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German Pages 213 [216] Year 2011
Johannes Keienburg Immanuel Kant und die Öffentlichkeit der Vernunft
Kantstudien Ergänzungshefte im Auftrage der Kant-Gesellschaft herausgegeben von Manfred Baum, Bernd Dörflinger, Heiner F. Klemme und Thomas M. Seebohm
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De Gruyter
Johannes Keienburg
Immanuel Kant und die Öffentlichkeit der Vernunft
De Gruyter
ISBN 978-3-11-025930-8 e-ISBN 978-3-11-025932-2 ISSN 0340-6059 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Keienburg, Johannes. Immanuel Kant und die Öffentlichkeit der Vernunft / Johannes Keienburg. p. cm. - (Kantstudien. Ergänzungshefte, ISSN 0340-6059) Includes bibliographical references (p. ) and index. ISBN 978-3-11-025930-8 (hardcover : alk. paper) 1. Kant, Immanuel, 1724-1804. 2. Reason. I. Title. B2798.K28 2011 1281.33092-dc22 2011008985
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Marion und meinen Eltern
Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. ffentlichkeitsebenen in Kants politischer Theorie . . . . . . . . . . 1.1 Kants Gebrauch der Adjektive ,privat‘ und ,çffentlich‘ . . . . 1.2 Drei Bedeutungsfelder von ,ffentlichkeit‘ bei Kant . . . . . . 1.3 bergang: Differenzierung in theoretische, praktische und sthetische ffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Die ffentlichkeit der theoretischen Vernunft . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die vorkritische Forderung nach çffentlicher Beglaubigung und Standpunktwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Selbstkritik der Vernunft im Medium der ffentlichkeit . . 2.3 Exkurs: Demokratische oder despotische Vernunft? . . . . . . 2.4 Das kritische Postulat nach Mitteilbarkeit . . . . . . . . . . . . . . 2.5 ffentliche Vernunft und Politik: Das Recht auf freie Meinungsußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Abschluss: Universitt als ffentlichkeit des theoretischen Vernunftgebrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. ,Wir denken‘: Kants Transzendentale Intersubjektivitt . . . . . . . 86 3.1 Raum und Zeit oder Zwei Bedeutungen von ,subjektiv‘ . . . 87 3.2 Transzendentale Intersubjektivitt in der Kategorienlehre . . 90 3.3 Kann Intersubjektivitt transzendental erfasst werden? . . . . 103 4. Die ffentlichkeit der praktischen Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Das Prinzip der Publizitt im kategorischen Imperativ . . . . 4.2 Moralitt als ffnung gegenber der Welt . . . . . . . . . . . . . 4.3 Das ethische Gemeinwesen: ffentlichkeit des praktischen Vernunftgebrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft . . . . . 137 5.1 Drei Ebenen des ffentlichkeitsbegriffs in der Theorie des Geschmacksurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
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Inhalt
5.2 Die erweiterte Denkungsart und ihre Bedeutung fr die erste und zweite Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 5.3 Die erweiterte Denkungsart in Kants politischer Theorie . . 165 5.4 Kant und der Strukturwandel der ffentlichkeit . . . . . . . . . 181 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Weitere Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Artikel aus Wçrterbchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
Einleitung Es sind die ersten Zeilen seines ersten Buches, die Zeilen, die den Anfang markieren, den Moment, da Immanuel Kant erstmals offiziell an die wissenschaftliche ffentlichkeit tritt, jene Zeilen also sind es, in denen genau dieses An-die-ffentlichkeit-Treten als einer Prmisse allen Vernunftgebrauchs bereits zur Sprache kommt. „Ich glaube“, heißt es in der 1746 eingereichten Schtzung der lebendigen Krfte 1, „ich habe Ursache, von dem Urteile der Welt, dem ich diese Bltter berliefere, eine so gute Meinung zu fassen, daß diejenige Freiheit, die ich mir herausnehme, großen Mnnern zu widersprechen, mir vor kein Verbrechen werde ausgelegt werden.“2 Die großen Mnner, das sind unter anderem Leibniz und Newton; Ich, das ist ein Student Anfang Zwanzig; und genannter Widerspruch, den dieser Student khn ankndigt, war der Vorschlag zur Lçsung eines Problems, das lngst gelçst war.3 Das aber ndert nichts an dem spezifischen wissenschaftlichen, politischen und auch persçnlichen (Selbst-)Verstndnis, das in diesem einen Satz zum Ausdruck kommt: Hier schreibt jemand, der es als sein gutes Recht ansieht, çffentlich seine Meinung sagen zu drfen – ganz egal gegen wen oder was sich diese Meinung richtet. Kant nennt das Urteile der Welt, dem er seine Bltter berliefere; und er nennt die Freiheit, die er sich bei dieser berlieferung nehme. Damit sind bereits wesentliche Elemente unseres heutigen ffentlichkeitsbegriffs benannt: Die Welt ist das Publikum, das Kant adressiert, die Bltter sind das 1
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Auf der Titelseite der Schtzung wird 1746 als Erscheinungsjahr angegeben, tatschlich verçffentlicht wird das Buch allerdings erst 1749 (vgl. Khn, Manfred: Kant. Eine Biographie. Mnchen, 2007 [TB-Ausg.], S. 118 sowie Anmerkung 102 auf S. 524). Die Widmung an Johann Christoph Bohlius, einen Kçnigsberger Medizinprofessor, wiederum versieht Kant mit dem 22. April 1747, seinem Geburtstag. Schtzung der lebendigen Krfte, Bd. 1, A V, VI. Zu den fr die Schriften Kants verwendeten Abkrzungen siehe Literaturverzeichnis. Es ging dabei um die Suche nach einer Formel fr die Berechnung der physikalischen Kraft. Kant bersieht bei seinem Vorschlag, dass es bereits eine andere, und zwar korrekte Formel gab, nmlich das d’Alembertsche Prinzip, das der Mathematiker und Philosoph Jean le Rond d’Alembert 1743 in Abhandlung ber Dynamik (Trait de dynamique) verçffentlicht hatte.
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Medium, und die Freiheit schließlich, die Kant sich selbst herausnimmt, ist eine Freiheit, die er sich eigentlich weniger herausnimmt, als dass er sie fordert, und zwar in Form des Rechts auf freie Meinungsußerung auch gegenber anerkannten Autoritten. Warum er diese Freiheit so vehement verlangt, wird ein paar Zeilen weiter angedeutet, denn dann fllt der nchste große Begriff, den Kant von nun an immer wieder in Zusammenhang mit der ffentlichkeit bringen wird: die Wahrheit. Der „menschliche Verstand“, schreibt Kant, „habe sich schon der Fesseln glcklich entschlagen, die ihm Unwissenheit und Bewunderung ehemals angelegt hatten“. Daher kçnne man es nun wagen, nur dem Verstand – der kritische Kant wrde sagen: der Vernunft – zu gehorchen und sich „vor nichts zu achten, wenn es sich der Entdeckung der Wahrheit entgegen setzen sollte“. Was Kant hier, gleich zu Beginn seines philosophischen Denkens, expliziert, das ist der originre Zusammenhang von Vernunftgebrauch und ffentlichkeit, wie er sich fr seine weitere Philosophie als konstitutiv erweisen wird. Suchen wir als vernunftbegabte Wesen nach Wissen, ja verlangen wir gar nach der Wahrheit, so werden wir von unserer Vernunft zwar selbst, in aller Autonomie Gebrauch machen mssen. In diesem Vernunftgebrauch aber sind wir per se auf den Vernunftgebrauch aller anderen vernunftbegabten Individuen verwiesen. Um es kurz zu machen: Das vernunftbegabte Ich steht qua Vernunft in der ffentlichkeit. Kant selbst allerdings spricht noch nicht von ffentlichkeit, zumindest hat er den Begriff in seinem gesamten schriftlichen Werk kein einziges Mal verwendet.4 Ob er ihn kannte – der Begriff setzt sich, wie zu zeigen sein wird, im 18. Jahrhundert nach und nach durch; Hegel zum Beispiel wird von „ffentlichkeit“5 sprechen – und ob er ihn mndlich gebrauchte, lsst sich nicht mehr nachweisen. Was sich allerdings nachweisen lsst, das zeigt schon zitierter Abschnitt aus der Schtzung, ist die Tatsache, dass, obwohl das Wort ffentlichkeit in Kants Philosophie nicht vorkommt, die Funktion der ffentlichkeit in ihr allgegenwrtig ist, ja dass sie gar den Kern des Kantischen Denkens betrifft: das in der ffentlichkeit stehende Individuum als Trger der çffentlichen Vernunft.6 4 5 6
Vgl. Blesenkemper, Klaus: „Publice age“ – Studien zum ffentlichkeitsbegriff bei Kant. Frankfurt a. M., 1987, S. 1 f. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse (1821). In: Werke in 20 Bnden. Bd. 7, Frankfurt a. M., 1970, S. 486 u. a. In dieser Arbeit spreche ich in Anlehnung an Volker Gerhardt vom Individuum und nicht vom Subjekt. Anders als der Begriff Subjekt bringt der Terminus Indi-
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Vom Mythos der Isolation Kants Vernunft als çffentliche Vernunft zu bezeichnen, ist alles andere als eine Selbstverstndlichkeit. Denn auch nach ber zwei Jahrhunderten intensiver Auseinandersetzung mit der Kantischen Philosophie hat sich eines der großen Vorurteile hartnckig gehalten: das Vorurteil, aus der herausragenden Stellung, die das Ich im Zuge der kopernikanischen Wende in der Kantischen Philosophie einnimmt – die Natur muss sich „nach unserm subjektiven Grunde der Apperzeption richten“7 –, folge in theoretischer, praktischer und sthetischer Hinsicht die subjektivistische Isolation eben dieses Ichs. Der Subjektivismusvorwurf ist so alt wie die Kantische Philosophie selbst – und er bezieht sich auf smtliche ihrer Bereiche. Schon 1788 kritisiert Adam Weishaupt, der Grnder des Illuminatenordens, Kants Kritik der reinen Vernunft fhre nicht nur „zu einer partialen […] sondern vielmehr zu einer totalen Subjektivitt unserer gesammten Erkenntniß“8. Hegel wirft dann Kants sthetik vor, sie sei subjektivistisch.9 Karl-Otto Apel10 und Dietrich Bçhler11 wiederum behaupten, Kants praktischer Philosophie liege ein methodischer Solipsismus zugrunde; Kants zweite Kritik, so Bçhler, sei das „solipsistische Konzept praktischen Argumentierens“, Kant gehe von einem einsamen Moralisten aus, unterstelle die „Selbstgengsamkeit des vernnftigen Willens in vorkommunikativer
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viduum eindeutig unseren sowohl intelligiblen als auch leiblichen Charakter zum Ausdruck: „Als Individuen sind wir durch und durch Teil der physischen Welt“ (Gerhardt, Volker: Selbstbestimmung. Das Prinzip der Individualitt. Stuttgart, 1999, S. 42. Vgl. Gerhardt, Volker: Individualitt. Das Element der Welt. Mnchen, 2000, S. 50). KrV, Bd. 3, A 114. Weishaupt, Adam: Ueber die Grnde und Gewisheit der Menschlichen Erkenntniß. Zur Prfung der Kantischen Critik der reinen Vernunft. Nrnberg, 1788, S. 34. Vgl. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen ber die sthetik I (1835 – 1838). In: Werke in 20 Bnden. Bd. 13, Frankfurt a. M., 1970, S. 84 f. Vgl. Apel, Karl-Otto: Funkkolleg Praktische Philosophie/Ethik. Studienbegleitbriefe. Hrsg. v. Deutschen Institut fr Fernstudien an der Universitt Tbingen, Weinheim/Basel, 1980/81, Studienbegleitbrief 8, S. 86. Den Solipsismusvorwurf gegen Kant hatte Apel bereits 1973 erhoben (vgl. Apel, Karl-Otto: Transformation der Philosophie. Bd. 2: Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft. Frankfurt a. M., 1973, S. 199 f.). Vgl. Bçhler, Dietrich: Funkkolleg Praktische Philosophie/Ethik. Studienbegleitbriefe. Hrsg. v. Deutschen Institut fr Fernstudien an der Universitt Tbingen, Weinheim/Basel, 1980/81, Studienbegleitbrief 5, S. 91.
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Vereinzelung“12. Habermas, der sich in seiner praktischen Philosophie bekanntlich stark auf Kant bezieht, kritisiert die „fundamentalistischen Begrndungsforderungen“13 der auf dem Prinzip der Subjektivitt basierenden Kantischen Erkenntnistheorie. Subjektivitt sei aber ein „einseitiges Prinzip“14, das nicht ausreiche, um fr Orientierung in der Welt zu sorgen; nicht das „einsame Subjekt“15, sondern intersubjektive Erkenntnisleistungen mssten daher zum Maßstab werden – der „Paradigmenwechsel von der subjektzentrierten zur kommunikativen Vernunft“16. Peter Zima, der sich in seiner dialogischen Theorie zwar deutlich von Habermas abgrenzt17, kommt zu dem gleichen Urteil: Dialogische Subjektivitt sei flexibler als jede monologische Konzeption.18 Als Alternative zu den „monologischen Subjektkonstruktionen“19 von Descartes bis Hegel msse der Einzelne daher als dialogische, offene Einheit verstanden werden, die von Alteritt lebe. Und in der Enzyklopdie Philosophie ist unter dem Stichwort Diskurs ernsthaft zu lesen: „Kants Geltungsdiskurs ist solipsistisch angelegt, sowohl in seiner theoretischen als auch in seiner praktischen Philosophie. Whrend er dort ein von çffentlicher Sprache und Kommunikation unabhngiges Erkenntnissubjekt unterstellt, das Sinn und Wahrheit allein aus sich selbst bilden kçnne, leitet hier der kategorische Imperativ – trotz seines Verallgemeinerungspostulats – zu einem Gedankenexperiment an, das auf Kommunikation mit anderen, auf praktische D. mit Betroffenen, nicht prinzipiell angewiesen ist.“20
12 Bçhler, Dietrich: Transzendentalpragmatik und kritische Moral. ber die Mçglichkeit und die moralische Bedeutung einer Selbstaufklrung der Vernunft. In: Kommunikation und Reflexion. Zur Diskussion der Transzendentalpragmatik. Antworten auf Karl-Otto Apel. Hrsg. v. Wolfgang Kuhlmann u. Dietrich Bçhler, Frankfurt a. M, 1982, S. 114. 13 Habermas, Jrgen: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln. Frankfurt a. M., 1983, S. 12. 14 Habermas, Jrgen: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwçlf Vorlesungen. Frankfurt a. M., 1988 (TB-Ausg.), S. 31. 15 Habermas, Diskurs der Moderne, S. 366. 16 Habermas, Diskurs der Moderne, S. 351. 17 Zima spricht von den repressiven Zgen des Habermasschen Universaljargons (vgl. Zima, Peter V.: Theorie des Subjekts. Subjektivitt und Identitt zwischen Moderne und Postmoderne. Tbingen/Basel, 2000, S. 35 ff.) 18 Vgl. Zima, Theorie des Subjekts, S. XIII. 19 Zima, Theorie des Subjekts, S. 376. 20 Art. zu Diskurs/Diskurstheorie v. Horst Gronke, in: Enzyklopdie Philosophie. Bd. 1, hrsg. v. Hans Jçrg Sandkhler, Hamburg, 1999, S. 267.
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Auch wenn diese Kant-Kritik von prominenter Seite kommt, berzeugen kann sie nicht. Natrlich muss erwhnt werden, dass Habermas und Zima nicht nur auf Kant rekurrieren, sondern auf die gesamte Bewusstseinsphilosophie seit Descartes. Inwiefern ihr Urteil in Bezug auf Descartes gerechtfertigt sein mag, inwiefern es zutrifft auf Fichte oder Hegel, die die kopernikanische Wendung bekanntlich noch zu steigern versuchten, kann hier nicht beurteilt werden.21 Diese Arbeit konzentriert sich ganz auf Kant. Und zu Kant kann gesagt werden: Nichts liegt seiner Philosophie ferner als eine monologische, subjektivistische oder gar solipsistische Rationalitt. Nun ist das Ich zweifelsohne der Dreh- und Angelpunkt von Kants theoretischer, praktischer und auch sthetischer Philosophie.22 In der reinen Vernunft heißt es, Erkenntnis sei ein Vorgang, der „in mir selbst“23 stattfindet, und zwar gesteuert durch bestimmte „s u b j e k t i v e Bedingungen“24 – wie gesagt, die Natur muss sich nach unserm subjektiven Grunde der Apperzeption richten. Und auch in der praktischen Philosophie steht das autonome Ich im Mittelpunkt aller berlegungen: Meine Moralitt kann mir niemand abnehmen, ich bin es, der sich moralisch verhlt oder eben auch nicht, je nachdem, was fr einer Maxime als subjektivem Prinzip des Wollens ich folge.25 Das bedeutet aber gerade nicht, dass wir es mit der subjektivistischen Vernunft von subjektivistischen Individuen zu tun htten! Mit der Rede von den subjektiven Bedingungen der Erkenntnis will Kant zum Ausdruck bringen, dass unsere, die Grundzge aller Erkenntnis vorgebende, theoretische Vernunft immer die Vernunft von Individuen als deren Trgern ist. Die Vernunft kommt nicht objektiv von den Dingen, sie liegt subjektiv in uns. Diese subjektiv in uns liegende Vernunft ist aber nicht unsere Privatvernunft, sondern, wie Kant gleich im ersten Satz der Vorrede zur ersten Auflage der KrV konstatiert, die „menschliche Vernunft“26 als solche. Wir 21 Siehe dazu die kritische Hegel-Interpretation von Werner Becker (Becker, Werner: Hegels „Phnomenologie des Geistes“. Eine Interpretation. Stuttgart, 1971, S. 75 u. a.). 22 Vgl. Gerhardt, Volker: Immanuel Kant. Vernunft und Leben. Stuttgart, 2002, S. 20 u. Klemme, Heiner F.: Kants Philosophie des Subjekts. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Verhltnis von Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis. Hamburg, 1996, S. 4. 23 KrV, Bd. 3, A X III, XIV. 24 KrV, Bd. 3, B 122. 25 Vgl. GMS, Bd. 7, BA 15, 16. 26 KrV, Bd. 3, A VII, VIII, IX.
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alle haben also subjektiv in uns die gleiche menschliche Vernunft – bzw. wir sollen sie haben. Das bedeutet: Schon indem wir uns als vernunftbegabte Wesen betrachten, indem wir Bezug nehmen auf unsere Vernunft und ihre Leistungen, nehmen wir gleichsam Bezug auf das den Menschen mit Menschen Verbindende. Und Kant belsst es nicht bei dieser Verbindung, er fordert das theoretische Ich vielmehr dazu auf, sich aktiv zu orientieren an der Vernunft aller anderen, sich mitzuteilen und auszutauschen, um sicherzugehen, dass es auch wirklich die allgemeine Menschenvernunft ist, der wir folgen. Kurzum: Vernunft beinhaltet ihre berprfung an fremder Vernunft. Sie bedarf des epistemischen Prfsteins der ffentlichkeit. hnlich verhlt es sich in der praktischen Philosophie. Die Moralitt meiner Handlung entscheidet sich zwar an meinen Maximen, an meinen subjektiven Handlungsgrundstzen. Diese Grundstze aber sollen bestimmt werden durch die allgemeine Menschenvernunft in uns allen. Schon indem sich das praktische Individuum also die Frage stellt, ob seine Maxime zum allgemeinen Gesetz taugt oder nicht, indem es sich orientiert an der Idee der allgemeinen Menschenvernunft, setzt es sich unweigerlich ber die Einschrnkungen seines Privatstandpunkts hinweg. Es thematisiert sich als Mensch unter Menschen, ja es çffnet sich der Welt. In sthetischer Hinsicht schließlich ist es zwar in erster Linie die Urteilskraft, auf die es Kant ankommt, und nicht die Vernunft. Doch auch in der dritten Kritik wird sich zeigen: Das sthetische Urteil versteht Kant als ein Urteil, das ohne die Bezugnahme auf die sthetische ffentlichkeit ins Leere laufen wrde. Womit wir es hier also zu tun haben, ist ein ursprngliches Ineinander von subjektiver und intersubjektiv-çffentlicher Perspektive: Das vernunftbegabte Ich ist zwar der Ausgangspunkt jeglicher Leistungen der Vernunft – es wird aber durch den Gebrauch eben dieser Vernunft unweigerlich in die ffentlichkeit gezogen. Volker Gerhardt schreibt: „Der Abschluss eines Vorgangs im Inneren eines Organismus ist immer zugleich dessen Aufschluss fr eine Aktivitt des ganzen Wesens in der Welt. Mit der vermeintlichen Isolation ist tatschlich eine Transformation in einen Kontext vollzogen, durch den ein partikularer Akt selbst zum Glied in einer Lebenskette wird.“27 Wenn Apel, Bçhler, Habermas und Zima, ungeachtet 27 Gerhardt, Vernunft und Leben, S. 144. Nicht explizit in Bezug auf Kant, aber in diesem Sinne sagt Gerhardt an anderer Stelle, dass alles, „was immer man denkt oder begreift, im Modus der Mitteilbarkeit steht. Es ist somit weder im Kopf noch in der angeblichen Subjektivitt des Bewußtseins verschlossen, sondern es steht potentiell der erstmals hier und nur hier anwesenden Allgemeinheit zur Verfgung.
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ihrer Differenzen, die kommunikative Vernunft eines dialogischen Individuums fordern anstelle der angeblich monologischen Konzeption bei Kant, kann demnach nur erwidert werden: Kants Vernunft ist dialogische Vernunft, sein Individuum ein dialogisches, auf Kommunikation mit anderen angewiesenes Individuum. Man muss Kant in keiner Weise transformieren, um ffentlichkeit und Intersubjektivitt mit seiner Philosophie in Verbindung zu bringen. Das soll nicht bedeuten, Kants Vernunft sei mit Diskurstheorie, Transzendentalpragmatik, dialogischer Theorie oder einer wie auch immer gearteten idealen Argumentationsgemeinschaft zum Ziele der kommunikativen Ableitung von Normen gleichzusetzen.28 Es soll aber bedeuten, dass genannte Subjektivismusvorwrfe gegen Kant schlichtweg nicht haltbar sind. These: Die ffentlichkeit der Vernunft Es sind im Wesentlichen zwei Thesen, die als systematischer Leitfaden dieser Arbeit dienen. Erstens: Kants Vernunft ist çffentliche Vernunft, sie ist existentiell angewiesen auf dialogische Erçrterung ihrer Belange in der ffentlichkeit. Zweitens: Trger der Vernunft sind freie, vernunftbegabte Individuen. Machen diese Individuen von ihrer çffentlichen Vernunft çffentlich Gebrauch, konstituieren sie bestimmte ffentlichkeiten des Vernunftgebrauchs. Kant nennt vier solcher ffentlichkeiten: erstens die Gelehrtençffentlichkeit bzw. die ffentlichkeit all jener, die sich auf den Gebrauch ihrer theoretischen Vernunft verstehen; zweitens das ethische Gemeinwesen, auch bezeichnet als das Reich der Zwecke, also die ffentlichkeit des praktischen Vernunftgebrauchs; drittens die sthetische ffentlichkeit als eine Gemeinschaft von Menschen, die sich kommunikativ ber ihre Urteile ber das Schçne in Kunst und Natur verstndigt; viertens die Das Bewußtsein ist somit die ffentlichkeit des ausdrucksfhigen Kçrpers“ (Gerhardt, Volker: Die Instanz der Realitt. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift fr europisches Denken. Heft 677/678, Sep./Okt. 2005, S. 781). hnlich ußert sich Gerhardt auch in Selbstbestimmung. Das Prinzip der Individualitt, wo es heißt, die eigentliche Leistung des Selbstbewusstseins liege „in der ffnung der organischen Binnenperspektive fr andere Wesen, die sich selbst auf entsprechende Weise çffnen kçnnen“ (Gerhardt, Selbstbestimmung, S. 210). Gerhardt geht sogar davon aus, dass das Private als das bewusst Eingegrenzte das çffentlich verfasste Selbstbewusstsein bereits voraussetzt. 28 Siehe dazu 2.4 dieser Arbeit.
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brgerliche ffentlichkeit des brgerlichen Zustandes, dessen Formation – darauf wird hier grçßten Wert gelegt – eine Forderung nicht nur der praktischen, sondern insbesondere auch der theoretischen Vernunft darstellt. Der Aufbau dieser Arbeit folgt im Wesentlichen der Chronologie der Kantischen Werke, allerdings mit einer Ausnahme: Es wird bewusst begonnen mit den politischen Schriften. Der Grund: Anders als im Bereich der theoretischen und praktischen Philosophie wird die Bedeutung, die ffentlichkeit in Kants Politiktheorie spielt, nicht ernsthaft bezweifelt. Das erste Kapitel soll daher weniger nachweisen, dass ffentlichkeit ein konstitutiver Bestandteil der Kantischen Politiktheorie ist, als vor allem systematisch aufzeigen, dass Kant, ohne den Begriff jemals zu verwenden, bereits ber smtliche Bedeutungsfelder unseres heutigen ffentlichkeitsbegriffs verfgte. Mit dem zweiten Kapitel erfolgt dann der Schritt zurck. Zunchst wird ein Blick geworfen auf die vorkritischen Schriften, in denen Kant çffentliche Beglaubigung als zentrale Anforderung fr jegliches Wissen postuliert. Mit dieser Bedingung richtet er sich vor allem gegen die dogmatische Metaphysik, die seiner Meinung nach der ffentlichkeit keine Auskunft ber die Beweise ihrer angeblichen Einsichten geben kann. Der zweite Teil des Kapitels beschftigt sich dann mit der Funktion der Kritik. Die Kritik als solche ist der çffentliche Gerichtshof der Vernunft, vor dem sich die Vernunft çffentlich selbst kritisiert. Da der çffentliche Streit der Vernunft mit sich selbst ausgefhrt wird von freien Individuen, kann schließlich gezeigt werden, wie durch die Teilnahme an eben diesem Streit eine ffentlichkeit des theoretischen Vernunftgebrauchs entsteht. Im dritten Kapitel wird der Leitfaden dieser Arbeit fr einen Moment unterbrochen, insofern als nicht mehr von ffentlichkeit, sondern von Intersubjektivitt die Rede ist. Gezeigt wird, dass die Grundzge von Kants Erkenntnistheorie, wie sie in der KrV im Rahmen einer kritischen Metaphysik entwickelt werden, die Grundzge einer Theorie der transzendentalen Intersubjektivitt sind, insofern als Erfahrung zwar subjektiv konstituiert wird, aber – vermittels der Kategorien als apriorischer Basis dieser Erfahrungskonstitution – auf inter-subjektiv einheitliche Art und Weise. Im hçchsten Punkt der Transzendentalphilosophie, der synthetischen Einheit der Apperzeption, haben wir es demnach mit einer Einheit zu tun, die in allen denkenden Individuen identisch zustande kommt. Aus dem Ich denke wird so ein Wir denken. Transzendentale Intersubjektivitt stellt dabei das Faktum der empirischen Intersubjektivitt in keiner Weise in Frage – sie ergnzt empirische Intersubjektivitt.
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Das vierte Kapitel beschftigt sich dann mit der ffentlichkeit des praktischen Vernunftgebrauchs, also dem Reich der Zwecke, von Kant auch bezeichnet als ethisches gemeines Wesen, realisiert in der Gemeinde der Kirche. Das Reich der Zwecke ist, anders als die brgerliche ffentlichkeit, eine ffentlichkeit nicht der Legalitt, sondern der Moralitt. Neben dieser moralischen ffentlichkeit wird es im vierten Kapitel um die Frage gehen, inwieweit ffentlichkeit im Sinne der Publizitt eine Bedingung des kategorischen Imperativs darstellt. Das fnfte und letzte Kapitel setzt sich schließlich mit der sthetischen Urteilsgemeinschaft, der vierten von Kant thematisierten ffentlichkeit auseinander. Das Vermçgen der reflektierenden Urteilskraft, mit der wir Urteile ber das Schçne in Kunst und Natur fllen, ist ein Vermçgen, das auf ffentlichkeit genauso angewiesen ist, wie es diese konstituiert. Kant spricht daher gar von einem Interesse, das wir am Schçnen nehmen, da das sthetische Urteil uns mit anderen Menschen in Verbindung bringt. Im zweiten Teil des Kapitels wird dann der Bogen zur ersten und zweiten Kritik geschlagen. Denn elementare Aspekte des kommunikativen Charakters der dritten Kritik, insbesondere die im Gemeinsinn verankerte erweiterte Denkungsart, gelten nicht nur fr die Urteilskraft selbst, sondern gerade auch fr die theoretische und praktische Vernunft. Definitionen: Zu den Begriffen ,çffentlich‘ und ,ffentlichkeit‘ Auf die Geschichte der Begriffe çffentlich und ffentlichkeit soll hier nur in aller Krze eingegangen werden. Fr das Adjektiv çffentlich haben sich Ende des 18. Jahrhundertes drei Bedeutungsfelder durchgesetzt, nachzulesen zum Beispiel in Adelungs Wçrterbuch (1777). ffentlich ist: 1. Was „vor allen Leuten, vor jedermann ist und geschiehet“29. 2. Was zu „jedermanns Gebrauche bestimmt“ ist. 3. Was „eine große brgerliche Gesellschaft“ betrifft. Auch in Campes Wçrterbuch (1809) finden sich diese drei Bedeutungen, wobei hier die ersten beiden Felder in einer Kategorie zusammengefasst werden.30 29 Art. zu çffentlich, in: Adelung, Johannes Christoph: Versuch eines vollstndigen grammatisch-kritischen Wçrterbuches der Hochdeutschen Mundart mit bestndiger Vergleichung der brigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Bd. 3, Leipzig, 1777, S. 893. 30 Vgl. Art. zu çffentlich, in: Campe, Joachim Heinrich: Wçrterbuch der Deutschen Sprache. Bd. 3, Braunschweig, 1809, S. 550.
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Nach unserem heutigen Sprachgebrauch fehlt bei Adelung innerhalb der dritten Kategorie, bei Campe innerhalb der zweiten, eine ganz wesentliche Differenzierung, insofern als das Adjektiv çffentlich im Rahmen des Bedeutungsfeldes eine brgerliche Gesellschaft betreffend sowohl als staatlich/behçrdlich verstanden werden kann (çffentliche Ausgaben, çffentliches Amt, çffentliche Hand) als gerade auch den spezifischen Bereich zwischen Individuen und Staat beschreibt, also jene gesellschaftliche Sphre, die nicht privat, aber auch nicht staatlich ist wie Medien, Parteien, Brgerinitiativen oder Verbnde. In Adelungs dritter Kategorie wird diese Unterscheidung, die sich nach Peter Uwe Hohendahl im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts nach und nach entwickelt hat31, noch nicht wirklich thematisiert. ffentlich wird verstanden als staatlich, was aus den beiden genannten Beispielen hervorgeht: „Ein çffentliches Amt. ffentliche Verbrechen, welche wider das Land des Landesherren und der Untertanen begangen werden.“32 In der Rede vom Land des Landesherren auf der einen, dem der Untertanen auf der anderen Seite kçnnte man genannte Differenzierung zwar vermuten. Von einer expliziten Trennung aber ist keine Rede. Der ausdrckliche Hinweis, dass das Adjektiv çffentlich im Kontext des dritten Bedeutungsfeldes nicht mit staatlich gleichgesetzt werden darf, findet sich im Staatslexikon von Rotteck und Welcker (1848). Hier wird klar und deutlich unterschieden zwischen çffentlich im Sinne von „was dem Staate angehçrt“ und „w a s a l l e e i n z e l n e B r g e r , alle Teilnehmer der Societas“33 angeht. Somit ergeben sich fr unseren heutigen Sprachgebrauch fr çffentlich nicht drei, sondern vier verschiedene Bedeutungsfelder: 1. Fr jeden hçrbar und sichtbar (er hat sich çffentlich geußert; es ist jetzt çffentlich). 2. Fr die Allgemeinheit zugnglich (eine çffentliche Veranstaltung im Gegensatz zu einer privaten; eine çffentliche Toilette). 3. Die Gesellschaft allgemein betreffend, von ihr ausgehend und auf sie bezogen (çffentliche Meinung; çffentliches Interesse). 4. Staatlich, die 31 Vgl. Hohendahl, Peter Uwe: ffentlichkeit – Geschichte eines kritischen Begriffs. Stuttgart, 2000, S. 2 ff. 32 Art. zu çffentlich, in: Adelung, Versuch eines vollstndigen Wçrterbuches, Bd. 3, S. 893. hnlich verhlt es sich im brigen mit dem Begriff Das Politische, der sich im 18. Jahrhundert ebenfalls auf die Staatssphre beschrnkte (vgl. Grnenberg, Reginald: Politische Subjektivitt. Mnchen, 1998, S. 195). 33 Art. zu ffentlichkeit v. Carl Welcker, in: Carl v. Rotteck u. Carl Welcker: Das Staats-Lexikon. Encyklopdie der smmtlichen Staatswissenschaften fr alle Stnde. In Verbindung mit vielen der angesehensten Publicisten Deutschlands. Bd. 10, Altona, 1848, S. 249.
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Verwaltung eines Gemeinwesens betreffend (çffentliche Gelder; çffentliche Verschuldung; çffentliche Hand).34 Der erste lexikalische Eintrag fr das Substantiv ffentlichkeit stammt aus Adelungs Wçrterbuch. ffentlichkeit wird hier, im Jahre 1777, definiert als „die Eigenschaft einer Sache, da sie çffentlich ist oder geschiehet, in allen Bedeutungen dieses Wortes“35. Tatschlich durchgesetzt hat sich der Begriff im deutschen Sprachgebrauch allerdings erst nach der Jahrhundertwende, als ffentlichkeit zum Kampfbegriff des politischen Liberalismus wurde und das Schlagwort der Franzçsischen Revolution, die Publizitt, Schritt fr Schritt verdrngte.36 Der Ruf nach Publizitt bezog sich gewissermaßen auf zwei Bereiche gleichzeitig, nmlich zum einen auf das Volk, dem das Recht zustehen msse, seine Meinung çffentlich zu ußern, und zum anderen auf den Staat, der seine Maximen gegenber dem Volk çffentlich zu machen habe.37 Es liegt auf der Hand, dass die Forderung nach Publizitt damit vor allem eines war: die Forderung nach berwindung des Absolutismus. Im heutigen Sprachgebrauch haben sich drei Bedeutungsfelder von ffentlichkeit durchgesetzt: 1. ffentlichkeit als Prinzip (die ehemalige Publizitt) zum einen im Sinne der Transparenz und damit der Kontrolle unter anderem smtlicher staatlicher und rechtlicher Handlungen (die ffentlichkeit der Sitzungen des Deutschen Bundestages; das Prinzip der ffentlichkeit in der Rechtssprechung) sowie im Sinne eines Rechts, nmlich des Rechts auf freie Meinungsußerung. 2. ffentlichkeit als Personenverband, als eine Gruppe von Menschen, die ursprnglich unter anderem als Publikum bezeichnet wurde. 3. ffentlichkeit als Handlungszusammenhang, als Sphre bzw. Raum der Gesellschaft, realisiert in den Medien, Parteien, Verbnden, Brgerinitiativen usw. Alle drei Bedeutungen hngen unmittelbar miteinander zusammen: Die ffentlichkeit als Personenverband, die auf das Prinzip der ffentlichkeit, der ffentlichlegung und damit den çffentlichen Diskurs angewiesen ist, tritt in 34 Vgl. Art. zu çffentlich, in: Duden. Das große Wçrterbuch der Deutschen Sprache. In zehn Bnden. Bd. 6, Mannheim, 31999, S. 2786 f. 35 Art. zu ffentlichkeit, in: Adelung, Versuch eines vollstndigen Wçrterbuches, Bd. 3, S. 893. 36 Vgl. Art. zu ffentlichkeit v. Lucian Hçlscher, in: Historisches Wçrterbuch der Philosophie. Vçllig neubearb. Ausg. d. Wçrterbuchs der philosophischen Begriffe von Rudolf Eisler. Bd. 6, hrsg. v. Joachim Ritter u. Karlfried Grnder, Basel, 1984, Sp. 1134 ff. 37 Vgl. Art. zu ffentlichkeit, in: Historisches Wçrterbuch der Philosophie, Bd. 6, Sp. 1138.
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Erscheinung in der ffentlichkeit als Handlungsraum.38 Die brgerliche ffentlichkeit steht dabei sowohl dem privaten als auch dem staatlichen Bereich gegenber.39 Die These vom Zerfall der brgerlichen ffentlichkeit – zum einen Verlust ihrer legitimierenden und kritischen Kraft durch massenkommunikative Manipulation in einem Kontext der Kommerzialisierung, zum anderen zunehmendes Eindringen der ffentlichkeit in den Bereich des Privaten –, wie sie von Habermas oder bereits vor ihm auf hnliche Weise von John Dewey vertreten wird („If a public exists, it is surely as uncertain about its own whereabouts as philosophers since Hume have been about the residence and make-up of the self“40), kann in dieser Arbeit unbercksichtigt bleiben, da sie fr den Zusammenhang von Vernunftgebrauch und ffentlichkeit bei Kant unwesentlich ist. Bevor brgerliche ffentlichkeit zerfallen kann, muss sie sich konstituieren. Forschungsstand Diese Arbeit steht ausdrcklich in der Tradition des maßgeblich von Volker Gerhardt initiierten neuen Zugangs zu Kant. Gerhardt hat bereits zentrale Aspekte der Verbindung von Vernunftgebrauch und ffentlichkeit herausgearbeitet, unter anderem in Immanuel Kants Entwurf ,Zum ewigen Frieden‘. Eine Theorie der Politik 41 und in Vernunft und Leben. Auch Hannah Arendt hat wesentliche berlegungen vorgetragen, vor allem in ihrer 1970/71 an der New Yorker New School for Social Research gehaltenen Vorlesung ber Kants politische Philosophie, die Ronald Beiner 1985 herausbrachte. Arendt sttzt sich allerdings maßgeblich auf die dritte Kritik. Josef Simon hat 2003 mit Kant. Die fremde Vernunft und die Sprache der Philosophie 42 eine umfassende, stark sprachanalytisch geprgte Untersuchung von Kants theoretischer Vernunft vorgelegt. Simon zeigt, wie und 38 Vgl. Art. zu ffentlichkeit, in: Schmidt, Manfred G.: Wçrterbuch zur Politik. Stuttgart, 22004, S. 496 u. Blesenkemper, Publice age, S. 49 f. 39 Vgl. Habermas, Jrgen: Strukturwandel der ffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der brgerlichen Gesellschaft (1962). Berlin, 81976, S. 14. 40 Dewey, John: The Public and its Problems. New York, 1927, S. 117. 41 Gerhardt, Volker: Immanuel Kants Entwurf ,Zum ewigen Frieden‘. Eine Theorie der Politik. Darmstadt, 1995. 42 Simon, Josef: Kant. Die fremde Vernunft und die Sprache der Philosophie. Berlin, 2003.
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warum das vernnftige Ich sich nach Kant in seinem Vernunftgebrauch grundstzlich auf die Vernunft der anderen beziehen muss: „Die Vernunft erweist sich an ihr selbst als eine Vernunft, die in ihrer Selbstgewißheit auf fremde Vernunft bezogen ist.“43 Kritische Philosophie sei insofern eine „Philosophie des Friedens unter verschiedenen Positionen“. Vom Ergebnis aus betrachtet ergeben sich zwischen Simon und der hier vorliegenden Arbeit wesentliche Parallelen, insofern als in beiden Untersuchungen das Ich in seinem notwendigen Bezug zum Wir betrachtet wird. Die Herangehensweise allerdings unterscheidet sich maßgeblich. Simon geht von einem Individuum aus, fr das es so etwas wie Wissen nur subjektiv – subjektiv letztendlich im Sinne von privatgltig – geben kann. Da Wissen nach Kant fr ein anderes Subjekt immer auch ein anderes Wissen sei, mssten Individuen eine gemeinsame Sprachregelung, eine gemeinsame Verstndigung zur Sinnvermittlung finden. Meiner Meinung nach entspricht das aber genau nicht dem Kantischen Verstndnis. Mit den Kategorien wird vielmehr ein fr jedes Individuum gltiges Fundament zur Verfgung gestellt, das gerade die Objektivitt aller Erkenntnis gewhrleisten soll, weshalb es so etwas wie objektives Wissen, auch wenn es subjektiv erzeugt ist, nach Kant sehr wohl geben kann. Ohne dieses Fundament der Kategorien als einer transzendentalen Grammatik wre gegenseitige Sinnvermittlung sowie die kommunikative Kontrolle unseres Wissens – die fr Kant trotz des Vorhandenseins der reinen Verstandesbegriffe als objektiver Basis unserer Erkenntnis von nicht zu berschtzender Wichtigkeit ist – gar nicht mçglich. Die ausfhrlichste Untersuchung des ffentlichkeitsbegriffs bei Kant stammt zweifelsohne von Klaus Blesenkemper.44 Ganz im Gegensatz zu Arendt geht Blesenkemper aber auf die Kritik der Urteilskraft nur am Rande ein. Er sieht bei Kant demnach nur drei çffentliche Rume: die ffentlichkeit der theoretischen Vernunft, realisiert in dem der Wahrheit verpflichteten Gemeinwesen, also der Gelehrtençffentlichkeit, sowie die beiden ffentlichkeiten der praktischen Vernunft, nmlich das ethische gemeine Wesen zur Befçrderung der Tugend, realisiert in der Kirche, und das juristische Gemeinwesen des brgerlichen Rechtsstaats, das, wie zu zeigen sein wird, gerade nicht nur eine Forderung der praktischen, sondern auch der theoretischen Vernunft ist.45 Eine wesentliche von Kant in aller Ausfhrlichkeit thematisierte ffentlichkeit wird bei Blesenkemper demnach 43 Simon, Die fremde Vernunft, S. 535. 44 Blesenkemper, Publice age. 45 Vgl. Blesenkemper, Publice age, S. VII.
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nicht genannt: die sthetische Urteilsgemeinschaft. Blesenkemper erkennt diesen Mangel in seinem Schlusswort an, wenn er schreibt, es htte noch eine „Konstellation von Ich und ffentlichkeit thematisiert werden kçnnen […] und zwar in einem Vollkommenheitsgrad, der bei den bisher erluterten ffentlichkeitsformen nicht erreichbar ist. Die hier ins Auge gefaßte Vernunfthandlung ist die Beurteilung des Schçnen.“46 Wichtige Arbeiten und Anmerkungen zum Zusammenhang von Vernunftgebrauch und ffentlichkeit bei Kant stammen außerdem unter anderem von Ronald Beiner, Hans Blumenberg, Reinhard Brandt, Jrgen Habermas (trotz seiner oben erwhnten Kritik an Kants theoretischer Vernunft), Otfried Hçffe, Detlef Horster, Axel Hutter, Karl Jaspers, Friedrich Kaulbach, Torsten Liesegang, Annemarie Pieper, Richard Saage, Ulrich Sassenbach, Georg Simmel, Bettina Stangneth und Ernst Vollrath.
46 Blesenkemper, Publice age, S. 395.
1. ffentlichkeitsebenen in Kants politischer Theorie Wenn in diesem Kapitel ffentlichkeit als zentraler Bestandteil der Kantischen Politiktheorie dargestellt wird, soll das nicht bedeuten, Kant habe die politische Funktion der ffentlichkeit entdeckt. Schon in der griechischen Antike gibt es eine klare Trennung zwischen ffentlichem und Privatem, also eine Trennung zwischen Staat und Haus.1 Platon zum Beispiel spricht vom Menschen „im çffentlichen und privaten Leben“2, wobei der çffentliche Bereich als staatlicher Bereich verstanden wird.3 Aristoteles nennt die „staatliche und husliche Gemeinschaft“4, und er schreibt von Tyrannen, die „die ffentlichkeit meiden“5. Das antike Rom wiederum hatte den Begriff res publica. In der politischen Wissenschaft seit Hobbes entsteht dann unser moderner ffentlichkeitsbegriff. So spricht im britischen Raum Hobbes von der „Regierung der ffentlichkeit“6 (public bzw. anfangs noch publick), was paradigmatisch ist fr das Hobbessche Denken: Die ffentlichkeit ist in erster Linie etwas, das von einer ihr bergeordneten Macht regiert werden muss, im besten Falle von einem Monarchen. Shaftesbury sagt – und das ist eine ungemein fortschrittliche, dem Hobbesschen Dogma radikal entgegengesetzte Sichtweise –, wo absolute Macht sei, da gebe es keine ffentlichkeit.7 Und Locke nennt die „Bedrfnisse der ffentlichkeit“8. 1 2 3 4 5 6 7
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Zudem verfgte in der griechischen Demokratie jeder Brger ber parrhesia, das Recht des freien Wortes (vgl. Ottmann, Henning: Geschichte des politischen Denkens. Bd. 1.1: Die Griechen. Von Homer bis Sokrates. Stuttgart, 2001, S. 12). Platon: Der Staat (Politeia). Hrsg. v. Karl Vretska, Stuttgart, 32000, S. 310 (500 d). Vgl. Platon, Der Staat, S. 333 (519 c) u. a. Aristoteles: Politik (Politika). Hrsg. v. Burghard Kçnig, Hamburg, 1994, S. 61 (1256 b). Aristoteles, Politik, S. 263 (1315a). Hobbes, Thomas: Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und brgerlichen Staates (Leviathan or the Matter, Forme and Power of a Common Wealth Ecclesiasticall and Civil, 1651). Hrsg. v. Iring Fetscher, Frankfurt a. M. 91999, S. 133. Vgl. Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper, Earl of: Sensus Communis; an Essay on the Freedom of Wit and Humor. In a Letter to a Friend (1709). In: Anthony Ashley Cooper, Earl of Shaftesbury: Characteristicks of Men, Manners, Opinions, Times. In Three Volumes. Vol.1, London, 41727, S. 107. Locke, John: Zwei Abhandlungen ber die Regierung (Two Treatises of Government, 1690). Hrsg. v. Walter Euchner, Frankfurt a. M., 1977, S. 297.
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1. ffentlichkeitsebenen in Kants politischer Theorie
Im Franzçsischen ist bei Rousseau im Diskurs ber die Ungleichheit die Rede von der „ffentlichkeit“ (le Public), die nicht allein „Zeuge und Richter“ von Gesetzesbertretungen sein kçnne, weshalb die Menschen im Ausgang aus dem Naturzustand die „Treuhandschaft der çffentlichen Autoritt“9 bestimmten Magistraten bertragen htten; und im Gesellschaftsvertrag wird von einem Rechtsstreit gesprochen, „wo die interessierten Privatpersonen die eine und die ffentlichkeit die andere Partei wird“10. Es ist aber freilich nicht diese Differenzierung zwischen privater und çffentlicher Sphre, um die es dem Republikaner Rousseau in erster Linie geht. Was fr Rousseau wirklich zhlt: Das „Kollektivwesen“11, die ffentlichkeit, die die „çffentliche Meinung“12 als volont gnrale hervorbringt, wird zum uneingeschrnkten Souvern. Kant hingegen verwendet den Terminus ffentlichkeit in seinem schriftlichen Werk, wie gesagt, kein einziges Mal. Und dennoch ist die Funktion der ffentlichkeit aus seiner politischen Philosophie nicht wegzudenken, ja, mehr noch: Insbesondere der Anhang der Friedensschrift liest sich gar wie eine Theorie der ffentlichkeit. Von Ungefhr kommt das mit Sicherheit nicht. Auch wenn Kant das Substantiv ffentlichkeit nicht niederschrieb, so gilt die Zeit, in der er lebte, doch als jene historische Phase, in der sich eine von der staatlichen Sphre unabhngige ffentlichkeit mit aller Kraft formierte. Erste Anfnge der modernen ffentlichkeit finden sich zwar schon im ausgehenden 17. Jahrhundert, insbesondere in Form literarischer und sthetischer Kommunikation, die sich zunehmend vom Feudaladel abgrenzte; zum Durchbruch gelangte die Konstitution der politischen ffentlichkeit aber wohl erst im 18. Jahrhundert.13 Hohendahl sagt: „Whrend des 18. Jahrhunderts verliert der Hof mehr und mehr seine leitende Funktion. Statt dessen organisiert sich das Publikum um eine Reihe von Institutionen,
9 Rousseau, Jean-Jacques: Diskurs ber die Ungleichheit (Discours sur l’origine et les fondements de l’ingalit parmi les hommes, 1755). Paderborn, 41997, S. 227. 10 Rousseau, Jean-Jacques: Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes (Du contrat social, ou principes du droit politique, 1762). In: Jean-Jacques Rousseau. Politische Schriften. Paderborn, 111993, S. 91. 11 Rousseau, Gesellschaftsvertrag, S. 84. 12 Rousseau, Gesellschaftsvertrag, S. 78. 13 Vgl. Hohendahl, ffentlichkeit, S. 8. Vgl. auch Liesegang, Torsten: Lesegesellschaften in Baden 1780 – 1850. Berlin, 2000, S. 21 ff.
1.1 Kants Gebrauch der Adjektive ,privat‘ und ,çffentlich‘
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unter anderem die Zeitschriften und Wçrterbcher der Aufklrung, aber auch um die literarischen Salons und Akademien.“14
1.1 Kants Gebrauch der Adjektive ,privat‘ und ,çffentlich‘ Vier Bedeutungsfelder von ,çffentlich‘ bei Kant Kant verwendet das Adjektiv çffentlich in allen vier uns heute gelufigen Bedeutungen. 1. Fr jeden hçrbar und sichtbar: Der Schriftsteller spricht „çffentlich“15 an sein Publikum; die Forderung „çffentlich abzubitten“16 als Wiedergutmachung einer Beleidigung. 2. Fr die Allgemeinheit zugnglich: die Kirche als Anstalt zum „çffentlichen G o t t e s d i e n s t “17; das Pferd, das auf „çffentlichem Markt“18 angeboten wird. 3. Die Gesellschaft allgemein betreffend, von ihr ausgehend und auf sie bezogen: die „çffentliche Meinung“19 ; das „ç f f e n t l i c h e Wohl“20. Die Besonderheit der Kantischen Definition: ffentlich ist ein Kontext strenggenommen nur dann, wenn er smtliche Mitglieder, die zu diesem Kontext gehçren, umfasst. Eigentlich, schreibt Kant in der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, sei eine „noch so große T i s c h g e s e l l s c h a f t immer nur Privatgesellschaft, und nur die staatsbrgerliche berhaupt in der Idee ist çffentlich“21. Das bedeutet, die brgerliche ffentlichkeit ist die Gemeinschaft aller Staatsbrger.22 Im heutigen Sprachgebrauch wird çffentlich 14 Hohendahl, ffentlichkeit, S. 9. Fr Ursula Goldenbaum hingegen liegt der Ursprung der brgerlichen ffentlichkeit deutlich frher: „Eines der hartnckigsten Vorurteile gegenber der deutschen Aufklrung ist, daß sie erst spt, im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts politisch agiert und damit erst eine brgerliche ffentlichkeit ausgebildet habe“ (Goldenbaum, Ursula: Appell an das Publikum. Die çffentliche Debatte in der deutschen Aufklrung 1687 – 1796. Bd. 1, Berlin, 2004, S. 79). Tatschlich sei mit der Grndung von Zeitungen bereits Ende des 17. Jahrhunderts eine ffentlichkeit entstanden, die politisch Einfluss zu nehmen versuchte (vgl. Goldenbaum, Appell an das Publikum, S. 90 ff. u. a.). 15 MSR, Bd. 8, AB 128. 16 MSR, Bd. 8, A 198, 199. 17 MSR, Bd. 8, A 188, 189. 18 MSR, Bd. 8, AB 147. 19 MSR, Bd. 8, A 184, A 194, A 205, 206 u. a. 20 MSR, Bd. 8, A 187. 21 Anthropologie, Bd. 12, B 246, 247. 22 Aktive Staatsbrger kçnnen fr Kant nur Besitzbrger sein (vgl. MSR, Bd. 8, A 167, 168).
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1. ffentlichkeitsebenen in Kants politischer Theorie
nicht mehr an diese Bedingung gebunden. Auch ein kleinerer Personenkreis, der nicht die Gesamtheit aller Brger eines Staates umfasst, ist çffentlich. Habermas definiert: „Ein Stck ffentlichkeit konstituiert sich in jedem Gesprch, in dem sich Privatleute zu einem Publikum versammeln.“23 4. Staatlich, behçrdlich: Das politische Gemeinwesen verfgt ber einen „çffentlich gesetzlichen Zwang“24 ; eine Diskussion, die gefhrt wird mit „uneingeschrnkter çffentlicher Erlaubnis“25 ; und schließlich: das „çffentliche Recht“26. Das çffentliche Recht bei Kant hat mit unserem heutigen Verstndnis von çffentlichem Recht kaum noch etwas zu tun. Das çffentliche Recht der Bundesrepublik Deutschland regelt, so umstritten eine Definition unter Juristen auch ist, im Gegensatz zum Privatrecht die Rechtsbeziehungen des einzelnen Brgers gegenber der staatlichen Gewalt sowie die Rechtsbeziehungen der staatlichen Gewalten untereinander. Kant zielt mit seiner Rede vom çffentlichen Recht auf einen vollkommen anderen Zusammenhang ab. Mit dem Begriff çffentliches Recht nimmt er zumindest formell den traditionellen Terminus Staatsrecht auf.27 ffentliches Recht ist das Recht des brgerlichen Zustandes, also staatliches Recht.28 Im Gegensatz zum Privatrecht des status naturalis wird die Einhaltung des çffentlichen Rechts garantiert durch die staatliche Gewalt.29 Auf der einen Seite muss das Wort çffentlich im çffentlichen Recht daher im Sinne des vierten Bedeutungsfeldes, also als staatlich, verstanden werden. Allerdings nicht ausschließlich, denn in Kants Definition des çffentlichen Rechts finden sich auch die anderen Bedeutungsebenen von çffentlich. Anders als das provisorische Privatrecht des Naturzustandes muss das çffentliche Recht fr den Einzelnen berechenbar und nachvollziehbar sein. In den im Nachlass verçffentlichten Vorarbeiten zur Rechtslehre definiert Kant das çffentliche Recht als Gesetze, „die durch einen machthabenden Ge23 Art. zu ffentlichkeit v. Jrgen Habermas, in: Das Fischer Lexikon. Staat und Politik. Hrsg. v. Ernst Fraenkel u. Karl Dietrich Bracher, Frankfurt a. M., 1957, S. 220. 24 MSR, Bd. 8, A 163, 164. 25 KrV, Bd. 4, B 776. 26 MSR, Bd. 8, A 161, 162 ff. 27 Vgl. Art. zu ffentlich/privat v. Hasso Hofmann, in: Historisches Wçrterbuch der Philosophie, Bd. 6, Sp. 1132. 28 Vgl. MSR, Bd. 8, A 161, 162. Auch das Vçlkerrecht und das Weltbrgerrecht sind çffentliches Recht. 29 Vgl. Kersting, Wolfgang: Wohlgeordnete Freiheit. Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie. Frankfurt a. M., 1993, S. 349.
1.1 Kants Gebrauch der Adjektive ,privat‘ und ,çffentlich‘
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setzgeber allen denen eine Pflicht obliegt verkndigt werden“30. Kurz davor schreibt er, das çffentliche Recht sei „Inbegriff der einer allgemeinen Verkndigung (declaratio) fhigen Rechtsgesetze fr ein Volk“31, was einen entscheidenden Unterschied macht: Nach dem ersten Zitat muss das Recht verçffentlicht werden, nach dem zweiten ist es dazu fhig, verçffentlicht zu werden. Im Sinne der ersten Definition ist gleich zu Beginn der Abhandlung ber das çffentliche Recht in der MSR zu lesen, dieses bedrfe der „allgemeinen Bekanntmachung“32. Kennzeichnend fr das çffentliche Recht ist also der Umstand, dass es zum Zwecke der allgemeinen Transparenz und Nachvollziehbarkeit çffentlich fr jedermann hçrbar und sichtbar im Sinne der ersten Kategorie zu sein hat. Ausfhrlich wird auf diesen Zusammenhang im Abschnitt ffentlichkeit als Prinzip: Die Publizitt von Recht und Politik eingegangen. Auch das dritte Bedeutungsfeld schwingt in Kants Rede vom çffentlichen Recht mit. Funktion des çffentlichen Rechts ist die berwindung des Naturzustandes. Im brgerlichen Zustand wird durch çffentliches Recht die maximale Freiheit eines jeden – mit der maximalen Freiheit aller anderen als Grenze eben dieser Freiheit – rechtlich garantiert.33 Ausgangspunkt des çffentlichen Rechts ist dabei der „Actus eines çffentlichen Willens“, also der Wille „des gesamten Volks“34. Kants çffentliches Recht zeichnet sich also nicht einfach nur durch seinen rechtspositivistischen, sanktionsfhigen Charakter aus, es ist, wie Wolfgang Kersting sagt, vor allem „der Inbegriff der gemeinschaftlich erzeugten gesetzlichen Bestimmungen“35. ffentliches Recht geht gemeinschaftlich von uns allen aus, weil es uns alle in unserer Gemeinschaftlichkeit betrifft. Es dient, wenn man so will, in erster Linie den Brgern eines Staates, nicht dem Staat. Und in diesem Sinne entspricht das çffentliche Recht der dritten Kategorie: die Gesellschaft allgemein betreffend, von ihr ausgehend und auf sie bezogen. Eine Darstellung, die das Adjektiv çffentlich im çffentlichen Recht mit staatlich gleichsetzt, wrde somit eindeutig zu kurz greifen.
30 31 32 33 34 35
Vorarbeiten zur Rechtslehre. In: Gesammelte Schriften, Bd. 23, S. 347. Vorarbeiten zur Rechtslehre. In: Gesammelte Schriften, Bd. 23, S. 346. MSR, Bd. 8, A 161, 162. Vgl. MSR, Bd. 8, A 33. Gemeinspruch, Bd. 11, A 244, 245. Vgl. MSR, Bd. 8, A 161, 162 u. a. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 372.
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1. ffentlichkeitsebenen in Kants politischer Theorie
Kants Umdeutung: ffentlicher und privater Vernunftgebrauch Kants Definition des çffentlichen Rechts lsst sich nicht ohne weiteres vermitteln mit seiner spezifischen Definition von privatem und çffentlichem Vernunftgebrauch. Den privaten Gebrauch der Vernunft versteht Kant als einen Gebrauch, den jemand „in einem gewissen ihm anvertrauten b r g e r l i c h e n P o s t e n , oder Amte“36 macht. Als Beispiele nennt er Beamte, Offiziere, Lehrer oder Geistliche. Kant nimmt somit, wie Torsten Liesegang sagt, eine „auf den ersten Blick irritierende Umdeutung des ffentlichkeitsbegriffs“37 vor, insofern als er den in der Tradition der Staatstheorie eigentlich als çffentlich bezeichneten Bereich, nmlich den Staat und seine Verwaltung, mit dem Adjektiv privat versieht. Lucian Hçlscher schreibt, Kant habe eine „provokative Vertauschung der gelufigen Rechtsterminologie“38 vollzogen – letztendlich, um die problematische Gleichsetzung von çffentlich und staatlich zu berwinden. Wie begrndet Kant seine Umdeutung? Zum einen heißt es, jeglicher an eine bestimmte Institution gebundener Vernunftgebrauch vollziehe sich im geschlossenen Kontext eben dieser Institution. Da es sich hierbei um eine „husliche, obzwar noch so große, Versammlung“ handle, htten wir es mit einem „P r i v a t g e b r a u c h “39 der Vernunft zu tun. Wer hingegen als Gelehrter „durch Schriften zum eigentlichen Publikum, nmlich der Welt, spricht“, der mache çffentlich von seiner Vernunft Gebrauch. Nur die Leserwelt kann demnach als eigentliches Publikum, als eigentliche ffentlichkeit, verstanden werden, da diese prinzipiell jedermann zugnglich ist. Die Mitglieder einer Institution (einer Schule, einer Gemeinde) hingegen bilden ein nur uneigentliches Publikum, eine nur uneigentliche ffentlichkeit. Diese Argumentation deckt sich – zumindest unter der Annahme, genannte Leserwelt sei jedermann zugnglich – mit oben zitierter Passage aus der Anthropologie, wonach ein çffentlicher Kontext immer nur der Kontext aller Staatsbrger ist. Das entscheidende Argument fr Kants Umdeutung allerdings ist ein anderes. Zunchst muss man sich an dieser Stelle klarmachen, dass Kant nicht einfach nur von çffentlich und privat spricht, sondern vom çffentlichen 36 Aufklrung, Bd. 11, A 485. 37 Liesegang, Torsten: ffentlichkeit und çffentliche Meinung. Theorien von Kant bis Marx (1780 – 1850). Wrzburg, 2004, S. 57. 38 Art. zu ffentlichkeit v. Lucian Hçlscher, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 4, hrsg. v. Otto Brunner, Werner Conze u. Reinhart Koselleck, Stuttgart, 1978, S. 445. 39 Aufklrung, Bd. 11, A 488.
1.1 Kants Gebrauch der Adjektive ,privat‘ und ,çffentlich‘
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bzw. privaten Vernunftgebrauch. Das ist von entscheidender Bedeutung. Ein Beamter, ein Offizier, ein Lehrer oder auch ein Geistlicher ist fr Kant in der Ausbung seiner in den spezifischen Systemkontext einer Institution eingebundenen Ttigkeit nicht frei, sondern weisungsgebunden. Er muss der Hierarchie seines Systems folgen.40 Kant sagt daher: „Hier ist es nun freilich nicht erlaubt, zu rsonnieren; sondern man muß gehorchen.“41 Beamte zum Beispiel verhalten sich „bloß passiv“. Auch ein Offizier, „dem von seinem Oberen etwas anbefohlen wird […] muß gehorchen“. In dieser Passivitt liegt der eigentliche Grund dafr, dass wir es nach Meinung von Kant mit einem nur privaten Vernunftgebrauch zu tun haben: ffentlicher Vernunftgebrauch kann nur autonomer, freier Vernunftgebrauch sein. Oder, wie Liesegang es treffend formuliert: „Mit dem Status des Privaten verbindet Kant also die Heteronomie fremder Auftraggeberschaft und folglich einen eingeschrnkten Vernunftgebrauch in Anerkennung realer Abhngigkeiten.“42 Das Ziel der Kantischen Umdeutung liegt auf der Hand: Freier Vernunftgebrauch als einzig wahrer und daher çffentlicher Vernunftgebrauch wird heteronomem, privatem Vernunftgebrauch gegenbergestellt. Das eigentlich Geniale dieser Definition besteht dabei darin, dass sie sich nicht gegen die passiven Amtstrger selbst richtet, sondern gegen jene Obrigkeiten, die diese Passivitt berhaupt erst erzwingen. Denn aktives, çffentliches Rsonnement ist fr Kant ein Recht, das jedermann umfassend zusteht – selbst weisungsgebundene Amtstrger mssen ihren weisungsgebundenen Kontext verlassen drfen. So ist ein Beamter in seiner Funktion als Mitglied der staatlichen Verwaltung zwar passiv, er darf nicht rsonnieren; gleicher Beamter ist aber auch ein „Glied eines ganzen gemeinen Wesens, ja sogar der Weltbrgergesellschaft“43. Und als ein solches Glied kann er sehr wohl „rsonnieren, ohne daß dadurch die Geschfte leiden, zu denen er zum Teile als passives Glied angesetzt ist“. Der Beamte verhlt sich dann „in der Qualitt eines Gelehrten, der sich an ein Publikum [die ffentlichkeit als Personenkreis, siehe 1.2] im eigentlichen Verstande durch Schriften wendet“. Nicht anders verhlt es sich mit dem Offizier. Der Offizier untersteht zwar seinen Vorgesetzten. „Es kann ihm 40 Kant nennt aber nicht nur hierarchische, sondern auch systemimmanente Zwnge, wie sie heute in der Soziologie behandelt werden: In der Verwaltung eines gemeinen Wesens sei „ein gewisser Mechanism notwendig“ (Aufklrung, Bd. 11, B 485). 41 Aufklrung, Bd. 11, A 485 f. 42 Liesegang, ffentlichkeit und çffentliche Meinung, S. 57. 43 Aufklrung, Bd. 11, A 486, 487.
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1. ffentlichkeitsebenen in Kants politischer Theorie
aber billigermaßen nicht verwehrt werden, als Gelehrter, ber die Fehler im Kriegsdienste Anmerkungen zu machen, und diese seinem Publikum zur Beurteilung vorzulegen.“ Auch dem Brger muss dieser Weg offenstehen. Er kann sich zwar „nicht weigern, die ihm auferlegten Aufgaben zu leisten“. Dennoch aber ist es seiner Pflicht in keiner Weise entgegen, „wenn er, als Gelehrter, wider die Unschicklichkeit oder auch Ungerechtigkeit solcher Ausschreibungen çffentlich seine Gedanken ußert“. Schließlich bleibt auch der Geistliche, der sich an die Gemeinde wendet, an das „Symbol der Kirche“ gebunden, er kann sich ihrer spezifischen Rationalitt nicht entziehen. „Aber als Gelehrter hat er die volle Freiheit, ja sogar den Beruf dazu, alle seine sorgfltig geprften und wohlmeinenden Gedanken ber das Fehlerhafte in jenem Symbol, und Vorschlge wegen besserer Einrichtung des Religions- und Kirchenwesens, dem Publikum mitzuteilen.“ Kants Rede vom Gelehrten muss also begriffen werden als eine Art Kunstgriff: Das Individuum wird in zweifacher Perspektive betrachtet. Als Teil eines Systems ist jedermann an die Rationalitt eben dieses Systems gebunden, kann diesem nicht zuwiderhandeln. Als freier Mensch, oder eben als Gelehrter, aber hat er das Recht, seine Meinung kundzutun. Kant verfgt somit bereits ber ein konkretes Verstndnis von jenem Sachverhalt, den wir heute als Rollenverhalten bezeichnen. Um zusammenzufassen: Im Begriff çffentliches Recht klingen, wie oben gezeigt, gleich mehrere Ebenen von çffentlich – sowohl staatlich als auch die Gemeinschaft betreffend, von ihr ausgehend sowie fr jeden sichtbar – an: Das çffentliche Recht ist staatlich sanktioniertes Recht im Gegensatz zum Privatrecht des Naturzustandes; gleichzeitig aber ist es ein Recht, das die Gesellschaft allgemein betrifft, das von ihr ausgeht und das vor allem fr jedermann nachvollziehbar ist. In Kants Rede vom çffentlichen Vernunftgebrauch hingegen wird das Bedeutungsfeld staatlich ausdrcklich ausgegrenzt. Hier bezeichnet Kant mit çffentlich, seiner Zeit durchaus voraus, explizit jenen dem Staat gegenberstehenden Freiheitsraum, in dem sich autonome Brger – Kant wrde sagen: alle autonomen Brger – zur politischen Partizipation versammeln. Die Existenz eines solchen çffentlichen Raumes, in dem sich aufgeklrte Individuen zur Diskussion zusammenfinden, ist ein konstitutives Moment der berwindung absolutistischer Herrschaftsstrukturen. Wie sagte Shaftesbury? Wo absolute Macht ist, gibt es keine ffentlichkeit. Oder, anders gewendet: Wo es eine kritische, aktive ffentlichkeit gibt, da steht es schlecht um absolute Macht.
1.2 Drei Bedeutungsfelder von ,ffentlichkeit‘ bei Kant
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1.2 Drei Bedeutungsfelder von ,ffentlichkeit‘ bei Kant Ohne den Begriff in seinem Oeuvre jemals zu verwenden, macht Kant ffentlichkeit zu einem der „Schlsselbegriffe“44 seiner politischen Theorie. Bemerkenswert daran ist, dass alle drei oben genannten Bedeutungsfelder unseres heutigen ffentlichkeitsbegriffs bei Kant bereits auftauchen. Zum einen nennt Kant ffentlichkeit im Sinne der ersten Kategorie als Prinzip der Politik. Jede Politik muss dazu in der Lage sein, ihre Maximen çffentlich zu machen, sonst setzt sie sich dem Verdacht aus, dass ihre Absichten nicht den Absichten der Brger entsprechen. Das zweite Bedeutungsfeld: Die sich aufklrenden bzw. bereits aufgeklrten, politisch partizipierenden Brger, die sich als vereinigter Wille in Form der çffentlichen Meinung in den politischen Prozess einzubringen versuchen, bilden die brgerliche ffentlichkeit als Personenkreis. Die Partizipation dieses Publikums schließlich erfolgt in der Sphre der ffentlichkeit als Handlungszusammenhang, in dem sich der Wille des Einzelnen zum allgemeinen Willen vereinigt. ffentlichkeit als Prinzip: Die Publizitt von Recht und Politik Der Begriff der Publizitt, also der ffentlichkeit als Prinzip im Sinne des ersten Bedeutungsfeldes, gehçrt zum Kern der Kantischen Rechts- und Politiktheorie.45 Publizitt umfasst dabei zwei Ebenen gleichzeitig: Sie ist einerseits eine Pflicht des Staates, um die Transparenz staatlicher Vorgnge zu gewhrleisten, andererseits als freie Meinungsußerung ein elementares Recht aller Brger. Das systematische Problem, um das es Kant hier geht: Politik muss fr jedermann nachvollziehbare Politik sein, Recht fr jedermann nachvollziehbares Recht.46 In der MSR schreibt Kant, wie schon zitiert, das çffentliche Recht bedrfe der „allgemeinen Bekanntmachung“47; in den Reflexionen zur 44 Arendt, Hannah: ber Kants Politische Philosophie. In: Hannah Arendt. Das Urteilen. Texte zu Kants Politischer Philosophie. Hrsg. v. Ronald Beiner, Mnchen, 1998 (TB-Ausg.), S. 31. 45 Vgl. Gerhardt, Zum ewigen Frieden, S. 200. 46 Dieser Ruf nach publicit des dbats zhlte zu den Kernforderungen der Franzçsischen Revolution (vgl. Hohendahl, ffentlichkeit, S. 21). 47 MSR, Bd. 8, A 161, 162. Locke spricht von „festen und çffentlich bekanntgemachten Gesetzen“ (Locke, Zwei Abhandlungen, S. 287).
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Rechtsphilosophie heißt es: „Alles Richten muß çffentlich seyn.“48 Warum das so ist und warum diese Bedingung nicht nur fr das Recht, sondern vor allem auch fr die Politik gilt bzw. gelten soll, wird im Zweiten Anhang der Friedensschrift dargelegt. Kant fragt dort nach einem allgemeinen Kennzeichen des Rechts. Die Materie ist der konkrete Inhalt eines Rechts; die Form aber, und damit das allgemeine Kennzeichen, unter dem alle konkreten materialen rechtlichen Inhalte (und auch alle moralischen; siehe 4.1) stehen, ist die Publizitt: Jedes Recht ist nach Kant also an die Bedingung der Publizitt gebunden, „weil ohne jene es keine Gerechtigkeit (die nur als ç f f e n t l i c h k u n d b a r gedacht werden kann), mit hin auch kein Recht, das nur von ihr erteilt wird, geben wrde“49. Zunchst kommt Kant so zu einer negativen transzendentalen Formel des çffentlichen Rechts: „Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizitt vertrgt, sind unrecht.“50 Als Begrndung heißt es, „eine Maxime, die ich nicht darf l a u t w e r d e n lassen, ohne dadurch meine eigene Absicht zugleich zu vereiteln, die durchaus v e r h e i m l i c h t werden muß, wenn sie gelingen soll, und zu der ich mich nicht ç f f e n t l i c h b e k e n n e n kann, ohne daß dadurch unausbleiblich der Widerstand aller gegen meinen Vorsatz gereizt werde, kann diese notwendige und allgemeine, mithin a priori einzusehende, Gegenarbeitung aller gegen mich nirgend wovon anders, als von der Ungerechtigkeit her haben, womit sie jedermann bedroht“. Man muss sich an dieser Stelle klarmachen, dass das Prinzip der Publizitt nicht erst ein Prinzip der Kantischen Rechts- und Staatsphilosophie ist, sondern aus seiner Moralphilosophie stammt – Gerechtigkeit ist nun mal eine ursprnglich moralische Kategorie. Das Prinzip der Publizitt als moralisches Prinzip wird von Kant in der Friedensschrift also im Sinne einer moralischen Kategorie auf das çffentliche Recht bezogen: Ist Recht nicht çffentlich kundbar, so wird es auch kein gerechtes Recht sein, denn Gerechtigkeit kann nur als çffentlich kundbar gedacht werden. Da wir es hier mit einer notwendigen Bedingung zu tun haben, die sich a priori beurteilen lsst, wird von einem transzendentalen Prinzip gesprochen. Das Problem des negativen Prinzips besteht nun darin, dass es als genannte Moralkategorie nur bestimmen kann, was nicht gerecht ist, nmlich all jenes Recht, was nicht verçffentlicht werden kann. „Denn es lßt sich nicht umgekehrt schließen: daß, welche Maximen die Publizitt 48 Reflexionen zur Rechtsphilosophie. In: Gesammelte Schriften, Bd. 19, S. 516 (7781). 49 Frieden, Bd. 11, B 98, 99. 50 Frieden, Bd. 11, B 100, 101.
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vertragen, dieselbe darum auch gerecht sind.“51 Dem negativen Prinzip folgt daher noch ein bejahendes: „Alle Maximen, die der Publizitt b e d r f e n (um ihren Zweck nicht zu verfehlen), stimmen mit Recht und Politik vereinigt zusammen.“52 Anders als in der negativen Formel ist in der bejahenden Version also nicht nur vom Recht die Rede, sondern explizit von der Politik. Aufgabe der Politik – sowohl der exekutiven als auch der legislativen Gewalt53 – ist es, mit dem allgemeinen Zweck des Publikums zusammenzustimmen, diesem gemß zu sein.54 Dieses Ziel kann Politik aber nur durch ffentlichkeit, „d. i. durch die Entfernung alles Mißtrauens“55, erreichen. Oder, wie Gerhardt in der Partizipation schreibt: Alles, „was als politisch erfolgreich angesehen werden soll“, verlangt laut dem Publizittsprinzip „von sich aus nach ffentlichkeit“56. In den Vorarbeiten zur Rechtslehre heißt es passend dazu, alle „wahre Politik ist auf die Bedingung eingeschrnkt mit der Idee des çffentlichen Rechts zusammenzustimmen“57. Das çffentliche Recht wiederum sei, wie bereits in 1.1 zitiert, der „Inbegriff der einer allgemeinen Verkndigung (declaratio) fhigen Rechtsgesetze fr ein Volk. – Hieraus folgt daß die wahre Politik nicht allein Ehrlich sondern auch offen verfahren msse daß sie nicht nach Maximen handeln drfe die man verbergen (nicht laut werden lassen) muß.“58 Kants Forderung nach ffentlichkeit der Politik reicht dabei so weit, dass er von der wahren Politik verlangt, dass sie „selbst 51 Frieden, Bd. 11, B 108, 109. 52 Frieden, Bd. 11, B 110, 111. 53 Kant fordert im ersten Definitivartikel der Friedensschrift eine republikanische Verfassung, pldiert also fr eine grundstzliche Teilung der exekutiven und der legislativen Gewalt (Frieden, Bd. 11, BA 20, 21, 22 ff.). Da in direktem Zusammenhang der beiden Publizittsprinzipien von der Politik die Rede ist, kann davon ausgegangen werden, dass beide Gewalten an die Publizitt gebunden werden. Dass Kant sich gleichzeitig gegen die Demokratie ausspricht, ist, ich schließe mich auch hier der Lesart von Gerhardt an, ein Problem terminologischer Natur. Demokratie versteht Kant immer als direkte Demokratie, die er ablehnt; was er hingegen vor Augen hat, ist eine reprsentative Versammlung als legislative Gewalt, nur dass Kant ein solches reprsentatives System eben nicht als Demokratie bezeichnet (vgl. Gerhardt, Zum ewigen Frieden, S. 89 f.). Auf die Bedeutung der Reprsentation wird im Abschnitt ffentlichkeit als Raum eingegangen. 54 Dass Kant den allgemeinen Zweck des Publikums als die „Glckseligkeit“ bezeichnet, wird im Abschnitt Freiheit der reinen Vernunft als Freiheit reiner und empirischer Individuen nher behandelt. 55 Frieden, Bd. 11, B 110, 111. 56 Gerhardt, Volker: Partizipation. Das Prinzip der Politik. Mnchen, 2007, S. 369. 57 Vorarbeiten zur Rechtslehre. In: Gesammelte Schriften, Bd. 23, S. 346. 58 Vorarbeiten zur Rechtslehre. In: Gesammelte Schriften, Bd. 23, S. 346.
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ihre Zweifel in Ansehung der Gesetze oder die Mçglichkeit ihrer Ausfhrung nicht verheelen“ drfe. Doch zurck zur Friedensschrift. Auch das bejahende Prinzip kann allein aus sich heraus nicht die Gerechtigkeit einer Handlung garantieren; eine çffentliche Maxime ist, wie gesagt, nicht notwendigerweise eine gerechte Maxime. Dennoch gelingt es Kant, mit dem bejahenden Prinzip einen wesentlichen Schritt ber das negative hinauszugehen: Die bejahende Formel postuliert, anders als die negative, tatschliche ffentlichkeit. Das negative Prinzip ist auch als „Experiment der reinen Vernunft“59 denkbar, man kçnnte hinzufgen als Gedankenexperiment: Der Einzelne stellt sich in aller Privatheit die a priori zu beantwortende Frage, kçnnte meine Maxime verçffentlicht werden? Ein solches Gedankenexperiment lsst das bejahende Prinzip nicht mehr zu. Die positive Version fhrt zwingenderweise zu faktischer ffentlichkeit – sie fordert realen, çffentlichen Gedankenaustausch, also Diskurs.60 ber diese tatschliche ffentlichkeit werden – und das ist der an dieser Stelle wesentliche Gedanke – Politik und Recht der Kontrolle der allgemeinen Vernunft unterzogen.61 Werden politische Verantwortungstrger an die Bedingung der ffentlichkeit gebunden, so wird ihnen, wie Kant sagt, die Mçglichkeit der „Hinterlist einer lichtscheuen Politik“62 genommen – die vorstzliche demagogische Tuschung einmal ausgenommen. Reinhard Brandt schreibt: Gegen jene Politiker, „die das Tageslicht der ffentlichkeit scheuen, wird die Aufdeckung aller Regeln gefordert, nach denen die Politik zu verfahren gedenkt. ,Tromper le peuple?‘ Wenn die Kantischen Maximen befolgt werden, ist die Volkstuschung durch korrupte Politiker nicht mehr mçglich.“63 Koppelung der staatlichen Macht an die Bedingung der ffentlichkeit bedeutet demnach nichts anderes als Koppelung der staatlichen Macht an den allgemeinen, vernnftigen Willen der Brger, also Koppelung an genannten Zweck des Publikums (Kant setzt dabei freilich voraus, auch dieser Wille werde lediglich durch Vernunftgrnde gebildet; er geht, wie Hçlscher sagt, aus „von Bedingungen vernnftiger Erkenntnis, deren a 59 Frieden, Bd. 11, B 98, 99. 60 Vgl. Blesenkemper, Publice age, S. 351 f. 61 Natrlich ergibt sich bereits aus der ersten Version eine solche Bindung der Politik an die Vernunft. Aber erst, wenn die Politik ihre Maximen tatschlich artikuliert, haben die Brger die Mçglichkeit, diese Maximen auch tatschlich zu beurteilen. 62 Frieden, Bd. 11, B 110, 111. 63 Brandt, Reinhard: Zu Kants politischer Philosophie. Stuttgart, 1997, S. 25.
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priorische Gewißheit sie fr jedermann verbindlich“64 macht). Bei Kaulbach heißt es zu dieser Koppelung, Publizitt als Maxime sei „die Brgschaft dafr, daß sich der sie Befolgende nicht von dem Gesetz aus-nimmt, welches dem vereinigten, gemeinsamen Willen aller gemß Gltigkeit hat“65. Sassenbach sagt in diesem Sinne, Publizitt diene dem Ziel, dass die Grundstze der politisch Handelnden „an Hand des Kriteriums der ffentlichkeit auf ihre Gerechtigkeit hin berprft werden“66. Man kçnnte es auch so zusammenfassen: Publizitt dient als Maßstab, um eine moralische von einer machtgeleiteten Politik zu unterscheiden. Wir haben es hier mit einem Kernsatz der Kantischen politischen Theorie zu tun: Eine vernnftige Politik, die mit dem Zweck des Publikums in Einklang steht, muss fr die Realisierung ihrer Zwecke die çffentliche Debatte nicht scheuen. Habermas schreibt ber das Prinzip der Publizitt, „Rsonnement nach Regeln der Sittlichkeit“ sei bei Kant nicht lnger zur „politisch folgenlosen Gesinnung herabgesetzt“67. Damit grenzt sich Kant vor allem ab vom dezisionistischen Staatsverstndnis bei Hobbes, dessen absoluter Monarch dem Volk gerade keinerlei Rechenschaft schuldig ist. Aus auctoritas non veritas facit legem wird bei Kant gewissermaßen ratio non auctoritas facit legem. Eine solche Bindung aller staatlichen Aktivitt an die Bedingung der Publizitt mit dem Ziel, Politik der Rationalitt des çffentlichen Rsonnements zu unterziehen, macht natrlich nur Sinn, wenn genau dieses Rsonnement auch umfassend zugelassen wird. Unmittelbar mit der Forderung nach Publizitt von Recht und Politik verbunden ist daher die Forderung nach Publizitt als Brgerrecht, also als Recht auf freie Meinungsußerung. Kant wurde nicht mde, die Abschaffung aller Zensur zu postulieren. Seine wohl berhmteste Formulierung stammt aus dem Gemeinspruch, wo es heißt, die „F r e i h e i t d e r F e d e r “ sei das „einzige Palladium der Volksrechte“68. Und im Streit der Fakultten ist zu lesen: Das Volk muss dem Staat „seine Beschwerde (gravamen) vortragen“ drfen, 64 Art. zu ffentlichkeit, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, S. 445. 65 Kaulbach, Friedrich: Immanuel Kant. Berlin, 1969, S. 243. 66 Sassenbach, Ulrich: Der Begriff des Politischen bei Immanuel Kant. Wrzburg, 1992, S. 54. Vgl. Seubert, Sandra: Weltbrgertum und kosmopolitische ffentlichkeit. Zur Spannung von Moral und Recht in Kants Friedenskonzeption. In: Gesichter Europas. Hrsg. v. Michael Salewski u. Heiner Timmermann, Mnster, 2002, S. 203. 67 Habermas, Strukturwandel der ffentlichkeit, S. 128. 68 Gemeinspruch, Bd. 11, A 264, 265.
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weshalb das „Ve r b o t der Publizitt den Fortschritt eines Volks zum Besseren“69 verhindert. Selbst unter Friedrich dem Großen war in Preußen die Zensur nicht abgeschafft worden. Anders als in England (1694), in den Vereinigten Staaten (1791) oder in Frankreich (1814 sowie 1830) fiel sie hierzulande erst 1848.70 Kant selbst geriet bekanntlich in Zusammenhang mit der Verçffentlichung der Religionsschrift in Konflikt mit der Zensurpraxis des Preußischen Staates71, ja er hat diesen Konflikt mit Friedrich Wilhelm II. gar bewusst gesucht. Kant wollte die Religionsschrift um jeden Preis stckweise in der Berliner Monatsschrift verçffentlichen, was bedeutete, dass er sie, anders als im Falle einer eigenstndigen Publikation, der durch und durch reaktionren Immediat-Examinationskommission (IEK) als oberstem Religions-Kollegium vorlegen musste und nicht nur der Zensur der Universitt, mit der er nie Schwierigkeiten gehabt hatte.72 Warum whlte Kant nicht den Weg des geringeren Widerstandes? Bettina Stangneth glaubt, dass Kant sich jenem „Projekt, dem er soviel zutraute“, nicht selbst entziehen wollte, nmlich der „çffentlichen Debatte als Spiegel kritischer ffentlichkeit“73 – und dazu diente nun mal ein Erscheinen in einer Zeitschrift. Die Folgen sind allgemein bekannt: Whrend der Aufsatz ber das radicale Bçse in der menschlichen Natur die Druckerlaubnis erhlt und im April 1792 in der Berliner Monatsschrift erscheint, fllt der zweite Text der Religionsschrift durch. Zur Ostermesse 1793 verçffentlicht Kant daraufhin die erste Auflage der kompletten Religionsschrift, wozu er, wie gesagt, nicht der Erlaubnis der IEK bedurfte. Die Verçffentlichung fhrte schließlich zu jener von Friedrich Wilhelm II. veranlassten Abmahnung vom 1. Oktober 1794, die Kant in der Vorrede zum Streit der Fakultten abdruckt. Darin heißt es, er, Kant, habe eine „Herabwrdigung“ der Heiligen Schrift betrieben und solle sich in Zukunft nichts dergleichen mehr „zu Schulden kommen lassen“74. 69 Streit, Bd. 11, A 153, 154. 70 Vgl. Dilthey, Wilhelm: Der Streit Kants mit der Censur ber das Recht freier Religionsforschung. In: Archiv fr Geschichte der Philosophie. Hrsg. v. Ludwig Stein, Bd. 3, Berlin, 1890, S. 419. 71 Die Religionsschrift wird im vierten Kapitel dieser Arbeit in Zusammenhang mit dem ethischen Gemeinwesen eine zentrale Rolle spielen. 72 Vgl. Dilthey, Der Streit Kants, S. 420. 73 Stangneth, Bettina: „Kants schdliche Schriften“. Eine Einleitung. In: Immanuel Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Hrsg. v. Bettina Stangneth, Hamburg, 2003, S. LVII. 74 Streit, Bd. 11, A IX, X, XI.
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All das zeigt zweierlei: Zum einen, wie sehr die Kantische Theorie zur Praxis taugt – Kant war gewillt, Publizitt nicht nur theoretisch in seinen Schriften zu fordern, sondern tatschlich fr sie einzutreten; und zum anderen, wie dringend es eines solchen Eintretens bedurfte. Nun hat das Kantische Publizittsgebot allerdings noch eine andere, durchaus bedauernswerte Seite: Kant versteht das Publizittsprinzip nicht nur als Brgerrecht, sondern auch als Brgerpflicht – und zwar mit letzter Konsequenz. Die Folge ist das Verbot jeglichen Widerstands, das von Kant gleich mehrfach formuliert wird. In der Friedensschrift zum Beispiel ist zu lesen, einem Tyrannen geschehe durch eine revolutionr herbeigefhrte Entthronung zwar kein Unrecht, dennoch aber sei es „von den Untertanen im hçchsten Grade unrecht, auf diese Art ihr Recht zu suchen“75. Saage spricht daher vçllig zu Recht von einer „Abschwchung“76 der brgerlichen Autonomie. In der Begrndung des Widerstandsverbots finden sich durchaus unterschiedliche berlegungen, das Prinzip der Publizitt aber spielt zweifelsohne eine zentrale Rolle. Die Unrechtmßigkeit jeglichen Aufstandes, heißt es in der Friedensschrift, resultiere aus der angeblichen Unmçglichkeit der Aufstndischen, ihre Maximen zu verçffentlichen: „Das Unrecht des Aufruhrs leuchtet also dadurch ein, daß die Maxime desselben dadurch, daß man sich ç f f e n t l i c h d a z u b e k e n n t e , seine eigene Absicht unmçglich machen wrde. Man mßte sie also notwendig verheimlichen.“77 Im Gemeinspruch ist zu lesen, im Falle einer offensichtlich ungerechten Politik kçnnten „zwar allgemeine und çffentliche Urteile darber gefllt, nie aber wçrtlicher oder ttlicher Widerstand dagegen aufgeboten werden“78, denn, wie Kant im Nachlass schreibt, alles „was nicht aus freymthiger declaration geschehen kann, ist Unrecht“79 – selbst wenn es gegen einen Tyrannen gerichtet sei. 75 Frieden, Bd.11, B 100, 101. 76 Saage, Richard: Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant. Baden-Baden, 2 1994, S. 167. 77 Frieden, Bd. 11, A 102, 103. 78 Gemeinspruch, Bd. 11, A 266, 267. 79 Reflexionen zur Rechtsphilosophie. In: Gesammelte Schriften, Bd. 19, S. 523 (7811). Ein weiteres Argument fr das Widerstandsverbot: Im Falle des Widerstands gebe es keinen obersten Richter mehr, da keiner der beiden Seiten Richter in eigener Sache sein kçnne. Also msse es ein Staatsoberhaupt ber dem Staatsoberhaupt geben, was zwischen diesem und dem Volk entscheiden kann, „welches sich widerspricht“ (Gemeinspruch, Bd. 11, A 255, 256. Vgl. MSR, Bd. 8, A 176 ff.).
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Hannah Arendt hat in ihrer Kant-Rezeption bereits darauf hingewiesen, dass Kant brgerlichen Widerstand flschlicherweise ausschließlich im Sinne eines Staatsstreichs, also eines konspirativen Vorgangs, der im Geheimen vorbereitet werden muss, versteht.80 Dass es auch eine Form von Widerstand geben kann, die sich gerade den çffentlichen Druck zu Nutzen macht, die also explizit auf die Dynamik der ffentlichkeit setzt, ihre Maximen somit nicht nur nicht verheimlichen muss, sondern gezielt zu verbreiten versucht, sieht Kant nicht. Das allerdings ndert nichts an der Tatsache, dass das Widerstandsverbot, so unerfreulich und so widersprchlich es auch ist – Kant nahm begeistert Anteil sowohl am nordamerikanischen Freiheitskampf als auch an der Franzçsischen Revolution81 –, bekrftigt, wie schwer das Prinzip der ffentlichkeit als Prfstein der Gerechtigkeit bei Kant tatschlich wiegt. Selbst im Falle einer ungerechten Politik, also einer Politik, die ihre eigenen Absichten geheimhalten muss, darf das Volk nicht zu einem anderen unrechten Mittel, nmlich dem Widerstand, der nach Kant grundstzlich dem Prinzip der Publizitt widerspricht, greifen. Unrecht darf nicht durch ein anderes Unrecht behoben werden. Spaemann schreibt zu diesem Primat des Rechts, Kant sei der Meinung gewesen, „daß, wo einmal ein rechtlicher Zustand besteht, der rechtmßige Zustand nur auf rechtliche Weise herbeigefhrt werden darf“82. Diese rechtliche Weise, damit schließt sich der Kreis, kann nach Kant aber eben nur eine solche sein, die sich mit dem Prinzip der ffentlichkeit, als Form des Rechts, vertrgt. Hier aber liegt der Kantischen Argumentation – neben genanntem Einwand von Arendt – ein weiterer, systematischer Fehler zugrunde. Wenn die Herstellung von ffentlichkeit, wie Sassenbach treffen sagt, „durch Gewaltherrschaft unterbunden wird, dann ist ein politischer Zustand erreicht, in dem von brgerlichem Recht berhaupt nicht mehr die Rede sein kann“83. Die Unterdrckung des Volkes durch einen Tyrannen kme
80 81 82 83
Volker Gerhardt weist darauf hin, dass Kant nicht merkt, dass er mit dem Prinzip der Gewaltenteilung „ein rechtlich sanktioniertes Gegeneinander von Rechten akzeptiert, das es ermçglicht, in grundrechtlich ausweisbaren Fllen ein elementares Recht des Widerstands gegen Rechtsverletzungen durch die Staatsgewalt einzurumen“ (Gerhardt, Vernunft und Leben, S. 235). Vgl. Arendt, Kants Politische Philosophie, S. 82. Vgl. Vorlnder, Karl: Kant als Politiker. In: Immanuel Kant. Der Mann und das Werk. Bd. 2, Leipzig, 1924, S. 213 ff. Spaemann, Robert: Kants Kritik des Widerstandrechts. In: Materialien zu Kants Rechtsphilosophie. Hrsg. v. Zwi Batscha, Frankfurt a. M., 1976, S. 348. Sassenbach, Begriff des Politischen, S. 64.
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letztendlich einem Rckfall in einen „institutionell verschleierten Naturzustand“ gleich. Das Volk wre demnach im Falle seiner Unterdrckung nicht nur berechtigt, es wre vielmehr kraft Vernunft dazu verpflichtet, durch Revolution einen neuen brgerlichen Zustand zu schaffen. Es kann also kein Zweifel bestehen: So fortschrittlich wesentliche Zge der Kantischen politischen Theorie auch sind, so sehr die Rechte des einzelnen Individuums in ihr auch gestrkt werden, das Widerstandverbot samt seiner Schwchung der brgerlichen Autonomie wirft einen Schatten auf das Kantische Politikverstndnis. ffentlichkeit als Personenkreis: Aufklrung und brgerliche ffentlichkeit In den politischen und geschichtsphilosophischen Schriften Kants findet sich ffentlichkeit nicht nur als Prinzip, sondern auch im Sinne des zweiten Bedeutungsfeldes – ffentlichkeit als Personenverband. Kant nennt drei solcher ffentlichkeiten: die ffentlichkeit der Aufklrung, bestehend aus dem sich gemeinsam aufklrenden Publikum; die brgerliche ffentlichkeit, bestehend aus den aufgeklrten, partizipierenden Brgern; und nicht nher spezifizierte vorbrgerliche ffentlichkeiten des Naturzustandes. Zur ffentlichkeit der Aufklrung: Aufklrung ist nach Kants berhmter Formel der „A u s g a n g d e s M e n s c h e n a u s s e i n e r s e l b s t v e r s c h u l d e t e n U n m n d i g k e i t “84. Die berwindung dieser Unmndigkeit betrifft den Einzelnen aber gerade nicht allein in seiner Privatheit. Alle Aufklrung ist in ihrem Aufruf zur individuellen Selbstbestimmung immer auch ein, wie Blumenberg sagt, „den Zustand einer Zeit und Gesellschaft bestimmendes Postulat“85, ein Postulat nmlich zur Errichtung eines brgerlichen Zustandes, in dem die Vernunft eines jeden Brgers an der Vernunft des allgemeinen Willens gleichberechtigt teilhaben kann. Kant appelliert also an das einzelne, vernunftbegabte Ich – selbstdenken! –, hat aber gleichsam die Gemeinschaft aller vernunftbegabten Ichs in ihrer wechselseitigen Kooperation im Sinn. ffentliche Vernunft wird so zur vernnftigen ffentlichkeit. 84 Aufklrung, Bd. 11, A 481, 482. 85 Blumenberg, Hans: Der Prozeß der theoretischen Neugierde. Frankfurt a. M., 41988, S. 247.
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Bei systematischer Betrachtung wird klar, dass ffentlichkeit auf zwei verschiedenen Ebenen mit dem Aufklrungsbegriff verbunden ist. Zum einen dient die Aufklrung, wie eben gezeigt, der Bildung einer vernunftgeleiteten ffentlichkeit, in der der Einzelne sich selbst bestimmt, in dieser Selbstbestimmung aber gerade als Glied des allgemeinen Willens in Erscheinung tritt. Dieses Ziel kann aber nur erreicht werden in einem Prozess, der seinerseits çffentlich ist. ffentlichkeit muss also nicht nur als Ziel, sondern auch als Methode – „Selbst- und Lautdenken“86 – der Aufklrung begriffen werden.87 Kant sagt, zur Aufklrung „wird nichts erfordert als F r e i h e i t “, nmlich die Freiheit „von seiner Vernunft in allen Stcken ç f f e n t l i c h G e b r a u c h zu machen“88. Oder: Der „ç f f e n t l i c h e Gebrauch seiner Vernunft muss jederzeit frei sein, und der allein kann Aufklrung unter Menschen zu Stande bringen“. Wozu diese methodische Bindung der Aufklrung an ffentlichkeit? Kant war mehr als skeptisch, dass der gemeine Brger tatschlich dazu in der Lage sein wird, sich ohne fremde Hilfe seiner politisch-religiçsen Bevormundung zu entledigen. Sich selbst aufzuklren, sagt er, sei „fr jeden einzelnen Menschen schwer“89. Dass aber ein „Publikum“ sich aufklre, „ist eher mçglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit lßt, beinahe unausbleiblich“. Hohendahl schreibt, Kant benutze „den Begriff des Publikums an dieser Stelle emphatisch als eine sich selbst fortschrittlich bewegende Kraft“90. Vor dem Publikum, meint Kant, werden sich „Selbstdenkende“, also vor allem Gelehrte, finden, die den „Geist einer vernnftigen Schtzung des eigenen Werts […] um sich verbreiten werden“91. Dieser zunehmenden Ausbreitung der Schtzung des eigenen Werts in der ffentlichkeit durch die ffentlichkeit wird sich auf Dauer kaum ein Brger entziehen kçnnen, ja entziehen wollen, so Kants Hoffnung. Wenn Kant also sagt, er verstehe unter dem çffentlichen Gebrauch der Vernunft „denjenigen, den jemand als G e l e h r t e r von ihr vor dem ganzen Publikum der L e s e r w e l t macht“92, dann kann damit nicht gemeint sein, dass nur Gelehrte zu einem solchen çffentlichen Vernunftgebrauch befhigt sind. Die Dynamik der 86 87 88 89 90
Gemeinspruch, Bd. 11, A 266, 267. Vgl. Habermas, Strukturwandel der ffentlichkeit, S. 128. Aufklrung, Bd. 11, A 485. Aufklrung, Bd. 11, A 483, 484. Hohendahl, ffentlichkeit, S. 23. Vgl. Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft, S. 147. 91 Aufklrung, Bd. 11, A 483, 484. 92 Aufklrung, Bd. 11, A 485.
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Aufklrung entspringt zwar, wie Liesegang schreibt, „vor allem dem erzieherischen Potenzial einiger geistig autonomer Intellektueller“93. Selbstverstndlich aber soll eines Tages jedermann çffentlich von seiner Vernunft Gebrauch machen (drfen) – das zeigte schon die in 1.1 thematisierte Forderung Kants, selbst weisungsgebundene Personen wie Beamte htten das Recht, sich aktiv çffentlich zu ußern. Habermas sagt in Strukturwandel der ffentlichkeit: „Nicht allein in der Republik der Gelehrten verwirklicht sich ffentlichkeit, sondern im çffentlichen Gebrauch der Vernunft aller, die sich darauf verstehen“94 – und es sollen sich, darum geht es aller Aufklrung, so viele Individuen wie mçglich darauf verstehen, auch wenn in diesem Sich-darauf-Verstehen genau die Crux der Aufklrung liegt. In der Religionsschrift spricht Kant daher von einem „philosophierenden und berhaupt vernnftig nachdenkenden gemeinen Wesen“95 als einer, wie es bei Stangneth heißt, „kritischen ffentlichkeit, also einem Gemeinwesen, das sich aus dem Willen zur eigenen Meinung konstituierte“96. So gesehen ist es durchaus konsequent, dass Kant gerade mit dem Begriff des Publikums operiert: Wir haben es zu tun mit einer Gruppe von Rezipienten, die den Anleitungen einer Meinungselite folgt. Nach und nach allerdings, darauf ist nun mehrfach eingegangen worden, entwickelt sich dieses Publikum zu einer Gruppierung, die nicht mehr nur rezipiert, sondern zusehends selbst denkt, ja schließlich als partizipierende brgerliche ffentlichkeit politische Prozesse mit beeinflusst. Aus dem eher passiven Publikum wird so eine aktive ffentlichkeit, von Kant wahlweise als allgemeiner Wille, Brger, Volk oder Welt bezeichnet (siehe nchster Abschnitt). Diese ffentlichkeit, darauf sei ausdrcklich hingewiesen, ist nicht nur aktiv, sie ist vor allem auch eine ffentlichkeit, die ber ein explizites Bewusstsein ihrer selbst als ffentlichkeit verfgt: Die zur rsonnierenden ffentlichkeit versammelten aufgeklrten Brger sind dazu in der Lage, sich als Teil eben dieser ffentlichkeit zu reflektieren. Zur brgerlichen ffentlichkeit: Die kritische, aufgeklrte ffentlichkeit wird zur ffentlichkeit des brgerlichen Zustandes. Um den Stel93 Liesegang, ffentlichkeit und çffentliche Meinung, S. 56. 94 Habermas, Strukturwandel der ffentlichkeit, S. 130. Vgl. auch Gerhardt, Volker: Die republikanische Verfassung. Kants Staatstheorie vor dem Hintergrund der Franzçsischen Revolution. In: Deutscher Idealismus und Franzçsische Revolution. Schriften aus dem Karl-Marx-Haus Trier (37). Trier, 1988, S. 34. 95 Religion, Bd. 8, B 118. 96 Stangneth, Kants schdliche Schriften, S. XXX.
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lenwert dieser brgerlichen ffentlichkeit wirklich begreifen zu kçnnen, muss zunchst auf Kants Lehre des Urvertrages eingegangen werden. Den brgerlichen Zustand begreift Kant in vertragstheoretischer Tradition als Zusammenschluss freier Individuen, „der allein auf einem Gesetz des gemeinsamen Willens gegrndet werden kann“97. Der Urvertrag, der diesem Zusammenschluss zugrunde liegt, stellt fr Kant keine historische Realitt dar. Er ist „eine b l o ß e I d e e der Vernunft“98. Das bedeutet allerdings nicht, dass diese Idee keine „unbezweifelte (praktische) Realitt hat“. Da wir uns den Zusammenschluss zum brgerlichen Zustand, ja sogar jedes Gesetz, das innerhalb dieses Zustandes erlassen wird, als etwas denken mssen, das nur auf dem „Actus eines çffentlichen Willens“99 gegrndet werden kann, muss der Gesetzgeber seine Gesetze so geben, als ob sie „aus dem vereinigten Willen eines ganzen Volks haben entspringen k ç n n e n , und jeden Untertan, so fern er Brger sein will, so anzusehen, als ob [!] er zu einem solchen Willen mit zusammen gestimmet habe“100. Die Zustimmungsfhigkeit durch jeden einzelnen Brger der brgerlichen Gesellschaft nach dem Als-ob-Modell dient als „Probierstein der Rechtmßigkeit eines jeden çffentlichen Gesetzes“. Ist ein Gesetz so beschaffen, dass ein Volk „u n m ç g l i c h dazu seine Einstimmung geben k ç n n t e […] so ist es nicht gerecht“. Jedes Gesetz wird demnach an die Bedingung gebunden, dass derjenige, der es erlsst – die Gesetzgebung ist in Kants republikanischer Theorie, der Lockeschen Lehre folgend101, nicht Sache der Regierung, sondern, wie gesagt102, einer reprsentativen Versammlung103 –, den „gesamten Volkswillen in dem seinigen vereinigt“104. Die „Idee des Sozialkontrakts“ bleibt damit „in ihrem unbestreitbaren Ansehen“ erhalten, „aber nicht als Faktum“, sondern als „Vernunftprinzip der Beurteilung aller çffentlichen rechtlichen Verfassung berhaupt“105. Der ursprngliche Vertrag bzw. die Idee des ursprnglichen Vertrages besitzt somit, wie Herb und Ludwig zeigen, in erster Linie eine „Kriterien97 98 99 100 101 102 103
MSR, Bd. 8, AB 74. Gemeinspruch, Bd. 11, A 250. Gemeinspruch, Bd. 11, A 244, 245. Gemeinspruch, Bd. 11, A 250. Vgl. Brandt, Zu Kants politischer Philosophie, S. 28. f. Siehe Kap. 1, Anmerkung 53. Vgl. MSR, Bd. 8, A 165 ff. u. Aus Menschenliebe lgen, Bd. 8, A 311, 312 f. Auf die Bedeutung der Reprsentation wird, wie gesagt, im Abschnitt ffentlichkeit als Raum ausfhrlich eingegangen. 104 Aufklrung, Bd. 11, A 491. 105 Gemeinspruch, Bd. 11, A 261, 262.
1.2 Drei Bedeutungsfelder von ,ffentlichkeit‘ bei Kant
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und Normfunktion“106. Kersting sieht im Prinzip des Vertrages gar das „staatsrechtliche Gegenstck zum kategorischen Imperativ. Wie dieser als Moralprinzip die Gesetzmßigkeit der Maximen zu beurteilen gestattet, so vermag jenes als Prinzip der çffentlichen Gerechtigkeit die Rechtmßigkeit positiver Gesetze zu bestimmen.“107 Denn nur eine Gesetzgebung, die den allgemeinen „Vertragswillen zur Geltung bringt“, kçnne auch gerechte Gesetzgebung sein. Das systematische Problem, das Kant mit seiner Als-ob-Formel 108 in den Griff zu bekommen versucht, ist das Problem der Vermittlung zwischen Brger und Politik. Die Gefahr: Als-ob-Gebot bzw. Vertragsidee kçnnen leicht zum schalen Prinzip verkommen. Insofern ist es unbedingt erforderlich, Vertragsidee und Publizitt in ihrem Zusammenhang zu erkennen: Erstens ist der Gesetzgeber nur dann in der Lage, die Als-ob-Frage schlssig zu beantworten, wenn er informiert ist ber die Anliegen der Bevçlkerung, auch wenn er dabei nicht auf jedes singulre Anliegen Bezug nehmen kann. Zweitens wird durch die Publizitt gerade verhindert, dass ein Gesetzgeber sich lossagt von der Vertragsidee bzw. der Als-ob-Bestimmung – werden seine Maximen doch çffentlich kontrolliert.109 Doch zurck zur ffentlichkeit als Personenverband. Es kann kein Zweifel bestehen, dass der Trger des „allgemein wirklich vereinigten Willens“110 – ein im brigen durchaus nicht unproblematischer Begriff 111 – als eine Art Pendant zu Rousseaus volont gnrale112 (Kant spricht auch vom „gemeinschaftlichen und çffentlichen Willen“ als dem „vereinigten
106 Herb, Karlfriedrich u. Ludwig, Bernd: Kants kritisches Staatsrecht. In: Jahrbuch fr Recht und Ethik 2, Berlin, 1994, S. 454. 107 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 352. 108 Vgl. Gemeinspruch, Bd. 11, A 250. 109 Siehe hierzu auch die Ausfhrungen in 5.3 zur reflektierenden Urteilskraft. 110 MSR, Bd. 8, AB 87, 88. 111 Kants Rede von der kollektiven Einheit des allgemein vereinigten Willens erweckt, so wie bekanntermaßen auch Rousseaus volont gnrale, eine gewisse Skepsis, gehçrt es doch zu unserem heutigen Demokratieverstndnis, dass verschiedene Brger gerade verschiedene, miteinander konkurrierende Meinungen haben. Damit stellt sich die Frage, ob die Rede vom allgemein vereinigten Willen eine antipluralistische Tendenz in sich birgt – was meiner Meinung nach nicht der Fall ist (siehe dazu die Abschnitte Exkurs: Demokratische oder despotische Vernunft? in diesem sowie Die erweiterte Denkungsart als Vermittlung von Ich und Wir im letzen Kapitel dieser Arbeit). 112 Vgl. Korsgaard, Christine M.: Creating the Kingdom of Ends. Cambridge, 1996, S. 32.
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1. ffentlichkeitsebenen in Kants politischer Theorie
Willen eines ganzen Volks“113, er nennt die „k o l l e k t i v e Einheit des vereinigten Willens“114, die „Vo l k s m e i n u n g “115 sowie den heute gelufigen Begriff „çffentliche Meinung“116) die brgerliche ffentlichkeit im Sinne des zweitens Bedeutungsfeldes, ffentlichkeit als Personenkreis, ist. Nur dass Kant eben nicht von ffentlichkeit spricht, sondern, wie bereits beim Aufklrungsbegriff, vom Publikum 117, vom Volk 118, von der Gesellschaft 119 und von den (Staats)-Brgern 120. In der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht wiederum schreibt Kant, wie in 1.1 schon zitiert, eine „noch so große T i s c h g e s e l l s c h a f t “ sei „ immer nur Privatgesellschaft, und nur die staatsbrgerliche berhaupt in der Idee ist çffentlich“121. Die Rede von der çffentlichen staatsbrgerlichen Gesellschaft als Gesellschaft aller Staatsbrger kommt dem Begriff der ffentlichkeit als Personenverband schon ausgesprochen nahe. Das elementare Charakteristikum der modernen brgerlichen ffentlichkeit ist ihre spezifische Position: Sie steht dem Staat gegenber, ja verleiht diesem berhaupt erst seine Legitimation, was, wie Julian NidaRmelin in seiner Rezeption der Friedensschrift zeigt, insbesondere fr das Gewaltmonopol gilt, das nur so lange akzeptabel bleibt, „als es von der grundstzlichen Zustimmung der Vielen getragen ist“122. Habermas sagt daher, die Staatsgewalt sei „der Kontrahent der politischen ffentlichkeit, aber nicht deren Teil“123. Kant hat maßgeblich zu dieser Positionierung beigetragen. Publikum, Volk, Gesellschaft bzw. Brger sind als Trger des allgemein vereinigten Willens der legitimierende Ausgangspunkt aller politischen Obrigkeit, die, sowohl als exekutive als auch als legislative Gewalt, qua Idee des Vertrages und qua Publizittsprinzip umfassend an diesen allgemeinen Willen gebunden wird. ffentliche Vernunft wird zur vernunftgeleiteten ffentlichkeit, diese vernunftgeleitete ffentlichkeit zur Basis aller Politik.
113 114 115 116 117 118 119 120 121 122 123
Gemeinspruch, Bd. 11, A 250. Frieden, Bd. 11, B 75. MSR, Bd. 8, A 185, 186. MSR, Bd. 8, A 184, A 194, A 205, 206 u. a. Vgl. Frieden, Bd. 11, B 110, 111. Vgl. MSR, Bd. 8, A 166. Vgl. Weltbrgerliche Absicht, Bd. 11, A 395 u. MSR, Bd. 8, AB 52, A 156. Vgl. Gemeinspruch, Bd. 11, A 266, 267. Anthropologie, Bd. 12, B 246, 247. Nida-Rmelin, Julian: Demokratie als Kooperation. Frankfurt a. M., 1999, S. 180. Art. zu ffentlichkeit, in: Das Fischer Lexikon, S. 220.
1.2 Drei Bedeutungsfelder von ,ffentlichkeit‘ bei Kant
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Zu den ffentlichkeiten des Naturzustandes: Neben der ffentlichkeit der Aufklrung und der brgerlichen ffentlichkeit findet sich in diesem Zusammenhang eine dritte Art von ffentlichkeit als Personenverband, die in ihrer Bedeutung nicht unterschtzt werden sollte. Die Rede ist von der vorbrgerlichen ffentlichkeit. Grundlage aller politischen Theorie bei Kant ist das empirische Faktum, dass wir nicht alleine sind auf der Welt. Im Gemeinspruch heißt es, die Menschen kmen nicht umhin, „in wechselseitigen Einfluß auf einander zu geraten“124. In der MSR ist zu lesen, wir stnden in einem Verhltnis des „unvermeidlichen Nebeneinanderseins, mit allen anderen“125. Mit dem wechselseitigen Einfluss sowie dem unvermeidlichen Nebeneinandersein skizziert Kant den Lebensraum der menschlichen Existenz, ber die Konstitution dieser Existenz – soziale oder unsoziale Natur? – wird mit beiden Begriffen nichts gesagt. Was nicht bedeuten soll, Kant habe sich ber jene Konstitution nicht geußert. In der kurzen Schrift Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbrgerlicher Absicht nennt Kant einen von der Natur eingerichteten „A n t a g o n i s m “, nmlich unsere „u n g e s e l l i g e G e s e l l i g k e i t “126. Auf der einen Seite sei der Mensch ein soziales Wesen, das die Neigung hat, „sich zu v e r g e s e l l s c h a f t e n ; weil er in einem solchen Zustande sich mehr als Mensch, d. i. die Entwickelung seiner Naturanlagen, fhlt“. Gleichzeitig aber sei er explizit unsozial, habe also eine ebenso große Neigung, sich „zu v e r e i n z e l n e n (isolieren)“ und „alles bloß nach seinem Sinne richten zu wollen“. Die Pointe: Der natrliche Antagonism in Verbindung mit der Tatsache des unvermeidlichen Nebeneinanderseins ist alles andere als schdlich, er dient vielmehr als eigentlicher Antrieb fr die menschliche Zivilisierung. Der „Widerstand gegen andere“, sagt Kant, entfalte nmlich genau jene Krfte, die „die ersten wahren Schritte aus der Rohigkeit zur Kultur“ mçglich machen. „Der Mensch will Eintracht; aber die Natur weiß besser, was fr seine Gattung gut ist: sie will Zwietracht.“ Gerhardt spricht in diesem Kontext von der „Produktivitt der Gegenstze“127. Die natrliche Zwietracht – und das ist die fr diese Arbeit entscheidende berlegung – kann ihre Funktion aber nur dann erfllen, wenn sich bereits im Naturzustand bestimmte ffentlichkeiten konstituieren. Nur wenn wir in einem unvermeidlichen Nebeneinandersein, also in einem in124 125 126 127
Gemeinspruch, Bd. 11, A 233, 234. MSR, Bd. 8, AB 157. Weltbrgerliche Absicht, Bd. 11, A 392 ff. Gerhardt, Vernunft und Leben, S. 125.
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1. ffentlichkeitsebenen in Kants politischer Theorie
tersubjektiven, çffentlichen Kontext stehen, in dem sich der Einzelne gerade nicht vollstndig isolieren kann, entfaltet sich die Produktivitt der Gegenstze. Ohne ffentlichkeit keine natrliche Zwietracht! Obwohl Kant also der Meinung ist, dass aus den einzelnen Individuen des Naturzustandes erst unter dem çffentlichen Recht eine Gesamtheit entsteht – in den Vorarbeiten zur Rechtslehre heißt es, erst die çffentlichen Gesetze machten „aus allen einzelnen eine Vniversitatem“128 –, konstituieren sich bereits im status naturalis bestimmte, wenngleich auch diffuse, ffentlichkeiten. Das In-der-Welt-Sein ist per se çffentliches In-der-Welt-Sein. ffentlichkeit als Raum: Die Sphre der freien Meinungsußerung Auch der ffentlichkeitsbegriff im Sinne der dritten Kategorie – ffentlichkeit als Handlungszusammenhang – ist fester Bestandteil von Kants politischer Philosophie. Zunchst ein Blick auf die spezifischen Funktionen, die nach unserer heutigen Definition der ffentlichkeit als Handlungszusammenhang zukommen. Zum einen, sagt Habermas, sei ffentlichkeit der „Bereich unseres gesellschaftlichen Lebens, in dem sich so etwas wie çffentliche Meinung bilden kann“129 ; in diesem Sinne dient ffentlichkeit als jene Sphre, in der die zum Publikum versammelten Brger miteinander kommunizieren. Die Ermçglichung dieser Kommunikation ist allerdings nur die eine Funktion von ffentlichkeit als Handlungszusammenhang. ffentlichkeit als Raum des brgerlichen Rsonnements wrde keinen Sinn ergeben, wenn die in diesem Raum gebildete çffentliche Meinung nicht auch an die staatliche Macht, der sie gegenbersteht, herangetragen werden kçnnte. ffentlichkeit als Handlungszusammenhang muss also gleichzeitig begriffen werden als eine „zwischen Gesellschaft und Staat“ vermittelnde Sphre. ffentlichkeit als Bereich unseres gesellschaftlichen Lebens, in dem sich so etwas wie çffentliche Meinung bilden kann, sowie als zwischen Gesellschaft und Staat vermittelnde Sphre geht bei Kant unmittelbar hervor aus dem Prinzip der Publizitt, und zwar aus beiden Aspekten der Publizitt, also Publizitt als Pflicht der staatlichen Macht und als Recht der Brger. Ist das Recht auf freie Meinungsußerung umfassend garantiert und nehmen die Brger des Kantischen Staates es umfassend wahr, entsteht automatisch 128 Vorarbeiten zur Rechtslehre. In: Gesammelte Schriften, Bd. 23, S. 346. 129 Art. zu ffentlichkeit, in: Das Fischer Lexikon, S. 220.
1.2 Drei Bedeutungsfelder von ,ffentlichkeit‘ bei Kant
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eine ffentlichkeit als Handlungszusammenhang. Gerhardt sagt daher, ffentlichkeit sei bei Kant mehr als nur Mitteilung, sie sei vielmehr ein „konkreter Zusammenhang jetzt lebender Individuen“ und somit der „gesellschaftliche Raum gegenseitiger Verstndigung“130, in dem Individuen sich zu einem gemeinsamen Willen zu vereinigen versuchen. Zieht man das Publizittsgebot aus der Friedensschrift hinzu, Publizitt als Prinzip der Politik, so wird klar, dass in diesem Raum nicht nur eine çffentliche Meinung hervorgebracht werden soll, sondern diese Meinung der ffentlichkeit gerade mit der ihr gegenberstehenden Staatsgewalt zu vermitteln ist: Der Staat bleibt bei smtlichen seiner Handlungen dazu verpflichtet, der brgerlichen ffentlichkeit Auskunft zugeben, da es genau diese ffentlichkeit ist, deren Ziele und Zwecke er zu realisieren hat. Saage schreibt daher zu Recht, bereits bei Kant sei ffentlichkeit der „Katalysator, der die Gesellschaft in den Staat und diesen in jene zu integrieren half“131. Damit bliebe zu klren, welche konkreten Begrifflichkeiten Kant verwendet, um ffentlichkeit als Handlungszusammenhang zu beschreiben. Zunchst kommt, wie bereits in Zusammenhang mit der ffentlichkeit als Personenkreis, der Terminus Volk in Frage, der zumindest die Existenz einer çffentlichen Sphre impliziert. In der Verfassungslehre von Carl Schmitt heißt es: „Volk ist ein Begriff, der nur in der Sphre der f f e n t l i c h k e i t existent wird. Das Volk erscheint nur in der ffentlichkeit, es bewirkt berhaupt erst die ffentlichkeit. Volk und ffentlichkeit bestehen zusammen; kein Volk ohne ffentlichkeit und keine ffentlichkeit ohne Volk.“132 Plausibler allerdings erscheint der Begriff Welt. So heißt es in der Aufklrungsschrift, ein Herrscher msse es den Untertanen gestatten, von ihrer Vernunft çffentlich Gebrauch zu machen und ihre Kritik „der Welt çffentlich vorzulegen“133. Habermas jedenfalls sagt, mit Welt habe Kant „ffentlichkeit als Sphre bezeichnet“134. Hohendahl weist zudem darauf hin, dass im England des 18. Jahrhunderts, als der Begriff the publick bereits etabliert war, çffentliche Rume wie Cafhuser, in denen man sich zum politischen Gesprch versammelte, auch als world bezeichnet wurden.135 130 131 132 133 134 135
Gerhardt, Zum ewigen Frieden, S. 194. Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft, S 166. Schmitt, Carl: Verfassungslehre. Mnchen/Leipzig, 1928, S. 243. Aufklrung, Bd. 11, A 492, 493. Habermas, Strukturwandel der ffentlichkeit, S. 131. Vgl. Hohendahl, ffentlichkeit, S. 11.
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1. ffentlichkeitsebenen in Kants politischer Theorie
Dass der Begriff Welt gerade in der Kantischen Philosophie als hçchst plausibler Terminus fr die Beschreibung einer çffentlichen Sphre empfunden wird, drfte nicht zuletzt daran liegen, dass Kant ffentlichkeit bereits als Weltçffentlichkeit dachte. Kant spricht von der „Weltbrgergesellschaft“136 und der „Idee einer W e l t r e p u b l i k “137 unter einer weltbrgerlichen Verfassung.138 Auffllig dabei: Auch in Bezug auf die Weltçffentlichkeit skizziert Kant die spezifische Unterscheidung zwischen gesellschaftlicher und staatlicher Ebene. Die Weltbrgergesellschaft, heute auch bezeichnet als globale Zivilgesellschaft, ist die weltbrgerliche ffentlichkeit einer wenn auch nur in der Idee existierenden Weltrepublik. Julian Nida-Rmelin zeigt, worin die Funktion dieses Weltbrgertums fr Kant, zumindest in der Friedensschrift, in erster Linie besteht: Es soll den Frieden sichern. Auffllig dabei sei, dass Kant „zwischen der regulativen Idee eines Weltbrgertums und einem bloßen foedus pacificum changiert“139. Doch zurck zur çffentlichen Sphre innerhalb von Nationalstaaten. Um die im Handlungszusammenhang der brgerlichen Gesellschaft gebildete çffentliche Meinung tatschlich an die staatliche Gewalt herantragen zu kçnnen, was oben als zweiter Funktionsbereich der ffentlichkeit als Handlungszusammenhang beschrieben wurde, bedarf es eines Mediums. Heutzutage haben bekanntermaßen vor allem die Massenmedien diese Funktion bernommen – bzw. sie sollten sie bernehmen. Auch Kant war sich, wie gesagt, der Tatsache bewusst, dass nicht alle Brger die çffentliche Meinung direkt an die staatliche Macht richten kçnnen. Das Alsob-Prinzip der Idee eines Vertrages ist ein Ausweg aus diesem Problem: Der Staat handelt nach jenen Maximen, die grundstzlich vom Volk getragen werden kçnnten, was nur dann mçglich ist, wenn er die Bedrfnisse des Volkes zumindest grundstzlich kennt. Ein anderer Ausweg ist die Vermittlung durch bestimmte Meinungsfhrer. Solche Meinungsfhrer sind fr Kant in erster Linie die Gelehrten, die „durch Schriften“140 und 136 Aufklrung, Bd. 11, A 486, 487. Kant war sich dabei im Klaren, dass eine solche Weltrepublik nicht zu realisieren ist, spricht also bewusst von einer Idee. 137 Frieden, Bd. 11, BA 40. 138 Vgl. Gemeinspruch, Bd. 11, A 271, 272. 139 Nida-Rmelin, Demokratie als Kooperation, S. 177. Seubert sagt, auf der „kosmopolitischen Ebene“ trete an die Stelle einer hçchsten Zwangsgewalt „die anfnglich noch schwache Macht der çffentlichen Meinung der Weltbrger“ (Seubert, Weltbrgertum und kosmopolitische ffentlichkeit, S. 203). 140 Aufklrung, Bd. 11, A 486, 487.
1.2 Drei Bedeutungsfelder von ,ffentlichkeit‘ bei Kant
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„ç f f e n t l i c h e n Vo r t r a g “141 mit ausdrcklicher staatlicher Erlaubnis „frei und çffentlich“142 von ihrer Vernunft Gebrauch machen. Schriften und çffentliche Rede der Gelehrten sind nach Kant also die wesentlichen Medien der Vermittlung von Gesellschaft und Staat. Abschließend sei erwhnt, dass Kant auch die Reprsentation als Instrument der Vermittlung von çffentlicher und staatlicher Sphre, wie sie oben in Zusammenhang mit der Als-ob-Regel bereits angesprochen wurde, ausdrcklich zum Prinzip der Politik erklrt. In Aus Menschenliebe lgen fragt Kant nach einem bergang von der „M e t a p h y s i k des Rechts (welche von allen Erfahrungsbedingungen abstrahiert) zu einem Grundsatze der P o l i t i k (welcher diese Begriffe auf Erfahrungsflle anwendet)“143. Genannt werden drei Schritte, wobei der dritte Schritt als Zusammenfassung der beiden ersten sowie als Problemlçsung verstanden werden muss.144 Um also von einer „M e t a p h y s i k des Rechts“ zu einem „Grundsatze der P o l i t i k zu gelangen“, wird der Philosoph „I) ein A x i o m , d. i. einen apodiktisch-gewissen Satz, der unmittelbar aus der Definition des ußern Rechts (Zusammenstimmung der F r e i h e i t eines jeden mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze) hervorgeht, 2) ein P o s t u l a t (des ußeren çffentlichen G e s e t z e s , als vereinigten Willens aller nach dem Prinzip der G l e i c h h e i t , ohne welche keine Freiheit von jedermann Statt haben wrde), 3) ein P r o b l e m geben, wie es anzustellen sei, daß in einer noch so großen Gesellschaft dennoch Eintracht nach Prinzipien der Freiheit und Gleichheit erhalten werde (nmlich vermittelst eines reprsentativen Systems); welches dann ein Grundsatz der P o l i t i k sein wird“145. Im dritten Schritt gibt Kant dem Leitspruch der Franzçsischen Revolution eine institutionelle Wendung. An die Stelle der Brderlichkeit tritt die Frage, wie die Einheit, also die Handlungsfhigkeit, des politischen Systems unter den demokratischen Grundbedingungen von Freiheit und Gleichheit gewhrleistet werden kann.146 Kants Lçsung: Die Einheit des Handlungszusammenhangs soll institutionell garantiert werden durch ein reprsentatives System. Reprsentativitt kann damit als ein oberster Grundsatz des Kantischen Politikbegriffs verstanden werden.147 Wenn das aber so ist, dann bedeutet das 141 142 143 144 145 146 147
Streit, Bd. 11, A 7, 8. Frieden, Bd. 11, B 67, 68. Aus Menschenliebe lgen, Bd. 8, A 311, 312. Vgl. Sassenbach, Begriff des Politischen, S. 13. Aus Menschenliebe lgen, Bd. 8, A 311, 312. Vgl. Sassenbach, Begriff des Politischen, S. 14. Vgl. Sassenbach, Begriff des Politischen, S. 13.
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1. ffentlichkeitsebenen in Kants politischer Theorie
gleichzeitig auch, dass Kants Politikbegriff auf ffentlichkeit nicht verzichten kann – denn Reprsentation verweist, wie Schmitt zeigt, notwendigerweise auf ffentlichkeit. „Die Reprsentation kann nur in der Sphre der f f e n t l i c h k e i t vor sich gehen. Es gibt keine Reprsentation, die sich im geheimen unter vier Augen abspielt, keine Reprsentation, die ,Privatsache‘ wre […] Ein Parlament hat nur so lange reprsentativen Charakter, als man glaubt, daß seine eigentliche Ttigkeit in der ffentlichkeit liege.“148 Obwohl in zitierter Passage aus Aus Menschenliebe lgen also weder von ffentlichkeit noch von Publizitt gesprochen wird, ist der enge Zusammenhang von Kants Politikbegriff und der Funktion der ffentlichkeit nicht zu bersehen: Freiheit und Gleichheit als Ziel und als Bedingung des Kantischen Staates sollen durch Reprsentation, die immer nur als çffentliche Reprsentation gedacht werden kann, ermçglicht werden.
1.3 bergang: Differenzierung in theoretische, praktische und sthetische ffentlichkeit Um zusammenzufassen: In Kants politischer Philosophie tauchen alle drei Bedeutungsfelder des modernen ffentlichkeitsbegriffs auf. In der ffentlichkeit als Handlungszusammenhang versammeln sich aufgeklrte Brger, nmlich die brgerliche ffentlichkeit als Personenverband, zum kritischen Rsonnement mit dem Ziel, eine çffentliche Meinung hervorzubringen. Vollzogen wird dieser Meinungsbildungsprozess in der ffentlichkeit als Sphre. Diese Sphre dient aber nicht ausschließlich der Meinungsbildung, sie ist vor allem auch dazu da, eben diese Meinung in den politischen Prozess zu integrieren. ffentlichkeit als Sphre muss also auch verstanden werden als zwischen Staat und Gesellschaft vermittelndes Medium, so dass die ffentlichkeit sich an den Staat und der auf die Verçffentlichung seiner Maximen verpflichtete Staat sich an die ffentlichkeit wenden kann.149 Institutionell garantiert wird diese ffentlichkeit durch das Prinzip der Publizitt, einmal als Recht der Brger, einmal als Pflicht des Staates. 148 Schmitt, Verfassungslehre, S. 208. 149 Gerhardt hat auf ein weiteres Moment der ffentlichkeit hingewiesen: Kant spricht in der Friedensschrift von Verrat als ehrlosem Verhalten (vgl. Frieden, Bd. 11, BA 13, 14). Wer seine Ehre verliere, sagt Gerhardt, verliere sein çffentliches Ansehen, seine Reputation (Gerhardt, Zum ewigen Frieden, S. 68).
1.3 Differenzierung in theoretische, praktische und sthetische ffentlichkeit
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Die Funktion der ffentlichkeit darf also mit gutem Recht als elementarer Bestandteil der politischen Theorie Kants bezeichnet werden. Gleichwohl entwickelt Kant seinen ffentlichkeitsbegriff nicht erst in den im eigentlichen Sinne politischen Schriften. In den spten Abhandlungen ber Politik kulminiert vielmehr, was schon mit dem Kern des Kantischen Denkens, dem vernunftbegabten Ich, verwurzelt ist. Um es auf den Punkt zu bringen: Der Ursprung des ffentlichkeitsbegriffs liegt in der theoretischen und praktischen Vernunft.150 Kants theoretische und praktische Vernunft ist çffentliche Vernunft, sie ist auf ffentlichkeit genauso angewiesen, wie sie diese konstituiert. Neben der brgerlichen ffentlichkeit kennt Kant somit drei weitere ffentlichkeiten: das gelehrte gemeine Wesen als theoretische ffentlichkeit, das ethische Gemeinwesen als praktische ffentlichkeit sowie schließlich das ber das Schçne und Nichtschçne in Natur und Kunst urteilende Publikum als sthetische ffentlichkeit. Die brgerliche ffentlichkeit des brgerlichen Zustandes – als ein Postulat der praktischen sowie der theoretischen Vernunft; siehe 2.3 – wird von Kant, wie schon gezeigt, verstanden als die ffentlichkeit aller Staatsbrger. Die theoretischen, praktischen und sthetischen ffentlichkeiten wiederum mssen, geht man von der Existenz eines brgerlichen Zustandes aus, verstanden werden als verschiedene ffentlichkeiten innerhalb dieser brgerlichen ffentlichkeit. Dass sich moderne Gesellschaften aus einer Vielzahl komplexer Systeme, also aus einer Vielzahl verschiedener ffentlichkeiten zusammensetzen, ist aus heutiger Sicht eine geradezu banale soziologische Einsicht. Dass aber Kant diese Differenzierung bereits erkannte, ist hçchst bemerkenswert. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts hatten sich die Bereiche Politik, Wissenschaft, Moral und Kunst sowie die Sphre des Glaubens vorsichtig auseinanderdifferenziert.151 Kant trgt dieser historischen Entwicklung in seinem Vernunftbegriff Rechung, indem er an die Stelle des einen, substantiellen Vernunftbegriffs den Begriff einer, wie Habermas sagt, „in ihre Momente auseinandergetretenen Vernunft“152 setzt. Kant sagt zwar ausdrcklich, es gebe „nur eine und dieselbe Vernunft“153 ; gleichzeitig aber gliedert er diese Eine Vernunft in ihre verschiedenen Aspekte.
150 151 152 153
Vgl. Gerhardt, Zum ewigen Frieden, S. 190. Vgl. Habermas, Diskurs der Moderne, S. 30 f. Habermas, Diskurs der Moderne, S. 29. KpV, Bd. 7, A 218, 219. Vgl. MSR, Bd. 8, AB VII.
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1. ffentlichkeitsebenen in Kants politischer Theorie
Es ist diese Teilung der Vernunft in ihre auseinandergetretenen Momente, die es berhaupt erst ermçglicht, von verschiedenen Arten des Vernunftgebrauchs und in der Folge von verschiedenen ffentlichkeiten des Vernunftgebrauchs zu sprechen. Im nchsten Kapitel geht es um die erste dieser ffentlichkeiten: die ffentlichkeit der theoretischen Vernunft.
2. Die ffentlichkeit der theoretischen Vernunft Wenn von der ffentlichkeit der theoretischen Vernunft die Rede ist, dann sind damit grundstzlich zwei Sachverhalte gemeint. Erstens: Theoretische Vernunft ist unmittelbar an das Prinzip der ffentlichkeit im Sinne des ersten Bedeutungsfeldes gebunden; sie muss ihre Einsichten offenlegen, çffentlich begrnden kçnnen. Zweitens: Trger der Vernunft sind freie, vernunftbegabte Individuen. Machen diese Individuen von ihrer theoretischen Vernunft Gebrauch, bilden sie automatisch eine ffentlichkeit des Vernunftgebrauchs im Sinne des zweiten bzw. dritten Bedeutungsfeldes. Wozu aber die Bindung der theoretischen Vernunft an die ffentlichkeit? Im Streit der Fakultten wird Kant schreiben, Wahrheit sei nur mçglich „durch Verstattung vçlliger Freiheit einer çffentlichen Prfung derselben“1. Der philosophischen Fakultt msse es demnach „frei stehen“, smtliche Behauptungen anderer Fakultten „mit kalter Vernunft çffentlich zu prfen und zu wrdigen, ungeschreckt durch die Heiligkeit des Gegenstandes“. Whrend in der politischen Philosophie Kants ffentlichkeit, wie gezeigt, eine Kontrolle von Recht und Politik durch den allgemein-vernnftigen Willen garantieren soll, dient sie in der theoretischen Philosophie also als epistemischer Prfstein: ffentliche Vernunft ist eine Vernunft, die sich ber die Selbstgengsamkeit des theoretischen Ichs hinwegzusetzen versucht, sie ist eine Vernunft, die die Vernunft aller anderen Ichs mit einbezieht, ihr Wissen kritisch am Wissen der ffentlichkeit misst. Die Gemeinsamkeit in der Bindung sowohl der Politik als auch aller Erkenntnis an die Bedingung der ffentlichkeit: In beiden Fllen soll die in der ffentlichkeit erzielte Selbstverstndigung freier Brger, die, wie Saage treffend schreibt, eine Evidenz besitzt, „deren logischer Autoritt sich auf Dauer niemand entziehen kann, weil sie eingewurzelte Vorurteile in ihrem Kern auflçst“2, elementare Vernderungen in Gang bringen. In der Politik hat Kant mit seiner Forderung, smtliche staatlichen Vorgnge dem kritischen Rsonnement der brgerlichen ffentlichkeit zu unterziehen, eine berwindung des Absolutismus im Sinne; und auch in der theore1 2
Streit, Bd. 11, A 36, 37 f. Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft, S. 147.
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2. Die ffentlichkeit der theoretischen Vernunft
tischen Philosophie hat er mit der Forderung nach ffentlichkeit der Vernunft einen mchtigen Gegner im Visier – die dogmatische Metaphysik. Politische und theoretische Aufklrung sind also eng miteinander verbunden. Christine Korsgaard schreibt: „For Immanuel Kant the death of speculative metaphysics and the birth of the rights of man were not independent events. Together they constitute the resolution of the Enlightenment debate about the scope and power of reason.“3 Man kçnnte auch sagen, politische Reform auf dem Boden der Vernunft war zu Zeiten Kants nicht denkbar ohne eine Reform der Vernunft selbst – eine Reform der Vernunft aber war ihrerseits ein an sich selbst politischer Vorgang. Nach Hans Blumenberg ist Aufklrung „die Behebung gleichsam der Gelegenheiten fr die Passivitt und damit Verfhrbarkeit der Vernunft“4. Verfhrbarkeit der Vernunft – das ist die theoretische Vernunft, die sich selbst verfhrt, und zwar in ihrem ihr immanenten Streben ins Unbedingte, ber die Grenzen des gesicherten Wissens hinaus. Nun gehçrt es zum Wesen dieser Selbstverfhrung, in der, wie Kant sagt, „jeder seiner Eingebung“5 folgt, dass sie sich gerade nicht beheben lsst. Daher ist es aber um so wichtiger, dass wir dazu in der Lage sind, uns die Grenzen der Vernunft klarzumachen. Und dieses Klarmachen bedeutet zunchst nichts anderes als: Wir mssen selbstdenken und wir mssen lautdenken, also çffentlich Rechenschaft geben ber das, was wir angeblich einsehen kçnnen durch reine Vernunft, dann werden „Aberglauben und Schwrmerei bei dieser Prfung alsbald verschwinden“6. Und, um es nochmals zu betonen: Ein solches Ende des Aberglaubens hat nicht nur eine theoretische, sondern immer auch eine politische Implikation. Der Zusammenhang von theoretischem Vernunftgebrauch und ffentlichkeit – sowohl im Sinne eines Prinzips der Vernunft als auch als Personenkreis, der sich qua Befolgung dieses Prinzips konstituiert – wird bei Kant auf vier Ebenen angetroffen. Erstens: Bereits in den vorkritischen Schriften spricht Kant von einem theoretischen Standpunktwechsel, der zwar nicht direkt gleichgesetzt werden kann mit ffentlichkeit, diese allerdings ermçglicht (2.1). Zweitens fordert Kant fr jegliches Wissen eine çffentliche Beglaubigung (ebenfalls 2.1). In der kritischen Philosophie findet sich ffentlichkeit dann, drittens, zunchst auf der Ebene der 3 4 5 6
Korsgaard, Kingdom of Ends, S. 3. Blumenberg, Neugierde, S. 247. Im Denken orientieren, Bd. 5, A 327. Im Denken orientieren, Bd. 5, A 330.
2.1 ffentliche Beglaubigung und Standpunktwechsel
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Vernunftkritik als solcher: So wie unsere Vernunft gar nicht anders kann, als metaphysisch zu verfahren, so kann sie – gerade aufgrund ihres metaphysischen Hangs – auch nicht anders, als sich çffentlich zu kritisieren. Nimmt man der Vernunft die Freiheit der çffentlichen Selbstkritik, sagt Kant, nimmt man ihr ihre Existenz (2.2). Auf der vierten Ebene haben wir es schließlich zu tun mit der Bedingung der Mitteilbarkeit. Die Kritik der reinen Vernunft gelangt als kritische Metaphysik zum einen zu den Grundzgen einer Theorie der Erfahrung, in der Erkenntnisurteile an das Prinzip der Kommunikabilitt gebunden werden – empirische Erkenntnis kann nur dann mit gutem Recht als Wissen bezeichnet werden, wenn sie çffentlich mitteilbar ist, wenn also auch fremde Vernunft diese Erkenntnis als Wissen begreift und nicht nur als Glauben oder Meinen. Zudem fhrt die Selbstkritik aus dem Feld der Erfahrung hinaus zu einer Vernunft, die ihre reinen Vernunftbegriffe immer nur als Ideen, die theoretisch weder bewiesen noch widerlegt werden kçnnen, behandelt. ffentlichkeit dient auch hier als Prfstein: Als Ideen, sagt Kant, seien die Unsterblichkeit der Seele und der allumfassende Gott jedermann mitteilbar. Sprechen wir hingegen von der tatschlichen Existenz dieser Ideen, so kçnne die Bedingung der Mitteilbarkeit nicht mehr eingehalten werden (2.4). Natrlich sind dritte und vierte Ebene eng miteinander verwoben: Die Bindung sowohl aller Erfahrung als auch aller Ideen an die Mitteilbarkeit rhrt letztendlich her aus der grundstzlichen Angewiesenheit aller reinen Vernunft auf çffentliche Kritik. Eine Vernunft, die sich notwendigerweise selbst kritisieren muss, wrde gegen ihre eigenen Prmissen verstoßen, wrde sie jene Vernunft, fr die sie in ihrer Selbstkritik pldiert, nicht ihrerseits an ffentlichkeit binden.
2.1 Die vorkritische Forderung nach çffentlicher Beglaubigung und Standpunktwechsel Schon in der vorkritischen Zeit konzipiert Kant wesentliche Elemente der epistemischen Funktion kritischer ffentlichkeit. Mit der çffentlichen Beglaubigung und dem Standpunkwechsel werden zwei Verfahren genannt, die mit dem ffentlichkeitsbegriff eng verbunden sind: Der Standpunktwechsel als ein Vorgang, der zwar nicht mit ffentlichkeit zu identifizieren ist, allerdings ffentlichkeit im Sinne grçßtmçglicher çffentlicher bereinstimmung gewhrleisten soll; die çffentliche Beglaubigung wiederum als ein Verfahren, das erkenntnistheoretische Transparenz
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ermçglicht, das also durchaus im Sinne der ersten Bedeutungsebene von ffentlichkeit gelesen werden darf – ffentlichkeit als Prinzip. ffentliche Beglaubigung des Wissens Die Kritik der reinen Vernunft ist Kants große Abrechung mit der dogmatischen Metaphysik. Warum er es aber berhaupt fr notwendig befindet, mit ihr abzurechnen, zeigt sich bereits 1766 in den Trumen. Mittelpunkt der Schrift ist eine geißelnde Kritik an Swedenborg, einem zu Kants Zeiten populren schwedischen Spiritualisten. Dessen Hauptwerk Arcana coelestia 7, echauffiert sich Kant, seien „acht Quartbnde voll Unsinn“8. Swedenborg sei der „Erzphantast unter allen Phantasten“9, seine Arbeit nichts als „schwrmende Auslegungen“10. Der Grund fr die strikte Zurckweisung des Spiritualismus liegt nach Kant in der Unmçglichkeit, Geister theoretisch zu beweisen. Zwar drfen wir immaterielle Wesen annehmen, wir drfen an sie glauben – ein Wissen von ihnen aber haben wir nicht.11 Nun kann diese berlegung – die Unmçglichkeit eines theoretischen Beweises immaterieller Substanzen – jenseits aller ffentlichkeit getroffen werden. Wie also kommt diese ins Spiel? Nun, ffentlichkeit im Sinne çffentlicher Beglaubigung ist ein Prfstein, anhand dessen wir testen kçnnen, ob wir es bei einer Aussage mit theoretisch beweisbarem Wissen zu tun haben oder nur mit Glauben: Was mit dem Anspruch versehen wird, Wissen zu sein, muss im Sinne der allgemeinen Nachvollziehbarkeit çffentlich belegt werden kçnnen. Und genau dieser Test scheitert nach Kant im Falle einer Geistererscheinung. So schreibt Kant ber Swedenborgs Werk, da die „Privaterscheinungen des Buchs sich selbst nicht beweisen kçnnen, so konnte der Bewegungsgrund, sich mit ihnen abzugeben, nur in der Vermutung liegen, daß der Verfasser zur Beglaubigung derselben sich vielleicht auf Vorflle […] die durch lebende Zeugen besttigt werden kçnnten, berufen wrde. Dergleichen aber findet man nirgend.“12 Denn diejenigen, die von Geistern reden, sehen etwas, „was kein anderer ge7 Swedenborg, Emanuel: Arcana coelestia, quae in scriptura sacra seu verbo domini sunt, detecta. London, 1749 ff. 8 Trume, Bd. 2, A 97. 9 Trume, Bd. 2, A 84, 85. 10 Trume, Bd. 2, A 97, 98. 11 Vgl. Trume, Bd. 1, A 15,16 u. A 79, 80. 12 Trume, Bd. 2, A 113, 114.
2.1 ffentliche Beglaubigung und Standpunktwechsel
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sunder Mensch sieht“; sie haben „ihre eigene Gemeinschaft mit Wesen“, die „sich niemanden sonst offenbaren“13. ber 30 Jahre nach Erscheinen der Trume wird Kant im Streit der Fakultten nochmals auf Swedenborg zurckkommen. Das Problem dessen „Mystik“, sagt Kant dort, sei es, dass „kein çffentlicher Probierstein der Wahrheit mehr Statt findet“14. Wichtig dabei: Geistererscheinungen werden ursprnglich nicht aufgrund der çffentlichen Beglaubigung selbst – besser gesagt: der Unfhigkeit zu genau dieser Beglaubigung – von Kant zurckgewiesen. In erster Linie begrndet wird die Ablehnung des Spiritualismus vielmehr durch genanntes Argument, immaterielle Wesen kçnnten von unserer Vernunft theoretisch nicht bewiesen werden. Die çffentliche Beglaubigung ist also nur das Prfverfahren, das anzeigen kann, ob legitime theoretische Grnde vorliegen oder nicht. Das systematische Problem, das sich hier andeutet, ist jenes Problem, das Kant in der ersten Kritik zu lçsen versuchen wird – nmlich die Selbstaufklrung der Vernunft. Insofern ist es nur konsequent, dass die Trume nicht nur Swedenborg zum Gegenstand haben. Letztendlich geht es Kant um seine Geliebte – die Metaphysik, die er durch deren dogmatischen Gebrauch, Kant wrde sagen: Missbrauch, in hçchster Gefahr sieht. Er habe das Schicksal, schreibt Kant, in die Metaphysik „verliebt zu sein“15. Die Polemik gegen Swedenborg ist also zweifelsohne auch eine Polemik gegen die dogmatische Metaphysik und deren Trume. Metaphysik darf nach Meinung von Kant nicht lnger dogmatisch, als, wie es in der reinen Vernunft heißen wird, schwrmerischer „Eigendnkel“16 betrieben werden17 – sie muss çffentlich nachvollziehbar sein. In genau diesem Sinne heißt es in den Trumen ber den „L u f t b a u m e i s t e r “ Wolff und dessen Anhnger, es sei darauf zu warten, dass „diese Herren ausgetrumet haben“18. Wenn das nmlich der Fll wre, wrden sie „zu einem Blicke, der die Einstimmung mit anderem Menschenverstande nicht 13 14 15 16 17
Trume, Bd. 2, A 60, 61. Streit, Bd. 11, A 65, 66. Trume, Bd. 2, A 115. KrV, Bd. 4, B 772. Kant versteht die Metaphysik in den Trumen als eine negative Wissenschaft von den Grenzen der Vernunft. „Ich habe diese Grenze hier zwar nicht genau bestimmt“ (Trume, Bd. 2, A 116) – aber die Grenze ist klar: Gesicherte Erkenntnis kann es nur unter Bezug auf die uns allen zugngliche Erfahrung geben (Trume, Bd. 2, A 115 ff.). In der KrV wird diese Grenzbestimmung dann in aller Genauigkeit und unter neuen Prmissen vollzogen. 18 Trume, Bd. 2, B 58, 59.
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2. Die ffentlichkeit der theoretischen Vernunft
ausschließt, die Augen auftun“. Dann wird „niemand von ihnen etwas sehen, was nicht jedem andern gleichfalls bei dem Lichte ihrer Beweistmer augenscheinlich und gewiß erscheinen sollte“, und die Philosophen werden eine „gemeinschaftliche Welt“ bewohnen. „Trumen“ und „gemeinschaftliche Welt“ stehen fr Kant also in einem Gegensatzverhltnis, denn „wenn von verschiedenen Menschen ein jeglicher seine eigene Welt hat, so ist zu vermuten, daß sie trumen“. Die Rede von der Beglaubigung des Wissens, die Aufforderung, jedermann msse die Augen auftun, um durch das Lichte der Beweistmer im Sinne einer Einstimmung mit anderem Menschenverstande jedermann augenscheinlich zu machen, dass wir es mit einer gemeinschaftlichen Welt zu tun haben mssen und nicht mit den Privaterscheinungen einer eigenen Welt, zeigt, wie ernst es Kant schon in der vorkritischen Zeit mit seiner Forderung nach Erluterung alles Wissens in der ffentlichkeit ist. Auch hier gilt natrlich jener Zusammenhang, der oben in Bezug auf den Spiritualismus dargestellt wurde: Die Unfhigkeit zur çffentlichen Beglaubigung ist nicht der eigentliche Grund fr die Zurckweisung der dogmatischen Metaphysik – sie ist nur ein Verfahren, das dazu dient, auf den ursprnglichen Grund fr genau diese Zurckweisung hinzudeuten: Weil die Unsterblichkeit der Seele und Gott als allumfassendes Wesen theoretisch nicht bewiesen werden kçnnen, lsst sich auch kein theoretischer Beweis fr ihre tatschliche Existenz nennen. Ausfhrlich wird auf diesen Zusammenhang in 2.4 eingegangen. Inwieweit aber ist der Vorgang der çffentlichen Beglaubigung Teil unseres heutigen ffentlichkeitsverstndnisses? Die çffentliche Beglaubigung dient einem konkreten Zweck, nmlich der Nachvollziehbarkeit und Kontrolle jeglicher Ansprche theoretischer Vernunft. Damit aber leistet sie genau das, was eingangs als eine Funktion der ffentlichkeit als Prinzip definiert wurde, nmlich Transparenz. Die çffentliche Beglaubigung, wie Kant sie in den Trumen thematisiert, darf also durchaus als Element unseres heutigen ffentlichkeitsbegriffes verstanden werden. Standpunktwechsel und Boden der Vernunft Die çffentliche Beglaubigung des Wissens ist zwar ein geeignetes Verfahren, um herauszufinden, ob es sich bei einem Wissen um gesichertes Wissen handelt. Strenggenommen kann diese Beglaubigung aber immer nur ex post eingesetzt werden, also nachdem eine Erkenntnis getroffen wurde, um die Frage zu klren, ob es sich bei meiner Erkenntnis um eine
2.1 ffentliche Beglaubigung und Standpunktwechsel
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gesicherte Erkenntnis handelt oder nicht. Nun formuliert Kant neben der çffentlichen Beglaubigung in den Trumen eine weitere Bedingung, die die Validitt von Erkenntnissen zu gewhrleisten hat, anders als die Beglaubigung aber noch vor dem Fllen eines Erkenntnisurteils ins Spiel kommen soll. Die Rede ist vom Standpunktwechsel. Dieses Motiv wird in der Urteilskraft unter dem Titel erweiterte Denkungsart wieder auftauchen.19 Den Grundstein aber dieser Denkungsart legt Kant bereits in den Trumen. So heißt es, ihm, Kant, sei nichts „ehrwrdig“, was nicht „durch den Weg der Aufrichtigkeit in einem ruhigen und vor alle Grnde zugnglichem Gemte Platz nimmt“20. Daher sei er bereit, sein eigenes Urteil „g e g e n die Schale der Selbstliebe“ zu revidieren, wenn jemand anderes seine „Grnde widerlegt“. Denn: „Wo ich etwas antreffe, das mich belehrt, da eigne ich es mir zu.“ Und weiter: „Sonst betrachtete ich den allgemeinen menschlichen Verstand bloß aus dem Standpunkte des meinigen: jetzt setze ich mich in die Stelle einer fremden und ußeren Vernunft, und beobachte meine Urteile samt ihren geheimsten Anlssen aus dem Gesichtspunkte anderer.“ In einem Brief an Marcus Herz schreibt Kant fast deckungsgleich: „Ich hoffe immer dadurch daß ich meine Urtheile aus dem Standpunkte anderer unpartheyisch ansehe etwas drittes herauszubekommen was besser ist als mein vorigtes.“21 Und in einem weiteren Brief an Herz ist zu lesen, man msse versuchen, einen „Gegenstand immer auf andren Seiten zu erblicken und seinen Gesichtskreis von einer mikroscopischen Beobachtung zu einer allgemeinen Aussicht zu erweitern, damit man alle erdenkliche Standpunkte nehme, die wechselsweise einer das optische Urtheil des andern verificire“22. Wie genau hat man sich einen solchen Standpunktwechsel vorzustellen? Mit Sicherheit nicht als idealkommunikativen Abgleich verschiedener Meinungen, in dem am Ende gleichsam basisdemokratisch eine Art kleinster gemeinsamer Nenner gebildet wird. In Angelegenheiten der Vernunft kann es nicht um einen kleinsten gemeinsamen Nenner gehen, sondern, wie Kant ebenfalls in einem Brief an Herz schreibt, darum, „daß man knftig mit Sicherheit wissen kçnne, ob man auf dem Boden der Vernunft, oder der Vernnfteley sich befinde“23. Der Standpunktwechsel 19 20 21 22 23
Siehe dazu Kapitel 5 dieser Arbeit. Trume, Bd. 2, A 73, 74. Brief an Marcus Herz, 7. Juni 1771. In: Gesammelte Schriften, Bd. 10, S. 117. Brief an Marcus Herz, 21. Februar 1772. In: Gesammelte Schriften, Bd. 10, S. 127. Brief an Marcus Herz, 24. November 1776. In: Gesammelte Schriften, Bd. 10, S. 186.
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2. Die ffentlichkeit der theoretischen Vernunft
ist somit zu begreifen als ein Kontrollverfahren, das dazu aufruft, sich selbst aus einer quasi-unabhngigen Perspektive zu betrachten, letztendlich um herauszufinden, ob es auch wirklich der Boden der Vernunft ist, auf dem wir stehen. Ob dieses Verfahren aber ein çffentlicher Vorgang sein muss, darber kann es durchaus unterschiedliche Auffassungen geben. Wie anders, ließe sich zum einen sagen, soll ich mich dem Standpunkt der anderen çffnen, mich von ihren Argumenten berzeugen lassen als in einem Vorgang, der çffentlich ist? Gleichzeitig aber kçnnte man entgegnen: Kant fordert ausschließlich, sich in den Standpunkt der anderen zu versetzen, und ein solches Versetzen kann durchaus in aller Privatheit vollzogen werden. In der Tat finden sich gerade im Standpunktwechsel der Urteilskraft Hinweise, die fr einen derartigen nur fiktiven Dialog sprechen. Der Standpunktwechsel wre damit die Fhigkeit, ber sich selbst in der dritten Person zu urteilen, also seine eigenen Ansichten aus einer distanzierten, quasi-unparteiischen Perspektive zu betrachten. Im Detail werde ich auf dieses Problem im fnften Kapitel zurckkommen. Es sei aber schon jetzt gesagt: Selbst wenn der Standpunkwechsel nur privat in meinem Denken vor sich gehen sollte als quasi-unparteiische Betrachtung meiner Selbst, so ist er dennoch ein Vorgang, der als Bedingung der Mçglichkeit von theoretischer ffentlichkeit begriffen werden muss. In meiner wenngleich nur imaginierten Bezugnahme auf fremde Vernunft çffne ich meine Scheuklappen, ich schaffe ein Wissen, das sich am Wissen aller anderen orientiert, das also mit dem Ziel gebildet wird, der kollektiven Zustimmung soweit wie mçglich fhig zu sein. In diesem Sinne heißt es in Arendts Kant-Vorlesung, kritisches Denken mache, auch wenn es in Einsamkeit stattfinden sollte, durch die Einbildungskraft „die anderen gegenwrtig und bewegt sich damit in einem Raum, der potentiell çffentlich, nach allen Seiten offen ist“24.
2.2 Selbstkritik der Vernunft im Medium der ffentlichkeit Nimmt man den vorkritischen Kant beim Wort, so steht sein gesamtes kritisches Werk unter der Bedingung der çffentlichen Beglaubigung. Dass Kant diesem Anspruch in aller Form gerecht zu werden versucht, ja dass dieser Anspruch gar ein Leitmotiv seines kritischen Unterfangens ist, zeigt sich bereits am Titel Kritik der reinen Vernunft. 25 In der Kritik geht es 24 Arendt, Kants Politische Philosophie, S. 60. 25 Vgl. Blesenkemper, Publice age, S. 150 ff. u. a.
2.2 Selbstkritik der Vernunft im Medium der ffentlichkeit
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bekanntlich nicht darum, der Metaphysik ein grundstzliches Ende zu bereiten, was, darber war sich Kant im Klaren, eine illusorische Forderung gewesen wre, ist das Bedrfnis nach metaphysischer Letztbegrndung doch ein vernunftimmanentes Bedrfnis. Es geht darum, ihr ihre Grenzen aufzuzeigen, damit sie knftig als kritische Metaphysik verstanden werden kann.26 Kant sagt, das Problem der nicht-kritischen Metaphysik, wie sie bis zu ihm betrieben wurde, sei, dass ein jeder sie sich „nach seiner Art zuschneiden wird“27, da es keinen allgemeingltigen Maßstab gebe. Die Rede ist auch von der „Ermangelung eines çffentlichen Richtmaßes“. Ein solcher Zustand aber kçnne „keinem prfenden Kopfe ein Genge tun“. Die Kritik soll nach Kant bemngelte Lcke schließen – sie soll als allgemeine Prfung ein çffentliches Richtmaß zur Verfgung stellen. Kritik als ein solches çffentliches Richtmaß steht fr die dritte der vier zu Beginn dieses Kapitels erwhnten Ebenen der Verbindung von Vernunft und ffentlichkeit: die ffentlichkeit der Kritik als solcher. Im folgenden Abschnitt wird es um genau diese Ebene gehen. Kritik als çffentlicher Gerichtshof Die Kritik der reinen Vernunft ist nach dem Modell eines Gerichtsverfahrens konzipiert. In der Vorrede zur ersten Auflage schreibt Kant, es sei an der Zeit, sich nicht lnger mit „Scheinwissen“28 zufriedenzugeben. Bei diesem Scheinwissen handelt es sich um genau jenen Schein der dogmatischen Metaphysik, der oben in Zusammenhang mit den Trumen thematisiert wurde. Die Vernunft selbst msse daher einen „Gerichtshof“29 einsetzen, um ihr Inventarium „ans Licht“30 zu bringen. Vor dem Gerichtshof wird die Vernunft in einer Doppelrolle auftreten: Sie ist Gegenstand des Prozesses, also Angeklagter und Richter zugleich.31 Das Urteil 26 Vgl. Vorlnder, Karl: Immanuel Kant. Der Mann und das Werk. Bd. 1, Leipzig, 1924, S. 281. 27 Prolegomena, Bd. 5, A 193, 194. 28 KrV, Bd. 3, A XI, XII. 29 KrV, Bd. 3, A XI, XII. 30 KrV, Bd. 3, A XX, XXI. 31 Letztendlich hat die Vernunft sogar noch eine dritte Funktion: Sie ist Angeklagter, Richter und das Licht. Das Licht kann nmlich nichts anderes sein als das schon in den Trumen erwhnte Lichte der Beweistmer. Da die Beweistmer aber nur aus der Vernunft selbst kommen, muss sie es auch sein, die das Licht erzeugt bzw. das Licht ist.
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2. Die ffentlichkeit der theoretischen Vernunft
ber sich selbst, in dem „gerechten Ansprchen“ stattgegeben, „grundlose Anmaßungen“32 aber abgelehnt werden, wird die Vernunft „gnzlich aus sich selbst“33 hervorbringen, weshalb auch von der „Selbsterkenntnis“34 der Vernunft die Rede ist. Stellvertretend fr die Vernunft als Angeklagter und Richter zugleich wird Kant gewissermaßen als Reprsentant auftreten. Durch ihn, Immanuel Kant, kritisiert sich die Vernunft – durch ihn bringt sie ihr Inventarium ans Licht. Schon die Metapher ans Licht bringen zeigt, dass der Gerichtshof der Kritik ein çffentlicher Gerichtshof sein wird. Und genau diese ffentlichkeit der Beweisfhrung ist es auch, die Kant mit der Verfassung der Kritik als Rechtsprozess garantiert wissen will: Es wird ein çffentliches Forum zur Verfgung gestellt, vor dem – fr jedermann nachvollziehbar – ber die Vernunft gerichtet wird.35 Reinhard Brandt schreibt dazu, durch die Konzipierung der Kritik der reinen Vernunft als Rechtsverfahren zeige sich, „daß im Prinzip keine Erkenntnis monologisch mçglich ist, sie bedarf eines Forums, an das sie ihren Geltungsanspruch auf Wahrheit richten kann; dieses Forum ist die Institution des Gerichtshofes“36. Und weiter: „Damit sind Urteile ber die Mçglichkeit der menschlichen Erkenntnis keine solipsistischen Robinsonaden, die von Insel zu Insel verschieden sind oder sein kçnnen, sondern Ansprche vor einer verbindlichen menschheitlich-kosmopolitischen ffentlichkeit.“37 Das wird umso klarer, hlt man sich die enge Verbindung von Gerichtshofmetaphorik und dem Begriff der Kritik vor Augen: Kritik ist, wie es im Kant-Handbuch von Gerd Irrlitz heißt, das „çffentliche Urteil einer Schicht von Gebildeten gegenber herrschenden Ideen“38. In einer Fußnote der Vorrede zur ersten Auflage der KrV schreibt Kant, sein Zeitalter sei 32 33 34 35
KrV, Bd. 3, A XI, XII. KrV, Bd. 3, A XX, XXI. KrV, Bd. 3, A XI, XII. Fumiyasu Ishikawa setzt das Gerichtshofmodell in direkten Zusammenhang mit dem Standpunktwechsel: Vor dem Gerichtshof der Vernunft gehe es darum, einen „dritten Standort“ einzunehmen, um ber konkurrierende Positionen zu richten (Ishikawa, Fumiyasu: Kants Denken von einem Dritten. Das Gerichtshof-Modell und das unendliche Urteil in der Antinomienlehre. Frankfurt a. M., 1990, S. 13). 36 Brandt, Reinhard: Die Bestimmung des Menschen bei Kant. Hamburg, 2007, S. 272. 37 Brandt, Bestimmung des Menschen, S. 337. Diese Verlagerung weg von subjektiver Gewissheit hin zur Mitteilbarkeit an eine aufgeklrte ffentlichkeit ist nach Brandt ein Kennzeichen nicht nur Kants, sondern der Aufklrungsphilosophie im Allgemeinen (vgl. Brandt, Bestimmung des Menschen, S. 296). 38 Irrlitz, Gerd: Kant-Handbuch. Leben und Werk. Stuttgart, 2002, S. 152.
2.2 Selbstkritik der Vernunft im Medium der ffentlichkeit
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„das eigentliche Zeitalter der K r i t i k , der sich alles unterwerfen muß“ , auch die Religion, die sich „gemeiniglich derselben entziehen“ wolle; damit aber errege sie „gerechten Verdacht wider sich“ und kçnne „auf unverstellte Achtung nicht Anspruch machen, die die Vernunft nur demjenigen bewilligt, was ihre freie und çffentliche Prfung hat aushalten kçnnen“39. Axel Hutter schreibt dazu in seinem kurzen Aufsatz zum ffentlichkeitsbegriff bei Kant: „Die im Vernunftbegriff immer schon implizierte Vermittlung zur freien, çffentlichen Rechtfertigung wird somit bei Kant am Anfang seiner Vernunftkritik und vor dem politischen Hintergrund seines Zeitalters einmal ausdrcklich auf den Begriff gebracht, um fortan den geheimen systematischen Leitfaden seiner Vernunftphilosophie zu bilden.“40 Grundstzlich ist Hutter vollends zuzustimmen, allerdings mit zwei Einwnden: Erstens bringt Kant den Zusammenhang von Vernunft und çffentlicher Rechtfertigung nicht nur einmal zum Ausdruck, sondern, wie zu zeigen sein wird, gleich mehrfach, zweitens dient dieser Zusammenhang nicht als geheimer, sondern als offenkundiger Leitfaden der Kritik. Das wird sich mit aller Deutlichkeit in der Methodenlehre besttigen. Natrlich gilt ffentlichkeit dabei nicht nur als Rationalitt der ersten, sondern als Rationalitt aller Kritik. So heißt es auch in der Vorrede der KpV, nur eine „ausfhrliche Kritik“ kçnne „alle Mißdeutung“ beenden und die wahre praktische Vernunft „in ein helles Licht setzen“41. Wer also von der objektiven Gltigkeit von Freiheit, Gott oder einer unsterblichen Seele spreche, der solle seine Behauptungen „çffentlich zur Prfung und Hochschtzung darstellen“42. Einen solchen Beweis htten all jene, die derartige Behauptungen vertreten, bisher allerdings nicht erbracht – „vermutlich weil sie nicht kçnnen“. Spter heißt es in der KpV ganz im Sinne der Trume, die dogmatischen Metaphysiker htten ihre „Verschmitztheit“ dadurch bewiesen, dass sie einen „schwierigen Punkt“ wie die Absonderung von Raum und Zeit von den Dingen an sich (siehe 3.1 dieser Arbeit) „so weit wie mçglich, aus den Augen brachten, in der Hoffnung, daß, wenn sie davon gar nicht sprchen, auch wohl niemand leichtlich an ihn denken wrde“43. Wenn aber einer Wissenschaft geholfen werden soll, 39 KrV, Bd. 3, A XI, XII. 40 Hutter, Axel: Zum Begriff der ffentlichkeit bei Kant. In: Kants „Ethisches Gemeinwesen“. Die Religionsschrift zwischen Vernunftkritik und praktischer Philosophie. Hrsg. v. Michael Stdtler, Berlin, 2005, S. 141. 41 KpV, Bd. 7, A 11, 12. 42 KpV, Bd. 7, A 7, 8. 43 KpV, Bd. 7, A 184, 185.
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2. Die ffentlichkeit der theoretischen Vernunft
„so mssen alle Schwierigkeiten a u f g e d e c k e t und sogar diejenigen a u f g e s u c h t werden, die ihr noch so in geheim im Wege liegen“. Schriftsteller wrden sich „manche Irrtmer, manche verlorne Mhe (weil sie auf Blendwerk gestellt war) ersparen, wenn sie sich nur entschließen kçnnten, mit etwas mehr Offenheit zu Werke zu gehen“44. Die Begriffe Kritik und ffentlichkeit bedingen sich also gegenseitig: Es ist die kritische ffentlichkeit, vor deren Forum sich die Kritik vollzieht. Gleichzeitig aber muss das Kritisieren als ein Vorgang begriffen werden, der seinerseits ffentlichkeit konstituiert. Die Kritik war damit im 18. Jahrhundert ein treibendes Moment im Emporkommen brgerlicher ffentlichkeit. Peter Uwe Hohendahl schreibt: „Es ist der Prozeß der Kritik, der den emphatischen Begriff der modernen ffentlichkeit ins Leben ruft.“45 Insofern ist es nur konsequent, wenn Kant in der KrV neben der Vernunft als Richter in eigener Sache ausdrcklich einen weiteren Richter benennt: das Lesepublikum der Kritik. So heißt es in der Vorrede zur ersten Auflage: „Ob ich nun das, wozu ich mich anheischig mache, in diesem Stcke geleistet habe, das bleibt gnzlich dem Urteile des Lesers anheim gestellt, weil es dem Verfasser nur geziemet, Grnde vorzulegen, nicht aber, ber die Wirkung derselben bei seinen Richtern zu urteilen.“46 Und in der Vorrede zur zweiten Auflage schreibt Kant, ganz im Sinne der Trume, die Spekulation der dogmatischen Schulphilosophie habe niemals einen Beweis geliefert, der bis zum „Publikum“ gelangen konnte, was allerdings auch an der „Untauglichkeit des gemeinen Menschenverstandes zu so subtiler Spekulation“47 liege. Das allerdings sei keine Entschuldigung – die „arroganten Ansprche der Schulen“ seien nicht lnger zu tolerieren, da sie sich „gerne […] fr die alleinigen Kenner und Aufbewahrer solcher Wahrheiten mçchten halten lassen, von denen sie dem Publikum nur den Gebrauch mitteilen, den Schlssel derselben aber fr sich behalten“48. Wenn Kant im selben Atemzug betont, seine Kritik kçnne ebenfalls „niemals populr“ werden und habe das „auch nicht nçtig“, dann widerspricht er damit nicht seinen eigenen Prmissen. Die Begriffe populr und çffentlich sind nach Kant schlichtweg streng zu differenzieren. ffentlich ist, was einer kritischen, aufgeklrten ffentlichkeit vorgetragen wird, und 44 45 46 47 48
KpV, Bd. 7, A 192, 193. Hohendahl, ffentlichkeit, S. 19. KrV, Bd. 3, A XV, XVI. KrV, Bd. 3, B XXXII, XXXIII. KrV, Bd. 3, B XXXIV, XXXV.
2.2 Selbstkritik der Vernunft im Medium der ffentlichkeit
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diese ffentlichkeit scheut Kant keineswegs; populr hingegen ist gleichzusetzen mit Oberflchlichkeit, mit der „geschwtzigen Seichtigkeit“49 der Masse. So schreibt Kant in der Vorrede zur Metaphysik der Sitten ber den als Populrphilosophen geltenden Christian Garve, der als Mitverfasser der Rezension der ersten Kritik in den Gçttingischen Gelehrten Anzeigen Kants Unmut auf sich gezogen hatte50, dieser habe mehrfach mit Recht gefordert, „eine jede philosophische Lehre msse, wenn der Lehrer nicht selbst in den Verdacht der Dunkelheit seiner Begriffe kommen soll – zur P o p u l a r i t t (einer zur allgemeinen Mitteilung hinreichenden Versinnlichung) gebracht werden kçnnen“51. Dieses Recht wolle er, Kant, zwar gerne einrumen, „nur mit Ausnahme des Systems einer Kritik des Vernunftvermçgens selbst“, welches aufgrund der Komplexitt seiner Materie niemals populr werden kçnne. Kants Abgrenzung von der Popularitt ist von grçßter Wichtigkeit, wird mit ihr doch zum Ausdruck gebracht, dass nicht alles, was mit dem Anspruch der ffentlichkeit auftritt, durch diese ffentlichkeit gleich einen Wert erhlt. Es reicht eben nicht, die Dinge einfach nur auszusprechen – die ausgesprochenen Argumente mssen schon einleuchten. ffentlichkeit allein ist also keine hinreichende Bedingung fr die Legitimitt einer Feststellung. Es ist die Begrndung, auf die es ankommt. Genau diese Begrndung aber muss allgemein zugnglich und jedermann verstndlich sein, demnach çffentlich mitgeteilt, ja çffentlich debattiert werden kçnnen, soll sie denn berzeugen. Die Methodenlehre und die Freiheit der Vernunft zur çffentlichen Selbstkritik Wie sehr die Kantische Vernunft auf die Funktion der ffentlichkeit angewiesen ist, ja dass sie gar existentiell von ihr abhngt, konkretisiert Kant in der Methodenlehre der ersten Kritik. Die Elementarlehre, um Kants Bild zu gebrauchen, berschlgt das Bauzeug, die Methodenlehre entwirft den Plan des zu bauenden Gebudes.52 Nun kann wohl ohne zu bertreiben gesagt werden, dass die Methodenlehre in der Kant-Interpretation bis heute ein Schattendasein fhrt, ein Dasein nmlich im Schatten der Deutung der 49 50 51 52
KrV, Bd. 3, B XXXVI. Vgl. Prolegomena, Bd. 5, A 202, 203. MSR, Bd. 8, AB V, VI. Vgl. KrV, Bd. 4, B 735, 736.
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2. Die ffentlichkeit der theoretischen Vernunft
Elementarlehre. Was durchaus bedauernswert ist. Denn wre der Methodenlehre grçßere Beachtung zuteil geworden, htten sich zahlreiche Missverstndnisse in der Rezeption der reinen Vernunft vermeiden lassen. Volker Gerhardt schreibt in seinem Beitrag zu der von Georg Mohr und Marcus Willaschek herausgegebenen Gesamtinterpretation der reinen Vernunft: „Das Bild von einer sich selbst gengenden […] Vernunft htte eigentlich gar nicht entstehen kçnnen.“53 Was fr ein Bild der Vernunft also entsteht in der Methodenlehre? Aufschluss gibt hier die Disziplin der Methodenlehre. Die Disziplin versteht Kant als „Selbstprfung“54 der Vernunft, um diese vor den durch sie selbst geschaffenen Irrtmern zu bewahren.55 Dieser Selbstprfung bzw. Selbstbehauptung liegt jene Prmisse zugrunde, die Kant als Freiheit der Vernunft bezeichnet: „Die Vernunft muß sich in allen ihren Unternehmungen der Kritik unterwerfen, und kann der Freiheit derselben durch kein Verbot Abbruch tun, ohne sich selbst zu schaden und einen ihr nachteiligen Verdacht auf sich zu ziehen.“56 Diese Freiheit sei unanfechtbar, auf ihr „beruht sogar die Existenz der Vernunft“57. Wird der Vernunft, sei es von der Vernunft selbst, sei es von politischer Seite, das Recht genommen, sich aus freien Stcken zu kritisieren, und zwar çffentlich zu kritisieren – Kant bezeichnet die Selbstkritik auch als „Ausspruch“58 –, wird ihr gleichsam ihre Existenz genommen! In seiner kurzen Schrift Im Denken orientieren spezifiziert Kant diese existentielle Angewiesenheit auf Ausspruch: „Zwar sagt man: die Freiheit zu s p r e c h e n , oder zu s c h r e i b e n , kçnne uns zwar durch obere Gewalt, aber die Freiheit zu d e n k e n durch sie gar nicht genommen werden. Allein, wie viel und mit welcher Richtigkeit wrden wir wohl d e n k e n , wenn wir nicht gleichsam in Gemeinschaft mit anderen, denen wir unsere und die uns ihre Gedanken m i t t e i l e n , dchten! Also kann man wohl sagen, daß diejenige ußere Gewalt, welche die Freiheit, seine Gedanken 53 Gerhardt, Volker: Die Disziplin der reinen Vernunft, 2. bis 4. Abschnitt. In: Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft. Hrsg. v. Georg Mohr u. Marcus Willaschek, Berlin, 1998, S. 572. 54 KrV, Bd. 4, B 740. 55 Kant definiert Disziplin u. a. als „Z w a n g , wodurch der bestndige Hang, von gewissen Regeln abzuweichen, eingeschrnkt, und endlich vertilget wird“ (KrV, Bd. 4, B 737). Wohin dieser Hang fhrt, ist bekannt: zu einer dogmatischen Metaphysik. 56 KrV, Bd. 4, B 766. 57 KrV, Bd. 4, B 767, 768. 58 KrV, Bd. 4, A 767, 768.
2.2 Selbstkritik der Vernunft im Medium der ffentlichkeit
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çffentlich m i t z u t e i l e n , den Menschen entreißt, ihnen auch die Freiheit zu d e n k e n nehme“.59 Nimmt man dem Menschen die Freiheit, çffentlich zu denken, nimmt man ihm die Freiheit zu denken – hier wird in einem einzigen Satz aller Solipsismusvorwurf gegen Kant im Keime erstickt. Kant war, wie Arendt sagt, zutiefst davon berzeugt, „daß das Denkvermçgen selbst von seinem çffentlichen Gebrauche abhngig ist“60. Es ist also nicht nur der „Naturberuf der Menschheit, sich, vornehmlich in dem, was den Menschen berhaupt angeht, einander mitzuteilen“61, wir wollen uns nicht einfach nur çffentlich mitteilen – wir mssen uns çffentlich mitteilen, denn, wie Karl Jaspers ber Kant schreibt: „Vernunft erstickt ohne die Luft der Kommunikation.“62 Die Freiheit der çffentlichen Mitteilung ist die „Bedingung der Freiheit des Denkens selbst. Ohne Mitteilung bleibt das Denken in der Enge des Einzelnen und in der Irre des Subjektiven.“63 Nur vor diesem epistemischen Hintergrund wird wirklich klar, was Kant eigentlich meint, wenn er in den Reflexionen zur Anthropologie schreibt: „Die Vernunft ist nicht dazu gemacht, daß sie sich isolire, sondern in Gemeinschaft setze.“64 Doch zurck zur Methodenlehre. Kant legt grçßten Wert auf die Feststellung, die Vernunft habe in ihrer çffentlichen Selbstkritik „kein diktatorisches Ansehen“; besagter Ausspruch sei vielmehr „nichts als die Einstimmung freier Brger“, so dass „jeglicher seine Bedenklichkeiten, ja sogar sein Veto, ohne Zurckhaltung muß ußern kçnnen“65, denn in der allgemeinen Menschenvernunft hat „ein jeder seine Stimme“66. Kants Rede von der Einstimmung freier Brger zeigt zweierlei: Zum einen wird, wie Gerhardt schreibt, ein letztendlich selbstverstndlicher, erst im Zuge der romantischen Kritik in Frage gestellter Sachverhalt betont, die Tatsache nmlich, „daß die Vernunft vom Selbstbewußtsein eigenstndiger 59 Im Denken orientieren, Bd. 5, A 325, 326. In genau diesem Zusammenhang drften auch Kants Ausfhrungen zur Angewiesenheit eines jeden Philosophen auf Tischgesellschaft stehen. „A l l e i n zu essen (solipsismus convictorii)“, schreibt Kant in der Anthropologie, sei „fr einen p h i l o s o p h i e r e n d e n Gelehrten ungesund“ (Anthropologie, Bd. 12, B 247, 248). 60 Arendt, Kants Politische Philosophie, S. 56. 61 Gemeinspruch, Bd. 11, A 268, 269. 62 Jaspers, Karl: Drei Grnder des Philosophierens. Plato, Augustin, Kant. Mnchen, 1957, S. 350. 63 Jaspers, Grnder des Philosophierens, S. 351. 64 Reflexionen zur Anthropologie. In: Gesammelte Schriften, Bd. 15, S. 392 (897). 65 KrV, Bd. 4, B 767, 768. 66 KrV, Bd. 4, B 780, 781.
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2. Die ffentlichkeit der theoretischen Vernunft
Individuen nicht abgetrennt werden kann“67. Es sind Individuen, die die Selbstbehauptung der Vernunft als Streit der Theorien „jeweils unter Berufung auf ihre eigene Einsicht“68 im çffentlichen Disput austragen. Zweitens: Die Selbstkritik der Vernunft ist plurale, demokratische Kritik. Jeder darf sich ußern, jeder darf seine Einsichten zur Vernunft an die ffentlichkeit tragen, ja gar ein Veto aussprechen. Wenn Reinhard Brandt also sagt, die „politischen Implikationen“69 der ersten Kritik seien in der Methodenlehre nicht zu bersehen, so ist das wohl zu vorsichtig formuliert. Nicht mit einer politischen Implikation haben wir es zu tun, sondern mit einem per se politischen Sachverhalt, nmlich der Demokratisierung der Vernunft. Bei Platon verfgen nur die wenigen Weisen ber theoretische Einsicht.70 Kant geht zwar auch davon aus, dass der gemeine Leser seine Kritik nicht verstehen wird71, er setzt sich aber, wie Hçffe feststellt, ber die platonische „Aristokratie des Geistes“72 hinweg: In Vernunftangelegenheiten darf, nein, soll jedermann seine Stimme erheben. Die Kantische Vernunft ist, wenn man so will, an sich selbst politische Vernunft. Michael Bçsch spricht in diesem Sinne von einem Zusammenhang zwischen „Vernunftkritik und Kosmopolitismus“73. Kant betonte im Ausgang der ersten Kritik „die kommunikative Dimension menschheitlicher Selbstverstndigung“. Der „çffentlich-kritische Vernunftgebrauch“ werde bei Kant „zur unabdingbaren Voraussetzung philosophischer Argumentation“. Mit der Rede von der Freiheit der Vernunft, deren Ausspruch die Einstimmung freier Brger ist, befinden wir uns im Zentrum von Kants Verstndnis der theoretischen Vernunft als çffentlicher Vernunft. Eine subjektivistische, monologische Vernunft bedarf nicht des Rechts der freien Selbstkritik, sie kann verzichten auf den Ausspruch freier Brger. Eine 67 Gerhardt, Die Disziplin der reinen Vernunft, S. 578. 68 Gerhardt, Die Disziplin der reinen Vernunft, S. 579. 69 Brandt, Zu Kants politischer Philosophie, S. 15. In Die Bestimmung des Menschen arbeitet Brandt die Verbindung von Politik und theoretischer Vernunft dann ausdrcklich heraus (vgl. Brandt, Bestimmung des Menschen, S. 338). 70 Popper, der Platon grundstzlich folgt, kritisiert das Konzept der Philosophenkçnige daher aufs Schrfste; Platons Staat sei ein Klassenstaat mit totalitren Zgen (Popper, Karl: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Bd. 1: Der Zauber Platons. Mnchen, 41975, S. 126 ff.). 71 Vgl. KrV, Bd. 3, B XXXIV, XXXV. 72 Hçffe, Otfried: Vier Kapitel einer Wirkungsgeschichte der Politeia. In: Platon. Politeia. Hrsg. v. Otfried Hçffe, Berlin, 1997, S. 352. 73 Bçsch, Michael: Globale Vernunft. Zum Kosmopolitismus der Kantischen Vernunftkritik. In: Kant-Studien, 98, 2007, S. 480.
2.3 Exkurs: Demokratische oder despotische Vernunft?
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Vernunft hingegen, die an diesen Ausspruch gebunden wird, ist eine Vernunft jenseits aller Selbstgengsamkeit, sie ist eine Vernunft, die das Ich nicht isoliert, sondern integriert. Gerhardt schreibt: „Der Einzelne wird also durch seine eigene Vernunft in die ffentlichkeit gezogen, denn nur in ihr kann die von ihm selbst verlangte Prfung seiner eigenen Fragen stattfinden.“74 Das gezogen kçnnte man auch durch ein gebildet ersetzen: Indem der Einzelne Gebrauch macht von seiner an das Prinzip der çffentlichen Prfung – im Sinne des ersten Bedeutungsfeldes: ffentlichkeit als Prinzip – gebundenen Vernunft, wird er nicht nur in die ffentlichkeit gezogen, es wird durch seinen Vernunftgebrauch die theoretische ffentlichkeit berhaupt erst gebildet. 75 Diese ffentlichkeit, darauf wird hier grçßten Wert gelegt, ist immer auch als empirische ffentlichkeit zu begreifen. Reine Einsichten aus reiner Vernunft werden natrlich jenseits aller Empirie getroffen – sie mssen aber in der empirischen Welt begrndet werden kçnnen. Kurz: Der Ausspruch freier Brger mag mit transzendentalen Argumenten gefhrt werden, der Ausspruch selbst aber ist kein rein transzendentaler Vorgang. Oder handelt es sich bei der Gemeinschaft jener ber die reine Vernunft debattierenden Individuen etwa um eine wie auch immer geartete Vereinigung reiner Ichs? Ausfhrlich wird auf diesen Zusammenhang von transzendentaler und empirischer Sphre im nchsten Abschnitt eingegangen.
2.3 Exkurs: Demokratische oder despotische Vernunft? Die Freiheit der Vernunft fhrt zu einer nicht unwesentlichen Schwierigkeit, der Schwierigkeit nmlich, um wessen Freiheit es am Ende eigentlich geht: die Freiheit der Vernunft oder die Freiheit der Individuen? Blesenkemper schreibt dazu nicht ohne kritischen Unterton: „Fordern die Liberalisten, von den als selbstverstndlich behaupteten Freiheitsrechten des einzelnen ausgehend, die ffentlichkeit als Rechtsstaat und çffentlichen Vernunftgebrauch mit dem Ziel der Freiheitssicherung des einzelnen, so geht Kant von dem als unproblematisch behaupteten Lebensrecht d e r Vernunft aus und fordert die Freiheit der Gemeinschaftsbildung der
74 Gerhardt, Die Disziplin der reinen Vernunft, S. 580. 75 Siehe dazu auch 2.6.
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2. Die ffentlichkeit der theoretischen Vernunft
Vernnftigen mit dem Ziel der Existenzsicherung und Herrschaft der Vernunft.“76 Nun hat Blesenkemper mit seiner Feststellung de facto Recht – Kant geht in seinem Begrndungsmuster, wie gezeigt, von der Vernunft aus. Die Frage ist nur, inwieweit es ein Problem darstellt, wenn ein formales Prinzip und dessen Selbsterhaltung als politisches Legitimations- bzw. Begrndungsmodell dienen. Meine Antwort lautet: Das hngt ganz davon ab, mit was fr einer Vernunft wir es zu tun haben. Armin Adam meint, die Gesetze der Kantischen praktischen Vernunft „begrnden denselben Absolutismus wie der von Furcht getriebene çkonomische Rationalismus eines Thomas Hobbes“77. Der Mensch, „das freiheitliche Wesen“, werde durch das Prinzip der Vernunft unbedingt verpflichtet, und „gegen diese Verpflichtung ist kein Widerspruch mçglich“78. Unter dieser Voraussetzung wre die Vernunft als Begrndungsmodell zweifelsohne hçchst problematisch. Kann aber erstens gezeigt werden, dass Kants Vernunft eben nicht despotisch ist, sondern demokratisch – was oben bereits zu zeigen versucht wurde –, und kann zweitens gezeigt werden, dass sie zwar ein intelligibles Prinzip ist, sich dieses Prinzip aber immanent auf den Menschen in seiner Gesamtheit, in seiner rationalen wie empirischen Natur, bezieht, dann erscheint es zumindest weniger problematisch, von der Vernunft als oberstem Begrndungsmuster auszugehen. Freiheit der reinen Vernunft als Freiheit reiner und empirischer Individuen Zunchst zum zweiten Aspekt: Die Leistungen der Vernunft sind Leistungen freier Brger, also freier Individuen, heißt es in der Methodenlehre. Hat die Vernunft mit diesen Leistungen aber auch einen Bezug zur empirischen Seite des Individuums oder nur zur transzendentalen? Zima sagt, und zahlreiche Kant-Interpreten stimmen mit ihm berein, das vernunftgeleitete Ich bei Kant werde von seinen „empirischen“, ja gar von seinen „natrlichen Komponenten abgeschnitten“79. Habermas schreibt in Der philosophische Diskurs der Moderne nicht konkret in Bezug auf Kant, 76 Blesenkemper, Publice age, S. 199. 77 Adam, Armin: Despotie der Vernunft? Hobbes, Rousseau, Kant, Hegel. Freiburg/ Mnchen, 1999, S. 202. 78 Adam, Despotie der Vernunft, S. 144. 79 Zima, Theorie des Subjekts, S. 102.
2.3 Exkurs: Demokratische oder despotische Vernunft?
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sondern auf die transzendentale Bewusstseinsphilosophie im Allgemeinen: „Zwischen der extramundanen Stellung des transzendentalen und der innerweltlichen des empirischen Ich ist eine Vermittlung nicht mçglich.“80 Ein gegenseitiger Bezug von transzendentaler und empirischer Natur des Menschen wird also von prominenter Seite bestritten – allerdings zu Unrecht. Denn der Vorwurf, Kants Philosophie fehle die Bindung an die empirische Welt, ist genauso alt wie falsch. In theoretischer Hinsicht zeigt sich das alleine daran, dass Kant auf die Sinnlichkeit als einen der beiden Stmme der menschlichen Erkenntnis grçßten Wert legt, auf den Punkt gebracht in seiner berhmten Formel, wonach Gedanken ohne Inhalt leer und Anschauungen ohne Begriffe blind sind.81 Kant nennt sogar ein eigenes Vermçgen, das durch die Schemata zwischen Sinnlichkeit und Verstand vermitteln soll, nmlich die transzendentale Urteilskraft, wie sie in der Analytik der Grundstze der KrV dargestellt wird. Die Behauptung, eine Vermittlung zwischen transzendentaler und empirischer Seite des Individuums finde nicht statt, trifft also schlichtweg nicht zu. Es gibt sogar Hinweise, dass das Kantische Ich denke berhaupt erst durch die Anwendung dieses Ichs samt seiner apriorischen Strukturen auf das Mannigfaltige der Sinnlichkeit wirklich greifbar wird. Auf diesen Aspekt hat bereits Klemme in seiner Analyse von Kants Begriff des Selbstbewusstseins hingewiesen.82 Nach Klemmes Lesart ist das Ich denke unmittelbar abhngig von konkreter Anschauung des Mannigfaltigen der empirischen Welt.83 Auch in der praktischen Philosophie mssen intelligibles und empirisches Ich als zwei Aspekte des einen menschlichen Individuums verstanden werden, die berhaupt nur dann wirklichen Sinn haben, wenn man sie in ihrem gegenseitigen Bezug betrachtet.84 In der Kantischen Ethik geht es darum, das Handeln des Menschen durch reine Vernunfteinsicht zu steuern. Damit aber wird gerade eine Verbindung beider Ebenen zum Ausdruck gebracht: Erstens wird eine Vernunftsteuerung berhaupt erst notwendig durch die Tatsache, dass wir Menschen sind und keine Gçtter, sich unsere Natur also dadurch auszeichnet, fehlbar zu sein, da unsere Sinnlichkeit in Streit mit unserer Vernunft geraten kann. Zweitens ist es Sinn und Zweck dieser 80 81 82 83 84
Habermas, Diskurs der Moderne, S. 347. Vgl. KrV, Bd. 3, B 76, 77. Vgl. Klemme, Philosophie des Subjekts, S. 385. Siehe dazu auch Kap. 3, Anmerkung 109. Vgl. Gerhardt, Vernunft und Leben, S. 204 ff.
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2. Die ffentlichkeit der theoretischen Vernunft
Steuerung, moralische Grundstze zwar apriorisch, in Abstraktion von den Zuflligkeiten der Erfahrung zu bestimmen, da es sonst eben keine notwendigen Grundstze wren, sie allerdings, sind sie einmal abgeleitet, selbstverstndlich auf unsere empirische Welt zu beziehen.85 In der Einleitung zur MSR heißt es, „eine Metaphysik der Sitten kann nicht auf Anthropologie gegrndet, aber doch auf sie angewandt werden“86. Und in der GMS ist zu lesen: Alle Moral, „die zu ihrer A n w e n d u n g auf Menschen der Anthropologie bedarf“, msse „zuerst unabhngig von dieser als reine Philosophie“87 betrachtet werden. Hçffe schreibt daher, man kçnne den Gedanken des kategorischen Imperativs „sogar aus der Erfahrung gewinnen, allerdings kann ihn die Erfahrung nicht legitimieren“88. Ein bis heute weit verbreitetes Missverstndnis besteht dabei in der Annahme, das Kantische Individuum msse in der Bestimmung seines Handelns durch genannte reine Vernunftgrundstze seine Glckseligkeit vollstndig unterdrcken, will es ein moralisches Individuum sein. Aber genau das ist nicht der Fall. In der Friedensschrift schreibt Kant im Kontext des bejahenden Prinzips der Publizitt, Aufgabe der Politik sei es, mit „dem allgemeinen Zweck des Publikums (der Glckseligkeit)“89 zusammenzustimmen. Ziel der durch Vernunftprinzipien geleiteten Politik ist die Glckseligkeit der Menschen! Hier zeigt sich, wie Gerhardt sagt, eindrucksvoll, „daß alle Begriffe – sei es des Verstandes oder der Vernunft, sei es im theoretischen oder im praktischen Gebrauch – Bedeutung nur durch ihre Beziehung auf sinnlichkonkrete Tatbestnde erlangen“90. Heißt es im Gemeinspruch nicht, dass das Prinzip der Glckseligkeit im Staat nur Bçses anrichte, dass es aus Souvernen Despoten und aus Brgern Rebellen mache?91 Heißt es nicht, Glckseligkeit kçnne „gar kein allgemein gltiger Grundsatz fr Gesetze“92 sein? Glckseligkeit kann natrlich nicht als Grundsatz fr Gesetze dienen. Aber die Befolgung reiner Grundstze kann sehr wohl der Glckseligkeit dienen! „Der denkende 85 86 87 88 89 90 91 92
Vgl. MSR, Bd. 8, AB 11 f. MSR, Bd. 8, AB 12. GMS, Bd. 7, BA 35, 36. Hçffe, Otfried: Politische Gerechtigkeit. Grundlegung einer kritischen Philosophie von Recht und Staat. Frankfurt a. M., 1987, S. 78. Frieden, Bd. 11, B 110, 111. Gerhardt, Zum ewigen Frieden, S. 208. Vgl. Gemeinspruch, Bd. 11, A 261, 262. Gemeinspruch, Bd. 11, A 251, 252.
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Mensch nmlich, wenn er ber die Anreize zum Laster gesiegt hat und seine, oft saure, Pflicht getan zu haben sich bewußt ist, findet sich in einem Zustande der Seelenruhe und Zufriedenheit, den man gar wohl Glckseligkeit nennen kann“93, schreibt Kant in der Vorrede zur MST. Den vermutlich zentralen Beweggrund fr die Kantische Abtrennung des Glckseligkeitsbegriffs von der Bestimmung der Sittlichkeit hat Georg Simmel herausgestellt: Glck – aber genauso Leid! – als zufllige Bestimmungen des Individuums kçnnen fr Kant niemals Grundlagen der Sittlichkeit sein.94 Das aber, so Simmel, heiße nicht, dass es das „Los des Edlen sei, auf Glck zu verzichten, als ob Glck nie anders als um den Preis der Unsittlichkeit zu erreichen sei“95. Die Souvernitt des Sittlichen wrde nmlich auch dann erschttert, wenn sie notwendig in Entsagung mnden msste. Sassenbach hat darauf hingewiesen, dass es Kant auch in seinem Politikbegriff darauf ankommt, die empirische Politik als Staatskunst und die von der reinen praktischen Vernunft an sie herangetragenen Maßstbe miteinander zu verbinden.96 Kant spricht diese Verbindung ausdrcklich an, unter anderem in ber ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lgen. Wie bereits im ersten Kapitel gezeigt, fragt er sich dort, wie man „von einer M e t a p h y s i k des Rechts (welche von allen Erfahrungsbedingungen abstrahiert) zu einem Grundsatze der P o l i t i k (welcher diese Begriffe auf Erfahrungsflle anwendet)“97 kommen kçnne. Fr Recht und Politik gilt demnach genau das, was oben auch schon ber die Moral gesagt wurde: Allgemeine Grundstze mssen rein bestimmt, dann aber selbstverstndlich auf die empirische Welt angewendet werden.98 93 MST, Bd. 8, A VII, VIII. 94 Vgl. Simmel, Georg: Die Lehre Kants von Pflicht und Glck (1903). In: Georg Simmel: Gesamtausgabe. Bd. 7: Aufstze und Abhandlungen 1901 – 1908. Hrsg. v. Otthein Rammstedt, Frankfurt a. M., 1995, S. 249 f. 95 Simmel, Pflicht und Glck, S. 252. 96 Vgl. Sassenbach, Begriff des Politischen, S. 20 u. a. 97 Aus Menschenliebe lgen, Bd. 8, A 311, 312. 98 Es finden sich allerdings bis heute Lesarten, die selbst in den politischen Schriften Kants ein ausschließlich transzendentales Ich und folglich auch eine ausschließlich transzendentale Gemeinschaft ausmachen wollen. Exemplarisch fr dieses Missverstndnis ist der Beitrag von Kevin R. Davis (Davis, Kevin R.: Kant’s Different „Publics“ and the Justice of Publicity. In: Kant-Studien, 83, 1992, S. 170 – 184). Ausgehend vom Publizittsprinzip der Friedensschrift fragt sich Davis, welche konkrete ffentlichkeit die in den beiden Publizittsprinzipien skizzierte Kontrollfunktion der Politik bernehmen kann. Davis kommt zu der berzeugung, es kçnne sich hierbei ausschließlich um eine nicht-empirische ffentlichkeit han-
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2. Die ffentlichkeit der theoretischen Vernunft
Vor diesem Hintergrund drfte es bereits wesentlich weniger problematisch erscheinen, die Selbstbestimmung eines Einzelnen sowie die Selbstbestimmung eines ganzen Volkes, also Aufklrung in ihrem individuellen wie çffentlichen Bezug, ausschließlich aus einem formalen Prinzip zu begrnden. Vernunft ist immer die Vernunft von Individuen – und sie bezieht sich sowohl auf den transzendentalen als auch auf den empirischen Teil dieser Individuen, also auf den Menschen in seiner Gesamtheit. Die Rede von der Freiheit der Vernunft ist damit kein Gegensatz zur Freiheit der Individuen, sondern schließt diese unmittelbar mit ein. Freie Einstimmung vs. fr jedermann gebietende Vernunft Damit bliebe der erste der beiden oben genannten Aspekte – die Frage nach der Despotie der Vernunft. Dass Kant Vernunft gerade nicht als despotisch versteht, sondern als demokratisch, wurde anhand der Methodenlehre bereits zu zeigen versucht: Jeder hat in der Vernunft eine Stimme, ja jeder kann ein Veto formulieren. Und trotzdem bewegt sich Kant in seinem deln. „It is to correct the prevalent and mistaken view that with his use of ’public’, Kant refers to the same group which we today commonly refer to as the public“ (Davis, Kant’s Different Publics, S. 171). Kant ziele nicht ab auf eine „actual public of empirical people“, da diese zu einem „a priori judgement on the justice of actions“ gar nicht in der Lage sei, sondern ausschließlich auf eine „completely rational public“, die eine „ideal group of people“ darstelle. Und weiter: „This public is ideal in that it is thought necessarily to be rational, to uniformly oppose unjust action, and to have the power to prevent actions which it deems to be unjust. Obviously no empirical public can be thought necessarily to have the power to prevent actions which violate the right of humanity“ (Davis, Kant’s Different Publics, S. 181). Ein Beispiel von Davis: Die ffentlichkeit der „scholars“ kçnne die gesuchte Kontrollfunktion nicht erfllen – sie umfasse „still an actual group of persons“ (Davis, Kant’s Different Publics, S. 176). Davis entwickelt hier eine Sichtweise, die dem kantischen Verstndnis von ffentlichkeit vçllig zuwiderluft. Erstens: Kant spricht in seiner Skizzierung des Publizittsprinzips vom Zweck des Publikums – nicht vom Zweck einer transzendental-elitren Monadenschaft. Zweitens: Selbst wenn man mit Davis davon ausgeht, nicht jedermann sei tatschlich dazu in der Lage, ein politisch distinguiertes Urteil zu fllen, so greift dessen Verstndnis von idealer und empirischer ffentlichkeit trotzdem vollkommen fehl. Die rationale und damit ideale ffentlichkeit soll sich in ihrem Urteil zwar nicht von empirischen Interessen leiten lassen – sie selbst aber ist selbstverstndlich eine „actual group of persons“. Oder, anders gesagt: Selbstverstndlich sind wir als leibliche Individuen dazu in der Lage, ein apriorisches Urteil zu fllen.
2.3 Exkurs: Demokratische oder despotische Vernunft?
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Vernunftbegriff – mit Tugendhat kçnnte man sagen: mit seiner „fettgedruckt“99 verstandenen Vernunft – auf einem zweifelsohne schmalen Grat: Veto und freie Einstimmung auf der einen, Absolutheitsanspruch der Vernunft auf der anderen Seite. Kant sagt ausdrcklich, die Vernunft kçnne „fr jedermann gltig gebieten“100. Wie lsst sich diese fr jedermann gebietende Vernunft verbinden mit einer Vernunft, in der man seinen Standpunkt wechseln soll? Wozu Orientierung an fremder Vernunft, wozu Veto und freie Einstimmung freier Brger, wenn die Vernunft gebietet? Wir haben es hier letztendlich mit einer der großen Schwierigkeiten der Aufklrung zu tun. Im Versuch ihrer Auflçsung – sofern eine Auflçsung berhaupt mçglich sein sollte – sind, was in der Natur der Sache liegt, zwei Wege denkbar. Zum einen kann man mit Kant gegen Kant argumentieren, freie Einstimmung und gebietende Vernunft seien in der Tat nicht vereinbar. In der Einleitung der ersten Kritik heißt es, wie gezeigt, die Vernunft bringe ihre Wahrheit selbst ans Licht. Sollte dem aber tatschlich so sein, dann heißt das: Wir mssen ganz einfach der Vernunft in uns folgen, nichts als der Vernunft, und wir werden die Wahrheit ber sie herausfinden. Wenn die Leute, sagt Kant, „Talent, wenn sie tiefe und neue Nachforschung, mit einem Worte, wenn sie nur Vernunft zeigen, so gewinnt jederzeit die Vernunft“101. Damit wird aber nicht nur die Rede vom Standpunktwechsel, von der Orientierung an fremder Vernunft ad absurdum gefhrt, damit wird vor allem auch jeglicher Widerspruch gegen die Ergebnisse der Kantischen Kritik im Keime erstickt. Es sind ja, zumindest nach Meinung von Kant, nicht seine, Kants, Ergebnisse, die in der KrV prsentiert werden, sondern Ergebnisse der sich selbst kritisierenden Vernunft, also Ergebnisse, denen jedermann qua Vernunft notwendigerweise wird zustimmen mssen. Hat die Vernunft einmal ihre Wahrheit ans Licht gebracht, gibt es daran nichts mehr zu rtteln – sie gebietet fr uns alle, auch gegen unser Veto. Reinhard Brandt schreibt in genau diesem Sinne, „die kritische Philosophie immunisiert sich gegen mçgliche Einwnde, indem sie sich als einzig mçgliche Synthesis von dogmatischer Thesis und negierender Antithesis darstellt“102. Wenn Kant also davon spricht, nur der Leser kçnne ein Urteil ber sein Werk fllen, anhand dessen er, Kant, seine eigene Position revidieren kçnnte, kann dieses Urteil sich eigentlich nur noch auf die Frage beziehen, ob Kant seine Stellvertreter99 100 101 102
Tugendhat, Ernst: Vorlesungen ber Ethik. Frankfurt a. M., 1993, S. 70. Im Denken orientieren, Bd. 5, A 327. KrV, Bd. 4, B 774, 775. Brandt, Bestimmung des Menschen, S. 41.
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2. Die ffentlichkeit der theoretischen Vernunft
funktion korrekt ausgefhrt hat, also die Vernunft ganz in ihrem Sinne reprsentiert hat – was sich in der zweiten Lesart als ganz entscheidender Aspekt herausstellen wird. Nach dieser zweiten Lesart lassen sich freie Einstimmung sowie Standpunktwechsel und die fr jedermann gleichermaßen gebietende Vernunft nmlich bestens miteinander vereinen. Im Standpunktwechsel soll ich, wie gesagt, meine eigene Perspektive aus der Perspektive anderer beurteilen, um mein Urteil aus einem unparteiischen Standpunkt berdenken zu kçnnen. Ergebnis dieses Standpunkwechsels, auch das wurde bereits gesagt, ist aber kein Minimalkonsens, sondern erklrtes Ziel, Platz zu nehmen auf dem Boden der Vernunft. Nichts anderes leistet die Kritik: In ihr soll die Wahrheit der Vernunft ans Licht gebracht werden, so, dass sie fr jedermann einsehbar ist. Insofern ist Kritik vergleichbar mit Standpunktwechsel, oder, besser gesagt, Standpunktwechsel die Methode der Kritik. Blesenkemper sagt in diesem Sinne, Kant vollziehe, schon indem er sich die Frage stellt, ob Metaphysik berhaupt mçglich sei, indem er also alles bisher Geschehene als ungeschehen ansehe, einen Standpunkwechsel. Der eigentlich als kopernikanische Wende bezeichnete zweite Schritt, die Feststellung, die Gegenstnde mssten sich nach unseren Erkenntnissen richten, sei dem ersten „negativen Schritt“ nachgeordnet „und mag insofern als weniger revolutionr angesehen werden“103. Damit allerdings bliebe weiterhin ungeklrt, wozu konkret wir diesen Standpunktwechsel brauchen, wenn die Vernunft ihre Wahrheit selbst ans Licht bringt. Nun, wir brauchen ihn, um berhaupt dazu bereit sein zu kçnnen, unseren Schlummer verlassen zu wollen, alle bisherigen Ansichten in Frage zu stellen und uns auf die dornichten Pfade der Kritik zu begeben. Denn dass die Vernunft ihre Wahrheit von selbst ans Licht bringen wird, bedeutet ja erstens nicht, sie kçnne einen solchen Prozess losgelçst von uns Menschen fhren; es mssen, wie im Abschnitt Die Methodenlehre und die Freiheit der Vernunft zur çffentlichen Selbstkritik dieses Kapitels gezeigt, schon Individuen sein, die diesen Prozess als Medium der Vernunft vollziehen, im Falle der KrV nmlich Immanuel Kant. Zweitens bedeutet Selbstkritik der Vernunft nicht, wir kçnnten als Medium der Vernunft gleichsam einen Schalter umlegen, und schon htten wir die wahre Vernunft gefunden. Nein, die Rede von der Vernunft, die ihre Wahrheit selbst ans Licht bringt, bedeutet: Folgen wir nur der Vernunft, nichts als reiner Vernunft, dann kçnnen wir zwar aus ihr selbst 103 Blesenkemper, Publice age, S. 137.
2.3 Exkurs: Demokratische oder despotische Vernunft?
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heraus die Wahrheit ber sie erkennen, ihre Grenzen bestimmen und ihre Einsichten rechtfertigen, zumindest wenn wir wirklich auf nichts anderes rekurrieren als auf die wahren Grnde der wahren Vernunft, also auf keine Mutmaßungen, keine Wahrscheinlichkeiten, auf keinen gemeinen Menschenverstand, der auf die Zuflligkeiten der Erfahrungen angewiesen bleibt.104 Ein solcher Vorgang aber ist harte Arbeit, ein langer, dornichter Pfad, auf dem wir ununterbrochen an die Grenzen des gesicherten Wissens stoßen. Also ist es in hçchstem Maße angebracht, ja gar unverzichtbar, sich mit anderen Argumenten auseinanderzusetzen, sei es wie in Kants Verhltnis zu Hume, um berhaupt die Notwendigkeit zu erkennen, in „eine ganz andre Richtung“ gehen, also aus dem „dogmatischen Schlummer“105 erwachen zu mssen, sei es wie in Kants Auseinandersetzung mit der dogmatischen Metaphysik, um sich in den eigenen Argumenten zu besttigen. Wie fruchtbar ein solches Verfahren ist, weiß jedermann, der wissenschaftlich arbeitet, aus seiner eigenen Erfahrung; der Blick in jene Werke, die gerade das Gegenteil der eigenen Position vertreten, kann oftmals entscheidende Anstçße geben, kann eigene Schwachpunkte aufdecken und eigene Strken besttigen. Oder anders gesagt: In der freien Vernunft hat jeder seine Stimme, darf jeder sein Veto ußern – also ist es auch sinnvoll, fremde Vernunft zu hçren, um sicherzugehen, dass es tatschlich der Boden der Vernunft ist, auf den wir uns begeben. Vor allem aber endet die Selbstkritik der Vernunft nicht, haben wir ihre Wahrheit einmal ans Licht gebracht. Es liegt nun mal in der Natur der Vernunft, dass sie sich endlos in dialektische Widersprche verstricken wird. Also wird die Selbstkritik auch immer wieder aufs Neue betrieben werden mssen. Und in dieser Kritik werden wir dazu angehalten sein, unseren Standpunkt immer wieder mit dem Standpunkt aller anderen vernnftigen Individuen zu vergleichen, um nicht der Schwrmerei zu verfallen.106 Es kann also mit gutem Recht behauptet werden, dass Kant dem von ihm erhobenen Anspruch des Standpunktwechsels in seiner eigenen Philosophie gerecht wird. Wenn Blesenkemper allerdings schreibt, schon in Kants Bereitschaft, smtliche traditionellen erkenntnistheoretischen Ansichten in Frage zu stellen, liege der alles entscheidende Standpunkt104 Vgl. Prolegomena, Bd. 5, A 196, 197 u. Im Denken orientieren, Bd. 5, A 306, 307. 105 Prolegomena, Bd. 5, A 12, 13. Simon sagt: „Hume wurde fr Kant zur fremden Vernunft“ (Simon, Die fremde Vernunft, S. 94). 106 Siehe auch 2.5.
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2. Die ffentlichkeit der theoretischen Vernunft
wechsel, dann muss hinzugefgt werden, dass es sich bei diesem Standpunktwechsel keinesfalls um den einzigen und letzten Standpunktwechsel handelt. Der zur kopernikanischen Wende fhrende Standpunktwechsel ist nur die Ermçglichungsbedingung weiterer Standpunktwechsel im Rahmen einer geregelten Vernunftkritik. Die Kritik der reinen Vernunft ist nicht das Ende der Debatte der Vernunft, sie ist nur das Regelwerk, um die Debatte in einem angemessenen Rahmen fhren zu kçnnen. Was aber bedeutet das fr das Ausgangsproblem dieses Exkurses, in dem die Frage, ob es nun problematisch ist, Aufklrung und brgerlichen Zustand aus einem formalen Prinzip wie der Vernunft zu begrnden, abhngig davon gemacht wurde, mit was fr einer Vernunft wir es zu tun haben? Die Wahrheit der Vernunft ist zwar immer mit einem absoluten Wahrheitsanspruch verbunden – sie kann fr jedermann allgemeingltig gebieten. Was sie aber gebietet, kçnnen wir nur herausfinden, indem wir auch gemeinsam nach ihren wahren Grnden fragen. Haben wir diese Grnde einmal gemeinsam hervorgebracht, geht von ihnen natrlich ein gewisser Zwang aus – gegen das Diktum der Vernunft darf nicht verstoßen werden. Die Pointe dieses Diktums aber besteht gerade darin, dass es Freiheit und Gleichheit zum Inhalte hat. Man kçnnte auch sagen, die wahre Vernunft gebietet apodiktisch fr jedermann, an ihrer nie endenden Kritik aus freien Stcken gleichberechtigt teilzunehmen. Ein solches Prinzip, das die Fhigkeit und Notwendigkeit zur immer wieder aufs Neue betriebenen Selbstkritik immanent in sich trgt, das in dieser Selbstkritik jedermann eine freie Stimme zugesteht und das aus dieser Freiheit der Kritik eine politische Freiheit der Brger ableitet, kann vom Vorwurf der Despotie, die sich gerade nicht selbst reflektiert, zumindest entlastet werden. Es ist als politisches Begrndungsprinzip allemal angebracht.
2.4 Das kritische Postulat nach Mitteilbarkeit Es war zu Beginn dieses Kapitels von vier Ebenen die Rede, auf denen sich die Verbindung von Vernunft und ffentlichkeit manifestiert: Standpunktwechsel, çffentliche Beglaubigung, çffentliche Vernunftkritik sowie die Mitteilbarkeit, wie sie im Rahmen der Vernunftkritik entfaltet wird. Nun sind es, wie bereits gesagt, im Wesentlichen zwei große Themen, mit denen sich Kant in der reinen Vernunft als kritischer Metaphysik beschftigt: die Grundzge einer empirischen Erkenntnistheorie und die Frage nach dem Umgang mit der reinen Vernunft und ihren Ideen im Rahmen der Dialektik. Beide Bereiche – sowohl empirische Erkenntnisse
2.4 Das kritische Postulat nach Mitteilbarkeit
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als auch die Ideen der reinen Vernunft – bindet Kant in der ersten Kritik an die Bedingung der Mitteilbarkeit. Mitteilbarkeit als Prfstein des Wissens Mit den Grundzgen der Kantischen Erkenntnistheorie wird sich das dritte Kapitel dieser Arbeit ausfhrlich beschftigen. Bevor aber nher darauf eingegangen wird, wie Erfahrung nach Kant entsteht, wie also Verstand und Sinnlichkeit angesichts eines empirischen Mannigfaltigen zusammenzuspielen haben, sei hier auf jenen Vorgang geblickt, der fr Kant eine Rolle spielt, ist eine Erfahrung einmal zustande gekommen – die Mitteilbarkeit. Die Grundzge der Kantischen Erkenntnistheorie werden hier also gewissermaßen vom Ende aus betrachtet. Macht man sich nmlich klar, dass jedwede Erfahrung nach Kant an die Bedingung ihrer Mitteilbarkeit gekoppelt ist, so wird das Zerrbild einer subjektivistisch-monologischen Erkenntnis gar nicht erst zugelassen, wird doch vor dem Hintergrund der Mitteilbarkeit unmissverstndlich klar: Unser Wissen muss kommunikabel sein, es muss sich mit dem Wissen aller anderen Erkennenden vergleichen lassen – sonst hat es den Namen Wissen nicht verdient. In der Methodenlehre unterscheidet Kant zwischen drei Modi des Frwahrhaltens: „Das Frwahrhalten, oder die subjektive Gltigkeit des Urteils, in Beziehung auf die berzeugung (welche zugleich objektiv gilt), hat folgende drei Stufen: M e i n e n , G l a u b e n und W i s s e n . M e i n e n ist ein mit Bewußtsein s o w o h l subjektiv, als auch objektiv unzureichendes Frwahrhalten. Ist das letztere nur subjektiv zureichend und wird zugleich fr objektiv unzureichend gehalten, so heißt es G l a u b e n . Endlich heißt das sowohl subjektiv als objektiv zureichende Frwahrhalten das W i s s e n . Die subjektive Zulnglichkeit heißt b e r z e u g u n g (fr mich selbst), die objektive G e w i ß h e i t (fr jedermann).“107 Die Rede vom Wissen als subjektiv wie objektiv zureichendem Frwahrhalten bringt den Kantischen Erkenntnisbegriff auf den Punkt: Wissen ist vom Ich konstituiertes Wissen, es ist ein Wissen, das ein Ich subjektiv zustande bringt, und insofern ist es Frwahr-halten. Gleichwohl soll dieses Wissen nicht nur subjektiv von mir selbst fr wahr gehalten werden, sondern von jedermann, weil es, zumindest im Falle empirischer Erkenntnisurteile, auf einem objektiven Fundament grndet, 107 KrV, Bd. 4, B 851. Vgl. auch Logik, Bd. 6, A 99 ff.
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nmlich den Kategorien, die im nchsten Kapitel ausfhrlich zu betrachten sein werden. Um uns zu vergewissern, dass wir es mit einem Wissen zu tun haben, das auch von fremder Vernunft als Wissen bezeichnet wird – gewissermaßen um uns zu vergewissern, dass die kategoriale Kategorisierung, darum wird es im nchsten Kapitel gehen, fehlerfrei verlief 108 –, fhrt Kant in der Methodenlehre die Bedingung der Mitteilbarkeit ein.109 Konkret bedeutet das: Fllen wir ein Erkenntnisurteil, dem wir den Gltigkeitsstatus Wissen zusprechen, so muss dieses Urteil in jenem ihm durch uns verliehenen Anspruch, Wissen zu sein – und nicht nur Meinen oder Glauben –, kommuniziert werden kçnnen. Ein ausschließlich auf subjektiven Bedingungen geflltes Urteil, sagt Kant, habe „nur Privatgltigkeit“; es ist keine berzeugung, sondern berredung, lsst sich demnach auch „nicht mitteilen“110. berzeugung hingegen kann ich „als ein fr jedermann notwendig gltiges Urteil aussprechen“. Und in diesem Sinne dient Kommunikabilitt als Kontrollkriterium: „Der Probierstein des Frwahrhaltens, ob es berzeugung oder bloße berredung sei, ist also, ußerlich, die Mçglichkeit, dasselbe mitzuteilen und das Frwahrhalten fr jedes Menschen Vernunft gltig zu befinden“111. Jedes erkennende Individuum ist also dazu aufgefordert, sein Urteil auf „fremde Vernunft“ zu beziehen, um die „bloße Privatgltigkeit des Urteils, d. i. etwas in ihm, was bloße berredung ist, zu entdecken“. Denn, um es nochmals in aller Deutlichkeit zu sagen: „Alles Wissen […] kann man mitteilen“112. 108 Reginald Grnenberg sagt, dass nicht nur empirische Erkenntnisse, sondern „selbst die einwandfrei a priori und aus reiner theoretischer Vernunft gefllten Urteile der çffentlichen Prfung bedrfen“ (Grnenberg, Politische Subjektivitt, S. 248). Grnenberg verweist dabei auf den mathematisch-physikalischen Irrtum, den Kant selbst in der Schtzung (siehe Einleitung) begangen hatte (vgl. Grnenberg, Politische Subjektivitt, S. 247). 109 In der Urteilskraft erhebt Kant die Mitteilbarkeit dann sogar in den Rang einer transzendentalen Bedingung. Siehe dazu das fnfte Kapitel. 110 KrV, Bd. 4, B 848 f. 111 Um ein ußerliches Kriterium handelt es sich, da das eigentliche Kriterium des Wissens die korrekte kategoriale Erfassung des empirischen Mannigfaltigen ist (siehe nchstes Kapitel). Vgl.: „Das ußere Merkmal der Wahrheit ist die Beystimung anderer“ (Reflexionen zu Logik. In: Gesammelte Schriften, Bd. 16, S. 257 [2171]). 112 KrV, Bd. 4, B 856, 857. In der KpV heißt es: Privatgefhle wie das Angenehme mssten vom Guten und Bçsen unterschieden werden; es sei dabei klar, „daß Gutes und Bçses jederzeit durch Vernunft, mithin durch Begriffe, die sich allgemein mitteilen lassen, und nicht durch bloße Empfindung“ beurteilt wrden (KpV, Bd. 7, A 102, 103).
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Reinhard Brandt schreibt daher, „assessment through others“ sei ein „empirically inalienable criterion“113 des Wissens. Und Josef Simon stellt fest: „Zur menschlichen Vernunft gehçrt die geschuldete Achtung fremder Vernunft.“114 In genau diesem Sinne heißt es auch in der Logik, Glauben gebe „wegen der bloß subjektiven Grnde keine berzeugung, die sich mitteilen lsst“115. In einem Brief an Jacob Sigismund Beck vom 1. Juli 1794 schreibt Kant wiederum, Erkenntnisse mssten grundstzlich „Anderen communicabel“116 sein. Und in einer Reflexion aus den achtziger Jahren ist, ganz im Sinne der Trume, zu lesen, „Geistererscheinungen, geheime (nicht offentliche mittheilbare) Erfahrungen verwerfe ich“117. Nun ist es natrlich so, dass ich sowohl ein nur subjektives Gefhl als auch eine subjektive Meinung sehr wohl çffentlich mitteilen kann. Ich kann zum Beispiel çffentlich sagen: Dieser Wein schmeckt mir gut, oder ich glaube, es wird regnen. Wenn Kant also schreibt, Mitteilbarkeit sei ein Prfstein des Wissens, so meint er damit nicht, alles, was berredung sei, ließe sich nicht mitteilen. Er schließt im Begriff der Mitteilbarkeit vielmehr die gegenseitige Zustimmung mit ein: Mitteilbarkeit impliziert Bejahung, und zwar in dem Sinne, dass der Gltigkeitsmodus, den ich einem Sachverhalt verleihe – Meinen, Glauben oder Wissen –, an anderen Individuen berprft wird: Der Probierstein des Frwahrhaltens, ob es berzeugung oder bloße berredung sei, ist also, ußerlich, die Mçglichkeit, dasselbe mitzuteilen. Die Mitteilbarkeit bezieht sich also zunchst ausschließlich auf den epistemischen Status, was durchaus eine Einschrnkung ist. Von einer konkreten inhaltlichen Abgleichung meines Erkenntnisurteils mit dem Urteil aller anderen ist zunchst keine Rede. Dass Kant nichtsdestotrotz auch eine inhaltliche Abstimmung mit dem Wissen aller anderen Erkennenden fordert, wird im fnften Kapitel gezeigt. Doch auch wenn wir es hier zunchst nur mit einer Mitteilbarkeit – Mitteilbarkeit, wie gesagt, im Sinne von der gegenseitigen Zustimmung fhig sein – zu tun haben, die sich auf den Gltigkeitsmodus bezieht, so steht doch zweifelsfrei fest: Kant denkt das erkennende Individuum gerade nicht 113 Brandt, Reinhard: The Deductions in the Critique of Judgment. Comments on Hampshire and Horstmann. In: Kant’s Transcendental Deductions. The Three Critiques and the Opus postumum. Hrsg. v. Eckart Fçrster, Stanford, 1989, S. 187 f. 114 Simon, Die fremde Vernunft, S. 77. 115 Logik, Bd. 6, A 107. 116 Brief an Jacob Sigismund Beck vom 1. Juli 1794. In: Gesammelte Schriften, Bd. 11, S. 496. 117 Reflexionen zur Anthropologie. In: Gesammelte Schriften, Bd. 15, 187 (454).
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als ein monologisches, er denkt es als ein per se kommunikatives Individuum. In unserem Wissen sind wir von Anfang an an die Bedingung gebunden, dieses Wissen in seinem Status als Wissen mitteilen zu kçnnen, und zwar so mitteilen zu kçnnen, dass dieser Mitteilung auch wird zugestimmt werden. Whrend Kant in den Trumen in erster Linie von einer çffentlichen Beglaubigung spricht (die Grnde und Belege fr mein Wissen mssen dargestellt werden kçnnen, damit sie nachprfbar sind), spricht er in der Methodenlehre der KrV mit der Mitteilbarkeit – sofern eine Abgrenzung hier mçglich sein sollte – eher von einem wechselseitigen Abgleich. Beglaubigung meint Offenlegung von Beweisen, Mitteilbarkeit diskursiven Austausch, natrlich mit dem Ziel, in dieser Gegenberstellung zu einem einheitlichen Ergebnis zu kommen. Gemeinsam ist beiden Verfahren, der vorkritischen Offenlegung sowie der vergleichenden Mitteilbarkeit, dass sie nicht anders als çffentlich gedacht werden kçnnen. Zur Habermasschen kommunikativen Vernunft freilich ergibt sich ein ganz fundamentaler Unterschied: Bei Kant wird qua Mitteilbarkeit ein mit Objektivitt versehener Satz rckwirkend auf seine Gltigkeit hin berprft. Die Gltigkeit selbst allerdings entsteht nicht im Prozess der Kommunikation, sie entsteht im Falle empirischer Stze durch eine korrekte kategoriale Zusammenfassung eines gegebenen Mannigfaltigen (siehe drittes Kapitel), im Falle apriorischer Stze durch einen korrekt gefhrten apriorischen Satz. Habermas hingegen denkt nicht nur an einen solchen rckwirkenden Prfstein, bei ihm ist es der theoretische Diskurs selbst, der einem Sachverhalt im Sinne einer gegenseitigen Sinnvermittlung zu Gltigkeit – wenngleich nicht zu fundamentalistischer Gltigkeit – verhilft. So sagt Habermas, „daß das Paradigma der Erkenntnis von Gegenstnden durch das Paradigma der Verstndigung zwischen sprach- und handlungsfhigen Subjekten abgelçst werden muß“118. Im Modell des verstndigungsorientierten Handelns sei „jene objektivierende Einstellung, in der sich das erkennende Subjekt auf sich selbst ebenso wie auf Entitten in der Welt richtet, nicht lnger privilegiert. Im Verstndigungsparadigma ist vielmehr grundlegend die performative Einstellung von Interaktionsteilnehmern, die ihre Handlungsplne koordinieren, indem sie sich miteinander ber etwas in der Welt verstndigen.“119 Wissen sei also nicht mehr „ausschließlich als Wissen von etwas in der objektiven Welt zu verstehen“, sondern als kommunikativ vermittelt; zurechnungsfhige Interaktions118 Habermas, Diskurs der Moderne, S. 345. 119 Habermas, Diskurs der Moderne, S. 346.
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teilnehmer „orientieren“ sich an Geltungsansprchen, „die auf intersubjektive Anerkennung angelegt sind“120. Auf die Schwierigkeiten der Habermasschen Theorie, insbesondere der beraus problematischen Annahme einer idealen Sprechsituation121, kann hier nicht im Einzelnen eingegangen werden. Und doch kann gesagt werden: Zwischen der Kantischen kommunikativen Kontrolle ex post und dem Habermasschen Begrndungsdiskurs besteht ein wesentlicher Unterschied insofern als Kognition und Interaktion bei Habermas noch enger miteinander verbunden sind – kommunikative Praxis als eigentliche Berufungsinstanz –, als es bei Kant der Fall ist. Die Mitteilbarkeit der Ideen der Vernunft Nicht nur jegliche empirische Erkenntnis, auch die kritische Metaphysik, wie Kant sie im Rahmen der Kritik der Vernunft entfaltet, ist eine Metaphysik, die grundstzlich mitteilbar sein muss. Zunchst ein erneuter Blick zurck auf die Trume. Dort hatte es geheißen, Wolff und dessen Anhnger sollten „zu einem Blicke, der die Einstimmung mit anderem Menschenverstande nicht ausschließt, die Augen auftun“122. Dann werde „niemand von ihnen etwas sehen, was nicht jedem andern gleichfalls bei dem Lichte ihrer Beweistmer augenscheinlich und gewiß erscheinen sollte“. In der Dialektik der KrV belsst es Kant nicht mehr bei diesem Aufruf, nun wird er im Lichte der Beweistmer seiner Kritik den trgerischen Schein aller dogmatischen Schwrmerei systematisch „aufzudecken“ versuchen, um „zugleich zu verhten, daß er nicht betriege“123. Kant geht dieses Unterfangen derart energisch an, dass man meinen kçnnte, es gehe ihm um eine endgltige Destruktion der Metaphysik. Genau das aber ist nicht der Fall: Nicht der Metaphysik will Kant ein Ende bereiten, sondern der dogmatischen Metaphysik. Wir drfen an der metaphysischen Selbstbeschftigung der Vernunft also sehr wohl festhalten – wir drfen es allerdings nur im Bewusstsein, mit dieser Beschftigung den Boden des gesicherten Wissens zu verlassen. Kant legt in der ersten Kritik grçßten Wert auf die Feststellung, unser Bedrfnis nach metaphysischer Begrndung sei ein notwendiges Bedrf120 121 122 123
Habermas, Diskurs der Moderne, S. 366. Vgl. Zima, Theorie des Subjekts, S. 394 ff. Trume, Bd. 2, B 58, 59. KrV, Bd. 3, B 354, 355.
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nis. Das Bemhen der Vernunft, zu allem Bedingten das Unbedingte vorauszusetzen, sei nmlich „der natrliche Gang, den jede menschliche Vernunft, selbst die gemeinste, nimmt“124. Die Paralogismen ber die Seele mssten daher begriffen werden als „unvermeidliche, obzwar nicht unauflçsliche, Illusion“125. Auch das dialektische Spiel der kosmologischen Ideen in den vier Antinomien sei „nicht willkrlich erdacht“, die Vernunft werde auf diese vielmehr „notwendig gefhrt“126. Und schließlich sei auch das „W e s e n a l l e r W e s e n “127 kein Hirngespinst.128 Was genau bezweckt Kant mit dieser Hervorhebung der Notwendigkeit? Er verteidigt bei aller Kritik an der dogmatischen Schwrmerei unser grundstzliches Bedrfnis nach metaphysischer Erklrung als ein berechtigtes, ein legitimes Bedrfnis. Weil der Wunsch nach Letztbegrndung, wie es in den Prolegomena heißt, „durch die Natur der menschlichen Vernunft jedermann vorgelegt“129 wird, ist er auch „in der Idee aller Menschen w i r k l i c h “130. Entpuppt sich Kant also schlussendlich selbst als verkappter Dogmatiker? Keineswegs. Wovon bisher die Rede war, das ist ausschließlich unsere metaphysische Sehnsucht. Wie weit wir in dieser Sehnsucht aber tatschlich gehen drfen, welche konkreten Einsichten legitim sind und welche nicht, darber wurde noch nichts gesagt. Und an genau dieser Stelle erfolgt der Bruch mit der dogmatischen Metaphysik. Gerade weil wir als einzelnes denkendes Individuum in unseren vermeintlichen Erkenntnissen aus reiner Vernunft ber keinen verlsslichen Maßstab verfgen, anhand dessen wir diese Erkenntnisse auf ihre Haltbarkeit berprfen kçnnen, bedarf es deren kommunikativer Kontrolle. Seine kritische Metaphysik begreift Kant bekanntlich als eine Metaphysik, die die Einsichten aus reiner Vernunft ausschließlich als Ideen, die theoretisch weder bewiesen noch widerlegt werden kçnnen, behandelt. Nicht die Ideen also sind dialektisch, sondern ihr fehlerhafter Gebrauch. Wer zum Beispiel von der tatschlichen Existenz einer unsterblichen Seele spricht, der begeht den klassischen metaphysischen Fehlschluss; er hypostasiert, „was bloß in Gedanken existiert“131. Sprechen wir von ihr hingegen 124 125 126 127 128 129 130 131
KrV, Bd. 4, B 612. KrV, Bd. 4, B 399, 400. KrV, Bd. 4, B 490. KrV, Bd. 4, B 607, 608. Vgl. KrV, Bd. 4, B 598, 599. Prolegomena, Bd. 5, A 126, 127. Prolegomena, Bd. 5, A 125. KrV, Bd. 4, A 384.
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nur als Idee der Vernunft, so haben wir es mit einer Annahme zu tun, die „jedermann […] hinreichend ersehen kann“132. Mitteilbarkeit dient dabei als Prfstein, der hilft, sich zu vergewissern, dass wir auch wirklich nicht dogmatisch verfahren mit unserer Vernunft. So sagt Kant in der Religionsschrift, jedes Nachdenken ber Religion fhre „unvermeidlich auf ein G e h e i m n i s , d. i. auf etwas H e i l i g e s “133. Ein solches Geheimes bzw. Heiliges, das von der theoretischen Vernunft nicht weiter erfasst werden kçnne, sei etwas, „was nicht çffentlich b e k a n n t , d. i. allgemein mitgeteilt werden kann“. Gott sei ein solches Geheimnis: Wir kçnnen seine Existenz theoretisch weder beweisen noch widerlegen, also kçnnen wir ber seine Existenz auch keine çffentliche Mitteilung machen. Sprechen wir von Gott hingegen nur als Idee, auf die uns unsere praktische Vernunft fhrt, kçnnen wir diese Idee sehr wohl çffentlich mitteilen – Mitteilbarkeit wiederum verstanden im Sinne von der gegenseitigen Zustimmung fhig sein. Kant verdeutlicht diesen Sachverhalt am Beispiel der Freiheit. Auch die Freiheit ist, wie wir aus der Grundlegung und der zweiten Kritik wissen, theoretisch nicht deduzierbar. Als Grundstein der Moralitt aber kçnnten wir sie dennoch a priori wissen.134 Freiheit als Hypothese der Vernunft, sagt Kant, ließe sich demnach çffentlich mitteilen. Der Grund dieser Freiheit hingegen bleibe ein Geheimnis, er kçnne nicht çffentlich mitgeteilt werden. „So ist die Freiheit, eine Eigenschaft, die dem Menschen aus der Bestimmbarkeit seiner Willkr durch das unbedingt moralische Gesetz kund wird, kein Geheimnis, weil ihr Erkenntnis jedermann m i t g e t e i l t werden kann; der uns unerforschliche Grund dieser Eigenschaft aber ist ein Geheimnis, weil er uns zur Erkenntnis n i c h t g e g e b e n ist.“135 Das soll natrlich nicht bedeuten, die Ideen der Vernunft htten als Ideen eine praktische Daseinsberechtigung, weil sie der çffentlichen Zustimmung fhig sind. Sie sind vielmehr der çffentlichen Zustimmung fhig, weil sie als Ideen eine praktische Notwendigkeit haben. Kurz: Mitteilbarkeit ist nicht der Grund fr die Gltigkeit der Idee – dieser Grund liegt vielmehr in ihrer praktischen Notwendigkeit. Mitteilbarkeit dient ausschließlich als Test. Weil die Ideen in der Vernunft aller Menschen eine praktische Notwendigkeit haben, werden wir, sollten wir sie mitteilen, auf allgemeine Zustimmung stoßen. Versuchen wir hingegen Seele oder 132 133 134 135
Prolegomena, Bd. 5, A 166. Religion, Bd. 8, B 206, 207, 208. Vgl. KpV, Bd. 7, A 5, 6. Religion, Bd. 8, B 209.
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2. Die ffentlichkeit der theoretischen Vernunft
Gott als tatschliche Existenzen mitzuteilen, wird dieser Test negativ ausfallen. ber den Prfstein der Mitteilbarkeit soll demnach genau das bekrftigt werden, um was es Kant in seiner gesamten kritischen Metaphysik geht – nmlich Verstandesbegriffe nicht zu hypostasieren.
2.5 ffentliche Vernunft und Politik: Das Recht auf freie Meinungsußerung An dieser Stelle ergibt sich ein bemerkenswerter bergang zur Politik: Es ist unsere Angewiesenheit auf ffentlichkeit – sowohl im Sinne der Vernunft, die sich notwendigerweise kritisieren muss, als auch im Sinne der daraus abgeleiteten Forderung nach Mitteilbarkeit unserer Erfahrung und der Ideen der Vernunft – aus der das Recht auf freie Meinungsußerung, wie wir es aus den im eigentlichen Sinne politischen Schriften Kants bereits kennen, ursprnglich abgeleitet wird. Was Kant in der Methodenlehre also expliziert, und das ist alles andere als selbstverstndlich, ist ein originrer Zusammenhang zwischen theoretischer und politischer Philosophie. Die Freiheit der Meinungsußerung wird legitimiert ber die Freiheit der Vernunft. So sagt Kant, nicht nur die Vernunft drfe ihre Selbstkritik nicht zensieren, sie drfe kein diktatorisches Ansehen haben, auch „fremde Hnde“136 drften sich nicht einmischen. Es wre daher sehr zu wnschen gewesen, daß der Streit der Vernunft „eher und mit uneingeschrnkter çffentlicher [çffentlicher im Sinne von staatlicher] Erlaubnis wre gefhrt worden“137. Heinz Heimsoeth schreibt daher, mit der Methodenlehre vollziehe Kant eine „Wendung zur Praxis des gesellschaftlichen Lebens – im Sinne der fr ,Aufklrung‘ zu fordernden Freiheit denkerischer ußerung und Diskussion“138. 136 KrV, Bd. 4, B 772. 137 KrV, Bd. 4, B 776. 138 Heimsoeth, Heinz: Transzendentale Dialektik. Ein Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft. Bd. 4: Die Methodenlehre. Berlin, 1971, S. 691. Im Vorgriff auf das dritte Kapitel sei hier darauf hingewiesen, dass Kant nur insofern eine Wendung vollzieht, als er in der Methodenlehre den – darum wird es in Zusammenhang mit der transzendentalen Intersubjektivitt gehen – bereits in der Elementarlehre enthaltenen intersubjektiven Kern der Vernunft in seinen ausdrcklich politischen Konsequenzen formuliert. Anders gesagt: Der Begriff Wendung kann nicht bedeuten, dass die Elementarlehre keinen intersubjektiven Kern aufweise.
2.5 ffentliche Vernunft und Politik: Das Recht auf freie Meinungsußerung
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Es finden sich im Kantischen Werk zahlreiche Passagen, einige von ihnen wurden hier bereits zitiert, die diesen Zusammenhang zwischen theoretischer und politischer Philosophie belegen. Im Streit der Fakultten sagt Kant, wie zu Beginn dieses Kapitels bereits angefhrt, Wahrheit sei nur mçglich „durch Verstattung vçlliger Freiheit einer çffentlichen Prfung derselben“139. Die philosophische Fakultt msse daher „vom Befehle der Regierung unabhngig“140 sein, um eine solche Prfung vornehmen zu kçnnen. Auch in bereits thematisierter Passage aus Im Denken orientieren geht es selbstverstndlich nicht nur um eine Beschreibung unserer existentiellen Angewiesenheit auf çffentliche Denkfreiheit – es geht gerade um die Forderung, diese Freiheit zu garantieren: „Also kann man wohl sagen, daß diejenige ußere Gewalt, welche die Freiheit, seine Gedanken çffentlich m i t z u t e i l e n , den Menschen entreißt, ihnen auch die Freiheit zu d e n k e n nehme“.141 In der Anthropologie wiederum, darauf wird im letzten Kapitel zurckzukommen sein, ist zu lesen, das Verbot der Bcher sei ein folgenreicher Fehler, denn „man nimmt uns ja dadurch, wo nicht das einzige, doch das grçßte und brauchbarste Mittel, unsere e i g e n e Gedanken zu berichtigen, welches dadurch geschieht, daß wir sie çffentlich aufstellen“142. Die wohl imposanteste Schilderung dieses Ineinanders von theoretischer und politischer Philosophie allerdings stammt aus dem textlichen Umfeld bereits zitierter Passage der Methodenlehre zur Freiheit der Vernunft. Kant unternimmt dort einen genauso khnen wie klaren Vergleich zwischen dem Vorgang der Kritik und dem Eintritt des Menschen in den brgerlichen Zustand. Die „endlosen Streitigkeiten einer bloß dogmatischen Vernunft“143 – Hans Blumenberg sagt, die Vernunft sei, wenn sie „sich ihrem Erkenntnistrieb berlßt, anarchisch“144 – nçtigen uns, wie Kant konstatiert, „endlich in irgend einer Kritik dieser Vernunft selbst, und in einer Gesetzgebung, die sich auf sie grndet, Ruhe zu suchen“145. Ohne Kritik kçnne die Vernunft ihre Ansprche nur durch Krieg geltend machen, mit einem Ende, der als Sieg bezeichnet werden msste. Die Kritik hingegen verschaffe „die Ruhe eines gesetzlichen Zustandes“. In diesem Zustand werden die Streitigkeiten nicht durch Krieg mit einem unsicheren 139 140 141 142 143 144 145
Streit, Bd. 11, A 36, 37. Streit, Bd. 11, A 9, 10, 11. Im Denken orientieren, Bd. 5, A 325, 326. Anthropologie, Bd. 12, BA 152, 153. KrV, Bd. 4, B 780, 781. Blumenberg, Neugierde, S. 251. KrV, Bd. 4, B 780, 781.
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2. Die ffentlichkeit der theoretischen Vernunft
Frieden als Folge gefhrt, sondern durch einen geregelten Prozess mit einer „S e n t e n z “ als Lçsung, die letztendlich „einen ewigen Frieden“ ermçgliche. So wie der Mensch aus dem Naturzustand in den brgerlichen Zustand eintreten muss, in dem das Zusammenleben nach allgemein verbindlichen Gesetzen geregelt wird, so muss also auch die Vernunft aus einem anarchischen Zustand in einen Zustand der Ruhe eintreten, in dem sie ihre çffentliche Selbstkritik als geregelten Prozess betreiben kann bzw. in dem wir als Trger der Vernunft deren Selbstkritik betreiben kçnnen. Kant bezieht sich in diesem Zusammenhang ausdrcklich auf das kontraktualistische Legitimationsmodell politischer Herrschaft bei Hobbes. Hobbes behaupte, sagt Kant, man solle den durch Unrecht146 und Gewaltttigkeit geprgten Naturzustand notwendig verlassen, „um sich dem gesetzlichen Zwange zu unterwerfen, der allein unsere Freiheit dahin einschrnkt, daß sie mit jedes anderen Freiheit und eben dadurch mit dem gemeinen Besten zusammen bestehen kçnne“. Nun muss zunchst festgehalten werden, dass die Rede von der Einschrnkung der Freiheiten unter der Bedingung ihrer gegenseitigen Vereinbarkeit eher ein Vorgriff auf Kants eigene, zum Zeitpunkt der KrV noch nicht geschriebene politische Theorie ist als ein Bezug auf Hobbes. Sicherung der Freiheit der Vernunft und damit der Freiheit der Individuen wird sich in den politischen Schriften Kants, wie im ersten Kapitel gezeigt, als fundamentale Funktion des çffentlichen Rechts erweisen.147 Hobbes hingegen kmmern die Freiheitsrechte des einzelnen Brgers gelinde gesagt ziemlich wenig.148 Fr jene berlegung, die Kant durch seinen Vergleich von Kritik und brgerlichem Zustand verdeutlichen will, ist das aber letztendlich unerheblich. Kant geht es um einen im Prinzip ganz einfachen Sachverhalt: Im kontraktualistischen Begrndungsmodell dient die Idee des ursprnglichen Vertrages grundstzlich einem Zweck – und an diesen Zweck bleibt der gesamte Vertrag gebunden. Bei Hobbes besteht der Vertragszweck in der Sicherung des elementarsten aller Bedrfnisse, nmlich der Sicherung 146 Zum Begriff Unrecht ist anzumerken, dass sich die Hobbessche Naturzustandskonstruktion gerade dadurch auszeichnet, nicht nur ein Zustand jenseits jeglichen Rechts, sondern auch jeglicher Moralitt zu sein. „Wo keine allgemeine Gewalt ist, ist kein Gesetz, und wo kein Gesetz, keine Ungerechtigkeit“ (Hobbes, Leviathan, S. 98). Von Unrecht kann in Bezug auf den Hobbesschen Naturzustand also eigentlich nicht gesprochen werden. 147 Vgl. MSR, Bd. 8, A 33. 148 Vgl. Hobbes, Leviathan, S. 136 ff. u. a. Siehe auch Adam, Despotie der Vernunft, S. 15.
2.5 ffentliche Vernunft und Politik: Das Recht auf freie Meinungsußerung
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des berlebens.149 Diese berlebenssicherung ist der Grund, weshalb wir uns berhaupt zu einer Gemeinschaft zusammenschließen.150 Also darf der Staat smtliche zur Erreichung dieses Ziels erforderlichen Maßnahmen unternehmen. Nur eines darf er nicht: Gegen den Zweck verstoßen, fr den wir ihn eingesetzt haben, im Falle Hobbes also den Zweck der berlebenssicherung. Dem Hobbesschen Brger bleibt daher ein existentielles Recht erhalten, nmlich smtlichen durch den Staat befohlenen Handlungen, die der Selbsterhaltung der Brger widersprechen, „den Gehorsam zu verweigern“151. Doch zurck zu Kant: Auch der Eintritt der Vernunft in einen Zustand der geregelten Kritik, darum dreht sich der gesamte Vergleich, ist an einen Zweck gebunden. Ziel der geregelten Kritik ist eine Kritik, an der sich jedermann gleichberechtigt beteiligen kann, eine Kritik auf Grundlage der gemeinsamen bereinkunft, dass Kritik nicht als Eigendnkel, als schwrmende Illusion ausgefhrt werden darf, sondern als fr jedermann einsehbaren Diskurs der besten Argumente, eben als Einstimmung freier Brger. Ziel der geregelten Kritik ist die Freiheit der çffentlichen Kritik – also ist diese Freiheit unter allen Umstnden zu gewhrleisten! Die Pointe dieser berlegung besteht darin, dass der Zweck der Kritik und der politische Vertragszweck (nach dem Kantischen, nicht nach dem Hobbesschen Vertrag) ußerlich identisch sind. In der politischen Theorie Kants heißt es, wir mssen uns zu einer brgerlichen Gesellschaft zusammenschließen, damit die Vernunft des Einzelnen im vereinigten Willen aller zur allgemeinen Gesetzgebung werden kann (siehe 1.2). Die Freiheit des çffentlichen Vernunftgebrauchs, und zwar, wie gezeigt, nicht nur der praktischen, sondern auch der theoretischen Vernunft, ist also das Ziel, das durch den Zusammenschluss unter çffentlichen Gesetzen erreicht werden soll. Nichts anderes aber fordert Kant bereits in der Methodenlehre fr den Zustand der sich selbst kritisierenden Vernunft. Auch die Vernunft soll in Analogie zum Zusammenschluss der Menschen zum brgerlichen Zustand in einen Zustand der geregelten, çffentlichen Selbstkritik versetzt werden. Das Recht auf freie çffentliche Meinungsußerung im Streit ber die Vernunft ist das Ziel, das durch diesen Zustand der geregelten Vernunft149 Vgl. Hobbes, Leviathan, S. 131 ff. 150 Hobbes ist natrlich nicht der erste politische Denker, der sieht, dass der gesellschaftliche Zusammenschluss immer aus einem Bedrfnis erfolgt. Schon Platon sagt, der Einzelne erkenne die rationalen Vorteile des Staates, „weil keiner von uns auf sich allein gestellt sein kann, sondern vieler anderer bedarf“; also schafft den Staat „unsere eigene Bedrftigkeit“ (Platon: Der Staat, S. 139 [369 b, c]). 151 Hobbes, Leviathan, S. 168.
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2. Die ffentlichkeit der theoretischen Vernunft
kritik erreicht werden soll – also kann dieses Recht im Zustand der geregelten Vernunftkritik nicht ausgeschaltet werden. So bleibt jedem Individuum, das sich an der Vernunftkritik beteiligt, eine ganz wesentliche Freiheit erhalten, nmlich die Freiheit, „seine Gedanken, seine Zweifel, die man sich nicht selbst auflçsen kann, çffentlich zur Beurteilung auszustellen, ohne darber fr einen unruhigen und gefhrlichen Brger verschrien zu werden“152. Kritik ist çffentliche Kritik – und diese ffentlichkeit gilt es zu gewhrleisten! Das Recht auf freie ffentlichkeit ist „heilig, und darf nicht geschmlert werden“. Sollte die Freiheit der çffentlichen ußerung dennoch in irgendeiner Weise untergraben werden, wird sich das vernnftige Individuum an den Zustand der Ruhe nicht mehr halten – der Krieg um die Vernunft wird erneut ausbrechen. Um diesen erneuten Ausbruch zu verhindern, muss auch im Zustand der geregelten Vernunftkritik die Kritik unbedingt weitergefhrt werden. Um in der Analogie zur Politik zu bleiben: Mit dem Eintreten in den brgerlichen Zustand kommt die politische Debatte nicht zum Erliegen – sie beginnt berhaupt erst im eigentlichen Sinne, da sie nun unter allgemein anerkannten Grundregeln stattfinden kann. Die Bereitstellung dieser Grundregeln aber, und so kommen wir zum Ausgangspunkt dieses Abschnitts zurck, muss von politischer Seite geleistet werden. Insofern haben wir es im Vergleich zwischen dem Eintritt in den brgerlichen Zustand und der geregelten Vernunftkritik auch mit mehr zu tun als nur einer strukturellen Analogie – wir haben es zu tun mit einem Ineinander von theoretischer und politischer Philosophie, mit einer wechselseitigen Bedingtheit: Die Angewiesenheit der Kritik auf ffentlichkeit begrndet das politische Recht auf freie Meinungsußerung, dieses Recht wiederum garantiert den ungestçrten Ablauf der Kritik samt deren politischer Implikation. Abschließend soll in diesem Zusammenhang auf die Untersuchung des Kantischen ffentlichkeitsbegriffs von Axel Hutter eingegangen werden. Bei Hutter heißt es: Der Rechtszustand der Vernunft, der durch den Gerichtshof der Vernunft gesichert werde, lasse sich als „eine transzendentale ffentlichkeit begreifen, die verhindert, daß jeder Einzelne sich in metaphysischen Fragen eine bloße Privatmeinung bildet, die dann notwendigerweise im Dauerstreit mit allen anderen Privatmeinungen stehen muß“153. 152 KrV, Bd. 4, B 780, 781. 153 Hutter, ffentlichkeit bei Kant, S. 142.
2.5 ffentliche Vernunft und Politik: Das Recht auf freie Meinungsußerung
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Auch diese Anmerkung Hutters erscheint mir, obwohl sie im Kern auf den entscheidenden Aspekt abzielt (dass nmlich ffentlichkeit das zentrale Prinzip der geregelten Vernunftkritik ist), ein wenig unglcklich. Erstens: Hutters Rede, die Kritik verhindere, dass jedermann sich eine Privatmeinung bilde, die unweigerlich zu Dauerstreit fhren werde, ist insofern mit Vorsicht zu behandeln, als es ja gerade nicht so ist, dass mit Eintritt in den Rechtszustand der Kritik der Streit der Vernunft ein Ende hat. Auch im Zustand der geregelten Vernunftkritik soll, es wurde oben bereits gesagt, jedermann seine Meinung haben, ja sein Veto einlegen drfen – aber eben in einem geregelten Rahmen. Zweitens: Die Rede von der transzendentalen ffentlichkeit erweckt den Eindruck, es handele sich um eine ausschließlich intelligible ffentlichkeit. Da es aber leibliche wie intelligible Individuen sind, die als Trger der Vernunft die Vernunftkritik austragen (in Bchern, aber auch in Form der çffentlichen Rede, also eines çffentlichen Vortrags eines empirischen Individuums vor anderen empirischen Individuen), handelt es sich nicht nur um eine ffentlichkeit im Geiste, sondern auch um eine empirische ffentlichkeit. Der Ursprung dieser ffentlichkeit mag intelligibel sein, die ffentlichkeit selbst, die sich ausgehend von dieser intelligiblen ffentlichkeit bildet, umfasst aber beide Seiten des Menschen, die intelligible wie die leibliche.154 Auch bei Gerd Irrlitz heißt es, durch Kritik entstehe die „ideelle Realitt geistiger ffentlichkeit“155. Irrlitz zielt meiner Meinung nach mit seinem Begriff geistige ffentlichkeit allerdings nicht auf eine ausschließlich intelligible ffentlichkeit ab im Gegensatz zu einer empirischen, sondern auf die Tatsache, dass es sich um eine ffentlichkeit handelt, die komplexe intelligible Fragestellungen debattiert, die also vom gemeinen Volk zu unterscheiden ist. In diesem Sinne schreibt Irrlitz, wie bereits in der Einleitung zitiert, Kritik sei das çffentliche Urteil „einer Schicht von Gebildeten“156.
154 Siehe dazu den Abschnitt Freiheit der reinen Vernunft als Freiheit reiner und empirischer Individuen in 2.3. 155 Irrlitz, Kant-Handbuch, S. 145. 156 Irrlitz, Kant-Handbuch, S. 152.
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2. Die ffentlichkeit der theoretischen Vernunft
2.6 Abschluss: Universitt als ffentlichkeit des theoretischen Vernunftgebrauchs Zwei zentrale Einsichten sollen aus diesem Kapitel gewonnen werden. Erstens: Von einer isolierten, subjektivistischen, ja gar solipsistischen theoretischen Vernunft bei Kant kann keine Rede sein. Kant denkt Vernunft als çffentliche Vernunft. Es sind dabei vier – durchaus unterschiedliche – Vorgnge, die fr diese Angewiesenheit auf ffentlichkeit stehen: Die schon in der vorkritischen Zeit erhobene Forderung nach Standpunktwechsel und çffentlicher Beglaubigung (2.1), der Vorgang der Kritik als solcher (2.2) sowie das Prinzip der Mitteilbarkeit, das sowohl fr jegliche Erfahrung als auch fr den Umgang der Vernunft mit ihren Ideen verlangt wird (2.4). Zweitens: Die çffentliche Vernunft zieht jeden vernunftbegabten Menschen, der von seiner Vernunft Gebrauch macht, in die ffentlichkeit als Raum im Sinne des dritten Bedeutungsfeldes. Jene Menschen, die in diesem Raum agieren, bilden wiederum die theoretische ffentlichkeit als Personenkreis. Diese theoretische ffentlichkeit als Personenkreis ist fr Kant in erster Linie die Gelehrtençffentlichkeit.157 Im Streit der Fakultten bezeichnet er sie als eine „Art von gelehrtem gemeinen Wesen“158. Handlungsraum des gelehrten gemeinen Wesens ist die Universitt. Als Medium dient neben den Schriften, wie im ersten Kapitel gezeigt, der çffentliche Vortrag. Es ist dabei von grçßter Wichtigkeit, dass Kant der Gelehrtençffentlichkeit ausdrcklich „Autonomie“ zugesteht bzw. eine solche Autonomie fordert; „ber Gelehrte“, schreibt er, „kçnnen nur Gelehrte urteilen“. Wrden die Gelehrten nicht ber diese Unabhngigkeit verfgen, wrde es sich bei ihrem Vernunftgebrauch um keinen çffentlichen Vernunftgebrauch handeln, zumindest nicht, wenn man den in 1.1 dargestellten Maßstab aus der Aufklrungsschrift anlegen sollte, wonach nur derjenige çffentlich von seiner Vernunft Gebrauch macht, der in diesem Gebrauch autonom verfhrt. Ursula Goldenbaum weist in ihrer Untersuchung der ffentlichkeit der Aufklrung auf die historische Bedeutung dieser Gelehrtençffentlichkeit hin. So seien es Ende des 18. Jahrhunderts weniger literarische und kulturelle Zirkel gewesen, die politische ffentlichkeiten konstituierten, als vor allem der politische Diskurs akademischer Kreise.159 157 Vgl. Blesenkemper, Publice age, S. 200 ff. 158 Streit, Bd. 11, A 3, 4, 5. 159 Vgl. Goldenbaum, Appell an das Publikum, S. 4 f. u. S. 86 ff.
2.6 Universitt als ffentlichkeit des theoretischen Vernunftgebrauchs
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Die ffentlichkeit des theoretischen Vernunftgebrauchs freier Individuen darf aber definitiv nicht auf den Personenkreis der Gelehrten und den Raum der Universitt eingeschrnkt werden. Es gilt hier genau jener Zusammenhang, der bereits in Bezug auf die Rolle der Gelehrten im Aufklrungsprozess dargestellt wurde: Gelehrtençffentlichkeit und noch nicht aufgeklrtes Publikum, das Volk, welches, wie Kant abfllig bemerkt, „aus Idioten besteht“160, werden, wie Blesenkemper feststellt, verschmelzen, „wenn das große Publikum die vom eigentlichen Publikum vorgelebte Denkfreiheit frei annimmt“161. Die ffentlichkeit des theoretischen Vernunftgebrauchs ist demnach grundstzlich jedermann zugnglich, der sich auf den Gebrauch seiner theoretischen Vernunft versteht. Dass wir aber berhaupt dazu in der Lage sind, uns mit anderen Individuen çffentlich ber theoretische Fragestellungen, letztendlich also ber die Wahrheit, zu verstndigen, dass wir also dazu in der Lage sind, eine ffentlichkeit des theoretischen Vernunftgebrauchs zu konstituieren, ist nach Kant nur unter einer Bedingung mçglich: der Bedingung nmlich, dass wir als denkende Wesen ber die identischen apriorischen Verstandesstrukturen verfgen. Um diesen Zusammenhang wird es nun ausfhrlich im nchsten Kapitel gehen: Kants Theorie transzendentaler Intersubjektivitt, wie sie in der Kategorienlehre entfaltet wird, ist die Bedingung der Mçglichkeit der ffentlichkeit des theoretischen Vernunftgebrauchs.
160 Streit, Bd. 11, A 6. 161 Blesenkemper, Publice age, S. 215.
3. ,Wir denken‘: Kants Transzendentale Intersubjektivitt In der transzendentalen sthetik und der transzendentalen Logik entwickelt Kant die Grundzge einer Erkenntnistheorie. Die in diesen Grundzgen vollzogene kopernikanische Wendung, fr viele Kant-Kritiker der Ausgangspunkt des Subjektivismusvorwurfs, trgt tatschlich das in sich, was hier als transzendentale Intersubjektivitt bezeichnet wird1 – wenngleich Kant selbst diesen Begriff freilich nicht verwendet. Was genau ist damit gemeint? Zu Beginn der transzendentalen Logik kndigt Kant an, er werde die reinen Verstandesbegriffe bis zu ihren ersten Keimen „im menschlichen Verstande“2 verfolgen. An der Rede vom menschlichen Verstand zeigt sich zum einen, was bereits im zweiten Kapitel festgestellt wurde, dass nmlich smtliche kognitiven Leistungen immer Leistungen von Individuen sind. Zweitens wird angedeutet, und das ist der fr dieses Kapitel entscheidende Aspekt, dass die reinen Verstandesbegriffe als Grundstruktur des menschlichen Verstandes in allen Menschen anzutreffen sind, dass sie also den Erkenntnisprozess aller Individuen steuern. Unser Wissen ist somit zwar subjektiv konstituiert, aber auf Grundlage eines fr jedermann verbindlichen Fundaments. Da es sich bei diesem Fundament um eine apriorische Struktur handelt, die transzendental deduziert wird, kann von transzendentaler Intersubjektivitt gesprochen werden. Gbe es diese Grundlage nicht, wrden wir nicht nur ber keine einheitliche Erfahrung, sondern vor allem auch ber keine einheitliche Sprache verfgen. Transzendentale Intersubjektivitt beschreibt somit ein Fundament sowie eine auf diesem Fundament basierende Fhigkeit: Im Sinne eines Fundaments bezeichnet transzendentale Intersubjektivitt unsere apriorische, fr jedes Ich geltende Verstandesstruktur als Basis aller Erfahrung. Im 1
2
Es kçnnte natrlich auch von Interindividualitt gesprochen werden. Da es sich hier aber ausdrcklich um eine transzendentale Betrachtung handelt, die sich ausdrcklich auf den intelligiblen Teil aller Ichs bezieht, wird der Begriff Intersubjektivitt verwendet (siehe die Unterscheidung von Subjekt und Individuum in der Einleitung). KrV, Bd. 3, B 91.
3.1 Raum und Zeit oder Zwei Bedeutungen von ,subjektiv‘
87
Sinne einer Fhigkeit bezeichnet transzendentale Intersubjektivitt die sich aus dieser Struktur ergebenden Konsequenzen, unser Vermçgen nmlich sowohl einheitliche Erkenntnisse zu konstituieren als auch auf einheitlicher sprachlicher Basis ber eben diese Erkenntnisse kommunizieren zu kçnnen.
3.1 Raum und Zeit oder Zwei Bedeutungen von ,subjektiv‘ Bevor es um die reinen Verstandesbegriffe gehen kann, soll zunchst in aller Krze auf den ersten Stamm der menschlichen Erkenntnis, die Sinnlichkeit und damit auf Kants Theorie von Raum und Zeit eingegangen werden. In der transzendentalen sthetik erweisen sich Raum und Zeit als die apriorischen Prinzipien der Sinnlichkeit. Kant unterscheidet fr jede Erscheinung zwischen Materie und Form. Da nur die Materie als Empfindung das anschauende Individuum affizieren kann, geht Kant davon aus, dass die Form, in der die Erscheinung geordnet wird, bereits a priori in unserem Gemt liegen muss.3 Raum und Zeit sind also nicht an den Objekten, sie stammen auch nicht aus dem Verstand und seinen Begriffen, sie sind als formales Prinzip unserer Sinnlichkeit „bloß subjektive Bedingungen aller unserer Anschauung“4. Das bedeutet aber nicht, dass Raum und Zeit nur subjektiv in einem einzelnen Individuum gelten, sondern dass sie gerade objektive Gltigkeit haben.5 Als apriorische Prinzipien der Sinnlichkeit sind beide, wie Peter Bieri, wenngleich nur in Bezug auf die Zeit, schreibt, „elementare und irreduzible Strukturen unserer Erfahrung“6. Kant sagt, Raum und Zeit als von jeglicher empirischer Empfindung und smtlichen Verstandeseinflssen isolierte reine Form des ußeren bzw. inneren Sinns gelten a priori7, kommen uns also nicht „zuflliger Weise“8 zu. Schon aus dieser Bestimmung lsst sich ihr fr alle Individuen objektiver Charakter ableiten. A priori ist ein Satz bekanntlich, wenn er notwendig, mit „strenger Allgemeinheit“ gedacht wird, „so, daß gar keine Ausnahme als mçglich verstattet wird“9. Sind Raum und Zeit also die 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. KrV, Bd. 3, B 33, 34 f. KrV, Bd. 3, B 66. Vgl. Gerhardt, Vernunft und Leben, S. 160 f. Bieri, Peter: Zeit und Zeiterfahrung. Exposition eines Problembereichs. Frankfurt a. M., 1972, S. 138. Vgl. KrV, Bd. 3, B 37 u. a. KrV, Bd. 3, B 63. KrV, Bd. 3, B 3, 4.
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3. ,Wir denken‘: Kants Transzendentale Intersubjektivitt
apriorische Form unserer Anschauung, dann sind sie das notwendigerweise fr alle anschauenden Individuen gleichermaßen. Insofern ist es wenig verwunderlich, dass Kant, wie Gerhardt bereits gezeigt hat10, zentrale Passagen der transzendentalen sthetik aus der Perspektive des Wir formuliert: Raum und Zeit sind die subjektive „Beschaffenheit unseres Gemts“11, sie sind die „subjektive Bedingung der Sinnlichkeit, unter der allein uns ußere Anschauung mçglich ist“12. Raum und Zeit sind die Bedingungen, „welche unsere Anschauung einschrnken und fr uns allgemeingltig sind“13. Die Zeit ist eine „subjektive Bedingung unserer (menschlichen) Anschauung“14. Raum und Zeit drfen nur auf empirische Gegenstnde, niemals auf Dinge an sich angewendet werden, denn: „Wir kennen nichts, als unsere Art, sie wahrzunehmen, die uns eigentmlich ist, die auch nicht notwendig jedem Wesen, ob zwar jedem Menschen, zukommen muß.“15 Kant unterstellt die Gleichartigkeit von Raum und Zeit fr alle Individuen also nicht nur stillschweigend, er spricht sie expressis verbis aus. Nun ergibt sich natrlich die Frage, warum dann berhaupt von Raum und Zeit als subjektiven Bedingungen die Rede ist? Als subjektiv bezeichnet Kant Raum und Zeit, weil sie als reine Form der Anschauung keine eigenstndige objektive (im Sinne von: von den Objekten kommende) Realitt haben, sondern ausschließlich subjektiv in uns sind, als reine Form unserer Sinnlichkeit. Das heißt: Raum und Zeit sind subjektiv in uns angelegt, sie gelten aber objektiv fr uns alle. In diesem Sinne sagt Kant, der Grundsatz, dass alle Dinge als Erscheinungen in der Zeit sind, habe seine „gute objektive Richtigkeit“16. Und in Bezug auf den Raum: „Es gibt aber auch außer dem Raum keine andere subjektive und auf etwas ußeres bezogene Vorstellung, die a priori objektiv heißen kçnnte.“17 Raum und Zeit haben also, wie Jaspers schreibt, „objektive Gltigkeit fr alles, was uns ußerlich
10 11 12 13 14 15 16 17
Vgl. Gerhardt, Vernunft und Leben, S. 152 f. KrV, Bd. 3, B 38, 39. KrV, Bd. 3, B 42, 43. KrV, Bd. 3, B 44. KrV, Bd. 3, B 52. KrV, Bd. 3, B 60. KrV, Bd. 3, B 52. KrV, Bd. 3, B 44.
3.1 Raum und Zeit oder Zwei Bedeutungen von ,subjektiv‘
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als Gegenstand und innerlich als Erfahrung unserer Subjektivitt vorkommen kann“18. Kant kennt demnach zwei vçllig verschiedene, ja einander entgegengesetzte Bedeutungen von subjektiv. Subjektiv beschreibt einmal im eben gezeigten Sinne den Umstand, dass etwas apriorisch aus uns kommt und nicht an den Dingen liegt, was man als transzendentale Bedeutung von subjektiv bezeichnen kçnnte.19 Gleichzeitig verwendet Kant subjektiv in einem Zusammenhang, der unserem heutigen Sprachgebrauch entspricht: subjektiv im Sinne von privatgltig, was hier als psychologische Bedeutung bezeichnet wird. Privatgltig sind zum Beispiel Urteile ber das Angenehme. So beschreibt Kant in der Grundlegung das Angenehme als etwas, „was nur vermittelst der Empfindung aus bloß subjektiven Ursachen, die nur fr dieses oder jenes seinen Sinn gelten, und nicht als Prinzip der Vernunft, das fr jedermann gilt, auf den Willen Einfluß hat“20. Es handelt sich hier also um die „subjektiven empirischen Bedingungen, die uns die Psychologie lehrt“21. hnlich heißt es in der dritten Kritik, Urteile ber z. B. eine angenehme Speise grndeten sich auf ein Privatgefhl. Wenn ich sage, dieses oder jenes sei angenehm, sage ich, es „ist m i r angenehm“22. Subjektiv bedeutet in diesem psychologischen Kontext singulr, nur fr den Einzelnen gltig. Von dieser subjektiven Privatgltigkeit des Angenehmen grenzt Kant den Raum in der KrV ausdrcklich ab. Die im einzelnen Individuum zum Beispiel durch einen guten Wein verursachten Vernderungen kçnnen „bei verschiedenen Menschen verschieden sein“23 – der Raum hingegen als die einzige auf etwas ußeres bezogene Vorstellung, die a priori objektiv sein kann, und damit als die einzige Quelle der Geometrie, gilt fr uns alle gleichermaßen. Raum und Zeit sind demnach subjektiv im Sinne der transzendentalen Bedeutung von subjektiv. Im psychologischen Sinne kçnnte das raumzeitliche subjektiv alleine deswegen nicht verstanden werden, da Raum und Zeit als Form der Anschauung vor jeglicher Individualisierung in uns liegen, das Ich auf seine apriorischen Anschauungsformen also keinerlei Einfluss hat. Als Bedingungen der Mçglichkeit von Sinnlichkeit gelten 18 Jaspers, Grnder des Philosophierens, S. 202. 19 Vgl. Art. zu subjektiv, in: Rudolf Eisler: Kant-Lexikon. Nachschlagewerk zu Kants smtlichen Schriften, Briefen und handschriftlichen Nachlaß. Hildesheim, 52002, S. 515 f. 20 GMS, Bd. 7, BA 38, 39. 21 KrV, Bd. 3, B 78. 22 KU, Bd. 10, B 19. 23 KrV, Bd. 3, B 45.
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3. ,Wir denken‘: Kants Transzendentale Intersubjektivitt
beide, bereits bevor das Bewusstsein des erkennenden Individuums, also das Ich, berhaupt thematisiert wird (bevor in einem nicht-zeitlichen, transzendentalen Sinne).24 Wir befinden uns in der sthetik also noch in einem, wie Reinhard Brandt sagt, „Vorraum des Ich“25. Kommt dann aber das Ich eines einzelnen Individuums im konkreten Erkenntnisprozess ins Spiel, so kann von diesem Ich a priori gesagt werden, dass Raum und Zeit seine Anschauung als Form der Anschauung genau so strukturieren, wie es bei allen anderen Anschauungen aller anderen Ichs der Fall ist. Denn die raumzeitliche Strukturierung erfolgt in allen Individuen nach den identischen mathematischen Gesetzmßigkeiten. Cassirer sagt daher, Raum und Zeit seien „ein Schema, in welches wir die Ereignisse einordnen mssen, damit sie im Gegensatz zu subjektiven, in hohem Maße zuflligen Wahrnehmungen objektive Bedeutung gewinnen“26.
3.2 Transzendentale Intersubjektivitt in der Kategorienlehre Alle Wahrheit hat nach Kant einen subjektiven Kern: Sie bekommt ihre Objektivitt von einem Individuum zugesprochen. Es ist vor allem diese kopernikanische Umkehrung, die in der Interpretation dazu gefhrt hat, dass Kant bis heute der Vorwurf gemacht wird, seine Erkenntnistheorie sei subjektivistisch (siehe Einleitung). Tatschlich jedoch liegt Kant nichts ferner als ein solcher Subjektivismus. Kant denkt Erkenntnis zwar als die Erkenntnis eines die Strukturen dieser Erkenntnis vorgebenden Ichs. Die systematische Frage, die sich Kant dabei aber stellt, ist die Frage, wie fr dieses die Strukturen aller Erfahrung vorgebende Ich – als ein soziales Ich, das qua Geburt in einer Gemeinschaft steht – ein erkenntnistheoretischer Solipsismus verhindert werden kann. Mit seiner Kategorienlehre versucht Kant genau dieses Problem in den Griff zu bekommen: Die reinen Verstandesbegriffe garantieren, dass alle menschliche Erfahrung, auch wenn sie von einzelnen Individuen konstituiert wird, auf einem einheitlichen Fundament steht. In der Darstellung der beiden Deduktionen von Willem Lodewijk van Reijen klingt dieser Zusammenhang an. In der Deduktion, schreibt van Reijen, ginge es Kant um die „Einheit alles philosophischen berlegens“, 24 Vgl. Gerhardt, Vernunft und Leben, S. 147. 25 Brandt, Reinhard: Transzendentale sthetik §§ 1 – 3. In: Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft. Hrsg. v. Georg Mohr u. Marcus Willaschek, Berlin, 1998, S. 95. 26 Cassirer, Ernst: Zur Einstein’schen Relativittstheorie. Berlin, 1921, S. 81.
3.2 Transzendentale Intersubjektivitt in der Kategorienlehre
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letztendlich also um „die Frage nach der Wahrheit“27. Es liegt auf der Hand, dass die Einheit des philosophischen berlegens eine Einheit aller berlegenden ist. Ginge es nur um eine Privatwahrheit eines einzelnen Ichs, so bedrfte es keiner Deduktion als Prfung der Rechtmßigkeit der Geltungsansprche der Kategorien. Gerhardt schreibt: „Die Deduktion wre somit widersinnig, wenn sie von einem vollkommen auf sich selbst bezogenen, von aller Gemeinschaft isolierten Ich ausgehen sollte, um von ihm aus herzuleiten, dass es dennoch als Trger aller Erfahrung begriffen werden muss.“28 Warum sollte sich Kant also die Mhe einer Deduktion machen, ja diese Deduktion fr die zweite Auflage der reinen Vernunft sogar komplett berarbeiten, wenn letztendlich etwas deduziert werden sollte, bei dem der Einzelne das epistemologische Maß aller Dinge ist? Fr eine subjektivistische Vernunft bedarf es keiner Deduktion, letztendlich auch keiner Kritik. Vom ,Wir denken‘ im ,Ich denke‘ In der transzendentalen Logik steht Kant vor der Beantwortung der Hauptfrage der reinen Vernunft, nmlich ob und wie synthetische Stze a priori mçglich sind. Im Leitfaden wird zunchst nachgewiesen, dass die Kategorien ihren apriorischen Ursprung in den logischen Funktionen des Denkens haben. Diesen Nachweis wird Kant spter als metaphysische Deduktion bezeichnen.29 In der eigentlichen Deduktion, der transzendentalen Deduktion, geht es dann um die Legitimitt der Kategorien, also um die Erklrung, „wie sich Begriffe a priori auf Gegenstnde beziehen kçnnen“30, letztendlich also um die Schwierigkeit aller Schwierigkeiten, „wie nmlich s u b j e k t i v e B e d i n g u n g e n [subjektiv im Sinne der ersten, transzendentalen Bedeutung; siehe 3.1] d e s D e n k e n s sollten o b j e k t i v e G l t i g k e i t haben, d. i. Bedingungen der Mçglichkeit aller Erkenntnis der Gegenstnde abgeben“31. Es ist die berhmte synthetische Einheit der Apperzeption, die zum zentralen Moment der Auflçsung dieser Schwierigkeit wird. Die synthe27 Reijen, Willem Lodewijk van: Die Wahrheitsfrage in der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe. In: Kant-Studien, 61, 1970, S. 339. 28 Gerhardt, Vernunft und Leben, S. 170. 29 Vgl. KrV, Bd. 3, B 159. 30 KrV, Bd. 3, B 118. Vgl. B 81, B 122, B 123, 124 u. a. 31 KrV, Bd. 3, B 122.
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3. ,Wir denken‘: Kants Transzendentale Intersubjektivitt
tische Einheit ist eine Leistung des Ichs. In der B-Deduktion heißt es, das Mannigfaltige der Anschauung muss von uns „auf gewisse Weise durchgegangen, aufgenommen und verbunden“32 werden. Diese Verbindung „kann niemals durch Sinne in uns kommen“33. Das bedeutet, wir kçnnen uns nichts als im Objekt verbunden vorstellen, „ohne es vorher selbst verbunden zu haben“, denn die Verbindung des Mannigfaltigen ist etwas, das „nicht durch Objekte gegeben, sondern nur vom Subjekte selbst verrichtet werden kann, weil sie ein Actus seiner Selbstttigkeit ist“, nmlich eine „Verstandeshandlung“. Der Actus des Verbindens setzt allerdings bereits eine gewisse Einheit voraus, „die a priori vor allen Begriffen der Verbindung vorhergeht“. Diese Einheit ist die „t r a n s z e n d e n t a l e Einheit des Selbstbewußtseins“34, das berhmte Ich denke der B-Deduktion. Das Ich denke „muß alle meine Vorstellungen begleiten kçnnen; denn sonst wrde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden kçnnte, welches eben so viel heißt, als die Vorstellung wrde entweder unmçglich, oder wenigstens fr mich nichts sein“. Es geht hier also, wie Wolfgang Carl sagt, um eine Art „Selbstzuschreibung des Mentalen vom Standpunkt der ersten Person“35. Die Bedingung dafr, dass ich Vorstellungen als meine Vorstellungen ansehen und dass ich ein Bewusstsein von ihnen haben kann, ist die synthetische Einheit dieser Vorstellungen in mir.36 Kant formuliert das so: „Synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauungen, als a priori gegeben, ist also der Grund der Identitt der Apperzeption selbst, die a priori allem m e i n e m bestimmten Denken vorhergeht.“37 Die synthetische Einheit der Apperzeption geht der analytischen Verbindung, also der Verknpfung, die eine Anschauung mit einem Begriff verbindet, voraus. Bevor Vorstellungen analytisch unter einem Begriff zusammengefasst werden kçnnen, mssen sie zunchst synthetisch zusammengebracht werden, damit sie berhaupt empfnglich fr die Begriffe sind, „d. i. die a n a l y t i s c h e Einheit der Apperzeption ist nur unter der Voraussetzung
32 33 34 35
KrV, Bd. 3, B 102, 103. KrV, Bd. 3, B 130, 131. KrV, Bd. 3, B 132, 133. Carl, Wolfgang: Die transzendentale Deduktion in der zweiten Auflage. In: Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft. Hrsg. v. Georg Mohr u. Marcus Willaschek, Berlin, 1998, S. 192. 36 Vgl. Klemme, Philosophie des Subjekts, S. 382. 37 KrV, Bd. 3, B 134 f.
3.2 Transzendentale Intersubjektivitt in der Kategorienlehre
93
irgend einer s y n t h e t i s c h e n mçglich“38 – nmlich der synthetischen Einheit der Apperzeption. Die synthetische Einheit der Apperzeption ist fr Kant der „hçchste Punkt“39 aller Transzendentalphilosophie. Und sie ist gleichzeitig der hçchste Punkt der transzendentalen Intersubjektivitt. Denn es wre ein Fehlschluss zu glauben, im Ich denke sei jeglicher Bezug auf das Wir verloren. Das Ich denke zeigt an, dass Vorstellungen grundstzlich „m e i n e Vorstellungen“40 sind und dass ich ein Bewusstsein von ihnen als meinen Vorstellungen habe. Beides steht, wie gesagt, unter der Bedingung der synthetischen Einheit dieser Vorstellungen. Die Tatsache, dass diese Synthese immer in einem Individuum stattfindet, in meinem Fall also in mir, bedeutet aber noch lange nicht, dass sie nach meinem persçnlichen Gutdnken erfolgen kçnnte, sozusagen privat variabel. Die Objektivitt der Welt ist zwar, wie Manfred Frank sagt, „das Ergebnis eines Eingreifens der Einheit des Selbst in die chaotische Mannigfaltigkeit dessen, was uns die Sinne liefern“41. Wenn dieses Eingreifen aber, wie ebenfalls Frank sagt, „vermittels der Kategorien“ erfolgt – die abgeleitet wurden aus der Urteilsfunktion als Funktion der Einheit „unter unseren [!] Vorstellungen“42 –, dann kann das nur bedeuten, dass das Selbst in seinem Eingreifen nicht, wie Kant schreibt, „beliebig“, also „nicht aufs Geratewohl“43 verfahren kann. Entscheidend dabei: Das Durchlaufen erfolgt nicht nur in mir nicht aufs Geratewohl – es erfolgt in smtlichen Individuen nicht aufs Geratewohl. Die Kategorien als apriorische, in uns allen notwendigerweise gltige Prinzipien leiten in uns allen das synthetische Zur-Einheit-Formen, sie bestimmen in uns allen jeden Schritt der reinen Synthese des Mannigfaltigen, sind also in uns allen die verschiedenen Arten, nach denen das Gegebene a priori verknpft wird. Die durch die Kategorien gesteuerte 38 KrV, Bd. 3, B 134. 39 Ausfhrlich heißt es in entsprechender Fußnote: „Und so ist die synthetische Einheit der Apperzeption der hçchste Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die Transzendental-Philosophie heften muß, ja dieses Vermçgen ist der Verstand selbst.“ 40 KrV, Bd. 3, B 134. 41 Frank, Manfred: Selbstbewußtseinstheorien von Fichte bis Sartre. Frankfurt a. M., 2 1993, S. 419. 42 KrV, Bd. 3, B 94. 43 KrV, Bd. 3. A 105. Vgl. Hoppe, Hansgeorg: Die transzendentale Deduktion in der ersten Auflage. In: Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft. Hrsg. v. Georg Mohr u. Marcus Willaschek, Berlin, 1998, S. 168.
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3. ,Wir denken‘: Kants Transzendentale Intersubjektivitt
Einheit der Apperzeption ist schließlich – darum geht es gerade in der Deduktion – eine allgemeingltige Leistung, die nicht „ganz zufllig“ erfolgt; eine solche zufllige Verbindung wrde bedeuten, einer „verbindet die Vorstellung eines gewissen Worts mit einer Sache, der andere mit einer anderen Sache“44. Genau das aber ist nach Kant in der verstandesmßigen Synthetisierung des Mannigfaltigen nicht der Fall. Wenn Peter Baumanns also sagt, die „logischen Denkfunktionen besitzen fr alles dem Subjekt gegebene Mannigfaltige objektive Gltigkeit, das Eigentlich-Empirische der Sinnesdaten nicht ausgenommen“45, dann kann hinzugefgt werden: Sie gelten fr alles Mannigfaltige in allen Subjekten.46 Klemme schreibt in diesem Sinne beilufig, die objektive Einheit der Apperzeption bezeichne „eine Objekteinheit, die fr alle Subjekte, die sich im ,Ich denke‘ ihrer Einheit und numerischen Identitt bewußt sind, Gltigkeit beansprucht“47. Die Betonung muss auf dem fr alle Subjekte liegen. Liesegang konstatiert passend dazu unter Bezug auf Blesenkemper, Kant habe mit den Kategorien eine „apriorische Kollektivitt der Erkenntnis- und Urteilsfhigkeit“48 im Sinn. Man kçnnte auch sagen: In jedem von uns ist ein Teil von uns allen. Auf diesen Zusammenhang hat bereits Georg Simmel hingewiesen. Sim44 KrV, Bd. 3, B 140. 45 Baumanns, Peter: Kants Philosophie der Erkenntnis. Durchgehender Kommentar zu den Hauptartikeln der „Kritik der reinen Vernunft“. Wrzburg, 1997, S. 424. 46 Siehe hierzu auch die Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Einheit des Bewusstseins: Anders als bei der objektiven haben wir es bei der subjektiven Einheit mit einer Einheit unter Bercksichtigung der speziellen empirisch-psychologischen Bedingungen eines erkennenden Individuums zu tun (vgl. KrV, Bd. 3, B 140). Nicht zu verwechseln ist dieser Gebrauch von subjektiv wiederum mit jenem subjektiv in Kants Differenzierung zwischen subjektiver und objektiver Deduktion (vgl. KrV, Bd. 3, A XVI sowie A 97 ff.). Carl hat gezeigt, dass die subjektive Deduktion gerade nicht eine empirisch-psychologische Untersuchung des Erkenntnisprozesses ist, sondern eine transzendentale Untersuchung, die sich – anders als die objektive Deduktion, die zeigen soll, wie sich reine Begriffe auf empirische Gegenstnde beziehen – mit der Frage beschftigt, wie der reine Verstand als Erkenntnisvermçgen zu bestimmen ist, auf welchen Quellen bzw. Vermçgen (siehe dreifache Synthesis) seine Leistung, nmlich der Gegenstandsbezug der reinen Begriffe, beruht (Carl, Wolfgang: Die Transzendentale Deduktion der Kategorien in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft. Ein Kommentar. Frankfurt a. M., 1992, S. 44 ff.). In der Rede von der subjektiven Einheit des Bewusstseins verwendet Kant subjektiv also im empirisch-psychologischen, in der Rede von der subjektiven Deduktion im transzendentalen Sinne. 47 Klemme, Philosophie des Subjekts, S. 194. 48 Liesegang, ffentlichkeit und çffentliche Meinung, S. 54.
3.2 Transzendentale Intersubjektivitt in der Kategorienlehre
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mel sieht im Kantischen Ich die philosophische Sublimierung des Grundmotivs des Rationalismus im 18. Jahrhundert, nmlich des Interesses am allgemeinen Menschen. 49 Kant abstrahiere zwar vom zuflligen Einzelnen. Es sei aber diese „Entleerung des bloßen Ich von allem individuellen und tatschlich gegebenen Inhalt“, die berhaupt erst „die geeignete Grundlage fr die Gleichheit aller Ichs“50 bilde. In jedem Individuum sei ein Kern enthalten, „der das Wesentliche an ihm und der zugleich in allen Menschen derselbe ist“51. Die Kategorien mssen bei Kant als genau dieser Kern verstanden werden. Um zusammenzufassen: Im hçchsten Punkt der Transzendentalphilosophie, der synthetischen Einheit der Apperzeption, ist das die Synthese erwirkende Ich unmittelbar auf alle anderen Ichs bezogen, da die synthetische Einheit eine Einheit ist, die in allen Ichs auf identische Art und Weise zustande kommt. Das Kantische Ich denke ist somit, wenn man so will, ein Wir denken. In den Prolegomena trifft Kant vor diesem Hintergrund seine berhmte Unterscheidung zwischen privatgltigen Wahrnehmungs- und objektivintersubjektiven Erfahrungsurteilen: Da „durch den Verstandesbegriff die Verknpfung der Vorstellungen, die unsrer Sinnlichkeit von ihm gegeben sind, als allgemeingltig bestimmt wird, so wird der Gegenstand durch dieses Verhltnis bestimmt, und das Urteil ist objektiv“52. Die Objektivitt kommt also, wie gezeigt, niemals empirisch aus den Gegenstnden, sie beruht auf der Verknpfung des Mannigfaltigen durch die reinen Verstandesbegriffe. Wahrnehmungsurteile wie „daß das Zimmer warm, der Zucker sß, der Wermut widrig sei, sind bloß subjektiv gltige Urteile“53 (subjektiv im Sinne des zweiten, psychologischen Bedeutungsfeldes: privatgltig). Beim Fllen solcher Urteile kann der Urteilende nicht verlangen, dass „jeder andrer es eben so, wie ich, finden soll“, ja nicht einmal ich kann von mir selbst verlangen, dass ich mein Urteil zu einem spteren 49 Vgl. Simmel, Georg: Kant und der Individualismus (1904). In: Georg Simmel: Gesamtausgabe. Bd. 7: Aufstze und Abhandlungen 1901 – 1908. Hrsg. v. Otthein Rammstedt, Frankfurt a. M., 1995, S. 275. 50 Simmel, Kant und der Individualismus, S. 276. 51 Simmel, Kant und der Individualismus, S. 274. Diesen Zusammenhang sieht sogar Apel. Obwohl er, wie in der Einleitung zitiert, Kant einen methodischen Solipsismus vorwirft, spricht er von der objektiven Einheit der Vorstellungen „in einem als intersubjektiv unterstellten ,Bewußtsein berhaupt‘“ (Apel, Transformation der Philosophie, S. 164). 52 Prolegomena, Bd. 5, A 79, 80. 53 Prolegomena, Bd. 5, A 81.
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3. ,Wir denken‘: Kants Transzendentale Intersubjektivitt
Zeitpunkt wieder auf die gleiche Art und Weise fllen werde.54 Klemme sagt: „Terminologisch kçnnen diese Wahrnehmungsurteile als Empfindungsurteile gekennzeichnet werden, die weder wahr noch falsch sein kçnnen und in diesem Sinne berhaupt keine Urteile sind.“55 Bei Erfahrungsurteilen hingegen schrnkt sich die Gltigkeit „nicht auf das Subjekt oder seinen damaligen Zustand ein“56 – Erfahrungsurteile sind allgemeingltige Urteile: „Ich will also, daß ich jederzeit, und auch jedermann dieselbe Wahrnehmung [Akad.-Ausg. erwgt: „Wahrnehmungen“] unter denselben Umstnden notwendig verbinden msse.“ Es ist dabei, das sei nochmals betont, die kategoriale Zusammenfassung des Mannigfaltigen einer Anschauung, die einem Erfahrungsurteil „objektive Gltigkeit und notwendige Allgemeingltigkeit (vor jedermann)“57 verleiht. Das ,Wir denken‘: Garant gemeinsamer Erfahrung, Garant gemeinsamer Sprache Aus der transzendentalen Intersubjektivitt ergeben sich drei zentrale Konsequenzen, und zwar Konsequenzen, die im Sinne der zweiten der beiden zu Beginn dieses Kapitels definierten Bedeutungsebenen von transzendentaler Intersubjektivitt verstanden werden mssen – transzendentale Intersubjektivitt nicht als Fundament, sondern als auf diesem Fundament basierende Fhigkeit: 1. Die Kategorien als Bedingung, „unter welcher alle Gegenstnde unserer (der menschlichen) Anschauung notwendiger Weise stehen mssen“58, gewhrleisten, wie bereits gezeigt, dass wir es in unseren Erkenntnissen mit gemeinsamen Erkenntnissen zu tun haben, dass also, um die Formulierung aus den Prolegomena aufzugreifen, ein Urteil nicht auf das Subjekt eingeschrnkt ist, sondern fr jedermann gilt. Denn die Einheit der Apperzeption ist eine Einheit, die in allen denkenden Individuen auf die gleiche Art und Weise zustande kommt. In den Paralogismen schreibt Kant, dass „die Bedingung, unter der ich berhaupt denke“, zwar nur eine 54 Ein Wahrnehmungsurteil allerdings kann grundstzlich zu einem Erfahrungsurteil werden: Ersetze ich den Satz Mir ist warm durch den vermittels der Kategorie der Kausalitt strukturierten Satz Die Sonne scheint in den Raum, also wird er erwrmt, so habe ich es nach Kant mit einem Erfahrungsurteil zu tun. 55 Klemme, Philosophie des Subjekts, S. 184 f. 56 Prolegomena, Bd. 5, A 81. 57 Prolegomena, Bd. 5, A 79, 80. 58 KrV, Bd. 3, B 151.
3.2 Transzendentale Intersubjektivitt in der Kategorienlehre
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„Beschaffenheit meines Subjektes ist“, dennoch aber „fr alles, was denkt, gltig sein solle“, und dass „alles, was denkt, so beschaffen sei“59. Das zeigt exemplarisch: Kant individualisiert im Zuge der kopernikanischen Wendung zwar den Erkenntnisbegriff – diese Individualisierung fhrt aber gerade nicht in die relativistische Isolation, sondern ermçglicht eine epistemische Zusammenstimmung. Mit der kopernikanischen Wende, die Kant den Subjektivismusvorwurf berhaupt erst einbrachte, wird also tatschlich der Grundstein gelegt fr kollektiv einheitliche Erkenntnis. Nur weil die Einheit der Dinge der Natur „in uns angetroffen wird“60, besteht berhaupt die Mçglichkeit, dass „wir […] diese Einheit a priori, mithin auch als notwendig erkennen kçnnen, welches wir wohl mßten unterwegens lassen, wre sie unabhngig von den ersten Quellen unseres Denkens a n s i c h gegeben“61. Es drfte demnach kein Zufall sein, dass Kant den Kernsatz der kopernikanischen Revolution in der ersten Person Plural formuliert: „Die Ordnung und Regelmßigkeit also an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein, und wrden sie auch nicht darin finden kçnnen, htten wir sie nicht, oder die Natur unseres Gemts ursprnglich hineingelegt.“62 Der Kantische Individualismus wird so zum eigentlichen Garanten nicht nur unserer Einheitlichkeit, sondern auch der Einheitlichkeit der Welt fr uns alle. Unser Verstand ist, wie Rdiger Safranski treffend festhlt, nach Kant „ein gemeinschaftlicher Besitz der Menschen“, der uns alle „in eine Welt einfgt, die man miteinander teilen kann“63. Und Simmel schreibt, die Kantische Welt sei fr uns alle die gleiche Welt, „weil alle Subjekte als weltauffassende gleich sind. Darum wre fr Kant die Idee, daß ein jeder seine besondere Wahrheit hat, ein Widerspruch und ein Greuel.“64 Letztendlich kann die gesamte Kategorienlehre damit gelesen werden als Antwort auf die Frage, wie, ausgehend vom im ersten Kapitel darge59 KrV, Bd. 4, B 404, 405. Gerhardt sagt (nicht konkret in Bezug auf Kant), jeder Mensch sei „im Begreifen einer Sache niemals bloß bei ihr, erst recht nicht, wie der radikale Skeptiker unterstellt, ganz und gar bei sich selbst. Er ist vielmehr immer auch bei seinesgleichen“, die eine Sache „ebenso wie er“ begreifen (Gerhardt, Individualitt, S. 48). 60 KrV, Bd. 3, A 130. 61 KrV, Bd. 3, A 114. 62 KrV, Bd. 3, A 125 f. 63 Safranski, Rdiger: Wieviel Wahrheit braucht der Mensch? ber das Denkbare und das Lebbare. Mnchen, 1990, S. 116. 64 Simmel, Kant und der Individualismus, S. 277.
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stellten Faktum unserer Sozialitt, vom Faktum des unvermeidlichen Nebeneinanderseins mit allen anderen, die Erkenntnis eines einzelnen Individuums mit den Erkenntnissen aller anderen Individuen auf eine gemeinsame epistemische Linie gebracht werden kann. 2. Die transzendentale Intersubjektivitt dient nicht nur als Bedingung der Mçglichkeit einheitlicher Erkenntniskonstitution – sie dient auch als Mçglichkeitsbedingung kommunikativer Verstndigung. Es sind die Kategorien, die dafr sorgen, dass wir eine zumindest in ihren Grundzgen gemeinsame Sprache sprechen. Kant selbst hat diese Bedeutung der Kategorien benannt. In den Vorlesungen zur Metaphysik bezeichnet er die Verstandesbegriffe als die „t r a n s c e n d e n t a l e G r a m m a t i k , die den Grund der menschlichen Sprache enthlt“65. Und im bereits im zweiten Kapitel zitierten Brief an Beck heißt es: „Wir kçnnen aber nur das verstehen und Anderen mittheilen, was wir selbst machen kçnnen, vorausgesetzt, daß die Art, wie wir etwas anschauen, um dies oder jenes in eine Vorstellung zu bringen, bey Allen als einerley angenommen werden kann.“66 Hier wird die Verbindung von Kategorien und Kommunikabilitt (gleichzeitig natrlich auch die Verbindung von Kategorien und kollektiveinheitlicher Erkenntnis, wie sie im ersten Punkt behandelt wurde) in aller Deutlichkeit zur Sprache gebracht: Wir kçnnen nur verstehen und mitteilen, was wir selbst bedingen – vorausgesetzt, wir bedingen es alle auf die gleiche Art und Weise. Dass wir alle unsere Erfahrung auf die gleiche Art und Weise bedingen, steht mit der Ableitung der Kategorien als apriorischem Prinzip der Zusammensetzung des Mannigfaltigen fr Kant fest. Und so kann er fortfahren: „In Ansehung dieser Zusammensetzung nun kçnnen wir uns einander mittheilen“, ist die Zusammensetzung doch „fr jedermann gltig (communicabel)“67. Friedrich Kaulbach hat schon in seiner Kant-Interpretation aus den sechziger Jahren auf diesen Zusammenhang hingewiesen. Der bergang vom Empfinden zum Denken sei ein bergang von Privatheit „zur Gemeinsamkeit des Mitteilens und zur ffentlichkeit“68. Horster sagt (mit 65 Vorlesungen ber Metaphysik. In: Gesammelte Schriften, Bd. 28/2.1, S. 576. In diesem Sinne darf Kant durchaus als Vordenker der analytischen Philosophie verstanden werden. Vgl. Hanna, Robert: Kant and the Foundations of Analytic Philosophy. Oxford, 2001, insbesondere Kapitel 2.1. 66 Brief an Jacob Sigismund Beck vom 1. Juli 1794. In: Gesammelte Schriften, Bd. 11, S. 496. 67 Vgl. Brandt, Critique of Judgment, S. 187 f. 68 Kaulbach, Immanuel Kant, S. 118.
3.2 Transzendentale Intersubjektivitt in der Kategorienlehre
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Blick auf Apel und Bçhler, siehe Einleitung), vor dem Hintergrund der objektiven Allgemeingltigkeit der Kategorien kçnne „im Ernst nicht“ von „,vorkommunikativer Vereinzelung‘“69 befangener Denker gesprochen werden. „Aufgrund der transzendentalen Apperzeption kçnnen die empirischen Subjekte, die einzeln fr sich und sehr unterschiedlich wahrnehmen, dennoch miteinander kommunizieren, sich ihre Erkenntnisse mitteilen.“70 Annemarie Pieper schreibt in einem Kant-Studien-Beitrag: Kant sehe die Subjekt-Objekt-Relation als ein intersubjektives Geschehen. Die Urteilstafel reprsentiere „die Gemeinschaft der Urteilenden“71, die gewissen gemeinsamen formallogischen Bedingungen unterstehe. Mit der Rede von der transzendentalen Apperzeption beziehe sich Kant daher keineswegs nur „auf die Eigentmlichkeiten der Urteile von Herrn Kant“. Es sei vielmehr eine „apriorische Struktureigentmlichkeit menschlichen Denkens schlechthin gemeint, die gerade das die Menschen als Menschen miteinander Verbindende, ihr Miteinander-Kommunizieren Ermçglichende beinhaltet“72. Und bei Safranski heißt es, der Verstand schaffe die Voraussetzung dafr, dass wir uns ber unsere Welt „verstndigen und verstndig in ihr handeln“73 kçnnen. 3. Schließlich ergibt sich aus der transzendentalen Intersubjektivitt als apriorischem Fundament ein drittes Phnomen: Die transzendentale Intersubjektivitt stiftet Identitt. Die reine Synthesis ist, wie oben gezeigt, die Bedingung dafr, dass ich von bestimmten Vorstellungen sagen kann, dass sie meine Vorstellungen sind, dass ich mir also meiner Identitt als dem durchgngigen Zusammenhang meines Bewusstseins bewusst werden kann. Diese transzendentale Identitt meiner selbst fhrt mich aber unmittelbar zu einer transzendentalen Identitt meiner selbst mit der Identitt aller anderen, also zu einer Art transzendentalen Kollektividentitt. Bei Jaspers klingt dieser Zusammenhang vorsichtig an: „Das Bewußtsein berhaupt zeigt uns, worin wir alle als denkende Wesen bereinstimmen. Whrend in jeder Besonderheit der Subjektivitt etwas Inkommunikables bleibt, verstehen wir uns in dem Allgemeinen des Bewußtseins berhaupt, 69 Horster, Detlef: Der Kantische „methodische Solipsismus“ und die Theorien von Apel und Habermas. In: Kant-Studien, 73, 1982, S. 465. 70 Horster, Der Kantische methodische Solipsismus, S. 464 f. 71 Pieper, Annemarie: Ethik als Verhltnis von Moralphilosophie und Anthropologie. Kants Entwurf einer Transzendentalpragmatik und ihre Transformation durch Apel. In: Kant-Studien, 69, 1978, S. 325. 72 Pieper, Ethik, S. 326. 73 Safranski, Wahrheit, S. 116.
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Identisches meinend, selber mit einander und mit uns selbst identisch.“74 Man kçnnte betonen: Wir erkennen uns nicht nur als mit uns selbst identisch, sondern gerade auch als identisch mit allen anderen mit sich selbst identischen Selbsts. In diesem Kontext sollte auch Kants intersubjektive Variante des delphischen Orakels gelesen werden: „Denn wir haben alle unsre Erkenntnisse nur dadurch daß wir uns erkennen.“75 Vom monologischen Subjekt, von vorkommunikativer Vereinzelung, wie in der Einleitung zitiert, kann also berhaupt keine Rede sein. Das Ich denke isoliert uns nicht von den anderen Ichs – es verweist uns a priori aufeinander! Exkurs zu Blesenkemper und Simon Auch Blesenkemper ist davon berzeugt, dass Kant in der KrV eine transzendentale ffentlichkeit bzw. Intersubjektivitt in Anspruch nimmt. Unter der berschrift Fragmente einer Kantischen Intersubjektivittstheorie ist zu lesen, auch bei Kant werde „Intersubjektivitt, wenn auch nur fragmentarisch, explizit zum theoretischen Gegenstand, und zwar im Zusammenhang mit den mit objektiven Urteilen verbundenen Geltungsansprchen“76. Kants auf dem „transzendentalen Ich basierende Intersubjektivitt“ sei „ein ber Objektivitt vermittelter Geltungsanspruch“77. Erstaunlich ist, dass Blesenkemper zunchst dennoch zu dem Schluss kommt, im Herzen der KrV finde diese beanspruchte Intersubjektivitt bzw. ffentlichkeit keine Entsprechung. Es msste gezeigt werden kçnnen, wie „die Privatheit des ,Ich‘ hinsichtlich einer ihm immanenten ,transzendentalen ffentlichkeit‘ wirklich berwunden“78 werden kçnne. Genau hier liegt fr Blesenkemper aber das Problem, da, wenn man Kant wçrtlich nehme, im Herzen der reinen Vernunft, dem Ich denke, von einem „,Wir‘ im ,Ich‘ nicht die Rede“ sei. „Wir haben den Kerngedanken beim Worte genommen und immer nur ,ich‘ und ,mein‘ gefunden.“ Am hçchsten Punkt der Transzendentalphilosophie „scheinen wir vom Ziel der Suche nach der ,transzendentalen ffentlichkeit‘ am weitesten entfernt zu sein“. 74 75 76 77 78
Jaspers, Grnder des Philosophierens, S. 215. Vorlesungen ber Logik. In: Gesammelte Schriften, 24/1, S. 438. Blesenkemper, Publice age, S. 175. Blesenkemper, Publice age, S. 176. Blesenkemper, Publice age, S. 145 ff.
3.2 Transzendentale Intersubjektivitt in der Kategorienlehre
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Dass sehr wohl von einem Wir im Ich die Rede ist, ja dass dieses Wir im Ich immer schon mit enthalten ist, wurde im zweiten und dritten Kapitel dieser Arbeit zu zeigen versucht. Josef Simon setzt anders an. Fr Simon kann es nach Kant so etwas wie absolute theoretische Wahrheit nicht geben. Jegliche Objektivitt sei subjektiv erzeugt, abhngig von der „Standpunktbedingtheit“79 des Einzelnen. Kant kritisiere daher „den dem Wissen eigenen Anspruch auf Absolutheit“ – der „Wissende glaubt eigentlich zu wissen“80. Ausgehend von dieser Differenz werde der Einzelne dazu aufgefordert, seine Vernunft an fremder Vernunft zu orientieren: „Er soll sich durch das fremde Frwahrhalten ber das Dogmatische seines eigenen belehren lassen, ohne deshalb das fremde Urteil schon bernehmen zu mssen.“81 Denken sei somit in erster Linie „ein Denken, in dem wir uns in der (Be-)Achtung der Differenz unserer Standpunkte und Absichten aufeinander beziehen“82. Whrend es vollkommen zutreffend ist, dass Kant einen solchen gegenseitigen Bezug fordert – sowohl in den vorkritischen Schriften und der KrV als auch, wie noch zu zeigen sein wird, in der Urteilskraft und der Anthropologie –, kann Simons Ausgangspunkt, der Behauptung nmlich, es kçnne bei Kant letztendlich keine objektive theoretische Erkenntnis geben (die praktische Vernunft nimmt Simon von dieser Diagnose aus83), nicht zugestimmt werden. Wenn Simon sagt: „Alle Objektivitt und damit auch alle Wahrheit als objektive Eigenschaft einer Erkenntnis bleibt subjektiv bestimmt, weil das Subjekt der Erkenntnis seinen Vorstellungen (in einem Erfahrungsurteil) Objektivitt zuspricht“84, dann trifft das absolut zu. Es ist das Individuum, das die Erkenntnis konstituiert, also einem Wissen den Status zuteilt, objektiv zu sein. Wenn es aber heißt: „Der entscheidende Punkt ist hier das Bewußstein der objektiven Unzulnglichkeit“85, dann trifft das eben nicht mehr zu. Die Pointe der gesamten Kategorienlehre besteht gerade darin, einen objektiven Maßstab zur Verfgung zu stellen: Die vom Ich vollzogene synthetische Einheit der Apperzeption, die jeder analytischen Einheit, jedem „conceptus communis“86 vorangeht, ist die 79 80 81 82 83 84 85 86
Simon, Die fremde Vernunft, S. 131. Simon, Die fremde Vernunft, S. 121. Simon, Die fremde Vernunft, S. 77. Simon, Die fremde Vernunft, S. 65. Vgl. Simon, Die fremde Vernunft, S. 122 u. a. Simon, Die fremde Vernunft, S. 80 f. Simon, Die fremde Vernunft, S. 68. KrV, Bd. 3, B 134.
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3. ,Wir denken‘: Kants Transzendentale Intersubjektivitt
„objektive Bedingung aller Erkenntnis“87. Es geht um „Prinzipien der objektiven Bestimmung aller Vorstellungen“88 – im Gegensatz zu einer Verknpfung durch Assoziation. Genau diese durch die reinen Verstandesbegriffe erwirkte Objektivitt, ja gar die Objektivitt der Verstandesbegriffe selbst, stellt Simon in Frage: Kant gehe es nicht um eine „abschließende Definition der reinen Verstandesbegriffe“89, die auch gar nicht mçglich sei. Nun kann man mit Sicherheit bezweifeln, dass Kant innerhalb seiner Argumentation die Ableitung der reinen Verstandesbegriffe tatschlich gelingt90, man kann bezweifeln, dass eine solche Deduktion berhaupt mçglich ist, ja man kann ganz grundstzlich bezweifeln, dass es so etwas wie reine, unsere Erfahrung strukturierende Verstandesbegriffe im Kantischen Sinne gibt – Rorty beispielsweise hat das auf durchaus ironische Art und Weise getan.91 Nicht bezweifeln allerdings kann man, dass Kant selbst fest davon berzeugt war, genau diese Ableitung geleistet zu haben! Simon sagt, da es so etwas wie umfassende Objektivitt bei Kant nicht gebe, mssten Individuen durch gegenseitigen Bezug auf fremde Vernunft einen gemeinsamen Sinn herstellen bzw. kommunizieren. Dem sei mit Kant – siehe Brief an Beck: Wir kçnnen nur Anderen mittheilen, was wir selbst machen, vorausgesetzt wir machen es alle einerley – erwidert: Diese Kommunikation ist berhaupt nur mçglich, da wir ber ein apriorisches und damit objektiv gltiges Fundament der synthetischen Zusammenfassung verfgen. Nun stellt sich natrlich unweigerlich die Frage, wozu es, wenn Kant uns denn ein objektives Prinzip der Erkenntnis an die Hand gibt, noch 87 88 89 90
KrV, Bd. 3, B 138, 139. KrV, Bd. 3, B 141, 142. Simon, Die fremde Vernunft, S. 127. Paul Guyer sagt, die Deduktion der Kategorien in den beiden Versionen, „which should have been the keystone to the triumphal arch of the Critique of Pure Reason, never amounted to more than a disjointed summary of significantly different strategies“ (Guyer, Paul: Kant and the claims of knowledge. Cambridge, 1987, S. 73). 91 Vgl.: Rorty, Richard: Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie. Frankfurt a. M., 1987, S. 167 ff. Aus ganz anderem Blickwinkel kritisiert die Evolutionre Erkenntnistheorie die Kantische Kategorienlehre: Sie geht davon aus, dass es zwar so etwas wie Kategorien gibt. Diese Kategorien wrden aber auch in einem Anpassungsprozess an die empirische Welt herausgebildet (vgl. Vollmer, Gerhard: Evolutionre Erkenntnistheorie. Angeborene Erkenntnisstrukturen im Kontext von Biologie, Psychologie, Linguistik, Philosophie und Wissenschaftstheorie. Stuttgart, 2 1980, S. 164).
3.3 Kann Intersubjektivitt transzendental erfasst werden?
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eines Standpunktwechsels sowie einer kommunikativen Prfung an fremder Vernunft bedarf. Dass beide Verfahren in der metaphysischen Selbstbeschftigung der Vernunft, in der die auf das Feld der Erscheinungen beschrnkten Kategorien gerade keine Anwendung finden, notwendig sind, wurde im Abschnitt Freie Einstimmung vs. fr jedermann gebietende Vernunft gezeigt. Wozu aber Mitteilbarkeit im Treffen empirischer Erkenntnisurteile? Es ist maßgeblich die nie auszuschließende Gefahr des theoretischen Irrtums, die Gefahr also, aus der nur privatgltigen Wirkung einer empirischen Anschauung – und nicht aus der kategorialen Synthesis dieser Anschauung – die Objektivitt einer Erfahrung abzuleiten, die Mitteilbarkeit und Standpunktwechsel erfordert. Auf diesen Sachverhalt wird in 5.2 dieser Arbeit in Zusammenhang mit dem Gemeinsinn ausfhrlich eingegangen.
3.3 Kann Intersubjektivitt transzendental erfasst werden? Abschließend soll in diesem Abschnitt der Begriff der transzendentalen Intersubjektivitt gegen zwei Einwnde verteidigt werden. Zum einen gegen den Einwand, Intersubjektivitt sei ein Phnomen, das ganz grundstzlich nicht transzendental betrachtet werden kçnne; zweitens gegen den Einwand, das von Kant nicht gelçste Problem der Selbsterkenntnis stehe im Widerspruch zu einer transzendentalen Intersubjektivitt. Transzendentale Intersubjektivitt als Korrelation empirischer Intersubjektivitt Josef Simon lehnt den Begriff einer transzendentalen Intersubjektivitt ab. „Es kann kein transzendentales ,wir‘, sondern nur ein transzendentales, in seinen Urteilshandlungen und in seiner Beziehung auf andere Subjekte zeitbedingtes ,ich‘ geben. Eine objektive Gemeinschaft ist nur als Gegenstand eines Verstandes denkbar, der sich zu einer bestimmten Zeit sein Urteil darber bildet.“92 Die Wechselwirkung zwischen Personen kçnne nur erfolgen, indem sich Personen gegenseitig als solche „ansehen“. Simon verkennt, dass – zumindest nach Kant – dieses gegenseitige Ansehen und Kommunizieren berhaupt nur mçglich ist, da wir ber eine einheitliche 92 Simon, Die fremde Vernunft, S. 260 f.
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3. ,Wir denken‘: Kants Transzendentale Intersubjektivitt
apriorische Basis der Zusammenfassung des Mannigfaltigen verfgen, die hier als transzendentale Intersubjektivitt bezeichnet wird. Erinnert sei in diesem Zusammenhang abermals an Kants Brief an Beck, wonach die bei allen Individuen identische synthetische Einheit der Apperzeption die Voraussetzung der Kommunizierbarkeit ist. Auch Alfred Schtz hat in seiner Auseinandersetzung mit Husserl, der den Begriff der transzendentalen Intersubjektivitt bekanntlich entscheidend geprgt hat, Einwnde geußert. Intersubjektivitt sei „nicht ein innerhalb der transzendentalen Sphre lçsbares Problem der Konstitution, sondern eine Gegebenheit der Lebenswelt“, also eine „ontologische Grundkategorie des menschlichen Seins in der Welt“93. Solange „Menschen von Mttern geboren werden, fundiert Intersubjektivitt und Wirbeziehung alle anderen Kategorien des Menschseins“. Jegliche Reflexion des Ich auf sich selbst sei auf der „Urerfahrung der Wirbeziehung“ gegrndet. Nun bezieht sich Schtz, wie gesagt, auf Husserl und nicht auf Kant. Dennoch wirft Schtz eine auch fr diese Arbeit ganz wesentliche Frage auf: Kann Intersubjektivitt wirklich eine transzendentale Angelegenheit sein? Dass sie es sein kann, wurde oben bereits zu zeigen versucht. Damit wrde sich aber noch die Frage stellen, ob es auch sinnvoll ist, unsere Sozialitt transzendental zu betrachten. Es ist absolut sinnvoll, allerdings nur unter einer Bedingung: Intersubjektivitt darf nicht ausschließlich transzendental betrachtet werden, sie muss sich immer auch auf empirische Intersubjektivitt beziehen. Bei Kant ist diese Bedingung erfllt: Kant begreift – natrlich ohne den Begriff je zu verwenden – Intersubjektivitt sowohl als empirische Gegebenheit der Lebenswelt (unvermeidliches Nebeneinandersein) als auch als transzendentale Intersubjektivitt (das Wir denken im Ich denke). Mit Kant lsst sich also zeigen, dass empirische und transzendentale Intersubjektivitt keine unberbrckbaren Gegenstze sind, sondern verbunden werden kçnnen, ja verbunden werden mssen. Um sich klarzumachen, dass eine solche Verbindung nicht selbstverstndlich ist, und auch um dem Schtzschen Einwand gerecht zu werden, muss in aller Krze auf den Begriff der transzendentalen Intersubjektivitt bei Husserl eingegangen werden, der sich von dem, was hier als transzendentale Intersubjektivitt bei Kant beschrieben wird, deutlich unterscheidet. Auf der Suche nach einer letztbegrndeten Erkenntnis wird in 93 Schtz, Alfred: Das Problem der transzendentalen Intersubjektivitt bei Husserl. In: Alfred Schtz: Gesammelte Aufstze. Bd. 3: Studien zur phnomenologischen Philosophie. Hrsg. v. Ilse Schtz, Den Haag, 1971, S. 116.
3.3 Kann Intersubjektivitt transzendental erfasst werden?
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Husserls phnomenologischer Reduktion die Generalthesis des Seins der Welt zunchst abgeblendet, allerdings nicht, um diese abzuschaffen, sondern um sie als transzendental konstituiert gewiss zu machen. Husserls Programm ist das „universale Außer geltungsetzen […] aller Stellungnahmen zur vorgegebenen objektiven Welt“94 – die berhmte Einklammerung. Was brig bleibt, ist das reine Ich „mit dem eigenen reinen Bewußtseinsleben“. Es kommt also nur darauf an, was im Bewusstsein ist und nicht auf die empirischen Gegenstnde.95 Diese Einklammerung hat nun aber auch Auswirkungen auf das Faktum der Intersubjektivitt: Mit dem Rckzug in die primordiale Sphre des ego cogito geht auch der Bezug zum anderen verloren, „so daß wir rechtmßig eigentlich nicht mehr im kommunikativen Plural sprechen drfen“96. Denn andere Menschen und auch die Tiere sind „nur Erfahrungsgegebenheiten vermçge der sinnlichen Erfahrung ihrer kçrperlichen Leiber, deren Gltigkeit, als mit in Frage stehend, ich mich nicht bedienen darf“. In der phnomenologisch bereits reduzierten egologischen Sphre vollzieht Husserl eine zweite Reduktion, in der smtliche konstitutiven Leistungen fremder Intentionalitt abgeblendet werden, also das Ego als eine Sphre des Mir-Eigenen, Nicht-Fremden von der Sphre des Fremden getrennt wird.97 Aus diesem „auf das rein Eigenheitliche reduzierte Menschen-Ich“98 muss sich nun die Intersubjektivitt der Welt, das „Fr-michda der Anderen“99, ableiten lassen. Denn erst, wenn die Konstitution der anderen in die phnomenologische Konstitutionsanalyse des eigenen Bewusstseins einbezogen ist, kann die Rede von der Welt als gemeinsamer Welt mehrerer Subjekte objektiv sein. Diese Transzendenz der anderen in der Immanenz des eigenen Bewusstseins versucht Husserl ber den Begriff der Paarungsassoziation als „Einfhlung“100 in den anderen zu erklren. Wird mir ein anderer, fremder Kçrper in der Wahrnehmung gegeben, 94 Husserl, Edmund: Cartesianische Meditationen. In: Husserliana. Edmund Husserl. Gesammelte Werke. Bd. 1, hrsg. v. Stephan Strasser, Haag, 1950, S. 60. 95 Vgl. Husserl, Cartesianische Meditationen, S. 61. Kant hingegen sagt: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind“ (KrV, Bd. 3, B 76, 77). 96 Husserl, Cartesianische Meditationen, S. 58. 97 Vgl. Husserl, Cartesianische Meditationen, S. 124. 98 Husserl, Cartesianische Meditationen, S. 130. 99 Husserl, Cartesianische Meditationen, S. 124. 100 Husserl, Cartesianische Meditationen, S. 124.
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3. ,Wir denken‘: Kants Transzendentale Intersubjektivitt
erkenne ich im Zuge einer „a p p e r z e p t i v e n b e r t r a g u n g “101, dass dieser Kçrper meinem eigenen gleicht, weshalb ich diesem Kçrper den Sinn „anderer Leib“ zuschreibe. Dem fremden Leib unterstelle ich nun auch ein eigenes transzendentales Ego. Damit ist nach Husserl gezeigt, „wie ich in meiner Monade eine andere Monade konstituieren und das in mir Konstituierte eben doch als Anderes erfahren kann“102. Transzendentale Intersubjektivitt bei Husserl und bei Kant beschreiben also zwei grundlegend verschiedene Sachverhalte. Bei Husserl wird empirische Intersubjektivitt, wie Schtz es formuliert, „durch Vollzug der Reduktion eliminiert“103. Eine solche Eliminierung findet bei Kant niemals statt! Intersubjektivitt ist fr Kant eine selbstverstndliche, um es mit Schtz zu formulieren, Gegebenheit der Lebenswelt. Dieser empirischen Intersubjektivitt kann aber – und genau das macht Kant in der reinen Vernunft – eine transzendentale bei Seite gestellt werden. Das Faktum unserer empirischen Intersubjektivitt wird dadurch in keiner Weise eingeklammert; empirische Intersubjektivitt wird vielmehr durch die transzendentale erweitert, sie wird ergnzt um eine Intersubjektivitt des Denkens. Diese transzendentale Intersubjektivitt stellt sicher, dass wir als Menschen nicht nur empirisch als leibliche Individuen miteinander verbunden sind, sondern auch als intelligible Wesen. Wenn wir also vermeiden wollen, dass wir nur als empirische Individuen in einem gemeinsamen Lebenszusammenhang stehen, dann ist eine verstandesmßige Gemeinsamkeit, die der empirischen Gemeinsamkeit korreliert, nicht nur angemessen, sondern sogar erforderlich. In diesem Sinne kçnnte man auch sagen: Eben gerade da Intersubjektivitt eine ontologische Grundkategorie des Menschen ist, muss sie auch beide Seiten des Menschen umfassen. Denn zur Ontologie des Menschen gehçrt nicht nur sein empirisches, sondern auch sein intelligibles Sein (siehe dazu auch 2.3).
101 Husserl, Cartesianische Meditationen, S. 140. 102 Husserl, Cartesianische Meditationen, S. 154. Habermas, und darin ist ihm nur zuzustimmen, weist darauf hin, dass eine solche „monadologische Erzeugung der Intersubjektivitt“ scheitern muss (Habermas, Jrgen: Theorie des kommunikativen Handelns [1981]. Frankfurt a. M., 31985, Bd. 2, S. 197). 103 Schtz, Problem der transzendentalen Intersubjektivitt, S. 117.
3.3 Kann Intersubjektivitt transzendental erfasst werden?
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Selbsterkenntnis und transzendentale Intersubjektivitt Blesenkemper sagt, und so kommen wir zum zweiten Einwand gegen den Begriff der transzendentalen Intersubjektivitt, die Dimension der transzendentalen Intersubjektivitt bzw. ffentlichkeit kçnne nur eine Dimension des transzendentalen Ichs sein. Dieses vom empirischen Ich abgehobene transzendentale Ich als der farblose rote Faden aller Erkenntnis kçnne sich aber nicht selbst erkennen. Da es Kant nicht gelungen sei, diese Schwierigkeit angemessen aufzulçsen, bleibe „eine argumentative Lcke, die gleichsam negierend ausstrahlt auf die […] beanspruchte ,transzendentale ffentlichkeit‘ des Ichs“104. Fazit: „Die ,transzendentale ffentlichkeit‘ wurde im Denkhorizont der KrV gesucht und nicht gefunden.“ Blesenkemper kann an dieser Stelle nicht zugestimmt werden. Kant ist es in der Kritik reinen Vernunft und auch in seinen spteren Werken zwar in der Tat nicht gelungen, eine schlssige Erklrung fr den Vorgang der Selbsterkenntnis zu liefern – dieser Mangel strahlt aber in keiner Weise negierend aus auf die Ableitung der transzendentalen Intersubjektivitt. Kant nimmt in der reinen Vernunft eine gegen Descartes gerichtete Differenzierung zwischen Selbstbewusstsein und Selbsterkenntnis vor: Das Bewusstsein meiner selbst im Ich denke ist noch lange nicht Erkenntnis meiner selbst.105 In der ursprnglichen Einheit der Apperzeption bin ich mir „bewußt, nicht wie ich mir erscheine, noch wie ich an mir selbst bin, sondern nur d a ß ich bin“106. Wie gesagt: Selbstbewusstsein ist nicht Selbsterkenntnis. Wie aber kçnnte eine solche Selbsterkenntnis aussehen? Empirische Selbsterkenntnis bezeichnet Kant in der B-Deduktion als paradox, da der innere Sinn im Falle einer solchen empirischen Selbstanschauung zugleich Vermçgen wie Objekt der Anschauung ist, wir uns also „gegen uns selbst als leidend verhalten mßten“107. Es lsst sich daher fr Kant nicht wirklich erklren, „wie ich also sagen kçnne: Ich, als Intelligenz und denkend Subjekt, erkenne mich selbst als gedachtes Objekt, so fern ich mir noch ber das in der Anschauung gegeben bin, nur, gleich anderen Phnomenen, nicht wie Ich vor dem Verstande bin, sondern wie ich mir erscheine“108.
104 105 106 107 108
Blesenkemper, Publice age, S. 150. Vgl. KrV, Bd. 3, B 159. KrV, Bd. 3, B 157, 158. KrV, Bd. 3, B 152. KrV, Bd. 3, B 155, 156.
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3. ,Wir denken‘: Kants Transzendentale Intersubjektivitt
Empirische Selbsterkenntnis ist also ein Paradoxon, versuchte noumenale Selbsterkenntnis der rationalen Psychologie, wie wir aus den Paralogismen wissen, hingegen ein Ding der Unmçglichkeit. Fr eine noumenale Selbsterkenntnis msste ich mein denkendes Ich im inneren Sinn erfassen, also gewissermaßen meinen inneren Sinn durch mein denkendes Ich affizieren und dieses somit kategorial bestimmen kçnnen – was aber nicht geht: Das denkende Ich hat keine Substanz. Das eigentliche Problem der Selbsterkenntnis liegt, wie Klemme feststellt, daher in der Unmçglichkeit der Bestimmung des denkenden Ichs als eines Gegenstandes des inneren Sinns. Was wir im inneren Sinn anschauen, ist nicht das denkende Ich, sondern allein die Vorstellungen, die uns zuvor durch den ußeren Sinn gegeben worden sind. „Es gibt im inneren Sinn demnach auch keine Vorstellungen, die auf einer Affektion durch das noumenale Subjekt beruhen.“109 Noch in den neunziger Jahren kmpft Kant mit diesen Problemen: „Ich bin mir meiner selbst bewußt, ist ein Gedanke, der schon ein zweifaches Ich enthlt, das Ich als Subjekt, und das Ich als Objekt. Wie es mçglich sei, daß Ich, der ich denke, mir selber ein Gegenstand (der Anschauung) sein, und mich so von mir selbst unterscheiden kçnne, ist
109 Klemme, Philosophie des Subjekts, S. 215. Klemme weist in seiner Analyse auf einen ganz wesentlichen Aspekt des Ich denke hin (Klemme, Philosophie des Subjekts, S. 385 ff.): Kant schreibt, dass der Satz „Ich denke, oder, ich existiere denkend […] ein empirischer Satz“ sei (KrV, Bd. 4, B 428). Er sei aber, wie Kant selbst sagt, nicht deshalb empirisch, weil wir eine empirische Vorstellung vom Ich haben, so wie wir empirische Vorstellungen von Gegenstnden des ußeren Sinnes haben; die Vorstellung sei vielmehr „rein intellektuell, weil sie zum Denken berhaupt gehçrt. Allein ohne irgend eine empirische Vorstellung, die den Stoff zum Denken abgibt, wrde der Actus, Ich denke, doch nicht stattfinden, und das Empirische ist nur die Bedingung der Anwendung, oder des Gebrauchs des reinen intellektuellen Vermçgens“ (KrV, Bd. 4, B 423). Der Aktus Ich denke, so Klemme, kçnne also nur dann stattfinden, „wenn dem Denken etwas, also ein ,Drittes‘, gegeben ist, auf das es sich bezieht“ (Klemme, Philosophie des Subjekts, S. 385). Ist dies der Fall, enthalte das Ich denke eine kategorial unbestimmte Existenz meiner selbst. Erst unter der Bedingung, dass dem Ich ein empirisches Mannigfaltiges gegeben wird, kann das Ich denke also berhaupt in Gang kommen. Die Behauptung, eine Vermittlung von transzendentaler und empirischer Ebene finde nicht statt, erscheint vor diesem Hintergrund umso absurder (siehe Abschnitt Freiheit der reinen Vernunft als Freiheit reiner und empirischer Individuen).
3.3 Kann Intersubjektivitt transzendental erfasst werden?
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schlechterdings unmçglich zu erklren, obwohl es ein unbezweifeltes Faktum ist“.110 Diese Problematik hat aber keinerlei negativen Einfluss auf den Begriff der transzendentalen Intersubjektivitt. Die aus dem Ich denke abgeleitete Intersubjektivitt ist eine transzendentale Intersubjektivitt; sie bezeichnet die apriorische Gleichartigkeit der Denkstrukturen aller denkenden Ichs. Diese transzendentale Intersubjektivitt bleibt auch dann ohne Abstriche gltig, wenn empirische Selbsterkenntnis ein Paradoxon und noumenale Selbsterkenntnis unmçglich ist. Im Nachweis der transzendentalen Intersubjektivitt kommt es nur auf eines an, auf die Tatsache nmlich, dass unsere intersubjektiven Verstandesstrukturen transzendental deduziert werden kçnnen. Ich kann mich vielleicht im Ich denke nicht selbst erkennen und auch durch mein Ich denke meinen inneren Sinn nicht affizieren – dafr aber kann ich, wie A- und B-Deduktion beweisen, ableiten, dass ich denke und dass ich erkenne und vor allem dass alle anderen transzendentalen Ichs genauso denken und erkennen wie ich, zumindest was unsere apriorischen Verstandesformen anbelangt. Dieser Nachweis ist das entscheidende Moment der transzendentalen Intersubjektivitt und bleibt vom Problem der Selbsterkenntnis unberhrt. Gewissermaßen kçnnte man die Schwierigkeit der Selbsterkenntnis des denkenden Ichs sogar als einen Teil der transzendentalen Intersubjektivitt verstehen: Denn es handelt sich um eine Schwierigkeit, die sich smtlichen denkenden und erkennenden Ichs auf die gleiche Art und Weise stellt.
110 ber die von der Kçnigl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin fr das Jahr 1791 ausgesetzte Preisfrage: Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht hat? Bd. 6, A 35, 36.
4. Die ffentlichkeit der praktischen Vernunft In 1.3, dem bergang von politischer zu kritischer Philosophie, wurde die Behauptung aufgestellt, die Wurzeln des Kantischen ffentlichkeitsbegriffs, wie er in den politischen Schriften zu finden ist, lgen in der theoretischen und praktischen Vernunft. Die Funktion der Kritik als çffentlicher Prfung und Rechtfertigung aller Ansprche der Vernunft erwies sich im zweiten Kapitel als ein wesentliches Moment in dieser ursprnglichen Verbindung von Vernunftgebrauch und ffentlichkeit. Nun ist es, wie bereits erwhnt, nicht nur die theoretische, sondern auch die praktische Vernunft, die sich notwendigerweise in der ffentlichkeit selbst kritisieren muss, ja die Kritik der theoretischen Vernunft fhrt gar unweigerlich auf unser praktisches Vermçgen, also auf eine Kritik der praktischen Vernunft. Auch praktische Vernunft bedarf demnach der çffentlichen Rechtfertigung ihrer selbst – wer Freiheit oder Gott praktisch beweisen zu kçnnen glaubt, heißt es, wie bereits im Abschnitt Kritik als çffentlicher Gerichtshof zitiert, zu Beginn der KpV, der solle seine Beweise „çffentlich zur Prfung und Hochschtzung darstellen“1. Die Verbindung von Kritik, ffentlichkeit und praktischer Vernunft muss in diesem Kapitel also nicht eigens analysiert werden, es gelten, zumindest der Form nach, jene Zusammenhnge, die im zweiten Kapitel dargestellt wurden: Die sich im Medium der ffentlichkeit selbst kritisierende praktische Vernunft ist per se çffentliche praktische Vernunft. Durchaus analog zur Situation, die sich zu Beginn des dritten Kapitels ergab, in der sich die Untersuchung verlagerte weg von der Funktion der Kritik hin zu den konkreten Ergebnissen, zu denen die Kritik fhrt, stellt sich in diesem Kapitel somit von Anfang an die Frage: Welche Rolle spielt ffentlichkeit jenseits der Funktion der Kritik in der Kantischen Moralphilosophie? Sie spielt, wie zu zeigen sein wird, eine konstitutive Rolle. Der Gedankengang dieses Kapitels gliedert sich in drei Schritte: Zunchst wird gezeigt, dass das Publizittsprinzip, wie es von Kant in der Friedensschrift entwickelt wird, nicht erst in der politischen Theorie eine Rolle spielt, sondern ursprnglich aus der Kantischen Moralphilosophie stammt. Publizitt als grundstzliche Bereitschaft, seine Maximen çf1
KpV, Bd. 7, A 7, 8.
4.1 Das Prinzip der Publizitt im kategorischen Imperativ
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fentlich zu machen, dient Kant als ein negatives Kriterium des kategorischen Imperativs. Da aber die Beantwortung der Frage, ob ich dazu fhig bin, meine Maxime zu verçffentlichen oder nicht, auch als Gedankenexperiment durchfhrbar ist, fhrt die Befolgung des Publizittsprinzips nicht notwendigerweise zu faktischer ffentlichkeit. Im zweiten Abschnitt dieses Kapitels wird der Zusammenhang zwischen praktischer Vernunft und ffentlichkeit daher aus einer anderen Perspektive betrachtet: Der Einzelne soll sich laut kategorischem Imperativ in der Beurteilung seiner Maxime die Frage stellen, ob seine Maxime zum allgemeinen Gesetz taugt oder nicht. Schon indem ein Individuum sich diese Frage stellt, indem es sich also orientiert an der allgemeinen Menschenvernunft, thematisiert es sich als Individuum unter Individuen. In diesem Sinne çffnet sich der Einzelne durch die Befolgung des kategorischen Imperativs gegenber der Welt. Das Problem: Auch diese ffnung ist nicht notwendigerweise eine tatschliche ffnung, sie kann es zwar sein, ist aber ebenso mçglich als ffnung in Gedanken. Erst im dritten Schritt kann schließlich eine faktische ffnung des Individuums gegenber allen anderen moralischen Individuen nachgewiesen werden: Kant sagt, es sei unsere Pflicht, ein ethisches Gemeinwesen zu bilden, denn nur in einem solchen Gemeinwesen kçnnten wir uns dem obersten moralischen Ideal, nmlich der moralischen Vollendung nicht nur des einzelnen Individuums, sondern der menschlichen Gattung annhern. Da Kant bekanntermaßen davon ausgeht, dass praktische Vernunft ein Primat vor der theoretischen innehat, praktische Vernunft uns aber zur Bildung eines solchen Gemeinwesens verpflichtet, kann die Konstitution der praktischen ffentlichkeit, mit dem Ziel der steten Annherung an das Ideal der moralischen Vollendung der Gattung, als Kulminationspunkt der Kantischen Philosophie verstanden werden. Die konkrete weltliche Manifestation dieser praktischen ffentlichkeit ist fr Kant die Gemeinde der Kirche.
4.1 Das Prinzip der Publizitt im kategorischen Imperativ Publizitt als ein aus der Moralphilosophie stammendes Prinzip Es ist bereits im Abschnitt ber das Publizittsprinzip in der Friedensschrift (1.2) darauf hingewiesen worden, dass das Prinzip der Publizitt ursprnglich nicht aus der politischen, sondern der praktischen Philosophie stammt.
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4. Die ffentlichkeit der praktischen Vernunft
Die erste und gleichsam bekannteste Formel des kategorischen Imperativs lautet, „h a n d l e n u r n a c h d e r j e n i g e n M a x i m e , durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein a l l g e m e i n e s G e s e t z w e r d e “2. Das bedeutet, meine Maxime als „das subjektive Prinzip zu handeln“ muss verallgemeinerbar sein, um mit dem „o b j e k t i v e n P r i n z i p , nmlich dem praktischen Gesetze“, welches „gltig fr jedes vernnftige Wesen“ ist, bereinzustimmen. Nun wrde man es sich zu leicht machen, wrde man diese Verallgemeinerbarkeit schlichtweg mit ffentlichkeit gleichsetzen. Stellt sich das einzelne, handelnde Individuum die Frage, ob seine Maxime eine Maxime ist, die zum allgemeinen Gesetz taugt, so muss es diese Maxime nicht notwendigerweise çffentlich machen. Es gengt ein bloß privater Test. Zurckgezogen aus aller ffentlichkeit kann der Einzelne sich die Frage stellen: Kann ich wollen, dass meine Maxime ein allgemeines Gesetz wird? In diesem Sinne sagt Kant: „Ich wende jene [Maxime] also auf den gegenwrtigen Fall an, und frage, ob sie wohl die Form eines Gesetzes annehmen“3 kçnnte. In dieser Allgemeinheit implizit enthalten ist aber selbstverstndlich auch die Mçglichkeit der ffentlichkeit meiner Maxime. Eine verallgemeinerbare Maxime, also eine Maxime, die jedermann wollen kann, ist eine Maxime, die çffentlich ausgesprochen werden kann, ohne mit dem Widerstand der Allgemeinheit rechnen zu mssen – und genau dieser Widerstand ist es ja, der in der Friedensschrift die Ungerechtigkeit einer Maxime anzeigt (siehe 1.2). Umgekehrt heißt das: Jemand, der einen anderen betrgt, begeht diesen Betrug „in Geheim“4. In der Ethikvorlesung schreibt Kant in aller Deutlichkeit: „Jeder sieht das moralische Gesetz als ein solches an, welches er çffentlich deklarieren kann.“5 Die Kantische Wortwahl muss genau beachtet werden. 2 3 4 5
GMS, Bd. 7, BA 52. KpV, Bd. 7, A 49, 50. KpV, Bd. 7, A 124. Eine Vorlesung Kants ber Ethik. Im Auftrage der Kantgesellschaft. Hrsg. v. Paul Menzer, Berlin, 1924, S. 52. In der Anthropologie heißt es: „Es kçnnte wohl sein: daß auf irgend einem anderen Planeten vernnftige Wesen wren, die nicht anders als laut denken kçnnten, d. i. im Wachen, wie im Trumen, sie mçchten in Gesellschaft oder allein sein, keine Gedanken haben kçnnten, die sie nicht zugleich a u s s p r c h e n . Was wrde das fr ein von unserer Menschengattung verschiedenes Verhalten gegen einander, fr eine Wirkung abgeben? Wenn sie nicht alle e n g e l r e i n wren, so ist nicht abzusehen, wie sie nebeneinander auskommen, einer fr den anderen nur einige Achtung haben und sich mit einander vertragen kçnnten“ (Anthropologie, Bd. 12, B 330, 331 f.).
4.1 Das Prinzip der Publizitt im kategorischen Imperativ
113
Kant sagt erstens nicht: Mache deine Maxime çffentlich! Er sagt nur: Das moralische Gesetz ist ein Gesetz, das çffentlich gemacht werden kann. Wenn das moralische Gesetz aber çffentlich gemacht werden kann, dann muss auch das praktische Individuum dazu in der Lage sein, seine Maxime, die dem moralischen Gesetz ja gerade entsprechen soll, zu verçffentlichen. Der Einzelne muss seine Maxime aber nicht tatschlich verçffentlichen, er muss sich nur die Frage stellen, ob er sie grundstzlich verçffentlichen kçnnte (so wie er sich in aller Privatheit die Frage stellt, ob er seine Maxime verallgemeinern kçnnte). In den Reflexionen zur Moralphilosophie heißt es in diesem Sinne: „Lebe so, daß du deine Handlung çffentlich kanst wissen lassen“.6 Und es heißt – darauf bezieht sich Blesenkemper in seinem Titel – „Publice age: weil nur, was allgemein gefllt, gut ist.7“ Zweitens, um auf das Zitat aus der Ethikvorlesung zurckzukommen, sagt Kant nicht: Das moralische Gesetz ist moralisch, weil es çffentlich gemacht werden kann. Er sagt nur: Weil es moralisch ist, kann es auch çffentlich gemacht werden. bertragen auf die Maximenprfung des Einzelnen bedeutet das, eine Maxime, die du çffentlich machen kannst, ist noch lange keine moralische Maxime; kannst du deine Maxime allerdings nicht verçffentlichen, wird sie auch nicht mit dem Sittengesetz bereinstimmen. Die Fhigkeit zur Offenlegung ist also kein ausreichendes Kriterium fr die Moralitt einer Handlung, sie ist eine nur negative Bestimmung, ein Ausschlusskriterium. Dazu nochmals ein Blick auf das erste Prinzip der Publizitt aus dem Zweiten Anhang der Friedensschrift, wie es im ersten Kapitel dargestellt wurde: „Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizitt vertrgt, sind unrecht.“8 Die Publizitt dient auch hier, in der Friedensschrift, als negativer moralischer Maßstab, der von Kant auf das Recht angewandt wird. Das Recht als Bezugspunkt ist dabei aber strenggenommen beliebig austauschbar. Was auch immer mit dem Anspruch auftritt, einhellig mit der Moral zu sein – sei es das Recht, die Politik oder die einzelne Absicht eines Privatmannes – es muss çffentlich gemacht werden kçnnen. Das Prinzip der Publizitt als Negativkriterium, wie es von Kant in der Friedensschrift behandelt wird, stammt also zweifelsohne aus der Kantischen Moralphilosophie. Kant selbst weist darauf hin, dass die Publizitt 6 7 8
Reflexionen zur Moralphilosophie. In: Gesammelte Schriften, Bd. 19, S. 245 (7082). Reflexionen zur Moralphilosophie. In: Gesammelte Schriften, Bd. 19, S. 245 (7083). Dass Kant von gefallen spricht, deutet auf einen Zusammenhang zwischen Moralphilosophie und sthetik hin; darauf wird im fnften Kapitel einzugehen sein. Frieden, Bd. 11, B 100, 101.
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4. Die ffentlichkeit der praktischen Vernunft
ihren Ursprung in der Ethik hat. In der Friedensschrift heißt es unmittelbar auf die Definition des Publizittsprinzips folgend: „Dieses Prinzip ist nicht bloß als e t h i s c h (zur Tugendlehre gehçrig), sondern auch als j u r i d i s c h (das Recht der Menschen angehend) zu betrachten.“ Nicht bloß als ethisch, sondern auch als juridisch – das bedeutet, ursprnglich haben wir es mit einem ethischen Maßstab zu tun, der aber nicht bloß ethisch ist, sondern auch das Recht angeht, da Recht gerechtes Recht sein soll. Legalitt und Moralitt Kant unterscheidet bekanntlich strikt zwischen Legalitt und Moralitt. Das heißt aber nicht, dass Moralitt und Legalitt notwendigerweise Gegenstze sind. Eine moralische Handlung wird, von Spezialfllen abgesehen9, immer auch eine legale Handlung sein. Moralitt schließt Legalitt also mit ein10 – vorausgesetzt wir haben es mit gerechtem Recht zu tun. Im umgekehrten Fall ist dieser Zusammenhang nicht gegeben: Eine legale Handlung ist nicht automatisch eine moralische Handlung, moralisch ist sie nur, wenn sie aus reiner Pflicht erfolgt.11 Anders als im Moralischen, wo Publizitt, wie gesagt, immer nur als negatives Kriterium dient, kann ffentlichkeit im Bereich des Rechts de facto die Legalitt einer Handlung garantieren: In der ffentlichkeit ist der Einzelne dazu gençtigt, sich an das geltende Recht zu halten – sonst wird er bestraft. Kant selbst hat diesen Zusammenhang von ffentlichkeit und Legalitt sowie Moralitt in der Friedensschrift an einem Beispiel verdeutlicht: Sogar ein Volk von Teufeln, sagt er, kçnne einen funktionierenden Staat schaffen. „Das Problem der Staatserrichtung ist, so hart wie es auch klingt, selbst fr ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben), auflçsbar und lautet so: ,Eine Menge von vernnftigen Wesen, die insgesamt allgemeine Gesetze fr ihre Erhaltung verlangen, deren jedes aber in Geheim 9 Natrlich sind Beispiele denkbar, in denen eine (mçglicherweise) moralische Handlung nicht gleichzeitig eine legale Handlung ist. Zu denken wre zum Beispiel an einen Wissenschaftler, der nicht aus Karrieregrnden, sondern ausschließlich aus dem moralischen Anspruch, die Krankheiten von Menschen heilen zu wollen, gegen die rechtlichen Einschrnkungen der Stammzellenforschung verstçßt. Seine verallgemeinerbare Maxime wrde lauten: Unterlasse keine Handlung, mit der du das Leben anderer Menschen retten kannst. 10 Vgl. Blesenkemper, Publice age, S. 359. 11 Vgl. KpV, Bd. 7, A 145 u. a.
4.1 Das Prinzip der Publizitt im kategorischen Imperativ
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sich davon auszunehmen geneigt ist, so zu ordnen und ihre Verfassung einzurichten, daß, obgleich sie in ihren Privatgesinnungen einander entgegen streben, diese einander doch so aufhalten, daß in ihrem çffentlichen Verhalten der Erfolg eben derselbe ist, als ob sie keine solche bçse Gesinnungen htten.‘“12 Das heißt: Die Zugehçrigkeit zu einem Staat zieht den Einzelnen in einen çffentlichen Kontext; in diesem çffentlichen Kontext ist er gezwungen, sich ußerlich legal zu verhalten, auch wenn er innerlich nach wie vor ein unmoralischer Mensch, ja gar ein Teufel bleibt. Denn ein Volk kann sich „im ußeren Verhalten dem, was die Rechtsidee vorschreibt, schon sehr nhern, ob gleich das Innere der Moralitt davon sicherlich nicht die Ursache ist“. In ihrer Diskussion des Kantischen Publizittsprinzips schreibt Hannah Arendt: „Private Maximen mssen einer berprfung unterworfen werden, mit deren Hilfe ich herausfinde, ob ich sie çffentlich erklren kann. Moralitt ist hier das Zusammenfallen von Privatem und ffentlichem. Auf der Privatheit der Maxime zu bestehen heißt bçse sein. BçseSein ist deshalb durch den Rckzug aus dem çffentlichen Bereich gekennzeichnet.“13 Auf der einen Seite ließe sich gegen Arendts Pointierung, Bçse-Sein msse mit einem Rckzug in die Privatheit gleichgesetzt werden, einwenden: Unmoralisches Handeln, Bçse-Sein, kann, solange es nicht illegal ist (und anders als moralische Handlungen, die, wie gesagt, in der Regel auch legal sind, sind unmoralische Handlungen eben gerade nicht notwendigerweise illegal), sehr wohl in der ffentlichkeit stattfinden und findet auch in der ffentlichkeit statt. Fr ein solches Verhalten gibt es unzhlige Beispiele. Es ist zum Beispiel unmoralisch, aber nicht illegal, dass sich Fhrungskrfte Millionengehlter auszahlen, whrend sie Arbeitskrfte entlassen; dennoch geschieht es – und zwar in aller ffentlichkeit. Somit wre ffentlichkeit, anders als bisher behauptet, doch kein Kriterium der Moralitt, nicht einmal im negativen Sinne, sondern ausschließlich der Legalitt. Dieser Lesart ist allerdings nur unter einer Bedingung zuzustimmen: Der Handelnde ist entweder moralisch indifferent oder absichtlich unmoralisch. Sobald man jedoch davon ausgeht, dass jene Person, die sich fragt, ob sie ihr Handeln çffentlich machen kçnnte, tatschlich an der Moralitt ihrer Handlung interessiert ist, und diese Prmisse wird von Kant
12 Frieden, Bd. 11, B 61, 62. 13 Arendt, Kants Politische Philosophie, S. 69.
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4. Die ffentlichkeit der praktischen Vernunft
zweifelsohne gemacht14, greift Publizitt – zunchst im Sinne der Frage: Kann ich die Maxime, nach der ich mich gerade richte, çffentlich machen, ohne mit dem Widerstand der Masse zu rechnen? – sehr wohl als moralisches Kriterium.
4.2 Moralitt als ffnung gegenber der Welt Die systematische Grundlage der Kantischen Moralphilosophie ist die Idee des allgemeinen Menschen. Damit ist bereits angedeutet: Das moralisch reflektierende Ich setzt sich alleine durch die Frage nach der Moralitt seiner Handlung ber die Privatheit seines individuellen Standpunktes hinweg. Dieses Sich-Hinwegsetzen ist nicht die Folge des Publizittsprinzips, die Publizierbarkeit ist vielmehr eine Folge des Sich-Hinwegsetzens: Eine Maxime verdient nach Kant das Prdikat moralisch durch ihre Universalitt, durch die Mçglichkeit, von allen Individuen als Handlungsgrundlage gewollt werden zu kçnnen. Beurteilt ein einzelnes Individuum sein Handeln nach diesem Prinzip, so beurteilt es sich automatisch in einem allgemeinen, nicht-individuellen Kontext – es beurteilt sich als Individuum unter Individuen. Indem das moralische Ich sich also berhaupt die Frage stellt, wie es handeln soll, versetzt es sich bereits in eine Perspektive, die als ffnung gegenber der Welt begriffen werden muss. Kant selbst bezeichnet diesen Vorgang als „herrliche Erçffnung, die uns durch reine praktische Vernunft vermittels des moralischen Gesetzes widerfhrt, nmlich die Erçffnung einer intelligibelen Welt“15. Natrlich kann und darf die praktische Beurteilung des eigenen Handelns dabei in aller Abgeschiedenheit erfolgen; und natrlich kann sich diese Beurteilung auf ein Handeln beziehen, das seinerseits keinerlei sozialen Bezug aufweist, zum Beispiel die Erhaltung des 14 Kant erklrt unsere moralische Motivation ber das moralische Gefhl (vgl. GMS, Bd. 7, BA 91, 92 u. KpV, Bd. 7, A 67, 68 f.) als ein Gefhl der Achtung (vgl. KpV, Bd. 7, A 133). Achtung ist bei Kant „die einzige und zugleich unbezweifelte moralische Triebfeder“ (KpV, Bd. 7, A 139). Dass jegliche inhaltliche Beurteilung der Maxime bzw. jegliches Nachforschen nach unserer moralischen Motivation obsolet wird, wenn wir berhaupt nicht daran interessiert sind, uns moralisch zu verhalten, wird von Kant ausdrcklich benannt: „Man muß wenigstens auf dem halben Wege schon ein ehrlicher Mann sein, um sich von jenen Empfindungen auch nur eine Vorstellung machen zu kçnnen“ (KpV, Bd. 7, A 70). 15 KpV, Bd. 7, A 169, 170.
4.2 Moralitt als ffnung gegenber der Welt
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eigenen Lebens.16 Dennoch aber transformiert die Befolgung des kategorischen Imperativs den Einzelnen sowie alle anderen Einzelnen – ob sie nun wollen oder nicht – zumindest in Gedanken in einen potentiell çffentlichen Kontext, nmlich genannte intelligible Welt. In der ersten Version des kategorischen Imperativs bringt Kant diesen bergang durch den Begriff „a l l g e m e i n e s G e s e t z “17 zum Ausdruck: Das handelnde Individuum soll sich die Frage stellen, ob seine private Maxime dazu taugt, ein Gesetz aller Menschen, ja aller vernnftigen Wesen zu werden. Habermas greift diesen Gedanken bekanntlich auf, wenn er sagt, eine Norm drfe nur dann Geltung beanspruchen, „wenn alle von ihr mçglicherweise Betroffenen als Teilnehmer eines praktischen Diskurses Einverstndnis darber erzielen (bzw. erzielen wrden)“18. Das moralische Ich soll seine Handlung also nicht nach individuellen Gesichtspunkten beurteilen – Kant sagt, es msse von allem „Privatzwecke abstrahiert“19 werden –, sondern aus der Perspektive aller anderen, man kçnnte auch sagen aus einer unparteiischen Perspektive.20 In der KpV heißt es dazu, moralische Gesetzgebung sei Gesetzgebung „ohne zufllige, subjektive Bedingungen“, die „ein vernnftig Wesen von dem anderen unterscheiden“21; das moralische Gesetz erklre „unangesehen aller subjektiven Verschiedenheiten“ die „Vernunft zugleich zu einem Gesetze fr alle vernnftige Wesen, so fern sie berhaupt einen Willen“22 haben. Der kategorische Imperativ fordert demnach dazu auf, „seine Maximen jederzeit aus dem Gesichtspunkte seiner selbst, zugleich aber auch jedes andern vernnftigen als gesetzgebenden Wesens (die darum Personen heißen), nehmen zu mssen“23. Auf unvergleichliche Art und Weise wird dieser Zusammenhang von Kant in der Zweck-Formel auf den Punkt gebracht: „H a n d l e s o , d a ß d u d i e M e n s c h h e i t , s o w o h l i n d e i n e r Pe r s o n , a l s i n d e r Pe r s o n e i n e s j e d e n a n d e r n , 16 Kant wrde natrlich sagen, sogar ein geplanter Selbstmord habe einen Bezug zur Allgemeinheit, da er die Menschheit in der eigenen Person verletze. Insofern wre auch die Maxime, sich selbst das Leben nehmen zu wollen, nicht publizierbar. 17 GMS, Bd. 7, BA 52. 18 Habermas, Moralbewußtsein, S. 76. 19 GMS, Bd. 7, BA 74, 75. Handeln nach dem moralischen Gesetz ist somit ein Handeln, das „der Selbstliebe den Einfluß, und dem Eigendnkel den Wahn benimmt“ (KpV, Bd. 7, A 134, 135). 20 Kant selbst spricht von einem „unparteiisch angestellten Urteile“ (GMS, Bd. 7, BA 58). 21 KpV, Bd. 7, A 38. 22 KpV, Bd. 7, A 57. 23 GMS, Bd. 7, BA 84.
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4. Die ffentlichkeit der praktischen Vernunft
jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel b r a u c h e s t .“24 Wir haben es hier zu tun mit einem beispiellosen Konnex von Ich und Wir, mit einem, wie Gerhardt schreibt, „Ineinander von radikaler Individualitt und sozialer Universalitt“25. Auf diese Entprivatisierung sowie die ihr korrespondierende ffnung des Einzelnen gegenber der Welt ist bereits ausfhrlich eingegangen worden. Simmel sagt, das normative Individuum benutze seine praktische Freiheit „nicht zu individueller Besonderung, sondern gerade zu gesetzmßiger Vergleichmßigung mit allen“26. Kaulbach wiederum schreibt, der kategorische Imperativ schließe aus, „daß sich das Individuum in die Privatheit seiner individuellen Sphre zurckzieht und der Verantwortung gegenber dem çffentlichen, fr alle geltenden moralischen Maßstab entzieht“27. Und Horster sagt, das Abzielen auf andere sei der „intentionale Inhalt jeder Formulierung des kategorischen Imperativs“28. Auch George Herbert Mead hat auf diesen Sachverhalt hingewiesen: „Die Allgemeinheit unserer Urteile, die von Kant so sehr betont wird, leitet sich aus der Tatsache ab, daß wir die Haltung der ganzen Gemeinschaft, die 24 GMS, Bd. 7, BA 67. 25 Gerhardt, Partizipation, S. 430. 26 Simmel, Kant und der Individualismus, S. 278. Simmel sieht in dieser Einheitlichkeit allerdings auch einen ganz wesentlichen Mangel: Das autonome Ich „ist wegen seiner apriorischen Gleichheit mit jedem andern Ich vçllig farblos“ (Simmel, Kant und der Individualismus, S. 278). Die Besonderheiten der individuellen Persçnlichkeiten, die den Einzelnen zu etwas Unverwechselbarem machten, fnden im Kantischen Lebenssystem also keine Bercksichtigung (vgl. auch Durkheim, mile: Die elementaren Formen des religiçsen Lebens [Les formes lmentaires de la vie religieuse, 1912]. Frankfurt a. M., 1981, S. 367). Wir haben es hier mit einem eigenartigen Vorwurf zu tun. Wie sollte, fragt man sich, ein uns allen zugrunde liegender universeller Kern – die Menschheit als solche – gleichzeitig das Besondere einzelner Charaktere sein? Wenn Kant nach einem allgemeinen Maßstab als Maßstab der Moralitt fragt, dann muss dieser Maßstab ja per Definition farblos sein, zumindest wenn mit Farbe die individuelle Frbung gemeint ist. Das schließt aber in keiner Weise aus, dass jedes Individuum seine ganz persçnliche individuelle Frbung hat; nur zum allgemeinen Maßstab der Moral kann diese Frbung eben nicht dienen. 27 Kaulbach, Immanuel Kant, S. 215. Selbst Adam, der Kant immer wieder vorwirft, dessen Moralphilosophie fehle der Bezug zur empirischen Welt, gibt zu, dass die Begrndung der Autonomie nicht ausgerichtet sei auf die „Autonomie egoistischer Individuen, sondern auf die Mçglichkeit der Selbstherrschaft unter den Bedingungen der Kompatibilitt mit der Selbstherrschaft der Anderen. Insofern zielt der Kern der Moralphilosophie auf die Bedingungen des Politischen“ (Adam, Despotie der Vernunft, S. 154). 28 Horster, Der Kantische methodische Solipsismus, S. 466.
4.2 Moralitt als ffnung gegenber der Welt
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Haltung aller vernunftbegabten Wesen einnehmen.“29 Blesenkemper zieht die Konsequenz aus dieser Feststellung, wenn er sagt, im kategorischen Imperativ sei „ursprngliche ffentlichkeit im Sinne einer ursprnglichen Sozialitt oder Intersubjektivitt“30 verankert. Gerhardt wiederum schreibt, die Befolgung des Sittengesetzes „zielt auf nichts anderes als darauf, ein Mensch unter Menschen zu sein“31. Selbst wenn ein Einzelner „nur fr sich allein ein moralisches Wesen sein wollte, wre es unumgnglich, sich als Teil einer Gesamtheit von Menschen zu denken“32. Das zu denken, das hier zur Sprache kommt, ist insofern von Belang, als der Einzelne sich zwar in einer allgemeinen Perspektive, nmlich der Perspektive der Menschheit in seiner Person, thematisiert, er diese Menschheit in seiner Person aber in aller Privatheit reprsentieren, oder eben denken, kann. Es bleibt also dabei – wir haben es bisher ausschließlich zu tun mit einer ffentlichkeit der Idee nach. Gleichwohl ist es nun kein weiter Weg mehr bis zur Erschließung faktischer ffentlichkeit. Weite Teile der Tugendpflichten, sagt Kant, seien Pflichten, die das Verhltnis des Einzelnen gegenber allen anderen betreffen.33 Ethik als eine solche Lehre der „wechselseitigen Menschenpflichten“ bezieht sich auf „die moralischen Verhltnisse des M e n s c h e n gegen den M e n s c h e n “34. Sobald wir es aber mit solchen Pflichten gegen andere zu tun haben, ist nicht mehr zu leugnen, dass sich das moralische Ich in einem Verhltnis befindet, das de facto çffentlich ist. Das moralische Verhltnis des Menschen gegen Menschen mag zwar in einigen Ausnahme29 Mead, George Herbert: Geist, Identitt und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus (Mind, Self, and Society: From the Standpoint of a Social Behaviorist, 1934). Frankfurt a. M., 1968, S. 429 f. Auch Liesegang geht auf diesen Aspekt ein, wenngleich er ihn unglcklich formuliert: „Das heißt, das moralische Gesetz entspringt der Erweiterung des eigenen zu einem allgemeinen Willen“ (Liesegang, ffentlichkeit und çffentliche Meinung, S. 66). Natrlich entspringt nicht das moralische Gesetz einer solchen Erweiterung, denn das moralische Gesetz gilt vollkommen unabhngig von der Frage, wie einzelne Individuen sich zu ihm verhalten. Man kann also nur sagen: Die bereinstimmung der Maxime eines Einzelnen mit dem Sittengesetz entspringt der Erweiterung des eigenen zu einem allgemeinen Willen. 30 Blesenkemper, Publice age, S. 279. 31 Gerhardt, Vernunft und Leben, S. 222. 32 Gerhardt, Vernunft und Leben, S. 224. 33 In diesem Sinne nennt Kant zwei Zwecke, die zugleich Pflichten sind: „E i g e n e V o l l k o m m e n h e i t – F r e m d e G l c k s e l i g k e i t “ (MST, Bd. 8, A 13). 34 MST, Bd. 8, A 188.
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4. Die ffentlichkeit der praktischen Vernunft
fllen noch als nicht-çffentliches Verhltnis gedacht werden kçnnen – ich verbiete es mir als unmoralisch, den Betrug eines Freundes auch nur in Erwgung zu ziehen –, in aller Regel aber stehen wir als Individuen unter Individuen in der Sphre der ffentlichkeit. Das wird umso deutlicher, blickt man auf die spezifischen „Tugendpflichten gegen andere“35, die Kant benennt, nmlich erstens sogenannte praktische Liebespflichten (Liebe nicht als Gefhl, sondern als praktische Maxime des Wohlwollens), wie Wohlttigkeit, Dankbarkeit und Teilnehmung36, und zweitens Pflichten gegen andere „aus der ihnen gebhrenden Achtung“37 wie zum Beispiel Bescheidenheit; gegen die Pflicht der Achtung anderer verstoßen Hochmut, Afterreden und Verhçhnung. Hçffe hlt vor diesem Hintergrund vçllig zu Recht fest, dass die Kantische Moral „in einem wesentlichen Teil eine Sozialmoral“38 ist. Annemarie Pieper schreibt, da sittliche Willensbildung darauf ausgerichtet sei, die Freiheiten anderer anzuerkennen39, sei sie ein „interpersonales Geschehen, in welchem sich Freiheit ursprnglich mit Freiheit verbindet und dadurch die Verbindlichkeit sittlicher Praxis begrndet. Sittliche Willensbestimmung ist somit ein Akt freier Anerkennung anderer Freiheit, in welchem das Ich im anderen Ich zugleich sich selbst anerkennt.“40 Auch Ernst Tugendhat hat auf diesen Sachverhalt hingewiesen. Tugendhat kritisiert zwar das apriorische Begrndungsmodell des kategorischen Imperativs durch eine, wie schon zitiert, „fettgedruckt verstandene“41 Vernunft, stellt sich aber ausdrcklich hinter den Inhalt des Kantischen Modells. Das Prinzip des Imperativs sei, und das ist der fr diese Arbeit entscheidende Punkt, „Intersubjektivitt“ in dem Sinne, dass es um die „Rcksicht auf die Mitglieder der Gemeinschaft […] und das heißt auf ihr Wollen, auf ihre Interessen“42 gehe. Bemerkenswert ist nun die Tatsache, dass Kant es nicht nur als eine Pflicht gegenber anderen ansieht, diese nach dem Gebot der Liebes35 36 37 38
39 40 41 42
MST, Bd. 8, A 116, 117. Vgl. MST, Bd. 8, A 116, 117 ff. MST, Bd. 8, A 139, 140 ff. Hçffe, Otfried: Kantische Skepsis gegen die transzendentale Kommunikationsethik. In: Kommunikation und Reflexion. Zur Diskussion der Transzendentalpragmatik. Antworten auf Karl-Otto Apel. Hrsg. v. Wolfgang Kuhlmann u. Dietrich Bçhler, Frankfurt a. M., 1982, S. 520. Vgl. Pieper, Ethik, S. 315. Pieper, Ethik, S. 327. Tugendhat, Vorlesungen ber Ethik, S. 70. Tugendhat, Vorlesungen ber Ethik, S. 87.
4.3 Das ethische Gemeinwesen: ffentlichkeit des praktischen Vernunftgebrauchs
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pflichten bzw. der Achtung zu behandeln, sondern es gar eine Pflicht darstellt, berhaupt mit ihnen in Kontakt zu treten: Es sei, so Kant, eine „Pflicht, so wohl gegen sich selbst, als auch gegen andere, mit seinen sittlichen Vollkommenheiten unter einander Verkehr zu treiben (officium commercii, sociabilitas); sich nicht zu i s o l i e r e n ( separatistam agere)“43. Der Einzelne solle sich also als „Teil […] der weltbrgerlichen Gesinnung“ ansehen, um „wechselseitige Liebe und Achtung (Leutseligkeit und Wohlanstndigkeit, humanitas aesthetica, et decorum) zu kultivieren“.
4.3 Das ethische Gemeinwesen: ffentlichkeit des praktischen Vernunftgebrauchs Der bisherige Gedankengang dieses Kapitels soll an dieser Stelle in aller Krze zusammengefasst werden: Es wurde erstens gesagt, dass ffentlichkeit als ein negatives Prinzip der Moralitt zu verstehen ist. Da der moralisch Handelnde die Frage nach der Publizierbarkeit seiner Maxime auch als Gedankenexperiment durchfhren kann, muss er aber nicht tatschlich an die ffentlichkeit treten. Zweitens wurde gesagt, moralisches Handeln habe bei Kant notwendigerweise eine ffnung gegenber allen anderen (moralischen) Individuen zur Folge. Diese unvermeidliche ffnung musste aber ebenfalls als eine ffnung verstanden werden, die sich nicht notwendigerweise çffentlich zu vollziehen hat – sie ist auch als ffnung in Gedanken vorstellbar. Da aber moralische Pflichten nach Kant gerade Pflichten gegenber anderen sind, sollte sich schließlich zeigen, dass der moralisch Handelnde tatschlich in einem çffentlich-intersubjektiven Kontext steht. Nun wird es darum gehen zu zeigen, dass dieser bertritt in die Sphre der moralischen ffentlichkeit nicht etwa beilufig geschieht, als eine Art Nebeneffekt der Befolgung des kategorischen Imperativs. Kant sagt vielmehr, es sei eine uns durch reine praktische Vernunft aufgegebene Pflicht, eine moralische Gemeinschaft zu bilden, in der vernunftbegabte Menschen ihren gegenseitigen Umgang nicht nur, wie in der politischen Gemeinschaft, nach zwingenden Rechtsgrundstzen, sondern nach moralischen Prinzipien strukturieren. Ziel dieser moralischen Gemeinschaft ist der moralische Fortschritt der menschlichen Gattung.
43 MST, Bd. 8, A 159.
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4. Die ffentlichkeit der praktischen Vernunft
Kants moralische ffentlichkeit: Reich der Zwecke bzw. ethisches Gemeinwesen In der Grundlegung schreibt Kant, der „Begriff eines jeden vernnftigen Wesens, das sich durch alle Maximen seines Willens als allgemein gesetzgebend betrachten muß“, fhre ihn auf einen „sehr fruchtbaren Begriff, nmlich den e i n e s R e i c h s d e r Z w e c k e “44. Ausgangspunkt dieser berlegung ist die bereits zitierte Zweck-Formel des kategorischen Imperativs, wonach jedes vernnftige Wesen alle anderen vernnftigen Wesen niemals bloß als Mittel, sondern zugleich immer auch als Zweck an sich selbst behandeln solle. Das Reich der Zwecke ist fr Kant eine „systematische Verbindung vernnftiger Wesen durch gemeinschaftliche objektive Gesetze“. Auch wenn das Reich der Zwecke alleine durch die Verwendung des – politischen – Reichsbegriffs in eine Analogie zum politischen Gemeinwesen gesetzt wird, haben wir es nicht mit staatlich sanktionierten, sondern mit Gesetzen zu tun, die zwar objektiv gelten, deren Einhaltung aber freiwillig erfolgt. Ihr Geltungsbereich zudem erstreckt sich auf ein einziges, wenn auch weites Feld: Es handelt sich um Gesetze, die vernunftbegabte Wesen in der „Beziehung dieser Wesen auf einander“ bestimmen, genauer gesagt in ihrer moralischen Beziehung aufeinander.45 Wenn Kant das Reich der Zwecke als „freilich nur ein Ideal“ bezeichnet, so soll das bedeuten, dass es als moralisches Fernziel zu gelten habe, als ein Ziel also, dem wir uns annhern sollen, auch wenn wir dieses Ziel in seiner Reinform wohl nie werden realisieren kçnnen. In diesem Sinne heißt es auch, das Reich der Zwecke msse verstanden werden als „eine praktische Idee, um das, was nicht da ist, aber durch unser Tun und Lassen wirklich werden kann, und zwar eben dieser Idee gemß, zu Stande zu bringen“46. Nun besteht in der Kantischen Terminologie zwar eine grundstzliche Differenzierung zwischen Ideal und Idee47, beiden ge44 GMS, Bd. 7, BA 74, 75. 45 Schon in den Trumen hatte Kant von einem solchen Reich gesprochen: Durch das praktische Handeln entstehe „in der Welt aller denkenden Naturen eine m o r a l i s c h e E i n h e i t und systematische Verfassung nach bloß geistigen Gesetzen“ (Trume, Bd. 2, A 42). 46 GMS, Bd. 7, BA, 81. 47 Eine Idee wird von Kant verstanden als etwas, das eine „R e g e l gibt“, zum Beispiel die Idee der Weisheit. Ein Ideal hingegen dient „zum U r b i l d e “; als Beispiel nennt Kant den Weisen, der als Ideal mit der Idee der Weisheit absolut bereinstimme (KrV, Bd. 4, B 597).
4.3 Das ethische Gemeinwesen: ffentlichkeit des praktischen Vernunftgebrauchs
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meinsam allerdings ist, wie Blesenkemper bereits gezeigt hat, ihre handlungsleitende Funktion.48 In der Religionsschrift geht Kant auf die Notwendigkeit der Bildung eines Reichs der Zwecke sowie auf dessen konkrete Ausgestaltung ausfhrlich ein. Die Religionsschrift ist alles andere als nur eine Abhandlung ber Religion, sie hat eine ganz erhebliche politische sowie soziologische Implikation, allerdings nicht im Sinne politischer Theologie, zumindest nicht, wenn man unter politischer Theologie in Schmittscher Tradition die Ableitung politischer Begrifflichkeiten aus theologischen versteht. Die Religionsschrift ist vielmehr eine Art Kritik der Religion – Kritik im ureigentlichen Sinne als çffentliche Erçrterung und Rechtfertigung. Und eine solche Kritik war in Zeiten des Absolutismus, gerade unter einem Kçnig wie Friedrich Wilhelm II., eine hçchst politische Angelegenheit, wie der im ersten Kapitel bereits erwhnte durch die Religionsschrift ausgelçste Konflikt mit der Preußischen Zensur zeigt. Bettina Stangneth sagt: Wer Ende des 18. Jahrhunderts ber die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft schreibe, der kritisiere nicht nur allerlei kirchliche Institutionen, „sondern betreibt nichts anderes als Gesellschaftstheorie unter einem gar nicht zu berschtzenden politischen Zugriff“49. Ursula Goldenbaum schreibt passend dazu, die Frage nach der Religion sei „die Gretchenfrage nicht nur der deutschen Aufklrung“50 gewesen. Kant sagt in der Religionsschrift, wenn sich der Einzelne frage, woher die Ursachen und Umstnde des Bçsen kmen, „so kann er sich leicht berzeugen, daß sie ihm nicht sowohl von seiner eigenen rohen Natur, sofern er abgesondert da ist, sondern von Menschen kommen, mit denen er in Verhltnis oder Verbindung steht“51. Es sei also in erster Linie nicht die rohe Natur des Einzelnen, die Leidenschaften in ihm rege, denn die Bedrfnisse des Einzelnen seien nur klein. Die eigentlichen Laster wie Neid, Herrschsucht und Habsucht entstnden erst in der Gesellschaft: Der Einzelne sei, der Rousseausche Tonfall ist nicht zu berhçren, „nur arm (oder hlt sich dafr), sofern er besorgt, daß ihn andere Menschen dafr halten und darber verachten mçchten“52. Es reiche fr den Einzelnen 48 49 50 51
Vgl. Blesenkemper, Publice age, S. 303. Stangneth, Kants schdliche Schriften, S. XII. Goldenbaum, Appell an das Publikum, S. 79. Religion, Bd. 8, B 127, 128 f. Das heißt, Kant sagt ausdrcklich, dass das Bçse eben nicht einfach nur eine Folge der Sinnlichkeit ist. 52 Es sei in diesem Zusammenhang nochmals jenes ffentlichkeitsmoment erwhnt, auf das Gerhardt in Zusammenhang mit der Friedensschrift hinweist, nmlich das çffentliche Ansehen (siehe Kap. 1, Anmerkung 149). Mein Ansehen, meine Ehre,
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4. Die ffentlichkeit der praktischen Vernunft
demnach schon, daß andere Menschen „da sind“, um „einander wechselseitig in ihrer moralischen Anlage zu verderben, und sich einander bçse zu machen“. Nun ist es aber erstens ein Faktum, dass andere da sind (unvermeidliches Nebeneinandersein). Und zweitens ist, strenggenommen unabhngig von diesem Faktum, der Mensch nach Kant seiner Natur nach ein zoon politikon – er will, dass andere da sind. In der MST heißt es dazu, der Mensch sei „ein fr die Gesellschaft bestimmtes (obzwar doch auch ungeselliges) Wesen, und in der Kultur des gesellschaftlichen Zustandes fhlt er mchtig das Bedrfnis, sich anderen zu e r ç f f n e n “53. Wenn wir aber erstens gar nicht anders kçnnen, als mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen, und wir zweitens dieses In-Kontakt-Kommen auch explizit wollen, andererseits aus dieser Geselligkeit aber moralische bel entspringen, so ist es dringend geboten, dass alle vernnftigen Wesen sich ber den rechtlich-politischen Zusammenschluss hinaus zu einer ethischen Gemeinschaft verbinden, um genannte bel zu berwinden. Selbst bei grundstzlich sittlicher Gesinnung sind, wie Hans Michael Baumgartner sagt, „die sozialen Leidenschaften: Neid, Herrschaft, Habsucht, und die damit verbundene Feindseligkeit noch nicht ausgeschlossen. Es gilt also – und das ist der entscheidende Punkt – fr die Individuen, sich aus diesem Zustand, der immer noch Gefahr fr die (soziale) Sittlichkeit bietet, herauszuarbeiten.“54 Das eigentliche Argument fr die Notwendigkeit der Bildung eines ethischen Gemeinwesens allerdings ist ein ganz anderes. Kant sagt: „Die Herrschaft des guten Prinzips, so fern Menschen dazu hinwirken kçnnen, ist also, so viel wir einsehen, nicht anders erreichbar, als durch Errichtung und Ausbreitung einer Gesellschaft nach Tugendgesetzen und zum Behuf derselben; einer Gesellschaft, die dem ganzen Menschengeschlecht in ihrem Umfange sie zu beschließen durch die Vernunft zur Aufgabe und zur Pflicht gemacht wird.“55 Denn jede „Gattung vernnftiger Wesen“ sei zur „Befçrderung des hçchsten, als eines gemeinschaftlichen Guts, bestimmt“56. Hiermit haben wir „nun eine Pflicht von ihrer eigenen Art“, nmlich eine Pflicht „nicht der Menschen gegen Menschen, sondern des
53 54 55 56
hngt davon ab, was andere von mir halten bzw. was ich meine, dass andere von mir halten. MST, Bd. 8, A 156, 157. Baumgartner, Hans Michael: Das „ethische gemeine Wesen“ und die Kirche in Kants „Religionsschrift“. In: Kant ber Religion. Hrsg. v. Friedo Ricken u. FranÅois Marty, Stuttgart, 1992, S. 157. Religion, Bd. 8, B 129, 130. Religion, Bd. 8, B 135, 136.
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menschlichen Geschlechts gegen sich selbst“. Die moralische Besserung bzw. Vollendung der Gattung kann aber durch eine einzelne Person „allein nicht bewirkt“ werden, sondern nur durch „eine Vereinigung derselben in ein Ganzes“. Damit wird, wie Bettina Stangneth schreibt, das hçchste sittliche Gut von einem individuellen zu einem gemeinschaftlichen Gut. „Die Menschheit selbst, verstanden als Gesamtheit der Menschen berhaupt, soll moralische Vollkommenheit ihres Miteinanders anstreben.“57 Die Bildung einer moralischen Gemeinschaft wird von Kant also auf zwei grundstzlich verschiedenen Ebenen verlangt: zum einen mit dem Argument des gesellschaftlichen Ursprungs des Prinzips des Bçsen (es reicht, dass Menschen da sind), zum anderen mit dem Argument der Pflicht zur Vollendung der Gattung (als einer Pflicht nicht der Menschen gegen Menschen, sondern des menschlichen Geschlechts gegen sich selbst).58 Zwischen beiden Argumentationsebenen besteht keine zwingende inhaltliche Verbindung. Auch wenn das Prinzip des Bçsen unter den Menschen keine Folge der Vergesellschaftung wre, so htte die Gattung, als Gattung betrachtet, nach Kant dennoch die Pflicht, sich als Gattung moralisch zu vollenden – und diese Vollendung wre ebenfalls nur durch einen Zusammenschluss aller zu dieser Gattung gehçrenden Wesen zu einem ethischen Gemeinwesen mçglich. Das ndert aber nichts an der fr diese Arbeit entscheidenden Feststellung, dass nmlich das einzelne Individuum, maßgeblich aus Verantwortung fr seine Gattung, sich mit anderen zu einer ethischen Gemeinschaft zusammenzuschließen hat, da die moralische Vollendung der Gattung nur in der Gemeinschaft geleistet werden kann – bzw. gerade in dieser Gemeinschaft besteht. Bisher war von dieser Gemeinschaft nur unter dem Titel Reich der Zwecke die Rede, unter dem, wie Kaulbach sagt, Kant „eine politischmoralische Gemeinschaft versteht, in welcher sich die Personen in gegenseitiger Anerkennung und Achtung ihres absoluten Wertes, ihrer mo-
57 Stangneth, Bettina: Kultur der Aufrichtigkeit. Zum systematischen Ort von Kants „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“. Wrzburg, 2000, S. 135. Vgl. Lutz-Bachmann, Matthias: Das „ethische gemeine Wesen“ und die Idee der Weltrepublik. Der Beitrag der Religionsschrift Kants zur politischen Philosophie internationaler Beziehungen. In: Kants „Ethisches Gemeinwesen“. Die Religionsschrift zwischen Vernunftkritik und praktischer Philosophie. Hrsg. v. Michael Stdtler, Berlin, 2005, S. 214 f. 58 Vgl. Lutz-Bachmann, Das ethische gemeine Wesen, S. 213 ff.
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ralischen Autarkie, d. h. ihrer Wrde zueinander verhalten“59. In der Religionsschrift versieht Kant dieses Reich mit einem neuen Namen: Er spricht vom ethischen gemeinen Wesen. Das ethische Gemeinwesen – auch bezeichnet als „eine Welt vernnftiger Wesen (mundus intelligibilis)“60 bzw. als „e t h i s c h e r S t a a t , d. i. ein R e i c h der Tugend“61 – ist, wie Axel Hutter sagt, die „Vernunftidee einer ethisch verfaßten ffentlichkeit“62. Bettina Stangneth konkretisiert, Kant verstehe die ethische ffentlichkeit als einen „aufklrenden, sich selbst permanent reformierenden Mechanismus“63. Ein Mechanismus ist ffentlichkeit dabei insofern, als die Gemeinschaft der um gegenseitige Moralitt bemhten Individuen zum Korrektiv des Einzelnen wird. Statt Mechanismus kçnnte daher auch von der Dynamik der ffentlichkeit gesprochen werden: Das in der Sphre der moralischen ffentlichkeit stehende Ich wird – auch wenn ihm seine Moralitt von dieser Gemeinschaft nicht abgenommen werden kann: es ist nach wie vor sein autonomer Wille, der zhlt – gewissermaßen angetrieben von der Potenz kollektiver Sittlichkeit. Nach der theoretischen kann somit auch ber unsere praktische Vernunft gesagt werden: Sie ist çffentliche Vernunft, sie drngt, samt dem Individuum als ihrem Trger, an die ffentlichkeit, ja sie ist es, die diese ffentlichkeit berhaupt erst konstituiert. Das Verhltnis von politischem und ethischem Gemeinwesen Kant skizziert die praktische ffentlichkeit in Anlehnung an das politische Gemeinwesen – gleichsam aber auch in Abgrenzung von selbigem. So heißt es, „eine Verbindung der Menschen unter bloßen Tugendgesetzen“ kçnne man „eine e t h i s c h e , und, sofern diese Gesetze çffentlich sind, eine e t h i s c h - b r g e r l i c h e (im Gegensatz der r e c h t l i c h b r g e r l i c h e n ) Gesellschaft, oder, ein e t h i s c h e s g e m e i n e s W e s e n nennen“64. Die von Kant getroffene Differenzierung zwischen ethischer und 59 Kaulbach, Friedrich: Immanuel Kants „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“. Interpretation und Kommentar. Darmstadt, 1988, S. 206. 60 GMS, Bd. 7, BA 84. 61 Religion, Bd. 8, B 131. 62 Hutter, ffentlichkeit bei Kant, S. 145. 63 Stangneth, Kultur der Aufrichtigkeit, S. 226. 64 Religion, Bd. 8, B 129, 130. Wie schon beim Reich der Zwecke in der Grundlegung und der KpV beharrt Kant auch in der Religionsschrift darauf, dass es sich beim ethischen gemeinen Wesen zunchst nur um eine Idee handele. Diese Idee habe
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ethisch-brgerlicher Gesellschaft ist von grçßter Wichtigkeit. Eine Gesellschaft kann nur dann ethisch-brgerlich genannt werden, wenn jene Tugendgesetze, die als Vereinigungsprinzip dieser Gesellschaft dienen, auch çffentlich sind. Rawls halt fest: „For once we think of moral principles as legislation for a kingdom of ends, it is clear that these principles must not only be acceptable to all, but public as well.“65 Die Anlehnung des ethischen Gemeinwesens an den brgerlichen Zustand ist nicht zu bersehen. Korsgaard schreibt: „For to join with others as citizens in the Kingdom of Ends is to extend to our inner attitudes and personal choices the kind of reciprocity that characterizes our outer actions in the political state.“66 Aber auch die Unterschiede beider Gemeinwesen liegen auf der Hand: „Ein r e c h t l i c h b r g e r l i c h e r (politischer) Z u s t a n d ist das Verhltnis der Menschen untereinander, so fern sie gemeinschaftlich unter ç f f e n t l i c h e n R e c h t s g e s e t z e n (die insgesamt Zwangsgesetze sind) stehen. Ein e t h i s c h b r g e r l i c h e r Zustand ist der, da sie unter dergleichen zwangsfreien, d. i. bloßen Tu g e n d g e s e t z e n vereinigt sind.“67 Anders als das rechtlichbrgerliche Gemeinwesen bedarf das ethischbrgerliche Gemeinwesen also keinerlei staatlicher Institution, um seine Wirkung zu entfalten.68 Damit stellt sich natrlich die Frage, in welchem Verhltnis beide ffentlichkeiten zueinander stehen, konkret die Frage, ob und wie sich das staatspolitische Gemeinwesen und dessen praktische Modifikation gegenseitig bedingen. Nun wrde eigentlich nichts dagegen sprechen, dass sich eine praktische ffentlichkeit auch ohne die Existenz eines politischen Systems bilden kann. Die freiwillige Befolgung des Sittengesetzes vollzieht sich schließlich auf einer Ebene jenseits der rechtlichen Bestimmungen. Bereits bevor sich Menschen in einem Staat zusammenschließen, msste demnach die Konstitution eines Reichs der Zwecke mçglich sein. Das brgerliche Gemeinwesen wre dann die rechtlich-politische Institutionalisierung eben dieses Reichs. Kant ußert sich in der Religionsschrift allerdings auf eine Art und Weise, die einer solchen Lesart eindeutig im Wege steht. Er sagt, das ethische gemeine Wesen kçnne „mitten in einem politischen gemeinen Wesen, und sogar aus allen Gliedern desselben bestehen
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aber „in der menschlichen Vernunft ihre ganz wohl gegrndete objektive Realitt“, nmlich „als Pflicht, sich zu einem solchen Staate zu einigen“ (Religion, Bd. 8, B 131). Rawls, John: A Theory of Justice. Oxford, 1972, S. 252. Korsgaard, Kingdom of Ends, S. 192. Religion, Bd. 8, B 131. Vgl. Stangneth, Kultur der Aufrichtigkeit, S. 229.
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(wie es denn auch, ohne daß das letztere zum Grunde liegt, von Menschen gar nicht zu Stande gebracht werden kçnnte)“69. Das Zustandekommen des Reichs der Tugend ist somit fr Kant an die Existenz eines brgerlichen Zustandes gebunden – so wie auch die freie Sphre der Vernunftkritik in Form des Rechts auf freie Meinungsußerung rechtlich-politisch zu gewhrleisten war. Ein Grund fr diese Bindung des ethischen Gemeinwesens an das politische Gemeinwesen: Dem politischen Zustand ist der rechtliche Naturzustand entgegengesetzt; dem Reich der Tugend hingegen der „e t h i s c h e N a t u r z u s t a n d “; im politischen Gemeinwesen befnden sich die Brger aber „als solche doch im e t h i s c h e n N a t u r z u s t a n d , und sind berechtigt, auch darin zu bleiben“70. Insofern kann es als nchterner Realismus verstanden werden, wenn Kant sagt, erst komme der brgerliche Zustand, dann als moralisches Ideal das Reich der Zwecke. Es ist allerdings nicht nur dieser Realismus, der Kant dazu veranlasst haben drfte, die Existenz eines politischen Gemeinwesens als Voraussetzung der Bildung eines ethischen Gemeinwesens zu bezeichnen. In der Friedensschrift heißt es, nicht von der Moralitt sei „die gute Staatsverfassung, sondern vielmehr, umgekehrt, von der letzteren allererst die gute moralische Bildung eines Volks zu erwarten“71. Auf den ersten Blick scheint sich Kant selbst zu widersprechen, wenn er gleichzeitig in der Religionsschrift sagt, die „Hemmung durch politisch brgerliche Ursachen“, die der Ausbreitung des Guten „von Zeit zu Zeit zustoßen mçgen, dienen eher dazu, die Vereinigung der Gemter zum Guten […] noch desto inniglicher zu machen“72. Wenn staatliche und brgerliche Widerstnde den Fortschritt zum moralisch Besseren nicht verhindern kçnnen, sondern diesen sogar vorantreiben, dann ist durchaus unklar, warum die moralische Besserung gleichzeitig als abhngig vom Gegebensein einer gerechten staatlichen Verfassung bezeichnet wird. Tatschlich aber lassen sich beide Positionen durchaus miteinander verbinden, zumindest wenn man versucht zu verstehen, zu welchem Zweck 69 Religion, Bd. 8, B 129, 130. 70 Religion, Bd. 8, B 131 f. Dabei drfen die Brger natrlich in keinem Fall durch den Gesetzgeber dazu gezwungen werden, sich zu einem Reich der Zwecke zusammenzuschließen, denn ein solcher Zusammenschluss ist grundstzlich nur als freier Zusammenschluss denkbar. 71 Frieden, Bd. 11, B 61, 62. Damit stellt Kant strenggenommen die platonische Isomorphie auf den Kopf, nach der staatliche Ordnung immer Ausdruck der in ihr zur Herrschaft gelangten Geisteshaltung ist (vgl. Platon, Der Staat, S. 227 [435 e] u. S. 365 [544 d, e]). 72 Religion, Bd. 8, B 181 f.
4.3 Das ethische Gemeinwesen: ffentlichkeit des praktischen Vernunftgebrauchs
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sie Kant eigentlich einfhrt. Seine Rede von der gerechten Verfassung als Voraussetzung eines ethischen gemeinen Wesens kann gelesen werden als unmissverstndliche Aufforderung an die Politik: Die Politik muss mit gutem Beispiel vorangehen; sie soll eine gerechte Staatsverfassung garantieren, um so zur moralischen Bildung des Volkes beizutragen – und in diesem Sinne geht von der guten Verfassung eine moralische Bildung aus, nicht umgekehrt. Haben wir es aber mit einer ungerechten Politik zu tun sowie einer ungerechten Verfassung, so darf das von der brgerlichen ffentlichkeit nicht als Entschuldigung genommen werden. Im Falle einer ungerechten Politik sind die Brger eines Landes erst recht dazu aufgerufen, die Bildung des ethischen Gemeinwesens voranzutreiben – und in diesem Sinne heißt es, politische Hemmungen seien kein Hinderungsgrund. Einem solchen Gegenwirken sind natrlich Grenzen gesetzt. Unter einer Verfassung, die den Einzelnen explizit daran hindert, die Bildung einer moralischen Gemeinschaft voranzutreiben, werden auch moralisch motivierten Brgern weitgehend die Hnde gebunden sein – und in diesem Sinne ist die Existenz eines gerechten politischen gemeinen Wesens wiederum die Voraussetzung fr die Bildung eines ethischen gemeinen Wesens. Dieses Gemeinwesen hat grundstzlich aus allen vernunftbegabten Individuen zu bestehen. Eine Menge in moralischer Absicht vereinigter Menschen ist „noch nicht das ethische gemeine Wesen selbst, sondern nur eine besondere Gesellschaft“73. Denn jede „partiale Gesellschaft“ sei nur eine „Vorstellung oder ein Schema“ des ethischen Gemeinwesens. Dieses Verstndnis deckt sich mit dem spezifischen ffentlichkeitsbegriff der Anthropologie, wo es, wie im ersten Kapitel gezeigt, heißt, die brgerliche ffentlichkeit sei nur die ffentlichkeit aller Staatsbrger, jede andere Gesellschaft sei letztendlich Privatgesellschaft. Mit einem Unterschied: Anders als die brgerliche ffentlichkeit, die zunchst als ffentlichkeit eines Nationalstaates gedacht wird, auch wenn sie sich zur Weltçffentlichkeit entwickeln soll, wird die ffentlichkeit des ethischen Gemeinwesens von Kant in der Religionsschrift von Beginn an als „Ideal eines Ganzen aller Menschen“74 verstanden, also prinzipiell als Weltçffentlichkeit.75 73 Religion, Bd. 8, B 134. 74 Religion, Bd. 8, B 132, 133 f. 75 Vgl. Stangneth, Kultur der Aufrichtigkeit, S. 227. Geht man mit Kant davon aus, dass die Existenz eines politischen gemeinen Wesens die Voraussetzung eines ethischen gemeinen Wesens ist, so muss das Ideal einer ethischen Gemeinschaft
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4. Die ffentlichkeit der praktischen Vernunft
Das ethische Gemeinwesen, als eine „erhabene nie vçllig erreichbare Idee“76, darf als Hçhepunkt der Kantischen Philosophie verstanden werden. Es wurde bereits in der Einleitung zu diesem Kapitel darauf hingewiesen, dass Kant der praktischen Vernunft ein Primat vor der theoretischen einrumt. In der Architektonik der reinen Vernunft sagt Kant, quasi zum Abschluss der ersten und damit gleichzeitig zum bergang zur zweiten Kritik, alle Spekulation der theoretischen Vernunft ber die Freiheit des Willens, die Unsterblichkeit der Seele sowie das Dasein Gottes fhre letztendlich auf die praktische Vernunft – ihre Wichtigkeit wird „wohl eigentlich nur das P r a k t i s c h e angehen“77. Wenn das aber so ist und wenn gleichzeitig das hçchste Gut der reinen praktischen Vernunft, wie gezeigt, nur in der moralischen Gemeinschaft erreicht werden kann bzw. gerade in der Bildung einer solchen Gemeinschaft besteht – die Gattung ist zur Befçrderung des hçchsten, als eines gemeinschaftlichen Guts, bestimmt –, dann bedeutet das, dass die Weltçffentlichkeit des uneingeschrnkten praktischen Vernunftgebrauchs den Kulminationspunkt des Kantischen Denkens darstellt. Kirche als Raum, Gemeinde als Personenverband der moralischen ffentlichkeit Auch wenn es sich beim Reich der Zwecke nur um eine Idee bzw. ein Ideal der praktischen Vernunft handelt, kann dieses Reich nach Kant „wirklich zu Stande kommen“, wenn die Regeln des kategorischen Imperativs „a l l g e m e i n b e f o l g t w r d e n “78. Kant nennt gar eine konkrete ffentlichkeit, die der Idee bereits sehr nahe komme: die Kirche bzw. die Gemeinde der Kirche. Die „u n s i c h t b a r e K i r c h e “ begreift Kant als Ideal des ethischen gemeinen Wesens; die „s i c h t b a r e “ Kirche hingegen sei die „wirkliche Vereinigung der Menschen zu einem Ganzen, das mit jenem Ideal zusammenstimmt“79. Die Menschen, sagt Kant, sollten sich in der – sicht-
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aller Menschen auch als Argument fr die Bildung einer Weltrepublik, wie sie in der Friedensschrift als gleichsam kaum zu realisierende Idee erwhnt wird, verstanden werden (vgl. Lutz-Bachmann, Das ethische gemeine Wesen, S. 215 ff.). Religion, Bd. 8, B 140, 141. KrV, Bd. 4, B 828. GMS, Bd. 7, BA 84. Religion, Bd. 8, B 142.
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baren – „sinnlichen Form einer K i r c h e “ 80 als dem Ort des ethischen gemeinen Wesens vereinigen. Die Kirche kann somit bezeichnet werden als die ffentlichkeit des praktischen Vernunftgebrauchs in der Bedeutung der dritten Kategorie, ffentlichkeit als Raum. Kant nennt in diesem Sinne „çffentliche Zusammenkunft an dazu gesetzlich geweiheten Tagen“, um die religiçsen Lehren und Wnsche „laut werden zu lassen, und sie so durchgngig mitzuteilen (das Kirchengehen)“81, als eine Pflicht des ethischen Gemeinwesens. Die „G e m e i n d e “82 wiederum, die sich in diesem Raum zusammenfindet, steht fr die praktische ffentlichkeit als Personenverband. In der Aufklrungsschrift ist daher auch von der „Kirchenversammlung“ als einer „Gesellschaft von Geistlichen“83 die Rede. Warum aber ist es ausgerechnet die Kirche, die als Raum des praktischen Vernunftgebrauchs dient? Warum formiert sich die moralische ffentlichkeit nicht unabhngig von Religion? Die Idee eines hçchsten Guts als Endzweck der reinen praktischen Vernunft fhrt Kant bekanntlich zu der Idee eines obersten Gesetzgebers, also auf den „Begriff von Gott als einem moralischen Weltherrscher“84. Ohne einen solchen Weltherrscher kçnne, sagt Kant, die sittlich eingeschrnkte Menschennatur ein moralisches Reich der Zwecke niemals erreichen. Es sei eben nicht zu erwarten, „daß aus so krummen Holze etwas vçllig gerades gezimmert werde“85. Die Annahme eines obersten Gesetzgebers kollidiert zweifelsohne mit der Grundannahme der Kantischen Ethik, wonach Moral nur unter der Voraussetzung eines freien Willens denkbar ist. Kant sagt, wenn ein ethisches gemeines Wesen zustande kommen solle, „so mssen alle einzelne einer çffentlichen Gesetzgebung unterworfen werden, und alle Gesetze, welche jene verbinden, mssen als Gebote eines gemeinschaftlichen Gesetzgebers angesehen werden kçnnen“86. Im juridischen Gemeinwesen ist dieser Gesetzgeber bekanntlich das Volk. Im ethischen gemeinen Wesen 80 81 82 83
Religion, Bd. 8, B 225, 226. Religion, Bd. 8, B 300. Religion, Bd. 8, B 142. Aufklrung, Bd. 11, A 488. Die „Wirklichkeit“ des Gotteshauses sei „an die der Gemeinschaft geknpft“, schreibt Kracauer in seinem spielerischen, auf Kant rekurrierenden Vergleich des Raums der Kirche mit dem Raum einer Hotelhalle im Detektiv-Roman (Kracauer, Siegfried: Der Detektiv-Roman. Eine Deutung. In: Siegfried Kracauer. Werke. Bd. 1, hrsg. v. Inka Mlder-Bach, Frankfurt a. M., 2006, S. 130). 84 Religion, Bd. 8, B 139. 85 Religion, Bd. 8, B 142. 86 Religion, Bd. 8, B 137, 138.
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4. Die ffentlichkeit der praktischen Vernunft
allerdings kçnne das Volk selbst nicht als gesetzgebend angesehen werden, da es um den inneren Bereich, den Bereich der Moral gehe. Also glaubt Kant einen obersten Gesetzgeber als „Herzenskndiger“ annehmen zu mssen, um „jedem, was seine Taten wert sind, zukommen zu lassen“ und „auch das Innerste der Gesinnungen eines jeden zu durchschauen“87. Eine solche Funktion von Gott als Ausgangspunkt sowie Kontrollinstanz aller Moral widerspricht Kants eigenen Prmissen. Der Einzelne soll erstens autonom aus sich heraus seinen Willen nach dem Sittengesetz bestimmen, zweitens soll er es aus reiner Pflicht tun, nicht aus Furcht vor Bestrafung durch einen obersten Gesetzgeber. Kant selbst erkennt diese Schwierigkeiten: Es msse zwar „ein anderer, als das Volk sein, der fr ein ethisches gemeines Wesen als çffentlich gesetzgebend angegeben werden kçnnte“, nmlich, wie gesagt, Gott. „Gleichwohl kçnnen ethische Gesetze auch nicht bloß von dem Willen dieses Obern u r s p r n g l i c h ausgehend […] gedacht werden, weil sie alsdann keine ethische Gesetze, und die ihnen gemße Pflicht nicht freie Tugend, sondern zwangsfhige Rechtspflicht sein wrde.“ Gott msse also letztendlich als eine Instanz verstanden werden, die ein Gebot erlsst, nmlich das moralische Gesetz, das objektiv gilt; das Individuum wiederum msse subjektiv in seiner Maxime mit diesem Gebot bereinstimmen. Der Einzelne habe somit auch unter der Annahme eines obersten moralischen Gesetzgebers so zu verfahren, „als ob alles auf ihn ankomme, und nur unter dieser Bedingung darf er hoffen, daß hçhere Weisheit seiner wohlgemeinten Bemhung die Vollendung werde angedeihen lassen“88. Genannte Schwierigkeiten aber werden so – insbesondere vor dem Hintergrund der Als-ob-Formulierung – nicht gelçst. Hçffe sagt: „Das Postulat eines allwissenden und allmchtigen Gottes erscheint selbst wohlwollenden Interpreten Kants als ein berbleibsel dogmatischer Metaphysik, das man lieber diskret verschweigt, um den großen Denker nicht beschmen zu mssen“89 – besser kann man es wohl nicht formulieren.
87 Religion, Bd. 8, B 139. 88 Religion, Bd. 8, B 142. In der Danziger Rationaltheologie nach Baumbach heißt es, Moral kçnne nicht auf Theologie gegrndet werden, sondern msse „in sich selbst das Prinzip, den Grund unseres Wohlverhaltens haben. Hernach kann sie mit Theologie verbunden werden, um dadurch Nachdruck zu bekommen“ (Danziger Rationaltheologie nach Baumbach. In: Gesammelte Schriften, Bd. 28/2.2, S. 1242). 89 Hçffe, Kantische Skepsis, S. 535.
4.3 Das ethische Gemeinwesen: ffentlichkeit des praktischen Vernunftgebrauchs
133
ffentlichkeit – das Prinzip der wahren Kirche Mit der Religionsschrift wendet sich Kant explizit gegen jede Form von nur auf Offenbarung, durch die Heilige Schrift oder andere Traditionen, basierenden Kirchenglauben.90 Wahre Religion kann fr Kant nur eine Religion sein, die auf reinem Vernunftglauben gegrndet wird. Oder, um es mit Reinhard Brandt zu sagen: In Kants „Religion der Moral“91 werden die klassischen kirchlichen Verhltnisse auf den Kopf gestellt – „unsere Vernunft entscheidet, was in der Bibel zu stehen hat, nicht der Wortlaut im Text, der vor uns liegt“92. ffentlichkeit als Prinzip, daran kann kein Zweifel bestehen, dient dabei als eine Art Siegel: Nur Vernunftglauben lsst sich nach Meinung von Kant çffentlich mitteilen. Die wahre Kirche, heißt es, kçnne ausschließlich auf bloßem Vernunftglauben aufbauen, „der sich jedermann zur berzeugung mitteilen lßt“93. Eine Kirche hingegen, die sich auf Offenbarung sttze, sei abzulehnen, da sie „das wichtigste Merkmal ihrer Wahrheit, nmlich das eines rechtmßigen Anspruchs auf Allgemeinheit entbehrt, wenn sie sich auf einen Offenbarungsglauben, der, als historischer (obwohl durch Schrift weit ausgebreiteter, und der sptesten Nachkommenschaft zugesicherter) Glaube, doch keiner allgemeinen berzeugenden Mitteilung fhig ist, grndet“94. Historische Glaubenszeugnisse sind fr Kant nur partikulr gltig, kçnnen also in ihrer Zuflligkeit nicht allgemein berzeugend mitgeteilt werden. Reiner Vernunftglaube „als çffentlicher Religionsglaube“95 hingegen sei – natrlich als praktische Idee, nicht theoretisch-objektiv – notwendig, ja gewissermaßen alternativlos, und damit jederzeit in Einklang zu bringen mit der Forderung nach çffentlicher Zustimmung. Das Prinzip der ffentlichkeit ist demnach erneut eine Art Prfstein, es beglaubigt, dass wir es bei einer Religion de facto mit reiner Vernunftreligion zu tun haben. Neben diesem Prinzip der ffentlichkeit als Prfstein findet sich noch eine zweite Ebene des ffentlichkeitsprinzips, nmlich ffentlichkeit im Sinne çffentlicher Ausbreitung. Man kçnne sagen, 90 Die Religion, sagt Kant, msse losgelçst werden „von allen Statuten, welche auf Geschichte beruhen, und die vermittelst eines Kirchenglaubens provisorisch die Menschen zur Befçrderung des Guten vereinigen“ (Religion, Bd. 8, B 179, 180). 91 Brandt, Bestimmung des Menschen, S. 395. 92 Brandt, Bestimmung des Menschen, S. 46. 93 Religion, Bd. 8, B 145. 94 Religion, Bd. 8, B 157. 95 Religion, Bd. 8, B 227, 228.
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4. Die ffentlichkeit der praktischen Vernunft
schreibt Kant, „,daß das Reich Gottes zu uns gekommen sei‘, wenn auch nur das Prinzip des allmhlichen berganges des Kirchenglaubens zur allgemeinen Vernunftreligion, und so zu einem (gçttlichen) ethischen Staat auf Erden, allgemein, und irgendwo auch ç f f e n t l i c h Wurzel gefaßt hat: obgleich die wirkliche Errichtung desselben noch in unendlicher Weite von uns entfernt liegt“96. Zwei Seiten weiter ist zu lesen, Kirche fange dann an, „sich zu einem ethischen Staat Gottes zu bilden“, wenn man „çffentlich anerkennt“97, dass der Kirchenglaube abhngig ist von den einschrnkenden Bedingungen des reinen Religionsglaubens. Und schließlich heißt es: Es ist „schon ein Anfang der Herrschaft des guten Prinzips, und ein Zeichen, ,daß das Reich Gottes zu uns komme‘, wenn auch nur die Grundstze der Konstitution desselben ç f f e n t l i c h zu werden anheben“98. ffentlichkeit dient somit neben der Funktion als Prfstein auch als Indiz der erfolgreichen Ausbreitung reiner Vernunftreligion. Selbst eine solche auf reinem Vernunftglauben gegrndete Kirche kann nach Kant nicht vollkommen auf etwas, wie er sagt, „S i n n l i c h h a l t b a r e s , irgend eine Erfahrungsbesttigung“99 verzichten, weshalb sie auf die Heilige Schrift zurckzugreifen habe (nur die Kirche, nicht die Religion selbst, denn die msse, „um allgemein zu sein, jederzeit auf bloße Vernunft gegrndet sein“100). Es wird also eine „Auslegung der uns zu Hnden gekommenen Offenbarung erfordert, d. i. durchgngige Deutung derselben zu einem Sinn“101. Diese Schriftauslegung bzw. Deutung bleibt aber an eine zentrale Bedingung gebunden, die Kant in der Religionsschrift nicht zu betonen mde wird: Es handelt sich abermals um die Bedingung der Publizitt. So heißt es, die Gelehrten mssten in der Auslegung der Heiligen Schrift „çffentliche Denkfreiheit“ als Prinzip anerkennen, „weil nur dadurch, dass Gelehrte ihre Auslegungen jedermanns Prfung aussetzen, selbst aber auch zugleich fr bessere Einsicht immer offen und empfnglich bleiben, sie auf das Zutrauen des gemeinen Wesens zu ihren Entscheidungen rechnen kçnnen“102. Denn: „S o l e n n e F o r m e l n enthalten gewçhnlich ihre eigene, bloß fr die, welche zu einem besonderen Verein
96 97 98 99 100 101 102
Religion, Bd. 8, B 181. Religion, Bd. 8, B 182, 183, 184. Religion, Bd. 8, B 225, 226. Religion, Bd. 8, B 158. Religion, Bd. 8, B 163. Religion, Bd. 8, B 158. Religion, Bd. 8, B 167, 168.
4.3 Das ethische Gemeinwesen: ffentlichkeit des praktischen Vernunftgebrauchs
135
(einer Zunft oder gemeinen Wesen) gehçren, bestimmte, bisweilen mystische, nicht von jedem verstandene Sprache.“103 Nach Prfstein des Vernunftglaubens und Indiz der Ausbreitung dieses Glaubens haben wir es hier mit einer dritten Art von Publizitt zu tun: Publizitt als Prinzip der Transparenz im Sinne des politischen Publizittsprinzips (auch bei der Mitteilbarkeit als Prfstein der Vernunftreligion spielt der Transparenzgedanke natrlich eine elementare Rolle: Die Vernunftreligion muss allgemein nachvollziehbar sein). Die Korrelation zwischen politischem Publizittsgebot und der Publizitt aus der Religionsschrift liegt dabei auf der Hand. Einer „lichtscheuen Politik“ nimmt ffentlichkeit, wie schon im ersten Kapitel gesagt, die Mçglichkeiten der „Hinterlist“104, den Schriftgelehrten zwingt sie heraus aus seinen solennen Formeln, heraus aus seiner mystischen, nicht von jedem verstandenen Sprache. Vor dem Hintergrund jenes Missbrauchs, der sowohl in der Geschichte des Absolutismus als auch in der Geschichte der katholischen Kirche, die natrlich ihrerseits fester Bestandteil des Absolutismus war, mit vermeintlichen Wahrheiten betrieben wurde105, setzt Kant ganz auf die Dynamik der ffentlichkeit. Es kann fr diesen Abschnitt also festgehalten werden: Kant geht davon aus, dass der Mensch nur in der Gemeinschaft mit anderen Menschen den moralischen Fortschritt erreichen kann. Denn es ist eine uns von unserer reinen praktischen Vernunft aufgegebene Pflicht, den moralischen Fortschritt bzw. die moralische Vollendung der menschlichen Gattung zu betreiben. Die Kirche ist der sichtbare Ort, an dem diese Vollendung sich zu vollziehen hat – man kçnnte auch sagen, sie ist der Ort des praktischen Vernunftgebrauchs. Kirche muss somit verstanden werden als empirischpraktische ffentlichkeit im Sinne des dritten Bedeutungsfeldes, nmlich ffentlichkeit als Raum.106 Der konkrete empirische Personenverband (als die ffentlichkeit im Sinne des zweiten Bedeutungsfeldes), der sich in diesem Raum zusammenfindet, ist die Gemeinde. Diese praktische ffentlichkeit, als Raum und Personenverband, wird wiederum strukturiert nach dem Prinzip der Publizitt. Dabei finden sich drei verschiedene Ebenen von ffentlichkeit als Prinzip: Zunchst ist çffentliche Mitteilbarkeit eine Art Siegel der reinen Vernunftreligion; zweitens ist die Konstitution einer auf reinem Vernunftglauben basierenden praktischen f103 104 105 106
Religion, Bd. 8, B 220. Frieden, Bd. 11, B 110, 111. Vgl. Religion, Bd. 8, B 155, 156. Vgl. Blesenkemper, Publice age, S. 388.
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4. Die ffentlichkeit der praktischen Vernunft
fentlichkeit nur dann mçglich, wenn reiner Vernunftglaube çffentlich anerkannt und somit çffentlich verbreitet wird; nicht zuletzt aus diesem Grund sind die Schriftgelehrten in der Auslegung der Heiligen Schrift – auf die in einer auf reinem Vernunftglauben basierenden Kirche nicht gnzlich verzichtet werden kann – auf das Prinzip der Publizitt verpflichtet.
5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft Im Mittelpunkt dieses letzten Kapitels steht der erste Teil der Kritik der Urteilskraft, die Kritik der sthetischen Urteilskraft. Zum einen, weil das Urteil ber das Schçne in Kunst und Natur ein per se çffentliches Urteil ist; es ist auf ffentlichkeit genauso angewiesen wie es diese, als sthetische Urteilsgemeinschaft, konstituiert. Zum anderen, da sich in der letzten Kritik, die von Kant ausdrcklich als Vermittlung zwischen reiner und praktischer Vernunft initiiert war, einige fr diese Arbeit ganz elementare bergnge zur ersten und zweiten Kritik sowie den politischen Schriften ergeben. Dem Zusammenhang von Geschmacksurteil und ffentlichkeit wurde in den vergangenen Jahren insbesondere im Anschluss an Hannah Arendt, die als erste Denkerin auf die Bedeutung der dritten Kritik fr die Politik eingegangen ist1, breite Aufmerksamkeit geschenkt. Zwar finden sich bis heute gegenteilige ußerungen. Henning Ottmann zum Beispiel sagt, die im sthetischen Urteil zur Sprache kommende Orientierung an fremder Vernunft sei „kein Appell an irgendeine konkrete Gemeinschaft“, sondern „an die Menschheitsvernunft berhaupt“2. Und, Ottmann weiter: „Ein stummer Denker denkt sich hier etwas fr alle. Ein monologisches Denken phantasiert sich ins Allgemeine“, weshalb man es zu tun htte mit der „Pseudo-Erweiterung monologischer Vernunft“. Der Großteil der Interpreten aber erkennt die soziale Dimension der dritten Kritik ausdrcklich an. Um nur einige Beispiele zu nennen: Ernst Vollrath, der im Anschluss an Arendt aus der dritten Kritik eine Theorie der politischen Urteilskraft abgeleitet hat, schreibt, „ffentlichkeit“ sei im Kantischen Urteil ber das Schçne „in hervorragendem Maße“3 anzutreffen. Bei Kaulbach wird 1 2 3
Vgl. Vollrath, Ernst: Grundlegung einer philosophischen Theorie des Politischen. Wrzburg, 1987, S. 257. Ottmann, Henning: Kommentar zu Gerhardt. In: John Locke und Immanuel Kant. Historische Rezeption und gegenwrtige Relevanz. Hrsg. v. Martyn P. Thompson, Berlin, 1991, S. 336. Vollrath, Ernst: Die Rekonstruktion der politischen Urteilskraft. Stuttgart, 1977, S. 157.
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5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft
„Kommunikation“4 als ein wesentlicher Bestandteil des Geschmacks angefhrt, Gernot Bçhme sagt, eines „der wichtigsten Merkmale des Schçnen ist nach Kant seine Kommunizierbarkeit“5, Birgit Recki spricht vom „kommunikativen Charakter“6 der Urteilskraft, und Stuart Hampshire hlt in seinem Aufsatz The Social Spirit of Mankind fest, „the cultivation and the communication of feeling“ seien die „key words“7 der dritten Kritik. Bei Ronald Beiner, der die deutsche Ausgabe von Arendts Kant-Vorlesung herausbrachte, heißt es, die Ttigkeit des Urteilens sei „ihrer Natur nach gesellschaftlich“8. Paul Guyer schreibt, „Kant appeals to ordinary linguistic usage to anchor the claim that judgments of taste claim intersubjective rather than merely personal validity“9, Volker Gerhardt spricht vom „intersubjektiven Kontext“10 der Urteilskraft. Und selbst in Einfhrungsliteratur zur dritten Kritik ist inzwischen ausdrcklich von der „sozialen Dimension sthetischer Erfahrung“11 die Rede. Auch Blesenkemper, der in seiner Arbeit die dritte Kritik nur am Rande behandelt, kommt zu der abschließenden, in der Einleitung bereits zitierten Bemerkung, es htte noch eine „Konstellation von Ich und ffentlichkeit thematisiert werden kçnnen […] und zwar in einem Vollkommenheitsgrad, der bei den bisher erluterten ffentlichkeitsformen nicht erreichbar ist. Die hier ins Auge gefaßte Vernunfthandlung ist die Beurteilung des Schçnen.“12 Zunchst muss darauf hingewiesen werden, dass zwar in Stzen der Art „X ist schçn“ Verstand und Vernunft eine Rolle spielen, das Urteil selbst aber keine genuine Leistung der Vernunft ist, sondern eine Leistung der Urteilskraft, genaugenommen der reflektie4 Kaulbach, Friedrich: sthetische Welterkenntnis bei Kant. Wrzburg, 1984, S. 143. 5 Bçhme, Gernot: Kants Kritik der Urteilskraft in neuer Sicht. Frankfurt a. M., 1999, S. 29. 6 Recki, Birgit: sthetik der Sitten. Die Affinitt von sthetischem Gefhl und praktischer Vernunft bei Kant. Frankfurt a. M., 2001, S. 116. 7 Hampshire, Stuart: The Social Spirit of Mankind. In: Kant’s Transcendental Deductions. The Three Critiques and the Opus postumum. Hrsg. v. Eckart Fçrster, Stanford, 1989, S. 153. 8 Beiner, Ronald: Hannah Arendt ber das Urteilen. In: Hannah Arendt. Das Urteilen. Texte zu Kants politischer Philosophie. Hrsg. v. Ronald Beiner, Mnchen, 1998 (TBAusg.), S. 153. 9 Guyer, Paul: Kant’s ambitions in the third Critique. In: The Cambridge Companion to Kant and Modern Philosophy. Hrsg. v. Paul Guyer, Cambridge, 2006, S. 558. 10 Gerhardt, Vernunft und Leben, S. 265. 11 Teichert, Dieter: Immanuel Kant: „Kritik der Urteilskraft“. Ein einfhrender Kommentar. Paderborn, 1992, S. 81. 12 Blesenkemper, Publice age, S. 395.
5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft
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renden, nicht-bestimmenden Urteilskraft.13 Blesenkemper verwendet Vernunft in genanntem Zitat vermutlich als Oberbegriff fr unser Erkenntnisvermçgen, was natrlich legitim ist. Da Kant aber gerade in der dritten Kritik in aller Grndlichkeit zwischen Verstand, Vernunft und Urteilskraft unterscheidet, sollte seiner Terminologie nach Mçglichkeit gefolgt, also von einer Urteils- und nicht einer Vernunftleistung gesprochen werden. Wesentlich wichtiger als diese Bemerkung ist die Frage, ob sich in der Urteilskraft tatschlich eine, wie von Blesenkemper in Aussicht gestellt, Konstellation von Ich und ffentlichkeit ergibt, die ber die bisher erluterten ffentlichkeitsformen hinausgeht. Hier ist ußerste Vorsicht geboten: Selbstverstndlich denkt Kant das Geschmacksurteil von Anfang an als çffentliches Urteil. Die Frage aber, ob in dieser sthetischen Verbindung von Ich und ffentlichkeit ein hçherer Vollkommenheitsgrad erreicht wird, als es in reiner und praktischer Vernunft der Fall ist, erscheint insofern problematisch, als die Pointe der kommunikativen Struktur der Urteilskraft gerade darin besteht, dass wesentliche Elemente dieser Struktur, gedacht wird in erster Linie an die erweiterte Denkungsart, auch fr theoretische und praktische Urteile gelten. Das heißt: Der kommunikative Charakter der dritten Kritik besttigt gerade den kommunikativen Charakter von erster und zweiter Kritik. Letztendlich sind die Leistungen von Verstand, Vernunft und Urteilkraft, ungeachtet einiger Unterschiede, auf die noch einzugehen sein wird, demnach auf nahezu identische Art und Weise an ffentlichkeit gebunden. Vor diesem Hintergrund ergibt sich fr dieses Kapitel folgende Systematik: Im ersten Abschnitt wird gezeigt, dass auch in Kants Theorie des Geschmacksurteils alle drei eingangs definierten Bedeutungsfelder des heutigen ffentlichkeitsbegriffs anzutreffen sind. Der zweite Abschnitt soll aufzeigen, inwiefern die in der Urteilskraft geforderte erweiterte Denkungsart auch fr theoretische und praktische Urteile zu gelten hat. In diesem Kontext wird zudem zu erçrtern sein, warum Verstand, Vernunft und Urteilskraft schlussendlich gleichermaßen auf ffentlichkeit angewiesen sind. Im dritten Teil des Kapitels wird dann abschließend auf den Ausgangspunkt dieser Arbeit, die politischen Schriften, zurckzukommen
13 Die reflektierende Urteilskraft darf nicht verwechselt werden mit dem Begriff der Reflexion in der KrV. In der Amphibolie der Reflexionsbegriffe spricht Kant von transzendentaler Reflexion als transzendentaler berlegung, zu welcher Erkenntnisart eine Vorstellung gehçrt (vgl. KrV, Bd. 3, B 316 ff.).
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5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft
sein. Denn auch zwischen Kants politischer Theorie und der Urteilskraft ergeben sich nicht zu bersehende Parallelen.
5.1 Drei Ebenen des ffentlichkeitsbegriffs in der Theorie des Geschmacksurteils Im Mittelpunkt der Kritik der sthetischen Urteilskraft steht die sthetische ffentlichkeit als eine Gemeinschaft von Menschen, die ein unabhngiges Urteil ber das Schçne in Kunst und Natur fllt. Nach der ffentlichkeit des theoretischen Verstandesgebrauchs sowie der ffentlichkeit des praktischen Vernunftgebrauchs wird somit klar, dass auch das dritte der drei Kantischen Erkenntnisvermçgen, nmlich die Urteilskraft, genau genommen die reflektierende Urteilskraft – die sich wiederum in eine sthetische und eine teleologische Urteilskraft teilt; hier ist von der ersteren die Rede –, immanent auf ffentlichkeit, und zwar im Sinne aller drei Bedeutungsfelder, ausgelegt ist. ffentlichkeit als Prinzip: Mitteilbarkeit des Geschmacksurteils und Gemeinsinn ffentlichkeit ist die Bedingung der Kantischen Theorie des Urteilens ber das Schçne. sthetische Urteile mssen sich mitteilen lassen – sonst sind es keine genuinen sthetischen Urteile. Um diesen Zusammenhang wirklich begreifen zu kçnnen, muss an dieser Stelle in aller Krze auf die Grundzge von Kants sthetischer Urteilstheorie eingegangen werden. Die Tatsache, dass diese Theorie aus heutiger Sicht alleine deswegen nicht mehr haltbar ist, da Kant Kunst immer nur als schçne Kunst versteht, sei hier zwar erwhnt, soll im Folgenden allerdings nicht weiter bercksichtigt werden, da sie fr den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit von keiner systematischen Bedeutung ist. Mit der Kritik der Urteilskraft wollte Kant, wie schon angedeutet, jene Kluft zu schließen versuchen, die sich nach Vollendung der ersten und der zweiten Kritik ergeben hatte, also die Kluft zwischen Natur- und Freiheitsbegriff.14 Als Dreh- und Angelpunkt dieser Vermittlung dient der 14 Vgl. KU, Bd. 10, B XVIII f. u. B LIII, LIV u. a.
5.1 Drei Ebenen des ffentlichkeitsbegriffs in der Theorie des Geschmacksurteils
141
Begriff der Zweckmßigkeit. Fr diese Arbeit interessiert vor allem der erste von Kant im Rahmen der Zweckmßigkeit thematisierte bergang, nmlich die Beurteilung des Schçnen in Kunst und Natur. Diese Beurteilung erfolgt, wie bereits gesagt, durch jenes Vermçgen, das Kant als reflektierende Urteilskraft bezeichnet. Reflektierend ist das Urteil ber das Schçne, da es sich – anders als ein Erkenntnisurteil – auf keinen allgemeinen Begriff bezieht, also nicht bestimmend verfhrt. Die Pointe dabei: Obwohl wir uns in Urteilen der Art „X ist schçn“ bzw. „X ist nicht schçn“ auf keinen allgemeinen Begriff beziehen, versehen wir diese Urteile mit einer besonderen Form von Allgemeingltigkeit; sthetische Reflexionsurteile, also Geschmacksurteile, sind zwar nicht objektiv, dafr aber subjektiv allgemeingltig. Der Grund: Durch einen schçnen Gegenstand der Natur oder der Kunst, und zwar durch die Form und nicht die Materie dieses Gegenstandes, werden Einbildungskraft und Verstand in ein freies Spiel, in einen Zustand der Harmonie versetzt. Dieses Zusammenspiel ist mit einem Gefhl der Lust verbunden – und zwar der reinen, kontemplativen Lust, also der Lust an der Reflexion ber die subjektive Zweckmßigkeit unserer Erkenntnisvermçgen fr die Form der schçnen Gegenstnde. Da „in allen Menschen“, so Kants knappes Argument fr die subjektive Allgemeingltigkeit in der Deduktion der Geschmacksurteile, die gleichen Erkenntnisbedingungen anzutreffen sind, „so muß die bereinstimmung einer Vorstellung mit diesen Bedingungen der Urteilskraft als fr jedermann gltig a priori angenommen werden kçnnen“15. Ein schçner Gegenstand versetzt also bei jedermann Einbildungskraft und Verstand in einen Zustand der Harmonie und erzeugt so ein Gefhl der Lust, weshalb dieses Gefhl der reinen Lust an der Reflexion auch nicht nur fr den einzelnen Urteilenden gilt – wie es nach Kant bei empirischen Sinnesempfindungen, die immer nur privatgltig sind, der Fall ist –, „sondern fr jeden Urteilenden berhaupt“16. Wer in der Reflexion ber die Zweckmßigkeit unserer Erkenntnisvermçgen fr das Schçne – bzw. die Form des Schçnen – Lust empfindet, hat also „mit Recht Anspruch auf jedermanns Beistimmung“17, er darf, wie Kant es formuliert, sein „Wohlgefallen jedermann als notwendig ansinnen“18. Ausgehend von dieser subjektiven Allgemeingltigkeit sagt Kant, Geschmacksurteile bzw. das ihnen zugrunde liegende Gefhl, mssten sich 15 16 17 18
KU, Bd. 10, B 152. KU, Bd. 10, B XLVI. KU, Bd. 10, B XLVII, XLVIII. KU, Bd. 10, B 150, 151.
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5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft
„allgemein mitteilen“19 lassen. Obwohl sich die Beurteilung des Schçnen also auf keinen Begriff bezieht, ist die Lust an der Reflexion ber das Schçne, anders als die Lust am Angenehmen, fr Kant mit dem Anspruch auf Mitteilbarkeit versehen. Zum Beweis dieser Mitteilbarkeit bezieht er sich auf jenes Begrndungsmuster, mit dem bereits die subjektive Allgemeingltigkeit nachzuweisen versucht wurde: Da wir alle den gleichen Erkenntnisapparat haben, kçnnen wir davon ausgehen, dass Einbildungskraft und Verstand durch einen schçnen Gegenstand bei jedermann in ein harmonisches Verhltnis versetzt werden; also ist auch jenes Gefhl der Lust, das durch dieses Zusammenspiel entsteht, allgemein mitteilbar.20 Kant geht dabei so weit, Mitteilbarkeit in einen transzendentalen Rang zu erheben. Die Mitteilbarkeit des durch eine bestimmte Vorstellung erzeugten reinen Gefhls der Lust an der Reflexion ber die subjektive Zweckmßigkeit unserer Erkenntnisvermçgen kann a priori festgestellt werden, da nicht die Eigenschaft eines Objektes mitgeteilt wird, sondern ein notwendiges Verhltnis von Einbildungskraft und Verstand in Bezug auf einen einzelnen schçnen Gegenstand – bzw. ein durch dieses notwendige Verhltnis notwendigerweise erwirktes Gefhl.21 Der entscheidende Unterschied, der sich fr den Begriff der Mitteilbarkeit in der Urteilskraft im Vergleich zur reinen und praktischen Vernunft ergibt, ist also – neben dem transzendentalen Rang – die Tatsache, dass Mitteilbarkeit auf einen bisher nicht erschlossenen Bereich ausgeweitet wird: Mit unserem Geschmack verfgen wir ber ein Vermçgen, uns ohne begrifflichen Bezug ein Gefhl, nmlich die reine Lust an der Reflexion, allgemein mitzuteilen.22 ber weite Strecken der KU klingt es dabei so, als ob die Mitteilbarkeit des Geschmacksurteils, also die Mitteilbarkeit eines Gefhls der Lust an der 19 KU, Bd. 10, B 154. 20 Vgl. KU, Bd. 10, B 29. Es sei an dieser Stelle erwhnt, dass es in der Kant-Forschung bis heute umstritten ist, in welchem Verhltnis das freie Zusammenspiel von Einbildungskraft und Verstand in sthetischer Hinsicht zu der Zusammenstimmung beider in einer objektiven Erkenntnis steht. Diese Debatte soll hier nicht gefhrt werden, weshalb auf die Untersuchung von Christel Fricke verwiesen wird, die sich ausfhrlich mit der Frage nach diesem Verhltnis beschftigt und fr eine klare Trennung des Zusammenspiels in sthetischer und theoretischer Hinsicht pldiert (vgl. Fricke, Christel: Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils. Hrsg. v. Gnther Patzig, Erhard Scheibe, Wolfgang Wieland, Berlin, 1990, S. 48 – 71). 21 Vgl. KU, Bd. 10, B 153 ff. u. B 161, 162. 22 Darber hinaus ist in der Urteilskraft auch die Rede von der Mitteilbarkeit des moralischen Gefhls, also die Mitteilbarkeit des Wohlgefallens an einer Handlung um ihrer moralischen Beschaffenheit willen (vgl. KU, Bd. 10, B 154).
5.1 Drei Ebenen des ffentlichkeitsbegriffs in der Theorie des Geschmacksurteils
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Reflexion ber die sthetische Zweckmßigkeit unserer Erkenntnisvermçgen, eines von zahlreichen Charakteristika sthetischer Reflexionsurteile darstellt. In Paragraph 39 erhebt sie Kant dann allerdings zum eigentlichen Kern des Geschmackurteils: „Man kçnnte sogar den Geschmack durch das Beurteilungsvermçgen desjenigen, was unser Gefhl an einer gegebenen Vorstellung ohne Vermittelung eines Begriffs a l l g e m e i n m i t t e i l b a r macht, definieren.“23 Oder: „Der Geschmack ist also das Vermçgen, die Mitteilbarkeit der Gefhle, welche mit gegebener Vorstellung (ohne Vermittelung eines Begriffs) verbunden sind, a priori zu beurteilen.“ Macht man sich an dieser Stelle erneut klar, dass Mitteilbarkeit bei Kant immer im Sinne von wechselseitiger bereinstimmung verstanden wird24, so kann kein Zweifel daran bestehen, dass Mitteilbarkeit auch in sthetischen Angelegenheiten jene Funktion bernimmt, die sie bereits in der theoretischen Philosophie innehat – sie dient als Prfstein. In unseren Erkenntnissen soll Mitteilbarkeit gewhrleisten, dass wir es auch wirklich mit objektiven Erkenntnissen zu tun haben; in Geschmacksurteilen wiederum soll sie gewhrleisten, dass wir es auch wirklich mit einem reinen Geschmacksurteil, also mit einem reinen Gefhl der Lust an der Reflexion, zu tun haben und sich nicht etwa „R e i z e u n d R h r u n g e n “25, die immer nur etwas Privatgltiges hervorrufen, in unser Urteil mischen. Mitteilbarkeit wird somit erhoben zu der Bedingung eines jeden Geschmacksurteils. In diesem Sinne sagt Kant auch in einer Abgrenzung des Schçnen vom empirischen Sinnenreiz, sthetische Urteile wrden „nur so viel wert gehalten werden, als sie sich allgemein mitteilen lassen“26 – lassen sie sich nicht mitteilen, sind es keine reinen Geschmacksurteile. Denn nur das Reine lsst sich „mit Gewißheit allgemein mitteilen“27. Nun kann man natrlich mit gutem Recht erwidern, es sei denkbar kontraintuitiv, Urteile ber das Schçne ausgerechnet als reine Urteile zu begreifen – an der Bedeutung der Mitteilbarkeit aber ndert das nichts. Unsere Fhigkeit zur allgemeinen Mitteilbarkeit des dem Geschmacksurteil zugrunde liegenden Gefhls der reinen Lust ist fr Kant 23 KU, Bd. 10, B 161, 162. 24 Wie gesagt: Ich kann auch ein Privatgefhl wie das Angenehme mitteilen, aber ich kann nicht erwarten, dass meinem Privaturteil jedermann zustimmen wird. 25 KU, Bd. 10, B 38. 26 KU, Bd. 10, B 164, 165. 27 KU, Bd. 10, B 40, 41.
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5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft
unmittelbar verbunden mit jenem Vermçgen, das er als sthetischen Gemeinsinn bezeichnet. Kant sagt, wenn man von der Mitteilbarkeit von Gefhlen ausgehe, dann msse auch ein sensus communis angenommen werden.28 Kennzeichnend fr den Begriff des Gemeinsinnes ist nicht nur dessen lange philosophische Tradition, sondern vor allem die durchaus unterschiedlichen Bedeutungen, die ihm bis heute zukommen. Grundstzlich lassen sich drei Bedeutungsfelder nennen: der Gemeinsinn als einheitliche Wahrnehmung aller Sinne, der Gemeinsinn als gesunder bzw. gemeiner Menschenverstand sowie der Gemeinsinn als ein gemeinsames, praktisches Sozialgefhl.29 Schon bei Aristoteles ist von einer Fhigkeit die Rede, verschiedene Sinneswahrnehmungen zu einer Wahrnehmung zu vereinheitlichen.30 In der britischen Philosophie des Common Sense lsst Berkeley seinen Philonous vom „judgment of men who had plain common sense, without the prejudices of a learned education“31 sprechen sowie vom common sense als „genuine uncorrupted judgment of all mankind“32. Und Shaftesbury sagt, der sensus communis sei im Sinne eines gemeinsamen Sozialgefhls die Voraussetzung aller ffentlichkeit: „A PUBLICK Spirit can come only from a social Feeling or Sense of Partnership with human Kind.“33 Kants sthetischer Gemeinsinn, der ausdrcklich vom gemeinen Menschenverstand abgegrenzt wird34, stellt in dieser Reihe in gewisserweise eine Besonderheit dar, insofern als er ganz auf die Beurteilung des Schçnen beschrnkt wird. Und dennoch ergibt sich eine nicht zu bersehende Parallele zu Shaftesbury: Auch der Kantische sthetische sensus communis wird in seiner Konsequenz verstanden als ein uns allen gemeinschaftliches Vermçgen, das es jedem Individuum ermçglicht, sich – in all seiner Autonomie! – als Teil einer Sozialitt zu begreifen. Doch der Reihe nach: Zunchst muss eingerumt werden, dass in der Definition des Kantischen Gemeinsinnes, was die Frage der tatschlichen 28 Vgl. KU, Bd. 10, B 66, 67 ff. u. a. 29 Vgl. Art. zu Gemeinsinn v. Alexander v. Maydell u. Reiner Wiehl, in: Historisches Wçrterbuch der Philosophie. Bd. 3, hrsg. v. Joachim Ritter, Basel, 1974, Sp. 244. 30 Vgl. Aristoteles: Von der Seele (Peri psyches). Hrsg. v. Olof Gigon, Mnchen, 1996, S 87. 31 Berkeley, George: Three Dialogues between Hylas and Philonous (1713). Leipzig, 1913, S. 100. 32 Berkeley, Three Dialogues, S. 110. 33 Shaftesbury, Sensus Communis, S. 106. 34 Vgl. KU, Bd. 10, B 157. Auf den gemeinen Menschenverstand wird in 5.2 und in 5.3 ausfhrlich eingegangen.
5.1 Drei Ebenen des ffentlichkeitsbegriffs in der Theorie des Geschmacksurteils
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ffnung des Einzelnen zu einer uns gemeinsamen Welt anbelangt, zwei durchaus divergierende Momente anzutreffen sind. Zum einen soll der Gemeinsinn die Mitteilbarkeit von Gefhlen ermçglichen – und Mitteilbarkeit bedeutet faktische ffnung, also realen Diskurs. Gleichzeitig aber ist in der Begriffsbestimmung von einer nur hypothetischen ffnung, also einem nur fiktiven Diskurs mit anderen Urteilenden, die Rede. Kant sagt, unter dem Gemeinsinn „muß man die Idee eines g e m e i n s c h a f t l i c h e n Sinnes, d. i. eines Beurteilungsvermçgens verstehen, welches in seiner Reflexion auf die Vorstellungsart jedes andern in Gedanken (a priori) Rcksicht nimmt, um g l e i c h s a m an die gesamte Menschenvernunft sein Urteil zu halten, und dadurch der Illusion zu entgehen, die aus subjektiven Privatbedingungen, welche leicht fr objektiv gehalten werden kçnnten, auf das Urteil nachteiligen Einfluss haben wrde. Dieses geschieht nun dadurch, daß man sein Urteil an anderer, nicht sowohl wirkliche, als vielmehr bloß mçgliche Urteile hlt, und sich in die Stelle jedes anderen versetzt, indem man bloß von den Beschrnkungen, die unserer eigenen Beurteilung zuflliger Weise anhngen, abstrahiert“.35 Mit einem solchen Vorgang, in dem der Einzelne in Reflexion auf die Vorstellungsart eines jeden andern in Gedanken (!) Rcksicht nimmt und sein Urteil nicht an wirklichen, sondern lediglich mçglichen Urteilen anderer ausrichtet, ist kein Schritt in die ffentlichkeit vollzogen. Der Urteilende wird nur dazu angehalten, sein Urteil aus einer quasi-unparteiischen Perspektive zu reflektieren. Bei genauerer Betrachtung besteht zwischen dieser hypothetischen ffnung gegenber anderen und der faktischen ffnung in Form der Mitteilbarkeit allerdings kein nicht auflçsbarer Widerspruch. Der sensus communis befhigt das Individuum, sich in Gedanken in den Standpunkt aller anderen Individuen zu versetzen. Durch dieses Sich-in-andere-Versetzen ist der einzelne Urteilende in die Lage, in Gedanken die Mitteilbarkeit eines Gefhls zu beurteilen. Er stellt sich die Frage: Handelt es sich bei meinem Geschmacksurteil tatschlich um ein reines und damit allgemein mitteilbares Urteil, in dem von allen Privatbedingungen abstrahiert wird? Diese Beurteilung hilft ihm dabei, ein Geschmacksurteil so zu fllen, dass es „e x e m p l a r i s c h e Gltigkeit“36 hat, demnach tatschlich allgemein mitteilbar wird. In diesem Sinne wird der sensus communis, obwohl seine zentrale Leistung sich in Gedanken vollzieht, zum Garant der Mitteilbarkeit und damit zum Garant der ffentlichmachung von Gefhlen. 35 KU, Bd. 10, B 157. 36 KU, Bd. 10, B 68.
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Letztendlich handelt es sich hier um einen Sachverhalt, der bereits im zweiten Kapitel in Zusammenhang mit der theoretischen Vernunft skizziert wurde. Dort hatte es geheißen, die Mitteilbarkeit im Sinne çffentlicher Beglaubigung kçnne die Objektivitt einer Erkenntnis immer erst rckwirkend besttigen; durch den Standpunktwechsel hingegen sei der Einzelne dazu in der Lage, diese Prfung bereits vor dem eigentlichen Fllen eines Erkenntnisurteils zu vollziehen. Genauso verhlt es sich mit der Mitteilbarkeit und dem durch den sthetischen sensus communis ermçglichten Standpunktwechsel. Indem der Urteilende in Gedanken auf die Urteile aller anderen Rcksicht nimmt, versucht er sein eigenes Urteil noch vor dem eigentlichen Fllen zu reflektieren. Ein Maßstab ist dabei die Frage nach mçglicher, potentieller Mitteilbarkeit. Die tatschliche Probe aufs Exempel im Sinne faktischer Mitteilbarkeit hingegen kommt erst ins Spiel, nachdem das Urteil gefllt wurde. Der Einzelne kann nun versuchen, sein Geschmacksurteil anderen Betrachtern mitzuteilen. Werden sie seinem Urteil der Art „X ist schçn“ zustimmen, handelt es sich wohl um ein reines sthetisches Urteil.37 Die Forderung nach Standpunktwechsel und Mitteilbarkeit, darauf sei abschließend hingewiesen, bedeutet in keiner Weise, der einzelne Urteilende solle die Urteile anderer gleichsam passiv imitieren. Das Geschmacksurteil fordert zwar Orientierung an anderen, diese Orientierung ist aber erstens frei von jeglichen Zwngen und zweitens kein Ersatz fr die eigene Urteilsleistung. Divergiert also das Geschmacksurteil eines einzelnen Urteilenden von den Urteilen aller anderen, so lsst er sich sein Urteil auch nicht „durch hundert Stimmen […] innerlich aufdringen“38. Der Einzelne mag zwar „zu zweifeln anfangen“, soll aber schlussendlich bei seinem Urteil bleiben, weil „der Beifall anderer gar keinen fr die Beurteilung der Schçnheit gltigen Beweis abgebe“. Die Wahrung der eigenen Autonomie ist im Geschmacksurteil somit in hçchstem Maße gegeben, ja sie scheint gar strker zu wiegen als es in Erkenntnisurteilen der Fall ist, bei 37 Brandt hingegen sagt, aus der Konzeption des Geschmacksurteils folge keine klassische Mitteilbarkeit, insofern als diese mehr Bedingung als Konsequenz des Urteils sei: Die Identitt der sthetischen Positionen werde „nicht durch Mitteilungen und Diskurse als Ergebnis erzeugt, sondern sie ist umgekehrt deren unbewußte notwendige Voraussetzung“ (Brandt, Bestimmung des Menschen, S. 434). Meines Erachtens lassen sich beide Positionen miteinander vereinbaren: Mitteilbarkeit ist zwar einerseits Voraussetzung eines korrekten sthetischen Urteils; da sie es ist, kann Mitteilbarkeit aber, wie gezeigt, auch nach dem Fllen des Urteils als Test der Korrekt- bzw. Reinheit begriffen werden. 38 KU, Bd. 10, B 140 ff.
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denen der Einzelne durch objektive Grnde widerlegt bzw. eines Besseren belehrt werden kann. Kant sagt, „daß andere allenfalls fr ihn sehen und beobachten mçgen, und, was viele auf einerlei Art gesehen haben, als ein hinreichender Beweisgrund fr ihn, der es anders gesehen zu haben glaubt, zum theoretischen, mithin logischen, niemals aber das, was andern gefallen hat, zum Grunde eines sthetischen Urteils dienen kçnne“. Die Bedingung der Reflexion, der Bezug auf andere, wird damit in keiner Weise zurckgenommen. Es wird nur gesagt: Schlussendlich bin Ich es, der das Geschmacksurteil fllen muss, und diese Leistung kann mir von niemandem abgenommen werden: „Denn ich muß unmittelbar an der Vorstellung“ eines schçnen Gegenstandes „Lust empfinden, und sie kann mir durch keine Beweisgrnde angeschwatzt werden“. Was in diesen Zeilen anklingt, ist die in jedem Geschmacksurteil gewhrleistete idealtypische Vermittlung von Ich und Wir, die in Zusammenhang mit der politischen Bedeutung der dritten Kritik im dritten Abschnitt dieses Kapitels ausfhrlich zu betrachten sein wird. Zunchst allerdings stellt sich hier noch eine andere Frage: Warum expliziert Kant den Gemeinsinn eigentlich erst in der dritten Kritik? Zweifelsohne unterstellt er ihn – als Bewusstsein davon, als einzelnes Ich mit meinen kognitiven Leistungen immer in die Gemeinschaft aller anderen Ichs integriert, ja auf diese Gemeinschaft angewiesen zu sein – in den ersten beiden Kritiken bereits. Genau dieser Zusammenhang wird in der dritten Kritik mit der zweiten Maxime des gemeinen Menschenverstandes, also des theoretischen sensus communis, rckwirkend zum Ausdruck gebracht.39 Es bleibt aber die Frage: Warum entwickelt Kant den Gemeinsinn nicht bereits in der ersten oder zweiten Kritik, sondern erst in der Urteilskraft? 40 Nimmt man ihn beim Wort, liegt zumindest eine Antwort auf der Hand: In der theoretischen Philosophie sind es die Kategorien, die die Allgemeingltigkeit eines Urteils ermçglichen (wie gesagt unter der unterstellten Annahme eines Gemeinsinns als dem grundstzlichen Bewusstsein dafr, den anderen vermittels Begrifflichkeit – als dem Vehikel der Kommunikation – berhaupt einbeziehen zu kçnnen, ja zu mssen); in der praktischen Philosophie ist es die Rationalitt des kategorischen Imperativs (was letztendlich einem praktischen Gemeinsinn entspricht, ins39 Siehe 5.2 dieser Arbeit. 40 Fest steht nmlich, dass Kant den Begriff sensus communis bereits in der vorkritischen Zeit kannte: In den Reflexionen zur Logik spricht er von einem sensus communis als einem gemeinen Verstand (vgl. Reflexionen zur Logik. In: Gesammelte Schriften, Bd. 16, S. 18 [1579]).
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5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft
besondere wenn man die praktische Urteilsleistung als reflektierende Leistung begreift, wie zu zeigen sein wird). Nun braucht Kant auch in der dritten Kritik ein Instrumentarium, das die spezifische Allgemeingltigkeit des sthetischen Urteils mçglich macht. Die Idee des Gemeinsinns bernimmt genau diese Funktion – sie dient dem Einzelnen im Fllen des sthetischen Urteils als transzendentale Gewissheit, dass jedermann seinem Urteil werde zustimmen kçnnen. Kurzum: Der sensus communis ist die Voraussetzung fr die subjektive Allgemeingltigkeit des Geschmacksurteils.41 Hergeleitet wird diese vermittels Gemeinsinn erwirkte Allgemeingltigkeit strenggenommen ber den Zwischenschritt der Mitteilbarkeit. Gundula Felten schreibt dazu: Der sensus communis ist die „Bedingung fr die Mitteilbarkeit des Gefhls angesichts etwas Schçnem. Diese Mitteilbarkeit wiederum ist die Voraussetzung fr die Mçglichkeit, dem Urteil ber das Schçne zustimmen zu kçnnen, womit die besondere Form seiner Allgemeingltigkeit gesichert wird.“42 Der sensus communis als Garant der sthetischen Allgemeingltigkeit – man kçnnte das Argument freilich auch anders wenden: Die Konzeption des Geschmacksurteils erfolgt, wie gezeigt, zunchst auf Basis einer radikalen Rckfhrung des Individuums auf sich selbst. Nun bleiben wir in dieser Rckfhrung aber, wie ebenfalls gezeigt, immanent mit der Gemeinschaft der urteilenden Individuen verbunden, was letztendlich mit der subjektiven Allgemeingltigkeit des Urteils zu tun hat. Kant muss eine Isolation des sthetischen Individuums also um jeden Preis verhindern – und genau das drfte ihn auf den Gemeinsinn gefhrt haben. Der sensus communis ermçglicht die Koppelung von Subjektivitt und Intersubjektivitt auf idealtypische Art und Weise. Ich bin ganz bei mir, bei meinem Zusammenspiel meiner Erkenntniskrfte; genau dieses Zusammenspiel aber erfolgt bei jedermann auf eine identische Art und Weise – und daher kann ich dieses Zusammenspiel als ein Gefhl der Lust auch ohne Bezug auf Begriffe jedermann mitteilen. Gerhardt formuliert das so: „Der sensus communis aestheticus ist der Sinn eines ganz auf sich zurckgezogenen Individuums, das eben darin seine Einheit mit sich und seiner Welt erfhrt.“43
41 Vgl. Tschurenev, Eva-Maria: Kant und Burke. sthetik als Theorie des Gemeinsinns. Frankfurt a. M., 1992, S. 93. 42 Felten, Gundula: Die Funktion des sensus communis in Kants Theorie des sthetischen Urteils. Mnchen, 2004, S. 174. 43 Gerhardt, Vernunft und Leben, S. 276.
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ffentlichkeit als Personenverband bzw. Raum: Das Schçne und die Geselligkeit Wenn Mitteilbarkeit die zentrale Bedingung aller Geschmacksurteile darstellt, dann ist damit bereits gesagt, dass das Urteilen ber das Schçne auch mit dem Begriff der ffentlichkeit als Personenverband sowie als Sphre verbunden ist. Auf diesen Zusammenhang ist vom ersten Kapitel an mehrfach hingewiesen worden: Ist ein geistiges Vermçgen an die Bedingung der Mitteilbarkeit gebunden, so treten jene Individuen, die von diesem Vermçgen Gebrauch machen, automatisch miteinander in Verbindung, bilden also in einem gemeinsamen Raum, der ffentlichkeit als Sphre, eine Gemeinschaft, die ffentlichkeit als Personenkreis. In Bezug auf das Geschmacksurteil heißt das konkret: Weil „in allen Menschen“44 die gleichen subjektiven Bedingungen der Urteilskraft als gemeinschaftlicher Grund der Einhelligkeit der Beurteilung der schçnen Formen in Natur und Kunst angetroffen werden und weil daher das einem Geschmacksurteil zugrunde liegende Gefhl „ i n j e d e m a n d e r n S u b j e k t e “45 angenommen werden kann, Geschmacksurteile also „gemeingltige (publike) […] Urteile“46 sind mit Anspruch auf „jedermanns Beistimmung“47, setze ich mich als einzelner Urteilender, obwohl mein Urteil an keinen allgemeinen Begriff gebunden ist, durch mein Urteil mit allen anderen Urteilenden in Beziehung. Ausdruck dieses Sich-in-Beziehung-Setzens, es wurde im Abschnitt ber die Mitteilbarkeit bereits gesagt, ist nicht nur eine bloß fiktive Verbindung, also die in Isolation getroffene berlegung, gerade ein Urteil gefllt zu haben, das so von jedem anderen Menschen gefllt werden wrde, sondern die Verbindung zu einer tatschlichen sthetischen Urteilsgemeinschaft. Kant bezeichnet diese Gemeinschaft ausdrcklich als das „Publikum“48 bzw. als „die Zuschauer“49. Die Beurteilung des Schçnen erfolgt so gesehen in der ffentlichkeit durch die ffentlichkeit, wobei ffentlichkeit sowohl die Bedingung als 44 45 46 47 48 49
KU, Bd. 10, B 152. KU, Bd. 10, B 149. KU, Bd. 10, B 23. KU, Bd. 10, B XLVII, XLVIII. KU, Bd. 10, B 188. KU, Bd. 10, B 205. Dass Kant vom Zuschauer auch in der Einzahl spricht – in seiner Abhandlung ber das Erhabene ist die Rede vom „Zuschauer in der St. Peterskirche“ (KU, Bd. 10, B 88, 89) –, ist nicht der geringste Widerspruch. Natrlich ist es immer ein einzelner Betrachter, der ein Geschmacksurteil fllt; indem er es fllt, wird er aber unweigerlich zum Teil des Publikums.
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5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft
auch die Folge des Gebrauchs unserer Urteilskraft darstellt. Luc Ferry spricht, und er bezieht sich damit vor allem auf genannte Folge, vom „çffentlichen Raum als intersubjektive[n] Raum“50, der in der freien sthetischen Diskussion begrndet werde. In der Untersuchung des Kantischen Gemeinsinnes bei Gustavo Leyva heißt es, dass der Geschmack „eine Beziehung des Subjekts zu der gesamten Sphre der urteilenden Subjekte“51 ermçgliche, also eine „Gemeinschaft urteilender Subjekte“52 bilde. Schon Schiller schreibt in seiner Auseinandersetzung mit Kants sthetik in ber die sthetische Erziehung des Menschen, „nur die schçne Mitteilung vereinigt die Gesellschaft, weil sie sich auf das Gemeinsame aller bezieht“53. Es ist diese Gemeinschaft stiftende Leistung des Geschmacksurteils, die Kant im Paragraphen 41 der Urteilskraft dazu veranlasst, sogar von einem empirischen Interesse des Menschen am Schçnen zu sprechen: Wir interessieren uns fr das Schçne, weil es unsere Geselligkeit befçrdert. Man wolle, wie Gernot Bçhme sagt, „das Schçne, insofern man Gesellschaft will“54. Die Rede vom empirischen Interesse am Schçnen wirkt fr den Leser der Urteilskraft auf den ersten Blick berraschend, wird doch das reine Geschmacksurteil in der Analytik des Schçnen gerade als ein interesseloses Urteil charakterisiert.55 Urteile ber das Angenehme haben grundstzlich ein Interesse an der Existenz des Gegenstandes. Auch das Wohlgefallen am Guten ist, ungeachtet aller gravierenden Unterschiede zum Angenehmen, mit einem solchen Interesse verbunden. Geschmacksurteile hingegen sind grundstzlich interesselose Urteile, verbunden mit einem „uninteressierten Wohlgefallen“56. Die Rede vom uninteressierten Wohlgefallen soll zum Ausdruck bringen, dass sthetische Urteile aus einer unparteiischen Perspektive gefllt werden mssen. Nimmt der Urteilende nmlich „das mindeste Interesse“ an der Existenz des Gegenstandes, verliert er seine
50 Ferry, Luc: Der Mensch als sthet. Die Erfindung des Geschmacks im Zeitalter der Demokratie. Stuttgart, 1992, S. 119. 51 Leyva, Gustavo: Die „Analytik des Schçnen“ und die Idee des sensus communis in der Kritik der Urteilskraft. Frankfurt a. M., 1997, S. 175. 52 Leyva, Analytik des Schçnen, S. 174. 53 Schiller, Friedrich: ber die sthetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen (1795). Stuttgart, 21989, S. 115. 54 Bçhme, Kritik der Urteilskraft, S. 32. 55 Vgl. KU, Bd. 10, B 3, 4 – B 17, 18. 56 KU, Bd. 10, B 7. Wie zu zeigen sein wird, setzt an diesem Charakteristikum Arendts politische Interpretation der Urteilskraft an.
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Unabhngigkeit; sein Urteil wird „sehr parteilich und kein reines Geschmacksurteil“ sein. Die Charakterisierung des Geschmacksurteils als interesseloses Urteil bedeutet nun aber nicht, dass das Schçne nicht doch mit einem Interesse verbunden sein kann; sie bedeutet nur, dass dieses Interesse nicht zum Bestimmungsgrund des reinen Urteils werden darf.57 Wenn Kant also von einem empirischen Interesse am Schçnen spricht, dann verstçßt er damit nicht gegen seine eigenen Prmissen. Er verschiebt vielmehr seinen Fokus, fragt nicht mehr nach der Art und Weise, wie sthetische Reflexionsurteile zustande kommen sollen, sondern nach den Konsequenzen, die sich aus dieser Art und Weise ergeben. Die Pointe dieser Verschiebung: An der Fhigkeit, interesselose Geschmacksurteile fllen zu kçnnen, nehmen wir ein Interesse, da diese Urteile uns mit anderen Menschen in Verbindung bringen. Um dieses Interesse am Schçnen, das gar kein Interesse am Schçnen selbst, sondern an der Gesellschaft ist, rechtfertigen zu kçnnen, muss zunchst natrlich gesagt sein, dass der Mensch berhaupt ein geselliges Wesen ist, dass er sozusagen berhaupt interessiert ist an einem Interesse an Gesellschaft. Dass das Kantische Individuum allein aus Grnden der theoretischen und praktischen Vernunft gar nicht anders kann, als in Gemeinschaft zu treten, wurde in dieser Arbeit inzwischen thematisiert. In der Urteilskraft wird dieser Umstand von Kant abermals mit allem Nachdruck formuliert. Kant sagt, man msse „den Trieb zur Gesellschaft als dem Menschen natrlich, die Tauglichkeit aber und den Hang dazu, d. i. die G e s e l l i g k e i t , zur Erfordernis des Menschen, als fr die Gesellschaft bestimmten Geschçpfs, also als zur H u m a n i t t gehçrige Eigenschaft“58 ansehen. Und aus genau diesem Grund nehmen wir auch ein empirisches Interesse am Schçnen: Der Mensch erkennt das Geschmacksurteil als eine Art Vehikel, das es ihm ermçglicht, seinem naturgegebenen Streben nach Gemeinschaft nachzukommen. Der Geschmack „als ein Beurteilungsvermçgen alles dessen, wodurch man sogar sein G e f h l jedem anderen mitteilen kann“, sei, so Kant, ein „Befçrderungsmittel dessen, was eines jeden natrliche Neigung verlangt“ – ein Befçrderungsmittel also unseres Hangs zum Leben in der Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund nimmt auch die Mitteilbarkeit in der Urteilskraft eine vollkommen neue Dimension an. Bisher wurde sie als Bedingung bzw. Folge eines jeden Urteils ber das Schçne verstanden. Nun 57 Vgl. KU, Bd. 10, B 161, 162. 58 KU, Bd. 10, B 163.
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wird sie zum Wert an sich. Kant sagt, „die Lust, die jeder an einem solchen [schçnen] Gegenstande hat“, sei „nur unbetrchtlich und fr sich ohne merkliches Interesse“, whrend „die Idee von ihrer allgemeinen Mitteilbarkeit ihren Wert beinahe unendlich vergrçßert“59. Die Lust an der Harmonie unserer Erkenntnisvermçgen scheint somit in erster Linie eine Lust an der allgemeinen Mitteilbarkeit dieser Lust zu sein. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die durch gegenseitige Mitteilung konstituierte ffentlichkeit immer auch als empirische ffentlichkeit zu begreifen ist. Hans-Georg Gadamer sieht das zwar bekanntermaßen anders; er kritisiert, Kant habe dem Gemeinsinn seine ursprnglich praktische sowie theoretische Relevanz genommen, ihn ganz auf das Feld der sthetik beschrnkt und dabei im Rahmen seiner Transzendentalphilosophie des Bezugs zur Sinnlichkeit beraubt.60 Auch Lyotard hat sich in seiner Kant-Rezeption immer wieder gegen eine, wie er in einem Aufsatz aus den neunziger Jahren schreibt, „Anthropologisierung“61 des Gemeinsinnes gestellt. Wenn man in Zusammenhang mit der dritten Kritik von einem „tatschlichen affektiven Konsens“ spreche, sei man gar „Opfer einer transzendentalen Illusion und fçrdert den Betrug“62. Er, Lyotard, wolle zwar nicht abstreiten, „daß der Kantische Text diese anthropologische Lesart nicht beilufig erheische“63. Die empirische Komponente bleibe aber „Gegenstand der Idee“64. Letztendlich sei das „Gemeinschaftliche transzendental“65, von „,Publikum‘“ oder „,ffentlichkeit‘“66 kçnne nicht gesprochen werden. An anderer Stelle heißt es deckungsgleich, die Ausbung der reflektierenden Urteilskraft sei weit 59 KU, B 164, B 165. 60 Vgl. Gadamer, Hans-Georg: Wahrheit und Methode. Grundzge einer philosophischen Hermeneutik, Tbingen, 1960, S. 38 ff. Henning Ottmann schließt sich, wie bereits zu Beginn dieses Kapitels gezeigt, dieser Sichtweise an. Ottmann sagt, der Kantische Gemeinsinn verlasse das eigentlich politische Feld zugunsten eines „apriorischen Geschmacksurteils, und dieses hat herzlich wenig von einer erfahrungsbelehrten Klugheit im aristotelischen Sinne“ (Ottmann, Kommentar zu Gerhardt, S. 335). 61 Lyotard, Jean-FranÅois: Sensus communis, das Subjekt im Entstehen. In: Gemeinschaften. Positionen zu einer Philosophie des Politischen. Hrsg. v. Joseph Vogl, Frankfurt a. M. 1994, S. 233. 62 Lyotard, Sensus communis, S. 249. 63 Lyotard, Sensus communis, S. 234. 64 Lyotard, Sensus communis, S. 248. 65 Lyotard, Sensus communis, S. 241. 66 Lyotard, Sensus communis, S. 233.
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davon entfernt, eine „communication directe“67 zu ermçglichen, sie erzeuge ausschließlich das Gefhl einer versprochenen, stndig differierenden Gemeinschaft. Luc Ferry hat mit Verweis auf die Paragraphen 39 und 40 der KU trocken entgegnet, eine solche Sichtweise kçnne man nur dann ernsthaft vertreten, „wenn man die Existenz dieser Texte – und damit die zentrale These der Kantischen sthetik – leugnet“68. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufgen. Natrlich fhrt das Fllen sthetischer Urteile zunchst zu einer intelligiblen Gemeinschaft – Urteilen, insbesondere reines Urteilen jenseits von Reiz und Rhrung, ist nun mal ein intelligibler Vorgang. Und natrlich kann man, wie bereits erwhnt, mit Sicherheit die berechtigte Frage stellen, warum ein Urteil ber das Schçne ausgerechnet ein reines Urteil zu sein hat. Nicht in Frage stellen allerdings sollte man das Faktum, dass die sthetische ffentlichkeit immer auch eine empirische ffentlichkeit ist: Sptestens nmlich wenn Menschen zusammenkommen, um, zum Beispiel im Rahmen einer Tischgesellschaft, ber ihre sthetischen Urteile zu sprechen, bilden sie nicht mehr nur eine intelligible, sondern eben auch eine empirische ffentlichkeit – denn sie sind als leibliche und reine Wesen anwesend. Das soll nicht heißen, es wrden sich empirische Bestimmungsgrnde in das Geschmacksurteil mengen. Es soll aber heißen, dass der Gebrauch eines auf Intersubjektivitt ausgelegten Vermçgens immer auch eine empirische ffentlichkeit entstehen lsst – und in diesem Sinne spricht Kant von einem empirischen Interesse am Schçnen. 69 Es gilt hier jener Zusammenhang zwischen intelligibler und empirischer Intersubjektivitt, der in 3.3 ausgearbeitet wurde. Zusammenfassend fr die ersten beiden Abschnitte dieses Kapitels kann somit festgehalten werden, dass das Geschmacksurteil auf zweifache Weise mit dem Begriff der ffentlichkeit verbunden ist: ffentlichkeit 67 Lyotard, Jean-FranÅois u. Rogozinski, Jacob: Artikel in: L’autre journal. Dez. 1985, S. 34. 68 Ferry, Mensch als sthet, S. 118. 69 Wenn Kant dann in Paragraph 41 abschließend sagt, das durch Neigung zur Gesellschaft verursachte empirische Interesse am Schçnen sei in seiner Untersuchung letztendlich „von keiner Wichtigkeit“ (KU, Bd. 10, B 164, 165), so nimmt er damit dieses Interesse nicht etwa zurck. Er will nur zum Ausdruck bringen, dass es ihm in der Urteilskraft in erster Linie um die apriorischen Bestimmungsgrnde des Urteilens geht. Genau diesen Zusammenhang kennen wir bereits aus der MST, wo es heißt, das praktische Urteil drfe nicht auf anthropologischen Bestimmungen grnden, habe aber, wenn es einmal gefllt wurde, sehr wohl einen Bezug zur Anthropologie (vgl. MST, Bd. 8, AB 12 f.).
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5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft
bzw. Mitteilbarkeit dient einmal als Kriterium, das das korrekte Zustandekommen von Geschmacksurteilen garantieren soll; in diesem Sinne ist ffentlichkeit die Bedingung der Beurteilung des Schçnen. Gleichzeitig aber ist sie auch dessen Folge: Indem wir Geschmacksurteile gegenseitig mitteilen, bilden wir eine sthetische ffentlichkeit. Und an dieser ffentlichkeit nimmt der Mensch ein empirisches Interesse.
5.2 Die erweiterte Denkungsart und ihre Bedeutung fr die erste und zweite Kritik Mit der Betonung des kommunikativen Charakters der Urteilskraft ist ein gewisses Risiko verbunden, das Risiko nmlich, diesen kommunikativen Charakter als ein Spezifikum der dritten gegenber der ersten und zweiten Kritik zu begreifen.70 Bei Habermas zum Beispiel wird auf der einen Seite die soziale Dimension des Kantischen Geschmacksurteils anerkannt: Die politische Interpretation der dritten Kritik durch Hannah Arendt, auf die im nchsten Abschnitt noch ausfhrlich einzugehen sein wird, ist fr Habermas von „grundlegender Bedeutung“71; Arendt sei „eine erste Annherung an einen Begriff kommunikativer Rationalitt, der in Sprache und Handeln selber eingelassen ist“72, gelungen. Auf der anderen Seite aber kritisiert Habermas, wie nun mehrfach gezeigt, Kants Vernunft als subjektzentriert und monologisch. Dass Kants Vernunft alles andere als monologisch ist, wurde in den Kapiteln zwei bis vier dieser Arbeit nachzuweisen versucht. Die Leistung der Urteilskraft fr ein solches Verstndnis der ersten beiden Kritiken besteht nun in der Erkenntnis, dass die dritte Kritik eben nicht nur selbst einer kommunikativen Rationalitt folgt, sondern gleichsam rckwirkend auch die kommunikative Rationalitt von reiner und praktischer Vernunft bekrftigt bzw. konkretisiert. Wenn also vom intersubjektiven Charakter der Kritik der Urteilskraft gesprochen wird und von der Bedeutung, die ffentlichkeit in ihr spielt, dann muss im gleichen Atemzug darauf hingewiesen werden, dass wesentliche Aspekte dieses intersubjektiven Charakters sich nicht nur auf den Gebrauch der sthetischen Urteilskraft, sondern auch auf den von Verstand und Vernunft beziehen. 70 Vgl. Brandt, Critique of Judgment, S. 187 f. 71 Habermas, Jrgen: Philosophisch-politische Profile. Frankfurt a. M., 1981, S. 404. 72 Habermas, Profile, S. 409.
5.2 Die erweiterte Denkungsart und die erste und zweite Kritik
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Der gemeine Menschenverstand und die Maxime der erweiterten Denkungsart Um diesen Zusammenhang begreifen zu kçnnen, muss erneut auf Kants Lehre vom Gemeinsinn eingegangen werden. Der sensus communis aestheticus wird von Kant, wie erlutert, klar und deutlich abgegrenzt vom gemeinen Menschenverstand – er bezieht sich ganz auf die Beurteilung des Schçnen, also die Mitteilbarkeit einer reinen Lust. Der gemeine Menschenverstand hingegen, der sensus communis logicus, ist ein Vermçgen, das nicht auf die Beurteilung des Schçnen beschrnkt wird, sondern sich auf smtliche intelligiblen Leistungen bezieht. Durch den sensus communis logicus wird das einzelne Individuum also unweigerlich in smtlichen geistigen Leistungen mit allen anderen Individuen in Verbindung gesetzt. Simon sieht im Gemeinsinn sogar die Grundvoraussetzung aller Sprache: „Aller verantwortlichen Begriffsbildung (jedem conceptus communis) liegt demnach ein sensus communis voraus“73 – und zwar im Sinne einer allgemeinen Bereitschaft zur gegenseitigen Verstndigung aus einem „gemeinsamen (antiskeptischen) Interesse“74. Kant nennt drei Maximen des gemeinen Menschenverstandes, nmlich „1. Selbstdenken; 2. An der Stelle jedes andern denken; 3. Jederzeit mit sich selbst einstimmig denken. Die erste ist die Maxime der v o r u r t e i l s f r e i e n , die zweite die der e r w e i t e r t e n , die dritte der k o n s e q u e n t e n Denkungsart.“75 Durch die zweite Maxime des gemeinen Menschenverstandes wird der Einzelne explizit dazu aufgerufen, sich an fremder Vernunft zu orientieren. So schreibt Kant, ein „Mann von e r w e i t e r t e r D e n k u n g s a r t “ zeichne sich dadurch aus, dass er sich „ber die subjektiven Privatbedingungen des Urteils, wozwischen so viele andere wie eingeklammert sind, wegsetzen, und aus einem a l l g e m e i n e n S t a n d p u n k t e (den er dadurch nur bestimmen kann, daß er sich in den Standpunkt anderer versetzt) ber sein eigenes Urteil reflektiert“76. Es ist offensichtlicherweise der Standpunktwechsel, wie er bereits in den Trumen entwickelt wird, um den es hier geht.
73 74 75 76
Simon, Die fremde Vernunft, S. 241. Simon, Die fremde Vernunft, S. 240. KU, Bd. 10, B 158, 159. KU, Bd. 10, B 160.
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5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft
Der alles entscheidende Gedanke, den man sich an dieser Stelle vergegenwrtigen muss, ist die Tatsache, dass genannte drei Maximen zwar jeweils aus einem der drei Erkenntnisvermçgen hervorgehen – die erste Maxime ist die des Verstandes, die zweite die der Urteilskraft, die dritte schließlich die der Vernunft –, diese Einteilung aber nicht bedeutet, dass jede der drei Maximen ausschließlich auf die Denkungsart ihres Erkenntnisvermçgens beschrnkt bliebe. Die Rede von der Maxime des Verstandes, der Maxime der Urteilskraft sowie der Maxime der Vernunft soll anzeigen, von welchem Vermçgen die Maxime ausgeht, nicht fr welches Vermçgen sie gilt. So sagt Kaulbach: „Fr die erste Maxime macht Kant Verstand, fr die zweite Urteilskraft und fr die dritte Vernunft zustndig.“77 Und Gerhardt schreibt: „Auch wenn Kant die drei Maximen der Reihenfolge nach dem Verstand, der Urteilskraft und der Vernunft zuordnet, ist doch klar, dass sie in jedem Urteil erfllt sein mssen, das als allgemein gltig aufgefasst werden soll.“78 Es ist also gerade nicht der Fall, dass, wie Micha Brumlik in seiner Dissertation ber Gemeinsinn und Urteilskraft behauptet, Kant in Zusammenhang mit der zweiten Maxime „nicht an erkenntnistheoretischen Fragen […] interessiert“79 sei. Im Gegenteil: Alle drei Maximen sollen in allen Leistungen aller drei Erkenntnisvermçgen befolgt werden. So wie der Erkennende im Sinne der erweiterten Denkungsart sich in seinen Erkenntnissen von Anfang an an den Erkenntnissen aller anderen Erkennenden zu orientieren hat, so hat der Urteilende sein Urteil – trotz Abwgung mit anderen Urteilen – schlussendlich selbst zu fllen.80 Und selbstverstndlich haben smtliche Leistungen aller drei Vermçgen mit sich einstimmig zu sein. Die erweiterte Denkungsart als theoretische Denkungsart Dass auch im Gebrauch unserer theoretischen Vernunft die Bezugnahme auf das Urteil fremder theoretischer Vernunft unverzichtbar ist, wurde im zweiten Kapitel bereits gezeigt. Kant spricht in den Trumen, seinen Briefen 77 78 79 80
Kaulbach, sthetische Welterkenntnis, S. 144. Gerhardt, Vernunft und Leben, S. 165. Brumlik, Micha: Gemeinsinn und Urteilskraft. Frankfurt a. M., 1977, S. 113. Darauf ist im Abschnitt ber die Mitteilbarkeit als Bedingung des Geschmacksurteils auch bereits hingewiesen worden: Der Urteilende kann sich in Geschmacksfragen von anderen Urteilen nicht berreden lassen; er soll sich zwar an ihnen orientieren, er muss sein Urteil letztendlich aber selbst fllen.
5.2 Die erweiterte Denkungsart und die erste und zweite Kritik
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an Herz und in der KrV sowohl von einem theoretischen Standpunktwechsel als auch von der Mitteilbarkeit als Bedingung jeglichen Wissens. Nun ließe sich zunchst erwidern: Wenn nach Kant, wie im dritten Kapitel gezeigt, alle Erkenntnis auf einem apriorischen Gerst fußt, wozu bedarf es dann noch einer kommunikativen Kontrolle dieser Erkenntnis an fremder Vernunft? Die Antwort findet sich, wie bereits erwhnt, in der Kantischen Auseinandersetzung mit dem Schematismus in der Analytik der Grundstze: Zwar kçnnen wir unserer Sinnlichkeit und unserem Verstand als Vermçgen an sich betrachtet vertrauen; weder aus der Sinnlichkeit noch aus dem Verstand an sich kann theoretischer Irrtum entspringen. Entspringen aber kann ein solcher Irrtum der Art und Weise des Zusammenwirkens der beiden Vermçgen81 – wenn nmlich flschlicherweise die subjektive Wirkung einer Anschauung und nicht die verstandesmßige Kategorisierung eben dieser Anschauung fr den Grund der Objektivitt eines Urteils gehalten wird. Kant sagt: „Die Sinnlichkeit, dem Verstande untergelegt, als das Objekt, worauf dieser seine Funktion anwendet, ist der Quell realer Erkenntnisse. Eben dieselbe aber, so fern sie auf die Verstandeshandlung selbst einfließt, und ihn zum Urteilen bestimmt, ist der Grund des Irrtums.“82 Mit der in den Prolegomena getroffenen Unterscheidung kçnnte man auch sagen: Ein Wahrnehmungsurteil, also ein nur auf Basis subjektiver Bedingungen geflltes Urteil, wird durch einen solchen Fehler fr ein objektives Erfahrungsurteil gehalten. Die Funktion der Mitteilbarkeit besteht dann genau darin, diesen Fehler auszuschließen, also auf subjektiven Privatbedingungen gegrndete Urteile, die dennoch Objektivitt beanspruchen, als solche zu entlarven.83 81 Ein solcher Fehler ist ein Fehler der Urteilskraft als dem Vermçgen, das ber das Schema zwischen Verstand und Sinnlichkeit zu vermitteln hat (vgl. KrV, Bd. 3, B 350 f.). 82 KrV, Bd. 3, B 351, 352. 83 Erwhnt sei an dieser Stelle die hochinteressante, meiner Meinung aber nicht haltbare These von Hannah Ginsborg (Ginsborg, Hannah: The Role of Taste in Kant’s Theory of Cognition. New York/London, 1990). Ginsborg versucht in ihrem Ansatz, den sie selbst als „highly speculative“ (Ginsborg, Role of Taste, S. 164) bezeichnet, nachzuweisen, dass bei Kant empirische Vorstellungen ihre Gltigkeit nicht ber die Kategorien, sondern durch ihre Kommunizierbarkeit erhalten. In jeder empirischen Erkenntnis „we have to explain what exactly the relation of ,correspondence‘, between any given representation and its object, consists in“ (Ginsborg, Role of Taste, S. 147). Diese Erklrung kçnne nicht kausal erfolgen, weshalb es einer anderen Erklrung bedrfe. „And it is precisely in meeting this need that the notion of universal communicability serves as a condition of cognition.“ Ein solches kommunikatives Konzept sei allerdings in der ganz auf dem
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5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft
Allerdings handelt es sich bei diesem Prfstein der Mitteilbarkeit in der Methodenlehre der KrV, auch das wurde bereits gesagt, zunchst um keine inhaltliche Abstimmung. Kant fordert, wie im zweiten Kapitel gezeigt, dass wir den Gltigkeitsstatus eines Sachverhaltes mit dem Gltigkeitsstatus, den andere Urteilende diesem Sachverhalt zuweisen, vergleichen sollen, um herauszufinden, ob wir mit Recht von Wissen sprechen kçnnen oder nur von Meinen oder Glauben, ob wir die Objektivitt unseres Urteils also mit Recht behaupten. Von einer inhaltlichen Einbeziehung der anderen qua Mitteilbarkeit war zunchst keine Rede. Dass Kant aber auch eine solche ber den Modus der Gltigkeit hinausgehende Mitteilbarkeit als festen Bestandteil unserer theoretischen Vernunft versteht, zeigt sich in zwei bisher noch nicht erwhnten Passagen aus der Anthropologie. Hier ist ausdrcklich von der unbedingten Notwendigkeit die Rede, seine eigenen Erkenntnisse an den Erkenntnissen aller anderen zu orientieren – und zwar in Form einer konkreten inhaltlichen Auseinandersetzung. Kant sagt, das „einzige allgemeine Merkmal der Verrcktheit ist der Verlust des G e m e i n s i n n e s (sensus communis), und der dagegen eintretende l o transzendentalen Ich basierenden „first-person singular perspective“ (Ginsborg, Role of Taste, S. 103) der Analytik der KrV nicht enthalten (vgl. außerdem S. 119 f.) und msse daher aus der Urteilskraft herausgelesen werden (daher der Titel The Role of Taste in Kant’s Theory of Cognition). Dazu zwei Bemerkungen. Erstens: Es ist gerade das Ziel aller berlegungen sowohl der KrV als auch der Prolegomena zu beweisen, dass die Kategorien in jeder intelligiblen Leistung, in jedem Erkennen wie selbstverstndlich wirksam sind, ja durch sie berhaupt erst so etwas wie, wenn auch subjektiv konstituierte, Objektivitt erreicht werden kann. Ginsborg erwhnt diesen Sachverhalt zwar (Ginsborg, Role of Taste, S. 150 ff.), tut ihn allerdings mit der lakonischen Bemerkung ab, Kant vertrete in beiden Schriften eine „artificially narrow conception of judgement“ (Ginsborg, Role of Taste, S. 159). Zweitens: Der grundstzliche Fehler, den Ginsborg meiner Meinung nach begeht, ist ihre Ausgangsbehauptung, das Individuum der KrV sei ein einzelnes, transzendentales firstperson-sigular-Ich, fr das Kommunikation keine Rolle spiele. In dieser Arbeit wurde zu zeigen versucht, dass schon das Individuum der KrV in der berprfung seiner Erkenntnisse sehr wohl auf Kommunikation und Mitteilbarkeit angewiesen ist, es sich also gerade nicht um ein isoliertes Ich handelt. Diese epistemische Orientierung an anderen mit dem Ziel, die Gefahr des theoretischen Irrtums zu vermeiden, erwhnt Ginsborg zwar, will sie allerdings nicht wirklich als Teil der „,official‘“ Erkenntnistheorie der reinen Vernunft akzeptieren (Ginsborg, Role of Taste, S. 121). Statt Kommunikabilitt also im Sinne einer solchen rckwirkenden berprfung von – durch die Kategorien strukturierten – Erkenntnissen an anderen Erkennenden zu akzeptieren, verstrickt sich Ginsborg in der Behauptung, Kommunikation diene als eigenstndiger Weg, um ohne Einwirkungen der Kategorien die allgemeine Gltigkeit von Vorstellungen zu beweisen, was, wie gesagt, nicht haltbar ist.
5.2 Die erweiterte Denkungsart und die erste und zweite Kritik
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g i s c h e E i g e n s i n n (sensus privatus) “84. Als Beispiele fr die Auswirkungen, die ein solcher Verlust mit sich bringt, nennt Kant einen Menschen, der am helllichten Tage auf seinem Tisch ein Licht brennen sieht, „was doch ein anderer Dabeistehende nicht sieht“, oder eine Stimme hçrt, „die kein anderer hçrt“.85 In solchen gravierenden Fllen von Verrcktheit wird auch ein – inhaltlicher – Vergleich der eigenen Erkenntnis mit der Erkenntnis anderer Menschen vergeblich sein. Aber Kant geht es gar nicht primr um Flle von Verrcktheit. Seine Rede von Menschen, in deren „Kopf“ es „nicht richtig sei“, dient ihm in erster Linie als abschreckendes Beispiel. Die Konsequenz nmlich, die gezogen wird, ist die eindringliche Mahnung an uns alle, selbstkritisch mit unseren Einsichten umzugehen, sie also zur çffentlichen Diskussion zu stellen: „Denn es ist ein subjektivnotwendiger Probierstein der Richtigkeit unserer Urteile berhaupt und also auch der Gesundheit unseres Verstandes: daß wir diesen auch an den Ve r s t a n d a n d e r e r halten, nicht aber uns mit dem unsrigen i s o l i e r e n , und mit unserer Privatvorstellung doch gleichsam ç f f e n t l i c h urteilen.“ Nochmals: Es ist ein subjektivnotwendiger Probierstein – subjektiv zum einen, da wir als Individuen es sind, die diesen Test durchzufhren haben, und zum anderen, da die offizielle objektive Bedingung in der korrekten Subsumption einer Anschauung unter den Verstand besteht bzw. bei reinen Erkenntnissen in einem korrekten apriorischen Beweis – der Richtigkeit unserer Urteile, dass wir diese Urteile an den Ve r s t a n d a n d e r e r halten! Mit aller Vehemenz wird hier abermals der Mythos von Kants theoretischer Vernunft als monologischer, subjektzentrierter Vernunft widerlegt! Und zwar auf eine Art und Weise, die erstens keinen Zweifel daran lsst, dass die im Gemeinsinn verankerte erweiterte Denkungsart sich eben nicht in einer Erweiterung in Gedanken, in einer nur fiktiven Bezugnahme auf fremde Vernunft erschçpft, und die zweitens zeigt, dass wir es mit einer Orientierung zu tun haben, die ber eine rein formale Abgleichung des Gltigkeitsmodus eines Urteils hinausgeht: Das Verbot der Bcher, fhrt Kant fort, sei ein folgenreicher Fehler, denn „man nimmt uns ja dadurch, wo nicht das einzige, doch das grçßte und brauchbarste Mittel, unsere e i g e n e Gedanken zu berichtigen, welches dadurch geschieht, daß wir sie
84 Anthropologie, Bd. 12, BA 151 f. 85 Wenn Kant im gleichen Zusammenhang auch einen Menschen nennt, „der mit hçheren Wesen im Gesprche und Umgange zu sein glaubt“, dann darf das durchaus als Spitze gegen Swedenborg verstanden werden.
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5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft
çffentlich aufstellen, um zu sehen, ob sie auch mit anderer ihrem Verstande zusammenpassen“. Wir haben es hier letztendlich mit jenem Zusammenspiel zwischen der Notwendigkeit einer freien ffentlichkeit des theoretischen Vernunftgebrauchs sowie der aus dieser Notwendigkeit erwachsenen politischen Forderung nach freier Meinungsußerung zu tun, die bereits im zweiten Kapitel skizziert wurde. Es ist die definitive Angewiesenheit unseres Verstandesgebrauchs auf çffentliche Interaktion, mit der die Abschaffung aller Zensur in erster Linie begrndet wird. In genau diesem Sinne schreibt Kant bereits zu Beginn der Anthropologie in seiner Definition des Egoism des Verstandes: „Der l o g i s c h e E g o i s t hlt es fr unnçtig, sein Urteil auch am Verstande anderer zu prfen; gleich als ob er dieses Probiersteins (criterium veritatis externum) gar nicht bedrfe. Es ist aber so gewiß, daß wir dieses Mittel, uns der Wahrheit unseres Urteils zu versichern, nicht entbehren kçnnen, daß es vielleicht der wichtigste Grund ist, warum das gelehrte Volk so dringend nach der F r e i h e i t d e r F e d e r schreit; weil, wenn diese verweigert wird, uns zugleich ein großes Mittel entzogen wird, die Richtigkeit unserer eigenen Urteile zu prfen, und wir dem Irrtum preis gegeben werden.“86 Auch im Erkenntnisprozess, in dem die Urteilskraft bestimmend verfhrt, sie also ein Besonderes unter ein Allgemeines subsumiert, ist demnach ein criterium veritatis externum unabdingbar. Oder, um es mit dem Ausgangspunkt dieses Abschnittes zu formulieren: Die in der zweiten Maxime des gemeinen Menschenverstandes geforderte Maxime der erweiterten Denkungsart ist auch die Denkungsart des theoretischen Verstandesgebrauchs – was, wie gesagt, nicht bedeuten soll, dass es Kant bei einem erweiterten Denken belsst: Wir sollen unsere Ansichten immer auch çffentlich aufstellen, um zu sehen, ob sie auch mit anderer ihrem Verstande zusammenpassen. Die erweiterte Denkungsart in der praktischen Maximenprfung In Kants praktischen Schriften wird das Vermçgen der Urteilskraft vergleichsweise selten benannt. Und dennoch sind ihre Leistungen in der Moralphilosophie allgegenwrtig: Ohne Urteil keine Wahl der Maxime. Nun wird in der praktischen Willensbestimmung eine auf eine konkrete Handlung bezogene Maxime ihrerseits auf etwas Allgemeines, 86 Anthropologie, Bd. 12, BA 7.
5.2 Die erweiterte Denkungsart und die erste und zweite Kritik
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nmlich das Sittengesetz bezogen. Wenn Kant also von einer „Beurteilung nach moralischen Gesetzen“87 spricht, die durch das „praktische Beurteilungsvermçgen“88 zu erfolgen habe, wenn er schreibt, durch die „praktische Urteilskraft“ werde „dasjenige, was in der Regel [der praktischen Vernunft] allgemein (in abstracto) gesagt wurde, auf eine Handlung in concreto angewandt“89, so spricht das zunchst eindeutig dafr, dass wir es in der praktischen Maximenprfung mit einem ausschließlich bestimmenden Verfahren zu tun haben. Aber ein solcher Schluss wre, um es mit Seyla Benhabib zu formulieren, „voreilig, denn selbst nach Kants eigener Argumentation kçnnen moralische Urteile nicht bloß bestimmend sein; sie umfassen nicht lediglich die Subsumtion des Besonderen unter das allgemeine Gesetz“90. Birgit Recki geht in ihrer Untersuchung des Zusammenhangs von Moral und sthetik noch einen Schritt weiter. Bei ihr fllt das Benhabibsche nicht lediglich weg: „,Praktische Urteilskraft‘ ist reflektierende Urteilskraft.“91 Die Pointe von Kants Auffassung des Guten liegt fr Recki darin, „daß man von diesem Begriff nicht als von etwas Bestimmten ausgehen kann: Von einer generativen Potenz des Allgemeinen, so als ließe sich aus seinem Begriff mit Sicherheit fr jeden einzelnen Fall etwas ableiten, kann daher keine Rede sein. Was ,das Gute‘ ist, steht nicht fest.“92 Recki sagt, die Beantwortung der Frage, ob eine Maxime dem Anspruch allgemeiner Gesetze entspreche, sei eine Relation, die in jeder Situation aufs Neue hergestellt werden msse. Der im kategorischen Imperativ geforderte Vorgang der Maximenprfung, in dem sich das Individuum die Frage stellt, ob es wollen kann, dass seine Maxime ein allgemeines Gesetz wird, sei daher ein reflektierender Vorgang: Man nimmt, um die Kantischen Worte aus der Definition des Gemeinsinnes aufzugreifen, auf die Vorstellungsart jedes andern in Gedanken (a priori) Rcksicht, um gleichsam an die gesamte Menschenvernunft sein Urteil zu halten. 87 88 89 90
KpV, Bd. 7, A 285. GMS, Bd. 7, BA 21, 22. KpV, Bd. 7, A 121. Benhabib, Seyla: Hannah Arendt – Die melancholische Denkerin der Moderne. Frankfurt a. M., 2006 (TB-Ausg.), S. 292. 91 Recki, sthetik der Sitten, S. 252. 92 Recki, sthetik der Sitten, S. 245 f. Recki geht allerdings davon aus, die erweiterte Denkungsart sei nicht auf das Erkennen zu bertragen (vgl. Recki, sthetik der Sitten, S. 120). Dass Kant sehr wohl auch in Erkenntnissen einen reflektierenden Standpunktwechsel fordert, wurde im zweiten und in diesem Kapitel zu zeigen versucht.
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5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft
Bei Josef Simon klingt dieser Zusammenhang indirekt an, wenngleich Simon nicht von einer praktischen reflektierenden Urteilskraft spricht: „Das moralische Handeln folgt nicht einer objektiv vorgegebenen (positiven) Ethik, sondern wirkt durch die ttige Auswahl gesetzestauglicher Maximen an der Verwirklichung der Idee eines allgemeinen Ethos mit.“93 Kant habe somit, und das ist der Kern des Gedankens, auch auf praktischem Gebiet eine „,kopernikanische Wendung‘“ vollzogen. Diese Wendung ist – obwohl Simon davon, wie gesagt, nicht spricht – die Voraussetzung dafr, praktische Urteilskraft als reflektierende Urteilskraft verstehen zu kçnnen: Es gibt keine klar greifbare, objektiv vorgegebene Norm, unter die einzelne Maximen gleichsam bestimmend subsumiert werden kçnnten; das Verfahren der Maximenbestimmung ist vielmehr ein reflektierendes Verfahren, in dem sich der Einzelne – reflektierend – an der Idee der Allgemeingltigkeit orientiert. In diesem Sinne sagt auch Gustavo Leyva in seiner Untersuchung des Kantischen Gemeinsinnes, dass die „Selbstversetzung in eine allgemeine Perspektive“ nicht nur ein sthetischer, sondern auch ein moralischer Vorgang sei, „weil sowohl die moralische als auch die sthetische Beurteilung den begrenzten Standpunkt eines einzelnen, privaten, Subjekts durch diese Selbstversetzung des Urteilenden zu einer allgemeinen, universalen, Perspektive hin aufzuheben versuchen“94. So wie die sthetische Beurteilung erfolge auch die moralische Beurteilung in implizitem „Rekurs auf die Mitmenschheit“95. Kaulbach schreibt dazu, die erweiterte Denkungart sei das – praktische – „Prinzip der Verwirklichung der Menschheit im Menschen“96. Nirgendwo wird der reflektierende Charakter des moralischen Urteils von Kant so deutlich zur Sprache gebracht wie in der Typik der reinen 93 Simon, Die fremde Vernunft, S. 165. 94 Leyva, Analytik des Schçnen, S. 166. 95 Leyva, Analytik des Schçnen, S. 251. Leyva macht dabei allerdings den Fehler, sthetische und moralische Gemeinschaft miteinander zu identifizieren. So heißt es, der Kantische Begriff, der der in der Urteilskraft angedeuteten sthetischen Gemeinschaft am nchsten komme, sei die sichtbare Kirche aus der Religionsschrift (vgl. Leyva, Analytik des Schçnen, S. 256). Leyva bersieht den Umstand, dass sthetische und moralische Urteile zwar der Form nach der gleichen Rationalitt folgen, dass das Schçne nach Kant außerdem das Gute befçrdern kann und dass schließlich das Schçne als eine Darstellung der indemonstrablen moralischen Ideen begriffen werden darf, es sich aber beim sthetischen und Moralischen nichtsdestotrotz um zwei eigenstndige Bereiche handelt. Eine sthetische Urteilsgemeinschaft ist nicht automatisch ein ethisches Gemeinwesen. 96 Kaulbach, sthetische Welterkenntnis, S. 138.
5.2 Die erweiterte Denkungsart und die erste und zweite Kritik
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praktischen Urteilskraft. Kant expliziert hier eine Parallelitt zwischen der Subsumtion von Maximen unter das Sittengesetz und der Subsumtion von Anschauungen unter Kategorien, allerdings in erster Linie um auf die Grenzen dieser Parallelitt zu verweisen: Dem Gesetz der Freiheit kann „keine Anschauung, mithin kein Schema zum Behuf seiner Anwendung in concreto unterlegt werden“97. An die Stelle des nicht vorhandenen Schemas tritt nun „zum Behuf der Urteilskraft“ der „Ty p u s des Sittengesetzes“ als Vergleich des Moralischen mit der Form der Naturkausalitt. Diese Form besteht bekanntermaßen in der Allgemeingltigkeit. Der Typus ist also nichts anderes als die „Vergleichung der Maxime“ einer Handlung „mit einem allgemeinen Naturgesetze“. Wenn eine Maxime nicht so beschaffen ist, dass sie dieser „Probe hlt, so ist sie sittlich-unmçglich“. Den eigentlichen Vorgang dieser Probe beschreibt Kant folgendermaßen: „Frage dich selbst, ob die Handlung, die du vorhast, wenn sie nach einem Gesetze der Natur, von der du selbst ein Teil wrest, geschehen sollte, sie du wohl, als durch deinen Willen mçglich, ansehen kçnntest.“98 Die Typik stellt nichts anderes dar als eine Reflexion ber die Verallgemeinerungsfhigkeit einer Maxime. Die praktische Willensbestimmung erfolgt also, wie Recki sagt, in einem „Akt analogischer Reflexion, in der die Kausalitt aus Freiheit der naturgesetzlichen Kausalitt symbolisch gleichgesetzt wird“99. Und das heißt: Das praktische Urteil ist ein reflektierendes Urteil. Vor diesem Hintergrund wird auch klar, warum Kant, wie im vierten Kapitel gezeigt, darauf insistiert, eine praktische Maxime msse der çffentlichen berprfung ausgesetzt werden kçnnen. Die in der Typik beschriebene Operation der Reflexion vollzieht sich zwar ganz in Gedanken. Da diese Beurteilung der Verallgemeinerungsfhigkeit einer Maxime aber eben reflektierend erfolgt in Form einer Orientierung an der allgemeinen Menschenvernunft und nicht bestimmend, da sich in der Anwendung der abgeleiteten Maximen gar ein gewisser „Spielraum“100 ergibt, ist es allemal geboten, eben diese Maximen auch einer çffentlichen berprfung zu 97 KpV, Bd. 7, A 122, 123 f. 98 KpV, Bd. 7, A 122, 123. Wir haben es hierbei mit jenem Vergleich der Allgemeingltigkeit des Sittlichguten mit der Allgemeingltigkeit von Naturgesetzen zu tun, die Kant bereits in der Grundlegung in der zweiten Formel des kategorischen Imperativs formuliert, in der es heißt, „h a n d l e s o , a l s o b d i e M a x i m e deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen N a t u r g e s e t z e w e r d e n s o l l t e “ (GMS, Bd. 7, BA 52). 99 Recki, sthetik der Sitten, S. 251. 100 MST, Bd. 8, A 20, 21.
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5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft
unterziehen. Die Fhigkeit zur ffentlichlegung meiner Maxime dient dabei aber, wie gezeigt, immer nur als ein negatives Kriterium. Der entscheidende Impuls, der somit von der dritten Kritik fr den Kantischen Verstandes- und Vernunftbegriff ausgeht, ist die Bekrftigung, dass schon die erste und zweite Kritik einer intersubjektiven Struktur folgen. Der Begriff Bekrftigung wird dabei bewusst gewhlt, insofern als die Aufforderung zur Einbeziehung der anderen nicht erst in der dritten Kritik erhoben wird, sondern sie anknpft an die zentralen kommunikativen Momente der reinen und praktischen Vernunft. In der KU wird nicht ein bis dato monologischer Verstand bzw. eine monologische Vernunft wie aus dem Nichts ins Dialogische verkehrt – es wird vielmehr der dialogische Charakter beider Vermçgen konkretisiert. Damit kommen wir zurck zur in der Einleitung zu diesem Kapitel in Anschluss an Blesenkemper aufgeworfenen Frage, ob sich nun in der Beurteilung des Schçnen ein hçherer Vollkommenheitsgrad der Konstellation von Ich und ffentlichkeit ergibt als in den ersten beiden Kritiken. Letztendlich ist das nicht der Fall. Es konnte vielmehr gezeigt werden, dass die beiden elementaren Aspekte des Kantischen ffentlichkeitsbegriffs – die gedanklich-reflektierende Orientierung an der Allgemeinheit in Form der erweiterten Denkungsart als potentiell çffentlicher Denkungsart, die das tatschliche In-die-ffentlichkeit-Treten im Sinne maximal mçglicher bereinstimmung vorzubereiten versucht, sowie die faktisch-çffentliche Orientierung in Form der Mitteilbarkeit – in allen intelligiblen Leistungen, also dem Erkennen, der Beurteilung praktischer Maximen sowie dem Fllen sthetischer Urteile, gleichermaßen anzutreffen ist. Natrlich ergeben sich gewisse Unterschiede. So wird die Mitteilbarkeit im Geschmacksurteil in einen transzendentalen Rang erhoben, was dafr sprechen wrde, dass sie in der dritten Kritik tatschlich eine grçßere Rolle spielt als in der reinen und der praktischen Vernunft. Gleichzeitig aber ließe sich entgegnen, dass in Erkenntnisangelegenheiten der Einzelne, sollte er einen theoretischen Irrtum begangen haben, durch das Korrektiv der ffentlichkeit begrifflich eines Besseren belehrt werden kann. Ein solcher Vorgang ist, wie gezeigt, in Geschmacksangelegenheiten ausgeschlossen, was wiederum fr eine besonders starke Verbindung von Ich und ffentlichkeit in der ersten Kritik sprechen wrde. Abermals kçnnte man erwidern, es komme im Erkenntnisprozess – anders als beim Fllen von moralischen und sthetischen Urteilen – noch nicht auf den Bezug zu anderen an, da das Ich sich nur auf seine Sinnlichkeit und seine reinen Verstandesbegriffe verlsst, weshalb ffentlichkeit erst rckwirkend im Sinne der Mitteilbarkeit ins Spiel kommt. Gleichzeitig aber formuliert
5.3 Die erweiterte Denkungsart in Kants politischer Theorie
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Kant ausdrcklich einen theoretischen Standpunktwechsel, der sich gerade auf den Erkenntnisprozess bezieht. Diese Beispiele zeigen schon, wie mßig es ist, eine Abstufung an ffentlichkeitsgraden vorzunehmen. Es bleibt also dabei: Ungeachtet gewisser Unterschiede sind alle drei Kritiken letztendlich auf nahezu identische Art und Weise an ffentlichkeit gebunden.
5.3 Die erweiterte Denkungsart in Kants politischer Theorie Im August 1957 schreibt Hannah Arendt in einem Brief an ihren Freund und Lehrer Karl Jaspers: „Augenblicklich lese ich mit steigender Begeisterung die ,Kritik der Urteilskraft‘. Da ist Kants wirkliche politische Philosophie vergraben, nicht in der ,Kritik der praktischen Vernunft‘.“101 Das ist eine alles andere als selbstverstndliche Vermutung. Denn warum, fragt man sich, sollte Kants wirkliche politische Philosophie nicht in seinen originren politischen Schriften anzutreffen, sondern an anderer Stelle vergraben sein? Hannah Arendt rechtfertigt ihren Versuch, in der KU nach einer politischen Theorie Kants zu suchen, bekanntermaßen mit ihrer Behauptung, Kant habe „niemals eine politische Philosophie geschrieben“102. Volker Gerhardt hat bereits darauf hingewiesen, dass diese Geringschtzung der politischen Schriften „abwegig“103 ist. Und auch im ersten Kapitel dieser Arbeit wurde – anhand des ffentlichkeitsbegriffs – zu zeigen versucht, dass die politischen Werke Kants alles andere als unbedeutend sind. Kant hat also sehr wohl eine politische Theorie geschrieben. Wesentliche Aspekte dieser Theorie, insbesondere der Status, den der ffentlichkeitsbegriff in ihr einnimmt, weisen aber nicht zu bersehende Parallelen zur Urteilskraft auf. Und um genau diesen Sachverhalt geht es in diesem letzten Abschnitt. 101 Arendt, Hannah: Hannah Arendt, Karl Jaspers. Briefwechsel. 1926 – 1969. Hrsg. v. Lotte Kçhler u. Hans Saner, Mnchen, 22001, S. 355. Kurz darauf schreibt Arendt in Freiheit und Politik, dass der erste Teil der Kritik der Urteilskraft „eigentlich eine Philosophie der Politik ist“ (Arendt, Hannah: Freiheit und Politik [1958]. In: Hannah Arendt: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. bungen im politischen Denken I. Hrsg. v. Ursula Ludz, Mnchen-Zrich, 2000, S. 216. Nachdruck aus: Die neue Rundschau, 69, 1958, Heft 4, S. 670 – 694). 102 Arendt, Kants Politische Philosophie, S. 17. 103 Gerhardt, Volker: Eine kritische Theorie der Politik. ber Kants Entwurf „Zum ewigen Frieden“. In: Der Vernunftfrieden. Kants Entwurf im Widerstreit. Hrsg. v. Klaus-Michael Kodalle, Wrzburg, 1996, S. 6.
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5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft
Es wird hier also weder der Stellenwert von Kants politischen Schriften in Frage gestellt, noch soll der Versuch unternommen werden, ausgehend von einer politischen Deutung der dritten Kritik ber Kant hinaus eine eigene Theorie der politischen Urteilskraft zu entwickeln. Ein solcher Weg ist bereits mehrfach beschritten worden. Arendt konnte zwar bekanntlich Das Urteilen als geplanten dritten und letzten Teil von Vom Leben des Geistes nicht mehr schreiben, weshalb sich gerade vor dem Hintergrund ihrer durchaus unterschiedlichen Anstze nicht mehr eindeutig sagen lsst, wie ihre eigene politische (Urteils-)Theorie schlussendlich ausgesehen htte.104 Fest aber steht, dass Kants reflektierende Urteilskraft Arendt als das Vorbild ihrer eigenen Urteilstheorie diente.105 So zeigt Arendt zum Beispiel in ihrer Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus, dass wir gerade in Zeiten der politischen Krise, wenn das Politische seine eigenen Maßstbe verliert, eines nicht-bestimmenden Vermçgens bedrfen.106 Ihr Schler Ernst Vollrath hat dann, ausgehend von Arendts politischer Lesart der dritten Kritik, eine umfassende Theorie der politischen Urteilskraft geschrieben. Vollrath sieht in der Kantischen reflektierenden Urteilskraft jene politische Urteilskraft, die uns die Mçglichkeit gibt zu entscheiden, ob eine Handlung dazu geeignet ist, das Gemeinwesen zu erhalten oder nicht.107 Lyotard wiederum, der im Widerstreit davon ausgeht, dass die sprachlichen Diskursarten einer Gesellschaft inkommensurabel seien, spricht vom sensus
104 Selbst Vollrath bezeichnet Arendts politische Theorie als „Torso“ (Vollrath, Theorie des Politischen, S. 258). 105 Vgl. Vollrath, Ernst: Hannah Arendt ber Meinung und Urteilskraft. In: Hannah Arendt. Materialien zu ihrem Werk. Hrsg. v. Adelbert Reif, Wien, 1979, S. 86. 106 In ihrem Essay Die vollendete Sinnlosigkeit schreibt Arendt, die Erfahrung der Einrichtung der Konzentrationslager blockiere die „angemessene Sicht der Dinge“; die Wissenschaften seien daher gezwungen, „ihre bislang nicht in Frage gestellten Grundannahmen ber den Lauf der Welt und ber das menschliche Verhalten zu berdenken“ (Arendt, Hannah: Die vollendete Sinnlosigkeit [1950]. In: Hannah Arendt: Nach Auschwitz. Essays und Kommentare 1. Hrsg. v. Eike Geisel und Klaus Bittermann, Berlin, 1989, S. 7). In Understanding and Politics heißt es, der Totalitarismus habe in seiner Beispiellosigkeit unsere „categories of political thought and our standards for moral judgement“ zerstçrt (Arendt, Hannah: Understanding and Politics. In: Partisan Review, 20/4, 1953, S. 379). Einen Ausweg aus diesem Dilemma sieht Arendt in der Fhigkeit zum Anfangen, das es uns erlaubt „to understand without preconceived categories and to judge without the set of customary rules which is morality“ (Arendt, Understanding and Politics, S. 391). 107 Vgl. Vollrath, Rekonstruktion der Urteilskraft, S. 166.
5.3 Die erweiterte Denkungsart in Kants politischer Theorie
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communis als einem „Appell an die a priori sich bildende Gemeinschaft, die sich ohne eine Regel unmittelbarer Darstellung beurteilt“108. Aber all das sind Gedanken, die Kant selbst sich so nicht macht. Was hier also gezeigt werden soll, ist nicht die Tatsache, dass das Geschmacksurteil im Sinne einer wie auch immer gearteten Theorie der politischen Urteilskraft weitergedacht werden kann, sondern der bereits erwhnte Umstand, dass sich ein bergang zwischen reflektierender Urteilskraft und Kants eigenen politischen Schriften nachweisen lsst. Das zentrale Moment dieses bergangs ist: die erweiterte Denkungsart. Durch die Explikation einer solchen Analogie wird letztendlich auch der Rang der politischen Philosophie Kants gestrkt, zeigt sich doch, dass wir es bei den politischen Schriften eben nicht mit einer seinem Hauptwerk lose beigestellten Sammlung mehr oder weniger lapidarer Aufstze zu tun haben, sondern mit einer Theorie, die mit dem kritischen System durchaus eng verbunden ist. Das politische Publizittsprinzip und die erweiterte Denkungsart Die erweiterte Denkungsart als an sich selbst politische, weil per se auf Gemeinschaft bezogene Denkungsart, ist nicht nur die Denkungsart des sthetisch Urteilenden, des Erkennenden sowie des moralisch Handelnden – sie ist vielmehr auch die Denkungsart der Politik.109 Das Stichwort, unter dem Kant seine Aufforderung an den politischen Akteur, immer auch ein Mann von erweiterter Denkungsart zu sein, formuliert, wurde bereits im ersten Kapitel behandelt: Es ist das transzendentale Prinzip der Publizitt. Kant erhebt die Publizitt, wie gezeigt, zum notwendigen Kriterium der Politik. Diese Koppelung der staatlichen Macht an die Bedingung der ffentlichkeit bedeutet eine Koppelung der staatlichen Macht an den allgemeinen, vernnftigen Willen der Brger. Das politische Publizittsprinzip ist somit letztendlich nichts anderes als die staatstheoretische Umsetzung der erweiterten Denkungsart. Was sich als Politik versteht, hat fremde Vernunft mit einzubeziehen. Es ist dabei natrlich gerade das erste, negative Prinzip, das der erweiterten Denkungsart entspricht: „Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizitt ver108 Lyotard, Jean-FranÅois: Der Widerstreit (Le diffrend, 1983). Hrsg. v. Hans-Horst Henschen, Mnchen, 21989, S. 279. 109 Vgl. Vollrath, Rekonstruktion der Urteilskraft, S. 158.
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5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft
trgt, sind unrecht“110, sagt Kant in der Friedensschrift; diese Prfung sei auch als Experiment der reinen Vernunft durchfhrbar. Die Analogie eines solchen Gedankenexperiments zur sowohl in der zweiten Maxime des gemeinen Menschenverstands als auch im sthetischen Reflexionsurteil, als idealtypischer Umsetzung dieser Maxime, geforderten erweiterten Denkungsart, in der der Urteilende auf die Vorstellungsart jedes andern in Gedanken (a priori) Rcksicht nimmt, um gleichsam an die gesamte Menschenvernunft sein Urteil zu halten, ist nicht zu bersehen: In beiden Fllen haben wir es mit einem Vorgang zu tun, in dem ein einzelnes Individuum – ein politischer Akteur oder ein ber einen schçnen Gegenstand Urteilender – seinen eigenen Standpunkt zumindest in Gedanken am Standpunkt der Allgemeinheit zu berprfen hat. Das soll, darauf wird hier grçßten Wert gelegt, natrlich nicht bedeuten, dass das Publizittsprinzip nun doch nur auf eine ffentlichkeit in Gedanken hinauslaufe. Insbesondere das zweite Prinzip, das wurde im ersten Kapitel ausfhrlich gezeigt, fordert tatschliche ffentlichkeit. Letztendlich haben wir es bei der Analogie von erstem Publizittsprinzip und erweiterter Denkungsart mit jener Analogie zu tun, die oben als Analogie zwischen erweiterter Denkungsart und praktischer Maximenprfung dargestellt wurde: Im vierten Kapitel wurde nachgewiesen, dass das Publizittsprinzip ein aus der praktischen Philosophie stammendes Prinzip ist und zwar im Sinne eines negativen Kriteriums der Maximenbestimmung. Gleichzeitig wurde in 5.2 gezeigt, dass die praktische Beurteilung einer Maxime eine reflektierende Leistung ist, in der der Einzelne sich im Sinne der erweiterten Denkungsart an der allgemeinen Menschenvernunft orientiert. Wenn aber das politische Publizittsprinzip ein ursprnglich praktisches Prinzip ist111 und das Praktische der Rationalitt der erweiterten Denkungsart folgt, muss eben auch das Politische dieser Denkungsart entsprechen. Die erweiterte Denkungsart als Vermittlung von Ich und Wir Das Publizittsprinzip gilt, wie im ersten Kapitel gezeigt, nicht nur fr das Staatsoberhaupt. Auch der politisch partizipierende Brger muss dazu in 110 Frieden, Bd. 11, B 100, 101. 111 Vgl.: „Dieses Prinzip ist nicht bloß als e t h i s c h (zur Tugendlehre gehçrig), sondern auch als j u r i d i s c h (das Recht der Menschen angehend) zu betrachten“ (Frieden, Bd. 11, B 100, 101).
5.3 Die erweiterte Denkungsart in Kants politischer Theorie
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der Lage sein, seine Maximen zu verçffentlichen. Er hat smtliche Handlungen, die sich nicht mit der Publizitt vertragen, weil sie den Widerstand aller hervorrufen wrden, zu unterlassen. Oder, um es mit der Urteilskraft zu formulieren: Auch der Brger soll seinen Standpunkt an der allgemeinen Menschenvernunft orientieren, soll also ein Mann von erweiterter Denkungsart sein und so an der çffentlichen Meinung teilhaben. Die aus den Standpunkten aller Staatsbrger formierte çffentliche Meinung bezeichnet Kant in seinen politischen Schriften als allgemein vereinigten Willen. Die Vorstellung einer solchen, wie es auch heißt, „k o l l e k t i v e [n] Einheit des vereinigten Willens“112 erregte im ersten Kapitel eine gewisse Skepsis, scheint doch die in diesem Willen zum Ausdruck gebrachte Einheitlichkeit nicht unserem heutigen Pluralismusverstndnis zu entsprechen.113 Dass diese Skepsis letztendlich unberechtigt ist, wird klar, wenn man sich vor Augen hlt, warum Kant eigentlich von einem solchen Allgemeinwillen spricht. Die Rede von der kollektiven Einheit des vereinigten Willens ist Ausdruck der konkreten Hoffnung, die brgerliche ffentlichkeit werde – gerade vor dem Hintergrund der enormen Meinungsdifferenzen, die sich in jedem Gemeinwesen unweigerlich ergeben – aus sich selbst heraus eine Einheit bilden. Das heißt nicht, dass der Einzelne seine Meinung aufgeben muss. Das Recht der Brger, eine eigene Meinung zu haben und diese Meinung auch „der Welt çffentlich vorzulegen“114, bleibt unangetastet, ist doch die Freiheit der Feder das „einzige Palladium der Volksrechte“115. Es heißt aber, der einzelne an das Publizittsprinzip und damit an die allgemeine Vernunft gebundene Brger solle sich in seinen Positionen immer auch an den Positionen aller anderen orientieren, also ein Mann von erweiterter Denkungsart sein, der, wie es in der Urteilskraft heißt, aus einem a l l g e m e i n e n S t a n d p u n k t e (den er dadurch nur bestimmen kann, daß er sich in den Standpunkt anderer versetzt) ber sein eigenes Urteil reflektiert. Denn nur so wird sich auf Dauer eine funktionsfhige brgerliche ffentlichkeit formieren, die dem Staat erfolgreich gegenbertreten kann. In den Reflexionen zur Anthropologie schreibt Kant dazu, die Menschen wrden sich in der Gesellschaft vereinigen, obwohl nicht immer eine „einigkeit ihrer Gesinungen“ vorausgesetzt werden kçnne; je grçßer die 112 113 114 115
Frieden, Bd. 11, B 75. Siehe Kap. 1, Anmerkung 111. Aufklrung, Bd. 11, A 492, 493. Gemeinspruch, Bd. 11, A 264, 265.
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5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft
Gesellschaft, desto strker der „Hang zu Spaltungen“116. Ziel aber sei es dennoch, einen vereinigten Willen hervorzubringen, „dessen Kraft strker ist“ als die Kraft der einzelnen Menschen. Es ist also ein geradezu demokratisches Motiv, das Kant zur Rede von der kollektiven Einheit des Allgemeinwillens fhrte: Dem absolutistischen Preußen des 18. Jahrhunderts sollte eine mçglichst starke brgerliche ffentlichkeit entgegengesetzt werden. Wie genau aber soll sich dieser Allgemeinwille, diese çffentliche Meinung formieren? In den politischen Schriften erfahren wir, dass eine die Interessen der ffentlichkeit reprsentierende Volksvertretung unverzichtbar ist, womit Partizipation im Sinne von Reprsentation formuliert wird; wir erfahren, dass jedermann das Recht haben muss, im Medium der ffentlichkeit seine Meinung zu sagen, womit Partizipation im Sinne eines pluralen Diskurses gefordert wird; und wir erfahren im zweiten Publizittsprinzip, dass dieser çffentliche Diskurs nicht nur horizontal zwischen den Brgern, sondern auch vertikal zwischen Staatsoberhaupt und Brgerschaft zu erfolgen habe, ja dass ihn Kant gar zur transzendentalen Bedingung aller Politik erhebt, womit eine gegenseitige Integration von ffentlichkeit und Staat gefordert wird. Will man aber mehr herausfinden ber diesen Zusammenhang, so lohnt der Blick in die dritte Kritik: Mit der reflektierenden Urteilskraft verfgen wir ber ein Vermçgen, das uns befhigt, ber die zwar legitime, aber nichtsdestotrotz egoistische Artikulation des eigenen Standpunktes (mit dem Ziel der grçßtmçglichen Umsetzung dieses Standpunktes) sowie ber die bloße Stimmgebung hinaus die Standpunkte aller anderen Staatsbrger so miteinander zu harmonisieren, dass eben nicht nur stur ein Mehrheitswille ausgezhlt wird, sondern eine bestmçgliche, mit der Menschenvernunft maximal bereinstimmende Lçsung gefunden werden kann. Mit anderen Worten: Die reflektierende Urteilskraft liefert ein Vermçgen der Vermittlung von Individuum und Allgemeinheit. Es muss dabei nicht notwendigerweise die sthetisch reflektierende Urteilskraft sein, die als Vorbild dient; auch in allen theoretischen und praktischen Leistungen ist, wie gezeigt, in Form der in der zweiten Maxime des gemeinen Menschenverstandes geforderten erweiterten Denkungsart eine Reflexion auf die allgemeine Menschenvernunft anzutreffen. Da Kant aber gerade in Zusammenhang mit der sthetisch reflektierenden Urteilskraft in aller Ausfhrlichkeit zeigt, wie die in diesem Urteil vollzogene 116 Reflexionen zur Anthropologie. In: Gesammelte Schriften, Bd. 15, S. 626 (1434).
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Vermittlung von Ich und Wir auszusehen hat, ist es sinnvoll, sich gerade dem Geschmacksurteil und seiner Verbindung zur Politik zuzuwenden. Ausgangspunkt aller (sthetisch) reflektierender Urteilsleistung ist das einzelne Individuum. Es muss sein Urteil fllen, und dieses Fllen kann ihm von niemandem abgenommen werden. Indem der einzelne Urteilende ein Urteil fllt, bezieht er sich aber auf alle anderen Urteilenden, erstens weil sein Urteil von Anfang an darauf ausgerichtet ist, an die Gemeinschaft der Urteilenden adressiert zu werden – der einzelne Urteilende wird erwarten, „daß jedermann ihm beipflichten soll“117 –, und zweitens weil er sich, wie der im sthetischen Gemeinsinn verankerte Standpunktwechsel zeigt, schon im Prozess der Urteilsbildung aus der Perspektive der brigen Urteilenden betrachten soll. Kant sagt in diesem Sinne, dass das Geschmacksurteil „nicht fr e g o i s t i s c h , sondern seiner innern Natur nach […] notwendig als p l u r a l i s t i s c h gelten muß“. Trotz dieser Orientierung am Kollektiv, es sei nochmals betont, bewahrt der Einzelne seine uneingeschrnkte Eigenstndigkeit: Der Urteilende sucht und erwartet zwar die „Besttigung“ der eigenen Position von, wie Kant es formuliert, „anderer Beitritt“118, aber nicht im Sinne von „Stimmensammlung und Herumfragen“119, also nicht passiv, indem er sich einfach nur „beschwatzen“120 lsst und durch „Nachahmung“121 urteilt, sondern aktiv, indem er seine „Autonomie“122 behlt. Auch wenn das Individuum sich also auf fremde Urteile zu beziehen hat, am Ende muss es sein eigenes Urteil fllen, die Dinge also „seinen eignen Augen unterwerfen“123. Dass wir es hier mit einem politischen Vorgang sui generis zu tun haben, nmlich – erneut – der Vermittlung von Ich und Wir, ist nicht zu bersehen. Schon vor der politischen Interpretation der dritten Kritik durch Arendt schreibt Simmel, allerdings ohne auf die politische Implikation seiner Deutung zu verweisen, wir htten es im Kantischen Geschmacksurteil mit einem „ganz subjektiven Vorgang“ zu tun, der aber „wegen seiner Erhebung ber alle Zuflligkeiten sinnlichen Vergngens auf das allgemein
117 118 119 120 121 122 123
KU, Bd. 10, B 130, 131. KU, Bd. 10, B 26. KU, Bd. 10, B 136. KU, Bd. 10, B 26. KU, Bd. 10, B 137. KU, Bd. 10, B 138, 139. KU, Bd. 10, B 26.
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5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft
Menschliche in uns zurckzugehen scheint“124. Dieser bergang sei „einer der tiefsten Versuche, die individuelle Subjektivitt des modernen Menschen, auf die er nicht verzichten mag, mit der berindividuellen Gemeinsamkeit aller, deren er nicht weniger bedarf, innerhalb des sthetischen Gebiets zu versçhnen“. Die Pointe dieser Versçhnung qua erweiterter Denkungsart besteht nun gerade darin, dass die Einzelnen eben nicht nur aus Zweckrationalitt miteinander kooperieren, wie es der Kontraktualismus Hobbesscher Frbung nahelegt.125 Die erweiterte Denkungsart, das Hinwegsetzen ber die eigenen Interessen ohne Verlust der eigenen Autonomie fhrt vielmehr eine moralische Komponente, ja gar eine moralische Basis in die Rationalitt politischer Entscheidungen ein. Es sei daran erinnert: Die erweiterte Denkungsart ist eben nicht nur die sthetische Denkungsart, sie ist, wie mit Kaulbach bereits gesagt, als Prinzip der Verwirklichung der Menschheit im Menschen auch die Denkungsart der praktischen Maximenbestimmung. Folgen also Staatsoberhaupt und Brger dieser Maxime, orientieren sie ihre Standpunkte und ihr Handeln immer auch an der allgemeinen Menschenvernunft, so sind wir auf dem besten Wege, ein moralisches Gemeinwesen zu bilden.126 124 Simmel, Georg: Kant und die moderne sthetik (1903). In: Georg Simmel: Gesamtausgabe. Bd. 7: Aufstze und Abhandlungen 1901 – 1908. Hrsg. v. Otthein Rammstedt, Frankfurt a. M., 1995, S. 271. 125 Der Kontraktualist hlt sich an Regeln und kooperiert, weil er will, dass auch die anderen kooperieren; das Kantische Individuum hlt sich an Regeln, weil es diese Regeln – zum Beispiel die Achtung der anderen – um ihrer selbst Willen einhalten will. Tugendhat hat versucht, diese beiden Positionen in seinem nicht instrumentell verstandenen Kontraktualismus miteinander zu verbinden (vgl. Tugendhat, Vorlesungen ber Ethik, S. 82 ff.). 126 Die Parallelen zwischen Kants erweiterter Denkungsart und Smiths Moralphilosophie sind – ungeachtet der gravierenden Differenzen zwischen der Kantischen und der Smithschen Ethik – nicht zu bersehen. Zwar spielen bei Smith bekanntlich Affekte die zentrale Rolle, wovon sich Kant gerade abgrenzt. Auf einer strukturellen Ebene aber wird in der Theorie der ethischen Gefhle genau das formuliert, was spter auch bei Kant zu finden sein wird: Smith schreibt, wir billigen oder missbilligen „unser eigenes Betragen, indem wir uns in die Lage eines anderen Menschen versetzen und es gleichsam mit seinen Augen und von seinem Standort aus betrachten“ (Smith, Adam: Theorie der ethischen Gefhle [The Theory of Moral Sentiments, 1759]. Hrsg. v. Walther Eckstein, Hamburg, 1994, S. 167); wir mssten uns daher in einer „Bezugnahme auf die Urteile anderer“ aus einem „gewissen Abstand von uns selbst“ ansehen als eine Art „unparteiischer Zuschauer“. Wenn ich also ein moralisches Urteil flle, teile ich mich scheinbar „in zwei Personen“, in die Person, dessen Handeln beurteilt wird, sowie in den Beurteiler selbst
5.3 Die erweiterte Denkungsart in Kants politischer Theorie
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Dieser Gedanke ist in der politischen Philosophie auch noch ber zweihundert Jahre nach Kant allgegenwrtig. Julian Nida-Rmelin schreibt in Demokratie und Wahrheit, ohne direkten Bezug auf die Kritik der Urteilskraft, in einer „moralischen Gemeinschaft“127 msse man die Fhigkeit haben, „einen unparteiischen Standpunkt einzunehmen“128. Und das bedeutet: Ich muss auch eine solche Norm fr begrndet halten, „deren allgemeine Befolgung nicht in meinem eigenen Interesse ist“. Nichts anderes fordert Kant mit seiner erweiterten Denkungsart. Auch bei Tugendhat, den Nida-Rmelin dafr kritisiert, dass er sich zu sehr auf das Interesse als Grundlage des Normativen sttzt (fr Tugendhat bedeute eine Norm begrnden, „deutlich zu machen, dass sie gleichermaßen im Interesse aller ist“129), heißt es in den Vorlesungen zur Ethik im unmittelbaren Rekurs auf den kategorischen Imperativ, „daß das Wollen oder, wie man auch sagt, die Interessen aller Mitglieder der Gemeinschaft, und zwar in unparteilicher Bercksichtigung, den Maßstab fr das Gute abgeben“130. Auch Mackie versucht ausgehend von seiner Kritik am Kantischen Objektivismus zu zeigen, wie subjektive moralische ußerungen letztendlich doch universalisiert werden kçnnen. Er whlt hier das Verfahren eines dreifachen Standpunktwechsels: Erstens den numerischen Unterschied zu anderen akzeptieren – etwas, das fr mich richtig ist, kann fr andere falsch sein; zweitens in der Lage sein, sich in den Standpunkt anderer zu versetzen; dabei drittens sogar die Vorlieben und den Geschmack anderer bercksichtigen .131 Schließlich ist an dieser Stelle natrlich auch der Rawlssche Schleier des Nichtwissens zu nennen, der bekanntlich ebenfalls in enger Anlehnung an Kant konzipiert wurde. Der veil of ignorance muss, wie Nida-Rmelin sagt, als Testverfahren verstanden werden, das von jedem Einzelnen verlangt, „sich in eine Situation hineinzuversetzen, in der seine persçnlichen In-
127 128 129 130 131
(Smith, Theorie der ethischen Gefhle, S. 170). Vollrath sagt daher, es sei gut mçglich, dass Kant wesentliche Momente seiner erweiterten Denkungsart von Smith bernommen habe (vgl. Vollrath, Hannah Arendt, S. 107). Das ist umso wahrscheinlicher, als Kant großes Interesse an den britischen Moralisten hatte (vgl. Korsgaard, Kingdom of Ends, S. 45). In einem Brief an Kant von 1771 schreibt Marcus Herz, er, Herz, habe vernommen, der „Englnder Smith“ sei „Ihr Liebling“ (Brief von Marcus Herz, 9. Juli 1771. In: Gesammelte Schriften, Bd. 10, S. 121). Nida-Rmelin, Julian: Demokratie und Wahrheit. Mnchen, 2006, S. 101. Nida-Rmelin, Demokratie und Wahrheit, S. 102. Nida-Rmelin, Demokratie und Wahrheit, S. 98 f. Tugendhat, Vorlesungen ber Ethik, S. 87. Mackie, John Leslie: Ethik. Die Erfindung des moralisch Richtigen und Falschen. Stuttgart, 2004, S. 104 ff.
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5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft
teressen keine Rolle spielen“132. Ungeachtet aller Unterschiede ist vollkommen klar, dass Rawls mit seinem Schleier ein und dieselbe Intention verfolgt wie Kant mit seiner erweiterten Denkungsart, nmlich Individuen ein Verfahren an die Hand zu geben, um aus einem unabhngigen Standpunkt faire Lçsungen fr alle das Gemeinwesen betreffende Fragestellungen zu finden: „An impartial judgment, we can say, is one rendered in accordance with the principles which would be chosen in the original position.“133 Denkt man die erweiterte Denkungsart konsequent zu Ende, so wird im brigen klar, dass der Mann von erweiterter Denkungsart letztendlich der Kantische Weltbrger ist. Kant selbst spricht diesen Zusammenhang in der Anthropologie explizit aus, wenn er in seiner Definition des Egoism resmiert: „Dem Egoism kann nur der P l u r a l i s m entgegengesetzt werden, d. i. die Denkungsart: sich nicht als die ganze Welt in seinem Selbst befassend, sondern als einen bloßen Weltbrger zu betrachten und zu verhalten.“134 Kritik an Arendt: Der Akteur als Selbstbetrachter statt Primat des Zuschauers Eine solche Lesart, die die erweiterte Denkungsart als Denkungsart des Kantischen (Welt-)Brgers identifiziert, steht ausdrcklich in Einklang mit Hannah Arendts Kant-Rezeption, wie sie in Wahrheit und Politik und in Kultur und Politik anzutreffen ist. In Wahrheit und Politik wendet sich Arendt gegen jene antiken Positionen, in denen die Meinung der Brger der Wahrheit der Philosophen gegenbergestellt wird. Kants erweiterte Denkungsart wird als eine Denkungsart erfasst, die die Meinung des Einzelnen, man kçnnte sagen, vom Stigma der Befangenheit befreit, fordert sie doch dazu auf, „einen Standort in der Welt einzunehmen, der nicht der meinige ist, und mir nun von diesem Standort aus eine eigene Meinung zu bilden“135. Die Urteilskraft sei daher, wie es in Kultur und Politik heißt, „eine im spezifischen Sinne politische Fhigkeit“, die es „den Menschen 132 133 134 135
Nida-Rmelin, Demokratie als Kooperation, S. 50. Rawls, Theory of Justice, S. 190. Anthropologie, Bd. 12, BA 9. Arendt, Hannah: Wahrheit und Politik (1969). In: Hannah Arendt: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. bungen im politischen Denken I. Hrsg. v. Ursula Ludz, Mnchen/Zrich, 2000, S. 342. Nachdruck aus: Wahrheit und Politik. In: Philosophische Perspektiven: Ein Jahrbuch 1. 1969, S. 9 – 51.
5.3 Die erweiterte Denkungsart in Kants politischer Theorie
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erst ermçglicht, sich im çffentlich-politischen Raum, in der gemeinsamen Welt zu orientieren“136. Arendt hat also, wie Seyla Benhabib schreibt, in Kants erweiterter Denkungsart Urteilsqualitten erkannt, „die unabdingbar sind, um die Perspektivitt der çffentlichen Welt zu erfassen“137, setzt diese Denkungsart doch, wie Vollrath sagt, „den einzelnen Menschen in Beziehung zum politischen Grundfaktum der Pluralitt von Menschen und zu der ihnen gemeinsamen Welt“138. Sptestens mit der Kant-Vorlesung von 1970/71 scheint sich die Stoßrichtung von Arendts Aneignung der dritten Kritik aber zu verlagern. Es ist jetzt nicht mehr die erweiterte Denkungsart der politisch Handelnden, fr die sich Arendt in Zusammenhang mit der Urteilskraft maßgeblich interessiert, sondern das unabhngige Urteil einer am Gang der Geschichte nicht direkt beteiligten Zuschauerschaft. Beiner spricht daher von „zwei Theorien des Urteils“139, einer frhen und einer spten, ab Anfang der siebziger Jahre entwickelten Theorie. In der Literatur werden Zweifel an der Haltbarkeit dieser Einteilung geußert.140 Fest steht, und das spricht in der Tat eher gegen Beiners Sichtweise, dass schon in den Schriften der sechziger Jahre neben der erweiterten Denkungsart der Handelnden ausdrcklich von der Notwendigkeit einer unabhngigen Betrachterinstanz die Rede ist. So mnden alle berlegungen von Wahrheit und Politik ja gerade in den Befund, es msse in Form von Universitten und Justiz einen außerhalb der Politik angesiedelten
136 Arendt, Hannah: Kultur und Politik (1958). In: Hannah Arendt: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. bungen im politischen Denken I. Hrsg. v. Ursula Ludz, Mnchen/Zrich, 2000, S. 299. Nachdruck aus: Merkur. Deutsche Zeitschrift fr europisches Denken. Heft 130, Dez. 1958, S. 1122 – 1145. Interessanterweise bersieht Arendt die Entsprechung von erweiterter Denkungsart und praktischer Maximenprfung. So heißt es ebenfalls in Kultur und Politik, whrend Kants praktische Vernunft auf einer „bereinstimmung des vernnftigen Urteilens mit sich selbst“ beruhe, trete in der Urteilskraft diesem Prinzip die erweiterte Denkungsart entgegen (Arendt, Kultur und Politik, S. 298). Vgl. auch: Arendt, Freiheit und Politik, S. 212 ff. In 5.2 dieser Arbeit hingegen wird die These vertreten, auch die praktische Maximenprfung folge per se der Rationalitt der reflektierenden Urteilskraft. 137 Benhabib, Hannah Arendt, S. 297. 138 Vollrath, Hannah Arendt, S. 101. 139 Beiner, Das Urteilen, S. 118. 140 Vgl. Saavedra, Marco Estrada: Die deliberative Rationalitt des Politischen: Eine Interpretation der Urteilslehre Hannah Arendts, Wrzburg 2002, S. 11.
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5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft
Bereich geben, der Tatsachenwahrheiten unabhngig interpretieren und bewahren kann.141 Fr diese Arbeit ist es aber letztendlich ganz unerheblich, wie die beiden Momente der Arendtschen Urteilstheorie (erweiterte Denkungsart der Handelnden und unabhngiges Urteil einer Zuschauerinstanz) nun genau miteinander in Verbindung stehen. Denn hier geht es, wie gesagt, nicht um Arendts eigene, nie vollendete Theorie des Urteilens, sondern um ihre Kant-Interpretation. Und da steht zweifelsfrei fest: In der Kant-Vorlesung deutet Arendt die Kantische Urteilstheorie ganz im Sinne einer antagonistischen Gegenberstellung von Akteur und Zuschauer – und der Akteur kommt dabei eindeutig schlechter weg. So ist die Rede von der „Parteilichkeit des Handelnden“142, einem „Zusammenstoß von Zuschauer und Handelndem“143 sowie der „Position des Betrachters“, dessen Urteil „ausschlaggebend“144 sei, da „nur der Zuschauer, aber niemals der Akteur weiß, was das alles zu bedeuten hat“145. Es sei bereits jetzt gesagt, dass diese Lesart meiner Meinung nach nicht haltbar ist. Im Mittelpunkt der Kant-Vorlesung steht eine angebliche Analogie zwischen dem Verhltnis politischer Akteur und Zuschauer sowie dem Verhltnis Hersteller schçner Kunst und betrachtendes Publikum. Was die politischen Schriften Kants anbelangt, sttzt sich Arendt dabei maßgeblich auf eine Passage aus dem Streit der Fakultten. Im Streit mit der Juristischen Fakultt sucht Kant nach einem „G e s c h i c h t s z e i c h e n “146, das belegen kçnne, dass das Menschengeschlecht sich im Fortschreiten zum Besseren befinde. Die Franzçsische Revolution, sagt Kant, sei ein solches Geschichtszeichen. Allerdings bestehe der Wert dieser Begebenheit „nicht etwa in wichtigen, von Menschen verrichteten Taten oder Untaten, wodurch, was groß war, unter Menschen klein, oder, was klein war, groß gemacht wird“. Das Entscheidende an der Revolution sei vielmehr „bloß die Denkungsart der Zuschauer, welche sich bei diesem Spiele großer Umwandlungen ç f f e n t l i c h verrt“. Arendt sagt daher, die Bedeutung der Revolution liege fr Kant „ausschließlich im Auge des Betrachters, in der Meinung der Zuschauenden, die ihre Haltung in der ffentlichkeit erklrten“147. 141 142 143 144 145 146 147
Vgl. Arendt, Wahrheit und Politik, S. 364 ff. Arendt, Kants Politische Philosophie, S. 102. Arendt, Kants Politische Philosophie, S. 80. Arendt, Kants Politische Philosophie, S. 74. Arendt, Kants Politische Philosophie, S. 75. Streit, Bd. 11, B 142, B 143. Arendt, Kants Politische Philosophie, S. 65.
5.3 Die erweiterte Denkungsart in Kants politischer Theorie
177
Eine analoge Situation stellt sich fr Arendt in der Kunsttheorie, also Kants Abhandlung ber die Herstellung schçner Gegenstnde in den Paragraphen 43 – 54 der KU, dar. Kant unterscheidet hier zwischen dem Genie als dem Vermçgen der „H e r v o r b r i n g u n g “ schçner Kunst und dem Geschmack als dem Vermçgen der „B e u r t e i l u n g “ 148 derselben. Vor diesem Hintergrund stellt er sich die Frage, „woran in Sachen der schçnen Kunst mehr gelegen sei“149 – dem Genie oder dem Geschmack, also der produktiven Einbildungskraft oder der Urteilskraft? Zwar wrde es ohne freie Einbildungskraft berhaupt kein Kunstwerk geben, ber das geurteilt werden kann, und insofern wre es nur konsequent, dieser auch den Vorzug zu geben. Kant allerdings entscheidet sich fr den Geschmack. Denn: Die Einbildungskraft in ihrer „gesetzlosen Freiheit“ bringe „nichts als Unsinn hervor; die Urteilskraft ist aber das Vermçgen, sie dem Verstande anzupassen“150. Der Geschmack als die „Disziplin (oder Zucht) des Genies, beschneidet diesem sehr die Flgel und macht es gesittet oder geschliffen“. Er bringt „Klarheit und Ordnung in die Gedankenflle“. Es ist diese Unterordnung des Vermçgens der Herstellung unter das Vermçgen der Beurteilung, auf die sich Arendt in ihrer Ableitung des angeblichen Primats der unabhngigen Zuschauerschaft vor den Akteuren bezieht. In seiner politischen Theorie, so Arendt, habe Kant, wie gesagt, die Meinung vertreten, dass der Zuschauer Vorrang hat; in der Urteilskraft sei er vor einer „analogen Situation, der Beziehung zwischen dem Knstler, dem Schaffenden oder Genie, und seinem Publikum“151 gestanden. „Auch hier erhob sich fr Kant die Frage: Wer ist der vornehmere, und welches ist die vornehmere Eigenschaft, sich aufs Schaffen zu verstehen oder aufs Urteilen?“ Arendts Interpretation ist hçchst problematisch: Tatschlich nmlich folgt aus der Kantischen Gegenberstellung von Hersteller und Betrachter keineswegs eine Abwertung des Knstlers im Vergleich zum Publikum. Wenn es etwas gibt, das aus der Kantischen Theorie der Knste fr das Verhltnis des Vermçgens der Herstellung und das der Betrachtung hervorgeht, so ist es die Einsicht, dass auch der Hersteller immer ber die Fhigkeit der Selbst-Betrachtung verfgen soll. Kant geht es also nicht um einen Gegensatz zwischen Hersteller und Betrachter, sondern um den Gegensatz zwischen einem sich kritisch selbst aus der Perspektive der Allge148 149 150 151
KU, Bd. 10, B 188. KU, Bd. 10, B 202. KU, Bd. 10, B 203, 204. Arendt, Kants Politische Philosophie, S. 88.
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5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft
meinheit reflektierenden Hersteller und einem unkritischen Hersteller, der diese Perspektive nicht einzunehmen gewillt ist. Er sagt ausdrcklich, es gebe „Genie ohne Geschmack“ sowie „Geschmack ohne Genie“152. Wenn aber weder Genie ohne Geschmack noch Geschmack ohne Genie fr die Herstellung schçner Kunst ausreichen, dann folgt daraus, dass im Idealfall im Knstler beides angetroffen werden muss – die Originalitt des Genies sowie die Zucht desselben durch seinen Geschmack. In direkter Abwgung allerdings wrde Kant sich fr das Vermçgen der Selbst-Betrachtung entscheiden, anstelle der Originalitt des Genies. Aber nochmals: Abgewogen wird zwischen Selbst-Betrachtung und Originalitt – nicht zwischen Betrachtung durch Dritte und Originalitt. Der sich kritisch selbst betrachtende Knstler wird natrlich ein Knstler sein, der im Gebrauch seines Geschmacks explizit Bezug nimmt auf das Urteil der Zuschauer, entspricht es doch gerade der Rationalitt eben dieses Geschmacks, auf fremdes Urteil einzugehen – so heißt es auch in bereits zitierter Passage aus der Anthropologie ber den Egoism, der sthetische Egoist beraube „sich selbst des Fortschritts zum Besseren, wenn er sich mit seinem Urteil isoliert, sich selbst Beifall klatscht, und den Probierstein des Schçnen der Kunst nur in sich allein sucht“153 –, er wird es aber letztendlich selbst sein, der mit seinem Geschmack sein Urteil fllt. Wenn die Kunsttheorie also etwas beitrgt zum Verhltnis der Vermçgen der Herstellung und der Betrachtung, dann die Tatsache, dass die Betrachtung eben nicht nur eine Angelegenheit der Zuschauer, sondern immer auch der Hersteller sein muss. In dieser Fhigkeit des Akteurs, sich selbst in Bezugnahme auf das Urteil der ffentlichkeit aus einer allgemeinen Perspektive zu betrachten, liegt die eigentliche Bedeutung der reflektierenden Urteilskraft fr die Politik: Sowohl die partizipierenden Brger in der Bildung des allgemein vereinigten Willens als auch das handelnde Staatsoberhaupt sollen Mnner von erweiterter Denkungsart sein, sie sollen ihren Standpunkt immer auch aus der Perspektive der Allgemeinheit reflektieren. Kaulbach schreibt, die Bindung an den Geschmack bringe zum Ausdruck, dass das Genie die in seinen Kunstwerken mitgeteilten sthetischen Ideen „in der Sprache des ,allgemeinen Standpunktes‘ 152 KU, Bd. 10, B 192, 193. Das Genie ohne Geschmack wird ein regelloses, unsinniges Kunstwerk herstellen; die Folge von Geschmack ohne Genie hingegen ist ein Produkt, das nicht mehr der schçnen, sondern eher der mechanischen Kunst zuzurechnen ist, da es zwar bestimmten Regeln entsprechen, ihm aber die knstlerische Originalitt fehlen wird. Aus heutiger Sicht ist ein solches Kunstverstndnis natrlich kaum mehr zu vermitteln. 153 Anthropologie, Bd. 12, BA 8.
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und der zu ihm gehçrigen Perspektive der gemeinsamen Welt darzustellen habe“154. Den allgemeinen Standpunkt und die gemeinsame Welt – beide sollte auch der politische Akteur als ein Mann von erweiterter Denkungsart im Blick haben. Arendt selbst benennt in der Kant-Vorlesung an einer Stelle den Akteur in dieser Rolle des Selbst-Betrachters: „Der çffentliche Bereich wird durch Kritiker und Zuschauer konstituiert, nicht durch die Akteure oder die schçpferisch Ttigen. Und dieser Kritiker und Zuschauer befindet sich in jedem Akteur und Hersteller; ohne dieses kritische, urteilende Vermçgen wre der Handelnde oder Schaffende so losgelçst vom Zuschauer, daß er nicht einmal wahrgenommen wrde.“155 Der Kritiker und Zuschauer befindet sich in jedem Akteur und Hersteller – das ist eine Lesart, die der frhen Urteilstheorie Arendts entspricht, mit einem Brger in der, wie Sternberger schreibt, „Doppelrolle des Akteurs und des Zuschauers“156. Und es ist vor allem eine Lesart, die den zentralen berlegungen der Kantischen Kunsttheorie gerecht wird. Die aus dieser Konstellation abgeleitete Behauptung hingegen, Kant vertrete das Primat einer unabhngigen Zuschauerschaft vor dem Akteur, lsst sich mit den Einsichten der Urteilskraft nicht vereinbaren. Im brigen sprechen auch die Grundannahmen der ersten und zweiten Kritik sowie die der politischen Philosophie Kants eindeutig gegen ein solches Primat des Zuschauers. Im Mittelpunkt des brgerlichen Zustandes steht doch gerade das aufgeklrte, selbst-ttige, sein Handelnd autonom bestimmende, politisch partizipierende Individuum. Die Kritik der reinen Vernunft, resmiert Kant im Streit der Fakultten, „bestimmte dem Menschen in der Welt eine durchaus a k t i v e Existenz. Der Mensch selbst ist ursprnglich Schçpfer aller seiner Vorstellungen und Begriffe, und soll einziger Urheber aller seiner Handlungen sein.“157 Kann dieser aktive Mensch – Reinhard Brandt spricht vom Kantischen „Aktivbrger“158 nach Lockeschem Vorbild – etwa auf die Position des unbeteiligten Zuschauers reduziert werden?
154 Kaulbach, sthetische Welterkenntnis, S. 249. 155 Arendt, Kants Politische Philosophie, S. 85. 156 Sternberger, Dolf: Die versunkene Stadt. ber Hannah Arendts Idee der Politik. In: Hannah Arendt. Materialien zu ihrem Werk. Hrsg. v. Adelbert Reif, Wien, 1979, S. 111. 157 Streit, Bd. 11, A 115, 116 f. 158 Brandt, Zu Kants politischer Philosophie, S. 29.
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5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft
Reflektierende Urteilskraft als politische Urteilskraft? Bei alledem darf eines nicht aus dem Blick geraten: So sehr jede politische Theorie auf eine reflektierende Urteilskraft, wie sie in Kants sthetik entwickelt wird, auch angewiesen sein mag und so sehr eben dieser sthetik damit eine politische Bedeutung zukommt – im Alleingang kann ein reflektierendes Vermçgen, wie von Arendt in ihrer Auseinandersetzung mit dem Holocaust oder von Vollrath159 nahegelegt, das Politische nicht bewltigen. Politik kommt, sowohl in der Begrndung und Errichtung seiner Prinzipien als auch in deren konkreter Anwendung, ohne Verstand und Vernunft nicht aus. Volker Gerhardt schreibt: „Die Urteilskraft kann berhaupt nur eine tragende Rolle spielen, solange und sofern sie auf die Vernunft – und damit natrlich auch auf den die Dinge begreifenden Verstand – bezogen bleibt.“160 Und weiter: „Reflektierende Urteile im Sinne der Urteilskraft bleiben gegenstandslos ohne die bestimmenden Leistungen des Verstandes und sie werden sinnlos ohne den allgemeinen Rahmen der Vernunft.“161 Dieser Sachverhalt wird umso klarer, bezieht man sich direkt auf Kants politische Theorie. Alle Politik ist bei Kant gebunden an bestimmte vernunftbegrndete (Rechts-) Prinzipien. Die prominentesten dieser Begriffe sind Freiheit und Gleichheit. Julian Nida-Rmelin bezeichnet sie als die „beiden miteinander verkoppelten Grundnormen der politischen Moderne“162. Und es war Kant, „der die Spezifik dieser beiden Normen wie kein anderer europischer Philosoph auf den Begriff bringt“163. Sowohl die Aufstellung dieser Prinzipien als auch deren alltgliche Befolgung kann aber von einem reflektierenden Vermçgen allein nicht geleistet werden. 159 Der Ausgangspunkt der Vollrathschen Rekonstruktion ist die problematische Behauptung, das Politische sei nicht durch eine objektive Theorie fassbar: „Das dem politischen Bereich zugehçrende Wissen muß sich […] einem ganz anderen Prinzip unterstellen als die objektive Theorie. Dieses Wissen – es wird die politische Urteilskraft genannt – folgt einer Maxime, die nicht objektiv, wohl aber verbindlich ist“ (Vollrath, Rekonstruktion der Urteilskraft, S. 14). 160 Gerhardt, Volker: Vernunft und Urteilskraft. Politische Philosophie und Anthropologie im Anschluss an Immanuel Kant und Hannah Arendt. In: John Locke und Immanuel Kant. Historische Rezeption und gegenwrtige Relevanz. Hrsg. v. Martyn P. Thompson, Berlin, 1991, S. 318 f. 161 Gerhardt, Vernunft und Urteilskraft, S. 331. Vgl. auch Gerhardt, Zum ewigen Frieden, S. 184 u. 230 f. 162 Nida-Rmelin, Demokratie und Wahrheit, S. 116. 163 Nida-Rmelin, Demokratie und Wahrheit, S. 114.
5.4 Kant und der Strukturwandel der ffentlichkeit
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Kurzum: Eine reflektierende Urteilskraft ist fr das Politische zwar unabkçmmlich, aber nicht als alleiniges, sondern als ein Verstand und Vernunft bei Seite gestelltes Vermçgen.
5.4 Kant und der Strukturwandel der ffentlichkeit Bevor eine ffentlichkeit zerfallen kann, muss diese sich konstituieren – mit diesem Hinweis ist bereits in der Einleitung dargelegt worden164, warum jene massiven Einwnde an der aufklrerischen Idee kritischer ffentlichkeit, die schon unmittelbar nach Kants emphatischem Publizittsbegriff laut wurden165 und auch im 20. Jahrhundert unter dem Stichwort des Strukturwandels der ffentlichkeit die Debatte beherrschten, nicht Gegenstand dieser Arbeit sind. In diesem letzten Abschnitt sollen sie nun aber doch in aller Krze zur Sprache kommen. Denn ausgerechnet vor dem Hintergrund einiger ganz zentraler Elemente dieser Gegenrede wird letztendlich deutlich, wie fortschrittlich der Kantische ffentlichkeitsbegriff bereits war. Nun sind die Einwnde am Konzept der kritischen, brgerlichen ffentlichkeit nicht nur beraus umfangreich, sie wurden und werden vor allem mit vçllig unterschiedlichen, ja mitunter gegenstzlichen Stoßrichtungen vorgebracht. Zwei von ihnen aber gehçren zum klassischen Repertoire der ffentlichkeitskritik: Erstens das Scheitern der Idee der einen ffentlichkeit durch die zunehmende Partikularisierung bzw. Atomisierung der Gesellschaft, wie sie beispielsweise Simmel beschreibt in ber sociale Differenzierung 166 oder Tçnnies mit seiner berhmten Unterscheidung zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft167. Zweitens die marxistische Fundamentalkritik an der brgerlichen-elitren Gesellschaftstheorie, unter anderem aufgrund der laut Marx nicht berwindbaren bzw. bewusst gewollten Exklusion des Proletariats aus der Gesellschaft.168 Das Erstaunliche an beiden Aspekten ist: Sie klingen bereits bei Kant an. Denn Kants Begriff der ffentlichkeit kann gerade nicht auf die Idee 164 Siehe S. 12 dieser Arbeit. 165 Vgl. Feuerbach, Anselm Ritter v.: Betrachtungen ber die ffentlichkeit und Mndlichkeit der Gerechtigkeitspflege. Giessen, 1821, u. a. S. 16. 166 Simmel, Georg: ber sociale Differenzierung. Sociologische und psychologische Untersuchungen. Leipzig, 1890. 167 Tçnnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft: Abhandlung des Communismus und des Socialismus als empirischer Culturformen. Leipzig, 1887. 168 Vgl. Liesegang, ffentlichkeit und çffentliche Meinung, S. 231 ff.
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5. Kritische Vernunft und Politik im Spiegel der Urteilskraft
der einen, durch und durch homogenen ffentlichkeit reduziert werden. Auch wenn in Kants Vernunftbegriff zweifelsohne die in dieser Arbeit mehrfach problematisierte Tendenz zur Vergleichmßigung anzutreffen ist und auch wenn dieser Vergleichmßigung auf gesellschaftlicher Ebene das Ideal des einen, allgemein vereinten Willens entspricht, so war sich Kant dennoch im Klaren, dass genau diese Einheitlichkeit nicht zu realisieren ist. Um jene oben zitierte Passage noch einmal in Erinnerung zu rufen: Es kçnne unter den Brgern eben keine „einigkeit ihrer Gesinungen“ vorausgesetzt werden, sagt Kant, denn: Je grçßer eine Gesellschaft, desto strker der „Hang zu Spaltungen“169. Kant hat also jenes Emporkommen konkurrierender ffentlichkeiten, das nach ihm zu dem Befund fhren wird, die brgerliche ffentlichkeit sei zerfallen, klar und deutlich gesehen. Nur er zog andere Konsequenzen aus diesem Befund als viele seiner spteren Kritiker. Der entscheidende Unterschied zur spteren ffentlichkeitskritik besteht in erster Linie darin, dass Kant trotz des Hangs zur Spaltung (man kçnnte auch sagen: gerade aufgrund dieses Hangs) davon berzeugt war, durch gemeinsamen, çffentlichen Gebrauch der Vernunft eine funktionierende brgerliche ffentlichkeit aufbauen zu kçnnen. Er hlt also, anders als die meisten Kritiker des brgerlichen Vernunftbegriffs170, an der integrativen Vermittlungsfunktion der Vernunft fest – auch wenn er nicht die eine ffentlichkeit zu Grunde legt. Anders gesagt: Kant sah die zunehmende soziale Differenzierung, ja er hat, um den schçnen Topos nochmals aufzunehmen, dieser Differenzierung Rechnung getragen in der Differenzierung der Vernunft in ihre auseinandergetretenen Momente. 171 Aber er hat sich eben dennoch nicht verabschiedet vom Anspruch der legitimierenden Kraft des çffentlichen Rsonnements. Kant sucht vielmehr nach mçglichen bergngen zwischen den dispersen Diskursen. Und an genau dieser Stelle kommt erneut die reflektierende Urteilskraft ins Spiel, samt ihrer erweiterten Denkungsart, die letztendlich natrlich auch als Erweiterung des eigenen Diskurses begriffen werden kann. Kant nennt gar ein Beispiel fr einen solchen bergang: das Schçne als Symbol des Sittlichguten.172 Es ist also kein Zufall, dass Lyotard sich im Widerstreit auf der Suche nach einem bergang des Inkommensurablen ausgerechnet Kant und der Kritik der Urteilskraft zuwendet. 169 170 171 172
Reflexionen zur Anthropologie. In: Gesammelte Schriften, Bd. 15, S. 626 (1434). Vgl. Liesegang, ffentlichkeit und çffentliche Meinung, S. 1 ff. Siehe 1.3 dieser Arbeit. Vgl. KU, B 254 ff.
5.4 Kant und der Strukturwandel der ffentlichkeit
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Soweit die positive Lesart. Bei weniger wohlwollender Betrachtung allerdings muss hinzugefgt werden: Kant sah nicht nur den Hang zur Spaltung – er redete dieser Spaltung auch das Wort. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Da ist zum einen die abwertende Vorstellung vom Volk, das aus Idioten besteht173 – das entspricht durchaus jenem Sachverhalt, der oben unter dem Schlagwort Exklusion angefhrt wurde. Nun kann man die Rede vom idiotischen Volk natrlich auffassen als provokativen Appell, sich genau aus dieser angeblichen Idiotie herauszuarbeiten. Aber es bleibt mit einer solchen Wortwahl, bei aller Emphase fr die geistige Mobilisierung der Massen, selbstverstndlich der Beigeschmack der intellektuellen berheblichkeit. Oder, um ein zweites Beispiel zu nennen: Die Kritik der Vernunft, die zwar jedermann zum Selbstdenken verhelfen solle, aber gleichzeitig eben doch, wie Kant gleich mehrfach betont, nur vom erlesenen Publikum wird verstanden werden.174 Das erinnert fatal an jenes Phnomen, das Foucault so beschreiben wird: Durch die Definitionsmacht ber die Begriffe wrden die diskursiven Orte verknappt und bestimmte Milieus bewusst aus der Diskursgemeinschaft ausgeschossen. Es gehe darum, „den sprechenden Individuen gewisse Regeln aufzuerlegen und so zu verhindern, dass jedermann Zugang zu den Diskursen hat“175. Fr diese Arbeit aber ist letztendlich ein anderer Schluss entscheidend: Auch wenn Kant vorgeworfen werden kann, mit einigen Aspekten seines Konzepts der ffentlichkeit mitunter gerade die marxistische ffentlichkeitskritik befeuert zu haben, so kann ihm ein Vorwurf nicht gemacht werden: der Vorwurf nmlich, einen naiven ffentlichkeitsbegriff vertreten zu haben. Denn der Umstand, dass die wesentlichen Kritikpunkte am Konzept der brgerlichen ffentlichkeit von Kant selbst bereits ausdrcklich zur Sprache gebracht werden, zeigt, wie progressiv sein Verstndnis von ffentlichkeit bereits war. Das wird im brigen umso deutlicher, wirft man einen Blick auf das beraus ambivalente und von tiefstem Misstrauen geprgte ffentlichkeitsverstndnis, das nach Kant kein geringerer als Hegel entwickeln wird. In dessen Dialektik kommt die çffentliche Meinung schlussendlich herab zu einer Art staatlichen Verfgungsmasse: „In der çffentlichen Meinung ist alles Falsche und Wahre, aber das Wahre in ihr zu finden, ist die Sache des großen Mannes.“176 173 174 175 176
Siehe S. 85 dieser Arbeit. Siehe S. 56 f. dieser Arbeit. Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt, 2000, S. 25 f. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, S. 486.
Zusammenfassung Adam Weishaupt wurde in der Einleitung dieser Arbeit zitiert mit den Worten, wir htten es bei Kant zu tun mit einer totalen Subjektivitt unserer gesamten Erkenntniß; Hegel spricht von der subjektivistischen sthetik, bei Apel und Bçhler ist vom methodischen Solipsismus der praktischen Philosophie Kants die Rede und von vorkommunikativer Vereinzelung, Habermas nennt das Kantische Ich ein einsames Subjekt, Zima kritisiert die monologische Konstruktion, und in der Enzyklopdie Philosophie heißt es, Kant unterstelle ein von çffentlicher Sprache und Kommunikation unabhngiges Erkenntnissubjekt sowie ein praktisches Individuum, das auf Kommunikation mit anderen nicht prinzipiell angewiesen sei. Dass der Kantischen Vernunft nichts ferner liegt als ein solcher monologischer Subjektivismus, dass sie das Individuum als ihren Trger nicht isoliert, sondern in Verbindung setzt mit der Gemeinschaft der vernunftbegabten Wesen, ja diese Gemeinschaft berhaupt erst konstituiert, hat die vorliegende Arbeit anhand des Kantischen ffentlichkeitsbegriffs in fnf Kapiteln nachzuweisen versucht. Ausgangspunkt der Untersuchung waren die im eigentlichen Sinne politischen Schriften Kants, die, entgegen der Chronologie, an den Anfang gestellt wurden, da die Bedeutung der ffentlichkeit in Kants Politiktheorie, anders als im Falle der ersten, zweiten und dritten Kritik, nicht ernsthaft bezweifelt wird. Obwohl Kant den Begriff ffentlichkeit in seinem schriftlichen Werk kein einziges Mal verwendet, stellte sich heraus, dass smtliche Bedeutungsebenen unseres heutigen ffentlichkeitsbegriffs – ffentlichkeit als Prinzip: Kant entwickelt in der Friedensschrift Publizitt als das Prinzip von Recht und Politik; ffentlichkeit als Personenverband: Kant nennt das sich aufklrende Publikum sowie die aus diesem Publikum hervorgehende brgerliche Gesellschaft; ffentlichkeit als Handlungszusammenhang: Kant spricht von der Welt bzw. der Leserwelt als der Sphre der freien Meinungsußerung – bereits anzutreffen sind. Der Ursprung des Kantischen ffentlichkeitsbegriffs allerdings liegt nicht in der Politik, er findet sich vielmehr in der theoretischen und praktischen Vernunft. Kants theoretische Vernunft, so die zentrale These des zweiten Kapitels, ist çffentliche Vernunft. Die insbesondere gegen die dogmatische Metaphysik, die in ihrer Schwrmerei nach Auffassung Kants
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keine çffentliche Rechenschaft ber ihre angeblichen Einsichten liefern kann, gerichtete Forderung nach Standpunktwechsel und çffentlicher Beglaubigung als Prfstein jedes Wissens, die Forderung nach Kritik sowie das Prinzip der Mitteilbarkeit, das im Rahmen der Kritik entfaltet wird, erwiesen sich als die vier wesentlichen Momente der postulierten ffnung des einzelnen erkennenden Ichs gegenber fremder Vernunft. Da wir es mit einer notwendigen ffnung zu tun haben, auf die die Vernunft gar existentiell angewiesen ist – sowohl im Treffen empirischer Erkenntnisse als auch in ihrer metaphysischen Selbstbeschftigung –, zeigte sich ein ursprnglicher Zusammenhang zwischen theoretischer Philosophie und Politik: Das Recht auf freie Meinungsußerung als ein Recht der çffentlichen Vernunft muss staatlich garantiert werden. Der politisch-rechtliche Ruf nach der Freiheit der Feder hat seinen Ursprung demnach auch in der theoretischen Philosophie. Die Folge der Angewiesenheit der Vernunft auf ffentlichkeit: Die an die ffentlichkeit drngende Vernunft konstituiert eine ffentlichkeit des theoretischen Vernunftgebrauchs. Kant bezeichnet diese ffentlichkeit als das gelehrte gemeine Wesen. Schlussendlich aber haben wir es mit einer Gemeinschaft aller sich auf ihren Verstandesgebrauch verstehenden Individuen zu tun, nicht nur mit einer geistigen Elite, wenngleich dieser Elite eine nicht unwesentliche Vorbildfunktion zukommt. Wir alle sollen von unserer çffentlichen Vernunft çffentlich Gebrauch machen, wir alle sollen Teil werden der theoretischen ffentlichkeit – das ist es, was Kant in der Aufklrungsschrift propagiert. Das dritte Kapitel stellte insofern eine Besonderheit dar, als es sich als einziges Kapitel nicht explizit mit dem Begriff der ffentlichkeit auseinandersetzte, sondern mit der epistemischen Mçglichkeitsbedingung sowohl kollektiv-einheitlicher Erkenntnis als auch kollektiv-einheitlicher Kommunikation ber eben diese Erkenntnis und damit schlussendlich mit der Mçglichkeitsbedingung theoretischer ffentlichkeit: den Kategorien. Die reinen Verstandesbegriffe strukturieren in allen Individuen die synthetische Einheit der Apperzeption, sie sorgen dafr, dass Erkenntnis – subjektiv konstituiert, aber nach kollektiv gltigen Prinzipien – einheitliche Erkenntnis wird. Als transzendentale Grammatik sind sie zudem der Grund der menschlichen Sprache, garantieren also, dass wir auf einer gemeinsamen Grundlage kommunizieren kçnnen. Da wir es mit einem fr smtliche verstandesbegabten Individuen notwendigen Prinzip zu tun haben, das apriorische Gltigkeit beansprucht, uns also a priori im Sinne einer gemeinsamen Verstandesstruktur aufeinander verweist, wurde von transzendentaler Intersubjektivitt gesprochen. Das Ich denke, die trans-
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zendentale Einheit der Apperzeption, die in allen transzendentalen Ichs auf die identische Art und Weise zustande kommt, wurde so zum Wir denken. Das vierte Kapitel thematisierte die praktische ffentlichkeit, von Kant bezeichnet als das ethische Gemeinwesen, wie es sich in der Gemeinde der Kirche manifestiert. Das Individuum, sagt Kant, habe die Pflicht, sich zu einem solchen Reich der Zwecke als einem Gemeinwesen des praktischen Vernunftgebrauchs zusammenzuschließen, da die moralische Vollendung der Gattung nur in der Gemeinschaft geleistet werden kçnne. Auf dem Wege der Annherung an diese Idee einer praktischen ffentlichkeit – die Gemeinde begreift Kant als weltliche Manifestation dieser angestrebten ffentlichkeit als Personenkreis; die Kirche wiederum als deren Raum – erwies sich das Prinzip der ffentlichkeit als ein notwendiges Negativkriterium der Maximenprfung. Eine angeblich moralische Maxime muss çffentlich gemacht werden kçnnen, wenngleich diese Fhigkeit zur ffentlichlegung kein ausreichendes Kriterium der Moralitt, sondern nur der Legalitt einer Handlung darstellt. Das entscheidende Kriterium besteht in der umfassenden Bereitschaft, aus reiner Pflicht zu handeln. Gleichzeitig wurde Publizitt auch als das zentrale Prinzip der Religionsschrift nachgewiesen. So spricht sich Kant in seiner Ablehnung jeglichen Offenbarungsglaubens fr einen fr jedermann çffentlich nachvollziehbaren Vernunftglauben aus. Publizitt dient dabei als das Kennzeichen der Vernunftreligion. Das fnfte Kapitel schließlich bildete den Abschluss dieser Untersuchung. Zunchst wurde anhand des Geschmacksurteils nachgewiesen, dass auch das dritte der drei Kantischen Erkenntnisvermçgen, die Urteilskraft, in enger Verbindung mit dem ffentlichkeitsbegriff steht: Das sthetische Reflexionsurteil ist ein Urteil, das auf ffentlichkeit genauso angewiesen ist wie es diese konstituiert, muss sich doch der sthetisch Urteilende in seinem Urteil sowohl vermittels Standpunktwechsel als auch vermittels Mitteilbarkeit auf das Urteil aller anderen Urteilenden beziehen. Die sthetische ffentlichkeit stellt somit – nach brgerlicher, theoretischer und praktischer – die vierte und letzte von Kant thematisierte ffentlichkeit dar. Im zweiten Abschnitt des fnften Kapitels wurde dann zunchst die in der zweiten Maxime des gemeinen Menschenverstandes geforderte erweiterte Denkungsart als eine Denkungsart identifiziert, die zwar im sthetischen Reflexionsurteil auf idealtypische Weise realisiert wird, aber auch in allen theoretischen Leistungen, wenngleich sie bestimmende Urteile sind, anzutreffen sein soll, wie bereits der theoretische Standpunktwechsel im zweiten Kapitel zeigte. In der praktischen Urteilskraft ist die erweiterte Denkungsart dann nicht nur auch anzutreffen – praktische Urteilskraft ist
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vielmehr mit ihr identisch: Praktische Urteile sind reflektierende Urteile. Die Beantwortung der Frage Kann ich wollen, dass meine Maxime ein allgemeines Gesetz werde? muss begriffen werden nicht als bestimmender, sondern als ein auf die allgemeine Menschenvernunft reflektierender Vorgang. Der kommunikative Charakter der Urteilskraft – so die zentrale berlegung des letzten Kapitels – stellt demnach kein Spezifikum der dritten Kritik dar, er besttigt vielmehr den kommunikativen Charakter von erster und zweiter Kritik. Schließlich ergab sich auch eine Analogie zwischen Urteilskraft und politischen Schriften, insofern als die erweiterte Denkungsart als an sich selbst politische Denkungsart im Sinne einer pluralen Vermittlung von Ich und Wir verstanden werden kann. ffentlichkeit dient somit als eine Funktion, die das komplexe philosophische System Immanuel Kants, von den vorkritischen Trumen bis hin zu den spten politischen und geschichtsphilosophischen Schriften, miteinander verbindet. Vor diesem Hintergrund darf mit gutem Recht von einem systematischen Zusammenhang von Vernunftgebrauch und ffentlichkeit gesprochen werden. Mit einer solchen Sichtweise soll, es wurde schon in der Einleitung betont, in keiner Weise in Frage gestellt werden, dass das vernunftbegabte Ich den Kern der Kantischen Philosophie bildet. Selbstverstndlich bleibt das einzelne, singulre Individuum der Ausgangspunkt aller intelligiblen Leistungen, ist es doch gerade dieses Ich in seiner Autonomie, an das Kant appelliert, es mçge sich selbst bestimmen. Diese autonomen Leistungen, seien sie theoretischer, praktischer, sthetischer oder politischer Natur, stehen aber von Anfang an in einem interindividuellen Kontext. Die Pointe des Kantischen Individualismus liegt also gerade darin, dass der einzelne Selbst-Denkende gar nicht anders kann als çffentlich selbst zu denken. Nimmt man uns die Freiheit, unsere Gedanken çffentlich mitzuteilen, heißt es in Im Denken orientieren, so nimmt man uns unsere Freiheit zu denken. Kritisch zu bemerken gilt es, dass elementare berlegungen dieser Untersuchung sich bereits in der Literatur finden, insbesondere bei Volker Gerhardt, aber, unter anderem, auch bei Hannah Arendt, Klaus Blesenkemper, Reinhard Brandt, Torsten Liesegang, Friedrich Kaulbach und Bettina Stangneth. Der Versuch einer systematischen Darstellung des Zusammenhangs von Vernunftgebrauch und ffentlichkeit in der gesamten Philosophie Kants, ausgehend von seinen frhen Schriften ber die drei Kritiken (bei Blesenkemper kommt, wie mehrfach gesagt, die dritte Kritik nicht wirklich vor) bis hin zu den spten politischen wie ge-
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schichtsphilosophischen Abhandlungen, ist mir bisher allerdings nicht bekannt. Ein letztes Mal soll nun der Faden der Untersuchung aufgenommen werden. Zusammenfassungen schließen gerne mit einem Ausblick. Wenn es einen Ausblick gibt, der sich fr diese Arbeit geradezu aufdrngt, so ist es Kants Hoffnung auf die Entwicklung unserer natrlichen Anlagen. Denn es ist dies eine Entwicklung, die nur in der Gattung erreicht werden kann, also „kollektiv“ als „Ganzes des Menschengeschlechts“1. Nicht der einzelne an die zeitlichen Grenzen seines Lebens gebundene Mensch, sondern nur die Menschheit als solche ist zur Vervollkommnung ihrer Anlagen befhigt. In der Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbrgerlicher Absicht schreibt Kant: Da „nur in der Gesellschaft“ die „hçchste Absicht der Natur, nmlich die Entwickelung aller ihrer Anlagen, in der Menschheit erreicht werden kann“, sei das grçßte Problem des Menschen, „z u d e s s e n A u f l ç s u n g d i e N a t u r i h n z w i n g t “ , die „ E r r e i c h u n g einer allgemein das Recht verwaltenden brgerlic h e n G e s e l l s c h a f t “2, die bei Kant letztendlich – zumindest der Idee nach – immer schon als, wie es in der Anthropologie heißt, „w e l t b r g e r l i c h e G e s e l l s c h a f t “3 gedacht werden muss. Die hçchste Absicht der Natur und die Natur, die den Menschen zwingt, das ist nach Kant die Natur, die den Gang der Geschichte vorherbestimmt, die Natur, die gar einen, wie im ersten Kapitel gezeigt, Antagonism einrichtet, damit die Menschen gleichsam gezwungen werden, miteinander zu kooperieren und eine, wie Kant in der Kritik der teleologischen Urteilskraft zeigt, Kultur als gemeinsamen Raum der Entfaltung zu schaffen.4 Das Mittel, das uns zu dieser Kooperation – durch die Natur – an die Hand gegeben wird, ist unsere Vernunft. Die Vernunft ermçglicht es dem Menschen, das zu tun, was die Natur von ihm will: sich Zwecke zu setzen und so in einem ewigen Fortschritt der Gattung eben auch ber die Naturkausalitt hinauszukommen, letztendlich nicht nur in der Bildung einer (welt-)brgerlichen 1 2 3
4
Anthropologie, Bd. 12, A 332. Weltbrgerliche Absicht, Bd. 11, A 395. Vgl. KU, Bd. 10, B 394 u. Anthropologie, Bd. 12, B 319. Anthropologie, Bd. 12, A 332. In den Reflexionen zur Rechtsphilosophie heißt es: „Sich als ein nach dem Staatsbrgerrecht mit in der Weltbrgergesellschaft vereinbares Glied zu denken, ist die erhabenste Idee, die der Mensch von seiner Bestimmung denken kann und welche nicht ohne Enthusiasm gedacht werden kann“ (Reflexionen zur Rechtsphilosophie. In: Gesammelte Schriften, Bd. 19, S. 609 [8077]). Vgl. KU, Bd. 10, B 392.
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Gesellschaft, sondern, wie im vierten Kapitel gezeigt, in der Bildung eines ethischen Gemeinwesens.5 Von subjektivistischer Isolation – auch hier keine Spur. Zusammenschluss, Kooperation, Kultivierung, Sozialisation sind der Weg, den wir als vernunftbegabte Wesen notwendigerweise zu gehen haben, wollen wir unsere Anlagen entwickeln. Aber es ist ein weiter Weg und das Ziel, die Bildung des ethischen Gemeinwesens, letztendlich nur ein Ideal. Wie also kçnnen wir wissen, dass wir zumindest die richtige Richtung eingeschlagen haben? In jener bereits im letzten Kapitel in Zusammenhang mit Arendts Rezeption der dritten Kritik thematisierten Passage aus dem Streit der Fakultten stellt sich Kant genau dieser Frage: Gibt es ein Geschichtszeichen, das das Fortschreiten des Menschengeschlechts zum Besseren belegen kçnnte? Kant begreift, wie gezeigt, die Franzçsische Revolution als ein solches Zeichen. Es sind dabei allerdings, auch das wurde bereits gesagt, nicht die „von Menschen verrichteten Taten oder Untaten“, die den moralischen Fortschritt anzeigen, es ist „bloß die Denkungsart der Zuschauer, welche sich bei diesem Spiele großer Umwandlungen ç f f e n t l i c h verrt“6. Die Hervorhebung sollte ernst genommen werden! Es ist die çffentliche „ußerung“, also der in der Aufklrungsschrift geforderte çffentliche Vernunftgebrauch, der den „moralischen Charakter“ des Menschengeschlechts „beweiset“. Die Brger lassen ihre „Te i l n e h m u n g dem Wunsche nach, die nahe an Enthusiasm grenzt“, wie Kant sagt, „laut werden“, und zwar „selbst mit Gefahr, diese Parteilichkeit kçnne ihnen sehr nachteilig werden“. Kurzum: Die Existenz einer Sphre des freien, çffentlichen Vernunftgebrauchs dient Kant als das untrgliche Zeichen, dass wir den seiner Meinung nach von der Natur vorgesehenen Fortschritt zum Besseren der Menschheitsgattung in die Wege geleitet haben. ffentlichkeit ist demnach als Bildung einer praktischen ffentlichkeit nicht nur das Ziel unserer Vervollkommnung, sie ist auch deren Methode. Aus genau diesem Grund heißt es auch, ein „Ve r b o t der Publizitt“ wrde den „Fortschritt eines Volks zu Besseren“7 verhindern. Im ersten Satz seines ersten Werkes, der Schtzung der lebendigen Krfte, mit dem auch diese Arbeit begonnen wurde, hatte Kant geschrieben, er habe von dem Urteile der Welt eine so gute Meinung, dass er glaube, 5 6 7
Brandt bringt es auf den Punkt: „Der Plan der Natur ist, paradox formuliert, daß wir uns gemß unserer Natur von der Natur emanzipieren“ (Brandt, Bestimmung des Menschen, S. 19). Streit, Bd. 11, B 142, B 143 f. Streit, Bd. 11, A 153, 154.
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sein Widerspruch gegen große Mnner werde ihm nicht fr ein Verbrechen ausgelegt. Es ist vor allem die Forderung nach freier Publizitt, die damit zum Ausdruck gebracht wurde. Aber selbstverstndlich schwingt in jenen Zeilen noch etwas ganz anderes mit, die ausdrckliche Hoffnung Kants nmlich, seine çffentlich geußerte Meinung werde in der ffentlichkeit auch auf breite Resonanz stoßen. Schlussendlich sollte sich, wie wir wissen, diese Hoffnung erfllen. Zwar musste sich Kant noch einige Jahrzehnte gedulden, bis seinem Denken breite Aufmerksamkeit und vor allem Anerkennung zuteil wurde. Erst gab es keinen, dann heftigen Widerspruch, und zwar nicht nur von philosophischer Seite. Aber gerade der Versuch, jene Publizitt, die die Kantische Philosophie fr sich selbst in Anspruch nahm, weil sie unweigerlich aus ihren eigenen Prmissen, nmlich der Forderung nach freier ffentlichkeit des Vernunftgebrauchs, hervorging, zu verhindern, zeigte ja nur, wie einflussreich Kant bereits geworden war. Schlussendlich also schaffte es der kritische Fußsteig tatschlich zur, wenn auch kontrovers diskutierten, Heeresstraße. Das Urteile Welt als das Urteil der ffentlichkeit – es wird bis heute gefllt.
Literaturverzeichnis Die Werke Kants werden zitiert nach: Immanuel Kant: Werke in zwçlf Bnden. Hrsg. v. Wilhelm Weischedel, Frankfurt a. M., 1974 ff. Schriften, die nicht in den Kant-Werken enthalten sind, werden zitiert nach: Kants gesammelte Schriften. Hrsg. v. der Kçniglich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin, 1900 ff. In keiner der beiden Ausgaben enthalten: Eine Vorlesung Kants ber Ethik. Im Auftrage der Kantgesellschaft. Hrsg. v. Paul Menzer, Berlin, 1924. Folgende Abkrzungen werden verwendet (Schriften, die nur einmal zitiert werden, werden nicht abgekrzt): Anthropologie: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. Aufklrung: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklrung? Aus Menschenliebe lgen: ber ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lgen. Frieden: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf. Gemeinspruch: ber den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht fr die Praxis. GMS: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Im Denken orientieren: Was heisst: Sich im Denken orientieren? KpV: Kritik der praktischen Vernunft. KrV: Kritik der reinen Vernunft. KU: Kritik der Urteilskraft. MSR: Metaphysik der Sitten, Rechtslehre. MST: Metaphysik der Sitten, Tugendlehre. Prolegomena: Prolegomena zu einer jeden knftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten kçnnen. Religion: Die Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft. Schtzung der lebendigen Krfte: Gedanken von der wahren Schtzung der lebendigen Krfte. Streit: Der Streit der Fakultten. Trume: Trume eines Geistersehers, erlutert durch Trume der Metaphysik. Weltbrgerliche Absicht: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbrgerlicher Absicht.
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Sachregister Absolutismus/absolutistisch 11, 22, 45, 62, 123, 135 Allgemein – allgemeine Bekanntmachung 19, 23 – allgemeine Nachvollziehbarkeit 18 ff., 48 ff. – allgemeine Verkndigung 19, 25 – allgemeine Vernunft 6, 26, 59, 111, 168 ff., 187 – allgemeiner Wille 23, 26, 31 – 36, 45, 81, 119, 122, 167, 169 f., 178, 182 Allgemeinheit 10, 17, 87, 112, 117 f., 133, 164, 168, 170, 178 Antinomie 76 Apperzeption 3, 5 – Einheit der Apperzeption 8, 91 – 107, 185 f. A priori/apriorisch 8, 24, 26, 63 f., 74, 77, 85 – 109, 120, 141 ff., 157, 159, 161, 167 f., 185 Aufklrung 17, 23, 31 – 39, 46, 49, 66 f., 70, 78, 84 f., 123, 126, 181, 184 Ausspruch 58 – 61 Autonomie/autonom 2, 5, 21 f., 29, 31, 33, 84, 118, 126, 132, 144, 146, 171 f., 179, 187 Bekanntmachung 19, 23 Brger 17 – 45, 59 – 64, 67, 70, 80 – 82, 128 f., 167 – 182, 189 Brgerlicher Zustand 8, 18 f., 30 – 34, 43, 70, 79 – 82, 127 f., 179 Deduktion 90 ff., 102, 141 Demokratie/demokratisch 15, 25, 35, 41, 51, 60, 62, 66, 170 Dialektik/dialektisch 69 f., 75 f.
Dogmatik/dogmatisch 8, 46, 48 ff., 53, 55 f., 67, 69, 75 ff., 79, 101, 132, 184 Einbildungskraft 52, 141 f., 177 Einstimmung 34, 47, 49 f., 59 f., 66 ff., 75, 81, 103, 119, 141, 143, 164 Empirie/empirisch 8, 37, 47, 61 – 66, 70 – 75, 83, 87 ff., 94 f., 99, 103 – 109, 135, 141, 143, 150 – 154, 185 Erhaben 130 Erscheinung 87 f., 97, 103 Erweiterte Denkungsart 9, 51, 139, 154 – 182, 186 f. Existenz/existentiell 7, 47, 50, 57 – 62, 76 ff., 185 Freiheit 1 f., 19, 22, 32, 41 f., 55, 70, 77, 80, 110, 118, 120, 130, 140, 163, 177, 180 – des Denkens 58 f., 79, 85, 134, 187 – der Feder 169, 185 – der çffentlichen Prfung der Wahrheit 45, 79 – der Vernunft 32, 47, 57 – 70, 78 ff. Fremde Vernunft 6, 13, 47, 51 f., 67, 69, 72 f., 101 ff., 137, 155 ff., 167, 185 Gattung 37, 111 f., 121, 124 f., 130, 135, 186, 188 f. Geheim 30, 42, 51, 55 f., 73, 77, 112, 114 Geistererscheinung 48 f., 73 Gelehrtençffentlichkeit 7, 13, 33, 84 f. Gemeinde 9, 20, 22, 111, 130, 135, 186 Gemeinschaft/gemeinschaftlich 7, 9, 14 – 22, 31, 35, 49 f., 58 – 61, 81,
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Sachregister
90 f., 97, 99, 103, 118, 120 – 131, 135, 137, 140, 144, 147 – 153, 162, 167, 171, 173, 181, 183 ff. Gemeinsinn/sensus communis 9, 140 – 171 Gemeinwesen 7, 11, 13, 18, 33, 43, 111, 121 – 131, 166, 169, 172, 174, 186, 189 Gemeinwille (s. allgemeiner Wille) Gerichtshof der Vernunft 8, 53 f., 82, 110 Geschmack/Geschmacksurteil 137 – 183 Geselligkeit/gesellig 124, 149 ff. Gesellschaft/gesellschaftlich 9 ff., 17 – 43, 78, 81, 123 – 131, 138, 150 ff., 166, 169 f., 181 – 189 Gesellschaftsvertrag 16 Glauben 47 f., 72 f., 158 Gott 47, 50, 55, 77 f., 110, 130 ff., 134 Ich denke 8, 63, 91 – 109, 185 Ich und Wir 35, 118, 147, 168, 171, 187 Idee 6, 17, 25, 34 ff., 40, 47, 70 f., 75 – 78, 80, 84, 115, 119, 122, 126, 130 f., 133, 145, 152, 162, 178, 188 Imperativ, kategorischer 4, 9, 35, 64, 111 – 130, 147, 161, 173 Individuum 2, 6 f., 13, 22, 31, 62 ff., 72 ff., 82 f., 87, 89 f., 93, 95, 98, 101, 111 – 118, 125 f., 132, 144 f., 148, 151, 155, 158, 161, 168, 170 ff., 179, 184, 186 f. Intelligibel 3, 62 f., 83, 106, 116 f., 126, 153, 155, 164, 187 Intersubjektivitt/intersubjektiv 4, 6 ff., 37 f., 75, 78, 85 – 109, 119 ff., 138, 148, 150, 153 f., 164, 185 Irrtum 56, 58, 72, 103, 157 f., 160, 164 Isolation 3, 6, 97, 148 f., 189 Kategorien 8, 13, 72, 74, 85, 90 – 108, 147, 157, 163, 185 Kirche 9, 13, 17, 22, 111, 130 – 136, 186
Kollektive Einheit (s. allgemeiner Wille) Kommunikation 3 f., 7, 9, 12 f., 16, 38, 47, 51, 59 f., 71 – 76, 98 ff., 102 f., 105, 138 f., 147, 154, 157 f., 164, 184 f., 187 Kritik 8, 39, 47, 52 – 70, 75, 78 – 84, 91, 110, 123, 128, 179, 185 Kultur 37, 124, 188 Lautdenken 32, 46, 112 Laut werden 25, 131, 189 Lebenswelt 104, 106 Legalitt 9, 114 ff., 186 Maxime 5 f., 11, 23 – 30, 35, 40, 42, 110 – 122, 132, 147, 155 f., 160 – 172, 186 f. Meinen 47, 72 f., 158 Meinungsußerung 2, 11, 23, 27, 38, 78 – 82, 128, 160, 184 f. Metaphysik/metaphysisch 8, 46 – 78 , 82, 91, 103, 132, 184 Mitteilbarkeit 6, 47, 54, 70 – 78, 84, 103, 135, 140 – 158, 164, 185 f. Monologisch 4 f., 7, 54, 60, 71, 74, 100, 137, 154, 159, 164, 184 Moralitt/moralisch 5 f., 9, 24, 27, 35, 43, 64 f., 77, 110 – 135, 160 ff., 167, 172 f., 186, 189 Natur 3, 5, 7, 9, 37, 43, 76, 97, 123 f., 137 ff., 163, 188 f. Naturzustand 16, 18 f., 22, 31, 37 f., 80, 128 Nebeneinandersein 37, 98, 104, 124 Objektivitt/objektiv 5, 13, 55, 71, 74, 87 – 105, 122, 132 f., 141, 143, 145 ff., 157 ff., 173 ffentlich – çffentliche Beglaubigung 8, 46 – 52, 70, 74, 84, 133, 146, 185 – çffentliche Gesellschaft 17, 36, 129 – çffentliche Maxime 11, 23 – 30, 35, 42, 110 – 116, 121 f., 160, 163 f., 167 ff., 186 f.
Sachregister
– çffentliche Meinung 1 f., 10 f., 16 f., 22 f., 27, 33, 36 – 42, 78, 81 f., 128, 160, 169 f., 183 ff. – çffentliche Prfung 6, 45 f., 53, 55, 61, 72, 79, 103, 110, 113, 115, 134, 163 – çffentliches Rsonnement 21, 27, 38, 42, 45, 182 – çffentlicher Raum 11 f., 22, 38 f., 52, 84 f., 131, 135, 149 f., 175, 186 – çffentliches Recht (s. Recht) – çffentliches Richtmaß 53 – çffentliche Sphre 10 f., 16, 23, 38 – 42, 120 f., 126, 149, 184 – çffentlicher Streit 8, 78, 81 – çffentliches Urteil 1, 29, 54, 83, 137 – 181, 186 ff. – çffentlicher Wille 19, 34 f. ffnung 7, 111, 116, 118, 121, 145, 185 Pluralismus/plural 35, 60, 169 f., 175, 187 Politik 8, 15, 23 – 31, 35 – 45, 64 f., 78, 82, 113, 124, 129, 135, 137, 167, 170 f., 174 f., 178, 180, 184 f. Popularitt/populr 56 f. Postulat 4, 31, 43, 132 Privatbedingungen 145, 155, 157 Privaterscheinung 48, 50 Privatgesellschaft 17, 36, 129 Privatgltigkeit/privatgltig 13, 72, 89, 95, 103, 141, 143 Privatheit/privat 5, 10, 12 f., 15 – 31, 52, 72, 93, 98, 100, 112 – 119, 162 Privatmeinung 82 f. Privatstandpunkt 6 Probierstein 34, 49, 72 f., 159 f., 178 Prfstein 6, 30, 45, 47 f., 73 f., 77 f., 133 ff., 143, 158, 185 Publikum 1, 11, 16 – 38, 43, 56, 64, 66, 85, 149, 152, 176 f., 183 f. Publizitt 9, 11, 19, 23 – 42, 64 ff., 110 – 121, 134 – 136, 167 – 170, 181, 184, 186, 189 f.
203
Raum 11 f., 22, 38 f., 52, 55, 84 f., 87 – 90, 130 f., 135, 149 f., 175, 186, 188 Recht 2, 11, 18 – 31, 33, 35, 38, 41 f., 45, 58, 60 f., 65, 78, 80 ff., 113 f., 128, 132, 167, 169 f., 180, 184 f. Reich der Zwecke 7, 9, 122 – 131, 186 Rein 13, 26, 46 f., 61 – 71, 76, 86 – 95, 99, 102, 105, 114, 116, 121, 130 – 168, 185 f. Religion 22, 28, 55, 77, 123, 131, 133 – 135, 186 Schematismus 63, 157, 163 Selbstdenken 31 ff., 46, 155, 183, 187 Selbsterkenntnis 54, 103, 107 – 109 Selbstkritik (s. Kritik) Sichtbar 10, 17, 19, 22, 135, 162 Solipsismus/solipsistisch 3 ff., 54, 59, 84, 90, 95, 184 Sozialitt/sozial 37, 90, 98, 104, 116, 118 ff., 124, 137 f., 144, 154, 182 Sprache 4, 86, 96, 98, 135, 154 f., 184 f. Standpunktwechsel 46 – 52, 67 ff., 84, 103, 146, 155, 157, 165, 171, 173, 185 f. Subjektivismus/subjektivistisch 3, 5, 7, 60, 71, 84, 86, 90 f., 97, 184, 189 Subjektivitt/subjektiv 3 – 8, 13, 59, 71 ff., 86 – 101, 112, 117, 132, 141 f., 145, 148 f., 155, 157 ff., 171 ff., 184 f. Synthetisch 8, 91 – 95, 101 ff., 185 Transzendental 8, 13, 24, 61 ff., 65 f., 82 – 109, 142, 148, 152, 164, 167, 170, 185 f. bereinstimmung (s. Einstimmung) Universitt 28, 84 – 85, 175 Urteilskraft 6, 9, 63, 137 – 182, 186 f. Urvertrag (s. Vertrag) Vernunftkritik (s. Kritik) Vernunftreligion 133 – 135, 186 Verstndigung 13, 39, 45, 60, 74, 98 f., 155
204
Sachregister
Vertrag 34 ff., 40, 80 f. Volk 11, 19, 25 – 40, 66, 83, 85, 114 f., 128 ff., 160, 183, 189 Wahrheit 2, 4, 13, 45, 49, 54, 56, 67 – 70, 79, 85, 90 f., 97, 101, 133, 135, 160, 174 ff. Welt 1, 3 f., 6, 20, 33, 37 – 40, 50, 61, 63 ff., 74, 97, 99, 104 ff., 111, 116 ff., 126, 129 f., 145, 148, 169, 174 f., 179, 184 ff.
Weltbrgergesellschaft/weltbrgerlich 21, 40, 121, 174, 188 Widerstandsverbot 29 ff. Wir denken 8, 91, 95 f., 104, 186 Wissen 2, 8, 13, 45 – 53, 69, 71 – 75, 86, 101, 157 f., 185 Zeit 55, 87 – 90 Zensur 27 f., 123, 160 Zeuge 16, 48 Zuschauer 149, 172, 174 – 179, 189 Zustimmung 34, 36, 52, 73, 77, 133
Personenregister Adelung, Johannes Christoph 9 ff. Apel, Karl-Otto 3, 6, 95, 99, 184 Arendt, Hannah 12 f., 30, 52, 59, 115, 137 f., 154, 165 f., 171, 174-180, 187, 189 Aristoteles 15, 144 Beiner, Ronald 12, 14, 138, 175 Benhabib, Seyla 161, 175 Berkeley, George 144 Blesenkemper, Klaus 13 f., 61 f., 68 f., 85, 94, 100, 107, 113, 119, 123, 138 f., 164, 187 Blumenberg, Hans 14, 31, 46, 79 Bçhler, Dietrich 3, 6, 99, 184 Brandt, Reinhard 14, 26, 54, 60, 67, 73, 90, 133, 179, 187 Campe, Joachim Heinrich 9 f. Dewey, John 12 Foucault, Michel 183 Gadamer, Hans-Georg 152 Gerhardt, Volker 6, 12, 25, 37, 39, 58 f., 61, 64, 88, 91, 118 f., 138, 148, 156, 165, 180, 187 Goldenbaum, Ursula 84, 123 Habermas, Jrgen 4 ff., 12, 14, 18, 27, 33, 36, 38 f., 43, 62, 74 f., 117, 154, 184 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 2 ff., 183 Hobbes, Thomas 15, 27, 62, 80 f., 172 Hçffe, Otfried 14, 60, 64, 120 Horster, Detlef 14, 98f., 118 Husserl, Edmund 104-106 Hutter, Axel 14, 55, 82 f., 126 Jaspers, Karl 14, 59, 88, 99, 165
Kaulbach, Friedrich 14, 27, 98, 118, 125, 137, 156, 162, 172, 178, 187 Kersting, Wolfgang 19, 35 Korsgaard, Christine M. 46, 127 Liesegang, Torsten 14, 20 f., 33, 94, 119 Locke, John 15, 34, 179 Lyotard, Jean-FranÅois 152, 166, 182 Mackie, John Leslie 173 Mead, George Herbert 118 Nida-Rmelin, Julian 36, 40, 173, 180 Pieper, Annemarie 14, 99, 120 Platon 15, 60 Rawls, John 127, 173 f. Recki, Birgit 138, 161, 163 Rorty, Richard 102 Rousseau, Jean-Jacques 16, 35 Saage, Richard 14, 29, 39, 45 Sassenbach, Ulrich 14, 27, 30, 65 Schiller, Friedrich 150 Schmitt, Carl 39, 42, 123 Schtz, Alfred 104, 106 Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper, Earl of 15, 22, 144 Simmel, Georg 14, 65, 94, 97, 118, 171, 181 Simon, Josef 12 f., 73, 100-103, 155, 162 Smith, Adam 172 f. Stangneth, Bettina 14, 28, 33, 123, 125 f., 187 Swedenborg, Emanuel 48 f., 159 Tçnnies, Ferdinand 181 Tugendhat, Ernst 67, 120, 173 Vollrath, Ernst 14, 137, 166, 175, 180 Weishaupt, Adam 3, 184