I don't like Mondays: Die 66 größten Songmissverständnisse 380623485X, 9783806234855

Ob das von Amerikas Konservativen vereinnahmte 'Born in the USA' von Bruce Springsteen, der vemeintliche Kusch

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German Pages 224 [225] Year 2017

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Table of contents :
Front Cover
Titel
Widmung
Impressum
Inhalt
Vorwort
Unter falscher Flagge
1 Vor den Karren gespannt: Bruce Spring steen, Born in the U. S. A
2 Sing (bloß nicht) meinen Song! Wir sind Helden, Helene Fischer und De Höhner gegen die NPD
3 Mensch (Bieder-) Meier! Peter Fox, Haus am See
4 Weinenden Auges zur Kanzlerin: The Rolling Stones, Angie
5 The Lady is a Tramp(el): Die Toten Hosen, Tage wie diese
6 This song is (not) your song: Woody Guthrie, This Land Is Your Land
7 Same Procedure: Aerosmith, Dream On
Selektive Wahrnehmung
8 Als „Willkommenskultur" noch ein Fremdwort war: Udo Jürgens, Griechischer Wein
9 Wir lassen uns das Strahlen nicht verbieten: Timbuk 3, The Future's So Bright, I Gotta Wear Shades
10 Geht's uns nicht allen so? The Boomtown Rats, I Don't Like Mondays
11 Nicht unbedingt am Hochzeitstag spielen: The Turtles, Happy Together
12 Einmal Protestsong, immer Protestsong: Creedence Clearwater Revival, Bad Moon Rising / Have You Ever Seen the Rain / Run Through the Jungle
13 The One I Hate: R. E. M., The One I Love
Modern Stalking
14 Big Loser's Watching You! The Police, Every Breath You Take
15 „ Ach, du bist inzwischen verheiratet? Interessiert mich nicht": Adele, Someone Like You
16 Das kalkulierte Missverständnis: Falco, Jeanny
17 Ein Mord zum Schmusen: Fettes Brot, Ich lass dich nicht los
Grenzwertiges Autobiografieverständnis
18 Der Titel sagt doch schon alles. Oder? Madonna, Borderline
19 „Aber ich male doch gar keine Clowns!": Udo Jürgens, Mein Bruder ist ein Maler
20 Entziehungskur? Ach nö! Aber vielleicht wollte ich ja etwas ganz anderes sagen: Amy Winehouse, Rehab
21 Die Braut haut ins Auge: Rihanna, Unapologetic
22 Große Ich-Show eines Show-Ichs: Robin Thicke, Paula
23 Der „This song"-Kniff: Carly Simon, You're So Vain
Songs unter Generalverdacht
24 Bloß niemanden provozieren! Songs, die während des zweiten Golfkriegs nicht im Radio gespielt wurden
25 Überraschende Wende: Die Universal-Music-Compilation Songs of Change
Falsch gehört
26 „I left my brains down in Africa …": Verhörer & Co
Falscher Kontext: Songs in Werbung und PR
27 Nonverbales Missverständnis? Crash Test Dummies, Mmm Mmm Mmm Mmm
28 Unglaublich daneben: EMF, Unbelievable
29 Autos für Neandertaler: Ween, Gabrielle
30 Unfreiwillig visionär: Frida Gold, Wovon sollen wir träumen?
31 Wenn Werber in ihre anale Phase zurückfallen: Johnny Cash, Ring of Fire
Gespenster sehen
32 Wot?! Meat Loaf, I'd Do Anything for Love (But I Won't Do That)
33 Paul ist tot – ein Freispiel drin: The Beatles und die „Paul is dead"-Manie
34 Schöne Träume! The Beatles, Lucy in the Sky With Diamonds
35 Verpuffende Zusammenhänge: Peter, Paul & Mary, Puff the Magic Dragon
36 Ach, die jungen Leute, Part I: Fun, We Are Young
37 Gender Bender: Alison Krauss & Robert Plant, Let Your Loss Be Your Lesson
38 Publikumsvera****ung: Bryan Adams, Summer of '69
Wenn der Kontext fehlt
39 Ach, die jungen Leute, Part II: Mott the Hoople, All the Young Dudes
40 Können Sie Jamaika-Kreolisch? Bob Marley & The Wailers, No Woman No Cry
41 Wieso hat der Mann da einen Affen auf dem Rücken? Versteckte Drogensongs
42 „Du? Du warst gar nicht gemeint …": Lobpreisungen und versteckte Hommagen
43 San Remo singen und sterben: Luigi Tenco, Ciao amore, ciao
44 Schäm, schäm, schäm! France Gall, Les Sucettes
Moderne Mythen
45 Wer ist da mit dem Flugzeug abgestürzt? James Taylor, Fire and Rain
46 Wer ist da aus dem Fenster gesprungen? Tom Petty, American Girl
47 Wer ist da ertrunken? Phil Collins, In the Air Tonight
48 Mauerente: David Hasselhoff, Looking for Freedom
Ideologischer Wahn und Verschwörungstheorien
49 Fanatisch missionarisch: John Rockwell, Trommelfeuer
50 Den Verstand an der Rezeption abgegeben: The Eagles, Hotel California
51 Als könnten Songs Kriege entscheiden: Trio Lescano, Tulipan
52 Die Antwort, mein Freund, kennt nur der Abfalleimer: Bob Dylan – Killermüllologen greifen an
53 Tödliche Verblendung: Die Manson-Morde
Frauenfeindlichkeit geht anders
54 Man wird doch wohl mal ausrasten dürfen: The Beatles, Run for Your Life
55 „Sometimes I feel so lonesome I could die …": Neil Young, A Man Needs A Maid
56 Kann denn Tierschutz Sünde sein? Maroon 5, Animals (Video)
Feindliche Übernahme
57 Wenn der Bandname unfreiwillig Programm wird: Geier Sturzflug, Bruttosozialprodukt
58 Gib das wieder her! Die Ärzte, Männer sind Schweine
59 Wie man sich falsche Freunde macht: The Cure, Killing An Arab
Songs am Pranger
60 Ein Schauprozess, der nach hinten losging: Judas Priest, Better By You, Better Than Me
61 Gar kein übler Stoff: Pulp, Sorted for E's and Wizz
62 Unerklärliche Mutationen: Erste Allgemeine Verunsicherung, Burli
63 Angeklagt – aber erst Jahre später: Sniper, La France
64 Tanz den Faschismusvorwurf: D. A. F., Der Mussolini
65 Ironie? Welche Ironie?! Randy Newman, Short People
Einer geht noch: Quentin Tarantino und die große Kunst des Songmissverstehens
66 Schlechtes Zuhören gefährdet die Gesundheit: Madonna, Like A Virgin
Literatur/Quellen
Über den Autor
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I don't like Mondays: Die 66 größten Songmissverständnisse
 380623485X, 9783806234855

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Michael Behrendt

I Don’t Like Mondays Die 66 größten Songmissverständnisse

Für Sanne

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Der Konrad Theiss Verlag ist ein Imprint der WBG. © 2017 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Dieses Manuskript wurde vermittelt von Wildner Kulturmanagement, Wien. Lektorat: Klaus Winninger, Salzburg Satz: Martin Vollnhals, Neustadt a. d. Donau Einbandabbildung und Einbandgestaltung: Christian Hahn, Babenhausen Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-3485-5 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8062-3509-8 eBook (epub): 978-3-8062-3510-4

Inhalt

Vorwort

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Unter falscher Flagge 1 Vor den Karren gespannt: Bruce Spring­steen, Born in the U.S.A.

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2 Sing (bloß nicht) meinen Song! Wir sind Helden, Helene Fischer und De Höhner gegen die NPD . . . . . . . . 24 3 Mensch (Bieder-)Meier! Peter Fox, Haus am See

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4 Weinenden Auges zur Kanzlerin: The Rolling Stones, Angie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 5 The Lady is a Tramp(el): Die Toten Hosen, Tage wie diese

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6 This song is (not) your song: Woody Guthrie, This Land Is Your Land

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7 Same Procedure: Aerosmith, Dream On

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33

Selektive Wahrnehmung 8 Als „Willkommenskultur“ noch ein Fremdwort war: Udo Jürgens, Griechischer Wein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 9 Wir lassen uns das Strahlen nicht verbieten: Timbuk 3, The Future’s So Bright, I Gotta Wear Shades . 39 10 Geht’s uns nicht allen so? The Boomtown Rats, I Don’t Like Mondays

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41 5

Inhalt

11 Nicht unbedingt am Hochzeitstag spielen: The Turtles, Happy Together . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 12 Einmal Protestsong, immer Protestsong: Creedence Clearwater Revival, Bad Moon Rising / Have You Ever Seen the Rain / Run Through the Jungle . . 46 13 The One I Hate: R.E.M., The One I Love

. . . . . . . . . . . . .

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. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

Modern Stalking 14 Big Loser’s Watching You! The Police, Every Breath You Take

15 „Ach, du bist inzwischen verheiratet? Interessiert mich nicht“: Adele, Someone Like You . . . . . . . . . . . . . . . . 51 16 Das kalkulierte Missverständnis: Falco, Jeanny

. . . . . . .

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17 Ein Mord zum Schmusen: Fettes Brot, Ich lass dich nicht los . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

Grenzwertiges Autobiografieverständnis 18 Der Titel sagt doch schon alles. Oder? Madonna, Borderline . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 19 „Aber ich male doch gar keine Clowns!“: Udo Jürgens, Mein Bruder ist ein Maler . . . . . . . . . . . . . . 65 20 Entziehungskur? Ach nö! Aber vielleicht wollte ich ja etwas ganz anderes sagen: Amy Winehouse, Rehab . . . . 68 21 Die Braut haut ins Auge: Rihanna, Unapologetic

. . . . . . .

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22 Große Ich-Show eines Show-Ichs: Robin Thicke, Paula . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 23 Der „This song“-Kniff: Carly Simon, You’re So Vain 6

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Inhalt

Songs unter Generalverdacht 24 Bloß niemanden provozieren! Songs, die während des zweiten Golfkriegs nicht im Radio gespielt wurden . . . . 89 25 Überraschende Wende: Die Universal-MusicCompilation Songs of Change . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

Falsch gehört 26 „I left my brains down in Africa …“: Verhörer & Co

. . .

94

Falscher Kontext: Songs in Werbung und PR 27 Nonverbales Missverständnis? Crash Test Dummies, Mmm Mmm Mmm Mmm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 28 Unglaublich daneben: EMF, Unbelievable

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29 Autos für Neandertaler: Ween, Gabrielle 30 Unfreiwillig visionär: Frida Gold, Wovon sollen wir träumen?

31 Wenn Werber in ihre anale Phase zurückfallen: Johnny Cash, Ring of Fire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Gespenster sehen 32 Wot?! Meat Loaf, I’d Do Anything for Love (But I Won’t Do That) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 33 Paul ist tot – ein Freispiel drin: The Beatles und die „Paul is dead“-Manie

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34 Schöne Träume! The Beatles, Lucy in the Sky With Diamonds

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112 114

7

Inhalt

35 Verpuffende Zusammenhänge: Peter, Paul & Mary, Puff the Magic Dragon

. . . . . . . . . . .

36 Ach, die jungen Leute, Part I: Fun, We Are Young

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37 Gender Bender: Alison Krauss & Robert Plant, Let Your Loss Be Your Lesson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 38 Publikumsvera****ung: Bryan Adams, Summer of ’69 . . 123

Wenn der Kontext fehlt 39 Ach, die jungen Leute, Part II: Mott the Hoople, All the Young Dudes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 40 Können Sie Jamaika-Kreolisch? Bob Marley & The Wailers, No Woman No Cry . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 41 Wieso hat der Mann da einen Affen auf dem Rücken? Versteckte Drogensongs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 42 „Du? Du warst gar nicht gemeint …“: Lobpreisungen und versteckte Hommagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 43 San Remo singen und sterben: Luigi Tenco, Ciao amore, ciao . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 44 Schäm, schäm, schäm! France Gall, Les Sucettes

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Moderne Mythen 45 Wer ist da mit dem Flugzeug abgestürzt? James Taylor, Fire and Rain . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 46 Wer ist da aus dem Fenster gesprungen? Tom Petty, American Girl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 47 Wer ist da ertrunken? Phil Collins, In the Air Tonight . . 145 48 Mauerente: David Hasselhoff, Looking for Freedom 8

. . .

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Inhalt

Ideologischer Wahn und Verschwörungstheorien 49 Fanatisch missionarisch: John Rockwell, Trommelfeuer

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

149

50 Den Verstand an der Rezeption abgegeben: The Eagles, Hotel California . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 51 Als könnten Songs Kriege entscheiden: Trio Lescano, Tulipan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 52 Die Antwort, mein Freund, kennt nur der Abfalleimer: Bob Dylan – Killermüllologen greifen an . . . . . . 160 53 Tödliche Verblendung: Die Manson-Morde

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Frauenfeindlichkeit geht anders 54 Man wird doch wohl mal ausrasten dürfen: The Beatles, Run for Your Life . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 55 „Sometimes I feel so lonesome I could die …“: Neil Young, A Man Needs A Maid . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 56 Kann denn Tierschutz Sünde sein? Maroon 5, Animals (Video) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

Feindliche Übernahme 57 Wenn der Bandname unfreiwillig Programm wird: Geier Sturzflug, Bruttosozialprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 58 Gib das wieder her! Die Ärzte, Männer sind Schweine

. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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59 Wie man sich falsche Freunde macht: The Cure, Killing An Arab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

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Inhalt

Songs am Pranger 60 Ein Schauprozess, der nach hinten losging: Judas Priest, Better By You, Better Than Me

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185

61 Gar kein übler Stoff: Pulp, Sorted for E’s and Wizz . . . . 191 62 Unerklärliche Mutationen: Erste Allgemeine Verunsicherung, Burli

. . . . . . . . . . . . .

193

63 Angeklagt – aber erst Jahre später: Sniper, La France . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 64 Tanz den Faschismusvorwurf: D.A.F., Der Mussolini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 65 Ironie? Welche Ironie?! Randy Newman, Short People

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Einer geht noch: Quentin Tarantino und die große Kunst des Songmissverstehens 66 Schlechtes Zuhören gefährdet die Gesundheit: Madonna, Like A Virgin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Literatur/Quellen Über den Autor

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Vorwort Die Rockmusik schreibt seltsame Geschichten … Mit Juliet, seinem sechsten Studioalbum, veröffentlichte der amerikanische Singer-Songwriter Tucker Crowe im April 1986 sein Meisterstück. Für große Teile des Publikums war klar: In den zehn Songs der Platte verarbeitet Crowe seine Liebesbeziehung zu dem Model und It-Girl Juliet Beatty – von der hoffnungsvollen ersten Begegnung bis hin zur schmerzvollen Trennung. Das Album wurde von der Kritik im Lauf der Zeit auf eine Stufe mit Bob Dylans Blood on the Tracks oder Bruce Spring­ steens Tunnel of Love gestellt und genießt heute Kultstatus. Da Tucker Crowe wenig später aus unerklärlichen Gründen in der Versenkung verschwand, rankten sich mehr als zwei Jahrzehnte lang die aberwitzigsten Legenden und Theorien um ihn und sein letztes Werk. Am Leben gehalten wurde dieser groteske Kult vor allem von einer kleinen Gruppe selbst ernannter „Crowologen“, die auf dem von Duncan Thompson, einem Engländer, betriebenen Internetportal „Can Anybody Hear Me?“ regelmäßig Beiträge veröffentlichten. Zu ihren Spezialitäten gehörten immer wieder neue Auslegungen der in den Lyrics reichlich platzierten Metaphern und Bilder. Bis Tucker Crowe eines schönen Tages wieder auftaucht, sämtliche Geschichten um seinen Lebenswandel für Unsinn erklärt und dem schockierten Thompson offenlegt, dass Juliet auf Lügen und Selbsttäuschungen beruhe – kurz: dass das vermeintlich tief empfundene Trennungsalbum „ein einziger großer Scheiß“ und jede Textdeutung reine Zeitverschwendung sei … 11

Vorwort

Tucker Crowe? Juliet? Nie gehört? Wie auch, denn es gibt sie gar nicht. Tucker Crowe und Juliet sind reine Erfindungen des britischen Schriftstellers Nick Hornby und bilden das inhaltliche Zentrum seines 2009 veröffentlichten Romans Juliet, Naked. Darin geht es um komplizierte Beziehungsgeschichten, aber eben auch darum, wie sich übereifrige Fans in einer Mischung aus extremer Selbstverliebtheit und krankhafter Projektion zu den abstrusesten Theorien über ihren Lieblingskünstler und seine Songs versteigen. Nick Hornbys fiktive Geschichte bringt die Auswüchse des fahrlässigen Nicht-richtig-Hinhörens und mutwilligen Lieder-auf-denKopf-Stellens süffisant auf den Punkt – ein passender Einstieg in eine Betrachtung über Songmissverständnisse.

Versteh mich nicht falsch, verstanden?! Don’t Let Me Be Misunderstood heißt ein alter Bluessong von Nina Simone, den die Animals bekannt und Santa Esmeralda weltberühmt gemacht haben. Darin erzählt eine gequälte Seele von ihren Launen und Stimmungsschwankungen und davon, dass manchmal ihre schlechten Seiten zum Vorschein kommen: einfach so oder weil der Alltag Probleme macht. Das kann dann auch schon mal gemein oder gar bösartig werden. Aber: Sie habe doch nur gute Absichten und sei wirklich voller Zuneigung, beteuert diese Seele, und deshalb solle die geliebte Person kein falsches Bild von ihr haben. „Don’t let me be misunderstood“, das könnte auch mancher Song dem Publikum zurufen. Denn nicht nur in Nick Hornbys Roman, sondern auch in der Wirklichkeit kommt es immer wieder vor, dass Hörerinnen und Hörer ein völlig falsches Bild von diesem Song haben. Mit dem Unterschied, dass der Song zuvor keine Launen oder Stimmungsschwankungen gezeigt hat, erst recht keine schlechten Seiten. Im Gegenteil: Eigentlich hat er direkt und unmissverständlich klargemacht, worum es ihm geht – hat konkrete Gefühle geschildert, spannende Geschichten erzählt, eine ganz bestimmte Haltung formuliert. 12

Für Missverständnisse gibt es Gründe

Für Missverständnisse gibt es Gründe Was läuft schief, wenn wir etwas missverstehen? Eine Frage, die sich nicht erst im Zeitalter der Hitparaden stellt. Schon seit Jahrhunderten sind ihr Dichter und Denker auf der Spur, mit den unterschiedlichsten Ergebnissen. „Keiner versteht den anderen ganz, weil keiner beim selben Wort genau dasselbe denkt wie der andere“, hat zum Beispiel der große Johann Wolfgang von Goethe erkannt. Damit hat er nicht etwa die mögliche Doppel- oder gar Vieldeutigkeit von Wörtern gemeint, sondern die individuellen Vorstellungen, die ein jeder Mensch mit bestimmten Begriffen und Zusammenhängen verbindet. Und warum ist das so? Weil unsere Herkunft, die Zusammenhänge, in denen wir leben, und unsere ganz persönlichen Erfahrungen unser Verständnis prägen. So verbindet möglicherweise jemand, der in einer Diktatur lebt, mit dem Titel Don’t Let Me Be Misunderstood etwas ganz anderes als jemand, der am Strand in Florida gerade dabei ist, sich frisch zu verlieben. Franz Kafka wiederum hat in seinem Roman Der Prozess einen merkwürdigen Satz geschrieben: „Richtiges Auffassen einer Sache und Mißverstehen der gleichen Sache schließen einander nicht vollständig aus.“ Das ist eine schon in sich missverständliche Aussage. Unter anderem macht sie klar, dass sich manche Zusammenhänge, manche Erzählungen einfach nicht eindeutig erschließen lassen. Sie sind bereits von Grund auf zwiespältig. Rätselhaft. Und so ist jede seriöse Interpretation ebenso richtig wie falsch. Wer danach sucht, findet weitere Sinnsprüche, die erklären, wie Missverständnisse funktionieren. „Die größten Missverständnisse entstehen durch Irrtümer“, lautet einer von ihnen. Dass die Urheberschaft dieser Sentenz ungeklärt ist, macht sie nicht weniger wahr. Denn manchmal stehen wir als Missverstehende eben einfach auf der Leitung, liegen gewaltig daneben. „Röster-Däpfel“ interpretierte ich neulich die Beilagennennung auf der Speisekarte eines Restaurants. Gemeint sind natürlich „Röst-Erdäpfel“, schließlich frönt das Lokal der österreichischen 13

Vorwort

Küche. Doch das muss man aus „Rösterdäpfel“ zwischen all dem Fleisch, Salat und Gemüse erst mal herauslesen! Aber macht nichts, Irrtümer können passieren. Gravierender ist da schon der Zusammenhang, den ein Autor namens Karl Talnop auf verschiedenen Websites formuliert: „Vermeidbare Missverständnisse entstehen oft dadurch, dass wir zu gern nur das verstehen, was wir verstehen wollen.“ Gemeint sind Phänomene wie die Projektion persönlicher Sichtweisen auf einen Text und das Ausblenden unliebsamer Aspekte, die unsere Sichtweise stören. Man versteht eben, was man verstehen will – und wird damit unter Umständen dem Text überhaupt nicht gerecht. In seiner extremen Form mündet dieses Phänomen in bizarre Hirngespinste, bis hin zu sogenannten „urban legends“, zu Deutsch: „modernen Mythen“, und Verschwörungstheorien. Mehrdeutigkeit und persönliche Befindlichkeiten. Simples Irren und eine fundamentale Rätselhaftigkeit. Ausblenden. Projizieren … All das kommt auch beim Hören und Verstehen von Songs zum Tragen. Und es gibt weitere Mechanismen, die sich zwischen uns und den Song stellen können. Ein Code beispielsweise, den nur Eingeweihte verstehen. Wer diesen Code nicht kennt, muss – wie viele Erwachsene, die die Sex- und Drogenanspielungen der noch jungen Rockmusik der Sechzigerjahre nicht kapierten – das Gesagte missverstehen. Und manchmal ist es auch einfach der Faktor Zeit, der das Missverständnis für sich arbeiten lässt: So können spätere Generationen die ursprünglichen Bedeutungsebenen und versteckten Anspielungen eines musikalischen Werks manchmal nicht mehr nachvollziehen, weil seine Entstehungsgeschichte und die damaligen Zeitumstände kaum noch bekannt sind.

Falsch verstehen: ein Mechanismus mit Tradition Ganz klar: Das Spiel mit Bedeutungen, das gewollt oder ungewollt zu Missverständnissen beim Publikum führt, ist nicht erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfunden worden. Es 14

Falsch verstehen: ein Mechanismus mit Tradition

kennzeichnet schon frühere Jahrzehnte und Jahrhunderte, ja sogar schon das Mittelalter. Teilweise resultierten Missverständnisse damals aus der Tatsache, dass Lieddichter sich auf Gepflogenheiten anderer Länder bezogen und Bedeutungsebenen anlegten, die ihr eigentliches Publikum einfach nicht nachvollziehen konnte. So verweist Anton Touber auf ein Stück des mittelalter­ lichen Dichters Heinrich von Veldeke, in dem dieser ein französisches Lied von Jaufre Rudel und die darin vorkommende romanische Tradition der Fernliebe, der amour de loin, parodierte. Für diese Parodie jedoch waren deutsche Ohren taub: Aber war Veldekes Publikum wirklich imstande, diese Hinweise auf die romanischen Elemente nachzuvollziehen? Veldeke hatte das okzitanische oder französische Lied gehört oder gelesen; die Minnesänger vor Veldeke erwähnen die Fernliebe nicht. Wir haben es hier zu tun mit einem Phänomen, das öfter im deutschen Minnesang –  und im übrigen Europa  – vorkommt: die doppelte Rezeption des romanischen Gutes: die des deutschen Dichters und die seines Publikums. Der Dichter hörte oder las die okzitanischen oder französischen Lieder. Die Mehrheit des Publikums hat diese Bedeutungsvielfalt nicht erkannt; nur eine kleine Gruppe durchsah den doppelten Boden der Lieder.

Aber auch die spätere sogenannte „Kunstmusik“ barg Missverständnispotenzial, und das nicht erst in der Rückschau vom 21.  Jahrhundert aus. Die Tricks und Kniffe der Komponisten dienten dazu, auch Teile des zeitgenössischen Publikums zu verwirren und zu Missverständnissen zu verleiten. Es waren vor allem Codes und versteckte Andeutungen, die hier zum Einsatz kamen, oftmals mit politischen Intentionen. So wurde etwa Ludwig van Beethoven vielfach für den verrückten 4. Satz seiner 1811/12 entstandenen 7. Sinfonie gerügt. Das Fehlen eines klaren Motivs und das fast schon karnevaleske Auf und Ab der Musik verstanden etliche Zeitgenossen als das misslungene Werk eines Unglücklichen oder, noch schlimmer, eines Irren. Dabei dürfte es sich unterschwellig um einen von Wellingtons Sieg über 15

Vorwort

­ apoleon inspirierten Aufruf des Komponisten zur Befreiung N der Völker gehandelt haben. Von Dmitri Schostakowitsch weiß man, dass er nach seiner „sex & crime“-lastigen Oper Lady Macbeth unter Druck des ­stalinistischen Regimes stand – und sich wenig später, 1937, mit seiner 5. Sinfonie rehabilitierte. Das Werk war so konventionell und so harmonisch strukturiert, dass auch der Staat zufrieden war. „Der Erfolg des Werkes“, schreibt Annelis Berger auf der Website des SRF – Schweizer Radio und Fernsehen, … … war berauschend: Jubelnd erhob sich das Publikum nach der Premiere, öffentlich hiess es, Schostakowitsch sei endlich seine früheren Fehler losgeworden und beschreite einen neuen Weg, werde ein grosser sowjetischer Künstler, seine Sprache sei jetzt klar und einfach.

Was viele nicht bemerkten, regelrecht missverstanden: Gerade der Schluss des Werkes war so übertrieben komponiert, dass man ihn nicht wirklich ernst nehmen konnte. So funktionieren Zynismus und Ironie. Noch einmal Annelis Berger: Das Licht, die Erlösung, ist der Schluss: ein glorioser Marsch, mit fortissimo schabenden Geigen, donnernden Pauken, jaulendem Blech. Den Jubel hat Schostakowitsch derart inszeniert, dass es schon fast wehtut. Ätzend, diese Lautstärke, erbarmungslos, diese Achtel, geschunden, die Membran der Pauke unter diesen Quarten-Schlägen. (…) Die Frage ist nur: Warum hat das Publikum damals gejubelt? Hat es sich tatsächlich vom Taumel dieses Schlusses verführen lassen? Oder hat es intuitiv gemerkt, dass da einer versucht, den Oberen ein Schnippchen zu schlagen, indem er den Jubel zur Farce verkommen lässt?

Auch Franz Schubert legte in seinen Gedichtvertonungen unterschiedliche Bedeutungsebenen an, die zu unterschiedlichen Analyseansätzen und Missverständnissen führten. Das gilt nicht nur für die Vertonung von Goethes beunruhigend ambivalentem Heidenröslein, sondern auch für die musikalische Umsetzung der Gedichte von Wilhelm Müller. So heißt es im „Kammermu16

Noch mehr Missverständnisse

sikführer“ von Villa Musica Rheinland-Pfalz zu dem 1827 komponierten Liederzyklus Winterreise: Heute ist die Winterreise ein Denkmal des Kunstliedes, ein Standard, für den man die Erregung der ersten Hörer und des Komponisten erst wieder kreieren muß. Denn natürlich ist der Zyklus in den 170 Jahren seit seiner Entstehung von Deutungen und Interpretationstraditionen überlagert worden. Ihr Bogen reicht von einer Auffassung als politische Parabel des Metternich-Regimes bis zur vordergründigen Interpretation als romantische Liebesgeschichte.

Zu ergänzen wäre hier noch die Ebene der Auseinandersetzung Schuberts mit dem bevorstehenden eigenen Tod. Und wenn in einem Lied wie Mut Text und Musik von der Stimmung her ­völlig gegensätzlich angelegt sind, dann lässt das nicht nur auf ein mutwilliges Irritieren des zeitgenössischen Publikums schließen, sondern weist auch schon auf die Missverständnisse voraus, die die Rezeption mancher Songs des ausgehenden 20. Jahrhunderts und der heutigen Zeit prägen.

Noch mehr Missverständnisse Diese Beispiele unterstreichen: Es gibt mehr Ursachen für Songmissverständnisse, als man denkt. Und es lassen sich problemlos weitere hinzufügen. Mangelnde Fremdsprachenkompetenz beispielsweise – oder schon das Nichtverstehen eines Dialekts. So weiß von den vielen deutschsprachigen Menschen, die kein Kölsch beherrschen, wahrscheinlich kaum jemand, worum es in Verdamp lang her, dem 1981 veröffentlichten Evergreen der Gruppe BAP, wirklich geht. Klar, mit „Verdammt lang her“ konnten alle Hörer irgendwie den Refrain übersetzen und dabei wehmütig an den letzten Besuch bei guten Freunden, an den Traumurlaub in Italien, den ersten Kuss, die letzte Meisterschaft des Lieblingsteams oder den schon ewig zurückliegenden größten persönlichen Erfolg denken. Ach, weißt du noch …, etwas in 17

Vorwort

der Art. Doch in tiefster rheinischer Mundart dahingenuschelte Verse wie „Ich jläuv, ich weiß, ob du nu laut mohls oder leis / Et kütt drop ahn, dat du et deiß“ dürften sich letzlich nur waschechten Domstädtern tatsächlich erschlossen haben. „Ich war in ein winziges Kaff in Franken geflüchtet, wo ich am Rosenmontag Ruhe fand, ein Lied über meinen im Vorjahr verstorbenen Vater zu schreiben“, klärt BAP-Sänger Wolfgang Niedecken 35 Jahre später in einem Interview mit der Zeitschrift „GALORE“ auf. „Der Text besteht aus Bruchstücken eines Gesprächs, das ich gerne noch mit ihm geführt hätte. (…) Es ist schon interessant, wie anders das Lied in den Jahrzehnten danach von den meisten wahrgenommen wurde. Als nostalgische Hymne – und nicht als eine Erinnerung an einen gerade verstorbenen Vater.“ Die wahren Hintergründe der Lyrics von Verdamp lang her sind an sich schon komplex genug – in hartem Dialekt wirken sie endgültig kryptisch. Zu den wichtigsten Ursachen für Songmissverständnisse gehört jedoch die selektive Wahrnehmung. Selek… wie bitte?! Gemeint ist auswählendes Hören. Das ist etwa dann der Fall, wenn uns der Refrain eines Stücks dermaßen ins Ohr geht, dass wir die Strophen überhaupt nicht mehr zur Kenntnis nehmen – und somit überhören, dass diese etwas gänzlich anderes, manchmal völlig Gegenteiliges formulieren. Aber Schwamm drüber, auch das ist menschlich und kann passieren. Fast möchte man sagen: Selbst dran schuld, lieber Song, warum prügelst du uns auch gerade diese Refrainverse so ins Ohr! Problematischer wird es, wenn man zwar sämtliche Textteile eines Songs wahrnimmt und unmittelbar versteht, sie aber bedingungslos als 1:1-Abbildung der Gedanken und Gefühle des Songschreibers auffasst, als autobiografisch. Wir erinnern uns: die selbst ernannten „Crowologen“ im eingangs erwähnten Roman von Nick Hornby! Die Gründe für diese Art von Projektion sind verschieden. Entweder fühlt man sich einem Idol sehr nahe und sehnt sich vielleicht sogar nach ihm, will den Menschen dahinter durch und durch verstehen. Oder man hat einfach Lust an detektivischer Kleinarbeit, am vitabezogenen 18

Look what they’ve done to my song

S­ pekulieren. In jedem Fall versucht man, nahezu alle Lyrics eines Künstlers zu nahezu allen biografischen Infos, die es über ihn gibt, in Beziehung zu setzen. Dann interpretiert man ein kryptisches Sprachbild als Anspielung auf den letzten Skandal, ein Liebeslied als Ode an diese oder jene konkrete Verflossene, einen zynischen Zweizeiler als Abrechnung mit den Medien – und lässt die eigentlichen Bedeutungsebenen völlig außer Acht. Dabei kennt man den Star doch überhaupt nicht persönlich, hat nicht den geringsten Einblick in sein Seelenleben. Und längst ist unter Songdeutern Konsens, dass Songs zwar autobiografische Bezüge aufweisen können, in erster Linie aber Kunstprodukte sind. Nicht mehr und nicht weniger. Besonders problematisch, weil folgenschwerer für die Öffentlichkeit wird es allerdings, wenn ein Hit in vollster Absicht missverstanden wird. Wenn selektive Wahrnehmung und Projektion ganz bewusst erfolgen, um seine Botschaft für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Die Rede ist von der Vereinnahmung eines Songs aus politischen, aus ideologischen Gründen. In der krankhaften Extremvariante glaubt ein Hörer, der Song spreche unmittelbar zu ihm – und enthalte sogar konkrete Handlungsanweisungen …

Look what they’ve done to my song All diese Arten von Missverständnissen, von denen einige schon Züge einer Misshandlung haben, kommen in den 66 kleinen Songgeschichten und -betrachtungen auf den nächsten Seiten zur Sprache: lose thematisch gegliedert und verständlich präsentiert. „Look what they’ve done to my song, Ma“, sang Melanie bereits 1971 und fügte hinzu: „It’s the only thing I could do ­alright, and they turned it upside down.“ Auf Deutsch etwa: „Sieh nur, was sie mit meinem Song gemacht haben, Ma. Es ist das Einzige, was ich sehr gut kann, und sie haben’s mir völlig auf den Kopf gestellt.“ Look What They’ve Done to My Song, Ma ist ein merkwürdiger Gassenhauer, den man auch als irritierten 19

Vorwort

Kommentar zu den Mechanismen der Musikindustrie und zum Startum im Zeitalter der Massenmedien auffassen kann – aber keineswegs muss. Vielleicht hat Melanie ja schon damals vorausgesehen, was Radio-DJs und Kritiker, Politiker und Psychologen, Jugendforscher und Fans in den nächsten Jahren und Jahrzehnten verschiedensten Songs antun würden. Und damit nicht genug: Manchmal sind es sogar die Autoren selbst, die mit ihrem Song unsanft umgehen – oder gar ein gestörtes Verhältnis zu ihm haben. Eine Compilation der musikalischen Missverständnisse – mit dem einen oder anderen bekannten Beispiel, aber auch mit einigen Überraschungen: zum Schmunzeln, Staunen und Gruseln.

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Unter falscher Flagge 1 Vor den Karren gespannt: Bruce Spring­steen, Born in the U.S.A. In den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts brachte Amerika einen seiner größten Rockstars hervor: Bruce Spring­ steen aus Freehold, New Jersey. Inspiriert von Bob Dylan, den ­Beatles und den Rolling Stones, begann der charismatische Sänger, Gitarrist und Songwriter mit bilderreichen Songs über das Erwachsenwerden und die Sorgen einfacher Arbeiter. Nach weltweiten Hits wie Born to Run und Hungry Heart schrieb Spring­ steen zunehmend düstere, skeptische Lyrics über Außenseiter und Verlierer des Systems USA. Auch weil er die Anti-Atomkraft-Bewegung unterstützte, zum Beispiel durch die Mitwirkung beim „No Nukes“-Festival 1979, galt er nicht wirklich als Stimme des konservativen Amerika. Umso spektakulärer geriet die respektlose Vereinnahmung seines 1984 erschienenen Hits Born in the U.S.A. – Es ist eines der schlimmsten Songmissverständnisse aller Zeiten, weil hier höchste politische Stellen involviert waren und eine amerikakritische Antihymne zur patriotischen Hymne umfunktionierten. Vor allem der feierlich-bombastische Charakter der Musik, die einen sarkastischen Kontrapunkt zum deprimierenden Textinhalt setzt, erwies sich dabei für den Künstler als Bumerang. Aber der Reihe nach … Das Stück erzählt von einem jungen Mann, der sich ohne Perspektiven in einer „Stadt der Toten“, einer wirtschaftlich schwachen Region der USA, durchs Leben schlägt – und statt „durchs Leben schlägt“ könnte man auch sagen: „durchs Leben geschlagen wird“. Die Tritte und Hiebe, die er erleiden muss, sind 21

Unter falscher Flagge

s­owohl wörtlich als auch im übertragenen Sinn zu verstehen, und wie ein geprügelter Hund versucht er irgendwann nur noch, sich durchzumogeln: „Born down in a dead man’s town / The first kick I took was when I hit the ground / You end up like a dog that’s been beat too much / Till you spend half your life just covering up.“ Als er einmal ganz tief in der Klemme sitzt, wahrscheinlich wegen eines kleinen Vergehens, ist die Armee der einzige Ausweg: „Got in a little hometown jam / So they put a rifle in my hand / Sent me off to a foreign land / To go and kill the yellow man.“ Der Song erzählt also alles andere als eine Heldengeschichte, sondern rollt vielmehr ein trauriges Schicksal auf. Es geht um Männer ohne Zukunft, die der Armee als menschliches Material dienen. Nachdem der junge Mann, den schon die ersten Verse als Antihelden zeichneten, in Vietnam nichts anderes gemacht hat, als zu töten, kehrt er in seine Heimat zurück. Dort aber bleibt ihm die Chance versagt, ein neues, normales Leben als Arbeiter in der örtlichen Raffinerie zu beginnen. Auch der Kriegsveteranenbetreuer vom Department of Veterans Affairs kann ihm nicht helfen: „Come back home to the refinery / Hiring man says ‚Son if it was up to me.‘ / Went down to see my V. A. man / He said ‚Son don’t you understand now.‘“ So bleibt der Protagonist allein mit seinen widersprüchlichen Kriegserinnerungen – an sinnlose Schlachten wie die in Khe Sanh und an die letztlich nicht zu verwirklichende Illusion von einem anderen Leben, zum Beispiel mit einer vietnamesischen Frau. Ein Kamerad – ein Waffenbruder, ein Bruder im Geiste – hatte sich im Krieg verliebt und war gefallen, der Vietkong wurde nicht besiegt. Ein Foto mit der Geliebten ist das Einzige, was an den toten Freund erinnert: „Had a brother at Khe Sanh / Fighting off the Viet Cong / They’re still there he’s all gone / He had a woman he loved in Saigon / I got a picture of him in her arms now.“ Am Ende findet sich der Protagonist im Schatten der Strafanstalt, vor den Toren der Raffinerie wieder, offenbar obdachlos. Seit zehn Jahren schon streift er ziellos umher, ohne ein Zuhause – und ohne eine Zukunft: „Down in the shadow of the peniten22

Bruce Spring­steen, Born in the U.S.A.

tiary / Out by the gas fires of the refinery / I’m ten years burning down the road / Nowhere to run, ain’t got nowhere to go.“ Im Refrain des Songs heißt es nüchtern: „Born in the U.S.A. / I was born in the U.S.A.“ Doch indem dieser Refrain – wie die Strophen – atemlos herausgebrüllt wird, erweist er sich, erst recht vor dem Hintergrund des geschilderten Schicksals, als bittere Anklage. Der Ton ist ein völlig anderer als jener der amerikanischen Nationalhymne, die stolz das Sternenbanner feiert, als Symbol für das Land der Freien, die Heimat der Tapferen: „’Tis the star-spangled banner! Oh long may it wave / O’er the land of the free and the home of the brave!“ Nein, von jener unabhängigen, kühnen Nation, in der es jeder vom Tellerwäscher zum Millionär bringen kann und von der jeder notfalls auch aufgefangen wird, ist in Spring­steens Song nicht viel zu spüren. Besungen wird vielmehr ein Land, das sozial Schwache und andere Außenseiter einerseits zum Töten in die Fremde schickt, andererseits als Kanonenfutter verheizt und die überlebenden Kriegsveteranen gnadenlos im Stich lässt. Bevor sich der Song ins Finale schleppt, ist er unter einem Schlagzeuggewitter, das wie eine Mischung aus Prügel und Schüssen klingt, kurzzeitig buchstäblich kollabiert. Es war der konservative Journalist George Will, der sich nach dem Besuch eines Spring­steen-Konzerts in einer seiner einflussreichen Kolumnen begeistert darüber äußerte, dass das Publikum enthusiastisch Flaggen schwenkte, während der Künstler über Fabrikschließungen und andere soziale Probleme sang. „Spring­steen, a product of industrial New Jersey, is called the ‚blue-collar troubadour‘“, hieß es in der Kolumne zusammenfassend. „But if this is the class struggle, its anthem – its ‚Internationale‘ – is the song that provides the title for his 18-month, worldwide tour: ‚Born in the U.S.A.‘“ Will hatte Verbindungen zum Wahlkampfteam von US-Präsident Ronald Reagan, der sich 1984 gerade zur Wiederwahl stellte, und schlug vor, den häufig im Radio gespielten Song strategisch einzusetzen. Also baten ­Reagans Berater das Management des Künstlers um Erlaubnis. Und wie zu erwarten, ließen Spring­steens Vertreter die Präsidentenberater höflich abblitzen. Trotzdem lobte Reagan bei einem 23

Unter falscher Flagge

s­einer darauffolgenden Wahlkampfauftritte die „Botschaft der Hoffnung“ in Songs von Künstlern wie Bruce Spring­steen. Tatsächlich sähe er, Reagan, es als seine Aufgabe, die Wähler bei der Verwirklichung dieser Träume zu unterstützen. Nur wenige Tage später verbat sich der Künstler während eines Konzerts vor großem Publikum die Vereinnahmung seiner Songs. Die allerdings kann man nicht nur Ronald Reagan vorwerfen: Born in the U.S.A. wird auch heute noch immer wieder gern als ungebrochen patriotische Hymne gespielt und mitgesungen.

2 Sing (bloß nicht) meinen Song! Wir sind Helden, Helene Fischer und De Höhner gegen die NPD Der Einsatz von Hits im Wahlkampf ist heute, rund 30 Jahre nach Ronald Reagans Born in the U.S.A.-Eklat, gang und gäbe. Doch was man 1984 noch grimmig-erleichtert als „netten Versuch“ zu den Akten legen durfte, kann man bei der NPD des 21. Jahrhunderts nur als dummdreist werten. So verwendete der Landesverband Thüringen der extrem rechten Partei bei seinen Wahlkampfveranstaltungen 2014 gleich einen ganzen Sack voll aktueller Songs aus den Charts, selbstredend ohne Genehmigung. Dabei handelte es sich bevorzugt um Songs, die jemanden feiern oder einen spannungsgeladenen Moment zelebrieren – mit Titelzeilen, die sich wunderbar aus dem Songkontext herauslösen und für die eigenen Zwecke missbrauchen lassen: Auf uns von ­Andreas Bourani beispielsweise, ein Song, der auch im Fußball-WM-­ Fieber prima funktionierte, Wenn nicht jetzt, wann dann von De Höhner, natürlich Atemlos durch die Nacht von Helene Fischer oder auch Gekommen um zu bleiben von Wir sind Helden. Besonders eklatant war die Vereinnahmung im letzten Fall – denn während man Andreas Bourani, De Höhner oder Helene Fischer sowohl musikalisch als auch politisch einem diffusen Mainstream zurechnen kann, sind Wir sind Helden eindeutig im 24

Peter Fox, Haus am See

linken politischen Spektrum angesiedelt. Und nicht nur das: Wie schon der ironische Bandname andeutet, hinterfragen sie auch selbstkritisch ihre Rolle als Aushängeschilder einer Bewegung, ihre Funktion als Stars. Kein Wunder, dass die Helden die Ersten waren, die rechtliche Schritte gegen den NPD-Landesverband einleiteten, Helene Fischer und De Höhner zogen nach. Pikant am Rande: Gekommen um zu bleiben enthält durchaus Zeilen, die die NPD-Verantwortlichen, hätten sie genauer hingehört, ins Grübeln gebracht hätten. Zum Beispiel darüber, ob man den Song tatsächlich im Wahlkampf einsetzen sollte: „Gekommen um zu bleiben, wie ein perfekter Fleck / Gekommen um zu bleiben, wir gehen nicht mehr weg / Ist dieser Fleck erst in der Hose, ist er nicht mehr rauszureiben …“ Kann man eigentlich über Textzeilen stolpern? Aber ja doch, wie dieses Beispiel wunderbar beweist.

3 Mensch (Bieder-)Meier! Peter Fox, Haus am See Was Politiker können, können Forscher schon lange. Und so kommt es heute durchaus öfter vor, dass auch hochtrabende wissenschaftliche Untersuchungen ihre Thesen zu einem gesellschaftlichen Thema mit Hitsongs untermauern – obwohl diese Songs ganz offensichtlich etwas völlig anderes zum Ausdruck bringen. „Die Absturz-Panik der Generation Biedermeier“ ist der Titel einer Jugendstudie, die das Kölner rheingold Institut für qualitative Markt- und Medienanalysen 2010 durchgeführt hat. In der Pressemitteilung zu den Ergebnissen heißt es: Die Jugend 2010 gibt ein verblüffendes Bild ab. Sie präsentiert sich sehr erwachsen, kontrolliert und vernünftig. Zielstrebig will sie ihren eigenen Weg finden. Dabei stehen Bildung, Karriere und ein hoffentlich gutes Einkommen hoch im Kurs. Eine große Anpassungs-Bereitschaft, persönliche Beweglichkeit und Pflichtbewusstsein werden ebenso als

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Unter falscher Flagge

Garanten eines erfolgreichen bzw. abgesicherten Lebens angesehen, wie ein breites Kompetenz-Spektrum. Die Lebensentwürfe der jungen Menschen sind von klaren und vor allem erreichbaren Zielen bestimmt. Dabei scheint in diesen Entwürfen immer eine Biedermeierwelt durch, in der das zentrale Lebensziel darin besteht, ein kleines Haus mit Garten oder eine Eigentumswohnung zu besitzen. Bewohnt mit der eigenen Familie, den (beiden) Kindern und dem Hund.

So weit, so aha! Aber dann kommt ein Satz, der Musikfreunde aufhorchen lässt: Das Lied von Peter Fox über das „Haus am See“ ist daher eine Hymne an ein beschauliches Leben, in dem man endgültig angekommen ist, sich niedergelassen hat und sich im Kreise der Familie wohlfühlt.

Doch dieser Satz macht einen ziemlich stutzig: Peter Fox, das Sprachrohr eines neuen jugendlichen Biedermeiertums? Haus am See, die Hymne auf ein beschauliches Leben im Kreise der ­Familie? Das muss man erst einmal verdauen. Immerhin ist Fox Mitglied der weitgereisten Berliner Reggae- und Dancehall-Band Seeed, die die deutschsprachige Musikszene zu Beginn des 21.  Jahrhunderts mit heißen karibischen Rhythmen und originell-provokanten, teils anzüglichen Texten aufmischte. Und Haus am See, diesen wunderbar dahinfließenden Song mit seinen originellen Sound-Akzenten und dem ironischen Frauenchor, hatte mancher doch ganz anders verstanden … Okay, in zwei Versen des Refrains klingt so etwas wie ein beschauliches Leben an: „Und am Ende der Straße steht ein Haus am See (…) Alle komm’n vorbei, ich brauch nie rauszugehn.“ Aber der Rest der Lyrics ist doch alles andere als das Zelebrieren einer engstirnigen deutschen Biedermeierwelt. Schon die beiden übrigen Refrainverse, die eben unter den Tisch fielen, deuten in eine ganz andere Richtung: „Orangenbaumblätter liegen auf dem Weg / Ich hab 20 Kinder, meine Frau ist schön.“ Wenn ich mich nicht irre, wachsen Orangenbäume kaum in Deutschland, sondern in südlichen Ländern wie Portugal, Spanien und Italien 26

Peter Fox, Haus am See

oder noch viel weiter weg, auf anderen Kontinenten; und die 20 Kinder aus dem Songtext stehen doch wohl in sehr deutlichem Kontrast zu der Idylle „mit der eigenen Familie, den (beiden) Kindern und dem Hund“, die die rheingold-Studie so betont. 20 Kinder, das klingt eher nach einem kleinen zufriedenen Karibik-Macho, einem echten „Sugardaddy“. Der lässt sich irgendwo am Strand faul die Sonne auf den Pelz scheinen und beglückt endlos seine Frau, die ihm im Gegenzug zig Kinder schenkt und den Haushalt schmeißt. Schon der Kontext ist ein ganz anderer als der in der rheingold-Studie angesprochene. Aber es kommt noch dicker: Denn wer genauer hinhört, entdeckt in Haus am See nicht etwa einen selbstzufriedenen Strand-Macho, sondern lediglich ein LoserIch, das sich aus einer beengten, traurigen, ausweglosen Situation heraus- und ganz weit weg fantasiert. „Hier bin ich gebor’n und laufe durch die Straßen“, so skizzieren die ersten Verse seinen Alltag, „Kenn’ die Gesichter, jedes Haus und jeden Laden. / Ich muss mal weg, kenn jede Taube hier beim Namen / Daumen raus, ich warte auf ’ne schicke Frau mit schnellem Wagen.“ Das klingt nach vielem, nur nicht nach Kontrolliertheit und Vernunft, nach Zielstrebigkeit, Anpassungsbereitschaft, Pflichtbewusstsein und was die rheingold-Studie der Jugend 2010 sonst noch bescheinigt. Das Ich träumt von „Rückenwind“, einem „Frauenchor am Straßenrand, der für mich singt“, von „Schätzen in Schnee und Sand“ und „beiden Taschen voll Gold.“ Es pfeift also auf eine mögliche Karriere und tut dabei genau das Gegenteil von dem, was die rheingold-Studie konstatiert: „Die Lebensentwürfe der jungen Menschen sind von klaren und vor allem erreichbaren Zielen bestimmt.“ Diese Antihaltung bestimmt auch die Fantasien des Song-Ichs von seiner ruhmreichen Heimkehr: Statt eines gemütlichen Kaffeekränzchens wird gegrillt, „die Mamas kochen, und wir saufen Schnaps / Und feiern eine Woche jede Nacht.“ Am Ende des Songs offenbart sich die ganze Tragik des Sprechers, der seinen Traum wahrscheinlich nie verwirklichen wird: „Hier bin ich gebor’n, hier werd ich begraben / Hab taube Ohr’n, 27

Unter falscher Flagge

’nen weißen Bart und sitz im Garten / Meine 100 Enkel spielen Cricket auf’m Rasen / Wenn ich so daran denke, kann ich’s ­eigentlich kaum erwarten.“ Angesichts der unglaublichen Abenteuer, die vorher ausgemalt wurden, klingt das reichlich bitter. Haus am See ist eine Aussteigerfantasie. Aber nicht die eines ausgebrannten Karrieristen, sondern die eines armen Schluckers, der überhaupt keine Perspektiven hat. Ein Eindruck, den das Video zum Song unterstreicht: Dort sitzt der Protagonist am Ende tatsächlich an einem See und angelt. Doch er trägt abgerissene Klamotten, ist unrasiert. Und: Er angelt ganz allein. Das vielbeschworene Haus am See, das im Hintergrund zu sehen ist, erweist sich als ein armseliger Holzverschlag. Wenn das Biedermeier ist, liebes rheingold-Insitut, müssten etliche Lexikon­ einträge umgeschrieben werden.

4 Weinenden Auges zur Kanzlerin: The Rolling Stones, Angie Traurig, aber wahr: Songs droht manchmal Arges, wenn sie nicht bei drei auf den Bäumen sind. Und im schlimmsten Fall landen sie dort, wo sie überhaupt nicht hingehören – in den Fängen der politischen Werbung. Angie? Ist das nicht ein cooler Rufname für unsere Kanzlerkandidatin? Bingo! So dachten sich wohl im Jahr 2005 die Marketingstrategen der deutschen CDU und sorgten dafür, dass Angie regelmäßig im Anschluss an die Wahlkampfauftritte von Angela Merkel gespielt wurde. Und das tat dem bereits 1973 veröffentlichten Song gleich in zweierlei Hinsicht unrecht: Zum einen hatte es die Partei versäumt, seine ­Urheber, die Rolling Stones, um Erlaubnis für die Nutzung zu fragen, weshalb sie von den Künstlern wenn auch nicht mit einer Klage, so doch mit einem deutlich missbilligenden öffentlichen Statement bedacht wurde. Zum anderen, und das verursachte den weitaus größeren Wirbel, gab es außer dem Titel „Angie“ nichts, was man positiv mit einer Kanzlerkandidatin hätte 28

The Rolling Stones, Angie

v­erbinden können. Im Gegenteil: Das herzzerreißende Stück handelt von einer gescheiterten Beziehung, von Ziellosigkeit, enttäuschten Träumen. „Angie, Angie“, heißt es gleich zu Beginn, „when will those clouds all disappear?“ Was sich bei Mick Jagger etwa folgendermaßen steinerweichend anhört: „Äjndschäh, ­Äj-hiiiiihhhnn-dschäh, when will those clouds all disäppiie-hie-hie-hie-ähhh?“ Und weiter: „Angie, Angie, where will it lead us from hiie-hie-hiee-ähhh?“ Nun könnte man annehmen, dass wenigstens die Musik für eine optimistische Stimmung sorgt – dass die Leute nicht immer auf den Text hören, ist ja gerade in Marketing- und PR-Kreisen bekannt. Aber weit gefehlt. Langsam, getragen zieht sich das Stück in Mollakkorden dahin. Ein wehmütiges Klavier lässt an perlende Tränen denken, die gesamte Songbewegung ist ein ständiges leises Aufbäumen und In-sich-Zusammenfallen. Ganz sicher nicht der passende Soundtrack für eine dynamische Kandidatin, die kompetent und optimistisch an die Macht strebt. Wohin die Reise der beiden Protagonisten im Stones-Song geht? Man weiß es nicht. Nur eins ist sicher: dass sie ohne Liebe und ohne Geld alles andere als zufrieden sein können: „With no lov­ ing in our souls / And no money in our coats / You can’t say we’re satisfied / But Angie, Angie / You can’t say we never tried.“ Und: „Angie, you’re beautiful, yeah / But ain’t it time we said goodbye.“ Tja. Auch wenn Angie wunderschön ist, es scheint Zeit, Auf Wiedersehen zu sagen. Das hat wohl ebenso wenig das Zeug zu einer Wahlempfehlung wie die Erinnerung an in Rauch auf­ gehende Träume und eine verzweifelt weinende Protagonistin: „All the dreams we held so close / Seemed to all go up in smoke / (…) / Oh, Angie, don’t you weep / All your kisses still taste sweet / I hate that sadness in your eyes.“ Immerhin: Die Aktion, die einen der vorderen Plätze in den Top-Ten der dämlichsten PR-Strategien der Welt verdient hätte, konnte Angela Merkel am Ende nicht schaden – weil der bisherige Kanzler Gerhard Schröder nicht mehr zog, aber auch weil niemand wirklich hingehört hatte. Und wie nicht anders zu erwarten, zeigte sich die clevere Machtstrategin auch in Sachen 29

Unter falscher Flagge

­ igenmarketing später durchaus lernfähig. Zum Beispiel im E April 2008. Damals, zur Erinnerung, erschien sie als Kanzlerin in Oslo zur Einweihung der neuen Nationaloper Norwegens mit überraschend wagemutigem Dekolleté und zog die Aufmerksamkeit sämtlicher anwesenden Fotografen auf sich. Während am nächsten Tag Medien in aller Welt, darunter die türkische Boulevardzeitung „Sabah“, Merkels dennoch elegant staatstragendes Gesamtoutfit lobten und ihren neuen Sex-­Appeal feierten, tat die deutsche Regierungschefin einfach nur ein bisschen erstaunt. „Wenn die Welt nichts Wichtigeres hat, als über Abendkleider zu reden“, ließ sie laut dpa ihren Vize-Regierungssprecher Thomas Steg süffisant verkünden, „dann kann man wahrscheinlich auch nicht helfen.“ Und: Durch Merkels Auftritt „sollte in keiner Weise der Prozess der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beeinflusst werden“. Das war Glamour, das war Pop, das hatte fast schon Hitpotenzial. Stilvoller, cleverer und pointierter hätte sich die Kanzlerin auch mit einer exzellent ausgetüftelten Anderthalbstundenrede nicht in Szene setzen können.

5 The Lady is a Tramp(el): Die Toten Hosen, Tage wie diese Man kann von Angela Merkel halten, was man will: Sie ist und bleibt ein Phänomen. Erst bewies sie, dass man es auch mit einem deprimierenden Wahlkampfsong wie Angie von den Rolling Stones ins Kanzleramt schaffen kann – und dann vermag sie bis heute mit schlagfertig-glamourösen Auftritten zu überraschen. Wer daraus aber den Rückschluss zieht, dass Frau Merkel sämtliche Selbstvermarktungstricks längst fehlerfrei beherrscht, liegt daneben. Zu ihrem Status als Phänomen gehören eben auch regelmäßige kleine Rückfälle. Etwa der aus dem Jahr 2015, als sie im Gespräch mit einem weinenden Flüchtlingsmädchen keine besonders gute Figur machte. Ein anderer war im September 2013 zu bestaunen, und zwar im Anschluss an den Sieg bei der Bundestagswahl. Da boten Kanzlerin und CDU-Spitze den 30

Die Toten Hosen, Tage wie diese

Fernsehzuschauern im ganzen Land ein gar merkwürdiges Bild: Glückselig tanzten, sangen und klatschten Angie und ihr Team, darunter gestandene Ministerinnen und Minister, zum aktuellen ­Radiohit Tage wie diese. Klar, der Song enthielt ja auch einen ­Refrain, der perfekt auf außergewöhnliche Momente, auf die ­euphorischen Gefühle inmitten einer feiernden Menge zu passen schien: „An Tagen wie diesen wünscht man sich Unendlichkeit / An Tagen wie diesen haben wir noch ewig Zeit / In dieser Nacht der Nächte, die uns so viel verspricht / Erleben wir das Beste, kein Ende in Sicht.“ Irritierend wirkt allerdings, dass der Song kein politisches Event, sondern explizit ein Musikerlebnis, ein Open-Air-Konzert auf den Rhein-Terrassen, zelebriert: „Durch das Gedränge der Menschenmenge / Bahnen wir uns den altbekannten Weg / Entlang der Gassen, zu den Rheinterrassen / Über die Brücken, bis hin zu der Musik / Wo alles laut ist, wo alle drauf sind, um durchzudreh’n.“ Und vor diesem Hintergrund scheint gerade der letztgenannte Vers nicht so recht kompatibel mit Vertretern des Polit-Establishments zu sein. Ekstatisch durchdrehende Parlamentarier, in von endlosen Sitzungen gezeichneten Anzügen und Business-Kostümen? Eine Vorstellung, die nicht wenige Menschen ganz schnell wieder aus dem Kopf bekommen möchten. Noch dazu, wenn es sich um Konservative handelt. Denn Tage wie diese stammt ausgerechnet von den Düsseldorfer Toten Hosen, Deutschlands bekanntester Punkband, die, vorsichtig ausgedrückt, nicht unbedingt auf einer politischen Linie mit der CDU liegt. Es ist der klassische Fall eines Songs, der urplötzlich unter falscher Flagge erklingt. Immerhin anders als zu „Angie“-Wahlkampfzeiten schien Kanzlerin Merkel diesmal aber schnell verstanden zu haben. So soll sie, wie Campino, der Sänger der Band, in der 2014 erschienenen Biografie Die Toten Hosen. Am Anfang war der Lärm berichtet, ein paar Tage nach der Siegesfeier bei ihm angerufen und sich entschuldigt haben. Und zwar mit den bezeichnenden Worten: „Herr Campino, ich rufe an, weil wir letzten Sonntag so auf Ihrem Lied herumgetrampelt sind …“ 31

Unter falscher Flagge

6 This song is (not) your song: Woody Guthrie, This Land Is Your Land Kann ein Lied, das die Schönheit eines riesigen Landes besingt und obendrein betont, dass dieses riesige Land einfach allen Menschen gehöre, auch von allen Menschen gesungen werden? Ich meine Nein. Denn wenn ein solches Lied von Anhängern der unterschwellig rassistisch und antisozial argumentierenden amerikanischen Tea-Party-Bewegung angestimmt wird oder den Soundtrack zu Veranstaltungen der ultrakonservativen National Organization for Marriages bildet, die gegen die gleichgeschlechtliche Ehe agitiert, dann ist das ein Widerspruch in sich. Zeilen wie „This land was made for you and me“ klingen dann angesichts der sie begleitenden Ausgrenzungsrhetorik einfach nur zynisch. Insofern wird der Folkklassiker This Land Is Your Land von Woody Guthrie, einem ausdrücklich im linken politischen Spektrum angesiedelten Sänger, jedes Mal missbraucht, wenn er in extrem reaktionären Kontexten erklingt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Song in seiner kürzeren Version tatsächlich nur die Schönheit Amerikas und das Land als Allgemeinbesitz preist: „This land is your land, this land is my land / From California to the New York island / From the red wood ­forest to the Gulf Stream waters / This land was made for you and me.“ Es ist doch ganz einfach: Wenn Amerika „dir und mir“ gehört, dann gehört es auch den Angehörigen sozialer Minderheiten, den Benachteiligten und den Diskriminierten, gegen die diese extrem reaktionären Kreise hetzen. Oder? Hinzu kommt, dass Woody Guthrie, der das Lied in den 1940er Jahren schrieb, seinen Gassenhauer eben auch in einer längeren Fassung verbreitet hat. Und die enthält zwei weitere Strophen, in denen bildhaft zusätzlich Schattenseiten Amerikas beleuchtet werden. So kommt das Song-Ich auf seiner Reise durch Amerika an ein Schild mit der Aufschrift „Betreten verboten“. Es folgt der messerscharfe Schluss: Wer von der anderen Seite auf das Schild zuläuft, für den gibt es keine Beschränkun32

Aerosmith, Dream On

gen – und das, so der Text, solle doch für alle gelten: „As I went walking I saw a sign there / And on the sign it said ‚No Trespass­ ing‘ / But on the other side it didn’t say nothing / That side was made for you and me.“ In der zweiten kritischen Strophe geht es um Menschen, die hungernd vor dem Sozialamt stehen („I seen my people as they stood there hungry“), was die fassungslose Frage provoziert: „Is this land made for you and me?“ Ein so schönes, großes Land wie Amerika, so lässt sich interpretieren, sollte eigentlich frei von Ausgrenzung sein und jedem Menschen ein gutes Leben ermöglichen. Eine Schande, dass es hier Menschen gibt, die nichts zu essen haben. Es ist bezeichnend, dass der Song – längst so etwas wie die inoffizielle amerikanische Nationalhymne – bei der Inaugurationsfeier von US-Präsident Barack Obama mit diesen sozialkritischen Passagen erklingen durfte. In ultrareaktionären Kontexten werden diese Passagen jedoch in der Regel geflissentlich ignoriert.

7 Same Procedure: Aerosmith, Dream On Wer in Internetsuchmaschinen Stichwörter wie „songs used in political campaigns“ eingibt, stößt auf etliche weitere Beispiele, in denen Hits bei politischen Veranstaltungen eingesetzt wurden – häufig gegen den Willen der Autoren und Interpreten. Inzwischen sollte also jeder aufstrebende Politiker und jede aufstrebende Poltikerin die beiden Grundregeln für den Umgang mit Liedgut verinnerlicht haben. Erstens: Nutze nie einen Song ohne audrückliche Genehmigung der Autoren. Und zweitens: Höre stets genauer hin, bevor du einen fremden Song für dich sprechen lässt. Es ist bezeichnend, dass für den letzten großen Aufreger in dieser Hinsicht ausgerechnet Donald Trump sorgte. Der milliardenschwere Republikaner fällt immer wieder durch ein beängstigend riesiges Ego und eine besorgniserregende „political uncorrectness“ auf. Während des Schaulaufens der republikanischen Präsidentschaftskandidaturkandidaten versetzte er spä33

Unter falscher Flagge

tenstens ab 2015 klar denkende Zeitgenossen auf der ganzen Welt nicht nur durch ein tumbes Schwarz-Weiß-Denken, sondern auch durch rassistische und sexistische Ausfälle in Angst und Schrecken. Zeitweise musste man sogar befürchten, Trump würde als US-Präsident die Welt ins Mittelalter zurückbomben. So einer schert sich natürlich auch nicht um irgendwelche Songs, geschweige denn um Urheberrechte – und so brachte er 2015 zunächst Rockveteran Neil Young gegen sich auf, weil er im Wahlkampf dessen Klassiker Rockin’ in the Free World eingesetzt hatte, und dann die Band R.E.M., wegen des unerlaubten Abspielens ihres Hits It’s the End of the World as We Know It. 2016 beschwerte sich die britische Künstlerin Adele über die – schönes Wort – „Nutzung“ ihrer Hits Rollin’ in the Deep und Skyfall bei Trump-Veranstaltungen, gefolgt von ihrem Landsmann Brian May: Der Gitarrist der Rockgruppe Queen zeigte sich überhaupt nicht „amused“ darüber, dass der amerikanische Politrüpel den Queen-Welthit We Are The Champions unrechtmäßig bei Fernsehautritten hatte spielen lassen. Nicht minder spektakulär waren ein Scharmützel mit den Rolling Stones – es ging um deren Song You Can’t Always Get What You Want – und der Disput zwischen Trump und Steven Tyler, dem Frontmann der Rockgruppe Aerosmith. Letzterer hatte im Oktober 2015 eine Unterlassungsaufforderung an den Politiker geschickt, weil dieser ohne Einwilligung der Urheber mit dem Aerosmith-Evergreen Dream On für sich geworben hatte. Trump lenkte zwar rasch ein, aber in der für ihn typischen respektlos-verletzenden Manier: Er hätte durchaus irgendeine Genehmigung zur Nutzung des Songs gehabt, behauptete er unverfroren, und statt sich zu beschweren, solle Steven Tyler doch lieber die Aufmerksamkeit genießen, die er ihm verschafft habe. Überhaupt sei ihm das Ganze letztlich egal, denn er habe inzwischen einen noch viel besseren Song als Dream On gefunden. Dass Trump die erste Regel für Politiker und Songs nicht beherzigen will, liegt auf der Hand. Aber wie sieht es aus mit der zweiten Regel, dem genaueren Hinhören? Eine interessante Antwort liefert Dream On. Im ersten Moment scheint der Song gar 34

Aerosmith, Dream On

nicht unpassend gewählt. Die Lyrics reflektieren, dass man im Leben schon einiges durchmachen muss („Everybody’s got the dues in life to pay“) und dass man nie weiß, ob einen nicht morgen schon der Tod ereilt („Maybe tomorrow the good Lord will take you away“). „You got to lose to know how to win“, „Du musst verlieren, um herauszufinden, wie man gewinnt“, heißt es, und deshalb gilt es vor allem, im Hier und Jetzt zu leben und so lange weiterzuträumen, bis die eigenen Träume wahr werden: „Sing with me, sing for the year / Sing for the laughter, sing for the tear / Sing with me, just for today / (…) / Dream on / Dream until your dreams come true …“ Okay, kann man sagen: Das steht einem aufstrebenden Politiker, der schon einige Sträuße ausgefochten hat und nun nach den Sternen greift, ganz gut zu Gesicht. Aber: Die Lyrics zu Dream On raten auch zu lernen, und zwar von den Dummköpfen wie von den Weisen: „Live and learn from fools and from sages“ – nur so können Träume auch wirklich wahr werden. Und hier versagt Meister Trump, wie schon die NPD mit Blick auf den Wir-sind-Helden-Song Gekommen um zu bleiben, auf ganzer Linie. Denn hätte er die Lyrics gehört, befolgt und sowohl aus den Fehlern anderer wie aus dem Rat einiger weiser Menschen lernt, dann hätte er sich so manchen dämlichen Spruch, vor allem den imageschädigenden Ärger mit angesehenen Stars wie Neil Young, R.E.M., Queen, Adele oder Aerosmith erspart. Ironischerweise hat der erzkonservative Populist den „Live and learn“-Vers aus Dream On sogar aufgegriffen und auch von sich aus in die Runde geworfen: „Lerne immer von den Fehlern anderer, nicht von deinen eigenen – das ist der viel billigere Weg“, zitiert ihn etwa das deutsche „Handelsblatt“ in einem Beitrag mit dem bezeichnenden Titel „Der Milliardär mit der großen Klappe“. Wenn einer aber, ganz im Sinne des „Postfaktischen“, weder richtig zuhören kann noch seine eigenen Vorgaben befolgt, dann weiß man, was man von ihm zu halten hat. Menschlich wie als Nachfolger von Barack Obama im Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten. 35

Selektive Wahrnehmung 8 Als „Willkommenskultur“ noch ein Fremdwort war: Udo Jürgens, Griechischer Wein Achtung, hier kommt ein echter Ferienhit! Ach was: Hier kommt ein richtiges Sauflied! Eins, zu dem man sich echt die Kante geben und exzessiv abfeiern kann!! Diese oder ähnliche Reflexe werden immer noch bei vielen Schlagerfans ausgelöst, wenn die ersten Töne von Griechischer Wein erklingen – und bis heute von Coversong-Interpreten und selbst erklärten Service-Websites beständig zementiert. Erst 2013 wieder erschien Griechischer Wein auf einer CD der Bikini Allstars mit dem Titel Die 50 größten Urlaubs-Schlager aller Zeiten, flankiert von Gassenhauern wie Azzurro, Er hat ein knallrotes Gummiboot oder Es gibt kein Bier auf Hawaii. Und das Internetportal „party-megahits.de“, das selbstverständlich auch über die besten Discofox- und Hochzeitslieder informiert, packt den Jürgens-Klassiker in eine Rubrik mit dem ansprechenden Namen „Sauflieder: Das sind die besten Trinklieder“ – zusammen mit Saufen von den Ärzten, dem Altbierlied der Toten Hosen oder Heute schütte ich mich zu von Karl Dall. Im Intro zur Rubrik heißt es verschwörerisch: „Ja, es klingt plump und ein wenig ordinär, aber es gibt einfach eine Reihe von Liedern, die perfekt zum Trinkgelage von uns Männern passen und Männerfreundschaften ein Leben lang begleiten. Liebe Damen, Ihr versteht das nicht!“ Der letzte Satz bringt es aber unfreiwillig auf den Punkt. Denn so manche Dame ist vermutlich heller als die Macher des Portals und kann völlig zu Recht nicht verstehen, warum hier 36

Udo Jürgens, Griechischer Wein

Griechischer Wein in Begriffsfässern wie „Männerfreundschaft“ und „Alkoholexzess“ gelagert wird. In den Strophen des Songs berichtet ein Ich-Erzähler, wie er spätabends auf dem Nach­ hause­weg in der Vorstadt ein ihm fremdes Lokal betritt – offenbar das einzige, das noch geöffnet hat. Schnell wird klar, dass es sich bei ihm um einen Deutschen und bei den Betreibern und Gästen des Lokals um Südländer handelt: „Es war schon dunkel, als ich durch Vorstadtstraßen heimwärts ging / Da war ein Wirtshaus, aus dem das Licht noch auf den Gehsteig schien / Ich hatte Zeit, und mir war kalt, drum trat ich ein / Da saßen Männer mit braunen Augen und mit schwarzem Haar / Und aus der Jukebox erklang Musik, die fremd und südlich war / Als man mich sah, stand einer auf und lud mich ein.“ Der berühmte Refrain mit den Schlüsselworten „Griechischer Wein“ und „Blut der Erde“ ist dann wesentlich mehr als ein Lobgesang auf Alkohol und Partystimmung: Er weist die „Südländer“ als Griechen aus und gibt Einblicke in ihre Gefühlswelt – und die ist vor allem von Einsamkeit und Heimweh bestimmt: „Griechischer Wein ist so wie das Blut der Erde / Komm, schenk’ dir ein, und wenn ich dann traurig werde / Liegt es daran, dass ich immer träume von daheim / Du musst verzeih’n / Griechischer Wein, und die altvertrauten Lieder / Schenk noch mal ein / Denn ich fühl’ die Sehnsucht wieder / In dieser Stadt werd’ ich immer nur ein Fremder sein, und allein.“ Der Song erschien 1974, zu einer Zeit, als die sogenannten „Gastarbeiter“ ein großes Thema in Deutschland waren. Dass es in Griechischer Wein genau um diese Gastarbeiter geht, unterstreichen die weiteren Strophenzeilen. Darin erzählen die Griechen dem ungewöhnlichen Gast „von grünen Hügeln, Meer und Wind, von alten Häusern und jungen Frauen, die alleine sind / Und von dem Kind, das seinen Vater noch nie sah“. Auch der Gedanke an die Rückkehr in die Heimat ist ein Thema: „Sie ­sagten sich immer wieder: Irgendwann geht es zurück / Und das Ersparte genügt zu Hause für ein kleines Glück / Und bald denkt keiner mehr daran, wie es hier war.“ Es ist ein Gedanke, den, wie wir heute wissen, nur wenige in die Tat umsetzten. 37

Selektive Wahrnehmung

Der Song drückt also alles andere aus als den Traum deutscher Familien von einem exotischen Ferienparadies oder den schlichten Spaß an männerbündlerischen Zechgelagen. Es geht vielmehr um Menschen, die wirtschaftliche Not in die Fremde getrieben hat. Und dort fühlen sie sich nicht unbedingt willkommen. Abends nach Feierabend setzen sie sich bei einem Glas Wein zusammen, um gemeinsam ihr Heimweh leichter zu ertragen. Die Musik zu dem Song hatte Udo Jürgens bereits 1972 komponiert, doch es brauchte zwei Jahre und mehrere Anläufe mit verschiedenen Textern, um die eingängige Komposition mit den passenden Lyrics zu versehen. Michael Kunze hatte schließlich die Idee mit den griechischen Gastarbeitern und arbeitete auch die Verse und Refrainzeilen aus. Vielleicht liegt es an der weinselig-romantischen Grundstimmung, vielleicht an der Reizfigur Ralph Siegel, der als Produzent fungierte, dass der Song immer wieder auch kritisch unter die Lupe genommen wurde. Noch vergleichsweise mild und im Grunde um Verständnis bemüht äußert sich Julio Mendívil, der 2008 in seiner Abhandlung Ein Stück musikalische Heimat: Ethnologische Beobachtungen zum deutschen Schlager auch mit Blick auf Griechischer Wein festhält: „Mexikaner, Russen, Spanier, Griechen und Italiener werden ­besungen, um eine positive Darstellung deutscher Eigenschaften zu vermitteln.“ Im Gegensatz zur unglücklichen Welt der Fremden feierten Songs wie der von Udo Jürgens „die deutsche Lebensart als Zeichen des Wohlstands“. Im Rahmen seiner ­Songanalyse zitiert Mendívil aber auch noch wesentlich unbarmherzigere Kritiker. Von diesen werfen manche dem Jürgens-Hit vor, die Realität nicht adäquat wiedergegeben und die unangenehmen Aspekte der Hierarchie zwischen Deutschen und ungeliebten Gastarbeitern ausgeblendet zu haben. Andere unterstellen dem Song sogar die böse Behauptung, Gastarbeiter seien selber schuld, wenn sie sich in Deutschland nicht zu Hause fühlten, weil sie nicht in der Lage seien, auf das Entgegenkommen der Deutschen einzugehen. Und das scheint mir doch etwas übers Ziel hinausgeschossen. Denn immerhin schildert 38

Timbuk 3, The Future’s So Bright, I Gotta Wear Shades

Griechischer Wein eine Begegnung zwischen unterschiedlichen Kulturen und gibt dem deutschen Publikum Einblicke in die Gefühlswelt griechischer Gastarbeiter. Und: Es sind doch die Griechen, die den deutschen Gast sogleich willkomen heißen – ihn zu sich an den Tisch bitten. Kommunikationswilliger geht’s also kaum! Nicht umsonst wurden Udo Jürgens und Michael Kunze seinerzeit zum Dank für ihr Lied vom griechischen Ministerpräsidenten empfangen. So wird das Stück gleich von zwei Perspektiven aus missverstanden, und diese stehen sich diametral gegenüber: Die einen Hörer erkennen seine Tiefe nicht, die anderen werfen ihm eine schönfärbende bis bösartige Oberflächlichkeit vor. Was einen Song wie Griechischer Wein und einen Interpreten wie Udo Jürgens ausmacht, hat etliche Jahre später, am 30. September 2014, Tim Schleider auf „Stuttgarter-Zeitung.de“ auf den Punkt gebracht. Jürgens sei ein „Unterhaltungskünstler“ und Griechischer Wein ein Lied, das eine berührende Geschichte erzähle, heißt es da. Schleiders Fazit: „Die Franzosen nennen derartige Unterhaltungskunst ‚Chanson’. Und somit hätten wir weit jenseits des Schlagers die passende Bezeichnung für Udo Jürgens: Er ist ein Chansonnier deutscher Sprache. Nein, nicht ‚ein’, sondern der Chansonnier deutscher Sprache.“

9 Wir lassen uns das Strahlen nicht verbieten: Timbuk 3, The Future’s So Bright, I Gotta Wear Shades Ganz klar: Wer an der Oberfläche bleibt, dem entgeht das Wesentliche. Das gilt auch für den Umgang verschiedener RadioDJs mit The Future’s So Bright, I Gotta Wear Shades, einem Hit der amerikanischen Band Timbuk 3. Der gefällig rockende Song aus dem Jahr 1986 ist ein regelrechter Ohrwurm, im Text malt sich ein Student seine berufliche Zukunft aus. Seine Gedanken und Gefühle werden in kurzen Strophen geschildert, die jeweils in den gleichbleibenden Refrain münden: „Things are going 39

Selektive Wahrnehmung

great, and they’re only getting better / I’m doing all right, getting good grades / The future’s so bright, I gotta wear shades.“ Also: „Alles läuft prima, und es wird immer besser / Ich schlage mich gut und kriege gute Noten / Die Zukunft ist so strahlend, dass ich ’ne Sonnenbrille tragen muss.“ Das klingt im Vorbeihören recht positiv. Bedenkt man allerdings, dass hier ein Student der Atomwissenschaft spricht, sind ernste Zweifel angebracht. Eine „strahlende Zukunft“, die sich nur mit Sonnenbrille ertragen lässt? Das hat etwas Makabres. Der Student entlarvt sich denn auch gleich in der ersten Strophe als reichlich naiver Zeitgenosse. Sein Studium genießt er völlig kritiklos, und den stets eine dunkle Sonnenbrille tragenden Dr. Seltsam da vorn an der Tafel erlebt er nicht etwa als Bedrohung oder als Menschen, der etwas zu verbergen sucht, sondern ausschließlich als schrillen Spaßfaktor: „I study nuclear science, I love my classes / I got a crazy teacher, he wears dark glasses.“ Nach dem Studium erwartet den angehenden Akademiker ganz offensichtlich ein gut bezahlter Job. Über die bevorstehende Herausforderung und möglicherweise anstehende Gewissensfragen macht er sich keine Gedanken. Stattdessen ist für ihn entscheidend, dass er mit rund 50.000 Dollar Jahresgehalt genug Geld zur Verfügung haben wird, um sich so anspruchsvolle ­Vergnügungen wie Sauftouren leisten zu können: „I’ve got a job wait­ing for my graduation / Fifty thou a year – buys a lot of beer.“ Viel Bier als rosige Aussicht … sind das vielleicht schon erste Anzeichen einer Flucht vor der Realität? Dass unser „Held“ tatsächlich an einer verzerrten Selbstwahrnehmung leidet, zeigen die letzten Verse, in denen er sich als Spanner mit Röntgenaugen entlarvt – als nur vermeintlich glücksverwöhnter, abgeklärter Nerd mit massiver Persönlichkeitsstörung und als Opfer gefährlicher Mutationen: „Well I’m heavenly blessed and worldly wise / I’m a peeping-tom techie with x-ray eyes.“ Nun würde es zu weit gehen, das Stück als engagiertes Statement gegen Atomkraft oder gar als dezidierte Warnung vor dem atomaren Super-GAU aufzufassen. Wahre Aufrüttelsongs sind anders gestrickt. Dennoch handelt es sich um ein anspruchsvol40

The Boomtown Rats, I Don’t Like Mondays

leres Stück Unterhaltungsmusik, das unter seiner einnehmenden Oberfläche ein gehöriges Maß an Pessimismus, wenn nicht gar Zynismus transportiert. Trotzdem wurde The Future’s So Bright … von Radiostationen rund um den Globus vor allem als Gute-Laune-Stimmungslied gespielt. „Nachdem der Song überall so viel Anklang fand“, gaben die Künstler bereits 1987 beispielhaft zu Protokoll, „wurden wir zu einer Sendung eingeladen, interviewt etc., und dieser DJ brüllte ins Mikro: ‚Hier das neue Ding, ein wunderschöner optimistischer Happy-Song der neuen Band Timbuk 3.‘ Die Leute sind also über ‚The Future Is Bright‘ überhaupt nicht hinausgekommen und fanden einfach die Musik schön.“ Das hat sich bis heute nicht geändert.

10 Geht’s uns nicht allen so? The Boomtown Rats, I Don’t Like Mondays Am Beispiel der rheingold-Studie und ihres Umgangs mit dem Peter-Fox-Song Haus am See war besonders gut zu sehen, was selektive Wahrnehmung bedeutet: Man löst ein paar wenige Passagen aus dem Gesamtkontext heraus und lässt sie ganz für sich sprechen – ohne Rücksicht auf den inhaltlichen roten Faden. Ähnliches muss man für die Rezeption von I Don’t Like Mondays festhalten, den wohl größten Hit der irischen Band The Boomtown Rats. Die wahren Hintergründe dieses 1979 von Bob Geldof geschriebenen Songs werden zwar bis heute von Redakteuren und Autoren in Büchern, Essays oder Radiosendungen regel­ mäßig neu beschworen, doch mindestens ebenso regelmäßig wird der Song bis heute weltweit als Aufmunterungsstück zum Wochenanfang durch den Äther gejagt: für Montagsmuffel, die sich nach einem entspannten Wochenende schlecht gelaunt zur Arbeit quälen. Verantwortlich für diesen oberflächlichen Umgang mit dem Song sind wahrscheinlich die simplen, Aufmerksamkeit heischenden Refrainzeilen „Tell me why? I don’t like mondays / Tell me why? I don’t like mondays (…) I want to shoot the whole day 41

Selektive Wahrnehmung

down“ – und mangelnde Lust im Publikum, genauer hinzuhören. Wer nur den Refrain wahrnimmt und die zentralen Phrasen als „Tell me why I don’t like mondays“, also als „Sag mir, warum ich keine Montage mag“ und damit als Einheit versteht, darf sich durchaus in seinem harmlosen Montagmorgenunbehagen bestätigt fühlen, à la: Ich weiß ja auch nicht, warum ich keine Montage mag, am liebsten würde ich sie abschaffen. Wer aber unterscheidet, dass das „Tell me why“ von einem Chor und das „I don’t like mondays“ von einer Solostimme gesungen wird, kann die Verse als Frage und Antwort verstehen: „Sag mir warum?“, fragt der Chor, worauf die Solostimme antwortet: „Na ja, weil ich keine Montage mag.“ Und wer dann noch etwas genauer in die Strophen hineinhört, merkt sehr bald, dass diese den Auslöser für die Frage „Warum?“ beleuchten – und dass es dabei um weitaus mehr als eine kleine Aufmunterung zum Arbeitsbeginn geht. „The silicon chip inside her head / Gets switched to overload“, heißt es in den ersten Versen, „And nobody’s gonna go to school today / She’s going to make them stay at home.“ Bei der Protagonistin – einer 16-Jährigen („Sweet 16“), wie sich im weiteren Songverlauf herausstellt – brennen die Sicherungen durch. Und so sorgt sie schließlich dafür, dass die Schulkinder einen Grund haben, zu Hause zu bleiben. Was genau sie anrichtet, wird nicht beschrieben. Aber dass es eine furchtbare Tat ist, daran lassen die folgenden Verse keinen Zweifel: „And school’s out early and soon we’ll be learning / And the lesson today is how to die.“ Auf dem Lehrplan stand nichts weniger als der Tod, so heißt es verpackt in ein zynisches Bild. Nach der tödlichen Unterrichtsstunde, für die die 16-Jährige gesorgt hat, ertönen blechern Megaphone, und Offizielle beleuchten erschüttert, mit belegter Stimme das Wie und Warum. Hilflos versuchen sie, Erklärungen für die schrecklichen Ereignisse abzugeben. Doch für das Unerklärliche gibt es keine Erklärungen: Denn welchen Grund sollte es dafür geben, dass Menschen einfach so sterben? „And then the bullhorn crackles / And the captain crackles / With the problems and the how’s and why’s / And he can see no reasons / ’Cause there are no reasons / What reason do you need to die?“ 42

The Boomtown Rats, I Don’t Like Mondays

Während sich die Strophen der Erwachsenenwelt zuordnen lassen – neben den Offiziellen sind das die Eltern der Protagonistin – und eine furchtbare Tat andeuten, markiert der Refrain ein kurzes Zwiegespräch zwischen der 16-Jährigen und den Menschen in ihrer Umgebung. „Sag mir warum?“ fragt der Chor, der die Eltern, die Lehrer, die gesamte Öffentlichkeit repräsentiert, und das Mädchen antwortet: „Ich mag keine Montage. Und wisst ihr was? Ich möchte diesen ganzen verdammten Tag einfach abknallen.“ Das reicht aus, um eine düster-bedrohliche Atmosphäre heraufzubeschwören, die eigentlich nicht recht zum Programm eines Gute-Laune-Morgenradios passen will. „SPIEGEL Online“ fasst noch einmal das zusammen, was im Song nur angedeutet bleibt, aber eindeutig die Idee für den Text geliefert hat: „Der Hit der Boomtown Rats handelt von dem grausamen Schulmassaker an der Grover Cleveland Grundschule in San Diego, Kalifornien, das am 29. Januar 1979 die ganze Welt erschütterte. An diesem Montagmorgen um 8.30 Uhr hatte die gerade 16-jährige Brenda Ann Spencer von ihrem Schlafzimmerfenster aus auf eine Gruppe Grundschüler angelegt. Das halbautomatische Gewehr hatte sie kurz zuvor von ihrem Vater zu Weihnachten bekommen. Spencer verletzte acht Schulkinder und einen Polizisten. Den Schulleiter und den Hausmeister traf sie tödlich.“ Bob Geldof selbst hatte am Morgen der Tat ein Interview in der Universität von Atlanta gegeben. Zur Interviewsituation schreibt er in seiner Autobiografie So war’s: Ich hatte auf Autopilot geschaltet und spulte mechanisch meine Antworten ab. Aber während der Sender die Platte laufen ließ, begann das Telex neben mir zu klackern. Ich spinxte rüber, um die News aufzuschnappen, die es ausspuckte. Während ich dort saß, lehnte ein junges Mädchen namens Brenda Spencer mit einer Pistole aus ihrem Schlafzimmerfenster und schoss auf Leute in ihrer Schule auf der anderen Straßenseite. Was dann passierte, erschien mir als einzigartig amerikanisch. Ein Journalist rief sie an. Sie nahm den Hörer ab, an und für sich schon eine bizarre ­Unterbrechung, wenn man dabei ist, wildfremde Men-

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schen umzubringen. Er fragte sie, warum sie das tut. Sie überlegte kurz und sagte dann: ‚Nichts los. Ich mag keine Montage.‘ Ich starrte auf den Apparat. Vielleicht hatte sie schon den Hörer aufgelegt und schoss weiter. Schulkinder starben, während ich die nächste Blödsinnsfrage beantwortete. Popmusik ist so verdammt unerheblich …

… und trotzdem ein gern genutztes Medium, um soeben gewonnene Eindrücke zu kanalisieren: Auf dem Rückweg ins Hotel hatte ich angefangen, den Song zu schreiben. Ich hatte eine Gitarre auf dem Zimmer, also setzte ich mich einfach hin und fing an. In gewissem Sinne schien mir all das so eigentümlich kalifornisch, die Unsinnigkeit, der Mangel an Vernunft und Logik. Ich schrieb: „What reason do you need to die?“ Die Schießerei ging weiter, während ich mit dem Schreiben fortfuhr. Ich versuchte, mir das Mädchen vorzustellen. Ich versuchte, mir die Szenerie vor Augen zu führen: die Polizeibeamten, die Lautsprecher, der Schulhof, die Eltern. Das Mädchen muss irgendwie ferngesteuert sein. Und ich schrieb: The silicon chip inside her head gets switched to overload. Und natürlich, warum tat sie es? Tell me why? Vielleicht hat sie recht. Vielleicht gibt es keine Vernunft. Es schien mir, als sei in kalifornischer Ethik einfach kein Platz für Logik oder Gründe, etwas zu tun. Sie taten es einfach.

I Don’t Like Mondays ist ein gutes Beispiel für die häufiger zu machende Beobachtung, dass die Stärke eines Songs auch seine Schwäche ist. Denn einerseits können Songs mit eingängigen Melodien, griffigen Refrainzeilen und einer Fülle an sprach­ lichen Details durchaus dafür sorgen, dass ernstere Themen und Inhalte ein größeres Publikum erreichen. Andererseits laufen sie Gefahr, auf ihre griffigen Refrainzeilen reduziert und/oder überhaupt nicht verstanden zu werden: weil Teile des Publikums nur das hören, was sie hören wollen, und einfach keine Lust haben, sich den Spaß an ihrer Wunschdeutung verderben zu lassen.

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The Turtles, Happy Together

11 Nicht unbedingt am Hochzeitstag spielen: The Turtles, Happy Together In einem Kinderriegel-Werbespot aus dem Jahr 2011 finden Milch und Schokolade spektakulär zusammen – dazu läuft der Refrain des Turtles-Oldies Happy Together. Und noch ein paar weitere Produktfilmchen nutzen den eingängigen Song, um eine positive, glückliche Message zu verbreiten. Family Affairs aus Bad Krozingen ist nur eine von vielen internationalen Coverbands, die das Stück gern auf Hochzeiten zum Besten geben – es findet sich auf einer „Hochzeitsrepertoire“-Liste, die sich heiratswillige Verliebte zur Planung ihres Festtags von der Family-­ Affairs-Website herunterladen können. Keine Frage: Happy Together wird immer wieder gern genommen als der perfekte Soundtrack zu Harmonie und Liebesglück. Und das ist kein Wunder, denn der Titel scheint ja nachgerade dazu aufzufordern. Genau genommen erweist man aber dem glücklichen Paar mit diesem Song einen Bärendienst. Warum? Weil doch schon die ersten vier Worte des Songtextes deutlich machen, dass sich das Glück nur in der Fantasie des unglücklich verliebten Song-Ichs abspielt: „Imagine me and you …“ – „Stell dir vor, du und ich …“ Natürlich: Der Sprecher malt sich hier alle möglichen schönen Dinge aus, er gesteht, wie sehr er die gemeinsame Zeit genießt, und beteuert inbrünstig, für den Rest seines Lebens nur die angesprochene Dame zu lieben. Und doch bildet das Zentrum des Songs die bittere Einschränkung: „Imagine how the world could be so very fine, so happy together.“ Stell dir vor, wie schön es wäre, wenn … So erklärt sich auch der feine wehmütige Unterton in den Strophen des Stücks. Ein echter Happy-Song würde etwas von der hymnischen Euphorie des Refrains auch in den übrigen Songteilen aufblitzen lassen. Die einzige Möglichkeit, wie sich dieses musikalische Kuckucksei trotzdem noch ansatzweise sinnvoll in eine Hochzeitsfeier einbinden lässt: Man spielt das Stück erst, wenn die Braut den Brautstrauß in die Gruppe der hoffnungsvollen Junggesellinnen wirft … 45

Selektive Wahrnehmung

12 Einmal Protestsong, immer Protestsong: Creedence Clearwater Revival, Bad Moon Rising / Have You Ever Seen the Rain / Run Through the Jungle Im Jahr 1969, der Vietnamkrieg trat in seine entscheidende Phase, veröffentlichte die amerikanische Rockband Creedence Clearwater Revival mit Fortunate Son einen expliziten Antikriegssong. Die Lyrics wenden sich zwar nicht direkt gegen den Krieg, stellen ihn aber infrage, indem sie die Entscheidungsträger einer gesellschaftlichen Elite kritisieren, die es meisterhaft verstehen, den Krieg zwar voranzutreiben, aber selbst möglichst wenig Einsatz zu leisten. Das Song-Ich spricht aus der Perspektive des jungen Durchschnittsamerikaners, der an der Front sein Leben aufs Spiel setzen muss, weil er nicht das Glück hat, ein Senatoren- oder Millionärssohn, also ein „fortunate son“, zu sein. Diese Söhne aus gutem Hause nämlich mussten damals in vielen Fällen nicht in den Krieg ziehen, den ihre Väter so vollmundig propagierten. Der mutige Song rückte Creedence Clearwater Revival, kurz: CCR, in den Fokus der Gegenkultur und der Antikriegsbewegung. Und deren Anhänger hörten nur allzu gerne auch aus anderen CCR-Stücken eine deutliche Kritik an den Militäraktionen der amerikanischen Regierung heraus. Im Mittelpunkt standen dabei die 1969 und 1970 erschienenen Songs Bad Moon Rising, Run Through the Jungle und Have You Ever Seen the Rain. Auffällig ist: Alle drei Songs sind sehr vage gehalten und arbeiten mit starken, aufwühlenden Bildern – explizite Kriegs- und Amerikabezüge aber fehlen. So beschwört Bad Moon Rising „einfach“ eine apokalyptische Szenerie – das Song-Ich sieht Erdbeben, Stürme und Fluten nahen: „Auge um Auge“ („An eye is taken for an eye“) lautet das der Bibel entlehnte Motto. Am Schluss steht die Warnung, nicht vor die Tür zu gehen, denn es könnte einen das Leben kosten: „Don’t go around tonight / Well, it’s bound to take your life / There’s a bad moon on the rise.“ Der Schrecken spielt sich nicht etwa an einer konkreten Front ab, sondern be46

Creedence Clearwater Revival, Bad Moon Rising …

trifft den Menschen an sich, und das Motto „Auge um Auge“ lässt weniger an Kriegsparteien als an einen Ausgleich für vergangene Missetaten denken: eine Strafe Gottes etwa oder das Zurückschlagen der Natur. Die Lyrics seien einfach von einem Film inspiriert gewesen, soll die Band einmal erklärt haben. Weshalb sie auch für verschiedene andere Kontexte herhalten mussten. In Run Through the Jungle hat der Sprecher gleich zu Beginn das Gefühl, in einem Alptraum gefangen zu sein („thought it was a nightmare“). Also befolgt er den Rat, durch den Dschungel zu flüchten, denn der Teufel sei von der Leine: „The devil’s on the loose.“ Und wie tritt dieser Teufel in Erscheinung? In Form von 200 Millionen geladenen Waffen – „two hundred million guns are loaded“. Klar, dachten die Friedensbewegten: Dschungel und Gewehrfeuer, das konnte sich doch nur auf den Vietnamkrieg beziehen, oder? Wie man’s nimmt. Denn auch hier gibt es keine weiteren Hinweise auf Truppen und Fronten, auf Amerika, den Feind oder die Politik. „Bring dich in Sicherheit vor den vielen Waffen“, das ist die einzige „Botschaft“, die sich heraushören lässt. Der Song ist damit offen für verschiedene Deutungen, von denen die eines eindeutigen Antikriegssongs zu den eher unwahrscheinlichen gehört. Wer wissen möchte, was sich der Autor selbst dabei gedacht hat, für den hat CCR-Songwriter John Fogerty eine einfache Erklärung parat: Er sei zwar selber Jäger und nicht grundsätzlich gegen Waffen­ besitz, gab er in Interviews zu Protokoll, aber die um sich greifende Waffenbegeisterung und die unkontrollierte Verbreitung von Waffen in Amerika würden ihm große Sorge bereiten, ja regelrecht Angst machen. Unkontrollierter Waffenbesitz in den USA – vor allem davon handelt der Song. Have You Ever Seen the Rain schließlich ist der offenste und am wenigsten martialische der drei Titel. Es geht um nicht viel mehr als die Ruhe vor dem Sturm („Someone told me long ago / There’s a calm before the storm“) und um Regen, der nach dem Sturm an einem Sonnentag fällt: „When it’s over, so they say / It’ll rain on a sunny day / (…) / I wanna know, have you ever seen the rain / I wanna know, have you ever seen the rain / Comin’ 47

Selektive Wahrnehmung

down on a sunny day?“ Oha, dachten da gleich viele Antikriegsaktivisten, bei diesem Regen, der da fällt, während die Sonne scheint, kann es sich ja nur um die Bomben handeln, die über Vietnam abgeworfen werden, um Napalm oder Agent Orange. Denkt man allerdings ein bisschen nach, dann ergibt das nur wenig bis gar keinen Sinn. Denn die Wendung „Ruhe vor dem Sturm“ wird für gewöhnlich weniger im militärischen Zusammenhang gebraucht als im privaten oder im Alltagsbereich. Meist ist damit ein Ungemach oder ein Streit gemeint, eine Auseinandersetzung. Der anschließende Regen lässt dann auf ein reinigendes Gewitter schließen – das heißt, es gibt am Ende ein Ergebnis, eine Entscheidung, im besten Sinne eine Lösung. Die Bomben auf Vietnam aber als reinigendes Gewitter zu beschreiben, das passt nun wirklich nicht in den Kontext eines Protestoder Antikriegssongs. Und so darf man auf einen Konflikt im zwischenmenschlichen Bereich als Zentrum des Songs schließen – einen Konflikt, den jede Hörerin und jeder Hörer beliebig mit konkreten Inhalten füllen kann. Auch hier gab Songwriter John Fogerty später Auskunft, was er selbst mit den Lyrics verbunden haben will: Für ihn persönlich hätten sich darin ernste Konflikte innerhalb der Band Creedence Clearwater Revival gespiegelt. Man nimmt es ihm gerne ab. Denn nur wenige Monate nach der Veröffentlichung des Songs lösten sich CCR auf.

13 The One I Hate: R.E.M., The One I Love Das eingängige Stück wird gern der oder dem Liebsten gewidmet, bei Verlobungen und auf Hochzeiten gespielt. Denn wie sagt der Refrain so treffend: „This one goes out to the one I love!“ So oft und so eingängig wird diese Zeile von Sänger Michael Stipe wiederholt, dass man gern die wenigen Restzeilen dieses melancholischen Hits der Band aus Athens, Georgia überhört: „This one goes out to the one I’ve left behind / A simple prop to occupy my time“, heißt es in den Strophen, während der Refrain 48

R.E.M., The One I Love

lospoltert: „Fire – She’s comin’ down on her own now.“ Und das klingt überhaupt nicht verliebt, sondern hochgradig zynisch. ­Offenbar hat der Sprecher gerade eine Beziehung beendet und befindet sich schon auf dem Weg ins nächste Abenteuer. Für die Verflossene hat er wenig schmeichelhafte Worte übrig: Sie war für ihn nur eine Requisite, ein nettes Dekor, um sich die Zeit zu vertreiben. Der Ausruf „Fire“ ist doppeldeutig – einerseits klingt er wie ein Alarm, andererseits verweist er auf das Chaos und die Zerstörung, die verbrannte Erde, die der Sprecher hinterlassen hat. Konsequenz: Sie, die Ex, ist nun auf sich allein gestellt. In den Augen des weiterziehenden Gigolos muss sie – und damit wird es noch fieser – alleine abstürzen. „This one goes out to the one I love“ klingt dann einfach nur wie ein kleines Willkommen an das nächste Opfer, und die ständige Wiederholung der wenigen Zeilen suggeriert, dass sich das Wechselspiel von Neuverlieben und Schlussmachen noch etliche weitere Male wiederholen wird. Auch die neue Flamme wird nur ein kurzer Zeitvertreib sein, weil der Sprecher weder willens noch in der Lage ist, eine ernsthafte Beziehung einzugehen. Michael Stipe habe anfangs seine Schwierigkeiten mit dem Stück gehabt, erfahren wir auf „songfacts.com“. The One I Love sei an keine bestimmte Person gerichtet, sondern ein Song über Menschen, die andere immer und immer wieder ausnutzen. So bösartig sei der Song, dass es für manche Fans sogar besser sei, wenn sie den eigentlichen Sinn nicht verständen und dahinter nur ein unschuldiges Liebeslied vermuteten …

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Modern Stalking 14 Big Loser’s Watching You: The Police, Every Breath You Take Romantik und Melancholie liegen in der Luft, wenn dieser Song erklingt. Ich erinnere mich noch gut, wie eines Sommers ein frisch eingezogenes, offenbar schwerst verliebtes Paar im Haus gegenüber bei offenem Fenster gemeinsam zu diesem Hit tanzte und Staubwedel schwingend die Wohnung putzte. Doch der erste Eindruck täuscht. Denn Every Breath You Take ist mitnichten ein „wunderschönes“ Liebeslied, sondern ein handfester Stalker-Song. Schon in der ersten Strophe kündigt der Sprecher an, die geliebte Person, von der er verlassen wurde, nie aus den Augen zu lassen: „Every breath you take / And every move you make / Every bond you break, every step you take / I’ll be watching you.“ – „Bei jedem deiner Atemzüge / Und jeder deiner Bewegungen / Bei jedem Bund, den du zerstörst, bei jedem Schritt, den du machst / Werde ich dich beobachten.“ Hier geht es nicht etwa um ein simples Liebesbekenntnis, hier geht es um eine Rund-um-die Uhr-Überwachung, die natürlich auch nachts erfolgt: „Every single day / And every word you say / Every game you play, every night you stay / I’ll be watching you.“ – „An jedem einzelnen Tag / Und bei jedem Wort, das du sagst / Bei jedem Spiel, das du spielst, und jedes Mal, wenn du irgendwo über Nacht bleibst / Werde ich dich beobachten.“ Und so weiter, und so fort. Every Breath You Take wird gern – mal im Original von The Police, mal als miserable Coverversion – auf Sampler mit Titeln wie The Love Songs Album und The Greatest Love Song Collection gepackt. Wer weiß, welche finsteren Überra50

Adele, Someone Like You

schungen solche Kuschelpop-Compilations außerdem bereit­ halten, wenn man hier und da genauer hinhört.

15 „Ach, du bist inzwischen verheiratet? Interessiert mich nicht“: Adele, Someone Like You Eine finstere Überraschung, das gilt auch für einen neueren Feuerzeugschwenkschmachtfetzen: Someone Like You von Adele. Der 2011 veröffentlichte Superhit aus dem zweiten Album der britischen Sängerin wird allgemein als unter die Haut gehender Trennungssong beschrieben und gehört. Stellvertretend für viele Rezensionen schreibt „Wikipedia“: „Someone Like You ist eine Piano-Ballade und handelt von der Trennung einer langen Beziehung. Der Titel wird durch Adeles kräftigen und gefühlvollen Gesang bestimmt (…).“ Passend dazu zitiert „Wikipedia“ das etwas ungelenke Fazit eines Mediums namens „Soul Culture“, das Adeles Stück als „eines der besten Stücke ihres aktuellen ­Albums“ feiert: „Es handelt von verlorener Liebe und Adele bringt mit ihrem Gesang den Inhalt und die Emotionen des Liedes gefühlvoll an die Zuhörer.“ Der perfekte Soundtrack für ein Massenpublikum, das das Leben als endlose Aneinanderreihung von Events zu begreifen und ständig nach neuen „emotionalsten Momenten“ zu suchen scheint. Trennungssongs haben in der Regel etwas Wehmütiges, und manchmal schwingt auch etwas Wut auf den Expartner mit. Aus der Distanz erinnert man sich an vergangene schöne Zeiten oder ruft dem – beziehungsweise der – Verflossenen noch ein paar unschöne Dinge hinterher. Aber was macht das Song-Ich in Someone Like You? Steht Jahre später(!) plötzlich unangemeldet und ziemlich unverschämt vor der Tür des längst glücklich verheirateten Exfreunds, um ihm zu sagen, „that for me it isn’t over“ und bedrohlich lässig hinterherzuschieben: „Never mind I’ll find someone like you“, also: „Mach dir keine Sorgen, ich werd schon jemanden finden, der genau so ist wie du.“ Das hat 51

Modern Stalking

etwas von den Fake-Enden in Horrorfilmen, in denen der psychopathische Killer endlich zur Strecke gebracht scheint, dann aber plötzlich wie vom Erdboden verschluckt ist – spätere Wiederkehr nicht ausgeschlossen. Und die Überlebenden raunen düster: „Es ist noch nicht vorbei …“ Wir wissen nicht, was sich die liebe Adele bei ihrem Songtext gedacht hat. Aber nicht ohne Grund beschreibt Aidan Moffat auf dem Portal „TheQuietus.com“ die Lyrics als „quite scary, psychologically troubling and emotionally stunted“, als „ziemlich beängstigend, psychologisch verstörend, emotional verkrüppelt“. Und Susanne Toito bringt das Vorgehen des Song-Ichs im Blog „Big Brown Fox“ auf den Punkt: „If this is not the makings of a full-fledged stalker, I don’t know what is“ – „Wenn das nicht das Gebaren eines ausgemachten Stalkers ist, was dann?“ Schon gruselig, wenn sich bei Konzerten von Adele Tauende Fans in den Armen liegen und beseelt mitgrölen: Mach dir keine Sorgen, hehe, ich werd schon jemanden finden, der genauso ist wie du …

16 Das kalkulierte Missverständnis: Falco, Jeanny „Bakerman is baking bread / Bakerman is baking bread / Sagabona kunjani wena / Sagabona kunjani wena / The night train is coming, got to keep on running / The night train is coming, got to keep on running …“ Ja, der Bäcker backt sein Brot, der Nachtzug kommt, ballaballa. Selten so gelacht, haha. Aber: Das sind doch keine Falco-Lyrics! Richtig, das sind keine Falco-Lyrics. Das sind die ersten Verse von Bakerman, einem Riesenhit des dänischen Danceduos Laid Back aus dem Jahr 1989. Okaaaaayy …?! Aber was haben diese Verse dann mit dem Text zu Falcos Song „Jeanny“ zu tun? Eine ganze Menge. Zum Beispiel mischen beide Songtexte unterschiedliche Sprachen. Darüber hinaus sind beide Texte ­ ­unheimlich redundant. Und schließlich sind beide vieldeutig, 52

Falco, Jeanny

ambivalent. Das macht sie nicht nur eingängiger, sondern lädt auch ein zu jeder Menge Spekulationen. Man höre zum Vergleich in Jeanny hinein: „Jeanny, komm, come on / Steh auf, bitte, du wirst ganz nass / Schon spät, komm, wir müssen weg hier / (…) / Jeanny, quit livin’ on dreams / Jeanny, life is not what it seems / Such a lonely little girl in a cold, cold world / There’s someone who needs you / Jeanny, quit livin’ on dreams / Jeanny, life is not what it seems / (…) / Es ist kalt, wir müssen weg hier, komm / Dein Lippenstift ist verwischt / Du hast ihn gekauft und ich habe es gesehen …“ Es ist nicht zu überhören: Auch bei Falco gibt es Sprachenwirrwarr, ständig wiederholte Verse und – von der Kälte da draußen zum Lippenstiftkauf – die irritierende Montage seltsamer Szenen. Was die Lyrics zu Jeanny aber so unbequem, so kontrovers macht, ist, dass sie nicht wie Bakerman ein letztlich belangloses Nonsense-Produkt ergeben, sondern das Genre des romantischen Liebeslieds bedienen und es gleichzeitig mit Gruselelementen unterwandern. Da ist zunächst der Lover mit dem Beschützerinstinkt. Und da ist eine junge Frau, die noch irgendwelchen Mädchenfantasien nachhängt. Der Lover gibt der jungen Frau Geborgenheit und Orientierung, er macht ihr klar, dass er sie braucht, dass er sie liebt. Eigentlich könnten die beiden nun glücklich bis ans Ende ihrer Tage leben, wenn … Ja wenn es da nicht verstörende Zusatzinformationen gäbe, die den Eindruck erwecken, dass in der geschilderten Liebesbeziehung etwas nicht stimmt, ja dass sogar Gewalt im Spiel sein könnte. So müssen Jeanny und das Song-Ich nicht etwa einen öffentlichen Platz, ein allmählich schließendes Restaurant oder ein Hotel verlassen, sondern kommen von einem finsteren Ort („Raus aus dem Wald, verstehst du nicht?“). Dort hat Jeanny auch noch einen Schuh verloren, oh weh! Und wenn es später um den Lippenstiftkauf geht, den er beobachtet hat, dann macht der Sprecher nicht den Eindruck eines zärtlichen Liebhabers, sondern eher den eines zudringlichen Stalkers: „Zu viel Rot auf deinen Lippen, und du hast gesagt: ‚Mach mich nicht an‘.“ Richtig ungesund wirkt 53

Modern Stalking

schließlich die Passage, in der das Song-Ich das Zusammensein mit Jeanny beschwört – und andeutet, dass die Frau für ihr vertrautes Umfeld fortan verschwunden sein werde: „Alle wissen, dass wir zusammen sind ab heute / Jetzt hör ich sie. Sie kommen / Sie kommen, dich zu holen / Sie werden dich nicht finden / Niemand wird dich finden, du bist bei mir!“ Ein eingespielter „Newsflash“ scheint auch die letzten Zweifel zu vertreiben: Der Nachrichtensprecher erwähnt die steigende Zahl vermisster Personen und greift den aktuellen Fall einer verschwundenen Neunzehnjährigen auf: „Die Polizei schließt die Möglichkeit nicht aus, dass es sich hier um ein Verbrechen handelt.“ Der letzte Satz aber ist der entscheidende: Es handelt sich möglicherweise um ein Verbrechen. Und nirgendwo im Song wird explizit gesagt, dass zwischen der vermissten Neunzehnjährigen aus den Nachrichten und der Jeanny aus den Lyrics ein Zusammenhang besteht. Falco spielt hier mit Möglichkeiten der Interpretation – macht in seinen Versen gleich mehrere Angebote. Warum zum Beispiel will das Song-Ich mit Jeanny den Wald verlassen? Wäre er der psychopathische Frauenmörder, den der Text an einigen Stellen suggeriert – würde er die Leiche dann nicht im Wald verscharren? Und muss die Begegnung beim Lippenstiftkauf automatisch eine gewalttätige gewesen sein, nichts anderes? Vielleicht war Jeanny ja nur anfangs abweisend und hat sich später in den Mann, der ihr seine Zuneigung zeigte, verliebt? Vielleicht war sie unglücklich in ihrem Leben und ist mit ihrem Lover für immer fortgegangen? Heißt es nicht auch: „Alle wissen, dass wir zusammen sind … Sie werden dich nicht finden“? Aber wenn man schon unbedingt bei der Stalker-/Frauenmörder-These bleiben will: Wer sagt denn, dass Jeanny am Ende tatsächlich tot ist? Kann sich das Angedeutete nicht auch einfach in der Fantasie des Täters abgespielt haben? Oder, noch einmal anders: Sind Jeanny und der Sprecher vielleicht einfach ein Paar, das auf unkonventionelle erotische Rollenspiele steht? Genauso aufschlussreich vieldeutig ist das Video, das damals, 1985, als gewaltverherrlichend kritisiert und zeitweise nur in 54

Falco, Jeanny

Ausschnitten gezeigt wurde. Bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bis hin zu Showmaster Thomas Gottschalk äußerten sich nachgerade angewidert. Denn im Video gibt es erst recht Szenen, die die Stalker-/Frauenmörder-These zu bestätigen scheinen: etwa wenn ein von Falco gespielter Mann im Trenchcoat eine junge Frau beobachtet; wenn er dieselbe Frau in einem finsteren Tunnel wie eine Leiche trägt, sie später aufbahrt, um für sie Klavier zu spielen, und am Ende mit Zwangsjacke in einer Einzelzelle dasitzt. Anspielungen auf den Fritz-Lang-Film M – Eine Stadt sucht einen Mörder gibt es obendrauf. Aber da sind auch andere Momente: etwa der, in dem die aufgebahrte Jeanny die Augen öffnet. Oder die Schlusssequenz, in der Jeanny in verschiedenen Outfits neben dem Eingesperrten in der Gefängniszelle erscheint: mal tanzend in einer Mischung aus BallerinaDress und Hochzeitskleid, mal verführerisch im hautengen Disco-Outfit oder Abendkleid, mal natürlich lachend im JeansLook: Jeanny lebt, kann das bedeuten oder: Jeanny ist lediglich eine vielgesichtige Männerfantasie, eine Frau, deren wie auch immer geartete Eroberung sich der Protagonist nur einbildet. Auch „SPIEGEL Online“-Autor Mark Pätzold kommt 2008 zu dem Schluss, dass sich eine Bluttat nur in den Köpfen des Publikums ereignet: Der von dem damals populären Tagesschausprecher Wilhelm Wieben gesprochene Nachrichteneinspieler am Ende des Liedes ist jedoch der einzige direkte Hinweis des Liedes auf eine Gewalttat – zudem während Falcos Verhaftung im Video die unversehrte Jeanny aus einer Bar herauskommt.

Und dann gibt es in der Schlusssequenz dieses Videos die Szene, in der Jeanny den Eingesperrten küsst und lächelnd aus dem Bild geht. Hat am Ende vielleicht sogar sie ihn in diese missliche Lage gebracht? Auch das Video legt also widersprüchliche Spuren, weist unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten auf und überlässt den Rest dem Publikum. Darin unterscheidet sich der Skandal um Falcos Jeanny von den meisten anderen der hier vorgestellten Missverständnisse: Denn üblicherweise ergeben sich Songmissverständnisse und 55

Modern Stalking

Songvereinnahmungen aus der entweder ungewollten oder aber ganz bewussten Ignoranz gegenüber der eigentlich klar und deutlich formulierten Aussage eines Lieds. Im Falle von Jeanny aber hat das Autoren- und Produzententeam um Falco die möglichen Missverständnisse schon im Voraus kalkuliert. Die Lyrics und das Video sind so angelegt, dass man das Schlimmste heraus­ hören und hineininterpretieren kann, aber nicht muss. Oder, anders ausgedrückt: Auch dieser Song „is not what it seems“ … Es war ein Spiel, das geradezu nach einer Fortsetzung schrie. Und so zogen die Macher ein Jahr später die Schraube der Interpretationsmöglichkeiten noch etwas weiter an. In Coming Home (Jeanny Part 2, ein Jahr danach) kehrte das Song-Ich 1986 von irgendwo irgendwohin zurück und schien Jeanny wiederzutreffen – oder wiedertreffen zu wollen. Einmal mehr deutsch und englisch gemischt wurden die Liebesbeziehung des Paars und die Reaktionen auf die damaligen Ereignisse thematisiert: „One year ago / Ein Jahr wie eine Ewigkeit / Aber es war Liebe auf den ersten Blick / Niemand wollte uns verstehen / Du und ich / Gegen die Welt / Ihr habt uns verurteilt / Ihr habt mich verurteilt / Aber unsere Zeit ist gekommen / Wenn ein Traum Wirklichkeit wird / Coming home, I’m coming home / Let me show you who I am / Let me show you I’m your man / I would give anything just to see you again.“ Was die Lyrics mit einem Paukenschlag suggerieren ist: Jeanny lebt, die beiden scheinen einfach zusammen durchgebrannt zu sein. Zwischendurch muss irgendetwas vorgefallen sein – doch jetzt geht es um so etwas wie die endgültige Klärung des „Beziehungsstatus“, wie man in Zeiten von Facebook sagen würde: „Denkst du noch an mich / Liebst du mich noch / Wo bist du / Kommst du wieder / Denkst du noch an mich / Liebst du mich noch / Wo bist du / Coming home / Yeah he’s coming home / Love will never die / Love will never fade away / Coming home.“ Derart dominant waren in den Lyrics die Schmacht- und Lovesong-Klischees, dass sie im Video zu Coming Home gleich wieder unterwandert werden mussten. Wie schon im ersten Jeanny-Teil wurde auf Hitchcocks Kinoschocker Psycho ange56

Fettes Brot, Ich lass dich nicht los

spielt, es gab Bilder von Tod und Neurose, der Protagonist war an irgendwelche Maschinen angeschlossen. Die Bilder suggerierten, dass der Sprecher aus der Anstalt entlassen wurde und nach seiner Jeanny suchte. Die aber erschien nun eher als Femme fatale, trat meist abweisend kühl als Gefängniswärterin, als ­ schwarze Witwe und einmal mehr als verführerische Discoqueen auf; und wer ein bisschen fantasievoll interpretierte, konnte zu dem Schluss kommen, dass der Mann nicht etwa der Täter, sondern am langen Ende Jeannys Opfer war. Eine totale Umkehrung der bisher vermuteten Verhältnisse. Aber hatten das nicht auch schon die Klapsmühlenbilder aus dem Video zu Teil eins suggeriert – als Jeanny den in die Zwangsjacke gesteckten unglücklichen Liebhaber irgendwie verhöhnte? Oder spielte sich auch diesmal wieder alles nur in der Fantasie des gestörten Protagonisten ab? Fast müßig zu erwähnen, dass Falco & Co irgendwann noch einen dritten Teil nachlegten und dass nach dem tragischen Tod des Stars noch weitere Jeanny-Varianten in Umlauf kamen. Genauso müßig ist es auch, diese Nachzügler weiteren Prüfungen zu unterziehen – dienten doch auch sie lediglich dazu, den Songmythos am Leben zu erhalten. Dessen Kern bestand aus der Manipulation von Kritik und Publikum – durch das bewusste Auslegen skandalträchtiger Fährten und eine offene Gestaltung von Lyrics und Videos, die letztlich mehrere Interpretationsmöglichkeiten eröffnete. Auch wenn der Sensationseffekt spätestens nach Teil zwei verpufft war: Für nicht wenige Kritiker lag und liegt genau in einem solchen cleveren Verwirrspiel um Bedeutungsebenen die Essenz des Pop.

17 Ein Mord zum Schmusen: Fettes Brot, Ich lass dich nicht los „… und sie haben sich den Ruf als vielseitige, intelligente Reimtruppe dabei erhalten“, so lobt einmal mehr „SPIEGEL Online“ am 10. Dezember 2007 das neue Fettes-Brot-Album Strom und 57

Modern Stalking

Drang. Unter der Rubrik „Kulturmix Musik“ heißt es weiter: „Einen Seitenhieb auf die bösen Gangsta-Kollegen aus der Hauptstadt (‚Automatikpistole‘) können sie sich ebenso wenig verkneifen wie eine hübsche R’n’B-Ballade (‚Ich lass dich nicht los‘ mit Gastsänger Pascal Finkenauer).“ Yo, schon klar. Fettes Brot sind coole Hip-Hopper – da kann ein etwas zärtlicherer Song nur unter dem Motto „Konnten sie sich nicht verkneifen“ laufen. Aber es lohnt sich, einen genaueren Blick darauf zu werfen, was in der angeblich so hübschen R’n’B-Ballade Ich lass dich nicht los tatsächlich passiert. Musikalisch liegen die „SPIEGEL“-Rezensenten gar nicht so falsch. Es ist ein langsames Stück mit warmen Beats, Harmonien und Sounds, die man gemeinhin als „gefühlvoll“ und „soulig“ bezeichnet. Auch der anfangs etwas holprig, dann immer schneller gerappte Text beginnt wie ein romantisches Liebeslied: „Ich traf dich im Internet auf einer Seite für junge Leute / Du schriebst, dass du neu hier bist, es sei das erste Mal heute / (…) / Ich schrieb ne Message: Weißt Du, was nett ist / Wenn Du mir ein Foto mit Adresse schickst, wenn Du noch mal chattest / Ich wusste gleich: Du bist die Liebe meines Lebens / Und es war mir klar: Sind wir erst mal ein Paar, wird es auf dieser Welt für mich einfach nichts Schöneres geben.“ Es ist lediglich der atemlose Hochgeschwindigkeitsrap, der etwas irritiert. Ansonsten scheint sich die Geschichte ganz im Sinne des verliebten Erzählers zu entwickeln. Dummerweise aber nimmt Ich lass dich nicht los etliche Verse später, als die „SPIEGEL“-Rezensenten wohl schon nicht mehr hingehört haben, eine dramatische Wendung: „Wir beide kennen uns schon seit über vier Jahren, und eine Sache weiß ich ganz sicher“, schlägt der Erzähler plötzlich zornigere Töne an, „Dieser Freund, den du hast, der Typ ist ein Wichser / Dass er dich nicht wirklich liebt, wirst du bald erkennen / Und es dauert nicht mehr lange, dann wirst Du dich von ihm trennen / Dieser Scheißkerl hat die Blumen weggeschmissen / Meine Briefe alle gleich zerrissen / Du hast ’ne neue Nummer, ich kann nicht mal smsen.“ Und es kommt noch schlimmer. Der Erzähler dringt am Ende sogar in die Wohnung der „Geliebten“ ein. Aus dem Rückblick 58

Fettes Brot, Ich lass dich nicht los

ist längst Gegenwart geworden, das Publikum nimmt unmittelbar an der Auseinandersetzung mit seinem Opfer teil. Und diese Auseinandersetzung endet – nach Handgreiflichkeiten – tragisch. Auf die verzweifelt geschrienen Verse „Hör auf, dich zu wehren! Ich lass dich nicht los! Ich lass dich nicht los!“ hin wird die Musik ruhig, beinahe entrückt. Und nach einigen Takten singen Fettes Brot gemeinsam mit Pascal Finkenauer ganz liebevoll die folgenden Verse: „Jetzt liegst du vor mir und bist wunderschön anzusehen / Nimmst dir Zeit, mir zuzuhören / Die anderen, die draußen auf uns warten, werden das niemals verstehen / Dass wir von hier an miteinander gehen.“ Uaaaahhh, das ist gruselig! Stalking bis zum bittersten Ende, sprich: Mord, vielleicht sogar bis zum Selbstmord des Erzählers. Kein Zweifel, hübsche R’n’B-Balladen gehen anders …

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Grenzwertiges Autobiografie­verständnis 18 Der Titel sagt doch schon alles. Oder? Madonna, Borderline Madonna heißt das Album, mit dem die gleichnamige amerikanische Künstlerin 1983 ihre beispiellose internationale Karriere startete. Single-Auskopplungen wie Holiday (Oktober 1983), Lucky Star (August 1984) und Borderline (Februar 1984) machten die als Madonna Louise Ciccone geborene Sängerin und Songschreiberin innerhalb weniger Monate zur gefeierten Königin des Dance-Pop und damit weltberühmt. Rund 20 Jahre lang erfüllten die Songs von Madonnas LP-Debüt vor allem eine Funktion: Menschen in Clubs und Discos oder auf Partys zum Tanzen zu bringen. Doch kurz nach der Jahrtausendwende glaubten plötzlich gleich mehrere Autoren, gerade im Song Borderline eine tiefere Bedeutung zu entdeckt zu haben. „Borderline war einer der ersten Hits von Madonna“, beginnt etwa Wolf-Dieter Roth einen „Telepolis“-Beitrag aus dem Jahr 2005, den die Website „www.heise.de“ zitiert. „Nicht so eklig wie Like a Virgin, Material Girl und ähnliche pappsüße Kommerz-Plastikware, die einen einst Madonna aus vollem Herzen hassen ließen. Nein, ein fröhlich trällernder Song.“ Spürbar um Sachlichkeit bemüht, äußert Roth also zunächst ein paar ausgesuchte Nettigkeiten. Um dann – Ta-daaaa! – verschwörerisch die Katze aus dem Sack zu lassen: „Doch, was kaum bekannt ist: ein autobiografischer Song. Madonna besingt hier nicht nur eine turbulente Beziehung – sie verrät auch die Ursache dafür: ‚Borderline‘ ist die erst in den 60

Madonna, Borderline

l­etzten Jahren bekannter gewordene Bezeichnung für eine weit verbreitete Persönlichkeitsstörung.“ Oha! In der Tat handelt es sich bei dieser Persönlichkeitsstörung um eine schwerwiegende seelische Erkrankung, die meist im Grenzbereich – an der „Borderline“ – zwischen Psychose und Neurose eingeordnet wird. Es geht um ein Krankheitsbild, dem von Angstzuständen, autoaggressivem Verhalten und Depressionen über Essstörungen und zwanghaftes Verhalten bis hin zu Schwarz-Weiß-Denken, Identitätsauflösung und Selbstmordgedanken die unterschiedlichsten Symptome zugeordnet werden. Dass sich schillernde Stars aus der Scheinwelt Hollywoods und der Musikindustrie für Borderlinediagnosen geradezu aufdrängen, versteht sich ebenso von selbst wie die Tatsache, dass solche Diagnosen in der Regel nur aus der Ferne vorgenommen werden. Celebrities. Vom schwierigen Glück, berühmt zu sein ist der Titel eines Buchs, mit dem Borwin Bandelow 2006 exakt in diese Kerbe schlägt. Janis Joplin, Jimi Hendrix, Elvis Presley oder Robbie Williams, so der Diplom-Psychologe, seien überaus kreative Stars, die erst durch Persönlichkeitsstörungen wie das Boderlinesyndrom zu künstlerischen Höchstleistungen getrieben würden. Eine verlockende These, die auch Grigorios Petsos bereitwillig aufgreift, um sie einmal mehr an Madonna und dem Song mit dem offensichtlichen Titel festzumachen. „Borderliner kennen nur das Schwarze oder das Weiße, das Himmelhochjauchzende oder das zu Tode betrübt sein“, erklärt Petsos im Internet unter „http://www.freenet.de/nachrichten/wissenschaft/borderlinesyndrom_730992_4702462.html“. „Das ist für den Mitmenschen äußerst anstrengend, denn der Borderliner kann wegen kleinster, nicht nachvollziehbarer Anlässe in Wutanfälle oder Depressionen verfallen, andererseits braucht er (oder sie) für ein bisschen Glück größte Bestätigung. Madonna hat diese verhängnisvolle Ambivalenz in ihrem Song ‚Borderline‘ beschrieben.“ Dumm nur, dass Petsos keine Belege für seine Argumentation liefert. Die Auseinandersetzung mit einigen dieser vielsagenden Songzeilen wäre hilfreich gewesen, vielleicht auch der eine oder andere Kommentar aus dem Umfeld der Künstlerin, auf jeden 61

Grenzwertiges Autobiografie­v erständnis

Fall aus berufenem Munde. Aber nichts dergleichen. Weshalb man sich am besten selbst auf die Spur begibt und so aufgeschlossen wie möglich in Borderline hineinhört. „Something in the way you love me / won’t let me be“, beginnt Madonna ihren Text über einem entspannten Disco-Groove und deutet so gleich an, worum es geht: um die Liebe im Allgemeinen und eine gewisse Unzufriedenheit im Besonderen. Den Grund für diese Unzufriedenheit umreißen die folgenden Zeilen: „I don’t want to be your prisoner / So baby won’t you set me free.“ Geht es etwa um ein bisschen Freiheitsdrang, um ein Gefühl des Eingeengtseins?, darf man sich einen Moment lang fragen. Doch dann wird deutlich, dass genau das Gegenteil der Fall ist: Das Ich im Song will die feste, vor allem: verlässliche Beziehung. Aber es ist enttäuscht, weil der Partner die Beziehung offenbar nicht ernst genug nimmt. Statt Spielchen zu spielen, soll er endlich zu Ende führen, was er begonnen hat. Das heißt: entweder Schluss machen und die halbherzig behandelte Freundin endlich freigeben oder sich endgültig zu der Beziehung bekennen. Denn ihm wird ja ein Höchstmaß an Liebe entgegengebracht: „Stop playing with my heart, finish what you start / When you make my love come down / If you want me let it show / Baby let it show / Honey don’t you fool around / Just try to understand / I’ve given all I can / Cause you got the best of me.“ Im anschließenden Refrain fällt das Schlagwort, auf das manche Psychologen und Hobbytherapeuten so begeistert anspringen: „Borderline“, klagt Madonna und scheint die These von der massiven Persönlichkeitsstörung zu bestätigen: „Feels like I’m going to lose my mind“ – „Die absolute Grenze … Ich hab das Gefühl, ich verlier’ den Verstand.“ Doch das war’s dann auch schon mit dem vermeintlichen Borderlinesyndrom – denn im weiteren Refrainverlauf wird das Reizwort gänzlich anders aufgelöst: „You just keep on pushing my love over the borderline“ – „Du treibst meine Liebe immer weiter über die Grenze des Erträglichen“. Was nichts anderes bedeutet als: Du überspannst den Bogen, Du enttäuschst mich so und lässt mich derart hängen, dass ich bald nicht mehr kann. 62

Madonna, Borderline

Nicht um einen schweren seelischen Knacks geht es also, sondern um einen flatterhaften Geliebten – um Liebeskummer und die Angst, enttäuscht zu werden. Dinge eigentlich, die in vielen Lovesongs besungen werden, nur dass sie nicht Borderline heißen. Die Protagonistin klingt mitnichten wie eine haltlos-depressive, therapiebedürftige Neurotikerin, sondern wie eine ganz „normale“ Verliebte, die sich von ihrem Partner mehr Zuneigung und Beständigkeit wünscht. Auch im weiteren Verlauf des Songs gibt es keinerlei Hinweise auf schwere Persönlichkeitsstörungen, von Magersucht und Identitätsverlust keine Spur. Stattdessen beschwert sich das seiner eigenen Gefühle hundertprozentig sichere, konsequent liebende Ich, dass der Geliebte mal da ist und ihr im besten Sinne den Verstand raubt, um anschließend wieder abzutauchen und die Partnerin, die sich so nach Verlässlichkeit sehnt, barsch zurückzuweisen: „Something in your eyes is makin’ such a fool of me / When you hold me in your arms you love me ’til I just can’t see / But then you let me down / When I look around / Baby you just can’t be found / Stop driving me away / I just wanna stay / There’s something I just got to say …“ Und wieder: „You just keep on pushing my love over the borderline.“ Wer eigentlich bleiben will, aber ständig zurückgewiesen wird, bei dem ist – logisch – ­irgendwann eine Grenze überschritten. Dann heißt es: Lieber ­wieder frei sein als ewig leiden. Und so weiter … und so fort … Der Song gibt also nicht viel her in Sachen Psychodiagnose. Aber es gibt ja noch ein Musikvideo zu Borderline. Vielleicht finden sich dort ein paar Hinweise auf massive krankhafte Symptome? Tut sich möglicherweise hinter der glamourösen Achtzigerjahre-Ästhetik, hinter dem häufigen Wechsel zwischen SchwarzWeiß und Farbe im von Mary Lambert gedrehten Clip doch der eine oder andere seelische Abgrund auf? Die Szenen in Farbe zeigen Madonna als Teil einer bunten Straßenclique, die sich zum Abhängen, zum Breakdancen und zum Billardspielen trifft. Dazu gehört auch ein smarter junger Mann, der den Freund der von Madonna gespielten Figur verkörpert. In den gediegenen SchwarzWeiß-Szenen wiederum ist Madonna mit einem offenbar reichen Mode- und Jetset-Fotografen zu sehen. Der hat sie auf der Straße 63

Grenzwertiges Autobiografie­v erständnis

entdeckt und zu Fotoshootings in sein Studio eingeladen. Man trinkt Sekt oder Champagner, auch wird ein wenig geflirtet, und tatsächlich ist das Konterfei der Protagonistin bald auf einem ­Titelblatt am Zeitschriftenkiosk zu sehen. Es kommt zu Eifersüchteleien, doch am Ende wendet sich die Protagonistin von ihrem aalglatten Fotografenverehrer und der letztlich fremden JetsetWelt ab, um in die Straßenclique und zu ihrem Freund zurück­ zukehren. Das ist eine eher simple Filmhandlung, die im übertragenen Sinne auch eine Aussage über die neue Popikone Madonna macht: Sie mag jetzt zwar berühmt, ein Star und in der ganzen Welt unterwegs sein, aber sie wird am Boden bleiben und keinesfalls ihre Wurzeln kappen. Da Madonna im Video schauspielert und gleichzeitig den Text vorträgt, ist man als Zuschauer geneigt, die Lyrics der von ihr verkörperten Protagonistin zuzuordnen: Vielleicht hat sie ihren smarten Freund mit dem Fotografen nur eifersüchtig gemacht? Möglicherweise um ihn dazu zu bringen, sich ganz für sie zu entscheiden? Andererseits scheint hier eher die Protagonistin die Unentschiedene zu sein – ihr Freund wirbt beständig um sie. Doch letztlich interessiert das an dieser Stelle nur am Rande. Was zählt, ist die Frage, ob das Musikvideo zu Borderline in irgendeiner Weise das Borderlinesyndrom thematisiert. Und die klare Antwort lautet: Fehlanzeige. Manchmal ist ein Sachverhalt eben doch so simpel, dass er sich in einem einzigen Satz zusammenfassen lässt: „In this love song Madonna asks her boyfriend to make up his mind, because she’s crazy in love with him.“ Diesem lapidaren Fazit auf der Website „www.mad-eyes.net“ ist eigentlich kaum etwas hinzuzufügen, abgesehen von der kleinen Anmerkung, dass es nicht unbedingt Madonna persönlich sein muss, die in dem Song spricht. Zwei weitere Anmerkungen seien erlaubt. Erstens: Selbst für den Oberverfechter der „Celebrities als Borderliner“-These, den bereits erwähnten Diplom-Psychologen Borwin Bandelow, passt Madonna nicht ins Schema: „Madonna ist keine Borderlinerin“, erklärt er überaus fachmännisch in einem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, „sie hat nur viele narzisstische Elemente und diesen zwanghaften Perfektionismus. Singen kann sie 64

Udo Jürgens, Mein Bruder ist ein Maler

nur mäßig.“ Zweitens: Ein Madonna-Song, den Kritiker verschwörerisch als versteckt „autobiografisch“ feiern, sollte doch sinnigerweise auch von Madonna geschrieben sein. Borderline aber, das bestätigen die Songwriting-Credits, stammt aus der Feder des Autors, Komponisten und Produzenten Reggie Lucas. Was Madonna in Borderline singt: Etwas in der Art und Weise, wie du mich liebst, lässt mir keine Ruhe / Ich will nicht deine Gefangene sein, also warum, Schatz, gibst du mich nicht einfach frei / Hör auf, mit meinem Herzen zu spielen / Bring zu Ende, was du angefangen hast / Wenn du meine Liebe auflaufen lässt / Wenn du mich willst, dann lass es mich wissen / Schatz, zeig mir deine Liebe / Und spiel keine Spielchen / Versuch einfach zu verstehen / Ich hab gegeben, was ich konnte / Du bekommst von mir mein Bestes / Die Grenze … / Ich hab das Gefühl, ich verlier’ den Verstand / Du treibst meine Liebe immer weiter über die Grenze des Erträglichen (…) Etwas in deinen Augen lässt mich total lächerlich aussehen / Wenn du mich in deinen Armen hältst, dann macht mich deine Liebe blind / Doch dann tust du mir weh / Wenn ich nach dir suche / Schatz, dann bist du nirgendwo zu finden / Hör auf, mich von dir wegzutreiben / Ich will einfach bei dir bleiben / Da gibt es etwas, das ich dir sagen muss / Die Grenze … / Ich hab das Gefühl, ich verlier’ den Verstand / Du treibst meine Liebe immer weiter über die Grenze des Erträglichen (…)

19 „Aber ich male doch gar keine Clowns!“: Udo Jürgens, Mein Bruder ist ein Maler Viele Songs, die autobiografisch wirken, sind es nur mit Blick auf die Grundidee. Meist variieren sie die wahren Begebenheiten und Zusammenhänge in kleinen, aber entscheidenden Details. 65

Grenzwertiges Autobiografie­v erständnis

Im besten Falle entwickeln sie dann eine Aussage, die weit über den bloßen autobiografischen Bezug hinausweist – auch wenn sich die Öffentlichkeit unbeirrbar auf diesen Bezug fixiert. Ein schönes Beispiel findet sich im Udo-Jürgens-Song Mein Bruder ist ein Maler aus dem Jahr 1977. Auf den ersten Blick bewegt er sich tatsächlich recht nah an der Biografie des erfolgreichen ­Entertainers: Udo Jürgens heißt mit bürgerlichem Namen Udo Jürgen Bockelmann, und sein Bruder Manfred war auch zur Entstehungszeit des Songs schon ein erfolgreicher Maler. „Sein mit dem Lied Mein Bruder ist ein Maler bedachter Bruder Manfred Bockelmann …“, bringt daher „Wikipedia“ den Liedinhalt auf den Punkt, und „ORF 2“ kündigt noch 2011 eine Reportage über Manfred Bockelmann mit folgenden salbungsvollen Worten an: „Sein Bruder Udo Jürgens sorgt gerade mit seiner Familiensaga ‚Der Mann mit dem Fagott‘ für Furore. Vor Jahren hat er ihm mit dem Lied ‚Mein Bruder ist ein Maler‘ ein musikalisches Denkmal gesetzt.“ Aber geht es in dem Song wirklich darum, explizit den Bruder Manfred zu „bedenken“? Ihm gar ein Monument zu errichten? Man kann ja mal reinhören und das Gehörte mit der Wirklichkeit abgleichen. In den Lyrics vergleicht das Ich seine Leistung als Musiker mit der Leistung des malenden Bruders – und kommt in einem Anflug von Neid zu dem Ergebnis, dass dessen Gemälde aufgrund ihrer Unvergänglichkeit wertvoller seien als die eigenen kurzlebigen musikalischen Kompositionen: „Manchmal komm’ ich so klein mir vor / Mit meinen großen Tönen / Die im kleinsten Wind wie blauer Dunst verweh’n / Und so etwas wie Eifersucht / Beginnt in mir zu brennen / Wenn ich dann seine Bilder seh’, so unvergänglich schön.“ Im Refrain stellt das Ich sein Licht ganz deutlich unter den Scheffel, um den Bruder und dessen Leistung noch größer erscheinen zu lassen: „Denn mein Bruder ist ein Maler / Und ein Bild von seiner Hand / Kann mehr sagen als tausend Melodien / Ja, mein Bruder ist ein Maler / Ich bin nur ein Musikant / Und in manchen Träumen, da beneid’ ich ihn.“ Okay, so könnt’s gewesen sein. Doch nach einer weiteren Strophe, die das Grundthema vertieft, und einem weiteren Refrain 66

Udo Jürgens, Mein Bruder ist ein Maler

bringt das Song-Ich in einem Zwischenteil Beispiele für die ­Arbeit des Bruders und für die Art, wie seine Werke wirken: „Wenn seine Frau mal traurig ist / Malt er ihr Orchideen / Und seinem Kind, das weint, den Clown, der Lachen schenkt.“ Und hier ist der Song ganz deutlich von den biografischen Fakten abgewichen. Inwiefern? Das erklärt Manfred Bockelmann 2008 in der Dezemberausgabe von „NZZ Folio“, der Zeitschrift der „Neuen Zürcher Zeitung“: Als das Lied herauskam, fragten alle: „Ja, wo ist denn dieser Bruder?“ Ich war damals schon recht erfolgreich und zeigte meine Arbeiten auf der Kunstmesse in Köln, Düsseldorf und Basel, es ging richtig gut los. Nun kam dieses Lied. Es war die Zeit von „Griechischer Wein“. Und die Leute dachten, ich male Bilder, so wie Udo singt. Doch das tue ich nicht. Meine Kunst ist anspruchsvoller, das weiss Udo auch. In dem Lied gibt es diese Strophe: „Wenn seine Frau mal traurig ist, malt er ihr Orchideen, und seinem Kind, das weint, den Clown, der Lachen schenkt.“ – Ich habe noch nie einen Clown gemalt! Also nein!

Also wirklich! Ein Blick auf den Fortgang der Lyrics zeigt, was es mit den offenbar aus der Luft gegriffenen farbenprächtigen Blumen und Spaßmachern auf sich hat. Sie müssen als „bunte“ Elemente herhalten, um zum Finale des Songs überzuleiten: „Er macht das Trübste wieder bunt / Drum kann ich nicht widerstehen“, so weckt diese Überleitung Neugier, „wenn seine Frau mir dann erzählt, was er sich manchmal denkt: …“ Im anschließenden letzten Refrain, der überraschenden Schlusswendung, wird folgerichtig der malende Bruder zitiert, den – so die Ehefrau – dieselben Gedanken und Gefühle wie das Song-Ich umtreiben, nur aus der entgegengesetzten Perspektive: „Ja, mein Bruder ist ein Sänger / Und ein Lied aus seinem Mund / Das sagt mehr, als manches Bild je sagen kann / Ja, mein Bruder ist ein Sänger / Und sein Leben ist so bunt / Manchmal fing’ auch ich so gern zu singen an.“ In diesen letzten Versen offenbart sich das eigentliche Zentrum des Songs: Nicht um eine etwaige Rivalität der malenden und sin67

Grenzwertiges Autobiografie­v erständnis

genden Gebrüder Bockelmann im wirklichen Leben geht es, auch nicht um den vage anklingenden „Paragone“ der Renaissance, den Wettstreit um die Überlegenheit einer bestimmten Kunst über alle anderen Künste, sondern um den universellen Gedanken, dass jeder Mensch ein Talent hat, das ihn auszeichnet – etwas, das andere nicht können. Und dass das, was ein Mensch schafft, jeweils seine ganz eigene Wertigkeit besitzt. Der bloße Satz „Mein Bruder ist ein Maler“ macht noch keinen autobiografischen Song – erst recht nicht, wenn der im Song beschriebene Maler ganz anders malt als der Jürgens-Bruder. Die biografischen Fakten und Details aus dem Leben der Gebrüder Bockelmann dienen lediglich als Aufhänger für die Formulierung einer übergreifenden These oder Erkenntnis – und werden mit Blick auf die möglichst effektive ­Zuspitzung dieser These nach Belieben manipuliert. Dazu passt, dass der Text überhaupt nicht von Udo Jürgens, sondern von einem Herrn namens Wolfgang Hofer stammt.

20 Entziehungskur? Ach nö! Aber vielleicht wollte ich ja etwas ganz anderes sagen: Amy Winehouse, Rehab Wenn schillernde Stars tragisch abstürzen, dann hat das nicht selten Auswirkungen auf die Wahrnehmung ihrer Songs. Plötzlich sucht alle Welt in den Lyrics nach versteckten Hinweisen auf die Tragödie, reduziert sie auf einen vermeintlichen autobiografischen Gehalt. So geht auch der Filmemacher Asif Kapadia in seiner hochgelobten Dokumentation Amy vor, die am 16. Juli 2015 in den deutschen Kinos startete. Amy ist ein Porträt der 2011 verstorbenen britischen Soulsängerin Amy Winehouse. Der Regisseur sucht nach dem Punkt, an dem die Karriere des zuletzt von Alkohol und Drogen gebeutelten Stars ins Tragische kippte, und blendet immer wieder Auszüge aus den Songtexten von Amy Winehouse ein – ganz offenbar, weil er diese Lyrics als so etwas wie Tagebuchauszüge begreift. So antwortet Kapadia in der Juli-2015-Ausgabe der Zeitschrift „epd film“ auf die Frage, ob 68

Amy Winehouse, Rehab

die Entscheidung für das Einblenden der Lyrics erst in der Postproduktion gefallen sei: Oh nein, dazu entschied ich mich ziemlich früh. Denn wer die Texte liest, versteht Amys Leben. Das war wirklich das Einzige, worüber sie geschrieben hat. Viele Fans haben womöglich nie darüber nachgedacht, dass sie all das selbst verfasst hat. Aber alles, was man wissen muss, findet man in ihren Songs. Für einen Moment hatte ich gedacht, dass es vielleicht überflüssig ist, die Lyrics auch tatsächlich einzublenden. Doch sobald man sie weglässt, fängt man als Zuschauer an, den Kopf im Takt der Musik zu bewegen und mehr der Melodie als dem Text zu folgen.

Nach dieser Auffassung scheint die Musik eines Songs – der Rhythmus und die Melodie, der Sound, die ganze Atmosphäre – nur zweitrangig zu sein und vom Wesentlichen, dem Text als authentischem Gefühlsausdruck, abzulenken. Da möchte man sich beinahe fragen, warum Amy Winehouse nicht einfach nur Gedichte oder einen Lebensbericht veröffentlicht hat … aber egal. Wichtiger ist die Frage, ob man die Songs von Amy Winehouse, und so viele sind es ja nicht, tatsächlich auf so etwas wie ihren autobiografischen Gehalt festnageln kann. Ich bin zumindest skeptisch. Bei Udo Jürgens und Mein Bruder ist ein Maler eben ist ja deutlich geworden, wie sich auch in einen scheinbar autobiografischen Textrahmen kleine Details einschleichen, die so gar nicht der Realität entsprechen. Und ich bin sicher, dass sich in fast jedem berühmten Lied, dem man eine große Nähe zwischen Song-Ich und biografischem Ich nachsagt, solche kleinen Detailveränderungen festmachen lassen – zumindest aber Verdichtungen und Zuspitzungen eines Gedankens, der weit über das vordergründige Songthema hinausgeht. Das vordergründige Thema ist dann eher so etwas wie ein Ablenkungsmanöver, eine Blendrakete. Auftritt Rehab – der 2008 mit diversen Auszeichnungen überschüttete Superhit von Amy Winehouse. „They tried to make me go to rehab / But I said ey no, no, no“, heißt es da einprägsam und: „I ain’t got the time / And if my daddy thinks I’m fine / 69

Grenzwertiges Autobiografie­v erständnis

They tried to make me go to rehab / I won’t go, go, go.“ Also: „Sie haben mich gedrängt, einen Entzug zu machen / Aber ich habe gesagt: Nein, Nein, Nein (…) Ich hab keine Zeit / Und wenn mein Vater denkt, es ist halb so schlimm … / Sie haben mich gedrängt, einen Entzug zu machen / ich werd nicht geh’n, nein, nein.“ Man musste nur die Medien-Sensationsberichte der Jahre 2007 bis 2010 verfolgen, um zu sehen, wie nah der Text am wirklichen Leben der mit einer Ausnahmestimme gesegneten Interpretin zu rangieren schien. Es ging ganz offensichtlich um deren nicht von der Hand zu weisende Rauschmittelsucht, um peinliche Auftritte im benebelten Zustand, den Vater, der das Problem verharmloste, oder das Management, das wiederholt versucht haben soll, die Künstlerin zu einem Entzug zu bewegen. Nicht nur bei Asif Kapadia, der einen engen Amy-Vetrauten von einem regelrechten Rehab-Überrumpelungsversuch berichten und den Vater in Anlehnung an die Lyrics seine „She’s fine“-Einschätzung wiederholen lässt, ist von einem autobiografischen Song die Rede – die Autobiografie-Versessenheit prägt schon seit Songerscheinen auch Zeitungsartikel und Onlinebeiträge. Zum Beispiel die Website von Jochen Scheytt, der unter der Rubrik „Popsongs und ihre Hintergründe“ erschüttert feststellt, dass sich „die renitente Aussage des Refrains durch den ganzen Song“ ziehe. Nach erschreckenden Statistiken zum Thema Drogenmissbrauch und wenig erhellende Kommentaren zu den Lyrics kommt Scheytt zu dem Schluss: „Man wünscht sich, dass die Einsicht noch kommen möge. (…) Ich wünsche mir einen Songtext von Amy Winehouse: ‚I really wanna go to rehab, I wanna go, go, go!‘“ Die Songaussage auf die Ablehnung eines Entzugs durch die reale Person Amy Winehouse zu reduzieren, wird jedoch dem Stück, wie ich finde, nicht gerecht. Auch macht das Gerede vom autobiografischen Song hier mehr aus dem Ganzen, als es eigentlich ist. Denn Autobiografie ist die Beschreibung des eigenen Lebenslaufs, gespickt mit Reflexionen und persönlichen Einschätzungen – und davon kann in Rehab keine Rede sein. Das Stück ist äußerst redundant – sein Text lebt im Wesentlichen von wenigen ständig wiederholten Versen und ist mitnichten eine re70

Amy Winehouse, Rehab

flektierende Aufarbeitung der eigenen Lebensgeschichte oder auch nur eines Teils davon. Zum Beispiel wird weder die Heroinproblematik noch der ebenfalls suchtkranke Ehemann der Sängerin, der sowohl in ihrem Leben als auch in den Berichten der Boulevardmedien keine unwesentliche Rolle spielt, auch nur ansatzweise thematisiert. Ganz zu schweigen vom ambivalenten Verhältnis der Sängerin zu ihrem Vater, das sich viel distanzierter gestaltete, als der Vers „And if my daddy thinks I’m fine“ vermuten lässt. Wollte man den Lyrics nun unbedingt eine allgemeinere Aussage unterstellen, dann vielleicht die, dass sie eine typische Haltung von Alkoholkranken widerspiegeln: Verleugnung und Verdrängung des Problems. Aber auch das scheint mir ziemlich weit hergeholt. Da klingen die abschließenden Verse des Stücks schon etwas aufschlussreicher: „The man said, why’d you think you’re here / I said, I got no idea / I’m gonna, I’m gonna lose my baby / So I always keep a bottle near.“ Übersetzt: „Der Mann fragte mich: Was glauben Sie, warum Sie hier sind / Ich sagte: Keine Ahnung / Mein Schatz, mein Schatz wird mich verlassen / Also habe ich immer eine Flasche in Reichweite.“ Einsamkeit ist also der Schlüssel, was durch Zeilen wie: „I don’t never wanna drink again / I just, oooh, I just need a friend“ untermauert wird: „Ich will nie wieder trinken / oooh, ich brauche einfach einen Freund.“ Nicht unbedingt um ein konstantes Alkoholproblem geht es also in dem Song, sondern eher um Einsamkeit und um Verlustangst, um Gefühle, die vorübergehend zu exzessivem Alkoholgenuss führen – und die Umgebung des Song-Ichs veranlassen, falsche Schlüsse zu ziehen. Nicht die Entzugsklinik wäre demnach die Lösung, sondern ein Ende der Einsamkeit, also Geborgenheit und Nähe. Aber das ist noch nicht alles: Etwa in der Mitte des Stücks gibt es eine weitere Passage, die die Interpretationsansätze noch einmal in eine ganz andere Richtung treibt: „I’d rather be at home with Ray / I ain’t got 70 days“, heißt es da und: „’Cause there’s nothing, there’s nothing you can teach me / That I can’t learn from Mr. Hathaway.“ – „Ich bleib lieber zu Hause mit Ray / Ich habe 71

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keine 70 Tage Zeit / Denn da gibt es nichts, was ihr mir beibringen könnt / Das ich nicht auch von Mr. Hathaway lernen kann.“ Mit Ray und Mr. Hathaway sind vermutlich die schwarzen Soulstars Ray Charles und Donny Hathaway gemeint. Ihnen schreibt das Song-Ich eine Lebenserfahrung und eine Weisheit zu, die keine Schulbildung, keine Therapie, kein Entzug vermitteln können. Ray Charles hatte zwar ein Heroinproblem, das er nach einer Entziehungskur überwand, aber Donny Hathaway litt vor allem an Depressionen und war mehrmals in stationärer psychiatrischer Behandlung, bevor er aus dem Fenster in den Tod sprang. Auch angesichts der Tatsache, dass das Song-Ich einen Entzug ablehnt, während Charles eine solche Kur absolvierte, kann das Suchtthema nicht der Grund für den Hinweis auf Ray und Hathaway sein. Vielmehr scheint es um eine Hommage an die große Zeit der schwarzen Soulmusik und ihre durch sämtliche Höhen und Tiefen des Lebens gegangenen Protagonisten zu gehen. Das unterstreichen der packende Rhythmus des Songs und seine wuchtige Soundproduktion, die den Soul der Fünfziger- und Sechzigerjahre beschwört und ins 21. Jahrhundert hinüberholt. In dieser Hommage und im Thema Einsamkeit, an dem sich auch die Soulmusik immer wieder auf einzigartige Weise abarbeitet, liegt meiner Meinung nach das eigentliche Zentrum von Rehab. Klar gibt es Themen und Motive, die an das wirkliche Leben der Künstlerin erinnern. Trotzdem geht es nicht in erster Linie um ein persönliches Statement der Privatperson Amy Winehouse, die möglicherweise nicht gewillt ist, dem Druck der Öffentlichkeit nachzugeben und endlich ihre Sucht zu akzeptieren. Nein, in erster Linie geht es um eine Huldigung an den Geist der Soulmusik. Die Aufforderungen an das Song-Ich, eine Entziehungskur zu machen, sind nur ein drastisches Bild für dessen Einsamkeit und für das Unverständnis, das mangelnde Einfühlungsvermögen der Menschen in seiner Umgebung. Es geht um ein bestimmtes Soul-Feeling. Damit bilden auch bei Amy Winehouse vereinzelte persönliche, autobiografische Elemente lediglich den Aufhänger für eine übergreifende Songbotschaft, die ganz anders gelagert ist, als es vordergründig erscheinen mag 72

Rihanna, Unapologetic

– und als es eine sensationsgierige Öffentlichkeit gerne hätte. „Ja, meine Songs sind persönlich“, sagt die Sängerin in Asif Kapadias Film einmal sinngemäß in die Kamera, „aber ich baue gern eine Pointe ein“. Rehab ist dafür ein wunderbares Beispiel.

21 Die Braut haut ins Auge: Rihanna, Unapologetic Wer spricht im Song? Glaubt man einigen Kritikern, dann spricht auf Rihannas überraschend interessantem 2012er Album Unapologetic niemand anders als die Künstlerin selbst – etwa über die schmerzhafte Beziehung zu ihrem Ex Chris Brown. Chris Brown? Das ist der junge Mann, der seine damalige Freundin 2009 krankenhausreif geprügelt hatte. Im Jahr 2012 sah man die beiden wieder öfter zusammen, Brown singt auf Unapologetic sogar ein Duett mit Rihanna. Na, da muss doch „alles autobiografisch“ sein! „Der Longplayer hat es in sich“, schreibt etwa Sabine Metzger für das Portal „Magistrix.de“. „Die 24-Jährige verarbeitet hier ihre verkorkste, gewaltbelastete Beziehung mit dem Sängerkollegen Chris Brown ganz offen (…) In ‚No Love Allowed’ erzählt sie zu relaxtem Reggae-Beat und harmlos-verspielter Melodie ziemlich unverblümt von den Misshandlungen, die sie erlebt hat: ‚I was flying til you knocked me to the floor‘ (‚Ich flog, bis du mich zu Boden geschlagen hast‘).“ Andreas Borcholte schlägt für „SPIEGEL Online“ in dieselbe Kerbe: „Für alle, die den Kopf schütteln über die Frau, die zu ihrem Schläger zurückkehrt, hat Rihanna mit ‚Nobody’s Business‘ eine fröhliche Uptempo-Nummer parat, die sie – bam! – mit Chris Brown im Duett singt: ‚You’ll always be my boy, sing it to the world‘. Vergeben und vergessen ist jedoch nicht alles, daher rührt wohl der nüchterne Tonfall, der viele ihrer neuen Lieder durchzieht: ‚Your love hit me to the core / I was fine til you knocked me to the floor‘, singt Rihanna in ‚No Love Allowed‘, ‚I pray that love don’t hit twice‘ heißt es in ‚Love Without Tragedy‘.“ 73

Grenzwertiges Autobiografie­v erständnis

Ich meine: Nix „bam!“, nix „hat es in sich“, sondern – zoingggg! – alles Quatsch! Browns Prügelattacke war doch 2012 bald vier Jahre her, und es wurde – gähn! – schon früheren ­R ihanna-Songs ein Aufarbeitungsimpuls nachgesagt. Tatsächlich kokettiert die Sängerin hier nur, und zwar mittels handels­ üblicher R&B-Lyrics-Klischees. Das Song-Ich ist nicht Rihanna, sondern ein „Gebrauchs-Ich“ – und der Rest ist Standardmetaphorik. Argumente dafür? Bitte sehr. „Du haust mich um“, das ist schon im Deutschen eine gängige Formel fürs Verliebtsein, ebenso wie „Das hat mich völlig umgehauen“ eine echte „Niedergeschlagenheit“ bedeuten kann, zum Beispiel wegen einer Trennung. Im modernen R&B-Song wird das teilweise noch drastischer ausgedrückt – da werden aus Amors Pfeilen schon mal Pistolenkugeln. Nicht unterschlagen sollte man, dass die von Borcholte auf „SPIEGEL Online“ zitierte Textzeile vollständig lautet: „Like a bullet your love hit me to the core / I was flying ’til you knocked me to the floor.“ Und das spricht Bände. Denn in Knock You Down, einem Song von Keri Hilson und den Rappern Kanye West und Ne-Yo, lässt Ne-Yo seinen Sprecher in ähnlichen Bildern von einer tollen Frau berichten, die ihn mit ihrer Liebe vom Himmel geschossen (das heißt: aus seinem Single-Wolkenkuckucksheim geholt) und seinem bisherigen Leben ein Ende gemacht habe: „Oooh, she shot me out the sky / (…) / She shot the bullet that ended that life.“ Kanye West, der offenbar den Nebenbuhler verkörpert, packt dessen Eifersucht und Hass in die Worte: „Keep rockin’ and keep knockin’ / (…) / You see the hate, that they’re servin on a platter“. Und Keri Hilson, als hin und her gerissenes Objekt der Begierde, erinnert sich an die erste Begegnung mit einem der beiden: „And you came in and knocked me on my face“. Damit meint sie wohl kaum, dass ihr buchstäblich jemand ins Gesicht geschlagen hat, sondern eher ein „Du fielst mir sofort ins Auge …“ Später heißt es: „Boy, you came around and you knocked me down“, also: „Du bist aufgetaucht und hast mich umgehau’n.“ Der Refrain schließlich formuliert im Hinblick aufs Verliebtsein, aber auch mit Bezug auf Liebesqualen: 74

Rihanna, Unapologetic

„Sometimes love comes around, and it knocks you down …“ – „Manchmal packt dich die Liebe, und du bist total am Boden.“ Solche Verse sind wie gesagt R&B-Standard. Verarbeiten also viele Stars des Genres schlimmste Erfahrungen mit häuslicher Gewalt? Sind das alles Gleichgesinnte von Chris Brown? Ich glaube nicht. Viel eher verpacken sie die Aufs und Abs der Liebe, den vielzitierten Kampf der Geschlechter, in die immerselben drastischen Bilder. Zwei der wenigen Songs in der Rockgeschichte, die tatsächlich häusliche Gewalt thematisieren könnten, finden sich ausgerechnet bei den nur scheinbar so lieblichen Cardigans aus Schweden: And Then You Kissed Me aus dem Jahr 2003 und And Then You Kissed Me II von 2005. Auch hier wird die Liebe als unerklärliche romantische Macht, als „powerful force“, beschrieben, die einen umhaut. Aber da sind auch Formulierungen wie „halo around my eyes“ („Veilchen um meine Augen“), „black and blue“ (deutsche Entsprechung: „grün und blau“), „You hit me really hard“ („Du hast wirklich fest zugeschlagen“) in Teil 1 und „It’s a mystery how people behave / How we long for a life as a slave“ („Es ist unerklärlich, warum sich Menschen so verhalten / Warum wir uns nach einem Leben in Sklaverei sehnen“) oder „It’s always you, the hardest hitter that I ever knew“ („Es geht für mich immer um Dich, den härtesten Schläger, den ich bisher gekannt habe“) in Teil 2. Solche Worte lassen schon eher darauf schließen, dass Schlimmeres als bei Keri Hilson und Rihanna zur Sprache kommt: eine verhängnisvolle Paardynamik, eine Frau, die von ihrem schlagenden Mann nicht loskommt. Cardigans-Sängerin Nina Persson hat laut „Songfacts.com“ die „Häusliche Gewalt“-Ebene in den Songs bestätigt und gleichzeitig eingeräumt, dass sie selbst von so etwas glücklicherweise noch nie betroffen gewesen sei. Bleibt das Duett Nobody’s Business, das Rihanna auf Unapologetic gemeinsam mit Chris Brown singt. Klar, man demons­ triert, dass man wieder aufeinander zugekommen ist, sogar gemeinsam Musik macht. Aber präsentiert Rihanna auf demselben Album nicht auch Duette mit Eminem, David Guetta oder 75

Grenzwertiges Autobiografie­v erständnis

Mikky Ekko? Solche Duette gehören ebenfalls zum R&B-Business. In Nobody’s Business schmachtet sich ein Liebespaar mit jeweils denselben Worten gegenseitig an. Es geht im Hip-Hoptypischen Prahl- und Statussymbole-Dropping-Stil um gemeinsame Autofahrten in Nobelkarossen („Let’s make out in this Lexus“), um nicht weniger als die perfekte Liebe und darum, dass man sich gegenseitig den Weg weist („Your love is perfection, please point me in the right direction“). Im Übrigen gehe diese Liebe niemanden etwas an, so der Refrain, sie sei eben „nobody’s business“. Sollen die anderen doch reden – denkt sich das nicht jedes Liebespaar? Intensive Nabelschau? Keine Anzeichen. Daran würde selbst eine tatsächlich neu entflammte Beziehung der beiden Interpreten im wirklichen Leben nichts ändern. Wer hier unbedingt nach versteckten Hinweisen suchen will, den könnte noch folgende unauffällige Songzeile aus Nobody’s Business interessieren: „A life with you I want, I wonder can we become love’s persona“ – „Ich will ein Leben mit Dir, und ich frage mich, ob wir beide vielleicht die Rolle/Maske der Liebe sein können.“ Ist das ein verunglücktes Sinnbild für: „Wir stehen für die Liebe“? Oder tut hier vielleicht die Liebe nur so, als sei sie das Paar aus dem Song, als sei sie gar Rihanna & Chris Brown? Wenn die Liebe aber nur eine Maske trägt, dann nimmt sie das Publikum gewaltig auf den Arm …

22 Große Ich-Show eines Show-Ichs: Robin Thicke, Paula Wer zum Teufel ist Paula? Die 2000 an einer Überdosis Heroin gestorbene britische TV-Moderatorin Paula Yates? Die amerikanische Hit-Songschreiberin und Choreographin Paula Abdul? Oder die deutsche Sex-Talkerin und -Kolumnistin Paula Lambert? Fakt ist: Paula heißen viele interessante Frauen. Nur will uns der 2013 mit dem Monsterhit Blurred Lines berühmt gewordene US-Crooner Robin Thicke weismachen, mit Paula sei 76

Robin Thicke, Paula

­ nmissverständlich seine Noch-Ehefrau Paula Patton gemeint, u die sich Anfang 2014 von ihm trennte. Paula ist der Titel von Thickes im Juni 2014 veröffentlichtem Album. Es enthält eine Flut von Selbstkasteiungen und Selbstbezichtigungen, Entschuldigungen und Beschwörungen gegenüber einem nicht näher gekennzeichneten Du, das unbedingt zurückgewonnen werden soll. Und selten zuvor hat ein Künstler in der Öffentlichkeit so explizit, so aufdringlich, so exzessiv darauf ­bestanden, dass nur eine bestimmte Person mit dem Du in den Songtexten gemeint sei. Bei Konzerten in den Monaten vor Erscheinen des Albums wurde Thicke nicht müde zu erzählen, wie sehr er unter der Trennung leide, und während seines Auftritts im Rahmen der „BET Awards“ widmete er den Song Forever Love ausdrücklich seiner Frau Paula Patton. Um auch die letzten Zweifler zu überzeugen, wurde gegen Ende der Darbietung sogar noch ein Bild des Paares mit der Überschrift „Paula“ auf eine Leinwand projiziert. So weit, so eindeutig? Nur bedingt. Denn in sämtlichen Songtiteln und Lyrics des Albums werden keine konkreten Namen genannt. Und statt eindeutiger, „historisch“ festmachbarer Eckdaten werden pausenlos Lovesong-Plattitüden, vage Erzählungen und mal mehr, mal weniger fantasielose Bilder aneinandergereiht, die sich auf der Öffentlichkeit bekannt gewordene Be­ gebenheiten aus Thickes Leben beziehen können, aber nicht müssen. Forever Love, Still Madly Crazy, Get Her Back, Love Can Grow Back – heißen so oder ähnlich nicht auch zahllose andere Hits? Natürlich wäre es unsinnig zu behaupten, dass ein Song niemals mit dem realen Leben und den persönlichen Gefühlen eines Künstlers oder einer Künstlerin zu tun haben kann. Zweifellos inspirieren einschneidende Erfahrungen auch Songwriter zu bewegenden Werken. Aber für gewöhnlich verändern sie in den Lyrics einzelne Details, verschleiern Bezüge, abstrahieren und spitzen den Song auf einen bestimmten Gedanken zu. Bei Thicke sind es nicht nur die vielen textlichen Klischees, die Zweifel an der „Authentizität“ seiner Songs angebracht erscheinen lassen, sondern gerade die peinlich-obsessiv anmutenden 77

Grenzwertiges Autobiografie­v erständnis

­ emühungen des Sängers, dem Publikum zu erklären, wer mit B dem Du in seinen Lyrics gemeint sei. In den Liedern nur anzudeuten und die Phrasenmaschine zu füttern, nach außen aber einen unmissverständlichen Bezug herzustellen – das passt für mich nicht recht zusammen. Es riecht vielmehr nach einer IchShow, bei der sich das Show-Ich ziemlich weit aus dem Fenster lehnt. Die großangelegte pseudoautobiografische „Baby, bitte komm zu mir zurück!“-Nummer wirkt damit wie eine PR-Stra­ tegie mit dem Dampfhammer. Auch solche verkrampften Überfrachtungen harmloser R&B-Songs mit privatem Ballast sind eine Art von Songmisshandlung: Der Autor belästigt das Publikum mit Dingen, die es weder wissen will noch wissen muss. Und: Man darf daran zweifeln, dass er wirklich die Wahrheit sagt. Ein paar weitere Anhaltspunkte: Im Video zur Single Get Her Back sieht man den Künstler als buchstäblich geprügelten Helden mit blutiger Nase, immer wieder eingeblendet wird eine junge Frau, die Paula Patton ein bisschen ähnlich sieht. Aber: Es ist nicht Paula Patton, womit auch das in den Songlyrics angesprochene Du an Kontur verliert. Hinzu kommt, dass die Videopartnerin in Get Her Back vor allem das ist, was Frauen in so gut wie allen Robin-Thicke-Videos sind: ein attraktiver Hingucker, der den Sänger als begehrenswerten Mann erscheinen lässt und zur Schaffung einer schwülen Softsex-Atmosphäre beiträgt. Gerade das Aufreger-Video zu Blurred Lines mit seiner genüss­ lichen Zurschaustellung nackter weiblicher Models hat hier ja neue Maßstäbe gesetzt. Bezeichnend vor diesem Hintergrund ist die Art und Weise, wie Herr Thicke seine Ehefrau in früheren Videos eingesetzt hat. Tatsächlich ist Paula Patton mehrmals in der weiblichen „Hauptrolle“ zu sehen, in Lost Without U oder in Love After War. Und in beiden Kurzfilmen tut sie nicht mehr und nicht weniger als das, was die namenlosen Frauen in den anderen Videos ihres Mannes tun: in Reizwäsche posieren, schmusen und auch sonst vollen Körpereinsatz leisten, um Erotik zu beschwören. Alles folgt in erster Linie einer „Sex sells“-Strategie: Hier nach irgendwelchen autobiografischen Bezügen zu suchen, wäre einfach lächerlich. 78

Robin Thicke, Paula

Während Patton in Lost Without U keine namentliche Nennung erfährt, wird sie in Love After War explizit erwähnt, allerdings auf höchst überraschende Weise. Da gibt es nämlich ein bedeutungsschwangeres Intro, bestehend aus einem unbestimmten Klangteppich und einem französisch gesprochenen Text, dessen englische Übersetzung am unteren Bildrand eingeblendet wird: „This is a very serious film starring the American pop-star Robin Thicke and the stunning young starlet Paula Patton, written and directed by Hype Williams. Albert Einstein once said: ‚Imagination is much more important than knowledge.‘ Imagine with us now, what it’s like to make Love After War.“ Es geht um Fantasie, die wichtiger ist als Wissen. Es geht um einen Film. Es geht um Rollen, die jemand spielt – ganz vage angedeutet wird ein streitendes und sich wieder versöhnendes Paar. In die männliche Rolle schlüpft „der amerikanische Popstar Robin Thicke“, und die weibliche Rolle bekleidet nicht etwa Robin Thickes Ehefrau, sondern das „atemberaubende Starlet“ Paula Patton. Oha: Die tun ja gar nichts, die wollen nur spielen. Alles nur Fiktion. Und die Gattin bloß ein hübsches Starlet. Da stellt sich natürlich die Frage: Wenn es schon in Zeiten, als die private Beziehung noch intakt zu sein schien, in Songs und Videos nur ums Posieren ging, warum sollen wir Robin Thicke dann heute abkaufen, dass er uns mit seinem neuen Album Paula wirklich etwas über sich und seine Gefühle mitteilen will? Thicke ist ein Showman, gar kein schlechter wohlgemerkt! Und so vermuteten nicht wenige Kritiker hinter den peinlichen Auftritten des Stars einen etwas aus dem Ruder gelaufenen Werbe-Gag zur PaulaPromotion. Besonders treffend formulierte es Anna Kemper in ihrem wunderbaren Robin-Thicke-Beitrag in der „ZEIT“-Kolumne „Gesellschaftskritik“ vom 1. Juli 2014: Am Ende wirkt Thickes öffentliches Zukreuzekriechen wie eine inszenierte Marketingkampagne: Die Werbung um seine Frau als Werbung für das Album. Sie glauben, es ist alles noch viel schlimmer? Thicke und seine Frau sind gar nicht getrennt, sondern es ist alles eine große, schmierige Kampagne, um beide berühmter zu machen? Dass

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Grenzwertiges Autobiografie­v erständnis

Paula Patton ihn bald erhören wird und beide dann ihre Geschichte in Hollywood verfilmen lassen, mit sich selbst in den Hauptrollen? Sie sind so zynisch, wie es die ‚Gesellschaftskritik‘ nie sein könnte. Aber wir haben das Gefühl, wir könnten vielleicht noch einiges von Ihnen lernen.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

23 Der „This song“-Kniff: Carly Simon, You’re So Vain Ein Songwriter. Vielleicht ist er verliebt. Und die Frau, in die er sich verguckt hat, sitzt gemütlich mit ihm auf dem Sofa. Oder sie ist gar nicht da, und er denkt sehnsüchtig an sie. Vielleicht ist unser Songwriter aber auch gar nicht verliebt, und ihm fällt einfach nur so etwas ein. Wie auch immer: Er greift zur Gitarre und stimmt ein Lied an: „Oooh baby, you drive me crazy. Oooh baby, I love you so …“, etwas in der Art. Er huldigt der Dame, er erzählt noch einmal, wie er sie kennengelernt hat. Bearbeitet die nackten Fakten. Schmückt hier und da etwas aus, lässt dort etwas weg, zum Beispiel des besseren Reimes wegen. Oder denkt sich einfach was aus. Egal, wie nah das Song-Ich dem realen Ich des Songwriters auch stehen mag, wie unmittelbar anwesend oder weit weg ein mögliches Du im ersten Moment auch sein mag: Es entsteht eine Fiktion. Und für uns, die viel späteren Radio-, Album- oder Konzert-Hörerinnen und -Hörer, die weder den Songwriter noch das angesprochene Du noch die Geschichte dahinter kennen, schafft der Song eine in sich abgeschlossene Welt, in die wir bei jedem Hören neu eintauchen. Das gilt erst recht, wenn das, wovon der Song handelt, gar keinen realen Hintergrund hat, sondern der Fantasie des Songwriters entsprungen ist. Oder wenn die vortragende Person – es muss ja nicht immer ein Lovesong sein – ganz offensichtlich in Rollen schlüpft: „My name is Luka …“, „And my name is Bobby Brown …“ In der Regel nutzt der Songwriter den Song, um Geschichten zu erzählen, Gefühle zu beschreiben, irgendeine Botschaft 80

Carly Simon, You’re So Vain

r­ überzubringen. Seine Worte und seine Musik regen unsere Vorstellung an, lassen uns an seiner Fiktion teilhaben. Wenn wir uns einlassen, können wir uns in Beziehung zu ihr setzen. Der Song öffnet ein Fenster in ein eigenständiges Universum, er ist wie eine Glaskugel, in die wir hineinschauen, wie eine Wundertüte, deren Inhalt sich über uns ergießt. Gelegentlich aber passiert etwas anderes: Plötzlich rückt der Song selbst in den Fokus, bevorzugt mit den Worten „this song“ – „dieser Song hier“. Und dann wird es spannend. Denn dann pocht der Song an seine Grenzen, versucht spielerisch, sie zu überwinden. Das in den ­Lyrics Geschilderte rückt viel näher an den Interpreten beziehungsweise an den Autor heran. Der Text, die Musik scheinen nicht mehr eine eigenständige Fiktion hervorzurufen, sondern öffnen sich zur realen Welt, zumindest zum Show-Ich hin. Sie wirken plötzlich wie eine direkte Botschaft des Interpreten an ein bestimmtes Gegenüber. Dieses Gegenüber, dieses Du, wird aber nie konkret benannt. Und so ergibt sich eine eigenwillige Spannung – die zu übermütigen Spielchen motiviert. Nehmen wir Don’t Believe A Word, einen Gassenhauer der irischen Rockband Thin Lizzy. Das Stück, das 1976 erschien, spielt nicht nur schon im Titel unterschwellig auf die Songfiktion, die Songtäuschung, an – es variiert auch ein altbekanntes LovesongMotiv: den Liebenden, der sich seine Liebe nicht eingestehen will. Ähnlich angelegte Songs sind I’m Not in Love von 10cc und Ich lieb dich überhaupt nicht mehr von Udo Lindenberg. Das Prinzip ist immer dasselbe: Das Song-Ich beteuert, das angesprochene Du nicht oder nicht mehr zu lieben, doch aus allem, was es sagt, spricht genau das Gegenteil. Die US-Band Nickelback würde etwas schnörkelloser sagen: „Trying not to love you only makes me love you more.“ Im Thin-Lizzy-Stück versucht das Song-Ich verzweifelt und ziemlich barsch, die eigenen Liebesbekundungen zu entkräften, indem es sie als Lügen abtut: „Don’t believe me if I tell you / Not a word of this is true / Don’t believe me if I tell you, especially if I tell you / I’m in love with you.“ In meiner Vorstellung erscheinen ein junger Mann und eine junge Frau, die sich unterhalten, oder zumindest ein junger Mann, der in seinem 81

Grenzwertiges Autobiografie­v erständnis

Zimmer sitzt und versucht, sich über seine Gefühle klarzuwerden. Er will cool sein, und dass er sich verliebt hat, passt ihm nicht, vielleicht macht es ihm auch Angst. Diese Gesprächs- oder einsame Monologsituation ist die in sich abgeschlossene fiktive Welt, die der Text in meiner Vorstellung hervorruft. Gleich in der zweiten Strophe aber heißt es: „Don’t believe me if I tell you / That I wrote this song for you / There just might be some other silly pretty girl / I’m singing to.“ Natürlich kann der junge Mann, den man sich beim Hören vorstellt, auch in der Songwelt ein Songschreiber sein. Sein Lied, das womöglich ein echtes, ein bekennendes Liebeslied wäre, würden wir dann aber nicht vernehmen, es bliebe nur kurz erwähnt. Viel näher liegt es doch, „this song“ direkt auf das Musikstück von Thin Lizzy zu beziehen, das man gerade hört. Und das scheint mir auch das zu sein, was bei den meisten Hörerinnen und Hörern unbewusst als Erstes passiert. Damit ist aber die speziell entwickelte Songwelt – die Illusion einer Gesprächssituation oder einer einsamen Monologsituation – durchbrochen. Der Song beschreibt nicht mehr einen fiktiven Jungen, der mit seinen Gefühlen hadert und einem Mädchen dumme Sachen sagt, sondern Musik und Text selbst werden zur direkten Botschaft des Thin-Lizzy-Sängers Phil Lynott an ein konkretes Gegenüber. Oder anders gesagt: Das Song-Ich scheint nicht mehr Teil der Songwelt zu sein, sondern identisch mit demjenigen, der „diesen Song“ zum Besten gibt. Auch wenn die Aussage – „Dieser Song, in dem ich dir sage, dass ich dich nicht liebe, ist nicht für dich“ – etwas verschwurbelt daherkäme. Die Lyrics rücken hier sehr deutlich in die Nähe des biografischen Ichs, zumindest des Show-Ichs. Aber wer ist das Gegenüber? Speziell in diesem Song könnte man die kleine, im Ansatz absurde Spielerei schnell auflösen, indem man „this song“ metaphorisch interpretiert – im Sinne von Liebesschwüren oder Liebesgedichten, von Liebesgesäusel, das das Song-Ich an eine Frau in der Songwelt richtet. Denn am Ende handelt es sich auch in Don’t Believe A Word um eine konventionelle, mit Klischees arbeitende Komposition. 82

Carly Simon, You’re So Vain

Auf ähnlich spielerische Weise funktionieren Hits wie I’m Too Sexy von Right Said Fred und Your Song von Elton John. Im ziemlich klamaukigen und vermutlich ironisch gemeinten Hau­ drauf-Dancehit I’m Too Sexy fühlt sich ein demonstrativ leidendes, überaus selbstverliebtes Laufsteg-Model zu sexy für die ganze Glamourwelt – und letztlich auch für „diesen Song“: „I’m too sexy for my shirt, too sexy for my shirt / So sexy it hurts / And I’m too sexy for Milan, too sexy for Milan / New York and Japan / (…) / And I’m too sexy for this song.“ Das ist lustig, aber letztlich belanglos, verspielt, ohne Sinn und Verstand. Im we­ sentlich eleganteren Your Song wiederum wird dem geliebten Du, das natürlich ohne Konturen bleibt, vom Song-Ich in poetischer Manier exakt „dieser Song“ gewidmet: „I know it’s not much, but it’s the best I can do / My gift is my song and this one’s for you / And you can tell everybody this is your song / It may be quite simple but now that it’s done / I hope you don’t mind / I hope you don’t mind that I put down in words / How wonderful life is while you’re in the world.“ Auch hier gibt es ein Song-Ich, das sich in der Song-Illusion bewegt, und gleichzeitig ist man ­geneigt, die Lyrics direkt Elton John zuzuordnen. Besonders ausgeprägt kommt hier noch die Dynamik zwischen Entertainer und Publikum, zwischen Show-Ich und Fans, ins Spiel. Denn ­gerade wenn Elton John dieses Lied live vor einer begeisterten Menge spielt, dann klingen etliche der Verse tatsächlich auch wie ein Dankeschön, das der Star mit einnehmender Bescheidenheitsgeste direkt an seine treuen Anhänger richtet: „Hey Leute, Songs schreiben ist das, was ich am besten kann. Und ich hoffe, ihr nehmt mir nicht übel, dass ich das hier mal in Worte gefasst habe: Wie schön doch das Leben ist, wenn ihr da seid.“ Es gibt viele Stücke, die diesem „This song“-Trick interessante Aspekte abgewinnen, zu den älteren gehört It’s Only A Northern Song von den Beatles. Die Band P.I.L. machte 1983 die Zeile „This is not a love song“ zum Titel eines Liedes und beugte so schon im Vorfeld eventuellen Missverständnissen vor, die Indieband Mekons wiederum begann 1991 ihren 100 % Song mit dem Vers „This is a simulation of a song.“ Und Olly Murs ließ 2011 in 83

Grenzwertiges Autobiografie­v erständnis

This Song Is About You einen verschmähten Liebenden klagen: „You were wrong, you’re to blame, now the world knows your name“, nur um den Namen des Du dann doch nicht zu nennen und zu drohen: „I hope you know this song is about you.“ Es scheinen die Briten zu sein, die ein Faible für den „This song“Kniff haben. Doch auch in den USA ist er zu finden. Denn ebenfalls 2011 ließ die in Pontiac, Michigan gegründete Post-Hardcore-Band D.R.U.G.S. (für: Destroy Rebuild Until God Shows) einen enttäuschten Liebenden sein Leid klagen – unter dem vielsagend nichtssagenden Songtitel If You Think This Song Is About You, It Probably Is. Die berühmte Blaupause für solche Stücke und gleichzeitig die spektakulärste „This song“-Spielerei der jüngeren Liedgeschichte ist natürlich You’re So Vain, 1972 veröffentlicht von der amerikanischen Singer-Songwriterin Carly Simon. Das leichtfüßig daherkommende Stück Musik lässt ein offenbar weibliches SongIch über einen eitlen Casanovatypen lästern. Die Lyrics beginnen mit einer Erinnerung, vielleicht an die erste Begegnung der beiden: „You walked into the party like you were walking onto a yacht / Your hat strategically dipped below one eye, your scarf it was apricot / You had one eye in the mirror as you watched yourself gavotte / And all the girls dreamed that they’d be your partner, they’d be your partner …“ Es folgt ein Refrain, der die spöttisch-abschätzige Betrachtung in den knappen Worten „You’re so vain“, „Du bist so eitel“, auf den Punkt bringt und dem Ganzen mit dem „This song“-Kniff die Krone aufsetzt: „You probably think this song is about you“ – „Du denkst wahrscheinlich, dieser Song handelt von dir.“ In der zweiten Strophe wird klar, dass das Song-Ich und der eitle Typ einst ein Paar waren, dass aber die damals noch naive, gutgläubige Sprecherin irgendwann vom beziehungsunfähigen Partner fallengelassen wurde: „You had me several years ago, when I was still quite naive / Well, you said that we made such a pretty pair, and that you would never leave / But you gave away the things you loved, and one of them was me / I had some dreams, they were clouds in my coffee, clouds in my coffee, / And 84

Carly Simon, You’re So Vain

you’re so vain …“ Am Ende lösten sich die Träume – Achtung: Poesie! – wie im Kaffee gespiegelte Wolken auf. Oder auch wie Kaffeesahne. Nach einem weiteren Refrain werden in der dritten und letzten Strophe noch mehr Details aus dem Leben des eitlen Exgeliebten beschrieben. Die Sprecherin gibt aus „heutiger“ Sicht, also lange nach der Trennung, wieder, was sie über ihren Ex so hört: Der bewegt sich in einer teils halbseidenen Welt des oberflächlichen Zeitvertreibs, des Überflusses, der schmierigen Affären und der Lügen. Er besitzt ein Rennpferd und einen Privatjet und flirtet sich durch die High-Society: „Well I hear you went up to Saratoga and your horse naturally won / Then you flew your Lear jet up to Nova Scotia to see the total eclipse of the sun / Well, you’re where you should be all of the time, and when you’re not you’re with / Some underworld spy or the wife of a close friend, wife of a close friend, / And you’re so vain …“ Der Song endet mit der Endlosschleife des Refrains, der nach wie vor den „This song“-Kniff enthält. Und dieser Kniff erweist sich – verglichen mit seinen Gegenstücken in I’m Too Sexy, Your Song oder Don’t Believe A Word – als deutlich vielschichtiger und cleverer konstruiert. Wieso? Weil die Du-Anrede fast schon mutwillig an der Grenze zwischen Songwelt und realer Welt kratzt. Weil sich das Du als Teil der Fiktion auf eine bestimmte Person in der Songwelt bezieht und gleichzeitig, über den Verweis auf „diesen Song“, hinterlistig dazu einlädt, es auf jemanden außerhalb der fiktionalen Welt, auf einen realen Mann im persönlichen Umfeld von Carly Simon, zu beziehen. Und natürlich bleibt dieser Bezug unbestimmt: Statt des üblichen „Dieser Song ist für dich“ heißt es: „Du denkst wohl, dieser Song ist für dich.“ Damit hebt das Du außerhalb der Songwelt – wenn man sich von der Künstlerin aufs Glatteis führen lassen will – schon auf mindestens zwei Männer ab: auf den tatsächlich gemeinten Mann und auf einen anderen Mann, der nur denkt, dass er gemeint ist. Und natürlich können es statt dieses einen auch mehrere, sogar unbegrenzt viele Männer sein, die sich mit „diesem Song“ eventuell gemeint fühlen. Natürlich besteht auch grund85

Grenzwertiges Autobiografie­v erständnis

sätzlich die Möglichkeit, dass das Song-Ich mit dem Du durchgängig ein und dieselbe Person meint. Demnach könnte die Argumentation „Du denkst, dieser Song handelt von dir (dabei handelt er gar nicht von dir)“ auch beinhalten, dass das Song-Ich zwar durchaus diesen einen eitlen Exgeliebten beschreibt, selbst aber das Thema des Songs ganz woanders verortet: nämlich in der eigenen Befreiung, in der endgültigen Überwindung des Trennungsschmerzes, im Durchschauen des Mannes. Das Lied wäre nur am Rande über ihn und in erster Linie über die Emanzipation von einem übermächtigen Partner … Mehr Spiel, Spaß, Spannung verspricht allerdings, den Refrain tatsächlich als Ansprache eines außerhalb der Songwelt argumentierenden Ichs und damit als bewusst offen gehaltene Andeutung, ja als Rätsel aufzufassen. Weil das Song-Ich suggeriert, ganz nah am biografischen Ich der Autorin und Sängerin Carly Simon zu sein, wird man als unbeteiligter Hörer verleitet, mit Blick auf das unbestimmte Du gleich mehrere verschiedene Männer aus ihrem persönlichen Umfeld im wahren Leben in Betracht zu ziehen. Und jeder dieser real existierenden Kandidaten wäre so eitel, dass er „diesen Song“ exakt auf sich selbst bezieht. Der clevere „This song“-Trick hat funktioniert! Denn bis heute, also seit mehr als vierzig Jahren, versuchen Radio- und TV-Sender, die Tagespresse, Musikzeitschriften und Klatschreporter ununterbrochen, endlich herauszubekommen, auf welchen ihrer ExLover die Autorin Carly Simon You’re So Vain seinerzeit wohl gemünzt hat. Wo immer sich die Künstlerin blicken lässt, wird sie auf das Thema angesprochen, doch nie hat sie der Öffentlichkeit ihr Geheimnis verraten. Und wahrscheinlich wird sie das auch niemals tun. Zum einen weil dann die Spannung raus wäre, und zum anderen weil sie es selbst ganz einfach grotesk findet, dass sich Fans und Kritiker rund um den Globus noch immer verbissen mit dieser letztlich irrelevanten Frage beschäftigen – wo es sich doch bloß um einen Song handelt. Diese kopfschüttelnde Haltung vertrat die Künstlerin zum Beispiel lange Jahre auf ihrer eigenen Website, die fortlaufend aktualisiert wurde – auch durch die neuesten Meldungen zum Thema You’re So Vain. 86

Carly Simon, You’re So Vain

Trotz ihres Stirnrunzelns über das ungebrochene Publikumsund Medieninteresse hat sich Carly Simon allerdings auch nie gescheut, die Ratespielchen selbst zu befeuern. Mal macht sie Andeutungen, um wen es in ihrem größten Hit gegangen sein könnte, dann nimmt sie diese Andeutungen wieder zurück. Der Filmstar Warren Beatty, der sich sogar schon einmal bei ihr für „diesen Song“ bedankt haben soll, und die Rockstars James ­Taylor, Mick Jagger und Kris Kristofferson stehen als meistgenannte Kandidaten im Raum und wurden auch schon daraufhin „gecheckt“, ob sie aprikosefarbene Halstücher tragen, Pferderennen in Saratoga besuchen oder mit Privatjets in der Gegend he­ rumfliegen. Das alles jedoch ohne befriedigende Ergebnisse. ­Gelegentlich sagt Carly Simon: „Könnte sein …“ Dann wieder verneint sie. Das nächste Mal deutet sie an, dass sich die einzelnen Teile des Songs über einen längeren Zeitraum hinweg ­zusammengefügt hätten und dass letztlich mindestens drei verschiedene Männer, die sie kennt oder kannte, in den eitlen Songgeliebten eingeflossen seien – ein Prozedere, das durchaus glaubwürdig erscheint. Als Nächstes aber stellt sich die Künstlerin überraschend bei Versteigerungen für wohltätige Zwecke zur Verfügung und verspricht dem Meistbietenden, nur ihm oder ihr exklusiv zu verraten, wer mit You’re So Vain gemeint sei – natürlich gegen die verbindliche Zusage, die so gewonnene Infor­ mation anschließend für immer unter Verschluss zu halten. Auf diese Weise soll 2003 ein Mann namens Dick Ebersol für 50.000 Dollar in den Genuss der brisanten Enthüllung gekommen sein. Ein „A“, ein „E“ und ein „R“ seien im Namen des geheimnis­ vollen eitlen Songgeliebten enthalten – so viel immerhin haben Ebersol und Simon der Welt seitdem großzügig offenbart. Was letztlich aber – man beachte die Namen wARrEn Beatty, jAmEs tayloR oder mick jAggER – niemanden wirklich weitergebracht hat. Und: Auch eine Lösung wie „strAngER“ („Fremder“) würde, ganz nebenbei bemerkt, die drei Buchstaben enthalten. Für ein bescheidenes Sensatiönchen sorgte Carly Simon dann im November 2015, als das öffentliche Interesse doch einmal stärker nachgelassen hatte. Wie Medien weltweit berichteten, hatte 87

Grenzwertiges Autobiografie­v erständnis

die inzwischen 70-Jährige dem Magazin „People“ verraten, dass – na so was – tatsächlich Warren Beatty in dem Song gemeint gewesen sei … Da darf man nun zu Recht fragen: War’s das dann? Aber hallo, die Antwort lautet natürlich: Keineswegs! Denn, so hieß es in den Berichten weiter, nur eine Strophe sei Herrn Beatty gewidmet. Auch laut „FOCUS Online“ stellte Carly Simon klar, „dass die anderen Strophen zwei weiteren Männern gewidmet seien, deren Namen sie aber nicht verraten würde.“ Und das heißt nichts anderes als: Mein Spielchen geht weiter. Nur eine der vielen Spekulationen wird bestätigt, der mögliche Lösungsweg (es sind drei bestimmte Männer) lediglich etwas konkretisiert – und damit das öffentliche Interesse neu entfacht. Ich vermute mal, dass die Wahrheit eine riesige Enttäuschung wäre, und dass niemand das besser weiß als Carly Simon selbst. Weshalb sie gut daran tut, den Hype, den sie vielleicht ein wenig provoziert, aber in diesem Ausmaß bestimmt nicht erwartet hat, zeit ihres Lebens aufrechtzuerhalten. Abgesehen davon impliziert letztlich schon die clevere Rhetorik des Verses „Ich wette, du denkst, dieser Song handele von dir“ (mitgedacht: „dabei handelt er gar nicht von dir“), dass das Rätsel gar nicht lösbar ist: Denn wenn sich jedermann nur fälschlicherweise mit dem Song identifizieren kann, dann wurde er eigentlich für niemand Konkreten oder – andersherum – für alle eitlen Männer dieser Welt geschrieben. Das kollektive Missverständnis besteht in meinen Augen also darin, dass alle Welt meint, es gebe eine verbindliche Lösung für den Song. Die Enttäuschung läge letztlich in der Erkenntnis der Fiktion.

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Songs unter Generalverdacht 24 Bloß niemanden provozieren! Songs, die während des zweiten Golfkriegs nicht im Radio gespielt wurden In Kriegszeiten Songs ideologisch zu zweckentfremden, ist das eine – sie aus falsch verstandener Rücksichtnahme überhaupt nicht zu spielen, das andere. Im zweiten Golfkrieg, der 1990 und 1991 nach der Besetzung Kuwaits durch den Irak zwischen letzterem und einer von den USA geführten Staatenkoalition aus­ getragen wurde, kamen weltweit etliche Popsongs nicht zum ­Radioeinsatz: weil entweder ihre Titel, einzelne Textzeilen oder die kompletten Lyrics unangenehme Assoziationen weckten. Im Internet stehen verschiedene Listen, zum Beispiel eine mit 64 Songs, die angeblich von der britischen Rundfunkanstalt „BBC“ während des zweiten Golfkriegs nicht gespielt wurden. Darunter finden sich • harmlose Liebeslieder, die – frei nach dem gängigen Bild vom „Krieg der Geschlechter“ – Schlachtenmetaphorik verwenden, zum Beispiel Pat Benatars Love Is A Battlefield oder Waterloo von Abba, ein Song, der das Gefühl, sich nicht mehr länger gegen eine Liebe wehren zu können, reichlich plump mit Napoleons historischer Niederlage vergleicht („Waterloo – I was defeated, you won the war / Waterloo – promise to love you for ever more / Waterloo – couldn’t escape if I wanted to / Waterloo – knowing my fate is to be with you“); • noch harmlosere Liebeslieder, die das unglückliche Verliebtsein oder das Dahinschmelzen in Bilder vom Sterben kleiden, 89

Songs unter Generalverdacht

zum Beispiel I Just Died In Your Arms Tonight von Cutting Crew oder Roberta Flacks Killing Me Softly; • humorvolle Nonsense-Lieder mit ebenso zufälligem wie entferntem Islambezug, etwa der Bangles-Hit Walk Like An Egyptian, der spielerisch an altägyptische Wandgemälde erinnert und beschreibt, wie Menschen auf der ganzen Welt und in den unterschiedlichsten Situationen die dort stilisiert gezeigten Körperhaltungen und Gesten nachstellen („Slide your feet up the street bend your back / Shift your arm then you pull it back / Life is hard you know (oh whey oh) / So strike a pose on a Cadillac“); • grotesk-kritische Songs über Amerika wie Rubber Bullets von der britischen Gruppe 10cc, eine nur scheinbar gut gelaunte Popnummer, die erzählt, wie eine etwas außer Kontrolle geratene Party in einem amerikanischen Bezirksgefängnis mit Gummigeschossen aufgelöst wird; • und selbst Friedenslieder wie John Lennons Give Peace A Chance. Wenn man bedenkt, dass in fast jedem Krimi oder Actionfilm geschossen wird, dass Touristikunternehmen rund um den Globus täglich Reisen überall hin, auch in die Länder der Kriegsparteien, anbieten, wenn man überlegt, dass sich die historischen Fakultäten der Welt zu einem großen Teil mit den Konflikten der Menschheitsgeschichte beschäftigen oder dass nicht nur internationale Starköche für bestimmte kulinarische Genüsse „sterben“ würden, dann muss man sich fragen, warum in Kriegszeiten nicht einfach das gesamte Alltagsleben weltweit vorübergehend auf Standby gestellt wird. Überverstehen ist auch eine Form von mangelnder Empathie – und Songs können sich am wenigsten wehren …

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Die Universal-Music-Compilation Songs of Change

25 Überraschende Wende: Die Universal-Music-Compilation Songs of Change Aber man kann auch gleich einen ganzen Sack voll Songs nehmen und in einen neuen Kontext prügeln. Die Würdigung eines bestimmten Anlasses steht dabei meist nur zum Schein im Zentrum – in der Regel geht es vor allem um die Befriedigung kommerzieller Interessen. Und historische Ereignisse sind für diesen Zweck besonders geeignet. Ein Jubiläum steht an? Wunderbar! Dann stellen wir schnack, zack ein paar Songs zusammen, die entfernt damit zu tun haben könnten oder wenigstens im Titel so klingen, als könnten sie entfernt damit zu tun haben, und bringen sie als amtliche Compilation zum Jahrhundertereignis heraus. So oder ähnlich dürfte die Firma Universal Music gedacht haben, als sie Ende Oktober 2009 Songs of Change – die AudioDoku zum Mauerfall auf den Markt warf. 20 Jahre danach sollten 17 Songs und zwei 45-minütige Fernsehbeiträge an die historischen Ereignisse 1989 in Berlin erinnern. Aber die meisten der auf Songs of Change versammelten Songs waren schon lange vor dem Mauerfall geschrieben worden, andere Aufnahmen erst danach entstanden. Einige Stücke, etwa Berlin von Ideal und Berlin von Fischer Z, haben einfach nur mit der Stadt zu tun, andere, wie Walls Come Tumbling Down von The Style Council und Wind of Change von den Scorpions, erzählen ganz allgemein von (vage politischem) Wandel – sie könnten sich auch für jedes x-beliebige andere Umbruchereignis vereinnahmen lassen. Bei Stücken wie 99 Luftballons von Nena (es geht um einen durch Nichtigkeiten ausgelösten Weltkrieg) und Love Is A Shield von Camouflage (gefeiert wird die schützende Kraft der Liebe) fragt man sich wiederum ganz grundsätzlich, was sie auf dieser Compilation verloren haben. Wie konzeptlos die Zusammenstellung Songs of Change tatsächlich ist, wird einerseits durch die Aufnahme kruder Coverversionen, andererseits durch teils bemühte, teils unfreiwllig 91

Songs unter Generalverdacht

k­ omische Ausführungen in der Universal-Website-Rubrik „Produktdetail“ entlarvt. Textauszug: Dass das vereinte Deutschland inzwischen ganz bei sich angekommen ist, beweisen musikalische Kreuzungen wie die für klassische Tenöre arrangierte Version des KaratKlassikers ‚Über sieben Brücken‘, den Peter Maffay 1980 im Westen populär machte. Und natürlich der gewagte Angriff der Dance-Band Scooter auf ‚Am Fenster‘, den Kult-Track von City aus dem Jahre 1977, bei dem dann auch die letzten Mauern fallen. Eine andere Kreuzung ist die Fun-Metal-Punk Version von Rio Reisers ‚König von Deutschland‘ durch die Frankfurter Gruppe Tankwart. Der poetische Hit des vielleicht größten deutschen RockSongschreibers wird so zur Gute Laune-Hymne und ergänzt damit passend diese Zusammenstellung, mit der 20 Jahre Mauerfall musikalisch gewürdigt werden sollen.

Da scheinen nicht nur „die letzten Mauern“ gefallen zu sein, sondern auch die letzten Konzeptpfeiler, von den allerletzten Hemmungen ganz zu schweigen. Wenn schon locker-(nach)lässig, dann kommen mir zu den Themen Change und Berlin noch ganz andere Namen in den Sinn. So vermisse ich unter den Songs zur Wende Gospel-Gassenhauer wie We Shall Overcome. Ich vermisse einen Beitrag von Then Jerico, jener britischen Achtzigerjahre-Gruppe, die schon im biblisch anmutenden Bandnamen auf einstürzende Mauern anspielt. Oder von dem amerikanischen Musical-Komponisten Irving Berlin – zum Beispiel Sittin’ in the Sun. Diesen Song gibt es schließlich auch in einer Interpretation des SixtiesSoulstars Sam Cooke, und der hätte mit seinem Welthit A Change Is Gonna Come ebenfalls ganz vortrefflich auf diese Compilation gepasst. Außerdem vermisse ich Change von den britischen 1980er-Helden Tears for Fears, die bestimmt schon mehrmals in der geteilten Stadt aufgetreten sind, oder Changes, einen alten Song von David Bowie, der immerhin mal eine Zeit lang in Berlin gelebt hat. Und ich hätte gern noch mal Ich hab noch einen Koffer in Berlin von Hildegard Knef gehört: Die 92

Die Universal-Music-Compilation Songs of Change

Schauspielerin und Chansonsängerin war nicht nur in Berlin groß geworden, sondern hatte auch hautnah den Krieg miterlebt, der überhaupt erst zur Teilung der Stadt führte. Aber lassen wir das – sonst kommen die Verantwortlichen von Universal Music noch auf die Idee, zum nächsten großen Jahrestag des Mauerfalls eine Fortsetzung ihrer unsinnigen Compilation ­unters Volk zu bringen.

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Falsch gehört 26 „I left my brains down in Africa …“: Verhörer & Co Kennen Sie das? Sie hören einen Song und rätseln über den Wortlaut eines bestimmten Wortes oder einer bestimmten Zeile? Sie könnten schwören, Sie haben da etwas ganz Bestimmtes gehört, aber irgendwie ergibt das, was Sie gehört haben, im Zusammenhang keinen Sinn? Jahre später schauen Sie auf einer Lyrics-Website nach, oder Freunde klären Sie auf. Und siehe da: Sie hatten die entsprechenden Worte, besagten Vers völlig falsch verstanden. Und warum? Weil sie in einer Fremdsprache gesungen wurden, derer Sie nicht ganz mächtig waren; weil die Interpreten wie Til Schweiger genuschelt haben; weil der Gesang einfach verwaschen produziert war; oder weil Sie in einer bestimmten Lebenssituation waren und einfach etwas Bestimmtes hören wollten. Natürlich kennen Sie das. Und eigentlich kennen wir es alle. So hat sich eine von mir überaus geschätzte Person als junge Schülerin immer wieder gewundert, warum Marius MüllerWesternhagen so leidenschaftlich eine „6c“ beschwor – und erst später spitzgekriegt, dass das männliche Ich des Songs eine Frau einfach Sexy fand. Mir persönlich ging stets eine bestimmte Zeile im Refrain von Olivia Newton-Johns Hit Physical unter die Haut: „Let’s get into physical, let me in and find your heart!“, hörte ich als Jugendlicher gern heraus und war mir hundertprozentig sicher, dass die Worte bei allen erotischen Konnotationen auch noch etwas von Seelenverschmelzen und Romantik vermittelten. Nur um später festzustellen, dass Frau Newton-John doch 94

Verhörer & Co

nur Körper sprechen lassen wollte: „Let’s get into physical, let me hear your body talk …“ Einen zeitlos universellen Verhörer dürfte Kenny Loggins provoziert haben: Noch heute verstehen wohl Millionen Menschen jedes Mal „Oh oooh hard life“ oder „Oh oooh hard light“, wenn sein 1982 erschienener Gassenhauer Welcome to Heartlight erklingt. Zum einen ist das Ding so überproduziert, dass man Feinheiten der Aussprache kaum noch heraushört – zum anderen kann sich wahrscheinlich niemand vorstellen, dass es um so etwas wie „Herzlicht“ gehen könnte. „Herzlicht“? Was soll das sein? Da liegt doch ein „hartes Leben“ oder ein „grelles Licht“ viel näher … Wie gesagt: Man versteht, was man verstehen will. Eigentlich geht es auch Herrn Loggins nicht um ein „Herzlicht“, obwohl er tatsächlich „Heartlight“ singt. „Heartlight“ ist einfach der Name einer Schule in Kalifornien, und die wird, warum auch immer, in den Versen überschwänglich gelobt: „I hold the hand / I walk with the teacher / (…) / I know we’ve learned to live together / Here in the Heartlight …“ Um solche Verhörer hat sich längst so etwas wie eine kleine Wissenschaft gebildet. Und die unterscheidet gleich mehrere Verhörer-Kategorien. Bewegen sich das tatsächlich Gesagte und das falsch Gehörte in derselben Sprache, dann hat man es mit einem „Mondegreen“ zu tun. Schon wie es zu diesem Begriff kam, ist eine schöne Geschichte – denn der Begriff „Mondegreen“ ist selbst ein „Mondegreen“: Die amerikanische Autorin Sylvia Wright hatte 1954 in der Zeitschrift „Harper’s“ einen Artikel veröffentlicht, in dem sie sich an Verhörer aus ihrer Kindheit erinnerte. So hatte sie, als ihre Mutter ihr eine schottische Ballade aus dem 18. Jahrhundert vorlas, verstanden, dass man den Earl of Murray samt Lady Mondegreen erschlagen habe: „They hae slain the Earl Amurray / And Lady Mondegreen.“ Tatsächlich aber gab es in dem Schauerstück gar keine Lady Mondegreen – der arme Earl of Murray war nach seinem Tod lediglich ins Gras gelegt worden: „They hae slain the Earl Amurray / And laid him on the green.“ Und wie das Leben so spült: Der „Harper’s“-Artikel machte „Mondegreen“ zum feststehenden Begriff. 95

Falsch gehört

Für einen der bekanntesten jüngeren „Mondegreens“ sorgte Taylor Swift, als sie ihren Song Blank Space veröffentlichte. An einer Stelle hörten Millionen von Fans immer wieder die Phrase „all the lonely Starbucks lovers“ und fragten sich, was ihr Star wohl mit all den einsamen Liebenden einer Kaffeekette am Hut haben könnte. Dabei heißt es in den Lyrics deutlich plausibler: „… got a long list of ex-lovers“ – offensichtlich ein Resultat der vielen Soundeffekte, die man im Studio über Taylor Swifts Stimme gelegt hatte, und verschiedener Hörererwartungen. Wenn man weiß, auf was man hören soll, funktioniert’s kaum noch – aber die Medien waren eine Zeit lang voll davon. Wer dagegen bei Klassiksendungen im Radio statt „Köchelverzeichnis“ immer wieder „Knöchelverzeichnis“ hört, der erliegt einem der bekanntesten „Mondegreens“ innerhalb der deutschen Sprache. Ebenfalls viele Menschen verstehen in Nenas 99 Luftballons die Worte „99 Kriegminister streichelten Benzinkanister“, obwohl der Orginalvers lautet: „99 Kriegsminister, Streichholz und Benzinkanister“. Klar, auch Nena nölt und nuschelt gern. Aus dem Verhörer „Der weiße Neger Wumbaba“ (nach „der weiße Nebel wunderbar“ aus dem Abendlied Der Mond ist aufgegangen) haben Axel Hacke und Michael Sowa 2004 gleich ein ganzes „Kleines Handbuch des Verhörens“ gemacht. Um ein „Soramimi“ dagegen handelt es sich, wenn man in einem englischsprachigen Text eine deutsche Phrase zu hören glaubt. Die am häufigsten zitierten Beispiele sind hier „Agathe Bauer“ – ein Verhörer angesichts der Wucht des Snap!-Hits I’ve Got the Power – und „Anneliese Braun“, frei missverstanden nach dem Songvers „All the leaves are brown“ aus dem TheMamas-­and-The-Papas-Klassiker California Dreaming. Freilich wird bei all dem gern die Grenze zur – Achtung: weitere Kategorie – mutwilligen Verballhornung überschritten. Wer in Internetsuchmaschinen die Stichworte „misheard lyrics“ eingibt, stößt auf etliche Portale und Videos, die neben Beispielen für „echtes“ falsches Raushören auch jede Menge böswilliger Unterstellungen präsentieren. Schade, dass es dafür nicht so einen schönen Begriff wie „Mondegreen“ oder „Soramimi“ gibt. 96

Verhörer & Co

Wie auch immer: Es scheint, als sei das bewusste Missverstehen ein Volkssport geworden, und manche Ergebnisse – da darf man auch mal prollig und politisch unkorrekt sein – sind, na ja, einfach witzig. Da wird aus „See that girl, watch that scene, diggin’ the dancing queen“ im ABBA-Klassiker Dancing Queen die respektlose Zeile „See that girl, watch her scream, kicking the dancing queen“. Aus der nüchternen Feststellung „That’s me in the corner, that’s me in the spotlight“ im Gassenhauer Losing My Religion von R.E.M. die unappetitliche Aufforderung „Let’s pee in the corner, let’s pee in the spotlight“. Und aus der salbungsvollen Erkenntnis „I bless the rains down in Africa“ im TotoEvergreen Africa das bescheuerte Geständnis „I left my brains down in Africa“. „Misheard lyrics“ dürften die am weitesten verbreiteten Songmissverständnisse sein, und der Fantasie scheinen keine Grenzen gesetzt. Frei nach dem Motto eines Hits des norwegischen Duos Madcon aus dem Jahr 2015: „Don’t worry, Boateng“ … oder so ähnlich.

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Falscher Kontext: Songs in Werbung und PR 27 Nonverbales Missverständnis? Crash Test Dummies, Mmm Mmm Mmm Mmm Der Fantasie scheinen keine Grenzen gesetzt … Das gilt auch für die Werbung, die im besten Falle mit überraschenden Argumentationen, Wendungen und Gags aufwartet, um Aufmerksamkeit für ein Produkt zu erregen. Da kommen vergangene und, noch besser, aktuelle Chart-Hits als Soundtracks wie gerufen. Denn die Chancen, dass hier eine große Zahl von Menschen regelrecht „aufhorcht“, stehen gut. Ob sich daraus aber auch die erhoffte Bindung ans Produkt ergibt, steht auf einem anderen Blatt. Werber unterschätzen gern die Gefahr, dass potenzielle Käufer sich gerade deshalb zornig schnell wieder abwenden, weil einer ihrer Lieblingssongs plötzlich schnöde Waren anpreist. Fans sehen dann nicht nur den Song missbraucht, sondern fühlen sich auch selbst verschaukelt, ja benutzt. Erst recht, wenn Songaussage und Produkt so überhaupt nicht zusammenpassen wollen. Der Einsatz des melancholischen Kansas-Hits Dust in the Wind bei der Bewerbung einer Teemarke dürfte vor etlichen Jahren viele Rockfans irritiert bis erbost haben, zumal die Verantwortlichen damals die traumhafte Melodie auch noch mit einem deutschen Text über besagte Teemarke versehen hatten. Andere Werbeclips sind derart dreist und kreativ, dass sie dem Rockfan bei aller grundsätzlichen Ablehnung auch ein bewunderndes Schmunzeln entlocken. So lebt ein unverschämt wirkungsvoller Spot für eine Käsemarke aus dem Jahr 1998 von 98

Crash Test Dummies, Mmm Mmm Mmm Mmm

einem absichtlichen Verhörer – aber, und das ist der zusätzliche besondere Dreh, die mutwillige Bedeutungsänderung entzündet sich nicht an konkreten Textzeilen oder Worten, sondern an einem lediglich gesummten Refrain. Das klingt erst mal sehr abstrakt, ist aber im Kern ganz einfach – so wie wirkungsvolle Werbung eben sein muss. Denn es geht um das tief geraunte Mmm Mmm Mmm Mmm, das 1994 einem weltweiten Hit der kanadischen Band Crash Test Dummies den Titel gab. „Mmm Mmm Mmm Mmm“ ist im Songkontext durchaus nachdenklich, wenn nicht gar skeptisch, vielleicht auch erschüttert gemeint. Nach dem Märchenmuster „Once there was“ („Es war einmal“) erzählt der Text in drei Strophen von drei Kindern, die etwas Seltsames, etwas Schlimmes erlebt haben. In der ersten Strophe kehrt ein Junge nach einem Autounfall mit weißen Haaren in die Schule zurück: „But when he finally came back / His hair had turned from black into bright white.“ An dem Mädchen aus der zweiten Strophe entdecken die Mitschülerinnen merkwürdige Muttermale, die angeblich schon immer da waren: „They saw birthmarks all over her body / She couldn’t quite explain it / They’d always just been there.“ Und der Junge aus der letzten Strophe scheint von seinen fanatisch religiösen Eltern seelisch überfordert worden zu sein: „And when they went to their church / They shook and lurched all over the church floor / He couldn’t quite explain it / They’d always just gone there.“ Was genau der Song bedeutet, bleibt unklar – die Spekulationen der Fans reichen weit: vom Thema Kindesmissbrauch und Religionskritik über die Auseinandersetzung mit Krebserkrankungen bis hin zur Allegorie auf das Leben, das uns immer wieder mit unfassbaren Ereignissen konfrontiere und gleichzeitig zeige, dass da immer Menschen sind, denen es noch schlechter geht. Nicht umsonst laute ein Einschub vor der letzten Strophe: „But both the girl and boy were glad / Cause one kid had it worse than that.“ In jedem Fall ist es ein gedankenverlorenes, eher trauriges Lied. Der gesummte Refrain „Mmm Mmm Mmm Mmm“ mag das Erzählte zweifelnd hinterfragen, ein fassungsloses Kopfschütteln suggerieren oder 99

Falscher Kontext: Songs in Werbung und PR

Ausdruck von Trauer sein. Von überschäumender Lebensfreude aber kündet er nicht. Indem nun der Werbespot genau diese gesummte Originalpassage herausgreift und sie nicht nur mit schönen Landschaftsaufnahmen und fröhlichen Alltagsszenen kombiniert, sondern auch mit Bildern von Menschen, die nach Herzenslust in Käsestücke und Käsebrote beißen, erscheint sie plötzlich als genießerisches Statement. Anders ausgedrückt: „Mmm Mmm – oh weh!“ wird bewusst als „Mmmhh – wie lecker!“ missverstanden. Letztlich ist das nichts anderes, als wenn Spaßvögel augenzwinkernd „I left my brains down in Africa“ statt „I bless the rains down in Africa“ aus dem guten alten Toto-Hit heraushören. Vielleicht muss das Begriffsspektrum der „Verhörer“-Forschung ja um einen Terminus wie „Nonverbaler Mondegreen“, „Sinistrer Dummie-Dreh“ oder „Mmm-ologischer Lapsus“ erweitert werden …

28 Unglaublich daneben: EMF, Unbelievable Mmm Mmm Mmm Mmm ist nur einer der vielen Hits, die von Marketingleuten zur Untermalung von Werbespots eingesetzt werden. Die Konzentration auf eine gesummte Melodie ist dabei aber eher ungewöhnlich – meist spielen konkrete Textzeilen oder Schlagworte eine besondere Rolle. Diese werden mit Lust aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gelöst und in den neuen, werblichen Kontext gestellt. Aus einem klassischen Lovesong wird dann eine Hommage an ein beliebiges Produkt, aus einer Ode an die Jugend die Hymne für eine Anti-Aging-Creme. In harmlosen Fällen bestehen vielleicht noch irgendwelche gemeinsamen Anknüpfungspunkte zwischen Werbespot und Song – es gibt eben Leute, die nicht nur ihren Partner, sondern auch ein bestimmtes Produkt lieben, und wer jung bleiben will, dem hilft vielleicht eine gute Gesichtscreme … Allerdings werden manche Songs derart unglücklich eingesetzt, dass der Spot, in den sie hineingedrückt werden, eigentlich nach hinten losgehen müsste. Nehmen wir 100

Ween, Gabrielle

­ nbelievable, den supereingängigen Dancerock-Track der britiU schen Gruppe EMF aus dem Jahr 1990. Der Refrain mit dem Ausruf „Du bist unglaublich!“, „You’re unbelievable!“, soll in dem Werbeclip, den er untermalt, einen schicken Sportwagen charakterisieren, natürlich im positiven Sinne. Dabei meint der Ausruf im Songkontext genau das Gegenteil, etwa im Sinne von: „Du bist so mies zu mir, es ist einfach unglaublich!“ Ein genauer Blick auf die Lyrics zeigt, dass sich hier ein Ich-Sprecher ziemlich wütend über seine mit Du angesprochene Partnerin oder seinen Partner beschwert: „You burden me with your questions / You’d have me tell no lies / You’re always asking what it’s all about / But don’t listen to my replies / You say to me I don’t talk enough / But when I do I’m a fool …“: Ständig macht sie oder er dem Song-Ich Vorschriften, äußert Unterstellungen, hört nie zu, verdreht die Fakten und, und, und – mit der Konsequenz, dass das genervte Ich darüber nachdenkt, die Beziehung zu beenden: „I’ve realized I’m going to shoot through and leave you.“ Das steht natürlich im krassen Gegensatz zum Anliegen der Werber, die eigentlich erreichen wollen, dass der Kunde eine Beziehung zum Produkt aufbaut oder die bereits bestehende Beziehung vertieft. Natürlich greift der Spot gezielt nur den kurzen Satz „You’re unbelievable“ und ein paar instrumentale Folgetakte heraus – doch wer den Originalzusammenhang kennt, und das dürften bei diesem weltweiten Superhit nicht wenige Menschen sein, muss erst einmal stutzen. Allerdings ist auch einzuräumen, dass die betreffenden Künstler und Plattenfirmen in der Regel zuvor ihre Zustimmung gegeben haben, wenn einer ihrer Songs in einem Werbespot verwendet wird. Das macht das Songmisserständnis nicht unbedingt harmloser, aber man braucht zumindest kein Mitleid mit den Urhebern haben.

29 Autos für Neandertaler: Ween, Gabrielle Auch nicht ohne ist die Verwendung des Songs Gabrielle in einem Spot für die Automarke Skoda. Das Neunzigerjahre-Stück der US101

Falscher Kontext: Songs in Werbung und PR

Band Ween ist zu hören, während zwei alberne Jungs vor Freude auf ihren Autositzen herumhüpfen und einer attraktiven Frau im roten Kleid nachschauen. Die seltsamen Bedeutungszusammenhänge, die dabei entstehen, lohnen eine genauere Betrachtung. Zunächst mal: Gabrielle ist ein fantastisches Stück Musik. Wer flotten Auf-den-Punkt-Rock mit knackigen Gitarren und grandiosem Solo liebt, dürfte vor allem an der Studioversion des Songs viel Freude haben. Aber, und das macht den Fall erst interessant: Gabrielle ist inhaltlich hochgradig ambivalent. Da beteuert ein ganz offensichtlich männliches Ich seine Liebe zur im Titel genannten Frau – auch wenn er ihr blöderweise manchmal wehtut. Schon in den ersten beiden Strophen ist die Grundspannung angelegt: „I don’t mean to be so insolent / But you know it’s cause I love you / The foundation of my malevolence / You know I’d never hurt you, babe“, heißt es da hochtrabend pathetisch, und: „Sometimes I might get edgy / But a man can sometimes be that way / And nobody’s perfect baby / And I’ll always love you anyway.“ Übersetzt etwa: „Ich will ja nicht anmaßend sein, aber es ist, weil ich Dich liebe / Die Grundlage für meine Böswilligkeit / Du weißt, Baby, ich würde Dir doch niemals wehtun. / Vielleicht bin ich manchmal ein bisschen unausgeglichen / Aber Männer können halt so sein / Na ja, und niemand ist perfekt, Baby / Und ich werd Dich sowieso immer lieben.“ Wie merkwürdig klingt das denn? Klar, da ist die Beteuerung seiner Liebe. Aber da tun sich gleichzeitig auch Abgründe auf, die anmaßendes Verhalten und schlimme Ausbrüche gegenüber der geliebten Person vermuten lassen, nur um mit einem achselzuckenden „Männer sind so, und niemand ist perfekt“ abgetan zu werden. Der Refrain ist dann Süßholzraspelei der übelsten Sorte: „Oh Gabrielle, the sun is shining in your eyes / Oh Gabrielle, I didn’t mean to make you cry / Oh my sweet baby doll, I put you above everything / Oh Gabrielle, I love you til the day I die.“ – Übersetzt: „Oh Gabrielle, die Sonne scheint in Deinen Augen / Oh Gabrielle, ich wollte Dich nicht zum Weinen bringen / Oh meine süße Babypuppe, ich stell’ Dich über alles andere / Oh ­Gabrielle, ich liebe Dich bis an meinen letzten Tag.“ 102

Ween, Gabrielle

Die Ambivalenz des Songs besteht darin, dass er einerseits wie ein zärtliches Liebeslied daherkommt, andererseits auch wie die Selbstentlarvung eines ziemlich miesen Typen gehört werden kann. Folglich gibt es in Chatforen User, die zu Tränen gerührt sind, weil sich das Song-Ich so gefühlvoll für eine Unachtsamkeit oder einen kleinen Fehltritt entschuldigt, und andere, die den Song gerade wegen seiner abgründigen Doppelbödigkeit schätzen. Ich gehöre zu den Letzteren. Warum? Weil auch in Formulierungen wie „My sweet baby doll“ zum Ausdruck kommt, dass der Sprecher in „seinem“ Mädchen vor allem schmückendes Eigentum und eine Art Spielzeug sieht – dass er ein selbstverliebtes Machotum pflegt, das durchaus auch häus­ liche Gewalt beinhalten kann. Manchmal fühle er sich wie sein Vater, gesteht der Sprecher weiter („Sometimes I feel like my old man“), und manchmal verliere er eben einfach den Kopf („And sometimes I just lose my head“). Autoritäres Gebaren also, gewalttätige Ausraster inklusive? Er würde sein Schätzchen natürlich niemals verletzen, aber er müsse sie einfach lieben („Do nothing to hurt you, baby / But you know I got to love you anyway“) – gerade in diesen letzten Zeilen schwingt für mich eine brutale Liebe mit, die auf Gabrielle eine einschüchternde Wirkung haben dürfte. Ween sind bekannt für gezielte unterschwellige Geschmacklosigkeiten. Hin und wieder bemerken Kommentatoren, dass Gesang und Gesamtsound des Stückes verdächtig nach dem längst verstorbenen Phil Lynott und seiner Hardrock-Band Thin Lizzy klingen – eine Einschätzung, die ich teile. Gabrielle ist in meinen Ohren sogar eine Thin-Lizzy-Parodie. Der Song nimmt den Machorocker in schwarzen Lederhosen, seine „Ein Mann ist, wie er ist, und muss tun, was er tun muss“-Larmoyanz und sein pathetisches Gepose subtil auf die Schippe. Einen Männertypus, der eigentlich etwas von einem Neandertaler hat, aber einfach nicht totzukriegen ist. Womit wir auf den Skoda-Werbespot zurückkommen. Denn das Modell, das in dem kleinen Filmchen beworben wird, heißt, nun ja, nicht „Neandertaler“, aber „Yeti“. 103

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Da stellt sich natürlich die Frage: Haben die Marketingspezialisten von Skoda gewusst, was sie taten, als sie ihr Auto nach dem Vorzeitmenschen „Yeti“ nannten und Gabrielle von Ween als Soundtrack wählten? Oder wollten sie einfach nur ihrem lang­ lebigen, wetterfesten Modell einen lustigen Namen geben und es mit einem schönen, schmissigen Rocksong bewerben? Ich vermute ja Letzteres. Und doch adressieren sie auf verblüffende Weise ziemlich perfekt die Zielgruppe der Macho-Neandertaler, indem sie ihren Wagen entsprechend titulieren und den WeenSong sämtlicher Ironie berauben.

30 Unfreiwillig visionär: Frida Gold, Wovon sollen wir träumen? Bestimmt haben Frida Gold die Champagnerkorken knallen lassen, als sie erfuhren, dass das „ZDF“ seine „Bilder des Tages“ zur Frauen-Fußballweltmeisterschaft 2011 mit ihrem dynamischen Dancefloor-Kracher Wovon sollen wir träumen? unterlegen würde. Tatsächlich liefen an allen WM-Übertragungstagen zwischen dem 26. Juni und 17. Juli immer wieder Schnipsel aus dem Song, und natürlich war es vor allem der höchst eingängige, dramatische Refrain, den man herauspickte. Die Häufigkeit der ­Einspielungen und die Kombination mit spektakulären Fußball­ szenen machten Wovon sollen wir träumen? zur inoffiziellen Hymne des Turniers und Frida Gold, eine Newcomerband aus dem Ruhrgebiet, quasi über Nacht zu Stars. Natürlich gönnt man dem ungewöhnlichen Quintett den Erfolg, der mit weiteren starken Stücken untermauert wurde. Aber war ihr Erfolgssong überhaupt kompatibel mit dem WM-Turnier? Passte er wirklich zur Erwartungshaltung von halb Fußballdeutschland, dass das Team von Bundestrainerin Silvia Neid im eigenen Land den Titel holen würde? Klar, der erste Refrainvers schien zu passen wie die Faust aufs Auge: „Wovon sollen wir träumen?“, fragte er fast schon rhetorisch, und jeder deutsche Fußballfan antwortete im Geiste: Natürlich von der WM-­ 104

Frida Gold, Wovon sollen wir träumen?

Trophäe! Aber das war’s dann auch schon mit eventuellen Bezügen zwischen Lied und Turnier. Der Einsatz im Rahmen der „Bilder des Tages“ des „ZDF“ riss nicht nur den Refrain aus seinem Kontext, sondern stellte auch den gesamten Song in einen völlig anderen Kontext, mit dem zusammen er in zigtausend Hirnen abgespeichert wurde. Und das war, keine Frage: ein Songmiss­ verständnis, ach was: eine Songmisshandlung erster Güte. Wovon handelt Wovon sollen wir träumen? Auf keinen Fall von Höhenflügen, sondern exakt vom Gegenteil – von Absturz und Hoffnungslosigkeit. Gleich die ersten Verse präsentieren ein Ich, das ausgiebig feiert und das Leben genießt, dabei aber seine Energie verschwendet. Tagsüber ist es müde und antriebslos, die Euphorie der Nacht weicht Traurigkeit, wahrscheinlich auch Schuldgefühlen: „Ich bin mittendrin / Und geb mich allem hin / Aber schaut man hinter die Kulissen / Dann fängt es immer so an / Ich schlafe immer zu lang / Krieg’s nicht hin und fühl mich deshalb beschissen.“ Wahlloser Konsum vorbei an den eigentlichen Bedürfnissen und die sinnentleerte Orientierung an Superlativen sprechen aus den nächsten Versen. Außerdem formuliert das Ich eine kitschige Sehnsucht nach dem Partner fürs Leben: „Ich erkenn mich nicht / In den Schaufensterscheiben / Entdecke nichts, was mir gefällt / Ich brauch die schönsten Kleider / Und die stärksten Männer / Und eine Hand, die meine Hand für immer festhält.“ Der Refrain umreißt dann die existenzielle Trostlosigkeit, die das Ich empfindet. Es spricht nicht nur für sich selbst, sondern für eine ganze Gruppe von Menschen, womöglich für eine Generation. My Generation – in der Neunzigerjahre-Edition. Die heutige Jugend, suggerieren die Lyrics, zeichnet sich dadurch aus, dass sie keine echten Träume, keine Visionen mehr hat und nichts, woran sie glaubt. Und: Diese Generation ist, wie sie ist – sie scheint sich auch nicht ändern zu können: „Wovon sollen wir träumen / So wie wir sind, so wie wir sind, so wie wir sind / Woran können wir glauben? Wo führt das hin? Was kommt und bleibt? So wie wir sind …“ Diese Verse reichen eigentlich schon, um zu zeigen, wie sehr der „ZDF“-Einsatz dem 105

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eigentlichen Anliegen der Lyrics entgegenläuft. Trotzdem zum Vergleich noch ein Sprung ins letzte Drittel des Songs. Auf die zweite Strophe, die die Grundgedanken fortführt, und einem weiteren Refrain folgt ein Zwischenteil, der die eingangs geäußerte Sehnsucht nach dem Partner fürs Leben als trügerisch entlarvt: „Wir lassen uns treiben durch die Clubs der Stadt / Durch fremde Hände, und wir werden nicht satt / Wir wachen dann auf bei immer anderen Geliebten / Von denen wir dachten, dass wir sie nie verlassen.“ Das Ich ist offenbar nur zu kurzlebigen Affären fähig und betrügt sich damit immer wieder selbst. Und es kommt noch düsterer: Eine Atemlosigkeit, mit der auch Asthmaanfälle gemeint sein können, eine mangelnde Ernährung, in der sich auch Magersucht andeutet, dazu ein übertriebener Alkoholgenuss – das alles untermauert die letztliche Orientierungs- und Heimatlosigkeit des Ichs, die völlige Ausweglosigkeit seiner Situation: „Wir können nicht mehr atmen und vergessen zu essen / Wir trinken zu viel, es bleibt ein Spiel ohne Ziel / Wann hört das auf / Wann kommen wir hier raus / Wovon sollen wir träumen / Wo sind wir zu Haus / Wo sind wir zu Haus / Wo sind wir zu Haus?“ Ich möchte ja nicht nörgeln, aber nach euphorischen Statements, die man mühelos auf den Willen zu sportlichem Erfolg, untermauert durch Fitness, mentale Stärke und gesunde Ernährung, übertragen kann, klingt das für mich nicht. Immerhin erwies sich der „ZDF“-Einspieler aus deutscher Sicht im Nachhinein als unfreiwillig visionär. Denn Birgit Prinz & Co schieden viel zu früh aus dem WM-Turnier aus, erreichten noch nicht einmal das Halbfinale. Sicher war dabei auch Pech im Spiel. Doch muss man ebenso festhalten, dass die Hoffnungsträgerinnen unter dem immensen Druck der öffentlichen Erwartungshaltung meist verkrampft aufgetreten waren und ihr eigentlich vorhandenes Potenzial nur selten hatten abrufen können. „Wovon sollen wir träumen, so wie wir sind?“ – mit dieser ernüchternden Einsicht in die eigenen Schwächen passte der Frida-Gold-Song nach dem deutschen WM-Aus deutlich besser. Er war jetzt so etwas wie ein trauriger Epilog. Und die nachträgliche Bestäti106

Johnny Cash, Ring of Fire

gung dafür, dass Sportteams mit einem derart belastenden Song auf dem Buckel einfach keine Trophäen gewinnen können.

31 Wenn Werber in ihre anale Phase zurückfallen: Johnny Cash, Ring of Fire Ganz anders lag der Fall bei Ring of Fire, einem der größten Hits des amerikanischen Countrysängers Johnny Cash. Hier wollten Werber den Text ganz bewusst in einen provokanten neuen Kontext stellen. Und das kam so … Der 1962 erschienene Song handelt ganz offensichtlich von einer Liebesbeziehung. Ein Liebender bekundet seine leidenschaftliche Zuneigung, die er in das Bild eines lodernden Feuers kleidet. So heißt es in der zweiten Strophe: „The taste of love is sweet / When hearts like ours meet / I fell for you like a child / Oh, but the fire ran wild“ – Übersetzt etwa: „Liebe schmeckt süß / Wenn zwei Herzen wie die unseren aufeinandertreffen / Ich verfiel dir wie ein Kind / Oh, aber das Feuer loderte wild.“ Der Refrain, den auch heute noch fast jeder mitsingen kann, lautet: „I fell into a burnin’ ring of fire / I went down, down, down / And the flames went higher / And it burns, burns, burns / The ring of fire, the ring of fire.“ Also: „Ich fiel in einen brennenden Ring aus Feuer / Ich ging in die Knie / Und die Flammen schlugen höher / Und er brennt, brennt, brennt / Der Ring aus Feuer, der Ring aus Feuer.“ Man kann nach autobiografischen Bezügen im Leben Johnny Cashs suchen oder einen spirituellen Gehalt in den Versen entdecken. Man kann das Feuer einfach als Leidenschaft deuten, aber auch im Sinne der Qualen und Konflikte, die Liebende manchmal zu durchleiden haben. Dass „Ring of Fire“ sowohl der geografische Begriff für einen Vulkangürtel im Pazifik als auch der Name eines Trinkspiels ist, das mit Karten gespielt wird, mag dabei jeweils zur Deutung der Metaphorik herangezogen werden. Stets aber beschreibt der Song eine äußerst innige Beziehung zwischen dem Ich und dem angesprochenen Du. 107

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Dennoch war sich die amerikanische Texterin Sula Miller im Jahr 2004 nicht zu blöd, Ring of Fire ausgerechnet als Unter­ malung eines Werbespots für ein Medikament gegen Hämor­ rhoiden ins Visier zu nehmen. Den in den Versen besungenen Ring aus Feuer in vollster Absicht als entzündeten Schließmuskel zu interpretieren, das ging allerdings der Familie des ein Jahr zuvor verstorbenen Sängers zu weit. „Die Hinterbliebenen der Country-Ikone haben sich jedenfalls festgelegt, was die Interpretation des Songtextes betrifft“, schrieb „SPIEGEL Online“ damals in einem Artikel über den Fall. „Es gehe um die gestalte­ rische Kraft der Liebe. Etwas anderes werde er für die Familie niemals bedeuten.“ Weshalb der Welt die Umsetzung dieser ­ hirnrissigen Idee letztlich erspart blieb. Eine Songmisshandlung der übleren Sorte bleibt die Attacke von Sula Miller trotzdem – zumal sie dem Klassiker noch heute unangenehm anhaftet und mitverantwortlich sein könnte für die Verbreitung einer weiteren Schwachsinnsthese: Nach wie vor stößt man im Internet auf Songportalen und in Chatforen auf die Mutmaßung, Ring of Fire handele von Analsex.

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Gespenster sehen 32 Wot?! Meat Loaf, I’d Do Anything for Love (But I Won’t Do That) Okay, „Missverständnis“ ist vielleicht nicht ganz das passende Wort. Aber das ständige Verhören und Durchleuchten dieses Songs bewegt sich so offensichtlich in der Grauzone zwischen übertriebenem Songverstehen und interpretatorischer Gewaltanwendung, dass es einen Platz in dieser Zusammenstellung verdient. „And I would do anything for love“, singt der schwergewichtige Texaner Marvin Lee Aday alias Meat Loaf im bekanntesten Song seines 1993er-Albums Bat Out of Hell II: Back Into Hell – und hängt hier und da ein entschiedenes „but I won’t do that“ an, mit Betonung auf „that“. Und dieses „that“ hält die Fangemeinde bisweilen noch heute in Atem. „Irgendwie verstehe ich nicht, was um Himmels willen er nie für die Liebe tun würde!“, fragt beispielsweise ein Nutzer des Internetportals „www.werweiss-was.de“. „Er läuft bis zur Hölle und zurück, und sonstige verrückte Sachen. (…) Er steigert sich derart rein, dass ich mir schon die fürchterlichsten Sachen vorstelle …“ Und nicht nur auf „www.wer-weiss-was.de“, sondern auch in anderen Foren liefern Witzbolde und ernsthaft Suchende die bizarrsten Antworten. Schon auf seinem erfolgreichen Debütalbum Bat Out of Hell (1977) hatte Meat Loaf gemeinsam mit dem Texter, Komponisten, Arrangeuer und Pianisten Jim Steinman neue Maßstäbe in der Rockästhetik gesetzt. Natürlich hatte es auch damals schon eine als „Art Rock“ bezeichnete Spielart gegeben, die sich durch überlange, musikalisch vertrackte Songs und eine gewisse Ernsthaftig109

Gespenster sehen

keit auszeichnete. Aber Steinman und Meat Loaf war es gelungen, ihre aufwendig produzierten mehrteiligen Kunstsong-Epen so massentauglich zu gestalten, dass sie – wenn auch teilweise in gekürzten Versionen – regelmäßig Spitzenplätze in den Singlecharts erreichten. Wo sich Art-Rock-Künstler um kompositorische wie spieltechnische Finessen und um eine irgendwie „authentische“ Expressivität bemühten, setzten Steinman und Meat Loaf – zu Deutsch: „Hackbraten“ – das manisch-wuchtige Image und die grotesk-pathetische Bühnenperformance des Frontmanns in Worte, Klang und Musik um. Heraus kamen monumentale 5- bis 12-Minuten-Stücke, die unter ihrem orchestralen Bombast und den schrillen, die Schwelle zum Kitsch meist deutlich überschreitenden Texten nicht etwa zusammenbrachen, sondern erst richtig aufblühten. Liebe, Hass, Wut, Angst, Trauer, Euphorie – es ging um überlebensgroße Gefühle, bevorzugt die von Teenagern. Mit der LP Bat Out of Hell entfaltete der Begriff „Schmachtfetzen“ im modernen Song eine neue Dimension. Die 13 Jahre später erschienene LP Bat Out of Hell II: Back Into Hell leitete ein großartiges Meat-Loaf-Comeback ein und versteht sich, der Titel sagt es, als eine Art Fortsetzung des erfolgreichen Debütalbums. Auch in I’d Do Anything for Love (But I Won’t Do That) wird geschmachtet, was das Zeug hält, ganze zwölf Minuten und eine Sekunde lang. Die ersten drei Viertel des Songs gehören einem jungen Mann, der eigentlich nichts weiter tut, als einer Angebeteten seine Liebe zu gestehen – wobei deutlich durchklingt, dass er endlich mit ihr schlafen möchte. Dabei lässt er immer wieder einfließen, dass er alles für die Liebste tun würde, und zwar uneingeschränkt. Zum Beispiel würde er einmal in die Hölle gehen und, es klang schon an, auch wieder zurück. Gleichzeitig beteuert er, ebenfalls durch verschiedenste Beispiele untermauert, dass er nichts tun würde, was sein sinnliches Erleben schmälern oder sein Ziel unterbinden könnte. Das hört sich dann zu Beginn des Songs etwa so an: „And I would do anything for love / I’d run right into hell and back / I would do anything for love / I’ll never lie to you and that’s a fact / But I’ll never forget the way you feel right now / Oh no – no way / I 110

Meat Loaf, I’d Do Anything for Love (But I Won’t Do That)

would do anything for love / But I won’t do that / I won’t do that.“ Zwei schlichtweg parallel nebeneinander herlaufende Argumentationsstränge bilden hier also die grundlegende Textstruktur: zum einen die an die Geliebte gerichtete Beteuerung, alles für seine Liebe zu tun, und zum anderen, völlig losgelöst davon, die eher an sich selbst gerichtete Beteuerung, zu keinem Zeitpunkt von seinem eigenem Glücksanspruch, insbesondere seinem Streben nach körperlichen Sensationen, nach Euphorie, Ekstase abzulassen. „I won’t do that“ – für die eben zitierte Songstelle heißt das: „Ich werde nie vergessen, wie du dich jetzt in diesem Moment anfühlst.“ So geht das schier endlos weiter, bis im letzten Drittel die Angebetete auftritt und nun ihrerseits prüfende Fragen stellt, die sich auch als versteckte Forderungen, wenn nicht gar als Bedingungen interpretieren lassen. Zu diesen immer absurder klingenden Bedingungen gehört sogar, sie mit Weihwasser abzuspritzen, falls ihr die Hitze, die Erregung, zu Kopf steigt: „Will ya hose me down with holy water – if I get too hot?“ Und was macht unser erregter junger Held? Beteuert, weil er endlich zum Zug kommen will, nicht minder pathetisch und vehement: „I can do that!“ Doch dann errichtet die Angebetete noch eine letzte rhetorische Barriere und konfrontiert ihn mit einem Totschlagargument: Nach einer Weile, so sagt sie ihm klagend ins Gesicht, wirst du all das vergessen, unsere Liebe nur als mittsommer­ liches Zwischenspiel betrachten und einfach weiterziehen: „After a while you’ll forget everything / It was a brief interlude and a midsummer night’s fling / And you’ll see that it’s time to move on.“ Und nun muss unser kopfloser Liebhaber ganz schnell schalten, wenn ihm nicht sämtliche Felle davonschwimmen sollen. Das heißt, er muss umgehend dementieren. Und zum Glück kriegt er die Kurve: „I won’t do that!“, beteuert er ein wenig entrüstet, „I won’t do that!“ – „Nein, ich werde nichts vergessen, und ich werde nicht einfach weiterziehen!“ Auch dieses Prinzip wird nun diverse Male durchexerziert. Die Frage nach der Bedeutung von „I won’t do that“ lässt sich also auf zwei verschiedene Weisen beantworten: In den ersten 111

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acht Minuten verneint „I won’t do that“ das Aus-den-Augen-verlieren des eigentlichen Ziels, und im abschließenden Dialog mit der Geliebten schmettert „I won’t do that“ deren Vorwürfe und Unterstellungen ab. In beiden Fällen gibt es jeweils unmittelbar vorher eine Textstelle, auf die sich „I won’t do that“ konkret bezieht. Und im Versprechen, die Geliebte nicht zu enttäuschen, ist der junge Mann am Ende zumindest auf der sprachlichen Ebene vollends auf Kurs gebracht. Jetzt, da die Sache geklärt scheint, kann der Song in Frieden mit der noch einmal wiederholten Gesamtformel schließen: „Anything for love / I would do anything for love / I would do anything for love / But I won’t do that.“ Nach zwölf Minuten fällt der Song buchstäblich in sich zusammen, er endet zart und leise. Haben sie oder haben sie nicht?, so darf man sich ungeduldig fragen. Hat der junge Mann nun bekommen, was er wollte, oder wird er geläutert weiter warten? Die Antworten bleiben dem Publikum überlassen. Warum aber noch heute User in Chatforen wie „www.songfacts.com“ spekulieren, „that“ stehe für „niemals betrügen“, für „den Freund der Angebeteten ermorden“ oder gar für „Oralsex“, bleibt eins der letzten Rätsel der Menschheit.

33 Paul ist tot – ein Freispiel drin: The Beatles und die „Paul is dead“-Manie Dass Songs meistens harmloser sind als das, was in sie hineininterpretiert wird, zeigt auch der „Paul ist tot“-Virus, der Ende der Sechzigerjahre einen Teil der Beatles-Fangemeinde befiel. Irgendjemand hatte das Gerücht in die Welt gesetzt, Paul McCartney sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen und heimlich durch einen Doppelgänger ersetzt worden. Andere setzten noch einen drauf und behaupteten, der 1945 im Krieg über dem Ärmelkanal abgestürzte amerikanische Big-Band-Chef Glenn Miller sei gar nicht gestorben, sondern heimlich in England untergetaucht, wo er in der Folge fast alle Songs der Beatles geschrieben habe. Der Glenn-Miller-Strang des Gerüchts setzte 112

The Beatles und die „Paul is dead“-Manie

sich weniger durch, der „Paul ist tot“-Strang dafür umso mehr. Und so suchten unzählige schockierte Fans nach Beweisen für McCartneys Tod, zumal sie überzeugt waren, dass sich die restlichen Beatles-Mitglieder – auch ein Teil des Verschwörungsplots – verzweifelt bemühten, durch versteckte Hinweise auf die Angelegenheit aufmerksam zu machen. Und wer wirklich sucht, so lautet eine alte Weisheit, der wird auch fündig. Weshalb etliche Beatles-Plattencover und rückwärts oder langsamer abgespielte Songteile als handfeste Indizien herhalten mussten: Sieht nicht der Schrankkoffer, in dem McCartney auf dem Bild da sitzt, wie ein Sarg aus, wenn man das Plattencover um 90 Grad nach links dreht? Und murmelt da nicht John Lennon am Ende von Strawberry Fields Forever so etwas wie „I buried Paul“? Dass schließlich auch Songlyrics auf Hinweise zum Tod des berühmten Beatle abgeklopft wurden, war nur folgerichtig: Na selbstverständlich, so waren sich die übereifrigen Fans sicher, beschrieb die Zeile „Life goes on within you and without you“ aus dem Song Within You Without You die Stimmung nach McCartneys Tod. Und die Verse „Lovely Rita, meter maid, where would I be without you?“ kreisten, keine Frage, um die Verkehrspolizistin („meter maid“), durch die der Beatles-Bassist unmittelbar vor dem Unfall abgelenkt worden sein soll. Oder wenn im Stück She’s Leaving Home von „Wednesday morning at five o’clock“ die Rede war, dann wurde damit ja wohl ziemlich deutlich auf den Zeitpunkt angespielt, zu dem sich der tödliche Autounfall ereignet haben soll. Wer weiter in diesen Unsinn eintauchen und noch bizarrere Bezüge entdecken will, der google im Internet einfach „Paul is dead“ und lasse sich überraschen. Und wem das alles einfach nur egal ist, der zünde sich einen Joint an und lasse den lieben Gott einen guten Mann sein. Genau wie McCartney, Glenn Miller, Jim Morrison, Marc Bolan, Elvis Presley und all die anderen. Wahrscheinlich hocken sie irgendwo in einem unscheinbaren Urlaubsparadies zusammen und amüsieren sich jeden Abend gemeinsam bei Whisky, Wein und Bier über den ganzen Mist, den wir täglich über sie verzapfen. 113

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34 Schöne Träume! The Beatles, Lucy in the Sky With Diamonds So etwas wie die Mutter aller Songmissverständnisse: Lucy – Sky – Diamonds – drei Worte mit den Anfangsbuchstaben L – S – D? In den drogengeschwängerten späten 1960er Jahren konnte das kein Zufall sein – die Lyrics, die auch heute noch viele Fans auswendig kennen, mussten einfach die Eindrücke eines Drogenrauschs in Worte gefasst haben. Aber sind die harmlos-lieblichen Verse dieses charmanten Happy-Songs von 1967 nicht viel zu klar strukturiert für einen Drogensong? Und die Bilder und Motive nicht viel zu kindlich naiv? Da driftet jemand durch eine knallbunte Fantasiewelt, die sich durch Mandarinenbäume, riesige Kunststoffblumen und einen Marmeladenhimmel auszeichnet, durch Schaukelpferdmenschen, die Marschmellowpasteten essen. Fortbewegungsmittel sind ein Boot, ein Taxi und ein Zug, und immer wieder taucht ein Mädchen mit Kaleidoskopaugen auf. Es geht um Süßigkeiten, um Rummelplatzbilder, um eine Welt, die dem Betrachter riesig erscheint. Das hat nichts von Bewusstseinserweiterung und außergewöhnlichen psychischen Erfahrungen, sondern erinnert vor allem an lustige Fantasien für ein Kinderbuchpublikum unter 10 Jahren. Und: Verweisen nicht schon die ersten beiden Worte der Lyrics auf die Macht der Fantasie, auf ein Spiel? „Picture yourself“, heißt es da: „Stell dir vor“ oder noch buchstäblicher: „Mal dir aus!“ Songschreiber John Lennon beteuerte immer wieder, der Text sei inspiriert von einem Bild, das sein kleiner Sohn Julian in der Schule gemalt habe, zusammen mit einer Kameradin namens Lucy. Zum einen sind das Bild und die Personen historisch verbürgt, zum anderen ist es natürlich nicht auszuschließen, dass Lennon sich entgegen allen Beteuerungen der LSD-Assoziation durchaus bewusst war. Als wortspielender Scherzkeks aber, der unter Titeln wie In His Own Write und A Spaniard in the Works auch Nonsense-Literatur verfasste, dürfte er großen Spaß an der Verwirrung gehabt haben, die die von ihm zu Lucy in the Sky With Diamonds zusammengestellten Buchstaben, Worte und 114

Peter, Paul & Mary, Puff the Magic Dragon

Verse verursachten. Keine Frage, John Lennon war auch ein Denker, und er wusste: Die Menschen verstehen, was sie verstehen wollen.

35 Verpuffende Zusammenhänge: Peter, Paul & Mary, Puff the Magic Dragon Die Menschen verstehen, was sie verstehen wollen. Mit dieser Erkenntnis wurde auch das amerikanische Folktrio Peter, Paul & Mary konfrontiert, nachdem es 1963 den Song Puff the Magic Dragon veröffentlicht hatte. Das simple, aber ungemein einnehmende Lied avancierte schnell zum Hit, nicht zuletzt weil gerade Hippiekreise darin eine handfeste Anspielung auf den Konsum von Rauschmitteln vermuteten. Dabei hatte Ende der 1950er Jahre einfach ein Student namens Leonard Lipton ein Kinderlied über einen Drachen aufgegriffen und zum Zeitvertreib ein eigenes Gedicht dazu verfasst. Der mit Lipton befreundete Peter ­Yarrow – jener Peter von Peter, Paul & Mary – hatte sich davon wiederum zu einem eigenen Song inspirieren lassen und diesen später mit seinen zwei Gesangspartnern für die zweite LP des Trios, Moving, eingespielt. Im Text geht es um einen Zauberdrachen aus dem Fantasieland Honalee, der zunächst mit seinem menschlichen Spielkameraden Jacky Paper sehr viel Spaß hat, am Ende aber traurig allein in seiner Höhle sitzt – weil Jacky nicht wie er endlos leben kann. Die Verse suggerieren, dass Jacky irgendwann gestorben ist („A dragon lives forever, but not so little boys“), können im übertragenen Sinne aber auch bedeuten, dass Jacky schlichtweg irgendwann die Zeit des fantasievollen Spielens hinter sich ­gelassen hat. Das nicht im Mindesten skandalumwitterte Trio konnte noch so sehr beteuern, dass Puff the Magic Dragon ein Song über das Erwachsenwerden und vielleicht auch über den gesellschaftlichen Umbruch sei – das Szenepublikum hielt an der Drogenliedtheorie fest. Die Musikjournalistin Mirjam Schadendorf schreibt: 115

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So waren sich die Fans von Peter, Paul & Mary seit der Veröffentlichung des Songs sicher, dass durch den Namen des Drachens „Puff“ und den des Jungen „Jacky Paper“ Hinweise auf das Rollen eines Joints gegeben wurden. In diesem Sinne interpretierte man den „dragon“ dann auch als „draggin“ (inhalieren). Das „Land called Honalee“ wurde als Honalei verstanden, eine Stadt auf Hawaii, die bekannt für ihren Marihuana-Anbau ist. Dann kam noch der „autumn mist“ und der „fancy stuff“ hinzu, den man mit etwas gutem Willen als Rauch bzw. interessante Dinge interpretieren konnte – und fertig war das Lied vom Drogenrausch. Im Jahr 1964 konnte man in Newsweek eine entsprechende Deutung lesen. Diese Interpretation übte eine starke Anziehungskraft auf das Publikum der 1960er Jahre aus. Bis heute glaubt fast jeder Zweite an den Drogenhintergrund des Songs (…)

Das Besingen von Fantasie- und Kinderbuchwelten war in den Sechzigerjahren groß in Mode, siehe Lucy in the Sky With Diamonds von den Beatles, Atlantis von Donovan oder White Rabbit von Jefferson Airplane. Und vor allem im Falle von White Rabbit, einem Song, der Motive aus Lewis Carrolls Buch Alice in Wonderland aufgreift, war der Drogenbezug von der Band bewusst angelegt. Allerdings stammen die Stücke von Jefferson Airplane (1967) und Donovan (1968) wie der Beatles-Hit aus den späten Sechzigerjahren, als die amerikanische Gegenkultur mit Psychedelic Rock ihren musikalischen Höhepunkt erreichte. Puff the Magic Dragon dagegen enstand knapp zehn Jahre vorher – in einem völlig anderen, mehr oder minder exzessfreien Kontext. Damals mag man zwischen den Szenen personelle und inhaltliche Verbindungen gezogen haben, etwa weil der eine oder andere Folkie innerhalb von wenigen Jahren zum Hippie wurde, später dann wurden die Sechzigerjahre immer mehr als ein großes Ganzes aus Rock- und Gegenkultur wahrgenommen. Über die vermeintlichen Drogenassoziationen in Puff the Magic Dragon kann man aus heutiger Sicht aber nur noch schmunzeln. Genauso gut könnte man die Macher der Augs­ burger Puppenkiste als Hippie-Kommune enttarnen und in der 116

Fun, We Are Young

qualmenden Lokomotive von Lukas dem Lokomotivführer eine riesige Shisha-Pfeife oder in Urmel aus dem Eis eine Referenz an den ganz offensichtlichen Drogendrachen von Peter, Paul & Mary erkennen. Das Spektakulärste an Puff the Magic Dragon bleibt wohl, dass der Song in deutschsprachigen Versionen von Daliah Lavi und, man staune, von Marlene Dietrich gecovert wurde. Fazit: Je mehr der gegenkulturelle Kontext der 1960er Jahre verblasst, je weniger Menschen aus eigenem Erleben über diese Zeit berichten können, desto mehr wird der Song seinen ursprünglichen Status wiedererlangen: den eines harmlos-wehmütigen Kinderlieds.

36 Ach, die jungen Leute, Part I: Fun, We Are Young „Es ist eine Ode an die Jugend, der Song ‚We Are Young‘ der USIndiepop-Band ‚Fun‘.“ So steht es noch heute auf der Website von „SRF“, Schweizer Radio und Fernsehen. Und natürlich gibt es etliche weitere Hörerinnen und Hörer weltweit, die vor allem den hymnischen Refrain im Ohr haben und damit das berauschende Gefühl verbinden, kraftstrotzenden jungen Leuten bei der Arbeit zuzuhören. Man lese nur, was Thomas Winkler im „ZEIT“-Blog vom 1. Juni 2012 über den Grammy-„Song des Jahres“ schreibt: Sicherlich, We Are Young ist ein hübscher Popsong. Eine forsche Trommel, ein dezenter Klavierakkord, eine helle Stimme, die ihre euphorisierende Jugendlichkeit selbst noch durch das schepperndste Küchenradio zu transportieren versteht, und nicht zuletzt ein sofort mitsingbarer Refrain, der von einer frisch beginnenden Liebe erzählt und sentimentale Sehnsüchte bündelt: „Tonight we are young, so let’s set the world on fire.“

Der Fall scheint klar: We Are Young ist ein Song zum Bäumeausreißen. Aber, so meine rhetorische Frage, stimmt das denn – euphorisierende Jugendlichkeit, eine frisch beginnende Liebe, ­sentimentale Sehnsüchte? Die Antwort lautet leider Nein. Gleich 117

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zu Beginn begegnet uns ein Sprecher, der Mühe hat, einen zusammenhängenden Gedanken zu äußern: „Give me a second, I … I need to get my story straight.“ Der Grund für seine Indisponiertheit liegt auf der Hand: Seine Clique hängt „higher als das Empire State Building“, also völlig zugedröhnt, auf der Toilette eines Clubs ab, und er selbst steuert schwankend wieder auf die Bar zu, wo seine Freundin auf ihn wartet. Allerdings wird die junge Dame inzwischen von einem sonnenbebrillten Typen angebaggert, und der fragt sie doch glatt nach der Narbe von einer Wunde, die der Sprecher ihr vor ein paar Monaten zugefügt hat: „My friends are in the bathroom getting higher than the Empire State / My lover she is waiting for me just across the bar / My seat’s been taken by some sunglasses asking ’bout a scar / and I know I gave it to you months ago …“ Von einer „frisch beginnenden Liebe“ kann hier also gar keine Rede sein, auch nicht von euphorisierender Jugendlichkeit und sentimentalen Sehnsüchten. Die Rede ist vielmehr von Alkohol und Drogen, von Abfeiern bis zur Besinnungslosigkeit, von einer Beziehung, die bereits deutliche Risse hat, von häuslicher Gewalt. Der Sprecher würde das, was er seiner Freundin angetan hat, gerne ungeschehen machen, und er weiß, sie würde es ebenso gern vergessen, doch ganz so einfach geht das nicht. Seine Entschul­ digungen bringt er wohl auch nur halbherzig rüber. Also macht er der Frau das unbeholfen-absurde Angebot, sie nach Hause zu ­tragen, wenn sie nicht mehr gerade stehen kann. Es scheint das Höchstmaß an Zärtlichkeit zu sein, das er gerade noch aufbringen kann: „I know you’re trying to forget / But between the drinks and subtle things, the holes in my apologies / You know I’m trying hard to take it back / So if by the time the bar closes and you feel like falling down / I’ll carry you home.“ All das spielt sich bereits im kurzen Intro des Songs ab, das wie in Windeseile dahingeworfen wirkt. Sänger Nate Ruess spule seine Verse so hastig herunter, als würde er darauf hoffen, dass niemand mitbekommt, welche Abgründe er da besingt, schreibt Andrew Unterberger treffend in einer Rezension für „popdust. com“. Erst danach kommen der einschneidende Rhythmuswech118

Fun, We Are Young

sel und der hymnische Refrain, der sich so gnadenlos euphorisch in die Herzen des Publikums schraubt. Heut Nacht sind wir jung, heißt es da, also lasst uns die Welt anzünden und heller strahlen als die Sonne: „Tonight we are young / So let’s set the world on fire / We can burn brighter than the sun.“ Das kommt allerdings nicht aus tiefster Überzeugung, sondern wirkt, als habe man sich diesen eigentlich desolaten Abend erst schöntrinken, schönrauchen oder schönschniefen müssen. In einer späteren Songpassage scheint dann alles endgültig den Bach hinunterzugehen. Der Sprecher hat den Eindruck, seiner Freundin gar nicht mehr so wichtig zu sein, wie er dachte. Ein möglicher Hinweis darauf, dass sie vielleicht angefangen hat, mit dem sonnenbebrillten Nebenbuhler zu flirten? Im Delirium denkt unser „Held“ darüber nach, wie man wohl am besten auseinandergeht, und sorgt am Ende für die frustrierende Pointe: Er wird seine Freundin wohl nicht nach Hause tragen. Stattdessen freut er sich dass er selber jemanden gefunden hat, der ihn nach Hause trägt. Ob damit ein Kumpel oder eine andere Frau gemeint ist, bleibt der Fantasie des Publikums überlassen: „Now I know that I’m not all that you got / I guess that I … I just thought maybe we could find ways to fall apart / But our friends are back, so let’s raise a toast / Cause I found someone to carry me home …“ Alle sind so breit, dass sie nichts mehr mitbekommen, und das Paar im Zentrum des Geschehens geht getrennt nach Hause – deprimierender kann das Abfeiern mit der Clique kaum enden. Wer Zweifel an dieser doch eher düsteren Songdeutung hat, der schaue sich das Video zu We Are Young an. Geschmackvoll in Zeitlupe und nicht ohne eine gewisse Ironie inszeniert, eskaliert da eine Clubsituation: Männer ziehen Frauen Bierflaschen über den Schädel, das Ganze mündet in eine wüste Massenschlägerei, in deren Verlauf Pflanzen, Einrichtungsgegenstände, Stofftiere und, auweia, auch Menschen durch die Gegend fliegen. Inmitten des Chaos spielen Fun auf der Bühne ihren Titel runter, und zwar so stoisch wie möglich. Euphorisch-elektrisierende Partynächte haben sicher auch die meisten Leser irgendwie ­anders in Erinnerung … 119

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37 Gender Bender: Alison Krauss & Robert Plant, Let Your Loss Be Your Lesson And now to something completely different … Missverständnisse können auch im Bereich der Coverversion auftreten, also dann, wenn jemand den bereits veröffentlichten Song eines anderen Künstlers oder einer anderen Künstlerin neu aufnimmt. Da entspinnen sich schon mal Vermutungen und Spekulationen, warum sich ein Star gerade diesen oder jenen Song für eine Neuinterpretation vorgenommen hat. Besonders spannend wird es, wenn das Covern mit einem Geschlechtersprung verbunden ist – wenn etwa eine weibliche Cover-Interpretin den Blick eines offensichtlich männlichen Song-Ichs aus der Vorlage beibehält und auch in der Neuaufnahme eine Frau besingt. So geschehen in der coolen, flotten Coverversion von Let Your Loss Be Your Lesson, die die Bluegrass-Ikone Alison Krauss 2007 zum gemeinsam mit Ex-Led-Zeppelin-Sänger Robert Plant veröffentlichten Album Raising Sand beisteuerte. „Once I had myself a good woman / But I just didn’t treat her right“, heißt es im reumütigen Original des R&B-Songwriters Milton Campbell Jr. aus dem Jahr 1975, „I was always leaving / Livin’ a party life.“ Also: „Ich war mal mit einer tollen Frau zusammen / Aber ich hab sie einfach nicht gut behandelt / Ich war immer nur auf dem Sprung / Hab ein richtiges Partyleben geführt.“ Schon früh wird klar, worauf die Lyrics hinauslaufen – auf Trennung, auf gespielte Gleichgültigkeit, auf Frust: „True love was waiting for me / I was much too blind to see / Till she told me she would leave me / I said that’s all right with me.“ Auf Deutsch etwa: „Es war die wahre Liebe, die da auf mich wartete / Aber ich war zu blind, um das zu sehen / Bis sie mir sagte, sie würde mich verlassen / Ich sagte nur: Okay, dann geh.“ Der Re­ frain bringt die Schuldgefühle und die Sehnsucht auf den Punkt: „Oh, now she’s gone / Realize I lost the best thing there is / And my pride keeps telling me / Let your loss be your lesson“ – übersetzt etwa: „Oh, jetzt ist sie fort / Und ich merke, dass ich das 120

Alison Krauss & Robert Plant, Let Your Loss Be Your Lesson

Allerbeste verloren habe / Und mein Stolz sagt mir immerzu / Lass diesen Verlust eine Lektion für dich sein.“ Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Der Rest des Songs besteht aus Selbstkasteiung und dem schmerzlichen Gefühl, die große Liebe verloren zu haben. Die Originalaufnahme aus den Siebzigern erfüllt alle Konventionen eines Lovesongs: Ein Mann gesteht einer Frau seine Liebe. Nichts irritiert, erst recht weil der Song von einem Mann gesungen wird und das Song-Ich eine Frau anspricht. Üblicherweise gibt es auch dann keine Irritationen, wenn beim Covern eines solchen Songs das Geschlecht des Interpreten wechselt. Denn in der Regel wird im gecoverten Text das Geschlecht der angesprochenen Person einfach angeglichen. Ein Beispiel: „Love is kind of crazy with a spooky little girl like you“, singt die Männerband Classic IV 1968 in ihrem wunderbaren Welt­ hit Spooky – was Dusty Springfield, ebenfalls 1968, bei ihrer Neuinterpretation kurzerhand ändert in: „Love is kind of crazy with a spooky little boy like you.“ Aber was macht eben Alison Krauss? Verzichtet auf die „Geschlechtsumwandlung“ des geliebten Du und besingt nach wie vor eine Frau. Das sorgt hier und da für Vewirrung … Nun kommt hinzu, dass Alison Krauss immer wieder mal von dem Gerücht umweht wird, lesbisch zu sein. Es ist ein vages und stets nur verhalten geäußertes Gerücht, aber es hält sich wacker. Ist da irgendetwas an ihrem Aussehen? Oder auch an ihrem ­K leidungsstil? Liegt womöglich ein besonderer Reiz in der Vorstellung, dass da etwas ist, das eigentlich nicht sein darf? So etwas wie Wunschdenken, gepaart mit liberaler Schadenfreude? Schließlich gehört die stets etwas unterkühlt auftretende Künstlerin zu den Stars der eher konservativ eingestellten amerikanischen Country-Music-Szene. Welch eine Sensation, würde sich hier eine Berühmtheit outen! Auf jeden Fall schwärmen bekennende Lesben in ihren Blogs für die Musik von Alison Krauss, und ab und zu meint ein Klatschportal, sogar direkt nach der sexuellen Orientierung der berühmten Sängerin und Violistin fragen zu müssen, am besten noch inklusive Abstimmungsfunk121

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tion für die User. Klar, dass die Coverversion von Let Your Loss Be Your Lesson da prima ins Bild passt. Andererseits muss man auch unmissverständlich festhalten: Bis heute hat die geschiedene Mutter eines Sohns nicht den leisesten Anhaltspunkt für die Richtigkeit dieser These gegeben. Weshalb man getrost nach anderen Antworten auf die Frage suchen darf, warum Frau Krauss sich dieses Stückes angenommen hat. Und es sind gleich zwei Antworten, die sich anbieten. Erstens: Es handelt sich schlichtweg um eine Hommage an einen wunderbaren, aber vergessenen alten Song. Nicht selten kramen Berühmtheiten ältere Titel weniger bekannter Kolleginnen und Kollegen noch einmal hervor, um ihnen dank ihrer Starpower zum wohlverdienten späten Ruhm zu verhelfen. Und zweitens: Der Song könnte der Männerwelt als augenzwinkernde Warnung dienen. Alison Krauss zitiert gewissermaßen einen reumütigen Sünder und gibt dem starken Geschlecht damit eine klare Botschaft auf den Weg: Männer, hört auf euren Artgenossen – so kann’s euch auch ergehen, wenn ihr nicht gut zu euren Frauen seid! Genau genommen haben wir es hier mit einem zweifachen Missverständnis zu tun: zum einen gegenüber der Interpretin, zum anderen gegenüber dem Song. Ist es nicht völlig egal, ob ­Alison Krauss hetero ist oder schwul? Tritt man ihr nicht eigentlich zu nahe, wenn man immer und immer wieder ihre sexuelle Orientierung hinterfragt – und spektakuläre Gerüchte befeuert? Mit Blick auf den Song besteht das Missverständnis darin, ihn als persönliche Äußerung, gewissermaßen als autobiografisch aufzufassen. Songs aber führen ein Eigenleben. Letztlich entwerfen sie immer eine fiktive eigene Welt – so sehr sie auch von persönlichen Gefühlen inspiriert sein mögen. Von daher kann ein Interpret auch jede beliebige Perspektive einnehmen: eine persönliche oder eine unpersönliche, eine weibliche oder eine männliche, eine lesbische oder eine schwule – oder auch die eines Transgenders.

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Bryan Adams, Summer of ’69

38 Publikumsvera****ung: Bryan Adams, Summer of ’69 „Es handelt von Mundgeruch und Deospray“, so lautet die berühmte Antwort, die Kurt Cobain 1992 auf die Frage gab, was der Superhit Smells Like Teen Spirit seiner Band Nirvana wohl bedeuten möge. Abgesehen davon, dass es tatsächlich eine Anekdote in Cobains Leben gibt, in der ein Deospray namens „Teen Spirit“ vorkommt, wollte er wohl einfach sagen: „Hört gefälligst genauer hin und macht euch selber einen Reim – ich werd’ euch doch nicht meine eigenen Lyrics erklären!“ Ähnlich dürfte der Kanadier Bryan Adams denken, wenn er immer wieder Zeitschriftenreportern oder – wie im Sommer 2008 in Schweden – dem Konzertpublikum mit einem Grinsen im Gesicht verrät, sein Superhit Summer of ’69 erzähle nicht etwa eine Geschichte aus dem Sommer des Jahres 1969, sondern feiere letztlich die Sexstellung 69. Diese Behauptung bietet noch heute in Internetforen Anlass zu den heftigsten Diskus­ sionen und abenteuerlichsten Interpretationsversuchen, aber auch zu entsetzten Kommentaren verstörter Fans, à la „Hätten wir gewusst, um was für einen Schweinkram es in diesem Song geht, wir hätten niemals dazu abgefeiert.“ Dabei genügt ein schneller Blick auf die Lyrics, um das schlüpfrige Geständnis des Künstlers als einen simplen Scherz zu entlarven. So erzählt das Ich des eingängigen Rocksongs, wie es im Sommer 1969 für wenig Geld seine erste „Sechssaitige“, also seine erste Gitarre, kaufte, sich anschließend die Finger blutig spielte und mit Schulfreunden eine Band gründete. Doch aus dem Traum von der Musikerkarriere wurde nichts, weil einer der Jungs einfach ausstieg und ein anderer heiratete – eine Entwicklung, von der der Sprecher meint, dass er sie damals schon hätte voraussehen müssen: „I got my first real six-string / Bought it at the fiveand-dime / Played ’til my fingers bled / It was summer of ’69 / Me and some guys from school / Had a band and we tried real hard / Jimmy quit and Jody got married / I shoulda known we’d never get far.“ 123

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Man mache die Probe aufs Exempel und baue die Sexstellung in die Übersetzung ein, in etwa so: „Ich kaufte mir eine billige Gitarre und spielte mir die Finger blutig, es war der Sommer, in dem wir 69 machten, ein paar Schulfreunde und ich, wir hatten eine Band und wir gaben uns wirklich Mühe, aber Jimmy stieg aus und Jody heiratete …“ Also immer fleißig proben und wechselseitig Oralsex praktizieren, oder wie? Das ergibt alles ziemlich wenig Sinn. Aber weiter im Song: Es folgten ein regulärer Job und eine Freundin, die der Protagonist in einem Schnellrestaurant kennenlernte: „Ain’t no use in complainin’ / When you got a job to do / Spent my evenings down at the drive-in / And that’s when I met you.“ Aha, denkt sich der Entdecker verborgener Botschaften: Frau kennengelernt und gleich mal 69 praktiziert. Aber das ergibt noch weniger Sinn. Viel eher markiert der Song einen wehmütigen Blick zurück. Der Sprecher spürt, wie die Zeit vergeht und dass das vergangene Glück, auch die längst verflossene Liebe, unwiderbringlich ist. Manchmal spielt er noch auf seiner Gitarre, was ihn immer wieder darüber grübeln lässt, warum wohl damals alles auseinanderfiel: „And now the times are changin’ / Look at everything that’s come and gone / Sometimes when I play that old six-string / I think about ya, wonder what went wrong.“ Den unbeschwerten, hoffnungsvollen Sommer 1969 empfindet das Song-Ich heute, in der Rückschau, als „the best days of my life“ – als die besten Tage seines Lebens. In seiner ­Melancholie angesichts geplatzter Jugendträume ist das 1984 entstandene Stück so etwas wie ein Vorläufer zum Song Indianer, den die deutsche Band Pur 1993 veröffentlichte. Dass sich nach wie vor viele Hörer auf die Sexstellungsthese einlassen, mag der Beobachtung geschuldet sein, dass Bryan Adams, der im November 1959 geboren wurde, im Sommer 1969 gerade mal neun Jahre alt war. Eine Band, ein Job, die große Liebe – und das alles in diesem zarten Kindesalter? Unmöglich, sagen Menschen, die in Songs nach autobiografischen Bezügen suchen müssen. Also kann für diese Spezialisten das Stück nur eine andere, übertragene Bedeutung haben; zumal es Bryan Adams ja anders als im Song durchaus zu einem international 124

Bryan Adams, Summer of ’69

erfolgreichen Rockmusiker gebracht hat. Die 69er-Sexstellung kommt da manchem als Assoziation gerade recht: Sie klingt nicht nur aufregend geheimnisvoll, sondern ist auch überaus cool. Aber sie entbehrt nun mal leider jeder Grundlage – so wie sich auch die augenzwinkernden Statements von Bryan Adams als bewusst ausgelegte falsche Fährte erweisen. Das ist in etwa so, als hätte Udo Jürgens behauptet, sein Hit Mit 66 Jahren handele eigentlich von der legendären Route 66 oder, noch blöder, von unendlich viel Sex. Summer of ’69 ist nicht weniger, aber auch nicht mehr als ein wunderschönes Lied über Sehnsucht und Verlust. Und ganz nebenbei ein weiteres Beispiel dafür, dass ein Song-Ich nicht das Mindeste mit dem biografischen Ich des ­Autors oder Interpreten zu tun haben muss.

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Wenn der Kontext fehlt 39 Ach, die jungen Leute, Part II: Mott the Hoople, All the Young Dudes All the Young Dudes von Mott the Hoople erschien im selben Jahr wie Lou Reeds Album Transformer mit dem Superhit Walk on the Wild Side, nämlich 1972. Als Songwriter von All the Young Dudes wie als Produzent von Transformer zeichnete ein und dieselbe Person verantwortlich: David Bowie. Vielleicht erklären sich daraus einige Parallelen zwischen den Lyrics von Walk on the Wild Side und All the Young Dudes. In beiden Songs zieht nämlich eine regelrechte Parade freakiger junger Leute vor dem geistigen Auge des Publikums vorbei. Bei Lou Reed sind das unter anderem eine Holly, eine Candy und ein Little Joe, bei Mott the Hoople ein Billy und ein Freddy, eine Wendy oder eine Lucy. Alle zusammen wirken sie nicht gerade konventionell – Billy spricht dauernd von Selbstmord („Well, Billy rapped all night about his suicide“), Freddy hat vom dauernden Sterneabreißen Flecken im Gesicht („And Freddy’s got spots from ripping off the stars from his face“), Wendy klaut Klamotten („And Wendy’s stealing clothes from marks and sparks“), und Lucy – ein Mann – ist eine Dragqueen („Now Lucy looks sweet ’cause he dresses like a queen“). Während Walk on the Wild Side ziemlich eindeutig eine Transvestitenszene und Künstler-Bohème feiert, wirkt das Geschehen in All the Young Dudes rätselhaft. Beschrieben wird eine eher orientierungslose Generation, die mit den Beatles und den Stones nichts mehr anfangen kann und die, was sehr befremdlich wirkt, die Nachrichten weiterträgt oder weitertragen soll – je nachdem, ob man in der Refrainzeile die Be126

Mott the Hoople, All the Young Dudes

schreibung einer Tätigkeit oder eine Aufforderung erkennt: „All the young dudes(,) carry the news.“ Genau diese Refrainzeile aber, kombiniert mit einer Musik, die in ihrer hymnischen Wucht an den letzten Teil des BeatlesSongs Hey Jude erinnert, brannte sich ins kollektive Hirn der Rockgemeinde ein und bescherte Mott the Hoople einen Welthit. „All die jungen Typen, tragt die Neuigkeit weiter“ oder so ähnlich – das reichte, um aus dem Song eine Glorifizierung der hippen Jugend herauszuhören. Vielleicht auch eine Glorifizierung des Glam Rock, denn Bowie, Mott the Hoople und die ebenfalls in den Lyrics erwähnte Gruppe T. Rex gehörten zur schillernden Glam-Rock-Szene der frühen Siebzigerjahre. Klar, All the Young Dudes wurde von Teilen des Publikums gehörig missverstanden. Aber in diesem Fall ist der Autor nicht ganz unschuldig daran. Denn David Bowie hatte das Stück aus einem ganz bestimmten Kontext gerissen, um es isoliert, als Einzelstück, hinaus in die Welt zu schicken. Die Entstehung des Songs gehört zu den gern erzählten Anekdoten der Rockgeschichte: Mott the Hoople hatten keinen Erfolg und dachten schon daran, sich aufzulösen, da bot David Bowie Hilfe an. Sein Vorschlag: Er als großer Star und Zugpferd würde das nächste Album der Band produzieren und den Leidgeprüften sogar noch einen Song mit auf den Weg geben, an dem er gerade arbeitete. Der Song war All the Young Dudes, wurde dann tatsächlich für Mott the Hoople fertig geschrieben und von der Band um Sänger Ian Hunter im Studio eingespielt. Die nicht unerhebliche Fußnote: Das Stück war eigentlich gedacht für Bowies Konzeptalbum The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars. Darin geht es um eine Welt kurz vor der Apokalypse – eine Welt, in der es keinen Strom mehr gibt und keine weltweite Kommunikation. Die ältere Generation hat jeglichen Bezug zur Realität verloren, die Jugend ist auf sich allein gestellt, auch mit Rock ’n’ Roll kann sie nichts mehr ­anfangen. Da verfällt der Rockstar Ziggy Stardust auf die Idee, Nachrichten über Songs zu verbreiten. Sein Publikum, die Jugend, soll diese Nachrichten aufgreifen und in die Welt hinaus127

Wenn der Kontext fehlt

tragen. So oder ähnlich beschreibt es Dylan Jones in seinem Buch When Ziggy Played Guitar: David Bowie and Four Minutes That Shook the World. Nur mit diesem Hintergrundwissen ergeben die Parade seltsamer Charaktere und die Phrase „carry the news“ wirklich Sinn. Und der hat mit vielem zu tun, aber nichts mit einer hymnischen Liebeserklärung an die Jugend. Warum Bowie dieses Stück aus seinem ursprünglichen Zusammenhang herauslöste und anderen Künstlern zur Verfügung stellte, darüber kann man auch heute nur spekulieren. Fest steht, dass das Ziggy Stardust-Album auch ohne All the Young Dudes funktionierte, und vielleicht empfand Bowie gerade die Vorstellung, das Publikum mit einem schwer verständlichen Text zu konfrontieren, ja sogar falsche Fährten für seine Deutung auszulegen und mit der Kontextänderung zu spielen, als besonderen ästhetischen Reiz.

40 Können Sie Jamaika-Kreolisch? Bob Marley & The Wailers, No Woman No Cry Dass der Autor dieser kleinen Abhandlung selbst nicht gegen Songmissverständnisse gefeit ist, wurde schon im Abschnitt über „Mondegreens“ deutlich. Zu den größten Irrtümern, denen auch ich regelmäßig erlegen bin, gehörte lange Zeit die Fehldeutung des Titels No Woman No Cry als „Keine Frau, kein Weinen“ oder anders gesagt: „Ohne Frauen? Da gäb’s keinen Stress!“ Damit war ich gerade in Europa nicht allein, zumal viele Titelnennungen, die man in Zeitschriften las, nur ein einziges Komma aufwiesen, und zwar genau zwischen „No Woman“ und „No Cry“. Interessantes Detail: Selbst auf den Covers der Platten- und CDVeröffentlichungen von Bob Marley wird der Titel mal mit diesem Komma, mal gänzlich ohne Kommas angegeben – was noch vor dem ersten Hören des Songs unterschiedliche Assoziationen weckt. „Keine Frauen, kein Ärger“, diese Deutung wirkte allerdings schon immer reichlich seltsam: Denn warum hatte der Song einen so beseelt-entspannten Reggae-Groove, und wieso 128

Bob Marley & The Wailers, No Woman No Cry

schwenkten immer Tausende von Fans bei Konzerten glückselig ihre Feuerzeuge, wenn doch in den Lyrics so abschätzig über Frauen gesprochen wurde? Des Rätsels Lösung heißt Patwa – andere sagen Patois, wieder andere Jamaika-Kreolisch. Und in dieser Kreolsprache mit englischen Wurzeln lautet No Woman No Cry genau genommen „Nuh (= don’t), woman, nuh (= don’t) cry“ und bedeutet „Nicht, Frau, weine nicht!“ Statt sich also abfällig über das weibliche Geschlecht zu äußern, spendet das Ich einer Frau, zu der es spricht, auf rührende Weise Trost. Die mitreißende Liveaufnahme des Songs aus dem Jahr 1975 war der erste Welthit des jamaikanischen Reggaestars Bob Marley, und schon an der Kommathematik lässt sich ablesen, wie offen für unterschiedlichste Interpretationen er ist und wie viele Menschen er aufgrund dieser Offenheit erreicht. Auffällig ist die Dramaturgie der Lyrics: Das Ich des Songs scheint an eine wichtige Stätte seiner Vergangenheit zurückgekehrt zu sein und spricht zu einer Frau, die nach wie vor dort lebt. Gegen Ende wird klar, dass der Sprecher auch wieder abreisen wird, aber er tröstet die Frau, indem er das Zusammengehörigkeitsgefühl der Community beschwört und voraussagt, dass schon alles gut werde. Der Ort, um den es geht, ist das Armenviertel Trenchtown in Kingston. Der Sprecher erinnert sich an die guten Menschen, die er dort kannte und von denen einige bereits gestorben sind, aber auch an zwielichtige Gestalten, denen man nicht trauen konnte, an Heuchler. Die Vergangenheit sei hart gewesen, aber nun mal ein wichtiger Teil seiner Lebenserfahrung – und die Zukunft werde großartig sein. Weshalb es einfach keinen Grund zum Weinen gebe: „Said, said, said, I remember when we used to sit / In the government yard in Trenchtown / Oba – obaserving the ‚ypocrites / As they would mingle with the good people we meet / Good friends we have, oh, good friends we’ve lost / Along the way / In this great future, you can’t forget your past / So dry your tears, I seh.“ In der zweiten Strophe erinnert der Sprecher zunächst daran, wie man zusammen gekocht und sein Essen mit anderen geteilt 129

Wenn der Kontext fehlt

hat, um dann anzukündigen, dass er wieder fortgehen werde. Es folgt die endlos wiederholte Beschwörung, dass schon alles gut ausgehen werde. In Verbindung mit dem entspannten Groove des Songs ist es spätestens diese Stelle, die den Song in die Herzen des Publikums trägt und ein Gefühl des Trosts entfaltet: „My feet is my only carriage / So I’ve got to push on through / But while I’m gone, I mean / Everything’s gonna be all right / Everything’s gonna be all right / Everything’s gonna be all right …“ Wehmütiger Rückblick und hoffnungsvoller Blick in die Zukunft – dazu können sich Menschen auf der ganzen Welt in Beziehung setzen. Und es ist schon erstaunlich, was Fans mit diesen einfachen Versen alles verbinden. Wer sich auf Songportalen und in Chatforen umsieht, findet die unterschiedlichsten Erlebnisse und Gedanken zu No Woman No Cry. Die Interpretationen reichen von der Annahme, Bob Marley setze sich hier mit seiner Krebserkrankung auseinander, bis hin zum Aufspüren von Elementen des Rastafari-Glaubens, hinzu kommen fast schon mystische persönliche Beziehungen einzelner User zu dem Song. Nicht alles davon scheint nachvollziehbar oder plausibel – und so haben sich zu dem Titelmissverständnis im Lauf der Jahre auch etliche inhaltliche Missverständnisse gesellt.

41 Wieso hat der Mann da einen Affen auf dem Rücken? Versteckte Drogensongs Drogensongs gehören zur Rockgeschichte wie Vuvuzelas zum südafrikanischen Fußball. Gerade in den 1960er und 1970er Jahren konnten sie Künstlern richtig gefährlich werden – nämlich dann, wenn sie allzu offensichtlich formuliert waren. Die logische Konsequenz: Verschlüsselung. Oftmals reichten schon Jugend- und Szeneslang, bestimmte sprachliche Geheimcodes, um das Establishment im Unklaren über das eigentliche Thema eines Songs zu lassen. Auftritt Mary Jane – ein besonders gern besungenes Mädchen, das Unwissende in dem Glauben lässt, sie 130

Versteckte Drogensongs

hörten ein simples romantisches Liebeslied. Dabei dient Mary Jane meist als Umschreibung des Begriffs Marihuana. Von allen Songs zum Thema ist in meinen Ohren Mary Jane’s Last Dance das beste, weil ambivalenteste, tiefgründigste und melancholischste Beispiel. Der Amerikaner Tom Petty hat den Titel 1993 veröffentlicht. Ein „monkey on one’s back“ wiederum, ein Affe auf der Schulter, war ein häufig gewähltes Symbol für die Abhängigkeit von meist härteren Drogen, und es unterstreicht, dass Drogen im Rocksong nicht automatisch idealisiert wurden. Andeutungen und Umschreibungen waren ein anderes Mittel, um sich in Lyrics mit Rauschmittelerfahrungen auseinanderzusetzen. So unklar und doppelbödig konnten diese Anspielungen sein, dass auch Jahre später nicht klar war, wovon genau der Song handelte. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist Perfect Day, 1972 veröffentlicht von Lou Reed, einem ehemaligen Mitglied der amerikanischen Band The Velvet Underground. Ein perfekter Tag? Optimistischer geht’s kaum, möchte man meinen. Das Song-Ich richtet sich an ein nicht näher gekennzeichnetes Du und beschreibt, wie man zusammen Sangria trinkt, Tiere im Zoo füttert, ins Kino geht und abends nach Hause. Das ist so auffällig belanglos, dass man ab irgendeinem Punkt fast schon vermuten muss: Hier stimmt etwas nicht. Hinzu kommen kleine Details, die irritieren: Sangria am Nachmittag zum Beispiel und Verse wie „You just keep me hanging on“ („Du hältst mich hin“, „Du lässt mich am ausgestreckten Arm verhungern“) oder „You made me forget myself“ („Du hast mir geholfen, mich zu vergessen“). Auch die seltsam verhuschte, benebelte Gesamtstimmung des Songs lässt auf den etwas anderen perfekten Tag schließen – auf Rausch, Verdrängung, Abhängigkeit. Mit dem Du können eben auch verschiedene Ansprechpartner gemeint sein, nicht nur die Partnerin. Endgültig klärende Kommentare von Lou Reed zu seinem „Kultsong“ gibt es nicht. Dafür hielt sich die These von der Drogenmetaphorik so beständig, dass Perfect Day 1996 den Weg auf den Soundtrack zum Kinohit Trainspotting fand, einer Verfilmung des gleichnamigen Drogenromans von Irvine Welsh. 131

Wenn der Kontext fehlt

Wenn man Sprachbilder anhäuft und derart verdichtet, dass der gesamte Text eine über den eigentlichen Wortsinn hinausgehende Bedeutung entwickelt, spricht man von einer Allegorie. Und solche Allegorien wurden auf dem ersten Höhepunkt der Rockkultur gern verwendet, um die bewusstseinserweiternde Wirkung von Drogen zu feiern. Das berühmteste Beispiel ist wohl der 1967 veröffentlichte Song White Rabbit der amerikanischen Band Jefferson Airplane. Er verwendet durchgängig Figuren und Motive aus Lewis Carrolls Kinderbüchern Alice im Wunderland und Alice hinter den Spiegeln, variiert und ergänzt sie aber dahingeghend, dass man die Lyrics jenseits der Märchenhandlung auch als Beschreibung eines Drogentrips verstehen kann. Am Ende steht der mehrfach wiederholte Aufruf „Füttere Deinen Kopf!“, „Feed your head!“ – ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Apropos Schelme: Als solche erwiesen sich 1983 die beiden Macher des dänischen Hitduos Laid Back. Don’t Ride the White Horse nannten sie einen ungemein groovenden Song und schienen damit eine ernsthafte Warnung vor dem Drogenkonsum auszusprechen. Denn „to ride the white horse“ ist unter anderem ein Slang-Ausdruck für „Kokain schnupfen“. Statt ihre ­Lyrics aber pädagogisch wertvoll aufzuladen, wiederholten sie nur mehrmals die Phrase „If you wanna ride / Don’t ride the white horse“, um dann mit der überraschenden Wendung aufzuwarten: „If you wanna ride / Ride the white pony.“ Also: Willst du reiten, dann reite nicht das weiße Pferd – nimm lieber das weiße Pony. Was das bedeuten soll? Keine Ahnung. Vielleicht: Treib’s nicht ganz so wild mit den Drogen, nimm lieber etwas harmloseres Zeugs? Nun ja. Am ehesten hat es für mich Nonsense-Qualität. Dass manchmal auch viel zu viel Sinn aus Songtexten extrahiert wird, zeigen die nervösen Reaktionen auf den 1966, also ein Jahr vor White Rabbit, veröffentlichten Song Eight Miles High der US-Gruppe The Byrds. Wenn jemand singt, wie „high“ er ist, dann kann er doch nur den Genuss von Rauschmitteln feiern, dachten sich manche Moralapostel und verhäng132

Lobpreisungen und versteckte Hommagen

ten ein zeitweiliges Radioverbot. Dabei ist das Stück inspiriert durch einen Transatlantikflug der Band, man fliegt, man landet, von Sucht oder Drogenglorifizierung keine Spur. Der kurze Songtext ist zwar ein wenig rätselhaft, und acht Meilen sind schon eine enorme Flughöhe (für gewöhnlich fliegt man „5 to 7 miles high“), doch ist mit großer Sicherheit davon auszugehen, dass hier eher die Hüter des Anstands high waren als die Mitglieder der Band.

42 „Du? Du warst gar nicht gemeint …“: Lobpreisungen und versteckte Hommagen „In deiner Gegenwart kommt mein Herz zur Ruhe. In deiner Gegenwart erfahr ich neuen Sinn. In deiner Gegenwart zählt nicht mehr, was ich tue. In deiner Gegenwart gilt nur noch, was ich bin. Ich bin dein, du bist mein. Ich in dir, du in mir …“ Der charmante Song beginnt mit atmosphärischen E-Piano-Sounds, später gesellen sich Bass, Schlagzeug und E-Gitarre hinzu. Klingt angenehm, was mag es wohl sein? Ein neuer Song von Helene Fischer? Oder von Andrea Berg? Nein, ein Titel der Sängerin ­Andrea Adams-Frey. Ah, interessant. Na, auf jeden Fall ist es ein schöner Lovesong. Der passt bestimmt prima auf den nächsten Kuschel- oder Schmuserock-Sampler! Wie man’s nimmt. Läuft das Stück einfach so im Radio, dann ist es tatsächlich kaum von einem konventionellen Liebeslied zu unterscheiden: Wendet sich die Sprecherin nicht direkt an den Geliebten, der sie ausgeglichen macht und ihr einen Sinn im Leben gibt? Ganz klar, das tut sie. Aber der Geliebte, das angesprochene Du, ist nicht irgendein Geliebter, der tagsüber zur Arbeit geht und in seiner Freizeit vielleicht gerne Squash spielt. Der Angesprochene ist Gott. Land der Ruhe, so der Titel des Songs, wurde von Albert Frey geschrieben und ist zu finden auf der 2007 bei Gerth-Medien erschienenen Compilation Starke Frauen. Sanfte Töne – 14 ruhige Anbetungslieder. In einigen Songs des ­Albums wird „Gott“ oder der „Herr“ ausdrücklich erwähnt, in 133

Wenn der Kontext fehlt

anderen eben nicht. Und wer den Kontext nicht versteht, hat eine völlig andere, „falsche“ Vorstellung von dem in den Texten angesprochenen Du. Lobpreis- und Anbetungslieder haben ihren Ursprung in den biblischen Psalmen und werden heute gern in moderner musikalischer Verpackung präsentiert: als soundtechnisch aufwendig produzierte Balladen, als tiefgründiger Soul-Pop. Doch während sich Andrea Adams-Frey & Co in ihrer eigenen kleinen Nische eingerichtet haben und vor allem im kirchlichen Kontext performen, haben Künstler wie Xavier Naidoo und die Gruppe Glashaus um den Ex-Rapper Moses Pelham von Anfang an das breite Charts-Publikum ins Visier genommen. Durch den Brückenschlag zu aktuellsten R&B- und Hip-HopHits amerikanischer Prägung, aber auch durch die Kombination mit weltlichen Songs ist ihnen eine ganze Reihe religiöser Hits gelungen, zu denen sich auch weniger christlich engagierte und gänzlich unreligiöse Musikfans in Beziehung setzen können. Dabei dürften gerade in der Anfangszeit, um die Jahrtausendwende, viele Hörerinnen und Hörer dem beschriebenen „Du“-Missverständnis erlegen sein, zumal bei Songtiteln wie Naidoos Ich kenne nichts (das so schön ist wie du). Inzwischen aber ist der häufige Gottesbezug einem großen Publikum bekannt und wird häufig schon bei der Anmoderation in Radio oder Fernsehen kommuniziert. Wenn sie nicht unmittelbar Coverversionen oder Bearbeitungen bekannter Kirchenlieder sind, erzählen christliche Lieder vor allem vom Glauben, aber auch von Glaubenskrisen. Dabei greifen sie Themen, Motive und konkrete Stellen aus der Bibel auf. Eine der Urformen dieser Art von Songs ist das deutsche Psalmlied, das, wie Konrad Klek in dem 2012 erschienenen Essayband Davon ich singen und sagen will erklärt, im 16. Jahrhundert vom Reformator Martin Luther „erfunden“ wurde. Luther schrieb 1523, er habe „die Absicht, nach dem Exempel der Propheten und der alten Väter der Kirche deutsche Psalmen für das Volk herzustellen, das heißt, geistliche Lieder, damit das Wort Gottes auch durch den Gesang unter den Leuten bleibe“. In der 134

Lobpreisungen und versteckte Hommagen

Folge nahm er biblische Psalmen als Ausgangspunkt und übertrug sie in Liedform, wobei er die alten Verse erweiterte, vertiefte und teils alte Melodien verwendete, teils neue Melodien komponierte. Die Sprecher in diesen Liedern sind praktisch vorgefundene Ichs, manchmal spricht auch ein kollektives Wir, so wie in Ein feste Burg ist unser Gott, einem der berühmtesten Lieder von Luther. Es ist eine Auslegung von Psalm 46 und wurde, wie Michael Fischer im selben Essayband aufzeigt, über die Jahrhunderte immer wieder umgedichtet, neu vertont, als Gottesdienstund als Kriegslied eingesetzt oder als politischer Song von Linken wie Rechten vereinnahmt. Dass auch Songs von Xavier Naidoo einen Psalmcharakter haben können, deutet ein Beitrag von Thomas Klie vom Religionspädagogischen Institut Loccum an, und zwar am Beispiel von Seid ihr mit mir? Der Song befindet sich auf dem schon im Covermotiv mit religiösen Anspielungen gespickten Album Nicht von dieser Welt (1998). Naidoo stellt ihm eine gesprochene Passage voran: „Hier spricht Xavier Naidoo. Und bevor ich anfange zu singen, will ich noch’n paar Worte sprechen. Denn: Ich hab’ auf diesen Moment gewartet wie kleine Kinder auf Weihnachten. Hab’ die letzten 10 Jahre gearbeitet, als sei ich besessen, obwohl ich das Gegenteil bin. Ich möchte dir danken, indem ich dich wissen lasse, dass mein einstiger Traum nun durch dich Realität wird, weil es mein Traum war, von dir gehört zu werden.“ Auf diese gesprochene Passage folgt der Wechsel hin zum Gesang, und damit zum losgelösten, abgehobenen Song-Ich, das in einem eigenständigen künstlerischen Kosmos agiert. „Jetzt, wo du mich hörst, wird sich sehr bald entscheiden / Wer ich für dich bin und ob Du der bist, den ich meine“, heißt es in einer der Strophen, „Denn: Alles, was ich brauch’, ist jemand der zuhört / Jemand, der mitfühlt, dem ich sagen kann, was ich spür’.“ Der Refrain schließlich enthält die titelgebende Zeile: „Seid ihr mit mir / Seid ihr mit mir / Seid ihr bereit für die Stimme Mannheims Sohns / Eure Ohren und eure Herzen sind mein Thron.“ In seiner Interpretation des Songs verweist Bibelkenner Klie auf Parallelen zu einem ganz bestimmten biblischen Psalm: 135

Wenn der Kontext fehlt

Es ist natürlich nicht zuletzt die Textgestalt, die eine religionspädagogische Ingebrauchnahme von ‚Seid ihr mit mir‘ induziert. Schon beim oberflächlichen ersten Zuhören lassen sich mühelos biblische Anklänge und Metaphern konnotieren: der ungewöhnliche Genitiv „die Stimme Mannheims Sohns“ (vgl. Joh 5, 25), das in ein Leintuch eingehüllte Waisenkind (vgl. Ex 2, 3 oder Mk 15, 46), seid ihr mit mir – ich bin mit Dir (vgl. Jes 43, 1f). Naidoos Text lebt von diesen Doppel- und Mehrfachkodierungen. Der Vergleich mit einem biblischen Text legt sich also nahe. Vom Aussageduktus und von der Liedform her ergibt sich eine unmittelbare Korrespondenz zu Psalm 130, Luthers Lieblingspsalm. Auch hier wendet sich das lyrische ICH an ein nicht real präsentes DU, auch hier begegnet die Bitte um Erhörung und auch hier kommt ein großes Vertrauen in das Erhört-Werden durch das angesprochene DU zum Ausdruck. Vermag ein Text den jeweils anderen zu erschließen? Welche Konsonanzen oder Spannungen ergeben sich zwischen Pop-Wirklichkeit und biblischer Wahrheit? (Bei beiden handelt es sich um Vertrauensgebete eines Einzelnen, allerdings ist in Ps 130, 8 der HERR der saviour Israels.) An welchen Stellen wird der Song zum Psalm und umgekehrt?

Das Beispiel zeigt, dass man selbst dann, wenn man Kenntnis vom Gottesbezug eines Songs hat, vor Nicht- und vor Missverständnis nicht gefeit ist. Eben weil man über wesentliche Bezugspunkte der Lyrics, den Kontext, nichts weiß. Aber noch einmal zurück zum „Du“-Missverständnis. Es droht natürlich auch bei nichtreligiösen Songs – und gerade hier, im weltlichen Kontext, darf man fragen, ob man überhaupt von einem Missverständnis, einem „Fehler“, sprechen kann. Schließlich sind die meisten Song-Dus nicht näher charakterisiert. Nehmen wir Still, den gefühlvollen Hit der deutschen Gruppe Jupiter Jones, der zum meistgespielten Lied im deutschen Radio 2011 avancierte. „So still, dass alle Uhren schwiegen“, heißt es in einer Strophe, „ja, die Zeit kam zum Erliegen / So still und so verloren gingst du fort / So still und so verloren gingst du fort.“ Hier geht 136

Lobpreisungen und versteckte Hommagen

es ganz offensichtlich um den Verlust eines geliebten Wesens, das aber nicht konkreter benannt wird. Auch der Grund des Verlusts – bewusste Trennung, tragische Umstände? – bleibt im Dunkeln, man spürt aber, dass der Sprecher unendlich leidet. „Ich hab so viel gehört, und doch kommt’s niemals bei mir an“, stellt er im Refrain fest, „das ist der Grund warum ich nachts nicht schlafen kann / Wenn ich auch tausend Lieder vom Vermissen schreib / Heißt das noch nicht, dass ich versteh, warum dieses Gefühl für immer bleibt.“ Derart offen ist der Song gehalten, dass Hörerinnen und Hörer in Chatforen die unterschiedlichsten Interpretationen äußerten. Auf dem Internetportal „Song-Blog“ etwa entspann sich nicht nur eine Diskussion um gescheiterte zwischenmenschliche Beziehungen, sondern auch um den Verlust geliebter Hunde und Katzen. Auch vom Tod engster Freunde und Verwandter war irgendwann die Rede, und hier kamen die Autorinnen und Autoren ganz nah ran an das, was den Songwriter Nicholas Müller wohl beim Verfassen von Still bewegt hat: Es geht um den Tod seiner Mutter. Diese in verschiedenen Interviews vermittelte Information wird heute allerdings bei fast jeder Anmoderation in Funk und Fernsehen automatisch mitgeliefert und zwingt dazu, das Stück in eine konkrete Richtung zu hören und zu deuten. Was schade ist, weil die Lyrics weder die Mutter noch andere biografische Details erwähnen und dem Publikum genügend Raum für eigene Deutungen, für produktive Missverständnisse lassen. Wo manche Fans sich ihre eigenen Gedanken machen, suchen andere fast schon manisch nach versteckten Bedeutungen, nach heimlichen biografischen Bezügen und verborgenen Kontexten. So findet sich in einer Liste des Magazins „NEO“ der – „Pssst!“ – verschwörerische Hinweis, der 1971 veröffentlichte Lovesong Let’s Stay Together des amerikanischen Soulsängers Al Green sei etwas ganz anderes als ein Lovesong: Sogar seine Freundin Mary Woodson dachte, wie der Rest der Welt, dass Al Green mit »Let’s Stay Together« ein wunderbares Liebeslied geschrieben hätte. In Wirklichkeit galt das Stück aber der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in

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Wenn der Kontext fehlt

Amerika und dem ermordeten Martin Luther King. Die unbesungene Mary Woodson übergoss Green 1974 mit heißer Grütze und erschoss sich anschließend in der Küche.

Für eine solche These und erst recht für solche inhaltlichen Kurzschlüsse gibt es allerdings nicht den geringsten Anhaltspunkt. Auch angesichts von Songzeilen wie „I, I’m so in love with you / Whatever you want to do / Is all right with me“ oder „Why do people who break up / Oh, turn around and make up / I just can’t see / You’d never do that to me / Would you, baby?“ klingt das nach einer ganz eigenen Art von Missverständnis: nach einem Riesenirrtum in Form einer Verwechslung. Es ist nicht Let’s Stay Together, sondern der Song Free At Last, in dem sich Al Green explizit auf Martin Luther Kings berühmte „I Have A Dream“-Rede bezieht.

43 San Remo singen und sterben: Luigi Tenco, Ciao amore, ciao Mal nebenbei gefragt: Würden Sie für einen Song in den Tod gehen? In Deutschland hießen sie Liedermacher, in Italien Cantautori: Sänger, die ihre Songs auch selber schrieben und mit anspruchsvollen, teils politisch angehauchten Lyrics ein eher linksliberales Publikum ansprachen. In den 1960er und 1970er Jahren erlebten sie ihren Höhepunkt, und zu den Künstlern, die in Italien wichtige Impulse gaben, gehörte Luigi Tenco: gut aussehend, aus der jazzverliebten Intellektuellenszene kommend, sehr engagiert, aber auch ein bisschen depressiv, spezialisiert auf tiefgründige Liebeslieder, die er gerne etwas kantig vortrug – ein charismatischer Typ mit dem etwas anderen Starpotenzial. Dass der Songwriter, der sich anfangs Gigi Mai nannte, liiert war mit Dalida, einer in Ägypten aufgewachsenen französischen Erfolgssängerin italienischer Abstammung, steigerte den Glamourfaktor noch um einiges. Laut Angela Barwig war Tenco in der Zeit „der ausgehenden Fünfziger und vor allem der ersten Hälfte der 138

Luigi Tenco, Ciao amore, ciao

Sechziger einer der Wegbereiter einer anderen, moderneren canzone d’amore, indem er die Liebesthematik neu akzentuierte.“ Tencos Problem: Er wollte das italienische Publikum offenbar im Hauruckverfahren zu anspruchsvolleren Songs bekehren. Und so nahm er 1967 ausgerechnet am Schlagerfestival von San Remo teil, dem nationalen Forum für seichtes, mainstreamorientiertes Liedgut. Tencos Beitrag war der Song Ciao amore, ciao, zu Deutsch: Auf Wiedersehen, meine Liebe. Hinter dem überaus san-remo-kompatiblen Titel verbarg sich allerdings, wie hätte es auch anders sein sollen, ein ernstes Thema. Offenbar hatte es mal eine frühere Version der Lyrics gegeben, die Tenco für San Remo umschrieb – statt um Freischärler ging es nun um den Abschied eines Emigranten: Dieser verlässt im Song seine wirtschaftlich schwache ländliche Heimat und womöglich auch seine große Liebe, um in einer weit entfernten anonymen Großstadt, vielleicht sogar in einem mittel- oder nordeuropäischen Land, sein Glück zu suchen. Die vertrauten salzweißen Straßen („La solita strada, bianca come il sale“) und die zu pflügenden Felder („il grano da crescere, i campa da arare“) tauscht er ein gegen Tausende verrußter Straßen („mille strade grigie come il fumo“) in einer Welt voller künstlicher Lichter. Dort kann sich ein Mensch nur wie ein Niemand fühlen („in un mondo di luci sentirsi nessuno“) – ohne etwas zu verstehen („E non capirci niente“), unfähig, etwas zu tun („Non saper fare niente “). Keine ganz leichte Kost, und die Konsequenz war abzusehen: Obwohl ihn Dalida unterstützte, schied Tenco – der laut „The Guardian“ manchem Betrachter aufgrund der eventuellen Einnahme von Rausch- und Beruhigungsmitteln „glassy-eyed and distant“ erschien – schon in der Vorrunde aus. Diese wahren Begebenheiten verarbeitete Franco Supino zu einem Roman, über den Roland Erne schreibt: Der vom Management der Plattenfirma samt ausländischem Zugpferd nach Sanremo gelotste Sänger musste mit einem Beitrag unterliegen, der „den Leuten einen Spiegel vorhalten“ wollte. Liess sich Luigi Mai in einer ersten Version von „Ciao amore, ciao“ noch von „Kindheitserinne-

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Wenn der Kontext fehlt

rungen an vorbeiziehende Partisanen“ leiten, hielt sich sein definitiver Text an ein Emigrantenschicksal. Eine politische Botschaft sollte „bei den Massen Wirkung erzielen“. Oder wie sich Supino an anderer Stelle emphatisch ausdrückt: „Das erste Lied, das von Sanremo aus die Welt hätte verändern sollen.“

Es liegt auf der Hand: Zum einen hatte das Publikum Tencos seltsames Liebeslied einfach nicht verstanden, geschweige denn verstehen wollen – zum anderen hatte der Liedermacher selbst den Kontext, in dem er aufgetreten war, nicht verstanden. Zu glauben, mit seinem Song die Wahrnehmung des Publikums verändern und die Welt ein bisschen besser machen zu können, scheint aus heutiger Sicht in etwa so, als würde jemand ernsthaft versuchen wollen, die katholische Deutsche Bischofskonferenz von einer ­liberalen Abtreibungs- oder Drogenpolitik zu überzeugen. Der Fall wäre sicher schnell vergessen gewesen, hätte man Tenco nicht kurz nach dem Vorrunden-Aus erschossen in seinem Hotelzimmer gefunden. Neben ihm fand man einen Abschiedsbrief, in dem er die Entscheidung der Festival-Jury für seinen Selbstmord verantwortlich machte. Das war starker Tobak. Doch bis heute ist dieser Tod nicht restlos aufgeklärt. Die einen sehen viele Indizien für einen Suizid, darunter die depressiven Anwandlungen des Sängers und nicht zuletzt den Festivalsong Ciao amore, ciao selbst, der sich wie ein persönlicher Abschied vom Leben anhöre. Die anderen aber, so die „Neue Zürcher Zeitung“, verweisen auf einige Ungereimtheiten: etwa auf die schlampigen Ermittlungen der Polizei, auf die Tatwaffe, die nicht Tencos eigene gewesen sei, auf eine größere Geldsumme, die er kurz vor seinem Tod in einem Spielcasino gewonnen haben soll, sowie auf den eigentlichen Lebenspartner Dalidas, der 1970 Selbstmord beging. Ein Verbrechen aus Eifersucht scheint daher ebenso wenig ausgeschlossen wie ein Raubmord. Dennoch bleibt in unserem Zusammenhang das Fazit: Mit seinem San-Remo-Auftritt hatte sich Luigi Tenco zwischen alle Stühle gesetzt. Unverstanden, unfähig zu verstehen und auf einen Song fixiert, der ihm in viel­ facher Hinsicht nur um die Ohren fliegen konnte. 140

France Gall, Les Sucettes

44 Schäm, schäm, schäm! France Gall, Les Sucettes „Was glaubst du, wovon handelt der Song?“, fragt ein lässig qualmender Serge Gainsbourg sein Gegenüber France Gall. Die 18-Jährige lächelt etwas unsicher: „Von einem Mädchen, das ­Lollis mag?“ Serge Gainsbourg grinst in sich hinein und schweigt. Es schmerzt fast, diese alte Schwarz-Weiß-Szene in einem „YouTube“-Clip zu sehen, den ein User zum Thema Les Sucettes zusammengestellt hat. Les Sucettes ist ein Titel, den Gainsbourg seinerzeit für France Gall geschrieben und den diese völlig unbekümmert ins Mikro gesäuselt hatte. Eine alte Schwarz-WeißPerformance des federleichten Schlagers zeigt die fast noch kindlich wirkende Interpretin inmitten von wippenden Riesenlutschern, dagegengeschnitten sind Bilder mondän gestylter Models, die sich mit verruchtem Blick Süßstangen in den Mund schieben. Les Sucettes, dessen Text auch beschreibt, wie der Anissaft die Kehle der Sprecherin hinunterrinnt, ist natürlich nur ganz oberflächlich ein Song über ein unbescholtenes Mädchen und seine Vorliebe für Lollis. Tatsächlich geht es um Oralverkehr. Das Unfassbare an der Geschichte ist, dass nicht nur Teile der französischen Öffentlichkeit eine gewisse Zeit brauchten, um diese so offensichtlichen sexuellen Konnotationen des Songs zu verstehen, sondern auch die junge Interpretin selbst. In weiteren Szenen des „YouTube“-Beitrags sind spätere Kommentare von Gainsbourg und Gall zu sehen: Da amüsiert sich der Songschreiber noch lange Zeit danach über seinen Coup, während die Interpretin eingesteht, wie sehr sie sich damals geschämt habe, als ihr bewusst geworden sei, in was Monsieur Gainsbourg sie mit diesem Song hineingeritten hatte. Es ist eine zweischneidige Sache. Sicher kann man dem Enfant terrible Gainsbourg vorwerfen, dass er seine schlüpfrigen Machofantasien ganz gezielt auf Kosten einer jungen Frau ausgelebt und sich letztlich einen reichlich dummen spätpubertären Scherz erlaubt hatte. Andererseits sagte seine Provokation auch etwas über die verklemmten Moralvorstellungen seiner Zeit und über 141

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den Kulturbetrieb aus: 1966, als der Song erschien, war die französische Gesellschaft ganz offensichtlich noch nicht so weit wie die Menschen in anderen Ländern, wo die sexuelle Revolution bereits Fahrt aufgenommen hatte; gleichzeitig war Les Sucettes, so die Journalistin Fabienne Hurst, „auch ein Seitenhieb gegen das bizarre Geschäft mit unerfahrenen Popsternchen, die über Liebe, Lust und Leben singen, aber keine Ahnung davon hatten“. Hurst spricht von Gainsbourgs fast schon strategisch wirkender Erfindung des „Baby-Pop“: „Eingängige Popliedchen mit oberflächlich wirkenden Texten, die erst auf den zweiten Blick die absurden Machenschaften der modernen Musikindustrie offenlegten.“ Wie auch immer man diese aberwitzige Story bewerten mag: Für gewöhnlich sind es Hörerinnen und Hörer, die einen Song aus welchen Gründen auch immer missverstehen. Dass allerdings die Interpretin selbst nicht kapiert, über was sie da eigentlich singt, nimmt unter den Songmissverständnissen eine Sonderstellung ein.

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Moderne Mythen 45 Wer ist da mit dem Flugzeug abgestürzt? James Taylor, Fire and Rain „Urban legends“ – ins Deutsche unzureichend als „Moderne ­Mythen“ übersetzt – sind kleine abstruse Schauergeschichten aus der heutigen Zeit, die durchaus so hätten passiert sein können, aber letztlich erfunden sind. Getarnt als irgendwo aufgeschnappte Nachrichten oder Begebenheiten, die den Freunden von Freundesfreunden passiert sein sollen, lassen sie sich kaum auf einen Urheber zurückführen und sorgen für einen wohligen Gruseleffekt. Etwas von der Faszination solcher „urban legends“ überträgt sich gelegentlich auch auf die Interpretation von Songs – wenn man etwa verschiedene Textstellen nimmt, eins und eins zusammenzählt und eine unheimliche Botschaft extrahiert. So geschehen bei Fire and Rain, einem frühen Hit des amerikanischen Singer-Songwriters James Taylor. In der ersten Strophe erfährt das Song-Ich vom Tod einer gewissen Suzanne, die möglicherweise am Druck und den Erwartungen ihrer persönlichen Umgebung zugrunde gegangen ist: „Just yesterday mornin’, they let me know you were gone / Suzanne, the plans they made put an end to you.“ Im weiteren Verlauf des Songs erzählt das Ich von schmerzhaften Erfahrungen und von dem Gefühl, kaum noch weiterleben zu können („My body’s aching and my time is at hand / I won’t make it any other way“), um mit dem seltsamen Bild zerbrochener Träume und Flugmaschinen zu enden: „Sweet dreams and flying machines in pieces on the ground.“ Der Ende der 1960er Jahre entstandene Song ist eigentlich sehr vage gehalten, nennt aber mit dem Namen Suzanne und dem Bild 143

Moderne Mythen

eines am Boden zerschmetterten Flugkörpers interessante Details, in die man einiges hineininterpretieren kann. Zum Beispiel den Tod von Taylors Lebensgefährtin bei einem Flugzeugabsturz. Uuuuaaaah, gruselig! Das Gerücht hielt sich denn auch einige Zeit. Was es eigentlich mit diesen Bezügen auf sich hat, erklärte der Autor später in mehreren Interviews. Hinter „Suzanne“ steckt nicht Taylors Lebensgefährtin, sondern eine Bekannte, von deren Tod er erfahren hatte. Und „flying machines in pieces“ spielt an auf die Band The Flying Machine, in der James Taylor gespielt hatte, die aber kurz vor der Entstehung des Songs auseinandergefallen war. „Fire and Rain“, das sind einfach die Ups und Downs in einem bestimmten Lebensabschnitt, autobiografisch inspiriert, aber auch so offen angelegt, dass man sich als Hörer auf vielfältige Weise in Beziehung dazu setzen kann. Das Herum­ kramen im Leben des Autors und Zusammenreimen unheim­ licher Zusammenhänge aber geht dann doch etwas zu weit.

46 Wer ist da aus dem Fenster gesprungen? Tom Petty, American Girl Auf Tom Pettys Debütalbum aus dem Jahr 1977 fand sich auch der Song über ein „typisches amerikanischen Mädchen“: „She stood alone on her balcony / She could hear the cars roll by / Out on 441 / Like waves crashin’ on the beach …“ Irgendwo in Flori­da steht dieses „American Girl“ am Rande des Highway 441 auf einem Balkon und hängt zwei Gedanken nach: der großen Welt da draußen, die doch noch so viel zu bieten haben muss („She couldn’t help thinkin’ that there was a little more to life somewhere else / After all it was a great big world with lots of places to run to“) – und dem Jungen, in den sie unglücklich verliebt ist: „And for one desperate moment there / He crept back in her memory.“ Beide Gedankengänge haben dasselbe Fazit – nämlich dass es unendlich wehtut, wenn etwas zum Greifen nah und doch unerreichbar ist: „God it’s so painful / Something that’s so close / And still so far out of reach.“ 144

Phil Collins, In the Air Tonight

Damit ist eigentlich schon alles gesagt über diesen Sehnsuchtssong, der in wenigen Worten und intensiven Bildern Weltschmerz, Liebeskummer und die Hoffnung auf ein erfülltes Leben verknüpft. Aber halt!, dachten sich ein paar Verschwörungstheoretiker, das kann doch noch nicht alles sein. Ist nicht in dem Song vom Highway 441 die Rede? Und kommt Tom Petty nicht aus der nahegelegenen Stadt Gainesville, die auch Sitz der University of Florida ist? Na klar, das war doch die Universität, an der sich in den 1960er Jahren eine Studentin im Drogenrausch aus einem hochgelegenen Stockwerk in den Tod gestürzt hat! Keine Frage, Tom Petty muss in American Girl exakt diesen unheimlichen Vorfall besungen haben. Warum sonst lässt er die junge Frau in seinem Song die Zeile „And if she had to die…“ denken? So bestechend die These im ersten Moment scheinen mag, so an den Haaren herbeigezogen ist sie auch. „And if she had to die trying“ heißt der zuletzt zitierte Vers komplett und beschreibt die Sehnsucht des „American Girl“, die große Welt da draußen zu entdecken – und wenn sie dafür sterben müsste. Auch ansonsten gibt es keinen Hinweis auf einen Selbstmord in dem Song, schon gar nicht auf Drogen und wilde Campusfeten. Die Songinterpretation ist so etwas wie eine „urban legend“. Auf dem Portal „Songfacts.com“ wird Tom Petty mit der Erklärung zitiert, er sei zu dem Song vom Geräusch der Autos auf dem Highway inspiriert worden, das sich wie die Brandung des Meeres angehört habe. Und Petty stellt noch etwas klar: Schon die Geschichte über die Studentin, die sich im Drogenrausch von einem Unigebäude gestürzt haben soll, sei frei erfunden gewesen – nichts weiter als eine „urban legend“.

47 Wer ist da ertrunken? Phil Collins, In the Air Tonight Was macht man nicht alles, wenn man wütend auf jemanden ist! Man wirft ihm zum Beispiel Beleidigungen an den Kopf. Schimpfwörter. Flüche. Oder andere Gemeinheiten. So wie der 145

Moderne Mythen

Sprecher im 1981er Superhit von Phil Collins, In the Air Tonight: Wenn du mir sagen würdest, dass du am Ertrinken bist, heißt es da gehässig, ich würde dir nicht die Hand reichen: „Well, if you told me you were drowning / I would not lend a hand / I’ve seen your face before my friend / But I don’t know if you know who I am.“ Der Sprecher fühlt sich verraten und hinters Licht geführt, aber er hat das wahre Gesicht seines Gegenübers erkannt und ist nicht mehr gewillt, dessen fieses Grinsen und seine geballten Lügen („pack of lies“) zu akzeptieren. Rache scheint das zentrale Motiv, das sich im Refrain nach langem Warten unheilvoll ankündigt: „And I can feel it coming in the air tonight, oh lord / Well I’ve been waiting for this moment for all my life, oh lord …“ Der Text ist ziemlich klar und eindeutig formuliert. Und doch entspann sich ausgerechnet an den Zeilen „Well, if you told me you were drowning / I would not lend a hand“ eine ­leidenschaftliche Diskussion, die schnell einen „modernen Mythos“ nach sich zog, und das gleich in mehreren Versionen: In der einen Version soll Phil Collins als kleiner Junge einen Ertrinkenden gesehen haben, dem er nicht helfen konnte. Später soll er den irgendwie Geretteten mit Hilfe eines Privatdetektivs ausfindig gemacht und ihm eine Konzertkarte spendiert haben. In der nächsten Version soll Collins von weitem beobachtet haben, wie ein nahe am Geschehen weilender Passant einem Ertrinkenden nicht zu Hilfe gekommen sei. Dieser sei bei einem Konzert von Collins im Publikum gewesen, und der Star habe den Song live persönlich diesem Mann gewidmet. Die bescheuertste Version ist die, in der Collins gesehen haben soll, wie ein Mann nach der Vergewaltigung seiner Frau ertrank. Natürlich ist nichts von alledem wahr und auch keinesfalls in den Lyrics zu In the Air Tonight angelegt. Aber es geht doch nichts über einen „modernen Mythos“, wenn das eigene Leben nicht genügend Aufregung bietet.

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David Hasselhoff, Looking for Freedom

48 Mauerente: David Hasselhoff, Looking for Freedom Manchmal kommt man eben mit dem falschen Song zur richtigen Zeit: 1989 hatte der amerikanische „Bay Watch“-Star David Hasselhoff mit Looking for Freedom einen weltweiten Hit und platzte damit völlig unabsichtlich in die heiße Phase des Berliner Mauerfalls. Der simple Ohrwurm erzählt eigentlich die Geschichte eines jungen Mannes aus reichem Haus auf der Suche nach sich selbst: „One morning in June / Some twenty years ago / I was born a rich man’s son / I had everything that money could buy / But freedom I had none“. Obwohl er in materieller Hinsicht alles hat, was er braucht, fühlt er sich eingeengt und fremd­ bestimmt. Er geht auf Wanderschaft, trägt sein Päckchen und arbeitet auf Farmen für wenig Geld. Klar erwartet man als Hörer, dass er irgendwann findet, wonach er sucht. Doch diese Erwartung wird am Schluss des Songs auf fast schon clever-gemeine Art gebrochen. Denn der junge Mann stellt einfach lakonisch fest, dass er wohl noch einige Zeit weitersuchen muss: „I paid a lot of dues / Had plenty to lose / travelling across the land / Worked on a farm / Got some muscle in my arms / But still I’m gone a self-made man / I feel on the run for many years to come / I’ll be searching door to door / And given some time / Some day I’m gonna find / The freedom I’ve been searching for.“ So etwas nennt man Antiklimax. Was viele Menschen in Deutschland elektrisierte, war der eingängige Refrain, dessen ersten beiden Zeilen lauten: „I’ve been looking for freedom / I’ve been looking so long.“ Zwar endet derselbe Refrain mit den durchaus skeptischen Worten: „I’ve been looking for freedom / Still it can’t be found“, doch das interessierte damals niemanden wirklich. Das hochemotionale Bekenntnis, dass da jemand schon ewig nach Freiheit gesucht hat, wurde isoliert und entwickelte sich rasch zur Hymne des Mauerfalls. Dass Hasselhoff dann an Silvester noch in Berlin auftrat, machte ihn endgültig zu einem der Gesichter der deutschen Wiedervereinigung. 147

Moderne Mythen

Es ist ein Missverständnis, das man den Menschen von damals gerne nachsieht. Wer möchte schon Erbsen zählen, wenn das Niederreißen einer unmenschlichen Grenze ein ganzes Land in Euphorie versetzt?! Einen seltsamen Beigeschmack erhielt die Sache aber durch das Gerücht, David Hasselhoff gefalle sich sehr in der Annahme, er selbst habe höchstpersönlich mit seinem Song die Mauer zu Fall gebracht. Das Gerücht hielt sich hart­ näckig und brachte dem Sänger einigen Spott ein – bis er 2011 entnervt damit aufräumte. Natürlich sei er nicht der Ansicht, dieses Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung ausgelöst zu haben, erklärte er glaubwürdig, das sei die Erfindung eines „BBC“-Reporters gewesen. Weshalb man im Falle von Looking for Freedom resümieren muss, dass man es nicht nur mit einer entschuldbaren Song-, sondern auch mit einer kleinen, gemeinen Interpretenmisshandlung zu tun hat.

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Ideologischer Wahn und ­Verschwörungstheorien 49 Fanatisch missionarisch: John Rockwell, Trommelfeuer Kein Song, sondern ein Buch. Und John Rockwell ist nicht das Opfer, sondern der Täter. Trommelfeuer, 1983 geschrieben und heute zum Glück vergriffen, will „die Machenschaften verantwortungsloser Plattenbosse schonungslos“ aufdecken und belegen, dass es „Rocktexte und ihre Wirkungen“ – so der Untertitel – auf nichts weniger als „die totale Entfremdung der Jugendlichen von ihren Eltern und der Gesellschaft“ abgesehen haben. Das Buch wäre ein Riesenspaß, wäre es in satirischer Absicht geschrieben. Doch es ist bitter ernst gemeint. Mittels unterschwelliger Botschaften, manipulativer Frequenzen und verschlüsselter Textinhalte, so Rockwell, führten Rockmanager und -künstler ihre jugendlichen Hörer gezielt in den Satanismus, zum Drogenkonsum, in den Selbstmord und zu erhöhter Gewaltbereitschaft. Aus radikal christlich fundamentalistischer Perspektive wird eine himmelschreiende Unterstellung an die nächste gereiht, mit dem Ergebnis, dass nicht nur fast das gesamte Heavy-MetalGenre, sondern auch comedynahe Hitgruppen wie Dr. Hook ins Zwielicht geraten. So wird dem witzigen Dr.-Hook-Song Freakin’ at the Freakers’ Ball die Propagierung schlimmster sexueller Exzesse vorgeworfen. Dabei lässt das Stück nur auf humorvoll-provokante Weise die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Randgruppen aufmarschieren und beschreibt eine absurde Faschingsparty, bei der das FBI mit den Junkies tanzt und die Spießer mit 149

Ideologischer Wahn und ­Verschwörungstheorien

den coolen Typen swingen: „The FBI are dancing with the junkies“ und „All the straights are swinging with the funkies“ … Von dort aus geht es über die „Ein Satz und Sieg“-Verurteilung der kompletten Dr.-Hook-LP Makin’ Love & Music aus dem Jahr 1977 weiter zur „Auseinandersetzung“ mit dem darauf befind­ lichen Song What A Way to Go. O-Ton Rockwell: Es ist ganz deutlich: Dr. Hook beabsichtigt, dass Jugendliche solche Perversionen als gut und als einen ‚sauberen Spaß‘ ansehen. 1977 kamen auf seiner nächsten Platte ‚Making Love and Music‘ Lieder, bei denen beispielsweise ein 12jähriger Junge mit einem unverhältnismäßig großen Geschlechtsorgan beschrieben wird. ‚What a way to go‘ beschreibt mit suggestiven Worten die Odyssee eines Mannes mit sieben verschiedenen Frauen …

Ach du lieber Himmel! Die schmissige Disconummer What A Way to Go ist doch einfach nur ein Spaßlied mit einem bedingt glaubwürdigen Trinker im Zentrum, den das erzählende Ich des Lieds in einer Bar in Seattle trifft: „I met him in Seattle, he was gettin’ down on a bottle / Telling lies in the Blue Moon Bar.“ Der Mann scheint nicht nur ein wenig herumgekommen zu sein, sondern auch schon einiges im Leben durchgemacht zu haben. Und aus dem wirren Zeug, das er erzählt, kristallisiert sich langsam eine – möglicherweise erfundene – Geschichte heraus. Es ist die Geschichte eines Menschen, der in verschiedenen Begegnungen mit Frauen Schiffbruch erlitten hat. Und diese Erfahrungen werden in eine Aufzählung grotesker Bilder verpackt: „He said: ‚I got shanghaied in Vegas by a painted woman / I got hog-tied by a hustler in Ohio / I got derailed by a dancer down in Dallas (…)‘.“ Er wurde abgezogen in Las Vegas, von einem Strichmädchen angekettet in Ohio und in Dallas von einer Tänzerin aus der Bahn geworfen. Der Song lebt vor allem von den komischen Effekten dieser sprachlichen Bilder: „Shanghaied“ steht eigentlich für „als Matrose zwangsverpflichtet“, was nur ein grotesker Scherz sein kann, denn die Rede ist von der amerikanische Wüsten(!)-Stadt Las Vegas. „Übers Ohr gehauen“ und „bestohlen“ steckt hier durch150

John Rockwell, Trommelfeuer

aus auch mit drin, zumal man Las Vegas als Stadt des Glücksspiels kennt. Ein Video zu der textlich leicht variierten Coverversion des Songs, die der Country-Rocker Ray Kennedy im Jahr 1990 veröffentlichte, bestätigt diese Deutung: Was der trinkfreudige Herr, ein rundlicher Mann mit Toupet, seinem Tischnachbarn beichtet, wird parallel zu den Strophen in bewegte Bilder umgesetzt – und als es um „shanghaied in Vegas“ geht, sieht man ihn im Bildhintergrund tanzend auf einem Bett, während im Vordergrund eine stark geschminkte „Lady“ heimlich seine Brieftasche stiehlt. „Hog tied by a hustler“ ist mit „angekettet von einem Strichmädchen“ zu übersetzen. Und auch hier geht es weniger um konkrete Sexspiele (tatsächlich werden sie in Ray Kennedys Video durch die Fesselaktion buchstäblich unterbunden) als um einen Betrug – zumindest um einen höchst unbefriedigenden Ausgang der Begegnung. Dasselbe gilt für die beiden folgenden Verse, in denen unser „Thekenheld“ erst aus der Bahn geworfen („derailed“) und dann, was ebenfalls nicht einer gewissen Komik entbehrt, ausgerechnet von einer Bedienung „frittiert“ wird. Eine Szene übrigens, die das Kennedy-Video eins zu eins und dennoch humorvoll in reale Bilder umsetzt. Wie auch die späteren Verse „He said: ,I got tongue-tied by a teacher in Tallahassee‘“ („Er sagte: ‚Eine Lehrerin in Tallahassee machte mich sprachlos‘“) und „I got way-laid by a widow in ­Wyoming“ („Eine Witwe lauerte mir in Wyoming auf“) zeigen, geht es in What A Way to Go keineswegs um eine schockierende Odyssee der sexuellen Perversionen, sondern um Pleiten, Pech und Pannen mit einer Reihe von Bekanntschaften, die der trinkfreudige Don Juan offenbar falsch eingeschätzt hat – ganz abgesehen davon, dass er ohnehin als Lügen erzählender Trunkenbold eingeführt wird. Am Ende stehen weniger die konkreten Begebenheiten im Zentrum als das Spiel mit der Sprache und ein besonders schräger Humor. Es sind die Refrainverse, die den schwergeprüften Mann als unverbesserlichen Romantiker erscheinen lassen und den gesamten Song zu einer ironischen Ode an die Frauen, an die Liebe, an den „Krieg der Geschlechter“ machen: „‚Oh Lord’, he said, ‚women gonna be the death of 151

Ideologischer Wahn und ­Verschwörungstheorien

me, but what a way to go!‘“ – „‚Herrje‘, sagte er, ‚Frauen werden mich irgendwann mal ins Grab bringen. Aber hey, welch eine Art zu sterben!‘“ Dem „lost in translation“ der deutschen Buchausgabe steht das „lost in interpretation“ von John Rockwells Original in nichts nach. Letztlich besteht das Zentrum des Dr.-Hook-Songs aus so derb-verspielten Schüttelreimen, wie sie deutschsprachige Hörer auch von Bands wie Insterburg & Co kennen. Die brachten in den Sechziger- und Siebzigerjahren eine Reihe von Nonsense-Hits wie Ich liebte ein Mädchen in die Charts. Ich liebte ein Mädchen ist eine schier endlose Aneinanderreihung von Versen über Affären, die nicht im Mindesten eine Realismus beanspruchende Geschichte erzählen wollen, sondern vor allem der skurrilen Reime wegen geschmiedet wurden: „Ich liebte ein Mädchen in Heiligensee / Da gab’s zwischendurch Gebäck und Tee“, heißt es da in bester Dr.-Hook-Manier, oder: „Ich liebte ein Mädchen in Spandau / Bei der war immer der Mann blau / Ich liebte ein Mädchen in Tegel / Die hatte Ohren wie Segel / Ich liebte ein Mädchen im Tiergarten / Da musste ich immer bis 4 warten …“ – und so weiter und so fort. Hätte John Rockwell dieses Stück gekannt, er hätte ihm sicher den Aufruf zu Polygamie, Ehebruch und sonstigen ächtungswürdigen Aktivitäten aninterpretiert, dazu Verantwortungslosigkeit und Sexismus. Aber Insterburg & Co finden bei Rockwell nicht statt, weshalb andere harmlose Künstler wie Alan Parsons Project, Elton John und selbst John Lennon mit seiner Friedensutopie Imagine für die schlimmsten Interpretationsmisshandlungen herhalten müssen.

50 Den Verstand an der Rezeption abgegeben: The Eagles, Hotel California Satanismus war gerade in den 1960er und 1970er Jahren ein Vorwurf, mit dem erzreaktionäre Kreise gegen als zu liberal empfundene kulturelle Strömungen wie die Rockmusik gern ins Feld zogen. Und wenn irgend möglich, griff man dabei auch die 152

The Eagles, Hotel California

g­ roßen Fische an, die Superstars der Szene, denn das garantierte Aufmerksamkeit. Freilich war das Ganze für die Kreuzzügler mit dem kleinen Schönheitsfehler verbunden, dass ihre Vorwürfe meist auch den angefeindeten Künstlern und Songs einen Publicity-Schub einbrachten. Ein Song wie Hotel California von der amerikanischen Band The Eagles wurde dadurch erst so richtig interessant. Der einstige Welthit, der auch heute noch als „Klassiker“ immer wieder gern gespielt wird, erschien 1976, zu einer Zeit, da die Rockmusik erwachsen geworden war und in den Augen nachwachsender Fans etwas Überfrachtetes, Elitäres entwickelt hatte. Aus einstmals respektlosen Jungspunden waren bestverdienende Megastars geworden, aus rebellischer, an Blues und Soul orientierter Wenige-Akkorde-Musik waren gehobene oder gesetzte Ausdrucksformen wie Art Rock und Adult Oriented Rock (AOR) hervorgegangen. Das Musikgeschäft zu dieser Zeit wurde längst von großen Plattenfirmen dominiert, und so manches Rockidol hatte den Kontakt zur Fanbasis verloren – um in seiner eigenen künstlichen Glamourwelt aus Luxus, Drogenkonsum und flüchtigem Sex zu leben. Die Gegenbewegungen, Punk und im Anschluss New Wave, warfen bereits ihre Schatten voraus. Die kalifornischen Großverdiener The Eagles assoziierte man ganz besonders mit der Dekadenz und den Schattenseiten des Rockgeschäfts. Solche Hintergründe aber interessierten die damaligen Fundamentalisten nicht, denn sie suchten ausschließlich nach Bestätigungen ihrer These, die meisten Rockmusiker seien mit Luzifer im Bunde. Und das mystische Hotel California bot solchen Spekulationen reichlich Futter. Jeder Mensch, der ab und zu Radio hört, erkennt den Song schon nach den ersten Sekunden. Getragene akustische Gitarren und ein Bass schaffen eine melancholische Stimmung, die mehrmals wiederholte Akkordfolge baut Spannung auf. Nach zwei Drumschlägen setzen die übrigen In­ strumente und der Gesang ein, um über einem reggaeinspirierten Rhythmus eine haarsträubende Geschichte zu entfalten. Die ­Lyrics lassen ihren Ich-Erzähler als einsamen Wandersmann gegen Abend zu einer abgelegenen Herberge in der Wüste gelan153

Ideologischer Wahn und ­Verschwörungstheorien

gen: „On a dark desert highway, cool wind in my hair / Warm smell of colitas, rising up through the air / Up ahead in the distance, I saw a shimmering light / My head grew heavy and my sight grew dim / I had to stop for the night …“ Der einsame Wanderer wird von einer Frau empfangen und findet sich in so etwas wie einer Missionsstation wieder („There she stood in the doorway / I heard the mission bell“), wobei ihn trotz der Erleichterung, endlich eine Bleibe gefunden haben, Vorahnungen von der Hölle beschleichen („And I was thinking to myself / This could be heaven or this could be hell’“). Als ihm die Empfangsdame den Weg durch die finsteren Gänge weist, hört der Wanderer geheimnisvolle Stimmen, die ihn, und das ist der Refrain des Songs, nicht nur willkommen heißen, sondern ihm das Hotel als netten Ort mit jederzeit reichlich Platz schmackhaft machen: „Then she lit up a candle and she showed me the way / There were voices down the corridor / I thought I heard them say / Welcome to the Hotel California / Such a lovely place (Such a lovely place) / Such a lovely face / Plenty of room at the Hotel California / Any time of year (Any time of year) / You can find it here.“ Das Trügerische dieser Verheißungen kündigt sich schon im Backgroundchor an, der die Phrasen „Such a lovely place“ und „Any time of year“ säuselnd wiederholt. Im Verlauf des Songs macht der Wanderer weitere unheimliche Erfahrungen. Da sind hübsche Jungs („pretty, pretty boys“), die selbstvergessen, zwischen Erinnerungen und Ängsten schwankend, im Innenhof tanzen („Some dance to remember, some dance to forget“), und da ist ein Hausherr, der von einer plötzlich wiederaufflammenden Stimmung oder auch – der Begriff „spirit“ ist mehrdeutig – von einem zurückgekehrten Gespenst erzählt: „We haven’t had that spirit here since nineteen sixty nine.“ Da gibt es eine Bestie, die im Rahmen eines Rituals abgestochen werden soll, aber einfach nicht sterben will: „And in the master’s chambers / They gathered for the feast / They stab it with their steely knives / But they just can’t kill the beast.“ Und da sind immer wieder diese geheimnisvollen Stimmen, die den Protagonisten mit denselben trügerischen Verheißungen nachts 154

The Eagles, Hotel California

aus dem Schlaf reißen: „And still those voices are calling from far away / Wake you up in the middle of the night / Just to hear them say / Welcome to the Hotel California …“ Am Ende erkennt er, dass er sich in einem Spukhotel befindet – an einem verwunschenen Ort, dessen Bewohner Gefangene ihrer eigenen Einrichtung sind: „And she said: ,We are all just prisoners here of our own device.‘“ Da ist es ist nur allzu verständlich, dass der Protagonist die furchterregende Herberge so schnell wie möglich verlassen und seinen ursprünglichen Weg fortsetzen will: „Last thing I remember, I was running for the door / I had to find the passage back to the place I was before.“ Doch der Nachtportier hält ihn zurück. „Nur ruhig“, sagt er etwas kryptisch, „wir sind darauf programmiert zu empfangen.“ Und dann erklärt er dem verstörten Wandersmann, dass er zwar auschecken, aber das Hotel nie wieder verlassen kann: „‚Relax’, said the night man, ‚we are programmed to receive / You can check out any time you like, but you can never leave.‘“ Wie der Held zu Beginn der letzten Strophe anmerkt, ist es das Letzte, an das er sich erinnern kann – damit gehört er wohl fortan zu den offenbar seelenlosen Dauergästen im Hotel Kalifornien. Für ultrakonservative Rockfeinde war der Fall klar: Was in diesem Hotel stattfindet, sind nichts anderes als satanische Messen. Das „Beast“ gilt doch schon in der Bibel als der Antichrist, und das zentral erwähnte Jahr 1969 ist, na klar, das Jahr, in dem der Gründer der amerikanischen Church of Satan, Anton LaVey, seine „Satanische Bibel“ schrieb. LaVey soll denn auch auf dem Cover der LP Hotel California zu sehen sein, als Schatten hinter einem Fenster … und so weiter, und so fort. Dass der Grundton des Songs äußerst pessimistisch ist und überhaupt nicht zu einer fiesen satanischen Botschaft passt, sondern eher Elemente einer klassischen Geistergeschichte aufgreift, wird von den Verfechtern solcher abstrusen Thesen geflissentlich ignoriert. Und so kann man sich entspannt dem widmen, was die Eagles möglicherweise eigentlich im Sinn gehabt haben. Tatsächlich zeigen sich die Aushängeschilder einer als unsympathisch dekadent empfundenen Rockkultur hier erstaunlich 155

Ideologischer Wahn und ­Verschwörungstheorien

selbstkritisch. Die im Song erzählten Begebenheiten sind Sinnbilder, die sich zu einer Allegorie verdichten. Das Spukhotel, über dem der Duft von Marihuana liegt und dessen schöne Bewohner einerseits seltsame Rituale begehen, andererseits die Geister, die sie riefen, nicht loswerden, scheint auf die kalifornische Hippiekultur mit ihrer spezifischen Rockszene zu verweisen. Letztere hatte sich noch in den Sechzigerjahren mit Songs wie California Dreaming oder Going to San Francisco musikalische Denkmäler gesetzt, aber schon ein Jahrzehnt später ihren Zauber, ihre Unschuld verloren. Drogenexzesse und gescheiterte alternative Lebensentwürfe führten Hippies von nebenan in eine Sackgasse, während mancher Star der Szene Teil einer gigantischen Profitmaschinerie wurde und, wie oben angedeutet, sein Dasein in einer luxuriösen Scheinwelt fristete. Ist diese Scheinwelt das Hotel im Song? In mehreren späteren Interviews bestätigten die Bandmitglieder vage solche Deutungsversuche. Und so kann man Hotel California auf vielerlei Weise begreifen – als Abgesang auf die Hippiekultur, als kritische Betrachtung des Rockstartums an sich oder als Auseinandersetzung mit dem Thema Drogensucht. Nur eben nicht als satanistisches Manifest. Vielleicht wäre der Teufel ja durchaus gern mal in diesem Hotel ­abgestiegen. Aber geschafft hat er’s bis heute nicht.

51 Als könnten Songs Kriege entscheiden: Trio Lescano, Tulipan Die amerikanischen Andrews Sisters sind auch in Deutschland ein Begriff. Das weibliche Gesangstrio hatte in den Dreißigerund Vierzigerjahren des letzten Jahrhunderts mit aufregendem Satzgesang und flottem Swingorchester im Rücken etliche Welthits, von Bei mir bist du schön bis Rum and Coca-Cola. Nur wenige Menschen hierzulande wissen, dass es einst eine italienische Antwort auf die Andrews Sisters gab, und die hieß Trio Lescano. Dahinter verbargen sich drei holländische Schwestern, die in ihrer Wahlheimat Mitte der Dreißigerjahre, also während der 156

Trio Lescano, Tulipan

Mussolini-Zeit, entdeckt wurden und zu großen nationalen Stars aufstiegen. Auf das Trio Lescano stieß ich durch die 2010 gedrehte italienische TV-Produktion Die Swingmädchen, die unter anderem im Oktober 2012 auf „arte“ ausgestrahlt wurde und dort immer wieder mal läuft. Der anfangs leichtfüßig daherkommende und später zunehmend Tiefgang entwickelnde Film mit Lotte Verbeek, Andrea Osvàrt und Elise Schaap in den Haupt­ rollen erzählt zunächst den atemberaubenden Aufstieg des Unterhaltungs-Trios. Die Schwestern sangen meist in italienischer Sprache und waren wohl auch deshalb kaum im Ausland bekannt. Obwohl sie sich bemühten, nicht in die große Politik hi­ neingezogen zu werden, konnten sie sich den Umwerbungsversuchen der Faschisten immer schwerer entziehen. Selbst der „Duce“ soll Fan ihrer Musik gewesen sein, was sie letztlich in die eine oder andere kompromittierende Situation brachte. Das Tragische: Die Mutter der drei, gespielt von der einstigen Emanuelle-Darstellerin Sylvia Kristel, war Jüdin. Und so geriet das Trio Lescano, je enger sich Italien während des Zweiten Weltkriegs mit Deutschland arrangierte, ins Visier der Polizei. Das absurde „Dilemma“ der Faschisten: Sie erteilten Juden alsbald Berufsverbote, liebten aber ihr Trio Lescano, das die italienische Bevölkerung in Kriegszeiten unterhielt und dieser Hoffnung gab. Eine Verhaftung der Sängerinnen, „weil sie Jüdinnen waren“, wäre den Fans und selbst verschiedenen Funktionären kaum vermittelbar gewesen. Ziemlich schizophren … Einen perfiden Ausweg bot der Vorwurf antisemitischer Kreise, ihre Songs enthielten verschlüsselte Botschaften an den Feind. Und so wurden die harmlosen Sängerinnen 1943 während eines Konzerts vor Publikum festgenommen und ins Gefängnis gesteckt. Es folgten der Entzug der gerade erst erworbenen italienischen Staatsbürgerschaft und Rundfunkverbot. In Die Swingmädchen hält sich Regisseur Maurizio Zaccaro einigermaßen genau an die historischen Fakten und arbeitet in einer interessant geschnittenen Verhörszene das Groteske der Vorwürfe gegen das Trio Lescano und ihre Songs heraus. Aufhänger ist das beschwingte Liedchen Tulipan, die italienische 157

Ideologischer Wahn und ­Verschwörungstheorien

Version des Andrews-Sisters-Hits Tuli-Tulip Time aus dem Jahr 1938. Die Musik stammt von Maria Grever, der italienische Text von Riccardo Morbelli. Geht es im amerikanischen Originaltext um ein holländisches Liebespärchen („little Dutch boy“, „little Dutch girl“), erzählen die italienischen Lyrics eher allgemein von der Liebe wie von der holländischen Heimat der Interpretinnen, und das mit allen dazugehörigen Windmühlen- und Käse-Klischees. In der Verhörszene knöpfen sich der Polizeichef und ein Hauptmann ihre drei Opfer nacheinander vor. Das Ganze ist jedoch wie eine zusammenhängende Sequenz aufbereitet, nur wechselt nach kaum wahrnehmbaren Schnitten jeweils die Sängerin auf dem Verhörstuhl. Während sich Hauptmann und Polizeichef gegenseitig hochschaukeln, antworten die drei Schwestern quasi mit einer Stimme: Polizeichef: Wer ist der Verfasser des Liedes „Tuli-Tulipan“? Sängerin 1: Wie bitte? Polizeichef: Wer hat das Lied „Tuli-Tulipan“ geschrieben? Irgendjemand muss es doch geschrieben haben! Sängerin 1: (leise, mit gesenktem Kopf) Riccardo Morbelli und Maria … Polizeichef: Wie bitte!!! Sängerin 1: Riccardo Morbelli und Maria Grever. Polizeichef: Aaaahhhh … Hauptmann: Und Sie wussten natürlich nicht, dass der Text des Liedes eine verschlüsselte Botschaft an die amerikanischen Streitkräfte enthielt?! Sängerin 1: (lacht ungläubig) Was für eine Botschaft soll das sein? Das ist ein Lied und nichts weiter. Und wir sind Sängerinnen und nichts weiter. Polizeichef: (zynisch) Sängerinnen … (Schnitt, Verhör Sängerin 2) Halten Sie uns für beschränkt? Das ist doch eindeutig: Landschaft, Illusion, Täuschung. Hier steht wörtlich: (liest von einem Blatt mit den Lyrics ab) „Die Windmühle schläft unter dem silbernen Mond.“ Was ist das für eine Windmühle? Wo 158

Trio Lescano, Tulipan

steht sie, diese Windmühle, die unter dem silbernen Mond schläft? Hauptmann: (auffordernd) Also?! Sängerin 2: In Holland. Polizeichef: (ächzt ungläubig) Hauptmann: Ach so, in Holland. (lacht zynisch) Und wo genau in Holland, Frollein? Sängerin 2: Überall. In Holland stehen überall Windmühlen. Hauptmann: (haut mit einer Peitsche auf den Tisch) Spielen Sie keine Spielchen mit mir! Ich kann nämlich sehr unangenehm werden. (Schnitt, Verhör Sängerin 3) Sängerin 3: Glauben Sie das wirklich? Sie müssen ja sehr viel Fantasie haben, wenn Sie meinen, dass das ein Code ist. Kompliment, Herr Hauptmann. Hauptmann: Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich mir die Ironie verkneifen, Frollein. Auf militärischen Geheimnisverrat steht nämlich die Todesstrafe. Polizeichef: (zitiert erneut den Songtext) „Rund am Maihimmel steigt der Mond auf wie ein holländischer Käse. Er beginnt seine Reise und sendet uns seinen Schimmer.“ Ich würde sagen, diese Zeilen dürften auf den Tag und die Stunde einer möglichen Landung der Alliierten an der holländischen Küste hinweisen. Sängerin 3: (singt selbstbewusst lächelnd das Lied in italienischer Sprache, der Hauptmann summt ansatzweise mit …) Polizeichef: (unterbricht) Senorina, Sie sind hier, um Fragen zu beantworten, nicht um zu singen. Wir wissen nicht, ob sich die Verhöre genau so zugetragen haben. Aber die grotesken Vorwürfe gegen harmlos-fröhliche Liedchen wie Tulipan sind historisch verbürgt. Und ein weiteres Exempel dafür, wie ideologischer Wahn auch zu Songmisshandlungen führen kann. Für das Trio Lescano ging die Sache glücklicherweise einigermaßen glimpflich aus. Nach überstandenem Zweitem Weltkrieg gelang den Sängerinnen in teils neuer Besetzung ein Neuanfang – in Südamerika. 159

Ideologischer Wahn und ­Verschwörungstheorien

52 Die Antwort, mein Freund, kennt nur der Abfalleimer: Bob Dylan – Killermüllologen greifen an Vielleicht bieten Zeiten des Auf- und Umbruchs einen besonderen Nährboden für Verschwörungstheorien. Etwas Neues bahnt sich seinen Weg und versucht, das Alte abzuschütteln, das sich seinerseits hartnäckig sträubt, ja mitunter aggressiv wehrt. Da können die Kräfte des Neuen sich schon mal verfolgt fühlen und überall Verrat wittern, selbst in den eigenen Reihen. Die Sechzigerjahre waren so eine Zeit des Auf- und Umbruchs. Zunächst in England und Amerika, später in ganz Europa und anderen Teilen der Welt versuchten vor allem Jugendliche, sich vom Muff der Fünfzigerjahre, von überkommenen gesellschaftlichen Konventionen und von konservativem Denken zu befreien. Sie stellten das politische und wirtschaftliche System infrage, zogen gegen Kriegstreiberei und kapitalistische Ausbeutung zu Felde und suchten nach alternativen Formen des Zusammenlebens. So entstand eine Art Gegenkultur, in der auch die laute, respektlose, ästhetische wie ideologische Grenzen sprengende Rockmusik mit ihren schillernden Stars eine wichtige Rolle spielte. Natürlich ließ „das System“ sich das nur bedingt bieten und schlug mit strengeren Gesetzen, zum Teil mit brutaler Polizeigewalt zurück. Aber während sich einige engagiertere Vertreter der Gegenkultur zu Recht verfolgt fühlten, entwickelten andere paranoide Züge. Und bald bezog sich ihre Paranoia nicht nur auf Vertreter „des Systems“, sondern auch auf Idole der Gegenkultur. Quälende Fragen drängten sich auf: Waren diese Rockstars nicht durch Ruhm und Geld längst korrumpiert – zu verkleideten Spießern mutiert? Oder, schlimmer noch: Hatten sie vielleicht von Anfang an als Agenten „des Systems“ agiert – ins Feld geführt, um die Jugend einerseits mit rebellischen Fantasien zu füttern, andererseits zu kritiklosem Konsum zu verführen und so in Schach zu halten? Wenn dem so war, dann galt es natürlich, die Verschwörung aufzudecken und Gegenmaßnahmen zu ergrei160

Bob Dylan – Killermüllologen greifen an

fen. Dass bei dieser Art von Paranoia gern auch Drogen im Spiel waren, machte die Sache nicht gerade einfacher. Klar: Ein bisschen Skepsis gegenüber Idolen ist nie verkehrt. Aber sie kann auch höchst bizarre Züge annehmen, das hat schon die „Paul ist tot“-Manie der Sechzigerjahre um den vermeintlichen Tod des Beatles-Mitglieds Paul McCartney gezeigt. Noch bizarrer wird es, wenn solche Skeptiker es nicht beim Deuten von publiziertem Text- und Bildmaterial belassen, sondern ihrem Idol direkt auf die Pelle rücken, um ihm ein selbst gestricktes Interpretationskorsett anzulegen. Auftritt A. J. Weberman: Der New Yorker Verschwörungstheoretiker, der sich als politischer Aktivist verstand, war in den Sechziger- und Siebzigerjahren felsenfest davon überzeugt, dass „das System“ den einst so großartigen Protestsänger Bob Dylan manipuliert und ruhiggestellt hatte. Weil Dylan immer seltener politische Lieder veröffentlichte und stattdessen allerlei religiöse und musikalische Wendungen vollzog, glaubte Weberman, einschreiten zu müssen, um den Songwriter wieder auf Rebellions- und Revolutionskurs zu bringen. Also gründete er die Dylan Liberation Front (DLF) und rückte dem Superstar mit ein paar ähnlich verblendeten Anhängern persönlich auf den Leib. Eine von Webermans Strategien bestand darin, Dylan anzurufen und in Diskussionen zu verwickeln oder mit der DLF vor seinem Wohnhaus aufzutauchen und ihn zu Stellungnahmen zu bewegen. Mitschnitte von grotesken Telefongesprächen und Fotos, auf denen zu sehen ist, wie Dylan auf Weberman einprügelt, geben Zeugnis von diesem eher ungewöhnlichen Aktionsansatz. Die andere große Weberman-Strategie bestand darin, Dylans Müll zu durchforsten, um eventuelle Anhaltspunkte für seine verschrobenen Theorien zu finden. Besonders dreist: Weberman verstand sich nicht nur als seriöser Dylan-Forscher, sondern erklärte sich auch zum Begründer einer neuen wissenschaftlichen Disziplin, der „Garbology“, sprich: Müllologie. Ein Buch mit diesem Titel und die abstruse Theorie, Dylans Songtexte seien fast durchweg an Weberman gerichtet und pflegten einen nur schwer zu durchschauenden Geheimcode, sind die Be161

Ideologischer Wahn und ­Verschwörungstheorien

lege für diesen durchgeknallten Interpretationsansatz. Der Versuch, in Dylans Texten „tooth“ („Zahn“) durch „electric guitar“ oder „chicken“ („Huhn“) durch „heroin“ zu ersetzen und zu beobachten, welche versteckten Zusammenhänge sich offenbaren, soll hier kein weiteres Mal unternommen werden. Die Lyrics dieses großen amerikanischen Songwriters, der im Oktober 2016 als erster Singer-Songwriter der Rockmusik mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, haben schon genug durchmachen müssen.

53 Tödliche Verblendung: Die Manson-Morde Der selbst ernannte „Müllologe“ A. J. Weberman, der Bob Dylans Abfälle und Lyrics nach Indizien für eine Verschwörung durchforstete, gehört bereits zu den schrecklichsten Songmissverstehern aller Zeiten. Und doch ist er nicht mehr als ein dummer kleiner Junge, wenn man ihn mit dem Monstrum Charles Manson vergleicht. Manson ist ein zu lebenslanger Haft verurteilter Sektenführer, der 1969 mehrere bestialische Morde in Auftrag gab, darunter den an Sharon Tate, der zum Zeitpunkt der Tat hochschwangeren Frau von Starregisseur Roman Polanski. Was Charles Manson in einer Abhandlung über „Songmissverständnisse“ zu suchen hat? Die Antwort ist so einfach wie schaurig: Er nannte als „Inspirationsquellen“ für seine Mordanweisungen nicht nur das 9. Buch der biblischen Offenbarung des Johannes, sondern auch mehrere Songs des ein Jahr zuvor veröffentlichten 9. offiziellen Albums der Beatles. Die Rede ist vom legendären White Album. Im 9. Buch der Offenbarung des Johannes wird der Abgrund geöffnet, und hervor kommen Heuschrecken mit Menschenantlitz, die „Haare wie Weiberhaare“ haben. Vier an den „Wasserstrom Euphrat“ gefesselte Engel werden befreit und töten „einen dritten Teil der Menschen“. Gleichzeitig kommen Rosse mit Reitern, die „feurige und bläuliche und schwefelige Panzer“ 162

Die Manson-Morde

t­ ragen und deren Macht „in ihrem Munde“ liegt. Man ahnt es schon: Von Heuschrecken mit Haaren, wie sie Frauen tragen, zu Käfern („beetles“) war es für einen Geistesgestörten auf der Insektenschiene nicht weit, und auch hinter den vier sprachgewaltigen Engeln konnten sich für ihn nur John, Paul, George und Ringo, die vier Beatles, verbergen. Die wiederum trugen mit Gleichgesinnten ihre E-Gitarren wie feurige Panzer – und sollten, so Manson, Tod und Verderben über die Menschheit bringen. Die Mission: Mansons Vorstellung eines bevorstehenden Rassenkriegs zwischen Schwarzen und Weißen zu verwirk­ lichen, wie sie unter anderem das Internetlexikon „Wikipedia“ zusammenfasst: Manson prophezeite, dass 1969 die schwarzen Amerikaner rebellieren und grausame Morde in den Villen reicher weißer Amerikaner begehen würden. Ein Rassenkrieg wäre die Folge, den die Afroamerikaner gewinnen würden, worauf alle „weißen“ Amerikaner ermordet würden. Überleben könnte man dieses Massaker nur, indem man sich ihm und seiner Family anschlösse. Die siegreichen Schwarzen wären nämlich, so Manson, aufgrund der „sklavischen Natur ihrer Rasse“ unfähig dazu, sich selbst zu führen. Deshalb würden sie irgendwann ihn zu ihrem neuen Anführer wählen und zum Herrscher über die Welt machen.

Diese grausigen Erkenntnisse verdankt die Welt Chefankläger Vincent Bugliosi, der im Zuge der Mordanklage damals diverse Gespräche mit Mitgliedern der sogenannten „Manson Family“ führte. Die gaben nicht nur Hinweise auf die biblischen Bezüge, sondern auch auf Songstellen im White Album der Beatles, die Manson in seinen Wahnvorstellungen bestätigt hatten. Weil die vermeintlichen vier Hippie-Engel der Offenbarung auf diesem Album Titel wie Revolution 1 und Revolution 9 veröffentlicht hatten, sei für Manson klar gewesen, dass er in Sachen Aufruhr aktiv werden musste – die Lieder hatten für ihn eine Appellfunktion. Der Song Blackbird sei für den Psychopathen ein Symbol für den Aufstand der schwarzen Bevölkerung gewesen, und im Song Piggies habe er selbstverständlich Vertreter des weißen Es163

Ideologischer Wahn und ­Verschwörungstheorien

tablishments erkannt. Der zentrale Song aber war Helter Skelter, übersetzt: Holterdiepolter oder Hals über Kopf, ein harmloses Stück, das bis heute lediglich Liebes- und Achterbahnfahrt-­ Metaphorik verknüpft. Für Manson jedoch habe der Song das Signal zum Umsturz gegeben. Mit den Auftragsmorden habe er „einfach“ seinen Beitrag zur Anzettelung des Rassenkriegs leisten wollen. „Rise“, „Death to Pigs“ und „Helter Skelter“ waren denn auch Worte und Phrasen, die die Mörder mit dem Blut ihrer Opfer an Wände und Kühlschränke schmierten. Dass die Beatles mit all dem nicht das Geringste zu tun hatten, liegt auf der Hand. Die Bandmitglieder, die Sharon Tate und Roman Polanski persönlich kannten, waren schockiert von den Morden und davon, mit Manson assoziiert zu werden. Wie der selbst ernannte „angehende Beatleologist“ Jon Pennington im Internetportal „Quora“ berichtet, weigerten sie sich daher auch, Lyrics und Songs für Dokumentationen über die Mordserie zur Verfügung zu stellen. Verrückterweise war Manson selbst als Songwriter aktiv.  Jahrzehnte später, mit einigem historischen Abstand, wurde er von Undergroundszenen als Künstler „entdeckt“ – ein zwiespältiges Vergnügen. In jüngerer Zeit wird der Name Manson gern für gezielte Provokationen des Establishments benutzt. Im Pseudonym des Schockrockers Brian Warner wird er mit dem Vornamen der Fifties- und Sixties-Ikone Marilyn Monroe zu Marilyn Manson verknüpft, und 1993 sorgte die amerikanische Band Guns N’ Roses für einen kleinen Skandal, als sie auf ihrem Album The Spaghetti Incident? eine Cover­ version des Manson-Songs Look At Your Game Girl als „hidden track“ platzierte.

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Frauenfeindlichkeit geht anders 54 Man wird doch wohl mal ausrasten dürfen: The Beatles, Run for Your Life Auffällig ist: Die Beatles wurden besonders häufig Zielscheibe für Spekulationen und Gerüchte, für ambitionierte Fehldeutungen und daraus resultierende Attacken. Das hat mehrere Gründe. Zum einen bringt es weltweite Berühmtheit fast schon naturgemäß mit sich, dass irgendwann auch extremere Fans mit seltsamen Projektionen auf den Plan treten oder Stimmen laut werden, die irgendein ein Haar in der Suppe zu finden glauben. Zum anderen haben die Beatles in ihren Songs ein unglaubliches Themenspektrum abgedeckt und sich dabei der unterschiedlichsten Darstellungsformen bedient. Zu ihrem Repertoire gehören Liebeslieder und Protestsongs, Nonsense-Stücke und Ausreißergeschichten, Songs über die Gegenkultur, über Krieg und Frieden und das Älterwerden – und mal spricht darin ein unbestimmtes Ich, mal ein Wir, dann reden gleich mehrere Charaktere, oder man sieht sich mit einem Rollen-Ich konfrontiert. Dabei entstehen ganz von allein Mehrdeutigkeiten und Ambivalenzen. Was zu wilden Spekulationen einlädt und dazu verleitet, den „Fab Four“ einen Strick daraus zu drehen. Ein frühes Beispiel ist der Song Run for Your Life, den die Beatles 1965 auf ihrem Album Rubber Soul veröffentlichten. In den Lyrics droht ein etwas unberechenbarer, eifersüchtiger Mann („Well, you know I’m a wicked guy / And I was born with a jealous mind“) seiner Partnerin, sie aufzuspüren und umzubringen, sollte er sie je mit einem anderen Kerl erwischen: „Well I’d rather see you dead, little girl / Than to be with another man / (…) / You 165

Frauenfeindlichkeit geht anders

better run for your life if you can, little girl / Hide your head in the sand little girl / Catch you with another man / That’s the end ’a little girl …“ Wie man nach den einleitenden Worten zu den Beatles gerne glaubt, fand der Song nicht ungeteilte Zustimmung. Vor allem in feministischen Kreisen wurde und wird er an den Pranger gestellt. „This is a song that requires no introduction“, heißt es etwa in Cara Kulwickis Blog „The Curvature“: „And the misogyny is a special shame considering the fact that it’s a pretty good guitar riff and a good vocal by John.“ Es ist dasselbe Problem wie in einigen Hip-Hop- oder Raggamuffin-Songs: Fantastische Musik, auch stimmlich aufregend vorgetragen, doch es stören die teils unappetitlichen, unkorrekten Lyrics. Aber ist der Song wirklich misogyn, also frauenfeindlich, wie Cara Kulwicki behauptet? Ich meine Nein. Zunächst mal greift er Phrasen aus anderen Songs und mit ihnen das gängige Lovesong-Thema der Eifersucht auf. Klar, die Eifersucht wird hier in einer krankhaften Ausprägung präsentiert. Aber es gibt keine Anzeichen dafür, dass der Song eine grundsätzliche frauenfeindliche Haltung des Texters John Lennon wiedergibt. Lennon zeichnet, wie die übrigen Beatles auch, parallel dazu verantwortlich für etliche romantische, zärtliche Liebeslieder, da­ rüber hinaus sind weder das kollektive Show-Ich der Beatles noch Auftritte und Äußerungen der Einzelmitglieder geprägt durch frauenfeindliche Züge. Auch die übrigen Songs der Band, und das sind eine ganze Menge, spielen aus den unterschiedlichsten Perspektiven die unterschiedlichsten menschlichen Emotionen durch, weshalb sich der eifersüchtige Sprecher in Run for Your Life auch als Rollen-Ich charakterisieren lässt. Hinzu kommt, dass dieses Rollen-Ich Gedanken äußert, wie sie genauso gut weibliche Song-Ichs ihren Männern entgegenschleudern können. So droht etwa Kelis in I Hate You Right Now – explizit stellvertretend für alle betrogenen Frauen –, den Truck des Fremdgehers in die Luft zu sprengen. Und es ist nicht klar, ob der gute Mann nicht noch drinsitzt: „I hate you so much right now / So sick of your games, I’ll set your truck to flames / And watch it blow up, blow up …“ Klar, es ist ein Rachesong, aber 166

Neil Young, A Man Needs A Maid

macht es einen großen Unterschied, ob die Gewalt aus Vergeltung oder aus Eifersucht angedroht wird? Oder aus Wut auf eine Nebenbuhlerin – wie im gar nicht zimperlichen Song Miriam der eigentlich als zartbesaitet-charmant geltenden Songwriterin Norah Jones? Dort heißt es unter Anspielung auf den BeatlesSong: „Now I’m not the jealous type / Never been the killing kind / But you know I know what you did / So don’t put up a fight / (…) / You know you done me wrong / I’m gonna smile when I take your life / Mm, mmm, mmm …“ Ich werde lächeln, wenn ich dir das Leben nehme? Ui! Ist der Kelis-Song etwa männerfeindlich? Der Norah-JonesSong etwa frauenfeindlich? Oder werden hier einfach extreme Rollen durchgespielt? John Lennon soll die Lyrics zu Run for Your Life später bereut haben. Wirklich nötig wäre das nicht gewesen, aber auch die Lyrics selbst nicht. Denen kann man, wenn sie einen denn wirklich stören, auch mit künstlerischen Mitteln und Humor begegnen. So wie es Nancy Sinatra oder die Girlband Thee Headcoatees getan haben. Sie coverten den Song und drehten den Spieß einfach um, indem sie die Geschlechterkonstellation vertauschten. Heraus kam das ganz bestimmt nicht männerfeind­liche: „Well I’d rather see you dead, little boy …“

55 „Sometimes I feel so lonesome I could die …“: Neil Young, A Man Needs A Maid Ein Mann braucht ein Dienstmädchen? Auweia! Da lässt ja schon der Songtitel tief blicken – nämlich in die sexistische, frauenfeindliche Denkweise des amerikanischen Songwriters Neil Young! So dachten Teile des Publikums 1972, als das Stück erschien, und durften sich durch weitere Textstellen bestätigt fühlen: „I was thinking that maybe I’d get a maid / Find a place nearby for her to stay / Just someone to keep my house clean / Fix my meals and go away.“ Ein Dienstmädchen, das in der Nähe wohnt, saubermacht, kocht und wieder verschwindet, na klasse: Fasste Neil 167

Frauenfeindlichkeit geht anders

Young hier nicht den Traum aller Freizeitpaschas schlechthin in zynische Worte? In der Tat kann man den Song so deuten – wenn man diese Textstelle nimmt und völlig isoliert betrachtet. Schon in dem Anhängsel „and go away“ aber deutet sich ein ganz anderes inhaltliches Zentrum der Lyrics an. Dem Sprecher ist nämlich nicht nur die Anwesenheit eines Dienstmädchens wichtig, sondern auch dass sie regelmäßig wieder verschwindet. Und warum? Weil das Ich, das sich hier äußert, alles andere als ein selbstverliebter Pascha ist, sondern ein Mann, der gerade eine schwere Zeit durchmacht. Sein Leben verändert sich radikal, er weiß nicht mehr, wem er noch trauen soll. Kurz: Auf seinem Dasein lastet ein Schatten: „My life is changing in so many ways / I don’t know who to trust anymore / There’s a shadow running thru my days.“ Verantwortlich für diesen Wandel könnte eine zerbrochene Liebe sein, das deutet sich in der zweiten Hälfte des Liedes an: „It’s hard to make that change / When life and love turn strange / And cold.“ Ein Eindruck, der sich verdichtet in den folgenden Betrachtungen über die Liebe, über das Lieben – und über ein Du, das offenbar nicht mehr da ist. „Wann werde ich dich wiedersehen?“, fragt der einsame Sprecher, nachdem er sich noch einmal klargemacht hat, dass Liebe geben Liebe leben heißt und dass man Teil einer Liebe sein muss, wenn man sie wirklich leben will: „To give a love / You gotta live a love / To live a love / You gotta be part of / When will I see you again?“ Ob diese Gedanken als Vorwurf an die abwesende Partnerin gemeint sind, die möglicherweise nicht genug für die Beziehung getan hat, oder ob das Song-Ich von der eigenen Unfähigkeit spricht, Liebe zu geben, das lässt sich nicht endgültig feststellen. Wohl aber, dass für den Sprecher Liebe mit großem emotionalem Engagement, auch mit Enttäuschung und Leid verbunden ist. Vor diesem Hintergrund bekommt die Aussage „Ein Mann braucht ein Dienstmädchen“ eine ganz andere Bedeutung, und die hat nichts mit Frauenfeindlichkeit oder Sexismus zu tun: Das Dienstmädchen sorgt für ein gewisses Maß an menschlicher Nähe und hilft, die Einsamkeit zu ertragen – es nötigt dem Spre168

Neil Young, A Man Needs A Maid

cher aber auch keine tiefere emotionale Bindung auf. So kann er Kontakt zu einer Frau haben, aber Liebesqualen und Enttäuschungen bleiben ihm erspart. Das Dienstmädchen ist keine ­Pascha-, sondern eine Trostfantasie, ein Versuch, die eigenen Gefühle zu schützen, sie abzuschotten. Vielleicht hat der Einsame für sich erkannt, dass Liebe viel mit den Sehnsüchten zu tun hat, die man selbst in den jeweils anderen hineinprojiziert, und wenig damit, wie der andere wirklich ist. Das wäre eine Erklärung für die in der letzten Strophe beiläufig dahingeworfene Erinnerung, dass sich der Protagonist beim Anschauen eines Films im Fernsehen mal in eine Schauspielerin verliebte: „A while ago somewhere / I don’t know when / I was watching / A movie with a friend / I fell in love with the actress / She was playing a part / That I could understand.“ Ein Dienstmädchen liefert auch in dieser Hinsicht keine Anknüpfungspunkte. Interessanterweise wurde gerade dieser Song von einer Frau gecovert, und zwar von der britischen Sängerin Rumer 2012 auf dem Album Boys Don’t Cry. Auch für sie hat das Stück nichts Frauenfeindliches, sondern lebt von starken autobiografischen Bezügen, wie sie in der Zeitung „The Guardian“ verriet: Demnach habe Neil Young, als er den Song schrieb, starke ­Rückenschmerzen gehabt und sei zeitweise buchstäblich auf Hilfe von außen angewiesen gewesen. Des Weiteren habe der Songwriter einen großen Respekt für Frauen geäußert, aber auch eingeräumt, dass er unfähig sei, in einer Liebesbeziehung das einzubringen, was die Partnerin benötige – es lasse sich nicht mit seiner Arbeit als Künstler vereinbaren. Für Rumer ist A Man Needs A Maid das Porträt eines einsamen Mannes auf einer Mission, unfähig, etwas zu geben, und doch verzweifelt auf der Suche nach Beistand. Besagtes Rumer-Album enthält noch weitere Interpretationen spannender Songs, die von Männern geschrieben wurden. Über die Form der Coverversion fühlt sich die Interpretin in die unterschiedlichsten seelischen Facetten des vermeintlich starken Geschlechts ein. „Jungs weinen nicht“ ist ein leise ironischer, in jeder Hinsicht wunder­ barer Titel dafür. 169

Frauenfeindlichkeit geht anders

56 Kann denn Tierschutz Sünde sein? Maroon 5, Animals (Video) Nicht jeder Song erschließt sich dem Publikum nach wenigen ­Sekunden, nicht jeder Song hat eine einfache in Stein gemeißelte Botschaft. Viele Stücke erweisen sich als inhaltlich so offen angelegt, dass mehrere Interpretationen möglich sind. Oftmals bedeuten sie gerade das, was jeder einzelne Hörer, jede einzelne Hörerin in der individuellen Hörsituation, mit dem ganz persönlichen Hintergrund aus ihnen macht. Sie gefallen oder ecken an, je nachdem, was man in ihnen zu hören und zu sehen glaubt. Das gilt auch für Videos, die zu Songs gedreht werden. Man muss sich nur die Reaktionen auf Animals anschauen, einen Hit der amerikanischen Band Maroon 5 aus dem Jahr 2014. Die Songlyrics kann man leicht als frauenfeindliches, sexistisches Pamphlet auffassen, vor allem angesichts von Zeilen wie: „Baby I’m preying on you tonight / Hunt you down, eat you alive / (…) / I cut you out entirely / But I get so high when I’m inside you.“ Das männliche Ich jagt offenbar seine weibliche Beute wie ein Raubtier und verschlingt sie förmlich, das Ganze scheint sogar etwas von einer Vergewaltigung zu haben. Hört man allerdings den Text als Ganzes, löst sich dieser unange­ nehme Eindruck auf, dann bedeutet der Song etwas anderes: „But we get along when I’m inside you / You’re like a drug that’s killing me“, heißt es an anderer Stelle und: „But you can’t stay away from me / I can still hear you making that sound / Taking me down rolling on the ground / You can pretend that it was me  / But no.…“ In meinen Ohren geht es da wohl eher um ein Wechselspiel aus Anziehung und Zurückweisung, um eine ­On-and-Off-Beziehung – um zwei vielleicht auch leidende Menschen, die nicht voneinander loskommen und sich vor allem sexuell immer wieder voneinander angezogen fühlen. Eine animalische Leidenschaft verbindet sie, und der Sex geschieht durchaus „einvernehmlich“, wie Juristen sagen würden. Nun liebt es Maroon-5-Sänger Adam Levine, auf solchen erotischen Sprachbildern herumzureiten, und er tut das immer wie170

Maroon 5, Animals (Video)

der reichlich selbstverliebt. Das kann nerven. Aber etwas Frauenverachtendes ist für mich in den Lyrics zu Animals nicht zu erkennen. Dieser Vorwurf wird aber vor allem dem Video zu dem Song gemacht. Da spielt Levine einen Metzger, der als Stalker eine Kundin verfolgt. Diese (verkörpert von Levines Ehefrau Behati Prinsloo) bekommt nichts davon mit, auch dann nicht, als der Stalker nachts in ihre Wohnung eindringt und sie fotografiert, während sie schläft. In einer anderen Szene versucht der Stalker, das Objekt seiner Begierde in einem Club anzusprechen, wird aber entnervt zurückgewiesen. Und das Video zieht die Drastikschraube noch um einiges an: Da schmiegt sich Levine mit nacktem Oberkörper an aufgehängte gehäutete Tierleiber, da hat er als Stalker (in seiner Vorstellung) Sex mit der Frau, die er begehrt, und beide werden mit Blut übergossen. Für das „Rape, Abuse & Incest National Network“ ist der Fall klar: „Das ist eine gefährliche Darstellung einer Stalker-Fantasie – und niemand sollte den kriminellen Akt des Stalkings mit Romantik verwechseln“, so wird die amerikanische Frauenrechtegruppe im Beitrag eines Autors oder einer Autorin mit dem Kürzel hut auf „SPIEGEL Online“ zitiert. Andere US-Bürgerrechtler lenken den Blick weg von der Fiktion und auf das Darstellerpaar selbst: Levine behandele seine Gattin wie ein Stück Fleisch, so der Vorwurf. Und der britische „Guardian“ ist sich laut „SPIEGEL Online“ sicher, „das Video beleidige jede Frau. … Es sei nichts alternativ daran, zu zeigen, wie Frauen gestalkt, vergewaltigt oder getötet werden.“ Mein Blickwinkel ist wiederum ein anderer: Was wird gezeigt, und wie wird es gezeigt? Wenn ich diesen Fragen nachgehe, komme ich zu dem Schluss: Es wird ein ziemlich krankhaftes Verhalten gezeigt, und dieses Verhalten wird nicht entweder beschönigt oder glorifiziert, sondern auch als krankhaft, wenn nicht gar erbärmlich dargestellt. Die Szenen mit den Tierleibern sind alles andere als anregend, und nicht nur der irre Blick des Stalkers, sondern auch die Abfuhr, die er sich im Club holt, lassen ihn als ziemlich gestörten einsamen Mann erscheinen. Das Animalische, das die Textzeilen thematisieren, hat hier etwas zutiefst Neurotisches. 171

Frauenfeindlichkeit geht anders

Die Abfuhrszene ist noch aus einem anderen Grund bezeichnend: Das Video zeigt, wie die Frau deutlich Nein sagt. Und die gemeinsamen Sexszenen spielen sich eindeutig in der Fantasie des Stalkers ab. Mitnichten wird hier der Akt des Stalkings mit Romantik verwechselt – die Figur der gestalkten Frau behält in meinen Augen ihre Würde. Allein dass die Themen Stalking und Gewalt gegen Frauen thematisiert werden, scheint aber besagten Frauen- und Bürgerrechtsgruppen schon Anlass zur Kritik zu geben. Ein differenzierter Blick fehlt. Wären ihre Bedenken berechtigt, dann müsste man noch einige Songs und Videos mehr verbieten. Reichlich bizarr wirkt der Vorwurf einiger Verschwörungstheoretiker, auf den das Portal „Breathecast.com“ hinweist: Diese „Theoretiker“, so „Breathecast.com“, meinen, in den blutigen Szenen irgendwelche satanischen Rituale sowie in Adam Levine einen versteckt agierenden Satanisten zu erkennen. Auch so kann man Animals also sehen. Einen völlig überraschenden anderen Blickwinkel aber steuert schließlich ausgerechnet die Tierschutzorganisation „PETA“ bei: Die nimmt Maroon 5 sogar richtiggehend in Schutz und zeigt sich laut Autorin Melanie auf „Promiflash.com“ „sehr angetan davon, wie überzeugend der Sänger einen Fleischer darstellt und damit die Grausamkeit des Schlachtens von Tieren verdeutlicht.“ O-Ton „PETA“: „Wenn überhaupt, geht das Video nicht weit genug. Wir sind alle Tiere, aber jeder, der sich über die blutigen Video-Szenen aufregt, sollte lieber auch im wahren Leben blutige Gewalt vermeiden, indem er ein überzeugter Veganer wird.“ Die Beispiele zeigen: Auf den Blickwinkel kommt es an. Und die Blickwinkel auf Animals sind, wie auch auf manche kontroversen Reggae-, Rock- und Hip-Hop-Titel, äußerst vielfältig.

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Feindliche Übernahme 57 Wenn der Bandname unfreiwillig Programm wird: Geier Sturzflug, Bruttosozialprodukt Manchmal sind Bandnamen visionär. Und manchmal sind sie visionärer, als der Band lieb ist. Ein Greifvogel, der sich flink über seine Beute hermacht – eigentlich ein passendes Bild für eine im linken politischen Spektrum angesiedelte Satire-Combo: Geier Sturzflug also, alles klar! Doch lässt der Geier im Sturzflug leider auch an einen etwas seltsamen Vogel denken, der einen herben Niedergang erlebt. Und es war vor allem dieses Bild, das der Band aus dem Ruhrgebiet eine Zeit lang anhing. Schuld daran oder, besser, Auslöser war ausgerechnet ihr erster großer Hit, dieser hektisch-flotte Ohrwurm im Neue-Deutsche-Welle-Stil. Textlich ist Bruttosozialprodukt aus dem Jahr 1982 eine eindeutige Sache: Da geht es zynisch um das Profitstreben von Unternehmen und Konzernen, die ihre Ziele auch aufgrund eines fast schon krankhaften Arbeitsethos vieler ­Mitarbeiter verwirklichen. Die begeben sich, so der Songtext, widerspruchslos in kalte, abtörnende Arbeitsumgebungen, lassen sich von Stechuhren kontrollieren und schleppen sich auch dann noch zur Arbeit, wenn sie schwer krank sind und eigentlich im Bett liegen sollten. Doch damit nicht genug: Selbst wenn sie längst das Rentenalter erreicht haben, können diese Arbeitsroboter nicht aufhören zu malochen – weil sie so geeicht sind oder weil ihnen zu Hause die Decke auf den Kopf fällt. Und irgendwann fallen sie, so darf man in Gedanken weiterspinnen, einfach tot um … 173

Feindliche Übernahme

Was die britische Band The Godfathers, ebenfalls in den Achtzigern, auf die desillusionierende Kurzformel Birth, School, Work, Death brachte, geben Geier Sturzflug etwas ausführlicher der Lächerlichkeit preis. Schon die ersten Verse setzen den satirisch zuspitzenden Ton: „Wenn früh am Morgen die Werksirene dröhnt / Und die Stechuhr beim Stechen lustvoll stöhnt / In der Montagehalle die Neonsonne strahlt / Und der Gabelstaplerführer mit der Stapelgabel prahlt …“ Weiter geht es mit einem frisch Operierten, der noch vor der Genesung zum Arbeitsplatz eilt („Die Krankenschwester kriegt ’nen Riesenschreck / Schon wieder ist ein Kranker weg / Sie amputierten ihm sein letztes Bein / Und jetzt kniet er sich wieder mächtig rein“), oder um Opa, der sich „am Sonntag auf sein Fahrrad schwingt / Und heimlich in die Fabrik eindringt“. In der letzten Strophe weitet sich die Kritik auf die gesamte Konsumgesellschaft aus. Wofür nur tun sich die arbeitenden Menschen das alles an?, fragt der Song zwischen den Zeilen. Die Antwort ist niederschmetternd: Um genügend Geld zu haben für ein ebenso opulentes wie dröges Weihnachtsfest, bei dem man sich doch nur frustriert den Ranzen vollfrisst und anderen teure, aber nutzlose Waren schenkt: „Weihnachten liegen alle rum und sagen puh-uh-uh-uh, der Abfalleimer geht schon nicht mehr zu / Die Gabentische werden immer bunter / Und am Mittwoch kommt die Müllabfuhr und holt den ganzen Plunder.“ Im Visier der Band steht eine wirtschaftsgesteuerte Gesellschaft, der es nur um die Steigerung der Absatzzahlen und nicht um das Wohl der Menschen geht. Vor diesem Hintergrund musste der nur scheinbar superfröhliche Refrain – „Ja, ja, ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt / Wir steigern das Bruttosozialprodukt“ – eigentlich allen aufmerksam Mitsingenden im Halse steckenbleiben. Was also lief schief bei Geier Sturzflug, einer Band, die Ende der 1970er Jahre aus der Straßenmusikerszene hervorgegangen und anfangs auf Szene- und Studentenfesten, in Jugend- und linken Kulturzentren aufgetreten war? Auch hier ist die Antwort niederschmetternd: Kotrollverlust. Denn nach der ganz bewuss174

Geier Sturzflug, Bruttosozialprodukt

ten Entscheidung, auf den Neue-Deutsche-Welle-Zug aufzuspringen, hatte sich die Gruppe von der großen Plattenfirma Ariola unter Vertrag nehmen und, wenn man bösartig formuliert, als neue Sau durchs Dorf treiben lassen. Wo Geier Sturzflug provozieren wollten, sahen die Plattenfirmenleute in dem bereits Anfang der Siebziger von Friedel Geratsch/Reinhard Baierle geschriebenen und jetzt im NDW-Sound aufgepeppten Bruttosozialprodukt einen Hit, der ganz vortrefflich in die Zeit des Scheiterns der sozialliberalen Koalition unter Bundeskanzler Helmut Schmidt passte. Die Zeichen standen auf Helmut Kohl von der CDU, und der wurde zunächst im Oktober 1982 nach einem konstruktiven Misstrauensvotum als Bundeskanzler vereidigt, um sich anschließend, im März 1983, bei vorgezogenen Neuwahlen bestätigen zu lassen. Die Plattenfirma bewies ein Gespür für die Zeitstimmung, blendete den linkspolitischen Hintergrund der Band weitgehend aus und promotete den Song als Wendesong: als Soundtrack zum kollektiven „Endlich geht es wieder voran“-Gefühl in Deutschland. Die Rechnung ging, wie man heute weiß, hervorragend auf. Bruttosozialprodukt stürmte in allen deutschsprachigen Ländern die Charts, und plötzlich trat die Band nicht nur in größeren Hallen auf, was noch halbwegs normal und zu vertreten gewesen wäre, sondern auch in Landdiscos und biederen Schlagersendungen wie der samstäglichen „ZDF-Hitparade“ – also genau dort, wo wahrscheinlich besonders viele von jenen Menschen artig mitklatschten, die der Song als ausgebeutete Malocher kritisierte. Konservative Medien lobten, sämtlichen Songversen zum Trotz, den optimistischen Schwung des Lieds, selbst von rechten Studentenvertretungen gab es Konzertanfragen. Geier Sturzflug wurden Getriebene ihres überraschenden Erfolgs – und unternahmen zu wenig, um sich gegen die Vereinnahmung zu wehren. Mit der Folge, dass sich die linke Fangemeinde von der Band distanzierte und ihrerseits mit einem Missverständnis reagierte. In einem aufschlussreichen „ZEIT“-Artikel vom November 1983 fasste Klaus Pokatzky das Dilemma von Geier Sturzflug zusammen: 175

Feindliche Übernahme

Ihre Solidaritätsauftritte in linken Kulturzentren, bei Nicaragua- oder Salvador-Abenden haben sie schon noch: Wenn es zeitlich hinkommt, also in den Tourneeplan paßt, der Geier Sturzflug fast das ganze Jahr auf Trab hält. Und wenn sie von den Linken, Grünen, Alternativen, Friedensbewegten nach „Bruttosozialprodukt“, wie das Stichwort für ihre ganz persönliche Wende lautet, überhaupt noch akzeptiert werden. Denn die linke Veranstalteröffentlichkeit hat der Hit „total verwirrt“, sagt Bassist und Sänger Werner Borowski: „Es gibt Leute, bei denen bist du unten durch deshalb. Und manche entwickeln da regelrechten Haß und Neid, wenn aus so einer Gruppe auf einmal etwas wird.“ Friedel wundert sich über die Leute, für die „Bruttosozialprodukt“ seine Aussage allein dadurch verändert hat, weil es ein Hit geworden ist – „die halten das für nen andern Song, plötzlich“. Freunde, nein, die haben sie dadurch nicht verloren. Werner: „Aber Bekannte, von denen man sich vielleicht ein freundschaftliches Verhältnis irgendwann hätte erwarten können.“

Eine Band, die sich gegen den Strich promoten lässt und irgendwann, trotz weiterer satirischer Songs, erst im Mainstream aufgeht und dann in der Belanglosigkeit verschwindet – darauf passt eigentlich nur ein Begriff aus der umsatzfixierten Wirtschaft: Feindliche Übernahme.

58 Gib das wieder her! Die Ärzte, Männer sind Schweine Drei Thesen. Erstens: Frauen werden wesentlich häufiger in Songs besungen als Männer. Zweitens: Frauensongs, die zu Hits werden, sprechen Frauen als Einzelpersonen an – in Männersongs, die die Charts stürmen, wird es dagegen gerne grundsätzlich. Und drittens: Auch Ärzte haben nicht immer alles unter Kontrolle, mögen sie noch so musikalisch sein. 176

Die Ärzte, Männer sind Schweine

Zu These 1: Belegen lässt sie sich nur schwer, es hat noch niemand gezählt. Aber gefühlt sind doch Frauen das Thema Nummer eins in Songs, das sehen die meisten Leserinnen und Leser sicher ebenso. Zu These 2: Angie, Mandy, Jeanny und Diana, Gloria, Roxanne, Valerie und Billie Jean, Laila und Lola, Aysha, Sharona und, und, und – auf Anhieb fällt einem eine ganze Damenriege ein, wenn es um extrem erfolgreiche Songs über Frauen geht. Bei den männlichen Gegenstücken aber gestaltet sich das Brain­ storming schon schwieriger. Nicht nur dass man länger über­ legen muss – ähm … Alejandro … ähm … Daniel … ? … –, man landet auch ganz schnell in der Klamaukecke, von Hallo, ich bin Hermann bis Mein Gott Walter. Aber wenn es um das große Ganze geht, um den Mann an sich, dann schwingt sich auch das starke Geschlecht in die Spitzen der Charts: Man denke nur an Ina Deter und ihre 1982 mit emanzipatorischem Gestus formulierte Forderung Neue Männer braucht das Land. Oder an Herbert Grönemeyer, der zwei Jahre später in Männer alle möglichen Behauptungen über die vermeintlichen Herren der Schöpfung aneinanderreihte – gut gemeinte und bösartige, wahre wie falsche. Oder an Die Ärzte, die 1998 eines noch mal klarstellten: Männer sind Schweine. Kontrollfrage: Waren jemals Songtitel wie Frauen oder Wo ist die Frau von morgen?, vielleicht auch Frauen sind so empathisch in den Top Ten der Charts? Eben. Kommen wir zu These 3, jenen Ärzten, die auch nicht immer alles unter Kontrolle haben. Als Beleg dient ausgerechnet der gerade genannte Song Männer sind Schweine. Darin gehen Die Ärzte zwar genauso grundsätzlich wie einst Ina Deter und ­Herbert Grönemeyer an das Thema heran, wählen aber einen anderen Argumentationsansatz. Während die frauenbewegte ­Interpretin von Neue Männer braucht das Land eine unmissverständliche Forderung formulierte und der hyperventilierende Ruhrgebietsheld die unterschiedlichsten Ansichten über Männer geschickt zu einer widersprüchlichen Gesamtcollage montierte, konzentrieren sich Farin Urlaub, Bela B. und Rodrigo González 177

Feindliche Übernahme

lediglich auf eine einzige behauptete Eigenschaft von Männern, und zwar auf eine äußerst negative: den notorisch respektlosen, weil schwanzgesteuerten Umgang mit Frauen. Männer, so der Tenor der Lyrics, gaukeln Frauen Liebe vor, nur um sie ins Bett zu bekommen. Am nächsten Morgen haben sie den Namen ihrer Eroberung längst wieder vergessen und machen sich für immer aus dem Staub. Und wenn es dann doch einmal zur Ehe kommt, entpuppen sich die einstigen Charmeure als ständig unrasierte, Bier saufende, rülpsende und furzende Tiere. Das Ganze bringen uns Die Ärzte aus mindestens zwei Per­ spektiven nahe. Da ist zum einen die Sicht eines Aufreißers, der gerade süßholzraspelnd eine Frau verführt, wobei der Text eher die verborgenen Hintergedanken dieses Aufreißers durchscheinen lässt: „Hallo, mein Schatz: Ich liebe dich / Du bist die Einzige für mich / (…) / Du bist so anders, ganz speziell / Ich merke so was immer schnell / Jetzt zieh dich aus und leg dich hin / Weil ich so verliebt in dich bin“. Hier geschieht Ähnliches wie in der berühmten Songsatire Bobby Brown von Frank Zappa: Das Song-Ich äußert nicht etwa nachvollziehbare unmittelbare Gedanken, sondern spricht, als ob man ihm kritisch einen Spiegel vors Gesicht halten würde. So kommen die tiefer liegenden wahren Motivationen und Charaktereigenschaften zum Vorschein, und die sind alles andere als positiv. Anders ausgedrückt: Das Song-Ich entlarvt sich in einem solchen „Spiegel-Monolog“ immer selbst. So bekundet Bobby Brown freudestrahlend: „I’m a sexual spastic“ oder „I’m a miserable son of a bitch“, während das „Männerschwein“ im Ärzte-Song gar nicht merkt, dass es sich widerspricht, wenn es erst behauptet: „Du bist so anders, ganz speziell“, und dann hinterherschiebt: „Ich merke so was immer schnell.“ Zum anderen wird ab dem ersten Refrain („Männer sind Schweine / Traue ihnen nicht, mein Kind …“) und in den restlichen Strophen des Songs die Perspektive einer nicht näher beschriebenen mahnenden Person gezeigt. Man darf vermuten, dass es sich dabei um eine weibliche Person handelt, und ihr Urteil ist vernichtend: „Rücksichtslos und ungehemmt / Gefühle sind ihm völlig fremd / Für ihn ist Liebe gleich Samenverlust / 178

Die Ärzte, Männer sind Schweine

Mädchen, sei dir dessen stets bewusst / Männer sind Schweine / Frage nicht nach Sonnenschein / Ausnahmen gibt’s leider keine / In jedem Mann steckt doch immer ein Schwein.“ Natürlich erweist sich diese mahnende Haltung letztlich als genauso zugespitzt wie die des Aufreißers in der ersten Strophe. Und spätestens wenn die Sänger ihre Stimmen mal liebreizend, mal eunuchenhaft verstellen, um sowohl den tumben Gigolo als auch die bierernsten Ratschläge ins Lächerliche zu ziehen, wird die Stoßrichtung des Songs klar: Es geht gegen einen bestimmten verantwortungslosen Männertypus, der hier überzeichnend entlarvt wird, aber auch gegen eine verbissene Anti-Männer-Haltung, die engstirnig gleich ein Pauschalurteil fällt und sämtliche Männer in Sippenhaft nimmt. Die mahnende Ratgeberin in den Lyrics kann eine ältere Verwandte sein, zum Beispiel eine Mutter oder eine Tante, doch einiges spricht dafür, dass es sich um eine Vertreterin der alternativen Szene oder der Emanzipationsbewegung handelt. Man denke nur an die nicht gerade mütterlich wirkende drastische Ausdrucksweise: „Männer sind Schweine“ oder: „Männer sind Ratten, begegne ihnen nur mit List“ oder: „In jedem Mann steckt doch ein Schwein / Männer sind Autos / Nur ohne Reserverad …“ Dass hier ein bestimmter Schlag von Männern und die Fraktion der Männerhasserinnen satirisch aufs Korn genommen werden, unterstreicht dann auch das spaßige Special-Effects-Video zu dem Song. Es zeigt die drei Bandmitglieder als ausgemachte Fieslinge, ja Gangster, im Kampf gegen die taffe Videospielheldin Lara Croft. Und natürlich darf die schlagkräftige, schießfertige und ungemein attraktiv animierte Kämpferin am Ende siegen. Männer als unterbelichtete Karikaturen, niedergerungen von einer erbarmungslosen Comic-Überfrau – das ist die ungefähre visuelle Entsprechung zu den Textzeilen. Wobei das Video weitere Assoziationen weckt. Denn so gerne Lara Croft von Kritik und Fans als selbstbewusstes, durchsetzungsfähiges role model für die Frau von heute, als eine Art Emanzipationsikone bemüht wird, so offensichtlich ist die vollbusige Amazone in den hautengen Kampfklamotten auch ein waschechtes Nerdprodukt, ein 179

Feindliche Übernahme

pixelgewordener feuchter Jungstraum. Und wenn Die Ärzte sich von Lara Craft vermöbeln lassen, dann erliegen auf einer anderen Bedeutungsebene coole Rockstars lustvoll einer Männerfantasie. Was dann fast schon wieder die eigentlich persiflierte Einstellung „Männer sind Schweine“ bestätigt … Aber Die Ärzte wären nicht Die Ärzte, wenn sie nicht im Backgroundchor am Schluss des Songs eine mögliche dritte Perspektive und damit eine weitere sperrige Bedeutungsebene andeuten würden. Bewusst in den Hintergrund gemischt und nur schwer verständlich werden hier weitere männerfeindliche Klischees zitiert, die allerdings überraschend in linksradikale Parolen münden: „Linke Schweine, fiese Schweine / Eklige Schweine, fiese Schweine / (…) / Dumme Schweine, Nazischweine / Geile Schweine / Wir wollen keine Bullenschweine.“ Der letzte Vers zitiert explizit den Song Bullenschweine, mit dem sich die Hamburger Punkband Slime in den Achtzigerjahren mehrere Ermittlungsverfahren einhandelt hatte. So bekommt das an sich heitere Stück auf den letzten Metern, schon fast im Fade-out, noch eine ernste politische Note. Männer werden eben nicht nur als herzlos-sexgeile Beziehungsschweine, sondern aus den unterschiedlichsten Richtungen auch als linke Schweine, als Nazischweine und als Bullenschweine beschimpft. Da sich Die Ärzte hier nicht festlegen, sondern unterschiedliche, gegensätzliche Behauptungen nebeneinanderstellen, kann man ihnen keine „republikfeindlichen“ Äußerungen unterstellen. Sie gehen hier eher widersprüchlich collagierend wie einst Herbert Grönemeyer in Männer vor. Die Themen Staatsgewalt, Neonazis und Antifa sind damit aber trotzdem platziert, und wo man im politischen Spektrum die Band am ehesten zu verorten hat, ist hinlänglich bekannt. Das ist von den Ärzten wirklich clever gemacht. Umso verärgerter waren Farin Urlaub, Bela B. und Rodrigo González, dass ihr Song, der wochenlang in Deutschland, Österreich und der Schweiz Platz eins der Charts belegte, auch ein echter Renner ausgerechnet im Volksfest- und UrlaubsfetenUniversum wurde. Männer sind Schweine lief nicht nur auf der Wies’n, sondern auch auf Mallorca rauf und runter und wurde 180

The Cure, Killing An Arab

dabei meist von alkoholisiertem Partyvolk mitgegrölt, dessen männliche Vertreter, so war zu befürchten, den im Song verspotteten Macho- und Erzkonservativen-Klischees nur zu perfekt entsprachen. Auf der Website der Düsseldorfer Band Die Toten Hosen gibt es in der Rubrik „Freunde des Hauses“ ein ­Interview mit Ärzte-Drummer Bela B. vom November 2003. Die Frage, ob Die Ärzte Männer sind Schweine noch einmal schreiben würden, beantwortete Bela B. damals mit einem Einblick in die Gefühlslage der Band: „Männer sind Schweine“ ist ein Song, auf den wir nach wie vor stolz sind. Da haben wir alle möglichen Sachen reingepackt, zum Beispiel im Abspann einen indizierten Song von Slime zitiert. Obwohl total Ärzte-mäßig, ist der Song ein Riesenhit geworden, und dann leider von der DJ Bobo- und DJ Ötzi-Fraktion annektiert worden. Er war am Ballermann und auf dem Münchener Oktoberfest der Nummer-eins-Hit. Da haben wir uns gesagt: Den Song hat uns das Publikum weggenommen, den werden wir nicht mehr spielen.

Auch so etwas nennt man feindliche Übernahme. Tatsächlich spielten Bela B. & Co Männer sind Schweine einige Jahre lang nicht mehr live. Hatten sich Die Ärzte etwa einen Kunstfehler geleistet? Die klare Antwort lautet: Nein. Manche Publikums­ dynamiken sind einfach nicht vorherzusehen. Natürlich haben sich die Wogen inzwischen geglättet. Aber wirklich zurückbekommen haben Die Ärzte ihren hintergründigen Gassenhauer nicht.

59 Wie man sich falsche Freunde macht: The Cure, Killing An Arab Okay, grummel grummel … Wäre man gehässig, könnte man sagen: Selber schuld! Denn was die britische Band The Cure mit ihrem 1978 als Single veröffentlichten Song Killing An Arab veranstaltet, ist ein Spiel mit dem Feuer. Der Titel lässt bereits ahnen, in welche Richtung das Stück ausgelegt und von welch 181

Feindliche Übernahme

fragwürdigen Fraktionen es in der Folge vereinnahmt wurde. Zudem gehören die Lyrics zu jenen Texten, die sich erst unter Einbeziehung eines bestimmten Vorwissens endgültig erschließen. Killing An Arab ist ein simples, von Schlagzeug, Bass und Gitarre getragenes Up-Tempo-Stück und wird ansatzweise hektisch, gleichzeitig ausdruckslos, nachgerade unspektakulär vorgetragen. Wer vielleicht noch gehofft hatte, dass der Titel eine bewusste Irreführung ist, wird gleich in der ersten Strophe enttäuscht: „I’m standing on the beach / With a gun in my hand / Staring at the sky / Staring at the sand / Staring down the barrel / At the Arab on the ground / See his open mouth / But I hear no sound.“ How shocking! Wer immer sich da äußert, hat soeben einen Menschen erschossen. Der Sprecher steht an einem Strand und kann nur schauen. Auf die Mordwaffe. In den Himmel. In den Sand. Und schließlich auf die mit offenem Mund daliegende Leiche. Aber wird die Bluttat gefeiert? Nein, das kann man überhaupt nicht behaupten. Im Refrain klingen eher Teilnahmslosigkeit und Entfremdung, das ernüchternde Gefühl der völligen Bedeutungslosigkeit an: „I’m alive / I’m dead / I am the stranger / Killing an Arab.“ Dass es hier um alles andere als um Gewaltverherrlichung und Rassismus geht, unterstreicht die nächste Strophe. Der Mörder hat weder ein Motiv noch ein Ziel. Was immer er tut, es macht alles keinen Sinn: „I can turn / And walk away / Or I can fire the gun / Staring at the sky / Staring at the sun / Whichever I choose / It amounts to the same / Absolutely nothing.“ Und dann wieder der desillusionierte Refrain: „I’m alive / I’m dead / I am the stranger / Killing an Arab.“ Es ist nicht nur diese Lakonie, die letztlich jegliche Vorwürfe an der Band abperlen lässt. Es sind auch das Auftreten der Künstler und der Kontext, in dem sie sich bewegen. The Cure sind drei blasse britische Teenager um den Sänger Robert Smith, die sich Punk und New Wave verpflichtet fühlen – musikalischen Strömungen der ausgehenden Siebzigerjahre also, die sich alles andere als fremdenfeindlich oder gar rechtsradikal äußern. 182

The Cure, Killing An Arab

Und, wie eben schon anklang: Wenn man die Inspirationsquelle für den Song mit einbezieht, dann lässt sich seine Bedeutung einigermaßen erschließen. Killing An Arab greift eine Schlüsselszene aus Der Fremde auf, einem existenzialistischen Roman des französischen Autors Albert Camus. Es ist die Szene, in der der Ich-Erzähler Meursaut aus einem Zustand der Apathie heraus einen Araber erschießt. The Cure fassen das unbegreifliche Geschehen in adäquat unprätenziöse, geradezu „banal“ anmutende Verse. Damit lässt sich der Song im übertragenen Sinn auch als Ausdruck der emotionalen Kälte und Orientierungslosigkeit einer großstädtischen Jugend verstehen. Die literarische Inspiration wird zum Klingen gebracht und steht symbolisch für die eigene Befindlichkeit. War das nun außergewöhnlich „sophisticated“? Oder musste man diesen jungen Musikern einfach vergeben, nach dem Motto: …denn sie wissen nicht, was sie tun? Die Antwort weiß nur die Poptheorie … Weil der unscheinbare Song sprachlich subtil und mit einer gewagten Bildhaftigkeit arbeitet, ist es kaum verwunderlich, dass Killing An Arab in bestimmten historischen Kontexten immer wieder „falsche Freunde“ fand. Zum Beispiel im Jahr 1987. Zu diesem Zeitpunkt waren The Cure längst weltberühmt. Ein Jahr zuvor hatten sie unter dem bezeichnenden Titel Standing on the Beach eine Zusammenstellung ihrer bekanntesten Songs veröffentlicht. Als im Zuge des ersten Golfkriegs zwischen Iran und Irak mehrfach amerikanische Kriegsschiffe, die unter US-Flagge fahrenden kuwaitischen Tankern Geleitschutz gaben, in Kampfhandlungen mit iranischen Seestreitkräften gerieten, keimten in den USA antiarabische Ressentiments auf. Prompt erinnerten sich amerikanische Radio-DJs des Cure-Songs Killing An Arab und setzten ihn als eine Art Schlachtruf in ihren Programmen ein – was Robert Smith immer wieder veranlasste, in Interviews seinen antirassistischen Standpunkt zu betonen. Ähnliches passierte im Anschluss an die Anschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001. Um seine Haltung zu unterstreichen und sowohl Fanatikern als auch Kritikern den Wind aus den 183

Feindliche Übernahme

S­ egeln zu nehmen, änderte Smith bei einigen europäischen Festival-Auftritten im Jahr 2005 den Text von „Killing an Arab“ in „Kissing an Arab“. Es ist ein spannender, provokanter Song, den man hin und wieder spielen kann. Und trotzdem bin ich froh, dass ihn in Zusammenhang mit der Flüchtlingswelle 2015 und den unsäglichen Pegida-Demonstrationen bisher niemand hervorgekramt und für die ganz offensichtlich falsche Seite vereinnahmt hat. Was The Cure in Killing An Arab singen: Steh’ am Strand / Mit einer Knarre in meiner Hand / Starre in den Himmel / Starre in den Sand / Starre den Pistolenlauf entlang / Auf den Araber am Boden / Seh’ seinen offenen Mund / Aber ich höre keinen Ton / Ich bin am Leben / Ich bin tot / Ich bin der Fremde / Der einen Araber tötet / Ich kann mich umdreh’n / Und weggeh’n / Oder ich kann einen Schuss abfeuern / In den Himmel starren / In die Sonne starren / Wofür ich mich auch entscheide / Es läuft auf dasselbe hinaus: / Absolut nichts.

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Songs am Pranger 60 Ein Schauprozess, der nach hinten losging: Judas Priest, Better By You, Better Than Me Wir schreiben das Jahr 1990. In Reno, US-Bundesstaat Nevada, steigt ein Prozess gegen die britische Heavy-Metal-Band Judas Priest. Die soll in ihrem 1978 veröffentlichten Song Better By You, Better Than Me eine unterschwellige Botschaft versteckt und so zwei junge Männer in den Selbstmord getrieben haben. Tatsächlich haben die Judas-Priest-Fans Ray Belknap und James Vance den betreffenden Song rückwärts abgespielt, angeblich die Botschaft „Do it!“ herausgehört und sich 1985 nacheinander mit einem Gewehr in den Kopf geschossen. Während Belknap sofort tot war, lebte Vance noch wenige Jahre mit furchtbar entstelltem Gesicht weiter, bevor er nach Drogenmissbrauch starb. Als Kläger treten die Eltern der beiden Männer auf. Der Fall darf verhandelt werden, weil es der Verteidigung im Vorfeld nicht gelungen ist, die Vorwürfe gegen den Song unter Berufung auf das Gesetz zum Schutz der Redefreiheit zu entkräften. Eine unterschwellige Botschaft, so Richter Jerry Carr Whitehead, sei eben nicht durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt – ebenso wie obszöne, verleumderische oder zu Straftaten aufrufende Rede. Denn sie erfülle ja alles andere als die Funktion einer Meinungsäußerung, weil sie die angesprochenen Personen ohne deren Wissen manipuliere. Also muss in der Verhandlung geklärt werden, ob der Song überhaupt eine unterschwellige Botschaft enthält und ob diese Botschaft die beiden Männer zu ihrer blutigen Tat getrieben haben kann. Auch wenn es bei dem Prozess im Wesentlichen um eine angeblich versteckte Aufforderung mit dem Wortlaut „Do it!“ geht, 185

Songs am Pranger

lohnt ein Blick auf den Kontext des Songs und auf jene bewusst zugänglichen Songteile, die offenbar vom Gesetz zum Schutz der Redefreiheit gedeckt sind. Better By You, Better Than Me stammt vom vierten Judas-Priest-Album Stained Class. Dessen Titel ist eine Abwandlung des Begriffs „stained glass“ (Buntglas, Kirchenfensterglas) und lässt sich mit „Befleckte Klasse“/„Befleckte Gattung“ übersetzen – das dazugehörige Bildmotiv auf der Plattenhülle zeigt einen aus Metall gefertigten menschlichen Modellkopf, der von einer Stange durchbohrt wird und aus dessen rechtem Auge eine dunkelrot-braune Flüssigkeit läuft. So irritierend und düster wie das LP-Cover muten auch einige der auf der Platte enthaltenen Songtitel an: Invader, Saints in Hell, Beyond the Realms of Death. Es ist zwar juristisch nicht relevant, aber durchaus zu vermuten, dass sich die Eltern mit ihrer Klage nicht nur gegen eine einzelne unterschwellige Botschaft, sondern gegen die Heavy-Metal-Band Judas Priest an sich und möglicherweise gegen das gesamte Heavy-Metal-Genre richten, das sie als ebenso gewalt- wie todesverherrlichend und damit als schädlich für junge Menschen empfinden. Interessanterweise stammt ausgerechnet der Song Better By You, Better Than Me nicht von Judas Priest. Es handelt sich vielmehr um die Neuaufnahme – die Coverversion – eines Stücks, das 1969 von der Bluesrockgruppe Spooky Tooth veröffentlicht wurde. Judas Priest haben den Song neun Jahre später in einen zeitgemäßen Rocksound gekleidet und interpretieren ihn etwas aggressiver. Das Tempo ist höher als das des Originals, vor allem Sänger Rob Halford setzt mit seiner enervierend hohen Stimme Akzente. Der Text ist ungewöhnlich. Was man sicher sagen kann: Er schafft eine unheimliche, bedrückende Atmosphäre. Worüber man nur spekulieren kann: wer die Akteure sind und um was genau es geht. Diese inhaltliche Offenheit lädt zu den unterschiedlichsten Interpretationen ein. Auffällig ist die für einen Popsong unkonventionelle Sprechsituation: So begegnen dem Hörer nicht nur ein Ich und ein adressiertes Du, sondern es geht auch um eine abwesende dritte Person oder Instanz, die lediglich mit „her“ bezeichnet wird: 186

Judas Priest, Better By You, Better Than Me

„You could find a way to ease my passion / You listen to the blood flow in my veins“, heißt es zu Beginn und dann, über einer aufsteigenden Akkordbewegung: „You hear the teaching of the wind / Tell her why I’m alive within / I can’t find the words / My mind is dead.“ Die Aufwärtsbewegung endet mit einem Break, auf den die Refrainzeile folgt: „It’s better by you, better than me.“ Ganz offensichtlich soll die angesprochene Person als Vermittler auftreten und der abwesenden Frau oder Instanz eine Nachricht überbringen. Der Sprecher des Songs fühlt sich geistig tot („my mind is dead“), und doch steckt irgendwo in ihm noch Lebenskraft („the blood flow in my veins“, „I’m alive within“). Gleichzeitig spürt er eine Leidenschaft, vielleicht auch Wut („passion“). Was es mit den Lehren des Windes („teachings of the wind“) auf sich hat, bleibt unklar – aber denkbar sind Gerüchte, die in der Luft liegen. Auf jeden Fall muss der Sprecher etwas loswerden, doch findet er keine Worte dafür. Und deshalb bittet er um Vermittlung: „Sag du es ihr“, lässt sich der Refrain bei dieser Interpretation umschreiben, „das ist besser, als wenn ich es tun würde.“ Die zweite Strophe führt dann näher aus, was der abwesenden Person oder Instanz mitgeteilt werden soll: „Guess you’ll have to tell her how I tried / To speak up thoughts I’ve held so inside.“ Es folgt wieder eine harmonische Aufwärtsbewegung, und mit den begleitenden Versen steigert sich die Dramatik: „Tell her now I got to go / Out in the streets and down the shore / Tell her the world’s not much living for.“ Dann erneut der Break und die Refrainzeile: „It’s better by you, better than me.“ Wer immer hier spricht, wirkt aufgewühlt, unentschieden, ambivalent. Unterdrückte Gedanken, vielleicht unerfüllte Sehnsüchte können nicht formuliert werden. Die scheinbar einzige Lösung ist fortzugehen und „sie“ zu verlassen. Aus der Zeile „Tell her the world’s not much living for“ könnte man Selbstmordgedanken heraushören. Der folgende auch musikalisch abgehobene Zwischenteil bezieht für einen Moment das Umfeld der sprechenden Person ein und lässt ihren Entschluss ebenso absolut wie unumstößlich erscheinen – schließlich weiß doch die ganze Welt, was Sache ist: „Everybody, everybody knows / Everybody, 187

Songs am Pranger

everybody knows …“ Dem angesprochenen Du wird dabei eine besondere Fähigkeit zugestanden: Es ist die einzige Person oder Instanz, die den Sprecher versteht und seine Gefühle in Worte fassen kann: „Better by you, better than me / You can tell what I want it to be / You can say what I only can see / I’s better by you, better than me.“ In der letzten Strophe hat der gepeinigte Sprecher einen Entschluss gefasst. Er scheint das Leben zwar nicht mehr besonders lebenswert zu finden, will aber kämpfen und töten lernen – die Verlassene soll oder braucht nicht darauf warten, dass man sein Blut an ihrer Fensterbank findet. Ein drastisches Bild. Dem möglichen Selbstmord oder gar einer Aggression gegen die Verlassene wird mit der Ankündigung, sich bis zur emotionalen Unempfindlichkeit abzuhärten und andere in den Tod zu schicken, eine nicht minder schreckliche Alternative entgegengestellt: „Guess I’ll have to change my way of living / Don’t wanna really know the way I feel / Guess I’ll learn to fight and kill / Tell her not to wait until / They’ll find my blood upon her windowsill / It’s better by you better than me.“ Ist der Sprecher ein Soldat, der sich für den Kampfeinsatz, für die Fremdenlegion entschieden hat und nicht weiß, wie er es der Mutter, der Freundin sagen soll? Ein unglücklich Liebender, der seine Gefühle nicht ausdrücken kann und lieber in den Tod geht, als sich zu offenbaren? Oder ein Betrogener, der nicht weiß wohin mit seiner Wut? Ist „her“ eine dem Sprecher nahestehende oder eine als „Gegnerin“ empfundene Person oder Instanz? Ist das Du lediglich ein guter Freund oder gar eine höhere Macht? Letztlich bleibt offen, wer sich hinter den Akteuren verbirgt. Ebenso unklar ist, ob die gewalttätigen Bilder wörtlich zu nehmen oder eben nur als drastische Bilder des Trotzes, der Abgrenzung oder der seelischen Abhärtung gemeint sind, vielleicht als Folge einer frustrierenden, verletzenden Erfahrung. Selbst die Verarbeitung einer Missbrauchserfahrung steht als mögliche Deutung im Raum. Damit bietet der Song genug Anknüpfungspunkte für die persönlichen Projektionen der unterschiedlichsten Publikumsgruppen. 188

Judas Priest, Better By You, Better Than Me

Neben der unheilschwangeren Atmosphäre ist es möglicherweise auch diese inhaltliche Offenheit des Songs, von der sich die gegen Judas Priest klagenden Eltern verunsichert und provoziert, ja regelrecht bedroht fühlen. Mangels Eindeutigkeit eröffnet das Vorgehen gegen eine versteckte unterschwellige Botschaft scheinbar größere Chancen, den Künstlern Einhalt zu gebieten: Schließlich soll diese Botschaft beim Rückwärtsabspielen des Songs tatsächlich zu vernehmen sein. Timothy E. Moore, einer der zur Verhandlung geladenen Experten, beschreibt die teils groteske Beweisführung der Kläger­ anwälte, die ihre pseudowissenschaftlichen Behauptungen und persönlichen Überzeugungen nicht ausreichend untermauern können. Am Ende kann weder die Existenz einer unterschwelligen Botschaft noch ihre absichtliche Platzierung im Song Better By You, Better Than Me zweifelsfrei nachgewiesen werden. Die Künstler selbst behaupten in gespielter Naivität, sie seien nicht einmal in der Lage, das Wort „subliminal“ („unterschwellig“) zu buchstabieren. Und: Vorausgesetzt, sie hätten bewusst eine solche Botschaft platzieren wollen, dann wäre es doch aus ihrer Sicht sinnvoller gewesen, sie hätten ihren Fans die Aufforderung „Kauf unsere Platten!“ und nicht den Befehl „Bring dich um!“ suggeriert. Eins zu null für Judas Priest! Solche augenzwinkernden Einwürfe der Band entbehren nicht einer gewissen Logik, haben aber natürlich vor allem Unterhaltungswert. Nichtsdestotrotz: Selbst bei tatsächlich existierenden „subliminal messages“ ist, wie verschiedene Experten vor Gericht erläutern, eine manipulative Wirkung zweifelsfrei nicht nachzuweisen – weder in Werbespots noch in Filmen noch in Popsongs. Im Falle von Ray Belknap und James Vance fördert das Verfahren vielmehr schwierige familiäre Verhältnisse und eine psychische Labilität zutage, die sich schon lange vor der Tat in Depressionen, ungewöhnlich aggressivem Verhalten und Selbstmorddrohungen geäußert hat. Auch wenn Richter Whitehead unterstreicht, dass weder die verstorbenen Männer noch ihre Familien auf der Angeklagebank säßen, macht er deutlich, dass es unabhängig von der Musik der Rockgruppe Judas Priest 189

Songs am Pranger

genügend andere Faktoren gegeben habe, die die schreckliche Tat aus dem Jahr 1985 erklärten. Der absurde Prozess, der übrigens auch in David Van Taylors sehenswerter Dokumentation Dream Deceivers – The Story Behind James Vance & Judas Priest aus dem Jahr 1992 dokumentiert wird, endet, wie er enden muss: mit einem Freispruch für die Band. Und bestätigt noch einmal, was Johann Wolfgang Goethe schon rund 170 Jahre zuvor erkannt hatte, als er den durch seinen Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ ausgelösten Anstieg der Selbstmordrate in Deutschland kopfschüttelnd kommentierte: dass es jeder Grundlage entbehre zu ­„glauben, man müsse die Poesie in Wirklichkeit verwandeln, einen solchen Roman nachspielen, und sich allenfalls selbst ­erschiessen.“ Was Spooky Tooth und Judas Priest in Better By You, ­Better Than Me singen: Du könntest einen Weg finden, meine Leidenschaft zu lindern / Du hörst das Blut in meinen Adern fließen / Du hörst, was der Wind lehrt / Sag ihr, warum ich tief drinnen am Leben bin / Ich kann keine Worte finden / Meine Seele ist tot / Besser durch dich, besser als durch mich / Ich schätze, du musst ihr sagen, wie ich versucht habe / Gedanken auszusprechen, die ich so tief in mir verschlossen hatte / Sag ihr, dass ich jetzt gehen muss / Raus in die Straßen und runter an den Strand / Sag ihr, die Welt hat nicht viel, für das man leben kann / Besser durch dich, besser als durch mich / Jeder, jeder weiß / Jeder, jeder weiß / Besser durch dich, besser als durch mich / Du bist in der Lage, es so zu sagen, wie ich es haben will / Du kannst in Worte fassen, was nur ich sehe / Besser durch dich, besser als durch mich / Schätze, ich werde meinen Lebensstil ändern müssen / Möchte nicht wirklich wissen, wie ich mich fühle / Schätze, ich werde lernen zu kämpfen und zu töten / Sag ihr, dass sie nicht warten soll, bis / Sie mein Blut an ihrem Fensterbrett finden / Besser durch dich, besser als durch mich. 190

Pulp, Sorted for E’s & Wizz

61 Gar kein übler Stoff: Pulp, Sorted for E’s & Wizz „Ban This Sick Stunt“ – „Verbietet diese kranke Aktion“, so titelte das britische Boulevardblatt „Daily Mirror“ im September 1995. Neben der Riesenschlagzeile in Großbuchstaben abgebildet waren ein Foto von Jarvis Cocker, Songschreiber und Sänger der Band Pulp, sowie das Cover der aktuellen Single von Pulp, Sorted for E’s & Wizz. Der ebenfalls in großen Lettern gehaltene Anlesetext verriet: „Chart stars sell CD with DIY kids’ drugs guide“ – „Hitparadenstars verkaufen CD mit Drogenanleitung zum Selbermachen für Jugendliche.“ Was war geschehen? Pulp hatten auf dem CD-Cover das Foto einer zum Papiertütchen gefalteten Illustriertenseite abgebildet. Im dazugehörigen Booklet waren verschiedene Diagramme zu sehen, die zusammen eine Faltanleitung ergaben. Obwohl diese Faltanleitung keinen expliziten Drogenhinweis enthielt, ergab sich doch ein indirekter Bezug – über den Titel der Single, Sorted for E’s & Wizz. Das heißt übersetzt etwa: „Auf Ecstasy und Speed“. Kleine Papiertütchen, wie sie die Faltanleitung zeigt, werden in Nightlifekreisen gern zur Aufbewahrung von illegalen Drogen verwendet. Die Redakteure des „Daily Mirror“ sahen also in der Singleverpackung eine mehr oder weniger explizite Propagierung des Konsums von verbotenen Drogen. Und nicht nur das: Der Artikel selbst zitierte einen Vater, dessen Sohn angeblich nach Ecstasy-Missbrauch gestorben war, mit wütenden Worten gegen den Song, und außerdem Neil Fox, einen DJ des Senders Capital Radio, der damit drohte, das Stück nicht zu spielen. Das Widersinnige: Der Song ist kein Pro-Drogen-Song, sondern setzt sich eher kritisch mit dem Thema auseinander. Das Geschehen wird aus der Sicht eines Partygängers geschildert, der die Tickets zu einem illegalen nächtlichen Rave von einem ­„fucked up bloke in Camden Town“, also einem kaputten Typen im Londoner Stadtteil Camden Town, bekommen hat. Hier ein paar „Highlights“ seiner ereignisreichen Nacht: „And I don’t 191

Songs am Pranger

quite understand just what this feeling is / But that’s okay ’cos we’re all sorted out for E’s and wizz / (…) / Everybody asks your name / They say we’re all the same and now it’s ‚nice one’, ‚geezer‘ / But that’s as far as the conversation went / (…) / And this hollow feeling grows and grows and grows and grows / And you want to call your mother and say: Mother, I can never come home again / ’cos I seem to have left an important part of my brain somewhere, somewhere in a field in Hampshire.“ Übersetzt heißt das etwa: „Und ich versteh’ nich’ so ganz, was das für ein Gefühl is’ / Aber das is’ okay, weil wir alle auf Ecstasy und Speed sind / (…) / Jeder fragt dich nach deinem Namen / Sie sagen, wir sind alle gleich, und jetzt heißt es ‚Bist ein Netter‘ und ‚Typ‘ / Aber viel weiter ging die Unterhaltung nich’ / (…) / Und dieses dumpfe Gefühl wird stärker und stärker und stärker und stärker / Und du willst deine Mutter anrufen und sagen: Mutter, ich kann nie mehr nach Hause kommen / Weil es wohl so aussieht, dass ich einen wichtigen Teil meines Gehirns irgendwo, irgendwo auf einer Weide in Hampshire verloren habe.“ Entscheidend für die Gesamthaltung des Songs ist das immer wieder eingestreute Fazit: „In the middle of the nite it feels alright / But then tomorrow morning / Oh then you come down“, wobei sich die Musik in Widerspiegelung des Textinhalts jeweils verlangsamt und fast zum Stillstand kommt. „Mitten in der Nacht fühlt es sich gut an / Doch dann, morgen früh, dann kommst du brutal runter.“ Der Song endet ebenso düster wie suggestiv mit der nur noch geraunten ängstlichen Frage: „What if you never come down?“ – „Was, wenn du niemals runterkommst?“ Da erscheint es nachgerade absurd, dass Jarvis Cocker in der Folge mehrmals öffentlich widerrufen musste – unter anderem im Rahmen eines Einseiters im zitierten „Daily Mirror“, komplett mit Abdruck der Songlyrics. Nein, so der Popstar, Sorted for E’s & Wizz propagiere keinesfalls den Drogenkonsum, und die Bastelanleitung sei lediglich ein ironischer Kommentar zur Partykultur. Als wäre das menschliche Ohr mit einem Missverständnisgenerator ausgestattet, den es immer wieder zu überlisten gilt. 192

Erste Allgemeine Verunsicherung, Burli

Natürlich darf man annehmen, dass sich Pulp durch das CoverDesign der CD einen gewissen PR-Effekt erhofft hatten; aber die absurde Kontroverse, die sie mit ihrer Single tatsächlich auslösen würden, hatten die Künstler nicht voraussehen können. Widerwillig akzeptierten sie die Auslieferung weiterer Auflagen der CD mit einer „entschärften“ Verpackung. Cocker selbst sah das als Kompromiss, um ein unvoreingenommenes Songverständnis zu ermöglichen. „I hope the whole hoo-ha about it doesn’t stop people listening to the song properly“, gab er in einem Interview zu Protokoll. „To me, it’s a really inoffensive song.“ – „Ich hoffe, das ganze Bohei um die Sache hält die Leute nicht davon ab, das Stück richtig zu verstehen. Für mich ist es ein wirklich harmloses Lied.“

62 Unerklärliche Mutationen: Erste Allgemeine Verunsicherung, Burli Die Popgeschichte lehrt: Missverständnisse können den Erfolg eines Songs beflügeln, erst recht wenn der Song dadurch kontrovers diskutiert wird. Denn Kontroversen sorgen für Aufmerksamkeit, und Aufmerksamkeit lässt Tonträgerverkaufs- wie Downloadzahlen steigen. Aber die Popgeschichte lehrt auch: Missverständnisse können den Erfolg eines Songs genauso gut behindern. Das ist am bedauerlichsten für die Interpreten – erst recht wenn man vermuten darf, dass das zum Ausdruck gebrachte Missverständnis nur ein Vorwand war, um eine missliebige Aussage zu zensieren. Stichwort Burli, ein Titel der österreichischen Band Erste Allgemeine Verunsicherung. Vor allem in Deutschland blieben dem 1987 erschienenen Song hohe Verkaufserlöse versagt, und zwar weil diverse Radio- und TV-Stationen ihn bewusst nicht spielten, allen voran der „Bayerische Rundfunk“. Begründung: Der Song sei behindertenfeindlich. Auch in Österreich konnte das Stück nicht ganz an andere Erfolge der Ersten Allgemeinen Verunsicherung anknüpfen, unter anderem weil der Radiosender „Ö3“ ebenfalls mit einem Boykott reagierte. 193

Songs am Pranger

Schon klar: Burli, der Titelheld des Songs, weist etliche Missbildungen auf. Und diese werden, getragen von einer karnevalesken Musik einschließlich Schunkelrhythmus und lustiger Synthesizer-Sounds, in verniedlichender Manier aufgelistet. Mehr noch: Es werden ihnen sogar noch ungewöhnliche Vorzüge attestiert. „Burli, Burli, Burli, mein Gott, ist unser Burli siaß“, heißt es beispielsweise in einem der Refrains, „Der Burli hat links und rechts drei Uhrli / An jeder Hand zehn Finger, und Hände hat er vier / Keiner spielt so schnell Klavier.“ Ein anderer Refrain nennt außerdem „zwölf Zech’n auf die Fiaß“, und in den Strophen kommt noch ein „Wasserkopf“ samt „Schwammerl“ dazu, an dem sich prima herumspielen lässt. Besonders sarkastisch wird die Beschreibung, wenn es um die Heirat dieses seltsamen Jungen mit der Nachbarstochter Amalia geht. Die ist zwar ebenso missgebildet wie er, darf aber von einer ganz besonderen Missbildung profitieren, auf die eindeutig zweideutig angespielt wird: „Und mehr noch als die Eltern freut sich die Amalia / Weil ihr Burli der hat zwa (drei ans zwa drei vier …).“ Solche Beschreibungen und Anspielungen auf seltsame Sexpraktiken klingen zwar alles andere als nett – aber kann man hier tatsächlich von Behindertenfeindlichkeit reden? Natürlich nicht. Denn schon die Art von Burlis Behinderungen bewegt sich außerhalb jeder Realität, ist gnadenlos übertrieben. Zudem spiegeln der verniedlichende Ton und das groteske Erkennen von Vorzügen in den Missbildungen nicht etwa eine abschätzige Haltung der Band – sie geben vielmehr die von Verdrängung gekennzeichnete Sichtweise der Menschen in Burlis Umgebung wieder. Die Hebamme stellt fest, „dass der Bua was ganz was B’sondres is“, und die Eltern finden ihn nicht nur „siaß“, sondern wissen auch, wie sie Kapital aus ihm schlagen: „Das Geld wird immer knapper, doch es frohlockt der Papa / Weil er den halben Strom nur zahlt, seit der Bub als Nachttischlamperl strahlt.“ In Burlis Strahlen deuten sich denn auch die Ursachen für seine Missbildungen an. Und es sind diese Ursachen, die der Song eigentlich ins Visier nimmt. Die Familie lebt nämlich in der Nähe eines AKW, das in den Monaten vor Burlis Geburt einen 194

Erste Allgemeine Verunsicherung, Burli

Störfall hatte, wodurch unter anderem die Lebensmittel verstrahlt wurden: „Herr Anton hat ein Häuschen mit einem ­Gartenzwerg / Und davor, da steht ein Kernkraftwerk / Da gab es eines Tages eine kleine Havarie / Die Tomaten waren so groß wie nie, und a der Sellerie.“ Wer es nicht gleich verstanden hat, dem öffnet spätestens die Beschreibung der Nachbarstochter Amalia die Augen: „Auch sie hat einiges zu viel als Andenken von Tschernobyl.“ Damit erweist sich Burli – veröffentlicht ein Jahr nach der Reaktorkatastrophe in der Ukraine – als lupenreiner Antiatomkraftsong. Sein Text beschwört nicht nur die Gefahren der Kernenergie, etwa Störfälle und ihre verheerenden Folgen, herauf, sondern kritisiert auch den verharmlosenden Umgang mit dem Thema. Nicht die Missbildungen von Burli und Amalia werden spöttisch attackiert, sondern die Atomindustrie und die Menschen, die sie kritiklos akzeptieren. So eindeutig und klar in seiner Zielrichtung ist der Song, dass es schwerfällt nachzuvollziehen, wie Kritiker den Kernkraftaspekt komplett ausblenden und sich ausschließlich auf das Thema Behinderung einschießen können. Dennoch möchte man zumindest Behinderten und Behindertenverbänden eine gewisse Besorgnis zugestehen: Immerhin ist man als Mensch ohne Behinderung sicher nicht in der Lage, in deren Gefühlswelt einzutauchen, und hat kein Recht, über ihre Ansichten zu urteilen. Allerdings darf man anderen Kritikern des Songs durchaus eine politische Motivation unterstellen. Was Thomas „Tom“ Spitzer, der den Text zu Burli schrieb, laut Fan-Website „Verunsicherung. de“ seinerzeit wohl auch deutlich zum Ausdruck gebracht hat. Auf der Website heißt es: In einem Brief an den Landesverband der Lebenshilfe Steiermark, welcher sich mit einem besorgten Brief an den Ö3 wandte und offenbar damit die Boykottierung von „Burli“ in Österreich angestoßen hatte, lädt Tom die Mitglieder dieses Verbandes auf das nächste Konzert ein und wagt eine Vermutung über die wahren Gründe des Bayern3-Boykotts: „Sie wissen sicher, daß die verantwortlichen Leute im Bayerischen Rundfunk (BR), die das Verbot ver-

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Songs am Pranger

anlaßt haben, das Parteibuch der Partei in der Tasche haben, die sich für das weitestgehende Vorhaben mit unabsehbaren Konsequenzen der Atomindustrie in Mitteleuropa (WAA Wackersdorf) stark macht. Wir unterstellen Ihrem [gemeint ist der Landesverband der Lebenshilfe Steiermark, Anm. d. Red.] Protest keinesfalls einen ähnlichen Hintergrund […]“

Die Atomkraftkritik ist auch für Alexander Mayer, den Autor der Website, „der wahre Grund des Aufstandes: Das Lied erschien kurz nach dem Tschernobyl-Disaster und man wollte die Öffentlichkeit wohl nicht verunsichern. Die Wahrheit ist scheinbar nicht gut für das Volk …“ Das Missverständnis scheint hier nur vorgeschoben, die Ablehnung des Songs ideologisch motiviert. Die Folge: Zensur.

63 Angeklagt – aber erst Jahre später: Sniper, La France Gut zehn Jahre nach dem Judas-Priest-Prozess machte die französische Hip-Hop-Gruppe Sniper Furore. Ihr 2001 erschienenes Debütalbum Du rire aux larmes, frei übersetzt: „Von Lachen bis Weinen“, brachte es nicht zuletzt wegen des Stücks La France zu einiger Berühmtheit. Darin rappen die Bandmitglieder El Tunisiano, Aketo und Black Renega, allesamt junge Männer mit ­Migrationshintergrund, zu harten Beats aufrüttelnde Zeilen wie die folgenden: On est tous solidaire face à la merde à la galère Sortir la tête de la misère pour que les gens nous considèrent En tant que citoyen, non, en tant que chien La France nous ronge à un point De ne plus avoir confiance an son prochain Législation conçue pour nous descendre Frère derrière les barreaux et maintenant Y penserais que l’on pourrait se rendre 196

Sniper, La France

On est pas dupe en plus on est tous chaud Pour mission exterminer les ministres et les fachos Car de nos jours, ça sert à rien de geuler, de parler à des murs À croire que le seul moyen de s’faire entendre est de brûler des voitures Un putain de système haineux, cramer mais après, tout ça avance pas Et je sais que ça les arrangent si on se bouffe entre nous Soit disante démocratie aux yeux d’un peuple endormi Les droits de l’homme franchement où ils sont passés? Was Sniper in La France rappen: Wir halten alle zusammen angesichts der Scheiße in dieser heiklen Lage / Den Kopf aus der Misere strecken, damit die Leute uns wahrnehmen / Als Bürger, nein, als Hund / Quält uns Frankreich / Bis wir unserem Nächsten nicht mehr trauen / Eine Gesetzgebung, erdacht, um uns klein zu machen / Bruder hinter Gittern und jetzt / Könntest du denken, wir könnten uns ergeben / Wir täuschen uns nicht, außerdem sind wir alle heiß / Auf die Mission, die Minister und Faschos auszurotten / Denn heutzutage bringt es nichts, herumzuschreien, gegen Wände zu reden / Man könnte glauben, das einzige Mittel, um sich Gehör zu verschaffen, sei, Autos anzuzünden / Eine Nutte von einem hasserfüllten System, verbrennen, aber danach geht’s nicht weiter / Und ich weiß, dass es ihnen gut reinläuft, wenn wir uns gegenseitig zerfleischen / Die sogenannte Demokratie in den Augen eines eingeschlafenen Volkes / Wo sind die Menschenrechte eigentlich eingetreten? Das Stück erzählt nicht nur von der Wut junger Migranten über alltägliche Unterdrückung und Schikanen durch die französische Staatsgewalt, es formuliert auch den Drang, es dem „hass­ erfüllten System“ und seiner diskriminierenden Gesetzgebung heimzuzahlen. Weil es nichts mehr bringe, gegen Diskriminierung und Inhaftierung zu argumentieren oder auf die Straße zu gehen, um sich am Ende doch nur „gegenseitig zu zerfleischen“, seien allmählich andere Mittel gefragt – so die angriffslustige 197

Songs am Pranger

Argumentation eines in groben, derben Versen sprechenden kollektiven Wir. Vor allem das Bekenntnis „außerdem sind wir alle heiß / Auf die Mission, die Minister und Faschos auszurotten“ wurde gehört – vom damaligen Innenminister Nicolas Sarkozy. Der zögerte nicht, Sniper 2004 sage und schreibe drei Jahre nach Veröffentlichung des Songs im Anschluss an einen Auftritt in Rouen zu verklagen. Gewaltverherrlichung und Aufruf zum Beamtenmord, so lautete der Vorwurf, fünf Jahre Haft und 45.000 Euro Buße standen im Raum. Aber ist das Wir im Song La France identisch mit den Rappern El Tunisiano, Aketo und Black Renega? Und: Ist ein Text wie „heiß / Auf die Mission, die Minister und Faschos auszurotten“ ein wörtlich zu nehmender Aufruf zum Mord? Im Dezember 2005 sprach das Berufungsgericht Rouen die Rapper in zweiter Instanz frei. Sniper hatten ihr Stück La France als drastische Schilderung sozialer Probleme, als „symbolischen Hilferuf“ gerechtfertigt, und die Richter waren ihrer Argumentation gefolgt. Ein bemerkenswert unaufgeregter Ausgang, denn nur wenige Wochen zuvor hatten schwere Unruhen in Pariser Trabantenstädten die Republik erschüttert und verschiedene weitere französische Politiker rechtliche Schritte gegen angeblich „volksverhetzende“ Hip-Hopper gefordert. Ebenso wie Stained Class von Judas Priest gehört auch Du rire aux larmes von Sniper heute zu den „Klassiker“-Alben – zum Kanon – der Rockund Popgeschichte.

64 Tanz den Faschismusvorwurf: D.A.F., Der Mussolini Ein Sequenzer und ein treibender Beat, wenige harmonische Wechsel, dazu ein paar dräuend hervorgekeuchte Tanzanweisungen – das ist schon alles, was Der Mussolini an Musik zu bieten hat. Aber die Tanzanweisungen, die haben es in sich: „Geh in die Knie und klatsch in die Hände / Beweg deine Hüften und tanz den Mussolini / Tanz den Mussolini / Dreh dich nach rechts 198

D.A.F., Der Mussolini

und klatsch in die Hände und mach den Adolf Hitler / Tanz den Adolf Hitler.“ Als wären diese Zeilen nicht schon Provokation genug, präsentieren sich die Interpreten mit kurz geschorenen Haaren und in dunklen Klamotten, gern mal aus Leder. Klar, dass Der Mussolini und das aus dem Raum Düsseldorf stammende Duo Deutsch-Amerikanische Freundschaft, kurz: D.A.F., zu jenen Songs und Interpreten gehörten, die Anfang der 1980er Jahre Althippies, Normalos und Pädagogen auf die Palme brachten und leidenschaftliche Essays zum Thema „Ist die Neue Deutsche Welle faschistoid?“ inspirierten. Hitler und Mussolini: Schon bei der Nennung dieser Diktatoren zuckten viele Menschen zusammen, und dass sie auch noch mit Musik und Tanz in Verbindung gebracht wurden, ging manchem dann doch zu weit. Dabei braucht man nur ein paar Verse weiterzuhören, um festzustellen, dass Der Mussolini nicht als Ode an den Faschismus gedeutet werden kann. Denn fast im selben Atemzug heißt es auch: „Tanz den Jesus Christus“ und „Tanz den Kommunismus“. Damit werden nicht nur gegensätzliche Ideologien nebeneinandergestellt, es werden auch Parallelen dieser Ideologien zur Religion angedeutet. Bei allen handelt es sich um Massenbewegungen, die den Menschen Beine machen, so könnte man inter­ pretieren. Wobei die Parallelschaltung von Christentum und Faschismus eine weitere Provokation beinhaltet, die seinerzeit von empörten Christen nicht unkommentiert blieb. Dass der Song überhaupt eine Aussage oder gar Botschaft hat, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Sicher festhalten aber lässt sich, dass er bewusst provoziert, und das fast schon umfassend, in alle Richtungen. D.A.F. kommen aus dem linken politischen Spektrum, konkret aus der Punkbewegung und der Düsseldorfer Avantgardeszene. Der knappe Befehlston von Sänger Gabi Delgado und der an Peitschenhiebe gemahnende Schlagzeugsound könnten eine Kritik an autoritären Strukturen beinhalten sowie an den Menschen, die bereitwillig folgen. Das Ganze hätte dann mit Blick auf die Popkultur natürlich einen doppelten Boden. Denn D.A.F. adressieren ja ihr Publikum mit demselben diktatorischen Befehlston. Auch Popmusik würde so als Massenmani199

Songs am Pranger

pulation und Tyrannei entlarvt. Weshalb selbst mancher junge Popfan seinerzeit irritiert gewesen sein dürfte. Nicht umsonst schreibt Martin Rehfeldt 2012 auf dem Portal „Deutsche Lieder“: Will man Aussagen über die mögliche Wirkung des Lieds treffen, sollte man sich also vorstellen, wie es in einer Diskothek gespielt wird und wie die Rezipienten auf der Tanzfläche darauf reagieren. Wird jemand in dieser Situation, vielleicht sogar zum ersten Mal, mit dem Lied konfrontiert, so besteht keine Möglichkeit der Nicht-Reaktion: Verlässt er die Tanzfläche oder tanzt demonstrativ nicht, so dürfte sein Verhalten von außen nicht als souveränes Nicht-auf-die-Provokation-Hereinfallen, sondern eher als empörte Reaktion interpretiert werden. Tanzt er aber weiter, so muss er sich entscheiden, wie er denn den Mussolini, den Adolf Hitler, den Kommunismus und den Jesus Christus darstellen will: … Jedenfalls muss er sich zum Lied verhalten …

Der Mussolini erweist sich also bei genauerem Hinhören als gar nicht so simpel konstruiert, wie es im ersten Moment scheint. Und mit der irritierenden, ja ebenfalls provokanten Verbindung von Punkhaltung und elektronischem Sound schuf der Song damals musikalisch eine echte Innovation, wegweisend für Electronic Body Music, Synthie-Pop und Electro. Ein wirkliches Sympathisieren mit faschistischem Gedankengut wäre sicher wesentlich einfacher, eindeutiger und konventioneller, schlichtweg dumpfer formuliert worden.

65 Ironie? Welche Ironie?! Randy Newman, Short People Noch ein Beispiel für das Überhören auch der deutlichsten Textsignale, diesmal frei nach dem Motto: Wer kürzer schließt, liegt auch daneben. Short People erschien 1977 auf dem Album Little Criminals und kommt musikalisch eingängig-gemütlich daher. Allerdings setzen die Lyrics in den Strophen einen giftigen Kon200

Randy Newman, Short People

trapunkt, indem sie kleinwüchsige Menschen beschreiben – und zwar aus dem diskriminierenden Blickwinkel eines scheinbar „normalen“ Passanten: „Short people got no reason to live“, lautet der dumpfe und zutiefst menschenverachtende Einstieg, auf den alle möglichen Beschimpfungen folgen: „They got little hands / And little eyes / And they walk around / Tellin’ great big lies / They got little noses / And tiny little teeth / They wear platform shoes / On their nasty little feet.“ Wer kleinwüchsige Menschen durch eine solche Vorurteilsbrille betrachtet, kann natürlich nur zu einem Schluss kommen: „Well, I don’t want no short people / Don’t want no short people / Don’t want no short people / Round here.“ Dieses Credo wird verpackt in einen zwingenden Refrain, der geradezu auffordert zum Mitgrölen. Wer dem Impuls unbefangen nachgibt und vorher nicht genau hingehört hat, wird indirekt zu einem Teil der anonymen Masse, die andersartige Menschen bis hin zur Vertreibung und Verteufelung ausgrenzt. Die zweite Strophe wartet mit weiteren Vorurteilen und Anschuldigungen auf, im Refrain wiederholt sich die als Ablehnung formulierte Aufforderung, dass kleinwüchsige Menschen „von hier“ verschwinden mögen. Fast möchte man meinen, die Drohungen gegen Autor und Interpret Randy Newman, die Beleidigungsklagen von Behindertenorganisationen und das versuchte gerichtliche Verbot des Songs im amerikanischen Bundesstaat Maryland seien absolut gerechtfertigt. Doch zwei Gründe sprechen dagegen. Einer davon liegt außerhalb des Songs: nämlich im Gesamtwerk und im Image Randy Newmans, der als kritischer intellektueller Songwriter mit einer alles andere als menschenverachtenden Einstellung gilt. Der andere, mindestens ebenso gravierende Grund findet sich im gerne überhörten Mittelteil des Stücks. Dieser verlässt die diskriminierende Perspektive und lässt einen sanften Chor die völlig entgegengesetzte Haltung formulieren: Kleinwüchsige Menschen sind wie alle anderen Menschen auch, wie du und ich, und alle Menschen sind Brüder – „Short people are just the same / As you and I / (A fool such as I) / All men are brothers / Until the day they die / (It’s a wonderful world).“ 201

Songs am Pranger

Die in Klammern wiedergegebenen Verse sind Einwürfe des Sprechers – der Chor bringt so etwas wie dessen schlechtes Gewissen ins Spiel. Oder vielleicht auch nur die bittere Erkenntnis, dass so etwas wie Einsicht in das eigene Fehlverhalten Illusion bleiben muss. Und hier liegt auch das inhaltliche Zentrum des Songs. Glaubt man dem Autor im The Free Lance-Star auf der Website „www.fredericksburg.com“, hatte Randy Newman irgendwann die Nase voll von dem Ärger um seinen ironisch-­ zynischen Beitrag zum Thema Vorurteile, den man in einem weiteren Sinne auch als Kritik an Rassismus, Sexismus, Anti­ semitismus und allen anderen menschenverachtenden Haltungen auffassen kann. Und folgt man dem Internetlexikon „Wikipedia“, dann hat Newman selbst eine weitere Interpretationsmöglichkeit ins Spiel gebracht: „Short people“ könne nicht nur für „kleine“, „kurze“, sondern auch für „short-sighted people“, also für im übertragenen Sinne „kurzsichtige“ Menschen stehen. Die Ich-Perspektive wäre dann die Perspektive eines Passanten, der sich über die vorurteilsbeladenen Menschen in seiner Umgebung aufregt. Die kleinen Hände und Augen wären symbolischer Ausdruck der Kleingeistigkeit dieser gern im großen Stil lügenden Menschen, die obendrein erhöhte Schuhe tragen müssen, um sich mächtiger und wichtiger zu fühlen. Es ist vielleicht eine etwas arg bemühte Sinngebung, die der Autor ins Spiel gebracht hat, um von Fehlinterpretationen abzulenken. Aber ganz von der Hand zu weisen ist sie nicht. Der versöhnlich anmutende Mittelteil wäre dann das nachdenk­ liche Eingeständnis, dass man bei aller Ablehnung von Intoleranz und Diskriminierung selbst nicht frei von Vorurteilen ist. Ganz nach dem Motto: Haben wir nicht alle irgendwo einen blinden Fleck, sind wir nicht alle mal intolerant und kurzsichtig – und sei es gegenüber intoleranten, kurzsichtigen Menschen? Das wäre dann fast schon ein Paradox – eine Wendung, die zu Randy Newman passen würde. Kaum zu glauben: Trotz zahlreicher Missverständnisse und Interpretationsschwierigkeiten bescherte Short People dem Singer-Songwriter den größten Hit seiner Karriere. 202

Randy Newman, Short People

Was Randy Newman in Short People singt: Kleinwüchsige Menschen haben keinen Grund zu leben / Sie haben kleine Hände / Und kleine Augen / Und sie laufen rum / Und erzählen riesig große Lügen / Sie haben kleine Nasen / Und niedliche kleine Zähne / Sie tragen Plateauschuhe / An ihren hässlichen kleinen Füßen / Also, ich will keine kleinwüchsigen Menschen / Will keine kleinwüchsigen Menschen / Will keine kleinwüchsigen Menschen / Hier in der Gegend / (…) // Kleinwüchsige Menschen sind einfach genauso / Wie du und ich / (Ein Dummkopf wie ich) / Alle Menschen sind Brüder / Bis zu dem Tag, an dem ich sterbe / (Die Welt ist wunderschön).

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Einer geht noch: Quentin Tarantino und die große Kunst des Songmissverstehens 66 Schlechtes Zuhören gefährdet die Gesundheit: Madonna, Like A Virgin Wäre das Leben ein Quentin-Tarantino-Film, dann wäre manches anders, erst recht was den Umgang mit Musik betrifft. Dann würden wir nämlich regelmäßig am Frühstückstisch oder in der Kneipe sitzen und intensiv über Songs diskutieren, was im wirklichen Leben ja kaum jemand tut. Tarantinos Film Reservoir Dogs zum Beispiel zeigt gleich am Anfang eine Runde von Männern in den besten Jahren, die sich angeregt darüber unterhalten, worum es wohl in den Madonna-Songs True Blue und Like A Virgin gehen könnte. Okay, es sind Gangster, genauer gesagt Juwelenräuber, die da auf ihre eigentümliche Weise herumphilosophieren, aber es bleibt doch bemerkenswert, dass sich gestandene Herren in einigermaßen schicken Anzügen die Zeit für einen intensiven Schnack über Songinhalte nehmen, bevor sie ihrem Tagesgeschäft nachgehen. Tarantino fällt in unserer Liste deutlich aus dem Rahmen und bestätigt als Ausnahme doch die Regel. Denn die Songmisshandlung ist bei ihm kein Versehen und auch keine böswillige Vereinnahmung, sondern bewusst, ja lustvoll inszeniert. Und: Sie hat eine augenzwinkernde pädagogische Botschaft. Ihren Kern könnte man etwa so formulieren: Schlechtes Zu­ hören gefährdet die Gesundheit. Der wunderschöne Gag, dass hartgesottene Kriminelle am Kaffeetisch über die seichten 204

Madonna, Like A Virgin

Disco­hits eines weiblichen Superstars philosophieren, entwickelt im Lauf des Films beeindruckende Facetten. Auffällig ist zunächst, dass die betreffenden Songs nicht gespielt werden. Stattdessen wird über sie spekuliert. Das heißt, die Songs, was sie ausdrücken und was sie bedeuten könnten – das alles findet sich lediglich in den Köpfen der Männer, die gleich einen Raubüberfall begehen werden. Gerade deshalb sollte man sich die Mühe machen und vor allem in den ausführlicher erörterten Madonna-Hit Like A Virgin hineinhören. Schnell wird deutlich: In dem Song geht es zentral um das Gefühl, frisch verliebt zu sein. Würde das Song-Ich, offenbar eine junge Frau, mit ihrem Freund in einem Café sitzen, dann würde sie ihn etwa folgendermaßen über ihren Gefühls­ zustand aufklären: „Du, mir geht’s auf einmal richtig, richtig gut! Lange Zeit hab ich mich irgendwie nur durch all den Schlamassel gekämpft – ich hab ja gar nicht gewusst, wie orientierungslos ich war. Es stimmt schon, man hat mich immer wieder ausgenutzt, und am Ende war ich einfach nur traurig und verzweifelt. Aber wow, dann hab ich dich gefunden! Und seit ich mit dir zusammen bin, fühl ich mich einfach strahlend, wie neu, wie … lach jetzt bitte nicht, aber wie eine Jungfrau beim allerersten Mal. Und eins versprech ich dir: Ich werd dir meine ganze Liebe geben, ich hab immer weniger Angst vor dieser Beziehung. Echt komisch, aber es kommt mir vor, als hätte ich all meine Liebe für dich aufgehoben, denn nur die Liebe kann ewig dauern. Du bist echt toll, und jetzt gehörst du mir, ich kann’s immer noch nicht fassen. Komm, mach mich stark, lass mich übermütig werden. Durch dich bin ich aufgetaut. Ich werd dir immer gehören, denn mit dir fühl ich mich wie eine Jungfrau beim allerersten Mal.“ Und so weiter und so fort … Hören wir nun, was die mit Tarnnamen versehenen Gangster aus Reservoir Dogs über Like A Virgin zu sagen haben, wobei wir selbstverständlich davon ausgehen, dass die Leser dieses Buchs über 18 sind: Mr. Brown: What the fuck was I talking about?

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Einer geht noch: Tarantino und die Kunst des Songmissverstehens

Mr. Orange: You said True Blue was about a guy, you said it’s a girl who meets a nice guy. But Like a Virgin was a metaphor for big dicks. Mr. Brown: Ok, let me tell ya what Like a Virgin’s about. It’s all about this cooze who’s a regular fuck machine. I’m talking morning, day, night, afternoon: dick, dick, dick, dick, dick, dick, dick, dick, dick. Mr. Blue: How many dicks is that? Mr. White: A lot. Mr. Brown: Then one day she meets a John Holmes motherfucker, and it’s like, whoa baby. I mean, this cat is like Charles Bronson in The Great Escape. He’s diggin’ tunnels. Now she’s gettin this serious dick action, she’s feelin’ something she ain’t felt since forever. Pain. Pain. (…) It hurts. It hurts her. It shouldn’t hurt. You know, her pussy should be BubbleYum by now. But when this cat fucks her, it hurts. It hurts like it did the first time. You see the pain is reminding a fuck machine what it was once like to be a virgin. Hence, Like a Virgin. Die heiße Phase des Madonna-Dialogs aus Reservoir Dogs: Mr. Brown: Scheiße, Mann, worüber habe ich gerade geredet? Mr. Orange: Du hast gesagt, in True Blue ginge es um einen Kerl, also du hast gesagt, da ist diese junge Frau, und sie trifft einen netten Kerl. Aber Like A Virgin wär ’ne Metapher für große Schwänze. Mr. Brown: Ok, ich sag euch, worum’s in Like A Virgin geht. Es geht einzig und allein um diese Muschi, sie ist eine regelrechte Fickmaschine. Ich sag’s euch: Morgens, tagsüber, nachts, am Nachmittag – Schwanz, Schwanz, Schwanz, Schwanz, Schwanz, Schwanz, Schwanz, Schwanz, Schwanz. Mr. Blue: Macht wie viele Schwänze? Mr. White: ’Ne ganze Menge. Mr. Brown: Und dann, eines Tages, trifft sie einen John-Holmes-mäßigen Wichser, und bei ihr sagt alles: Wow, Baby. Also: Dieser

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Madonna, Like A Virgin

Klassetyp ist wie Charles Bronson in Gesprengte Ketten. Er gräbt richtige Tunnel. Und auf einmal, da ihr diese verschärfte Schwanz-Action passiert, spürt sie etwas, das sie schon ewig nicht mehr gespürt hat: Schmerz. Schmerz. (…) Es tut weh. Es tut ihr weh. Und eigentlich sollte es ihr nicht wehtun. Denn ihre Pussy müsste ja längst weich wie Kaugummi sein. Aber wenn dieser scharfe Kerl sie vögelt, tut es weh. Es tut weh wie beim ersten Mal. Das heißt nichts anderes als: Der Schmerz erinnert eine Fickmaschine daran, wie es einmal war, als sie noch Jungfrau war. Deshalb Like A Virgin – Wie eine Jungfrau.

Was Mr. Brown, übrigens gespielt von Regisseur Quentin Tarantino selbst, hier von sich gibt, ist im Ansatz Songverstehen – allerdings gepaart mit einem Höchstmaß an übler Projektion. Wahrscheinlich aus dem Songvers „I’ve been had“ hört er heraus, dass die Sprecherin viele, viele Männer „hatte“ und sexuell mehr als erfahren ist. Das ist mit Einschränkungen noch nachzuvollziehen. Seine letzten Schlussfolgerungen aber sind vor allem eines: völlig testosterongesteuert, befeuert durch frauenfeindliche Macho- und Pornofantasien. In Mr. Browns eingeengter Weltsicht ist der Verlust der Unschuld für eine Frau untrennbar mit großem Schmerz verbunden – sind Frauen ausschließlich zarte, gebeutelte, aber sexgeile Prinzessinnen, die von starken, potenten Prinzen befreit werden. Madonnas Song sagt rein gar nichts über den neuen Geliebten aus, doch für Mr. Brown ist klar: Es kann sich nur um einen „echten Kerl“ handeln. Einen Kerl etwa wie den grimmigen Hollywoodstar Charles Bronson, bekannt aus dem Italowestern Spiel mir das Lied vom Tod und kontroversen Action­filmen wie Ein Mann sieht Rot. Oder einen Kerl wie John Holmes – jenen bekannten Porno­ darsteller, der mit 14.000 Frauen geschlafen haben will und dessen tragische Lebensgeschichte in die Handlung des Kinofilms Boogie Nights eingeflossen sein soll. Und natürlich kann der Befreiungsakt für Mr. Brown nur über Sex, Sex, Sex laufen, respektive über „Schwänze, Schwänze, Schwänze“. 207

Einer geht noch: Tarantino und die Kunst des Songmissverstehens

Madonnas Like A Virgin als Song über den Schmerz, den eine sexuell erfahrene, verliebte Frau im Bett mit einem äußerst ausdauernden starken Mann empfindet und der sie an den Schmerz beim Verlust ihrer Unschuld erinnert – in dieser Deutung Mr. Browns mischen sich auf höchst unappetitliche Weise Gewaltund Dominanzfantasien mit krude-romantischen Vorstellungen von der großen Liebe. Natürlich: Songverstehen heißt immer auch, mal dem Autor zu misstrauen und der eigenen Intuition zu folgen. Man darf aber mit Fug und Recht behaupten, dass Mr. Brown sich hier längst nicht mehr im grünen Bereich der spekulierenden Interpretation bewegt, sondern bereits deutlich in die Sphäre der Übertragung seiner abgründigen Fantasien auf ein eher harmloses Stück Musik abgedriftet ist. Genau darin aber erweist sich Quentin Tarantino als meisterhafter Songversteher und Regisseur. Zum einen macht er deutlich, wo die Grenzen zwischen Interpretation und Projektion liegen, zum anderen weist er den Ausführungen Mr. Browns eine dramaturgische Funktion zu. Denn es steht außer Frage: Mr. Browns Ansichten zu Like A Virgin sind eine brachiale Fehlinterpretation. Und schaut man sich den weiteren Handlungsverlauf an, dann entpuppt sich diese Fehlinterpretation als Exposé für den gesamten Film: Denn die Gangster, die anfangs noch so einträchtig zusammensitzen, schätzen nicht nur das Lied falsch ein, sondern auch ihre jeweiligen Mitstreiter, den gesamten Coup. Den Schmerz, den sie dem Song fälschlicherweise als Thema unterstellen, werden sie später selbst empfinden – im übertragenen Sinn wird sich jeder Einzelne von ihnen „Like A Virgin“, wie ein blutiger Anfänger fühlen. Im Eifer des Gefechts und durch gegenseitiges Misstrauen werden Menschen nicht nur Körperteile verlieren, sondern sogar sterben – und das alles, weil die entscheidenden „Player“ nicht richtig hingehört haben. Dass ausgerechnet das Absäbeln eines Ohrs im Mittelpunkt einer der Schlüsselszenen steht, ist vielleicht kein Zufall.

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Literatur/Quellen Lyrics werden zitiert nach Hörprotokollen des Autors in Abgleich mit Band-Websites und gängigen Lyrics-Portalen. Alle im Folgenden genannten Internet-Links zuletzt abgerufen am 11. September 2016.

Vorwort   – Anonymus. „Franz Schubert. Winterreise, D 911, op. 89.“ Kammermusikführer, Villa Musica Rheinland-Pfalz, zitiert nach: http://www.kammermusikfuehrer.de/werke/1639   – Berger, Annelis. „Jubel- oder Todesmarsch? Die 5. Sinfonie von Schostakowitsch.“ – „SRF Online“, 18. Februar 2014, zitiert nach: http://www.srf.ch/kultur/musik/jubel-oder-todesmarsch-die5-sinfonie-von-schostakowitsch   – Bosse, André. „Wolfgang Niedecken: ‚Ich bin ein Hirschgeweih.‘– „GALORE“, Februar 2016“, S. 18.   – Hornby, Nick. Juliet, Naked. New York, 2009.  – Touber, Anton. „Heinrich von Veldekes Natureingang, Motivik und Frankreich“, in: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik, Band 68, hg. Erika Langbroek, Arend Quak, Annelies Roelefeld. Editions Rodopi B.V., Amsterdam – New York, NY 2011, S. 95.  – https://de.wikipedia.org/wiki/7._Sinfonie_%28Beethoven%29# Vierter_Satz – „Wikipedia“ über Ludwig van Beethovens 7. Sinfonie.

  1 Bruce Spring­steen, Born in the U.S.A. (Bruce Spring­steen)   – Dolan, Marc. „How Ronald Reagan Changed Bruce Spring­steen’s Politics.“ – „Politico Magazine“, June 4, 2014, zitiert nach: http:// www.politico.com/magazine/story/2014/06/bruce-Spring­steenronald-reagan-107448.html#.VcubsEU3A7A

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Literatur/Quellen

  2 Wir sind Helden, Helene Fischer und De Höhner gegen die NPD   – Stark, Katharina. „De Höhner verklagen die NPD.“ – „Musik-Express Online“, 8. September 2014, zitiert nach: http://www.musikexpress.de/de-hoehner-verklagen-die-npd-151144/

  3 Peter Fox, Haus am See (Vincent von Schlippenbach, David Conen, Pierre Baigorry, Ruth Maria Renner)   – „,Die Absturz-Panik der Generation Biedermeier’: rheingold-Jugendstudie 2010“, Pressemitteilung rheingold Institut für qualitative Markt- und Medienanalysen. Köln, 09.09.2010, S. 2.

  4 The Rolling Stones, Angie (Keith Richards, Mick Jagger)   – Strohmaier, Brenda. „Wieviel Dekolleté darf eine Kanzlerin zeigen?“ – „DIE WELT Online“, 14.04.08, zitiert nach: http://www. welt.de/jahresrueckblick-2008/april/article1899926/Wieviel-Dekollete-darf-eine-Kanzlerin-zeigen.html   – „Medienecho: Merkel punktet mit tiefen Einblicken.“ – „FOCUS Online“, 14.04.2008, zitiert nach: http://www.focus.de/panorama/ welt/medienecho-merkel-punktet-mit-tiefen-einblicken_aid_ 295029.html

  5 Die Toten Hosen, Tage wie diese (Musik: Andreas von Holst, Text: Andreas Frege alias Campino, Birgit Minichmayr)  – Oehmke, Philipp. Die Toten Hosen: Am Anfang war der Lärm. Reinbek bei Hamburg, 2014. Dazu die Meldung „Angela Merkel entschuldigte sich bei Tote-Hosen-Sänger Campino“, „SPIEGEL Online“, 16.11.2014.

  6 Woody Guthrie, This Land Is Your Land (Woody Guthrie)   – Das „Songlexikon“ der Universität Freiburg über Woody Guthries This Land Is Your Land: http://www.songlexikon.de/songlexikon/ songs/thislandis  – „Wikipedia“ über Woody Guthries This Land Is Your Land: https://en.wikipedia.org/wiki/This_Land_Is_Your_Land

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Literatur/Quellen

 7 Aerosmith, Dream On (Steven Tyler)  – Anonymus. „Der Milliardär mit der großen Klappe: Donald Trumps beste Sprüche.“ – „Handelsblatt Online“, 15.10.2015, zitiert nach: http://www.handelsblatt.com/finanzen/immobilien/ donald-trumps-beste-sprueche-der-milliardaer-mit-der-grossenklappe/10680242.html   – Zaru, Deena, Noah Gray. „Trump to Steven Tyler: ‚I found a better song than Dream On.‘“ – „CNN Online“, October 15, 2015, zitiert nach: http://edition.cnn.com/2015/10/12/politics/donald-trumpsteven-tyler-dream-on/

  8 Udo Jürgens, Griechischer Wein (Musik: Udo Jürgens, Text: Michael Kunze)   – Mendívil, Julio. Ein Stück musikalische Heimat: Ethnologische Beobachtungen zum deutschen Schlager. Bielefeld, 2008, S. 16, S. 331.   – Schleider, Tim. „Der Liedsänger mit Haltung: Udo Jürgens feiert 80. Geburtstag.“ „Stuttgarter-Zeitung.de“, 30. September 2014, zitiert nach: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.udo-juergensfeiert-80-geburtstag-der-liedersaenger-mit-haltung.6260ae9d332c-4b42-bd45-0b771c493809.html   – The Bikini Allstars. Die 50 größten Urlaubs-Schlager aller Zeiten. CHV Music Factory, 9. Dezember 2013: Song-Compilation mit Griechischer Wein u. a.  – „http://www.party-megahits.de/sauflieder/“ – Liste mit angeblichen Trinkliedern, unter anderem Griechischer Wein.

  9 Timbuk 3, The Future’s So Bright, I Gotta Wear Shades (Pat MacDonald)   – Koether, Jutta. „Timbuk 3: Weit weg, wo’s lustig und dröge ist“, in: „SPEX: Musik zur Zeit“, 3 (1987), S. 26.

10 The Boomtown Rats, I Don’t Like Mondays (Bob Geldof)   – Geldof, Bob. So war’s: Kindheit und Jugend in Dublin. Die Boomtown Rats. Band Aid und Live Aid. Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Köln, 1987, S. 181–182.   – Stürmer, Ariane/Benjamin Maack. „Hits und ihre Hintergründe: Menschelndes zum Mitgrölen.“ „SPIEGEL Online“, 22.10.2008,

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Literatur/Quellen

zitiert nach: http://www.spiegel.de/einestages/hits-und-ihre-hintergruende-a-947968.html

11 The Turtles, Happy Together (Musik: Alan Gordon, Gary Bonner, Text: Alan Gordon)   – Website der Band Family Affairs mit dem „Hochzeitsrepertoire 2015“: http://www.family-affairs-band.de/media/downloads/repertoire/Hochzeit-2015.pdf

12 Creedence Clearwater Revival, Bad Moon Rising / Run Through the Jungle / Have You Ever Seen the Rain (Alle drei: John Fogerty)  – „Songfacts.com“ zu den CCR-Songs Bad Moon Rising, Run Through the Jungle und Have You Ever Seen the Rain.

13 R.E.M., The One I Love (R.E.M. – Michael Stipe, Mike Mills, Bill Berry, Peter Buck)   – „Songfacts.com“ über The One I Love von R.E.M.: http://www. songfacts.com/detail.php?id=1254

14 The Police, Every Breath You Take (Gordon Sumner alias Sting)  – „Songfacts.com“ über Every Breath You Take von The Police: http://www.songfacts.com/detail.php?id=548

15 Adele, Someone Like You (Musik: Dan Wilson, Text: Adele, Dan Wilson)  – „Wikipedia“ über Someone Like You: https://de.wikipedia.org/ wiki/Someone_Like_You  – Moffat, Aidan. „Aidan Moffat Takes a Closer Look at Adele’s Someone Like You.“ TheQuietus.com, 20.6.2011, zitiert nach: http://thequietus.com/articles/06446-adele-someone-like-you-­ review   – Toito, Susanne. „Poor Me, Some Thoughts on Adele’s Someone Like You.“ Blog „Big Brown Fox“, Eintrag vom 30.11.2011, zitiert nach: http://quick-brown-fox-canada.blogspot.de/2011/11/poorme-some-thoughts-on-adeles-someone.html

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Literatur/Quellen

16 Falco, Jeanny (Musik: Rob & Ferdi Bolland, Text: Rob & Ferdi Bolland, Falco)   – Pätzold, Mark. „Skandalsong. Falco, Jeanny und der Wahnsinn.“ „SPIEGEL Online“, 26.03.2008, zitiert nach: http://www.spiegel. de/einestages/skandal-song-a-946777.html   – „Wikipedia“ über Jeanny: https://de.wikipedia.org/wiki/Jeanny

17 Fettes Brot, Ich lass dich nicht los (Fettes Brot – Martin Vandreier alias Doc Renz, Boris Lauterbach alias König Boris, Björn Warns alias Björn Beton)   – Lange, Tino. „Intelligente Reimtruppe: Fettes Brot / Sturm und Drang“, in: „SPIEGEL Online“, 10. Dezember 2007, zitiert nach: http://www.spiegel.de/spiegel/unispiegel/d-56563583.html

18 Madonna, Borderline (Reggie Lucas)   – Cepielik, Barbara A. „Promi-Psychiater seziert die Stars.“ Interview mit Professor Borwin Bandelow, „Kölner Stadtanzeiger“, 08.07.2008, zitiert nach: http://www.ksta.de/panorama/sommerinterview-promi-psychiater-seziert-die-stars,15189504,13158432. html  – Petsos, Grigorius. „Borderline-Syndrom“ „Freenet.de“, 1.9.2009, zitiert nach: http://www.freenet.de/nachrichten/wissenschaft/ borderlinesyndrom_730992_4702462.html   – Roth, Wolf-Dieter. „,Ich hasse Dich – verlass mich nicht’: Leben auf der Grenze“. „Telepolis“, 28.4.2005, zitiert nach: http://www. heise.de/tp/artikel/19/19977/1.html

19 Udo Jürgens, Mein Bruder ist ein Maler (Musik: Udo Jürgens, Text: Wolfgang Hofer, Udo Jürgens)   – Anonymus. „Manfred Bockelmann als ‚Sammler der Augenblicke‘“. Ankündigung einer TV-Sendung über den Bruder von Udo Jürgens auf „ORF2“, 30.9.2011, zitiert nach: http://wien.orf.at/ news/stories/2503767/   – Jardine, Anja. „Udo war ein hässliches Entlein“. Gesprächsprotokolle der Gebrüder Bockelmann. „NZZ Folio“, Dezember 2008, zitiert nach: http://folio.nzz.ch/2008/dezember/udo-war-ein-hassliches-entlein

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Literatur/Quellen

20 Amy Winehouse, Rehab (Amy Winehouse)  – Heidmann, Patrick. „‚Wir alle haben Amys Schicksal mit verfolgt – und damit befeuert’: Interview mit Asif Kapadia.“ „epd film“, 7/2015, S. 51.  – Scheytt, Jochen. „Rehab. Popsongs und ihre Hintergründe“, 2008, zitiert nach: http://www.jochenscheytt.de/popsongs/rehab.html

21 Rihanna, Unapologetic   – Borcholte, Andreas. „Rihanna: Unapologetic“. Reihe „Abgehört: Die wichtigsten CDs der Woche“, „SPIEGEL Online“, 20.11.2012, zitiert nach: http://www.spiegel.de/kultur/musik/alben-der-woche-rihanna-king-dude-prince-rama-und-a-c-newman-a-868194. html   – Metzger, Sabine. „Rihanna – Unapologetic “, 19. November, 2012, zitiert nach: http://www.magistrix.de/lyrics/Rihanna/alben/547652unapologetic

22 Robin Thicke, Paula   – Kemper, Anna. „Gesellschaftskritik: Ich leide, also bin ich.“ „ZEIT Magazin“, 1.7.2014, zitiert nach: http://www.zeit.de/zeit-magazin/ leben/2014-07/robin-thicke-liebeskummer-gesellschaftskritik

23 Carly Simon, You’re So Vain (Carly Simon)   – Anonymus. „Carly Simon lüftet Geheimnis ihres Hits You’re So Vain.“ „FOCUS Online“, 19.11.2015, zitiert nach: http://www. focus.de/kultur/musik/musik-carly-simon-lueftet-geheimnis-­ ihres-hits-youre-so-vain_id_5094528.html   – „www.carlysimon.com“ – Website von Carly Simon

24 Songs, die während des zweiten Golfkriegs nicht im Radio gespielt wurden   – Das britische Internetportal „Rocklistmusic“ mit einer Liste von Songs, die von der BBC während des Golfkriegs nicht gespielt wurden: http://www.rocklistmusic.co.uk/banned.html

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Literatur/Quellen

25 Die Universal-Music-Compilation Songs of Change  – http://www.universalmusic.at/compilation/product/7010899/ Various+Artists-Songs+Of+Change+-+die+Audio-Doku+zum+ Mauerfall. Die Rubrik „Produktdetails“ zur Compilation ist nicht mehr abrufbar.

26 Verhörer & Co  – Dahl, Melissa. „Why You Keep Mishearing That Taylor Swift Lyric“. “New York Magazine Online“, November 24, 2014, zitiert nach:  – http://nymag.com/scienceofus/2014/11/why-you-keep-mishearing-that-taylor-swift-lyric.html   – „http://www.kissthisguy.com/“ – Portal zu falsch gehörten Lyrics   – Konnikova, Maria. „Excuse Me While I Kiss This Guy“. „The New Yorker Online“, December 10, 2014. Zitiert nach: http://www. newyorker.com/science/maria-konnikova/science-misheard-lyrics-mondegreens  – http://www.listraforum.de/smf/index.php?topic=1920.40;wap2 – zum Verhörer in Nenas 99 Luftballons.

27 Crash Test Dummies, Mmm Mmm Mmm Mmm (Brad Roberts)  – http://songmeanings.com/songs/view/9197/ – Auf dem Portal „Songmeanings.com“ werden die Lyrics zu Songs wiedergegeben und im Anschluss von Usern weitestgehend ernsthaft und mit dem Willen zur Bedeutungsfindung kommentiert. Die Kommentare zum Crash-Test-Dummies-Hit weisen eine erstaunliche Tiefe und Bandbreite an möglichen Interpretationen auf.

28 EMF, Unbelievable (EMF – James Atkin, Ian Dench, Zachary Foley, Mark Decloedt, Derry Brownson)   – Liste von Indie-Songs, die in Werbespots benutzt wurden: http:// www.indiepedia.de/index.php?title=Indie_in_der_Werbung

29 Ween, Gabrielle (Dean Ween, Gene Ween)   – Das Portal „Musik aus der Werbung“ zur Verwendung des WeenSongs Gabrielle: http://musik-aus-der-werbung.de/skoda-werbungsong-2014/

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Literatur/Quellen

30 Frida Gold, Wovon sollen wir träumen? (Musik: Julian Cassel, Alina Süggeler, Andreas Weizel, Text: Axel Bosse, Alina Süggeler)   – Anonymus. „Fußball mit Melanie C und Frida Gold.“ „FOCUS Online“, 11.05.2011, vgl.: http://www.focus.de/kultur/musik/fifa-frauenwm-2011-fussball-mit-melanie-c-und-frida-gold_aid_626263.html

31 Johnny Cash, Ring of Fire (Musik: Merle Kilgore, Text: June Carter)  – „Streit um ‚Ring of Fire’: Wenn der Hintern brennt, brennt, brennt“, „SPIEGEL Online“, 19.2.2004, zitiert nach: http://www. spiegel.de/kultur/musik/streit-um-ring-of-fire-wenn-der-hinternbrennt-brennt-brennt-a-287123.html

32 Meat Loaf, I’d Do Anything for Love (But I Won’t Do That) (Jim Steinman)   – „Songfacts.com“. Fakten und Userkommentare zu Meat Loafs I’d Do Anything for Love (But I Won’t Do That): http://www.songfacts.com/detail.php?id=2952   – „www.wer-weiss-was.de“ – User-Frage vom 22.9.2005 zum MeatLoaf-Song I’d Do Anything for Love (But I Won’t Do That), zitiert nach: http://www.wer-weiss-was.de/musikrecherche/was-um-gottes-willen-wuerde-meat-loaf-nicht-tun

33 The Beatles und die „Paul is dead“-Manie  – „Wikipedia“ zur „Paul is dead“-Verschwörungstheorie: https:// de.wikipedia.org/wiki/Paul_is_dead

34 The Beatles, Lucy in the Sky With Diamonds (John Lennon, Paul McCartney)   – „Songfacts.com“ über Lucy in the Sky With Diamonds von den Beatles: http://www.songfacts.com/detail.php?id=120

35 Peter, Paul & Mary, Puff the Magic Dragon (Musik: Peter Yarrow, Text: Peter Yarrow, Lenny Lipton)   – Schadendorf, Dr. Mirjam. „Puff the Magic Dragon. Peter, Paul & Mary.“ – „Songlexikon“, Uni Freiburg. Information zur Entstehungsgeschichte und zur Rezeption des Songs, vgl.: http://www. songlexikon.de/songs/puffthemagicdragon

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Literatur/Quellen

36 Fun, We Are Young (Musik: Jeff Bhasker, Text: Nate Ruess, Andrew Dost, Jack Antonoff, Jeff Bhasker)  – Unterberger, Andrew. „Let’s Analyze the Lyrics to Fun; and Janelle Monae’s We Are Young“; „Popdust.com“, 14.3.2012, zitiert nach: http://popdust.com/2012/03/14/fun-janelle-monae-we-areyoung-lyrical-analysis/  – Winkler, Thomas. „Wie man die Spitze der Charts erklimmt“. „ZEIT Blog“ vom 1.6.2012, zitiert nach: http://blog.zeit.de/ton­ traeger/2012/06/01/fun-we-are-young_12854

37 Alison Krauss & Robert Plant, Let Your Loss Be Your Lesson (Milton Campbell)  – http://www.allpeoplesay.com/alison-krauss/is-alison-krauss-gay/ – Das Portal erörtert die Frage: Ist Alison Krauss homosexuell? Eine zufriedenstellende Antwort ergibt sich dabei aber nicht.  – http://www.astrologerjenny.com/lesbianlove.html – Astrologie für Lesben: In einer bestimmten Sternzeichenkonstellation wird Alison Krauss erwähnt.  – http://www.autostraddle.com/dear-queer-diary-all-the-feelingsand-alison-krauss-234644/ – Eine lesbische Bloggerin schwärmt für Alison Krauss.  – http://de.cpost.org/umfragen/alison-krauss/homo-geruchte.html – Ergebnisse einer absurden Onlineumfrage zum Thema: Ist Alison Krauss homosexuell?

38 Bryan Adams, Summer of ’69 (Bryan Adams, Jim Vallance)   – Bryan Adams bei einem Livekonzert in Stockholm über seinen Song Summer of ’69, erwähnt in einer schwedischen Zeitung vom 4. Juni 2008, zu finden auf: https://www.bryanadams.com/index. php?target=news&y=2008&m=06

39 Mott the Hoople, All the Young Dudes (David Bowie)   – Jones, Dylan. When Ziggy Played Guitar: David Bowie and Four Minutes That Shook the World. London, 2012. Vgl. S. 66–67.

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Literatur/Quellen

40 Bob Marley & The Wailers, No Woman No Cry (Bob Marley, Vincent Ford)   – Schadendorf, Dr. Mirjam. „No Woman, No Cry. Bob Marley & The Wailers.“ – „Songlexikon“, Uni Freiburg. Information zur Entstehungsgeschichte und zur Rezeption des Songs, vgl.: http:// www.songlexikon.de/songs/nowoman

41 Versteckte Drogensongs   – „Songfacts.com“ über die Songs von Lou Reed, Tom Petty und Jefferson Airplane.  – „The Online Slang Dictionary: American, English, and Urban Slang“: http://onlineslangdictionary.com/ – hier Begriffe wie „Mary Jane“ und „to ride the white horse“.

42 Lobpreisungen und versteckte Hommagen   – Fischer, Michael. „‚Ein feste Burg ist unser Gott‘ – Ein Lied im Wandel der Zeiten.“ Peter Bubmann, Konrad Klek (Hg.), Davon ich singen und sagen will: Die Evangelischen und ihre Lieder. Leipzig 2012, S. 27–43.   – Klek, Konrad. „‚Singen und Sagen‘ – Reformatorisches Singen als öffentlicher Protest.“ Peter Bubmann, Konrad Klek (Hg.), Davon ich singen und sagen will: Die Evangelischen und ihre Lieder. Leipzig 2012, S. 18   – Klie, Thomas. „Nicht von dieser Welt. Mit Xavier Naidoo den Religions- oder Konfirmandenunterricht gestalten“. „Loccumer Pelikan“ 2/2000, zitiert nach: http://www.rpi-loccum.de/material/ konfirmandenarbeit/klxav  – Luxat, Sefanie. „Für die Ewigkeit: Missverstandene Musik“. „NEON Online“, 21.01.2005, zitiert nach: http://www.neon.de/ artikel/freie-zeit/musik/fuer-die-ewigkeit-missverstandenemusik/683457  – http://www.song-blog.de/2011/04/jupiter-jones-song-still-neuegedanken-und-interpretation/ – Spekulationen zur Bedeutung des Songs Still von Jupiter Jones.

43 Luigi Tenco, Ciao amore, ciao (Luigi Tenco)   – Barwig, Angela. Francesco Guccini und die Entwicklung des italienischen Autorenliedes. Berlin 2008, S. 383/384.

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Literatur/Quellen

 – Campion, Chris. „Unsung Heroes No. 4 – Luigi Tenco.“ „The Guardian Online“, Thursday 24, Janaury 2008, zitiert nach: http:// www.theguardian.com/music/musicblog/2008/jan/24/unsungheroesno4luigitenco  – Erne, Roland. „Sanremo erleben und abgehen. Beherzt: Franco Supinos Roman ‚Ciao, amore, ciao‘ ist der Abschluss einer Trilogie.“ – „Aargauer Zeitung“, 18.3.2004, zitiert nach: http://www. francosupino.ch/besprechungen/ciao_amore_ciao/doc_files/aargauer_zeitung_roland_erne_18_03_04.html   – Helbert, Frank. „Im Schatten von San Remo: Neues zum Selbstmord des Liedermachers Luigi Tenco.“ – „Neue Zürcher Zeitung Online“, 24.12.2005, zitiert nach: http://www.nzz.ch/articleDFCIY-1.192988

44 France Gall, Les Sucettes (Serge Gainsbourg)   – Hurst, Fabienne. „Die Sache mit dem Dauerlutscher: Zweideutige Songtexte.“ – „SPIEGEL Online“, 15.11.2012, zitiert nach: http:// www.spiegel.de/einestages/zweideutige-songtexte-france-gallserge-gainsbourg-und-die-beatles-a-947809.html  – https://www.youtube.com/watch?v=A9ajuEVNfb0 – YouTube-Link eines Users, der in Song- und Videoauszügen, damaligen Gesprächssequenzen zwischen France Gall und Serge Gainsbourg sowie späteren Statements die Geschichte des Skandals um Les Sucettes erzählt.

45 James Taylor, Fire and Rain (James Taylor)   – „Songfacts“ über James Taylors Fire and Rain: http://www.songfacts.com/detail.php?id=761

46 Tom Petty, American Girl (Tom Petty)  – „Songfacts“ über Tom Pettys American Girl: http://www.songfacts.com/detail.php?id=1631

47 Phil Collins, In the Air Tonight (Phil Collins)   – „Songfacts“ über In the Air Tonight von Phil Collins: http://www. songfacts.com/detail.php?id=1198

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Literatur/Quellen

48 David Hasselhoff, Freedom (Musik: Jack White, Text: Gary Cowtan)  – Anonymus. „The Hoff“ erklärt die Mauer: David Hasselhoff trifft DDR-Flüchtlinge. „N-tv.de“ vom 10.9.2014, zitiert nach: http:// www.n-tv.de/leute/David-Hasselhoff-trifft-DDR-Fluechtlinge-article13580696.html

49 John Rockwell, Trommelfeuer   – Rockwell, John. Trommelfeuer: Rocktexte und ihre Wirkungen. 7., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage. Asslar, 1990, S. 60–61.

50 The Eagles, Hotel California (Don Felder, Glenn Frey, Don Henley)   – Bäumer, Ulrich. Wir wollen nur deine Seele. Rockszene und Okkultismus: Daten – Fakten – Hintergründe. Bielefeld: Christliche Literaturverbreitung, Wuppertal: Ev. Gesellschaft für Deutschland, 8. Aufl., 1991, S. 61 ff. Eine PDF-Datei des Buchs findet sich im Internet unter: http://www.auch-du-brauchst-jesus.info/fileadmin/ Downloads/Wir-wollen-nur-deine-Seele.pdf

51 Trio Lescano, Tulipan (Musik: Maria Grever, italienischer Text: Riccardo Morbelli)  – Die Swingmädchen. Regie: Maurizio Zaccaro, Italien 2010, deutsche Fassung mehrfach ausgestrahlt auf „arte“, zum Beispiel im Oktober 2012. Hörprotokoll der Verhörszene anhand der in der Mediathek gespeicherten Version.

52 Bob Dylan – Killermüllologen greifen an   – „Wikipedia“ über A. J. Weberman und seine Forschungsdiziplin „Garbology“: https://en.wikipedia.org/wiki/A._J._Weberman

53 Die Manson-Morde   – Anonymus. „The Influence of the Beatles on Charles Manson.“ – Website der University of Missouri, Kansas City, zitiert nach: http://law2.umkc.edu/faculty/projects/ftrials/manson/mansonbeatles.html   – Offenbarung, Kapitel 9. Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1999,

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Literatur/Quellen

z­ itiert nach: http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/offenbarung/9/   – Pennington, Jon. Antwort auf die Frage: „What did the Beatles think of Charles Manson and his views on their music?“ Vgl. „Qora.com“: https://www.quora.com/What-did-The-Beatles-thinkof-Charles-Manson-and-his-views-on-their-music

54 The Beatles, Run for Your Life (John Lennon, Paul McCartney)   – Kulwicki, Cara. „Top 5 Anti-Feminist Beatles Songs“. Blog „The Curvature“, zitiert nach: https://thecurvature.wordpress.com/2008/ 11/15/top-5-anti-feminist-beatles-songs/#more-2234

55 Neil Young, A Man Needs A Maid (Neil Young)   – Rumer. „Rumer’s Old Music: Neil Young – A Man Needs A Maid“. „The Guardian Online“, 23.5.2012, zitiert nach: http://www.theguardian.com/music/musicblog/2012/may/23/rumers-old-musicneil-young: „A Man Needs a Maid is taken from Young’s fourth studio album, 1972’s Harvest, which was recorded when he had terrible back pain (to the point of being bedridden). So on a literal level, the song is about not being able to take care of yourself anymore. The connotations of the word ‚maid‘ did lead to allegations of sexism at the time, which I think was narrow minded: A Man Needs a Maid feels like the opposite of sexist to me. Young is ­saying he actually respects women too much to even have a rela­ tionship, because he realises that he’s just not capable of giving someone what they need. The character simply can’t reconcile ­loving someone with his creative ministry. And so A Man Needs a Maid is really a portrait of a lonely man on a mission, unable to give anything – in fact he’s desperate for help (‚like a beggar going from door to door‘).“

56 Maroon 5, Animals (Video) (Adam Levine, Benjamin Levin, Shellback)   – hut. „Neuer Clip von Maroon 5: Ein Video zum Fürchten.“ „SPIEGEL Online“, 2.10.2014, zitiert nach: http://www.spiegel.de/panorama/leute/maroon-5-animals-video-scharf-kritisiert-a-995010. html

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Literatur/Quellen

 – Melanie. „Es hagelt nicht nur Kritik. Umstrittenes ‚Animal’: PETA lobt Maroon 5-Video.“ „Promiflash.com“, 11. Oktober 2014, zitiert nach: https://www.promiflash.de/news/2014/10/11/umstrittenes-animal-peta-lobt-maroon-5-video.html

57 Geier Sturzflug, Bruttosozialprodukt (Friedel Geratsch, Reinhard Baierle)   – Pokatzky, Klaus. „Brutto-Sozialprodukt und Ironie: Der Witz mit dem Hit. Geier Sturzflugs Dilemma zwischen Gesinnung und Geschäft.“ „ZEIT Online“, 2. Dezember 1983, zitiert nach: http:// www.zeit.de/1983/49/der-witz-mit-dem-hit/komplettansicht

58 Die Ärzte, Männer sind Schweine (Farin Urlaub)   – Anonymus. „Bela B.: ‚Auf die Ärzte kann sich irgendwie jeder einigen …‘“ Interview mit Bela B. auf der Website der Toten Hosen, November 2003, zitiert nach: http://www.dietotenhosen.de/band/ freunde-des-hauses/bela-b

59 The Cure, Killing An Arab (The Cure – Robert Smith, Michael Dempsey, Lol Tolhurst)   – „Wikipedia“ über Killing An Arab von The Cure: https://en.wikipedia.org/wiki/Killing_an_Arab

60 Judas Priest, Better By You, Better Than Me (Gary Wright)   – David Van Taylors sehenswerte Dokumentation Dream Deceivers – The Story Behind James Vance & Judas Priest aus dem Jahr 1992 ist auch im Internet zum kostenpflichtigen Download erhältlich.   – Goethe, Johann Wolfgang von. Dichtung und Wahrheit. Dritter und vierter Teil. Kapitel 4. Dreizehntes Buch. 1815–1833, zitiert nach: http://gutenberg.spiegel.de/buch/dichtung-und-wahrheitdritter-und-vierter-teil-7128/4   – Moore, Timothy E. „Scientific Consensus and Expert Testimony: Lessons from the Judas Priest Trial“. „Sceptical Inquirer“, Volume 20.6, November/December 1996, zitiert nach: http://www.csicop. org/si/show/scientific_consensus_and_expert_testimony

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Literatur/Quellen

61 Pulp, Sorted for E’s & Wizz (Pulp – Jarvis Cocker, Mark Webber, Candida Doyle, Russell Senior, Steve Mackey, Nick Banks)   – http://www.acrylicafternoons.com/sorted.html – Über die Kontroverse um den Pulp-Song Sorted for E’s & Wizz

62 Erste Allgemeine Verunsicherung, Burli (Musik: Thomas Spitzer, Nino Holm, Eik Breit, Klaus Eberhartinger, Günther Schönberger; Text: Thomas Spitzer)   – Mayer, Alexander. „Burli“, „verUNsicherung.de – Notizen über die allgemeine Verunsicherung“, seit 1997, zitiert nach: https:// www.verunsicherung.de/diskografie/songs/burli.html

63 Sniper, La France (Sniper – Bachir Baccour alias El Tunisiano, Ryad Selmi alias Aketo, Karl Appela alias Black Renega)  – Schmid, Bernhard. „Leg deine Knarre hin.“ – „Jungle World“, Nr.  29, 19. Juli 2006, zitiert nach: http://jungle-world.com/artikel/2006/29/17883.html

64 D.A.F., Der Mussolini (Gabi Delgado-López, Robert Görl)   – Rehfeldt, Martin. „Die perfekte Provokation: Der Mussolini von DAF“. „Deutsche Lieder. Bamberger Anthologie“, 27. Februar 2012, zitiert nach: https://deutschelieder.wordpress.com/2012/ 02/27/daf-der-mussolini/

65 Randy Newman, Short People (Randy Newman)  – Dieckmann, Christoph. „Rollenspiele, Moll-Klavier und echte Tränen: Randy Newman im Konzert.“ – „ZEIT Online“, 14. März 2012, vgl.: http://www.zeit.de/kultur/musik/2012-03/randy-newman-konzert

66 Madonna, Like A Virgin (Musik: Tom Kelly, Text: Billy Steinberg)  – Reservoir Dogs, Regie: Quentin Tarantino, USA 1992. Hörpro­ tokoll des als „Madonna Speech“ berühmt gewordenen Gangstergesprächs.

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Über den Autor Jahrgang 1959, Magisterarbeit über Patti Smith, 1990 Dissertation über englische und amerikanische Rocklyrik, anschließend Frankfurter Redaktionsleiter der bundesweiten Lifestyle-Illustrierten „PRINZ“ und Chefredakteur des Stadtmagazins „Journal Frankfurt“, immer auch mit Blick auf pop- und rockmusika­ lische Themen. Heute arbeitet Michael Behrendt als freiberuf­ licher Lektor und Autor, betreibt den Songblog „tedaboutsongs“ und schreibt regelmäßig über Pop und Rock auf dem Frank­ furter Kulturportal „www.faust-kultur.de“.

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