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German Pages [268] Year 2019
Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament 160
Nina Meyer zum Felde
Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott Studien zur Interpretation von Psalmentheologie im Hiobbuch
Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament
Begründet von Günther Bornkamm und Gerhard von Rad Herausgegeben von Cilliers Breytenbach, Martin Leuenberger, Johannes Schnocks und Michael Tilly 160. Band
Nina Meyer zum Felde
Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott Studien zur Interpretation von Psalmentheologie im Hiobbuch
Vandenhoeck & Ruprecht
Gedruckt mit freundlicher Unterstþtzung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD).
Das Werk wurde fþr den Druck þberarbeitet. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber https://dnb.de abrufbar. 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Gçttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschþtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: 3w+p, Rimpar
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2567-9694 ISBN 978-3-7887-3430-5
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I.
13 13
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Thema der Arbeit: Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott . . 1.1 Auseinandersetzung mit dem Vorstellungskomplex Leben und Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Ein möglicher hermeneutischer Schlüssel zum Verständnis der Struktur des Hiobbuches: Die persönliche Gottesbeziehung und die Gebetsdynamik der Individualpsalmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Begriffliche Differenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Gebetsdynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Der „persönliche“ Gott . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Persönliche Gottesbeziehung . . . . . . . . . . . . 1.3.4 (Kontrafaktisches) Vertrauen . . . . . . . . . . . . 2. Einordnung der Arbeit in die Forschung zum Hiobbuch . . . . 2.1 Ausgangspunkt: Das Hiobbuch als Resultat eines jahrhundertelangen theologischen Diskurses . . . . . . . . 2.2 Datierung des Hiobbuches . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Forschungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Formgeschichtliche Forschung . . . . . . . . . . . . 2.3.1.1 Claus Westermann: Das Hiobbuch als dramatisierte Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.2 Georg Fohrer: Form und Funktion und Gattungsmischung im Hiobbuch . . . . . . . . . . 2.3.1.3 Katharine Dell: Deliberate misuse of forms . . . . . 2.3.1.4 Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Intertextuelle Forschung . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.1 Michael Fishbane: Haggadische Exegese . . . . . . 2.3.2.2 Melanie Köhlmoos: Das Hiobbuch als Kritik an der nachexilischen offiziellen Theologie . . . . . . . . . 2.3.2.3 Christian Frevel: Die Psalmen als Referenztext und im Hintergrund stehendes Paradigma . . . . . . . . 2.3.2.4 Konrad Schmid: Dialektische Schriftkritik . . . . . 2.3.2.5 Will Kynes: Diachrone intertextuelle Auseinandersetzung des Hiobbuches mit Ps 1; 8; 39; 73; 107 und 139 . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
2.3.2.6 Kritische Würdigung und methodische Folgerungen für die Arbeit . . . . . . . . . . 3. Methodik und Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Traditionsgeschichtlicher Ansatz . . . . . . . . . . . 3.2 Analyse von Vorstellungskomplexen und geprägten Sachgehalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Ziele der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Gliederung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs von Hiobbuch und Psalmen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Leben und Tod: Ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Zum Gottesbezug gehörende geprägte Sachgehalte . . . . . 1.1.1 Ringen mit Gott um das Leben angesichts von Todesbefallenheit und Bitte um Rettung aus dem Tod zum Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Zuwendung Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Hoffnung auf JHWH und Zuversicht wegen des JHWH-Vertrauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.4 Hoffnung auf eine Gottesschau . . . . . . . . . . . 1.2 Zum Gemeinschaftsbezug gehörende geprägte Sachgehalte. 1.2.1 Bedrohung durch Feinde . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Bitte um Rettung aus Feindbedrohung . . . . . . . 1.3 Zugrunde liegende geprägte theologische Überzeugungen . 1.3.1 JHWH antwortet auf das Rufen seiner Geschöpfe zu ihm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 JHWH verwandelt Klage zu Lob und Trauer zu Freude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 JHWH bzw. das Mitsein Gottes tröstet . . . . . . . 1.4 Tabellen zur Rezeption geprägter Sachgehalte im Hiobbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Begründung der Auswahl der Hiobtexte . . . . . . . . . . . 2. Klage und Vertrauen: Zwei paradigmatische Psalmentexte als Grundlage für den Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Psalm 13: Ein Musterbeispiel für die Gebetsdynamik der Psalmen von der Klage zum Lob . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Gattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Einzelexegese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 V.2 f: Invocatio und Klage . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 V.4 f: Bitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 V.6: Vertrauensbekenntnis und Erhörungsgewissheit . . . . . . . . . . . . . . . . .
42 42 49 49 52 56 58 62 62 64 65 66 67 69 70 89 89 90 91 91 91 91 94 98
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Inhalt
2.5 2.6 2.7 2.8
2.4.3.1 Exkurs: Der sog. Stimmungsumschwung . . . . . . 2.4.4 Zusammenfassung: Ps 13 als „,zielgerichtetes Vertrauensparadigma‘“ . . . . . . . . . . . . . . . . Ps 23: Ein zentrales Beispiel für ein Vertrauenslied des Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelexegese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8.1 V.1–3: Lebensfülle in der Beziehung zum göttlichen Hirten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8.2 V.4: Das Vertrauen auf den göttlichen Hirten bewährt sich in Zeiten des Mangels und des Bösen bzw. im Tal von Todesschatten . . . . . . . . . . . . 2.8.2.1 Exkurs: Ps 23 und die Frage nach der Entstehung des (kontrafaktischen) Gottvertrauens . . . . . . . 2.8.3 V.5 f: Lebenslange Verbundenheit mit Gott und daraus resultierendes Leben im Überfluss . . . . . 2.8.4 Zusammenfassung: Psalm 23 als Lied über das JHWH-Vertrauen, mit dem sich alle Widrigkeiten des Lebens bewältigen lassen . . . . . . . . . . . .
III. Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott . . . . . . . . . . . . . . 1. Hi 3 als Ernstfall der (gestörten) Gottesbeziehung und Beginn des langen Leidens- und Erkenntnisweges Hiobs zu seinem persönlichen Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Vergleich mit einer Individualklage . . . . . . . . . . . . 1.4 Einzelexegese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 V.1 f: Programmatische Überschrift und Überleitungsvers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 V.3–10: Sonder- bzw. Extremform der Klage mit Fluchsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2.1 V.3–5: Fluch über den Tag der Geburt Hiobs . . . 1.4.2.2 V.6–10: Fluch über die Nacht der Empfängnis Hiobs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 V.11–19: Ich-Klage: Wunsch nach Nichtexistenz mit Klagesprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3.1 V.11 f: Überschrift: Frage nach dem Sinn des Daseins Hiobs und der Fürsorge Gottes . . . . . . 1.4.3.2 V.13–15: Ruhe im Totenreich Teil 1: Die Reichen und Mächtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
1.4.3.3 V.16: Wiederaufnahme des Themas aus V.11 f: Hiob als Fehlgeburt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3.4 V.17–19: Ruhe im Totenreich Teil 2: Die Machtlosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.4 V.20–26: Anklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.4.1 V.20–23: Gott-Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.4.2 V.24–26: Ich-Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.4.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.5 Zusammenfassung: Hi 3 ist kein Gebet, aber auf dem Weg dazu, eines zu werden . . . . . . . . . . . 1.5 Hi 3 als Exposition der Dynamik des Hiobbuches . . . . . 2. Hiobs Suche nach Entlastung von der bedrohlichen Gottesnähe 2.1 Hi 3,11–13: Entlastung durch Nichtexistenz . . . . . . . . . 2.2 Hi 6,8–10: Entlastung durch Erhörung der Bitte um den von Gott gewirkten Tod, d. h. eine Gebetserhörung . . . . . 2.3 Hi 7,13–15: Entlastung durch den Tod als ultima ratio angesichts der Verfolgung durch Gott . . . . . . . . . . . . 2.4 Hi 10,18–22: Entlastung durch eine Antwort Gottes und durch die Erhörung der Bitte um die Erlösung von Gottes bedrohlicher Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Exkurs: Zum Verhältnis zwischen dem Hiobbuch und Ps 39 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Hi 14,13–17: Entlastung durch die Wiederherstellung der Beziehung zu und Kommunikation mit Gott . . . . . . . . 2.6 Die Verwendung traditionsgesättigter Psalmensprache als „Waffe des geprägten Gebets“ im Kampf mit Gott um Entlastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7 Das Hiobbuch und der Vorstellungskomplex Leben und Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Hiobs Ringen um (kontrafaktisches) Vertrauen auf JHWH trotz dessen feindlicher Attacken gegen ihn . . . . . . . . . . . 3.1 Hi 6,4: JHWHs Mitsein als kriegerische Attacke gegen Hiob . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Hi 6,8–10: Hiob setzt seine Hoffnung auf den von Gott gewirkten Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Hi 16,7–17: Hiobs Klage über JHWHs kriegerische Attacke gegen ihn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Hi 16,18–22: Vertrauen auf und Entlastung durch Gottes Eintreten als Bluträcher, Zeuge und Richter . . . . . . . . . 3.5 Hi 19,2: Klage über die Freunde, die zu Feinden werden . . 3.6 Hi 19,25–27: Vertrauen auf und Entlastung durch Gottes Eingreifen als Löser und die Erfahrung einer Gottesschau .
139 140 143 143 144 149 151 151 152 154 155 157 161 162 167 172 178 181 183 183 185 186 192 200 201
Inhalt
3.7 Das Hiobbuch und der Vorstellungskomplex Leben und Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8 Weitere Faktoren zum Verständnis von Hiobs Weg in Hi 3 bis 19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8.1 Hiobs Weg verläuft spiralförmig und nicht linear . 3.8.2 Entscheidende Faktoren auf dem Weg Hiobs . . . . 3.8.2.1 Eliphas’ Rat in Hi 5,8 . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8.2.2 Der scheiternde Dialog zwischen Hiob und seinen Freunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Weitere Stationen von Hiobs Weg in der Buchkomposition: Überblicke zu Hi 29–31; 38–41 und Exegesen zu Hi 42,1–6 und 7–9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Hi 29–31: Die Herausforderungsreden Hiobs . . . . . . . . 4.2 Hi 38,1–41,26: Die Gottesreden . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Hi 42,1–6: Hiobs (Vertrauens-)bekenntnis zu seinem persönlichen Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 V.2 f: Hiobs Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 V.4 f: Hiobs Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 V.6: Hiobs conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Hi 42,7–9: JHWHs Urteil über Hiob und seine Freunde . . 4.5 Vergleich des Weges Hiobs mit der Gebetsdynamik der Psalmen von der Klage zum Lob . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Das Hiobbuch und geprägte theologische Überzeugungen aus den Psalmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.1 JHWH antwortet auf das Rufen seiner Geschöpfe zu ihm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.2 JHWH verwandelt Klage zu Lob und Trauer zu Freude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.3 JHWH bzw. das Mitsein Gottes tröstet . . . . . . . IV. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Entwicklung der persönlichen Gottesbeziehung Hiobs im Verlauf seines Weges zu seinem persönlichen Gott vor dem Hintergrund der Gebetsdynamik der Psalmen . . . . . . . . . . 2. Interpretation der Rezeption und Umformung der traditionsgesättigten Psalmensprache im Hiobbuch . . . . 2.1 Das Hiobbuch als traditionsverändernder, -fortbildender und -konformer Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Notwendige Präzisierungen an gängigen Kategorien zur Beschreibung der Rezeption geprägter Sachgehalte und am traditionsgeschichtlichen Vorgehen . . . . . . . . . . . . . 2.3 Zum Traditionsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Träger der Gedankengehalte . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Interesse der Träger an den geprägten Sachgehalten
9 210 211 211 213 213 213 214 214 216 220 221 222 225 229 231 232 232 233 233 235 235 238 238 238 240 240 240
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Inhalt
2.3.3
Theologisches Denken zur Abfassungszeit des Hiobbuches: Die weisheitliche Traditionskritik . . . 240 3. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Bibliografie . . . . . . . . . . . . . . 1. Textausgaben . . . . . . . . . 2. Hilfsmittel . . . . . . . . . . 3. Kommentare zum Hiobbuch 4. Kommentare zu den Psalmen 5. Weitere Literatur . . . . . . .
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Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
Vorwort Ich freue mich sehr darüber, dass Sie dieses Buch in die Hand genommen haben. Ich hoffe, dass Ihnen die Lektüre Denkanstöße und Impulse für Ihren eigenen Umgang mit Hiobsbotschaften und Ihren persönlichen Weg zu und mit Gott ermöglicht. Es handelt sich bei diesem Buch um eine Doktorarbeit, die von April 2015 bis März 2018 während meiner Tätigkeit als Doctoral Fellow an der Graduiertenschule Distant Worlds an der Ludwig-Maximilians-Universität München entstand. Für mich war die Erstellung dieser Arbeit eine Herausforderung und eine ungemein bereichernde Erfahrung zugleich. Einigen Personen, die mich auf unterschiedliche Weise beim Verfassen der Arbeit unterstützt oder mich während der Promotionszeit begleitet und ermutigt haben, möchte ich an dieser Stelle herzlich danken. Mein besonderer Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Friedhelm Hartenstein, für seine äußerst interessierte und engagierte Betreuung dieser Arbeit. Die zahlreichen Gespräche über den Fortgang der Arbeit, seine konstruktiven Anmerkungen und Hinweise sowie sein Vertrauen und seine – fachliche und menschliche – Ermutigung haben nicht nur entscheidend zum Gelingen meiner Arbeit beigetragen, sondern mich auch persönlich bereichert und geprägt. Herrn Prof. Dr. Raik Heckl danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Mein herzlicher Dank gebührt außerdem Frau Dr. theol. Alma Brodersen, die die Nachwuchsforschergruppe „Constructions of Norms“, die ich an der Graduiertenschule Distant Worlds besuchte, leitete. Ihr möchte ich für die vielen fachlichen Diskussionen, die hilfreichen Anregungen und das über die Maßen engagierte Feedback zu einzelnen Kapiteln meiner Arbeit danken. Für wertvolle Anmerkungen möchte ich mich auch bei den Mitgliedern des privaten Forschungskolloquiums von Prof. Dr. Hartenstein bedanken. Aus diesem Kreis möchte ich besonders Frau Prof. Dr. Judith Gärtner und Frau PD Dr. Kathrin Liess erwähnen. Ferner danke ich Frau Mag. theol. Deborah Dittmer und Herrn Dipl.-Theol. Mathias Litzenburger für Unterstützung beim Korrekturlesen und Herrn Dr. Peter Kruck für das Lektorat der Abgabefassung. Des Weiteren danke ich Miriam Espenhain, Johanna Körner und Renate Rehkopf von Vandenhoeck & Ruprecht Verlage für Ihre Hilfe im Verlauf des Publikationsprozesses. Für Druckkostenzuschüsse danke ich der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD).
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Vorwort
Mein größter Dank gilt an dieser Stelle meiner Mutter Claudia Gschwind, meinem Großvater Werner Schmidt, meinem Ehemann Hendrik Meyer zum Felde und meiner besten Freundin Ramona Schließer. Ihnen danke ich von Herzen dafür, dass sie mich auf meinem bisherigen Lebensweg bedingungslos unterstützt und geduldig wie Hiob begleitet haben. Sie haben mir Kraft und Mut gegeben und durch ihre Zuneigung zu mir die Erstellung und Vollendung der Arbeit ermöglicht. Was ich ihnen verdanke, lässt sich mit Worten kaum ausdrücken. Ihnen widme ich diese Arbeit. München, im November 2019
Nina Meyer zum Felde
I. Einleitung 1. Thema der Arbeit: Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott Während im biblischen Buch der Psalmen die Individualklagen1 schildern, wie sich zahlreiche Psalmenbeter voller Vertrauen klagend und bittend an JHWH wenden und sich von ihm Rettung aus der Not erhoffen, erzählt das Hiobbuch die Geschichte des paradigmatischen2 Mannes Hiob, der in seinem Vertrauen auf Gott zutiefst erschüttert wird. Zu Beginn des Buches wird Hiob als untadeliger, gottesfürchtiger und sehr wohlhabender Mann charakterisiert (Hi 1,1.8). Aufgrund einer göttlichen Prüfung, von der er allerdings nichts weiß (Hi 1,6–12 und 2,1–6), verliert er nahezu alles: seinen großen Besitz (Hi 1,13–17), seine Kinder (Hi 1,18 f) und zuletzt auch seine Gesundheit (Hi 2,7 f).3 Nach der zur Abfassungszeit des Hiobbuches (5.–3./2. Jh. v. Chr.)4 im alten Israel weit verbreiteten5 Vorstellung des Tun-Ergehen-Zusammenhangs6 hätte ihn ein solches Schicksal wegen seiner Rechtschaffenheit nicht treffen dürfen. Daher ist er in seinem Vertrauen auf Gott zutiefst erschüttert. Er erleidet zwar keinen vollständigen Vertrauensverlust und pflegt auch wei1 Eine inhaltliche Beschreibung der Individualpsalmen, d. h. der Klage- und Danklieder des Einzelnen, findet sich unter II. 1. 2 Janowski (Gerechtigkeit Gottes, 1) spricht in diesem Sinne von einem „,Problemträger‘“, Leuenberger (Bewegung, 192) von einer „paradigmatische(n) Einzelgestalt“ und Witte (Das Hiobbuch, 434) von einem „als Paradigma, nicht als biographisch fassbare Einzelgestalt“ erscheinenden Protagonisten Hiob. Wiesel (Hiob, 211) bringt treffend zum Ausdruck: „Hiob hat niemals gelebt, aber er hat sehr wohl gelitten.“ 3 Das Hiobbuch thematisiert mit der Frage nach dem Leiden des Gerechten kein genuin israelitisches, sondern ein gemeinorientalisches, internationales Problem, welches bereits in der weisheitlichen Tradition des Alten Orients erkannt und in vielerlei Hinsicht bedacht wurde, wie Texte wie „Der sumerische Hiob“ (ca. 2000 v. Chr.), Ludlul Bel Nemeqi (ca. 12. Jh. v. Chr.) und „Die Babylonische Theodizee“ (ca. 1000–800 v. Chr.) zeigen. In der vorliegenden Arbeit untersuche ich – aufgrund der inhaltlichen und theologischen Komplexität der Hiobtexte – ausschließlich das Hiobbuch, möchte aber auf die Studie von Sitzler „Vorwurf gegen Gott“ verweisen. Sie befasst sich mit dem Leiden des Gerechten und dessen Reaktion im Dialog mit der Gottheit in Texten aus Ägypten und Mesopotamien. 4 Vgl. I. 2.2. 5 Vgl. Koch, Vergeltungsdogma, 66 f, und Seybold, Exkursionen, 21. 6 Der Tun-Ergehen-Zusammenhang besagt, dass es eine Beziehung zwischen dem Handeln eines Menschen und dessen Ergehen gibt. Gemeinschaftsgetreue Taten ziehen Wohlergehen und gemeinschaftsschädigende Taten Unheil nach sich. Nach Prov 25,21 f ist JHWHs Handeln als „InKraft-Setzen und Vollenden des Sünde-Unheil-Zusammenhangs bzw. des Guttat-Heil-Zusammenhangs“ (Koch, Vergeltungsdogma, 71) zu verstehen. Diese und alle weiteren Hervorhebungen entsprechen dem jeweiligen Original. Zum Tun-Ergehen-Zusammenhang vgl. Janowski, Tat; Koch, Vergeltungsdogma, und Krawczack, Psalm 58.
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Einleitung
terhin seine persönliche Gottesbeziehung7, sieht sich jedoch nur noch in der Lage, zu klagen. Er vermag zunächst nicht mehr, JHWH direkt anzusprechen oder Bitten an ihn zu richten, die „das Herzstück der Gattung“8 des Klageliedes des Einzelnen darstellen. Er befindet sich in einer Situation, in der sein Gottesbild zerbrochen ist. Auch die Gottesbilder und Worte der Psalmen helfen ihm nicht mehr. Seine Reden bestehen nahezu ausschließlich aus heftigen Klagen und Anklagen Gottes. In diesen nimmt das Hiobbuch zahlreiche geprägte Sachgehalte9 auf10, die im Vergleich zum Rest des Alten Testaments besonders stark in den Psalmen11 vertreten sind, und verkehrt diese in ihr Gegenteil. So leidet Hiob bspw. nicht wie der Beter aus Ps 42,2–4 unter Gottesferne (V.2 f) und wünscht sich daher Gottesnähe, um seine Not zu beenden (V.4). Im Gegenteil: Er sehnt sich in Hi 10,20b nach Gottesferne, um froh zu werden: 20 Blick weg12 von mir, und ich will ein wenig heiter werden!
Im weiteren Verlauf des Buches13 durchläuft Hiobs Gottesrelation jedoch eine Veränderung. Diese führt von dem Wunsch zu sterben (Hi 6,8–10) und JHWHs bedrohlicher Nähe zu entkommen (Hi 7,19) hin zu dem Wunsch nach Gottesnähe (Hi 14,15), einer Gottesschau (Hi 19,25–27) und einer Antwort JHWHs (Hi 31,35). In Hi 38,1–41,26 geht JHWH mit einer Sturmtheophanie auf Hiobs Wunsch ein und antwortet ihm in zwei langen Reden (Hi 38,1–39,39 und 40,6–41,26). Direkt im Anschluss an seine Gottesbegegnung bekennt Hiob in Hi 42,3 wie 7 8 9 10
Vgl. I. 1.3.3. Gunkel/Begrich, Einleitung, 218. Vgl. I. 3.2. Da das Hiobbuch wohl erst im Laufe des 5.–3./2. Jh. v. Chr. entstanden ist (vgl. I. 2.2), d. h. zu den jüngeren Werken des AT zählt, ist anzunehmen, dass es auf die Psalmen Bezug nimmt und nicht die Psalmen auf das Hiobbuch; ebenso Witte, Das Hiobbuch, 439. Eine Ausnahme bildet Ps 39. Vgl. dazu III. 2.4 und besonders den Exkurs unter III. 2.4.1. 11 Die oben erwähnte Häufung der geprägten Sachgehalte in den Psalmen (vgl. II. 1–1.3.3) ergibt sich aus den Analysen dieser Arbeit. Ein Grund der Häufung könnte außerdem darin liegen, dass die Psalmen eine „komprimierte Theologie und Anthropologie des AT“ (Witte, Der Psalter, 430; vgl. ferner Janowski [Konfliktgespräche, 36 f], der die Psalmen als „anthropologische Grundtexte“ bezeichnet) beinhalten. Außerdem kann der Psalter im Anschluss an von Rad (vgl. von Rad, Theologie I, 366–382) als „Niederschlag eines ,Gesprächs‘, in dem Israel und der einzelne in Hymnus, Klage und Lob, auf die Worte und Taten, aber auch auf das Schweigen und die Abwendung seines Gottes ,antwortet‘ und darin zu sich selbst coram Deo findet“ (Janowski/ Hartenstein, Art. Psalmen/Psalter, 1766 f [Janowski]; vgl. ferner Zenger, Buch der Psalmen, 452 f) charakterisiert und als Dokumentation des JHWH-Glaubens in seiner Geschichte (vgl. Witte, Der Psalter, 430) verstanden werden. Um der besseren Lesbarkeit verwende ich im Folgenden die Formulierung „geprägte Sachgehalte aus den Psalmen“ anstelle der präziseren Wendung „besonders in den Psalmen belegte geprägte Sachgehalte“. 12 Zur Übersetzung und textkritischen Entscheidung vgl. III. 2.4. Diese und alle weiteren Übersetzungen sind meine eigenen. 13 In der vorliegenden Arbeit analysiere ich das Hiobbuch in seiner Endgestalt im Masoretischen Text (MT) im Bewusstsein seiner Entstehungsgeschichte hermeneutisch synchron (vgl. I. 2.1)
Thema der Arbeit: Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
15
zahlreiche Psalmenbeter, dass JHWH Wundertaten (N94@HD) (bspw. Ps 72,1814) vollbringt. Außerdem bekundet er in Hi 42,4 sein Vertrauen auf JHWH und seine Absicht, sich in allen Schwierigkeiten seines Lebens wie in den Psalmen an seinen Gott zu wenden. In Hi 42,5 f bringt er zum Ausdruck, dass er getröstet15 ist, obgleich sich an seiner äußeren Situation nichts geändert hat, d. h. er wegen seiner Krankheit immer noch dem Tode nahe ist. Die Entwicklung der Gottesbeziehung Hiobs legt zweierlei nahe: Zum einen zeigt sie, dass das Hiobbuch mit traditionsgesättigter Psalmensprache16 den Gebetsprozess des Protagonisten innerhalb seiner JHWH-Relation beschreibt, für den ich im Folgenden den beschreibungssprachlichen Begriff „Hiobs Weg zu seinem persönlichen17 Gott“ verwenden werde. Denn „in seiner äußersten Not sucht Hiob nicht ein Schicksal, das heißt einen unpersönlichen Gott, dessen Maßstäbe und distributive Gerechtigkeit man am Weltlauf wie an Hiobs Geschick ablesen könnte, sondern er sucht den persönlichen Gott, der nach ihm fragt und der ihm antwortet18“19,
wie bereits Hans-Jürgen Hermisson festgestellt hat. Zum anderen macht sie deutlich, dass die Dynamik des Hiobbuches mit der Bewegung der Klagelieder des Einzelnen von der Klage zum Lob vergleichbar ist.20 Das, was die Klagepsalmen mit dem sog. Stimmungsumschwung21 zeitlich gerafft und literarisch verdichtet darstellen, lässt das Hiobbuch seinen Protagonisten erringen, setzt dabei jedoch auch eigene Akzente. Diese Beobachtungen werfen folgende Fragen zu den Themen „persönliche Gottesbeziehung“ und „traditionsgesättigte Psalmensprache“ im Hiobbuch auf, die ich in der vorliegenden Arbeit zu beantworten versuche:
14 Ps 72,18: „Gepriesen sei JHWH, Gott, (der) Gott Israels. Er tut Wundertaten (N94@HD), er allein!“ 15 Vgl. zur Begründung, warum Hiob in Hi 42,6 ohne Veränderung seiner Situation getröstet ist (Übersetzung von A;D ni. mit „getröstet sein“) III. 4.3.3. 16 Unter „traditionsgesättigter Psalmensprache“ verstehe ich diejenige Sprache, die Vokabular aus geprägten Sachgehalten aus den Psalmen (vgl. II. 1–1.3.3) aufgreift. 17 Vgl. I. 1.3.2. 18 Hiob sagt bspw. in Hi 14,15: „Du würdest rufen (4LK), und ich würde dir antworten (8DF).“ Das Verb 8DF („antworten“) ist mit 77 Belegen eines der am häufigsten verwendeten Verben im Hiobbuch. Besonders die Belege des Wortpaares 4LK („rufen“) und 8DF („antworten“) (neben Hi 14,15 auch Hi 5,1; 9,16; 12,4 und 13,22) zeigen, dass Hiob um eine Antwort Gottes auf sein Reden ringt. 19 Hermisson, Notizen, 296; ähnlich Lange, Art. Weisheitsliteratur, 1368: „Hiob sehnt sich nach einer persönlichen Gottesbeziehung, in der Gott Anwalt, Zeuge Hiobs und Retter ist.“ Des Weiteren hält Heckl (Hiob, 192) über die Gottesreden fest: JHWH gibt „sich so als der von Hiob angesprochene persönliche Gott zu erkennen“. 20 Vgl. die Einzelexegese von Ps 13 unter II. 2.1–2.4.4. 21 Vgl. II. 2.4.3 und 2.4.3.1 sowie Anm. 325.
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Einleitung
Fragen zur persönlichen Gottesbeziehung • Wie verläuft Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott?22 • Welche Faktoren sind für Hiobs Weg entscheidend?23 Fragen zur traditionsgesättigten Psalmensprache • Mit welchen geprägten Sachgehalten aus den Psalmen setzt sich das Hiobbuch auseinander?24 • Ist die Rezeption geprägter Sachgehalte aus den Psalmen im Hiobbuch als traditionskonform, traditionsverändernd oder traditionsfortbildend25 zu charakterisieren?26 • Was lässt die Rezeption geprägter Sachgehalte aus den Psalmen über die Autoren und deren Interesse an den geprägten Sachgehalten und die zur Abfassungszeit existierende weisheitliche Traditionskritik erkennen?27
1.1 Auseinandersetzung mit dem Vorstellungskomplex Leben und Tod Hiobs Weg vom Wunsch zu sterben und Gottes bedrohlicher Nähe zu entkommen hin zum Wunsch, noch zu Lebzeiten eine Gottesschau (Hi 19,25–27) zu erfahren, und zum Getröstetsein trotz des bevorstehenden Todes (Hi 42,5 f) zeigt, dass sich das Hiobbuch mit dem Vorstellungskomplex28 Leben und Tod bzw. den geprägten Sachgehalten und theologischen Überzeugungen29, die diesen bilden, auseinandersetzt. Genauer hinterfragt es – wie ich im Grundlagenkapitel II. 1–1.3.3 ausführlicher darlegen werde – die geprägten Sachgehalte Bedrohung durch Feinde und Bitte um Rettung aus Feindbedrohung, Ringen mit Gott um das Leben angesichts von Todesbefallenheit30 und Bitte um Rettung aus dem Tod zum Leben, Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Zuwendung Gottes, Hoffnung auf JHWH und Zuversicht wegen des JHWH-Vertrauens sowie Hoffnung auf eine Gottesschau und die geprägten theologischen Überzeugungen JHWH antwortet auf das Rufen seiner Geschöpfe zu ihm, JHWH verwandelt Klage zu Lob und Trauer zu
22 23 24 25 26 27 28 29 30
Vgl. III. 3.8.1 und IV. 1. Vgl. III. 3.8.2–3.8.2.2 und IV. 1. Vgl. II. 1–1.3.3. Zur Definition von „traditionskonform“, „traditionsverändernd“ und „traditionsfortbildend“ vgl. I. 3.2. Vgl. IV. 2.1–2.2. Vgl. IV. 2.3–2.3.3. Vgl. II. 1–1.3.3. Zum Verhältnis von geprägtem Sachgehalt und geprägter theologischer Überzeugung vgl. I. 4.2. Der Begriff „Todesbefallenheit“ stammt von Bernd Janowski (vgl. Janowski, Konfliktgespräche, 65).
Thema der Arbeit: Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
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Freude und JHWH bzw. das Mitsein Gottes tröstet kritisch, deckt Spannungen und Ambivalenzen auf und interpretiert sie theologisch neu.31 1.2 Ein möglicher hermeneutischer Schlüssel zum Verständnis der Struktur des Hiobbuches: Die persönliche Gottesbeziehung und die Gebetsdynamik der Individualpsalmen Betrachtet man den Verlauf des Weges Hiobs von der Klage (Hi 3) und dem Wunsch zu sterben (Hi 6,8–10 und 7,13–15) hin zum Vertrauensbekenntnis und Getröstetsein (Hi 42,1–6), so erweisen sich Hiobs Festhalten an seiner persönlichen Gottesbeziehung und die Gebetsdynamik der Individualpsalmen32 als ein möglicher hermeneutischer Schlüssel zum Verständnis der Struktur des auf präzise Mehrdeutigkeit33 angelegten34 Hiobtextes und des in ihm beschriebenen Weges des Protagonisten. In allen Buchteilen pflegt Hiob – wenn auch in heftigen Klagen und Anklagen – mit traditionsgesättigter Psalmensprache seine persönliche JHWHRelation. An keiner Stelle lässt er den Gebetsfaden abreißen. Außerdem entschließt er sich, direkt zu Gott zu reden. In Hi 10,2 sagt er: 2 Ich will zu Gott (89@4.@4) sprechen (LB4).
Seine Worte lassen zunehmend eine Sehnsucht nach einer intakten Kommunikation mit Gott (Hi 14,15) und Beziehung zu ihm (Hi 14,15 und Hi 19,25–27) erkennen. Am Ende seines Weges formuliert Hiob in Hi 42,1–6 wie zahlreiche Psalmenbeter, dass JHWH Wundertaten (N94@HD, bspw. Ps 72,18) vollbringt (Hi 42,3) und er sich wünscht, dauerhaft mit ihm in Beziehung zu bleiben (Hi 42,4). In Hi 42,7 bezeichnet Gott in seinem Urteil über Hiob und seine Freunde (Hi 42,7–9) Hiobs Reden zu (@4) ihm als richtig (8D9?D). Daraus resultiert, dass die direkte Rede zu (@4) Gott und das Bleiben in der Gottesbeziehung eine Schlüsselrolle im Hiobbuch spielen und Hiobs Weg vor dem Hintergrund der Gebetsdynamik der Psalmen von der Klage zum Lob (vgl. bspw. Ps 6 und 13) besonders35 verständlich wird. 31 Zu den geprägten Sachgehalten und theologischen Überzeugungen, die den Vorstellungskomplex Leben und Tod bilden, vgl. II. 1–1.3.3. 32 Vgl. I. 1.3.1. 33 Der Begriff „präzise Mehrdeutigkeit“ stammt von Friedhelm Hartenstein (vgl. Hartenstein, Mehrdeutigkeit, 13). 34 Vgl. bspw. die Frage, ob Hiob in Hi 42,6 ohne Veränderung seiner Situation getröstet ist (Übersetzung von A;D ni. mit „getröstet sein“) oder bereut (so die traditionelle Deutung wie bspw. von Fohrer [KAT, 531 f.535 f] und Strauß [BK.AT, 336] vertreten). Zu Hi 42,6 vgl. III. 4.3.3. 35 Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott wäre auch ohne Kenntnis der Gebetsdynamik der Individualpsalmen verständlich. Wegen der Verwendung traditionsgesättigter Psalmensprache im Hiobbuch ist jedoch anzunehmen, dass den antiken Autoren und Rezipienten die Bewegung der Individualpsalmen von der Klage zum Lob bekannt war. Eine Analyse des Hiobbuches vor
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Einleitung
1.3 Begriffliche Differenzierungen Im Folgenden erläutere ich die eingangs verwendeten, für die vorliegende Arbeit zentralen Begriffe „Gebetsdynamik“, „persönlicher Gott“, „persönliche Gottesbeziehung“ und „(kontrafaktisches) Vertrauen“ näher.
1.3.1 Gebetsdynamik Die Übergänge vom Leben zur Todesnähe und wieder zurück ins Leben prägen die Gebetsdynamik der individuellen Klage- und Danklieder. Der Tempel erscheint als konzentrierter Ort des Lebens: Licht, Leben und Loben gehören in ihm zusammen (vgl. Ps 36,8–10).36 Dem stehen die Symbole der Gottesferne wie Krankheit, Dunkelheit und Schweigen Gottes gegenüber, die das geminderte Leben anzeigen, das in der Gefahr steht, von JHWH abgeschnitten zu werden (vgl. Ps 88,4–6). Die Psalmen schildern einen Weg, der aus dem Tod mitten im Leben37 zurück zum Leben führt. Bspw. beschreibt die Individualklage Ps 13 einen Weg von der Klage zum Lob. Zu Beginn des Psalms wendet sich der Beter mit seinen Klagen an JHWH und erwartet von ihm eine Reaktion (V.2 f). Am Ende des Psalms bekennt er sein Vertrauen auf Gott neu und preist antizipierend die noch ausstehende Rettungstat JHWHs (V.6). Das Danklied des Einzelnen Ps 30 schildert in V.4.12 einen Weg vom Tod mitten im Leben zurück ins Leben (V.4) und von der Trauer zum Jubel (V.12): 4
JHWH, du hast heraufgeholt aus (der) Scheol mein Leben (=M1HD), du hast mich zum Leben gebracht aus denen, die (in) eine Zisterne hinabsteigen38.
12 Du hast umgewandelt meine Trauer (=7HEB) zu einem Reigentanz (@9;B) für mich, du hast mein Trauergewand gelöst und umgürtetest mich mit Freude (8;B2M). dem Hintergrund dieser Dynamik stellt daher eine Annäherung an antike Rezeptionsvoraussetzungen dar und ermöglicht ein Verständnis des Weges Hiobs, wie es die Verfasser und Leser zur Entstehungszeit des Buches gehabt haben könnten. 36 Vgl. Hartenstein, Unzugänglichkeit Gottes, 182. 37 Zum Todesverständnis des Alten Testaments und zum Tod mitten im Leben vgl. II. 1 und II. 1.1.1. 38 An dieser Stelle ist nicht dem Qere =7L=B (Infinitiv cs. von 7L=, „aus meinem Hinabsteigen“), sondern dem Ketib L95*-.=7úL! 9n*B% („die, die [in] eine Zisterne hinabsteigen [Partizip Pl. von 7L=]“) zu folgen, da die Erwähnung derjenigen, die in die Zisterne hinabsteigen, mit dem Partizip Pl. von 7L= („hinabsteigen“) eine geprägte Wendung darstellt (vgl. Ps 28,1; 88,5 und 143,7).
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Ps 116, ebenfalls ein Danklied des Einzelnen, zeigt, dass JHWH das Leben des Beters aus dem Tod, sein Auge aus Tränen und seinen Fuß aus dem Fallen befreit (V.8). 1.3.2 Der „persönliche“ Gott Der Terminus „der ,persönliche‘ Gott“ beschreibt einen vor allem im familiären Bereich angesiedelten Aspekt altorientalischer Gottesauffassung39, der sich auch in alttestamentlichen Texten zeigt sowie eine Nähe zu den Psalmen aufweist und daher besonders für die Beschreibung des Weges Hiobs geeignet ist. Unter „persönlich“ ist mit Hermann Vorländer „die persönliche Zugehörigkeit eines Menschen zu einer bestimmten Gottheit“40, d. h. im Fall des Hiobbuches zu JHWH, zu verstehen. Diese äußert sich in im Gebet verwendeten Anreden wie bspw. „mein Gott“41 (bspw. Ps 22,2 und 63,2) oder „mein Hirte“42 (Ps 23,1). Darüber hinaus ist die Rede vom persönlichen Gott als Beschreibung einer Beziehung eines Menschen zu einem Gott (scil. im Fall Hiobs zu JHWH) zu deuten, „mit de(m) ein Mensch von Jugend auf in einem besonderen Vertrauensverhältnis steht, von de(m) er sein Geschick abhängig weiß und an d(en) er sich deshalb in allen Problemen des Lebens zuerst wendet“43.
Dies zeigt sich bspw. in Ps 22,10–12. In V.10 f schildert der Beter mit einem Vertrauensbekenntnis, dass er von Beginn seines Lebens an in enger Beziehung zu JHWH steht: 10 Denn du (bist) es, der mich hervorgezogen hat aus (dem) Mutterleib, der mich vertrauen ließ auf den Brüsten meiner Mutter! 11 Auf dich bin ich geworfen vom Mutterschoß an, vom Leib meiner Mutter her (bist) du mein Gott!
In V.12 richtet er eine Bitte an JHWH: 12 Sei nicht fern von mir, denn Not (ist) nah, denn kein Helfer (ist da)! 39 Vgl. Vorländer, Mein Gott, 3. Vgl. ferner die Übersetzung von Akkadisch ilu(m) mit „Schutzgott, persönlicher Gott“ (AHw 1, 374) sowie „protective deity“ (CAD 7, 99) und „personal god“ (CAD 7, 102). 40 Vorländer, Mein Gott, 3. 41 Die Bezeichnung „mein Gott“ ist die im Alten Orient „am meisten verbreitete und stereotyp gewordene Anrede des persönlichen Gottes“ (Vorländer, Mein Gott, 8). 42 Vgl. dazu auch das altbabylonische Gedicht „Der Mensch und sein Gott“. In Z. 34 heißt es (Übersetzung nach Kramer, „Man and his God“, 178): „My herdsman has sought out evil forces against me who am not (his enemy).“ 43 Vorländer, Mein Gott, 4.
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Einleitung
Die Relation zum persönlichen Gott umfasst ferner kontrafaktisches44 Vertrauen (vgl. I. 1.3.4) auf diesen Gott, das sich auch in Zeiten des Leidens bewährt (vgl. Ps 6; 22 und 23,4) und Zuversicht (Ps 23,4 und 27,1) schenkt.
1.3.3 Persönliche Gottesbeziehung Im Hintergrund des Bekenntnisses aus Ps 22,10 f steht die Überzeugung, dass JHWH den Menschen nicht nur geschaffen, sondern auch eine Beziehung zu ihm gestiftet hat, indem er ihn versorgt und sich ihm vertraut gemacht hat. Dieser Glaube und die mit der Geburt begründete persönliche Beziehung zu JHWH lassen das Geschöpf auf seinen Schöpfer vertrauen und schenken ihm Zuversicht, die sich in den Psalmen in Vertrauensaussagen zeigt, wie Rainer Albertz herausgearbeitet hat: „Das intime, persönliche Vertrauensverhältnis zwischen dem einzelnen Menschen und seinem Gott gründet letztlich in seinem Geschaffen-Sein. Weil Gott ihn geschaffen hat und ihn nach seiner Geburt umsorgt und umhegt hat (…), ist er sein Gott, so wie Vater und Mutter durch Zeugung, Geburt und die Fürsorge in den ersten Lebensjahren zu seinen Eltern werden. Hinter den vielen Äußerungen des Gottvertrauens in den Bekenntnissen der Zuversicht45, steht – so können wir jetzt sagen – die kreatürliche Zuneigung des Menschenschöpfers zu seinem Geschöpf; sie ist der Grund, auf den sich der in Todesbedrängnis geratene einzelne Mensch immer noch stützen kann.“46
1.3.4 (Kontrafaktisches) Vertrauen Die Klagelieder des Einzelnen bringen häufig zum Ausdruck, dass sich die Beter inmitten ihrer Leiden vertrauensvoll an JHWH wenden, da sie davon ausgehen, dass dieser ihre Nöte überwinden kann. Ihr Vertrauen zeigt sich in den Klagen (Ps 6,7 f und 13,2 f) und Bitten (Ps 6,2 f und 13,4 f). Das Ziel ihrer Gebete besteht darin, dass Gott rettend eingreift und sich das Vertrauen auf ihn bestätigt. 44 Unter „kontrafaktisch“ verstehe ich, dass sich ein Beter an Gott wendet und sich von ihm allein Rettung erhofft, obgleich er derzeit unter der Abwendung Gottes oder unter Resultaten der Gottesferne wie Krankheit, Dunkelheit und Schweigen Gottes leidet (vgl. II. 1). 45 M. E. ist die Unterscheidung zwischen Vertrauensaussagen und Bekenntnissen der Zuversicht nicht trennscharf möglich, da der Grund für die Zuversicht im Vertrauen auf JHWH liegt und ein Bekenntnis der Zuversicht vom Vertrauen auf JHWH ermöglicht wird und daher auch eine Vertrauensaussage darstellt. Folglich verwende ich den Oberbegriff „Vertrauensaussagen“, der auch sog. Bekenntnisse der Zuversicht mit „ich-aber (=D49)-Formulierungen“ (vgl. Westermann, Lob und Klage, 52–56) (vgl. Ps 13,6; 31,15 und 73,23 sowie II. 1.1.3) umfasst. 46 Albertz, Persönliche Frömmigkeit, 38. Vgl. ferner Hartenstein (Feindbilder, 32), der von der „Solidarität des Schöpfergottes“ spricht.
Einordnung der Arbeit in die Forschung zum Hiobbuch
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Das Vertrauenslied des Einzelnen Ps 2347 macht deutlich, dass sich das Gottvertrauen des Sprechers auch im Tal von Todesschatten, d. h. in Todesgefahr, bewährt (V.4) und dazu beiträgt, alle Widrigkeiten des Lebens, wie etwa die Erfahrung von Bösem (FL) (V.4), zu bewältigen. Dieser Psalm charakterisiert das JHWH-Vertrauen als diejenige Haltung, die hilft, gegen Anfechtungen anzukämpfen und gegen diese zu bestehen. Ps 27,1 illustriert diese Einstellung und deren Auswirkung auf das Leben des Beters: 1
JHWH – mein Licht und meine Rettung, vor wem sollte ich mich fürchten? JHWH – Festung meines Lebens, vor wem sollte ich erschrecken?
Ps 6,10 zeigt ferner, dass das Vertrauen auf JHWH Erhörungsgewissheit beinhaltet: 10 Gehört hat JHWH mein Flehen, JHWH – mein Bittgebet wird er annehmen (;K=).
Ps 31,6 lässt erkennen, dass sich das JHWH-Vertrauen darin zeigt, dass der Beter sein eigenes Leben dem Handeln Gottes anvertraut: 6
In deine Hand übergebe48 ich mein Leben (=;9L). Du hast mich errettet, JHWH, Gott (der) Treue.
Vertrauen lässt sich vor dem Hintergrund von Ps 6; 13; 23; 27 und 31 wie folgt annäherungsweise definieren: Es beschreibt eine Haltung Gott gegenüber, die sich kontrafaktisch im Leiden bewährt und in Klagen und Bitten äußert, die außerdem das eigene Leben dem Handeln Gottes anvertraut, von ihm Reaktionen auf Gebete fordert und sich dessen gewiss ist, dass er sich der Beziehung und dem entgegengebrachten Vertrauen entsprechend verhalten wird.
2. Einordnung der Arbeit in die Forschung zum Hiobbuch Bevor ich die Methodik und Ziele der Arbeit erläutere, ordne ich die vorliegende Studie in die Forschung zur Entstehung des Hiobbuches ein, unternehme einen Datierungsversuch und verorte sie außerdem in der Forschung zur Untersuchung der Parallelen zwischen dem Hiobbuch und den Psalmen. 47 Zur Einzelexegese von Ps 23 vgl. II. 2.5–2.8.4. 48 „Übergeben“ ist im Sinne von „anvertrauen“ zu verstehen (vgl. Gesenius18, 1071).
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Einleitung
2.1 Ausgangspunkt: Das Hiobbuch als Resultat eines jahrhundertelangen theologischen Diskurses Das biblische Hiobbuch ist das Resultat eines jahrhundertelangen theologischen Diskurses über die Gerechtigkeit Gottes, das Problem des Leidens des Unschuldigen und die menschliche Reaktion auf Notsituationen innerhalb einer persönlichen JHWH-Relation. Es besteht aus einer Rahmenerzählung (Hi 1–2 und 42,7–17) und einem Dialogteil (Hi 3,1–42,6). Der Hiobrahmen erzählt in Prosa die Geschichte des paradigmatischen Mannes Hiob. Im Dialogteil verhandelt Hiob mit seinen Freunden Eliphas, Bildad und Zophar sein Ergehen und die dadurch aufgeworfenen Fragen nach der Gerechtigkeit Gottes sowie seinen Wunsch nach einer Antwort JHWHs und den Umgang mit seinem Leiden. In der Dialogdichtung lassen sich folgende Reden und Redegänge unterscheiden: Hiobs Klagemonolog in Hi 3, drei Redegänge (Hi 4–14; 15–21 und 22–28) zwischen Hiob und seinen drei Freunden, eine dreiteilige Herausforderungsrede Hiobs (Hi 29–31), Reden des bis Kapitel 32 nicht erwähnten vierten Freundes Elihu (Hi 32–27) und zwei Reden JHWHs (Hi 38,1–39,30 und 40,6–41,26) sowie zwei Antworten Hiobs (Hi 40,3–5 und 42,1–6). In der alttestamentlichen Forschung besteht bis auf wenige Ausnahmen49 der Konsens, dass das Hiobbuch in seiner vorliegenden Endgestalt nicht das literarisch einheitliche Werk eines Autors ist, sondern durch zahlreiche Redaktions- und Kompositionsvorgänge entstanden ist. Die Rahmenerzählung, bestehend aus Pro- und Epilog (Hi 1–2 und 42,7–17), bildet den meisten Exegeten zufolge50 den ältesten Kern des Hiobbuches. Dieser wurde – so die opinio communis – durch die Hinzufügung des Dialogteils (Hi 3–27; 29–31 und 38–42,6) erweitert. Das Lied der Weisheit in Hi 28 und die Elihureden (Hi 32–37) wurden sekundär in den Dialogteil eingefügt.51 Allerdings ist in der Hiobexegese umstritten, welche ursprüngliche Gestalt die Rahmenerzählung und die Hiobdichtung hatten, wann und wie sie erweitert und redaktionell verbunden wurden und welche redaktionellen Bearbeitungen das verknüpfte Hiobbuch erhielt. Daher gab es in der jüngeren Forschung zahlreiche redaktionsgeschichtliche Studien, die sich der mannigfaltigen literarkritischen Probleme annahmen, verschiedene Kohärenzkriterien wie die Hiobfigur (Markus Witte52) oder
49 Gordis (MorS, 278) und Wilson (Book of Job, 14 f.244) gehen davon aus, dass das Hiobbuch von einem Autor verfasst worden ist. 50 Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Buch Ijob, 423 f. 51 Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Buch Ijob, 423–425, und Witte, Das Hiobbuch, 440 f. Bezüglich weiterer literarkritischer Differenzierungen vgl. Schwienhorst-Schönberger, Buch Ijob, 425 f, und Witte, Das Hiobbuch, 437–439. 52 Vgl. Witte, Leiden.
Einordnung der Arbeit in die Forschung zum Hiobbuch
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die Vorstellungen von der Gegenwart Gottes (Roger Marcel Wanke53) anlegten und auf diese Weise unterschiedliche Thesen zur Entstehung des Hiobbuches aufstellten. Bspw. widmete sich Witte überwiegend dem dritten Redegang Hi 21–2754, Jürgen van Oorschot den Gottesreden55, Wolf-Dieter Syring der in Prosa verfassten Rahmenerzählung56 und Theresia Mende57 und Harald-Martin Wahl58 den Elihu-Reden. Ferner kamen van Oorschot59 2005 und Raik Heckl60 2010 zu dem Schluss, dass die Dialogdichtung – entgegen der opinio communis – ursprünglich ohne Rahmenerzählung existierte.61 Außerdem untersuchte Wanke 2013 in Auseinandersetzung mit den erwähnten Autoren die Vorstellungen von der Gegenwart Gottes im Hiobbuch und arbeitete eine kritischtheologische Redaktion heraus, „die für die Verknüpfung der Erzählung und Dichtung verantwortlich ist und in deren Bearbeitung das Gottesbild unter der Frage nach der Gegenwart Gottes kritisch literarisch und kritisch theologisch reflektiert und verarbeitet wird“62.
Die genannten Studien tragen auf jeweils ihre Weise zu dem Versuch bei, die komplexe Entstehungsgeschichte des Hiobbuches und die theologische Intention der Redaktoren der jeweils ermittelten Schichten zu rekonstruieren. Für die Frage nach Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott sind allerdings nicht einzelne literarische Schichten bzw. Redaktionen wie bspw. die von Witte herausgearbeitete Niedrigkeits-63, Majestäts-64 und Gerechtigkeitsredaktion65 53 54 55 56 57 58 59 60 61
62 63 64 65
Vgl. Wanke, Praesentia Dei. Vgl. Witte, Leiden. Vgl. van Oorschot, Gott als Grenze. Vgl. Syring, Hiob und sein Anwalt. Vgl. Mende, Leiden. Vgl. Wahl, Der gerechte Schöpfer. Vgl. van Oorschot, Entstehung. Vgl. Heckl, Hiob. Die von van Oorschot und Heckl vertretene These, dass die Rahmenerzählung nach der Dialogdichtung entstanden sei, wurde bereits in Ansätzen im ersten Drittel des 20. Jh. vertreten. Dhorme (Le livre de Job, LXVII) geht bspw. bereits 1926 davon aus, dass Prolog, Dialog und Epilog nicht auf zwei oder drei Autoren zurückgehen, sondern dass der Autor des Dialogteils auch den Prolog und Epilog verfasst hat. Hölscher vertritt 1937 in der ersten Auflage seines Kommtars ebenfalls die Meinung, dass „die Rahmengeschichte vom Dichter selber einer mündlichen Volkserzählung mehr oder minder frei nacherzählt worden ist“ (Hölscher, HAT1, 5). Zur Diskussion dieser und weiterer Vertreter der Meinung, dass der Prolog oder die Rahmenerzählung nach dem Dialogteil verfasst worden sei, vgl. Dell, Sceptical Literature, 200–202. Wanke, Praesentia Dei, 76. Der Niedrigkeitsredaktion entstammen Hi 4,12–21; 15,11–16 und 25,1–6 sowie Hi 40,3–5 und 42,2.3abb.5 f. Vgl. dazu Witte, Leiden, 175–178.190–192.194–204. Für eine Synopse der redaktionellen Schichten im Hiobbuch vgl. Witte, Leiden, 190–192. Auf die Majestätsredaktion gehen Hi 12,7–13,2; 27,5ab.11 f; 28,1–14.20–28 und 29,1 sowie im dritten Redegang Hi 26,1–4 und in den Gottesreden Hi 39,13–18 zurück. Vgl. dazu Witte, Leiden, 179–182.190–192.205–214. Die Gerechtigkeitsredaktion hat die ursprüngliche Hiobdichtung um Hi 7,20a.21(?); 9,2–14;
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Einleitung
oder die von Wanke dargelegte kritisch-theologische Redaktion66 relevant, sondern der vorliegende Endtext, da Hiobs Gottesrelation und deren Entwicklung nur auf der Basis der Dynamik des gesamten Buches verständlich sind. Flankierend tritt hinzu, dass der Hiobtext – obgleich er das Resultat eines jahrhundertelangen interpretierenden Fortschreibungsprozesses ist – in seiner jetzigen Gestalt eine absichtsvolle Komposition darstellt. Folglich kann eine Analyse der Redaktions- und Entstehungsgeschichte des Hiobbuches nicht die Interpretation des Buches in seiner Endgestalt ersetzen, wie Ludger Schwienhorst-Schönberger bemerkt hat. Denn „angenommen, die literarkritische Analyse sei richtig, und ebenfalls angenommen, die Interpretation der einzelnen Schichten sei richtig oder zumindest akzeptabel, dann darf damit nicht behauptet oder der Eindruck erweckt werden, damit sei das Ijobbuch interpretiert. Im günstigsten Fall sind die Intentionen der Redaktoren erfasst. Aber das, was sie geschrieben haben, und das, was sie als geschrieben vorgefunden haben, geht eine neue Verbindung ein, die mehr ist als die Summe ihrer Teile, die es, streng genommen, so gar nicht mehr gibt.“67
Daraus folgt, dass ich die Beiträge der literar- und redaktionskritischen Studien nicht ignorieren oder gar verwerfen möchte. Im Gegenteil: Ich gehe im Bewusstsein der Entstehungsgeschichte des Hiobbuches hermeneutisch synchron68 vor, d. h. Ausgangspunkt der Untersuchung des Weges Hiobs zu seinem persönlichen Gott bildet das vorliegende Hiobbuch im Masoretischen Text69 als Resultat eines jahrhundertelangen theologischen Diskurses und nicht als einheitliches Werk eines Autors.
2.2 Datierung des Hiobbuches Bezüglich der Datierung des Hiobbuches ist in der alttestamentlichen Wissenschaft ein weitgehender Konsens zu verzeichnen. Aus theologie- und literargeschichtlichen Gründen ist eine Entstehung in der persisch-hellenisti-
66 67
68 69
12,4–6; 17,8–10(?); 19,28(?); 24,5–8.13; 27,7–10.13–23 und 30,1b–8, um Hi 31,1–3.11 f.15(?). 18.23.28.33 f.38–40 („Erweiterung des Reinigungseides Hiobs“) sowie um Hi 40,1 f.6–14 (40,15–41,26) und Hi 42,1.3a.4 erweitert. Vgl. dazu Witte, Leiden, 183–189.190–192.215–219. Zu den auf die kritisch-theologische Redaktion zurückgehenden Texten und zur Redaktionsgeschichte des Hiobbuches vgl. die Synopse bei Wanke, Praesentia Dei, 430. Schwienhorst-Schönberger, Vier Modelle, 24 f. Ebenso Ebach, Art. Hiob/Hiobbuch, 362. Vgl. ferner Engljähringer (Streitgespräch, 11), die einen Ansatz wählt, der „die unverkennbaren Spannungen innerhalb der in MT überlieferten Textgestalt nicht“ leugnet, „sich jedoch herausgefordertet fühlt, nach deren (von Autor und/oder Redaktor ev. intendierten) literarischen Funktion im Gesamtkontext des Buches zu fragen, statt sie durch eine vermutete Entstehungsgeschichte aufzulösen“. Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Vier Modelle, 25 f. BHS.
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schen Zeit70 bzw. genauer zwischen dem 5. und 3.71/2.72 Jh. v. Chr. anzunehmen.73 Für einen terminus a quo in der frühnachexilischen Zeit sprechen u. a. die zahlreichen Aramaismen im Hiobbuch und die kritische Auseinandersetzung des Dialogteils mit dem Tun-Ergehen-Zusammenhang, die in die zeitliche Nähe Kohelets weist. Die Erwähnung von Cü2M8 („der Satan“) in den Himmelsszenen im Sinne einer Funktionsbezeichnung für einen himmlischen Ankläger (vgl. Sach 3,1 f) und nicht im Sinne eines Eigennamens (vgl. 1Chr 21,1) tritt flankierend für eine nachexilische Datierung hinzu.74 Terminus post quem non ist das Ende des 2. Jhs. v. Chr., da Aristeas75 das Hiobbuch inklusive der Elihureden bekannt war.76
2.3 Forschungsgeschichte Zum Ende des forschungsgeschichtlichen Abschnittes möchte ich die vorliegende Studie in die Forschung zur Untersuchung der Parallelen zwischen dem Hiobbuch und den Psalmen einordnen. Die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Büchern wurden von Vertretern des formgeschichtlichen und des intertextuellen Ansatzes analysiert. Im Folgenden werde ich zentrale Vertreter der genannten Forschungsrichtungen vorstellen und deren Werke kritisch würdigen. 2.3.1 Formgeschichtliche Forschung 2.3.1.1 Claus Westermann: Das Hiobbuch als dramatisierte Klage „Der Klagende reiht nicht klagend Gedanken aneinander, deren Zusammenhang wir auf Grund unserer Logik bestimmen könnten, sondern er steht mit seiner Klage in einer Tradition geprägter Formen, die in ihrer ganzen Fülle und gewaltigen Architektonik erst aus der gesamten Geschichte der Klage im AT zu erschließen ist und von dort her ihre Zusammenhänge bekommt.“77 70 71 72 73
74 75 76 77
Vgl. Witte, Das Hiobbuch, 441. Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Buch Ijob, 427. Vgl. Witte, Das Hiobbuch, 440. Anders Mende (Leiden, 11 f), der zufolge die Entstehungszeit des Hiobbuches von der Zeit des Exils (6. Jh. v. Chr.) bis in die Herrschaftszeit Antiochus IV. Epiphanes (Mitte 2. Jh. v. Chr.) reicht, und Wilson (Book of Job, 14 f.244), der davon ausgeht, dass das Hiobbuch auf einen Autor zurückgeht und im 2. Jh. v. Chr. entstanden ist. Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Buch Ijob, 427. Vgl. JSHRZ III/2, 296 f. Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Buch Ijob, 427. Westermann, Aufbau, 29.
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Einleitung
Mit diesen Worten beschreibt Claus Westermann seinen Zugang zum Hiobbuch. In seiner 1956 erschienenen Studie „Der Aufbau des Buches Hiob“78 untersucht er die „Formelemente in der Komposition“79, d. h. Formen, Gattungen und Motive, die im Dialogteil vorkommen. Er analysiert die Elemente Streitgespräch, Klage (genauer Feind-Klage, Ich-Klage und Anklage Gottes), Gotteslob, Unschuldsbeteuerungen und Bekenntnisse der Zuversicht ebenso wie die Argumente der Freunde Hiobs wie bspw. das Schicksal der Frevler und das Glück der Gottesfürchtigen. Da das Formelement der Klage am prominentesten vertreten sei, kommt Westermann zu dem Schluss, dass das Hiobbuch von diesem beherrscht sei. Er charakterisiert es als „Dramatisierung der Klage“80 und deutet es primär von dieser Gattung her. Die Reden der Freunde interpretiert er als Streitgespräche. Ferner stehe bei Hiobs Reden die Klage an der Stelle des Arguments.81 Da das Streitgespräch zwischen Hiob und seinen Freunden ergebnislos verlaufe und sich die Fronten zwischen ihnen immer mehr verhärteten, werde ein Rechtsentscheid durch JHWH benötigt, der sich in den Gottesreden ereigne. Die Reden JHWHs (Hi 38,1–39,30 und 40,6–41,26) deutet Westermann nicht nur als Rechtsentscheid, sondern auch als Entfaltung des Motivs des Lobs des Schöpfers.82 Ferner zeigt er auf, dass sie an der Stelle stehen, an der „in den Psalmen einmal das Heilsorakel stand“83. Hiobs Antworten (Hi 40,3–5 und 42,1–6) vergleicht er mit einem berichtenden Lob als Reaktion auf das Heilsorakel.84 2.3.1.2 Georg Fohrer: Form und Funktion und Gattungsmischung im Hiobbuch Georg Fohrer setzt sich 1959 in seinem Aufsatz „Form und Funktion im Hiobbuch“85 kritisch mit Westermanns These der „dramatisierten Klage“ auseinander. Er bringt zwei Hauptargumente vor: zum einen die Beobachtung, dass Westermann den Unterschied zwischen Form und Funktion sowie die Funktion der Formen in ihrem neuen Zusammenhang und deren (eventuelle) Abweichungen von anderen Belegen nicht berücksichtige: „Mit der Bestimmung der jeweiligen Gattung und ihres ,Sitzes im Leben‘ ist oft erst die Hälfte der Arbeit getan. Hinzutreten muß die Frage nach dem ,Sitz im Buch‘: die Bestimmung der Funktion, die der verwendeten Form in ihrem jeweiligen Zusam78 79 80 81 82 83 84
Vgl. Westermann, Aufbau. Westermann, Aufbau, 40. Westermann, Aufbau, 38. Vgl. Westermann, Aufbau, 31. Vgl. Westermann, Aufbau, 111. Westermann, Aufbau, 126. Vgl. Westermann, Aufbau, 126 f. Zur Auseinandersetzung mit der These von einem Heilsorakel vgl. II. 2.4.3. 85 Vgl. Fohrer, Form.
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menhang zugeteilt worden ist. Die Hiobdichtung bietet eine Reihe treffender Beispiele für die Doppelheit von Form und Funktion und für die verschiedene Art der Differenzierung.“86
Zum anderen zeigt Fohrer auf, dass eine Interpretation von einer Gattung her, wie bspw. bei Westermann von der Klage oder bei Heinz Richter vom Recht87 her, dem Hiobbuch nicht gerecht werde: „Der Unterschied zwischen Form und Funktion ist ferner für das Gesamtverständnis des Buches Hiob zu bedenken. Es stellt weder die Verhandlung einer Rechtssache noch eine dramatisierte Klage dar. In beiden Urteilen wird nicht nur einseitig einer der beiden Gattungsbereiche allein berücksichtigt und der dritte der Weisheitslehre überhaupt außer acht gelassen, sondern auch nicht beachtet, daß die Rechts- und Klageformen zum größten Teil neue Funktionen erhalten haben und in der sich abspielenden Auseinandersetzung über das rechte Verhalten des Menschen im Leide untergeordnete Bedeutung besitzen.“88
Folglich stellt Fohrer fest, dass sich das Hiobbuch mit Formelementen aus Weisheitslehre, Rechtsleben und den Psalmen auseinandersetzt.89 Daher kann es nicht von einer Gattung her bestimmt werden, sondern muss als Auseinandersetzungsliteratur betrachtet werden, die mehrere Gattungen diskutiert. 2.3.1.3 Katharine Dell: Deliberate misuse of forms Katharine Dell baut in ihrer 1991 erschienenen Monografie „The Book of Job as Sceptical Literature“90 aus der deutschsprachigen Forschung u. a. auf Westermann und Fohrer auf. Sie nimmt sich der Frage nach dem Sitz im Buch bzw. der Funktion der verschiedenen Formen im Hiobbuch an und kommt zu dem Schluss, dass das Hiobbuch die Formelemente, die es verwendet, verfremde: „A characteristic feature of Job is that it constantly ,misuses‘ the forms it contains.“91 Bspw. stelle Hi 3,11–16 eine „Verfremdung“ („misuse“) der Gattung des Klageliedes des Einzelnen dar.92 Ihres Erachtens tragen die Verfremdungen und Parodien93 dazu bei, die skeptische Botschaft des Hiobbu86 87 88 89 90 91 92 93
Fohrer, Form, 62. Vgl. Richter, Studien. Fohrer, Form, 77. Vgl. Fohrer, KAT, 51. Vgl. Dell, Sceptical Literature. Dell, Sceptical Literature, 214. Vgl. Dell, Sceptical Literature, 125. Zum Unterschied zwischen „Verfremdung“ und „Parodie“ vgl. Dell, Sceptical Literature, 148: „My suggestion is that the whole book is characterized by a deliberate misuse, or improper use, of genre. In the same way that the misuse of smaller genres conveys a sceptical message on a more detailed level, the overall genre of the book is one which misuses various genres in order to enhance this impression. When discussing smaller genres in Job above we often used the word
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Einleitung
ches zu übermitteln.94 Daher kommt sie zu dem Schluss, dass der Hiobtext als skeptische Literatur traditionelle Glaubensvorstellungen („traditionally-held beliefs“) hinterfrage: „Job is a witness to a profoundly sceptical stage of thought in Israel which questions traditionally-held beliefs.“95 Mit dieser Charakterisierung des Hiobbuchs unternimmt Dell über Westermann und Fohrer hinaus einen Antwortversuch auf die Frage nach der Intention der Hiobautoren in der Auseinandersetzung mit der Tradition. 2.3.1.4 Kritische Würdigung Die Vertreter der formgeschichtlichen Forschung konnten die traditionsgesättigte Sprache der Hiobdichtung deutlich herausarbeiten. Ferner zeigten sie auf, dass es sich beim Hiobbuch um Auseinandersetzungsliteratur handelt, die theologische Traditionen kritisch diskutiert und dabei Formelemente aus den Gattungen Weisheit, Psalmen und Recht oftmals umkehrt oder verfremdet. Bis auf Dell untersuchten sie allerdings nicht, worin die theologische Intention der Autoren im Gebrauch verschiedener Formelemente liegen könnte. Da Verfremdungen und Parodien auch eine Interpretation des Parodierten darstellen, muss über Dell hinaus gefragt werden, welche neuen theologischen Gedanken diese über eine Parodie und ein kritisches Hinterfragen traditioneller Glaubensvorstellungen („traditionally-held beliefs“96) hinaus erkennen lassen. 2.3.2 Intertextuelle Forschung Im Unterschied zu den formgeschichtlichen Arbeiten, die das Hiobbuch von den verwendeten Formelementen und deren Sitz im Leben und Sitz im Buch zu erschließen versuchten, streben die Vertreter des intertextuellen97 Ansatzes
94 95 96 97
,parody‘ to describe the misuse of forms technique. An example of this is the parody of Psalm 8 in Job 7:11–21 and the parodies in 9:5–10; 9:25–28 and 10:8–12 (a parody of Psalm 139).“ Vgl. Dell, Sceptical literature, 214: „Diverse forms from many areas of Israelite life are deliberately misused by the author of Job to convey his sceptical message – a traditional form is used with a different content and context and thus has a different function.“ Dell, Sceptical Literature, 217. Dell, Sceptical Literature, 217. Einen Überblick über Intertextualität gibt Miller, Intertextuality. „Intertextualität“ kann demnach auf zwei Arten verstanden werden: zum einen im Sinne Kristevas (vgl. Kristeva, Bachtin, 391: „Jeder Text baut sich als Mosaik von Zitaten auf, jeder Text ist Absorption und Transformation eines anderen Textes. An die Stelle des Begriffs der Intersubjektivität tritt der Begriff der Intertextualität und die poetische Sprache lässt sich zumindest als eine doppelte lesen.“) als leserorientierte „synchrone Intertextualität“, die Bezüge zwischen einem Text und allen anderen, auch später verfassten, dem Leser zugänglichen Texten untersucht, und zum anderen als autororientierte „diachrone Intertextualität“, die Bezüge zwischen einem Text und anderen, dem Autor vorliegenden, früher verfassten Texten, auf die er sehr wahrscheinlich intentional
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seit Michael Fishbane danach, das Hiobbuch durch eine Analyse seiner Auseinandersetzung mit anderen, früher verfassten, den Autoren in welcher Form auch immer bekannten Texten zu interpretieren. Bspw. entdeckte Tryggve Mettinger, dass es nicht nur auf Formelemente, sondern auch auf Texte aus Weisheit, Recht, Kult und den Psalmen Bezug nimmt.98 Ferner stellten John Hartley und Konrad Schmid fest, dass die Autoren des Hiobbuches mit anderen, später in der hebräischen Bibel gesammelt überlieferten Schriften zutiefst vertraut waren.99 Außerdem bemerkte Melanie Köhlmoos: „Der hauptsächliche kontextuelle und intertextuelle Hintergrund des Hiobbuches ist das Alte Testament.“100 Folglich lässt sich von einem intertextuellen Turn in der Hiobforschung sprechen.101
2.3.2.1 Michael Fishbane: Haggadische Exegese Fishbane zeigt in seinem 1985 erschienenen Werk „Biblical Interpretation in Ancient Israel“102 auf, dass sich nicht nur in der jüdischen Haggada103, sondern auch innerhalb der Schriften des Alten Testaments haggadische Exegese („aggadic exegesis“104) finden lässt, da Texte auf andere Texte und deren Theologumena, Themen, Motive und Gattungen etc. Bezug nehmen und diese interpretieren.105 Als Ziel der haggadischen Exegese betrachtet Fishbane, die weniger offensichtlichen Sinnmöglichkeiten der Texte, die interpretiert werden, herauszuarbeiten: „Aggadic exegesis is primarily concerned with utilizing the full range of the inherited traditum for the sake of new theological insights, attitudes, and speculations.“106 (It,
98 99 100 101 102 103 104 105
106
direkt Bezug nahm, analysiert. Die Autoren, deren Werke ich unter I. 2.3.2 vorstelle, verstehen Intertextualität im diachronen, autororientierten Sinne. Folglich beziehe ich mich in meiner Auseinandersetzung mit ihnen und in der Darstellung der Methodik und des Ziels der vorliegenden Arbeit (vgl. I. 3–3.3) auch auf dieses Intertextualitätsverständnis. Vgl. Mettinger, Intertextuality, 275. Vgl. Hartley, NIC.OT, 11 f, und Schmid, Authors, 148. Köhlmoos, Auge Gottes, 15. Ebenso Kynes, My Psalm, 14. Vgl. Fishbane, Biblical Interpretation. Strack (Einleitung, 5) definiert Hagadda wie folgt: „Allgemein ist anerkannt, daß Hagadda, ein nomen actionis von 7=6%, 8%, alle nicht-halakhische Schriftauslegung bezeichnet.“ Fishbane (Biblical Interpretation, 281) versteht „aggadic exegesis“ als „category and range of inner-biblical exegesis which is strictly speaking neither scribal nor legal, on the one hand, nor concerned with prophecies or futuristic oracles, on the other“. Vgl. Fishbane, Biblical Interpretation, 282: „Aggadic exegesis utilizes pre-existng (sic!) legal materials, but it also makes broad and detailed use of moral dicta, official or popular theologumena, themes, motifs, and historical facts. In a word, aggadic exegesis ranges over the entire spectrum of ideas, genres, and texts of ancient Israel. It is these which form the basis of its textual transformations, reapplications, and reinterpretations.“ Fishbane, Biblical Interpretation, 282.
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Einleitung
N. M.z.F.) „is thus not content to supplement gaps in the traditum, but characteristically draws forth latent and unsuspected meanings from it“107.
Überdies stellt er fest, dass es in der hebräischen Bibel, d. h. im proto-kanonischen Stadium108, „unmarked intertextuality“109 und „marked intertextuality“110, d. h. explizit gekennzeichnete und nicht gekennzeichnete Intertextualität gibt. Als Beispiel für „unmarked intertextuality“ erwähnt er, dass die Sprache von Gen 1,26–29 im Gesetz von Gen 9,1–7 verwendet werde: „Here intertextuality shows its central characteristic of tradition-building through the reuse of earlier formulations. Its product, moreover, is in a new genre.“111 „Marked intertextuality“ findet sich Fishbane zufolge bspw. in den Psalmenüberschriften, die den jeweiligen Psalm mit Ereignissen aus der Tora oder den Geschichtsbüchern verbinden.112 Durch diese Art der Intertextualität werde dazu aufgefordert, die Psalmen und die Geschichtsbücher zusammen zu lesen.113 Auch innerhalb des Hiobbuches arbeitet Fishbane exemplarisch Fälle von haggadischer Exegese heraus. Als Beispiel für die Auseinandersetzung des Hiobbuches mit den Psalmen analysiert er Hi 7,17 f. Diese Verse sind wie Ps 8,5 in Frageform gestaltet. Der Beter von Ps 8,5 fragt sich betend und staunend: 5
Was (ist) (der) Mensch (M19D4), dass du seiner gedenkst (L?:) und der einzelne Mensch (A74.C5), dass du (fürsorglich) nach ihm siehst (1147KH)?
Hiob fragt dagegen anklagend: 17 Was (ist) (der) Mensch (M19D4), dass du ihn groß machst (@76 pi.) und dass du richtest (N=M1) auf ihn dein Herz (5@), 18 und ihn heimsuchst (7KH) jeden Morgen, alle Augenblicke ihn prüfst (C;5)?
Fishbane hält fest, dass Ps 8 im Hintergrund der Anklage Hiobs stehe und diese geprägt habe: „Indeed, it seems far more likely than not that the fixed form of the psalmist’s praise preceded and inspired Jobs’s rhetoric.“115 Überdies macht er deutlich, dass es sich bei Hi 7,17 f um eine implizite oder 107 108 109 110 111 112 113 114
Fishbane, Biblical Interpretation, 283. Vgl. Fishbane, Types of Biblical Intertextuality, 39. Fishbane, Types of Biblical Intertextuality, 40 f. Fishbane, Types of Biblical Intertextuality, 41. Fishbane, Types of Biblical Intertextuality, 40. Vgl. Fishbane, Types of Biblical Intertextuality, 41. Vgl. Fishbane, Types of Biblical Intertextuality, 41. Der Zusatz „fürsorglich“ dient dazu, den Aspekt zum Ausdruck zu bringen, dass Gott sich liebevoll um den Menschen kümmert. Ebenso Gesenius18, 1070. 115 Fishbane, The Book of Job and Inner-Biblical Discourse, 89 f.
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virtuelle Zitation („implicit or virtual citation“) und exegetische Revision von Ps 8,5–7116 handele117, in der Hiob ironisch dessen inhärente Ambivalenz bzw. dessen dunkle Seite offenlege.118
2.3.2.2 Melanie Köhlmoos: Das Hiobbuch als Kritik an der nachexilischen offiziellen Theologie Obgleich Köhlmoos in ihrer 1999 publizierten Monografie „Das Auge Gottes. Textstrategie im Hiobbuch“119 primär einen textstrategischen Ansatz verfolgt, widmet sie sich auch intertextuellen Fragestellungen. Sie analysiert Hi 7,17 f, geht davon aus, dass diese Verse auf Ps 8,5 Bezug nehmen und spricht von einer „Aufnahme eines ehrwürdigen Traditionstextes“120 in Gestalt einer „giftigen Paraphrase“121. Daher bezeichnet sie Hi 7,17 f als „expliziten Höhepunkt“ der „,Umkehrung‘ psalmentheologischen Denkens“ und „scharfe und grundsätzliche Anklage Gottes“122. Außerdem hält sie fest, dass das Alte Testament den „hauptsächliche(n) kontextuelle(n) und intertextuelle(n) Hintergrund des Hiobbuches“123 bilde. Überdies betont sie, dass der Schwerpunkt des Hiobtextes auf „einer kritischen Evaluation der offiziellen124 Religion“125 und einer „dezidierte(n) Kritik an der offiziellen Theologie der Perserzeit“126 liege, die in Pentateuch und Psalter niedergeschrieben ist127. Die Kritik bzw. kritische Evaluation arbeite „die theologischen Aporien der Hauptthemen nachexilischer Theologie“128 heraus. Sie bestehe aus folgenden drei Aspekten: der Ausblendung der heilsgeschichtlichen Dimension der Theologie, der Ablehnung der Theonomie der Gerechtigkeit und der Herauslösung der 116 In der Forschung gehen die Meinungen bezüglich der Frage, auf wie viele Verse aus Ps 8 Hi 7,17 f Bezug nimmt, auseinander. Köhlmoos (Auge Gottes, 171 f) geht davon aus, dass Hi 7,17 f Ps 8,5 rezipiert. Fishbane (The Book of Job and Inner-Biblical Discourse, 89) und Schmid (Schriftdiskussion, 258) sind der Auffassung, dass Ps 8,5–7 in Hi 7,17 f verarbeitet werde. Da m. E. die sprachliche Nähe zwischen Hi 7,17 f und Ps 8,5 am größten (vgl. Anm. 159) und daher eine intertextuelle Bezugnahme auf diesen Vers am wahrscheinlichsten ist, habe ich oben nur Ps 8,5 und nicht Ps 8,5–7 abgedruckt. 117 Vgl. Fishbane, The Book of Job and Inner-Biblical Discourse, 89. 118 Vgl. Fishbane, Biblical Interpretation, 285 f. 119 Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes. 120 Köhlmoos, Auge Gottes, 171 f. 121 Köhlmoos, Auge Gottes, 171. 122 Alle drei Zitate: Köhlmoos, Auge Gottes, 171. 123 Köhlmoos, Auge Gottes, 15. 124 Zur Problematik des Begriffs „offizielle Theologie“ vgl. Pietsch, Rezension Köhlmoos, sowie Wanke, Praesentia Dei, 52. 125 Köhlmoos, Auge Gottes, 4. 126 Köhlmoos, Auge Gottes, 364. 127 Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 3. 128 Köhlmoos, Auge Gottes, 4.
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Einleitung
Schöpfung aus ihrer zielgerichteten Zuspitzung.129 Folglich bezeichnet Köhlmoos das Hiobbuch und andere biblische Bücher, die die offzielle nachexilische Theologie kritisieren, als interpretative Korrektive.130
2.3.2.3 Christian Frevel: Die Psalmen als Referenztext und im Hintergrund stehendes Paradigma Auch Christian Frevel befasst sich im Rahmen seines 2004 erschienenen Aufsatzes „,Eine kleine Theologie der Menschenwürde‘. Ps 8 und seine Rezeption im Buch Ijob“131 mit der Frage nach der Auseinandersetzung des Hiobbuches mit den Psalmen. Nach eingehender Analyse von Hi 7,17 f und Ps 8 kommt er zu dem Schluss, dass Ps 8 als Referenztext sowie als „Paradigma und Maßstab“132 im Hintergrund von Hi 7,17 f stehe, denn „ohne den positiven Subtext von Ps 8 ist auch die ins Groteske abgerutschte Parodie nicht zu verstehen“133. Hiob fordere daher durch den Verweis auf und die Änderungen an Ps 8,5–7 „implizit die Hoheit und Würde von Psalm 8 für den Menschen oder exakter für sich ein“134. Im 2007 veröffentlichten Aufsatz „Schöpfungsglaube und Menschenwürde. Anmerkungen zur Anthropologie der HiobReden“135 folgert Frevel schließlich: „Die intertextuellen Bezüge zeigen das Buch Hiob in einem intensiven innerkanonischen Dialog mit dem Psalter und dessen weisheitlichen Idealen.“136
2.3.2.4 Konrad Schmid: Dialektische Schriftkritik Schmid betont in seinem 2007 veröffentlichten Aufsatz „Innerbiblische Schriftdiskussion im Hiobbuch“137, die Auseinandersetzung des Hiobbuches mit anderen später in der hebräischen Bibel gesammelt überlieferten Schriften in einem historisch aufgeklärten Sinn anzugehen: „Man darf sich die Autoren des Hiobbuches wahrscheinlich nicht so vorstellen, dass sie mit verschiedenen anderen Schriftrollen vor Augen, in denen sie jeweils nach ihren Zitaten gesucht hätten, ihr Buch verfasst hätten.“138 129 130 131 132 133 134 135 136 137 138
Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 364 f. Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 4. Vgl. Frevel, Menschenwürde. Frevel, Menschenwürde, 261. Frevel, Menschenwürde, 262. Frevel, Menschenwürde, 261. Vgl. Frevel, Schöpfungsglaube. Frevel, Schöpfungsglaube, 496. Vgl. Schmid, Schriftdiskussion. Schmid, Schriftdiskussion, 242.
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Ferner verweist er auf David Carrs Studie „Writing on the Tablet of the Heart“139. Carr betont, wie stark die Kulturen des Alten Orients und des alten Israel durch das Memorieren von Texten geprägt waren: Texte wurden abgeschrieben, damit sie in die Herzen der Tradenten eingeschrieben wurden, und nicht, damit sie schriftlich vorhanden waren.140 Folglich sei Schmid zufolge davon auszugehen, dass die Autoren des Hiobbuches die verarbeiteten Passagen aus anderen Teilen der alttestamentlichen Überlieferung aus dem Gedächtnis zitiert hätten.141 Seine Vorbemerkungen beendet er mit dem Hinweis, dass es bei Analysen von intertextuellen Bezügen in der Natur der Sache liege, dass sie „bei Wahrscheinlichkeitsurteilen (ihr) Bewenden haben müssen“142. Ausgehend von den eben dargelegten Prämissen untersucht er exemplarisch Bezugnahmen des Hiobbuches auf Tora, Prophetie und Psalmen. Als Fallbeispiel für die Psalmen analysiert er vor allem Hi 7,17 f. Da diese Verse Ps 8,5–7 aufnehmen, kommt er zu folgendem Schluss: „Die Theologie der Psalmen wird zwar kritisiert, aber nicht einfach abgewiesen, sondern dialektisch rezipiert.“143 Daher zeige die Rezeption von Ps 8, „dass das Hiobbuch hier nicht einfach eine kreative Umkehrung vornimmt, sondern diese Umkehrung aus dem Psalter selbst legitimiert. Das Hiobbuch argumentiert also in dialektischer Weise mit dem Psalter gegen den Psalter.“144
Unter „dialektisch“ versteht Schmid die Relativierung affirmativer theologischer Positionen.145 Für die Bezugnahme des Hiobbuches auf Tora, Prophetie und Psalmen hält er zusammenfassend fest: „Es greift prominente theologische Positionen des Alten Testaments auf, kritisiert sie, weist sie aber nicht einfach ab, sondern setzt sie in höherem Sinne durchaus wieder in Kraft.“146
2.3.2.5 Will Kynes: Diachrone intertextuelle Auseinandersetzung des Hiobbuches mit Ps 1; 8; 39; 73; 107 und 139 Mit Will Kynes’ 2012 erschienener Monografie „My Psalm has turned into weeping. Job’s dialogue with the Psalms“147 liegt die erste umfassende Studie zur Auseinandersetzung des Hiobbuches mit dem Paradigma der Psalmen vor. 139 140 141 142 143 144 145 146 147
Vgl. Carr, Writing on the Tablet of the Heart. Vgl. Carr, Writing on the Tablet of the Heart, 111–173, und Schmid, Schriftdiskussion, 242. Vgl. Schmid, Schriftdiskussion, 242 f. Schmid, Schriftdiskussion, 243. Schmid, Schriftdiskussion, 258. Schmid, Schriftdiskussion, 259. Vgl. Schmid, Schriftdiskussion, 261. Schmid, Schriftdiskussion, 260. Vgl. Kynes, My Psalm.
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Einleitung
In der Einleitung stellt er fest, dass es noch keine Untersuchung gibt, die sich der Rezeption und der Rolle der Psalmen im gesamten Hiobbuch annimmt.148 Kynes zufolge gibt es drei Kategorien, die die Aufnahme eines Textes beschreiben und unter dem Oberbegriff „Intertextualität“ im Sinne von jeder Art von Beziehung zwischen Texten („any connection between texts“149) subsumiert werden können: Zitat („quotation“), Allusion („allusion“) und Echo („echo“).150 Unter einem Zitat versteht er eine explizite Bezugnahme auf eine ältere, mündlich oder schriftlich vorliegende Aussage („expression“), die oftmals mit einer Zitatformel eingeleitet wird. Als Echo bezeichnet er vom Autor nicht intentionale implizite Bezugnahmen auf ältere Aussagen. Als Allusion charakterisiert er eine intentionale implizite Referenz auf eine ältere Aussage („intentional implicit reference to an earlier expression“), die keine Zitatformel enthält und ihren Referenztext oftmals nur vage erkennen lässt.151 Das Verhältnis von Zitat, Allusion und Echo bestimmt er wie folgt: „Thus, quotation is distinguished from allusion and echo by its explicit reference to its source, and echo is distinguished from quotation and allusion by its lack of authorial intent. Implicit and yet intended, allusion stands in between the two (…).“152
In seiner Studie konzentriert sich Kynes auf Allusionen, da das Hiobbuch seines Erachtens keine Psalmenzitate enthalte und Echos auf Psalmen von geringer Bedeutung für die Interpretation des Psalmengebrauchs im Hiobbuch seien.153 Als Grund, warum es im Hiobbuch keine Psalmenzitate gebe, führt er an, dass in keiner der Bezugnahmen auf einzelne Psalmen mehr als ein Halbvers eines Psalms verbatim wiedergegeben wird, was er immer noch als implizite und nicht als explizite Bezugnahme charakterisiert.154 Kynes geht davon aus, dass im Hiobbuch Allusionen auf Ps 1; 8; 39; 73; 107 und 139 zu finden seien.155 Er legt dar, wie die Autoren die Spannungen der genannten Psalmen herausarbeiten und wie sowohl Hiob als auch seine Freunde auf diese Texte Bezug nehmen und sie zur Stützung ihrer Argumente verwenden: „The author of Job’s dialogic interpretation of these six psalms testifies to the complexity of interpreting them. He draws out the ambiguity and tension in each psalm, demonstrating how different interpreters can capitalize on these portions of 148 149 150 151 152 153 154 155
Vgl. Kynes, My Psalm, 16. Kynes, My Psalm, 30. Vgl. Kynes, My Psalm, 30. Vgl. Kynes, My Psalm, 30. Kynes, My Psalm, 31. Vgl. Kynes, My Psalm, 33. Vgl. Kynes, My Psalm, 32. Vgl. Kynes, My Psalm, 46–49. Zur Auseinandersetzung mit der These, dass der Begriff „allusion“ die Bezugnahmen des Hiobbuches auf Ps 1; 8; 39; 73; 107 und 139 treffe, vgl. I. 2.3.2.6 sowie Anm. 158.
Einordnung der Arbeit in die Forschung zum Hiobbuch
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each psalm’s message to make the psalms say what they want by resolving the ambiguity in favor of their view.“156
2.3.2.6 Kritische Würdigung und methodische Folgerungen für die Arbeit Die Vertreter des intertextuellen Ansatzes haben für die weitere Forschung äußerst gewinnbringend dargelegt, dass das Hiobbuch vor dem Hintergrund der Texte, mit denen es interagiert, interpretiert werden sollte. Ferner stellten sie fest, dass sich das Hiobbuch am Paradigma der Psalmen abarbeitet157 und Psalmentheologie kritisch evaluiert. Schmid machte zurecht darauf aufmerksam, dass die historischen Umstände der Auseinandersetzung des Hiobbuches mit anderen später in der hebräischen Bibel gesammelt überlieferten Schriften in die Auslegung miteinzubeziehen sind. Wie an den formgeschichtlichen Ansatz sind auch an den intertextuellen Ansatz Anfragen zu stellen: Zum einen fällt auf, dass sich die Vertreter überwiegend auf Hi 7,17 f bzw. die Verarbeitung von Ps 8 in diesen Versen beziehen. Andere Beispiele werden kaum genannt, obgleich es auch zwischen Hi 7 und Ps 39 Text-Text-Bezüge gibt.158 Allerdings ist im Vorgriff auf die Einzelexegesen (III.) festzuhalten, 156 Kynes, My Psalm, 187. 157 Vgl. Frevel, Menschenwürde, 257. 158 Frevel, Schmid und Kynes untersuchen neben Hi 7,17 f auch weitere Bezugnahmen des Hiobbuches auf Einzeltexte aus den Psalmen. Bspw. exegesiert Frevel (Menschenwürde, 262–267) den Vers Hi 19,9, der auf Ps 8,6 Bezug nimmt, hält jedoch fest, dass diese Stelle in der Forschung weniger Beachtung als Hi 7,17 f erhalten hat, da die sprachliche Nähe zwischen den beiden Texten geringer als bei Hi 7,17 f und Ps 8,5–7 ist. Außerdem untersucht Schmid (Schriftdiskussion, 259 f) im Kontext seiner Analyse von Hi 7,17 f auch die Rezeption von verschiedenen Stellen aus Ps 39 in Hi 7. Er arbeitet Bezüge zwischen Ps 39,12 und Hi 7,16; Ps 39,14 und Hi 7,19 sowie Hi 7,21 und Ps 39,9 heraus. Ferner spricht er von einer „extensiven zusätzlichen Verarbeitung von Ps 39 in Hi 7, die hinter der vordergründigen Aufnahme von Ps 8 steht“ (Schmid, Schriftdiskussion, 259). Kynes geht davon aus, dass im Hiobbuch Allusionen auf Ps 1; 8; 39; 73; 107 und 139 zu finden seien. Wie Schmid analysiert er u. a. Bezugnahmen auf Ps 39 im Verlauf von Hi 7 (vgl. Kynes, My Psalm, 122–141). Er bezeichnet diese Verbindungen jedoch anders als Schmid als Allusionen. M. E. differenziert Kynes in seiner Studie nicht genau, von welcher Art jeder einzelne Bezug auf einen einzelnen Psalm ist. Vielmehr subsumiert er alle Psalmenbezüge, die er in seiner Untersuchung analysiert, bereits in der Einleitung (vgl. Kynes, My Psalm, 33) unter dem Begriff „allusion“. M. E. sind die Bezüge zwischen Ps 8,5 und Hi 7,17 f und Ps 39,12.14.9 und Hi 7,16.19.21 qualitativ anders zu bewerten als andere, die er untersucht. Innerhalb der von Kynes verwendeten Kategorien Zitat, Allusion und Echo (vgl. I. 2.3.2.5) würde ich die erwähnten Bezüge unter Zitat verorten, da sie aus mehreren Gründen eine explizite Bezugnahme auf eine ältere, mündlich oder schriftlich vorliegende Aussage darstellen (vgl. Kynes, My Psalm, 30): Ps 8,5 und Hi 7,17 f lassen drei gemeinsame Wörter und syntaktische Parallelen erkennen (vgl. Anm. 159). Außerdem wird das Verb L?: („gedenken“) durch die Wurzel C;5 („prüfen“) ersetzt, sodass Ps 8,5 umgekehrt wird (vgl. III. 2.6). Die Umkehrung einer Aussage macht eine explizite Bezugnahme auf diese wahrscheinlich. Ferner legt die Vielzahl der Bezüge zwischen Ps 39,12.14.9 und Hi 7,16.19.21 nahe, dass – innerhalb der von Kynes angenommenen Datierung und Abhängigkeitsrichtung – explizit auf Ps 39 Bezug ge-
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Einleitung
dass diese Art der Bezugnahme auf die Psalmen, die sich durch literarische Abhängigkeit von einem Einzeltext erklären lässt159, in der Minderheit ist. An vielen anderen Stellen nimmt das Hiobbuch geprägte Sachgehalte aus den Psalmen wie bspw. das Ringen mit Gott um das Leben angesichts von Todesbefallenheit (vgl. Ps 88,11–13)160 und die Bitte um die Zuwendung Gottes (vgl. Ps 13,4)161 auf und setzt sich mit diesen auseinander, wie die folgenden zwei Beispiele zeigen: 1. Das Ringen mit Gott um das Leben angesichts von Todesbefallenheit Der Beter aus Ps 88,11–13 konfrontiert JHWH mit einem argumentum ad deum, um ihn zum Einschreiten und zur Rettung aus dem Tod mitten im Leben162 zu bewegen: 11 Wirst du für die Toten Wunder tun, oder können Totengeister aufstehen, dich preisen?
159
160 161 162
nommen wird. Folglich erscheint mir der Begriff „allusion“ für das Verhältnis von Hi 7,17 f und Ps 8,5 sowie Hi 7,16.19.21 und Ps 39,12.14.9 nicht passend. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass sich alle oben genannten Autoren auf Hi 7,17 f beziehen, Ps 8 den meistgenannten Referenztext darstellt, Hi 7,17 f als „eindeutigste Aufnahme“ (Frevel, Menschenwürde, 257) eines Psalmentextes charakterisiert wird und in der Forschungsliteratur nur noch wenige, weniger eindeutige Bezugnahmen anderer Hiobstellen auf Psalmentexte genannt werden. Dennoch möchte ich erwähnen, dass die Text-Text-Bezüge zwischen Hi 7 und Ps 39, die aufgrund geringerer Wortübereinstimmung und mangelnder syntaktischer Parallelen weniger eindeutig als der Bezug auf Ps 8,5 in Hi 7,17 f, aber aufgrund der Vielzahl der Parallelen wahrscheinlich sind, besondere Beachtung verdienen. Ferner möchte ich darauf hinweisen, dass die Abhängigkeitsrichtung m. E. anders herum als von Kynes und Schmid angenommen verläuft. Nach meinem Dafürhalten nimmt Ps 39 auf das Hiobbuch Bezug und nicht das Hiobbuch auf Ps 39 (vgl. dazu den Exkurs zum Verhältnis zwischen dem Hiobuch und Ps 39 unter III. 2.4.1). Die vorliegende Studie kann sich den genannten Bezügen und der Frage nach der Abhängigkeitsrichtung jedoch nicht im Detail widmen, da sie sich auf die Rezeption geprägter Sachgehalte konzentriert (vgl. I. 3.–3.3) und mit einem traditionsgeschichtlichen Ansatz arbeitet und nicht mit einem intertextuellen Ansatz Aufnahmen konkreter Einzeltexte untersucht. Der Anfang von Hi 7,17 f sowie der von Ps 8,5 (M19D4.8B) sind identisch, und das Verbum 7KH wird in beiden Texten verwendet. Außerdem sind beide Textstellen in Frageform gestaltet. Hi 7,17 f und Ps 8,5 weisen also drei gemeinsame Worte auf und sind syntaktisch ähnlich, was einen Text-Text-Bezug wahrscheinlich macht (vgl. Brodersen, Psalter, 25). Brodersen versucht im Anschluss an Emanuel (Intertextual Analysis, 17–20) und Kynes (My Psalm, 37–60), strikte Kriterien für intertextuelle Bezüge zu finden, da es keine Standardkriterien gibt. Sie zeigt auf, dass ein intertextueller Bezug naheliegt, wenn beide Texte gemeinsame Wörter enthalten (je mehr gemeinsame Wörter zu finden sind, desto wahrscheinlicher ist ein Text-Text-Bezug), die Anordnung der gemeinsamen Wörter syntaktisch ähnlich ist und die gemeinsamen Wörter nur selten belegt sind (vgl. Brodersen, Psalter, 25). Hi 7,17 f und Ps 8,6 enthalten keine gemeinsamen Wörter, und Hi 7,17 f und Ps 8,7 haben nur das eine Verbum N=M1 („setzen“, „legen“) gemeinsam, das zudem kein seltenes Verbum ist, sodass ein Text-Text-Bezug zwischen Hi 7,17 f und Ps 8,6 und Ps 8,7 wenig wahrscheinlich ist. Vgl. II. 1.1.1. Vgl. II. 1.1.2. Zum Tod mitten im Leben vgl. II. 1 und II. 1.1.1.
Einordnung der Arbeit in die Forschung zum Hiobbuch
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12 Erzählt man im Grab deine Güte, deine Treue im Ort des Untergangs? 13 Wird in der Finsternis deine Wundertat verkündet und deine Gerechtigkeit im Land des Vergessens?
Hiob hingegen wünscht sich in Hi 6,8–10 den Tod und kämpft mit JHWH darum, sterben zu dürfen: 8
Oh, dass doch einträfe meine Bitte und meine Hoffnung gäbe Gott!
9
Und (mir) gewährte Gott und mich zermalmte, seine Hand frei ließe und mich abschnitte!
10 Und (dies) wäre noch mein Trost und ich wollte hüpfen in schonungslosem Schmerz. Denn ich habe nicht versteckt die Worte des Heiligen.
2. Die Sehnsucht nach Gottesnähe Der Sprecher aus Ps 42,2–4 leidet unter Gottesferne (V.4) und wünscht sich daher Gottesnähe (V.2 f), um seine Not zu beenden: 2
Wie eine Hirschkuh schreit über Wasserbächen, so schreit mein Leben (=M1HD) nach dir, Gott!
3
Mein Leben (=M1HD) dürstet nach Gott, dem lebendigen Gott: „Wann werde ich kommen und Gottes Angesicht sehen?
4
Meine Tränen sind mir zu Brot geworden Tag und Nacht, da man den ganzen Tag zu mir sagt: ,Wo ist (denn) dein Gott?‘“163
Im Unterschied dazu sehnt sich Hiob in Hi 10,20 nach Gottesferne, um heiter zu werden: 20 Sind nicht (nur noch) ein wenig die Tage meiner Lebensdauer? Blick weg von mir, und ich will ein wenig heiter werden!164
Diese Art von traditionsgesättigter Psalmensprache lässt sich nicht als Zitation, Allusion oder Echo bezeichnen. Daher lässt sie sich nicht mit einem intertextuellen Ansatz identifizieren und interpretieren. Die genannten Anfragen zeigen, dass ein intertextueller Ansatz nur für einen Text wie Hi 7,17 f, der sich deutlich durch literarische Abhängigkeit von einem anderen Text erklären lässt, geeignet ist. Sie stellen also vor die Herausforderung, eine geeignete Methodik zu finden, um diejenige Psalmensprache im Hiobbuch zu untersuchen, die geprägtes Gedankengut erkennen lässt. 163 Zur Übersetzung und zu den textkritischen Entscheidungen vgl. II. 1.1.2. 164 Zur Übersetzung und zu den textkritischen Entscheidungen vgl. III. 2.4.
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Einleitung
3. Methodik und Ziel der Arbeit 3.1 Traditionsgeschichtlicher Ansatz Hierzu legt sich ein traditionsgeschichtlicher Ansatz nahe, obgleich dieser in den letzten Jahrzehnten – m. E. zu Unrecht – vernachlässigt worden165 und aus der Mode166 geraten ist. Denn dieser ermöglicht eine Annäherung an das in Formulierungen unausgeführt Mitschwingende und somit an mögliche und wahrscheinliche antike Rezeptionsvoraussetzungen167.
3.2 Analyse von Vorstellungskomplexen und geprägten Sachgehalten Für ein traditionsgeschichtliches Vorgehen erweisen sich Odil Hannes Stecks168 Überlegungen als Ausgangspunkt. Er definiert Traditionsgeschichte wie folgt:
165 Vgl. Rösel, Art. Traditionskritik/Traditionsgeschichte, 737: „In der deutschsprachigen Forschung tritt jedoch ab ca. 1970 die überlieferungs- und traditionsgeschichtliche Fragestellung zugunsten der Redaktionsgeschichte mit ihrem Interesse an originellen Aussagen von Autoren und Redaktoren in den Hintergrund.“ Ähnlich Utzschneider, Art. Traditionskritik/Traditionsgeschichte, 529: „Ab dem letzten Drittel des 20. Jh. sind lit., auf schriftliche Text- und Buchgestalten bezogene Traditionskonzepte in den Vordergrund getreten. Das themenbezogene Konzept ist aber keineswegs überholt.“ Inwiefern das themenbezogene Konzept nicht überholt, sondern sehr ertragreich ist, versucht die vorliegende Arbeit herauszuarbeiten. 166 Der Großteil der neueren Hiobmonografien verwendet einen literar- und redaktionskritischen Ansatz (vgl. I. 2.1). 167 Vgl. Anm. 35. 168 Obgleich es neuere Methodenbücher zur alttestamentlichen Exegese mit traditionsgeschichtlichem Kapitel gibt (vgl. Becker Exegese, 119–133, und Vieweger, Traditionskritik, 88–95), habe ich mich aus drei Gründen für Stecks traditionsgeschichtliches Vorgehen als Ausgangspunkt entschieden: Zum einen enthält Stecks Methodenbuch die umfassendste Darstellung der Traditionsgeschichte, auf die die neueren Methodenbücher Bezug nehmen, ohne jedoch entscheidende Änderungen vorzunehmen. Zum anderen schildert sein Begriff „geprägter Sachgehalt“ genau, woran sich das Hiobbuch im Fall der Psalmen abarbeitet. „Rezeption von und Auseinandersetzung mit geprägten Sachgehalten“ trifft exakt diejenigen Übereinstimmungen zwischen dem Hiobbuch und den Psalmen, die sich nicht durch literarische Abhängigkeit von einem Einzeltext erklären lassen. Zum dritten ist Stecks Beschreibung der Rezeption von Traditionen als traditionskonform, -verändernd und -fortbildend treffender als die von Becker (Exegese, 125) vorgeschlagene „übernehmend“, „umbildend“ und „polemisch abstoßend“ oder die von Vieweger (Traditionskritik, 93) verwendete „bestätigend“, „verstärkend“, „interpretierend“ und „distanzierend“. Denn das Hiobbuch stößt – wie in der Einzelexegese (III.) und im Schluss der Arbeit unter IV. 2.2 dargelegt werden wird – auch im Fall von Umkehrungen keinen geprägten Sachgehalt polemisch ab und distanziert sich auch nicht von ihm.
Methodik und Ziel der Arbeit
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„Die TG geht davon aus, daß ein Verfasser zugleich in einer geistigen Welt169 vorgegebener und geprägter Sachgehalte lebt; sie fragt, inwieweit seine Aussagen von diesen vorgegebenen Elementen seiner geistigen Welt inhaltlich bestimmt bzw. nur auf ihrem Hintergrund verständlich zu machen sind und wo er sie gegebenenfalls abgewandelt hat.“170
Steck verwendet den Begriff „geprägter Sachgehalt“ für Übereinstimmungen wie bspw. gleiche Denkstrukturen, geprägte Bilder, geprägte Themen und Themenensembles, die sich nicht überlieferungsgeschichtlich oder durch literarische Abhängigkeit von einem Einzeltext erklären lassen: „Für diese Erscheinungen, die sich immer in Formulierungen ausdrücken oder diese dirigieren, wird hier der Oberbegriff ,geprägter Sachgehalt‘ gewählt, weil diese Erscheinungen selbst z. T. hinter den Formulierungen liegen (Denkmuster, religiöse Überzeugungen), z. T. in Formulierungen nicht festgelegt sind (Kenntnisse, Stoffe), z. T. in variabler Formulierung wenngleich mit verwandten Wörtern (vgl. z. B. die Formulierungsvariationen in Aussagen von der Bändigung des Chaosmeers) auftreten (…).“171
Geprägte Sachgehalte treten u. a. als „religiöse und theologische Überzeugungen auf, die die Wahrnehmung und erfahrungsmäßige und geistige Verarbeitung von Wirklichkeit bestimmen“172. Darüber hinaus hält Steck fest, dass geprägte Sachgehalte zu einem Vorstellungskomplex oder einer Konzeption gehören können: „Mehrere Vorstellungen in einem thematisch zentrierten Verbund und reflektierter Beziehung bilden einen Vorstellungskomplex oder -zusammenhang. Erfaßt dieser Vorstellungskomplex die Erfahrungswelt in einer geschlossenen Perspektive, so kann er als Konzeption qualifiziert werden.“173
Bezüglich der Rezeption geprägter Sachgehalte bemerkt Steck, dass diese traditionskonform174, traditionsverändernd175 und traditionsfortbildend176 geschehen kann. 169 Der Begriff der „geistigen Welt“ weist zwei Probleme auf: Zum einen kann „Geistiges“ nicht untersucht werden, sondern nur Ausdrucksformen des „Geistigen“ in Gestalt von Texten oder materieller Kultur. Zum anderen ist die „Welt“ zu umfassend, um verstanden werden zu können. Daher würde sich eine Auseinandersetzung mit diesem Begriff lohnen, die jedoch im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht geleistet werden kann. 170 Steck, Exegese, 126 f. 171 Steck, Exegese, 127. 172 Steck, Exegese, 131. 173 Steck, Exegese, 136. 174 Steck (Exegese, 145) definiert „traditionskonform“ folgendermaßen: „Der Verfasser äußert sich ganz im Sinne der Tradition, wie gleiche, entsprechende oder verwandte Formulierungen und Übereinstimmungen im Sachradius, Aussagegefälle zeigen, auch wenn er einzelne, für die Sachlogik wesentliche Vorstellungsbezüge stillschweigend voraussetzt oder nur abgekürzt anspricht.“ 175 Steck (Exegese, 146) definiert „traditionsverändernd“ wie folgt: „Der Verfasser benutzt aus-
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Einleitung
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass ich auf Steck aufbaue, seinen Ansatz pragmatisch verwende, d. h. mich an ihm orientiere, die Methodik und die Begrifflichkeit gebrauche, ihm jedoch nicht in allen Punkten zustimme, Präzisierungen für nötig erachte und mich im Rahmen dessen, was für die vorliegende Arbeit nötig und gewinnbringend ist, kritisch mit ihm auseinandersetze.177 3.3 Ziele der Arbeit Da ein traditionsgeschichtlicher Ansatz einen Einblick in geprägte Sachgehalte und in deren Rezeption ermöglicht, habe ich für die vorliegende Arbeit neben der Beschreibung des Weges Hiobs zu seinem persönlichen Gott (vgl. I. 1) folgende fünf Ziele definiert: 1) Aufgenommene geprägte Sachgehalte sollen herausgearbeitet, d. h. die Elemente der geteilten kulturellen Grundvorstellungen178 erschlossen werden, die im Text nicht explizit erwähnt sind, aber in Formulierungen unausgeführt mitschwingen und von den Autoren mitgemeint und von den Rezipienten mitverstanden wurden.179 2) Übereinstimmungen mit sowie Abwandlungen und Fortbildungen von geprägten Sachgehalten sollen dargestellt werden. Auf diese Weise soll untersucht werden, wie sich die Hiobautoren mit den kulturellen Grundvorstellungen ihrer Zeit auseinandergesetzt haben. 3) Es soll analysiert werden, ob das Hiobbuch als traditionskonformer, -verändernder oder -fortbildender Text charakterisiert werden kann.
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weislich seiner Textformulierungen Tradition, entstammt aber nicht mehr einfach diesem Traditionsbereich, sondern verändert traditionelle Vorstellungen oder Vorstellungszusammenhänge durch abweichende Akzente, Formulierungen, verändertes Aussagegefälle bis hin zur Umkehrung von Tradition.“ Steck (Exegese, 146) definiert „traditionsfortbildend“ folgendermaßen: „Der Verfasser äußert sich im Rahmen und in Anknüpfung bezüglich der Tradition, gehört wohl auch demselben oder einem nahverwandten (Weisheit-Tempel) Traditionsbereich an, wie die tg.e Untersuchung ergibt, bildet aber die Tradition eigenständig fort (z. B. die Hiob-Dialoge oder Qohelet die Weisheitstradition) oder verschränkt sie reflexiv mit einem anderen Traditionsbereich (z. B. nachexilische Gebete mit Weisheitseinfluß in den Psalmen).“ Vgl. Anm. 169 und 178 sowie IV. 2.2. Der Begriff „geteilte kulturelle Grundvorstellungen“ erscheint mir aus den unter Anm. 169 darlegten Gründen passender als der von Steck (Exegese, 133) vorgeschlagene „Elemente geprägter geistiger Welt, die im Text nicht mitformuliert, aber ohne Zweifel mitgedacht, mitgemeint sind, damals mitverstanden und durch ausdrückliche Textelemente zwangsläufig indiziert wurden“. Überdies ist zu bemerken, dass m. E. nicht ohne Zweifel festgestellt werden kann, welche Elemente geteilter kultureller Grundvorstellungen von den Autoren mitgemeint und von den Adressaten mitverstanden wurden, sondern immer nur Annäherungen an möglicherweise in Formulierungen unausgeführt Mitschwingendes und Mitgemeintes möglich sind. Vgl. Steck, Exegese, 133.
Methodik und Ziel der Arbeit
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4) Die Arbeit soll sich dem Traditionsprozess zuwenden und versuchen zu beleuchten, wer im Hiobbuch die Träger der Gedankengehalte sind und welches Interesse sie an den geprägten Sachgehalten haben. 5) Die durch traditionsgeschichtliches Arbeiten gewonnenen Einsichten in theologisches Denken zur Abfassungszeit des Hiobbuches sollen dargelegt werden. 3.4 Gliederung der Arbeit Aus den genannten Zielen ergibt sich eine Gliederung der Arbeit in drei große Kapitel: Im zweiten Kapitel, dem Grundlagenkapitel (II.), lege ich dar, mit welchen geprägten Sachgehalten und zugrunde liegenden theologischen Überzeugungen (II. 1.1–1.3.3.) aus dem Vorstellungskomplex Leben und Tod (vgl. II. 1) sich das Hiobbuch auseinandersetzt und an welchen Stellen (II. 1.4–1.5) es diese rezipiert. Außerdem exegesiere ich die paradigmatischen Psalmentexte Ps 13 (II. 2.1–2.4.4) und Ps 23 (II. 2.5–2.8.4) als Grundlage für den Vergleich und um vor den Hiobexegesen exemplarisch aufzuzeigen, wie Menschen in den Psalmen mit Leid umgehen und wie das Vertrauen auf JHWH menschliches Leben prägen kann. Im dritten Kapitel, dem Hauptteil (III.), untersuche ich zunächst Hiobs Eingangsklage in Hi 3 und schildere, wie diese seinen Weg zu seinem persönlichen Gott eröffnet (III. 1–1.5). Sodann analysiere ich die unter II. 1.4–1.5 bestimmten Textstellen und zeige auf, wie sich das Hiobbuch mit den unter II. 1–1.3.3 herausgearbeiteten geprägten Sachgehalten und theologischen Überzeugungen kritisch auseinandersetzt und diese theologisch neu interpretiert (III. 2–3.7).180 Im Anschluss daran erläutere ich weitere Faktoren zum Verständnis des Weges Hiobs in Hi 3 bis 19 (III. 3.8–3.8.2.2), beschreibe die weiteren Stationen seines Weges in der Buchkomposition Hi 29–31 und 38–41, exegesiere Hi 42,1–6 und 7–9 (III. 4–4.5) und lege dar, wie das Hiobbuch die unter II. 1.3–1.3.3 skizzierten geprägten theologischen Überzeugungen rezipiert (III. 4.6–4.6.3). Im vierten Kapitel, dem Schluss (IV.), schildere ich die Entwicklung der persönlichen Gottesbeziehung Hiobs im Verlauf seines Weges zu seinem persönlichen Gott vor dem Hintergrund der Gebetsdynamik der Psalmen (IV. 1), interpretiere die Rezeption und Umformung der traditionsgesättigten Psalmensprache (IV. 2–2.3.3) und lege in einem Ausblick die aus der vorliegenden Untersuchung resultierenden Desiderata und Implikationen für die weitere Forschung am Hiobbuch und am Alten Testament dar (IV. 3).
180 Eine detaillierte Gliederung des Hauptteils der Arbeit (III.) findet sich in der Einleitung zu diesem.
II. Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs von Hiobbuch und Psalmen Im folgenden Grundlagenkapitel schildere ich zunächst, aus welchen geprägten Sachgehalten der eingangs erwähnte Vorstellungskomplex Leben und Tod (vgl. I. 1.1) u. a. besteht und welche theologischen Überzeugungen diesem zugrunde liegen sowie, in welchen Textpassagen das Hiobbuch welche geprägten Sachgehalte und theologischen Überzeugungen rezipiert. Sodann exegesiere ich das Klagelied des Einzelnen Ps 13 und das Vertrauenslied des Einzelnen Ps 23, um eine Basis für die Analyse des Weges Hiobs zu seinem persönlichen Gott vor dem Hintergrund der Gebetsdynamik der Individualpsalmen zu legen und exemplarisch aufzuzeigen, wie die geprägten Sachgehalte aus den Psalmen, die das Hiobbuch aufnimmt, in den Psalmen gebraucht werden.
1. Leben und Tod: Ein Überblick Die Frage nach Leben und Tod gehört zu den Grundfragen des menschlichen Lebens und kann neben Leib- und Sozialsphäre, Gerechtigkeit und Sünde, Tempel und Kult, Kosmos und Chaos und Schöpfung und Geschichte als eines der Hauptthemen der Psalmen betrachtet werden.181 Besonders prominent wird sie in den Individualpsalmen, den Klage- und Dankliedern des Einzelnen, verhandelt. Die Einzelklagen182 können als der „eigentliche Grundstock des Psalters“183 bezeichnet werden. Sie sind Hermann Gunkel zufolge der „Ort, wo sich die Religion der Psalmen mit dem Tode auseinandersetzt“184. Diese Texte thematisieren Todesgefahr und antizipieren die Rettung aus Todesbedrohung durch JHWH. Die Danklieder des Einzelnen185 bilden das Pendant zu den Klageliedern des Einzelnen. Sie blicken auf die gewendete Not und Todesgefahr zurück. Im Kontext einer Dankfeier, der sog. Toda-Feier, dankt der Beter JHWH für die Erhörung seiner Klage. Außerdem berichtet er der versam181 182 183 184 185
Vgl. Hartenstein/Janowski, Art. Psalmen/Psalter, 1767 (Janowski). Zur Gattung der Klagelieder des Einzelnen vgl. Gunkel/Begrich, Einleitung, 172–264. Gunkel/Begrich, Einleitung, 173. Gunkel/Begrich, Einleitung, 185. Zum Danklied des Einzelnen vgl. Gunkel/Begrich, Einleitung, 265–292, und zur Toda-Feier Janowski, Konfliktgespräche, 298–305.
Leben und Tod: Ein Überblick
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melten Gemeinde von der Rettungstat Gottes und wird wieder in die gottesdienstliche Gemeinschaft aufgenommen. Wesentliche Aussagen individueller Gebete im Psalter bewegen sich also zwischen Leben und Tod. Die Übergänge vom Leben zur Todesnähe und wieder zurück ins Leben prägen die Gebetsdynamik der individuellen Klage- und Danklieder. Für das Weltbild der Psalmen und deren Lebens- und Todesvorstellungen ist die Königsherrschaft Gottes186 (vgl. Ps 46 und 93) zentral: JHWH thront als Königsgott in Jerusalem und schützt die Stadt vor feindlich gesonnenen Völkern und Königreichen. Er sorgt vom Zion187 aus dafür, dass weder Jerusalem noch ihre Bewohner wanken (ü9B), wie Ps 46,6 f illustriert: 6 Gott (ist) in ihrer Mitte, sie kann nicht wanken (ü9B ni.); Gott hilft ihr beim Nahen des Morgens. 7 Völker hatten getost, Königreiche hatten gewankt (ü9B q.). Er hat seine Stimme erhoben, sodass (die) Erde schwankte!
Ps 93,1 f macht deutlich, dass JHWH in den Psalmen als Königsgott gedacht wurde, der für die Stabilität des Erdkreises sorgt: 1 JHWH (ist) König, (mit) Majestät gekleidet, gekleidet ist JHWH, (mit) Stärke umgürtet er sich. Ja, fest steht (der) Erdkreis, er wird nicht wanken (ü9B ni.). 2 Fest steht dein Thron von jeher, von fernster Zeit her (bist) du.
Folglich stehen nach Auffassung der Psalmen der einzelne Mensch, die Stadt Jerusalem und ihre Bewohner sowie der gesamte Erdkreis unter der „Bestandszusage des Königsgottes“188, der die Stabilität der Weltordnung garantiert, indem er vor politischen Feinden (Ps 46,6) und Chaosmächten wie Strömen und gewaltigen Wassern (Ps 93,3 f) und Feinden des Einzelnen (Ps 27,1–3) (vgl. ferner die geprägten Sachgehalte Bedrohung durch Feinde und Bitte um Rettung aus Feindbedrohung unter II. 1.2.1–1.2.2) schützt. 186 Zur Königsherrschaft Gottes vgl. Jeremias, Königtum Gottes. Zur Auseinandersetzung mit Jeremias vgl. Janowski, Königtum, sowie Otto, Mythos und Geschichte, 97–101. Vgl. außerdem Leuenberger, Konzeptionen. Zu Ps 93 vgl. Irsigler, Thronbesteigung in Ps 93?. 187 Zur Zionstradition in den Psalmen vgl. Körting, Zion. Zu Ps 46 vgl. bes. Körting, Zion, 179–186. Vgl. zu Ps 46 ferner Ego, Wasser der Gottesstadt, 363–369, und Hossfeld/Zenger, NEB 1, 284–289 (Zenger). 188 Hartenstein, Feindbilder, 28.
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Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs
Die Lebens- und Todesvorstellungen der Psalmen unterscheiden sich deutlich von heutigen. „Leben“189 ist untrennbar mit der Erfahrung der Zuwendung Gottes und daraus resultierend einem intakten Gottes-, Selbst- und Weltbezug verbunden, wie die Dreigliedrigkeit190 des Elements191 der Klage in den Klageliedern des Einzelnen, die Gott-, Feind- und Ich-Klage, illustriert. Bspw. schildert der Beter aus Ps 13 (vgl. II. 2.1–2.4.4 für eine ausführliche Exegese) in V.2 f, dass er unter dem Verbergen des göttlichen Angesichts, d. h. unter Gottesferne (Gott-Klage in V.2), und daher unter Sorgen in seiner Seele (IchKlage in V.3aa.ab) und unter Feindbedrohung (Feind-Klage in V.3b) leidet: 2 Bis wann, JHWH, vergisst du mich immerzu? Bis wann wirst du dein Angesicht verbergen vor mir? 3 Bis wann muss ich Sorgen hegen in meiner Seele (=M1HD), Kummer in meinem Herzen bei Tage? Bis wann soll sich mein Feind gegen mich erheben?
Des Weiteren ist der Tempel für die Lebensauffassungen der Psalmen zentral. Er erscheint als konzentrierter Ort des Lebens: Licht, Leben und Loben gehören in ihm zusammen.192 Der Beter aus Ps 36,8–10 beschreibt mit dem Bild von einem köstlichen Mahl, dass er im Bereich des Tempels die Gegenwart und intensivste Nähe des lebendigen Gottes erlebt, die für ihn Lebensfülle bedeutet: 8 Wie kostbar (ist) deine Güte, Gott, dass Menschen sich im Schatten deiner Flügel bergen! 9 Sie laben sich am Fett deines Hauses, und (mit) dem Bach deiner Wonnen tränkst du sie! 10 Denn bei dir (ist) die Quelle des Lebens, in deinem Licht sehen wir (das) Licht!
Die im Tempel gefeierte Gottesnähe ist ferner Hoffnungsbild und Bezugspunkt alttestamentlichen Lebens und Betens, wie Ps 42,2–5193 zeigt. Der Beter leidet unter Gottesferne (V.4) und erinnert sich an die Zeiten, in denen er zum Tempel pilgerte und JHWHs Gegenwart erfahren durfte (V.5). Um seine Not zu überwinden, wünscht er sich in V.2 f Gottesnähe. Seine Sehnsucht schildert er mit einem Vergleich von einer vom Verdursten bedrohten Hirschkuh und 189 Zum alttestamentlichen Lebensbegriff vgl. Liess, Art. Leben, 135 f; Schmid, Fülle des Lebens, und Utzschneider, Verständnis des Lebens. 190 Vgl. Janowski, Konfliktgespräche, 57. Zur Struktur eines Klageliedes vgl. ferner Janowski, Angesicht, 27 f, und Westermann, Lob und Klage, 48–52. 191 Ein Klagelied des Einzelnen besteht aus den drei Elementen Klage, Bitte und Vertrauensbekenntnis (vgl. Hossfeld/Zenger, NEB 1, 96 [Zenger]; Janowski, Konfliktgespräche, 57, und Westermann, Lob und Klage, 48). 192 Vgl. Hartenstein, Unzugänglichkeit Gottes, 182. 193 Zur Übersetzung und zu den textkritischen Entscheidungen vgl. II. 1.1.2.
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bringt so zum Ausdruck, dass die Erfahrung der Nähe Gottes lebenswichtig ist: 2 Wie eine Hirschkuh schreit über Wasserbächen, so schreit mein Leben (=M1HD) nach dir, Gott! 3 Mein Leben (=M1HD) dürstet nach Gott, dem lebendigen Gott: „Wann werde ich kommen und Gottes Angesicht sehen? 4 Meine Tränen sind mir zu Brot geworden Tag und Nacht, da man den ganzen Tag zu mir sagt: ,Wo ist (denn) dein Gott?‘“ 5 Daran will ich denken und vor mir ausschütten meine Seele (=M1HD), wie ich dahinzog im Gedränge, mit ihnen wandelte zum Hause Gottes mit Jubelklang und Dank (in) feiernder Menge.
Auch die Todesauffassungen der Psalmen194 sind anders als heutige: Zur Konfrontation mit dem Tod zählt nicht nur der biologische Tod. Die Todesgrenze ist – wie Gerhard von Rad bemerkt hat – „tief in den Bereich des Lebens vorgeschoben“195. Denn wenn der Gottes-, Selbst- oder Weltbezug durch die Abwendung Gottes oder durch Resultate der Gottesferne wie Krankheit, Dunkelheit und Schweigen Gottes gestört ist, kann der Tod mitten im Leben196 nach einem Menschen greifen und ihn Todesbefallenheit erfahren lassen. Folglich beschreiben „Tod“ und „Sterben“ in den Psalmen „die unheile Welt der Gottes- und Menschenferne, die letztlich zum biologischen Tod führt bzw. führen kann“197. Als Beispiele sind Ps 143 und 88 zu nennen: Der Beter aus Ps 143 schildert die Erfahrung der Gottesferne als Todesnähe. In V.7 sagt er, dass er in die Zisterne (L95), d. h. in die Finsternis des Totenreiches, hinabstiegen wird, sollte Gott sich weiter von ihm abwenden: 7 Antworte schnell, JHWH, mein Geist (=;9L) vergeht (8@?), verbirg nicht dein Angesicht vor mir, dass ich denen gleich werde, die in (die) Zisterne (L95) hinabsteigen (@M1B ni.).
Außerdem beschreibt der Beter aus Ps 88 in V.4–6 die Erfahrung von Gottesferne als Aufenthalt im Totenreich und Trennung198 von Gottes Hand. 194 Vgl. zum Tod in den Psalmen Barth, Errettung; Berlejung, Tod und Leben; Janowski, De profundis, und Zenger, Mit Gott ums Leben kämpfen. 195 Von Rad, Theologie I, 400. 196 Zum „Tod mitten im Leben“ vgl. Janowski, Konfliktgespräche, 250–255, und Wolff, Anthropologie, 167–171. 197 Janowski, Konfliktgespräche, 47. 198 Die Vorstellung, dass die JHWH-Relation im Tod aufhört, entwickelt sich im Laufe des Alten Testaments weiter. Zur Entwicklung dieser Vorstellung und der Kompetenzausweitung JHWHs vgl. die Skizze in Janowski, Konfliktgespräche, 444, sowie ausführlicher Janowski, Gott Israels
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Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs 4 Denn gesättigt an Bösem bin ich (=M1HD), mein Leben hat die Scheol berührt! 5 Ich bin gerechnet unter die, die in (die) Zisterne hinabsteigen, ich bin geworden wie ein junger, kräftiger Mann der kraftlos (ist), 6 unter den Toten (bin ich) ein Freigelassener, wie Erschlagene, die im Grab liegen, denen du nicht mehr gedacht hast, weil sie von deiner Hand abgeschnitten sind!
Ein Beispiel dafür, dass auch Feindbedrohung eine Form des Todes mitten im Leben199 sein kann, ist Ps 143,3: 3 Denn ein Feind (5=94) verfolgte mein Leben (=M1HD), er schlug zu Boden mein Leben (8=;), er setzte mich an finstere Ort wie die, die für immer tot (sind).
Mit Christoph Barth ist der Realitätscharakter der Aussagen zu betonen bzw. festzuhalten, dass „der Einzelne glaubt sich in Tat und Wahrheit im Totenreich befunden zu haben“200. Dabei ist jedoch, wie Ps 143 illustriert, zu bemerken, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen wirklich toten und todesbefallenen Menschen besteht. Der Beter aus Ps 143 bittet bspw. in V.7 darum, dass er nicht „denen gleich werde, die in (die) Zisterne (L95) hinabsteigen“. Kathrin Liess hält treffend fest: „Im Unterschied zum Toten erlebt der Bedrängte der Klagelieder den Tod ,nur‘ in eingeschränkter, partieller Form; er gerät an den Rand des Todes.“201 Das Hauptanliegen der Klagelieder des Einzelnen besteht in der erneuten gnädigen Zuwendung Gottes zum Beter202, da diese den gestörten Selbst-, Welt- und Gottesbezug wieder intakt machen und somit den Beter aus der Todesbefallenheit retten und ihm ein Leben im Vollsinne ermöglichen würde, wie Ps 13,4 zeigt: 4 Blicke doch her, antworte mir, JHWH, mein Gott!
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200 201 202
und die Toten. Im Hiobbuch wird jedoch davon ausgegangen, dass die Gottesbeziehung im Tod ihr Ende nimmt (vgl. Hi 3,19). Zum durch Anfeindung und Missachtung ausgelösten sog. sozialen Tod, d. h. einer Form des Todes mitten im Leben, vgl. Barth, Errettung, 82–85, und Wolff, Anthropologie, 167–171. Im Folgenden verwende ich den umfassenderen Begriff „Tod mitten im Leben“, da dieser alle möglichen Auslöser wie Gottesferne, Krankheit, Einsamkeit und Feindesbedrohung und nicht nur soziale Isolation und Widersacher beinhaltet. Barth, Errettung, 72. Liess, Gottesferne, 172. Vgl. de Vos, Klage, 226 f, und Hartenstein, Feindbilder, 37.
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Lass leuchten meine Augen, damit ich nicht zum Tod entschlafe.
Überdies ist für den Vorstellungskomplex Leben und Tod von zentraler Bedeutung, dass die Psalmen auch davon berichten, dass Gott aus dem Tod mitten im Leben rettet und in seine Nähe zurückführt. Bspw. heißt es in Ps 56,14: 14 Denn du hast entrissen mein Leben (=M1HD) aus (dem) Tod, nicht wahr, meine Füße vor (dem) Fallen, damit ich wandle vor Gott im Licht der Lebenden.
Außerdem zeigen Ps 34,5 und 13,4b sowie Ps 23,4 und 30,4.12, dass den Lebens- und Todesauffassungen der Psalmen die Überzeugungen zugrunde liegen, dass JHWH ein Gott ist, der auf das Rufen seines Geschöpfes zu ihm antwortet (8DF), es tröstet und dessen Klage zu Lob verwandelt. In Ps 34,5 beschreibt der Beter JHWH als antwortenden Gott: 5 Ich suchte JHWH, und er antwortete mir (8DF); und aus allen meinen Ängsten rettete er mich.
Da der Sprecher aus Ps 13 davon ausgeht, dass JHWH ein antwortender Gott ist, bittet er ihn angesichts von Todesbefallenheit (s. o.) in V.4a: 4 Blicke doch her, antworte mir (8DF), JHWH, mein Gott!
Im Ps 23,4b beschreibt der Beter Gottes Gegenwart im Tal von Todesschatten, d. h. in existenzieller Lebensbedrohung, als tröstlich: 4 Auch wenn ich im Tal von Todesschatten gehe, fürchte (4L=) ich nichts Böses. Denn du (bist) (8N4) bei mir, dein Stock und dein Stab – sie trösten mich (A;D pi.).
In Ps 30.4.12 bringt der Beter zum Ausdruck, dass JHWH ihn aus dem Tod mitten im Leben gerettet hat und seine Klage zu Lob und seine Trauer zu Freude gewandelt hat: 4 JHWH, du hast heraufgeholt aus (der) Scheol mein Leben (=M1HD), du hast mich zum Leben gebracht aus denen, die (in) eine Zisterne hinabsteigen203. 12 Du hast umgewandelt meine Trauer (=7HEB) zu einem Reigentanz (@9;B) für mich, 203 Zur Textkritik vgl. Anm. 38.
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Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs du hast mein Trauergewand gelöst und umgürtetest mich mit Freude (8;B2M).
An diesem Punkt stellt sich die Frage, welche geprägten Sachgehalte und theologischen Überzeugungen den Vorstellungskomplex Leben und Tod bilden. Im Vorgriff auf die Hiobexegesen (III.) möchte ich festhalten, dass das Hiobbuch besonders die geprägten Sachgehalte Bedrohung durch Feinde und Bitte um Rettung aus Feindbedrohung, Ringen mit Gott um das Leben angesichts von Todesbefallenheit und Bitte um Rettung aus dem Tod zum Leben, Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Zuwendung Gottes, Hoffnung auf JHWH und Zuversicht wegen des JHWH-Vertrauens sowie Hoffnung auf eine Gottesschau und die geprägten theologischen Überzeugungen JHWH antwortet auf das Rufen seiner Geschöpfe zu ihm, JHWH verwandelt Klage zu Lob und Trauer zu Freude und JHWH bzw. das Mitsein Gottes tröstet rezipiert. Diese wurden in der Forschung204 bereits (vor allem am jeweiligen Einzeltext) analysiert, jedoch noch nie als geprägte Sachgehalte bezeichnet und kompakt dargestellt. Daher habe ich mich entschlossen, im Folgenden nur diese zu skizzieren, möchte aber darauf hinweisen, dass zum Vorstellungskomplex Leben und Tod noch weitere geprägte Sachgehalte wie bspw. das Leiden unter Krankheit zählen, die auch in der Forschungsliteratur behandelt werden.205 Da Leben und Tod in den Psalmen untrennbar mit dem Gottes- und Gemeinschaftsbezug verbunden und den Lebens- und Todesauffassungen – wie eben dargelegt – theologische Überzeugungen zugrunde liegen, wird die folgende Darstellung der geprägten Sachgehalte und theologischen Überzeugungen in zum Gottesbezug gehörende geprägte Sachgehalte, zum Gemeinschaftsbezug gehörende geprägte Sachgehalte und zugrunde liegende geprägte theologische Überzeugungen unterteilt.
204 Bspw. hat bereits Gunkel Klagen über Not, Bitten an Gott einzugreifen und Gedanken, die zum Trost des Beters dienen oder JHWH im Sinne eines argumentum ad deum zum Einschreiten motivieren sollen, als „Hauptstoffmassen“ der Klagelieder des Einzelnen und des Volkes bezeichnet (vgl. Gunkel/Begrich, Einleitung, 125). Zur Klage über Not zählt er u. a. Feindbedrohung, Fernsein vom Zion und Todesbefallenheit (vgl. Gunkel/Begrich, Einleitung, 185.193), zu den Bitten u. a. die Bitte um Rettung aus Feindbedrohung (vgl. Gunkel/Begrich, Einleitung, 220 f) und zu den Gedanken, die trösten und Gott zum rettenden Eingreifen motivieren sollen, u. a. argumenta ad deum (vgl. Gunkel/Begrich, Einleitung, 231 f), Vertrauen auf JHWH (vgl. Gunkel/Begrich, Einleitung, 232–236) und die Hoffnung auf eine Gottesschau (vgl. Gunkel/ Begrich, Einleitung 235). Diese genannten Elemente zeigen sich auch in den oben aufgezählten geprägten Sachgehalten. 205 Vgl. zum Leiden unter Krankheit in den Psalmen Gunkel/Begrich, Einleitung, 190–193, und Janowski, Konfliktgespräche, 174–179. Den geprägten Sachgehalt Leiden unter Krankheit habe ich nicht untersucht, da Hiob in seinen Reden auffällig selten von seinen körperlichen Schmerzen spricht (lediglich in Hi 7,5; 19,26 und 30,30).
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1.1 Zum Gottesbezug gehörende geprägte Sachgehalte Ich beginne mit den zum Gottesbezug gehörenden geprägten Sachgehalten, die die Beziehung zwischen Mensch und Gott beschreiben, d. h. die vertikale Relation, die das Menschsein nach alttestamentlichen Auffassungen prägt. Diese und alle weiteren geprägten Sachgehalte und theologischen Überzeugungen skizziere ich anhand von Wortumfeldern206, Formulierungsstrukturen und charakteristischen Vorstellungsgehalten.207 Bezüglich der Darstellung habe ich mich für eine Mischung aus Tabellen, Stichpunkten und Fließtexten entschieden. In den Tabellen stelle ich in der linken Spalte Texte aus den Psalmen vor, die den jeweiligen geprägten Sachgehalt näher charakterisieren, und in der rechten Spalte liste ich dessen Wortumfeld mit hebräischen Begriffen auf. Anschließend benenne ich stichwortartig die Formulierungsstruktur und beschreibe die charakteristischen Vorstellungsgehalte in ganzen Sätzen. 1.1.1 Ringen mit Gott um das Leben angesichts von Todesbefallenheit und Bitte um Rettung aus dem Tod zum Leben Ringen mit Gott um das Leben angesichts von Todesbefallenheit Texte aus den Psalmen, die den geprägten Sachgehalt näher charakterisieren Ps 6,6 6 Denn nicht (gibt es) im Tod (N9B) Gedenken (L?:) an dich, in (der) Scheol (@94M1) – wer soll dich preisen (87= hi.)?
Wortumfeld208 mit hebräischen Begriffen *
*
Unterweltstopik: Tod (N9B) und Scheol (@94M1) Verben: 87= hi. („loben“, „preisen“, „danken“) und L?: („gedenken“)
206 Zum Begriff „Wortumfeld“ vgl. Steck, Exegese, 136, Anm. 148: „Es ist also nicht der sprachwissenschaftliche Begriff des Wortfeldes (dazu Koch, Formgeschichte, S. 321 f) oder Worthofes (dazu Koch, aaO S. 327 f) gemeint, sondern der für eine Vorstellung typische Bestand an bezeichnenden Wörtern und Wortverbindungen.“ 207 Vgl. Steck, Exegese, 136. 208 Bezüglich des Wortumfeldes möchte ich festhalten, dass ich dieses an dieser Stelle sowie bei der Analyse der folgenden geprägten Sachgehalte und theologischen Überzeugungen nur exemplarisch andemonstrieren werde und dabei nicht das Ziel verfolge, eine vollumfängliche Semantik des jeweiligen geprägten Sachgehalts darzulegen.
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Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs
(Fortsetzung) Texte aus den Psalmen, die den geprägten Sachgehalt näher charakterisieren Ps 13,4 f 4 Blicke doch her, antworte mir, JHWH, mein Gott! Lass leuchten meine Augen, damit ich nicht zum Tod (N9B) entschlafe, 5 damit mein Feind nicht (CH) sagen kann: „Ich habe ihn überwältigt!“, (und) (damit) meine Widersacher (nicht) jubeln können, weil ich wanke! Ps 88,11–13 11 Wirst du für die Toten Wunder tun, oder können Totengeister aufstehen, dich preisen (87= hi.)? 12 Erzählt man (LHE pu.), im Grab (L5K) deine Güte (7E;), deine Treue (8D9B4) im Ort des Untergangs (C9754)? 13 Wird in der Finsternis (ý!M1;) deine Wundertat (4@H) verkündet, und deine Gerechtigkeit (8K7J) im Land des Vergessens (8=M1D IL4)?
Wortumfeld208 mit hebräischen Begriffen * *
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*
*
Unterweltstopik: Tod (N9B) Argumentum ad deum formuliert mit der Konjunktion CH („damit nicht“): Der Feind kann nicht behaupten, er habe den Beter überwältigt, und die Widersacher können nicht jubeln, wenn JHWH den Beter rettet.
Unterweltstopik: Grab (L5K), Ort des Untergangs (C9754), Finsternis (ý!M1;) und Land des Vergessens (8=M1D IL4) Verben: 87= hi. („loben“, „preisen“, „danken“) und LHE pu. („erzählt werden“, „verkündigt werden“) JHWHs Eigenschaften und Taten: Güte (7E;), Treue (8D9B4), Wunder(-tat) (4@H) und Gerechtigkeit (8K7J)
Formulierungsstruktur • Formulierung der Appelle mit der Konjunktion CH („damit nicht“) oder in Frageform Charakteristische Vorstellungsgehalte Die Beter versuchen, Gott argumentativ dazu zu bringen, rettend einzugreifen, indem sie ihm vorhalten, was passieren würde, wenn er sie nicht aus der Todesbefallenheit retten würde: Nach Ps 6,6 gäbe es keinen Lobpreis Gottes und kein Gedenken an Gott mehr und nach Ps 88,11–13 keinen Lobpreis Gottes und keine Verkündigung seiner Güte, Treue und Wundertaten. Christoph Hardmeier hält vor dem Hintergrund der Toda-Feier bezüglich des Ringens209 mit Gott um das Leben und der verwendeten argumenta ad deum treffend fest: 209 Zenger (Mit Gott ums Leben kämpfen, 66) bezeichnet Ps 88 als „betende(n) Kampf um das
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„,Weiß man in der Finsternis von deinem Handeln wider Erwarten und von deiner Gerechtigkeit im Lande des Vergessens?‘ wirft der Beter in Ps 88,13 Jahwe fragend vor. Nicht nur auf den Lobdank und die Gelübdeerfüllung des Geretteten ist Jahwe damit angewiesen, sondern sehr viel mehr darauf, daß seine individuell zur Erfahrung gebrachten Heilserweise auch öffentlich vor versammelter Gemeinde im Lobpreis bekannt und bekundet werden.“210
Bitte um Rettung aus dem Tod zum Leben Texte aus den Psalmen, die den geprägten Sachgehalt näher charakterisieren Ps 6,5 5 Kehre doch zurück, JHWH, errette (I@; pi.) mein Leben (=M1HD), rette mich (FM1= hi.) um deiner Güte willen. Ps 13,4b 4 Lass leuchten (L94 hi.) meine Augen, damit ich nicht zum Tod entschlafe.
Ps 116,4 4 Und den Namen JHWHs rufe ich (ununterbrochen) an: „Ach, JHWH, rette (ü@B pi.) doch mein Leben (=M1HD)!“
Wortumfeld mit hebräischen Begriffen *
*
*
Verben des Rettens: I@; pi. („herausreißen“, „erretten“) und FM1= hi. („retten“)
Erwähnung von Licht und Helligkeit (L94 hi., „leuchten“), da Licht und Leben bzw. Finsternis und Tod in den Psalmen als Äquivalente gebraucht werden (vgl. Ps 80,4211) Verb des Rettens: ü@B pi. („retten“, „davon kommen lassen“)
Formulierungsstruktur • Imperative Leben – ein Kampf gegen Gott mit Gott“. M. E. trifft „Ringen mit Gott um das Leben angesichts von Todesbefallenheit“ Texte wie Ps 6,6; 13,4 und 88,11–13 besser, da „Kampf“ zu feindlich für die Anliegen der Beter klingt. „Kampf“ passt eher zu Hiobs Auseinandersetzung mit Gott, da er sich von diesem bekämpft fühlt (vgl. die Beschreibung der Attacke Gottes gegen Hiob mit dem Bild von einem Heer [45J] in Hi 10,17 und Hiobs Rede von seinem Kampf [45J] in Hi 14,14). Zu Hi 10,17 vgl. III. 2.4 und zu Hi 14,14 III. 2.5 sowie zu Hiobs Kampf mit Gott III. 2.6. 210 Hardmeier, Tod, 305. Ähnlich Janowski, Konfliktgespräche, 279. 211 Ps 80,4: „Gott, stell uns wieder her, und lass dein Angesicht leuchten (L94 hi.), dass wir gerettet werden (FM1= ni.).“ Zu „Licht“ und „Finsternis“ nach alttestamentlichem Verständnis vgl. Janowski, Rettungsgewißheit I, 182 f, und zur Äquivalenz von Licht und Leben und Finsternis und Tod vgl. Janowski, Konfliktgespräche, 64–69.
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Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs
Charakteristische Vorstellungsgehalte Die Beter bitten JHWH nicht um eine Bewahrung vor dem Tod an sich, sondern um eine punktuelle Rettungserfahrung aus dem Tod mitten im Leiden, wie Barth aufgezeigt hat: „Es geht bei diesem Vorgang um die Bewahrung vor einem unheilvollen Tode – genauer: Um die Erlösung aus einem Dasein in der Bedrohung durch einen unheilvollen Tod. In unserem Problembegriff ist unter allen Umständen dieser Tod gemeint; also nicht der Tod schlechthin, nicht der Tod als die unvermeidliche Grenze menschlichen Lebens. ,Vom Tode erretten‘ heißt vom bösen Tode212 erretten.“213
1.1.2 Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Zuwendung Gottes Sehnsucht nach Gottesnähe Texte aus den Psalmen, die den geprägten Sachgehalt näher charakterisieren Ps 13,2 f.4a 2 Bis wann, JHWH, vergisst du mich immerzu? Bis wann wirst du dein Angesicht verbergen vor mir? 3 Bis wann muss ich Sorgen hegen in meiner Seele (=M1HD), Kummer in meinem Herzen bei Tage? Bis wann soll sich mein Feind gegen mich erheben? 4 Blicke doch her (ü5D hi.), antworte (8DF) mir, JHWH, mein Gott!
Wortumfeld mit hebräischen Begriffen *
Verben: ü5D hi. („herblicken“) und 8DF („antworten“)
212 Zum bösen Tod vgl. Stähli, Tod, 176 f. 213 Barth, Errettung, 121. Vgl. ferner von Rad, „Gerechtigkeit“, 237.
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(Fortsetzung) Texte aus den Psalmen, die den geprägten Sachgehalt näher charakterisieren Ps 27,4 4 Eins habe ich erbeten von JHWH, darum ersuche ich (immer wieder): Mein Wohnen im Haus JHWHs (898=.N=5) alle Tage meines Lebens: zu schauen (8:;) die Freundlichkeit JHWHs, und innig zu betrachten seinen Tempel (@?=8). Ps 42,2–4 2 Wie eine Hirschkuh214 schreit über Wasserbächen, so schreit mein Leben (=M1HD) nach dir, Gott! 3 Mein Leben dürstet (4BJ) nach Gott, dem lebendigen Gott: „Wann werde ich kommen und Gottes Angesicht sehen215 (A=8@4 =DH 84L)? 4 Meine Tränen sind mir zu Brot geworden216 Tag und Nacht, da man den ganzen Tag zu mir sagt: ,Wo ist (denn) dein Gott?‘“
Wortumfeld mit hebräischen Begriffen *
*
* * *
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Verb des Sehens und Schauens: 8:; („schauen“) Bezeichnungen für den Jerusalemer Tempel: Haus JHWHs (898=.N=5) und Halle/Tempel (@?=8)
Körperbegriff: M1HD Verb: 4BJ („dürsten“) Verb des Sehens und Schauens: 84L („sehen“) Wendung: das Angesicht Gottes sehen (A=8@4 8DH 84L)
214 An dieser Stelle ist eine Korrektur am MT, der @=4 (Maskulinum, „Hirsch“) liest, vorzunehmen. Stattdessen ist N@=4 (Femininum, „Hirschkuh“) zu lesen, da die nachfolgende Verbform (6LFN) ebenfalls feminin ist und mit @=4 („Hirsch“) eine Genusinkongruenz vorläge. Eine Erklärung für die Lesart des MT könnte in einer Haplografie liegen. 215 Im MT ist 84L ni. mit der Bedeutung „erscheinen“ belegt. Wenige Handschriften des hebräischen AT, die Peschitta und das aramäische Targum schlagen 84L q. („sehen“) als varia lectio vor. In diesem Fall ist die varia lectio zu präferieren, da es sich beim MT um eine dogmatische Korrektur mit dem Ziel der Vermeidung einer Aussage über die Gestalthaftigkeit JHWHs handeln dürfte (vgl. Hossfeld/Zenger, HThK.AT, 509 [Zenger], allerdings mit einem Fragezeichen versehen, und Janowski, Konfliktgespräche, 92, Anm. 166). 216 Wörtlich: „für mich Brot geworden“.
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Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs
(Fortsetzung) Texte aus den Psalmen, die den geprägten Sachgehalt näher charakterisieren Ps 63,2–4 2 Gott, mein Gott (bist) du! Ich will dich suchen! Mein Leben (=M1HD) dürstet (4BJ) nach dir, mein Fleisch (=L2M5) schmachtet (8B?) nach dir, in einem Land, dürr und lechzend, ohne Wasser! 3 So habe ich dich im Heiligtum (M17K) geschaut (8:;), um zu sehen (84L) deine Kraft und deine Herrlichkeit! 4 Denn besser (ist) deine Güte als Leben! Meine Lippen sollen dich loben!
Wortumfeld mit hebräischen Begriffen *
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Körperbegriffe: M1HD und L2M5 („Fleisch“) Verben des Dürstens und Schmachtens: 4BJ („dürsten“) und 8B? („schmachten“) Verben des Sehens und Schauens 84L („sehen“) und 8:; („schauen“) Bezeichnung für den Jerusalemer Tempel: Heiligtum (M17K)
Charakteristische Vorstellungsgehalte Die Beter leiden unter Gottesferne und sehnen sich mit ihrer ganzen Existenz nach Gottesnähe, um ihre Not zu überwinden. Um JHWHs Nähe zu erfahren, wollen sie ihn im Tempel suchen. Die dort gefeierte Gottesnähe ist Hoffnungsbild und Bezugspunkt alttestamentlichen Betens und der Tempel „Fluchtpunkt für die Suche nach Gottesnähe“217. Bitte um Zuwendung Gottes Texte aus den Psalmen, die den geprägten Sachgehalt näher charakterisieren Ps 13,4a 4 Blicke doch her (ü5D hi.), antworte (8DF) mir, JHWH, mein Gott!
Wortumfeld mit hebräischen Begriffen *
Verben: ü5D hi. („herblicken“) und 8DF („antworten“)
217 Janowski, Konfliktgespräche, 326. Vgl. ferner Zenger, „Ich liebe den Ort, da deine Herrlichkeit wohnt“, 182. Als Beispieltexte sind Ps 17; 27; 42/43; 63 und 84 zu nennen.
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(Fortsetzung) Texte aus den Psalmen, die den geprägten Sachgehalt näher charakterisieren Ps 22,12 12 Sei nicht fern (K;L) von mir, denn Not (ist) nah (59LK), denn kein Helfer (ist da)! Ps 27,9 9 Verbirg nicht dein Angesicht (ý)=DH hi. LNE) vor mir, weise nicht ab im Zorn deinen Knecht! Meine Hilfe warst du! Gib mich nicht auf und verlass mich nicht, Gott meiner Rettung!
Wortumfeld mit hebräischen Begriffen *
*
Polarität von nah (59LK) und fern (K;L)
Wendung: Angesicht verbergen (8DH hi. LNE)
Formulierungsstruktur • Imperative oder verneinte Imperative (vgl. Ps 27,9: „Verbirg nicht dein Angesicht vor mir [=DBB ý)=DH LNEN.@4]!“) Charakteristische Vorstellungsgehalte Die Beter leiden unter dem Verborgensein des göttlichen Angesichts. Die Rede vom Angesicht JHWHs steht mit Friedhelm Hartenstein für eine „Szenerie der Kommunikation zwischen Gott und einem menschlichen Gegenüber“218 (vgl. II. 2.4.1). Wenn Gott sein Angesicht verbirgt, bedeutet dies, dass die Kommunikation mit ihm unterbrochen ist. An dieser Störung der Gottesbeziehung drohten Menschen nach alttestamentlichen Vorstellungen zugrunde zu gehen.219 Daher bitten die Beter JHWH um die Zuwendung seines Blickes und eine Antwort oder darum, sein Angesicht nicht mehr zu verbergen, d. h. nicht mehr fern und unzugänglich zu sein.
218 Hartenstein, Angesicht, 126. 219 Vgl. II. 1; Groß, Gesicht Gottes, 189, und Hartenstein, Feindbilder, 32.
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Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs
1.1.3 Hoffnung auf JHWH und Zuversicht wegen des JHWH-Vertrauens Hoffnung auf JHWH Texte aus den Psalmen, die den geprägten Sachgehalt näher charakterisieren Ps 27,14 14 Hoffe (89K pi.) auf JHWH, sei stark, und mutig sei dein Herz! Ja, hoffe (89K pi.) auf JHWH! Ps 38,16 16 Denn auf dich, JHWH, harre (@;= hi.) ich, du wirst antworten (8DF), mein Herr, mein Gott. Ps 71,5 5 Denn du (bist) meine Hoffnung (=N9KN), Herr, JHWH, meine Zuversicht von meiner Jugend an.
Wortumfeld mit hebräischen Begriffen *
Verb 89K pi. („hoffen“)
*
Verb @;= hi. („harren“)
*
Suffigiertes Substantiv und Gottesepitheton: meine Hoffnung (=N9KN)
Formulierungsstruktur • Bezeichnung JHWHs als Hoffnung des Beters • Verwendung von Imperfekta (vgl. Imperfekt von 8DF [„antworten“] in Ps 38,16) Charakteristische Vorstellungsgehalte Die Beter setzen ihre Hoffnung auf JHWH und bringen dies entweder in der dritten Person oder in direkter Du-Anrede an JHWH zum Ausdruck. Ferner sind sie – wie Imperfektformen zeigen – gewiss, dass Gott sich dem entgegengebrachten Vertrauen entsprechend verhalten und rettend eingreifen wird. JHWH kann also als Hoffnung des Menschen bezeichnet werden.220
220 Vgl. Wolff, Anthropologie, 221.
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Zuversicht wegen des JHWH-Vertrauens Texte aus den Psalmen, die den geprägten Sachgehalt näher charakterisieren Ps 23,4 4 Auch wenn ich im Tal von Todesschatten gehe, fürchte (4L=) ich nichts Böses. Denn du (bist) (8N4) bei mir, dein Stock und dein Stab – sie trösten mich. Ps 27,1 1 JHWH – mein Licht (=L94) und meine Rettung (=FM1=), vor wem sollte ich mich fürchten (4L=)? JHWH – Festung meines Lebens, vor wem sollte ich erschrecken (7;H)? Ps 13,6 6 Ich aber (=D49) – auf deine Güte habe ich vertraut (;ü5)! Ps 73,23 23 Ich aber (=D49) (bleibe) stets bei dir; du hältst (mich) bei meiner rechten Hand.
Wortumfeld mit hebräischen Begriffen * *
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* *
*
Verb 4L= („fürchten“) Betontes Du (8N4)
Suffigierte Gottesepitheta wie mein Licht (=L94) und meine Rettung (=FM1=) Verben der Furcht und Angst: 4L= („fürchten“) und 7;H („erschrecken“)
Adversatives =D49 („ich aber“) Verb ;ü5 („vertrauen“)
Adversatives =D49 („ich aber“)
Formulierungsstruktur • • • •
Suffigierte Gottesepitheta Verneinte Verben der Furcht (4L=) und Angst (7;H) Adversatives „Ich-aber (=D49)“221 Betontes Du (8N4), um zum Ausdruck zu bringen, dass JHWH der Grund für die Zuversicht ist
Charakteristische Vorstellungsgehalte Die Beter bekennen ihr Vertrauen auf JHWH (vgl. die Verwendung der Wurzel ;ü5 [„vertrauen“]), betonen dies besonders (vgl. die „Ich-aber [=D49]-Formulierungen“ und das betonte Du [8N4]) und schildern mit suffigierten 221 Zur Auseinandersetzung mit dem sog. Bekenntnis der Zuversicht vgl. Anm. 45.
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Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs
Gottesepitheta, was JHWH ihnen bedeutet. Ferner sind sie gewiss, dass Gott zu ihren Gunsten handeln wird (vgl. Ps 27,1 und die Imperfektformen wie bspw. in Ps 38,16 [vgl. die Beschreibung des geprägten Sachgehalts Hoffnung auf JHWH unter II. 1.1.3]). Daher kann gesagt werden, dass die Beter wegen ihres JHWH-Vertrauens zuversichtlich in die Zukunft blicken können (vgl. Ps 23,4). Genau diese Zuversicht, die in Vertrauensaussagen explizit formuliert wird, ermöglicht wiederum überhaupt das Gebet zu JHWH, wie Christoph Markschies festgestellt hat: „Die Bitte wird als Vertrauensäußerung formuliert, weil der Beter schon vor allem konkreten Bitten zuversichtlich hoffen kann, daß YHWH tatsächlich zu seinen Gunsten eintreten wird. Denn in eben dieser Zuversicht besteht ja sein Glauben, der ihn zu YHWH beten läßt.“222
1.1.4 Hoffnung auf eine Gottesschau Texte aus den Psalmen, die den geprägten Sachgehalt näher charakterisieren Ps 11,7 7 Denn gerecht (ist) JHWH. Gerechte Taten liebt er. Wer „aufrecht“223 ist, der wird sein Angesicht schauen (9B=DH 8:;). Ps 17,15 15 Ich – in Gerechtigkeit werde ich dein Angesicht schauen (ý)=DH 8:;), ich werde mich sättigen (F52M) beim Erwachen an deiner Gestalt.
Wortumfeld mit hebräischen Begriffen *
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Verb des Sehens und Schauens: 8:; („schauen“) Erwähnung des Angesichts (8DH) Gottes Wendung: Angesicht schauen (8DH 8:;) Verb des Sehens und Schauens: 8:; („schauen“) Erwähnung des Angesichts (8DH) Gottes Wendung: Angesicht schauen (8DH 8:;) Verb F52M (,sättigen“)
222 Markschies, Vertrauensäußerungen, 387. Vgl. ferner de Vos, Klage, 223. 223 LM1= („aufrecht“/„gerade“) ist kollektiver Singular (vgl. Alonso-Schökel/Mayer/Ringgren, Art. LM1=, 1065 [Alonso-Schökel]).
Leben und Tod: Ein Überblick
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(Fortsetzung) Texte aus den Psalmen, die den geprägten Sachgehalt näher charakterisieren Ps 42,2–4224 2 Wie eine Hirschkuh schreit über Wasserbächen, so schreit mein Leben (=M1HD) nach dir, Gott! 3 Mein Leben (=M1HD) dürstet nach Gott, dem lebendigen Gott: „Wann werde ich kommen und Gottes Angesicht sehen (A=8@4 =DH 84L)? 4 Meine Tränen sind mir zu Brot geworden Tag und Nacht, da man den ganzen Tag zu mir sagt: ,Wo ist dein Gott?‘“ Ps 63,2–4 2 Gott, mein Gott (bist) du! Ich will dich suchen! Mein Leben (=M1HD) dürstet nach dir, mein Fleisch schmachtet nach dir, in einem Land, dürr und lechzend, ohne Wasser! 3 So habe ich dich im Heiligtum geschaut (8:;), um zu sehen (84L) deine Kraft (:F) und deine Herrlichkeit (795?)! 4 Denn besser (ist) deine Güte als Leben! Meine Lippen sollen dich loben!
Wortumfeld mit hebräischen Begriffen *
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Verb des Sehens und Schauens: 84L („sehen“) Erwähnung des Angesichts (8DH) Gottes Wendung: das Angesicht Gottes sehen (A=8@4 8DH 84L)
Verben des Sehens und Schauens: 84L („sehen“) und 8:; („schauen“) Kraft (:F) Herrlichkeit (795?)
Formulierungsstruktur • Wendungen wie 9B=DH 8:; („sein Angesicht schauen“, Ps 11,7), ý)=DH 8:; („dein Angesicht schauen“, Ps 17,15) und A=8@4 =DH 84L („das Angesicht Gottes sehen“, Ps 42,3)
224 Zu den textkritischen Entscheidungen vgl. Anm. 214 und 215.
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Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs
Charakteristische Vorstellungsgehalte Die Wendung „Gott schauen“ bzw. „sein Angesicht schauen“225 ist eine formelhafte Wendung, die auf eine altorientalische Vorstellung zurückgeht. Im Alten Orient war eine Gottesschau mit einem Heiligtumsbesuch verbunden. Der Beter trat vor das Kultbild seines Gottes.226 Daher entstand in der babylonischen Kult- und Gebetssprache ama¯ru pa¯ni als terminus technicus für dieses Unterfangen. Da der Beter sich von seiner Gottesschau zuweilen auch Hilfe und ein durch die Gottheit bewirktes Wohlergehen erhoffte227, bekam ama¯ru pa¯ni auch den Bedeutungsaspekt „,um Gnade und Hilfe bitten‘“228. Im Alten Testament wird die Wendung „Gott schauen“, die üblicherweise mit 84L 229 konstruiert wird, zunächst auch als terminus technicus der Kultsprache, d. h. für das Aufsuchen des Tempels230, verwendet. Der Topos „Gott schauen“ erfährt in den Psalmen eine Bedeutungsausweitung. Er wird auch mit dem Verb 8:; („schauen“)231 konstruiert und beschreibt nun eine „gesteigerte Form der Gotteserfahrung“232 bzw. eine „besonders intensive, konkret- ,leibhafte‘ Form des Gotteskontakts“233. Hartenstein hat anhand der ikonografisch gut bezeugten Konstellation „Zugang gewährende Gottheit – ,vor‘ sie tretender Mensch“234 herausgearbeitet, dass die Vorstellung von einer Audienz beim König im Hintergrund der Rede vom Angesicht JHWHs in den Psalmen steht.235 Daher kann mit ihm festgehalten werden, dass mit der Hoffnung auf eine Gottesschau die Hoffnung einhergeht, in die schützende Thronsphäre JHWHs aufgenommen zu werden.236 In diesem Bereich erfährt der Beter nicht nur Rettung und Schutz, sondern auch eine Wende seiner Not (vgl. Ps 11) und Lebensfülle (vgl. Ps 17,15 mit der Sättigungsvorstellung237), da er dem Königsgott in einer Audienz von 225 Zum Topos „Gott bzw. sein Angesicht schauen“ vgl. Fuhs, Sehen, 273–281; Gzella, Lebenszeit, 237–240.244–246; Janowski, Sonnengott, 228, und Nötscher, „Das Angesicht Gottes schauen“, 62–84, sowie umfassend Hartenstein, Angesicht. 226 Vgl. Mayer, Untersuchungen, 123.177 f. 227 Vgl. Liess, Weg, 254 f. 228 Van der Woude, Art. A=DH, 454. 229 Vgl. Fuhs, Sehen, 272. 230 Vgl. van der Woude, Art. A=DH, 454. 231 Bei der Konstruktion mit 8:; ist nie der Heiligtumsbesuch gemeint, sondern „immer ein glückliches Leben in der gnadenvollen Gottesgemeinschaft“ (van der Woude, Art. A=DH, 455). 232 Janowski, Konfliktgespräche, 90. 233 Janowski, Konfliktgespräche, 91. 234 Hartenstein, Angesicht, 108. 235 Vgl. Hartenstein, Angesicht. 236 Vgl. Hartenstein, Angesicht, 128. 237 Durch die parallele Stellung mit seinem Angesicht legt sich für Ps 17,15 nahe, die Audienzvorstellung als impliziten Hintergrund anzunehmen und folglich die 8D9BN JHWHs als „,Erscheinung‘ JHWHs, seine königliche ,Gestalt‘ (zu) bezeichnen, aber nicht wie er ,an sich‘ ist, sondern bezogen auf eine ganz bestimmte Wirkung auf denjenigen, der dieser Gestalt in einer ,Audienz‘ gewärtig wird“ (Hartenstein, Angesicht, 127). „Sättigung an der Gestalt JHWHs“ meint also dem thronenden Königsgott von Angesicht zu Angesicht zu begegnen und an den
Leben und Tod: Ein Überblick
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Angesicht zu Angesicht begegnen und an den von ihm ausgehenden Segenswirkungen partizipieren kann.238 Versucht man, die Hoffnungen, Gott zu schauen, in den Psalmen zusammenzufassen, lassen sie sich als „synästhetische Fülle an Sinneserfahrungen: Licht, Sättigung, Bewegung, Geborgenheit bei/vor dem königlichen Gott“239 beschreiben. Die Psalmen 11240 und 42241 illustrieren, dass es sich bei der Hoffnung auf eine Gottesschau um eine Rettungstat Gottes in einer Notsituation handelt, die segenhaftes Leben in Fülle, d. h. nach alttestamentlichen Vorstellungen ein Leben im Vollsinne, wiederherstellen würde.242 Ps 63 geht einen Schritt darüber hinaus und weist mit der Rede von Gottes Güte (7E;), die besser als das Leben ist (V.4), „schon Ansätze zu einem Verständnis, das weit mehr als äußere Lebenserfüllung das durch die Erfahrung der gnädigen Zuwendung JHWHs begründete Glück einer mehr vergeistigten Gemeinschaft mit JHWH betont“243, auf.
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242 243
von ihm ausgehenden Segenswirkungen zu partizipieren (vgl. Hartenstein, Angesicht, 127). Die Wirkung der Gestalt JHWHs ist vor dem Hintergrund von Ps 17,2 f JHWHs rettende Gerechtigkeit. Denn in diesen Versen spricht der Beter davon, dass JHWHs Angesicht der „Ort“ ist, von dem sein üHM1B, d. h. sein Recht bzw. Rechtsentscheid, ausgeht. Der Beter appelliert folglich an den thronenden Königsgott JHWH in seiner Funktion als „Richter und Bewahrer der kosmischen und sozialen (Rechts-)Ordnung“ (Hartenstein, Angesicht, 128). Hartenstein (Angesicht, 129) hält daher für Ps 17,15 fest: „Gott ,in Gerechtigkeit‘ schauen bedeutet Leben und Rettung vor jeder Bedrohung. Gott auf diese Weise schauen bedeutet, sich in seinem ,Raum‘ des Rechts, des Schutzes und der Lebensfülle aufzuhalten.“ Zu weiteren Deutungen der umstrittenen Sättigungsvorstellung in Ps 17,15 vgl. Fuhs, Sehen, 272 f; Liess, Weg, 260–262, und Warmuth, Art. F52M, 697. Vgl. Hartenstein, Angesicht, 129. Hartenstein, Sehen, 31. Ps 11,4 spricht vom „Schauen (8:;) der Augen JHWHs“ und seinen „die Menschen prüfenden Blicken“. Dieser Vers korrespondiert mit V.7 und der Hoffnung des Beters auf ein „Schauen seines Angesichts“ (ebenfalls 8:;). JHWH wird in V.4 als Königsgott beschrieben, dessen Thron sich im Himmel befindet, der aber eng mit seinem heiligen Tempel verbunden ist, von dem aus er sein göttliches Richteramt wahrnimmt und die Menschen prüft. Sein Schauen bzw. eine Gottesschau, bei der sich die Blicke Gottes und des Beters treffen, ist folglich prüfender und Gerechtigkeit schaffender Natur (vgl. Hartenstein, Angesicht, 129 f). Ps 42,2 f beschreibt die Gottessehnsucht des Beters (vgl. II. 1), der sich nach dem lebendigen Gott wie sich eine vom Verdursten bedrohte Hirschkuh auf ausgetrockneten Wasserbächen nach Wasser sehnt (V.2) und sich daher fragt, wann er endlich zum Jerusalemer Tempel kommen und das Angesicht Gottes sehen (84L), d. h. Gottes Nähe erfahren kann (V.3). Aus V.4 geht hervor, dass der Beter unter der Abwesenheit JHWHs leidet. Sogar sein Umfeld fragt den Beter schon nach seinem Gott, d. h., er stellt JHWHs Existenz und Wirkmacht infrage. Folglich kann für die ersehnte Gottesschau, die für den Beter so lebensnotwendig ist wie das Wasser für die Hirschkuh (vgl. V.2), festgehalten werden, dass mit ihr eine Wende der Notsituation einhergeht. Vgl. Fuhs, Sehen, 276. Fuhs, Sehen, 276.
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Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs
1.2 Zum Gemeinschaftsbezug gehörende geprägte Sachgehalte Ich komme nun zu den zum Gemeinschaftsbezug gehörenden geprägten Sachgehalten, die die Beziehung zwischen Menschen und ihren Mitmenschen beschreiben, d. h. die horizontale Relation, die das Menschsein nach alttestamentlichen Auffassungen prägt.
1.2.1 Bedrohung durch Feinde Texte aus den Psalmen, die den geprägten Sachgehalt näher charakterisieren Ps 7,2.14 2 JHWH, mein Gott, bei dir berge ich mich, rette mich von allen meinen Verfolgern (=H7L) und befreie mich! 14 Aber gegen sich (selbst) hat er die Mordwaffen bereitet, seine Pfeile (9=J;) zu brennenden gemacht. Ps 31,5 5 Ziehe mich aus dem Netz (NM1L) heraus, das sie mir heimlich gelegt haben; denn du (bist) meine Festung. Ps 37,32 32 Ein Frevler (FM1L) lauert (8HJ) auf einen Gerechten und sucht, ihn zu töten (N9B hi.). Ps 57,5 5 Mitten unter Löwen (A45@) liege ich (=M1HD), die Menschen verschlingen (ü8@). Ihre Zähne (sind) Speer (N=D;) und Pfeile (A=J;), und ihre Zunge (ist) ein scharfes Schwert.
Wortumfeld mit hebräischen Begriffen
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Waffe: Pfeil (I;) Benennung der Feinde: meine Verfolger (=H7L)
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Waffe: Netz (NM1L)
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Benennung des Feindes: Frevler (FM1L) Verben zur Schilderung des Feindeshandelns: 8HJ („spähen“, „lauern“) und N9B hi. („töten“) Tiervergleich mit: Löwe (45@) Waffen: Pfeil (I;) und Speer (N=D;) Verb zur Schilderung des Feindeshandelns: ü8@ („verschlingen“)
Leben und Tod: Ein Überblick
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(Fortsetzung) Texte aus den Psalmen, die den geprägten Sachgehalt näher charakterisieren Ps 88,7–9a 7 Du hast mich versetzt in (die) tiefe, unterste244 Zisterne, an finstere Orte, in (Meeres-)tiefen. 8 Auf mir hat gelastet dein Zorn (8B;), und alle deine Brecher (L5M1B) – erniedrigt (8DF pi.) hast du (mich). 9 Du hast entfernt meine Vertrauten von mir, hast mich gesetzt zu Gräueln für sie.
Wortumfeld mit hebräischen Begriffen * * *
Waffe: Brecher (L5M1B) Zorn (8B;) Verb zur Schilderung des Feindeshandelns: 8DF pi. („erniedrigen“)
Formulierungsstruktur • Beschreibung der Feinde245 mit Tier-, Kriegs- und Jagdbildern246, die in der Lebenswelt des alten Israel verankert waren, durch Kombinatorik ihr innovatives Potenzial247 entfalten und metaphorisch verwendet werden, um die Bedrohung durch die Feinde in ihrer ganzen Dimension248 zu schildern Charakteristische Vorstellungsgehalte In den meisten Psalmen werden Menschen als Feinde beschrieben. Die Feindbedrohung wurde als Einbruch des Chaos in die Welt des Beters und als Störung seines intakten Weltbezugs gedeutet, die er nur kraft seiner Beziehung zum Königsgott JHWH überwinden kann, da dieser die Stabilität der Weltordnung garantiert (vgl. Ps 46 und 93). Ps 88,7–9a zeigt jedoch, dass auch Gottes Handeln als feindlich wahrgenommen werden kann. Der Beter schildert, dass JHWHs Zorn nicht als Resultat seiner Gerechtigkeit249, sondern willkürlich über ihn kommt und Gott ihn erniedrigt und sozial isoliert. Allerdings wird JHWH in den Psalmen nie 244 Vgl. Gesenius18, 1436. 245 Zur Feindthematik vgl. die ausführlichen Studien Keel, Feinde, und Riede, Netz. 246 Zu den Bildbereichen Tierwelt, Krieg und Jagd vgl. Gunkel/Begrich, Einleitung, 198; Janowski, Konfliktgespräche, 117–124, und Keel, Bildsymbolik, 68–97. Zu Feindbildern vgl. ferner Hartenstein, Feindbilder, und Janowski, „Dem Löwen gleich, gierig nach Raub“. 247 Vgl. Hartenstein, Feindbilder, 24. 248 Vgl. Riede, Sprache der Bilder, 25. 249 Gottes Zorn wurde im Alten Testament – bis auf wenige Ausnahmen wie Ps 88,8 – als Resultat seiner Gerechtigkeit gedacht (vgl. Groß, Zorn Gottes, 233).
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Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs
als Feind (5=4), Widersacher (LJ) oder Frevler (FM1L)250 bezeichnet. Nur in Hi 16,9 wird er als LJ beschrieben: 9 Sein Zorn zerriss und befeindete mich, gefletscht hat er seine Zähne gegen mich! Mein Widersacher (LJ) – er schärft seine Augen gegen mich!
1.2.2 Bitte um Rettung aus Feindbedrohung Texte aus den Psalmen, die den geprägten Sachgehalt näher charakterisieren Ps 7,2 2 JHWH, mein Gott, bei dir berge ich mich, rette (FM1= hi.) mich von allen meinen Verfolgern (=H7L) und befreie (@JD hi.) mich! Ps 31,5 5 Ziehe (4J= hi.) mich aus dem Netz (NM1L) heraus, das sie mir heimlich gelegt haben (CBü); denn du (bist) meine Festung (=:9FB).
Wortumfeld mit hebräischen Begriffen *
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Benennung der Feinde: meine Verfolger (=H7L) Verben in der Bitte um Rettung aus Feindbedrohung: FM1= hi. („retten“) und @JD hi. („befreien“, „retten“) Verb in der Bitte um Rettung aus Feindbedrohung: 4J= hi. („herausziehen“) Beschreibung des Feindeshandeln: „Netz (NM1L) heimlich legen (CBü)“ Suffigiertes Gegenbild zu den Feindesschilderungen bzw. Gottesepitheta, mit denen der Beter sein Vertrauen auf JHWH bekennt: meine Festung (=:9FB)
250 Zu einer übersichtlichen Darstellung der verschiedenen Feindbezeichnungen vgl. Hartenstein, Feindbilder, 21–23.
Leben und Tod: Ein Überblick
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(Fortsetzung) Texte aus den Psalmen, die den geprägten Sachgehalt näher charakterisieren Ps 71,4 f 4 Mein Gott, errette (ü@H pi.) mich aus der Hand (des) Frevlers (FM1L), aus der Hand des Ungerechten (@9FB) und des Unterdrückers251 (IB9;). 5 Denn du (bist) meine Hoffnung (=N9KN), Herr, JHWH, meine Zuversicht (=;ü5B) von meiner Jugend an.
Wortumfeld mit hebräischen Begriffen *
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Benennung der Feinde: Frevler (FM1L), Ungerechter (@9FB) und Unterdrücker (IB9;) Verb in der Bitte um Rettung aus Feindbedrohung: ü@H pi. („[er-]retten“, „entkommen lassen“, „in Sicherheit bringen“) Suffigierte Gegenbilder zu den Feindesschilderungen bzw. Gottesepitheta, mit denen der Beter sein Vertrauen auf JHWH bekennt: meine Hoffnung (=N9KN) und meine Zuversicht (=;ü5B)
Formulierungsstruktur • Imperative • Vertrauensaussagen Charakteristische Vorstellungsgehalte Angesichts von Feindbedrohung bekennen die Beter ihr Gottvertrauen mit Gegenbildern zu den Feindesschilderungen und fordern JHWH zum rettenden Eingreifen auf. Die Gegenbilder illustrieren die Intensität der Bindung der Beter an JHWH und das Vertrauen auf ihn sowie, dass die Feindthematik im Alten Testament „nicht ohne den Bezug auf das erfahrene und erhoffte bestätigende Rettungshandeln des Königsgottes JHWHs gedacht wurde“252.
1.3 Zugrunde liegende geprägte theologische Überzeugungen Abschließend möchte ich die geprägten theologischen Überzeugungen skizzieren, die den Psalmen und den Lebens- und Todesauffassungen der Psalmen zugrunde liegen (vgl. II. 1).
251 Vgl. Gesenius18, 367. 252 Hartenstein, Feindbilder, 29.
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Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs
1.3.1 JHWH antwortet auf das Rufen seiner Geschöpfe zu ihm Texte aus den Psalmen, die den geprägten Sachgehalt näher charakterisieren Ps 3,5 5 (Mit) meiner Stimme rufe (4LK) ich zu (@4) JHWH, und er antwortet253 mir (8DF) von seinem heiligen Berg. Ps 120,1 1 Zu (@4) JHWH rief (4LK) ich in meiner Not, und er antwortete (8DF) mir.
Wortumfeld mit hebräischen Begriffen *
*
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Wortpaar 4LK („rufen“) und 8DF („antworten“) Richtungspräposition @4 („zu“)
Wortpaar 4LK („rufen“) und 8DF („antworten“) Richtungspräposition @4 („zu“)
Formulierungsstruktur • Beter rufen zu (Richtungspräposition @4) JHWH, und er antwortet. Charakteristische Vorstellungsgehalte Die Tatsache, dass JHWH antwortet, unterscheidet ihn wesentlich von anderen Göttern.254 Eine Antwort Gottes beinhaltet jedoch nicht nur eine verbale Rede, wie Ps 27,7–9 zeigt. Der Beter dieses Psalms wünscht sich Hilfe und Rettung (V.9) und würde diese als Antwort Gottes deuten (V.7): 7 Höre, JHWH, meine Stimme! Ich rufe (unentwegt), so sei mir gnädig und antworte mir! 8 An dich dachte mein Herz: Sucht mein Angesicht! Dein Angesicht, JHWH, suche ich (unentwegt)! 9 Verbirg nicht dein Angesicht vor mir, weise nicht ab im Zorn deinen Knecht! Meine Hilfe warst du! Gib mich nicht auf 253 Im MT ist eine waw-Imperfektform („und er antwortete [=D% Dú½ F#n(- 9( ]“) belegt. Die Herausgeber der BHS schlagen vor, =D% Dú½ F#n(- 9! („und er antwortet“) zu vokalisieren. Da die vorangegangene Verbform 4L¡) K!4û („ich rufe“) ein Imperfekt ist und kein Ereignis aus der Vergangenheit beschreibt, ist =D% Dú½ F#n(- 9! („und er antwortet“) zu lesen. 254 Vgl. Kessler, Der antwortende Gott, 56.
Leben und Tod: Ein Überblick
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und verlass mich nicht, Gott meiner Rettung!
Rainer Kessler fasst treffend zusammen: „Was der Beter als konkrete Hilfe, Bewahrung oder Rettung erwartet bzw. schon erfahren hat, interpretiert er – neben anderem – als Antwort Gottes auf sein Gebet.“255 Die Vorstellung vom antwortenden Gott liegt den Psalmen als eine Art Grunddefinition Gottes zugrunde und prägt diese. Würden die Psalmenbeter nicht davon ausgehen, dass JHWH auf ihr Gebet antwortet, würden sie kaum zu ihm beten oder gar eine Reaktion auf ihre Bitten erwarten. 1.3.2 JHWH verwandelt Klage zu Lob und Trauer zu Freude Texte aus den Psalmen, die den geprägten Sachgehalt näher charakterisieren Ps 30,4.12 4 JHWH, du hast heraufgeholt (8@F hi.) aus (der) Scheol (@94M1) mein Leben (=M1HD), du hast mich zum Leben gebracht aus denen, die (in) eine Zisterne (L95) hinabsteigen256. 12 Du hast umgewandelt (ý!H8) meine Trauer (=7HEB) zu einem Reigentanz (@9;B) für mich, du hast mein Trauergewand (=K2M) gelöst und umgürtetest mich mit Freude (8;B2M).
255 Kessler, Der antwortende Gott, 54. 256 Zur Textkritik vgl. Anm. 38.
Wortumfeld mit hebräischen Begriffen *
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Vokabular des Todes und der Trauer: Scheol (@94M1), Zisterne (L95), Trauer (7HEB) und Trauergewand (K2M) Vokabular der Freude: Reigentanz (@9;B) und Freude (8;B2M) Verben des Rettens: 8@F hi. („heraufholen“) und ý!H8 („wenden“, „umwandeln“)
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Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs
(Fortsetzung) Texte aus den Psalmen, die den geprägten Sachgehalt näher charakterisieren Ps 116,8 f 8 Denn du hast herausgerissen (I@; pi.) mein Leben (=M1HD) aus (dem) Tod (N9B), mein Auge aus Tränen257 (N9FB7), meinen Fuß aus (dem) Fallen. 9 Ich werde vor JHWH wandeln in den Ländern der Lebenden.
Wortumfeld mit hebräischen Begriffen *
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Vokabular des Todes und der Trauer: Tod (N9B) und Tränen (N9FB7) Verb des Rettens: I@; pi. („herausreißen“, „erretten“)
Charakteristische Vorstellungsgehalte Der Beter erfährt eine Rettung aus dem – bspw. durch Krankheit, Gottesferne oder Feindbedrohung ausgelösten – Tod mitten im Leben, die seine Klage in Lob und seine Trauer in Freude verwandelt. Von seiner Rettungserfahrung berichtet er in der Toda-Feier, die ihn wieder in die kultische und soziale Gemeinschaft integriert. Das Ziel der Rettung ist nicht eine Rettung vor dem Tod an sich, sondern eine punktuelle Rettungserfahrung, wie Barth pointiert zum Ausdruck bringt: „Entscheidend ist hier nicht, wie lange der Einzelne in dem neuen Leben verharren wird, sondern die Tatsache, daß er an diesem Tage die Erlaubnis und Möglichkeit hat, aufs neue und wirklich zu leben. Alle Einzelheiten weisen auf den Moment der Dankfeier. Die gratia des neuen Lebens ist als actualis, nicht als habitualis zu verstehen, wie denn auch Gottes Eingreifen ein zeitlich bestimmter Akt ist, dem der Bedrängte nur entgegensehen, auf den der Gerettete nur zurückblicken kann. Der Ton liegt im Dankliede sehr deutlich auf der Errettung selbst, also nicht auf der Zeit nach der Errettung. (…) Von einer weiteren zeitlichen Ausdehnung derselben ist keine Rede.“258
Die Danklieder des Einzelnen beschreiben JHWH also als einen Gott, der (punktuell) Klage zu Lob und Trauer zu Freude verwandelt.
257 Mit der LXX und Hieronymus ist ein Plural zu lesen, da der Singular „aus einer Träne (8FB7)“ wenig Sinn ergibt, da meist mehrere Tränen vergossen werden. 258 Barth, Errettung, 120 f. Vgl. ferner Liess, Weg, 329.
Leben und Tod: Ein Überblick
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1.3.3 JHWH bzw. das Mitsein Gottes tröstet Texte aus den Psalmen, die den geprägten Sachgehalt näher charakterisieren Ps 23,4 4 Auch wenn ich im Tal von Todesschatten gehe, fürchte ich nichts Böses. Denn du (bist) bei mir (=7BF), dein Stock und dein Stab – sie trösten mich (A;D pi.). Ps 71,21 21 Du wirst meine Größe mehren und dich wenden, mich trösten (A;D pi.). Ps 86,17 17 Tue an mir ein Zeichen zum Guten, dass die es sehen, die mich hassen, und beschämt werden, weil du (8N4), JHWH, mir geholfen und mich getröstet (A;D pi.) hast.
Wortumfeld mit hebräischen Begriffen * *
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* *
Verb A;D pi. („trösten“) Suffigierte Präposition 7BF („mit“)
Verb A;D pi. („trösten“)
Verb A;D pi. („trösten“) Betontes Du (8N4)
Charakteristische Vorstellungsgehalte Jörg Jeremias hat in seiner Studie „Die Reue Gottes. Aspekte alttestamentlicher Gottesvorstellung“259 die Wurzel A;D und ihre Bedeutung analysiert. Seines Erachtens gehen die Sinngehalte des Verbums „auf eine im Arabischen (nahama) belegte Grundbedeutung ,heftig atmen, Luft ˙ schnappen, schnaufen‘ mit dem reflexiven Sinn ,kräftig Atem holen, wieder atmen können, aufatmen = sich Erleichterung verschaffen‘ zurück“260.
Dieser Vorstellung liegt „die Idee einer Erleichterung (zugrunde, N. M.z.F.), die aus einem tiefen Atemzug gewonnen wird und der eine Gemütserregung vorausgeht, die als (seelische) Atemnot erfahren wird“261: 259 Vgl. Jeremias, Reue Gottes. Zum Trost im AT vgl. auch Riede, Tröster. 260 Jeremias, Reue Gottes, 16. 261 Jeremias, Reue Gottes, 16.
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Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs
„Die konkreten Einzelinhalte der Wurzel in ihren reflexiven Stammformen ergeben sich dann aus dem Charakter der jeweiligen Not und haben sich von hier aus weiterentwickelt: Im Zorn wird die Erleichterung mittels Rache, im Leid mit Hilfe des Trostes, im Angesicht vertrauter Menschen in Not durch Leid bzw. Mitleid erlangt, schließlich im Unmut über eine vollbrachte Tat oder eine getroffene Entscheidung durch Seufzen und Reue bzw. Willenswandel.“262
Daraus resultiert, dass JHWH (in den Psalmen) als ein Gott gedacht wurde, der Erleichterung in Notsituationen verschafft und dessen Gegenwart (vgl. Ps 23,4: Mitsein [=7BF]) als erleichternd wahrgenommen wurde.
1.4 Tabellen zur Rezeption geprägter Sachgehalte im Hiobbuch Im Folgenden arbeite ich heraus, mit welchen geprägten Sachgehalten und theologischen Überzeugungen sich das Hiobbuch in welchen Textabschnitten auseinandersetzt. Außerdem beschreibe ich im Vorgriff auf die Analysen der Hiobtexte (III.) den exegetischen Ertrag meiner Untersuchungen, d. h., wie das Hiobbuch die geprägten Sachgehalte und theologischen Überzeugungen rezipiert und wie sich die Rezeption im Verlauf des Buches verändert. Als Darstellungsform habe ich Tabellen gewählt. In der ersten Spalte liste ich die Texte aus dem Hiobbuch auf, die geprägte Sachgehalte rezipieren, in der zweiten die Wortumfelder mit hebräischen Begriffen, die eine Rezeption geprägter Sachgehalte nahelegen, in der dritten die Art der Rezeption im jeweiligen Text und in der vierten die Art der Rezeption des jeweiligen geprägten Sachgehalts im Verlauf des Hiobbuches. Die Tabellen können als Vorschau und zur Vororientierung auf die auf die Exegesen von Ps 13 und 23 folgenden Analysen der Hiobtexte (III.) dienen, sie können aber auch während der Lektüre der Hiobexegesen als Ergänzung und nach deren Lektüre als Rückblick herangezogen werden.
262 Jeremias, Reue Gottes, 16.
Hi 3,11–13 11 Warum starb (N9B) ich nicht vom Mutterschoß weg, kam aus dem Mutterleib heraus und kam (sofort) um (F96)? 12 Warum haben mich empfangen Knie und was (sollten mir) Brüste, dass ich saugte? 13 Denn jetzt läge ich da (5?M1) und wäre ruhig (üKM1), ich schliefe (CM1=), dann hätte ich Ruhe (;9D) für mich.
Texte aus dem Hiobbuch, die die geprägten Sachgehalte rezipieren
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Verben für „sterben“: N9B („sterben“) und F96 („umkommen“) Positive Beschreibung des Seins im Totenreich mit den Verben 5?M1 („liegen“), üKM1 („ruhig sein“), CM1= („schlafen“) und ;9D („Ruhe haben“)
Wortumfeld mit hebräischen Begriffen
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Traditionsveränderung des geprägten Sachgehalts Bitte um Rettung aus dem Tod zum Leben: Hiob wünscht sich, niemals existiert zu haben. Traditionsveränderung des geprägten Sachgehalts Sehnsucht nach Gottesnähe: Hiob wünscht sich, bei der Geburt gestorben oder nicht ernährt worden zu sein (V.11 f). Wäre er nicht geboren oder direkt bei der Geburt gestorben, wäre er nicht mit seinem Leiden und auch nicht mit Gottes bedrohlicher Gegenwart konfrontiert worden. *
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Bewegung vom Wunsch nach Nichtexistenz (Hi 3) und Tod (Hi 6,8–10 und 7,13–15) hin zum Wunsch nach Wiederherstellung der Kommunikation mit Gott (Hi 14,13–17) Bewegung vom Wunsch nach Gottesferne (Hi 3,11–13; 6,8–10; 7,13–15 und 10,18–22) hin zum Wunsch nach Gottesnähe und intakter Gottesbeziehung (Hi 14,13–17) Bewegung von der Umkehrung hin zur Bestätigung der geprägten Sachgehalte, die jedoch eigene Akzente erkennen lässt Gesamtbewegung vom Wunsch nach Nichtexistenz hin zum Wunsch nach Wiederherstellung der Kommunikation mit Gott (Hi 14,13–17) erweist das Hiobbuch als traditionskonform
Art der Rezeption der geprägten Art der Rezeption im Verlauf des Sachgehalte im jeweiligen Text Hiobbuches
Rezeption der geprägten Sachgehalte Ringen mit Gott um das Leben angesichts von Todesbefallenheit und Bitte um Rettung aus dem Tod zum Leben sowie Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Zuwendung Gottes in Hi 3,11–13; 6,8–10; 7,13–15; 10,18–22 und 14,13–17 (vgl. die Einzelexegesen unter III. 2.1–2.5)
Leben und Tod: Ein Überblick
71
Hi 6,8–10 8 Oh, dass doch (CN=.=B) einträfe meine Bitte (=N@4M1) und meine Hoffnung (=N9KN) gäbe Gott! 9 Und (mir) gewährte Gott und mich zermalmte, seine Hand frei ließe und mich abschnitte! 10 Und (dies) wäre noch mein Trost und ich wollte hüpfen in schonungslosem Schmerz. Denn ich habe nicht versteckt die Worte des Heiligen.
(Fortsetzung)
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Wunschformel CN=.=B Positive Beschreibung des Todes als „meine Hoffnung (=N9KN)“ Bezeichnung des Wunsches zu sterben als „Bitte (8@4M1)“
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Traditionsveränderung der geprägten Sachgehalte Ringen mit Gott um das Leben angesichts von Todesbefallenheit und Bitte um Rettung aus dem Tod zum Leben: Hiob ringt mit Gott darum, sterben zu dürfen (Wunschformel CN=.=B und Bezeichnung des Todeswunsches, den JHWH nicht erfüllt, als Bitte [8@4M1]). Traditionsveränderung der geprägten Sachgehalte Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Zuwendung Gottes: Hiob sehnt sich danach zu sterben und bittet um den von Gott gewirkten Tod, da er keine andere Möglichkeit sieht, Gottes qualvoller Nähe (vgl. Hi 6,4) zu entkommen.
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Gesamtbewegung vom Wunsch nach Gottesferne hin zum Wunsch nach einer intakten Gottesrelation (Hi 14, 13–17) erweist das Hiobbuch als traditionskonform
72 Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs
Hi 10,18–22 18 Aber wozu hast du mich aus dem Mutterschoß gezogen? Ich wäre umgekommen (F96) und kein Auge hätte mich gesehen. 19 Wie wenn ich nicht gewesen wäre, wäre ich, vom Mutterleib zum Grab getragen.
Hi 7,13–15 13 Wenn ich sage: Mein Bett wird mich trösten, meine Schlafstätte wird meine Klage mittragen, 14 dann erschreckst (NN; pi.) du mich mit Träumen und schreckst (NF5 pi.) mich mit Nachtgesichtern auf. 15 Meine Kehle (=M1HD) wollte lieber ersticken, lieber (den) Tod (N9B) als meine Gebeine.
(Fortsetzung)
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Verb für „sterben“: F96 („umkommen“) Verb für „blicken“: 8FM1 hi. („blicken“) Bezeichnung des Totenreichs als Ort ohne Rückkehrmöglichkeit (59M14 4@9 ý!@4) Unterweltstopik in V.21: Land der Finsternis und Todesschatten (N9B@J9 ý!M1; IL4)
V.13 f: Schilderung der bedrohlichen Gottesgegenwart mit den Verben NN; pi. („erschrecken“) und NF5 pi. („aufschrecken“) V.15: Tod (N9B)
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Traditionsveränderung des geprägten Sachgehalts Bitte um Rettung aus dem Tod zum Leben: Hiob bittet nicht wie in Hi 6,8–10 und 7,13–15 um den Tod, aber auch nicht um ein Leben im Vollsinne, das die Nähe Gottes beinhaltet, sondern darum, seine letzten Lebenstage in Gottesferne verbringen zu dürfen, d. h. um ein gemindertes Leben.
Traditionsveränderung des geprägten Sachgehalts Bitte um Rettung aus dem Tod zum Leben: Hiob will lieber den Tod (N9B) als sein gegenwärtiges, von Schmerzen geprägtes Leben. Traditionsveränderung der geprägten Sachgehalte Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Zuwendung Gottes: Hiob sehnt sich danach, zu sterben (V.15 N9B), da er keine andere Möglichkeit sieht, Gottes qualvoller Nähe (vgl. Hi 7,13 f) zu entkommen.
Leben und Tod: Ein Überblick
73
20 Sind nicht (nur noch) ein wenig die Tage meiner Lebensdauer? Blick weg von mir (8FM1 hi.), und ich will ein wenig heiter werden (86=@549)! 21 Bevor ich gehe und nicht zurückkehre (59M14 4@9 ý!@4) ins Land (der) Finsternis und (der) Todesschatten (N9B@J9 ý!M1; IL4), 22 (ins) Land (der) Finsternis wie die Dunkelheit (der) Todesschatten, (ins Land) ohne Ordnungen, (wo es auch, wenn) es hell wird, wie Dunkelheit (ist).
(Fortsetzung)
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Mit „Leben“ verbundener Kohortativ 86=@549 („und ich will heiter werden“) *
Traditionsveränderung der geprägten Sachgehalte Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Zuwendung Gottes sowie Traditionsfortbildung der geprägten Sachgehalte Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Rettung aus dem Tod zum Leben: Hiobs Bitte um Gottesferne in V.20 zeigt, dass er sich das Gegenteil der Psalmenbeter wünscht. Auf der anderen Seite zeigt seine Bitte, bei der sich Akt und Inhalt des Gebets widersprechen, dass sich Sehnsucht nach Gottesnähe auch im Eingeständnis, dass ein Leben mit Gott unmöglich, eines ohne ihn jedoch undenkbar ist, zeigen kann, und die Bitte um Rettung aus dem Tod zum Leben auch eine Bitte um einen modus vivendi umfassen kann.
74 Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs
Hi 14,13–17 13 Oh, dass du mich doch in der Scheol (@94M1) verborgen hieltest, mich verstecktest, bis dein Zorn sich wendet, dass du mir eine bestimmte Frist setztest und (dann) meiner gedächtest (L?:)! 14 Wenn ein Mann stirbt, lebt er (dann wieder auf)? Alle Tage meines Kampfes würde ich ausharren, bis meine Befreiung käme. 15 Du würdest rufen (4LK), und ich würde dir antworten (8DF), nach dem Werk deiner Hände würdest du dich sehnen. 16 Ja, dann würdest du meine Schritte zählen, du würdest nicht über meine Verfehlung wachen, 17 versiegelt wäre im Beutel mein Verbrechen, und zugeklebt hättest du meine Verkehrtheit!
(Fortsetzung)
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Unterweltstopik: Scheol (@94M1) Gedenken Gottes (L?:) Wortpaar 4LK („rufen“) und 8DF („antworten“)
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Traditionsbestätigung und Traditionsfortbildung des geprägten Sachgehalts Ringen mit Gott um das Leben angesichts von Todesbefallenheit: Hiob ringt nicht mehr mit Gott darum, sterben zu dürfen, sondern um die Wiederherstellung seiner Gottesbeziehung und Kommunikation mit Gott. Außerdem verwendet er mit der unrealistischen Rede vom Gedenken Gottes in der Scheol ein in den Psalmen nicht belegtes argumentum ad deum, um Gott zum Einschreiten zu bewegen. Traditionsbestätigung und Traditionsfortbildung der geprägten Sachgehalte Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Zuwendung Gottes: Hiobs Wunsch, JHWH möge sich nach ihm sehnen und ihn rufen, zeigt, dass sich die in den Psalmen beschriebene Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Gottes Zuwendung auch in dem Wunsch äußern
Leben und Tod: Ein Überblick
75
(Fortsetzung) kann, dass Gott auf sein Geschöpf zugehen möge, wenn es sich wie Hiob vor ihm ausspricht und zu ihm spricht, aber keine Antwort erhält.
76 Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs
Hi 6,8–10 8 Oh, dass doch einträfe meine Bitte und meine Hoffnung (=N9KN) gäbe Gott! 9 Und (mir) gewährte Gott und mich zermalmte, seine Hand frei ließe und mich abschnitte!
Hi 6,4 4 Denn die Pfeile (=J;) Sˇaddajs (sind) mit mir, deren Gift trinkt mein Geist (=;9L). Die Schrecknisse Gottes treten vor mir an.
Texte aus dem Hiobbuch, die die geprägten Sachgehalte rezipieren
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Bezeichnung des Todes als „meine Hoffnung (=N9KN)“
Waffe: Pfeil (I;)
Wortumfeld mit hebräischen Begriffen
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Traditionsveränderung der geprägten Sachgehalte Hoffnung auf JHWH und Zuversicht wegen des JHWH-Vertrauens: Hiob bezeichnet den von Gott gewirkten Tod als „meine Hoffnung (=N9KN)“. Außerdem schenkt ihm nicht sein Vertrauen auf JHWH (vgl. Ps 23,1.4), sondern die Aussicht auf den Tod Zuversicht.
Traditionsveränderung und Traditionsfortbildung des geprägten Sachgehalts Bedrohung durch Feinde: Nicht ein Mensch, sondern Gott erscheint als Feind.
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Bewegung von der Hoffnung auf den Tod (Hi 6,8–10) hin zur Hoffnung und zum Vertrauen auf Gott als Zeugen (Hi 16,18–22) und Löser (Hi 19,25–27) und eine Gottesschau (Hi 19,25–27) Bewegung von der Umkehrung hin zur Bestätigung der geprägten Sachgehalte, die jedoch eigene Akzente erkennen lässt
Traditionsveränderung und Traditionsfortbildung der geprägten Sachgehalte Bedrohung durch Feinde und Bitte um Rettung aus Feindbedrohung: Freunde erscheinen als Feinde (Hi 19,2), Gott erscheint als Feind (Hi 6,4 und 16,7–17) und Gott wird gebeten, gegen sich selbst und sein feindliches Handeln vorzugehen (Hi 16,18– 22)
Art der Rezeption der geprägten Art der Rezeption im Verlauf des Sachgehalte im jeweiligen Text Hiobbuches
Rezeption der geprägten Sachgehalte Bedrohung durch Feinde und Bitte um Rettung aus Feindbedrohung, Hoffnung auf JHWH und Zuversicht wegen des JHWH-Vertrauens sowie Hoffnung auf eine Gottesschau in Hi 6,4; 6,8–10; 16,7–17; 16,18–22; 19,2 und 19,25–27 (vgl. die Einzelexegesen unter III. 3.1–3.6)
Leben und Tod: Ein Überblick
77
Hi 16,7–17 7 Ja, jetzt hat er mich müde gemacht, verwüstet hast du meinen ganzen (Familien-)kreis 8 und packtest mich! Zum Zeugen war (es) geworden, und es stand auf gegen mich meine Abmagerung, in mein Angesicht verklagte sie mich! 9 Sein Zorn zerriss und befeindete mich, gefletscht (KL;) hat er seine Zähne gegen mich! Mein Widersacher (LJ) – er schärft seine Augen gegen mich!
10 Und (dies) wäre noch mein Trost und ich wollte hüpfen in schonungslosem Schmerz. Denn ich habe nicht versteckt die Worte des Heiligen.
(Fortsetzung)
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Benennung des Feindes (scil. Gott) in V.9: LJ („Widersacher“) Tier-, Kriegs- und Jagdbilder zur Beschreibung des Feindeshandelns: bspw. V.9 (JHWH fletscht [KL;] seine Zähne wie ein Raubtier.), V.14 (Gott attackiert Hiob wie ein Kriegsheld [L956].) und V.12 (JHWH stellt sich Hiob zum Ziel [8LüB].) Verben zur Beschreibung des Feindhandelns: bspw. in V.12: LLH pil. („zerschmettern“) und IJH pil. („zerschellen“) *
Traditionsveränderung und Traditionsfortbildung der geprägten Sachgehalte Bedrohung durch Feinde und Bitte um Rettung aus Feindbedrohung: Hiob bringt zum Ausdruck, dass er nicht von Menschen, sondern von JHWH wie von einem Feind verfolgt wird. Dabei verwendet er – was in den Psalmen nicht belegt ist – Kriegs- und Jagdbilder zur Beschreibung des Handelns Gottes. Außerdem bittet er JHWH nicht um Befreiung aus Feindeshand, sondern schildert, dass Gott ihn selbst kriegerisch attackiere.
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Gesamtbewegung von der Hoffnung auf den Tod hin zur Hoffnung auf Gott als Löser und eine Gottesschau erweist das Hiobbuch als traditionskonform
78 Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs
10 Sie haben aufgesperrt gegen mich ihren Mund, unter Verhöhnung haben sie auf meine Backen geschlagen! Gemeinsam rotten sie sich gegen mich zusammen! 11 Es liefert mich Gott an einen Ungerechten aus, und in die Hände von Frevlern stürzt er mich! 12 Sorglos war ich, da zerschmetterte er mich (LLH pil.), packte meinen Nacken und zerschellte mich (IJH pil.), stellte mich auf für sich als Ziel (8LüB)! 13 Es umschwirren mich seine Pfeile, er spaltet meine Nieren und nicht verschont er, er vergießt zur Erde meine Galle! 14 Er bricht in mich Bresche auf Bresche, stürmt auf mich los wie ein Kriegsheld (L956)!
(Fortsetzung)
Leben und Tod: Ein Überblick
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Hi 16,18–22 18 Oh Erde, bedecke nicht mein Blut und nicht sei ein Wohnort für mein (Hilfe-)Geschrei! 19 Auch jetzt (noch) (8NF.A6), siehe, im Himmel (ist) mein Zeuge (=7F), und mein Fürsprecher (=782M) in den Höhen! 20 Meine Spötter (sind) meine Freunde – zu Gott hin tränt mein Auge!
15 Ein Sackgewand habe ich um meine Haut gelegt, habe gesteckt in (den) Staub mein Horn! 16 Mein Angesicht ist gerötet vom Weinen und auf meinen Wimpern (ist) Todesschatten! 17 Obwohl keine Gewalttat an meinen Handflächen und mein (Bitt-)Gebet rein (ist)!
(Fortsetzung)
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Suffigierte Gottesepitheta, mit denen Hiob sein Vertrauen auf Gott bekennt, in V.19: mein Zeuge (=7F) und mein Fürsprecher (=782M) Adversatives 8NF.A6 („auch jetzt [noch]“) in V.19 Verb in der Bitte um Rettung aus Feindbedrohung in V.21: ;?= hi. („Recht verschaffen“) *
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Traditionsbestätigung und Traditionsfortbildung des geprägten Sachgehalts Bitte um Rettung aus Feindbedrohung: Bitte an Gott, gegen sich selbst und sein feindliches Handeln vorzugehen Traditionsbestätigung und Traditionsfortbildung des geprägten Sachgehalts Hoffnung auf JHWH: Obwohl Hiob von Gott wie von einem Kriegshelden attackiert wird, was in den Psalmen nicht belegt ist, setzt er sein Vertrauen auf ihn. Ob-
80 Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs
Hi 19,25–27 25 Ich aber (=D49) weiß: Mein Löser (=@46) (ist) lebendig und als Letzter wird er sich auf dem Staub erheben (A9K). 26 Und nachdem man meine Haut derart zerschlagen hat und ohne mein Fleisch werde ich Gott schauen (89@4 8:;),
Hi 19,2 2 Bis wann wollt ihr mich (=M1HD) plagen (86= hi.) und mich mit Worten zerschlagen (4?7 pi.)?
21 Auf dass er Recht schaffe (;?= hi.) einem Mann gegen Gott, ja, zwischen einem Menschen und seinem Freund! 22 Denn wenige Jahre werden kommen und den Weg, den ich nicht wiederkehre, muss ich gehen!
(Fortsetzung)
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Betontes „ich-aber (=D49)“ Suffigiertes Gottesepitheton: mein Löser (=@46) Imperfekt von A9K („erheben“) in V.25 Verben des Sehens und Schauens: 84L („sehen“) und 8:; („schauen“) Wendung: Gott schauen (89@4 8:;)
Verben in der Schilderung des Feindeshandelns: 86= hi. („plagen“) und 4?7 pi. („zerschlagen“) *
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Traditionsbestätigung der geprägten Sachgehalte Hoffnung auf JHWH und Zuversicht durch JHWH-Vertrauen: Die Bezeichnung Gottes als „mein Löser (=@46)“ und die Gewissheit, dass er zu Hiobs Gunsten handeln wird (vgl. das Imperfekt von A9K), zeigen, dass Hiob – wie in den Psalmen – seine Hoffnung auf JHWH setzt.
Traditionsveränderung und Traditionsfortbildung des geprägten Sachgehalts Bedrohung durch Feinde: Freunde werden zu Feinden.
gleich er auf Gott hofft, empfindet er noch keine Zuversicht, wie dies bspw. der Beter aus Ps 27,1 tut. Hiob hingegen formuliert nach seiner Vertrauensaussage in Hi 16,19 in Hi 16,21 einen Appell an Gott.
Leben und Tod: Ein Überblick
81
27 den ich für mich schauen (8:;) werde, und meine Augen werden (ihn) gesehen haben (84L) – und nicht (als) einen Fremden. (Danach) verzehren sich meine Nieren in meinem Unterleib.
(Fortsetzung) *
Traditionsbestätigung und Traditionsfortbildung des geprägten Sachgehalts Hoffnung auf eine Gottesschau: Hiob sehnt sich nach einer Gottesschau, wünscht sich jedoch nicht, wie bspw. in Ps 11,7, Gottes Angesicht zu schauen oder in Ps 63,4 Gottes Kraft und Herrlichkeit zu sehen. Er spricht davon, dass er sich danach sehnt, Gott (89@4) zu schauen.
82 Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs
Hi 10,2 2 Ich will zu (@4) Gott sprechen (LB4).
Hi 7,7 (erste direkte Anrede an Gott) 7 Gedenke, dass mein Leben ein Hauch (;9L) (ist)!
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Bis Hi 7,6 Keine direkte Anrede Gottes
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Verb LB4 („sprechen“) Richtungspräposition @4 („zu“)
Texte aus dem Hiobbuch, die die Wortumfeld mit hebräischen geprägten Sachgehalte rezipieBegriffen ren
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Traditionsbestätigung: Hiob ruft direkt zu Gott.
Traditionsbestätigung: Hiob ruft direkt zu Gott.
Traditionsveränderung: Hiob ruft nicht direkt zu Gott.
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Bewegung von der Rede über Gott in der dritten Person (bis Hi 7,6) hin zum Getröstetsein nach einer Gottesantwort (Hi 42,6) Bewegung von der Umkehrung hin zur Bestätigung der geprägten Überzeugung, die jedoch eigene Akzente erkennen lässt Gesamtbewegung von der Rede über Gott in der dritten Person zum Getröstetsein nach einer Gottesantwort erweist das Hiobbuch als traditionskonform
Art der Rezeption der geprägten Art der Rezeption im Verlauf des Sachgehalte im jeweiligen Text Hiobbuches
Rezeption der geprägten theologischen Überzeugung JHWH antwortet auf das Rufen seiner Geschöpfe zu ihm in Hi 7,7; 10,2; 31,35; 38,1 und 42,7 (zur Textkritik und Begründung der Übersetzung von Hi 42,7 vgl. III. 4.4)
Leben und Tod: Ein Überblick
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Hi 42,7 7 Und nachdem geredet hatte JHWH jene Worte zu Hiob, sagte JHWH zu Eliphas, dem Temaniter: „Entbrannt ist mein Zorn gegen dich und gegen deine beiden Freunde, denn ihr habt nicht Richtiges geredet (L57 pi.) zu (@4) mir wie mein Knecht Hiob!“
Hi 38,1 1 Da antwortete (8DF) JHWH Hiob aus dem Wettersturm und sagte.
Hi 31,35 35 Sˇaddaj möge mir antworten (8DF)!
(Fortsetzung)
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Verb L57 pi. („reden“) Richtungspräposition @4 („zu“)
Verb 8DF („antworten“)
Verb 8DF („antworten“)
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Traditionsbestätigung und Traditionsfortbildung: Der Weg bis zu einer Reaktion Gottes auf Gebete kann sehr leidvoll sein, wird aber – wenn der Mensch den Gebetsfaden nicht abreißen lässt (Hi 10,2 und 42,7) – schließlich zu einer Antwort Gottes führen (Hi 38,1).
Traditionsbestätigung: JHWH erweist sich als antwortender Gott.
Traditionsbestätigung: Hiob ruft direkt zu Gott.
84 Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs
Hi 42,1–6 1 Und Hiob antwortete JHWH und sagte: 2 „Ich weiß (jetzt), dass du alles vermagst, und nicht ist dir unmöglich ein Vorhaben!
Hi 3,11–13 (als Ausschnitt aus Hiobs Eingangsklage) 11 Warum starb ich nicht vom Mutterschoß weg, kam aus dem Mutterleib heraus und kam (sofort) um? 12 Warum haben mich empfangen Knie und was (sollten mir) Brüste, dass ich saugte? 13 Denn jetzt läge ich da und wäre ruhig, ich schliefe, dann hätte ich Ruhe für mich.
Texte aus dem Hiobbuch, die die Wortumfeld mit hebräischen geprägte Überzeugung rezipieren Begriffen
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Traditionsbestätigung und Traditionsfortbildung: Nach seiner Gottesschau (Hi 38,1–39,30 und 40,6–41,26) klagt Hiob in Hi 42,1–6 nicht mehr, sondern ist getröstet. Er ist allerdings ohne Änderung seiner Umstände (V.6) getröstet und nicht wie in den Psalmen, weil JHWH ihn bspw. aus dem Tod mitten im Leben errettet hat.
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Bewegung von der Klage hin zum Getröstetsein und zu einem Vertrauensbekenntnis (Hi 42,1–6), das jedoch eigene Akzente setzt Gesamtbewegung von der Klage zum Getröstetsein nach einer Gottesantwort erweist das Hiobbuch als traditionskonform
Art der Rezeption der geprägten Art der Rezeption im Verlauf Sachgehalte im jeweiligen Text des Hiobbuches
Rezeption der geprägten theologischen Überzeugung JHWH verwandelt Klage zu Lob und Trauer zu Freude (zur Textkritik und Begründung der Übersetzung von Hi 42,1–6 vgl. die Einzelexegese unter III. 4.3–4.3.3)
Leben und Tod: Ein Überblick
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3 ,Wer (ist) dieser, der verhüllt einen Ratschluss ohne Erkenntnis?‘ Darum habe ich geredet, und nicht verstanden, Wundertaten, die mir zu hoch (sind), und nicht begreife ich (sie). 4 ,So höre doch, ich will reden, ich will dich befragen, belehre mich!‘ 5 Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, aber jetzt hat mein Auge dich gesehen! 6 Daher schwinde ich dahin, aber ich bin getröstet auf Staub und Asche!“
(Fortsetzung)
86 Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs
Hi 6,8–10 8 Oh, dass doch einträfe meine Bitte und meine Hoffnung gäbe Gott! 9 Und (mir) gewährte Gott und mich zermalmte, seine Hand frei ließe und mich abschnitte!
Hi 6,4 4 Denn die Pfeile Sˇaddajs (sind) mit mir (=7BF), deren Gift trinkt mein Geist. Die Schrecknisse Gottes treten vor mir an.
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Substantiv 8B;D („Trost“)
Suffigierte Präposition 7BF („mit“)
Texte aus dem Hiobbuch, die die Wortumfeld mit hebräischen geprägte Überzeugung rezipieren Begriffen
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Traditionsveränderung: Nicht Gott, sondern der von ihm gewirkte Tod würde als Trost wahrgenommen.
Traditionsveränderung: Anstelle des tröstenden Mitseins Gottes erfährt Hiob, dass Gottes Pfeile, d. h. kriegerische Attacken, mit ihm sind.
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Bewegung von der Auffassung, der Tod sei Trost, hin zum Getröstetsein aufgrund einer Gottesbegegnung Bewegung von der Umkehrung (Hi 6,8–10: Tod als Trost) hin zur Bestätigung der geprägten Überzeugung, die jedoch eigene Akzente erkennen lässt Gesamtbewegung von der Auffassung, der Tod sei Trost, hin zum Getröstetsein aufgrund einer Gottesbegegnung erweist das Hiobbuch als traditionskonform
Art der Rezeption der geprägten Art der Rezeption im Verlauf Sachgehalte im jeweiligen Text des Hiobbuches
Rezeption der geprägten Überzeugung JHWH bzw. das Mitsein Gottes tröstet in Hi 6,4; 6,8–10 und 42,6
Leben und Tod: Ein Überblick
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Hi 42,6 6 Daher schwinde ich dahin, aber ich bin getröstet (A;D ni.) auf Staub und Asche!
10 Und (dies) wäre noch mein Trost (=NB;D) und ich wollte hüpfen in schonungslosem Schmerz. Denn ich habe nicht versteckt die Worte des Heiligen.
(Fortsetzung)
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Verb A;D ni. („getröstet sein“) *
Traditionsbestätigung und Traditionsfortbildung: Hiob ist aufgrund seiner Gottesschau getröstet, obgleich er keine Veränderung seiner äußeren Situation erfahren hat.
88 Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs
Klage und Vertrauen: Zwei paradigmatische Psalmentexte
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1.5 Begründung der Auswahl der Hiobtexte Aus den Tabellen resultiert die Auswahl der Hiobtexte für das auf die Exegese von Ps 13 und 23 folgende Kapitel III., das den Hauptteil der vorliegenden Arbeit darstellt. Das Hiobbuch rezipiert in Hi 3,11–13; 6,8–10; 7,13–15; 10,18–22 und 14,13–17 die geprägten Sachgehalte Ringen mit Gott um das Leben angesichts von Todesbefallenheit und Bitte um Rettung aus dem Tod zum Leben sowie Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Zuwendung Gottes. In Hi 6,4; 6,8–10; 16,7–17; 16,18–22; 19,2 und 19,25–27 (vgl. III. 3–3.7) diskutiert es die geprägten Sachgehalte Bedrohung durch Feinde und Bitte um Rettung aus Feindbedrohung, Hoffnung auf JHWH und Zuversicht wegen des JHWH-Vertrauens sowie Hoffnung auf eine Gottesschau. Mit den geprägten theologischen Überzeugungen JHWH antwortet auf das Rufen seiner Geschöpfe zu ihm, JHWH verwandelt Klage zu Lob und Trauer zu Freude und JHWH bzw. das Mitsein Gottes tröstet setzt es sich an verschiedenen Stellen im Verlauf des gesamten Buches auseinander: in Hi 7,7; 10,2; 31,35 und 38,1 mit der Vorstellung vom antwortenden Gott, in Hi 3 (u. ö.) und 42,1–6 mit der Verwandlung von Klage zu Lob und in Hi 6,4; 6,8–10 und 42,1–6 mit der tröstenden Gegenwart JHWHs. All die genannten Textstellen werde ich im Hauptteil (III.) untersuchen.263
2. Klage und Vertrauen: Zwei paradigmatische Psalmentexte als Grundlage für den Vergleich Um das Grundlagenkapitel abzuschließen, exegesiere ich nun die paradigmatischen Psalmentexte Ps 13 und 23 mit dem Ziel, eine Basis für die Untersuchung des Weges Hiobs vor dem Hintergrund der Gebetsdynamik der Psalmen zu legen und vor der Analyse der Rezeption geprägter Sachgehalte aus den Psalmen im Hiobbuch (III.) exemplarisch aufzuzeigen, wie die skizzierten geprägten Sachgehalte in den Psalmen verwendet werden. Ich beginne mit Ps 13. Dieser Text, der von Gunkel als „Muster eines ,Klageliedes des Einzelnen‘“264 bezeichnet wurde, beschreibt den Umgang alttestamentlicher Menschen mit Leid. Sie wenden sich voller Vertrauen klagend und bittend an Gott, der ihre Not herbeigeführt hat, aber auch wieder wenden kann. Sie erhoffen sich von ihm Rettung aus der bedrohlichen Situation, die sie als Todesnähe interpretieren. 263 Eine detaillierte Gliederung des Hauptteils der Arbeit (III.) findet sich in der Einleitung zu diesem. 264 Gunkel, HK.AT, 46.
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Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs
2.1 Psalm 13: Ein Musterbeispiel für die Gebetsdynamik der Psalmen von der Klage zum Lob 1 Für den Chormeister. Ein Psalm Davids. 2 Bis wann, JHWH, vergisst du mich immerzu? Bis wann wirst du dein Angesicht verbergen vor mir? 3 Bis wann muss ich Sorgen265 hegen in meiner Seele, Kummer in meinem Herzen bei Tage266? Bis wann soll sich mein Feind (=5=4) gegen mich erheben (A9L)267? 4 Blicke doch her (8ü=58), antworte mir (=DDF)268, JHWH, mein Gott! Lass leuchten (L94 hi.) meine Augen, damit ich nicht zum Tod entschlafe (N9B8 CM1=4.CH)269, 5 damit mein Feind nicht sagen kann: „Ich habe ihn überwältigt270!“, (und) (damit) meine Widersacher (nicht) jubeln können, weil ich wanke! 265 Gesenius18 (1000) übersetzt mit „Pläne in meiner Seele“. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich die Pläne auf die in V.2 f geschilderte Notlage des Beters beziehen. Da es sich um quälende Gedanken und sorgenvolle Pläne handelt, bietet sich die etwas freiere Übersetzung mit „Sorgen“ an. Eine Konjektur zu N5JF („Schmerz“, „Qual“, „Leiden“) oder zum Plural N95JF – wie von den Herausgebern der BHS vorgeschlagen – ist nicht erforderlich, da sich die Pläne des Beters auf sein Leiden unter der Gottesferne beziehen und daher den Aspekt des Schmerzes und Kummers bereits beinhalten. 266 Der vom Codex Alexandrinus und Lucian vorgeschlagene Zusatz j!· mujt|r („und nachts“) ist nicht zu übernehmen, da die Lesart des MT „bei Tage (AB9=)“ eine Steigerung des Leidens des Beters ausdrückt. Dass er in der Nacht leidet, wird stillschweigend vorausgesetzt. Mit der Zeitangabe AB9= („bei Tage“) bringt er zum Ausdruck, dass er sogar am Tag, dem Zeitpunkt der Helligkeit und der (besonders am Morgen stattfindenden) Gotteshilfe (vgl. Ps 5,4; 46,6; 88,14; 130,6, 143,8; Jes 8,20; 58,8 sowie Hos 6,3), unter der Abwesenheit Gottes zu leiden hat. 267 Gesenius18 (1227) übersetzt mit „triumphieren“. Die wörtliche Übersetzung „sich erheben gegen“ ist treffender, da nicht sicher ist, ob der Feind (5=4) wirklich triumphiert, wie aus der final-negativen Begründung der Bitte (V.4) um ein Eingreifen Gottes in V.5 („damit mein Feind nicht sagen kann: ,Ich habe ihn überwältigt!‘“) hervorgeht. Zu V.4 f vgl. die Einzelexegese unter II. 2.4.2. 268 Der Codex Veronensis, die Peschitta und die Vulgata fügen vor =DDF („antworte mir“) eine Kopula ein. Dies ist unnötig, da der Imperativ =DDF („antworte mir“) als Fortführung des Adhortativs 8ü=58 („blicke doch her“) auch ohne Kopula verständlich ist. 269 N9B8 CM1=4 („ich entschlafe zum Tod“) ist nach GKB, § 117r, Anm. 1 Breviloquenz für N9B8 NDM1 CM1=4 („ich schlafe den Schlaf des Todes“, d. h. „ich falle in Todesschlaf“). 270 Laut Gesenius18 (464) bedeutet das Verb @?= mit Akkusativ wie die Wurzel @?= mit der Präposition @ „jemanden überwältigen“. Folglich ist der Vorschlag der Herausgeber der BHS, im Anschluss an die LXX (Uswusa pq¹r aqtºm, „ich habe Gewalt über ihn gewonnen“) die suffigierte Präposition 9@ zu ergänzen, nicht zu übernehmen.
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6 Ich aber (=D49) – auf deine Güte habe ich vertraut (;ü5)! Mein Herz juble über deine Rettung(-stat)271! Ich will singen JHWH, denn er hat an mir gehandelt272!273
Die in Klammern abgedruckten hebräischen Begriffe lassen – wie ich im Folgenden darlegen werde – einen geprägten Sachgehalt erkennen. 2.2 Gliederung Ps 13 lässt sich in drei Teile gliedern: Auf die Überschrift in V.1274 folgen in V.2 f die invocatio JHWHs und die Klagen des Beters. Der Mittelteil schildert seine Bitten in V.4 f. Der Psalm endet in V.6 mit einem Vertrauensbekenntnis und einem Lob Gottes. 2.3 Gattung Bezüglich der Gattung von Ps 13 ist in der Forschung ein Konsens zu verzeichnen. Bei diesem Text handelt es sich wegen der sprachlichen Elemente (8D4.7F-Fragen, Imperative bzw. Bitten, dass Gott herschauen und antworten möge [V.4]) und der Abfolge der Sprechakte [Klage, Bitte und Lob, vgl. II. 2.2]) um ein Klagelied des Einzelnen.275 2.4 Einzelexegese 2.4.1 V.2 f: Invocatio und Klage Der erste Teil des Psalms besteht aus vier Fragesätzen mit dem Adverb 8D4.7F („bis wann?“). Der Sprecher beginnt sein Gebet mit zwei drängenden, parallelen Fragen. Er fragt JHWH mit einer Gott-Klage vorwurfsvoll, bis wann 271 Wörtlich: „Rettung“/„Heil“. Der Zusatz (-stat) soll verdeutlichen, dass es sich um eine Tat JHWHs zugunsten des Beters handelt. 272 Gesenius18 (222) und Kraus (BK.AT, 239) übersetzen mit „Gutes erweisen“. Die wörtliche Übersetzung „an mir gehandelt“ ist passender, da keine konkrete Tat JHWHs, die als „Gutes“ interpretiert werden könnte, erwähnt wird. Flankierend tritt hinzu, dass es sich bei V.6d um ein vorweggenommenes Lob handelt, dessen Inhalt sich noch nicht ereignet hat. Vgl. dazu die Einzelexegese unter II. 2.4.3. 273 Der von der LXX im Anschluss an Ps 7,18 vorgeschlagene Zusatz ja· xak_ t` amºlati juq¸ou toO rx¸stou („und spielen will ich dem Namen des Herrn, des Höchsten“) ist wegen der geringen externen Evidenz nicht zu übernehmen. 274 Da die Überschrift für die Frage nach der Klagetopik und der Rolle des JHWH-Vertrauens nicht relevant ist, wird sie nicht näher exegesiert. 275 Vgl. u. a. Gunkel, HK.AT, 46; Hossfeld/Zenger, NEB 1, 96 (Zenger), und Janowski, Konfliktgespräche, 57.
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(8D4.7F) er ihn vergessen (;?M1) und sein Angesicht vor ihm verbergen (LNE hi.) werde. Die beiden 8D4.7F-Sätze zeigen, dass er sich in seiner Not vertrauensvoll an seinen Gott wendet, ihm in direkter Anrede sein Leid klagt und von ihm eine Reaktion erwartet. Vertrauen auf JHWH ermöglicht also das Gebet zu ihm, und das Gebet zielt auf die Bestätigung des Vertrauens auf ihn ab.276 Für das Verständnis von V.2 f ist von Bedeutung, dass sich die 8D4.7FFragen nicht nur auf die konkrete Dauer, sondern auch auf die Qualität der Zeit beziehen. Sie bringen wie das Nomen ;JD („Dauer“, „Ewigkeit“), das wie bspw. in Ps 74,10277 als dezidierter Begriff für negative Zeit verwendet wird, die Intensität des Leidens des Beters zum Ausdruck. Zu dieser Deutung tritt das Imperfekt =D;?M1N („du wirst mich vergessen“) flankierend hinzu, das seine Not nicht als punktuell, sondern als lange andauernd beschreibt. Worin seine (Haupt-)Not genau besteht, bringt der Sprecher mit der Rede vom Vergessen Gottes und vom Verbergen des göttlichen Angesichts zum Ausdruck. Diese beiden Metaphern schildern die Erfahrung der Unterbrechung der Kommunikation mit Gott. Dies geht aus der höfischen und kultischen Audienz hervor, die den impliziten Vorstellungshintergrund zahlreicher Psalmen bildet: Die Rede vom Angesicht JHWHs steht (wie Hartenstein278 mit der ikonografisch gut bezeugten Konstellation „Zugang gewährende Gottheit – ,vor‘ sie tretender Mensch“279 gezeigt hat) für eine „Szenerie der Kommunikation zwischen Gott und einem menschlichen Gegenüber“280. Gebetstexte wie bspw. Ps 3; 16 und 120281 berichten, dass die Nähe zu JHWH und die Kommunikation mit ihm für ein Leben im Vollsinne (vgl. II. 1) von zentraler Bedeutung waren. Demnach leidet der Sprecher aus Ps 13, wenn er auf sein Rufen (4LK) keine Antwort (8DF) erhält, d. h. Gottesferne und die „(praktische) Unwirksamkeit Gottes“ erlebt, „die den Menschen zerriß“282. Daher fragt er JHWH nicht wie der Beter aus Ps 22 nach dem Zweck (vgl. Ps 22,2a283), sondern nach der Dauer der Gottverlassenheit. 276 Vgl. de Vos, Klage, 223. Vgl. ferner Markschies, Vertrauensäußerungen, 386 f. 277 Ps 74,10: „Bis wann, Gott, soll schmähen (der) Widersacher, soll (der) Feind deinen Namen lästern immerzu (;JD@)?“ 278 Vgl. Hartenstein, Angesicht. 279 Hartenstein, Angesicht, 108. 280 Hartenstein, Angesicht, 126. 281 Nach Ps 16,11 sind Freuden (N9;B2M) vor Gottes Angesicht. Ps 3,5 und 120,1 schildern mit dem Wortpaar 4LK („rufen“) und 8DF („antworten“) die intakte Gottesbeziehung, die davon geprägt ist, dass der Beter zu Gott ruft und dieser antwortet. In Ps 3,5 heißt es: „(Mit) meiner Stimme rufe (4LK) ich zu (@4) JHWH, und er antwortet mir (8DF) von seinem heiligen Berg.“ Zur Textkritik vgl. Anm. 253. Der Sprecher aus Ps 120 sagt in V.1: „Zu (@4) JHWH rief (4LK) ich in meiner Not, und er antwortete (8DF) mir.“ 282 Beide Zitate: Perlitt, Verborgenheit Gottes, 367. 283 Ps 22,2a: „Mein Gott, mein Gott, wozu (8B@) hast du mich verlassen?“ Ich übersetze die Partikel 8B@ mit Michel („Warum“, 16) mit „wozu“, da er vor dem Hintergrund der Etymologie (8B@ = „wozu“ < „zu was?“) m. E. überzeugt darlegt, dass diese nach „einer intendierten Absicht, die als Grund für etwas angesehen wird“ (Michel, „Warum“, 14), und nach deren Sinn fragt (vgl. Michel, „Warum“, 22). Die Partikel F97B übersetze ich im Unterschied dazu wie bspw. in
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Damit bringt er dreierlei zum Ausdruck: Zum einen klagt er JHWH mit seiner Du-Klage vorwurfsvoll an. Zum anderen macht er deutlich, dass er unter dem Verbergen des göttlichen Angesichts leidet, das als Symbol der Gottesferne das geminderte Leben anzeigt, das in der Gefahr steht, von JHWH abgeschnitten zu werden (vgl. Ps 88,6). Zum dritten bringt er mit seinen Fragen und vor allem mit der auf das Frageadverb 8D4.7F folgenden kontrafaktischen284 invocatio JHWHs sein Vertrauen auf Gott sowie seinen Wunsch und seine Hoffnung auf dessen Zuwendung zum Ausdruck. In V.3a beklagt der Beter mit einer Ich-Klage die Auswirkungen der Gottesferne bzw. sein psychisches Leiden: Er fragt JHWH mit einem dritten 8D4.7F-Satz, bis wann er Sorgen in seiner Seele (M1HD) hegen und bei Tage Kummer (C96=) in seinem Herzen (55@) tragen müsse. Die Verortung seines Leidens in seinem Personenzentrum M1HD285 und in seinem Herzen (5@)286 verdeutlicht wie die Zeitangabe AB9= („bei Tage“) die Tiefe seiner Not: Er leidet nicht nur in der Nacht – was stillschweigend vorausgesetzt wird287 – sondern auch am Tag bzw. dem Zeitpunkt der Helligkeit und der Gotteshilfe288, d. h. unterunterbrochen, unter der in V.2 geschilderten Gottverlassenheit. Ferner zeigen die Belegstellen des zur Semantik der Todesnähe289 gehörenden Nomens C96= („Kummer“), dass er dem Tode nahe und zu Tode betrübt290 ist. Nach Gen 44,31 beschreibt das Substantiv C96= einen Gemütszustand, der den Betroffenen in die Scheol bringt: 31 Dann würde es geschehen, dass er, wenn er sähe, dass der Knabe nicht da ist, stirbt. Dann hätten deine Knechte das graue Haar deines Knechtes, unseres Vaters, mit Kummer (C96=) in die Scheol hinabgebracht.
Erst in V.3b erwähnt der Beter mit einer knappen Feind-Klage, die die vierte 8D4.7F-Frage beinhaltet, seine soziale Not. Dieser Versteil nimmt – wie die Benennung des Feindes mit 5=4 („Feind“) und die Schilderung seines feindlichen Handelns mit dem Verb A9L („erheben“) zeigen – den geprägten
284 285 286 287 288 289 290
Hi 3,12 wiederum mit Michel mit „warum“, da diese in Anbetracht der Etymologie (F97B = „warum“ < „was ist gewusst?“) sehr wahrscheinlich nach einem vorfindlichen Grund (vgl. Michel, „Warum“, 14) fragt. Vgl. Anm. 44. Vgl. zum anthropologischen Zentralbegriff M1HD Janowski, Konfliktgespräche, 205–214, und Wolff, Anthropologie, 33–55. Das Herz (5@) ist nach Wolff (Anthropologie, 75–101) als Zentralorgan mit vegetativer, emotionaler, voluntativer und noetischer Funktion zu verstehen. Zum Herzen vgl. ferner Janowski, Konfliktgespräche, 167–170. Vgl. Anm. 266. Die Gotteshilfe findet besonders am Morgen statt (vgl. Anm. 266). Der Begriff „Semantik der Todesnähe“ stammt von Kathrin Liess (vgl. Liess, Weg, 326, Anm. 22). Zu dieser Semantik vgl. Liess, Gottesferne, 173 f, und Liess, Weg, 326–328. Vgl. ferner auch die Bitte um Rettung aus der Todesbefallenheit in V.4.
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Sachgehalt Bedrohung durch Feinde291 auf. Der Sprecher fragt Gott, bis wann (8D4.7F) sich sein Feind (5=4) über ihn erheben (A9L) werde. Über den Feind erfährt man lediglich, dass sich der Beter von ihm bedroht fühlt. Er beschreibt ihn nicht wie andere Psalmenbeter mit Metaphern aus dem Kriegs- und Jagdbereich (vgl. II. 1.2.1). Deshalb kann festgehalten werden, dass er seine Not zwar unter den drei für ein Klagelied des Einzelnen typischen Aspekten, d. h. im Blick auf JHWH (V.2), auf sich selbst (V.3a) und auf seinen Feind (V.3b), vor Gott bringt, der Feind jedoch eine eher untergeordnete Rolle spielt. Er ist als Epiphänomen zu verstehen, da die Gottesferne für den Sprecher die größte Not darstellt. 2.4.2 V.4 f: Bitte 4 Blicke doch her (8ü=58), antworte mir (=DDF), JHWH, mein Gott! Lass leuchten (L94 hi.) meine Augen, damit ich nicht zum Tod entschlafe (N9B8 CM1=4.CH), 5 damit mein Feind nicht sagen kann: „Ich habe ihn überwältigt!“, (und) (damit) meine Widersacher (nicht) jubeln können, weil ich wanke!
Der zweite Teil von Ps 13 besteht aus Bitten mit final-negativen Begründungen. V.4 leitet den Abschnitt (V.4 f) gattungstypisch mit dem Adhortativ 8ü=58 („blicke doch her“) ein, auf den asyndetisch ein Imperativ (=DDF, „antworte mir“) folgt. Der Beter spricht Gott mit „JHWH, mein Gott“ an, d. h. mit dem Gottesnamen 898= und einer persönlichen Gottesprädikation (=8@4, „mein Gott“), die den Vokativ appositionell erweitert. Außerdem bittet er ihn um die Zuwendung seines Blickes und um eine Antwort. Der suffigierte Gottestitel =8@4 zeigt, wie eng er sich mit JHWH, seinem persönlichen Gott, verbunden fühlt und wie sehr er ihm vertraut. Des Weiteren bringt diese Gottesprädikation die Spannung zwischen seiner gegenwärtigen und seiner erhofften zukünftigen Gotteserfahrung zum Ausdruck. Er hat JHWH als seinen Gott erlebt und klagt deshalb darüber, dass er derzeit Gottesferne erfahren muss. Indem er ihn als seinen Gott anruft, appelliert er an dessen Gottsein. Zugleich bittet er ihn darum, sich ihm wieder als der ihm zugewandte Gott zu zeigen. Die beiden genannten Verbformen 8ü=58 und =DDF stehen in einem asyndetischen Parallelismus. Sie bilden gemeinsam mit V.2 einen Chiasmus, da in V.4a um das gebeten wird, worüber in V.2 geklagt wird: Der Beter klagt zum einen über das Vergessen Gottes (V.2) und bittet ihn um eine Antwort (V.4). Zum anderen klagt er über das Verbergen des göttlichen Angesichts (V.2) und bittet ihn darum, ihn doch wieder anzublicken (V.4). In V.4 wird also – wie der 291 Vgl. II. 1.2.1.
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Adhortativ 8ü=58 und der Imperativ =DDF nahelegen – der geprägte Sachgehalt Bitte um Zuwendung Gottes292 verwendet. Die Bitten des Beters illustrieren wie seine Gottesanreden sein Vertrauen auf JHWH, wie Markschies dargelegt hat: Das „Grundvertrauen ermöglicht die Bitte, die Bitten aber liefern den Beter Gott aus und sind somit letztlich wiederum Ausdruck seines Gottvertrauens“293. Zum besseren Verständnis von V.4 muss untersucht werden, was es genau bedeutet, wenn Menschen den göttlichen Blick erfahren, und worin eine Antwort Gottes bestehen könnte. Zur Klärung dieser Fragen trägt der altorientalische Vorstellungshintergrund bei. Der Blick Gottes spendet entweder Gnade und Leben oder bringt Unheil.294 Da der Sprecher aus Ps 13 unter Gottesferne leidet (V.2) und dem Tode nahe ist (V.3), wird er wohl kaum um einen Unheil bringenden Blick bitten, sondern um den Leben und Gnade spendenden Blick JHWHs. Ex 3,9 zeigt darüber hinaus – wie Hartenstein dargelegt hat –, dass das Sehen Gottes „als solches bereits die Wende zugunsten der Rettungsbedürftigen“295 darstellt: 9 Und jetzt, siehe, das Geschrei der Söhne Israels ist zu mir gekommen; und ich habe auch die Bedrückung gesehen (84L), mit der (die) Ägypter sie bedrücken.
Im zweiten Teil von V.4a bittet der Beter mit dem Imperativ 296=DDF um die Wiederherstellung seiner derzeit gestörten Gottesbeziehung und Kommunikation mit JHWH, wie aus Ps 3,5 hervorgeht. Dieser Vers beschreibt mit der dialogischen Struktur „Der Mensch ruft (4LK) und Gott antwortet (8DF)“ die intakte Gottesrelation: 5 (Mit) meiner Stimme rufe (4LK) ich zu JHWH, und er antwortet297 mir (8DF) von seinem heiligen Berg.
Die ersten beiden Bitten von V.4 zeigen also das zentrale Anliegen des Sprechers von Ps 13: Er sehnt sich danach, dass die Gottesferne und das Gottesschweigen, das er derzeit erleben muss, ein Ende nehmen. Außerdem nähme er die Zuwendung des göttlichen Blickes – auch ohne ein Eingreifen JHWHs gegen seinen Feind – als Rettung und Antwort Gottes wahr.298 292 293 294 295 296
Vgl. II. 1.1.2. Markschies, Vertrauensäußerungen, 389. Vgl. van der Woude, Art. A=DH, 449. Hartenstein, Sehen, 36. Kraus (BK.AT, 243) versteht die Bitte um eine Antwort Gottes als Bitte um „einen konkreten Zuspruch, ein ,Heilsorakel‘“. Für diese Annahme gibt es keinen Anhalt im Text. Zur Frage nach dem Heilsorakel in Ps 13 vgl. die Einzelexegese von V.6 unter II. 2.4.3. 297 Zur Textkritik vgl. Anm. 253. 298 Vgl. Kessler, Der antwortende Gott, 54: „Was der Beter als konkrete Hilfe, Bewahrung oder Rettung erwartet bzw. schon erfahren hat, interpretiert er – neben anderem – als Antwort Gottes auf sein Gebet.“
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In V.4b bittet der Beter Gott darum, dass er seine Augen leuchten lassen (L94 hi.) möge. Ps 80,4 zeigt, dass Licht und Leben bzw. Finsternis und Tod als Äquivalente299 gebraucht werden: 4 Gott, stell uns wieder her (59M1 hi.), und lass dein Angesicht leuchten (L94 hi.), dass wir gerettet werden (FM1= ni.).
Daraus resultiert, dass der in V.2 beklagte Kummer im Herzen (=55@5 C96=) als todbringende Last gedeutet werden kann, die zu trüben Augen300 führt. Dabei ist zu beachten, dass die Todesauffassungen der Psalmen anders als heutige sind (vgl. II. 1): Zur Konfrontation mit dem Tod zählt nicht nur der biologische Tod. Im Alten Testament kann der Tod mitten im Leben nach dem Menschen greifen. Diese Erfahrung wird in den Individualklagen häufig thematisiert, so auch in Ps 13. Der Beter erlebt durch das Verbergen des göttlichen Angesichts (V.2) Gottesferne, durch das Treiben des Feindes eine unheile Welt (V.3b) und durch seinen Kummer (V.2) trübe Augen, d. h., er erfährt wegen all der genannten Nöte Todesbefallenheit. Seine Bitte um leuchtende Augen lässt vor diesem Hintergrund zweierlei erkennen: Zum einen zeigt sich, dass er sich im Moment nicht zu den Lebendigen rechnet. Zum anderen wird evident, dass er um die Wiederherstellung seiner Lebenskraft bittet. In Ps 13,4 wird also – wie das Verbum L94 hi. („leuchten lassen“) und die Wendung N9B8 CM1=4.CH („damit ich nicht zum Tod entschlafe“) deutlich machen – der geprägte Sachgehalt Bitte um Rettung aus dem Tod zum Leben301 verwendet. Bezieht man V.4a und 2b, die in struktureller Entsprechung zu V.4b stehen, in die Auslegung ein, wird deutlich, dass dies nur gelingen kann, wenn Gott sein Angesicht nicht mehr verbirgt, sondern sich dem Beter zuwendet und ihm antwortet. Im Anschluss an seine Bitte um leuchtende Augen formuliert der Sprecher das Ziel seines Wunsches und damit zugleich eine „motivierende ,Warnung‘“302 an JHWH. Mit dem ersten der drei „damit-nicht (CH)-Sätze“ bringt er in V.4b zum Ausdruck, dass er nicht zum Tod entschlafen möchte (N9B8 CM1=4). Die negiert finale Struktur zeigt, dass er nun argumentativ wird und in V.5 – wie die Wendung N9B8 CM1=4.CH („damit ich nicht zum Tod entschlafe“) nahelegt – der geprägte Sachgehalt Ringen mit Gott um das Leben angesichts von Todesbefallenheit303 aufgenommen wird. Falls der Beter tatsächlich zum Tode entschliefe, könnte er Gott nicht mehr loben, wie bspw. Ps 88,11–13 illustriert: 299 Zu Licht und Finsternis und zur Äquivalenz von Licht und Leben und Finsternis und Tod vgl. Anm. 211. 300 Vgl. Ps 6,8; 31,10; 38,11 und 116,3 sowie Irsigler, Psalm-Rede, 85, und Janowski, Konfliktgespräche, 66. 301 Vgl. II. 1.1.1. 302 Irsigler, Psalm-Rede, 78. 303 Vgl. II. 1.1.1.
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11 Wirst du für die Toten Wunder tun, oder können Totengeister aufstehen, dich preisen? 12 Erzählt man im Grab deine Güte, deine Treue im Ort des Untergangs? 13 Wird in der Finsternis deine Wundertat verkündet und deine Gerechtigkeit im Land des Vergessens?
Im Alten Testament gibt es kein Gotteslob im Tod und umgekehrt kein Leben ohne Loben.304 Da Gott im Fall des Todes des Beters von Ps 13 sozusagen ein Geschöpf weniger hätte, das von seinen Rettungstaten erzählt, kann er nicht wollen, dass der Beter zum Tode entschläft. Folglich ist der negierte Finalsatz aus V.4b sowohl als Untermauerung der vorangegangenen Bitten als auch als Appell an JHWHs Ehre und Eigeninteresse305 zu verstehen. V.5 beginnt mit einem weiteren „damit-nicht (CH)-Satz“. Wie im ersten Abschnitt des Psalms (V.2 f) erwähnt der Beter auch im zweiten Teil (V.4 f) seine Widersacher erst an dritter Stelle. Bezeichnend ist, dass er nicht um Rettung aus der Feindbedrohung oder die Vernichtung seiner Widersacher bittet306, sondern lediglich darum, dass sein Feind (5=4) nicht behaupten kann, er habe ihn überwältigt (@?=), und dass seine Widersacher (A=LJ) nicht jubeln (@=6)307 können, weil er ins Wanken (ü9B ni.) geraten ist. Das Verbum ü9B („wanken“) ist in Ps 93 belegt (vgl. II. 1). Dieser Text beschreibt, dass der Erdkreis nicht wanken (ü9B ni.) kann, da JHWH König ist (V.1), sein Thron von alters her in der Höhe fest steht (V.2) und sein Haus, der Tempel, als Zentrum des damaligen Weltbildes die Festigkeit des Erdkreises, d. h. der Menschenwelt und des Fruchtlandes, garantiert, auch wenn Ströme und Fluten tosen (V.3). Aus der Wurzel ü9B geht hervor, dass der Sprecher an das Gottsein JHWHs appelliert. Würde Gott nicht eingreifen und der Beter wanken und seine Widersacher jubeln, würde das bedeuten, dass JHWH unwirksam ist und die Weltordnung ins Wanken gerät. In Ps 13,5 wird also weniger der geprägte Sachgehalt Bitte um Rettung aus Feindbedrohung308 verwendet als vielmehr „eine konsequente Theologie der Königsherrschaft Gottes, die für eine umfassende Gerechtigkeit steht“309. 304 Loben ist elementarer Ausdruck des Lebens. Die Grenzen von Leben und Tod werden daher auch anders bzw. weniger biologisch als heute definiert: Das Todesverständnis hängt am „Loben-können“. Leben verhält sich zu Loben wie Tod zu Nicht-loben, zur Klage (vgl. de Vos, Klage, 228, und von Rad, Theologie I, 401). 305 Ebenso Janowski, Konfliktgespräche, 279. 306 Dieses Faktum flankiert die These von der untergeordneten Bedeutung bzw. dem Epiphänomen des Feindes. Dass der Feind in V.4 f nicht Gegenstand einer eigenen Bitte ist, sah bereits Steck (vgl. Steck, Psalm 13, 59.61). 307 Zur Wurzel @=6 („jubeln“) als Leitverb vgl. II. 2.4.3. 308 Vgl. II. 1.2.2. 309 Hartenstein, Feindbilder, 27.
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2.4.3 V.6: Vertrauensbekenntnis und Erhörungsgewissheit 6 Ich aber (=D49) – auf deine Güte habe ich vertraut (;ü5)! Mein Herz juble über deine Rettung(-stat)! Ich will singen JHWH, denn er hat an mir gehandelt!
Der letzte Vers des Psalms wird mit dem adversativen Textsignal =D49 („aber ich“) eingeleitet. Auf dieses folgt in V.6a ein Vertrauensbekenntnis, in V.6b ein Lobversprechen bzw. ein angekündigter Jubelruf und in V.6c–d ein Lob Gottes, das als Vollzug des in V.6b angekündigten Lobes zu verstehen ist und den Höhe- und Zielpunkt des Psalms darstellt. Ps 13,6 kann entweder als Teil der vorangegangenen Klage oder als Reaktion auf gewendete Not interpretiert werden. Um zu klären, welche Deutung wahrscheinlicher ist, muss untersucht werden, was zwischen V.5 und V.6 geschehen sein könnte. Bspw. könnte der Beter von einem Priester einen Zuspruch in Gestalt eines priesterlichen Heilsorakels310 oder aber eine konkrete Rettung durch Gott erfahren haben. Zunächst ist V.6 allerdings inhaltlich zu erfassen. Der Sprecher bezeugt in seinem Vertrauensbekenntnis, dass er auf JHWHs Güte (7E;), d. h. auf dessen heilvolle Zuwendung, vertraut habe (=N;ü5). Die Perfektform =N;ü5 kann perfektivisch oder im Sinne eines verbum resultativum präsentisch interpretiert werden und ein gegenwärtiges Vertrauen, das bereits gefasst wurde, meinen. Die beiden Aspekte, die die hebräische Affirmativkonjugation zulässt311, sind in Ps 13,6 vorhanden: In den vorangegangenen Versen brachte der Sprecher sein Vertrauen auf JHWH durch seine Klagen und Bitten zum Ausdruck. In V.6 bekundet er sein Gottvertrauen, das seine gegenwärtige Situation prägt und seine Zukunft prägen wird (vgl. das adversative =D49 [„ich aber“]), explizit. V.6a kann daher mit Hubert Irsigler als „direkte Vertrauensversicherung mit deklarativer Neusetzung des Vertrauens“312 gedeutet werden. Das (neu bekundete) Vertrauen schenkt dem Beter Zuversicht und ist die Voraussetzung für sein in V.6b geäußertes Lobversprechen. V.6a nimmt also – wie das adversative =D49 („ich aber“) und das Verb ;ü5 („vertrauen“) zeigen – den geprägten Sachgehalt Zuversicht wegen des JHWH-Vertrauens313 auf. In V.6b kündigt der Sprecher mit dem Jussiv @6= an, dass sein Herz (5@) über Gottes Rettungstat jubeln (@=6) 310 Zum Heilsorakel vgl. die weitere Einzelexegese von V.6. 311 Vgl. GKB, § 106 g/n. Vgl. zur Ps 13,6 (Perfekt =N;ü5, „ich habe vertraut“) ähnlichen Perfektverwendung in Ps 22,22 („Rette mich aus dem Maul eines Löwen, und aus den Hörnern von Wildstieren – Du hast mir geantwortet [=DN=DF]!“) auch Kilian, Ps 22, 182 f, und Vanoni, Psalm 22, 176 f. Zu Ps 22,22 vgl. Janowski, Konfliktgespräche, 80 f, und Müller, Stimmungsumschwung, 423–426. 312 Irsigler, Psalm-Rede, 81. 313 Vgl. II. 1.1.3.
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möge, und mit dem Kohortativ 8L=M14, dass er für JHWH singen (L=M1) wolle. In seiner Lobankündigung verwendet er die ebenfalls in V.5 belegte Wurzel @=6 („jubeln“). Während er im vorangegangen Vers mit seiner Bitte an Gott verhindern wollte, dass seine Widersacher jubeln (@=6), möchte er jetzt selbst über JHWH und dessen Handeln jubeln und singen. Das Verbum @=6, das auch Jubel über Gott und dessen Gegenwart im Tempel (Ps 43,4; 45,16 und 65,13) beschreibt, kehrt also leitwortartig wieder. In V.6d begründet der Beter mit der Konjunktion =? und der Perfektform @B6 („er hat gehandelt“) die vorangegangenen Versteile und vollzieht zugleich das in V.6b angekündigte Lob. Er sagt, dass JHWH an ihm gehandelt habe (@B6). An dieser Stelle ist zu der eingangs aufgeworfenen Frage zurückzukehren, ob der Beter auf eine erfahrene Rettung Bezug nimmt oder vielmehr eine Rettungsgewissheit zum Ausdruck bringt. Da Ps 13 von einem Grundvertrauen ermöglicht und durchzogen wird, ein Beter nicht zugleich klagend um Rettung bitten und jubelnd über diese danken kann und das Aussagegefälle des Gesamttextes mit den Sprechakten Klagen (V.2 f), Bitten (V.4 f) und Loben (V.6) beschreibt, wie das Gottvertrauen des Sprechers zu- und seine Klage abnimmt, ist nach meinem Dafürhalten nicht von einer bereits erfolgten Rettung durch Gott314 oder von einem externen priesterlichen Heilsorakel auszugehen, das Joachim Begrich zufolge „dem Beter im Namen seines Gottes die Erhörung seiner Bitte zusagte und das seine Stelle nach der Klage und Bitte und vor der Gewißheit der Erhörung und dem Gelübde hatte“315. Flankierend tritt hinzu, dass es für ein solches Heilsorakel keine Belege gibt.316 Das zunehmende Vertrauen des Beters zeigt sich in V.2, V.4 und V.6. In V.2 ruft er JHWH mit seinem Namen an und in V.4 bereits mit der persönlichen Gottesbezeichnung „JHWH, mein Gott“. In V.6 formuliert er eine Vertrauensäußerung und spricht schließlich von deiner Güte und Rettungstat. Die abnehmende Klage zeigt sich in der Abfolge der Sprechakte. In V.2 f klagt er, in V.4 f richtet er Bitten an Gott, und in V.6 äußert er ein Vertrauensbekenntnis und ein Lobgelübde.317 Das Perfekt @B6 („er hat gehandelt“) aus V.6d ist folglich wie das Perfekt =N;ü5 („ich habe vertraut“) aus V.6a sowohl perfektisch als auch präsentischfuturisch zu verstehen.318 Da sich der Beter gewiss ist, dass Gott handeln wird, 314 Ebenso Irsigler, Psalm-Rede, 87, und Janowski, Konfliktgespräche, 75. Anders Kraus, BK.AT, 240: „Demgegenüber sieht 6b auf die erwiesene Heilstat zurück und äußert im Stil des Loblieds eines Einzelnen den Dank (Toda) für erfahrene Rettung.“ 315 Begrich, Heilsorakel, 217. 316 Vgl. Janowski, Konfliktgespräche, 83. Bereits Gunkel (–/Begrich, Einleitung, 247) hatte festgestellt, „daß das priesterliche Orakel nicht die vollständige Erklärung für die Gewißheit der Erhörung bilden kann“. 317 Vgl. Janowski, Konfliktgespräche, 82. 318 Um das JHWH-Vertrauen und die Rettungsgewissheit des Beters zum Ausdruck zu bringen, habe ich mich für die perfektische Übersetzung im Deutschen entschieden. Ich möchte jedoch
100 Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs kann er bereits jetzt sagen, dass er an ihm gehandelt hat, und seine (zukünftigen) Taten preisen, wie Ottmar Fuchs aufgezeigt hat: „Aus der Perspektive des Beters liegt damit ein Perfekt confidentiae oder propheticum vor, aus der Perspektive des handelnden Gottes ein Perfekt des sicheren Futurs. Der beschlossenen Sicherheit der zukünftigen Rettung entspricht die vertrauende Gewißheit der erhofften Erhörung.“319
Über Fuchs hinaus muss m. E. festgehalten werden, dass die Affirmativkonjugation auch aus der Perspektive des Beters aufgrund der Gewissheit über ein (zukünftiges) rettendes Eingreifen Gottes sowohl als reguläres Perfekt als auch als perfectum confidentiae bzw. propheticum und als Perfekt des sicheren Futurs gedeutet werden muss. Die Wende der Not des Sprechers bzw. JHWHs Rettungstat (8F9M1=, V.6b) liegt demnach zwar noch in der Zukunft, hat aber bereits die „Qualität eines antizipierten Faktums“320. Daher kann festgehalten werden, dass der Beter in der Situation der Spannung „zwischen dem erfahrenen (Verlassenheit) und geglaubten (Nähe) Gott“321 durch die Stadien Not (V.2 f), Bitte (V.4 f) und Gewissheit (V.6) von der Klage zum Lob findet. Hinter dieser Wende, die auch als Gebetsdynamik der Psalmen bezeichnet wird, steht – wie Bernd Janowski aufzeigt hat – „ein Prozeß, genauer: ein Gebetsprozeß (…), der von Anfang an, d. h. mit Beginn des Betens, in Gang kommt und den ganzen Text durchzieht“322. Ps 13,6 kann daher wie folgt zusammenfassend gedeutet werden: Obgleich die Rettungstat Gottes (8F9M1=) (V.6b) noch in der Zukunft liegt, kann der Beter, da er sich dessen gewiss ist, dass sein Gott rettend eingreifen wird, bereits jetzt über diese jubeln und sagen, dass JHWH an ihm gehandelt hat (@B6323). Janowski fasst treffend zusammen: „Der Weg, den der Beter zwischen dem ersten und dem letzten Vers von Ps 13 zurücklegt, führt ihn zur Feststellung dieser Gewißheit, deren Wirkung er antizipierend bereits in der Situation der Gottverlassenheit erfährt.“324
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wie in V.6a zugleich mitdenken, dass das in V.6a explizit (vgl. die Verwendung der Wurzel ;ü5 [„vertrauen“]) und in V.6b mit dem Lobvollzug implizit bekundete Gottvertrauen die gegenwärtige Situation des Beters prägt und seine Zukunft prägen wird. Fuchs, Klage, 184. Vgl. ferner Kilian, Ps 22, 182 f. Janowski, Konfliktgespräche, 81. Fuchs, Klage, 98. Janowski, Konfliktgespräche, 77. Zur Begründung der perfektischen Übersetzung der Affirmativkonjugation von @B6 („handeln“, „erweisen“) vgl. die Einzelexegese unter II. 2.4.3 und Anm. 318. Janowski, Konfliktgespräche, 84.
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2.4.3.1 Exkurs: Der sog. Stimmungsumschwung Für die eben beschriebene Wende von der Klage zum Lob hat sich in der alttestamentlichen Wissenschaft die Bezeichnung „Stimmungsumschwung“325 eingebürgert. Dies suggeriert, dass sich die Wende von der Klage zum Lob plötzlich ereigne und (text-)extern bewirkt werde, „also ein punktuelles und dazu noch ein institutionalisiertes Geschehen ist“326. Dem ist entgegenzusetzen, dass es sich bei Ps 13 um eine zeitlich geraffte Darstellung eines Gebetsprozesses handelt. Außerdem impliziert der Begriff „Stimmungsumschwung“, dass der Beter in den Klagen (V.2 f) und Bitten (V.4 f) JHWH noch nicht vertraut hat und erst in V.6 zum Vertrauen zu ihm findet. Es ist jedoch genau das Gegenteil der Fall: Sein Grundvertrauen ermöglicht und durchzieht seine Klagen und Bitten. Er wendet sich in seiner Not an JHWH, da er darauf vertraut, dass dieser sie wenden kann. In V.6 bekundet er daher sein Gottvertrauen, das seine gegenwärtige Situation prägt und seine Zukunft prägen wird, neu und explizit. Folglich ist bei der Verwendung des Begriffs Vorsicht geboten.
2.4.4 Zusammenfassung: Ps 13 als „,zielgerichtetes Vertrauensparadigma‘“327 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das „Muster eines ,Klageliedes des Einzelnen‘“328 mit der Rede vom Vergessen Gottes und dem Verbergen des göttlichen Angesichts das Verlangen des Beters nach Gottesnähe und Kommunikation mit ihm schildert. Außerdem macht es mit der Semantik der Todesnähe und der Licht- und Finsternismetaphorik wie bspw. der Erwähnung des Kummers (C96=) im Herzen und der Bitte um leuchtende Augen deutlich, dass eine Störung im Gottesverhältnis den Sprecher zu Tode betrübt329. Ferner illustriert Ps 13, dass das Leiden unter der Verborgenheit Gottes alttestamentliche Menschen dazu führt, JHWH mit drängenden Fragen und Klagen zu bestürmen und voller Vertrauen um eine Wende des Leids zu bitten. Mit seiner vielgestaltigen Klagetopik beschreibt Ps 13,2–5 die Situation zwischen Klage und Lob, die zur conditio humana gehört, nur durch das Ver-
325 Vgl. zum sog. Stimmungsumschwung den Überblick bei Becker, Psalmenexegese, 59–65; Janowski, Konfliktgespräche, 75–84, sowie zuletzt ausführlich Rechberger, ,Stimmungsumschwung‘. 326 Janowski, Konfliktgespräche, 77. 327 Markschies, Vertrauensäußerungen, 397. 328 Gunkel, HK.AT, 46. 329 Zum Leiden des Beters unter dem Handeln seines Feindes, der in Ps 13 allerdings nur eine untergeordnete Rolle spielt, vgl. II. 2.4.1 und II. 2.4.2.
102 Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs trauen auf JHWH bewältigt werden kann und nicht übersprungen werden darf.330 Theologisch ist das JHWH-Vertrauen von zentraler Bedeutung. Der Psalm ist vom Vertrauen auf ihn und der Sehnsucht nach ihm durchzogen. Außerdem besteht das Ziel des Gebets darin, dass sich das Vertrauen auf Gott bestätigt: Der Klageabschnitt in V.2 f macht deutlich, dass der Sprecher Gott seine Not vorlegt, weil er darauf vertraut, dass dieser sie wenden kann. Die Bitten in V.4 f bringen zum Ausdruck, dass das Grundvertrauen, das sich in der Klage zeigt, die Bitten ermöglicht, wie Markschies herausgearbeitet hat: „Die Bitten aber liefern den Beter Gott aus und sind somit letztlich wiederum Ausdruck seines Gottvertrauens.“331 Das Ziel der Appelle an JHWH besteht nicht in der Akzeptanz des Leidens, sondern darin, dass Gott sich ihm erneut zuwendet und ihn aus der Not bzw. der Todesnähe rettet. Zusammenfassend kann das Klagelied des Einzelnen Ps 13 daher als ein „,zielgerichtetes Vertrauensparadigma‘“332 charakterisiert werden, in welchem das Vertrauensmotiv333 ein Grundmotiv darstellt und eine Schlüsselrolle einnimmt334.
2.5 Ps 23: Ein zentrales Beispiel für ein Vertrauenslied des Einzelnen Das Vertrauenslied Ps 23 schildert, wie das Vertrauen auf JHWH, das die Klagen und Bitten in den Individualpsalmen ermöglicht und durchzieht, menschliches Leben – auch in Grenzsituationen – prägen kann. Es lässt sich folgendermaßen wiedergeben: 330 Vgl. Janowski, Konfliktgespräche, 83. Vgl. ferner Müller, Stimmungsumschwung, 426, und Stolz, Psalm 22, 137.145. 331 Markschies, Vertrauensäußerungen, 389. 332 Markschies, Vertrauensäußerungen, 397. 333 Markschies (Vertrauensäußerungen, 386) spricht vom „Vertrauensmotiv“, „weil es sich bei den Vertrauensäußerungen um sich wiederholende, stereotyp einige Grundmuster variierende kleinere Satzeinheiten handelt“. Ähnlich bereits Gunkel/Begrich, Einleitung, 25. Nach Markschies (Vertrauensäußerungen, 386 f) ist das Vertrauensmotiv „nichts anderes als die allem Beten in den KE zugrundeliegende Forderung an YHWH, das Leben des Beters, der sein Vertrauen in Gottes Hand legt, in seinen Schutz zu nehmen. Die Bitte wird als Vertrauensäußerung formuliert, weil der Beter schon vor allem konkreten Bitten zuversichtlich hoffen kann, daß YHWH tatsächlich zu seinen Gunsten eintreten wird. Denn in eben dieser Zuversicht besteht ja sein Glauben, der ihn zu YHWH beten lässt.“ Als Argument führt Markschies an, dass die Vertrauensäußerungen im Eingangsteil mit der invocatio, im Korpus nach der Klage und am Ende eines Psalms stehen können (vgl. Markschies, Vertrauensäußerungen, 393). 334 Vgl. Markschies, Vertrauensäußerungen, 398. Janowski (Konfliktgespräche, 77) geht davon aus, „daß die Klagepsalmen, indem sie gesprochen werden, einen Vorschuß an Vertrauen zu Gott enthalten“. Ein Klagelied wird jedoch vom Vertrauen auf JHWH überhaupt erst ermöglicht. Die Klagen und Bitten des Beters sind folglich nicht nur Ausdruck eines Vertrauensvorschusses, sondern eines Grundvertrauens auf Gott, von dem er sich erhofft, dass es sich bestätigt. Vgl. dazu auch de Vos, Klage, 223, und Markschies, Vertrauensäußerungen, 389.
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1 Ein Psalm Davids JHWH (ist) mein Hirte335, ich habe keinen Mangel. 2 Auf Weideplätzen von frischem Grün lässt er mich lagern, zu Wassern (der) Ruhe336 führt er mich, meine Lebenskraft bringt er zurück. 3 Er führt mich in den Bahnen der Gerechtigkeit337, um seines Namens willen. 4 Auch wenn ich im Tal von Todesschatten338 gehe, fürchte (4L=) ich nichts Böses. Denn du (8N4) (bist) bei mir (=7BF), dein Stock und dein Stab – sie trösten339 (A;D pi.) mich. 5 Du rüstest vor meinem Angesicht einen Tisch, gegenüber meinen Widersachern. Du erquickst340 mit Öl meinen Kopf, mein Becher341 – Überfluss! 6 Ja, Gutes und Güte342 werden mich verfolgen alle Tage meines Lebens, 335 Zur Frage, ob „JHWH“ oder „Hirte“ das Prädikat dieses Nominalsatzes ist, vgl. Müller, Psalm 23, 32 f. Die ähnlichen Formulierungen in Ps 27,1 („JHWH [ist] mein Licht.“); Ps 46,2 („Gott [ist] uns Zuflucht und Stärke.“) und in Ps 59,10b („Denn Gott [ist] meine Burg.“) sprechen dafür, dass JHWH Prädikat ist. 336 Wörtlich: „Wassern der Ruhen (Plural: N9;DB)“. Zur theologischen Bedeutung der Pluralform vgl. die Einzelexegese unter II. 2.8.1. 337 K7J („Gerechtigkeit“) ist nomen collectivum. Dieses Substantiv beschreibt keinen Einzelerweis von Gerechtigkeit, sondern die von Gott gesetzte Weltordnung, d. h. einen „Zustand gesunden, unangefochtenen und heilvollen Ergehens“ (Koch, Art. K7J, 516). Von Rad (Theologie I, 388) spricht ähnlich von „ein(em) Kraftfeld, in das Menschen einbezogen und dadurch zu besonderen Taten ermächtigt werden“. 338 Zur Begründung der Übersetzung von N9B@J 4=65 vgl. die Einzelexegese unter III. 2.8.2. 339 Bei der Verbindung des Verbums A;D pi. („trösten“) mit den Nomina ü5M1 („Stock“) und NDFM1B („Stab“) handelt es sich um einen Fall von semantischer Inkongruenz, da diese Wurzel ansonsten nur mit personalem Subjekt belegt ist. Daher schlagen die Herausgeber der BHS vor, =D% ;+D! =( („sie sollen mich leiten“) zu lesen. Dieser Konjekturvorschlag ist aus zwei Gründen nicht zu übernehmen: Zum einen gibt es keine externe Evidenz, und zum anderen ist die Lesart des MT die lectio difficilior. 340 Wörtlich: „fett gemacht“. Ich übersetze die Perfektform NDM17 präsentisch, um zum Ausdruck zu bringen, dass der Beter dauerhaft von Gott gewährte Lebensfülle erfährt. Zur Übersetzung von CM17 pi. mit „erquicken“ vgl. die Einzelexegese unter II. 2.8.3. 341 Die LXX liest ja· t¹ pot¶qiºm sou („und dein Becher“). Die Lesart des MTmit dem Suffix der 1. Pers. Sg. ist beizubehalten, da der Beter in V.6 ebenfalls von sich in der 1. Pers. Sg. spricht und V.5b daher einen Wechsel der Sprechrichtung einleitet. Ferner zeigt das Suffix der 1. Pers. Sg. die Auswirkungen des in V.1–4 geschilderten Gottvertrauens auf das Leben des Sprechers. 342 Die LXX und die Peschitta fügen ein Suffix der 2. Pers. Sg. hinzu. Es ist jedoch keine Konjektur
104 Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs mein Wohnen343 (ist) im Haus JHWHs für die Länge der Tage.
Die in Klammern abgedruckten hebräischen Begriffe lassen – wie ich im Folgenden darlegen werde – einen geprägten Sachgehalt erkennen.
2.6 Gliederung Ps 23 lässt unterschiedliche Gliederungen zu. Janowski teilt den Psalm in zwei Hälften ein: V.1b–4 betrachtet er als erste Strophe, die JHWH als Hirten beschreibt, und V.5 f als zweite Strophe, die ihn als Gastgeber zeichnet.344 Ebenso gliedern Hossfeld/Zenger, Johannes Schnocks und Liess.345 Hermann Spieckermann teilt Ps 23 in folgende drei Abschnitte: V.1b–4; V.5 und V.6. Seines Erachtens führt diese Aufteilung dazu, dass das Hirtenbild nicht auseinandergerissen wird. Außerdem trage sie sowohl dem theologischen Gestaltungswillen des Autors346 als auch der in V.6 verwendeten Tempeltheologie347 Rechnung. Für die eben skizzierten Einteilungen sprechen gute Gründe. Jedoch berücksichtigen sie nicht, dass das Hirtenbild und das Gastgeberbild auf einen königlichen Hintergrund zurückgehen und daher nicht scharf zu trennen sind.348 Außerdem sind die Personenwechsel für die Sinnabschnitte des Psalms von zentraler Bedeutung. Nimmt man diese als Gliederungsmerkmal, ergeben sich drei ungefähr gleich lange Strophen: In V.1–3 beschreibt der Beter sein Vertrauensverhältnis zu JHWH und spricht dabei in der dritten Person von seinem Gott. V.4 ist als Strophe für sich zu betrachten, da in der Vertrauensaussage, die auch angesichts von Todesgefahr auf Gott setzt, die
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vorzunehmen, da in V.6 keine direkte Anrede verwendet wird und das Nomen 59ü („Gutes“) in diesem Vers ohne Suffix belegt ist. Im MT heißt es 898=.N=55 =N5M19 („und ich werde zurückkehren in das Haus JHWHs“). Die Verbindung des Verbums 59M1 mit der Präposition 5 ist ungewöhnlich (vgl. Hossfeld/Zenger, NEB 1, 153 [Zenger]). Die LXX liest t¹ jatoije?m le 1m oUj\ juq¸ou („mein Wohnen [ist] im Haus des Herrn“). Bei der Vokalisation des MT handelt es sich vermutlich um „eine Aktualisierung, die die Hoffnung auf Rückkehr nach Jerusalem und vor allem auf den Wiederaufbau des 70. n. Chr. zerstörten Tempels einträgt“ (Hossfeld/Zenger, NEB 1, 153 [Zenger]). Daher ist der LXX zu folgen und der Infinitiv cs. von 5M1= („wohnen“) mit dem Suffix der 1. Pers. Sg. zu lesen. Ebenso entscheiden sich Gunkel, Ausgewählte Psalmen, 41; Hartenstein, Mehrdeutigkeit, 18; Hossfeld/Zenger, NEB 1, 153 (Zenger); Kraus, BK.AT, 334 f; Liess, Bechermotiv, 47, Anm. 12; Mittmann, Psalm 23, 3; Mosis, Psalm 23, 276. 291, und Spieckermann, Heilsgegenwart, 263. Anders Janowski, Hirte, 255, und Knauf, Psalm XXIII 6, 556. Vgl. Janowski, Hirte, 256. Vgl. Hossfeld/Zenger, NEB 1, 153–155 (Zenger); Liess, Bechermotiv, 46, und Schnocks, Metaphern, 237. Vgl. Spieckermann, Heilsgegenwart, 266. Vgl. Spieckermann, Heilsgegenwart, 272. Zur Definition des Begriffs „Tempeltheologie“ vgl. Anm. 372. Vgl. Mosis, Psalm 23, 293, und Zenger, Gott, 222.
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Sinnachse des Psalms liegt. Des Weiteren ist in diesem Vers eine erste direkte Anrede an JHWH zu finden. In V.5 f beschreibt der Beter wie in V.1–3 seine JHWH-Relation und spricht ebenfalls von Gott in der dritten Person.349
2.7 Gattung Zwei Gattungen wurden für Ps 23 besonders häufig diskutiert: das Danklied und das Vertrauenslied.350 Da in Ps 23 sowohl das für ein Danklied charakteristische Rettungs-, Dank- und Lobvokabular als auch die typischen adhortativen und appellativen Verbformen351 fehlen, ist von einem Vertrauenslied auszugehen.352 Für diese These sprechen auch zwei weitere Gründe: Zum einen formuliert der Beter in V.1 eine konzentrierte Vertrauensaussage, deren Inhalt den ganzen Psalm durchzieht. Zum anderen zeigt die Tatsache, dass Ps 23 vom Vertrauen auf JHWH durchzogen ist, dass dieser Text das Vertrauensmotiv353 der Klagelieder des Einzelnen zu einer eigenen Gestalt weiterentwickelt hat, wie Gunkel festgestellt hat: „Weit mehr hat sich Ps 23 von der Gattung entfernt. Von Anfang an wird er vom Vertrauensmotiv eingenommen. Klage und Bitte fehlen. Was noch an den Ursprung (= die Klage [N. M.z.F.]) erinnert, ist die gelegentliche Anrede Jahves und das Auftauchen der Feinde in V.5.“354
Folglich lässt sich Ps 23 mit Gunkel als „innige(r) Ausdruck eines zuversichtlichen Gottvertrauens“ und als „schönes Beispiel der ,Vertrauenspsalmen‘“355 beschreiben. 2.8 Einzelexegese 2.8.1 V.1–3: Lebensfülle in der Beziehung zum göttlichen Hirten Ps 23 beginnt in V.1b mit dem Gottesnamen JHWH, der als inclusio einen Rahmen um den Psalm bildet. In V.6 wird die Wendung „Haus JHWHs (898=.N=5)“ gebraucht: 349 Ebenso gliedert Hartenstein, Mehrdeutigkeit, 18 f. Flankierend treten zu dieser Gliederung der Rhythmus und die Versstruktur (Zwei- und Dreizeiler) des Psalms hinzu (vgl. Weber, Werkbuch I, 126–128). 350 Vgl. zum Vertrauenslied des Einzelnen Gunkel/Begrich, Einleitung, 257 f. 351 Zum Danklied des Einzelnen vgl. Anm. 185. 352 Ebenso Hartenstein, Mehrdeutigkeit, 17; Liess, Bechermotiv, 48; Oeming, NSK.AT, 155, und Zenger, Gott, 222. Anders Kraus, BK.AT, 336 f. Er hält Ps 23 für ein Danklied. 353 Zum Vertrauensmotiv vgl. die Zusammenfassung der Exegese von Ps 13 unter II. 2.4.4, und Anm. 333. 354 Gunkel/Begrich, Einleitung, 256. 355 Gunkel, HK.AT, 98.
106 Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs 6 Ja, Gutes und Güte werden mich verfolgen alle Tage meines Lebens, mein Wohnen (ist) im Haus JHWHs (898=.N=5) für die Länge der Tage.
Außerdem beschreiben V.1 und V.6 die Ruhe in der Gottesbeziehung, während V.2–5 ein Unterwegssein und eine fortschreitende Bewegung schildern. Im Eingangsvers formuliert der Beter mit einem identifizierenden Nominalsatz356 ein persönliches Bekenntnis zu JHWH357 und eine konzentrierte Vertrauensaussage, die die Stoßrichtung des Psalms vorgibt und V.1 zum Mottovers werden lässt. Er charakterisiert Gott als =FL (Partizip von 8FL [„weiden“], „mein Hirte“), d. h. als seinen persönlichen Hirten. Durch den Gebrauch des Partizips, das keiner Zeitstufe unterliegt, bringt er zum Ausdruck, dass das Hirtesein für ihn zum Wesen Gottes gehört und er JHWH immer als Hirten erlebt. Doch worin besteht die Besonderheit der Bezeichnung JHWHs als persönlichem Hirten? Beim Hirtentitel handelt es sich im Alten Orient358 und in Ägypten359 um einen Titel, der auf Könige angewandt wurde und diese als Hirten ihrer Stadt bzw. ihres Reiches charakterisierte. Im Alten Testament wurde die Hirtenvorstellung auf JHWH bezogen und wie bspw. in Ez 34,11–16 auch als kollektive Metapher (Hirt und Herde)360 gebraucht. Ein wichtiger Unterschied zur altorientalischen und ägyptischen Verwendung des Titels liegt im alttestamentlichen Gebrauch in der Zielgerichtetheit der Führung JHWHs, die sich bspw. in Ps 78,52–54 zeigt.361 Diese Verse schildern, dass Gott seine Herde, d. h. sein Volk, nicht nur aus der Not in Ägypten herausgeführt, sondern auch zu seinem heiligen Berg hingeführt hat: 52 Und er ließ sein Volk aufbrechen wie Schafe und leitete sie wie eine Herde (L7F) in der Wüste. 53 Und er führte sie sicher, sodass sie sich nicht fürchteten; und ihre Feinde bedeckte das Meer. 356 Zum Unterschied zwischen klassifizierenden und identifizierenden Nominalsätzen vgl. Mosis, Psalm 23, 277. 357 Zu Ps 23 als Text der persönlichen Frömmigkeit vgl. Janowski, Hirte, 250–252, und Müller, Psalm 23. 358 Vgl. dazu bspw. folgenden Hymnus an Sˇamasˇ: „Die Menschen der Länder insgesamt betreust du; was immer Ea, der König, der Regent, hervorbringen ließ, ist überall dir übergegeben. Die den Lebensodem haben, die weidest du allzumal“ (Falkenstein/von Soden, Sumerische und akkadische Hymnen und Gebete, 240 f). 359 Vgl. bspw. den folgenden Amun-Re-Hymnus der Nachamarnazeit (Assmann, Ägyptische Hymnen und Gebete, Nr. 190, Z. 13–17): 13 AMUN, du Hirte, der die Herde früh ausführt, 14 der die Leidenden zum Kraute treibt! 15 Der Hirt treibt die Rinder zum Kraut – 16 AMUN, du treibst den Leidenden zum Brot. 17 Denn AMUN ist ein Hirte, der nicht ermattet. 360 Vgl. Spieckermann, Heilsgegenwart, 267. Zur Hirtenvorstellung vgl. Hunziker-Rodewald, Hirt. 361 Vgl. Mosis, Psalm 23, 289.
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54 Und er brachte sie in sein heiliges Gebiet, (zu) diesem Berg, den seine Rechte erworben hat.
Das Ziel der Führung Gottes ist folglich in Ps 78 der Ort, an dem er selbst präsent ist und seine Geschöpfe die mit seiner Gegenwart verbundene Ruhe erfahren können. Diese heilvolle Nähe Gottes beschreibt der Beter aus Ps 23 in V.6 mit der Rede vom „Wohnen im Haus JHWHs“. Mit der Charakterisierung JHWHs als Hirten greift er einen bekannten Titel und die mit diesem verbundenen Gottesvorstellungen und Hoffnungen auf. Durch das Suffix der 1. Pers. Sg.362 wendet er das Hirtenbild auf sich an und versetzt sich in „Fortführung der Metapher in die Herde dieses ,Hirten‘ hinein und redet aus der Perspektive des persönlich Betreuten“363. Mit der singulären Individualisierung des Hirtentitels bekennt er, dass JHWH für ihn der Hirte ist. Außerdem bringt er zum Ausdruck, dass die mit dieser Metapher beschriebene Gotteserfahrung anderer (vgl. Ps 78,52–54) auch die seine ist. Mit der Hirtenmetapher und besonders mit dem Personalsuffix der 1. Pers. Sg. („mein“) entfaltet er die Vertrautheit zwischen sich und JHWH. Wie sein Gottvertrauen sein Leben prägt, schildert er in den folgenden Versen. Diese verbleiben innerhalb des Hirtenbildes, das als Vordergrundszene für eine „deutende Hintergrundszene“364 fungiert. Daher kann man von einer Technik der Überblendung sprechen, durch die eine zweite, theologische Bedeutungsebene erkennbar wird.365 In V.1b benennt der Beter mit dem Imperfekt von LE; q. („entbehren“, „Mangel haben“), das präsentisch und futurisch übersetzt werden kann366, die Folgen des Hirteseins JHWHs: Er erlebt derzeit keinen Mangel und ist auch im Blick auf die Zukunft gewiss, dass er keinen Mangel erleiden wird. Zieht man die Belege für LE; q. in die Auslegung mit ein, wird evident, dass sich „Mangel“ auf Lebensmittel, aber auch im theologischen Sinne auf das Mitsein Gottes und die Erfahrung seiner Nähe beziehen kann: Ez 4,17367 spricht von einem Mangel an Wasser und Brot (A=B9 A;@). Dtn 2,7368 zeigt mit dem Rückblick auf die Wüs362 In der singulären Individualisierung des Hirtentitels liegt das Neue, das chabar, nach dem traditionelle arabische Grammatiker im Fall eines Nominalsatzes wie dem von Ps 23,1 fragen (vgl. Mosis, Psalm 23, 280). 363 Seybold, Poetik, 202. 364 Seybold, Poetik, 194. 365 Vgl. Janowski, Hirte, 257. 366 Vgl. Mosis, Psalm 23, 284: „Alle Sätze des Psalms sprechen in einer zeitlosen Schwebe und lassen sich am besten präsentisch-futurisch wiedergeben.“ Vgl. ferner Michel, Tempora, 130 (§ 20,8). 367 Ez 4,17: „damit sie an Brot und Wasser Mangel haben (LE;) und einer wie der andere (wörtlich: „ein Mann und sein Bruder“) verschmachten und in ihrer Verkehrtheit (dahin-)schwinden.“ 368 Dtn 2,7: „Denn JHWH, dein Gott, hat dich in allem Tun deiner Hand gesegnet. Er kannte deine Wanderung (durch) diese große Wüste: Diese vierzig Jahre (ist) JHWH, dein Gott, mit dir (gewesen); es hat dir an nichts gemangelt (LE;).“
108 Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs tenwanderung, dass das Mitsein Gottes (ý!BF ý)=8@4 898=) dazu geführt hat, dass es seinem Volk an nichts gemangelt hat (L57 NLE; 4@). Mit der generellen Negation von Mangel bringt der Sprecher zum Ausdruck, dass er in seiner Gottesrelation Lebensfülle erfährt. In V.2 schildert er einen weiteren Aspekt der von Gott gewährten Lebensfülle: JHWH führt ihn zu Weideplätzen von frischem Grün (4M17 N94D) und lässt ihn an Wassern der Ruhe (N9;DB =B.@F) lagern. Auffällig sind die Pluralformen, mit denen er die in V.1b entfaltete Lebensfülle in der Gottesbeziehung weiter steigert. Auf der Bildebene beschreibt V.2, dass der göttliche Hirte nicht in wasserarme Steppen oder Wüstenregionen, sondern an Orte mit lebensnotwendigem Wasser führt (@8D pi.). Betrachtet man die Belege des verwendeten Vokabulars, wird evident, dass dieser Vers nicht nur die leibliche Versorgung meint, sondern eine zweite, theologische Bedeutungsebene erkennen lässt. Das Verbum @8D pi. („führen“) ist terminus technicus für JHWHs Führung beim Exodus.369 Der Plural N9;DB („Ruhe[-stätten]“) ist im gesamten Alten Testament nur noch einmal belegt (vgl. Jes 32,18370). Der Singular 8;9DB („Ruhe[-stätte]“) beschreibt seit der Exilszeit den auf dem Zion lokalisierten Tempel371, in dem der Lebens- und Rettergott wohnhaft ist, der Ruhe spendet. Vor dem Hintergrund des tempeltheologischen372 Vokabulars wird deutlich, dass die Wasser der Ruhe (N9;DB =B) untrennbar mit Gottes Gegenwart verbunden sind. Daher kann gesagt werden, dass sie metaphorisch für die Lebensfülle der Gottesnähe stehen. Der Sprecher aus Ps 23 bringt demnach in V.2 zum Ausdruck, dass er sowohl „das große Heilsgut der Ruhe in Fülle (menu¯ho¯t: Plural!)“373 als auch die lebenspendende Nähe Gottes erlebt, die nur im ˙Vertrauen auf den göttlichen Hirten und im Leben unter seiner Führung zu finden sind (vgl. V.1). In V.3 schildert er, dass JHWH seine Lebenskraft (M1HD) zurückbringt (59M1 pol.374). Aus dieser Aussage geht hervor, dass er bereits mit dem Tod konfrontiert war und Gott ihn aus dieser Situation errettete. Die Verbindung des 369 Vgl. Ex 15,13. 370 Jes 32,18: „Und es wird mein Volk wohnen an einer Wohnstätte (des) Friedens und in sicheren Wohnungen und an sorgenfreien Ruhe(-stätten) (N;9DB5).“ 371 Vgl. Spieckermann, Heilsgegenwart, 269. 372 Spieckermann (Heilsgegenwart, 9 f) definiert Tempeltheologie wie folgt: „Ohne großes Wagnis darf man behaupten: Wie die Psalmen in einem gewissen Grundbestand am besten innerhalb oder im Gefolge des Tempelkultes zu verstehen sind, so stellt sich die Psalmtheologie in einer bis in Israels frühe Königszeit zurückreichenden Form als Tempeltheologie dar. Nach ihren zentralen Aussagen wohnt und thront der königliche Deus praesens in seinem Heiligtum inmitten seines Landes und seiner Verehrer, unsichtbar und unverfügbar, aber gegenwärtig und heilsam erfahrbar auf mancherlei Weise auch über den Bereich des Tempels hinaus in der Welt. Die Zuwendung Gottes zum Menschen (nicht primär zum Volk) ist in dieser Theologie ebenso eine eigentümliche wie die vom Menschen erwartete Hinwendung zu Gott.“ Zur Tempeltheologie vgl. ferner Janowski, Wohnung des Höchsten, und Mettinger, Dethronement. 373 Hossfeld/Zenger, NEB 1, 154 (Zenger). 374 Zu 59M1 pol. vgl. Mittmann, Psalm 23, 5 f.
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Verbums 59M1 (allerdings im hi., „zurückbringen“) mit dem Nomen M1HD ist auch in Thr 1,11.16.19 belegt. In V.11 und 19 bezieht sie sich auf die Versorgung mit Nahrung (@?4). In V.16 wird sie in einer Klage über die Abwesenheit Gottes verwendet. Gott, der als Tröster (Partizip A;DB) wirken und Lebenskraft zurückbringen, d. h. rettend eingreifen könnte, wird als fern beklagt. Deutet man Ps 23,3 vor dem Hintergrund der Threni-Belege, zeigt sich, dass JHWH nicht nur mit Lebensnotwendigem versorgt, sondern auch aus Gefahr rettet und das Leben des Beters in bedrohlichen Situationen bewahrt. Deshalb kann das Hirtenbild auch als Metapher für den Lebens- und Rettergott JHWH375 bezeichnet werden. V.3b führt die theologische Ebene des Hirtentitels weiter aus. Der Beter schildert, dass JHWH ihn in den Bahnen der Gerechtigkeit führt (K7J.=@6FB5). Mit diesem Syntagma, das Vorstellungen aus der Wagenbautechnik376 aufgreift, bringt er zum Ausdruck, dass die Wegführung Gottes zur „Fülle des Guten“377 führt. JHWH führt ihn in den Bahnen des K7J („Gerechtigkeit“), d. h. in der von ihm gesetzten Weltordnung378, die einen „Zustand gesunden, unangefochtenen und heilvollen Ergehens“379 umfasst.
2.8.2 V.4: Das Vertrauen auf den göttlichen Hirten bewährt sich in Zeiten des Mangels und des Bösen bzw. im Tal von Todesschatten 4 Auch wenn ich im Tal von Todesschatten gehe, fürchte (4L=) ich nichts Böses. Denn du (8N4) (bist) bei mir (=7BF), dein Stock und dein Stab – sie trösten mich (A;D pi.).
V.4 bildet das Zentrum und die Sinnachse von Ps 23. Die bekannte Vertrauensaussage führte vielfach zu der Auffassung, dass Ps 23 ein „Idyll“380 schildere. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Das präsentisch-futurische Imperfekt381 lässt erkennen, dass der Beter nicht von vergangenen Erfahrungen berichtet, in denen er Gottes Mitsein und Trost erfahren durfte, sondern davon ausgeht, dass er immer wieder durch ein Tal (4=6) von N9B@J gehen muss. N9B@J 4=6 meint – der Bildwelt des Psalms entsprechend – zunächst ein finsteres Tal, in das die Sonne nicht hineinscheinen kann.382 Die Septuaginta und 375 376 377 378 379 380 381 382
Vgl. Janowski, Hirte, 248. Vgl. Gesenius18, 706. Spieckermann, Heilsgegenwart, 270. Vgl. Koch, Art. K7J, 516. Koch, Art. K7J, 516. Vgl. bspw. Duhm, KHC 14, 100, und Hunziker-Rodewald, Hirt, 179. Vgl. Anm. 366. In diesem Sinne übersetzen Gzella, Lebenszeit, 159, und Spieckermann, Heilsgegenwart, 263.
110 Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs die Vulgata übersetzen N9B@J 4=65 etymologisierend mit 1m l´s\ sji÷r ham²tou („inmitten [des] Todesschattens“) und mit in valle mortis („im Tal des Todes“). An diesem Punkt stellt sich die Frage, ob dieser etymologisierenden Übersetzung von N9B@J 4=65, die im Deutschen mit „im Tal von Todesschatten“ wiederzugeben wäre, zu folgen ist. Das Nomen N9B@J wird im Alten Testament 19 Mal verwendet. Die Mehrzahl der Belege, zehn an der Zahl, sind im Hiobbuch zu finden. Besonders aufschlussreich sind Hi 10,21 und 38,17. In Hi 10,21 wird die Scheol als „Land der Finsternis und N9B@J (N9B@J9 ý!M1; IL4)“ bezeichnet. In Hi 38,17 werden die „Tore des N9B@J (N9B@J =LFM1)“ mit den „Toren des Todes (N9B.=LFM1)“ parallelisiert. Da in beiden Hiobbelegen N9B@J mit dem Tod verbunden ist und in Ps 23,4 wie in den vorangegangen Versen die Bildebene und die theologische Ebene präsent sind, habe ich mich entschieden, N9B@J 4=65 mit „im Tal von Todesschatten“ zu übersetzen.383 Diese Wendung beschreibt also nicht nur der Bildwelt des Psalms entsprechend ein finsteres Tal, sondern symbolisiert auch „die letzte Bedrohung, die Existenzbedrohung durch den Tod“384. Worin die Konfrontation des Beters mit dem Tod genau besteht, wird nicht erwähnt; dies scheint für ihn nicht wichtig zu sein.385 Denn auch in der Gefährdung seines Lebens, so macht die Partikel A6 („auch“) deutlich, fürchtet er kein Böses (FL). In V.4ab begründet er mit einem =?-Satz seine zuversichtliche Haltung. Im Unterschied zu den vorangegangenen Versen spricht er nun Gott in der Situation der Todesgefahr direkt an. Er sagt: „Denn du (bist) bei mir (=7BF).“ Zugleich betont er seine „individuelle Gottesbeziehung auch und gerade angesichts der Macht des Todes“386. Daher kann festgehalten werden, dass das Mitsein Gottes und die von Vertrauen auf den persönlichen Hirten geprägte Gottesrelation den Beter auch in Lebensgefahr angstfrei sein lassen, und V.4 – wie die verneinte Verwendung des Verbums Verb 4L= („fürchten“) und das betonte Du (8N4) nahelegen – den geprägten Sachgehalt Zuversicht wegen des JHWHVertrauens387 aufgreift. In V.4b nennt der Sprecher einen weiteren Grund für seine Zuversicht. Er beschreibt, dass Gott ihn mit seinem Stock (ü5M1) und seinem Stab (NDFM1B) tröstet (A;D pi.). V.4b nimmt gemeinsam mit V.4a („Denn du [bist] bei mir [=7BF].“) – wie das Verbum A;D pi. („trösten“) und die suffigierte Präposition =7BF („mit mir“) zeigen – die geprägte theologische Überzeugung JHWH bzw. das Mitsein Gottes tröstet388 auf. Mit ü5M1 („Stock“) und NDFM1B („Stab“) sind in Ps 23 die beiden wichtigsten Arbeitsgeräte eines Hirten gemeint.389 Das Verbum A;D pi. ist ansonsten nur mit personalem Subjekt belegt. Ps 23,4b enthält 383 384 385 386 387 388 389
Ebenso Mosis, Psalm 23, 275, und Schnocks, Metaphern, 239. Mittmann, Psalm 23, 10. Vgl. auch Mittmann, Psalm 23, 20. Schnocks, Metaphern, 240. Vgl. II. 1.1.3. Vgl. II. 1.3.3. Riede, Tröster, 225.
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also eine semantische Inkongruenz. An diesem Punkt stellt sich die Frage, wie Gott mit Stock und Stab trösten, d. h. nach alttestamentlichem Verständnis Erleichterung in einer Notsituation390 verschaffen kann. Zum Verständnis von Ps 23,4 tragen zwei Sachverhalte bei: Die Erwähnung des ü5M1, nach Gustaf Dalman „eine schlagfähige Waffe (…), die eine Keule sein kann391“, illustriert demnach, dass Gott persönlich und kämpferisch für den Beter eintritt, um Gefahren wie bspw. Feinde (V.5) abzuwehren. Bei dem NDFM1B handelt es sich um „eine Stütze (…), die als längerer Stab den Hirten auf felsigem Pfad und bei seiner Wache aufrecht erhält, so daß er dadurch als in jedem Falle zuverlässig erscheint“392. Die Erwähnung dieses Arbeitsgeräts zeigt, dass JHWH den Beter auf seinen Lebenswegen sicher und verlässlich führt. Auch an dieser Stelle wird evident, dass Ps 23 keine Idylle malt. Der Sprecher gerät in Grenzsituationen, in denen er des göttlichen Trostes bedarf. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich sein Gottvertrauen auch im Tal von Todesschatten bewährt und ihm hilft, alle Widrigkeiten des Lebens wie etwa die Erfahrung von Bösem (FL) (V.4), Mangel (V.1) oder sogar Todesgefahr (V.4) zu bewältigen. Ps 23 charakterisiert das JHWH-Vertrauen als diejenige Haltung, die hilft, gegen Anfechtungen anzukämpfen und gegen diese zu bestehen. Im Hinblick auf die in V.1–3 beschriebene Fülle in der Gottesbeziehung lässt sich festhalten, dass „Leben und Lebensbedrohung des Beters (…) von der durch Gott gewährten Lebensfülle umgriffen“393 werden.
2.8.2.1 Exkurs: Ps 23 und die Frage nach der Entstehung des (kontrafaktischen) Gottvertrauens Da V.4, wie bereits erwähnt, kein idyllisches oder naives Vertrauen entfaltet, wird in der Forschung zuweilen die These vertreten, Ps 23 schildere, wie ein kontrafaktisches Vertrauen auf JHWH entsteht. Bspw. schreibt Augustin Müller: „Vertrauen entsteht in der Anfechtung und nicht im Glück. Ps 23 ist das Gebet eines, der das finstere Tal nicht hinter sich hat, sondern hindurchgehen muß, das Gebet eines, der sein Herz fest macht auf einem ungewissen oder ungewiß gewordenen Weg.“394
Ähnlich deutet Westermann:
390 391 392 393 394
Vgl. Jeremias, Reue Gottes, 16. Dalman, Arbeit und Sitte in Palästina VI, 238. Dalman, Arbeit und Sitte in Palästina VI, 238 f. Hartenstein, Mehrdeutigkeit, 20. Müller, Psalm 23, 31.
112 Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs „Dieses Vertrauen aber beruht auf Erfahrungen im wirklichen Leben, zu dem das Leid, die Angst, die Verzweiflung gehört. Erst in ihnen und aus ihnen ist das Vertrauen erwachsen: in den finsteren Schluchten, in tödlicher Bedrohung.“395 Müller und Westermann ist in allen Punkten außer der These, dass das Vertrauen auf JHWH im Tal von Todesschatten entstehe, zuzustimmen. Ihre Deutung impliziert, dass der Beter, bevor er sich mit der Bedrohung seines Lebens konfrontiert sah, JHWH noch nicht vertraut hat. Das Vertrauensbekenntnis aus Ps 23,1 „JHWH (ist) mein Hirte, ich habe keinen Mangel“ zeigt jedoch, dass dies nicht der Fall ist. Flankierend tritt hinzu, dass die Vorstellung von JHWH als Schöpfer in anderen Psalmen eng mit der Entstehung des Gottvertrauens des Menschen verbunden ist. Als Beispiel sei die Vertrauensäußerung aus Ps 22,10 f zitiert: 10 Denn du (bist) es, der mich hervorgezogen hat aus (dem) Mutterleib, der mich vertrauen ließ auf den Brüsten meiner Mutter! 11 Auf dich bin ich geworfen vom Mutterschoß an, vom Leib meiner Mutter her (bist) du mein Gott! Im Hintergrund dieses Bekenntnisses steht die Überzeugung, dass JHWH dadurch, dass er den Menschen geschaffen, sich ihm vertraut gemacht und eine Beziehung zu ihm gestiftet hat, eine Verantwortung gegenüber seinem Geschöpf hat und es nicht einfach verlassen (vgl. Jes 43,1) kann. Dieser Glaube wiederum lässt das Geschöpf von Anfang an auf seinen Schöpfer vertrauen und schenkt ihm Zuversicht, die sich in den Psalmen in Vertrauensaussagen zeigt.396 Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass Ps 23 nicht die Entstehung des JHWH-Vertrauens beschreibt, sondern wie dieses sich im Leben des Beters auswirkt und auch in Grenzsituationen bewährt. Die Wendung „du (bist) mit mir (=7BF)“ zeigt, dass die Gottesbeziehung und das Gottvertrauen das Leben des Sprechers so prägen, dass er furchtlos und zuversichtlich sein kann, auch wenn er wieder in einem Tal von Todesschatten gehen muss. Was immer ihm auch widerfahren wird – er ist sich des Mitseins seines Gottes gewiss. Er weiß, dass ihn nichts, kein Böses (V.4) und kein Mangel (V.1), von JHWH trennen kann.
2.8.3 V.5 f: Lebenslange Verbundenheit mit Gott und daraus resultierendes Leben im Überfluss 5 Du rüstest vor meinem Angesicht einen Tisch, gegenüber meinen Widersachern. Du erquickst mit Öl meinen Kopf, mein Becher – Überfluss! 395 Westermann, Ausgewählte Psalmen, 98. 396 Vgl. Albertz, Persönliche Frömmigkeit, 38, und Hartenstein, Feindbilder, 32.
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6 Ja, Gutes und Güte werden mich verfolgen alle Tage meines Lebens, mein Wohnen (ist) im Haus JHWHs für die Länge der Tage.
In V.5 f führt der Beter seine Vertrauensaussage aus V.4 weiter aus. Er schildert mit dem Bild von JHWH als (königlichem397) Gastgeber, welche Auswirkungen seine Gottesrelation und sein Vertrauen auf seinen göttlichen Hirten auf sein Leben haben. Er sagt in V.5398, dass Gott ihm gegenüber (76D) seinen Widersachern (Partizip Plural: A=LLJ) einen Tisch bereitet (ý!LF q.), sein Haupt mit Öl erquickt (CM17 pi.) und sein Becher überfließt (wörtlich: „Überfluss [8=9L] ist“). Besonders aufschlussreich ist die Präposition 76D („gegenüber“), die „im Sinn der scharfen Gegensätzlichkeit, der unversöhnlichen, unmittelbaren Konfrontation“399 verwendet wird. Der Sprecher geht also – wie das präsentisch-futurische Imperfekt400 illustriert – realitätsgetreu davon aus, dass er weiterhin von Feinden bedroht werden wird bzw., wenn man die A=LLJ („Widersacher“) mit Erich Zenger über die Bildebene hinausgehend als Chiffre für die Widrigkeiten des Lebens401 deutet, in Notlagen geraten wird. Doch auch in diesen Situationen vertraut der Beter auf seinen Gott, der ihn, wie er mit dem Bild vom Gastmahl illustriert, in seinen Schutzraum aufnimmt und somit die Gefahr auf Distanz hält. Darüber hinaus lässt JHWH ihn sogar in Grenzsituationen wie in der Bedrohung durch Feinde Lebensfülle, Überfluss und Freude erfahren, wie aus der Wendung „Erquicken des Hauptes mit Öl“ und den Belegen der Wurzeln CM17 und 89L hervorgeht. Mit den Verben CM17 pu. („gesättigt werden“, „gelabt werden“) und 89L (pi. „tränken“ und hi. „getränkt werden“) wird in Jes 34,7b402 ein Überfluss an Fett (5@;) und in Prov 11,25 eine reichliche Sättigung403 (89LB9 CM17N 8?L5.M1HD) beschrieben.404 Deshalb ist in Ps 23,5a mit Liess „nicht von einer Salbung die Rede (…), sondern davon, dass etwas jeweils im Übermaß vorliegt. Der Begriff CM17 ist folglich nicht im engeren Sinne auf eine Salbung als den rituellen Akt einer Amtseinsetzung bezogen, sondern schildert vielmehr 397 Zur altorientalischen Tradition eines königlichen Gastmahls in Ps 23 vgl. Spieckermann, Heilsgegenwart, 271, und Zenger, Gott, 230. 398 Ps 23,5 kehrt die Vorstellung des priesterlichen Tempeldienstes, in dem die Priester vor Gott einen Schaubrottisch (Num 24) zurüsten, um. Vgl. zu dieser Umkehrung in Ps 23 Hartenstein, „Brote“ und „Tisch des Angesichts“. 399 Bardtke, nægæd, 21. 400 Vgl. Anm. 366. 401 Vgl. Zenger, Gott, 225: „Die ,Widersacher‘ sind eine Chiffre nicht nur für böse Nachbarn, sondern für alle Widerwärtigkeiten des Lebens.“ 402 Jes 34,7b: „Und ihr Land wird trunken (89L pi.) von Blut, und ihr Erdreich wird getränkt (CM17 pu.) (vgl. Gesenius18, 262) von Fett.“ 403 Prov 11,25 „Wer Segen (gibt), wird gesättigt (CM17 pu.), und wer tränkt (89L hi.), wird auch selbst getränkt.“ 404 Vgl. ferner Prov 13,4, und 28,25 (CM17 pu.).
114 Der Vorstellungskomplex Leben und Tod als Grundlage eines Vergleichs das reichliche Erquicken mit Öl als Ausdruck der Festfreude und ist deshalb als ,erquicken, erfreuen‘ zu deuten.“405
Die in Ps 23,5 mit dem Verbum CM17 pi. beschriebene Freude hängt auch mit JHWHs Nähe zusammen, die der Sprecher aus Ps 23 im Gastmahl spüren darf406. In Ps 63,6 beschreibt der Beter mit dem zu dieser Wurzel zählenden Substantiv CM17 („Fett“) die im Heiligtum erfahrbare Gottesgegenwart, nach der er sich mit Leib (L2M5, wörtlich: „Fleisch“) und Seele (M1HD) sehnt (V.2), als Sättigung (F52M): „Wie (an) Mark und Fett (CM17) wird satt (F52M) meine Seele (=M1HD), und mit Jubellippen soll preisen mein Mund!“ Außerdem ist das Nomen 8=9L („Überfluss“) tempeltheologisch geprägt. Ps 36,9 illustriert, dass Ps 23,5b eine über die Bildebene hinausgehende Bedeutung zum Ausdruck bringt: 9 Sie laben sich (89L q.) am Fett (CM17) deines Hauses, und (mit) dem Bach deiner Wonnen tränkst du sie.
Der Beter dieses Psalms beschreibt mit dem zum Substantiv 8=9L gehörigen Verbum 89L q. die im Heiligtum erlebbaren Freuden der Gottesnähe und die daraus resultierende Lebensfülle, die Hossfeld/Zenger sogar als „paradiesisch“407 bezeichnen. Mit Liess lässt sich die Rede vom übervollen Becher in Ps 23,5 vor dem Hintergrund der tempeltheologischen Sprache als „Bild für Gottes überreichliche bewahrende und belebende Fürsorge“408 auch angesichts von Feindbedrohung (V.5a) und Todesgefahr (V.4) zusammenfassen. In V.6 fährt der Sprecher mit der Beschreibung der Auswirkungen seiner Gottesrelation auf sein Leben fort. Während andere Beter wie bspw. der Sprecher aus Ps 7,2409 Gott um die Errettung von ihren Verfolgern (=H7L) bitten, sagt der Beter von Ps 23, dass er mit Gutem (59ü) und Güte (7E;), d. h. dem „Inbegriff von Jahwes heilvoller Zuwendung“410, verfolgt (G7L) wird. Sein Vertrauenslied beendet er in V.6b mit der Feststellung der Gewissheit, dass er für die Länge der Tage im Hause JHWHs wohnen wird. Er wird sein Leben lang mit JHWH verbunden bleiben und im Tempel dessen Nähe erfahren. Diese Aussage ist nicht als naive Zuversicht oder Optimismus zu interpretieren, sondern – wie V.4 mit der Rede vom Mitsein Gottes in Lebensgefahr zeigt – als Überzeugung eines Menschen, der sich dessen bewusst ist, dass er noch oft in Notlagen geraten wird, aber auch weiß, dass ihn diese Erfahrungen nicht von seinem Gott trennen können. 405 Liess, Bechermotiv, 49 f. Ebenso Janowski, Hirte, 253, und Müller, Psalm 23, 33. 406 Vgl. dazu auch Janowski (Hirte, 261), der den von JHWH bereiteten Tisch als „Realsymbol der Gottesnähe“ bezeichnet. 407 Hossfeld/Zenger, NEB 1, 228 (Hossfeld). 408 Liess, Bechermotiv, 50. 409 Ps 7,2: „JHWH, mein Gott, bei dir berge ich mich, rette mich von allen meinen Verfolgern (=H7L) und befreie mich!“ 410 Spieckermann, Heilsgegenwart, 273.
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2.8.4 Zusammenfassung: Psalm 23 als Lied über das JHWH-Vertrauen, mit dem sich alle Widrigkeiten des Lebens bewältigen lassen Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Ps 23 beschreibt, wie das Vertrauen auf JHWH das Leben des Beters prägt. Da er auf seinen persönlichen Hirten (=FL, „mein Hirte“) vertraut und sich dessen Mitsein gewiss ist, fürchtet er kein Böses und weiß, dass ihn auch eine Konfrontation mit Feinden oder mit der Macht des Todes nicht von seinem Gott trennen kann. Im Gegenteil: In seiner JHWH-Relation kann er solche Situationen zuversichtlich angehen. Außerdem erfährt er von Gott gewährte Lebensfülle, auch in der Bedrohung seines Lebens.411 Deshalb kann Ps 23 als „Lied über das JHWH-Vertrauen, mit dem sich alle Widrigkeiten des Lebens bewältigen lassen“ interpretiert werden. Theologisch sind die persönliche Gottesrelation und das Vertrauen auf JHWH von besonderer Bedeutung. Ps 23 schildert, dass die Gottesbeziehung helfen kann, Grenzsituationen der menschlichen Existenz zu bewältigen (vgl. V.4: „Denn du [bist] mit mir.“). Außerdem lässt dieser Text erkennen, dass das JHWH-Vertrauen Menschen unabhängig von äußeren Umständen Lebenssinn schenkt, wie Westermann dargelegt hat: „Wenn ein Mensch mitten in den Erfahrungen seines Lebens Vertrauen faßt, ob in der Sorge um das tägliche Brot oder bei der Frage nach dem richtigen Weg oder in tödlicher Gefährdung, Vertrauen, daß er gehalten wird, Vertrauen, daß sich einer um ihn kümmert, dann hat er damit und darin Verbindung zu Gott bekommen, dann kann er sagen: ,Gott ist mein Hirt‘, und damit erhält sein Leben einen Sinn, den es vorher nicht hatte, und einen Zusammenhang, den es vorher nicht hatte.“412
411 Vgl. Hartenstein, Mehrdeutigkeit, 20: 412 Westermann, Ausgewählte Psalmen, 98. Ferner hält Gese (Die Frage nach dem Lebenssinn, 188) über die nach den Gottesreden wieder intakte Gottesbeziehung Hiobs fest, dass diese „ihm eine Sinnfülle in unendlichem Maße“ schenke.
III. Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott Ich komme nun zur Untersuchung des Weges Hiobs zu seinem persönlichen Gott, d. h. zur Exegese der unter II. 1.4–1.5 bestimmten Textpassagen, die den Hauptteil der vorliegenden Arbeit bilden. Zunächst werde ich Hiobs Eingangsklage in Hi 3 untersuchen (III. 1–1.5). Sodann werde ich in jeweils einem Unterkapitel Hi 3,11–13; 6,8–10; 7,13–15; 10,18–22 und 14,13–17 (vgl. III. 2–2.7) sowie Hi 6,4; 6,8–10; 16,7–17; 16,18–22; 19,2 und 19,25–27 analysieren (vgl. III. 3–3.7). Im Anschluss daran werde ich weitere Faktoren zum Verständnis des Weges Hiobs in Hi 3 bis 19 (III. 3.8–3.8.2.2) erläutern, die weiteren Stationen seines Weges in der Buchkomposition, d. h. die Herausforderungsreden in Hi 29–31 (III. 4.1) und die Gottesreden in Hi 38–41 (III. 4.2) zusammenfassen sowie Hiobs Antwort auf die Gottesreden in Hi 42,1–6 (III. 4.3–4.3.3) und JHWHs Urteil über Hiob und seine Freunde in Hi 42,7–9 (III. 4.4) exegetisch untersuchen. Zum Abschluss des Hauptteils werde ich Hiobs Weg mit der Gebetsdynamik der Psalmen vergleichen (III. 4.5) und darlegen, wie sich das Hiobbuch mit den geprägten theologischen Überzeugungen JHWH antwortet auf das Rufen seiner Geschöpfe zu ihm, JHWH verwandelt Klage zu Lob und Trauer zu Freude und JHWH bzw. das Mitsein Gottes tröstet (III. 4.6–4.6.3) auseinandersetzt.
1. Hi 3 als Ernstfall der (gestörten) Gottesbeziehung und Beginn des langen Leidens- und Erkenntnisweges Hiobs zu seinem persönlichen Gott Ich beginne mit Hiobs erster Rede aus Kapitel 3. Das Ziel der Exegese besteht darin, Hiobs Gottesbeziehung zu Beginn seines Weges vor dem Hintergrund der Psalmen zu beschreiben und herauszuarbeiten, inwiefern Hi 3 mit dem Rest des Buches verbunden ist und den Beginn des langen Leidens- und Erkenntnisweges des Protagonisten zu seinem persönlichen Gott (vgl. I. 1) markiert. Hi 3 kann wie folgt übersetzt werden:
Hi 3 als Ernstfall der (gestörten) Gottesbeziehung
117
1.1 Übersetzung V.1 f: Programmatische Überleitungsverse
I.
1
Danach öffnete Hiob seinen Mund und verfluchte seinen Tag.
2
Und es antwortete Hiob und sagte:
V.3–10: 1. Strophe: Sonder- bzw. Extremform der Klage mit Fluchsprache 3
„Es gehe unter der Tag, an dem ich geboren wurde, und die Nacht, die sprach: ,Ein kräftiger junger Mann413 ist empfangen!‘
4
Jener Tag – er werde Finsternis – nicht frage nach ihm Gott von oben, kein Lichtstrahl leuchte über ihm!
5
Lösen sollen ihn Finsternis und Todesschatten414, es lasse sich nieder auf ihm Gewölk, erschrecken sollen ihn (die) Verdüsterungen (des) Tages!
6
Jene Nacht – es greife sie Dunkelheit! Sie geselle sich nicht zu (den) Tagen (des) Jahres, zu (der) Zahl (der) Monate komme sie nicht hinzu!
7
Siehe, jene Nacht – sie sei unfruchtbar415, nicht trete Jubel in sie ein!
8
Verwünschen sollen sie (= die Nacht), die den Tag416 verfluchen, die fähig sind, den Leviathan zu reizen!
413 Vgl. Gesenius18, 197. 414 Vor dem Hintergrund von Hi 10,21 (Beschreibung der Scheol mit N9B@J9 ý!M1;) und 38,17 (Parallelisierung der „Tore des Todes“ [N9B.=LFM1] mit den „Toren des N9B@J“ [N9B@J =LFM1]) ist mit „Todesschatten“ und nicht mit „Düster“ (Hölscher, HAT2,14), „Finsternis“ (Fohrer, KAT, 108.110) oder „Dunkel“ (Hesse, ZBK.AT, 45) zu übersetzen. Ebenso Clines, WBC, 68 f; Ha, Frage, 46.49; Habel, OTL, 98.100; König, Buch Hiob, 59, und Wanke, Praesentia Dei, 154, Anm. 321. 415 Das Adjektiv 79B@6 ist außerhalb des Hiobbuchs (Hi 3,7; 15,34 und 30,3) nur noch in Jes 49,21 belegt. In diesem Vers ist es ebenfalls mit „unfruchtbar“ zu übersetzen (vgl. Gesenius18, 219). 416 Die Herausgeber der BHS schlagen vor, A= („Meer“) statt A9= („Tag“) zu lesen. Die Lesart des MT ist jedoch beizubehalten, da sie die lectio difficilior darstellt. Ebenso Clines, WBC, 68.71; Dillmann, Hiob, 25; Duhm, KHC 16, 19 f; Fohrer, KAT, 108.110; Ha, Frage, 46.49 f; Habel, OTL, 99.101; Hesse, ZBK.AT, 45; Hölscher, HAT2, 17; Horst, BK.AT, 36 f; König, Buch Hiob, 61; Stier, Buch Ijjob, 19, und Tur-Sinai, Buch Hiob, 5. Anders Wanke, Praesentia Dei, 154.
118
Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott 9
Finster seien die Sterne ihrer Morgendämmerung, sie harre auf Licht – aber (es soll) keins (werden)417! Und nicht sehe sie die Wimpern (der) Morgenröte!
10 Denn nicht hat sie verschlossen die Türen von meiner Mutter Leib, und verbarg (die) Mühsal vor meinen Augen!
II.
V.11–19: 2. Strophe: Ich-Klage: Wunsch nach Nichtexistenz mit Klagesprache 11 Wozu418 starb ich nicht vom Mutterschoß weg, kam aus dem Mutterleib heraus und kam (sofort) um? 12 Warum haben mich empfangen Knie und was (sollten mir) Brüste, dass ich saugte? 13 Denn jetzt läge419 ich da und wäre ruhig, ich schliefe, dann hätte ich Ruhe für mich 14 mit Königen und Ratgebern (des) Landes, die Pyramiden420 für sich421 erbauten, 15 oder mit Beamten – Gold besaßen sie –, die füllten ihre Häuser (mit) Silber. 16 Oder wie eine verscharrte Fehlgeburt – nicht existierte ich! Wie Säuglinge – nicht sahen sie (das) Licht!422 17 Dort haben Frevler aufgehört (mit) Toben und dort ruhen die an Kraft Ermüdeten. 18 Zusammen leben Gefangene sorglos, sie hören nicht (des) Treibers Stimme.
417 Wörtlich: „es ist nicht vorhanden“. 418 Vgl. Anm. 283. 419 Zur konjunktivischen Übersetzung der hebräischen Verbformen vgl. für die Perfekta GKB, § 106p und für die Imperfekta § 107x. 420 Da das Nomen N95L; („Trümmer“, „Ruinen“) nicht zu der in V.13–19 geschilderten Grabesruhe passt und außerdem keine Gemeinsamkeit der in V.14 erwähnten Könige und Ratgeber beschreibt, ist im Anschluss an das arabische Nomen für Pyramiden „hiram“ N9BL; („Pyramiden“) zu lesen. Denn nach dem Tod sind auch die Pyramiden der Könige und Ratgeber nicht mehr von Vorteil, d. h. im Tod sind alle gleich. Ebenso entscheiden sich Duhm, KHC 16, 21 f; Fohrer, KAT, 108.111; Hesse, ZBK.AT, 45–47; Hölscher, HAT2, 14, und Stier, Buch Ijjob, 21. Anders Delitzsch (BC, 20), der mit „Ruinen“ übersetzt, und Horst (BK.AT, 36.38) und Ha (Frage, 46), die von „Trümmerstätten“ ausgehen. 421 9B@ ist die poetische Form für A8@ (vgl. GKB, § 103 f). 422 Fohrer (KAT, 108.111); Hesse (ZBK.AT, 45) und Horst (BK.AT, 36.50 f) halten V.16 für eine Glosse. Meiner Meinung nach ist V.16 keine Glosse, da dieser Vers das in V.11 f exponierte Thema der Sehnsucht nach Nichtexistenz aufgreift und ferner die positive Schilderung des Seins im Totenreich in zwei Teile teilt. V.13–15 beschreibt die Ruhe im Totenreich und nimmt über Hiob persönlich (V.13) hinaus auch auf die Reichen und Mächtigen Bezug, während V.17–19 sich den Machtlosen zuwendet und das Thema der Ruhe weiter ausführt.
Hi 3 als Ernstfall der (gestörten) Gottesbeziehung
119
19 Klein und Groß – dort (sind sie) eins, und ein Knecht (ist) frei von seinem Herrn!
III.
V.20–26: 3. Strophe: Anklage 20 Wozu423 gibt er dem Mühebeladenen Licht und Leben den Erbitterten424? 21 Die auf den Tod warten – aber er (ist) nicht da! – und die nach ihm graben mehr als nach (versteckten) Schätzen, 22 die sich freuen würden bis zum Jubel425, frohlocken würden, wenn sie ein Grab fänden! 23 (Wozu)426 dem kräftigen, jungen Mann, dem sein Weg verborgen ist und den Gott ringsum einsperrte? 24 Denn vor meiner Speise kommt mein Stöhnen und es ergossen sich wie Wasser meine Schreie. 25 Denn Fürchterliches fürchtete ich – da überkam es mich, und wovor ich bangte, (das) kommt zu mir! 26 Nicht komme ich zur Ruhe und nicht bin ich ruhig, ich kann keine Ruhe finden, sondern es kam Toben.“
1.2 Gliederung Hi 3 lässt sich – wie aus der verwendeten Sprache hervorgeht – in drei Strophen unterteilen, die zugleich die Parallelen dieses Textes mit einer Individualklage erkennen lassen. Als gliedernde Merkmale sind die überleitenden Verse (V.1 f) sowie die Wozu-Fragen in V.11 (Wozu … ich?) und V.20 (Wozu … er?) zu nennen. Das dritte Kapitel des Hiobbuches enthält zwei Elemente eines Klagelieds des Einzelnen: die Ich-Klage und die Gott-Klage bzw. Anklage Gottes, die allerdings jeweils ihre Besonderheiten aufweisen. Hi 3 lässt sich wie folgt gliedern: • V.1 f: Programmatische Überleitungsverse • V.3–10: 1. Strophe: Sonder- bzw. Extremform der Klage mit Fluchsprache 423 Vgl. Anm. 283. 424 Wörtlich: „den an (der) M1HD Bitteren“. 425 Die Lesart des MT („bis zum Jubel [@=6]“) ist vor dem Hintergrund des Wortfeldes des Jubelns in V.22 und des Beleges von @=6.=@4 („zum Jubel“) zusammen mit der ebenfalls in Hi 3,22 verwendeten Wurzel ;B2M („sich freuen“) in Hos 9,1a („Freue dich nicht [;B2M], Israel, bis zum Jubel [@=6.@4] wie (die) Völker!“) beizubehalten und nicht zu @6 („Steinhaufen“) zu konjizieren, wie von den Herausgebern der BHS und Duhm (KHC 16, 23); Fohrer (KAT, 109.112) und Hesse (ZBK.AT, 46) vorgeschlagen. Gesenius18 (214) behält die Lesart des MTebenfalls bei. 426 Zusatz „wozu“, um deutlich zu machen, dass sich die Frage von V.20 bis V.23 erstreckt.
120
Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
• V.11–19: 2. Strophe: Ich-Klage: Wunsch nach Nichtexistenz427 mit Klagesprache • V.20–26: 3. Strophe: Anklage (V.20–23: Anklage Gottes; V.24–26: Ich-Klage bzw. Schilderung der Not)
1.3 Vergleich mit einer Individualklage Die genannten Parallelen zwischen Hi 3 und einer Individualklage legen einen Vergleich zwischen einem Klagelied des Einzelnen und Kapitel 3 des Hiobbuches nahe. Zu Beginn ist die Verwendung der Konjunktion =? (Hi 3,10.24 f) und der 8B@-Fragen (Hi 3,11.20) als formale Gemeinsamkeit zu nennen. =? wird in zahlreichen Psalmen zur Begründung der Aufforderung zum Gotteslob428 gebraucht oder als argumentum ad deum429, um Gott zum Einschreiten zu bewegen. Mit den 8B@-Fragen drücken die Beter die Intensität ihres Leidens aus und fragen zugleich nach dessen Sinn und Zweck430 (vgl. Ps 88,15431). Diese beiden formalen Elemente weisen auf psalmistische Gebetssprache in Hi 3 hin. Da Hiob in V.3–10 den Tag seiner Geburt personifiziert und die für eine Feind-Klage typische Fluchsprache432 verwendet, können diese Verse als Feind-Klage433 gedeutet werden. V.11–19 enthalten Ich-Klage, die jedoch wegen des Wunsches nach Nichtexistenz (vgl. III. 1.4.3–III. 1.4.3.2) von der gattungstypischen Form abweicht. In V.20–23 ist Anklage Gottes zu finden, wie sie auch in den Individualklagen belegt ist, allerdings nicht in der zweiten Person Singular formuliert, sondern in der dritten Person. V.24–26 schildern Ich-Klage. Im Vergleich mit einer Individualklage fehlen folglich eine Bitte an Gott und ein Vertrauensbekenntnis. Dominant sind in Hi 3 dagegen die Ich-Klage, die Wozu-Fragen und das Fehlen einer Anrede Gottes, was die Stoßrichtung des Kapitels anzeigt.434 Gunkel zufolge ist die an Gott gewandte Bitte „das Herzstück der Gattung“435 des Klageliedes des Einzelnen. Deren Abwesenheit ist in Hi 3 von besonderer Bedeutung. Des Weiteren ist für die alttestamentliche Klage charakteristisch, 427 Zur Begründung der Verwendung des Terminus „Nichtexistenz“ vgl. die Einzelauslegung unter III. 1.4.3.2 sowie Anm. 488 und 491. 428 Bspw. in Ps 9,13 (Danklied des Einzelnen) und 148,5.13 (Danklied des Volkes). 429 Bspw. Ps 5,3 und 6,3. 430 Vgl. Michel, „Warum“, 22. Zur Partikel 8B@ vgl. Anm. 283. 431 Ps 88,15: „Wozu (8B@), JHWH, verstößt du mich (=M1H5), verbirgst dein Angesicht vor mir?“ 432 Vgl. den Gebrauch von 754 („untergehen“) in Hi 3,3 und die Einzelexegese unter III. 1.4.2.1. 433 Ebenso Westermann (Aufbau, 58), der den Tag der Geburt als „vorgeschobene(n) Feind“ deutet. 434 Vgl. Heckl, Hiob, 44. 435 Gunkel/Begrich, Einleitung, 218.
Hi 3 als Ernstfall der (gestörten) Gottesbeziehung
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dass sie an den Gott, der die Not wenden kann, appelliert und auf eine Wende des Leids abzielt.436 Diese in Hi 3 fehlenden Elemente weisen auf eine Störung der Gottesbeziehung Hiobs hin. Heckl hält bezüglich Hi 3 und der Gottesrelation des Protagonisten fest: „Der Sprecher (sieht, N. M.z.F.) sich selbst zwar im Gegenüber der Gottheit (3,4.20.23), vorausgesetzt ist aber eine grundsätzliche Störung der Gottesbeziehung.“437 „Lediglich in wenigen Formulierungen ist ein indirekter Gottesbezug spürbar. Dies und der Todeswunsch sind Ausdruck der von Seiten Hiobs als gestört empfundenen Gottesbeziehung, was der Haltung Hiobs im Kap. 2 widerspricht.“438
Die fehlende Anrede an Gott und der Heckl zufolge implizierte Todeswunsch439 des Protagonisten haben „eine besondere Funktion in Bezug auf die Gottheit“440, die nicht in einem allgemeinen Pessimismus, sondern im Festhalten der Störung der Gottesbeziehung441 liege. Worin diese Funktion über eine Konstatierung einer Beziehungsstörung hinaus genau besteht, soll im Folgenden herausgearbeitet werden. 1.4 Einzelexegese 1.4.1 V.1 f: Programmatische Überschrift und Überleitungsvers 1 Danach öffnete Hiob seinen Mund und verfluchte seinen Tag. 2 Und es antwortete Hiob und sagte:
V.1 gibt eine Leserichtung und Interpretationshilfe für das folgende Kapitel vor. Zugleich stellt er eine Zusammenfassung dar, die das Ziel der Hiobrede angibt. Daher liegt es nahe, Hi 3,1 als programmatische Überschrift und Hi 3,2 als Redeeinleitung, die im Hiobbuch zu Beginn der meisten Reden zu finden ist (bspw. Hi 4,1; 6,1; 8,1 usw.), zu betrachten. Doch nun zur Einzelexegese von Hi 3,1 f: Nachdem Hiob und seine Freunde angesichts des großen Leides, das über Hiob gekommen war, für sieben Tage geschwiegen haben (Hi 2,13), bricht der Protagonist in V.1 das Schweigen. Er ergreift die Initiative. Er öffnet seinen Mund (98=H.N4 59=4 ;NH), weil er bewusst etwas sagen möchte. Sodann ver436 437 438 439
Vgl. Westermann, Rolle der Klage, 255. Vgl. ferner de Vos, Klage, 193. Heckl, Hiob, 46. Heckl, Hiob, 46. Zur Auseinandersetzung mit der These vom „Todeswunsch“ Hiobs in Hi 3,11–19 vgl. III. 1.4.3.2, Anm. 488 und 491, sowie zur Problematisierung dieses Begriffs die Einleitung zum Kapitel über die Texte des sog. Todeswunschmotivs unter III. 2. 440 Heckl, Hiob, 46, Anm. 66. 441 Vgl. Heckl, Hiob, 46, Anm. 66.
122
Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
flucht (@@K pi.) er seinen Tag (9B9=.N4). Das Verbum @@K pi. („fluchen“) ist das Gegenverb zu ý!L5 pi. („segnen“). Es wird dem Bereich der wirkmächtigen, performativen Rede zugeordnet und bedeutet „eigtl. leicht sein lassen, u. zwar durch Entzug v. [Lebens]kraft u. Gewicht, faktitiv u. deklarativ“442 bzw. „,klein machen, jemand seine Würde/Bedeutung nehmen (durch Worte oder Handlungen), verächtlich machen‘“443.
Das Antonym ý!L5 pi. kann euphemistisch auch für @@K pi. verwendet werden, um einen anstößigen Ausdruck zu vermeiden. Das ist im Besonderen der Fall, wenn es Gott zum Objekt hat.444 Im Hiobprolog (Hi 1,1–2,13) wird es des Öfteren in dieser Funktion gebraucht: In Hi 1,5 äußert Hiob die Sorge, dass seine Kinder Gott gesegnet, d. h. geflucht, haben könnten (ý!L5 pi.), und verrichtet vorsorglich ein Opfer. Der Satan fragt JHWH in beiden Himmelsszenen (Hi 1,6–12 und 2,1–6), ob Hiob ihm nicht ins Angesicht segnen wird (ý!L5 pi.), wenn er mit den jeweiligen Schlägen von seiner Hand konfrontiert wird (Hi 1,11 und 2,5). Hiobs Frau fordert ihn mit demselben Verbum zu eben diesem Verhalten auf (Hi 2,9). In Hi 2,10 antwortet er ihr, dass sie wie ein Tor spreche, und folgt ihrem „Rat“ nicht. In Hi 3,1 wird erwähnt, dass Hiob seinen Tag verflucht. Zu Beginn von Hi 3 wird allerdings nicht wie im Prolog die Wurzel ý!L5 pi. als Euphemismus verwendet, sondern das Verbum @@K pi. Aus dieser Wortwahl geht dreierlei hervor: Erstens wird evident, dass Hiob eben nicht das tut, was der Satan hofft (Hi 1,11 und 2,5) und wozu ihm seine Frau rät (Hi 2,9). Er verflucht nicht Gott und setzt ihn nicht herab. Er macht ihn nicht klein und nimmt ihm nicht seine Bedeutung. Im Gegenteil: Objekt seines Fluchs ist nicht JHWH, sondern sein (d. h. Hiobs) Tag (9B9=.N4), der Tag seiner Geburt bzw. sein Leben445. Das Leben ist nach alttestamentlichen Vorstellungen – wie sie vor allem in den Schöpfungserzählungen und den Psalmen ersichtlich sind – eine Gabe JHWHs (neben Gen 1–2 bspw. Ps 66,9) und ein Schöpfungswerk (Gen 1–2 und Hi 10,11 f). Das Faktum, dass Hiob eben nicht Gott verflucht, sondern sich mit seinem Fluch auf dessen Werk bezieht, zeigt, dass er Gott nach wie vor als Bezugspunkt und Deutehorizont seines Lebens ansieht. Er wendet sich nicht von ihm ab, wie vom Satan vermutet und von seiner Frau vorgeschlagen, sondern hält auch angesichts von Schwierigkeiten an ihm fest. Er ringt in den von Hi 3,1 eröffneten Klagen des Dialogteils mit ihm und pflegt in allen 442 Gesenius18, 1170. 443 Scharbert, Art. @@K, 42. 444 Vgl. bspw. Ex 22,27: „Gott sollst du nicht verfluchen (@@K pi.), und einem Fürsten in deinem Volk sollst du nicht fluchen (LL4).“ 445 In Hi 30,25 wird „Tag (A9=)“ im Sinne von Leben allgemein oder in der Bedeutung eines bitteren Schicksals gebraucht: „Oder weinte ich nicht über den, der einen harten Tag (A9=) hatte, hatte meine Seele (=M1HD) kein Mitgefühl für den Armen (wörtlich: „war meine Seele nicht für den Armen betrübt?“)?“ Daher kann A9= in Hi 3,1 sowohl „Tag der Geburt“ als auch „Leben“ allgemein bedeuten. Ebenso Clines, WBC, 78; Fohrer, KAT, 109, und Pope, AncB, 28.
Hi 3 als Ernstfall der (gestörten) Gottesbeziehung
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Buchteilen seine persönliche Gottesbeziehung. Durch den Gebrauch des Verbums @@K pi. wird eine Verknüpfung zum Prolog hergestellt. Mittels dieser terminologischen Verbindung legt die programmatische Überschrift implizit nahe, die nachfolgenden Reden Hiobs vor dem Hintergrund des Prologs zu lesen. Daher kann man bei der Wortwahl von @@K pi. statt ý!L5 pi. von einem Kommentar zu den Vermutungen des Satans und den Vorschlägen von Hiobs Frau sprechen. Zweitens zeigt die Verwendung von @@K pi. statt ý!L5 pi., dass in Hi 3 und in den folgenden Klagen keine Euphemismen verwendet werden. Hiob nimmt – wie es redensartlich heißt – kein Blatt mehr vor den Mund: Er konfrontiert seinen Gott in teils heftigen und im gesamten Alten Testament singulären Anklagen (Hi 9,24) und gebraucht Kriegs- und Feindmetaphorik (Hi 6,4)446, wie sie in den Psalmen zur Beschreibung des menschlichen Feindes verwendet wird, um seine Gotteserfahrung zum Ausdruck zu bringen. Drittens wird durch den Gebrauch von @@K pi. statt ý!L5 pi. – unter Berücksichtigung der Psalmen – eine Verbindung mit dem Epilog der Hioberzählung ersichtlich, die die Bedeutung von Hi 3,1 als programmatische Überschrift für den Dialogteil447 flankiert: Ps 62,5b ist aufschlussreich für das Verhältnis von ý!L5 pi. und @@K pi. In diesem Vers sind beide Verben belegt. Der Beter sagt über seine Feinde: 5 Mit ihrem448 Mund segnen (ý!L5 pi.) sie, doch in ihrem Innern fluchen (@@K pi.) sie.
In ihrem Fall liegt eine Inkongruenz zwischen innen und außen vor. Bei den an Gotteslästerung grenzenden Aussagen Hiobs stellt sich vor dem Hintergrund des gesamten Buches die Frage, ob ein Widerspruch vorliegt, wenn JHWH ihm in Hi 42,7 (vgl. III. 4.4) bescheinigt, dass er 8D9?D („Richtiges“) geredet hat, und ihn segnet (ý!L5 pi.; Hi 42,12), obgleich er sein Leben verflucht hat (@@K pi.). Ein solcher Widerspruch liegt nicht vor, weil bei Hiob – anders als bei den in Ps 62 erwähnten Feinden des Beters – seine Worte seiner Herzenshaltung entsprechen. Er ist rückhaltlos ehrlich mit seinem Gott. Genau dies wird – wie unter III. 4.4 dargelegt – von JHWH in Hi 42,7 gutgeheißen und in Hi 3,1 als programmatische Überschrift für den Dialogteil exponiert. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Hi 3,1 ist durch das Verbum @@K pi. mit dem Prolog, in dem das Gegenverb ý!L5 pi. verwendet wird, terminologisch wie inhaltlich verbunden. Ferner ist Hi 3,1 wegen des Verbums @@K pi. 446 Zur Einzelexegese von Hi 6,4 vgl. III. 3.1. 447 Vgl. auch Krieg (Todesbilder, 322 f) über das gesamte Kapitel 3: „Hiob 3 (ist, N. M.z.F.) wohl als vorweggenommenes summarium zu sehen, das im folgenden Zyklus rückblendenartig erklärt wird.“ 448 Mit zwei hebräischen Handschriften, der LXX, der Peschitta und dem Targum nach A. Sperber, ist A8=H5 („mit ihrem Mund“) zu lesen, da die zugehörige Verbform 9?L5= („sie segnen“) pluralisch ist und auch bei „in ihrem Inneren (A5LK5)“ ein Suffix der 3. Pers. Pl. m. verwendet wird.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
und vor dem Hintergrund von Ps 62,5 sowie Hi 42,7 als programmatische Überschrift für den Dialogteil aufzufassen. Der folgende V.2 dient als Überleitungsvers zur ersten Strophe (V.3–10) von Hi 3. In diesem Vers wird berichtet, dass Hiob antwortet (8DF), obgleich kein vorangegangener Gesprächsverlauf zwischen ihm und seinen Freunden berichtet wird. Daraus geht hervor, dass er auf sein Leiden und Gott als Verursacher reagiert und auf diese Weise den Gebetsfaden nicht abreißen lässt.449 1.4.2 V.3–10: Sonder- bzw. Extremform der Klage mit Fluchsprache 3
Es gehe unter der Tag, an dem ich geboren wurde, und die Nacht, die sprach: „Ein kräftiger junger Mann ist empfangen!“
4
Jener Tag – er werde Finsternis – nicht frage nach ihm Gott von oben, kein Lichtstrahl leuchte über ihm!
5
Lösen sollen ihn Finsternis und Todesschatten, es lasse sich nieder auf ihm Gewölk, erschrecken sollen ihn (die) Verdüsterungen (des) Tages!
6
Jene Nacht – es greife sie Dunkelheit! Sie geselle sich nicht zu (den) Tagen (des) Jahres, zu (der) Zahl (der) Monate komme sie nicht hinzu!
7
Siehe, jene Nacht – sie sei unfruchtbar, nicht trete Jubel in sie ein!
8
Verwünschen sollen sie (= die Nacht), die den Tag verfluchen, die fähig sind, den Leviathan zu reizen!
9
Finster seien die Sterne ihrer Morgendämmerung, sie harre auf Licht – aber (es soll) keins (werden)! Und nicht sehe sie die Wimpern (der) Morgenröte!
10 Denn nicht hat sie verschlossen die Türen von meiner Mutter Leib, und verbarg (die) Mühsal vor meinen Augen!
Die erste Strophe von Hi 3 schildert mit Fluchsprache einen Schmerzensschrei Hiobs, der zugleich seine tiefe Verzweiflung erkennen lässt. V.3–10 kann in drei Unterabschnitte unterteilt werden. Dabei ist zu beachten, dass V.3 mit den Stichworten „Tag (A9=)“ und „Nacht (8@=@)“ und den Verben 754 („untergehen“) und 8L8 („empfangen“) das Thema der ersten Strophe benennt und den 449 Für die These, dass Hiob in Hi 3 auf Gott als Verursacher seines Leidens antwortet, sprechen ferner der Inhalt von Hi 3 und die Erwähnung Gottes in V.4 und 20. Außerdem bedeutet die Wurzel 8DF nicht nur „auf eine vorausgegangene Rede antworten“, sondern auch „auf einen Umstand reagieren“ (BDB 773, § 2: „respond to an occasion, speak in view of circumstances“).
Hi 3 als Ernstfall der (gestörten) Gottesbeziehung
125
Charakter einer Überschrift aufweist. Hi 3,3–10 lässt sich folgendermaßen gliedern: • • • •
V.3: Tag und Nacht V.3–5: Fluch über den Tag der Geburt Hiobs V.6–9: Fluch über die Nacht der Empfängnis Hiobs V.10: Begründung mit der Konjunktion =?
Grammatikalisch auffällig ist in V.3 und in den folgenden V.4–7 die Verwendung der Imperfekta in jussivischer und negierter Form (@4). Da sich die Imperfektformen auf den Beginn der Existenz Hiobs, d. h. ein bereits vergangenes Ereignis, beziehen, können sie kein echtes Verfluchen beschreiben. Mit Heckl lässt sich daher festhalten, dass es sich bei Hi 3,3–10 wegen der Imperfekta in Hi 3,3–7 „modal um irreale Formulierungen und damit um extreme Formulierungen der Klage“450 handelt. Hiobs Klage greift – wie die Überschrift in V.3 andeutet – die Themen „Leben und Nichtexistenz“, „Licht und Finsternis“ und „Gottesnähe und Gottesferne“ auf.
1.4.2.1 V.3–5: Fluch über den Tag der Geburt Hiobs Im ersten Vers seiner Klage verflucht (754) Hiob den Tag seiner Geburt und die Nacht seiner Empfängnis, weil diese beiden – hier personifiziert beschriebenen – Größen ihn ins Dasein riefen und er deswegen jetzt leiden muss. Besonders auffällig ist, dass er nicht die für den Geburtstag übliche Formulierung „(9)7@98 A9=“ (vgl. Gen 40,20; Koh 7,1 und Hos 2,5) verwendet, sondern allgemein vom A9= („Tag“) spricht. Betrachtet man die Belege für A9= im Hiobbuch, wird evident, dass dieses Nomen die allgemein-menschliche Lebenszeit451 beschreibt. Bspw. sagt Hiob in Hi 7,1: 1 (Ist) nicht Kriegsdienst (dem) Menschen auf Erden (bestimmt), und (sind nicht) wie die Tage (=B=) eines Tagelöhners seine Tage (9=B=)?
Der Fluch des Protagonisten bezieht sich demnach auf sein gesamtes Dasein.452 Das Verbum 754 q. („untergehen“) ist in den Psalmen mit dem Ergehen der Frevler (A=FM1L) oder der Feinde des Beters verbunden453: Ps 1,6 spricht bspw. davon, dass der Weg der Frevler vergehen wird. Ps 5,7 thematisiert im pi., dass Gott die Lügenredner vergehen lässt, und in Ps 143,12 bittet der Beter Gott darum, dass er in seiner Güte die Feinde vernichten möge (754 hi.). 450 Heckl, Hiob, 42. Heckl schließt an Tur-Sinai (Buch Hiob, 3) an, dem zufolge die Imperfekta „in der Tat nur den irrealen Wunsch für die Vergangenheit“ bezeichnen. 451 Vgl. ferner Hi 10,5; 14,1.5.6 und 21,13. 452 Vgl. Anm. 445. 453 Vgl. Otzen, Art. 754, 23.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
Aus dem Jussiv der Wurzel 754 geht daher hervor, dass Hiob sein eigenes Leben als seinen Feind wahrnimmt454 und sich danach sehnt, niemals geboren worden zu sein bzw. niemals gelebt zu haben. Ein Grund für diesen nicht realisierbaren Wunsch ist in V.3b zu finden. Hiob beschreibt seine Empfängnisnacht als „die Nacht, die sprach: ,Ein kräftiger junger Mann ist empfangen!‘“. Anders als in der Geburtsankündigung in Jer 20,15455 spricht er nicht von sich als einem Knaben (L?: C5), sondern als einem L56, d. h. einem ausgewachsenen, kräftigen jungen Mann456. Der Terminus L56 wird zur Beschreibung eines Mannes, der auf JHWH vertraut (vgl. Jer 17,7457), in einer engen Beziehung458 zu ihm lebt und seine Gebote erfüllt (vgl. Ps 40,5.9–12459), verwendet. Hiob sieht sich von Geburt an zu einem Leben in einer vertrauensvollen Gottesrelation bestimmt und hat von Beginn an nach JHWHs Willen gelebt. Da sein Vertrauen auf Gott enttäuscht wurde und die erhoffte Gerechtigkeit ausgeblieben ist, ist er jetzt so verzweifelt, dass er nicht wie der Beter aus Ps 6,5 eine Bitte um Rettung aus dem Tod formuliert. Dieser sagt: 5 Kehre doch zurück, JHWH, errette mein Leben, rette mich um deiner Güte willen.
Hiob hingegen wünscht sich, sein Leben hätte niemals begonnen. In V.4a fährt der Protagonist mit seiner nicht realisierbaren Wunschklage fort. Er inszeniert eine Art Antischöpfung, um seine eigene Existenz rückgängig zu machen. Während JHWH in Gen 1,3 „Es werde Licht!“ sagt, spricht Hiob den umgekehrten Schöpferruf „Es werde Finsternis (ý!M1;)!“ aus. Mit dieser Aussage setzt er sich an die Position eines negativen Schöpfers und stellt die göttliche Schöpfungsordnung infrage. Außerdem wünscht er sich für sich eine revocatio der Schöpfung, wie aus Gen 1,2 hervorgeht. In diesem Vers bezeichnet ý!M1; („Finsternis“) die Protozeit bzw. den Zustand vor der Erschaffung des Lichts durch Gott in Gen 1,3:
454 Im weiteren Verlauf seiner Klagen weitet sich dieses Verständnis dahingehend aus, dass er Gott, den Geber seines Lebens, als Feind ansieht (vgl. die Einzelexegesen von Hi 6,4 und 16,7–17 unter III. 3.1 und III. 3.3). 455 Zum Vergleich zwischen Hi 3 und Jer 20,14–18 vgl. Fuchs, Klage des Propheten, 212–228. 456 Vgl. Gesenius18, 197. 457 Jer 17,7: „Gesegnet ist der Mann (L56), der auf JHWH vertraut und dessen Vertrauen JHWH ist!“ 458 Im Hiobbuch beschreibt L56 den Menschen im Gegenüber zu Gott (vgl. Hi 4,17; 10,5; 16,21 und 33,17). 459 Vgl. besonders Ps 40,9, der den in V.5 glücklich gepriesenen L56 weiter charakterisiert: „Deinen Wohlgefallen zu tun, mein Gott, begehre ich, und dein Gesetz (ist) mitten in meinem Innern.“
Hi 3 als Ernstfall der (gestörten) Gottesbeziehung 2
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Und die Erde war wüst und leer460, und Finsternis (ý!M1;) (war) über (dem) Urozean; und der Geist (;9L) Gottes schwebte über dem Wasser.
In V.4b wird Gott mit der Bezeichnung 89@4 erstmals wörtlich erwähnt. Nicht mit einer direkten Anrede, sondern mit einem Jussiv äußert Hiob den Wunsch, dass JHWH nicht nach seiner Existenz fragen (M1L7) möge. Daraus geht hervor, dass er zwar nicht direkt zu Gott spricht, aber davon ausgeht, dass Gott als Relat und „heimlicher Zuhörer“ anwesend ist, d. h., dass Hiob coram deo seinen Schmerzensschrei äußert. Von den Belegstellen der Wurzel M1L7 mit Gott als Subjekt ist Ez 34,11 am aufschlussreichsten: 11 Denn so spricht der Herr, JHWH: „Siehe, ich bin es, und ich will nach meinen Schafen fragen (M1L7) und sie suchen.“
Hiob möchte dagegen nicht, dass Gott sich ihm zuwendet und sich um ihn kümmert.461 Stattdessen sehnt er sich nach Gottesferne. In V.4b sagt Hiob, dass über seinem Tag kein Lichtstrahl (8L8D) leuchten möge. 8L8D ist ein hapax legomenon und bedeutet laut der 18. Auflage des Gesenius die Tageshelle462 als Gegensatz zur Finsternis (ý!M1;). Alles, was auf einen neuen Tag oder auf seine Geburt hindeutet, soll bereits im Keim erstickt werden, damit Hiob in die präkosmische Zeit zurückkehren kann. In V.5 finden sich die letzten Fluchwünsche über Hiobs Tag. Dieser soll von Finsternis (ý!M1;), d. h. dem eigentlich Unerwünschten463, und von Todesschatten (N9B@J) ausgelöst (@46) werden. Im Hiobbuch gibt es für die Wurzel @46 nur zwei Belege: Hi 3,5 und 19,25. Kessler464 hat den sozialgeschichtlichen Hintergrund und die theologische Bedeutung der Löser-Vorstellung im Hinblick auf Hi 19,25 herausgearbeitet. Seine Überlegungen beleuchten auf der Basis von Jer 32, dem Buch Ruth und Lev 25465 die Hoffnung Hiobs (s. u.). Die Personen, die auf den Löser hoffen bzw. auf ihn angewiesen sind, befinden sich in Notlagen, und die Goalim sind in den erwähnten Beispielen nahe Verwandte, die lösend eintreten bzw. in einem solchen Fall eintreten sollen. Sie 460 Wörtlich: „Wüste und Leere“. 461 Vgl. dazu auch Maag, Wandlung und Verarbeitung, 103: „Gott als Schöpfer der Welt aus dem Chaos und als ihr Schützer vor dem Rückfall in Gestaltlosigkeit und Finsternis ist als permanent alle zur Schöpfung gehörende Wirklichkeit durchwaltende Macht zu denken. Kümmerte er sich nicht mehr um den bei ihm aufgehobenen Tag, so fiele dieser der vorweltlichen bzw. un-weltlichen Gestaltlosigkeit – dem tohu wabohu von Gen. 1 – anheim.“ 462 Vgl. Gesenius18, 790. 463 Zu Lebens- und Todesvorstellungen in den Psalmen und daraus resultierend Erstrebenswertem und Unerwünschtem vgl. II. 1. 464 Vgl. Kessler, Erlöser. 465 Vgl. Kessler, Erlöser, 142–144.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
handeln konkret und lösen tatsächlich aus. Die erfolgte Lösung impliziert, dass sie auch (wirtschaftlich) dazu in der Lage sind.466 Indem Hiob die Lösung des Tages seiner Geburt fordert, nimmt er sein Leben als problematisch wahr. Bemerkenswert ist jedoch, dass nicht ein naher Verwandter oder JHWH lösend eintreten sollen, sondern Finsternis und Todesschatten. Die Verwendung des Verbums @46 impliziert die Frage, woraus erlöst werden soll. Geht man davon aus, dass Hiobs Leben eine Gabe JHWHs (vgl. Ps 66,9) ist, soll er aus dessen Hand befreit werden. An dieser Stelle deutet sich bereits an, dass Hiob Gott als Feind oder zumindest dessen Nähe als bedrohlich empfindet. Des Weiteren lässt die Wurzel @46 einen Vorverweis auf Hi 19,25467 erkennen. Während in Hi 3,5 das Chaos Hiob aus der Hand JHWHs erlösen soll, äußert er in Hi 19,25 ein Vertrauensbekenntnis über Gott als seinen Löser und dessen Eingreifen zu seinen Gunsten: 25 Ich aber weiß: Mein Löser (=@46) (ist) lebendig und als Letzter wird er sich auf dem Staub erheben.
Bezieht man für die von Hiob angesprochenen Todesschatten (N9B@J) die Psalmenbelege (Ps 23,4; 44,20 und 107,10.14) mit in die Auslegung ein, so wird deutlich, dass sie einen Umstand beschreiben, aus dem JHWH wunderbar errettet (Ps 107,6.14) oder in dem sich das Vertrauen auf ihn erweist (Ps 23,4). Im Hinblick auf Ps 107,6.14 findet sich eine Umkehrung. Dort ist es JHWH, der das Volk aus existenzieller Gefahr befreit hat: 6
Da schrien sie zu JHWH um Hilfe in ihrer Not, aus ihren Bedrängnissen rettete er sie.
14 Er führte sie heraus aus Finsternis (ý!M1;) und Todesschatten (N9B@J) und ihre Fesseln zerriss er.
Besonders aufschlussreich ist der Beleg in Ps 23,4468: 4
Auch wenn ich im Tal von Todesschatten (N9B@J) gehe, fürchte ich nichts Böses. Denn du (bist) bei mir (=7BF), dein Stock und dein Stab – sie trösten mich (A;D pi.).
In diesem Vers ist der Beter im Tal der Todesschatten geografisch und hinsichtlich seiner Lebenslage am Tiefpunkt angekommen, aber genau in dieser Situation existenzieller Bedrohung seines Lebens bewährt sich sein Vertrauen auf JHWH, und er fürchtet nichts Böses (FL). Im Gegenteil: Er ist sich des Mitseins Gottes gewiss (=7BF), das für ihn tröstlich ist (A;D pi.). Nach Ps 23 466 Vgl. Kessler, Erlöser, 144 f. 467 Zur Einzelexegese von Hi 19,25–27 vgl. III. 3.6. 468 Zur Ps 23,4 vgl. II. 2.8.2.
Hi 3 als Ernstfall der (gestörten) Gottesbeziehung
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hilft Vertrauen auf JHWH, gegen Widrigkeiten des Lebens anzukämpfen und gegen Anfechtungen zu bestehen. Hiobs Wunsch, dass ihn Finsternis und Todesschatten aus der Hand Gottes lösen mögen, zeigt: Er ist derzeit in seinem Vertrauen auf Gott so erschüttert, dass er nicht mehr glauben kann, dass dessen Gegenwart tröstlich sein kann oder dieser rettend zu seinen Gunsten eingreifen wird. Betrachtet man die weiteren Belege für „Todesschatten (N9B@J)“ im Hiobbuch, so zeigt sich, dass Hiob im Lauf seines Weges zum Vertrauen auf Gottes Eingreifen als Zeuge, Fürsprecher und Richter (Hi 16,18–22469) findet, obgleich er „Todesschatten (N9B@J)“ auf seinen Wimpern hat (Hi 16,16), d. h. dem Tode nahe ist. Er findet wie der Beter von Ps 23 zu neuem Vertrauen auf JHWH, indem er selbst durch ein Tal der Todesschatten bzw. durch eine Situation existenzieller Lebensbedrohung geht. In V.5b beendet Hiob seinen Fluchwunsch über seinen Tag: Auf ihm soll sich Gewölk (8DDF, hapax legomenon) lagern, und die Verdüsterung des Tages (A9= =L=LB?, ebenfalls hapax legomenon) sollen ihn erschrecken (NF5 pi.), damit kein Licht über seiner Existenz aufgehen oder strahlen kann. 1.4.2.2 V.6–10: Fluch über die Nacht der Empfängnis Hiobs 6
Jene Nacht – es greife sie Dunkelheit! Sie geselle sich nicht zu (den) Tagen (des) Jahres, zu (der) Zahl (der) Monate komme sie nicht hinzu!
7
Siehe, jene Nacht – sie sei unfruchtbar, nicht trete Jubel in sie ein!
8
Verwünschen sollen sie (= die Nacht), die den Tag verfluchen, die fähig sind, den Leviathan zu reizen!
9
Finster seien die Sterne ihrer Morgendämmerung, sie harre auf Licht – aber (es soll) keins (werden)! Und nicht sehe sie die Wimpern (der) Morgenröte!
10 Denn nicht hat sie verschlossen die Türen von meiner Mutter Leib, und verbarg (die) Mühsal vor meinen Augen!
In V.6 beginnt der Protagonist formal und inhaltlich ähnlich wie in Hi 3,3: Statt von jenem Tag spricht er nun von jener Nacht (4988 8@=@8) und äußert im Jussiv den Wunsch, dass sie zwar nicht „Finsternis sei (ý!M1; =8=, V.4)“, aber von „Dunkelheit (@H4)“ ergriffen werden möge, damit sie im Ablauf der Tage und Monate des Jahres (V.6b) nicht mehr vorkommen kann. Das Nomen @H4 ist außerhalb des Hiobbuches nur noch in Jes 29,18 und zweimal in den Psalmen belegt: in Ps 11,2 und 91,6. In Ps 11,2 schießen die Frevler in der Dunkelheit 469 Vgl. zur Einzelexegese von Hi 16,7–17 und 16,18–22 III. 3.3 und III. 3.4.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
(@H4) auf die Herzen der Aufrichtigen, und in Ps 91,6 geht die Pest in ihr umher. Es handelt sich folglich um einen Zustand, in dem Frevler und Krankheiten aktiv sind, d. h. um zwei Elemente des geminderten Lebens, das in der Gefahr steht, von JHWH abgeschnitten zu werden. In V.7 fährt Hiob mit der Verwünschung der Nacht seiner Empfängnis fort. Sie soll unfruchtbar sein, und kein Jubel (8DDL) möge zu hören sein. Mit dem Wunsch nach Unfruchtbarkeit wird eine Umkehrung des Auftrags aus Gen 1,28, fruchtbar zu sein und Nachkommen zu haben, vorgenommen. Unfruchtbarkeit war im Alten Testament ein schreckliches Schicksal, wie bspw. die Erzählungen von den Erzeltern Abraham und Sara (Gen 11,30) oder von Hanna (1Sam 2,5), wenn auch mit anderem Vokabular als Hi 3,7 (8LKF statt 79B@6, Bedeutung beides mal „unfruchtbar“), illustrieren. Hiobs Forderung nach Abwesenheit von Jubel (8DDL) in V.7b ist für seine Vorstellung von Gottesbeziehung aufschlussreich. Betrachtet man die Belegstellen für 8DDL (Ps 63,6 und 100,2) in den Psalmen, zeigt sich, dass beide Belege mit Gottesschau (Ps 100,2) und Gottesnähe (Ps 63,6) verbunden sind. Auf beides reagiert der Mensch mit Jubel. In Ps 100,2 sagt der Beter: 2 Dient JHWH mit Freude! Kommt vor sein Angesicht mit Jubel (8DDL)!
In Ps 63,6 heißt es: 6 Wie (an) Mark und Fett (CM17) wird satt (F52M) meine Seele (=M1HD), und mit Jubellippen (N9DDL =NH2M) soll preisen mein Mund.
Bezieht man den Kontext von Ps 63,6 mit ein, wird ersichtlich, dass der Beter sich als von Gottessehnsucht bestimmt wahrnimmt: Er spricht in V.2470 davon, dass seine Seele bzw. sein Leben (M1HD) nach Gott dürstet und sein Leib (L2M5, wörtlich: „Fleisch“) nach ihm schmachtet, d. h., er sehnt mit seiner gesamten Existenz nichts mehr herbei als die im Heiligtum erfahrbare Gottesnähe (vgl. Ps 63,3). Deshalb kann diese als sein „Lebensziel“471 bezeichnet werden. Nach Ps 63 kann der zahlreiche alttestamentliche Menschen bestimmende Gottesdurst nur von Gott selbst durch die Gewährung einer Gottesschau gestillt werden. Kommt es zu einer Gottesbegegnung, reagiert der Mensch mit Jubel (8DDL, vgl. Ps 63,6). Deutet man die Nacht der Empfängnis und den Tag der Geburt Hiobs als pars pro toto für seine gegenwärtige Existenz, lässt sich festhalten, dass er mit 8DDL in Verneinung einen Terminus gebraucht, der mit der Gottessehnsucht und dem Gotteslob des Menschen verbunden ist. Gott zu loben ist nach alt470 Ps 63,2: „Gott, mein Gott (bist) du! Ich will dich suchen! Mein Leben (=M1HD) dürstet (4BJ) nach dir, mein Fleisch (=L2M5) schmachtet (8B?) nach dir, in einem Land, dürr und lechzend, ohne Wasser!“ 471 Janowski, Konfliktgespräche, 212.
Hi 3 als Ernstfall der (gestörten) Gottesbeziehung
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testamentlichen Vorstellungen eine der Bestimmungen des Menschen.472 Durch die Forderung nach Abwesenheit von Gottesnähe (vgl. Hi 3,4: Gott möge nicht nach ihm fragen) und damit verbundenem Jubel (vgl. Hi 3,7) negiert der Protagonist seine geschöpfliche Bestimmung. Aber auch an dieser Stelle ist eine leise Andeutung seines Weges zu erkennen. Noch will er keine Gottesnähe und keinen Lobpreis Gottes; in seinem Wunsch nach einer Gottesschau in Hi 19,25–27 ist Gottesnähe für ihn nicht mehr negativ konnotiert, und in Hi 42,3473 reagiert er auf die in Hi 38,1–41,26 geschilderte Gottesbegegnung, indem er in Psalmensprache die Wundertaten JHWHs (N94@HD)474 preist. In V.8 beschränkt sich Hiob nicht mehr auf die eigenen Worte für die Verfluchung seiner Existenz. Er bezieht nun Tagverflucher, d. h. wahrscheinlich Hexer und Magier475, deren Worte Unheil stiften können und die sogar fähig sind, den Leviathan zu reizen, mit ein. In der Forschung wird V.8 deswegen häufig als Wunsch Hiobs nach Chaos verstanden. Bspw. bemerkt Wanke: „So wünscht Hiob nicht nur dem Tag Finsternis (V.4), sondern er wünscht der Nacht und sich selbst das Chaos.“476 Köhlmoos interpretiert in einem ähnlichen Sinne: „Diese umfangreiche Verwünschung seines Lebens hat nur ein Ziel: sein Leben rückgängig zu machen, indem er es dem Chaos anheimgibt.“477 M. E. wünscht sich Hiob weder Chaos, noch gibt er sein Leben dem Chaos anheim. Vielmehr illustriert der Wunsch, dass Tagverflucher seine Empfängnisnacht verwünschen mögen, einmal mehr den Charakter von Hi 3,3–10 als extremer und irrealer bzw. nicht realisierbarer Klage. Außerdem zeigt die Erwähnung der Tagverflucher, wie stark sein Leidensdruck ist und wie sehr er sich nicht das Chaos, sondern die Rückgängigmachung seiner Existenz wünscht und was er dafür alles aufbietet. Darüber hinaus stellt V.8 mit der Erwähnung der Tagverflucher auch eine extreme Anfrage und Herausforderung Gottes dar, auf die nur JHWH selbst antworten kann. In Hi 3,8 wird daher bereits der große Bogen zu den Gottesreden ersichtlich. In Hi 38,1–41,26 reagiert JHWH auf Hiobs Klagen und nimmt auch auf den erwähnten Leviathan Bezug (Hi 40,25–41,26).478 In V.9 beendet Hiob die Verfluchung seiner Empfängnisnacht. Die Sterne ihrer Morgendämmerung sollen finster sein, d. h. alles, was andeuten könnte,
472 Vgl. Wolff, Anthropologie, 316–319, bes. 317. Nach Wolff (Anthropologie, 310–315) ist der Mensch ferner zum Leben in der Welt, zum Lieben des Mitmenschen und zum Beherrschen der Schöpfung bestimmt. 473 Zur Einzelexegese von Hi 42,1–6 vgl. III. 4.3–4.3.3. 474 Vgl. bspw. Ps 72,18: „Gepriesen sei JHWH, Gott, (der) Gott Israels. Er tut Wundertaten (N94@HD), er allein!“ 475 Vgl. Fohrer, KAT, 118, und Hesse, ZBK.AT, 48. 476 Wanke, Praesentia Dei, 157. 477 Köhlmoos, Auge Gottes, 154 f. 478 Zu den Gottesreden vgl. III. 4.2.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
dass es Morgen wird, soll nicht sein. Der Morgen wird in zahlreichen Psalmen als Zeit der Gotteshilfe wahrgenommen. So heißt es bspw. in Ps 46,6: 6 Gott (ist) in ihrer Mitte, sie kann nicht wanken (ü9B ni.); Gott hilft ihr beim Nahen des Morgens (LK5).
Wenn es nach Hiob ginge, sollte diese Zeit des göttlichen Wirkens479 allerdings nie eintreten. Die Verwendung des Verbums 89K pi. („hoffen“, „harren“) in V.9b lässt einen Schluss auf Hiobs Gottesbeziehung zu. In den Psalmen beschreiben die Beter mit dieser Wurzel, dass sie ihre Hoffnung auf JHWH setzen und auf ihn harren. Bspw. sagt der Beter aus Ps 39,8: 8 Und nun, auf was hoffe (89K pi.) ich, Herr? Meine Hoffnung (=N@;9N), sie (gilt) dir!
Außerdem berichten einige Psalmen in Vertrauensaussagen davon, dass Gott zugunsten der Beter, die auf ihn hoffen und harren, rettend eingreift. So heißt es bspw. in Ps 37,9: 9 Denn (die) Übeltäter werden ausgerottet werden; aber die, die auf JHWH hoffen (89K q.), werden (das) Land besitzen.
Hiob hingegen gebraucht die Wurzel 89K pi., um seinen Wunsch nach Rückgängigmachung seiner Existenz auszudrücken: Die Nacht seiner Empfängnis möge auf Licht (L94) harren (89K pi.), doch keines möge erscheinen. Während der Beter aus Ps 27 JHWH als sein Licht (L94) (V.1) wahrnimmt und bekennt, dass er sich deswegen nicht fürchten muss (4L=), hat Hiob mit seinem Leiden die Erfahrung gemacht, dass Gott auf sein Harren und Hoffen nicht mit seiner Zuwendung reagiert hat. Folglich hat er keine Rettungserwartung mehr (vgl. V.9: „sie harre [89K pi.] auf Licht (L94) – aber [es soll] keins [werden]!“) und kann sich nur noch wünschen, niemals geboren worden zu sein. Zum Ende der ersten Strophe begründet der Protagonist in V.10 seinen Wunsch, sein Leben rückgängig zu machen. Er verwendet die Konjunktion =?, die in zahlreichen Psalmen eine Aufforderung zum Gotteslob einleitet oder ein argumentum ad deum, das JHWH zum Einschreiten bewegen soll.480 Doch nicht nur die verwendete Konjunktion, sondern auch der Grund, den Hiob anführt, zeigt, dass er Psalmentheologie umkehrt. Er sagt in V.10, dass er seine Existenz verflucht (V.3–9), weil (=?) Gott, sein Schöpfer, ihn ins Dasein gerufen481 hat und er jetzt Mühsal (@BF) erleben bzw. leiden muss. Anders als 479 Zum Morgenmotiv vgl. Anm. 266 sowie Janowski, Rettungsgewißheit I, und Janowski, Sonnengott. 480 Vgl. III. 1.3 sowie Anm. 428 und 429. 481 Obgleich die Nacht der Empfängnis Hiobs das grammatikalische Subjekt des Satzes ist, ist
Hi 3 als Ernstfall der (gestörten) Gottesbeziehung
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bspw. der Beter aus Ps 22 nimmt Hiob den Gedanken an sein Geschaffensein nicht als Rückblick auf JHWHs vergangenes Heilshandeln (vgl. Ps 22,10 f) wahr, das ihm Zuversicht spendet, ihn weiter auf Gott hoffen und an ihn appellieren lässt. In Ps 22,10 f heißt es nach einer Klage über das spöttische Handeln der Mitmenschen des Beters (V.7–9): 10 Denn du (bist) es, der mich hervorgezogen hat aus (dem) Mutterleib, der mich vertrauen ließ auf den Brüsten meiner Mutter! 11 Auf dich bin ich geworfen vom Mutterschoß an, vom Leib meiner Mutter her (bist) du mein Gott!
Hiob hingegen sieht JHWHs Schöpfertätigkeit an ihm als Grund für sein Leiden an. Daher begründet er die Verfluchung seines Lebens (V.3–9) mit seinem Geschaffensein. So gesehen weist Hi 3,10 Züge einer Anklage Gottes auf, die in V.11 f fortgeführt wird. V.10b lässt mit der Verwendung des Nomens @BF („Mühsal“) erkennen, dass Hiob besonders darunter leidet, dass er JHWH nicht mehr wiedererkennt und versteht.482 Von den Psalmbelegen ist Ps 73,16 besonders aufschlussreich. Weil es den Frevlern gut geht (V.12), sagt der Beter in V.16: 16 Da dachte ich nach, um dies zu begreifen. Eine Mühsal (@BF) (war es) in meinen Augen (=D=F5).
Für Hiob ist das Handeln Gottes ebenfalls unbegreiflich. Das Faktum, dass JHWH ihn ins Leben gerufen hat und er jetzt eine solch unwerte Existenz führen muss, ist für ihn Mühsal vor seinen Augen (=D=FB @BF). Die Rede von den Augen zeigt eine Verbindung zu Hi 19 und 42. In Hi 3,10 erscheint Hiob sein Leben und das Handeln Gottes als Mühsal vor seinen Augen (=D=FB @BF); in Hi 19,27 geht er davon aus, dass seine Augen Gott – in der diesseitigen Zukunft – gesehen haben werden (94L =D=F9), und in Hi 42,5 sagt er zu Gott, dass sein Auge ihn gesehen habe (ý)N4L =D=DF). Für Hi 3,10 kann gesagt werden, dass dieser Vers die eigentliche Klage Hiobs enthält und die Verwünschungen aus V.3–9 als deren Konsequenz interpretiert werden müssen. Anders ausgedrückt sagt Hiob: Gott hat mich geschaffen. Ich bin am Leben und leide schwer. Deshalb wünsche ich mir, nie geboren worden zu sein.
JHWH als Subjekt und Adressat des Verses zu betrachten, da er derjenige ist, der den Mutterschoß öffnet und schließt (vgl. Gen 20,18; 29,31; 30,2.22; 1Sam 1,5 f sowie Jes 66,9). 482 Vgl. dazu auch Gese, Die Frage nach dem Lebenssinn, 176: „In seinen Klagen Gott gegenüber schildert Hiob wohl anschaulich seine extreme Not, aber entscheidend sind nicht die notvollen Lebensumstände, sondern das hierin erlebte Gottesverhältnis oder vielmehr -unverhältnis.“
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
1.4.2.3 Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die erste Strophe von Hi 3 zwar in formaler Hinsicht als extreme Form der Feind-Klage über seine Existenz interpretiert werden kann. Bei diesen Versen handelt es sich jedoch auch um einen Schmerzensschrei und letztlich um eine indirekte Gott-Klage, weil JHWH Hiob ins Leben gerufen hat (V.10) und ihm dieses Leben, das er als Feind beklagt, geschenkt hat.
1.4.3 V.11–19: Ich-Klage: Wunsch nach Nichtexistenz mit Klagesprache 11 Wozu starb ich nicht vom Mutterschoß weg, kam aus dem Mutterleib heraus und kam (sofort) um? 12 Warum haben mich empfangen Knie und was (sollten mir) Brüste, dass ich saugte? 13 Denn jetzt läge ich da und wäre ruhig, ich schliefe, dann hätte ich Ruhe für mich 14 mit Königen und Ratgebern (des) Landes, die Pyramiden für sich erbauten, 15 oder mit Beamten – Gold besaßen sie –, die füllten ihre Häuser (mit) Silber. 16 Oder wie eine verscharrte Fehlgeburt – nicht existierte ich! Wie Säuglinge – nicht sahen sie (das) Licht! 17 Dort haben Frevler aufgehört (mit) Toben und dort ruhen die an Kraft Ermüdeten. 18 Zusammen leben Gefangene sorglos, sie hören nicht (des) Treibers Stimme. 19 Klein und Groß – dort (sind sie) eins, und ein Knecht (ist) frei von seinem Herrn!
Die zweite Strophe von Hi 3 lässt einen Wechsel von der Fluch- zur Klagesprache und somit eine Annäherung an das Psalmengebet und an JHWH erkennen. Sie lässt sich in zwei Teile untergliedern, die ihrerseits wiederum in kürzere Abschnitte unterteilt werden können: V.11 f schildert eine Wozu- und eine Warum-Frage Hiobs, die als Überschrift das Thema von V.11–19 exponieren, und V.13–19 beinhaltet eine lobpreisende Beschreibung der Nichtexistenz. Hi 3,11–19 kann in folgende Unterabschnitte gegliedert werden:
Hi 3 als Ernstfall der (gestörten) Gottesbeziehung *
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V.11 f: Überschrift: Frage nach dem Sinn des Daseins Hiobs und der Fürsorge Gottes V.13–19: Wunsch nach Nichtexistenz mit Klagesprache V.13–15: Ruhe im Totenreich Teil 1: Die Reichen und Mächtigen V.16: Wiederaufnahme des Themas aus V.11 f: Hiob als Fehlgeburt V.17–19: Ruhe im Totenreich Teil 2: Die Machtlosen *
*
*
*
1.4.3.1 V.11 f: Überschrift: Frage nach dem Sinn des Daseins Hiobs und der Fürsorge Gottes Nachdem sich die in V.3–10 thematisierte Rücknahme seiner Geburt nicht bewerkstelligen lässt, stellt Hiob angesichts seines Leidens eine Wozu- und eine Warum-Frage. In V.11 fragt er, wozu er, wenn er schon geboren werden musste, nicht wenigstens bei der Geburt sterben konnte, d. h. jetzt nicht existieren könnte. Der erste Versteil gebraucht das allgemeine, häufig verwendete Verb für „sterben“: N9B; der zweite Versteil dagegen ein selteneres, in der jüngeren Sprache geläufigeres483 Verbum: F96 („umkommen“). In den Psalmen ist dieses nur an zwei Stellen belegt: in Ps 88,16 und 104,29. Ps 104,29 ist besonders aufschlussreich. In diesem Vers wird mit F96 die Konsequenz dessen beschrieben, wenn Gott Menschen den Lebensatem entzieht: 29 Du verbirgst dein Angesicht, sie erschrecken. Ziehst du ihren Lebensatem (A;9L) ein, kommen sie (sofort) um (F96) und kehren zum Staub zurück.
Hiob hingegen bedauert, dass Gott ihn ins Leben rief und nicht sterben ließ. Theologisch besonders bedeutsam ist zudem die gewählte Fragepartikel 8B@ („wozu“). Diese fragt m. E. nicht nach einem Grund, sondern nach einem Sinn und Ziel.484 Hiob bringt also in V.11 nicht nur die Intensität seines Leidens zum Ausdruck, sondern auch, dass er an Gott festhält und – ohne direkte Anrede485 – nach dessen Intention für sein Dasein und Leiden fragt. Die verwendeten Geburtstermini machen deutlich, dass Hi 3,11 nicht nur eine Anklage JHWHs, sondern auch eine tiefe Frage nach Gott enthält. Die beiden Nomina A;L („Mutterschoß“) und Cü5 („Mutterleib“) gehören zum Motiv der persönlichen Frömmigkeit486 und illustrieren die Gottbezogenheit des Menschen. Bspw. heißt es in Ps 22,11: 483 Vgl. Horst, BK.AT, 48. 484 Vgl. Anm. 283. 485 In Hi 10,18 verwendet Hiob das Totgeburtmotiv in einer direkten Anrede an Gott. Zur Einzelexegese und zu den Unterschieden zwischen Hi 3,11 f und Hi 10,18–22 vgl. III. 2.4 486 Vgl. Vorländer, Mein Gott, 274 f: „Diese Aussagen gehören deutlich zum Vorstellungsbereich des persönlichen Gottes. Denn der persönliche Gott wird in Mesopotamien und Kleinasien als Schöpfer des Menschen angesehen, der ihn von Mutterleib an bewahrt und als sein Gott mit ihm ist. Insofern ist es keinesfalls eine ,Übertreibung‘ (Gunkel), wenn hier das Gottesverhältnis
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott 11 Auf dich bin ich geworfen vom Mutterschoß (A;L) an, vom Leib (Cü5) meiner Mutter her (bist du) du mein Gott!
Eben weil Gott Hiob ins Leben rief, ein Verhältnis zu ihm konstituierte und als sein Gott mit ihm war, ist Hiob wegen seines Leidens in seinem Vertrauen auf ihn erschüttert. Dennoch bleibt er auf ihn bezogen und ringt jetzt innerhalb seiner persönlichen Gottesbeziehung mit seinem Gott, der ihm unverständlich und fremd erscheint. V.12 schließt mit einer weiteren Warum-Frage an V.11 an. Diese Frage wird im Unterschied zu V.11 mit dem alltagssprachlichen F97B formuliert, das mit „warum?“ übersetzt werden kann. V.12 fragt also nicht nach einer Absicht, sondern nach einem vorfindlichen Grund.487 Eine solche „Warum-Frage“, die mit „darum“ beantwortet werden könnte, ist in den Psalmen nicht belegt. Hiob möchte also von Gott nicht nur wissen, mit welchem Ziel er ihn ins Leben rief (V.11), sondern auch erfahren, aus welchem Grund er überhaupt gestillt und mit Nahrung versorgt wurde, wenn er jetzt so leiden muss. Überdies fragt der Protagonist mit der Rede von den Brüsten (A=7M1) nicht nur nach dem Grund für die Fürsorge JHWHs, sondern auch danach, warum dieser die Beziehung zu ihm gestiftet und ihm „Urvertrauen“ geschenkt hat. Wie bereits in V.11 sind auch in V.12 Vokabular aus dem Motiv der persönlichen Frömmigkeit und eine Parallele zu Ps 22 zu finden. V.10, Teil des Vertrauensbekenntnisses in V.10 f, schildert, dass Gott den Beter an den Brüsten der Mutter Vertrauen gelehrt hat: 10 Denn du (bist) es, der mich hervorgezogen hat aus (dem) Mutterleib, der mich vertrauen ließ auf den Brüsten (=7M1.@F) meiner Mutter!
Hiob fragt sich angesichts seiner Ps 22,10 diametral entgegenstehenden Gotteserfahrung, warum er überhaupt lebt und warum ihm Gottvertrauen gegeben wurde, wenn sein Gott sein Vertrauen so enttäuscht. Anders als der Sprecher von Ps 22 nimmt er seine eigene Erschaffung und Gottes Fürsorge nicht als Grund dafür wahr, ihm weiterhin zu vertrauen. Im Gegenteil: Er ist in seinem Gottvertrauen so sehr erschüttert, dass er JHWH nicht mehr direkt ansprechen kann. Er fragt daher in der dritten Person nach dem Sinn seines Daseins und der Fürsorge Gottes.
1.4.3.2 V.13–15: Ruhe im Totenreich Teil 1: Die Reichen und Mächtigen 13 Denn jetzt läge ich da und wäre ruhig, ich schliefe, dann hätte ich Ruhe für mich mit der Geburt begründet wird.“ Vgl. zur Vorstellung vom persönlichen Gott in Ps 22 Vorländer, Mein Gott, 273–276. 487 Vgl. Michel, „Warum“, 14, und Anm. 283.
Hi 3 als Ernstfall der (gestörten) Gottesbeziehung
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14 mit Königen und Ratgebern (des) Landes, die Pyramiden für sich erbauten, 15 oder mit Beamten – Gold besaßen sie –, die füllten ihre Häuser (mit) Silber.
In Hi 3,13–19 begründet Hiob seinen Wunsch nach Rückgängigmachung seiner Existenz (V.3–10) und seine indirekten Fragen an Gott (V.11 f). Außerdem malt er die Entlastung aus, die er erfahren würde, wenn er bei der Geburt gestorben oder nicht mit Nahrung versorgt worden wäre. Eine solch lobpreisende Schilderung findet sich in den Psalmen eigentlich auf JHWH und dessen Handeln (bspw. Ps 96,4.6), in Hi 3 jedoch auf das Sein im Totenreich. Hiob leitet in V.13 die Begründung für seinen Wunsch, am liebsten gar nicht geboren (V.3–10) oder zumindest bei der Geburt gestorben zu sein (V.11 f), d. h. niemals existiert zu haben, mit der Partikel =? ein. Die Bezeichnung „Wunsch nach Entlastung durch Nichtexistenz“ trifft auf Hi 3,11–19 eher zu als die in der Forschung geläufige Rede vom „Todeswunsch“488 Hiobs. Denn in Hi 3 gibt es anders als in Hi 6,8 f489 und 7,15490 keinen Beleg dafür, dass er sich zum jetzigen Zeitpunkt explizit den Tod wünscht. Vielmehr bringt er mit dem nicht realisierbaren Wunsch, tot geboren worden zu sein, die Heftigkeit seines Schmerzes und seine Sehnsucht nach Entlastung von seinem Leiden zum Ausdruck.491 Auffällig sind die in V.13 verwendeten vier verschiedenen Verben für Ruhe und Schlaf. Neben dem eher allgemeinen Verb 5?M1 („liegen“) gebraucht der Protagonist auch üKM1 („ruhig sein“), CM1= („schlafen“) und ;9D („Ruhe haben“).
488 Vgl. bspw. Köhlmoos (Auge Gottes, 152), die Hi 3,11–13 zum Todeswunsch Hiobs und dem gleichnamigen Todeswunschmotiv rechnet. Zur Problematisierung dieses Begriffs vgl. die Einleitung zum Kapitel über die Texte des sog. Todeswunschmotivs unter III. 2. 489 Hi 6,8 f: 8 Oh, dass doch einträfe meine Bitte und meine Hoffnung gäbe Gott! 9 Und (mir) gewährte Gott und mich zermalmte, seine Hand frei ließe und mich abschnitte! 490 Hi 7,15: „Meine Kehle wollte lieber ersticken, lieber (den) Tod als meine Gebeine.“ 491 Aus der positiven Beschreibung des mit einer Totgeburt einhergehenden Seins im Totenreich kann man schließen, dass Hiob den Tod seiner jetzigen Existenz vorziehen würde. Da dies jedoch nicht explizit im Text steht, sondern erst in Kapitel 6 und 7 erwähnt wird, möchte ich bei der Auslegung von Hi 3 den mittels des Wunsches nach Nichtexistenz (in V.3–10 durch Rücknahme der Zeugung und der Geburt Hiobs und in V.11 durch eine Totgeburt) ausgedrückten übergroßen Schmerz und die Sehnsucht nach Entlastung von seinem unerträglichen Leiden in den Mittelpunkt rücken. Seinem in Kapitel 3 geschilderten Schmerzensschrei zufolge bestünde die gewünschte Erleichterung darin, am besten nie gelebt zu haben und so niemals mit dem Leiden konfrontiert worden zu sein. Die mangelnde Realisierbarkeit seines Wunsches nach Nichtexistenz zeigt, dass Hiob in Kapitel 3 nicht nach einer Lösung für sein Problem – wie bspw. in Hi 6,8 und 7,15 mit dem Wunsch zum jetzigen Zeitpunkt zu sterben – sucht, sondern seinen Schmerz herausschreien und seine Sehnsucht nach Entlastung zum Ausdruck bringen möchte.
138
Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
Das Verbum üKM1 („ruhig sein“) bezeichnet „ein wesentliches Kennzeichen des Glaubens“492. In Jes 7,4 ist es in einer Mahnung an König Ahas belegt: 4 Hüte dich und sei ruhig (üKM1 hi.)! Fürchte dich nicht, und dein Herz verzage nicht vor diesen beiden qualmenden Brandscheidstummeln, (vor) der Zornglut Rezins und Arams und des Sohnes Remaljas!
JHWH fordert König Ahas während der Bedrohung Jerusalems auf, ruhig zu sein und auf seine Rettungstaten zu vertrauen.493 Ferner hält Hans Walter Wolff fest, dass Ruhe „aus der Gewissheit (folgt, N. M.z.F.), dass Jahwe handelt“494.495 Hiob hat jedoch das Vertrauen auf ein Eingreifen JHWHs verloren, oder er glaubt, dass dieses nur im negativen Sinne erfolgt. Er ist rastlos, weil er aus dem Takt des Schenkens und Rufens JHWHs geraten ist, und sieht im Moment nicht, dass er das mit der Wurzel üKM1 („ruhig sein“) beschriebene erfüllte Leben im Diesseits und in der Beziehung zu Gott finden kann. Daher sucht er es in der Nichtexistenz. Das Verbum CM1= („schlafen“) wird im Alten Testament in theologischen Zusammenhängen verwendet. Es kann „Schlaf in der friedlichen Geborgenheit unter dem Schutz JHWHs“496 beschreiben. Ein Beispiel ist Ps 4,9. Da der Beter JHWH vertraut, kann er gut schlafen: 9
In Frieden werde ich mich niederlegen (5?M1) und schlafen (CM1=); denn du, JHWH, allein, lässt mich in Sicherheit (;ü5@) wohnen.
Hiob erhofft sich demgegenüber den guten Schlaf, den es nur im Vertrauen auf Gott gibt, in der Trennung497 von Gott, die er – wenn er tot geboren worden wäre (V.11) – erfahren würde. Die Wurzel ;9D („Ruhe haben“) ist in Hi 3 dreimal belegt. In V.13 und V.17 ist sie Teil des Lobpreises auf das Sein im Totenreich. In V.26 zeigt sie in der IchKlage an, was Hiob im Moment nicht hat und sich im Umkehrschluss wünscht: 26 Nicht komme ich zur Ruhe und nicht bin ich ruhig, ich kann keine Ruhe finden (;9D), sondern es kam Toben.
Er wünscht sich demnach eine positiv konnotierte Ruhe, die seine innere Unruhe zu einem Ende bringt. Das Verbum, mit dem er seine Sehnsucht beschreibt, wird auch im Kontext 492 493 494 495
Wolff, Anthropologie, 198. Vgl. Wolff, Anthropologie, 198. Wolff, Anthropologie, 198. Vgl. ferner Bons (Art. üKM1, 451), der vom „Motiv der gottgeschenkten Ruhe“ in prophetischen Texten spricht. 496 Schüpphaus, Art. CM1=, 1034. 497 Vgl. Anm. 198.
Hi 3 als Ernstfall der (gestörten) Gottesbeziehung
139
der Jerusalemer Tempeltheologie498 verwendet. Im dortigen Heiligtum ist der Lebens- und Rettergott JHWH499, der Ruhe spendet, wohnhaft. Des Weiteren ist ;9D in Ps 23 belegt. In V.2 heißt es: 2
Auf Weideplätzen von frischem Grün lässt er (scil. Gott) mich lagern, zu Wassern (der) Ruhe (N9;DB =B) führt er mich.
An diesen Wasserquellen wird die Lebenskraft des Beters erneuert. Die ersehnte Ruhe ist also nur in der Präsenz Gottes bzw. im Tempel oder unter seiner Führung zu finden.500 Hiob geht im Gegensatz dazu davon aus, dass er diese nur in der Beziehungslosigkeit zu JHWH finden kann. Deutet man V.13 zusammen mit der Ich-Klage aus V.26, so lässt sich eine Sehnsucht nach Ruhe, d. h. nach Entlastung von seinem Leiden, erkennen. Zusammenfassend lässt sich für Hi 3,13 festhalten, dass Hiob seine Sehnsucht nach Ruhe mit einem Vokabular beschreibt, das zutiefst mit einem erfüllten Leben und JHWHs Nähe verbunden ist. In V.14 f schildert der Protagonist, dass er mit Königen, Ratgebern und Beamten im Totenreich wäre. Diese Trias wird auch zur Beschreibung der persischen Regierung und ihrer Verwaltung verwendet.501 Doch auch für diese Mitglieder der Elite der Gesellschaft wirkt der Tod als Gleichmacher. Er nimmt ihnen ihren Reichtum und ihre Macht und sorgt dafür, dass sie sich im Totenreich auf einer Ebene mit Hiob befinden.
1.4.3.3 V.16: Wiederaufnahme des Themas aus V.11 f: Hiob als Fehlgeburt 16 Oder wie eine verscharrte Fehlgeburt – nicht existierte ich! Wie Säuglinge – nicht sahen sie (das) Licht!
In V.16 kehrt Hiob inhaltlich zu V.11 f zurück. Erneut äußert er seinen Wunsch, tot geboren worden zu sein. Dieses Mal vergleicht er sich mit einer Fehlgeburt502, die nicht beerdigt, sondern verscharrt503 wurde und das Licht (L94) nicht gesehen hat. Das Nomen Licht (L94) wird in den Psalmen metaphorisch für das Leben (Ps 56,14) und für JHWH (Ps 27,1) verwendet. Bspw. schildert der Beter aus Ps 56 in V.14, dass Gott ihn aus dem Tod mitten im Leben gerettet hat und er nun in dessen Gegenwart leben kann: 498 499 500 501 502
Vgl. Anm. 372. Vgl. Janowski, Konfliktgespräche, 212. Ebenso Preuß, Art. ;9D, 299 f.305. Vgl. Esr 7,28 sowie Horst, BK.AT, 78. Die LXX übersetzt mit 5jtqyla. Dieses Nomen meint wörtlich „das Herausgefallene“, nicht das wirklich Geborene. 503 Das Verbum CBü meint eher ein schamvolles Verstecken als ein Beerdigen (vgl. Kellermann, Art. CBü, 367). Bspw. versteckt Mose in Ex 2,12 den Ägypter, den er erschlagen hat.
140
Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott 14 Denn du hast entrissen mein Leben (=M1HD) aus (dem) Tod, nicht wahr, meine Füße vor (dem) Fallen, damit ich wandle vor Gott im Licht (L94) der Lebenden.
Des Weiteren bekennt der Sprecher aus Ps 27 in V.1: 1
JHWH – mein Licht (=L94) und meine Rettung, vor wem sollte ich mich fürchten?
Wenn Hiob nicht geboren worden wäre, wäre er nicht mit seinem Leben, Leiden und der Frage nach Gott konfrontiert. Die Wendung „Licht sehen (L94 84L)“ wird auch in einer doppelten Lichtmetapher in Ps 36,10 verwendet: 10 Denn bei dir (ist) die Quelle des Lebens, in deinem Licht (L94) sehen (84L) wir (das) Licht (L94)!
Die Ortsangabe „bei dir“ bezieht sich auf den Jerusalemer Tempel, in dem die lebensspendende Nähe Gottes erfahren werden kann.504 Die Wendung „in deinem Licht“ meint das Licht des Angesichts Gottes, das nach altorientalischer Vorstellung eine Metapher für Gottes Zuwendung505 ist. Im Bereich des Tempels erfährt der Mensch die Gegenwart und intensivste Nähe des lebendigen Gottes, die für ihn Lebensfülle506 bedeutet. In Hi 3,16 zieht Hiob dagegen die Nichtexistenz dem Leben in der Nähe Gottes vor. 1.4.3.4 V.17–19: Ruhe im Totenreich Teil 2: Die Machtlosen 17 Dort haben Frevler aufgehört (mit) Toben und dort ruhen die an Kraft Ermüdeten. 18 Zusammen leben Gefangene sorglos, sie hören nicht (des) Treibers Stimme. 19 Klein und Groß – dort (sind sie) eins, und ein Knecht (ist) frei von seinem Herrn!
In V.17–19 kehrt Hiob zur Ruhe im Totenreich zurück, die er bereits in V.13–15 entfaltet hat. Während er in V.14 f von den Reichen und Mächtigen sprach, erwähnt er nun Frevler (A=FM1L) und Ermüdete (V.17), Gefangene und Treiber (V.18) und einen Knecht und seinen Herrn (V.19) als Totenreichbewohner. In V.17a beschreibt er die A=FM1L („Frevler“) als ungefährlich. Während die Frevler in den Psalmen Arme, Witwen, Waisen und Fremdlinge unterdrücken (Ps 94,3–6) und für den Einzelnen eine Bedrohung darstellen (Ps 17,8 f), tra504 Vgl. Janowski, Konfliktgespräche, 333. 505 Vgl. Hartenstein, Angesicht, 72. 506 Vgl. Ps 36,8–10 (besonders die Rede vom Mahl in V.9: „Sie laben sich am Fett deines Hauses, und [mit] dem Bach deiner Wonnen tränkst du sie!“) sowie Liess, Weg, 291.
Hi 3 als Ernstfall der (gestörten) Gottesbeziehung
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gen sie in Hiobs Totenreichvorstellung zur vollkommenen Ruhe bei: Sie hören mit ihrem Toben (:6L) auf und stören und bedrängen den Gemeinschaftsfrieden nicht mehr. Der Bedeutungskern der Wurzel :6L meint eine „,heftige äußere/innere Bewegung‘“507. Eine konkretere Bedeutung ergibt sich immer aus dem Kontext.508 Im Fall Hiobs steht das Nomen :6L für das, was „den Menschen körperlich und seelisch mitnimmt, alles was ihn in Unruhe und Aufregung versetzt“509. Ebenfalls belegt ist es in Hiobs Ich-Klage in V.26: 26 Nicht komme ich zur Ruhe und nicht bin ich ruhig, ich kann keine Ruhe finden (;9D), sondern es kam Toben (:6L).
Daraus resultiert, dass Hiob mit seiner Vorstellung vom Totenreich einen Gegenentwurf zu seiner gegenwärtigen Existenz zeichnet. In V.17b verwendet er erneut das Verb ;9D („Ruhe haben“), das auch in V.13 und V.26 belegt ist. Hiob zufolge finden die an Kraft Ermüdeten anders als in Ps 23,2 nicht in der Gegenwart und unter der Führung Gottes, sondern im Tod, d. h. in der Abwesenheit Gottes, Ruhe. In V.18 zeichnet der Protagonist das Totenreich als einen Ort der Sorglosigkeit. Dort haben auch Gefangene (A=L=E4) Teil an der vollkommenen Ruhe: Die Stimme ihres Treibers, mit der sie zur Arbeit angetrieben wurden (vgl. Ex 3,7), hören sie nicht. In V.19 erreicht Hiobs lobpreisende Schilderung des Seins im Totenreich ihren Höhepunkt. Sentenzenhaft fasst er das Verhältnis der Bewohner zusammen: Groß und klein sind im Tod gleich; sie genießen dieselbe Ruhe; es gibt keine bedrückenden Lebensstrukturen und keine Rangordnungen mehr. V.19b ist sowohl für Hiobs Vorstellung von Entlastung als auch für seine Gottesrelation besonders aufschlussreich. Er sagt: „ein Knecht (75F) (ist) frei (=M1H;) von seinem Herrn!“ Im Totenreich gibt es keine Abhängigkeitsverhältnisse mehr. Der Tod wirkt nicht nur als Gleichmacher, sondern auch als Freimacher. Das Adjektiv =M1H; („frei“) ist in den Psalmen nur noch in Ps 88,6 belegt: 6
unter den Toten (bin ich) ein Freigelassener (=M1H;), wie Erschlagene, die im Grab liegen, denen du nicht mehr gedacht hast, weil sie von deiner Hand abgeschnitten sind!
Der Beter klagt in diesem Vers darüber, dass er JHWH im Tod keinen Dienst mehr leisten kann und deshalb von ihm vergessen werden wird. Vor dem Hintergrund des Prologs gelesen, stellt Hi 3,19 auch eine Aussage über Hiobs Gottesverhältnis dar. In Hi 1,8 und 2,3 bezeichnet JHWH ihn als 507 Vanoni, Art. :6L, 328. 508 Vgl. Vanoni, Art. :6L, 328. 509 Horst, BK.AT, 52 f. Ebenso Vanoni (Art. :6L, 328), der Horst zitiert.
142
Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
seinen Knecht (75F). Indem Hiob die Freiheit eines Knechts von seinem Herrn als positiv beschreibt, wünscht er sich, seiner Gottesbeziehung zu entfliehen. Er nimmt Gottesferne und das Ende seiner JHWH-Relation als Entlastung wahr. An diesem Punkt stellt sich die Frage, wie Hiobs Sehnsucht nach der Ruhe des Totenreichs zu verstehen ist. In der Forschung finden sich zahlreiche Deutungsansätze. Köhlmoos deutet den Tod als „wahre Heimat“510 Hiobs, Wanke als Erlösung und letzte Hoffnung511 und Heckl als Ausweg512 für Hiob. Kyung-Taek Ha geht dagegen davon aus, dass Hiob sich nicht den Tod, sondern ein ruhevolles Leben wünscht.513 Die Wozu- und die Warum-Frage Hiobs aus V.11 f und der =?-Satz aus V.13 mit den vier verschiedenen Verben für „ruhen“ erweisen sich als Schlüssel zum Verständnis seines Wunsches. Diese Verse zeigen, dass der Protagonist in seinem Vertrauen auf Gott erschüttert ist. Der Gott, der ihn ins Dasein rief und sich ihm an der Mutterbrust vertraut gemacht hat, lässt ihn :6L („Toben“) erleben. Dass er jemals wieder ein erfülltes Leben führen wird, kann er sich derzeit nicht vorstellen. Seine bisherigen Gottesvorstellungen sind zerbrochen. Er geht nicht davon aus, dass Gott ihn wie in den Psalmen zum Leben hin erretten wird. Er kann JHWH weder ansprechen noch wie der Beter aus Ps 6,3 bitten: 3 Sei mir gnädig, JHWH, denn schwach (bin) ich. Heile mich, JHWH, denn erschreckt worden (sind) meine Gebeine.
Sein Zustand erscheint ihm unerträglich und ausweglos. Daher sehnt er sich nach Ruhe und Entlastung von seinem Leiden. Wie in V.3–10 bringt er auch in V.11–19 einen Schmerzensschrei und einen Wunsch, nie existiert zu haben (bzw. in Hi 3,11–19 präziser: nie geboren worden zu sein), jedoch keinen expliziten Todeswunsch zum Ausdruck. Hiobs Sehnsucht nach der Ruhe des Totenreichs ist also als Wunsch nach Entlastung von seinem Leiden zu verstehen. Betrachtet man den weiteren Verlauf des Weges Hiobs, zeigt sich zum einen, dass Hi 3 mit der Sehnsucht nach Entlastung von seinem Leiden ein zentrales Thema des gesamten Buches exponiert (vgl. Hi 3,11–13; 6,8–10; 7,13–15; 10,18–22 und 14,13–17).514 Zum anderen wird evident, dass Hiobs Gottesrelation einen Wandel durchläuft und er Gottesferne nicht mehr als negativ wahrnimmt: Während er in Hi 3,13 sagt „Ich würde ruhen für mich (=@ ;9D=)“ (Hi 3,13), wünscht er sich in Hi 19,27, Gott für sich zu schauen ([email protected]:;4), d. h., 510 511 512 513 514
Köhlmoos, Auge Gottes, 154. Vgl. Wanke, Praesentia Dei, 159 f. Vgl. Heckl, Hiob, 44. Vgl. Ha, Frage, 82. Zur Einzelexegese der zum sog. Todeswunschmotiv gehörenden Texte vgl. III. 2.1–2.5.
Hi 3 als Ernstfall der (gestörten) Gottesbeziehung
143
er wünscht sich das in Hi 3,13–19 noch verneinte Leben in Gottes Nähe und intakter Beziehung zu ihm.
1.4.3.5 Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im Unterschied zur ersten Strophe von Hi 3 in der zweiten Strophe Klage- anstelle von Fluchsprache verwendet wird und Hiob sich Gott und dem Psalmengebet annähert. Da er JHWH als Urheber seines Lebens und Leides (V.11 f) betrachtet, kann die zweite Strophe wie die erste auch als indirekte Gott-Klage verstanden werden.
1.4.4 V.20–26: Anklage 20 Wozu gibt er dem Mühebeladenen Licht und Leben den Erbitterten? 21 Die auf den Tod warten – aber er (ist) nicht da! – und die nach ihm graben mehr als nach (versteckten) Schätzen, 22 die sich freuen würden bis zum Jubel, frohlocken würden, wenn sie ein Grab fänden! 23 (Wozu) dem kräftigen, jungen Mann, dem sein Weg verborgen ist und den Gott ringsum einsperrte? 24 Denn vor meiner Speise kommt mein Stöhnen und es ergossen sich wie Wasser meine Schreie. 25 Denn Fürchterliches fürchtete ich – da überkam es mich, und wovor ich bangte, (das) kommt zu mir! 26 Nicht komme ich zur Ruhe und nicht bin ich ruhig, ich kann keine Ruhe finden, sondern es kam Toben.
In der letzten Strophe von Hi 3 kehrt Hiob zu seiner leiderfüllten Existenz zurück und nähert sich Gott und dem Psalmengebet weiter an. V.20 fungiert wie die Anfangsverse der ersten und zweiten Strophe als Überschrift, die das Thema des Abschnitts exponiert. V.20–26 lässt sich in zwei Teile unterteilen: In V.20–23 wendet der Protagonist seine vorangegangenen Klagen zur Frage nach Gott und zur Gott-Klage. In V.24–26 entfaltet er seine Not in einer IchKlage, die mit zwei =?-Sätzen weitere Gründe für seine Verzweiflung und seine Sehnsucht nach Entlastung benennt. Die dritte Strophe von Hi 3 lässt sich wie folgt gliedern:
144 *
Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
V.20: Frage nach Gott V.20–23: Gott-Klage V.24–26: Ich-Klage *
*
1.4.4.1 V.20–23: Gott-Klage Die letzte Strophe von Hi 3 beginnt mit einer tiefen Frage nach Gott. Hiob stellt wie bereits in V.11 eine 8B@-Frage. Er spricht JHWH zwar nicht in der zweiten Person an, doch die verwendete finite Verbform CN= („er gibt“) lässt implizit erkennen, dass er von einem „er“ spricht. Als Subjekt kommt nur Gott infrage, da er Herr über Leben und Tod ist (vgl. Dtn 32,39; 1Sam 2,6 f und Jes 45,7). Hiob fragt in V.20: 20 Wozu gibt er dem Mühebeladenen Licht und Leben den Erbitterten?
In V.20a spricht er singularisch vom Mühebeladenen (@BF) und in V.20b pluralisch und verallgemeinernd von den Erbitterten. Obgleich Hiob auch das allgemein-menschliche Problem des Leidens thematisiert, liegt der Fokus seiner Aussage doch auf seiner persönlichen Not515, da er in V.10 erwähnt, dass Gott ihn ins Leben rief und er jetzt @BF („Mühsal“) sehen muss, d. h. mühebeladen ist. In V.20b spricht er wörtlich von „den an (der) M1HD Bitteren“. M1HD bezeichnet zum einen die Kehle als Organ, durch die alles Lebenswichtige wie Essen und Atemluft in den Körper eintritt.516 Zum anderen beschreibt dieses Nomen als Zentralbegriff alttestamentlicher Anthropologie das vitalisierte Ganze eines Menschen: „næpæsˇ will zusammengesehen werden mit der gesamten Gestalt des Menschen und insbesondere mit seinem Atem; dabei hat der Mensch nicht næpæsˇ, sondern er ist næpæsˇ, er lebt als næpæsˇ.“517
Hiobs Leben besteht nur noch aus Mühsal und Leid, das seine M1HD betrübt und bitter macht. Sie sehnt sich danach, so nicht leben zu müssen. Dennoch stellt er fest, dass JHWH ihn nicht sterben lässt, sondern ihm Licht und Leben, aber kein Leben im Vollsinne, d. h. ein Leben in Fülle und Gottesnähe (vgl. II. 1), gibt. Im Gegenteil: Gott lässt seine von @BF gekennzeichnete Existenz auf nicht absehbare Zeit weitergehen. Der Protagonist muss ein Leben führen, das schlimmer ist als der Tod. Da er vor dem unverständlichen Sachverhalt seines Lebens steht, fragt er sowohl, mit welcher Absicht Gott ihn ein solches Leben führen lässt (8B@), als auch – auf einer allgemeineren Ebene – nach dem Sinn des leiderfüllten und qualvollen Lebens. V.20 ist also als Klage und Sinnfrage nach dem „inten515 Vgl. Ha, Frage, 83 f. 516 Vgl. Seebaß, Art. M1HD, 538. Vgl. ferner Wolff, Anthropologie, 34–38. 517 Wolff, Anthropologie, 33. Vgl. ferner Janowski, Konfliktgespräche, 8.
Hi 3 als Ernstfall der (gestörten) Gottesbeziehung
145
dierten Ziel“518 des Handelns Gottes angesichts des Leidens im Leben zu verstehen. Analysiert man Hi 3,20 und die Rede von Licht und Leben vor dem Hintergrund der Psalmen, wird deutlich, dass Hiob darüber hinaus nach einem Gottesbild fragt, das auch unter den Bedingungen seiner Existenz gelten kann. In den Psalmen werden Licht und Leben und Finsternis und Tod äquivalent gebraucht.519 Ps 18,29 beschreibt mithilfe von Lichtmetaphorik das erfüllte Leben: 29 Denn du lässt leuchten (L94 hi.) meine Lampe, JHWH, mein Gott, erhellt meine Finsternis (=?M1;).
Der Beter aus Ps 27,1 verwendet „Licht“ als Gottesepitheton: 1
JHWH – mein Licht (=L94) und meine Rettung, vor wem sollte ich mich fürchten?
Der Sprecher aus Ps 30,4 bekennt, dass Gott ihn aus der Finsternis zurück ins Leben geholt, d. h. ihn gerettet, hat: 4
JHWH, du hast heraufgeholt aus (der) Scheol mein Leben (=M1HD), du hast mich zum Leben gebracht aus denen, die (in) eine Zisterne hinabsteigen520.
Anders als diese drei Beter macht Hiob die Erfahrung, dass Gott ihn nicht zum Leben errettet, sondern ihm ein Leben gibt, das voller Qual ist. Er nimmt JHWH nicht als sein Licht und seine Rettung wahr. Folglich fragt er nicht nur nach dem Sinn des Handelns Gottes, sondern auch tiefer nach dem Gott, der ihm fremd geworden ist und den er nicht mehr wiedererkennt. Die verwendete Psalmensprache zeigt, dass alle Gottesbilder zerbrechen, mit denen er versucht, sein Leid zu bewältigen. Auch die der Psalmen tragen nicht mehr. Er fragt letztlich danach, welches Gottesbild angesichts seines Leidens überhaupt noch möglich ist. Hi 3,20 kann daher zugleich als Klage, Anklage Gottes und Frage nach Gott gedeutet werden. In V.21 führt Hiob das Schicksal der Erbitterten weiter aus: Sie warten (8?; pi.) vergeblich auf den Tod, der sie aus ihrem Leid erlösen würde. Er verwendet das Verbum 8?; pi. im Partizip, das keiner Zeitstufe unterliegt, und bringt somit zum Ausdruck, dass die Existenz der Erbitterten dauerhaft davon gekennzeichnet ist, auf den Tod zu warten. In den Psalmen dagegen ist 8?; pi. häufig mit Gott als Objekt belegt. Zahlreiche Psalmenbeter warten auf Gott, d. h. setzen ihre Hoffnung auf ihn. Bspw. heißt es in Ps 33,20: 20 Unsere Seele (9DM1HD) wartet (8?; pi.) auf JHWH, unsere Hilfe und unser Schild (ist) er. 518 Michel, „Warum“, 16. Zur Partikel 8B@ vgl. Anm. 283. 519 Zu Licht und Finsternis im Alten Testament vgl. Anm. 211. 520 Zur Textkritik vgl. Anm. 38.
146
Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
Des Weiteren ist die Wurzel 8?; pi. mit @ oftmals mit einer Epiphanie JHWHs verbunden (vgl. Jes 8,17; 64,3 und Zef 3,8). So wie einige alttestamentliche Menschen auf die Erscheinung JHWHs warten und ihre Hoffnung auf ihn setzen, warten die Erbitterten auf den Tod. Aber selbst diese Hoffnung ist vergeblich, da Gott ihnen nach V.20 Licht und Leben statt den Tod schenkt. V.22 variiert V.21 und dessen Aussage ein wenig, indem er sich des Ausmaßes der Hoffnung und Sehnsucht der Elenden auf den Tod annimmt. Da der Tod nicht eintritt, wird ihre Sehnsucht immer größer. Sie würden sich über ihn freuen wie ein Habgieriger über verborgene Schätze, die er ausgräbt. Der Tod wäre für sie kostbarer als jeder Reichtum. Besonders aufschlussreich ist das Wortfeld des Jubelns und Freuens. Das Verbum @=6 („jubeln“) ist entweder mit Freude über JHWH oder dessen Rettungstaten (bspw. Ps 9,15; 13,6 und 35,9) oder mit Jubel über Gott und dessen Gegenwart im Tempel (Ps 43,4; 45,16 und 65,13) verbunden. Bspw. sagt der Beter aus Ps 13,6: 6
Mein Herz juble (@=6) über deine Rettung(-stat)!
Dieser Hintergrund von @=6 wird in V.22 abgerufen, aber kann unter den Bedingungen der Hiobexistenz nicht mehr gelten: In diesem Vers wird die Wurzel @=6 für Jubel verwendet, um Freude über den Tod auszudrücken. In V.23 erreicht nicht nur Hiobs Gott-Klage aus V.20–23, sondern auch seine gesamte Rede ihren Höhepunkt. Er führt seine Frage aus V.20 fort, verzichtet aber auf eine Fragepartikel (8B@) und ein Objekt (Licht und Leben). Stattdessen rückt er in V.23a mit dem Terminus L56 („kräftiger, junger Mann“) (vgl. V.3) seine Existenz in den Mittelpunkt und benennt in V.23b Gott als Urheber seines Leidens. Deutet man V.20 und 23 zusammen, dann fragt er: „Wozu gibt er Licht und Leben dem kräftigen, jungen Mann, dem sein Weg verborgen (LNE ni.) ist und den Gott ringsum einsperrte (ý!?E hi.)?“ Diese Frage kann als Kernaussage und Leitfrage des dritten Kapitels und des gesamten Hiobbuches betrachtet werden. Die verwendete Wegmetapher ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Zum einen erkennt Hiob, dass seine Lage aussichtslos ist. Gott hat aktiv seinen Weg verborgen (LNE ni.). Zum anderen formuliert er einen Selbstwiderspruch in Gottes Handeln: Einerseits gibt er ihm Licht und Leben (V.20), und andererseits verbirgt er ihm seinen Weg und sperrt ihn (ý!?E hi.) ein. Hiob nimmt sich als gequälten – und zwar als von Gott gequälten – Menschen und JHWH als einen Gott wahr, der Barrieren errichtet. Zum dritten zeigt Hi 3,23 eine Umkehrung des besonders in Ps 16 belegten Topos „Weg zum Leben“521. Der Weg zum Leben ist – wie Ps 16 und 73 zeigen – das Ziel der Psalmen. Janowski fasst treffend zusammen: 521 Zum Weg des Lebens vgl. Janowski, Konfliktgespräche, 342–346, und Liess, Weg, 223–247.
Hi 3 als Ernstfall der (gestörten) Gottesbeziehung
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„Den ,Weg zum Leben‘ zu suchen und dabei ganz auf die Gegenwart des lebendigen Gottes zu vertrauen, ist nach Ps 16 und Ps 73 das Ziel gläubiger Existenz im Unterschied zum Lebensentwurf der Fremdgötterverehrer (Ps 16,3 f) und der Frevler (Ps 73,2–12).“522
Bspw. sagt der Beter des Vertrauensliedes Ps 16 in V.11: 11 Du zeigst (F7= hi.) mir den Weg des Lebens (A==; ;L4): Sättigung mit Freuden (ist) in deinem Angesicht, Wonnen in deiner Rechten für immer.
Hiob hingegen erfährt, dass Gott seinen Weg aktiv verborgen hat. Anstelle von Gottes heilvoller Nähe und Sättigung mit Freunden erlebt er dessen bedrohliche Gegenwart, die ihn zur Klage veranlasst: Er spricht davon, dass Gott ihn ringsum einsperrt (ý!?E hi.). Das Verbum ý!?E hi. ist auch Ps 91,4 belegt. In diesem Vers ist es positiv konnotiert und beschreibt JHWHs rettende und heilvolle Nähe: 4
Mit seinen Schwingen umschirmt (ý!?E hi.) er dich, und unter seinen Flügeln birgst du dich. Schild und Schutzwehr (ist) seine Treue.
Hiob gebraucht diese Wurzel in V.23 im negativen Sinne und beschreibt JHWH und dessen Gegenwart nicht als schützend, sondern als bedrohlich und einengend. Diese Wahrnehmung der Präsenz JHWHs lässt nach Hiobs Verständnis von Gottesnähe fragen. Für die überwiegende Mehrheit der Psalmenbeter ist die Erfahrung der Nähe bzw. der gnädigen Zuwendung Gottes das Ziel des Betens.523 Weil Hiob über Gottes Gegenwart klagt, kommt Ha zu folgendem Schluss: „Sein Problem ist somit nicht die Gottesferne, sondern die Gottesnähe.“524 Diese Aussage muss vor dem Hintergrund theologischer Leiddeutung in den Psalmen modifiziert werden. In psalmistischen Gott-Klagen wird JHWHs Ferne als Kern aller erfahrenen Not verstanden. Gott entfernt den Menschen aktiv von sich, wie bspw. Ps 22,2 und Ps 88,7–9a illustrieren. In Ps 22,2 heißt es: 2
Mein Gott, mein Gott, wozu hast du mich verlassen, fern meiner Rettung (sind) die Worte meines Schreiens!
In Ps 88,7–9a klagt der Sprecher: 522 Janowski, Konfliktgespräche, 345. 523 Vgl. die geprägten Sachgehalte Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Zuwendung Gottes unter II. 1.1.2. 524 Ha, Frage, 85 f.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott 7
Du hast mich versetzt in (die) tiefe, unterste Zisterne, an finstere Orte, in (Meeres-)tiefen.
8
Auf mir hat gelastet dein Zorn, und alle deine Brecher – erniedrigt hast du (mich).
9
Du hast entfernt meine Vertrauten von mir, hast mich gesetzt zu Gräueln für sie.
Folglich erlebt der Beter JHWH – wie Christiane de Vos aufgezeigt hat – „in der Gott-Klage allerdings nicht nur als distanziert, sondern auch als nah, dann doch im negativen Sinn. Er kann Gott als gegen sich gerichtet, sozial isolierend, vernichtend, ja tötend, erfahren“525.
Für Hi 3,23 bedeutet dies, dass Hiob Gott als negativ und bedrohlich erfährt, was eine Folge dessen ist, dass JHWH ihn durch sein Leiden von sich entfernt hat. Wie Hi 3,10 und 3,20 zeigen, leidet der Protagonist darunter, dass Gott ihm fremd geworden ist und er ihn nicht mehr versteht. Er sehnt sich demnach nach dem Gott, den er einst kannte, der sich aber von ihm abwandte und sich ihm zugleich bedrohlich zuwendet. Hiob leidet also unter Gottesnähe und Gottesferne zugleich. Weil er sich nicht vorstellen kann, dass JHWHs Gegenwart heilvoll sein kann (vgl. Ps 16,11 und Ps 36,8–10), wünscht er sich Gottesferne (V.4.11–13.19). An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass ich, wenn ich im Folgenden von „bedrohlicher Gottesnähe“ spreche,– wie eben skizziert – darunter verstehe, dass Hiob unter Gottesnähe und Gottesferne zugleich leidet. Diese Deutung erklärt auch die Extreme, zwischen denen sich seine Gottesrelation in Hi 3 und in den folgenden Kapiteln bewegt: In Hi 3,19 bringt er seinen Wunsch nach Trennung von Gott zum Ausdruck, und in Hi 3,20 schreit er danach, diesen Gott zu verstehen. In Hi 10,20 äußert er eine paradoxe Bitte. Er wünscht sich, von Gottes bedrohlicher Gegenwart erlöst zu werden, wendet sich aber doch im Akt des Gebets an ihn und sagt: 20 Sind nicht (nur noch) ein wenig die Tage meiner Lebensdauer? Blick weg von mir, und ich will ein wenig heiter werden!526
Betrachtet man den weiteren Verlauf des Hiobbuches, so zeigt sich, dass die Wegmetapher für die Dynamik des gesamten Buches von Bedeutung ist: Verbindet man die Sentenz vom verborgenen Weg (ý!L7) aus V.23 mit Hiobs Ringen mit dem (Hi 3,11 f) und – in den folgenden Reden – um das (Hi 16,18–22 und 19,25–27) ihm an den Mutterbrüsten geschenkten, nun aber 525 De Vos, Klage, 226. 526 Zur Textkritik und Begründung der Übersetzung von Hi 10,20 sowie zur Einzelexegese von Hi 10,18–22 vgl. III. 2.4.
Hi 3 als Ernstfall der (gestörten) Gottesbeziehung
149
partiell abhanden gekommenen Gottvertrauen (Hi 3,11 f) und den Fragen nach Gottes Wesen (Hi 3,20.23), lässt sich Hi 3 mit Blick auf die Gesamtkomposition des Buches und das in Hi 42,1–6 geschilderte Vertrauensbekenntnis527 als Beginn des Weges Hiobs, der in Gottes heilvolle Nähe führt, verstehen. 1.4.4.2 V.24–26: Ich-Klage 24 Denn vor meiner Speise kommt mein Stöhnen und es ergossen sich wie Wasser meine Schreie. 25 Denn Fürchterliches fürchtete ich – da überkam es mich, und wovor ich bangte, (das) kommt zu mir! 26 Nicht komme ich zur Ruhe und nicht bin ich ruhig, ich kann keine Ruhe finden, sondern es kam Toben.
Im Anschluss an seine Gott-Klage schildert Hiob in V.24–26 seine aktuelle Not. V.24 und V.25 werden beide mit =? eingeleitet. Diese Verse benennen wie V.10 und V.20–23 Gründe für seinen Wunsch nach Rückgängigmachung seiner Existenz (V.3–19) und für seine Gott-Klage (V.20–23). In V.26 fasst der Protagonist seine gegenwärtige Lage zusammen. Hiob beginnt seine Ich-Klage in V.24a mit der Feststellung, dass er vor jeder Mahlzeit stöhnen (=N;D4, „mein Stöhnen“) muss. Noch bevor er sich um elementare Bedürfnisse wie Nahrungsaufnahme kümmern kann, nimmt er sein Leid wahr. Das Nomen 8;D4 („Stöhnen“) beschreibt die Reaktion von Trauernden oder Menschen, die unter körperlichen Schmerzen leiden (Hi 23,2; Ps 6,7; 31,11 und 38,10 u. ö.). Nach Ps 38,10 hört Gott das Stöhnen seiner leidenden Geschöpfe: 10 Herr, vor dir (ist) all mein Begehren, und mein Stöhnen (=N;D4) (ist) vor dir nicht verborgen.
Es ist also anzunehmen, dass der in V.23 explizit erwähnte Gott Hiobs Klage hört. In V.24b fährt der Protagonist metaphorisch mit der Schilderung seines Leidens vor JHWH fort. Er sagt, dass sich seine Schreie (=N64M1) ergossen wie Wasser. Die Wurzel 64M1 („schreien“) meint wörtlich das Brüllen eines Löwen (Ri 14,5; Hi 4,10; Ps 104,21 und Am 3,4.8), kann aber auch für menschliches Schreien verwendet werden. Bspw. sagt der Beter aus Ps 22,2: 2
Mein Gott, mein Gott, wozu hast du mich verlassen, fern meiner Rettung (sind) die Worte meines Schreiens (=N64M1)!
Hiob bringt mit seinem Vergleich zum Ausdruck, dass er so lang anhaltend und unaufhörlich, wie Wasser fließt, leidet und deswegen schreit. 527 Zur Einzelexegese von Hi 42,1–6 vgl. III. 4.3–4.3.3.
150
Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
In V.25 stellt er mit einem zweiten =?-Satz sehr vage fest, dass exakt das eintrat, wovor er sich fürchtete (7;H) und wovor ihm bangte (L6=). Wovor er genau Angst hatte, erwähnt er nicht. Diese Frage kann daher nicht mit Sicherheit geklärt werden. Die Verbindung der Verben „fürchten (7;H)“ und „bangen (L6=)“ mit dem Verb „kommen (495)“ verweist in die Nähe des TunErgehen-Zusammenhangs528 (vgl. Hi 4,5 und 30,26).529 In Hi 30,26 sagt Hiob rückblickend: 26 Denn Gutes (er-)hoffte ich, und es kam (495) Böses. Und ich harrte auf Licht, und es kam Dunkelheit.
Möglicherweise bringt er also in Hi 3,25 zum Ausdruck, dass er davor Angst hatte, dass Gott auf seine Gerechtigkeit (Hi 1,5) nicht entsprechend reagiert und er leiden muss. Genau diese Befürchtung trifft ein. Er, der von Reichtum und Gesundheit gesegnet war, erlebt das Gegenteil dessen, sodass er nur noch schreien kann. In V.26 schließt Hiob seine Ich-Klage ab. Er schildert mit drei iterativen Perfektformen530, dass er immer wieder von :6L („Toben“) heimgesucht wird und daher keine Ruhe finden kann (=N;D.4@9 und =NüKM1 4@9 ;=N9@M1 4@). Im Gegenteil: In V.10 und 20 hat er bereits darüber geklagt, dass sein Leben von Mühsal (@BF) gekennzeichnet ist. @BF bezeichnet das, was den Menschen von außen her belastet und niederdrückt531; :6L dagegen ist das, was „ihn innerlich umtreibt und zerreibt“532. Hiob leidet sowohl unter dem Verlust seines Reichtums, seiner Kinder und seiner Gesundheit als auch unter den Fragen, die sein Leid in Bezug auf sein Gottesbild und seinen Gottesglauben in ihm aufwirft. Betrachtet man die in V.26 verwendeten Verben, so wird deutlich, dass Hiobs gegenwärtige Situation seinem Wunsch in Hi 3,13 diametral entgegensteht. In beiden Versen werden die Wurzeln üKM1 („ruhig sein“) und ;9D („Ruhe haben“) verwendet. Statt der ersehnten Ruhe, die – wie in der Analyse von V.13 herausgearbeitet wurde – mit der (intakten) Beziehung zu JHWH zusammenhängt, erlebt Hiob völlige Ruhelosigkeit. Daher bricht er nach sieben Tagen das Schweigen, klagt und fragt indirekt nach dem Gott, der ihm nun fremd geworden ist (vgl. V.23).
528 Vgl. Anm. 6. 529 Vgl. Preuß, Art. 495, 542. Vgl. ferner die Belege der Wurzel 495 („kommen“) in Ps 35,8; 37,15 und 109,17, die einen Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen beschreiben. 530 Vgl. GKB, § 106k. 531 Vgl. Otzen, Art. @BF, 215–217. 532 Horst, BK.AT, 56.
Hi 3 als Ernstfall der (gestörten) Gottesbeziehung
151
1.4.4.3 Zusammenfassung Wie für die Feind-Klage in V.3–10 und die Ich-Klage in V.11–19 lässt sich auch für Hiobs Ich-Klage in Hi 3,24–26 festhalten, dass es sich bei diesen Versen letztlich auf indirektem Wege auch um eine Gott-Klage handelt, da JHWH Hiobs @BF („Mühsal“) und :6L („Toben“) verursacht.533 1.4.5 Zusammenfassung: Hi 3 ist kein Gebet, aber auf dem Weg dazu, eines zu werden Versucht man abschließend Hi 3 zusammenzufassend zu deuten, hat man auf den ersten Blick einen der „dunkelsten Texte der ganzen Bibel“534 vor sich. Es fällt auf, dass von Gott nur höchst indirekt in V.4.20.23 die Rede ist. Hiob spricht ihn nicht wie die Beter in den Psalmen direkt an und richtet keine Bitten an ihn. Stattdessen wünscht er sich, seine Existenz rückgängig zu machen. Außerdem klagt er in der dritten Person darüber, dass JHWH ihm ein qualvolles Leben gebe und ihm den Weg versperre. Im Unterschied zu den Psalmen thematisiert die erste Strophe von Hi 3 (V.3–10) Finsternis statt Licht, die zweite Nichtexistenz statt Leben (Hi 3,11–19) und die dritte Klage statt Lob (V.20–26). Besonders auffällig ist, dass Hiob in Hi 3 anders als die Mehrzahl der Psalmenbeter die Nähe Gottes als einengend und bedrohlich (V.23) empfindet und sich daher Gottesferne wünscht (V.19). Seine Gottesbeziehung ist gestört. Doch worin genau besteht diese Störung, die Heckl535 für Hi 3 festgestellt hat? Hiob ist aufgrund seines Leidens in seinem Vertrauen auf JHWH so sehr erschüttert, dass er zwar keinen totalen Vertrauensverlust erleidet, aber nur noch klagen kann und sich nicht mehr in der Lage sieht, Gott direkt anzusprechen und Bitten an ihn zu richten, die „das Herzstück der Gattung“536 des Klageliedes des Einzelnen darstellen. Er befindet sich in einer Situation, in der sein Gottesbild zerbrochen ist und ihm auch die Gottesbilder und Worte der Psalmen nicht mehr helfen. Daher eröffnet er den Dialog mit seinen Freunden in Kapitel 3 mit einem Text, der wegen der fehlenden Anrede und Bitten an Gott eigentlich kein (Klage-)Gebet537 mehr ist, aber – wie die verwendete 533 Vgl. dazu auch de Vos, Klage, 225: „Gott lässt die Not zu, darum ist auch die Ich-Klage letzten Endes Gott-Klage.“ 534 Gradl, NSK.AT, 78. 535 Vgl. Heckl, Hiob, 46. 536 Gunkel/Begrich, Einleitung, 218. 537 Heiler (Art. Gebet, 1209) versteht in seinem RGG3-Artikel „Gebet“ als „Hinwendung zu einem irgendwie persönlich vorgestellten höheren Wesen“. Ratschow (Art. Gebet, 31) hält in der TRE fest: „Das Gebet ist in allen Religionen als Ausdruck menschlicher Zuwendung zur Gottheit eigen. (…) Das Gebet kennzeichnet den Vorgang, in dem ein Mensch zu seinem Gott von sich
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
Sprache, die formalen538 Elemente und das Gefälle des Kapitels hin zur GottKlage und Anklage Gottes (Hi 3,20–26) zeigen – an der Grenze des Gebets operiert und auf dem Weg dazu ist, ein Gebet zu werden. Es handelt sich demnach bei Hi 3 um einen Text, der mit der Gottesbeziehung des Protagonisten ernst macht und schildert, wie dieser seinen Schmerz vor JHWH ausschüttet. Da Hiob Gott als Urheber seines Leidens (V.10.20.23) betrachtet, kann Hi 3 auch als große Gott-Klage bezeichnet werden.539 Des Weiteren fragt Hiob nach dem ihm fremd und unverständlich gewordenen Gott (Hi 3,20). Auf diese Weise lässt er den Gebetsfaden nicht abreißen, sondern pflegt seine persönliche Gottesrelation weiter. Hi 3 ist also nicht nur einer der „dunkelsten Texte der ganzen Bibel“540, sondern auch eine „direkte Reaktion auf extreme Grenzerfahrungen menschlicher Existenz“541 und kann daher als „Ernstfall der Gottesbeziehung“542 bezeichnet werden.
1.5 Hi 3 als Exposition der Dynamik des Hiobbuches Zum Ende der Analyse von Hi 3 möchte ich einen Ausblick geben und darlegen, inwiefern dieses Kapitel den Weg Hiobs zu seinem persönlichen Gott exponiert. Der wichtigste Vers von Kapitel 3 ist Hi 3,23, der Hiobs Eingangsklage zusammenfasst:
538 539 540 541 542
und den Seinen, von seiner und ihrer Not spricht.“ Außerdem geschieht es „im Gegenüber zu einem angesprochenen Wesen (…), von dem man alles erwartet, dessen man bedarf. Man kann sich beklagen bei ihm und auch bedanken, man kann es loben und ihm seine Sünden bekennen, zumal kann man ihm all das darlegen, dessen man bedarf. (…) Unter Gebet also verstehen wir die vornehmlich ,personhafte‘, dialogische Zuwendung eines Menschen zu seinem Gott (…)“ (Ratschow, Art. Gebet, 32). In den genannten, aus religionswissenschaftlicher Perspektive verfassten Definitionen wird Gebet als Kommunikation zwischen Mensch und Gott verstanden, was auch für das alttestamentliche Gebet zutreffend ist: „Auch im A. T. erscheint Jahwe als personhafte Gottheit, der man sich im Gebet zuwenden kann“ (Wagner, Sprechen, 4). Vgl. ferner auch Reventlow, Art. Gebet, 485: „Im AT ist das G. eine, häufig in poetischer Form, an Gott gerichtete Rede des Volkes/der Gemeinde, eines seiner Repräsentanten (König, Prophet, Vorbeter) oder eines individuellen Beters, die Lob und Klage, Bitte, Fürbitte und Dank vor Gott ausbreitet.“ Vgl. die Verwendung der Konjunktion =? (Hi 3,10.24 f) und die 8B@-Fragen (Hi 3,11.20) sowie III. 1.3. Hiobs Wunsch nach Rückgängigmachung seiner Existenz ist daher vor dem Hintergrund der begründenden =?-Sätze (Hi 3,10.24 f) zu verstehen. Gradl, NSK.AT, 78. Albertz, Art. Gebet, 35. Groß, Gottesnähe, 65.
Hi 3 als Ernstfall der (gestörten) Gottesbeziehung
153
23 (Wozu gibt er Licht und Leben) dem kräftigen, jungen Mann, dem sein Weg verborgen (LNE ni.) ist und den Gott ringsum einsperrte (ý!?E hi.)?
Im weiteren Verlauf des Buches setzt sich der Protagonist im Ringen mit Gott mit dieser Frage auseinander, wie die zahlreichen Verbindungen von Hi 3 mit den weiteren Hiobreden zeigen. Die drei wichtigsten Belegstellen sind Hi 3,5543; 3,10544 und 3,13545: • Hiob wünscht sich in Hi 3,5, dass Finsternis (ý!M1;) und Todesschatten
(N9B@J) seinen Tag auslösen (@46). In Hi 16,18–22 (vgl. III. 3.4) findet er zum Vertrauen auf JHWHs Eingreifen als Zeuge, Fürsprecher und Richter (Hi 16,18–22), obgleich er Todesschatten (N9B@J) auf seinen Wimpern hat (Hi 16,16), d. h. dem Tode nahe ist (vgl. III. 3.3). In Hi 19,25 (vgl. III. 3.6) bekennt er, dass Gott sein Löser (=@46) ist: 25 Ich aber weiß: Mein Löser (=@46) (ist) lebendig und als Letzter wird er sich auf dem Staub erheben.
• In Hi 3,10 nimmt der Protagonist das Faktum, dass JHWH ihn ins Leben gerufen hat und er jetzt eine solch unwerte Existenz führen muss, als Mühsal vor seinen Augen (=D=FB @BF) wahr. Im weiteren Verlauf des Buches geht er jedoch in Hi 19,27 davon aus, dass seine Augen Gott – in der diesseitigen Zukunft – gesehen haben werden (94L =D=F9), und in Hi 42,5 (vgl. III. 4.3.2) sagt er zu Gott, dass sein Auge ihn gesehen habe (ý)N4L =D=DF). • In Hi 3,13 sehnt Hiob sich nach Ruhe und Entlastung von seinem Leiden. Er wünscht sich, für sich zu ruhen (=@ ;9D=) (Hi 3,13). In Hi 19,27 wünscht er sich dagegen, Gott für sich zu schauen ([email protected]:;4), d. h. er wünscht sich das in Hi 3,13–19 noch verneinte Leben in Gottes Nähe und intakter Beziehung zu ihm. Des Weiteren ist festzuhalten, dass Hi 3 mit Hiobs Sehnsucht nach Entlastung von seinem Leiden und mit seinem erschütterten Gottvertrauen zwei zentrale Themen exponiert hat, die in den folgenden Hiobreden mehrmals belegt sind. In Hi 3,11–13; 6,8–10; 7,13–15; 10,18–22 und 14,13–17 (III. 2–2.7) wird Hiobs Wunsch nach Entlastung und in Hi 6,4; 6,8–10; 16,7–17; 16,18–22; 19,2 und 19,25–27 (III. 3–3.7) sein erschüttertes Gottvertrauen aufgegriffen. Betrachtet man den weiteren Verlauf des Buches, zeigt sich folgende Entwicklung: Während Hiob in Hi 3 eine Klage formuliert, die kein Gebet, aber auf dem Weg dazu ist, eines zu werden, und sich Gottesferne (V.4.19) statt Gottesnähe wünscht, nähert er sich im weiteren Verlauf des Buches den Möglichkeiten des Psalmengebets langsam an. Sein Weg führt zu einer Normalisierung der Gebetssprache (vgl. die Bitte um das Gedenken Gottes in 543 Vgl. III. 1.4.2.1. 544 Vgl. III. 1.4.2.2. 545 Vgl. III. 1.4.3.2.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
Hi 7,7a546), zu Hoffnungs- und Vertrauensaussagen (Hi 16,18–22 und Hi 19,25–27) inmitten seines Leidens und zu einem Eingeständnis, Vertrauensbekenntnis und Lob JHWHs auf neuer Erkenntnisebene nach erfahrener Gottesschau (Hi 42,1–6). Am Ende seines langen Weges könnte der Protagonist wie zahlreiche Psalmenbeter sagen, dass JHWHs Nähe heilvoll ist und tröstet (Ps 23,4).547 Doch bis dahin ist es ein weiter Weg. Seine Eingangsklage in Hi 3 markiert den Beginn des langen Leidens- und Erkenntnisweges aus der Finsternis ins Licht bzw. ins Leben und zu seinem persönlichen Gott. Insofern zeigt sich, dass Kapitel 3 die Dynamik des gesamten Buches exponiert. Diese ist mit der Bewegung der Klagelieder des Einzelnen von der Klage hin zum Lob vergleichbar. Das, was die Psalmen mit dem sog. Stimmungsumschwung548 zeitlich gerafft und literarisch verdichtet darstellen, lässt das Hiobbuch seinen Protagonisten erringen, setzt dabei jedoch auch eigene Akzente, die ich im Folgenden herausarbeiten werde. Der Weg Hiobs führt – psalmentheologisch gesprochen – vom Tod mitten im Leben549 am Ende des Prologs und im Dialogteil über die Hoffnung bzw. Gewissheit einer Gottesschau (vergleichbar mit einem Vertrauensbekenntnis und einer Gewissheit über eine noch ausstehende Rettungstat Gottes im Sinne eines antizipierten Faktums) in Hi 19 sowie über die Bitte um eine Antwort Gottes (Hi 31,35) und die erfahrene Gottesschau (Hi 38,1–41,26; vergleichbar mit einem Rettungshandeln Gottes) hin zu einem Vertrauensbekenntnis in Hi 42,1–6 (vergleichbar mit einem Vertrauensbekenntnis nach erfahrener Antwort Gottes auf die Klagen und Bitten), das allerdings seine Besonderheiten aufweist, und zu einem Leben in Fülle und Gottesnähe in Hi 42,7–17.
2. Hiobs Suche nach Entlastung von der bedrohlichen Gottesnähe Im folgenden Unterkapitel untersuche ich, wie sich Hiobs in Kapitel 3 exponierte Sehnsucht nach Entlastung von seinem Leiden weiter entwickelt. Sein Wunsch nach Erleichterung ist in den Textabschnitten Hi 3,11–13; 6,8–10; 7,13–15; 10,18–22 und 14,13–17 belegt. In der alttestamentlichen Wissenschaft werden die genannten Passagen oftmals dem sog. Todeswunschmotiv zugeordnet, das Köhlmoos zufolge „das prägende Element in den Reden Hiobs“550 546 547 548 549
Hi 7,7a: „Gedenke, dass mein Leben ein Hauch (;9L) (ist)!“ Zur Einzelexegese von Hi 42,1–6 vgl. III. 4.3–4.3.3. Vgl. II. 2.4.3 und 2.4.3.1 sowie Anm. 325. Hiob erlebt Krankheit, soziale Isolation und eine Störung seines Gottesverhältnisses. Sein Selbst-, Welt- und Gottesbezug sind nicht mehr intakt und lassen ihn den Tod mitten im Leben (vgl. II. 1) erfahren. 550 Köhlmoos, Auge Gottes, 152. Ebenso Frevel, Todeswunsch, 25; Ha, Frage, 108, und Wanke, Praesentia Dei, 282, Anm. 836.
Hiobs Suche nach Entlastung von der bedrohlichen Gottesnähe
155
darstellt und in der Forschung – wie Frevel feststellt – als eigenständiges Motiv „weithin anerkannt“551 wird. Dieser Begriff ist m. E. problematisch und sollte daher durch einen treffenderen ersetzt werden. Irreführend ist bei der Rede vom Todeswunsch, dass dieser den genannten Texten nicht gerecht wird, da lediglich in Hi 6,8552 und Hi 7,15553 ein expliziter Wunsch zu sterben zu finden ist. In den weiteren Belegstellen herrschen dagegen andere Sehnsüchte vor, die von einer Deutung im Sinne des sog. Todeswunschmotivs verkannt werden. Eine präzisere Bezeichnung wäre „Hiobs Wunsch bzw. Suche nach Entlastung“554, da sich der Protagonist – wie die folgende Analyse zeigen wird – in all den genannten Texten nach einer Erleichterung555 von seinem von JHWH verursachten Leiden sowie dessen bedrohlicher Nähe556 sehnt und sich seine Vorstellung davon, was ihn entlasten würde, im Verlauf des Buches ändert.
2.1 Hi 3,11–13: Entlastung durch Nichtexistenz Ich beginne den Durchgang durch die Belege mit Hi 3,11–13. In der folgenden Übersetzung und in allen weiteren Übersetzungen der in III. 2.1–3.6 untersuchten Textpassagen habe ich diejenigen hebräischen Begriffe in Klammern abgedruckt, die nahelegen, dass geprägte Sachgehalte aus den Psalmen rezipiert werden. An dieser Stelle möchte ich auf die unter II. 1.4 dargelegten Tabellen hinweisen. Diese enthalten neben einer Auflistung der hebräischen Termini, die eine Aufnahme eines geprägten Sachgehalts wahrscheinlich machen, auch eine komprimierte Beschreibung dessen, welche geprägten 551 552 553 554
Frevel, Todeswunsch, 25. Vgl. III. 2.2. Vgl. III. 2.3. Obgleich Hiob sich weniger nach dem biologischen Tod an sich als vielmehr grundsätzlicher nach einer Entlastung von seinem Leiden sehnt, gilt es zu berücksichtigen, dass Hiob sich in Hi 6,8–10 und 7,13–15 diese Erleichterung in Gestalt des biologischen Todes wünscht, um seine Gottesbeziehung wiederherzustellen (Hi 6,8–10) und der bedrohlichen Gegenwart Gottes zu entkommen (Hi 7,13–15). 555 Vgl. auch die in Hi 6,10 verwendete Wurzel A;D (bzw. in diesem Vers das Substantiv 8B;D) und deren mit „Erleichterung“ verbundene Grundbedeutung (vgl. Jeremias, Reue Gottes, 16) sowie die Einzelexegese von Hi 6,8–10 unter III. 2.2. 556 Hiob leidet besonders unter der Gegenwart Gottes, die er bspw. als kriegerischen Angriff durch Pfeile (Hi 6,4), als Verfolgung durch Träume in der Nacht (Hi 7,13 f) und als pausenlose Überwachung (Hi 7,19 f) beschreibt. In der Forschung wird für diese Schilderungen der Gotteserfahrung des Protagonisten die Bezeichnung „Gottesverfolgungsmotiv“ (vgl. Ha, Frage, 121, und Janowski, Gerechtigkeit Gottes, 6) verwendet. Dies ist aus zwei Gründen problematisch: Zum einen ist die Wurzel G7L („verfolgen“) lediglich einmal mit JHWH als Subjekt belegt (Hi 13,25). Zum anderen verengt der Begriff „Gottesverfolgungsmotiv“ die Beschreibung der Gotteswahrnehmung Hiobs auf kriegerische Attacken, wohingegen der von mir vorgeschlagene Begriff der (bedrohlichen) Gottesnähe viel umfassender ist und auch das weitere feindliche Handeln JHWHs wie bspw. die in Hi 16,7–17 beschriebene Krankheit (V.8) und soziale Isolierung Hiobs (V.7 f) umfasst. Zu Hi 16,7–17 vgl. III. 3.3.
156
Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
Sachgehalte aus den Psalmen in den im Folgenden exegesierten Hiobtexten wie rezipiert werden. Ich empfehle, diese Übersichten ergänzend zu den nachfolgenden Einzelanalysen zu konsultieren. Doch nun zurück zu Hi 3,11–13. Hiob fragt angesichts seines Leidens: 11 Wozu starb (N9B) ich nicht vom Mutterschoß weg, kam aus dem Mutterleib heraus und kam (sofort) um (F96)? 12 Warum haben mich empfangen Knie und was (sollten mir) Brüste, dass ich saugte? 13 Denn jetzt läge ich da (5?M1) und wäre ruhig (üKM1), ich schliefe (CM1=), dann hätte ich Ruhe für mich (;9D).
Diese Verse habe ich bereits in der Exegese zu Hi 3 (vgl. III. 1.4.3–1.4.3.2557) eingehend untersucht. Daher möchte ich an dieser Stelle lediglich aufzeigen, wie das Hiobbuch geprägte Sachgehalte aus den Psalmen aufnimmt. Wäre Hiob nicht geboren oder direkt bei der Geburt gestorben (Verben N9B [„sterben“] und F96 [„umkommen“] in V.11), wäre er nicht mit seinem Leiden und auch nicht mit Gottes bedrohlicher Gegenwart konfrontiert. Im Gegenteil: Er hätte die in V.13 mit den vier Verben 5?M1 („liegen“), üKM1 („ruhig sein“), CM1= („schlafen“) und ;9D („Ruhe haben“) als positiv beschriebene Ruhe. Hi 3,11–13 verkehrt also – wie die Verben für „sterben“ N9B („sterben“) und F96 („umkommen“) und die positive Beschreibung des Seins im Totenreich mit vier Verben der Ruhe zeigen – die geprägten Sachgehalte Sehnsucht nach Gottesnähe558 und Bitte um Rettung aus dem Tod zum Leben559 in ihr Gegenteil und verhält sich somit traditionsverändernd560. Für Hi 3,11–13 und die verwendete traditionsgesättigte Psalmensprache lässt sich festhalten: Hiob schreit mit der Umkehr geprägter Sachgehalte aus den Psalmen seinen Schmerz heraus, hält zugleich kontrafaktisch an JHWH fest und versucht, innerhalb seiner persönlichen Gottesrelation zu bewältigen, was ihm widerfahren ist. Zum anderen bringt er eine tiefe Sehnsucht nach Entlastung von Gott und seinem Wirken vor, die er sich derzeit nur in Gestalt des nicht realisierbaren Wunsches, tot geboren worden zu sein, vorstellen kann.
557 558 559 560
Zur Begründung der Übersetzung vgl. III. 1.1. Vgl. II. 1.1.2. Vgl. II. 1.1.1. Zur Definition von „traditionskonform“ vgl. Anm. 174.
Hiobs Suche nach Entlastung von der bedrohlichen Gottesnähe
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2.2 Hi 6,8–10: Entlastung durch Erhörung der Bitte um den von Gott gewirkten Tod, d. h. eine Gebetserhörung Ich komme zur zweiten Belegstelle: Hi 6,8–10. Im Vorfeld der Auslegung möchte ich den Inhalt der vorgegangenen Verse zusammenfassen. Zu Beginn des sechsten Kapitels erklärt Hiob in V.2 f seine heftige Klage aus Kapitel 3 mit der Schwere seines Geschicks. In V.4 benennt er Gott erstmals direkt als Urheber seines Leidens. Mit Vergleichen aus der Tierwelt und der Kultur des Essens beschreibt er in V.5–7 seinen derzeitigen Mangel, der ihn dazu führt, wie ein Hunger leidendes Tier zu brüllen. Im Anschluss an diese Schilderung seines Leidens erbittet er in V.8–10 explizit den Tod von Gott, gebraucht jedoch keine Anrede in der zweiten Person Singular: 8
Oh, dass doch561 (CN=.=B) einträfe562 meine Bitte (=N@4M1) und meine Hoffnung (=N9KN) gäbe Gott!
9
Und (mir) gewährte Gott und mich zermalmte, seine Hand frei ließe und mich abschnitte!
10 Und (dies)563 wäre noch mein Trost (=NB;D). und ich wollte564 hüpfen565 in schonungslosem Schmerz. Denn ich habe nicht versteckt die Worte des Heiligen.
Hiob wünscht sich (vgl. die Wunschformel CN=.=B), dass Gott ihm seine Bitte (=N@4M1) gewährte (@4= hi.), d. h. ihn tötete (V.8 f). Den von Gott gewirkten Tod bezeichnet er im positiven Sinne als seine Hoffnung (=N9KN). Für ihn wäre der Tod ein rettendes Eingreifen und eine Zuwendung Gottes, so wie es für viele Psalmenbeter eine Rettung aus dem Tod zum Leben und die Erfahrung der Nähe Gottes, nach der sie sich sehnen, und die Zuwendung seines Blickes (vgl. Ps 13,4) wären. Das Hiobbuch verkehrt demnach in Hi 6,8–10 – wie die Wunschformel CN=.=B, die positive Beschreibung des Todes als „meine Hoffnung (=N9KN)“ und die Bezeichnung des Wunsches zu sterben als „Bitte 561 Wiedergabe der Wunschformel CN=.=B mit „Oh, dass doch“. Wörtlich wird dieser Wunsch als Frage formuliert: „Wer gibt?“. 562 Wörtlich: „komme“. 563 Der von mir eingefügte Zusatz „dies“ dient dazu, den Anschluss zu V.8 f im Deutschen herzustellen und zu zeigen, dass der von Gott gewirkte Tod Hiobs Trost wäre. 564 Ich übersetze die hebräischen Imperfekta mit Konjunktiven (vgl. GKB, § 107x), um die Irrealität dieses Versteils zum Ausdruck zu bringen. Denn erst wenn Gott Hiob den Tod gewährte, wäre es ihm ein Trost usw. 565 In Gesenius18 (888) findet sich als erste Übersetzungsmöglichkeit für das hapax legomenon 7@E pi. „hüpfen, springen“. In Klammern wird „vor Freude“ eingefügt. Als zweite Variante wird „zurückzucken“ angegeben. Die LXX übersetzt 7@E pi. mit Bkkºlgm, dem Imperfekt Medium von ûkkolai („springen“, „hüpfen“), ohne die Erwähnung von Freude. Die Bedeutung „zucken“ ist laut Gemoll (35) für ûkkolai nur im Zusammenhang mit der Rede von Körperteilen belegt. Daher ist 7@E pi. schlicht mit „hüpfen“ wiederzugeben.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
(8@4M1)“ illustrieren – die geprägten Sachgehalte Ringen mit Gott um das Leben angesichts von Todesbefallenheit und Bitte um Rettung aus dem Tod zum Leben566 sowie Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Zuwendung Gottes567 in ihr Gegenteil und verhält sich somit traditionsverändernd. Für das Verständnis des Wunsches Hiobs nach Entlastung in Kapitel 6 ist die Art des ersehnten Todes von Bedeutung: Er möchte zermalmt werden (4?7 pi.), da er wegen der in V.4 beschriebenen feindlichen Attacken Gottes keinen anderen Ausweg sieht. Doch im Unterschied zu Kapitel 3 möchte er nicht mehr einfach nur nicht existieren, sondern wünscht sich nun den Tod durch die Hand JHWHs, der ihm damit seine Bitte gewähren würde (@4= hi.). Bei der Wurzel @4= hi. handelt es sich um ein Verbum, das je nach Kontext anders übersetzt werden muss. Es kann im HifCil einen Anfang unter erschwerten Bedingungen, etwas in Angriff nehmen, sich entschließen etwas zu tun, oder auch „gefallen“ bedeuten, jedoch eher im widerwilligen und gewährenden Sinne.568 Der widerwillige Aspekt ist in Hi 6,9 von Bedeutung. Hiob kommt in diesem Vers als liminaler Mensch in den Blick, der an der Schwelle des Todes steht, aber von Gott nicht in die in Hi 3,13–19 beschriebene Ruhe des Todes gelassen wird – es sei denn, er gewährt (@4= hi.) ihm seine Bitte und zermalmt ihn (4?7 pi.). Der Wunsch, von JHWH zerschlagen zu werden, ist für das Verständnis der Gottesbeziehung des Protagonisten aufschlussreich. In Ps 72,4 und 89,11 steht 4?7 pi. für die Vernichtung feindlicher Mächte. In Ps 89,11 wird dieses Verbum für die Totalvernichtung Rahabs verwendet. Hiob fühlt sich also von Gott wie ein Feind behandelt und wünscht sich daher, wie ein solcher getötet zu werden (vgl. Ps 89,11). In V.9b führt Hiob seinen Todeswunsch weiter aus. Er sehnt sich danach, dass Gott seine Hand freilässt (LND hi.) und ihn abschneidet (FJ5 pi.). Mit dem Verbum LND hi. wird in den Psalmen eine befreiende Tat seitens des Königs (wie in Ps 105,20) oder vonseiten Gottes geschildert. In Ps 146,7 wird bspw. berichtet, dass Gott die Gefangenen freimacht. Hiob wünscht sich mit dem Verbum LND hi. demnach, dass Gott ihn befreit, und zwar durch das Freilassen seiner Hand569, mit der er ihn nach Hi 19,21 geschlagen hat.570 Des Weiteren möchte der Protagonist von Gott abgeschnitten werden (FJ5 pi.). Dieses Verbum ist ebenfalls im Hiskiapsalm belegt. In Jes 38,12 findet sich ein Vergleich mit einem Weber:
566 567 568 569
Vgl. II. 1.1.1. Vgl. II. 1.1.2. Vgl. Kapelrud, Art. @4=, 383 f. An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass die Hand im AT eigentlich ein Symbol für göttlichen Schutz und göttliche Rettung ist (vgl. dazu mit weiterführenden Literaturhinweisen Janowski, Konfliktgespräche, 49). 570 In V.9b findet sich eine Andeutung auf die in Hi 16,18–22 explizit geäußerte Aufforderung, Gott möge gegen Gott vorgehen. Zur Einzelexegese dieses Textes vgl. III. 3.4.
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12 Meine Wohnung ist abgebrochen und wurde von mir weggeführt571 wie ein Hirtenzelt572. Ich habe mein Leben zu Ende gewebt573 wie ein Weber; vom Kettgarn wird er mich losschneiden (FJ5 pi.). Vom Tag bis zur Nacht wirst du ein Ende mit mir machen!
Zusammenfassend lässt sich für den Todeswunsch in V.8 f festhalten, dass Hiob nicht infolge seiner körperlichen Gebrechen sterben möchte, sondern durch die Hand Gottes. In V.10 führt er aus, wie er den durch Gott gewirkten Tod wahrnehmen würde. Er wäre sein Trost (=NB;D). Die Wurzel A;D ist in den Psalmen häufig mit Gott verbunden. In Ps 23,4 ist von Gottes Stock (ü5M1) und Stab (NDFM1B), die trösten (A;D pi.), die Rede. Nach Ps 71,21 ist es Gott selbst, der tröstet (ebenfalls A;D pi.). Trost bedeutet nach alttestamentlichem Verständnis Erleichterung angesichts einer (vorangegangenen) seelischen Not.574 Sein seelisches Leiden beschreibt Hiob in Hi 6,2 mit dem Nomen 2MF? („Kummer“, „Gram“). In V.4575 benennt er Gott als dessen Ursache. Mit Kriegs- und Feindmetaphorik beschreibt er, dass die Pfeile Gottes mit ihm sind (=7BF): 4
Denn die Pfeile Sˇaddajs (sind) mit mir (=7BF), deren Gift trinkt mein Geist (=;9L). Die Schrecknisse Gottes treten vor mir an.
Der Protagonist gebraucht in Hi 6,4 den Gottesnamen Sˇaddaj, der für die Zugewandtheit Gottes steht und ihn als „personales Gegenüber des Menschen“576 beschreibt. Ebenfalls belegt ist er in Hi 29,5. In diesem Vers blickt Hiob auf seine Vergangenheit zurück und sagt: 5
als Sˇaddaj noch mit mir (=7BF) (war), meine Knaben (=LFD) um mich herum (waren).
Besonders bedeutsam ist die suffigierte Präposition =7BF („mit mir“), die das Mitsein JHWHs beschreibt. In Hi 6,4 sind dagegen dessen Pfeile mit Hiob (ebenfalls mit =7BF formuliert). Anstelle des Mitseins Gottes erfährt er, dass Gott auf ihn schießt. Die Pfeile Sˇaddajs, also sein feindliches Handeln, sind immer mit ihm, d. h., Hiob hat nicht nur schmerzende körperliche Wunden, 571 In Jes 38,12 liegt eine Genusinkongruenz vor, die es nahelegt, statt 8@6D9 (3. Pers. Sg. f. Perfekt) zum maskulinen Nomen L97 („Wohnung“) passend @6D9 (3. Pers. Sg. m. Perfekt) zu lesen. 572 Im Anschluss an die Symmachus-Version, die Vulgata und die LXX ist A=FL („Hirten“) über =FL („mein Hirte“) zu präferieren, da „Hirtenzelt (A=FL @84)“ den allgemeinen Charakter des Vergleichs eher trifft als „Zelt meines Hirten (=FL @84)“. 573 Wörtlich: „zusammengewickelt (7HK pi.)“. Vor dem Hintergrund des Webervergleichs bietet sich die Übersetzung mit „weben“ an. 574 Vgl. Jeremias, Reue Gottes, 16. Zum Trost im AT vgl. II. 1.3.3. 575 Zur Einzelexegese von Hi 6,4 vgl. III. 3.1. 576 Niehr/Steins, Art. =7M1, 1097 (Steins).
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sondern diese Wunden erinnern ihn vielmehr immer daran, dass es sein Gott war, der einst mit ihm war, der sie ihm zugefügt hat. Die Gottesbezeichnung Sˇaddaj und die Präposition 7BF mit Suffix bringen die aus dem feindlichen Handeln Gottes resultierende seelische Not des Protagonisten zum Ausdruck. Angesichts seines Leidens unter Gott wünscht Hiob sich den Tod und bezeichnet diesen als Trost. Doch worin besteht die mit der Wurzel A;D verbundene Erleichterung im Tod? Aus dem Vergleich von Hi 6,4 und Hi 29,5 geht hervor, dass er seinen Gott nicht mehr versteht. Ferner ist zu beachten, dass der ersehnte Tod von JHWH kommen soll. Die Erleichterung, die ein von Gott gewirkter Tod Hiob verschaffen würde, bestünde darin, dass dieser als gnädige Erhörung seiner Bitte einträte. Würde Gott ihn töten, wüsste Hiob, dass er ihm treu wäre. Er würde die mit dem Gottestitel Sˇaddaj beschriebene Zugewandtheit Gottes erfahren und könnte folglich seine Gottesbeziehung als wiederhergestellt betrachten. In V.10b schildert Hiob, dass er im Fall der Erhörung seines Todeswunsches in seinem schonungslosen Schmerz (8@=;5) hüpfen (hapax legomenon 7@E pi.) würde. Die Erleichterung, die Hiob empfände, wenn Gott seine Bitte um den Tod erhörte, würde ihn nach V.10 so sehr entlasten, dass er seine Leiden vergessen könnte. Aus der Verwendung des hapax legomenon 7@E pi. geht daher zum einen hervor, dass Hiob weniger unter seinen körperlichen Schmerzen, sondern vielmehr unter dem in Hi 6,4 dargelegten unverständlichen Handeln Gottes leidet. Zum anderen bringt es zum Ausdruck, wie sehr ihn ein Eingreifen Gottes erleichtern würde. Zusammenfassend lässt sich für Hiobs Wunsch nach Entlastung in Hi 6,8–10 sagen: Besonders bedeutsam ist, dass er seinen Todeswunsch in V.8 als Bitte (8@4M1) bezeichnet. Dass Hiob sich überhaupt zu einer Bitte an den ihm grausam erscheinenden Gott – wenn auch ohne direkte Anrede – durchringt, zeigt, wie wichtig ihm sein Gottesverhältnis ist. Er will nicht mehr einfach nur nicht existieren wie noch in Hi 3, sondern möchte, da sich Nichtexistenz nicht herbeiführen lässt, den wegen seiner Krankheit unausweichlichen Tod577 durch seinen Gott. Des Weiteren lässt sich festhalten, dass Hiob dadurch, dass er bittet, nach Beziehung fragt. Denn es hängt von Gott ab, ob er ihm antwortet und ihm diese Bitte gewährt oder nicht. Sein Wunsch nach Entlastung wird demnach in Kapitel 6 um eine über Hi 3 hinausgehende Annäherung an JHWH erweitert: Er möchte nach wie vor nicht mehr existieren, allerdings nicht mehr, um Ruhe zu haben und um von Gott getrennt zu sein. Im Gegenteil: Er erbittet den Tod von JHWH, um seine Gottesbeziehung wiederherzustellen. Die Gewährung des Todeswunsches wäre für Hiob eine Gebetserhörung. Obgleich er derzeit 577 Anders Frevel (Todeswunsch, 39), der davon ausgeht, dass Hiob zu keinem Zeitpunkt den Tod als Alternative oder als Ausweg wahrnimmt, und den Wunsch zu sterben in Hi 6,8–10 und 7,15 als „rhetorisches Mittel im Kampf um das Leben und die Wiederherstellung der Gerechtigkeit“ (Frevel, Todeswunsch, 40) deutet.
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außer dem Tod keine andere Möglichkeit sieht, entlastet zu werden, zeichnet sich eine Veränderung in seiner Vorstellung von Erleichterung ab: Es geht ihm nicht mehr nur darum, von seinem Leiden erlöst zu werden, sondern auch um die Wiederherstellung seiner Gottesrelation. Daraus geht hervor, dass er auch unter seiner gestörten Gottesbeziehung leidet und erkennt, dass Nichtexistenz allein dieses Leiden nicht beseitigt.
2.3 Hi 7,13–15: Entlastung durch den Tod als ultima ratio angesichts der Verfolgung durch Gott Ab Hi 7 zeigt sich eine weitere Veränderung in Hiobs Suche nach Entlastung. Diese hängt mit einem Wechsel der Sprechrichtung und einer weiteren Annäherung an Gott zusammen. Hiob findet trotz seiner bedrängenden Situation zum „Du“ gegenüber Gott. Er spricht ihn in Kapitel 7 erstmals direkt an. In Hi 7,7a sagt er: 7
Gedenke, dass mein Leben ein Hauch (;9L) (ist)!
Infolge dieser Hinwendung zu JHWH verliert der Tod an Attraktivität. Er wird nicht mehr mit positiv konnotierten Begriffen wie Ruhe in Hi 3 oder Trost und Hoffnung in Hi 6 beschrieben. Er wird auch nicht mehr als wünschens- und erstrebenswerte Alternative wahrgenommen, wie die dritte Belegstelle Hi 7,13–15 zeigt: 13 Wenn ich sage578: Mein Bett wird mich trösten, meine Schlafstätte wird meine Klage mittragen579, 14 dann erschreckst (NN; pi.) du mich mit Träumen und schreckst mich (NF5 pi.) mit Nachtgesichtern auf. 15 Meine Kehle wollte lieber580 ersticken581, lieber (den) Tod (N9B) als meine Gebeine582.
In V.13 f schildert Hiob mit den Wurzeln NN; pi. („erschrecken“) und NF5 pi. („aufschrecken“), dass er sich ununterbrochen von Gott verfolgt fühlt. Er 578 Zum Perfekt consecutivum mit der Bedeutung eines frequentativen – auf einen Bedingungssatz mit =? folgenden – Nachsatzes vgl. GKB, § 112hh. 579 Übersetzung der Präposition 5 in Kombination mit dem Verbum 42MD („[er-]heben“, „tragen“) mit „mittragen“. 580 Wörtlich: „meine Kehle wählt (L;5)“ bzw. in Verbindung mit dem min comparativum „will lieber“. 581 Wörtlich: „Erstickung“. 582 Die von den Herausgebern der BHS vor dem Hintergrund von Hi 9,28 vorgeschlagene Konjektur zu =N95JFB („als meine Plagen“, „als meine Sorgen“) stützt sich auf keinerlei externe Evidenz. Daher ist die Lesart des MT =N9BJFB („als meine Gebeine“) als lectio difficilior beizubehalten. Zur Erläuterung dieser ungewöhnlichen Wendung vgl. die Einzelexegese.
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spricht im Perfekt consecutivum mit frequentativer Bedeutung583 von seinen qualvollen Nächten und bringt damit zum Ausdruck, dass es sich jede Nacht so verhält. V.14 zeigt, dass er nicht die Erfahrung des Beters aus Ps 41 macht. Dieser schildert in V.4, dass JHWH auf dem Krankenbett (=97 2MLF) stützend eingreift. Im Gegenteil: Hiob wird des Nachts auf seinem Bett584 (2MLF) von Gott mit Träumen (N9B@;) und Visionen (N9D=:;) heimgesucht und erschreckt (NF5 pi.). Angesichts dieser grausamen Gotteserfahrung sehnt er sich nicht nach Gottes Nähe und kann JHWH nicht wie andere Psalmenbeter um seine Zuwendung oder um Rettung aus dem Tod bitten. Er kann in V.15 nur noch seinen Todeswunsch (vgl. die Verwendung des Nomens N9B [„Tod“]) äußern. Entscheidend ist der mit einem Imperfekt consecutivum eingeleitete Anschluss von V.15 an V.14. Hiobs Verlangen ist somit eine Konsequenz aus seinem Leiden unter dem Wirken JHWHs.585 Er ist nicht mehr des Lebens an sich überdrüssig. Im Gegenteil: Er bittet nicht mehr darum, sterben zu dürfen, sondern hält in V.15 fest, dass ihm der Tod lieber wäre als seine Gebeine, d. h. sein von starken Schmerzen geprägtes Leben, das ihn zum Gerippe586 (vgl. Hi 19,20) werden ließ. Da sein Leben von der Verfolgung durch Gott geprägt ist, stellt der Tod die einzige Alternative dar. Der Todeswunsch wird zur ultima ratio, um von der Verfolgung durch Gott entlastet zu werden. Bezüglich der Rezeption geprägter Sachgehalte aus den Psalmen lässt sich für Hi 7,13–15 – wie die Schilderung der bedrohlichen Gottesgegenwart mit den Verben NN; pi. („erschrecken“) und NF5 pi. („aufschrecken“) und die Erwähnung des Todes in V.15 (N9B) nahelegen – festhalten, dass das Hiobbuch mit Hiobs Wunsch zu sterben, um Gottes bedrohlicher Gegenwart zu entkommen, die geprägten Sachgehalte Bitte um Rettung aus dem Tod zum Leben sowie Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Zuwendung Gottes in ihr Gegenteil verkehrt und sich somit an dieser Stelle traditionsverändernd verhält. 2.4 Hi 10,18–22: Entlastung durch eine Antwort Gottes und durch die Erhörung der Bitte um die Erlösung von Gottes bedrohlicher Gegenwart Ich wende mich nun der vierten Belegstelle zu: Hi 10,18–22. Diese steht am Ende der dritten Rede Hiobs (Hi 9–10). Für ein adäquates Verständnis dieser Verse soll zunächst der Kontext zusammengefasst werden. Ab V.2 spricht Hiob in Kapitel 10 direkt zu Gott (89@4.@4). Er bittet ihn darum, ihn nicht für schuldig zu erklären (FM1L hi.), ohne ihm mitzuteilen (F7= hi. Imperativ), 583 Vgl. Anm. 578. 584 Zum Bettmotiv vgl. ferner Ps 6. 585 Nach GKB, § 111, 1a drückt das Imperfekt mit waw consecutivum eine „zeitliche oder logische Folge von unmittelbar zuvor genannten Handlungen, Begebenheiten oder Zuständen“ aus. 586 Vgl. Dillmann, Hiob, 64. Clines (WBC, 157.165) übersetzt in diesem Sinne etwas freier mit „my existence“.
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weshalb er mit ihm einen Rechtsstreit führt (5=L). In V.3–7 sucht er mittels anklagender Fragen nach einem Grund für Gottes Verhalten. In V.8–12 beklagt Hiob das widersprüchliche Verhalten seines Schöpfers. In V.8a bekennt er, dass Gottes Hände ihn wie ein Kunstwerk gebildet (5JF pi.) haben. In V.8b sagt er jedoch, dass sein Schöpfer ihn verschlinge (587F@5 pi.). In V.9 klagt er Gott an, dass er ihn zu Staub zurückkehren lassen (59M1 hi.), d. h. töten, möchte. Aus diesem Vers geht hervor, dass Hiob nicht mehr sterben möchte. Im Gegenteil: Er beklagt einen Widerspruch in Gottes Handeln. Er nimmt ihn als Schöpfer wahr, der erschafft, um zu vernichten. Da er keinen Grund für das Verhalten JHWHs sieht, kommt er zu dem Schluss, dass dieser von Beginn an den Plan hatte, ihn wie einen Feind zu bekämpfen. Im Überleitungsvers V.13 sagt er, dass Gott sein Vorhaben in seinem Herzen (55@) versteckt (CHJ) habe. In V.14–17 beschreibt Hiob, wie er sich von Gott verfolgt fühlt: wie ein Löwe jage der nach ihm (V.16). Sogar ein Heer (45J) biete der gegen ihn auf (V.17). In der Schilderung der feindlichen Attacken JHWHs ist die Verwendung des Verbums 4@H hitp. („sich als wundersam588 erweisen“) in V.16 entscheidend. All die Angriffe sind so gestaltet, dass Gott sich als wundersam erweist, d. h., dass Hiob ihn nicht verstehen kann. Aus dieser Wurzel geht hervor, dass er bereit wäre, das grausame Verhalten Gottes zu ertragen, wenn es für ihn nachvollziehbar589 wäre. Im Anschluss an seine Klage und Anklage wegen JHWHs widersprüchlichen Verhaltens sagt er: 18 Aber wozu590 hast du mich aus dem Mutterschoß gezogen? Ich wäre umgekommen (F96) und kein Auge hätte mich gesehen. 19 Wie wenn ich nicht gewesen wäre, wäre ich, vom Mutterleib zum Grab getragen. 20 Sind nicht (nur noch) ein wenig die Tage meiner Lebensdauer591? Blick weg (8FM1 hi.)592 von mir, und ich will593 ein wenig heiter werden (86=@549)! 587 F@5 pi. („verschlingen“) ist ebenfalls in Hi 2,3 belegt. In diesem Vers wirft JHWH dem Satan vor, dass er ihn dazu gebracht habe, Hiob grundlos (AD;) zu verschlingen (F@5 pi.). 588 Vgl. Gesenius18, 1051. 589 Vgl. Groß, NEB.AT, 44. 590 Vgl. Anm. 283. 591 Im MT liegt eine grammatikalische Inkongruenz vor. Das Substantiv =B= („meine Tage“) steht im Plural und das darauffolgende Verb @7;= („ablassen“) in der 3. Pers. Sg. m. im Jussiv. Außerdem fehlt dem Verb ein Bezugsobjekt. Es wird nicht erwähnt, wovon Gott ablassen möge. Das Ketib @7,);!=û (3. Pers. Sg. m. Imperfekt von @7;, „er wird ablassen“) und das Qere @7) ;#9( (Imperativ Sg. von @7;, „und lass ab“) bereiten dieselben Schwierigkeiten. Die LXX (b wqºmor toO b¸ou lou, „die Zeit meines Lebens“) und die Peschitta (=7@; =B=, „Tage meiner Lebensdauer“) bieten eine überzeugende Lösung für den schwer verständlichen MT. Fohrer (KAT, 201) erklärt die Schreibweise des MTwie folgt: „Das letzte = des ersten Wortes (wurde, N. M.z.F.) vor dem zweiten fälschlich wiederholt und dessen =-Suff. vor das folgende Wort gezogen.“
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott 21 Bevor ich gehe und nicht zurückkehre (59M14 4@9 ý!@4) ins Land (der) Finsternis und (der) Todesschatten (N9B@J9 ý!M1; IL4), 22 (ins) Land (der) Finsternis wie die Dunkelheit (der) Todesschatten, (ins Land) ohne Ordnungen, (wo es auch, wenn) es hell wird, wie Dunkelheit (ist)594.
V.18 f greift in geringer Variation Hiobs mittels des Totgeburtmotivs geschilderten Wunsch nach Nichtexistenz aus Kapitel 3 auf. Im Unterschied zu Hi 3,11 wird das Verbum 4J= im kausativen HifCil anstatt im Qal gebraucht und Gott direkt angesprochen. Hiob wendet seine Ich-Klage zu einer „Du-Klage“ bzw. einer direkten Anklage an Gott. Er stellt seinem Schöpfer die Frage, wozu (8B@) er ihn aus dem Mutterschoß gezogen habe (4J= hi.). Aus der verwendeten Fragepartikel 8B@ geht hervor, dass er nach dem „intendierten Ziel“595 des unverständlichen Handelns Gottes fragt. Bezieht man die vorangegangenen Verse mit der Klage über den Widerspruch zwischen Gottes schöpferischem und zerstörerischem Handeln ein, zeigt sich zweierlei: Zum einen fragt er anders formuliert: Welchen Sinn hat es, dass ich lebe, wenn du mich jetzt so quälst? Zum anderen wird vor dem Hintergrund der Suche nach einem Motiv für das widersprüchliche Handeln Gottes in V.3–7 und der Verwendung des Verbums 4@H hitp. in V.16 deutlich, dass Hiob mit der 8B@-Frage nicht nur die Intensität seines Leidens beklagt, sondern auch nach einer Antwort verlangt. Dieser Wunsch nach einer Reaktion Gottes zeigt nicht nur eine über die bisherigen Kapitel hinausgehende Annäherung an Gott, sondern auch, dass eine Antwort JHWHs auf die Frage nach dem Grund seines Leidens Hiob Erleichterung verschaffen würde.
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Daher ist der Lesart der LXX und der Peschitta zu folgen. Ebenso entscheiden sich Budde, HK.AT, 51; Duhm, KHC 16, 60 f; Hesse, ZBK.AT, 81; Hölscher, HAT2, 28, und Horst, BK.AT, 139.142. Das Verbum N=M1 („setzen“, „legen“), auf das die Präposition =DBB („von mir“) folgt, kann nicht „ablassen“ bedeuten (vgl. Fohrer, KAT, 201). Dieses Verb und die Lesarten des Ketib N=M%1=) (3. Pers. Sg. m. Imperfekt von N=M1, „er wird setzen/legen“) und des Qere N=M%19! (Imperativ Sg. von N=M1, „und setz/leg“) passen daher nicht zu der in V.20 geäußerten und Ps 39,14 vergleichbaren Bitte um Gottesferne. In Ps 39,14 ist ebenfalls eine Bitte um Gottesferne mit dem Ziel, heiter zu werden (6@5 hi.), belegt: „Blicke weg von mir (8FM1 hi.) und ich will heiter werden (6@5 hi.), bevor ich (dahin-)gehe und nicht mehr bin!“ In diesem Vers wird anstelle der Wurzel N=M1 („setzen“, „legen“) das Verbum 8FM1 hi. („blicken“) verwendet. Zur Schreibweise des im MT belegten Imperativ von 8FM1 hi. vgl. Anm. 612. Die LXX übersetzt die Wurzel N=M1 in Hi 10,20 im Sinne von Ps 39,14 mit 5asºm le (Aorist Imperativ Sg. Aktiv von 1\y [„in Ruhe lassen“]). Folglich ist vor dem Hintergrund von Ps 39,14 der LXX zu folgen und anstelle der Wurzel N=M1 („setzen, legen“) das Verbum 8FM1 hi. („blicken“) zu lesen. Zur Übersetzung des Kohortativs 86=@549 mit „und ich will heiter werden“, vgl. die Einzelexegese. Wörtlich: „und es leuchtet(e) wie Dunkelheit (@H4)“. Michel, „Warum“, 16. Zur Partikel 8B@ vgl. Anm. 283.
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In V.18b und 19 malt der Protagonist aus, was wäre, wenn er direkt bei der Geburt gestorben wäre, d. h. wenn er nicht existieren würde. Er wäre umgekommen (F96), und kein Auge hätte ihn gesehen. Er wäre, wie wenn er nicht gewesen wäre, vom Mutterleib zum Grab getragen worden. Hi 10,18 f kehrt folglich – wie das Verbum F96 („umkommen“) zeigt – den geprägten Sachgehalt Bitte um Rettung aus dem Tod zum Leben um. An dieser Stelle stellt sich die Frage, welche Intention mit der Wiederaufnahme des Totgeburtmotivs aus Hi 3 verfolgt wird. In der Forschung ist die Meinung zu finden, dass Hiob damit sein Verlangen zu sterben zum Ausdruck bringe. So stellt bspw. Wanke fest, dass Hiob nichts anderes übrig bleibe, „als sich den Tod zu wünschen“596. Arthur Weiser bemerkt in einem ähnlichen Sinne, dass Hiob in Hi 10,18–22 „angesichts der qualvollen Sinnlosigkeit eines von Gott bedrohten Daseins den Tod als willkommene Erlösung aus aller Not“597 begrüße. Es ist also zu klären, ob sich der Protagonist wirklich zum jetzigen Zeitpunkt zu sterben wünscht oder ob er in Hi 10,18–22 vielmehr einen anderen Wunsch zum Ausdruck bringt. Bei der Beantwortung dieser Frage scheinen zwei Hinweise entscheidend zu sein: 1) das Todesbild in V.21 f und 2) die literarische Struktur von V.18–22. 1) Im Unterschied zu Kapitel 3598 und dem Lobpreis auf das Totenreich als Ort der Ruhe schildert Hi 10,21 f ein anderes Bild. V.21a beschreibt es mit der verbalen Kombination 59M14 4@9 ý!@4 („ich gehe und kehre nicht zurück“) als Ort ohne Rückkehrmöglichkeit599, V.21b als Land der Finsternis und Todesschatten (N9B@J9 ý!M1; IL4). V.22 enthält ebenfalls zahlreiche Termini für Finsternis. Ich möchte nun nicht versuchen, die einzelnen Nomen und Wendungen für Finsternis zu analysieren, sondern mit Hans Strauß die für die Frage nach Hiobs Wunsch relevante Gemeinsamkeit aller verwendeten Begriffe festhalten. Er bemerkt in seinem Aufsatz „Tod (Todeswunsch; ,Jenseits‘?)600 im Buch Hiob“: „Mit allen Einzelmotiven bzw. stehenden Metaphern, die V.21 f zur Kennzeichnung dieses Totenreiches zusammenkommen und die Israel in den entsprechenden Begriffsaequivalenten mit dem Alten Orient teilt, wird jedoch erneut einhellig (trotz Textunsicherheiten) deutlich, daß mit ,Finsternis‘ und (chaotischer) ,Ordnungslosigkeit‘ hier keine irgendwie eigenwertige Vorstellung von der @94M1, sondern eben ausschließlich die der Lebensverunmöglichung als verbindende Grundanschauung vorliegt.“601
Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass der Tod in V.21 f nicht als wünschens- und erstrebenswerte Alternative zu Hiobs gegenwärtiger Existenz beschrieben wird, sondern dass der Protagonist in diesen Versen eine Ver596 597 598 599 600 601
Wanke, Praesentia Dei, 166. Weiser, ATD, 81. Zur Einzelexegese der Vorstellung vom Totenreich in Hi 3,11–19 vgl. III. 1.4.3–1.4.3.5. Vgl. Hi 7,10 und 16,22. Vgl. Strauß, Tod. Strauß, Tod, 245.
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änderung in seiner Vorstellung von Entlastung zum Ausdruck bringt: Anders als in Hi 3 nimmt er das Sein im Totenreich nicht mehr als Ruhe (vgl. das Verbum ;9D [„Ruhe haben“] in Hi 3,13.17) , d. h. positiv, wahr, sondern sieht die Lebensverunmöglichung, die ein Sein im Totenreich mit sich bringt, als bedrohlich und furchterregend an. 2) Die literarische Struktur von Hi 10,18–22 lässt einen chiastischen Aufbau erkennen. V.18 f und V.22 haben die Nichtexistenz bzw. das Sein im Totenreich zum Thema. In der Mitte, in V.20 f, steht das Leben. In Hi 3; 6 und 7 dagegen wurde Hiobs Wunsch nach Nichtexistenz (Hi 3) bzw. zu sterben (Hi 6 und 7) in der Mitte der jeweiligen Kapitel geäußert. Die Struktur von Hi 10,18–22 zeigt somit, dass das Leben für Hiob ins Zentrum rückt.602 Aufgrund der Veränderung im Todesbild Hiobs und der Randposition, die das Totgeburtmotiv nun einnimmt, ist es in Hi 10 nicht als wirklicher Wunsch zu verstehen, jetzt zu sterben. Dafür spricht auch Hiobs Anklage aus V.9, dass Gott ihn zum Staub zurückkehren lassen, d. h. töten, möchte. Aber wie ist das Totgeburtmotiv bzw. der damit geschilderte Wunsch nach Nichtexistenz dann zu interpretieren? Vor dem Hintergrund der 8B@-Frage und der direkten Anrede in V.18a ist es zum einen als eine Umformulierung seiner Anklage Gottes, die jedoch auf eine Antwort abzielt603, zu deuten.604 Zum anderen ist es als Wiederholung des Wunsches Hiobs nach Entlastung zu verstehen, der jedoch eine Veränderung in seiner Gottesrelation und damit einhergehend in seiner Vorstellung von Erleichterung erkennen lässt. Nach wie vor wünscht sich Hiob Entlastung von seinem von JHWH verursachten Leiden und spricht daher von Nichtexistenz, wünscht sich jedoch anders als in Hi 3,11 in Hi 10,18 eine Antwort Gottes auf die Frage nach dem Sinn seines Lebens angesichts seines Leidens bzw. nach dem Grund seines Leidens (vgl. Hi 10,3–7.16). Daraus resultiert, dass eine Antwort Gottes ihm nun im Unterschied zu Hi 3,11–13605 Erleichterung verschaffen würde. Folglich kann das Totgeburtmotiv bzw. Hiobs mittels dieses ausgedrückter Wunsch nach Entlastung sowohl als Anklage Gottes als auch als Ringen mit JHWH um Erleichterung und um eine Antwort, die selbige verschaffen würde, verstanden werden. 602 Vgl. Wanke, Praesentia Dei, 165. 603 Vgl. Ha, Frage, 115. 604 Zu dieser These tritt auch die Bitte um Gottesferne in V.20 flankierend hinzu. Liest man diese zusammen mit Hiobs Klage über den Widerspruch zwischen Gottes schöpferischem und zerstörerischem Handeln in V.8–17, zeigt sich, dass diese wie der mit dem Totgeburtmotiv geschilderte Wunsch nach Nichtexistenz „auch in Bezug auf das Motiv vom Schöpfergott und seiner Nähe als eine Form der Anklage Gottes ausgesprochen wird“ (Ha, Frage, 114). 605 In Hi 3,11 f stellt Hiob Gott keine direkte Frage mit einer Anrede in der 2. Pers. Sg. Anders als in Hi 10,18 steht in diesen Versen nicht der Wunsch nach einer Antwort im Vordergrund, obgleich die verwendete Fragepartikel 8B@ (V.11) zeigt, dass Hiob nach Gott und dessen Intention fragt, sondern dass Hiob seinen Schmerz mit dem Wunsch, niemals existiert zu haben, um niemals mit seinem Leiden und Gottes bedrohlicher Nähe konfrontiert worden zu sein, herausschreit. Zu Hi 3,11 f vgl. III. 1.4.3 und 1.4.3.1.
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Worin über eine Gottesantwort hinaus für Hiob Entlastung zu finden wäre, schildert er in V.20: 20 Sind nicht (nur noch) ein wenig (üFB) die Tage meiner Lebensdauer? Blick weg (8FM1 hi.) von mir, und ich will ein wenig (üFB) heiter werden (6@5 hi.)!
Für die überwiegende Mehrheit der alttestamentlichen Beter war die Erfahrung der Abwesenheit Gottes äußerst bedrohlich. Daher sehnten sie sich nach Gottes Nähe und baten ihn um seine Zuwendung (vgl. bspw. Ps 13,4 und 27,9). Hiob hingegen bittet JHWH darum, dass er ihn seine letzten Tage ohne seine Gegenwart verbringen lassen möge. Seine Bitte um Gottesferne kehrt – wie das Verbum 8FM1 hi. („blicken“) nahelegt – die geprägten Sachgehalte Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Zuwendung Gottes um. Zu einem besseren Verständnis des paradoxen Verlangens des Protagonisten trägt Walter Groß’ Interpretation der bedrohlichen Gottesnähe als Gebetsmotiv bei. Er bemerkt, dass die Situation Hiobs mit der des Beters aus Psalm 39 vergleichbar ist. 2.4.1 Exkurs: Zum Verhältnis zwischen dem Hiobbuch und Ps 39 Obgleich ich in der vorliegenden Arbeit die Rezeption geprägter Sachgehalte aus den Psalmen im Hiobbuch mit einem traditionsgeschichtlichen Ansatz analysiere, möchte ich an dieser Stelle kurz auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Hiobbuch und Ps 39 eingehen. Wie bereits unter I. 2.3.2.6 dargelegt, gibt es Text-Text-Bezüge zwischen Hi 7 und Ps 39. Kynes und Schmid gehen davon, dass das Hiobbuch auf Ps 39 Bezug nimmt.606 Betrachtet man jedoch die Verse Hi 7,19.21b; 10,20 f und 14,6 sowie Ps 39,14, die sich jeweils mit den geprägten Sachgehalten Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Zuwendung Gottes auseinandersetzen607, erscheint es mir plausibel, anzunehmen, dass sich Ps 39 auf das Hiobbuch bezieht.608 In Hi 7,19.21b fragt Hiob angesichts Gottes bedrohlicher Nähe und seines bevorstehenden Todes: 19
Wie lange (noch) blickst (8FM1 q.) du nicht von mir weg, lässt mich nicht in Ruhe, bis ich meinen Speichel hinuntergeschluckt habe?
21b Denn jetzt lege ich mich in den Staub, du wirst mich suchen609 – und ich (werde) nicht (mehr sein) (=DD=49). 606 607 608 609
Vgl. Anm. 158. Vgl. die folgende Exegese zu Hi 10,18–22 und zu Ps 39 Anm. 613. Ebenso bereits Baethgen, HK.AT, 114. Mehrere Handschriften und Ausgaben des hebräischen Alten Testaments schlagen die Än-
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
In Hi 10,20 f bittet Hiob Gott explizit darum, ihn von seiner Gegenwart zu erlösen: 20 Blick weg (8FM1 hi.)610 von mir, und ich will ein wenig heiter werden (6@5 hi.)! 21 Bevor ich gehe (ý!@4 ALü5) und nicht zurückkehre ins Land (der) Finsternis und (der) Todesschatten.
In Hi 14,6 findet sich eine sentenzenhafte Verallgemeinerung der Bitte um Gottesferne, um leben zu können. Hiob sagt im Kontext seiner Klage über die menschliche Vergänglichkeit (Hi 14,1–6): 6
Blicke (8FM1 q.) weg von ihm und lass ab611, dass er Wohlgefallen haben kann wie ein Tagelöhner an seinem Tag.
In Ps 39,14 beendet der Beter sein Gebet mit folgenden Worten: 14 Blicke weg von mir (8FM1 hi.)612 und ich will heiter werden [6@5 hi.], bevor ich (dahin-)gehe (ý!@4 ALü5) und nicht mehr bin (=DD=49)!
In diesem Vers finden sich alle Verben und Wendungen, die in Hi 7,19 (8FM1).21b (=DD=49); 10,20 (8FM1 hi. und 6@5 hi.).21 (ý!@4 ALü5) und Hi 14,6 (8FM1 q.) gebraucht werden. Aus dieser Häufung geht m. E. zweierlei hervor: Zum einen wird deutlich, dass Ps 39 nicht nur dieselbe Auseinandersetzung mit der Tradition wie das Hiobbuch zeigt613, sondern auch als später Psalm614 das
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derung der Vokalisation zu L;M1 („Frühlicht“) vor. Aufgrund der geringen externen Evidenz ist am MT festzuhalten. Zur Textkritik vgl. Anm. 592. Eine Handschrift des hebräischen Alten Testaments liest anstelle des Jussivs des MT @7;=9 („und er möge ablassen“) den Imperativ @7;9 („und lass ab“). Da ein Jussiv nicht zu dem vorangegangenen Imperativ 9=@FB 8FM1 („blicke weg von ihm“) passt und außerdem bei einem Jussiv nicht klar ist, ob er sich auf Gott oder den Menschen bezieht, folge ich der varia lectio. Ebenso Fohrer, KAT, 235.239, und Hesse, ZBK.AT, 95. Anders Delitzsch, BC, 45, und Horst, BK.AT, 178.182. Im Unterschied zu Hi 10,20 (vgl. Anm. 591) kann an dieser Stelle das Verbum @7; („ablassen“) ohne Bezugsobjekt stehen, da bereits im vorangegangenen Imperativ mit der anschließenden suffigierten Präposition 9=@FB („von ihm“) erläutert wurde, von wem Gott ablassen möge. Der im MT belegte Imperativ hi. FM(18) ist irregulär gebildet und singulär, zählt jedoch zur Wurzel 8FM1 („blicken“) und nicht zur Wurzel FFM1 („bestreichen“, „verkleben“) (vgl. Leuenberger, Klagen, 302 f). Die von den Herausgebern der BHS vorgeschlagene Konjektur 8FúM!1 (regulär gebildeter Imperativ Qal von 8FM1) erübrigt sich daher. Vgl. dazu auch Stolz, Der 39. Psalm, 32 f: „Diese Erhörung der Klage, das herkömmliche ,Hinschauen‘ Gottes, hat für den Psalmisten natürlich auch an Wert verloren; es trägt nicht mehr. Das bisherige Offenbar-Sein Gottes vermag die Klage nicht zu beantworten, es kann daher auch nicht Gegenstand der Bitte sein. Die Verborgenheit Gottes, in der herkömmlichen Klage ein vorübergehendes Phänomen, das in der Erhörung erledigt ist, wird hier zum bleibenden Thema. Dabei wird Gott freilich gerade in seiner Verborgenheit als Herr und Schöpfer anerkannt; wieder ist die Parallele zur Hiob-Dichtung deutlich.“ Der Psalm wird in der Forschung überwiegend in das 5.–3. Jh. v. Chr. datiert (vgl. Hossfeld/
Hiobs Suche nach Entlastung von der bedrohlichen Gottesnähe
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Hiobbuch kennt615 und den dort geführten Diskurs in V.14 zusammenfasst. Zum anderen zeigt sich, dass der Hiobdiskurs in den Psalter eingewandert ist. Dieser Befund legt nahe, dass das Hiobbuch mit seiner weisheitlichen Traditionskritik (vgl. IV. 2.3.3) an einem breiteren Diskurs Anteil hatte und – was auch für traditionsgeschichtliche Fragestellungen relevant ist – Psalmen wie Ps 39 wohl in einem ähnlichen Kontext616 wie das Hiobbuch entstanden sind.617 Diese Erkenntnisse werfen neue Forschungsfragen auf, die teilweise in laufenden Dissertationsprojekten – wie dem von Margarethe Kelm618 – untersucht werden. – Ende des Exkurses Beiden erscheint ein Leben mit Gott derzeit unerträglich, aber auch eines ohne ihn unmöglich.619 Sie sind verzweifelt und befinden sich in einer Lage, in der ihnen „Gott, obgleich sie ihn zugleich suchen und um seine Hilfe anflehen, so ambivalent, rätselhaft, feindlich, niederdrückend geworden ist, daß sie zugleich nur in Gottesferne wenigstens ein kurzes, bescheidenes Leben zu fristen hoffen können“620.
Ferner hält er fest: „(Die Beter, N. M.z.F.) flehen Gott an, daß er sich zu ihren Gunsten von ihnen fernhalte, und zugleich hoffen sie auf seine Hilfe, und wiederum wäre auch sein Abseitsbleiben ja doch Erhörung ihres verzweifelten Aufschreis, denn weil er allzu nahe ist, müssen sie ja ihn selbst bitten, ihnen fern zu bleiben.“621 „In paradoxer Weise suchen diese Beter durch den Akt des Gebetes die Nähe Gottes und bitten doch explizit, von dieser Nähe verschont zu werden.“622
Auch Hiob sucht in V.18 durch die Anrede in der zweiten Person, d. h. durch den Akt des Gebets, die Nähe Gottes und wünscht sich eine Antwort. In V.20
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Zenger, NEB, 1, 247, und Kaiser, Psalm 39, 138). Leuenberger (Klagen, 307) datiert ihn genauer in die fortgeschrittene Perserzeit. Baethgen (HK.AT, 2/2, 111) hält den Psalm für jünger als das Hiobbuch, da V.14 Reminiszenzen an Hi 7,19; 10,20 f und 14,6 enthalte. Bereits Hupfeld (Psalmen, 563) hielt fest: „Das Gedicht (Ps 39, N. M.z.F.) hat nach Anlage und Gedanken große Ähnlichkeit mit dem Buch Hiob.“ Ferner bezeichnet Seybold (Psalmen, 162) Ps 39 als „Hiob-Psalm“. Vgl. dazu auch Leuenberger (Klagen, 306 f), der Ps 39 als „wahrscheinlich schulisch“ bezeichnet und „in einem Milieu weisheitlich beeinflusster Psalmentradition“ verortet. Zum Entstehungskontext des Hiobbuches vgl. IV. 2.3–2.3.3. Derzeit arbeitet Frau Margarethe Kelm aus Rostock in ihrem Promotionsvorhaben „Alttestamentliche Anthropologie der Psalmen am Beispiel von Ps 39“ u. a. an intertextuellen Bezügen zwischen Ps 39 und dem Hiobbuch. Außerdem untersucht sie weitere späte Texte des AT und vergleicht deren anthropologische Konzeptionen mit Ps 39, um zu beleuchten, wie die Frage nach Subjekt und Identität, nach dem Wesen des Menschen sowie seiner Stellung zu Gott, Mitmenschen und Umwelt in persisch-hellenistischer Zeit beantwortet worden sein könnte. Vgl. Groß, Gottesnähe, 74. Groß, Gottesnähe, 75. Groß, Gottesnähe, 75. Groß, Gottesnähe, 81.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
äußert er eine Bitte, bei der sich Inhalt und Vollzug des Gebets widersprechen. Angesichts der in V.8–17 geschilderten grausamen Gotteserfahrung bittet er seinen Schöpfer darum, ihn von dessen bedrohlicher Gegenwart zu erlösen. Er hofft also auf die Hilfe Gottes in Gestalt einer Gebetserhörung. Sollte Gott ihm seinen Wunsch erfüllen und wegblicken, würde Hiob nach V.20bb sagen: „Und ich will heiter werden (86=@549).“ Er würde demnach die Erhörung seiner Bitte um Gottesferne als Entlastung wahrnehmen. Deutet man Hi 10,20 im Vergleich mit Hiobs Todesbitte aus Hi 6,8–10 und gemeinsam mit Hi 10,18 f, so lässt sich erkennen: Hiob bittet Gott im Unterschied zu Kapitel 6 nun nicht mehr um den Tod, sondern darum, ihn von dessen qualvoller Nähe zu befreien, damit er leben kann. Er möchte also nicht mehr sterben, sondern entlastet und heiter werden.623 Die einzige Möglichkeit hierzu scheint ihm vor dem Hintergrund von Hi 10,18 eine Antwort Gottes und die Erhörung seiner Bitte um Gottesferne (V.20) zu sein. Diese auf den ersten Blick widersprüchlichen Auffassungen von Erleichterung zeigen die Extreme, zwischen denen sich Hiobs Gottesrelation bewegt: Auf der einen Seite wünscht er sich Gottes Nähe in Gestalt einer Antwort, und auf der anderen Seite sehnt er sich in Umkehrung der geprägten Sachgehalte Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Zuwendung Gottes nach Gottesferne, um die er Gott jedoch im Akt des Gebets, d. h. im Aufsuchen seiner Nähe, bittet. Hiob schwankt demnach zwischen Sehnsucht nach Gottesnähe und nach Gottesferne, da ihm Gottes Gegenwart derzeit bedrohlich erscheint (Hi 10,8–17) und er sich zugleich die in den Psalmen beschriebene heilvolle Nähe Gottes wünscht, diese jedoch nicht mit seiner derzeitigen Gotteserfahrung in Einklang bringen kann. Diese Ambivalenz steckt auch in der Verbform 86=@549, mit der Hiob seinen Wunsch, heiter zu werden, beschreibt. Der Kohortativ von 6@5 hi. wird in der Forschungsliteratur – wie bspw. von David J. A. Clines; August Dillmann; Fohrer, Franz Hesse; Köhlmoos und Wanke624 – häufig final mit „dass oder damit ich heiter werde“ wiedergegeben. Diese problematische Übersetzung wird dem selbstauffordernden Aspekt625 dieses Modus nicht gerecht und impliziert darüber hinaus, dass Gottesferne zu Heiterkeit führe. Doch dies ist gerade nicht der Fall. Im Gegenteil: 623 Wanke (Praesentia Dei, 168) charakterisiert Hiob in Hi 10,18–22 als „Kämpfer für das Leben“. Dies ist teilweise zutreffend. Die Randposition des Totgeburtmotivs und die Schilderung des Seins im Totenreich als furchteinflößend sowie Hiobs Wunsch, heiter zu werden, veranschaulichen, dass er leben möchte. Auf der anderen Seite zeigt seine Bitte um Gottesferne, dass er nicht um ein – nach alttestamentlichen Vorstellungen – Leben im Vollsinne, zu dem die Erfahrung der Nähe Gottes konstitutiv dazugehört (vgl. II. 1), kämpft, sondern eher darum, seine letzten Tage möglichst erträglich zu gestalten, d. h. um ein nach psalmentheologischem Denken vermindertes Leben. 624 Vgl. Clines, WBC, 216 („so that I may find a little comfort“); Dillmann, Hiob, 94, und Fohrer, KAT, 198 („daß ich ein wenig heiter werde“); Hesse, ZBK.AT, 81 („daß ich ein wenig aufatmen kann“); Köhlmoos, Auge Gottes, 204 („daß ich wieder ein bißchen fröhlich werde“), und Wanke, Praesentia Dei, 165 f („damit ich mich ein wenig erfreuen kann“). 625 Vgl. GKB, § 108, 1a.
Hiobs Suche nach Entlastung von der bedrohlichen Gottesnähe
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Mit dem Kohortativ bringt Hiob zum Ausdruck, dass er sich – sogar, wenn JHWH seine Bitte um die Befreiung von seiner Nähe erhören sollte – selbst auffordern müsste, heiter zu werden. Daher ist 86=@549 mit „und ich will heiter werden“ zu übersetzen. Aus der verwendeten Verbform geht daher zweierlei hervor: Zum einen wird deutlich, dass Hiob sich zwar Gottesferne wünscht, um leben zu können, da er sich derzeit keine andere Form der Entlastung vorstellen kann. Aber es eben nicht die Gottesabwesenheit an sich ist, die zu Heiterkeit führt, sondern eher die Hilfe Gottes in Gestalt einer Gebetserhörung. Doch auch im Fall der Erfüllung seines Wunsches könnte Hiob nur ein wenig (üFB) heiter werden. Folglich wird zum anderen eine Sehnsucht nach Gott evident, die nicht durch die Erhörung der Bitte um Gottesferne gestillt werden kann, sondern nur durch die Nähe Gottes. Für diese These spricht auch Groß’ Deutung. Da sich Akt und Inhalt der Bitten um Erlösung von der bedrohlichen Gottesgegenwart widersprechen626, zeigt sich Groß zufolge, „daß die Zurückweisung der Gottesnähe nicht durchgehalten werden kann; diese Nähe bleibt das letztliche Anliegen auch dieser Gebete.“627 Zusammenfassend lässt sich daher für die vierte Belegstelle des Wunsches Hiobs nach Entlastung festhalten: Hiob greift seinen Wunsch nach Nichtexistenz aus Hi 3 auf und konfrontiert Gott in direkter Anrede und mit einer 8B@-Frage mit dieser Sehnsucht und ringt zugleich mit ihm um eine Antwort, d. h. um eine Möglichkeit, Entlastung zu finden. Darüber hinaus kämpft er, wie aus V.20 hervorgeht, mit Gott nicht nur darum, entlastet zu werden, sondern auch darum, heiter zu werden. Er ringt demnach mit JHWH um einen modus vivendi.628 Bezüglich seiner Gottesrelation lassen das Verlangen nach einer Antwort Gottes in V.18 und der Kohortativ in V.20 erkennen, dass Hiob zwischen dem Wunsch nach Erlösung von Gottes bedrohlicher Nähe und der Sehnsucht nach dessen heilvoller Nähe schwankt. Vergleicht man Hi 10 mit den vorangegangenen Belegstellen des Wunsches nach Entlastung, wird deutlich, dass Hiob nun nicht mehr den Tod als Erleichterung (Hi 6 und 7) wahrnimmt, sondern eine Antwort Gottes und die Erhörung seiner Bitte um Gottesferne. In dieser Veränderung seiner Vorstellung von Entlastung zeigt sich eine zunehmende Annäherung an Gott. Bezüglich der Rezeption geprägter Sachgehalte aus den Psalmen lässt sich festhalten, dass Hi 10,18–22 – wie das Verb F96 („umkommen“), die Wurzel 8FM1 hi. („blicken“), die Bezeichnung des Totenreichs als Ort ohne Rückkehrmöglichkeit (59M14 4@9 ý!@4), die Unterweltstopik in V.21 (N9B@J9 ý!M1; IL4, „Land der Finsternis und Todesschatten“) und der mit „Leben“ verbundene Kohortativ 86=@549 („und ich will heiter werden“) illustrieren – sowohl als 626 Vgl. Groß, Gottesnähe, 81. 627 Groß, Gottesnähe, 81. 628 Vgl. dazu auch Zenger (Hossfeld/Zenger, NEB 1, 251), der den Hi 10,20 sehr ähnlichen Vers Ps 39,14 als Appell für einen „bescheidenen ,modus vivendi‘“ interpretiert.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
Umkehrung der geprägten Sachgehalte Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Zuwendung Gottes sowie Bitte um Rettung aus dem Tod zum Leben als auch als Fortbildung der geprägten Sachgehalte Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Rettung aus dem Tod zum Leben interpretiert werden kann. Auf der einen Seite wünscht sich Hiob das Gegenteil der Psalmenbeter: Er fragt seinen Schöpfer, wozu er ihn aus dem Mutterleib gezogen hat (V.18), und bittet ihn um Gottesferne (V.20). Daher kann das Hiobbuch an dieser Stelle als traditionsverändernd beschrieben werden. Auf der anderen Seite zeigt Hiobs paradoxe Bitte aus Hi 10,20, dass sich Sehnsucht nach Gottesnähe auch im Eingeständnis, dass ein Leben mit Gott unmöglich, eins ohne ihn jedoch undenkbar ist, manifestieren und die Bitte um Rettung aus dem Tod zum Leben auch eine Bitte um einen modus vivendi umfassen kann. Für Hi 10,18–22 lässt sich daher zusammenfassen, dass sich das Hiobbuch an dieser Stelle traditionsverändernd und -fortbildend629 verhält.
2.5 Hi 14,13–17: Entlastung durch die Wiederherstellung der Beziehung zu und Kommunikation mit Gott Ich widme mich nun der letzten Belegstelle: Hi 14,13–17. Im Vorfeld der Analyse dieser Verse skizziere ich zunächst den Kontext. In Hi 14,1–6 beklagt Hiob die zur conditio humana gehörende Hinfälligkeit, Begrenztheit und Vergänglichkeit des menschlichen Lebens. In V.7–12 vergleicht er die Hoffnung eines Baumes mit der des Menschen und kommt zu dem Schluss, dass ein Baum im Gegensatz zum Menschen Hoffnung hat. Denn auch, wenn ein Baum gefällt wird, sprießen wieder neue Triebe (V.7–9). Stirbt dagegen der Mensch, wacht er nach V.12 nicht mehr auf. Direkt auf diese Feststellung der Hoffnungslosigkeit folgt der Abschnitt V.13–17, der einen Wunsch nach Gottesnähe, eine Bitte und etwas Hoffnung erkennen lässt, wie ich in der folgenden Auslegung herausarbeiten werde. In V.18–22 wird Gott im Gegensatz dazu als Vernichter der menschlichen Hoffnung beschrieben. Die literarische Struktur von Kapitel 14 lässt somit erkennen, dass Hiobs Hoffnung im Zentrum steht, jedoch von der Hoffnungslosigkeit des menschlichen Lebens und dem menschenfeindlichen Handeln JHWHs umklammert wird. Dieser Aufbau des Kapitels zeigt, dass der Wunsch nach Gottesnähe in den Mittelpunkt des Lebens Hiobs rückt, aber nach wie vor mit seiner gegenwärtigen Gotteserfahrung in einem Spannungsverhältnis steht und wie die paradoxe Bitte aus Hi 10,20 die Extreme, zwischen denen sich seine Gottesbeziehung bewegt, zum Ausdruck bringt. Hi 14,13–17 kann wie folgt übersetzt werden: 13 Oh, dass du mich doch in der Scheol (@94M1) verborgen hieltest, mich verstecktest, bis dein Zorn sich wendet, 629 Zur Definition von „traditionsfortbildend“ vgl. Anm. 176.
Hiobs Suche nach Entlastung von der bedrohlichen Gottesnähe
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dass du mir eine bestimmte Frist setztest und (dann) meiner gedächtest (L?:)! 14 Wenn ein Mann stirbt, lebt er (dann wieder auf)? Alle Tage meines Kampfes630 würde ich ausharren, bis meine Befreiung käme. 15 Du würdest rufen (4LK), und ich würde dir antworten (8DF), nach dem Werk deiner Hände würdest du dich sehnen. 16 Ja, dann würdest du meine Schritte zählen, du würdest nicht über meine Verfehlung wachen, 17 versiegelt wäre im Beutel mein Verbrechen, und zugeklebt hättest du meine Verkehrtheit!
In diesem Textabschnitt äußert der Protagonist fünf Wünsche, die neben einer Veränderung in seiner Vorstellung von Entlastung und damit einhergehend in seiner Gottesrelation auch eine weitere Annäherung an JHWH erkennen lässt. In V.13a beschreibt Hiob seinen ersten Wunsch. Er sehnt er sich nach einem temporären Verborgensein vor Gottes Zorn (G4), da er sein Leiden, wie Hi 9,5631 illustriert, auf diesen zurückführt. In Hi 14 zeigt sich jedoch ein anderes Verständnis des göttlichen Zorns als in Kapitel 9. Während der G4 („Zorn“) in Hi 9,5632 in der Schilderung des destruktiven Handelns Gottes in der Natur als „grund-lose Urgewalt“633 charakterisiert wurde, erscheint er in Hi 14,13a dagegen wie bspw. in Ps 30 als zeitlich begrenztes Phänomen. In Ps 30,6 heißt es: 6
Denn einen Augenblick – in seinem Zorn (G4), ein Leben lang – in seinem Wohlgefallen, am Abend übernachtet Weinen, aber am Morgen: Jubel!
Diese Veränderung im Zornesverständnis Hiobs zeigt eine Wandlung seines Gottesbildes. Da das ersehnte Verborgensein im Totenreich (@94M1) stattfinden soll, wurde in der Forschung diskutiert, ob V.13a einen wirklichen Todes630 Vor dem Hintergrund der mit demselben Nomen in Hi 10,17 geschilderten Attacke Gottes gegen Hiob mit einem Heer (45J) gebe ich =45J mit „mein Kampf“ wieder. Ebenso übersetzt Wanke, Praesentia Dei, 190. 631 Hi 9,5: „Er versetzt Berge, ohne dass sie (es) erkennen, er, der sie umstürzt in seinem Zorn (G4).“ Als Motivation für Gottes Tun nennt Hiob in diesem Vers dessen Zorn (G4) und bringt damit „erstmalig eine Deutekategorie für Gottes Handeln“ (Köhlmoos, Auge Gottes, 208) und das Verhältnis zwischen Gott und der von ihm geschaffenen Welt vor (vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 208 f). 632 Vgl. Anm. 631. 633 Hesse, ZBK.AT, 82.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
wunsch des Protagonisten und eine Auferstehungshoffnung zum Ausdruck bringt. Nach meinem Dafürhalten ist dies nicht der Fall. Die Scheol ist an dieser Stelle nicht im wörtlichen Sinne als Totenreich zu verstehen, sondern symbolisch – mit der Arche Noah vergleichbar – als Schutzort vor dem göttlichen Zorn, wie die Rede vom „Verborgensein (LNE hi.)“ illustriert. Hesse bemerkt zur Scheolvorstellung in Hi 14,13 zutreffend: „Die Totenwelt spielt nur als geeignetes Versteck vor Gottes Zorn eine Rolle, nicht aber als Aufenthaltsort von Toten, denen nach einer bestimmten Frist ein erneutes Leben auf Erden oder gar an einem Ort der Seligen beschieden wäre.“634
V.13a beschreibt demnach kein Verlangen zu sterben und auch keine Auferstehungshoffnung635, sondern ausschließlich den Wunsch des vorübergehenden Verborgenseins vor Gottes Zorn. Aus dieser Sehnsucht geht zweierlei hervor: Zum einen wird deutlich, dass Hiob keine endgültige Gottesferne mehr möchte, sondern nur noch eine temporär andauernde. Zum anderen lässt das Verlangen, dass Gott ihn vor seinem eigenen Zorn verbergen möge, einen Vorverweis auf den in Hi 16,18–22636 thematisierten Gedanken, dass nur Gott gegen Gott eine Lösung herbeiführen kann, erkennen. V.13b schildert den zweiten Wunsch Hiobs. Er bittet Gott darum, ihm eine Frist zu setzen und dann seiner zu gedenken (L?:). Ps 8,5 beschreibt mit demselben Verb L?:, dass der Mensch durch das Gedenken Gottes zum Menschen wird: 5
Was (ist) (der) Mensch (M19D4), dass du seiner gedenkst (L?:) und der einzelne Mensch (A74.C5), dass du (fürsorglich) nach ihm siehst (6377KH)?
Deutet man Hi 14,13b vor dem Hintergrund von Ps 8,5, so zeigt sich, dass der Protagonist Gott mit dem Gebrauch dieser Wurzel dazu auffordert, ihn wieder zu einem Menschen und zu einem Gegenüber zu machen, da er ihn seither wie ein Objekt behandelte, wie aus Hi 6,4 und 7,20 hervorgeht. In Hi 6,4 sagt Hiob, dass JHWH mit Pfeilen auf ihn schieße. In Hi 7,20 fragt er Gott deshalb, wozu (8B@) er sich ihn zur Zielscheibe (F6HB) gesetzt habe. Betrachtet man die Belege des Verbums L?: mit Gott als Subjekt, wird ein 634 Hesse, ZBK.AT, 102. 635 Anders Mende, Auferstehungshoffnung im Ijobbuch, 12: „Im Gegenüber zur urgeschichtlichen (Schöpfung in Gen 3, N. M.z.F.) präsentiert der Ijobdichter eine endgeschichtliche, d. h. gleichfalls nicht historische Darstellung eines innergeschichtlichen Ereignisses, sondern die Wesensbestimmung der zukünftigen, von der Macht der Sünde (14,16b) und ihrer Folge, dem Gericht (14,13ab), befreiten, zu ihrem ursprünglichen Verhältnis mit Jahwe zurückgeführten (14,15) – d. h. vollendeten – Schöpfung. Es ist offenbar, daß der Ijobdichter damit jenen endeschatologischen (sic!) Heilszustand im Blick hat, wie ihn die oben beschriebene nachexilische Eschatologie erwartete.“ 636 Zur Einzelexegese von Hi 16,18–22 vgl. III. 3.4. 637 Zum Zusatz „fürsorglich“ vgl. Anm. 114.
Hiobs Suche nach Entlastung von der bedrohlichen Gottesnähe
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zweiter Aspekt des Gedenkens Gottes deutlich: Er erfüllt die Bitten der Betenden und greift rettend ein. Als Beispiel sei die Kinderlosigkeit Hannas (1Sam 1,11.19) erwähnt. JHWH gedenkt ihrer, d. h., er kommt ihr zur Hilfe und erfüllt ihr ihren sehnlichsten Wunsch nach einem Kind. Für die Hoffnung, dass Gott auch seiner gedenken, d. h. Hiob wieder zu seinem Gegenüber machen und zu seinen Gunsten handeln könnte, möchte er gerne ausharren, wie V.14 illustriert: 14 Wenn ein Mann stirbt, lebt er (dann wieder auf)? Alle Tage meines Kampfes würde ich ausharren, bis meine Befreiung käme.
V.15 schildert den dritten Wunsch Hiobs bzw. was geschehen würde, wenn alles so passierte, wie er es in V.13 f beschrieben hat. Damit ist dieser Vers besonders aufschlussreich für die Frage nach Hiobs Suche nach Entlastung und für das Verständnis seiner Gottesrelation. Der Protagonist sagt: 15 Du würdest rufen (4LK), und ich würde dir antworten (8DF), nach dem Werk deiner Hände würdest du dich sehnen.
V.15 lässt das Ziel Hiobs erkennen. Hiob wünscht sich, dass sich sein Schöpfer nach ihm sehnt und ihn ruft (4LK), d. h. die Kommunikation wiederherstellt. Das Wortpaar 4LK („rufen“) und 8DF („antworten“) beschreibt in Individualgebeten die Entsprechungsbeziehung zwischen den Kommunikationsgrößen JHWH und Beter638 und damit einhergehend ein intaktes Gottesverhältnis. Es ist jedoch festzuhalten, dass in den Psalmen der Beter zu JHWH ruft (4LK) und dieser seinem Geschöpf antwortet (8DF). So heißt es bspw. in Ps 3,5: 5
(Mit) meiner Stimme rufe (4LK) ich zu JHWH, und er antwortet mir (8DF) von seinem heiligen Berg.639
Die Verben 4LK und 8DF finden sich auch im Rückblick auf gewendete Not wie bspw. in Ps 120,1: 1
Zu JHWH rief (4LK) ich in meiner Not, und er antwortete (8DF) mir.
An diesem Punkt stellt sich die Frage, warum Hiob in Umkehrung der in den Psalmen belegten Rollenverteilung Gott dazu auffordert, ihn zu rufen (4LK). Zum einen zeigt er, dass es seines Erachtens nun an Gott liegt, auf ihn einzugehen und sich ihm zuzuwenden, da er ihm seine Sache dargelegt hat (vgl. Hi 5,8). Zum anderen formuliert er seine Sehnsucht nach Gottes heilvoller Gegenwart und einer intakten Gottesbeziehung.640 Kessler bemerkt treffend: 638 Vgl. Janowski, Konfliktgespräche, 58 f. 639 Zur Textkritik vgl. Anm. 253. 640 Zur Umkehrung der Gebetsstruktur vgl. Jes 50,2; 65,12; 66,4; Jer 7,13 und 35,17 sowie Kessler, Der antwortende Gott, 57.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
„Daß auch in der Beziehung des Einzelnen zu Gott solche Umkehr der Gebetsstruktur, also ein wirklicher Dialog zwischen Gott und Mensch möglich sein müßte, ersehnt schließlich Hiob, wenn er die heile Gottesbeziehung so beschreibt (Hi 14,15): Du würdest rufen, und ich würde dir antworten (ýDF4 =?D49), nach dem Werk deiner Hände würdest du dich sehnen.“641
Zusammenfassend lässt sich für die Umkehrung der geprägten Gebetsstruktur festhalten, dass das Hiobbuch durch diese – wie das Verbum L?: („gedenken“) und das Wortpaar 4LK („rufen“) und 8DF („antworten“) zeigen – die geprägten Sachgehalte Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Zuwendung Gottes bestätigt und weiterdenkt und Hiob mit dieser sowohl Anklage Gottes als auch Sehnsucht nach Gott zum Ausdruck bringt und JHWH zugleich zum Eingreifen auffordert. Hi 14,15 kann also als traditionskonform642 und -fortbildend charakterisiert werden. Deutet man V.13b mit der Bitte um das Gedenken Gottes zusammen mit V.15, so wird ersichtlich, dass für Hiob nun – im Unterschied zu Kapitel 6 – nicht der von Gott gewirkte Tod, sondern die Wiederherstellung der Kommunikation mit Gott ein rettendes Eingreifen Gottes darstellen würde. Da V.16 und V.17 für die Frage nach der Rezeption geprägter Sachgehalte aus dem Vorstellungskomplex Leben und Tod nicht allzu relevant sind, sollen diese nicht einzelexegetisch untersucht werden. Ich möchte lediglich die in ihnen geschilderten und für das Verständnis der Gottesrelation Hiobs aufschlussreichen weiteren Wünsche festhalten. V.16 beschreibt mit der Rede vom Zählen der Schritte ohne Beachtung möglicher Verfehlung (N4ü;) den vierten Wunsch Hiobs: Er sehnt sich nach einem liebevollen Wachen Gottes über seinen Lebenswegen. V.17 bringt mit dem Motiv vom versiegelten Beutel den fünften Wunsch Hiobs zum Ausdruck, nämlich die Vergebung von Sünde643. Für die Interpretation des Wunsches Hiobs nach Entlastung stellt sich nun die Frage, wie die symbolische Rede von der Scheol zu verstehen ist. Das von Hiob in V.13b ersehnte Gedenken Gottes kann nach Hi 3,19 nicht im Totenreich stattfinden. In Hi 3,19 schildert Hiob, dass die Gottesbeziehung im Totenreich aufhört:
641 Kessler, Der antwortende Gott, 57. Die theologische Bedeutung der umgekehrten Rollenverteilung beschreibt Kessler (Der antwortende Gott, 56) wie folgt: „Wie viel dem Alten Testament an dieser dialogischen Struktur liegt, belegt schließlich noch die Tatsache, daß es in Umkehrung der Gebetsstruktur, die vom Rufen des Beters zur Antwort Gottes führt, von einem Rufen Gottes, das eine Antwort Israels erwartet, sprechen kann.“ Zum dialogischen Charakter der Gott-Mensch-Beziehung im Alten Testament vgl. ferner Stendebach, Art. 8DF, 241. 642 Zur Definition von „traditionskonform“ vgl. Anm. 174. 643 Vgl. dazu auch Schnocks, Rettung, 47: „In der Logik von Sünde und Strafe bedeutet das, dass Gott selbst auf die Ahndung von Sünden verzichtet und sie stattdessen wie kontaminiertes Material dauerhaft verschließt.“
Hiobs Suche nach Entlastung von der bedrohlichen Gottesnähe
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19 Klein und Groß – dort (sind sie) eins, und ein Knecht (ist) frei von seinem Herrn!644
Die Deutungsmöglichkeit, dass die Verwendung des Terminus Scheol für eine Auferstehungshoffnung steht, hat sich bereits in der Auslegung von V.13a als nicht zutreffend erwiesen. Doch wie ist dann die in Hi 14,13–17 geschilderte Hoffnung zu verstehen? Bei dieser Passage steht der Wunsch Hiobs nach der Wiederherstellung der Kommunikation mit Gott im Vordergrund, wie auch die Stellung von V.15 im Zentrum des Abschnitts illustriert. Die unrealistische Rede von der Scheol bringt den skizzierten Wandel in Hiobs Gottesrelation zum Ausdruck. Außerdem zeigt sie, dass die einzige Hoffnung Hiobs darin besteht, dass Gott zu Lebzeiten seiner gedenkt, d. h. rettend eingreift und ihm die in V.13b–17 dargelegten Wünsche erfüllt. Das Ziel von Hi 14,13–17 ist demnach mit Wanke, JHWH durch eine im Gebet geäußerte unmögliche Hoffnung zum Gedenken an Hiob zu bewegen.645 Daher kann diese Passage als Wunsch und Bitte an Gott bezeichnet werden, die zugleich – wie der Terminus Scheol (@94M1) und das Verb L?: („gedenken“) nahelegen – auch eine Traditionsbestätigung und -fortbildung des geprägten Sachgehalts Ringen mit Gott um das Leben angesichts von Todesbefallenheit erkennen lässt: Während in den Psalmen Beter wie bspw. der aus Ps 88 in V.11646 die Unmöglichkeit in der Scheol Gott zu loben als argumentum ad deum verwenden, gebraucht Hiob die unmögliche Vorstellung, Gott möge seiner im Totenreich gedenken, als Untermauerung seines Wunsches nach Wiederherstellung seiner Gottesrelation. Bezüglich der Frage nach Hiobs Suche nach Entlastung kann für die letzte Belegstelle zusammengefasst werden, dass sich die Vorstellung des Protagonisten erneut verändert hat, wie V.15 mit der Umkehrung der psalmistischen Gebetsstruktur besonders deutlich zeigt: Im Unterschied zu den vorangegangenen Kapiteln empfände er nun die Wiederherstellung der Gottesrelation und der Kommunikation mit Gott, wie in den Psalmen beschrieben, als Erleichterung. Hinsichtlich der Rezeption geprägter Sachgehalte aus den Psalmen in Hi 14,13–17 lässt sich festhalten, dass das Hiobbuch in diesen Versen – wie der Terminus Scheol (@94M1), die Wurzel L?: („gedenken“) und das Wortpaar 4LK („rufen“) und 8DF („antworten“) illustrieren – die geprägten Sachgehalte Ringen mit Gott um das Leben angesichts von Todesbefallenheit sowie Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Zuwendung Gottes bestätigt und weiterdenkt und sich somit an dieser Stelle traditionskonform und -fortbildend verhält: Hiob ringt nicht mehr mit Gott darum, sterben zu dürfen, 644 Vgl. die Einzelexegese von Hi 3,11–19 unter III. 1.4.3–1.4.3.5 sowie Anm. 198 zum Todesverständnis im Hiobbuch. 645 Vgl. Wanke, Praesentia Dei, 192. 646 Ps 88,11: „Wirst du für die Toten Wunder tun, oder können Totengeister aufstehen, dich preisen?“
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sondern um die Wiederherstellung seiner Gottesbeziehung und Kommunikation mit Gott (V.15). Außerdem verwendet er mit der Rede vom unmöglichen Gedenken Gottes in der Scheol ein in den Psalmen nicht belegtes argumentum ad deum, um Gott zum Einschreiten zu bewegen (V.13). Hiobs Wunsch aus V.15, JHWH möge sich nach ihm sehnen und ihn rufen, zeigt, dass sich die in den Psalmen beschriebene Sehnsucht nach Gottesnähe und Bitte um Gottes Zuwendung auch in dem Wunsch äußern kann, dass Gott auf sein Geschöpf647 zugehen möge, wenn es sich wie Hiob vor ihm ausspricht und zu ihm spricht, aber keine Antwort erhält.
2.6 Die Verwendung traditionsgesättigter Psalmensprache als „Waffe des geprägten Gebets“ im Kampf mit Gott um Entlastung Besonders auffällig ist in den Texten des sog. Todeswunschmotivs, dass geprägte Sachgehalte aus den Psalmen häufig in ihr Gegenteil verkehrt werden. In der Forschung wurde – vor allem am Beispiel von Hi 7,17 f – häufig diskutiert, was Hiob beabsichtigt, wenn er Gott mit der „parodistische(n) Umkehrung herrlicher Psalmaussagen“648 konfrontiert. In diesen Versen findet sich ein intertextueller Bezug auf Ps 8,5.649 Der Beter von Ps 8,5 fragt sich betend und staunend: 5
Was (ist) (der) Mensch (M19D4), dass du seiner gedenkst (L?:) und der einzelne Mensch (A74.C5), dass du (fürsorglich) nach ihm siehst (6507KH)?
Hiob fragt dagegen anklagend: 17 Was (ist) (der) Mensch (M19D4), dass du ihn groß machst (@76 pi.) und dass du richtest (N=M1) auf ihn dein Herz (5@), 18 und ihn heimsuchst (7KH) jeden Morgen, alle Augenblicke ihn prüfst (C;5)?
Köhlmoos bezeichnet Hi 7,17 f als „expliziten Höhepunkt“ der „,Umkehrung‘ psalmentheologischen Denkens“ und „scharfe und grundsätzliche Anklage Gottes“651. Eine ähnliche Interpretation wird auch für Hiobs Bitte um Gottesferne in Hi 10,20 (vgl. III. 2.4) vertreten, die keinen intertextuellen Bezug enthält, sondern die geprägten Sachgehalte Sehnsucht nach Gottesnähe und 647 Zur Schöpfer-Geschöpf-Relation vgl. auch Hiobs Hoffnung auf seinen Löser (Hi 19,25–27) unter III. 3.6. 648 Jeremias, Umkehrung, 313. 649 Zur Definition von „Intertextualität“ vgl. Anm. 97 und zur Begründung, warum Hi 7,17 f auf Ps 8,5 intertextuell Bezug nimmt, vgl. Anm. 159. 650 Zum Zusatz „fürsorglich“ vgl. Anm. 114. 651 Alle drei Zitate: Köhlmoos, Auge Gottes, 171.
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Bitte um Zuwendung Gottes umkehrt. So deutet z. B. Ha Hi 10,20 und den Kontext dieses Verses Hi 10,18–22 als „Form der Anklage Gottes“652. Die genannten Interpretationen sind nicht falsch, jedoch ergänzungswürdig, da sie nicht ausreichend berücksichtigen, worum Hiob in seinen Klagen und Anklagen mit Gott kämpft und inwiefern sein Psalmengebrauch im Streitgespräch mit Gott um Entlastung von seinem Leiden als „Waffe“ dient. Da in allen untersuchten Texten das Thema Leben und Tod präsent ist und geprägte Sachgehalte aus den Psalmen, die den Vorstellungskomplex Leben und Tod bilden653, in ihr Gegenteil verkehrt werden, ist die Funktion der Todesbilder in den Psalmen zu untersuchen und zu fragen, ob die Aussagen der umgekehrten Sachgehalte bestritten werden sollen. Zenger arbeitete in seinem Aufsatz „Mit Gott ums Leben kämpfen. Zur Funktion der Todesbilder in den Psalmen“654 heraus: „Der Antagonismus Leben – Tod prägt die Psalmen ganz fundamental. Etwas überspitzt könnte man sagen: Der Psalter ist einerseits eine poetische Feier JHWHs als des Gottes, der der Welt, seinem Volk Israel und den Einzelnen Lebensfülle und Lebensfreude schenkt. Aber andererseits ist der Psalter zugleich emphatischer Protest gegen den mitten im Leben bedrohlich allgegenwärtigen Tod.“655
Angesichts dieser Bedrohung ringen zahlreiche Psalmisten darum, die „Destruktivität des Todes und die unausweichliche Erfahrung der Begrenztheit des individuellen Lebens so mit dem Glauben an JHWH als den Gott des Lebens zusammenzubringen, dass sich daraus Perspektiven für ein ,Leben trotz Tod‘ ergeben“656.
Zenger zufolge kämpfen657 die Beter – wie er am Beispiel von Ps 88, dem „,Todespsalm‘ par excellence“658, demonstriert – mit der „,Waffe‘ des (poetischen) Gebets“ um einen „Sinn des Lebens angesichts des Todes“659. Da Hiob – wie unter III. 2.1–2.5 dargelegt – geprägte Sachgehalte aus dem Vorstellungskomplex Leben und Tod umkehrt und den Tod bzw. die Nichtexistenz zunächst als erstrebenswert wahrnimmt, stellt sich die Frage, worum er mit Gott mit der Waffe der umgekehrten geprägten Sachgehalte aus den Psalmen kämpft660. Meiner Meinung nach kämpft er um Entlastung von seinem Leiden, 652 653 654 655 656 657
Ha, Frage, 114. Vgl. II. 1–1.3.3. Vgl. Zenger, Mit Gott ums Leben kämpfen. Zenger, Mit Gott ums Leben kämpfen, 63. Zenger, Mit Gott ums Leben kämpfen, 63. Zur Auseinandersetzung mit der Beschreibung des Ringens der Beter mit Gott um das Leben angesichts von Todesbefallenheit mit dem Verb „kämpfen“ vgl. Anm 209. 658 Zenger, Mit Gott ums Leben kämpfen, 65. 659 Beide Zitate: Zenger, Mit Gott ums Leben kämpfen, 64. Zur Kampfmetaphorik als poetischer Technik vgl. Gillmayr-Bucher, Die Psalmen im Spiegel der Lyrik Thomas Bernhards, 13. 660 Zur Begründung der Rede vom „Kampf Hiobs mit Gott“ vgl. Anm. 209.
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das ihm wie dem Beter von Ps 88 zum „Gottesproblem“661 geworden ist. Mit der Umkehrung der geprägten Sachgehalte spricht Hiob vor Gott (vgl. Hi 3 und 6 ohne direkte Anrede) und im direkten Gespräch mit Gott (vgl. Hi 7; 10 und 14 mit direkter Anrede) seinen sich verändernden Wunsch nach Erleichterung aus. Im Vergleich mit dem Ringen zahlreicher Psalmenbeter „mit Gott ums Leben“662 lässt sich für Hiobs Kampf mit Gott festhalten, dass er um Erlösung von seinem Leiden, eine Antwort Gottes (Hi 10,18) und schließlich um die Wiederherstellung seiner Gottesbeziehung und Kommunikation mit JHWH (Hi 14,15) streitet und dabei geprägte Sachgehalte aus den Psalmen in Umkehrung als strategisches Mittel663 bzw. präziser als „Waffe des geprägten Gebets“ verwendet. An diesem Punkt stellt sich jedoch die Frage, ob die Aussagen der umgekehrten geprägten Sachgehalte verneint werden sollen. Dies ist aus zwei Gründen nicht der Fall: Zum einen ist in den Hiobreden auffällig, wie selten Hiob von seinen körperlichen Schmerzen spricht (lediglich in Hi 7,5; 19,26 und 30,30). Daraus geht hervor, dass er weniger unter seiner Krankheit als vielmehr darunter leidet, dass er seinen Gott nicht mehr wiedererkennt. Infolgedessen versucht er, den in den Psalmen bezeugten Gott mit dem Gott, den er derzeit erfährt, in Einklang zu bringen, und fragt daher nach dessen Wesen (vgl. Hi 3,20664). Zum anderen muss beachtet werden, dass Hiob sich sogar in seiner Extremsituation und im Kampf mit Gott nur in der Sprache der Psalmen ausdrückt, jedoch keine Verneinungen gebraucht. Auf dem Weg zu einem Antwortversuch erweist sich auch Jeremias’ Aufsatz „Umkehrung von Heilstraditionen im Alten Testament“665 als hilfreich. In diesem untersucht er das Phänomen der Umkehrung einer vorgegebenen Tradition an Beispielen aus der klassischen Prophetie und aus Hi 7. Jeremias kommt zu folgendem Schluss: „Keiner der Belege im Alten Testament, die auf eine vorgegebene Heilstradition Bezug nehmen und sie umkehren, will einfach das Gegenteil dieser Tradition sagen, schon gar nicht ihre Aussage bestreiten666. Vielmehr ist gerade umgekehrt die Intention vieler Belegstellen, den Wert und die Gültigkeit der überkommenen Tradition dadurch herauszustellen, daß sie bis in ihr sachliches Gegenteil weitergedacht wird. In der überwiegenden Mehrzahl der Stellen geht es dabei um die Identität Jahwes.“667
Groß, Ein Schwerkranker betet, 101. Zenger, Mit Gott ums Leben kämpfen, 63. Vgl. Frevel, Menschenwürde, 261 f. Hi 3,20: „Wozu gibt er dem Mühebeladenen Licht und Leben den Erbitterten?“ Vgl. Jeremias, Umkehrung. Anders Irsigler, Frage, 42: „Ijob verkehrt nicht nur die verwunderte Frage von Ps 8 radikal ins Negative, er lehnt in seiner Situation damit auch das hoheitliche Menschenbild von Ps 8 in aller Schärfe ab.“ Ähnlich interpretiert Spieckermann (Heilsgegenwart, 237), der Hi 7,17 f als „schroffe Ablehnung“ der von Ps 8 vertretenen Anthropologie deutet. 667 Jeremias, Umkehrung, 319.
661 662 663 664 665 666
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Um genau diese Identität seines Gottes ringt Hiob in den untersuchten Texten und im gesamten Buch: Aus Fragen wie bspw. Hi 3,20668 geht hervor, dass sein Gottesbild zerbrochen ist bzw. er den Gott, den er vor seinen Schicksalsschlägen kannte und der in dem von ihm umgekehrten Gedankengut aus den Psalmen gelobt wird, nicht mit seinem gegenwärtigen Leiden in Einklang bringen kann. Folglich begibt er sich auf die Suche nach Gott, klagt ihn an und fragt mit seinen umkehrenden Bezugnahmen auf geprägte Sachgehalte aus den Psalmen zugleich: „Wer bist du?“ Mit den vor Gott ausgesagten (vgl. Hi 3 und Hi 6 ohne direkte Anrede) und direkt zu Gott kommunizierten (vgl. Hi 7; 10 und 14) Umkehrungen bringt er nicht nur Anklage Gottes zum Ausdruck, sondern ringt auch um Verständnis des Wesens JHWHs. Auf den ersten Blick mag diese Art des Psalmengebrauchs blasphemisch erscheinen oder den „Eindruck purer Deutungswillkür“669 erwecken. Dies ist jedoch aus der Sicht des Hiobbuches selbst nicht zutreffend, wie aus Hi 42,7670 hervorgeht: 7
Und nachdem geredet hatte JHWH jene Worte zu Hiob, sagte JHWH zu Eliphas, dem Temaniter: „Entbrannt ist mein Zorn gegen dich und gegen deine beiden Freunde, denn ihr habt nicht Richtiges (8D9?D) geredet zu mir wie mein Knecht Hiob!“
In diesem Vers bescheinigt Gott Hiob, dass er Richtiges (8D9?D) geredet hat. Daher kann festgehalten werden, dass Hiob geprägte Sachgehalte aus den Psalmen in Umkehr als „Waffe des geprägten Gebets“ gebraucht, um Anklage gegen Gott zu erheben und zugleich mit ihm um Entlastung von seinem Leiden und Verständnis des Wesens Gottes zu ringen.
2.7 Das Hiobbuch und der Vorstellungskomplex Leben und Tod Zum Abschluss der Analyse der Texte des sog. Todeswunschmotivs möchte ich zusammenfassen, wie sich das Hiobbuch mit dem Vorstellungkomplex Leben und Tod auseinandersetzt. Die exegesierten Abschnitte lassen eine Bewegung vom Wunsch nach Nichtexistenz (Hi 3) und Tod (Hi 6,8–10 und 7,13–15) hin zum Wunsch nach Wiederherstellung der Kommunikation mit Gott (Hi 14,13–17) und vom Wunsch nach Gottesferne (Hi 3,11–13; 6,8–10; 7,13–15 und 10,18–22) hin zum Wunsch nach Gottesnähe und einer intakten Gottesbeziehung (Hi 14,13–17: Wortpaar 4LK und 8DF in V.15) erkennen. Ferner weisen sie eine Bewegung von der Umkehrung hin zur Bestätigung der geprägten Sachgehalte Ringen mit Gott um das Leben angesichts von Todesbefallenheit und Bitte um Rettung aus dem Tod zum Leben sowie Sehnsucht nach 668 Vgl. Anm. 664. 669 Jeremias, Umkehrung, 309. 670 Zur Zusammenfassung von Hi 42,7–9 vgl. III. 4.4.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
Gottesnähe und Bitte um Zuwendung Gottes auf, die jedoch eigene Akzente erkennen lässt. Das Hiobbuch erweist sich als traditionsverändernd (Umkehrungen in Hi 3,11–13; 6,8–10; 7,13–15 und 10,18–22) und -fortbildend (Hi 14,13–15: Gott möge sich nach Hiob sehnen und solle Hiob rufen) und in der Gesamtbewegung als traditionskonform (Hi 14,13–17). Außerdem zeigt sich in den Texten des sog. Todeswunschmotivs, dass das Hiobbuch den Vorstellungskomplex Leben und Tod kritisch hinterfragt, Ambivalenzen aufdeckt und ihn – unter Kopräsenthaltung der Spannungen – theologisch neu interpretiert und unter Berücksichtigung des Herausgearbeiteten bestätigt: • Es bringt zum Ausdruck, dass es Situationen gibt, in denen Menschen Gott als so feindlich erleben, dass nur noch der Tod Entlastung verspricht. • Es macht deutlich, dass sich Hiobs Wunsch nach Nichtexistenz (Hi 3,11–13) zum Wunsch nach Wiederherstellung der Kommunikation mit Gott (Hi 14,15) entwickelt, weil er den Gebetsfaden niemals abreißen lässt, sondern seinen Schmerz im Gebet herausschreit, zu Gott spricht und mit Gott ringt (ab der ersten direkten Anrede in Hi 7,7 erscheint der Tod wie bspw. in Hi 7,13–15 als ultima ratio). Die Autoren zeigen folglich, dass die in den Psalmen prominente Bitte um Rettung aus dem Tod mitten im Leben keine unreflektierte Haltung oder selbstverständliche Reaktion auf die Erfahrung von Leid darstellt, sondern vielmehr aus einem Streitgespräch mit Gott und einem Gebetsprozess erwächst. • Es zeigt, dass es Situationen gibt, in denen Menschen Gott als so feindlich erleben, dass ihnen ein Leben in Gottes Nähe unmöglich, ein Leben ohne ihn jedoch undenkbar erscheint. • Zugleich macht es in Hi 3,11–13; 6,8–10; 7,13–15; 10,18–22 und 14,13–17 deutlich, dass sich Hiobs Wunsch nach Gottesferne im Verlauf des Gebetsprozesses zum Wunsch nach Gottesnähe entwickelt, weil er ab Hi 7,7 beginnt, direkt zu Gott zu sprechen. Wie die in den Psalmen prominente Bitte um Rettung aus dem Tod mitten im Leben erwachsen also auch die Sehnsucht nach Gott und die Bitte um Gottes Zuwendung aus einem Streitgespräch mit Gott und einem Gebetsprozess. Dabei ist jedoch zu beachten, dass Gott auch in den Zeiten, in denen Hiob sich nach Gottesferne sehnt, immer Bezugspunkt und Deutehorizont seines Lebens bleibt, wie Hi 3,2 („Und es antwortete Hiob und sagte“) illustriert. In diesem Vers wird berichtet, dass Hiob antwortet (8DF), obgleich kein vorangegangener Gesprächsverlauf berichtet wird. Daraus geht hervor, dass er auf sein Leid und Gott als Verursacher seines Leidens reagiert671 und auf diese Weise den Gebetsfaden nicht abreißen lässt.
671 Vgl. Anm. 449.
Hiobs Ringen um (kontrafaktisches) Vertrauen auf JHWH
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3. Hiobs Ringen um (kontrafaktisches) Vertrauen auf JHWH trotz dessen feindlicher Attacken gegen ihn Im folgenden Unterkapitel untersuche ich, wie sich Hiobs in Kapitel 3 exponiertes erschüttertes Gottvertrauen weiterentwickelt bzw. wie Hiob darum ringt, trotz der – in den Texten des sog. Todeswunschmotivs (III. 2–2.7) beschriebenen – Erfahrung der bedrohlichen Gottesnähe JHWH wieder vertrauen zu können und welche Faktoren auf seinem Weg entscheidend sind. Hiobs Ringen um (kontrafaktisches) Vertrauen auf JHWH trotz dessen feindlicher Attacken gegen ihn ist besonders in Hi 6,4; 6,8–10; 16,7–17; 16,18–22; 19,2 und 19,25–27 belegt.
3.1 Hi 6,4: JHWHs Mitsein als kriegerische Attacke gegen Hiob Ich beginne mit der ersten Belegstelle: Hi 6,4. Hiob beschreibt, dass er sich von Gott kriegerisch und feindlich angegriffen fühlt. 4
Denn die Pfeile (=J;) Sˇaddajs (sind) mit mir (=7BF), deren Gift trinkt mein Geist. Die Schrecknisse Gottes treten vor mir an.
Auf diesen Vers habe ich bereits unter III. 2.2 Bezug genommen. Daher möchte ich an dieser Stelle lediglich aufzeigen, wie das Hiobbuch geprägte Sachgehalte aus den Psalmen aufnimmt. In Ps 7,14 schildert der Beter, dass sein menschlicher Feind (V.6: 5=94) Pfeile verwendet. Da der Beter jedoch davon ausgeht, dass Gott zu seinen Gunsten rettend eingreifen wird, sagt er, dass diese Waffen gegen den Widersacher selbst gerichtet sind: 14 Aber gegen sich (selbst) hat er die Mordwaffen bereitet, seine Pfeile (9=J;) zu brennenden gemacht.
Hiob hingegen beschreibt, dass die Pfeile (=J;) des ihm eigentlich zugewandten Sˇaddaj, der einst mit ihm war (=7BF) (Hi 29,5), mit ihm sind (=7BF). Die Präposition 7BF ist mit einem Suffix der 1. Pers. Sg. auch in Ps 23,4 zu finden. In diesem Vers bekennt der Beter, dass ihn das Mitsein Gottes tröstet: 4
Auch wenn ich im Tal von Todesschatten gehe, fürchte ich nichts Böses. Denn du (bist) bei mir (=7BF), dein Stock und dein Stab – sie trösten mich (A;D pi.).
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
Hiob erfährt Gott also weder als zugewandten Gott (Sˇaddaj) noch dessen Mitsein als Trost. Im Gegenteil: Er erlebt das Mitsein Gottes als kriegerische Attacke gegen ihn. In V.4b fährt er mit seiner Klage über Gottes Angriff gegen ihn fort. Er schildert, dass seine ;9L das Gift der Pfeile Sˇaddajs trinkt. Diese Formulierung beschreibt, dass Hiobs Geist (;9L) die Gedanken, die er sich über die feindliche Attacke seines Gottes mit Pfeilen gegen ihn machen muss, einsaugt, und Hiob ununterbrochen über das unverständliche Handeln Gottes nachdenken muss.672 Dabei ist zu beachten, dass ;9L „das ,Innere‘ des Menschen, sein geistiges Zentrum, von dem aus die ganze ,Person‘ engagiert ist“ sowie „das ,Prinzip des Lebens‘, das von Gott als seinem Erneuerer und Erhalter abhängig ist, von daher ihm vertraut und nach ihm verlangt“673, meint. Daraus resultiert: Das Zentrum der Person Hiobs ist getroffen, und zwar von dem Gott, der einst mit ihm war (vgl. Hi 29,5). Der Erneuerer und Erhalter seines Lebens, auf den er bezogen ist, dem er vertraut und nach dem ihn verlangt, attackiert ihn wie einen Feind. Hi 6,4 kehrt also – wie die suffigierte Präposition =7BF („mit mir“) zeigt – die geprägte theologische Überzeugung JHWH bzw. das Mitsein Gottes tröstet674 um. Außerdem verkehrt dieser Vers – wie die Verwendung des Nomens I; („Pfeil“) nahelegt – den geprägten Sachgehalt Bedrohung durch Feinde675 in sein Gegenteil und denkt ihn zugleich weiter: Hiob wird nicht wie der Beter aus Ps 7 von menschlichen Feinden attackiert, sondern von Gott selbst. In den Psalmen ist nur an wenigen Stellen wie bspw. in Ps 88,7–9a von einem feindlichen Handeln JHWHs die Rede. Der Beter des Psalms klagt in diesen Versen darüber, dass Gottes Zorn ihn zu Unrecht trifft und erniedrigt (V.8: 8DF pi.): 7
Du hast mich versetzt in (die) tiefe, unterste Zisterne, an finstere Orte, in (Meeres-)tiefen.
8
Auf mir hat gelastet dein Zorn, und alle deine Brecher – erniedrigt (8DF pi.) hast du (mich).
9
Du hast entfernt meine Vertrauten von mir, hast mich gesetzt zu Gräueln für sie.
672 Vgl. Dillmann, Hiob, 51; vgl. ferner auch die unter III. 2.2 entfaltete Interpretation, dass Hiob weniger unter seinen körperlichen Schmerzen als vielmehr unter dem in Hi 6,4 beschriebenen unverständlichen Handeln Gottes leidet. 673 Beide Zitate: Tengström/Fabry, Art. ;9L, 396 (Tengström). 674 Vgl. II. 1.3.3. 675 Vgl. II. 1.2.1.
Hiobs Ringen um (kontrafaktisches) Vertrauen auf JHWH
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Eine kriegerische Attacke Gottes gegen einen Einzelnen, mit dem er einst in enger Beziehung stand (Hi 29,5), ist nicht belegt. Hi 6,4 kann also als traditionsverändernd und -fortbildend charakterisiert werden.
3.2 Hi 6,8–10: Hiob setzt seine Hoffnung auf den von Gott gewirkten Tod Ich komme zur zweiten Belegstelle: Hi 6,8–10. Diese Verse habe ich bereits in der Analyse zum sog. Todeswunschmotiv bzw. Hiobs Suche nach Entlastung von der bedrohlichen Gottesnähe (vgl. III. 2.2) eingehend exegesiert. Daher fokussiere ich mich an dieser Stelle darauf, wie das Hiobbuch geprägte Sachgehalte aus den Psalmen aufgreift. Hiob formuliert in Hi 6,8–10676 den Wunsch, durch Gottes Wirken zu sterben: 8
Oh, dass doch einträfe meine Bitte und meine Hoffnung (=N9KN) gäbe Gott!
9
Und (mir) gewährte Gott und mich zermalmte, seine Hand frei ließe und mich abschnitte!
10 Und (dies) wäre noch mein Trost (=NB;D) und ich wollte hüpfen in schonungslosem Schmerz. Denn ich habe nicht versteckt die Worte des Heiligen.
In zahlreichen Psalmen setzen die Beter ihre Hoffnung auf JHWH und bezeichnen ihn als Hoffnung (89KN), Trost (8B;D) und Zuversicht (;ü5B). So heißt es bspw. in Ps 71,5: 5
Denn du (bist) meine Hoffnung (=N9KN), Herr, JHWH, meine Zuversicht (=;ü5B) von meiner Jugend an.
Und in Ps 71,21: 21 Du wirst meine Größe mehren und dich wenden, mich trösten (A;D pi.).
Außerdem bekennt der Beter aus Ps 23,4, dass ihn das Mitsein Gottes tröstet und sein Vertrauen auf JHWH ihn zuversichtlich in die Zukunft blicken lässt: 4
Auch wenn ich im Tal von Todesschatten gehe, fürchte ich nichts Böses. Denn du (bist) bei mir (=7BF), dein Stock und dein Stab – sie trösten mich (A;D pi.).
676 Zur Begründung der Übersetzung vgl. die Einzelexegese unter III. 2.2.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
Was dagegen Hiobs Hoffnung, Trost und Zuversicht ist, führt er in Hi 6,8 f aus: dass Gott ihm (seine Bitte) gewährte (@4= hi.) und ihn tötete. Er setzt also seine Hoffnung nicht auf JHWH, sondern auf den von ihm gewirkten Tod. Diesen bezeichnet er explizit als meine Hoffnung (=N9KN) und mein Trost (=NB;D). Des Weiteren wäre für ihn nicht das Mitsein Gottes tröstlich (Ps 23,4), sondern der Tod, d. h. die Trennung von Gott677. Außerdem schenkt ihm nicht sein Vertrauen auf JHWH (vgl. Ps 23,1.4), sondern die Aussicht auf den Tod Zuversicht. Hi 6,8–10 kehrt also – wie die Bezeichnung des Todes als „meine Hoffnung (=N9KN)“ nahelegt – die geprägten Sachgehalte Hoffnung auf JHWH und Zuversicht wegen des JHWH-Vertrauens678 sowie – wie die Bezeichnung des Todes als „mein Trost (=NB;D)“ illustriert – die geprägte theologische Überzeugung JHWH bzw. das Mitsein Gottes tröstet um und verhält sich somit traditionsverändernd.
3.3 Hi 16,7–17: Hiobs Klage über JHWHs kriegerische Attacke gegen ihn Eine dritte Belegstelle für Hiobs Ringen um kontrafaktisches Vertrauen trotz Gottes feindlicher Atttacken gegen ihn ist in Hi 16,7–17 zu finden. In den vorangegangenen Versen beklagte Hiob die zunehmende Verhärtung der Fronten zwischen ihm und seinen Freunden (Hi 16,2–6). Er bezeichnet seine Freunde in V.2 als „Tröster der Mühsal (@BF =B;DB)“, die sein Leid mit ihren Worten (V.3) mehren. Sie erkennen nicht, dass er unschuldig ist und die Ursache seines Leidens nicht in seinem Fehlverhalten, sondern bei Gott selbst liegt. Daher fühlt er sich von ihnen nicht verstanden und angegriffen. In den auf Hi 16,7–17 folgenden Versen Hi 16,18–22, die ich unter III. 3.4 auslegen werde, formuliert Hiob eine singuläre Vertrauensaussage inmitten seines Leidens. Doch zunächst zu Hi 16,7–17. Diese Verse lassen sich folgendermaßen übersetzen: 7
Ja, jetzt hat er mich müde gemacht, verwüstet hast du meinen ganzen (Familien-)kreis
8
und packtest mich! Zum Zeugen war (es) geworden, und es stand auf gegen mich meine Abmagerung, in mein Angesicht verklagte sie mich!
9
Sein Zorn zerriss und befeindete mich, gefletscht (KL;) hat er seine Zähne gegen mich! Mein Widersacher (=LJ) – er schärft seine Augen gegen mich!
677 Vgl. Anm. 198. 678 Vgl. II. 1.1.3.
Hiobs Ringen um (kontrafaktisches) Vertrauen auf JHWH
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10 Sie haben aufgesperrt gegen mich ihren Mund, unter Verhöhnung haben sie auf meine Backen geschlagen! Gemeinsam rotten sie sich gegen mich zusammen! 11 Es liefert mich Gott an einen Ungerechten679 aus, und in die Hände von Frevlern stürzt er mich! 12 Sorglos war ich, da zerschmetterte er mich (LLH pil.), packte (:;4) meinen Nacken und zerschellte mich (IJH pil.), stellte mich auf für sich als Ziel (8LüB)! 13 Es umschwirren mich seine Pfeile, er spaltet meine Nieren und nicht verschont er, er vergießt zur Erde meine Galle! 14 Er bricht in mich Bresche auf Bresche, stürmt auf mich los wie ein Kriegsheld (L956)! 15 Ein Sackgewand habe ich um meine Haut gelegt, habe gesteckt in (den) Staub mein Horn! 16 Mein Angesicht ist gerötet vom Weinen und auf meinen Wimpern (ist) Todesschatten! 17 Obwohl keine Gewalttat an meinen Handflächen und mein (Bitt-)Gebet rein (ist)!
Nachdem Hiob in Hi 16,2–6 zum Ausdruck brachte, wie er das Verhalten seiner Freunde empfindet, schildert er in V.7–17, wie er Gottes Handeln an ihm wahrnimmt. Diese Verse lassen sich in drei Unterabschnitte gliedern: In V.7–11 beschreibt Hiob die soziale Dimension seines Leidens, in V.12–14, wie Gott wie ein Kriegsheld gegen ihn anrennt, und in V.15–17, welche Konsequenzen das feindliche Handeln JHWHs für ihn hat. In der folgenden Auslegung möchte ich einen Schwerpunkt auf diejenigen Verse legen, in denen eine Rezeption geprägter Sachgehalte aus den Psalmen deutlich erkennbar ist. In V.7a schildert Hiob in der dritten Person, dass JHWH ihn müde gemacht (84@ hi.), und in V.7b mit einer direkten Du-Anrede, dass dieser seinen (Familien-)Kreis (87F) verwüstet (ABM1 hi.), d. h. ihn sozial isoliert, habe. In V.8 erwähnt Hiob seine Krankheit, die wie ein eigenes Subjekt personifiziert gegen ihn auftritt und ihn schuldig erscheinen lässt, obgleich er nach V.17 unschuldig ist. An diesem Punkt stellt sich die Frage, wie Hiobs Krankheit in Anbetracht seiner Unschuld interpretiert werden kann. Jürgen Ebach hält diesbezüglich treffend fest: 679 Der MT liest @=9F („Knabe“). Dieses Nomen ist nur noch in Hi 19,18 und 21,11 belegt. Eine hebräische Handschrift liest stattdessen @9F („Ungerechter“). Vor dem Hintergrund der Feindbeschreibung in V.7–9 und der Erwähnung der Frevler (A=FM1L) in V.11b ist der hebräischen Handschrift zu folgen. Ebenso Delitzsch, BC, 51, und Tur-Sinai, Buch Hiob, 111.
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„Wenn die Krankheit kein Zeugnis einer objektiven Schuld sein soll, dann kann sie nur Werkzeug eines nicht mit Hiobs Tun verbundenen, in diesem Sinne ungerechten Angriffs Gottes sein.“680
In V.9 bezeichnet Hiob JHWH explizit als seinen Widersacher (LJ) und schildert in der dritten Person, wie dieser ihn feindlich und brutal attackiert: 9
Sein Zorn (G4) zerriss (GLü) und befeindete (Aü2M) mich, gefletscht (KL;) hat er seine Zähne gegen mich! Mein Widersacher (=LJ) – er schärft (M1ü@) seine Augen gegen mich!
In den Psalmen ist meist von menschlichen Feinden die Rede. Nur an wenigen Stellen wie bspw. in Ps 88,8681 wird berichtet, dass Gott feindlich handeln kann. Er wird jedoch nie wie in Hi 16,9 als Widersacher (LJ)682 bezeichnet.683 Zum Verständnis von Hi 16,9 ist zu beachten, dass der Zorn Gottes (G4) eigentlich als Resultat der Gerechtigkeit Gottes gedacht wurde, wie Groß herausgearbeitet hat: „Er ist in seinem Zorn gerecht, bzw. sein Zorn ist ein Ausfluß seiner Gerechtigkeit bzw., soweit seine Gerechtigkeit als gerechtmachendes Heilswirken gefaßt wird, die Schattenseite seiner Gerechtigkeit. Gerechtigkeit kommt Gott in seiner königlichen Funktion zu, insofern er die Geschicke der Völker, speziell seines Volkes lenkt. Sein Zorn entbrennt dann, wenn sein gerechtes, Leben förderndes Welt- und Israel-Regiment auf Widerstand stößt, und er zielt auf Vernichtung dieses Widerstandes.“684
Hiob hingegen schildert den Zorn Gottes als grausame und gewalttätige Attacke gegen ihn: Gottes Zorn (G4) habe ihn zerrissen (GLü) und befeindet (Aü2M). Von den Psalmenbelegen für die Wurzel GLü („zerreißen“) sind Ps 22,14 und 124,6 besonders aufschlussreich. In Ps 22,14 beschreibt der Beter seine Feinde mit einem Tiervergleich685 und verwendet die Wurzel GLü für deren feindliches Handeln: 14 Aufgesperrt haben sie gegen mich ihr Maul: (wie) ein Löwe – reißend (Partizip von GLü) und brüllend.
In Ps 124,6 wird das Substantiv GLü („Zerrissenes“, „Beute“) gebraucht. Der Sprecher preist JHWH dafür, dass er das Volk vor Feinden bewahrte: 6
Gepriesen sei JHWH, der uns ihren Zähnen nicht zur Beute (GLü) gab!
680 Ebach, Hiob 1, 141. 681 Ps 88,8: „Auf mir hat gelastet dein Zorn (8B;), und alle deine Brecher (L5M1B) – erniedrigt (8DF pi.) hast du (mich).“ 682 Zu den verschiedenen Feindbezeichnungen vgl. Anm. 250. 683 Vgl. II. 1.2.1. 684 Groß, Zorn Gottes, 233. 685 Zu den in Feindesschilderungen verwendeten Bildbereichen Tierwelt, Krieg und Jagd vgl. Anm. 246.
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Ferner schildert das Verbum Aü2M („befeinden“) das Handeln der Frevler. In Ps 55,4b heißt es: 4
Denn sie (scil. die Frevler) wälzen Unheil auf mich, und im Zorn befeinden (Aü2M) sie mich.
In V.9b fährt der Protagonist mit einem Tierbild mit der Schilderung des feindlichen Handelns JHWHs fort. Er bringt zum Ausdruck, dass Gott wie ein wildes Tier seine Zähne gegen ihn gefletscht habe (KL;) und seine Augen gegen ihn schärfe (M1ü@). In den Psalmen hingegen werden die Verben KL; („knirschen“, „fletschen“) und M1ü@ („schärfen“) in Beschreibungen des Handelns menschlicher Feinde gegen den Beter verwendet: In Ps 37,12 heißt es: 12 (Der) Frevler sinnt gegen (den) Gerechten, und fletscht (KL;) seine Zähne gegen ihn.
Und in Ps 7,13: 13 Wenn man nicht umkehrt, schärft (M1ü@) er (scil. der Feind) sein Schwert, spannt seinen Bogen und zielt (mit) ihm.
Hiob bringt in V.9 also ganz andere Erfahrungen als die in den Psalmen beschriebenen zum Ausdruck. Er wird nicht von menschlichen Feinden, sondern von JHWH attackiert. Ferner beschützt Gott ihn nicht vor Feindbedrohung, sondern greift ihn selbst wie einen Feind an. Daher kann er JHWH nicht, wie bspw. der Beter aus Ps 7,2686 um Rettung aus der Bedrohung durch menschliche Feinde (Ps 7,14) bitten, sondern ausschließlich über dessen Attacken gegen ihn klagen. In Hi 16,7–9 werden also – wie die Benennung des Feindes (scil. Gottes) in V.9 als LJ („Widersacher“) und die Beschreibung des Feindeshandelns mit dem Verb KL; („knirschen“, „fletschen“) deutlich machen – die geprägten Sachgehalte Bedrohung durch Feinde und Bitte um Rettung aus Feindbedrohung687 umgekehrt und weitergedacht. Besonders auffällig sind in V.7–9 die sprunghaften grammatikalischen Subjektwechsel. In V.7a spricht Hiob in der dritten Person über Gott, in V.7b und 8 in der zweiten Person und in V.9 wieder in der dritten Person. Dieser Wechsel der Sprechrichtung zeigt, dass Hiob kaum mehr in der Lage ist, direkt zu Gott zu sprechen688 bzw. ihn anzuklagen, aber auch merkt, dass er von seinen Freunden keine Hilfe erwarten kann (V.2–6), und sich daher auf die Suche nach einem Adressaten macht. In V.10 f beschreibt der Protagonist die gesellschaftlichen Folgen, die Gottes 686 Ps 7,2: „JHWH, mein Gott, bei dir berge ich mich, rette mich von allen meinen Verfolgern (=H7L) und befreie mich!“ 687 Vgl. II. 1.2.2. 688 Vgl. dazu auch Ebach, Hiob 1, 140: „In V. 7 f. redet Hiob von seinem Feind = Gott als einem ,Du‘, doch kehrt er (wie wenn er nur für einen Augenblick zu dieser direkten Attacke fähig wäre) in den folgenden Versen wieder zum ,er‘ zurück.“
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feindliches Handeln gegen ihn mit sich bringt. JHWH deklassiert ihn sozial und liefert ihn Mitmenschen aus, die ihn ebenfalls attackieren. In diesen Versen ist nicht eindeutig, ob an Hiobs Freunde oder an spöttische Mitmenschen im Allgemeinen zu denken ist. Vor dem Hintergrund von Hi 16,2–6 ist sowohl an Hiobs Freunde als auch vor dem Hintergrund von Hi 16,8 daran zu denken, dass seine Krankheit (V.8) gegen ihn zeugt und sich Menschen deswegen von Hiob distanzieren könnten. 12 Sorglos war ich, da zerschmetterte er mich (LLH pil.), packte (:;4) meinen Nacken und zerschellte mich (IJH pil.), stellte mich auf für sich als Ziel (8LüB)! 13 Es umschwirren mich seine Pfeile, er spaltet meine Nieren und nicht verschont er, er vergießt zur Erde meine Galle! 14 Er bricht in mich Bresche auf Bresche, stürmt auf mich los wie ein Kriegsheld (L956)!
In V.12–14 schildert Hiob, wie Gott sich ihn wie bei der Jagd zum Ziel aufstellt (V.12c) und wie ein Kriegsheld (V.14: L956) gegen ihn anrennt. In V.12 beschreibt er malerisch mit den gleichklingenden, iterativen689 Imperfekta consecutiva =DLHLH=9 („und er zerschmetterte mich“) und =DJHJH=9 („und er zerschellte mich“), wie JHWH einen militärischen Dauerbeschuss auf ihn unternimmt690 und sowohl wiederholt seinen sorglosen Zustand vor seinem Leiden (V.12a)691 als auch seine Knochen692 zertrümmert. Ferner bringt er zum Ausdruck, dass Gott seinen Nacken packt (:;4). Das Verbum :;4 („anfassen“, „halten“, „packen“) ist in Ps 73,23 in einer Vertrauensaussage belegt: 23 Ich aber (=D49) (bleibe) stets bei dir; du hältst (:;4) (mich) bei meiner rechten Hand.
Anders als der Sprecher aus Ps 73 erfährt Hiob nicht, dass Gott seine Hand fasst und in heilvoller Weise bei ihm ist, sondern, dass er ihn feindlich attackiert und packt. Außerdem geht aus der Verwendung der Wurzel LLH hervor, dass JHWH Hiob in derselben Heftigkeit bekämpft wie die Chaosmächte im Chaoskampf. In Ps 74,13 heißt es: 13 Du hast mit deiner Kraft (das) Meer aufgewühlt (LLH po.), hast zerbrochen (L5M1 pi.) die Köpfe der Seeungeheuer auf dem Wasser.
In V.13 schildert der Protagonist, wie Gott seine Nieren (=N9=@?) spaltet. Zum Verständnis dieser Aussage ist bedeutsam, dass JHWH, wie bspw. in 689 690 691 692
Vgl. GKB, § 111,1u. Vgl. Ebach, Hiob 1, 141. Vgl. Dillmann, Hiob, 146. Vgl. Duhm, KHC 16, 88.
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Ps 139,13693 beschrieben, als Schöpfer des Menschen dessen Nieren erschafft. Außerdem wurden die Nieren im Alten Testament als Sitz der „feinsten Empfindungen“694 verstanden. V.13 bringt also die Grausamkeit der Attacke JHWHs gegen Hiob zum Ausdruck: Gott attackiert sein eigenes Geschöpf und dessen feinste Empfindungen. In V.14 fasst Hiob zusammen, wie er JHWHs Handeln an ihm empfindet: Gott stürmt auf ihn los wie ein Kriegsheld (L956) auf eine Festung. Für Hi 16,7–14 lässt sich festhalten, dass das Hiobbuch die Feindmetaphorik, die in den Psalmen für menschliche Feinde verwendet wird, auf JHWH überträgt und dabei vor allem die Kriegs- und Jagdbilder aufgreift. Peter Riede formuliert pointiert: „So zeichnet Hi 16 das Bild eines brutalen Eroberers, der mit allen Mitteln gegen die ,Festung‘ Hiob vorgeht, dabei Bogenschützen und diverse Belagerungstechniken, wie das Breschen von Breschen, einsetzt, um so deren baldigen Fall zu bewirken.“695 15 Ein Sackgewand habe ich um meine Haut gelegt, habe gesteckt in (den) Staub mein Horn! 16 Mein Angesicht ist gerötet vom Weinen und auf meinen Wimpern (ist) Todesschatten! 17 Obwohl keine Gewalttat (EB;) an meinen Handflächen und mein (Bitt-)Gebet (8@HN) rein (ist)!
Hiob beendet seine Klage über Gottes feindliches Handeln an ihm, indem er schildert, welche Auswirkungen dieses auf ihn hat. Er ist dem Tode nahe, und sein Angesicht ist vom Weinen gerötet (vgl. V.16). In V.17 formuliert er ein Unschuldsbekenntnis, das das Handeln Gottes ungerecht, grausam und willkürlich erscheinen lässt: Hiob beteuert, dass er keine Gewalttat (EB;) begangen hat und sein (Bitt-)Gebet (8@HN) rein ist. Zusammenfassend lässt sich für Hi 16,7–17 festhalten, dass Hiob eine Feind-Klage formuliert, in der er jedoch nicht über menschliche Feinde klagt, sondern darüber, dass JHWH, sein Gott, ihn wie einen Feind brutal attackiert. Um zu beschreiben, wie sehr er unter Gottes Handeln an ihm leidet, verwendet er Psalmensprache, die in den Feind-Klagen der Psalmen für das Handeln menschlicher Widersacher gebraucht wird. Daher kann Hi 16,7–17 zugleich als große Gott-Klage bezeichnet werden.696 Von Rad fasst Hiobs Klage im Vergleich zu den Psalmen treffend zusammen: „Ja, in seinen Reden läßt sich ganz deutlich ein Anwachsen seiner Schrecken und seines Abscheus feststellen, bis in Kap. 16,7–17 ein Maß des Entsetzens über Gott 693 694 695 696
Ps 139,13: „Du hast meine Nieren (=N=@?) erschafft. Du wobst mich im Leib meiner Mutter.“ Wolff, Anthropologie, 112. Vgl. ferner Janowski, Konfliktgespräche, 170. Riede, Netz, 380. Ebenso Hartenstein, Feindbilder, 38.
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erreicht ist, das nicht wohl überboten werden kann. Hier ist die Dämonisierung des Gottesbildes vollkommen. (…) So läßt sich also in dem Verhältnis Hiobs zu Gott eine steigende Entfremdung, eine ständig sich erweiternde Kluft erkennen. Hier ist Hiob in eine Tiefe der Schrecken hinabgestiegen, die das, was die Psalmisten auszusagen wußten, weit hinter sich läßt.“697
Bezüglich der Rezeption geprägter Sachgehalte lässt sich festhalten, dass in Hi 16,7–17 – wie die Benennung des Feindes (scil. Gottes) in V.9 als LJ („Widersacher“), die Tier-, Kriegs- und Jagdbilder zur Beschreibung des Feindeshandelns (bspw. V.9 [JHWH fletscht [KL;] seine Zähne wie ein Raubtier.]; V.14 [Gott attackiert Hiob wie ein Kriegsheld [L956].) und V.12 [JHWH stellt sich Hiob zum Ziel [8LüB].] und die Verben zur Beschreibung der Taten des Feindes (bspw. in V.12 LLH pil. [„zerschmettern“] und IJH pil. [„zerschellen“]) nahelegen – eine Umkehrung und Fortbildung der geprägten Sachgehalte Bedrohung durch Feinde und Bitte um Rettung aus Feindbedrohung vorgenommen wird: Hiob bringt zum Ausdruck, dass er nicht von Menschen, sondern von JHWH wie von einem Feind verfolgt wird. Dabei verwendet er – was in den Psalmen698 für JHWH nicht belegt ist – besonders Kriegs- und Jagdbilder. Außerdem bittet er JHWH nicht um Befreiung aus Feindeshand, sondern schildert, dass Gott ihn selbst feindlich und kriegerisch attackiere. Hi 16,7–17 kann also als traditionsverändernd und -fortbildend bezeichnet werden.
3.4 Hi 16,18–22: Vertrauen auf und Entlastung durch Gottes Eintreten als Bluträcher, Zeuge und Richter Angesichts der in Hi 16,7–17 beschriebenen grausamen Gotteserfahrung wäre zu erwarten, dass Hiob sich von Gott abwendet. Umso paradoxer wirkt der folgende Abschnitt Hi 16,18–22, der die vierte Belegstelle des Ringens Hiobs um kontrafaktisches Vertrauen auf JHWH darstellt. Diese Verse lassen sich wie folgt übersetzen: 18 Oh Erde, bedecke nicht mein Blut und nicht sei ein Wohnort für mein699 (Hilfe-)Geschrei700! 697 Von Rad, Theologie I, 426. 698 Vgl. II. 1.2.1 sowie die Einzelexegese von Hi 16,7–17 unter III. 3.3. 699 Die von den Herausgebern der BHS im Anschluss an Gen 4,10 vorgeschlagene Änderung des Suffixes der 1. Pers. Sg. in das der 3. Pers. Sg. ist nicht zu übernehmen, da Hiob im vorangegangenen Verlauf des Kapitels von sich und seinem Elend sprach und daher jetzt von seinem (Hilfe-)Geschrei spricht. 700 Wörtlich: „Geschrei“. Da Hiob sich in einer Notlage befindet und an JHWH appelliert, bietet sich die Übersetzung mit „(Hilfe-)Geschrei“ an.
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19 Auch jetzt (noch) (8NF.A6)701, siehe, im Himmel (ist) mein Zeuge (=7F), und mein Fürsprecher (=782M)702 in den Höhen! 20 Meine Spötter703 (sind) meine Freunde – zu Gott hin tränt704 mein Auge! 21 Auf dass er Recht schaffe (;?= hi.) einem Mann gegen705 Gott, ja706, zwischen einem Menschen707 und seinem Freund! 22 Denn wenige Jahre708 werden kommen709 und den Weg, den ich nicht wiederkehre, muss ich gehen!
Im Vorfeld der Einzelexegese ist zu klären, an wen diese Verse gerichtet sind. Wegen der Erkenntnis, dass ihm seine Freunde nicht helfen können (V.2–6), 701 Der Zusatz „noch“ soll zum Ausdruck bringen, dass Hiob inmitten seines Leidens davon ausgeht, dass Gott sein Zeuge und Fürsprecher ist. 702 782M („Fürsprecher“) ist ein Aramaismus im Hebräischen und als Äquivalent zu 7F („Zeuge“) zu interpretieren (vgl. Habel, OTL, 265, und Wagner, Aramaismen, 109, Nr. 295). 703 Die Wurzel I=@ hi. kann im Partizip Pl. sowohl „Spötter“ als auch „Fürsprecher“ bedeuten. Vor dem Hintergrund von Hi 16,2–6 ist naheliegend, dass Hiob seine Freunde als Spötter wahrnimmt. Bspw. sagt er in Hi 16,2: „Ich habe (schon) viele (Dinge) wie diese gehört! Tröster von Mühsal (seid) ihr alle!“; ebenso Dillmann, Hiob, 149, und König, Buch Hiob, 170 f. Die LXX bietet im Anschluss an V.20b eine freie Neuschöpfung: !v¸joitº lou B d´gsir pq¹r j¼qiom („Meine Bitte möge zum Herrn gelangen!“). Fohrer (KAT, 279.281) konjiziert im Sinne der LXX zu „Fände sich (doch) mein Freund bei mir ein!“. Clines (WBC, 368.371) nimmt eine andere Textveränderung vor und gibt V.20a mit „It is my cry that is my spokesman“ wieder. Die genannten Konjekturen sind m. E. nicht erforderlich. 704 Clines (WBC, 368.372); Fohrer (KAT, 279.281); Hesse (ZBK.AT, 113) und Horst (BK.AT, 240.254) übersetzen die Wurzel G@7 („tränen“, „träufeln“) im Anschluss an das akkadische Verb dala¯pu als G@7 II („schlaflos sein“). G@7 II ist ansonsten nur noch in Ps 119,28 belegt. M. E. ist in Hi 16,20 von G@7 I mit der Bedeutung „tränen“ auszugehen, da diese Übersetzung zu Hi 16,16 („Mein Angesicht ist gerötet vom Weinen.“) passt. Flankierend treten Koh 10,18 sowie Prov 19,13 und 27,15 hinzu. In Koh 10,18 ist die Wurzel G@7 mit „träufeln, tropfen“ wiederzugeben. In Prov 19,13 und 27,15 ist substantivisch vom „Tropfen (G@7)“ die Rede. Ebenso übersetzen Delitzsch, BC, 52; Dillmann, Hiob, 149; Duhm, KHC 16, 90; König, Buch Hiob, 170 f, und Stier, Buch Ijjob, 85. 705 Wörtlich: „mit“. Da die Präposition AF im Kontext einer gerichtlichen Auseinandersetzung verwendet wird, bietet sich die Übersetzung mit „gegen“ an. Ebenso übersetzt Köhlmoos, Auge Gottes, 240. 706 Meiner Meinung nach handelt es sich bei V.21b nicht um einen Vergleich (so Clines [WBC, 368.372] und Habel [OTL, 263.266], die mit „as“ übersetzen, und Köhlmoos [Auge Gottes, 240, Anm. 6], die mit „wie“ übersetzt), sondern um eine Fortführung und Explikation von V.21a, da kein vergleichendes ? verwendet wird. 707 Einige hebräische Handschriften schlagen vor, anstelle von A74.C59 („und einem Menschen“) C=59 („und zwischen“) zu lesen. Da Hiob in Hi 9,33 mit der Präposition C=5 („zwischen“) von einer gerichtlichen Auseinandersetzung spricht („Es gibt zwischen uns [9D=D=5] keinen Schlichter [;=?9B].“), ist den Handschriften zu folgen. Ebenso entscheiden sich Duhm, KHC 16, 90; Fohrer, KAT, 279.281; Hölscher, HAT2, 42; Horst, BK.AT, 240.242, und König, Buch Hiob, 171. 708 Wörtlich: „Jahre von Zahl“. 709 Zur Abweichung des Numerus des Verbs 9=N4= (3. Pers. Pl. m.) vom Subjekt N9DM1 (Fem. Pl.) vgl. GKB, § 145u. Sie ist einer Abneigung gegen die 3. Pers. Pl. f. Imperfekt geschuldet.
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und der Tatsache, dass er unter JHWH leidet (V.7–16), obgleich er unschuldig ist (V.17), kann Hiob sich an keinen anderen wenden als an Gott selbst. Daher müssen V.18–22 an ihn adressiert sein. Flankierend treten die explizite Erwähnung Gottes in V.21 (89@4) und die Betonung des drohenden Todes Hiobs in V.22 hinzu. Der Hinweis auf das nahende Ende des eigenen Lebens wurde in den Psalmen als argumentum ad deum verwendet (vgl. bspw. Ps 89,48), um JHWH zum rettenden Eingreifen zu bewegen. Außerdem tränt Hiobs Auge nach V.20 zu JHWH, d. h., er erhofft sich allein von ihm Hilfe. Folglich handelt es sich bei Hi 16,18–22 um einen Appell an Gott. Dieser lässt sich in drei Teile gliedern: In V.18 äußert Hiob einen Wunsch, in V.19–21 eine Vertrauens- und Hoffnungsaussage und in V.22 eine Begründung für die vorangegangenen Verse. Hiob leitet seinen Appell an Gott mit dem Bild von seinem Blut ein. Er wünscht sich, dass die Erde dieses nicht bedeckt (8E? pi.). Nach Lev 17,11 ist das Blut der „Sitz“ der Lebenskraft (M1HD) des Menschen. Dabei ist zu beachten, dass Gott derjenige ist, der das Leben gibt und nimmt. Daraus resultiert zweierlei: Zum einen ist bei der Rede vom Blut die Relation von Schöpfer und Geschöpf mitzudenken. Zum anderen erhebt unschuldig vergossenes Blut – wie bspw. im Fall Abels (Gen 4,10) – Zetergeschrei. Es schreit (K7J) zu Gott, dem Geber des Lebens und dem Garanten des Rechts. Außerdem verlangt es danach, gesühnt zu werden, wie der Bundesschluss JHWHs mit Noah (Gen 9,6) und die Institution der Blutrache deutlich machen. In Gen 9,6 heißt es: 6
Wer das Blut eines Menschen vergießt, dessen Blut soll durch einen Menschen vergossen werden; denn nach (dem) Abbild Gottes hat er den Menschen gemacht.
Das Ziel der Blutrache besteht darin, die durch die Tötung eines Familienmitglieds zerstörte Ordnung wiederherzustellen.710 Sie wurde vom jeweils nächsten männlichen Verwandten des Opfers vollzogen.711 Deutet man Hi 16,18a zusammen mit dem Unschuldsbekenntnis aus V.17 und den Klagen über die Krankheit, die von Gott verursachte soziale Isolation und die kriegerischen Attacken Gottes gegen Hiob aus V.7–16, so wird ersichtlich, dass Hiob JHWH vorwirft, dass dieser sein Blut unschuldig vergossen habe. Hiob ist zwar – rein biologisch betrachtet – in Hi 16 noch am Leben. Er existiert jedoch – nach den Lebens- und Todesaufassungen der Psalmen (vgl. II. 1) – mitten im Tod. Daraus folgt, dass diese Tat Gottes gesühnt werden muss. Da Hiob keine Verwandten mehr hat und JHWH als Schöpfer und Garant des Rechts eigentlich nicht anders kann, als auf das unschuldige Leid seines Geschöpfes zu reagieren, kann nur er als „Bluträcher“ in den Blick kommen. Der 710 Vgl. Stolz, Art. Rache, 85. 711 Vgl. Otto, Ethik, 37.
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Protagonist versucht also, Gott sowohl bei seiner verwandtschaftlichen Relation zu ihm als auch bei seinem Wesen als Gott des Rechts zu behaften. In V.18b kündigt Hiob an, dass er mit Nachdruck um eine Lösung seines Falls kämpfen wird. In diesem Versteil heißt es: „Und nicht sei ein Wohnort für mein (Hilfe-)Geschrei!“ In den Psalmen wird die Wurzel KFJ („schreien“) für Hilfeschreie von Menschen in Bedrängnis verwendet. JHWH hört diese Hilferufe und greift rettend ein (Ps 22,6 und 107,13.19). Als Beispiel sei die Vertrauensaussage aus Ps 22,6 über das begründete Vertrauen der Väter zitiert: 6
Zu dir haben sie geschrien (KFJ) und konnten entkommen, auf dich haben sie vertraut und wurden nicht zuschanden!
Indem Hiob sich wünscht, dass sein (Hilfe-)Geschrei keinen Wohnort findet, sagt er also, dass er nicht aufhören wird, zu Gott zu schreien, bis dieser wie in den Vertrauensaussagen Ps 22,6 und 107,13.19 sein Schreien hört und rettend eingreift. Zusammenfassend lässt sich für Hi 16,18 festhalten, dass der Protagonist mit dem Bild von seinem unschuldig vergossenen Blut und der Rede von seinem (Hilfe-)Geschrei an Gott als Schöpfer und Garanten des Rechts appelliert, als Rächer allen Unrechts auf das unschuldige Leiden und die Hilferufe seines Geschöpfes zu reagieren. Bezieht man die Klage über JHWHs feindliches Handeln aus Hi 16,7–17 in die Auslegung mit ein, wird angedeutet, dass Hiob Gott auffordert, gegen sich selbst vorzugehen. 19 Auch jetzt (noch) (8NF.A6), siehe, im Himmel (ist) mein Zeuge (=7F), und mein Fürsprecher (=782M) in den Höhen! 20 Meine Spötter (sind) meine Freunde – zu Gott hin tränt mein Auge! 21 Auf dass er Recht schaffe (;?= hi.) einem Mann gegen Gott, ja, zwischen einem Menschen und seinem Freund!
In V.19–21 formuliert Hiob mit prozessrechtlichen Termini ein Vertrauensbekenntnis inmitten seines Leidens. Er bekundet sein Vertrauen, das ihn in den vorangegangenen Kapiteln und Versen nur noch klagen ließ, neu und explizit. Hiob beginnt in V.19 mit dem steigernden Neueinsatz 8NF.A6 („auch jetzt [noch]“), der adversativ an V.18 anschließt. Auch jetzt noch, d. h. obwohl ihn seine Freunde nach V.20 verspotten, ist er sich gewiss, dass sein Zeuge im Himmel ist. Aus V.21 geht hervor, dass dieser noch zu Lebzeiten zu seinen Gunsten eingreifen und ihm Recht verschaffen wird, da Zeugenaussagen nach alttestamentlichem Verständnis nur in diesseitigen Prozessen gemacht werden können. Zum Verständnis von Hi 16,19–21 ist zu beachten, dass die Vorstellung von einem Prozess im Tor im Hintergrund steht. In einer solchen Ausein-
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andersetzung konnte nur über die Zeugen festgestellt werden, wer im Recht ist.712 In der Forschung wurde daher häufig diskutiert, wer im Fall von Hi 16 der Zeuge im Himmel (A=BM1) und Fürsprecher in den Höhen (A=B9LB) ist, der für Hiob aussagen wird; bspw. bleibt er für Köhlmoos unidentifiziert.713 Sie geht nicht davon aus, dass der Protagonist in V.19 JHWH meint, obgleich der Himmel (A=BM1) nach Ps 33,13 sein Wohnort ist und er nach Ps 148,1 in den Höhen (A=B9LB) gelobt wird. Als Grund nennt sie das feindliche Handeln Gottes: „Trotzdem ist es unwahrscheinlich, daß Hiob Gott selbst meint. Die bittere Realität des Feindgottes läßt kaum zu, daß Hiob eine Hoffnung äußert, die sich auf Gott richtet. Nirgends läßt Hiob in seinem Gottesbild andere Züge als die seines Vernichters erkennen.“714
Für Clines, Norman C. Habel und Friedrich Horst handelt es sich beim Zeugen und Fürsprecher um eine von Gott unterschiedene Person.715 Meiner Meinung nach geht Hiob jedoch davon aus, dass JHWH sein Zeuge im Himmel ist. Hi 6,4716 hat mit der suffigierten Präposition =7BF („mit mir“) gezeigt, dass der Protagonist mit der Diskrepanz zwischen dem, wie er JHWH seither als zugewandt erfahren hat (Hi 29,5), und wie er sich gegenwärtig von ihm attackiert fühlt (Hi 6,4), ringt.717 Hiob weiß demnach aus eigener Erfahrung, dass Gott nicht nur vernichtend agieren kann. Außerdem geht aus dem Kontext von Hi 16,18–22 (Hi 16,7–17) hervor, dass nur Gott selbst gegen einen Angriff Gottes vorgehen kann.718 Flankierend tritt hinzu, dass Hiob seit Kapitel 9 die Vorstellung vom Rechtsstreit mit Gott als „Bild für dessen Unzugänglichkeit“719 bzw. für seine gegenwärtige Gotteserfahrung verwendet.720 In Hi 9,3 sagt der Protagonist: 3
Wenn er (scil. ein Mensch) begehrt, mit ihm einen Rechtsstreit zu führen (5=L), könnte er ihm nicht eins antworten auf tausend.
712 Vgl. Jes 29,21 und Am 5,10.15. Zum Torgericht vgl. ferner Otto, Kontinuum und Proprium, 34 f.86. 713 Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 241. 714 Köhlmoos, Auge Gottes, 241. 715 Vgl. Clines, WBC, 389 f; Habel, OTL, 274 f, und Horst, BK.AT, 253. 716 Zur Einzelexegese von Hi 6,4 vgl. III. 3.1. 717 Zu Hi 6,4 und 29,15 vgl. II. 2.2. 718 Ebenso Ebach, Hiob 1, 142, und Hartenstein, Feindbilder, 38. 719 Köhlmoos, Auge Gottes, 210. Ähnlich Clines, WBC, 234. 720 Vgl. dazu auch Köhlmoos, Auge Gottes, 210 f: „In Hi 9 f schildert Hiob das gegenseitige Verhältnis in den Bildern des Prozesses. D. h. nicht Hiob strengt einen von vornherein aussichtlosen Prozeß an, sondern Gott kommt Hiob in einer Weise nahe, die sich einem Rechtsstreit vergleichen läßt. Hierbei ist Hiob von Anfang an der Unterlegene, und – wie in 10,2ff deutlich wird – Gott entzieht sich der echten rechtlichen Auseinandersetzung.“
Hiobs Ringen um (kontrafaktisches) Vertrauen auf JHWH
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Und in Hi 9,16: 16 Wenn ich riefe und er mir antwortete, nicht würde ich glauben, dass er meine Stimme hörte.
In Kapitel 13 äußert Hiob explizit den Wunsch, mit Gott zu streiten (V.3), um ihm zu begegnen721 (V.13) und ihn, seinen Gegner, kennenzulernen722 (V.19). Folglich ist Hiobs Prozesswunsch nicht mit juristischen Kategorien zu fassen723, sondern zielt auf die Wiederherstellung seiner Gottesbeziehung.724 Hiob spricht also in Hi 16,19 von Gott als seinem Zeugen (=7F) und seinem Fürsprecher (=782M). Die Suffixe der 1. Pers. Sg. werden auch in Vertrauensäußerungen in den Psalmen verwendet.725 Bspw. bezeichnet der Beter aus Ps 18,3 JHWH mit suffigierten Gottesepitheta als „mein Fels (=F@E)“ und „meine Burg (=N79JB)“. Hiob formuliert folglich in V.19 eine Vertrauensäußerung im Kontext heftigster Gottesanklage (Hi 16,7–17). Er setzt sein Vertrauen auf eben den Gott, der ihn feindlich attackiert. Das Hiobbuch bestätigt also – wie die Bezeichnungen JHWHs als „mein Zeuge (=7F)“ und „mein Fürsprecher (=782M)“ zeigen – den geprägten Sachgehalt Hoffnung auf JHWH und denkt ihn zugleich weiter. Somit kann das Hiobbuch an dieser Stelle als traditionskonform und -fortbildend beschrieben werden. Da Hiobs Auge nach V.20 zu Gott (89@4) tränt, d. h. er zu ihm fleht726, sowie sich allein von ihm Hilfe erhofft (vgl. Jes 38,14b727), und Gott der einzig wahre Zeuge ist, der im Gegensatz zu seinen Freunden weiß, dass er unschuldig ist, appelliert Hiob an ihn, sich als Zeuge und Fürsprecher zu seinen Gunsten zu erweisen.728 In V.21 erwähnt er, worum er Gott mit tränendem Auge bittet. Er fordert ihn auf, ihm als Richter in seiner Auseinandersetzung mit Gott Recht zu verschaffen (Jussiv von ;?= hi.). JHWH soll also wie bereits in V.18 und V.19 implizit erwähnt nicht gegen menschliche Feinde, sondern gegen sich selbst und sein feindliches Handeln (Hi 16,7–17) vorgehen. Hi 16,21 zeigt also – wie aus dem Verb ;?= hi. („Recht verschaffen“) hervorgeht – eine Bestätigung und ein Weiterdenken des geprägten Sachgehalts Bitte um Rettung aus Feindbe721 722 723 724 725 726 727 728
Vgl. Ha, Frage, 135. Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 299. Vgl. Gese, Die Frage nach dem Lebenssinn, 177. Vgl. dazu auch Lange, Art. Weisheitsliteratur, 1368: „Hiob sehnt sich nach einer persönlichen Gottesbeziehung, in der Gott himmlischer Anwalt, Zeuge, Hiobs und Retter ist. In letzter Konsequenz strengt Hiob daher einen Prozeß gegen Gott an.“ Außer in Hi 16,19 („mein Zeuge [=7F]“ und „mein Fürsprecher [=782M]“) und Hi 19,25 („mein Löser [=@46]“) verwendet Hiob im gesamten Buch kein Gottesepitheton mit einem Suffix der 1. Pers. Sg. Vgl. Dillmann, Hiob, 149. Jes 38,14b: „Meine Augen tränen (G@7) zur Höhe. Herr, ich bin in Bedrängnis! Bürge für mich!“ Mit den Herausgebern der BHS ist „meine Augen tränen (G@7)“ anstatt „meine Augen baumeln (@@7)“ zu lesen, da „meine Augen baumeln“ wenig Sinn ergibt. Ähnlich Fohrer, KAT, 291, und Hartenstein, Feindbilder, 38.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
drohung. Das Hiobbuch kann an dieser Stelle als traditionskonform und -fortbildend charakterisiert werden. Zum Verständnis von V.21 ist außerdem ein Blick in alttestamentliche Rechts- und Gerechtigkeitsvorstellungen vonnöten. Bspw. heißt es in Ps 89,15: 15 Gerechtigkeit (K7J) und Recht (üHM1B) (sind) die Stützen deines Thrones, Güte und Treue gehen vor deinem Angesicht her.
In diesem Vers werden üHM1B („Recht“) und K7J („Gerechtigkeit“) als Stützen des Throns JHWHs beschrieben. Das Maskulinum K7J beschreibt eine Weltordnung729 und einen „Zustand gesunden, unangefochtenen und heilvollen Ergehens“730. Das Nomen üHM1B wird als juristischer Terminus für das Urteil eines Gerichts verwendet.731 In den Psalmen wird JHWH mit der zugehörigen Wurzel üHM1 („richten“) als Schöpfer und Herr der Welt charakterisiert, der zugleich ihr Richter ist.732 Wenn das Verb üHM1 mit personae miserae als Objekt verwendet wird, hat es die Bedeutung, dass Gott, indem er richtet, Recht verschafft, d. h. rettend eingreift.733 Bspw. bittet der Beter aus Ps 43,1 JHWH, zu richten (üHM1), damit er aus Betrug und Unrecht errettet wird (ü@H pi.): 1
Schaffe mir Recht (üHM1), Gott, und führe meinen Rechtsstreit mit (der) unbarmherzigen Nation! Vom Mann des Betrugs und (des) Unrechts rette mich (ü@H pi.)!
Ferner schildert Ps 146,7, dass Gott dem Unterdrücken Recht (üHM1B) schafft. Da JHWH gerecht ist und durch seine richtende Tätigkeit Gerechtigkeit herbeiführt, wird er als „gerechter Richter (K7J üH9M1)“ gepriesen (Ps 9,5). In Ps 82 werden daher Gott und Gerechtigkeit so eng miteinander korreliert, dass der Gottesbegriff vom Gerechtigkeitsbegriff her definiert wird734, wie Janowski dargelegt hat: „Der Gott der Gerechtigkeit (…) verläßt den Gerechten nicht in seiner Not, sondern er schreitet als ,soziale Instanz‘ gegen Ungerechte und Frevler ein und erbarmt sich des Verfolgten und Unterdrückten.“735
729 Vgl. Koch, Art. K7J, 516. 730 Koch, Art. K7J, 516. Beim Femininum 8K7J handelt es sich dagegen um einen funktionellen Begriff, der eine Tat der Gerechtigkeit und ein gemeinschaftstreues Verhalten beschreibt (vgl. Koch, Art. K7J, 515). 731 Vgl. Liedke, Art. üHM1, 1005. 732 Vgl. Liedke, Art. üHM1, 1008. 733 Vgl. Niehr, Art. üHM1, 418 f. 734 Vgl. Janowski, Konfliktgespräche, 137. 735 Janowski, Konfliktgespräche, 137. Zur rettenden Gerechtigkeit Gottes vgl. Janowski, Der barmherzige Richter.
Hiobs Ringen um (kontrafaktisches) Vertrauen auf JHWH
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Deutet man Hi 16,21 vor diesem Hintergrund, lässt sich trotz unterschiedlicher Terminologie (;?= hi.736 statt üHM1) wegen der vorangegangenen Versuche, JHWH als Gott des Rechts zu behaften, festhalten, dass Hiob an Gott appelliert, der von ihm gestifteten Gerechtigkeitsordnung entsprechend zu handeln und ihm, der persona misera, durch sein Richten Recht zu verschaffen. 22 Denn wenige Jahre werden kommen und den Weg, den ich nicht wiederkehre, muss ich gehen!
In V.22 untermauert der Protagonist seinen Appell an JHWH. Wie in den Psalmen (vgl. bspw. Ps 89,48) verwendet er den Hinweis auf seinen bevorstehenden Tod als argumentum ad deum, um Gott zum Einschreiten zu bewegen. Er fordert ihn somit auf, sich möglichst schnell als sein Bluträcher, Zeuge und Richter zu erweisen, d. h. ihm Entlastung von seinem unerträglichen Leiden (Hi 16,7–17) zu verschaffen. Interpretiert man die Rechtssprache als Bild für Hiobs gegenwärtige Gotteserfahrung, bittet er JHWH darum, nicht mehr unzugänglich (Hi 9,16) zu sein und nicht mehr feindlich zu handeln (Hi 16,7–17), sondern seine Klage zu hören und für ihn einzutreten, d. h. seine Unschuld anzuerkennen und die Kommunikation und Gottesbeziehung wiederherzustellen. Ferner versucht Hiob, JHWH als Gott des Rechts zu behaften, indem er auf Vorstellungen aus dem Familienrecht (Bluträcher), dem Prozessrecht (Zeuge und Fürsprecher) und der von Gott gestifteten Gerechtigkeitsordnung (Richten als Retten bzw. Wiederherstellung der von Gott gestifteten Gerechtigkeitsordnung) zurückgreift. Überdies zeigt die betonte Einleitung „auch jetzt (noch) (8NF.A6)“ in Hi 16,19, dass der Protagonist inmitten seines Leidens glaubt, dass Gott nicht nur feindlich, sondern auch als Gott des Rechts auftreten kann und auftreten wird. In diesen Versen findet sich folglich eine „Erhörungsgewissheit, wonach der feindliche Gott zuletzt ein falscher sein muss und vom richtenden und rettenden Gott zurecht gewiesen werden wird“737. Außerdem lässt Hi 16,18–22 eine Veränderung in Hiobs Vorstellung von Entlastung von seinem Leiden erkennen. Anders als in Hi 10,18–22 würde ihm nicht mehr Gottesferne, sondern JHWHs Einschreiten als Bluträcher, Zeuge und Richter Erleichterung verschaffen. Bezüglich der Rezeption geprägter Sachgehalte aus den Psalmen lässt sich festhalten, dass Hi 16,18–22 – wie die suffigierten Gottesepitheta mein Zeuge (=7F) und mein Fürsprecher (=782M) und das adversative 8NF.A6 („auch jetzt [noch]“) in V.19 sowie das Verb ;?= hi. („Recht verschaffen“) in der Bitte um 736 Ein Grund für die Verwendung der Wurzel ;?= hi. („Recht verschaffen“) statt üHM1 („richten“) könnte darin liegen, dass Hiob in Hi 9,33 feststellte, dass es keinen Schlichter (;=?9B, Partizip der Wurzel ;?= hi.), d. h. keine dritte Instanz zwischen ihm und Gott, geben kann. In Hi 16,18–22 ist er nun gewiss, dass Gott gegen sich selbst vorgehen und Hiob Recht verschaffen und auf diese Weise zwischen ihnen schlichten wird. 737 Hartenstein, Feindbilder, 38.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
Rettung aus Feindbedrohung in V.21 zeigen – die geprägten Sachgehalte Hoffnung auf JHWH und Bitte um Rettung aus Feindbedrohung bestätigt und weiterdenkt und somit als traditionskonform und -fortbildend charakterisiert werden kann: Zum einen setzt Hiob, obwohl er von Gott wie von einem Kriegshelden attackiert wird (Hi 16,12), was in den Psalmen nicht belegt ist, sein Vertrauen und seine Hoffnung auf ihn. Das Hiobbuch kennt also ein Vertrauen auf JHWH gegen JHWH und eine Hoffnung gegen die Hoffnung (spes contra spem). Obgleich Hiob auf Gott hofft, empfindet er jedoch noch keine Zuversicht, wie dies bspw. der Beter aus Ps 27,1 tut. In diesem Vers heißt es: 1
JHWH – mein Licht und meine Rettung, vor wem sollte ich mich fürchten? JHWH – Festung meines Lebens, vor wem sollte ich erschrecken?
Hiob hingegen formuliert nach seiner Vertrauensaussage in Hi 16,19 in Hi 16,21 einen Appell an Gott. Daraus resultiert, dass Hoffnung auf JHWH nicht zwangsläufig zur Zuversicht führen muss, sondern sich auch darin manifestieren kann, weiterhin Appelle an ihn zu richten. Zum anderen richtet Hiob in V.21 eine Bitte an eben den Gott, der ihn feindlich attackiert, gegen sich selbst und sein feindliches Handeln gegen Hiob vorzugehen.
3.5 Hi 19,2: Klage über die Freunde, die zu Feinden werden Ich widme mich nun der fünften Belegstelle: Hi 19,2. In diesem Vers macht Hiob seinen Freunden die bisher schärfsten Vorwürfe: 2
Bis dann wollt ihr mich (=M1HD) plagen (86= hi.) und mich mit Worten zerschlagen (4?7 pi.)?
Die Psalmenbelege der Wurzeln 86= hi. und 4?7 pi. lassen erkennen, dass er seine Freunde als Feinde des Einzelnen wahrnimmt, die ihm durch ihre Reden „lebensmindernden und zerstörenden Kummer“738 bereiten: In Ps 143,3 beschreibt der Beter das Handeln seines Feindes, das ihn Todesbefallenheit erleben lässt, mit der Wurzel 4?7 pi.: 3
Denn (der) Feind verfolgt mich (=M1HD), tritt (4?7 pi.) zu Boden mein Leben, lässt mich wohnen in finsteren Orten wie die Toten der fernsten Zeit.
738 Wagner, Art. 86=, 408.
Hiobs Ringen um (kontrafaktisches) Vertrauen auf JHWH
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In Ps 13,3a und 116,3 schildern die Beter mit dem zur Wurzel 86= gehörenden Substantiv C96= („Kummer“) ihren Kummer, der sie in Todesnähe739 bringt. In Ps 13,3a heißt es: 3
Bis wann muss ich Sorgen hegen in meiner Seele (=M1HD), Kummer (C96=) in meinem Herzen bei Tage?
Und in Ps 116,3: 3
Umgeben haben mich Stricke (des) Todes, und Bedrängnisse (der) Scheol haben mich gefunden, Not und Kummer (C96=) finde ich.
Bezüglich der Rezeption geprägter Sachgehalte lässt sich festhalten, dass Hi 19,2 – wie die Verben in der Schilderung des Feindeshandelns 86= hi. („plagen“) und 4?7 pi. („zerschlagen“) zeigen – den geprägten Sachgehalt Bedrohung durch Feinde umkehrt und weiterdenkt: Hiob erlebt nicht Mitmenschen im Allgemeinen als feindlich, sondern seine Freunde. Außerdem beschreibt er über die Psalmen hinausgehend, dass diese ihm Kummer bereiten, der ihn den Tod mitten im Leben erfahren lässt. In Ps 41,10 ist bspw. davon die Rede, dass ein ehemaliger Vertrauter des Beters gegen ihn prahlt: 10 Auch der Mann meines Friedens, dem ich vertraute, der mein Brot aß, hat groß getan gegen mich (mit der) Ferse.
Eine Beschreibung von Freunden, die zu Feinden werden und den Beter durch ihr Handeln an den Rand des Todes bringen, findet sich in den Psalmen nicht.740 Hi 19,2 kann also als traditionsverändernd und -fortbildend bezeichnet werden.
3.6 Hi 19,25–27: Vertrauen auf und Entlastung durch Gottes Eingreifen als Löser und die Erfahrung einer Gottesschau Ich wende mich nun der letzten Belegstelle zu: Hi 19,25–27. Für ein adäquates Verständnis dieser Verse soll zunächst der Kontext zusammengefasst werden. Hiob beginnt seine sechste Rede in Kapitel 19 in V.2–6 mit Vorwürfen an seine Freunde. Sodann beschreibt er in zwei Klagen (Hi 19,7–12.13–20) sein von JHWH verursachtes Leiden: V.7–12 hat JHWHs feindliche Attacken gegen ihn zum Thema. Bspw. hat Gott ihm seine Ehre (795?) (V.9) ausgezogen bzw. abgehäutet (üM1H hi.), wie aus der Verwendung des Verbums üM1H hervorgeht. 739 Zu Ps 13,3 vgl. II. 2.4.1. 740 In Ps 88,9 („Du hast entfernt meine Vertrauten von mir, hast mich gesetzt zu Gräueln für sie.“) ist zwar von Vertrauten, die sich vom Beter entfernt haben, die Rede. Allerdings liegt der Fokus in diesem Vers darauf, dass JHWH die Vertrauten vom Beter entfernt hat. Von einem feindlichen Handeln der Vertrauten ist – anders als in Hi 19,2 – keine Rede.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
Dieses wird im hi. als terminus technicus für das Abhäuten eines Opfertieres gebraucht.741 Die Konnotation des „Abhäutens“ sollte – besonders vor dem Hintergrund der sich ablösenden Haut Hiobs (Hi 30,30) – mitgelesen werden. Er wird nicht nur von Gott seiner Ehre, die dem Menschen eigentlich von ihm her zukommt (Ps 8), beraubt, sondern zusätzlich förmlich enthäutet. Ferner attackiert er Hiob wie eine befeindete Stadt mit seinen Kriegsscharen (V.12: 9=7976). In V.13–20 schildert Hiob, wie Gott ihn auch sozial isoliert. Er wird allseits gemieden und seinem gesamten Umfeld fremd. Alle sozialen Beziehungen, die er pflegte, sind nunmehr von Entfremdung geprägt. In V.13 sagt er bspw.: 13 Meine Brüder hat er von mir entfernt, und meine Vertrauten sind mir wahrlich fremd geworden (L9: II).
In V.13–19 sind insgesamt zwölf Verwandtschafts- und Bekanntschaftstermini belegt. Diese Vollzahl drückt die Totalität der Vereinsamung und Isolation aus. Die Wurzel L9: (V.13 [L9: II]; V.15 [Substantiv L:] und V.17 [Hapaxlegomenon L9: III]), die auch in Hiobs Bekenntnis zum Löser belegt ist, wird als Leitwort verwendet. Außerdem ist Hiob laut V.20 von seiner Krankheit schwer gezeichnet. Er besteht nur noch aus „Haut und Knochen“. In V.21 bittet der Protagonist seine Freunde zunächst um Erbarmen. In V.22 stellt er ihnen die vorwurfsvolle Frage, warum auch sie ihn verfolgen, wie Gott es tut. In V.23 f bringt Hiob seinen Wunsch nach Gehör durch die Nachwelt742 (V.23 f) zum Ausdruck. Im Anschluss folgt sein Ausruf der Gewissheit über den Beistand des „Lösers“ (V.25–27). Hi 19 endet in V.28 f mit einer warnenden Anrede an die Freunde. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Hiob totale Isolation erfährt: Gottes Nähe ist für ihn Feindeshandeln; von allen Menschen, mit denen er zuvor sozial interagierte, wurde er verlassen; und seine Freunde erlebt er – wie Gott – als Verfolger (V.21 f). Obgleich er Gott als seinen schlimmsten Feind erfährt und er ihn in Hi 19 nicht ein einziges Mal direkt anspricht, bekundet er dennoch in V.25–27 wie bereits in Hi 16,18–22 sein Vertrauen auf JHWH inmitten seines Leidens: 25 Ich aber (=D49)743 weiß: Mein Löser (=@46) (ist) lebendig744 und als Letzter745 wird er sich auf dem Staub746 erheben (A9K). 741 Vgl. Schmoldt, Art. üM1H, 790. 742 Zur Frage nach der Schrift vgl. Ebach, „Schrift“. Vor dem Hintergrund von Hi 19, besonders der Schilderung, wie Hiob seine Freunde erlebt, sowie dem theologischen und kontextlichen Gefälle mit der unverkennbaren Ähnlichkeit zu einem Klagelied des Einzelnen ist davon auszugehen, dass Hiob sich mit dieser Schrift wünscht, dass sein Schicksal, sein Standpunkt und seine Erfahrungen mit seinen Freunden, aber auch seine Erhörungsgewissheit unauslöschlich festgehalten werden. 743 Die LXX (oWda c±q fti, „Denn ich weiß, dass“) und die Vulgata (scio enim quod, „Denn ich weiß, dass“) deuten den Anschluss von V.25 an V.24 kausal. Da V.25–27 über V.23 f hinausgeht und im
Hiobs Ringen um (kontrafaktisches) Vertrauen auf JHWH
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26 Und nachdem747 man748 meine Haut derart749 zerschlagen hat und ohne750 mein Fleisch werde ich Gott schauen (89@4 8:;), 27 den ich751 für mich schauen werde (8:;), und meine Augen werden (ihn) gesehen haben (84L)752
744
745
746 747
748 749
750 751 752
Stile des Vertrauensbekenntnisses auf Höheres hinweist, liegt jedoch ein adversativer Anschluss nahe. Bei einem kausalen Anschluss wäre ein =? zu erwarten, ebenso wie bei einer Deutung von V.25–27 als Wortlaut der Schrift aus V.23 f ein =? recitativum zu erwarten wäre (vgl. Budde, HK.AT, 102). Adversativ übersetzen ebenfalls Budde, HK.AT, 102; Clines, WBC, 428; Dillmann, Hiob, 172; Fohrer, KAT, 307; Horst, BK.AT, 278, und Stier, Buch Ijjob, 97. =; kann entweder Adjektiv („lebendig“) oder die 3. Pers. Sg. m. Perfekt des Verbums 8=; („leben“) sein. Das Adjektiv ist häufig in Verbindung mit Gott belegt und wird als Gottesprädikation gebraucht (vgl. bspw. =;.@4, „[der] lebendige Gott“, in Jos 3,10; Ps 84,3 und Hos 2,1). Meiner Meinung nach ist =; in Hi 19,25 als Zustandsadjektiv zu interpretieren, das einen andauernden Zustand beschreibt und vor einem finiten Verb zusätzlichen Nachdruck verleiht (vgl. GKB, § 118n) (ebenso Strauß, BK.AT, 5). Für diese Deutung spricht, dass „lebendig“ im alttestamentlichen Denken im Sinne von aktiv eingreifend (vgl. Budde, HK.AT, 103) verstanden wurde. Flankierend tritt hinzu, dass die Hoffnung auf den Löser vor dem sozialgeschichtlichen Hintergrund als Hoffnung auf eine konkrete Rettung in der Not zu deuten ist. Oder adverbiell: „zuletzt“. Das Adjektiv C9L;4 kann wie bspw. im aramäischen Targum und in der Peschitta adverbiell wiedergegeben werden. Nach meinem Dafürhalten ist es an dieser Stelle vor dem Hintergrund von Jes 44,6 als prädikatives Adnominale zum Goel, der kein anderer als JHWH selbst ist (V.26: 89@4), aufzufassen und mit „als Letzter“ zu übersetzen. In diesem Vers bezeichnet sich Gott selbst als Ersten und Letzten (C9L;4). Mit „als Letzter“ übersetzen ebenfalls Fohrer, KAT, 307; Hesse, ZBK.AT, 123; König, Buch Hiob, 194; Stier, Buch Ijjob, 97, und Strauß, BK.AT, 3. Adverbiell („zuguterletzt“) übersetzt Delitzsch, BC, 58. LHF.@F ist im Hiobbuch achtmal belegt und wird ausschließlich lokal gebraucht (vgl. Hi 17,16; 19,25; 20,11; 21,26; 22,24; 34,15; 41,25 und 42,6). Die Interpretation von L;4 („nachdem“) als temporale Konjunktion liegt vor dem Hintergrund der Schilderung Hiobs über seinen desolaten physischen Zustand in Hi 19,20 nahe und schließt sich an Lev 14,43; Jer 41,16 und Hi 42,7 an. Ebenso übersetzen Delitzsch, BC, 58; Fohrer, KAT, 307 f; Gesenius18, 40; Janowski, Ein Gott, 219, und Schnocks, Rettung, 50, bes. Anm. 107. Anders Hesse (ZBK.AT, 123) und Strauß (BK.AT, 3.5), die konzessiv („auch wenn“) übersetzen. Zur Übersetzung einer pluralischen Verbform mit unbestimmtem persönlichen Subjekt vgl. GKB, § 144 f–g. Wegen einer Genusinkongruenz ist eine Änderung am MT vorzunehmen. Das Demonstrativum N4: ist Femininum und das Bezugsnomen L9F („Haut“) Maskulinum. Fohrer (KAT, 307 f); Hölscher (HAT2, 46) und Köhlmoos (Auge Gottes, 260, Anm. 6) lesen N4:? („wie dies“ < „derart“) und nehmen an, dass das ? im Laufe der Zeit verschwunden ist. Diese Lesart bietet eine plausible Lösung für den schwer verständlichen MT. Allerdings ändern Fohrer (KAT, 308); Hölscher (HAT2, 46) und Köhlmoos (Auge Gottes, 260, Anm. 6) darüber hinaus auch den Plural von GKD I pi. Perfekt im Anschluss an Budde (HK.AT, 108) in eine 3. Pers. Sg. m. Perfekt ni. Diese Konjektur ist m. E. nicht zwingend erforderlich. Anders König (Buch Hiob, 195 f), der am MT festhält, N4: als „Prädikativ des Effekts“ deutet und – etwas konstruiert und nicht nachvollziehbar – mit „zu dem da“ übersetzt. In diesem Sinne deutet auch Irsigler, Hoffnung, 165 f. Zur Übersetzung des min privativum vgl. GKB, § 119w sowie Hi 11,15 und 21,9. =D4 LM14 („den ich“) fehlt in einer Handschrift des hebräischen AT. Aufgrund der schwachen externen Evidenz kann die Lesart des MT beibehalten werden. Zur Übersetzung einer Suffixkonjugation als Futur II vgl. Joüon-Muraoka, Biblical Hebrew,
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott – und nicht (als) einen Fremden. (Danach) verzehren sich meine Nieren in meinem Unterleib753.
Hiob beginnt sein Vertrauensbekenntnis sehr betont mit der Formulierung „Ich aber weiß (=NF7= =D49)“. Die doppelte Verwendung von Personalpronomen und Verbform754 verleiht seinen Worten Nachdruck. Zugleich zeigt sie die außerordentliche Gewissheit, mit der er sein Vertrauen bekundet. Das Verbum F7= („erkennen“, „wissen“) macht deutlich, dass er etwas erkannt hat bzw. aufgrund seiner Erfahrungen jetzt etwas weiß. Diese Wurzel beschreibt das Wissen, das aus Wahrnehmung, Erfahrung und Erkenntnis gewonnen wurde.755 Folglich lässt sich im Kontext der vorangegangenen Verse (V.7–12 und V.13–20) festhalten, dass Hiob durch die soziale Isolation und die mangelnde Hilfe der Freunde sowie trotz der feindlichen Attacken Gottes gegen ihn zu der Erkenntnis gekommen ist, dass sein Löser lebendig ist und dieser sich als Letzter auf dem Staub erheben wird. An diesem Punkt stellen sich drei Fragen: Wer ist der Löser? Da Hiob in V.26 explizit von Gott (89@4) und einer Gottesschau spricht, ist es unwahrscheinlich, dass es sich beim Löser um jemand anderen als um Gott selbst handelt.756 Wann erwartet Hiob ihn zu schauen (V.26 f)? Aus der Elendsschilderung in V.26, die wie Hi 19,20 den desolaten physischen Zustand Hiobs beschreibt, geht hervor, dass seine Hoffnung eine diesseitige ist und er davon ausgeht, Gottes Eingreifen als Löser noch zu Lebzeiten zu erfahren.757
753 754 755 756
757
§ 112i, und Rogland, Alleged non-past uses of qatal, 51 f.119. Ebenso übersetzt Janowski, Ein Gott, 219. Die Nieren wurden im alttestamentlichen Denken als Sitz der Emotionen (vgl. Gesenius18, 549 für Hi 19,27) verstanden. Vgl. Ps 13,6 mit dem ebenso stark betonten =N;ü5 ý)7E;5 =D49 („Ich aber – auf deine Güte habe ich vertraut.“). Vgl. Schottroff, Art. F7=, 687. Anders Habel (OTL, 304–307); Mowinckel (Zeuge, 207–212) und Ringgren (Art. @46, 889 f), die nicht von einer Identifikation Gottes mit dem Löser, sondern von einer von ihm unterschiedenen Gestalt ausgehen. Ein weiteres Argument für Gott als Löser sind die @46-Belege bei Deutero- und Tritojesaja und in den Psalmen (vgl. Jes 41,14; 43,1.14; 44,6.22–24; 47,4; 48,17.20; 49,7.26; 51,10; 52,3.9; 54,5.8; 59,20; 60,16; 62,12; 63,9.16; Ps 19,15; 69,19; 74,2; 77,16; 78,35; 103,4; 106,10; 107,2 und 119,154), in denen eindeutig JHWH als Goel bezeichnet wird. Flankierend tritt hinzu, dass das Partizip von @46 zum „stehenden Gottesepitheton“ (Ringgren, Art. @46, 889) wurde. Anders Groß (NEB, 74 f); Hölscher (HAT2, 49) und Weiser (ATD, 149–151), die davon ausgehen, dass Hiob auf eine postmortale Rettung hofft. Zur Frage nach der Auferstehungshoffnung in Hi 19,25–27 vgl. Schnocks, Hope for Resurrection, 291–299.
Hiobs Ringen um (kontrafaktisches) Vertrauen auf JHWH
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Welche Erwartungen hat er an ihn? Zur Klärung der Frage, worin dieser Wechsel seines Schicksals besteht, trägt eine Analyse der Goel-Vorstellung bei. Die im AT als Löser bezeichneten Personen sind nahe Verwandte, die einem in Not geratenen Verwandten durch konkretes Einschreiten helfen und wirklich auslösen.758 Auch Hiob befindet sich in einer Notlage: Er wird von Gott wie von einem Feind verfolgt, ist sozial derart isoliert, dass niemand mehr mit ihm Kontakt haben oder gar sich für ihn einsetzen möchte. Außerdem lässt ihm sein bevorstehender physischer Tod keine Möglichkeit mehr, für sich selbst einzutreten. In dieser Situation bleibt ihm nur noch die Hoffnung auf Gott als Goel, von dem er zu Lebzeiten – vor dem sozialgeschichtlichen Hintergrund – ein konkretes Eingreifen bzw. „wirklichen Loskauf“759 erwartet. Außerdem ist zu beachten, dass Hiob nicht von „einem“ Löser oder „dem“ Löser, sondern wie in den Vertrauensaussagen der Psalmen (vgl. bspw. die Gottesepitheta in Ps 18,3: „mein Fels [=F@E]“ und „meine Burg [=N79JB]) und in Hi 16,19 („mein Zeuge [=7F]“ und „mein Fürsprecher [=782M]“) mit einem Possessivsuffix von seinem Löser (=@46) spricht und damit seine Hoffnung auf JHWH setzt. Er bekundet sein Vertrauen auf Gott, das ihn in Hi 19,7–20 gerade noch über ihn klagen ließ, neu und explizit. Besonders aufschlussreich ist ferner, dass die Rede von Gott als mein Löser (=@46) auch in den Psalmen belegt ist, d. h., dass das Hiobbuch Psalmensprache760 aufgreift. In Ps 19,15 heißt es: 15 Lass wohlgefällig sein die Reden meines Mundes und das Sinnen meines Herzens vor deinem Angesicht, JHWH, mein Fels und mein Löser (=@46)!
Überdies beschreibt der Beter aus Ps 103 JHWH in V.4 mit der Partizipialform des Verbums @46, einem „stehenden Gottesepitheton“761, als denjenigen, der aus Todesbefallenheit errettet: 4
Der dein Leben erlöst (@46) aus (der) Grube, der dich krönt (mit) Güte und Erbarmungen.
Über seinen Löser sagt Hiob, dass dieser lebendig ist (=;). Das hebräische Verb 8=; („leben“) beschreibt kein bloßes physisches Existieren762, sondern ein heilvolles, erfülltes Leben und ist daher zuweilen auch mit dem Nomen A9@M1 („Frieden“) verbunden.763 Lebendig zu sein bedeutet nach alttestamentlichen Vorstellungen aktiv zu sein und aktiv einzugreifen.764 Wird Gott wie in 758 759 760 761 762 763 764
Vgl. Kessler, Erlöser, 144 f. Zu Kesslers Analyse der Löservorstellung vgl. ferner III. 1.4.2.1. Kessler, Erlöser, 146. Vgl. Anm. 756. Ringgren, Art. @46, 889. Vgl. Ringgren, Art. 8=;, 884. Vgl. Ringgren, Art. 8=;, 885. Vgl. Ringgren, Art. 8=;, 892.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
Hi 19,25 als lebendig beschrieben, heißt dies, dass er aktiv eingreift765 und seine Geschöpfe Lebensfülle erfahren lässt. Folglich handelt es sich bei der Hoffnung auf den Löser um eine Hoffnung auf eine restitutio ad integrum. Hiob wünscht sich, dass sein früheres, von Gottes heilvoller Nähe geprägtes Leben (vgl. Hi 10,12 und 29,5) wiederhergestellt wird. In V.25b präzisiert er seine Hoffnung auf Gott als Löser. JHWH wird sich als Letzter (C9L;4) auf dem Staub erheben (Imperfekt von A9K). Das prädikative Adnominale C9L;4 trägt eine finale Perspektive ein. Nach allem, was gewesen ist, und unabhängig davon, wie es momentan um ihn bestellt ist, gewinnt Hiob neue Zuversicht. In Jes 44,6 bezeichnet sich Gott selbst als C9L;4, d. h. als den, der auch das letzte Wort hat: 6
Ich (bin) (der) Erste und (bin) (der) Letzte (C9L;4), und außer mir gibt es keinen Gott.
Für Hi 19,25 bedeutet dies, dass der, der sich als Löser als Letzter auf dem Staub erheben wird, der Erste und der Letzte und der Einzige ist, der das letzte Wort hat. Mit dem Nomen LHF („Staub“) schildert Hiob metonymisch seinen Zustand. Im Alten Testament werden Sterbende als diejenigen bezeichnet, die sich in den Staub legen werden (vgl. Hi 7,21; 20,11 und 21,26).766 Hiob ist also dem Tode geweiht. Das Verbum A9K beschreibt sowohl das Auftreten eines Zeugen (Dtn 19,15 und Ps 27,12) oder Richters (Ps 12,6 und Jes 2,19 sowie 33,10) als auch anthropomorphistisch JHWHs persönliches Eingreifen767. Bspw. bittet der Beter in Ps 82,8 JHWH, sich zu erheben (A9K), d. h. für die Seinen eintreten: 8
Steh auf (A9K), Gott, richte die Erde! Denn du sollst zum Erbbesitz erhalten alle Nationen.
An dieser Stelle ist darin zu erinnern, dass Hiob seit Kapitel 9 die Vorstellung vom Rechtsstreit mit JHWH als Bild für seine derzeitige Gotteserfahrung, d. h. für seine gestörte Gottesbeziehung und die Unzugänglichkeit JHWHs, verwendet768 und sein Rechtsverlangen nicht allein mit juristischen Kategorien zu fassen ist769, sondern auf die Wiederherstellung seiner JHWH-Relation zielt. Wenn Gott sich also als Löser erhebt, d. h. vor dem Hintergrund von 765 Vgl. dazu auch Budde, HK.AT, 103: Hiob weiß seinen Goel lebendig, „d. h. in wirkungskräftigem Dasein, jederzeit zum Eingreifen bereit“. 766 Vgl. Wächter, Art. LHF, 282. Ähnlich Fohrer, KAT, 319. 767 Vgl. Amsler, Art. A9K, 639. 768 Hiob sagt bspw. in Hi 9,3: „Wenn er (scil. ein Mensch) begehrt, mit ihm einen Rechtsstreit zu führen (5=L), könnte er ihm nicht eins antworten auf tausend.“ Und in Hi 9,16: „Wenn ich riefe und er mir antwortete, nicht würde ich glauben, dass er meine Stimme hörte.“ Zum Bild vom Rechtsstreit vgl. ferner III. 3.4. 769 Vgl. Gese, Die Frage nach dem Lebenssinn, 177.
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Hi 16,18–22770 „rechtsentscheidend ,als Letzter‘ im Rechtsstreit Ijobs wie ein Entlastungszeuge und Helfer, aber auch Richter auf(tritt, N. M.z.F.)“771, bedeutet dies, dass Hiobs Gottesbeziehung wiederhergestellt wird und er daraus resultierend Leben in Fülle erfährt (vgl. II. 1). Ein Auftreten Gottes als Löser würde ihm folglich Entlastung von seinem Leiden verschaffen. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Hiob vertraut auf JHWH und hofft auf ihn. Er liefert sich seinem Löser vertrauensvoll aus und wird – wie das Imperfekt772 des Verbums A9K zeigt – von der Gewissheit getragen, dass Gott dem entgegengebrachten Vertrauen entsprechend handeln wird.773 Die Rede vom Löser lässt auch eine Wandlung im Gottesbild des Protagonisten erkennen. Er hofft entgegen dem feindlichen und zerstörerischen Handeln Gottes (V.7–12.13–19) auf Gott als den für ihn eintretenden Löser, der sich selbst unterlaufen und ihn so aus seinem Gott-verschuldeten Leid erlösen und sich hierbei zugleich als der eine, wahre Gott erweisen wird. Daher kann gesagt werden, dass ihm sein JHWH-Vertrauen wie dem Beter aus Ps 27,1774 Zuversicht schenkt. Hi 19,25 bestätigt also – wie das betonte „ich-aber (=D49)“, das suffigierte Gottesepitheton mein Löser (=@46) und das Imperfekt von A9K („erheben“) in V.25 nahelegen – die geprägten Sachgehalte Hoffnung auf JHWH und Zuversicht wegen des JHWH-Vertrauens und kann als traditionskonform charakterisiert werden. 26 Und nachdem man meine Haut derart zerschlagen hat und ohne mein Fleisch werde ich Gott schauen (89@4 8:;),
In V.26a kehrt Hiob zu seinem desolaten physischen Zustand zurück. Das temporale L;4 („nachdem“) bringt in Verbindung mit dem min privativum seinen körperlichen Verfall zum Ausdruck. Seine Haut ist von Eiter befallen (Hi 7,5), schwarz geworden und löst sich von ihm ab (Hi 30,30). Er ist so gut wie enthäutet, und sein Fleisch liegt offen. Er kann nur noch festhalten, dass man seine Haut derart zerschlagen hat. V.26a beschreibt also keine postmortale Hoffnung, sondern die nackte Existenz Hiobs, der gerade noch am Leben ist. Genau in dieser Situation, während er am Rande des Todes bzw. im Tod existiert (vgl. II. 1), geht er davon aus, dass er eine Gottesschau haben wird. Er sagt in V.26b: „Ich werde Gott schauen (89@4 8:;4).“ Im Unterschied zu V.25, als Hiob noch vom Goel sprach, spricht er jetzt explizit von Gott (89@4). Er identifiziert den Löser mit Gott. Durch diese Identifikation wird evident, dass es keine dritte Instanz geben kann, die sein Problem zu lösen vermag. Dies kann nur JHWH. 770 Zur Einzelexegese von Hi 16,18–22 vgl. III. 3.4. 771 Irsigler, Hoffnung, 174. 772 Vgl. Ps 38,16: „Denn auf dich, JHWH, harre (@;= hi.) ich, du wirst antworten (Imperfekt von 8DF), mein Herr, mein Gott.“ 773 Vgl. die Definition von „(kontrafaktischem) Vertrauen“ unter I. 1.3.4. 774 Ps 27,1: „JHWH – mein Licht und meine Rettung, vor wem sollte ich mich fürchten? JHWH – Festung meines Lebens, vor wem sollte ich erschrecken?“
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
Hiob gewinnt eine neue Zuversicht. Er glaubt, dass er vor seinem Tode Gott begegnen wird. Gottesnähe ist für ihn nun – anders als bspw. in Hi 3,11–19; 6,8–10; 7,13–15 und 10,18–22775 – nicht mehr negativ konnotiert. Ganz im Gegenteil: Er sagt in V.27: 27 den ich für mich schauen werde (8:;), und meine Augen werden (ihn) gesehen haben (84L) – und nicht (als) einen Fremden. (Danach) verzehren sich meine Nieren in meinem Unterleib.
Die Wendung L:.4@9 („und nicht [als] einen Fremden [L:]“) lässt einen Wandel in Hiobs Gottesvorstellung erkennen. Gott ist nun der nahe Gott, der, der ihn löst. Er ist kein Fremder mehr. Die Wurzel L9:, die eine soziale Isolation und Entfremdung beschreibt, ist in Hi 19 zweimal verbal (V.13 [L9: II] und V.17 [Hapaxlegomenon L9: III]) und einmal als Substantiv (V.15) belegt. Durch die Verwendung von L9: wird V.27 mit dem gesamten Kapitel 19 verbunden. Gott ist Hiob jetzt nicht (mehr) fremd und wird ihn auch nicht mehr entfremden (vgl. Hi 19,13). Bezeichnend ist, dass sich seine Nieren, d. h. sein tiefstes Inneres und Sitz der „feinsten Empfindungen“776, nicht danach verzehren, Recht zu bekommen oder Gottes rettendes Eingreifen zu erfahren, sondern danach, Gott und dessen wahres Wesen zu schauen. Der dativus ethicus =@ verleiht seiner Sehnsucht zusätzlichen Nachdruck. In Hi 3,13777 wollte Hiob dagegen noch Ruhe für sich (=@ ;9D=) haben. Für die Frage nach Hiobs Gewissheit sind die verwendeten Tempora aufschlussreich. Das Perfekt 94L nach dem Imperfekt 8:;4 ist als „Bezeichnung sicher erwarteten Geschehens“778 zu verstehen. Die Gottesschau kann somit als Hiobs größter Wunsch und größte Gewissheit zugleich interpretiert werden.779 Doch was genau verbirgt sich hinter der Vorstellung von einer Gottesschau, und wie rezipiert das Hiobbuch den geprägten Sachgehalt Hoffnung auf eine Gottesschau780? In den Psalmen geht mit der Hoffnung auf eine Gottesschau die Hoffnung einher, in die schützende Thronsphäre JHWHs aufgenommen zu werden.781 In diesem Bereich erfährt der Beter nicht nur Rettung und Schutz, sondern auch eine Wende seiner Not (Ps 11; 17 und 42782) und Lebensfülle (Ps 63), da er dem Königsgott in einer Audienz von Angesicht zu 775 776 777 778 779 780 781 782
Zur Einzelexegese von Hi 3,11–13; 6,8–10; 7,13–15 und 10,18–22 vgl. III. 2.1–2.4. Wolff, Anthropologie, 112. Vgl. ferner Janowski, Konfliktgespräche, 170. Vgl. III. 1.4.3.2. Strauß (BK.AT, 5) im Anschluss an Brockelmann, Syntax, § 41 f. Daher liegt die Übersetzung mit Futur II nahe, die Strauß jedoch nicht wählt. Mit Futur II übersetzt Janowski, Ein Gott, 219. Diese große Gewissheit zeigte sich bereits in V.25 mit dem betonten =NF7= =D49 („ich aber weiß“). Vgl. II. 1.1.4. Vgl. Hartenstein, Angesicht, 128. Zur Hoffnung auf eine Gottesschau in Ps 11; 17; 42 und 63 vgl. II. 1.1.4.
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Angesicht begegnen und an den von ihm ausgehenden Segenswirkungen partizipieren783 kann. Zusammenfassend lassen sich die Hoffnungen, Gott zu schauen, in den Psalmen als „synästhetische Fülle an Sinneserfahrungen: Licht, Sättigung, Bewegung, Geborgenheit bei/vor dem königlichen Gott“784 beschreiben. Berücksichtigt man die Hoffnungen aus den Psalmen, lässt sich die Hoffnung Hiobs, Gott zu schauen, etwas konkretisieren, jedoch nicht – ohne Spekulation – konkret fassen, da in Hi 19,26 f eher das „Dass“ als das „Wie“ der Gottesschau beschrieben wird.785 In Hi 19,25 wünscht Hiob sich mit der Goel-Vorstellung den Psalmen 11; 17 und Ps 42 vergleichbar die „Erfahrung von Gottes helfendem Eingreifen angesichts einer konkreten Not“ und die „Wiederherstellung des Lebens in segenhafter Fülle“786. Betrachtet man Hi 19,26 f, so zeigt sich jedoch, dass Hiob sich mit seiner Sehnsucht nach einer Gottesschau nicht primär auf die in Ps 11; 17 und 42 beschriebenen Segenswirkungen bezieht. Er mag darauf hoffen, wichtiger ist ihm jedoch die unmittelbare, persönliche Begegnung mit JHWH787, die seine Gottesbeziehung wiederherstellen würde. In Hi 19,26 sagt er daher lediglich, dass er Gott (89@4) schauen möchte (8:;), und nicht wie in Ps 11; 17 und 42 sein Angesicht (8DH)788 oder wie in Ps 63 seine Macht und Herrlichkeit (Ps 63,3: :F und 795?). Außerdem zeigt die Näherbestimmung der Gottesschau L:.4@9 („und nicht [als] einen Fremden“), dass es ihm besonders wichtig ist, Gottes wahres Wesen und nicht dessen Fremdheit zu sehen. Des Weiteren macht das Faktum, dass in Hi 19,26 f keine Details der Gottesschau thematisiert werden, deutlich, dass es dem Protagonisten vor allem um die Erfahrung einer Gottesbegegnung geht. Würde er Gott schauen, erführe er nicht mehr dessen Fremdheit, sondern dessen heilvolle Gegenwart und Leben in Fülle. Hiobs Hoffnung, Gott zu schauen, zeigt also – wie die Verben des Sehens und Schauens 84L („sehen“) und 8:; („schauen“) und die Wendung „Gott schauen (89@4 8:;)“ illustrieren –, dass das Hiobbuch den geprägten Sachgehalt Hoffnung auf eine Gottesschau bestätigt und weiterdenkt: Es zeigt mit dem Verzicht auf die Segenswirkungen, dass die von Vertrauen geprägte JHWH-Relation allein auch ohne die Erfahrung eines rettenden Eingreifens Gottes Zuversicht schenken kann. Denn Hiob spricht seine Hoffnung auf und
783 784 785 786 787
Vgl. Hartenstein, Angesicht, 129. Hartenstein, Sehen, 31. Vgl. Fuhs, Sehen, 279. Fuhs, Sehen, 276. Vgl. dazu auch Hi 42,5 f und Hiobs Getröstetsein aufgrund seiner Gottesbegegnung ohne die Erfahrung von Segenswirkungen. Zu Hi 42,1–6 vgl. III. 4.3–4.3.3. 788 Ps 11,7: 9B=DH 8:; („sein Angesicht schauen“); Ps 17,15: ý)=DH 8:; („dein Angesicht schauen“) und Ps 42,3: A=8@4 =DH 84L („das Angesicht Gottes sehen“).
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
Gewissheit über eine Gottesschau inmitten seines Leidens aus (vgl. Hi 19,7–20). Daraus resultiert, dass diese ihm Zuversicht schenkt.789 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Hiobs Hoffnung und Gewissheit über eine Gottesschau eine Veränderung in seiner Gottesrelation erkennen lässt: Zum einen macht sie deutlich, dass er Gottesnähe nun nicht mehr als negativ wahrnimmt, sondern sich nach nichts mehr als nach der Erfahrung der lebensspendenden Gegenwart JHWHs sehnt. Zum anderen wird evident, dass ihm die Gottesbegegnung seine Fragen nach dem Wesen Gottes (vgl. Hi 3,20: „Wozu gibt er dem Mühebeladenen Licht und Leben den Erbitterten?“) beantworten und ihm somit wie ein Eingreifen Gottes als Löser Entlastung von seinem Leiden verschaffen würde. Bezüglich der Rezeption geprägter Sachgehalte kann festgehalten werden, dass Hi 19,25–27 – wie das betonte „ich-aber (=D49)“, das suffigierte Gottesepitheton mein Löser (=@46) und das Imperfekt von A9K („erheben“) in V.25 nahelegen – die geprägten Sachgehalte Hoffnung auf JHWH und Zuversicht wegen des JHWH-Vertrauens bestätigt und – wie die Verben des Sehens und Schauens 84L („sehen“) und 8:; („schauen“) und die Wendung „Gott schauen (89@4 8:;)“ in V.26 f illustrieren – den geprägten Sachgehalt Hoffnung auf eine Gottesschau bestätigt und weiterdenkt. Das Hiobbuch kann also an dieser Stelle als traditionskonform und -fortbildend charakterisiert werden. 3.7 Das Hiobbuch und der Vorstellungskomplex Leben und Tod Zum Abschluss der Analyse des Ringens Hiobs um kontrafaktisches JHWHVertrauen möchte ich darlegen, wie sich das Hiobbuch in den untersuchten Texten mit dem Vorstellungkomplex Leben und Tod auseinandersetzt. Die exegesierten Abschnitte lassen eine Bewegung von der Hoffnung auf den Tod (Hi 6,8–10) hin zur Hoffnung und zum Vertrauen auf Gott als Zeugen im Himmel (Hi 16,18–22) und Löser (Hi 19,25–27) und eine Gottesschau (Hi 19,25–27) erkennen. Überdies weisen sie eine Bewegung von der Umkehrung hin zur Bestätigung der geprägten Sachgehalte Hoffnung auf JHWH und Zuversicht wegen des JHWH-Vertrauens sowie Hoffnung auf eine Gottesschau auf, die jedoch eigene Akzente setzt. Das Hiobbuch erweist sich also als traditionsverändernd und -fortbildend und in der Gesamtbewegung von der Hoffnung auf den Tod hin zur Hoffnung auf Gott als Löser und eine Gottesschau als traditionskonform zugleich. Außerdem wird in Hi 16,18–22 und 19,25–27 deutlich, dass Hiob JHWH trotz dessen feindlicher Attacken (vgl. Hi 16,7–17 und die Umkehrung und Fortbildung der geprägten Sachgehalte Bedrohung durch Feinde und Bitte um Rettung aus Feindbedrohung) gegen ihn wieder vertrauen kann. Des Weiteren zeigen diese Texte – wie bereits unter III. 2.7 für das sog. 789 Vgl. dazu auch Gunkel/Begrich, Einleitung 235.
Hiobs Ringen um (kontrafaktisches) Vertrauen auf JHWH
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Todeswunschmotiv dargelegt –, dass das Hiobbuch das Vertrauen auf JHWH, das die Individualklagen ermöglicht und durchzieht, sowie zu einem intakten Gottesbezug und damit nach alttestamentlichen Vorstellungen zu einem Leben im Vollsinne dazu gehört (vgl. II. 1), kritisch hinterfragt, Ambivalenzen aufdeckt und es – unter Kopräsenthaltung der Spannungen – theologisch neu interpretiert und unter Berücksichtigung des Herausgearbeiteten bestätigt: • Hi 16,18–22 und 19,25–27 bringen als Vertrauensaussagen inmitten des Leides zum Ausdruck, dass die Hoffnung auf Gott und der daraus resultierende Appell an ihn ein letzter Ausweg sind. • Die genannten Texte zeigen durch das betonte „auch jetzt noch (8NF.A6)“ in Hi 16,19 und das betonte „ich aber (=D49)“ in Hi 19,25–27, dass Hiob sich – trotz der feindlichen Attacken Gottes gegen ihn – bewusst dazu entscheidet, sein Vertrauen auf eben diesen Gott zu setzen. So gesehen zeigt das Hiobbuch in Hi 16,18–22 und Hi 19,25–27, dass das kontrafaktische Gottvertrauen, das die psalmistische Klage ermöglicht und durchzieht, keine selbstverständliche oder unreflektierte Reaktion auf Widerfahrnisse ist. Im Gegenteil: Es stellt einen letzten Ausweg dar und setzt eine bewusste Entscheidung voraus. • Das Buch Hiob illustriert durch die zwei Vertrauensaussagen inmitten des Leidens jedoch auch, dass das neu bekundete Vertrauen auf Gott helfen kann, die Spannung zwischen dem geglaubten und dem derzeit erlebten Gott zu bewältigen und bis zu einem rettenden Eingreifen Gottes auszuharren. 3.8 Weitere Faktoren zum Verständnis von Hiobs Weg in Hi 3 bis 19 Im Anschluss an die Analyse des Weges Hiobs von der Klage (Hi 3) zum Vertrauen auf Gottes Eingreifen als Zeuge (Hi 16,18–22) und Löser (Hi 19,25) ist zu klären, wie dieser verläuft und welche Faktoren für den Verlauf entscheidend sind. 3.8.1 Hiobs Weg verläuft spiralförmig und nicht linear Zunächst ist der Weg des Protagonisten kurz zusammenzufassen. Während Hiob in Hi 3 seinen Dialog mit seinen Freunden mit einem Text eröffnete, der eigentlich kein Gebet mehr790 ist, nähert er sich im weiteren Verlauf des Buches den Möglichkeiten des Psalmengebets allmählich an. Bspw. bittet er in Hi 7,7a JHWH um sein Gedenken: 7
Gedenke, dass mein Leben ein Hauch (;9L) (ist)!
790 Vgl. III. 1.4.5.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
In Hi 10,2 entschließt er sich, direkt zu Gott zu reden, und sagt: 2
Ich will zu Gott (89@4.@4) sprechen (LB4).
Schließlich bekundet er in Hi 16,18–22 und 19,25–27 sein erschüttertes Vertrauen auf JHWH, das ihn in Hi 3 nur noch klagen ließ, deklarativ neu. Auf seinem Gebets- und Erfahrungsweg lässt er mit der Sprache der Psalmen den Gebetsfaden trotz des gravierenden Vertrauensverlusts nicht abreißen. Er setzt sich besonders mit den Themen „Entlastung von der bedrohlichen Gottesnähe“, „Leben und Tod“ und „Vertrauen auf JHWH“ auseinander. Bspw. umkreist er das Thema „Entlastung durch Nichtexistenz“. Würde er nicht leben, wäre er nicht mit seinem Leiden und auch nicht mit Gottes bedrohlicher Gegenwart konfrontiert. Als Beispiel sei Hi 10,18791 zitiert: 18 Aber wozu (8B@) hast du mich aus dem Mutterschoß gezogen (4J= hi.)? Ich wäre umgekommen und kein Auge hätte mich gesehen.
Dieser Vers greift in geringer Variation Hiobs Wunsch nach Nichtexistenz aus Kapitel 3 auf. Im Unterschied zu Hi 3,11 gebraucht Hiob in Hi 10,18 das Verbum 4J= im kausativen Hif ’il anstatt im Qal und spricht Gott direkt an. Er wendet seine Ich-Klage aus Hi 3 zu einer „Du-Klage“ bzw. einer direkten Anklage gegen Gott. Er stellt seinem Schöpfer die Frage, wozu (8B@) er ihn aus dem Mutterschoß gezogen hat, während er in Hi 3,11 noch allgemeiner fragte: 11 Wozu (8B@) starb ich nicht vom Mutterschoß (weg), kam aus dem Mutterleib heraus (4J=) und kam (sofort) um?
Daraus resultiert, dass Hiobs Weg zum Vertrauen auf Gottes Eingreifen als Löser (Hi 19,25–27) nicht linear, sondern spiralförmig verläuft792 und aus einem Streitgespräch mit Gott und einem Gebetsprozess resultiert. Flankierend tritt hinzu, dass Hiob zwei Vertrauensbekenntnisse formuliert: Obgleich er in Hi 16,18–22 bereits sein Vertrauen auf Gott inmitten seinen Leidens bekundet hat, kehrt er in Hi 19,7–20 wieder zur Klage über JHWHs feindliches Handeln an ihm zurück. Dennoch formuliert er dann in Hi 19,25–27 eine weitere Hoffnungs- und Vertrauensaussage.
791 Zur Einzelexegese von Hi 10,18–22 vgl. III. 2.4. 792 Hiobs Weg führt nicht linear von der Klage zum Lob. Im Gegenteil: Er führt zunächst vom Lob Gottes (Hi 1,21) über die Klage (Hi 3; 6; 7 u. ö.) zum Vertrauen auf Gottes Eingreifen zu seinen Gunsten (Hi 16,18–22). Sodann führt er wieder zurück zur Klage (Hi 19,7–12.13–19). Schließlich findet Hiob zur Gewissheit über JHWHs Handeln als Löser (Hi 19,25 und ferner in Hi 19,26 f: Gewissheit über eine Gottesschau), bevor er erneut zur Klage (Hi 23,8 f: Klage darüber, dass er Gott nicht sieht) zurückkehrt. Am Ende seines Weges lobt er Gott nach erfahrener Gottesschau auf neuer Erkenntnisebene (Hi 42,1–6).
Hiobs Ringen um (kontrafaktisches) Vertrauen auf JHWH
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3.8.2 Entscheidende Faktoren auf dem Weg Hiobs Auf Hiobs Weg zur deklarativen Neubekundung seines Vertrauens auf JHWH sind zwei Faktoren maßgeblich: 3.8.2.1 Eliphas’ Rat in Hi 5,8 Zum einen gibt Eliphas Hiob in seiner Antwort auf dessen Eingangsklage (Hi 3) in Hi 5,8 den Rat, sich wie in den Psalmen mit seinem Anliegen an Gott zu wenden: 8
Dagegen ich würde mich an Gott wenden (M1L7, wörtlich: „zu Gott hin suchen“) und zu Gott hin (A=8@4.@4) würde ich vorlegen meine Sache!
Von den Psalmenbelegen des Verbums M1L7 („suchen“) mit Gott als Objekt (Ps 34,5: 898=; 69,33: A=8@4; und 77,3: =D74) ist Ps 34,5 besonders aufschlussreich. Der Beter bekennt, dass JHWH auf sein Suchen reagierte und zu seinen Gunsten eingriff: 5
Ich suchte (M1L7) JHWH, und er antwortete (8DF) mir; und aus allen meinen Ängsten rettete (@JD hi.) er mich.
Hiob macht jedoch zunächst nicht die Erfahrung des Beters aus Psalm 34. Im Gegenteil: In Hi 9,14–16 klagt er im Bild des Rechtsstreits darüber, dass Gott so unzugänglich ist, dass er sein Rufen (4LK) nicht hört, geschweige denn darauf reagiert (8DF). Daher bittet er JHWH in den folgenden Kapiteln darum, ihm zu antworten (Hi 31,35 [8DF]) oder zu ihm zu rufen (4LK), damit er ihm antworten (8DF) kann (Hi 13,22 und 14,15). Bis Hiob in den Gottesreden (Hi 38,1–41,26) eine Reaktion erhält, ringt er mit JHWH um eine Antwort auf seine Klage. Dabei folgt er – wenn auch, wie die zahlreichen Umkehrungen geprägter Sachgehalte aus den Psalmen zeigen, auf andere Weise als wohl von Eliphas beabsichtigt – dem Rat seines Freundes. Er wendet sich an Gott und spricht (an-)klagend, fragend und appellierend zu (vgl. Hi 10,2: 89@4.@4 LB4) ihm. 3.8.2.2 Der scheiternde Dialog zwischen Hiob und seinen Freunden Zum anderen entwickelt sich Hiobs Gespräch mit seinen Freunden zunehmend zum parallellaufenden Monologisieren. Die Freunde sind der Ansicht, dass Gott eine gerechte Welt geschaffen hat, die „abgelesen“ werden kann, und Hiobs Leid daher ein Resultat eines Vergehens sein muss. Folglich versuchen
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
sie zunächst sehr einfühlsam793, Hiob nicht nur zurechtzuweisen, sondern auch zu trösten, zu ermutigen und ihm zu helfen, zurück in die Gottesnähe und das Gottesverhältnis zu finden, in dem er früher war (Hi 10,12 und 29,5). Hiob hat jedoch ein anderes Problem als seine Freunde denken. Er nimmt sich als unschuldig von Gott gequälten Menschen wahr und merkt, dass sich der Tun-Ergehen-Zusammenhang794 in seinem individuellen Fall nicht als zutreffend erweist. Es kommt daher zu einer immer stärker werdenden Entfremdung zwischen den Gesprächspartnern und ab dem zweiten Redegang (Hi 15–21) zu dem seitens der Freunde geäußerten Verdacht, Hiob sei ein Frevler (Hi 15,4–6). Folglich entfernt sich Hiob immer mehr von seinen Freunden. Er merkt, dass er eine Antwort auf seine Fragen nur im Gespräch mit Gott selbst bekommen kann. Der scheiternde Dialog mit seinen Freunden veranlasst ihn also dazu, sich Gott anzunähern, seine Hoffnung auf ihn zu setzen (Hi 16,18–22 und 19,25–27) und im Appell an ihn den einzigen Ausweg zu sehen.
4. Weitere Stationen von Hiobs Weg in der Buchkomposition: Überblicke zu Hi 29–31; 38–41 und Exegesen zu Hi 42,1–6 und 7–9 Im Folgenden fasse ich zunächst weitere Stationen von Hiobs Weg in der Buchkomposition bzw. die für diesen bedeutsamen Herausforderungreden Hiobs (Hi 29–31) und Reden JHWHs (Hi 38,1–39,38) zusammen. Sodann exegesiere ich Hiobs Antwort auf die Gottesreden (Hi 42,1–6) und JHWHs Urteil über Hiob und seine Freunde (Hi 42,7–9). Am Ende des Kapitels vergleiche ich Hiobs Weg mit der Gebetsdynamik der Psalmen und untersuche mit Blick auf den Verlauf des Weges Hiobs im gesamten Hiobbuch wie die geprägten theologischen Überzeugungen JHWH antwortet auf das Rufen seiner Geschöpfe zu ihm795, JHWH verwandelt Klage zu Lob und Trauer zu Freude796 und JHWH bzw. das Mitsein Gottes tröstet797 rezipiert werden.
4.1 Hi 29–31: Die Herausforderungsreden Hiobs Betrachtet man den weiteren Verlauf des Gesprächs zwischen Hiob und seinen Freunden, zeigt sich, dass die Freunde immer deutlicher aussprechen, dass sie 793 Eliphas erweist sich (besonders in Hi 4–5) in seinen Reden als der einfühlsamste der drei Freunde. Zu dessen Reden vgl. Scherer, Lästiger Trost. 794 Vgl. Anm. 6. 795 Vgl. II. 1.3.1. 796 Vgl. II. 1.3.2. 797 Vgl. II. 1.3.3.
Weitere Stationen von Hiobs Weg in der Buchkomposition
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Hiob für einen Frevler halten (Hi 22,1–11), der sein Geschick selbst zu verantworten hat. Hiob hingegen beteuert wie bereits in Hi 16,17 seine Unschuld (Hi 23,10–12 und 27,2–6). Die Dynamik des Dialogs hat Daniela Opel treffend zusammengefasst: „Ihre Ansprache wird dem Gequälten zu einem anmaßenden Anspruch und Widerspruch, so dass Hiob Gott selbst zu einer Erklärung seiner Verfassung und einer Auflösung seines Dilemmas herausfordert.“798
Dies tut er in Hi 29–31, den sog. Herausforderungsreden. Diese beinhalten einen dreiteiligen Monolog. In Hi 29 blickt der Protagonist zurück auf seine Vergangenheit, seine Fürsorge für sozial Schwache und Benachteiligte (Hi 29,12–16) und seinen ehemals gesegneten Zustand, als Sˇaddaj mit ihm war (Hi 29,5). In Kapitel 30 beschreibt er seine von Krankheit, Verfolgung durch Gott und sozialer Isolation geprägte Gegenwart, die ihn eigentlich – nach der weit verbreiteten Vorstellung des Tun-Ergehen-Zusammenhangs799 – wegen seines in Hi 29 beschriebenen gemeinschaftsgetreuen Handelns nicht hätte treffen dürften. Bspw. sagt er in Hi 30,26: 26 Denn Gutes (er-)hoffte ich, und es kam (495) Böses. Und ich harrte auf Licht, und es kam Dunkelheit.
In Hi 31 formuliert er einen Reinigungseid. In diesem distanziert er sich von verschiedenen Vergehen wie bspw. der Missachtung der Rechte von Sklaven (Hi 31,13–15) oder der Missachtung des Armen, der Witwe und der Waisen (Hi 31,16–18). Hiobs Eid dient dazu, seine „Unschuld zu erweisen und bringt die Gewissheit des Leidenden zum Ausdruck, dass Gott seine Integrität anerkennen muss“800. In Hi 31 verwendet der Protagonist wie bereits in Hi 9,3.11.16 und 16,18–22 das Bild vom Rechtsstreit801 mit Gott als Bild für seine gegenwärtige Gotteserfahrung. Besonders auffällig ist, dass er jede mögliche Anklage entkräftet, ohne überhaupt zu wissen, was Gott ihm vorwerfen könnte. In Hi 31,35–37 erreichen sein Monolog und verzweifeltes Ringen mit Gott ihren Höhepunkt. Hiob fordert JHWH zu einer unmittelbaren Begegnung und direkten Auseinandersetzung heraus. In V.35 sagt er: 35 Sˇaddaj möge mir antworten (Jussiv von 8DF)!
Er wünscht sich also, von Gott die Gründe zu hören, die seinen schlechten Zustand rechtfertigen, d. h. eine Antwort auf der Rechtsebene. 798 799 800 801
Opel, Hiobs Anspruch, 1. Vgl. Anm. 6. Opel, Hiobs Anspruch, 3. Vgl. III. 3.4.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
4.2 Hi 38,1–41,26: Die Gottesreden In Hi 38–41, den sog. Gottesreden, geht JHWH nach langem Schweigen mit den zwei längsten Reden (Hi 38,1–39,30 und 40,6–41,26) des Buches auf Hiobs Herausforderung ein.802 In der Einleitung in Hi 38,1 „Da antwortete (8DF) JHWH Hiob aus dem Wettersturm und sagte“ wird zum ersten Mal im Dialogteil der JHWH-Name verwendet und dadurch zum Ausdruck gebracht, dass Hiob nicht von „irgendeiner Gottheit, einer anonymen Macht, sondern von JHWH, dem Gott Israels“803 eine Antwort erhält. Dieser beginnt seine Antwort in Hi 38,2 f, indem er Hiob ebenfalls herausfordert: 2
Wer (ist) dieser, der verdunkelt einen Ratschluss (8JF) mit Reden ohne Erkenntnis (NF7.=@5)?
3
Gürte doch wie ein kräftiger, junger Mann (L56) deine Hüften! Ich will dich befragen, belehre mich!
In diesen Versen werden bereits die zentralen Themen beider Gottesreden erwähnt, nämlich Gottes Ratschluss (8JF) und Erkenntnis (NF7).804 Daher kann Hi 38,2 f als „vorwegnehmende Zusammenfassung der in beiden Gottesreden gemachten Darlegungen“805 betrachtet werden. In seiner ersten Rede (Hi 38,1–39,30) stellt Gott Hiob 40 rhetorische Fragen zur creatio prima und creatio continua sowie zur Ordnung der Welt, die Hiob allesamt mit „Nein“ beantworten muss. JHWH bezieht sich in Hi 38,4–18 auf sein Schöpfungshandeln (creatio prima) wie bspw. die Gründung der Erde und die Begrenzung des Meeres (V.4–11). Gleich zu Beginn fragt er Hiob in Hi 38,4, ob er bei der Erschaffung der Welt dabei gewesen sei. In Hi 38,19–38 stellt er Hiob Fragen bezüglich seines kosmoserhaltenden Wirkens (creatio continua) wie bspw. Wettererscheinungen wie Licht und Finsternis, Schnee, Hagel, Blitz und Ostwind (V.19–24).806 Nachdem er ihn in Hi 38,4–38 zur unbelebten Welt befragt hat, fragt er ihn in Hi 38,39–39,30 zur belebten Welt bzw. zur Welt der Tiere. In diesen Versen werden Tiere wie Löwe und Rabe (Hi 38,39–41) oder Wildesel und Wildstier (Hi 39,5–12) erwähnt, d. h. Tiere, „die im Symbolsystem alttestamentlichen Denkens Chaos und Zerstörung repräsentieren können“807. Sie veranschaulichen Lebensbereiche, die dem Menschen entzogen sind, und in denen er 802 Die Elihureden (Hi 32–37) stehen zwischen Hiobs Herausforderung Gottes (Hi 31,35–37) und Gottes Antwort. Sie sind daher als sekundärer Einschub zu verstehen (vgl. SchwienhorstSchönberger, Buch Ijob, 424, und Witte, Das Hiobbuch, 438). 803 Lux, Hiob, 233. 804 Vgl. Kang, Behemot und Leviathan, 57. 805 Kang, Behemot und Leviathan, 57. 806 Zu einer Detailgliederung der Gottesreden vgl. Kang, Behemot und Leviathan, 56. 807 Köhlmoos, Auge Gottes, 340.
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keine Rolle spielt. Sie illustrieren eine gegenmenschliche Welt, in die und in deren Ordnung der Mensch nicht eingreifen kann.808 Doch auch diese – aus menschlicher Sicht – chaotischen Bereiche sind „der Herrschaft Gottes keineswegs entglitten“809. Gott sorgt dafür, dass die Welt nicht dem Chaos anheim fällt. Doch nicht nur das: Die genannten Tiere haben sogar ein Gottesverhältnis und werden von JHWH fürsorglich mit Nahrung versorgt, wie bspw. Hi 38,41 illustriert. JHWH fragt Hiob in diesem Vers: 41 Wer bereitet dem Raben seine Speise, wenn seine Jungen zu Gott schreien und irrefliegen, weil sie kein Essen haben?
Das Handeln JHWHs an der Tierwelt hat Chol-Gu Kang treffend zusammengefasst: „Gott bleibt als Schöpfer jeder Kreatur gegenüber transzendent, aber gleichzeitig der Fürsorger, der die Welt lenkt und sich um ihre Bewohner kümmert. Damit wird der Plan Gottes (8JF) erfüllt.“810 In Hi 40,2, einer Art Zäsur, bringt Gott zum Ausdruck, dass er und Hiob sich nicht auf Augenhöhe befinden, und lehnt somit Hiobs Wunsch nach einem Rechtstreit ab. In Hi 40,2 sagt er: 2
Will einen Rechtsstreit führen (5=L) mit Sˇaddaj (der) Tadler? Wer Gott zurechtweist, der möge antworten!
In Hi 40,3–5 antwortet Hiob kurz auf die erste Gottesrede. Da er Gottes Wirken in Welterschaffung und Welterhaltung sowie seine Größe und seinen die menschliche Erkenntnis übersteigenden Plan gesehen hat, bezeichnet er sich als zu gering und will fortan schweigen. Da er jedoch bezüglich seiner Vorwürfe aus dem Dialogteil (vgl. bspw. Hi 9,22–24) noch zu keiner Erkenntnis gelangt ist, formuliert Gott in Hi 40,6–41,26811 noch eine zweite Rede.812 In dieser geht er verstärkt auf Hiobs Anklagen ein. In Hi 40,8–14 beschreibt er sich als Gott der Gerechtigkeit. Er sagt in Hi 40,8 f: 8
Willst du wahrlich brechen mein Urteil und mich schuldig sprechen (FM1L hi.), damit du gerecht seist?
9
Oder hast du einen Arm wie Gott, und mit einer Stimme wie er kannst du donnern?
Die Verwendung des Verbums (FM1L hi.) zeigt, dass JHWH den Vorwurf Hiobs aus Hi 9,24, er sei ein Frevler (FM1L), widerlegt.813 In diesem Vers sagte Hiob: „[Die] Erde ist gegeben in die Hand eines Frevlers (FM1L).“ 808 809 810 811 812 813
Vgl. Ebach, Hiob 2, 132. Keel, Jahwes Entgegnung, 156. Kang, Behemot und Leviathan, 196. Vgl. Anm. 806. Vgl. Kang, Behemot und Leviathan, 60. Vgl. dazu auch Ebach, Hiob 2, 144, und Keel, Jahwes Entgegnung, 126.
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Ferner thematisiert JHWH Behemot (Hi 40,15–24) und Leviathan (Hi 40,25–41,26)814, die im Alten Testament üblicherweise dem Chaos zugeordnet werden, das aus der Warte des Menschen als bedrohlich wahrgenommen, aber von Gott besiegt wurde (bspw. Leviathan in Ps 74,14). In den Gottesreden werden diese Tiere jedoch als Geschöpfe Gottes präsentiert, die ihm lieb und teuer sind. An ihrem Beispiel zeigt JHWH auf, dass das, was für Menschen alarmierend und gefährlich wirkt, aus seiner Sicht anders aussieht und mit dem Blick auf ihn relativiert wird. Exemplarisch möchte ich auf die Ausführungen zu Behemot Bezug nehmen815: Gott fordert Hiob auf, dieses Nilpferd anzuschauen und es mit seinen Augen zu betrachten. Er sagt Hiob, er habe ihn mit diesem Tier geschaffen (Hi 40,15): 15 Sieh doch (den) Behemot, den ich gemacht habe (zusammen) mit dir!
In Hi 40,19 bezeichnet er das Nilpferd als Erstling (N=M14L) seiner Werke816. Unter kultischen Aspekten betrachtet ist der Erstling derjenige, der dem Schöpfergott gebracht wird, um ihm das Beste zurückzugeben. In den folgenden Versen würdigt Gott den Behemot in seiner Eigenart. Er sagt bspw. in Hi 40,21.23, dass dieser sich unter Lotusbüschen niederlege, nicht erzittere und sogar ruhig bleibe, auch wenn der Strom ansteigt. Indem JHWH sogar einen – aus menschlicher Sicht betrachtet – Repräsentanten der Welt des Chaos als seinen Liebling beschreibt und in seiner Eigenart würdigt, zeigt er Hiob nicht nur dessen menschliche Kleinheit und Schwäche817, sondern auch, dass er auch ihn in seiner Geschöpflichkeit und der dazugehörigen Rebellion818 gegen ihn würdigt. Das Aufbegehren des Protagonisten gegen Gott zeigte sich besonders in seinen heftigen Klagen und Anklagen, in denen er geprägte Sachgehalte aus den Psalmen in ihr Gegenteil verkehrte. Helmuth Utzschneider formuliert die Bedeutung der Ausführungen JHWHs über den Behemot für die Erkenntnis Hiobs treffend: „Gott hat ihn an seiner Schau der Geschöpfe und der Welt teilhaben lassen. Er hat erfahren, wie Gott seine Schöpfung und seine Geschöpfe betrachtet. Gott sieht, respektiert, ja bewundert selbst die merkwürdigsten unter seinen Geschöpfen in ihren Eigengarten und ihrem Eigensinn. Indem Hiob derart, mit Gottes Augen, auf die Schöpfung blicken konnte, hat er erfahren, dass auch er, Hiob, sich jenen Geschöpfen 814 Die Vorstellung von Behemot (Hi 40,15–41,26) und Leviathan (Hi 40,25–41,26) geht auf ägyptische Vorstellungen zurück. Zur Analyse der ikonografischen Bildzeugnisse vgl. Keel, Jahwes Entgegnung. Zu einer Detailgliederung der Abschnitte über Behemot und Leviathan vgl. Kang, Behemot und Leviathan, 61. 815 Zum Leviathan vgl. ausführlich Kang, Behemot und Leviathan, 172–180. 816 Wörtlich: „Wege“. 817 Vgl. Opel, Hiobs Anspruch, 19. 818 Vgl. das realistische Menschenbild von Ps 8. Dieser Psalm beschreibt den Menschen als königliches und zur Herrschaft über die Tierwelt beauftragtes Geschöpf (V.5–9), das aber auch zur Rebellion (V.3) fähig ist.
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zugehörig fühlen darf und zwar gerade den widerständigsten, eigenartigsten und Größten unter ihnen. Indem Gott ihn nicht nur seine eigene Macht als Schöpfer, sondern auch die Eigenmacht und den Eigensinn der anderen Geschöpfe hat sehen lassen, hat er auch Hiob in seinem Eigensinn anerkannt. Der ganze ebenso schmerzhafte wie eigensinnige Weg, den Hiob genommen hat, gehört zu seiner Eigenart als Geschöpf, zeichnet ihn aus wie die Straussenhenne ihr begrenzter Verstand und ihr schneller Lauf, wie den Behemot seine starken Knochen und seine Seelenruhe, wie den Leviathan sein schreckliches Maul und seine dicke Haut. In diesem Sinne gehören auch das Leiden und die Unbeirrbarkeit seiner Suche nach Gott zu Hiobs geschöpflicher Eigenart.“819
Zusammenfassend lässt sich für die Gottesreden festhalten, dass JHWH sich mit keinem Wort den Fragen Hiobs widmet, sondern überwiegend kosmologische Argumente zur Stützung seiner Gerechtigkeit bei gleichzeitiger Undurchschaubarkeit vorbringt. Er geht auf die kosmologische Ebene der Klagen Hiobs (Hi 3 und 9,22–24), in denen dieser aufgrund seines Schicksals anthropozentrisch Rückschlüsse auf den Zustand der Welt anstellte, ein. Er zeichnet ein Bild von seiner Schöpfung, das eine Ordnung erkennen lässt, die für den Menschen nicht durchschaubar ist, und bricht somit den Anthropozentrismus Hiobs auf. Außerdem weist er Hiob in seinem Gesuch nach einem Rechtsstreit, in der kosmologischen Dimension seiner Klagen und in seiner anthropozentrischen Weltsicht zurück, gibt ihm jedoch auch eine Antwort, die seinem Anliegen Gewicht verleiht und ihn zu einem Umdenken führt, das er in Hi 42,1–6 zum Ausdruck bringt. Aus der Einleitung der Gottesreden in Hi 38,1 „Da antwortete (8DF) JHWH Hiob aus dem Wettersturm und sagte“ geht hervor, dass JHWH sich als antwortender und verlässlicher Gott erweist und das Hiobbuch – wie die Verwendung des Verbs 8DF („antworten“) illustriert – die geprägte theologische Überzeugung JHWH antwortet auf das Rufen seiner Geschöpfe zu ihm820 bestätigend rezipiert. Daher können die Gottesreden auf der einen Seite im Sinne des Klageerhörungsparadigmas, das die Gebetsdynamik der Psalmen prägt, gedeutet werden. Auf der anderen Seite ist jedoch auch festzuhalten, dass Gott nicht nur wie in den Psalmen auf die Bitten des Klagenden antwortet, sondern Hiob auch zu einem Zweikampf herausfordert, ihm die Grenzen seiner menschlichen Erkenntnis aufzeigt und ihn korrigiert, wo er falsch lag. Daraus resultiert, dass Hiob durch seine unmittelbare Begegnung mit JHWH Einsicht821 gewinnt und sein in den Dialogen vertretenes anthropozentrisches Weltbild zugunsten eines theozentrischen aufgibt. Er deutet nun die Welt nicht mehr aus der Warte seines Leidens (Hi 9,24), sondern schließt 819 Utzschneider, „… jetzt aber hat mein Auge dich gesehen“ (Hi 42,5), 335 f. 820 Vgl. II. 1.3.1. 821 Anders Spieckermann, Satanisierung, 443. Er sieht das Ziel der Gottesreden in der Unterwerfung Hiobs. Dem ist m. E. nicht zuzustimmen, da Hi 38,2 f zeigt, dass Gott Hiob zu Erkenntnissen führen möchte.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
umgekehrt aufgrund der Ambivalenzen des Kosmos auf sein individuelles Schicksal. Im Anschluss an seine Gottesschau formuliert er in Hi 42,1–6 ein Eingeständnis, das zugleich ein Vertrauensbekenntnis zu seinem persönlichen Gott beinhaltet. Diesen Textabschnitt werde ich im Folgenden einzelexegetisch untersuchen. Er lässt sich wie folgt übersetzen: 4.3 Hi 42,1–6: Hiobs (Vertrauens-)bekenntnis zu seinem persönlichen Gott 1
Und Hiob antwortete JHWH und sagte:
2
„Ich weiß822 (jetzt)823, dass du alles vermagst, und nicht ist dir unmöglich824 ein Vorhaben!
3
,Wer (ist) dieser, der verhüllt einen Ratschluss825 ohne Erkenntnis?‘826 Darum habe ich geredet, und nicht verstanden, Wundertaten, die mir zu hoch (sind), und nicht begreife ich (sie).
4
,So höre doch, ich will reden, ich will dich befragen, belehre mich827!‘828
5
Vom Hörensagen829 hatte ich von dir gehört, aber jetzt hat mein Auge dich gesehen!
822 Im MT ist die Verbform N%, F!7(=) ohne das für die Endung der 1. Pers. Sg. Perfekt typische = überliefert. Das Ketib entscheidet sich daher für die 2. Pers. Sg. m. Perfekt Qal, das Qere jedoch mit den meisten Übersetzungen für die 1. Pers. Sg. c. Perfekt Qal. Laut GKB (§ 44i) ist die 1. Pers. Sg. c. Perfekt auch ohne = belegt. In Hi 42,2 ist das Qere als „die gewöhnliche Form, zu welcher eigentlich die im Text stehenden Vokale gehören“ (GKB, § 44i) zu verstehen. Das Ketib hingegen muss „wohl als Überrest älterer Orthographie (ohne Vokalbuchstaben selbst am Ende des Wortes)“ (GKB, § 44i) betrachtet werden. Wegen der starken externen Evidenz und der Erklärung von GKB ist an der Lesart des MT festzuhalten. Flankierend tritt hinzu, dass ein Verb der 1. Pers. Sg. eher dem Duktus und der Logik des Hiobbuches entspricht. Es ist wahrscheinlicher, dass Hiob nach den Gottesreden zu einer Erkenntnis gekommen ist und diese zum Ausdruck bringt, als dass Hiob eine Erkenntnis Gottes schildert. 823 Der Zusatz „jetzt“ verdeutlicht, dass Hiobs Erkenntnis aus Hi 42,1–6 aus seiner Gottesbegegnung resultiert. Er ist jetzt zu einer Einsicht gelangt, der die gemachte Erfahrung zugrunde liegt. Vgl. dazu III. 4.3.1. 824 Wörtlich: „nicht wird von dir abgeschnitten“. 825 Mit einer Handschrift des hebräischen Alten Testaments, der LXX und der Peschitta wird vorgeschlagen, C=@B5 („mit Reden“) zu ergänzen. In Hi 42,2 wird Hi 38,2 („Wer [ist] dieser, der verdunkelt einen Ratschluss mit Reden ohne Erkenntnis?“) zitiert. Im MT fehlt allerdings die Näherbestimmung C=@B5 („mit Reden“), die in Hi 38,2 vorhanden ist. Daher liegt es nahe, dass sie von der hebräischen Handschrift, der LXX und der Peschitta eingefügt wurde, um das Zitat wörtlich identisch zu machen. Folglich ist am MT als lectio difficilior festzuhalten. 826 Vgl. Hi 38,2: „Wer (ist) dieser, der verdunkelt einen Ratschluss mit Reden ohne Erkenntnis?“ 827 Wörtlich: „Lass du mich wissen!“ 828 Vgl. Hi 38,3 und 40,7: „Gürte doch wie ein Mann deine Hüften! Ich will dich befragen, belehre mich!“ 829 Wörtlich: „vom Hören des Ohres“.
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Daher schwinde ich dahin830, aber ich bin getröstet (A;D ni.)831 auf832 Staub und Asche!“833
Hi 42,1–6 lässt sich in drei Teile gliedern: Nach der Redeeinleitung (V.1) bringt Hiob in V.2 f seine Erkenntnis zum Ausdruck, die auf den Erfahrungen beruht, die er in V.4 f beschreibt. In V.6 formuliert er eine conclusio, die die präzise Mehrdeutigkeit illustriert, mit der das Hiobbuch als Problemdichtung arbeitet. 4.3.1 V.2 f: Hiobs Erkenntnis Ich beginne die Einzelexegese mit Hiobs Erkenntnis, die er in V.2 f äußert. Die Perfektform von F7= („erkennen“, „wissen“) bringt mit ihrem resultativen Bedeutungskern834 zum Ausdruck, dass Hiob aufgrund seiner Erfahrungen jetzt etwas weiß. Das Verbum F7= bezeichnet das Wissen, das aus Wahrnehmung und Erfahrung gewonnen wurde.835 Daher beschreibt es das Ende eines Prozesses: Dem F7= geht oft das 84L, „eine visuelle sensorische Wahrnehmung“836, voraus, die häufig die Voraussetzung für die Erkenntnis ist837. Das Resultat von F7= ist NF7 („Wissen“/„Erkenntnis“). Die Wurzel F7= dominiert V.2–4 und kann daher als Leitbegriff für Hiobs Rede betrachtet werden. Dies zeigt, worauf die Gottesreden hinauswollen, nämlich Hiob zu einer Erkenntnis zu führen (vgl. Hi 38,2 f). In V.2 bringt der Protagonist zum Ausdruck, dass er jetzt weiß, dass Gott alles vermag und kein Vorhaben für ihn unausführbar ist. In V.3aa zitiert er die Worte JHWHs aus Hi 38,2 in leicht veränderter Form. Dadurch bringt er den Inhalt beider Gottesreden ins Gespräch mit ein. Er bestätigt, dass Gott ihn zu Recht infrage gestellt hat. Ferner bekennt er seine eigene Geschöpflichkeit und bringt das Ausmaß seiner Erkenntnis zum Ausdruck. JHWH fragte in Hi 38,2: 2
Wer (ist) dieser, der verdunkelt einen Ratschluss mit Reden (C=@B5) ohne Erkenntnis (NF7.=@5)?
830 Zur Übersetzung des Verbums E4B vgl. die Einzelexegese unter III. 4.3.3. 831 Zur Übersetzung des Verbums A;D ni. vgl. die Einzelexegese unter III. 4.3.3. 832 Die Wendung LHF.@F wird im Hiobbuch ausschließlich lokal gebraucht (vgl. Anm. 746) und gibt einen Hinweis auf Hiobs äußere Situation, die sich nicht verändert hat (vgl. die Einzelexegese unter III. 4.3.3). Daher ist sie mit „auf Staub und Asche“ wiederzugeben. Ebenso übersetzen Ebach, Hiob 2, 155; Ha, Frage, 191, und Janowski, Ein Gott, 223. 833 Die gängigen deutschen Bibelübersetzungen übersetzen Hi 42,6 traditionell. In der Lutherbibel von 2017 heißt es: „Darum gebe ich auf und bereue in Staub und Asche.“ Die Elberfelder Bibel übersetzt: „Darum verwerfe ich mein Geschwätz und bereue in Staub und Asche.“ Die 1984 revidierte Lutherübersetzung gibt Hi 42,6 wie folgt wieder: „Darum spreche ich mich schuldig und tue Buße in Staub und Asche.“ 834 Zum resultativen Bedeutungskern von F7= vgl. Seeligmann, Erkenntnis Gottes, 233–238, sowie Willi-Plein, Mensch, 555, Anm. 16. 835 Vgl. Schottroff, Art. F7=, 687. 836 Botterweck, Art. F7=, 491. 837 Vgl. Botterweck, Art. F7=, 491.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
In Hi 42,3aa fehlt die Näherbestimmung C=@B5 („mit Reden“). Hiob ersetzt diese durch den viel stärkeren Ausdruck C=54 4@9 =N768 („Ich habe geredet, und nicht verstanden“). Er sagt, dass er sich äußerte (76D hi.), aber nichts verstand (C=54 4@9). In V.3b präzisiert der Protagonist, worüber er ohne Erkenntnis sprach. Während er im Dialogteil noch darüber klagte, dass Gott feindlich handelt (Hi 16,7–17) und er ihn nicht mehr wiedererkennt (Hi 3,20), ist sein Unverständnis nach der Gottesschau in affirmierende Sprache umgeschlagen. Hiob erwähnt die Wundertaten Gottes (N94@HD), die ihm zu hoch sind und die er nicht begreifen kann. Auf der einen Seite bekennt er also, wie zahlreiche Psalmenbeter, dass JHWH Wundertaten (bspw. Ps 72,18838) vollbringt. Auf der anderen Seite beschreibt das Nomen N94@HD („Wundertaten“) den Unterschied zwischen Gott und Mensch. Hiob verwendet dieses Substantiv also auch, „um bekennend das Handeln Gottes als ein solches zu bezeichnen, dem gegenüber Menschen keine Möglichkeiten und Spielräume besitzen“839. Dabei ist jedoch zu beachten, dass er von JHWH keine konkrete Antwort auf seine Fragen erhält: „Einzig, dass Gott an ihm und damit auch für ihn gehandelt hat, indem er sich endlich zeigte, bewegt Hiob zur Anerkennung seines Nichtwissens.“840
4.3.2 V.4 f: Hiobs Erfahrung 4
,So höre doch, ich will reden (Imperfekt von L57 pi.), ich will dich befragen, belehre mich!‘
5
Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, aber jetzt hat mein Auge dich gesehen!
In V.4 formuliert der Protagonist sowohl ein Eingeständnis als auch ein Vertrauensbekenntnis zu seinem persönlichen Gott und den Wunsch, dauerhaft mit diesem in Beziehung zu bleiben. Er beginnt mit einer Höraufforderung an JHWH, die aus einem Imperativ (FBM1, „höre“) und der verstärkenden Partikel 4D („doch“) besteht. Sodann zitiert er Hi 38,3b bzw. 40,7. Er vertauscht jedoch die Personen, um zu illustrieren, dass es er selbst ist, der der Belehrung bedarf. Während JHWH in diesen Versen „Ich will dich befragen, belehre mich (F7= hi.)!“ sagte, sagt Hiob nun „Ich will reden, ich will dich befragen, belehre mich (F7= hi.)!“ Mit eben diesen Worten bringt er über sein Eingeständnis hinaus auch zum Ausdruck, dass er zu seinem persönlichen Gott gefunden hat und diesem 838 Ps 72,18: „Gepriesen sei JHWH, Gott, (der) Gott Israels. Er tut Wundertaten (N94@HD), er allein!“ 839 Hartenstein, Wunder, 13. 840 Hartenstein, Wunder, 25.
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vertraut: Hiob bekundet seine Absicht, sich in allen Schwierigkeiten seines Lebens wie die Psalmenbeter voller Vertrauen zuerst an seinen Gott zu wenden (vgl. das Imperfekt von L57 pi. [„reden“] in V.4) und von ihm eine Reaktion auf seine Gebete zu erwarten.841 Außerdem wünscht er sich, dass JHWH ihm Einsicht schenken möge, wenn er ihn darum bittet.842 Würde er Gott nicht vertrauen, würde er ihn nicht darum bitten, ihn zu belehren. Das JHWH-Vertrauen schenkt Hiob wiederum unabhängig von äußeren Umständen Lebenssinn, wie Westermann herausgearbeitet hat: „Wenn ein Mensch mitten in den Erfahrungen seines Lebens Vertrauen faßt, ob in der Sorge um das tägliche Brot oder bei der Frage nach dem richtigen Weg oder in tödlicher Gefährdung, Vertrauen, daß er gehalten wird, Vertrauen, daß sich einer um ihn kümmert, dann hat er damit und darin Verbindung zu Gott bekommen, dann kann er sagen: ,Gott ist mein Hirt‘, und damit erhält sein Leben einen Sinn, den es vorher nicht hatte, und einen Zusammenhang, den es vorher nicht hatte.“843
In V.5 begründet Hiob sein in V.2–4 geäußertes (Vertrauens-)Bekenntnis. Er sagt: 5
Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, aber jetzt hat mein Auge dich gesehen (84L)!
Unverkennbar ist die terminologische Verbindung zu Hi 19,27.844 Seinen sehnlichsten Wunsch bzw. die Gewissheit, dass dieser erfüllt wird, drückt er in Hi 19,27 mit 94L =D=F9 („und meine Augen werden ihn gesehen haben“845) und die Erfüllung in Hi 42,5 mit ý)N4L =D=F 8NF9 („aber jetzt hat mein Auge dich gesehen!“) aus. Vor seiner Begegnung mit Gott hatte er sein Gegenüber nur vom „vom Hörensagen“ (wörtlich: „Hören des Ohres [C:4.FBM1@]“) gekannt. Die paronomastische Wendung „Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört 841 Vgl. die Definition des Begriffs „Der ,persönliche Gott‘“ unter I. 1.3.2. 842 Vgl. dazu auch Lux, Hiob, 261. Allerdings stellt er nicht fest, sondern fragt: „Bittet Hiob jetzt umgekehrt Gott darum, dass er ihn hören möge, wenn er redet, und ihm auch zukünftig Erkenntnis schenken möge, wenn er ihn befragt (42,4)? Möchte er mit ihm und keinem anderen dauerhaft im Gespräch, in einer persönlichen Beziehung bleiben, um nicht nur vom Hörensagen etwas über seinen Gott zu erfahren (V.5a)?“ Die Verwendung des Imperfekts von L57 pi. („reden“) in Hi 42,4 spricht jedoch dafür, dass Hiob seine Absicht bekundet, eine persönliche Beziehung zu seinem Gott pflegen zu wollen. 843 Westermann, Ausgewählte Psalmen, 98. Vgl. dazu auch Gese, Die Frage nach dem Lebenssinn, 188: „Durch die Selbsterfahrung in Staub und Asche hindurch eröffnete sich ihm das ewige Sein göttlicher Annahme, und es erschloß sich ihm eine Sinnfülle in unendlichem Maße.“ 844 Die Verbindung zwischen Hi 19,25–27 und 42,5 sah bereits Tur-Sinai (Buch Hiob, 130). Hartenstein (Sehen, 36) sieht ebenfalls einen Zusammenhang zwischen Hi 19,26 f und 42,5. Auch Heckl (Hiob, 119) geht von einem Vorverweis auf die Gottesreden aus. Strauß (BK.AT, 17) vertritt eine ähnliche Auffassung: Hi 19,27 „ist schon aufgrund der Formulierung 94L =D=F(9) in direkter inhaltlicher Korrespondenz zu Hi 42,5 (…) zu sehen. Dort ist Hiob inzwischen – wie und wann auch immer – widerfahren, womit er hier fest rechnet.“ Zu Hi 19,25–27 vgl. III. 3.6. 845 Zur Übersetzung einer Suffixkonjugation als Futur II vgl. Anm. 752.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
(ý)=NFBM1 C:4.FBM1@)!“ beschreibt die Worte und Erfahrungen anderer, die Tradition.846 Eine Begegnung mit Gott war Hiobs sehnlichster Wunsch, den er besonders in den Versen Hi 19,25–27, die auf Hi 42,5 vorausschauen, zum Ausdruck brachte. Nachdem diese sich ereignet hat, sagt er: „Aber jetzt hat mein Auge dich gesehen (ý)N4L =D=F 8NF9)“ (V.5b). Die betonte Zeitangabe 8NF („jetzt“) drückt den Gegensatz zu „früher“ (V.5a) aus. Die Septuaginta fügt daher in V.5a t¹ pqºteqom ein. An diesem Punkt stellt sich die Frage, an welche Art von Gottesschau im Text gedacht wird. Im Text sind wenig Details überliefert. Es findet sich kein konkreterer Terminus wie bspw. 8D9BN („Gestalt“, vgl. Ps 17,15). Daher kann diese Frage nicht abschließend geklärt werden. Aufschlussreich sind jedoch das verwendete Verbum 84L („sehen“) und die Tatsache, dass Hiob ein Suffix der 2. Pers. Sg. m. gebraucht, d. h. „Jetzt hat mein Auge dich gesehen“ sagt. Die Wurzel 84L beschreibt im Alten Testament nicht nur ein visuelles Wahrnehmen im physikalisch-optischen Sinne, sondern „oft komplexe Wahrnehmungsvorgänge, die ganzheitliches Erleben (unter starker emotionaler Beteiligung) ebenso umfassen wie eine genuine Nähe zum ,Erkennen‘ und daraus resultierend zum ,Wissen‘ anzeigen (vgl. die häufige Parallelstellung von raBah und jadaB, sowie die mehrmals betonte kausale Linie vom ,Sehen‘ zum Einsehen = ,Erkennen‘, z. B. in Gen 18,21; Ex 2,25; Dtn 4,35; Ps 31,8)“847.
Aus Hi 42,2–4 geht hervor, dass Hiobs frühere Sicht der Dinge, die er vom Hörensagen hatte, durch die Begegnung mit JHWH korrigiert wurde.848 Hiob kann Gott wieder vertrauen, da er gesehen hat, dass er kein Tyrann ist, der ihn grundlos quält, sondern sich gerade dort als vertrauenswürdig erweist, wo dem Menschen Grenzen der Erkenntnis gesetzt sind.849 Hi 42,5 zeigt also, „daß das ,Schauen Gottes‘ eine Form der personalen Gotteserfahrung ist, die noch über das Hören hinausgeht, ja alles über Gott bisher Vernommene umstürzt, weil es zur direkten Begegnung mit dem lebendigen Gott führt“850.
Die Verwendung des Suffix der 2. Pers. Sg. m. ist vor dem Hintergrund von Hi 19 (besonders V.27) so zu verstehen, dass Hiob (ein)sieht851, wie Gott wirklich ist, und JHWH für ihn nun kein Fremder mehr ist. Der Protagonist erlebt folglich Angenommen-Sein statt Entfremdung, wie Hans Ferdinand 846 Vgl. Fohrer, KAT, 534. 847 Hartenstein, Sehen, 19. Zum Zusammenhang zwischen „Sehen“ und „Erkennen“ vgl. auch Seeligmann, Erkenntnis Gottes, 233–242. 848 Vgl. die Parallele „Sehen (84L)“ (Hi 42,5) und „Erkennen/Wissen (F7=)“ (Hi 42,2) sowie Anm. 851. 849 Vgl. Hermisson, Notizen, 298. 850 Janowski, Konfliktgespräche, 88. 851 Vgl. die Verbindung von „Sehen“ und „Erkennen“: Dem F7= geht oft das 84L voraus, das ferner häufig die Voraussetzung für die Erkenntnis ist (vgl. Bergmann/Botterweck, Art. F7=, 491 [Botterweck]).
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Fuhs für Hi 42,5 treffend formuliert: „Die personale Begegnung mit Gott stiftet vertraute Gemeinschaft. Der Bedrängte gehört jetzt zu den Vertrauten Gottes und darf seine Hilfe erhoffen.“852 Zusammenfassend lässt sich für Hiobs Gottesbegegnung festhalten, dass Gott nach langem Schweigen auf Hiobs Fragen, Klagen und Anklagen reagiert, sich ihm zuwendet und sich von ihm sehen lässt (vgl. Hi 42,5). Er zeigt sich als der von Hiob gesuchte persönliche Gott, der ihm antwortet (vgl. I. 1). Darüber hinaus gewährt er ihm in Hi 38–41 Einblicke in die göttliche Sphäre853 und lässt ihn seine Nähe erfahren. Diese Begegnung führt Hiob zu einem Umdenken, das er in V.6 konkludierend zum Ausdruck bringt: 4.3.3 V.6: Hiobs conclusio 6
Daher schwinde ich dahin (EEB ni. bzw. E4B II), aber ich bin getröstet (A;D ni.) auf Staub und Asche!
Das Hiobbuch endet in Hi 42,6 mehrdeutig, aber nicht beliebig. Die Wurzeln E4B und A;D ni. haben mehrere Bedeutungsmöglichkeiten. Daher ist vor einer Interpretation von V.6 zunächst zu klären, welche Übersetzungsvarianten vor dem Hintergrund des Verlaufs des Hiobbuches die wahrscheinlichsten sind. Ich beginne mit dem Verbum E4B. Dieses ist das Gegenverb zu L;5 („wählen“). Es wird oft mit „verwerfen“, „gering achten“ oder „ablehnen“ übersetzt. In Hi 42,6 wird es häufig mit „verwerfen“ wiedergegeben. So bspw. von Ebach, Felix Gradl und Ha.854 Heckl übersetzt in diesem Sinne mit „verwerfen/aufgeben“ und Strauß mit „sich verwerfen“.855 Köhlmoos gibt E4B mit „verachten“ wieder.856 Fohrer und die 18. Auflage des Gesenius übersetzen E4B in Hi 42,6 im Anschluss an Karl Budde mit „widerrufen“.857 M. E. gibt es für Hiob keinen Anlass, seine Rede zu verwerfen oder zu widerrufen. In Hi 42,7858 erklärt JHWH selbst, dass Hiob Richtiges (8D9?D) geredet hat. Eine plausible Übersetzung hat Thomas Krüger vorgeschlagen. Er liest statt E4B I („verwerfen“, „widerrufen“) EEB ni. bzw. E4B II, eine Nebenform zu EEB ni., und übersetzt mit „I will waste away“.859 Die Wurzel EEB ni. bzw. E4B II ist auch in Hi 7,5 im Kontext der Beschreibung des nahenden Todes Hiobs belegt. In Hi 7,5 sagt er, dass seine Haut zerfließe (EEB ni. bzw. E4B II), und in Hi 7,6 beklagt er, dass er bald sterben werde. 852 Fuhs, Art. 84L, 252. 853 Diese Einblicke sind nach Hartenstein (Sehen, 21) vor dem Hintergrund der Vorstellung einer von Gott durchwirkten Wirklichkeit „möglich und wahrscheinlich“. 854 Vgl. Ebach, Hiob 2, 155; Gradl, NSK.AT, 310, und Ha, Frage, 191. 855 Vgl. Heckl, Hiob, 199, und Strauß, BK.AT, 336. 856 Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 342. 857 Vgl. Fohrer, KAT, 531 f.535 f, und Gesenius18, 622. 858 Zu Hi 42,7–9 vgl. III. 4.4. 859 Vgl. Krüger, Did Job repent?, 225.
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Vor dem Hintergrund von Hi 7,5 f und der Tatsache, dass Hiobs äußere Situation in den Gottesreden keine Veränderung erfährt, ist nach meinem Dafürhalten Krüger zu folgen und EEB ni. bzw. E4B II zu lesen. Im Deutschen bietet es sich an, dieses Verb mit „dahinschwinden“ wiederzugeben. Trotz der Entscheidung für diese Variante ist meiner Meinung nach die andere Bedeutung „verwerfen“/„widerrufen“ als zweite Deutungsmöglichkeit, die die präzise Mehrdeutigkeit des Hiobbuches zulässt, mitzudenken. Auch die Wurzel A;D ni. kann verschiedenartig übersetzt werden.860 Fohrer und Strauß geben sie mit „bereuen“ wieder.861 Ina Willi-Plein übersetzt A;D ni. mit „(tröstlich) umgestimmt sein“862, da die Präposition @F bei A;D ni. ihres Erachtens „die Sache oder Person, ,in bezug auf‘ die man (tröstlich) umgestimmt wird“863 bezeichne. Ihr folgen Heckl und Janowski.864 Meiner Meinung nach hat Hiob keinen Anlass, seine Worte, die JHWH in Hi 42,7 für richtig (8D9?D) erklärt, zu bereuen. Außerdem ist er wegen seiner Gottesbegegnung, bei der er Gottes Nähe, d. h. vor dem Hintergrund der Psalmenbelege865 den „,Inbegriff des Heils im umfassendsten Sinne‘“866, erfahren durfte, nicht nur tröstlich umgestimmt, sondern voll und ganz getröstet. Daher bietet sich die Wiedergabe von A;D ni. mit „getröstet sein“ an. Ebenso übersetzen Ha, Köhlmoos, Krüger und Wanke.867 Wie im Fall von EEB ni. bzw. E4B II ist jedoch auch die andere Bedeutung von A;D ni. „bereuen“ als weitere Variante, die die präzise Mehrdeutigkeit des Hiobbuches zulässt, mitzudenken. Für Hi 42,6 ergeben sich daher zweierlei Deutungsmöglichkeiten: Die erste besteht darin, dass Hiob seine Worte verwirft oder widerruft und auf Staub und Asche bereut. Die zweite besagt, dass er getröstet (A;D ni.) ist, obgleich er dahinschwindet, d. h. dem Tode nahe ist. An dieser Stelle ist daran zu erinnern, dass „Trost“ nach alttestamentlichem Verständnis Erleichterung angesichts einer (vorangegangenen) seelischen Not bedeutet868 und Hiob in Hi 6,10 den von Gott gewirkten Tod, den er ersehnte, der aber nicht eingetroffen ist, als seinen Trost (=NB;D) bezeichnet hat. Da die Wurzel A;D aus Hi 6,10 in Hi 42,6 wieder aufgegriffen wird und Hiob nach wie vor todesbefallen ist, aber in seiner Notsituation eine Gottesschau erfahren durfte, erscheint mir die zweite Variante wahrscheinlicher, aber ich möchte dennoch mitdenken, dass Hiob 860 861 862 863 864 865
Zu den Bedeutungsnuancen von A;D vgl. Simian-Yofre, Art. A;D, 368. Vgl. Fohrer, KAT, 531 f.535 f, und Strauß, BK.AT, 336. Vgl. Willi-Plein, Hiobs Widerruf ?, 137–142. Willi-Plein, Hiobs Widerruf ?, 143. Vgl. Heckl, Hiob, 119, Anm. 369, und Janowski, Ein Gott, 223. Vgl. die Ausführungen zum geprägten Sachgehalt Hoffnung auf eine Gottesschau unter II. 1.1.4. 866 Van der Woude, Art. A=DH, 455. 867 Vgl. Ha, Frage, 191; Köhlmoos, Auge Gottes, 342; Krüger, Did Job Repent?, 225 („I am comforted“), und Wanke, Praesentia Dei, 402. 868 Vgl. Jeremias, Reue Gottes, 16. Zum „Trost“ vgl. ausführlich III. 2.2.
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trotz seines Getröstetseins auch Aussagen wie bspw. seine Anklage aus Hi 9,24 („[Die] Erde ist gegeben in die Hand eines Frevlers.“) bereuen könnte. Wie bereits erwähnt, hat Hiob in seiner Gottesbegegnung JHWHs heilvolle Nähe erfahren und dessen wahres Wesen gesehen. Er hat zu seinem persönlichen Gott gefunden und weiß nun, dass er nicht mehr an dessen Vertrauenswürdigkeit zweifeln muss und zuversichtlich sein kann. Daraus resultiert, dass er auf Staub und Asche (LH49 LHF.@F) getröstet ist. Er ändert seine Einstellung, obgleich sich an seiner äußeren Situation, seinem gesundheitlichen Zustand, nichts verändert hat, wie die Alliteration LH49 LHF.@F („auf Staub und Asche“) zum Ausdruck bringt. Das Nomen LH4 („Asche“) beschreibt wie in Hi 2,8 Hiobs äußere Situation. Er sitzt nach wie vor auf einem Aschehaufen. Aber während er dort sitzt, ändert er seine Einstellung.869 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Hiob, wie in den Psalmen geschildert, eine über jede Form menschlichen Kontakts weit hinausgehende Begegnung mit Gott erlebt.870 JHWH wendet sich ihm – bei aller Undurchschaubarkeit – zu und lässt ihn seine Nähe erfahren. Von einer Partizipation an Segenswirkungen, wie sie bspw. mit einem Erweis der rettenden Gerechtigkeit (Ps 11871), der Erfahrung von Rettung und Schutz (Ps 17872) und einer Wende der Not (Ps 42873) in den Psalmen beschrieben werden, wird bei Hiobs Gottesschau nicht berichtet. Er mag darauf hoffen, findet aber seine Erfüllung in der unmittelbaren Begegnung mit Gott allein, da diese seine Gottesbeziehung wiederherstellt. Vor dem Hintergrund von Ps 17,15874 und 23,4875 kann er als „gesättigt“ an der Gottesnähe bezeichnet und seine Erfahrung als „seine Gottesbeziehung ist sein Trost und schenkt ihm Lebenssinn876 und Zuver869 Ebenso Janowski, Ein Gott, 227, und Willi-Plein, Hiobs Widerruf ?, 144 f. Eine gewisse Deutungsoffenheit ist jedoch nicht zu verkennen. Hartenstein (Sehen, 36) bezeichnet den Vers Hi 42,5 als „viel ambivalenter“ als manch andere alttestamentliche Rede von Gottesschau. Ob Hiob JHWH als seinen Goel gesehen hat, ist ebenfalls nicht eindeutig zu klären, da er die Worte aus Hi 42,5 f bereits vor seiner Restitution (Hi 42,10–17) spricht. Man könnte daher sagen, dass er JHWH in den Gottesreden in jedem Fall als den nahen Verwandten erlebt hat, der sich ihm zuwendet. Außerdem hat er sehen können, dass Gott in „wirkungskräftigem Dasein, (d. h.) jederzeit zum Eingreifen bereit“ (Budde, HK.AT, 103) ist. Wann er für ihn eintreten wird, überlässt Hiob vertrauensvoll seinem Gott. Getröstet ist er aufgrund der Gottesbegegnung und des Wissens um JHWHs wahres Wesen. 870 Vgl. Hartenstein, Angesicht, 127. 871 Vgl. den geprägten Sachgehalt Hoffnung auf eine Gottesschau unter II. 1.1.4 und besonders Anm. 240. 872 Vgl. den geprägten Sachgehalt Hoffnung auf eine Gottesschau unter II. 1.1.4 und besonders Anm. 237. 873 Vgl. den geprägten Sachgehalt Hoffnung auf eine Gottesschau unter II. 1.1.4 und besonders Anm. 241. 874 Ps 17,15: „Ich – in Gerechtigkeit werde ich dein Angesicht schauen, ich werde mich sättigen beim Erwachen an deiner Gestalt.“ 875 Ps 23,4: „Auch wenn ich im Tal von Todesschatten gehe, fürchte ich nichts Böses. Denn du (bist) bei mir, dein Stock und dein Stab – sie trösten mich (A;D pi.).“ 876 Vgl. die Einzelexegese von Hi 42,4 f unter III. 4.3.2 sowie Gese, Die Frage nach dem Lebenssinn, 188, und Westermann, Ausgewählte Psalmen, 98.
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sicht“ zusammengefasst werden. Dass Hiob seine JHWH-Relation wie der Beter aus Ps 16 (vgl. bspw. V.11877) als sein Lebensglück878 wahrnimmt, ist nach meinem Dafürhalten unwahrscheinlich, da er seine verstorbenen Kinder unwiderbringlich verloren hat und eine Erinnerung an sein Leiden bleiben wird (vgl. Hi 42,12879). Aus Hi 42,5 f geht lediglich hervor, dass er nun keine weiteren Wünsche mehr hat und ungeachtet seiner Situation getröstet ist. Allein das Faktum, dass JHWH ihm in einer Sturmtheophanie antwortet, reicht ihm aus, auch wenn er keine Erklärung für all seine offenen Fragen erhält. An diesem Punkt stellt sich die Frage, was Hiob als Antwort Gottes wahrnehmen könnte. Kessler definiert „Antwort JHWHs“ wie folgt: „Was der Beter als konkrete Hilfe, Bewahrung oder Rettung erwartet bzw. schon erfahren hat, interpretiert er – neben anderem – als Antwort Gottes auf sein Gebet.“880 Hiob erfährt jedoch keine Veränderung seiner Situation, d. h. keine konkrete Rettungstat Gottes. Meiner Meinung nach interpretiert er die Tatsache, dass JHWH ihn wahrnimmt, nach langem Schweigen auf ihn und seine Herausforderung reagiert und ihn seine heilvolle statt seine bedrohliche Nähe (vgl. Hi 6,4881 und 16,7–17882 u. ö.) erfahren lässt, als Antwort Gottes. Er nimmt also die Tatsache, dass Gott ihn sieht, und die damit einhergehende Wiederherstellung seiner Gottesbeziehung bzw. die nun intakte Gottesbeziehung bereits als Wende seiner Not wahr.883 Bezüglich der Rezeption geprägter Sachgehalte lässt sich festhalten, dass Hi 42,6 die geprägten theologischen Überzeugungen JHWH verwandelt Klage zu Lob und Trauer zu Freude884 und – wie das Verbum A;D ni. zeigt – JHWH bzw. das Mitsein Gottes tröstet885 bestätigt und fortbildet: Nach seiner Gottesschau (Hi 38,1–39,30 und 40,6–41,26) klagt Hiob in Hi 42,1–6 nicht mehr, sondern ist getröstet (A;D ni.). Er ist allerdings aufgrund seiner Gottesbegegnung, die seine Gottesbeziehung wiederherstellt, ohne Änderung seiner Umstände (V.6) getröstet und nicht wie in den Psalmen, weil JHWH ihn bspw. aus dem Tod mitten im Leben errettet hat.
877 Ps 16,11: „Sättigung mit Freuden (ist) in deinem Angesicht, Wonnen in deiner Rechten für immer.“ 878 Vgl. Liess, Weg, 130. 879 Hi 42,12: „JHWH aber segnete das Ende Hiobs mehr als seinen Anfang.“ Dieser Vers zeigt mit der Erwähnung des „Anfangs“, dass die Erinnerung an Hiobs Leiden bleiben wird. 880 Kessler, Der antwortende Gott, 54. 881 Zur Einzelexegese von Hi 6,4 vgl. III. 3.1. 882 Zur Einzelexegese von Hi 16,7–17 vgl. III. 3.3. 883 Vgl. dazu auch Ex 2,25. 884 Vgl. II. 1.3.2. 885 Vgl. II. 1.3.3.
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4.4 Hi 42,7–9: JHWHs Urteil über Hiob und seine Freunde Obgleich ich mich dazu entschlossen habe, auf eine Analyse der Restitution Hiobs in Hi 42,10–17 zu verzichten, da seine letzte Rede aus Hi 42,1–6 für die Frage nach seinem Weg im Vergleich mit der Gebetsdynamik der Psalmen von der Klage zum Lob entscheidend ist, möchte ich dennoch auf JHWHs Urteil aus dem Epilog in Hi 42,7–9 eingehen.886 Dieses ist für die Interpretation der zahlreichen Umkehrungen geprägter Sachgehalte aus den Psalmen in Hiobs Reden relevant. In Hi 42,7–9 heißt es: 7
Und nachdem geredet hatte JHWH jene Worte zu Hiob, sagte JHWH zu Eliphas, dem Temaniter: „Entbrannt ist mein Zorn gegen dich und gegen deine beiden Freunde, denn ihr habt nicht Richtiges (8D9?D) geredet (L57 pi.) zu (@4)887 mir wie888 mein Knecht Hiob!
8
Und jetzt: Nehmt euch sieben Jungstiere und sieben Widder und geht zu meinem Knecht Hiob, und lasst (sie) aufsteigen (als) Brandopfer für euch, aber Hiob, mein Knecht, soll Fürbitte halten für euch, denn nur sein889 Angesicht erhebe ich, um euch nichts Schimpfliches anzutun, denn ihr habt nicht Richtiges (8D9?D) geredet (L57 pi.) zu (@4)890 mir wie891 mein Knecht Hiob!“
886 Die Frage, ob das Hiobbuch mit einem „happy end“ schließt, ist m. E. zu verneinen. Es schildert das bestmögliche Ende, schmälert aber das Leiden seines Protagonisten nicht. Gott kompensiert nicht das Leiden seines Knechts. Vielmehr ist die Fülle, die er ihn erfahren lässt, Ausdruck der wiederhergestellten Gottesrelation und Zeugnis für sein Festhalten an seiner Gottesbeziehung unabhängig von seinem Ergehen (vgl. Lux, Hiob, 281, ebenso Leuenberger, Bewegung, 272). 887 Die Präposition @4 ist mit „zu“ zu übersetzen, da sie im Hiobbuch immer verwendet wird, wenn ein Akteur direkt zu einem anderen spricht (vgl. Hi 1,7.8.12; 2,2.3.6.10.13). In Hi 10,2 kündigt Hiob an, dass er direkt zu JHWH reden möchte. Er sagt: „Ich will zu Gott (89@4.@4) sprechen (LB4).“ Zur Übersetzung der Präpostion @4 im direktionalen Sinne mit „zu“ vgl. besonders Oeming, Ziel, 136–139. Vgl. ferner Lux, Hiob, 266, und Willi-Plein, Mensch, 558, Anm. 29 sowie 561, Anm. 41. 888 Mit einigen Handschriften wird vorgeschlagen, anstelle der Präposition ? die Präposition 5 zu lesen. Die Lesart des MT passt jedoch besser zum Erzählduktus, da JHWH Hiobs Verhalten mit dem der Freunde vergleicht. 889 Anstelle der Konjunktion A4 ist mit den Herausgebern der BHS die nota accusativi N4 zu lesen, da das nachfolgende Verb 82MD („erheben“) sonst kein Bezugsobjekt hätte. 890 Vgl. Anm. 887. 891 Vgl. Anm. 888.
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Da gingen Eliphas, der Temanit, und Bildad, der Schuchit, (und)892 Zophar, der Naamatit, und machten (es so), wie JHWH zu ihnen geredet hatte. Und es erhob JHWH das Angesicht Hiobs.
In Hi 42,7 bezeichnet JHWH Hiobs Verhalten als 8D9?D. Dieses Partizip des Verbums C9? ni. steht für „das Richtige, das man ausspricht (…), es hat Bestand“893. Außer in Hi 42,7.8 ist es im gesamten Alten Testament nur noch in Ps 5,10 belegt: 10 Denn nichts Richtiges (8D9?D) ist in ihrem894 Mund, in895 ihrem Inneren (ist) Verderben. Ein offenes Grab (ist) ihre Kehle, ihre Zunge glätten sie.896
Dieser Vers illustriert wie Ps 62,5897, dass eine Inkongruenz zwischen dem Inneren und dem Äußeren vorliegt.898 Anders als bei dem in Ps 5,10 beschriebenen Verhalten sind bei Hiob sein inneres Empfinden und das, was aus seinem Mund kommt, kongruent. Daher kann gesagt werden, dass er 8D9?D („Richtiges“) geredet hat. JHWH beurteilt also weniger den konkreten Inhalt seiner zuweilen heftigen Klagen und Anklagen als richtig, als vielmehr die Tatsache, dass er den Gebetsfaden niemals abreißen ließ und restlos ehrlich zu (@4) ihm sprach (vgl. Hi 10,2: „Ich will zu Gott [89@4.@4] sprechen [LB4].“), auch wenn er dabei geprägte Sachgehalte aus den Psalmen in ihr Gegenteil verkehrte.899 892 Einfügung der Kopula mit einigen Handschriften, da im MT in der Auflistung der Namen der Freude Hiobs vor dem letzten Freund ein 9 („und“) fehlt. 893 Gerstenberger, Art. C9?, 814. 894 Mit der LXX, der Peschitta, dem Targum nach A. Sperber, Hieronymus und zwei hebräischen Handschriften ist A8=H5 („in ihrem Mund“) zu lesen, da auch A5LK („ihrem Inneren“) mit einem Suffix der 3. Pers. Pl. versehen ist. 895 Da auch das parallele A8=H5 („in ihrem Mund“) mit der Präposition 5 verwendet wird, ist mit zwei hebräischen Handschriften, der Peschitta und der arabischen Übersetzung, A5LK5 („in ihrem Inneren“) zu lesen. 896 Zur Textkritik vgl. Anm. 894 und 895. 897 Ps 62,5: „Mit ihrem Mund segnen (ý!L5 pi.) sie, doch in ihrem Innern fluchen (@@K pi.) sie.“ Zur Textkritik vgl. Anm. 448. 898 Zur Inkongruenz zwischen dem Inneren und dem Äußeren sowie zur Verbindung von Hi 3,1 und 42,7 vgl. III. 1.4.1. 899 Ähnlich hat bereits Oeming (Ziel, 138) festgestellt: „Nicht eine bestimmte Lehre von Gott wird ins Recht gesetzt. Gott lobt vielmehr die Sprechrichtung Hiobs, die innere Haltung, das Wissen darum, wohin und woher er zu denken hat: eine Rede zu Gott.“ Über Oeming hinaus habe ich herausgearbeitet, dass die von ihm erwähnte Rede zu Gott – wie Hi 3 (vgl. III. 1–1.4.5) zeigt – auch darin bestehen kann, Schmerz vor JHWH auszuschütten und auf diese Weise nach Gott zu fragen und den Gebetsfaden nicht abreißen zu lassen, sondern die persönliche Gottesrelation weiter zu pflegen. Außerdem konnte ich aufzeigen, dass die Rede zu Gott – wie die Verkehrungen geprägter Sachgehalte aus den Psalmen in ihr Gegenteil in den Hiobklagen illustrieren – auch die Umkehrung traditioneller Rede über Gott beinhalten kann.
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An den Freunden hingegen kritisiert Gott, dass sie nicht zu (@4) ihm geredet haben wie Hiob. Sie sprachen über (@F) ihn, aber nie direkt zu ihm. Eliphas sagt bspw. in Hi 5,9 über JHWH: 9
Der Großes tut und Unerforschliches, Wundertaten ohne Zahl!
Gott tadelt die Freunde also nicht für die Inhalte ihrer Reden, sondern für ihre Einstellung.900 Denn anstatt mit Hiob zu JHWH zu beten oder ihn um eine Antwort auf Hiobs Fragen und Klagen zu bitten, theoretisierten sie über ihn.901
4.5 Vergleich des Weges Hiobs mit der Gebetsdynamik902 der Psalmen von der Klage zum Lob Im Anschluss an die Exegese des Bekenntnisses Hiobs zu seinem persönlichen Gott und die Zusammenfassung des Urteils JHWHs über Hiob und seine Freunde möchte ich Hiobs Weg mit der Gebetsdynamik der Psalmen von der Klage zum Lob vergleichen. Im Verlauf seines Weges findet Hiob nicht wie die Beter aus Ps 13903 oder Ps 30 von der Klage zum Lob und von der Trauer zur Freude, sondern von der Klage zum Trost und zum Vertrauensbekenntnis auf JHWH (Hi 42,1–6), das jedoch eigene Akzente setzt. In Hi 42,2 preist er zwar wie zahlreiche Psalmenbeter (vgl. Ps 72,18) die Wundertaten (N94@HD) JHWHs, gesteht jedoch mit der Erwähnung der N94@HD („Wundertaten“) zugleich auch den Unterschied zwischen sich und Gott ein. Außerdem wurde Hiob nicht wie der Beter aus Ps 30 aus dem Tod mitten im Leben gerettet. Er ist nach wie vor dem Tode geweiht. Da er jedoch in seiner Gottesschau JHWHs wahres Wesen und nicht mehr dessen Fremdheit (Hi 19,27) gesehen hat, ist er getröstet (Hi 42,5). Er findet Trost und Lebenssinn in (der Wiederherstellung) seiner Gottesrelation. Des Weiteren hat Hiob zu seinem persönlichen Gott904 und zum Vertrauen auf ihn gefunden. In Zukunft möchte er sich mit all seinen Problemen wie die Psalmenbeter vertrauensvoll an ihn wenden, d. h. sein Gottvertrauen wie der Beter aus Ps 23905 auch im Tal der Todeschatten (Ps 23,4)906 bewahren, wie aus Hi 42,4 hervorgeht. Hiob sagt in diesem Vers: 4 900 901 902 903 904 905 906
So höre doch, ich will reden, ich will dich befragen, belehre mich!
Vgl. Oeming, Ziel, 138 f. Vgl. Oeming, Ziel, 139. Zur Definition des Begriffs „Gebetsdynamik“ vgl. I. 1.3.1. Zur Einzelexegese von Ps 13 vgl. II. 2.1–2.4.4. Zur Definition des Begriffs „Der ,persönliche‘ Gott“ vgl. I. 1.3.2. Zur Einzelexegese von Ps 23 vgl. II. 2.5–2.8.4. Ps 23,4: „Auch wenn ich im Tal von Todesschatten gehe, fürchte ich nichts Böses. Denn du (bist) bei mir, dein Stock und dein Stab – sie trösten mich (A;D pi.).“
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Ferner zeigt Hiobs Getröstetsein aus Hi 42,5 f, dass ihm sein Gottvertrauen wie dem Sprecher aus Ps 23 hilft, alle Widrigkeiten des Lebens, wie etwa die Erfahrung von Bösem (FL) (Hi 2,10 und Ps 23,4), oder sogar Todesgefahr (Hi 7,5 f und Ps 23,4) zu bewältigen. Außerdem bringt Hi 42,5 f zum Ausdruck, dass Hiob wie der Beter aus Ps 23 in und wegen seiner JHWH-Relation ungeachtet der Umstände Trost erfährt (Ps 23,4) und zuversichtlich sein kann.
4.6 Das Hiobbuch und geprägte theologische Überzeugungen aus den Psalmen Um die Analyse des Weges Hiobs zu seinem persönlichen Gott abzuschließen, beschreibe ich mit Blick auf den Verlauf des Weges des Protagonisten im gesamten Hiobbuch, wie die geprägten theologischen Überzeugungen JHWH antwortet auf das Rufen seiner Geschöpfe zu ihm907, JHWH verwandelt Klage zu Lob und Trauer zu Freude908 und JHWH bzw. das Mitsein Gottes tröstet909 rezipiert werden. In allen drei Fällen zeigt sich eine Bewegung von der Umkehrung der geprägten theologischen Überzeugung hin zu deren Bestätigung, die jedoch eigene Akzente erkennen lässt. Außerdem wird deutlich, dass das Hiobbuch die jeweilige Überzeugung kritisch hinterfragt, Ambivalenzen aufdeckt, sie – unter Kopräsenthaltung der Spannungen – theologisch neu interpretiert und unter Berücksichtigung des Herausgearbeiteten bestätigt.
4.6.1 JHWH antwortet auf das Rufen seiner Geschöpfe zu ihm Das Hiobbuch beschreibt eine Bewegung von der Rede über Gott in der dritten Person (bis Hi 7,6) über eine direkte Anrede Gottes (Hi 7,7) und den Entschluss, direkt zu Gott (Hi 10,2: 89@4.@4) zu sprechen (Hi 10,2: LB4) und ihn um eine Antwort zu bitten (Hi 31,35: 8DF), hin zum Getröstetsein (Hi 42,6) nach erfolgter Gottesantwort (Hi 38,1–41,26, besonders Hi 38,1: 8DF). Die Rezeption der geprägten theologischen Überzeugung JHWH antwortet auf das Rufen seiner Geschöpfe zu ihm kann also – wie die Verben LB4 („sprechen“) und 8DF („antworten“) sowie die Richtungspräposition @4 („zu“) nahelegen – als traditionsverändernd (bis Hi 7,6), -konform (Hi 7,7; 10,2; 31,35 und 38,1) und -fortbildend (Hi 38,1 und 42,7 zusammen betrachtet) charakterisiert werden. Die Gesamtbewegung erweist das Hiobbuch als traditionskonform. 907 Vgl. II. 1.3.1. 908 Vgl. II. 1.3.2. 909 Vgl. II. 1.3.3.
Weitere Stationen von Hiobs Weg in der Buchkomposition
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Außerdem macht das Hiobbuch mit dem langen Weg Hiobs deutlich, dass der Weg bis zu einer Reaktion Gottes auf Gebete sehr leidvoll sein kann, aber – wenn der Mensch den Gebetsfaden (Hi 10,2 und 42,7) nicht abreißen lässt – schließlich zu einer Antwort Gottes führen wird. 4.6.2 JHWH verwandelt Klage zu Lob und Trauer zu Freude Hiobs Weg führt nicht von der Klage zum Lob oder von der Trauer zur Freude, sondern von der Klage (Hi 3) zum Getröstetsein aufgrund der eigenen Gottesbeziehung und des uneingeschränkten Vertrauens auf JHWH (Hi 42,1–6). Die Rezeption der geprägten theologischen Überzeugung JHWH verwandelt Klage zu Lob und Trauer zu Freude kann also als traditionskonform und -fortbildend (Hi 42,1–6) charakterisiert werden. Die Gesamtbewegung erweist das Hiobbuch als traditionskonform. Ferner machen die Hiobautoren mit dem langen Weg des Protagonisten, in dessen Verlauf Hiob bereits zwei Vertrauensbekenntnisse (Hi 16,18–22 und 19,25–27) formuliert hat, deutlich, dass der in den Individualpsalmen mit dem sog. Stimmungsumschwung literarisch verdichtet und zeitlich gerafft geschilderte Weg von der Klage zum Lob (Ps 13) und von der Trauer zur Freude (Ps 30) eben nicht linear verläuft und sich nicht ein für allemal ereignet. Im Gegenteil: Er darf im Gebet „geduldig wiederholt und sprechend antizipiert“910 werden. Ferner muss er nicht zwangsweise zum Lob Gottes oder zur Freude aufgrund einer bereits geschehenen oder noch ausstehenden Rettungstat JHWHs führen, sondern kann auch zum Getröstetsein aufgrund der eigenen Gottesbeziehung und dem Vertrauen auf JHWH führen. 4.6.3 JHWH bzw. das Mitsein Gottes tröstet Das Hiobbuch schildert eine Bewegung von der Auffassung, Gottes Mitsein sei ein kriegerischer Angriff (Hi 6,4: =7BF) und der Tod sei Trost (Hi 6,8–10, besonders V.10: Bezeichnung des Todes als mein Trost [=NB;D]), hin zum Getröstetsein aufgrund einer Gottesbegegnung (Hi 42,6: [A;D ni.]911). Es erweist sich also – wie die suffigierte Präposition =7BF („mit mir“), das Substantiv 8B;D („Trost“) und die Wurzel A;D zeigen – in der Rezeption der geprägten theologischen Überzeugung JHWH bzw. das Mitsein Gottes tröstet als traditionsverändernd (Hi 6,8–10), -konform und -fortbildend (Hi 42,6) und in der Gesamtbewegung als traditionskonform. Überdies bringt das Hiobbuch zum Ausdruck, dass die JHWH-Relation allein, d. h. ohne die Erfahrung eines rettenden Eingreifens Gottes, Lebens910 Welz, Vertrauen, 28. 911 Zur Begründung vgl. die Exegese von Hi 42,5 f unter III. 4.3.2–4.3.3.
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Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott
sinn, Trost und Zuversicht schenken kann. Dennoch lässt es eine Mehrdeutigkeit zu. Mit der Wurzel A;D ni. engt es in Hi 42,6 die Problemdichtung auf zwei Alternativen ein, die unterschiedliche Lesarten erlauben. Auf diese Weise zeigt es, dass es nicht nur die Tradition affirmiert und fortbildet, sondern sich auch der Spannungen im Hinblick auf das Gottesbild und die Wirklichkeit bewusst ist und diese bejaht.
IV. Schluss Im Folgenden schildere ich zusammenfassend, wie sich Hiobs Gottesbeziehung im Verlauf seines Weges zu seinem persönlichen Gott verändert und welche Faktoren für seinen Weg entscheidend sind sowie inwiefern das Hiobbuch als traditionskonformer, -verändernder und -fortbildender Text charakterisiert werden kann. Außerdem skizziere ich die Erkenntnisse, die die Analyse der Rezeption geprägter Sachgehalte aus den Psalmen in den Hiobreden über die Hiobautoren und deren Interesse an den geprägten Sachgehalten und die zur Abfassungszeit existierende weisheitliche Traditionskritik ermöglicht. Abschließend lege ich die aus der vorliegenden Untersuchung resultierenden Desiderata und Implikationen für die weitere Forschung am Hiobbuch und am Alten Testament dar.
1. Die Entwicklung der persönlichen Gottesbeziehung Hiobs im Verlauf seines Weges zu seinem persönlichen Gott vor dem Hintergrund der Gebetsdynamik der Psalmen Nachdem Hiob seinen Reichtum (Hi 1,13–17), seine Kinder (Hi 1,18 f) und seine Gesundheit (Hi 2,7 f) verloren und mit seinen Freunden Eliphas, Bildad und Zophar, die ihn besuchen gekommen waren, sieben Tage geschwiegen hat, eröffnet er den Dialog mit diesen in Hi 3 mit einer langen Klage. In diesem Kapitel schreit er seinen Schmerz heraus und bringt zum Ausdruck, dass sein Gottvertrauen wegen seines Leidens erschüttert ist, er seinen Gott nicht mehr wiedererkennt und er sich nach Entlastung von seinem Leiden und nach Gottesferne sehnt. Besonders auffällig ist in Hi 3, dass er JHWH nicht ein einziges Mal direkt anspricht. In der bisherigen Forschung wurde Hiobs Wunsch nach Entlastung von seinem Leiden oftmals als „Todeswunsch“ bezeichet, da er sich in Hi 3,11–19 wünscht, niemals geboren worden zu sein, um nicht mit seinem Leiden konfrontiert worden zu sein, und in Hi 6,8–10 durch die Hand Gottes zu sterben wünscht, da er keinen anderen Ausweg sieht, Gottes bedrohlicher Gegenwart und kriegerischer Attacken gegen ihn (Hi 6,4) zu entkommen. Allerdings zeigte sich in den Exegesen von Hi 3,11–13; 6,8–10; 7,13–15; 10,18–22 und 14,13–17, dass sich der Protagonist weniger nach dem Tod an sich als vielmehr nach einer Entlastung von Gottes bedrohlicher Nähe sehnt, mit Gott um diese ringt und sich seine Vorstellung davon, was ihn erleichtern würde, im Verlauf des Buches ändert. Sein Wunsch nach Entlas-
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Schluss
tung entwickelt sich vom Wunsch nach Nichtexistenz (Hi 3) und Tod (Hi 6,8–10 und 7,13–15) hin zum Wunsch nach Wiederherstellung der Kommunikation mit Gott (Hi 14,13–17) und vom Wunsch nach Gottesferne (Hi 3,11–13; 6,8–10; 7,13–15 und 10,18–22) hin zum Wunsch nach Gottesnähe und einer intakten Gottesbeziehung (Hi 14,13–17: Wortpaar 4LK [„rufen“] und 8DF [„antworten“] in V.15). Diese Veränderungen hängen mit einer Annäherung an JHWH zusammen. In Hi 7,7 beginnt Hiob, direkt zu Gott zu sprechen – zunächst klagend und fragend, im Verlauf seines Streitgesprächs mit Gott jedoch auch um eine Antwort Gottes ringend (Hi 10,18). Infolge dieser Hinwendung zu JHWH verliert der Tod an Attraktivität. Er wird ab diesem Zeitpunkt nicht mehr mit positiv konnotierten Begriffen wie Ruhe in Hi 3 oder Trost und Hoffnung in Hi 6 beschrieben. Er wird auch nicht mehr als wünschens- und erstrebenswerte Alternative wahrgenommen, sondern als ultima ratio, um der bedrohlichen Gottesnähe zu entkommen. Im Verlauf seines Weges ringt Hiob mit JHWH nicht nur um Entlastung von seinem Leiden (Hi 3,11–13; 6,8–10; 7,13–15; 10,18–22 und 14,13–17), sondern auch in Hi 6,4; 6,8–10; 16,7–17; 16,18–22; 19,2 und 19,25–27 um kontrafaktisches Vertrauen auf diesen trotz der bedrohlichen Gottesnähe und der feindlichen Attacken Gottes gegen ihn (Hi 6,4 und 16,7–17). Zu Beginn setzt Hiob seine Hoffnung auf den von Gott gewirkten Tod (Hi 6,8–10). In Hi 16,18–22 und 19,25–27 findet er inmitten seines Leidens zum Vertrauen darauf, dass Gott sein Zeuge im Himmel (Hi 16,18–22) und sein Löser (Hi 19,25–27) ist und er vor seinem Tod eine Gottesschau (Hi 19,25–27) erfahren wird. Hiob bekundet in diesen beiden Texten sein Gottvertrauen, das in Hi 3 erschüttert war und ihm nur noch zu klagen ermöglichte, deklarativ neu. Auf seinem Gebets- und Erfahrungsweg lässt er mit der Sprache der Psalmen den Gebetsfaden trotz gravierenden Vertrauensverlusts nicht abreißen. Er setzt sich vor allem mit den Themen „Entlastung von der bedrohlichen Gottesnähe“, „Leben und Tod“ und „Vertrauen auf JHWH“ auseinander. Bspw. umkreist er das Thema „Entlastung durch Nichtexistenz“ (vgl. Hi 3,11 und 10,18). Hiobs Weg zum Vertrauen auf Gottes Eingreifen als Löser (Hi 19,25–27) verläuft also nicht linear, sondern spiralförmig912, und resultiert aus einem Streitgespräch mit Gott und einem Gebetsprozess. Auf Hiobs Weg zur deklarativen Neubekundung seines Vertrauens auf JHWH sind zwei Faktoren maßgeblich: Zum einen wendet sich Hiob, wie von Eliphas in Hi 5,8913 vorgeschlagen, wie in den Psalmen mit seinem Anliegen an Gott. Er spricht (an-)klagend, fragend und appellierend zu (vgl. Hi 10,2: 89@4.@4 LB4) ihm und wünscht sich eine Antwort von ihm (Hi 10,18). Zum anderen entwickelt sich Hiobs Gespräch mit seinen Freunden zunehmend zum parallellaufenden Monologisieren. Die Freunde sind der Ansicht, dass Gott eine ge912 Vgl. Anm. 792. 913 Hi 5,8: „Dagegen ich würde mich an Gott wenden (M1L7, wörtlich: „zu Gott hin suchen“) und zu Gott hin (A=8@4.@4) würde ich vorlegen meine Sache!“
Die Entwicklung der persönlichen Gottesbeziehung Hiobs
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rechte Welt geschaffen hat, die „abgelesen“ werden kann, und dass Hiobs Leid daher als Resultat eines Vergehens über ihn gekommen war. Hiob hingegen nimmt sich als unschuldig von Gott gequälten Menschen wahr und merkt, dass sich der Tun-Ergehen-Zusammenhang914 in seinem individuellen Fall nicht als zutreffend erweist. Es kommt daher zu einer immer stärker werdenden Entfremdung zwischen den Gesprächspartnern. Der scheiternde Dialog mit seinen Freunden veranlasst Hiob dazu, sich Gott anzunähern und seine Hoffnung auf ihn zu setzen (Hi 16,18–22 und 19,25–27). Im weiteren Verlauf seines Ringens mit Gott fordert Hiob Gott zu einer Antwort heraus (Hi 31,35). In Hi 38–41, den sog. Gottesreden, geht JHWH nach langem Schweigen mit den zwei längsten Reden (Hi 38,1–39,30 und 40,6–41,26) des Buches auf Hiobs Herausforderung ein. In seinen Reden nimmt er sich mit keinem Wort Hiobs Fragen an, sondern bringt überwiegend kosmologische Argumente zur Stützung seiner Gerechtigkeit bei gleichzeitiger Undurchschaubarkeit vor. JHWHs Ausführungen lassen den Protagonisten erkennen, dass er als Mensch den Plan Gottes nicht durchschauen und bewerten kann (vgl. Hi 40,3–5) und dass er bisher fälschlicherweise anthropozentrisch von seinem Schicksal auf den Zustand der Welt geschlossen hat (Hi 9,24). Der Protagonist gewinnt durch seine unmittelbare Begegnung mit JHWH Einsicht und gibt sein in den Dialogen vertretenes anthropozentrisches Weltbild zugunsten eines theozentrischen auf. Er deutet nun die Welt nicht mehr aus der Warte seines Leidens (Hi 9,24), sondern schließt umgekehrt aufgrund der Ambivalenzen des Kosmos auf sein individuelles Schicksal. Überdies stellt die Gottesbegegnung Hiobs Gottesbeziehung, die durch seine Krankheit, sein erschüttertes Gottvertrauen und das Schweigen Gottes gestört war, wieder her, da JHWH sich als der von Hiob angesprochene persönliche Gott erweist, der auf das Rufen seines Geschöpfes zu ihm reagiert und ihm antwortet (Hi 14,15 und 38,1). Im Anschluss an seine Gottesschau formuliert der Protagonist in Hi 42,1–6 ein Eingeständnis, das zugleich ein Vertrauensbekenntnis zu seinem persönlichen Gott beinhaltet. Er bekennt in Hi 42,2, dass er vor den Gottesreden ohne Einsicht sprach, da er nicht berücksichtigte, dass auch Dinge, die dem Menschen unzugänglich sind, Gottes Ratschluss entspringen. In Hi 42,3 sagt er wie zahlreiche Psalmenbeter, dass JHWH Wundertaten (N94@HD) (bspw. Ps 72,18915) vollbringt. In Hi 42,4 bekundet er sein Vertrauen auf JHWH und seine Absicht, sich in allen Schwierigkeiten seines Lebens wie in den Psalmen an seinen Gott zu wenden. In Hi 42,5 f bringt er zum Ausdruck, dass er getröstet ist, obgleich sich an seiner äußeren Situation nichts geändert hat, d. h. er wegen seiner Krankheit nach wie vor dem Tode nahe ist. Im Verlauf seines Weges findet Hiob also nicht wie der Beter aus Ps 13 von der Klage zum Lob 914 Vgl. Anm. 6. 915 Ps 72,18: „Gepriesen sei JHWH, Gott, (der) Gott Israels. Er tut Wundertaten (N94@HD), er allein!“
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Schluss
oder wie der Beter aus Ps 30 von der Trauer zur Freude, sondern von der Klage zum Trost und zum Vertrauensbekenntnis auf JHWH (Hi 42,1–6), das aber eigene Akzente setzt. Außerdem wurde Hiob nicht wie der Beter aus Ps 30 aus dem Tod mitten im Leben gerettet. Er ist nach wie vor dem Tode geweiht. Da er jedoch in seiner Gottesschau JHWHs wahres Wesen und nicht mehr dessen Fremdheit (Hi 3 und 19,27) gesehen hat, ist er getröstet (Hi 42,5). Aufgrund seiner (wiederhergestellten) Gottesbeziehung und seines Gottvertrauens kann er zuversichtlich in die Zukunft blicken. Hiobs Erfahrung kann daher wie folgt zusammengefasst werden: Seine Gottesbeziehung ist sein Trost, d. h. nach alttestamentlichem Verständnis seine Erleichterung in einer Notsituation, und schenkt ihm Lebenssinn und Zuversicht.
2. Interpretation der Rezeption und Umformung der traditionsgesättigten Psalmensprache im Hiobbuch 2.1 Das Hiobbuch als traditionsverändernder, -fortbildender und -konformer Text Die Analyse der Auseinandersetzung des Hiobbuches mit den geprägten Sachgehalten und theologischen Überzeugungen, die den Vorstellungskomplex Leben und Tod916 bilden, ließ eine Bewegung von der Umkehrung zur Bestätigung erkennen, die eigene Akzente setzt. Das Hiobbuch kann als traditionsverändernder (Umkehrungen), -fortbildender (Weiterinterpretationen) und -konformer917 (Gesamtbewegungen von der Umkehrung zur weiterdenkenden Bestätigung) Text, als (kritische) Evaluation, die Ambivalenzen aufdeckt, und als theologische Neuinterpretation geprägter Sachgehalte aus den Psalmen, die eine Bestätigung unter Kopräsenthaltung von Spannungen umfasst (vgl. III. 2.7 und 3.7 sowie 4.6–4.6.3), charakterisiert werden. 2.2 Notwendige Präzisierungen an gängigen Kategorien zur Beschreibung der Rezeption geprägter Sachgehalte und am traditionsgeschichtlichen Vorgehen Diese Erkenntisse machen Präzisierungen an gängigen Kategorien zur Beschreibung der Rezeption geprägter Sachgehalte und am traditionsgeschichtlichen Vorgehen erforderlich. Gegenwärtig verwendete Methodenbücher zur Exegese des Alten Testaments ordnen die Rezeption geprägter Sachgehalte in drei Kategorien ein: bestätigend, weiterentwickelnd und ab916 Vgl. II. 1–1.3.3. 917 Zu den Definitionen von „traditionskonform“, „traditionsverändernd“ und „traditionsfortbildend“ vgl. Anm. 174, 175 und 176.
Interpretation der Rezeption und Umformung
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weisend/umkehrend. Bspw. spricht Uwe Becker von einer übernehmenden, umbildenden und polemisch abstoßenden918, Steck von einer traditionskonformen, -fortbildenden und -verändernden und Dieter Vieweger von einer bestätigenden, verstärkenden, interpretierenden und distanzierenden919 Rezeption. Die vorliegende Arbeit zeigt, dass Traditionsfortbildung nicht nur – wie von Steck dargelegt – eine eigenständige Fortbildung der Tradition oder eine Verschränkung mit einem anderen Traditionsbereich920, sondern auch ein kritisches Hinterfragen und ein Aufdecken von Spannungen und Ambivalenzen beinhaltet und Traditionskonformität nicht nur eine „Äußerung ganz im Sinne der Tradition, wie gleiche, entsprechende oder verwandte Formulierungen und Überzeugungen im Sachradius, Aussagegefälle zeigen (…)“921, sondern auch eine Bestätigung unter neuen Vorzeichen bzw. unter Kopräsenthaltung von Spannungen umfasst. Des Weiteren zeigt die Einzelexegese (III.), dass das Hiobbuch geprägte Sachgehalte nicht – wie von Becker und Vieweger vorgeschlagen – polemisch abstößt oder sich von ihnen distanziert, sondern sie kritisch hinterfragt, Ambivalenzen offenlegt und sie – unter Kopräsenthaltung der Spannungen – theologisch neu interpretiert und unter Berücksichtigung des Herausgearbeiteten bestätigt. Daraus resultiert zweierlei: Zum einen würde ich vorschlagen, die Kategorien zur Beschreibung der Rezeption geprägter Sachgehalte zu erweitern und diese „bestätigend ohne Revisionen“, „bestätigend unter neuen Vorzeichen“, „kritisch hinterfragend“, „Spannungen und Ambivalenzen herausarbeitend“, „ins Gegenteil verkehrend“ und „weiterdenkend“ zu nennen. Zum anderen machen die Hiobexegesen (III.) deutlich, dass bei einer traditionsgeschichtlichen Untersuchung der Rezeption geprägter Sachgehalte immer untersucht werden muss, welche neuen theologischen Gedanken die Rezeption eines geprägten Sachgehalts (über diesen) erkennen lässt, da jede Aufnahme eines geprägten Gedankenguts eine Neuinterpretation des Rezipierten darstellt.922
918 919 920 921 922
Vgl. Becker, Exegese, 125. Vgl. Vieweger, Traditionskritik, 93. Vgl. Steck, Exegese, 146. Steck, Exegese, 145. Die neuen theologischen Gedanken, die die Rezeption geprägter Sachgehalte aus dem Vorstellungskomplex Leben und Tod über diese(n) erkennen lässt, finden sich unter III. 2.7 und 3.7 sowie 4.6–4.6.3.
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Schluss
2.3 Zum Traditionsprozess 2.3.1 Träger der Gedankengehalte Bezüglich der Träger der Gedankengehalte ist zunächst zu bemerken, dass ich mich aufgrund des traditionsgeschichtlichen Ansatzes der Arbeit (vgl. I. 3.1) nicht auf jede mögliche Redaktionsschicht, sondern auf das Hiobbuch als komplexe Komposition bzw. Resultat eines jahrhundertelangen theologischen Diskurses beziehe. Die kritische Auseinandersetzung mit geprägten Sachgehalten aus den Psalmen deutet darauf hin, dass es sich bei den Trägern um Psalmenkenner aus weisheitlichen Kreisen handelt. Diese können als (Psalmen-)Beter und Intellektuelle charakterisiert werden, die stark über ihre Tradition nachdenken und deren Nachdenken sich im Gebetsprozess Hiobs widerspiegelt. 2.3.2 Interesse der Träger an den geprägten Sachgehalten Das Interesse der Träger an den geprägten Sachgehalten lässt sich wie folgt beschreiben: Sie hinterfragen die geprägten Sachgehalte kritisch, decken Ambivalenzen auf, interpretieren sie – unter Kopräsenthaltung der Spannungen – theologisch neu und bestätigen sie unter Berücksichtigung des Herausgearbeiteten. 2.3.3 Theologisches Denken zur Abfassungszeit des Hiobbuches: Die weisheitliche Traditionskritik Die Auseinandersetzung des Hiobbuches mit geprägten Sachgehalten aus den Psalmen beleuchtet die Weisheit923 zur Abfassungszeit des Hiobbuches. Für
923 „Weisheit“ kann folgendermaßen definiert werden: „Unter Weisheit versteht man eine gemeinorientalische Philos., die in den unterschiedlichen Regionen des AO jeweils spezifische Ausprägungen erfahren hat (…) und auch auf die griech.-hell. Lit. nicht ohne Auswirkungen geblieben ist (z. B. Stoa). Allen Weisheitstexten ist ein belehrends Anliegen gemeinsam, das sich in den überwiegend didaktischen Gattungen der W. widerspiegelt. Schon das Bedeutungsspektrum der Wurzel jd‘ zeigt, daß die Weisheit Erkenntnis mit Hilfe von Erfahrungen sammelt. Diese Erfahrungsweisheit wird in Sammlungen aus (Kunst-)Sprüchen forumuliert. Das Erkenntnisstreben dient dem Erfassen einer Seinsordnung mit ethischer Relevanz. Erkenntnis ermöglicht ein dieser Ordnung angemessenes Handeln, was wiederum in einem positiven Ergehen des Handelnden resuliert (Tun-Ergehens-Zusammenhang). Gott kann dabei als Garant der ethischen Seinsordnung verstanden werden. Weisheit wendet damit aus vorgängiger Erfahrung gewonnene Erkenntnis auf neue Erfahrung an, um diese zu deuten und zu strukturieren“ (Lange, Art. Weisheitsliteratur, 1366 f).
Interpretation der Rezeption und Umformung
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die Entstehungszeit des Hiobbuches wurde – wie das verhandelte Problem des leidenden Gerechten zeigt – eine Krise der Weisheit angenommen, die die kritische Weisheit, die das Hiobbuch vertritt924, zu bewältigen versucht.925 Den Unterschied zwischen der „Krise der Weisheit“926 und der „kritischen Weisheit“927 fasst Wanke treffend zusammen: „Die Krise der Weisheit charakterisiert ihre Unfähigkeit, die gestörte Ordnung wiederherzustellen. (…) Die traditionelle Weisheit kann auf der Grundlage des TEZ (scil. Tun-Ergehen-Zusammenhangs, N. M.z.F.) keine Antworten auf die Probleme des unverschuldeten Leidens geben. Die Erfahrung des unverschuldeten Leidens zeigt eine Inversion des TEZ: Der Gerechte erlebt keine Belohnung und der Frevler keine Strafe. Die kritische Weisheit soll hingegen als Bearbeitung dieser Krise verstanden werden. Sie versucht die gestörte Ordnung wiederherzustellen auf anderen Grundlagen und die Inversion des TEZ zu integrieren.“928
Krüger beschreibt mit seinem Ansatz der „weisheitlichen Traditionskritik“, wie die Bearbeitung der Krise der Weisheit durch die kritische Weisheit ausgesehen haben könnte: „Traditionelle Annahmen und Aussagen über göttliche und menschliche ,Gerechtigkeit‘, über ,Schöpfung‘, ,Geschichte‘ und ,Eschatologie‘, über ,Wort‘ und ,Wirken‘ Gottes, seine Erfahrbarkeit und Erkennbarkeit werden kritisch geprüft – und nötigenfalls revidiert – im Blick auf die Lebensperspektiven und Lebenserfahrungen des einzelnen Menschen: die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Glück, die Erfahrung von Gelingen und Scheitern, die Wahrnehmung Gottes mit ihren erfreulichen und bedrohlichen Aspekten.“929
Diese „vernünftige und erfahrungsbezogene Reflexion religiöser Traditionen“930 kann als (bleibende) Aufgabe von Theologie charakterisiert werden.931
924
925 926 927 928 929 930
Hauptthemen der alttestamentlichen Weisheit sind die konnektive Gerechtigkeit des TunErgehen-Zusammenhangs, Schöpfung und Gottesfurcht (vgl. Fischer, Art. Weisheit, 442). Freuling („Wer eine Grube gräbt …“, 270 f) zeigt auf, dass die vor ihm für Hiob und Kohelet übliche Bezeichnung „Vertreter einer Krise der Weisheit“ diese Bücher nicht treffend beschreibt, da diese keine grundsätzliche Krise der Weisheit, „sondern vielmehr eine anhaltende Kreativität dieses Denkens und Fragens dokumentieren; sie zeigen einen flexiblen Umgang mit der überkommenen Tradition und eine hohe Sensibilität für Grenzerfahrungen, die die Grundlage weisheitlicher Lebensorientierung, so auch den Zusammenhang von Tun und Ergehen in Frage stellen.“ Daher bezeichnet er Hiob und Kohelet als Vertreter einer „kritischen Weisheit“ (Freuling, „Wer eine Grube gräbt …“, 271). Vgl. dazu ferner auch Krüger, Kritische Weisheit, V–VI. Vgl. Köhlmoos, Art. Weisheit/Weisheitsliteratur, 491 f, und Wanke, Praesentia Dei, 217. Zur Krise der Weisheit vgl. Gese, Krisis der Weisheit, 168–179; Preuß, Einführung, 69 f; von Rad, Weisheit, 132–146, und Schmid, Wesen und Geschichte, 173–201, sowie die Überblicke bei Lange, Art. Weisheitsliteratur, 1367, und Köhlmoos, Art. Weisheit/Weisheitsliteratur, 491–493. Vgl. Freuling, „Wer eine Grube gräbt …“, und Krüger, Kritische Weisheit. Wanke, Praesentia Dei, 217. Krüger, Kritische Weisheit, VII. Krüger, Kritische Weisheit, VII.
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Schluss
Betrachtet man die Rezeption geprägter Sachgehalte aus den Psalmen im Hiobbuch, zeigt sich – wie Krüger festgestellt hat – „weit weniger eine ,Krise‘ oder gar das ,Scheitern‘ des ,weisheitlichen‘ Ansatzes als vielmehr dessen kritisches Potenzial“932 und eine „beeindruckende Fähigkeit zur Selbstkritik“933. Worin dieses kritische Potenzial besteht, soll im Folgenden aufbauend auf Krügers Ansatz dargelegt werden. Die Analyse der Auseinandersetzung des Hiobbuches mit dem Vorstellungskomplex Leben und Tod934 machte eine Distanz zur Tradition ersichtlich, die nicht nur kritisch ist, sondern einen stärker reflexiven Anteil hat. Die Grundstruktur des Hiobbuches kann als traditionskonform charakterisiert werden, wobei zu beachten ist, dass die herausgearbeiteten Spannungen nicht aufgelöst, sondern kopräsent gehalten werden. Es gehört demnach zur conditio humana, mit offenen Fragen leben zu müssen. Daher bietet es sich an, den von den Hiobautoren unternommenen theologischen Vergewisserungsprozess als Bestätigung der Tradition unter neuen Vorzeichen (die herausgearbeiteten Spannungen) zu bezeichnen. Die Traditionsaffirmation bleibt also probeweise und problemorientiert-reflexiv. Daraus geht für das kritische Potenzial des Hiobbuches und die weisheitliche Traditionskritik Folgendes hervor: • Traditionen können auch durch ihre Bestreitung bestätigt werden. • Traditionskonformität kann durch Infragestellung der Tradition gewährleistet werden. • Traditionsfortbildung kann auch durch die bleibende Infragestellung der jeweiligen Tradition geschehen. • Weisheitliche Traditionskritik beinhaltet nicht nur eine kritische Prüfung und ggf. Revision geprägter Vorstellungen935, sondern auch ein Aufdecken von Spannungen, eine theologische Neuinterpretation und eine Bestätigung von Traditionen unter Berücksichtigung des Herausgearbeiteten. • Es geht ihr nicht allein um die Umkehr, Fortbildung oder Bestätigung von Traditionen, sondern auch um eine Offenheit für Spannungen, die sie bestehen lässt und affirmiert. • Traditionskritik kann auch den Sinn haben, reflexiv eine Gegenwart, in der Aporien auftauchen, so zu befruchten, dass zumindest ermöglicht wird, reflektierend Anstrengungen zu betreiben, um die Gegenwart zu bewältigen.
931 932 933 934 935
Vgl. Krüger, Kritische Weisheit, VII. Krüger, Kritische Weisheit, VI. Krüger, Kritische Weisheit, VII. Vgl. II. 1. Vgl. Krüger, Kritische Weisheit, VII.
Ausblick
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Zusammenfassend lässt sich für die Rezeption geprägter Sachgehalte aus den Psalmen im Hiobbuch, die weisheitliche Traditionskritik und deren kritisches Potenzial festhalten936: Die Bewegung von der Umkehrung hin zur Bestätigung geprägter Sachgehalte, die eigene Akzente setzt, zeigt, dass die weisheitliche Traditionskritik nicht nur – wie von Köhlmoos und Dell aufgezeigt – Kritik an der Tradition937 übt und theologische Aporien darlegt938 oder Skepsis939 bezüglich der Tradition zum Ausdruck bringt. Vielmehr evaluiert sie diese kritisch und legt Spannungen und Ambivalenzen offen. Außerdem interpretiert sie auf diese Weise die Tradition theologisch neu und bestätigt sie unter Berücksichtigung des Herausgearbeiteten. Folglich kann im Falle des Hiobbuches von einer Argumentation mit der Tradition gegen die Tradition für die Tradition gesprochen werden. Überdies umfasst weisheitliche Traditionskritik auch eine Reflexion von Daseinserfahrungen und kann als Versuch zur Bewältigung der Gegenwart charakterisiert werden. Das Hiobbuch hält jedoch auch fest, dass dieses kritische Potenzial nur gegeben ist, wenn ein Reden zu Gott stattfindet (Hi 42,7). Menschen müssen also nicht nur mit offenen Fragen leben, sondern können auch mit diesen leben und Aporien bewältigen, wenn sie ihre persönliche Gottesbeziehung pflegen. Zugleich betont es das Reden zu (@4) Gott (Hi 10,2 und 42,7), d. h. das Bleiben in der Gottesbeziehung, als Weg zum Umgang mit Leid, ohne das mögliche menschliche Leiden unter Gott zu verharmlosen.
3. Ausblick Zum Schluss möchte ich in einem Ausblick die aus der vorliegenden Studie für die weitere Forschung am Hiobbuch und am Alten Testament resultierenden Desiderata und Implikationen darlegen. Die traditionsgeschichtliche Untersuchung der Auseinandersetzung des Hiobbuches mit dem Vorstellungskomplex Leben und Tod, einem der Hauptthemen der Psalmen, trug zum Verständnis der zahlreichen Übereinstimmungen zwischen dem Hiobbuch und den Psalmen bei, die sich nicht durch literarische Abhängigkeit von 936 Weisheitliche Traditionskritik findet sich auch in Ps 90, der die Vergänglichkeit des Menschen thematisiert, in Ps 104, der alttestamentliche und altorientalische Schöpfungsvorstellungen diskutiert, und im Koheletbuch, das sich u. a. mit der Tora auseinandersetzt. Zur weisheitlichen Traditionskritik in den genannten Texten vgl. Krüger, Psalm 90; Krüger, Psalm 104; Krüger, ,Frau Weisheit‘ in Koh 7,26; Krüger, Dekonstruktion und Rekonstruktion prophetischer Eschatologie im Qohelet-Buch, und Krüger, Rezeption der Tora. 937 Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 364. 938 Vgl. Köhlmoos, Auge Gottes, 4. 939 Vgl. Dell, Sceptical Literature, 217.
244
Schluss
Einzeltexten, Allusionen oder einen intertextuellen Ansatz interpretieren lassen. Außerdem ermöglichte der traditionsgeschichtliche Ansatz Annäherungen an die von Verfassern und Adressaten geteilten kulturellen Grundvorstellungen940, an die Frage nach den Autoren des Hiobbuches und deren Interessen an den geprägten Sachgehalten, die sie rezipiert haben, und an das theologische Denken zur Abfassungszeit des Hiobbuches. Diese Ergebnisse zeigen, dass der traditionsgeschichtliche Ansatz zu Unrecht etwas aus der Mode gekommen ist941 und vernachlässigt942 wurde. Schließlich bleibt als Desiderat zu erwähnen, auch die Auseinandersetzung des Hiobbuches mit den weiteren Hauptthemen der Psalmen Leib- und Sozialsphäre, Gerechtigkeit und Sünde, Tempel und Kult, Kosmos und Chaos und Schöpfung und Geschichte943 traditionsgeschichtlich zu analysieren. Des Weiteren bietet es sich an, nicht nur die Rezeption geprägter Sachgehalte aus den Psalmen, sondern auch aus Tora und Prophetie im Hiobbuch944 zu untersuchen. Ferner legt die vorliegende Arbeit nahe, den traditionsgeschichtlichen Ansatz – mit den unter IV. 2.2 dargelegten Präzisierungen – auch für die Forschung an anderen Büchern und Kanonteilen des Alten Testaments wieder häufiger zu verwenden.
940 941 942 943 944
Zum Begriff „geteilte kulturelle Grundvorstellungen“ vgl. Anm. 169 und 178. Vgl. Anm. 166. Vgl. Anm. 165. Vgl. Hartenstein/Janowski, Art. Psalmen/Psalter, 1767 (Janowski). Das Hiobbuch setzt sich bspw. in Hi 3,4 mit Schöpfungsvorstellungen aus Gen 1,3 und in Hi 3,8 mit der Geburtsverwünschungsvorstellung aus Jer 20,14 auseinander. Zur Auseinandersetzung des Hiobbuches mit Tora und Prophetie vgl. Schmid, Schriftdiskussion.
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Stellenregister
Gen Gen 1–2 122 Gen 1,2 126 Gen 1,3 126, 244 Gen 1,26–29 30 Gen 1,28 130 Gen 3 174 Gen 4,10 192, 194 Gen 9,1–7 30 Gen 9,6 194 Gen 11,30 130 Gen 18,21 224 Gen 20,18 133 Gen 29,31 149 Gen 30,2 149 Gen 30,22 149 Gen 40,20 125 Gen 44,31 93 f. Ex Ex 2,12 139 Ex 2,25 224, 228 Ex 3,7 141 Ex 3,9 95 Ex 15,13 108 Ex 22,27 122 Lev Lev 14,43 203 Lev 17,11 194 Lev 25 127 Num Num 24
113
Dtn Dtn 2,7 108 Dtn 4,35 224 Dtn 19,15 206
Dtn 32,39 Jos Jos 3,10 Ri Ri 14,5
144
203
149
1Sam 1Sam 1,5 f 133 1Sam 1,11 175 1Sam 1,19 175 1Sam 2,5 130 1Sam 2,6 144 1Chr 1Chr 21,1 Esr Esr 7,28
25
139
Hi Hi 1–2 22 Hi 1,1 13 Hi 1,1–2,13 122 Hi 1,5 122, 150 Hi 1,6–12 13, 122 Hi 1,7 229 Hi 1,8 141, 229 Hi 1,11 122 Hi 1,12 229 Hi 1,13–17 13, 235 Hi 1,18 f 13, 225 Hi 1,21 212 Hi 2,1–6 13, 122 Hi 2,2 229 Hi 2,3 141, 163, 229 Hi 2,5 122 Hi 2,6 229
Stellenregister Hi 2,7 f 13, 235 Hi 2,9 122 Hi 2,10 122, 229, 232 Hi 2,13 121, 229 Hi 3 17, 22, 41, 71, 89, 116–154, 156, 160 f., 165 f., 171, 180 f., 211–213, 219, 230, 233, 235 f., 238 Hi 3–27 22 Hi 3,1 121–123, 230 Hi 3,1–42,6 22 Hi 3,2 121, 182 Hi 3,3 120, 129 Hi 3,3–7 125 Hi 3,3–10 125, 131 Hi 3,4 121, 131, 244 Hi 3,5 127 f., 153 Hi 3,7 117, 130 f. Hi 3,8 131, 244 Hi 3,10 120, 133, 148, 152 f. Hi 3,11 120, 135, 148 f., 152, 164, 166, 212, 236 Hi 3,11 f 135, 148 f., 166 Hi 3,11–13 71, 85, 89, 116, 137, 142, 153–156, 166, 181 f., 208, 235 f. Hi 3,11–16 27 Hi 3,11–19 121, 134, 137, 142, 151, 165, 177, 208, 235 Hi 3,12 93 Hi 3,13 139, 142, 150, 153, 166, 208 Hi 3,13–19 137, 143, 153, 158 Hi 3,16 140 Hi 3,17 166 Hi 3,19 46, 141, 148, 176 Hi 3,20 120 f., 145, 148 f., 152, 180 f., 210, 222 Hi 3,20–26 152 Hi 3,22 119 Hi 3,23 121, 146, 148 f., 152 Hi 3,24 f 120, 152 Hi 3,24–26 151 Hi 3,25 150 Hi 4–5 214 Hi 4–14 22 Hi 4,1 121 Hi 4,5 150 Hi 4,10 149 Hi 4,12–21 23
259
Hi 4,17 126 Hi 5,1 15 Hi 5,8 175, 213, 236 Hi 5,9 231 Hi 6 161, 166, 171, 181, 236 Hi 6,1 121 Hi 6,2 159 Hi 6,4 72, 77, 87, 89, 116, 123, 126, 153, 155, 159 f., 174, 183–185, 196, 228, 233, 235 f. Hi 6,8 137, 155, 186 Hi 6,8–10 14, 17, 37, 71–73, 77 f., 87, 89, 116, 142, 153–155, 157–161, 170, 181 f., 185 f., 208, 210, 233–236 Hi 6,9 158 Hi 6,10 155, 227 Hi 7 35 f., 161, 167, 180 f. Hi 7,1 125 Hi 7,5 48, 180, 207, 226, 232 Hi 7,6 83, 226, 232 Hi 7,7 83, 89, 182, 232, 236 Hi 7,7a 154, 161, 211 Hi 7,10 165 Hi 7,13 f 73, 155 Hi 7,13–15 17, 71, 73, 89, 116, 142, 153–155, 161 f., 181 f., 208, 235 f. Hi 7,15 137, 155 Hi 7,16 35 f. Hi 7,17 f 30–33, 35–37, 178, 180 Hi 7,19 14, 35, 155, 167–169 Hi 7,19 f 155 Hi 7,20 174 Hi 7,20a 23 Hi 7,21 23, 35, 206 Hi 7,21b 167 Hi 8,1 121 Hi 9 f 162, 196 Hi 9,2–14 23 Hi 9,3 196, 206, 215 Hi 9,5 173 Hi 9,11 215 Hi 9,14–16 213 Hi 9,16 15, 197, 199, 206, 215 Hi 9,22–24 217, 219 Hi 9,24 123, 217, 220, 227, 237 Hi 9,28 161 Hi 9,33 193, 199
260
Stellenregister
Hi 10 166, 171 Hi 10,2 17, 83 f., 89, 212 f., 229 f., 232 f., 236, 243 Hi 10,3–7 166 Hi 10,5 125 f. Hi 10,8–12 28, 163 Hi 10,8–17 170 Hi 10,11 f 122 Hi 10,12 206, 214 Hi 10,13 163 Hi 10,14–17 163 Hi 10,16 163, 166 Hi 10,17 51, 173 Hi 10,18 135, 165 f., 170, 180, 212, 236 Hi 10,18 f 165, 170 Hi 10,18–22 71, 73 f., 89, 116, 135, 142, 148, 153 f., 162–172, 179, 181 f., 199, 208, 212, 235 f. Hi 10,20 37, 148, 164, 168, 170–172, 178 f. Hi 10,20b 14 Hi 10,20 f 167–169 Hi 10,21 110, 117, 165 Hi 10,21 f 165 Hi 11,15 203 Hi 12,4 15 Hi 12,4–6 24 Hi 12,7–13,2 23 Hi 13,22 15, 213 Hi 13,25 155 Hi 14,1 125 Hi 14,1–6 168, 172 Hi 14,5 125 Hi 14,6 125, 167–169 Hi 14,7–9 172 Hi 14,13 174 Hi 14,13–17 71 f., 75 f., 89, 116, 142, 153 f., 172–178, 181 f., 235 f. Hi 14,13a 173 Hi 14,13b 174 Hi 14,14 51 Hi 14,15 14 f., 17, 174, 176, 180, 182, 213, 237 Hi 14,16 176 Hi 14,17 176 Hi 15–21 214 Hi 15,4–6 214 Hi 15,11–16 23
Hi 15,34 117 Hi 16 191, 194, 196 Hi 16,2 193 Hi 16,2–6 186 f., 190, 193 Hi 16,7–9 189 Hi 16,7–14 191 Hi 16,7–17 77 f., 89, 116, 126, 129, 153, 155, 183, 186–192, 195–197, 199, 210, 222, 228, 236 Hi 16,8 190 Hi 16,9 64, 188 Hi 16,12 200 Hi 16,16 129, 153, 193 Hi 16,17 215 Hi 16,18 195 Hi 16,18a 194 Hi 16,18–22 77–81, 89, 116, 129, 148, 153 f., 158, 174, 183, 186, 192–200, 202, 207, 210–212, 214 f., 233, 236 f. Hi 16,19 81, 197, 199 f., 205, 211 Hi 16,19–21 195 Hi 16,20 193 Hi 16,21 81, 126, 197, 199 f. Hi 16,22 165 Hi 17,8–10 24 Hi 17,16 203 Hi 19 133, 154, 202, 208, 225 Hi 19,2 77, 81, 89, 116, 153, 183, 200 f., 236 Hi 19,7–12 201, 212 Hi 19,7–20 204 f., 210, 212 Hi 19,9 35 Hi 19,13 208 Hi 19,13–19 202, 207, 212 Hi 19,13–20 201 f., 204 Hi 19,18 187 Hi 19,20 162, 203 f. Hi 19,21 158 Hi 19,25 127 f., 153, 197, 203, 206 f., 209, 211 f. Hi 19,25–27 14, 16 f., 77, 82, 89, 116, 128, 131, 148, 153 f., 178, 183, 201–212, 214, 223 f., 233, 236 f. Hi 19,26 48, 180, 209, 212, 223 Hi 19,26 f 209, 212, 223 Hi 19,27 133, 142, 153, 204, 223, 231, 238 Hi 19,28 24 Hi 20,11 203, 206
Stellenregister Hi 21–27 23 Hi 21,9 203 Hi 21,11 187 Hi 21,13 125 Hi 21,26 203, 206 Hi 22–28 22 Hi 22,1–11 215 Hi 22,24 203 Hi 23,2 149 Hi 23,8 212 Hi 23,10–12 215 Hi 24,5–8 24 Hi 24,13 24 Hi 25,1–6 23 Hi 26,1–4 23 Hi 27,2–6 215 Hi 27,5ab 23 Hi 27,7–10 24 Hi 27,11 f 23 Hi 27,13–23 24 Hi 28 22 Hi 28,1–14 23 Hi 28,20–28 23 Hi 29 215 Hi 29–31 22, 41, 116, 214 f. Hi 29,1 23 Hi 29,5 159 f., 183–185, 196, 206, 214, 215 Hi 29,12–16 215 Hi 30 215 Hi 30,1b–8 24 Hi 30,3 117 Hi 30,25 122 Hi 30,26 150, 215 Hi 30,30 48, 180, 202, 207 Hi 31 215 Hi 31,1–3 24 Hi 31,11 f 24 Hi 31,13–15 215 Hi 31,15 24 Hi 31,16–18 215 Hi 31,18 24 Hi 31,23 24 Hi 31,28 24 Hi 31,33 f 24 Hi 31,35 14, 83, 89, 154, 213, 215 f., 232 f., 237 Hi 31,38–40 24
261
Hi 32–37 22, 216 Hi 33,17 126 Hi 34,15 203 Hi 38–41 41, 116, 214, 216, 225, 237 Hi 38–42,6 22 Hi 38,1–39,30 22, 26, 85, 216, 228, 237 Hi 38,1–39,39 14 Hi 38,1–41,26 14, 131, 154, 213, 216–220, 232 Hi 38,1 83 f., 89, 216, 219, 232 f., 237 Hi 38,2 216, 219–222 Hi 38,3 220 Hi 38,3b 222 Hi 38,4 216 Hi 38,4–11 216 Hi 38,4–18 216 Hi 38,4–38 216 Hi 38,17 110, 117 Hi 38,19–24 216 Hi 38,19–38 216 Hi 38,39–41 216 Hi 38,39–39,30 216 Hi 38,41 217 Hi 39,5–12 216 Hi 39,13–18 23 Hi 40,1 24 Hi 40,2 217 Hi 40,3–5 22 f., 26, 217, 237 Hi 40,6–14 24 Hi 40,6–41,26 14, 22, 26, 85, 216 f., 228, 237 Hi 40,7 220, 222 Hi 40,8 217 Hi 40,8–14 217 Hi 40,15 218 Hi 40,15–24 218 Hi 40,15–41,26 24, 218 Hi 40,19 218 Hi 40,21 218 Hi 40,23 218 Hi 40,25–41,26 131, 218 Hi 41,25 203 Hi 42,1 24 Hi 42,1–6 17, 22, 26, 41, 85 f., 89, 116, 131, 149, 154, 209, 212, 214, 219–229, 231, 233, 237 f. Hi 42,2 23, 220, 224, 231, 237
262
Stellenregister
Hi 42,2–4 224 Hi 42,3 14, 17, 131, 237 Hi 42,3a 24 Hi 42,3aa 222 Hi 42,3abb 23 Hi 42,4 15, 17, 24, 223, 228, 231, 237 Hi 42,5 15 f., 133, 153, 209, 219, 223–225, 227 f., 231–233, 237 f. Hi 42,6 15, 17, 83, 87 f., 203, 221, 225–228, 232–234 Hi 42,7 17, 83 f., 123 f., 181, 203, 225 f., 230, 233, 243 Hi 42,7–9 17, 116, 181, 214, 225, 229–231 Hi 42,7–17 22, 154 Hi 42,8 230 Hi 42,10–17 227, 229 Hi 42,12 123, 228 Ps Ps 1 33–35 Ps 1,6 125 Ps 3 92 Ps 3,5 66, 92, 95, 175 Ps 4,9 138 Ps 5,3 120 Ps 5,4 90 Ps 5,7 125 Ps 5,10 230 Ps 6 17, 20 f., 162 Ps 6,2 f 20 Ps 6,3 120, 142 Ps 6,5 51, 126 Ps 6,6 49–51 Ps 6,7 20, 149 Ps 6,8 96 Ps 6,10 21 Ps 7 184 Ps 7,2 62, 64, 114, 189 Ps 7,14 62, 183, 189 Ps 7,18 91 Ps 8 30–33, 35 f., 180, 202, 218 Ps 8,5 30 f., 35 f., 174, 178 Ps 8,5–7 31–33, 35 Ps 8,6 35 f. Ps 8,7 36 Ps 9,5 198 Ps 9,13 120
Ps 9,15 146 Ps 11 60, 208 f., 227 Ps 11,2 130 Ps 11,4 61 Ps 11,7 58 f., 82, 209 Ps 12,6 206 Ps 13 15, 18, 41 f., 44, 47, 70, 89, 90–102, 105, 231, 233, 237 Ps 13,2 52 Ps 13,2–5 102 Ps 13,3 201 Ps 13,3a 201 Ps 13,4 36, 46, 50, 96, 157, 167 Ps 13,4a 54 Ps 13,4b 47, 51 Ps 13,5 98 Ps 13,6 20, 57, 98, 100, 146, 204 Ps 16 92, 146 f., 228 Ps 16,3 147 Ps 16,11 92, 147 f., 228 Ps 17 54, 227 Ps 17,2 61 Ps 17,8 140 Ps 17,15 58–61, 209, 224, 228 Ps 18,3 197, 205 Ps 18,29 145 Ps 19,15 204 f. Ps 22 93, 133, 136 Ps 22,2 19, 147, 149 Ps 22,2a 93 Ps 22,6 195 Ps 22,7–9 133 Ps 22,10 20, 112, 133, 136 Ps 22,10 f 20, 112, 133 Ps 22,10–12 19 Ps 22,11 135 f. Ps 22,12 55 Ps 22,14 188 Ps 22,22 98 Ps 23 21, 41 f., 102–115, 128 f., 139, 231 f. Ps 23,1 19, 77, 107, 112, 186 Ps 23,2 141 Ps 23,3 109 Ps 23,4 20, 47, 57 f., 69 f., 77, 110 f., 128, 154, 159, 183, 185 f., 228, 231 f. Ps 23,4b 47, 111 Ps 23,5 113 f.
Stellenregister Ps 23,5a 114 Ps 23,5b 114 Ps 27 132, 140 Ps 27,1 20 f., 54, 57, 81, 103, 139, 145, 200, 207 Ps 27,1–3 43 Ps 27,4 53 Ps 27,7–9 66 Ps 27,9 55, 167 Ps 27,12 206 Ps 27,14 56 Ps 28,1 18 Ps 30 18, 47, 173, 231, 233, 238 Ps 30,4 18, 47, 67, 145 Ps 30,6 173 Ps 30,12 18, 47, 67 Ps 31,5 62, 64 Ps 31,6 21 Ps 31,8 224 Ps 31,10 96 Ps 31,11 149 Ps 31,15 20 Ps 33,13 196 Ps 33,20 145 Ps 34,5 47, 213 Ps 35,8 150 Ps 35,9 146 Ps 36,8–10 18, 44, 140, 148 Ps 36,9 114 Ps 36,10 140 Ps 37,9 132 Ps 37,12 189 Ps 37,15 150 Ps 37,32 62 Ps 38,10 149 Ps 38,11 96 Ps 38,16 56 f., 207 Ps 39 14, 35 f., 167–169 Ps 39,8 132 Ps 39,9 35 Ps 39,12 35 f. Ps 39,14 35, 164, 167 f., 171 Ps 40,5 126 Ps 40,9 126 Ps 40,9–12 126 Ps 41 162 Ps 41,10 201
Ps 42 209, 227 Ps 42/43 54 Ps 42,2 61 Ps 42,2–4 14, 37, 53, 59 Ps 42,2–5 44 Ps 42,3 59, 209 Ps 43,1 198 Ps 43,4 99, 146 Ps 44,20 128 Ps 45,16 99, 146 Ps 46 43, 63 Ps 46,2 103 Ps 46,6 43, 90, 132 Ps 55,4b 189 Ps 56,14 47, 139 Ps 57,5 62 Ps 59,10b 103 Ps 62 123 Ps 62,5 123 f., 230 Ps 63 54, 61, 130, 208 f. Ps 63,2 19, 130 Ps 63,2–4 54, 59 Ps 63,3 130, 209 Ps 63,4 82 Ps 63,6 114, 130 Ps 65,13 99, 146 Ps 66,9 122, 128 Ps 69,19 204 Ps 71,4 65 Ps 71,5 56, 185 Ps 71,21 69, 159, 185 Ps 72,4 158 Ps 72,18 15, 17, 131, 222, 231, 237 Ps 73 33–35, 146 f., 190 Ps 73,2–12 147 Ps 73,16 133 Ps 73,23 20, 57, 190 Ps 74,2 204 Ps 74,10 92 Ps 74,13 190 Ps 74,14 218 Ps 77,16 204 Ps 78 107 Ps 78,35 204 Ps 78,52–54 107 Ps 80,4 51, 96 Ps 82 198
263
264 Ps 82,8 206 Ps 84 54 Ps 84,3 203 Ps 86,17 69 Ps 88 45, 50, 177, 179 f. Ps 88,4–6 18 Ps 88,5 18 Ps 88,6 93, 141 Ps 88,7–9a 63, 147, 184 Ps 88,8 63, 188 Ps 88,9 201 Ps 88,11 177 Ps 88,11–13 36, 50 f., 97 Ps 88,13 51 Ps 88,14 90 Ps 88,15 120 Ps 88,16 135 Ps 89,11 158 Ps 89,15 198 Ps 89,48 194, 199 Ps 90 243 Ps 91,4 147 Ps 91,6 130 Ps 93 43, 97 Ps 93,1 43 Ps 93,3 43 Ps 96,4 137 Ps 96,6 137 Ps 100,2 130 Ps 103 205 Ps 103,4 204 Ps 104 243 Ps 104,21 149 Ps 104,29 135 Ps 105,20 158 Ps 106,10 204 Ps 107 33–35 Ps 107,2 204 Ps 107,6 128 Ps 107,10 128 Ps 107,13 195 Ps 107,14 128 Ps 107,19 195 Ps 109,17 150 Ps 116 19 Ps 116,3 96, 201 Ps 116,4 51
Stellenregister Ps 116,8 68 Ps 119,28 193 Ps 119,154 204 Ps 120 92 Ps 120,1 66, 92, 175 Ps 124,6 188 Ps 130,6 90 Ps 139 33–35 Ps 139,13 191 Ps 143 45 f. Ps 143,3 46, 200 Ps 143,7 18 Ps 143,8 90 Ps 143,12 125 Ps 146,7 158, 198 Ps 148,1 196 Ps 148,5 120 Ps 148,13 120 Prov Prov 11,25 114 Prov 13,4 114 Prov 19,13 193 Prov 25,21 f 13 Prov 27,15 193 Prov 28,25 114 Koh Koh 7,1 125 Koh 10,18 193 Thr Thr 1,11 Thr 1,16 Thr 1,19
109 109 109
Jes Jes 2,19 206 Jes 7,4 138 Jes 8,17 146 Jes 8,20 90 Jes 29,18 129 Jes 29,21 196 Jes 32,18 108 Jes 33,10 206 Jes 34,7b 114 Jes 38,12 158 f.
265
Stellenregister Jes 38,14b 197 Jes 41,14 204 Jes 43,1 112, 204 Jes 43,14 204 Jes 44,6 203 f., 206 Jes 44,22–24 204 Jes 45,7 144 Jes 47,4 204 Jes 48,17 204 Jes 48,20 204 Jes 49,7 204 Jes 49,21 117 Jes 49,26 204 Jes 50,2 175 Jes 51,10 204 Jes 52,3 204 Jes 52,9 204 Jes 54,5 204 Jes 54,8 204 Jes 58,8 90 Jes 59,20 204 Jes 60,16 204 Jes 62,12 204 Jes 63,9 204 Jes 63,16 204 Jes 64,3 146 Jes 65,12 175 Jes 66,4 175 Jes 66,9 133 Jer Jer 7,13
175
Jer 17,7 126 Jer 20,14 244 Jer 20,14–18 126 Jer 20,15 126 Jer 32 127 Jer 35,17 175 Jer 41,16 203 Ez Ez 4,17 108 Ez 34,11 127 Ez 34,11–16 106 Hos Hos 2,1 203 Hos 2,5 125 Hos 6,3 90 Hos 9,1a 119 Am Am 3,4 149 Am 3,8 149 Am 5,10 196 Am 5,15 196 Zef Zef 3,8
146
Sach Sach 3,1 f.
25
Sachregister
Anklage 14, 17, 26, 30 f., 119 f., 123, 133, 135, 143, 145, 152, 163 f., 166, 176, 178 f., 181, 212, 215, 217 f., 225, 227, 230 Bitte 14, 16, 19–21, 36 f., 43 f., 48 f., 51 f., 54 f., 58, 64 f., 67, 89–91, 93–102, 105, 120, 126, 137, 144, 147 f., 151–154, 156–158, 160, 162, 164–172, 175–179, 181 f., 185 f., 189, 192 f., 197, 199 f., 210, 219, 223, 231 f. Feind 16, 26, 43 f., 46, 48, 50, 52, 62–65, 89 f., 92, 94, 96 f., 101, 105, 107, 111, 113, 115, 120, 123, 125 f., 128, 134, 151, 158, 163, 183 f., 188 f., 191 f., 197, 200–202, 205, 210 Freunde 17, 22, 26, 34, 116, 121, 124, 147, 151, 181, 186 f., 189 f., 193–195, 197, 200–202, 204, 211, 213 f., 229, 231, 235–237 Gebetsdynamik 17 f., 41–43, 89 f., 100, 116, 214, 219, 229, 231, 235 Gebetsprozess 15, 101, 182, 212, 236, 240 Gottesbegegnung 14, 130 f., 209 f., 220, 225–227, 229, 233, 237 Gottesbeziehung 14–18, 20, 41, 46, 55, 92, 95, 106, 108, 110–112, 115 f., 121, 123, 130, 132, 136, 142, 151 f., 155, 158, 160 f., 172, 175 f., 178, 180 f., 197, 199, 206 f., 209, 228 f., 233, 235–238, 243 Gottesferne 14, 18, 20, 37, 44–46, 54, 68, 90, 92–96, 125, 127, 142, 147 f., 151, 153, 164, 166–172, 174, 178, 181 f., 199, 235 f. Gottesnähe 14, 16, 37, 44, 48, 52, 54, 89, 101, 108, 114, 125, 130 f., 144, 147 f., 152–156, 158, 162, 167, 169–172,
176–178, 181–183, 185, 208, 210, 212, 214, 228, 236 Gottesrelation 14, 24, 95, 108, 110, 113–115, 121, 126, 141 f., 148, 152, 156, 161, 166, 170 f., 173, 175–177, 210, 229, 231 Gottesschau 14, 16, 48, 58, 60 f., 89, 130 f., 154, 201, 204, 207–210, 212, 220, 222, 224, 226–228, 231, 236–238 Hiobs Weg 13, 15–17, 23, 116, 211–214, 231, 233, 236 Intertextualität
28–30, 34, 178
JHWH-Relation 15, 17, 22, 45, 105, 115, 142, 206, 209, 228, 232, 234 Klage 13–18, 20 f., 25–27, 42–44, 46–48, 58, 67 f., 89–94, 97–102, 105, 109, 116–126, 131, 133 f., 138 f., 141, 143–154, 157, 161, 163 f., 166, 168 f., 179, 184, 186, 191, 194 f., 199–201, 211–214, 218 f., 225, 228–233, 235–238 Klagelied 14 f., 20, 27, 42, 44, 46, 48, 89, 91, 94, 101 f., 105, 119 f., 151, 154, 202 – Individualklage 13, 18, 96, 119 f., 211 Leben 15–19, 21, 26, 28, 36 f., 41–54, 57, 59–61, 65, 67 f., 89, 92 f., 95–97, 102–104, 106–115, 122 f., 125–136, 138–140, 142–147, 150 f., 153 f., 156–163, 165 f., 168–174, 176 f., 179–182, 184, 188, 194, 200 f., 203, 205–207, 209–212, 223, 229, 231 f., 236–239, 242 f. Leiden 13, 20–25, 48, 52, 54 f., 90, 92 f., 101 f., 116, 120, 124, 132 f., 135–137,
267
Sachregister 139 f., 142, 144–146, 148–157, 159–162, 164, 166, 173, 179–182, 186 f., 190, 193, 195, 199, 201 f., 207, 210–212, 219 f., 228 f., 235–237, 241, 243 Psalmensprache 15–17, 37, 41, 131, 145, 156, 178, 191, 205, 238 Rettung 13, 16, 20 f., 36, 42 f., 48 f., 51, 55, 57, 60 f., 64–68, 89, 91, 93, 96–100, 105, 126, 140, 145–147, 149, 156–158, 162, 165, 172, 176, 181 f., 189, 192, 197, 200, 203 f., 207 f., 210, 227 f. Sachgehalt 14–17, 36, 38–43, 48 f., 51 f., 54, 56–58, 62, 64, 66 f., 69 f., 89, 91, 94–99, 104, 110, 147, 155 f., 158, 162, 165, 167, 170–172, 176–181, 183–187, 189, 192, 197, 199–201, 207–210, 213, 218, 226–231, 235, 238–240, 242–244 Stimmungsumschwung 15, 98, 101 f., 154, 233 theologische Überzeugung 16 f., 39, 41 f., 48 f., 65, 70, 89, 111, 116, 184, 186, 214, 219, 228, 232 f., 238 Tod 15–19, 36 f., 41–43, 45–52, 67 f., 89 f., 93–97, 101, 109 f., 115, 117–119, 126, 129, 137, 139–146, 153–162, 165, 167, 170–172, 176, 179, 181 f., 185 f., 191,
194, 199, 201, 205–208, 210, 212, 226 f., 229, 231, 233, 235–239, 242 f. traditionsfortbildend 16, 38–40, 172, 176 f., 182, 185, 192, 197 f., 200 f., 210, 233 f., 238, traditionskonform 16, 38–40, 71, 72, 78, 83, 85, 87, 156, 176 f., 182, 197 f., 200, 207, 210, 232–235, 238 f., 242 Traditionskritik 16, 38, 169, 235, 239–243 traditionsverändernd 16, 38–40, 156, 158, 162, 172, 182, 185 f., 192, 201, 210, 232, 234 f., 238 f. Tun-Ergehen-Zusammenhang 13, 25, 150, 214 f., 237, 241 Vertrauen 11, 13, 15 f., 18–21, 41, 48, 56–58, 64 f., 89, 91–93, 95, 98–102, 105, 109–113, 115, 126, 128 f., 136, 138, 142, 147, 151, 153, 183, 185 f., 192, 194 f., 197, 200–202, 204 f., 207, 209–213, 220, 223 f., 231, 233, 236 f. Vertrauensbekenntnis 17, 19, 44, 91, 98, 100, 112, 120, 128, 149, 154, 195, 204, 220, 222, 231, 237 f. Vertrauenslied 21, 42, 102, 105, 115, 147 Vorstellungskomplex 16 f., 38 f., 41 f., 47 f., 176, 179, 181 f., 210, 238 f., 242 f. Weisheit
22, 28 f., 40, 240–243