch ein Volontariat in einem Geschenkbuchverlag, darauf der Schritt in die Selbstständigkeit: als freier Lektor und Bookpackager. Als ein Projekt immer länger in Warteposition blieb, brachte es Oppmann schließlich im eigenen Verlag heraus: Natural Born Grillers erschien 56 N.N.: Neugründung: Onkel & Onkel mit erster Verlagsvorschau. In: boersenblatt.net vom 16.1.2008: http://www.boersenblatt.net/178354/. Stand: 18.7.2015. 57 Homepage Rogner & Bernhard: http://www.rogner-bernhard.de/publishers/index/de. Stand: 21.7.2015. Anmerkung: Für das folgende Porträt stammen die Informationen, falls nicht anders ausgewiesen, aus dem Interview mit dem Verleger Volker Oppmann vom 3.5.2010.

4.5 Onkel & Onkel 

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im Sommer 2007 als erstes Buch im Verlag Onkel & Onkel. Die Namensgebung ist eine Widmung an die beiden Onkel, die das Startkapital stellten. Außerdem gab es den Wunsch, „einen Namen zu kreieren, der gleichermaßen seriös und traditionsreich klingt und dennoch frisch und unverbraucht ist, – also idealerweise ein zeitloser Name, der sich selbst immer wieder neu erfindet.“58 Das grafische Konzept des Corporate Designs soll das unterstreichen: zwei Farbkleckse, die wie ein Rohrschachtest immer das zeigen, was der Betrachter in sie hineinliest. „Sie bilden einen wiedererkennbaren Rahmen, der jedoch nicht einengt, sondern vielmehr zur kreativen Entfaltung einlädt.“59 Konkret richtet sich die Einladung an den kreativen Nachwuchs – für neue Projekte von jungen Autorinnen und Autoren, Künstlerinnen und Künstlern will man bei Onkel & Onkel Pate stehen. Umgekehrt ist es auch möglich, für einzelne Bücher bei Onkel & Onkel Pate zu stehen: Durch gezielte Buchpatenschaften für einzelne Projekte entwickelte man im Verlag ein Modell, das finanzielle Unterstützung für einzelne Projekte vorsieht. Zunächst ohne Vorschau und nahezu ohne Buchpräsentationen oder Veranstaltungen gelingt es dem Verlag von Beginn an, sich abzuheben – mit einem ungewöhnlichen bis provokanten Programm und der Inszenierung desselben. Die Titel Gemeine Antworten auf Kinderfragen oder Lustige Dinge, die man aber nicht machen darf aus der Reihe Die kleinen bösen Bücher verkaufen sich über wenige Jahre über 25.000-mal. Konzept und Inhalt gehen auf den Verleger zurück. Kurz nach seiner Gründung landete der Verlag mit einer weiteren Schöpfung des Verlegers, dem Kartenspiel Das Führerquartett – Alle schwarzen Peter der Weltgeschichte in einem Kartenspiel einen Bestseller. Als es 2008 auf den Markt kam, erhitzte es die Gemüter im In- und Ausland, wo es öffentlichkeitswirksam und kontrovers diskutiert wurde. So zitierte die Berliner Morgenpost etwa Berlins Innensenator Ehrhardt Körting, der das Spiel als „geschmacklos“ bezeichnete – und der mit dieser Meinung nicht alleine war.60 Inmitten der Debatte bot ein aktueller Anlass Oppmann Gelegenheit, diese einmal mehr zu befeuern und auch marketingtechnisch für das Kartenspiel zu verwerten. Als am 5. Juli 2008 der Altenpfleger und Ex-Polizist Frank L. kurz nach der Eröffnung von Madame Tussauds Berlin dem dort ausgestellten Wachs-Hitler den Kopf abriss, reagierte der Verleger schnell und schickte eine Pressemitteilung mit der Überschrift „Hitler

58 Volker Oppmann zitiert in: Neudert, Christine: Interview mit Volker Oppmann. In: literaturnetz.de vom 24.7.2009: http://literaturnetz.com/1/2009072410557/Magazin/Specials/OnkelOnkel.html. Stand: 21.7.2015. 59 Ebd. 60 Löwenstein, Marie: Wie man in Kreuzberg mit Adolf Hitler Geld verdient. In: Berliner Morgenpost Online vom 7.8.2008: http://www.morgenpost.de/berlin/article762111/Wie_man_in_ Kreuzberg_mit_Adolf_Hitler_Geld_verdient.html. Stand: 21.7.2015.

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 4 Independent Verlage im Porträt

sticht“ aus. Er zitiert darin den jüdischen Schriftsteller Rafael Seligmann („Ein Meilenstein auf dem Weg zur Normalisierung“) ebenso wie Körting und einen entsetzten Internetkommentar aus den USA, in dem die Verbrennung des Spiels gefordert wurde. Die Verkaufszahlen schossen in die Höhe, nach 2.000 aus dem Stand verkauften Exemplaren musste die zweite Auflage gedruckt werden. Sieben Jahre nach seinem Erscheinen bringt das finanzielle Zugpferd des Verlages immer noch stabile Umsatzzahlen. Das Geschick, wenig erfreuliche aktuelle Anlässe auf kreative Weise zu nutzen, um Aufmerksamkeit zu erregen, nutzte der Verlag Onkel & Onkel auch auf der Frankfurter Buchmesse 2008. Nachdem beim ersten Messeauftritt auf der vorangegangenen Leipziger Buchmesse die komplette Standausstattung über Nacht verschwunden war, wurden in Frankfurt alle Bücher an die Stellwände geschraubt oder in Ketten gelegt. Der Stand hob sich damit von anderen ab und verlieh dem Konzept des Verlages die passende Optik.61 Onkel & Onkel machte mit dieser ersten Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse vor allem aber als „erste(r) Literaturverlag weltweit, der eine Neuerscheinung sowohl traditionell im Buchhandel als auch parallel über iTunes und iPod touch veröffentlicht“,62 Schlagzeilen. Was aus einer Marketingidee heraus entstand, um aus nur 130 Vorbestellungen für die erste belletristische Neuerscheinung Aufmerksamkeit zu erregen, entwickelte sich zu einem Projekt, das in rasantem Tempo eine Eigendynamik entwickelte. Deren Ausmaße forderten Volker Oppmann einmal mehr als Unternehmer – die Idee war größer, als zu Beginn ermessen werden konnte. Basierend auf seiner Geschäftsidee, startet das Unternehmen textunes 2008 als GmbH mit zwei weiteren Beteiligten und ist spezialisiert auf die Veröffentlichung von Verlagsinhalten auf mobilen Endgeräten.63 Drei Jahre später kooperiert textunes mit rund 300 Verlagen – und wird 2011 an den Buchhandelsriesen Thalia verkauft, der damit die führende Rolle im deutschen E-Book-Markt erlangt.64 Im selben Jahr wird auch der einstige Verlagssitz mit Showroom aufgegeben und Onkel & Onkel zieht kurzfristig an dieselbe Adresse des Studio Farbenfroh, wo die Grafiker des Verlages sitzen und sich vor allem Jana Kühn, die 2010 für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit eingestellt worden ist, um die Arbeit im Verlag kümmert.

61 N.N.: Gestohlene Bücher: 0. In: Börsenblatt 43/2009, S. 8. 62 N.N.: David gegen Goliath auf dem E-Book Markt. In: boersenblatt.net vom 19.10.2008: http:// www.boersenblatt.net/283621/. Stand: 21.7.2015. 63 Homepage textunes: www.textunes.de/. Stand: 21.7.2015. 64 N.N.: Eingekaufte Kompetenz. In: buchreport.de vom 8.8.2011: http://www.buchreport.de/ nachrichten/handel/handel_nachricht/datum/2011/08/08/eingekaufte-kompetenz.htm. Stand: 21.7.2015.

4.5 Onkel & Onkel 

Abb. 4.34: Onkel & Onkel Verlag am Berliner Oranienplatz 2010 (Foto: privat).

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Abb. 4.35: Onkel & Onkel Verlag am Berliner Oranienplatz 2010 (Foto: privat).

Die folgenden Jahre wird es ruhiger bei Onkel & Onkel, 2014 kann man auf der Homepage des Verlages lesen: Nicht zuletzt aufgrund des Engagements unseres Ober-Onkels für LOG.OS haben wir in letzter Zeit oft die Frage gestellt bekommen, was eigentlich aus ONKEL & ONKEL wird. Kurz gesagt: Nix. ONKEL & ONKEL ist und bleibt ein Verlag, der, ganz dem Forssman’schen Diktum folgend, brav unschuldiges Papier bedrucken, kollationieren und 3-seitig beschneiden lässt, um es anschließend hübsch aufbinden zu lassen. Es darf aber mit Fug und Recht die Frage gestellt werden, was da schon wieder aus der ONKEL-Ecke kommt und worauf das alles hinauslaufen soll. Und manchmal fragen wir uns tatsächlich selbst, was eigentlich die erfolgreichsten Produkte von ONKEL & ONKEL sind. Die Bücher? Oder die Ideen, wofür diese Bücher stehen? Oder vielleicht sogar Ideen an sich? Denn ein Buch muss ja nicht immer zwangsläufig die beste ‚Verpackung‘ für eine Idee sein – manche Ideen brauchen als Verpackung eben kein Buch, sondern eine andere Produkt- oder vielleicht sogar Organisationsform, um ihre volle Wirkung entfalten zu können.65

So eine Organisationsform zu entwickeln, ist Volker Obmanns neuestes Projekt. Er ist Initiator und treibende Kraft hinter LOG.OS, das, 2014 gestartet, eine digitale

65 Oppmann, Volker: Was wird eigentlich aus Onkel & Onkel? In: Homepage Onkel & Onkel vom 7.6.2014: http://www.onkelundonkel.com/was-wird-eigentlich-aus-onkel-onkel/. Stand: 26.7.2015.

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 4 Independent Verlage im Porträt

Universalbibliothek werden soll, die auf einer unabhängigen Plattform gründet. Getragen ist die Idee dazu, wie Oppmann schreibt: [d]urch die Erkenntnis, dass Buchhandel und „Buchwesen“ in der digitalen Welt funktional eine andere Rolle spielen und wir es im Sinne der Daseinsvorsorge mit systemrelevanten Infrastrukturen zu tun haben, die meines Erachtens der alleinigen Kontrolle einzelner Marktteilnehmer entzogen sein sollten. Es geht darum, unser digitales Kulturerbe sowie unsere Persönlichkeitsrechte zu schützen und gleichzeitig sicherzustellen, dass sowohl die Urheber wie auch andere Marktteilnehmer auch in der digitalen Welt von ihren Erzeugnissen leben können. Ein produktiver Literaturbetrieb kann nur dann funktionieren, wenn sich beide Aspekte des Buches, der kulturelle und der wirtschaftliche Aspekt, die Waage halten.66

Viele von Oppmanns Kolleginnen und Kollegen in der Branche sehen das ähnlich und fördern das Projekt, das derzeit noch von ehrenamtlichem Engagement getragen wird. Neben Independent Verlagen wie Salis, Verbrecher Verlag, Luftschacht oder Matthes & Seitz finden sich hier auch größere Verlage wie Bastei Lübbe, Aufbau oder das Branchenmagazin buchreport. Auch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die Kurt-Wolff-Stiftung zählen zu den Unterstützern. ONKEL & ONKEL GmbH Johannistisch 26 14532 Kleinmachnow Deutschland http://www.onkelundonkel.com/

Abb. 4.36: Onkel & Onkel Verleger Volker Oppmann 2015 (Foto: privat). 66 Homepage LOG.OS: Team: https://logos.vision/logos_team/volker-oppmann/. Stand: 26.7.2015.

4.5 Onkel & Onkel 

Abb. 4.37: Frank Zünkler: Natural born Grillers. Onkel & Onkel 2007 (Cover: Onkel & Onkel).

Abb. 4.39: Onkel & Onkel (Hg.), Das Führer-Quartett. Onkel & Onkel 2010 (Cover: Onkel & Onkel).

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Abb. 4.38: Tor Åge Bringsværd, Puder. Oder Sleeping Beauty in the Valley of the Wild, Wild Pigs. Onkel & Onkel 2008 (Cover: Onkel & Onkel).

Abb. 4.40: Alexandra Klobouk, Polymeer. Eine apokalyptische Utopie. Onkel & Onkel 2012 (Cover: Onkel & Onkel).

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 4 Independent Verlage im Porträt

4.6 Salis (Zürich/CH, Berlin/D, erstes Buch: 2007)

Abb. 4.41: Logo Salis (Abb.: Salis).

Mit wenig Startkapital, jedoch finanzkräftigen Geschäftspartnern gründet sich Salis 2007 als Aktiengesellschaft. Von Beginn an unterstützen Geschäftspartner das Projekt, die Programmhoheit liegt jedoch zu 100 Prozent beim Verleger André Gstettenhofer, der neben drei weiteren Personen auch im Aufsichtsrat der Salis AG vertreten ist. Gstettenhofer kann das kleine Unternehmen in der Schweizer Buchhandelslandschaft rasch etablieren. PR-Know-how und Kontakte, die der Verleger aus

Abb. 4.42: Salis Verlag in der Berliner Görlitzer Straße 2013 (Foto: privat).

Anmerkung: Für das folgende Porträt stammen die Informationen, falls nicht anders ausgewiesen, aus dem Interview mit dem Verleger André Gstettenhofer vom 3.6.2010.

4.6 Salis 

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seinen vorangegangenen Tätigkeiten in der Musik- und Verlagsbranche mitgebracht hat, verschaffen den Büchern von Salis von Beginn an Resonanz in der Presse und nicht zuletzt sogar Platz in den großen Buchhandelsketten. Für den Verleger André Gstettenhofer eine erfreuliche Entwicklung, die allerdings bald nach dem nächsten Schritt verlangt: Der Name Salis soll auch über die Schweizer Grenzen hinweg zu mehr Bekanntheit gelangen. 2010 nimmt das Vorhaben, vom Schweizer zum vielmehr deutschsprachigen Verlag zu werden, konkrete Formen an. André Gstettenhofer zieht mit dem Verlag nach Berlin. In Kreuzberg, in der Nähe des Görlitzer Parks, teilt er sich für die nächsten Jahre ein aufgelassenes Ladenlokal mit einem Architekten und einer Grafikerin. Im Schaufenster liegen Salis-Bücher aus.

Abb. 4.43: Salis Verleger André Gstettenhofer 2015 (Foto: Sibylle Meier).

Fünf Jahre nach Erscheinen des Buches Wir nennen es Arbeit ist André Gstettenhofer ganz kreativer Freiberufler im Sinne der digitalen Bohème, wie sie dort beschrieben wird: sein Verlag behält den Sitz und einen Mitarbeiter im schweizerischen Zürich, während der Verleger Berlin als lebenswerten Standort wählt, wo er ein Netzwerk von kleinen unabhängigen Verlagen vorfindet und in der Bürogemeinschaft eine gemeinsame Arbeitsstätte der „nicht inhaltlichen Zusammenarbeit“ mit anderen kreativen Freelancern.67 Salis-Lektor Patrick Schär war aus 67 Vgl. Friebe, Holm/Lobo, Sascha: Wir nennen es Arbeit. Die digitale Bohème oder Intelligentes Leben jenseits der Festanstellung. München: Heyne, 2006, S. 155.

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 4 Independent Verlage im Porträt

ähnlichen Gründen zuvor schon aus der Schweiz nach Berlin gezogen. Der Verleger reist seit dem Umzug etwa einmal im Monat nach Zürich, wo alles seinen Anfang nahm: Der Salis Verlag wurde als Idee im September 2006 geboren, das erste Programm erschien im Frühjahr 2007. André Gstettenhofer, der langjährige Kommunikations- und Vertriebsverantwortliche von Scalo, ist Gründer und fungiert als Verleger. Patrick Schär ist als Lektor mit an Bord, Roger Ingold kümmert sich um die Finanzen. Salis wird unterstützt von einem großen Netzwerk aus Freelancern und Supportern. Salis repräsentiert eine neue, junge Generation im deutschsprachigen Verlagswesen und ist Mitglied des Netzwerks der Independent-Verlage in Deutschland, Österreich und der Schweiz.68

Phasenweise arbeiten auch Praktikantinnen und Praktikanten im Verlag. Lektorat, Korrektorat und die Buchgestaltung werden auswärts erledigt. Der Rest ist Chefsache: Programmzusammenstellung und alles, was anfällt, sobald das Buch da ist – Medienarbeit, Marketing, Vertrieb. Gstettenhofer begleitet jedes Projekt von Anfang bis Ende, jedes Buch hat „Top-Priorität“. Nach fünf Jahren umfasst das Programm 50 Titel, drei Jahre später sind es knapp 90. Die Akquise von Autorinnen und Autoren erfolgt unterschiedlich. Wie jeder Verlag erhält auch Salis eine Reihe unverlangt eingesandter Manuskripte, zwei Exemplare sind daraus heute mit Salis-Logo im Buchhandel erhältlich. Vor allen Dingen entstehen Buchprojekte aber in Rückgriff auf ein Netzwerk, das sich der Verleger einerseits in seiner Zeit als PR- und Vertriebsverantwortlicher beim später insolventen Scalo Verlag aufgebaut hatte, das andererseits persönlichen Ursprungs ist – auch Freundinnen und Freunde finden sich im Programm, das sich der eigenen Beschreibung nach so gestaltet: Salis ist ein unabhängiger Buchverlag für Belletristik, Krimi und Sachbuch. In der Sparte Literatur konzentrieren wir uns auf junge und jung gebliebene Autorinnen und Autoren mit dem Ziel, diese langfristig aufzubauen und zu begleiten. Die Sachbücher behandeln alltägliche Themen, gesellschaftliche wie auch politische Anliegen. Salis publiziert rund acht neue Titel pro Jahr und konzentriert sich auf inhaltlich wie formal hochwertige Bücher.69

Mit Silano – Der Jahrhundert-Postraub gelang Salis 2009 der Sprung auf Platz 3 der Top-Ten der Schweizer Sachbuch-Bestseller-Liste. Domenico Silano erzählt darin seine Lebensgeschichte. 1997 hatte er in Zürich eine Post überfallen, über 50 Millionen gestohlen und war dann 15 Monate auf der Flucht. Kurz darauf positioniert sich Salis erneut in der Top-Ten der Schweizer Sachbuch-Bestseller-Liste: Vom Fleck weg – Rund 1′000 Tipps und Tricks für unser tägliches Leben ist eine 68 Homepage Salis: Über Salis: http://www.salisverlag.com/content/über-salis. Stand: 13.7.2015. 69 Ebd.

4.6 Salis 

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„Sammlung bewährter Tipps für Haushalt, Schönheit, Gesundheit und absolut alles was man zum täglichen Überleben braucht“70 – und eines der erfolgreichsten in der Verlagsgeschichte von Salis. In kurzer Zeit verkauft es sich über 10.000mal. Das Cover, bunt und als Leineneinband, passt ins Erscheinungsbild der übrigen Bücher. Etwa zur ähnlich auffallenden Krimireihe, deren Cover bunt und grafisch gestaltet sind. Inhaltlich haben sie meist einen Schweiz-Bezug, wie etwa Silvano Cerruttis Du nennst das Gier oder Tamás Kiss’ Früher im Licht. Einer der bekanntesten Autoren des Verlages ist Thomas Meyer. Sein Debüt Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse war 2012 für den Schweizer Buchpreis nominiert und hielt sich dort 46 Wochen auf der Bestsellerliste. Erzählt wird die Geschichte eines jungen orthodoxen Juden, der zwischen den Welten oszilliert: seiner Herkunft, die von einer überdominanten jüdischen mame dirigiert wird, und der seiner viel interessanteren Umgebung, die mit Verführungen lockt, die dort gar nicht hinpassen wollen. In den Medien zieht man Parallelen zwischen Thomas Meyer und Woody Allen.71 Und die Begeisterung für die witzige Sprache des ehemaligen Werbetexters hält an – drei Jahre nach Erscheinen zählt das Buch die nunmehr zehnte Auflage und Meyer veröffentlicht sein zweites Buch, Rechnung über meine Dukaten, einen Roman über den Preußenkönig Friedrich Wilhelm I., bei Salis. Dort ist von Meyer ebenfalls eine Postkartensammlung erhältlich: Zwischen 2007 und 2010 führte der Autor in Zürich das Guerillakunst-Projekt „Aktion für ein kluges Zürich“ durch. Dabei brachte er kleine Aufkleber im öffentlichen Raum an, mittels deren er seinen Mitmenschen Fragen zum Leben, zur Beziehungsführung und anderen Themen stellte. 2013 wurde aus dieser Art Fragen die Postkartensammlung Wem würden Sie nie im Leben eine Postkarte schicken? Adrian Witschi ist eine weitere Neuentdeckung des Verlages. Sein Debüt Hoffentlich ist niemand verletzt machte den jungen Schweizer in den Medien zum „Chronist[en] der Generation Y“,72 in seinem lebensnahen Roman hat er das Leben der 30-jährigen Zürcher verewigt – zwischen 1980 und 1999 geboren, mit allen Freiheiten ausgestattet und von Zweifeln geplagt. Höchstens in einem Punkt nicht: der Salis Verlag ist zweifelsfrei die richtige Adresse für Bücher wie

70 Homepage Salis: Vom Fleck weg: http://www.salisverlag.com/title/erica-matile-vom-fleck-weg. Stand: 13.7.2015. 71 Tröger, Beate: Das Gesetz der Mutter. In: faz.net vom 18.9.2012: http://www.faz.net/aktuell/ feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/thomas-meyer-wolkenbruchs-wunderliche-reisein-die-arme-einer-schickse-das-gesetz-der-mutter-11894952.html. Stand: 13.7.2015. 72 Manz, Ev: Chronist der Generation Y. In: tagesanzeiger.ch vom 28.3.2015: http://www. tagesanzeiger.ch/zuerich/dossier/wahlen-und-abstimmungen-im-kanton-zuerich/Chronistder-Generation-Y/story/16106524. Stand: 13.7.2015.

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 4 Independent Verlage im Porträt

dieses. Das Autorenfoto ist schnell mit dem Handy aufgenommen, alles an dem Buch trifft den Nerv der Zeit. Das Sachbuch Hardau. Claro que sí, c’est çomme ça, c’est la vie von Julia Ambroschütz und Jeannine Herrmann wird 2008 dreifach ausgezeichnet – von der Stiftung Buchkunst als eines der Schönsten Deutschen Bücher, als eines der Schönsten Schweizer Bücher und als eines der Schönsten Bücher aus aller Welt. Das Buch war auch für den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland nominiert.73 Die Geschichte, die in dem mittlerweile vergriffenen Titel erzählt wird, ist simpel. Es dreht sich um das Leben in den höchsten Wohnhäusern der Schweiz, die in Zürich stehen. Die Kombination von Text und Bild präsentiert sich dabei jedoch so gekonnt, dass umso eindrucksvoller ein Panorama entsteht, das unabhängig von seiner Thematik innovative Mediendramaturgie überhaupt in den Blick nimmt und dabei neue Erzählweisen auslotet, die imstande sind, auf mehreren Ebenen Zusammenhänge herzustellen. Die beiden Grafikdesignerinnen gestalteten auch die Homepage des Salis Verlages. Bereinigt von allem, was ablenken könnte, besticht die Seite durch Klarheit. Ästhetisch aufgebaut, geht es ohne Umschweife direkt zur Sache: Gleich auf der Startseite sind alle verfügbaren Titel mit Cover und ohne Text abgebildet. Sie bilden zusammen ein Kaleidoskop, das Salis und die aktuelle Arbeit des Verlages nicht besser abbilden könnte. Damit wird einerseits ein Gefühl insgesamt vermittelt, gleichzeitig ist es möglich, per Klick schnell zum einzelnen Buch zu kommen. Ein halbes Jahr nach dem Relaunch der Homepage kürt eine Fallstudie der HTWK Leipzig über Verlagshomepages im Social Web die Seite von Salis mit dem vierten Platz: Sie ist eine der „übersichtlichsten, nutzerfreundlichsten und zielgruppenbewusstesten ihrer Art“.74 Gelobt wird die „aufgeräumte Homepage mit schlichtem Design“ mit dem Schwerpunkt da, wo er sein soll: bei Büchern und ihren Autoren – und ein Extra, das es nur bei Salis gibt: wöchentlich erscheinende Playlists von bei YouTube gehosteter Musik, „die uns beflügelt, inspiriert und meist laut in unserem Büro läuft“.75 Der Hauptsitz des Verlagsbüros wird 2014 wieder dahin zurückverlegt, wo alles seinen Anfang nahm: Zusammen mit seiner Familie, die sich in den Jahren in Berlin vergrößert hat, geht André Gstettenhofer zurück nach Zürich. Ansonsten bleibt bei Salis alles, wie es war: „Wir haben immer die neuesten Mobilgeräte. Leider alle zum Selberblättern.“76

73 Homepage Salis: Hardau: http://www.salisverlag.com/title/julia-ambroschütz-jeannineherrmann-hardau. Stand: 13.7.2015. 74 Homepage Verlage der Zukunft: http://www.verlagederzukunft.de/top-5-verlagshomepagesim-social-web/. Stand: 13.7.2015. 75 Ebd. 76 Salis auf Facebook: https://www.facebook.com/salisverlag?fref=ts. Stand: 2.7.2015.

4.6 Salis 

Salis Verlag AG Rieterstrasse 18 8002 Zürich Schweiz Büro Berlin Görlitzer Straße 46 10997 Berlin Deutschland http://www.salisverlag.com/

Abb. 4.44: Salis Vorschau Frühjahr 2010 (Abb.: Salis).

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 4 Independent Verlage im Porträt

Abb. 4.45: Erica Matile, Vom Fleck weg. Salis 2009 (Cover: Salis).

Abb. 4.47: Thomas Meyer, Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse. Salis 2012 (Cover: Salis).

Abb. 4.46: Ambroschütz/Herrmann, Hardau. Salis 2009 (Cover: Salis).

Abb. 4.48: Adrian Witschi, Hoffentlich ist niemand verletzt. Salis 2015 (Cover: Salis).

4.7 Verbrecher Verlag 

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4.7 Verbrecher Verlag (Berlin/D, erstes Buch: 1995)

Abb. 4.49: Logo Verbrecher Verlag (Abb.: Verbrecher Verlag).

2015 kann man im Verbrecher Verlag bereits auf 20 Jahre Verlagsgeschichte zurückblicken. Dass es einmal so weit kommen könnte, hätte dort zunächst aber niemand gedacht. Denn auch wenn der Verlag heute nicht mehr aus der Buchlandschaft wegzudenken ist, so geht das Entstehen des Verlages keineswegs auf einen Plan zurück. Vielmehr war es ein Versehen: Begeistert von diversen Autoren der Gegenwart, von denen Jörg Sundermeier und Werner Labisch bereits alles Verfügbare gelesen hatten, suchten die beiden Literaturstudenten nach einer Idee, um an mehr Lesestoff zu gelangen: In einem Interview hatte Dietmar Dath, der Labisch und Sundermeier als Autor für Konkret, Titanic und Heaven Sent aufgefallen war, von einem Roman gesprochen, den er in Arbeit hatte. Die beiden wollten ihn lesen, und um an das Manuskript zu gelangen, gab man sich als Verlag aus. Für den vermeintlichen Verlag, der zumindest in der Namensgebung eine Anspielung auf die Seriosität des Vorhabens enthielt und von Beginn an wenig Hoffnung wecken sollte, wurde schnell ein Logo per Hand entworfen – ein Männchen, das mit erhobenen Armen vor einem anderen steht, das ihm eine Pistole ansetzt. Bis heute ist es in Verwendung. Dietmar Dath ließ sich davon jedenfalls nicht abschrecken. Er beantwortete das Manuskriptanforderungsschreiben, dessen Briefkopf es zierte – Sundermeier und Labisch traten die Flucht nach vorne an: Cordula killt dich! oder Wir sind doch nicht die Nemesis von jedem Pfeifenheini.

Anmerkung: Für das folgende Porträt stammen die Informationen, falls nicht anders ausgewiesen, aus dem Interview mit dem Verleger Jörg Sundermeier vom 10.5.2010.

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 4 Independent Verlage im Porträt

Roman der Auferstehung erschien als erstes Buch im Verbrecher Verlag, der damit Wirklichkeit geworden war77 – und blieb für die folgenden Jahre das einzige. Auf dem Titel der Erstauflage fehlte ein Wort, ein Fehler bei der Drucklegung brachte nicht die korrigierte Endfassung, sondern jene davor zu Papier, bei dem, genauso wie bei der Typografie, gespart wurde. Die Auflage von 700 Exemplaren war – von den beiden Amateurverlegern selbst finanziert – schließlich auch ökonomisch kaum zu verkraften: Wir hatten keine Ahnung von Marketing, keine Ahnung vom Buchhandel, wir haben einfach ein Buch gemacht, das Allernötigste gerade noch hinbekommen [. . .]. Wir dachten, es bleibt dabei.78

Wie man mit Druckereien umgeht, vermarktet und eine Steuererklärung macht, lernten die beiden in ihrer Arbeit für das Lifestyle-Magazin Partysan. Als sie 1999 aus dem Magazin ausschieden, konnten sie die Büroräume weiter nutzen und nahmen die Arbeit im Verbrecher Verlag auf Anregung des Comic-Zeichners Oliver Grajewski wieder auf, dessen neuesten Comic sie so herausbrachten. Die verlegerische Arbeit professionalisierte sich und die Zahl der Neuerscheinungen stieg an. Im September 2003 zog der Verlag vom Haus Schwarzenberg in Berlin-Mitte nach Berlin Kreuzberg in den Mehringhof – entstanden in der Zeit der Hausbesetzungen in den 1970ern sowie aus der Idee heraus, ein alternatives Zentrum aufzubauen, ist der Mehringhof noch heute ein gemeinnütziger Verein in den Händen der dort arbeitenden Gesellschafter. Neben dem Verbrecher Verlag finden sich dort zahlreiche weitere Unternehmen und Projekte – etwa ein Theater, Forschungseinrichtungen, ein Fahrradladen, die Buchhandlung Schwarze Risse oder die Schule für Erwachsenenbildung, das erste Projekt des Mehringhofs.79 Im Jahr vor dem Umzug des Verlages in den Mehringhof wurden erstmals über zehn Bücher im Verbrecher Verlag verlegt, 2006 erreichte man 18, 2009 sogar 21 Veröffentlichungen. 2015 zählt das Programm insgesamt knapp 300 Titel. Neben den beiden Verlegern arbeiten über viele Jahre auch Praktikantinnen und Praktikanten bzw. andere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Verlag, ohne dass auch nur eine Stelle hat vollständig bezahlt werden können  – auch nicht für die beiden Verleger. Weitere Jobs als freie Journalisten begleiteten die Arbeit

77 Vgl. Domanska, Monika: Geschichte des Verbrecher Verlages. In: Literaturhaus Hannover. 2002: http://www.literaturhaus-hannover.de/arc_buchlust_verlagdetail.php?id=143&PHPSESSID= bkgbkuez. Stand: 23.7.2015. 78 Jörg Sundermeier, zitiert in: Fritzsche/Bilger, 2006. 79 Homepage Mehringhof: http://www.mehringhof.de/. Stand: 23.7.2015.

4.7 Verbrecher Verlag 

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Abb. 4.50: Verbrecher Verlag im Mehringhof Berlin (Foto: privat).

Abb. 4.51: Verbrecher Verlag Team vor den Plakaten zum zwanzigjährigen Verlagsjubiläum 2015: Kristina Wengorz, Evelyn Rahm, Kristine Listau, Jörg Sundermeier, Christian Walter (Foto: Birgit Lulay).

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 4 Independent Verlage im Porträt

im Verlag von Beginn an. Jörg Sundermeiers Kolumne Der letzte linke Student erschien bis 2011 regelmäßig in der Wochenzeitung Jungle World. Im selben Jahr erschien im kleinen linken Alibri Verlag ein Buch mit gleichnamigem Titel, das die erschienenen Kolumnen und unveröffentlichte Texte versammelt. Den roten Faden bildet der letzte linke Student, „ein naiver Linker, der sich für einen Analytiker hält, jedoch durch seinen unbändigen Aktivismus und seine immense Eitelkeit immer zu falschen Schlüssen und zur Selbstglorifizierung verleitet wird“.80 Die Texte wollen dabei keine „Botschaft“ vermitteln, sondern Leserinnen und Leser zu eigener Analyse und Urteil anregen – ganz im Sinne einer Programmgestaltung, wie sie auch im Verbrecher Verlag erfolgt. Den Schwerpunkt bildet dort die Belletristik. Daneben finden sich auch Comics, Kunstbücher und Graphic Novels. Sachbuch ist eine weitere Programmschiene. Vor allem in diesem Segment profiliert sich der Verbrecher Verlag als linker Verlag. Bezeichnet Jörg Sundermeier das Programm zwar als überwiegend „ex negativo“ links – „Rassistisches oder Sexistisches wird nicht verlegt“ – so finden sich dort doch sehr zielgerichtet linkspolitische Themengebiete wie Antifaschismus, Antiimperialismus und Antikapitalismus. Auch in Herausgeberschaften wird dies deutlich – so publizierten etwa das Berliner Bündnis gegen IG Farben/Gruppe Offene Rechnungen, die initiative not a love song oder die Redaktion der linken Zeitung Jungle World. Reihen erscheinen ebenfalls im Verlag: Filit, eine Filmreihe und die Stadtbücher. In den Anthologien über deutsche Großstädte, Stadtteile (z. B. das Kreuzbergbuch) oder städtische Ballungszentren beleuchten überwiegend die Verleger selbst als Herausgeber die jeweiligen Städte. Mit privatem und unbeschönigtem Blick sind darin Beiträge verschiedener Autorinnen und Autoren versammelt. Die Stadtbücher zählen lange Zeit zu den verkaufsstärksten Titeln im Verbrecher Verlag und „bringen auch mal das Geld, um andere Titel zu machen und mitzutragen“.81 Denn ein großes Anliegen ist die Gleichbehandlung der Publikationen. Das wird in der Präsentation in der Vorschau deutlich, vor allem aber auch in der Ausstattung. Das Erscheinungsbild der Titel, fast durchgängig Taschenbücher mit bildloser Grafik von Sarah Lamparter, ist bewusst so gewählt. Das so umgesetzte Gleichheitsprinzip beschreibt Sundermeier analog zum inhaltlichen Programmschwerpunkt: Wir möchten das Buch, von dem wir erwarten, dass es sich 3000 Mal verkauft, deshalb nicht besser ausstatten, als das, das wir nur 600 Mal verkaufen, um ein Gleichheitsprinzip

80 Homepage Alibri Verlag: Der letzte linke Student: http://www.alibri-buecher.de/Buecher/ Belletristik/Joerg-Sundermeier-Der-letzte-linke-Student:151.html. Stand: 22.7.2011. 81 Jörg Sundermeier, zitiert in: Fritzsche, 2006.

4.7 Verbrecher Verlag 

 269

einzuführen. Man kann sagen, wir geben unseren Büchern einen Maoanzug, ohne dass wir mit den Maoisten in Verbindung gebracht werden wollen. Aber uns ist dieses Prinzip ganz wichtig.82

Heterogener gestaltet sich das Bild der Autorenschaft. Verlegt werden nicht nur junge Talente oder zeitgenössische Belletristik, das klare Profil ist auch ein generationenübergreifendes. Etablierte ältere Autoren wie Giwi Margwelaschwili oder Peter O. Chotjewitz stehen da mit mehreren seitenschweren Werken neben jungen Talenten mit Erstpublikationen – etwa jenen des Literaturkritikers Kolja Mensing, einer Graphic Novel des jung verstorbenen Martin Büsser oder dem Debüt von Nino Haratischwili, einer Regisseurin in den Zwanzigern. Renommierte Autorinnen wie Elfriede Czurda oder Anke Stelling neben vergessenen und wiederentdeckten wie Gisela Elsner und Rudolf Lorenzen oder dem Komponisten, Dichter und Sänger Georg Kreisler, der in den 1950er-Jahren insbesondere mit makabren Chansons bekannt wurde. Mit Erich Mühsams Tagebüchern ist ein Opus Magnum im Entstehen begriffen: geplant ist eine Reihe des „berühmtesten deutschen Anarchisten“,83 dessen erster Band 2011 vorgelegt wurde und fortan jedes Halbjahr um einen Band erweitert wird – voraussichtlicher Erscheinungstermin von Band 15, dem letzten Buch der Reihe, ist Herbst 2018. Parallel erscheint das „Jahrhundertwerk“ als Online-Edition84 – begleitet von einem Anmerkungsapparat mit kommentiertem Namensregister, Sacherklärungen, ergänzenden Materialien und Suchfunktionen, soll so eine historisch-kritische Ausgabe entstehen. Der Auftakt des gewaltigen Vorhabens war begleitet von großer Presseresonanz. Als der erste Band kurz nach Erscheinen von der Darmstädter Jury zum Buch des Monats August gewählt wurde, musste bereits nachgedruckt werden. Das Feedback von Buchhandel und Presse übertraf alle Erwartungen im Verbrecher Verlag.85 2014 startete man das nächste Mammutprojekt: Die Übersetzung des siebenbändigen Kultromans Das Büro des niederländischen Autors J. J. Voskuil. Weitere Informationen über den Verlag und seine Projekte gibt es via Facebook und Twitter und der Homepage. Dort kann auch der Newsletter abonniert werden, der ein- bis zweimal pro Woche über aktuelle Neuerscheinungen und zahlreiche Veranstaltungen wie Lesungen oder die regelmäßig stattfindende 82 Jörg Sundermeier, 2006. 83 Homepage Verbrecher Verlag: Mühsam Tagebücher: http://www.verbrecherverlag.de/ buch/631. Stand: 23.7.2015. 84 Homepage Erich Mühsam Tagebücher: http://www.muehsam-tagebuch.de. Stand: 23.7.2015. 85 Vgl. N.N.: Erich Mühsam „Tagebücher 1. 1910–1911“ ist Buch des Monats August 2011. In: buchmarkt.de vom 28.7.2011: http://www.buchmarkt.de/content/47815-erich-muehsamtagebuecher-1-1910-1911-ist-buch-des-monats-august-2011.htm. Stand: 23.7.2015.

270 

 4 Independent Verlage im Porträt

Verbrecherversammlung informiert. Diese findet jeden zweiten Dienstag im Monat in der Fahimi Bar in Berlin-Kreuzberg statt und gibt Gelegenheit, das Programm des Verlages und Autorinnen und Autoren kennenzulernen – es wird gelesen, getrunken und diskutiert. Beiträge kommen zumeist von Autorinnen und Autoren des Verlages, häufig auch – ähnlich dem Prinzip von KOOKread86 – von Autorinnen und Autoren aus anderen Independent Verlagen bzw. den Verlegern, die dort im Anschluss häufig noch als DJs fungieren. Mit Anfang 2011 ist es jedoch nur noch ein Verleger. Am 11.1.2011 fand die Verbrecherversammlung als „Ein Fest für Werner Labisch“ statt: Werner Labisch, Mitbegründer des Verbrecher Verlags und der Verbrecherversammlung, verlässt die Stadt und den Verlag – es heißt Abschied nehmen. An diesem Dienstag wird für ihn gelesen (von Überraschungsgästen) – und es wird mit ihm gefeiert. Ein Fest für Werner Labisch soll es sein!87

Zahlreich waren Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter gekommen, um Werner Labisch nach langen Jahren zu verabschieden, der mit dem Umzug nach Leipzig auch beruflich, nämlich in den pädagogischen Bereich, umsattelte. Jörg Sundermeier führte den Verlag vorerst alleine weiter, 2014 übernimmt Kristine Listau die Geschäftsführung und die Vertriebsleitung beim Verbrecher Verlag. Sie ergänzt damit das Team, das neben dem Verleger Jörg Sundermeier nunmehr aus Dr. Kristina Wengorz (Lektorat), Evelyn Rahm (Presse) und Christian Walter (Gestaltung/ Herstellung) besteht.88 Wenige Wochen zuvor wurde der Verlag auf der Leipziger Buchmesse mit dem Hauptpreis der Kurt-Wolff-Stiftung ausgezeichnet.89 Die Laudatio hielt Dietmar Dath – der Autor, mit dem alles begonnen hatte und dessen mittlerweile elftes Buch im selben Jahr im Verbrecher Verlag erschienen ist. Verbrecher Verlag Gneisenaustraße 2a 10961 Berlin Deutschland http://www.verbrecherei.de/

86 Vgl. Kapitel 4.2 kookbooks. 87 E-Mail-Newsletter Verbrecher Verlag vom 7.1.2011: „Werner Labisch, Rudolf Lorenzen, Susanne Messmer“. 88 N.N.: Neue Geschäftsführung im Verbrecher Verlag. In: buchreport.de vom 4.6.2014: http:// www.buchreport.de/nachrichten/aus_den_unternehmen/aus_den_unternehmen_nachricht/ datum/2014/06/04/neue-geschaeftsfuehrung-im-verbrecher-verlag.htm. Stand: 24.9.2015. 89 Homepage Kurt-Wolff-Stiftung: Kurt-Wolff-Preis 2014 für Verbrecher Verlag: http://www.kurtwolff-stiftung.de/kurt-wolff-preis-2014-fuer-verbrecher-verlag/. Stand: 23.7.2015.

4.7 Verbrecher Verlag 

 271

Abb. 4.52: Erich Mühsam, Tagebücher. Band 3: 1912–1914. Verbrecher Verlag 2012 (Cover: Verbrecher Verlag).

Abb. 4.53: Kolja Mensing, Minibar. Verbrecher Verlag 2007 (Cover: Verbrecher Verlag).

Abb. 4.54: Dietmar Dath, Für immer in Honig. Verbrecher Verlag 2008 (Cover: Verbrecher Verlag).

Abb. 4.55: Frédéric Valin, Randgruppenmitglied. Verbrecher Verlag 2010 (Cover: Verbrecher Verlag).

272 

 4 Independent Verlage im Porträt

Abb. 4.56: Verbrecher Verlag Vorschau Frühjahr 2014 (Abb.: Verbrecher Verlag).

4.8 Voland & Quist (Leipzig/Dresden/D, erstes Buch: 2004)

Abb. 4.57: Logo Voland & Quist (Abb.: Voland & Quist).

Anmerkung: Für das folgende Porträt stammen die Informationen, falls nicht anders ausgewiesen, aus dem Interview mit dem Verleger Sebastian Wolter vom 1.6.2010.

4.8 Voland & Quist 

 273

Mit dem Studium Buchhandel/Verlagswirtschaft an der HTWK Leipzig, bei dem sich Leif Greinus und Sebastian Wolter um die Jahrtausendwende kennengelernt haben, können die beiden Verleger auf eine direkte Ausbildung für ihre Tätigkeit zurückgreifen, was auf die wenigsten Independent Verlegerinnen und Verleger zutrifft. Im Rahmen des Studiums untersuchten die beiden mittels Controlling-Fallstudie zunächst wissenschaftlich die mögliche Gründung eines Verlages. Das Ergebnis riet von der Umsetzung eines solchen Unternehmens ab. Ihre Entscheidung, einen Verlag zu gründen, beeinflusste das jedoch nicht. Nach mehreren Praktika in Verlagshäusern wurde der Verlag 2004 gegründet. Bereits während des Studiums hatten Greinus und Wolter als Literaturveranstalter Poetry Slams und Festivals organisiert. Die Beschäftigung mit performativer Literatur brachte eine Reihe von Kontakten mit sich, die dem Verlag von Beginn an ein klares Profil verschafften. In seinen Anfängen wird das Programm als „Live-Literatur“ beschrieben, inhaltlich – auf Lesebühnen und Poetry Slams entdeckt und vorgetragen – ist es stärker am gesprochenen Wort orientiert und verfügt über eine unmittelbarere Form als Literatur im bekannten Sinne, die sich vornehmlich an Leserinnen und Leser richtet. Die durchgängig zeitgenössischen Texte, häufig mit starken Bezügen zum urbanen Umfeld, stammen von Autorinnen und Autoren, die mit wenigen Ausnahmen im selben Alter wie die Verleger sind. Die Cover verwenden die Bildsprache dieser Generation: überwiegend grafisch gestaltet, unter spärlicher Verwendung von Fotos und in der Gestaltung genreübergreifend, in einer Linie mit Zeitschriften, Musikmedien oder Veranstaltungsflyern. Da der überwiegende Teil der Texte in ihrer Konzeption an der Form des Vortrags im Setting eines interagierenden Publikums orientiert ist, ist Authentizität in der Sprache ein geradewegs zwangsläufiges Attribut. Diesen Begleiteffekt, der jedem Text seinen eigenen „Sound“ verleiht, erkannte man bei Voland & Quist als Alleinstellungsmerkmal: Jedes Buch erscheint mit beigefügter CD oder DVD, auf denen Autorinnen und Autoren die eigenen Stücke lesen, oft auch solche, die im Buch nicht zu finden sind. Voland & Quist ist der erste und einzige Verlag im deutschsprachigen Raum, der diese Linie – jedes Buch mit einer zugehörigen CD oder DVD zu veröffentlichen – konsequent durchzieht und dem Verlag dadurch sein unverkennbares Profil gibt. Den Rubriken „Hörspiel“ oder „Hörbuch“ zwar verwandt, aber nicht zuordbar, fallen die Bücher mit CD in den Bereich der „Belletristik“, wo sie sich aber abheben: „Unser Wiedererkennungswert ist groß. Für viele sind wir einfach,die mit dem Buch mit CD‘.“90 In den ersten sieben Jahren entstanden mit diesem Konzept 55 Publikationen. 90 Sebastian Wolter, zitiert in: Fritzsche, 2007.

274 

 4 Independent Verlage im Porträt

Die Genres umfassen Romane, Kurzgeschichten und Erzählungen, die im Programmbereich „Lesebühnenliteratur“ erscheinen. Lyrik erscheint im Programmbereich Spoken-Word-Lyrik“. Der Verlag präsentiert auch Literatur auf Audio-CD, DVD und CD-Rom – ohne dazugehöriges Buch. Mittlerweile erscheinen auch Bücher ohne dazugehörige CD. Als E-Book – und im Preis in der Regel um die Hälfte – ist ein Großteil der gedruckten Titel ebenfalls erhältlich. Mit den Schwerpunkten „Kinderbuch“ und „Sonar“, wo osteuropäische Autorinnen und Autoren erscheinen, setzte man im Verlag neben der „LiveLiteratur“ etwas später weitere Programmschwerpunkte. Der Kroate Edo Popović ist mit mehreren Titeln vertreten; 1991–1995 war er einer der bekanntesten Kriegsberichterstatter Kroatiens, heute gilt er als „Kroatiens Stimme der Verlierer der gesellschaftlichen Transformation nach der Wende“.91 Seit Erscheinen seiner Bücher bei Voland & Quist gewinnt er zunehmend auch im deutschsprachigen Raum an Bekanntheit. Weitere prominente Vertreter und Vertreterinnen im Programm von Voland & Quist sind eine Reihe von Literaturbühnen-Formationen. Zu nennen seien hier etwa die Surfpoeten mit regelmäßigen Auftritten in Berlin, ihre gleichnamige Anthologie zählt zu den meistverkauften Büchern im Verlag und ist mittlerweile vergriffen. Mit Die Rückkehr der Surfpoeten legte man das nächste Buch der Gruppe auf. Sax Royal mit Sitz in Dresden gilt als erfolgreichste Lesebühne außerhalb Berlins und geht auf die Initiative des Verlegers Leif Greinus zurück. Texte von Lesebühnenformationen wie LSD – Liebe statt Drogen oder Chaussee der Enthusiasten erscheinen ebenfalls bei Voland & Quist. In vielen Fällen erscheinen von den einzelnen Mitgliedern der Lesebühnen auch eigenständige Publikationen bei Voland & Quist. Schmidt liest Proust, lange Zeit Bestseller des Verlages, stammt von Jochen Schmidt, der Mitglied der Chaussee der Enthusiasten ist. Der junge Autor hat bereits mehrere Titel veröffentlicht und zahlreiche Auszeichnungen erhalten, etwa den Förderpreis zum Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor92 – was einem Attribut entspricht, das auf eine Reihe von Autorinnen und Autoren des Verlages zutrifft. Originalität spielt eine große Rolle in der Szene der „Live-Literatur“, Absurditäten des Alltags sind einer der beliebtesten und zentralsten Inhalte von Lesebühnentexten. Auch die von Voland & Quist-Autor Ahne zeichnen sich dadurch aus. Er war lange Zeit Teil der Surfpoeten und zählt zu den bekanntesten Lesebühnenautoren mit zahlreichen Publikationen; einige sind im Verlag Kiepenheuer & Witsch 91 Homepage Voland & Quist: Edo Popović: http://www.voland-quist.de/autor/?120/Edo+ Popovi%C4%87. Stand: 3.7.2015. 92 Homepage Voland & Quist: Jochen Schmidt: https://www.voland-quist.de/autor/?125. Stand: 3.7.2015.

4.8 Voland & Quist 

 275

Abb. 4.58: Voland & Quist Autoren Die Surfpoeten im UT Connewitz Leipzig 2008 (Foto: privat).

Abb. 4.59: Voland & Quist Verleger Sebastian Wolter und Leif Greinus 2015 (Foto: Robert Gommlich).

276 

 4 Independent Verlage im Porträt

erschienen, der größte Teil bei Voland & Quist, wie Was war eigentlich morgen oder die Reihe Zwiegespräche mit Gott. Sie umfasst aktuell vier Bände, die fiktive Dialoge zwischen Gott und dem Autor versammeln, wie sie vorab wöchentlich bis Ende 2011 auch in der Radiosendung Show Royale des Berliner Radiosenders RBB gehört werden konnten. Der Modus bedeutet gleichzeitig das Einfließen aktueller Geschehnisse, oft bis hin zur Tagesaktualität. Mit Bas Böttcher verlegt Voland & Quist den bekanntesten „Rap-Poeten“ Deutschlands. Seine Texte erscheinen in Schulbüchern und wichtigen Sammlungen deutschsprachiger Dichtung.93 Er erhielt mehrfach den Poetry-Slam-Preis der Literaturwerkstatt Berlin. 2007, im „Jahr der Geisteswissenschaften“, wurde er zum offiziellen Botschafter der deutschen Sprache ernannt. Mit Rap-Poesie, als neue Art von Lyrik, tritt er als reisender Poet auch im Ausland auf, unter anderem engagiert vom Goethe-Institut. Bei seiner Tournee durch Weißrussland im Jahr 2007 zählte man im Schnitt 450 Personen pro Performance.94 Für Voland & Quist ist mit diesen und einer Reihe von weiteren Autorinnen und Autoren mittlerweile ein fester Stamm entstanden, der mit etwa zehn Titeln im Jahr regelmäßig verlegt wird. Monatlich organisiert der Verlag an drei Tagen hintereinander einen Literatursalon in Leipzig, Dresden, Jena und Potsdam; zusätzlich gibt es für jeden neu erschienenen Titel eine Buchpräsentation. Der Schwerpunkt, vortragbare Literatur zu publizieren bzw. Autorinnen und Autoren zu verlegen, die ihre Texte kontinuierlich einem Publikum präsentieren, bringt jedoch noch eine Reihe von weiteren Veranstaltungen mit sich. Poetry Slams und vor allem Lesebühnen finden zumeist regelmäßig an festgelegten Orten statt, was für den Verlag geringeren Organisationsaufwand bedeutet und erklärt, wie unter der Rubrik „Termine“ auf der Verlagsseite ein halbes Jahr im Voraus für nahezu jeden Tag eine Veranstaltung angekündigt sein kann, häufig auch mehrere. In der Regel können im Rahmen der Veranstaltungen auch Bücher der Literatur-Performerinnen und -Performer erworben werden – womit sich für den Verlag ein alternativer Absatzkanal von Bedeutung erschließt, zumal die Publikumswirksamkeit der Autorinnen und Autoren ein wesentlicher Faktor ist, um deren Bücher stärker bekannt zu machen und zu bewerben. In herausragenden Fällen macht der Verkauf durch Autorinnen und Autoren selbst bis zu 50 Prozent aus. Direktverkaufskanäle wie Veranstaltungen oder über die Homepage des Verlages machen 20 Prozent aus. Dass das kein Zufall, sondern Know-how ist, macht die Webseite deutlich. Sie zeigt den State of the Art des Inszenierens von Büchern in der virtuellen Welt. Bei gleichzeitig großer Übersichtlichkeit und Benutzerfreundlichkeit werden 93 Der Neue Conrady, Lyrikstimmen u. a. 94 Homepage Voland & Quist: Bas Böttcher: http://www.voland-quist.de/autor/?98/Bas+B%C3% B6ttcher. Stand: 3.7.2015.

4.8 Voland & Quist 

 277

alle Möglichkeiten, die das Netz bietet, ausgelotet, vor allem im Bereich Social Web. Neben obligatorischen Verknüpfungen zu Facebook, Twitter, MySpace und diversen Social-Bookmarking-Diensten gibt es zu etlichen Autorinnen und Autoren Hör- und Leseproben, etwa auch YouTube-Videos und Beiträge auf einem eigenen „stand-alone Radio Player“. Die Startseite beginnt mit aktuellen Beiträgen, die im Verlag verfasst werden – zur Eröffnung neuer Buchhandlungen, zu Praktikumsgesuchen oder Treffen mit Autorinnen und Autoren. Besucherinnen und Besucher der Website haben die Möglichkeit, alles zu kommentieren. Mehrmals wöchentlich werden Blogbeiträge verfasst, meistens passende Fotos dazu hochgeladen – und es gibt auch einen Link zu Instagramm mit aktuellen Fotos, etwa zur Buchmesse. Der Relaunch im Herbst 2010 brachte darüber hinaus eine stärkere Vernetzung der einzelnen Inhalte, eine bessere Darstellung auf mobilen Endgeräten und für den Gesamtauftritt den ersten Platz im Ranking einer Fallstudie der HTWK Leipzig über Verlagshomepages im Social Web. Voland & Quist wird dort als „die Klaviatur der Zielgruppenansprache beherrschende[r] Verlag“95 beschrieben, der die Spielregeln des Social Web kennt und nutzt. Diese gekonnte Herangehensweise findet auch bei Prof. Klaus Dieter Lehmann Erwähnung, als er anlässlich der Verleihung des jährlichen Förderpreises der Kurt-Wolff-Stiftung an Voland & Quist im Rahmen der Leipziger Buchmesse 2010 die Laudatio auf den Verlag hält: Die Publikumsnähe pflegen sie weniger über die üblichen Buchhandelskanäle als vielmehr über das Internet und Web 2.0. So bleiben sie nahe an ihren tatsächlichen und potentiellen Lesern.96

Bereits 2007 erhielt der Verlag einen Preis über 10.000 Euro der Hanna Johannes Arras Stiftung zur Förderung von Kunst und Kultur in Dresden, der ihm gemeinsam mit dem Künstler Jan Brokof verliehen wurde.97 Der 2010 verliehene Förderpreis der Kurt-Wolff-Stiftung in Höhe von 5.000 Euro wurde in den Relaunch der Homepage und eine Verlagssoftware investiert. Im selben Jahr gründen die Verleger eine Booking-Agentur und erschließen sich ein neues Geschäftsfeld. Der Verlag trägt sich mittlerweile selbst. Während 95 Homepage Verlage der Zukunft: http://www.verlagederzukunft.de/top-5-verlagshomepagesim-social-web/. Stand: 13.7.2015. 96 Lehmann, Klaus Dieter: Laudatio Kurt-Wolff-Förderpreis am 19.3.2010. In: Kurt-WolffStiftung: http://www.kurt-wolff-stiftung.de/wp-content/uploads/2014/03/Voland_und_Quist_ Laudatio.pdf. Stand: 3.7.2015. 97 Vgl. N.N.: Verlag Voland & Quist erhalten Arras Preis der Stadt Dresden. In: buchmarkt.de vom 12.11.2007: http://www.buchmarkt.de/content/29194-verlag-voland-quist-erhalten-arraspreis-der-stadt-dresden.htm?hilite=-Voland-&-Quist-. Stand: 3.8.2015.

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 4 Independent Verlage im Porträt

beide Verleger anfangs auch anderen Jobs nachgingen, widmen sie sich nunmehr völlig der Arbeit im Verlag und in der Agentur. „Bei einer derart innigen Beziehung zur Live-Literatur war die Gründung von Voland & Quist – Booking nicht viel mehr als eine logische Schlussfolgerung“,98 liest man auf der Homepage der Agentur. Dort können „junge Künstler, die das geschriebene Wort nicht nur zwischen Buchdeckel, sondern auch auf die Bühne bringen und dabei genauso authentisch wie leidenschaftlich, mitreißend wie humorvoll sind“,99 für Veranstaltungen gebucht werden. Ein Jahr später sind fünf Autoren, die überwiegend bei anderen Verlagen publizieren, und The Fuck Hornisschen Orchestra, ein Duo, das mit einer Programmmischung aus Poetry Slam und Musik auftritt und dessen erstes Buch auch bei Voland & Quist verlegt wurde, unter Vertrag. Fünf Jahre später sind es zwölf Künstler. Neben Leif Greinus betreuen zwei weitere Mitarbeiter die Booking-Agentur mit Sitz in Dresden. Sebastian Wolter arbeitet in Leipzig. Die Umsetzung aller Projekte erfolgt nach gemeinsamer Absprache. Eine Aufgabenteilung besteht insofern, als sich Sebastian Wolter um Lektorat, Presse und Social Media kümmert und Leif Greinus die Bereiche Herstellung, Vertrieb, Finanzen und Veranstaltungen betreut. Programm, Marketing und Personal sind Aufgabenbereiche, die von beiden wahrgenommen werden. Zehn Jahre nach der Gründung sind bei Voland & Quist noch vier weitere Mitarbeiter beschäftigt. 2014 geht auch das nächste Projekt an den Start: Voland & Quist veröffentlicht die App A Story A Day für mobile Endgeräte. Bei Abschluss eines Abos landet jeden Tag eine neue Kurzgeschichte auf dem Smartphone oder Tablet. Der Verlag ist mit 1.000 eigenen Erzähltexten gestartet, auch andere Verlage sollen künftig teilnehmen.100 Kurz darauf gibt es das nächste große Ereignis: Die Autorin Nora Gomringer ist Gewinnerin des Bachmannpreises 2015101 – einer der wichtigsten Auszeichnungen des deutschsprachigen Literaturbetriebs. Nicht nur für die Autorin. Auch für ihren Verlag. Verlag Voland & Quist OHG Bautzener Str. 22 01099 Dresden Deutschland www.voland-quist.de

98 Homepage Voland & Quist Booking: http://booking.voland-quist.de/. Stand: 3.8.2015. 99 Ebd. 100 Homepage A Story A Day: http://www.a-story-a-day.de. Stand: 12.7.2015. 101 Homepage Bachmannpreis: Bachmannpreis für Nora Gomringer: http://bachmannpreis. orf.at/stories/2719678/. Stand: 12.7.2015.

4.8 Voland & Quist 

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Abb. 4.60: Nora Gomringer, Mein Gedicht fragt nicht lange reloaded. Voland & Quist 2015 (Cover: Voland & Quist).

Abb. 4.61: Edo Popović, Mitternachtsboogie. Voland & Quist 2010 (Cover: Voland & Quist).

Abb. 4.62: Ahne, Zwiegespräche mit Gott. Das vierte Buch. Voland & Quist 2014 (Cover: Voland & Quist).

Abb. 4.63: Julius Fischer, Die schönsten Wanderwege der Wanderhure. Voland & Quist 2014 (Cover: Voland & Quist).

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 4 Independent Verlage im Porträt

Abb. 4.64: Flyer Voland & Quist zur Leipziger Buchmesse 2008 (Abb.: Voland & Quist).

5 Schlussbetrachtung 5.1 Zusammenfassung Independent Verlage entdecken und bedienen Nischenmärkte und grenzen sich mit ihrer Programmpolitik von den großen Konzernverlagen ab, die einen Pol auf diesem Markt bilden. Am anderen Pol befinden sich Buchprojekte, die des Unternehmens Verlag nicht mehr bedürfen. Durch die neuen Entwicklungen auf diesem Markt ist dieser für jeden offen geworden. Einzelne Personen verlegen ihre Bücher selbst, genauso wie große, branchenfremde Unternehmen, zumeist aus dem IT-Bereich, heute teilhaben am Geschäft mit dem Buch. Wie im Kap. 2 Rahmenbedingungen: Verlagslandschaft & Buchmarkt heute beschrieben, ist dieser Wandel am Buchmarkt darüber hinaus durch neue Medienformate, Titelflut und ständige Verfügbarkeit gekennzeichnet. Dort, wo es über mehrere Jahrhunderte klare Rollen und Maßgaben für die herstellende wie die vertreibende Seite, Verlage wie Buchhandel, und nicht zuletzt das Produkt und Kulturgut Buch gegeben hatte, bleibt derzeit kein Stein auf dem anderen. In einem Feld, in dem sich auf diese Weise gerade alles liberalisiert und damit neu arrangiert – Buch, Verlegen überhaupt in Frage gestellt ist – ist es interessant, zu verfolgen, was junge Verlage dazu treibt, sich in diese Situation hineinzugründen. Wie die Arbeit aufzeigen konnte, wird von Independent Verlagen etwas anderes geboten, das sich in der Mitte zwischen den beiden großen Trends – Konzentration zu großen Verlagskonzernen (bzw. Integration in Mischkonzerne) und Fragmentierung in Selbstverwirklichungsprojekte bzw. Selfpublishing – befindet. In den aktuell bestehenden Dynamiken im literarischen Feld ist dort ein Vakuum entstanden, in dem Independent Verlage vieles leisten, was große Apparate längst nicht mehr tun bzw. leisten können und was für kleine Projekte einzelner Personen keine Rolle spielt. Die unterschiedene Herangehensweise von Independent Verlagen beginnt bereits bei der Gründung. Kapitel 3 wurde mit Ausführungen zum Begriff eröffnet. Im Kapitel 3.2.1 wurde die starke Resonanz, die das Phänomen im Branchen- und Medienumfeld seit der Jahrtausendwende erhielt, nachgezeichnet. Es wurde ein Vergleich gezogen zu anderen Branchen, in denen der Begriff „Independent“ die dort unter ganz ähnlichen Bedingungen agierenden kleinen unabhängigen Einheiten bezeichnet. Seiner Begrifflichkeit nach steht der Independent Verlag zum Independent-Label, das v. a. aus der Musik- und Filmbranche bekannt ist, in direkter Verbindung. Gerade der Blick in andere Branchen zeigt auch, wie Generationen von Independent-Labels aufeinander folgen, die

282 

 5 Schlussbetrachtung

je ganz unterschiedlich motiviert und definiert sind. In diesem Abriss wird schließlich auch deutlich, wie stark der Begriff „Independent“, gerade wegen seiner dynamischen (im Gegensatz zur statischen) Bedeutung, imstande ist, über die hier behandelte Umgebung gültige Aussagen zu treffen. Immer enthält diese Referenz auch den Hinweis auf unfreie Dynamiken und Entwicklungsmöglichkeiten im Feld: Die erste Generation von Independent Verlagen etwa grenzte sich so ab gegen die damals vorherrschende Politik, für die zweite war die Abgrenzung vom Markt zentral, für die dritte, um die es in der vorliegenden Arbeit geht, schließlich dessen künstlich erschaffene Welten. Jede Stufe baut dabei auf die letzte auf. Eng verbunden mit dem programmatischen Ansatz, ist der Blick der Independent Verlegerinnen und Verleger dabei stets etwas neben die Spur gerichtet. Bereiche jenseits der eingetretenen Pfade wollen erkundet werden. Oder, wie es Tisch 7-Verleger Frank Niederländer für jene jungen Verlage proklamierte, um die bzw. um deren Agitationswelten es hier geht: „Wir sind, wenn überhaupt, eine Bewegung, die in Bewegung ist, und das ganz besonders an ihren Rändern.“1 Der Independent-Begriff lässt sich damit nicht, wie es häufig geschieht, auf eine ökonomische Dimension reduzieren. In der Independent-Generation, denen die hier erforschten jüngeren Independent Verlage angehören, geht es vielmehr um einen Filter, dem in der Titelflut mehr denn je Bedeutung zukommt, entsprungen einer authentischen Haltung im Sinne eines Folgens von persönlichen Interessen und Überzeugungen. Im Kapitel 3.2.2 konnte das näher beschrieben werden. In jeder Gründung ist das Wesentliche bereits angelegt. Dort liegt der Grundstein für das, was die Glaubwürdigkeit schließlich auch tatsächlich ausmacht und wo sich die Produktionskultur von Independent-Labels grundlegend von denen der Major-Labels oder Konzerne unterscheidet. Im Unterschied zu diesen bestehen zunächst keine Zwänge durch den ökonomischen Imperativ, der dort das Programm maßgeblich mitgestaltet. Bei Independent Verlagen ergibt sich das Verlegen vielmehr an einem bestimmten Punkt im Lebenslauf – als Konsequenz aus einer bestimmten Lebensführung und Interessenlage. Das Motiv der Gründung ist in allen Fällen eines, das sich an inhaltlichen und sozialen Parametern ausgerichtet hat. Leitvorstellungen, Präferenzen und Bewertungen, die in entsprechenden Handlungsweisen manifestiert die eigene Identität und die Position im Feld begründen, sind dort angelegt. In fast allen Fällen spielen Veranstaltungen eine große und funktionale Rolle. Im Laufe der Entwicklung des Verlags geht es um das Beibehalten einer relativen Nähe zu diesem ursprünglichen Geist.

1 Frank Niederländer, zitiert in: Kahlefendt, Nils: fünf null. In: boersenblatt.net vom 21.3.2007: http://www.boersenblatt.net/139727/. Stand: 12.7.2015.

5.1 Zusammenfassung 

 283

In Kapitel 3.2.3 konnte das Vorangehende einmal mehr untermauert werden. Als kennzeichnend konnte ein organisches Entstehen ausgemacht werden, das stark auf sozialer Einbindung und persönlichen Affinitäten der Macherinnen und Macher von Independent Verlagen beruht. Herangehensweisen an die verlegerische Arbeit vereint ein professioneller Anspruch, in dem die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zunehmend aufgehoben sind, genauso wie jene zwischen Verlagsbelegschaft, Publikum, Autorinnen und Autoren. Indem das Verlagsprojekt vielfach als Lebensprojekt aufgefasst wird, lässt sich auch in Bezug auf den feinen Unterschied, Geld mit dem oder für den Verlag zu verdienen, keine klare Grenze ziehen. In der Suche nach Vorbildern der jungen Verlegerinnen und Verleger zeigt sich – wie auch an anderen Stellen der Arbeit – ein Wandel zu einer neuen Verlagskultur. Im neuen Medienumfeld fehlen dazu durchgängig Modelle zur Orientierung. Umgekehrt zeichnet diese neue Generation aus, experimentierfreudig auf die neue Situation zu reagieren und dabei zunehmend auch auf Fertigkeiten zurückgreifen zu können, die sie im Vergleich zur Vorgängergeneration mitbringt und die nicht erst in bestehende Prozesse integriert werden müssen. Zu nennen sind hier u. a. digitale Affinitäten, Aufbau und Pflege von Communitys und das Verbinden unterschiedlicher Kulturen und Genres. In Kapitel 3.2.4 wurde nachgezeichnet, auf welche Weise die starke Verbindung mit einem speziellen Milieu bzw. Räumen eine maßgebliche Rolle spielt. Familiäre Strukturen fördern die Ausformung halb öffentlicher Räume und von „Anfasskulturen“, die so ein reales Forum bilden, das wiederum prägend ist für die Inhalte, die dort entstehen und eingebracht werden, und vor allem auch für die Akquise von diesen. War die soziale Einbettung eine Initialkomponente für die Gründung, so ist sie in der Folge prägend und tragend für das Programm und den Verlag. Das Netzwerk ist Ideengeber: Stoffe, Autorinnen und Autoren werden im sozialen Umfeld akquiriert, die Zielgruppe trifft man dort, wo man sich auch selbst aufhält und heimisch ist. In Kapitel 3.2.5 konnte deutlich gemacht werden, dass es einerseits eine Reihe unterschiedlicher Zugänge und Ansichten bzgl. Unternehmensformen und Status der Unabhängigkeit sowie auch Alternativen in der Praxis gibt, die etwa nach dem Prinzip des Crowdfunding funktionieren und damit einen allgemeinen, hochaktuellen Trend unterstreichen sowie Potenziale und Anknüpfungspunkte erkennen lassen. Bourdieus theoretische Ausführungen zu den unterschiedlichen Kapitalsorten erlaubten an dieser Stelle bzw. in der Analyse, komplexe Zusammenhänge auf abstrakter Ebene leichter zu fassen, aber auch Möglichkeiten, die darüber hinausgehen, auszuloten, v. a., wie im Bereich des sozialen Kapitals Alternativen noch stärker genutzt werden können. Die finanzielle Situation solcher Verlage wirft auch zukünftig die Frage auf, inwieweit Abhängigkeiten

284 

 5 Schlussbetrachtung

gegenüber Geldgebern bestehen oder Förderungen eine Rolle spielen könnten. Ein Independent Verleger konstatiert: Die finanzielle Unabhängigkeit gibt es ja gar nicht bei Independents. Also, ein Konzernverlag ist finanziell ja viel unabhängiger. Ein Konzernverlag hat ein bestimmtes Kapital im Rücken, eine bestimmte Kapitalreserve und kann damit arbeiten. Noch mal so aus der Chefperspektive gesehen, aus der Konzernchef-Perspektive. Da hat der Programmleiter nicht unbedingt die verlegerische Unabhängigkeit, aber vom Unternehmen her gesehen ist ein Konzern unabhängiger.2

Tatsächlich kann erforderliches Geld durchaus von anderen Stellen unterschiedlichster Art kommen, wie in dieser Arbeit immer wieder deutlich geworden ist. Die wirtschaftliche Unabhängigkeit ist somit sehr relativ, wichtiger ist die programmatische: „dass ich entscheiden kann, was hier erscheint, und nicht irgend ein überwölbendes System“.3 Was hier also interessant ist, ist die Frage des Motors: Sucht eine Idee Geld, um sich zu verwirklichen, oder sucht das Geld Ideen, um sich selbst zu verwirklichen? Zusätzliche Erwerbstätigkeiten, Suche nach Geldgebern etc. stehen bei den meisten Independent Verlegerinnen und Verlegern auf der Tagesordnung. Geld wird generiert, weil man Bücher machen will – nicht umgekehrt. Keineswegs bedeutet die hier proklamierte Unabhängigkeit automatisch Qualität – was umgekehrt auch gilt. Dennoch gibt es einen Aspekt, der der Qualität nahe verwandt – und in jedem Falle verpflichtet ist, nämlich qua persona. Die Inhabergeführtheit in kleinen Strukturen bedeutet die direkte Verantwortung in jedem einzelnen Projekt, die in großen Unternehmen zwangsläufig in der übergeordneten Struktur verloren geht, Independent Verlagen aber ihre ganz spezifische und authentische Ausprägung verleiht. Der Niederschlag von Interessen und persönlichen Kontakten bzw. von durch soziale Einbindung geprägten Entscheidungen ist schließlich in den verlegten Büchern erfahrbar: Was ein schöner Unterschied ist, ist, dass es dadurch, dass das Persönliche so stark eingebracht wird, immer auch bestimmte Vorlieben gibt. Independent Verlage können sich viel stärker ihren Stärken widmen und dadurch auch bessere Qualität hervorbringen. Vielleicht, weil sie die Freiheit haben, sich auf das beschränken zu können, wo sie die besten drin sind. Und nicht oder jedenfalls weniger Zugeständnisse machen müssen an alles Mögliche.4

In Kapitel 3.2.6 findet sich eine Beschreibung des Angebots von Independent Verlagen. In der Darlegung von Gemeinsamkeiten bzw. der Verdichtung der 2 Interview A1, Absatz 203. 3 Interview B4, Absatz 126. 4 Interview A2, Absatz 160.

5.1 Zusammenfassung 

 285

unterschiedlichen Programme und Statements der Verlegerinnen und Verleger sowie auch Autorinnen und Autoren ist vor allem hervorzuheben, dass sich die Position im Feld in den Inhalten der Bücher widerspiegelt. Themen entspringen zu einem großen Teil der eigenen Lebensrealität, häufig bildet diese Position einen „Gang an der Grenze“ ab, der noch an anderen Stellen bedeutsam werden soll, so wie dieser Transfer erlaubt und gleichzeitig Filter ist. Die Entsprechung zu dieser Position findet sich auch in der Bildsprache der Cover und Drucksorten sowie in der Gestaltung der von Independent Verlagen ausgerichteten Events. In dieser zeitgemäßen Kommunikation werden dieselben Informationsinhalte für unterschiedliche Wahrnehmungs- und Gefühlsebenen aufgearbeitet und über mehrere Kommunikationskanäle transportiert. Im inhaltlichen Ausloten und der Bedeutung des Sozialen ist nicht zuletzt eine starke Innovationskraft gegeben, welche die Entdeckung von Themen und gegenwärtigen Trends sowie von Autorinnen und Autoren erlaubt und forciert. Der Aufbau junger Talente zieht sich durchgängig durch alle Independent Verlage, die somit auch Keimzelle und Forscherecke der Branche bilden. Nicht zuletzt geschieht dies aus dem Grund, weil es bei Independent Verlagen im Vergleich zu anderen Verlagen auch weniger ökonomischen Druck gibt, etwas einstellen zu müssen. Der inhaltlich ambitionierte Zugang findet seine zentrale Schwierigkeit schließlich in der Verbreitung der Bücher bzw. Inhalte, wie in Kapitel 3.2.7 dargelegt wurde. Mit Rückblende auf die eingangs beschriebenen Rahmenbedingungen der Buchbranche ist festzuhalten, dass im Vertrieb mehr oder weniger alle Verlage Herausforderungen gegenüberstehen. Allerdings wird hier auf sehr unterschiedlichen Ebenen agiert. In der Darstellung des vielschichtigen Vertriebssystems des deutschen Buchhandels wurde so etwa deutlich, dass ökonomisch schwache Akteure Mechanismen des „Push-Marketings“ nicht nutzen können, was kleine Verlage wiederum gerade bei den gewichtigsten Partnern, den Buchhandelsketten, häufig vor verschlossenen Türen stehen lässt. Deutlich wurde aber auch: Wenngleich im Vertrieb aufgrund von Marktkonzentration und bestehenden Machtgefügen die zentrale Schwierigkeit für Independent Verlage zutage tritt, so birgt der Punkt dennoch Potenzial. Zu nennen ist hier einmal mehr die immer wichtiger werdende Filterfunktion als Reaktion auf die Überproduktion von Büchern und Inhalten. An der Schnittstelle zwischen großen Apparaten und der rasant steigenden Zahl branchenfremder Teilnehmer und Amateure im Feld können Independent Verlage hier eine Schlüsselrolle einnehmen. Neue digitale Möglichkeiten bringen zudem weitere Vorteile für Independent Verlage. Potenziale bestehen im Direktvertrieb, und auch die Erschließung von Nebenmärkten gewinnt an Bedeutung, da es immer schwieriger wird, über den stationären Buchhandel allein ausreichende Erlöse zu erzielen.

286 

 5 Schlussbetrachtung

Eine wirkungsvolle Möglichkeit, den Herausforderungen im Vertrieb zu begegnen, sind Kooperationen und Verbünde mit strukturähnlichen Unternehmen bzw. anderen Independent Verlagen. Hier gibt es unterschiedliche Varianten, die im Kapitel 3.2.8 abgehandelt wurden. Drei Modelle, in denen eine Bündelung von Independent Verlagen erfolgt, konnten hier ausgemacht werden: durch Verbände/Lobby-Einrichtungen (wie etwa die Kurt-Wolff-Stiftung), durch andere Marktteilnehmer (etwa die „Independent“-Schiene der Mayerschen Buchhandlung) und durch die Verlage selbst (vor allem rund um die Buchmesse bis hin zur Durchsetzung eines neuen alternativen Buchpreises für Literatur aus Independent Verlagen – der Hotlist). Deutlich wird dabei, wie stark in allen drei Modellen auch mit dem Begriff „Independent“ inszeniert und vermarktet wird. Inwiefern in dieser unterschiedlich motivierten Verwendung des Begriffs auch das Labelling desselben mitgeformt wird, wurde im nächsten Kapitel aufgezeigt. Dort drängten sich zunächst aber noch andere Fragen in den Vordergrund. Etwa, weshalb Vertriebszusammenschlüsse bislang nur wenig Erfolg hatten, aber auch, welche Möglichkeiten hier noch ungenutzt sind. Denn Kooperationen können unterschiedliche positive Effekte nach sich ziehen: Vereinfachung der Arbeit, Ersparnis der Kosten (Vorschauversand), Marketing, Inszenierung (Hotlist, Party). Auch wenn in allen gemeinsamen Aktionen direkt wie indirekt darauf abgezielt wird, so erfolgt konkret keine Kooperation da, wo sie am dringendsten notwendig ist – in gemeinsamen Angeboten für den Buchhandel wird es zukünftig interessant sein, noch stärker zusammenzuarbeiten. Nicht zuletzt wurde im gemeinsamen Auftreten die Zusammengehörigkeit verschiedener Verlage unter dem Begriff „Independent Verlage“ immer wieder manifestiert, die in diesem Zusammenhang hilfreich sein kann. Im anknüpfenden Exkurs: Beispiele von Zusammenschlüssen in anderen Ländern konnte aufgezeigt werden, dass trotz und auch wegen unterschiedlicher Gesetzeslagen in Österreich und der Schweiz, aber auch etwa in Großbritannien, höchst unterschiedliche funktionierende Modelle zur Kooperation bestehen, in denen sich Independent Verlage auf unterschiedliche Weisen zu einer größeren Einheit formieren. Damit konnten Alternativen ausgelotet werden, um Herausforderungen im Vertrieb zu begegnen. Auch hier spielt soziales Kapital eine große und nach wie vor unterschätzte, Rolle. In Kapitel 3.2.10 wurde deutlich gemacht, wie der Begriff „Independent Verlag“ in der Praxis als Gefäß genutzt wird, das viele Zuschreibungen fasst und seinen Reiz letztlich vielfach auch dadurch erhält. In den gemeinsamen Auftritten einiger junger Independent Verlage in einem losen Verbund wurde eigeninitiativ und ohne institutionelle Struktur diese Projektionsfläche erschaffen, die die hier behandelten Verlage und deren Programme mit einer spezifischen Aura umgibt und deren Grenzen offen sind. In der geringen Trennschärfe liegt insofern viel Charme, als sich Lücken, die sich aus der Schwierigkeit der Definition ergeben,

5.1 Zusammenfassung 

 287

dazu nutzen lassen, um mit Assoziationen und Konnotationen aufgefüllt zu werden. Starke, emotionale, aber auch schwammige Begriffe bieten gerade für Marketingzwecke Spielräume, und der Begriff „Independent“ erlaubt, all dies zu transportieren. Der Begriff besticht gerade durch die Möglichkeiten der Relativierung, was in der Praxis aber auch immer wieder zu Diskussionen führt. Gerade der genaue Blick auf die beteiligten Verlage zeigt Unterschiede noch deutlicher5 – und somit auch unterschiedliche Zugänge zu diesem Begriff. Unterschiedliche Akteure im Feld nutzen ihn: von den Verlagen über Verbände bis hin zu Buchhandelsketten. Klar wird: Der Begriff hat weniger die Funktion zu definieren als vielmehr die, Aufmerksamkeit zu schaffen und zu vermarkten. Wurden in der Beschreibung des Labels bereits Vor- und Nachteile ausgelotet, so finden sich in Kapitel 3.2.11 noch einmal die wesentlichen Stärken und Schwächen von Independent Verlagen unter den Bedingungen der aktuellen Situation im Feld, wie sie eingangs beschrieben wurde, zusammengefasst. Der größte Erfolgsfaktor von Independent Verlagen zeichnet sich in der stark mit Authentizität verbundenen Herangehensweise ab. Das zentrale Interesse, das in Independent Verlagen dem Inhalt und der Tätigkeit selbst entgegengebracht wird, wird durch die Schwierigkeit am Markt, damit zu bestehen, nur einmal mehr untermauert. Die Independent Verlegerinnen und Verleger haben die Arbeit nicht begonnen, um Geld damit zu verdienen, doch die Notwendigkeiten des Marktes bestimmen dennoch die Bedingungen der Verlagsarbeit. Hierin liegt schließlich auch die größte Schwierigkeit dieser Verlage. Denn der Vertrieb, die Distribution und der Verkauf der Bücher folgt einer ganz anderen Logik, um nicht zu sagen: einer umgekehrten: Das Feld der Kunst muss mit dem Feld der Ökonomie in Verbindung gebracht werden. In der durchkommerzialisierten Gegenwart ist der Konkurrenzdruck auch in diesem Bereich schon so weit aufgebaut, wie es der Dynamik und den Gesetzen der Ökonomie entspricht. In Bezug auf Independent Verlage bedeutet das: Waren kleine und unabhängige Verlage immer schon Trendsetter, die Inhalte entdeckt und neue lanciert haben, so können sie gegenwärtig gerade in diesem Zusammenhang auch solche der Form sein, die im Habitus Ausdruck findet und darüber – mittels neuer Handlungsweisen – in der Struktur manifestiert wird. Der spezifische Habitus dieser Akteurinnen und Akteure wurde in Kapitel 3 Einblicke beschrieben. Im folgenden Kapitel 4 wurde das am konkreten Fall festgemacht. Versammelt sind hier acht Porträts, die jeweils gesonderten Einblick in die Entstehung, 5 Vgl. Anhang 4 Independent Verlage im deutschsprachigen Raum: Am Beispiel der Teilnahmen an der Hotlist zeigt sich etwa, dass sich hier Verlage unterschiedlicher Größenordnungen, Genres oder Eigentumsverhältnisse beteiligen.

288 

 5 Schlussbetrachtung

das Umfeld und das Programm der Independent Verlage Blumenbar, kookbooks, Luftschacht, mairisch, Onkel & Onkel, Salis, Verbrecher Verlag und Voland & Quist geben.

5.2 Fünf Kennzeichen von Independent Verlagen Ausgehend von den Ausführungen und Erkenntnissen, die in dieser Arbeit zusammengetragen wurden, sollen an dieser Stelle fünf Faktoren dargelegt werden, die Independent Verlage – ungeachtet ihrer verschwimmenden Grenzen – im Kern ausmachen. Unter Berücksichtigung des aktuellen Umfelds können diese Punkte als Orientierungs- und Diskussionsbasis dienen, für die Praxis verlegerische Qualitätsstandards zu etablieren bzw. den Anknüpfungspunkt für weitere Forschungen zu bieten.

Unabhängigkeit: wirtschaftliche, geistige und programmatische Wirtschaftliche Unabhängigkeit bedeutet zunächst, dass der Verlag nicht an einen Konzern gebunden oder in den Händen von Kapitaleignerinnen oder -eignern ist. Vielmehr ist kennzeichnend, dass die Verantwortung, aber auch das Risiko bei der Verlegerin bzw. dem Verleger liegt, was gleichzeitig Voraussetzung für die geistige Unabhängigkeit der Bücher ist. Dies äußert sich im Programm so, dass solche Texte Texte Eingang finden, die die Verlegerinnen und Verleger für wichtig erachten und nicht vorrangig oder ausschließlich für umsatzstark. Auch politische Unabhängigkeit spielt eine Rolle. Je nach Programmschiene ist diese bzw. Politisches überhaupt auch Thema in der Verlagsarbeit und den publizierten Inhalten – in einem weiten Spektrum von Texten ohne politische Einfärbung bis hin zu solchen mit dezidiert politischer Haltung. Diese programmatische Unabhängigkeit verdankt sich einer spezifischen Herangehensweise, die wiederum der Unternehmensgröße und -struktur geschuldet ist.

Form: Unternehmensgröße und -struktur Während Beschreibungen rund um die Unabhängigkeit auch auf große Verlage wie Hanser oder Suhrkamp zutreffen, verfügen Independent Verlage stets über eine kleinteilige Struktur infolge des geringen verfügbaren Kapitals. Des Weiteren ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass der Verlag nicht in einen Konzern eingebunden ist bzw. auch, dass der Verlag nicht nur einen Teil eines

5.2 Fünf Kennzeichen von Independent Verlagen 

 289

Unternehmens ausmacht. Independent Verlage sind weder Imprints, noch sind sie an Institutionen oder Vereine gebunden, sondern inhabergeführt. Die Verlegerin ist Geschäftsführerin und Programmchefin (bzw. der Verleger ist Geschäftsführer und Programmchef) zugleich, womit eine weitere wesentliche Komponente von Independent Verlagen bezeichnet ist: „Der Verleger ist nicht anonym, sondern synonym mit seiner Tätigkeit“,6 formulierte bereits Kurt Wolff, in dessen Tradition diese Verlage zu sehen sind. Daraus resultiert schließlich auch ein anderes, persönlicheres Verhältnis zu den Autorinnen und Autoren. Gerade in der Form und der Größe der Unternehmen offenbart sich aber auch, dass Übergänge zwischen Kleinst-, Klein- und Mittelunternehmen fließend sind und Angaben nur allgemein und relativ getroffen werden können. Genauso wenig ergeben hier Zahlen zu Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Erscheinungen und Auflagen Sinn. Wesentlich ist vielmehr die Einbindung der Verlegerin bzw. des Verlegers als Unternehmensinhaber bzw. -inhaberin und verantwortlichen Person in zentrale Aufgaben und Auswahlprozesse. Im nächsten Schritt erhält in diesem Zusammenhang der Faktor der Professionalität und des Anspruchs Bedeutung.

Filter: Professionalität und Anspruch Obgleich Independent Verlage den Unternehmensgrößen nach zu den kleinsten der Branche zählen, weisen sie stets professionelle Strukturen auf, die eine reguläre Teilnahme am Buchmarkt bedeuten: Die Verlage verfügen über eine Auslieferung und Handelsvertreterinnen bzw. -vertreter, sowie über eine Webseite. Das alles organisiert sich um ein kontinuierlich erscheinendes Programm, das in Vorschauen präsentiert wird. Die Verlage nehmen regelmäßig an den beiden großen Buchmessen teil, häufig auch noch an anderen Veranstaltungen mit Präsentationsmöglichkeiten für Verlage. Während sich Independent Verlage in Unternehmensgröße und -struktur klar von Großverlagen und Konzernen unterscheiden, unterscheiden sie sich bezüglich Professionalität von Selbst- und Kleinstverlagen. Ein vielfach höherer Professionalisierungsgrad steht hier im Gegensatz zum Fehlen eines Vertriebs bei Selbst- bzw. Kleinstverlagen, der dort meist ausschließlich über Direktverkäufe erfolgt oder über Plattformen, die wiederum von großen Konzernen betrieben werden.7 Independent Verlage bemühen sich hingegen um breitere Öffentlichkeit und nehmen am „echten Betrieb“ teil, wenngleich auf unterster Stufe und in Konfrontation mit den zahlreichen Eingangshürden in den 6 Wolff, 2004, S. 8. 7 Vgl. Kapitel 2.3.1.

290 

 5 Schlussbetrachtung

Markt.8 Wesentlich ist die Ausrichtung auf einen langfristigen Produktionszyklus und damit wiederum auch eine besonders intensive Pflege sowie der Aufbau von Autorinnen und Autoren. Eng gekoppelt an ein professionelles Selbstverständnis sind ästhetische Herangehensweisen in der Buchproduktion. Die Programmgestaltung richtet sich weniger an Trends aus, wenn auch solche oft aufgrund der starken Verwobenheit mit dem Milieu und der inhaltsorientierten Arbeit geschaffen werden. Das Entdecken von Neuem, Unbekanntem und Vergessenem ist dabei oft Begleiteffekt. Die Programmausrichtung ist nicht ausschließlich, aber in den meisten Fällen belletristisch bzw. mit Lyrik dem Bereich „Schöne Literatur“ zugeordnet. Im öffentlichen Diskurs handelt es sich bei Independent Verlagen zumeist um Belletristik-Verlage. Vielfach finden sich in den Programmen der Verlage aber auch Sachbücher. Die Liebe zum Buch drückt sich auch in der Haptik aus: Eine qualitätsvolle Gestaltung der Bücher ist in den meisten Fällen ebenfalls gegeben, die Texte werden zumeist in Hardcover-Einbänden und aufwendigem Design publiziert.

Forum: Transparenz und soziale Praxis Im Versuch, das abzubilden, was gesellschaftlich in der Luft – oder auf der Straße – liegt, ist der soziale Aspekt zentral. Die Offenheit für Ideen, Themen und Gestaltung, in welcher nicht von Beginn an der Abgleich mit Vermarktungsmöglichkeiten stattfindet, erlaubt es, Inhalte im genuinen Sinne zu entdecken und zu positionieren. Diese gehen entsprechend in andere Richtungen als solche, bei denen die ökonomische Seite treibender Faktor ist. Enge Verwobenheit mit dem Umfeld, aus dem heraus das Verlegen geschieht bzw. das über dieses hinausreicht, und der enge Kontakt mit unterschiedlichen Menschen sind bedeutsam. Persönliche Kontakte, Greifbarkeit und Verbundenheit, Begegnung und Austausch bilden den transparenten und realen Rahmen, in den das Verlegen eingebettet ist. Der Verlag selbst ist dabei kultureller Veranstalter, Forum und Plattform. Eine übergeordnete Plattform wird auch im Verbund gepflegt. Größere Projekte unter der Fahne „Independent“ sind etwa die Hotlist, ein gemeinsam geschaffener Preis für Bücher aus unabhängigen Verlagen, oder gemeinsame öffentlichkeitsstarke Buchmesse-Partys. Im gegenwärtigen Kontext steht das Bilden von Foren und Plattformen in engem Zusammenhang mit neuen, elektronischen Medien. Gerade die hier

8 Vgl. Kapitel 3.2.7.

5.2 Fünf Kennzeichen von Independent Verlagen 

 291

porträtierten Verlage wissen diese zur Bildung und Pflege von Communitys zu nutzen und ihnen auch eine reale Basis zu geben. Independent Verlage weisen hier häufig Affinitäten auf, die nicht zuletzt aufgrund einer Generationenzugehörigkeit bestehen.

Avantgarde: Jung und wild – auf Zeit Im Phänomen der hier erforschten Independent Verlage bedeutet Generationenzugehörigkeit zunächst, dass die Verlegerinnen und Verleger zwischen Mitte 20 und Ende 30 Jahre alt sind, wenn sie mit ihren Verlagen um die Jahrtausendwende in den Buchmarkt eintreten. Sie starten dabei als Neue in ein Feld, in dem selbst gerade alles in Erneuerung begriffen ist – durch die Digitalisierung. Diese Generation von Independent Verlagen ist wiederum die erste auf diesem Feld, die sich dadurch auszeichnet, die Digitalisierung nahezu von Beginn an als integralen Bestandteil ihrer Lebenswelt kennengelernt zu haben. Ihre verbundenen Lebens- und Arbeitsweisen sind ein Indiz dafür – und eine der Möglichkeiten, sich am Feld vom Bewährten und Tradierten abzuheben. Gleichzeitig zeigen sie dabei auch auf, wie in diesem digitalen Umfeld realer Kontakt mit Autorinnen und Autoren sowie der Zielgruppe erfolgt, im Kontrast zur Entkoppelung von diesen. „Sich-Abheben“ ist für Neuankömmlinge obligat. Wo das Element des „Etabliert-Seins“ fehlt, wird Auffallen zur Notwendigkeit. Es entsteht eine Opposition, welche die Dimension der Zeit ins Spiel bringt – die nachrückenden Verlage werden mit dem Attribut „jung“ verknüpft und so aufeinander folgende Generationen erst zu solchen macht: Daß [sic!] die Geschichte des Feldes die Geschichte des Kampfes um das Monopol auf Durchsetzung legitimer Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien ist: diese Aussage ist noch unzureichend; es ist vielmehr der Kampf selbst, der die Geschichte des Feldes ausmacht; durch den Kampf tritt es in die Zeit ein. Das Altern der Autoren, Werke oder Schulen ist etwas ganz anderes als ein mechanisches Abgleiten in die Vergangenheit: es wird erzeugt im Kampf zwischen denjenigen, die Epoche gemacht haben und ums Überdauern kämpfen, und denjenigen, die ihrerseits nur Epoche machen können, wenn sie diejenigen aufs Altenteil schicken, die Interesse daran haben, die Zeit anzuhalten, den gegenwärtigen Zustand zu verewigen; zwischen den Herrschenden, die mit der Kontinuität, der Identität der Reproduktion im Bunde stehen, und den Beherrschten, den Neuankömmlingen, denen es um Diskontinuität, Bruch, Differenz, Revolution geht. Epoche machen, das heißt untrennbar damit auch: eine neue Position jenseits der etablierten Positionen, vor diesen Positionen, als Avantgarde entstehen zu lassen und mit der Einführung der Differenz die Zeit zu schaffen.9 9 Bourdieu, 1999, S. 253.

292 

 5 Schlussbetrachtung

Auf dem Markt zu einem gegebenen Zeitpunkt ein neues Produkt oder Geschmackssystem durchzusetzen bzw. einen neuen Habitus wie im Falle von Independent Verlagen bedeutet also einerseits, „die Gesamtheit der unter dem Gesichtspunkt des Legitimitätsgrades hierarchisierten Produzenten, Produkte und Geschmackssysteme ein Stück weit in die Vergangenheit zu schieben“.10 Andererseits fällt die Differenz durch die Zeit zwingendermaßen irgendwann, aber doch absehbar auf die Avantgarde selbst zurück. Denn sie ist selbst eine historische Formation: Die zeitliche Bewegung, die das Auftauchen einer Gruppe erzeugt, die in der Lage ist, Epoche zu machen, indem sie eine avancierte Position durchsetzt, schlägt sich nieder in einer Verschiebung der Struktur des Feldes der Gegenwart [. . .], wobei sich auf diese Weise jede der Positionen in der Zeithierarchie, die zugleich eine soziale Hierarchie ist, um einen Rang versetzt findet. [. . .] Die Avantgarde ist zu jedem Zeitpunkt durch eine künstlerische Generation (verstanden als Abstand zwischen zwei künstlerischen Produktionsweisen) von der kanonisierten Avantgarde getrennt, die ihrerseits durch eine weitere künstlerische Generation von der zum Zeitpunkt ihres Eintretens in das Feld bereits kanonisierten Avantgarde getrennt ist.11

Der Status des jungen Independent Verlags, zu dem – in einem vernetzten Umfeld – auch der verwendete Anglizismus „Independent“ ein begrifflich passendes Äquivalent bildet, ist folglich zeitlich begrenzt. Aufgrund der Dynamik des Feldes kann es sich hierbei nur um einen temporären Status handeln. Er hält so lange an, bis die nächsten kommen – um dann im besten Falle selbst in den Kanon einzugehen. Wie ein Verleger es formuliert: Die Gefahr bei dem ganzen Indie-Ding: Das können wir nicht ewig tun. Wir müssen irgendwann mal den Schritt in die Seriosität oder in das Erwachsenen-Dasein schaffen.12

Dass dieser Schritt allerdings mit Veränderungen im Feld insgesamt einhergeht, die die Avantgarde angestoßen, vorbereitet oder mitgeprägt hat, ist die Hoffnung, die zugleich besteht.

5.3 Ausblick Eine zentrale Entdeckung dieser Arbeit ist, dass soziale Einbindung, Beziehungen und Kontakte nicht nur auslösend, sondern vielmehr strukturbildend für Independent Verlage sind. In ihrer Ausgestaltung sind diese Beziehungen 10 Bourdieu, 1999, S. 257. 11 Ebd., S. 256 f. 12 Interview A7, Absatz 299.

5.3 Ausblick 

 293

gekennzeichnet durch Informalität, in der Regel basieren sie auf Freundschaften. Verbunden durch dasselbe Milieu, dieselbe Generation, dieselben Interessen und gemeinsamen, überwiegend kulturellen Aktivitäten bergen sie das Potenzial der Erweiterung zu Netzwerken bzw. Communitys, die nicht nur imstande sind, Literatur auf Höhe der Zeit hervorzubringen, weil sie gewissermaßen einer „Szene“ entspringt. Dieser Zugang enthält vielmehr auch Möglichkeiten, mangelndes ökonomisches Kapital zu kompensieren, aus denen Konzepte neuer, verbundener Arbeits- und Lebensweisen entstehen. Deutlich wird: Die Digitalisierung, auf deren Grundlage Konzentrationsprozesse an Dynamik gewonnen haben, hat gleichzeitig auch vielfach Möglichkeiten für jene gebracht, die zu den vermeintlichen Verlierern der Konzentration zählen. Internetbasierte Abläufe und Vernetzungsoptionen erlauben Independent Verlagen völlig neue Zugänge, verbunden mit dem Know-how, über das diese zumeist – aufgrund der Sozialisation bzw. im Sinne einer generationsspezifischen Geläufigkeit – verfügen. Das Arbeiten in kleinen Einheiten bzw. Verlagsteams bedeutet zumal Flexibilität, die im Kontrast zu starreren Abläufen steht, wie sie größere Apparate zwangsläufig mit sich bringen. Was hier erkennbar wird, ist, dass trotz Agierens am kapitalistisch determinierten Markt, gerade wenn hier mit Kulturgütern gehandelt wird, eine Sichtweise, die Erfolg einzig mit ökonomischem Kapital koppelt, zu kurz greift. Interessant ist für einen Ausblick demnach – und vor allem im Zusammenhang mit Independent Verlagen –, dass es neben ökonomischem Kapital, das die Währung auf diesem Markt bildet, dennoch weitere Kapitalsorten gibt, die einerseits anders geartet, darüber hinaus aber in ökonomisches Kapital transformierbar sind. Der Begriff des sozialen Kapitals erscheint in diesem Zusammenhang besonders interessant, zumal sich hier aktuell, begünstigt durch und basierend auf der Digitalisierung, auch eine Verschiebung bzw. Umstrukturierung zugunsten des sozialen Kapitals in Bereichen der klassischen Ökonomie abzuzeichnen scheint (vgl. etwa: Corporate Social Responsibility, Collaborative Consumption, Socially Responsible Entrepreneurs, Creative Commons, Crowdfunding). Netzwerke persönlicher Beziehungen können sich gerade für Verlage so weit formalisieren, dass sie integraler Bestandteil einer unternehmerischen Praxis werden. Wesentlich dabei ist, dass die Form dieser Beziehungen „eher aus der Originalstruktur der persönlichen Beziehungen als aus den Bedürfnissen des Marktes“ resultiert: Diese Institutionen bzw. Verlage „sind tatsächlich verfestigte soziale Netzwerke“.13 Nicht zuletzt in diesem Zusammenhang kristallisiert sich 13 Granovetter, Mark: Ökonomische Institutionen als soziale Konstruktionen – Ein Analyserahmen. In: Bögenhold, Dieter (Hg.): Moderne amerikanische Soziologie. Stuttgart: Lucius & Lucius, 2000, S.199–217, S. 210.

294 

 5 Schlussbetrachtung

soziales Kapital als transformatorische Komponente heraus und wird damit eine zunehmend wichtigere Kapitalsorte neben ökonomischem, kulturellem und symbolischem Kapital. Independent Verlage werden an dieser Stelle ihrer Rolle als Trendsetter einmal mehr gerecht: Neben den Inhalten, die sie publizieren, ist es auch die Art und Weise, wie diese entstehen und wie die Verlage agieren. Kennzeichnend für ein globalisiertes Umfeld, geschieht das häufig urban und gleichzeitig lokal; gerade Independent Verlage können hier globales Know-how mit örtlicher Verankerung verbinden. Zudem umgehen Peer-to-Peer-Netzwerke zentralisierte Formen. Dabei wird auch die traditionelle Unterscheidung zwischen Zentrum und Peripherie in Frage gestellt.14 Formelles soziales Kapital verliert damit auch an Bedeutung, während informelles gewinnt. Der in dieser Arbeit an unterschiedlichen Stellen thematisierte Begriff der Authentizität ist eine natürliche Begleiterscheinung in diesem Zusammenhang – wo persönliche Beziehungen das Verlagsprojekt tragen, das oftmals als Lebensprojekt aufgefasst wird. Die Anziehungskraft von Independent Verlagen ist so freilich eine völlig andere, im Vergleich zu Unternehmen, die etwa Massenprodukte herstellen. Im Zusammenhang mit dem Strukturwandel, der vielfach von Schnelligkeit, Automatisierung, Gleichmachung und Konzentration im globalisierten Umfeld befeuert ist, stößt das Merkmal der Authentizität in ein Vakuum, in dem zugleich eine Sehnsucht danach entstanden ist. In der Abwendung von einer übersättigten und unreflektierten Konsumkultur ist es immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten wichtig, wie etwas gemacht wird und aus welcher Haltung heraus Produkte und Services entstehen. Herstellungsbedingungen und Erfahrung mit dem Konsum- und Kulturgut rücken ins Zentrum – gerade im kulturellen Bereich kommt der Erfahrung eine umso größere Bedeutung zu. Greifbarkeit und Transparenz, aber auch Qualität und Verantwortung sind Themen, die dabei von Relevanz sind. In kleinen Einheiten wie Independent Verlagen ist all dies in eine Lebensform eingebettet, die einmal mehr im spezifischen Habitus ihren Ausdruck findet – und damit auf die Struktur reagiert und einwirkt. Ein Verleger berichtet davon: Man könnte ja denken, dass diese Alternativkultur auch politisch ist. Ich finde, es ist nur politisch in dem Sinne, wie die Menschen behandelt werden, mit denen man arbeitet. Aber sie ist nicht von den Inhalten her politisch. Wir machen keine politischen Botschaften oder so. Wir haben nur das Gefühl, die Art zu arbeiten, wenn man die auf alle Bereiche des Lebens übertragen könnte, dann wäre es eine bessere Gesellschaft [. . .] Konkret: Dass alle gefragt werden. Dass alle das Gefühl haben, sie sind nicht übergangen worden. Dass alle halbwegs so bezahlt worden sind, dass es o.k. ist und keiner sich ausgebeutet fühlt. [. . .] Wir drucken in Deutschland, nur zum Beispiel, und nicht im Ausland, weil es billiger ist. 14 Vgl. Zwingenberger, Meike: Soziales Kapital. Communities und die Bedeutung sozialer Netzwerke in den USA. Dissertation: Universität München, 2004, S. 9.

5.3 Ausblick 

 295

Wir denken, dass es eben auch gut ist, das in Deutschland zu machen. Hat auch den Vorteil, dass man in Deutschland mit den Druckereien viel besser reden und verhandeln kann und kraftsparend Detailfragen klären kann.15

Herangehensweisen solcher Art, wie sie Independent Verlage vielfach vorleben, können insofern auch gesellschaftlich relevant sein, weil damit eine Zukunft möglicher verbundener Lebens- und Arbeitskonzepte, die ihre unmittelbare Umgebung miteinbeziehen, insgesamt dargestellt wird. Denn mit Sicherheit werden die Veränderungen im Feld zu dem führen, was sich bereits in anderen Feldern der Kulturproduktion gezeigt hat: qualitativ besser, aber auch kleiner zu werden und Erfolg einer Neudefinition zu unterziehen, dahingehend, dass das Wie eine gewichtigere Rolle spielt – indem man die Dinge auf die richtige Art tut. Die gegenwärtige Instabilität der Buchbranche gibt die Chance, das auch durchzusetzen. Dabei gilt es, das Feld nicht anderen zu überlassen, die weniger nah am Kern der Sache sind. In diesem Strukturwandel, mit neuen Herstellungs- und Erscheinungsformen des Buches wird auch aufs Neue verhandelt, was ein Verlag überhaupt ist und sein kann. Auch hier rücken produktive Effekte, die die neuen Entwicklungen mit sich bringen, den Habitus einmal mehr ins Zentrum. Dieser Habitus ist für das gesamte Feld bedeutsam: Independent Verlage bilden dort programmatische und qualitative Filter, indem sie neue Wege beschreiten, vielfach den sozialen Aspekt des Verlegens neu leben und formen. Sie bieten Foren und schaffen Räume der Begegnung, woraus diese Inhalte überhaupt erst erwachsen können. Eine junge Generation, die das Verlegen auf diese Weise betreibt und Qualitätvolles auf Höhe der Zeit schafft, kann so nicht zuletzt gefragte Wege etablieren, zumal das Selbstverständnis als Verlegerin bzw. Verleger an die neuen Bedingungen und digitalen Erfordernisse angepasst ist. Independent Verlage können dabei als Vermittler und Gatekeeper fungieren: Zum einen bergen der Habitus von Independent Verlagen und die teilweise von ökonomischem Kapital entkoppelten Wege, Projekte zu realisieren, die Möglichkeit, den Blick von der falschen Alternative „Geld oder Geist bzw. Kunst oder Ökonomie“ wegzulenken, hin auf neue Wege, in denen sich Kultur und Wirtschaft durchdringen, ohne als Gegensatz zueinander zu stehen. Independent Verlage können Schritte aufzeigen, wie die literarische Kommunikation die Bedingung einer wirtschaftlichen Arbeit ist und nicht umgekehrt. Zum anderen können traditionelle Formen und Werte in solch einem Zugang eine Überarbeitung erfahren, die durch das genuine Interesse am Kern der Sache diesen selbst aber nicht aushöhlt. Genau darin liegt auch das Potenzial einer neuen Verlegergeneration und eine Verantwortung, die sie eint und auszeichnet: im Setzen neuer Standards. 15 Interview A4, Absatz 298–302.

6 Verzeichnisse 6.1 Abkürzungsverzeichnis AG AkV B.C.

CD CDU DBH

DIY DRM GbR GmbH & Co. KG GU GVA HTWK ICE ICN ISBN KNV KWS LCB LiR LKG MTV OG PoD RBB SOVA SPSS Talgo TGV USP

Aktiengesellschaft Arbeitskreis kleinerer unabhängiger Verlage (im Börsenverein des Deutschen Buchhandels) Before Conglomerates Anm.: Gemeint ist hier die Zeit vor der Etablierung großer Mischkonzerne am Markt (nach André Schiffrin, 2000) Compact Disc Christlich Demokratische Union Deutsche Buch Handels GmbH & Co. KG (ein Zusammenschluss aus Weltbild, Jokers, Hugendubel, Weiland, Wohlthat’sche und DBH Warenhaus) Do it yourself Digital Rights Management Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gesellschaft mit beschränkter Haftung & Compagnie Kommanditgesellschaft Gräfe & Unzer Gemeinsame Verlagsauslieferung Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig Intercity-Express Intercity-Neigezug (Schweiz) International Standard Book Number (deutsch: Internationale Standardbuchnummer) Koch, Neff & Volckmar GmbH Kurt-Wolff-Stiftung Literarisches Colloquium Berlin Librairie indépendante de référence (deutsch: unabhängige Qualitätsbuchhandlungen) Leipziger Kommissions- und Großbuchhandelsgesellschaft mbH Music Television Offene Gesellschaft (Rechtsform in Österreich) Print on Demand Rundfunk Berlin Brandenburg Sozialistische Verlagsauslieferung GmbH Sammeln – Prüfen – Sortieren – Subsumieren Anm.: Methode der Leitfadenerstellung (nach Helfferich, 2008) Tren articulado ligero Goicoechea Oriol (deutsch: Gliederzug in Leichtbauweise nach Goicoechea und Oriol) Train à grande vitesse (deutsch: Hochgeschwindigkeitszug) Unique Selling Proposition (deutsch: Alleinstellungsmerkmal, mit dem sich ein Angebot deutlich vom Wettbewerb abhebt)

6.3 Abbildungsverzeichnis  VA VLB WG WMF

 297

Verleger-Ausschuss (des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels) Verzeichnis lieferbarer Bücher Wohngemeinschaft Württembergische Metallwarenfabrik, nach der sich eine Berliner Club-Reihe benannte, die deren Stammhaus in Berlin-Mitte besetzte.

6.2 Tabellenverzeichnis Tab. 2.1: Tab. 2.2: Tab. 2.3: Tab. 2.4: Tab. 2.5:

Umsatzentwicklung nach Geschäftsarten 2008–2014 (Veränderungen zum Vorjahr in Prozent). Anzahl steuerpflichtiger deutscher Buchverlage in unterschiedlichen Umsatzgrößenklassen und deren Umsätze (in 1.000 €) 2013. Neuerscheinungen in Deutschland 2000–2014. Umsatzanteile der Warengruppen nach Editionsformen 2010–2014 (in Prozent). Umsatzanteile innerhalb der Warengruppe Belletristik 2010–2014.

6.3 Abbildungsverzeichnis Abb. 3.1: Abb. 3.2: Abb. 3.3: Abb. 3.4: Abb. 3.5: Abb. 3.6: Abb. 3.7: Abb. 3.8: Abb. 4.1: Abb. 4.2: Abb. 4.3: Abb. 4.4: Abb. 4.5: Abb. 4.6: Abb. 4.7: Abb. 4.8: Abb. 4.9: Abb. 4.10: Abb. 4.11:

Büchertisch UV - Die Lesung der unabhängigen Verlage in der Schaubühne Lindenfels 2011 (Foto: privat). Logo Hotlist (Abb.: Hotlist). kookbooks Verlegerin Daniela Seel auf der Mainzer Minipressen-Messe 2011 (Foto: privat). Flyer Fest der Jungen Verlage, Frankfurter Buchmesse 2009, Vorderseite (Foto: privat). Flyer Fest der Jungen Verlage, Frankfurter Buchmesse 2009, Rückseite (Foto: privat). Katharina Hartwell und Stefan Petermann auf der Leseinsel Junge Verlage auf der Leipziger Buchmesse 2013 (Foto: asphalt & anders). Verortung von Independent Verlagen im Feld verlegerischer Herangehensweisen. (Abb.: Eigendarstellung) Soziale Praxis nach Bourdieu (Abb.: Steffen Albrecht). Logo Blumenbar (Abb.: Blumenbar). Blumenbar Salon in der Münchener Blumenstraße 2003 (Foto: privat). Blumenbar Verlag in der Berliner Klosterstraße 2010 (Foto: privat). Blumenbar Verleger Wolfgang Farkas mit Autorin Erin Cosgrove 2004 (Foto: privat). Tracey Emin, Strangeland. Blumenbar 2009 (Cover: Blumenbar). Leonard Cohen, Buch der Sehnsüchte. Blumenbar 2008 (Cover: Blumenbar). Olaf Kraemer, Ende der Nacht. Blumenbar 2008 (Cover: Blumenbar). Hilal Sezgin, Manifest der Vielen: Deutschland erfindet sich neu. Blumenbar 2011 (Cover: Blumenbar). Logo kookbooks (Abb.: kookbooks). kookbooks auf der Leipziger Buchmesse 2015 (Foto: privat). Ersteigerungsobjekte der kookgala 2009 (Foto: Alexander Gumz).

298  Abb. 4.12: Abb. 4.13: Abb. 4.14: Abb. 4.15: Abb. 4.16: Abb. 4.17: Abb. 4.18: Abb. 4.19: Abb. 4.20: Abb. 4.21: Abb. 4.22: Abb. 4.23: Abb. 4.24: Abb. 4.25: Abb. 4.26: Abb. 4.27: Abb. 4.28: Abb. 4.29: Abb. 4.30: Abb. 4.31: Abb. 4.32: Abb. 4.33: Abb. 4.34: Abb. 4.35: Abb. 4.36: Abb. 4.37: Abb. 4.38: Abb. 4.39: Abb. 4.40: Abb. 4.41: Abb. 4.42: Abb. 4.43: Abb. 4.44: Abb. 4.45: Abb. 4.46:

 6 Verzeichnisse kookbooks Verlegerin Daniela Seel feiert zehnjähriges Verlagsjubiläum im Berliner Theaterdiscounter 2013 (Foto: privat). Steffen Popp, Wie Alpen. kookbooks 2004 (Cover: kookbooks). Monika Rinck, Ah, das Love-Ding! kookbooks 2006 (Cover: kookbooks). Katharina Schultens, Gorgos Portfolio. kookbooks 2014 (Cover: kookbooks). Daniela Seel, ich kann diese stelle nicht wiederfinden. kookbooks 2011 (Cover: kookbooks). Logo Luftschacht (Abb.: Luftschacht). Luftschacht Verleger Stefan Buchberger und Jürgen Lagger mit Autor Lukas Meschik auf der Buch Wien 2009 (Foto: privat). Luftschacht Verleger Jürgen Lagger und Stefan Buchberger 2007 (Foto: Florian Anrather). Luftschacht Vorschau Frühjahr 2011 (Abb.: Luftschacht). Illibilly The K.I.T.T., Digeridoo zum Frühstück. Kolumnen der Know Nothing Gesellschaft. Luftschacht 2010 (Cover: Luftschacht). Martin Mandler, 23 Tage. Luftschacht 2011 (Cover: Luftschacht). Giuliano Musio, Scheinwerfen. Luftschacht 2015 (Cover: Luftschacht). Zita Bereuter/Claudia Czesch (Hg.), FM4 Wortlaut 15. WILD. Luftschacht 2015 (Cover: Luftschacht). Logo mairisch (Abb.: mairisch). Indiebookday im mairisch Verlag 2015 (Foto: mairisch). mairisch Autor Finn-Ole Heinrich und das unsortierte Orchester 2012 (Foto: privat). mairisch Verleger Daniel Beskos und Peter Reichenbach 2015 (Foto: Andreas Hornoff). Finn-Ole Heinrich, Räuberhände. mairisch 2007 (Cover: mairisch). Stevan Paul, Schlaraffenland. mairisch 2012 (Cover: mairisch). Ilundáin-Agurruza/Austin/Reichenbach (Hg.), Die Philosophie des Radfahrens. mairisch 2013 (Cover: mairisch). Lisa Kreißler, Blitzbirke. mairisch 2014 (Cover: mairisch). Logo Onkel & Onkel (Abb.: Onkel & Onkel). Onkel & Onkel Verlag am Berliner Oranienplatz 2010 (Foto: privat). Onkel & Onkel Verlag am Berliner Oranienplatz 2010 (Foto: privat). Onkel & Onkel Verleger Volker Oppmann 2015 (Foto: privat). Frank Zünkler: Natural born Grillers. Onkel & Onkel 2007 (Cover: Onkel & Onkel). Tor Åge Bringsværd, Puder. Oder Sleeping Beauty in the Valley of the Wild, Wild Pigs. Onkel & Onkel 2008. (Cover: Onkel & Onkel). Onkel & Onkel (Hg.), Das Führer-Quartett. Onkel & Onkel 2010 (Cover: Onkel & Onkel). Alexandra Klobouk, Polymeer. Eine apokalyptische Utopie. Onkel & Onkel 2012 (Cover: Onkel & Onkel). Logo Salis (Abb.: Salis). Salis Verlag in der Berliner Görlitzer Straße 2013 (Foto: privat). Salis Verleger André Gstettenhofer 2015 (Foto: Sibylle Meier). Salis Vorschau Frühjahr 2010 (Abb.: Salis). Erica Matile, Vom Fleck weg. Salis 2009 (Cover: Salis). Ambroschütz/Herrmann, Hardau. Salis 2009 (Cover: Salis).

6.4 Literaturverzeichnis  Abb. 4.47: Abb. 4.48: Abb. 4.49: Abb. 4.50: Abb. 4.51:

Abb. 4.52: Abb. 4.53: Abb. 4.54: Abb. 4.55: Abb. 4.56: Abb. 4.57: Abb. 4.58: Abb. 4.59: Abb. 4.60: Abb. 4.61: Abb. 4.62: Abb. 4.63: Abb. 4.64:

 299

Thomas Meyer, Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse. Salis 2012 (Cover: Salis). Adrian Witschi, Hoffentlich ist niemand verletzt. Salis 2015 (Cover: Salis). Logo Verbrecher Verlag (Abb.: Verbrecher Verlag). Verbrecher Verlag im Mehringhof Berlin (Foto: privat). Team des Verbrecher Verlag vor den Plakaten zum zwanzigjährigen Verlagsjubiläum 2015: Kristina Wengorz, Evelyn Rahm, Kristine Listau, Jörg Sundermeier, Christian Walter (Foto: Birgit Lulay). Erich Mühsam, Tagebücher. Band 3: 1912–1914. Verbrecher Verlag 2012 (Cover: Verbrecher Verlag). Kolja Mensing, Minibar. Verbrecher Verlag 2007 (Cover: Verbrecher Verlag). Dietmar Dath, Für immer in Honig. Verbrecher Verlag 2008 (Cover: Verbrecher Verlag). Frédéric Valin, Randgruppenmitglied. Verbrecher Verlag 2010 (Cover: Verbrecher Verlag). Verbrecher Verlag Vorschau Frühjahr 2014 (Abb.: Verbrecher Verlag). Logo Voland & Quist (Abb.: Voland & Quist). Die Surfpoeten im UT Connewitz Leipzig 2008 (Foto: privat). Voland & Quist Verleger Sebastian Wolter und Leif Greinus 2015 (Foto: Robert Gommlich). Nora Gomringer, Mein Gedicht fragt nicht lange reloaded. Voland & Quist 2015 (Cover: Voland & Quist). Edo Popović, Mitternachtsboogie. Voland & Quist 2010 (Cover: Voland & Quist). Ahne, Zwiegespräche mit Gott. Das vierte Buch. Voland & Quist 2014 (Cover: Voland & Quist). Julius Fischer, Die schönsten Wanderwege der Wanderhure. Voland & Quist 2014 (Cover: Voland & Quist). Flyer Voland & Quist zur Leipziger Buchmesse 2008 (Abb.: Voland & Quist).

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 6 Verzeichnisse

N.N.: Unabhängige österreichische Verlage präsentieren sich in Berlin. In: buchmarkt.de vom 18.9.2014: http://www.buchmarkt.de/content/59834-unabhaengige-oesterreichischeverlage-praesentierten-sich-in-berlin.htm?hilite=-Hotlist-. Stand: 1.7.2015. N.N.: Universal baut Führung aus. In: Tagesspiegel Online vom 4.4.2008: http://www. tagesspiegel.de/wirtschaft/musikbranche-universal-baut-fuehrung-aus/1203682.html. Stand: 22.4.2012. N.N.: Verdacht auf Absprachen: Gericht prüft Apples E-Book-Preise. In: Spiegel Online vom 16.5.2012: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/verdacht-auf-absprachen-applese-book-preise-kommen-vor-gericht-a-833431.html. Stand: 4.6.2012. N.N.: Verlag Voland & Quist erhalten Arras Preis der Stadt Dresden. In: buchmarkt.de vom 12.11.2007: http://www.buchmarkt.de/content/29194-verlag-voland-quist-erhalten-arraspreis-der-stadt-dresden.htm?hilite=-Voland-&-Quist-. Stand: 3.8.2015. N.N.: Vorschauen: Wichtigstes Instrument. In: boersenblatt.net vom 2.5.2008: http://www. boersenblatt.net/188224/. Stand: 5.5.2010. N.N.: Wege der Wanderhure genießen Kunstfreiheit. In: boersenblatt.net vom 5.8.2014: http:// www.boersenblatt.net/809743/. Stand: 19.7.2014. N.N.: Wowereits Berlin Slogan – „Arm, aber sexy“. In: Focus Online vom 19.10.2006: http:// www.focus.de/politik/deutschland/wowereits-berlin-slogan_aid_117712.html. Stand: 10.7.2015. Negus, Keith/Pickering, Michael: Creativity, Communication and Cultural Value. London: Sage Publications Ltd., 2004. Negus, Keith: Producing Pop. Culture and Conflict In The Popular Music Industry. London: Arnold/Hodder Headline Group, 2001. Neilan, Catherine: Indie Alliance becomes fifth biggest publisher. In: thebookseller.com vom 24.1.2010: http://www.thebookseller.com/news/indie-alliance-becomes-fifth-biggestpublisher.html. Stand: 1.7.2015. Neudert, Christine: Interview mit Volker Oppmann. In: litereraturnetz.de vom 24.7.2009: http://literaturnetz.com/1/2009072410557/Magazin/Specials/Onkel-Onkel.html. Stand: 21.7.2015. Neuefeind, Claes (Hg.): pressplay. Die Anthologie der freien Hörspielszene. Hamburg: mairisch, 2007. Niasseri, Sassan/Zwirner, Heiko: „Uns interessieren die Grenzbereiche“. Interview mit Wolfgang Farkas und Hendrik Rohlf. tip, 25/2009, S. 14–17. Nickel, Volker: Konsumtrend – Die Moralisierung der Märkte. In: Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft, s.t.: http://www.zaw.de/index.php?menuid=0&reporeid=263. Stand: 11.11.2013. Niemeier, Sabine: Funktionen der Frankfurter Buchmesse im Wandel – von den Anfängen bis heute. Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem deutschen Bucharchiv München. Bd. 68. Wiesbaden: O. Harrassowitz, 2001. Nießen, Claudius: Klein aber fein – Die jungen deutschen Verlage. Goethe-Institut Online: http://www.litrix.de/magazin/panorama/ueberblick/de15383.htm. Stand: 13.12.2009. Nowell, Richard: „The Ambitions of Most Independent Filmmakers“: Indie Production, the Majors, and Friday the 13th (1980). Journal of Film and Video, Vol. 63, 2/2011, S. 28. Onkel & Onkel (Hg.), Das Führer-Quartett. Berlin: Onkel & Onkel, 2010. Panzer, Fritz/Scheipl, Elfriede: Buchverlage im Umbruch. In: Meixner, Elisabeth (Hg.): Verlagsführer Österreich. Wien: Buchkultur, 2001, S.11–26.

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Anhang Anhang 1: Interviewsampling A: Independent Verlage, Verlegerinnen und Verleger Unternehmen

Interviewpartner(in), Funktion

Zeitpunkt, Ort

Blumenbar Berlin

Wolfgang Farkas, Verleger

21.5.2010 Berlin

kookbooks Berlin

Daniela Seel, Verlegerin

17.5.2010 Berlin

Luftschacht Wien

Stefan Buchberger, Verleger

9.6.2010 Wien

mairisch Hamburg

Daniel Beskos, Verleger

7.10.2010 Frankfurt a. M.

Onkel & Onkel Berlin

Volker Oppmann, Verleger

3.5. u. 25.5.2010 Berlin

Salis Zürich

André Gstettenhofer, Verleger

3.6.2010 Berlin

Verbrecher Verlag Berlin

Jörg Sundermeier, Verleger

10.5.2010 Berlin

Voland & Quist Leipzig

Sebastian Wolter, Verleger

8.1. u. 1.6.2010 Leipzig

B: Verlage, die überwiegend auch Independent Verlage sind, sich darüber jedoch nicht inszenieren und/oder zusätzliche Funktionen innehaben, Verlegerinnen und Verleger Unternehmen

Interviewpartner(in), Funktion

Zeitpunkt, Ort

Ch. Links Verlag Berlin

Dr. Christoph Links, Verleger

2.6.2010 Berlin

GVA Auslieferung/ Lamuv Göttingen

Karl-Klaus Rabe, Geschäftsführer, Verleger

8.10.2010 Frankfurt a. M.

Hanser Verlag München

Michael Krüger, Verleger

23.5.2011 München

Klett Cotta Stuttgart

Michael Zöllner, Verleger, Gründer des Tropen Verlag

9.8.2010 Stuttgart

Anmerkung: In alphabetischer Reihenfolge in den jeweiligen Abschnitten – keine Übereinstimmung mit der Nummerierung in den zitierten Interviews.

324 

 Anhang

Unternehmen

Interviewpartner(in), Funktion

Zeitpunkt, Ort

Kurt-Wolff-Stiftung Leipzig

Stefan Weidle, Vorstand KWS, Verleger

21.1.2010 Leipzig

Matthes & Seitz Berlin

Dr. Andreas Rötzer, Verleger

26.5.2010 Berlin

TUBUK München

Dr. Julia von dem Knesebeck, Geschäftsführerin TUBUK und Bilandia, Verlegerin

8.10.2010 Frankfurt a. M.

weissbooks.w Frankfurt a. M.

Dr. Rainer Weiss, Verleger, ehem. SuhrkampLektor

8.5.2010 Berlin

C: Ohne Verlag, Branchenexpertinnen und -experten Unternehmen

Interviewpartner(in), Funktion

Zeitpunkt, Ort

Autor bei kookbooks und Rowohlt Berlin

Jan Böttcher, Autor

24.5.2010 Berlin

Berliner Verlagsvertretungen Berlin

Christian Döpke, Gründer u. Verlagsvertreter

19.5.2010 Berlin

Börsenblatt Frankfurt a. M.

Holger Heimann, Redakteur

7.5.2010 Berlin

Börsenverein Verlegerausschuss, AKV Frankfurt a. M.

Rolf Nüthen, Geschäftsführer VA u. AKV

25.5.2010 Berlin

Kommedia Buchhandlung Berlin

Lutz Stolze, Geschäftsführer u. Buchhändler

14.5.2010 Berlin

scriptzz Literaturagentur Berlin

Anja Köseling, Geschäftsführerin u. Literaturagentin

10.7.2010 Wien

Selbstständig Berlin

Leander Wattig, Blogger, Vortragsredner u. Berater

1.6.2010 Leipzig

Tagesspiegel Berlin

Gregor Dotzauer, Literaturkritiker

26.5.2010 Berlin

Vertriebsexpertise Belletristikverlage Bonn

Urs Erdle, Vertriebsexperte u. Vertriebs- und Marketingleiter KNA (Kath. Nachrichtenagentur)

22.9.2012 Telefon

Anhang 2: Interviewdesign 

 325

Anhang 2: Interviewdesign Leitfaden Forschungsthema: „Independent Verlage“ Forschungsfrage: „Was ist ein Independent Verlag?“ Leitfrage/Erzählaufforderung: Wie darf man sich Ihre Arbeit vorstellen?

Inhaltliche Aspekte

Stichworte

Beriff/Definition „Independent“

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Verlegerische Tätigkeit

Buchmarkt heute/ Konzentration

Neue Medien und Technologien

– – – –

Ihr Verlag Selbstverständnis „Etikettierung“ Offenheit von Begriff/Gruppe Neue Verlegergeneration Vorbilder Abgrenzung zu anderen Verlagstypen USP der Independents Gemeinsame Standards Finanzielle Unabhängigkeit „Lifestyle“(-Begriff) Anlehnung an Musik, Film, Mode. . . Gründungsgedanke Arbeitsweise Bedeutung der Verlegerpersönlichkeit Form: Rechtsform, Unternehmensgröße, Umsatz Inhalt: Programm, Medien, Autorinnen und Autoren Akquise Mittel: Konzepte, Finanzierung Vertrieb, Marketing Milieu Ökonomie und Ästhetik Herausforderungen des Strukturwandels/der Konzentration Zusammenarbeit mit: – dem Buchhandel – Buchhandelsketten – Zwischenbuchhandel – Auslieferung(en) Positionierung von Independent-Verlagen in der Verlagslandschaft Bedeutung von Verlegen im Informationszeitalter Leserinnen und Leser heute Das Buch heute

326 

 Anhang

Inhaltliche Aspekte

Stichworte

Zusammenschlüsse/ Kooperationen

– – – – – – – – – – – –

Ausblick/ Alternativen

Verbände Vertriebskooperationen Gemeinsame Aktionen Inszenierung von Literatur Bedeutung heute/in der Mediengesellschaft Events/Partys etc. Aufmerksamkeit schaffen Kundenbindung Staatliche Förderung Alternative Finanzierungen Mäzene, Crowdfunding etc. Strategien Perspektiven, Potenziale, Erwartungen, Wünsche

Anhang 3: Codierungsdesign 

 327

Anhang 3: Codierungsdesign Themenblöcke analog zum Inhaltsverzeichnis Themenblöcke (analog zum Inhaltsverzeichnis)

Codes

1. Einleitung 2. Rahmenbedingungen: Deutschsprachige Verlagslandschaft und Buchmarkt heute 3. Einblicke: Arbeitsweisen, Herangehensweisen und Charakteristika von Independent Verlagen

– R_Verlegen, R_Verlage, R_Lesen, R_Literatur, R_Konzentration, R_Digitalisierung

4. Independent Verlage im Porträt 5. Schlussbetrachtung Weitere Codes

PH_Auftauchen Begriff, PH_Mainstream, PH_DIY, PH_Abgrenzung, PH_„Große“, PH_Medienecho, PH_Querverbindung, PH_Def, PH_Def_Merkmal; C_BEGINN_Auslöser, C_BEGINN_Motive, C_BEGINN_ Gründungsgeschichten, C_BEGINN_Konzepte; C_HALTUNG_Selbstverständnis, C_HALTUNG_Trendscout, C_HALTUNG_Verlegerpersönlichkeit, C_HALTUNG_ Motivation, C_HALTUNG_Statement, C_HALTUNG_ Überlebensstrategie; C_SETTING_Räume, C_SETTING_Neues Arbeiten, C_SETTING_Verlagsteam, C_SETTING_Generation, C_SETTING_Netzwerk_arbeit, C_SETTING_Netzwerk_sozial, C_MILIEU_Subkultur; C_MILIEU_Autoren, C_MILIEU_Leser; C_FORM_Rechtsform,C_FORM_Unternehmensform, C_FORM_Unternehmensgröße, C_FORM_Umsatz; C_INHALT_Programm, C_INHALT_Auflage, C_INHALT_ Medien, C_INHALT_Events, C_INHALT_Cover, C_INHALT_ Nische, C_INHALT_Akquise; C_MITTEL_Konzept, C_MITTEL_Finanzierung, C_MITTEL_ Förderung; C_VERTRIEB, C_VERTRIEB_BH, C_VERTRIEB_Auslieferung, C_VERTRIEB_BS, C_VERTRIEB_Vertreter, C_VERTRIEB_ TUBUK; GEM_AKV, GEM_KWS, GEM_loser Verbund, GEM_Projekte, GEM_Hotlist, GEM_Leseinsel, GEM_Party, GEM_ Verbindendes, GEM_Andere Länder; C_LABEL_Branding, C_LABEL_Inszenierung, C_LABEL_ Literaturvermittlung; C_Herausforderungen, C_Erfolg PORT_Blumenbar, PORT_kookbooks, PORT_Luftschacht, PORT_mairisch, PORT_Onkel, PORT_Salis, PORT_ Verbrecher, PORT_Voland – Generation, Namen etc.

A1 Verlag Acabus Adeva Verlag Affenkönig Verlag Aisthesis Verlag Alcorde Verlag Alea Verlag Alexander Verlag Amberpress Angkor Verlag Arco Verlag Argument Verlag ars vivendi asphalt & anders Assoziation A August Dreesbach Verlag

D D D D D D D D D D D D

D

D D A

X

X

X X

X

X

X X

X X

X

2015

2010

2010

2015

ARGE Arbeitsgemeinschaft Österreichische Privatverlage (A)

KWS Kurt Wolff-Stiftung (D)

2010

2015

SWIPS Swiss Independent Publishers (CH)

X X X

X

X

X X

2010

X X

X X X X

X X X X

2015

Hotlist Die besten Bücher aus unabhängigen Verlagen 2010

2015

Party der jungen Verlage auf der Leipziger Buchmesse

Mitgliedschaften und Teilnahmen von Verlagen an gemeinsamen Aktionen, die mit dem Label „Independent“ kommuniziert werden

Anhang 4: Überblick Independent Verlage im deutschsprachigen Raum

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2010

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328   Anhang

Austernbank Verlag Autumnus Avinus AvivA Verlag axel dielmann Verlag Bajazzo Verlag be.bra Verlag Belleville Verlag Berenberg Verlag Bibliothek der Provinz Bildschöne Bücher bilgerverlag binooki Verlag Blumenbar boox verlag Braumüller BRUETERICH PRESS Buchbäcker Verlagsgesellschaft Büchergilde Gutenberg Bucher Verlag Campus Verlag cassverlag

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Party der jungen Verlage auf der Leipziger Buchmesse

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Anhang 4: Independent Verlage im deutschsprachigen Raum   329

catware.net Ch. Links Verlag chiliverlag Christoph Merian Verlag Cindigo ClaraPark Connewitzer Verlagsbuchhandlung conradverlag Conte Verlag Covadonga Custos Verlag Czernin Verlag Daab Media Daedalus Verlag Der gesunde Menschenverstand Der Kleine Buch Verlag diaphanes Dittrich Verlag Donata Kinzelbach Verlag Dörlemann Drava Verlag Dresdner Buchverlag

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330   Anhang

Droschl Literaturverlag ebersbach & simon Echtzeit Edit edition 8 Edition Atelier Edition AV Edition AZUR Edition Büchergilde edition clandestin edition clandestin Edition Contra-Bass Edition Ebersbach Edition Epoca edition exil edition.fotoTAPETA edition fredebold edition fünf Edition Guy Binsfeld Edition Howeg edition karo Edition Körber Stiftung Edition Korrespondenzen

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Anhang 4: Independent Verlage im deutschsprachigen Raum   331

Edition Laurin Edition Moderne Edition Nautilus edition oberkassel Edition Ost edition paperOne Edition Pastorplatz Edition pudelundpinscher Edition Rugerup edition taberna kritika Edition Tiamat Eichborn Verlag Eichenspinner Verlag Elektrischer Verlag Elfenbein Verlag elfundzehn Verlag Emons Verlag endboss Verlag Engeler Verlag EP Edition Pächterhaus Essencia Europa Verlag Faber und Faber

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Party der jungen Verlage auf der Leipziger Buchmesse

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332   Anhang

Folio Verlag Frankfurter Verlagsanstalt freiraum-verlag Friedenauer Presse Gmeiner-Verlag Gollenstein Verlag Golub Books Grafit Verlag GmbH Größenwahn Verlag Guggolz Verlag gutleut verlag Hablizel Verlag Haffmans & Tolkemitt Hamburger Verlag Hansanord Haymon Verlag Herrmann Schmidt Mainz Herzsprung Verlag ihleo verlag INK PRES Jaja Verlag Jonas Verlag

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Party der jungen Verlage auf der Leipziger Buchmesse

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Anhang 4: Independent Verlage im deutschsprachigen Raum   333

Jung und Jung Jungle World Karl May Verlag KaMeRu Verlag Kein & Aber Kitab Verlag kladde|buchverlag Kleinheinrich Verlag Klever Verlag Klingenstein Verlag Klöpfer & Meyer konkursbuch kookbooks Kritische Ausgabe kunstanstifter Verlag KUUUK Verlag Kyrene Literaturverlag Landt Verlag Lars Müller Publishers Lehmstedt Verlag Leinpfad Verlag Leipziger Literaturverlag Lenos Verlag Libelle Verlag

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334   Anhang

Lichtung Verlag Liebeskind Verlagsbuchhandlung Lilienfeld Verlag Limmat Verlag Löcker Verlag Louisoder Verlag LuboK-Verlag Luftschacht Lukas Verlag luxbooks Lychatz Verlag mairisch Malus Verlag Männerschwarm Verlag Manutius Verlag mare Verlag Maro Verlag Marta Press Martin Schmitz Verlag Matthes & Seitz Medu Verlag Mehring Verlag Melzer Verlag

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Anhang 4: Independent Verlage im deutschsprachigen Raum   335

Merlin Verlag Merve Verlag Metrolit Metroverlag Metzer Verlag michason & may Milena Verlag Minimal Trash Art Mirabilis Verlag Mitteldeutscher Verlag Mixtvision Verlag Müller Otto Verlag Münchner Frühling Verlag Murmann Müry Salzmann Verlag NaturaMed Neofelis Verlag Neufeld Verlag Nimbus Nischen Verlag NordPark Nostrum Verlag Onkel & Onkel Open House Verlag

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336   Anhang

orange-press orte Verlag Osburg Verlag Otto Müller Verlag P. Kirchheim Verlag Papermoon Verlag PARK BOOKS PalmArtPress Passagen Verlag Pearlbooksedition Pendragon Verlag Perlen Verlag Persona Verlag Peter Hammer Verlag Picus Verlag Plöttner Verlag poetenladen Promedia Pulp Master Querverlag Reprodukt Residenz Verlag rhein wörtlich Rimbaud Verlag

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Anhang 4: Independent Verlage im deutschsprachigen Raum   337

Ripperger & Kremers Verlag Ritter Verlag Rogner & Bernhard Römerhof Verlag Rotbuch Verlag Rotpunktverlag Ruhland Verlag Salis Salon Alter Hammer Satyr Verlag Schöffling & Co Scheidegger & Spiess Schüren Verlag Schwarzerfreitag Secession Seismo Verlag Seitenstraßen Verlag Septime Verlag Skarabæus Verlag Simon Verlag Sisyphus Solibro Verlag Sonderzahl Verlag

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speak low spector books Sportwelt Verlag Sprechstation Verlag Sprungturm Verlag starfruit publications Stories & Friends Stroemfeld Verlag SuKulTuR Supposé Tally-Ho! Verlag Testcard Textem Verlag Textmanufaktur Thomas Sessler Tolkemitt Verlag :Transit Buchverlag Tropen Tulipan Ubooks Verlag Unionsverlag Unsichtbar Verlag Vandenhoeck & Ruprecht Vatter & Vatter Ventil Verlag

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Anhang 4: Independent Verlage im deutschsprachigen Raum   339

Verbrecher Verlag Verlag 3.0 Zsolt Majsai Verlag Andreas Reiffer Verlag Antje Kunstmann Verlag Brinkmann & Bose Verlag Das Fünfte Tier Verlag Das wilde Dutzend Verlag das Wunderhorn verlag die brotsuppe Verlag Johannes Heyn Verlag Kremayr & Scheriau Verlag Krug & Schadenberg Verlag Martin Wallimann Verlag Peter Hopf Verlagshaus Berlin Verlagshaus J.Frank Verlagshaus Jacoby & Stuart Vielflieger Verlag Voland & Quist Vorwerk 8

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Die Daten basieren auf den Angaben der jeweiligen Homepages: Kurt Wolff-Stiftung: http://www.kurt-wolff-stiftung.de/ N.N.: Presseabend der ARGE Privatverlage. In: buecher.at – Hauptverband des Österreichischem Buchhandels vom 2.2.2012: http://www.buecher.at/ show_content.php?sid=126&detail_id=5382 (Stand 2015 = Stand 2012 = Stand 2010, da seither keine Verlage mehr aufgenommen werden). SWIPS: http://www.swips.ch Hotlist: http://www.hotlist-online.com/ Partys: Partyflyer. Stand: 20. Oktober 2010/25.Oktober 2015.

Wagenbach Walde + Graf Verlag Waldgut Verlag & Atelier Bodoni Wallstein Verlag Wehrhahn Verlag Weidle Verlag weissbooks.w Wieser Verlag Wochenschau Verlag worthandel Verlag yedermann zeter & mordio Zaglossus Zu Klampen Verlag Zytglogge Verlag

KWS Kurt Wolff-Stiftung (D)

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