Harmonie und Rhythmus in Natur und Kunst [Reprint 2019 ed.] 9783486769562, 9783486769555

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German Pages 152 [160] Year 1937

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
1. Musik und Vogelgesang
2. Kunstwerk und Naturgebilde
3. Der Plan in der Schöpfung
4. Kunst als Erfüllung der Natur (Ausklang)
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Harmonie und Rhythmus in Natur und Kunst [Reprint 2019 ed.]
 9783486769562, 9783486769555

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Harmonie und Rhythmus in Natur und Kunst Von

Heinrich Frieling Mit 21 Abbildungen

üUül

München und Berlin 1937

Verlag von R.Oldenbourg

Druck von R. Oldenbourg, München

Vorwort. Von einem Buch, das sich mit dem Verhältnis der Kunst zur Natur beschäftigt, wird man billigerweise mehr als eine bloße Vergleichung der Ähnlichkeiten zwischen Kunst- und Natursormen erwarten. Es wird vielmehr um die Erfassung des tiefen Sinnes gehen, der der Kunst zugrunde liegt und der ihr Maßstab und Zielsetzung zugleich sein kann. Mag nun auch der Versuch, das Wesen der Kunst zu kennzeichnen, schon oft und von unseren Besten unternommen worden sein, so kann doch nur dem Gesichtspunkt der Betrachtung Allgemeingültig­ keit und Erkenntniswert zugesprochen werden, der die Kunst und den Menschen harmonisch und organisch ordnen kann in den großen Kreislauf des Lebens auf Erden und in die eherne Gesetzmäßigkeit des Weltgeschehens im großen und ganz kleinen. Niemals wird man die Kunst losgelöst von ihrem Schöpfer, dem Menschen „an sich" betrachten dürfen, wenn man sich nicht zu der Auffassung bekennen will, daß der Mensch der Natur völlig wesensfremd gegenübersteht. Denn letzten Grundes entspringt die Kunstschöpfung dem blutvollen Men­ schen, der sich innerhalb des Naturganzen fassen läßt, um dessen Stellung im einzelnen aber heute wie ehedem gekämpft wird. Eine der wichtigsten Aufgaben besteht heute, wo man wieder biologisch denken gelernt hat, in der Ausmerzung des künstlichen Gegensatzes zwischen Natur- und Geisteswissen­ schaften, einer Trennung, die zu jenem Einzelgängertum der Wissenschaften geführt hat, das dazu angetan ist, jeder Wissen­ schaft ihre eigene Weltanschauung zuzubilligen. Und außer der tiefen Spaltung innerhalb der Wissenschaft selbst gähnte der Abgrund zwischen Kunst und Wissenschaft, über den man sich scheute, eine Brücke zu schlagen. Wo sich aber Naturwissenschaft bzw. ihre weltanschaulichen Folgerungen und Kunst berührten, kam es zu einer oft unerträglichen Spannung: der Künstler nämlich, der sich dem Materialismus als Folge eines rein

mechanistisch gedachten Lebens verschrieb, sah sein Künstlertum, wenn er noch an dieses glaubte, in unendliche Fernen von der Wissenschaft abrücken oder er verlor den inneren Zusammenhang mit der göttlichen Kraft, die auch die Natur beseelt, vollständig und gab sich dem Ausbrüten eines krankhaften Machwerks hin, das man einige Zeit als Kunst verkündete. Kein Wunder, daß man in jener Zeit außerstande war, weder die vergangene Kunst zu verstehen noch eine neue anzubahnen. Es fehlte der Glaube an die Welt und an sich selbst, an sein Volk und an dessen Zukunft. Erst als das deutsche Volk diesen Glauben wieder erhielt, wuchs auch das Wissen um die Sendung des Künstlers, während zugleich echte Kunst von der Asterkunst unterschieden werden konnte, und so der Weg zum wahren Schaffen wieder frei wurde. Trotzdem fanden sich Wissenschaft, insbesondere Naturwissenschaft und Kunst noch nicht zusammen. Denn wenn sich auch dort eine Abwendung vom Mechanismus zeigte und sich immer mehr eine ganzheitliche Denkweise durchsetzte, bleibt die Stellung des Menschen in der Natur, ja im Kosmos, doch immer noch unbefriedigend für den Künstler, der die Erschei­ nungen sucht und die Analyse haßt. Erst eine Weltanschauung, die die Erkenntnisse der verschiedenen Wissensgebiete organisch und synthetisch ergreift, um sie zu einem einheitlichen Bild zusammenzusetzen, in dem sich auch der vielverzweigte Baum der Kunst an seiner Stelle befindet, wird alle Suchenden und Sehnenden befrieden können. Von einer solchen Weltanschau­ ung sind wir allerdings noch weit entfernt, und es hieße die geduldige Arbeit der Wissenschaft herabsetzen, wollte man von ihr heute schon ein endgültiges Bekenntnis zu einer Theorie erwarten, die sich mit der der Nachbargebiete in Übereinstim­ mung bringen lassen könnte. Das darf uns aber nicht anfechten, wenigstens einmal in Form einer Studie die großen Linien aufzuzeigen, die geeignet erscheinen könnten, am Bau einer totalen organischen Weltanschauung mitzuwirken, wie sie — von kulturphilosophischer Seite her — bereits von Paul Krannhals, A. Rosenberg u. a. skizziert wurde. Der Verfasser tritt im vorliegenden Buch vom Standpunkt des Biologen an die aufgezeigten Fragen heran. Um die Stel­ lung des Menschen und der Kunst im Naturganzen zu erkennen, ist es unerläßlich, sich mit dem Werden des Menschen und der

Kunst aus ihren naturverbundenen Anfängen heraus zu be­ schäftigen. Auf Grund der Tatsachen, die sich dem Natur­ forscher in überwältigender Fülle bieten, gelangen wir im Lauf einer Betrachtung, die das gegebene Wechselverhältnis von Natur und Kunst sich ständig vertiefen läßt, zu Schlußfolgerungen, die denjenigen, der nach dem Begreifen der wahren Sendung des Menschen in der Welt seelisch rang, vielleicht zu dem be­ glückenden Gefühl jenes Menschen trägt, der sein Selbst­ vertrauen wiedergefunden hat. Und kann das Buch in diesem Sinne auch nur einigen Lesern Helfer sein, so ist sein Zweck erfüllt. Es ist mir schließlich ein Herzensbedürfnis, Herrn Dr. Man­ fred Schröter und dem Verlag R. Oldenbourg für die wohl­ wollende Förderung der Arbeit und die mannigfachen An­ regungen zu danken. Stuttgart, im Mai 1937.

Heinrich Frieling.

Inhalt Seite

Vorwort...............................................................................................

3

1. Musik und Vogelgesang (Eingang)..........................................

9

2. Kunstwerk und Naturgebilde.................................................

19

Naturform, Technik, Kunst............................................................. Die Betonung der Lebensstruktur als Kennzeichen primitiver Kunst Der Entwicklungsweg der dynamischen Ausdruckskunst............... Die Betonung des Körpers bei den Tieren als Vorstufe zur Kunst . Raumkunst und natürlicher Bauplan.............................................. 3« Der Plan in der Schöpfung.....................................................

19 28 35 45 51 74

Zweck oder „erhabene Zwecklosigkeit"?.............................................. 74 Erfüllung der Harmonie in der Natur.......................................... 85 Das System der harmonischen Erfüllungen beim tierischen Zeich­ nungsmuster ................................................................................ 94 Das System der harmonischen Erfüllungen bei den tierischen Lautaußerungen..................................................................................102 Das System der harmonischen Erfüllungen in Bau und Entwick­ lung der Lebewesen......................................................................... 107 Das Streben nach harmonischer Erfüllung in der Kunst................... 119 Harmonie und Rhythmus in Natur und Kunst....................................... 126 4. Kunst als Erfüllung der Natur (Ausklang)................................142

1. Musik und Vogelgesang. Immer wieder fallen dem musikalischen Spaziergänger draußen irrt Wald oder Park Vogelgesänge aus, die gewissen Motiven bekannter Musikwerke gleichen oder ihnen doch wenig­ stens auffallend ähneln. So berichtete mir erst neulich ein Komponist voller Freude, daß er einen Vogel gehört habe, der den Ansang des Wagnerschen Kaisermarsches gepfiffen habe. Und da will doch ein anderer wahrhaftig Beethovensche Motive aus einer Vogelkehle vernommen und ein dritter Hennengackern irgendwo in der Musik wiedergefunden haben. Nun wird freilich niemand annehmen wollen, daß die Vögel aus ihren Wipfeln gelegentlich gehörte Musikstücke in ihr Lied verweben, selbst wenn es so manchen Imitator unter den Be­ schwingten gibt, der uns durch seine Treffsicherheit, andere Vogel- oder Tierstimmen zu kopieren, allerhand Achtung ab­ ringt. Viel mehr kann man das Umgekehrte glauben, nämlich, daß der Komponist sich den Vogelgesang zum Vorbild nimmt. Eine dritte Möglichkeit besteht zudem: Vogel und Komponist bringen unabhängig voneinander zufällig oder gar natürlicherweise das gleiche hervor. Und somit gilt es jetzt zu fragen: Lernen die Komponisten von den Vögeln, d. h. nehmen sie sich die Natur zum Vorbild für ihre Kunst, ist diese Kunst also in gewissem Sinn eine bewußte Frage an die Natur oder aber schöpfen Vogel und Künstler aus dem gleichen Urgrund unabhängig voneinander bzw. gibt der Vogelgesang dem Künstler eine Anregung? Wie überall, so läßt sich auch hier nicht mit einem EntwederOder antworten, und es scheint uns etwas einseitig, wenn z. B. Bernhard ff mann1), der sich ziemlich als erster um die Frage Musik und Vogelgesang gekümmert hat, den Komponisten rät, noch mehr als bisher den herrlichen „Stoff" zu verwenden, 1) Kunst und Vogelgesang, Leipzig 1908.

den die Vögel in ihrem Gesang immerzu in bequemster und schönster Weise bieten. Ganz zweifellos gibt es nun eine Reihe von Beispielen (wie sie Hofsmann gibt), welche für eine bewußte Übernahme und einfache konstruktive, thematische Behandlung des über­ nommenen Vogelmotivs durch den Komponisten sprechen. Hierher gehören besonders die Beispiele vom Kuckucksrus. Rach Hofsmann ist die älteste Kuckucksdarstellung in einem vom Mönch Simon Fornsete 1226 geschriebenen Kanon „Sumer is icumen in, Lhude sing cuccu" zu finden. Die in der Kompo­ sition enthaltene kleine Terz kann sehr wohl unmittelbar aus den Kuckucksrus hinweisen. Viel bekannter ist die Verwendung des Rufs in alten Liedern („Es regnet sehr und er wird naß, guckuck" — 1750 — und „Kuckuck, Kuckuck rusts aus dem Wald^. Auch in der Haydnschen Kindersymphonie erschallt der Kuckucksruf, und in Hump erd in cks Märchenoper „Hänsel und Gretel" läßt sich der Gauch gleich nach dem Liedchen vom stummen Pilzmännlein eindringlich vernehmen. In der sechsten Symphonie Beethovens (Pastorale) wird man am Ende des zweiten Satzes ebenfalls die Klarinette für die Nachahmerin des Rufs halten können. In all diesen Fällen zweifeln wir nicht daran, daß der Komponist durch die Auf­ fälligkeit und Eigenart des Kuckucksrufes veranlaßt, diesen ab­ sichtlich in die Musik verwebt und mehr oder weniger variiert und thematisch verarbeitet hat. Von einer genauen Kopie der Natur kann natürlich kaum die Rede sein, da Kuckucke, die eine kleine Terz oder große Sekunde rein bringen, selten sind; viel häufiger vernimmt man Zwischenstufen. Auch die Tonhöhe „stimmt" nicht immer ganz, ebensowenig die metrische Behand­ lung. Ganz ähnlich wie den Kuckucksruf haben wir auch (wir lehnen uns an Hoffmann an) das Gackern der Hennen und Krähen des Hahns in I. I. Walters (17. Jahrhundert) „Galli e Galline" zu beurteilen, wo schon der Titel die Absicht verrät. Auch die Wachtel mag der eifrige Sucher des öfteren in der Musik schlagen hören, so in den „Jahreszeiten" von Haydn, in der 6. Symphonie Beethovens und im „Wachtel­ schlag" Schuberts. — Es konnte nicht ausbleiben, daß die so zu Herzen gehenden Weisen der Nachtigall ihren musikalischen Niederschlag fanden. Unser Gewährsmann gibt hierfür folgen-

des an: Zunächst scheinen viele Tondichter (z. B. Rubinstein) an Stelle der Nachtigall (die sie wohl gar nicht kennen) die Singdrossel zu verwenden. Wirkliche Nachtigallenmotive glaubt Hossmann dagegen im 2. Satz der Beethovenschen Pastorale zu finden (Flöte!). Das Beethovensche Nachtigallenmotiv taucht später in abgeänderter Weise noch oft auf. Freilich wird schon Dorio Castello 1621 Nachtigallenmotive verwendet haben. Aus neuerer Zeit stellt uns der genannte Autor Nachti­ gallenmusik von Matthieux (Vogelkantate) und Kullak (Op. 81, Nr. 8) vor. — Recht eingehend wird Beethoven von Hoffmann aus die „Verwendung von Vogelmotiven" ge­ prüft. So erscheinen Rotkehlchen und Kohlmeise in der sechsten Symphonie. Von verschiedenen Seiten wird der bekannte Ansang der fünften Beethovenschen Symphonie mit dem Lied der Goldammer zusammengebracht, während Hosfmann, auf ansehnliche Gründe gestützt, hier eine Garten­ ammer herauszuhören meint. Man mag so etwas für spitz­ findig halten, zumal Beethoven sich in dieser Hinsicht keines­ wegs geäußert hat und auch die Unterhaltung mit Schindler über den Vogelchor (s. u.) hier keinen endgültigen Ausschluß gibt. Dagegen veröffentlicht Hoffmann eine authentische Mit­ teilung Bruckners, daß er in der Romantischen Symphonie für ein bestimmtes Motiv tatsächlich die Waldmeise (= Kohl­ meise) im Sinn gehabt habe. Weiterhin wird von SchulzBeuthen die Versicherung angeführt, daß er in seiner zweiten Symphonie (Frühlingsfeier) ein Amselmotiv verwendet habe, welches mit Genauigkeit und Absicht der Natur abgelauscht worden sei. Wenn wir von freieren Tongemälden (z. B. Liszts Vogelpredigt) absehen und uns gleich zur Opern­ musik wenden, wo wir naturgemäß Vogelstimmen erwarten können, so möchten wir mit Hoffmann außer Weber (Frei­ schütz mit den Waldkauzrusen in der Wolfsschluchtszene) vor allem Richard Wagners gedenken, der mitten im Waldes­ weben des „Siegfried" — „in voller Absicht", wie Hoffmann sagt — Vogelgesänge zur Wirkung kommen läßt. Siegfried unterhält sich hier mit den Waldvögeln und vertraut sich danach der Führung eines Vogels nach dem Brünnhildefelsen an. Wir wollen nicht übersehen, daß Wagner in der Tat mit viel Liebe den Vögeln gelauscht und zweifellos das eine oder das andere

Vogellied programmatisch wiedergegeben hat. Neben einem von Hossmann entdeckten Singdrosselmotiv im „Lohengrin" (Schwanengesang) sind die verschiedenen Meisterweisen in den „Meistersingern" von Hoffmann genau untersucht worden. Die Motive beziehen sich nach ihm in der Tat auf die jeweiligen Vogelweisen (Nachtigallenweis, Stieglitzweis), während die Pelikanweis begreiflicherweise einen anderen Vogel als den „unmusikalischen Pelikan" zur Unterlage hat. Aus die weiteren zahlreichen Beispiele Hofsmanns können wir hier nicht mehr eingehen; wir wollen jedoch erwähnen, daß der Autor nicht immer durchaus bemüht ist, Vogelmotive er­ kennen zu wollen, sondern daß er wiederholt zugibt, daß all­ gemeinen Tongemälden eine allgemeine Musikstimmung ent­ spricht. Außer den genannten Äußerungen der Komponisten selbst über den Ursprung ihrer Vogelmotive findet sich noch eine negative Äußerung, die wir als Übergang zu unseren eigenen Darstellungen nicht unerwähnt lassen wollen. In der „Königin von Saba" kommt ein sehr langer Ruf der Astaroth vor, der den Sinn hat, Assad herbeizulocken. Man behauptet, daß für diesen Ruf eine Lerche Modell gesungen hat. Einer Anfrage Hoffmanns an den Komponisten wurde die Antwort zuteil, daß man hier überhaupt keine natürliche Grundlage angeben könne, sondern daß der Ruf vielmehr der intuitiven Nachempfindung der gegebenen Situation und Stimmung entspränge. Trotzdem weist Hoffmann auf eine geradezu ausfällige Übereinstimmung dieses Sehnsuchtsrufs in Rhythmik und Tonabstand mit dem seelenvollen Liede des Rotkehlchens hin. An diesem Beispiel sehen wir wohl, wie leicht man bei der Deutung von sogenannten Vogelmotiven dem Komponisten eine Absicht unterschieben kann, die dieser gar nicht gehabt hat. Nach dieser allgemeinen Würdigung der Arbeiten Hoss­ manns wollen wir selbst1) versuchen, zu dem Thema Stellung zu nehmen. In der alten Musik trifft man außerordentlich häufig aus sicher absichtliche Verwendung von Vogelstimmen. Wenn z. B. Rameau das Hennengackern sehr sinnig in einem MusikJ) Vgl. hierzu H. Frieling, Musik und Vogelfang, „Die Musik", Febr.

1937.

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stück verkörpert und recht geistreich ausführt, so handelt es sich hier nicht eigentlich um wirkliche Kunst, sondern mehr um eine artistisch-künstlerische Spielerei. Freilich kommt es hier über einen groben Naturalismus hinaus zu einer echt französischen impressionistischen Auffassung. Wenn Rameau das an sich in Noten kaum wiederzugebende Gackern musikalisch bearbeitet, dann legt er das Motiv derart fest, daß uns tatsächlich der Eindruck einer dumm-fahrigen Henne übermittelt wird, die in ihrer Legenot nicht weiß, wo sie hinrennen soll. — Die Vogel­ motive unterliegen bei den verschiedenen Komponisten außer­ ordentlich dem Zeit- und Rassenstil. In unserer Frage­ stellung läßt sich z. B. der Unterschied zwischen deutscher und französischer Komposition auch dann gut nachweisen, wenn es sich um eine gleiche künstlerische Vorlage handelt: ich meine Claude Dacquin und Ioh. Kaspar Kerll, beide im 17. Jahr­ hundert. Der Franzose schuf ein echtes Rondeau: „Le Coucou", in das immer wieder der Kuckucksruf hineingearbeitet ist wie in eine Landschaft. Der Deutsche machte aus demselben Einfall (auch der Titel seines Cappriccios heißt „Der Kuckuck") ein polyphones Werk mit Echo und anderen Feinheiten, das schließlich in eine Art Toccata und in ein Bekenntnis zu Gott übergeht. Beidemal ist also der Kuckucksruf Ausgangspunkt gewesen; einmal wurde er dazu verwendet, in tändelnder, geistreicher, „spritziger" Musik die Führung zu übernehmen, andermal in sichtlichem Bemühen, ein Kunstwerk tieferen Gehalts zu schaffen mit der offenbaren Sehnsucht nach willenhaster Entladung, die im nordisch-abendländischen Schönheitsbegriff schlummert. Und mag auch diese Musik Kerlls einen etwas billigen programmatischen Ausgangspunkt haben: der Kuckucksruf ist hier nicht Selbstzweck und die Musik steht im Gegensatz zum Franzosen, der gewissermaßen am Kuckucksruf als dankbar aufgenommenem Stoff sein Talent losläßt. Von der erwähnten alten Musik möchten wir die Werke Wagners und Beethovens auch hinsichtlich der Art, Vogel­ motive zu behandeln, weitgehend trennen. Kann man in der bereits besprochenen Waldvogelszene in Wagners „Siegfried" auch bestimmte Vogelgesänge deutlich heraushören, und sollen die betreffenden Motive tatsächlich auch Vogelstimmen ver­ körpern, so sind diese doch nach unsrer Ansicht nicht Anlaß zur

musikalischen Gestaltung dieser Szene gewesen wie es bei Nameau und Kerll der Fall war. Denn was Wagner hier geschaffen hat, ist keine impressionistisch gesehene Naturab­ bildung und erst recht kein Naturalismus, sondern etwas ganz­ heitlich Erlebtes. Aus dem sozusagen Ungesormten der Natur entspringt Wagners Musik als Offenbarung in einer höheren Welt. Wir erleben nach, und dieses Nacherlebenkönnen eines Eindrucks ist allein der Beweis für echte Kunst. Denn das eigentlich Künstlerische tritt erst dann hervor, wenn einer der Seele ungeformt erscheinenden Naturäußerung Form ver­ liehen wird, in der die menschliche Schöpfung vom Kunst­ genießenden wieder erlebt, nachempfunden werden kann. Wir dürfen in den Wagnerschen „Vogelstellen" weniger die Vögel einzeln begrifflich herausarbeiten, sondern wir müssen die Stimmung des Meisters als Spiegel der Naturseele zu erkennen streben, der Naturseele, die sich eben in vielfältiger Weise auch durch Vogelkehlen ausdrücken kann. Wagner ist sicher nicht wie andere Komponisten in den Wald gegangen, um daselbst gehörte Vogelmotive aufs Notenblatt zu bringen und die Natur so zu „photographieren", sondern er wird, überwältigt vom allge­ meinen Eindruck eines morgendlichen Vogelkonzerts, Weisen notwendig geschaffen haben, die ihm das innere Erlebnis vom Herzen schreiben ließen. Der Künstler überträgt ja nicht die realen Erscheinungen der Natur einfach handwerklich, sondern er erlebt, drückt dieses Erlebnis wieder durch einen Willens­ akt in einer künstlerischen Tat aus und gönnt auf diese Weise dem Kunstgenießenden ein Nacherleben dieses Erlebnisses, und zwar in einer dem Laien viel verwandteren, seelennäheren Form als wenn dieser (selbst unkünstlerisch) die Natur unmittel­ bar auf sich wirken ließe. Rich. Wagners verschiedene Äuße­ rungen beweisen, daß wir seinem Künstlertum einigermaßen gerecht geworden sind. So schreibt er an Mathilde Wesendonck, daß nur eins den Künstler bestimmt: „die Not der Entladung unseres eigenen Inneren". Der große Künstler erwartet keine Befehle und Anseuerungen, er gebärt, wenn er gebären muß. Aber die Entstehung einer Naturmelodie vermag uns Wagner selbst am besten aufzuklären. Seine Äußerung bezieht sich aus die sogenannte ewige Melodie im „Tristan" (d. i. die einheitlich symphonische, polyphone und polyrhythmische Form, die

Wagners Musikdramen kennzeichnet und die im Gegensatz steht zur alten geschlossenen Form der italienischen Oper mit Arie, Lied, Rezitativ und Ensembleeinsatz) und lautet nach Pfohp): „Wie der Besucher des Waldes, wenn er sich, überwältigt durch den allge­ meinen Eindruck, zu nachhaltender Sammlung niederläßt, seine vom Druck des Stadtgeräusches befreiten Seelenkräfte zu einer neuen Wahrnehmungsweise spannend, gleichsam mit neuen Sinnen hörend, immer inniger austauscht, so vernimmt er nun um so deutlicher die unendlich mannigfaltigen, im Walde wach werdenden Stimmen, immer neue und unterschiedene treten hinzu, wie er sie nie gehört zu haben glaubt; wie sie sich vermehren, wachsen sie an seltsamer Stärke. Lauter und lauter schallt es, und so viel der Stimmen, der einzelnen Weisen er hört, das überwältigend hell angeschwollene Tönen dünkt ihm doch wiederum nur wie eine große Waldesmelodie, die ihn schon anfänglich so zur Andacht fesselte, wie sonst der tiefblaue Nachthimmel seinen Blick gefesselt hatte, der, je länger er sich in das Schauspiel versenkte, desto deutlicher, Heller und immer klarer seine zahllosen Sternenheere gewahrte. Diese Melodie wird ewig in ihm nachklingen, aber nachträllern kann er sie nicht; um sie wieder ganz (von mir gesperrt) zu hören, muß er wieder in den Wald gehen, und zwar am Sommerabend. Wie töricht, wollte er sich einen der holden Waldsänger sangen, um ihn zu Hause vielleicht abrichten zu lassen, ihm ein Bruchteil (gesperrt von mir) jener großen Waldmelodie vielleicht vor­ zupfeifen."

Gerade diese letzte Stelle zeugt doch deutlich von der Not­ wendigkeit des ganzheitlichen Erfassens der Waldharmonie und Waldmelodie. Diese Art des künstlerischen Erlebens?) ist himmelweit von dem Strebertum eines Menschen entfernt, der sich die einzelnen notierten Vogelstimmen zusammensetzt, um daraus eine der im Original vorliegenden ähnliche Melodie zu komponieren. Das wäre die Komposition eines Konservatoriumsschülers, der nach dem gelernten Schema arbeitet, das wäre eine leblose Wiederzusammensetzung eines analysierten Ganzen und nicht der erhabene Ausdruck für ein erlebtes Ganzes. Der Künstler, gerade der nordische Künstler, erlebt die kosmischen Gesetze in seiner eigenen Seele wieder und gestaltet sie in einer Tat — und „jede Tat ist wesentlich entladener Wille" (Rosenberg, Der Mythos des 20. Jahrhunderts). Als weiteres Beispiel echt künstlerischen Schaffens möchte ich R. Straußs Oper „Die Frau ohne Schatten" erwähnen, in der eine Morgenstimmung mit dem erquickenden, vieltönigen *) Richard Wagner, Bielefeld u. Leipzig (sine anno) S. 52. 2) Suards faßt die ganze Sachlage treffend in dem Satz zusammen: „In der Musik ist die Landschaft eine Empfindung."

Vogelchor so wunderbar erlebt zum Ausdruck kommt wie selten in der Musik. Wir bezweifeln, daß Strauß die Vogelstimmen kopierend zu Papier gebracht hat und unter polyphonischer Umwandlung das „Erlauschte" in der Oper „verwenden" konnte. Nein, für die künstlerische Formung eines Morgens konnte der Komponist eben keinen anderen seelischen Ausdruck finden als diesen. Hier sind übrigens, wie bei Liszt und Wagner, die einzelnen Vogelstimmen nicht immer so deutlich, daß ein eifriger Forscher sie herausarbeiten könnte, und das zeigt gerade, daß es daraus ankommt, dem Eindruck des Ganzen einen ganzheitlichen Ausdruck zu verleihen. Manchmal möchte man geradezu glauben, der Künstler schasse aus dem Inneren etwas, was ganz unabhängig vom Erlauschten doch die gleiche Erlebnisform vermittelt — wie ein Waldkonzert aus Vogel­ kehlen. Die Stimmung eines Morgens kann sich seinem Inne­ ren nicht anders entringen wie sie der Natur selbst entwächst. Freilich kann man solche Erzeugnisse der freien Phantasie ver­ schieden werten; denn schließlich besitzt auch die scheinbar un­ gebundenste Phantasie irgendwo einen realen Erinnerungs­ boden, aus dem Eindrücke unbewußt zur Gestaltung drängen. Daß der Komponist nicht unmittelbar nach dem Erlebnis zu schaffen braucht, sondern daß er aus einem vergangenen Erinnerungsbild heraus formt, ist ja selbstverständlich. Und daß diese erlebten Stimmungen einen oft sehr nachhaltigen Eindruck zurücklassen, zeigt auch das Werk des tauben Beet­ hoven. Gerade diejenige Symphonie, die am meisten Natur­ bilder aufzeigt, die sechste (Pastorale) wurde geschaffen als der Meister schon längere Zeit taub war. Wenn Hossmann in der „Szene am Bach" und im „ländlichen Fest" bestimmte Vogel­ stimmen ganz genau wieder erkennen kann, so schließt das eben nicht aus, daß Beethoven doch noch von der Erinnerung zehrt, zumal er zu Schindler sagt, daß hier der ganze Vogelchor mit­ gewirkt habe. Immerhin ist es auch bei Beethoven ganz aus­ geschlossen, daß er in jüngeren Jahren gehörte Vogellieder noch genau im Ohr hatte als er schon taub war; vielmehr möchten wir auch hier die Äußerung über die Hilfe des Vogel­ chors so verstanden wissen, daß dieses Erlebnis, das dem natur­ nahen Meister eben zur künstlerischen, willensmähigen Eestaltungstat drängte, hier seinen Niederschlag gefunden hat.

Einem Genius wie Beethoven darf man doch gerechter Weise nicht unterschieben, aus Motivarmut Anleihen in der Natur gemacht zu haben! Nicht hingegen möchten wir versäumen, daraus hinzuweisen, daß z. B. am Beginn der fünften Sym­ phonie das schicksalhafte Anschlagen bei Beethoven und — der Ammer den gleichen tiefen Urgrund hat. Wie id)1) früher zeigen konnte, unterliegen nämlich die Gesänge der Vögel einem Landschaftsstil; d. h., diejenigen (körperlich oft gar nicht verwandten) Vögel, die gleiches Gebiet bewohnen, haben den gleichen Gesangsstil. Es ist so, als ob die Landschaft ihre eigene Ausdrucksform auch von den Vogelkehlen verlangte, so wie sich die menschlichen Dialekte in ihrem Wesen ausfallend mit dem Charakter ihrer Urheimat decken. Der bunte Wald erzeugt eine bunte Naturmelodie. Und wie der Wald als Lebensraum seine bestimmte tönende Ausdrucksform fordert, so auch die melancholische Steppe, die öde Wüste oder der kahle Fels. Die von uns nur erlebbare (nicht aber verstandesmäßig sezierbare) Stimmung einer Landschaft webt mit anderen Worten in allen Lautäußerungen ihrer lebendigen Bewohner und schließt auch die Urlaute selbst mit ein. Jede Landschaft hat so eine bestimmte Lautharmonie und enthält somit auch den Charakter der in ihr lebenden Menschenseele. Die melancholischen Lieder steppenbewohnender Völker, das wilde Jauchzen der Bergbewohner gründet sich letzten Endes ebenso aus diese Harmonie der Landschaft wie das künstlerische Erlebnis einer bestimmten Stimmung. Denn die seelische Welt des Menschen stellt ein Gegenstück zur beseelten Natur dar, und wenn sich hier das Erlebnis des Schicksalhaften in Musik ent­ laden muß, so kann sich dasselbe seelische Element durch eine Dogelkehle innerhalb des natürlichen harmonischen Lebens­ kreises ausdrücken. Unter Beachtung derartiger Übereinstim­ mungen, die sich letzten Endes auf die gegebene kosmische Struktureinheit der Landschaft im Belebten und Unbelebten gründen, könnte man auch die Gleichheit Beethovenscher Schicksalsmotive mit dem schicksalhaft in die melancholische Land­ schaft „eingebauten" Gartenammergesang verstehen. Hier allerdings liegt ja noch ein Umweg vor, während man bei „Naturszenen" in der Musik einen unmittelbaren Vergleichs*) Die Stimme der Landschaft, Verlag Oldenbourg 1937. Frieling, Harmonie und Rhythmus.

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Punkt bekommt: Im Bann des Landschaftserlebnisses vermag die Menschenseele keinen anderen künstlerischen Ausdruck zu finden als den, den die Natur selbst zeigt. Musik und Vogel­ gesang haben so eine gemeinsame Wurzel in der Landschaft. Sind Kunst und Natur vielleicht auch im Reich des Sichtbaren so tief innerlich verwandt? Diesen Urgrund zur Ahnung und Erkenntnis zu formen, muß in den nächsten Ka­ piteln versucht werden.

2. Kunstwerk und Naturgebilde. Naturform, Technik, Kunst. In älteren Tierbeschreibungen stößt man immer wieder aus Vergleiche irgendeines Tiercharakters mit einem Wesenszug bestimmter Menschen. So nennt man den Adler mutig, den Sperber tollkühn, die Hyäne feige und die Katze falsch. Die Biologie lehnt derartige Vergleiche als unangebrachte Ver­ menschlichungen ab und weist daraus hin, daß diese Wertung des tierischen Charakters nicht nach menschlichen Begriffen durchgeführt werden kann. Für die Lebensweise eines Adlers ist die Überwältigung eines zur Ernährung dienenden Tieres eben begründet, und dieser Raubvogel muß wehrhaft und „tapfer" sein, sonst kann er sein Leben nicht erhalten. Ein Hund ist nicht treu, weil er sittlich höher stünde als eine Katze, sondern das ursprüngliche Herdenleben des Hundes erfordert Unterordnung unter ein Leittier.Wäre die Hyäne nicht scheu und feige, so wäre sie eben keine Hyäne; d.h. es gäbe dann kein Tier der Steppe, das das Mahl des Löwen vollendet. Der Lebens­ raum und die darin enthaltenen Lebensbedingungen müssen aber ausgenutzt werden, und deshalb kann nicht jedes Tier ein Löwe sein wollen. Es muß neben dem Adler, der das Wild schlägt, auch Geier geben, die Aas restlos beseitigen. Daß sie für diese Ausgabe keine so scharfen Krallen und Kampfes­ mut brauchen und einen nackten, „häßlichen" Hals besitzen müssen, ist nur natürlich. Kurzum, die Biologie lehrt das Tier als Glied seiner Umwelt verstehen. So gewichtig der biologische, sachliche Standpunkt nun auch ist: eine tiefe Wahrheit, die den „kindlichen" Auffassungen über die feigen und tapferen, liebenswürdigen und rachsüchtigen Tiere zugrunde liegt, überschluckt er. Das Tierreich in seiner Gesamtheit stellt so nämlich einen Gegenpol zur Menschheit in ihrer Gesamtheit dar, das Wesen einer Tierart entspricht einem Wesenszug eines Menschenindividuums, obwohl doch der Mensch, rein

naturwissenschaftlich betrachtet, nur eine Art (species) ver­ körpert und letzten Endes „nur ein Tier ist, das sich aus Gehirn­ entwicklung spezialisierte", also die Begriffe Mensch und Tier­ reich gar nichts Gegensätzliches darstellen. Wenn im Tierreich die eine Art, Adler, „mutig" ist, so besitzen im Menschenreich nur wenige Individuen jene Eigen­ schaft in hervorragendem Matze. Wie jeder Rohrsänger ein kunstvolles Nest bauen, wie jede Termite und Wespe ihre Wohnung selbst verfertigen kann, so gibt es immer nur wenige Menschen, die Baumeister sind. Es ist sogar möglich, bei vielen Tieren von phlegmatischem, cholerischem oder sanguinischem Temperament zu sprechen, man kann gewisse Menschentypen mit Tieren vergleichen — und es ist sicher, datz mehr hinter solchen Vergleichen steckt als eine bloße Zufälligkeit und ein netter Einfall. Wie könnten wir sonst über Karikaturen lachen, die Stammtischspießer als Walrosse oder Esel abbilden, wenn nicht ein Körnchen Wahrheit in solchen „Entsprechungen" läge? Ganz ausfällig ist es, daß sich ein Mensch von bestimmtem „Tiertypus" „sein" Tier zum Freunde erwählt — oder will man glauben, daß die Dame ihrem Mops zuliebe mopsähn­ lich wird und der Walrohwärter im Zoo seinen Pfleglingen einen Gefallen tun will, wenn er ihnen ähnlich zu sein strebt? Gewiß, das sind viele belachte Zufälligkeiten; und dennoch: es gibt Tiere, deren Wesen dem menschlichen entnommen zu sein scheint. Immer aber ist das Tier Sklave seines einmal angeborenen Charakters, ein Krokodil wird niemals auf seine Feindseligkeit verzichten, um ein gutmütiges Vieh zu werden wie ein Schaf. Der Charakter, den ein Tier aus biologischer Notwendigkeit heraus haben muß, ist seinem Äußeren gewisser­ maßen ausgeprägt für immer. Meint man dem Habicht nicht seine Tollkühnheit am Auge ansehen zu können, ist nicht das Schlangenauge giftig, das des Hundes unterwürfig? (Abb. 1.) Hat man wirklich keinen Grund zu glauben, jene Wesenszüge der Tiere seien dem Menschenwesen entsprechend? Scheint es nicht so, als ob sich das Wollen der Natur in seiner Gesamt­ heit im Menschen wiederspiegelt, der gewissermaßen eine Zu­ sammenfassung der ganzen Natur ist? Die landläufige und für den Biologen „laienhafte" Ver­ gleichung von Mensch und Tier ist freilich weit davon entfernt,

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das Problem „Mensch-Natur" zu lösen oder auch nur eine Lösung in den Bereich der Handgreiflichkeit zu rücken. Erst

Abb. 1. Köpfe von Raubvögeln, die ein verschiedenes „Temperament" zu verkörpern scheinen. Oben der milde Rauh fuß b us sard, der sich nur von kleinen Säugetieren ernährt, die er verhältnis­ mäßig einfach durch Herabstotzen erbeutet, unten ein jugendlicher Habicht, der seiner fliegenden und lausenden Beute in tollkühner Zagd folgen mutz. Die Augen des Habichts sind gelb, die des Bussards dunkelbraun. — Nach Lebendaufnahmen O. Heinroths gezeichnet.

eine nähere Betrachtung der Naturformen einerseits und der Schöpfungen des Menschen andererseits vermag die Frage nach dem Verhältnis des Menschen zur Natur zu beantworten.

Insbesondere kann uns ein Vergleich der Technik und der Natur mitten hinein in eine fruchtbare Betrachtungsweise führen. Besehen wir uns die natürlichen und technischen Schöpfungen nämlich recht, so verschwindet der Widerspruch, den man in die Begriffe Natur und Technik hineinträgt, ange­ sichts des Grundwollens beider Baukräfte ganz von selbst. Man kann (wie es bereits Lotze in seiner Metaphysik tat), die vom Menschen mit Wissen und Willen erfundenen Werk­ zeuge und Apparate zu einem gewissen Teil als Bestandteil Abb. 2. Brustbeinkamm der Trappe, längs durchschnitten. Die Richtung der Knochenbältchen und deren Anordnung ist hier schematisch dargestellt. Die Stützelemente ordnen sich ge­ nau nach architektonischen Gesetzmähigkeiten an, um Druck und Zug zu widerstehen. Die Pfeile geben die Faserrichtun­ gen an, die der große Brust­ muskel amBruftbeinkamm auf­ weist. — Aach Hesse-Doflein, Tierbau und Tierleben 1935.

des menschlichen Körpers selbst nachweisen. So stellt die ge­ ballte Faust mit dem Arm den Hammer mit seinem Stiel dar, so entspricht das Ohr einem Schalltrichter, Daumen und Zeige­ finger entsprechen einer Pinzette (Zange), die muskelbesetzten Ober- und Unterschenkelknochen einem Hebelapparat. Darüber hinaus findet man in der Natur eine Unmasse von Entsprechun­ gen, die hier nur kurz angedeutet werden können. Wenn wir das Brustbein eines Vogels in der Mitte längs durchschneiden, gewahren wir ein Balkensystem des Knochen­ inneren, das nicht irgendwie willkürlich angeordnet ist, sondern genau den Gesetzen der Statik, den Kräften des Zugs und Drucks entspricht. Kein Ingenieur würde die Streben indem ein­ mal vorhandenen Stützskelett anders konstruiert haben (Abb.2). Ganz genau so ist es beim Stengel der Pflanzen, die — je

nachdem sie aus Zug- oder Biegungssestigkeit abgestimmt sind — einen bestimmten Querschnitt darbieten (f. Abb. 3), der die Anordnung der verhärteten Stützelemente so zeigt, wie sie eben „sein muß". Sollte ein Baumeister ein Haus bauen oder einen Stapelraum, bei dem maximaler Rauminhalt mit minimalem Wandmaterialauswand gepaart werden sollte, so könnte er seiner Aufgabe nur gerecht werden, wenn er die einzelnen Kammern in sechseckigem Grundriß anlegte — genau wie es die Bienen rein instinktiv beim Wabenbau tun t Aber' Haupt sind die Bauwerke der Tiere — seien es nun bloß Schalen und Panzer um ihren Körper oder Wohnungen, in die sie sich zurückziehen — wahre technische Meisterleistungen. Die KonAbb. 3. Querschnitte durch zwei Wur­ zeln um die Anordnung des mechani­ schen Skelettgewebes zu zeigen. Rechts: zentral angeordnet für Zugfestigkeit, links: zu dem zentralen Festigungs­ gewebe tritt noch ein äußerer Mantel, der Druck- und Biegungssestigkeit gewährleistet(Stützwurzel 1).—Rach Roll.

struktion eines Spinnennetzes würde, aus den Menschen über­ tragen, außerordentlich kluge Berechnungen erfordern, ebenso wie der einfache Bau eines Vogelnestes, das der Besitzer „sach­ kundig" Halm um Halm errichtet, und wobei er niemals Werke schafft, die der Sturm herabwehen oder der Regen erdrücken kann. Ungeheuer mannigfaltig im Tier- und Pflanzenreich sind die Flug- und Schwimmeinrichtungen. Da gibt es unter den Samen Fallschirmslieger (Löwenzahn!), die freilich mehr durch ihr geringes spezifisches Gewicht in der Luft schweben können als daß sie besondere Flugapparate hätten. Solche finden wir aber in Form von Haaren oder Tragdecken, Blasen und dergleichen bei anderen Samen wundervoll ausgebildet. Bei den bekannten Lindenfrüchten wird der Flug dadurch er­ möglicht, daß die „Paukenklöppel" von der Mitte des Trag­ blattes herabhängen, so daß sich beim Herabfallen schnelle Drehungen ergeben, wodurch die Fallgeschwindigkeit merklich gehemmt wird. Regelrechte Schraubensaller sind die Samen der Ulme, die man sich als Kind auf die Rase geklebt hat. Der größte und schönste Segelflieger unter den Pslanzensamen ist

Macrozanonia macrocarpa, ein Kürbisgewächs der Sundainseln. Der flache, plättchenförmige Same ist einem großen, sehr dünnen und feinen Flügel von glasartiger Durchsichtigkeit eingeschmiegt, der durch seine flache Biegung nach oben ein sanftes Abgleiten der Gegenluft ermöglicht. Und wie groß­ artig sind erst die Tierflieger ausgerüstet! Da gibt es Schwirrflieger wie die Insekten und Kolibris, Drachen- und Gleitflieger und — die meisten Vögel — Hubflieger. Hierbei handelt es sich freilich um andere Bauverwirklichungen als bei unseren Flugmaschinen, die ja eine Luftschraube an Stelle der schlagen­ den Flügel haben, aber trotzdem stimmen die Grundbaupläne überein. Besonders auffällig ähneln die stolzen Segler der Lüste — Albatros und auch Möven — in ihrer Bauweise den Segelflugzeugen. Beide nützen die Lustbewegungen aus und erzielen aus ihnen Vortrieb. Gerade beim Problem des Segel­ fluges fragen wir uns oft, ob denn der Mensch nicht vielleicht nach dem Vorbild der Natur gearbeitet hat. Hatte nicht Lilienthal den Vogelslug ebenso beobachtet wie Leonardo da Vinci? Hier sind wir an eine entscheidende Frage gelangt, an die Frage nach dem Ursprung der Technik und ihrer Stel­ lung 3ur Natur. Es gibt nun eine überwältigende Fülle von Beispielen, die zeigen, daß der Mensch vielfach erst dann zu seinem Werk das technische Gegenstück in der Natur fand, als er jenes bereits geschaffen hatte. Ja, wir verstehen die obengenann­ ten Knochenkonstruktionen erst, wenn wir die Konstruktion der Trajektorien, der Kraftlinien größter mechanischer Beanspruchung, mathematisch durchgeführt haben. Die verschiedenen Gelenksormen, die es in der Technik gibt, haben ein höheres Alter als die Kenntnisse der Gelenkmechanik in der Biologie. Daß manche Tiere eine richtige Camera obscura als Auge besitzen, hat man unab­ hängig von der Konstruktion des Photoapparates erfahren. Daß die Heuschrecken durch Aneinanderreiben der Gliedmaßen, auf denen sich erhabene Leisten befinden, Streichmusik hervor­ bringen können, dürfte ebenfalls viel später entdeckt worden sein als das Geheimnis der bestrichenen Violinensaite usw. Es zeigt sich überhaupt, daß die scheinbar peinlich genauen Übereinstimmungen in der Natur und Technik mehr oder weniger Zufallsähnlichkeiten sind, d. h., besser ausgedrückt,

Analogien, die durch ein gleiches Bedürfnis ausgelöst wurden, und für deren Lösung sich dem Menschen dieselbe Möglichkeit bot wie für die Natur. Sehr oft nun ist der Lösungsweg einer Aufgabe grundsätzlich gleich, im einzelnen aber ganz verschieden. Soll z. V. eine Last oder ein Körper fortbewegt werden, so löst die Natur die Aufgabe dergestalt, daß gelenkige Stützen in einem Drehpunkt am Körper angreifen und diesen, wenn er infolge seiner eigenen Schwere nach vorn fällt, durch Unter­ stellen des Stützbeines wieder auffangen usw. Beim Menschen und Vogel ruht während einer Schrittphase die Körperlast je­ weils auf einem Bein, bei den Vierbeinern auf zweien und bei den Insekten aus dreien. Der Mensch nun baut, um Lasten vorwärtszubringen, das Rad! Es ist das Rad aber weiter nichts als ein ganzes System von Stützbeinen (Speichen), von denen auch immer nur wenige voll belastet werden, die aber in unendlicher Wiederholung stets tret- und lüpfbereit sind. Die einzelnen Speichenfüße durch einen umspannenden Reisen zu verbinden ist also eigentlich nur ein einziger technischer Schritt über die Natur hinaus. Hierbei wird klar, daß die Technik das in der Natur ver­ wirklichte Prinzip gänzlich ins Mechanische übertragen kann, was beim Lebewesen schon aus vielen Baugründen nicht mög­ lich ist (die Nerven- und Blutbahnen sind z. B. nicht so anzu­ ordnen, daß sie — sollen sie den Beinapparat versorgen — eine Radbewegung dulden könnten). Technische Konstruktion ist hier — wie auch beim Motorflugzeug und vielerorts — eine reine Abstraktion der natürlichen Weisheit, wobei freilich die Vorbildstellung der Natur in gar keiner Weise von­ nöten ist. Als isolierte Maschinen haben Schraube, Rolle usw. eben kein Vorbild in der Lebewelt, wohl aber setzt die Natur zu jenen Apparaten wiederholt an. Zweifellos erhält der Mensch sein technisches Urwissen nicht so, daß er die Geheim­ nisse der Natur ablauscht, sondern es muß ihm die natürliche Technik eingeboren sein, und sei es im unbewußten Empfinden der eigenen Körpertechnik. Verfolgen wir die technische Entwicklung irgendeiner Maschine, z. B. einer Apparatur, in der Hämmer eine Rolle spielen (Klavier), so sehen wir ein zuneh­ mendes Fernerrücken vom eigenen Körpervorbild, in diesem Fall von der geballten Faust. Eine Ramme hat nur mehr

sehr wenig Ähnlichkeit mit einem stampfenden Fuhpaar. Bei ihr fällt die für die gewünschte Arbeit lästige Gelenkung des Fußes weg: das Bein wird nur ein Teil seiner eigenen Funk­ tions-Vielfältigkeit, die ihm von Natur aus gegeben ist. Die Fortentwicklung der Technik vom Eingeborenen, Körperlichen, glich einer Explosion, sobald die Wärmekraftmaschine erfunden war, durch die die menschliche Muskelleistung nunmehr weit­ gehend ausgeschaltet werden konnte. Das technische Prinzip der Abstraktion vom Natürlichen hatte sich auch auf die Kraft­ quelle ausgedehnt — eine Tatsache, die einer Automatisierung und Mechanisierung der Wirtschaft ungeheuer großen Vorschub leistete. Und dennoch ist auch diese so hastig gebildete Maschinen­ technik noch in der Natur verwurzelt. Im Grunde ist selbst die Turbine noch ein Menschenarm — wenn dieser auch zur Schraube umgemodelt wurde! Gleichgültig — im Grundsätzlichen —, ob der Mensch aus seiner Hand heraus Werkzeuge schafft oder ob er sie nach mathematischer Berechnung baut: immer schasst er im Sinne der Naturgesetzlichkeit. Technik, als Naturprinzip betrachtet, hat ihren Sinn in sich selbst. Wie der Eiffelturm nicht nur der Aussicht dient, sondern auch einen Willen kundgibt und wie dieser Wille sich den natürlichen Gesetzmäßigkeiten von Material und Funktion unterwerfen muß, so ist letzten Grundes jedes technische Werk nicht nur Zweckgebilde, sondern entspringt einer gewissen Naturnotwendigkeit, die hier irrt Menschen selbst be­ gründet ist. Das aber bedeutet nichts anderes, als daß die Technik wieder Natur wird, von der sie kommt, einen kos­ misch-natürlichen Kreislauf beschließend. Es kann hier nicht unsere Ausgabe sein, aus die Metaphysik der Technik näher einzugehen und eine organische Philosophie der Technik zu begründen. Vielmehr soll es genügen, auf zwei Werke hinzuweisen, die unser Problem ganz in dem hier auf­ gerissenen Sinn behandeln: Paul Krannhals, Der Weltsinn der Technik (München und Berlin 1932) und besonders Man­ fred Schröter, Philosophie der Technik (Bd. IV d. Handb. d. Philos. von Baeumler und Schröter, München und Berlin 1934). Auf dem Wege über die Technik gelangen wir sozusagen von selber zu einer organischen Betrachtung des Fragen26

komplexes: Kunst und Natur. Denn was die (im letzten Grund auch zweckfreie!) Technik in der Sphäre des praktischen Lebens bedeutet, das ist die zweckfreie, wahre Kunst im Gebiet des Seelisch-Willenhaften: ein Glied, ein Tochterteil der Natur und zugleich deren Grundmelodie selbst, die der Mensch vom Naturganzen zu trennen fähig ist, die er in ihrer innersten Kon­ struktion berechnen kann und die er doch nur deshalb begreif­ lich findet, weil sie auch nur ein Teil seiner selbst ist. So stehen sich Natur und Menschenreich gegenüber als gleichwertige Ge­ schwister eines umfassenden Vatergeistes. Es gibt keine Vor­ bildstellung und keine Nachahmung: Kunstschaffen und techni­ sches Schaffen entspringen der gleichen Quelle wie die Instinkte, wie die Baupläne der Pflanzen und Tiere; dieselben Gesetze beherrschen den Kristall, den Skelettbau und die kühne Kon­ struktion einer Brücke, die selbst wiederum als Wirbelsäule, die von den Gliedmaßen getragen wird, im Tierreich eine Rolle spielt. Jede Schöpfung der „Art" Mensch entspricht irgendeinem in der Natur verwirklichten Plan, so daß im ganzen betrachtet das Wesen der Natur dem Menschen „aus dem Gesicht ge­ schnitten" zu sein scheint. Jede Schöpfung des Menschen hat aber auch — als individuelle Schöpfung — ihr Gegen­ stück in der Natur. In diesem Sinne sagt Goethe, daß jedem persönlichen Willen etwas Objektives in der Natur entspricht, d. h., daß jedes reine künstlerische Wollen letzten Grundes in ein Sachlich-Gesetzmäßiges, in etwas Organisches umgewandelt werden kann und in der Natur sein Gegenstück findet. Die Schöpfungstat des Menschen ist auch eine natürliche Schöpfung; denn wir können letztlich nichts anderes schaffen als die Natur. Das alte, oft verlachte Bild von der Entstehung des Menschen aus einem Erdenkloß, in den Gott seinen Odem einblies, gewinnt unheimliche Wahrheit. Denn nun erscheint uns unsere schöpferische Seele, unser nach Gestalt suchender Geist als derselbe Schöpferwillen, der die Welt erschuf. Und die Schöpferkraft, die dem Menschen innewohnt, ist es auch, die die Welt außerhalb des Menschen gestaltete. Gott ist in uns wie außer uns, und gerade daran, daß sich die Weltenordnung als unser vernünftiges Selbst entschleiert, erkennen wir Gott. Wir haben dasselbe Gefühl der Ehrfurcht und Bewunderung,

ob wir nun den Kölner Dom betrachten oder einen Berg. Jedes wahre Kunstwerk wirkt wie eine Schöpfung der Natur *), „es steht da wie aus dem Boden gewachsen, es wirkt objektiv, d. h. sachlich-gesetzmäßig" (Rosenberg?). Was uns am Kunst­ werk ergreift, ist das Gefühl des Einswissens von Gott und menschlichem Genius. Wollen wir nach den Naturgesetzen forschen? Wir haben sie in unsrer Brust und brauchen sie nur zu befragen.

Die Betonung der Lebenöstruktur als Kennzeichen primitiver Kunst. Kunst ist immer ein Aus-sich-herausgehen. Kunstschaffen heißt, irgendeinem Erlebnis nach außen hin Gestalt verleihen, sich dieses Erlebnisses mitteilend entlasten. Dieses Mitteilen, das Sprechen zu einem Dritten, gehört zur Kunst, ist aber nicht Ursache, sondern Folge. Und wie die eigentliche Kunst, so ist schon jede Lebensäußerung eine Mit-Teilung des Lebens­ gefühls und eines Erlebnisses. Fn diesem Sinn ist auch die Lautäußerung, ja sogar die Sprache ein Erlebnisausdruck. Das „Verstehen" (s. u.) der Sprache ist erst Folge dieser MitTeilung, dieser Vergebung seines inneren Erlebens, nicht aber der Zweck. Am Anfang kann nur eine subjektive Kunst gestanden haben, die eben irgendein inneres Erlebnis zur Ursache hatte. Nun kann freilich etwas aus der Außenwelt Aufgenommenes zum Erlebnis werden. Der Wald, die See, das Gebirge ver­ mag eine Saite der Seele in Schwingungen zu versehen und zum Tönen zu bringen. Zu einer solchen, nur indirekt subjek­ tiven, besser objektiven Kunst ist aber immer ein gewisser Abstand des Menschen zur umgebenden Natur notwendig. Denn etwas außer mir, was selbstverständlich ist, kann nie die Grundlage zu einer Kunstschöpfung werden. Erst wenn ich die Umwelt in ihrer Fremdheit sehe und zugleich das Gemein­ same mit mir spüre, kann sie zum Gegenstand einer Kunst1) Goethe sagt: „Die hohen Kunstwerke sind zugleich als die höchsten Naturwerke von Menschen nach wahren und natürlichen Gesetzen hervorge­ bracht worden." 2) Der Mythos des 20. Jahrhunderts.

schöpfung werden. Deshalb wird sich eine objektive Kunst nie­ mals bei den naturverbundenen Völkern finden. Zu diesen rechnen wir z. B. die Australier, über deren Leben wir vor allem durch die hervorragenden Untersuchungen Klaatschs^) unterrichtet sind. Die Korroberis, festliche Massengesänge dieser Menschen, tragen in der Tat einen sehr subjektiven Charakter. Sie „stellen nichts dar", sondern sie sind einfach Äußerungen der Lust, Betonungen des körperlichen Wohl­ befindens — wie der Gesang der Vögel! Als soziales Wesen hat der Mensch stets Massengefühlsäußerungen als Lebens­ bedürfnis empfunden. Wie beim Tier handelt es sich hier um Ausdrucksformen, die durch die Gemeinschaftlichkeit des Vor­ trages einen überindividuellen Gruppenwillen erkennen lassen. Wenn wir nun unter Kunst etwas verstehen, was über die biologisch faßbare Form hinausgeht und diese sozusagen meta­ physisch überhöht, dann würden jene Gesänge mit ihrer rhyth­ mischen Gliederung und ihrem festlichen Charakter bereits an der Grenze zwischen Natur- und Kunstäuherung stehen. Erst recht aber müssen dann schon Kriegsbemalungen, Schmuck­ behang usw. als primitive Kunst gelten. Es sind Überhöhungen der eigenen Körperlichkeit, wie wir später noch eingehend zeigen werden. Ehe wir jedoch unseren Gedankengang fortsetzen, muß ein auf der Hand liegender Einwand entkräftet werden: Die Eiszeitmenschen haben uns bekanntlich sehr bedeutsame Tierzeichnungen auf Höhlenwänden hinterlassen, die im all­ gemeinen als „primitiver Naturalismus" gedeutet werden. Diese Bewertung stünde nun der Forderung, daß bei natur­ verbundenen Menschen eine subjektive Kunst gesucht werden muß, gerade entgegen; denn Naturalismus — als objektive Kunst — finden wir erst beim geschichtlichen, der Natur serngerückten Menschen. Und in der Tat liegt hier ein Problem vor, das nicht so leicht gelöst werden kann, am allerwenigsten aber dadurch, daß man aus Grund der vorhandenen „Natur­ treue" ohne weiteres von Naturalismus und zudem noch von „primitivem" Naturalismus spricht. Denn — wie neuere x) Das Werden der Menschheit und die Anfänge der Kultur, Berlin und Leipzig.

Forschungen 1) zu beweisen scheinen — deuten jene Kunstwerke auf eine uralte, hohe Kultur unserer Vorfahren hin, die uns einen ungeahnten Blick in geheimnisvolle Tiefen der Mensch­ heit tun läßt. Als Ausdruck einer metaphysischen Urreligion, die eng mit Totemismus, Opfer und Fruchtbarkeitszauber zusammenhängt, haben wir diese Höhlenzeichnungen ganz und gar einer subjektiven Erlebniskunst zuzuordnen. Soviel nur als Andeutung des Weges, den man auch einschlagen kann, um über jene — einem materialistischen Denken entstammende — Deutung der Höhlenkunst als primitiven Naturalismus hinauszukommen. Wie der Urtechnik die Abstraktion des am eigenen Körper geoffenbarten Gesetzes zugrunde liegt, so führen auch die Ur­ anfänge der Kunst auf das Erlebnis des eigenen Körpers zurück. Die Symmetrie, die Vertikale der Körperhaltung, das Kreissystem, Rundung und Kreuzesform (ausgebreitete Arme plus Körperlängsachse) mögen unmittelbar zur Äußerung des Erlebnisses gedrängt haben. Rein mechanisch diktiert ja auch schon unser Körperbau der Kunst eine gewisse Formgebung. Kritzelt man z. B. spielerisch im Sand und versucht, sich dabei einen großen Schwung zu geben, der den Arm und die stöckchenbewehrte Hand mitreißt, so erzielt man stets kreisförmige Linienbilder, ohne daß eine Erfindung dieser Figur nötig ge­ wesen wäre. Eine weniger weit ausschwingende Handbewegung hinterläßt fort Sand eine Linie, die fast gerade erscheint usw. Man mag nun irgend etwas Beliebiges auszeichnen — immer wird man dabei beobachten, daß die gefertigten Figuren nach einem gewißen Symmetrieverhältnis streben, eine Er­ scheinung, die nur im Erlebnis der eigenen Körpersymmetrie begründet sein kann. Außerordentlich aufschlußreich ist für die Er­ kenntnis derartiger Dinge die Beobachtung zwanglos zeichnender Kinder oder auch spielerisch sich betätigender Erwachsener. Während einer Eisenbahnfahrt machte ich z. B. folgende Wahrnehmung: Die beiden Fensterplätze hatten zwei etwa dreizehnjährige Iungens beseht, die sich über allerlei Schuldinge unangestrengt unterhielten. Während des Plauderns begann der eine — zuerst völlig unbeteiligt — an der beschlagenen Fensterscheibe herumzuwischen. Durch eine ausfahrende Handbewegung erzielte der Knabe natürlich einen wohlbegrenzten Kreissektor. Jetzt ist der *) Uehli, Atlantis und das Nätsel der Eiszeitkunst, Stuttgart 1926; Kühn, Kunst und Kultur der Vorzeit Europas.

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Augenblick gekommen, wo der Zunge auf die eigene „Arbeit" aufmerksam wird. Gleichzeitig hat auch der gegenübersitzende Schüler erkannt, daß es hier etwas zum Spielen gibt — und er wischt genau dieselbe Figur ans Fenster (Abb. 4). Da nun aber die Arme der Kinder nicht bis in die Mitte der Scheibe reichten, entstand zwischen den beiden, von jeder Ecke her ausgewischten Sek­ toren ein noch beschlagenes Mittelstück, welches naturgemäß Pfeilerform an­ genommen hat. Dieser unabgewischte Pfeilerteil reizt zum Vernichten: und so beginnt der eine Knabe sorgfältig den Fuß des Pfeilers abzutragen, wie es die Abbildung zeigt. Jede Phase aber zeigt ein symmetrisches Bild, das von den kleinen Künstlern auch jedesmal eines Blickes gewürdigt wird, ehe ein

Abb. 4. Schematische Darstellung, wie die Kinder das Fenster abwischten. Erklärung im Text.

weiterer Schritt zur „Gleichschaltung" des Fensters gemacht wird. Diese an­ scheinend völlig belanglose Beobachtung zeigt doch zweifellos, daß den Knaben ein Sinn für Symmetrie und Gestaltung innewohnte und deutet zugleich einen Weg an, wie durch einfache Übertragung einer Körperbewegung auf eine geeignete Grundlage primitive Ornamente geschaffen werden können.

Gerade der Kreis ist eines der allerbeliebtesten Muster auf Gegenständen aller Art, z. B. vieler Schmucksachen der primitiven Völker. Die sogenannten Churinga (Seelenhölzer) der Australier tragen beispielsweise als Hauptornament kon­ zentrische Kreise. Diese sind wieder durch horizontale Striche voneinander getrennt — in einer symmetrischen Art, die im übrigen der in der Natur und eben auch im Menschen als Gesetz wesenden Materie des Körpers entspricht. Bei diesem Orna­ ment handelt es sich natürlich um Projektionen der Körperlich­ keit aus eine Fläche, während es sich — wie wir sahen — bei den Werkzeugen um eine Übersetzung in Körper handelte, wobei der Körperteil gewissermaßen noch einmal in seiner eigenen urtechnischen Grundstruktur gebildet wurde. In der Tat bedeutet das Wort „Bumerang" — wie Klaatsch mit­ teilt — soviel wie „den Arm noch einmal"! Die Australier bauen jene (meist!) wieder zurückkommenden Wursgeschoße

ohne jede Konstruktion sozusagen (und eigentlich wörtlich zu nehmen!) aus dem Handgelenk heraus. Sollten wir einen Bumerang bauen, der wirklich funktioniert, so bedürfte das so schwieriger Berechnungen, daß sich jedermann davor scheuen müßte und es lieber dem Zufall überließe, ob ein brauchbares Instrument entsteht oder nicht. Noch ehe aber der Mensch Ornamente auf Gebrauchs­ gegenständen entwarf, wird er seinen eigenen Körper zur Unterlage der ornamentalen Ausschmückung gemacht haben. Zweifellos gehört die Tätowierung zu einer der frühesten Kunstbetätigungen. Dadurch, daß die Tätowierlinien stilisieren wollen und das Typische des Körpers herausheben, erweist sich die Körperbemalung als Kunst. Betrachten wir die Tätowie­ rung eines Maori-HäuptlingsH, so bemerken wir hier keinerlei störende Linien. Und das heißt soviel, daß sich die Linien alle in die Profilierung einordnen, ihr wesensverwandt sind. Die Backen tragen ein Spiral- oder konzentrisches Ringmuster, ebenso die kugelig hervorgehobenen Nasenflügel. Die Sym­ metrie der Nase selbst ist durch ein symmetrisches Muster zum Ausdruck gebracht. Die Falten unter den Augen sind betont, ebenso die Stirnfaltensysteme (Vertikale und Horizontale). Selbst die „Krähenfüße" sind als Muster ausgewertet. Ganz ähnlich betonen auch die Körperbemalungen, sofern sie nicht irgendeiner „intellektuellen" Tarnung oder Bezeichnung dienen, die natürlich aus der Reihe der wirklich primitiven Ornamentik fallen, die Architektonik des Körpers durch sinnvolle Linien­ musterung. Solche Kunst abstrahiert in gewissem Sinn die Logik, die durch die schöpferische Ausgestaltung des Menschen zur Verwirklichung gekommen ist, um sie — nochmal schaffend — typisch zum Ausdruck zu bringen. Jedoch geschieht bei den primitiven Völkern das Abstrahieren keineswegs mit Bewußt­ sein, vielmehr regte — wie gesagt — die Körperlichkeit selbst zu ihrer Betonung an. Dieser einfache Gevmetrismus bringt unseren Baugedanken gleichsam im Schema zum Ausdruck. — Neben der Tätowierung spielt der eigentliche Körperschmuck x) Dgl. E. Selenka, Der Schmuck des Menschen 1908 oder Klaatsch s. o. Ferner: Wint huis, Einführung in die Vorstellungswelt primiti­ ver Völker, Leipzig 1931 und der f., Das Zweigeschlechterwesen, Leip­ zig 1928.

eine ungeheuer wichtige Nolle als urtümliche, körperbetonende Kunst. E. Selenka unterscheidet: Behangschmuck, Richtungs­ schmuck, Ringschmuck, Ansatzschmuck, Farbenschmuck und Klei­ dungsschmuck. Der Behangschmuck vergrößert z. B. die Schul­ tern und betont die vertikale Linie, der Ringschmuck nimmt gewissermaßen einzelne Körperteile ins kreisrunde Blickfeld und zeigt sie so, der Ansatzschmuck vergrößert einzelne Teile ornamental usw. Der Schmuck hat ganz sicher oft seine be­ stimmte Bedeutung und verfolgt einen ganz bestimmten Zweck. Aber ursprünglich ist er wohl kaum diesem Zweck zuliebe ge­ schaffen worden, sondern entsprang eben auch dem Drang, die Körperlichkeit zu betonen. Ornamentik und Schmuckkunst betonen beide das statische Element der Körperlichkeit, sie drücken das einfache Sein aus und bejahen damit auch einen Teil der Wirklichkeit. Run kann sich das Lebensgefühl aber auch in der Betonung des dynami­ schen Elementes der Körperlichkeit steigern. Das heißt: auch die Bewegung kann dem Menschen zum urkünstlerischen Er­ lebnis werden. Schon im Schreiten erhält das „natürliche" Gehen eine künstlerische Rote. Das Abwechseln zwischen Stand- und Schwungbein prägt ein tiefinneres Erleben des Rhythmus und desAbwechselns. Atembewegung und Herz­ pulsen sehen sich sozusagen in ein Erlebnis der inneren Rhyth­ mik um. Und die Äußerung dieses Erlebnisses ergibt eine primitive, subjektbezogene Kunst, sei es Tanz oder Gesang. Hierher gehören schließlich auch die Spiele der Kinder, nicht nach ihrem Inhalt, der aus objektiven Beobachtungen fußen kann, sondern nach ihrer eigentlichen Form als Lebensbetäti­ gung. Vom Spiel lassen sich Tanz und Gesang gar nicht trennen, sie gehören von Anfang an zusammen. Der Tanz illustriert ein bejahendes Lebensgefühl, der Gesang begleitet den Tanz wie auch der Tanz den Gesang begleiten kann. Und wie bei den Kindern, so läßt sich auch bei den Wilden Gesang nicht ohne Tanz beobachten. Der Urgrund von Gesang und Tanz ist immer der Rhythmus als Erlebnis der eigenen Körperdynamik. Mit Krannhals*) und Hörnest nehmen wir an, daß Tanz und Gesang noch vor der Ornamentik entstanden, ja, daß *) Das Organische Weltbild, München 1928. 2) Urgeschichte der bildenden Kunst.

sie noch vor die Entwicklung einer Unterhaltungssprache fallen. Auch das Kind äußert erst allgemein Lust- und Unlustgefühle, schreit und „tanzt" ehe es die Sprache erlernt, die in ihrer heutigen Form etwas Verstaubtes an sich hat und die nicht mehr blutlebendige Äußerung, nicht mehr (wenigstens in der Umgangssprache) Kunst ist, d. h. sich nicht mehr des Erleb­ nisses, in dem sie wurzelt, bewußt ist. Erst die Sprache des Dichters vermag uns wieder das eigentliche Erlebnis der Muttersprache zu künden. Gerade der Rhythmus und die Klangschönheit sind es ja, die die Sprache zum Kunstwerk machen. Sprache ist im Urgrund Musik! Und wir behaupten, daß Tanz, Gesang, Sprache und Musik letztlich alle einen Urgrund besitzen. Erst später haben sich die einzelnen Ausdrucksformen des inneren dynamischen Erlebens differenziert und spezialisiert, sind dabei aber zugleich zu Zweckgebilden erniedrigt worden. Was ist die Artikulation der Sprache anderes als Rhythmus? Was ist die Klangschönheit uralter Sprachen anderes als Musik? Für den Feinfühligen sind die Verse Homers Musik, ebenso wie Dantes herrliche Sprache und Goethes lebendige Dichtung. Bettina v. Arnim legt Beethoven folgenden Ausspruch über Goethes Dichtung in den Mund: „Goethes Gedichte behaupten nicht allein durch den Inhalt, auch durch den Rhythmus eine große Gewalt über mich, ich werde gestimmt und aufgeregt zum Komponieren durch diese Sprache, die wie durch Geister zu höherer Ordnung sich aufbaut und das Geheimnis des Harmonischen in sich trägt." And an andrer Stelle: „Musik ist so recht die Vermittlung des geistigen Lebens zum sinnlichen..." Oder: „Es gehört Rhyth­ mus des Geistes dazu, um Musik in ihrer Wesenheit zu fassen." — Musik als Vermittlung! Also auch hier im Zweckhaften die auffällige Gleichsinnigkeit mit der Sprache! Wir denken nur bei „Sprache" immer allzu leicht an die durch die Schrift erstarrte Amgangssprache und verkennen dadurch die Erlebnis­ momente, die das gesprochene Wort enthält. Die Sprache ist nicht nur Botschafterin, Zeitung, sondern auch ein un­ mittelbarer Ausdruck der sie sprechenden Persönlichkeit. Das beweist schon die Tatsache, daß wir die Sprache auch „verstehen" können, wenn wir ihre Vokabeln nicht kennen, und zwar dann, wenn sie Trägerin eines persönlichen Willens wird, wenn sie

Formkrast zeigt. Schon das kleine Kind, das doch wahrhaftig nicht die überschwänglichen, kosenden oder strafenden Reden der Mutter „verbal" versteht, empfindet doch, ob die Mutter gut oder böse ist, genau so wie selbst ein Hund weiß, ob man ihn anschnauzt oder lobt, ohne daß er deswegen ein Wunderhund sein muß. Es steckt eben im gesprochenen Wort ein kraftvoller Lebensstrom, der dem Erlebnis des Daseins entspringt. Selbst­ verständlich hat ein Verstehen der Sprache innerhalb eines natürlichen Verwandtschaftskreises von Menschen (innerhalb einer Rasse oder einer Sippe also) viel größere Aussichten. Wir stellen also noch einmal fest, daß Wort, Musik (ur­ sprünglich nur als Gesang) und Tanz aus das Erlebnis der rhythmischen Körperlichkeit zurückgehen und daß es sich hier um sehr ursprüngliche Äußerungen eines bejahenden Lebens­ gefühls handelt. Dasselbe sagten wir von der Ornamentik, die nicht das dynamische, sondern das statische Element der Körperlichkeit betont und durch diese Überhöhung der natur­ gegebenen Körperlichkeit zum Kunstwerk wird. Musik und Ornamentik, diese beiden ursprünglichsten Ausdrucksformen unmittelbaren Lebensgefühls sind letztlich sehr nahe verwandt. Die Ornamentik, die Kunst der Linie, die immer etwas Zeitliches räumlich darstellt (die Linie ist das Symbol rinnender Zeit!) besitzt mathematischen Charakter. Mathematik liegt aber auch den zeitlichen Folgen der Ton­ gebilde in der Musik zugrunde. Rur ist hier, wie Krannhals richtig hervorhebt, die Zeitenfolge der Ornamentik mit ihrem Linienbild als Veranschaulichung der Zeit noch nicht geworden, sondern bleibt ewig irrt Fluß, dauernd im Werden wie die Schöpferkraft selbst^). Insofern erwirbt sich auch hier die Musik Erstrechte vor der Ornamentik. Das Erlebnis der Rhythmik (bzw. Mathematik oder Logik) des Körpers im Statischen wie im Dynamischen erkennen wir so als die Voraussetzung ur­ tümlichen Kunstwollens.

Der Entwicklungsweg der dynamischen AuSdruckskunst. Wenn Musik (als Gesang), Tanz und Sprache ursprüng­ lich zusammenhängen, so wird es erforderlich, den Weg, der x) Vgl. hierzu S. 71.

zur Trennung geführt hat, zu verfolgen. Dieser ist nun zunächst durch die Schlagworte Stilprägung, Differenzierung und Idealisierung gekennzeichnet. Mit einem einfachen Beispiel wollen wir den Entwicklungswegs symbolisch an­ deuten: Es gibt in den bayerischen Bergen eine ganz eigenartige Form der Lebensbejahung, einen höchst einmaligen Ausdruck der Daseinsfreude: das Jodeln. Dieses ist zwar an sich jedem Menschen möglich, der sich übt, die Bruststimme schnell in die Kopfstimme überschlagen zu lassen. Aber geboren und heimisch geblieben ist das Jodeln in den bayerischen Bergen (wenn wir von den entsprechenden Iodelformen in den übrigen Alpen einmal absehen wollen). Dieses Jodeln hat keinen eigentlichen Zweck, wenigstens nicht notwendig, sondern es ist nichts anderes als ein Freudenschrei, ein Lustmachen! Es umfaßt die Stim­ mung dessen, der — ein Glied seiner Heimatnatur — seinem Dasein einen „passenden" Ausdruck verleihen möchte. Es ist eine primitive Kunstäußerung wie der Gesang der Wilden und hat vielleicht deshalb in den Bergen seine Heimat, weil sie allein durch das Echo dem Jodeln erst den richtigen Glanz geben. Man kann dieses Jodeln mit dem Vogelgesang ver­ gleichen: es wird mit der Stimme erzeugt und ist nicht ange­ boren, sondern wird von Generation zu Generation neu er­ lernt*2). Aber die Reaktionsnorm, in einer bestimmten Umwelts­ bedingung (Stimmung) zu jodeln, muß angeboren, erblich er­ worben sein. Das Jodeln ist rassisch verankert, denn baye­ risches Blut auf bayerischer Scholle ließ es erstehen. Die Berge nehmen den Freudenrus willig aus und sind Träger und Former des Iodelns, biologisch gesehen: die beeinslußenden Umwelts­ faktoren. Daß der Jodler in der Tat einen landschaftlichen Stil trägt, daß er in die Harmonie der Berge hineinpaßt, kann man schon daraus sehen, daß es uns widerstreben müßte, auf einem Fischkutter mitten aus hoher grauer See zu jodeln. Man kann es weiter daraus entnehmen, daß einmal im Harz ein Wettx) Er ist natürlich nicht geschichtlich, sondern schematisch und idealisiert zu verstehen. 2) Vgl. hierzu Frieling, Die Stimme der Landschaft, Oldenbourg, München und Berlin 1937.

jodeln stattfand — und doch keiner den ersten Preis erhalten konnte, weil man eben im Harz nicht jodeln kann! Der Schuhplattler hat nun gegenüber dem Jodeln eine sozusagen höhere Sprosse der Kunstleiter erklommen. In ihm spiegelt sich die Dynamik des Körpers und die schwingende Melodie eines rassegebundenen Menschencharakters. Auch der Schuhplattler ist naturentsprossen und wurzelt in einer starken Gemeinschaftsempsindung. Die Musik dieses Tanzes kann je­ doch auch losgelöst von der körperlichen Bewegung und — als Instrumentalmusik — losgelöst von der menschlichen Stimme geboten werden, was bei einem Jodler einfach nicht möglich ist! Der Schuhplattler paßt wie der Jodler ebenfalls nur in seine Heimat, und es wäre uns ein Greuel, wenn wir einen Pankeedoodle in der Almhütte vernehmen und einen Schuh­ plattler im New Porker Hafenviertel erleben müßten. Den melodiösen Gehalt des Schuhplattlertanzes kann man ideali­ sierend vom Tanzcharakter trennen, aus verschiedenen In­ strumenten spielen oder singen, aber man wird niemals die Herkunft des Tanzes verleugnen können. Erschallt irgendwo die Musik zu einem Schuhplattler, so wird jeder Mensch ihn — wenn auch nicht regelrecht tanzen — so doch im Takt be­ gleiten können, und wenn er nur mit den Schuhen auf den Boden stampft und den Oberkörper wiegt. Ja, die meisten Menschen werden sogar beim Anhören solcher Tanzmusik ein­ fach nicht stillsitzen können. Noch eine Stufe weiter: ein bayerischer Komponist schreibt beispielsweise eine Symphonie, vielleicht eine romantische Bergsymphonie, in der er dem Poltern der Lawinen und dem Schäumen der Gießbäche eine farbige Untermalung widmet. Gewiß, das Opus stammt aus dem bayerischen Gebirge und aus bayerischem Blut — aber ebenso gut hätte ein norddeutscher Künstler jenes Werk komponieren können. Es wird niemanden zum „Tanzen" verleiten, weil es eben längst den unmittelbaren Zusammenhang mit einem inneren körperdynamischen Er­ lebnis verloren hat. Diese Kunst ist viel objektiver und ver­ dankt ihre Entstehung nur der Wiedergabe eines gewaltigen künstlerischen Eindrucks. Diese Kunst legt die Natur aus, ist aber nicht selbst Natur! Unsere Symphonie ist keineswegs frei von Stimmungen; sie ist gefärbt von der Persönlichkeit des

Komponisten. Durch die Stofflichkeit drängt die innere Aus­ strahlung des Willens jener Persönlichkeit hindurch. — Wenn nun schließlich ein Deutscher, wie Ioh. Seb. Bach eine Fuge schreibt, so wird niemand daraus eine bestimmte Landschaft erwachsen sehen. Nicht einmal die Stimmung des Komponisten wird man aus dem Werk erraten können. Nein, diese Kunst ist ganz losgelöst vom Naturbefangenen und vom motiv­ gebenden Vorbild. Bachs Fugenkunst stellt einen Endpunkt der Entwicklung dar — und einen Anfang. Einmal ist sie höchste Differenzierung, weitestgehende Loslösung vom Er­ lebnis des eigenen Körpers, von der Natur und andermal führt sie gerade wieder zur Natur und ist somit Anfang, Urbeginn. Bachs Schöpfung ist in der Tat eine Schöpfung, und Goethe sagt: „Mir ist es bei Bach, als ob die ewige Harmonie sich mit sich selbst unterhielte, wie sichs etwa in Gottes Busen kurz vor der Schöpfung mag zugetragen haben." Bach trägt in seiner nordischen Seele1), in seiner künstle­ rischen Persönlichkeit jene lebendige Gesetzmäßigkeit in sich, die alle organische Schöpfung kennzeichnet. Der schlichte Thomas­ kantor schreibt die göttlichen Harmonien aufs Notenpapier, wo dann dem nur begreifenden Menschen nichts als Mathe­ matik entgegenzutreten scheint. Wie bei einem Naturgebilde! Diesem Naturgebilde aber nah verwandt zu sein, das ist gerade das Wesen des höchsten Kunstwerkes, das Menschen schassen können. Es ist das Erhabene der Kunst, daß sie ihrem eigenen Vater, den göttlichen Schöpserwillen erkennt. Aus der Natur entsprossen, entwindet sich die Kunst der körperlichen Fesseln und stellt sich der Mutternatur gegenüber als gleichwertige, geschwisterliche Schöpfung. Sie hat den Abstand von der Natur erhalten, der dazu nötig ist, um zu erkennen, zu be­ greifen und bewußt zu erleben. Auf solch überlegener Warte stehend kann die Kunst selbst mitschaffen, ja die Schöpfung vollenden, im selben Lebensgesetz der Harmonie kann sich die Kunst einordnen in die ewige Rhythmik der schöpferischen Gottnatur. x) Gerade der germanisch-deutsche Mensch erblickt in der Musik religiöse Offenbarung. Dem Nomanen erscheint sie nur als Gesellschaftsspiel, als Amour usw. Hierüber lese man nach bei H. I. Moser, Geschichte der deutschen Musik. Stuttgart und Berlin 1923.

So also ist der Weg der Kunst; aus einem natur­ nahen Zustand erhebt sie sich in die Opposition zur Natur und wird selbständig. Ihr Wesen wird ideali­ siert, aus dem Landschaftsstil befreit und einer rassisch faßbaren Persönlichkeit zugeordnet. Die Persönlichkeit freilich kann und darf sie nicht überwinden; denn sie macht ja den eigentlichen Wert des Menschen aus. — Dieser Kunstweg entspricht genau dem Weg, den der menschliche Organismus geht. Aus natur­ nahem, tierischem Zustand erhebt er sich zu einzigartiger Größe. Das Entwicklungsprinzip heißt: Ausschaltung der körperlichen Spezialisation und Anpassung zugunsten eines wandlungsfähigen, sozusagen embryonal verharrenden, potenz­ reichen Körpers. Indem sich der Mensch nahezu alle ursprüng­ lichen Zustände der Natur erhalten hat, erwächst ihm ein un­ ermeßlicher Reichtum, aus dem ein weiteres Emporsteigen möglich ist. Wäre der Mensch dem Entwicklungsplan der Tiere gefolgt, der die Parole ausgibt: „Anpassung an den Lebens­ raum!", so hätte er nie seine geistig-seelischen Fähigkeiten er­ langen können oder wäre höchstens in den Anfängen jener urtümlichen subjektiven Ausdruckskunst steckengeblieben, die wir bereits kennzeichneten. Man muß annehmen, daß im Reich der Natur eine ver­ hältnismäßig reiche Tonausprägung das Ursprüngliche war (junge Tiere verfügen übrigens auch über einen erheblicheren Lautreichtum als alte!). Gegenüber dem Menschen erscheinen die Stimmöglichkeiten bei den Tieren als einseitig spezialisiert, z. T. auch als rückgebildet. Gerade die Umwandlungen des Kopfes und des Mundes in Anpassung an die Ernährungs­ verhältnisse sind neben dem Gehirn auch für die Stimmwerk­ zeuge von Bedeutung geworden. Nach welchen Gesichts­ punkten die Tiere ihre Lautäußerungen bildeten, werden wir im nächsten Abschnitt sehen; jetzt wollen wir den oben einge­ schlagenen Weg weiter verfolgen und die Entwicklung der Sprache betrachten: Solange wir die Sprache in ein grammatikalisches Ord­ nungssystem zwängen, werden wir sie nie verstehen können. Wir müssen sie vielmehr als organisches Gebilde und als schöpferischen Ausdruck, mithin also als Kunst sehen lernen,

eine Forderung, die schon K. Dossiers stellte. Drei Haupt­ leistungen hat die Sprache zu erfüllen: Kundgabe, Auslösung (d. h. Erweckung des inneren Verstehens beim Mitmenschen) und mitteilende Darstellung. Genau wie die Musik ist sie nicht „erfunden" worden, sondern war seit jeher im Menschen ver­ wurzelt, ja sie geht, wie wir noch sehen werden, aufs Tierreich zurück (die auslösende Leistung ist ja schon im Lock- und Warn­ ruf der Interjektionssprache der Tiere enthalten — s. Frieling, Die Stimme der Landschaft, 1937). Die Kundgabe der eigenen Persönlichkeit, des eigenen Erlebens seht stets Gemeinschaft voraus, weshalb die Lautäußerungen der Urvölker auch immer Gemeinschaftsausdrücke sind und waren. Die ursprüngliche Rhythmik des Gesangs (wo also Musik und Sprache eng vereint waren) bleibt in der Ependichtung weitgehend erhalten. Solche Epen waren ja in der Tat nichts anderes als Gesänge, wenn es sich wohl auch mehr um einen feierlich gehobenen Sprechvortrag handelte als um einen wirklichen Gesang; denn das Epos der Germanen ist ebensowenig strophisch gegliedert wie der ge­ waltige Strom homerischer Hexameter. E. Sievers?) kommt auf Grund seiner metrischen Forschungen zu der Ansicht, daß die erhaltenen Reste stabreimender (also rhythmisch durch­ gebildeter) germanischer Epen nicht mehr konzentisch gesungen, sondern nur noch rezitativisch intoniert worden sind, das heißt also, daß sie in einem der Prosa nahestehenden Takt vorge­ tragen wurden. Bei den Epen ist das ursprünglich starke musikalische Element also bereits im Schwinden, im Gegensatz zu den einfachen Botenliedern (dichterisch abgewandelte Helden­ tatenberichte u. dgl.), aus denen sich das Epos mit der Zeit gebildet haben mochte. Wenn sich die metrisch so verschiedenen Ganz- und Halbzeilentypen der Epen dem Gesänge nicht recht fügen wollen, so gilt das Gegenteil von den lyrischen Reimversen mit ihrer Vierhebigkeit. Diese Reimverse tauchen zwar als Ablösung des Stabreims spät auf, sind aber zweifellos in der Lyrik schon seit Urzeiten lebendig gewesen?). !) 2) 3) schichte

Geist und Kultur der Sprache. 1925. Altgermanische Metrik, Halle 1893. Vgl. die Entwicklung der germanischen Musik bei H. Z. Moser, ©eder Deutschen Musik, Stuttgart und Berlin 1923.

Das jüngste Glied der Sprachleistung ist die Mitteilung, die schlechtweg als das Hauptmoment der Sprache — aber sehr zu Unrecht — bezeichnet wird. Es kann hier nicht unsere Ausgabe sein, die Entwicklung der Umgangssprache in ihrer Entstehung zu verfolgen, und wir wollen nur daraus hinweisen, daß sich hier das Prinzip der Stilprägung und Differenzie­ rung genau wie in der Musik geltend macht, wenn wir uns nur daran gewöhnen, die Sprache biologisch zu behandeln. Daß es zu einer solchen Mannigfaltigkeit der Sprachen kommen konnte, kann man nur verstehen, wenn man sie mit einem Körper vergleicht, der sich irrt Laufe der Entwicklung ver­ schiedenartigen Bedürfnissen anpassen muß und sich in der Harmonie mit der Umwelt in verschiedensten Stilen ausprägt. Aus einer einheitlichen Sprache kann sich hier und da eine Neuerung — irgendwo und irgendwie entstanden *) — durch­ setzen und zum Träger einer neuen Sprachidee, zunächst eines neuen Dialektes werden. Derartige Neuerungen strahlen wellenförmig (vgl. Wellentheorie Ioh. Schmidts) aus und bilden bald verschiedene Dialektmittelpunkte oder Kreise, deren Grenzen naturgemäß verwischt sind, wie es bei den Grenzen zwischen zwei verwandten Rassen der Fall ist. Genau so wie es keinen „Menschen an sich" aus der Erde gibt, so gibt es auch keine Allgemeinsprache, sondern nur historisch gewordene Einzel­ sprachen als Niederschlag der besonderen, rassisch begründeten Wirklichkeitsschau (Gestaltung dieser Wirklichkeit ist ja der Sinn der Symbolik, die man Sprache nennt!). Diese Sprache hilft die Weltanschauung des betreffenden Volkes bauen, in die das Kind durch Erlernung seiner Muttersprache hineinwächst. So wird die Sprache ein wichtiger Faktor für die Beeinflussung unserer Geisteshaltung. Eine solche hervorragende Stelle könnte sie aber nie einnehmen, wenn ihr eben nicht von Anfang an die Seele ihres eigenen Trägers zugrunde liegen würde. Hierauf gründet sich die neue „bedeutende" Sprachphilosophie, die also die Sprache als Symbol der Geisteshaltung erkennt und daraus das Recht der Deutung herleitet. Wenn nun die Sprache in der angedeuteten Weise ge­ wachsen ist, vom Musikerlebnis herkommend schließlich zur *) Vgl. Mutation!

Umgangssprache und Mitteilungseinrichtung differenziert wur­ de, so bedeutet die klassische Dichtung ein Heben der Sprache aus ihrer Zweckdifferenzierung in das Reich des Schöpferischen selbst! Die Sprache, die ursprünglich Musik war und gar nichts anderes sein konnte, die Sprache, die dann nur als rhythmischen Erinnerungsrest Hebung und Senkung auch beim Sprechen beibehielt, diese Sprache wird durch die wahrhafte Dichtkunst wieder ihrem schöpferischen Urgrund selbst zugeführt, aber nicht aus der gleichen Ebene, die ihr Entwicklungsweg beschritten hat, sondern auf einer höheren, welche sie zur Natur in eine Oppositionsstellung bringt. Wir treffen hier denselben Entwicklungsweg an, den wir soeben (freilich nur andeutungs­ weise und symbolisch) bei der Musik kennengelernt hatten: Aus einem natürlichen Zustand gelangt die Sprache nach viel­ seitiger Abzweigung, von der Verbundenheit mit Musik und Tanz, oft unter stilerfüllender Dialektformung in eine selb­ ständige Stellung, die es erlaubt, im bewußten, willenhasten und persönlichkeitsbedingten Durchschauen des Sprachwesens eine Oppositionsstellung zur mütterlichen Natur einzunehmen. So sehen wir, daß die eigentliche Kunst sich überhaupt nicht auf kontinuierlicher Bahn von der primitiven Kunst ableiten läßt, sondern daß jene doch eine eigene Individualität ver­ körpert, obgleich beide Kinder eines Vaters sind. Wir be­ gegnen hier einer Art Polarität, die verbunden ist mit einer Steigerung. Mit diesen Begriffen, Polarität und Steigerung, treten wir aber in einen Goetheschen Gedankenkreis ein und erinnern uns seiner Metamorphosenlehrex). Wie die boden­ ständigen Blätter einer Pflanze von wohlausgebildeten Formen sich allmählich in einseitig differenzierte Blattgebilde steigern, je weiter stengelaufwärts wir gehen, so steigert sich auch die Entwicklung der bodenständigen, d. h. naturbürtigen, primi­ tiven Kunst in immer weiter differenzierte Formen. Nun aber besitzt die Pflanze über jener kontinuierlich gesteigerten Blatt­ reihe, die rhythmisch am Stengel auswärtsstrebt, die Blüte. Gewiß, auch sie ist nach ihrem Stoss nichts weiter als ein modi­ fiziertes Blatt, aber jedem Unvoreingenommenen muß ihre Wesensart als etwas ganz Neuartiges, ja Individuelles vorJ) Dgl. für das folgende auch Grohmann, Metamorphosen im Pflanzen­ reich, Dresden 1933.

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kommen. Die Blattpflanze hat aufgehört, den Raum zu er­ obern; dafür erscheint sie in einer neuen Form auf höherer Stufe: eben in der Blüte, als Sinnbild der sich von oben herab­ senkenden göttlichen Schöpferkraft. Und genau so ist die echte Kunst ein Bild der göttlichen Schöpferkraft, die zwar auch die primitive, „blattartige" Entwicklungsreihe geboren hat, die aber doch etwas Selbständiges besitzt. Die Kunst ist nicht ein­ fach eine Steigerung der primitiven Ausdruckskunst, sondern verkörpert eine neue Individualität auf einer höheren Offenbarungsstufe. Die „Blüte-Kunst" steht der „Blatt-Kunst" polar gegenüber und ist doch desselben Vatergeistes. — Wir glauben, durch dieses Pflanzengeheimnis das Wesen der Kunstentwicklung nicht nur anschaulich gemacht zu haben, son­ dern wir möchten annehmen, daß diese aufgezeigte Parallele ihren tieferen Grund hat: Die Kunst ist organisch, ihre Entwicklung ist eine Metamorphose. Steigerung und Polarität erkennen wir zuletzt auch im dritten Glied der dynamischen Zeitkunst: dem Tanz, der, wie gesagt, mit Musik und Sprache eine Einheit bildete. Das wesentlichste Moment des Tanzes ist wiederum der Rhythmus, und es ist bezeichnend, daß die Tänze der Naturvölker ursprüng­ lich nur von Taktinstrumenten begleitet waren (Trommeln, Rasseln usw.). Immer mehr entfernt sich die Musik vom Tanz, ohne ihn jedoch gänzlich zu verlassen. Immerhin ist der Weg zur Mimik unverkennbar. Der Tanz — ursprünglich trieb­ hafte Stimmungsäußerung — ringt immer bewußter nach Darstellung und Symbolisierung. Die Liebestänze z. B. entsprangen früher wirklich dem erotischen Trieb (in dieser Form vielleicht kaum noch ganz rein erhalten?) und dienten ihm zugleich. Dann wurden die Vorgänge, die man in der Wirklichkeit erzielen wollte, sozusagen nur symbolisch ange­ deutet, vielleicht auch nachgeahmt. Hieraus entwickelte sich auch diejenige Tanzform (Tiertanz, teilweise auch Kriegstanz), die die Absicht*) erkennen läßt, durch Analogie mit einem wirk­ lichen Vorgang, diesen vorherzubestimmen (sogenannter Ana!) Freilich liegt dieser ein tiefer Sinn zugrunde, der aber heute wohl kaum mehr verstanden wird. Die „Absicht", die jenen Tänzen oft mit Recht untergeschoben wird, verrät deutlich, daß es sich hier um degenerierte Tänze handelt, die ihren Zusammenhang mit dem Religiösen verloren.

logiezauber). Schließlich zeigte der Maskentanz ganz deutlich den Sinn von Beschwörungen. So bekam also die rhythmische Körperbewegung — ähnlich wie die Sprache — mit der Zeit einen Zweckcharakter. Eine solche Entwicklung nach dem Zweck aber ist nicht mehr keimkräftig; sie läuft sich tot, differenziert sich aus. Wirklich entwicklungsfähig bleibt allein ein Tanz, der im Religiösen oder Kultischen verharrt. Aus solchen primi­ tiven Kulttänzen bildeten sich die Volkstänze, die sich in man­ nigfach veränderter Form (auch hier: Stil Prägung und Rasse­ charakter!) bis heute erhalten haben. Aber auch dieser immer noch als primitiv-künstlerisch anzusehendeTanz konnte sich steigern — bis zu dem Zeitpunkt, da die polare Spannung eintrat und die Tanzkunst eigentlichen Kunstcharakter, „Blütencharak­ ter" erlangte. Der Schöpfer des modernen Kunsttanzes ist Rudolf v. Laban. Seine Schülerin, Mary Wigmann, setzte Labans Theorie in die Tat um und beherrscht heute noch in ihren — wieder verschieden betonten — Schulen den Kunst­ tanz. Dieser ist nun dadurch gekennzeichnet, daß er auf alle pantomimischen Elemente (die eigentlich römischen Ursprungs sind) verzichtet und eine Idealisierung des Tanzes erstrebt, so etwa wie die Musik nach naturfreierer und abstrakterer Form suchte. Nunmehr wurde auch der Tanz ohne Musik möglich, d. h. aus der Verbundenheit ist die idealisierte, fast typisierende Blüteform des Tanzes geworden. Der tanzende Körper ist nicht mehr der Ausdruck seiner eigenen, einge­ borenen Dynamik, nein, er benutzt nur noch den innewohnenden Rhythmus, um ein objektives Erlebnis darzustellen. Daher tragen die Tanzszenen Überschriften („Sterbender Schwan!") und sind nicht mehr subjektive Äußerungen eines primitiven Lebensgefühles. Der Tanz ist zur objektiven Ausdruckskunst geworden und nimmt vergleichsweise dieselbe Stufe ein wie eine Beethovensche Symphonie oder ein Goethesches Dicht­ werk. Er hat einen architektonischen Charakter bekommen wie Musik und Dichtung. Wenn man nun versucht (wie Rich. Wagner), Tanz bzw. Mimik, Sprache (in der Form der Dichtkunst) und Musik wieder (sekundär!) zusammenzuschweißen, so handelt es sich hier keineswegs um eine „Rückkehr zur Natur", die viele, auch sonst organisch denkende Schriftsteller der Gegenwart anzunehmen

scheinen, sondern es geht hier um eine Synthese aus höchster Ebene! Ob diese Synthese freilich eine Zukunft hat (wie Wagner annahm), kann man heute noch nicht entscheiden. Wie der Weg von der Natur zur Kunst als Steigerung zu einem der Natur sozusagen entgegengesetzten Pol erkannt wurde, konnten wir andeutungsweise aufzeigen. Wie aber nun die mit der Kunst wesensverwandten Äußerungen der Tiere (die jeweiligen Entsprechungen der Kunstarten) zu ver­ stehen sind, soll der nächste Abschnitt gesondert darstellen.

Die Betonung des Körpers bei den Tieren als Vorstufe zur Kunst. Ein bunter Falter gaukelt über die Wiese. Nun setzt er sich, klappt die Flügel nach oben zusammen und entschwindet dem Auge nahezu, weil die unscheinbare Flügelunterseite dem Beschauer zugekehrt ist. Plötzlich aber entfaltet das Insekt die großen Tragflächen, und seine Farbenpracht leuchtet wie ein ausgehender Stern oder wie eine der vielen Blüten, die die Wiese farbenfroh durchwirken. Im Wald begegnen wir einem sonderbaren Schmetterling mit breitem roten Bandschmuck aus den Hinterflügeln: dem Ordensband. Wie ein Feuer­ zauber schwebt das Tier durch die grauen Stämme. Aber urplötzlich erlischt der Funken, und erst nach mühevollem Suchen entdecken wir das Ordensband am Stamm sitzend. Die rindenfarbigen Vorderslügel — täuschend in ihrer Über­ einstimmung mit der Stammfarbe! — haben sich schirmend über das rote Band gelegt und verdecken es ganz. Und wie nach einer kleinen Weile ein Eichelhäher durchs Holz fliegt und sein Blau und Weiß der Flügel zeigt und dieses dann beim Sitzen fast versteckt, erinnern wir uns des Ordensbandes. Aber noch seltsamer ist der Kontrast bei manchen exotischen Tieren, die plötzlich stierende Augen oder andere wunderliche Muster offenbaren und zur Schau stellen. Nicht selten wird ein solches Sich-Zeigen einen biologischen Zweck haben. So mag z. B. ein Vogel dadurch vom Fang einer Raupe abgehalten werden, wenn er aus ihr oder einem Käfer plötzlich ein „gemaltes" Glotzaugenpaar entdeckt, das den Charakter des Insekts ver­ wischt und vielleicht gar für den Vogel fremdartig wirkt. In

anderen Fällen wird eine prunkvolle Farbe einen Warncharakter tragen (Eidechsen!) oder aber in irgendeiner Beziehung zur Gattenwahl stehen. Besonders reizvoll für die Deutung ist der Argussasan gewesen, dessen Augenmuster eins der schönsten im ganzen Tierreich ist (Abb.S, Tafel S.98). Nicht nur durch die irisähnliche Umrandung wirken die dunklen Flecke so augenähn­ lich, sondern auch durch die weißen Ausfallssektoren, die sich wie natürliche Glanzlichter ausnehmen und das Muster aus den zwei Dimensionen in die plastisch wahrnehmbare Räumlichkeit heben. Der Argus geizt mit seiner Pracht. Er stellt sie nur zur Zeit der Liebe „ins rechte Licht" und dann aber auch höchst auf­ fällig. Kopf und Körper, ja selbst die Beine werden ganz un­ wichtig. Allein das Augenmuster wird herausgestellt, indem sich die Flügel schildartig vor den Kopf legen und der lange Schwanz sich breitet. Nun ist aus dem Vogel ein Augenphänomen ge­ worden, das sich bald hierhin, bald dorthin wendet. Wozu das alles? Der Biologe weiß daraus heute nur eine Antwort: „Um die Möglichkeit einer natürlichen Zuchtwahl zu schaffen." Je schöner der Hahn nämlich sich spreizt, desto mehr Heirats­ aussichten hat er. Balzt der Hahn nicht so imposant (und ist er gleichzeitig auch schwächer), dann wird er seine Sippe nicht vergrößern können. Mag nun auch die Bedeutung dieser Zuchtwahltheorie immer überschätzt worden sein (zumal es ja ungeheuer viel Tiere gibt, bei denen die Weibchen sich nachweislich gar nicht um das Balzgehaben des Männchens kümmern oder wo überhaupt keine Zuchtwahlmöglichkeit in Frage kommt), eine große Rolle wird die Selektion immerhin spielen. Aber ohne eine etwas unbefriedigende Annahme kam man in unserem Fall dabei nicht herum: mußte man doch den Argushennen das Fällen eines Werturteils und damit aber auch einen ästhetischen Sinn zu­ sprechen — und das ist etwas viel von einem Tier verlangt. Deshalb nun erscheint eine andere Erklärung einleuchtender: die Hennen, gewohnt Körnerfutter zu fressen, erblicken in den plastisch wirkenden Augenflecken eine Art Körnersegen, viel­ leicht (wie O. zur Straßen annimmt) auch erbsenartige Früchte in ihrem Schotenbett. Und da die Liebe durch den Magen geht, fallen sie aus den „sutterreichsten" Hahn herein. Wie dem nun sei: die Zuchtwahl allein ist nicht der einzige

Grund. Sie kann die bestehende Mannigfaltigkeit keinesfalls erklären (s. Kap. 3) und ist nichts anderes als auch ein Mittel, das nun einmal vorhandene Schöne zu erklären. Jedoch — so­ viel Schönheit, soviel planvolle, ja schönheitsbewuhte Mannig­ faltigkeit kann sich nicht durch Zuchtwahl „von einfacheren Ausgangszuständen herausbilden", das hieße den Kräften des Zufalls eine schöpferische Rolle zusprechen. Wir wollen uns hier aber nicht über die biologische Seite der genannten Phäno­ mene streiten, sondern ganz schlicht feststellen, was man sieht: ein Zur-Schau-Stellen der Schönheit, des Ornamentes. Immer wenn ein Körperschmuck nicht dauernd dem Beschauer zugekehrt sein muß, sondern wenn er zu bestimmten Gelegen­ heiten, eben meistens zur Zeit größter Lebensspannung (Paarungszeit) betont wird, dann heißt das ein Herausgehen des Tieres aus seiner gewöhnlichen, „ungehobenen" Daseins­ sphäre. Dabei braucht dieses Betonen des Ornamentes und der Körperlichkeit überhaupt keineswegs immer als eine be­ sondere Willenshandlung oder gar als ein bewußtes SchönseinWollen verstanden zu werden. Der schreiende Uhu stellt z. B. durch die Kehlbewegung einen weihen Fleck unter dem Kinn „heraus", zeigt somit dieses sonst versteckte Muster nur beim Schreien. Der Ruf wird aus diese Weise bildlich illustriert. Daß gerade ein leuchtend weißes Federfeld beim Rufen sichtbar wird, ist in Anbetracht des nächtlichen Lebens dieses Vogels recht beachtenswert. Denn so könnten (falls es „so gemeint" ist) die Uhuweibchen den Gatten besser sehen (vgl. „Spiegel" des Wildes als Signallaterne für die nachfolgenden Kitze!). Roch deutlicher kommt der Zwang, die Musterschönheiten zu zeigen bei den Vögeln heraus, die eben auf den Flügeln be­ sondere Farbfelder haben, die sie somit bei jedem Flug zeigen müssen, ob „sie wollen oder nicht". Wie wir schon beim Argus sahen, handelt es sich nicht allein darum, schöne Farbmuster zur Geltung zu bringen, sondern auch eine eigentümliche und nur zeitlich bevorzugte Form anzunehmen. Wir denken hier an die vielen, in der Luft balzenden Vögel (Limose, Kiebitz, Raubvögel usw.), an den seinen Kragen spreizenden Silber­ fasan oder an den Trapphahn, der seine Flügel, die ihm doch eigentlich zum Fliegen dienen, wie einen Schild vor den Körper hält. Neben diesen zeitweise zur Schau gestellten Form-

Merkmalen gibt es viele, die dauernd oder doch während der ganzen Brunstzeit offenbar werden. Hierzu müssen wir z. B. die Gesäßschwielen des Pavians rechnen. Der Pavian zeigt allerdings diese Schwielen, die anscheinend sein Stolz sind, den Kumpanen (sicher nicht nur, um bei den Weibchen, son­ dern auch um bei den Nebenbuhlern Eindruck zu machen *)) zur Brunstzeit ganz besonders, ebenso wie die Erpel ihre schönen roten Füße tolpatschig-kokett vorstellen. Bei all diesen Schaustellungen handelt es sich mehr um eine Betonung des statischen Elementes der Körperlichkeit. Viel aufschlußreicher für unsere Fragestellung ist nun aber eine Betonung der dynamischen Struktur des Körpers. Bereits die erwähnten Balzflüge müssen als solche aufgefaßt werden, gibt doch der Vogel zur Zeit der physiologischen Hochspannung (vgl. „Stimme der Landschaft") sein möglichstes her, um alle innewohnenden Strukturen des Körpers zu entfalten, zu offenbaren. Der Kranich betont sein gewöhnliches, der Fort­ bewegung dienendes Gehen zur Paarungszeit durch ein Balzschreiten, ja durch regelrechte Tänze, wie man sie auch gelegentlich bei den großen Kranicharten in unseren Tier­ gärten gut beobachten kann. Der Birkhahn macht bei der Balz nicht nur ein besonders eindrucksvolles und in sich geschlossenes (Krümmung der Schwanzfedern schließen die ganze Gestalt sinnvoll ab und lassen den Körper als Zweckform schwinden) Bild aus seinem Körper, sondern bewegt sich in ausfallender Weise. Zu der betonten Bewegung kommt aber noch eine Entfaltung der Stimme, und es ist nicht zu leugnen, daß diese Stimmäußerung mit der Bewegung in Harmonie steht. Das sieghafte Trompeten der tanzenden Kraniche, das Kullern und Fauchen des Spielhahns begleitet ebenso rhythmisch und harmonisch die Bewegung wie das gezogene „zia zia.." das Abwärtsschweben des Baumpiepers. Viele Vögel er­ heben sich beim Singen in die Lust und paaren dadurch Be­ wegung und Ton. Oft ist Singen und Fliegen sinnreich mechanisch gekoppelt. Die immerfort trillernde Lerche ist zu dieser uns Menschen gewaltig erscheinenden Dauerleistung (warum kommt sie nicht außer Atem?) dadurch befähigt, daß 2) Vgl. den Gesang und die Balz der Vögel als Kriegsgeste: Frieling, Die Stimme der Landschaft.

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die Muskelkraft des Flügelschlages sowohl das Steigen als auch das Singen (und vielleicht auch das Trillern) erzeugt, indem bei jedem Abwärtsschlag ein Einatemstrom den Kehl­ kops zum Tönen veranlaßt und bei jedem Ausschlag wiederum ein Ton erzeugt wird. Beim schwirrenden Lied des Wald­ laubsängers schwirrt der ganze Vogel mit, ja häufig wird der dynamische Impuls so stark, daß sich der Vogel in einem Schwebslug ergeht. So gäbe es eine Reihe von Beispielen, die die Einheit von Bewegung und Ton darlegen. Be­ sonders interessant sind die Fälle, wo Bewegung und Ton noch mechanisierter erscheinen als bei der Lerche: die Silbermöve bringt ihren Paarungsschrei nur dadurch zustande, daß sie den Hals seltsam abwärts hält (Zwangstellung) und damit zugleich eine Balzgeste zeigt. Der Strauß muß seine Speise­ röhre gewaltig aufblähen, um sein dumpfes Wirbeln zu er­ zeugen und der fliegende Schellerpel gar bringt seinen Lockruf durch die Flügelbewegung x) hervor. Hier ist der Ton körper­ lich an die Bewegung und Gestalt (der Schwingen) gebunden wie ein Ornament! Wenn der Psauhahn seinen Augenglanz auf den langen Schwanzdecken entfaltet und damit sein Muster zeigt, ertönt zwangsläufig mit diesem Auseinanderspreizen der Federn ein seltsames Rasseln, das seine Entstehung einer eigenartigen Feinstruktur der Feder verdankt. So hängen nun also statische und dynamische Betonungen, Lautäußerung, Be­ wegung und Imponiermuster eng zusammen und zeigen eine höchst beachtenswerte Zusammenarbeit und Ergänzung im Planvollen. Wie verschiedene Körperdifferenzierungen sind notwendig, damit eine einheitliche Funktion ausgeübt werden kann! Biele der genannten Beispiele drängen uns den Ver­ gleich zwischen Naturäußerungen und primitiver Kunst ge­ radezu auf. Ich erinnere an die im vorigen Abschnitt darge­ legte urtümliche Einheit zwischen Tanz und Gesang sowie an das wesentliche Grundelement aller primitiven Kunst: die Betonung der eigenen Körperlichkeit. In den Uranfängen der Kunst scheiden sich also Natur und Kultur anscheinend noch nicht. Aber wir brauchen bloß den weiteren Entwicklungsx) Schallschwinge, vgl. auch Frieling, Die Feder und Das Federkleid, Leipzig 1936.

weg im Tierreich und beim Menschen zu verfolgen, um die gewaltigen Unterschiede zu erkennen. Das Tier bleibt im Naturgegebenen, der Mensch aber kann darüber hinaus­ gehen, er kann das Naturgegebene gewissermaßen voll­ enden. In der Natur gibt es auch den Weg der Differenzie­ rung, der „Metamorphose" und Steigerung wie in der Kunst, aber sie erreicht innerhalb ihrer eigenen Grenzen nicht jenes polare Spannungsverhältnis, das zum Erheben aus eigener Seele herausführt. Vielmehr werden die Ideen, die auch der Weg der Kunst aufzeigt, nicht zum Erkennen durch die Persön­ lichkeit gebracht, sondern bleiben behaftet vom Stofflichen, müssen sich anpassungsgerecht variieren lassen und werden den einzelnen Arten als Merkmal zugeteilt. Den Schritt zur ornamentalen Kunst vermag ein Tier nicht zu gehen, weil es das Ornament nicht vom Körper ab­ lösen kann. Uber das Stadium des „Iodelns" (f. o.) kann ein Vogel nicht herausgehen, weil er wiederum betonte Lebens­ dynamik nicht ins eigene Erlebnis verwandeln taun1). Das Tier selbst kann seinen Körperrhythmus, die Urelemente der Musik, des Tanzes und der Sprache aber nicht aus sich selbst herauskristallisieren, idealisieren. Auf den Gedanken, daß eine Lautäußerung zur Verständigung und Mitteilung führen kann, kommt kein Tier. Vielmehr äußert es „sich", d. h. seinen physiologisch beeinflußten Seelenzustand und „wird instinktiv verstanden". Nicht wird es verstanden, weil die Kumpane seine Sprache „durchaus studiert" haben, sondern weil die Lautäußerung dem unbewußten Erleben des gleichartigen Lebensgefühls beider Parteien entspringt. Der Kraftstrom der Lebensäußerung ist noch nicht durch das erkennende „Ich" verbarri­ kadiert, er flutet innerhalb des „Gruppen-Ichs" der Tierwelt. Im Einklang mit der Körpergebundenheit der Lebens­ äußerungen des Tieres steht auch, daß das tierische Entwick­ lungsprinzip auf Anpassungsspezialisation gerichtet ist. Der gesamte Lebensraum ist ausgefüllt mit verschieden ange­ paßten Lebewesen, denen in ihrer Gesamtheit die Aufgabe zufällt, diesen gegebenen Lebensraum auszunutzen. Auch die ') Um eine rein instinktiv gebundene Äußerung des dynamischen Lebensgefühls, ja, vielleicht des unbewußten inneren Rhythmus handelt es sich übrigens auch bei der regelmäßigen Anordnung der Vogeleier imRest (s.S. 107).

Menschheit (also doch nur die Summe der die Art Mensch aus­ machenden Rassen und Individuen) kann den Lebensraum ganz ausnutzen; sie steht somit dem Tierreich gegenüber. In diesem Sinn ist der Mensch nicht ein höheres Tier, sondern etwas prinzipiell anderes. Der Mensch ist der notwendige Gegenpol zum Tier. Schon seine aufrechte Körperhaltung symbolisiert das Aufstreben zur geistigen Welt. Der Mensch ist gewissermaßen die Blüte, die der in ihren Blättern ge­ steigerten „Arpflanze" der Tierentwicklung ausgesetzt ist und die, obwohl nur eine Metamorphose des irdischen Pflanzen­ teils, doch ihr Wesen auch aus dem Göttlichen direkt empfängt. Wie sich aber nun der Mensch, rein morphologisch betrachtet, aus tierischen Ahnen entwickelt haben muh, wie der Mensch somit seine Stofflichkeit aus dem Tierreich entnimmt, so über­ nimmt er auch die Aranfänge zu seiner Kunst, zu seiner Kultur (die eben die vom Menschen geschaffene „Natur" ist) aus dem Tierischen. Die Uranfänge der Kunst sind gleichsam nichts anderes als metamorphosierte Blätter aus dem Tierreich, aber der Mensch vermag dieser Pflanze die Blüte auszusetzen, indem er sich der Natur entgegenwendet und sie zugleich voll­ endet. Wenn aber der Mensch irgendeine Schöpseridee, die in der Natur am Artenkörper verwirklicht wurde, erfüllen soll, so müssen sich die gleichen Pläne in der Kunst und in der Natur aufzeigen lassen. Wie wir am Eingang dieses 2. Kapitels bereits betonten, besitzt die menschliche Schöpfung als Schwester der göttlichen in der Tat mannigfache, sehr eindrucksvolle Parallelen in der Natur. Kunstwerk und Naturgebilde sind geschwisterlich verwandt, stehen aber auf einer verschiedenen Individualitätsstuse.

Raumkunst und natürlicher Bauplan. Lassen sich Tanz, Gesang und Ornamentik verhältnismäßig leicht als Betonungen der Lebensstruktur erkennen, weil es sich ja hier um Äußerungen in der Zeit handelt, so kann man ein Bauwerk viel schwerer als Auhenprojektion des Organismus selbst erkennen. Zweifellos ist die Raumkunst (die außer Archi-

tektur auch Plastik und Malerei umfaßt) jünger als die Kunst der werdenden Zeit (Musik) und die der gewordenen Zeit (Ornamentik); denn die Raumkunst muß immer wieder aus die Linien zurückgreifen. Sie läßt sich überhaupt nicht als ein­ fache Projektion der Lebensdynamik oder Statik verstehen, weil sie ja dreidimensional schafft, das heißt aber, dem Körper von vornherein Gleichwertiges gegenüberseht. Bei der Raumkunst geht es darum, das zeitlose Geschehen der Musik ins Zeitliche und Räumliche vereinigt zu gestalten. Bei Betrachtung der Architektur muß es jedermann ein­ leuchten, daß es sich hier nicht um eine Nachahmung der Natur, sondern um die Darstellung völlig irrealer Formen handelt. Damit erscheint die Architektur als Gegenstück zur Musik, als Musik im Räumlichen — als „verstummte Musik" (Goethe). Gerade das germanische Kunstschaffen beweist die Unähnlich­ keit der Bauwerke (Langhaus, gotischer Dom) mit Natur­ gebilden, somit die organische Selbständigkeit der Architektur. Ganz im Gegensatz dazu steht die Bauweise der Hellenen: jede Säule ist hier Organismus, jedes Standbild ruht in aus­ geglichener Statik. Die Säulen der Griechen sind mit Baum­ stämmen zu vergleichen (denen sie vielleicht auch nachempfunden sind), sind selbständig, während die Säulen in der Gotik z. B. nur Mittel sind, das eigentliche Bauwerk zu tragen. Die Pfeiler und Säulen tragen die Seele des Bauwerks, beim Griechen sind die Säulen selbst Seele. Das deutsche Bauwerk ist Gesäß für einen bestimmten, von der Persönlichkeit und vom Zeitstil beeindruckten Lebensrhythmus, den der Hellene sich auszudrücken scheut, da er sich allein an die objektiv wahrnehmbaren Gesetze, an die in sich selbst ruhende Statik der Natur hält. Und doch ist die griechische Säule nicht nur eine Schöpfung aus Grund der Naturersahrung, sondern Selbst­ zweck, das heißt echte Kunst. Wir können das an einer Parallele mit dem Naturreich vielleicht am besten zeigen: Wie der Stengel sich durch die nach oben zunehmend ver­ änderte Blattform allmählich zusammenzieht bis zur Blüte, dem eigentlichen Sinn der Pflanze, so ist die gotische Säule auch nur ein erdentsprossener Stengel mit all seinen metamorphosierten Blättern, während das eigentliche Wesen des Bauwerkes einer ganz neuartigen Offenbarung aus der Licht-

sphäre entspricht. Eine Pflanze, die nun nicht in der Blüte gipfelt wie der Farn, kristallisiert ihr Wesen im Blatt (oder wie der Schachtelhalm im Stengel) aus. Das Farnblatt zeigt keine Metamorphose; es ist Selbstzweck und nicht nur Vor­ stufe zur Blüte wie bei höheren Pflanzen. Der ganze Ent­ wicklungsprozeß eines Farnkrautes spielt sich aus einer anderen Generation, dem Prothallium ab. Dort kommt es zur Be­ fruchtung der Eizellen durch flagellatenartige Schwärmer­ gameten. So kann das eigentliche Farnkraut (die Sporen­ pflanze) selbst ganz Pflanze sein. Und das Wesen der Pflanze ist eben das Blatt. — Dementsprechend wäre die gotische Säule mit einem beblätterten, metamorphosierenden Stengel zu vergleichen, die griechische Säule aber mit einem Farn, mit dem Nur-Blatt. Wir kommen so zu einer tiefinneren Planmäßigkeit im Kunst- und Naturschaffen, in der Entwicklung der Naturgebilde und Bauwerke. Diese Gleichsinnigkeit im schöpferischen Wollen aber beweist nur wieder die Gleichartigkeit der Schöpferseele in der Natur und in der Kunst selbst. Und das ist ja gerade das Wesentliche, daß es sich bei der Architektur nicht um die Schaffung realer Natursormen handelt, sondern um völlig selbständige Gebilde, die natürlich ihren bestimmten Gebrauchszweck haben und irgendwie angepaßt sein müssen, nicht nur dem Material stilgerecht unterworfen, sondern auch in die Umwelt organisch eingegliedert. Auch die Lebensformen haben ihren „Gebrauchszweck" oder können wenigstens nach einem solchen gewertet werden. Sie sind in ihre Umgebung harmonisch eingeklinkt. Diese Tat­ sache umschreibt man mit dem Begriff „Anpassung", der je­ doch weiter nichts als eben einen Zustand bezeichnet und über das Zustandekommen jener Erscheinung nichts aussagt. Sehen wir gewissermaßen durch die Anpassungsmaske irgendeines Tieres hindurch auf die eigentliche Wesensart, die sich wiederum im Grundplan verkörpert, so erscheinen uns die Organe in ihrer Umweltbeziehung als mechanische Ausgliederungen der Uridee des Gesamtbauplans. An dem parasitisch auf höheren Krebsen lebenden Sackkrebs, der Sacculina, sehen wir weiter nichts als einen unförmigen Sackleib, der „Wurzeln" in das Krebsfleisch vortreibt, um die Körpersäfte des Wirtes

zu erlangen. Dieser einfache Sack ist aber keine wesenhafte Darbietung der Bauidee, sondern nur eine mechanische Aus­ gliederung derselben, wenn auch extrem gestaltet. Denn die Entwicklungsstadien des „Sacks" zeigen typische Krebslarven­ stadien. Mechanische und organische Entwicklungsphase sehen wir nun aber auch innerhalb der Artenentstehung ausgeprägt. Wie wir schon in der „Stimme der Landschaft" darlegten, sind die Rassen eigentlich nur mechanische (tiergeographisch zu verstehende) Ausgliederungen der Art, die allein einen Grund­ bauplan verkörpert. Soll sich aus einer Art eine neue bilden, dann muß eine Nasse der alten Art die neue Idee verkörpern, indem sie zunächst mechanisch ans alte, vorangegangene knüpft, sofern eben überhaupt Rassen für die Bildung einer neuen Art in Frage kommen (Formenkreise können ja auch einen weit­ gehend selbständigen Entwicklungsgang haben, wobei die auf­ tretenden Beziehungen der Arten zueinander lediglich formaler Art wären). Der Urvogel, die Archäopteryx, war zwar der Idee nach schon ein Vogel, mechanisch jedoch gehörte sie noch den Reptilien an. Ihr Vorfahr konnte ganz und gar noch ein Reptil sein, ideell war aber schon (vielleicht durch eine plan­ mäßige Genomänderung) der Vogel bestimmt. So verraten nur die (abstrahierbaren) Grundtypen wirklich Schöpfe­ risches (ein organisches Bildungsprinzip), während die durch die Trägheit der Materie garantierten Ubergangsformen und die verschiedenen Klimaten und Gebieten angepaßten Rassen mechanische Formung zeigen, ohne daß hierbei schöpferische und planmäßige Bauprinzipien gänzlich zu fehlen brauchen (s.u.). Auch in der Kunst lassen sich mechanisches und organisches Formprinzip unterscheiden, wobei wir besonders an die mechanische Übernahme neuer Bauelemente und deren erst später erfolgende organische Durchdringung (Dome s. u.) denken, die mit einem Sieg der neuen Idee endet, welche wiederum mechanisch ausgegliedert werden kann. Vor allem weist Paul Krannhals auf den Unterschied beider Form­ prinzipien hin. Er definiert ihn folgendermaßen: „Das organische Formprinzip zeigt Schöpfung — nicht Wiedergabe — einer den einheitlichen Rhythmus in der Mannigfaltigkeit

betonenden Bewegung aus dem eigenen irrationalen Erleben heraus. — Das mechanische Formprinzip zeigt symmetrische Komposition einer rational faßbaren, klar gegliederten Einheit unter Betonung der Selbständigkeit der in sich ruhenden Teile." Beide Formprinzipien wechseln häufig in der Kunst ab, und auch in der Natur ist die konstruktive Ausgliederung des ge­ gebenen (aus dem Urschöpferischen stammenden) Grundtyps immer wieder nötig. „Ohne Zweifel wird nun ein Kunstwollen um so eindringlicher das organische Formprinzip be­ jahen, je mehr die eigene Lebensbewegung des Schöpfers als lebendige Form in der Gestaltung des Kunstwerkes zum Aus­ druck kommt. Der Schwerpunkt liegt hier ganz und gar auf dem Ausdruck „Bewegung", denn auch eine im naturwissen­ schaftlichen Sinn mechanische Bewegung ist als Bewegung im künstlerischen Sinne ein organischer Faktor, weil sie die Be­ wegung des Eigenlebens unmittelbar erleben läßt. In der Bewegung erhält eben die Zeit und damit das Leben un­ mittelbaren Ausdruck... Nun können wir a priori sagen, daß das objektive Kunstwollen, das von den Eindrücken der Außenwelt, der Umwelt ausgeht, bestimmt wird, das mechani­ sche Formprinzip in der Kunst zum Ausdruck bringen wird. Umgekehrt wird die subjektive seelische Ausdruckskunst das organische Formprinzip vertreten" (Krannhals). Natürlich treten in der Kunst diese beiden Prinzipien nicht so säuberlich geschieden auf, sondern es handelt sich lediglich um eine Vor­ herrschaft des einen oder anderen oder um die vorhandene Grundtendenz. Wenn nun freilich Krannhals die Kunst der Antike zu dem mechanischen Formprinzip rechnet, so scheint das etwas schematisch zu sein; denn schließlich drückt sich ja auch ein irrationales seelisches Erlebnis in der Tendenz aus, das in sich Ruhende, Statische künstlerisch zu betonen (s. u.) und damit notwendigerweise aus die rein subjektive Darstel­ lung des bewegten Lebens zu verzichten. Die Betonung einmal des Mechanischen, andermal des Organischen oder besser einmal des Statischen, andermal des Dynamischen, Willenhasten, ergibt zusammengenommen eine Harmonie in der abend­ ländischen Kunst; es handelt sich um den notwendigen Pendelrhythmus in jeder lebendigen Äußerung, nicht aber um zwei wirkliche Prinzipien im Sinne wesenhafter Verschiedenheit,

wie man nach Krannhals anzunehmen gezwungen ist. Doch dies hindert nicht daran, das mechanische und das organische Element im Kunstwollen wenigstens deutlich zu machen. Um nun überhaupt eine tiefere Vergleichsmöglichkeit von Bauwerk und Lebewesen zu schaffen, müssen wir erst einmal die pflanzlichen und besonders tierischen Baupläne und deren Verwirklichungen im Lebensraum kennen lernen. Ganz all­ gemeine Grundformen der Lebewesen sind z. B. bestimmte mathematisch faßbare Symmetrieverhältnisse oder Achsensysteme. Unter den Urtieren und Algen kennen wir — abgesehen von kugelförmigen oder scheibenartigen Lebe­ wesen — dreieckige und andere außerordentlich „geometrisch" anmutende Formen (Abb. 6). Wichtig sind (vor allem für die höheren Lebewesen) die zweiseitige Symmetrie und die Radiär(Strahlen-) symmetrie. Nach der ersten sind die meisten Tiere und der Mensch gebaut, aber auch Blätter und Blüten (zygomorph — Stiefmütterchen!), die zweite zeigen die Seesterne

Abb. 6. Grundformen des Lebens im Tiefseeschlamm (700fach vergrötzert). a, b, c Kalk­ scheiben von Urtierchen, d, e kalkige Foraminiferen, g kieselige Nadiolarien, h, i Kieselgerüste von Diatomeenalgen, k, 1 Kieselnadeln von Schwämmen. — Aus Zittel-Broili, 1924.

und Seeigel sowie eine große Anzahl von Blüten. Schwierigere Achsenverhältnisse finden wir bei den Radiolarien, unter denen es viele Formtypen gibt, und den spiralig gerollten Formen, die wir kurz Schneckenhäuser nennen wollen. Es ist eigenartig, wie viele Tiergruppen scheinbar ganz unabhängig voneinander diesen Bauplan verkörpern. Bereits unter den Einzellern sind die Foraminiferen zu nennen, die in einer oft schneckenhaus­ förmigen Hülle aus verschiedenartigem (meist Kalk) Material sitzen. Dann treffen wir dieselbe Form bei den Tintenfischen (Ammoniten, Nautilus!) und Schnecken wieder. Unter den genannten Gruppen gibt es aber — gewissermaßen als Aus­ gangsstadium — auch stets einfache, d. h. unaufgerollte, kuhhornförmige Schalen, und wiederum lassen sich sowohl bei den Foraminiferen als bei den Schnecken und Ammoniten halb eingerollte Ubergangstypen erkennen*) (Abb. 7).

Abb. 7. Schematische Darstellung der allmählichen Einteilung des Gehäuses gewisser Tinten­ fische, der Noutiliden. Vom silurischen, geradegestreckten Orthoceras bis zu der in einer Ebene eingerollten Karbonform. — Aus Dacquö, Die Erdzeitalter, 1930.

Inwieweit nun innerhalb der angeführten Verwandt­ schaftsgruppen wieder Parallelausbildungen vorliegen, ist eine auch für den Fachmann oft schwer zu entscheidende Frage. Man ist geneigt, jene Schalenkonvergenzen als Ausdruck einer gleichen Lebensweise in der gleichen Gewässerzone aufzufassen. Mag die Spiralsorm auch ihre mechanischen Vorzüge im Le­ bensraum haben, so wird man die geschilderte auffällige Paral­ lelität der Schalenbildungen im Ernst wohl kaum als lediglich umweltbedingt erklären wollen, denn das hieße, einen einmal !) Solche Formenreihen vom gestreckten (Orthoceras-) Schalentypus bis zum eingerollten (Nautilus) sind keineswegs Abstammungsreihen. Vgl. hierzu: O. Abel, Lehrbuch der Paläozoologie, Jena 1924 unb (wie auch für das Folgende) E. Dacquö, Vergleichende biologische Formenkunde der fossilen niederen Tiere, Berlin 1921.

vorhandenen Grundbauplan, der schließlich um seiner selbst willen da ist, leugnen, wobei noch zu bedenken wäre, daß ja andere Tiere, die mit jenen Schneckenhaustieren zusammen­ leben, eben oft ganz andere Gehäuse oder Panzer aufweisen, also keinesfalls ein mechanisches Muß vorliegen kann. Der Selbstzweck der Tiergestalten offenbart sich bei noch vielen anderen Konvergenzbildungen, von denen wir wieder nur einige wenige herausgreifen können: Die Form einer Blume, die man schematisch als Stiel mit einem aufsitzenden Kelch darstellen könnte, wird bei den Urtieren von den sogenannten Slockentierchen, und da wieder von vielen Arten (Zoothamnium, Carchesium, Vorticella) „benutzt". Unter den Hohltieren zeigen verschiedene Hydroidpolypen (Eudendrium, Tubularia usw.) dieselbe Kelchgestalt. Selbst bei den Stachelhäutern gibt es geradezu pflanzenhast anmutende und deshalb auch Seelilien genannte (ausgestorbene) Gattungen (Encrinus) des gleichen Baus, der sich ganz zweifellos nicht reinweg durch Anpassungszwang erklären läßt. Sogar die Würmer, denen man eine andere als eben „wurmförmige" Gestalt gar nicht zutraut, besitzen in den Röhrenwürmern (Tubifex, Sabella, Serpula usw.) mit ihren wunderschönen in Kelchform ausgebrei­ teten Kiemenbüscheln Vertreter des gestielten Kelches. (Abb. 8)

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Abd. 8. Die Kelchgestalt im Tierreich. Vertreter völlig verschiedener Tierstämme zeigen diese eigentlich pflanzlich anmutende Form. a Glockentierchen (mikroskopisch klein), b ein Hydroidpolyp (Campanularia), vergrößert, c ein Stachelhäuter, die Seelilie (Encrinus), die heute nur versteinert angetroffen wird, d Kiemenfächer eines Wurms, der in einer Schlammröhre steckt (Sabella). — Alle Figuren schematisiert.

Es ist bezeichnend, daß die Organe, die die betreffende Grundgestalt hauptsächlich bedingen, keineswegs homolog (gleich­ wertig und gleichartig) zu sein brauchen. So entspricht der Kiemenkelch der Röhrenwürmer natürlich nicht den See­ lilienarmen usw. Selbst die äußerlich so an Muscheln erinnern­ den Schalenklappen der Brachiopoden (Tascheln) entsprechen nicht den Muschelschalen; denn diese bezeichnen links und rechts, jene aber Bauch und Rücken. Reptilien und Säugetiere sind bekanntlich keineswegs verwandt, und dennoch gibt es (aus­ gestorbene) Saurier, die sogenannten Theromorphen, die einen raubtierähnlichen Schädel mit Schneide-, Eck- und Backzähnen besitzen und auch sonst im Skelettbau weitgehende Ähnlichkeiten mit den Säugetieren zeigen, die auf jene triassischen Saurier gleichsam in neuer Auflage zurückgreifen, um eine alte Bau­ idee in einem neuen Stil zu verwirklichen (s. u.). Daß sich die Grundformen durch Kampf ums Dasein und Auslese des Tüchtigsten allmählich — durch Iusallsabänderungen — herangebildet haben könnten, ist ebenso unvorstellbar wie die einseitige Lehre von der aktiven Anpassung an die Amwelt. Mechanistisch können wir so manche Grundform auch als der Um­ welt gerecht erklären, aber damit reden wir nur von einer Selbstverständlichkeit, nämlich der harmonischen Einpassung aller Organisation in den Lebensraum (f. u.), nicht aber von einem Bildungsprinzip. Wir können auch mechanisch ver­ stehen, daß ein Spiralgehäuse unter Umständen für den Träger günstiger ist als eine Kuhhornschale (Möglichkeit der Gröhenzunahme bei relativ kleiner werdender Oberfläche, relative Erhöhung des Gaskammervolumens in einer Tintenfischschale und damit bessere Schwimmfähigkeit), daß ausgebildete Eck­ zähne für einen Fleischfresser von Vorteil sind, aber wer kann beweisen, daß sich das Tier nach neu angenommenen Ge­ wohnheiten seinen Körper formt oder daß hier die Selektion bei ganz unverwandten Gruppen im Schema(!) ganz über­ einstimmende Formen gezeitigt hat? Und wer will gar die Dreiecks-, Stern- und Mützenformen gewisser Algen oder Radiolarier anpassungsmäßig verstehen? Recht deutlich zeigen die Schmuckbildungen im Tier­ reich, deren Einzelmotive man wiederum durch ganze Reihen verfolgen kann (Kammuster bei Reptilien, Vögeln, Säugern,

Fischen; Halskragen bei Echsen, Kampfläufer, Paradiesvogel usw.) die innewohnende zwecklose Grundidee, die mit der Anpassung an den Lebensraum gar nichts zu tun hat. Biologisch gesehen*) sind diese Überbildungserscheinungen (Hypertelien) Ausdrücke besonders günstiger Energiebilanz im Stoffwechselhaushalt, weshalb man die auffälligsten Schmuckformen auch in den wärmeren Breiten findet. Es kann sich hier um enorme Haarbildungen handeln (Mähnen), Hornbildungen (Watussirind), Federbildungen (Schweife), ferner Lappen und Wam­ men. Mehr noch als die Warmblüter zeigen die Wechsel­ warmen solche Hypertelien (Helme mancher Echsen, Augen­ fortsätze beim Hornsrosch, Flügelsortsätze des Semiramisfalters, Chitinhörner und „Geweihe" der Zikaden, Käfer usw.) Bei diesen Äberschußbildungen, die eine Parallele zu starken Fett­ ansätzen, vermehrtem Wachstum und ungeheurer Vermehrung vieler Tiere darstellen, ist physiologisch der Aufbau- und Er­ haltungsvorgang im Geschäft des Energieumsatzes wichtiger als die erzielte Gestalt selber, aber trotzdem dürfen wir doch nicht verkennen, daß die überschüssige Kraft nicht ungesormt und stillos am Tierkörper zum Ausdruck kommt, sondern einen inneren Zusammenhang mit dem Gesamtbauplan verrät.. Überdies sind jene Gebilde meist auch „schön", können also vom ästhetischen Standpunkt aus ebenso beurteilt werden wie vom physiologischen. Stammesgeschichtlich mögen sie sich, wie Krieg hervorhebt, gewiß nur in der Richtung fehlenden selek­ tiven Widerstandes entwickeln, mit anderen Worten kann eine hypertele Schmuckbildung aber dann auch nur (weil sie eben freier schalten kann) der Verwirklichung ihrer eigenen Grund­ idee dienen! Freilich wird sie immer in gewissen Schranken gehalten werden; denn überschreitet die Lupusbildung das biologisch tragbare Maß und zugleich auch das heimliche Ge­ setz der Stilerfüllung (das Gesetz des guten Geschmacks in der Natur, möchte man fast sagen), dann können die Gebilde leicht einer negativen Auslese anheimfallen. Dies um so mehr, als eine Änderung der Bauidee bei der Trägheit der organischen Materie nicht sofort stattfinden kann, sondern erst allmählich auch im Sichtbaren jener neuen Idee gedient werden muß. x) Vgl. hierzu die sehr aufschlußreiche Arbeit Hans Kriegs, Luxusbildungen bei Tieren, Zool. Jahrb. 69, 4, 1937.

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Von dem Gesichtspunkt der harmonischen Einpassung in den Lebensraum und die Lebensweise aus betrachtet, lassen sich freilich die Bauformen leicht als Anpassungsformen auffassen. Wenn wir z. B. eine Scholle betrachten, so ist ihre Plattheit geradezu ein Schulbeispiel für die Anpassung an den Meeresgrund, ebenso wie ihre (zudem noch nach dem Unter-

Abb. 9. Die Wanderung der Augen bei der wachsenden Schotte. Oben Augensette, unten Bltndseite, auf der das Tier liegt. — Aus Weber, Btol. Unterrtchtswerk, 1936.

gründ wechselnde!) Farbe. Aber es gibt auch einen Fisch, der mit der Scholle gar nicht, mit den Haien dagegen wohl verwandt ist: den Rochen: dieser hat dieselbe platte Gestalt und liegt am Meeresgrund. Anpassungsformen — gewiß. Beiden liegt die „normale" Fischform als Urbild zugrunde, so daß die Plattfischform als anpassungs- (und damit zweck-) mäßige Ableitung vom Grundtyp erscheint. Aber — von einer anderen Ebene betrachtet — stellt ja gerade die Plattsischform selbst auch eine Grundidee*), einen Bauplan dar, und zwar ist das ganz besonders auch deshalb deutlich, weil es l) Als Vodenfische brauchten ja Scholle und Rochen gar nicht platt zu sein und ein Schema zu verkörpern; diese Plattfischgestalt ist eben ein auch rein „architektonisch" zu verstehender Typ und erklärt sich nicht zwangsweise — mechanisch als Anpassungsapparat!

sich hier um eine Vergewaltigung der Organisation, eben diesem Typ zuliebe, handelt. Morphologisch betrachtet ent­ sprechen sich nämlich Scholle und Rochen gar nicht. Was bei der ersten unten ist, ist in Wirklichkeit Seite, und die Augen liegen nicht oben am Kopf, sondern seitlich am Kopf, indem nur das eine an seiner Stelle verharrte, während das andere zu ihm auf die nach oben getragene Seite des Kopses wanderte (ein Vorgang, der sich entwicklungsgeschichtlich gut verfolgen läßt, denn die jungen Schollen sind noch ganz normal sischgestaltig l). Der Rochen wird gewissermaßen organisatorisch als ein Hai zu betrachten sein, der vom Rücken her gestaucht ist und weite Randslossen bildet, während sich die Scholle einfach umkippen läßt und ihre Augen auf einer Seite „versammelt". (Abb. 9, 9a).

Abb. Sa. Zum Vergleich mit Abb. 9

ein Zitterroche, bei dem die physiolo­ gische Oderseite auch der morphologi­ schen entspricht. Die Nochen gehören nicht wie die Scholle zu den Plattfischen, nicht einmal zu den Knochenfischen, sondern zu den Haiartigen. Beachte auch die beigegebenen Querschnitte! Aus Weber, 1936.

Querschnitt durch den Rumps

An diesem Beispiel sehen wir den Ningkampf zwischen zwei Bauplänen geradezu wunderbar: einmal das Fest­ halten an der urtümlichen Tropfen- oder Torpedoform des Fisches, andermal die gewaltsamen Umgestaltungen zu einem wohlausgebildeten Plattfischstil. Die Organe kommen der Tendenz vom Rormalsisch zum Plattfisch, nicht augenblicklich nach, genau so wenig wie sich die Farbe der Scholle urplötz­ lich verändert, wenn sie vom weißen Sandgrund aus braunfleckigen Felsgrund gerät. Daß es sich beim Vergleich der Form- und Farbenänderung um zeitliche Unterschiede ge­ waltigen Ausmaßes handelt (die Farbangleichung geschieht

in wenigen Stunden, der Vorgang der Plattfischwerdung läuft über ein ganzes Leben und darüber hinaus noch stammes­ geschichtlich über ungeheure Zeiträume hinweg), ist grundsätz­ lich nicht von Belang. So sehen wir, wie sich die Baupläne wandeln können, und wie sich diese Wandlung von einem anpassungsmäßig weniger eindeutig zu verstehenden Urbild zu einem scheinbar nur noch anpassungsmähig zu ver­ stehenden Bauplan vollzieht. Der Fisch „an sich", in seiner Abstraktion (vielleicht denken wir am besten an eine Schleie) ist eine Grundform, die nur dem Wasserleben „an sich" ange­ paßt und als solche natürlich ideal gestaltet ist. Darüber hinaus aber bewahrt der Fisch noch das Urbild des Wirbeltieres in seiner Abstraktion, mit allen Merkmalen dieses Stammes (Sym­ metrie, Skelett, Muskelmetamerie usw.). Dieses Urbild eines Wirbeltieres ist nicht anpassungsmäßig zu verstehen, es hat seinen Sinn schlechtweg in sich selbst l Nur eins muß mit aller Klarheit festgehalten werden: in dieser Uridee (die als solche niemals eine natürliche Verwirklichung erfahren hat, sondern genau so abstrakt ist wie eben der Begriff Wirbeltier selbst) schlummert alle Plastizität, die gesamte Entwicklungs­ möglichkeit (Potenz) einer ganzen Tierklasse. Mit dem Auf­ treten dieser Uridee sind zugleich die Plastizität und damit alle weiteren Baupläne gegeben *). Hier sind wir nun wieder auf ein Bauprinzip gestoßen, das in gleichsinniger Weise auch in der Baukunst verwirklicht ist. Als Beispiel die Entwicklung des gotischen Bausystems in Deutschland (in Anlehnung an Krannhals und Dehio). Eine bestimmte Grundidee enthält der Sakralbau der Ro­ manik. Im romanischen Stil konnte der Deutsche seine naturund erdverbundene Kernhastigkeit (Zeit eines kraftvollen x) Über Grundformen und Anpassungsformen findet sich ein großes Material bei Dacquö, Organische Morphologie und Paläontologie» Berlin 1935. — Die Anerkennung der Organisationstypen ist heute noch nicht allgemein, z. T. deshalb, weil die Grenzen zwischen Erundtyp und An­ passungstyp sehr verschwimmen können. Wir freuen uns, daß L. v. Bertalanfsy in seinem jüngst erschienenen Buch „Das Gefüge des Lebens", Leipzig und Berlin 1937, solche Grundbaupläne ohne weiteres anerkennt. Er sagt, wie leicht man aus einer gegebenen(l) Grundform andere Formen „konstruieren" kann, die ihre Entstehung lediglich ver­ änderten Wachstumsgeschwindigkeiten einzelner Teile aus Grund von

Kaisertums l) ausdrücken; er empfand die in sich ruhende Wucht des Steinmassivs als Symbol seiner Wesensart und gestaltete daher auch den romanischen Stil zu seinem eigenen um. Wie man weiß, folgte der Romanik die Gotik. Ihr wohnt eine ganz andere Idee, ein andrer Geist inne. An Stelle des Diesfettigen tritt das Jenseitige, an Stelle der Freude an der Wucht tritt die Vergeistigung des Materials. Richt mehr herrscht der nach unten abschließende romanische Bogen, sondern der Spitzbogen sucht sich seiner Erdenhaftigkeit zu entringen usw. Der Chor des Kölner Doms und das Straßburger Münster zeigen den gotischen Geist schematisch klar. Wie konnte sich nun aber aus der Romanik die Gotik entwickeln? Gewiß, die Gotik gleicht einer Gegensätzlichkeit der Romanik, aber sie ist deshalb nicht weniger deutsch. Sie betonte eben nur den anderen Wesenspol. Im Grunde genommen gehören Romanik und Gotik zusammen zu einer einzigen Architekturperiode, in der einmal (Romanik) die mechanische, konstruktive Phase, andermal (Gotik) die organische Phase betont wurde. Die Spannung beider Pole ergibt eine überhöhte Einheit. Die Grundidee, die sowohl der Gotik als auch der Romanik innewohnte, war so plastisch, daß aus ihr sowohl eine reine Romanik wie auch eine reine Gotik entstehen konnte. Die gotisch-romanische Architekturperiode stellt eine organische Ganzheit dar, in der bald mechanische Ausgliederung, bald Organisierung des rein Konstruktiven im Sinn eigenen schöpfe­ rischen Lebens vorherrschte. Gegenüber dem hellenischen Stil ist die große deutsche Architekturperiode ein abgeschlossenes Ganzes. Aber auch diese beiden Ganzen lassen sich wiederum quantitativen Genveränderungen verdanken, die eventuell durch dadurch bedingte Umstellungen in der Produktion innerer Sekrete vermittelt sind. Wir gedenken der Transformationstheorie D'Arcy Thompson» und der Eigenart des heterogenen Wachstums (z. B. Horn der Titanotheriengruppe bei größeren Vertretern unbedingt größer als bei kleineren) und können mit Vertalanffy zur Schlußfolgerung kommen: „daß ein bedeutender Teil der phylogenetischen Entwicklung, nämlich die ganze Fülle von Ge­ staltsänderungen innerhalb eines Organisationsplans, durch bloße quantitative Variation der Gene bedingt ist. Übrigens bleibt als freilich vollkommen unge­ klärtes Problem der Übergang von einem Organisationsplan zu einem anderen oder, wie wir auch sagen können, die Entstehung einer vollkommen neuen Genkonstitution."

als nur eine große Periode erkennen (f. o.), wo auch wieder mechanische und organische Betonung rhythmisch wechselten. So bekommen wir wie im Organismenreich ein System von Har­ monien (s. S. 94), das sich aus Einzelrhythmen zusammensetzt. Hier aber soll uns noch nicht die später zu behandelnde Erfüllung der Harmonie aus dem Puls des Lebens beschäftigen, sondern (das Beispiel von Gotik und Romanik festhaltend) der Übergang der einen in die andere Grundidee angehen. Wie entwickelte sich diese Gotik, wie kam es dazu, daß der neue Geist seine Form suchte? Gewiß ist, daß der gotische Bau­ stil nicht als ganzes System, als fertiges Ganzes nach Deutsch­ land eindrang; vielmehr wurden seine einzelnen Elemente — zuerst noch rein mechanisch konstruierend —, wobei man bestrebt war, dem romanischen Baustil eine Belebung zu ge­ währen — übernommen und für den noch ungotischen Zeitgeist einmal so, einmal anders verwendet. „Die Kreuz­ rippen werden ausgenommen, aber ohne weitgehende Konse­ quenz in Bezug aus Mauern und Pfeiler, überwiegend als Ausdruck formaler Bewegung; der Spitzbogen findet Eingang, aber ebenfalls am meisten um seines linearen Ausdruckswertes willen, während die Ausnutzung seiner Beziehung zum Grund­ riß (Ersatz des Quadrates durchs Oblongum) nicht in der Wil­ lensrichtung der Zeit liegt; Gratgewölbe und Rippengewölbe, Spitzbogen und Rundbogen werden unbekümmert gemischt, man freut sich an dem Reichtum der dabei entstehenden Ab­ schattierungen der formalen Erscheinung. Fast immer ab­ lehnend verhielt man sich gegen den offenen Strebebogen, da er in einer romanisch empfundenen Auhenarchitektur einen Miß­ ton bedeutet hätte" (Dehio, zit. nach Krannhals). — So kann man nun z. B. den Dom zu Worms als Übergang der romani­ schen in die gotische Idee betrachten, man kann wirklich ablesen, wie sich der Rundbogen in den Spitzbogen umwandelte, aber trotz der gotischen Bauelemente ist der genannte Dom eben doch seinem Geist nach noch mehr Romanik als Gotik. Diese brach erst im Kölner Dom z. B. rein hervor. Überall zeigt sich hier ein einheitlich nach auswärts gerichteter Lebensschwung. Sogar das äußere Strebwerk tritt aus sich selbst heraus und überhöht den Hochslug des Schiffes! Wand und Dach als konstruktive Notwendigkeit werden aufgelöst; das Material wird

eigenwillig geformt zum reinen Ausdruck subjektiven Kunstwollens. Endlich erfüllte sich die Sehnsucht des Germanen, nach oben zu schauen, die Weltenesche Pggdrasil war im Stein verlebendigt worden. Neben dem Drang in die Höhe aber war auch der Drang in die Ferne von jeher dem Germanen eingeboren (vgl. das germa­ nische Langhaus!, schließlich auch die Völkerwanderung), einmal betonte er das Horizontale, ein andermal das Vertikale—auch hier wird die Harmonie durch polare Spannung erzwungen. Es wäre kleinlich, aus den genannten Beispielen nun konkrete Vergleiche des Naturwollens mit dem Kunstwollen zu bringen; denn die Entwicklung der Saurier zu den Vögeln läßt sich eben nur symbolisch mit der Entwicklung der Romanik in die Gotik vergleichen, ohne daß man dabei wirkliche natur­ wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnt. Aber uns interessiert hier ja auch nicht irgendeine Einzelfrage, sondern nur die ganze Tendenz des Kunst- und Naturwollens! Und diese läßt sich nach dem Gesagten ohne weiteres als die gleiche erkennen. Nun zur Wiederholung folgende Grundsätze: Es lassen sich Grundideen erkennen. Diese kann man in Systeme von harmonischen Ganzheiten bringen. Jede Ganz­ heit ist eine aus polaren Spannungen erzwungene Aus­ geglichenheit. Uber das Material (das Konstruktive, Mecha­ nische) lassen ftcf> Übergänge der einzelnen, an sich ganzheitlich geschlossenen Ideen erkennen. Diese Übergänge erscheinen jedoch nur nach außen hin als solche. In ihrem ideellen Wesen sind sie eindeutig zu bestimmen (die Archäopteryx war trotz ihres Charakters als Übergang von Eidechsen zu Vögeln eben ein Vogel, wie das erste Auto trotz seines Kutschenaussehens ein Auto war und wie der Dom zu Worms trotz gotischer Bau­ elemente noch romanisch gedacht war). Die Grundidee kann nach Gebrauchsrücksichten abgewandelt werden, das Material verlangt zudem eine gewisse Beachtung. Das eigentlich Schöpfe­ rische in der Natur und der Kunst bedeuten die Grundpläne. Ihre Abwandlungen können sich einmal erschöpfen. Niemals entspringt aus einer differenzierten und erschöpften Form eine neue Idee, sondern diese muß immer wieder zurückgehen auf die geistig-seelische Grundhaltung der schöpferischenPersönlichkeit. An der Gleichsinnigkeit der Schöpfungstat erkennen wir den gleichen Urgeist in der Natur und im Menschen. Nicht nur

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in den Schöpfungen selbst drückt sich diese Gleichsinnigkeit aus, sondern auch in der Art der Harmonieerfüllung aus polaren Gegensätzen heraus. Die Kunst in ihrer Gesamtheit ent­ spricht der Natur in ihrer gesamten Gestaltung. Wie ist es aber nun dazu gekommen, daß der Mensch, der doch aus der Natur hervorgeht, der Natur durch sein gleichsinniges Schaffen gegenübertreten kann?WardieserAbstand immer schon vorhanden oder hat er sich allmählich herausgebildet, wie wir es bei den Zeitkünsten sahen, die im primitiven Arerlebnis der eigenen Körperlichkeit wurzeln und diese überhöhend erkannten? Daraus müssen wir antworten, daß auch die architekto­ nischen Arideen oder besser Grundverhältnisse im Erlebnis des eigenen Körpers wurzeln müssen. Vor allem sind es die Symmetrie und die Wölbung des Schädels, die Strebefunktion der Beine, die nach außen hin als Architektur primitiver Art bekundet werden können, jedoch nicht als bloße Projektion. Die ersten Menschenwohnungen—seien sie nun im Grund kreis­ förmig oder rechteckig gewesen — zeigten stets Symmetrie oder doch wenigstens einen harmonischen Aufbau, der freilich häufig der Zweckmäßigkeit bei der Materialverwendung ent­ sprechen mochte. Auch das Hünenbett läßt eine langrechteckige Grundform erkennen wie das germanische Langhaus. Die ursprünglichen Wohnungen können noch nicht gut als Kunst­ werke aufgefaßt werden. Sie verdanken ihre Entstehung schließlich dem natürlichen Bedürfnis nach Schutz — und daß sie eine Symmetrie zeigen, ist eben gerade das Kennzeichen von primitiv-natürlicher Art. Die jüngeren brvnzezeitlichen Häuser verraten durch ihren Borhof (den ja auch die Pfahl­ bauten besitzen) eine Ähnlichkeit mit dem antiken Wohnbau. Neben der rechteckigen Grundform als primitivem Symmetriesystem wirkt diese Absetzung vor dem eigentlichen Haus wie ein Bekunden von metamerer Rhythmik. Das Bestreben, ver­ schiedene Betätigungen und Lebensäuherungen auch durch den Raum, in dem sie geübt werden, als etwas Verschiedenes aus­ zudrücken, entspricht in gewisser Weise der Gliederung des Körpers in Kopf (= Geistessphäre) und Rumps (= ani­ malisch-vegetative Sphäre). Die „Kammerung" des Wohnbaus (und auch des Sakralbaus — Heiligstes, Allerheiligstes!) entspringt vielleicht einem Arerlebnis des eigenen Körpers.

Solange nun die Behausung als solche einer Zweckbestimmung dient, bedarf sie keiner künstlerischen Beurteilung. Erst wenn das Tor betont wird, wenn sich das Dach aus der für den Ablauf des Regens zweckmäßigen Form zu einem harmoni­ schen Abschluß des Bauwerkes nach oben wölbt, dann kann von einem Beginn der Ausdruckskunst gesprochen werden. Dem Bedürfnis, sich schützende Hütten zu errichten, wird in der Natur immer wieder gedient. Solange die Tiere nicht in Löchern oder Höhlen, die sie vorfinden, Unterschlupf suchen, sondern sich selbst Höhlen graben oder Nester errichten, stellen diese tierischen Bauten zweifellos eine Parallele zur mensch­ lichen Behausung dar. Es ist etwas Erstaunliches, wenn man bedenkt, daß ein Vogel zur Erledigung seines Brutgeschäftes oft so hochkomplizierte Bauten errichtet, es ist wunderbar, wie die Wespen bauen, welche verzwickten Verkehrswege die meterhohen, steinhartenTermitenbauten(Abb.lO) ausweisen, wie die Maulwürfe und Hamster ganze Gangsysteme mit Kammern und Räumen unter der Erde schaffen. Denn, ist dieses Bauen nicht ein überzweckmäßiges Aus-sich-herausgehen? Ge­ nügte der Beutelmeise nicht auch das Nest, wie es die Schwanz­ meise oder ein anderer Vogel baut? Warum kommt die Termite nicht mit einer Erdwohnung aus, sondern baut sich zement­ harte Burgen? Warum verwendet der eine Vogel Baum­ stämme zum Anbohren, der andere Mauer- oder Felsnischen zum Erbrüten der Jungen? Warum ist überhaupt eine solche Mannigfaltigkeit der Bauweisen im Tierreich vorhanden? Das sind nun äußerst schwierige Probleme. Und man wird ihnen am allerwenigsten gerecht, wenn man — wie meist — sagt: das sind eben Instinkte, die sich allmählich aus der Er­ fahrung herausgebildet und erhärtet haben, die — vielleicht durch Auslesearbeit — schließlich die günstigste und zweck­ mäßigste Bausorm konstruieren ließ. Wir brauchen heute nicht mehr zu erklären, daß es ausgeschlossen ist, daß die Insekten z. B. ihre kunstvollen Bauwerke aus Erfahrung herleiten können; denn jeder Tierpsychologe muß ein solches Hirngespinst ablehnen. Außerdem sind ja gerade die geschlechtslosen Tiere als Arbeiter tätig. Der Vogel — auch er muß bei Erwachen des Vruttriebes bauen und baut nur so, wie es ihm erblich mitgegeben ist. Ein Webervögel wird nie ein einfaches Nest

3lbb. 10. Xcrmitciibau.

2lbb. 10n. Tmnitcnbau im Längsschnitt, um das verwickelte changsrgtem zu zeigen. — Pbot. O. Haeckel.

bauen, eine Amsel nie die Kunst des Webervogels erreichen. Das Bauen wird nicht gelernt — es ist eben von Natur aus da! — Und dieser Trieb, so und nicht anders zu bauen, dieses Muß, ist wahrhaft bewunderungswürdig. Ist es nun nicht nur eine methodische Frage, ob der Trieb den Bau diktiert oder ob Überlegung*), Geist und Seele die Form eines Werkes außerhalb der eigenen Körperlichkeit bedingen? Auf die Frage, wie es zu einer solchen mannigfaltigen Baukunst im Tierreich gekommen ist, kann der Naturforscher einfach nicht antworten. Und Versuche, die Zuchtwahl und Auslese oder die aktive An­ passung an den Lebensraum hier hauptbedingend geltend zu machen, sind Verhöhnungen der bewegten Weite des Lebens. Lassen sich die Bauten aus der Körperlichkeit des Organis­ mus selbst verstehen? Sind es vielleicht nur zusätzliche Organe oder Körperbedeckungen? Wenn ein Wechseltierchen, die Disflugia, sich aus Kieseltrümmerchen ein Gehäuse baut, dessen Form weitgehend rein mechanisch bestimmt wird, so ist das natürlich nichts viel anderes als eine zweite Haut. Auch alle anderen einfach ausgeschiedenen Gehäuse mögen noch ver­ ständlich sein. Schwerer versteht man den Zusammenhang zwischen den Spinnen und ihrem Netz, aber er ist da. Hans Peters^) beschreibt neuerdings die Entsprechungen zwischen dem Körper und dem Netz der Kreuzspinne. Je größer die Spinne, desto kleiner ist das Netz und desto weniger Speichenfäden hat es. Es bestehen ferner Entsprechungen zwischen der Lage des Körpermittelpunktes und der Lage der Nabe im Netz; sowie dem Winkel zwischen den Beinen und dem Winkel zwischen den Speichenfäden! Die Amputation eines Beinpaares ergab eine Vermehrung der Netzspeichen in der unteren Hälfte und eine Verminderung in der oberen. So hat die Spinne die Mathematik ihres Körpers gewisser­ maßen nach außen projiziert. Wenn aber nun ein Tier mit Schnabel und Zehen, mit Zähnen oder Mandibeln, mit Krallen oder Chitinborsten sich eine Behausung baut, die aber auch wirklich keine Ähnlichkeit mit der eigenen Körperform besitzen *) Man denke an die Art, wie Termiten von verschiedenen Ausgangs­ punkten und „Arbeitsstellen" aus eine mathematisch „richtige" Mauer bauen, ohne daß ein „Vorarbeiter" das Ganze überschauen könnte (vgl. Bölsche, Der Termitenstaat, Kosmosbändchen). 2) Zeitschrift f. Morph, u. Oek. d. Tiere 32. — 1937.

muß, dann kann es sich doch nur um eine Manifestation eines schöpferischen Willens in der Natur selbst handeln! Gewiß, auch diese Schöpferidee tritt nirgends zweckhemmend auf, im Gegenteil, sie paßt sich weitgehend den Lebensbedürf­ nissen der Art an. Aber warum gibt es deshalb eine derartige Mannigfaltigkeit? Wie kommt der Flamingo dazu, einen Schlammsockel zu bauen? Vielleicht deswegen, weil seine Eier, die bei Überflutungen immer weggespült wurden, so sicherer liegen. Dann müßte also doch einmal ein Flamingo rein spielerisch aus den Gedanken gekommen sein, seine Eier erhöht anzulegen, ein Vorgehen, dem dann alle Flamingos gefolgt sind oder das erbliche Reaktion wurde. Und nun auf einmal blieben die Eier vor der Flut geschützt. Aus­ lese, Kampf ums Dasein — alles denkbar; aber warum soll nun gerade der Flamingo auf die Schlammburg gekommen sein, warum läßt er sich erstens nicht wie die Seeschwalben die Eier ruhig wegschwemmen oder warum verzieht er sich da nicht weiter weg vom Wasser? Das wäre doch viel einfacher! Nein, derartige Erklärungen sind lächerlich! Mit ihnen läßt sich niemals der Prachtbau einer Beutelmeise erklären, die wundervolle Konstruktion des Wespennestes, die raffiniert an­ gelegte Burg eines Dachses. Und dann ist es ja immer der Spieltrieb, die Variation in den Lebensäußerungen, die die Auslesetheorie voraussehen muß. Diese Variation aber läßt sich eben nicht rein mechanistisch erklären; sie ist lediglich ein Zeichen dafür, daß sich eine höhere Idee langsam zur Verwirk­ lichung anmeldet. Langsam, weil auch die geistigen Funktionen eines Tieres an den Körper und seine Trägheit gebunden sind. Wir schenken uns, glaubhaft zu machen, daß sich ein Beutel­ meisennest nicht ohne Leitung durch ein höheres Prinzip „aus sich heraus" aus einfachen Nestformen entwickelt haben kann. Wer nur halbwegs die Augen offen hält und das Hirn von Dogmen quälender Art befreit, der sieht die Dinge ganz klar: Das Wollen, das im Menschen frei zur Geltung kommt, herrscht auch in der Natur. Dort aber ist es gebunden an die Stofflichkeit des Chromosoms. Schönheit fund das heißt Harmonie mit dem natürlichen Gesetz) als Produkt einer gött­ lichen Phantasie kommt überall in der Natur zum Ausdruck. Auch die Persönlichkeit sucht willenhaft-dynamisch nach dem

Ausdruck ihrer Seele — und was sie ausdrückt, ist letzten Endes nichts anderes als das, was in der Natur herrscht. Wie nun die Zeitkünste, besonders Musik und Tanz, sich aus natürlichen Formen entwickelten und nach immerwährender Steigerung wieder in die Mannigfaltigkeit einmündeten, die auch die natürlichen Stimmäußerungen kennzeichnet, so fußt das architektonische Können im Menschen auch aus seinen natür­ lichen Veranlagungen, die er bis zu dem urschöpferischen, die ganze Natur belebenden Plan zu steigern vermochte. Als Naturwesen besitzt der Mensch nur geringe, ja die geringste triebhaft, instinktiv mitgegebene Bausertigkeit. Jede Ameise übertrifft ihn darin bei weitem. Doch was den Tieren als Instinkt in die Wiege gegeben ist, erwirbt sich der Mensch kraft seines Geistes und der Freiheit seiner Seele. Als höheres Tier, nur als Glied der Natur betrachtet, erscheint der Mensch in Bau und Lebensäußerung primitiv. Erkennt man aber sein Schöpfertum als dem gleichwertig an, das in der Natur im ganzen gewaltet hat und noch waltet, so erscheint der Mensch als erfüllender Gegensatz zur Natur. Der Mensch ist keineswegs nur eine Steigerung der Natur, der höchste Menschenaffe, sondern er ist das Gefäß, in das der Wille der Natur wieder einläuft und aus dem er wieder schöp­ ferisch entlassen werden kann. Das schöpferische, gestaltende Prinzip der Natur, das sich durch alle Lebensformen bis hin zum Menschen zieht und in ihm Offenbarung findet, ist an sich zeitlos — ein ewiger Strom. Jede Schöpfung (in der Natur sowohl als auch in der Kunst) gleicht einem Verzeitlichen des Zeitlosen, gleicht einem Hineinziehen des metaphysischen Werdestromes in die zeitliche Begrenztheit eines Grundplans oder eines Willens. Das Werden der Zeit wird schon irrt Atomsystem durch die Elektronen veranschaulicht. Jeder Bauplan der Natur aber gründet sich wieder aus die Zeitlinien der Urenergie im Atom. Damit ist aber zugleich ein jeder Körper auch eine Sichtbarmachung von Zeitlinien und — Mathematik. Mathematik liegt den Raum­ künsten zugrunde ebenso wie der Ornamentik, denn beide brauchen die Linie. Und schließlich ist auch die Musik, wenn man nur ihren formalen Charakter betrachtet, Mathematik — aber nicht gewordene, sondern werdende. Die Themen ersetzen sich,

Klangfolgen lösen die vorhergehenden auf und entschwinden selbst wieder. In der Architektur bestehen alle „Töne" neben­ einander zu gleicher Zeit. Wir sahen, daß die menschliche Kunst in der Musik wieder zu den Uranfängen der Schöpfung selbst zurück­ führt (Bach) und so gewissermaßen den Ausgangszustand alles Werdens, eben das ewige Sein, berührt; wir sahen ferner, daß die Architektur die Verkörperung der Musik im Räumlichen ist. So erscheinen uns auch die Naturgebilde als sichtbar und zeiträumlich gewordene Manifestationen einer schöpferischen Urmelodie. Die Musik ist in den räumlichen Gebilden der Natur und der Kunst gleichermaßen erstarrt. Aber wir wissen wiederum, daß es auch Tiere gibt, die ihre eingeborene Schöpfungsdynamik tönend vorweisen. In der „Stimme der Land­ schaft" untersuchten wir vor allem den Gesang der Vögel und die Stimmäußerungen anderer Art. Wir erkannten da, daß die Kennruse oder Daseinssignale wie an den Körper gebundene Ornamente wirken, ja daß sie den Körper eigentlich nur (zweidimensional, wenn man so sagen darf) unterstreichen. Jeder Vogel hatte einen seiner Körperlichkeit irgendwie ent­ sprechenden Ruf (ähnliche Arten mit ähnlichen Rufen 1), so daß der Kennrus nichts anderes als irgendein körperliches Merkmal war. Nun aber ist der Gesang der Vögel nicht allein als Ornament, als Betonung der reinen Körperlichkeit zu verstehen; denn ähn­ liche Arten haben oft ganz verschiedene Gesänge. Lediglich ein System beherrscht den musikalischen Ausdruck der Vögel: die Harmonie der Landschaft zu erfüllen. Während nun also der Vogel in seinem Artkennruf nur sich bzw. seine Art und eben seinen Bau hörbar betont (ornamental ausschmückt), so über­ höht er in der gesanglichen Äußerung seine Körperlichkeit, in­ dem er ihr gewissermaßen etwas Dreidimensionales gegen­ überstellt. Daß hierbei der Vogel als einzelner nur Werkzeug einer Schöpferidee ist, spielt keine Rolle. Genau so wie aber nun ein Tier durch ein Muster (das wie auch der Lockruf sehr wohl einen Zweck haben kann) seine Körperlichkeit ornamental betont, so setzt das bauende Tier, der nesterflechtende Vogel z. B., seiner eigenen Körperlichkeit ein Gegenstück zur Seite. Das Schöpferische in ihm (wenn auch triebhast-stofslich ge­ kettet) entlädt sich. So ist das Nest eines Vogels nichts anderes als sein Gesang, nur eben nicht eine Entladung

der seelisch geistigen Struktur im Zeitlichen, Fliehenden, son­ dern im Räumlichen, Beharrenden. Nestbau und Gesang gründen sich beide physiologisch auf denselben Trieb: den Ge­ schlechtstrieb. Der organische Gipfelpunkt des Lebens bewirkt Meisterschaft^! Und es ist gewiß kein Zufall, daß die schöpfe­ rische Betätigung des Tieres eng mit der Fortpflanzung ver­ knüpft erscheint. Wie nun der Gesang sich im wesentlichen nicht nach verwandtschaftlichen Gesichtspunkten richtet, so tut das auch das Nest nicht. Ganz nah verwandte Vögel können — je nach der Landschaft, die sie bewohnen — Höhlenbrüter oder Baukünstler sein, gewölbte, überdachte oder einfache Wiegen­ nester bauen usw. Im Vogelreich ist der Bau also Gegenstück zum Gesang. Genau so ists in der Kunst, wo sich Architektur und Musik ent­ sprechen. Nur sucht der Mensch frei und w i l l e n h a f t, nicht gebun­ den und triebmähig nach Entladung seiner innewohnenden Ener­ gie, die sich schon in jedem Atomsystem in ihm kündet^). Überblicken wir kurz noch einmal die ganze Sachlage, dann müssen wir feststellen, daß zunächst jedem Schöpfertum die Darstellung im Raum sowohl wie in der Zeit zur Verfügung steht. Beides ist in der Natur und in der Kunst verwirklicht. In der Natur ergeben sich — im ganzen betrachtet — dieselben Formen und Äußerungen wie in der Kultur, so daß also der Mensch der Natur gegenübersteht und sie aber auch insofern erfüllt, als der schöpferische Lebensstrom in ihm wieder frei wird. — Nun schafft natürlich nicht der Mensch das praktisch Gleiche wie die Natur, sondern nur im gleichen Sinn. Das aber beweist die Einheit des göttlichen und menschlichen Schöp­ fertums, das beweist sowohl die natürliche Entstehung des Men­ schen als Nachkommen tierischer Ahnen als auch seine Selbstän­ digkeit der ganzen Natur gegenüber. *) Der noch nicht geschlechtsreife Vogel baut und singt stümperhafter. 2) Vielleicht hat LH. Eug. Guye in seiner neulich erschienenen Arbeit (Les frontiferes de la physique et de la biologie, Arch. Sei. Phys. 18, 1936) gar nicht so unrecht, wenn er (vom rein Stofflichen ausgehend) eine Molekular­ theorie des Lebens erwägt, weil er durch Wahrscheinlichkeitsberechnungen am Modell gefunden hat, daß die asymmetrischen Moleküle in der anorganischen Welt gar nicht auftreten können, sondern nur für die lebende Materie be­ zeichnend sind, woraus sich dann die materielle Grundlage der individuellen Verschiedenheit des Lebewesens usw. herleiten ließe.

3. Der Plan in der Schöpfung. Zweck oder „erhabene Zwecklosigkeit?" „Zweck sein selbst ist jegliches Tier, vollkommen entspringt es Aus dem Schoß der Natur und zeuget vollkommene Kinder. Alle Glieder bilden sich aus nach ewigen Gesehen Und die seltenste Form bewahrt im Geheimen das Urbild." Goethe.

Es liegt tief im menschlichen Denken verwurzelt, hinter jeder Erscheinung der belebten Natur einen Zweck zu suchen. Wenn es da Hirsche mit Geweihen, Rinder mit Hörnern, Käser mit Chitinzapfen oder Vögel mit Schleppschwänzen gibt, fragt man ebenso nach dem Zweck jener Bildungen wie bei den Saugnäpfen der Kraken, den Beinen der Pferde und Fühlern der Insekten, die doch offensichtlich lebenswichtige Funktionen ausüben, die entweder im „Dienst" der Fortbewegung oder der Ernährung, vielleicht auch der Fortpflanzung usw. stehen. Für viele Naturforscher kommt es einer Beleidigung gleich, wollte man für so mancherlei Organe den Zweck leugnen; denn sie sagen sich in einer gewissen, aber zweifellos unangebrachten Bescheidenheit, daß in der Natur kein Luxus getrieben wird, sondern daß alles und jedes auch seinen „Sinn" und „Zweck" erfüllen müsse. Diese Einstellung — so lobenswert sie auch sein mag — verschleiert aber einen sehr wesentlichen Gesichts­ punkt: kann man denn das ganze Tier bis auf seinen Bauplan hinab als zweckmäßig ansehen? Würde das nicht bedeuten, daß der Körper eine zweckmäßige Maschine ist? In der Tat sehen wir uns hier vor Fragen gestellt, die die Gemüter der Fachwelt schon lange beschäftigten, ohne eigent­ lich eine eindeutige Klärung gesunden zu haben. Immerhin herrscht fast allgemein die Meinung, daß der Körper (das Soma) sich der Amwelt anzupassen hat, „um" den Fortbestand der Art sicherzustellen. Hiernach wäre also der Sinn des Lebens,

dieses zu erhalten, die Keimzellen erscheinen als das einzig Dauerhafte. Der Körper erfüllt seinen Zweck, wenn er die potentielle Unsterblichkeit der Keimzellen erhält. Warum haben sich nun aber im Laus der Stammesgeschichte so verschiedene Formen herausgebildet? Darauf kann die Antwort wohl nur lauten, daß der Lebensraum infolge des Vermehrungsdranges der Tiere eben nach den verschiedensten Richtungen hin aus­ genützt werden mußte, so daß es tatsächlich fast in jeder Ord­ nung Wassertiere, Höhlenbewohner, Parasiten und auch Land­ tiere gibt. Doch damit ist die Frage nach dem Sinn der ver­ schiedenen Klassen und Ordnungen eigentlich noch lange nicht geklärt; denn wenn schon innerhalb der Reptilien Formen geschaffen wurden, die sozusagen Vögel und Säugetiere, die nach ihnen entstanden, in der Ausnützung des Lebensraumes ersetzten, so hätte es doch genügt, wenn unter den Wirbeltieren lediglich Fische und Reptilien da wären. And wenn nun schon Säugetiere zur Ausnützung des Lebensraums entstehen sollten, so wäre es wiederum ziemlich überflüssig, nicht alle Säugetiere Beuteltiere sein zu lassen, denn die Marder, Ratten, Wiederkäuer, die Wölfe, Dachse, Maulwürfe usw. sind ja auch in den Beuteltieren bereits verwirklicht gewesen. Kurz und gut: die Mannigfaltigkeit der Anpassungssormen läßt sich wohl erklären (gleichsinniges Reagieren des „Keimplasmas" auf die gleiche Amwelt bei der Forderung der Ausnützung des Lebensraums), nicht aber die Tatsache, daß es neben den Beutelwölfen auch Wölfe gibt und neben den Ichthyosauriern Delphine und Thunfische. Der unvoreingenommene Biologe erkennt hier zwei wichtige Anterschiede: Urbauplan (organisch) und AusbauplanH (mechanisch). Der erstere trägt den Stempel eines Erdzeitalters, der letztere ist — im großen — zeitlich ungebunden. Rach dieser Anterscheidung wird die Zwecklosigkeit der Arform, die nur dem Zeitstil (vgl. Dacques Begriff „Zeitx) Am Verwechslungen vorzubeugen: das soll nicht dasselbe sein wie Genotypus und Phänotypus, faktoriell nnd modifikatorisch, sondern eine Einteilung, die über diesen Anterschieden steht. Ein Rehgehörn kann faktoriell (erbmäßig) schlecht sein und auch modifikatorisch (schlechte Äsung) noch ver­ ändert sein und gehört doch zum Arbauplan wie eine melanistische Färbung zum Ausbauplan gehören kann und ebenfalls faktoriell und modifikatorisch bedingt sein darf.

signatur"!) unterliegt, schon deutlicher. Ganz klar wird sie, wenn wir uns die ungeheure Vielfalt der Radiolarien- und Foraminiferenschalen ansehen, wenn wir dreieckige, scheibenund kugelförmige Diatomeen betrachten oder erkennen, daß die Blätter am Stengel in ganz bestimmten Rhythmen ange­ ordnet sind, die mathematisch faßbar, anpassungsbiologisch aber durchaus nicht zu verstehen sind (denn um eine gleichmäßige Besonnung aller Blätter durchzuführen, bedürfte es nicht voll­ kommen gesetzmäßiger und durchaus verschiedener Anord­ nungen!). Der Mannigfaltigkeit der Formen entspricht nicht dieselbe Mannigfaltigkeit der Umweltsbedingungen. Die inne­ ren baugesehlichen Entsprechungen (Blütenzyklus und Blatt­ nervatur, Sproßverzweigung und Blattverzweigung, Blüte und Blattmetamorphose^) usw.) lassen sich nicht aus Umwelt­ verhältnissen erklären. Wir werden im Laufe unserer Betrach­ tungen noch auf die „erhabene Zwecklosigkeit" (Schopenhauer) der Grundform zurückkommen^) und wollen uns nunmehr gleich zu dem schwierigen Kapitel wenden, das die eigent­ lichen Anpassungserscheinungen behandelt. Die Tatsache, daß es sog. Konvergenzen gibt (Beutel­ tiere mit ihren Stellvertretern (vgl. Abb. 11) unter den Monodelphieren, wie alle Nichtbeuteltiere genannt werden; ferner Fisch — Delphin — Pinguin; Pterodactylus (ein Saurier) — Fledermaus und vieles andere erhellt uns den tieferen Sinn der „Ausnützung des Lebensraums". Kündet sich doch hier die harmonische Erfüllung einer Ganzheit! Wir wissen, daß die Erde nicht von Ansang an alle die Arten und Stämme auswies, die heute das Meer und die Kontinente bevölkern, sondern daß bei­ spielsweise im Silur allein Fische die Wirbeltiere vertraten und daß in der Trias die Reptilien das Feld beherrschten, während die Säugetiere und Vögel erst viel später eine Rolle zu spielen begannen. Denken wir uns doch mal eine Landschaft, in der es noch keine Vögel gab, die im Geäst flatterten, wo noch keine *) Vgl. hierzu auch Müller (Fußnote 2) sowie Grohmann, Meta­ morphose der Pflanzen. 8) Dgl. hierzu auch Armin Müller, Die Überwindung des Utilitarismus in der Biologie der Gegenwart, in Andrö, Müller, Dacque, Deutsche Natur­ anschauung als Deutung des Lebendigen, Oldenbourg, München und Berlin

1935.

Delphine im Meere spielten, wo aus dem festen Land aber nur Reptilien lebten, wie wir sie heute noch kennen: durchwegs kleine Gesellen, die außer in den Tropen überhaupt keinen nennenswerten Bestandteil im Aufbau der belebten Landschaft

Add. 11. Tiere mit verschiedenem Grundbauplan aus einander ganz fernestehenden Verwandt­ schaftsgruppen können sich äutzerlich dennoch zum Verwechseln ähnlich werden, weil ihnen die gleiche Aufgabe tm Ledensraum gestellt ist. — A afrikanischer Goldmull, ein Maulwurf (aus Brehm 1924), B australischer Beutelmull, ein Beuteltier (aus Heck-Matschie 1906).

bildeten: das wäre eine ökonomische Unmöglichkeit! Als das Triasmeer aber noch — von Menschen ungehört — an das Gestade brandete, lebte unter den Reptilien eine Fülle von Formen! Raubtiere, Kolosse von erschreckendem Ausmaß, fliegende Saurier, kurz und gut: jene Mannigfaltigkeit der Lebensgemeinschaft, die wir heute dank der Säuger und Vögel haben, war auch damals schon — wenn auch in einem anderen Zeitstil — vorhanden. Und es ist nun kaum verwunderlich, daß all diese grotesken Saurier und abenteuerlichen Flug­ drachen ausstarben, als die Säugetiere und Vögel den Lebens­ raum besiedelten; denn es wären ja „die Rollen" doppelt be-

setzt gewesen, wenn die Saurier nicht gewichen wären! Daß diese Doppelbesetzung aber nicht eintrat, deutet auf ein harmo­ nisches Gleichgewichtssystem hin, das sozusagen in Gedanken die Erfüllung des Lebensraums dirigierte. Es gab niemals empfindliche Lücken in der belebten Landschaft! Stets war da: die Harmonie! Diese zu erfüllen, schickten sich an die Saurier, die Säugetiere — nach demselben Gesetz, nach den gleichen, man möchte fast sagen „bewährten" Prinzipien! Und wie es im großen war und ist, so auch im kleinen, wenn wir an die Beuteltiere denken, die — als uralte Gruppe — nur noch in Australien und Südamerika leben, während sie in anderen Erdteilen durch „modernere" Formen ersetzt sind, die nach dem Bauplan der Monodelphier (Einscheidigen) „konstruiert" sind. Und weiter noch: Innerhalb der Raubtiere versuchen es ge­ wisse Formen, den Lebensraum der See zu gewinnen, andere räubern auf dem Land in außerordentlich verschiedener Weise. Und bei den Insektenfressern gibt es fliegende, grabende, flinke und träge Arten, denen man das „Bestreben", die „Welt für sich allein zu erobern" geradezu anzusehen meint. Wird hier nun das ökonomische Gleichgewicht der Natur erfüllt, so mag man in den Anpassungsformen, die den Lebens­ raum zu erfüllen streben, eine Zweckdienlichkeit erkennen. Aber dieser Zweck liegt nicht innerhalb der einzelnen Formen selbst beschlossen (sie können sich also auch nicht darnach entwickeln!), sondern in einer höheren Sinnersüllung, die bereits ein „Urphänomen" kündet. Nun bekommt aber auch der „zweckmäßig angepaßte" Körper in sich einen Sinn und ist kein von Außen­ faktoren beeindruckter und von Auslese geschobener Mechanis­ mus, sondern steht selbständig da und entspricht in diesem Sinne ebenfalls einem Grundbauplan. Nicht ist es der Kampf ums Dasein, der zwangsläufig die für die Lebenstauglichkeit einzig entsprechende Form durch mehr oder weniger zufallsdiktierte Zuchtwahl schafft, sondern es ist der Plan der ganzheitlichen Erfüllung, der sich nur des Kampfes ums Dasein und der da­ durch erwirkten Auslese hie und da bedient. Das ist ein wesent­ licher Anterschied! Der Kamps ums Dasein und die Selektion erklären nämlich keineswegs die zielgerichtete Entwicklung der Lebewesen bis hinaus zum Menschen und setzen eine an sich beliebige, blinde Bildungsweise voraus, bei der die Formen im

Lebenskampf so zurechtgeschlisfen werden, daß sich eben eine zweckdienliche Anpassung an den gesamten Lebensraum ergibt. Die Ähnlichkeit der Beuteltiere und Monodelphier, die Kon­ vergenzen zwischen Sauriern und höheren Wirbeltieren wären demnach nur durch zufällig gleichsinnige Auslese der Formen zu erklären, eine Ansicht, die der Gesetzlichkeit in der Natur spottet. Es ist jedoch müßig, über die Bedeutung der Zuchtwahl, die wir als ein Mittel der Planverwirklichung natürlich keines­ falls leugnen, zu streiten, weil die heutige Biologie gerade für die Anpassungserscheinungen mehr und mehr lamarckistische Gedankengänge verfolgt. Freilich ist der Lamarckismus in seiner ursprünglichen Form abgetan und niemand wird den Gebrauch und Nichtgebrauch der Glieder als einen wesentlichen Faktor der Entwicklungsgeschichte ansehen oder glauben, daß der Wille die Tiere sich an die Umgebung anpassen läßt. Wenn nun von seiten der Genetiker die Vererbung erworbener Eigen­ schaften, die doch die Erundforderung lamarckistischer Denk­ weise ist, bezweifelt wird, so sicht das doch einen großen Teil der modernen Biologen ,die sich mit der blinden oder auch ge­ richteten Mutation (Orthogenese) und der Auslesetheorie nicht zufrieden geben wollen, nicht an, die direkte Beeinflussung der Umwelt auf die Lebewesen und die sich in der Erbmasse ver­ festigende Umweltsprägung zu fordern. Es ist in der Tat schwer, die Pigmentlosigkeit der Höhlentiere (Olm, Krebse usw.) durch darwinistische Gedankengänge zu erklären; viel leichter ist es doch einzusehen, daß sich das Licht — was ja experimentell jederzeit bewiesen werden kann — die Pigmentierung sozu­ sagen aus dem Organismus „herausholt" und daß diese ver­ schwinden muß, wenn die Lichtquelle fehlt. Eine Scholle „braucht" aus ihrer Unterseite kein Pigment, ist also dort weiß. Wird sie aber von unten her belichtet, dann stellt sich die Farbe ein! Gerade die Scholle bildet neben der Garnele ein sehr aufschlußreiches Verhalten: sie färbt sich je nach dem Unter­ grund, aus dem sie sich befindet, dunkel, hell, grau oder gelb­ lich, bedeckt sich mit einem „Sand- oder Eeröllzeichnungsmuster" usw., ja ist schließlich nichts anderes in ihrer äußeren Erscheinung, als eine Buntphotographie der Umgebung. Dieser von Vosseler stammende Vergleich wird dadurch noch berechtigter, als ja die Farbanpassung nur auf dem Wege

über die Augen und Nerven vor sich geht; denn schneiden wir die reizleitenden Nerven weg oder blenden wir den Fisch, so fällt die Anpassungserscheinung aus. Blinde Fische werden (es spielen hier Hormonvorgänge eine Rolle!) schwarz, als ob sie sich in einer finsteren Umgebung befänden! Wenn nun aber diese momentane Farbangleichung, die wir ja auch vom Cha­ mäleon oder schon vom Laubfrosch her kennen, physiologisch zu erklären, wenn auch noch nicht zu verstehen ist, so beweist der Tintenfisch, daß die Beleuchtung der Umgebung sich auf den Körper auch in anderer Weise auswirken kann. Dieses Tier zeigt nämlich immer die komplementäre Farbe zur Beleuch­ tung auf seiner Haut und rückt daher von dem Problem der Farbangleichung ab. Doch alle diese Dinge verführen dazu, die dauernden Färb- und vielleicht auch Körperanpassungen (Stabheuschrecken, Spannerraupen!) als ein Produkt der direkten Umweltprägung (auf dem Weg über die Sinnes­ organe und Nerven) anzunehmen, denn der wechselvolle Zu­ stand kann doch in einen beharrenden übergehen. Die Wüsten­ tiere haben ja z. B. samt und sonders eine „wüstenfarbige" Haut oder Chitinhülle, die schneebewohnenden Formen sind weiß (Polarfuchs, Eisbär, Schneehase, Hermelin im Winter usw.). Auf Ceylon gibt es, wie Haeckel bemerkte, vorwiegend grüne Tiere und an anderen tropischen Plätzen herrschen blaue, rote oder andere „Uniformen" vor*). Die Fische der Meeres­ oberfläche glitzern, die des Bodens sind stein- oder sandfarbig und die Tiefseefische sind in nachtdunkles Violett oder Schwarz gehüllt. Und die Gestalten? Auch sie haben ganz bestimmte Beziehungen zur Umwelt. Vergleichen wir einen Wüstenfuchs mit einem deutschen Fuchs und Polarfuchs, so fallen uns bei letzterem die kurzen Ohren und beim ersteren die Größe des Körpers auf, während der Wüstenfuchs klein ist und sehr lange Ohren besitzt. Beim kälteangepaßten Tier muß die wärmeabgebende Oberfläche natürlich stark verkleinert werden, was einmal durch zunehmende Größe (je größer der Rauminhalt, desto kleiner relativ die Oberfläche!) und dann durch die kleineren Ohren erfüllt wird, während es beim wärmeliebenden Wüsten­ fuchs gerade umgekehrt sein muß, der eine möglichst große, verNach H. Wohlbold, Die sogenannte Schutzfärbung, „Kosmos" 1936, S. 332.

dunstende Oberfläche vorteilhafter ausbilden wird. Aber auch innerhalb einer Art zeigen die Raffen (die geographisch getrennt sind und insgesamt die Art oder Spezies bilden) wieder das­ selbe Prinzip: im Norden größere- weißere Füchse, im Süden kleinere, dunklere! Dies ist eine Regel, die für alle warm­ blütigen Tiere gilt und wir brauchen uns von einem Ornitho­ logen nur einmal eine vollständige Rassenreihe vom Raub-

Abb. 12. Kleiner Buntspecht in drei verschiedenen geographischen Rassen, die von Süden nach Norden (Wärme — Kälte) immer Heller werden. Das Eumelanin (schwarzes Pigment) ist bei dem Vogel aus der Herzegowina (links) noch genau so verteilt wie beim sächsischen Brut­ vogel (Mitte), erfährt aber in extremen Kältegegenden (Kamtschatka — rechts) eine deutliche Einschränkung der Verbreitung. Das punktiert dargestellte Phäomelanin, welches beim Vogel eine gelbbräunliche Farbe hervorruft, verschwindet allmählich von Süden nach Norden (links — rechts). — Aus Frieling, Das Federkleid, 1936.

Würger, von der Weidenmeise oder der Rohrammer usw., von Südwest nach Nordost geordnet, vorlegen zu lassen, um selbst beurteilen zu können, daß sich im Südwesten die kleineren, dunklen, im Nvrdosten die größeren, hellen Formen finden. Diese Dinge durch Auslese erklären zu wollen, indem nur die weißeren, schneeangepahten Formen im Norden Lebens­ aussichten hatten usw., wäre engstirnig, selbst wenn die Auslese überall eingreifen mag. Denn wie ließe es sich erklären, daß die waldbewohnenden Buntspechte (Abb. 12) in Mitteldeutschland schon dunkler sind als in Ostpreußen, Gebiete, wo die Schneever­ hältnisse doch noch nicht so gewaltig verschieden sind, daß sich die weißeren Spechte besser halten konnten als diejenigen, die eine kleine Anzahl mehr braune Striche auf dem Bauch haben! Nie würde es sich ferner selektionsthevretisch verständlich machen lassen, daß die Flügelmaße der Weidenmeisen und fast aller Vogelarten bei den nordischen Nassen kontinuierlich in-

einander übergehend um Millimeterunterschiede hin abweichen, und zwar in der Weise, daß die nordischen Formen langflügeliger sind als die südlicheren. Die bessere Flugleistung (die nordischen Vögel müssen ja weiter wandern als die südlichen) kann doch bei diesen Millimeterschritten noch nicht ausgelesen haben, ja sie kann nicht einmal sunktionslamarckistisch erklärt werden. Denn wenn die Umwelt die Organe prägen soll, dann müßte sich doch die zwangsläufig erhöhte Flugleistung aus die Federn auswirken — und die Federn sind tot. Wohl aber könnte sich ja nun der ganze Organismus auf die neuen An­ forderungen der Umwelt einstellen und nach Maßgabe irgend­ welcher Korrelationen durch kräftigere Flugleistung längere Federn schassen. Der Girlitz — um einen tatsächlichen Fall zu nehmen — hat sich in den letzten Jahrzehnten vor unseren Augen nach Norden ausgebreitet. Seine Heimat liegt im Süden, im Mittelmeergebiet vielleicht, wo auch seine nächsten Verwandten (Kanarienvogel!) leben. Obwohl er als Körner­ fresser im Winter keinen Nahrungsmangel haben kann, wird er im Gegensatz zu seiner alten Heimat in der neuen, nordischen, zum Zugvogel. Und dies sofort; nicht etwa durch schlechte Erfahrungen und Selektion derjenigen, die den Winter im Süden überstanden haben. Nun erst wäre es möglich (was aber noch nicht der Fall ist), daher—wenn er sich in Rassen gliederte — langflügelige Formen ausbildet. Aber dann — gewiß doch — ohne Zwang! Aus diesem Beispiel sehen wir übrigens wunder­ schön, was das Wesen des Vogelzuges ist: ein rhythmischer Pendelschlag, der im ganzen eine Harmonie der Sonnen­ anteilnahme im Lause eines Jahres ergibt; denn die nordischeren Vögel überfliegen das Gebiet ihrer südlichen Verwandten und überwintern südlicher, haben also durch diesen Weiterflug im ganzen gesehen genau so viel Licht und Sonne wie die mittel­ ländischen Arten, die dableiben^)! Und was nun schließlich die Wüstenfärbung anbetrifft, so müssen wir ganz ähnlich wie eben feststellen, daß es — je weiter wir die Tierrassen (z. B. Graumeisen oder Steinkäuze) nach Süden verfolgen — immer „wüstensarbigere" Formen gibt, selbst wenn diese gar nicht auf dem Sand leben (genau wie *) Vgl. hierzu die aufschlußreiche Arbeit Kipps, Studien über den Vogel­ zug, Mitt. über die Vogelwelt 1936, 4/5.

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bei den weißer werdenden nordischen Spechten, denen ihre Schneesarbe im Gebiet der stets schneearmen Stämme auch nichts „nützt"!). So sehen wir, daß es eben doch ein höheres System der Anpassung geben muß, als das, welches durch direkten Umwelteinfluß erklärt werden kann. Es müssen Organ und Umwelt gleichsinnig und gleichzeitig sich verändern, ge­ leitet von einer höheren Warte aus. Es liegt hier das Streben nach Erfüllung einer großen Harmonie der Landschaft vor. Freilich — wenn wir eine Blattheuschrecke oder einen Schmetter­ ling hernehmen, die haargenau ein zerfressenes oder verpilztes Blatt kopieren, wenn wir mühsam zwischen dem Laub den Schmetterlingsflügel oder den Frosch erkennen, wenn wir die Stabheuschrecken und Spannerraupen für Ästchen halten, dann verlockt es uns, einen Zweck nur für das Tier anzunehmen. Es sind viele, viele Versuche angestellt worden, um den Vorteil einer solchen „Schutztracht" zu beweisen, aber, um es gleich zu sagen, kein einziger vermag einwandfrei nachzuweisen, daß diese Schutzmusterformen vor ihren unangepaßten Verwandten einen nennenswerten Schutz vor dem Gefressenwerden haben. Daß natürlich ein beutelüsterner Vogel ebenso wie wir selbst eine Blattheuschrecke übersehen kann, ist sicher und daß im ganzen genommen, die Angelegenheit ruhig auch von der Nützlich­ keitsseite her angesehen werden kann, steht fest, aber es ist durchaus abwegig, jene haarscharfen Naturkopien als Produkt einer Zuchtwahl oder auch als mechanisch zu verstehende Um­ weltsprägungen anzusehen. Viel eher darf man wohl derartige „Mimikryerscheinungen" (die wie kaum ein anderes Gebiet der Biologie heiß umkämpft waren und sind) als Grenzfälle einer Harmonie-Erfüllung ansehen, die auf eine ursprüngliche, tiefe Verbundenheit zwischen Scholle bzw. Pflanze und Lebewesen hindeuten, Dinge, die wir später nochmals erörtern müssen. Sehr aufschlußreich ist die Tatsache, daß nicht in allen Tiergruppen eine gleichsinnige und gleichgroße Bereitschaft zur Mimikry und Mimese herrscht. So zeigen z. B. alle Arten der Gattung Caprimulgus, der Nachtschwalbe, Rinden- oder Bodenschuhtracht. Von den baumbewohnenden Spechten kann man dies nicht sagen; diese verwirklichen in ihrem groben Schwarzweißmuster einen ganz anderen Plan^). *) Vergl. auch Frieling, Das Federkleid, Leipzig 1936.

Wie hier, so wird auch der Nützlichkeitsstandpunkt in An­ wendung auf die Lebensäußerungen der Tiere vielfach hin­ fällig. Wir denken nur an die tierischen Spiele, die doch wirk­ lich mehr sind als zweckmäßige Übungen zur Kräftigung der Muskeln. Je höher die Tiere geistig zu bewerten sind, desto ausgeprägter sind im allgemeinen deren Spiele und desto mehr ähnelt dieses den einfachen Äußerungen der Lebensfreude unserer Kinder. Ist es noch zweckmäßig, wenn ein Schimpanse die Käfigwand anspuckt und sich offensichtlich an dem herunter­ rieselnden Naß erfreut und dem kleinen Rinnsal interessiert mit dem Blick folgt? (Dieses seltsame Spiel habe ich in der Menschenaffenstation Hellabrunn-München selbst beobachtet). Daß nun auch die tierischen Stimmäußerungen nicht rein als zweckmäßig zu erkennen sind, haben wir in der „Stimme der Landschaft" hinreichend erläutert. Wir sahen, daß es auch im tönenden Reich Anpassungen gibt, die man aber nicht in ein Zweckschema einordnen kann, sondern die lediglich die Harmonie der Landschaft erfüllen. Gerade bei Betrachtung der Stimm­ äußerungen wird es deutlich, daß der Standpunkt des Nützlich­ keitssuchers falsch ist. Denn wenn die tönende Harmonie durch einen Mißton (eine nicht angepaßte Stimme) unterbrochen würde, so wäre das nach unseren Begriffen kein lebensfeind­ licher Mißgriff. Warum soll uns das Reich der Töne nicht lehren, das der Farben und Formen zu verstehen? Wird es uns so nicht nahegelegt, daß die Erscheinung der Anpassung einen Schöpfungsplan verkörpert, der weder durch die zu­ fällige und auswählende Ausscheidung des Unangepaßten, noch durch die aktive Umkonstruktion (Böker) des tierischen und pflanzlichen Organismus (von sich aus!) als Beantwortung eines direkten Umweltreizes erklärt werden kann? Mutet die Anpassung nicht an wie ein fein abgestimmtes Spiel von Tönen, wie eine urverbundene Harmonie von Gestalten? Da fällt das zeitliche Hintereinander, das die Selektion sowohl wie die „Umkonstruktion" voraussetzt, zugunsten eines überzeit­ lichen Ineinanders weg, das von einer übergeordneten, sichten­ den Kraft — und mag diese in dem Lebewesen selbst sitzen — geleitet wird.

Erfüllung der Harmonie in der Natur. Wir sprachen Kunstwerk und Naturgebilde als Offen­ barungen einer schöpferischen Idee an. Diese Ideen bestim­ men jeweils eine Grundform der Schöpfung, welche nun aber nicht notwendig im Stammbaum des Lebens real vor­ handen sein muß, ja, die überhaupt gar nicht vorhanden sein kann, weil eine Idealform eben niemals den Lebensinteressen entsprechen wird. Vielmehr erkennen wir nur immer einige Tierformen als der Idee besonders nahestehend, als „primitiv" an. Betrachten wir die Reihe „gesteigerter Gestalten" (Goethe) im Tier- und Pflanzenreich, so lassen sich leicht allenthalben gewisse Ahnenreihen aufzeigen, die an ihrem Wurzelgrund eine Tierform aufweisen, welche alle die Spezialisationsmöglichkeiten (Potenzen) noch in sich schloß, die im Laus jener Reihe verwirklicht wurden. Wenn das Lanzettfischchen bei­ spielsweise als das Urwirbeltier schlechthin (bzw. diesem hypo­ thetischen Wesen ähnlichste) bezeichnet wird, so verdankt es diese wichtige Stellung irrt natürlichen System seiner Potenz­ fülle. Alle Wirbelsäulen im ganzen Wirbeltierreich enthalten jenen primitiven Achsenstab (die Chorda dorsalis), welche beim Lanzettfischchen allein das Skelett bildet; aus der Seg­ mentierung dieses Tierchens läßt sich die Metamerie der ganzen Wirbeltiergruppe ableiten usw. Bedenkt man nun aber, daß auch dieses Lanzettfischchen nid)t „unvorbereitet" im Tierreich auftritt, sondern vielleicht schon in den Manteltieren, Eichel­ würmern oder gar Ringelwürmern (die ja auch schon eine Metamerie und eine Coelombildung zeigen) „Vorfahren" hat, dann liegt es nur zu leicht im Zuge solcher Fragestellungen, daß man mit einemmal das ganze Tierreich in einen Anfangspunkt, nämlich im einzelligen Wesen zusammenlaufen sieht, das dann eben schled)thin als Ahne aller anderen Tiere aufzufassen wäre. Aber nicht nur das Tierreich würde sich aus jenen Ein­ zeller gründen, sondern auch das Pflanzenreich. Gibt es doch unter den „primitivsten" Geißeltierchen (Flagellaten) viele, die ftd> mit Hilfe von Blattgrün ernähren können und von denen man mit gutem Recht die Algen ableiten kann, die dann wieder Beziehungen zu Pilzen und Moosen, Farnen und schließlich zu höheren Pflanzen haben oder doch haben sollten.

Nun ist gewiß ein solches Urtierchen durchaus nicht primi­ tiv im landläufigen Sinn. Eine Amöbe z. 93., die doch mit als das „einfachst" gebaute Lebewesen angesehen wird, enthält bereits Haut, Sinnesorgane, Nervensystem, Füße, Darm, Atmungsapparat, Säftekreislauf usw. potentiell in sich. Das heißt, ihr einfacher Zelleib aus Protoplasma vermag bei „Ge­ brauch" Organellen „herzustellen", die eben die Funktion der Organe höherer vielzelliger Tiere haben. Jur Fortbewegung werden Plasmafüßchen ausgestreckt, die nachher wieder ein­ geschmolzen werden können. Verdauungsblasen und Exkretblasen (Vakuolen) werden dann gebildet, wenn sie nötig erscheinen, wenn also Nahrung (durch Umfließen und vorüber­ gehende Mundbildung!) aufgenommen ist. Der Plasmaleib ist empfindlich für Licht und chemische Reize, stellt also ein ganzes Nervensystem mit Sinnesorganen dar. Aus dem ungeformten Plasmaleib vermag die Amöbe (und in gewissen Grenzen der Einzeller überhaupt) alles das von Zeit zu Zeit herzustellen, was ein vielzelliges Wesen jederzeit als feste Ausdifferenzierung zur Verfügung hat. Die Amöbe hat sich noch nicht einem bestimmten Bauplan verschrieben, ihr Plasma ist noch urschöpserisch begabt! Das heißt aber, daß die höheren Tiere, die sich vielleicht leiblich von den Einzellern ableiten lassen, nicht eigentlich höher, d. h. weiter entwickelt sind, son­ dern gerade beschränkter geworden sind, daß sie die in der Amöbe vorhandenen Grundpläne nach allen Richtungen hin ausgeschöpft haben und dadurch gleichzeitig ein gut Teil Plastizität verloren, was sich auch ganz deutlich durch den zunehmenden Verlust an Regenerationsfähigkeit (Wiederher­ stellung verloren gegangener Organe durch Umschmelzung des Gewebes) in der Reihe der Tiere ausdrückt. Wenn nun aber die Amöbe doch alle jene Organe der höheren Tiere nicht selbst leiblich besitzt, sondern nur jeweils analoge (ideengleiche!) Gebilde hervorbringen kann, so darf man auch nicht be­ haupten, daß sich die höheren Tiere und deren Organe schlechtweg von den Einzellern ableiten lassen, sondern daß lediglich die metaphysische Organisation, die die Amöbe manifestiert, Schritt vor Schritt verwirklicht und in Teilen ausgeschöpft wird. Die Führungslinie des Stammbaumes ist also nur eine

geistige, „der Stamm des Stammbaumes ist Metaphysik" (Dacque)*). In der Entwicklung enthält freilich jede Einzel­ zelle nahezu die gesamte Potenzsülle für die Organbildung, wie ja Spemanns und Drieschs Versuche beweisen, die die Weite der Entwicklungsmöglichkeiten bei Wirbeltier- und See­ igelkeimen klarstellen konnten. Und jede befruchtete Eizelle gleicht insofern wieder einer Amöbe, die auch alle Entwicklungs­ möglichkeiten noch in sich trägt. Je weiter sie sich teilt, läßt die Eizelle die zu bildende Tiersorm sich immer unerbittlicher gestalten, ja sie trägt in der Erbmasse eben schon ein ganz be­ stimmtes Tier, selbst eine ganz bestimmte Rasse und Indivi­ dualität in sich. Run wissen wir aber, daß eben gerade über die betreffende Tierart, die sich aus der einen Eizelle entwickeln soll, schon in der Chromosomensubstanz verfügt ist, und daß aus einer Amöbe wohl viele Organellen und aus einem Teilgebiet der Eizelle wohl viele Organe hervorgehen können, daß aber eben als Ganzes nur eine Amöbe oder nur ein Seeigel, ein Molch usw. gebildet werden kann. Sollte sich aus einem Ein­ zeller- ein vielzelliges Tier heranbilden oder soll ganz allge­ mein aus einer „primitiven" Tierart eine jüngere entstehen, so mußte es einen entscheidenden Eingriff in die Erbsubstanz selbst gegeben haben. Solche Eingriffe können von „außen" ausgeprägt und erzwungen gedacht werden, Röntgenstrahlen können den Erbtypus ändern, Höhenstrahlen (Ionenschauer!) wirken sich mutationsbildend auf den Organismus aus, Wärme und Kälte, vielleicht auch noch viel mehr vermögen Mutationen hervorzurufen, aber welcher Art sie sind, das muß doch ein höheres Gesetz vorschreiben als es der zufällige Ausfall einer Erbfaktorengruppe bestimmen kann. Bisher haben wir nur Ver­ kümmerungen, Ausfälle, Steigerungen, aber niemals neue Grundtypen durch künstliche Mutation erzielen können. Eine noch so sehr mutierte Taufliege bleibt eben eine Taufliege. Wir wissen freilich, daß sich Rassen der Haustiere durch mutative Erb­ änderungen bilden konnten, aber niemals wird es gelingen, aus einem Schwan eine Gans zu züchten, geschweige denn einen neuen, bisher noch nicht verwirklichten Typ! *) Aus der Urgeschichte der Erde und des Lebens, Berlin 1936.

München und

Wozu diese Abschweifung vom Thema? Sie soll uns nur deutlich machen, daß sich zwar das Leben in seiner Erscheinungs­ fülle schon beim Einzeller abspiegelt, daß die Mannigfaltigkeit der Organe schon in der Eizelle potentiell enthalten ist, daß aber andererseits keine Möglichkeit besteht, die eine Tiersorm von der anderen durch Weitergabe blindlings veränderter (mutierter) Erbmasse abzuleiten, daß also die Entstehung der Arten aus anderen Arten nicht in dem Sinn nachzuweisen ist, wie sie die Hypothese der Abstammungslehre fordert. Umwelt­ einflüsse mögen gerichtete, zielstrebige Mutationen bilden, es mögen sich durch solche „induzierten", gerichteten Mutationen Rassen wirklich aus der anderen Rasse bilden können, aber neue Grundtypen (und solche stellen vielleicht schon verschie­ dene Gattungen und gar Arten dar!) können sich nur aus dem Metaphysischen, aus der Idee heranentwickeln! Und wie ein neuer Grundtyp nur einem neuen Ausschnittbild aus der Weite des organischen Plans gleicht, so muß auch das erste Lebewesen nur ein Ausschnitt der primär vorhandenen Bildepläne gewesen sein, wenn man es sich nicht gerade als einWesen mit allen Gliedern und Organen denken möchte. Dieses aller­ erste Lebewesen kann sich gar nicht aus Anorganischem, in dem Sinn toten Materials, gebildet haben, weil es unserer Erfah­ rung widerspricht, daß sich Lebendiges aus Totem bildet. Viel­ mehr kann Leben nur aus dem Reich des ewigen Lebens stammen. Das Urlebewesen, das die Materialisten fordern, war ungeheuer einfach organisiert. Es durste eigentlich nicht ein­ mal einen Kern haben, denn „woher soll dieser sich nun wieder in dem aus verschiedenen Aminosäuren (zufällig!!) zusammen­ getretenen Lebenseiweiß (Plasma) gebildet haben"? Er ist doch schon eine hochdifferenzierte Feinstruktur! Die Teilung dieses sehr einfachen Urlebewesens ging rein mechanisch vor sich, weil ja in der Tat auch anorganische Substanzen durch die Wirkung der Oberflächenspannung usw. die Möglichkeit besitzen, sich bei Änderung der physikalischen Bedingungen des Wassers zwei­ zuteilen, genau wie eine Zelle. Wie nun auch dieses Urwesen ausgesehen haben mochte (wenn man es sich nicht denken kann, verlegt man die ganze Entstehung des Lebens auf einen anderen Stern, von dem aus dann durch Strahlendruck die ersten Lebenskeime zu uns

gelangt sind!), es mußte aus seinem Leib bzw. seiner Erbmasse das gesamte Pflanzen- und Tierreich — lediglich durch Aus­ lesen des zufällig Passendsten —, also auch die Säugetiere, also auch den Menschen mitsamt der Kunst, die aus ihm her­ vorbrach, mitsamt der Geschichte hervorgebracht haben, aus einem eigentlich unverständlichen Entwicklungsdrang heraus, der immerhin zu so beachtlichen Gestalten, wie dem Menschen geführt hat. Das Weltbild, welches sich so ergibt, ist trostlos: Am Anfang ein totes Sein, das durch mechanisches Geschehen gewor­ den war. Die abgekühlte Erde empfängt nun plötzlich—sei es aus dem Weltenall, sei es durch Zusammentritt etlicher Aminosäuren im „Armeer" — L e b e n! Wäre dieser erste Keim nicht auf die Erde gekommen, dann wäre die Erde eben ein toter Stern, einer der vielen Kugeln im unendlichen Raum, der hoffnungslos öde seine ihm, wer weiß von wem, vorgeschriebene Bahn vollendet, und der eines Tages wieder einmal in seine elektrischen Bestandteile, in Protonen und Elektronen aufgelöst sein wird. Kein Geist wäre jemals in die Welt gekommen, kein Wesen, das die Er­ habenheit der Schöpfung spüren konnte — nein, kein Mensch! Zufall war der Mensch und notwendige Folge (warum eigent­ lich notwendig?) dieser ersten primitiven Lebewesen, die sich in einer großartigen Entwicklungsreihe zu den Primaten ent­ wickelten, unter denen der Gehirnspezialist Mensch das erste Wesen wurde, welches sich denkend nannte. Sein Geist und seine Seele mußten aber dasselbe sein, was bereits in den ersten Chromosomen eines zufällig entstandenen Arlebewesens vorhanden war und was sich natürlich erst dann bemerkbar machen konnte, als sich das Gehirn entwickelte, das durch seine Größe befugt, jene Gedanken abscheiden konnte, wie eine Drüse den Schweiß absondert. Natürlich mußte eine solche (im übrigen ganz undeutsche und für unser natürliches Gefühl ganz befremdende) Denkart dazu führen, daß man sich die Lebewesen erst allmählich an die tote Amwelt anpassen ließ und diese eigentlich immer als etwas feindliches ansah, das es zu besiegen und zu erobern galt, weil ja nun eben das Leben einmal auf die Erde kam. Niemals konnte man aus solchem Gesichtswinkel heraus das rechte Ver­ hältnis zur „Mutter Erde" gewinnen, die doch wahrhaftig in ihrem Schoß (denn die schöpferische Erde war, in gewissem

Sinne das gesuchte Urlebewesen selbst!)1) das Leben immer in sich barg und die nur die Zeit reifen lassen mußte, ehe (die autotrophen, selbständigen Formen natürlich zuerst!) sich das Leben entfalten konnte und ehe sich die der Erde eingeborene Geisteskraft, die doch auch die „toten" Sterne regiert und im ganzen Kosmos waltet (f.u.), Schritt für Schritt verkörpern durfte. Nur wenn man auch das Reich der Steine und des Anorganischen (im üblichen Sinn) als notwendige Ergänzung (und nicht als gegebenen, zu besiegenden Feind!) zum Organischen ansieht, wenn man bemerkt, daß es nichts auf der Welt ohne polar gegenüber­ stehende Ergänzungen gibt, wenn man einsieht, daß zum Leben der Tod gehört, wie die Liebe zum Haß, Dur zu Moll und Freude zu Schmerz — dann erst kann man die gewaltige Harmonie der Schöpfung ahnen. Dann aber wird es auch möglich sein, die Anpassung als eine Notwendigkeit, ja als Folge der gegebenen Ureinheit des Lebens und der Erde zu erkennen. „Tote" Umwelt und Lebewesen sind nicht einander ähnlich geworden, weil sich das Leben zum Sklaven der Materie machte, sondern weil sie von vornherein auseinander abgestimmt waren. Und daraus entspringt die erschütternde Ein­ heit des Lebens, die das Ohr ebenso wahrnimmt, wie das Stuge2). Schon bei der Betrachtung der Tier- und Pflanzenwelt allein muß sich die Ureinheit dieser beiden Lebensreiche ent­ hüllen, man braucht nicht einmal die kosmische Gleichsinnigkeit im Walten der Kräfte, im Sternenlauf und im Bauplan der Lebewesen zum Beweis heranzuziehen; denn schon im Kleinen bekundet sich allenthalben die Erfüllung der Harmonie. *) Ganz ähnlich spricht sich H. Poppelbaum in seiner „Tierwesens­ kunde" Dresden 1937, aus, die ich nach Fertigstellung des Manuskripts in die Hand bekomme. Das Bild, welches er aufzeichnet, gründet sich ganz und gar auf die Gedankengänge R. Steiners und Koliskos, denen wir (von ganz anderen Voraussetzungen herkommend) nur bedingt folgen können. 2) Es ist mir wichtig, klarzustellen, daß die Abstammungslehre, die die körperliche Entwicklung vom Primitiven zum Abgeleiteten, von einfachen Lebe­ wesen zu höheren darstellt, an sich in sehr genialer Weise das Richtige und nicht zu Bestreitende kündet. Nur kämpfe ich gegen die aus dieser Lehre allzuleicht fließende materialistische Weltanschauung. Vergegenwärtigt man sich, daß der organisch-materielle „Leitfaden" natürlich vorhanden ist, daß aber mit dem Begreifen dieses nur ein Teil des Entwicklungsgeschehens und zwar nux das Formale, geklärt werden kann, so wird man von selbst der Abstammungslehre ihren richtigen Platz zuweisen.

Besonders eindrucksvoll (und von der Forschung immer als Wunder hingestellt, wenn andererseits auch gern geflissentlich übergangen) sind die Fälle einer scheinbaren Vorausschau der Lebensbeziehungen z. B. zwischen Insekt und Pflanze. Die Parallelität in der pflanzlichen und tierischen Organisation*) ist aber gar kein solches Wunder, sondern in ihrem „Vor­ einander" genau so erhabene Folge der ursprünglichen Lebensharmonie wie die durch Vererbung erzielten Erscheinungsfolgen, die scheinbar ein kausal verknüpftes Hinter­ einander darstellen, in Wirklichkeit aber auch durch eine „weise Voraussicht" geleitet sein müssen. Die Vererbung kann nämlich überall dann keine Rolle spielen, wo — wie bei den Bienen — nur die (geschlechtslosen!) Arbeiterinnen ein ausgeprägtes Instinktleben besitzen, während es dem Geschlechtstier fehlt. Die Beziehungen der Bienen zur Umwelt, die Tätigkeit im Stock, das Sammeln und die vielerlei Verrichtungen^) können alle nicht auf Erfahrung beruhen, sondern künden eine vorher bestimmte höhere Einsicht in die Dinge, die man natürlich den Bienen nicht als bewußte Ein­ sicht, sondern nur als eingeborene, schematisch gewordene Instinktarbeit anrechnen kann. Überhaupt bieten die Insekten mit ihrem hochentwickelten Instinktleben einen unübersehbaren Stoff für die Widerlegung der Ansicht, daß sich die Gewohn­ heiten vererben und daß sich hochkomplizierte Handlungen durch Selektion entstanden denken lassen?) Rur einige Beispiele: Die Larven des Hirschkäfers nagen im Holze der Bäume, in denen sie leben, die Puppenwiege für sich selbst. Das ist an sich schon erstaunlich, denn sie „wissen" ja nicht, daß sie einmal *) Hier einmal abgesehen von den Schutzfärbungs- und den Mimikry­ erscheinungen. Läßt sich die Tatsache, daß Bienen einen Zeitsinn haben und „wissen", wann die Bestzeiten der Nektardarbietungen ihrer Blüten sind ohne das Bestehen einer Einsicht auf höherer Ebene voll erklären? Sind da nicht wunderbare Zusammenhänge zwischen Blüte und Biene da? Es scheint ja auch die Entwicklung der Schmetterlinge mit der der Blumen auffällig par­ allel zu gehen (irdische Pflanze: Naupe—Blüte: Schmetterling!) und die Fälle der Spannerraupen, die Ästchen gleichen, haben wohl ihre tiefste Bedeutung in der Urverwandtschaft von Insekt und Pflanze. 2) Vgl. K. von Frisch, Aus dem Leben der Bienen, Berlin 1931. 3) Einer der genialsten Bekämpfer der Selektionstheorie der Instinkte ist und bleibt F a b r e, dessen „Bilder aus dem Insektenleben" im Franckh^schen Verlag, Stuttgart, in der Übersetzung erschienen.

in Puppenruhe verfallen werden. Aber es kommt noch wunder­ barer: die Larven bauen die Puppenwiege genau eben so groß, wie sie sie brauchen, niemals größer. Und das erstaunlichste dabei ist, daß die zukünftigen Männchen eine größere Puppen­ wiege bauen als die zukünftigen Weibchen, so daß der Platz für das Geweih des männlichen Käfers von vornherein mit „eingerechnet" ist! Niemals hat eine solche Larve einen Hirsch­ käfer gesehen, nichts weiß sie von ihrem Geschlecht, das noch nicht ausgebildet ist, wenn sie die Puppenwiege nagt. — Hier wird uns die Beziehung der Larve zum Baum und zu ihrer ganzen Entwicklung klar. Weisheitsvolle Triebe sind es» die da walten und denen wir allenthalben wieder begegnen können. Besonders innig sind die Beziehungen der Insekten zu den Pflanzen. Wir erinnern an die Gallwespe, die durch den Stich das pflanzliche Gewebe dazu anspornt1), den später aus den Eiern schlüpfenden Larven eine nahrhafte Behausung zu sichern. Ein ganz besonders eindrucksvolles Beispiel bietet die Puccamotte, bei der das Zusammenleben mit der Palmlilie offenbart, daß hier die Bestäubungsarbeit nicht das eigentliche und einzige Zweckmoment ist. Diese Motte kommt gerade zu der Zeit aus der Puppe hervor, wo sich die gelblichweihen, in einer Rispe stehendenden Blütenglocken entfalten, eine Er­ scheinung, die nur an wenigen Morgenstunden und Nächten zu beobachten ist. Die kleine Motte scheint das Geheimnis der Pflanze zu kennen! Aber der Wunder sind noch mehr: Nach der Paarung holt sich das Mottenweibchen aus einer geöffneten Puccablüte einen Pollenklumpen und trägt diesen zu einer anderen Blüte. Dort schneidet das Tier mit dem messer­ artigen Rand der Legeröhre den Fruchtknoten aus (!) und legt seine Eier hinein. Nun würde aber die ausschlüpfende Brut keine Nahrung in dieser heimlichen Behausung finden, wenn sich die Samenanlage (im Fruchtknoten) nicht entwickelte. Deshalb erscheint es außerordentlich sinnvoll, wenn nun die Motte nach der Eiablage den mitgebrachten Pollenklumpen in die Narbe der Blüte hineinknetet (ein Vorgang, der nichts Zu­ fälliges an sich hat wie die Bestäubungsarbeit des BienenWo ist hier ein Kampf ums Dasein?

beins!) und so eine Befruchtung vollziehen läßt; denn nun ist sowohl der Pflanze als auch der Motte bzw. ihrer Nachkommenschaft „gedient"! Ein Teil der Samenanlage wird freilich von der Pflanze für die „bereitwillige" 2kstäubungsarbeit geopfert, die Larven fressen ihn; der andere Teil aber kann sich entwickeln. So liegt hier ein Fall von wunder­ barer Ergänzung vor, der wohl seinesgleichen sucht. Wie innig sind Blüte und Bestäuber auseinander abge­ stimmt, wie wenig werden wir dieser Erscheinung gerecht, wenn wir lediglich von Anpassung sprechen! Tier und Pflanze sind hier Ergänzungen, gehören zueinander wie Mann und Weib und erfüllen erst durch ihre Zweiheit die harmonische Einheit. Selbst blütenhast dünken uns die Schmetterlinge oder Kolibris, die lieblichen Bestäuber, und angesichts solcher tieferen Harmonie sinken die Vorstellungen von der reinen Zweckanpassung zu einem Nebensächlichen zusammen. Daß sich die besonders spezialisierten Blütenbestäuber und Blüten (Kolibriblüten, Wippevorrichtungen in der Salbeiblüte, „um" der Hummel den Pollen „anzuschmieren", wenn sie auf das Trittbrett der farbenfroh lockenden Blüte summt!) durch all­ mähliche Selektion herangebildet hätten und daß die Tiere sich an die Pflanzen mutativ angepaßt hätten, wird kein ernster Mensch glauben. Zum mindesten mußte die Ausbildung einer solchen hochspezialisierten Blüte genau Schritt halten mit der Bildung des betreffenden Tieres, wenn es nicht einmal Zeiten gegeben haben soll, wo die Blüte ohne Bestäuber, also zum Aussterben verdammt war! Und selbst wenn sich eine solche schrittweise Anpassung von Blüte und Insekt nachweisen ließe, dann läge auch hier in der Zielstrebigkeit beider Entwick­ lungswege die tiefe innere Einheit zwischen Pflanze und Tier deutlich genug vor Augen. — Einen ähnlichen Gesichtspunkt für die Beurteilung müssen wir auch bei Betrachtung der Vogelzeichnung einnehmen, die eine Anpassung viel tieferen Sinnes entschleiert als eine ledig­ lich formalmechanistische und zwecksuchende Anähnelung. Wir kommen hierauf irrt nächsten Abschnitt an Hand eines ausführ­ lich besprochenen Beispiels noch besonders zurück. Hier sollte uns ja nur die eine Vorstellung zu eigen werden: daß die Um­ welt samt der „toten" Materie mit den Lebewesen eine tiefe

Harmonie erfüllt, die sich letztlich auf die primäre Beseeltheit von Stofs und Leben grünbet1). Haben wir uns zu dieser Er­ kenntnis durchgerungen, dann ergibt sich die Einbeziehung des Geistes und der Seele in die Natur; die Stammesentwick­ lung tritt als die Erfüllung jener primären Harmonie hervor. Deshalb müssen aber auch alle die gesamte Harmonie erfüllenden Grundformen in sich und wiederum in ihren Ab­ wandlungen harmonisch sein. Jede Form muß das vernünftige Gesetz des Kosmos spiegeln, jede Form ist ihrer Gestalt allein zuliebe da, denn diese ist Symbol für das ihr übergeordnete Ganze. Und so schafft und gestaltet die Natur aus dem Kos­ mischen heraus und schafft dabei immer nur wieder das Kos­ mische selbst, einen mächtigen Kreislauf erfüllend. Natur­ schöpfung ist das stete Streben nach Erfüllung der Harmonie^) und ist somit der echten Kunst im tiefsten Grund verwandt. Denn ein Bauwerk des Menschen ist dann ein echtes Kunst­ werk, wenn es so „wahr und seiend" (Goethe) ist wie die Natur selbst. Im folgenden betrachten wir nun die Erfüllung der Har­ monie in Natur und Kunst an Einzelbeispielen und bemühen uns aufzuzeigen, wie selbst die scheinbar belangloseste Bildung in das System der harmonischen Erfüllung eingebaut ist, in ein System polar gegenüberstehender, sich aber ständig überhöhender und dabei ergänzender Ganzheiten. Das System der harmonischen Erfüllungen beim tierischen Feichnungsmuster. Fm Schilfwald lebt die Große Rohrdommel (Abb. 13), ein reiherartiger Vogel, der zwischen dem vergilbten Halmen­ gewirr und den dunklen Schattenstreifen leicht übersehen werden kann. Man redet bei diesem Vogel von Schutzfarbe x) Selbstverständlich reden wir hier keineswegs dem sog. Holismus das Wort, wonach es überhaupt keinen scharfen Trennungsstrich zwischen An­ organischen und Organischen gibt und das Physikalische nur ein Spezial­ fall des Biologischen ist. 2) Auch R. H. Francs, „Harmonie in der Natur", Kosmosband 1926, sieht in einer harmonischen Ausgleichung ein schöpferisches Prinzip, doch kommt er über die harmonischen Korrelationen im Organismus schwer heraus und bleibt bei einem (eigentlich mechanischen) Gleichgewichtsgeseh der Natur stehen.

und meint damit die erscheinungsmäßige Übereinstimmung der Federsärbung und Zeichnung mit der Umgebung. Wie wird nun dieser Effekt der Übereinstimmung erreicht? Die Federdecke erscheint gelbbraun mit dunklen Längsstreifen und tropfigen Fleckenreihen. Bei näherem Zusehen erkennen wir, daß die Federn oft im einzelnen schwarz sind und nur

Abb. 13. Ganzmuster und Einzelmuster am Beispiel der Großen Rohrdommel, einem Reiher­ vogel. Das Gesamtzeichnungsmuster erscheint als Längsstreifung, während Einzelfedern, aus dem Gebiet der Längsstreifen am Vorderhals genommen, gerade mehr Querzeichnung er­ kennen lassen. Die Pfeile verbinden die Einzelfedern mit der Region, aus der sie stammen. Die rechte der (oben) abgebildeten Kinnfedern befindet sich an der Grenze des Ganzstreifens. Durch die Deckungsweise der Federn wird der Ganzstreisen jeweils klar herausgearbeitet. — Aus Frieling, Das Federkleid, 1936.

gelbe Säume aufweisen, die durch ihr Zusammenliegen mit den Nachbarsäumen eine scheinbar gelbbraune Grundfarbe ergeben. Recht interessant ist aber eine Betrachtung der Einzel­ federn, die die auffälligen dunklen Längsstreisen am Hals bilden H. Am Kinn gibt es nämlich — aus dem Rand eines Streifens genommen — Federn, deren eine Seite schwarz, deren andere Längsseite weiß ist. Diese Federn sind nun so an­ geordnet, daß die weißen Teile innerhalb des großen Streifens verdeckt werden. Noch weiter brustwärts aber besitzen die Einzelfedern, die wir aus einem Längsstreifen herausnehmen, überhaupt nicht mehr den Charakter der Längsstreifung, im Gegenteil: sie sind quergebändert. Die einzelnen dunklen und helleren Querbinden sind aber innerhalb jener Einzelsedern außerordentlich regelmäßig angeordnet, sie sind *) Vgl. Frieling, Das Federkleid, Leipzig 1936.

rhythmisch verteilt. Jenen Rhythmus verdanken die Federn einem bestimmten Wachstumsrhythmus, bei dem die schwarzen Pigmente (beeinflußt durch Hormone) nur in bestimmten Zeit­ abständen abgelagert wurden (Schilddrüsenhormoneinspritzungen können diesem Rhythmus bei quergebänderten Hühner­ rassen stören und bewirken eine Zunahme des Schwarz!). Die gebänderte Feder ist also die sichtbare Verkörperung eines Zeitsaktors und ist in sich, in ihrem Einzelmuster ge­ schlossen, harmonisch! Über dem System dieser Harmonie steht aber ein höheres: die Einzelmuster zu einem Ganz­ muster zusammenzusetzen, eben zu jenen Längsstreifen, die wiederum mit der Umwelt in Verbindung zu stehen scheinen, die also bewirken, daß sich das Tier, dessen Einzelfedern z. T. quergebändert sind, der „längsgestreiften" Umgebung mit einem Längsstreisenmuster einordnet! Solche Ganzmuster greifen nun sehr häufig über die Grenzen der Federindividuen hinüber, so daß der Eindruck ent­ steht, daß eine im ganzen bildmäßige Wirkung erzielt werden soll (z. 93. beteiligen sich an einem Flügelspiegel fBuchsink, Kernbeißer, Mauerläufer usw.) verschiedene Federn und Federgruppen). Aber auch über anatomische Grenzen setzt sich solch ein Ganzmuster hinweg; jeder Einzelteil muß sich infolgedessen dem Rhythmus des Ganzen fügen und sein eigenes Muster — mag es auch noch so verschieden vom Ganzmuster sein — in den Dienst der Ganzheit stellen: Unterordnung der Teile im Organismus! Ineinander geschachtelte Systeme von Zeichnungsmustern finden wir im ganzen Tierreich. Interessant sind die Katzen. Es gibt da Arten, die ihre Pantherslecken zu Reihen anordnen und aus diesen mag man die längsgestreiften Formen ableiten können. Weit verbreitet sind die Quer­ streisungen (Tiger, Zebra), die ganz bestimmten embryonalen Faltensystemen der Haut gehorchen können (Krieg). Über­ haupt wird die Musterbildung entwicklungsgeschichtlich schon sehr früh in bestimmte Bahnen gelenkt. So konnte die Schule von A. Kühn nachweisen, daß die Schmetterlingsschuppen, die doch das Ganzmuster schließlich zusammensetzen, je nach ihrem Eigenmuster verschieden gestaltet sind, und daß diese Schuppen je nach dem Mustergebiet, in dem sie „mitwirken" sollen, in der Ausbildung der Form von Anfang an ihrer beson-

deren Bestimmung zugeleitet werden. So sind die verschiedenen Zeichnungssysteme auch entwicklungsphysiologisch unabhängig voneinander, was red)t beachtlich ist, wenn man bedenkt, daß die Einzelsysteme doch eben gerade in einem Harmonieverhältnis stehen müssen. Daß dieses zustande kommt, kann nur die Folge eines Schöpfungsplanes*) sein. In diesen Plan gehören nicht nur die Einzelmuster und Ganzmuster eines Tieres, sondern schließlich auch die Verhältnisse zur Umgebung. Die Muster erfüllen ihren Umweltstil! Diese Beziehungen der harmonischen Systeme untereinander und zur Umwelt wollen wir am Rindenmuster näher kennenlernen: Was ist ein Rindenmuster? Es ist kein schwarzes, kein schwarzweißes, keine deutliche Rhythmik, sondern allein da­ durch definiert, daß es im Endeffekt (gleich, wie und wodurch dieser zustande gebracht wird) eine Ähnlichkeit mit der Farbe der Baumrinde ergibt. Unter den Schmetterlingen besitzen viele „Eulen" und Ordensbänder solche Rindenmuster, auch zahlreiche Käser und Spinnen tragen es, und unter den Vögeln müssen wir die Eulen, Nachtschwalben (Ziegenmelker), Baum­ läufer und den Wendehals nennen. Eine Flügeldecke des Käfers wird niemand mit einem System von Vogelfedern vergleichen wollen, auch ist es nicht angängig, Schmetterlings­ schuppen mit Federn oder mit der Chitinhaut einer Spinne gleichzusetzen — und doch müssen all diese (innerhalb ver­ schiedener Baupläne!) gegebenen „Werkstoffe" dazu her­ halten, die Idee des Rindenmusters zu erfüllen: es müssen kleine Fleckchen vorhanden sein, unpigmentierte, schimmelig wirkende Stellen, andere Fleckchen müssen sich wieder zusam­ mensetzen zu größeren „Borkenfetzen", kurzum: die Zahl der Einzelelemente ist groß und die Möglichkeiten, ein Rinden^ Bei der Frage nach der Entstehung von Zeichnungsmustern müssen wir unbedingt der Arbeiten des Tübinger Zoologen Eimer gedenken, z.V.: Unter­ suchungen über das Variieren der Mauereidechse 1881 und Die Entstehung des Arten, Leipzig 1897. — Am Schwanzende der Reptilien ist häufig das phylogenetisch älteste Muster verwirklicht, das nach dem Kopfe zu innerhalb eines Tieres wie auch an der Gesamtentwicklung fortschreitend und gleich­ sinnig komplizierter wird. Hier ist das „Ganzmuster" gewissermaßen über eine ganze Tierklasse verbreitet und im einzelnen abgewandelt wie ein musikalisches Thema.

muster hervorzurufen, sind schier unermeßlich. Der Verfassers hat lediglich einmal den Versuch gemacht, innerhalb der ein­ heimischen Vögel dieses Rindenmuster zu analysieren und will hier aus Grund dieser Untersuchungen etwas weiterbauen. Gleich, ob es nun ein Baumläufer oder eine Eule ist (die doch gar nicht miteinander verwandt sind!) oder eine Nachtschwalbe: immer gibt es in der Schultergegend als ausfälligsten Teil des Ganzmusters eine weiße Fleckenreihe, die durch einen dunklen Längsfleck mehr oder weniger deutlich abgehoben sein kann (Abb. 14). Nehmen wir uns nun von all diesen Vögeln die Federn her, die an der Bildung jener Fleckenreihe teilhaben, so be­ merken wir, daß jede solche Feder am Außenteil der einen Längsseite weiß ist, daß dann die Schastgegend dunkel erscheint und die andere Federhälfte ein mehr oder weniger in Sprenkel aufgelöstes Bändermuster trägt. Wie weit entfernt von­ einander nun auch systematisch Eulen, Wendehals und Nacht­ schwalbe stehen: immer ist das Grundmuster der Einzelfeder aus einer solchen Schulterreihe gleich. Hier stimmen also bereits die Einzelmuster der Federn weitgehend bei verschiedenen Arten überein. Das „Grundmuster", das die einzelnen dunklen oder hel­ len Teile zeigt, ist bei allen größeren Arten uneinheitlich gebändert und gesprenkelt, nur beim kleinen Baumläufer erkennen wir ein mehr einheitliches Feldmuster, das eben in der Schultergegend jenen erwähnten weihen Außensleck frei läßt. Es ist einleuchtend, daß ein großer Vogel sich kein einheitliches (dunkelbräunliches) Feldmuster leisten kann, wenn er eben „rindenfarbig" er­ scheinen soll. Er muß vielmehr möglichst feine Aufteilung der Musteranteile erstreben. Bei einem so kleinen Vogel wie dem Baumläufer aber ist es gar nicht „nötig", das Pigmentierungsfeld aufzuteilen, da ja hier ein Färbungsfeld, welches eine ganze Feder einnimmt, bereits — absolut genommen — recht klein erscheinen muß und viele solcher einheitlich oder zweifarbig gezeichneter Federn im ganzen einen „ausgekrümelten" Eindruck machen! So ist das Gefieder des Baumläufers — grob gesprochen — nur ein Bruchteil einer ganzheitlich er­ scheinenden Rindenfärbung größerer Vögel. Mit anderen Worten: die Federn des Baumläufers (und übrigens auch des *)Das Federkleid, Leipzig 1936.

kaum starengroßen Sperlingskauzes) sind nicht in sich so aufge­ teilt wie die der größeren Vögel, „weil" dann ja das Muster­ bild im ganzen viel zu winzig erscheinen, ja den Charakter der Rindenfärbung zugunsten eines mehr flechtenartigen Cha­ rakters einbüßen würde. Oder: je kleiner das das Rindenmuster tragende Tier ist, desto gröber müssen die einzelnen Muster­ anteile sein! Und dieses Prinzip, das nur dann verständlich ist, wenn man sich denkt, daß ein Plan erfüllt werden soll, herrscht natürlich auch bei den Schmetterlingen und Käfern x), die ins­ gesamt viel größere Musterselder besitzen als die großen Vögel. Ein Rindenmuster kann also nicht so gebildet werden, daß nach einer ausgegebenen Parole alle Felder in Bänder und Sprenkel auszulösen sind, sondern nur so, daß jeweils das (angenommene) einheitliche Pigmentierungsfeld so auszu­ teilen ist, daß im ganzen (fürs Menschenauge z. B.) der Eindruck von Rindenähnlichkeit entsteht. Damit ist aber indirekt wieder bewiesen, daß eben zur Rinde doch eine wirk­ liche Beziehung?) besteht und daß es sich nicht um eine zufällige Ähnlichkeit handelt, denn sonst mühten ja auch Rindenmuster entstehen, die auf die gegebenen Größenverhältnisse in der Natur keine Rücksicht nehmen. Es gibt aber keine „MiniaturRindenmuster". So führt schließlich die Betrachtung des Rindenmusters dahin, wieder ein weiteres höheres Harmoniesystem anzuerkennen, nämlich die Größenordnung?) der Schöpfung t *) Man sehe sich einen Kiefernspinner an, einen Kiefernspanner, Weiden­ bohrer, Ordensbänder usw.: immer entspricht das Bindenmuster den Ver­ hältnissen der Rinde selbst. Der kleine Fichtenrüsselkäfer hat nur eine Binde auf den Flügeldecken, der noch kleinere Borkenkäfer ist überhaupt bindenlos, während der größere Bockkäfer Rhagium 2 Binden trägt, die wieder etwa denselben Abstand haben wie diejenigen auf dem Federkleid eines größeren Vogels. — Diese Untersuchungen sind noch im Gang. Eine Spezialver­ öffentlichung behält sich der Verfasser ausdrücklich vor. 2) Diese Beziehung braucht keine allzu handgreifliche zu sein; es brauchen sich die betreffenden Tiere mit Rindenmuster beispielsweise gar nicht auf Bäu­ men aufzuhalten. So zeigen viele erdbewohnende Eulenschmetterlinge Rinden­ muster. Ihre Beziehung zur Rinde kann hier mehr wesenhafter Natur sein. Es ist aufschlußreich, daß immer nur gewisse Tiergruppen (oft solche, die in Lebensweise und Gestalt abweichen) ein Rindenmuster zeigen. 3) Dgl. hierzu Berr, Größenordnungen des Lebens, Verlag Oldenbourg, München und Berlin 1936.

Eine mehr biologisch wichtige Frage ist die nach dem stammesgeschichtlichen „Woher?" der Muster. Wir weisen hier auf das Buch des Verfassers „Das Federkleid" hin und führen nur an, daß bei den Eulen z. B. alle Zeichnungsmuster wieder auf ein Grundschema zurückzuführen sind. Dieses Grundmuster setzt sich zusammen aus Längs- und Querkompo­ nenten der Zeichnung. Bei den bodenbewohnenden Arten spielen nur einzelne Längsflecke eine Rolle, dann tritt immer

Abb. 15. Links Bauch-, rechts Nückenfeder von 1. Waldohreule und 2. Sumpfohreule. Das Rtndenmuster der Waldohreule erscheint bei der bodenlebenden Sumpfohreule auf einen Schaststreisen zurückgebildet. Das Nindenmuster wird m. a. W. durch seine Austeilung und durch das Zusammenwirken von Quer- und Längselementen auf einer Feder erzeugt. — Aus Frieling, Das Federkleid, 1936.

mehr Querbindencharakter im einzelnen und im ganzen hinzu, bis schließlich die Binden sich in Sprenkeln auslösen und eine Rindengrundfarbe ergeben können (Abb. 15). Bei der Sumpfohr eule, die im Moor lebt, seht sich diese Feinmusterung, die ihre Ver­ wandte, die baumbewohnende Waldohreule aufweist, nicht durch — und wiederum kann dieses Verharren auf einem undifferenzierteren Stadium als harmonische Erfüllung des Lebensraums angesehen werden; denn die „Musterung" des freien Landes, der Brachen und Moore ist ja auch selbst wieder viel gröber als die Feinmusterung einer Baumrinde. Wir finden nun nämlich bei vielen boden- und moorbewohnenden Vögeln, z. B. beim Brachvogel, jene groben fleckigen Längs-

muster, die eben gerade die Sumpfohreule zeigt. Damit aber sind wir wiederum in ein anderes Harmoniesystem gelangt, das uns jetzt nicht weiter beschäftigen soll. Das System der harmonischen Einpassung in die Umgebung braucht nun natürlich — wie schon das Beispiel von Sumpsohreule und Brachvogel zeigte — nicht immer eine „klein­ liche" Angleichung zu bewirken, sondern kann auch viel „groß­ zügiger" verwirklicht sein. Hierher gehören die schon erwähnten Fälle von Wüstenfärbung und weißer Polarsärbung, ohne daß das betreffende Tier deshalb reiner Wüsten- oder Schnee­ bewohner zu sein braucht. Es handelt sich hier eben um große Systeme, um innere Wesensbeziehungen, die nicht nur durch das sich langsam ändernde Klima (vgl. Görnitz) zu verstehen sind. So verschieden nun auch die einzelnen Systeme selbst sind, ihre Einmündung in die große Harmonie der Land­ schaft läßt sich immer und überall wieder finden. Und das ist ja nichts Auffälliges; denn die „Landschaft" ist ja schon eine höhere, selbständige Ganzheit; der Begriff der Landschaft um­ saht ja gerade die einzelnen Tiere und Pflanzenformen, ihre Zeichnung, ihre Äußerungen und die Bäume und Gräser, aus und in denen sie leben. So sind eben sowohl die einzelnen organischen Baupläne stilersüllende kleine Ganzheiten inner­ halb der großen Ganzheit, so sind die einzelnen Federmuster kleine, dem Ganzmuster untergeordnete rhythmisch gegliederte harmonische Ganzheiten, die Träger jener Muster wiederum fügen sich in das Ganze ein usw. Schließlich unterstehen aber auch die mikroskopischen Zeichnungsmuster wiederum als Ganze denselben Gesehen wie die sichtbaren. Sie sind bestrebt, am allgemeinen Eindruck mitzuarbeiten. Nur ein Beispiel: Die Farbe Grau kann bei einem Vogel dadurch hervorgerufen werden, daß winzige schwarze und weiße Bändchen miteinander abwechseln*). Genau betrachtet aber erscheinen die Einzelfedern eben doch schwarzweiß gebändert und nicht grau. Besehen wir uns nun eine wirkliche einheitlich graue Feder unter dem Mikroskop, 2) Dgl. Frieling, Cariama cristata als Anpassungsform an das Sa­ vannenleben, Ztschr. f. Morph, und Ökologie der Tiere, Berlin 1936.

so löst sich auch hier das Bild auf in eine Schwarz-weiß-Musterung. Denn neben dem schwarzen Pigment in den kleinen Fiederästchen sind luftgesüllte, durch Totalreflexion weiß er­ scheinende Teilchen! So geht auch hier der harmonische Eindruck „grau" auf den Rhythmus von Schwarz und Weiß zurück. Besonders interessant sind natürlich die einfarbig grünen Vögel, die z. T. in ihren Federn gelbes Fettpigment aufweisen, welches zusammen mit einer besonderen Struktur, die Blau ergibt, (luftgefüllte Kästchen und Kanäle mit einem Schwarzschirm als Hintergrund) makroskopisch eben grün liefert. So geht also die Musterung bis hinab zu den feinsten Teilchen, die doch immer selbst wieder etwas Ganzes sind und die sich nur so anordnen, daß im Rahmen einer allgemein­ gültigen Größenordnung ein bestimmter stilgerechter und harmonieerfüllender Eindruck entsteht. Aus den polar ent­ gegengesetzten Einzelfaktoren ersteht aus höherer Ebene eine Spannungseinheit! — Damit rühren wir an ein Natur­ gesetz überhaupt: auch der Stofs, der erscheinungsgemäß eine Einheit darstellt, ist ja nichts an sich einheitliches, sondern nur eine Synthese von Ruhe und Bewegung innerhalb der Atom­ systeme. Es handelt sich überall um Wellenrhythmen. In der toten Stosswelt spielt sich diese Bewegung unsichtbar im win­ zigen Bruchteil einer Sekunde ab; ein Krästetoben ergibt etwas scheinbar Ruhendes*). Das System der harmonischen Erfüllungen bei den tierischen Lautäußerungen. Als Erklärung für die Bildung und Entwicklung der tieri­ schen Lautäußerungen erscheint die Auslese durch Zuchtwahl und Kamps ums Dasein geradezu unangebracht. Die Mannigl) Da wir gerade von diesen Dingen sprechen, möchten wir nicht ver­ säumen, darauf hinzuweisen, daß Ernst Haeckel als Eegenhypothese zu Darwins Pangenesistheorie die Entwicklung des Organismus in seiner Schrift „Die Perigenesis der Plastidule oder die Wellenzeugung der Lebens­ teilchen" ganz und gar metaphysisch sehen will. Es schmälert die Genialität dieses Gedankengebäudes gar nicht, daß unsere heutigen Kenntnisse über die Chrvmosomenvererbung einen anderen Gesichtswinkel fordern. Haeckel spricht bei der Schilderung der Plastidule (Moleküle des Plasmas) von der Beseelung der Atome und Moleküle und nennt die Vererbung eine Übertragung der durch das Gedächtnis der Plastidule sich weiterzeugenden Plastidulbewegungen,

saltigkeit der Tierstimmen, die wir in der „Stimme der Land­ schaft" bereits darlegten, kann sich nicht durch zufälliges Vari­ ieren und Züchten durch das Daseinskampsmittel heraus­ kristallisiert haben und ebensowenig vermögen wir sie durch lamarckistische Hypothesen zu erklären; denn eine naturwissen­ schaftlich definierbare Anpassung der Tierstimmen an den Lebensraum liegt ja überhaupt gar nicht vor. Wie wir schon in der „Stimme der Landschaft" erörterten, steht der rein rationalistische Naturwissenschaftler angesichts der Tier- und besonders der Vogelstimmen vor einem Rätsel. In irgend­ welche Stammesreihen passen sie nicht hinein, auch die ana­ tomischen Unterlagen geben keinen Anhaltspunkt. Sonst könnte man die Stimme doch wenigstens noch als Funktion der Stimmorgane auffassen, aber weitgehend unabhängig vom Familienbauplan treten dort zugleich anatomische Bildungen an den Luftwegen mit den diesen gemäßen Laut­ erzeugungen aus. Das unmittelbare Aufeinanderangewiesensein von Stoff (organisiertem Stoff) und Seelenausdruck erhellt schlaglicht­ artig das ganze Problem der Anpassung auch im Reich des Sichtbaren. Die materialistische Lehre glaubt, daß sich aus dem Material durch Herauszüchtung des Lebensgünstigsten neue Formen bilden können. So muß sich z. B. auch das Gehirn des Menschen aus dem primitiveren eines Affen­ vorfahren gebildet haben. Da nunmehr aber beim Menschen das Gehirn groß war, so konnte auch sein Geist groß werden und die Natur in Fesseln schlagen. Geist — eine Funktion des Gehirns oder: der Mensch als Eehirnspezialist! Haben sich aber nicht vielmehr Gehirn und Geist als untrennbare Funk­ tionseinheit selbst wieder aus dem einheitlichen Ganzen einer die einer (durch die Zellteilungen verzweigten) Wellenbewegung gleichen. Danach wäre die scheinbare Einheit der Keimes- und Stammentwicklung eine Synthese von Wellenrhythmen. Hier möchten wir auch auf Andre, Deutsche Naturanschauung als Deutung des Lebendigen, München und Berlin 1935, hinweisen, besonders auf S. 110 u. 111, wo er folgendes sagt: „Sowohl das Atom wie das Leben bedürfen eines korpuskular gegliederten Strukturbildes, wie auch zugleich eines den Fluß des rhythmischen Geschehens spiegelnden Wellenbildes, um an ihr Geheimnis heranzukommen. Beide Bilder lassen sich durch die Forschung selber nie voll zur Deckungseinheit bringen."

höheren Idee gebildet? Und bei den sogenannten Schutz­ mustern mag man es ähnlich verstehen: nicht das Lebewesen hat sich durch Auslese oder Neizwirkung an den gegebenen Lebensraum angepaßt (ganz allmählich), sondern in der Uridee waren Umwelt und Organismus schon beieinander. Aus solche Gedankengänge bringt uns das Studium der Tierstim­ men. Wir fanden nun auch in der „Stimme der Landschaft" ein höheres Harmoniesystem, in das sich z. B. die Gesänge der Vögel, die Rufe der Insekten usw. zusammen einordnen lassen; wir fanden die Harmonie der Landschaftserfül­ lung! Freilich, mit exakten Definitionen ist man hier ratlos. Ich kann nicht beschreiben, warum die Stimmen der Grillen, Wechselkröten, Schwirle und anderer Wiesen-Sumpfbewohner zusammenpassen, ich kann noch weniger erklären, warum der Gesang der Nachtigall niemals für einen Meerstrand- oder Wiesenvogel passen würde, warum die Rohrsänger des Landes „landartiger" singen als die des Sumpfes! Hier handelt es sich eben um größere Harmonien, die nicht dem Verstand allein zugängig sind, genau wie bei der Tatsache, daß mir ein Jodler nicht ans Meer zu gehören scheint und ich doch nicht sagen kann, warum! Erkennen wir so, daß jede Tierstimme (wenigstens die eigentlichen Gesänge und anderen Rufe, die dem Geschlechts­ leben entspringen) ein Baustein für die große Harmonie der Landschaft ist, so erkennen wir zugleich, daß sich nicht nur das einzelne Lebewesen tönend ausdrückt, sondern auch die ganze Lebensgemeinschaft ihren bestimmten Akkord anschlägt. Neben diesem System einer harmonischen Ganzheits­ erfüllung gibt es aber — wie bei allen anderen Erscheinungen auch — untergeordnetere Systeme. Jedes Tier, das doch selbst etwas Ganzheitliches ist, muh ebenso wie die Lebens­ gemeinschaft verschiedener Tiere seinen Ton ausstrahlen. Wir wissen, daß nun tatsächlich bei den Tieren, wo eine Diffe­ renzierung zwischen Gesang und Lockruf besteht (wo sich der platzbehauptende Gesang bzw. der Paarungsruf, der doch die ganze Körperlichkeit gewissermaßen architektonisch sdreidimensionalj darstellt vom Artsignal getrennt hat), sich eine deutliche Beziehung von Ruf und Art findet (eine Erscheinung, auf die ich in der „Stimme der Landschaft" wohl erstmals

hingewiesen habe). Ich erinnere an den Fall des Soldhähnchen­ laubsängers, der — obwohl ein echter Laubsänger — analog seiner körperlichen Ähnlichkeit mit einem Goldhähnchen auch gar nicht laubsängerhaft, sondern goldhähnchenartig ruft1); ich erinnere an die Tatsache, daß sich bei körperlicher Ähnlichkeit zweier als verwandt geltender Vögel auch eine größere Stimmähnlichkeit findet (Grasmückenbeispiel!). Ich erwähne wiederum die Tatsache, daß sich bei den Artsignalen (Lockrufen, Daseins­ rusen oder wie man sagen will) genau wie im Körperlichen Verwandtschaftsähnlichkeit feststellen läßt, selbst dort, wo die Gesänge, die eben dem Körper etwas „Gleichwertiges" aber nicht Höriges darstellen, sehr abweichend gestaltet sind. Wir bekommen so den Eindruck, daß die Lockrufe mehr den Charakter von Artmerkmalen besitzen und gleichsam nur Ausschmückungen, zum Träger passende Ornamente darstellen, während uns ja die Gesänge wie Raumgebilde vor­ kommen (s. S. 72). So erfüllen die Lockrufe nicht eine große Harmonie der Landschaft, sondern den Bauplan des Kör­ pers! Derartige Gedankengänge mögen etwas befremdend erscheinen; aber warum sollten sie nicht einmal ausgesprochen werden? In der Kunstliteratur würde niemand daran Anstoß nehmen, wenn man schreibt, daß die alte Kirchenmusik vor Bachs Zeiten mehr oder weniger nur ornamental die Kirche als gotisches Bauwerk ausfüllte — und daß sie von der Kirche befreit, kein Eigenleben führen konnte. Der Lockruf als Ornament im Hörbaren. So fernliegend ist der Vergleich nicht einmal, wenn man bedenkt, daß der Tonwechsel auch einem Linienwechsel entspricht (s. S. 140) und daß Ton und ornamentale Linie die werdende Zeit verkörpern. — An einigen besonders eindrucksvollen Fällen versuchten wir in der „Stimme der Landschaft" die Körpergebundenheit oder den Merkmalscharakter des Lockrufes auf einer noch unfreieren Stufe zu zeigen: z. B. beim fliegenden Schellerpel. Dieser Vogel hat an Stelle eines besonderen Rufes eine merkwürdig zu1 Ein drastisches Beispiel sei noch nachgetragen: Unter den Eulen gibt es eine taglebende und recht falkenähnlich gestaltete Art, die Sperbereule (Surnia ulula), deren Stimme von den dumpfen oder bellenden der anderen Eulen sehr abweicht: Sie klingt nämlich falkenähnlich(!) „Ki-ki-ki.. Gibt das nicht zu denken?

gespitzte Handschwinge, die beim Flug (also dann, wenn bei anderen Enten der Lockruf gewöhnlich ausgestoßen wird, wenn es sich um einen Stimmsühlungslaut handelt) der vorbeistreichenden Luft einen bestimmten Ton abringt. Hier ist also der Ton wirklich nur eine „Federverzierung"! Er hat sich gleichzeitig mit der Umbildung der Schwinge in eine Schallschwinge gebildet. Und warum sollten sich nicht auch die anderen Daseinsrufe gleichzeitig mit der Ausbildung ihres Trägers entwickelt haben? Entschließen wir uns, erst einmal so zu denken, dann wird es ganz von allein überflüssig, nach der zweckgerichteten selektiven Herausbildung solcher Laute zu fragen. Die Harmonie des Körpers mit seinem Ornament in einer höheren Einheit muß schon vorbestimmt sein. Wie Stimmorgan (Fähnchen einer Schrilleiste oder ein beson­ derer Kehlkopf) und Stimme einheitlich sein müssen, so sind auch Stimme und Körper in einheitlichem Verhältnis zu er» fassen. Fragen wir, wodurch nun wohl diese Harmonien erfüllt werden, so glauben wir die Antwort: „durch die Zahl" geben zu müssen. Wie wir nämlich (nachträglich) in der Architektur und Musik gewisse Zahlenverhältnisse als „befriedigend" oder „dissonant" erkennen können, wie sich also in der Architektur und Musik die Harmonie letzten Endes auf die gleiche Zahl gründet (s. S. 129), so muß wohl auch das harmonische Ver­ hältnis von einem Vogel und seinem Lockruf ebenso zahlen­ mäßig auszudrücken sein wie seine Körperproportionen selbst. Es ist nun sogar wahrscheinlich, daß der Vogel seinen eigenen, innewohnenden Zahlenrhythmus (wenn auch natürlich un­ bewußt) nach außen hin kundgeben kann, ja, daß er eine gewisse Vorstellung von seiner Größe besitzt (Nesteingänge; Kleiber, der zu große Höhlen verkleinert!) ohne dabei verstandesmäßig rechnen zu müssen. Ein Pferd weiß z. B. (trotz seiner Steppen­ tiernatur) genau, durch ein wie großes Tor es noch geht; niemals bedenkt es aber dabei, daß es heute vielleicht einen breiteren Wagen oder einen höheren Reiter mit sich schleppt. Die unbewußte Vorstellung des eigenen symmetrischen Baus vermag ein Vogel wohl auch dadurch nach außen hin kundzu­ geben, als er ja seine Eier im Nest stets um eine bestimmte Symmetrieachse anordnet, ohne daß er dafür Zirkel und Lineal

braucht (Abb. 16). Ganz ähnlich baut die Spinne ihr Netz je nach ihrer Körperlichkeit (s. S. 69).

Abb. 16. Symmetrische Anordnung der Vogeleier im Nest. (Schematisiert, besonders in bezug auf die Eiform.) a kleeblattförmige Anordnung, b scheinbar regellos, aber doch durch die Achse in zwei gleiche „Massen" verteiltes Gelege, c Vierergelege in Kreuzform, d Dierergelege mit paarweiser Eiordnung, e 8 Eier, 2 Znneneier und 6 kettenförmig angelagerte Auheneier. Die Symmetrieachse gibt jeweils die Längsachse des brütenden Vogels an. — Nach v. Lukanus, Das Leben der Vögel, 1925.

Das System der harmonischen Erfüllung in Bau und Entwicklung der Lebewesen. Das Leben erscheint trotz des Todes als eine stete Einheit. Wenn man von Entwicklung der Lebensformen, sei es in stammes- oder embryonalgeschichtlichem Sinn redet, so über­ sieht man den Tod des Individuums nahezu geflissentlich. Und doch ist gerade der Tod die Grundlage für eine Fort­ entwicklung. Der ans Leben so sein angepaßte Körper muß verschwinden, damit die Art erhalten bleibt. Die primitiven Keimzellen allein, in denen die Potenz zur Ausbildung eines hoch organisierten Körpers schlummert, sichern die Konstanz der einzelnen Arten während langer Zeitläufte. In dem steten Untertauchen im Primitiven zur Erhaltung und

Weiterspezialisierung des Körpers mit all seinen feinen Ein­ richtungen drückt sich ein ewiger Wellenrhythmus des Lebens aus. Wie im großen Neues nur durch Zurückgreifen auf die Uridee geschaffen werden kann (s. o.), so muh auch der neue Nachkomme einer Art noch einmal aus den schöpferischen Tiefen der Urkeimzelle entwickelt werden. Die Keimbahn ist gewissermaßen das laufende Band, an dem alle Nachkommen wieder erscheinen, sie allein sichert den Fortbestand. Die Tat­ sache, daß der Keim nicht ein kleines, fertiges Tier ist, das seine Anlagen nur zu entfalten braucht (wie es die Präformisten dachten), sondern seine einzelnen Organe aus anscheinend ganz ungeformten, aber pvtenzschwangeren Zellverbänden allmählich herausbilden muß, führt notwendig zu einer rhyth­ mischen Entwicklung. Dabei wird die Potenz des Ausgangs­ materials in der Folge der Zeit immer mehr eingeschränkt — und somit die Entfernung vom plastischen Urbild immer größer. Zuletzt ist dann der Zustand des Eltertiers erreicht, das sich wiederum nur durch seine primitiv erhaltenen Keim­ zellen fortpflanzen kann. Die Entwicklung des Keimes zum Embryo und Volltier findet seine notwendige Parallele in der Entwicklung ganzer Tiergruppen. Haeckel erkannte aus den tatsächlichen Be­ funden, daß die Embryonalentwicklung eine verkürzte Stam­ mesentwicklung ist (biogenetisches Grundgesetz!). Wenn sich z. B. bei jedem Landwirbeltier (auch beim Menschen) ein Stadium zeigt, wo die Vorderdarmwand von Kiemen­ spalten durchbrochen wird oder wo Kiementaschen gebildet werden, wenn sich die Chorda dorsalis, der primitive Achsen­ stab der schädellosen Lanzettfischchen, im ganzen Wirbeltier­ reich nachweisen läßt, wenn der Mensch vor der Geburt ein Haarkleid trägt und somit seine Verwandtschaft mit „den Affen" des weiteren erweist, so sollte man wahrhaftig an die Abstam­ mungseinheit aller Wirbeltiere glauben, und man wird die von anderen geforderten Grundtypen als künstlich in die Wirklichkeit hineingebracht beiseiteschieben. Und dennoch scheint uns gerade das Einhalten eines biogenetischen Grundsatzes (nicht überall ist das freilich zu erkennen) für die wesenhaste Selbständigkeit und Geschlossenheit der Grundtypen zu sprechen. Ein Mensch ist freilich etwas ganz anderes als ein Fisch, dessen „Stadium"

er in seiner Entwicklung durchmachen mutz, aber ohne das Vorhandensein der Fische, Lurche, Reptilien und Säugetiere wäre andererseits auch die Konstruktion eines Menschenkörpers unmöglich, weil sich dessen Stofflichkeit ja aus das Tierreich gründen mutz. Wenn nun aber der Mensch nicht vollfertige Menschlein zeugen kann, sondern sich erst vom einzelligen Stadium, gewissermaßen durchs ganze Tierreich arbeiten muß, so zeigt er damit einmal seine Gegenstellung zum ganzen Lebensreich und andermal, daß die Grundtypen gerichtet gebildet wurden und daß lediglich die Grundtypen ent­ wicklungsfähig waren, nicht aber die einzelnen, verwirk­ lichten Tierformen. Die materielle Auswertung und Deutung des biogeneti­ schen Gesetzes übersieht nämlich, daß das Fischstadium, das Urtierstadium, das Säugetierstadium usw. nicht in der Bildung eines wirklichen Fisches, den man der Art nach bestimmen könnte und eines wirklichen Affen, den man heute oder aus alten Schichten kennt, bestand, sondern daß lediglich die Grund­ typen eines Fisches, Säugers usw. angedeutet und sogar stofflich verwirklicht werden. In der Form, wie die Entwick­ lung ein kiementragendes, fischartiges Wesen offenbart, ist dieses nie und nimmer auf der Erde verwirklicht gewesen, weil es dann niemals hätte lebensfähig sein können. In der Entwicklungsgeschichte werden wirklich die Grundtypen, die Abstraktionen, die Ideen, die sich in den einzelnen Tier­ gruppen manifestiert haben, einmal realisiert! Die Grund­ typen sind nicht lebensfähig in der Umwelt des Wassers oder Landes, sie sind nur embryonal möglich. In ihrem zeitlich sich folgenden Erscheinen stellen die Grundtypen die geistige Führungslinie des Werdens auf der Erde noch einmal vor. Während der Embryonalentwicklung allein stammen sie von­ einander ab, nicht aber während der Stammesentwicklung, weil ja dort niemals Grundtypen verwirklicht werden konnten. Grundtypen haben doch niemals gelebt, sie sind immer nur metaphysisch vorhanden und ihre wirkliche Existenz deutet die Cmbryonalentwicklung an. Die Suche nach demjenigen Affen, von dem sich der Mensch abgezweigt hat, hat man ja heute schon ausgegeben. Dagegen nimmt man allgemein an, daß Affen und Menschen von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen.

Diesen gemeinsamen Vorfahren, den wir lieber nicht benennen wollen, wird man aber niemals auf der Erde oder in den geo­ logischen Schichten finden, weil er nur als Idee „lebt". Höch­ stens in der Embryonalentwicklung wird diese Uridee von Affen und Menschen kurz symbolisiert. Die Reihenfolge der während der Individualentwicklung zur Geltung kommenden Grundtypen zeigt den ganzen Ausbau des Lebens in der Stufenfolge gesteigerter ganzheitlich in sich abgeschlossener Gestalten. Gleichzeitig werden die Grund­ typen immer potenzärmer; aus einem Säugetiergrundtyp kann niemals wieder ein Fisch werden, während aus der be­ fruchteten Eizelle noch alles werden kann. Im Lauf der Stam­ mesgeschichte haben sich die Grundtypen nun nach allen möglichen Anpassungsrichtungen hin auskristallisiert. Auch die Säugetiere, wohin man rein morphologisch den Menschen rechnen muß, haben sich ans Wasser, ans Baum- und Steppen­ leben angepaßt, kurz nahezu restlos „ausgelebt". Nur ein einziges Wesen innerhalb der Säugetiere entfernt sich auch morphologisch am wenigsten vom Grundtyp und erscheint selbst als ausgewachsen in vieler Hinsicht noch embryonal (Beibehalten der fünffingerigen Urextremität, Beibehalten des gewölbten Hirnschädels, eines undifferenzierten Gebisses usw.) — und das ist der Mensch. Er ist dasjenige Wesen, das seinem Lebensraum am wenigsten verschrieben ist und das sich durch seine beibehaltene Grundtypenhastigkeit, seine Plastizi­ tät, die Weiterentwicklung aus sich selbst gesichert hat. Daß nun diese Weiterentwicklung im Freiwerdenkönnen des schöpferischen Elementes, des Geistes, der die ganze Stufenfolge gesteigerter Gestalten im Tierreich bildete, besteht, ist ja gerade das Zeichen dafür, daß mit dem Menschen die Natur erfüllt wird. Und nun sehen wir die Wiederholung der Vorfahren im Embryonalgeschehen des Menschen ganz anders als nur in einer materiellen Weise: sie ist die Meta­ morphose, die Steigerung der Gestalten, die in der Blüte (die selbst wiederum das Wesen der „Pflanze" verkörpert) endet. Aus dieser Blüte aber entsteigt wiederum neues Leben — schöpferische Kraft. Indem sich in der Blüte und im Menschen das ganze erdentsprossene Leben noch einmal zusammenzieht, um sich wiederum zu öffnen, offenbart

sich uns das Leben als harmonisches Ganze, erzwungen durch den steten Rhythmus von Engung und Weitung (Systole und Diastole). Ohne den Menschen aber, der die ganze Natur noch einmal in sich zusammenzieht, um sie — im Geist, der sie erschuf — wieder frei werden zu lassen, wäre eine voll­ ständige harmonische Ausgeglichenheit des Lebens überhaupt nicht gewährleistet. Wäre der Mensch (wie es die meisten Naturforscher auch heute noch glauben) nur der metamorphosierte Stengel der Lebenspslanze, dann wäre eine stete Weiter­ entwicklung im Körperlichen ja immer noch denkbar, dann wäre die Natur eben noch nicht zur Ruhe gekommen; dann wäre aber der Mensch eben immer nur noch ein höheres Tier und brauchte sich wahrhaftig nicht anzustrengen, sich eines Wertes bewußt zu werden, um von sich aus höherzustreben. Erkennen wir aber erst einmal die Vollendermission des Menschen im Kreis­ lauf göttlichen Waltens, dann können wir bewußt und willen­ haft das Tierische in uns abstreifen und unsere wahre Gotteskindschaft erwerben. Das System harmonischer Erfüllung durch rhythmische Steigerung, das wir soeben skizzenhaft roh aufgezeigt haben und das wir in der Natur als das schöpferische Walten über­ haupt ahnen, das wir dann auch in der Kunst wiedergefunden haben und noch im nächsten Kapitel erläutern werden, be­ herrscht nun in der Tat die ganze Entwicklung des Lebens. Konnten wir schon beim Zeichnungsmuster seine Größe er­ kennen, bewunderten wir es bei den tierischen Lautäußerungen, so tritt es uns in der Entwicklung und Gestaltung der tierischen Körper erst recht deutlich entgegen. Die Beispiele auch nur danach auszuwählen zu versuchen, daß sie uns einen halbwegs genügenden Einblick in das Werden der Natur vermittelten, ist an dieser Stelle ganz unmöglich. Und so wollen wir uns auf ganz wenige Beispiele beschränken, um wenigstens anzu­ deuten, was wir unter harmonischen Systemen und deren Er­ füllung in Bau und Entwicklung der Tiere zu verstehen wünschen. Zwei polar entgegengesetzte Keimzellen mit männlicher und weiblicher Tendenz, mit dem dualistischen Charakter von Dur und Moll, von Plus und Minus, treffen sich. Die be­ fruchtete Eizelle (Zygote) ist eine Ganzheit, ein in sich abge­ schlossenes System, erzwungen aus der polaren Spannung

von männlich und weiblich. Doch sofort nach der Verschmel­ zung der beiden Kerne, nach der Zusammenziehung, trennen sich die Kernschleifen (Chromosomen-)hälsten und ihnen folgt das Cytoplasma nach, das sich alsbald einschnürt: Aus der einen Zelle sind zwei entstanden. Und nun geht es im Oktaven­ rhythmus weiter: vier Zellen, acht Zellen, sechzehn usw., bis schließlich abermals ein eiförmiges, nur oberflächlich stark zer­ furchtes und fast beerenartiges Gebilde entstanden ist: die Blastula. (Wir halten uns hier an eine etwas schematisch dar­ gestellte Entwicklungsweise, der z. B. viele Wirbeltiere folgen.) Sie ist etwas Ganzes. Aber auch die Teile sind ganz; denn wenn wir sie durchschnüren, entstehen nicht zwei halbe, sondern ganze (nur entsprechend kleinere) Embryonen. Ganz allmäh­ lich erst entledigen sich die Keimesteile ihrer innewohnenden Potenzen. Wenn sich schon der Urmund der Gastrula ein­ stülpt oder sogar noch, wenn sich das Nervenrohr aus zwei hochgeschlagenen Wülsten zu schließen beginnt und schon die ersten Extremitätenstummel sichtbar werden, die Urwirbel das ganze Keimchen rhythmisch durchgliedern, dann gibt es immer noch einige Organanlagen, die sich ihrer innewohnenden Aus­ gabe noch nicht besonnen haben und — an einen anderen Ort verpflanzt — etwas dem Ort entsprechendes ausbilden können. Nun aber werden natürlich die einzelnen Keimesteile von der Umgebung häufig (wahrscheinlich durch einen chemisch oder physikalisch begreifbaren Vorgang) beeinflußt, gerade dies oder jenes Organ zu bilden. Die eine Urmundlippe des Frosch­ keimes, an dem das ganze Zellmaterial während der Gastrulation gewissermaßen vorbeidesilieren muß, übt z. B. eine solche beeinflussende und organisierende Wirkung aus. Jedoch wird nicht nur durch den Zusammenhang des Ganzen eine ganzheitliche Ausgeglichenheit gewährleistet, sondern auch im einzelnen beweisen die isoliert aus dem Keimesverband aus­ gezogenen Gewebe nach einer bestimmten Zeit schon ihre Selbständigkeit und das „Bewußtsein" ihrer einstigen Be­ stimmung. So beginnt das Gewebe, das einstmals dem Herzen zugehören wird, auch isoliert und in einzelne Stränge zerfallen, im Glas zu schlagen. Der Herzrhythmus ist also schon vor­ handen, wenn noch gar kein Blut zum Durchpulsen da ist, ja wenn von einem Herzen selbst noch gar nicht gesprochen werden

kann. Wenn man nun das Gewebe für den künftigen ZiliarMuskel eines Hühnchens beispielsweise getrennt vom Keim aufzieht, so bemerkt man alsbald, daß sich einzelne spindel- und sternförmige Zellen ausbilden und sich sogar zu Muskelbändern zusammenlegen, obwohl doch gar kein Augapfel da ist, an dem sich sonst der Muskel ansetzen könnte. Aber nicht nur das, sondern der selbständig gebildete Muskel fängt sogar an, sich zu spannen und zu weiten, in beständigem Rhythmus! So sehen wir, daß einmal jeder Teil schon eine Funktions­ einheit, etwas harmonisch Ganzes ist und daß ferner die Funk­ tion dieses Organs bereits mit der Form gegeben ist. Es ist nicht so, daß sich das Tierchen erst formal ausbildet und dann kommt das „Leben" und spielt mit den säuberlich hergestellten Organen, bewegt die Muskeln, läßt das Herz pumpen, nein: das Leben, der Lebensrhythmus liegt von vornherein schon im Organ; die Form ist zugleich Energie und der Stofs ist Forint, eine Weisheit, die selbst bis zur Atomstruktur hin zu verfolgen ist. Run aber weiter mit der Keimesentwicklung?)! Wie sich die Urwirbel rhythmisch über das Ganze verteilen, so auch die Nerven, die vom Mark abweichen. Was in diesem nur ein kleiner Kanal war, ist im Hirn zu einer mächtigen Blase er­ weitert. Aber auch in der ganglientragenden Nervensubstanz hat sich im Gehirn gegenüber dem Nervenrohr eine gewaltige Metamorphose vollzogen: die Hirnrinde wulstet sich vor und vergrößert ihre Oberfläche durch Furchen und Berge. Dem Symmetriesystem des Embryos fügt sich das Hirn durch die Bildung seiner beiden Hälften. Aus der Mitte des noch un­ geteilten Hirns entspringen nach beiden Seiten zwei Wülste, die später die Netzhaut des Auges ergeben. Vom Hautsystem aber bilden sich gleichzeitig Hornhaut und Linse und fügen sich so zum ganzen Organ, dem Auge, zusammen! Aus zwei Polen entsteht so eine höhere Funktionseinheit — immer wieder das­ selbe System harmonischer Erfüllung. Und die Netzhaut allein — auch sie ist ein Wunderwerk. Sinneszellen sitzen da dicht an dicht gereiht und übergeben ihre Fortsätze dem Augennerv. *) Vgl. Lautäuherungen, S. 105. 2) Hiezu vergl. 93. Dürken, Entwicklungsbiologie und Ganzheit, Leipzig 1936.

Der von den Sinneszellen aufgenommene Lichtreiz wandert nun als Erregung und in Energie verwandelt zum Hirn, wo sich diese Erregung in ein Erlebnis umsetzt. Aber nicht in eine Empfindung der Zerlegung des Lichts, wie sie tatsächlich im Auge vorgeht, sondern als ganzheitliches Erlebnis! Violett erscheint als violett und weiß als weiß! — Allmählich ist der Körper fertig gebildet; aber diese Ruhe ist zeitlich begrenzt. In den Keimzellen bleibt die Fortpflanzungsmöglichkeit auch nach Absterben des Organismus. Jedoch müssen die Keimzellen wiederum reisen. Da ihr Chromosomensatz Kernschleifen des Vaters und der Mutter enthält, ist er sozusagen doppelt besetzt. Bei der Reifung wird die Hälfte der Chromosomen wieder aus­ gestoßen und das muß so sein, denn sonst würde sich ja nicht die Zahlenkonstanz der Chromosomen in jeder Zelle bei jedem Lebewesen halten. Der Mensch besitzt z. B. in allen Körper­ zellen 48 Chromosomen (die ja bekanntlich die Träger der Erb­ masse sind). Nur in den reifen Keiinzellen sind es 24. Das ist ein Spannungsverhältnis, das nur durch die Befruchtung, wobei der eine Partner zu den 24 Kernschleifen seine 24 Chromo­ soms hinzutut, ausgeglichen werden kann. Dann erst kann wieder neues Leben wachsen. Wie nun bereits innerhalb der Entwicklung eines Lebe­ wesens ein steter Wechsel zwischen Rhythmus und erfüllter Harmonie in weiterer Steigerung herrscht, so läßt sich die ganz­ heitliche Erfüllung auch stammesgeschichtlich beobachten. Wir wiesen ja schon darauf hin, daß innerhalb einer größeren oder kleineren systematischen Kategorie (also z. B. innerhalb der Klasse der Vögel oder der Ordnung der Raubvögel usw.) eine harmonische Erfüllung der Grundidee vorliegt. Dabei sind natürlich alle einzelnen Anpassungsformen dennoch in sich geschlossene Ganzheiten, die wiederum ihrem Lebensraum vollkommen entsprechen. Betrachten wir die Gruppe der Rallen und Kraniche, die viele gemeinsame Züge aufweisen, so stellen wir hier Schwimmvögel (Blehhuhn), Sumpftreter (Teichhuhn), Wirrnisschlüpfer (Wachtelkönig), Sumpsschreiter (Kranich) und Steppenrenner (Schlangenstorch) fest (Abb. 17). Die extremsten Anpassungsformen sind Bleßhuhn und Schlangen­ storch; sie können also am allerwenigsten mit der KranichRallen-Ursorm verglichen werden. Der Kranich hat sich ver-

hältnismähig wenig spezialisiert; er fliegt gut und läuft gut, wenn er auch kein Nenner ist. Allerdings schwimmen kann er nicht. Untersucht man nun1) den Schlangenstorch entwicklungs­ geschichtlich, so sieht man, wie er ein Stadium durchläuft, das in den Proportionen des Armskelettes den gut flugfähigen Arten (z. B. dem Kranich) entspricht. Der erwachsene Schlangen­ storch aber hat weitgehend verkümmerte Flügel und macht vom

Abb. 17. Anpassungsreihe von Nattenartigen, a Bletzhuhn, durch die Schwimmlappen an den Zehen ein regelrechter Schwimmvogel, b Teichhuhn mit langen „Ski"-Zehen zum Betreten sumpfigen Untergrunds, c Wachtelkönig mit mehr hühnerartig proportionierten Zehen, die ihm das Lausen auf Wiesenboden u. dgl. gestatten, d ein weitläufiger Verwandter, die Seriema oder der Schlangenstorch als ausgesprochener Laufvogel der Savannen. — Man beachte, wie sich mit der zunehmenden Laufsähigkeit die Hinterzehe verkürzt und hochstellt t

Flug überhaupt nur wenig Gebrauch, er braucht das ja auch nicht; denn auf der Buschsteppe entflieht er rennend wie ein Strauß. Bei der Beobachtung des Wachstumsrhythmus am Embryo und Iungvogel erkennt man nun, wie sich die Beine im gleichen Maß strecken, während die Flügel sich verkürzen (d. h. relativ genommen, in ihren einzelnen Abschnitten). Man merkt aus solchen Proportionsverschiebungen das Streben *) Vgl. Frieling, Cariama cristata als Anpassungsform an das Sa­ vannenleben, Ztschr. f. Morph, und Ötol der Tiere, 1936,1. 8*

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nach einem harmonischen Bausystem. Wo aus der einen Seite etwas hinzukommt, nimmt es aus der anderen Seite ab. Natürlich nach Maßgabe des Lebensraums, den der Vogel bewohnt. Der Strauß, der ein reiner Steppenrenner ist und nicht auf Bäumen nistet und ruht wie der Schlangenstorch, braucht nun überhaupt keine Flügel mehr — nur noch Beine. Und so bildet sich auch das Brustbein, an dem die Flügel­ muskeln ansitzen, mit diesen zurück. Gleichzeitig aber strecken sich die Beine ganz enorm und spezialisieren sich aus die Mittel­ zehe. Die Hinter- und die eine Seitenzehe sind verschwunden, so daß der Strauß zweizehig ist. Damit aber stellt er wiederum eine Parallele zu den Pferden dar, die stammesgeschichtlich von fünfzehigen zu einzehigen Wesen zu verfolgen sind (gleich­ sinniges Anpassungsprinzip). So sehen wir, daß trotz einseitigster Anpassung eine Harmonie im Ganzen gewahrt bleibt. Dieses System kann sich nun auch noch auf die Sinnesorgane beziehen. Tritt ein Sinn als für die Anpassung nicht notwendig zurück, so wird er korre­ lativ durch einen anderen ergänzt. Unter den gut sehenden Flohkrebsen gibt es eine höhlenbewohnende Art. In Höhlen nützt das Auge wenig; es ist im Einklang mit der Lebensweise zurückgebildet. Dafür aber sind die Nervenendigungen, die Tastborsten usw. an den einzelnen Körperteilen dieses Höhlen­ flohkrebses viel, viel besser ausgebildet als bei den anderen Flohkrebsen. Das Streben nach harmonischer Entsprechung der Teile ist, abgesehen von den bekannten Regenerationsbeispielen (harmonische Ergänzung der abgeschnittenen Teile eines Wurmes u. dgl.) ganz besonders bei pathologischen Erschei­ nungen zu bemerken. Es wird von einer Ente berichtet, deren Oberschnabel abnorm kurz war und die es mit der Feit (durch eigene „Dressur der Triebes lernte, den Unterschnabel als Löffel zu gebrauchen. Man sieht, wie plastisch auch der Er­ nährungsinstinkt ist, wie sich zur neuen Form gleich der neue „Geist" gesellt. Aber auch anatomisch ist der Fall interessant. Da die Zunge nicht mehr durch den Oberschnabel gestützt war, verhornte diese! Hier die Tendenz zur Erfüllung der ganz­ heitlichen Harmonie! Einen Einblick in das Walten der schöpferischen Kräfte gibt die Möglichkeit des Sprechens ohne

Kehlkopf. Menschen, deren Kehlkopf herausgenommen werden mußte, können sich dank der Umstellungsfähigkeit ihrer Organe helfen: Die Luft wird aus dem Magen genommen (Rülpsen) t Das ist schon erstaunlich, denn willkürlich den Magen als Luftkessel zu benutzen, ist normalerweise sehr schwer. Roch be­ wunderungswürdiger ist es aber, daß sich neue Gewebssalten bilden, welche die verloren gegangenen Stimmbänder ana­ tomisch ersetzen, so daß man ohne Kehlkopf artikuliert sprechen und singen kann (vgl. „Hippokrates", 31, 1936). Doch dies sind nur ganz wenige Beispiele für das ausschließlich korrelative Walten im Organismus. Man hat vielfach den Eindruck eines sparsamen Waltens der Natur mit Organmaterial. Natürlich kann nur gesteigert oder rückgebildet werden, was im Urtyp schon vorhanden war; etwas grundsätzlich Neues kann durch die Steigerung eines Organs nicht erreicht werden; der Strauß wird eben mit groben Worten kein Pferd. Es ist nun wichtig, daß der Mensch, wenn man ihn als Säugetier betrachtet, auch hierin urtypähnlich ist, indem er kein Sinnesorgan oder kein anderes Organ extrem gesteigert hat. Freilich überwiegt bei uns der Gesichtssinn den Geruchssinn, aber immerhin sind die Sinnesleistungen noch viel ausgeglichener als bei einem Hund beispielsweise, bei dem der Geruchssinn den Sehsinn um ein Erhebliches übertrifft. Man kann regelrecht von Augentieren und Nasentieren reden. Die schlechtriechenden Vögel (sie riechen schlechter oder aber wenigstens nicht besser als der Mensch) sehen ganz gewaltig viel besser als der Mensch. Ebenso das Chamäleon, das unter den Eidechsen als Geruchsstümperer erscheint und dafür am besten sieht. Durch die Einseitigkeit der Funktionsleistungen sind die Tiere häufig gezwungen, sich wieder in einer übergeordneten Ganzheit zu vervollkommnen. Und das kann geschehen durch die Ganzheit des Lebensraums oder besser der Lebens­ gemeinschaft, die sie teilen. Man findet aus den afrikanischen Steppen die gut sehenden Strauße sehr häufig mit den gut witternden Zebras vergesellschaftet. Beide Tiere bilden durch ihre Gesellschaft gewissermaßen eine höhere Funktionseinheit, die sie vor Gefahren schützt. Kleinere Ganzheiten (Strauß bzw. Zebra) ergänzen sich in einer größeren Ganzheit (ihrer Lebens-

gemeinschaft). Von diesem Gesichtspunkt müssen wir auch den Lebensraum, die tote Umwelt als „Kumpan" des Tieres er­ kennen, ja geradezu als seinen nötigen, anorganischen Gegen­ pol! Ein Strauß ist mit dem harten Steppenboden so innig auf Gedeih und Verderb verbunden, daß er verraten und ver­ kauft wäre, müßte er im Moor sein Heil versuchen. Ein Hase verläßt sich so aus die Farbe der Umgebung und sein Anschmie­ gen an diese, daß er gar nichts besseres tun kann, als sitzen zu bleiben, wenn Gefahr droht. So sonderbar es auch klingt: aber man muß einmal nicht nur die Tiere als den aktiven Teil bei der Anpassung an ihren Lebensraum (extreme Fälle = Mimikry) sehen, sondern man muß vielmehr die ursprüngliche Einheit, das Auseinanderangewiesensein von Tier und Um­ gebung als höheres Harmoniesystem auffassen, ganz gleichgültig, wie es zu der Anpassung gekommen ist (s. o.). Dann erkennt man wieder den polaren Gegensatz: Tier und Boden z. B. und sieht, wie sich daraus ein höheres Harmoniesystem aufbaut. Wie sich der Vogelgesang (vgl. „Die Stimme der Landschaft") begreifen läßt als Teil (und doch Ganzes!) einer großen Melodie und Harmonie, wie man bei ihm verwandt­ schaftlich eingehaltene Grundformen erkennen kann und doch die Abänderungen von der Grundform nur auf höherer Harmoniestuse verstehen wird, so ist es auch mit den tierischen Bau­ plänen: sie sind in sich geschlossene Ganzheiten, aus unter­ geordneten ganzheitlichen Harmoniesystemen aufgebaut, stets spannend und ausrichtend, in dauernder Wechselwirkung — und doch ergeben sie erst in ihrer Gesamtheit die höhere Har­ monie mit der Landschaft. Haben wir nun das System der harmonischen Erfüllungen im Tierreichs (für das Pflanzenreich gilt es auch) als Plan der Schöpfung begriffen, so wird uns die Stellung des Menschen in der Natur zunehmend klarer und wir verstehen, was wir eingangs sagten, daß der Mensch insofern der Natur gegenüber1) Die harmonischen Entsprechungen beziehen sich natürlich nicht nur auf das Körperliche allein, sondern auch aus Körper und Seele, bzw. Wesen. So entspricht der Balz eines Paradiesvogels dessen Valzschmuck und dem Tem­ perament eines Tieres dessen Gestalt oder Farbe, gm letzteren Fall sind wir jedoch kaum in der Lage, naturwissenschaftliche Beweise zu erbringen, weshalb wir hier darauf nicht eingehen wollen.

steht, als er das einzige dem Grundtyp allen Lebens am ähn­ lichsten gebliebene Lebewesen ist, daß er aber erfüllend in der Natur steht durch seine Schöpfung, die wiederum nur im Stre­ ben nach harmonischer Erfüllung vor sich gehen kann. Der Mensch befreite sich von der Natur, um doch mit Hilfe ihres Geistes wieder zu ihr zurückzukehren.

Das Streben nach harmonischer Erfüllung in der Kunst. Wenn die menschliche Schöpfung auch eine Überhöhung der Natur darstellt und ein Ausdruck der Freiheit genannt werden kann, so wird sich das Kunstwerk doch den ehernen Gesetzen der natürlichen Harmonie einfügen müssen, wenn es überhaupt „schön" sein soll. Gelingt es uns aber, allgemeine Harmoniegesetze in der Kunst und in der Natur nachzuweisen, so ist damit wiederum ein Kennzeichen für die grundsätzliche Gleichheit göttlichen und menschlichen Schaffens gegeben. Ganz allgemein gilt zunächst tatsächlich in der Kunst wie in der Natur, daß sich aus polar gespannten Gegensätzen eine Einheit auf höherer Ebene ergibt. Diese Pole können nun ein­ mal im Apollinischen und Faustischen des Kunstwollens liegen oder anders ausgedrückt im Statischen und Dynamischen, Objek­ tiven und Subjektiven, Realen und Idealen uff. Wenn es sich bei diesen Gegensätzen nicht gerade um verschiedene Form­ prinzipien handelt, sondern mehr um Phasen ein und des­ selben grundsätzlichen Wollens, so ist doch die sich aus ihnen erhebende harmonische Einheit überall zu erkennen. Wie wir schon erwähnten, lassen sich dem hellenischen Baustil Romanik und Gotik als einheitliche Architekturperiode gegenüberstellen, wobei — im ganzen betrachtet — die griechische mehr das objektive, d. h. stoffbejahende und von der Freude am Stoff ausgehende mechanische Formprinzip verkörpert, während die germanische die Überwindung des Stoffes und den subjektiven Ausdruck der Seele fordert. Im Kleinen treffen wir die Gegen­ sätzlichkeit dieser Formprinzipien oder Phasen dann wieder innerhalb der romanisch-gotischen Bauperiode. Es hieße, eine besondere Kunstbetrachtung schreiben, wollten wir hier die mechanische und organische Phase des Kunstwollens angenähert vollständig in der Kunst herausarbeiten. Bleiben wir nur bei

der deutschen Kunst, so soll der Hinweis genügen, daß Paul Krannhals in seinem „Organischen Weltbild" einige sehr eindrucksvolle Beispiele für die beiden Formprinzipien gibt. Für die nordische Ornamentik besonders hat A. van Schei­ terns ^) den regelmäßigen Rhythmus von mechanischem und organischem Formprinzip in dem Schaffen der Stein-, Bronzeund Eisenzeit zweifelsfrei nachgewiesen. Man kann auch fest­ stellen, daß das organische Formprinzip (Flechtenbandorna­ ment) der Gotik sowohl in der Architektur als auch in der Musik wieder auftritt. „Ja, es ist nicht zu viel gesagt, wenn wir be­ haupten, daß die organische deutsche Weltanschauung, die die Einheit in der Mannigfaltigkeit und die Mannigfaltigkeit in der Einheit, die die kontrapunktliche Harmonie der einzigartigen Persönlichkeiten in der Gemeinschaft betont, schon vor Jahr­ tausenden in der nordischen Ornamentik ihren ersten sichtbaren Ausdruck erhalten hat. Und den gleichen lebendigen Rhythmus kontrapunktlicher Harmonie veranschaulicht uns das schöpfe­ rische Prinzip der Natur: im Einzelorganismus wie in der un­ endlichen Verflochtenheit der verschiedenartigsten Lebens­ formen, die bei aller Betonung ihrer Sonderart doch zugleich in der erhabenen Symphonie des Lebens zusammenwirken" (Krannhals). Dasselbe innere Erleben wie in der altnordischen Orna­ mentik kommt auch in der bronzezeitlichen Musik zur Gel­ tung. Kossinna^) schreibt über die Vielstimmigkeit der Lure und das polyphone Tonliniengeflecht, das eine wirkliche Ana­ logie zur Ornamentik darstellt, folgendes: „Selbst die heutige Zeit besitzt kein Blasinstrument, das wie die Suren Fülle und Majestät gleichmäßig mit Milde und Wohllaut des Tones zu verbinden imstande ist. Die Leichtigkeit, mit der die Töne des Dreiklangs als Naturtöne diesem Geräte vom Spieler zu ent­ locken sind, liefert weiter den Beweis, daß die Germanen zum mindesten bereits in der ältesten Bronzezeit jene Vielstimmig­ keit besaßen, die im schroffsten Gegensatz steht zur monotonen, diatonisch fortschreitenden Einstimmigkeit der alten südeuro­ päischen Melodie, die aber das Grundprinzip abgegeben hat, von dem die moderne europäische Musik beherrscht wird." *) Die altnordische Kunst, Berlin 1924. Die deutsche Vorgeschichte.

2)

Ausführlich geht Krannhals auch auf die Architektur ein, so daß wir nur aus sein Werk verweisen können. Wir treffen gerade bei der Architektur häufig aus einen Kampf zweier Rassenelemente, der dann auf der höheren Vereinigung im Sieg beider endet. Diese Erscheinung erinnert an den „Kamps der Teile im Organismus". Krannhals betont, daß sich Romanik, Gotik und Barock in ihren ersten mechanischen Phasen sozusagen wissenschaftlich ihre Bauelemente auswählten. In der Romanik war der Einfluß der Spätantike gleichsam Bildungserlebnis geworden, in der Gotik war es der nord­ französische, im Barock der norditalienische Einfluß. Die Fremdsormen sind aber dann alsbald innerlich verarbeitet und Eigen­ gut geworden, sie wurden geradezu organisiert. Wann dieser Zeitpunkt eingetreten ist, läßt jede Architekturperiode deutlich erkennen. Immerhin müssen wir uns hüten, die mechanische Erstphase einer Kunstperiode als bloße Nachahmung und ver­ standesmäßige Kombination allein hinzustellen, wie es nach Krannhals fast den Anschein hat. Läge nämlich (selbst in der übernommenen Mathematik!) nicht etwas Wesensver­ wandtes in der formal vorhergehenden Kunstperiode, so könnte der Deutsche sie überhaupt nicht ausgenommen und vor allem nicht organisiert haben. Wenn wir uns klarmachen, daß z. B. auch ein reiner Naturalismus eine Ausdruckskunst sein kann, indem das im Objekt innewohnende Gesetz zugleich (unbewußt) auch als das irrt eigenen Körper vorhandene er­ kannt wird, so verstehen wir leichter, daß in jeder, auch scheinbar noch so mechanischen Bauphase ein Grundzug steckt, den man vielleicht erst später zum herrschenden macht, der aber eben immer Bestandteil der eigenen seelisch-geistigen Struktur ist. Aus den zahlreichen Beispielen, die Krannhals anführt, möchten wir besonders auf die Entwicklung des Kreuzgewölbes in der organischen Phase der Romanik und Gotik hinweisen. Diese ist deshalb besonders lehrreich, „weil sich hier an einer neuen Kunstgattung und einem neuen Träger, dem Sakralbau, dieselben Entwicklungstendenzen offenbaren, die uns in der altnordischen Ornamentik entgegentraten. Wie das Tonnen­ gewölbe gegenüber dem Kreuzgewölbe das mechanische Form­ prinzip der ersten Phase zum Ausdruck bringt, so lassen sich auch in der Entwicklung des Kreuzgewölbes selbst eine mechanische

und eine organische Phase verdeutlichen. Die Höhentendenz wird zwar schon in der ersten Phase, die noch in die romanische Zeit fällt, im Schnittpunkt der Gewölbekappen betont. Der Unterschied zwischen der ersten und zweiten Phase besteht nun hauptsächlich in der Art der künstlerischen Behandlung der Grate, die durch den Zusammenschluß der Gewölbekappen ge­ bildet werden und in ihrer linearen Ausdruckskraft die Er­ innerung an die altnordische Ornamentik wachrufen. „Der erste Schritt war", sagt Worringer^) hierzu, „diese lineare Mimik dadurch zu unterstreichen, daß man die Gratbogen mit Nippen umzog, die anfangs mit dem Gewölbe in keiner inneren Verbindung standen und neben ihrem Unterstützungszweck der linearen Ausdrucksverstärkung dienten." Hier zeigt sich nun eine tiefe Parallele zu den ersten mechanischen Phasen der alt­ nordischen Ornamentik. „Wo immer das mechanische Formbzw. Ordnungsprinzip vorherrscht, ist es eben die Struktur des Trägers, der diese Form oder diese Anordnung bestimmt." Hier ist nun der Träger ein architektonisches Gebilde, eben das Gewölbe, seine Struktur, die zur Betonung auffordert, sind die Grate der Gewölbekappen, die nun durch die Rippen linear betont werden. Die organische Phase müßte nun die Be­ herrschung der Struktur des Trägers durch die Kunstform, also der Struktur der Gewölbekappen durch die Rippen, zum Aus­ druck bringen, d. h. aber die Umkehrung des mechanischen Ver­ hältnisses von Träger und Kunstform. Diese spezifisch organische Phase der Entwicklung des Kreuzgewölbes gehört bekanntlich schon der Gotik an. „Es ist die große gotische Umwälzung des Wölbungssystems, die die Gewölberippen zu den eigentlichen Trägern der Gewölbekonstruktion macht und die Gewölbe­ kappen nur als Füllung in den Rahmen einspannt. Die Rippen werden zum innersten Gerüst der ganzen Konstruktion: die künstlerische Bedeutung der Rippen mit ihrer konstruktiven Bedeutung wird eins." Für die organischen Phasen der Kunstperioden ist eine solche Umkehrung von Grund und Muster immer charakte­ ristisch. Die ursprünglichen Träger, die sich kreuzenden Tonnen­ gewölbe erscheinen nach dem Organisierungsprozeß als das von den Rippen als Träger umschlossene Füllungsmuster. „Das *) 211 erringet, Formprobleme der Gotik.

zweite Hauptelement dieser organischen Phase ist der Spitz­ bogen, der das quadratische Grundschema, das mechanische Nebeneinander der Iochquadrate von Mittel- und Seiten­ schiffen durchbricht, die Seitenschiffe dem Höhenstreben des Mittelschiffes als Auftakt organisch unterordnet. Den einheit­ lichen Lebensschwung der vertikalen Bewegung im Innern wiederholt das dritte Hauptelement der organischen Phase, das äußere Strebewerk, das in kühnem Bogenschwung von den Strebepfeilern der Seitenschiffe zur Überhöhung des Mittel­ schiffes hinaufeilt. Und gerade die Tatsache, daß die äußere Stützung der himmelstrebenden inneren Mittelschiffspfeiler ästhetisch in umgekehrter Richtung erlebt wird als konstruktiv, ist ein organisches Charakteristikum von höchster Eindringlich­ keit. Im inneren Zusammenhang hiermit steht nun auch das letzte charakteristische Hauptelement der organischen Phase, die Flächenaufteilung, die Auflösung des Grundes als Träger der künstlerischen Gestaltung. Denn die kontrapunktliche Orna­ mentik, der Fugenstil des Strebewerks, dient nicht etwa dazu, den Charakter des Daches als Grund, als Träger zu betonen, wie dies das mechanische Formprinzip fordern würde, sondern beherrscht das Dach vollkommen. Dieselbe Umkehrung von Grund und Muster tritt nun auch in der Wandauflösung in Erscheinung..." (Krannhals). — Aus diesen Beispielen erhellt wohl die konstruktive Einheit der Gotik zur Genüge. Gleichzeitig aber ersehen wir aus ihnen das gleiche System harmonischer Erfüllungen der einzelnen Bauelemente, wie wir es beim tierischen Bauplan erkannten. Der Unterschied zwischen zweckloser Grundform und zweckdienlicher (angepaßter) Aus­ bauform liegt in der Kunst ebenso zu Tage wie in der Natur. Der Pendelschlag von objektgebundenen zu frei strebenden Formphasen in der Kunst macht sich ganz besonders deutlich auch in der Musik geltend. Immerzu wechseln hier zugleich Naturgebundenheit und Freiheit des Künstlers miteinander ab, und doch umfaßt die Persönlichkeit des Künstlers das Streben nach Freiheit und die Wendung zur Natur gleichermaßen, ja erhebt beides zu höherer Einheit, zum Sieg. Der Widerstreit hebt sich hier aus höherer Ebene auf. In dem Streben nach Freiheit liegt aber nur scheinbar der Begriff der Naturüber­ windung; vielmehr bedeutet diese Freiheit eine freiwillige

Unterordnung unter die hehren Gesetze von Harmonie und Logik, die die Natur wie auch uns selbst beherrschen. Trotz allen persönlichen Willens, trotz allen Tobens und Brandens mündet die Musik eines großen Deutschen immer wieder in die klassische Ruhe Bachscher Fugenkunst ein, die selbst ohne Stimmung und Färbung wieder dem Verlauf verschiedenartiger Tonlinien ihre harmonische Größe verdankt. Die Linie von der Gebundenheit an den Stofs und dessen Gebot bis zur Freiheit und deren Unterordnung im Zahlen­ gesetz läßt sich nicht nur bei der Musik aufzeigen, sondern auch bei den Bausormen der Kunst und der Natur. Betrachten wir allein die Entwicklung der Türme, so verstehen wir, was ge­ meint ist: zuerst der Vierlingsturm in strenger Gebundenheit, später dann die Herausbildung der „Turmpersönlichkeit" und die trotzdem vorhandene Harmonie mit dem ganzen Bauwerk. Von der ägyptischen Pyramide über den griechischen Tempel bis zum Barock kann man den Willen zum Persönlichkeits­ ausdruck, zur künstlerischen Freiheit verfolgen. Und dennoch ist es gar nicht so weit her mit der künstlerischen Freiheit und Selbständigkeit: wenn man nämlich den wissenschaftlich gar nicht faßbaren Sinn für Harmoniegesetze nicht besitzt, kann auch der „freie" Ausdruck keine Kunst darstellen, sondern höchstens Futurismus, atonale Musik und ähnliches Kauderwelsch der Seelenregungen hervorbringen. Der Wille zur wahren Kunst ist unumgänglich. Nur durch ihn kann die Einzelsorm überwunden und metamorphotisch gesteigert werden. Diese Steigerung unter Überwindung der Einzelsorm ist ja auch Naturgesetz. Aber was hier eben Gesetz ist, muh im Menschen zum Willensentschluß werden^). Mit dem Willenhaften ist die Freiheit gepaart; der Mensch ist dazu auserkoren, die Willensgesetze der Gottnatur in Freiheit fort­ zusetzen und zu vollenden. Diese sittliche Freiheit der Per­ sönlichkeit ist das Letzte, was die Schöpfung hervorx) Das Ideal der Kunst ist ja zugleich auch das Ideal der betr. Rasse, des Volkes. Eine entartete Kunst schuf nicht nur entartete Menschenbilder, sondern auch entartete Menschen. Die sittliche Verantwortung, ja gerade das politische Führeramt des Künstlers, kann nicht klar genug herausgestellt werden; denn ein Künstler ist nicht nur Produkt seines Volkes, sondern das Volk ist auch in gewissen Sinn Produkt seiner Kunst.

bringen kann und was eben wieder in die Ungebundenheit der schöpferischen Ideen zurückführt, den Kreis­ lauf des Lebens schließt. Das Erreichen der Freiheitsstufe ist nur durch Willensstärke Steigerung des Naturgegebenen möglich, durch eine Steigerung, die sogar über das schlechthin Natürliche, das Stoffgebundene, hinausführen muß, um den „Übermenschen" oder das Idealbild des Menschen erstehen zu lassen. Was die Natur in willegebundenen, unfreien Individuationsstufen steigernd erreichte, ist der Mensch berufen, in Freiheit zur köstlichsten Blüte reisen zu lassen. Ohne das ein­ geborene Streben nach diesem Urbild zurück, das wir in uns tragen, gäbe es keine sittliche Ordnung. Aber der Weg, der zur kongruenten Deckung mit dem Ur­ bild des Menschen führt, ist nicht durch eine einfache Zeugungs­ reihe bestimmt, deren Fortbestand durch die weitergegebene Erbmasse sichergestellt wird und die sich nur durch stofflich be­ stimmte Mutationsänderungen „entwickeln" kann. Nein: der Mensch braucht ein immerwährendes „Zurückgreifen" auf sein Menschsein, ein stetes sich Zurückbesinnen aus sein eigenes ver­ nünftiges Selbst für seinen Fortschritt. Des Menschen Ent­ wicklungsprinzip kann nicht von den Forderungen der Umwelt so stark beeinflußt werden wie das tierische, deshalb muß sich sein freier Geist den Fesseln der tierischen Spezialisation ent­ reißen und willensstark dem göttlichen Gebot unterwerfen ^). Das ist die harmonische Erfüllung des Menschen: seinem Urbild gleich zu werden. „Dazu steigert er sich, indem er sich mit allen Vollkommenheiten und Tugenden durchdringt, Wahl, Ordnung, Harmonie und Bedeutung aufruft und sich x) Von diesem Standpunkt erscheint auch die freiwillige (und auf Er­ kenntnis der natürlichen Vernunft beruhende) Unterordnung unter die natür­ lichen Mittel zur Heranzüchtung eines gesunden Geschlechts (Auslese des Tüchtigsten) als hohes sittliches Gebot und nicht — wie eine liberalistische Weltanschauung will — als menschenunwürdig! Was den Naturvölkern noch instinktiv richtig erscheint (scheinbar brutale Vernichtung des Krankhaften), das muh sich der Kulturmensch kraft seines Geistes von der Natur zurück­ erobern, um selbst im Sinn der Natur schaffen zu können, dabei nicht zum Tierischen zurückkehrend, sondern auf höherer Ebene im Sinne der Natur „schaffen". Nicht die Geburt bestimmt den Menschen allein, sondern er muß sich selbst erkennen, um sittlich höher zu steigen. Er darf ja an sich selber schaffen! Das hat er dem Tier voraus.

endlich bis zur Produktion des Kunstwerks erhebt" (Goethe). Dieses Kunstwerk aber ist wieder die Erfüllung eines Urbildes, das dem vernünftigen Selbst entspringt und gleichzeitig in der Natur — aus demselben Geist heraus — eine Verwirklichung gefunden hat.

Harmonie und Rhythmus in Natur und Kunst. Wenn innerhalb der natürlichen Erscheinungen nach einem erfüllenden Abschluß, nach einem Ausgleich des labilen Systems gesucht wird, wenn es also um die Erfassung der planmäßigen Harmonie geht, so müssen auch zwischen den einzelnen Natur­ erscheinungen übergeordnete harmonische Systeme ange­ nommen werden. Das Zeichnungsmuster wird seine Be­ ziehungen zur Lautäußerung des Tieres haben, und tönendes wie sichtbares Ornament dürften in tieferem Zusammenhang mit dem Bauplan eines jeden Lebewesens stehen, der seiner­ seits wieder mit der Umwelt ein harmonisches Verhältnis ein­ geht. Ist nun tatsächlich die Natur in allen ihren Erscheinungen auf ein gleichmäßiges Gesetz, auf einen Plan der Harmonie zurückzuführen, dann kann sich die Kunst, die sich dem Menschen­ geist entringt, auch nur wieder diesem hehren Plan unter­ ordnen. Einen solchen, immer schon vermuteten Schöpfungsplan zu beweisen, das heißt ihn einem unserer Sinne gefällig dar­ zustellen, haben sich die größten Denker und Dichter bemüht. Aber selbst wenn es ein Kepler war, der die harmonikalenBe­ ziehungen der Planetenbahnen aufdeckte, immer hat sich der nur analytisch denkende Wissenschaftler gewehrt. Diese ab­ lehnende Haltung war ihm aber andererseits eine gute Waffe. Denn kaum irgendwo als auf diesem Gebiet sind mehr phan­ tastische und geistreichelnde Sähe geschrieben worden. Wer alles und jedes in Natur und Kunst auf ein bestimmtes Dreieck zurückführen wollte, wer in einer Logarithmenspirale oder im Goldenen Schnitt den Plan Gottes zu erkennen glaubte oder gar wähnte, den Schlüssel zur Welt selbst in einer einzigen Urzahl in der Hand zu haben, der hat der schöpferischen Er­ habenheit den Rücken gekehrt, um einen Stein aus Gottes Krone zum Götzen zu erheben. Und könnten wir auch die tiefe

Bedeutung eines Dreiecks zugeben, vermöchten wir überall Zahlen und Mathematik zu erblicken, es fehlt in jenen Spekula­ tionen das einende Band, das wahres Verstehen gewährt. Weil die Mystik der Zahlen allzu oft ein Spielball intel­ lektueller Phantasten geworden war, verhielt sich die Wissen­ schaft aber auch gegen alle wirklich ernsten Versuche, der Welt ein harmonikales System (in unseren Zeiten A. v. Thimus, B. Goldschmidt, H. Kayser u. a.) zugrunde zu legen, ablehnend, obgleich aus ihren eigenen Reihen immer wieder Sucher und Sehnsüchtige hervorgingen, die danach strebten, das Vielerlei des Kosmos einheitlich erfassen zu können, wobei wiederum manch angefeindeter „Ismus" entstand. Sowohl in der Physik wie in der Musik stoßen wir auf ein ausfallend gleichartiges Bildungsprinzip, die Polarität. Hier ist es das positive Proton und das negative Elektron im Atom­ geschehen, dort der Dualismus von Dur und Moll. Weiterhin gründet sich aber auf eine solche Polarität stets der Rhythmus. Kann sich das Meer bewegen ohne den Wind, kann ein Ton hör­ bar werden ohne die Schwingung? Ohne elektromagnetische Schwingungen wären keine harmonischen Ganzheiten, keine Farbe, kein Licht, ja nicht einmal die Materie denkbar. In der Schwingung verbinden sich Raum und Zeit zu einem Urbildungsmoment aller Erscheinungen. Dieses Begriffspaar steht als ein polar gespannter Anfang da, als ein Dualismus, der sich versöhnt zu einer Harmonie, die schlechthin die Welt regiert. Und deshalb stößt der Physiker bei jedem Phänomen, das er zergliedert, auf eine Schwingung, möge er nun die Atome betrachten, die elektrischen Wellen, die Röntgenstrahlen, das Licht, den Ton, das Wachstum, die Bahnen der Gestirne. Durch solche Erkenntnis ist es ihm aber auch möglich geworden, elektrische Schwingungen wieder in Sichtbares (Fernbild­ übermittlung), Hörbares (Rundfunk) zurückzuverwandeln, in­ dem er aus einer Zergliederung wiederum eine Zusammen­ setzung der untersuchten Erscheinung versucht. Mit der Er­ kenntnis, daß letzten Endes alles elektrische Schwingungen sind, ist aber dennoch kein Schöpfungsplan gesunden, sondern ledig­ lich ein Grundmaterial. Erst dann erhielten wir ein System der Schöpfung, wenn es uns gelänge, die Zahlen, die sich in allen Erscheinungen verbergen, in bestimmte Beziehungen zu bringen.

Und dies gelingt, wenn man die harmonikalen Beziehun­ gen, die uns aus der Musiktheorie (Schwingungszahlen er­ geben eine geometrische, Tonhöhen parallel damit eine arith­ metische Reihe) bekannt sind, heranzieht. Es würde uns nun aber viel zu weit führen, hier ein solches harmonisches System nachzuweisen, zumal dieses durch Hans Kays er *) eingehend geschehen ist. Da weist Kayser, ganz und gar von der Musik herkommend, auf das Geheimnis des Ganztonschrittes hin, auf dem nicht nur die Tonleiter (die nichts Willkürliches ist), sondern die gesamte Harmonik und die Musik beruht. Ein organischer Verband von fünf ganzen und zwei halben Tönen, wie es doch die Tonleiter ist, war für jegliches Kunstempfinden und Musikschaffen der Menschen grundlegend, einfach „da", so daß wir die harmonikalen Be­ ziehungen beruhigt als naturgegeben hinnehmen dürfen. In der Harmonik spielen eigentlich nur die Zahlen von 1 bis 6 eine Rolle, denn sie geben gleichsam die „bestimmenden Scheidepunkte für die tonalen Variationen unseres gesamten Tonsystems". Bezeichnen wir die Tonhöhen mit 1 2 3 4 5 6 und legen wir diesen stets Oktavenschritte (1:2 ist ja ein Oktav­ verhältnis) zugrunde, so müßten wir unter diese Reihe (z. B. mit c angefangen) c c' c" usw. bis c'"" schreiben. Dieser Reihe würden nun folgende Schwin­ gungszahlen entsprechen: 16 32 64 128 256 512, also eine geometrische Reihe. Wir hören demnach nicht gleiche Unterschiede, sondern gleiche Verhältniswerte, also nicht 1:2 = 2:3, sondern 16:32 = 32:64, mit anderen Worten: wir hören ein logarithmisches Verhältnis. Sollen nun zu diesen Tönen harmonische, „passende" Töne gesucht werden, also Akkorde gebildet werden, so können wir diese akkordbildenden Töne rein rechnerisch auf dem Papier nur in solchen Lo­ garithmen finden. In dieser logarithmischen „Quantelung" sieht die Harmonik eine grundlegende Gesetzmäßigkeit, die überall im kosmischen Geschehen wieder nachgewiesen werden kann. Wer sich in dieses Gebiet einarbeitet, sieht schon zum Anfang, daß man harmonische Proportionsbeziehungen am besten an der Geometrie studiert (harmonische Teilung des Dreiecks!), denn dort überträgt man ganz selbstverständlich „Töne" auf ein Liniensystem. Daß sich dann im Räumlichen dieselben Beziehungen wieder ergeben, wird man ebenfalls sehr bald gewahren. Sowie man aber daran gehen wird, selbständig etwas zu schaffen, z. B. ein Haus zu entwerfen, dann wird es einem wie Schuppen von den Augen fallen, daß das ohne ein Wissen um die harmonischen Gesetze gar nicht geht — selbst wenn dieses Wissen angeboren ist! Wenn man sich aber ein­ mal einen Hausbau auf dem Papier ausdenkt, dann gewahrt man sofort, daß jede Veränderung nur einer Linie zwangsläufig die Veränderung des Gan­ zen nach sich zieht. Und dieses innerliche Aufeinanderangewiesensein nennt man eben die Proportionierung. Daß dies aber am reinsten im Tongeseh zum Ausdruck kommt, ist selbst für den Nichtmusiker aus der Physik bekannt. Und wenn dann ein Bau in unseren Gedanken entstanden ist, dann „sind die Töne x) In seinem Buch: „Der hörende Mensch", Verlag L. Schneider 1930.

zwar verhallt" aber die „Harmonie ist geblieben"! — Soviel nur über die not­ wendige Grundlage der Harmonik.

Interessante Vergleiche zwischen Musik und Architektur bringt Theodor Fischers. „Dem Intervall in der Musik", schreibt er, „kann in der Architektur das Verhältnis von Höhe zu Breite als Ausdrucksmittel gegenübergestellt werden. Daß dem Rechteck ein Ausdruck innewohnen kann, möchte ich ohne suggestive Kraft graphisch zu beweisen versuchen, indem ich drei Rechtecke in den Verhältniszahlen des Durdreiklangs rechts an ein Quadrat setze und drei mit den gleichen, aber reziproken (umgekehrten) Verhältniszahlen, die dann dem Molldreiklang entsprechen, links ans Quadrat" (Abb. 18). Weiterhin dürste

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Abb. 18. Der Ausdruck im Rechteck. — Aus Fischer, Proportionen, 1934.

wohl klar sein, daß gewisse Figuren (z. B. Rechtecke, die nahezu ein Quadrat sind) wenig befriedigen — wie eine Dissonanz in der Musik. Nun kann diese Dissonanz aber dadurch behoben werden, daß aus ihrer Gegensätzlichkeit aus höherer Ebene ein Lösungsweg beschritten wird: die Auslösung der Dissonanz. Wie nun zwei eng benachbarte Töne als Dissonanz wirken und zum Weiterschreiten der Tongebung bzw. zur Auflösung drängen, so können auch „Rechtecke unentschiedener Verhält­ nisse, wie etwa 8/15, 6/ls, 9/10 oder 12/13 gewissermaßen zur Ergänzung oder Austeilung nötigen: sei es nun zur einfachen Aufteilung in zwei Rechtecke von zusammenstimmenden klaren Verhältnissen oder zur Auslösung in ein System von Recht­ ecken, wo dann die Analogie ihre Nolle zu spielen hat..." Ist nun nicht die Scheidung zwischen Konsonanz und Disso­ nanz „auch im Architektonischen das Kriterium? Veranlagung und Übung unterscheiden klar die einfachen Verhältnisse von !) Zwei Vorträge über Proportionen, München und Berlin 1934.

Höhe und Breite, die Rechtecke mit den Seitenlinien 1:1, 1:2, 2:3 und 3:4; dazu die Annäherungswerte des Goldenen Schnittes 3:5 und 5:8. Sie werden schwankend bei 4:5 und 5:6 (auch die Terzen sind angezweifelt worden!) Man wird verstimmt bei 8:9, denn dies Verhältnis wirkt als unvoll­ kommenes Quadrats." Man sieht, daß das, was uns „schön" erscheint, nur Aus­ druck eines inneren Harmoniegesetzes ist. Gerade bei der griechischen Baukunst ist das Schöne eben die unleugbare Gesetzmäßigkeit, die man spürt, wenn man vor den herrlichen Bauwerken steht, die einem irgendwie verwandt vorkommen. And wir verstehen vielleicht, warum sich mit dem Schönen für den Griechen ganz selbstverständlich auch das Gute verband (kalös k’agathös!), das gewissermaßen der „Moral in uns" entspricht. Schöne Kunst entsteht dort, wo das Arbild gewahrt bleibt. Nicht jedes Landschaftsgemälde ist in diesem Sinne Kunst, bestimmt dann nicht, wenn es eine Photographie er­ setzen könnte. Nicht jede Plastik entspricht dem Begriff des Schönen, Urbildwahren, und nur das Bauwerk kann göttlich wirken, das die tiefen harmonischen Gesetze beachtet. Wahre Kunst ist Verantwortung vor der eigenen und des Kosmos Vernunft! Damit ist freilich nicht gesagt, daß es nur eine einzige wahre Kunst geben kann, daß die Kunst wahr ist, die sich der harmonikalen Maßstäbe (vielleicht bewußt) bedient, daß mithin die Kunst nicht volkhaft zu sein braucht. Nein, vielmehr entscheidet immer die Wertung bei dem intuitiven harmonischen Kunst­ schaffen. Und die Wertung ist Angelegenheit der Rasse. Jeder Mensch und jede Rasse empfindet das Erlebnis seines Urbildes seine Sehnsucht nach dem Großen, Erfüllenden anders, in der Seele des einen Volkes schwingt dieser, in der des anderen jener Ton mit, der aus den Urtiefen des Göttlichen dringt; und gerade jene wertende Kunst bedingt die Möglichkeit gewisser J) Hierzu sei erklärt: die harmonischen Intervalle der Musik haben fol­ gende Differenzen der Schwingungszahlen: %=Ottm>e, %=Quinte, %= Quart, 3/5 und 6/„ die beiden Sexten, */e und 5/e= die beiden Terzen. Die Sekunde (8/,=) wird als Dissonanz empfunden, weil sie dem Verhältnis l/i zu nahesteht, ebenso wird die Septime mit 8/is dissonant empfunden, weil sie der Oktave 8/le zu nahekommt.

Stilformen, auf die wir ja wiederholt hingewiesen haben. Besonders wesentliche Standpunkte, von denen aus das har­ monische Urbild wahrgenommen wurde, waren eben die­ jenigen, von denen aus man einmal mehr das Statische, andermal mehr das Dynamische erblickte. In Vertiefung unserer Vergleichung der Antike mit der Gotik können wir nun das „Grundsymbol" jener beiden Form-

Abb. 19. Veranschaulichung des Oktavverhältnisses (links) und des Quintenverhältnisses (rechts). Nach Kayser, s. Text.

Prinzipien auch geometrisch-schematisch als Viereck und Drei­ eck entschleiern. Kayser kommt aus Grund seiner harmonikalen Forschung dazu, zu sagen, daß die Gotik die antike Oktav­ anordnung (1, 2, 4, 8) verläßt und sich zum Quintenrhythmus bekennt (3, 6, 12). Der Autor sagt weiter: „Wenn wir den Vergleich weiterspinnen, können wir sagen, daß das PrimOktavgefühl zentrisch, nach innen gerichtet veranlagt ist, wäh­ rend das Quintengefühl sich exzentrisch nach außen richtet (Abb. 19). Bei der Antike ist dasZentrum das Seiende, der Gott = die unendliche Peripherie eines dennoch geschlossenen Welt­ bildes, deren Richtlinien alle auf mich treffen. In der Gotik bin ich dieses Zentrum selbst und strahle meine seelischen und geistigen Kräfte nach außen aus, zu Gott hin." — Man braucht sich nur die Westfront des Straßburger Münsters zu beschauen und wird bemerken, daß es ziemlich genau zwei Teile zur Breite und drei zur Höhe hat. Zwei zu drei aber ist in der Musik das Zahlenverhältnis der Quinte1)! Die intuitiv richtige ProJ) Vgl. hierzu Th. F i s ch e r, wo man kürzer als in den großen Fachwerken über das Wesen der Triangulatur (was nämlich dasselbe ist wie Quintrhythmus) nachlesen kann.

portionierung, die wir bei den Pyramiden, Tempeln und Domen empfinden, ist natürlich verbunden mit einer Zweck­ setzung. Dies stört aber durchaus nicht, daß jene Werke den­ noch Kunst sein können und sind, denn es kommt ja daraus an, wie dieser Zweck erreicht wird! Das Geheimnis jener Bauwerke liegt weiterhin ja auch keineswegs in irgendeinem Zahlen­ symbol, sondern eben darin, daß diese Zahlen Musik sind! Aus nur ganz wenigen, den ersten sechs Ganzzahlen, setzt sich dieser ungeheure Formenreichtum der Baukunst und der Musik zusammen, aber wiederum sind nicht diese Zahlen selbst das Kunstwerk, sondern dieses verdankt erst der „gestaltenden Wer­ tung" (Kayser) sein Dasein. Es ist nun höchst aufschlußreich, daß sich die „Kunstwerke" der Natur ebenfalls auf eine ganz einfache Zahlenreihe auf­ bauen, aus der sie ihre fesselnde Mannigfaltigkeit schöpfen. Schon ein einfacher Schneekristall zeigt, wie ein dreiachsiges (hexagonales) System variiert werden kann und wie harmonisch es dabei immer bleibt. Daß aus einer Kochsalzlösung die Kristalle immer in Würfelform auswachsen, daß sie gleichsam immer nach unsichtbaren Dirigenten schauen und so vieles andere Wunderbare aus der Welt der Kristalle war von jeher Anreiz zum Studium des Mineralreichs. In ganz besonders offenkundiger Weise erweisen sich die Kcistallformen als Aus­ druck einer harmonikalen Schöpfung. Wir folgen den Worten Kaysers, die sich wieder aus das Werk V. GoldschmidtsH berufen: „Wenn ein Architekt das Dach eines Hauses entwirft, so kann er den Winkel des Daches, d. h. die Höhe beliebig wählen. Im Gegensatz hierzu beschränkt sich der Kristallbau­ meister aus eine ganz bestimmte, nach den ersten Zahlen der Ganzzahlreihe (bzw. ihrer Reziproken) sich richtende ,Quan­ telung^. Wenn er also (Abb. 20) einmal eine Schräge A—1/1 C—B entworfen hat, wird er innerhalb derselben Kristallform immer nur sprungweise, quantenhafte Variationen treffen können, welche die Mittelachse in 3/2 C und 2 C oder in 2/3 C und 1/2 L schneiden." Wenn man nun den Winkel be­ rechnet, in dem die Achsen des Kristalls von den verschiedenen Flächen geschnitten werden, so erhält man ganz bestimmte Achsenverhältniszahlen. „Man wählt nun eines der gefundenen *) Übet Harmonie und Komplikation, Berlin 1921.

Achsenverhältnisse als das primäre aus und setzt die Achsen­ längen der Flächen dazu ins Verhältnis, dann erhält man die sog. Indices der betreffenden Flächen." So verfährt man mit allen Flächen. „Die Indices sind einfache rationale Zahlen, und zwar gehen sie relativ selten über die Größe 20 hinaus. Die Er­ fahrung hat nun gelehrt, daß eine solche Rationalität der Indices für alle Flächen aller Kristalle eines Körpers besteht und man hat diese Erfahrung deshalb zum Gesetz, zum Grundgesetz der geometrischen Kri­ stallographie erhoben." Diese In­ Abb. 20. Erklärung im Text. — Nach Kayser. dices zeigen, wenn man sie in Bruchform aufzeichnet, nach den Beispielen Kaysers (die wir hier nicht genau wiedergeben können) einwandfrei ein harmonikales Gleichgewicht. — Neben dieser Methode, in die harmonikalen Gesetzmäßigkeiten des Kristalls einzudringen, gibt es das sog. „Laue-Diagramm" irgendeines Kristalls. Diese Diagramme sind photographische Ausnahmen des Beugungseffekts der Röntgenstrahlen an Kristallen und beruhen auf der Interferenz der Röntgen­ strahlen an den einzelnen Punkten des sog. Raumgitters*) (Atomgitter) der Kristalle. Diese Diagramme enthüllen nun oft ganz wunderbare Ornamente, Kreislinien und Strahlen­ punkte, aus denen man auf die atomare Struktur des betreffen*) Mit „Raumgitter" umschreibt man die Tatsache, daß die kleinsten Massenteilchen der Kristalle in bestimmter Weise angeordnet sind, so nämlich, daß die Atome gewissermaßen an den Schnittpunkten eines räumlich gedachten Gittergeflechts sitzen. Das Raumgitter ist übrigens auch nur wieder ein Ausdruck für die innere Gleichartigkeit im Aufbau eines Kristalls. Zertrümmern wir irgendeinen Kristall, z. B. einen Rhomboeder von Kalkspat, so bemerken wir, daß alle Bruchstücke die Form des Ganzen haben. Auch die mikroskopischen Trümmer stellen ganze Rhomboeder dar. So sähe auch das kleinstmögliche Teilchen aus. Wie sind daran nun die Moleküle und Atome gelagert? Da das Kalkspatmolekül 5 Atome hat, kann ein Molekül nicht alle Ecken besetzen. Und in der Tat liegen die Kalziumatome allein an den Ecken, während die Sauer­ stoff- und Kohlenstoffatome andere geometrisch wichtige Punkte einnehmen. Aus solchen klar organisierten Elementarkörpern nun setzt sich aber der ganze Kristall zusammen.

den Kristalls schließen kann und die gewissermaßen die „innere Harmonik" des Kristalls offenbaren. „Wüßte man noch nichts von der Rationalität der Indices und den anderen Gesehen der kristallographischen Morphologie, so wäre es nicht schwer, auf Grund einer Einsetzung dieser Laue-Diagramme in irgend­ ein räumliches Teiltonkoordinatenschema (Ton-Kubus) zur Auffindung jener Gesetze zu kommen." Waren die Kristalle gewissermaßen die ersten sichtbaren Klänge, die der erkaltende mütterliche Erdball gebar, so müßte man in den harmonischen Bauplänen der Einzeller, Pflanzen und Tiere die zweiten Ausdrucksformen desselben Gestaltungs­ willens erkennen. Wir sahen bereits die wunderbare Er­ scheinungen der Korrelation und der harmonischen Ergänzung verlorengegangener Teile und fanden in den Bauplänen der Tiere einfache geometrische Vorwürfe enthalten, wie z. B. Quadrat, Dreieck und Kreis. Gerade bei den niedersten Formen, insonderheit bei den beschälten Diatomeen, Desmidiazeen, bei den Radiolarien und Heliozoen, lassen sich tausende von Ana­ logien mit dem Reich der Kristalle ausstellen, eine Tatsache, die ja Haeckel zu seiner Ansicht über die Kristallseelen ver­ leitete. Jene oft überraschenden Ähnlichkeiten des Kristallbaus und der Lebewesen haben die Wissenschaft zu einem seltsamen Untersuchungsversahren verlockt, nämlich zur künstlichen Nach­ bildung der Lebewesen durch anorganische Materie. Was man da erzielte, war freilich eigenartig genug: Schellack und Quecksilber, Öl und Seife ergaben bei geschickter Kombination im Wasser eine kriechende, fressende und ausscheidende „Amöbe". Unter Ausnutzung der Oberflächenspannung oder auch der Osmose gelang es Zellteilungen, Algen- und Pilzformen heraufzubeschwören; Ausfällungserscheinungen (wie z. B. die Liesegangschen Ringzonen) glichen den Streifenmustern bei Zebra und Tiger usw. Diese „Spielereien" — denn als solche mußten sie erscheinen — hatten ihre wissenschaftlich ernste und ihre gefährliche Seite. Einmal sah man an ihnen, wie auch das lebendige Protoplasma (vor allem, weil es ein Kolloid ist!) den „anorganischen Gesetzen" unterworfen ist, so daß man eine gewisse einheitliche Schau erzielte, andermal aber ver­ führte gerade diese wieder zu einem rein mechanistischen Welt­ bild, das zwangsläufig zur Urzeugung führen mußte.

Daß man freilich in diese kriechenden, „fressenden" und „ausscheidenden" „Amöben" kein wirkliches Wachstum, keinen Zellkern und eben — kein Leben einpflanzen konnte, war die große Sorge. Und so mußte man, wenn auch mit Unbehagen, das Leben als eine „später" auftretende Funktion dieser Materie ansehen. Die Dinge liegen nun in Wahrheit gerade umge­ kehrt: die Formgestaltung ist das Zeichen des Lebens, wo sie auftritt, waltet ein schöpferischer Geist. Und dieser Geist kann nicht anders schaffen als nach den ewigen harmonischen Gesehen, die die Bahnen der Planeten ebenso verraten wie die Proportionen der Kristalle, der Tiere, des Menschen und dessen architektonisches, musikalisches und ornamentales Ge­ stalten. Damit darf aber keineswegs der grundlegende Unter­ schied zwischen Anorganischem und Organismischem (nicht: Organischem) geleugnet werden, denn es ist etwas ganz anderes, wie ein Kristall durch Anlagerung immer derselben Kristall­ materie wächst und wie ein Urtier durch die Assimilation, den Stoffwechsel, aus fremden arteigene Stoffe bildet und nun wachsen kann, wenn wir von dem grundlegenden Unterschied in der „Vermehrung" und „Bewegung" ganz absehen wollen. Und dennoch haben die Betrachtungen jener Verwandtschaften zwischen Kristall und Lebewesen ihr Gutes: wir lernen daraus, die Erscheinungen aus zwei Ebenen anzuschauen, der physischen und psychischen sozusagen. Diese beiden Ebe­ nen gilt es aber in einer Synthese zu verquicken und dar­ aus die wesenhafte (nicht nur materielle!) Einheit des Seins zu erkennen. Wenn das so oft erwähnte Augenmuster bei Schmetter­ lingen oder Vögeln verglichen wird mit Figuren die bei der Erzeugung von Niederschlägen in Flüssigkeiten (Liesegangsche Ringe) entstehen, so zeigt sich uns hier ein Weg, rein mecha­ nistisch das Zustandekommen jenes Musters zu erklären. So kann z. B. die Anwesenheit von Körpersästen das Auftreten der Eigenschaften von Flüssigkeiten erläutern. Die rhythmische Streifung der Zebras und der Sperberfedern mag auf eine rhythmische Hormonausschüttung zurückgehen, die allemal die Pigmente in bestimmte Streifen ablagern ließ, welche mechanisch durch die Hautsaltensysteme vorgebildet werden uss. Ist damit aber das Wesen der Zeichnung erklärt? Nein, ledig-

lief) das Mittel, wie die Zeichnung verwirklicht wurde! Und daß diese Mittel bei der nun einmal nicht zu leugnenden Stoff­ hastigkeit der organismischen Bausteine eben diejenigen der „toten" Materie sind, ist doch eigentlich kein Wunder! Das materiell-dynamische Geschehen vermag man an vielen „Fließmustern", wo die Bänder zusammenfließen, wo von Ringzentren stärkere und dann schwächere Höfe ausgehen usw. regelrecht abzulesen. Wenn Gelatine und Silbernitrat in geeigneter Versuchs­ anordnung wunderbare Muster ergeben und wenn man auch am Protoplasma Erscheinungen beobachten kann, die an­ organischen zu gleichen scheinen (Zellteilung läßt sich auch künstlich nachahmen!), so sind die zustande gekommenen Phänomene des Anorganischen denen des Lebensreiches den­ noch nur analog. Denn niemals liegt die wahre innere Ursache eines Streifenmusters im Liesegangschen Ringphänomen, sondern ein metaphysisches Bildungsgesetz liegt sowohl dem Zeichnungsmuster wie auch den Flüssigkeiten zugrunde, ein Gesetz oder eine Kraft, die den Molekülen eine innere Ver­ nunft einpflanzt, mit der sie sich notgedrungen abzufinden haben und die ihnen allein Richtschnur sein kann. Niemals können derartige mechanische Erscheinungen selbst die Ursache sein. Denn dann müßten ja auch die Urformen der höheren Tiere (deren Architektonik gewissermaßen), mechanisch begreif­ bar und erklärbar sein! Wie kann man aber die Gestalt eines Krebses *) auf den Bildezwang der Materie zurückführen? Und wie kann man überhaupt die Mannigfaltigkeit der Gestalten (Spinne, Insekt, Fisch, Vogel, Mensch) mechanistisch erklären? Ebenso wie nun die Dinge beim Bauplan liegen, so ist es auch mit den Zeichnungsmustern: diese in ihrer fesseln­ den Vielfalt wirklich großartigen Ornamente zeigen ihr innerstes Bildungsgesetz, aber nicht das Ende eines stofflichen Vorgangs, den wir mit Gelatine und Silbernitrat auf dem Labortisch „im Prinzip" nachahmen können. x) Wir kennen unter den sogenannten kurzschwänzigen Krebsen oder Krab­ ben (nicht die „Krabben in Gelee", diese sind Garnelen!) Tiere, deren Panzer unzweideutig einen dreieckigen Grundriß hat (wie z. B. Hyas arenaria, die Meerspinne) und wir finden, daß der Taschenkrebs nach der Kreisform hin­ neigt, während die Wollhandkrabbe ausgesprochen viereckig ist.

Wir gehen auf diese Dinge deshalb so ausführlich ein, weil gerade jene Beispiele vielfach als Beweis für eine gründ sätzliche Gleichheit des Anorganischen und Lebensstofflichen herangezogen werden*). An solchen Vergleichen ist uns aber gar nichts gelegen, denn sie bleiben trotz aller ihrer Frucht­ barkeit für das mechanische Verständnis erkenntnistheoretisch taub, wie ja auch der sogenannte Holismus keine tiefen Er­ kenntnisse übermitteln kann, weil er in den analogen Äußerungen der Materie wahre Verwandtschaften sehen will. Nein, die wahren Verwandtschaften äußern sich ganz wo anders. Nicht die äußerliche Ähnlichkeit zwischen Zeichnungs­ muster und Fällungserscheinungen ist verblüffend, sondern der innere Rhythmus. Wenn wir beispielsweise eine Überein­ stimmung der Kristalle in ihrem harmonikalen Aufbau mit dem ebenfalls harmonikalen Bauplan eines Menschen oder einer Pflanze (Blattstellungsrhythmen am Stengel nach dem Schema y2, 2/3» 2ls, 5ls, shv 13/21, usw.) finden, dann sind das wirkliche harmonische Einheiten, so grundverschieden auch sonst ein Kristall von einem Menschen oder einer Pflanze ist! And allein diesen Verhältnissen haben wir nachgespürt und nicht den parallelen Erscheinungsbildern! And wollen wir von diesem Gesichtspunkt aus einen Vergleich für das pflanzliche und tierische Zeichnungsmuster suchen, dann können wir, wenn wir es schon wagen wollen, sichtbare Musik wählen. Am nun unseren Standpunkt ganz deutlich zu machen, weisen wir ausdrücklich darauf hin, daß es nun wiederum nicht angängig ist, ohne weiteres ein rhythmisches Zeichnungsmuster mit einer Chladnischen Klangsigur zu vergleichen, obgleich diese zweifellos indirekt eine Verwandtschaft erkennen läßt, sondern wir müssen Musik wirklich als Melodie mit dem Muster, das doch nicht einer einzigen Tonschwingung entspricht, ver­ gleichen. Wir erhalten nun solche Musikmuster zwar rein intuitiv, wenn wir die Musik hören, in unserem geistigen Auge (man sieht bestimmte Farben bei bestimmter Musik, ja viele versichern auch, wundersame Gebilde oder gar Gebäude beim Anhören eines Musikwerkes vor sich entstehen zu sehen), aber für den kritischen Wissenschaftler dürfen solche freilich sehr subjektiven „Beweise" nicht diskutierbar sein. Interessanterl) Dgl. R. Francs, Bios, 1921.

weise haben sich auch mehr Dichter als Wissenschaftler (z. B. Tieck, E. T. A. Hofsmann) mit diesen von der Psychologie als synästhetische Phänomene bezeichneten Erscheinungen be­ faßt; praktische Versuche, wie das Laßlosche Farbtonklavier, sind unvollkommen geblieben. Jedoch heute kann man — wenn auch weniger Farben, so doch die viel gebärdenreicheren Formen leicht darstellen, die bei der Musik entstehen. Die Technik erlaubt uns, eine Klangfolge auch aufelektrischemWege optisch aufzuzeichnen *). Wir meinen hier nicht die direkte Aufnahme der Tonkurve durch den Oszillographen, sondern eine Ausnahme von Rundfunkmusik mittels eines Fernsehempfängers! Jedes An- und Ab­ schwellen einer einzelnen Tonschwingung erzeugt im Mikro­ phon einen Stromstoß, der nun wieder eine angeschlossene Glühlampe ausleuchten läßt. Diese beleuchtet einen ablausen­ den Filmstreifen, aus dem wir dann natürlich eine Folge von Schwarz-Weiß-Unterschieden erhalten. Die Zahl der erhal­ tenen Figuren hängt von der Schwingungszahl, also von der Tonhöhe ab, die Lautstärke wird sich durch den Grad der Schwärzung erschließen lassen. Verteilen wir nun diese schmalen Bildstreifen zeilenweise über die ganze Bildfläche, dann erhalten wir ein Mosaik. Man kann nun Rundfunkmusik mit einem Fernsehgerät direkt aus eine Mattscheibe oder Leinwand werfen und erhält ein dauernd sich veränderndes Bild der Musik (die Aufzeichnung auf dem Bildfeld dauert 1/24 Sekunde 1) Dieses „moireartige Weben" formt sich dauernd aus sich selbst heraus — im Rhythmus der Musik. Wie so etwas aussieht, schildert Winckler folgendermaßen: „Nehmen wir ein Beispiel an, eine Sinfonie, ein Gegen­ spiel aller Orchesterstimmen, man sieht von links und rechts im Bildfeld ein Anstürmen der Figuren, die gegeneinander kämpfend immer wieder zurückweichen müssen, und dann die Auflösung aller Kontraste, die Vereinigung aller Stimmen, die Bildscheibe zeigt diese Harmonie als ein Fluidum, das sym­ metrisch stetig aus dem Bildfeld hervorzuströmen scheint. Daraus kristallisiert sich ein neues Thema, etwa ein Violinsolo — piano — ganz schwach angedeutet spielen die Mosaik*) Vgl. hierzu den Aufsah F. W. Winckels, Mosaik der Musik in „Die Musik" XXIX/5.

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steine .. .“ „Eine Tonleiter aus dem Klavier zeigt sich als zu­ nehmende Verfeinerung eines schachbrettartigen Würfelmusters. Die aus dem „Film" herausgeschnittenen Muster (von denen wir eins abbilden) besagen musikalisch nichts; denn es kommt viel-

Abb. 21. Mosaikausschnitte aus sichtbar gemachter Rundfunkmusik. (Erklärung im Text.) Links Sopranstimme mit Klavierbegleitung, Mitte Baritonstimme mit Klavierbegleitung, rechts Seigensolo. — Nach F. W. Winckel, „Die Musik", Febr. 1937.

mehr auf das dynamische Verhältnis der einzelnen Muster gegeneinander an, „auf ihre zeitliche Fortentwicklung, die Bildung einer Symmetrie..." Die Melodie ist bei jenem Ausnahmeverfahren gekennzeichnet durch die Dynamik, durch den Wechsel von sein und grob unterteilten Mustern, die Har­ monie ist gegeben durch die Symmetrie. Die Konsonanzen ergeben symmetrische Bilder, die Dissonanzen hingegen nicht! Hier erinnern wir uns wieder an das über das architektonische Empfinden von dissonanten und konsonanten Rechtecken Ge­ sagte; ein Zahlenbeispiel: Wir nehmen ein Mosaikfeld mit 36 Karos an, das in Vio Sekunde feldweise abgetastet wird. Dann wird ein Ton, der 6 Schwingungen in x/io Sekunde macht, aus der Bildfläche so wiedergegeben, daß aus jede der 6 Zeilen eine Schwingung kommt. Bei der Quinte mit dem Verhältnis 3/2 (in bezug auf den Grundton) haben wir die Schwingungszahl 9. Die 9 geht (viermal) im sechsunddreihigfeldigen Mosaik auf; die Schwingungen werden also periodisch aufgezeichnet und eine symmetrische Ordnung ist die Folge. Die Sekunde hingegen mit dem Verhältnis 9/8 ergibt eine Schwingungszahl von 7,65, die nicht in der 36 aufgeht. Weil die Sekunde nicht ins Blickfeld paßt, zerstört sie in ihrer ewigen Unruhe das Gleichgewicht! Die verschiedenen Melodiefiguren bauen sich alle auf den Grundton aus, auf den natürlich der Apparat abgestimmt sein muß.

Es ist nun höchst aufschlußreich, daß — wie Versuche mit Blinden ergeben haben sollen — die Melodiefiguren unseres Gerätes in ihrer dynamischen Eigenart den inneren Vorstel­ lungen der Blinden gleichen (Tonleiter als immer kleiner werdende Flämmchen usw.). Leider können wir dabei die Farben weniger deutlich mit physikalischen Hilfsmitteln als Begleitung zu den Tönen herausarbeiten, jedoch ist ein Zusammenhang zwischen Farbe und Ton, Farbkomposition und Melodie zweifellos vorhanden. Zudem muß man be­ denken, daß die Tonentwicklung in ihrer Mannigfaltigkeit der Spektralliniendifferenzierung nicht nachsteht und daß hier sicherlich auch tiefe Harmonikale Beziehungen — wenn auch nicht ganz im Sinne Newtons — herrschen^). Überhaupt haben unsere Vergleiche von Farbe, Form und Ton nur dann wieder einen tiefen Sinn, wenn wir eine gleiche innere Ursache erkennen, also z. B. dann, wenn wir die Zeichnungsmuster in ihrer Dynamik als symmetrisch und nach ihrer „Melodie" als harmonisch ansprechen und sie gewissermaßen als eine am Organismus sichtbar gemachte und verstummte Musik hin­ stellen können. Daß Lautäußerungen der Vögel beispielsweise uns im vorigen Kapitel als tönende Ornamente erschienen, gewinnt nunmehr, wo wir die Möglichkeit der Melodieüber­ tragung in das Bildliche kennengelernt haben, einen festeren Boden, unser Verständnis für das Hörbild eines Bauplans wächst. Aber auch das Verständnis für die räumliche Eigenart der Tier- und Pflanzenformen vertieft sich, wenn wir überall die Gesetze der Musik erblicken und wenn wir nicht nur ganz allgemein Urzahlen oder irgendwelche Zahlsysteme den Phäno­ menen zugrunde legen. Denn so enthüllt sich das Ge­ heimnis des schöpferischen Planes nicht als irgendein Zahlenschema, sondern als Musik! Wären wir nicht auf unser Auge, aus eine Weltanschauung von Natur aus ange­ wiesen, wir würden vielleicht überall den Klang vernehmen! Musik wäre dann die wunderbare Kristallsorm mit all ihren Varianten, Musik wären die Muster aus den Aloe- und Irispflanzen, den Schmetterlingsflügeln und Vogelfedern, Musik wäre die kristallklare Gestalt der Diatomeen und Urtiere und schließlich auch der Bauplan der Tiere und Pflanzen. Nur *) Vgl. Kayser, Der hörende Mensch.

müssen wir bei diesen gestaltreichen Gruppen stets auf das Urbild blicken, das sich in ihnen offenbart und das auch für das künstlerische Schaffen unentbehrlich ist, da Kunst ja die Welt deuten soll, indem sie uns die Urform erleben läßt, nicht aber daraus ausgeht, die Variationen zu kopieren, die sich im kämp­ ferischen Spiel der Naturkräfte gleichsam wie Interferenzen und Überlagerungen ursprünglich selbständiger Strahlen­ harmonien verhalten. Ein Besinnen aus die Harmonikale Ein­ heitlichkeit der Welt wird den Künstler stets in sich selbst schauen lassen, in sein innerstes Wesen, aus dessen Rhythmus der Rhythmus der Welt dringt und so ein herrliches Zeugnis ablegten für die Sendung des Menschen, die Natur durch seine Kunst zu vollenden. Dann erst gewinnt wieder der Kants che Satz von dem moralischen Gesetz in uns und dem gestirnten Himmel über uns seine tiefste Bedeutung, wenn wir die Ver­ nunft der Sternenbahnen und der Atome als dieselbe erkennen, die wir unserem Kunstschaffen, unserem sittlichen Empfinden und Menschentum als unveränderlichen Maßstab und Willen zugrundelegen.

4. Kunst als Erfüllung der Natur (Ausklang). „Der Geist der Natur ist nur scheinbar der Seele entgegen­ gesetzt; an sich aber das Werkzeug ihrer Offenbarung: er wirkt zwar den Gegensatz der Dinge, aber nur damit das einige Wesen, als die höchste Milde und Versöhnung aller Kräfte, hervorgehen könne. Alle anderen Geschöpfe sind von dem bloßen Naturgeist getrieben und behaupten durch ihn ihre Individualität; im Menschen allein als im Mittelpunkt geht die Seele auf, ohne welche die Welt wie die Natur ohne Sonne wäre." Schelling.

Bei der Betrachtung der Natur ist kaum etwas verlocken­ der, als von seinem eigenen Standpunkt, vom menschlichen Standpunkt aus, Rückschau zu halten. Wären sonst jemals Geister wie Darwin aus den Gedanken gekommen, daß sich durch die Gestaltenreihe der Tiere eine einheitliche Linie zöge, die im Menschen ihren Abschluß fand? Steckt nicht die Abstam­ mungslehre — obwohl sie es verschweigt — der Entwicklung der Lebewesen auf Erden ein Ziel? Denn, wenn wir uns in die grauen Zeiten versetzen, wo es unter den Wirbeltieren höchstens recht eigentümliche Gestalten gab, die Vorläufer unserer Fische genannt werden können, wo es nur Trilobiten, Brachiopoden und anderes Meeresgetier war, das den Lebensfaden ergriffen hatte, dann ließe es sich schwerlich vorstellen, daß es auch Erd­ zeitalter geben würde, in denen sich die Wende zum Menschen vollzog, wo es zum Gesicht der Zeit gehörte, affenartige Wesen zu gebären, und wo Vögel und Säugetiere die abenteuerlichen Saurier abgelöst hatten. Ist aber nun nicht vielleicht die ein­ heitliche Lebenslinie, der Stamm des Stammbaums fürs Leben, nur eine Einbildung, die von manchem vermutete Zielstrebig­ keit in der Entwicklung gar nur Überheblichkeit? Erscheint uns nicht auch im Leben das erst als Schicksal, was den Lebensweg von der hohen Warte eines gereiften Alters aufzeigt? Legen wir diesen Begriff nicht auch hinein in unser Leben, im steten

Bestreben zu verbinden und ursächliche Zusammenhänge auf­ zudecken? Solche Zweifel an der inneren Vernunft der Lebens­ entwicklung müssen wohl jedem kommen, der sich vornimmt, einmal ganz unvoreingenommen das Leben, den Menschen und die Natur zu betrachten und der allen weltanschaulichen Ballast, alle wissenschaftlichen Theorien absichtlich einmal ver­ gißt. Und doch müßte man sich fragen, wenn solcherlei Ge­ danken zum Leugnen einer Zielstrebigkeit — sei sie wie immer geartet — führen, warum wir eigentlich immer wieder bestrebt sind, Linien zu ziehen, wo nur Punkte zu sehen sind. Birgt sich nicht auch in dieser menschlichen Denkweise etwas, was des Nachdenkens wert wäre? Damit aber stehen wir einer Er­ scheinung gegenüber, die sozusagen wieder Natur ist, wieder „außerhalb" liegt. Und mit Erstaunen müssen wir feststellen, daß wir uns selbst fremd gegenüberstehen und nicht nur der Natur. Gäbe es sonst wohl eine Wissenschaft vom Menschen, eine Psychologie, eine Medizin, ja, überhaupt eine Wissenschaft? Die Natur ist uns fremd—und wir selbst können unser Denken nicht begreifen! Darin aber, daß der Mensch begann, über sich und die Welt nachzudenken, sich irgendeine „Stelle" im Leben zuweisen zu können hoffte, liegt mittelbar ein Beweis für die Gegenstellung zur Natur zutage. Der Mensch ist ver­ einsamt, das einzige, woran er sich klammern kann, ist seine Seele, denn auch der Geist führt zu Ansichten, die mit demselben Geist wieder vernichtet werden können. Allein das seelische Empfin­ den kann nicht weggedacht werden. Und wollen wir von der Seele sprechen, so müssen wir auch von ihrem steten Suchen reden, eben gerade jenem heißen Verlangen, das nicht nur zum religiösen Empfinden, sondern auch zum Drängen des Geistes wird. Geist ist auch Offenbarung der Seele! So ist auch die Seele letzten Endes Urgrund unseres ganzen Denkens. Dadurch ergibt sich aber eine in uns selbst begründete Not­ wendigkeit; nämlich, daß alles Denken subjektiv und an die Per­ sönlichkeit gebunden ist. Deshalb auch sehen wir — was wir auch immer betrachten mögen — überall Vernunft und können letztlich nicht entscheiden, ob dies unsere eigene oder die Ver­ nunft einer gedachten, transzendenten Seele ist. Es hieße nun gewiß, den Wert alles Denkens und aller Wissenschaft leugnen,

wollte man wegen dieser Tatsache, daß es eine allgemeingültig objektive Weltanschauung gar nicht geben kann, überhaupt keine Weltanschauung gestatten. Wir müssen uns eben nur von vornherein darüber klar sein, daß der Mensch notwen­ dig im Mittelpunkt nicht nur seines Denkens, sondern der Welt steht! Hier stoßen wir aus den heftigsten Widerspruch der materia­ listischen Weltanschauung auf Grund der Abstammungslehre, die den Menschen nur als Endglied (oder wenigstens ein vorläufiges, heutiges Endglied) einer langen tierischen Entwicklungsreihe ansieht. Und dennoch war es gerade diese Abstammungslehre, von der wir ausgingen, einer Lehre, die stillschweigend eine Leitlinie vorausseht, die zum Menschen führt, wenn sie auch die Mittel, die zum Einhalten jenes Weges geführt haben, mehr als zufällige, auslesende Faktoren ansieht. Aber trotzdem fragt es sich ja, wenn etwas ausgelesen werden soll, nachwelchem Gesichtspunkt diese Auswahl (durch den Kampf ums Dasein z. B.) vor sich zu gehen hat. Dieser Gesichtspunkt, den die Wissenschaft aber da hineinbringt, ist schon Metaphysik — ist schon ein typisch menschlicher Gesichtspunkt! Denn wenn wir von Auslese des Tüchtigsten sprechen, wenn wir davon reden, daß nur die Arten sich am Leben halten konnten, die der Umwelt am besten angepaßt waren usf>, dann setzen wir hier Ideen voraus, nach denen sich die Natur richten mußte. Rein wissenschaftlich lassen sich nun aber bis jetzt nur ungerichtete, völlig wahllose Artumwandlungen (wenn es überhaupt Art­ umwandlungen sind!) experimentell nachweisen, und weder die Tatsache, daß Umwelt und Lebewesen in ihrer Gegenseitig­ keit harmonieren, noch daß bestimmte Grundtypen ganz unabhängig voneinander und vom Lebensraum existieren, kann im Laboratorium auch nur ansahweise wirklich natur­ wissenschaftlich erklärt werden. — So steht auch für die heute noch allgemein anerkannte und an den Universitäten gelehrte Biologie die Idee, ja die typisch menschliche Idee als Maß und Wille der Stammesentwicklung da, ohne daß diese Idee unumwunden als die Vernunft erkannt wird, die gleicher­ maßen in und außer uns wirkt. Materialismus und irgendein Idealismus sind demnach gar nicht derartige unüberwindliche Gegensätze, denn eigentlich vergißt der Materialist nur, zum

mechanisch faßbaren Geschehen die IdeeH—und wenn es seine eigene ist — zuzusetzen, so seltsam das auch klingen mag! Wenn wir nun also bei unserem Versuch, einen Einblick in das Wesen von Natur und Kunst zu gewinnen, aus die Ver­ nunft als Grundlage allen Geschehens stießen, so ist nun damit zwar nicht gesagt, daß es sich um eine objektiv wahrnehmbare Vernunft handelt, die nur auch in uns wirkt, sondern, genau genommen, ist nur ausgesprochen, daß unser vernünftiges Denken sich auf die sich in unserer Sinneswelt (natürlich!) spiegelnde Natur übertragen läßt, ohne daß der Natur oder uns selbst ein Zwang auferlegt wird. Weil wir doch aber nicht aus unserem eigenen Gesichtskreis heraus können, um von einem absolut objektiven Standpunkt aus die Natur und den Kosmos zu betrachten, so haben wir eben im Rahmen des NotwendigSubjektiven etwas (relativ, wenn man so sagen darf) Objek­ tives festgestellt. Und es war unsere nunmehr als berechtigt anerkannte Ausgabe, diese Vernunft an Hand von Vergleichen des menschlichen und natürlichen Schöpfertums nachzuweisen. Erweist sich die Anschauung, daß wir die eigene Vernunft im Gesetz der Welt wiederfinden, als richtig, dann müßten wir einen gewaltigen Kreislauf der vernünftigen Idee finden können, einen Lauf, der notwendig von uns ausgeht und ebenso zwangsläufig wieder in uns einmündet. Denn fänden wir im kosmischen Geschehen eine Linie, die von uns wegweist und in die Unendlichkeit strebt, dann hätten wir letzten Endes nicht als Menschen gedacht, sondern als irgendein Wesen, das außerhalb unserer uns vertrauten Weltenordnung und vielleicht sogar jenseits der fernen „Grenzen" unseres Milchstraßensystems lebte. Und eigentlich müßte auch derjenige, der folgerichtig materialistisch denkt und den Menschen als Zufallsprodukt einer langen, zufällig gerichteten Entwicklungsreihe sieht und der sich selbst nur — ganz objektiv — als winzigstes Atomteilchen *) So dürfte man doch streng genommen künstliche Zuchtwahl gar nicht mit der natürlichen vergleichen; denn im Begriff „Wahl" ist der sich­ tende Geist angesprochen, der einmal dem Menschen angehört, andermal aber „von der Natur" kommt. Was heißt das? Züchten sich die Tiere nach ihrem eigenen Willen? Muh da nicht ein höherer Plan stillschweigend vor­ ausgesetzt werden.

auf dem ebenfalls nur atomteilgroßen Planeten Erde irgendwo in Sonnen-, Milchstraßen- und anderen Nebelsystemen sieht, sich und seinen Geist in jene entlegene Weltenecke befehlen, von der aus er den erhaben-schauerlichen Anblick der belebten Erde — vielleicht durch ein unwahrscheinlich gigantisches Fern­ rohr— erspähen zu können glaubt. Denn unsere heutige Natur­ wissenschaft denkt in den Maßstäben von Lichtjahren und Unend­ lichkeiten. Alles, was auf Erden eine Richtung einschlägt, die irgendwie vom Mutterplaneten wegweist, hat die Gewißheit, sich im Unendlichen mit seinen Schicksalsgenossen zu treffen, selbst wenn sich die Unendlichkeit des Weltenalls noch mit einer Ge­ schwindigkeit ausdehnt, die an Explosionen gemahnt t Gelingt es dem „Menschen" aber dennoch, sich mit Lichtjahresgeschwindigkeit von der Erde fortzubewegen und sich auf dem ihm zugewiesenen jenseitigen Platz zu begeben, dann sieht er lächelnd aus die finsteren Vorstellungen des Altertums zurück, wo man noch nicht begriffen hatte, daß die Erde nicht der Mittelpunkt der Welt ist, sondern nur ein unbedeutendes Stäubchen in einem gänzlich belanglosen Stäubchensystem darstellt! Aber — leider! — der menschliche Geist kehrt nicht unge­ straft von solchen Fahrten ins Weltenall zurück: denn auf seinem Planeten, ja in seinem Erdteil, in seinem Städtchen und seinem Zimmer wieder angelangt, sieht er als einzige greif­ bare Achse sein eigenes Ich und spürt beschämt in seinem ver­ borgensten Seelenwinkel, daß er etwas braucht, an dem er sein dürftiges Schicksal fesseln, daß er nicht die unendlichen Weiten des Weltalls für seine Befriedung verlangen kann, sondern froh ist, wenn er sein Selbstbewußtsein behält! Aber getraut er sich denn überhaupt, aus dieses sein Selbstbewußtsein, sein Schicksal auszubauen? Sucht er nicht auch da wieder einen Angelpunkt, in den er sich selbst spannen kann? Und bescheiden empfiehlt er seine Seele der Allmacht, der er sie verdankt. „Wenn die gesunde Natur des Menschen als ein Ganzes wirkt, wenn er sich in der Welt als in einem großen, schönen, würdigen und werten Ganzen fühlt, wenn das harmonische Behagen ihm ein reines freies Entzücken gewährt — dann würde das Weltall, wenn es sich selbst empfinden könnte, als an sein Siel gelangt aufjauchzen und den Gipfel des eigenen Werdens und Wesens bewundern." Goethe.

Die großartige Folge der Gestalten, die der schöpferischen Erde entwuchs, erreichte im Menschen schon insofern einen Abschluß, als sich dieser gleichsam symbolisch erhob und sich den Schöpferkräften wieder zuwand, von denen er kam. Seine ihm eingeborenen harmonischen Gesetze, die sich seit den Kristallen her auf ihn übertrugen, ja die schon den Lauf der Planeten um die Sonne befahlen, wurden aus dem Urerlebnis des eigenen Körpers wieder frei und wuchsen heran zur Kunst, jenem Schöpfertum, das die Harmonie des Alls erfüllte. Die Kunst entfaltete sich wie eine Knospe und gliederte aus dem Urerlebnis die einzelnen Organe heraus. Tanz, Musik, Sprache strebten der Erfüllung ihres eigenen Urbilds entgegen und wuchsen nebeneinander heran zur gleichen Pracht. Die Formen steigerten sich in einer zielstrebigen Metamorphose, bis die Blüte aufleuchtete. Alles, was von unten an strebte, war hier noch einmal zusammengezogen; der Ausweitung und Ent­ faltung war sogleich die Zusammenziehung gefolgt. Doch nunmehr war nicht wieder der Urgrund erreicht, sondern in einer höheren Ebene war die Kunst wieder Urelement ge­ worden. Als wesentliches Merkmal der Schöpfung kann immer die Spannung gelten. Gegensätze wie Licht und Finsternis erzeugen Spannungen, die erst in ihrer Zusammenschau das harmonische Ganze der Schöpfung ergeben. Wie sich bei Beethovenscher Musik die Gegensätze zerreißen und sich doch am Schluß die Hand zum Siegessest reichen, wie die Erden­ schwere des Steins nach unten und der gotische Geist in ihm nach oben strebt und sich doch ein einheitliches Werk ergibt, so wird jede Harmonie aus Spannungen erzwungen. Wie jagen sich die Themen einer Bachschen Fuge! Und doch ist die Fuge einer Naturerscheinung gleich, die sich mathematisch zergliedern und begreifen läßt, der wir aber durch solche formale Beur­ teilung allein nicht gerecht werden können. Denn Bachs Musik ist mehr als Mathematik, genau so wie die Naturerscheinung des Lichts, der Farbe oder des Tons mehr ist als eine Wellen­ bewegung in bestimmtem Rhythmus. Und die Zahl, die allen jenen Phänomenen zugrunde liegt — sie ist nicht eine beliebige Zahl, sie ist kein rechnerisches Unikum, sondern sie fügt sich mit ihresgleichen zu einer Harmonie, die wir als dieselbe erkennen, die uns als richtender Maßstab ins Herz gelegt ist, die die Werke

unserer großen Musiker, Maler und Plastiker vor den Jahr­ hunderten und gar vor den Jahrtausenden bestehen ließ. Und nur deshalb sind die wahren Kunstwerke unvergänglich geworden, weil sie wieder Statur1) waren, weil sie im selben harmonischen „Takt" geboren waren wie die Berge und Pflan­ zen, Tiere und Kristalle. So ist aber auch jene kosmische und natürliche Vernunft ein Teil unseres Selbst, ein Teil unseres Geistes und unseres Körpers. Die dem Körper innewohnende Logik vermag der Mensch zu sondern und wie eine frei gewordene Energie von neuem in den Kreislauf der Schöpfung einzuspannen. Diesen Weg der Kunst erkannte neben Goethe kaum ein anderer so klar wie Schelling. „Die Lage des Künstlers gegen die Natur sollte oft durch den Ausspruch klargemacht werden, daß die Kunst um dies zu sein, sich erst von der Natur entfernen müsse und nur in der letzten Vollendung zu ihr zurückkehre. Er (der Künstler) muß sich vomProdukt oder vom Geschöpf entfernen, aber nur um sich zu der schaffenden Kraft zu erheben und diese geistig zu ergreifen. Hierdurch schwingt er sich in das Reich reiner Begriffe; er verläßt das Geschöpf, um es mit tausendfältigem Wucher wiederzugewinnen und in diesem Sinn allerdings zur Natur zurückzukehren" (Aber das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur, Münchener Festrede, 1807). Was der Mensch in seinen Kunstwerken da schafft, das ist letzten Endes wieder Natur, denn er kann sich nicht selbst ver­ leugnen. And es mag wohl als etwas Herrliches erscheinen, wenn ein Mensch den Menschen zum Gegenstand der Kunst erwählt, wenn er im Schaffensdrang selbst an die Gestalt ge­ langt, die der Natur ein Ziel war l Unsere großen Maler und Plastiker kamen vielleicht von der Landschaft oder vom Tier, in ihres Künstlertums höchster Blüte aber schufen sie den Menschen, in dem sie die Harmonie der ganzen Natur aus*) Leonardo da Vinci hat seinen Schülern die tiefen Worte ein­ geprägt: „Der Maler muh vielseitig sein. O Künstler, sei so umfassend, wie die Natur ist! Fortsetzend, was Gott begonnen hat, strebt nicht, die Werke von Menschenhand zu vermehren, sondern die ewigen Werke Gottes. Ahme niemals andere nach! Jedes deiner Werke sei wie eine Schöpfung der Natur."

schöpfen konnten, dessen Darstellung schließlich ihr ganzes Sehnen war. Denn wenn auch Schönheit und Harmonie in allen Erscheinungen der Natur enthalten sind und so zur künstlerischen Darlegung reizen, so „verlangt die Kunst doch eine gewisse Fülle derselben, und möchte nicht den ein­ zelnen Klang oder Ton, noch selbst den abgesonderten Akkord, sondern die vollstimmige Melodie der Schönheit zugleich an­ schlagen. Sie greift darum am liebsten unmittelbar nach dem Höchsten und Entsaltetsten, der menschlichen Gestalt. Denn da ihr das unermeßliche Ganze zu umfassen nicht vergönnt ist, und in allen anderen Geschöpfen nur einzelne Fulgurationen, im Menschen allein das ganze volle Sein ohne Abbruch erscheinet: so ist ihr nicht nur verstattet, sondern sie ist aufge­ fordert, die gesamte Natur nur irrt Menschen zu sehen. Gerade darum aber, weil diese hier alles in einem Punkte versammelt, wiederholt sie auch ihre ganze Mannigfaltigkeit und legt den­ selben Weg, den sie in ihrem weiten Umfang durchlaufen hatte, zum zweitenmal in einem engeren zurück." (Schelling.) Es ist beschämend, wie diese erhabene Vorstellung des großen Philosophen^), daß der Mensch die gesamte Natur in sich begreift, so gänzlich vergessen werden konnte, und daß an Stelle der Menschenwürde eine günstige Anpassungsrichtung irgendeines Tieres trat. Wie kann eine solche Vorstellung jemals zu einer wirklichen Begründung der Kunst kommen? „Wär nicht das Auge sonnenhaft, Wie könnten wir das Licht erblicken? Lebt' nicht in uns des Gottes eigne Kraft, Wie könnt' uns Göttliches entzücken?" Goethe.

Der Mensch — ein Abglanz des Alls, des Menschen Geist ein göttlicher Geist, des Menschen Vernunft die Vernunft der Welt! So können auch unsere Sinnesorgane, die uns die Welt vermitteln, nur dort ihre Entsprechung haben, woher sie ihren Reiz empfangen. Das Licht, das wir in der Welt gewahren, wird vom Auge empfangen und von ihm auch wieder geboren; *) Dos Gleiche gilt leider in diesem Sinne auch für Carus und H. Steffens.

denn ohne Auge gäbe es kein Licht. Und hätten wir den Gott, den alle Menschen suchen, nicht in uns, so wäre Gott tot. Diese Weisheit haben Eckehart und Angelus Silesius deutlich genug ausgesprochen, aber ihre Worte sind vergraben worden in den finsteren Höhlen, in die man alle Mystik verbannt hat. Das aber zeigen gerade unsere Betrachtungen, daß sich eine ernste Naturwissenschaft letzten Endes selbst aufgeben muß, wenn sie nicht diese tiefen Zusammenhänge schaut, die den Weisen des Mittelaltes und auch den Alten geläufig waren. Es bedeutet keineswegs eine Rückkehr zu den Zeiten, die nur aus der gesicherten Entfernung des modernen Menschen großartig erscheinen, wenn wir den Weg der Naturwissenschaft durch solche Gedanken dorthin lenken, wo er nicht ins Uferlose sich verliert. Mehr denn je braucht die moderne Wissenschaft einen Ruhepunkt, von dem aus sie ihre unheimlich-unergründ­ lichen Exkursionen ins Reich der Atome und Wellen unter­ nimmt, ein Unterfangen, das man selbstverständlich nur in romantischer Verblendung als an sich unberechtigt bezeichnen könnte (ist uns durch die moderne Wissenschaft nicht erst das tiefere Erkennen der Stellung des Menschen zur Natur in der Weise, wie wir sie anstrebten, ermöglicht worden?). Aber wenn man erkennt, daß vor allen Zergliederungen eben doch einmal die Erscheinungen selbst stehen, wenn man weiß, daß das Auge nicht nur die einzelnen Lichtwellen, sondern das Licht selbst wahrnimmt, dann muß man auch wieder dorthin gelangen — woher man auch gekommen sein mag —, wo die harmonischen Urbilder jener ganzheitlichen Phänomene schlummern: und das ist nicht das Reich der Elektrizität, nicht der erste lebendige Ei­ weißkörper, sondern eine Idee. Diese ist es ja gerade, der wir die Möglichkeit einer Systematik, die Möglichkeit, Naturgesetze zu finden, überhaupt verdanken! Denn was wollen wir nach Naturgesetzen forschen, wo wir doch nur die Erscheinungen erkennen, denen wir selbst eine Gesetzmäßigkeit — und das ist eine Idee! — unterlegt haben? Wäre diese Idee aber wieder­ um nicht unsere eigene, sondern eine ganz fremde, dann würden wir sie überhaupt nicht fassen können! Der Mensch, der die Einheit aller Wirbeltiere erkennt und der das ganze Tierreich in Verwandtschaftsgruppen teilen konnte, der muß selbst diese Ideen gehabt haben, der muß die Zusammenfassung gewisser

Tiere und Baupläne selbst für denkbar halten. Da sich nun aber die Welt tatsächlich in seine Denkweise einpassen läßt, da wahr­ haftig eine Vernunft zutage tritt, die man als Gesetz bezeichnet, erweist sich wiederum nichts anderes als die innere geistige Ver­ wandtschaft der Welt und des Menschen. Mag nun auch der Biologe sich die Lebewesen aus niederen Formen mit Hilfe der Mutationen und von der Ilmwelt be­ einflußten Erbänderungen entstanden denken können, erscheint die leibliche Entwicklung des Menschen aus tierischen Ahnen sogar vollkommen gesichert, so wird er stets deshalb zu einem unbefriedigenden Ergebnis kommen, weil er bei seiner Be­ trachtung nicht vom Menschen, sondern vom ersten niederen Lebewesen ausgeht, sei dies nun aus den Elementen des Meerwassers entstanden, sei es von anderen Gestirnen zu uns gekommen oder habe es ein persönlicher Gott eigenhändig geschaffen. Nimmt er aber den Menschen als Stamm der ganzen tierischen Entwicklung und faßt er die Menschengestalt rein metaphysisch als Urbild auf, dann sind die einzelnen Tier gestalten lediglich Erfüllungsschritte zu jenem Urbild. Damit aber schwindet von selbst die Notwendigkeit, jener Stammesentwick­ lung komplizierte Theorien unterzulegen, die wohl die Mittel und Wege der Entwicklung beschreiben und erläutern können, niemals aber das Entwicklungsprinzip*) zu fassen vermögen. Auch die Frage der Anpassungen bekommt ein anderes Gesicht: wie das Auge nur das Licht erblicken kann, weil es selbst vom Lichte ist, so kann es nur dort gebildet werden, wo Licht aufzunehmen ist. Ein Höhlentier hat dementsprechend auch keine Augen. Genau so innige Beziehungen bestehen aber zwischen anderen Organen und der Umwelt, zwischen Extremi­ täten und Wasser, Fellsärbung und Wüste usw. Um derartige Anpassungen zu erklären, wird man von der gemeinsamen Idee ausgehen müssen, nach der Organ und Umwelt ineinander geklinkt waren, und nach der die anorganische Welt die organische schon in sich schloß, wie die Kristallgestalt im flüssigen Magma potentiell schon enthalten ist. Wie lassen sich die geradezu ver­ blüffenden Fälle von Schutztracht (Heuschrecken, deren Flügel *) Darwin selbst hat trotz seines Scharfsinnes stets die Selektion, die doch nur eins der Mittel zur Entstehung der Arten sein kann, als grundlegend für die Möglichkeit einer Stammesgeschichte angesehen.

einem verpilzten oder zerfressenen Blatt bis auf das Kleinste gleichen, Schmetterlingsflügel, die die Mittelrippe des Blattes „enthalten", usw.) überhaupt durch Selektion oder aktive An­ passung erklärbar denken? Die tiefste Bedeutung der Anschauung, daß der Mensch das Spiegelbild der Natur ist und daß die Vernunft der Men­ schenseele der Weltenvernunft entspricht, daß die natürliche und menschliche Schöpsungssorm die gleichen harmonischen Grundlagen aufweist, liegt aber aus dem Gebiet des Reli­ giösen. Gott in uns, das ist die höchste und letzte Erkenntnis. Dieser Gott, der die Welt beseelt hat, legte dem Menschen seine eigene Schöpferkraft ins Herz, mit der er nun wieder im Rahmen der göttlichen Weltenordnung wirkt. Seine Kunst ist die herrliche Erfüllung der Natur. Wieder entströmt dem Menschengenius diese unbegreifliche Rhythmik, die er selbst im Körper — gebunden — bewahrt, und die im ganzen, die Harmonie erfüllend, wieder jener unübersetzliche Logos wird, der zündend das Weltall durchrast, der die Sternenbahnen lenkt und in der gleichen Harmonie aus der Musik und aus der Sprache redet. Dasselbe Gesetz bewahren die Kristalle und Blattord­ nungen, dieselbe Harmonie künden alle tierischen Baupläne, von ihr zeugt die aufrechte Gestalt des Menschen. In der griechischen Statue sind die Gesetze des zeitlosen Stroms ein­ gefangen, im tierischen Zeichnungsmuster hat sich der schöpfe­ rische Fluß verzeitlicht. Denn auch hier tritt uns Rhythmik entgegen, auch hier Dynamik. Dieser gewaltige Kreislauf, der die Unsterblichkeit bedeutet, kehrt stets zurück zum göttlichen Wort, zum „Worte, das am Anfang war".

Die Stimme der Landschaft Begreifen und Erleben der Tierstimme vom biologischen Standpunkt

von Heinrich Frielirrg Mit 7 Abbildungen u. 6 Notenbeispielen. 133 Seiten. 8°. 1937. In Leinen gebunden NM. 4.20 INHALT:

1. Die lauterzeugenden Tiere, ihre Sende-und Empfangsor­ gane. 2. Die biologische Deutung der Tierlaute. Die Tierstimme als Geste und Verständigungsmittel. Die Tierstimme als Ausdruck eines Gefühls oder einer Stimmung. Die Tierstimme in der Sphäre des Geschlechtslebens und der Platzbe­ hauptung. 3. Entwicklung und Ausbildung der Tierlaute, insbeson­ dere der Vogelstimme. Entwicklung und Ausbildung der Tierlaute im Licht der Abstammungs­ lehre. Grundideen der tierischen Lautgebung und ihr Verwirklichungsbereich. Herausbildung und Veränderung der Tierstimme durch Beschränkung der Verwirklichungsmöglichkeiten im Sinne einer Stilerfüllung. 4. Der Landschaftsstil der Tierstimme und die Harmonie der Schöpfung. Das wichtigste Schrifttum. Anhang: Analyse der Tierstimme. Ein Biologe schildert hier in vier fesselnden Kapiteln die Mannigfaltigkeit der tönenden Natur und führt den Leser von den bloßen Erscheinungsformen fast unmerklich zum tieferen Begreifen der großen Gesetzlichkeiten, denen die Tierlaute unterworfen sind. Was bisher als ein undurchdringliches Regel­ werk mit hundert Ausnahmen erschien, gewinnt in Frielings Buch zuneh­ mend die Gestalt des planmäßig Geordneten. Der Verfasser zieht die großen Linien, die vom einfachen Gezirp der Grillen bis zum seelenvollen Gesang der Nachtigall und zur menschlichen Sprache führen, und stellt die Welt des Schalls auf die gleiche Stufe wie das Reich des Sichtbaren, in das der Mensch durch die Grenzen seiner Sinnenwelt verbannt erscheint. And wie die Formen und Farben der sichtbaren Erscheinungswelt biologisch sinnvoll auf­ einander abgestimmt sind und mit der Amwelt eine Harmonie ergeben, die der Biologe mit dem Begriff Anpassung umschreibt, so gehören auch die Stimmen der Insekten, Frösche, Vögel und Säugetiere zusammen und zau­ bern jene beseelte Harmonie der Landschaft, deren Stimmungswert nur der künstlerische Mensch voll erleben und gestalten kann.

Urwelt, Sage und Menschheit Eine naturhistorisch-metaphysische Studie von Edgar Dacque 6. Auflage. 376 Seiten. 8°. Broschiert NM. 7.50, in Leinen gebunden NM. 9.50 Inhalt: Einführung: Theorie und Wissenschaft — Wirklichkeits­ wert der Sagen und Mythen. Naturhistorie: Typenkreise und biologischer Zeitcharakter — Das erdgeschichtliche Alter des Menschenstammes — Körpermerkmale des sagen­ haften Urmenschen — Urmensch und Sagentiere — Die Atlantissage — Die geologische Erklärung der noachitischen Sintflut — Der Wesenskern des Sintflutereignisses — Die kosmische Erklärung der noachitischen Sint­ flut — Datierung und Naumbegrenzung der noachitischen Sintflut — Jüngere Fluten und Landuntergänge — Sagen von Mond und Sonne — Sternsagen — Gondwanaland. Metaphysik: Das Metaphysische in Natur und Mythus — Naturstchtigkeit als ältester Seelenzustand — Kulturseele und Urwelt — Naturdämonie und Paradies — Die Natur als Abbild des Menschen — Die Quelle der Weltentstehungs- und Weltuntergangssagen — Seelenwan­ derung, Tod und Erlösung. 8 Uhr-Blatt, Nürnberg: „Dacque ist ein echter Gelehrter dieses Jahrhunderts. Er denkt näm­ lich nicht nur mit dem Kopf, er denkt auch mit dem Äerzen. Dieser Philo­ soph, dessen Werk immer mehr Geltung gewinnt und gerade im neuen Deutschland gewinnen muß, hat erkannt, daß letzte Dinge intuitiv aus gläubigen, erfüllten Naturen kommen, nicht aber erdacht, errechnet, konstruiert werden. Dacque ist Philosoph unserer Zeit auch in seinem Bedürfnis nach umfassender Bewältigung der ganzen Lebensfrage, so daß sein Werk als ein Markstein an dem geistesgeschichtlichen Wende­ punkt anzusprechen ist." Ärzteblatt für Sachsen: „Wir empfinden heute gegenüber der wahrhaft unermeßlichen Fülle von mechanischen Forschungsergebnissen innerhalb der Gesamtnaturwissen­ schaft einen Heißhunger unserer Seele nach einer Innenschau! Denn die Außenschau macht uns nicht weiser, reicher, glücklicher, friedvoller! Unsere Seele lauscht nach allen Seiten nach einer grundsätzlich anderen Forschung, nach einer Forschung, die die Dinge nicht nur von außen — sondern auch vor allem von innen her betrachtet und erforscht. Unter den Den­ kern der Gegenwart, die in ihrer Forschung solche Innenschau betreiben, ragt Dacque bedeutsam hervor."

Die Erdzeitalter Von Edgar Daeque 2. Auflage. 576 Seiten, 396 Abbild., 1 Tafel. ©r.-8°. In Lalbleder geb. NM. 12.50

Äus der Urgeschichte der Erde und -es Lebens Tatsachen und Gedanken. Von Edgar Daeque 230 Seiten, 46 Abbildungen. 8°. In Leinen gebunden RM. 4.80

Katur und Seele Ein Beitrag zur magischen Weltlehre von Edgar Daeque 3. Auflage. 201 Seiten. 8°. In Leinen gebunden NM. 4.80

Leben als Symbol Metaphysik einer Entwicklungslehre von Edgar Daeque 2. Auflage. 259 Seiten. 8°. In Leinen gebunden NM. 4.80

Vom Sinn der Erkenntnis Eine Bergwanderung von Edgar Daeque 196 Seiten. 8°. Kartoniert RM. 4.80

Aatur und Erlösung Von Edgar Daeque 147 Seiten. 8°. Broschiert NM. 3.50, in Leinen gebunden NM. 4.80

üTmri Vorträge über Proportionen Von Theodor Fischer 102 Setten, 43 Abbildungen. Kl.-8°. Gebunden RM. 3.80