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German Pages 277 Year 1992
ROLAND DERKSEN
Handeln auf eigene Gefahr
Schriften zum Strafrecht Heft 92
Handeln auf eigene Gefahr Von Roland Derksen
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Derksen, Roland: Handeln auf eigene Gefahr / von Roland Derksen. Berlin : Duncker und Humblot, 1992 (Schriften zum Strafrecht ; H. 92) Zug!.: Bonn, Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-07487-4 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 3-428-07487-4
Für Mary
Vorwort
Die vorliegende Untersuchung ist die gestraffte Fassung meiner von der Juristischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Sommersemester 1991 angenommenen Dissertation. Die Überarbeitung des Manuskripts habe ich im Dezember 1991 abgeschlossen. Zu danken habe ich vielen. Meinem akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Günther Jakobs, danke ich für die geduldige und engagierte Betreuung dieser Schrift, überhaupt für die Vermittlung der Einsicht in die Tiefendimension dogmatischer Arbeit. Herrn Prof. Dr. Helmut Marquardt danke ich für zahlreiche Diskussionen, in denen er sich mit opferbezogenen Zurechnungsproblemen auseinandersetzte und mir den Bezug der von mir behandelten Thematik zur Lebenswirldichkeit begreiflich machte. Meiner langjährigen Freundin, Maria Geimer, danke ich für die sorgfältige Korrektur des Manuskripts. Bonn, im Dezember 1991
Roland Derksen
Inhaltsverzeichnis EiDfiihnmg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . 13 I. Der Begriff "Handeln auf eigene Gefahr" . . . . . . . • . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 D. Die Wiederentdeckung des Opfers im Lichte der kriminalpolitischen Strömungen •..• 14
m. Stellenwert des Opfers in den StratbegtÜndungsmodellen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
IV. Die Opferperspektive in der Zurechnungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 V. Die Erscheinungsformen des am Gutsverlust beteiligten Opferverbaltens . . . . . . . . . . 25 VI. Zum Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . 27
Erster Teil
Die Verantwortung für fremde SelbstsehädiguDg
in Literatur ud RechtsprecbllDl
I. Verantwortung fiir fremde Selbstgetährdung (-schädigung) als Problem des Schutzzwecks der Norm • . . • • . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Die zentralen Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
2. Kritik der grundlegenden Thesen der Schutzzwecklehre . . . . . . . . . . . . . . ' .... 37 a) Der Schluß vom Vorsstz- auf das Fahrlässigkeitsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . • . 37 b) Direkte Anwendung der Teilnahmeregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 aa) Präzisierung der Aussage des Teilnahmearguments . . . . . . . . . . . . . . . ..
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bb) Der Suizid als teilnahmetähige Haupttat. Die Lehren von Bringewat und Schmidhäuser . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . 42 cc) Straflose Teilnahme an nicht rechtswidrigem Verbalten? . . . . . . . . . . . . .
48
(I) Bewertungseinheit von Teilnahme und Haupttat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 (2) Gesetzliche Teilnahme auch an faktischer Tat? ... . . . . . . . . . . . . . . . . 51
c) Entsprechende Anwendung der Teilnahmeregelung . . . • . . . . . . . . . . . . . • . 52 aa) Die Möglichkeit, Beteiligungsformen an "natürlichen" Taten von der Zurechnung als eigene Tat auszuschließen • . . • • • . . • . • • • . . . . . • . . • • . . •. 52 bb) Die TäterschaftslTeilnahmeregelung aus zweckrationaler Sicht . . . . . . . . . . 54 d) Der Täterbegriff und die fremde Selbstschädigung • . . . • . . . . . . . . • . . . . . . 56
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Inhaltsverzeichnis
ß. Zurechnung fremder Selbstgefährdung (-schädigung) aus der Sicht der Regreßverbotalehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . • . . . 61
1. Die Lehre von der objektiven Zurechnung . . • . • . . . • • . . . . . • . . . . . . . . . .. 63 2. Der Vertrauensgrundsatz als Grund für die Ausschließung der Verantwortung für Fremdverhalten (Stratenwerth) . . . . . . . . . . . . . • . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3. Die (fehlende) Abhängigkeit des Opfers vom Ausbleiben einer veranlassenden bzw. fördernden Versuchung des unmittelbar Handelnden als Grund des Regreßverbotes (Welp) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . • . . . . . . • . . . . . . . . . 70 4. Bestimmung des Verantwortungsbereichs nach dem Prinzip der Selbstverantwortung (Schumann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . • • • . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . 73
s. Verantwortung für fremde Selbstschädigungsakte als funktionaler Schluß der Verhält-
nismäßigkeit der Inanspruchnahme fremder Freiheit zum Rechtsgüterschutz und des instnamentslen Einsatzes der Strafe (Frisch) . . . . . . . . . • . . . . . • . . . . . . . • . . • 77
6. Zurechnung des Zweithandelns als (feil) eines normwidrigen Entwurfs (Jakobs) .... 81
m. Der Wille des Verletzten als Grund für den (teilweisen) Zurechnungsausschluß bei
Gefährdung eines anderen? . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . • . . . 86
1. Die Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 a) Stellenwert einer Einwilligungslösung für die Beteiligung an fremder Selbstgetihrdung • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . 86 b) Die Interpretation der Einwilligung in der Rechtslehre .. . . . . . . . . . . . . . . . . 88 c) Die Einwilligungslehre und der RechtsgutsbegritT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Selbstgefährdung als zum Zurechnungsausschluß führende Obliegenheitsverletzung? • 97 3. Selbstgefährdung und unerlaubtes Risiko (bzw. Sozialadäquanz) . . . . . . . . . . . . . • 101 IV. Viktimodogmatische Konzepte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . .. 108
1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 108 2. Anwendung des viktimologischen Prinzips auf einzelne Deliktsgruppen ...... ... 111 a) Die viktimologische Reformulierung der §§ 201-203 StGB durch Schünemann ..• 111 b) Die viktimologische Maxime und § 263 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 aa) Die Auslegung des Merkmals "Irrtum" durch Amelung . . . . . . . . . . . . . . • . 116 bb) Die Vertiefung dieser Lehre durch Raimund Hassemer . . . . . • . . . . . . . . . . 118 cc) Die Beschränkung des Handlungsunrechts des § 263 StGB durch Ellmer ..... 120 dd) Anwendung der Lehre von der objektiven Zurechnung durch Kurth . . . . . . . . 126
Inhaltsverzeichnis
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ee) Viktimodogmatisch begründete Auslegung von Tatbeständen mit Nötigungsbestandteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 127 3. Kritik der das Konzept Viktimodogmatik tragenden Argumentation . . . . . . . . . . . 132 a) Per Grundsatz der Subsidiarität des Strafrechts und das Prinzip der Eigenververantwortlichkeit als die Reichweite strafrechtlicher Zurechnung bestimmende Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 b) Reprivatisierung des strafrechtlich zu verarbeitenden Konflikts . . . . . . . . . . .. 138 c) Verwirkung der Schutzwürdigkeit des Opfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 V. Die Selbstgetihrdung des Opfers in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Die Rechtsprechung des preußisch Königlichen Obertribunals . . . . . . . . . . . . . . 142 2. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3. Die Rechtsprechung nach 1945
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
a) Die Selbstgetihrdung des Opfers in der verkehrsrechtlichen Rechtsprechung ... 151 b) Die Verantwortung für das Überlassen von Betäubungs- und Rauschmitteln .... 155 c) Die Infizierung des Opfers durch den Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 d) Personenaorgevemältnisse als Grund für die Vermeidung fremder Selbstgetihrdungen ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 161 e) Zuständigkeit zur Vermeidung fremden Suizids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
Zweiter Teil Strafrechtliche VerantwortuDg für fremde Selbstgef"8hrdungen. Handeln auf eigene Gefahr als Prinzip der Kostentragung für sozialen Kontakt
I. Das Opfer im Unrechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 169 1. Die Grundstruktur des Unrechts ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 169 a) Methodenreflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 b) Positive Generalprävention als Leitmaxime teleologischer Begriffsbildung . . . .. 175 c) Restauration des Normbruchs durch Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 d) Ansätze zur Bildung eines die gesel\schaftliche Ordnung rekonstruierenden Normbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 e) Der strafrechtliche Unrechtsbegriff ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 2. Das Opfervemalten als Einflußgroße für das Bestehen strafrechtlichen Unrechts ... 185 a) Prolegomena zur Entwicklung eines die Täterverantwortung ausschließenden (bzw. limitierenden) Verantwortungsmaßstabes für das Opfer . . . . . . . . . . . • . . . . . 185 b) Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
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D. Die wichtigsten Fallgruppen und Ansätze zur Lösung
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1. Zuständigkeit für den Grund der Selbstgetährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 a) Organisationsanmaßung und fremdes selbstgefährdencles Verhalten . . . . . . . . . 198 aa) Unechte Fälle des Handeins auf eigene Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 (1) Deliktsfreiheit privater Lebensgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 198
(2) Deliktsfreiheit der Produktion von Folgen durch Teilnahme an institutionalisierten Aktionsschemata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 199 bb) Auslösen von Selbstgetährdungen durch Organisationsanmaßung . . . . . . . . 200 (1) Eingriff in den fremden Organisationsbereich durch faktisches Verhalten .. 200 (2) Eingriff in den fremden Organisationsbereich durch kommunikative Akte . 211
(a) Quasianstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 (b) Quasibeihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 217
(c) Deliktische Veranlassung von Selbstgetährdungen durch Nötigung ... 221 (d) Deliktsfreiheit einverständlicher, risikobehafteter Sozialkontakte . . . .. 221 b) Verletzung einer organisatorischen Zuständigkeit für den fremden Organisationsbereich als deliktischer Grund für fremdes selbstgetährdendes Verhalten . . . . . . 225 2. Zuständigkeit für die fremde Selbstgetährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 a) Prolegomena .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . 229 (1) Ausgrenzung von ubiquitärem Verhalten als zuständigkeitsdispensierende
Selbstgetährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
(2) Fehlende Zuständigkeit bei vollständiger Verlagerung des Konflikts auf deliktisches Verhalten eines Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 230 (3) Fremd- und Eigenverantwortlichkeit als Steigerungsbegriff
230
b) Organisationsanmaßung und die fremde Selbstgetährdung . . . . . . . . . . . . . . . 232 (1) durch faktisches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 (2) durch Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 238
(3) durch Nötigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 239 c) Verantwortung für fremde Selbstgetährdung aufgrund institutioneller Zuständigkeit . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 d) Einwilligung als Sonderfall einer Selbstgetährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 240 3. Dispension von Garantenpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Zaumunad~deTbeHD
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..................................... 248
..........................................
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Einführung I. Der Begriff 'Handeln auf eigene Gefahr' Der als Arbeitstitel gewählte Begriff - Handeln auf eigene Gefahr - ist zivilrechtlicher Provenienz. Unger führte diesen erstmals 1891 in die Rechtsterminologie ein l , allerdings mit einem heute nicht mehr gebräuchlichen Verständnis. Die Frage, ob jemand, der im Verkehr Gefahren begründe dürfe, auf eigene oder auf Gefahr Dritter handele, beantwortete sich für ihn dahin, daß der Gefahrenverursacher eine umfassende Folgenverantwortung tragen solle2 Unter Handeln auf eigene Gefahr verstand er deshalb ein Verhalten des Schadensverursachers, das diesen auch dann zum. Schadensersatz verpflichten konnte, wenn er die Verletzung fremder Güter nicht verschuldettr. Heute findet sich unter dem gleichen Titel nur noch die Problemstellung wieder, ob und unter welchen Voraussetzungen der Verletzte durch vermeidbar selbstgefährdendes Verhalten den Schadens(mit)verursacher von einer Schadensersatzpflicht entlastet oder diese begrenzt4 • Handeln auf eigene Gefahr bedeutet in diesem Sinne die Folgen der bewußt und im eigenen Interesse auf sich genommenen Gefahr, ohne die Möglichkeit der Abwälzung der VerantWortung hierfür auf andere zu haben, selber tragen zu müssen5• Die Fruchtbarkeit der früher als im Strafrecht unternommenen Bemühungen der zivilrechtlichen Literatur um die sachgerechte Bewältigung dieser Problematik auch für das Strafrecht ist vom heutigen Stand der Reflexion dogmatischer Grundlagenprobleme aus nicht mehr selbstverständlich. Der Grundsatz der Einheit der Rechtsor4nung ist mit der fortschreitenden Ausdifferenzierung der einzelnen Rechtsgebieie fast schon zur Fiktion geworden. Bedingt durch die sehr unterschiedlichen AufgabensteIlungen, denen sie zu genügen haben, haben
1 JherJ 30 S. 363 ff. 2 zu den Bemühungen der Strafrechtsdogmatik, sich unter der Vorherrschaft des Kausslitätsdogmas den Belangen der modemen Industriegesellschaft zu öffnen vgl. Preuß, Untersuchungen, S. 30 ff. 3 was dem heutigen Gedanken der Getährdungshaftung entspricht. 4 nachfolgende Untersuchungen gehen unter dem Titel Handeln auf eigene Gefahr dieser Frage nach: Gerhardt 1962; Gonscho11947; Schneyer 1956; Sto1l1959; vgl. außerdem Dum:, NJW 1986, S. 2234; ders. JZ 1987 S. 61; Milnzberg, Verhalten, S. 305 ff.; Venzmer, Mitverursschung, 1960. 5 Deutsch, NJW 1978, S. 1998; Dunz, JZ 1987, S. 63 (65); ScheJfen, NJW 1990, S. 2658 (2663).
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Einführung
sie sich zu eigenen Zweckordnungen ausdifferenziert, und das sicher in einem Maße, daß sich dogmatische Konstruktionen zu Fällen, die von beiden Rechtsgebieten zu bewältigen sind, nicht ohne weiteres austauschen lassen. Diese das Postulat der Einheit der Rechtsordnung zumindest relativierende Erkenntnis erfreut sich zunehmender Verbreitung. So hat jüngst Kuhlen6 herausgearbeitet, daß ein Verstoß gegen den zivilrechtlichen Sorgfaltsmaßstab nicht bereits automatisch auch eine Zuwiderhandlung gegen den strafrechtlichen zufolge habe7 • Der Begründungsaufwand für den erforderlichen Nachweis der Kompatibilität von Instituten für verschiedene Rechtsgebiete dürfte in Ansehung des diesbezüglichen Diskussionsstandes schon aufwendiger sein als die Bemühungen um eine eigenständige Begriffsbildung, was fernerhin als der lohnendere Weg erscheint, weil eine differierende Zwecksetzung eher garantieren dürfte, daß der gleiche Gegenstand von verschiedenen Rechtsmaterien aus in voneinander abweichende Pers~ktiven gerät und mit unterschiedlichen Bedeutungszuweisungen belegt wird8 • Rechtsbegriffe haben dann keine universelle Bedeutung mehr, sondern lassen sich nur noch im Horizont des jeweiligen Bezugssystems interpretieren. Normen, Sorgfaltsmaßstäbe u.ä. haben nur noch innersystemische Bedeutung und lassen sich dann nicht mehr ohne weiteres in ein anderes Aussagesystem transferieren. Dies ist. für den Bereich der Produkthaftung exemplarisch aufgezeigt worden und soll als Arbeitshypothese der vorliegenden Studie dienen. Im Bereich des Strafrechts war die Frage der Verantwortung für fremdes selbstgeflihrdendes Verhalten lange Zeit eher von untergeordneter Bedeutung9 und geriet erst in den 70er Jahre wieder ins Blickfeld. Diese Entwicklung wurde maßgebend von der Wiederentdeckung des Opfers als kriminalpolitisches Leitthema beeinflußt.
11. Die Wiederentdeckung des Opfers im Lichte der kriminalpolitischen Strömungen Die Gründe, die die vielbeschworene, keineswegs auf die Strafrechtsdogmatik beschränkte Wiederentdeckung des Opfers lO forcierten, lassen sich nur 6 Fragen einer strafrechtlichen Produkthaftung 1989, S. 148 ff. (171 ff.). 7 zustimmend 7iedemann, NJW 1990, S. 2051 (2052) und jüngst BOH, NJW 1990, S. 2560. 8 vgl. die materialreiche Studie zur Relevanz des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung für die Strafrechtsdogmatik von Gilnther, Strafrechtswidrigkeit, 1983. 9 vgl. nunmehr dazu die gründliche Studie von Frisch, Tatbestandsmißiges Verhalten, 1988. 10 aus dem reichhaltigen Schrifttum nur auszugshaft: DiJnckellRiJsmer, ZStW 99 (1987), S. 845; Frehsee, Schadenswiedergutmachung, S. 4; Hassemer, K1ug-FS, S. 217; Jung, ZStW 93 (1981), S. 1147 und ZStW 99 (1987), S. 497; Kilper, GA 1980, S. 217; Neumann in Hassemer (Hrsg.), Strafrechtspolitik, S. 225 ff.; Rieß, Gutachten C 55. DJT 1984, C 9 ff.; Seelmann, JZ 1989, S.
D. Die Wiederentdeckung des Opfers
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schwer ergründenlI. Ein vermehrtes Auftreten von Fallkonstellationen mit maßgebender Opferbeteiligung kann für die verstärkten Reflexionsbemühungen in der Strafrechtsdogmatik hierzu und den vergleichsweise großen Output von Judikaten, die zeigen, daß sie die Opfer(mit)verantwortung immerhin als Zurechnungsproblem ernst nehmen, eigentlich nicht als Auslösetatsache ausgemacht werden. So brisant die vor allem für die vorliegend untersuchte Problemlage geradezu paradigmatischen Fälle der Überlassung von Heroin an drogenabhängige Konsumenten l2 , oder die Aidsinfizierung eines anderen durch Sexualverkehr l3 , allesamt Fallgestaltungen, die die höchstrichterliche Rechtsprechung in neuerer Zeit intensiv beschäftigen, auch sein mögen; Konstellationen dieser Art - wie der Rechtsprechungsüberblick l4 verdeutlichen soll - beschäftigten die Gerichte schon weitaus früher. Haben wir es hier keineswegs mit neuartigen Fallgestaltungen zu tun und lassen sich die verstärkten Bemühungen um eine der Opjerposition adäquat Rechnung tragende Begriffsbildung l5 mit intradogmatisch zwingenden Gründen nicht erklären - denn auch auf der Grundlage einer konsequent angewendeten Äquivalenztheorie lassen sich die hier interessierenden Fälle widerspruchsfrei, wenn auch nicht axiologisch überzeugend, lösen - so muß es wohl ein verändertes kriminalpolitisches Klima sein, in dem die Opfer(mit)verantwortung Aktualität gewinnt. Diese ist nicht nur mit nationalen Besonderheiten zu erklären, sondern eine internationale Erscheinung. Hiervon zeugen weltweit betriebene viktimologische Forschungen l6 und - was die rechtspolitische Bedeutung der Opferthematik besonders herausstellt - das Engagement der Vereinten Nationen auf diesem Feld, die die zuletzt auf ihrem 7.Kongreß für Verbrechensverhütung und Behandlung des Rechtsbrechers in Mailand 1985 über Jahre hin erarbeiteten Beratungsergebnisse in der "Declaration of Basic Principles of Justice for Victims of Crime and Abuse of Power"17 zusam670; Sessar, Jescheck-FS, S. 1137 (1150); Slangl, Pallin-FS, S. 419 (424); Weigend, Deliktsopfer, S. 13 ff.
II So kann Weigend in seiner 1989 erschienenen Habilitationsschrift S. 14 f. nach Auswertung des Schrifttums bis zur Gegenwart nur resignativ feststellen, daß "(d)ie tieferen sozialen und politischen Ursachen für die Wiederentdeckung des Verletzten als Teilnehmer am Strafverfahren, aber auch als berechtigter Beneftziar sozialer und staatlicher Zuwendung ... noch im dunkeln" liegen (Hervorhebung v. Verf.); ähnlich Rieß, Gutachten C 55. DJT 1984, C 10: "Welches kriminalpolitische Klima diese Tendenzwende herbeigeführt hat, läßt sich nicht sicher ausmachen" (Hervorhebung v. Verf.). 12 grundlegend BGHSt 32 S.262; dazu näher Erster Teil V.3.b. 13 zur Leitentscheidung BGHSt 36, I vg!. unten Erater Teil V.3.a. 14 Erster Teil V. 15 einen Überblick geben Dlilling, GA 1984, S. 71 und Hillenkamp, Vorsatztat, 1981. 16 dazu einführend Schneider, Jura 1988, S. 635. 17 AlRes/40/34; vg!. dazu die Kommentierung bei Joutsen, The Role ofthe Victim of Crime in
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Einführung
menfaßte, die im wesentlichen eine Reihe von Forderungen hinsichtlich der Ausgestaltung des Strafverfahrens, des präventiven Opferschutzes und der staatlichen Entschädigung enthält l8 . Auf nationaler Ebene verschloß man sich diesem Trend nicht und verbesserte die Rechtsstellung des Opfers durch einige in kurzer Zeitfolge initiierte Gesetzgebungsakte, die zum einen durch Einführung einer staatlichen Entschädigung 19 dessen materielle Situation verbessern und andererseits diesem ein stärkeres Gewicht im Strafverfahren und im materiellen Strafrecht auf der Grundlage des programmatisch durch den 55.DJT 198420 vorbereiteten Opferschutzgesetzes 198721 verleihen sollte, mit dem der Gesetzgeber ansatzweise zwei Reformforderungen aufgriff: die stärkere Beteiligung des Opfers als Verfahrenssubjekt am Strafverfahren und damit an der Konfliktverarbeitung und die stärkere Berücksichtigung seines Schadensersatzinteresses. Das internationale Interesse für das Tatopfer entstand in einer als Krise der Kriminalpoliti!?2 beschriebenen Situation. Bis dahin nicht in Fraße gestellte Legitimationen staatlicher Strafe verloren an Überzeugungskraft . Der die Reformbemühungen der auslaufenden 60er und der frühen 70er Jahre bestimmende Spezialpriivention war als dominante Leitlinie der Strafrechtspflege nur ein kurzes Dasein beschieden, was vor allem daher rührt, daß der mit so viel Erwartungen - im internationalen Vergleich aber mit höchst unterschiedlicher Energieleistung - verfolgte Behandlungsvollzug als fehlgeschlagen bewertet wurde24 und damit die Illusion ein Ende fand, die Kriminalität sei eine heilbare (soziale) Krankheit25 • Die hierdurch und durch den stetigen Anstieg registrierter Kriminalität sinnfällig gewordene (scheinbare) Ineffizienz der European Criminal Justice Systems, 1987, S. 298 ff. 18 ähnlich auch die Empfehlung No. R (85) 11 des Ministerrats der Mitgliedsstaaten des Europarats vom 28.06.1985, abgedruckt in European Committee on Crime Problems, 1985 und die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. September 1989, in der über die Europäische Kommission die Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft zu materiellrechtlichen und psycho-sozialen Besserstellung der Straftatopfer aufgerufen werden. 19 auf der Grundlage des Opferentschädigungsgesetzes 1976; BOBI.I S. 1181. 20 Dazu vor allem Rieß, Gutachten C zum 55. Deutschen Juristentag. 21 BOBI. 1986 I S. 2496. 22 So der gleichnamig überschriebene Aufsatz Jeschecks .. ZS'IW 91 (1979), S. 1037. 23 Das gilt vor allem für den Versuch einer absoluten Stratbegründung. Kennzeichnend für ihren Bedeutungsverlust ist der von Klug 1968 programmatisch geforderte Abschied von Kant und Hegel in Baumann (Hrsg): Programm für ein neues Strafgesetzbuch, S. 36 (41); von den bedeutenden Lehrbuch- und Kommentarautoren dieser Zeit sollte Maurach vorerst ihr letzter Vertreter sein. 24 was Teile der strafvollzugswissenschaftlichen Literatur selbst für die Entwicklung in den USA bestreiten; AlbrechllDiJnkel/Spieß, MSchrKrim 1981, S. 310 ff.; Eisenberg , Kriminologie2 , S. 513 ff.; Kunz, ZStW 101 (1989), S. 75 (78 f.). 25 Jescheck S. 1037.
D. Die Wiederentdeckung des Opfers
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Strafe tührt zu einer Legitimationskrise des staatlichen Strafens überhaupt26 und wird zu einem Nährboden für Konzepte, die, wenn sie nicht gar eine völlige Reprivatisierung der Strafe27 fordem28 , so doch einen Rest von Konfliktverarbeitung zwischen Tliter und Opfer im Strafverfahren kanalisiert sehen möchten29 oder eine Konzeptionalisie~ der Strafe zur Schadensersatzleistung befürworten und die seit Binding"v anerkannte Trennung von Schadensersatz und Strafe aufheben. Die Strafe wird aus ihrer gerechtigkeitsverwirklichenden oder zukunftsgewandten konjliklfonnalisierenden31 Funktion, und dabei notwendig vom Realgeschehen abstrahierenden Aufarbeitung des als Verbrechen definierten Geschehens, zugunsten einer konfliktlösenden, friedensstiftenden Aufgabe, die gestörte Beziehung zwischen Täter und Opfer zu bereinigen32 , verabschiedet. Mit diesem Paradigmenwechsel gerät der ursprüngliche Sinn der Strafe - die Lösung eines interpersonalen Konflikts - wieder in den Blick und die mit ihr erfüllte staatliche Funktion, die als Begleiterscheinung die Neutralisierung des Opfers zeitigte33 , in den Hintergrund. Derartige Reformvorstellungen können nur auf der Grundlage entstehen, daß die Gesellschaft ihre Delinquenten nicht als Feinde34 begreift, diese gleichsam entdilmonisierr35 und als verhand26 Kerner in Kury S. 792 f. 27 Ein Zeichen für den Vertrauensschwund in die Leistungsfähigkeit der staatlichen Strsfrechtspflege ist das Auflcommen der vieltiltigsten privaten Konfliktregelungsinitiativen als Alternative zur justitiellen Behandlung; einen ersten Überblick geben Blankenburg/KlausalRottleuthner (Hrsg.): Alternative Rechtsfonnen und Alternativen zum Recht, 1980; Stangl S. 418 ff. 28 Soz.B. Christie, BritJCrim 1977, S. 1 ff.; Feltes in Janssen/Kerner S. 407; Hanak, KB 1980, S. 5; ders., KB 1982, S. 1; Pilg~am/Steinert in Ortner (Hrsg.): Freiheit stau Strafe S. 196, 241. 29 dazu Kerner in Janssen/Kerner, Verbrechensopfer, S. 495 (505); Ostendoif, ZRP 1983, S. 302 ff.; Rieß, Gutachten C DIT 1984, C 52; Schau! Entkriminslisierungsdiskussion und Aussöhnungsgedanke, 1983; Schöch, NStZ 1984, S. 385 (386 ff.); Weigend, Deliktsopfer, S. 195 ff.;377 ff. 30 Nonnen I S. 284 ff. 31 Hassemer, Theorie, S. 195 ff.; Neumann S. 249; Konfliktformalisierung leistet eine Befriedung innerhalb eines strukturierten Sozialbereiches durch Absorbtion relevanter Konfliktthemen und durch die Festlegung des Procedere, nach dem zugelassene Konflikte ausgetragen werden. Es liegt fern der Zweckbestimmung und der Möglichkeiten der zur Strukturwahrung und kontrollierter Strukturanpassung sozialer Systeme geschaffenen Einrichtungen sozialer Immunologie, sich auf einen individuellen Täter-Opfer-Konflikt bedingungslos einzulassen.
32 DilnkellRiJssner S. 845 (846). 33 Hassemer in AK StGB Vor § 1 Rdn. 10; RiJssner in Schiidler/Baurmann/Sievering (Hrsg.), Hilfe für Kriminalitätsopfer als internationale Bewegung, S. 8 ff.
34 Dies entspricht der traditionellen strafrechtlichen Sicht; die damit verbundenen Friktionen arbeitet Jakobs, ZStW 97 (1985), S. 751 (753 f.) deutlich heraus und brauchen deshalb an dieser Stelle nicht nochmals dargestellt zu werden. 2 nerksen
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Einführung
lungstähigen Partner für die Aufarbeitung des mit der Strafe aufzuarbeitenden Konflikts in Anspruch zu nehmen bereit ist. Die Opferperspektive hat naturgemäß bei einem derartigen Wandel vom Tilter- zum TatstraJrecht größere Aussichten, Beachtung zu finden. Die Rückkopplung dieser Ideen auf die Strafrechtsdogmatik wurde bereits vollzogen. Den viktimologischen Reformzielen folgte alsbald eine diese für die Zurechnungslehre ummÜDZende Viktimodogmatik'6. Im Gegenzuge ermöglichte das neu entstandene Vakuum staatlicher Stratbegründung eine Renaissance des law-and-order-Denke,zs37 und unterschiedlicher, unter dem Titel Generalprävention firmierender Konzepte, allesamt Strömungen, die die Problemlösungen und Reformvorschläge zu den verschiedenen Zweigen der Strafrechtswissenschaft - der Tatzurechnung, der Strafzumessung und des Strafvollzugs kaum noch in sich voll aufnehmen können und damit - da jene Strömungen das StraJrechtssystem nicht als Einheit zu erklären vermag - nicht mehr als integrative Kraft ror die Problemlösungen und Reformbemühungen auf diesen Feldern bereitstehen38 • Von da an entsteht das Problem der Antinomie der Strafzwecke39 mit einem kaum analytisch aufzuhellenden Eklektizismus der Strafrechtspflege als Folge. In dieses Erscheinungsbild fügt sich ein, daß die verstärkte Akzentuierung der Opferposition mit häufig weitgehend übereinstimmenden Forderungen von gegenläufigen Strömungen aufgegriffen wird40 , von den Befürwortern der verschiedenen Präventionsmodelle und einer absoluten Stratbegründung ebenso wie von solchen, die überhaupt die Axt an das Strafrecht anlegen und die Zuständigkeit für den mit der Straftat in Erscheinung tretenden Konflikt in die
35 Weigend, ZStW 96 (1984), S. 761 (768); ähnlich Kunz, MSchrKrim 1983, S. 172.
36 eingehend hienu Erster Teil IV. 37 die daraus folgende kriminalpolitische Forderung nach Revision eines allzu täterfreundlichen Kurses wird vor allem von einer als "Neoklassizismus' bezeichneten international verbreiteten repressiven Strömung erhoben, dessen Zugkraft durch bevonugte Thematisierung der Opferperspektive der Straftat gerne als Argumentationshilfe aufgegriffen wird; vgl. Weigend, ZStW 94 (1982), S. 801; Zipfin Eser S. 143 ff. 38 Deutlich diesbezüglich die Kritik von Maller-Diel1., Schuld und Strafvollzug, in Schuh (Hrsg.): Aktuelle Probleme des Straf- und Maßregelvollzugs S. 265 (270): "Freilich ist es der Sache nach nie gelungen, ein in sich schlüssiges Konzept zu entwickeln das die unterschiedlichen StrafLwecke in einer allseita akzeptierten Weise zu einem konsistenten System vereinigen, sie harmonisieren, miteinander aussöhnen würde. Die Verlegenheiten der sog. Vereinigungstheorien, die ja gerade aus dem Versuch resultieren, heterogeneJa widersprüchliche Zwecke auf einen Nenner zu bringen, belegen dies nur allzu deutlich." (Hervorhebung v. Verf.). 39 dazu nur DreherffriJndle § 46 Rdn. 3,9 und Seebade in Haesler (Hrsg): Viktimologie, S. 179. 40 SchiJch, NStZ 1984, S. 385; Seeimann, IZ 1989, S. 670; Villmow/Plemper S. 1 f.
D. Die Wiederentdeckung des Opfers
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gesellschaftliche Sphäre zurückverlagert sehen möchten41 • Aber auch außerhalb des engeren Zirkels strafrechtlicher und kriminologischer Diskussion wird die Opferposition gerne von neueren sozialen Bewegungen und den Aktivisten von Titter-Opfer-Ausgleich erprobenden Modellprojekten ebenso aufgegriffen42 wie von den vieltältigsten Diskussionen um partielle Entkriminalisierung, dient aber mit gleicher Entschiedenheit gegenteiligen Forderungen als . Argumentationsplattform43 •
m. Stellenwert des Opfers in den StrafbegrüDdungsmodelien In der Reinform der Modellvorstellungen staatlicher Strafbegründung kann das Opfer keine exponierte Stellung einnehmen. Eine absolute Straftheorie trifft von ihrer Funktion her, Gerechtigkeit zu verwirklichen, nur das Verhältnis Staat - Normbrecher44 ; aus der Sicht der Generalprävention demonstriert die Strafe entweder auf Kosten des Delinquenten die Normgeltung zugunsten der Rechtstreuen45 oder - in ihrer klassischen Version - soll diese auf die potentiellen Delinquenten einen psychologischen Zwang ausüben46 • Im Ideal des Behandlungsvollzugs ist der Täter schließlich Benefiziar staatlicher Zuwendung, wobei das Opfer nur insoweit marginale Bedeutung erlangen kann, als es den Heilungsprozeß fördert47 •
41 Schlich S. 386 spricht in diesem Zusammenhang von einer "überraschenden Konvergenz"; daß der Gleichklang opjerbezogener Forderungen keineswegs auf Übereinstimmung von lcriminalpolitischen Programmen - diese passen sowohl in das Konzept liberaler ebenso wie in repressivautoritärer Strömungen - schließen läßt, stellen auch van Dijk in Janssen/Kemer (Hrsg.). Verbrechensopfer, S. 3 ff.; Rieft C 10; Seebade S. 179; Sessar S. 1152 f. Villmow/Plemper S. 1 f. und Weigend, ZStW 96 (1984), S. 761 (763) deutlich heraus.
42 Beste, KrimI 1986, S.161; Gonwald, Streitbeilegung ohne Urteil, 1981; KirchhoJfin Schlldler/ BaurmannlSievering (Hrsg.) S .32 ff.; Scheerer, KJ 1985, S .245 ff. und Schneider, in den. (Hrsg.): Kriminalität und abweichendes Verbalten Bd.2, S.79 ff. 43 instruktiv Scheerer S. 245 ff.; vgl. auch Rieft C 10.
44 Die Verletzung des Opfers ist aus dieser Sicht nur ein Indilrator für den Normbruch (Sessar S. 1151), begründet jedoch nicht den StraJzweck; Seebade S. 178 verweist auf die Konsequenz einer hiervon geleiteten Strafrechtspflege, dem Verletzten weitere Lasten aufzubürden, ja als Preis der Gerechtigkeitsidee dessen "sekundäre Vi1ctimisierung" hinnimmt; RlJssner in Schlldler/Baunnann/Sievering S. 16 verweist zu Recht darauf, daß die absolute Stratbegründung nur die Aufhebung der im Rechtsgut verobje1ctivierten Störung als programmatische Bestimmung des staatlichen Strafens festschreibt, damit aber nur das öffentliche Gewaltverbältnis zwischen Täter und Staat betriffi. 45 herkömmlich wird diese Version als positive Generalprävention bezeichnet; hierzu Jakobs, AT, 1/4 ff. und ZStW 101 (1989), S. 516 f. 46 grundlegend Feuerbach, Revision I, S. 56. 47 Auch von dieser Position aus ließe sich ein Tllter-Opjer-Ausgleich fordern - was auch
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Einführung
Liegen zwischen diesen Konzeptionen auch Welten, so ist ein diese Maximen verwirklichendes Strafrecht zwangsläufig tl1terbezogen und die Straftat aus diesem Blickwinkel nur als einseitig fehlerhaftes Verhalten zu begreifen48, dessen Sanktionierung - und dies ist allen Prl1ventionsmodellen gemein - einen zukunftsbezogenen Zweck verfolgt und nicht retrospektiv die gestörte Beziehung von Tl1ter und Opfer befrieden will49 .
IV. Die Opferperspektive in der Zurechnungslehre Ein Paradigmenwechsel zu Letzterem, die Akzentuierung des Tl1ter-OpferAusgleic";O und des SUhnegedankens51 , bleibt nicht nur rechtspolitische Zielvorstellung, sondern schlägt auf die Zurechnungslehre zurück, die die Verantwortung für den strafrechtlich zu verarbeitenden Konflikt breiter streuen muß, indem auch das Opfer als die Täterverantwortung mindernder oder gar völlig ausschließender Zurechnungsadressap2 in Betracht kommf 3 . Der als Straftat zu definierende Ausschnitt eines komplexen Lebenssachverhalts erweitert sich damit. Ist er im klassisch staatlichen Strafrecht der isolierte, rechtsgutsgetährdende oder -verletzende Akt, möglicherweise Endpunkt eines komplexen Interaktionsprozesses, ist der Straftatbegriff nunmehr für das Opferverhalten aufnahmefähig54 . Das viktimologische Prinzip ist unter diesem Vorzeichen eine konsequente Konzeptionalisierung dieser veränderten Straf-
durchaus geschieht; vgt. dazu nur Schanemann s. 194; Rieß C 10; Jung, ZStW 93 (1981), S. 1153 f. m.w.N., ohne allerdings primär die Interessen des Opfers im Auge zu haben. 48 zu der traditionellen Isolierung des Täterverhaltens als Definition des Konjliktgrundes durch Zurechnung und der damit geleisteten Reduktion sozialen Geschehens Jakobs, ZStW 101 (1989), S. 516 (519 f.); Sessar/Beurskens/Boers, KrimI 1986, S. 86 (87) sprechen in diesem Zusammenhang von einer "Umdefinition sozialer Belange" in den strafrechtlichen Begriffen, wobei "nahezu vollständig die Konfliktnatur der Tat" vernachlässigt werde. 49 Seebode S. 179; Seelmann, JZ 1989, S. 671.
50 dazu DünkellRössner, ZStW 99 (1987), S. 845; Müller-Dien, Täter-Opfer-Ausgleich, S. 61 (64 f.); Rössner/Wulf: Opferbezogene Strafrechtspflege, 1984; Schreckling/Pieplow, ZRP 1989, S. 10; Sessar, Hilde Kaufmann-GS, S. 373; ders., Leferenz-FS, S. 145 ff.; Wejgend S. 521 ff.
51 Frehsee, Schadenswiedergutmachung, S. 54 ff.; Anhur Kaufinann, Das Schuldprinzip, S. 272; Naegeli, Das Böse und das Strafrecht, S. 460; Seebode S. 179; Seelmann, ZEE 1981, S. 50; zum Sühnegedankenals Strafzweckgrundlegend Baumann, Schuld und Sühne als Grundproblemheutiger Strafrechtspflege, in Baumann (Hrsg): Mißlingt die Strafrechtsreform ? S. 8 ff. 52 Hassmer, Klug-FS, S. 217 (223); Neumann in Hassemer (Hrsg): Strafrechtspolitik, S. 225 (239 f.).
53 In dieser Funktion hat Zurechnung nichts mit der von Eben, JZ 1983, S. 633 thematisierten Opferbestrafung gemein. 54 vgt. auch Hassemer, AK StGB, Vor § 1 Rdn. 11.
VI. Zum Gang der Untersuchung
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funktion und die Bindung der Strafwürdigkeit des Täterverhaltens an die Schutzwürdigkeit des Opfers nur aus dieser veränderten, die Verantwortung für den zu befriedenden Konflikt in dem sozialen Mikrokosmos von Täter und Opfer aufteilenden Blickrichtung zu erklären. Damit kommt ein diese Pole integrierendes dogmatisches Konzept zwei Reformzielen entgegen: der Forderung nach Reprivatisierung des Konflikts und der nach der stärkeren Berücksichtigung der SubjekJstellung des Opfers55 • Nun ist es allerdings nicht so, daß das Opfer in der herkömmlichen Dogmatik überhaupt nicht in Erscheinung tr:ite. Stellt man einen systematischen Ve~leich unter Zuhilfenahme der von Neumann verwendeten Typologie an , so thematisiert jene im Gegensatz zu den vikJimodogmatischen Konzepten, die das Opfer als konkrete Person in den materiellen Verbrechensbegriff integriereng dieses als Allgemeines, und zwar als im Rechtsgbegriff Aufgehobenes57 5 oder von der Schutzrichtung der Norm her. Opfer ist aus dieser Perspektive die Allgemeinheit, und zwar als potentielles Opfer. Von hieraus ist eine Verteilung der Verantwortung zwischen Täter und (konkretem) Opfer wegen des täterzentrierten Ausgangspunktes nicht denkbar. Letzteres gerät nur als Leidende;9 und nur in Ausnahmefällen als aktiver Part in den Blick und dann nur als eine Person, die den Angriffsgegenstand des Verbrechens - je nach Deutung das Rechtsgut oder die Norm - und dies nicht aus eigener Kompetenz - neutralisiert. Damit gerät die Dogmatik - vor allem soweit sie den Anspruch erhebt, Wertungen an Seinsgegebenheiten auszumachen - in eine Schieflage, wenn einerseits der Täter des Schuldstrafrechts für den Fehlgebrauch von Freiheit verantwortlich gemacht wird60 , andererseits dem Opfer der Part eines psychisch vermittelnden Bindeglieds eines vom Täter zu verantwortenden Kausalprozesses zugewiesen wird61 • Diese Verengung der Opferperspektive auf der Abstraktionshöhe des Unrechtsbegriffs setzt sich in den daraus hervor55 Rieß C 14 ff., 45 ff.; Weigend S. 15 ff., 167 ff, 220 ff. 56 in Hassemer (Hrsg), Strafrechtspolitik, S. 225 (229 ff.).
57 Hassemer, Klug-FS, S. 217; Jung, ZStW 93 (1981), S. 1151; Schneider, Viktimologie, S. 184; Schünemann, NStZ 1986, S. 193; Seelmann, JZ 1989, S. 670; Sessar, Leferenz-FS S. 145. 58 dem steht nicht entgegen, daß historisch der Rechtsgutsbegriff die Funktion hatte, den Täter vor Strafe für nicht strafwürdige Verhaltensweisen zu schützen. Denn auch das Gravum, das die Schwelle zur Strafbarkeit ausmachen soll, läßt sich (auch) opjerbe1.ogen deuten; anders wohl Hassemer, Klug-FS, S. 221; Neumann S. 235. 59 Bezeichnend ist, daß Bloy, Beteiligungsform, S. 269 nur Täter und Teilnehmer als Handlungssubjekte des Verbrechens betrachtet, das Opfer hingegen als Handlungsobjekt beurteilt. 60 Anhur Kaujirumn, Das Schuldprinzip, S. 128; BOHS.2 S. 194 (200).
61 in diese Richtung geht auch die Kritik Bemsmanns, ARSP 1982, S. 544.
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Einführung
gegangenen Zurechnungskriterien fort. Die aus dieser Grundvorstellung des
materiellen Verbrechensbegriffs helVorgegangenen und die Gegenwartsdiskus-
sion beherrschenden Zurechnungskonzepte - betrachtet man Lösungsversuche nach Kausalitäts62- und Vorhersehbarkeitsgrundsätzen63 als überholt bestimmen einerseits die Verantwortung fürfremde Selbstgefahrdungen (schädigungen) beim Vorsatzdelikt im Wege der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme und mit Hilfe der Lehre vom Schutzzweck der Nonn im Bereich des fahrlässigen Erfolgsdelikts64 , während andere hier einen Anwendungsfall der Lehre vom Regreßverbot65 sehen oder diese nach Kriterien der sozialen Adilquanz bzw. des erlaubten Risikos66 beurteilen oder endlich die Frage der Fremdverantwortung für Selbstschädigungsakte damit teilweise Überschneidend oder umfassend als Einwilligungsproblem67 68 behandelt wissen wollen. Den geringsten Stellenwert räumen dem OpfelVerhalten die Autoren ein, die dessen Einfluß auf die Tatzurechnung prinzitRiell verneinen und nur im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigen wollen 9. Allen diesen Lösungsansätzen zumindest, soweit sie auf Zurechnungsebene die Selbstgefahrdung des Opfers
62 Hassemer, JuS 1984, S. 724; so aber noch die ältere Unterbrechungslehre oder die individualisierende Kausalitätstheorie; Nachw. in Erster Teil D Fußn. 3. Neuerdings wird in den Fällen des
Veranlassens oder Unterstützens selbstschädigenden oder -gefährdenden Verhaltena das Bestehen (psychischer) Kausalität in Zweifel gezogen (vgl. Koriath: Kausalität, Bedingungstheorie und psychische Kausalität, S. 193 ff.). Koriath will aber nicht an die naturalistisch argumentierende ältere Unterbrechenslehre anknüpfen. Er arbeitet vielmehr heraus, daß die hier behandelten und ähnliche Fallgruppen - er spricht in diesem Zusammenhang von "Interaktionsiallen" - nicht zum Anwendungsbereich der traditionellen Bedingungstheorie gehören. Er befürwortet statt dessen, für diese Fälle nichtlwusale Zurechnungsregeln zu entwickeln, ohne aber selbst in dieser Richtung eine Lösung zu entwerfen. 63 so vor allem die Rechtsprechung des Preußischen Obertribunals und teilweise des Reichsgerichts; dazu Erster Teil V 112; das BayObLG sah aber noch bis in die frühen 80er Jahre in der Vorhersehbarkeit der Selbstgefährdung bzw. -schädigung das entscheidende Zurechnungskriterium für die Frage der Zurechnung der aus der Ermöglichung des fremden Heroinkonaums resultierenden Folgen; vgl. StV 1982 S. 72 und schon BayObLG, Urt. v. 19.09.1978 - 4 St 63178, unveröff. (zit. nach Hassemer JuS 1984 S. 724); in der verkehrarechtlichen Judikatur hat das Vorhersehbarkeitskriterium insoweit noch große Bedeutung; vgl. nur BGHSt 2, 362; 2, 62; OLG Celle, MDR 1968, S. 341; OLG Köln, VRS 50, S. 110. 64 Erater Teil I. 65 Erater Teil D. 66 Erster Teil m 3. 67 Erster Teil
m 1.
68 einen Überblick über den Meinungsstand findet sich bei DlJlUng, GA 1984, S. 71 ff.
69 Hillen1camp, Vorsatztat, 1981; Schüler-Springorum, Honig-FS, S. 201 (209 ff.); ähnlich Kargl, Handlung und Ordnung im Strafrecht, S. 365 Fußn. 177; Kratz.rch, Verhaltenssteuerung, S. 362 befürwortet dies nur für Deliktsformen ohne tatbestandiich typisierter Opjemlitverantwortung; für eine umfassende Strafzumessungslösung plädiert Maeck, Opfer und Strafzumessung, 1984.
VI. Zum Gang der Untersuchung
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aufarbeiten - sind im wesentlichen drei Grundprobleme gemein. Sie bedienen sich dafür solcher Zurechnungskriterien, die für diesen Problembereich nicht definiert wurden. Demgemäß ist Skepsis geboten, ob diese soviel Trennschärfe in sich aufgenommen haben, daß sie, insb. wegen der besonderen Schwierigkeit der thematisch einschlägigen Fälle, fließend in solche übergehen, für die das klassische Kriminalisierungsschema des einseitigen Eingriffs in die fremde Gütersphäre ohne weiteres paßt, den Bereich der strafbaren von der straflosen fremden Beteiligung daran sauber bestimmen können. Es bestehen kaum bessere Aussichten, daß derartige Zurechnungskategorien sich in dem Kembereich der hier untersuchten Konstellationen bewähren. Ob und unter welchen Voraussetzungen jemand dadurch, daß er zu einer Selbstgeflihrdung genutzte Umstände schafft oder durch eine schlichte Aufforderung ein Gefahrenunternehmen auslöst, also durch ein für sich betrachtet häufig sozial unaufflilliges Verhalten, das häufig in nicht mehr als schlichtem Reden besteht, über ein fremdes Willenssubjekt für dieses schädliche Folgen auslöst, beispielsweise zum Täter eines Tötungsdelikt werden kann, läßt sich nur beantworten, wenn man einen Zurechnungsmaßstab entwirft, der die Verantwortung für einen fremden gefahrenträchtigen Entschluß festlegt. Dieser Maßstab muß sich nicht notwendig mit den zur Teilnahmelehre herausgearbeiteten Strukturen decken. Er muß in angemessener Weise der häufig kommunikativen Struktur dieser Fälle Rechnung tragen. Dieses Wesensmerkmal fällt typischerweise aus dem Raster solcher Zurechnungsmodelle, die die instrumentale Beherrschung der Natur auch zum Prototyp täterschaftlicher Begehung erheben. Damit wird der Unterschied zwischen einem Eingriff'in die Natur und die Folgenbewirkung durch fremdpsychische Beeinflussung eingeebnet. Aber im letzteren Fall steht dem Täter ein prinzipiell gleiches Maß an Freiheit, an Gestaltungsmacht gegenüber, Weil insoweit analytisches Vorverständnis aufzuhellen ist, erscheint es nicht angezeigt, in der Literatur dazu vorgeschlagene Eingrenzungen70 ungepTÜft als Ausgangspunkt zu nehmen. Ein weiteres, allerdings über die Besonderheiten der hier zu behandelnden Fallkonstellationen hinausreichendes Problem, besteht darin, daß die heute gemeinhin gebrauchten Zurechnungskriterien mit dem Fortschreiten der dogmatischen Grundlagendiskussion nicht Schritt gehalten haben71 , sich weitgehend auf dem Stand zur Zeit der Jahrhundertwende befinde~7 mithin einem dem Eifolgsunrecht den Primat einräumenden Unrechtsbegriff 2 Geltung verschaffen, und damit der mit der Trendwende 70 dies gilt vor a\lem für die verbreitete Unterscheidung von Teilnahme an einer SelbstgeflJhrdung und einverstlindlicher Fremdgetihrdung; so z.B. DiJlling S. 71 ff.; näher hierzu Erster Teil I. 71 so auch die Situationsanalyse Frischs in Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 23 ff.; Kerner in IWry, Interdisziplinäre Beiträge m, S. 789 (798). 72 vgl. nur v.Hippel, Sttsfrecht I, S. 27, v. Liszt, LB, S. 125 und Mezger, GerS 89 (1924), S.
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Einführung
zum personalen Unrechtsbegriff73 gewachsenen Bedeutung der Verhaltenskomponente für das Unrecht aber kaum gerecht werden. Mit dieser wurde die subjektive Komponente des Unrechts zu stark gewichtet. Insoweit bahnt sich eine, der objektiven Komponente wieder einen gebührenden Stellenwert einräumende Trendwende an, die dem Stilwandel in der strafrechtlichen Begriffsbildung, der teleologischen Begriffsbildung74, wichtige Impulse verdankt. Mit ihr tritt (wieder) die enge Verzahnung von Strajzweck und der konkreten Ausgestaltung der Zurechnungslehre ins Bewußtsein. Sie gibt insb. einen methodischen Rahmen vor, der für die rationale Verbrechensbekämpfung eine größere Nähe zur Sozialwelt zu vermitteln vermag. Die Dogmatik erlabet hierdurch als Leitzielbestimmung, daß erst die Ausformung der Zurechnungskriterien in Hinblick auf den Strafzweck diesem Geltung verschafft. Bezogen auf das Spezialproblem der Opjerperspektive ergibt sich aus dieser Erkenntnis das weitere Problem, daß eine Zurechnungslehre, die nur mit Mühe75 - und das zumeist nur an etablierten Nahtstellen wie beispielsweise der Einwilligungopjerbezogene Umstände in den Blick bekommt, umso leichter Lösungen, auch ohne diese zu verwerten, finden kann, damit aber für eine angemessene Lösung wesentliche Sachverhaltsmomente von vornherein ausblendet. Eine solche Vorgehensweise verliert in dem Maße an Plausibilität, je mehr sich die zu lösenden Fälle dadurch, daß der Gutsverlust letztlich vom Opfer selbst herbeigeführt wird, von dem Angrijfsparadigma76, nach dem die Zurechnungskriterien traditionell ihre Ausformung erfahren, entfernen. Die Abhängigkeit der Quantität und der Qualität des für die Fallösung verwerteten Sachverhaltes von der Erfassungsstruktur der Zurechnungskriterien läßt sich gut anband der als Lehrbuchkriminalität bekannten Gewitter- und Erbonkel/l1lle, die, weil sie üblicherweise nicht unter dem Aspekt der Risikoübernahme/Selbstgetährdung erörtert werden, Distanzgewinn schaffen, verdeutlichen. Den Versuchen, diese nach den Regeln der sozialen Adäquanz bzw. des erlaubten
245 f., die das zu jener Zeit den Erfolgsunwert primäre Bedeutung beimessende vorherrschende Unrechtsverständnis pointiert herausstellen.
73 zur Dogmengeschichte der personalen Unrechtslehre vgl. Krauss, ZStW 76 (1964), s. 19; Lampe, Das personale Unrecht, S. 78 ff., 7Aczyk, Versuch, S. 105 ff.; 7ielinsld, Unrechtsbegriff, S. 57 ff.
74 hielZU Gilnther, Strafrechtswidrigkeit, S. 25 f.; SchiJnemann in SchiJnemann (Hrsg): Grundfragen, S. 24 ff. und unten Zweiter Teil I a; kritisch hiergegen Henberg, NJW 1990, S. 2525. 75 Daß der Zussmmenhang einer Eigenveranrwonung des Opfera mit der strafrechtlichen des Täters mittels eines derart eindimensionalen Zurechnungskonzepts kaum zu erfassen ist hebt auch NeUllUl1l1l, ZStW 99 (1987), S. 567 (570), hervor. 76 dazu nur Kindh4user, Abstrakte Getihrdungsdelikte, S. 163 ff.
VI. Zum Gang der Untersuchung
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Risikos77 u.ä. Instituten78 oder auf Vorsatzebene79 zu lösen80 , ließe sich dann die Alternative gegenüberstellen, die Straflosigkeit des Täters mit der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Opfers zu begründen81 •
v. Die Erscheinungsfonnen des am Gutsverlust beteiligten Opferverhaltens Idealtypisch läßt sich dieses in vier Grundformen erfassen, die beim konkret zu beurteilenden Fall häufig fließend ineinander übergehen, durchaus aber auch kumulativ auftreten können. Es bedarf kaum noch des Hinweises, daß diese im übrigen nicht notwendig nach einem einheitlichen Lösungskonzept zu bewältigen sind. Deshalb erscheint es auch nicht angezeigt, den Versuch einer randscharfen Bestimmung des Themenkreises zu wagen, was im übrigen auch kaum gelingen dürfte. Denn die mit der vorliegenden Studie untersuchten Konstellationen weisen nicht immer genügend phitnomenologische Prägnanz auf, die eine klare Abschichtung zu den klassischen, durch einen einseitigen Eingriff in die fremde Gütersphäre gekennzeichneten Fallgestaltungen ohne weiteres zuließe. Ein mitwirkendes, aber kaum thematisierungswücdiges Opferverhalten kann bereits in dem Aufsuchen des Tatortes bestehen. Wenn demnach der nachfolgenden Auflistung kein dogmatisches Gewicht zukommt - die Einordnung in die eine oder andere Rubrik priijudiziert noch
77 vgl. nur BaumannlWeber, AT, S. 224 f.; Henberg, Unterlassung, S. 245; lK-Jescheck, Vor § 13, Rdn. 61; Kienapfel, Erlaubtes Risiko, S. 24 f.; Roxin, K1ug-FS, S. 310; Schroeder, Täter, S.93. 78 Zum Meinungsstand näher Eben, Jura 1979, S. 569; Engisch, Untersuchungen, S. 75; Jeschec1c, A-r3· S. 231; Krauss, ZStW 76 (1964), S. 46; Frisch, Vorsatz, S. 141; Weizei, ZStW 58 (1939), S. 517; Walter in Schilnemann (Hrsg), Grundfragen des modernen Strafrechts, S. 124 Fußn. 121; gegen die Versuche einer Lösung auf der Grundlage allgemeiner, objektiver Kriterien, dieses mithin als A.T.- Problem zu behandeln, wendet sich Annin Kaujinann, Jescheck-FS, S. 251 (261); er schlägt statt dessen eine Lösung auf der Grundlage einer Auslegung der einzelnen Straftatbestände des B.T. ("Typenkorrektur") und eine Begrenzung des Tatvorsal1,es vor; ähnlich v.Liszz/Schmidt, LB26• S. 254; vgl. auch die Lösung Oehlers, Zweckmoment, S. 73, der die obje1ctive Bezweckbarkeit des Erfolges bei Selbstvenninlung durch das zurechnungsfähige Opfer verneint und die Ansicht Hirschs, ZStW 74 (1962), S. 100; Peters, Welzel-FS, S. 427 f. und Zipfs, ZStW 82 (1970), S. 634, die die Tatherrschaft der Hintermanns ablehnen. 79 neben Annin Kaujinann so bereits BeUng, Grundzüge des Strafrechts, S. 36; Frank, StGB,
§ 59. Anm. IX S. 197.
80 womit nicht gesagt sein will, daß die fehlende Unrechtsrelevanz dieser Fälle sich nicht auf diesem Wege aufZeigen ließe. Sie behalten ihre volle Gültigkeit für die Fälle, in denen das Opfer nicht als eigenverantwortlich gilt. 81 so bereits Rutlcowsky, NJW 1952, S. 606 (607); ders., NJW 1961, S. 1153; ihm folgend Schroeder, Täter, S. 93; nunmehr auch Frisch, Tatbestandsmäßiges Verbalten, S. 226 Fußn. 284 und Wessels, AT, S. 59.
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Einfiihrung
nicht die anzuwendenden Regeln - , so soll sie einen ersten Hinweis auf den groben Rahmen der entscheidend von dem Aspekt der Opfermitverantwortung geprägten Leitthematik der Studie geben82 • (1) Das Opfer lenkt die Getährdungsfaktoren auf sich oder steigert diese durch sein Verhalten. Als Beispiele lassen sich die Selbstinjektion des von einem anderen überlassenen Heroins83 oder die Teilnahme an einer waghalsigen Wettfahrt84 anführen, m der das Opfer herausgefordert wird und dabei verunglückt. (2) Das Opfer fordert einen anderen auf, es m gefährden oder m verletzen, wobei im ersteren Fall regelmäßig ein anderes Ziel als die Verletmng des Opfers angestrebt wird. Hierfür ist als Beispielsfall die Teilnahme an Trunkenheitsfahrten m nennen. Der drastischste Fall der zweiten Alternative ist die Tötung des Opfers auf dessen Verlangen hin85 • (3) Das Opfer erleidet eine dem Täter mrechenbare Primärverletmng und verschlimmert durch aktives Verhalten die Folgen dieser Verletmng oder unternimmt nichts mr Vermeidung einer Intensivierung einer erlittenen Verletmng, so wenn es die aufgrund der vom Täter herbeigeführten Verletmngen medizinisch indizierte Operation verweigert und damitletztlich die Entscheidung über seinen Tod trifft. (4) Das Opfer führt die ihm mm Verhängnis werdende Gefahr (ausschließlich) selbst unbewußtlbewußt oder gar mit Selbstverletmngs oder Selbsttötungswillen herbei. Der Täter bleibt untätig, obgleich er den Erfolgseintritt noch abmwenden vermag. Mit dieser Übersicht ist der Zuschnitt des Anwendungsbereichs der Problemkategorie Handeln auf eigene Gefahr aber noch m klein gewählt, weil diese in erster Linie nur für die "tatbestandsärmeren" Erfolgsdelikte nach dem Muster der Körperverletmngs- und Tötungsdelikte bislang beschrieben wurde, komplexere Deliktsformen wie z.B. Betrug und Untreue aber ausgespart blieben. Aber auch dort stellt sich die Frage der Verhaltens- und Erfolgsmrechnung bei vermeidbarer (Mit-)Bewirkung des Erfolgs durch das Opfer86 ,
82 Eine Fallgruppenzusammenstellung findet sich auch bei Zipf, Risikoübemahme, S. 71 ff. 83 vgl. nur BGBSt 32, 345. 84 BGBSt 7, 112 ff. 85 diese Gruppe deckt einen Großteil der klassischen Einwilligungsfälle ab. 86 so auch Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 163; hierzu ausfiihrlieh unten Erster Teil
IV.
VI. Zum Gang der Untersuchung
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ja es drängt sich geradezu dann auf, wenn - wie beispielsweise beim Betrug die Opferbeteiligung Tatbestandsmerkmal ist. Eine Trennung dieser Deliktsgruppen von den merkmalstJrmeren Erfolgsdelikten ist aber durchaus von heuristischem Nutzen, weil das hier behandelte Problem im ersteren Fall vorwiegend eine Frage der Auslegung der jeweiligen Tatbestandsmerkmale ist87 , bei den hier im Vordergrund stehenden Tötungs- und Körperverletzungsdelikten jedoch mit über die jeweilige Deliktsgruppe hinausgehenden Instituten des Allgemeinen Teils zu bewältigen ist.
VI. Zwn Gang der Untersuchung Aus den vorangegangenen Ausführungen dürfte die Problemstellung dieser Studie bereits deutlich geworden sein. Sie untersucht die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Zurechnung von Beteiligungen an fremden Selbstgefiihrdungen (-schädigungen) als Unrecht in Betracht kommt. Eine strikte thematische Beschränkung auf die gemeinhin als Teilnahme an SelbstgejtJhrdungen klassifizierten Fallgestaltungen läßt sich nicht durchhalten. Der Grad der strukturellen Übereinstimmung der Hervorrufung und Unterstützung fremder SelbstgejtJhrdung mit den Fällen der Veranlassung und Förderung bewußter SelbstschtJdigungen ist zu ausgeprägt, als daß beide Fallgruppen nach (völlig) eigenständigen Regeln behandelt werden könnten. So ist es sicher kein Zufall, daß Teile der Literatur die Verantwortungsstruktur für erstere aus letzterer ableiten. Eine stringente thematische Grenze bildet auch nicht die sog. einversttJndliche FremdgejtJhrdung 88 • Die nur mit Mühe zu leistende naturalistische Abgren-
zung der damit gemeinten besonderen Klasse von Fallgestaltungen zu den vorliegend im Zentrum des Interesses stehenden Konstellationen muß nicht .auch axiologisch stimmig sein.
Andererseits kann kein vollständiges Bild aller thematischen Verästelungen der Beteiligung an den verschiedenartigsten Formen fremder Selbstschädigung nachgezeichnet werden. Die Untersuchung verfolgt ein analytisches Ziel und konzentriert sich im wesentlichen auf die Ausprägungen der hier untersuchten 87 Daß dies aber nicht notwendig so gesehen werden muß belegen zwei neuere Monographien zu der Frage des Einflusses vermeidbarer Selbstschädigung des Opfers beim Betrugstatbestand. Während Ellmer, Betrug, 1986, eine Lösung über die Auslegung der Tiiuschung entwirft, diese Frage mithin als reines BT-Problem behandelt, sieht Kunh, Mitverschulden, 1984, die Lösung des Problems auch dort in der Bestimmung des objektiven Zurechnungszusammenhangs zwischen Tiiuschung und lmum und damit nur als einen Anwendungsfall der Lehre von der objektiven Zurechnung. 88 dazu Fiedler, Fremdgetährdung, S. 152 tT., dessen Arbeit mit dem Untersuchungsgegenstand dieser Studie sich überschneidet.
28
Einfiihrung
Problemstellung im Bereich der ausweislieh des Gesetzestextes schwach strukturierten reinen Erfolgsdelikte, also in erster Linie auf die Tötungs- und Körperverletzungsdelikte. Nur soweit es diese Zielsetzung erfordert, soll die Relevanz des selbstschädigenden Opferverhaltens für einige im B.T. ausdifferenziertere Deliktsformen beleuchtet werden. Der erste Teil der Studie analysiert den gegenwärtigen Meinungsstand. Da kaum je ein Konzept den hier behandelten Problembereich umfassend bewältigt, ist die Wiedergabe des Diskussionsstandes hierzu notwendig ein Zeugnis seiner Fragmentarität. Dieser wird von den wichtigsten als Ausgangspunkt der Lösung gewählten Instituten aus beleuchtet und immanent kritisiert. Die Analyse des Diskussionsstandes ist von dem primären Erkenntnisinteresse geleitet, ob und inwieweit die zur Bewältigung der thematisch einschlägigen Fälle eingesetzten Institute die Spannung zwischen der dualen, ineinander verschränkten Verantwortung des Täters und des Opfers für die strafrechtlich zu verarbeitende Tat aufzulösen vermögen. Begonnen wird mit einer Analyse der den integralen Bestandteil der die Gegenwartsdiskussion beherrschenden Lehre von der objektiven Zurechnung bildenden Lehre vom Schutzzweck der Norm und ihren Implikationen, vor allem der Täter- und Teilnahmelehre. Diese soll Aufschluß darüber geben, inwieweit de lege lata ein opjerbezogener Verantwortungsmaßstab positiviert ist und welche Ausstrahlungen sich von hieraus auf die Bestimmung einer Fremdverantwortung für Selbstgeflihrdungen(-schädigungen) des Opfers deduzieren lassen (I). Von der aus dieser Analyse hervorgehenden Erkenntnis aus, daß mangels Positivierung eines Verantwortungsmaßstabes für fremde Selbstschädigungsakte Lösungsmodelle im Rahmen der Zurechnungslehre herauszubilden sind, werden die Regreßverbotslehre (11), die Regeln für die Zurechnung von Fernwirkungen einer deliktischen Intervention in Form von Nachfolgeverhalten formuliert, Konzepte, die auf den Gestaltungswillen des Opfers (im Vordergrund steht dabei die Einwilligungslehre) (III) abstellen und die neueren viktimodogmatischen Lehren (IV) beleuchtet. Parallel zu dem (nicht nach historischen, sondern nach systematischen Gesichtspunkten aufbereiteten) Diskussionsstand in der Literatur soll dann eine Darstellung der Judikatur zu dem hier untersuchten Themenkreis (V) folgen. Diese soll darüber Aufschluß geben, inwieweit darin die Lösungsansätze der Literatur ihren Niederschlag gefunden haben und ob von der Rechtsprechung eigene Konzepte hierzu entwickelt wurden. In der Judikatur spiegelt sich zudem eine breit angelegte Palette von Fallkonstellationen, die eine Problemvielfalt dokumentieren, für die es im zweiten Teil der Studie (C) ein möglichst flächendeckendes Lösungskonzept zu entwickeln gilt. Um eine weitreichendere Perspektive zu erschließen, muß die Frage des Stellenwerts der Eigenverantwortung des Opfers für die Zurechnung eines fremden, zu dessen (Selbst)Geflihrdung einen Beitrag leistenden
VI. Zum Gang der Unterauchung
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Verhaltens als Unrecht von einem materiellen Straftatbegriff aus reflektiert werden (I). Der enge Verbund von Strafrechtssystem und Gesellschaft, zu deren Stabilität ersteres einen Beitrag durch Erwartungssicherung leisten soll, erfordert einige methodische VOfÜberlegungen, die sodann den Weg für den Entwurf der Umrisse eines materiellen,fonktionalen Straftatbegriffs aufzeigen mögen, der schließlich Leitlinien für die Lösung der thematisch einschlägigen Fallgruppen bereitstellt (11).
Erster Teil
Die Verantwortung für fremde Selbstschädigung in Literatur und Rechtsprechung I. Verantwortung für fremde Selbstgefährdung (- schädigung) als Problem des Schutzzwecks der Nonn
1. Die zentralen Thesen Die Erkenntnis, daß die Verantwortung für fremdes selbstgefährdendes Verhalten sich nicht mit Kausalitittsgrundsittzen bestimmen läßt, überhaupt Kausalität und Zurechnung keineswegs synonyme Kategorien sind 1, läßt sich vom heute erreichten Stand der dogmatischen Diskussion aus kaum anzweifeln. Nachdem die neuere Lehre von der objektiven Zurechnung2 in den letzten 15 Jahren in der Rechtslehre breite Anerkennung gefunden hat, schien ein universelles Lösungskonzept für alle schwierigen Grenzfragen der Zurechnung der für menschliches Verhalten vermeidbaren, aber nicht vermiedenen Folgen bereitzustehen. Die Trennung von naturalistischem Ursachenzusammenhang und der Zurechnung ist mit ihr vollzogen, und von dieser Differenzierung aus setzte alsbald eine Umschichtung bisher vorwiegend im Rahmen der Kausalititt angesiedelter Themen in den Bereich der objektiven Zurechnung ein, die sich nunmehr kritischen Fragen der Erfolgszurechnung bei Erfolgsanlage durch hypothetische Kausalverläufe3 , der Verantwortung für den lediglich zeitlich hinausgezögerten Erfolgseintritt, für den Erfo~seintritt bei Risikoverringerung4 , bei abnormer Konstitution des Opfers oder der Erfolgszurechnung bei Begründung allgemeiner Lebensrisiken6 oder von Spittschitden bzw. 1 Jakobs, ZStW 89 (1977), S. 1; Jescheck, AT, S. 257 ff.; Maurach/Zipf, AT Bd. 1, S. 244 ff.; SK-Rudolphi, Vor § 1, Rdn. 57 ff.
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.
vgl. dazu BockelmannlVolk, AT, S. 60 ff.; Ebert, Jura 1979, S. 568 ff.; LK-Jescheck, Vor § 13, Rdn. 59 ff.; Schlüchter, 1uS 1977. S. 106 ff.; SS-Lenckner, Vor § 13, Rdn. 91 ff.; Stratenwerth, AT, Rdn. 214 ff.; Wesse/s, AT, § 6 D; Wolter, Objektive Zurechnung, S. 341 ff.; diese Lehre ist nicht mit der gleichnamigen, auf Pufendorfund Hegel zuriickgehenden Lehre, zu verwechseln. 3 SK-Rudolphi Vor § 1 Rdn. 59; Samson, Hypothetische Kausalverläufe S. 98 f.
4 OLG Stuttgart, 1Z 1979, S. 575; BockelmannlVolk, AT, S. 63; Roxin, Honig-FS, S. 136; LKJescheck, Vor § 13, Rdn. 68; SS-Lenckner, Vor § 13, Rdn. 98; Puppe, ZStW 95 (1983), S. 292; SK-Rudolphi, Vor § 1, Rdn. 58; Samson S. 86 ff., 96 ff. ; WolterS. 32. 5 ausfiihrlich Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 18 ff. 6 Wolter S. 330 ff. m.w.N.
I. Fremde Selbstgefährdung als Problem des Schutzzwecks der Norm
31
Folgeverietzungen7 , um nur einige zu nennen, annahm. Unter dem Leitkriterium des Schutzzwecks der Norm 8 wird diese von vielen ihrer Vertreter schließlich als Lösungsko~t für die Veranlassung oder Förderung fremder Selbstgetährdung angesehen9 •
Was diesen Problemkreis anbelangt, so zeigt sich bei näherer Betrachtung eine Diskrepanz zwischen programmatischer Weite des Anwendungsbereichs). der durch das universalistische Leitkriterium des Schutzzwecks der Norm lu geradezu gegeben sein müßte, und dem bisherigen Angebot an Lösungsentwürfen, die an sich für alle denkbaren Deliktsformen mit individuellem Opfer Geltung beanspruchen müßten. Diese beschränken sich hingegen vornehmlich auf das fahrliissige Erfolgsdeliktli. Aus dem Modellfall der vorslltzlichen Beteiligung an einer Selbsttötung sollen Folgerungen für davon abgestufte Formen der Beteiligung an den verschiedenen Selbstschädigungsformen gezogen werden können. Dem liegt das materielle Verständnis zugrunde, daß die für das Vorsatzdelikt geltenden Verantwortungsgrenzen für die Beteiligung an fremder Selbstschädigung auch als Obergrenzen für die Zurechnung der vergleichbaren Fallkonstellationen beim Fahrlässigkeitsdelikt fungieren. Anders, als die Lehre vom Regreßverbot in ihrer ursprünglichen Fassung 12 es vorschlägt, soll die Verantwortung für fremde Selbstschädigungsakte aber hierfür nicht - wie dies üblicherweise beim Vorsatzdelikt praktiziert wird - durch eine Differenzierung von Täterschaft und Teilnahme bestimmt werden l3 , sondern - im Bereich des Fahrlässigkeitsdelikts am vorherrschenden Einheitstäterbegriff festhaltend - im Rahmen der Pjlichtwidrigkeit 14 bzw. des Pjlichtwidrigkeitszusammenhangs t5 geleistet werden.
7 Roxin, Gallas-FS, S. 253 ff.; Rudolphi, JuS 1969, S. 554 ff.; SS-Cramer, § 15, Rdn. 177; Silva-Sanchez, GA 1990, S. 207 ff.; vg\. dazu aber auch Jakobs, AT, 7/79 Fußn. 129. 8 dazu vorerst nur SK-Rudolphi, Vor § 1, Rdn. 62. 9 grundlegend Roxin, Oallas-FS, S. 241; Honig-FS, S. 142; NStZ 1984, S. 411; Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 138, 147, 149 ff.; JuS 1969, S.549 (557 f.); SK Vor § 1 Rdn. 79 ff.; SchiJnemann, JA 1975, S. 715 ff. (720 ff.), NStZ 1982, S. 60. 10 nach Ansicht Frischs hat sich die Lehre von der objektiven Zurechnung zu einer im diametralenGegensatzzuihrerProblembewältigungskompeteDZstehendeSuperkategorieentwickelt; vg\. S. 22 f.
11 Wolter S. 344, 348 sieht, indem er formuliert, daß "auf die Besonderheiten des je in Frage stehenden Tatbestandes" im Besonderen Teil zu achten sei (S. 344, Hervorhebung v. Verf.) wohl die thematische Weite, ohne allerdings die Leistungskraft dieses auch von ihm favorisierten Ansatzes auszuloten. 12 Dazu Erster Teil B.l. 13 Frank, StOB, S. 15 f.; die unvorsätzliche Veranlassung von Selbstschädigungsakten beurteilen auch Exner, Frank-FS I, S. 594, Spendei, JuS 1974, S. 756 als (straflose) fahrlässige Teilnahme.
32
Erster Teil: Verantwortung für fremde Selbstgefährdung
Der Gang der Argumentation ist in seinem wesentlichen Kern folgender: Von der Annahme ausgehend, daß eine eigenverantwortlich vollzogene Selbstschädigung keinen Straftatbestand erfülle, soll auch ihre Veranlassung oder Förderung nicht in den Schutzbereich der §§ 212, 222 StGB fallen l6 . Dieser Schluß setzt voraus, daß die Begriffe Anstiftung und Beihilfe sich auch auf nicht rechtswidriges Verhalten beziehen und mangels Korrelat eines rechtswidrigen Verhaltens eine Verantwortun für das drittseitige (opferseitige) Verhalten ausschließen. Dazu Rudolphi l : "Da die Teilnahmetatbestände auf der Grundlage eines primären Täterbegriffs nur StrafausdehnungsgrüDde sind, greifen sie ins Leere. Es fehlt ein primäres Verbot, das sie auf die Fälle der Teilnahme erstrecken könnte." Die de lege lata im Bereich des Vorsatzdelikts nach Ansicht der Vertreter der Lehre vom Schutzzweck der Norm durch die Täterschaftsrreilnahmeregelung gezogene Grenze der strafrechtlichen Verantwortung für die Integrität fremden Lebens und anderer individueller Güter wird per argumentum maiore ad minus auf das Fahrlässigkeitsdelikt18 übertragen 19. Ein weiterer Erst-Recht-Schluß soll schließlich die Straflosigkeit der fahrlässigen Teilnahme an einer vorsätzlichen Selbstgefährdung erweisen20 • Ein materieller Schutzzweckgedanke, der für die Lösung von Detailfragen als Leitlinie herangezogen werden könnte, wird nicht entwickelt21 •
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14 Hirsch, JR 1979, S. 429 (430); Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 149 ff.; von anderen Grundlagen aus so nunmehr auch Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, Abschnitt C.
15 Schilnemann, JA 1975, S. 715 ff. 16 Roxin, Gallas-FS, S. 245 ; SK-Rudolphi, Vor § I, Rdn. 79.
17 Gleichstellungsproblematik, S. 149 Fußn. 149. 18 so das Teilnahmeargument der h.M.: vg!. nur; RGSt 70, 135; BOHSt 2, 150 (152); 6, 147 (154); 13, 162 (167 f.); 24, 342 (342); 32, 262; AntlWeber, BT LH I, Rdn. 190 ff.; Dreher/TriJndle § 211 Anm. 4; Frank, StGB, Teil 2, S. 10,15; Gallas, Beiträge, S. 168 f.; Grilnwald, GA 1959, S. 212; Hirsch, JR 1979, S. 430; Lackner, StGB, §§ 211 ff. Anm. 3; LK-JiJhnke, Vor § 211, Rdn. 21 f.; Maurach/SchroederlMaiwald, BT Bd. 1, S. 16; Otto, Trondle-FS, S. 157 (159); Roxin, Trondle-FS, S. 177 (185 f.); SK-Rudolphi, Vor § I, Rdn. 79; SS-EserVor § 211 Rdn. 33; Schanemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, S. 349; Stratenwerth, AT, Rdn. 1163; Wehrte, Regreßverbot, S. 49 f.; Welzel, LB, S. 281; Wessels, BT, S. 3; ausführlich hierzu auch Bottke, Suizid, S. 235 m.w.N. 19 Vg!. die prinzipielle bzw. methodische Kritik hieran bei Schilling, JZ 1979, S. 159; Spendei, JuS 1974, S. 749; kritisch auch Herzberg, JA 1985, S. 269 f.; Zielinsld, AK StGB §§ 15,16, Rdn. 104. 20 Roxin S. 246; Rudolphi Rdn. 79; vg!. auch DiJlling, GA 1984, S. 71 (75 ff.); Stree, JuS 1985, S. 179 m.w.N.
21 was Roxin S. 258 f. selbst hervorhebt, indem man seiner Ansicht nach mit dem Schutzweck der Norm ·zwar ein methodisches Leitprinzip, aber noch keine Anhaltspunkte für seine inhaltliche Ausfüllung· hat (Hervorhebung v. Verf.); vg!. auch die kritische Darstellung der Normzwecldehre bei Frisch S. 80 ff. und bei Wehrle S. 91 f.
I. Fremde Selbstgetihrdung als Problem des Schutzzwecks der Norm
33
Daß die Förderung fremder Selbstverletzung außerhalb des Schutzbereichs der Tötungs- und Körperverletzungsdelikte liege ist so wenig gesichert wie die Grenze selbst, bei der die Unterstützung von Selbstschädigungsakten in eine zurechenbare Fremdverletzung umschlägt. Die Berufung auf das Vorsatzdelikt als Lösungsschlüssel für das Fahrlässigkeitsdelikt ergäbe mithin nur Sinn, wenn für diesen Deliktstyp der hier in Frage stehende Zurechnungsmaßstab de lege lata feststünde. Damit steht und iallt die Lehre vom Schutzzweck der Norm, die - was die hier untersuchte Frage betrifft - nur von Erst-Recht-SchliJssen lebt, mit dem Nachweis der Positivierung der Verantwortung für fremde Selbstschädigungsakte beim Vorsatzdelikt22 • In Ermangelung für die hier untersuchten Konstellationen originiJr herausgebildeter Zurechnungsmaßstäbe greift dieser Ansatz vornehmlich auf die zur (mittelbaren) Täterschaft herausgebildeten Zurechnungstopoi zurück23 • Entsprechend beispielsweise den Regeln der Täterschaft kraft aberlegenen Wissens soll auch derjenige, der fahrlässig fremde Selbstschädigungsakte veranlaßt oder unterstützt, pflichtwidrig handeln, wenn er im Vergleich zum Opfer über ein höheres Gefahrenwissen verf'ügt24 • Aus der Differenzierung von Täterschaft und Teilnahme beim Vorsatzdelikt begründet sich die Abschichtung der Teilnahme an einer eigenverantwortlichen Selbstgetährdung (Selbstschädigung) von der einverstitndlichen Fremdgetährdung, die wenigstens im Grundsatz nach den Regeln der Einwilligung beurteilt werden soll25. So plausibel es zunächst erscheinen mag, die Unterstützung fremder Selbstschädigungen, -getährdungen nur soweit als straffrei anzuerkennen, solange das Opfer die maßgebende Entscheidung über das Gefahrengeschehen frei und eigenverantwortlich trifft, so fraglich ist doch, ob die strafrechtliche Verantwortung des anderen an der Differenz des gesetzlichen Täterschaftsl Teilnabmetatbestandes festzumachen ist. Die damit verbundenen Friktionen muß Roxin erkannt haben, wenn er wertungsmäßig diese Differenzierung teilweise wieder zurücknimmt, indem er Fälle der Beteiligung an der einverstitndlichen Fremdgetährdung aus Schutzzweckerwägungen von der Zurechnung als
22 Ein typisches Argumentationsmuster dieser Lehre sieht z.B. wie folgt aus. Es muß "die fahrlässige Verursachung eines verantwortlichen Suizids straflos sein, ... weil sogar die vorsätzliche Beteiligung am Suizid keiner Strafandrohung unterliegt" (Roxin, NStZ 1984, S. 411; Hervorhebung v. Verf.); ähnlich auch BGHSt 24,342. 23 Rudolphi, GleichsteIlungsproblematik, S. 150.
24 SK-Rudolphi Rdn. 79 b; Stree, JuS 1985, S. 183; hierauf steIlt auch die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ab; vg\. BGHSt 32, 265; NStZ 1983 S. 117; NStZ 1986 S. 266; für die übrigen mittelbare Täterschaft begründenden Umstände muß konsequenterweise das gleiche gelten.
2S Roxin S. 249 ff.; NStZ 1984 S. 412; Rudolphi Rdn. 81a; Schünemann S. 722 ff.; diese Differenzierung ist im Schrifttum weit verbreitet; vg\. insb. DiJlling, GA 1984, S. 80 ff.; Seier, JA 1984, S. 533; SS-Cramer, § 15, Rdn. 156. 3 Derksen
Erster Teil: Verantwortung fiir fremde Selbstgefährdung
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Fahrlässigkeitsdelikt ausschließen will, sofern diese unter allen relevanten Gesichtspunkten der Tei1nahme an einer eigenverantwol1lich vollzogenen Selbstschädigungsform gleichstünden26 • Im Grundsatz bleibe es aber dabei, daß beide Fallgruppen voneinander abzuschichten seien. Diese sollen in der Weise voneinander abzugrenzen sein, daß bei der einverständlichen Fremdgetährdung anders als bei der Teilnahme an einer Selbstgetährdung (Selbstschädigungl der Täter die Tatherrschaft über das Getährdungsgeschehen ausübe 7. Roxin28 umschreibt rein phitnomenologisch diese Abschichtung so, daß bei ersterer das Opfer nicht selbstgetährdende Handlungen vornehme oder sich in eine schon bestehende Gefahr hineinbegebe, sondern sich der vom Täter erst noch drohenden Gefahrbegründung im vollen Bewußtsein des Risikos aussetze. Letzteres sei beispielsweise bei einer waghalsigen Mitfahrt auf dem Soziusplatz eines Motorrades der Fall. Ein Beispiel für eine Teilnahme an einer fremden Selbstgetährdung soll die Veranstaltung eines Motorradrennens sein29 • Die Schwierigkeiten, die bei einer solchen Abgrenzung entstehen, verdeutlicht die unterschiedliche Einordnung des vom Reichsgericht entschiedenen Fährmannfalles30 und mit nichts zu wünschen übrig lassender Deutlichkeit die Aidsinjizierung bei einverständlichem Sexualverkeml l . Sie rühren daher, daß
26 Roxin, Gallas-FS, S. 252; Schanemann, JA 1975, S. 722 will beide Fallgruppen weitgehend gleichbehandeln.
27 Burgslaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 167 Fußn. 91; SK-Rudolphi, Vor § I, Rdn. 81 a; Schilnemann S. 722; von einem anderen Ausgangspunkt aus so auch DiJlling, GA 1984, S. 78. 28 S. 250. 29 ein Beispiel aus der Rechtsprechung hierfür ist der BGHS,7, 112 ff. zugrundeliegende Fall.
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30 RG 7 , 172; während DiJlling S. 78 hier einen klaren Fall einer einversllJndlichen Fremdgefährdung sieht beurteilt Schroeder in LK § 16 Rdn. 181 diesen als eine Teilnahme des Fährmannes an einer Selbstgefährdung der Fahrgäste, obgleich ersterer alleine das Boot über die Memel steuerte. 31 dazu näher Erster Teil V. 3.c; das BayObLG JZ 1989 S. 1073 (1074) und das erstinstanzlich erkennende LG Kempten, NJW 1989, S. 268 bejahen hier die Anwendung der zur Teilnahme an einer Selbstgefährdung aufgestellten Grundsätze - so auch Bnms, NJW 1987, S. 693 f. Eberbach, IR 1986, S. 231 f.; HenoglNesller-Tremel, StrV 1987, S. 366 (368); Kunz, SchwZStR 1990, S. 39 (53 ff.); Prinwirz, NJW 1988, S. 2942; 0110, TfÖndle-FS, S. 166 f.und ROllleuthner, KJ 1989, S. 259 (264 f.), ähnlich so wohl auch in Hinblick auf erkennbare Risikosituationen Kreuzer, ZStW 100 (1988), S. 800 ff., während die hier revisionsfiihrende Staatsanwaltschaft - so etwa auch Frisch, JuS 1990, S. 362 (369 f.); Geppen, Jura 1987, S. 668 (678); Helgenh, NStZ 1988, S. 261 (262) und Mayer, JuS 1990, S. 784 (787) (der sogar den einverstlindlichen ungeschützten Sexualverkehr bei Kenntnis des Opfers von der Infektion seines Sexualpartners als Tötungsdelikt bestraft wissen will); SchUnemann, in: SchilnemannlPfeiJfer, Rechtsprobleme mit Aids, S. 474 ff. und IR 1989, S. 90 (dort, nachdem er eigenartigerweise die Fallgruppe der Selbstgefährdungsteilnahme nur fiir das Fahrlässigkeitsdelikt anwenden will; es ist aber ungereimt, die einverständliche Fremdgefährdung von einer derartigen (begrundungsbedürftigen) Restriktion auszunehmen. Da die Einordnung in die eine oder andere Fallgruppe durch eine von einem materiellen Maßstab geleiteten Abgrenzung zu leisten ist bedeutet die Verselbständigung einer dieser Fallgruppen die Nivellierung
I. Fremde Selbstgetihrdung als Problem des Schutzzwecks der Nonn
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das Kriterium der Herrschaft in den einschlägigen Fällen nicht in Reinform entweder dem Täter oder dem Opfer zugeschrieben werden kann, so wenig im übrigen das Tatherrschaftskriterium das Wesentliche für das zu treffende Zurechnungsurteil treffen dürfte32 • Ist die Gefahrverwirklichung für das Opfer vermeidbar, begrenzt seine Einflußmöglichkeit auf das Gefahrengeschehen immer die Herrschaft des Täters. Soll diese Abgrenzung nur anband des liußeren Geschehens erfolgen, werden die Fälle zum Problem, in denen die Gefahr durch das Handeln sowohl des Täters als auch des Opfers hervorgerufen wird. Ohne Kenntnis des Zurechnungsgrundes läßt sich im konkret zu beurteilenden Fall kaum entscheiden, ob die Selbstgetährdung des Opfers von strafrechtlicher Verantwortung befreit und jede vorschnelle Einordnung von Fallkonstellationen in die eine oder Gruppe präjudiziert dann wegen der konträr diesen zugeordneten Entscheidungsregeln33 unkontrolliert die Lösung des konkret zu entscheidenden Falles. Abgesehen von dieser Abgrenzungsfrage ergeben sich im Bereich der Teilnahme an einer Selbstgetährdung (Selbstschädigung) Delailprobleme, über deren Lösung die Vorstellung der Autoren, die der Lehre vom Schutzzweck der Nonn folgen, auseinandergehen. Beispielhaft hierfür ist die kontroverse Behandlung der Fälle, in denen die vom Täter geschaffene Situation für das Opfer ein zugkräftiges Motiv oder gar die Verpflichtung zur Selbstgetährdung begründet. Roxin verneint die Zurechnung daraus resultierender Folgen als Fahrlässigkeitsdelikt selbst dann, wenn die vom Täter geschaffene Gefahrenlage für einen Retter eine Selbstgetährdungspflicht aus § 323 c StGB, einer BeschützergarantensteIlung oder aus beruflicher Sonderrolle als Polizist, Feuerwehrmann u.ä. begründet'4. Sofern der Gesetzgeber ein Handlungsgebot ausspreche, dürfe er die strafrechtliche Verantwortung für daraus resultierende Folgen nicht anderen Personen aufbürden, weil es keine Gebote geben könne, die Dritte in Strafe stürzen würden. Dies sei um so weniger angezeigt, als der Verursacher einer eine Selbstgetährdungspflicht begründenden Situation die Risikohandlung nicht verhindern dürfe3S • Abgrenzung zu leisten ist bedeutet die Verselbständigung einer dieser Fallgruppen die Nivellierung des dogmatischen Gehalts, die die Beurteilung eines Geschehens als einverständliche Fremdgetihrdung zu leisten noch fiir sich in Anspruch nehmen könnte) - diese Konstellation als einverständliche Fremdgefiihrdung beurteilt. 32 In diesem Sinne ist wohl auch Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 86 Cf., 116 f., 148 Cf. zu verstehen. 33 So monieren SK-Samson, Anh § 16, Rdn. 33 und lK-Schroeder, § 16 Rdn. 181, daß die Rechtsprechung durch die fehlerhafte Rubrizierung von Fällen als einverstllndliche Fremdgetihrdung, obgleich es sich um (straflose) Beteiligungen an Selbstgefiihrdungen gehandelt habe, zu falschen Entscheidungen gekommen sei. 34 S. 246 Cf. 35 ebenda S. 247; Honig-FS S. 142 f.; diese Argumentation setzt sich aber dem Einwand von
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Erster Teil: Verantwortung für fremde Selbstgetährdung
Anders sieht dies Rudolphi36 • Seiner Ansicht nach soll der die Gefahr aufsieh-Nehmende jedenfalls dann in den Schutzbereich der Norm einbezogen werden, wenn eine rechtliche Verpflichtung zur Selbstgetährdung bestehe. Soweit die Rechtsordnung zum Bestehen von Gefahrensituationen Pflichten begründe, müsse sie auch davor schützen, daß Dritte derartige Situationen schüfen. Darüber hinaus soll die Rettungshandlung dann ebenfalls in den Schutzbereich der strafrechtlichen Normen einzubeziehen sein, wenn eine Abwiigung des eingesetzten mit dem zu rettenden Gut sowie der jeweiligen Gefahrenmomente ein Überwiegen des ;efahrenträchtigen Rettungsversuchs gegenüber seiner Nichtvornahme ergebe3 • Schanemann schägt zu diesem Problemkreis eine differenzierende Lösung vo~8Eine rechtlich nicht gebotene, eigenverantwortlich unternommene Selbstgetährdung soll niemals strafrechtliche Verantwortung begründen können. Im Rahmen einer bestehenden SelbstgefährdungsvelPjlichtung soll eine Zurechnung nur in Betracht kommen, ·wenn hierfür eine vom Erstverursacher geschaffene oder gesteuerte Gefahrenquelle im gegenständlichen Sinne ursächlich ist, nicht aber, wenn das Primärverschulden nur in dem Ausliefern von Personen an bereits vorhandene Gefahrenquellen besteht und auch der Retter diesen vom Täter weder hervorgerufenen noch gesteuerten Gefahren erliegt·39 •
Die Auseinandersetzung mit diesen Lösungsvorschlägen soll einstweilen bis zur Aufarbeitung dieser Fallgruppe in einem eigenen Lösungskonzept zurückgestellt werden. Bemerkenswert ist aber, daß bei einer so zentralen Problematik von gleicher dogmatischer Ausgangslage so grundlegend verschiedene Lösungen vertreten werden. Ob dies darauf zurückzuführen ist, daß die dieses Konzept tragenden Erwägungen kein geeignetes Fundament für die nähere, detaillierte Bestimmung der Verantwortung für fremdes selbstschädigendes Verhalten bieten, soll eine Untersuchung der Grundlagen der Lehre vom Schutzzweck der Norm aufklären helfen.
Jakobs, ZStW 89 (1977), S. 31 aus, daß Berufsrisiko und gesetzliche Verpflichtung die "Notwendigkeit, eine Gefahr bestehen zu müssen" erkläre, nicht aber die Gefahrentstehung selbst; vgl. auch Wehrle, Regreßverbot S. 92. 36 SK, Vor § 1, Rdn. 80 f.: JuS 1969 S. 557. 37 JuS 1969 S. 557; deutlich erkennbar sind dabei die Anleihen an die zur Lösung derartiger Fälle geführten parallelen Diskussion im Zivilrecht. Rudolphi bezieht sich ebenda Fußn. 59 ausdrücklich auf Deutsch, JZ 1967, S. 643 f. Diese Lösung findet auch Zustimmung bei MaurachGiJssel, AT 2, S. 98; SS-Cramer, § 15, Rdn. 156, LK-Schroeder, § 16, Rdn. 182; Wolter, Objektive Zurechnung, S. 344 f. Zum Ganzen vgl. auch Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, Abschn. EVm. 38 S.722. 39 ebenda; kritisch Jakobs, ZStW 89 (1977), S. 15 f. Fußn. 56, der zu Recht moniert, daß die naturalistische Differenz, ob die Gefahr sich dem Gut nähere oder umgekehrt, erst einmal als Zurechnungsdifferenz erwiesen werden müsse.
I. Fremde Selbstgefährdung als Problem des Schutzzwecks der Norm
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2. Kritik der grundlegenden Thesen der Schutzzwecklehre a) Der Schluß vom Vorsatz - auf das Fahrlitssigkeitsdelikt Eine Differenzierung von Teilnahme an einer Selbstgetährdung (oder an anderen Formen der Selbstschädigung) und einverständlicher Fremdgefährdung mit dem Ziel, hieran einen unterschiedlichen Grad von Fremdverantwortung zu knüpfen, erscheint wenig einsichtig, weil beide Beteiligungsformen häufig gleichzeitig auftreten, ja bei genauerer Betrachtung weniger voneinander zu differenzierende Fallgruppen umschreiben als einen Perspektivenwechsel vom Täter zum Opfer4O • Wer Drogen von einem anderen entgegennimmt ist mit einer Fremdgefiihrdung einverstanden und gefährdet sich durch ihren Konsum selbst. Wollte man hiergegen einwenden, daß erst der Konsum der Drogen eine Gefahr für Leben und Gesundheit des Konsumenten darstelle und ihre Überlassung noch keine tatbestandiich relevante Gefahr begründe, weicht man dem eigentlichen Problem aus. Unbedenklich wäre man geneigt, auch in der Überlassung der Drogen eine zur Erfüllung der Tötungs- und Körperverletzungsdelikte relevante Gefahrbegründung zu sehen, wenn ihr Konsument nicht als eigenverantwortlich angesehen werden könnte. Es kann mithin gar nicht darum gehen, Beteiligungsformen isoliert für den jeweiligen Akteur deliktisch zu definieren, sondern darum, Verantwortungsbereiche normativ abzugrenzen. Die an dieser Stelle zu untersuchende Lehre geht dabei implizit von der Vorstellung aus, daß der Gesetzgeber diese vorgegeben habe. So erklärt sich die Anknüpfung an die TäterschaftslTeilnahmeregelung und der Versuch, den Wertungen aus den §§ 216, 226a StGB gerecht zu werden. Was letzteren Gesichtspunkt betrifft, so leistet ein afortiori-Schluß nichts, soweit nicht feststeht, daß die in diesen Normen zum Ausdruck kommende Beschränkung der strafdispensierenden Gestaltungsmacht für das Vorsatz- und für das Fahrlässigkeitsdelikt unterschiedlich festgelegt ist. Soweit die Pflichtanforderungen hinsichtlich der Vermeidung von fremden Selbstgetährdungen etc. für das Vorsatzund für das Fahrlässigkeitsdelikt als unterschiedlich verteilt anzusehen sind, wäre die Verantwortungsstruktur der einen Deliktsform für die andere bedeutungslos. Gäbe die TäterschaftslTeilnahmeregelung einen Maßstab für die Verantwortung für fremde Selbstschädigungsakte vor, blieben Zweifel an seiner Übertragbarkeit vom Vorsatz- auf das Fahrlässigkeitsdelikt. Bereits wenige Überlegungen verdeutlichen, daß es sich hierbei nicht um einen formallogischen Schluß handeIt41 • Die a fortiori-Argumentation erfüllt nicht die für einen Syllogis-
40 So lehnte Klee, GA 48, S. 177 ff. eine derartige Differenzierung unter Hinweis darauf ab, daß eine Fremdverletzung mit Einwilligung aus der Sicht des Einwilligenden sich als Selbstverletzung darstelle. 41 vgl. nur Klug, Juristische Logik, S. 146 ff. (151).
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Erster Teil: Verantwortung für fremde Selbstgefährdung
mus42 geltenden Voraussetzungen. Der' Schluß vom Vorsatz- auf das Fahrlässigkeitsdelikt oder präziser: von den Bedingungen (B), bei denen beim Vorsatzdelikt (V) wegen Förderung, Unterstützung oder Nichtabwendung fremder Selbstschädigungen (gefährdungen) Strafe (S) zu verhängen ist, auf die für das Fahrlässigkeitsdelikt entsprechend geltenden hätte folgende Struktur: V(B) --> S F --> V F(B) --> S Dieser scheitert ersichtlich daran, daß das Vorsatz- nicht zugleich das Fahrlässigkeitsdelikt umfaßt. Aus normlogischer Sicht bedeutet das argumentum a maiore ad minus, daß der logisch schwächere Rechtssatz aus dem logisch stärkeren folgt43 • Ersterer ist im Verhältnis zu letzterem entweder voraussetzungsreicher oder sieht bei gleichbleibenden Voraussetzungen weniger gravierende Rechtsfolgen vor. Formal läßt sich dies so darstellen:
Insoweit lassen sich logisch bedenkenfrei Folgerungen von für jedes fahrlässige Verhalten Geltende für die grobe Fahrlässigkeit oder von dem, was für jedes vorsätzliche Verhalten anzunehmen ist für die Absicht ableiten, nicht aber vom Vorsatz- auf das voraussetzungsverschiedene F ahrlässigkeitsdelikt45 • Stellte man eine formale Identität beider von einem gemeinsamen Oberbegriff, etwa dem des Normbruchs , her, ließe sich der a fortiori-Schluß zwar von der Prämisse her halten, daß vorsätzliche - wie fahrlässige - Tatbegehung ihrem Wesen nach gleiche, aber quantitativ abstufbare Verstöße gegen die Norm: "Ihr sollt keine Rechtsgüter verletzen oder gefährden"46 darstellten. Dies läßt sich aber schwerlich aufrechterhalten. Kein emstzunehmendes Zurechnungskonzept könnte die Verabsolutierung des Eifolgsmoments, was eine
42 vgl. nur Weinberger, Rechtslogik, S. 91 ff., 171 ff.
43 Alchourron, ARSP Beih. Nr.4 (1965), S. 5 ff.; Fiedler, ZStW 73 (1961), S. 237 (239 ff.); Klug, S. 149 f.; Schreiber, Logik des Rechts, S. 54 ff. 44 In Worten: gilt für alle x, daß unter den Voraussetzungen V1 die Rechtsfolgen R1 eintreten, so gilt dies auch, wenn außer den Voraussetzungen V1 auch die Voraussetzungen V 2 erfüllt sind oder wenn unter den gleichen Voraussetzungen die weitergehende Rechtsfolge R2 eintritt.
45 Engisch, Juristische Denken, S. 292 Anm. 121 zieht insoweit aber den Schluß von der Straflosigkeit der vorsätzlichen auf die der fahrlässigen Suizidteilnahme .
46 so der Gedankengang in Maurach/GiJssellZipf, AT Bd. 2, § 42 I Nr. 3a.
I. Fremde Selbstgetihrdung als Problem des Schutzzwecks der Norm
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derartige Prämisse erforderte, durchhalten, und die Einführung der Struktur des unrechten Verhaltens in die Zurechnungslehre rückte die Divergenz zwischen Vorsatz und Fahrliissigkeit aufs Neue ins Blickfeld. Daß vorsätzliche Begehung immer mehr als fahrlässige ins Gewicht falle ist auch dann zweifelhaft, wenn man statt desjonnallogischen Schlusses einen axiologischen Vergleichsmaßstab wählt47 • Stellt man beispielsweise auf das Maß der durch die Tat hervorgerufenen Störung des Rechtsfriedens ab, so ließe sich die Plausibilität einer derartigen Annahme damit erschüttern, daß die gesellschaftliche Rezeption einer Bedrohung48 bzw der Grad der Hervorrufung einer Orientierungsstörung durch Demonstration mangelnder Normanerkennung durch eine kontrollierte (bewußte) Ausrichtung der Verletzungstendenz auf ein bestimmtes Gut nicht in jedem Fall größer sein muß als die durch die Auslösung eines Geschehens hervorgerufene, in der der Zufall entscheidet, welches Gut Preis getährlichen Leichtsinns wird49 • Einmal unterstellt, ein quantitatives Verhältnis beider Unrechtsformen sei gleichwohl anzunehmen, so überzeugt zwar der a jortiori-Schluß von der vorsätzlichen auf die fahrlässige Beteiligung an der Selbsttötung, nicht aber ohne weiteres der Schluß von der fahrlässigen Beteiligung am Suizid auf die fahrlässige Beteiligung an einer Selbstgefithrdung. Dieser weitere wie folgt zu veranschaulichende Schluß (x)(T(x)
--> Rsv) -->
(x)(T(x)
--> Rso)
- scheitert jonnallogisch schon ersichtlich daran, daß die Selbstgetährdung keine im Verhältnis zur Selbstverletzung schwächere logische Bedingung für die Strafbarkeit, oder, anders gewendet, keine logisch stärkere Bedingung für die Straflosigkeit einer Teilnahme hieran50 ist. Die axiologische Stimmigkeit einer derartigen Argumentation wird von den Stimmen, die sich ihrer bedienen, regelmäßig nicht herausgearbeitet und ließe sich von den in diesem Zusammenhang verwendeten und noch zu reflektierenden Zurechnungstopoi auch nur schwerlich halten. Denn gerade das für die Grenze der Straflosigkeit zur Strafbarkeit als maßgebend befundene Tatherrschaftskriterium oder das Moment der Gutsdisposition legte eher einen gegenteiligen Schluß nahe. Käme es
47 aus nonnlogischer Sicht stellt JaJcobs, ZStW 101 (1989), S. 516 (527 ff.) das verbreitet angenommene axiologische Stufenverbältnis von Fahrlässigkeit und Vorsatz in Frage; von anderen Prämissen aus tut dies auch Hassemer, Theorie, S. 158 f. 48 hiernach bestimmt Hassmer, Theorie, S. 158 f. das Gravum der Straftat; die Präzisierung der Komponenten, die die Tatschwere ausmachen sollen, fehlt hier zwar noch, es wird aber bereits deutlich, daß die Grenzziehung von Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht notwendig für ein axiologisches Stufenverbältnis stehen muß. 49 ähnlich Neumann, JA 1987, S. 248. 50 im untechnischen Sinne.
40
Erster Teil: Verantwortung für fremde Selbstgefährdung
insoweit beispielsweise auf die Handlungsherrschaft des Opfers an, so unterstreicht die gelungene bewußte Selbstverletzung dessen Handlungskompetenz, während der folgenschwere Ausgang der regelmäßig ohne Selbstverletzungswille ausgeführten Selbstgefährdung gerade Ausdruck des Scheiterns von autonomer Lebensgestaltunr I ist. Aus der Sicht eines Rechtsgutsmonismus als strafrechtliche Aufgabenbestimmung ist die unrechtsmindernde oder neutralisierende Disposition des Opfers über das Gut im Falle der bloßen Selbstgefährdung kaum im größeren Maße als bei der bewußten Selbstverletzung gegeben. Diese Überlegungen zeigen bereits, daß defizitäre Reflexion dogmatischer Konstruktionen deren Eigenleben begünstigen und den trügerischen Schluß nahelegen, daß diese bereits den für den Subsumtionsschluß erforderlichen Leitgedanken enthielten. Soweit Täterschaftsffeilnahmekategorien nur für das Vorsatzdelikt Bedeutung haben, fehlt schon im Ansatz jede Vergleichsbasis zu den für das Fahrlässigkeitsdelikt relevanten Zurechnungskriterien52 • Die darin jeweils verkörperten Wertungen sind dann nicht kompatibel53 • Dieser Argumentationsansatz wäre im übrigen schon von Anfang an unplausibel, soweit der Zurechnungsgrund nicht in der Beherrschung des Geschehens oder in einer wie auch immer zu qualifizierenden Einflußnahme auf fremde Tatbegehung besteht, sondern dieser vorgelagert ist, und von hieraus erst Qualität und Umfang der zurechnungsrelevanten Einflußnahme fremder Selbstschädigungsformen abzuleiten wären. Es darf hierbei nicht von vornherein vorausgesetzt werden, daß die strafrechtliche Verantwortung bei vorsätzlicher und fahrlässiger Beteiligung an den verschiedensten Selbstschädigungsformen gleichen Regeln folgt. Die Lehre vom Schutuweck der Norm bemüht sich demgegenüber nicht um eine Materialisierung der von ihr benannten Zurechnungskriterien, sondern stellt zur Begründung der soeben behandelten Schlüsse auf die für das Vorsatzdelikt geltende AkzessorietiUsregelung ab.
51 kritisch gegenüber dieser Lösungsmethode auch Donatsch, SchwZStW 1988, S. 361 (374 f.), Spendel S. 751 f.; Welp, JR 1972, S. 428; die Begriffe "Eigenverantwortlichkeit" bzw. "Autonomie" sind ohne dogmatische Durchdringung Leerfonneln, die für alles herangezogen werden können; zur Begriffsbildung vgl. M.K. Meyer, Autonomie, S. 119 ff.; Neumann S. 248 f. 52 Anders wäre dies, wenn auch beim Fahrlässigkeitsdelikt zwischen Täterschaft und Teilnahme zu differenzieren wäre. Einen solchen Weg ging die Lehre vom Regreßverbot in ihrer ursprünglichen Fonn; dazu näher Erster Teil ß. und vorerst Bloy, Beteiligungsfonn, S. 137 ff.; grundle;end zur Anwendung des restriktiven Täterbegriffs auf das Fahrlässigkeitsdelikt ROJein, Täterschaft , S.
544.
53 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 1 ff.
I. Fremde Selbstgefährdung als Problem des Schutzzwecks der Norm
41
b) Direkte Anwendung der Teilnahmeregelung
aal Präzisierung der Aussage des Teilnabmearguments Die generelle Straflosigkeit der Teilnabme an einer Selbstgefährdung oder Selbstschädigung wird aus der gesetzlichen Teilnabmeregelung abgeleitet. Bei genauerer Betrachtung wird der dort niedergelegte Akzessorietätsgrundsatz in seiner Bedeutung aber umgekehrt. Es geht nicht mehr darum, das Teilnahmeunrecht als prinzipiell vom Täterunrecht abhängig zu definieren54 • Das Teilnabmeargument stützt sich vielmehr darauf, daß das Opfer, soweit dieses es selbst ist, dem der Verlust oder die Gefährdung seiner Güter zuzuschreiben ist, den hieran Beteiligten - in welchen Grenzen wäre noch zu präzisieren - von der Zurechnung distanzieren soll. So wenig wie das Opfer Unrecht begehe, wenn es Hand an sich legt, soll dies auch für den Beteiligten gelten, wenn er dazu lediglich den Entschluß hervorruft oder Hilfe leistet. Das ist der Kern des für die thematisch vorliegend einschlägigen Fallgruppen weit verbreiteten Teilnabmearguments55 • Die unterschiedliche Bewertung einer über die Herrschaft des Opfers verlaufenden mittelbaren Todesverursachung und der lediglich mit dessen Willen ausgeführten Fremdtötung (§ 216 StGB) wäre zwingend, wenn de lege lata eine dahingehende Wertentscheidung zweifelsfrei auszumachen wäre. Das setzte aber zweierlei voraus: (1) die verschiedenen Selbstschädigungsformen lassen sich nicht als strafrechtliches Unrecht erfassen56 (2) gleichwohl sind die §§ 25 ff. StGB als Prüfungsmaßstab zur Feststellung der Verantwortung für fremde Selbstschädigungen (- gefährdungen) anzusehen. Von den zahlreichen Selbstschädigungsmöglichkeiten wird lediglich die Rechtswidrigkeit des Suizids vereinzelt behauptef 7 • Träfe dies zu, käme insoweit die Teilnahmeregelung zur Anwendung, freilich mit der Konsequenz, daß auch diese für alle als Teilnahme erfaßten Beteiligungsformen strafrechtliche Verantwortung begründete. Darüber hinaus ließe sich per argumentum a maiore ad minus keine straffreie Zone der Beteiligung an einer Selbstgefährdung mit tödlichem Ausgang ausmachen58 •
54 von § 28 StOB einmal abgesehen. 55 vgl. Fußn. 18; weitere Nachw. bei Bonke, Suizid, S. 235 Fußn. 1174. 56 Vgl. dazu auch Neumann, JA 1987, S. 245 f. 57 Tatbestände nach dem Muster des § 109 StOB sind keine weiteren Ausnahmen, weil sie nach ihrem Selbstverständnis keine Selbstverletzung poenalisieren. 58 womit natürlich nicht gesagt werden will, daß auch jede Beteiligung an einer Selbstgefährdung
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Erster Teil: Verantwortung für fremde Selbstgetihrdung
bb) Der Suizid als teilnahmejiihige Haupttat Die Lehren von Bringewat und Schmidhiiuser Die Annahme, daß der Suizid tatbestandliches Unrecht sei, wird heute nur noch vereinzelt vertreten59 . Für die Auffassung Bringewats· 60 ist dies dahingehend zu präzisieren, daß der den Suizid erfassende Straftatbestand gewohnheitsrechtlicher Natur sei. Die darauf aufbauende These,"daß die Straflosigkeit der (versuchten) Selbsttötung .. , ungesetztes, durch einen allgemeinen Rechtsgeltungswillen der Gemeinschaft erzeugtes Strafrecht und damit gesetzesgleiches Gewohnheitsrecht" sei61 , vereinbart sich nicht gut mit der weiteren Annahme, daß der Gesetzgeber - wegen einer zu unterstellenden Kenntnis der Gesetzgebungsgeschichte sicher auch problembewußt - "die (versuchte) Selbsttötung ... nicht mehr "in die deutsche Reichsstrafgesetzgebung aufgenommen habe"62. Denn damit existiert bereits kein Straftatbestand mehr, an dem die Teilnahmehaftung angeknüpft werden könnte. Es gibt keinen Freiraum für ein gesetzesgleiches Gewohnheitsrecht neben einer dagegen getroffenen Wertentscheidung des Gesetzgebers. Es fehlt überdies eine Begründung dafür, weshalb Fremd- und Selbsttötung auf Tatbestandsebene gleichgestellt werden sollen63 . Schmidhäuser setzt den Unwertsachverhalt und damit den Unrechtsgehalt der Selbsttötung mit dem der Fremdtötung gleich64 . Der Suizident übe keinen Rechtsanspruch aus, sondern verletze" die Pflicht des einzelnen zum Weiterleben gegenüber der Gemeinschaft65 ", so daß "das in
strafrechtlich relevant wire. Nur der BeglÜndungsweg wire nicht begehbar.
59 zum lilteren Schrifttum vgl. Friebe, GA 1959, S. 163 ff. 60 ZStW 87 (1975) S. 622 (648). 61 ebenda S. 648 (Hervorhebung v. Verf.). 62 ebenda (Hervorhebung v. Verf.). 63 Zur Kritik an dieser Konstruktion von Bringewat vgl. auch Bottke, Suizid, S. 235 ff.; Roxin, Dreher-FS, S. 342 f.; den., NStZ 1984, S. 71; Schilling, JZ 1979, S. 160; Simson, Die Suizidtat, S. 74 f. 64 We1zeI-FS S. 801 (813 f.); ihm folgend Klinkenberg, JR 1978, S. 441 ff; ihnlich bereits Kohler, GA 49 (1903), S. 6, der die TatbestandsmlJßigkeit der Selbsttötung bejaht, hingegen meint, daß in diesem Falle die Strajbarkeitsbedingung, daß der Titer ein anderer sei als der Getötete, entfiele; er gelangte von hieraus zur umfassenden Strafbarkeit für die Veranlassung und Förderung eines fremden Suizids; zu einer akzessorisch beglÜndeten Zurechnung des Suizids zum Hintermann Binding, Handbuch, S. 701; Hegler, Eb.Schmidt-FS, S. 26 ff. und Eb.Schmidt, Frank-FG n, S. 114 f.; vgl. auch Lion, GA 6 (1858), S. 460 und Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 223, der die Rechtswidrigkeit des Suizids bejaht, die Strafbarkeit aber daran scheitern lißt, daß die Selbstverletzung keinen Verbrechenstypus bilde; von hieraus soll dann der Anstifter straflos bleiben; vgl. S. 417. 65 ebenda S. 817.
I. Fremde Selbstgetährdung als Problem des Schutzzwecks der Norm
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der Selbsttötung begründete tatbestandliche Unrecht der Tötungsdelikte nicht aus der Autonomie 'gerechtfertigt' sein könne66 ". Sofern im Einzelfall der Suizid mit Schuldfllhigkeit ausgeführt werde, soll die Straflosigkeit des Suizidenten aus der gesetzlichen Anerkennung eines besonderen Entschuldigungsgrundes folgen, den Schmidhiiuser in dem Erleben "der völligen Sinnlosigkeit des eigenen Lebens durch den Täter" sieht67 . Doch eine solche Position läßt sich schwerlich aufrechterhalten. In systematischer Hinsicht ergibt sich zunächst eine gewisse Spannung zu den Körperver-
letzungsdelikten, deren Grundtatbestand - § 223 StGB - ausdrücklich die Verletzung eines anderen verlangt. Unverständlich ist aber, weshalb ein Opfer, das sich bewußtermaßen in einen §§ 224, 225 StGB entsprechenden Zustand versetzt, kein strafwardiges Unrecht verwirklichen soll, der Suizident schon. Soweit die Selbstverletzung wie in § 109 StGB unter Strafe steht, gilt dies der Verteidigung der für den Selbstschädiger externen Güter. Aber welchem Gemeinschaftsinteresse dient die Aufrechterhaltung einer physischen Existenz, die außer von nach § 109 StGB Sonderpflichtigen bis in den Zustand von Siechtum und Lähmung gebracht werden darf, wenn nur nicht bewußt die völlige Zerstörung des Lebens angestrebt wird?
Systematische Spannungen bestehen bereits im Bereich der Tötungsdelikte. Die Abstufung des Unrechtsgehalts der Fremdtötung von §§ 211, 212 zu § 216 StGB würde wieder aufgewertet, sobald das Opfer nicht nur ernsthaft seine Tötung verlangte, sondern sich mit ihm dafür überlassenen Mitteln selber tötet. Wie widersprüchlich dies ist erweist sich in Fällen der unter der Prämisse Schmidhiiusers konstruktiv möglichen Mittäterschaft68. Sie widerspricht auch der vom historischen Gesetzgeber getroffenen Wertentscheidung, nur die Fremdtötung als strafwürdiges Unrecht erfassen zu wollen69 . Sie ist auch nicht legitimierbar, jedenfalls nicht von einem Verfassungsverständnis aus, das
66 ebenda S. 819. 67 S. 815 (Hervorhebung v. Verf.). 68 Zur Konstruktion einer Quasi-Mittäterschaft, ausgehend von der herrschenden Prämisse der fehlenden Rechtswidrigkeit von Selbstschädigungsskten, Henberg, JuS 1988, S. 771 ff. 69 Amelunxen, Selbstmord, S. 33, 35; Czinczoll, Solidaritätspflichten, S. 34; Otto, DIT, D 19; Roxin, Dreher-FS, S. 336; Sax, JZ 1975, S. 146; Simson, Suizidtat, S. 55 ff. jeweils m.w.N .. Aus dem älteren Schrifttum so bereits z.B. Beling, Die Lehre vom Verbrechen, S. 219 f.; Bemer, LB, S. 94. Der Gesetzgeber hielt die Beschränkung des § 212 RStGB wie bei seinem wortgleichen Vorläufer im PrStGB von 1851, woraus erstere Vorschrift hervorging, auf die Fremdtölung nicht mehr für Idarstellungsbedürftig. Weil die Partikulargesetzbücher die Strafbarkeit des Suizids(versuchs) bereits aufgehoben hatten - in Preußen bereits mit kliniglichem Resmpt von 1751 und endgültig 1796 (vg!. Simson/Geerds, Straftaten, S. 67; Simson S. 42, 73 m.w.N.) kann dies nicht als Abstinenz, sondern nur als positive Entscheidung des Gesetzgebers i.S. einer Nichttatbestandsmäßigkeit des Suizid(versuch)s gewertet werden.
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Erster Teil: Versntwortung für fremde Selbstgefihrdung
sich wie unseres auf das liberale Modell des Gesellschaftsvertrages stützt70 und die Begrenzung der Pflichtbindung gegenüber dem Staat exemplarisch mit der prinzipiellen Ausreisefreiheit deutlich zum Ausdruck bringt. Die Grenzen der Normbindung werden in diesem Zusammenhang nicht thematisiert. Geschähe dies, wäre die Frage der Grenze der Gemeinschaftsbindung des einzelnen unausweichlich und forderte, falls man das Leben - wenn auch nur partiell - als Gemeinschaftsgut begriffe, die Überprüfung einer derartigen Position daraufhin, wie weit diese vom absolutistischen Machtanspruch des Souveräns, der bekanntlich an seinen Untertanen Quasieigentum geltend machte, entfernt ist71. Überraschend breiten Raum nimmt gleichwohl die Diskussion der Frage ein, ob ein Recht auf Suizid bestehe, wobei die dazu überhaupt denkbaren Positionen auch vertreten werden: (1) Es besteht ein Recht auf Suizid72 • (2) Der Suizid ist ein rechtswidriges Verhalten73 (3) Der Suizid ist weder ein rechtmäßi~es noch ein rechtswidriges Verhalten, sondern er ist "unverboten" ~
Die Relevanz dieses Streits ist aber nicht hoch zu veranschlagen. Auch wenn man kein Recht zur Selbsttötung annehmen will, folgt daraus noch nicht, daß diese rechtswidrig sei oder gar, daß der Suizident die Pflicht, weiterzuleben, verletzte. Aus der Annahme "kein Recht" folgt noch nicht stringent das Urteil "rechtswidrig", weil es Lebenssachverhalte gibt, die sich dem binllren Schematismus rechtswidrig/rechtmäßig entziehen, weil das Recht nicht zu jedem
70 Von dieser Grundlage aus begründete bereits Montesquieu in Lettres Persanes, 76. Brief, die Beschränkung der Ver:fUgbarlceit des einzelnen durch die Gemeinschaft. 71 Darin liegt der eigentliche Grund der Strafbarkeit des Suizid(versuch)s im absolutistischem Staat. Der Suizident beging nach damaligem Verständnis einen Quasidiebstahl, mit dem er dem Souverän Leben, Arbeitskraft oder andere Nutzfaktoren entzog; zu den Motiven der Delikte gegen das Leben im Zeitalter des Absolutismus vgl. Wanenberger, Rechtsgüterordnung, S. 169 f., 172. Daß solche Gedanken in der Gegenwart noch nicht völlig überwunden sind zeigen die Ausführungen von Krumme, BOB LM § 226 a StGB Anm. 2 zu BOBSt 4, 88. 72 Ausgehend von der Annahme, dieser würde als freie Entfaltung der Persönlichkeit unter dem Schutz des Art. 2 Abs. I GO fallen; vgl. etwa Bonke, Suizid, S. 42 ff.; Eser, Suizid, S. 397, 400; Geilen, Euthanasie, S. 5 ff.; Ostendorf, GA 1984, S. 317 f.; Wagner, Selbstmord, S. 90 ff., 107; Wassennann, DRiZ 1986, S. 296. 73 DreherffriJndle, Vor § 211, Rdn. 4; Darig, in: MaunzlDarig, Art 2 Abs. 2 GO, Rdn. 12; Hirsch, Lackner-FS, S. 611; Hoerster, NJW 1986, S. 1788; Otto, DJT 1986, D 20 f.
74 Czjnczoll, Selbsttötung, S. 75; Gallas, Beiträge, S. 180 f.; Ger/and, Reichsstrsfrecht, S. 161; Anhur Kau.finann, Maursch-FS, S. 332; Roxin, Täterschaft, S. 229; ders. Dreher-FS, S. 339; diese Position vertraten bereits v.Bar, Gesetz und Schuld, Bd. 3 S. 35; Binding, LB 2, S. 25; Gerland, Deutsches Reichsstrafrecht, S. 161; Wlichter, NArchCrim 10 (1829), S. 656 m.w.N. aus dem zeitgenössischen Schrifttum.
I. Fremde Selbstgetährdung als Problem des Schutzzwecks der Norm
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Sachverhalt Stellung bezieht, keine allumfassende Geltung beansprucht7S. Ob der Suizid heute noch generell eine eindeutig ethische76 Wertung erf'ahrt kann dahinstehen; wegen der Verselbständigung des positiven Rechts gegenüber der Moral und der Ethik wäre ein sozialethisch abträgliches Verdikt des Suizids für das Recht nicht bindend. Dem widerspricht nicht die relativ starke Beschränkungsmöglichkeit menschlicher Handlungsfreiheit iSd Art. 2 Abs. 1 GG, weil legitime staatliche Eingriffsmöglichkeiten keinen Rückschluß auf die Qualitilt des damit unterbundenen Verhaltens in der Weise zuläßt, schon;ar nicht, daß die Verfassung nunmehr dieses als rechtswidrig bewertete 7. Aus der Eingriffsmöglichkeit in die grundsätzliche Handlungsfreiheit folgt mithin kein Verdikt des gehinderten Verhaltens, speziell des staatlicherseits verhinderten Suizids, sondern nur das Recht des Staates, den Suizidenten daran (zeitweilig) zu hindern, das - wie die Analyse der einzelnen Eingriffsnormen zeigt78 nicht unbeschränkt besteht und auch nicht bestehen kann. Ebenso wenig läßt sich aus Art. 2 Abs. 2 GG eine diesbezügliche Bewertung ableiten, weil diese Verfassungsnorm nur ein Recht auf Leben gwährt, jedoch keine Pflicht zum Leben statuiert79. Bei diesem Befund wäre es überraschend, wenn gleichwohl die Rechtswidrigkeit des Suizids explizit ausweisende Rechtsnormen sich aufzeigen ließen. An Versuchen, dies aufzuzeigen, fehlt es allerdings nicht. So wird für den gegenteiligen Standpunkt § 216 StGB als Argumentationsbasis bemüht80 • Dieser Norm läßt sich aber keine Aussage entnehmen, die auf die Rechtswidrigkeit der Selbsttötung schließen ließe. Das Bemühen, aus dieser nur auf
7S Demgegenüber behauptet Radbruch, Rechtsphilosophie3 , S. 191 - gegen die von ihm bekämpfte Lehre vom rechtsfreien Raum gerichtet - die universelle Reichweite rechtlicher Ordnung; dagegen Anhur Kaujmann, Maurach-FS, S. 333, der zu Recht hiergegen einwendet, daß eine Unversalitlil des Rechts mit einer Sinnentlehrung des Rechtsbegriffs erkauft werde. 76 aus thec-logischer Sicht zumeist wohl eine negative, wobei das Verdikt des Suizids maßgebend von der christlichen Sittenlehre beeintlußt wird; dazu Bilring, Moraltheologische Überlegungen zu Suizid und Euthanasie, in EBer (Hrsg.), Suizid und Euthanasie als human- und sozialwissenschaftliches Problem, S. 261 ff.; aber auch rur Theologen gibt es unverziehtbare Ausnahmen vom Selbsttötungsverbot: dazu der Apostolische Stuhl, Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre zur Euthanasie, 1980, S. 7; ausführliche Literaturbinweise zur theologischen Bewertung des Suizids finden sich bei Otto, DJT 1986, D IS Fußn. 21 und Oesterreich, ZEE 1966, S. 146 Fußn. 7. 77 Es käme sicher auch niemand auf den Gedanken, daß z.B. das von Art. 14 GO geschützte Eigentum dadurch zu einer rechtswidrigen Position werde, wenn es staatlicherseits im Wege der Enteignung in Anspruch genommen wird. 78 vgl. nur Bonke, Suizid, S. 164 ff. 79 Roxin, Dreher-FS, S. 338.
80 Schmidhiluser, AT, 817; BT, 217; We1zeI-FS S. 817 und Klinkenberg JR 1978 S. 441 ff.; ders., JR 1979, S. 183 f.
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Erster Teil: Verantwortung für fremde Selbstgetihrdung
die Fremtötung ausgerichteten Vorschrift ein Selbsttötungsverbot abzuleiten, läuft auf eine petitio principii hinaus. Vor allem kann aus der Unverbindlichkeit der Freigabe des Lebens hinsichtlich des Angriffs fremder Personen nicht auf das Verbot geschlossen werden, dieses Gut selber preiszugeben. Bestünde ein solches, wären die Folgen weitreichend, weil eine Pflicht, weiterzuleben - wenn auch abgeschwächt - die Verpflichtung begrün- dete, seine Lebensführung auf Gefahrenmomente einzustellen, namentlich, Selbstgefährdungen zu vermeiden. Die Perspektive des Normadressaten ist aber für die das Tötungsverbot statuierende Norm von entscheidender Bedeutung, was seinen Grund darin findet, daß es sich bei Fremd- und Selbsttötung um wesensverschiedene Sachverhalte handelt81 • Wesentlicher erscheint aber noch, daß ein auf die Fremdtötung beschränkter § 216 StGB aus zweckrationaler Perspektive zu dem generalprliventiv Geltung zu verschaffenden Gebot, fremdes Leben zu tabuisieren, eine sinnvolle Erklärung findet 82 , nicht aber in Hinblick auf die Selbsttötung. Soweit außerstrafrechtliche Normen zum Nachweis einer prinzipiellen Weiterlebenspflicht bemüht werden stellen sich für die Einzelanalyse zwei Fragen: zum einen, ob diese die Rechtswidrigkeit des Suizids voraussetzen und darüber
hinaus, ob dann ein Schluß von der au,ßerstrafrechtlichen Rechtswidrigkeit auf die strafrechtliche Rechtswidrigkeit83 zu ziehen ist. Eine Reflexion auf dieser Stufe wird uns in diesem Zusammenhang aber nicht abverlangt. Für eine generelle rechtliche Bewertung des Suizids kommen von vornherein keine staatlichen Hinderungsrechte in Betracht, die nur gegenüber besonderen Personengruppen ausgeübt werden dürfen, so z.B. die aus § 88 StVollzG, § 112 Abs.5 Nr.2 StPO folgenden oder in den landesrechtlichen Unterbringungsgesetze84 vorgesehenen, zur Suizidhinderung ermächtigenden Normen. Es bleiben damit nur die gegenüber jedermann anwendbaren polizeilichen Ermächtigungsgrundlagen als Prüfungsmaßstab übrig. Im Zusammenhang
81 Im Falle der Fremdtötung gibt das Opfer die Gestaltung des Geschehens aus der Hand. Es braucht nicht die für den letZlen den Tod herbeiführenden Schritt erforderliche psychische Kraft aufzuwenden. Medizinische Erfahrungen mit Todkranken lehren, daß der Selbsttötungswille und der Wunsch, von Dritten getötet zu werden, nicht das gleiche ist; vgJ. dazu Menul, in EBer (Hrag): Sterbehilfe, S. 53 ff. (57). 82 Engisch, H.Mayer-FS, S. 399 ff. (415); EBer in Eid (Hrsg.), Euthanasie, S. 64 ff.Gallas, Beiträge, S. 175; Hirsch, Welzel-FS, S. 775 ff.; Ono, Tröndle-FS, S. 157 (158 f.); Roxin, Dreher-FS, S. 339; Lac/ener, StGB, § 216 Rdn. 1; U