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German Pages 192 [194] Year 2009
Erhard Oeser Hund und Mensch
Erhard Oeser
Hund und Mensch Die Geschichte einer Beziehung 3. Auflage
Einbandgestaltung: Peter Lohse, Büttelborn Einbandbild: Porträt einer jungen Frau mit ihrem Hund, Gemälde von Imre Goth (1893 – 1982); picture-alliance/akg-images
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. 3. Auflage 2009 © 2009 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt 1. Auflage 2004 Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-23015-0
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Die Frage nach dem Bewusstsein der Tiere . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Maschinentheorie der Tiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die sprechenden Hunde: Leibniz und seine Nachfolger . . . . . . . . . . . Die moderne Theorie der Seelenlosigkeit der Tiere . . . . . . . . . . . . . . . Die Evolution des Bewusstseins: Darwin und die Folgen . . . . . . . . . . Die Intelligenz der Hunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Dilemma der modernen Verhaltensforschung . . . . . . . . . . . . . . . .
13 13 18 22 25 29 33
2. Vor hunderttausend Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Anteil des Hundes an der Menschwerdung des Affen . . . . . . . . . Die Suche nach dem Urhund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Wolf – Mythos und Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hundewölfe: Buffons erfolgreiche Kreuzungsversuche . . . . . . . . . . . . Die Pariahunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37 38 42 46 54 58
3. Der Jagdgenosse und Wächter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Hunde der Griechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Platons Lehre von der philosophischen Natur des Hundes . . . . . . . Aristoteles und die indischen Hunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Xenophons „Hundeführer“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arrian, der Affe Xenophons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Wachhunde der Römer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hof- und Jagdhunde im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glanz und Elend der Jagdhunde in der Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62 64 64 67 68 72 76 79 80
4. Die Kampf- und Kriegshunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Frühe Nachrichten aus Asien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Die Gladiatorenhunde der Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Die Urform der großen Kampfhunde: die Tibetdogge . . . . . . . . . . . . . 90 Die kubanische Dogge und die Vernichtung der Indianer . . . . . . . . . . 92 Die Regimentshunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Die Hunde in den Weltkriegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
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Inhalt
5. Die Gebrauchs- und Arbeitshunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Schäferhund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Schäferhund zum Polizeihund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Metzgerhund zum Bullenbeißer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Hund als Zug- und Lasttier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hunde als Lebensretter: die Bernhardiner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hunde als Blindenführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Hund an der Seite der Frau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105 105 106 112 114 120 124 125
6. Der Hund als Versuchstier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Folterkammern der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Seelenorgan des Hundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Sieg über die Tollwut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pawlows Hunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das einsame Hundehirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
129 129 131 133 134 140
7. Der Hund als Medizin und Nahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hundefett und andere Hundeheilmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die helfenden Hunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Hundefleischesser Ostasiens und der Südsee . . . . . . . . . . . . . . . . . Menschenfresser und Hundefresser: Niamniam . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Hundefleischesser Europas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
143 143 143 145 146 148
8. Der Hund als Eroberer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Eroberung Zentralafrikas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Eroberung der Polargebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erschossen: Die Hunde der Nordpolexpeditionen von Payer und Nansen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgesetzt: Die Hunde des Verlierers Cook . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Hunde am Nordpol: Peary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Scotts tödlicher Fehler: Ponys statt Hunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Hunde am Südpol: Amundsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Eroberung des Weltraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
152 152 154 154 161 165 167 169 174
9. Schluss: Die Seele des Hundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
Vorwort Wenn man die gesamte Geschichte der Philosophie von der Antike bis zur Gegenwart im Hinblick auf die Frage nach dem Bewusstsein oder der Seele der Tiere betrachtet, so lassen sich grob gesagt zwei Klassen von Philosophen unterscheiden. Die einen behaupten, dass Tiere eine Seele haben, die anderen meinen, dass sie keine haben. Nach einem altbekannten Scherz enthält die erste Klasse alle Philosophen, die einen Hund haben, und die zweite alle, die keinen haben. Ich gehöre in die erste Klasse. Denn ich habe 13 Jahre lang mit einem Hund gelebt und bin seitdem davon überzeugt, dass die Hunde nicht nur Bewusstsein, sondern auch ihre eigene Geschichte haben, die jedoch so untrennbar mit der Geschichte der Menschheit verbunden ist, dass sie als ein Abbild menschlicher Kulturentwicklung gelten kann. Daher kann der Hund nicht ausschließlich nur ein Gegenstand biologischer Betrachtungsweise sein, sondern bedarf auch einer eingehenden historisch-kritischen Untersuchung, die sich auf seine Rolle in der Entwicklung der Menschheit bezieht. Diese Aufgabenstellung haben zwar auch Biologen und Hundezüchter erkannt, doch sind ihre Ausführungen darüber zumeist fragmentarische Randerscheinungen, die meistens im Erzählen von Anekdoten stecken bleiben. Während in manchen kulturhistorisch orientierten populären Hundebüchern in naiv unkritischer Weise und oft sogar in ausdrücklichem Gegensatz zu den naturwissenschaftlich-genetischen Untersuchungen vom Bewusstsein und den Gefühlen der Hunde die Rede ist, wird von Verhaltensforschern, die sich gelegentlich auf die Kulturgeschichte des Hundes berufen, meist übersehen, dass nur ein Lebewesen „Geschichte“ haben kann, das auch Bewusstsein hat. Daher ist jeder Versuch, die Geschichte der Hunde zu schreiben, auch ein Beitrag zu der bis heute in der Wissenschaft noch umstrittenen Frage nach dem Bewusstsein der Tiere. Unter diesem Aspekt ist daher auch dieses Buch entstanden, das einen kritischen Gesamtüberblick über die Geschichte von Hund und Mensch liefern soll, bei dem nicht der Mensch, sondern der Hund mit seinen Leistungen für den Menschen und seinen Leiden durch den Menschen im Vordergrund steht. Damit soll ein weiterer Zugang zum Verständnis des Hundes eröffnet werden, der über den rein naturwissenschaftlichen Weg der Evolutionstheorie, Genetik und Verhaltensforschung hinausgeht, aber trotzdem mit diesem vereinbar ist.
Vorwort
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Eine programmatische Darstellung dieses Versuchs, die Geschichte der Menschheit sozusagen mit den Augen des Hundes zu betrachten, habe ich bereits im November 1999 auf einem Symposium vorgetragen, das aus Anlass des 10. Todestages von Konrad Lorenz an der Forschungsstelle für Ethologie in Grünau im Almtal stattgefunden hat. Der etwas provokante Titel dieses Beitrages, >Der Anteil des Hundes an der Menschwerdung des AffenTierleben< die noch heute weitgehend gültigen Worte schreiben: „Jedermann glaubt ihn zu kennen, gründlich und hinlänglich zu kennen, und nur der Naturforscher gesteht zu, dass er, trotz aller Nachforschungen und Vergleichungen, eigentlich noch äußerst wenig und kaum irgendetwas Sicheres über den Hund weiß.“ Evolutionstheorie, Genetik und Verhaltensforschung haben zwar bereits einiges Licht auf die Frage nach der Abstammung, Verbreitung und Variabilität des Hundes geworfen. Doch ist noch vieles an ihm und seinem differenzierten Verhalten zum Menschen rätselhaft geblieben, weil man ihn, trotz gegenteiliger Ansicht großer Naturforscher, sowohl was seine Intelligenz als auch seine Leistungen anbelangt, erniedrigt und missbraucht hat. Der Anteil des Hundes an der Geschichte der Menschheit ist aber unübersehbar. Nach neuesten Forschungsergebnissen kann er sogar zu ihrer Entstehung wesentlich beigetragen haben. Denn es waren die Caniden, die hundeartigen Vorfahren unserer Haushunde, und zwar in erster Linie die Wölfe, die unseren affenartigen Vorläufern, die wie die heutigen Affen ungestüme, aufbrausende und opportunistische Individualisten waren, zu dem gemacht haben, was wir heute mit „wahrer Menschlichkeit“ (Schleidt) identifizieren: das heißt zu sozialen Lebewesen, die zu einer Zusammenarbeit fähig sind, die weit über die engen genetisch bedingten Familienbande hinausgeht, auf die sich die anthropoiden Affen noch heute beschränken. Diese Idee, dass der Mensch seine Verbreitung und Herrschaft über die Erde seiner Kooperation mit den Hunden verdankt, ist mehrfach, am deutlichsten aber bereits von Buffon, ausgesprochen worden. Als erster und einziger ständiger Begleiter des Menschen ist daher auch der Hund mit der Geschichte der Menschheit unzertrennbar verbunden. Bereits in den frühen Hochkulturen Ägyptens, Babylons und Assyriens war er Jagdgenosse,
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Einleitung
Wächter und Mitstreiter in den Kriegen. Und bei den alten Griechen und Römern erlebte er schon eine Differenzierung seiner Leistungsfähigkeit, die zumindest in ihren Grundzügen mit der heutigen Vielfalt der Haupttypen der Rassen vergleichbar ist. Die Leistungen der Hunde bei der Ausbreitung des Menschen über die Erde und seiner Beherrschung der gesamten Tierwelt beschränkten sich nicht auf Antike, Mittelalter und beginnende Neuzeit. So war die Entdeckung sowohl des Nord- als auch des Südpols im vergangenen Jahrhundert ohne den Einsatz der Schlittenhunde nicht möglich, und das erste Lebewesen im Weltraum war weder ein Mensch noch ein Affe, sondern ein sibirischer Hund. Die Geschichte der Hunde ist aber nicht nur eine Geschichte ihrer Leistungen für den Menschen, sondern auch eine Geschichte ihrer Leiden durch den Menschen, der seit den frühen Hochkulturen mit seiner „machiavellischen Intelligenz“ die Macht über die Hunde übernommen und sie ausschließlich nach seinen Vorstellungen und Bedürfnissen umgeformt hat. Zu diesen Bedürfnissen gehören Nahrung, Erhaltung der Gesundheit und Vergnügungen, die sich der Mensch seit jeher auf Kosten der Hunde verschafft hat. Das Schlachten und Verzehren der Hunde ebenso wie die grausamen Hundekämpfe waren nicht nur in den Ländern Ostasiens üblich, sondern auch bis in die jüngste Vergangenheit in vielen Gegenden Europas verbreitet. Und noch heute gilt bei uns Hundefett als wirksame Medizin für jede Art von Brustleiden. Als Versuchstier verdankt die Menschheit dem Hund die grundlegendsten Einsichten in die Struktur und Funktionsweise des Gehirns und der Verdauungsorgane, die nur durch grausame Experimente bei lebendigem Leib erreicht werden konnten. Die wenigsten von unseren heutigen Hunden sind Versuchstiere oder „Gebrauchshunde“, die für bestimmte Tätigkeiten wie Jagen, Bewachen, Karrenziehen usw. eingesetzt werden. Nur die Anzahl der Blinden- oder Behindertenhunde ist vergleichsweise eher angestiegen, da der emotionale Wert eines lebenden und stets willigen Helfers nicht durch technische Hilfsmittel ersetzt werden kann. Auch bei Erdbeben und Lawinenabgängen sind sie noch immer unentbehrlich. Die überwiegende Zahl der Hunde sind jedoch heutzutage Begleit- oder Familienhunde. Ihr Wert ist heutzutage für die meisten Menschen, wie Lorenz sagt, ein „rein seelischer“. Sie werden sogar als Therapeuten eingesetzt. Aus dem Alltagsleben vieler Menschen sind bis heute Hunde nicht wegzudenken. Es scheint sogar in unserer Zeit für alle Hunde ein neues paradiesisches Zeitalter angebrochen zu sein, das die Zeit der Hof- und Jagdhunde im Mittelalter und der frühen Neuzeit, die oft besser als Menschen gehalten wurden, noch weit übertrifft. Denn für die meisten Hundehalter sind ihre Haushunde wie echte Familienmitglieder und werden gefüttert, gepflegt und geliebt wie Kinder, die in ihrem kurzen Leben ewig Kinder
Einleitung
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bleiben. Doch haben bereits langjährige wissenschaftliche Experimente gezeigt, dass ein Hund keineswegs ein vierbeiniges in Pelz gekleidetes kindliches menschliches Wesen ist, sondern trotz seiner engen sozialen Kontakte mit den Menschen in seiner genetischen Veranlagung ein Carnivore, d. h. ein fleischfressendes Raubtier, geblieben ist. Aber der Hund allein war es, der die Schranke durchbrochen hat, die den Menschen von der Tierwelt trennt. Hunde sind daher die einzigen Lebewesen, die mit dem Menschen eine so enge Lebensgemeinschaft gebildet haben, dass sie nur durch den Tod beendet werden kann. Das vergessen all diejenigen, die ihre leichtfertig angeschafften Hunde aussetzen oder in Tierheime abliefern. Hunde werden nicht immer und jederzeit geliebt. Für viele Menschen sind sie überhaupt ein Ärgernis. Denn sie verschmutzen mit ihren Kot die Straßen und Parkanlagen der Städte und viele bellen und kläffen vom frühen Morgen bis spät in die Nacht. Als so genannte Kampfhunde, die frei herumlaufen, hilflose Kinder anfallen, zerfleischen und sogar töten können, verbreiten sie heutzutage mehr denn je Angst und Schrecken. Doch sie selbst sind schuldlos an diesem Ärger und Grauen. Denn ihre Geschichte lehrt uns, dass alles, was sie tun und leiden, unter Anleitung des Menschen geschieht. Ihre erstaunlichen Fähigkeiten wurden seit den alten Hochkulturen bis heute dazu benützt, um den Menschen im Guten wie im Bösen zu dienen. Sie leben daher auch seit jeher im Zustand absoluter Rechtlosigkeit und totaler Abhängigkeit vom Menschen. Sie, die untereinander jene Rassenunterschiede nicht kennen, die der Mensch ihnen angezüchtet hat, wurden zum Vorbild menschlichen Rassenwahns. Bei der Eroberung Amerikas wurden sie auf Indianer gehetzt und in der Kolonialzeit auf schwarze Sklaven. Zur Zeit des Nationalismus in Europa wetteiferten Deutsche, Engländer und Franzosen mit der Aufzucht ihrer Nationalhunde, von denen der Deutsche Schäferhund als Hund des „Führers“ in die Geschichte eingegangen ist. Dass sich diese Ansichten heutzutage drastisch gewandelt haben, zeigt wiederum, wie sehr die Geschichte der Hunde ein Abbild der Geschichte des Menschen ist. Wie die Zukunft des Menschen ist daher auch die Zukunft des Hundes offen: Wird er als entbehrliches Relikt aus der Vergangenheit wie schon viele Lebewesen auf dieser Erde verschwinden oder noch weiter existieren? Die Geschichte seiner Leistungen und Leiden lässt hoffen, dass die Spuren seiner Pfoten auch noch in fernen Zeiten neben den Fußstapfen des Menschen zu sehen sein werden.
1. Die Frage nach dem Bewusstsein der Tiere Nur ein Lebewesen, das Bewusstsein hat, hat auch seine Geschichte. Die grundlegende Frage lautet daher: Haben Hunde ein Bewusstsein? Diese Frage wurde seit jeher immer wieder in Bezug auf die gesamte Tierwelt gestellt. Eine frühe Antwort stammt von David Hume (1739), der kategorisch feststellt: „Keine Wahrheit erscheint mir offensichtlicher als die, dass Tiere ebenso mit Gedanken und Vernunft ausgestattet sind wie der Mensch“ (vgl. Griffin 1990, S. 15). Doch dieser intuitiven Einsicht, die jedem, der mit Hunden zu tun hat, völlig klar ist, fehlte jede theoretische Begründung. Daher setzte sich zunächst jene berühmt-berüchtigte Maschinentheorie der Tiere von Descartes durch, die bis auf unsere Tage im sog. Behaviorismus weiterlebt.
Die Maschinentheorie der Tiere Descartes Ansicht von der Seelen- oder Geistlosigkeit der Tiere beruht auf der Kombination verschiedener ganz unterschiedlicher Argumentationen. Das eine und für ihn wichtigere und grundlegendere Argument ist ein theologisches Argument, das für ihn gleich nach dem Argument gegen die Leugnung der Existenz Gottes kommt. So sagt er am Ende des 5. Kapitels seiner Abhandlung über die Methode: „Denn nach dem Irrtum der Gottesleugnung, den ich oben hinlänglich widerlegt zu haben meine, gibt es keinen der schwache Gemüter mehr vom rechten Wege der Tugend entfernt, als wenn sie sich einbilden, die Seele der Tiere sei mit der unsrigen wesensgleich und wir hätten daher nach diesem eben nichts zu fürchten noch zu hoffen, nicht mehr als die Fliegen und die Ameisen“ (Descartes 1948, S. 139). Die Einzigartigkeit der Menschenseele, die er mit dem unausgedehnten Geist oder der denkenden Substanz (res cogitans) gleichsetzt, besteht aber nach Descartes gerade in ihrer Unabhängigkeit von der Materie oder ausgedehnten Substanz, die für ihn eine Garantie für ihre Unsterblichkeit ist. Das andere und bis heute wirksame Argument stammt aus seiner mechanistischen Physiologie, die er auch konsequent auf den Menschen angewendet hat. Sie beruht auf den damaligen großen Erfolgen der klassischen Grundlagendisziplin der neuzeitlichen Physik, der Mechanik, die
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1. Bewusstsein der Tiere
sich bereits in eine Vielzahl von Maschinen umsetzen ließ. Eine beliebte Beschäftigung in dieser Zeit war das Herstellen von menschen- und tierähnlichen Automaten, die oft zu einer täuschenden Ähnlichkeit mit lebendigen Körpern führten. Daher glaubte Descartes zeigen zu können, „dass, wenn es solche Maschinen gäbe, welche die Organe und die äußere Gestalt eines Affen oder irgendeines anderen vernunftlosen Tieres (animal sans raison) hätten, wir nicht im Stande sein würden, sie in irgendetwas von jenen Tieren zu unterscheiden“ (Descartes 1948, S. 131). Dagegen haben wir, wenn es dem Menschen ähnliche Maschinen gäbe, die unsere Handlungen nachahmen könnten, stets ein ganz sicheres Mittel, um zu erkennen, dass diese Automaten nicht wirkliche Menschen sind. Denn selbst dann, wenn die Maschine so eingerichtet ist, dass sie Wörter hervorbringt oder schreit, dass man ihr wehtue, wenn man sie anfasst, so wird sie doch nie imstande sein, „dass sie auf verschiedene Art die Worte ordnet“, um eine sinnvolle, der jeweiligen Situation entsprechende Aussage zu formulieren. Das Gleiche gilt für jene Handlungen, die nicht auf besonderen Dispositionen der Organe beruhen. Während eine Maschine für jede besondere Handlung eine besondere Disposition eines bestimmten Organs benötigt, kann der Mensch mit seinem „Universalinstrument“ der Vernunft in allen Fällen und Lebenslagen die entsprechenden Handlungen durchführen. Das eigentliche Unterscheidungskriterium zwischen Mensch und Tier ist und bleibt für Descartes daher die Sprache: „Denn es ist sehr bemerkenswert“, sagt er, „dass es keine so stumpfsinnigen und dummen Menschen gibt, sogar die unsinnigen nicht ausgenommen, die nicht fähig wären, verschiedene Worte zusammen zu ordnen und daraus eine Rede zu bilden, wodurch sie ihre Gedanken verständlich machen; wogegen es kein anderes noch so vollkommen und noch so glücklich veranlagtes Tier gibt, das etwas Ähnliches tut“ (Descartes 1948, S. 133 f.). Diese Unfähigkeit, in geordneter Weise zu reden, beruht nicht auf der mangelhaften Beschaffenheit der Sprechorgane, denn man sieht, dass Papageien, nach Descartes übrigens auch die Spechte (les pies), ebenso gut Wörter hervorbringen können wie wir. Und doch können sie nicht ebenso gut wie wir reden, d. h. „zugleich erkennen lassen, dass sie denken, was sie sagen“. Umgekehrt können sich sehr wohl auch taubstumm geborene Menschen durch Zeichen verständlich machen. Das alles beweist nach Descartes nicht nur, „dass die Tiere weniger Vernunft als die Menschen, sondern dass sie gar keine haben“ (Descartes 1948, S. 135). Auch die Tatsache, dass manche Tiere in manchen Handlungen mehr Geschicklichkeit zeigen als wir, beweist nicht, dass sie Geist (l’esprit) haben, sondern nur, „dass es die Natur ist, die in ihnen nach der Disposition ihrer Organe handelt. So sieht man, dass ein Uhrwerk, das bloß aus Rädern unserer Klugheit besteht, die Stunden zählen und die Zeit messen kann“ (Descartes 1948, S. 137).
Die Maschinentheorie der Tiere
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Diese Maschinentheorie der Tiere wird auch von Malebranche aufgegriffen, der behauptete: „Tiere fressen ohne Vergnügen, weinen ohne Schmerz, handeln ohne es zu wissen; sie ersehnen nichts, fürchten nichts, wissen nichts“ (Zit. nach Coren 1995, S. 94). Sogar die Tatsache, dass sich Tiere an manche Dinge erinnern können und allerlei Fertigkeiten erlangen können, ist für ihn kein Grund an ihrer Seelenlosigkeit zu zweifeln, denn das zeigt nur, dass „eine bloße Maschine sich weit leichter bewegt, wenn man sie einige Zeit bereits gebraucht hat, als wenn sie ganz neu wäre“ (Malebranche 1776, S. 223 f.). Aus dieser Vorstellung von der Maschinennatur der Tiere erklärt sich auch die viel zitierte Grausamkeit dieses frommen Ordensmannes, der seine „Untersuchungen über die Wahrheit“ nicht so sehr zur Ehre des menschlichen Geistes, sondern zur Ehre Gottes verfasste. Nach glaubhaftem Bericht des Sekretärs der Pariser Akademie der Wissenschaften Bernard Le Bovier de Fontenelle soll Malebranche einer trächtigen Hündin einen Fußtritt versetzt und den entsetzten Beobachter, der auf den Schmerzensschrei des Hundes reagierte, mit den Worten „Wissen Sie denn nicht, dass er nichts empfindet?“ zu beruhigen versucht haben. Malebranche hat sogar eine Theorie bereit, nach der sich auch das Mitleid gegenüber Tieren auch bei jenen erklären lässt, welche die Tiere nur für Maschinen halten. Denn der Anblick von Wunden und Tod eines anderen Lebewesens erweckt in den entsprechenden Körperteilen eine entsprechende Erschütterung. Jedoch gilt dies nicht für „starke und muntere Menschen“, sondern nur für schwache und zart gebaute, die es weder sehen können, dass man ein Tier schlägt, noch hören, wenn es schreit, ohne merklich beunruhigt zu werden“ (Malebranche 1776, S. 231). Solche „starken und munteren Menschen“ waren es auch, die sich, gerechtfertigt durch diese Maschinentheorie der Tiere, daranmachten, stellvertretend an ihnen durch grausame Experimente die Maschinerie des beseelten Körpers des Menschen zu untersuchen, der für solche Experimente aus moralischen Gründen nicht zugänglich war. Alle bisher rätselhaften Vorgänge im menschlichen Körper wie der Blutkreislauf und die Tätigkeit des Nervensystems wurden durch Vivisektionen an Tieren erforscht. Und es waren vor allem die Artgenossen des von Malebranche malträtierten Tieres, die Hunde, die dazu benützt wurden. Um Harveys umstrittene Theorie des Blutkreislaufes zu beweisen, band der Holländer Jan de Wale im linken Bein eines Hundes die Oberschenkelvene ab, wodurch sich die herznahen, oberhalb der Abschnürung liegenden Teile entleerten. Nur wenige Blutstropfen traten heraus, wenn man dort die Vene verletzte. Dagegen spritzte unterhalb der Abschnürung das Blut, das zum Herzen zurückströmte, in hohem Bogen heraus, wenn man diesen Teil der Vene durch einen Stich verletzte. Schnürte man aber den rechten Oberschenkel mit den Arterien ein, ohne jedoch die Venen mit einzubinden, versiegte in ihnen der Blutstrom
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1. Bewusstsein der Tiere
gänzlich. Damit war eindeutig bewiesen, dass das Blut einen Kreislauf durchführt, der vom Herzen ausgehend das Blut durch eine stoßende Bewegung durch die Arterien wegführt und durch die Venen wieder zum Herzen zurückführt.
Abb. 1: Jan de Wales Experiment an einem Hund zur Demonstration des Blutkreislaufes (aus Bartholinus 1660)
Sogar der große Hirnanatom Thomas Willis (1621–1675), der ja selbst im Unterschied zu Descartes den Tieren eine sensitive Seele und damit auch Leidensfähigkeit zubilligte (vgl. Oeser 2002, S. 66), scheute nicht davor zurück, Vivisektionen durchzuführen. Und wiederum waren die Hunde die bevorzugten Versuchstiere. So unterband er bei der experimentellen Erforschung des vegetativen Nervensystems einem Hund beide Vagusnerven, um herauszufinden, ob der Herzschlag so sehr von der Tätigkeit dieser Nerven abhänge, dass er ohne diese überhaupt aufhöre. Tatsächlich wurde der Hund sofort stumm und starr, erlitt Krämpfe und starkes Herzzittern und lebte nur noch wenige Tage, ohne sich bewegen oder fressen zu können (Cerebri Anatome 24. Kap., S. 324 f.). Es waren aber gerade solche oft wiederholten grausamen Vivisektionen an einem Hund, die den bedeutendsten Kopf der französischen Aufklärung, Voltaire (1694–1778), ein bis heute gültiges Argument dafür lieferten, dass auch Tiere ähnlich wie Menschen Gefühle haben müssen: „Sie nageln ihn auf einen Tisch und öffnen bei lebendigem Leibe seine Bauchhöhle, um
Die Maschinentheorie der Tiere
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Euch einen Blick auf die Innereien zu bieten. Ihr entdeckt in ihm die gleichen, zum Fühlen befähigenden Organe, die auch Ihr besitzt. Antwortet mir, Ihr Maschinentheoretiker, hat die Natur dieses Tier mit allen Quellen des Fühlens ausgestattet, damit es nicht zu fühlen vermag? Besitzt es Nerven, um ohne jede Erregung zu sein?“ (Voltaire 1786, S. 258 f.). Einer der ersten, der Einwände gegen diese Maschinentheorie der Tiere erhob, war jedoch Descartes’ Zeitgenosse Pierre Gassendi (1592–1655). Für ihn ist es nicht einzusehen, warum Sinneswahrnehmung und das, was man „Leidenschaften der Seele“ (passiones animae) nennt, bei den Tieren anders zustande kommt als bei uns. Denn auch in den Tieren gibt es Nerven und ein Gehirn und im Gehirn ein erkennendes Prinzip, das wie beim Menschen die Empfindung zustande bringt. Und wenn für Descartes das Wesen menschlicher Erkenntnis darin besteht, dass es hinter den stets wechselnden äußeren Erscheinungen den eigentlichen Erkenntnisgegenstand erfassen kann, so urteilt auch der Hund nach Gassendis Meinung auf ähnliche Weise: Mag sein Herr stehen, sitzen, liegen, sich zurücklehnen, zusammenkauern oder ausstrecken, er erkennt doch immer den Herrn, der hinter all diesen Erscheinungsformen steckt (vgl. Oeser 2002, S. 57). Es ist nicht nur Gegenstandserkenntnis als solche, die Gassendi dem Hund damit zubilligt, sondern auch das, was heutzutage als Objektkonstanz bezeichnet wird. Denn er fragt Descartes: „Und so oft ein Hund einen laufenden Hasen jagt und ihn zuerst unversehrt, dann tot und hernach abgezogen und in Stücke zerlegt sieht, glaubst Du, er meint nicht, dass es immer derselbe Hase sei?“ (Gassendi in Descartes 1965, S. 248). Gibt man das zu, dann liegt der Schluss nahe, dass auch in den Tieren, vor allem in den so genannten höheren Tieren, die ein Gehirn besitzen, auch ein den Menschen „nicht unähnlicher Geist“ wohnt. Daher gibt es auch beim Hund so etwas wie eine freie Wahlentscheidung zwischen Ausüben oder Unterlassen einer Handlung. Denn es kommt doch vor, dass ein Hund bisweilen ohne alle Furcht vor Drohungen und Schlägen auf den Bissen, den er sieht, losspringt, wie der Mensch oft Ähnliches tut. Wenn aber Descartes sagt, dass ein Hund nur bellt und nicht spricht und sogar ein Irrer mehrere Worte verbinden kann, um etwas auszudrücken, was auch das klügste Tier nicht kann, so antwortet Gassendi darauf, dass Hunde zwar keine menschlichen Laute hervorbringen, weil sie eben keine Menschen sind, aber doch ihre eigenen besonderen Laute hervorbringen und sich ihrer genauso bedienen wie wir uns der unsrigen. Daher ist es auch nicht recht und billig, von den Tieren menschliche Stimmen zu verlangen, ohne auf ihre eigenen zu achten. Ungeachtet dieses berechtigten Einwandes hat man jedoch immer wieder versucht, Hunden die menschliche Sprache beizubringen.
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Die sprechenden Hunde: Leibniz und seine Nachfolger Ein auf die große Autorität des berühmten Universalgelehrten Leibniz gestütztes Beispiel eines sprechenden Hundes kann man in den Berichten der französischen Akademie der Wissenschaften vom Jahre 1706 lesen: „Ohne einen solchen Gewährsmann, wie Monsieur Leibniz es ist – der Augenzeuge war –, würden wir es gar nicht wagen, davon Mitteilung zu machen, dass es in der Nähe von Zeitz in der Region von Meißen einen Hund gibt, der spricht. Es ist der Hund eines Bauern – von ganz gewöhnlicher Gestalt und mittlerer Größe. Ein kleines Kind hörte, wie er einige Laute ausstieß, von denen es glaubte, dass sie deutschen Worten ähnlich seien. Auf Grund dessen setzte es sich in den Kopf, ihm das Sprechen beizubringen. Der ‚Meister’, der wohl nichts Besseres zu tun hatte, sparte weder Zeit noch Mühe, und der ‚Schüler’ hatte glücklicherweise eine derartige Veranlagung, wie man sie wohl schwerlich in einem anderen findet. Nach Ablauf einiger Jahre konnte der Hund schließlich ungefähr 30 Worte aussprechen – wie etwa ‚Tee‘, ‚Kaffee‘, ‚Schokolade‘, ‚Assemblée‘ –, französische Worte also, die – so wie sie sind – ins Deutsche übergegangen sind. Es ist zu bemerken, dass der Hund ungefähr drei Jahre alt war, als seine Schulung begann. Er spricht nur gleichsam als Echo, d. h. nachdem sein Herr ein Wort ausgesprochen hat, und es scheint, als wiederhole er es nur gezwungenermaßen und beinahe gegen seinen Willen, obwohl man ihn überhaupt nicht malträtiert“ (Leibniz 1768, S. 180). Der von Leibniz mit so großem Interesse beachtete sprechende Hund gab in den darauf folgenden Jahren den Anstoß zu weiteren Versuchen, Hunden das Sprechen beizubringen. Dass dieses ein schwieriges Unterfangen ist und nicht ohne „Beihilfe“ der Menschenhand zustande kommen kann, hat man schon sehr früh erkannt. Denn der Hund kann keinen Lippenlaut hervorbringen, da er die Lippen nicht aufeinander drücken kann, weil die Oberlippe als ziemlich schlaffer Vorhang über die Unterlippe herabhängt. Der Kreismuskel des Mundes fehlt und die Zunge ist viel zu lang und schlaff, um das für die Erzeugung der Zungenlaute notwendige Anpressen der Zunge gegen den Gaumen ausführen zu können. All die in diesem Zeitraum der ersten beiden Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts gelieferten Berichte über sprechende Hunde weisen auf diese anatomisch begründeten Schwierigkeiten hin, die nur durch unsinnige Tierquälerei überwunden werden konnten. So soll sich im Jahre 1718 in Holland ein Österreicher eingefunden haben, der einen „redenden Hund“ mit sich geführt haben soll. Dieser Hund konnte angeblich alle Buchstaben des Alphabetes nachahmen, ausgenommen die Buchstaben B, M und N. Einem grauen Mops wurde in Augsburg „durch Gurgelrühren“ beigebracht „viele
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jüdische Worte deutlich auszudrücken“. Noch deutlicher zeigt die Beschreibung eines redenden Hundes in Regensburg, der ebenso wie der Leibniz’sche Hund deutsche und französische Wörter wie Tee, Kaffee, Schokolade und „oui monsieur“ aussprechen konnte, dass es sich um eine ziemlich grobe Manipulation an dem armen Tier handelte. Denn der Meister nahm den Hund auf seinen Schoß und „zerrte ihm bald den Kopf, bald den Hals, bald das Maul auf verschiedene Arten, dass man es ohne Lachen nicht ansehen konnte“ (Flößel 1906, S. 485). Das gleiche Schicksal hatte der redende Hund in Berlin, der nach einem Bericht in der „Bibliothèque Germanique“ vom Jahre 1720 durch folgende Prozedur zum „Reden“ gebracht wurde: „Sein Herr setzte sich nämlich auf die Erde und nahm den Hund zwischen die Beine, so dass er mit ihm machen konnte, was er wollte. Mit der einen Hand hielt er ihm den oberen, mit der anderen den unteren Kinnbacken. Solange nun das Tier seiner Gewohnheit nach murrte, drückte der Herr auf verschiedene Art bald den einen, bald den anderen Kinnbacken und bisweilen beide zugleich. Hierdurch wurde der Rachen des Hundes auf verschiedene Art verdreht, wodurch verursacht ward, dass er einige Worte aussprechen konnte“ (vgl. Flößel 1906, S. 485). Die Wörter „Tee, Kaffee, Schokolade“ gehörten natürlich ebenfalls zum Repertoire der Sprache dieses Hundes. Noch weniger überzeugend, wenn auch frei von Tierquälerei, waren die Versuche, Hunden beizubringen, ganze Sätze auszusprechen. Ein Hofrat in Helmstedt gelang es zwar, dass zwei seiner Hunde Sätze wie z. B. „Marie, bring Kaffee!“ riefen, doch konnte man diese erst dann verstehen, wenn man sich einmal die Bedeutung dieses artikulierten Gebells hatte erklären lassen. Denn mit der menschlichen Stimme hatte diese Sprache keine Ähnlichkeit. Schließlich nahmen sich dann auch Bauchredner der sprechenden Hunde an, die in Kostümen gekleidet um ihren Meister gruppiert wurden und sich auf diese Weise an der Täuschung der Zuschauer mitbeteiligten. Anerkennenswert war bei diesen Vorstellungen lediglich die sorgfältige Abrichtung der Hunde, die den leisesten Wink ihres Lehrmeisters verstehen mussten, um die beabsichtigte Täuschung in vollendeter Weise zu ermöglichen. Das Gegenstück zu den sprechenden Hunden waren die lesenden Hunde, die nicht nur lesen konnten, sondern auch durch Hinlegen von beweglichen Buchstaben Fragen beantworteten. So zeigte man auf der Messe zu Danzig im Jahre 1754 einen kleinen Hund, dem eine Frage vorgelegt wurde, die er dadurch beantwortete, dass er die entsprechenden Buchstaben suchte, die er nacheinander hinlegte, bis die Wörter vollständig waren. Wenn ihn z. B. jemand fragte, wer Rom erbaut hat, so legte er die Buchstaben, die zu dem Wort „Romulus“ erforderlich sind, nacheinander in eine Reihe hin. Auf die Frage, wer der erste römische Kaiser gewesen sei, legte er die Buchstaben zu „Julius Caesar“ zusammen.
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Noch größeres Aufsehen erregte ein Pudel namens Munito im Jahre 1818 in Paris, der sowohl Buchstaben als auch Ziffern als Antwort auf Fragen oder Rechenaufgaben zusammenstellte. Dieser Hund ging auch in die Weltliteratur ein. Denn er war das Vorbild von Jules Vernes Hund Dingo, der in einem seiner Romane durch die Zusammenstellung zweier Buchstaben den Mörder seines Herrn entlarvte. Allerdings entlarvte auch Jules Verne, der selbst ein Hundebesitzer war, die Künste Munitos durch folgende Erklärung: „Waren die Buchstaben auf dem Tisch aufgestellt, so lief Munito zwischen dem Alphabet auf und ab. Kam er dabei an denjenigen Buchstaben, den er auswählen musste, um das verlangte Wort zu bilden, so blieb er stehen. Aber das geschah nur, weil er ein für jeden anderen nicht wahrnehmbares Geräusch hörte, das von einem Zahnstocher herrührte, den sein Herr in der Tasche etwas umbog und abspringen ließ. Dieses Geräusch war für Munito das Zeichen, den Buchstaben bei dem er sich befand, zu erfassen und in eine Reihe zu legen“ (Verne 1879, S. 54). Eine Täuschung ähnlicher Art waren auch die berühmten Rechenkünste des „klugen Hans“, eines Pferdes, das sogar bis zum heutigen Tag noch immer das Trauma der Tierpsychologen darstellt und nicht unbedeutend zur behavioristischen Wende beigetragen hat. Der kanadische Psychologe Stanley Coren, der 1994 eine umfangreiche Studie über die Intelligenz der Hunde verfasst hat, sieht in dieser Geschichte vom rechnenden Pferd eine wissenschaftliche Peinlichkeit, die eine Reihe von zum Teil sogar berühmten Psychologen in den Augen anderer Wissenschaftler in Misskredit gebracht hat. Der Betreuer dieses Pferdes, ein Herr von Osten, ein ehemaliger Lehrer, stellte dem klugen Hans eine Rechenaufgabe aus dem Bereich der vier Grundrechnungsarten, Addition, Substraktion, Multiplikation oder Division, entweder mündlich oder indem er die Aufgabe auf eine Karte schrieb. Anschließend „rechnete“ das Pferd und klopfte entsprechend dem Resultat mit dem Huf auf den Boden. Rechnen war nicht die einzige Leistung dieses Wunderpferdes. Es konnte die Buchstaben des Alphabets und eine große Anzahl von Farben unterscheiden, geometrische Figuren richtig bezeichnen, Töne richtig angeben, Melodien erkennen und nach dem Zeugnis eines Zeitgenossen (Zell 1922, S. 194) auch die Uhrzeit auf einer Taschenuhr ablesen. Übertroffen wurden diese Leistungen des „klugen Hans“ von einem Pferd des Juweliers Krall aus Elberfeld, das sogar Quadrat- und Kubikwurzeln aus großen Zahlen ziehen konnte, und das alles wurde immer nur durch Klopfen mit dem Huf angezeigt. Die rechnenden Pferde aus dem 20. Jahrhundert hatten aber auch Vorläufer in vergangenen Zeiten. So wurde bereits 1732 in Saint-Germain ein Pferd vorgeführt, das außer anderen Kunststücken durch Aufschlagen mit dem Huf auf die Erde die Anzahl der Augen auf einer Spielkarte oder die Stun-
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Abb. 2: Der lesende Hund (aus Verne 1879)
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de auf einem Uhrenblatt anzeigen konnte. Aber bereits damals wusste man, dass alle diese Kunststücke durch fast unmerkliche Andeutungen, Zeichen und Winke zustande kamen, die das Pferd von seinem Herrn erhalten hatte. Die Dressur zu solchen Leistungen bedarf zwar großer Geduld, ist aber relativ einfach: Schlägt man einem Pferd auf die Krone eines Vorderschenkels, so scharrt es mit dem Fuß. Der Dresseur tritt vor das Pferd, spricht in fragendem Ton zu ihm und gibt ihm solche Schläge. Soll das Pferd nicht mehr scharren oder klopfen, so tritt der Dresseur zurück. Ist diese Übung öfters wiederholt worden, so genügt dann nur die gleiche Stellung und der fragende Ton, um das Pferd so lange scharren zu lassen, bis der Dresseur zurücktritt, sodass also das Pferd die Frage nach bestimmten Zahlen scheinbar richtig durch Scharren oder Klopfen mit dem Huf beantwortet. Das war auch im Prinzip die Lösung der Frage nach der Intelligenz des „klugen Hans“, der auf die unauffälligen Signale nicht nur eines Betreuers, sondern in dessen Abwesenheit auch auf die gar nicht bewusst erfolgten Reaktionen der Zuseher achtete. Nachdem ein nur wenig bekannter Psychologe namens Oskar Pfungst durch sorgfältig ausgeführte Experimente die Sache mit dem „klugen Hans„ in diesem Sinne aufgeklärt hatte, schlug die Meinung der Tierpsychologen ins Gegenteil um: Sie waren der Meinung, dass jede Annahme, Tiere könnten höhere geistige Fähigkeiten besitzen, nur zu Demütigung und Schande führen muss (Coren 1995, S. 97).
Die moderne Theorie der Seelenlosigkeit der Tiere Die wissenschaftliche Richtung, die im Grunde genommen die cartesianischen Vorstellungen von der Seelenlosigkeit der Tiere im 20. Jahrhundert fortsetzte, war der sog. Behaviorismus. Ihre Hauptvertreter – die amerikanischen Psychologen John Watson und B. F. Skinner – versuchten eine streng wissenschaftliche Psychologie zu entwickeln, die sich nur auf objektiv beobachtbare Verhaltensweisen stützen sollte. Obwohl sie die Existenz von Gefühlen, Gedanken und anderen geistig-seelischen Regungen weder bei Menschen noch bei Tieren leugnete, behauptete sie, dass diese, weil nicht direkt beobachtbar, auch nicht wissenschaftlich erfassbar seien. Viele dieser behavioristisch eingestellten Psychologen und Verhaltensforscher meinen mit zwei allgemeinen Erklärungsprinzipien auskommen zu können, um sämtliche auch noch so komplexe Verhaltensweisen von Tieren erklären zu können. Das eine Erklärungsprinzip ist die natürliche Auslese, die im Laufe der Evolution bestimmte arterhaltende Verhaltensweisen hervorbringt, die auf die Nachkommen weitervererbt werden. Heutzutage werden diese als genetisch bedingte Instinkthandlungen angesehen. Das an-
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dere Prinzip, das eigentliche behavioristische Erklärungsprinzip, ist das, was Skinner „Verstärkungsmöglichkeit“ (reinforcement) genannt hat. Damit ist jeder Prozess gemeint, bei dem die günstigen Ergebnisse einiger Verhaltensweisen Veränderungen in den Tieren hervorrufen, die sich dahingehend auswirken, dass dieses Verhalten wiederholt wird bzw. an Häufigkeit zunimmt. In dieser Auffassung kann man sehr leicht eine neue Version des alten Arguments von Malebranche erkennen, dass auch Maschinen sich leichter bewegen, wenn man sie bereits öfter gebraucht hat. Konsequenterweise hat Skinner dieses „Verstärkungsprinzip“ auch auf die Evolutionstheorie angewandt, indem er annahm, dass nicht nur das Lernen während des individuellen Lebens als „Verstärkung“ anzusehen ist, sondern auch die Auswirkungen der natürlichen Selektion als eine Art von „Verstärkung“ zu betrachten sind. Denn ein Verhalten kann auch insofern eine „Verstärkung“ erfahren, wenn sich der Reproduktionserfolg der Tiere, bei denen es auftritt, vergrößert (Skinner 1966, 1981). Doch wurde diese logisch korrekte Ausdehnung des Prinzips der „Verstärkungsmöglichkeiten“ nicht generell akzeptiert, da sich die Psychologen nur für die „Verstärkungsmöglichkeiten“ während der Lebensspanne eines Individuums interessierten, während die Ethologen sich fast ausschließlich mit den Auswirkungen der natürlichen Selektion auf das Verhalten beschäftigten. Beide Gruppen dieser behavioristisch eingestellten Wissenschaftler ließen grundsätzlich geistig-seelische Vorgänge unberücksichtigt. Auch dann, wenn sie komplexes Lernen und Problemlösen bei Tieren untersuchen, erwähnen sie fast nie die Möglichkeit, dass Tiere Gefühle, Erinnerungen, Absichten, Wünsche, Ansichten oder andere seelische Regungen haben könnten. Viele Behavioristen lehnen auch heute noch jede Art des „Mentalismus“ so heftig ab, als sei er eine tödliche Pest (Griffin 1990, S. 38). Die Ablehnung jeglicher Beschäftigung mit Bewusstsein und subjektiven Gefühlen geht so weit, dass manche Psychologen auch beim Menschen prinzipiell ihre Existenz oder zumindest ihre wissenschaftliche Erforschbarkeit abstreiten. In einer krassen Form solcher Verleugnung argumentierte Harnard (1982), dass erst nachdem unsere Gehirnfunktionen bestimmt haben, was wir tun wollen, eine Illusion von Bewusstsein entstehe im Verein mit dem irrigen Wahn, wir hätten eine Wahl getroffen oder Kontrolle über unser Verhalten gehabt (vgl. Griffin 1990, S. 26). An der Ablehnung der Erforschbarkeit sowohl des menschlichen als auch tierischen Bewusstseins änderte auch die kognitive Wende der Psychologie nichts, soweit sie sich in Analogie zu Computersystemen auf das Informationsverarbeitungsparadigma in seiner strengen Reduktion auf bloße Zeichenmanipulation stützt, die ohne jedes Bewusstsein ablaufen kann. Lebewesen zu analysieren, als seien sie Computer, ist nur eine neue Art von Ma-
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schinentheorie. Sie ist zwar als verobjektivierende Methode nützlich, gerade so wie die Analogie von Herz und Pumpe wichtig war für die Entdeckung des Blutkreislaufes (vgl. Oeser 2002, S. 49 ff.). Sie kommt aber sehr rasch an die Grenzen ihrer Erklärungskraft. Das Ausmaß unbewusster Informationsverarbeitung im menschlichen und vor allem im tierischen Gehirn ist zwar sehr groß, sodass die bewussten Prozesse nur die Spitze eines Eisberges darstellen. Doch ihre Existenz kann nicht geleugnet werden, selbst dann nicht, wenn man dem alten Grundsatz Ockhams huldigt, dass man ohne Notwendigkeit die Entitäten nicht vermehren soll. Das hat auch Lloyd Morgan nicht getan, von dem das dem Ockham’schen Rasiermesser verwandte Morgan’sche Gesetz stammt, das die Forderung enthält, niemals etwas auf einer höheren Ebene zu erklären, wenn eine niedrigere ausreicht (Masson 1997, S. 143). Nach Griffin (1990, S. 12) ist die Wahrscheinlichkeit, dass bewusstes Denken ein bestimmtes Verhalten begleitet, entweder sehr hoch oder sehr niedrig. Jacques Loeb (1918) und andere Biologen, die das Bewusstsein von Tieren nicht in Betracht ziehen wollten, haben Tiere und Situationen ausgewählt, bei denen das Verhalten relativ konstant war. So kann eine Raupe stunden- und tagelang mit der Ausdauer einer Maschine auf eine Lichtquelle zukriechen. Wenn dann ein Experimentator dieses Verhalten dadurch hervorrufen oder einstellen kann, dass er ein Licht an- oder ausknipst, dann scheint dieses Verhalten in relativ einfacher und direkter Weise durch das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein des Lichts verursacht zu sein. Will man jedoch diese Methode auf komplexere Verhaltensweisen ausdehnen, vor allem auf diejenigen, die eine Anpassungsfähigkeit an sich ändernde Umstände zeigen, dann lässt sich die entscheidende Rolle des Bewusstseins nicht verleugnen. Es waren vor allem diese komplexen individuellen, in Anekdoten beschriebenen Verhaltensweisen von Tieren, die von Darwin und seinen Zeitgenossen als Belege für das Vorhandensein von Bewusstsein, Denken und Fühlen vorgebracht wurden. Die übertriebene Entwertung dieser anekdotenhaften Angaben hat viele Beobachtungen ausgeschlossen, die Ansatzpunkte für neue Forschungen hätten werden können. Darwin selbst hatte jedenfalls keine Probleme, die Frage nach dem Bewusstsein der Tiere positiv zu beantworten. Denn für ihn war die Annahme, dass nicht nur der Mensch, sondern auch die höheren Tiere Bewusstsein und Gefühle haben, eine logische Konsequenz der Evolutionstheorie.
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Die Evolution des Bewusstseins: Darwin und die Folgen Obwohl Darwin sowohl die Entstehung des Lebens als auch die Entstehung des Bewusstseins oder Geistes als die beiden „hoffnungslosen“ Probleme bezeichnet hat, die, wenn überhaupt jemals, von Menschen erst in ferner Zukunft gelöst werden können (Darwin 1875, S. 86), war er davon überzeugt, dass auch Tiere Bewusstsein und Gefühle haben. Ja, er war sogar der Meinung, dass zwischen den so genannten höheren Säugetieren, wie Hunde und Affen, und dem Menschen „kein fundamentaler Unterschied“ besteht (a. a. O. S. 8), sondern lediglich graduelle Abstufungen. Noch mehr war Darwin davon überzeugt, dass auch die niederen Tiere dieselben Gemütsbewegungen wie wir besitzen, während die höheren Tiere, wie vor allem die Hunde, uns in der Hinsicht sogar übertreffen. Und er zitiert einen alten Schriftsteller, der gesagt haben soll: „Ein Hund ist das einzige Ding auf der Welt, das dich mehr liebt als sich selbst“ (a. a. O. S. 90). Als Beleg dafür führt Darwin den Bericht über einen Hund an, der noch im Todeskampf seinen Herrn liebkost hat, und fügt hinzu: „Und alle haben davon gehört, wie ein Hund, an dem man die Vivisektion ausführte, die Hand seines Operateurs leckte. Wenn nicht dieser Mann ein Herz aus Stein hatte, so muss er, wenn die Operation nicht völlig gerechtfertigt war, bis zur letzten Stunde seines Lebens Gewissensbisse gefühlt haben“ (a. a. O. S. 90). Hunde sind für Darwin das beliebteste Beispiel für seine Auffassung, dass die meisten komplizierten Gemütsbewegungen den höheren Tieren und uns gemeinsam sind. Denn Hunde haben nicht nur Liebe zum Menschen, sondern auch die Sehnsucht, geliebt zu werden. Sie haben nach Darwins Auffassung Ehrgeiz, lieben Anerkennung und Lob. Ein Hund, der seinem Herren den Korb trägt, zeigt „Selbstgefälligkeit und Stolz in hohem Grade“. Er besitzt Schamgefühl, Großmut und Bescheidenheit. Darwin glaubt sogar, dass Hunde etwas zeigen, was ganz gut „ein Sinn für Humor“ genannt werden kann: „Wenn irgend etwas, ein Stock oder dergl., einem Hund hingeworfen wird, trägt er es oft eine kurze Strecke weit fort; dann kommt er wieder, legt den Gegenstand nahe vor sich auf den Boden und wartet bis sein Herr dicht heran kommt, um jenen aufzuheben. Nun ergreift aber der Hund das Ding schnell und läuft im Triumph damit fort, wiederholt dasselbe Stückchen und erfreut sich offenbar des Scherzes“ (Darwin a. a. O. S. 92). Was die intellektuellen Fähigkeiten anbelangt, ist Darwin der Meinung, dass Aufmerksamkeit, Lernen durch Nachahmung, Gedächtnis und Einbildungskraft zur mentalen Grundausstattung des Hundes gehören. Wölfe, die mit Hunden aufgezogen wurden, lernten zu bellen, und Hunde, die mit Katzen aufgezogen wurden, lernten von diesen die altbekannte Gewohnheit
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der Katzen, sich die Füße zu lecken und sich damit das Gesicht und die Ohren zu reinigen. Darwin selbst stellte absichtlich das Gedächtnis eines Hundes auf die Probe, als er ihn nach einer Abwesenheit von fünf Jahren wieder traf und in seiner alten Weise zu sich rief: „Er zeigt keine Freude, aber folgte mir augenblicklich, kam heraus und gehorchte mir so genau, als wenn ich ihn erst vor einer halben Stunde verlassen hätte. Ein Strom alter Ideenverbindungen, welche fünf Jahre geschlummert hatten, war hierdurch in seiner Seele augenblicklich angeregt worden“ (Darwin a. a. O. S. 96). Hunde, Katzen, Pferde und wahrscheinlich alle höheren Tiere haben nach Darwin lebhafte Träume und deswegen auch eine gewisse Einbildungskraft, was sich durch Bewegungen und Lautäußerungen im Schlaf belegen lässt. Auch die vermeintlich unübersteigbare Schranke zwischen dem Geist des Menschen und den Fähigkeiten der Tiere ist für Darwin nur eine nicht beweisbare Voreingenommenheit. Denn es ist schwer zu verstehen, wie jemand, der nur irgendwann einmal einen Hund gehalten hat, an dem Vermögen eines Tieres zweifeln kann, die wesentlichen Prozesse des Nachdenkens auszuüben (Darwin a. a. O. S. 102). Alle höheren Tiere besitzen nach Darwins Auffassung „dieselben Kräfte der Nachahmung, Aufmerksamkeit, Überlegung, Wahl, Gedächtnis, Einbildung, Ideenassoziation, Verstand, wenn auch in sehr verschiedenen Graden. Die Individuen einer und derselben Spezies zeigen gradweise Verschiedenheit im Intellekt, von absoluter Schwachsinnigkeit bis zu großer Trefflichkeit. Sie sind auch dem Wahnsinn ausgesetzt, wenn schon sie weit weniger oft daran leiden als der Mensch“ (Darwin a. a. O. S. 102). Darwin ist sich aber auch im Klaren, dass es außerordentlich schwer ist, zu bestimmen, inwieweit Tiere irgendwelche Spuren hoher geistiger Fähigkeiten wie Abstraktion, allgemeine Ideen, Selbstbewusstsein und geistige Individualität zeigen. Diese Schwierigkeiten rühren von der Unmöglichkeit her, zu beurteilen, was in der Seele eines Tieres vorgeht. Beobachtbar ist nur das Verhalten, das entweder, wie Darwin schon weiß und ausdrücklich feststellt, durch Erfahrung und Verstand oder durch ererbte Gewohnheit, d. h. nach einem Instinkt erfolgt. Als Beispiel führt Darwin das Verhalten der Schlittenhunde an, die immer auseinander gingen und sich trennten, wenn sie auf dünnes Eis kamen, sodass ihr Gewicht gleichmäßiger verteilt wurde. Dieses Verhalten kann sowohl durch die Erfahrung jedes einzelnen Individuums oder durch Nachahmung nach dem Beispiel der älteren und gescheiteren Hunde erfolgen oder es könnten die arktischen Wölfe, die Urväter der Eskimohunde, diesen Instinkt erlangt haben, der sie zwang, ihre Beute nicht in einer geschlossenen Masse anzugreifen, wenn sie sich auf dünnem Eis befanden. Ist in diesem Fall die Frage, ob es sich um einen vererbten Instinkt oder eine überlegte Entscheidung auf Grund von individueller Erfahrung handelt,
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nicht eindeutig zu beantworten, so lässt sich doch das Vermögen, abstrakte Ideen zu bilden, dem Hund nicht absprechen. Denn wenn ein Hund einen anderen Hund in weiter Entfernung wahrnimmt, dann ist es für Darwin klar, dass er ihn nur im abstrakten Sinn wahrnimmt, dass es ein Hund ist. Denn erst, wenn dieser Hund näher kommt, wird er als Individuum erkannt, und das Verhalten des wahrnehmenden Hundes ändert sich plötzlich, wenn der andere Hund mit ihm befreundet ist. Man kann zwar auch nach Darwin keinem Tier Selbstbewusstsein zuschreiben, wenn man unter diesem Begriff versteht, dass es über solche Fragen wie: woher es komme oder wohin es gehe oder was das Leben und was der Tod sei und so fort, nachdenke. Aber, so fragt er „wie können wir sicher sein, dass ein alter Hund mit einem ausgezeichneten Gedächtnis und etwas Einbildungskraft, wie sich durch seine Träume zu erkennen gibt, niemals über die Freuden und Leiden Betrachtungen anstellt, welche er früher auf der Jagd hatte?“ (Darwin a. a. O. S. 108). Was aber nun die Sprache betrifft, also jene Fähigkeit, die auch nach Darwin mit Recht als einer der Hauptunterschiede zwischen dem Menschen und den Tieren betrachtet wird, so verwendet Darwin das gleiche Argument, das Gassendi gegen Descartes vorgebracht hat: Hunde haben eben ihre eigene Sprache, denn sie haben seit ihrer Domestikation in wenigstens vier oder fünf Tönen zu bellen gelernt: das Bellen des Eifers, wie auf der Jagd, das des Ärgers ebenso wie das Knurren, das heulende Bellen der Verzweiflung, z. B. wenn sie eingeschlossen sind, das Heulen bei Nacht, das der Freude, wenn sie z. B. mit ihrem Herrn spazieren gehen sollen, und das sehr bestimmte Bellen des Verlangens oder der Bitte, z. B. wenn sie wünschen, dass eine Tür oder ein Fenster geöffnet werden soll. Was den Menschen von den Tieren unterscheidet ist nicht das Verständnis der artikulierten Laute. Denn Hunde, selbst wenn sie nicht wirklich, wie die vergeblichen Versuche gezeigt haben, einer artikulierten Sprache wie der des Menschen fähig sind, verstehen, wie jedermann weiß, viele Worte und Sätze. Der Unterschied zum menschlichen Sprachvermögen besteht nach Darwin allein darin, dass der Mensch eine „unendlich größere Fähigkeit besitzt, die verschiedenartigsten Laute und Ideen zu assoziieren. Aber diese Fähigkeit muss erst im individuellen Leben des Menschen erworben werden. In dieser Beziehung stehen die ausgewachsenen Hunde auf derselben Entwicklungsstufe wie Kinder zwischen zehn und zwölf Monaten, die viele Worte und kurze Sätze verstehen und doch nicht ein einziges Wort hervorbringen können.“ Schon zu Darwins Zeiten identifizierte man Sprache und Denkvermögen. Weil die Sprache als notwendiges Hilfsmittel des Gedankens zur Entwicklung des Bewusstseins und zur Deutlichkeit und Mannigfaltigkeit der Begriffe unentbehrlich ist, wollte man den Gedanken ohne Sprache als un-
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möglich ansehen. Darwin zitiert in diesem Zusammenhang einen Aphorismus seines Zeitgenossen Max Müller: „Es gibt keine Gedanken ohne Worte, ebenso wenig wie es Worte ohne Gedanken gibt“ (Darwin a. a. O. S. 115). Das schlimmste Paradox, das sich aus dieser Identifikation von Gedanken und Worten ergibt, besteht darin, dass ein Kind (in-fans, nicht sprechend) kein menschliches Wesen ist und dass Taubstumme nicht eher in den Besitz der Vernunft gelangen, bis sie gelernt haben, ihre Finger zur Nachahmung gesprochener Worte zu gebrauchen. Daher ist es für Darwin unmöglich, das gesprochene Wort als das alleinige Kriterium für die Fähigkeit anzusehen, allgemeine Begriffe zu bilden: „Ein Hund bildet einen allgemeinen Begriff von Katze oder Schaf und kennt das entsprechende Wort so gut wie ein Philosoph. Und die Fähigkeit zu verstehen ist ein ebenso guter, wenn auch dem Grade nach niedriger Beweis für vokale Intelligenz, wie die Fähigkeit zu sprechen“ (L. Stephen nach Darwin a. a. O. S. 115). Darwin scheut sogar nicht davor zurück zu behaupten, dass Hunde zumindest so etwas Ähnliches wie religiöse Gefühle besitzen, die eine komplizierte Verbindung von Liebe, vollständiger Unterordnung, Furcht und Verehrung darstellen. Denn, wie bereits Bacon und der Dichter Burns behaupteten, „ein Hund blickt zu seinem Herrn wie zu einem Gott auf“ (Darwin a. a. O. S. 123). Darwins Evolutionstheorie beseitigte nach der Auffassung seiner Anhänger und Mitstreiter, wie etwa Alfred Brehm, die unnatürliche Vorstellung vom Menschen als eines „Zwitterwesens, zum Gott zu gering, zum Tier zu erhaben“ (Brehm 1876, 1. Bd. S. 2). Für Brehm ist der Mensch nichts anderes als ein Säugetier, das heißt „ein lebendes, fühlendes Wesen mit rotem warmen Blute, welches lebendige Junge gebiert und sie groß säugt“ (Brehm a. a. O. S. 1). Wenn man also dem Menschen Bewusstsein und Gefühle zuspricht, so haben sie die anderen Säugetiere auch. Für Ludwig Büchner, dem radikalsten Anhänger Darwins, werden in diesem Sinn alle so genannten spezifischen Unterscheidungsmerkmale zwischen Mensch und Tier bei genauerer Betrachtung hinfällig. Beim „Studium der Tierseele“, sagt er, „wird man dann alsbald ganz andere Dinge erfahren als diejenigen, welche die Schreibstubengelehrten in ihrer hohen und hohlen Weisheit uns bisher glauben zu machen bemüht waren, und wird sich alsbald überzeugen, dass das menschliche Wesen in seiner tiefsten Erniedrigung oder auch in seinem rohesten Urzustande so nahe an die Tierwelt streift, dass man sich unwillkürlich fragt, wo denn eigentlich die Grenze zu ziehen ist“. Scheitlin, ein anderer Anhänger Darwins, sieht im Hund sogar einen „Zweidrittelmenschen“ (Brehm a. a. O. S. 583). Seine Beschreibung der Hundeseele stellt den Höhepunkt der Gegenreaktion auf die Maschinentheorie der Tiere dar, wenn er sagt, dass die Seele des Hundes unleugbar so
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vollkommen ist, wie die eines Säugetiers nur sein kann: „Von keinem Tier können wir so oft sagen, dass ihm vom Menschen nichts mehr als die Sprache mangelt, von keinem Säugetier haben wir so viele Darstellungen aller Abänderungen, von keinem so eine außerordentliche Menge von Erzählungen, welche uns seinen Verstand, sein Gedächtnis, seine Erinnerungskraft, seine Anhänglichkeit, Dankbarkeit, Wachsamkeit, Liebe zum Herrn, Geduld im Umgang mit Menschenkindern, Wut und Todeshaß gegen die Feinde des Herren etc. kundtun sollen, weswegen kein Tier so oft als er dem Menschen als Muster vorgestellt wird. Wie viel wird uns von seiner Fähigkeit zu lernen erzählt? Er tanzt, er trommelt, er geht auf dem Seil, er steht Wache, er erstürmt und verteidigt Festungen, er schießt Pistolen los; er dreht den Bratspieß, zieht den Wagen; er kennt die Noten, die Zahlen, Karten, Buchstaben; er holt dem Menschen die Mütze vom Kopf, bringt Pantoffeln und versucht Stiefel und Schuhe wie ein Knecht auszuziehen; er versteht die Augen- und Mienensprache“ (Brehm a. a. O. S. 582). Gerade auf diese letztgenannte Fähigkeit, die, wie bereits gezeigt, die Grundlage für die betrügerischen Täuschungsmanöver über lesende und rechnende Hunde waren, legt Brehm zu Recht besonderen Wert. Der Hund beweist im Umgang mit Menschen ein Erkennungsvermögen, welches oft an Wunder grenzt. Und auch umgekehrt kann man beim Hund sehr gut den wechselnden Ausdruck des Hundegesichts beobachten. Für Brehm spricht sich die hohe geistige Fähigkeit des Hundes ganz unverkennbar in seinem Gesicht aus. Jeder Hund hat seinen durchaus besonderen Ausdruck, sodass man zwei Hundegesichter ebenso wenig verwechseln kann wie zwei Menschengesichter. Es haben daher nicht nur die einzelnen Hunderassen unterschiedliche geistige und emotionale Fähigkeiten, sondern auch jeder einzelne Hund ist ein unverkennbares Individuum mit besonderen Eigenheiten, die sich im Laufe seines Lebens immer mehr ausprägen.
Die Intelligenz der Hunde Während jedoch Scheitlin im Fahrwasser der Darwin’schen Evolutionstheorie in unkritischer Weise alle wirklichen und scheinbaren Belege für die geistigen Fähigkeiten der Hunde wieder hervorholt, gelingt es dem Begründer der Prähistorie, dem Ethnologen John Lubbock, in vorbildlicher Weise durch genau geplante Experimente die umstrittenen geistigen Fähigkeiten der Hunde, insbesondere das berüchtigte Lesen und Rechnen aufzuklären und auf ein wissenschaftlich begründetes Maß einzuschränken (Lubbock 1889, S. 275 ff.). Er wird damit zu einem Vorläufer der heute üblichen Intelligenztests an Hunden und Hunderassen (Coren 1995). Die Grundidee, von der Lubbock ausgeht, entspricht durchaus den heutigen Vorstellungen
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wenn er sagt, „dass wir bis jetzt bloß versucht haben, Tiere zu unterrichten, anstatt von ihnen zu lernen, – unseren Gedankengang auf sie zu übertragen, anstatt eine Laut- und Zeichensprache zu ersinnen, mittels der sie sich mit uns verständigen könnten“ (Lubbock 1889, S. 275). Als Vorbild diente Lubbock der auch von Darwin behandelte Fall der taubstummen Laura Bridgeman, die im Alter von zwei Jahren nach einer schweren Krankheit sowohl taub und blind wurde als auch das Vermögen zu riechen und schmecken fast verlor. Nur der Tastsinn blieb noch erhalten. Unter Anleitung des Arztes Dr. Howe erlangte sie jedoch die Fähigkeit, sich durch Zusammenstellen von erhabenen Buchstaben auszudrücken. In den ersten Versuchen wurden an Gegenständen des täglichen Gebrauchs wie etwa Löffel oder Schlüssel kleine Täfelchen befestigt, auf denen in erhabenen Buchstaben die Namen der Gegenstände dargestellt waren. Diese Methode verwendete Lubbock bei seinem Hund, einem schwarzen Pudel namens „Van“. Er nahm zwei Papptäfelchen. Auf dem einen stand in Großbuchstaben geschrieben das Wort „FOOD“. Das andere blieb weiß. Wie sorgfältig Lubbock bei diesem Hundeintelligenztest vorging, zeigt seine eigene Beschreibung des weiteren Verlaufs des Experiments: „Darauf legte ich beide über zwei Näpfchen, in dem einen unter der bedruckten Karte war etwas in Milch eingeweichtes Brot, das Van, nachdem seine Aufmerksamkeit auf das Täfelchen gelenkt war, fressen durfte. Dies wurde immer wiederholt, bis er genug hatte. Nach ungefähr 10 Tagen fing er an, die Täfelchen zu unterscheiden. Darauf legte ich sie auf den Boden und ließ ihn dieselbe apportieren, was er gern und geschickt genug tat. Brachte er das leere Täfelchen, so wies ich es einfach zurück, brachte er aber das bedruckte, so gab ich ihm ein Stückchen Brot und innerhalb eines Monats hatte er den Unterschied prächtig weg. Darauf nahm ich einige andere Täfelchen, bedruckt mit den Worten ‚out‘ (aus), ‚tea‘ (Tee), ‚bone‘ (Knochen), ‚water‘ (Wasser) und eine Anzahl anderer: zwar auch mit Worten versehener, so wie ‚nought‘ (genug), ‚plain‘ (leer), ‚ball‘ (Ball) usw., die aber meiner Absicht nach für ihn keine weitere Bedeutung haben sollten. Van lernte es bald verstehen, dass in dem Bringen eines Täfelchens eine Bitte lag, und bald lernte er auch die bedruckten und leeren Täfelchen unterscheiden. Es kostete ihm längere Zeit, die Verschiedenheit zwischen den einzelnen Worten kennenzulernen, aber nach und nach vermochte er einige wie ‚food‘, ‚out', ‚bone‘, ‚tea‘ u. s. w. zu erkennen. Wenn man ihn fragte, ob er gern mit spazieren gehen möchte, so nahm er freudig das Täfelchen mit ‚out‘ auf, indem er es aus mehreren andern heraussuchte, und brachte es zu mir oder lief damit in hellem Triumph zur Tür“ (Lubbock 1889, S. 280). Um zu vermeiden, dass sich der Hund nur an eine bestimmte Lage des Täfelchens orientierte, wurden die Täfelchen auf verschiedenste Weise immer wieder neu durcheinander gelegt. Aber damit nicht genug. Denn Lub-
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bock war natürlich auch der besonders ausgeprägte Geruchssinn der Hunde bekannt. Um zu vermeiden, dass der Hund das Täfelchen bloß am Geruch, nicht aber an dem darauf geschriebenen Wort erkannte und auswählte, wurde folgendes höchst aufwendiges Verfahren angewandt: „Brachte Van z. B. ein Täfelchen mit ‚food‘ darauf, so wurde nicht etwa das nämliche Täfelchen wieder hingelegt, sondern ein anderes, aber mit derselben Aufschrift; brachte er dieses, ein drittes, dann ein viertes u. s. f. Für eine einzige Mahlzeit waren daher 18 bis 20 Täfelchen erforderlich, sodass er augenscheinlich nicht durch den Geruch geleitet werden konnte. Niemand, der zugesehen hätte, wie er auf eine Reihe von Täfelchen nieder blickte und das Gewünschte aufhob, konnte meiner Meinung nach darüber im Zweifel sein, dass der Hund fühlte, wie er mit dem Überbringen der Karte eine Bitte tat, und dass er nicht bloß ein Täfelchen vom andern unterscheiden konnte, sondern auch Wort und Gegenstand in Verbindung zu bringen wusste“ (Lubbock 1889, S. 281). Lubbock war sich jedoch im Klaren, dass mit solchen Experimenten nur „ein schwacher Anfang“ für den Nachweis des bewussten Verstehens und Handelns gemacht worden ist. Er wandte sich daher auch einem weiteren Gebiet der Intelligenz des Hundes zu: ihren rechnerischen Fähigkeiten. Auch hier war die Sachlage nicht so einfach, wie sie auf dem ersten Blick aussah. Lubbock leitet seine Untersuchungen über „die arithmetischen Anlagen des Hundeverstandes“ mit folgenden Worten ein: „Man könnte sich einbilden, dass nicht viel Mühe dazu gehöre, um zu entscheiden, wie weit ein Tier zählen und ob es eine einfache Addition, wie z. B. 2 und 2 macht 4, ausführen kann. Wenn wir uns aber überlegen, wie man es anfangen soll, dies zu entscheiden, dann verliert die Sache ihr einfaches Aussehen“ (Lubbock 1889, S. 287). Dann schildert er den Verlauf dieses Experimentes und dessen enttäuschendes Ergebnis: „Wir machten mit unsern Hunden Versuche, indem wir ein Stückchen Brot vor ihnen hinlegten, sie aber verhinderten, es zu berühren, bis wir bis sieben gezählt hatten. Um zu verhindern, dass wir selbst unwillkürlich irgendein Zeichen gäben, wendeten wir ein Metronom an, und um den Taktschlag vernehmlicher zu machen, wurde ein dünnes Stäbchen an den Pendel desselben befestigt. Es machte wirklich den Eindruck, als ob die Hunde wussten, wann der Augenblick der Erlaubnis zuzulangen gekommen sei, aber ihre Bewegung beim Nehmen des Brotes waren kaum bestimmt genug, um die Sache über jeden Zweifel erhaben erscheinen zu lassen. Außerdem bemerken Hunde ein ihnen auch unwillkürlich gegebenes Zeichen so außerordentlich rasch, dass das Resultat des ganzen Versuches mir ungenügend erschien“ (Lubbock 1889, S. 287). Noch mehr entmutigt wurde Lubbock, ein derartiges Experiment fortzusetzen, durch eine Mitteilung eines Herrn Huggins, dessen „sehr intelligenter Hund“ bereits alle Charakteristiken des „klugen Hans“ aufwies.
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Auch er konnte anscheinend rechnen, was durch folgenden Test demonstriert wurde: Zuerst wurde dem Hund befohlen, sich zu setzen, und man zeigte ihm ein Stückchen Kuchen. Eine Anzahl Karten wurden auf den Boden gelegt, einzeln nummeriert mit 1, 2, 3 und so weiter bis 10. Darauf wurde eine Aufgabe gestellt, z. B. die Quadratwurzel aus 9 oder 16 oder eine Summe wie 6 + 5 – 3, und der Hund antwortete mit Bellen. Das Stückchen Kuchen war dann die Belohnung für solche Klugheit. Es wurde zwar dem Hund nicht absichtlich irgendein Zeichen gegeben, aber das Tier war ein so scharfer Beobachter auch der geringsten Andeutung, dass er im Stande war, die richtige Antwort zu finden. Lubbock erklärte sich diese phantastische Leistung durch die einfache Tatsache, „dass der Hund in dem Gesichtsausdrucke seines Herrn liest, wann er richtig gebellt hat, wenigstens wendet er niemals seine Augen von dessen Antlitz“ (Lubbock 1889, S. 288). Vergleicht man diese frühen Versuche über die Hundeintelligenz mit den Ansichten zu dieser Frage in der gegenwärtigen Psychologie, dann muss man feststellen, dass die Diskussion darüber so kontrovers ist wie nie zuvor. Während die einen, wann immer es um höhere geistige Prozesse geht, energisch der Vorstellung widersprechen, menschliches und tierisches Verhalten würden notwendigerweise durch die gleichen Grundsätze bestimmt, sehen die anderen im Sinne Darwins und seiner Evolutionstheorie nur einen graduellen Unterschied. So überträgt der kanadische Psychologe Stanley Coren das Konzept der „multiplen Intelligenzen“ seines amerikanischen Kollegen Howard Gardner, mit dem dieser versuchte, die menschliche Intelligenz zu beschreiben, auf Hunde und unterscheidet auch bei ihnen räumliche, körperlich-kinästhetische, intra- und interpersonelle Intelligenz. Er billigt den Hunden sogar einige mathematische und logische Fähigkeiten zu und ganz im Gegensatz zu Descartes auch eine gewisse sprachliche Intelligenz. Darüber hinaus schlägt er drei Dimensionen der manifesten Intelligenz des Hundes vor, die sich auch durch geeignete Tests messen lassen: die adaptive, die Arbeits- und die instinktive Intelligenz (Coren 1995). Eine eigene „Hundepsychologie“ hat sich auch in der deutschsprachigen Literatur als ein Teilbereich der von Lorenz begründeten Vergleichenden Verhaltensforschung (Ethologie) etabliert (vgl. Feddersen-Petersen 1989). In ihr wird jedoch der Hauptfehler der alten Tierpsychologie, die naive Vermenschlichung des Hundes, vermieden, aber trotzdem der unleugbaren Tatsache Rechnung getragen, dass zwischen Mensch und Hund sich eine Vertrautheit entwickeln kann, die es unmöglich macht, diese Tiere rein objektiv zu betrachten (vgl. Hediger 1980).
Das Dilemma der modernen Verhaltensforschung
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Das Dilemma der modernen Verhaltensforschung Die Entlarvung der lesenden und rechnenden Hunde und Pferde hat sich ohne Zweifel auch hemmend auf die Entwicklung der evolutionär begründeten Verhaltensforschung ausgewirkt. Denn fast alle ihre Vertreter hatten unter der für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts typischen Auffassung gearbeitet, wonach die Fragen nach dem subjektiven oder geistig-seelischen Erleben in die Rumpelkammer des Nichtwissenschaftlichen verwiesen waren (Griffin 1990, S. 76). Und auch heute spukt noch immer der „kalte und modrige Geist von Jacques Loeb“ herum, wenn tierisches Verhalten einzig und allein in den Begriffen von Reizen, Reaktionen und Anpassungsvorteilen beschrieben wird. Auch dann, wenn Verhaltensforscher Begriffe wie „Wählen“ oder „Entscheiden“ verwenden, dementieren sie, dass mit dieser Sprechweise auch bewusstes Denken gemeint ist. So leitete J. R. Krebs seine Arbeit über „Entscheidungsregeln für Raubtiere“ (1978, S. 23) für optimale Futterbeschaffung mit folgenden Worten ein: „Es ist zu beachten, dass ich nicht beabsichtige, mit den Wörtern ‚Entscheidung‘ und ‚Wahl‘ in irgendeiner Weise auf bewusste Gedanken hinzuweisen. Sie stehen vielmehr als Abkürzungen für die Aussage, dass das Tier darauf angelegt ist, gewisse Regeln zu befolgen“ (Krebs 1978, S. 23). Solche einschränkenden Widerrufe werden von Griffin nicht zu Unrecht als „Schutzmäntelchen für die wissenschaftliche Respektabilität“ eines Autors bezeichnet. Die Erklärung, dass das spontane „Pfötchengeben“ als Milchtritt zu verstehen ist, oder die Unterordnung gegenüber dem „Alphatier“ des Rudels sind wissenschaftlich begründete Ansichten, die bereits in fast alle populärwissenschaftlichen Hundebücher eingegangen sind. Auf diese Weise wurden zwar auch viele unberechtigte Vermenschlichungen und sentimentale Gefühlsduseleien über das Verhalten der Hunde beseitigt. Doch es bedeutet eine auch wissenschaftlich nicht zu rechtfertigende Simplifikation, wenn man auch das komplexeste und differenzierteste Verhalten und jede Art von Gefühlsäußerungen der Hunde auf einfache genetisch bedingte „Instinkthandlungen“ reduziert: Zum Beispiel, wenn man das Schwanzwedeln nicht als Ausdruck der Freude oder Erwartung, sondern nur als das vom Wolf übernommene Zufächeln der analen Eigendüfte an den Rudelführer betrachtet. Manche behavioristisch gesinnte Verhaltensforscher gehen so weit zu behaupten, dass kein Hund seinen Herrn liebe, sondern dieser nur Ersatz für den „Alpharüden“ in der Wolfsmeute sei (vgl. Gebhart 1978, S. 59). Neuere Untersuchungen (Mech 1999) zeigen vielmehr, dass die Verwendung des Ausdruckes „Alpha“ für die höchste Rangposition in einem frei lebenden Wolfsrudel keine zusätzliche Information liefert, sondern fälschlicherweise auf eine starre, auf Zwang basierende Dominanzhierar-
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chie hinweist, die man eigentlich nur bei Wölfen in Gefangenschaft beobachtet hat. Die sozialen Interaktionen zwischen den Mitgliedern natürlicher Wolfsrudel sind dagegen viel ruhiger und friedlicher. Das typische frei lebende Wolfsrudel ist eine Familie, in der die erwachsenen Elterntiere die Aktivitäten der Gruppe über ein System der Arbeitsteilung anführen, wobei das Weibchen für die Betreuung und Verteidigung der Welpen sorgt, während das Männchen das Futter auftreibt. Überhaupt sind die differenzierten Leistungen einzelner Individuen bekannter Hunderassen keineswegs nur als das Verhalten von neotänen, d. h. ewig jugendlich gebliebenen Wolfswelpen zu verstehen. Der Hund ist eben nicht nur ein wild lebender Canide, den die natürliche Auslese hervorgebracht hat, sondern auch ein Kulturwesen sozusagen zweiter Art, das auch seine eigenen Geschichte hat. Sogar Konrad Lorenz, der weder das Bewusstsein und noch weniger die Gefühle von Tieren geleugnet, sondern beide in seinem populären Hundebuch in unübertrefflicher Weise dargestellt hat, ist in seinen wissenschaftlichen Abhandlungen äußerst zurückhaltend. In seiner Abhandlung aus dem Jahre 1963 gab er auf die Frage „Haben Tiere ein subjektives Erleben?“ die Antwort: „Wenn ich darauf antworten könnte, hätte ich das Leib-SeeleProblem gelöst.“ Obwohl er der Überzeugung war, „dass ein höheres Tier, etwa ein Hund, ein Erleben hat“, darf nach seiner ausdrücklichen Meinung dieser Glauben nicht in die Formulierungen der wissenschaftlichen Verhaltensforschung eingehen, was er an folgendem Beispiel erläutert: „Wenn ich mit einer zahmen Wildgans spazierengehe und diese Gans streckt sich plötzlich, macht einen langen Hals und stößt einen leise schnarchenden Warnlaut aus, dann sage ich vielleicht: ‚Jetzt ist sie erschrocken.‘ Diese subjektive Kurzfassung besagt aber nur, dass ich weiß, die Gans hat einen Flucht auslösenden Reiz empfangen, und nach Gesetzlichkeiten der Reizsummation sind jetzt ihre Schwellenwerte für andere, ebenfalls Flucht auslösende Reizsituationen stark herabgesetzt“ (Lorenz 1974, S. 360). Während Lorenz selbst die Fragen nach dem subjektiven Erleben der Tiere im Sinne der wissenschaftlichen Verhaltensforschung und ihrer verobjektivierenden Terminologie für unbeantwortbar und psychisches Geschehen als „grundsätzlich alogisch“ bezeichnet, hat sich neuerdings auch bei seinen engsten Mitarbeitern, zumindest was die Frage des Bewusstseins der Tiere betrifft, eine andere Haltung in der wissenschaftlichen Behandlung dieses Begriffes durchgesetzt. So beantwortet Wolfgang Schleidt die Frage „Dürfen, können oder müssen wir Bewusstsein bei Nicht-Menschen als wissenschaftliches Konzept annehmen?“ dreimal mit Ja (Schleidt 1992, S. 327). Die Annahme, dass nicht nur der Mensch, Homo sapiens, sondern auch Tiere Bewusstsein haben, ist nicht nur mit der Evolutionstheorie verträglich, sondern auch eine logische Konsequenz des Grundprinzips der Evolution, das seit Darwin bekannt ist, der Anpassung an die Umwelt durch Se-
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lektion. Doch diese Anpassung des Verhaltens ist niemals vollkommen. Denn die natürliche Umwelt und insbesondere das Nahrungsangebot bleibt keineswegs immer konstant. Vielmehr stellt die Natur die Tiere oft vor komplexe Anforderungen, denen sie am besten mit einem Verhalten begegnen, das rasch wachsenden Umständen angepasst werden kann. Dabei schwanken die Umweltbedingungen und noch mehr die Situationen und Zustände der sozialen Mitwelt, die sowohl von den Artgenossen als auch von Fressfeinden oder Beutetieren hervorgerufen werden, so sehr, dass das Gehirn eines Tieres Instruktionen von einer unvorstellbaren Menge enthalten müsste, um programmierte Vorschriften für optimales Verhalten in allen Lebenslagen zu haben (Griffin 1990, S. 61). Zwar ist es bei gekonnten Bewegungen eines Tieres durchaus plausibel, anzunehmen, dass sein Verhalten leistungsfähiger ist, wenn es automatisch abläuft und nicht durch bewusstes Denken verkompliziert oder gar gestört wird. Das gilt auch für den Menschen: „Um durch rauhes Gelände oder dichte Vegetation zu gehen, ist ein ausgewogenes Zusammenspiel gegensätzlicher Muskelgruppen nötig. Gehirn und Rückenmark verändern die Aktionen der Muskeln, je nachdem ob der Boden ansteigt oder abfällt oder ob der Bewuchs nachgibt oder nicht, wenn wir darüber steigen“ (Griffin 1990, S. 62). Auch jene mentalistisch eingestellten Verhaltensforscher wie Griffin geben zwar zu, dass dieser Vorgang, falls er überhaupt bewusstes Denken erfordern sollte, sicher nur in einem sehr geringen Maß vom Bewusstsein begleitet ist. Aber ähnlich wie wir bei dem Aneignen oder Erlernen von neuen Fähigkeiten in neuen Situationen und Umweltbedingungen alle Einzelheiten sorgfältig und bewusst beachten müssen, erscheint es einleuchtend, dass einem Tier, welches neuen und schwierigen Anforderungen gegenübersteht, bei denen es um Leben oder Tod geht, bewusstes Denken und Abwägen echte Vorteile bietet. So haben Wölfe, denen Fallen gestellt worden sind, eindrucksvolle Leistungen vollbracht, die ohne eine Art des einsichtigen Handelns gar nicht möglich sein können. Sie haben nicht nur die Fallen erkannt, sondern sie konnten diese manchmal sogar unschädlich machen. Die große Vorsicht, mit der Wölfe und Füchse Fallen umgehen oder unwirksam machen, erklärt sich dadurch, dass sie sich keine Fehler leisten können. Ein Wolf oder Fuchs, der einmal in einer Falle einen Fehler begangen hat, indem er den Fangmechanismus ausgelöst hat, macht diesen Fehler in seinem Leben kein zweites Mal mehr. Wölfe, die nachts beobachtet wurden, zeichnen sich durch geradezu minutiöse Absicherungen aus: „Sie machen nicht einen Schritt, ohne genau zu erkunden, wohin sie die Pfote setzen. Ihre Bewegungen erfolgen im Zeitlupentempo. Nur entlang der Wege, die sie bereits gegangen waren, rannten sie unruhig auf und ab, gingen immer wieder zurück, um sich dann wieder langsam vorwärts zu tasten. Es kann Stun-
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den dauern, bis sie auch nur einen Meter vorangekommen sind, wobei das Ganze durch längere Ruheperioden unterbrochen wird, wenn das Tier nicht überhaupt sein Vorhaben aufgibt und vielleicht erst ein paar Nächte später wiederkommt“ (Zimen 1989, S. 305). Schon auf diesem Niveau der sensomotorischen Intelligenz zeigt sich, dass Bewusstsein eine notwendige Eigenschaft von Lebewesen ist, die schnell und sicher auf veränderte oder unbekannte Umweltbedingungen und Situationen reagieren müssen, um zu überleben. Daher muss das Bewusstsein bei Menschen und bei Tieren in sehr früher Zeit entstanden sein.
2. Vor hunderttausend Jahren Akzeptiert man, dass Hunde Bewusstsein haben, dann erhebt sich die weitere Frage, wann es entstanden ist und welcher Art dieses Bewusstsein ist. Um eine Antwort auf diese Frage zu bekommen, muss man weit über die eigentliche Geschichte des Menschen hinaus in jene Zeiten zurückgreifen, als sich nach neuesten Forschungen Hominiden und Caniden begegnet sind und eine Koevolution durchliefen, die zu jener genetisch angelegten Beziehung zwischen Mensch und Hund geführt hat, wie sie sich heutzutage darstellt. Eine gemeinsame Entwicklung von Hund und Mensch wurde schon vor Darwins Evolutionstheorie vorausgeahnt. So vermutete der Begründer der vergleichenden Anatomie und Paläontologie und heftige Gegner der Lamarck’schen Evolutionstheorie Cuvier, dass der Hund „vielleicht sogar notwendig zum Bestande der Gesellschaft des Menschenvereins sei“ (vgl. Brehm 1876, 1. Bd., S. 559). Noch deutlicher drückt sich später der Kustos des „k. k. zoologischen Hof-Cabinetes“ Leopold Jos. Fitzinger in seiner Naturgeschichte des zahmen Hundes vom Jahre 1876 aus: „Der zahme Hund ist heutzutage fast über alle Teile des Erdballs verbreitet, denn überall, wo der Mensch seinen Wohnsitz aufgeschlagen hat, trifft man auch den zahmen Hund an seiner Seite ... und selbst die armseligsten und unzivilisiertesten Völker haben ihn zu ihrem Genossen und Verteidiger ... Fast scheint es, als sei der Hund schon ursprünglich in den engsten Verband mit dem Menschen getreten, was sich aber nur dadurch erklären ließe, wenn man annehmen wollte, dass seine Entstehung entweder in dieselbe Zeit mit der des Menschen falle, oder wenigstens in einer dieser sehr nahe stehenden, kurz vorausgegangenen Periode stattgefunden habe“ (Fitzinger 1876, S. 21 f.). Für eine derartige, sicherlich nicht zufällige zeitliche und örtliche Koinzidenz von Hominisation und Canisation gibt es neuerdings infolge einer genauen Analyse der Mitochondrien-DNA von Hunden, Wölfen und Schakalen, wie sie von Carlos Vilá und Robert Wayne und seiner Gruppe (Vilá, C. et al. 1997) durchgeführt wurden, einen starken Hinweis. Während man üblicherweise die Domestikation des Hundes nach den klassischen Funden z. B. aus der Pfahlbauzeit, auf die sich auch Lorenz beruft, und aus noch weiter zurückliegenden prähistorischen Zeiten der Jäger und Sammler bis auf 14 000 Jahren (Studer 1901, Nobis 1979) zurückverlegt hat, zeigt diese neue molekularbiologische Untersuchung, dass die erste Aufspaltung zwischen den Vorläufern der heutigen Wölfe und Hunde vor mehr als 100 000
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Jahren erfolgt sein muss, d. h. lange vor der Zeit, in der der moderne Hominide begonnen hat, sich über die Welt zu verbreiten. Daher hat auch die Annahme einer Koevolution von Caniden und Hominiden (Schleidt 1999), aus der die Hunde wie die Menschen entstanden sind, eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit. Koevolution bedeutet jedoch auch, dass sich beide Arten von Lebewesen in ihrer Entwicklung gefördert haben. Während es völlig klar ist und von jedem akzeptiert wird, dass der Mensch die wilden Vorfahren unserer Hunde, welcher Art sie auch immer gewesen waren, domestiziert und durch Züchtung genetisch verändert hat, fragt es sich jedoch, welchen Anteil die Vorläufer unserer Hunde an der Menschwerdung des Affen gehabt haben. Denn dass der Mensch zwar nicht von den heute lebenden Affen abstammt, aber doch von einem gemeinsamen Vorfahren, steht seit Darwin unbestreitbar fest.
Der Anteil des Hundes an der Menschwerdung des Affen Nun sind aber die heutigen Primaten, vor allem die so genannten Menschenaffen wie Schimpansen, Gorillas und andere, in ihrem sozialen Verhalten außerordentlich opportunistisch. Wenn Soziobiologen von der „machiavellischen Intelligenz“ der höheren Primaten sprechen, dann besteht sie laut ihrer Definition in der Übervorteilung des konkurrierenden Rivalen zum Zweck des persönlichen Gewinns (Byrne u. Whiten 1988). Ein empirisches Faktum, das sogar die Schimpansenforscherin Jane Goodall festgestellt hat, wenn sie sagt, dass Schimpansen wie alle anderen Menschenaffen im Vergleich zu Hunden egoistische und bösartige Individualisten sind, deren sozialen Bindungen über die Liebe zwischen Mutter und Kind oder den nächsten Verwandten nicht hinausgeht, während alle anderen Beziehungen opportunistisch sind (vgl. Schleidt 1999). Es muss also gefragt werden, woher der Primat Homo sapiens seine Fähigkeit zur sozialen Kooperation bekommen hat? Die Antwort kann nur lauten: Es waren die Caniden, die hundeartigen Stammväter bzw. Mütter unserer Haushunde, d. h. die Wölfe, die unseren affenartigen Vorfahren, die wie die heutigen Affen ungestüme, aufbrausende und opportunistische Individualisten waren, zu Lebewesen gemacht haben, die zur Zusammenarbeit fähig sind, die weit über die engen genetisch bedingten Familienbande hinausgeht, auf die sich die anthropoiden Affen noch heute beschränken. Durch die hunderttausende Jahre andauernde Koevolution von Caniden und Hominiden trat nicht nur der anatomisch moderne Mensch hervor, sondern durch Canisation oder „Verhundung“ des affenartigen Primaten entstand auch der ethisch moderne Mensch, der auf diese Weise trotz der Erblast
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seiner machiavellischen Intelligenz zu einem sozialen Wesen umgeformt wurde. Akzeptiert man diese aus den neuesten genetischen Analysen von Hunden und Wölfen abgeleiteten Überlegungen, dann müssen nicht nur die alten, sondern auch die gegenwärtigen Vorstellungen von „Domestikation“ neu überdacht werden. Denn wir sind dadurch mit einer erstaunlichen zeitlichen und räumlichen Koinzidenz zwischen Hominisation und Canisation der Entstehung der Menschheit und der „Hundheit“ konfrontiert, sodass mit Recht die Frage gestellt werden kann, wer hat wen domestiziert (Schleidt 1999). Daher muss die Frage nach der Abstammung sowohl des Hundes als auch des Menschen in die Frage des Treffpunktes von Hominiden und Caniden umgeformt werden. Und die Frage der Domestikation des Haushundes muss in die Frage nach der genetischen Veränderung sowohl der Caniden als auch der Hominiden umgewandelt werden, die nach diesem Treffpunkt erfolgt ist. Denn alles, was man von der genetischen Veranlagung der Hominiden, sei es Australopithecus, Homo erectus oder Neandertaler, weiß, deutet darauf hin, dass sie in ihrem Sozialverhalten den heutigen Affen sehr ähnlich waren, aber in einer Eigenschaft alle damals und heute lebenden Affen bei weitem übertrafen: in ihrer unbegrenzten Fähigkeit zu Mord und Totschlag. Diese überragende Fähigkeit kann nichts anderes sein als das Resultat eines mörderischen Selektionsprozesses innerhalb der Gattung der Hominiden selbst. Nachgewiesen wurde diese Totschlägermentalität von Raymond A. Dart (1953) an dem grazilen, Fleisch fressenden Australopithecus africanus, unter dessen Küchenabfällen man nicht nur die eingeschlagenen Schädel von Pavianen, sondern auch die seiner Artgenossen fand. Kannibalismus war noch in der Steinzeit keine Seltenheit, sondern die Regel. Er wurde auch beim Neandertaler und Homo erectus Ostasiens nachgewiesen. An Funden von Schädelbestattungen des Neandertalers war leicht zu erkennen, dass manchmal das Hinterhauptsloch an der Basis des Schädels erweitert worden war, um das Gehirn zu entnehmen. Aus all dem ergibt sich ein Bild von den Vorfahren des Homo sapiens, das eher erschreckend als erfreulich ist: Sie zogen in kleinen Horden genetisch Verwandter durch ihre Jagdgebiete, in denen kein Lebewesen und auch nicht ihre Artgenossen verschont wurden. Ihre überragende Intelligenz verdankten sie dem aufrechten Gang, der eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung zur Entwicklung ihres Gehirns war. Denn nur dadurch wurden die Hände in ihrer vielseitigen Funktion freigelegt. Die Greifhände entlasteten den Kopf von den vorbereitenden Fressfunktionen, wie Zerreißen und Festhalten der Nahrung mit den Zähnen. Dadurch wurden Mund und Lippen für die kommunikativen Fähigkeiten der menschlichen Sprache frei, die für das gemeinschaftliche Jagen lebensnotwendig
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war. Während jedoch bei Pflanzen fressenden Affen, die es bloß mit statischen Objekten zu tun hatten, die Entwicklung von Hand und Hirn stagnierte, erreichten die Hominiden als karnivore Raubtiere ein ganz anderes Niveau. Sie konnten mit Werkzeugen oder, besser gesagt, mit Waffen in den Händen lange Strecken mit hoher Geschwindigkeit laufen und ihre Beutetiere auch noch vor Anbruch der Nacht nach Hause bringen (vgl. Oeser 1987, S. 156 ff.). Das Zusammentreffen dieser aufrecht gehenden karnivoren Augenwesen, die mit Hilfe ihres Gesichtssinns jagten, mit den vierbeinigen karnivoren Vorläufern unserer Hunde, den frühen Wölfen, die mit einem überragenden Geruchs- und Gehörsinn ausgestattet waren, musste zu einer Partnerschaft führen, die die ganze Welt eroberte. Aber diese Überlebensgemeinschaft war nicht nur eine auf der sensomotorischen Intelligenz beruhende Verbindung, in der die unterschiedlich ausgebildeten Sinnesorgane beider Partner sich gegenseitig unterstützen, sondern die Kooperation von Hund und Mensch war auch und sogar in erster Linie eine Anpassungsleistung der Hominiden an die überragende soziale Intelligenz der Caniden. Nie hätte der Mensch, wenn er bloß mit der opportunistischen sozialen Intelligenz der Primaten genetisch ausgestattet worden wäre, zu solchen komplexen und umgreifenden sozialen Strukturen kommen können, wie sie sich heute in den verschachtelten Hierarchien von Familie, Stamm, Staat und Nation darstellen, wenn er nicht von den Hunden oder ihren Verfahren soziale Intelligenz und soziales Verhalten gelernt, bzw. sich in einer Koevolution an diese Verhaltensweise angepasst hätte, die weit über die engen Familienbande hinausgeht. Diese Vorstellung, dass wir Menschen von Hunden Menschlichkeit „lernen“ könnten, womöglich gar sollten, wird sogar von manchen Zoologen als „frivole Entgleisung“ angesehen, doch nur von solchen, die Hunde verachten, „wenn sie so würdelos um Menschenverständnis, -liebe und -treue bemüht sind“ (F. Schaller in einem Brief vom 3. 11. 2002 an den Autor). Abgesehen davon, dass moralisierende anthropomorphe Begriffe wie „Würde“ zur Beschreibung des Verhaltens von Hunden völlig unpassend sind, war es gerade diese „Würdelosigkeit“ der Hunde, die ein Zusammenleben zwischen zwei biologischen Arten ermöglicht hat, „das es in dieser Form nirgendwo anders im Reich der Lebewesen gibt“ (Trummler 1988, S. 27). Biologen, die wie Trummler im Rahmen der Haustierforschung jahrelang mit Wölfen und Hunden zusammengelebt haben, sind daher davon überzeugt, dass es die Wölfe gewesen sein könnten, die als Vorbild für einen über die Kleinfamilie hinausgehenden Sozialverband des Menschen dienten. Denn „der Mensch war nicht als soziales Lebewesen evolutioniert. In größeren Gruppen zu leben war ihm ursprünglich ebenso unbekannt wie heute noch dem Orang-Utan oder dem Gorilla. Wenn wir das Verhalten von irgendwelchen Affen beobachten, die in größeren Horden leben, entdecken
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wir weit weniger Gemeinsamkeiten mit dem Sozialverhalten des Menschen, als wenn wir die Rudelordnung der Wölfe zum Vergleich heranziehen“ (Trummler 1988, S. 26). Diese Argumentation gewinnt umso mehr Glaubwürdigkeit, wenn man das Zusammentreffen der Vorfahren der Hunde und Menschen so weit zurückverlegen kann, wie es die bereits erwähnten neuen molekulargenetischen Untersuchungen nahe legen. Soziale Intelligenz oder interpersonale Intelligenz ist die Fähigkeit, das Verhalten anderer Individuen der eigenen oder auch fremden Art im Voraus zu erkennen. Für ein Tier ist es wichtig zu wissen, ob ein Raubfeind angreifen wird oder ob ein Beutetier so wachsam und fluchtbereit ist, dass es entkommen kann. Lebt das Tier in einer Gruppe, in der jedes Individuum von dem Verhalten der anderen Gruppenmitglieder abhängig ist, so muss es dessen Handlungen verstehen können. Das aber heißt, dass das Individuum innere Modelle vom Verhalten seiner Kumpanen haben muss, um mit ihnen denken und fühlen zu können. Nach Nicholas Humphrey (1976) hat sich Bewusstsein und vielleicht auch ein großer Teil der höheren Intelligenz überhaupt erst entwickelt, um Tieren die Bewältigung sozialer Situationen zu ermöglichen. Die in Rudeln lebenden Caniden waren der eng begrenzten sozialen Intelligenz der Primaten überlegen. Bei dem Zusammentreffen mit den Hominiden fand eine wechselseitige Anpassung der sozialen Intelligenz statt, in der die Hunde den Menschen seit jeher übertrafen. Denn während sich bis heute die Menschen bemühen, Hunde zu verstehen, wissenschaftliche Abhandlungen und dicke Bücher darüber schreiben, zeigen Hunde den Menschen gegenüber ein so ausgeprägtes Verständigungsverhalten, das nahe legt, dass sie trotz aller Unterschiede ein uns ähnliches Bewusstsein haben. Denn sonst wäre diese Art der Kooperation von Mensch und Hund, wie sie die gesamte Geschichte der Menschheit zeigt, wohl nicht möglich gewesen. Diese Ähnlichkeit des Bewusstseins, Denkens und Fühlens der Hunde mit dem Menschen beruht nicht wie die zwischen den höheren anthropoiden Affen und Menschen auf der natürlichen, durch Evolution bedingten genetischen Verwandtschaft, sondern auf einer Anpassung des Hundebewusstseins und der Hunde-Intelligenz an den sozialen Partner oder Kumpanen Mensch, die selbst wiederum genetisch fixiert worden ist. Denn unsere Haushunde, sosehr sie nicht nur ihr Aussehen, sondern auch viele grundlegende Aspekte ihres Verhaltens mit ihren wilden Vorfahren gemeinsam haben, sind keine Wölfe mehr. Sie haben sich auch genetisch verändert. Wie neueste Versuche des Max-Planck-Institutes in Leipzig zeigen, verstehen Hunde Menschen besser als Wölfe. Während Hundewelpen die durch Zeichensprache übermittelten Hinweise auf verstecktes Futter sofort verstanden, begriffen selbst von Menschen aufgezogene Wölfe diese Gesten nicht.
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„Domestikation“ bedeutet, nach all dem, was wir heute durch Evolutionstheorie, Genetik und Verhaltensforschung wissenschaftlich wissen, nicht bloß „Zähmung“, sondern auch genetische Veränderung, die sich vor allem auf das Verhalten bezieht. Und das veränderte Verhalten kann dann auch zu einem Trennmechanismus führen, der verhindert, dass sich Wolf und Hund kreuzen, obwohl dies, wie viele Züchtungsexperimente seit dem 18. Jahrhundert bis heute zeigen, organisch-genetisch durchaus möglich ist. Diese genetisch fixierte, auf die Kooperation mit dem Menschen angepasste Veränderung des Verhaltens, durch die die Haushunde entstanden sind und die sich heutzutage in einer Unzahl von Rassen mit bestimmten genetisch bedingten Verhaltensweisen und Fähigkeiten darstellt, ist zwar eine künstliche genetische Veränderung auf Grund künstlicher sexueller Isolation und Zuchtwahl, aber nicht weniger charakteristisch als die Körpermerkmale, auf die viele Hundezüchter zu Unrecht das Hauptaugenmerk richten. Die soziale Intelligenz, wie sie sich heute an unseren Hunden zeigt, kann daher mehr noch als die körperlichen Merkmale ein Licht auf die bis heute mehr oder weniger umstrittene Abstammungsfrage werfen. Denn von allen möglichen wilden Vorfahren der Hunde kommt vor allem jene Art zuerst in Frage, welche die ausgeprägteste soziale Intelligenz besitzt, und das sind unbestreitbar die Wölfe. Denn sie übertreffen in dieser Hinsicht alle Füchse, Schakale, Hyänen oder andere wilde Caniden. Akzeptiert man diese Theorie der sozialen Intelligenz, dann gewinnt sowohl die alte und immer wieder neu diskutierte Frage nach der Abstammung der Hunde als auch die verzweifelte und scheinbar schon längst obsolet gewordene Suche nach dem „Urhund“ einen neuen Sinn.
Die Suche nach dem Urhund Für den schwedischen Naturforscher Carl von Linné (1707–1778), von dem der Satz stammt, dass „es so viele Arten gibt, wie der unendliche Eine Gott am Anfang als verschiedene Formen hervorgebracht hat“ (Phil. bot. 1763, Aph. 157; vgl. Oeser 1996, S. 27), gab es noch keine Abstammungsfrage. Auch der Haushund, von ihm in seinem Werk „Systema naturae“ (10. Auflage 1758) als ‚Canis familiaris‘ bezeichnet, war daher wie alle anderen Arten von allem Anfang da. Wenngleich Linné als logische Konsequenz seiner Theorie der Artkonstanz jede phylogenetische Veränderung ablehnt, spricht er doch von einer „natürlichen Verwandtschaft“ der Arten, die er jedoch auf die Gattungskonstanz begründet. Denn auch von der Gattung behauptet er: „Jede Gattung ist natürlich im Uranfang unmittelbar so geschaffen“ (Syst. Nat. 1735,
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S. 72). Die durch die Ähnlichkeit der Arten erkennbare „natürliche Verwandtschaft“ ist also nach Linné durch einen einmaligen kreativen Schöpfungsakt Gottes zustande gekommen und kein Ergebnis der Evolution. Seine Klassifikation der Tiere ist ein starres, hierarchisch nach Klasse, Ordnung, Gattung, Art und Varietät (Unterart) gegliedertes System. Der Hund, der als Gattung (genus) unter die Klasse der Säugetiere (mammalia) und der Ordnung Wildtiere (ferae) fällt, ist nach Linnés Darstellung in 17 Arten (spezies) gegliedert. An erster Stelle nennt Linné den Canis familiaris, der in 33 Unterarten oder Varietäten, d. h. Rassen aufgeteilt ist. Dann folgen Wolf, Hyäne, Fuchs, Eisfuchs, Korsak, Schakal und 10 weitere Wildhundearten, die ebenfalls schon Linné bekannt waren. An erster Stelle der Unterarten des Canis familiaris nennt Linné den Canis domesticus und setzt ihn gleich mit Buffons „Urhund“: le Chien de berger. Zwischen den Ansichten von Georges Louis Leclerc Buffon (1707–1788) und Linnés systematischen Ordnungsbestrebungen besteht jedoch ein großer Unterschied. Als Gegner jeder künstlichen Einteilung, aber mit dem natürlichen System der Evolutionstheorie eines Lamarck und Darwin noch unvertraut, folgt Buffon dem klassischen Ideal der Naturgeschichte, die Arten der Lebewesen so zu beschreiben, wie sie tatsächlich in ihrer räumlichen Verbreitung aktuell vorkommen. Deshalb spielen in seiner Naturgeschichte die Haustiere eine besondere Rolle. Sie sind diejenigen Lebewesen, die dem Menschen am nächsten stehen, weil sie durch ihn in ihren äußeren wie inneren Eigenschaften verändert worden sind. Die Herrschaft des Menschen über die Tiere, die nicht nur zur Zähmung, sondern auch zur Versklavung und Entfremdung von der Natur führte, ist jedoch nach Buffon eine gesetzliche: „Sie ist die Herrschaft des Geistes über den Stoff. Er denkt, und darum ist er Herr jener Wesen, die nicht denken“ (Buffon 1847, S. 2). Doch die Geistesanlagen allein konnten die Herrschaft des Menschen über die Tiere nicht begründen: „Nackt, ohne Waffen und ohne Obdach, bot für ihn die Erde nur eine weite Wüste dar; bevölkert mit Ungeheuern, denen er oft zur Beute wurde.“ Deshalb war er auf Hilfe und Unterstützung aus dem Tierreich angewiesen. Diese Hilfe und Unterstützung fand der Mensch nach Buffons Meinung im Hund: „Wie hätte der Mensch, ohne des Hundes Beistand, die anderen Tiere besiegen, bändigen, unterjochen können? Wie könnte er heutzutage noch die wilden und schädlichen Tiere entdecken, jagen, ausrotten? Um sich in Sicherheit zu stellen und zum Herrn des lebenden Alls zu machen, musste er damit beginnen, sich eine Partei unter den Tieren zu bilden, sich mit Sanftmut und durch Liebkosungen jenen zu befreunden, die sich fähig erwiesen, sich anzuschließen und zu gehorchen, damit er sie den anderen entgegensetze. Die erste Kunst des Menschen ist also die Erziehung des Hundes und die Frucht dieser Kunst die
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Eroberung und der friedliche Besitz der Erde gewesen“ (Buffon 1847, S. 138). Eine mutige und gelehrige Art wie die des Hundes gewinnen, das heißt für Buffon neue Sinne und Fähigkeiten, welche uns mangeln, erwerben. Diese Fähigkeiten des Hundes ebenso wie seine äußere Gestalt werden durch das enge Beisammensein mit dem Menschen verändert. Gerade weil er gelehrig, folgsam und für jeden Eindruck und sogar für jeden Zwang empfänglich ist, hat der Hund sich unter dem Einfluss des Menschen verändert. Denn der Mensch kann nicht nur alle Einzelwesen der Erde, seien es Pflanzen oder Tiere, seinen Bedürfnissen dienstbar machen, „sondern auch mit der Zeit die Arten verändern, gestalten und vervollkommnen“ (Buffon 1847, S. 142). Daher kommen jene ausgeprägten Unterschiede der Hunde nach Größe und Gestalt des Körpers, Länge der Schnauze, Farbe, Beschaffenheit, Menge der Haare usw. Ein weiterer Grund für die große Vielfalt der Hunderassen besteht nach Buffon darin, dass der Hund in der kurzen Zeit, in der er lebt, eine ziemlich große Menge an Nachkommen erzeugt. Obwohl nach Buffons Meinung alle Arten gleich alt sind, muss die Veränderung weit größer bei jenen Arten sein, die nur kurze Zeit leben, da diese Tiere von ihrem Stammpaar weiter entfernt sind als jene, die lange leben. So ist der Mensch heutzutage achtmal näher an Adam als der Hund am ersten Hund, da der Mensch 80 Jahre und der Hund nur 10 Jahre lebt. Daher gleicht auch in der Mannigfaltigkeit der Hunde, die wir heutigen Tages sehen, nicht ein einziger mehr dem ersten Hund, obwohl alle Rassen ursprünglich aus ihm hervorgegangen sind (vgl. Buffon 1847, S. 142 f.).
Abb. 3: Buffons „Urhund“: Chien de berger (aus Buffon 1847)
Die Suche nach dem Urhund
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Am meisten nähert sich der Hirtenhund (Chien de berger) der ursprünglichen Rasse. Ungeachtet seiner Hässlichkeit und seines traurigen und wilden Aussehens übertrifft er jedoch in seinem Charakter alle anderen Hunde. Er braucht keine Erziehung. Denn er ist schon sozusagen bei seiner Geburt ganz erzogen. Während man viel Zeit und Mühe braucht, um die anderen Hunde zu lehren und für ihre besonderen Aufgaben abzurichten, nimmt sich der Hirtenhund bloß durch sein Naturell geleitet mit einer besonderen Emsigkeit, Wachsamkeit und Treue der Hut und Führung der Herden an, so dass seine Geschicklichkeit das Staunen seines Herren erregt (vgl. Buffon 1847, S. 146). Buffon glaubt auch, dass die verwilderten Hunde, wie die in den Einöden Amerikas oder Afrikas, sich während 150 bis 200 Jahren wenigstens teilweise ihrer ursprünglichen Form nähern, die wie bei Hirtenhunden durch „schmale Schnauzen, gerade Ohren und langes, steifes Haar“ gekennzeichnet ist. Die unterschiedlichen Rassen mit ihren Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten sind durch „Obdach, Pflege, Nahrung und Himmelsstrich“ erzeugt worden. Es sind vor allem die klimatischen Bedingungen der verschiedenen Gegenden der Erde, die nach Buffons Meinung die Abweichungen vom Urtyp des Hundes hervorgerufen haben. Um eine genauere Vorstellung von der Abstammung der Hunderassen zu geben, konstruiert Buffon als Erster einen Stammbaum der Hunderassen, wie er in verschiedenen Abwandlungen noch heute in der kynologischen Literatur (über Hundezucht) immer wieder auftaucht: Der Hirtenhund ist die Wurzel des Baumes. Verpflanzt in den hohen Norden wird er zum isländischen, lappländischen und sibirischen Hund und zum Wolfshund. Sie alle haben gerade Ohren, dichtes und langes Haar und ein wildes Aussehen. In den gemäßigten Zonen von England, Frankreich und Deutschland verliert der Hirtenhund sein wildes Aussehen, sein steifes, dichtes und langes Haar und wird zur Dogge (dogue), zum Spürhund (chien courant) und zum Bauern- oder Fleischerhund (matin). Brake (braque) und Dackel (basset) sind für Buffon ein und dieselbe Rasse, die vom Spürhund stammen. Nach Spanien und in die Berberei gebracht, wird der Spürhund zum großen und kleinen spanischen Hund (épagneul) und zum Pudel (barbet). Der Bauernhund (matin) wird, in den Norden verpflanzt, zum großen Dänen (grand danois) und im Süden zum Windhund (levier), der in der Levante sehr groß und in Italien und England sehr klein ist. Der große Däne wird, nach Irland, der Tatarei und Albanien verpflanzt, zum irländischen Hund, der der größte von allen Hunden ist. Die kleinen Hunde wie der Mops, der Malteser und Bologneser sind dagegen für Buffon keine reinen Rassen, sondern Zwitter oder Doppelzwitter, die aus der Vermischung zweier Rassen oder aus der Vermischung einer reinen Rasse und einer schon gemischten Rasse hervorgegangen sind. Was jedoch Buffon keinesfalls annehmen will, ist die Vermischung von
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Hund und Wolf, Fuchs oder Schakal. Zwar kann er, wie er selbst anführt, nicht auf eine „entschiedene und ausgemachte Weise“ behaupten, dass Schakal, Fuchs und Wolf „sich zu keiner Zeit und unter keinem Himmelsstrich mit dem Hund vermischt hätten“, aber nach einem sorgfältig durchgeführten, über drei Jahre hinweg reichenden vergeblichen Versuch, einen Hund mit einer Wölfin zu kreuzen, war er davon überzeugt, dass der Hund nicht vom Wolf abstammen könne, weil beide Arten voneinander so weit entfernt sind, dass sie weder fruchtbare Nachkommen noch unfruchtbare Bastarde erzeugen.
Der Wolf – Mythos und Wahrheit „Unangenehm im Ganzen, von gemeiner Miene, wildem Anblick, schrecklicher Stimme, unerträglichem Geruch, boshaftem Naturell, unbändigen Sitten, ist er hassenswert, schädlich in seinem Leben, unnütz nach seinem Tode“ (Buffon 1847, S. 292). So schildert Buffon den Wolf und gibt damit jene Mischung von Furcht und Hass des zivilisierten Menschen wieder, die im 18. Jahrhundert den
Abb. 4: Der Wolf (aus Buffon 1847)
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Höhepunkt erreicht hat und im darauf folgenden Jahrhundert zur erbarmungslosen Ausrottung dieser Tierart geführt hat, die unseren Hunden, wie wir heute mit Sicherheit wissen, am nächsten steht. Nicht so für Buffon. Für ihn gleicht zwar der Wolf „sowohl dem Äußeren wie dem Innern nach dem Hund so sehr, dass er in derselben Form gebildet zu sein scheint“ (Buffon 1847, S. 285), aber nur die Form, die Anatomie ist ähnlich. Was aber aus dieser Form hervorgeht, das Verhalten oder, wie Buffon sagt, „das Naturell“, ist nach seiner Meinung geradezu die Kehrseite dessen, was der Hund zeigt. Es sind zwar dieselben Züge, aber unter einem völlig entgegengesetzten Gesichtspunkt: Der Hund ist „sanft und kühn“. Der Wolf dagegen „trotzig und furchtsam, unbeholfen und feig“. Er wird nur durch das Bedürfnis erfinderisch und durch die Not kühn. Er beißt grausam und immer umso grimmiger, je weniger man ihm widersteht. Aber gegenüber Tieren, die sich verteidigen können, ist er vorsichtig. Vom Hunger gequält, greift er auch Menschen an, vor allem Frauen und Kinder, stürzt sich aber zum Äußersten getrieben auch auf Männer. Das lebende Fleisch zieht er dem toten vor und dennoch verzehrt er die faulsten Schindäser. Menschenfleisch liebt er, und er würde vielleicht, meint Buffon, wenn er der Stärkere wäre, kein anderes fressen. Während der Hund ein geselliges Wesen hat und von Natur aus nicht nur dem Menschen treu ergeben ist, sondern auch die Genossenschaft anderer Tiere sucht und „durch Naturtrieb allein und nicht durch Erziehung versteht, die Herden zu führen und zu hüten“, ist der Wolf dagegen Feind jeder Gesellschaft. Mit dieser Aussage verkennt Buffon die sozialen Fähigkeiten des Wolfes völlig und versteigert sich zu verleumderischen Beschreibungen, die vielmehr auf menschliche Räuberbanden als auf Wolfsrudel passen. „Nicht einmal mit denen von seiner Art vereinigt er sich. Sieht man ihrer mehrerer zusammen, so ist es keine friedliche Gesellschaft, sondern eine kriegerische Zusammenrottung, die unter großem Getümmel mit scheußlichem Geheul vor sich geht und die das Vorhaben andeutet, irgend ein großes Tier, wie einen Hirsch, einen Ochsen anzugreifen, oder sich eines furchtbaren Bauernhundes zu entledigen. Sobald der Kriegszug vollbracht ist, trennen sie sich und kehren schweigend nach ihrer Einöde zurück“ (Buffon 1847, S. 286). Eine andere Art der Zusammenrottung, noch blutiger als die vorher beschriebene, sieht Buffon zur Brunstzeit der Wölfe. Mehrere Männchen folgen zu dieser Zeit demselben Weibchen und streiten um dasselbe auf grausame Weise: „Sie brummen, zittern, kämpfen, zerfetzen sich und oft geschieht es, dass sie den, welchen das Weibchen unter ihnen vorgezogen hat, in Stücke reißen. Gewöhnlich flieht das Weibchen lange, ermüdet alle seine Bewerber und stiehlt sich, während sie schlafen, mit dem wackersten oder geliebtesten weg“ (Buffon 1847, S. 286).
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Obwohl Buffon die hingebungsvolle Aufzucht der Welpen durch die Wölfin und deren Bereitschaft, sie zu verteidigen, schildert, kann er es sich doch nicht versagen, auch jene unsicheren und sich widersprechenden Erzählungen von Jägern zu berichten, die das Familienleben der Wölfe von Eifersucht und väterlicher Mordlust geprägt sehen. Nach diesen Erzählungen schleicht sich die Wölfin zur Zeit des Wurfes von ihrem auserwählten Partner, der sie während der Brunstzeit begleitet hat, weg und verbirgt ihre Jungen sorgfältig aus Furcht, „der Vater möchte sie nach der Geburt verzehren, oder aber dass er, wenn sie geboren sind, Neigung zu ihnen fasst, ihnen zu fressen bringt und wenn die Mutter ausgegangen ist, ihre Stelle einnimmt und wie sie für die Jungen sorgt“ (Buffon 1847, S. 288). Der Wolf ist für Buffon eines jener Tiere, deren Begierde nach Fleisch am heftigsten ist. Die damit verbundene räuberische Mordlust ist aber deswegen so gefährlich, weil die Natur dem Wolf auch die Mittel verliehen hat, diese Gier zu befriedigen. Sie hat ihm Waffen, List, Behändigkeit, Stärke, mit einem Wort alles gegeben, was nötig ist, um seine Beute zu finden, anzufallen, zu besiegen, zu ergreifen und zu verschlingen. Er ist härter und nicht so empfindlich wie der Hund. Wenn er mit Stöcken zu Tode geprügelt wird, beklagt er sich nicht wie der Hund. Er ist ausdauernder, zäher als der Hund; er geht, läuft, schleicht ganze Tage und Nächte hindurch. Obwohl sehr gefräßig, erträgt er tagelangen Nahrungsmangel. Seine Stärke, besonders im Bezug auf die Vorderteile seines Körpers in den Muskeln des Halses und des Kiefers, wird von Buffon entsprechend der damaligen Volksmeinung maßlos übertrieben, wenn er behauptet, dass der Wolf in seinem Rachen ein Lamm fortträgt, ohne es die Erde berühren zu lassen, und damit sogar schneller läuft als die Hirten, sodass nur die Hunde ihn einholen und zwingen können, die Beute fahren zu lassen (vgl. Buffon 1847, S. 289). Buffon glaubt aber auch, dass Wolf und Hund „von Natur aus einander abgeneigt“ und aus angeborenem Trieb Feinde sind. Ein junger Hund schaudert beim ersten Anblick des Wolfes; er flieht beim bloßen Geruch, der, obwohl neu und unbekannt, ihm von vornherein so zuwider ist, dass er zitternd sich zwischen die Beine seines Herren zu stellen sucht. Ein ausgewachsener Bauernhund dagegen, der seine Kräfte kennt, greift den Wolf mutig an, versucht, ihn in die Flucht zu treiben, und bietet alles auf, um sich von seiner Gegenwart zu befreien, die ihm verhasst ist. Hunde und Wölfe begegnen sich nie, ohne entweder voreinander zu fliehen oder zu kämpfen, und zwar auf das Grimmigste, bis der Tod erfolgt. Auch das Verhalten nach dem Sieg ist verschieden. Ist der Wolf stärker, so zerreißt und verzehrt er seine Beute. Der Hund dagegen begnügt sich „großmütig“ mit dem Sieg und lässt den Körper des getöteten Wolfs liegen, um den Raben und den anderen Wölfen zum Fraß zu dienen. Die Wölfe fressen sich auch unterein-
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ander auf. Wenn ein Wolf schwer verwundet ist, so folgen die anderen seiner Blutspur und rotten sich zusammen, um ihn zu töten. Wie lässt sich dieses völlig veränderte Bild des Wolfes als größter Feind des Hundes, als Menschen fressende, asoziale, stinkende, mörderische Bestie mit dem römischen Mythos von der Ziehmutter der Begründer Roms, Romulus und Remus, als Symbol für Aufopferung und Mütterlichkeit oder dem altgermanischen Mythos von den Wölfen Geri und Freki als ständiger Begleiter des Kriegsgottes Wotan oder vom Wolf als dem Urahn des Dschingis Khan oder mit dem noch lange Zeit bei den Jägern und Sammlervölkern Nordamerikas, den Indianern, verbreiteten Vorstellung vom „Bruder Wolf“ vereinbaren? Was war geschehen, dass sich unser Bild vom Wolf und unser moralisches Werturteil über ihn so drastisch ins Gegenteil verkehrt hat? Nach den heutigen wissenschaftlichen Untersuchungen über das Verhalten und die Ökologie des Wolfes (vgl. Zimen 1990) lässt sich darauf eine befriedigende Antwort geben, die jedoch nicht allein auf die Biologie eingeschränkt ist, sondern die Kulturgeschichte des Menschen mit einschließt. Es sind nicht primär unsere Wertvorstellungen über den Wolf, die sich verändert haben, sondern es ist die Veränderung der Welt, die der Mensch im Laufe seiner Geschichte zustande gebracht hat, die auch den Lebensraum und das Verhalten des Wolfes so verändert haben, dass er zum meist gehassten, verfolgten und am erbarmungslosesten ausgerotteten Tier wurde. Es war, wie wir heute wissen, ein „hausgemachter Konflikt“, den es nicht auf der Entwicklungsstufe der Sammler und Jäger gab. Noch heute überwiegt bei Eskimos und Indianern die positive Einstellung zum Wolf. Er ist zwar, weil er meist die gleichen Beutetiere jagt, im ökologischen Sinn ein Konkurrent um die Nahrung, der manchmal auch selbst gejagt wird, aber zugleich auch ein Vorbild. Denn er wird bei diesen Jäger- und Sammlervölkern besonders wegen seines erfolgreichen Jagdverhaltens als mutig und weise angesehen, da er sich selbst gegenüber einem überlegenen Gegner nicht in Gefahr bringt. Deswegen gingen die Indianer bei Büffeljagden nicht selten in Wolfsfellen gehüllt, um die Fluchtdistanz der Büffel, die gegenüber den Wölfen viel geringer war als gegenüber den Menschen, zu vermindern. Erwachsene Büffel ließen die Wölfe nahe an sich herankommen, da diese für sie kaum Gefahr bedeuteten. Wir können annehmen, dass diese positive Haltung gegenüber dem Wolf typisch für alle frühen Gesellschaften auf den Stufen der Sammler, Jäger und ersten Ackerbauern war. Erst mit der extensiven Haltung von Haustieren änderte sich das Bild. Während in den frühen Hochkulturen, wie in Ägypten, der Wolf als Sinnbild des ruhmreichen Todes der Krieger und des Herrschers galt, dem eine ganze Stadt, „Lykopolis“, geweiht war, und noch in Griechenland der Wolf als Beschützer der Menschen und als Begleiter der Götter verehrt wurde,
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Abb. 5: Nordamerikanische Indianer bejagen als Wölfe verkleidet eine Büffelherde (nach Catlin 1844 aus Zeuner 1967)
kam es bei den Hirtenvölkern in Palästina zu ersten Konflikten. Der Wolf wurde dort zu Bedrohung der leiblichen und wirtschaftlichen Existenz. Belege dafür findet man sowohl im Alten als auch im Neuen Testament. Die habgierigen und blutrünstigen Herren von Jerusalem werden mit den „räuberischen Wölfen“ (Hesekiel 22,27) verglichen, und in der Bergpredigt ist von den falschen Propheten die Rede, die im Schafspelz kamen, aber inwendig „reißende Wölfe“ sind. Der eigentliche Wandel in der Einstellung des Menschen zum Wolf begann jedoch in Europa nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches im frühen Mittelalter. Im frühen Mittelalter wurden die Wälder gerodet, Land- und Viehwirtschaft breiteten sich bis hoch ins Gebirge aus. Im Winter vom Menschen gefüttert, konnten die Haustiere die Vegetation viel intensiver nutzen als die Wildtiere, die immer mehr in die vom ansässigen Adel genutzten Jagdgebiete verdrängt wurden. Dort aber wurde der Wolf zum Konkurrenten der Jäger. Von diesen unerbittlich verfolgt, zog sich der Wolf aus diesen Jagdrevieren in jene Gebiete zurück, in denen die Menschen kaum bewaffnet waren, und wurde dort erst zum räuberischen Massenmörder der Haustiere. Die gefürchteten Massentötungen von Haustieren durch eine manchmal nur geringe Anzahl von Wölfen, die ihre Beute dann gar nicht oder nur zum geringen Teil auffressen, ist jedoch ein Verhalten, das letzten Endes durch den Menschen mit seiner intensiven Viehwirtschaft verursacht wurde. Dieses Verhalten des Massentötens ist in der Verhaltensforschung bei vielen Beutegreifern wie Bären und Katzen durchaus bekannt und erklärbar: Das Töten der Beute ist bei jagenden Raubtieren nicht direkt durch den Hunger bedingt, sondern wird von den Schlüsselreizen hervorgerufen, die entstehen, wenn eine Beute durch die Jagd in eine bestimmte
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Situation gebracht wird. Tauchen immer neue Schlüsselreize zum Töten auf, dann reagiert das jagende Tier entsprechend. Die überoptimalen Tötungsauslöser eingepferchter Beutetiere, die nicht entkommen können, sind so stark, dass die Raubtiere vor lauter Töten nicht zum Fressen kommen. Das gilt nicht nur für Wölfe, sondern auch für den sprichwörtlich gewordenen Fuchs im Hühnerstall oder jenen Bären, der in einen Schafstall einbrach und alle Schafe – es sollen über hundert gewesen sein – tötete, bis er vor Ermüdung einschlief und am Morgen von dem Schäfer inmitten der toten Schafe schlafend aufgefunden wurde. Diese Art des Massentötenverhaltens bildete auch die Grundlage für das rekordmäßige Rattentöten im englischen Kampfhundesport. Zu diesen neuen, vom Menschen hervorgerufenen Charakteristika des Wolfes als kriminellen Wilderer, der dem adeligen Jagdherrn die Beute streitig macht, und als Massenmörder der friedlichen Haustiere kommt aber noch eine weitere grausige und unheimliche Eigenschaft hinzu: die des Leichenschänders und Menschenfressers. Aber auch sie ist vom Menschen hervorgerufen, wie bereits Buffon erkennen musste, wenn er sagt: „Man hat gesehen, dass Wölfe Heeren folgten, in großer Menge auf den Schlachtfeldern eintrafen, wo man die Körper nur nachlässig verscharrt hatte, sie herauswühlten, mit unersättlicher Begier fraßen, und dass die nämlichen Wölfe, an Menschenfleisch gewöhnt, hernach über die Menschen herfielen, den Hirten mehr als die Herde angriffen, Weiber fraßen, Kinder mit fort schleppten usw. Diese bösartigen Wölfe hat man Werwölfe, im Französischen loups-garaux genannt, d. h. Wölfe von denen man sich hüten (se garer) muss“ (Buffon 1847, S. 289 f.). In Zeiten langer Kriege, politischer Unruhen und Hungersnöte häuften sich die Nachrichten von Wolfsüberfällen. Während des Hundertjährigen Krieges zwischen Frankreich und England in den Jahren 1337 bis 1453 wird mehrmals von Wölfen berichtet, die sogar bis ins Zentrum von Paris vordrangen und hier Nahrung stahlen, Hunde töteten und auch Menschen fraßen. Besonders im Hungerjahr 1421, als viele Menschen starben, waren auch die Wölfe so ausgehungert, dass sie nicht nur die Leichen ausscharrten und fraßen, sondern auch die Lebenden angriffen. Sie liefen nachts durch Straßen von Paris, schwammen über die Seine und töteten in nur einer Nacht bei Angriffen auf siebzehn Menschen elf von ihnen, wie in dem berühmt gewordenen „Tagebuch eines Pariser Bürgers“ berichtet wird. Obwohl der Wolf im Laufe des 18. Jahrhunderts mehr und mehr aus den dichter besiedelten Gegenden zurückgedrängt wurde, tauchte er wegen seiner hohen Beweglichkeit und Ausdauer im Laufen immer wieder in Gegenden auf, in denen man ihn längere Zeit, manchmal über mehrere Jahre hinweg, nicht beobachtet hatte. Während andauernder Kriege folgte er den Heeren nach. So berichtet Brehm, dass in den Jahren 1812 und 1813 die
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„vierbeinigen Raubmörder“ den Franzosen auf ihrem Rückzug aus Russland bis in die Rheinländer nachfolgte. Diese hohe Beweglichkeit des Wolfes bedingt jedoch einen unverhältnismäßig hohen Nahrungsbedarf und raschen Stoffwechsel, sodass er daher auch, wo er in großer Anzahl auftaucht, entsprechend großen Schaden verursacht. Doch die immer mehr bei der Wolfsjagd eingesetzten Feuerwaffen und die Verwendung äußerst wirksamer Gifte, wie Strychnin, führten zu jener erbarmungslosen Ausrottung, die keinem Tier sonst wo auf der Welt durch den Menschen zugestoßen ist. Dass man in Europa diese wirksamste Vertilgungsart des Wolfes nicht ausschließlich anwendete, war einerseits auf die vor allem in Kroatien gängige Meinung zurückzuführen, dass Strychnin das Fell der Wölfe mehr oder weniger unbrauchbar machen soll, weil dadurch alle Haare locker werden. Andererseits war es die Begeisterung für die Wolfshatz hoch zu Ross, die in England fünfzig Jahre nach der frühen Ausrottung der Wölfe zu dem allerdings von der Landbevölkerung wütend abgelehnten Vorschlag der Wiedereinbürgerung des Wolfes führte. In Nordamerika hatte man noch weniger Bedenken gegen die Ausrottung des Wolfes mit Giftköder. Nirgendwo und gegen kein Tier wurde mehr Strychnin in der Landschaft verstreut als in den Prärien Nordamerikas. Zusammen mit der Vernichtung der großen Büffelherden wurden zugleich auch die großen hellmähnigen Büffelwölfe dadurch vernichtet, dass man ganze Strecken Gift getränkter Kadaver von frisch geschossenen Büffeln auslegte. Auf diese Weise brach die legendäre Lebensgemeinschaft von Büffel, Wolf und Indianer innerhalb weniger Jahre zusammen. Nur in den riesigen Gebieten Alaskas hat sich der Wolf noch gehalten. Mit der fast vollständigen Ausrottung des Wolfes in Europa änderte sich auch das Bild, das sich der Mensch von ihm machte, auf derart radikale Weise, dass sie geradezu einer totalen Umkehrung früherer Vorstellungen gleichkam. Schon Brehm verwies nicht nur die unheimlichen Werwolfgeschichten ins Reich des Aberglaubens, sondern bezweifelte auch die Berichte von Wolfsüberfällen auf Menschen. Sie beruhen nach seiner Meinung zum allergeringsten Teil auf Wahrheit und er schraubt daher die von der Einbildungskraft ausgeschmückten Schauergeschichten auf ein rational vertretbares Maß zurück: „Dass eine vom Hunger gepeinigte, blind wütende Wolfsmeute auch einen Menschen überfällt, niederreißt, tötet und auffrisst, kann leider nicht in Abrede gestellt werden; so schlimm aber wie man sich die Gefahren vorstellt, welche den Menschen in von Wölfen bewohnten Wäldern bedrohen, ist die Sache bei weitem nicht. Ein wehrloses Kind, ein Weib, welches zu Unzeit vor das Dorf sich wagt, mag in der Regel gefährdet sein; ein Mann, wenn er auch nur mit einem Knüppel bewaffnet wäre, ist es nur in seltenen, durch Zusammentreffen ungünstiger Umstände herbeigeführten Fällen. Einzelne Wölfe wagen sich schwerlich
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jemals an einen Erwachsenen, Trupps schon eher; vom Hunger gepeinigte Meuten können gefährlich sein“ (Brehm 1876, Bd. 1, S. 530). Diese Darstellung entspricht schon weitgehend den heutigen wissenschaftlichen Vorstellungen von der angeblichen Gefährlichkeit des Wolfes für den Menschen, die im Grunde genommen auf einem Mythos beruht. Rechnet man die auf Aberglauben und magischer Denkweise beruhenden, oft widerspruchsvollen Berichte aus dem Mittelalter ab und beschränkt sich auf die Glaubwürdigkeit von Augenzeugenberichten des 18. und 19. Jahrhunderts, dann ergibt sich nach heutiger Auffassung folgendes Bild: Unter der Voraussetzung, dass Wölfe sich an lebende wie an tote Menschen gewöhnt hatten und auch in der Lage waren, zwischen gefährlichen und ungefährlichen Menschen zu unterscheiden, erscheint es möglich, dass Wölfe in seltenen Fällen tatsächlich lebende Menschen angegriffen haben. Dies kann der Fall gewesen sein, – wenn in Zeiten von Kriegen, Seuchen oder Hungersnöten menschliche Leichen nicht sogleich oder nicht sicher genug vergraben wurden; – wenn die Verfolgung der Wölfe lange Zeit nachgelassen hatte, weil die Männer im Krieg waren oder nicht mehr lebten; – wenn die Frauen und Alten allein und unbewaffnet zu Hause blieben und die Kinder das Vieh hüten mussten; – wenn den Wölfen andere Beute fehlte und ihr Hunger groß war (vgl. Zimen 1993, S. 375). Solche Bedingungen gab es in Europa vor allem im Mittelalter, aber auch noch, wie die Angaben von Buffon und Brehm zeigen, im 18. und 19. Jahrhundert. Mit der durch die bessere Bewaffnung und radikalere Verfolgung erreichten Zurückdrängung der Wölfe aus den dicht besiedelten Gebieten wurden die Berichte über Menschen fressende Wölfe immer geringer. Dort wo die angeführten Bedingungen nie vorhanden waren, in Nordamerika oder in den Steppen Sibiriens, stellten die Wölfe auch kaum eine Gefahr für den Menschen dar. Von dort ging auch der Beginn des Wandels des neuen Wolfsbildes in der allgemeinen Vorstellungswelt der Menschen aus und erreichte in den Erzählungen von Jack London bereits einen ersten Höhepunkt. Eine geradezu romantische Verklärung des Wolfes begann mit dem Buch von Farlet Mowat >Never Cry Wolf< aus dem Jahre 1963 – zu einer Zeit also, wo kein normaler Mensch einem Wolf außer im Zoo begegnen konnte und die wenigen von der Ausrottung verschont gebliebenen Wölfe jenseits aller Alltagsrealität in den noch unberührten Wäldern ihr eigenes Leben führten. Aus dem Symbol für unsere Angst vor der Natur und für den Kampf gegen sie wurde ein Symbol für unsere Angst um die Natur. Heute ist der Wolf in den meisten Ländern Europas geschützt oder doch zumindest nur streng reglementiert jagdbar. Sein Ende ist trotz Naturschutz und meist gescheiter-
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ten Wiedereinbürgerungsversuchen wie bei vielen anderen Arten von Wildtieren vorgezeichnet. Denn der Artentod ist auch ohne Zutun des Menschen in der Evolution der Lebewesen keine ungewöhnliche Angelegenheit. Der Wolf aber lebt weiter in seinen nächsten Verwandten – in unseren über die ganze Welt verbreiteten, sich ständig vermehrenden Haushunden.
Hundewölfe: Buffons erfolgreiche Kreuzungsversuche Zu der Einsicht, dass Hund und Wolf nahe verwandt sind, ist bereits auch Buffon gekommen. Schon nach seinen ersten misslungenen Kreuzungsversuchen musste er zugeben, dass man, um über diese Sache völlige Gewissheit zu erlangen, eine größere Menge ähnlicher Versuche bedürfte. Vor allem sind es die so sicheren Behauptungen der alten Autoren aus der Antike, wie z. B. Aristoteles, dessen Zeugnis Buffon am meisten schätzt, dass sich Wolf und Fuchs mit Hund vermischen, die Buffon zur Vorsicht mahnen. Er zitiert auch einen guten Kenner der sibirischen Hunde, Collinson, der eine große Ähnlichkeit der Schlittenhunde mit Wölfen oder auch Füchsen festgestellt hat und mit Gewissheit behauptet, dass sich diese Hunde tatsächlich mit diesen paaren. Aus den ersten Versuchen Buffons sieht Collinson nur, „dass diese Tiere, wenn sie gezwungen werden, sich nicht paaren wollen; in Freiheit aber lassen sie sich darauf ein“. Und er führt an, dass er selbst in England eine Paarung zwischen Hund und Wölfin beobachtet hat, während er jedoch niemanden gefunden hat, der eine Paarung zwischen Hunden und Füchsen gesehen hat. Buffon selbst musste, was die heutigen Hundeexperten (z. B. Senglaub 1978, Zimen 1989) bisher übersehen haben, auf Grund weiterer eigener Züchtungsexperimente seine Ansicht von der vollkommenen Verschiedenheit von Hund und Wolf drastisch revidieren. Anfang Juni erhielt er von dem Marquis de Spontin vier Tiere, die alle Nachkommen einer Kreuzung von einem Bracken und einer Wölfin waren. Zwei davon waren bereits aus der zweiten Generation, die von den Bastarden der ersten Generation, einem Männchen und Weibchen, hervorgebracht worden sind. Buffon nahm diese Tiere auf sein Landgut und ließ sie dort tagsüber in seinen Gärten frei herumlaufen und während der Nacht in einen kleinen Stall sperren. Trotz der Versicherung des Marquis, dass die beiden Bastarde der ersten Generation niemanden gebissen haben und dass man sie ohne die mindeste Gefahr ins Zimmer lassen könne, sperrte Buffon die Tiere in den ersten sechs Wochen in einen geschlossen Raum. Die Wirkung dieses Gefängnisaufenthaltes auf das Männchen der ersten Generation der Hundewölfe war verheerend. Denn dieses hatte seinem Na-
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turell nach von vornherein mehr Ähnlichkeit mit einem Wolf als mit einem Hund. Mit grimmigem Blick bellte es alle an, die es anblickten oder sich ihm näherten. Das Bellen war mehr ein Geheul, das es auch oft in Augenblicken der Langweile hören ließ. Es war so gefräßig, dass es sich sowohl auf sein Weibchen als auf seine Jungen stürzte, um ihnen ihr Fressen wegzunehmen. Man musste es, während die anderen fraßen, festbinden. Sah es einen Unbekannten näher kommen, so geriet es in Wut, besonders wenn dieser schlecht gekleidet war. Es bellte, heulte, scharrte die Erde auf und schoss schließlich hervor, ohne dass man es beruhigen konnte. Sein Zorn währte so lange, bis sich derjenige, der es erregte, zurückzog und verschwand. Sein Verhalten änderte sich aber, als Buffon die Hundewölfe in seinem Garten frei herumlaufen ließ. Zwar sträubten sich beim Anblick eines Fremden die Haare des Männchens, aber es begnügte sich, zu brummen. Es spielte mit seinem Weibchen, sprang und lief herum und hörte nicht auf, seine Familie anzutreiben, das Gleiche zu tun. Am Abend hatte man aber vor allem mit dem männlichen Hundewolf große Mühe, ihn einzufangen, um ihn in den Stall zu bringen. Sah er seinen Aufseher mit der Kette kommen, so entfloh er und war nur mit List und Täuschung zu ergreifen. In den Stall zurückgekehrt, ließ er seinen Verdruss in einem fast ununterbrochenen Geheul aus, das erst nach Verlauf einiger Stunden endigte. Das gleiche Naturell scheint sich auch auf das Männchen der zweiten Generation vererbt zu haben. Von seinem sechsten Monat an begann es grimmig und wild zu werden. Es wurde scheu und verbarg sich vor Fremden. „Es zitterte und bebte vor Zorn oder Furcht und schien sogar denen zu misstrauen, die es am besten kannte“ (Buffon 1847, S. 176). Die Weibchen sowohl der ersten als auch der zweiten Generation waren zwar sanfter als die Männchen, aber auch furchtsamer. Nur gegen die Hunde waren sie genauso, wenn nicht sogar mehr angriffslustig. Während das alte Männchen eine Hündin verschonte, als es ihr Geschlecht erkannte, fiel das Weibchen der ersten Generation der Hundewölfe über die Hündin, eine große Dogge, her und versuchte sie von hinten zu fassen. Das Männchen trat bei diesem Kampf schließlich als Vermittler zwischen dem Weibchen und der Hündin auf. Es versetzte sogar seinem Weibchen einen Hieb mit den Zähnen, um es zu zwingen, den Kampf aufzugeben. Von den Hunden wurden die Bastarde, die einen starken Wolfgeruch ausatmeten, gemieden. Nie wagte ein Hund sie anzugreifen. Und sogar im eigenen Territorium verkroch sich ein großer Bauernhund vor dem Hundewolf in einen Winkel. Als das Weibchen der zweiten Generation ihre Jungen warf, ereignete sich eine wahre Tragödie: „Zwei bis drei Stunden nach ihrer Geburt war die Person, welche diese jungen Tiere warten sollte, neugierig genug, sie besichtigen zu gehen; sie wollte sie berühren oder in die Hand nehmen, um
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sie nahebei zu besehen, und mehr war nicht nötig, um die Mutter zu reizen, die sich also gleich auf ihre neugeborenen Jungen warf, oder sie wütend aus den Händen riss, um sie alsdann zu verschlingen oder zu ihrer Beute zu machen; denn sie fraß dieselben, als wäre es ihre gewöhnliche Nahrung gewesen. Sechs von diesen jungen Tieren, die so berührt oder betastet wurden, hatten das nämliche Schicksal, sodass uns von dieser ersten Tracht einzig das junge Weibchen übrig blieb“ (Buffon 1847, S. 187). Dem von dieser dritten Generation allein übrig gebliebenen Weibchen aber widmeten die Eltern die größte Sorgfalt: „Sie ließen sie fast nie allein gehen, sie begleiteten sie fast auf allen ihren Schritten und Tritten; sie nötigten sie selbst zuweilen in ihrer Mitte zu gehen und selten rührten sie ihre Nahrung an, bevor sie ihren Teil genommen hatte. Man gab ihnen oft ganze Hammel zu ihrer Nahrung; alsdann schienen Vater und Mutter ihre kleine Gefährtin anzutreiben, dass sie zuerst sich daran weiden sollte; konnte sie aber diese Beute nicht anbeißen, so erleichterten die Eltern ihr den Fraß, indem sie selbst den Anbiss machten“ (a. a. O. S. 188). Auch dieses Weibchen der dritten Generation war sehr schüchtern und wild. Trat man in den Raum, in dem es eingeschlossen war, legte es sich nieder und schmiegte sich an den Boden, als könnte sie sich dadurch verbergen, und folgte mit unsteten Augen allen Bewegungen der eingetretenen Person. In seinem Gang, seiner Art zu laufen und seiner Fähigkeit zu heulen war es einem Wolf vollkommen ähnlich. Auch die vierte Generation der Hundewölfe, die dadurch entstanden, dass das Weibchen der dritten Generation von seinem Vater gedeckt wurde, verloren ihre Wildheit und Furchtsamkeit nicht. Nach all diesen Kreuzungsexperimenten musste schließlich Buffon eingestehen, „dass man nicht bezweifeln kann, dass Wolf und Hund zu derselben Gattung und Art gehören, die sich weit näher stehen als die des Esels und des Pferdes“, die nur unfruchtbare Bastarde hervorbringen, „während der Wolf und der Hund Einzelwesen hervorbringen, die anderen Einzelwesen das Dasein zu geben vermögen, weil sie mit allen zur Fortpflanzung nötigen Fähigkeiten begabt sind“ (Buffon 1847, S. 186). Zweihundert Jahre später sollten diese Kreuzungsexperimente zwischen Wolf und Hund, die längst vergessen und den heutigen Zoologen und Verhaltensforschern völlig unbekannt geblieben sind, durch die von Herre unternommenen Kieler Kreuzungen zwischen Wolf und Pudel bestätigt werden. Die Nachkommen dieser Kreuzungen zeichneten sich auch hier dadurch aus, dass sie viele Eigenschaften des wilden Elternteils übernehmen und damit die durch lange Zuchtauslese von Menschen gewünschten Eigenschaften verlieren. Sie sind wie die Wölfe sehr scheu, schwer zu führen, eigenständig und wild. Auch in der zweiten Generation verloren sie ihre Schreckhaftigkeit nicht (Zimen 1989, S. 146, 192).
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Während die modernen Kreuzungsversuche zwischen Wolf und Hund vor allem der Klärung der Abstammungsfrage dienten, war Buffon von diesem Schritt zur Evolutionstheorie noch weit entfernt. Die nahe Verwandtschaft zwischen den Arten Wolf und Hund bedeutete für ihn noch nicht Abstammung des Hundes vom Wolf. Die Suche nach dem Urhund war daher damit noch nicht beendet. Im Anschluss an Buffon glaubte man in schon längst bekannten Wildhunden den Urhund zu sehen. So wurde zunächst der in Indien lebende Kolsum oder Dole als Stammvater aller Haushunde betrachtet (vgl. Brehm 1876, S. 521). B. H. Hodgson beschrieb 1833 den Urhund, den er ebenfalls in Indien entdeckt hatte, als ‚Canis primaevus‘, der sich jedoch bald als der seit 1811 bekannte Rotwolf (Cuon alpinus) herausstellte. Und noch im Jahre 1901 postulierte Th. Studer im Geiste Buffons einen bereits ausgestorbenen ‚Canis ferus‘, der einst im südlichen Eurasien gelebt haben soll und später in den Haushunden und Pariahunden aufgegangen ist. Ganz verschwunden ist auch heute die Idee vom Urhund nicht. So behauptete M. Fox (1978), dass der Haushund von einem dingoähnlichen Caniden abstammt, der im Europa der Steinzeit weit verbreitet war und sich mit den Wölfen verschiedener Gegenden gekreuzt hat. Und neuerdings ist sogar von einem „Typ Haushund“ die Rede, der „uralt“ sein soll und „sich über die Jahrmillionen in Zentralasien erhalten“ (Beckmann und Beckmann 1994, S. 370) haben soll. Alle diese Spekulationen über den Urhund bekommen jedoch eine andere Bedeutung, wenn es stimmen sollte, dass die Aufspaltung von Wölfen und Hunden viel weiter, nämlich 135 000 Jahre, zurückliegt, als man bisher angenommen hat. Dann würden Hunde, weitgehend durch eine Verhaltensbarriere von den Wölfen isoliert, in Gemeinschaft mit den Menschen zumindest vor mehr als 100 000 Jahren existiert haben. Und seitdem man weiß, dass die Züchtung von Haustieren kein Modell für die Evolution ist, die sich nicht auf einzelne oder mehrere Generationen von Individuen bezieht, sondern auf die gesamte Population, ist die Vorstellung von einem „Urhund“, der zwar aus den Vorfahren der heutigen Wölfe hervorgegangen ist, nicht mehr so abwegig. Kein Mensch hat diese selbstständige, von den frühen Wölfen abgespaltene Art sozusagen im Schnellverfahren domestiziert, vielmehr muss sie in einer Koevolution mit unseren Vorfahren, den Hominiden, entstanden sein. Das heißt, der Hund wurde nicht planvoll „domestiziert“, sondern er hat sich selbst zu dem entwickelt, was er bis heute geblieben ist: der untrennbare Begleiter des Menschen. Er ist kein vom Menschen gebändigter und erzogener Wolf, der vom Menschen als Welpe in den Haushalt genommen und aufgezogen wurde, obwohl dies vereinzelt immer wieder vorgekommen sein mag, sondern ein mutierter Wolf, der sich selbst „domestiziert“ und sich dem Menschen zum Freund gemacht hat, welcher wiederum
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2. Vor hunderttausend Jahren
vieles von der sozialen Intelligenz der Hunde angenommen hat. Ein Modell für diese selbstständige, aber trotzdem mit dem Menschen eng verbundene Lebensgemeinschaft liefern bis heute die so genannten Pariahunde.
Die Pariahunde Paria wurde in Indien die niedrigste Kaste von Menschen genannt, die als „unrein“ angesehen wurden und aus der höheren Gesellschaft ausgestoßen waren. Nach Brehm waren es die Engländer, die diese Bezeichnung dann auf jene Hunde ausgedehnt haben, die zwar „herrenlos sind, aber immer noch in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zum Menschen stehen“ (Brehm 1876, S. 571). Diese Pariahunde findet man bis heute nicht nur in Indien und in den orientalischen Ländern, sondern auch im Süden und Osten Europas. Brehm hatte diese Hunde selbst in Ägypten beobachtet und ist dabei zu Beschreibungen gekommen, die von den heutigen Forschern bestätigt worden sind (Menzel und Menzel 1960; vgl. Beckmann und Beckmann 1994, S. 209 f.). Ludwig Beckmann war noch 1895 der Meinung, dass die Pariahunde „aus den Trümmern der Hunderassen untergegangener Kulturvölker“ entstanden sind und sich mit den Hunden der eingewanderten Völkerstämme und in neuerer Zeit mit den eingeführten europäischen Hunderassen vermischt haben. Daher hält er es auch für völlig unwahrscheinlich, durch die Untersuchung dieser Pariahunde Aufschluss über die Abstammung des Haushundes zu erhalten (L. Beckmann 1895, 2. Bd., S. 207). Heute weiß man, dass solche pariaähnlichen Hunde nicht nur auf den alten ägyptischen Bildern zu finden sind, sondern dass es auch Skelettfunde aus mehr als 5500 Jahre alten Gräberfeldern in Thailand und aus dem 9000 Jahre alten Jericho nahe legen, dass Pariahunde eine alte „Naturrasse“ sind, die vielleicht als direkte Nachkommen des sagenhaften „Urhundes“ anzusehen sind (vgl. Beckmann und Beckmann 1994, S. 207). Wie immer auch diese Spekulationen zu bewerten sind, Pariahunde, so wie sie früher und heutzutage in Gemeinschaft mit den Menschen, aber „in vollkommenster Selbständigkeit“ (Brehm a. a. O.) leben, können uns durchaus eine Vorstellung von jenen Hunden geben, die sich über viele Jahrtausende hinweg mit unseren Hominidenvorfahren gemeinsam entwickelt haben: „Sie bringen den größten Teil des Tages schlafend zu. Erheben sich nach dem Sonnenuntergang und streifen bei Nacht umher auf der Suche nach Aas und Unrat. Weil sie den Unrat wegfressen, werden sie nicht nur geduldet, sondern sind vor allem in den größten Städten wie Kairo und Alexandrien gern gesehene Gäste“ (Brehm 1876, S. 572). Mit den Bewohnern der Städte und Dörfer, in deren Nähe oder auch in deren Straßen und Gas-
Pariahunde
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sen sie leben, sind sie immer in freundschaftlichem Kontakt. Sie werden auch manchmal im Vorübergehen gefüttert vor allem dann, wenn die Hündinnen ihre Jungen bekommen: „Wohl selten geht ein Ägypter vorüber ohne der Hundemutter einen Bissen Brot, gekochte Bohnen, einen alten Knochen und dergleichen zuzuwerfen“ (Brehm 1876, S. 373). Während die Pariahunde gegen die einheimischen Bewohner immer freundlich sind, sich nicht fürchten und auch nahe an diese herankommen, sind sie gegen Fremde ausgesprochen feindselig. Sie bellen diese nicht nur an, sondern gehen auch manchmal in ganzen Rudeln auf sie los, sodass sich Brehm gezwungen sah „den naseweisesten Gesellen eine Kugel vor den Kopf zu schießen“ (Brehm 1876, S. 373). Brehm selbst ging auch sonst mit den Pariahunden nicht sehr freundlich um. Er machte sogar Jagd auf sie, um ihr Fleisch an seine gefangenen Geier und Hyänen zu verfüttern. Ähnliche Verhältnisse wie in Ägypten herrschten auch in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, das für seine Straßenhunde weit bekannt war: „Alle Gassen, alle Plätze sind mit ihnen bedeckt; sie stehen entweder an den Häusern gereiht und warten auf einen Bissen, welcher ihnen zufällig zugeworfen wird, oder sie liegen mitten in der Straße“ (Hackländer, zit. von Brehm 1876, S. 574).
Abb. 6: Dingos und Pariahunde (aus Beckmann 1895)
Die Hunde konnten sich so unbeschränkt vermehren, dass nur brutale Vernichtungsmaßnahmen ihre Zahl vorübergehend einschränken konnten. So ließ Sultan Mahmud bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
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2. Vor hunderttausend Jahren
einige Tausend dieser Hunde auf einen bei den Prinzeninseln liegenden kahlen Felsen bringen, wo sie einander auffraßen. Diese Vernichtungsmaßnahmen wiederholten sich im Jahre 1909: Die Hunde wurden von Polizisten und Soldaten eingefangen und wiederum auf dem Felsenriff im Marmarameer ausgesetzt. Ihr grauenhaftes Geheul wurde noch wochenlang von den vorüberfahrenden Schiffspassagieren und den Bewohnern der anatolischen Küste gehört. Als in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts die Hundesteuern beträchtlich erhöht wurden, ließen viele Hundebesitzer ihre Tiere frei, sodass in kurzer Zeit wieder fast 100 000 herrenlose Hunde die Straßen von Istanbul bevölkerten, die wiederum von Militär und Beamten eingefangen und durch Gas getötet wurden (Bauer 1957, S. 139). In der Stadt gab es auch seit jeher immer wieder Territorialkämpfe: „Jede Gasse hat ihre eigenen Hunde, welche sie nicht verlassen ... und wehe dem Hunde, der es wagt, ein fremdes Gebiet zu besuchen. Wenn er sich nicht durch schleunige Flucht retten kann, wird er förmlich zerrissen“ (Brehm a. a. O. S. 574). Ebenso erging es damals fremden Europäern, die sich in solche Gassen verirrten. Sie wurden angefallen und verdankten es oft nur ihren Stöcken, mit denen sie kräftig auf die angreifenden Hunde einschlugen, dass sie nicht mit zerrissenen Kleidern heimkamen. In einer Stadt wie Istanbul, in der damals keine Gesundheitsmaßnahmen getroffen wurden und der Abfall und sogar Tierleichen auf die Straßen und öffentlichen Plätze geworfen wurden, waren die Pariahunde gegen diejenigen, die sie gut behandelten, freundlich, dankbar und von großer Anhänglichkeit. Von einem Geschäftsreisenden wird berichtet, dass er während seines Aufenthaltes immer einen bestimmten Hund fütterte. Bei seiner Abreise folgte ihm der Hund bis zum Einschiffungsplatz, und als sich das Dampfschiff mit seinem menschlichen Freund entfernte, stürzte sich der Hund ins Meer und schwamm dem Schiff hinterher. Der Kapitän schickte ihm eine Barke entgegen und nahm ihn an Bord, wo der Hund den Geschäftsreisenden so stürmisch begrüßte, dass dieser nicht anders konnte, als ihn mitzunehmen (vgl. Brehm 1876, S. 575). Dieses Beispiel, wie viele andere gleichartige, die bis heute sich immer wieder abspielen, wenn Reisende aus den südlichen Ländern oder aus dem Orient herrenlose Hunde mit nach Hause bringen, gibt eine bessere und verständlichere Vorstellung von dem Prozess der Domestikation als das Aufnehmen von Wolfwelpen durch den Steinzeitmenschen. Verständlicher ist es vielmehr, dass sich im Prozess der Evolution eine ganze Population von den Wölfen genetisch abgespalten hat, die über Jahrtausende hinweg ein Pariahunde-ähnliches lockeres Zusammenleben mit unseren Vorfahren führten, bevor es zur eigentlichen Domestikation des Hundes kam. Jedes Mal muss es ein Stadium gegeben haben, in dem die Bande zwischen Tier und Mensch nur locker waren, Kreuzungen mit der Wildform noch häufig
Pariahunde
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vorkamen und das Erscheinungsbild sich noch nicht wesentlich von dem der Ausgangsform unterschied. Erst auf einer zweiten Stufe kam die eigentliche Domestikation zum Abschluss, indem eine größere Anzahl von Individuen unterworfen und in volle Abhängigkeit vom Menschen gebracht worden war (Zeuner 1967, S. 52).
3. Der Jagdgenosse und Wächter Die Geschichte der Eroberung und Beherrschung der Erde durch den Menschen mit Hilfe des Hundes hat schon in sehr frühen historischen Zeiten begonnen. Denn es waren gerade die alten Hochkulturen der Ägypter, Babylonier und Assyrer, die bereits, wie schon Darwin wusste, nicht nur unterschiedliche Gebrauchshunde, wie z. B. Jagdhunde, Kampf- bzw. Kriegshunde und Wachhunde, züchteten, sondern auch ein besonderes geradezu menschliches Verhältnis zu ihnen hatten. Wie Herodot (490–425 v. Chr.) berichtet, herrschte beim Tode einer Katze oder eines Hundes im Hause der alten Ägypter Trauer wie beim Tod eines Familienmitglieds. Verlor in einem Hause eine Katze ihr Leben, so schoren sich alle Bewohner die Augenbrauen ab. Starb aber ein Hund, so wurde der ganze Leib geschoren (Geschichte II, 66). Auch nach Plutarch (50–120 n. Chr.) hatte der Hund vor allem bei den Verehrern des hundeköpfigen Gottes der Unterwelt Anubis eine geheime Bedeutung und stand in ganz Ägypten in höchsten Ehren, die er aber verlor, als er als einziges Tier von dem Leichnam des von Kambyses getöteten Apis fraß (Über Isis und Osiris 44). Es gab auch unterschiedliche Typen von Hunden, wie die eigentümliche Windhundeform mit spitzen hohen Ohren und kurz aufgerolltem Schwanz, Jagdhunde mit Hänge- oder Spitzohren verschiedener Gewichtsklassen, Hirtenhunde, kurzbeinige dackelähnliche Formen und schließlich auch kleine Schoßhündchen. Schwere doggenartige Hunde findet man nicht nur bei den Assyrern, sondern auch bei den Griechen und Römern, die große gallische Hunde und die „breitmäuligen“ britannischen Hunde in der Arena zu Zirkusspielen und Tierkämpfen verwendeten. Ob es sich um Hunderassen im heutigen Sinn handelt, ist jedoch äußerst zweifelhaft. Die Gewohnheit der Griechen und Römer, die unterschiedlichen Hundetypen nach dem Land oder der Provinz zu benennen, in der sie gezüchtet wurden, weist eher darauf hin, dass es sich hier um lokale Formen handelt, aus denen sich nach ihrer Einführung in andere Gegenden durch häufige Kreuzungen zahlreiche Übergangsformen entwickelten. Die Ähnlichkeiten zwischen einigen dieser Hundetypen des Altertums und der Neuzeit hat immer wieder zur Annahme geführt, dass es verschiedene „Urrassen“ gab, durch deren Kreuzung alle übrigen Rassen entstanden sein sollen. Diese Auffassung ist jedoch schon von den Kynologen des 19. Jahrhunderts als Irrtum erkannt worden. So weist bereits Ludwig Beckmann in seiner >Geschichte und Beschreibung der Rassen des Hundes
Odyssee< feststellen. Nicht Penelope, die Frau des Odysseus, sondern Argos, sein treuer alter Hund, ist das einzige Lebewesen, das in dem heruntergekommenen Bettler Odysseus erkennt und sich erst dann, nachdem er seinen Herrn wieder gesehen hat, zum Sterben hinlegt (Odyssee 291–327).
Platons Lehre von der philosophischen Natur des Hundes Den Höhepunkt der enthusiastischen Bewunderung für Hunde im alten Griechenland stellt aber Platons (428–347 v. Chr.) viel zu wenig bekannte Lehre von der „philosophischen Natur des Hundes“ dar (vgl. Oeser 2000). Sie bildet sogar eine der wichtigsten Grundlagen seiner Sozialphilosophie. Denn in der Platon’schen >Politeia< haben die Hunde die große Vorbildfunktion für die Wächter oder Wehrmänner – und zwar nicht nur in körperlicher, sondern vor allem auch in seelischer Hinsicht. Die körperlichen Eigenschaften der Hunde wie der Wächter werden von Platon selbst folgendermaßen angegeben: „Scharf müssen sie doch wohl einer wie der andere sein im Wahrnehmen und schnell um das Wahrgenommene zu ergreifen, und wiederum stark, um im Notfall das Ergriffene zu verteidigen“ (375 a). Die seelischen Eigenschaften des Hundes sind jedoch für Platon weitaus wichtiger. Sie bestehen in einer scheinbar widersprüch-
Die Hunde der Griechen
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Abb. 8: Argos und Odysseus (aus Strebel 1904)
lichen Kombination von Sanftmut und Aggression: „Es ist edler Hunde Art, von Natur aus gegen Hausgenossen und Bekannte so sanft zu sein wie nur möglich, gegen Unbekannte aber ganz das Gegenteil“ (375 e). Diese Eigenart, entgegengesetzte seelische Eigenschaften in sich zu vereinigen, hat aber ihre Grundlage in der „wahrhaft philosophischen Natur“ des Hundes. Denn lernbegierig und philosophisch ist für Platon dasselbe. Wer wie der Hund das Bekannte und Fremdartige bestimmen kann und danach sein freundliches oder feindliches Verhalten richtet, ist eben lernbegierig und damit von „wahrhaft philosophischer Natur“ (376 b). Und genauso nicht nur in körperlicher, sondern in seelischer Hinsicht müssen die Wächter des griechischen Stadtstaates sein: „Sie müssen zu allen Befreundeten sanft sein und nur gegen die Feinde hart. Wenn sie das nicht sind, werden sie nicht auf andere zu warten brauchen, die sie aufreiben, sondern sie werden es schon eher selbst tun.“ Platons Grundthese von der philosophischen Natur des Hundes, so ungewohnt sie auch klingen mag, hat auch in der modernen Verhaltensforschung eine Erneuerung erfahren (vgl. Oeser 2000), wenn man die einzig wahre und inhaltlich konkrete Definition des Wortes „philosophisch“ im Sinne Platons berücksichtigt. Philosophie heißt nicht einfach, wie die inhaltliche leere und nichts sagende, bloß etymologische Worterklärung lautet: „Liebe zur Weisheit“, sondern, wie Platon ausdrücklich sagt, „lernbegierig“ sein. Und genau das ist es, was für Konrad Lorenz jene Eigenschaft ist, die der Hund, wie kein anderes Lebewesen auf dieser Welt, mit dem Menschen
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3. Der Jagdgenosse und Wächter
verbindet und ihn selbst den großen Menschenaffen gegenüber als geistig überlegen erweist, so sehr ihn diese in gewissen anderen Intelligenzleistungen übertreffen mögen: „In einer bestimmten Hinsicht ist nämlich der Hund unbedingt menschenähnlicher als die klügsten Affen: Wie der Mensch ist nämlich auch er ein domestiziertes Wesen, und wie der Mensch verdankt auch er der Domestikation zwei konstitutive Eigenschaften: erstens das Freiwerden von den starren Bahnen des instinktiven Verhaltens, das ihm, gleich dem Menschen, neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet, zweitens aber jene Verjugendlichung, welche bei ihm die Wurzel seiner dauernden Liebesbedürftigkeit ist, dem Menschen aber die jugendliche Weltoffenheit erhält, derentwegen er bis in das hohe Alter ein Werdender bleibt“ (Lorenz 1991). Dieser Enthusiasmus für Hunde, den Lorenz, ohne es selbst wahrgenommen zu haben, mit Platon teilt, hat jedoch nicht bei allen Philosophen, die Lorenz nahe gestanden sind, ungeteilte Zustimmung gefunden – auch nicht bei seinem alten Jugendfreund Karl Popper, für den Platon ebenso wie Marx und Hegel ein Feind der offenen Gesellschaft war und der die Vorliebe Platons für Hunde als ein grundlegendes Merkmal der von ihm so verdammten geschlossenen Gesellschaft ansah. Damit bekommt aber die Hundephilosophie Platons eine politisch-ideologische Interpretation, die sich sehr weit von den Lorenz’schen Intentionen entfernt. Popper sieht nämlich in der, wie er sagt, zu weitgehenden Bewunderung Platons für Hunde ein gefährliches Element. So behauptete Popper in seinem heutzutage am meisten beachteten sozialphilosophischen Werk >Die offene Gesellschaft und ihre FeindeKynegetikosBüchlein von der Jagd< bezeichnet. Denn der „Hundeführer“ war identisch mit dem Jäger. Das zeigt deutlich die Bedeutung, die der Hund für den Menschen bei der Jagd seit jeher besessen hat. In dieser kleinen Schrift Xenophons geht es daher hauptsächlich um den Jagdhund, der bereits entsprechend seiner Eignung für ein bestimmtes Beutetier in unterschiedliche „Arten“ aufgeteilt wird. Es ist vor allem die Hasenjagd, die Jagd von Rotwild, insbesondere auf Hirschkühe und Hirschkälber, und die Sauhatz, bei der besonders geeignete Hunde von reiner Zucht benötigt werden. Die Jagd auf Löwen, Leoparden, Luchse, Panther und Bären dagegen, die nur aus fremden Ländern bekannt war, wurde zwar hauptsächlich mittels Gift oder mit Fallgruben durchgeführt, doch gibt es in der Antike Berichte über Kämpfe zwischen Hund und Löwen. Über Xenophon wird in der kynologischen Literatur des 19. Jahrhunderts meist berichtet, dass er nur zwei Arten von Hunden anführt: die kastorischen und die Fuchshunde. Doch diese Einteilung bezieht sich lediglich auf jene Hunde, die zur Hasenjagd verwendet wurden. Für die Jagd auf Hirschkühe und Hirschkälber muss man nach Xenophon „indische“ Hunde haben: denn die sind stark, groß, schnellfüßig und haben Mut und Ausdauer. Und
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für die Sauhatz unterscheidet er sogar vier „Arten“: indische, kretische, lokrische und lakonische Hunde. Offensichtlich wurde der lakonische Hund verwendet, um das Schwarzwild aufzustöbern. Denn Xenophon gibt an, dass die Jäger zunächst einen der lakonischen Hunde loslösen, mit dem sie umhergehen, bis er die Fährte aufgespürt hat. Dann folgt die ganze Jagdgesellschaft mit den angekoppelten Hunden dem leitenden Spürhund, bis dieser am Lager des Wildschweins angekommen ist und Laut gibt. Nachdem die Fangnetze aufgestellt sind, werden dann alle Hunde losgelassen, die in das Lager des Wildschweins springen. Wie sehr die Sauhatz vor allem von dem Mut und der Opferbereitschaft der Hunde und viel weniger von der Tapferkeit der Jäger abhängt, zeigt die folgende Schilderung vom Schicksal der angreifenden Hunde: Den auf den Kopf des Wildschweins anrennenden Hund wird das aufgeschreckte und wütende Tier mit seinen Hauern in die Luft schleudern, was meist den Tod des Hundes zur Folge hat. Während die Hundemeute todesmutig das rasende Wildschwein zu packen versucht, schleudern die Jäger aus sicherer Entfernung ihre Wurfspitze und Steine, um das Wildschwein in die Netze zu treiben, in denen es sich dann hilflos verfängt. Erst dann geht der „erfahrenste und sicherste“ unter den Jägern mit der so genannten „Schweinsfeder“ vor, um das Tier zu töten. Reißt sich aber das Wild aus den Netzen los und wirft sich dem Jäger entgegen, dann muss dieser „mit aller Vorsicht“ die Schweinsfeder genau auf die Kehle zielend auslegen, sodass das wütende Tier sich selbst aufspießt. In seiner Wut dringt das so aufgespießte Wildschwein so weit vor, dass es nur durch einen Knoten am Spieß aufgehalten wird, sonst würde es bis zu dem, der den Spieß hält, vordringen. Verfehlt der Jäger aber die Kehle des Wildschweins oder wird ihm der Spieß durch eine ausweichende Bewegung des Kopfes des Wildschweins aus der Hand geschlagen, so bleibt ihm nur ein im Vergleich zu den todesmutigen Hunden, die das Wildschwein in jeder Lage angreifen und dadurch schwer verwundet oder getötet werden können, wenig rühmliches Verhalten übrig: „Er muss sich auf das Gesicht niederwerfen und am Gehölze unter sich festhalten, denn das Tier kann, wenn es ihn in solcher Lage angeht, wegen der Krümmung seiner Hauer den so am Boden liegenden Körper des Jägers nicht von unten fassen. Es versucht daher ihn aufzurichten, und wenn es das nicht kann, so trampelt es auf ihm herum“ (10, 13–14). In einer solchen Notlage muss dann ein anderer Jagdgenosse das wütende Tier mit seinem Fangeisen ablenken, damit der am Boden Liegende seinen Spieß fassen und aufspringen kann, um das Tier endgültig zu töten: „Denn ehrenvoll ist die Rettung nur für den Sieger.“ Wie viele Hunde genau bei solchen Kämpfen mit einem wütenden Keiler zugrunde gehen, wird von Xenophon nicht berichtet. Er bemerkt nur, dass bei einer Hetzjagd hinter
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3. Der Jagdgenosse und Wächter
einem Wildschwein, das nicht in die Netze gegangen ist, „viele Hund ihren Tode finden und die Jäger selbst sich Gefahren aussetzen“ (10, 21). Welchen Einsatz der Jäger sich von den Hunden erwartet, drückt sich auch in den Namen aus, die Xenophon unter anderem vorschlägt: „Thymos“ (Mut), „Porpax“ (Packan), „Phonax“ (Würger), „Teuchon“ (Faßan), „Kainon“ (Töter). Diese Namen sollen kurz sein, damit sie von den Jägern, welche die Hunde hetzen und anfeuern, gut gerufen werden können. Wenn es wahr ist, was ein späterer Autor namens Pollux erzählt, hat sich aber Xenophon selbst nicht daran gehalten. Denn er nannte seinen berühmten, von ihm selbst gezüchteten Hund „Hippocentaurus“. Andere Namen, die Xenophon empfiehlt, wie „Phylax“ (Wächter) oder „Psyche“ (Seele), „Getheus“ (Fröhlich) und „Chara“ (Freude), weisen darauf hin, dass die Griechen nicht nur Jagd- und Kampfhunde, sondern auch Wachhunde und harmlosfröhliche Begleithunde gezüchtet haben. Die genaueste Beschreibung liefert jedoch Xenophon von den für die Hasenjagd verwendeten Hunden. Mit dem scharfen Auge des Züchters und Jägers zählt er zunächst jene auf, die er von der weiteren Zucht wegen ihrer Ungeeignetheit für die Jagd ausschließt: „Kleine habichtsnasige, blauäugige, blinzelnde, hässliche, steife, schwächliche, kahle, hochläufige, schlechtproportionierte, verdrossene, mit schlechter Nase und nicht gut auf den Läufen. Die kleinen kommen häufig beim Jagen zu kurz wegen der Kleinheit; die habichtsnasigen haben schlechtes Maulwerk und halten darum den Hasen nicht fest; die blinzelnden und blauäugigen haben schlechte Augen; die missgestalteten sind schon hässlich anzusehen; die mit steifen Gliedern kommen beim Jagen nur schwer zurecht; die schwächlichen und kahlen sind nicht imstande, Strapazen durchzumachen; die hochläufigen und schlecht proportionierten nehmen, eben wegen des ungefügen Körperbaues, die Fährte nur mühsam auf; die verdrossenen verlassen die Arbeit und ziehen sich aus der Sonne in den Schatten zurück und legen sich nieder; die mit der schlechten Nase wittern den Hasen nur mühsam und selten; die mit den schlechten Läufen endlich können, selbst wenn sie munter sind, die Anstrengung nicht ertragen und versagen sich wegen der Empfindlichkeit der Läufe“ (3, 2–3). Dass es sich um eine scharfe Zuchtwahl handelt, bei der nur wenige Hunde übrig bleiben, zeigt die Bemerkung Xenophons, dass diese minder guten Hunde auch die häufigeren sind. Aber nicht nur auf das äußere Aussehen, sondern vor allem auch im Bezug auf Wesen und Verhalten werden die Hunde ausgewählt. Sie müssen eine gute Witterung haben, wobei sie den Kopf schräg zum Boden halten und die Spur munter verfolgen. Dabei lassen sie die Ohren hängen, bewegen die Augen häufig hin und her und wedeln mit dem Schwanz. Wenn sie dem Lager des Hasen näher kommen, zeigen sie dies dem Jäger durch Zurückbleiben und Wiederhinblicken und durch gesteigerte Lebhaftigkeit an. Ihr Ei-
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fer drückt sich durch den Kopf, die Augen und durch den Wechsel der Stellung aus. Sie laufen schneller hin und her, springen vorwärts, rückwärts und seitwärts. Verfolgen müssen sie dann die aufgestöberten Hasen unabhängig unter starkem Lautgeben und Gebell, indem sie ihm durch dick und dünn nachjagen, ohne die Spur sogar bei größter Sommerhitze und bei hoch stehendem Tagesgestirn zu verlieren (vgl. 4, 3–6). Xenophon wusste auch, dass die Hunde derselben Rasse trotz ihres gleichartigen Körperbaus und Aussehens in ihrem Verhalten und Wesen individuell verschieden sein können. Das zeigt folgende ethologische und psychologische Skizze: „Die einen gehen, wenn sie die Fährte gewittert haben, so vor, dass man gar nicht merkt, dass sie bereits auf der Spur sind. Andere bewegen bloß die Ohren hin und her und halten die Rute ruhig; andere dagegen halten die Ohren unbeweglich und wedeln dafür mit der Spitze der Rute, während noch andere die Ohren spitzen und knurrend mit gesenkter und eingezogener Rute auf der Spur fortsuchen“ (3, 4–5). Außerdem glaubt Xenophon den Hunden sehr differenzierte psychische Eigenschaften zuschreiben zu können wie „Selbstvertrauen“ oder „Verdrossenheit“, und er schildert eine Menge von fehlerhaften Verhaltensweisen von Hunden, die dem Jäger seine Liebhaberei verleiden können und die alle seiner Meinung nach auf bestimmte psychische Haltungen und Zustände der Hunde zurückzuführen sind. So spricht er von Hunden, die „ihre Freude daran haben“, den Jäger zu täuschen, indem sie die falschen Fährten als die wahren ausgeben oder bereits Laut geben, bevor sie den Hasen überhaupt gesehen haben. Manche rennen vor mit „vollem Bewusstsein, dass sie täuschen“, manche aus Dummheit oder Unbesonnenheit und noch andere in falschem Wahn oder aus Eifersucht gegenüber den anderen Hunden. Andere wiederum kehren um aus Überdruss an der Jagd oder einfach aus Anhänglichkeit an die Menschen. Auch über die sprachliche Kommunikation und das wortsprachliche Verständnis kann Xenophon klare Aussagen machen. Der Jäger muss nicht nur das unterschiedliche Gebell und Lautgeben des Hundes beachten, sondern muss selbst durch aufmunternde Worte, Richtungsangaben und Verbote die Hunde leiten und dirigieren. Sind die Hunde auf der Spur, so muss ihnen der Jäger mit hochgehaltenem Stock und gerafftem Gewand nachlaufen und dabei rufen: „So recht (saphos), schön so (kalos) meine Hunde!“ Um sie zu hetzen, soll der Jäger jeden einzelnen Hund mit seinem Namen rufen, wobei er den Ton der Stimme möglichst wechselt: „Hoch, tief, schwach, stark.“ Neben sonstigen Zurufen muss der Jäger die Hunde immer wieder mit den Worten „Brav, brav!“ loben. Ändert der Hase seine Richtung oder kehrt zu seinem früheren Lageplatz zurück, gibt der Jäger die Richtung mit dem Wort „Dorthin (autothen)!“ an. Überschießt der Hund in seinem Eifer die Fährte, hat der Jäger „Nicht weiter! Nicht weiter!“ zu rufen. Auch soll
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3. Der Jagdgenosse und Wächter
der Jäger, der seine Hunde in ihren individuellen Eigenschaften und Verhaltensweisen kennt, die Art seines Zusprechens differenzieren, indem er den leutseligen Hund sehr anfeuert, den mürrischen wenig und den, der weder das eine noch das andere ist, mittelmäßig zuspricht.
Arrian, der Affe Xenophons Mehr als 500 Jahre später, in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts nach Christus fand das Hundebuch Xenophons eine Fortsetzung und Nachahmung durch einen Autor, den die gelehrten Philologen des 19. Jahrhunderts verachtungsvoll den „Affen Xenophons“ nannten. Gegen Ende des ersten Jahrhunderts in Nikomedia in Bithynien geboren, erwarb er sich, der ursprünglich den Namen Arrian trug, als eifriger Schüler Epiktets und Anhänger der stoischen Philosophie das Bürgerrecht von Athen und nannte sich fortan „Xenophon der Jüngere“. „Gleichen Namens mit ihm und aus der selben Stadt, auch von Jugend auf denselben Studien, der Jagd, der Feldherrnkunst und der Philosophie, ergeben“, verfasste er unter demselben Titel >Kynegetikos< eine kleine Schrift, mit der er das Werk seines berühmten Vorgängers und „Namensbruders“ zum Nutzen der Menschheit ergänzen wollte. Obwohl diese Schrift von den Übersetzern und Herausgebern wenig geachtet war, weil sie angeblich „nicht viel Neues bringt und selbst dort, wo sie seinen Vorgänger berichtigen will, nicht gerade etwas Besseres bringt“ (Dörner Einleitung zu Xenophon, S. 20), wurde sie doch meist den kleinen Schriften des älteren Xenophon angehängt. Eine genaue Analyse dieser Schrift zeigt jedoch, dass Arrian nicht nur neue, dem älteren Xenophon unbekannte Hunderassen, so z. B. die keltischen Hunde, beschreiben konnte, sondern dass er auch ein tiefer gehendes Verständnis für die Hunde hatte, das auch von einer größeren Zuneigung bestimmt war, als sie sein älterer Vorgänger aufbringen konnte. Dem ging es hauptsächlich um das Verhalten der Hunde bei der Jagd. Und die Jagd war für den Feldherrn, der den berühmten Zug der Zehntausend gegen Artaxerxes, den Feind und Rivalen des Großkönigs Kyros von Persien, anführte, eine Vorschule des Krieges. Worüber er übrigens auch mit Platon einig war. Diese kriegerische Einstellung eines erfolgreichen Heerführers erklärt auch seine kaltblütige Schilderung der todesmutigen Hunde, die bei der Sauhatz in großer Anzahl zugrunde gehen. Arrian oder „Xenophon der Jüngere“, wie er sich nannte, beginnt sein gleichnamiges Werk mit dem Hinweis, dass sein Vorgänger die Vorzüge des Jagdwesens als geistige und körperliche Ertüchtigung für das Kriegshandwerk gezeigt und die Rolle der Hunde beim Aufspüren und Verfolgen des
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Wildes geschildert hat; auch dass er angegeben hat, wie man gute und schlechte Hunde nach ihrer Gestalt und ihrem Verhalten beurteilen soll. Was er aber übergangen hat, weil er es auch nicht kennen konnte und was er, der jüngere Xenophon, selbst beschreiben will, sind die keltischen Hunde. Während den alten Griechen Europa unbekannt geblieben ist, mit Ausnahme des Römischen Reichs, soweit sie es besetzt hatten oder Handel mit ihm betrieben, kennt Arrian auch die am linken Donauufer hausenden Volksstämme, die er alle zu den keltischen zählt. Von diesen Kelten berichtet Arrian, dass sie mit zwei Arten von Hunden ihre Jagd betreiben ohne Fangnetze oder andere Hilfsmittel. Die eine Art, die nach einem keltischen Volksstamm die „hegusischen“ Hunde genannt werden, ist auch für Arrian nicht interessant. Denn sie sind beim Aufspüren und Verfolgen nicht besser als die karischen oder kretischen Spürhunde, aber dem Aussehen nach mürrisch und bösartig und von ausgesuchter Hässlichkeit mit struppigem Fell. Und gerade die Reinrassigen sind die Hässlichsten. Die Kelten vergleichen sie mit Straßenbettlern. Denn auch ihre Stimme ist kläglich und jämmerlich und bei Spüren klingt ihr Verbellen des Wildes nicht wie zürnend, sondern wie wehklagend und bettelnd. Bei den lateinischen Autoren wie Crescentius (X, 29) werden sie die „segusischen“ Hunde genannt und als „Brachen“ bezeichnet, was unseren heutigen „Bracken“ entspricht, also jenen mittelmäßig großen Jagdhunden, die dazu gebraucht werden, Wild aufzuspüren und lange zu verfolgen. Die andere Art der keltischen Hunde ist jedoch für Arrian mit all den Hunden, die der ältere Xenophon beschrieben hat, nicht zu vergleichen. Schon das Aussehen der reinsten von ihnen hat etwas Gefälliges sowohl in den Augen als auch im ganzen Körper und auch in Haar und Farbe. Ob sie nun scheckig oder einfarbig sind, sie bieten einen „gar herrlichen Anblick“. Die Kelten nennen sie „Vertragen“, und zwar nicht nach einem ihrer Volksstämme wie die hegusischen Hunde, sondern wegen ihrer „Flüchtigkeit“ oder Schnelligkeit, die dem älteren Xenophon nicht nur unbekannt war, sondern auch ganz unbegreiflich. Denn für diesen wäre es ein Wunder gewesen, wenn ein Hund einen flüchtigen Hasen eingeholt und gefangen hätte. So sagt er ausdrücklich: „Alle Hasen, die von Hunden gefangen werden, werden es nur durch Zufall“ (5, 29). Hätte er aber die keltischen Vertragen gekannt, meint Arrian, so hätte er umgekehrt sagen müssen, dass diese Hunde nur durch Zufall den Hasen nicht fangen. Entkommen kann ein Hase diesen Hunden nur dann, wenn er ein Dickicht oder eine Erdhöhle erreicht oder ihm die Flucht in einen verborgenen Graben gelingt. Aus der Beschreibung des Körperbaus und des Kopfes, die Arrian vom keltischen Vertragen liefert, geht deutlich hervor, dass es sich um eine windhundähnliche Art handelt: Sie sind groß, lang gestreckt vom Kopf bis zur Rute und wohlproportioniert. Der Kopf ist schmal und muskulös.
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3. Der Jagdgenosse und Wächter
Schlecht sind alle diejenigen, die einen kurzen Körperbau haben oder dickköpfig sind, mit breiter, nicht spitzer, sondern platt auslaufender Schnauze. Das hervorstechendste Merkmal dieser Hunde sind aber für Arrian die Augen, die, welche Farbe sie auch immer haben, geradezu erschreckend sind: „Die Augen sind groß, vorstehend, rein, glänzend, den Anschauenden schreckend. Und am besten sind die feurigen und ausnehmend strahlenden, wie bei Leoparden oder Löwen oder Luchsen; nach diesen in zweiter Reihe kommen die schwarzen, wenn sie dabei weit offen und zugleich nicht ohne Grauen anzusehen sind; in dritter Reihe die blauen; denn die blauäugigen sind weder an sich schlecht noch ein Anzeichen schlechter Hunde, sofern sie gleichfalls rein und nicht ohne Grauen anzuschauen sind“ (Arrian, 4,5). Für den älteren Xenophon war die blaue Farbe ebenso wie das Blinzeln ein Zeichen für schlechte Augen. Dem aber widerspricht Arrian ganz entschieden. Denn er selbst hatte einen blauäugigen Hund, „der so blauäugig als nur immer möglich war“, aufgezogen. Und dieser Hund war nicht nur schnell, sondern auch ausdauernd, voll Feuer und gut auf den Füßen, dass er sogar einmal in seinen besten Jahren mit vier Hasen fertig wurde. Wie die folgende, in ihrer unmittelbaren Lebendigkeit beeindruckende Darstellung zeigt, war dieser Hund ganz offensichtlich der Liebling seines Herrn. Darüber hinaus gibt diese Schilderung ein getreues Bild von dem Zusammenleben von Hund und Mensch in der Antike, besonders im alten Griechenland: „Ich besitze ihn nämlich noch jetzt, während ich dies schreibe. Auch sehr leutselig ist er, und nie hat vordem ein anderer Hund so, wie dieser, sich anhänglich gezeigt wie an mich selbst, so auch an meinen Freund und Jagdgenossen Megillus; denn wenn er vom Lauf ausruht, so geht er nimmer von uns oder von einem von uns weg. Und wenn ich zu Hause bin, bleibt er mir beständig zur Seite; gehe ich irgendwohin aus, so begleitet er mich, begebe ich mich in die Turnhalle, so läuft er mir nach, und während ich turne, sitzt er daneben; kehre ich wieder um, so geht er voran, häufig sich umwendend, wie um sich zu vergewissern, dass er nicht etwa vom Weg ablenke. Sobald er es gesehen und freundliche Miene dazu gemacht hat, geht er wiederum vor. Wenn ich aber zu irgendeiner amtlichen Verrichtung gehe, so bleibt er bei meinem Freunde und benimmt sich bei ihm ganz ebenso. Ist einer von uns beiden körperlich leidend, so geht er ihm gleichfalls nicht von der Seite. Sieht er einen selbst nach kurzer Zeit wieder, so hüpft er sachte an ihm hinauf, wie um ihn zu liebkosen, und zum Liebkosen gibt er Laut, wie um seine Anhänglichkeit zu bezeigen; und wenn er bei Tisch gegenwärtig ist, zupft er bald mit dem einen, bald mit dem anderen Lauf, um daran zu mahnen, dass ihm ja auch etwas von den Speisen zukommen müsse; auch gibt er so viel Laut, wie ich meines Wis-
Die Hunde der Griechen
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sens noch von keinem anderen Hund gesehen habe, und so oft er etwas bedarf, deutet er es mit seiner Stimme an. Und weil er in seiner Jugend mit einer Peitsche gezüchtigt wurde, so darf man auch jetzt nur das Wort ‚Peitsche‘ in den Mund nehmen, und er wird sich zu dem, der es ausgesprochen hat, hinmachen und, sich duckend, ihn flehentlich ansehen und seine Schnauze wie zum Kuss ihm an den Mund legen und aufspringend sich an den Hals hängen und nicht eher ablassen, als bis der Zürnende aufhört zu drohen“ (Arrian 5,1–5). Aus diesem Text ergibt sich weiterhin, dass nicht mehr ausschließlich die Jagd im Vordergrund der Hundehaltung steht, sondern der Hund zum ständigen Begleiter und Lebensgefährten des Menschen geworden ist. Während nach fünfhundert Jahren die Merkmale des ‚guten Hundes‘ – langer, runder und geschmeidiger Hals, eher breite als schmale Brust, gut gebaute Seiten, kräftige Lenden, lose Wamme, gerade runde Läufe – gleich geblieben sind, wird nun ganz ausdrücklich von Arrian auf die ‚Gemütsart‘ oder das ‚Wesen‘ des Hundes Wert gelegt und genaue Angaben über das Verhalten des Hundes als Kennzeichen für ‚gut‘ oder ‚edel‘ und ‚schlecht‘ angegeben: „Zum Beispiel die gegen jedermann mürrischen Hunde sind nicht edler Art; ist's jedoch der Fall, dass man welche findet, die gegen Unbekannte schwierig, gegen den Brotherrn aber freundlich sind, so ist das eher gut als schlimm. Ich habe sogar einen Hund gekannt, welcher zu Hause traurig war und gegen niemand, der sich ihm näherte, eine Freude bezeigte, aber sobald er auf die Jagd mitgenommen wurde, ausnehmend munter war und, indem er jeden Nahekommenden anschmunzelte und liebkoste, und zu erkennen gab, dass ihn das Zuhausebleiben verdrießlich mache. Auch das ist gut. Die besten aber sind diejenigen, welche ganz leutselig sind und denen keines Menschen Gesicht etwas Fremdes ist“ (Arrian 7,1–3). Schlecht bewertet dagegen müssen Hunde werden, die Menschen fürchten, bei Geräusch erschrecken, aber selbst viel Lärm machen und häufig ohne Grund unruhig werden, und wenn sie freigelassen und zurückgerufen werden, nicht darauf achten. Was nun die Schlafgewohnheiten anbelangt, ist es für Arrian selbstverständlich, dass Hund und Mensch sich das Lager teilen. „Nichts ist so gut wie ein weiches und warmes Lager; am besten beim Menschen, weil sie nicht nur dadurch menschenfreundlicher werden, sondern auch an der menschlichen Haut ihre Freude haben und den, der mit ihnen schläft, nicht weniger, als den, der sie füttert, lieb gewinnen“ (Arrian 9,1).
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3. Der Jagdgenosse und Wächter
Die Wachhunde der Römer In den ältesten Zeiten war die Tätigkeit des Hirten von der des Jägers abhängig. Denn dieser konnte die Bewachung der Herde gar nicht leisten, wenn nicht zuvor der Jäger mit Hilfe seiner Hunde die wilden Tiere in der Umgebung der Weideplätze erlegt oder vertrieben hatte. Der römische Schriftsteller Marcus Terrentius Varro (116–27 v. Chr.) unterscheidet daher zwei Arten von Aufgaben der Hirtenhunde: die eine war, die wilden Raubtiere zu vertreiben oder sie im Kampf zu töten, während die andere, die eigentliche Bestimmung des Hirtenhundes, darin bestand, die ihm anvertraute Herde zu leiten und in Ordnung zu halten (De re rustica II). Nach Varro waren es vor allem die Schafe, die vor den Wölfen durch die Hunde geschützt werden mussten. Eine Schweineherde dagegen kann von den alten Ebern und Sauen verteidigt werden und Ochsen und Kühe stoßen die Wölfe mit ihren Hörnern. Die Nahrung der Hirtenhunde war von denen der Jagdhunde insofern unterschieden, als sie nur aus Gerstenbrot oder Gerstenbrei, aus Weizen und Kleie bestand und Fleisch möglichst vermieden wurde, damit sie nicht fleischgierig wurden. Will man Schäferhunde kaufen, dann, sagt Varro, soll man sich weder an den Metzger noch an den Jäger wenden. Denn die Metzgerhunde sind nicht darauf dressiert, dem Vieh zu folgen, und die Jagdhunde überlassen die Schafe ihrem Schicksal, um dem erstbesten Hasen oder Hirsch, der ihren Weg kreuzt, nachzulaufen. Aber auch von dem Kauf von Hunden beim Schäfer selbst, die schon daran gewöhnt sind, der Herde zu folgen, rät Varro ab, denn sie hängen mehr am Schäfer als an der Herde. So kehrten die Hunde, die ein Römer im Innersten von Umbrien mit der Schafherde gekauft hatte, aus eigenem Antrieb nach Umbrien zurück, das mehrere Tagesreisen entfernt war, offenbar weil sie Heimweh nach ihrem alten Herren hatten. Deshalb wäre auch besser, den Rat Catos zu befolgen: „Was der Landwirt selbst erzeugen kann, soll er nicht kaufen und die Schäfer- und Wachhunde selbst aufziehen.“ Die Schäferhunde der Römer waren mit Halsbändern ausgestattet, „aus festem Leder mit Nagelköpfen, welche innen mit weichem Fell bedeckt sind, damit nicht der Hals durch das Eisen verletzt wird“. Zum Schutz der Hirten und ihrer Hunde wurden Reiserhütten errichtet, in denen beide bei hereinbrechendem Unwetter eine trockene Unterkunft fanden. Sie hatten die Form eines Schilderhauses, in das sich der Hirte aufrecht stellte und auch der Hund seinen Platz fand. Eine solche Hütte vermutet man in dem eigenartigen Gebäude, das man in den Darstellungen der Wiedererkennungsszene zwischen Odysseus und seinem Hund Argos sieht (Floeßel 1904, S. 220). Die häufigsten und bekanntesten Hundedarstellungen der Römer sind
Die Hunde der Römer: Columella
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aber die berühmten Cave-canem-Mosaike, die man an vielen römischen Häusern vorgefunden hat. Sie alle weisen auf die von den Römern hoch geschätzte Fähigkeit des Hundes als Wächter und Beschützer hin. Denn Raub und Diebstahl waren in den römischen Städten und Siedlungen weit verbreitet. Die Warnung: „Hüte dich vor dem Hund!“ sollte jeden Eindringling von Haus und Hof fern halten.
Abb. 9: Römischer Wachhund (aus Strebel 1904)
Für den Bauern auf dem Land ist das Halten von Hunden nach dem bedeutendsten römischen Ackerbauschriftsteller Columella, der um die Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr. lebte, geradezu eine Notwendigkeit. „Denn“, so sagt er, „welcher Mensch meldet ein wildes Tier deutlicher oder mit gleicher Lautstärke wie der Hund durch sein Gebell? Welcher Knecht liebt seinen Herrn inniger? Wer erweist sich als treuerer Gefährte, wer als unbestechlicherer Hüter, wer als wachsamerer Beobachter, wer schließlich als hartnäckigerer Rächer und Sühner? Deshalb muss der Bauer vor allen anderen dieses Tier erwerben und pflegen, das sein Haus und seinen Ertrag, sein Gesinde und sein Vieh bewacht“ (Columella VII, 12). Columella unterscheidet für die Erwerbung und Wartung eines Hundes drei Gesichtspunkte: „Eine Art wählt man gegen die bösen Absichten der Menschen; sie behütet also den Hof und was mit ihm zusammenhängt. Die zweite Art wählt man zur Abwendung der Angriffe von Menschen und Tieren; sie bewacht zuhause den Stall und draußen die Tiere auf der Weide. Die dritte erwirbt man für die Jagd; sie geht also den Bauern nicht nur nichts an, sondern lenkt ihn auch ab und macht ihn seiner Aufgabe untreu“ (Columella a. a. O.). Deshalb will auch Columella nur von den beiden ersten Arten, vom Hofhund und vom Schäferhund, sprechen. Der Jagdhund fällt nicht unter seine Untersuchung, die ja, wie ihr Titel lautet, nur von der Landwirtschaft (>De agriculturaDe canibus Britannicis< (London 1570) die britannische Dogge oder den Mastiff auf den Tibethund zurück, den er mit den „indischen“ Hunden oder den Molossern, wie sie Curtius Rufus beschreibt, gleichsetzt. Diese Gleichsetzung ist aber nach Auffassung der Kynologen des 19. Jahrhunderts Beckmann, Studer und Strebel nicht gerechtfertigt. Der
Abb. 11: Mastiff (aus Bewick 1811)
Die Gladiatorenhunde der Antike
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Name „Molosser“ ist zwar schon lange vor Linnés Zeiten auf den englischen Mastiff übertragen worden, doch die Beschreibungen und antiken Darstellungen des Molosser weisen darauf hin, dass diese aus der Landschaft Molossis in Epirus (Nordgriechenland) stammenden Schäfer- und Wachhunde im Unterschied zu den englischen Mastiff aufrecht stehende Ohren, lange Schnauzen und eine mähnenartige Behaarung an Hals und Schulter hatten. Ursprünglich stammen aber diese Molosser-Hunde aus Asien. Denn die Molosser gehörten zum Stamm der Illyrer, die um 1200 v. Chr. vom Nordosten her in Griechenland einwanderten, die dort ansässigen Griechen vertrieben und Epirus besetzten. In den rauen Gebirgen dieser Landschaft, die hauptsächlich mit dem heutigen Albanien gleichzusetzen ist, wurden die Schafherden von großen Hunden bewacht, die wegen ihrer Stärke und Wachsamkeit von den Griechen und Römern geschätzt und auch als Jagd- und Kampfhunde eingeführt wurden. Inwieweit die hauptsächlich von den römischen Dichtern als Molosser bezeichneten „kühnen“ Hunde (Vergil, Landbau 3. Gesang Vers 405) mit den „indischen“ Hunden des Aristoteles und Xenophon gleichzusetzen sind, ist eine andere Frage. Zunächst muss man wissen, dass die Bezeichnung „Indier“ bei den alten Schriftstellern eine mehrfache Bedeutung hat. Es werden darunter nicht nur die Bewohner der Gegend am Indus und Ganges verstanden, sondern auch die Bewohner Äthiopiens. Davon sind die „Indier“ Xenophons unterschieden, deren Lebensbereich an den der Armenier und Chaldäer grenzen. Hinzu kommt, dass das alte Albanien der antiken Schriftsteller nicht das heutige Albanien auf dem Balkan ist, sondern in Asien am Kaspischen Meer lag. Die indischen Hunde, die Alexander der Große im Reich des Königs Sophites kennen lernte, sind daher nicht mit den Molossern aus Epirus, dem heutigen Albanien, zu verwechseln (vgl. Hutchinson in Xenophons Schriften Bd. 1, S. 525). Die britannische Dogge oder der so genannte Mastiff ist also sowohl seinem Aussehen nach als auch von seiner Herkunft her von den indischen Hunden und den Molossern zu unterscheiden. Er dürfte, lange bevor die Römer unter Julius Caesar Britannien eroberten, als eigene Rasse gezüchtet worden sein. Seine Verwechslung mit dem Molosser rührt daher, dass man schon bei den Römern schließlich jeden großen Hund als „Molosser“ bezeichnete. Von den Römern wurden die britannischen Doggen nach Rom gebracht, wo sie im Zirkus gegen wilde Tiere, Bären und Löwen kämpfen mussten, die man aus allen Provinzen des römischen Weltreichs nach Rom schaffte. Zur Zeit der Christenverfolgung, vor allem unter dem berüchtigten Kaiser Nero, wurden die gefangenen Christen in Häute von Hirschen, Wölfen, Wildschweinen und Bären eingenäht und den Hunden vorgeworfen, die sie auf grausamste Weise zerrissen.
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4. Die Kampf- und Kriegshunde
Die Urform der großen Kampfhunde: die Tibetdogge Von den Tibetaner Doggen, die manche Kynologen des 19. Jahrhunderts (z. B. Kraemer) als die Urform aller großen Kampf- und Schutzhunde ansehen, erzählt Strabon, der griechische Geograph, ähnliche Geschichten wie Curtius Rufus von den indischen Hunden: „Es sind sehr mutige Hunde, welche das Gebissene nicht loslassen, ehe ihnen Wasser in die Nase gegossen wird. Einige verdrehen vor Wut im Bisse die Augen, die anderen sogar dabei ausfallen; von einem solchen Hund wurde ein Löwe und ein Stier festgehalten und ein beim Maule gefasster Stier starb sogar, ehe er loskam“ (Strabo, Geographie 15. Buch 1. Abt. 31; vgl. Strebel 1904, 1. Bd., S. 190). Während bei den antiken Schriftstellern von diesen Hunden der „Seres“, wie die Römer die Tartaren und Tibeter nannten, keine Beschreibungen des Äußeren zu finden sind, erfährt man darüber zum ersten Mal in dem Bericht des berühmtesten Reisenden des Mittelalters genauere und zuverlässige Auskünfte. Es war der Venezianer Marco Polo (1254–1323), der in seinem Reisebericht die Tibetdogge erwähnt: „Das Volk Tibets ist eine schlecht beschaffene Rasse; sie halten Doggen, so groß wie Esel, die vorzüglich zur Jagd wilder Tiere, namentlich auch der wilden Ochsen (Yaks) gebraucht werden, und sehr große und bösartige Tiere sind“ (The book of Marco Polo, ed. H. Yule, London 1871). 500 Jahre lang wurde dann bis zum 19. Jahrhundert der Tibethund nicht mehr erwähnt. Eine der ersten ausführlichen Beschreibungen dieses seit der Antike berühmten Hundes der Tibeter lieferte die österreichisch-ungarische Expedition zur Erforschung von Ost- und Zentralasien unter der Leitung des Grafen Bela Széchenyi, die auf den Spuren Marco Polos im November des Jahres 1879 Tibet erreichten. Der Geograph der Expedition, Oberleutnant Gustav Kreitner, berichtet in seiner großen Reisebeschreibung >Im fernen Osten< von dem ersten Zusammentreffen mit diesen Hunden: „Schon in China hörten wir so vieles über die schönen tibetanischen Hunde erzählen, dass ich mich wirklich darauf freute, die Tiere kennenzulernen. Und in der Tat, sie verdienen das Lob. Die tibetanischen Hunde besitzen viele Ähnlichkeit mit den schönsten Neufundländern, ihr Kopf aber ist bedeutend größer und gewinnt durch das mähnenartig emporgewachsene Nackenhaar an imponierender Wildheit. Dieser Eindruck wird noch vermehrt, wenn der Besitzer dem Hunde ein aus Yakhaaren verfertigtes, rot gefärbtes, kranzartiges Halsband anlegt. Die Farbe der Hunde wechselt zwischen schwarz und lichtbraun, doch sind die schwarzen Exemplare in überwiegender Mehrzahl vorhanden. Sie sind im allgemeinen bissige Bestien, die im Hause an der Kette gehalten, mit ihrem tiefen Gebelle die Luft erzittern machen. Während einer Attaque wedeln sie
Die Tibetdogge
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Abb. 12: Tibetdogge (aus Brehm 1876)
ohne Unterlass mit dem Schweife. Als Schäferhunde oder bei Yak-Caravanen verwendet, halten sie Ruhe und Ordnung aufrecht und sorgen zugleich durch ihre Wachsamkeit für die gewünschte Sicherheit“ (Kreitner 1881, S. 878). Graf Széchenyi gelang es auch, drei prachtvolle Exemplare dieser Hunde, zwei Männchen namens Dschandu und Dsamu und ein Weibchen mit Namen Dsama, zu erwerben. Während Dschandu und Dsama sich nicht nur an den Grafen gewöhnten, sondern nach langer See- und Landreise von ihm zu seinem Schloss in Zinkendorf am Neusiedler See gebracht wurden, wo sie sich als verlässliche Wächter erwiesen, verhielt sich Dsamu ganz anders: „Als entschiedener Feind aller Europäer duldete er keinen von uns in seiner Nähe, ja er biss wiederholt den Grafen, der ihn durch die Verabreichung des Futters zu zähmen versuchte, und zerfleischte ihm einmal bei eine solchen Gelegenheit in sehr bedenklicher Weise die rechte Hand. Fast in jedem Nachtquartier sorgte der Hund für unsere Verproviantierung, indem er regelmäßig allen Hühnern und Schweinen, die sich in seine Nähe verirrten, erbarmungslos die Wirbelsäule durchbiß. Als Dsamu aber in Bamo ein armes, altes Weib, das ihn mit einem Prügel bedrohte, derartig zurichtete, dass es kurze Zeit darauf starb, da war sein Schicksal entschieden. Graf Széche-
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4. Die Kampf- und Kriegshunde
nyi erschoss ihn auf der Stelle“ (Kreitner a. a. O.). Graf Széchenyi war nicht der Einzige, der solche Hunde von Tibet nach Europa brachte. Es war vor allem England, wohin sie in einzelnen Exemplaren kamen. Die englische Königin und der damalige Prinz von Wales hatten mehrmals solche Hunde besessen, ohne sie aber weiter zu züchten. Als Kampfhund wurde die tibetanische Dogge jedoch nicht verwendet. Ihre Aufgabe war, wie eine zeitgenössische Hundezeitschrift (>Der HundBrevíssima relación de la destrucción de las IndiasLe TempsLeitfaden für die Abrichtung des Polizei- und Schutzhundes< des Leiters der Berliner staatlichen Zucht- und Dressuranstalt für Polizeihunde aus dem Jahre 1910: „In dieser Täuschung müssen wir ihn erhalten, wenn er uns in Wirklichkeit Dienste leisten soll. Ohne die Bedeutung des
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5. Die Gebrauchs- und Arbeitshunde
Abb. 13: Die Dressur des Schäferhundes (aus A. v. Creytz 1924): Sitzen, Leinenführigkeit, Niederlegen, Bringen, Springen
Vom Schäferhund zum Polizeihund
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Schusses zu ahnen, stürzt er dem Knall entgegen. Ein angeschossener Hund würde in den meisten Fällen die Scheu vor dem Knall sein Leben lang behalten“ (Most 1910, S. 168). Der Abrichter beginnt also damit, dass er den Hund an das „Knipsen des ungeladenen Revolvers“ gewöhnt. Es folgt dann das Schießen mit Zündhütchen, das bald vom Schießen mit Platzpatronen abgelöst wird; wobei das Knallen in der Dunkelheit besonders geübt werden muss, da durch den sichtbar werdenden Feuerstrahl ein neuer Sinneseindruck hinzukommt, der viele Hunde vom sofortigen Zupacken abschreckt. Wenn der Hund auf diese Weise knallfest gemacht worden ist, muss er noch „stock- und hiebfest“ gemacht werden. Das aber bedeutet, dass der Hund geschlagen werden muss. Schon in den ersten Anfängen der Polizei- und Schutzhundausbildung hat man dieses Problem gesehen: „Solange die Hunde keinen Panzer anhaben, wird man sie nicht stockfest machen können, da bereits ein wohl gezielter Hieb genügt, sie kampfunfähig zu machen. Mit gebrochenen Gliedmaßen kann der Hund dem Führer nicht mehr nützlich sein“ (Most 1910, S. 172). Die Lösung dieses Problems bestand darin, dass man dem Hund bei der Abrichtung ähnlich wie beim Schuss die Unschädlichkeit des Hiebes vortäuscht. Das bedeutet jedoch nicht, dass dem Hund gar nicht wehgetan werden dürfte. „Bis zu einem gewissen Grad“, sagt Most, „kann man natürlich die Wucht der Hiebe im Verlauf der Abrichtung steigern“ (Most 1910, S. 173). Der so abgerichtete Hund, bei dem während der wuchtigen Schläge Rücksicht auf seine Knochen genommen wurde, wird dann im Ernstfall „blindlings gegen jeden Schlagenden vorgehen“ und „leider damit oft in sein Verderben rennen“ (Most a. a. O). Man kann natürlich sagen: „So hat eben der Hund seine Pflicht getan.“ Andererseits war man sich auch darüber im Klaren, dass die Schärfe des Hundes durch die so genannte „Stockfestigkeit“ so gesteigert wird, dass ein solches Tier mehr Schaden anrichten kann, als es durch seine Schärfe Nutzen bringt: „Damit ziehen wir im Tier aber eine Bestie groß, die in der Hand des Durchschnittsführers mehr Unheil als Nutzen stiftete und die zum Ablassen von einem Festgehaltenen nur äußerst schwer zu bewegen ist“ (Most 1910, S. 173). „In manchen Hunden“, fügt der Polizeileutnant Most noch hinzu, „steckt aber so die Bestie, dass selbst kräftigste Hiebe – mit einem Stock natürlich, dem die Knochen standhalten – die Angriffslust noch gesteigert, anstatt, wie es in unserer Absicht lag, abgeschwächt wird.“ Trotzdem bleibt dem Abrichter kein anderes Mittel übrig, um auf einen solchen Hund einzuwirken als durch „entsprechend starke Hiebe“ (Most a. a. O.). Daher war von allem Anfang der Polizeihundeabrichtung an die Frage, ob es nicht zweckmäßiger wäre, den Hund gerade so abzurichten, dass er den Hieben eines im Stehen mit dem Knüttel um sich Schlagenden ausweicht
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5. Die Gebrauchs- und Arbeitshunde
und diesen nur bellend umkreist. Denn es genügt ja vollkommen, wenn der Hund den Festzunehmenden gestellt hat. Aber bis heute muss der Schäferhund nach der Vorschrift der Prüfungsordnung für den Schutzdienst Schläge mit dem Stock einstecken (vgl. Gebhardt 1978, S. 171). Weicht er den Stockschlägen aus, so wird ihm das nicht als Klugheit, sondern als Feigheit angerechnet.
Abb. 14: Der Schäferhund im Polizeidienst: Aufspüren, Verbellen, Niederwerfen und Bewachen des Verbrechers (aus A. v. Creytz 1924)
Nachdem der Hund sowohl „knallfest“ als auch „stockfest“ gemacht worden ist, wird er für die Spurensuche trainiert. Dazu wird zuerst von einem Gehilfen eine Spur gelegt, der einen Handschuh auf den Boden legt, etwa hundert Schritte weit läuft und sich versteckt. Der Dresseur führt ihn nach zehn Minuten an diese Stelle, hebt den Handschuh auf und lässt den Hund daran riechen. Dann stellt er sich über den Hund und drückt dessen Kopf mit der einen Hand zu Boden, während die andere
Vom Schäferhund zum Polizeihund
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Hand auf die Spur zeigt. Das Aufnehmen der Spur durch den Hund ist jedoch keine Selbstverständlichkeit. Denn einem Hund eine Spur zu zeigen, für die er zunächst nicht das geringste Interesse hat, hat wenig Sinn. Die Frage ist daher: „Welche Sinneseindrücke müssen auf den Hund wirken, um das Begehren in ihm zu erregen, eine Spur zu verfolgen?“ Die Spur soll daher in den ersten Übungstagen nicht von einer neutralen Person gelegt werden, sondern von einem Freund oder Feind des Hundes. Da es sich um einen Polizeihund handelt, wird es letzten Endes immer ein Feind des Hundes sein, das heißt einer, der den Hund ärgert und Schmerzen zufügt. Der Hund wird daher angebunden und der Gehilfe „ärgert“ den Hund, indem er ihn mit einem Stock schlägt und dann wegläuft. Wird der stockfeste Hund dann losgelassen, dann stürmt er aus eigenem Antrieb der Spur nach. Das Ärgern des Hundes kann dann wegfallen, wenn der Hund gelernt hat, dass er auf der Spur stets jemanden vorfindet, der ihn wiederum ärgert. Dann wird der Hund auf Befehl jeder Spur eines Menschen folgen, auch wenn er ihn nicht kennt. Damit er aber weder durch Spuren von Tieren oder von Spuren anderer Menschen von der des gejagten Verbrechers abgelenkt wird, muss er durch Vorweisen eines Gegenstandes besonders eines Kleidungsstückes auf den „Eigengeruch“ eingestellt werden. Hat nun der Polizeihund den versteckten Verbrecher aufgespürt, dann muss er ihn ohne anzugreifen verbellen. Wendet sich aber der Verbrecher zur Flucht und läuft er davon, so muss ihn der Hund verfolgen und durch einen gezielten Sprung in den Rücken niederwerfen. Liegt der Mann still am Boden, darf ihn der Hund nicht angreifen. Beginnt er sich aber durch Stockschläge zu wehren, dann muss der stockfeste Hund den Verbrecher so lange am Arm fassen, bis der Führer den Befehl zum Ablassen gibt. Der Sprung in den Rücken des Fliehenden ist die „erste Stufe auf der Leiter der Mannfestigkeit“, er muss daher auch tadellos ausgeführt werden (v. Creytz 1924, S. 167). Geübt wird dieser Sprung in den Rücken, der den stärksten Mann umwerfen kann, zunächst an einer Strohpuppe, die dann durch den so genannten „Versuchsstrolch“ abgelöst wird, der einen derben wattierten Anzug trägt. Später kann dieser Schutzanzug durch einen Schutzärmel ersetzt werden. Die Dressur auf diesen Schutz- oder Hetzärmel hat aber auch ihre Nachteile. Im Ernstfall wäre der Hund ein leichtes Opfer für seinen Gegner. Denn der gestellte Verbrecher braucht nur die Nerven behalten und seinen Arm mit seiner Jacke umwickeln, den Hund zubeißen lassen und dann kann er ihn in Ruhe totschlagen. Denn ein stockfester Schäferhund hat ja gelernt, seinen Kopf hinzuhalten. Viele dieser so dressierten Hunde sind so auf den Hetzärmel fixiert, dass der „Versuchsstrolch“ oder „Figurant“, wie er in den heutigen Schäferhundevereinen heißt, die Arm-Attrappe nur wegzuwerfen
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5. Die Gebrauchs- und Arbeitshunde
braucht und der Hund würde dem weggeworfenen Arm nachjagen (vgl. Gebhardt 1978, S. 171). Ein weiteres Problem bei der Abrichtung des Polizeihundes ist, wie man einem derartig auf den Mann dressierten, knall- und stockfest gemachten Hund beibringt, von dem gehetzten und gestellten Verbrecher abzulassen und zum Hundeführer zurückzukehren. Dazu dienen die bereits geübten und bei jeder Hundeabrichtung bis heute gebräuchlichen Befehle „Sitz“, „Platz“ und „Hier“. Nur werden sie bei der Dressur des Polizei- und Schutzhundes mit viel größerer Strenge und Härte durchgesetzt. Welche Auffassung vom „Seelenleben des Hundes“ steht nun hinter diesen Methoden der Abrichtung? Die damalige Psychologie konnte darüber keine Auskunft geben. Denn, so sagt der Abrichter, „wenn wir Aufklärung über die geistigen Fähigkeiten des Hundes von ihr verlangen, flutet uns ein Chaos von Meinungen entgegen, ein Chaos, welches uns eine feste Stütze nicht finden lässt“ (Most 1910, S. 4). Auf die Fragen, ob das Tier die Fähigkeit hat, Begriffe zu bilden, Urteile zu fällen, Schlüsse zu ziehen oder ob es nur im sinnlichen Erleben stecken bleibt, also nur die Fähigkeit hat, Sinneseindrücke zu verarbeiten, um zu bestimmten Reaktionen zu kommen, gab es und gibt es bis heute keine eindeutige Antwort. Die Psychologie der Abrichtung, wie sie mit der Dressur des Polizeihundes beispielhaft demonstriert wurde, ging von einem strikten Darwinismus aus, der an die Stelle der natürlichen Zuchtwahl die künstliche Zuchtwahl setzt: „Der Mensch wählt oder merzt nicht mehr die Eigenschaften aus, die dem Tier, sondern die dem Menschen nützlich oder schädlich sind“ (Most 1910, S. 11). Diese Auffassung vom „Seelenleben des Hundes“ bestimmte auch von allem Anfang an die Abrichtung der anderen „Gebrauchshunde“ vom Metzgerhund bis zum „Zughund“.
Vom Metzgerhund zum Bullenbeißer Die Tätigkeit des Metzger- oder Fleischerhundes reicht weit in die Geschichte der Menschheit zurück. Von den antiken Schriftstellern wird sie zwar kaum erwähnt, aber man darf wohl annehmen, dass sie bereits damals bekannt war. Denn schon im alten Rom gab es ein öffentliches Schlachthaus am Tiber, zu dem das Schlachtvieh aus den Provinzen ohne Zweifel mit Hilfe der Hunde hingetrieben wurde. In der Neuzeit wurde der Metzgerhund überall zur Zeit der Städtegründungen eingeführt, als sich die Bürger auch mit dem Viehhandel befassten. Große und starke Hunde wurden von den Metzgern dazu abgerichtet, das auf dem Lande eingekaufte Vieh in die Stadt zu treiben. Als in späteren Zeiten Viehhändler im Lande herumzogen, um die überall in den Städten
Vom Metzgerhund zum Bullenbeißer
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abgehaltenen Märkte zu besuchen, wurde der Metzger- oder Fleischerhund auch für sie unentbehrlich. Er war das einzige Tier, das mit großer Behändigkeit einen wütenden Bullen überwältigen konnte, indem er ihn an der Nase packte und niederzwang. Alfred Brehm schildert den deutschen Bullenbeißer als einen schweren plumpen Hund mit zu beiden Seiten herabhängenden, ständig triefenden Lippen. Entsprechend seiner Schwere ist er zwar nicht geeignet, rasch und anhaltend zu laufen, besitzt aber eine überaus große Stärke und einen unglaublichen Mut. Nicht nur als Viehtreiber, sondern auch als Reisebegleiter in von Räubern unsicher gemachten Gegenden war er unentbehrlich, denn er opferte ohne Bedenken sein Leben für den Menschen, an den er gewöhnt war. Als Wächter und Treiber von Rinderherden versteht er den wildesten Stier zu bändigen: „Denn er ist geschickt genug, sich im rechten Augenblick in das Maul des Gegners einzubeißen und solange sich dort fest zu hängen, bis sich der Stier geduldig der Übermacht des Hundes fügt“ (Brehm 1876, S. 606). Durch diese besondere Kampftaktik wurde vor allem die englische Bulldogge berühmt, die in den berüchtigten Schaukämpfen eingesetzt wurde. Dem ersten historischen Hinweis begegnet man schon im 12. Jahrhundert. Es waren zwei Metzgerhunde, die in der englischen Stadt Stanford in den Kampf zweier Bullen um eine Kuh eingriffen und einen von diesen Bullen durch die ganze Stadt hetzten. Dem obersten Lord dieser Stadt gefiel dieses Schauspiel so gut, dass er den Metzgern die Schlosswiesen zur freien Verfügung überließ mit der Maßgabe, jedes Jahr einen wilden Bullen für solche Schaukämpfe mit den Hunden bereitzustellen (Dalziel 1878–90, vgl. Strebel 1904, S. 223). Ab dieser Zeit wurde in ganz England das „Bullenbeißen“ zu einer beliebten Volksbelustigung. Allein zu diesem Zweck wurde eine neue Hunderasse gezüchtet, die allen Anforderungen eines solchen Kampfes ent-
Abb. 15: Champion „British Monarch“ (aus Strebel 1904)
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5. Die Gebrauchs- und Arbeitshunde
sprach: niedrig gebaut, mit gebogenen Läufen, breitem Kopf, ausgeprägtem Vorbiss und zurückliegender Nase, um auch dann noch atmen zu können, wenn er sich in den Bullen verbissen hat. Von der Bulldogge wurde verlangt, dass sie nur an den Kopf des Bullen herangeht, um ihn bei seinem empfindlichsten Teil, der Nase, zu packen und nicht loszulassen, der Bulle dagegen versuchte mit tief geneigten Hörnern den angreifenden Hund aufzuheben und durch die Luft zu schleudern. Auf diese Weise verloren viele Hunde ihr Leben. Als im Jahre 1835 ein Gesetz zur Verhütung der Grausamkeiten gegen Tiere auch das Bullenbeißen verbot, ging jedoch die Zucht dieser Tiere stark zurück (Strebel 1910). Dieses Verbot machte jedoch dem grausamen Sport des Bullenbeißens und anderer Tierkämpfe kein Ende, sondern verlagerte ihn vielmehr auf die weniger kontrollierbaren Hundekämpfe, die in vielen Ländern bis zum heutigen Tag betrieben werden. Der eigentliche Gladiator unter den Hunden war eine am Anfang des 19. Jahrhunderts neu geschaffene Züchtung, die die Schärfe des Terriers mit der Beharrlichkeit in Angriff und Festhalten der Bulldogge verband: die Bullterrier. Mit der Kreuzung zwischen diesen beiden Rassen war ein Fechter geboren, der bis zu seinem blutigen Tode nicht nur mit jedem anderen Tier, sondern auch vor allem mit seinen Artgenossen kämpfte. Während sich der Bullterrier begnügte, große Hunde wie Bernhardiner, Neufundländer und Doggen im Nu umzuwerfen, indem er sie rammte, endete der Kampf zwischen Bullterriern nach einer fürchterlichen, blutigen Beißerei zumeist mit dem Tod eines dieser Tiere. Bullterrier in verschiedenen Kreuzungen waren es auch, die es zu Höchstleistungen in einem für den Menschen zunächst sehr nützlichen Geschäft brachten: die Vertilgung der Ratten, die seit jeher als Krankheitsüberträger eine Plage der Menschheit waren. Aus dieser nützlichen Tätigkeit wurde aber durch den „Sportsgeist“ des Menschen ein blutiges Schauspiel in nach Schweiß und schalem Bier stinkenden Kellern, in denen eingefangene Ratten in Windeseile von leichtgewichtigen behänden Hunden mit einem einzigen Biss getötet wurden. Einen Rekord in solchem Rattentöten schaffte eine besonders kleine Züchtung, der 1869 verstorbene Black and Tan „Jacky“, der nur 6 kg wog. Er brachte 60 Ratten in zwei Minuten 40 Sekunden, 100 Ratten in 5 Minuten 28 Sekunden und 1000 Ratten in weniger als 100 Minuten um (Strebel 1904, S. 121).
Der Hund als Zug- und Lasttier Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein wurde der Hund in ganz Europa als Zugtier verwendet. Er war vor allem für die ärmere Volksklasse, aber auch für Händler aller Art eine wertvolle Arbeitskraft. In Deutschland, Belgien,
Der Hund als Zug- und Lasttier
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Holland und anderen Ländern sah man am Morgen immer zahlreiche von Hunden gezogene Wagen, mit denen Milch, Gemüse, Backwaren und viele andere Dinge zu den Standplätzen der Händler auf den Markt befördert wurden. Die Hunde waren sozusagen das Zugpferd des kleinen Mannes, die jedoch wegen ihres unvergleichlichen Ortssinns wesentlich intelligenter als Pferde sind: „Sie kennen die Straßen genau, die sie aufzusuchen haben und halten vor jedem Haus, wo sich die Kunden ihrer Besitzer befinden, ohne ein Wort oder einen Wink des Herrn“ (Floeßel 1906, S. 308).
Abb. 16: Zughunde in Belgien (aus Kraemer 1906)
In Brüssel wurden die Zughunde, wenn sie vor dem Marktplatz angelangt waren, ausgespannt und frei gelassen, damit sie sich selbst unter den Abfällen in der Stadt ihre Nahrung suchten. Mit erstaunlicher Präzision kehrten sie, nachdem die eng bemessene Zeit zum Suchen und Fressen der kärglichen Mahlzeit vorbei war, zu den Standplätzen ihrer Geschirre zurück, um ihren Dienst wieder aufzunehmen. Falls sich aber ein Hund verspätete, wurde er von seinem unbarmherzigen Besitzer verprügelt, wie er überhaupt während seines Dienstes schlecht behandelt wurde. Obwohl ein solcher Arbeitssklave häufig bis zur Grenze der Ermüdung den Karren zog, wurde er mit den Füßen in die Seite getreten und oft mit dem Stock auf den Rücken geschlagen, um ihn noch mehr anzutreiben. In Antwerpen wurde sogar der Hund nicht vor, sondern unter den Wagen gespannt. Mit gebücktem Kopf ohne Sicht auf die Umgebung mussten diese armen Tiere zwischen den zwei Rädern dieses Wagens laufen, immer in Gefahr mit den Pfoten unter eines der Räder zu geraten. In Berlin, wo ebenfalls die Hunde als Zugtiere verwendet wurden, fiel
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5. Die Gebrauchs- und Arbeitshunde
vor allem die ungewöhnliche Größe der Hundefuhrwerke auf, die selbst für den stärksten Hund kaum zu bewältigen war. In Sachsen war das Bedürfnis nach Zughunden besonders groß. Über die Dresdener Augustus- und die Albertbrücke, auf denen Brückengeld erhoben wurde, rollten im Jahre 1894 nach amtlicher Statistik an jedem Werktag bis zu 400 Hundefuhrwerke (Floeßel 1906, S. 308). Während in England bereits am 24. März 1843 ein Gesetz dieser Sklaverei der Zughunde ein Ende setzte, gab es in Deutschland kein offizielles Verbot, sondern nur lokale Polizeiverordnungen, die zumindest den ärgsten Missbrauch einschränkten. So war die Überlastung des Hundefuhrwerkes strafbar. Und weder der Führer noch andere Personen durften auf mit Hunden bespannten Fuhrwerken sitzen. Auch war ein zum Tränken des Hundes geeignetes Gefäß vorgeschrieben und in den kalten Wintermonaten mussten eine Unterlage und Decke für die Hunde während des Stillhaltens vorhanden sein. Erst im Jahre 1936 nahm der internationale Tierschutzkongress in Brüssel eine Entschließung an, nach der Hunde, gleich welcher Rasse, nicht mehr zum Ziehen verwendet werden sollten, da sie wegen ihrer körperbaulichen Beschaffenheit nicht für derartige Arbeit geeignet seien (vgl. Knoche 2001, S. 28). Waren die Zughunde in den gemäßigten Zonen Europas nur eine willkommene und bedenkenlos ausgenützte Arbeitshilfe, so entschieden dagegen in den Polarländern die Zughunde über Leben und Tod ihrer Besitzer. So erzählt F. von Wrangel in dem Bericht über eine Reise längs der Nordküste von Sibirien, dass die Einwohner am Kolymafluss im Jahre 1822 durch eine Seuche alle ihre Hunde verloren. Eine Hungersnot war die Folge, die viele Menschen dahinraffte. Denn nur mit den Hunden war es möglich, Brennholz und die an weit entfernten Orten gefangenen Fische herbeizuschaffen. Sie allein waren fähig, über die vereisten Sümpfe der Tundren und den tiefen Schnee mit ihrem Schlitten flüchtig hinwegzueilen, wo Pferde und Menschen einbrachen und nicht mehr weiterkamen. Der Ortssinn des Hundes in dieser Einöde von Schnee und Eis ist unvergleichlich. „Hat dieses Tier“, berichtet Wrangel, „nur ein einziges Mal einen Weg zurück gelegt, so erkennt es nicht nur auf das genaueste die zu nehmende Richtung, sondern auch die Orte, wo man zu verweilen pflegt, selbst wenn die Hütten tief unter dem Schnee verborgen sind. Er hält plötzlich auf der gleichförmigen Oberfläche still, wedelt mit dem Schwanz und scheint dadurch seinen Herrn einzuladen, die Schaufel zu ergreifen, um den engen Gang in die Hütte zu finden, welche einen Rastort gewähren soll“ (zit. nach Brehm 1876, S. 654). Obwohl die Bewohner der sibirischen Halbinsel Kamtschatka ohne Hunde nicht überleben konnten, wurden diese seit jeher schlecht behandelt. Wie
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ein anderer Sibirien-Reisender berichtet, kümmert man sich vom Frühjahr bis zum späten Herbst nicht im Geringsten um sie. Sie laufen frei herum und lauern den ganzen Tag an den Flüssen auf Fische, die sie sehr geschickt fangen. Wenn sie genug Fische haben, so fressen sie wie die Bären, nur die Köpfe und lassen das andere liegen. Im Oktober sammelt jeder seine Hunde und bindet sie an den Pfeilern der Wohnung an. Um sie zum Laufen und Schlittenziehen wieder tüchtig zu machen, lässt man sie hungern, damit sie sich von dem Fett entledigen, dass sie sich während der Sommerzeit angefressen haben. Im Winter werden sie fast ausschließlich von stinkenden Fischen ernährt, die man in Gruben verwahrt und dort versäuern lässt. Diese sauren Fische werden in einem hölzernen Trog mit glühenden Steinen gekocht und sowohl von den Hunden als auch den Menschen mit größtem Appetit verzehrt, obwohl sie so stark nach Aas stinken, dass ein Europäer bei diesem Geruch in Ohnmacht fallen würde. Am Morgen vor der Schlittenfahrt werden die Hunde aber nur mit wenigen an der Luft getrockneten, meist verschimmelten Fischen gefüttert, die mehr aus Gräten und Haut als aus Fleisch bestehen, um die Hunde für die lange Schlittenfahrt vorzubereiten. Werden sie dann vor den Schlitten gespannt, so heben sie den Kopf und beginnen schrecklich zu heulen. Sobald sie aber ins Laufen kommen, werden sie auf einmal still. Die Fahrt mit dem Schlitten selbst ist keineswegs gemütlich: „Man fährt damit über die höchsten Gebirge und steilsten Klippen und behält allezeit soviel Kräfte, dass man den Schlitten halten oder vor einem Sturz und Fall bewahren kann. Man sitzt darauf meist nur auf einer Seite, um zugleich bei einer gefährlichen Stelle vom Schlitten herabspringen zu können. Die Hunde laufen ihren Weg, will man zur Linken, so schlägt man an die linke Seite des Schlittens; will man stillhalten, steckt man den Stock vor den Schlitten in den Schnee; fährt man einen steilen Berg hinab, so steckt man den Stock in den Schnee zwischen das Vorderbogenholz und hemmt dadurch die Fahrt. Ungeachtet man nun fährt, so wird man doch ebenso müde, als wenn man zu Fuß ginge, weil man die Hunde beständig zurückhalten, bei schlimmen Wegen vom Schlitten abspringen, daneben herlaufen und den Schlitten halten muss; fährt man einen Berg hinauf, so muss man ohnedies zu Fuße gehen. Außer den Sturmwinden werden die Hundereisen gefährlich und beschwerlich wegen der vielen Flüsse, welche selten in dem härtesten Winter zufrieren, oder bei gelinder Witterung überall gleich wieder auftauen, und hat man folglich immer zu befürchten, hineinzufallen und zu ertrinken, welches auch alle Jahre geschieht. Noch eine Beschwerde verursachen die dichten Wälder, durch welche man fahren muss. Selten trifft man einen geraden Baum an, sondern fährt zwischen den Ästen und Zweigen dahin, wobei man immer die Sorge hat, Arme und Beine zu brechen oder die Augen aus dem Kopfe zu verlieren. Überdies haben die Hunde die
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schelmische Eigenschaft, dass sie aus allen Kräften ziehen und laufen, wenn sie an einen solchen Wald, Fluß oder steilen Abhang kommen, weil sie wissen, dass sie ihren Herrn herabwerfen, den Schlitten zerbrechen und auf diese Art von der Last zu ziehen, befreit werden können“ (vgl. Brehm 1876, S. 653). Mit diesem Bericht stimmt eine der ältesten Darstellungen solcher sibirischen Schlittenfahrten überein, wie sie in James Cooks letzter Reise geliefert wird. Auch dort ist von der Ernährung der Hunde mit getrocknetem und stinkendem Fisch die Rede und von ihrer Hinterlist gegenüber dem Schlittenführer. „Wenn dieser seinen Stock verliert, so bemerken es die Hunde sofort und beginnen ihre Geschwindigkeit so zu erhöhen, dass sie niemals angehalten werden können, bis der Schlitten umgeworfen, gegen Bäume geschleudert oder vom Schnee begraben worden ist“ (J. Cook 1843, S. 316 f.). Auch die Abrichtung zu Schlittenhunden erfolgt mit einer geradezu unglaublichen Härte und Unbarmherzigkeit: Nach der Geburt werden die jungen Hunde, sobald sie sehen können, zusammen mit ihrer Mutter in eine tiefe Grube gelegt, dass sie weder Menschen noch Tiere sehen können. Dort bleiben sie auch dann, wenn sie von der Hündin abgewöhnt sind und werden dort so lange ernährt, bis sie erwachsen sind. Nach einem halben Jahr werden die jungen Hunde mit anderen bereits ausgelernten Schlittenhunden angespannt. Weil nun diese Hunde, die bisher ihr Leben in der Grube verbracht haben, sehr scheu gegenüber Mensch und Tier sind, laufen sie aus allen Kräften. Nach einer kurzen Fahrt müssen die jungen Hunde sofort wieder in ihre Grube, dort bleiben sie so lange bis sie nichts anderes kennen als dieses Leben in der Finsternis und das Schlittenziehen, das sich zu immer längeren Reisen ausdehnt. Dann werden sie zu den anderen Hunden angebunden und erhalten wie diese im Sommer ihre Freiheit. Vom Aussehen und Verhalten dieses „Polar-“, „Nordland-“ oder „Eskimohund“ genannten Tieres gibt Alfred Brehm folgende Schilderung: „Einen wohlgenährten Eskimohund darf man ein schönes Tier nennen; leider aber wird ihm die Nahrung, wenn es sich nicht selbst solche verschafft, von seinem Herrn so sparsam zugemessen, dass er viele Monate hindurch mehr einem Gerippe als einem lebenden Wesen ähnelt. Sein Verhältnis zu dem Menschen ist eigentümlicher Art. Er weiß, dass er in Sklavenketten liegt, und versucht, diese Ketten zu brechen. Es ist etwas vom wölfischen Wesen in ihm, in leiblicher Hinsicht sowohl wie in geistiger. Dem arktischen Wolfe gleicht er so sehr durch seine dichte Behaarung, die aufrecht stehenden Ohren, die Breite des Oberkopfes und die spitzige Gestalt der Schnauze, dass beide, aus einiger Entfernung gesehen, gar nicht unterschieden werden können. Während Parry's zweiter Polarreise wagte einst eine Jagdgesellschaft nicht, auf einen Trupp von zwölf Wölfen zu feuern, welche einige
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Abb. 17: Eskimohund aus Brehm (aus 1876)
Eskimos bedrohten, weil sie, über die Art der Tiere im Ungewissen, fürchteten, einige von den Hunden zu töten, welche den einzigen Reichtum jener gutmütigen Menschen ausmachen. Der Eskimohund raubt und stiehlt
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wie nur einer, ist auf der anderen Seite aber auch wieder so hündisch demütig, wie nur ein von Furcht gepeinigter Sklave es sein kann. Vor den Schlitten wird immer ein ziemlich starker Trupp gespannt, welcher unter Leitung eines älteren und erfahrenen Hundes seinen Weg verfolgt; von einer Lenkung des Schlittens nach unseren Begriffen seitens des Menschen kann keine Rede sein. Jeder einzelne Hund ist an einen Lederriemen gespannt, welcher vermittels eines höchst einfachen Kummets an ihm befestigt wurde. Eine Weile geht alles gut. Plötzlich aber geraten zwei von dem Gespanne aus irgendwelcher Ursache in Feindschaft. Aus dem Knurren entsteht eine Beißerei; das ganze Gespann verwirrt sich in einen undurchdringlichen Knäuel; alles knurrt, bellt, beißt, wütet durcheinander, und nicht einmal die mit Macht geschwungene Peitsche des Schlittenführers bringt Ordnung in den Haufen. Endlich hat sich der Hundeballen so arg verwirrt, dass an keine freie Bewegung mehr zu denken ist, und nun liegt es dem Eskimo ob, die Tiere wieder zu entwirren und von neuem einzuspannen. Dann geht die Fuhre weiter, und die Peitsche wird etwas öfter gebraucht“ (Brehm 1876, S. 650). Brehm weiß auch, dass ohne diese Hunde die Eskimos nicht überleben können. Trotzdem haben die Eskimos nicht die geringste Zuneigung zu ihnen, „sondern betrachten sie höchstens als belebte Maschinen, welche einzig und allein zu dem Zwecke geschaffen wurden, ihnen Dienste zu leisten. Aus diesem Grunde sind sie auch die unnachsichtigsten und grausamsten Herren, welche die armen Tiere geradezu regelrecht quälen, sie Hunger und Durst leiden lassen, peitschen, mit Fußstößen behandeln und ihrer Geduld Dinge zumuten, welche selbst einem Engel zu toll sein dürften. Dass die Hunde auch ihrerseits keine besondere Zuneigung zu ihrem Herrn zeigen, versteht sich ganz von selbst“ (Brehm 1876, S. 650). Was aber Brehm noch nicht wissen konnte, war die Tatsache, dass gerade dieser so sklavisch behandelte Hund das einzige Lebewesen war, mit dem es den Menschen gelang, das „Reich des Todes“ (Nansen), die unzugänglichen Polargebiete, zu erobern.
Hunde als Lebensretter: die Bernhardiner Um die Mitte des elften Jahrhunderts wurde vom heiligen Bernhard von Menthon, Archidiakon von Aosta (gest. 1086), auf dem 2470 m hohen Alpenpass, der das Rhoˆ netal mit dem der Dora Baltea, einem Nebenfluss des Po, verbindet, ein einfaches Haus mit kleinen Zellen errichtet. Als Kloster und Hospiz wird es urkundlich erstmalig im Jahre 1125 erwähnt. Die Reise über diesen alten Gebirgspass war nur im Sommer bei ganz klarem Wetter gefahrlos, bei stürmischem Wetter dagegen und im Winter, wenn die
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vielen Spalten und Klüfte vom Schnee bedeckt sind, war sie für den fremden Wanderer ebenso mühevoll wie gefährlich. Bei dichtem Nebel verliert man den Pfad und kommt in der Wildnis vor Hunger und Ermüdung um. Ohne die echt christliche und aufopfernde Tätigkeit der Mönche wäre damals der Bernhardpass nur wenige Wochen oder Monate des Jahres gangbar gewesen. Die berühmten Hunde, die zur Errettung der Verirrten eingesetzt wurden, werden in den Eintragungen des Klosters jedoch erst Anfang des 18. Jahrhunderts erwähnt. Über den Sicherheits- und Rettungsdienst dieser Hunde, die das Urbild aller Lawinen und Rettungshunde überhaupt darstellen, berichtet Friedrich von Tschudi in seinem klassischen Werk über >Das Tierleben der AlpenweltJournal de Paris< ergeht sich 1781 ein Hundefeind in sarkastischen Klagen über Damen, die seiner Ansicht nach zu viele der kleinen Comforter hielten und die Fürsorge für sie übertrieben: „Fahre irgendwo eine Karosse vor, so sehe man den vom Bock springenden Bediensteten nicht etwa gleich seiner Gebieterin aussteigen helfen, bewahre, er müsse der Dame regelmäßig zuerst einmal ein oder gar zwei Hündchen vom Schoß heben.
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Empörenderweise trügen diese verwöhnten Geschöpfe obendrein noch vorzugsweise Namen wie Jupiter, Juno, Neptun, Venus, Merkur! Und wenn man zu einer Gesellschaft geladen sei, gelänge es einem keinesfalls, sich unbehelligt auf ein Sofa niederzulassen, vielmehr müsse man immer erst einen dieser Hündchen hinunterscheuchen, womit man wiederum das Wohlwollen aller anwesenden Damen aufs Spiel setze“ ( Ruperti 1959, S. 15). Marie Antoinette wird gleichfalls vorgeworfen, sie habe ihre Hunde mit Luxus überschüttet, während das Volk hungerte. Sie hat allerdings eine besondere Schwäche für Hunde besessen. Als Ludwig XVI. ihr bis Straßburg entgegenfuhr, um sie als seine Gattin nach Frankreich heimzuholen, soll, nach der zeremoniellen Begrüßung, ihre erste Sorge ihren bis dahin in einer Kutsche gesondert reisenden Hunden gegolten haben. Nach der Revolution ließ sie aus dem Gefängnis heraus einem Vertrauten die Weisung zukommen, er möge versuchen, ihre Hündchen in der Provinz in Sicherheit zu bringen. Von ihrem allertreuesten Freund, dem weiß und braun gefleckten Jolicœur, wusste ein ehemaliger Schlossheizer zu berichten, dass er monatelang vor dem Tor des Gefängnisses gewartet habe, in der Hoffnung, zu seiner Herrin schlüpfen zu können. Sein Leben, das früher so behütet war, fristete er von Abfällen. Als der berüchtigte Karren Marie Antoinette zur Guillotine abholte, biss er einen der sie grob hinaufstoßenden Sansculotten mit aller Kraft ins Bein, woraufhin ihn ein andrer mit dem Gewehrkolben erschlug. Keiner, außer dieser tapferen kleinen Kreatur, hat es gewagt, für sie einzutreten. In der Biedermeierzeit hatte die Bürgerfrau einen Spitz an ihrer Seite oder hielt sich einen Mops als Seelenwärmer, dessen amüsante Physiognomie ihn für ein ganzes Zeitalter zum Modehund werden ließ, wie es später der Pudel sein sollte. Der Spitz wurde damals auf dem Kontinent zwar durch den Pudel beiseite gedrängt, erfreute sich indessen, seit er gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach England gebracht wurde, dort wieder großer Beliebtheit. Für Spitzenexemplare eines solchen „Toy Pomeranian“ wurden große Summen ausgegeben; und über die schönen und reichen New Yorkerinnen berichteten im März 1902 die >Leipziger NachrichtenEtudes de la nature< den Satz ausgesprochen, Hundessen sei der erste Schritt zum Kannibalismus. Doch gibt es seit der Antike genug Berichte, dass das Hundefleisch besonders in Notzeiten keineswegs verachtet wurde. Vielmehr war es bei den Griechen und Römern ähnlich wie bei den so genannten primitiven Völkern sowohl Opfergabe als auch Festmahl. Junge Hunde wurden als besonders reine Speisen angesehen, die man als Versöhnungsopfer für einzelne Götter verwen-
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dete. Das Hundefleisch kam vom Altar auf den Tisch und wurde dort von den Priestern verspeist. Doch sind die klassischen Dokumente sehr widersprüchlich. Pythagoras soll jeden Gebrauch des Hundes als Speisetier strengstens verboten haben. In Nordafrika waren es die Karthager, denen man das Hundefleischessen nachsagte. Man nannte sie deswegen auch „Canarii“, was so viel wie „Hundeesser“ bedeutet. Der gelehrte Neuplatoniker Porphyrius (geb. 233) behauptete, dass die Griechen nie Hundefleisch essen. Sextus Empiricus dagegen sagt, dass nicht nur einige Völker Thrakiens, sondern auch die Griechen Hundefleisch nicht verachten. Eindeutiger sind die Dokumente über das Hundefleischessen in Europa der Neuzeit. Im Königreich Neapel wurde im 18. Jahrhundert von dem ärmeren Volk Hundefleisch gegessen und in den Städten Casalnuovo und Lecce wurden täglich Hunde zu diesem Zweck auf den Markt gebracht (Fitzinger 1876, S. 27). Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte man in den statistischen Listen über den Fleischverbrauch verschiedener Städte, vor allem der Großstädte, auch Angaben über Hundefleisch als Konsumartikel lesen. In den belebten Straßen von London gehörte der „Hundefleischverkäufer“ zum alltäglichen Stadtbild. Paris war besonders bei der Belagerung im Kriege von 1870/71 ein Ort, an dem durch französische Kochkunst aus der Not eine Tugend gemacht wurde. Die Speisekarten aus jener Zeit lieferten einen Einblick in schmackhafte Zubereitung von Hundefleisch: „Hundeleber à la maître, geröstetes Hundefilet mit Paradiesäpfeln, Hundekotelettes mit Schoten, geschmorte Hundekeule mit jungen Ratten garniert usw.“ (Floeßel 1906, S. 537). Neben diesen Scheußlichkeiten gab es aber auch gelungene Rettungsversuche von Hunden, die dem Hunger und der Gefräßigkeit der Pariser entkamen. So wurden im Ganzen fünf Hunde mittels Luftballons aus der eingeschlossenen Stadt befördert, die dadurch vor dem Verspeistwerden gerettet wurden. Lassen sich die klassischen Länder der Hunde-Liebhaberei England und Frankreich nicht von der Hundefresserei freisprechen, so gilt das noch weniger von Deutschland und der Schweiz. Vor allem in einem Gebiet um Appenzell dienten Hunde bis weit ins 19. Jahrhundert als Fleischlieferanten. Auch in Berlin und in der Nähe der preußischen Residenz war im 19. Jahrhundert Hundebraten ein gesuchter Artikel. In noch früheren Zeiten war die Weberkolonie Nowawes bei Potsdam wegen des Hundemästens und -schlachtens berüchtigt. Wenn man dieses Dorf passieren musste, durfte man seinen Hund nicht aus den Augen lassen. In Berlin selbst wurde noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein schwunghafter Handel mit gestohlenen Hunden getrieben, teils für die Vivisektion, aber auch zum Zweck des Verspeisens. Die offiziellen Ziffernangaben über den Genuss von Hundefleisch in den statistischen Berichten der deutschen Städte waren zwar nicht erheblich, entsprachen aber nicht der Wirklichkeit, weil alle, die als gestoh-
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len gemeldeten, heimlich geschlachteten und die auf dem Land verspeisten Hunde in diesen Angaben nicht enthalten waren. Am verbreitetsten in ganz Deutschland scheint das Hundefleischessen in Sachsen gewesen zu sein. Ein alter, von einem Autor namens Kohl verfasster Bericht >Über die Küche und Nahrungsweise der Anwohner des Erzgebirges im Jahre 1845< enthält eine Reihe von Angaben über Hundeschlächter, die einen ordentlichen Handel mit Hundefett treiben, das sie zum Teil an die Apotheker, in den Städten zum Teil auch direkt an Personen verkaufen, die an Husten, Schwindsucht und Asthma leiden. Da dieses Fett, das stärker ist als von irgendeinem anderen Tier, entweder als Brotaufstrich oder in der Suppe gegessen wurde, hatte man auch bald keinen Widerwillen gegen das Fleisch der Hunde und kam allmählich auf den Geschmack. Manche Hundeschlächter machten aus ihrer Tätigkeit ein Gastgewerbe, indem sie gebratene Koteletten und Lendenstücke auf Tellern servierten. Und oft sollen ihre Stuben von Gästen ganz gefüllt gewesen sein, wenn sie einmal einen besonders fetten Hund geschlachtet hatten. Es waren jedoch nicht nur die Armen, die zu Hundefleischessern wurden, sondern auch wohlhabende Bauern waren Gäste der Hundeschlächter, und manche von ihnen mästeten und schlachteten sogar ihre eigenen Hunde. Das Schlachten der Hunde war in Sachsen nicht weniger brutal als bei den Primitiven in der Südsee: Die Hundeschlächter legen dem Hund einen Strick um den Hals, stecken das Ende dieses Strickes durch einen eisernen Ring in der Mauer des Hauses und ziehen den Hund so fest an die Mauer heran, dass dieser gezwungen ist, seinen Kopf ganz ruhig zu halten. Die Hunde merken aber längst vorher, was man mit ihnen vorhat und wehren sich mit Bellen und Beißen. Hat man aber dann den Hund fest an der Mauer, so schlägt man ihm zunächst mit einem Stock so auf die Nase, dass er bewusstlos zusammensinkt. Dann sticht man ihm in die Herzgrube, lässt ihn ausbluten und schneidet ihm zu gleicher Zeit schnell die Hoden ab, weil sonst das Fleisch einen schlechten Geschmack und Geruch bekommen soll (vgl. Floeßel 1906, S. 541). Ebenso wie in China werden angeblich alle diejenigen, die sich mit dem Schlachten von Hunden beschäftigen, von den Hunden erkannt und gefürchtet. Wenn ein solcher Mensch durch einen Ort geht, kommen die Hunde aus ihren Hoftüren heulend und bellend heraus, laufen hinter ihm her und verfolgen ihn oft bis weit zum Dorf hinaus. Doch beißen sie ihn nie, sondern bellen nur. Wenn ein Hundeschlächter sich einem Kettenhund nähert, kommt dieser zwar heulend und bellend hervor, kriecht aber sogleich winselnd in sein Loch zurück. So groß ist die Furcht vor diesem Menschen. In Chemnitz wurden Anfang des Jahres 1897 an dem dortigen öffentlichen Schlachthof besondere Räume zum Abschlachten von Hunden eingerichtet. Damit war das Hundefleischessen gewissermaßen behördlich ge-
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nehmigt. Das >Statistische Jahrbuch deutscher Städte< aus dieser Zeit enthält auch Angaben an welchen Orten „offiziell“ Hunde gegessen wurden. An der Spitze dieser Hundefresser-Städte stand Chemnitz mit einem Jahresdurchschnitt von 226 Schlachthunden, dann folgte Dresden mit jährlich 136 und Zwickau mit 58 Schlachthunden im Jahr. Auch in Breslau und Dresden wurden Hunde geschlachtet und gegessen. Die Anerkennung der Hundefleischesser hielt sich jedoch in Grenzen. Sie wurden von den meisten Menschen als Verbrecher betrachtet. In der Regel waren solche notorischen Hundefresser liederliche und herabgekommene Subjekte. Die wohlhabenderen Hundefleischgenießer erlangten ihre Ware meist nur auf Schleichwegen und verspeisten sie wie die Raubtiere im Verborgenen und gebärdeten sich wie Strafwürdige, ohne es nach der damaligen Gesetzeslage zu sein.
8. Der Hund als Eroberer Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es nur mehr wenige weiße Flecken auf den Landkarten der Erde. Die schwer zugänglichen Urwälder Zentralafrikas und die Polargebiete waren jene Gegenden, die der Eroberungslust der Europäer noch am meisten Widerstand geleistet hatten.
Die Eroberung Zentralafrikas Seit der Antike spekulierte man über die sagenhaften Quellen des Nils. Der Weg dorthin war nicht nur durch den Urwald, sondern auch durch wilde Negerstämme und arabische Sklavenhändler versperrt. Der erste, der zumindest der Entdeckung der Nilquellen näher kam, war David Livingston, der auch der erste Europäer war, dem die West-Ost-Durchquerung von Afrika gelang. Er entdeckte die Victoriafälle, erforschte den Sambesi und wurde nur durch ein entsetzliches Blutbad, das die Sklavenhändler aus Sansibar unter der Bevölkerung der zentralafrikanischen Seen anrichteten, gezwungen, die Suche nach den Nilquellen aufzugeben. Auf diesen Reisen wurde er von seinem treuen Hund Mabel begleitet, der mit ihm annähernd 24 000 Kilometer im Innern Afrikas zurücklegte und allerhand Abenteuer erlebte. Auf seiner letzten Reise im Jahre 1880 wurde Livingston, der sich gerade auf der Jagd befand, von einem feindlich gesinnten Negerstamm angegriffen und durch einen Keulenschlag niedergestreckt. Als er aus seiner Betäubung erwachte, sah er als einziges Lebewesen an seiner Seite seine treue Hündin. Kurze Zeit darauf bemerkte Mabel einen Strauß, warf sich ihm auf den Rücken und klammerte sich daran während der wilden Flucht des Tieres fest. Erst nach zwei Stunden, in denen man den Strauß verfolgte, konnte er niedergeschossen werden. Als er fiel, hatte der Hund seine Beute noch nicht losgelassen. Ein anderes Mal wollte ein Häuptling das arme Tier lebendig in einem Ofen braten. Livingston kam gerade noch zur rechten Zeit dazu, es zu retten. Als Livingston drei Jahre später starb, begleitete der treue Hund die Leiche seines Herren aus dem inneren Afrikas nach Sansibar. Inzwischen hatte Henry Morton Stanley, der Livingstone mit seiner Suchexpedition im Oktober 1871 getroffen und mit Nahrungsmitteln versorgt hatte, aus ihm einen Nationalhelden gemacht. Livingstones Leiche wurde einbalsamiert und zum Staatsbegräbnis in der Westminster Abbey heimgeholt. Stanley war es auch, der in einer zweiten Entsatzexpedition einem anderen Europäer zu Hilfe eilte.
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Zu den kriegerischen Auseinandersetzungen der feindlichen Stämme und den Raubzügen der Sklavenhändler kam im Jahre 1882 der Aufstand des Mahdi, eines Derwischs namens Mohammed Achmed ibn Abdullahi, der als religiöser Führer der Araberstämme den Sudan von der verhassten Herrschaft der Türken und Ägypter und der ihnen dienenden Europäer befreien wollte. Unter den von den Anhängern des Mahdi eingeschlossenen Gouverneuren zählte auch Emin Pascha, der die Äquatorialprovinz verwaltete. Zur Rettung dieses verdienstvollen Mannes wurde von der englischen Schutzmacht der türkisch-ägyptischen Regierung eine Expedition ausgestattet, deren Kommando dem berühmten Afrikaforscher Henry Morton Stanley übertragen wurde. Bei diesem fast endlosen Zug der Entsatzexpedition durch das „dunkelste Afrika“, bei dem ein Großteil ihrer Teilnehmer an Hunger und Erschöpfung starb oder von den wilden Buschleuten erschlagen oder vergiftet wurde, begleitete Stanley ein kleiner, aber heldenmütiger Hund. Als sich die Vorhut der Expedition halb verhungert im „Leichenträgerschritt“ mühsam durch die pfadlose Wildnis weiterschleppte und schließlich erschöpft in einer Lichtung zusammenbrach, schien das Ende in nur wenigen Stunden zu nahen. Nur ein Wunder konnte sie noch vor dem Tode retten. „In demselben Augenblick“, erzählt Stanley in seinem Reisebericht, „erscholl ein Geräusch, als ob ein großer Vogel durch die Lüfte schwirre. Mein kleiner Dachshund Little Randy hob den Fuß und blickte neugierig um sich, wir wandten uns um, um nachzusehen, und im selben Augenblick fiel der Vogel in den Rachen Randys, der nach der Beute geschnappt hatte und sie wie in einer eisernen Falle festhielt. Meine Gefährten blickten mit frohem Erstaunen auf den Vogel, ein schönes feistes Perlhuhn, und es dauerte nicht lange, bis dasselbe geteilt war, wobei auch Randy, der es gefangen hatte, seine Ration abbekam; das kleine Hündchen schien zu wissen, dass es in unserer aller Achtung gestiegen war“ (Stanley 1890, S. 210 f.). Durch diese Mahlzeit gekräftigt, erreichte die Vorhut der Entsatzexpedition am nächsten Tag ein Dorf, dessen Bewohner ihnen ihre Schätze an Lebensmittel mehr oder weniger freiwillig überließen. Nachdem Stanley den Albert-See erreicht hatte und damit fast am Ziel angelangt war, galt es, die Nachhut der Expedition zu holen. Stanley wollte seinem Hund diesen langen und mühevollen Weg ersparen. Er hatte aber nicht mit der treuen Anhänglichkeit seines Hundes gerechnet und den Kummer unterschätzt, den er ihm durch seine Abreise bereitete: „Mein treuer kleiner Dachshund Randy, welcher die Anstrengungen des zweimaligen Marsches nach dem Albert-See so gut ertragen hatte und der uns in der Stunde großer Not ein so ergebener Freund gewesen und aller Liebling geworden war – obgleich er keinem Sansibariten gestattete, sich unangemeldet mir zu nähern –, wurde der Sorgfalt des Lieutenants Stairs übergeben, um ihm die lange Reise von
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über 1500 km, die wir vor uns hatten, zu ersparen. Aber der arme Hund missverstand meinen Zweck, und von dem Augenblick an, als ich ihn verlassen hatte, wies er entschieden alle Nahrung zurück und starb am dritten Tage an gebrochenem Herzen“ (Stanley 1890, S. 427 f.). Waren die Leistungen der Hunde dieser berühmten Afrikareisenden ebenso wie die der sog. Regimentshunde Einzelleistungen auf den Kriegs- und Eroberungszügen des Menschen, so entschied dagegen das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein der Schlittenhunde über Leben und Tod der Polarfahrer.
Die Eroberung der Polargebiete Nansen bezeichnete die Polargebiete als „Reich des Todes“ (Nansen 1898, S. 6). Denn nirgends ist wohl Wissen und Erkenntnis des Unbekannten mit einer größeren Summe von Entbehrungen, Not und Leiden erkauft worden als in diesem „Eiskirchhof der Natur“. Die Nützlichkeit der Polarforschung war schon von James Cook bezweifelt worden, wenn er sagt: „Niemals wird aus jenen Räumen unserm Geschlecht ein Gewinn erwachsen“ (Payer 1876, S. LVI). Der zwar manchmal ertragreiche Walfischfang war angesichts der großen Verluste nicht lohnend: Im 17. Jahrhundert sanken einmal 73 holländische Schiffe in einem Jahr unter den Pressungen des Eises. 1830 wurden 19 englische Schiffe vernichtet und 1871 26 amerikanische Schiffe in der Behring-Straße vom Eis zerdrückt. Der Handelswert der Durchfahrten, deren Entdeckung mit hohen Preisen bedacht wurde, erwies sich als wertlos. Denn diese Fahrten waren zu einem „Dahinschleichen zwischen dem Eise geworden, vor dessen Launen der Schiffer zittert“ (Payer 1876, S. LIX). Höchstens als Verbrecherkolonien, zur Ausmerzung sozialer Übel in der Heimat, konnten die Polarländer noch dienen. Doch die einst auf Spitzbergen für nur einen Winter ausgesetzten Verbrecher baten rundweg, sie lieber nach Europa zurückzuführen und hinzurichten.
Erschossen: Die Hunde der Nordpolexpeditionen von Payer und Nansen Das einzige Ziel aller jener Polarfahrten, die bis zur Erreichung der Pole unter größten Verlusten andauerten, war die wissenschaftliche, geographische und naturgeschichtliche Erforschung dieser unzugänglichen Gebiete. Das war auch die Aufgabe der österreichisch-ungarischen Nordpolexpedition, die im Jahre 1871 auf dem Schiff „Tegetthoff“ mit einer Besatzung von 24 Mann und 8 Hunden aufbrach. Zwei von den Hunden waren aus Lappland, die anderen aus Wien. Sie sollten eine lebensrettende Rolle beim
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Rückzug spielen. Doch zuvor waren sie die unentbehrlichen Helfer bei den der wissenschaftlichen Forschung dienenden Schlittenreisen, die von der im Packeis jahrelang eingefrorenen „Tegetthoff“ unternommen wurden. „Für solche Dienste“, schreibt einer der beiden Führer der Expedition, Oberleutnant Julius Payer, „– galten sie doch der Wissenschaft – konnte es keine abschwächende Erwägung sein, dass sie nur von einem geringen Tier geleistet wurden und der Anhänglichkeit entsprangen“ (Payer 1876, S. 299). Das „geringe Tier“, von dem hier die Rede ist, war Payers eigener aus Wien mitgenommener Hund Sumbu. Zwei düstere Jahre lang war dieser Hund mit seinem Übermut und Arbeitseifer die fast einzige Quelle der Heiterkeit für die gesamte Mannschaft. Rührend war es anzusehen, wenn er abends erschöpft an der Stelle in den Schnee hinsank, wo man ihn ausgespannt hatte. Nach seiner Rückkehr in die Heimat sollte er nie mehr Lasten ziehen, Jahre der Behaglichkeit sollten ihm bevorstehen. Es kam jedoch anders. Sumbu war kein sibirischer Schlittenhund, der mit den arktischen Verhältnissen vertraut war. Jedes Mal geriet er außer sich, wenn er in der unermesslichen Einöde ein lebendes Geschöpf sah. Er riss sich vom Schlitten los, als eine Möwe über ihn hinwegflog, und rannte ihr nach, ohne jemals wiederzukehren. Kein Rufen und Warten half. Die Spuren wurden rasch verweht und niemand zweifelte daran, dass dieser treue Begleiter nach mehrtägigem Herumirren erschöpft den Hungertod erlitten hatte oder einem Bär zum Opfer gefallen war. Mit den beiden anderen Hunden, Jubinal und dem jungen Toroßy, wurden die Schlittenreisen auf dem neu entdeckten Kaiser-Franz-Joseph-Land bis zum nördlichsten Punkt 82° 5', den die österreichisch-ungarische Expedition erreicht hat, fortgesetzt. Sie erwiesen sich auf einer dieser Fahrten als Lebensretter, als der Schlitten mit einem Matrosen und den Hunden in eine tiefe Gletscherspalte stürzte. Der Schlitten verkeilte sich in dreißig Fuß Tiefe. Der Matrose blieb auf einem Schneeabsatz liegen, während die Hunde noch in den Zuggurten des festgeklemmten Schlittens hingen, als Payer zum Lager zurückeilte, um Hilfe zu holen. Als nach vier Stunden die Hilfsmannschaft mit Stangen und Seilen zurückkehrten, hatten sich die Hunde auf eine unbegreifliche Weise aus ihrer hängenden Lage befreit und waren mit bewunderungswürdiger Geschicklichkeit zu dem schmalen Absatz hingesprungen, auf dem der halb erfrorene Matrose lag. Dicht an ihn gedrängt, hatten sie dann die ganze Zeit geschlafen, bis die Rettung kam. Bei der Rückkehr zum Schiff waren sie die Einzigen, welche die vom Schnee verwehten Proviantdepots auffinden konnten. Nachdem die Schlittenreisen, die ohne Hunde nicht möglich gewesen wären, abgeschlossen waren, begann der Rückzug von der im Eise mehr und mehr zerfallenden „Tegetthoff“. Dabei leisteten die Hunde unentbehrliche
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Dienste. Von den Hunden waren es jedoch nur mehr drei, die auf dem Rückzug mitgenommen werden konnten. Die anderen wurden teils wegen ihrer Unverträglichkeit, teils wegen ihrer Schwäche erschossen. Neben Jubinal und Toroßy, die sich schon auf den Schlittenreisen ausgezeichnet hatten, machte noch Pekel, der kleine Hund Payers, die Reise mit. Obwohl zu klein und schmächtig für das Schlittenziehen war er für das Weiterkommen der Schlitten unentbehrlich. Denn er ging immer voran, um die noch härteren tragfähigeren Schneewehen auszukundschaften. Hatte er sie eine Strecke weit geprüft und für die Schlitten tauglich befunden, so kam er wedelnd zu den voran Ziehenden zurück. In den ersten Wochen des Rückzuges eilte der Hundeschlitten immer wieder zum Schiff zurück, um die verbrauchten Vorräte zu ergänzen. Auf diese Weise legten die Hunde den Weg vier-, fünfmal und noch öfter mit schweren Lasten von acht bis zehn Zentnern täglich zurück. „Ich erwähne dies“, schreibt Payer „nur zu dem Zweck, um die großen Dienste hervorzuheben, welche unsere Hunde, selbst in so geringer Zahl, noch während des Rückzugs leisteten“ (Payer 1876, S. 392). Für eine Strecke, zu der die übrige Mannschaft fast eine Woche bedurfte, brauchten die Hunde lediglich ein bis zwei Stunden. Der Rückzug über das vereiste Meer wurde mehr und mehr zur Katastrophe, die mit ungeheurer Mühe erzielten Fortschritte wurden immer wieder durch die Winde aufgehoben, die den auf dem Treibeis zurückgelegten Weg wieder vernichteten. Die Vorräte verschwanden mit einer beängstigenden Eile. Jede geleerte Blechbüchse brachte den Hungertod näher. Mit rabenhafter Gier wurde das Skelett des letzten geschossenen Bären abgeschabt. „Und schließlich fiel auch“, wie es lakonisch in dem Bericht Payers heißt, „selbst unser treuer Gefährte, der kleine Pekel, am 7. Juli 1874 der Not zum Opfer“ (Payer 1876, S. 411), was nichts anderes heißt, als dass er aufgefressen wurde. Den beiden anderen Hunden ging es nicht viel besser. Als schließlich nach endlosen Mühen am 15. August die Grenze des Eises und das offene Meer erreicht worden war, war, wie der erschütternde Bericht ihrer Erschießung zeigt, auch ihr letzter Tag angebrochen: „Mit drei Hurras stießen wir vom Eise ab, und die Fahrt über das freie Meer begann. Ihr glücklicher Verlauf hing vom Wetter und unablässigem Rudern ab; trat ein Sturm ein, so mussten die Boote sinken. Bald jedoch überzeugten wir uns, dass unsere Hunde, von der Seekrankheit ergriffen, die Boote in so unruhige Schwankungen brachten, dass der geringste Seegang uns verderblich werden musste. Es war auch kein Platz für sie in den übervölkerten kleinen Fahrzeugen, kein Wasser und kein Proviant; – im Stiche lassen wollten wir sie nicht, und so war die einzige, wenngleich schmerzliche Form unseres Dankes: ihr Tod! Eine einzelne Scholle, an der wir noch vorbeikamen, wurde die Ruhestätte unserer Hunde – unserer treuen Freunde, unserer Begleiter in allen
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Abb. 22: Erschießung der Hunde (aus Payer 1876)
Lagen, unsere Helfer in der Not, und der Teilhaber an allen Erfolgen! Es war ein trauriger Dank für solche Dienste; gern hätten wir ihnen bis an ihr Lebensende das Brot gewährt, das die armen Tiere in ihrer Treue sich verdient hatten, und es war ein höchst schmerzlicher Augenblick, als Jubinal das Boot verließ, um den Tod zu erleiden. Es war der Verlust eines treuen Gefährten, der niemals während des Rückzuges von meiner Seite gewichen, der geduldig all die großen Anstrengungen getragen, welche ich gezwungen war ihm aufzubürden, und sich wiederholt der Gefahr des Abgeschnittenwerdens ausgesetzt hatte, wenn er mir aus dem Boote nachgesprungen war auf das Eis. Ebenso schwer fiel uns der Tod des sanften Toroßy, des Nordpolgebornen, für den die ganze Schöpfung bisher nur aus Eis bestanden hatte, dessen Leben ein beständiges Lastenziehen gewesen war“ (Payer 1876, S. 432 f.). Die zweite Hundetragödie der Arktis spielte sich auf der berühmten Drift des Schiffes „Fram“ des norwegischen Polarfahrers Fritjof Nansen ab. Als Nansen zu dieser waghalsigen Polarexpedition aufbrach, sprachen alte verdienstvolle Polarforscher wie der General Greely von einem „unlogischen Selbstvernichtungsplan“. Denn Nansen hatte vor, sich mit seinem Schiff im Packeis einfrieren und über den Nordpol treiben zu lassen. Den Anlass zu diesem Plan lieferte ihm das traurige Schicksal der Expedition des amerikanischen Lieutenant De Long, dessen Schiff, die „Jeanette“, südöstlich von Wrangelland im Eis stecken blieb, zwei Jahre lang mit dem Eis nach Westnordwest trieb und nördlich von den Neusibirischen Inseln sank. Zu-
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sammen mit der „Tegetthoff“ waren es die einzigen Fälle, dass Schiffe, die im Eis stecken geblieben waren, nach Norden getrieben sind. Als schließlich drei Jahre nach dem Untergang der „Jeanette“ ihre Trümmer und Frachtgegenstände an der Südwestküste Grönlands gefunden wurden, war es für Nansen klar, „dass sie auf einer Eisscholle quer übers Polarmeer getrieben sein müssten“ (Nansen 1898, S. 11). Diese Strömung wollte Nansen ausnützen, um den sichersten und leichtesten Weg zum Pol zu finden. Falls jedoch die Drift der „Fram“ nicht dem Pol nahe genug kam, wollte Nansen selbst das Schiff verlassen, um mit Schlitten zum Pol vorzudringen, wobei es ihm, wie er immer wieder betonte, nicht darauf ankam, „jenen mathematischen Punkt zu erreichen, sondern um unbekannte Gegenden des Polarmeeres zu erforschen“ (Nansen 1898, S. 457). Von der „Tegetthoff“-Expedition wusste er, dass die Rückkehr der Mannschaft mit auf Schlitten gezogenen Booten vor allem durch den Einsatz der Hunde erfolgreich war. Sein Plan war jedoch, nach dem Vorbild der Eskimos an Stelle der schweren Boote leichte, von Hunden gezogene Kajaks mitzuführen. Es musste ihm aber von vornherein klar gewesen sein, dass er damit bereits das Todesurteil über die ihn begleitenden Hunde gesprochen hatte. Denn wenn schon Payers Hunde in den schweren Rettungsbooten der „Tegetthoff“ keinen Platz mehr fanden, dann umso weniger seine Hunde in den leichten Kajaks. Im Unterschied zur „Tegetthoff“-Expedition, die nur wenig Hunde besaß, ließ Nansen in Sibirien von den Samojeden vierzig ausgesuchte Schlittenhunde einkaufen, von denen auf der Reise jedoch bereits acht gestorben waren, bevor sie auf der „Fram“ eintrafen: Ein paar waren festgehakt und während der Fahrt durch den Wald zu Tode geschleift worden oder waren durch andere Unfälle umgekommen. Einer war tot gebissen worden, ein anderer krank geworden. Die übrigen 34 lebten und waren guter Dinge. Mit Ausnahme von vieren waren jedoch alle Hunde kastriert, wie das in Sibirien üblich war. Für Nansen war das ein Strich durch die Rechnung, da er auf Vermehrung der Hundefamilie unterwegs gerechnet hatte. Er setzte daher seine Hoffnung auf die vier nicht kastrierten männlichen Hunde und auf „Kvik“, seine Hündin, die auf der dänischen Expedition nach Ostgrönland geboren wurde und Nansen geschenkt worden war. Diese Hoffnung sollte nicht enttäuscht werden. Denn Kvik warf, als die „Fram“ bereits fest im Packeis des Norden eingefroren war, 13 junge Hunde, von denen jedoch fünf sofort getötet wurden, da sie ohne Nachteil für die Mutter nicht ernährt werden konnten. „Arme Mutter!“, schrieb Nansen an diesem Tag, „sie war so ängstlich wegen ihrer Jungen und wollte zu ihnen in die Kiste springen und sie uns fortnehmen“ (Nansen 1898, S. 262). Zuvor hatten die Hunde an Bord des Schiffes ein hartes und „wirklich melancholisches Leben“ geführt: „Die stürmischen Wogen haben sich über
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sie ergossen, sie sind vom Wasser auf Deck hin und her gerollt worden, haben sich in den Koppeln fast stranguliert, sind jedes Mal, wenn das Deck gewaschen wurde, mit dem Schlauch besprengt worden, sind seekrank gewesen und haben in schlechtem wie in gutem Wetter an der Stelle liegen müssen, wo das harte Schicksal sie angekettet hatte, ohne weitere Bewegung als das Hin- und Herlaufen, soweit die Kette dies gestattete.“ Erst als die Grenze des Packeises am 28. September 1893 mehr als eineinhalb Monate nach der Abfahrt von Sibirien erreicht worden war, kam der Tag der Erlösung: Als sie auf dem Eis losgelassen wurden, brach ein wahrer Jubelsturm aus: „Sie wälzten sich im Schnee herum, wuschen und putzten sich und stürzten in wilder Freude unter lautem Gebell auf dem Eise umher“ (Nansen 1898, S. 192). In der Hundemeute, die von nun an auf dem Eis neben dem eingefrorenen Schiff lagerte, herrschte das Recht des Stärkeren. Kein Tag verging ohne Kampf, und wo ein solcher Kampf stattfand, stürzte sich die ganze Bande wie wilde Tiere auf den Unterliegenden, der getötet und zerrissen wurde. Von der Wildheit der Schlittenhunde konnte sich Nansen selbst bei seinem ersten Versuch, das Hundegespann eines Schlittens zu lenken, überzeugen. Nachdem es ihm gelungen war, sechs Hunde vor einen Samojedenschlitten zu spannen, auf dem er selbst allein Platz nahm, jagten die Hunde in einem Höllentempo über das flache Eis. Am hohen Packeis angekommen, machten die Hunde kehrt und sausten mit blitzartiger Geschwindigkeit zum Schiff zurück, von dem sie auch nicht mehr fortzubringen waren. Sie jagten mit dem Schlitten immer um das Schiff rundherum, von einem Abfallhaufen zum anderen. Bei den vergeblichen Versuchen, die Hunde anzuhalten, fiel Nansen schließlich vom Schlitten und wurde erbarmungslos von den Hunden übers Eis geschleift, bis sie schließlich ermüdet waren. Diese ersten Erfahrungen, die mit den alten Berichten über die Wildheit der Schlittenhunde, wie sie seit James Cook und Brehm geliefert wurden, völlig übereinstimmten, zeigten, wie viel Geduld und Übung es noch bedurfte, um ein solch wildes Hundegespann zu lenken. Zeit dafür war jedenfalls ausreichend vorhanden. Denn der Aufbruch vom eingefrorenen Schiff zur Schlittenreise nach dem Nordpol konnte erst nach eineinhalb Jahren erfolgen. Am 14. März 1895 brach Nansen in Begleitung von Johanson mit 3 Schlitten und 28 Hunden, deren Namen einzeln in einer Liste festgehalten wurden, nach Norden auf. Der Plan Nansens war es, 30 Tage nach Norden zu marschieren und nur für diese Zeit Futter für die Hunde mitzunehmen. Ab dann mussten sie sich von ihrem eigenen Fleisch ernähren. Deshalb war auch wie bei allem anderen Proviant neben dem Namen jedes Hundes sein Gewicht notiert. Das Hundeschlachten begann jedoch schon früher als geplant. Der erste
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Hund, der getötet werden musste, weil er vor Erschöpfung nicht weiterkam, wurde noch abgehäutet, bevor er in Stücke geschnitten wurde. Später ersparte man sich jedoch die harte Arbeit des Abhäutens und setze den geschlachteten Hund seinen Leidenskameraden mit Haut und Haaren vor. Als die Stücke des ersten Hundes an die anderen verteilt wurden, zogen es noch viele von ihnen vor, die ganze Nacht zu hungern, anstatt das Fleisch anzurühren. Auch beim zweiten geschlachteten Hund wollten 8 Hunde ihre Portionen nicht fressen. Je erschöpfter und ausgehungerter die Hunde aber wurden, desto weniger scheuten sie sich vor der kannibalischen Mahlzeit. Von der rücksichtslosen Behandlung der Hunde und den damit verbundenen Gewissensqualen lieferte Nansen selbst einen erschütternden Bericht: „Es war unleugbar eine Grausamkeit gegen die armen Tiere, an die man sich noch oft mit Abscheu erinnert. Noch jetzt macht es mich schaudern, wenn ich daran denke, wie wir sie mit dicken Eschenstöcken unbarmherzig geschlagen haben, wenn sie, kaum noch im Stande, sich zu bewegen, vor lauter Erschöpfung anhielten. Das Herz blutete einem, wenn man es mit ansehen musste, aber wir wandten den Blick ab und verhärteten uns. Es war notwendig. Wir mussten ja vorwärts, und diesem Zwecke gegenüber musste alles andere zurücktreten. Das ist die traurige Seite von Expeditionen dieser Art, dass man jedes bessere Gefühl systematisch ertötet, bis nur der hartherzige Egoismus übrig ist. Wenn ich an alle die prächtigen Tiere denke, die, ohne zu murren, für uns gearbeitet haben, solange sie einen Muskel rühren konnten, die niemals Dank, selten ein freundliches Wort dafür bekommen haben, die sich täglich unter der Peitsche krümmten, bis die Zeit kam, dass sie nicht mehr konnten und der Tod sie von ihren Leiden befreite, wenn ich daran denke, wie sie, einer nach dem andern, da oben in den öden Eisfeldern, die Zeugen ihrer Treue und Aufopferung gewesen sind, zurückgelassen worden sind, dann kommen mir Augenblicke bitterer Selbstvorwürfe“ (Nansen 1898, S. 46). Schonungslos wurden auch von Nansen die Hinrichtungsmethoden geschildert: „Dieses Schlachten ist übrigens eine ärgerliche Geschichte; aber was sollen wir tun? Wir haben die Tiere bisher mit einem Messer erstochen; es ist dies jedoch keine sehr befriedigende Tötungsart und wir haben daher gestern beschlossen, eine neue Methode anzuwenden, das Strangulieren, das war aber noch schlimmer. Wie üblich, führten wir den Hund hinter einen Hügel, damit die andern nicht sehen sollten, was passierte; dann schlangen wir dem Tiere einen Strick um den Hals und zogen beide mit voller Macht daran, bis wir nicht mehr konnten, aber ohne Erfolg. Unsere Hände hatten bei der Kälte alles Gefühl verloren, sodass uns nichts anderes übrig blieb, als wieder das Messer zu gebrauchen. Es war schrecklich. Natürlich würde Erschießen die bequemste und barmherzigste Todesart gewesen sein, aber wir wollten ungern unsere kostbare Munition an den Hun-
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den verbrauchen; vielleicht kommt einmal die Zeit, dass wir ihrer dringend bedürfen“ (Nansen 1898, S. 70). Auf diese Weise nahm die Anzahl der Hunde erschreckend schnell ab. Als Nansen schließlich mit seinem Gefährten Johansen, dessen Geschick im Schlachten der Hunde er bewunderte, schließlich bei 86° 13' nördlicher Breite umkehren musste, waren von den 23 Hunden nicht viel mehr als die Hälfte vorhanden. Nach und nach wurden auch diese übrig gebliebenen Hunde auf dem Heimweg geschlachtet. Ihre noch am Leben gebliebenen ausgehungerten Artgenossen ließen nichts von ihnen übrig, „nur ein Büschel Haare hier und dort auf dem Eis, ein paar Zehen und ein wohl abgenagter Schädel“ (Nansen 1898, S. 122). Auf diese Weise starb auch Kvik, der schöne große Hund, den Nansen selbst aus Norwegen mitgebracht hatte. Er versorgte die übrigen 8 Hunde gut drei Tage mit Futter. Schließlich blieben nur zwei Hunde übrig: „Kaiphas“, der Nansen, und „Suggen“, der Johansen beim Ziehen seines Schlitten half. Aus zwei Hundegeschirren fertigen die beiden Polarreisenden für sich Zuggeschirre an und teilten von nun an das gleiche Schicksal mit ihren Hunden. Bevor sie das Ende des Packeises erreichten, retteten die Hunde Johansen, der von einem Bären angefallen worden war, das Leben, indem sie sich todesmutig dem Bären entgegen warfen, der schließlich von Nansen erschossen werden konnte. Trotz des Überflusses an Nahrung, der jetzt vorhanden war, war jedoch das bereits vorausgeplante Ende der Hunde gekommen: „Traurig war es, dass wir nicht daran denken konnten, unsere beiden letzten Hunde mitzunehmen; aber wahrscheinlich würden wir keine weitere Verwendung mehr für sie haben, und es würde sich nicht haben machen lassen, sie an Deck der Kajaks mitzuführen. Es tat uns leid, uns von ihnen zu trennen; wir hatten die beiden Überlebenden sehr lieb gewonnen. Armer Suggen, wie rührend schlau war er, und wie stolz und schön war Kaiphas bis zuletzt gegangen. Treu und ausdauernd waren sie uns auf der ganzen Reise gefolgt, und nun, als bessere Zeiten gekommen waren, mussten sie dem Leben Valet sagen. Sie in derselben Weise wie die andern töten wollten wir nicht; wir opferten daher eine Patrone für jeden. Johansen erschoss meinen Hund hinter einem Hügel, ich den seinen; es war eine harte Aufgabe“ (Nansen 1898, S. 191 f.).
Ausgesetzt: Die Hunde des Verlierers Cook Die endgültige Eroberung des Nordpols war ein rücksichtsloser Konkurrenzkampf zwischen zwei Männern, die sich bis zu ihrem Lebensende hassten. Der Schiffsarzt Dr. Frederick A. Cook und der Vermessungsingenieur der US-Marine Robert Edwin Peary hatten beide zusammen in den Jahren 1892/93 Nordgrönland erforscht und aus ihren Erfahrungen mit den Eski-
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mos (Inuit) und deren Schlittenhunden die Einsicht gewonnen, dass nur mit einer großen Anzahl von Hunden der Nordpol zu erreichen ist. In den darauf folgenden Jahren sollten sie jedoch durch den Wettlauf zum Nordpol zu erbittertsten Feinden werden. Im letzten entscheidenden Rennen brach als erster Cook am 23. März 1908 vom äußersten nördlichen Ende der Axel-Heiberg-Insel mit 26 Hunden, 2 Schlitten und zwei Eskimos zum Pol auf. Das Ziel lag über 800 Kilometer weit entfernt. Die Vorräte reichten jedoch nur für 80 Tage: „Damit mußten wir“, schreibt Cook, „siegen oder untergehen“ und fügt hinzu: „Schnee war unser Bett und Eis unser Kissen“ (Cook 1951, S. 50). Sie ernährten sich noch von trockenem Fleisch und Talg, als sie am 21. April auf ihrem endlosen Marsch in eine Gegend kamen, in dem der Schatten 24 Stunden des Tages immer die gleiche Länge hatte. Für Cook war kein Zweifel mehr möglich, dass er den Nordpol erreicht hatte: „Nur am Pol oder in seiner unmittelbaren Nähe kann ein Schatten zu jeder Tagesstunde von gleicher Länge sein, weil nur dort die Sonne, wenn sie sichtbar ist, während des ganzen Tages annähernd in der gleichen Höhe über dem Horizont steht. Nun waren wir auf dem Gipfel der Erde – dem Nordpol, dem Ende der Achse, um die sich unsere Welt dreht. Aber an welch einen freudlosen, welch einen hoffnungslosen Ort waren wir gekommen! Und doch hatte er die Eroberungslust schon so lange entfacht! Hier gab es kein Land, kein Leben, nichts, das diesen Mittelpunkt aus der Trostlosigkeit der treibenden Eiskruste auf unserem Erdball hervorhob. Wir waren die einzigen atmenden Geschöpfe in einer toten Eiswelt“ (Cook 1951, S. 51). Gerade aber dieser trotz großer Mühsal und Anstrengung für Hunde und Menschen reibungslose Ablauf des Marsches zum Pol sollte später Anlass zur Vermutung geben, dass Cook den Pol gar nicht erreicht habe. Diese Frage konnte bis heute nicht wirklich geklärt werden. Denn Cook lieferte nur eine zwar durchaus korrekte Beschreibung der Verhältnisse am Pol, aber keine exakten Messdaten. Der rasche Vorstoß zum Pol war aber nur ein Vorspiel zu einem Kampf gegen Hunger und Kälte, der viele Monate dauerte. Denn Cook und seine Begleiter verfehlten auf dem Rückweg die direkte Richtung zum Lager in Grönland, das 1300 Kilometer in der Luftlinie entfernt lag. Das ganze Eis unter ihnen kam in Bewegung, und Richtung und Geschwindigkeit dieser Drift wechselten zu schnell, um zu beurteilen, wie weit und wohin sie abgetrieben wurden. Nahezu zwei Monate lang war der Himmel zu dicht bedeckt, um eine Sonnenbeobachtung zu ermöglichen und ihre Position danach zu berechnen. Während dieser Zeit schmolzen die Vorräte an Lebensmitteln und Brennstoff dahin. Seit einem Monat waren Menschen und Hunde auf drei Viertel der normalen Rationen gesetzt. Über die Hälfte der Hunde waren verzehrt. Täglich stand der Hungertod vor Augen und die Qual der Leere dieser toten Welt aus trei-
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bendem Eis trieb die unglücklichen Verirrten an den Rand des Wahnsinns. Auch die Hunde waren schließlich ein Bild des Jammers: „Wir hatten noch elf treue Schlittenhunde, die alle, wie wir selbst, halb verhungert waren. Sie waren die Überlebenden einer Meute von sechsundzwanzig. Die anderen waren aufgegessen. Wir liebten diese mageren, zottigen Kampfgenossen besserer Tage. Obgleich Nachkommen nur halbgezähmter Wölfe, waren diese Tiere bisher unsere Lebensretter gewesen. Jeder Hund war für einen von uns ein persönlicher Freund. Sie sahen abgekämpft und verwahrlost aus, und die schwindende Kraft dieser tapferen Gesellen war besonders entmutigend. Seit Wochen ließen die Hunde ihre Schwänze hängen und winselten nur unterdrückt, statt das belebende Lärmen ihrer Kämpfe oder kraftvolles Bellen hören zu lassen. Wenn ein Eskimohund verstummt oder aufhört zu kämpfen, ist sein Leben nicht mehr lebenswert“ (Cook 1951, S. 65). Es waren die Hunde, die wieder Mut fassten, denn sie waren so begierig wie die Menschen, festen Boden zu betreten, aber ihre hängenden Zungen und ihr mühsames Keuchen verrieten, dass ihre Kräfte versagten und wie sehr sie überanstrengt waren. Als sie endlich das feste Land erreichten, „schnüffelten die Hunde in der Luft, stießen ihre Schnauzen in den Sand, äugten nach dem Horizont, spitzten die Ohren und wedelten mit den Schwänzen. Dann, nachdem sie sich rund ein dutzend Mal um sich selbst gedreht hatten, legten sie sich nieder, um ihrerseits die neue Umgebung zu überprüfen. Alle, Menschen und Hunde, verharrten schweigend und ließen die Augen wie in einem stillen Gebet eine Weile zwischen Himmel und Erde auf und ab wandern“ (Cook 1951, S. 62). Kaum am rettenden Land angekommen, geriet Cook und seine beiden Eskimos in einen furchtbaren Schneesturm, den sie nur mit Hilfe der Hunde überstehen konnten: „Die Temperatur war nicht tief, nur wenige Grade unter dem Gefrierpunkt, aber wir konnten uns nicht warm halten. Der Wind peitschte uns messerscharfen Schnee ins Gesicht, vor dem wir nirgends Deckung fanden. Die Felsen brachen zwar den Wind, aber der Schnee wehte aus allen Richtungen. Wir legten uns mitten zwischen die Hunde, um uns an ihnen zu wärmen, deckten das Zelt und die Bootsleinwand über uns und ließen den Sturm toben. Bald waren wir von einer wärmenden Schneedecke bedeckt, mussten aber an unseren Köpfen und Füßen Luftlöcher graben, um zu verhüten, dass wir an dem Sauerstoffmangel der von uns und den Hunden ausgeatmeten Luft erstickten. Vierundzwanzig Stunden verharrten wir so eng zusammengedrängt. Wir hatten nichts zu essen. Die Hunde kauten an dem seidenen Zelt. Um den Durst zu löschen, leckten wir genau wie die Hunde Schnee. Endlich sahen wir durch das Luftloch ein Stück blauen Himmel“ (Cook 1951, S. 70). Es waren dann auch die Hunde, die Cook und seine Begleiter vor dem
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Hungertod retteten. Ausgehungert und erschöpft wie sie waren, nahmen sie plötzlich die Witterung auf. Sofort polterten die Schlitten mit bedrohlicher Geschwindigkeit über das raue Eis davon. Nach einer halsbrecherischen Fahrt hielten die Hunde an, setzten sich nieder und sahen an den Eishügeln hinauf. Von dort kam in rasendem Tempo ein Bär. Die Hunde wurden von ihren Strängen gelöst und schossen wie Pfeile davon. Wenige Augenblicke später hatten sie den Bär erreicht und umkreisten ihn so lange, bis er erschossen werden konnte. Als der Bär tot war, legten sie sich nieder und schoben gelassen und zufrieden die Köpfe zusammen. Als Cook und seine Begleiter das offene Meer des Jonesunds erreichten, standen sie, wie auch Payer und Nansen, vor der traurigen Entscheidung, was mit den Hunden geschehen sollte. Denn sie mussten von da an in einem nur dreieinhalb Meter langen Faltboot weiterfahren. Obwohl das Gepäck auf das Äußerste verringert worden war, ragte der Rand des Bootes nur 12 bis 15 Zentimeter aus dem Wasser. In dieser Lage konnte selbst in ruhigem Wasser schon ein einziger Hund das Gleichgewicht gefährden. Es gab nur eine Möglichkeit: Die Hunde mussten zurückgelassen werden! Wie schwer diese Entscheidung dem ehrgeizigen Polarfahrer geworden ist, zeigt sein erschütternder Bericht: „Wie konnten wir ohne unsere treuen Begleiter leben? Wenn alles dunkel, trübe und melancholisch ausgesehen hatte, wenn der Tod durch Hunger und Kälte nahe gewesen war, hatten sie den aufgehenden Mond angeheult und die Hoffnung auf bessere Tage geweckt. Wenn unsere Kräfte zu versagen drohten, hatten sie uns mit ihrer zäheren Energie über manche gefährliche Stelle hinweggeschleppt. In ihrer wölfischen Gesellschaft war die Einsamkeit nie quälend geworden. Aber nun mussten wir von ihnen Abschied nehmen. Die Tränen rannen über unsere Gesichter. Wie sollten wir uns von ihnen trennen? Die Hunde sahen uns flehend an. Sie schienen zu ahnen, was wir beabsichtigten. Ihre Schwänze hingen tief herab. Sie heulten nicht wie sonst im Chor, sondern jaulten einzeln, einer nach dem anderen, in Tönen, die unsere Trauer vergrößerten und uns noch mehr Tränen vergießen ließen ... Unser Abschied glich dem von einem teuren Angehörigen auf dem Friedhof. Wir stiegen in unser Boot und paddelten nach Osten. Eine Stunde lang hörten wir ihr Abschiedsgeheul, und monate- und jahrelang folgte es uns in unseren Träume. Und wie einsam erschien uns das Leben in den kommenden Monaten des Hungers, der Kälte und der Dunkelheit! Wir mussten erst noch lernen, dass die Sehnsucht nach der Gesellschaft eines Hundes das Tor zur Finsternis des Selbstmordes aufstoßen kann“ (Cook 1951, S. 145 f.). Als Cook und seine Begleiter nach einer qualvollen Überwinterung ihr Ausgangslager in Grönland am 18. April des nächsten Jahres mehr tot als lebendig erreichten, war bereits sein Konkurrent Commander Peary mit einer großzügig vom Arctic-Club finanzierten Expedition zum Pol aufgebrochen.
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Die Hunde am Nordpol: Peary Peary war von der Nützlichkeit, ja Unentbehrlichkeit der Eskimohunde genauso überzeugt wie seine Vorläufer Nansen und Cook: „ Es handelt sich um hervorragende Geschöpfe, denn ohne ihre Hilfe wären die Mühen der Expedition nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Diese Tiere sind derb und prachtvoll: Es mag schönere und größere Rassen geben, aber es gibt keinen anderen Hund in der Welt, der so lange bei niedrigsten Temperaturen ohne Nahrung arbeiten kann“ (Peary 1985, S. 47).
Abb. 23: Die Hunde des Siegers (Peary 1910)
Niemand zuvor hatte so viele Hunde auf die Reise zum Pol mitgenommen wie Commander Peary. Er hatte nicht weniger als 246 Hunde an Bord, die sein Schiff zu einer heulenden und stinkenden Hölle gemacht hatten. Als sie den Ausgangspunkt der Schlittenfahrt zum Pol erreicht hatten, wurden die Hunde einfach über Bord auf das Eis geworfen, und in wenigen Minuten war die Küste nach allen Seiten hin mit ihnen übersät. Sie wälzten sich im Schnee, bellten und sprangen umher (Peary 1985, S. 66). Die Eski-
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mos banden die Hunde in Rudeln zu fünf oder sechs an Pfähle, die in den Felsgrund an der Küste oder in Löcher auf dem Eise getrieben worden waren. Vom Schiff aus bot sich ein prächtiges Bild, und das Bellen der Hunde war in jeder Stunde zu hören (Peary 1985, S. 72). Der Grundgedanke von Pearys Plan zur Erreichung des Nordpols war, dass genügend Hunde bereitstehen mussten, um einen Verlust von sechzig Prozent durch Tod und Unfälle auszuhalten (Peary 1985, S. 122). Als er schließlich im Februar 1909 vom Kap Columbia zum Pol aufbrach, waren es insgesamt 24 Männer, 19 Schlitten und 133 Hunde, die ihn begleiteten. Nach einem genau festgelegten Plan sollte nur die Hauptgruppe, bestehend noch aus sechs Männern, vierzig Hunden und fünf Schlitten, den Pol erreichen. Alle anderen waren nur Hilfsmannschaften, die bis zur äußersten Grenze ausgenutzt wurden, um die Hauptgruppe frisch zu halten, die einen möglichst weit vorgeschobenen Punkt erreichen sollte. Als Peary diesen Punkt bei 87° 47´ erreicht hatte, suchte er sich aus allen übrig gebliebenen Gespannen die besten Hunde heraus. Daher besaß er für den Gewaltmarsch am Schluss ganz frische Tiere: „Was unsere Hunde anbetrifft, waren fast alle mächtige Rüden, hart wie Eisen und in guter Verfassung. Keiner trug ein Lot überflüssiges Fett. Auch waren die Tiere infolge der Sorgfalt, die wir ihnen gewidmet hatten, bei bester Laune. Meine Vorräte an Nahrungsmitteln und Brennmaterial reichten für vierzig Tage. Wenn wir die Hunde einen nach dem anderen töteten und ihr Fleisch als Reservenahrung benutzten, hätten unsere Vorräte auch für fünfzig Tage ausgereicht, falls wir in eine Notlage gerieten. An jenem Rasttage, dem 1. April, besserten die Eskimos unsere Schlitten aus. Sie unterbrachen diese Tätigkeit von Zeit zu Zeit, um etwas gekochtes Hundefleisch zu essen ... Es bot ihnen eine Abwechslung gegenüber der Pemmikan-Diät. Sie bekamen frisches Fleisch, es war heiß, und sie schienen es ganz zu genießen. Ich konnte mich an manche schlimme Zeit erinnern, als ich fast verhungert wäre. Damals wäre ich froh gewesen, wenn ich nur rohes Hundefleisch gehabt hätte. Trotzdem spürte ich jetzt keinen Appetit, mich an diesem Festessen meiner braunen Freunde zu beteiligen“ (Peary 1985, S. 162 f.). Bei der nun folgenden Etappe erweckten die Hunde den Anschein, „als wären sie von der Begeisterung der Expedition ergriffen. Einige Tiere warfen sogar den Kopf in die Höhe: Sie bellten und kläfften, während sie dahintrotteten“ (Peary 1985, S. 173). 44 Lebewesen erreichten den Nordpol. Davon waren 38 Hunde, ohne die, wie Peary zugeben musste, kein einziger von den Menschen so weit gekommen wäre.
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Scotts tödlicher Fehler: Ponys statt Hunde Die Eroberung des Südpols war ebenfalls ein Konkurrenzkampf zwischen zwei ehrgeizigen Männern: dem englischen Kapitän Scott und dem Norweger Roald Amundsen. Kapitän Scott brach als Erster am 1. Juni 1910 mit seinem Schiff „Terra Nova“ von London auf. An Bord hatte er 15 mandschurische Ponys mit 5000 Kilo Futter und 33 Hunden. Ausgenommen von zweien waren alle Hunde sibirischen Ursprungs. Der Führer der Hundeabteilung hatte sie ausgesucht und quer durch Sibirien nach Wladiwostok getrieben, von wo er sie mit einem Dampfer nach Neuseeland brachte. Während die Ponys im Schiffsinneren auf engstem Raum untergebracht waren, wurden die Hunde an Deck im Freien an Pfosten und Riegeln angekettet. „Ihre Lage“, schreibt Scott in seinem Tagebuch, „ist nicht eben beneidenswert; die Wellen brechen sich unaufhörlich an der Wetterseite des Schiffs, und das Spritzwasser regnet aufs Mitteldeck in dichten Wolken herunter. Die Schwänze diesem Regen zugekehrt, sitzen die Hunde trübselig umher, ihre Decken triefen, und ab und zu lässt einer ein wehmütiges Winseln hören. Ihre Nahrung, ungefähr 5 Tonnen Hundekuchen, ist allenthalben in die Lücken zwischen dem Gepäck eingekeilt“ (Scott 1913, S. 4). Als die „Terra Nova“ das Winterquartier am Kap Evans erreicht hatte, wurden zuerst die Ponys und dann die Hunde ausgeladen. Kaum auf dem Eisfeld gelandet, begannen die Hunde sofort Jagd auf die sorglos herumwatschelnden Pinguine zu machen. Am Abend lagen sie dann an langer Kette angebunden, zusammengerollt im Ufersand und schienen sich zum ersten Mal wieder wohl zu fühlen. Beim Anlegen des großen Depots für den Rückmarsch hielten sich die Hunde ausgezeichnet. Sie brachten zweimal schwere Lasten ins Landesinnere und legten auf diese Weise an einem Tag 45 Kilometer zurück. Nur gelegentlich entstand ein Chaos: Wenn sie Seehunde witterten, waren sie wie toll; dabei lagen Robben zu Hunderten umher und reckten oft urplötzlich aus einem Luftloch im Eis ein paar Meter vor dem Gespann ihren Kopf heraus. Sofort stürmten auch schon die Hunde darauf los. Wenn dann der Schlittenführer mit der Peitsche dazwischenfuhr, verwickelten sich Geschirre und Leinen, und während er sie wieder zu entwirren suchte, sauste auf einmal das ganze Gespann davon; er konnte höchstens eine Leine oder eine Ecke des Schlittens erwischen und wurde nun mitgeschleift, bis die Hunde des Galopps überdrüssig waren (Scott 1913, S. 67). Scott hatte aber auch die Gelegenheit, die ausgeprägten sozialen Verhaltensweisen der Schlittenhunde zu beobachten: „Mukaka, ein kleines, aber tüchtiges und drolliges Tier, bildet mit einem faulen, sehr gefräßigen Hund namens Nugis ein Paar. Jedesmal, wenn der temperamentvolle Mukaka be-
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merkt, daß sein Nachbar nicht zieht, springt er über die Leine, beißt ihn schnell wie der Blitz und ist schon wieder an seinem Platz, ehe der faule Kamerad weiß, wie ihm geschehen ist“ (Scott 1913, S. 72). Aber nicht immer ging es bei den Hunden so friedlich zu: „Im Geschirr sind die Tiere gewöhnlich gute Freunde; sie ziehen Seite an Seite, reiben sich mit den Schultern aneinander, der eine schreitet über den andern weg, wenn er sich legen will, alles ist friedlich und ruhig. Aber sobald das Futter winkt, erwacht ihre Leidenschaft; jeder beargwöhnt den Nachbar, und der kleinste Umstand veranlasst eine allgemeine Beißerei. Mit gleicher Plötzlichkeit kann sich auch während des Marsches ihre Wut entflammen; ein Gespann läuft mit Schwanzwedeln einträchtig daher – im nächsten Augenblick ist es ein Knäuel wilder, bissiger Teufel.“ Diese „abschreckenden Züge“ erleichterten Scott das Bewusstsein, dass man zur Durchführung menschlicher Pläne wie die Erreichung des Südpols „tierisches Leben opfern muß“ (Scott 1913, S. 71 f.). Am 1. November 1911 erfolgte der Aufbruch zum Südpol, der von allem Anfang an durch Unglück gekennzeichnet war. Als Erstes versagten die zwei Motorschlitten, auf die Scott neben den Ponys die größten Hoffnungen gesetzt hatte. Bereits nach wenigen Tagen platzten bei beiden die Zylinder. Sie wurden stehen gelassen. Die Ponys ermüdeten sehr bald und mussten eins nach dem anderen geschlachtet werden. Je eins von ihnen lieferte vier Mahlzeiten für die Hunde. Bereits nach einem Monat waren sie von fünfzehn auf sieben reduziert. Am 5. Dezember setzte ein wütender Schneesturm ein. „Eine Minute im Freien, und man ist von Kopf bis zu Fuß damit bedeckt. Dabei ist die Temperatur so hoch, daß alles kleben bleibt. Die Ponys stehen tief im Schnee, und Kopf, Schwanz, Beine und jedes Fleckchen, das nicht durch die Decke geschützt wird, ist wie mit Eis überzogen. Die Schlitten sind fast unsichtbar, und hohe Schneewehen ragen über die Zelte“ (Scott 1913, S. 270). Am 9. Dezember besserte sich das Wetter, sodass die Expedition weiterziehen konnte – einem schweren Tag entgegen. Der entsetzliche Schneefall hatte den Weg unerträglich weich gemacht. Obwohl die armen, auf halbes Futter gesetzten Ponys erbarmungslos angetrieben wurden, behielt keines die Führung länger als ein paar Minuten (Scott 1913, S. 274). Abends um 8 waren die Ponys alle miteinander völlig fertig. Sie waren im tiefen Schnee immer wieder bis zum Bauch eingesunken. Scott hatte keine andere Wahl: „Wir haben alle Ponys erschossen! Die armen Tiere!“ (Scott 1913, S. 275). Die Hunde liefen trotz des schlechten Weges gut, aber Scott glaubte, ihnen auf solchem Schnee keine schweren Lasten aufbürden zu können. Zu seinem Erstaunen trugen aber dann beim Aufbruch aus dem Schlachthauslager am 10. Dezember die Hunde außer den Depotvorräten (90 Kilo) noch 270 Kilo weitere Lasten, die für die Strecke zum Pol gedacht waren. Trotz-
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dem ließ Scott am nächsten Tag um 3 Uhr, als sie das Presseis hinter sich hatten, Halt machen, abladen, alles auf drei Schlitten packen und zwei seiner Leute mit den Hunden umkehren. Da längs des Weges Futter niedergelegt war, hoffte er, dass sie gut nach Hause kommen würden, was tatsächlich auch der Fall war. Er selbst zog mit schwer beladenen Schlitten und vier Begleitern der größten Enttäuschung seines Lebens und dem eigenen Tod entgegen. Denn als sie endlich nach furchtbaren Anstrengungen schon fast den Südpol erreicht hatten, erblickten sie in der Ferne einen schwarzen Fleck in der Schnee- und Eiswüste: „Geradewegs marschierten wir darauf los, und was fanden wir? Eine schwarze, an einem Schlittenständer befestigte Flagge! In der Nähe ein verlassener Lagerplatz – Schlittengleise und Schneeschuhspuren kommend und gehend – und die deutlich erkennbaren Eindrücke von Hundepfoten – vieler Hundepfoten – das sagte alles. Die Norweger sind uns zuvorgekommen – Amundsen ist der erste am Pol! Eine furchtbare Enttäuschung“ (Scott 1913, S. 308 f.). Auf dem Rückweg starben Scott und alle seine Begleiter vor Hunger, Kälte und Erschöpfung. Die letzte Eintragung in Scotts Tagebuch am 29. März 1911 lautete: „Um Gottes willen – sorgt für unsere Hinterbliebenen!“ (Scott 1913, S. 349). Wenige Tage zuvor hatte er noch in verzweifelter Einsicht geschrieben: „Die Hunde hätten unsere Rettung sein können“ (Scott 1913, S. 344).
Die Hunde am Südpol: Amundsen „Der größte Unterschied zwischen meiner und Scotts Ausrüstung bestand ohne Zweifel darin, dass ich Hunde mitnahm, er aber nicht“ (Amundsen 1912, S. 155). Mit diesen Worten leitet Roald Amundsen seinen Bericht über die Eroberung des Südpols ein. Obgleich er diesen Teil der antarktischen Gegenden nie gesehen hatte, war er nach den ihm bekannten Beschreibungen davon überzeugt, dass sowohl Gelände als auch Bodenbeschaffenheit für die Verwendung von Eskimohunden geradezu ideal sein müssten. Wenn Peary eine „Wettfahrt“ im Nordpolareis mit Hunden hatte machen können, dann musste mit ebenso guten Tieren Pearys höchste Leistung auf der gleichmäßigen Oberfläche der südlichen Eisplatte überboten werden können. Voraussetzung allerdings war, dass zwischen Herrn und Hund sofort das richtige Verhältnis hergestellt werden musste: „Der Hund muss das Verständnis bekommen, dass er unweigerlich zu folgen hat, und der Herr muss sich in Ansehen zu setzen verstehen. Wenn dieses Verhältnis einmal fest hergestellt ist, dann ist der Hund bei den ungeheuren Entfernungen allen andere Tieren als Zugtier überlegen“ (Amundsen 1912, S. 156).
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Einen anderen, sehr wichtigen Vorteil bei der Benutzung von Hunden sieht Amundsen darin, dass diese kleineren Tiere viel leichter über die vielen Schneebrücken, die bei den zerklüfteten Gletschern nicht zu vermeiden sind, hinüberkommen: „Bricht ein Hund ein, so ist damit an sich noch kein Unglück geschehen, man packt ihn am Nacken, zieht, und er ist wieder oben. Ganz anders ist es beim Pony. Dieses verhältnismäßig große und schwere Tier bricht natürlich viel leichter durch, und wenn das Unglück erst geschehen ist, ist das Herausziehen eine äußerst schwierige, harte Arbeit, wohlgemerkt, wenn die Zugseile nicht etwa zerrissen sind und der Pony nicht auf dem Grunde einer 300 m tiefen Spalte liegt“ (Amundsen 1912, S. 156 f.). Ein weiterer, sehr einleuchtender Vorzug ist für Amundsen, dass der Hund mit Hunden gefüttert werden kann: „Man kann den Hundebestand allmählich vermindern, die weniger guten schlachten und die besseren damit ernähren. Auf diese Weise verschafft man den Auserwählten frisches Fleisch“ (Amundsen 1912, S. 157). Das größte Hindernis für die schweren Ponys musste jedoch der Übergang von der Eisplatte auf die Hochebene sein. Denn die Ponys das steile, zerrissene Gletschergelände hinaufzuziehen, davon konnte keine Rede sein. Das heißt aber, dass die Ponys am Fuß des Gletschers zurückgelassen werden mußten, was auch bei Scotts Expedition der Fall war. Das „Schlachthauslager“ befand sich ja noch unterhalb des Gletschers. Als Amundsen daher seinen Plan zur Ausrüstung seiner Expedition entwarf, hatte er keinen Zweifel an der Überlegenheit der Hunde. Ursprünglich sollte seine Reise, auf der er Nansens Schiff „Fram“ benützte, der Erforschung des Nordpolarbeckens dienen. Als jedoch Amundsen im September 1909 die Nachricht von der Erreichung des Nordpols erfuhr, änderte er im Geheimen radikal seinen Plan. Bei der Abfahrt der „Fram“ aus Norwegen am 7. Juni 1910 kannte niemand außer seinem Bruder und einige Vertraute sein wirkliches Ziel. Mitten während der Fahrt ließ er den Kiel seines Schiffes nach Süden wenden. Die Mannschaft war mit der Änderung seines Planes völlig einverstanden. Die einzige Frage, die auch die Öffentlichkeit bewegte, war jedoch, ob die 97 in Norwegen an Bord genommenen nordischen Schlittenhunde die Fahrt durch die Tropen nach dem 30 000 km entfernten neuen Ziel ertragen könnten. Man sprach von Tierquälerei und befürchtete, dass der größte Teil der Hunde in der Tropenhitze zugrunde gehen und der Rest von den hereinstürzenden Wogen über Bord geschwemmt werden könnte. Aber nichts dergleichen geschah. Vielmehr hatte sich der Bestand der Hunde bedeutend vermehrt. Nach dem Bericht des Kapitäns der „Fram“ starben nur vier Hunde. Der eine wurde eines Tages tot aufgefunden, ohne dass die Ursache seines Todes herauszubringen war; eine Hündin verendete an Entkräftung, nachdem sie ihre Jungen auf die Welt gebracht
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hatte, und zwei gingen in einer Nacht, als das Schiff heftig rollte, über Bord. Sie wurden erst im Laufe des nächsten Tages vermisst, als sie gefüttert werden sollten. Dafür brachten alle 12 Hündinnen an Bord Junge zur Welt, im Ganzen 80 Stück. Da aber nicht so viele gebraucht und auch nicht so viele behalten werden konnten, wurden von den Neugeborenen, alle, die weiblichen Geschlechts waren, über Bord geworfen und nur 20 männliche am Leben gelassen. Um die Hunde gegen Feuchtigkeit und Hitze zu schützen, wurde ein loses Deck von 8 cm dicken gehobelten Brettern über das feste Deck gezimmert. Dadurch wurde erreicht, dass der Regen und das hereinspritzende Seewasser unter den Hunden weglief. So waren sie vor dem Wasser geschützt, das auf dem Wege nach dem südlichen Eismeer auf einem schwer beladenen Schiffe unvermeidlich herumläuft. Auf der Fahrt durch die Tropen war dieses Deck sogar von doppeltem Nutzen. Es bot immer eine etwas abgekühlte Oberfläche, weil stets ein frischer, kühler Luftstrom zwischen den beiden Decks hindurch zog. Das Hauptdeck, das eine Art Teerbelag hatte, wäre für die Hunde unerträglich heiß geworden. Außerdem wurden Sonnensegel über das ganze Schiff gespannt, um die Tiere beständig vor der glühenden Hitze zu bewahren. Durch diese Fürsorge gelang es Amundsen und seiner Mannschaft, die Hunde nicht nur gut bis zu ihrem Ziel hinzubringen, sondern sie auch noch viel frischer und kräftiger, als sie bei der Einschiffung waren, an Land zu setzen. Insgesamt waren es 115 Hunde, die schließlich an ihrem Ziel, der antarktischen Eisplatte, wohlbehalten ankamen. „Zuerst und zuletzt die Hunde!“ Das war die Losung, die für die gesamte Schiffsreise galt. Die Hunde, die in der ersten Zeit beständig auf dem gleichen Fleck angebunden waren, wurden in Gruppen von je zehn eingeteilt. Jede Abteilung erhielt einen oder zwei Wächter, die für ihre Tiere die volle Verantwortung trugen und sie auch vollständig zu versorgen hatten. Amundsen selbst übernahm 14 Hunde oben auf der Kommandobrücke. Die Fütterung der Tiere war eine Aufgabe, die die Anwesenheit aller auf Deck verlangte und die deshalb beim Wachwechsel vorgenommen wurde. Das Hauptvergnügen der Polarhunde besteht nach den Erfahrungen von Amundsen darin, „so viel in sich hineinzufressen als nur möglich, und man kann mit vollem Recht behaupten, dass der Weg zum Herzen des Polarhunds durch den Magen gehe“ (Amundsen 1912, S. 202). In Übereinstimmung mit dieser Behauptung behandelte dann auch jeder von der Mannschaft seine Hunde. Schon nach wenigen Tagen waren die einzelnen Abteilungen und ihre Wächter die besten Freunde. Die Zuneigung der Hunde zu gewinnen war nicht schwer und kostete sehr wenig Zeit. Ihre Freude und Dankbarkeit war wirklich rührend, wenn man sich nur ein bisschen mit ihnen abgab: „Die erste Begrüßung am Morgen hatte einen besonders herz-
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lichen Charakter. Ihre Gefühle machten sich da meist in einem einstimmigen Freudengeheul Luft, das schon bei unserem ersten Erscheinen ausbrach. Aber sie verlangten mehr, als uns nur zu sehen, und gaben keine Ruhe, bis man bei allen herumgegangen war und jeden einzelnen gestreichelt und getätschelt oder ein paar freundliche Worte zu ihm gesprochen hatte; übersah man einmal einen, so gab er sofort die unzweideutigsten Beweise seiner Enttäuschung“ (Amundsen 1912, S. 203 f.). Aus diesem Verhalten zog Amundsen eine Schlussfolgerung, die umso bemerkenswerter ist, wenn man sie der grausamen und kannibalischen Behandlung gegenüberstellt, welche die Hunde auf dem Marsch zum Pol erleiden sollten: „Es gibt wohl kaum ein Tier, das seine Gefühle in dem Grad ausdrücken kann, wie der Hund. Freude, Schmerz, Dankbarkeit, Gewissensbisse spiegeln sich mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit in seinem ganzen Benehmen wider. Wir Menschen huldigen so gerne der Auffassung, die einzigen zu sein, die eine lebendige Seele ihr Eigen nennen. Die Augen, heißt es, sind der Spiegel der Seele. Das ist alles schön und gut. Aber schaut euch einmal diese Hundeaugen an, studiert sie genau! Wie oft sieht man da etwas wahrhaft ‚Menschliches‘ in ihrem Ausdruck, ja ganz dieselben Abstufungen, die man im menschlichen Blick wahrnimmt, und jedenfalls denkt man dabei unwillkürlich an den Ausdruck ‚seelenvoll‘“ (Amundsen 1912, S. 204). Diese Zuneigung und Hilfsbereitschaft bewahrten sich die Hunde auch in der Eiswüste der Antarktis. „Wenn man dann morgens um sechs Uhr aus dem Zelt trat“, berichtet Amundsen, „wurde man sofort mit einem wahren Jubelgeheul von seinen eigenen zwölf Hunden empfangen. Sie bellten und kläfften um die Wette, rissen und zerrten an den Ketten, sprangen und drehten sich im Kreise vor lauter Freude. Dann machte man wohl zuerst die Runde bei ihnen, begrüßte jeden einzelnen, streichelte und liebkoste sie und plauderte ein bisschen mit ihnen. Es waren prächtige Tiere! Wer geliebkost wurde, trug alle Zeichen von Wohlbehagen zur Schau; kein noch so gefühlvolles, zärtliches Haustier daheim könnte eine größere Hingabe und Liebe an den Tag legen als diese gezähmten Wölfe. Indessen aber kläfften und jaulten die andern, rissen und zerrten an den Ketten, um loszukommen und sich auf den zu stürzen, der eben geliebkost wurde. Ja, eifersüchtig sind sie, und zwar in allerhöchstem Grad! Wenn man ihnen so guten Morgen gewünscht hatte, wurden die Geschirre geholt, und da brach der Jubel von neuem los. So merkwürdig es auch klingt, ich kann versichern, dass diese Tiere ihr Geschirr lieben. Obgleich sie wissen müssen, dass es Arbeit und Mühe für sie bedeutet, legen sie doch ihr Entzücken deutlich an den Tag. Ich muss indes beifügen, dass dies nur in vertrauten Verhältnissen der Fall ist; lange mühsame Schlittenfahrten verändern die Verhältnisse vollständig“ (Amundsen 1912, S. 285 f.).
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Gerade diese mühsamen Schlittenfahrten standen jedoch den Hunden bevor, als die Expedition den Rand des Gletschers erreichte, über den der Weg auf die Hochfläche des Südpols führte. Die Entfernung von dort aus bis zum Pol und wieder zurück betrug 1110 km. Um diese Tour sicher zu überleben, dachte sich Amundsen einen ebenso erfolgreichen wie grausamen Plan aus: „Mit dem Aufstieg, den wir vor uns sahen, mit anderen unvorhergesehenen Hindernissen und schließlich mit der sicheren Tatsache vor Augen, dass unsere Hundekräfte nun auf einen Bruchteil des bisherigen verringert werden mussten, beschlossen wir, für 60 Tage Lebensmittel nebst Ausrüstung auf die Schlitten zu laden und den Rest – genügend für 30 Tage – in dem Vorratslager zurückzulassen. Nach der Erfahrung, die wir bisher gemacht hatten, rechneten wir uns aus, dass wir imstande sein müssten, von hier an mit 12 Hunden durchzukommen. Jetzt hatten wir 42 Hunde, die alle bis zur Hochebene gebracht werden sollten. Dort wollten wir 24 schlachten und die Reise mit 3 Schlitten und 18 Hunden fortsetzen. Von diesen 18 mussten nach unserer Annahme auch noch 6 geschlachtet werden, wenn wir die übrigen 12 wieder hierher zurückbringen wollten. Je weniger Hunde wir hatten, desto leichter wurde auch das Gewicht der Schlitten, und wenn wir nur noch 12 Hunde hatten, ließ sich auch die Zahl unserer Schlitten auf zwei verringern“ (Amundsen 1912, S. 536). Am Fuß der Hochebene angelangt, wurde ein Lager aufgeschlagen. Wer noch immer an dem ursprünglichen Raubtiercharakter des Mörderaffen, der in uns Menschen steckt, zweifelt, muss sich durch folgende Aussagen Amundsens eines Besseren belehren lassen: „Bei dem Gedanken an die frischen Hundekoteletts, die uns nach der Ankunft oben erwarteten, lief uns schon das Wasser im Munde zusammen. Wir hatten uns mit der Zeit so mit dem Gedanken an diesen bevorstehenden Schlachttag vertraut gemacht, dass dieses Ereignis nicht als etwas Grässliches vor uns stand, wie es doch sonst der Fall gewesen wäre. Die Rechnung war ja jetzt abgeschlossen und bestimmt, welche von den Hunden sich eines längeren Lebens verdient gemacht hätten und welche geopfert werden sollten. Die Entscheidung war übrigens sehr schwer gewesen, denn alle miteinander waren flink und tüchtig“ (Amundsen 1912, S. 556 f.). Ihre Tüchtigkeit bewiesen die Hunde beim Aufstieg auf das Hochplateau. An einem Tag wurden 31 Kilometer mit einem Höhenunterschied von 1600 m zurückgelegt. Am Abend mussten dann entsprechend dem grausamen Plan 24 von diesen tüchtigen und treuen Gefährten den Tod erleiden: „Das war hart, aber es musste sein. Darin stimmten wir alle überein, dass nichts gescheut werden durfte, was zur Erreichung unseres Zieles beitragen konnte. So war ausgemacht worden, dass jeder diejenigen von seinen Hunden, die zum Tod verurteilt worden waren, selbst erschießen sollte.“ Nur Amundsen selbst blieb im Zelt und versuchte dort so viel Lärm wie mög-
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lich zu machen, um die Schüsse nicht hören zu müssen: „Jetzt knallte der erste Schuss. Ich bin sonst nicht nervös“, schrieb er, „aber ich muss gestehen, da fuhr ich zusammen. Dann folgte Schuss auf Schuss – unheimlich klangen sie durch die weite Einsamkeit. Bei jedem verlor ein treuer Diener sein Leben“ (Amundsen 1912, S. 561). Während die übrig gebliebenen Hunde die noch warmen Eingeweide ihrer getöteten Kameraden fraßen, hielten sich ihre Schlächter am ersten Abend noch im Zaum. Es war ihnen zuwider, sich sofort über ihre vierfüßigen Freunde herzumachen und sie zu verzehren, ehe sie noch kalt geworden waren. Doch sehr schnell sollte sich ihre Ansicht ändern und bald dachte die ganze Mannschaft nur noch an Hundelendenbraten, Rippchen und Ähnliches. Als der Südpol schließlich erreicht worden war, musste noch ein weiterer Hund sein Leben lassen. Ein Schlag auf den Kopf und er hatte aufgehört zu leben. Das Sprichwort „Des einen Tod, des anderen Brot“ kann, schreibt Amundsen, seltener richtiger angewendet werden als bei diesen Hundemahlzeiten. Denn ein paar Stunden später waren von dem getöteten Hund nur noch die Zähne und die Schwanzspitze übrig. Als die Polfahrer nach 99 Tagen, in denen sie 3000 km zurückgelegt hatten, wieder an ihrem Ausgangslager an der Eisplatte ankamen, waren noch elf Hunde übrig. Alle Menschen, aber auch die Tiere strotzen vor Gesundheit, denn sie hatten sich ja auf dem Rückweg mit dem in Depots aufbewahrten Fleisch ihrer Kameraden die Mägen füllen können.
Die Eroberung des Weltraums Lange bevor alle weißen Flecken auf den Landkarten der Erde verschwunden waren, richtete sich der Eroberungsgeist des Menschen auf das Weltall und die anderen Himmelskörper. In solchen Phantasien spielten Hunde als ständige Begleiter des Menschen eine wichtige Rolle. Nicht ohne diese treuen Begleiter dachte sich auch Jules Verne die erste Raumfahrt zum Mond. Die Jagdhündin Diana und der Neufundländer Trabant waren mit von der Partie, an der noch drei Menschen – ein Franzose und zwei Amerikaner – teilnahmen. Während Trabant den Abschuss des Projektils nicht überlebte, kehrte Diana mit den drei menschlichen Kosmonauten in Jules Vernes >Reise um den Mond< wohlbehalten auf die Erde zurück. Die Wirklichkeit sah jedoch ganz anders aus: Bevor sich überhaupt ein Mensch ins Weltall wagen konnte, wurden Hunde in der damaligen Sowjetunion – insgesamt zwölf an der Zahl – von Raketen in große Höhen getragen, um den Einfluss der hohen Geschwindigkeit und der kosmischen Strahlung auf den Organismus zu erforschen. Untergebracht waren sie in den hermetisch abgeschlossenen Kopfteilen der Raketen. Während des Flu-
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Abb. 24: Phantasie: Das Innere des Projektils (aus Jules Verne 1865)
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ges registrierten automatische Messgeräte die Puls- und Atemtätigkeit der Hunde. Die Rekordhöhe, die man mit diesen Raketen erreichte, war 110 Kilometer. In diese Höhe wurden der Spitz Albina und der Bastard Pimperling hinaufgeschossen und mit einer Anfangsgeschwindigkeit von 700 Metern in der Sekunde aus der Rakete herausgeschleudert. Fallschirme trugen die Tiere zur Erde zurück. Bei Albina öffnete er sich drei Sekunden nach dem Abschuss. Etwa eine Stunde lang war der Hund allen Einwirkungen der oberen Schichten der Atmosphäre ausgesetzt. Bei Pimperling öffnete sich der Schirm erst drei Kilometer über dem Boden. Verendet ist keines der Versuchstiere, und bei keinem blieben Schockwirkungen zurück. Blutdruck, Atmung, Herztätigkeit waren annähernd normal, als sie sich wieder auf der Erde befanden. Als schließlich die Konstruktion einer mehrstöckigen Rakete gelang, die ein Lebewesen ins All tragen konnte, war es weder ein Mensch noch, wie es später den Amerikanern gelang, ein Affe, sondern die sibirische Hündin Leika, die die einzige Besatzung dieser Rakete darstellte. Während jedoch die anderen Hunde aus den obersten Schichten der Atmosphäre der Erde mit einem Fallschirm zurückkehren konnten, war dieser erste Flug eines Lebewesens ins Weltall ein „Himmelfahrtskommando“ im wahrsten Sinn des Wortes. Denn die beiden künstlichen Erdsatelliten Sputnik 1 und Sputnik 2, mit denen es den Wissenschaftlern der Sowjetunion gelang, als erste in den Weltraum einzudringen, waren von vornherein auf eine Rückkehr zur Erde nicht eingerichtet. Der erste Sputnik, der am 4. Oktober 1957 gestartet war, hatte eine Lebensdauer von 92 Tagen. Er hatte die Form einer Kugel mit einem Durchmesser von 58 cm. Seine Masse betrug 83,6 kg; er war aus Aluminiumlegierung gefertigt, seine Oberfläche war poliert und einer Spezialbearbeitung unterzogen worden. Die Kugel enthielt sämtliche Geräte einschließlich der Stromquellen sowie zwei Funksender. An der Außenfläche waren vier Stabantennen angebracht. Am 3. November 1957 wurde der zweite künstliche Erdtrabant gestartet. Er hatte eine Masse von 508,3 kg, d.h., er war sechsmal größer als der erste. Im Unterschied zum ersten bildete der zweite Sputnik die letzte Stufe einer Trägerrakete. In dieser Stufe war die gesamte wissenschaftliche Apparatur untergebracht. Sie enthielt Geräte zur Erforschung der Ultraviolett- und Röntgenstrahlung, einen kugelförmigen Behälter mit den Funksendern und anderen Geräten und eine hermetisch abgeschlossene Kabine mit einem Versuchstier, dem Hund Laika (vgl. Abb. 25). Die Geräte und der Behälter waren während des Fluges in den dichten Schichten der Atmosphäre durch einen Schutzmantel gegen aerodynamische und thermische Einwirkungen geschützt. Nachdem die letzte Stufe der Rakete ihre Umlaufbahn erreicht hatte, wurde dieser Schutzmantel abge-
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Abb. 25: Wirklichkeit: Zweiter sowjetischer Erdsatellit mit Leika (aus Sworykin u. a. 1967)
worfen. Die mit einer Spezialapparatur zur Messung der physiologischen Funktionen des Tieres ausgerüstete Kabine gewährleistete mit Hilfe des Funkmesssystems die Registrierung der Puls- und Atemfrequenz des Tieres, der Höhe des Blutdruckes in den Arterien, des Biopotentials des Herzens, der Temperatur und des Luftdruckes in der Kabine u. a. Das umfassende Material, das man durch die an dem Versuchstier angestellten Beobachtungen erhielt, war eine wichtige Grundlage für die damals erst bevorstehenden Raumflüge von Menschen (vgl. Sworykin et al. 1967, S. 508 f.). Der künstliche Erdsatellit umkreiste 2370-mal die Erde und legte dabei eine Entfernung von mehr als 100 Millionen Kilometer zurück. Als seine Energiequellen nach fünf Monaten zu Ende gingen und er bei seinem Absturz in der Erdatmosphäre verglühte, war Leika schon längst nicht mehr am Leben. Sie war bereits nach acht Tagen an Sauerstoffmangel gestorben.
9. Schluss: Die Seele des Hundes Obwohl es heutzutage Millionen von Hunden auf dieser Erde gibt, ist ihr „Gebrauchswert“ als Überlebenshilfe, als Jäger, Wächter und Kampfgefährte im Krieg oder in der Verbrechensbekämpfung zurückgegangen oder ganz verschwunden. Elektrische Alarmanlagen und Meldesysteme ersetzen mehr und mehr die Wach- und Schutzdienste der Hunde und die Jägerei dient in den zivilisierten Ländern schon längst nicht mehr dem Lebensunterhalt des Menschen. Die Pole der Erde kann heutzutage jeder stubenhockende Tourist mit dem Flugzeug erreichen und auch die Weltallforschung braucht keine Hunde mehr. Der Wert des Hundes für den Menschen ist heutzutage ein „rein seelischer“, heißt es bei Lorenz. Umso mehr stellt sich daher die Frage nach der Seele des Hundes, von der Lorenz selbst die bekannte und viel zitierte Aussage getroffen hat: „Dasjenige unter allen nicht-menschlichen Lebewesen, dessen Seelenleben in Hinsicht auf soziales Verhalten, auf Feinheit der Empfindungen und auf die Fähigkeit zu wahrer Freundschaft dem des Menschen am nächsten kommt, also das im menschlichen Sinne edelste aller Tiere, ist eine Hündin“ (Lorenz 1991). Dass wir Menschen eine Seele haben, denken und fühlen können, hat zu keiner Zeit selbst der strengste Materialist geleugnet. Aber die Antwort auf die Frage, ob Hunde denken und fühlen können so wie wir, ist deswegen so schwer zu beantworten, weil diese alltagssprachlichen Begriffe nicht genau definiert sind. Deswegen hat man sich seit jeher in die Fachsprache der wissenschaftlichen Verhaltensforschung oder der praktischen Kynologie geflüchtet. Man spricht von einer „Wesensanalyse“, vor allem bei jungen Hunden, um ihre angeborenen speziellen Veranlagungen für besondere Instinktleistungen erkennen und beurteilen zu können. Dazu wurden bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ganze Testbatterien entwickelt, um die einer komplizierten Leistungseigenschaft zugrunde liegende „Wesensveranlagung“ aufdecken zu können. Man hat erkannt, dass viele, besonders für die Zucht von Gebrauchshunden geschätzte Leistungsanlagen wie „Spüreifer“, „Härte“, „Führigkeit“, „Schutztrieb“, „Kampftrieb“, „Schärfe“ usw. zusammengesetzte Eigenschaften sind, die auch in unterschiedlicher Weise miteinander kombiniert werden können. Zu diesen komplexen Kombinationen von Erbanlagen kommt aber noch der meist unterschätzte Einfluss der Umwelt und der sozialen Mitwelt hinzu, der jedem Hund seine eigene und unverwechselbare Individualität verleiht. Aus diesem Grund hatte auch jeder ein-
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zelne Hund der Hundemeute der Polarforscher seinen Namen, obwohl sie nur benutzt wurden, um ein ehrgeiziges Ziel zu erreichen, und dabei fast alle elend zugrunde gingen. Die viele Jahrtausende dauernde Geschichte der Überlebensgemeinschaft von Hund und Mensch, die nicht nur von beiderseitiger Freundschaft und Liebe, sondern auch von Grausamkeit und Unbarmherzigkeit von Seiten des Menschen und Leiden und Tod von Seiten des Hundes gekennzeichnet ist, lässt uns ahnen, wie beschaffen die Seele des Hundes ist. Sie ist sicher eine dem Menschen verwandte Seele, nicht nur weil sie sich an den Menschen angepasst, sondern auch weil sie die Menschenseele beeinflusst hat und es noch immer tut, sodass selbst bei Verbrechern und Menschenhassern sich ein Funken von Menschlichkeit zeigt, wenn sie sich ihren Hunden zuwenden. Selbst dann, wenn es nicht wahr sein sollte, dass der Mensch sein Sozialverhalten vom Hund übernommen hat, bleibt genug übrig, um die Behauptung zu rechtfertigen, dass wir ohne seine Hilfe kaum so weit gekommen wären, wo wir heute sind.
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Register Namen Albina 176 Alexander der Große 86 f., 89, 144 Alkmaion von Kroton 131 Amundsen, R. 169 ff. Argos 64 f., 76 Aristoteles 67 ff., 89 Arrian 72 ff. Artaxerxes 68, 72 Avila, Pedro Arías de 94 Bacon, Francis 28 Barry 121f. Bartholinus, Th. 16 Bauer, H. 139 Beckmann, G. 57 f., 125, 148 Beckmann, L. 58, 62 ff., 88, 106 Beckmann, S. 57 f., 125, 148 Bentham, Jeremy 130 f. Bernard, Claude 138 Bernardin de St. Pierre 148 Bernhard von Menthon 120 Blomquist, A. J. 140 f. Bora, Katharina von 126 Boyle, Robert 130 Brehm, Alfred Edmund 9, 28 f., 51 ff., 82 f., 94, 96, 113, 116 ff., 143, 159 Bridgeman, Laura 30 Büchner, Ludwig 28 Buffon, Georg Louis Leclerc 9, 43ff., 146 f. Burns 28 Byrne, R. 38 Caesar 89 Cajus, Dr. 88 Catlin, George 50, 148 Cato 76 Chanca, Diego Alvarez 93 f. Claudius Claudianus 87 Collinson 54 Colombo, R. 129
Columbus, Bartolomé 93 Columbus, Chr. 92 ff. Columella 77 f. Cook, Frederick A. 161ff. Cook, James 118, 153, 159 Coren, Stanley 15, 20, 22, 29, 32, 125 Crescentius 73 Creytz, A. v. 102, 106 ff., 111 Curtius Rufus 86 ff., 90 Cuvier, G. 37 Dalziel, Hugh 113 Dart, Raymond A. 39 Darwin, Charles 9, 25 ff., 32, 37, 43, 62, 132, 146 Daumas, General 82 De Long 157 De Wale, Jan 15 f. Demichow, Wladimir Petrowitsch 141 Descartes, René 13 f., 17, 32 Diana 174 Dörner, Ch. H. 72 Drummer 99 Dschingis Khan 49 Emin Pascha 153 Esquivel, Juan de 94 Feddersen-Petersen, D. 32 Fitzinger, Leopold Jos. 37, 149 Floeßel, E. 19, 76, 79 ff., 116, 123 Fontenelle, Bernard Le Bovier de 15 Fox, M. 57 Fortuné 126 Franz von Assisi 124 Friedrich der Große 144 Fritsch, Gustav 139 Galen 143 Gardner, Howard 32
Register Gassendi, Pierre 17 Gebhardt, H. 33, 104, 107, 110, 112 Gilboe, D. D. 140 f. Goodall, Jane 38 Goya 126 Griffin, D. R. 13, 23 f., 33, 35 Grossman, L. 100, 102, 104 Guzmán, Nuño de 95 Hackländer 59 Harnad, S. 23 Harvey, William 15, 129 f. Hediger, H. 32 Hegel, G. W. F. 66 Herodot 62, 85 f. Herre, W. 56 Hippokrates 143 Hitler, A. 104, 144 Hitzig, Eduard 139 Hodgson, B. H. 57 Homer 64, 67 Hooke, Robert 130 Hume, David 13 Humphrey, Nicholas 41 Hutchinson 89 Jacky 114 Johansen 161 Joy 139 Jubinal 155 ff. Kambyses 62, 85 Kant, Immanuel 130 Karl der Große 79, 105 Kleopatra 125 Knoche, B. 100, 116, 123, 125, 143 ff. Kraemer 86 Krebs, J. R. 33 Kreitner, Gustav 90 ff. Kvik 158, 161 Kyros 86, 72 Lamarck, Jean 37, 43 Landseer 126 Las Casas, Bartolomé de 94 ff. Lausch, E. 142 Layard 86
187
Leibniz, G. W. 18 Leika 176 f. Linné, Carl von 9, 42 f., 89 Liselotte von der Pfalz 126 Livingston, David 152 Loeb, Jacques 24, 33 London, Jack 53 Lorenz, Konrad 8 ff., 32, 345, 37, 65 f., 178 Lower, Richard 130 Lubbock, John 29 ff. Luther, M. 126 Mabel 152 Maehle, A.-H. 130 Mahmud, Sultan 59 Malebranche, Nicole 15 Maria Theresia 126 Marie Antoinette 127 Marx, Karl 66 Masson, J. M. 24 Mech, L. D. 33 Menzel, R. und Menzel, R. 58 Merian, Matthäus 124 Mignard 126 Moustache 97 Mohammed Achmed ibn Abdullahi 153 Morgan, Lloyd 24 Moro 126 Most, K. 109, 112 Mowat, Farlet 53 Müller, Max 28 Mukaka 167 Munk, Hermann 139 Nansen, Fritjof 154, 157 ff., 165 Napoleon Bonaparte 97 f., 126 Nobis, G. 37 Nugis 167 Oberländer 83 Ockham 24 Odysseus 64 f., 67, 76 Oeser, E. 24, 40, 42, 64, 129, 132 Ojeda, Alonso de 93 Oldfield 146 Oswald, F. 103
188 Palma Vecchio 126 Parry 118 Pasteur, Louis 133 Pawlow, Iwan Petrowitsch 143 ff. Payer, Julius 154 ff. Peary, Robert Edwin 161, 164 ff., 169 Pekel 156 Penelope 64 Pfungst, Oskar 22 Pimpernel 176 Pinzón, Alonso Martín 92 Planitz, H. Edler v. d. 100 Platon 64 ff. Plesse, W. 135 Plinius 143 Plutarch 62 Polo, Marco 90 Popper, Karl 66 f. Porphyrius 149 Prohazka 99 Pythagoras 149 Radetzky 98 Randy 153 Rawlinson 85 Reynolds 126 Richardson, Edwin H. 102 Roux, Emile 133 Rubens 126 Ruperti, Marga 125 ff. Russell, Elizabeth 128 Rux, D. 135 Schaller, F. 40 Scheitlin 28 Schleidt, W. M. 9, 34, 37, 39, 124 Schopenhauer, Arthur 144 Schwappach, A. 83 Schweinfurth, G. 147 f. Scott, Robert 167 ff. Senglaub, K. 54 Sextus Empiricus 143, 149 Skasa-Weiss, E. 128 Skinner, B. F. 22 f. Snob 100 Sophites 86, 89
Register Sponti, Marquis de 54 Stanley, Henry Morton 152 ff. Stephanitz, Rittmeister von 103 f. Stephen, L. 28 Strabon 90 Strebel, R. 77, 88, 90, 113 f., 122 Studer, Th. 37, 57, 88 Suggen 161 Sumbu 155 Sworykin, A. A. 177 Széchenyi, Graf Bela 90 ff. Tizian 126 Tofino 98 Toroßy 155 f. Tröhler, U. 130 Trumler, E. 40 f. Tschudi, Friedrich von 121 Van Dyck 126 Varro, Marcus Terrentius 76 Vergil 89 Verne, Jules 20 f., 147 f. Veronese 126 Vesalius 129, 131 Victoria, Königin 99 Vilá, Carlos 37 Voltaire 16 f. Wale, Jan de 15 f. Watson, John 22 Watteau 126 Wayne, Robert 37 Wepfer, Johann Jakob 130 White, Robert J. 140 Whiten, R. A. 38 Willis, Thomas 16 Wotan 49 Wrangel, F. v. 116 Xenophon 68 ff., 77, 89 Xerxes 85 Zell, Th, 20 Zeuner, F. E. 50 Zimen, E. 36, 53 f., 56
Register
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Sachen Abrichtung 109 Abstammungsfrage 39, 57 Affen 9, 14, 25, 37 ff., 40, 66, 176 Ägypter 62 Alkoholiker 139 Alphatier 33 Alpine-Mastiff 122 Anekdoten 24 Anubis 62 Äquivalenztheorie 132 Araber 82 f. Arbeitshunde 105 Armeehund 100 Artentod 54 Assyrer 62 Artkonstanz 24 Auslese, natürliche 22 Australopithecus 39
Canis domesticus 43 Canis familiaris 42 f. Canis primaevus 57 Carnivore 11 Chien de berger 43 ff. Christenverfolgung 89 Comforter 126 Computer 23 Cuon alpinus 57
Babylonier 62 Bären 50 f., 68 Bastarde 54 ff. Bauernhunde 81 Begriffe, allgemeine 28 Behaviorismus 13, 22 Behindertenbegleithunde 143 f. Bergpredigt 50 Bernhardiner 120 ff. Besuchshunde 143 Beutegreifer 50 Bewusstsein 13 ff. Bischöfe 79 f. Blindenführhunde 124 f. Bluthunde 95 f. Blutkreislauf 15 f., 129 f. Bluttransfusion 130 Bracken 73 Büffel 49 f., 52 Büffelwölfe 52 Buldogge 114 Bullenbeißen 113 f. Bullterrier 114
Eigengeruch 111 Eichelmast 105 Elektroden 141 Elefant 87 Epilepsiehunde 144 Erklärungsprinzip, behavioristisches 23 –, evolutionistisches 22 Eskimos 119, 161 f., 165 f. Eskimohund 118 ff. Evolution 22 Evolutionstheorie 9, 24, 28, 32, 37, 42 f., 132
Caniden 37 ff. –, wilde 42 Canisation 37 ff.
Darwinismus 112 Denken, bewusstes 24 Dogge 55 –, kubanische 92 ff. –, britannische 88 f. Dole 57 Domestikation 37, 39, 42, 60 f. Dressur am Mann 107
Fische 117 Freiheitsreflex 153 Fuchs 46, 51 Fuchshunde 68 Fuchsjagd 81 Gattungskonstanz 42 Gebrauchshunde 83, 105 Gehirn 17, 39, 131 ff. –, isoliertes 140 f. Gehirnverpflanzung 141 Genetik 9, 42 Geruchssinn 123 Giftköder 52
190 Gladiatorenhunde 88 Gletscherspalte 155 Gold 93 Golden Retriever 123 Griechen 64 ff., 148 ff. Großhirnrinde 140 Hans, kluger 20, 22, 31 Hasen 70, 73 Hasenjagd 70 f. Haushund 57 Haustiere 50 f., 57, 79 Herrenrasse 66 Herz-Lungen-Maschine 140 Hiebe 109 Hiebfestigkeit 107 Hinrichtungsmethoden 160 Hirnstrombild 140 Hirtenhunde 76, 105 Hirtenvölker 50 Hominisation 37 Homo erectus 39 Homo sapiens 38 f. Hungersnöte 51, 53, 116, 146 Hunde, altägyptische 62 ff. –, griechische 63 ff. –, indische 67 ff., 85, 88, 9o –, Intelligenz der 29 ff. –, hegusische 73 –, helfende 143 ff. –, karische 73 –, kastorische 68 –, keltische 72 f. –, kretische 69 –, lesende 19 ff., 30 f. –, philosophische Natur der 64 f. –, Ortsinn der 115 –, rechnerische Fähigkeiten der 31 f. –, Rechtlosigkeit der 11 –, sprechende 18 ff. –, Seele der 28, 178 f. –, Sonderstellung der 9 –, verwilderte 45 Hundearmee 100 Hundebraten 146 Hundefett 143 Hundefleisch 145, 149
Register Hundefresser 145 ff. Hundefresser-Städte 151 Hundefuhrwerke 116 Hundeheilmittel 143 Hundekämpfe 114, 130 Hundelager 79 f. Hundepsychologie 32 Hunderassen 44, 64, 83 –, Stammbaum der 45 –, lakonische 68 –, molossische 67 f. Hundeschinken 145 Hundeställe 83 Hundewelpen 41 Hundewölfe 54 ff. Hundetyrannei 80 Hundezüchtervereine 103 Hundswut 133 Hündin, lakonische 67 –, Mutterliebe der 129 –, sibirische 176 –, trächtige 15, 129 Huronen 148 Impfung 133 ff. Indianer 49 f., 52, 92 ff., 148 Instinkt 26 Instinkthandlungen, bedingte 22 Intelligenz 29 ff. –, machiavellische 10, 38 f. –, sensomotorische 35 –, soziale 40 ff., 58 Isolation, sexuelle 42 –, multiple 32 Istanbul 59 f. Jagd, eingestellte 58 Jagdfrevler 80 Jagdhunde 79 ff. Kampfhunde 11, 85 ff. Kanadier 146 Kannibalen 92 f., 148 Kannibalismus 39, 147 f. Katzen 25 f., 62 Kelten 73 Klassifikation 43
Register Kletterwand 107 f. Klöppelung 81 Klöster 79 f. Knallfestigkeit 107 Koevolution 37 f. Kolsum 57 Kooperation 40 ff. Kreuzfahrer 80 Kreuzungsversuche 54 ff. –, Kieler 56 Kriege 51, 53 Kriegsdogge 85 f. Kriegshunde 85, 97 ff. Kynologie 103
Motorschlitten 168 Möve 155
Lawinensuchdienst 123 Leichenschänder 51 Leidensfähigkeit 131 Leinenführigkeit 107 f. Lokalisationstheorie 131 Löwe 68, 85 ff. Lykopolis 49
Packeis 159 Pankreasdauerfistel 138 Papageien 14 Papst 79 Pariahunde 58 ff. Parforcejagd 81 Pferde 66 –, rechnende 20, 22 Physiologie, mechanistische 13 Polargebiete 154 Polizeihund 100, 106 ff. Ponys 167 ff., 170 Primaten 38 Prinzeninseln 60 Psychologie 22 f. Pudel 56
Magen, zweiter 138 Magenfistel 135 ff. Magensaft 136 ff. Malaien 145 Malteser 125 f. Mannfestigkeit 111 Maschinen 13 ff., 23 Maschinentheorie 13 ff., 23 f., 28, 132 Massentöten 50 f. Mastiff 64, 88 f., 122 Meldehund 100 ff. Menschenfleisch 80, 95 Menschenfresser 51, 146 f. Menschenrassen 103 Menschenzüchtung 104 Mentalismus 23 Metzgerhund 112 f. Minensuche 104 Minensuchgeräte 124 Mitochondrien-DNA 37 Mittelalter 79 ff. Molosser 64, 88 f. Morgan’sches Gesetz 24 Mops 127
Nationalismus 11 Naturgeschichte 43 Neandertaler 39 Neger 146 Negerjäger 94 Negersklaven 97 Nerventätigkeit, höhere 139 Niamniamhund 147 Ösophagotomie 137 Ockham’sches Rasiermesser 24
Raketen 174, 176 Rasse 66 Rassenwahn 11 Rassismus 103 Ratten 114 Rattentöten 51 Raubtiere 50 f. Regimentshunde 97 ff. Rettungshunde 123 Römer 76 ff., 148 Sanitätshunde 100, 102, 124 Sauhatz 69 Schäferhunde 66 f., 76 ff., –, Deutscher 102 ff., 106
191
192 –, Schottischer 106 Schafzucht 106 Schakal 46 Schärfe 109 Scheinfütterung 137 Schimpansen 38 Schlafgewohnheiten 75 Schlitten 116 ff. Schlittenhunde 100 Schmerzempfindung 132 Schoßhunde 126 f. Schußfestigkeit 107 Schutzhunde 82, 107 Schutzärmel 111 Schweine 105 Seele 7, 132, 172, 178 –, sensitive 16 Seelenlosigkeit der Tiere 22 ff. Selbstbewusstsein 27 Sioux 148 Spanier 92 ff. Spechte 14 Speicheldrüsenfistel 134 f. Speichelreflex 134 Spitz 127 Sozialverhalten 143 Sprache 14 ff., 27, 39 Spurensuche 110 Sputnik 176 ff. Stockfestigkeit 107 Strychnin 52 Terretorialkämpfe 60 Therapiehunde 143 Tibethund 85, 88 Tibetdogge 90 ff. Tierschutzkongress 116
Register Tollwut 132 f. Totschlägermentalität 39 Trepanation 133 Tungusen 145 Überlebensgemeinschaft 8, 40 Urhund 42 ff., 57 Urrassen 62 Verhalten, Anpassung des 35 Verhaltensforschung 9, 32 ff., 42, 50, 65 Vernunft 13 f. Verstärkungsprinzip 23 Vertragen 73 Viehhandel 112 Vivisektion 15 f., 25, 129 f., 132, 136 Wahnsinn 26 Welpe 48, 57 Weltkriege 100 ff., 124 Weltraum 174 ff. Werwölfe 51 f. Wesensanalyse 178 Wildgans 34 Wildhunde 57 Wildschwein 69 f. Windhund 82 f. Wölfe 25, 33 ff., 37 ff., 40 ff., 46 ff., 118 Wolfshund 126 Wolfsüberfälle 52 Zeichensprache 30 Zentralafrika 152 f. Züchtung 66 Zuchtwahl, künstliche 112 –, natürliche 112 Zughunde 115 ff.